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Project Gutenberg EBook of Märchen für Kinder, by Hans Christian Andersen

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with this eBook or online at www.gutenberg.org

Title: Märchen für Kinder

Author: Hans Christian Andersen

Illustrator: Nikolai Karasin, A. Zick, P. Schnorr, F. Reiß, E. Klimsch, E. Kepler, M.


Flashar, H. Effenberger

Translator: Paul Arndt

Release Date: September 3, 2006 [EBook #19163]

Language: German

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MÄRCHEN FÜR KINDER ***

Produced by Louise Hope, Markus Brenner, Juliet Sutherland


and the Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net
H. C. Andersens

Märchen für Kinder.


Frei nach der Reclamschen Ausgabe bearbeitet
von

Paul Arndt.
Mit 5 Buntbildern von N. K a r a s i n , sowie
40 Textillustrationen
von A. Zick, P. Schnorr, F. Reiß, E. Klimsch, E. Kepler, M. Flashar,
H. Effenberger etc.

N e u n t e A u f l a g e .

‘Rast Ich So Rost Ich’ (Loewes Verlag 1863)

Stuttgart

L o e w e s Ve r l a g
Ferdinand Carl.

Druck von C a r l H a m m e r in Stuttgart.

Märchengruß.
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H
a n s A n d e r s e n , d e r M ä r c h e n d i c h t e r,
Nennt man ihn nur, landaus, landein;
Da lachen strahlende Gesichter,
Da jubeln Bub’ und Mägdelein!
Ihm sang und klang, ihm lebt’ und lachte,
Was anderer Ohr und Auge tot,
Das Seelenlose fühlt’ und dachte
Und ward beseelt, — wenn er gebot.
Den er gepflückt im Wunderlande,
Den allerschönsten Märchenstrauß,
Geknüpft mit rot und weißem Bande,
Streut’ einst er in die Welt hinaus.
Und aus dem Strauß die zart’sten Triebe,
Die er bestimmt der K i n d e r s c h a r ,
Sind hier gesammelt euch zuliebe;
Wir bieten sie euch freudig dar.
Längst ist er schon von uns gegangen,
Der Dichter, der den Kindern lieb,
Doch leben noch in Jugendprangen
Die M ä r c h e n , die für euch er schrieb.
Sie klingen fort und werden klingen
Unsterblich noch in später Zeit,
Und sich wie gold’ne Fäden schlingen
Um Kind und Märchenherrlichkeit.
Des g r a u e n E n t l e i n s Abenteuer,
Der Z i n n s o l d a t , auf einem Bein
Standhaft im Wasser und im Feuer,
Die S c h w ä n e und ihr Schwesterlein;
Das Märlein von dem T a n n e n b a u m e ,
Vom K o f f e r , der die Luft durchschwirrt,
Vom S a n d m a n n und Klein-Hjalmars Traume,
Vom T ö l p e l h a n s , der König wird.
Sie wollen plaudern, wollen scherzen,
Sie wollen bei euch Kindern sein,
Und dringen in die Kinderherzen
Mit ernster Lehre mahnend ein. —
So macht dem luftigen Gelichter
Ein Heim in Herz und Haus bereit,
Und seid gegrüßt vom Märchendichter,
Die ihr ja selber Märchen seid!

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Inhalts-Übersicht.
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Seite
Däumelieschen 1
Die Störche 8
Der fliegende Koffer 11
Der Schneemann 15
Es ist ein Unterschied 18
Das Feuerzeug 20
Das häßliche Entlein 25
Die Stopfnadel 31
Tölpelhans 33
Fünf in der Schote 36
Das Märchen vom Sandmann 38
Die Theekanne 45
Die Blumen der kleinen Ida 46
Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern 50
Die wilden Schwäne 52
Die glückliche Familie 61
Der Engel 63
Der standhafte Zinnsoldat 65
Des Kaisers Nachtigall 68
Die Schneekönigin 74
Erste Geschichte. Der Zauberspiegel. 74
Zweite Geschichte. Die Nachbarskinder. 74
Dritte Geschichte. Der Blumengarten der Zauberin. 78
Vierte Geschichte. Prinz und Prinzessin. 81
Fünfte Geschichte. Das kleine Räubermädchen. 84
Sechste Geschichte. Die Lappin und die Finnin. 86
Siebente Geschichte. Im Schlosse der Schneekönigin. 88
Fliedermütterchen 91
Der Tannenbaum 97
Das alte Haus 103
Der Buchweizen 107
Die roten Schuhe 109

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Däumelieschen.
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ilfe suchend kam einmal eine Frau zu einer alten Hexe und fragte sie, ob sie ihr
nicht ein kleines Mädchen verschaffen könnte.
„O ja, das soll nicht schwer halten!“ sagte die Hexe. „Da hast du ein
Gerstenkorn; das ist nicht etwa von der Art, wie es auf einem Bauernfelde
wächst, oder womit die Hühner gefüttert werden. Lege es in einen Blumentopf,
dann wirst du etwas zu sehen bekommen!“
„Besten Dank!“ sagte die Frau und gab der Hexe ein Geldstück, ging dann heim,
pflanzte das Gerstenkorn, und sogleich wuchs eine große herrliche Blume
hervor, die vollkommen einer Tulpe glich, aber die Blätter schlossen sich fest
zusammen, als ob sie noch in der Knospe wären.
„Das ist eine schöne Blume!“ sagte die Frau und küßte sie auf die herrlichen
roten und gelben Blätter, aber wie sie sie noch küßte, that die Blume einen
großen Knall und öffnete sich. Es war, wie man nun sehen konnte, eine wirkliche
Tulpe; aber mitten in der Blüte, auf dem grünen Blumengriffel, saß ein winzig
kleines, blondlockiges Mädchen, fein und lieblich. Sie war nicht größer als ein
Daumen, und deswegen wurde sie D ä u m e l i e s c h e n genannt.
Eine prächtige, lackirte Wallnußschale erhielt sie zur Wiege, blaue
Veilchenblätter waren ihre Matratze und ein Rosenblatt ihr Deckbett. Darin
schlief sie des Nachts, aber am Tage spielte sie auf dem Tische. Die Frau hatte
einen Teller darauf gestellt, um den sie einen ganzen Kranz Blumen gelegt hatte,
deren Stengel in das Wasser reichten. Hier schwamm ein großes Tulpenblatt und
auf diesem durfte Däumelieschen sitzen und von der einen Seite des Tellers bis
zur andern schwimmen. Zum Rudern hatte sie zwei weiße Pferdehaare. Das sah
unbeschreiblich niedlich aus. Sie konnte auch singen, o so fein und lieblich, wie
man nie zuvor gehört hatte.
Eines Nachts, als sie in ihrem hübschen Bettchen lag, kam durch das Fenster, in
dem eine Scheibe zerbrochen war, eine häßliche Kröte hereingehüpft; sie hüpfte
gerade auf den Tisch hernieder, wo Däumelieschen lag und unter dem roten
Rosenblatte schlief.
„Das wäre eine schöne Frau für meinen Sohn!“ sagte die Kröte, und dann ergriff
sie die Wallnußschale, in der Däumelieschen schlief, und hüpfte mit ihr durch
die Scheibe in den Garten hinunter.
Da floß ein großer, breiter Bach; aber dicht am Ufer war es sumpfig und
morastig; hier wohnte die Kröte mit ihrem Sohne. Hu, der war eben so garstig
und häßlich, das ganze Ebenbild seiner Mutter. „Koax, Koax, breckekekex,“ war
alles, was er sagen konnte, als er das hübsche, kleine Mädchen sah.
„Schwatz’ nicht so laut, sonst wacht sie auf!“ sagte die alte Kröte, „sie könnte
uns sonst noch entlaufen, denn sie ist so leicht wie ein Eiderflaum! Wir wollen
sie in den Bach hinaus auf eines der breiten Wasserlilienblätter setzen, das ist für
sie, die so leicht und klein ist, wie eine Insel. Da kann sie nicht entlaufen,
während wir den Festsaal unten tief unter dem Sumpfe, wo ihr wohnen und
leben sollt, in Stand setzen.“
Die alte Kröte schwamm nun nach einem der großen, grünen Blätter, welche
inmitten des Baches aus dem Wasser ragten, als ob sie darauf schwämmen, und
setzte die Nußschale mit Däumelieschen auf dasselbe nieder.
Das arme kleine Mädchen erwachte beim ersten Morgengrauen, und da es
wahrnahm, wo es war, fing es gar bitterlich an zu weinen, denn Wasser umgab
von allen Seiten das große grüne Blatt.
Die alte Kröte saß unten im Sumpfe und schmückte ihr Zimmer mit Schilf und
gelben Wasserlilien, denn für die neue Schwiegertochter sollte alles auf das
Feinste hergerichtet werden. Darauf schwamm sie mit dem garstigen Sohne zu
dem Blatte hinaus, wo Däumelieschen stand. Die alte Kröte verneigte sich vor
ihr bis tief ins Wasser hinein und sagte: „Hier stell’ ich dir meinen Sohn vor, der
dein Mann werden soll. Ihr werdet unten im Sumpfe ganz prächtig wohnen.“
„Koax, Koax, breckekekex!“ war alles, was der Sohn sagen konnte. Darauf
schwamm die alte Kröte mit ihrem Sohn fort und sie nahmen Däumelieschens
Bett für die neue Ausstattung gleich mit. Da saß das arme kleine Mädchen und
weinte heiße Thränen auf das grüne Blatt hinab, denn sie wollte weder bei der
häßlichen Kröte wohnen, noch ihren häßlichen Sohn zum Manne haben. Die
kleinen Fische, welche unten im Wasser schwammen, hatten die Kröte recht
wohl gesehen und gehört, was sie sagte. Sie wollten Däumelieschen gern vor der
Kröte und ihrem häßlichen Sohne retten und nagten mit ihren scharfen Zähnen
den Stiel des Blattes ab und nun schwamm das Blatt mit Däumelieschen hinab,
weit, weit fort, wohin die Kröte nicht gelangen konnte.
Däumelieschen segelte an gar vielen Städten vorüber, und die kleinen Vögel
saßen in den Büschen, sahen sie und sangen: „Welch niedliches kleines
Mädchen!“ Weiter und immer weiter schwamm das Blatt mit ihr; so reiste denn
Däumelieschen ins Ausland.
Ein allerliebster kleiner Schmetterling wurde nicht müde sie zu umflattern und
schwebte endlich auf das Blatt hernieder, denn er konnte Däumelieschen gar
wohl leiden. Diese war hoch erfreut, denn die Kröte konnte sie jetzt nicht mehr
erreichen, und es war köstlich, wo sie segelte. Die Sonne schien auf das Wasser
und dieses glänzte wie schimmerndes Gold. Da nahm sie ihren Gürtel, schlang
das eine Ende desselben um den Schmetterling und befestigte das andere am
Blatte. Das glitt jetzt weit schneller das Wasser hinunter und sie mit, denn sie
stand ja auf dem Blatte.
Plötzlich kam ein großer Maikäfer angeflogen, der sie gewahrte und
augenblicklich seine Klauen um ihren schlanken Leib schlug und mit ihr auf
einen Baum flog. Aber das grüne Blatt schwamm den Bach hinab und der
Schmetterling flog mit, denn er war an das Blatt gebunden und konnte sich auch
nicht befreien.
Gott, wie sehr erschrak das arme Däumelieschen, als der Maikäfer mit ihr auf
den Baum hinaufflog! Am meisten betrübte sie jedoch der Gedanke an den
schönen, weißen Schmetterling, den sie an das Blatt gebunden hatte. Konnte er
nicht loskommen, mußte er ja rettungslos verhungern.
Der Maikäfer setzte sich mit Däumelieschen auf das größte Blatt des Baumes,
speiste sie mit dem Blütenhonig und sagte ihr, sie wäre sehr schön, obgleich sie
einem Maikäfer in keinem Stücke ähnelte. Später kamen noch viele Maikäfer zu
Besuch; sie beguckten Däumelieschen von allen Seiten und die Maikäferfräulein
rümpften die Fühlhörner und sagten: „Sie hat ja nur zwei Füße; das sieht doch zu
jämmerlich aus!“
„Wie häßlich sie ist!“ sagten auch die alten Maikäferfrauen, und trotzdem war
Däumelieschen so schön. So kam sie auch dem Maikäfer vor, der sie entführt
hatte, da aber alle anderen darin übereinstimmten, sie wäre häßlich, so glaubte er
es zuletzt ebenfalls und wollte sie nun gar nicht haben; sie konnte gehen, wohin
sie wollte. Sie flogen mit ihr vom Baume hinunter und setzten sie auf ein
Gänseblümchen. Da weinte sie, weil sie so häßlich wäre, daß sie nicht einmal die
Maikäfer unter sich dulden wollten.
Während des ganzen Sommers lebte Däumelieschen ganz allein in dem großen
Walde. Sie flocht sich ein Bett aus Grashalmen und hing es unter einem großen
Klettenblatte auf, so daß sie gegen den Regen geschützt war. Blütenhonig war
ihre Speise und ihren Durst stillte sie an dem Tau, der morgens auf den Blättern
stand. So verstrich Sommer und Herbst, aber nun kam der Winter, der kalte,
lange Winter. Alle Vögel, die ihr so schön vorgesungen hatten, flogen ihrer
Wege, die Bäume und Blumen welkten dahin; das große Klettenblatt, unter dem
sie gewohnt hatte, schrumpfte zusammen, und es blieb nur noch ein gelber,
vertrockneter Stengel. Sie fror bitterlich, ihre Kleider waren zerrissen und sie
selbst war gar fein und klein; das arme Däumelieschen mußte erfrieren. Es
begann zu schneien und jede Schneeflocke, die auf sie fiel, that dieselbe
Wirkung, als wenn man auf uns eine Schaufel voll wirft, denn wir sind groß, sie
aber war nur einen Daumen lang. Da hüllte sie sich in ein verwelktes Blatt, aber
das erwärmte sie nicht; sie zitterte vor Kälte.
Hart am Saume des Waldes, wohin sie jetzt gelangt war, lag ein großes Kornfeld,
allein das Korn war längst eingeerntet, nur die nackten, trockenen Stoppeln
ragten aus der gefrorenen Erde hervor. Ihr kamen sie wie ein großer Wald vor,
den sie zu durchwandern hatte, und sie klapperte nur so vor Kälte. Da kam sie
vor die Thür der Feldmaus. Deren ganzes Reich bestand in einer kleinen Höhle
unter den Kornstoppeln. Dort wohnte die Feldmaus geschützt und behaglich,
hatte die ganze Stube voll Korn und eine prächtige Küche und Speisekammer.
Das arme Däumelieschen stellte sich an die Thür, gerade wie jedes andere
Bettelmädchen, und bat um ein kleines Stückchen Gerstenkorn, denn sie hatte
seit zwei Tagen nicht das Geringste zu essen bekommen.
„Du arme Kleine!“ sagte die Feldmaus, denn es war im Grunde genommen eine
gute, alte Feldmaus, „komm’ in meine warme Stube herein und iß mit mir!“
Da sie nun Gefallen an Däumelieschen fand, sagte sie: „Du kannst getrost den
Winter über bei mir bleiben, aber du mußt mir die Stube hübsch sauber halten
und mir Geschichten erzählen, denn das ist meine Lust!“ Däumelieschen that,
was die gute, alte Feldmaus verlangte und hatte es ganz vortrefflich bei ihr.
„Nun bekommen wir gewiß bald Besuch!“ sagte die Feldmaus. „Mein Nachbar
pflegt mich täglich zu besuchen. Der hat noch mehr vor sich gebracht, als ich,
hat große Säle und geht in einem herrlichen schwarzen Sammetpelze einher.
Könntest du den zum Manne bekommen, dann wärest du gut versorgt.“
Doch Däumelieschen mochte den Nachbar gar nicht haben, denn er war ein
Maulwurf. Er kam und machte in seinem schwarzen Sammetpelze seine
Aufwartung. Er wäre sehr reich und sehr gelehrt, sagte die Feldmaus. Seine
Wohnung war auch in der That zwanzigmal größer als die der Feldmaus, und
Gelehrsamkeit besaß er, aber die Sonne und die herrlichen Blumen konnte er gar
nicht leiden; über sie wußte er nur Schlimmes zu erzählen, weil er sie nie
gesehen hatte.
Er hatte sich vor Kurzem einen langen Gang von seinem bis zu ihrem Hause
durch die Erde gegraben; in ihm durfte die Feldmaus und Däumelieschen mit
seiner Erlaubnis nach Herzenslust spazieren. Er bat sie aber, nicht vor dem toten
Vogel zu erschrecken, der im Gange läge. Es war ein ganzer Vogel mit Federn
und Schnabel, der erst kürzlich beim Beginn des Winters gestorben sein konnte
und nun gerade da begraben war, wo er seinen Gang angelegt hatte.
Der Maulwurf nahm ein faules Stück Holz in das Maul, weil es im Dunkeln wie
Feuer schimmert, ging dann voran und leuchtete ihnen in dem langen, finsteren
Gange. Als sie zu der Stelle gelangten, wo der tote Vogel lag, drückte der
Maulwurf mit seiner breiten Nase gegen das Gewölbe und stieß die Erde auf, so
daß ein großes Loch entstand, durch welches das Licht hereinschimmerte. Mitten
auf dem Boden lag eine tote Schwalbe, die schönen Flügel fest an die Seite
gedrückt, die Beine und den Kopf unter die Federn gezogen. Der arme Vogel war
sicher vor Kälte gestorben. Däumelieschen hatte inniges Mitleid mit ihr, sie
liebte alle die kleinen Vögel, hatten sie ihr doch den ganzen Sommer hindurch so
schön etwas vorgesungen und vorgezwitschert, aber der Maulwurf stieß ihn mit
seinen kurzen Beinen und sagte: „Nun pfeift er nicht mehr! Es muß doch
jämmerlich sein, als kleiner Vogel geboren zu werden! Außer seinem „Quivit“
hat ja ein solcher Vogel durchaus nichts und muß im Winter elendiglich
verhungern!“
„Ja, das könnt Ihr als vernünftiger Mann wohl sagen!“ entgegnete die Feldmaus.
„Was hat ein Vogel für all sein Quivit, wenn der Winter kommt? Er muß
elendiglich verhungern und erfrieren.“
Däumelieschen sagte nichts, als aber die beiden andern dem Vogel den Rücken
wandten, neigte sie sich hinab, schob die Federn, die über seinem Kopfe lagen,
zur Seite und küßte ihn auf die geschlossenen Augen. „Vielleicht war er es, der
mir im Sommer so schön etwas vorsang,“ dachte sie, „wie viel Freude hat er mir
verschafft, der liebe, schöne Vogel.“
Der Maulwurf stopfte nun das Loch, durch welches das Tageslicht hineinschien,
wieder zu und begleitete die Damen nach Hause. Aber in der Nacht konnte
Däumelieschen schlechterdings nicht schlafen. Da erhob sie sich von ihrem
Bette und flocht aus Heu einen großen, schönen Teppich, trug ihn hinunter,
breitete ihn über den toten Vogel aus und legte weiche Baumwolle, die sie im
Zimmer der Feldmaus gefunden hatte, dem Vogel zur Seite, damit er warm
liegen möchte in der kalten Erde.
„Lebewohl, du lieber schöner Vogel!“ sagte sie; „Lebewohl und Dank für deinen
herrlichen Gesang im Sommer, als alle Bäume grün waren und die Sonne auf uns
so warm hernieder schien!“ Dann legte sie ihr Köpfchen an des Vogels Brust,
fuhr aber sogleich erschrocken zusammen, denn es war fast, als ob etwas in
derselben klopfte. Das war des Vogels Herz. Der Vogel war nicht tot, er lag nur
in einer Betäubung, war jetzt erwärmt worden und bekam wieder Leben.
Im Herbste fliegen alle Schwalben nach den warmen Ländern, verspätet sich
aber eine, so friert sie so, daß sie wie tot zur Erde fällt und liegen bleibt, wohin
sie fällt, und der kalte Schnee seine Decke über sie breitet.
Däumelieschen schauderte ordentlich, so war sie erschreckt worden, denn der
Vogel war ihr gegenüber, die kaum Daumeslänge hatte, ja so erschrecklich groß,
aber sie faßte doch wieder Mut, legte die Baumwolle dichter um die Schwalbe
und holte ein Krausemünzenblatt, dessen sie sich selbst als Deckbettes bedient
hatte, und legte es über den Kopf des Vogels.
In der nächsten Nacht schlich sie sich wieder zu ihm hinunter, und nun war er
lebendig, aber so matt, daß er nur einen kurzen Augenblick seine Augen zu
öffnen und Däumelieschen anzusehen vermochte, die, weil sie kein anderes
Lämpchen haben konnte, mit einem Stückchen faulen Holzes in der Hand neben
ihm stand.
„Herzlichen Dank, du niedliches kleines Kind!“ sagte die kranke Schwalbe zu
ihr. „Ich bin vortrefflich erwärmt! Bald erhalte ich meine Kräfte wieder und kann
dann draußen im warmen Sonnenschein umherfliegen.“
„Ach!“ sagte sie, „es ist draußen gar kalt, es schneit und friert! Bleib’ du in
deinem warmen Bettchen, ich werde dich schon pflegen!“
Darauf brachte sie der Schwalbe Wasser in einem Blumenblatte und diese trank
und erzählte ihr, wie sie sich an einem Dornbusche einen ihrer Flügel verletzt
hätte, weshalb sie nicht mehr so schnell wie die andern Schwalben zu fliegen
vermochte, als dieselben weit weg nach den warmen Ländern fortzogen. Endlich
war sie auf die Erde gefallen, und was weiteres mit ihr geschehen, wußte sie
nicht.
Den ganzen Winter blieb sie nun da unten und Däumelieschen nahm sich ihrer
auf das Beste an und hatte sie lieb. Weder der Maulwurf noch die Feldmaus
erfuhr das Geringste davon, weil sie die arme Schwalbe nicht leiden mochten.
Sobald der Frühling kam und die Sonne die Erde erwärmte, sagte die Schwalbe
Däumelieschen Lebewohl, die nun das Loch öffnete, welches der Maulwurf in
die Decke gemacht hatte. Die Sonne schien herrlich auf sie hernieder und die
Schwalbe fragte, ob sie sie begleiten wollte, sie könnte ja auf ihrem Rücken
sitzen, und dann wollten sie weit hinaus in den grünen Wald fliegen. Aber
Däumelieschen wußte, daß es die alte Feldmaus betrüben würde, wenn sie
dieselbe auf solche Art verließ.
„Nein, ich kann nicht!“ sagte Däumelieschen. „Lebewohl, lebewohl! du gutes,
liebes Mädchen!“ sagte die Schwalbe und flog hinaus in den Sonnenschein.
Däumelieschen sah ihr nach und die Thränen traten ihr in die Augen, denn sie
hatte die Schwalbe gar lieb.
„Quivit, quivit!“ sang der Vogel und flog hinein in den grünen Wald.
Däumelieschen war sehr betrübt. Sie erhielt nie Erlaubnis, in den warmen
Sonnenschein hinauszugehen. Das Korn, das auf dem Acker über dem Hause der
Feldmaus ausgesäet war, wuchs auch hoch in die Luft empor; für das arme
kleine Mädchen, das kaum Daumeslänge hatte, war es ein völlig
undurchdringlicher Wald.
„Während des Sommers sollst du nun an deiner Aussteuer nähen!“ sagte die
Feldmaus zu ihr, denn nun hatte der Nachbar, der langweilige Maulwurf in dem
schwarzen Sammetpelze, sich um sie beworben.
Däumelieschen mußte nun die Spindel drehen und die Feldmaus nahm vier
Spinnen in Lohn, die Tag und Nacht spinnen und weben mußten. Jeden Abend
kam der Maulwurf auf Besuch und sprach nur immer davon, daß, wenn der
Sommer vergangen, die Sonne nicht mehr so warm scheinen würde, dann wollte
er mit Däumelieschen Hochzeit feiern. Sie war aber gar nicht vergnügt, denn sie
hatte den langweiligen Maulwurf keineswegs lieb. Jeden Morgen, wenn die
Sonne aufging, und jeden Abend, wenn sie unterging, schlich sie sich zur Thür
hinaus, und sobald der Wind die Kornähren auseinander wehte, daß sie den
blauen Himmel sehen konnte, dachte sie daran, wie hell und schön es hier
draußen wäre, und wünschte so sehr, die liebe Schwalbe wiederzusehen; aber die
kam nie wieder, die war gewiß weit fort in den schönen grünen Wald geflogen.
Als es nun Herbst wurde, hatte Däumelieschen ihre ganze Aussteuer fertig.
„In vier Wochen sollst du Hochzeit halten!“ sagte die Feldmaus zu ihr. Aber
Däumelieschen weinte und sagte, sie wollte den langweiligen Maulwurf nicht
haben.
„Schnickschnack!“ sagte die Feldmaus, „sei nur nicht widerspenstig, sonst muß
ich dich mit meinen weißen Zähnen beißen.“
Nun sollte Hochzeit sein. Der Maulwurf war schon gekommen, Däumelieschen
zu holen.
„Lebewohl, du klarer Sonnenstrahl!“ sagte sie und streckte die Ärmchen hoch
empor und ging auch eine kurze Strecke vom Hause der Feldmaus fort, denn nun
war das Korn geerntet und nur die dürren Stoppeln standen noch da. „Lebewohl,
Lebewohl!“ sagte sie und schlang ihre Ärmchen um eine kleine rote Blume, die
daneben stand. „Grüße die liebe Schwalbe von mir, wenn du sie zu sehen
bekommst!“
„Quivit, quivit!“ ertönte es in demselben Augenblicke über ihrem Kopfe. Sie
blickte auf, es war die Schwalbe, die gerade vorüberflog. Sobald sie
Däumelieschen gewahrte, wurde sie sehr froh, sie erzählte derselben, wie ungern
sie den garstigen Maulwurf zum Manne nähme und daß sie nun tief unter der
Erde wohnen sollte, wo das Sonnenlicht nie hineinschiene.
„Nun kommt der kalte Winter,“ sagte die Schwalbe, „ich fliege nach den
warmen Ländern fort. Willst du mich begleiten? Du kannst auf meinem Rücken
sitzen! Fliege nur mit mir, du süßes kleines Däumelieschen, die du mir das
Leben gerettet hast, als ich erfroren in dem finstern Schooße der Erde lag!“
„Ja, ich ziehe mit dir,“ sagte Däumelieschen, und setzte sich auf des Vogels
Rücken, mit den Füßen auf seine ausgebreiteten Flügel, band ihren Gürtel an
einer der stärksten Federn fest, und nun erhob sich die Schwalbe hoch in die
Lüfte, über Wälder und Seen, hoch hinauf über die großen Gebirge, wo immer
Schnee liegt.
Endlich kamen sie nach den warmen Ländern. Dort schien die Sonne weit heller
als hier, der Himmel war doppelt so hoch und an den Gräben und Hecken
wuchsen die herrlichsten grünen und blauen Weintrauben. In den Wäldern
hingen Zitronen und Apfelsinen; Myrthen und Krausemünzen erfüllten alles mit
ihrem Duft. Aber die Schwalbe flog immer noch weiter und es wurde schöner
und schöner. Unter den prachtvollsten grünen Bäumen an dem blauen See stand
seit alten Zeiten ein weißes Marmorschloß. Weinreben rankten sich um hohe
Säulen; an der äußersten Spitze waren viele Schwalbennester und in einem
derselben wohnte die Schwalbe, welche Däumelieschen trug.
„Hier ist mein Haus!“ sagte die Schwalbe. „Suche dir aber selbst eine der
prächtigsten Blumen aus, die da unten wachsen, und ich will dich dann
hinaufsetzen, und dein Los wird so glücklich sein, als du nur irgend wünschen
kannst!“
„O wie herrlich!“ sagte Däumelieschen und klatschte in die kleinen Händchen.
Da lag eine große, weiße Marmorsäule, welche zur Erde gesunken und in drei
Stücke zerborsten war, zwischen ihnen aber wuchsen die schönsten großen
weißen Blumen. Die Schwalbe flog mit Däumelieschen hinunter und setzte sie
auf eines der breiten Blätter. Aber wer malt ihr Erstaunen: mitten in der Blume
saß ein kleiner Mann, so weiß und durchsichtig, wie wenn er von Glas wäre. Die
niedlichste goldene Krone hatte er auf dem Kopfe und die prächtigsten hellen
Flügel auf den Schultern. Er selbst war nicht größer als Däumelieschen. Es war
der Engel der Blumen. In jeder Blume wohnte so ein kleiner Mann oder eine
Frau, dieser aber war der König über alle.
Der kleine Prinz erschrak gewaltig vor der Schwalbe, denn gegen ihn, der so
klein und fein war, schien sie ein wahrer Riesenvogel zu sein. Als er aber
Däumelieschen gewahrte, ward er gar froh, war sie doch das allerschönste
Mädchen, das er bis jetzt gesehen hatte. Deshalb nahm er die Goldkrone von
seinem Haupte und setzte sie ihr auf, fragte, wie sie hieße und ob sie seine
Gemahlin sein wollte, dann sollte sie Königin über alle Blumen werden.
Däumelieschen gab dem schönen Prinzen das Jawort, und von jeder Blume kam
eine Dame, oder ein Herr, so allerliebst, daß es eine Lust war. Jedes brachte
Däumelieschen ein Geschenk, aber das beste von allen waren ein Paar schöne
Flügel von einer großen weißen Fliege. Sie wurden Däumelieschen am Rücken
befestigt und nun konnte auch sie von Blume zu Blume fliegen. Überall
herrschte darüber Freude und die Schwalbe saß oben in ihrem Neste und sang
ihnen etwas vor, so gut sie vermochte, aber im Herzen war sie gleichwohl
betrübt, denn sie hatte Däumelieschen gar lieb und würde sich nie von ihr
getrennt haben.
„Du sollst fortan nicht mehr Däumelieschen heißen!“ sagte der Engel der
Blumen zu ihr, „das ist ein häßlicher Name und du bist so schön. Wir wollen
dich M a j a nennen!“
„Lebewohl, lebewohl!“ sagte die Schwalbe, und zog wieder fort aus den warmen
Ländern, weit fort nach unserem kalten Himmelsstriche. Dort hatte sie ein
kleines Nest oben an dem Fenster, wo der Mann wohnt, der Märchen erzählen
kann. Dem sang sie ihr „Quivit, quivit,“ vor. Davon haben wir die ganze
Geschichte.

Die Störche.
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Auf dem letzten Hause eines kleinen Dörfchens befand sich ein Storchnest. Die
Storchmutter saß im Neste bei ihren vier Jungen, welche den Kopf mit dem
kleinen schwarzen Schnabel, denn er war noch nicht rot geworden,
hervorstreckten. Ein Stückchen davon stand auf der Dachfirste starr und steif der
Storchvater. Man hätte meinen können, er wäre aus Holz gedrechselt, so stille
stand er. „Gewiß sieht es recht vornehm aus, daß meine Frau eine Schildwache
bei dem Neste hat!“ dachte er. Und er stand unermüdlich auf einem Beine.
Unten auf der Straße spielte eine Schar Kinder und als sie die Störche erblickten,
sang einer der dreistesten Knaben und allmählich alle zusammen einen Vers aus
einem alten Storchliede, so gut sie sich dessen erinnern konnten:
Störchlein, Störchlein, fliege,
Damit ich dich nicht kriege,
Deine Frau, die liegt im Neste dein
Bei deinen lieben Kindelein:
Das eine wird gepfählt,
Das andere wird abgekehlt,
Das dritte wird verbrannt,
Das vierte dir entwandt!
„Höre nur, was die Jungen singen!“ sagten die kleinen Storchkinder. „Sie sagen,
wir sollen gebraten und verbrannt werden!“
„Daraus braucht ihr euch nichts zu machen!“ sagte die Storchmutter.
Aber die Knaben wiederholten es immer von Neuem und wiesen mit Fingern
nach dem Storche. Nur ein Knabe, P e t e r mit Namen, sagte, es wäre eine
Sünde und Schande, sich über die Tiere lustig zu machen, und nahm an ihrem
Unfug nicht Teil. Die Storchmutter tröstete ihre Kinder: „Kümmert euch nicht
darum!“ sagte sie; „seht nur, wie ruhig und unbekümmert euer Vater dasteht, und
zwar auf einem Beine!“
„Uns ist so bange!“ sagten die Jungen und zogen ihre Köpfe in das Nest zurück.
Als am nächsten Tage die Kinder wieder zum Spielen zusammenkamen und die
Störche erblickten, begannen sie wieder ihr altes Lied:
Das eine wird gepfählt,
Das andere wird abgekehlt! —
„Werden wir wohl gepfählt und verbrannt?“ fragten die Storchkinder.
„Nein, sicher nicht!“ erwiderte die Mutter. „Ihr sollt fliegen lernen; ich werde
euch schon einüben! Dann geht es hinaus auf die Wiese und auf Besuch zu den
Fröschen. Das wird eine Lust werden!“
„Und was dann?“ fragten die Storchkinder.
„Dann versammeln sich alle Störche, die hier im Lande wohnen und darauf
beginnt die große Herbstübung. Da muß man gut fliegen, das ist von großer
Wichtigkeit, denn wer nicht fliegen kann, wird von dem General mit seinem
Schnabel totgestochen. Lernt deshalb nur fliegen, wenn der Unterricht beginnt!“
„Dann werden wir aber doch gepfählt, wie die Knaben behaupteten, und höre
nur, jetzt sagen sie es schon wieder!“
„Hört auf mich und nicht auf sie!“ sagte die Storchmutter. „Nach der großen
Übung fliegen wir nach den warmen Ländern, weit fort von hier, über Berge und
Wälder. Nach Ägypten fliegen wir, wo es dreieckige Steinhäuser giebt, die in
einer Spitze zusammenlaufen und bis über die Wolken ragen. Da ist auch ein
Fluß, der aus seinen Ufern tritt und das ganze Land mit Schlamm bedeckt. Man
geht im Schlamm und ißt Frösche.“
„O!“ riefen alle Jungen.
„Ja, da ist es wunderbar schön! Man thut den ganzen Tag nichts Anderes als
essen. Und während wir es so gut haben, ist hier zu Lande nicht ein grünes Blatt
auf den Bäumen. Hier ist es so kalt, daß die Wolken in Stücke gefrieren und in
kleinen weißen Läppchen herniederfallen, was dann die Menschen Schnee
nennen.“
„Zerfrieren denn auch die unartigen Knaben in lauter Stücke?“ fragten die
Storchkinder.
„Nein, in Stücke zerfrieren sie nicht, aber es fehlt nicht viel daran und sie
müssen in der dunklen Stube und hinter dem Ofen sitzen.“
Inzwischen war schon einige Zeit verstrichen, und die Jungen waren so groß,
daß sie im Neste aufrecht stehen und sich weit umschauen konnten. Der
Storchvater kam jeden Tag mit wohlschmeckenden Fröschen, kleinen Schlangen
und allen auffindbaren Storchleckereien geflogen.
„Hört, nun müßt ihr fliegen lernen!“ sagte eines Tages die Storchmutter, und
dann mußten alle vier Junge auf die Dachfirste hinaus. O, wie sie schwankten!
Wie sie suchten, sich mit den Flügeln im Gleichgewicht zu erhalten, und doch
nahe daran waren, hinunter zu fallen.
„Seht nun auf mich!“ sagte die Mutter. „So müßt ihr den Kopf halten! So müßt
ihr die Beine setzen! Eins, zwei! eins, zwei! Das wird euch in der Welt vorwärts
bringen!“ Darauf flog sie eine kurze Strecke und die Jungen machten einen
kleinen plumpen Satz. Bums! da lagen sie, denn sie waren noch zu schwerfällig.
„Ich will nicht fliegen!“ sagte das eine Junge und kroch wieder in das Nest
hinein. „Ich mache mir nichts daraus, nach den warmen Ländern zu kommen.“
„So willst du also hier im Winter erfrieren? Sollen etwa die Knaben kommen
und dich pfählen, abkehlen und verbrennen? Dann will ich sie rufen!“
„O nein!“ sagte das Storchkind und hüpfte dann wieder auf das Dach zu den
andern. Den dritten Tag konnten sie schon ordentlich ein wenig fliegen, und nun
meinten sie auch in der Luft schweben zu können.
„Seht, das war sehr gut!“ sagte die Storchmutter; „Ihr sollt morgen mit mir in
den Sumpf fliegen. Dort kommen mehrere nette Storchfamilien mit ihren
Kindern zusammen.“
„Aber sollen wir denn an den unartigen Knaben keine Rache nehmen?“ fragten
die Storchjungen.
„Laßt sie schreien, was sie wollen! Ihr erhebt euch doch zu den Wolken und
kommt nach dem Lande der Pyramiden, während sie frieren müssen und kein
grünes Blatt noch einen süßen Apfel haben!“
„Ja, wir wollen uns rächen!“ flüsterten sie einander zu und dann wurde wieder
fleißig geübt.
Von allen Knaben auf der Gasse war keiner ärger, das Spottlied zu singen, als
gerade der, welcher es zuerst angestimmt hatte, und das war ein ganz kleiner
Bursche, denn er zählte sicher nicht mehr als sechs Jahre. Die Storchkinder
meinten freilich, er wäre hundert Jahre, weil er so viel größer als ihre Mutter und
ihr Vater war. Was wußten sie davon, wie alt kleine und große Kinder sein
könnten. Ihre ganze Rache sollte sich über diesen Knaben ergießen; er hatte ja
mit dem Liede den Anfang gemacht und war dessen noch nicht müde geworden.
Die jungen Störche waren sehr aufgebracht und je größer sie wurden, desto
weniger wollten sie es leiden.
Nun kam der Herbst. Alle Störche versammelten sich allmählich, um gegen
Winter nach den warmen Ländern zu fliegen. Was für eine Übung ging voraus!
Über Wälder und Städte mußten sie, nur um zu sehen, wie gut sie fliegen
könnten, denn es war ja eine große Reise, welche bevorstand. Unsere jungen
Störche machten ihre Sache so hübsch, daß sie die Zensur: „Ausgezeichnet gut
mit Frosch und Schlange“ erhielten. Das war das allerbeste Zeugnis und den
Frosch und die Schlange durften sie essen, und thaten es auch.
„Nun müssen wir uns rächen!“ sagten sie.
„Jawohl!“ sagte die Storchmutter. „Was ich mir ausgedacht habe, das ist gerade
das Richtige! Ich weiß, wo der Teich ist, in dem alle die kleinen Menschenkinder
liegen, bis der Storch kommt und sie ihren Eltern bringt. Die niedlichen kleinen
Kinder schlafen und träumen so süß, wie sie nachher nie mehr träumen. Alle
Eltern wollen gern so ein kleines Kind haben, und alle Kinder wollen eine
Schwester oder einen Bruder haben. Nun wollen wir nach dem Teiche hinfliegen
und für jedes der Kinder eins holen, welche das arge Lied nicht gesungen und
sich über die Störche nicht lustig gemacht haben!“
„Aber jener schlimme, häßliche Junge, welcher es zu singen angefangen hat, was
machen wir mit ihm?“
„Im Teiche dort liegt ein kleines, totes Kind, welches sich tot geträumt hat. Das
wollen wir zu ihm hintragen, dann muß er weinen, weil wir ihm ein totes
Brüderchen gebracht haben. Allein dem guten Knaben, den ihr gewiß noch nicht
vergessen habt, dem, welcher meinte: Es ist eine Sünde und Schande, sich über
die Tiere lustig zu machen, dem wollen wir sowohl ein Brüderlein, als auch ein
Schwesterlein bringen, und da der Knabe P e t e r heißt, so sollt ihr sämtlich
Peter gerufen werden!“
Und wie sie es gesagt hatte, geschah es. Seitdem hießen alle Störche P e t e r und
werden noch heute so genannt.

Der fliegende Koffer.


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Es war einmal ein Kaufmann, der so reich war, daß er die ganze Straße und
beinahe noch ein Seitengäßchen mit lauter harten Thalern pflastern konnte.
Allein das that er nicht, er wußte sein Geld anders anzuwenden. Gab er einen
Dreier aus, bekam er einen Thaler wieder. Aber er mußte doch sterben und sein
Sohn bekam nun all dies Geld und er lebte lustig, ging jede Nacht auf
Maskenbälle, machte Papierdrachen aus Thalerscheinen und so konnte das Geld
schon abnehmen und that es auch.
Zuletzt besaß er nicht mehr als wenige Groschen und hatte keine andern Kleider
als ein Paar Pantoffeln und einen alten Schlafrock. Nun bekümmerten sich seine
Freunde nicht länger um ihn, da sie sich ja mit ihm zusammen nicht auf der
Straße sehen lassen konnten; nur einer von ihnen, ein gutmütiger Mensch, sandte
ihm einen alten Koffer und ließ ihm sagen: „Pack ein!“ Ja, das war nun wohl
recht gut, aber er hatte nichts einzupacken und deshalb setzte er sich selbst in
den Koffer.
Das war ein absonderlicher Koffer. Sobald man an das Schloß drückte, konnte er
fliegen. Er that es und husch! flog er mit ihm durch den Schornstein, über die
Stadt hinweg, hoch hinauf bis über die Wolken, weiter und immer weiter fort.
Endlich kam er nach dem Lande der Türken. Den Koffer verbarg er im Walde
unter dürren Blättern und ging dann in die Stadt hinein. Das konnte er recht wohl
thun, denn bei den Türken ging ja alles wie er in Schlafrock und Pantoffeln. Da
begegnete er einer Frau und fragte sie: „Was ist das für ein großes Schloß hier
unmittelbar bei der Stadt, dessen Fenster so hoch sitzen?“
„Dort wohnt die Tochter des Königs!“ sagte sie, „es ist ihr geweissagt worden,
daß sie einstmals über ihren Bräutigam sehr unglücklich werden würde und
deshalb darf niemand zu ihr kommen, wenn nicht der König und die Königin
zugegen sind!“
„Ich danke!“ sagte der Kaufmannssohn und dann ging er in den Wald hinaus,
setzte sich in seinen Koffer, flog auf das Dach des Schlosses und kroch durch
das Fenster zur Prinzessin hinein.
Sie lag auf dem Sofa und schlief; sie war so lieblich, daß er sie küssen mußte.
Sie erwachte und erschrack heftig, er aber sagte, er wäre der Türkengott, der
durch die Luft zu ihr gekommen wäre und das schmeichelte ihr.
Da saßen sie nun Seite an Seite und er erzählte ihr Märchen und Geschichten.
Ja, das waren herrliche Geschichten! Dann freite er um die Prinzessin und sie
sagte sogleich ja.
„Aber Sie müssen den Sonnabend herkommen, da ist der König und die Königin
bei mir zum Thee. Sie werden sehr stolz darauf sein, daß ich den Türkengott
bekomme. Aber sorgen Sie dafür, daß Sie ein recht schönes Märchen erzählen
können, denn das gewährt meinen Eltern die angenehmste Unterhaltung. Meine
Mutter hört gern ernste und vornehme, und mein Vater lustige, über die man
lachen kann.“
„Ja, ich bringe keine andere Brautgabe, als ein Märchen!“ und dann trennten sie
sich; aber die Prinzessin gab ihm einen mit Goldstücken besetzten Säbel, und die
Goldstücke konnte er besonders gebrauchen.
Nun flog er fort, kaufte sich einen neuen Schlafrock, ließ seinen Koffer recht
schön herrichten, setzte sich dann draußen in den Wald und dichtete ein
Märchen. Das sollte bis zum Sonnabend fertig sein und das war nicht so leicht.
Als es nun fertig war, siehe da war es gerade Sonnabend.
Der König, die Königin und der ganze Hof warteten bei der Prinzessin mit dem
Thee. Als der Kaufmannssohn nun angeflogen kam, wurde er sehr freundlich
empfangen.
„Wollen Sie nun ein Märchen erzählen!“ sagte die Königin, „eins, welches
tiefsinnig und belehrend ist!“
„Aber worüber man auch lachen kann!“ sagte der König.
„Jawohl!“ sagte er und erzählte nun folgendes:
„ Es war einmal ein Bund Schwefelhölzer, die sich auf ihre hohe Abkunft was
einbildeten. Ihr Stammbaum, das heißt die große Fichte, von der jedes ein
kleines, kleines Stückchen war, stand als ein großer alter Baum im Walde. Die
Schwefelhölzer lagen nun auf dem Gesimse zwischen einem Feuerzeuge und
einem alten eisernen Topfe und diesen erzählten sie von ihrer Jugend. „Ja, als
wir auf dem grünen Zweige waren,“ sagten sie, „da waren wir wahrlich auf
einem grünen Zweige. Jeden Abend und Morgen gab es Diamantthee, das war
der Tau, den ganzen Tag hatten wir Sonnenschein, wenn nämlich die Sonne
schien und alle die kleinen Vögel mußten uns Geschichten erzählen. Wir
konnten recht gut merken, daß wir auch reich waren, denn die Laubbäume waren
nur im Sommer bekleidet, aber unsere Familie hatte die Mittel, für Sommer und
Winter grüne Kleider anzuschaffen. Nun aber kamen Holzhauer und es entstand
eine große Umwälzung; unsere ganze Familie zersplitterte sich. Der Stammherr
erhielt als Hauptmast Platz auf einem prächtigen Schiffe, das die Welt umsegeln
konnte, wenn es wollte. Den anderen Zweigen wurden andere Stellen eingeräumt
und wir haben nun die Aufgabe, der niederen Menge das Licht anzuzünden.“
„Ich weiß ein anderes Lied zu singen!“ sagte der Eisentopf, an dessen Seite die
Schwefelhölzer lagen. „Seit ich das Licht der Welt erblickte, bin ich viele mal
gescheuert und gekocht worden. Ich sorge für das Dauerhafte und bin, eigentlich
gesprochen, der erste hier im Hause. Meine einzige Freude ist, nach Tische rein
und fein auf dem Gesimse zu liegen und mit den Kameraden vernünftig zu
plaudern. Nehme ich aber den Wassereimer aus, der doch bisweilen auf den Hof
hinunter kommt, so leben wir hier immer hinter zugemachten Thüren. Unser
einziger Neuigkeitsbote ist der Marktkorb, aber der redet zu aufrührerisch über
die Regierung und das Volk.“
„Nun sprichst du zu viel!“ sagte das Feuerzeug und der Stahl schlug gegen den
Feuerstein, daß Funken sprühten. „Wollen wir uns nicht einen lustigen Abend
machen?“
„Ja, lasset uns davon sprechen, wer der Vornehmste ist!“ sagten die
Schwefelhölzer.
„Nein, ich spreche nicht gern von mir selber!“ versetzte der Thontopf. „Ich
schlage eine Abendunterhaltung vor. Ich will den Anfang machen und etwas
erzählen; jeder teilt mit, was er erlebt hat. Da kann man sich so trefflich
hineinfinden und es ist sehr lustig! Also hört: An der Ostsee bei den dänischen
Buchten brachte ich meine Jugend bei einer stillen Familie zu; die Möbel
wurden poliert, der Fußboden aufgewischt und alle vierzehn Tage wurden neue
Vorhänge aufgesteckt!“
„Wie anschaulich Sie doch erzählen!“ sagte der Haarbesen. „Man kann gleich
hören, daß ein Frauenzimmer erzählt; es zieht sich etwas Reinliches hindurch!“
„Ja, das fühlt man!“ sagte der Wassereimer und machte einen Satz, daß es auf
dem Boden nur so klatschte!
Der Topf fuhr fort zu erzählen und das Ende entsprach dem Anfange.
Alle Teller klirrten vor Freude und der Haarbesen zog grüne Petersilie aus dem
Sandloche und bekränzte den Topf, weil er wußte, er würde die andern dadurch
ärgern und „bekränze ich ihn heute,“ dachte er, „so bekränzt er mich morgen!“
„Nun will ich tanzen!“ sagte die Feuerzange und tanzte. „Werde ich nun auch
bekränzt?“ fragte die Feuerzange und sie wurde es.
„Das ist doch nur Pöbel!“ dachten die Schwefelhölzer.
Nun sollte die Theemaschine singen, aber sie entschuldigte sich mit Erkältung;
auch könnte sie nur in kochendem Zustande singen, aber es geschah eigentlich
aus lauter Vornehmthuerei; sie wollte nur auf dem Tisch drinnen bei der
Herrschaft singen.
Im Fenster saß eine alte Feder, mit der die Magd zu schreiben pflegte. Es war
nichts Bemerkenswertes an ihr, ausgenommen, daß sie zu tief in das Tintenfaß
getaucht war, aber gerade darauf that sie sich etwas zu Gute. „Will die
Theemaschine nicht singen,“ sagte sie, „so mag sie es bleiben lassen. Draußen
sitzt im Bauer eine Nachtigall, die singen kann; sie hat zwar nichts gelernt, aber
gleichwohl wollen wir ihr das heute Abend nicht übel auslegen!“
„Ich finde es im höchsten Grade unpassend,“ äußerte der Theekessel, der das
Amt eines Küchensängers bekleidete und ein Halbbruder der Theemaschine war,
„daß ein fremder Vogel angehört werden soll. Ist das patriotisch? Ich fordere den
Marktkorb auf, darüber sein Urteil abzugeben!“
„Ich ärgere mich nur!“ sagte der Marktkorb, „ich ärgere mich so sehr, wie es sich
niemand vorstellen kann! Würde es nicht weit vernünftiger sein, das ganze Haus
einmal auf den rechten Fleck zu setzen? Jeder sollte dann schon den ihm
gebührenden Platz erhalten, und ich würde die ganzen Anordnungen treffen!“
„Ja, laßt uns Lärm machen!“ riefen sie sämtlich. Plötzlich ging die Thüre auf. Es
war das Dienstmädchen, und nun standen sie still und wagten nicht Muck zu
sagen. Aber da war kein Topf, der nicht ein Gefühl seiner Macht und Würde
gehabt hätte. „Ja, wenn ich nur gewollt hätte,“ dachte ein jeder, „dann würde es
sicher einen lustigen Abend gegeben haben!“
Das Dienstmädchen nahm die Schwefelhölzer und machte Feuer mit ihnen an —
Gott bewahre uns, wie sie sprühten und aufflammten.
„Nun kann ein jeder sehen, daß wir die ersten sind!“ dachten sie. „Welchen
Glanz, welches Licht wir haben!“ — und nun waren sie ausgebrannt. Und nun
ist auch meine Geschichte aus.“
„Das war ein herrliches Märchen!“ sagte die Königin. „Ich fühlte mich im Geiste
ganz zu den Schwefelhölzern in die Küche versetzt. Ja, nun sollst du unsere
Tochter haben!“
„Jawohl!“ sagte der König, „du sollst unsere Tochter den Montag bekommen!“
denn nun sagte er zu ihm, als zu einem künftigen Familiengliede, „du“.
Die Hochzeit war also festgesetzt und den Abend vorher wurde die ganze Stadt
erleuchtet; es war außerordentlich prachtvoll.
„Ich muß wohl auch daran denken, mein Scherflein zu den Feierlichkeiten
beizutragen!“ dachte der Kaufmannssohn, und nun kaufte er Raketen,
Knallerbsen und alles erdenkliche Feuerwerk, legte es in seinen Koffer und flog
damit in die Luft empor.
Rutsch! ging es in die Höhe und verpuffte unter vielem Lärm.
Alle Türken hüpften dabei in die Höhe, daß ihnen die Pantoffeln um die Ohren
fuhren. Dergleichen Lufterscheinungen hatten sie niemals gesehen. Nun sahen
sie ein, daß es der Türkengott selber war, der die Prinzessin bekommen sollte.
Sobald sich der Kaufmannssohn mit seinem Koffer wieder in den Wald
hinabgelassen hatte, dachte er: „Ich will doch in die Stadt gehen, um mir
berichten zu lassen, wie es sich ausgenommen hat.“ Man kann sich wohl
zusammenreimen, daß er Lust dazu hatte.
Nein, was ihm die Leute doch alles erzählten! Ein jeder, bei dem er sich
erkundigte, hatte es in seiner Weise gesehen, aber einen prächtigen Eindruck
hatte es auf alle gemacht.
„Ich sah den Türkengott selbst!“ erzählte der eine, „er hatte Augen wie blitzende
Sterne und einen Bart wie schäumendes Wasser!“
„Er flog in einem feurigen Mantel,“ berichtete ein anderer.
Ja, das waren vortreffliche Sachen, die er zu hören bekam, und den Tag darauf
sollte er Hochzeit haben.
Nun ging er nach dem Walde zurück, um sich in seinen Koffer zu setzen — aber
wo war der? Der Koffer war verbrannt. Ein Funke war von dem Feuerwerk
zurückgeblieben, der Feuer gefangen und den Koffer in Asche gelegt hatte. Er
konnte nicht mehr fliegen, nicht mehr zu seiner Braut gelangen.
Sie aber stand den ganzen Tag auf dem Dache und harrte seiner. Sie wartet noch,
er aber durchzieht die Welt und erzählt Märchen, die jedoch nicht mehr so lustig
sind, wie das von den Schwefelhölzchen.

Der Schneemann.
E ----
s knackt und prasselt in mir, so schön kalt ist es!“ sagte der Schneemann. „Der
eisige Wind bringt einem fürwahr Leben in die Glieder. Und sieh nur, wie die
große Lampe da oben verglüht!“ Er meinte die untergehende Sonne. „Sie soll
mich nicht zum Blinzeln bringen, ich halte meine Bruchstücke schon noch
zusammen.“
Es waren zwei große dreieckige Dachziegelstücke, die ihm als Augen dienten.
Sein Mund war ein Stück von einer alten Harke, weshalb derselbe auch Zähne
hatte.
Er war unter Hurrahruf der Knaben geboren, begrüßt von dem Schellengeläute
und dem Peitschengeknall der Schlitten.
Die Sonne ging unter, der Vollmond ging auf, rund und groß, klar und schön in
der blauen Luft.
„Nun haben wir sie wieder von einer andern Seite,“ sagte der Schneemann. Er
glaubte, es wäre die Sonne, welche sich abermals zeigte. „Ich habe es ihr
abgewöhnt, mich anzuglühen und anzuglotzen! Nun kann sie dort oben hängen
und so viel Licht verbreiten, daß ich mich selbst sehen kann. Wüßte ich nur, wie
man es anzustellen hat, um vom Flecke zu kommen. Vermöchte ich es, so würde
ich jetzt auf das Eis hinuntergehen, um zu schlittern, wie ich es die Knaben thun
sah. Aber ich verstehe nicht zu laufen.“
„Weg, weg!“ bellte der alte Kettenhund, der etwas heiser geworden seitdem er
nicht mehr Stubenhund war; „die Sonne wird dich schon laufen lehren; das habe
ich an deinen Vorgängern gesehen. Weg, weg, und weg sind Alle!“
„Ich verstehe dich nicht, Kamerad!“ sagte der Schneemann. „Soll mich etwa die
da oben laufen lehren?“ Er meinte den Mond. „Sie lief freilich vorher, als ich sie
starr ansah, und jetzt schleicht sie sich wieder von einer anderen Seite heran.“
„Du weißt nichts,“ sagte der Kettenhund, „aber du bist ja auch erst vor Kurzem
zusammengeklatscht! Das, was du jetzt siehst, heißt der Mond, und das was
unterging, war die Sonne. Sie kommt morgen wieder und wird dich dann schon
lehren in den Wallgraben hinunter zu laufen.“
„Ich verstehe ihn nicht,“ sprach der Schneemann bei sich selbst, „aber ich habe
eine Empfindung davon, daß es etwas Unangenehmes ist, was er mir andeutet.
Sie, die er die Sonne nennt, ist meine Feindin.“
„Weg, weg!“ bellte der Kettenhund, ging dreimal im Kreise um sich selbst und
legte sich dann in sein Haus, um zu schlafen.
Es trat eine Veränderung im Wetter ein. Ein dicker und feuchter Nebel legte sich
am Morgen über die ganze Gegend. Kurz vor Aufgang der Sonne fing es ein
wenig an zu wehen. Der Wind war eisig, der Frost durchschüttelte einen, aber
welch ein herrlicher Anblick bot sich dar, als sich nun die Sonne erhob! Alle
Bäume und Sträucher standen mit Reif bedeckt da. Die Gegend glich einem
ganzen Walde weißer Korallen. Es war, als ob alle Zweige von blendend weißen
Blüten bedeckt wären.
Es war eine wunderbare Pracht. Als dann die Sonne schien, funkelte alles, als
wäre es mit Diamantstaub überschüttet.
„Ach wie herrlich das ist!“ sagte ein junges Mädchen, welches mit einem jungen
Manne in den Garten hinaustrat und gerade neben dem Schneemanne Halt
machte, von wo sie sich die schimmernden Bäume anblickten. „Einen schöneren
Anblick hat man selbst im Sommer nicht!“ sagte sie, und ihre Augen strahlten.
„Und so einen Kerl, wie diesen hier, hat man erst gar nicht,“ entgegnete der
junge Mann und zeigte auf den Schneemann hin. „Er ist ausgezeichnet!“
Das junge Mädchen lächelte, nickte dem Schneemanne zu und tänzelte dann mit
ihrem Freunde über den knirschenden Schnee.
„Wer waren die Beiden?“ fragte der Schneemann den Kettenhund. „Du bist älter
auf dem Hofe als ich, kennst du sie?“
„Versteht sich!“ sagte der Kettenhund. „Sie hat mich ja gestreichelt und er mir
öfter einen Knochen gegeben; die beiße ich nicht.“
„Aber was stellen sie hier vor?“ fragte der Schneemann.
„Brautleute!“ erwiderte der Kettenhund. „Sie gehören zur Herrschaft.“
„Man ist doch noch recht dumm, wenn man kaum erst gestern geboren ist, das
merke ich an dir! Ich bin alt und besitze Kenntnisse, ich kenne Alle auf dem
Hofe. Und ich habe eine Zeit gekannt, wo ich hier nicht in der Kälte und an der
Kette stand. Weg, weg!“
„Die Kälte ist prächtig,“ sagte der Schneemann. „Erzähle, erzähle! Aber du mußt
mit deiner Kette nicht so rasseln, denn dabei knackt es gleich in mir.“
„Weg, weg!“ bellte der Kettenhund. „Ich bin ein Hündchen gewesen, klein und
niedlich, sagten sie. Damals lag ich drinnen im Schlosse auf einem
Sammetstuhle, lag auf dem Schooße der Herrin. Ich hieß der „Hübscheste,“ der
„Schönfuß.“ Dann wurde ich der Herrschaft zu groß und sie gaben mich deshalb
der Haushälterin. Ich kam in die Kellerwohnung; von dort, wo du stehst, kannst
du gerade in die Kammer hineinsehen, in der ich die Herrschaft gewesen bin,
denn das war ich bei der Haushälterin. Es war wohl ein geringerer Platz als oben,
aber hier war es behaglicher. Ich wurde nicht wie oben von den Kindern
gedrückt und mit umhergeschleppt. Ich hatte eben so gutes Futter wie zuvor und
weit mehr. Ich hatte mein eigenes Kissen, und ferner gab es dort einen Ofen, der
doch, namentlich in jetziger Zeit, das Schönste in der Welt ist! Ich kroch völlig
unter ihn, so daß ich ganz verschwand. O, von diesem Kachelofen träume ich
noch jetzt! Weg, weg!“
„Sieht ein Kachelofen denn so schön aus?“ fragte der Schneemann. „Ähnelt er
mir?“
„Er ist der gerade Gegensatz von dir! Kohlschwarz ist er und hat einen langen
Hals mit einer Messingtrommel. Er frißt Brennholz, so daß ihm das Feuer aus
dem Munde sprüht.“
Der Schneemann sah hin und bemerkte wirklich einen schwarzen, blankpolierten
Gegenstand mit einer Messingtrommel. Das Feuer strahlte nach vorn auf den
Fußboden hinaus. Dem Schneemann wurde ganz sonderbar zu Mute. Er hatte
eine Empfindung, von der er sich selber keine Rechenschaft ablegen konnte. Es
überschlich ihn etwas, was er nicht kannte, was aber alle Menschen kennen,
wenn sie nicht Schneemänner sind.

„Und weshalb verließest du sie?“ fragte der Schneemann. „Wie konntest du


überhaupt eine solche Stelle verlassen?“
„Ich war dazu gezwungen,“ sagte der Kettenhund. „Sie warfen mich hinaus und
legten mich an die Kette. Ich hatte den kleinsten Junker in das Bein gebissen,
weil er mir den Knochen, an welchem ich nagte, fortstieß. Bein für Bein, heißt es
bei mir! Aber das nahmen mir des Knaben Eltern übel, und seit der Zeit habe ich
hier an der Kette liegen müssen und meine helle Stimme verloren. Höre nur, wie
heiser ich bin. Weg, weg! Das ist das Ende vom Liede gewesen!“
Der Schneemann hörte nicht mehr darauf; er blickte beständig nach der
Kellerwohnung der Haushälterin, blickte in ihre Stube hinein, wo der
Kachelofen auf seinen vier eisernen Füßen stand und sich in seiner ganzen
Größe zeigte, die der des Schneemanns in nichts nachgab.
„Es knackt so eigentümlich in mir!“ sagte er. „Soll ich dort nie hineinkommen?
Es ist mein höchster Wunsch, mein einziger Wunsch, und es würde fast
ungerecht sein, wenn er nicht befriedigt würde. Ich muß hinein, ich muß mich an
ihn lehnen, und sollte ich auch das Fenster zerschlagen!“
„Dort kommst du nie hinein!“ sagte der Kettenhund, „und kämest du wirklich
zum Kachelofen, dann wärest du weg, weg!“
„Ich bin jetzt schon so gut wie weg,“ sagte der Schneemann, „ich zerbreche,
glaube ich.“
Den ganzen Tag stand der Schneemann da und sah zum Fenster hinein. In der
Dämmerung wurde die Stube noch traulicher. Aus dem Kachelofen leuchtete es
so mild, wie weder Mond noch Sonne leuchten kann, nein, wie nur der
Kachelofen zu leuchten vermag, wenn etwas in ihm steckt. Ging die Thüre auf,
so schlug die Flamme hinaus, es war so ihre Gewohnheit. Des Schneemannes
weißes Antlitz wurde dann von einer flammenden Röte übergossen, und auch
seine Brust leuchtete in rötlichem Glanze.
„Ich halte es nicht aus,“ sagte er. „Wie schön es ihn kleidet, die Zunge
herauszustrecken.“
Die Nacht war sehr lang, aber dem Schneemann kam sie nicht so vor. Er stand in
Gedanken versunken, und sie erfroren, daß sie knackten.
Früh morgens waren die Kellerfenster zugefroren; sie trugen die schönsten
Eisblumen, die ein Schneemann nur verlangen kann, allein sie verbargen den
Kachelofen. Die Scheiben wollten nicht auftauen, er konnte die Flamme nicht
mehr sehen. Es knackte, es war eben im herrlichsten Frostwetter, über das sich
ein jeder Schneemann freuen muß, aber er freute sich nicht darüber. Er hätte sich
glücklich fühlen können und dürfen, aber er war nicht glücklich, er litt eben gar
zu sehr am „Kachelofenweh“.
„Das ist eine schlimme Krankheit für einen Schneemann,“ sagte der Kettenhund;
„ich habe auch einmal an derselben Krankheit gelitten, habe sie aber
überstanden. Weg, weg! — Jetzt bekommen wir Witterungswechsel.“
Und Witterungswechsel trat ein, es schlug in Tauwetter um. Das Tauwetter nahm
zu, der Schneemann nahm ab. Er sagte nichts, er klagte nicht, und das ist das
echte Zeichen.
Eines Morgens stürzte er zusammen. Es ragte etwas einem Besenstiel Ähnliches
dort in die Höhe, wo er gestanden hatte. Um diesen Gegenstand, der ihm Halt
verleihen sollte, hatten ihn die Knaben aufgerichtet.
„Nun kann ich seine Sehnsucht verstehen!“ sagte der Kettenhund. „Der
Schneemann hat eine Ofenkratze im Leibe gehabt. Sie war es, die sich in ihm
bewegt hat. Nun hat er es überstanden. Weg, weg!“
Und bald war auch der lange, böse Winter überstanden.
„Weg, weg!“ bellte der Kettenhund; aber die kleinen Mädchen sangen auf dem
Hofe:
„Schießt auf, ihr Blümlein, frisch und hold,
Zeig’, Weide, deine Woll’ wie Gold!
Ihr Vöglein kommt, singt hell und klar,
Schon ist der letzte Februar,
Ich singe mit, Kuckuck, Quivit!
Komm’ Sonne, komm’, wenn ich dich bitt!“
Und nun denkt niemand mehr weder an den Winter, noch an den Schneemann
und sein „Kachelofenweh“, selbst nicht einmal der heisere Kettenhund.

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D
Es ist ein Unterschied.
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er Mai war gekommen. „Der Frühling ist da!“ predigten Büsche und Bäume,
Felder und Wiesen. Es wimmelte von Blüten und vor allem oben an der Hecke.
Da stand ein Apfelbäumchen, welches nur einen einzigen, von rosenroten
Knospen überladenen Zweig getrieben hatte.
Das Bäumchen wußte wohl selbst, wie schön es war, denn das liegt im Blatte
gerade so wie im Blute. Deshalb war es auch durchaus nicht überrascht, als
plötzlich auf dem Wege dicht vor ihm ein herrschaftlicher Wagen anhielt und die
junge Gräfin in demselben sagte, der Apfelbaum wäre das Lieblichste, was man
sehen könnte, er wäre der Frühling selbst in seiner herrlichsten Offenbarung. Der
Zweig wurde abgebrochen und sie hielt ihn in ihrer feinen Hand und beschattete
ihn mit ihrem seidenen Sonnenschirme. Darauf fuhren sie nach dem Schlosse,
wo sie hohe Säle und prächtige Zimmer aufnahmen. Klare, weiße Vorhänge
flatterten an den offenen Fenstern und prächtige Blumen standen in glänzenden,
durchsichtigen Vasen, und in eine derselben, die schimmerte, als ob sie aus
frischgefallenem Schnee ausgeschnitten wäre, wurde der Apfelzweig zwischen
frische, lichte Buchenzweige gesetzt; es war eine Lust ihn anzusehen.
Da wurde der Zweig stolz, und das war ja ganz begreiflich.
Viele Leute von mancherlei Gattung kamen durch die Zimmer, und je nach dem
Ansehen, in welchem sie standen, durften sie ihre Bewunderung aussprechen.
Einige sagten durchaus nichts und Andere sagten zu viel, und der Apfelzweig
merkte, daß zwischen den Menschen ebenso gut ein Unterschied wäre, wie
zwischen den Gewächsen, und da er gerade in das offene Fenster gesetzt war,
von wo aus er sowohl in den Garten als auf das Feld hinabblicken konnte, so
hatte er genug Blumen und Pflanzen zur Betrachtung und Überlegung. Da
standen reiche und arme, selbst einige allzu arme.
„Arme, verworfene Kräuter!“ sagte der Apfelzweig, „da ist wahrlich ein
Unterschied gemacht. Wie unglücklich mögen sie sich fühlen, falls derlei Art
überhaupt fühlen kann, wie ich und meinesgleichen zu fühlen vermögen. Da ist
wahrlich ein Unterschied gemacht, aber er muß gemacht werden, sonst wären ja
alle einerlei!“
Der Apfelzweig sah mit einem gewissen Mitleid besonders auf eine Art Blumen,
die sich in großen Mengen auf Feldern und an Gräben vorfanden. Niemand band
sie in einen Strauß, sie waren viel zu gewöhnlich dazu, ja man konnte sie sogar
zwischen den Pflastersteinen finden, sie schossen überall wie das ärgste Unkraut
empor und hatten zum Überfluß noch den häßlichen Namen „des Teufels
Butterblumen.“
„Armes, verachtetes Gewächs!“ sagte der Apfelzweig, „du kannst nichts dafür,
daß du wurdest, was du wurdest, daß du so gewöhnlich bist. Aber es ist mit den
Gewächsen wie mit den Menschen, es müssen Unterschiede sein!“
„Unterschiede,“ sagte der Sonnenstrahl und küßte den blühenden Apfelzweig,
küßte aber auch des Teufels gelbe Butterblumen draußen auf dem Felde, alle
Brüder des Sonnenstrahls küßten sie, die armen Blumen, wie die reichen.
Der Apfelzweig hatte nie über des lieben Gottes unendliche Liebe gegen alles,
was in ihm lebt und webt, nachgedacht; der Strahl des Lichtes wußte es besser:
„Du siehst nicht weit! Du siehst nicht klar!“ — sagte er. „Welches ist das
verworfene Kraut, das du besonders beklagst?“
„Des Teufels Butterblumen!“ rief der Apfelzweig. „Nie werden sie in einen
Strauß gebunden, sie werden mit Füßen getreten, es giebt zu viele von ihnen,
und wenn sie in Samen schießen, fliegt er in Wollenflocken dahin und hängt sich
den Leuten an die Kleider. Unkraut ist es!“
Über das Feld kam plötzlich eine ganze Schaar Kinder daher; das jüngste
derselben war noch so klein, daß es von den anderen getragen wurde. Als es in
das Gras zwischen die gelben Blumen niedergesetzt wurde, lachte es laut vor
Freude, zappelte mit den Beinchen, wälzte sich umher, pflückte nur die gelben
Blumen und küßte sie in süßer Unschuld. Die etwas größeren Kinder brachen die
Blumen von den Stielen und bildeten Ringe aus denselben, bis endlich, Glied an
Glied, eine ganze Kette daraus wurde, mit welcher sie sich schmückten. Aber die
größeren Kinder pflückten vorsichtig die Stengel, die die flockenartig
zusammengesetzte Samenkrone trugen, die lose, luftige, wollige Blume, welche
wie ein kleines Kunstwerk aus den feinsten Federn, Flocken oder Daunen
gebildet dasteht. Sie hielten sie an den Mund, um sie mit einem Hauch
wegzublasen. Wer es fertig brächte, bekäme neue Kleider, ehe das Jahr um wäre,
hatte Großmutter gesagt.
Die verachtete Blume war bei dieser Gelegenheit ein anerkannter Prophet.
„Siehst du?“ sagte der Sonnenstrahl, „siehst du die Schönheit, siehst du die
Macht derselben?“
„Ja, für Kinder!“ versetzte der Apfelzweig.
Da kam ein altes Mütterchen auf das Feld hinaus und grub mit ihrem stumpfen
grifflosen Messer unten um die Wurzel der Blumen und zog sie heraus; einige
der Wurzeln wollte sie als Zusatz zum Kaffee benutzen, andere wollte sie dem
Apotheker als Arzneimittel verkaufen.
„Schönheit ist doch etwas Höheres!“ sagte der Apfelzweig. „Nur die
Auserwählten kommen in das Reich des Schönen! Es giebt einen Unterschied
zwischen den Gewächsen, wie es einen Unterschied zwischen den Menschen
giebt.“
Der Sonnenstrahl sprach von Gottes unendlicher Liebe gegen alles Erschaffene
und zu allem, was Leben hat, und daß er in Zeit und Ewigkeit alles gleichmäßig
verteilt hätte.
„Ja, das ist nur Ihre Ansicht,“ sagte der Apfelblütenzweig.
Und nun traten Leute in das Zimmer, und die junge Gräfin kam, sie, die den
Apfelzweig so hübsch in die durchsichtige Vase gestellt hatte, wo das
Sonnenlicht ihn bestrahlen konnte. Sie brachte eine Blume, oder was es sonst
war, die zwischen drei oder vier Blättern, die dütenähnlich um sie gehalten
wurden, versteckt war, damit sie kein Zug oder Windhauch verletzen könnte.
Dabei wurde sie mit einer solchen Sorgfalt und Vorsicht getragen, wie sie nicht
einmal dem feinen Apfelzweig zu Teil geworden war. Ganz behutsam wurden
nun die großen Blätter fortgenommen, und was kam zum Vorschein? Die kleine
flockige Samenkrone der gelben verachteten Butterblume! Sie war es, die sie so
sorgfältig gepflückt hatte und so sorgsam trug, damit nicht einer der feinen
Federpfeile, die gleichsam ihre Nebelkappe bilden und so lose sitzen, abgeblasen
würde. Unversehrt und herrlich hatte sie nun dieselbe; sie bewunderte ihre
schöne Gestalt, ihre luftige Klarheit, ihre ganze eigentümliche
Zusammensetzung, ihre Schönheit, wenn die Samenkrone vom Winde
fortgeblasen würde.
„Sieh doch, wie wunderbar schön sie der liebe Gott geschaffen hat!“ sagte die
Gräfin. „Ich will sie mit dem Apfelzweige malen; wohl ist dieser unendlich
schön, aber in anderer Weise hat auch diese arme Blume vom lieben Gott gar
viele Schönheiten erhalten. Wie verschieden sie auch sind, dennoch sind sie
beide Kinder im Reiche der Schönheit.“
Und der Sonnenstrahl küßte die arme Blume und küßte den blühenden
Apfelzweig, dessen Blätter dabei zu erröten schienen.

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Das Feuerzeug.
E
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in Soldat kam auf der Landstraße daher marschiert. Er trug einen Tornister und
einen Säbel, weil er im Kriege gewesen war. Da begegnete er einer alten Hexe,
die entsetzlich häßlich war. Sie sagte: „Guten Abend, Soldat! Was für einen
großen Säbel und zierlichen Tornister du doch hast! Du bist ein echter Soldat!“
„Schönen Dank, alte Hexe,“ sagte der Soldat.
„Siehst du dort den Baum?“ fragte die Hexe. „Er ist innen hohl. Wenn du ihn bis
zum Gipfel ersteigst, erblickst du ein Loch, durch welches du hinabgleiten und
bis tief in den Baum hinunterkommen kannst. Ich werde dir einen Strick um den
Leib binden, um dich wieder heraufziehen zu können, sobald du mich rufst!“
„Was soll ich denn da unten im Baume?“ fragte der Soldat ganz verwundert.
„Geld holen!“ sagte die Hexe. „Du mußt wissen, sobald du auf den Boden des
Baumes hinunterkommst, so befindest du dich in einem langen Gange; dort ist es
ganz hell, weil da über hundert Lampen brennen. Dann gewahrst du drei Thüren.
Du kannst sie öffnen, der Schlüssel steckt darin. Gehst du in die erste Kammer
hinein, so erblickst du mitten auf dem Fußboden eine große Kiste, auf welcher
ein Hund sitzt. Er hat Augen so groß wie Gänseeier, aber darum darfst du dich
nicht kümmern! Ich gebe dir meine blau karrierte Schürze, die kannst du auf den
Fußboden ausbreiten; packe dann den Hund, setze ihn auf meine Schürze, öffne
die Kiste und nimm, so viel Geld du willst. Es ist lauter Kupfer; willst du aber
lieber Silber haben, so mußt du in das nächste Zimmer hineintreten; dort sitzt ein
Hund, der Augen hat so groß wie Mühlräder; aber darum brauchst du dich nicht
zu kümmern, setze ihn nur auf meine Schürze und nimm dir von dem Gelde.
Willst du dagegen Gold haben, so kannst du es auch bekommen, so viel du nur
zu tragen vermagst, wenn du in die dritte Kammer hineingehst. Allein der Hund,
welcher hier auf der Geldkiste sitzt, hat Augen, jedes so groß wie ein runder
Turm. Aber darum brauchst du dich nicht zu kümmern. Setze ihn nur auf meine
Schürze, so thut er dir nichts, und nimm aus der Kiste, so viel Gold du willst.“
„Nicht übel,“ sagte der Soldat. „Aber du willst doch auch was von dem Gelde
haben?“
„Nein,“ antwortete diese, „nicht einen Pfennig. Hole mir nur das alte Feuerzeug,
welches meine Großmutter vergaß, als sie zum letztenmale unten war.“
„Gut,“ sagte der Soldat, „knüpfe mir dann den Strick um den Leib.“
„Hier ist er,“ sagte die Hexe, „und hier ist meine blau karrierte Schürze!“
So kletterte denn der Soldat den Baum hinauf, glitt dann durch das Loch
hinunter und stand nun in dem großen Gange, wo die vielen hundert Lampen
brannten. Dann öffnete er die erste Thür. Uh! da saß der Hund mit Augen so
groß wie Gänseeier, und glotzte ihn an.
Der beherzte Soldat setzte ihn gleich auf die Schürze der Hexe und füllte seine
Taschen mit Kupfergeld, verschloß die Kiste, setzte den Hund wieder hinauf und
ging in das andere Zimmer. Potztausend! da saß der Hund mit Augen so groß
wie Mühlräder.
„Glotz mich nicht so an,“ sagte der Soldat und setzte den Hund auf die Schürze.
Als er aber das viele Silbergeld sah, warf er alles Kupfergeld fort und füllte sich
die Taschen und den Tornister mit Silber. Dann ging er in die dritte Kammer, wo
der Hund war mit Augen so groß wie ein runder Turm.
„Guten Abend,“ sagte der Soldat, hob den Hund herunter und öffnete die Kiste.
Was sah er da für eine Menge Gold! Man hätte können ganz Kopenhagen und
die Zuckerferkel, Zinnsoldaten, Peitschen und Schaukelpferde der ganzen Welt
dafür kaufen. Nun warf der Soldat alles Silbergeld, womit er seine Taschen und
seinen Tornister gefüllt hatte, fort und nahm statt dessen Gold, ja alle Taschen,
der Tornister, der Tschako und die Stiefel wurden angefüllt, so daß er kaum
gehen konnte. Nun hatte er Geld! Den Hund setzte er auf die Kiste, schlug die
Thür zu und rief dann durch den Baum hinauf:
„Zieh mich nun empor, alte Hexe!“
„Hast du denn auch das Feuerzeug?“ fragte die Hexe.
„Wahrhaftig,“ sagte der Soldat, „das hatte ich rein vergessen,“ und nun ging er
und nahm es. Die Hexe zog ihn empor und wie er wieder vom Baume
herabstieg, da purzelten nur so die Goldstücke aus Taschen, Stiefeln und
Tornister, so voll waren sie bis obenan.
„Was willst du denn mit dem Feuerzeug?“ fragte der Soldat, als er nun wieder
auf den Beinen stand.
„Das geht dich nichts an!“ sagte die Hexe, „du hast ja Geld bekommen, gieb mir
jetzt nur das Feuerzeug.“
„Larifari!“ sagte der Soldat; „gleich sagst du mir, was du damit willst, oder ich
ziehe meinen Säbel und dann soll es dir schlecht bekommen!“
„Nein!“ sagte die Hexe.
Da wollte der Soldat mit dem Säbel nach ihr schlagen, aber ehe es dazu kam, lag
sie schon mausetot da. Er aber band all sein Geld in ihre Schürze, nahm diese
wie ein Bündel auf den Rücken, steckte das Feuerzeug in die Tasche und ging
geraden Weges nach der Stadt.
Im besten Wirtshaus kehrte er ein, verlangte die besten Speisen und wohnte in
den schönsten Zimmern, denn aus dem armen Soldaten war nun ein vornehmer
Herr geworden. Man erzählte ihm von allen Herrlichkeiten der Stadt und von
dem Könige und wie reizend seine Tochter, die Prinzessin sei.
„Wo kann man sie zu sehen bekommen?“ fragte der Soldat.
„Niemand darf sie sehen,“ war die Antwort. „Sie wohnt in einem großen
kupfernen Schlosse, ringsum durch viele Mauern und Türme geschützt.
Niemand außer dem Könige darf bei ihr aus- und eingehen, weil geweissagt ist,
daß sie mit einem ganz gemeinen Soldaten verheiratet werden wird, und das
kann der König nicht dulden.“
„Ich möchte sie wohl sehen!“ dachte der Soldat, aber dazu bekam er ja keine
Erlaubnis.
Nun lebte er lustig in den Tag hinein. Da er aber jeden Tag nur Geld ausgab und
nie etwas einnahm, so hatte er zuletzt nur noch zwei Pfennig übrig, und mußte
aus den prächtigen Zimmern, die er bisher bewohnt hatte, in ein gar ärmliches
Stübchen unterm Dache ziehen, mußte sich seine Stiefeln selbst bürsten und mit
einer Stopfnadel zusammennähen und keiner seiner Freunde kam zu ihm, weil
man so viele Treppen zu ihm hinaufzusteigen hatte.
Es war ein ganz dunkler Abend, und er konnte sich nicht einmal ein Licht
kaufen; da erinnerte er sich plötzlich, daß sich noch ein Lichtstumpf in dem
Feuerzeuge befinden müßte, welches er aus dem hohlen Baume mitgenommen
hatte.
Er holte das Feuerzeug, aber als er Feuer schlug, sprang die Thüre auf und der
Hund mit den Augen wie Gänseeier stand vor ihm. „Was befiehlt mein Herr?“
fragte er. „Ei, das ist ein drolliges Feuerzeug!“ rief der Soldat. „Schaffe mir
Geld!“ befahl er dem Hunde und — wips war er fort — wips — war er wieder
da und hielt einen großen Beutel voll Geld in seiner Schnauze.
Nun wußte der Soldat, was das für ein prächtiges Feuerzeug war! Schlug er
einmal, so kam der Hund, welcher auf der Kiste mit dem Kupfergeld saß; schlug
er zweimal, so kam der, welcher das Silbergeld hatte, und schlug er dreimal, so
kam der, welcher das Gold hatte.
Da dachte er auch sogleich an die Prinzessin: „Es ist doch kurios, daß man sie
nicht zu sehen bekommt! Sie soll so schön sein, behauptet jeder, aber was kann
ihr das nützen, wenn sie immer in dem großen Kupferschlosse sitzen muß. Kann
ich sie denn gar nicht zu sehen bekommen? — Halt! — Mein Feuerzeug!“ Nun
schlug er Feuer, und — wips — kam der Hund mit Augen so groß wie
Gänseeier.
„Es ist zwar mitten in der Nacht,“ sagte der Soldat, „aber ich möchte doch gar zu
gern die Prinzessin sehen, nur einen kleinen Augenblick! Willst du sie mir
verschaffen?“
Der Hund war gleich aus der Thüre, und ehe es der Soldat dachte, sah er ihn
schon mit der Prinzessin wieder. Sie saß und schlief auf des Hundes Rücken und
war so schön, daß man sehen konnte, daß es eine wirkliche Prinzessin war. Der
Soldat war ganz überglücklich und konnte sich nicht enthalten, sie zu küssen.
Gleich darauf lief der Hund mit der Prinzessin wieder zurück.
Am andern Morgen zog der Soldat wieder in die prächtigen Zimmer hinunter,
zeigte sich in guten Kleidern und da erkannten ihn alle seine guten Freunde
wieder und hielten natürlich große Stücke auf ihn.
Zu gleicher Zeit, als der König und die Königin beim Frühstück saßen, sagte die
Prinzessin, sie hätte in der Nacht einen ganz wunderlichen Traum von einem
Hunde und einem Soldaten gehabt. Sie wäre auf dem Hunde geritten und der
Soldat hätte sie geküßt.
„Das wäre eine schöne Geschichte!“ sagte die Königin.
Nun sollte eine der alten Hofdamen in der nächsten Nacht am Bette der
Prinzessin wachen, um zu sehen, ob es ein wirklicher Traum wäre, oder was es
sonst sein könnte.
In der Nacht kam auch richtig der Hund, nahm die schöne Prinzessin und lief,
was er nur laufen konnte, allein die alte Hofdame zog Wasserstiefel an und lief
ebenso schnell hinterher. Als sie nun sah, daß sie in einem großen Hause
verschwanden, dachte sie: „Nun weiß ich, wo es ist!“ und zeichnete mit einem
Stück Kreide ein großes Kreuz an die Thüre. Darauf ging sie heim und legte sich
nieder und auch der Hund kam mit der Prinzessin wieder. Als er aber sah, daß
ein Kreuz auf die Thüre, wo der Soldat wohnte, gezeichnet war, nahm er
ebenfalls ein Stück Kreide und machte auf alle Thüren der ganzen Stadt Kreuze.
Und das war klug gethan, denn nun konnte ja die Hofdame die richtige Thüre
nicht finden, da an allen Kreuze waren.
Früh Morgens kam der König und die Königin, die alte Hofdame und alle
Offiziere, um zu sehen, wo die Prinzessin gewesen war.
„Da ist es!“ sagte der König, als er die erste mit einem Kreuze bezeichnete
Thüre erblickte.
„Nein, dort ist es!“ sagte die Königin, als sie die zweite Thüre mit dem
Kreuzzeichen bemerkte.
„Aber da ist eins und dort ist eins!“ riefen sie sämtlich; wohin sie sahen, waren
Kreuze an den Thüren. Da sahen sie denn wohl ein, daß alles Suchen vergeblich
wäre.
Aber die Königin war eine außerordentlich kluge Frau. Sie nähte einen kleinen
Beutel, den füllte sie mit feiner Buchweizengrütze, band ihn der Prinzessin auf
den Rücken und schnitt darauf ein kleines Loch in den Beutel, so daß die Grütze
den ganzen Weg, den die Prinzessin passierte, bestreuen konnte.
Nachts kam der Hund wieder, nahm die Prinzessin auf seinen Rücken und lief
mit ihr zu dem Soldaten, der so gern ein Prinz gewesen wäre, um sie heimführen
zu können.
Der Hund merkte durchaus nicht, wie die Grütze über den ganzen Weg vom
Schlosse bis zu dem Fenster, wo er mit der Prinzessin die Mauer hinauflief,
verstreut wurde. Nun sahen es des Morgens der König und die Königin deutlich,
wo ihre Tochter des Nachts gewesen war, und da machten sie kurzen Prozeß mit
dem Soldaten und warfen ihn ins Gefängnis.
Ach, wie finster und langweilig war es darin! Auch sagte man ihm: „Morgen
wirst du gehängt werden!“ Das war just nicht vergnüglich zu hören, und dazu
hatte er sein Feuerzeug daheim im Wirtshause gelassen. Am Morgen konnte er
durch das Eisengitter vor seinem kleinen Fenster sehen, wie das Volk aus der
Stadt herbeieilte, ihn hängen zu sehen. Er hörte die Trommeln und sah die
Soldaten marschieren. Alle Leute waren auf den Beinen; dabei war auch ein
Schusterjunge mit Schurzfell und Pantoffeln; er galoppierte so eilig, daß ihm ein
Pantoffel abflog und gerade gegen die Mauer, hinter welcher der Soldat saß und
durch das Eisengitter hinausschaute.
„Hör einmal, Schusterjunge! Du brauchst dich nicht so zu beeilen,“ sagte der
Soldat zu ihm, „es wird doch nichts daraus, bevor ich komme. Willst du aber in
meine frühere Wohnung laufen und mir mein Feuerzeug holen, so sollst du vier
Groschen bekommen. Aber lauf und nimm die Beine in die Hand!“ Der
Schusterjunge wollte gern das Geld haben und eilte pfeilgeschwind nach dem
Feuerzeuge, gab es dem Soldaten und — — ja nun werden wir es zu hören
bekommen.
Außerhalb der Stadt war ein großer Galgen aufgemauert, ringsum standen die
Soldaten und viele hunderttausend Menschen. Der König und die Königin saßen
auf einem prächtigen Throne, den Richtern und dem ganzen Rate gerade
gegenüber.
Schon stand der Soldat oben auf der Leiter, als man ihm aber den Strick um den
Hals legen wollte, bat er, man möge ihn doch noch eine Pfeife Tabak rauchen
lassen.
Das wollte ihm nun der König nicht abschlagen, und so nahm der Soldat sein
Feuerzeug und schlug Feuer, ein, zwei, dreimal. Siehe! da standen alle Hunde
da, der mit Augen so groß wie Gänseeier, der mit den Augen wie Mühlräder, und
der, welcher Augen hatte so groß wie ein runder Turm.
„Helft mir, daß ich nicht gehängt werde!“ sagte der Soldat, und da stürzten sich
die Hunde auf die Richter und den ganzen Rat, ergriffen den einen bei den
Beinen, den andern bei der Nase und warfen sie viele Klaftern hoch in die Luft,
so daß sie beim Niederfallen in Granatstücke zerschlagen wurden.
„Ich will nicht!“ sagte der König, aber der größte Hund nahm sowohl ihn wie die
Königin und warf sie allen anderen nach. Da erschraken die Soldaten und alles
Volk schrie: „Lieber Soldat, du sollst unser König sein und die schöne Prinzessin
haben!“
Darauf setzte man den Soldaten in des Königs Carosse, und alle drei Hunde
tanzten voran und riefen: „Hurrah!“ und die Jungen pfiffen auf den Fingern und
die Soldaten präsentierten. Die Prinzessin kam aus dem kupfernen Schlosse
heraus und wurde Königin und das gefiel ihr gar wohl. Die Hochzeit währte acht
Tage und die drei Hunde saßen mit an der Hochzeitstafel und machten große
Augen.

Das häßliche Entlein.


A
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uf dem Lande draußen war es herrlich. Es war ja Sommer! Auf den Wiesen stand
das Heu in Schobern und dort stelzte der Storch auf seinen roten Beinen umher
und plapperte ägyptisch, denn diese Sprache hatte er von seiner Mutter gelernt.
Um den Acker und die Wiesen zogen sich große Wälder und mitten in denselben
befanden sich tiefe Seen. O, es war herrlich da draußen auf dem Lande! Mitten
im warmen Sonnenscheine lag da ein altes Rittergut, von tiefen Kanälen
umgeben, und von der Mauer an bis zum Wasser hinunter wuchsen dort große
Klettenblätter, die so hoch waren, daß unter den größten kleine Kinder aufrecht
stehen konnten. Darin war es gerade so wild wie im tiefsten Walde. Hier lag eine
Ente auf ihrem Neste, um ihre Jungen auszubrüten, aber jetzt war sie dessen fast
überdrüssig, weil es doch gar zu lange dauerte und sie dabei so selten Besuch
bekam.
Endlich platzte ein Ei nach dem andern. „Pip, pip!“ sagte es, alle Eidotter waren
lebendig geworden und steckten den Kopf heraus.
„Rap, Rap! Eilt, eilt!“ rief sie, und da rappelten und beeilten sie sich nach
Kräften und guckten unter den grünen Blättern nach allen Seiten umher.
„Wie groß ist doch die Welt!“ sagten alle Jungen; denn freilich hatten sie jetzt
ganz anders Platz als zu der Zeit, da sie noch drinnen im Ei lagen.
„Glaubt denn das Gelbschnäbelchen, das sei schon die ganze Welt!“ sagte die
Mutter. „Die geht noch weit über die andere Seite des Gartens hinaus bis in das
Feld des Pfarrers; da bin ich indes noch nie gewesen! — — Ihr seid doch alle
hübsch beisammen!“ setzte sie hinzu und erhob sich. „Nein, ich habe noch nicht
alle! Das größte Ei liegt immer noch da! Wie lange soll denn das noch dauern?
Nun habe ich es wirklich bald satt!“ Und dann legte sie sich wieder.
„Nun, wie geht es?“ fragte eine alte Ente, die auf Besuch gekommen war.
„Es dauert mit dem einen Ei so lange!“ sagte die Ente, welche brütete. „Es zeigt
sich noch kein Loch in demselben. Aber nun sollst du die andern sehen. Es sind
die hübschesten jungen Enten, die ich je gesehen habe.“
„Zeige mir doch das Ei, welches nicht bersten will,“ meinte die Alte. „Verlaß
dich darauf, es ist ein Putenei. So bin ich auch einmal genarrt worden und ich
hatte meine liebe Not mit den Jungen, denn sie fürchteten sich vor dem Wasser,
kann ich dir sagen. Erst konnte ich sie gar nicht ausbekommen, so viel ich auch
rappte und schnappte, ermahnte und nachhalf! — Laß mich doch das Ei sehen!
Ja, das ist ein Putenei! Laß es liegen und lehre lieber deine andern Kinder
schwimmen!“
„Ich will doch noch ein wenig darauf liegen bleiben!“ entgegnete die Ente.
„Habe ich nun so lange gelegen, kommt es auf etwas länger auch nicht an!“
„Jeder nach seinem Geschmack!“ sagte die alte Ente und nahm Abschied.
Endlich platzte das große Ei. „Pip, Pip!“ sagte das Junge und kroch heraus. Es
war sehr groß und auffallend häßlich. Die Ente besah es sich. „Das ist ja ein
entsetzlich großes Entlein!“ sagte sie. „Keines von den andern sieht so aus.
Sollte es wirklich eine junge Pute sein? Nun, da wollen wir bald
dahinterkommen! In das Wasser muß es, und sollte ich es selbst hineinstoßen!“
Am nächsten Tage war prächtiges herrliches Wetter! Die Sonne schien brennend
heiß auf alle die grünen Kletten hernieder. Die Entleinmutter erschien mit ihrer
ganzen Familie am Kanale.
„Platsch!“ sprang sie in das Wasser. „Rap, rap!“ rief sie und ein Entlein nach
dem andern plumpste hinein. Das Wasser schlug ihnen über dem Kopf
zusammen, aber sie tauchten gleich wieder empor und schwammen stolz dahin,
die Beine bewegten sich von selbst und alle waren sie in dem nassen Elemente,
selbst das häßliche, graue Junge schwamm mit.
„Nein, das ist keine Pute!“ sagte sie. „Sieh nur Einer, wie hübsch es die Beine
gebraucht, wie gerade es sich hält. Rap, rap! Ich werde euch im Entenhofe
vorstellen, aber haltet euch immer in meiner Nähe, damit euch Niemand trete,
und nehmt euch vor der Katze in Acht!“
Und so kamen sie in den Entenhof hinein. Ein erschrecklicher Lärm herrschte
drinnen, denn zwei Familien bekämpften sich um einen Aalkopf, und trotzdem
bekam ihn die Katze.
„Seht, so geht es in der Welt zu!“ sagte die Entleinmutter, und schnappte mit
dem Schnabel, denn sie wollte auch den Aalkopf haben. „Gebraucht nun eure
Beine,“ sagte sie, „seht zu, daß ihr euch etwas beeilt und neigt den Hals vor der
alten Ente dort. Sie ist die vornehmste von allen hier. Spanisches Blut rollt in
ihren Adern, deshalb ist sie so schwerfällig. Wie ihr seht, trägt sie einen roten
Lappen um das Bein. Das ist etwas unvergleichlich Schönes und die höchste
Auszeichnung, welche je eine Ente erhalten kann. Ein wohlgezogenes Entlein
setzt die Beine weit auseinander, gerade wie Vater und Mutter! Seht so! Neigt
nun euren Hals und sagt: „Rap!““
Und das thaten sie. Aber die andern Enten ringsumher betrachteten sie und
sprachen: „Seht nur einmal! Nun sollen wir die Sippschaft auch noch
bekommen, als ob wir nicht schon genug wären! Pfui, wie das eine Entlein
aussieht! Das wollen wir nicht unter uns dulden!“ Und sogleich flog eine Ente
hin und biß es in den Nacken.
„Laß es zufrieden!“ sagte die Mutter, „es thut ja niemand etwas!“
„Aber es ist so groß und so seltsam,“ sagte die Ente, welche es gebissen hatte,
„und deshalb muß es weggejagt werden!“
„Das sind schöne Kinder, die Mütterchen hat!“ sagte herablassend die alte Ente
mit dem Lappen um den Fuß. „Sämtlich schön mit Ausnahme des einen, welches
mißglückt ist! Ich wünschte, sie könnte es umbrüten!“
„Das geht nicht, Ihro Gnaden!“ sagte die Entleinmutter. „Es ist nicht hübsch,
aber es hat ein sehr gutes Gemüt und schwimmt ebenso vortrefflich wie eines der
andern, ja ich darf sagen, fast noch etwas besser. Ich denke, es wird sich
auswachsen oder mit der Zeit kleiner werden. Außerdem ist’s ja ein Enterich und
da schadet ihm die Häßlichkeit nicht so viel.“
„Die anderen Entlein sind ja ganz niedlich!“ sagte die Alte. „Thut nun, als ob ihr
zu Hause wäret, und findet ihr einen Aalkopf, so könnt ihr mir ihn bringen!“
Und so waren sie wie zu Hause.
Aber das arme Entlein, welches zuletzt aus dem Ei gekrochen und so häßlich
war, wurde gebissen, gepufft und gehänselt von den Enten wie von den Hühnern.
„Es ist zu groß,“ sagten sie allesamt, und der Puterhahn, der mit Sporen geboren
war, und deshalb in dem Wahne stand, daß er Kaiser wäre, blies sich wie ein
Schiff mit vollen Segeln auf, ging gerade auf dasselbe zu, kollerte und wurde
ganz rot am Kopfe. Das arme Entlein wußte weder, wie es stehen, noch wie es
gehen sollte. Es war betrübt, daß es so häßlich aussah und dem ganzen
Entenhofe zum Gespötte diente.
So ging es den ersten Tag und später wurde es schlimmer und schlimmer. Das
arme Entlein wurde von allen gejagt, selbst seine Geschwister waren recht
unartig und sagten oft zu ihm: „Wenn dich nur die Katze holen wollte, du
garstiges Ding!“ und die Mutter seufzte: „Wärest du nur weit fort!“ Die Enten
bissen es, die Hühner hackten es und die Futtermagd stieß es mit dem Fuße.
Da lief und flog es über den Zaun; die Vöglein in den Büschen erhoben sich
erschrocken in die Luft. „Daran ist meine Häßlichkeit schuld!“ dachte das
Entlein und schloß die Augen, lief aber trotzdem weiter. So gelangte es bis zu
einem großen Moore, in dem die wilden Enten wohnten. Hier lag es die ganze
Nacht, denn es war sehr müde und traurig.
Am Morgen flogen die wilden Enten auf und erblickten den neuen Kameraden.
„Was bist du denn für ein Landsmann?“ fragten sie, und das Entlein drehte sich
nach allen Seiten und grüßte, so gut es konnte.
„Du bist abschreckend häßlich!“ sagten die wilden Enten, „aber das kann uns
einerlei sein, wenn du nur nicht in unsere Familie hineinheiratest!“ Das Arme, es
dachte wahrlich nicht ans Heiraten. Ihm war nur daran gelegen, die Erlaubnis zu
erhalten, im Schilfe zu liegen und Moorwasser zu trinken.
Zwei ganze Tage lang hatte es da gelegen, als zwei wilde Gänse oder vielmehr
Gänseriche dorthin kamen. Sie waren noch nicht gar lange aus dem Ei
gekrochen und deshalb auch etwas vorschnell.
„Höre, Kamerad, du bist so häßlich, daß du förmlich hübsch bist und wir dich
gut leiden können. Willst du zu uns halten und Zugvogel sein?“ fragten sie.
„Piff, Paff!“ knallte es da plötzlich und beide wilde Gänseriche fielen tot in das
Schilf hinab und das Wasser wurde rot von Blut. „Piff, paff!“ knallte es abermals
und ganze Scharen wilder Gänse flogen aus dem Schilfe auf, und dann knallte es
wieder. Es war große Jagd; die Jäger lagen rings um das Moor herum, ja, einige
saßen oben in den Baumzweigen, welche sich weit über das Röhricht
hinstreckten. Der blaue Pulverdampf zog wie Wolken durch die dunklen Bäume
hindurch und ruhte weit über dem Wasser. In den Sumpf drangen die Jagdhunde
hinein. Was war das für ein Schreck für das arme Entlein! Es drehte den Kopf,
um ihn unter die Flügel zu stecken, als in demselben Augenblicke ein
fürchterlich großer Hund dicht vor ihm stand; die Zunge hing dem Tiere ganz
lang aus dem Halse und die Augen funkelten gräßlich. Er berührte das Entlein
fast mit der Schnauze, wies die scharfen Zähne und — platsch! zog er sich
zurück, ohne es zu packen.
„Gott sei Dank!“ seufzte das Entlein, „ich bin so häßlich, daß mich selbst der
Hund nicht beißen mag!“
So lag es denn ganz still, während die Schrotkörner in das Schilf sausten und
Schuß auf Schuß knallte.
Erst am späten Nachmittage wurde es still, aber das arme Junge wagte noch
nicht sich zu erheben. Es wartete noch mehrere Stunden, ehe es sich umschaute,
und dann eilte es, so schnell es konnte, aus dem Moore weiter.
Gegen Abend erreichte es ein erbärmliches Bauernhäuschen, welches in so
traurigem Zustande war, daß es selbst nicht wußte, nach welcher Seite es fallen
sollte, und so blieb es stehen. Der Sturm sauste dermaßen um das wilde Entlein,
daß es sich setzen mußte, um Widerstand zu leisten. Und es wurde immer
schlimmer und schlimmer. Da bemerkte es, daß sich die Thüre aus der einen
Angel gehoben hatte und so schief hing, daß es durch die Spalte in die Stube
hineinschlüpfen konnte und das that es.
Hier wohnte eine alte Frau mit ihrem Kater und ihrem Huhne; der Kater,
welchen sie Söhnchen nannte, konnte einen Buckel machen und spinnen. Selbst
Funken konnte man ihm entlocken, wenn man ihn im Dunkeln gegen die Haare
strich. Das Huhn hatte sehr kleine niedrige Beine und wurde deshalb
Kurzbeinchen genannt.
Am Morgen bemerkte man sogleich das fremde Entlein und der Kater begann zu
spinnen und das Huhn zu klucken.
„Was ist das!“ rief die Frau und schaute sich um, da sie aber nicht gut sah, hielt
sie das Entlein für eine fette Ente. „Das ist ja ein sonderbarer Fang!“ sagte sie,
„nun kann ich Enteneier bekommen. Wenn es nur kein Enterich ist! Das müssen
wir erproben.“
So wurde denn das Entlein für drei Wochen auf Probe angenommen, aber Eier
kamen nicht.
Nun war der Kater der Herr im Hause und das Huhn war die Frau.
„Kannst du Eier legen?“ fragte es.
„Nein!“ — „Nun gut, dann hast du hier im Hause nichts zu sagen!“
Und der Kater sagte: „Kannst du einen Buckel machen, kannst du spinnen,
kannst du Funken sprühen?“ — „Nein!“ — „Dann darfst du auch durchaus keine
Meinung haben, wenn vernünftige Leute reden!“

Und das Entlein saß im Winkel und war schlechter Laune. Da dachte es
unwillkürlich an die frische Luft und den Sonnenschein und bekam eine so
eigentümliche Lust, auf dem Wasser zu schwimmen, daß es sich endlich nicht
länger enthalten konnte, es dem Huhne anzuvertrauen.
„Was sprichst du da?“ fragte dasselbe. „Du hast nichts zu thun, deshalb plagen
dich so seltsame Launen. Lege Eier oder spinne, dann gehen sie vorüber!“
„Aber es ist herrlich, auf dem Wasser zu schwimmen!“ entgegnete das Entlein,
„herrlich, sich den Kopf in den Fluten zu kühlen oder auf den Grund
niederzutauchen!“
„Ja, das muß wirklich ein prächtiges Vergnügen sein!“ sagte das Huhn spöttisch,
„bist du denn närrisch geworden! Frage einmal den Kater, der ist der Klügste,
den ich kenne, ob es ihm so angenehm vorkommt, auf dem Wasser zu
schwimmen oder unterzutauchen!“
„Ihr versteht mich nicht!“ sagte das Entlein.
„Wenn wir dich nicht verstehen, wer sollte dich dann wohl verstehen! Du wirst
doch wohl nicht klüger sein wollen als der Kater und ich. Sieh jetzt nur zu, daß
du Eier legst und spinnen und Funken sprühen lernst!“
„Ich glaube, ich gehe in die weite Welt hinaus!“ sagte das Entlein.
„Ja, thue das!“ entgegnete das Huhn.
So ging denn das Entlein. Es schwamm auf dem Wasser, es tauchte unter, aber
von allen Tieren wurde es um seiner Häßlichkeit willen übersehen.
Jetzt erschien der Herbst; die Blätter im Walde wurden gelb und braun, der
Sturm entführte sie und wirbelte sie umher und oben in der Luft machte sich die
Kälte bemerkbar. Die Wolken hingen schwer von Hagel und Schneeflocken, und
auf dem Zaune stand ein Rabe und schrie: „Au, au!“ vor lauter Kälte. Ja, man
konnte schon ordentlich frieren, wenn man nur daran dachte. Das arme Entlein
hatte es wahrlich nicht gut.
Eines Abends, die Sonne ging gerade wunderbar schön unter, kam ein ganzer
Schwarm prächtiger, großer Vögel aus dem Gebüsch hervor, wie sie das Entlein
noch nie so schön gesehen hatte. Sie waren blendend weiß und hatten lange
geschmeidige Hälse; es waren S c h w ä n e . Sie stießen einen merkwürdigen Ton
aus, breiteten ihre prächtigen, großen Schwingen aus und flogen aus den kalten
Gegenden fort nach wärmeren Ländern, nach offenen Seen. Sie stiegen so hoch,
so hoch, daß dem häßlichen jungen Entlein ganz seltsam dabei zu Mute wurde.
Es konnte die prächtigen, die glücklichen Vögel nicht vergessen, und sobald es
sie nicht mehr wahrnahm, tauchte es bis auf den Grund unter, und geriet, als es
wieder emporkam, förmlich außer sich. Es wußte nicht, wie die Vögel hießen,
noch wohin sie zogen, aber doch hatte es dieselben lieb wie nie jemand zuvor.
Neid kam gleichwohl nicht in sein Herz. Wie hätte ihm auch nur in den Sinn
kommen können, sich eine solche Schönheit zu wünschen? Es wäre schon froh
gewesen, wenn nur die Enten es hätten unter sich dulden wollen; — das arme
häßliche Tier.
Und der Winter wurde so kalt, so kalt! Das Entlein mußte unermüdlich
umherschwimmen, um das Zufrieren des Wassers zu verhindern. Aber jede
Nacht wurde das Loch, in dem es schwamm, schmäler und schmäler. Es war eine
Kälte, daß die Eisdecke krachte. Das Entlein mußte fortwährend die Beine
gebrauchen, damit sich das Loch nicht völlig schloß. Endlich wurde es matt, lag
ganz still und fror so im Eise fest.
In der Frühe des folgenden Morgens kam ein Bauer, der das arme Tier gewahrte.
Er ging hin, zerschlug das Eis mit seinem Holzschuh, rettete es und trug es heim
zu seiner Frau. Da lebte es wieder auf.
Die Kinder wollten mit demselben spielen. Da aber das Entlein glaubte, sie
wollten ihm wehe thun, fuhr es in der Angst gerade in eine Milchschüssel, so
daß die Milch in der Stube umherspritzte. Dann flog das Entlein auf das Gestell,
auf welchem die Butter aufbewahrt wurde und von hier in die Mehltonne hinein
und dann wieder in die Höhe. Da könnt ihr euch denken, wie es aussah! Die Frau
schrie und schlug mit der Feuerzange nach demselben, die Kinder liefen
einander über den Haufen und lachten und lärmten. Nur gut, daß die Thüre offen
stand; so konnte sich das Entlein zwischen die Sträucher in den frischen Schnee
hinaus retten, und da lag es nun bis auf den Tod erschöpft.
Allein, es würde wahrlich zu traurig sein, all die Not zu erzählen, welche das
Entlein in dem harten Winter auszustehen hatte. — Es lag zwischen dem
Röhricht im Moor, als die Sonne wieder warm zu scheinen begann; die Lerchen
sangen, der Lenz war da.
Da entfaltete es mit einem male seine Schwingen, stärker sausten sie als zuvor
und trugen es kräftig vorwärts, und ehe dasselbe es recht wußte, befand es sich
in einem großen Garten, wo die Äpfelbäume in voller Blüte standen, wo die
Fliedersträuche dufteten und ihre langen, grünen Zweige zu den sich sanft
dahinschlängelnden Bächen und Kanälen herniedersenkten! O wie war es hier so
köstlich, so frühlingsfrisch! Und gerade vor ihm kamen aus dem Dickicht drei
schöne, weiße Schwäne angeschwommen; mit gekräuseltem Gefieder glitten sie
leicht und majestätisch über das Wasser dahin. Das Entlein erkannte die schönen
Tiere und wurde von einer eigentümlichen Schwermut ergriffen.
„Ich will hinfliegen zu ihnen, den königlichen Vögeln, und sie werden mich tot
beißen, weil ich, der ich so häßlich bin, mich ihnen zu nähern wage. Aber besser
von ihnen getötet, als von den Enten gezwackt, von den Hühnern gepickt, von
der Hühnermagd gestoßen zu werden und im Winter alles mögliche Weh über
sich ergehen zu lassen!“ Und es flog auf das Wasser und schwamm den
prächtigen Schwänen entgegen, die mit gesträubten Federn auf dasselbe
losschossen.
„Tötet mich nur!“ sagte das arme Tier, neigte sein Haupt gegen den
Wasserspiegel und erwartete den Tod, — aber was sah es in dem klaren Wasser?
Es sah unter sich sein eigenes Bild, aber es war nicht mehr ein plumper,
schwarzgrauer Vogel, häßlich und Abscheu erweckend, es war selbst ein
schneeweißer S c h w a n mit stolzem Gefieder.
Es thut nichts, in einem Entenhofe geboren zu sein, wenn man nur in einem
Schwanenei gelegen hat! — Nun fühlte es sich glücklich über alle die Not und
Widerwärtigkeit, welche es ausgestanden hatte. Nun verstand es erst, sein Glück
und all die Herrlichkeit zu würdigen, die es überall begrüßte. — Und die großen
Schwäne kamen herbei und streichelten es mit dem Schnabel.
Da traten einige kleine Kinder in den Garten. Sie warfen Brot und Körner in das
Wasser, und das Kleinste rief: „Seht, da ist ein neuer!“ Und jubelnd stimmten die
andern Kinder ein: „Ein neuer, ein neuer Schwan ist gekommen!“
Sie klatschten in die Hände, tanzten umher, holten Vater und Mutter herbei und
es wurde Brot und Kuchen in das Wasser geworfen und sie sagten alle: „Der
neue ist der schönste, so jung und majestätisch!“ Und die alten Schwäne
verneigten sich vor ihm.
Da überschlich ihn Schüchternheit und Verschämtheit und er verbarg den Kopf
unter den Flügeln; es war ihm so eigen zu Mute, er wußte selbst nicht wie. Er
war allzuglücklich, aber durchaus nicht stolz, denn ein gutes Herz wird niemals
stolz. Er dachte daran, wie er verhöhnt worden und hörte nun alle sagen, er wäre
der schönste von allen schönen Vögeln. Die Fliedersträuche neigten sich zu ihm
in das Wasser hinunter, und die Sonne schien warm und erquickend. Da sträubte
er sein Gefieder, der schlanke Hals erhob sich und aus Herzensgrunde jubelte er:
„So viel Glück habe ich mir nicht träumen lassen, als ich noch das h ä ß l i c h e
E n t l e i n war!“

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Die Stopfnadel.
E

s war einmal eine Stopfnadel, die so fein und spitz war, daß sie sich einbildete,
eine Nähnadel zu sein.
„Seht jetzt nur darauf, daß ihr mich ordentlich festhaltet!“ sagte die Stopfnadel
zu den Fingern, welche sie hervorholten. „Laßt mich nicht los! Falle ich auf den
Boden, wird es kaum möglich sein, mich wieder zu finden, so fein bin ich!“
„Nun, nun! Nur nicht zu viel des Eigenlobes!“ sagten die Finger und faßten sie
dann fest um den Leib.
„Seht ihr, ich komme mit Gefolge!“ rief die Stopfnadel und zog einen langen
Faden hinter sich her.
Die Finger lenkten die Stopfnadel gerade gegen den Pantoffel der Köchin,
dessen Oberleder einen Riß bekommen hatte und jetzt zusammengenäht werden
sollte.
„Das ist eine niedrige Arbeit!“ sagte die Stopfnadel, „ich komme nie hindurch,
ich zerbreche, ich zerbreche!“ — und da zerbrach sie. „Habe ich nicht oft genug
wiederholt!“ jammerte sie, „daß ich zu fein bin!“
„Nun taugt sie zu nichts mehr!“ meinten die Finger, mußten sie aber doch
festhalten, die Köchin machte ihr einen Kopf aus Siegellack und steckte sie dann
vorn in ihr Tuch.
„Sieh, jetzt bin ich eine Busennadel!“ sagte die Stopfnadel; „ich wußte wohl, daß
ich zu Ehren kommen würde; aus Was wird Was!“ und dabei lachte sie innerlich,
denn äußerlich kann man es einer Stopfnadel nie ansehen, daß sie lacht. Da saß
sie nun so stolz, als führe sie in einer Kutsche und blickte nach allen Seiten.
„Darf ich mir wohl erlauben, Sie zu fragen, ob Sie von Gold sind?“ fragte sie die
Stecknadel, welche ihre Nachbarin war. „Sie haben ein vortreffliches Äußere
und Ihren eigenen Kopf, wenn derselbe auch nur klein ist. Sie müssen dafür
Sorge tragen, daß sich derselbe auswächst, denn man kann nicht allen das Ende
mit Siegellack versehen!“ Dabei richtete sich die Stopfnadel so stolz in die
Höhe, daß sie sich aus dem Tuche löste und in die Gosse fiel, gerade als die
Köchin das Spülicht ausgoß.
„Nun gehen wir auf Reisen!“ sagte die Stopfnadel; doch da saß sie fest in der
Gosse. „Mein gutes Bewußtsein ist mir geblieben;“ damit tröstete sie sich und
hielt sich stramm und aufrecht.
Allerlei segelte über sie dahin, Holzstückchen, Stroh und Zeitungspapier. „Sieh,
wie sie dahinsegeln!“ sagte die Stopfnadel. „Sie wissen nicht, was unter ihnen
steckt! Ich stecke und sitze hier. Sieh, da treibt jetzt ein Holzpflock, der denkt an
nichts in der Welt als an Pflöcke und Klötze und er ist selbst einer. Dort
schwimmt ein Strohhalm; sieh, wie er sich schwenkt, wie er sich dreht! Ich sitze
geduldig und still; ich weiß, was ich bin und das bleibe ich!“
Eines Tages gewahrte sie dicht an ihrer Seite einen glänzenden Gegenstand,
deswegen die Stopfnadel vermutete, daß es ein Diamant wäre; aber es war nur
ein gewöhnlicher Glasscherben. Da derselbe flimmerte, redete ihn die
Stopfnadel an und gab sich ihm als Busennadel zu erkennen. „Sie sind wohl ein
Diamant?“ — „Ja, ich bin etwas dergleichen!“ Und so hielten sie sich denn
gegenseitig für sehr kostbare Gegenstände und sprachen über den jetzigen
Hochmut der Welt.
„Ich habe meine Wohnung in einer sehr feinen, bunten Schachtel gehabt, welche
einer Köchin gehörte,“ begann die Stopfnadel ihre Erzählung. „Sie hatte an jeder
Hand fünf Finger; aber obgleich dieselben nur da waren, um mich zu halten und
aus der Schachtel zu nehmen, so waren sie doch erschrecklich eingebildet.“
„Zeichneten sie sich denn durch Glanz aus?“ fragte der Glasscherben.
„Durch Glanz?“ rief die Stecknadel aus, „nein, durch eitel Hochmut! Es waren
fünf Brüder, alle geborne „Finger“; in aufrechter Haltung hielten sie sich stolz
neben einander, obwohl ihre Länge sehr verschieden war. Der Äußerste von
ihnen, der Däumerling, war kurz und dick; er stand nicht mit in Reih und Glied,
sondern vor demselben und dann hatte er nur ein Gelenk im Rücken, er konnte
sich nur in einer Richtung verbeugen, der Topflecker fuhr in Süßes und Saures,
zeigte nach Sonne und Mond und drückte auf die Feder, wenn sie schrieben; der
Langemann überragte die andern um Haupteslänge; der Ringhalter ging mit
goldenen Reifen um den Leib einher und der kleine Peter Spielmann that gar
nichts und war darauf noch stolz. Prahlerei war es und Prahlerei blieb es, und
darum warf ich mich in die Gosse.“
„Und nun sitzen wir beisammen und glänzen!“ sagte der Glasscherben. Plötzlich
strömte mehr Wasser in den Rinnstein, welches nun über den Rand trat und den
Glasscherben mit sich riß.
„Sieh, nun wurde der befördert!“ sagte die Stopfnadel. „Ich bleibe sitzen, ich bin
zu fein, aber das ist mein Stolz und der ist achtungswert!“ So saß sie in
aufrechter Haltung da und machte sich viele Gedanken.
„Ich möchte fast annehmen, daß ich von einem Sonnenstrahl geboren bin, so fein
bin ich. Mich dünkt sogar, daß mich die Sonne fortwährend unter dem Wasser
sucht. Ach, ich bin so fein, daß mich die eigene Mutter nicht finden kann. Hätte
ich mein altes Auge noch, welches abbrach, ich glaube, ich könnte Thränen
vergießen. — Nein, ich könnte es doch nicht thun, weinen ist nicht fein.“
Eines Tages lagerten sich einige Gassenbuben neben dem Rinnsteine und
wühlten in demselben umher, wo sie alte Nägel, Kupferdreier und dergleichen
fanden.
„Au!“ schrie der eine, indem er sich an der Stopfnadel stach. „Das ist ja ein
schlimmer Bursche!“
„Ich bin kein Bursch, ich bin ein Fräulein!“ erwiederte die Stopfnadel, aber
niemand hörte es. Der Siegellack hatte sich abgelöst und deshalb hielt sie sich
für noch feiner als zuvor.
„Da kommt eine Eierschale angesegelt!“ sagten die Knaben und steckten dann
die Stopfnadel fest in die Schale.
„Weiße Wände und selbst schwarz!“ sagte die Stopfnadel, „das kleidet gut! Nun
kann man mich doch sehen! — Wenn ich nur nicht seekrank werde, denn sonst
breche ich noch mehr!“ Aber sie wurde nicht seekrank und brach nicht weiter.
„Es ist gegen die Seekrankheit doch gut, wenn man einen stählernen Magen hat
und dabei immer eingedenk bleibt, daß man etwas mehr als ein Mensch ist! Bei
mir ist es nun vorüber; je feiner man ist, destomehr kann man aushalten!“ —
„Krach!“ stöhnte die Eierschale, während ein Lastwagen über sie hinging. —
„Ach, wie das drückt!“ seufzte die Stopfnadel. „Nun werde ich doch seekrank;
ich breche, ich breche!“ Aber sie brach nicht, trotzdem sie von einem Lastwagen
überfahren wurde, sie lag der Länge nach da — und da mag sie liegen bleiben.

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Tölpelhans.
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raußen auf dem Lande in einem alten Herrenhof lebte ein Gutsbesitzer, der zwei
so kluge Söhne hatte, daß sie um die Tochter des Königs freien wollten und das
durften sie, denn dieselbe hatte bekannt machen lassen, daß sie denjenigen zum
Gemahl nehmen wollte, der sich am gewandtesten und klügsten mit ihr
unterhalten könnte.
Die beiden bereiteten sich nun acht Tage lang vor. Längere Zeit bedurften sie
nicht dazu, denn sie hatten Vorkenntnisse und die sind immer nützlich. Der eine
wußte das ganze lateinische Lexikon und drei Jahrgänge der städtischen Zeitung
auswendig und zwar rückwärts wie vorwärts. Der andere hatte sich mit
sämtlichen Paragraphen aller Zunftgesetze und mit dem, was jeder Zunftmeister
wissen mußte, bekannt gemacht. Auf diese Weise, meinte er, könnte er über
Staats- und gelehrte Sachen mitsprechen. Außerdem verstand er Tragebänder zu
sticken, denn er war fein und fingerfertig.
„Ich bekomme die Königstochter!“ sagten sie alle beide, und deshalb gab ihr
Vater jedem von ihnen ein schönes Pferd; der, welcher das Lexikon und die
Zeitungen auswendig wußte, bekam ein kohlschwarzes, und der, welcher sich
zunftmeisterlich gebahren und sticken konnte, erhielt ein milchweißes. Als sie
im Hofe zu Pferde steigen wollten, erschien der dritte Bruder, denn es waren
ihrer dreie, aber niemand zählte ihn als Bruder mit, weil er nicht die gleiche
erstaunliche Gelehrsamkeit besaß wie die beiden anderen, und alle Welt nannte
ihn nur T ö l p e l h a n s .
„Wo wollt ihr hin, daß ihr euch in den Bratenrock geworfen habt?“ fragte er.
„An den Hof, um mit der Königstochter zu plaudern! Hast du nicht gehört, was
im ganzen Lande ausgetrommelt wird?“ und darauf erzählten sie es ihm.
„Potztausend, da muß ich mit dabei sein!“ sagte Tölpelhans, und die Brüder
lachten ihn aus und ritten von dannen.
„Vater, gieb mir ein Pferd!“ rief Tölpelhans. „Ich bekomme solche Lust, mich zu
verheiraten. Nimmt sie mich, so nimmt sie mich, und nimmt sie mich nicht, so
nehme ich sie doch!“
„Was ist das für ein Geschwätz!“ sagte der Vater. „Dir gebe ich kein Pferd. Du
kannst ja nicht sprechen!“
„Soll ich kein Pferd bekommen,“ sagte Tölpelhans, „so nehme ich den
Ziegenbock, der gehört mir und ist im Stande mich zu tragen!“ Damit setzte er
sich rittlings auf den Ziegenbock, stieß ihm die Hacken in die Seite und sprengte
die Landstraße entlang. Hui, wie das ging! „Hier komme ich!“ rief Tölpelhans
und darauf sang er, daß es wiederhallte.
Die Brüder ritten aber ganz still voran; sie sprachen kein einziges Wort, sie
mußten alle die guten Einfälle, die sie vorbringen wollten, noch einmal
überlegen.
„Halloh! Halloh!“ rief Tölpelhans, „hier komme ich! Seht, was ich auf der
Landstraße fand!“ Mit diesen Worten zeigte er ihnen eine tote Krähe, die er
gefunden hatte.
„Tölpel!“ fuhren sie ihn an, „was willst du mit derselben?“
„Ich will sie der Königstochter schenken!“
„Ja, thue es!“ sagten sie, lachten und ritten weiter.
Da rief Tölpelhans wieder: „Halloh! Halloh! Hier komme ich! Seht, was ich jetzt
gefunden habe!“
Die Brüder wandten sich wieder um, sich den seltenen Schatz anzusehen.
„Tölpel!“ sagten sie, „das ist ja ein alter Holzschuh, von welchem der obere Teil
abgegangen ist! Soll die Königstochter den etwa auch haben?“
„Das soll sie!“ sagte Tölpelhans, und die Brüder lachten, ritten weiter und kamen
ihm eine große Strecke voraus.
„Halloh! Halloh! Hier bin ich!“ rief Tölpelhans.
„Was hast du wieder gefunden?“ fragten die Brüder.
„Oh!“ sagte Tölpelhans, „es ist eigentlich kein Gesprächsgegenstand! Wie sie
sich aber freuen wird, die Königstochter!“
„Pfui!“ sagten die Brüder, „das ist ja Schlamm, der aus dem Straßengraben
ausgeworfen ist.“
„Das stimmt!“ sagte Tölpelhans, „und er ist von der allerfeinsten Art, daß man
ihn gar nicht festhalten kann!“ und darauf füllte er sich die Tasche damit an.
Aber die Brüder ritten, was das Zeug halten wollte, und überholten ihn eine
ganze Stunde. Sie hielten an dem Stadtthore, an welchem die Freier, je nach ihrer
Ankunft, numeriert und in Reih und Glied gestellt wurden, je sechs in jedem
Gliede und so dicht, daß sie kaum die Arme rühren konnten.
Alle übrigen Bewohner des Landes standen rings um das Schloß bis zu den
Fenstern hinauf, um mit anzusehen, wie die Königstochter die Freier empfing.
Merkwürdig! Sobald einer derselben die Schwelle ihres Zimmers überschritt,
verließ ihn sein Rednertalent.
„Taugt nichts!“ sagte die Königstochter. „Weg!“
Jetzt kam derjenige der Brüder, der das Lexikon auswendig wußte, aber bei dem
langen Stehen in Reih und Glied hatte er es völlig vergessen. Dazu knarrte der
Fußboden und die Decke war von Spiegelglas, so daß er sich selbst auf dem
Kopfe sah, und nun standen sogar an jedem Fenster drei Schreiber und ein
Stadtältester, die Alles, was gesprochen wurde, aufschrieben, damit es sofort in
die Zeitung komme. Es war entsetzlich, es war furchtbar! Und zum Überfluß war
im Ofen eingefeuert, daß er glühte.
„Hier herrscht eine drückende Hitze!“ begann der Freier das Gespräch.
„Das kommt daher, weil mein Vater heute junge Hähne bratet!“ sagte die
Königstochter.
Da stand er; nicht ein Wort wußte er zu erwiedern. — Bäh! —
„Taugt nichts!“ sagte die Königstochter. „Weg!“ und so mußte er seiner Wege
ziehen. Nun kam der zweite Bruder.
„Hier ist eine entsetzliche Hitze!“ sagte er.
„Ja, wir braten heute junge Hähne!“ versetzte die Königstochter.
„Wie belie — —“ fragte er, und alle Schreiber schrieben: „Wie belie — —?“
„Taugt nichts!“ sagte die Königstochter. „Weg!“
Nun kam Tölpelhans, er ritt auf seinem Ziegenbocke gerade in das Zimmer
hinein. „Das ist denn doch eine glühende Hitze!“ sagte er.
„Das rührt davon her, daß ich junge Hähne brate!“ entgegnete die Königstochter.
„Das wäre ja herrlich!“ sagte Tölpelhans, „dann kann ich wohl auch eine Krähe
gebraten bekommen?“
„Den Gefallen will ich Ihnen gern erweisen!“ erwiederte die Königstochter,
„aber haben Sie auch etwas, worin sie gebraten werden kann, denn ich habe hier
weder Topf noch Pfanne!“
„Hier ist ein vortreffliches Kochgeschirr,“ rief Tölpelhans fröhlich, zog den alten
Holzschuh hervor und legte die Krähe hinein.
„Aber wo bekommen wir die Sauce her?“ meinte die Königstochter.
„Die habe ich in der Tasche!“ sagte Tölpelhans und darauf schüttete er etwas
Schlamm aus der Tasche.
„Du gefällst mir,“ sagte die Königstochter, „du kannst doch antworten und du
kannst reden, und dich will ich zu meinem Gemahle erheben! Aber weißt du
wohl, daß jedes Wort, das wir sagen und gesagt haben, aufgeschrieben wird und
morgen in die Zeitung kommt? An jedem Fenster siehst du drei Schreiber und
einen Stadtältesten stehen.“
„Das sind wohl die Herrschaften da!“ versetzte Tölpelhans. „Dann muß ich dem
Stadtältesten schon mein Bestes schenken!“ Zugleich wandte er seine Taschen
um und warf ihm den ganzen Schlamm gerade ins Gesicht.
„Da hast du dir gut zu helfen gewußt!“ sagte die Königstochter. „Das hätte ich
nicht zu thun vermocht! Aber ich werde es wohl noch lernen!“ —
Und so wurde Tölpelhans denn König, bekam eine Frau und eine Krone und saß
auf einem Throne, und das alles haben wir der Zeitung des Stadtältesten
entnommen — auf die freilich auch kein rechter Verlaß ist.

Fünf in einer Schote.


ünf Erbsen saßen der Reihe nach in einer Schote. Sie waren grün und die Schote
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war grün, und deshalb glaubten sie, daß die ganze Welt grün wäre und das war
völlig richtig. Die Sonne schien und erwärmte von außen die Schote, der Regen
machte sie rein und durchsichtig. Es war in ihr warm und schön, hell des Tages
und finster des Nachts, wie es sein mußte, und die Erbsen wurden, wie sie so
dasaßen, immer größer und nachdenklicher, denn mit etwas mußten sie sich doch
beschäftigen.
„Sollen wir hier immer sitzen bleiben?“ sagten sie. „Wenn wir von dem langen
Sitzen nur nicht hart werden. Es kommt uns fast so vor, als ob es auch da
draußen noch etwas gibt; eine Ahnung sagt uns das!“
Und Wochen vergingen; die Erbsen wurden gelb und die Schote wurde gelb.
„Die ganze Welt wird gelb!“ sagten sie, und das durften sie wohl behaupten.
Da empfanden sie einen Ruck in der Schote; sie wurde abgerissen, kam in
Menschenhände und wurde mit mehreren andern gefüllten Schoten in eine
Rocktasche gesteckt. „Nun werden wir bald geöffnet werden!“ sagten sie.
„Ich möchte nur wissen, wer von uns es am weitesten bringen wird,“ sagte die
kleinste Erbse.
„Geschehe, was da wolle!“ sagte die größte.
„Krach!“ da platzte die Schote, und alle fünf Erbsen rollten in den hellen
Sonnenschein hinaus. Sie lagen in einer Kinderhand; ein kleiner Knabe hielt sie
fest und sagte, die Erbsen wären gerade recht für seine Knallbüchse; und
sogleich schoß er eine weg.
„Nun fliege ich in die weite Welt! Halt mich, wenn du kannst!“ und dann war sie
fort.
„Ich,“ sagte die zweite, „fliege gerade in die Sonne hinein, das ist eine richtige
Erbsenschote und sehr passend für mich.“ Weg war sie.
„Wir schlafen, wohin wir kommen,“ sagen die beiden andern, „aber wir werden
schon noch vorwärts rollen!“ und damit rollten sie erst auf die Erde, ehe sie in
die Knallbüchse kamen, aber hinein kamen sie. „Wir bringen es am weitesten!“
„Geschehe, was da wolle!“ sagte die letzte und wurde in die Höhe geschossen.
Sie flog gegen das alte Brett unter dem Giebelstubenfenster, gerade in eine Ritze,
die mit Moos und lockerer Erde ausgefüllt war, und das Moos schloß sich
wärmend um sie. Da lag sie verborgen, aber nicht vergessen von Gott.
„Geschehe, was da wolle!“ sagte sie.
Die kleine Giebelstube wurde von einer armen Frau bewohnt, die am Tage
ausging, um allerlei schwere Arbeiten zu verrichten, denn Kräfte hatte sie und
fleißig war sie, aber gleichwohl blieb sie arm. Zu Hause in der kleinen Stube lag
während dessen ihre halberwachsene einzige Tochter; sie war zart und fein; ein
ganzes Jahr hatte sie zu Bett gelegen und schien weder leben noch sterben zu
können.
„Sie geht zu ihrer kleinen Schwester!“ sagte die Frau. „Ich hatte nur zwei
Kinder, aber da teilte der liebe Gott mit mir und nahm das eine zu sich! Nun
möchte ich wohl gern das andere behalten, das mir noch übrig geblieben ist, aber
er will sie wohl nicht getrennt lassen, und sie geht zu ihrer kleinen Schwester
hinauf!“
Aber das kranke Mädchen starb nicht; geduldig und still lag es den ganzen Tag
da, während die Mutter auf Verdienst abwesend war.
Es war Frühling und noch früh am Morgen. Gerade als die Mutter auf ihre Arbeit
gehen wollte, schien die Sonne gar freundlich zum kleinen Fenster hinein auf
den Fußboden, und das kranke Mädchen richtete seinen Blick auf die unterste
Scheibe.
„Was ist doch das für Grünes dort neben der Scheibe? Es bewegt sich im
Winde!“
Die Mutter trat an das Fenster und öffnete es halb. „Ih!“ sagte sie, „das ist
wahrhaftig eine junge Erbse, die mit ihren grünen Blättchen hervorgesproßt ist.
Wie ist die hier in die Spalte hinaufgekommen? Da hast du ja einen kleinen
Garten, an dessen Anblick du dich weiden kannst!“
Das Bett der Kranken wurde näher an das Fenster gerückt, von wo sie die
hervorsprossende Erbse erblicken konnte, und die Mutter ging auf Arbeit aus.
„Mutter, ich glaube, ich erhole mich wieder!“ sagte am Abend das kleine
Mädchen. „Die Sonne hat heute so warm zu mir hereingeschienen. Die kleine
Erbse gedeiht vortrefflich; und ich will auch gedeihen und mich im
Sonnenscheine wieder erholen.“
„Oh daß es so geschehen möchte!“ sagte die Mutter, doch glaubte sie nicht an
die Möglichkeit. Allein neben das grüne Pflänzlein, welches ihrem Kinde so
frohe Lebensgedanken eingeflößt hatte, steckte sie einen kleinen Stock, damit
der Wind ihm nicht schaden könne, und so gedieh und wuchs es lustig.
„Sie setzt sogar Blüten an,“ sagte die Mutter, und nun begann sie auch zu hoffen,
daß ihr Kind sich wieder erholen könne, denn es hatte sich des Morgens selbst
im Bett aufgerichtet und mit strahlenden Augen seinen kleinen Erbsengarten,
den die eine einzige Erbse bildete, betrachtet. In der nächsten Woche war die
Kranke zum erstenmale über eine Stunde auf. Draußen vor’m Fenster war eine
weißrote Erbsenblüte völlig aufgebrochen. Das Mädchen küßte die feinen Blätter
ganz leise. Dieser Tag war ein Festtag für sie.
„Der liebe Gott hat sie selbst gepflanzt und dann gedeihen lassen, um dir, mein
teures Kind, und mir damit Hoffnung und Freude zu geben!“ sagte die frohe
Mutter und lächelte der Blume zu, wie einem guten, gottgesandten Engel.
Aber nun die andern Erbsen! — ja die, welche in die weite Welt hinausflog:
„Halte mich, wenn du kannst!“ fiel in die Dachrinne und geriet in einen
Taubenkropf, wo sie lag wie Jonas in dem Wallfischbauch. Die beiden faulen
brachten es gerade ebensoweit, sie wurden ebenfalls von Tauben aufgepickt und
das heißt wenigstens einen soliden Nutzen schaffen; aber die vierte, welche sich
bis in die Sonne emporschwingen wollte — — die fiel in den Rinnstein und lag
Tage und Wochen darin, in dem schmutzigen Wasser, wo sie entsetzlich
aufschwoll.
„Ich werde prächtig dick!“ sagte die Erbse. „Ich werde noch platzen, und weiter,
glaube ich, kann es keine Erbse bringen, oder hat es je gebracht. Ich bin die
ausgezeichnetste von den fünf aus derselben Schote!“ — Und der Rinnstein gab
dieser Ansicht seinen Beifall.
Aber an dem Dachfenster stand das Mädchen mit leuchtenden Augen und mit
Gesundheit auf den Wangen, und sie faltete ihre Hände über der Erbsenblüte und
dankte Gott für dieselbe.

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Das Märchen vom Sandmann.


n der ganzen Welt versteht niemand so schöne Geschichten zu erzählen wie der
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alte liebe S a n d m a n n . Gegen Abend, wenn die Kinder noch hübsch artig am
Tische oder auf ihrem Stühlchen sitzen, kommt das alte Männchen ganz leise die
Treppe herauf, denn es geht auf Socken. Husch, öffnet es die Thüre und streut
den Kindern Sandkörnchen in die Augen, so fein, so fein, aber doch immer
genug, daß sie nicht länger die Augen aufzuhalten vermögen. Deshalb sind sie
auch nicht im stande, ihn zu sehen. Er schlüpft gerade hinter sie, bläst ihnen
sanft in den Nacken und dann wird ihnen das Köpfchen gar schwer. O ja, aber es
thut ihnen nicht weh, denn der Sandmann meint es mit den Kindern gerade gut.
Er verlangt nur, daß sie ruhig sein sollen, und das sind sie am besten, wenn man
sie zu Bette bringt.
Sobald die Kinder nun schlafen, setzt sich das alte Männchen zu ihnen auf das
Bett. Er geht stattlich einher; sein Rock ist von Seidenzeug, aber es ist
unmöglich, die Farbe desselben zu bestimmen, denn er schillert grün, rot und
blau, je nach welcher Richtung er sich dreht. Unter jedem Arm hält er einen
Regenschirm, einen mit Bildern darauf, welchen er über die Kinder ausspannt
und dann träumen sie die ganze Nacht die herrlichsten Geschichten, und einen
ohne irgend eine Zeichnung. Diesen stellt er über die unartigen Kinder, damit sie
ganz bewußtlos schlafen. Wenn sie am Morgen aufwachen, haben sie dann nicht
das Allermindeste geträumt.
Nun wollen wir hören, wie der Sandmann eine ganze Woche lang jeden Abend
zu einem kleinen Knaben, der H j a l m a r hieß, kam und was er ihm erzählte! Es
sind im ganzen sieben Geschichten, weil es sieben Wochentage giebt.

Montag.
„Nun will ich dir meinen ganzen Staat zeigen,“ sagte der Sandmann am Abend
zum Hjalmar, der im Bette lag.
Da verwandelten sich alle Blumen in den Blumentöpfen zu großen Bäumen, die
ihre langen Zweige unter der Decke hin und die Wände entlang streckten, so daß
die ganze Stube wie das herrlichste Lusthaus aussah. Alle Zweige waren voll
Blumen, und jede Blume war schöner als eine Rose, duftete balsamisch und,
wollte man sie essen, war sie süßer als Eingemachtes. Die Früchte glänzten
gerade wie Gold, und Weißbrödchen waren da, die vor lauter Rosinen platzten
— es war unvergleichlich schön. Plötzlich aber ließ sich in dem Tischkasten, wo
Hjalmars Schulbücher lagen, ein entsetzliches Jammern vernehmen.
„Was ist das nur?“ fragte der Sandmann, und zog den Tischkasten auf. Es war
die Tafel, in der es zerrte und zupfte, denn es hatte sich eine falsche Zahl in das
Rechenexempel eingeschlichen, so daß die Zahlen auseinander laufen wollten.
Der Griffel hüpfte und sprang an seiner Schnur, als stellte er einen kleinen Hund
vor, der dem Rechenexempel helfen möchte, aber er war es nicht im Stande. Und
dann jammerte es auch in Hjalmars Schreibebuch, daß es ordentlich häßlich mit
anzuhören war. Auf jeder Seite standen der Länge nach von oben nach unten
sämtliche große Buchstaben, ein jeder mit einem kleinen zur Seite, einer hinter
dem andern. Das bildete die Vorschrift, und neben dieser standen wieder einige
Buchstaben, die sich einbildeten, ebenso auszusehen, weil sie aus Hjalmars
eigener Feder herrührten. Aber, o weh! sie sahen fast aus, als ob sie über die
Linien, auf denen sie doch stehen sollten, gestolpert wären.
„Seht, so solltet ihr euch halten!“ sagte die Vorschrift. „Seht, etwas schräg, aber
mit kräftigem Schwung!“ — „O, wir wollen gern,“ sagten Hjalmars Buchstaben,
„aber wir können nicht, wir sind so schlimm und unwissend!“ — „Dann sollt ihr
Kinderpulver bekommen!“ sagte der Sandmann. — „O nein!“ riefen sie und
dann standen sie mit einem male kerzengerade, daß es eine Lust war. — „Heute
werden keine Geschichten erzählt!“ sagte der Sandmann. „Jetzt muß ich sie
einexerzieren! Eins, zwei! Eins, zwei!“ Nun exerzierte er die Buchstaben ein,
und sie standen so gerade und gesund da, wie nur eine Vorschrift immer stehen
kann. Als aber der Sandmann ging und Hjalmar am Morgen nachsah, da waren
sie eben so jämmerlich wie zuvor.

Dienstag.
Sobald Hjalmar im Bette war, benetzte der Sandmann mit seiner kleinen
Zauberspritze alle Möbel in der Stube, und sofort begannen sie zu plaudern und
plauderten sämtlich von sich selbst.
Über der Kommode hing ein großes Gemälde in einem reich vergoldeten
Rahmen, welches eine herrliche Landschaft darstellte. Als der Sandmann
dasselbe mit seiner Zauberspritze benetzt hatte, begannen die Vögel darauf zu
singen, die Baumzweige bewegten sich, und die Wolken flogen so natürlich, daß
man ihren Schatten über die Landschaft konnte dahinschweben sehen.
Nun hob der Sandmann den kleinen Hjalmar so hoch, daß derselbe seine Füße in
den Rahmen hineinstellen konnte und zwar gerade in das hohe Gras. Da stand er
nun. Die Sonne schien durch die Zweige auf ihn hernieder. Er lief hin an das
Wasser und setzte sich in ein kleines Boot, welches da lag. Es war rot und weiß
angestrichen, die Segel leuchteten wie Silber, und zwei herrliche, schneeweiße
Schwäne kamen herbei, spannten sich vor das Boot und zogen es an dem grünen
Walde vorüber. Die prächtigsten Fische mit silbernen und goldenen Schuppen
schwammen hinter dem Boote her; bisweilen schnellten sie über das Wasser
empor, daß es plätscherte, und Vögel flogen in zwei langen Reihen hinten nach,
die Mücken tanzten und die Maikäfer brummten „bum, bum“. Alle wollten
Hjalmar folgen und jeder hatte eine Geschichte zu erzählen.
Das war allerdings eine Segelfahrt, wie sie sein mußte! Bald waren die Wälder
dicht und dunkel, bald waren sie wie der herrlichste Park mit Sonnenschein und
Blumen, und große Schlösser von Glas und Marmor lagen darin. Auf den
Altanen standen Prinzessinen, und alle waren kleine Mädchen, die Hjalmar recht
wohl kannte, denn er hatte schon früher mit ihnen gespielt. Bei jedem Schlosse
standen kleine Prinzen Schildwache. Sie schulterten mit goldenen Säbeln und
ließen Rosinen und Zinnsoldaten regnen. Das waren wirkliche Prinzen.
Bald segelte Hjalmar durch Wälder, bald gerade durch große Säle oder mitten
durch eine Stadt. Er kam auch durch diejenige, in welcher sein Kindermädchen
wohnte, das gute Mädchen welches ihn getragen hatte, als er ein ganz, ganz
kleiner Knabe war und das ihn so lieb gehabt. Dasselbe nickte und winkte und
sang den niedlichen Vers, den es selbst gedichtet und Hjalmar gesandt hatte:
Ich denke dein in mancher Stund’,
Du süßes Kind, du Liebling mein!
Ich hab’ geküßt dir deinen Mund,
Die Stirne, Wangen, rot und fein!
Dein erstes Wort vernahm mein Ohr!
Doch mußt’ ich fort, vergiß mein nicht!
Gott segne dich, den ich verlor,
Du Engel aus des Herren Licht!
Und alle Vögel sangen mit, die Blumen tanzten auf ihren Stengeln und die alten
Bäume nickten, als ob der Sandmann auch ihnen Geschichten erzählte.
Mittwoch.

Nein, wie der Regen herniederströmte! Hjalmar konnte es im Schlafe hören, und
als der Sandmann ein Fenster öffnete, stand das Wasser gerade bis an das Fenster
hinauf. Ein ganzer See wälzte sich schon da draußen und das prächtigste Schiff
lag hart vor dem Hause.
„Willst du mitsegeln, kleiner Hjalmar?“ fragte der Sandmann, „dann kannst du
heute Nacht nach fremden Ländern reisen und morgen doch wieder hier sein!“
Im Nu stand da Hjalmar in seinen Sonntagskleidern mitten auf dem prächtigen
Schiffe und sofort heiterte sich das Wetter auf und sie segelten durch die Straßen,
kreuzten um die Kirche, und nun war alles eine große, wilde See. Sie segelten so
lange, bis kein Land mehr zu erblicken war. Sie bemerkten auch eine Schar
Störche, die gleichfalls die Heimat verlassen hatten und nach den warmen
Ländern wollten. Ein Storch flog dicht hinter dem anderen und sie waren schon
weit, weit geflogen. Einer derselben war so müde, daß ihn seine Flügel kaum
noch länger zu tragen vermochten. Er blieb hinter den anderen zurück, machte
noch ein paar Flügelschläge, dann ließ er sich hinabsinken und — bums! da
stand er auf dem Verdecke.
Da nahm ihn der Schiffsjunge und sperrte ihn in das Hühnerhaus zu den
Hühnern, Enten und Truthähnen. Der arme Storch stand ganz eingeschüchtert
mitten unter ihnen.
„Seht ihr den nicht?“ gackerten alle Hühner.
Der kalekutische Hahn blies sich aus Leibeskräften auf und fragte ihn, wer er
wäre? Die Enten gingen rückwärts und stießen einander an: „Spute dich, spute
dich!“
Der Storch erzählte vom warmen Afrika, von den Pyramiden und vom Strauße,
der wie ein wildes Pferd durch die Wüste dahinstürme, aber die Enten
verstanden nicht, was er sagte, und darum stießen sie einander an: „Wir sind
wohl einig darüber, daß er dumm ist?“
„Ja, er ist sicherlich dumm!“ sagte der kalekutische Hahn und kollerte dann. Da
schwieg der Storch ganz still und dachte an sein Afrika.
Aber Hjalmar ging hin zum Hühnerhause, öffnete die Thüre, rief den Storch und
dieser hüpfte auf das Verdeck zu ihm hinaus. Nun hatte er sich ausgeruht, und es
war gerade, als ob er Hjalmar zunickte, um sich bei ihm zu bedanken. Darauf
breitete er seine Schwingen aus und flog nach den warmen Ländern, aber die
Hühner gluckten, die Enten schnatterten und der kalekutische Hahn wurde ganz
rot am Kopfe.
„Morgen wollen wir Suppe von euch kochen!“ sagte Hjalmar und da erwachte er
und lag in seinem Bettchen.

Donnerstag.

„Weißt du was?“ sagte der Sandmann, „fürchte dich nur nicht; hier wirst du eine
kleine Maus gewahren!“ und dabei hielt er ihm seine Hand mit dem leichten,
niedlichen Tierchen hin. „Sie ist gekommen, dich zur Hochzeit einzuladen. Hier
sind zwei Mäuschen, die heute Nacht in den Ehestand treten wollen. Sie wohnen
unter dem Fußboden in deiner Mutter Speisekammer.“
„Aber wie kann ich durch das kleine Mäuseloch im Fußboden
hindurchkommen?“ fragte Hjalmar.
„Laß mich nur machen!“ versetzte der Sandmann. „Ich will dich schon klein
genug bekommen!“ Darauf benetzte er Hjalmar mit seiner Zauberspritze, der
nun sofort kleiner und kleiner wurde, bis er zuletzt nur fingergroß war.
„Nun kannst du dir vom Zinnsoldaten die Kleider borgen, ich denke, sie werden
dir jetzt schon passen, und es nimmt sich gut aus, sich in Gesellschaft in
Uniform zu zeigen.“
„Jawohl!“ sagte Hjalmar, und dann war er im Augenblicke wie der niedlichste
Zinnsoldat angekleidet.
„Wollen Sie nicht so freundlich sein, sich in Ihrer Frau Mutter Fingerhut zu
setzen?“ sagte die kleine Maus, „dann werde ich die Ehre haben, Sie zu ziehen!“
„O Himmel! Will sich das Fräulein selbst bemühen!“ sagte Hjalmar, und so
fuhren sie zur Mäusehochzeit.
Zuerst gelangten sie in einen weitläufigen Gang unter dem Fußboden, der nicht
höher war, als daß sie ohne anzustoßen mit dem Fingerhut darin fahren konnten,
und der ganze Gang war mit faulem Holz erleuchtet.
„Riecht es hier nicht prächtig?“ sagte die Maus, welche ihn zog. „Der ganze
Gang ist mit Speckschwarten eingerieben.“
Nun kamen sie in den Brautsaal hinein; hier standen zur Rechten alle die kleinen
Mäusefräulein, und die zischelten und tuschelten, als ob sie sich über einander
lustig machten. Zur Linken standen alle jungen Mäuseherren und strichen sich
mit der Pfote den Schnauzbart; aber mitten im Kreise erblickte man das
Brautpaar. Sie standen in einer ausgehöhlten Käserinde.
Immer mehr und mehr Fremde erschienen; es fehlte nicht viel, so hätten die
Mäuse einander tot getreten; dazu hatte sich das Brautpaar mitten in die Thür
gestellt, so daß man weder hinein noch hinaus gelangen konnte. Wie der Gang,
so war auch das ganze Zimmer mit Speckschwarten eingerieben; das war die
ganze Bewirtung; indes wurde zum Nachtisch eine Erbse vorgewiesen, in welche
eine kleine Maus aus der Familie die Namen des Brautpaares hineingebissen,
d.h. die ersten Buchstaben. Es war etwas ganz Außerordentliches.
Alle Mäuse versicherten, es wäre eine ausgezeichnete Hochzeit und die
Unterhaltung wäre sehr vergnügt gewesen.
Dann fuhr Hjalmar wieder nach Hause. Er war zwar in vornehmer Gesellschaft
gewesen, hatte aber auch gehörig zusammenkriechen, sich klein machen und in
Zinnsoldaten-Uniform erscheinen müssen.

Freitag.

„Was werden wir denn diese Nacht unternehmen?“ fragte Hjalmar.


„Ich weiß nicht, ob du heute Nacht wieder Lust hast, eine Hochzeit
mitzumachen. Sie ist freilich anderer Art als die gestrige. Deiner Schwester
große Puppe, die, welche wie ein Mann aussieht und Hermann heißt, soll sich
mit der Puppe Bertha verheiraten, und da außerdem derselben Geburtstag ist,
wird es an Geschenken nicht fehlen. Da sieh einmal!“
Mit diesen Worten deutete der Sandmann nach dem Tische. Auf demselben stand
das kleine Papphaus mit Licht in den Fenstern, und alle Zinnsoldaten
präsentierten vor der Thüre desselben das Gewehr. Das Brautpaar saß, ein Jedes
gegen einen Tischfuß gelehnt, ganz gedankenvoll da, und dazu hatte es auch
Grund genug. Aber der Sandmann, angethan mit der Großmutter schwarzem
Rocke, vollzog die Trauung. Nach Beendigung derselben stimmten alle Möbel in
der Stube folgendes Lied an:
Es brause unser Lied empor
Für’s teure Paar in hellem Chor.
Sie stehen beide wie ein Pflock,
Denn Handschuhleder ist ihr Rock!
:,: Hurrah! Hurrah! dem schönen Paar,
Das unsrer Stube Zierde war! :,:
Und nun überreichte man ihnen Geschenke, doch hatten sie sich alle Eßwaren
verbeten.
„Wollen wir nun das Landleben genießen, oder eine Hochzeitsreise antreten?“
fragte der Bräutigam. Darauf wurde die Schwalbe, die sich in vielen Ländern
umgesehen, und die alte Hofhenne, welche fünfmal Küchlein ausgebrütet hatte,
zu Rate gezogen. Die Schwalbe erzählte von den schönen, warmen Ländern, wo
die Weintrauben groß und schwer an den Stöcken hängen, wo die Luft so mild
wäre und die Berge Farben hätten, wie man sie hier zu Lande niemals an
denselben sieht.
„Es fehlt ihnen aber doch unser Grünkohl!“ sagte die Henne. „Ich brachte einen
Sommer mit allen meinen Kücheln auf dem Lande zu. Dort war eine Sandgrube,
in der wir umhergehen und scharren konnten. Auch hatten wir Zutritt zu einem
Garten mit Grünkohl! O wie grün der war! Ich kann mir nichts Schöneres
denken!“
„Aber ein Kohlkopf sieht wie der andere aus,“ sagte die Schwalbe, „und dann
herrscht hier oft so unangenehme Witterung!“
„O, daran hat man sich schon gewöhnt!“ sagte die Henne.
„Aber hier ist es kalt, es friert!“
„Das ist für den Kohl gerade dienlich!“ sagte die Henne. „Übrigens kann es auch
bei uns sehr warm sein. Hatten wir nicht vor vier Jahren einen Sommer, wo fünf
Wochen lang eine solche Hitze war, daß man kaum atmen konnte? Dann leben
aber bei uns auch keine giftigen Tiere, wie in jenen Ländern, und wir sind frei
von Räubern! Ein Bösewicht kann der nur sein, welcher unser Land nicht für das
schönste hält! Er verdiente wahrlich nicht, hier zu weilen!“ Weinend unterbrach
sich die Henne und setzte dann schluchzend hinzu: „Auch ich bin gereist! Ich
bin einmal in einem Korbe über zwölf Meilen weit gefahren! Das Reisen
gewährt schlechterdings kein Vergnügen!“
„Ja, die Henne ist eine vernünftige Frau!“ sagte die Puppe Bertha. „Ich halte
nichts davon, eine Gebirgsreise zu unternehmen, denn kaum ist man oben, so
geht es gleich wieder hinunter! Nein, wir wollen hübsch nach der Sandgrube
hinausziehen und uns im Kohlgarten ergehen!“
Und dabei blieb es!

Sonnabend.

„Erzählst du mir nun Geschichten?“ fragte der kleine Hjalmar, sobald ihn der
Sandmann zu Bette gebracht hatte.
„Heute abend haben wir nicht Zeit dazu,“ sagte der Sandmann und spannte
seinen schönen Regenschirm über ihn auf. „Sieh nur diese Chinesen an!“ Der
ganze Schirm glich einer großen chinesischen Schale mit blauen Bäumen und
spitzen Brücken und kleinen Chinesen darauf, die dastanden und mit dem Kopfe
nickten. „Wir müssen bis morgen die ganze Welt schön aufgeputzt haben,“ sagte
der Sandmann, „es ist dann ja ein heiliger Tag, es ist Sonntag. Ich will auf den
Kirchturm steigen, um nachzusehen, ob die kleinen Kirchengeister die Glocken
putzen, damit ihr Geläute schön klingt; und was die allerschwierigste Arbeit ist,
ich will alle Sterne herunterholen, um sie aufzupolieren. Aber erst müssen sie
numeriert werden und ebenso die Löcher, in denen sie da oben sitzen, damit sie
ihren rechten Platz wieder erhalten können, sonst würden sie nicht festsitzen und
wir bekämen zu viel Sternschnuppen, indem einer nach dem andern
herabpurzelte!“
„Hören Sie, wissen Sie was, Herr Sandmann!“ begann ein altes Portrait, welches
an der Wand hing, an welcher Hjalmar schlief, „ich bin Hjalmars Urgroßvater.
Ich danke Ihnen zwar, daß Sie dem Knaben Geschichten erzählen, aber Sie
dürfen doch seine Begriffe nicht verwirren. Die Sterne können nicht
heruntergeholt und geputzt werden! Die Sterne sind Weltkörper, gerade so wie
unsere Erde, und das ist eben das Gute an ihnen.“
„Besten Dank, du alter Urgroßvater!“ sagte der Sandmann, „besten Dank! Du
bist ja das Haupt der Familie, du bist das Urhaupt! Aber ich bin älter als du. Ich
bin ein alter Heide. Die Römer und Griechen nannten mich den Traumgott. Ich
bin in die vornehmsten Häuser gekommen und komme noch hinein. Ich verstehe
mit Niedrigen wie mit Großen umzugehen! Nun kannst du statt meiner
erzählen!“ Nach diesen Worten verließ der Sandmann verdrießlich das Zimmer
und nahm seinen Schirm mit.
„Nun, man wird doch wohl seine Meinung noch sagen dürfen!“ brummte das
alte Portrait.
Und da erwachte Hjalmar.

Sonntag.

„Guten Abend!“ sagte der Sandmann, und Hjalmar nickte, drehte aber gleich des
Urgroßvaters Portrait gegen die Wand um, damit es nicht wie gestern
mitsprechen könnte.
„Nun mußt du mir Geschichten erzählen: von den fünf grünen Erbsen, die in
einer Schote wohnten, von Hahnenfuß, der Hennenfuß den Hof machte, und von
der Stopfnadel, deren Spitze so fein war, daß sie sich einbildete, eine Nähnadel
zu sein!“
„Man kann auch des Guten zuviel bekommen!“ sagte der Sandmann. „Ich zeige
dir am liebsten etwas, wie du weißt! Ich will dir meinen Bruder zeigen, aber der
kommt zu niemand öfter als einmal. Tritt er zu jemand heran, so nimmt er ihn
mit auf sein Pferd und erzählt ihm Geschichten. Er weiß nur zwei, die eine ist so
unvergleichlich schön, wie sich niemand in der Welt vorstellen kann; und die
andere ist über alle Beschreibung häßlich und abscheulich!“ Darauf hob der
Sandmann den kleinen Hjalmar zum Fenster empor und sagte: „Dort wirst du
meinen Bruder sehen, welchen sie auch den T o d nennen. Siehst du, sein Rock
ist mit Silberstickerei verziert, er trägt eine stattliche Husarenuniform; ein
Mantel von schwarzem Sammet flattert bis über das Pferd hinaus! Sieh, wie er
im Galopp dahinjagt!“
Und Hjalmar sah, wie der Tod vorwärts eilte und junge wie alte Leute auf sein
Pferd nahm; einige setzte er vorn, andere hinten auf, aber immer fragte er erst:
„Wie steht es mit dem Censurbuche?“ — „Gut!“ sagten sie sämtlich. — „Ja, laß
mich nur selbst sehen!“ erwiderte er, und dann mußten sie ihm das Buch zeigen.
Alle nun, die „Sehr gut“ und „Ausgezeichnet“ hatten, kamen vorn auf das Pferd
und ihnen erzählte er die herrliche Geschichte; doch diejenigen, welche
„Ziemlich gut“ und „Mittelmäßig“ hatten, mußten hinten auf und die häßliche
Geschichte mit anhören. Sie schauderten und weinten, sie wollten vom Pferde
springen, vermochten es aber nicht, denn sie waren sofort fest an demselben
angewachsen.
„Das ist aber der herrlichste Sandmann!“ sagte Hjalmar, „vor dem fürchte ich
mich nicht!“
„Das sollst du auch nicht!“ sagte das Männchen. „Sorge nur dafür, daß du ein
gutes Sittenzeugnis erhältst!“ —
Das ist nun die Geschichte vom Sandmann! Lasse dir heute abend mehr von ihm
erzählen.

Die Theekanne.
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ch kannte einmal eine stolze Theekanne, stolz auf ihr Porzellan, stolz auf ihre
lange Tülle, stolz auf ihren breiten Henkel. Und davon sprach sie gern; von
ihrem Deckel dagegen sprach sie nicht; er hatte seine Mängel, und davon spricht
man nicht gern, das thun schon die Andern zur Genüge. Die Tassen, der
Sahnentopf und die Zuckerschale, kurzum das ganze Theegeschirr würden
sicherlich die Gebrechlichkeit des Deckels nicht vergessen, und weit mehr davon
reden, als von dem guten Henkel und der ausgezeichneten Tülle; das wußte die
Theekanne.
„Oh, ich kenne sie!“ sprach sie für sich selbst; „ich erkenne auch ebensogut
meine Mängel, und darin besteht meine Demut. Mängel haben wir ja alle, aber
man hat dann auch wieder seine besondere Begabung. Die Tassen erhielten einen
Henkel, die Zuckerschale einen Deckel, ich erhielt beides und noch eine Tülle,
die mich zur Königin am Theetische macht. Die andern zwei sind nur
Dienerinnen des Wohlgeschmacks, ich aber bin die Spendende, die Herrscherin,
ich verbreite Segen unter der durstenden Menschheit; in meinem Innern werden
die Theeblätter in dem kochenden Wasser verarbeitet.“
Dies alles sagte die Theekanne in ihrer sorglosen Jugendzeit. Sie stand auf dem
gedeckten Tische, sie wurde von der feinsten Hand gehoben. Aber die feinste
Hand war linkisch, die Theekanne fiel, die Tülle brach ab, der Henkel brach ab,
vom Deckel verlohnt sich’s gar nicht erst zu reden. Besinnungslos lag die Kanne
am Boden, weithin entströmte ihr das kochende Wasser.
„Nie werde ich diesen entsetzlichen Augenblick vergessen!“ sagte die
Theekanne, wenn sie später sich selbst ihren Lebenslauf erzählte. „Ich wurde
Invalide genannt, in einen Winkel gesetzt und einer armen Frau geschenkt. Ich
stieg nun zur Armut hernieder und stand zwecklos da, aber gerade da, wo ich
stand, begann mein besseres Leben. Erde wurde in mich hineingepackt; für eine
Theekanne ist das ebensogut, wie begraben zu werden, aber in die Erde wurde
eine Blumenzwiebel gelegt. Wer sie hineinlegte, wer sie mir schenkte, weiß ich
nicht, aber geschenkt wurde sie mir. Und die Zwiebel lag in der Erde, die
Zwiebel lag in mir, sie wurde mein lebendiges Herz, wie ich es nie vorher gehabt
hatte. Leben und Kraft lag in mir, allerlei Kräfte regten sich: der Puls schlug, die
Zwiebel keimte, die in ihr schlummernden Gefühle brachen in einer schönen
Blume hervor. Ich sah sie, ich trug sie, ich vergaß mich selbst in ihrer Schönheit.
Sie sagte mir keinen Dank, sie dachte nicht an mich; sie wurde bewundert und
gepriesen. Ich war so froh darüber. Wie hätte ich es nicht sein müssen! Eines
Tages vernahm ich, wie gesagt wurde, sie verdiene einen besseren Topf. Man
zerbrach mich in Stücke. Oh, das that schrecklich weh, aber die Blume kam in
einen besseren Topf. Und ich? Ich wurde hinausgeworfen in den Hof, ich liege
nun als alter Scherben da. Aber in mir lebt die Erinnerung fort und die kann mir
niemand rauben.“

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Die Blumen der kleinen Ida.


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ausend noch einmal, sind meine armen Blumen welk!“ rief bestürzt die kleine
I d a . „Gestern abend waren sie noch so schön und nun hängen sie alle
vertrocknet die Köpfchen. Warum thun sie das?“ fragte sie den Studenten, den
sie sehr gern hatte, weil er schöne Geschichten wußte und drollige Bilder
ausschnitt: Herzen mit kleinen Mädchen darin, welche tanzten, und große
Schlösser, deren Thüren sich öffnen ließen.
„Ja, weißt du, was deinen Blumen fehlt?“ sagte der Student, „sie sind heute
Nacht auf dem Balle gewesen und deshalb lassen sie die Köpfe hängen.“
„Aber die Blumen können ja nicht tanzen!“ sagte die kleine Ida.
„O ja!“ sagte der Student, „sobald es dunkel wird und wir andern schlafen, dann
springen sie lustig umher; fast jede Nacht haben sie Ball.“
„Kann denn ein Kind mit auf den Ball kommen?“
„Ja,“ sagte der Student, „die kleinen niedlichen Gänseblümchen und
Maiblümchen.“
„Wo tanzen die schönen Blumen?“ fragte die kleine Ida.
„Bist du nicht öfters vor dem Thore bei dem großen Schlosse gewesen, wo der
König im Sommer wohnt und der schöne Garten mit den vielen Blumen ist? Du
hast ja die Schwäne gesehen, die auf dich zuschwimmen, wenn du ihnen
Brotkrümchen geben willst. Dort findet wirklich Ball statt, das kannst du mir
glauben!“
„Erst gestern ging ich mit meiner Mutter draußen im Garten!“ sagte Ida, „aber an
allen Bäumen fehlten die Blätter und es waren gar keine Blumen mehr da! Wo
sind sie? Im Sommer sah ich so viele!“
„Die sind drinnen im Schlosse!“ sagte der Student. „Du mußt wissen, sobald der
König und alle Hofleute wieder in die Stadt ziehen, dann laufen die Blumen
sofort aus dem Garten auf das Schloß und sind lustig. Das solltest du einmal
sehen. Die beiden reizendsten Rosen setzen sich auf den Thron und sind dann
König und Königin. Die großen Hahnenkämme stellen sich alle an der Seite auf
und stehen und verneigen sich. Das sind die Kammerjunker. Nun kommen die
niedlichsten Blumen und dann ist da großer Ball. Die blauen Veilchen stellen
kleine Seekadetten vor, sie tanzen mit Hyazinthen und Crocus, welche sie
Fräulein anreden. Die Tulpen und Feuerlilien, das sind Matronen, die passen auf,
daß recht schön getanzt wird und alles fein ordentlich hergeht.“
„Aber,“ fragte die kleine Ida, „ist denn niemand da, der die Blumen dafür
bestraft, daß sie in des Königs Schlosse tanzen?“
„Es ist niemand da, der darüber etwas Genaues wüßte!“ sagte der Student.
„Mitunter kommt des Nachts freilich der alte Schloßverwalter, der da draußen
die Aufsicht zu führen hat. Sobald aber die Blumen sein großes Schlüsselbund
rasseln hören, verhalten sie sich ganz still, verstecken sich hinter den langen
Vorhängen und stecken den Kopf hervor. „„Mein Geruch sagte es mir, es sind
hier Blumen im Saale!““ sagt der alte Schloßverwalter, aber sehen kann er sie
nicht.“
„Das ist drollig,“ sagte die kleine Ida und klatschte in die Hände. „Aber könnte
ich denn die Blumen nicht auch sehen?“
„O ja!“ sagte der Student, „vergiß nur nicht, sobald du wieder hinauskommst,
durch das Fenster zu schauen, dann siehst du sie sicher. Das that ich heute, da lag
eine lange Narcisse im Sofa und dehnte sich; das war eine Hofdame.“
„Kommen auch die Blumen aus dem botanischen Garten da hinaus? Können sie
den weiten Weg machen?“
„Jawohl!“ sagte der Student, „denn, sobald sie wollen, können sie fliegen. Hast
du nicht schon die herrlichen Schmetterlinge gesehen, die roten, gelben und
weißen? Sie sehen fast wie Blumen aus und sind es auch gewesen. Sie sind vom
Stengel hoch hinauf in die Luft gesprungen und haben dann mit ihren Blättern
wie mit kleinen Flügeln geschlagen, und nun flogen sie. Da sie sich gut
aufführten, durften sie auch am Tage fliegen, brauchten nicht wieder nach Hause
zu kommen und still auf dem Stengel zu sitzen, und so wurden diese Blätter
schließlich wirkliche Flügel. Das hast du ja selbst gesehen.“
„Ach wie drollig!“ sagte die kleine Ida und lachte.
„Wie kann man einem Kinde dergleichen vorreden!“ sagte der mürrische
Kanzleirat, welcher zum Besuch gekommen war und im Sofa saß. Er konnte den
Studenten gar nicht leiden und brummte stets, wenn er ihn die komischen Bilder
ausschneiden sah.
Aber der kleinen Ida kam es doch ganz lustig vor, was ihr der Student von ihren
Blumen erzählte und sie dachte viel daran.
Die Blumen ließen also die Köpfe hängen, weil sie vom nächtlichen Tanze müde
waren; sie waren gewiß krank. Im Puppenbette lag ihre Puppe Sophie und
schlief, aber die kleine Ida sagte zu ihr: „Du mußt leider aufstehen, Sophie, und
damit fürlieb nehmen, heute Nacht im Schubfache zu liegen; die armen Blumen
sind krank und da müssen sie in deinem Bette liegen; vielleicht werden sie dann
wieder frisch und wohl!“ Damit nahm sie die Puppe heraus, die sehr ärgerlich
aussah und kein einziges Wort sagte, denn es verdroß sie, daß sie nicht ihr Bett
behalten durfte.
Dann legte Ida die Blumen in das Puppenbett, zog die kleine Decke ganz über
sie und sagte, sie sollten nun hübsch stille liegen, sie würde ihnen dann Thee
kochen, damit sie wieder wohl und frisch werden und morgen wieder aufstehen
könnten. Die Vorhänge zog sie dicht um das kleine Bett, damit die Sonne ihnen
nicht in die Augen scheinen sollte.
Auch den ganzen Abend hindurch konnte sie sich nicht enthalten, an das zu
denken, was ihr der Student erzählt hatte. Als sie nun selbst zu Bett sollte,
huschte sie erst hinter die Gardinen vor den Fenstern, wo die prächtigen Blumen
ihrer Mutter, Hyazinthen und Tulpen, standen, und flüsterte ihnen ganz leise zu:
„Ich weiß es nun, ihr sollt heute Nacht auf den Ball!“ Aber die Blumen thaten,
als verständen sie nichts und rührten kein Blatt, allein die kleine Ida wußte doch,
was sie wußte.
Als sie nun zu Bett gegangen war, lag sie noch lange und dachte, wie hübsch es
doch sein müßte, die herrlichen Blumen draußen auf dem Schlosse des Königs
tanzen zu sehen. „Ob meine Blumen wohl wirklich mit dabei gewesen sind?“
Dann fiel sie aber in Schlaf. In der Nacht erwachte sie wieder. Sie hatte von den
Blumen und dem Studenten geträumt, den der Kanzleirat ausgezankt und dabei
gesagt hatte, er wollte ihr bloß etwas weis machen. In der Schlafkammer, wo Ida
lag, war es ganz stille; die Nachtlampe brannte auf dem Tische und ihr Vater und
ihre Mutter schliefen.
„Ob meine Blumen jetzt wohl in Sophiens Bett liegen?“ sagte sie bei sich selbst;
„ich möchte es doch gar zu gern wissen!“ Sie richtete sich ein wenig auf und
blickte nach der Thüre. Sie war nur angelehnt und drinnen lagen die Blumen und
all ihr Spielzeug. Sie lauschte und da war es ihr, als hörte sie drinnen in der
Stube auf dem Klavier spielen, aber ganz leise und so hübsch, wie sie nie zuvor
gehört hatte.
„Jetzt tanzen gewiß alle Blumen drinnen!“ sagte sie; „ach, wie gern möchte ich
es doch sehen!“ aber sie durfte nicht aufstehen, weil sie sonst Vater und Mutter
geweckt hätte. „Wenn sie doch nur hereinkommen wollten!“ sagte sie; aber die
Blumen kamen nicht. Als nun die hübsche Musik immer weiter spielte, konnte
sie es nicht länger mehr aushalten, denn es war zu herrlich. Unhörbar kletterte
sie aus ihrem kleinen Bette, ging ganz leise nach der Thüre und sah in die Stube
hinein. Nein, war das drollig, was sie nun zu sehen bekam!
Eine Nachtlampe brannte nicht darin, aber der Mond schien durch das Fenster
mitten auf den Fußboden, so daß es fast tageshell war. Alle Hyazinthen und
Tulpen standen in zwei langen Reihen auf dem Boden, am Fenster waren keine
mehr zu sehen, da standen die leeren Töpfe. Auf dem Boden tanzten die Blumen
ganz niedlich um einander herum, bildeten ordentliche Ketten und hielten
einander an den langen grünen Blättern, wenn sie sich herumschwenkten. Am
Klavier saß eine große Feuerlilie, welche die kleine Ida bestimmt im Sommer
gesehen hatte, denn sie erinnerte sich noch ganz wohl, daß der Student gesagt
hatte: „Seht nur, wie sie dem Fräulein Lina ähnelt!“ Damals hatte Ida gelacht,
aber jetzt sah sie, daß die lange, gelbe Blume dem Fräulein glich. Niemand
bemerkte die kleine Lauscherin. Nun sah sie einen großen blauen Crocus mitten
auf den Tisch springen, auf dem das Spielzeug stand, direkt auf das Puppenbett
zugehen und die Vorhänge auf die Seite schieben. Da lagen die kranken Blumen,
aber sie richteten sich sofort empor und nickten den andern auf dem Fußboden
zu, daß sie auch mittanzen wollten. Der alte Herr auf dem Räucherkästchen, dem
die Unterlippe abgebrochen war, stand auf und verneigte sich vor den hübschen
Blumen. Sie sahen gar nicht mehr krank aus, hüpften unter die andern hinunter
und waren recht vergnügt.
Horch! War es nicht, als ob etwas vom Tische herunterfiele? Ida schaute hin. Es
war die Fastnachtsrute, welche heruntersprang. Sie schien ebenfalls mit zu den
Blumen zu gehören. Sie war auch sehr niedlich, und oben in der Spitze saß eine
kleine Wachspuppe, die einen genau eben so breiten Hut auf dem Kopfe hatte,
wie ihn der Kanzleirat trug. Die Fastnachtsrute hüpfte auf ihren drei roten
Stelzfüßen mitten unter die Blumen, und stampfte, weil sie Mazurka tanzte, laut
den Boden. Den Tanz verstanden die andern Blumen nicht, denn sie waren gar
leicht und konnten nicht aufstampfen.
Die Wachspuppe auf der Fastnachtsrute wurde plötzlich groß und lang, schwang
sich hoch über die Papierblumen empor und rief ganz laut. „Wie kann man
einem Kinde dergleichen vorreden! Das ist dummes Zeug!“ und da ähnelte die
Wachspuppe dem Kanzleirate mit seinem breiten Hute auf das täuschendste; sie
sah gerade eben so gelb und brummig aus. Aber die Papierblumen schlugen ihn
an die dünnen Beine und da schrumpfte er wieder zusammen und wurde eine
winzig kleine Wachspuppe. Das war ein zu komischer Anblick! Die kleine Ida
konnte sich des Lachens nicht enthalten.
In demselben Augenblicke klopfte es ganz laut inwendig in dem Schubfache, wo
Idas Puppe, Sophie, bei vielem anderen Spielzeug lag. Das Männchen auf dem
Räucherkästchen lief bis an die Kante des Tisches, legte sich der Länge nach auf
den Bauch und fing an den Schubkasten ein wenig herauszuziehen. Da richtete
sich Sophie empor und sah sich ganz verwundert um. „Hier ist ja Ball!“ sagte
sie, „warum hat mir es denn niemand gesagt?“
„Willst du mit mir tanzen?“ fragte das Räuchermännchen.
„Fürwahr, das stände mir gerade an, mit dir zu tanzen!“ sagte sie und wandte
ihm den Rücken. Hierauf setzte sie sich auf das Schubfach und dachte, es würde
schon eine oder die andere Blume kommen und sie engagieren, aber es kam
keine. Nun hustete sie, hm, hm, hm, aber gleichwohl kam keine. Das
Räuchermännchen tanzte ganz allein und gar nicht so übel.
Da nun keine der Blumen Sophie zu sehen schien, ließ sie sich vom Schubfach
gerade auf den Boden herabgleiten, so daß ein großer Lärm entstand. Alle
Blumen umringten sie auch gleich und fragten, ob sie sich keinen Schaden
gethan hätte, und sie benahmen sich alle sehr zuvorkommend gegen sie,
besonders die Blumen, die in ihrem Bette gelegen hatten. Aber sie hatte keinen
Schaden genommen und alle Blumen Idas dankten ihr für das prächtige Bett und
bewiesen ihr große Zuneigung. Sie zogen sie mit sich bis mitten auf den Boden,
wo der Mond schien, tanzten mit ihr und alle andern Blumen schlossen einen
Kreis um sie. Nun war Sophie fröhlich und sagte, sie möchten getrost ihr Bett
behalten, sie läge eben so gern im Schubfache.
Aber die Blumen sagten: „Empfange unsern besten Dank, allein wir können
nicht mehr lange leben; morgen sind wir tot; sage aber der kleinen Ida, sie
möchte uns draußen im Garten dort, wo der Kanarienvogel liegt, begraben. Dann
würden wir im Sommer noch weit schöner wieder aufblühen!“
„Nein, ihr dürft nicht sterben!“ sagte Sophie und küßte dann die Blumen. In dem
Augenblicke ging die Saalthüre auf und eine große Menge prachtvoller Blumen
tanzte herein. Ida konnte sich gar nicht denken, woher sie gekommen waren; es
waren gewiß die Blumen draußen vom Schlosse des Königs. An der Spitze
gingen zwei herrliche Rosen und trugen kleine Goldkronen, das war ein König
und eine Königin. Darauf folgten die niedlichsten Levkojen und Nelken, die
nach allen Seiten hin grüßten. Sie hatten Musik mit sich, große Mohnblüten und
Päonien bliesen auf Erbsenschoten, so daß sie ganz rot im Gesicht waren. Die
blauen Glockenblumen und die kleinen weißen Schneeglöckchen klingelten, als
ob sie Schellen trügen. Das war eine komische Musik. Dann kamen gar viele
andere Blumen und tanzten allesamt, die blauen Veilchen und die roten
Tausendschön, die Gänseblümchen und Maiblümchen. Und alle Blumen küßten
einander, was sehr niedlich anzusehen war.
Schließlich sagten die Blumen einander gute Nacht. Da schlich sich denn auch
die kleine Ida in ihr Bett, wo sie von allem, was sie gesehen hatte, träumte.
Als sie am nächsten Morgen aufstand, ging sie sogleich zu dem kleinen Tische,
um zu sehen, ob die Blumen noch dort wären. Sie zog den Vorhang vor dem
kleinen Bett zur Seite, ja, da lagen sie sämtlich, aber sie waren ganz welk, weit
mehr als gestern. Sophie lag im Schubfache, wohin Ida sie gelegt hatte; sie sah
sehr schläfrig aus.
„Kannst du dich auf das besinnen, was du mir sagen solltest?“ fragte die kleine
Ida, allein Sophie machte ein dummes Gesicht und sagte auch nicht ein einziges
Wort.
„Du bist gar nicht artig,“ sagte Ida, „und doch tanzten sie sämtlich mit dir.“
Dann nahm sie ein Papierschächtelchen, das mit niedlichen Vögeln bemalt war,
öffnete es und legte die toten Blumen hinein. „Das soll euer hübscher Sarg sein,“
sagte sie, „und wenn später J o n a s und A d o l p h kommen, da sollen sie bei
dem Begräbnisse draußen im Garten mit zugegen sein, damit ihr im Sommer
wieder wachsen könnt und noch weit schöner werdet!“
Jonas und Adolph waren zwei frische Knaben und Spielgenossen von Ida; ihr
Vater hatte jedem von ihnen eine neue Armbrust geschenkt, die sie bei sich
hatten, um sie Ida zu zeigen. Sie erzählte ihnen von den armen Blumen, die
gestorben waren, und dann durften sie dieselben begraben. Beide gingen mit
ihrer Armbrust auf den Schultern voran und die kleine Ida folgte ihnen mit den
toten Blumen in der niedlichen Schachtel. Draußen im Garten gruben die Kinder
ein kleines Grab und Ida setzte die Blumen, nachdem sie dieselben noch einmal
geküßt hatte, mit der Schachtel in die Erde. Adolph und Jonas schoßen mit der
Armbrust über das Grab, denn sie hatten weder Flinten noch Kanonen.

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Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern.


E

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s war entsetzlich kalt; es schneite und der Abend dunkelte bereits; es war der
letzte Abend im Jahre, Sylvesterabend. In dieser Kälte und in dieser Finsternis
ging auf der Straße ein kleines armes Mädchen mit bloßem Kopfe und mit
nackten Füßen. Es hatte wohl freilich Pantoffeln angehabt, als es von Hause
fortging, aber das waren die seiner verstorbenen Mutter gewesen und da sie ihr
nicht paßten, so hatte sie die Kleine verloren, als sie über die Straße eilte,
während zwei Wagen in rasender Eile vorüberjagten; der eine Pantoffel war
nicht wieder aufzufinden und mit dem andern machte sich ein Knabe aus dem
Staube.
Da ging nun das kleine Mädchen auf den nackten zierlichen Füßchen, die vor
Kälte ganz rot und blau waren. In ihrer alten Schürze trug sie eine Menge
Schwefelhölzer und ein Bund hielt sie in der Hand. Während des ganzen Tages
hatte ihr niemand etwas abgekauft, niemand ein Almosen gereicht. Hungrig und
frostig schleppte sich die arme Kleine weiter und sah schon ganz verzagt und
eingeschüchtert aus. Die Schneeflocken fielen auf ihr langes blondes Haar, das
schön gelockt über ihren Nacken hinabfloß. Aus allen Fenstern strahlte heller
Lichterglanz und über alle Straßen verbreitete sich der Geruch von köstlichem
Gänsebraten. Es war ja Sylvesterabend und dieser Gedanke erfüllte alle Sinne
des kleinen Mädchens.
In einem Winkel zwischen zwei Häusern, von denen das eine etwas weiter in die
Straße vorsprang als das andere, kauerte es sich nieder. Seine kleinen Beinchen
hatte es unter sich gezogen, aber es fror nur noch mehr und wagte es trotzdem
nicht, nach Hause zu gehen, da es noch kein Schächtelchen mit Streichhölzern
verkauft, noch keinen Pfennig erhalten hatte. Es hätte gewiß vom Vater Schläge
bekommen, und kalt war es zu Hause ja auch; sie hatten das bloße Dach über
sich und der Wind pfiff schneidend hinein, obgleich Stroh und Lumpen in die
größten Ritzen gestopft waren. Ach, wie gut mußte die Wärme eines
Schwefelhölzchens thun! Wenn es nur wagen dürfte, eines aus dem
Schächtelchen herauszunehmen, es gegen die Wand zu streichen und die Finger
daran zu wärmen! Endlich zog das Kind eines heraus. „Ritsch!“ wie sprühte es,
wie brannte es. Das Schwefelholz strahlte eine warme helle Flamme aus, wie ein
kleines Licht, als es das Händchen um dasselbe hielt. Es war ein merkwürdiges
Licht; es kam dem Mädchen vor, als säße es vor einem großen eisernen Ofen mit
Messingbeschlägen und Messingverzierungen; das Feuer brannte so schön und
wärmte so wohlthuend! Die Kleine streckte schon die Füße aus, um auch diese
zu wärmen — da erlosch die Flamme. Der Ofen verschwand — sie saß mit
einem Stümpfchen des ausgebrannten Schwefelholzes in der Hand da.
Ein neues wurde angestrichen, es brannte, es leuchtete, und die Stelle der Mauer,
auf welche der Schein fiel, wurde durchsichtig wie ein Flor. Die Kleine sah
gerade in die Stube hinein, wo der Tisch gedeckt stand und köstlich dampfte die
gebratene Gans darauf. Und was noch herrlicher war, die Gans sprang aus der
Schüssel und watschelte mit Gabel und Messer im Rücken über den Fußboden
hin; gerade auf das arme Mädchen zu. Da erlosch das Schwefelholz und nur die
dicke kalte Mauer war zu sehen.
Sie zündete ein neues an. Da saß die Kleine unter dem herrlichsten
Weihnachtsbaum; er war noch größer und noch weit reicher ausgeputzt als der,
den sie am heiligen Abende bei dem reichen Kaufmann durch die Glasthüre
gesehen hatte. Tausende von Lichtern brannten auf den grünen Zweigen, und
bunte Bilder schauten auf sie hernieder; die Kleine streckte beide Hände nach
ihnen in die Höhe — da erlosch das Schwefelholz. Die vielen Weihnachtslichter
stiegen höher und höher und sie sah jetzt erst, daß es die hellen Sterne waren.
Einer von ihnen fiel herab und zog einen langen Feuerstreifen über den Himmel.
„Jetzt stirbt jemand!“ sagte die Kleine; denn die alte Großmutter, welche sie
allein freundlich behandelt hatte, jetzt aber längst tot war, hatte gesagt: „Wenn
ein Stern fällt, steigt eine Seele zu Gott empor!“
Sie strich wieder ein Schwefelholz gegen die Mauer; es warf einen weiten
Lichtschein rings umher und im Glanze desselben stand die alte Großmutter hell
beleuchtet mild und freundlich da.
„Großmutter!“ rief die Kleine, „o nimm mich mit dir! Ich weiß, daß du
verschwindest, sobald das Schwefelholz ausgeht, verschwindest, wie der warme
Kachelofen, der köstliche Gänsebraten und der große flimmernde
Weihnachtsbaum!“ Schnell strich sie den ganzen Rest der Schwefelhölzer an,
welche sich noch im Schächtelchen befanden, sie wollte die Großmutter
festhalten; und die Schwefelhölzer verbreiteten einen solchen Glanz, daß es
heller war als am lichten Tage. So schön, so groß war die Großmutter nie
gewesen; sie nahm das kleine Mädchen auf ihren Arm und hoch schwebten sie
empor in Glanz und Freude; Kälte, Hunger und Angst wichen von ihm — sie
waren bei Gott.
Aber im Winkel am Hause saß in der kalten Morgenstunde das kleine Mädchen
mit roten Wangen, mit Lächeln um den Mund — tot, erfroren am letzten Tage
des alten Jahres. Der Morgen des neuen Jahres ging über der kleinen Leiche auf,
welche mit den Schwefelhölzern, wovon fast ein Schächtelchen verbrannt war,
dasaß. „Sie hat sich wärmen wollen!“ sagte man. Niemand wußte, was sie
Schönes gesehen hatte, in welchem Glanze sie mit der alten Großmutter zur
Neujahrsfreude eingegangen war.

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Die wilden Schwäne.


eit von hier, dort, wohin die Schwalben fliegen, ehe unser Winter eintritt, lebte
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ein König, der hatte elf Söhne und eine Tochter, E l i s e genannt. Die elf Prinzen
gingen stets mit einem Stern auf der Brust und dem Säbel an der Seite zur
Schule. Sie schrieben mit Diamantgriffeln auf goldenen Tafeln. Ihre Schwester
Elise saß auf einem Stühlchen von Spiegelglas und besaß ein Bilderbuch,
welches das halbe Königreich gekostet hatte.
Der König verheiratete sich zum zweitenmal, da er Witwer war, und zwar mit
einer bösen Königin, welche die armen Kinder gar nicht lieb hatte. Schon den
ersten Tag konnten sie es ganz deutlich merken. Im Schloße war ein großes Fest
und da spielten die Kinder: „Es kommt Besuch“; aber während sie sonst alle
Kuchen und Bratäpfel, die nur irgend aufzutreiben waren, erhielten, gab ihnen
die Königin nur Sand in einer Tasse und sagte, sie könnten ja so thun, als ob es
etwas wäre.
In der folgenden Woche übergab sie die kleine Elise einer Bauernfamilie auf
dem Lande, und es dauerte nicht lange, bis sie dem Könige so viel über die
armen Prinzen in den Kopf gesetzt hatte, daß er sich nun gar nicht mehr um sie
kümmerte.
„Fliegt hinaus in die Welt und sorgt für euch selber!“ sagte die böse Königin;
„fliegt als große Vögel, ohne Stimme.“ Aber so schlimm, wie sie beabsichtigte,
konnte sie es doch nicht ausführen: die Prinzen verwandelten sich in elf
herrliche, wilde Schwäne. Mit einem seltsamen Schrei flogen sie zu den
Schloßfenstern hinaus über den Park und Wald hinweg.
Es war noch ganz früh, als sie an jenem Bauernhause, in dem ihre Schwester
gerade im Bette lag und schlief, vorbeikamen. Hier schwebten sie über dem
Dache, drehten ihre langen Hälse hin und her und schlugen mit den Flügeln aber
niemand sah oder hörte es. Sie mußten wieder weiter, hoch zu den Wolken
empor, fort in die weite Welt, wo sie bis zu einem großen finstern Wald flogen,
der sich bis an den Meeresstrand erstreckte.

Die arme kleine Elise stand in der Bauernstube und spielte mit einem grünen
Blatte, denn anderes Spielzeug hatte sie nicht. Sie stach ein Loch in das Blatt,
schaute durch dasselbe zur Sonne hinauf und dann war es ihr gerade, als wenn
sie die hellen Augen ihrer Brüder erblickte.
Ein Tag verlief wie der andere. Wehte der Wind durch die großen Rosenhecken
draußen vor dem Hause, dann flüsterte er den Rosen zu: „Wer kann schöner sein
als ihr?“ aber die Rosen schüttelten den Kopf und sagten: „Elise ist es!“ Und saß
am Sonntage die alte Hausmutter vor der Thüre und las in ihrem Gesangbuch,
dann schlug der Wind die Blätter um und sagte zu dem Buche: „Wer ist frömmer
als du?“ — „Elise ist es!“ sagte das Gesangbuch.
Als Elise fünfzehn Jahre alt war, sollte sie an den Hof ihres Vaters zurückkehren.
Kaum hatte aber die Königin die auffallende Schönheit des Mädchens gesehen,
als auch ihr Herz sogleich von Zorn und Haß gegen sie erfüllt wurde. Gar zu
gern hätte sie nun auch ihre Stieftochter in einen wilden Schwan verwandelt,
doch durfte sie es nicht sogleich wagen, da ja der König seine Tochter sehen
wollte.
Früh morgens ging die Königin in das Bad, nahm drei Kröten, küßte sie und
sagte zu der einen: „Setze dich, wenn Elise in das Bad kommt, auf ihren Kopf,
damit sie träge wird wie du!“ — „Setze dich auf ihre Stirn!“ sagte sie zu der
andern, „damit sie häßlich wird wie du, so daß sie ihr Vater nicht erkennt!“ —
„Ruhe an ihrem Herzen!“ flüsterte sie der dritten zu, „laß sie einen bösen Sinn
bekommen, damit sie dadurch Pein erleidet!“ Darauf setzte sie die Kröten in das
klare Wasser, welches sofort eine grünliche Farbe annahm. Nun befahl sie Elise,
ein Bad zu nehmen. Während dieselbe nun in dem grünlichen Wasser
untertauchte, setzte sich ihr die eine Kröte in das Haar, die andere auf die Stirn
und die dritte ans Herz. Elise schien es aber gar nicht zu bemerken. Als sie sich
wieder emporrichtete, schwammen drei rote Mohnblumen auf dem Wasser.
Wären die Tiere nicht giftig gewesen und hätten sie nicht von der Hexe einen
Kuß erhalten, so wären sie in rote Rosen verwandelt worden, Blumen aber
wurden sie trotzdem, weil sie auf ihrem Haupte und an ihrem Herzen geruht
hatten. Sie war zu fromm und unschuldig, als daß die Zauberkunst Gewalt über
sie zu gewinnen vermochte.
Als das die böse Königin sah, rieb sie Elise mit Walnußsaft ein, so daß sie ganz
dunkelbraun wurde. Es war jetzt unmöglich, die hübsche Elise wieder zu
erkennen.
Als ihr Vater sie in diesem Zustand erblickte, erschrak er nicht wenig und
erklärte, das wäre seine Tochter nicht. Niemand wollte sie wieder erkennen,
außer dem Kettenhunde und den Schwalben, das waren aber arme Tiere und
hatten nichts mitzusprechen.
Da weinte die arme Elise und gedachte ihrer elf Brüder, die alle verschwunden
waren. Betrübt schlich sie sich aus dem Schlosse hinaus und ging den ganzen
Tag über Feld und Sumpf bis in den großen Wald hinein. Sie wußte zwar nicht,
wohin sie wollte, aber in ihrer Betrübnis sehnte sie sich nach ihren Brüdern, die
gewiß, so dachte sie, gleich ihr in die Welt hinausgejagt worden waren. Diese
wollte sie suchen und hoffte sie auch zu finden.
Sie war vollständig vom Wege abgekommen und die Nacht brach herein. Da
legte sie sich dann auf das weiche Moos, sprach ihr Abendgebet und lehnte ihr
Köpfchen gegen einen Baumstumpf. Dort war es so still, die Luft war so mild,
und ringsumher im Grase und auf dem Moose funkelten, wie in grünlichem
Feuer, hunderte von Leuchtkäferchen. Als sie einen Zweig mit der Hand
berührte, fielen die leuchtenden Insekten wie Sternschnuppen zu ihr hernieder.
Die ganze Nacht träumte sie von ihren Brüdern; als sie erwachte, stand die
Sonne schon hoch. Allerdings konnte sie dieselbe nicht sehen, denn die hohen
Bäume breiteten ihre Zweige dicht und fest aus, aber die Strahlen spielten dort
oben wie ein wehender Goldflor. Sie hörte das Wasser plätschern, das kam aus
vielen, reichen Quellen, welche alle in einen Teich mündeten, in dem der
herrlichste Sandboden war. Zwar wuchs hier dichtes Gebüsch ringsherum, doch
hatten an einer Stelle die Hirsche eine große Öffnung gebildet und nach dieser
Richtung hin ging Elise zum Wasser.
Als sie in demselben ihr eigenes Angesicht erblickte, erschrak sie auf das
heftigste, so braun und häßlich war es. Kaum aber hatte sie ihr kleines Händchen
naß gemacht und sich Augen und Stirn damit gerieben, so schien auch die weiße
Haut wieder hervor. Da legte sie flugs ihre Kleider ab und stieg in’s Wasser. Ein
schöneres Königskind fand sich nirgends in der Welt.
Als sie sich wieder angekleidet und ihr Haar geflochten hatte, ging sie noch
tiefer in den Wald hinein. Dort war es so still, daß sie ihre eigenen Fußtritte hörte
und jedes welke Blatt, welches sich unter ihren Füßen bog, und sie empfand so
recht die Einsamkeit, die sie nie zuvor gekannt hatte.
Die zweite Nacht im Walde brach herein. Diesmal funkelte nicht ein einziges
Leuchtkäferchen aus dem Moose hervor und betrübt legte sie sich zum Schlafe
nieder. Da schien es ihr, als beugten sich die Baumzweige über ihr zur Seite und
der liebe Gott sähe mit milden Augen auf sie hernieder und kleine Engel guckten
über seinem Haupte und unter seinen Armen hervor.
Als sie am andern Morgen erwachte, wußte sie nicht, ob sie es nur geträumt
hätte oder ob es Wirklichkeit gewesen wäre.
Sie machte sich wieder auf den Weg und begegnete sehr bald einer alten Frau,
die Beeren in ihrem Korbe trug. Die Alte schenkte ihr einige derselben und Elise
fragte, ob sie nicht elf Prinzen hätte durch den Wald reiten sehen.
„Nein,“ sagte die Alte, „aber gestern sah ich elf Schwäne mit goldenen Kronen
auf dem Kopfe den Bach hinabschwimmen; ich will dir den Weg dahin zeigen.“
Sie führte Elise eine Strecke weiter bis zu einem Abhange, an dessen Fuße ein
Bach vorüberrauschte.
Elise sagte nun der Alten Lebewohl und ging dann den Bach bis zu seiner
Mündung entlang.
Da lag nun das ganze herrliche Meer vor dem jungen Mädchen ausgebreitet da.
Aber nicht ein Segel zeigte sich darauf, nicht ein Boot war zu sehen, auf
welchem sie hätte weiter gelangen können. Sie betrachtete die unzähligen
kleinen Steine am Strande; das Wasser hatte sie alle rund geschliffen.
Unermüdlich hatte es darüber hingerollt.
„Dank für eure Lehre, ihr klaren Wogen!“ rief Elise. „Einmal, das sagt mir mein
Herz, werdet ihr mich zu meinen Brüdern tragen!“
Auf dem angespülten Seegrase lagen elf weise Schwanenfedern; sie sammelte
sie zu einem Strauß. Wassertropfen lagen auf ihnen, ob es Tau war oder Thränen,
konnte niemand sehen.
Als die Sonne eben untergehen wollte, gewahrte Elise elf wilde Schwäne mit
goldenen Kronen auf dem Kopfe, die dem Lande zuflogen; einer schwebte hinter
dem andern, es sah wie ein langes, weißes Band aus. Da stieg Elise den Abhang
hinauf und versteckte sich hinter einem Busch. Die Schwäne ließen sich
unmittelbar in ihrer Nähe nieder und schlugen mit ihren großen, weißen Flügeln.
Als die Sonne unter das Wasser tauchte, sanken plötzlich die Schwanenhüllen
und elf herrliche Prinzen, Elisens Brüder, standen da. Sie stieß einen lauten
Schrei aus, denn, hatten sie sich auch sehr verändert, so wußte sie doch, daß sie
es waren. Rasch sprang sie auf und umarmte ihre Brüder voller Freude, einen
nach dem andern, rief jeden bei Namen, und die Brüder waren unendlich
glücklich, als sie ihr Schwesterchen, das jetzt so groß und schön war, sahen und
erkannten. Sie lachten und weinten und waren bald darüber einig, wie böse ihre
Stiefmutter gegen sie alle gehandelt hätte.
„Wir Brüder,“ erzählte nun der Älteste, „fliegen als wilde Schwäne, so lange die
Sonne am Himmel steht; ist sie untergegangen, erhalten wir unsere menschliche
Gestalt wieder. Unsere Hauptsorge muß es deshalb sein, beim Sonnenuntergang
festen Grund und Boden unter den Füßen zu haben, denn fliegen wir dann noch
zwischen den Wolken, müssen wir, als Menschen, in die Tiefe hinabstürzen. Hier
wohnen wir nicht; es liegt ein eben so schönes Land als dieses am jenseitigen
Meeresufer; der Weg dahin ist weit, wir müssen über das große Meer und keine
Insel liegt auf unserm Wege, auf der wir übernachten könnten; nur eine einsame
kleine Klippe ragt inmitten desselben hervor. Sie ist gerade groß genug, daß wir
Seite an Seite dicht nebeneinander ruhen können. Dort übernachten wir in
unserer Menschengestalt; ohne sie könnten wir unser teures Vaterland nie
wiedersehen, denn zwei der längsten Tage des Jahres gebrauchen wir zu unserem
Fluge. Nur einmal jährlich ist es uns vergönnt, unsere Heimat zu besuchen. Elf
Tage dürfen wir dann hier weilen, über diesen großen Wald hinfliegen, von wo
wir das väterliche Schloß erblicken. Und hier haben wir dich, liebes
Schwesterchen, gefunden. Noch zwei Tage dürfen wir hier bleiben, dann müssen
wir über das Meer nach einem herrlichen Lande aufbrechen, welches aber doch
nicht unser Vaterland ist. Allein wie sollen wir es nur anfangen, dich
mitzunehmen?“
„Was kann ich thun, um euch zu erlösen?“ fragte die Schwester. Nun berieten
und unterhielten sie sich fast die ganze Nacht; nur wenige Stunden senkte sich
der Schlummer auf ihre Augen.
Elise erwachte plötzlich vom Rauschen der Schwanenflügel, welche über sie
hinsausten. Die Brüder waren wieder versammelt und flogen in großen Kreisen
und zuletzt weit fort, doch blieb wenigstens einer von ihnen, der jüngste, zurück.
Der Schwan legte seinen Kopf in ihren Schoß und sie streichelte seine
Schwingen; den ganzen Tag waren sie beisammen. Gegen Abend kamen die
andern zurück und als die Sonne untergegangen war, standen sie in ihrer
natürlichen Gestalt da.
„Morgen fliegen wir von hier fort und dürfen vor einem ganzen Jahr nicht
zurückkommen; aber wir haben beschlossen, dich nicht zu verlassen. Hast du
Mut, uns zu begleiten? Sollten unser aller Flügel nicht Kraft genug haben, mit
dir über das Meer zu fliegen?“
„Ja, nehmt mich mit!“ rief Elise freudig aus.
Die ganze Nacht brachten sie nun damit zu, aus der geschmeidigen Weidenrinde
und dem zähen Schilf ein starkes Netz zu flechten; auf dieses legte sich Elise,
und als nun die Sonne sich erhob und die Brüder in wilde Schwäne verwandelt
wurden, ergriffen sie das Netz mit ihren Schnäbeln und flogen mit ihrer teuren
Schwester, die noch im süßen Schlummer lag, hoch zu den Wolken empor. Die
Sonnenstrahlen schienen ihr gerade ins Antlitz, weshalb einer der Schwäne über
ihrem Haupt einherschwebte, um ihr mit seinen breiten Flügeln kühlen Schatten
zu gewähren.
Sie waren schon weit vom Lande weg, als Elise erwachte. Sie glaubte noch zu
träumen, so wunderbar kam es ihr vor, über das Meer hoch durch die Luft
getragen zu werden. Ihr zur Seite lag ein Zweig mit herrlichen reifen Beeren und
ein Bund wohlschmeckender Wurzeln. Diese hatte der jüngste der Brüder
gesammelt und für sie hingelegt, und dankbar lächelte sie ihn an, denn sie
erkannte, daß er es war, der über ihrem Haupte einherflog und sie mit den
Flügeln beschattete.
Sie schwebten so hoch, daß das erste Schiff, welches sie unter sich erblickten,
ihnen wie eine Möve vorkam, die auf dem Wasser lag. Eine große Wolkenmasse
stand hinter ihnen, bergehoch aufgetürmt, und auf dieser gewahrte Elise ihren
eigenen Schatten und den der elf Schwäne, der in Riesengröße ihren eilenden
Flug begleitete. Den ganzen Tag flogen sie, wie ein sausender Pfeil durch die
Luft geht, aber doch ging es jetzt, wo sie die Schwester zu tragen hatten,
bedeutend langsamer als sonst. Da zog sich ein Unwetter zusammen und der
Abend näherte sich. Ängstlich sah Elise die Sonne mehr und mehr sinken, und
noch immer war die einsame Klippe im Meere nicht zu erblicken. Es kam ihr
vor, als ob die Schwäne stärkere Flügelschläge machten. Die schwarze
Wolkenmasse kam näher und näher, die starken Windstöße verkündeten einen
Sturm. Die Wolken hatten sich in einer einzigen großen, Unheil drohenden
Masse zusammengeballt, die sich bleiförmig vorwärts schob. Blitz leuchtete auf
Blitz.
Jetzt hatte die Sonne den Meeresspiegel erreicht. Elisen klopfte das Herz. Da
schossen die Schwäne hinab, so schnell, daß sie zu fallen vermeinte. Aber jetzt
schwebten sie wieder. Die Sonne war schon zur Hälfte unter das Wasser
getaucht, da bemerkte sie erst die kleine Klippe unter sich. Sie sah nicht größer
als ein Seehund aus, der den Kopf aus dem Wasser erhebt. Die Sonne sank
schnell; nur ein schmaler Streifen blitzte noch über dem Wasser hervor, da
berührte ihr Fuß festen Boden. Das Sonnenlicht erlosch wie der letzte Funken
eines brennenden Papieres. Arm in Arm sah sie ihre Brüder um sich stehen, aber
mehr Platz, als unabweislich für diese und sie erforderlich war, fand sich auch
nicht. Die See schlug gegen die Klippe und ergoß sich wie ein Regenguß über
sie; der Himmel leuchtete, als wenn er in Flammen stände und der Donner rollte
Schlag auf Schlag. Aber Schwester und Brüder hielten einander fest an den
Händen und blieben getrost und mutig.
Als der Tag graute, war die Luft rein und still. Sobald die Sonne sich erhob,
flogen die Schwäne mit Elisen von der Insel fort. Das Meer ging noch hoch, so
daß es, als sie hoch in der Luft schwebten, ihnen vorkam, als ob der weiße
Schaum auf der dunkelgrünen See Millionen Schwäne wären, die sich auf dem
Wasser schaukelten.
Als die Sonne höher stieg, erblickte Elise vor sich ein Bergland, halb
schwimmend in der Luft, mit glitzernden Eismassen auf den Felsen, und mitten
auf denselben dehnte sich ein wohl meilenlanges Schloß aus mit einem kühnen
Säulengange über dem andern. In der Tiefe wogten Palmenwälder und prächtige
Blumen wie Mühlräder groß. Sie erkundigte sich, ob dies Land das Ziel ihrer
Reise wäre, aber die Schwäne schüttelten den Kopf, denn was sie sah, war das
herrliche, beständig wechselnde Wolkenschloß der Fee Fata Morgana. Sie
schaute aufmerksamer hin und es war nur der Meeresnebel, der sich über das
Wasser hinwälzte. Nun gewahrte sie auch bald das wirkliche Land, dem sie
zueilten. Dort erhoben sich herrliche blaue Berge mit Zedernwäldern, Städten
und Schlössern. Lange vor Sonnenuntergang saß sie auf dem Felsen vor einer
großen Höhle, welche mit feinen grünen Schlingpflanzen bewachsen war; sie
nahmen sich wie gestickte Teppiche aus.
„Nun wollen wir sehen, was du heute Nacht hier träumen wirst!“ sagte der
jüngste Bruder und führte sie in ihr Schlafzimmer.
„O möchte ich doch träumen, wie ich euch erlösen kann!“ erwiderte sie. Dieser
Gedanke beschäftigte sie so lebhaft, sie bat Gott so innig um seine Hilfe, ja
selbst im Schlaf betete ihr Geist weiter, daß es ihr endlich vorkam, als flöge sie
hoch in die Luft zu Fata Morganas Wolkenschlosse, und die Fee käme ihr
entgegen, schön und glänzend. Und doch glich sie auch wieder der alten Frau,
die ihr im Walde Beeren gegeben und von den Schwänen mit den goldenen
Kronen erzählt hatte.
„Deine Brüder können erlöst werden!“ sprach sie, „hast du aber auch Mut und
Ausdauer? Wohl ist das Meer weicher als deine feinen Hände und formt doch die
harten Steine um, aber es fühlt nicht den Schmerz, den deine Finger fühlen
werden. Siehst du diese Brennessel, die ich in meiner Hand halte? Von derselben
Gattung wachsen viele um die Höhle, in welcher du schläfst. Nur diese und
solche, welche aus den Gräbern des Friedhofs hervorsprossen, kannst du
brauchen. Merke das; diese mußt du pflücken, wenn sie deine Hand auch voll
Blasen brennen werden. Brichst du nun die Nesseln mit deinen Füßen, so erhältst
du Flachs, aus dem du elf Panzerhemden mit langen Ärmeln flechten und binden
mußt; wirf diese über die elf Schwäne, so ist der Zauber gelöst. Aber sei dessen
wohl eingedenk, daß du von Beginn bis zur Beendigung dieser Arbeit, und
sollten Jahre dazwischen liegen, nicht sprechen darfst; das erste Wort, welches
über deine Lippen kommt, fährt wie ein tötender Dolch in das Herz deiner
Brüder; an deiner Zunge hängt ihr Leben!“ Zugleich berührte sie Elisens Hand
mit der Nessel; diese brannte wie glühendes Feuer, so daß die Prinzessin vor
Schmerz erwachte. Es war heller, lichter Tag und dicht neben der Stelle, wo sie
geschlafen hatte, lag eine Nessel gleich der, welche sie im Traume gesehen hatte.
Da fiel sie auf ihre Kniee, dankte dem lieben Gott und trat aus der Höhle, um
sofort ihre Arbeit zu beginnen.

Mit ihren feinen Händen griff sie hinunter in die häßlichen Nesseln, die sich wie
Feuer anfühlten. Große Blasen brannten sie an ihren Händen und Armen, aber
gerne wollte sie dies erleiden, konnte sie doch ihre lieben Brüder dadurch
erlösen. Sie brach jede Nessel mit ihren nackten Füßen und flocht den grünen
Flachs.
Als die Sonne untergegangen war, kamen die Brüder und erschraken, als sie
Elise stumm fanden. Zunächst hielten sie es für eine neue Bezauberung ihrer
bösen Stiefmutter, als sie aber ihre Hände sahen, begriffen sie, was sie um
ihretwillen vorhatte.
Die ganze erste Nacht brachte sie bei ihrer Arbeit zu, denn es ließ ihr keine
Ruhe, ehe sie nicht die lieben Brüder erlöst hatte. Den ganzen folgenden Tag saß
sie, während die Schwäne fort waren, in ihrer Einsamkeit, aber nie war ihr die
Zeit so schnell verflogen. Ein Panzerhemd war schon fertig und nun begann sie
das zweite.
Da ließ sich zwischen den Bergen der Klang eines Jagdhorns vernehmen. Sie
wurde ängstlich, der Ton kam immer näher; sie hörte Hundegebell. Erschreckt
zog sie sich in die Höhle zurück, band die Nesseln, die sie gesammelt und
gehechelt hatte, in ein Bund und setzte sich darauf.
Plötzlich kam ein großer Hund aus dem Gesträuch gesprungen, bald kamen noch
mehrere und nach wenigen Minuten stand eine Gruppe Jäger vor dem
Höhleneingang. Der schönste derselben, der König des Landes, redete Elise an:
„Wo bist du hergekommen, du herrliches Kind?“
Elise schüttelte den Kopf, sie durfte ja nicht reden, denn es galt ihrer Brüder
Leben und Erlösung. Ihre Hände verbarg sie unter der Schürze, damit der König
nicht sähe, was sie zu leiden hätte.
„Begleite mich!“ begann er von neuem; „hier darfst du nicht bleiben. Bist du
ebenso gut, wie du schön bist, so will ich dich in Seide und Samt kleiden und dir
die goldene Krone auf das Haupt setzen.“ Sie weinte und rang ihre Hände, aber
der König sagte: „Ich will nur dein Glück, einst wirst du mir dafür danken!“
Dann stürmte er vorwärts zwischen den Bergen hindurch, hielt sie vor sich auf
dem Pferde und die Jäger jagten hinterher.
Als die Sonne niedersank, lag die prächtige Königsstadt mit ihren Kirchen und
Kuppeln vor ihnen, und der König führte sie in sein Schloß, wo in hohen
Marmorsälen große Wasserkünste plätscherten, wo Wände und Decken mit
Gemälden verziert waren, aber sie hatte keine Augen dafür, sie weinte und
trauerte. Willenlos duldete sie, daß die Frauen ihr königliche Kleider anlegten,
ihr Perlen in das Haar flochten und feine Handschuhe über die verbrannten
Finger zogen.
Als sie in aller ihrer Pracht dastand, war sie so blendend schön, daß sich der Hof
noch tiefer vor ihr verneigte, und der König erwählte sie zu seiner Braut, obwohl
der Erzbischof den Kopf schüttelte und meinte, das schöne Waldmädchen wäre
sicher eine Hexe. Doch der König hörte nicht darauf, ließ die Musik erklingen
und sie wurde durch duftende Gärten in die prächtigsten Säle hineingeführt.
Aber nicht ein Lächeln glitt über ihren Mund oder strahlte aus ihren Augen. Nun
öffnete der König ein kleines Zimmer dicht daneben, wo sie schlafen sollte. Es
war mit köstlichen grünen Teppichen ausgeschmückt und ähnelte vollkommen
der Höhle, in welcher der König sie gefunden hatte. Auf dem Fußboden lag das
Bund Flachs, welchen sie aus den Nesseln gesponnen hatte, und unter der Decke
hing das Panzerhemd, welches schon fertig gestrickt war. Alles dies hatte einer
der Jäger als Merkwürdigkeit mitgenommen.
„Hier kannst du dich in deine frühere Heimat zurückträumen!“ sprach der König.
„Hier ist die Arbeit, die dich dort beschäftigte. Jetzt, mitten in deiner Pracht,
wird es dich unterhalten, an die vergangene Zeit zurückzudenken.“
Als Elise das erblickte, was ihrem Herzen so nahe lag, spielte ein Lächeln um
ihren Mund und das Blut kehrte in ihre Wangen zurück; sie dachte an die
Erlösung ihrer Bruder, küßte dem Könige die Hand, und er drückte sie an sein
Herz und ließ durch alle Kirchenglocken das Hochzeitsfest verkündigen. Das
schöne, stumme Mädchen aus dem Walde ward die Königin des Landes. Der
Erzbischof selbst mußte ihr die Krone auf das Haupt setzen und in seinem
Unwillen drückte er ihr den engen Reifen so fest auf die Stirne, daß es ihr
Schmerzen verursachte.
Ihr Mund war stumm, hätte doch ein einziges Wort ihren Brüdern das Leben
gekostet, allein ihre Augen spiegelten ihre innige Zärtlichkeit gegen den guten,
schönen König wieder, der alles that, um sie zu erfreuen. Hätte sie sich ihm nur
anvertrauen, ihm ihr Leid gestehen dürfen! Nun aber mußte sie stumm sein,
mußte stumm ihr Werk vollenden. Deshalb schlich sie sich nachts in ihr
verstecktes Kämmerlein, welches wie die Höhle ausgeschmückt war, und
strickte ein Panzerhemd nach dem andern fertig; als sie jedoch das siebente
begann, hatte sie keinen Flachs mehr.
Wie sie wußte, wuchsen die Nesseln, welche sie allein verwenden durfte, auf
dem Friedhofe, aber sie mußte sie selbst pflücken; wie sollte sie das anfangen?
„Ich muß es wagen, der liebe Gott wird seine Hand nicht von mir abziehen!“
dachte sie.
Mit einer Herzensangst, als hätte sie eine böse That vor, schlich sie sich in einer
mondhellen Nacht in den Garten hinunter und ging durch die langen Baumwege
und einsamen Straßen nach dem Friedhofe hinaus. Dort erblickte sie auf einem
der breitesten Leichensteine einen Kreis häßlicher Hexen. Elise mußte dicht bei
ihnen vorüber, und sie hefteten ihre bösen Blicke auf sie, aber sie betete,
sammelte die brennenden Nesseln und nahm sie mit sich nach dem Schlosse.
Nur ein einziger Mensch hatte sie hierbei gesehen, der Erzbischof; er war noch
wach, wenn die andern schliefen. Es hatte sich seine Meinung nun doch bewährt,
daß es mit ihr nicht stände, wie es mit einer Königin stehen sollte. Sie war eine
Hexe und darum hatte sie den König und das ganze Volk bethört. Er erzählte
dem Könige, was er gesehen hatte und was er befürchtete. Da rollten dem
Könige zwei schwere Thränen über die Wangen herunter. Er that des Nachts, als
ob er schliefe, aber es kam kein ruhiger Schlaf in seine Augen; er merkte, wie
Elise aufstand, wie sie dieses jede Nacht wiederholte, und jedesmal ging er ihr
leise nach und sah, daß sie in ihrer Kammer verschwand.
Tag für Tag wurde seine Miene finsterer. Elise sah es wohl, begriff aber nicht
weshalb. Doch ängstigte sie dieses Benehmen, und was litt sie nicht erst in ihrem
Herzen um ihrer Brüder willen. Auf den königlichen Sammet und Purpur rannen
ihre bitteren Thränen nieder. Inzwischen war ihre Arbeit nun bald vollendet, nur
ein Panzerhemd fehlte noch, aber sie hatte nun keinen Flachs mehr und nicht
eine einzige Nessel. Einmal, nur dieses letztemal noch, mußte sie deshalb zum
Friedhofe hinaus wandern und einige Hände voll pflücken.
Elise ging, aber der König und der Erzbischof folgten ihr und sahen sie in die
Kirchhofspforte hineintreten und verschwinden. Als sie sich derselben näherten,
erblickten sie auf den Grabsteinen die Hexen, wie sie Elise erblickt hatte, und
der König wandte sich ab, denn er vermutete die Königin unter ihnen.
„Das Volk möge sie verurteilen!“ sagte er, und das Volk verurteilte sie zum
Scheiterhaufen.
Aus den prächtigen Königssälen wurde sie in ein finsteres, feuchtes Loch
geschleppt, in welches der Wind durch das Gitterfenster hineinpfiff; anstatt des
Sammets und der Seide gab man ihr das Bund Nesseln, welches sie gesammelt
hatte, darauf konnte sie ihr Haupt legen. Die harten, brennenden Panzerhemden,
welche sie gestrickt hatte, sollten ihr statt Kissen und Decke dienen, doch konnte
man ihr nichts Lieberes schenken. Sie nahm ihre Arbeit wieder auf und betete
dabei inbrünstig zu Gott.
Da sauste gegen Abend dicht am Gitter ein Schwanenflügel, es war der jüngste
der Brüder, der endlich die Schwester aufgefunden hatte. Laut schluchzte sie auf
vor Freude, obgleich sie wußte, daß die kommende Nacht vielleicht die letzte
war, die sie zu leben hatte. Aber jetzt war ihre Arbeit ja auch beinahe vollendet
und ihre Brüder waren hier.
Die kleinen Mäuse liefen über den Fußboden, schleppten die Nesseln bis zu
ihren Füßen hin, um doch auch ein wenig zu helfen, und die Drossel setzte sich
an das Gitter des Fensters und sang so lustig sie konnte, damit Elise den Mut
nicht verlieren sollte.
Es begann gerade zu dämmern, erst in einer Stunde sollte die Sonne aufgehen,
da standen die elf Brüder vor dem Portale des Schlosses und verlangten, vor den
König geführt zu werden. Das könnte nicht geschehen, erhielten sie aber zur
Antwort, es wäre ja noch Nacht, der König schliefe und dürfte nicht geweckt
werden. Sie baten, sie drohten, die Wache kam, ja selbst der König trat aus
seinem Schlafzimmer und fragte, was das zu bedeuten hätte, aber in dem
Augenblicke stieg strahlend die Sonne empor und nun war kein Bruder mehr zu
sehen, aber über das Schloß hinweg flogen elf wilde Schwäne.
Auf einem schlechten Karren wurde die arme Königin zur Richtstätte geführt;
sie trug ein häßliches, graues Gewand, ihr langes Haar wallte aufgelöst um das
schöne Haupt, ihre Wangen waren leichenblaß, ihre Lippen bewegten sich leise,
während ihre Finger den grünen Flachs flochten. Selbst auf ihrem Todeswege
unterbrach sie die begonnene Arbeit nicht, die zehn Panzerhemden lagen zu
ihren Füßen, an dem elften strickte sie.
„Seht nur die Hexe an,“ rief das Volk; „mit ihrem häßlichen Zauberwerk sitzt sie
da. Reißt es ihr in tausend Stücke!“
Alle drängten auf sie ein und wollten es ihr zerreißen. Da kamen elf weiße
Schwäne geflogen, die setzten sich rings um sie auf den Karren und schlugen mit
ihren großen Schwingen. Da wich der Haufen erschrocken zur Seite.
„Das ist ein Zeichen vom Himmel! Sie ist sicherlich unschuldig!“ flüsterten
viele, wagten es aber nicht laut auszusprechen.
Nun ergriff sie der Büttel bei der Hand; da warf sie eiligst den Schwänen die elf
Hemden über und plötzlich standen elf stattliche Prinzen da, aber der jüngste
hatte anstatt des einen Armes einen Schwanenflügel, denn seinem Panzerhemde
fehlte ein Ärmel, den sie noch nicht vollendet hatte.
„Nun darf ich sprechen!“ rief sie aus, „ich bin unschuldig!“
„Ja, unschuldig ist sie!“ sagte der älteste Bruder und erzählte dann alles, was
geschehen war, und während er sprach, verbreitete sich ein Duft wie von
tausenden von Rosen, denn jedes Stück Brennholz des Scheiterhaufens hatte
Wurzel geschlagen und Zweige getrieben. Da stand eine duftende Hecke, hoch
und groß mit roten Rosen; zu alleroberst aber wiegte sich eine Blume, weiß und
leuchtend, die wie ein Stern erglänzte. Diese brach der König, steckte sie Elisen
vor die Brust und nun erwachte sie mit Frieden und Glückseligkeit in ihrem
Herzen.
Alle Kirchenglocken läuteten von selbst und die Vögel kamen in großen
Schwärmen; es wurde ein Hochzeitszug zurück zum Schlosse, wie ihn noch kein
König gesehen hatte.

Die
glückliche Familie.
as größte von allen Blättern ist wohl das Klettenblatt; ein Kind kann es als
Schürze oder als Regenschirm benutzen; aber eine Schnecke ißt es am liebsten
auf; es ist ihre Lieblingsspeise. Daher hatte man in der Nähe eines Edelsitzes
Kletten gesät, weil die Schnecken wiederum eine Lieblingsspeise der
Herrschaften auf dem Edelhofe waren. Aber diese waren gestorben, das Schloß
war verfallen, der Garten verwildert; nur die Kletten wucherten fort, sie bildeten
einen dichten Klettenwald und in diesem wohnten die beiden letzten uralten
Schnecken.
Wie alt sie waren, wußten sie selbst nicht, konnten sich aber dessen noch ganz
gut entsinnen, daß ihrer weit mehr gewesen waren, daß sie von einer aus
fremden Ländern eingewanderten Familie abstammten und daß für sie und die
Ihrigen der ganze Wald angepflanzt war. Sie waren über denselben nie
hinausgekommen; gleichwohl war es ihnen nicht unbekannt, daß noch etwas zu
der Welt gehörte, was Rittergut hieß. Dort oben wurde man gekocht, wovon man
schwarz wurde, und dann wurde man auf eine silberne Schüssel gelegt; was
dann aber weiter geschah, wußten sie nicht. Was das übrigens zu bedeuten hätte,
gekocht zu werden und auf silberner Schüssel zu liegen, konnten sie sich nicht
vorstellen, nur sagte ihnen ein dunkles Gefühl, daß das etwas Herrliches und
überaus Vornehmes sein müßte.
Die alten weißen Schnecken waren die vornehmsten in der Welt, wie sie sehr
wohl wußten; lediglich um ihretwillen war der Wald da, und das Rittergut war
da, damit sie gekocht und auf silberne Schüsseln gelegt werden konnten.
Sie lebten jetzt sehr einsam und glücklich, und da sie selbst ohne Kinder waren,
so hatten sie eine kleine gewöhnliche Schnecke an Kindesstatt angenommen.
Der Kleine wollte indes nicht wachsen, da er zu niedriger Abkunft war. Aber die
Alten, besonders die Schneckenmutter, meinten doch, eine Zunahme merken zu
können, und letztere bat den Vater, er möchte nur das kleine Schneckenhaus
befühlen, und das that er und fand, daß die Mutter recht hatte. —
„Höre nur, wie es heute auf die Kletten plätschert!“ sagte an einem Regentage
der Schneckenvater. „Ich bin nur froh, daß wir unser gutes Haus haben und der
Kleine auch das seinige. Für uns ist allerdings besser gesorgt als für alle übrigen
Geschöpfe, woraus du ersiehst, daß uns die Herrschaft in der Welt gehört! Von
Geburt an besitzen wir ein Haus und der Klettenwald ist um unsertwillen
angepflanzt worden!“ — „Ich möchte nur wissen, was außerhalb desselben ist!“
meinte die Schneckenmutter.
„Außerhalb ist nichts! Das Schloß ist vielleicht eingestürzt!“ sagte der
Schneckenvater, „oder der Klettenwald ist darüber hinweggewachsen, so daß die
Menschen nicht mehr heraus können!“
„Hast du auch schon daran gedacht, wo wir eine Frau für unsern Kleinen
herbekommen könnten?“ fragte die Schneckenmutter. „Glaubst du nicht, daß
weit, weit in den Klettenwald hinein sich noch jemand unserer Art finden
sollte?“
„Schwarze Schnecken, meine ich, werden wohl zahlreich vorhanden sein,“ sagte
der Alte, „schwarze Schnecken ohne Haus, aber die gehören trotz ihrer
Eingebildetheit zu dem gemeinen Volke. Wir könnten jedoch die Ameisen damit
beauftragen; sie laufen, als wenn sie etwas zu thun hätten, regelmäßig hin und
her; sie wissen gewiß eine Frau für unser Schneckchen!“
„Ich weiß freilich die allerschönste!“ sagte eine Ameise; „aber ich befürchte, es
wird sich nicht machen, da es sich um eine Königin handelt!“ — „Das thut
nichts!“ sagten die Alten. „Hat sie ein Haus?“ — „Sie hat ein Schloß!“ sagte die
Ameise. „Das schönste Ameisenschloß mit siebenhundert Gängen.“ — „Nein,
besten Dank!“ sagte die Schneckenmutter, „unser Sohn soll nicht in einen
Ameisenhaufen! Wißt ihr nichts Besseres, so wollen wir uns an die weißen
Mücken wenden; sie fliegen in Regen und Sonnenschein weit umher und kennen
den Klettenwald von innen und von außen!“
„Wir haben eine Frau für ihn!“ sagten die Mücken. „Hundert Menschenschritte
von hier sitzt auf einem Stachelbeerstrauche eine kleine Schnecke mit einem
Hause.“ — „Gut, laßt sie zu ihm kommen!“ sagten die Alten, „er hat einen
Klettenwald, sie hat nur einen Strauch!“
Da holten sie das kleine Schneckenfräulein. Das dauerte acht Tage, aber das war
gerade das Hervorragende dabei; damit bewies sie, daß echtes Schneckenblut in
ihr rollte.
Darauf wurde Hochzeit gefeiert. Sechs Leuchtkäfer leuchteten, so gut sie
vermochten; sonst verlief die Feierlichkeit in aller Stille, denn die alten
Schnecken konnten Schwärmen und Lustbarkeiten nicht leiden. Dagegen wurde
von der Schneckenmutter eine schöne Rede gehalten; der Vater war nicht dazu
im Stande, er war zu bewegt, und dann übergaben sie ihnen den ganzen
Klettenwald als Erbteil und wiederholten, was sie stets gesagt hatten, daß es das
Beste in der Welt wäre, wenn sie und ihre Kinder einst auf das Schloß kommen,
schwarz gekocht und auf eine silberne Schüssel gelegt werden würden.
Nach Schluß der Rede krochen die Alten in ihre Häuser und kamen nie wieder
heraus; sie schliefen. Das junge Schneckenpaar regierte im Walde und erhielt
eine zahlreiche Nachkommenschaft, nie aber wurden sie gekocht und nie kamen
sie auf eine silberne Schüssel, weshalb sie meinten, daß das Schloß eingestürzt
und alle Menschen in der Welt ausgestorben wären, und da ihnen niemand
widersprach, galt es natürlich als wahr. Der Regen schlug auf die Klettenblätter,
um ihnen eine Trommelmusik vorzumachen, und die Sonne leuchtete, um
ihretwegen den Klettenwald in ein Lichtmeer zu tauchen und sie waren sehr
glücklich und die ganze Familie war glücklich, und sie war es wirklich.

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Der Engel.
ei jedem guten Kinde, wenn es stirbt, steigt ein Engel Gottes auf die Erde nieder,
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nimmt das tote Kind auf seine Arme, breitet seine großen weißen Flügel aus,
fliegt über alle Stätten hin, die das Kind lieb gehabt hatte, und pflückt eine ganze
Hand voll Blumen, die er zu Gott hinaufbringt, damit sie dort noch schöner als
auf Erden blühen. Der liebe Gott drückt alle Blumen an sein Herz, aber der
Blume, die ihm am liebsten ist, gibt er einen Kuß und dadurch erhält sie Stimme
und vermag in der großen Glückseligkeit mitzusingen.
Sieh, dies alles erzählte ein Engel Gottes, als er ein totes Kind zum Himmel trug
und das Kind hörte es wie im Traume. Sie schwebten hin über die Stätten der
Heimat, wo das Kind gespielt hatte, und kamen durch Gärten mit herrlichen
Blumen.
„Welche wollen wir nun mitnehmen und in den Himmel pflanzen?“ fragte der
Engel.
Da stand ein schlanker, prächtiger Rosenstock, aber eine böse Hand hatte den
Stamm umgebrochen, so daß alle Zweige voll großer, halbaufgebrochener
Knospen verwelkt herabhingen.
„Der arme Rosenstock!“ sagte das Kind. „Ob er nur oben bei Gott zur Blüte
gelangen kann?“
Und der Engel nahm ihn, küßte aber das Kind dafür und das Kleine öffnete seine
Augen zur Hälfte. Sie pflückten von den reichen Prachtblumen, nahmen jedoch
auch die verachtete Goldblume und das wilde Stiefmütterchen mit.
„Jetzt haben wir Blumen!“ jubelte das Kind, und der Engel nickte. Es war Nacht
und überall herrschte Stille. Sie blieben in der großen Stadt und schwebten in
einer der schmalsten Gassen, wo allerhand Gerümpel umherlag, denn es war
Ziehtag gewesen.
Der Engel zeigte auf die Scherben eines Blumentopfes hinunter und auf einen
Klumpen Erde, der herausgefallen war und durch die Wurzeln einer großen,
verwelkten, und deshalb auf die Straße hinausgeworfenen Feldblume
zusammengehalten wurde.
„Die nehmen wir mit!“ sagte der Engel. „Ich will dir gleich erzählen, weshalb!“
Und nun flogen sie und der Engel erzählte:
„Dort unten in der engen Straße, in dem niedrigen Keller, wohnte ein armer,
kranker Knabe. Von Kindesbeinen an war er immer bettlägerig gewesen. Wenn
er sich am wohlsten fühlte, konnte er die kleine Stube auf Krücken ein paarmal
auf- und niedergehen; das war das Höchste. Während weniger Sommertage
fielen die Sonnenstrahlen ein halbes Stündchen in den Kellerflur hinein. Wenn
dann der arme Junge dasaß und die warme Sonne auf sich herniederscheinen
ließ, und durch seine feinen Finger, die er sich vor das Gesicht hielt, das rote
Blut hindurchschimmern sah, dann hieß es: „Heute ist er ausgewesen!“ Den
Wald in seinem herrlichen Frühlingsgrün kannte er nur dadurch, daß ihm des
Nachbars Sohn den ersten Buchenzweig brachte. Den hielt er über den Kopf und
träumte nun, unter Buchen zu ruhen, wo die Sonne schiene und die Vögel
sängen.
„An einem schönen Lenztage brachte ihm der Nachbarssohn mehrere
Feldblumen, worunter sich auch eine mit der Wurzel befand. Sie wurde in einen
Topf gepflanzt und an das Fenster dicht neben seinem Bette gestellt. Die Blume
war von einer glücklichen Hand gepflanzt, sie wuchs, trieb neue Schößlinge und
trug jedes Jahr ihre Blumen. Sie ersetzte dem kranken Knaben den schönsten
Garten, war sein kleiner Schatz auf dieser Erde. Er begoß und wartete sie und
sorgte dafür, daß sie jeglichen Sonnenstrahl, der durch das niedrige Fenster
hereinglänzte, bis auf den letzten erhielt. Die Blume wuchs selbst in seine
Träume hinein, denn für ihn allein wuchs sie, verbreitete sie ihren Duft und
erfreute sie das Auge. Ihr wandte er im Tode sein Antlitz zu, als der Herr ihn
rief.
„Ein ganzes Jahr ist er nun bei Gott gewesen. So lange hat die Blume vergessen
im Fenster gestanden und ist verdorrt und deshalb auf die Straße hinausgeworfen
worden. Und dies ist die arme verdorrte Blume, die wir mit in unseren Strauß
genommen haben, denn diese schlichte Blume hat mehr Freude gebracht als die
reichste Blume in dem Garten einer Königin.“
„Aber, woher weißt du dies alles?“ fragte das Kind, welches der Engel zum
Himmel emportrug. — „Ich weiß es!“ sagte der Engel, „ich war ja selbst der
kleine kranke Knabe. Sollte ich meine Blumen nicht kennen?“ Und das Kind
öffnete seine Augen nun ganz und schaute dem Engel in sein herrliches,
freundliches Antlitz.
In demselben Augenblicke waren sie in Gottes schönem Himmel, wo Freude und
Glückseligkeit war. Und Gott drückte das tote Kind an sein Herz und da erhielt
es Flügel wie der andere Engel und flog Hand in Hand mit ihm dahin. Gott
drückte alle die Blumen an sein Herz, aber die arme vertrocknete Feldblume
küßte er und sie erhielt Stimme und sang mit all den Engeln, die um Gott
schwebten, einige ganz nahe, andere in großen Kreisen um diese herum, immer
weiter und weiter hinaus bis in die Unendlichkeit, alle aber gleich glücklich. Alle
sangen sie, Klein und Groß, das gute, nun so gesegnete Kind, wie die arme
Feldblume, die vertrocknet, im Kehricht mit hinausgeworfen, in der engen,
dunklen Straße dagelegen hatte.

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Der standhafte Zinnsoldat.


Es waren einmal fünfundzwanzig Zinnsoldaten, die alle Brüder waren, da man
sie aus einem und demselben alten Zinnlöffel gegossen hatte. Das Gewehr
hielten sie im Arm, das Gesicht vorwärts gegen den Feind gerichtet; rot und
blau, kurzum herrlich war die Uniform.
Das Allererste, was sie in dieser Welt hörten, nachdem der Deckel von der
Schachtel, in welcher sie lagen, abgenommen wurde, war das Wort:
„Zinnsoldaten!“ Das rief ein kleiner Knabe und klatschte vor Wonne in die
Hände. Er hatte sie zu seinem Geburtstage bekommen und stellte sie nun auf
dem Tisch in Schlachtordnung auf.
Der eine Soldat glich dem andern auf das Genaueste, nur ein einziger war etwas
verschieden: er hatte nur ein Bein, denn da er zuletzt gegossen worden, hatte das
Zinn nicht mehr ausgereicht; doch stand er auf seinem einen Beine eben so fest
wie die andern auf ihren beiden, und gerade er sollte sich durch sein
denkwürdiges Schicksal besonders auszeichnen.
Auf dem Tische, wo sie aufgestellt wurden, befand sich noch vieles andere
Spielzeug; aber dasjenige, welches am meisten die Aufmerksamkeit auf sich
zog, war ein hübsches Schloß von Papier. Durch die kleinen Fenster konnte man
inwendig in die Säle hineinschauen. Vor demselben standen kleine Bäume, rings
um ein Stück Spiegelglas, welches einen See vorstellen sollte. Das war wohl
alles niedlich, aber das Niedlichste blieb doch ein kleines Mädchen, welches vor
dem offenen Schloßportale stand. Es war ebenfalls aus Papier ausgeschnitten,
hatte aber ein seidenes Kleid an und ein kleines, schmales, blaues Band über den
Schultern; mitten auf diesem saß ein funkelnder Stern, so groß wie ihr ganzes
Gesicht. Das kleine Mädchen streckte ihre beiden Arme anmutig in die Höhe,
denn sie war eine Tänzerin, und dann erhob sie das eine Bein so hoch, daß es der
Zinnsoldat gar nicht entdecken konnte und dachte, daß sie, wie er, nur Ein Bein
hätte.
„Die paßte für mich als Frau!“ dachte er, „aber sie ist zu vornehm für mich, sie
wohnt in einem Schlosse, und ich habe nur eine Schachtel, die ich mit
vierundzwanzig teilen muß, das ist keine Wohnung für sie. Doch will ich
zusehen, ob ich ihre Bekanntschaft machen kann!“ Dann legte er sich der Länge
nach hinter eine Schnupftabaksdose, die auf dem Tische stand. Von hier konnte
er die kleine feine Dame, die nicht müde wurde, auf einem Bein zu stehen, ohne
das Gleichgewicht zu verlieren, genau beobachten.
Als es Abend wurde, legte man die übrigen Zinnsoldaten in ihre Schachtel und
die Leute im Hause gingen zu Bette. Nun begann das Spielzeug zu spielen, der
Nußknacker schlug Purzelbäume und der Griffel fuhr lustig über die Tafel hin.
Es entstand ein Lärm, daß der Kanarienvogel aufwachte und seinen Gesang mit
hineinschmetterte. Die beiden Einzigen, welche sich nicht von der Stelle
bewegten, waren der Zinnsoldat und die kleine Tänzerin. Sie stand kerzengerade
auf der Zehenspitze und hatte beide Arme erhoben; er war auf seinem Einen
Bein ebenso standhaft, nicht einen Augenblick wandte er seine Augen von
ihr ab.
Jetzt schlug es Mitternacht und klatsch! sprang der Deckel von der
Schnupftabaksdose, aber nicht etwa Schnupftabak war darin, nein, sondern ein
kleiner schwarzer Kobold; das war ein Kunststück.
„Zinnsoldat!“ sagte der Kobold, „du wirst dir noch die Augen aussehen!“ —
Aber der Zinnsoldat that, als ob er nichts gehört hätte. — „Ja, warte nur bis
morgen!“ rief ihm dann der Kobold noch zu.
Als es nun Morgen ward und die Kinder aufstanden, wurde der Zinnsoldat in das
offene Fenster gestellt, und war es nun der Kobold oder ein Zugwind, gleichviel,
plötzlich flog das Fenster auf und der Soldat fiel aus dem dritten Stockwerke
häuptlings hinunter. Das war ein schrecklicher Sturz. Er streckte sein Eines Bein
gerade in die Luft und blieb auf dem Helme, das Bajonett nach unten, zwischen
den Pflastersteinen stecken.
Die Dienstmagd und der kleine Knabe liefen sogleich hinunter, um ihn zu
suchen; aber obgleich sie beinahe auf ihn getreten hätten, konnten sie ihn doch
nicht erblicken.
Nun begann es zu regnen; Tropfen folgte auf Tropfen, bis es ein tüchtiger
Platzregen wurde; als er vorüber war, kamen zwei Straßenjungen dorthin.
„Sieh, sieh!“ sagte der eine, „da liegt ein Zinnsoldat, der muß hinaus und
segeln!“
Nun machten sie ein Boot aus Zeitungspapier, setzten den Zinnsoldaten mitten
hinein und ließen ihn den Rinnstein hinunter segeln. Beide Knaben liefen
nebenher und klatschten in die Hände. Hilf Himmel, was für Wellen erhoben
sich in dem Rinnstein und welch reißender Strom war da! Ja, es mußte ein
wahrer Platzregen heruntergekommen sein. Das Papierboot schwankte auf und
nieder und bisweilen drehte es sich im Kreise, daß den Zinnsoldaten ein Schauer
überlief. Trotzdem blieb er standhaft, verfärbte sich nicht, sah geradeaus und
behielt das Gewehr im Arm.
Plötzlich trieb das Boot unter eine lange Rinnsteinbrücke; hier war es so dunkel
wie in seiner Schachtel. „Wo mag ich jetzt nur hinkommen?“ dachte er. „Ja, ja,
das ist des Kobolds Schuld!“
In diesem Augenblicke erschien eine Wasserratte, welche unter der
Rinnsteinbrücke wohnte.
„Hast du einen Paß?“ fragte die Ratte. „Her mit dem Passe!“
Aber der Zinnsoldat schwieg still und hielt sein Gewehr nur noch fester. Das
Boot fuhr weiter und die Ratte hinterher. Hu! wie sie mit den Zähnen knirschte
und den Spänen und dem Stroh zurief: „Haltet ihn auf! Er hat keinen Zoll
bezahlt, er hat keinen Paß vorgezeigt!“
Aber die Strömung wurde stärker und stärker; der Zinnsoldat konnte, schon ehe
er das Ende des Brettes erreichte, den hellen Tag erblicken, aber er hörte
zugleich einen brausenden Ton, der auch eines tapferen Mannes Herzen
erschrecken konnte. Denkt euch, der Rinnstein stürzte am Ende der Brücke
gerade in einen großen, breiten Kanal hinab, was ihm gleiche Gefahr bringen
mußte als uns, wollten wir Menschen einen großen Wasserfall hinuntersegeln.
Er war jetzt schon so nahe dabei, daß er nicht mehr anzuhalten vermochte. Das
Boot fuhr hinab, der arme Zinnsoldat hielt sich, so gut es gehen wollte, aufrecht.
Niemand sollte ihm nachsagen können, daß er auch nur mit den Augen geblinkt
hätte. Das Boot drehte sich drei-, viermal um sich selbst und füllte sich dabei bis
zum Rande mit Wasser, es mußte sinken. Der Zinnsoldat stand bis zum Halse im
Wasser, und tiefer und tiefer sank das Boot. Mehr und mehr löste sich das Papier
auf; jetzt ging das Wasser schon über des Soldaten Haupt, — da dachte er an die
kleine, niedliche Tänzerin, die er nie mehr erblicken sollte; und es klang vor des
Zinnsoldaten Ohren:
„Morgenrot, Morgenrot,
Leuchtest mir zum frühen Tod.“
Nun zerriß das Papier und der Zinnsoldat fiel hindurch, wurde aber in demselben
Augenblicke von einem großen Fische verschlungen.
Nein, wie finster war es da drinnen; da war es noch schlimmer als unter der
Rinnsteinbrücke und vor allen Dingen so gar eng. Gleichwohl war der
Zinnsoldat standhaft und lag, so lang er war, mit dem Gewehre im Arme.
Der Fisch fuhr umher und machte die entsetzlichsten Bewegungen; endlich
wurde es ganz still, und wie ein Blitzstrahl fuhr es durch ihn hin. Dann drang ein
heller Lichtglanz hinein und jemand rief laut: „Ein Zinnsoldat!“ Der Fisch war
gefangen, auf den Markt gebracht und verkauft worden und so in die Küche
hinausgewandert, wo ihn die Magd mit einem großen Messer aufschnitt. Sie
faßte den Soldaten mitten um den Leib und trug ihn in die Stube hinein, wo
sämtliche den merkwürdigen Mann sehen wollten, der im Magen eines Fisches
umhergereist war; der Zinnsoldat war jedoch darauf gar nicht stolz. Man stellte
ihn auf den Tisch und da — nein, wie wunderlich kann es doch in der Welt
zugehen, befand sich der Zinnsoldat in der nämlichen Stube, in der er vorher
gewesen war, er sah die nämlichen Kinder und das nämliche Spielzeug stand auf
dem Tische: das herrliche Schloß mit der niedlichen kleinen Tänzerin. Sie hielt
sich immer noch auf dem einen Beine und hatte das andere hoch in der Luft, sie
war ebenfalls standhaft. Das rührte den Zinnsoldaten so, daß er beinahe Zinn
geweint hätte, aber das schickte sich nicht. Er sah sie und sie sah ihn an, aber sie
sagten einander nichts.
Plötzlich ergriff der eine der kleinen Knaben den Zinnsoldaten und warf ihn
geradewegs in den Ofen hinein, obgleich hierzu eigentlich gar kein Grund
vorlag; doch gewiß hatte es ihm der Kobold in der Dose eingegeben.
Der Zinnsoldat stand mitten im Feuer und fühlte eine ganz entsetzliche Hitze.
Die Farben waren von ihm abgegangen, ob das von den Reisestrapazen herrührte
oder vom Kummer, wußte er nicht. Er sah das Dämchen an und fühlte, wie er
schmolz; aber noch stand er aufrecht und hielt sein Gewehr im Arm. Da ging
plötzlich eine Thür auf, ein Windhauch erfaßte die Tänzerin und diese flog
gleich einer Sylphe in den Ofen zum Zinnsoldaten, loderte auf und war dahin.
Da schmolz auch der Zinnsoldat zu einem Klumpen, und als die Magd am
nächsten Morgen die Asche aus dem Ofen nahm, fand sie ihn gestaltet wie ein
kleines Herz. Von der Tänzerin war nichts übrig als der Flitterstern, der schwarz
gebrannt war.

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Des Kaisers Nachtigall.


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as Schloß des Kaisers von China war das prächtigste in der Welt, durch und
durch von feinem Porzellan. Im Garten sah man die herrlichsten und
merkwürdigsten Blumen und an den allerprächtigsten waren silberne Glocken
befestigt, die fortwährend tönten, damit man nicht vorüberginge, ohne die
Blumen zu bemerken. Alles war in des Kaisers Garten auf das Geschmackvollste
und Kunstreichste ausgegrübelt und er erstreckte sich so weit, daß selbst der
Gärtner das Ende desselben nicht kannte.
Aus dem Garten gelangte man in einen Wald, und dieser stieß an das Meer,
welches blau und tief war. Große Schiffe konnten unter den überhängenden
Zweigen hinsegeln, und in diesen wohnte eine Nachtigall, welche so himmlisch
schön sang, daß selbst der arme Fischer, der vollauf von seinem Geschäft in
Anspruch genommen war, still lag und lauschte, wenn er nachts ausgefahren
war, sein Netz aufzuziehen und dann die Nachtigall hörte. „Mein Gott’, wie ist
das schön!“ sagte er, dann aber mußte er seinem Gewerbe nachgehen und vergaß
den Vogel. Doch wenn derselbe in der nächsten Nacht wieder sang, und der
Fischer dorthin kam, wiederholte er: „Mein Gott, wie ist das doch schön!“
Von allen Ländern der Welt kamen Reisende nach der Stadt des Kaisers und
bewunderten dieselbe, das Schloß und den Garten; vernahmen sie aber die
Nachtigall, dann sagten sie alle: „Das ist doch das Allerbeste!“
Die Reisenden erzählten davon nach ihrer Heimkunft, und die Gelehrten
schrieben Bücher über die Stadt, das Schloß und den Garten, aber die Nachtigall
vergaßen sie nicht, der wurde das Hauptkapitel gewidmet; und die, welche
dichten konnten, schrieben die herrlichsten Gedichte über die Nachtigall im
Walde bei der tiefen See.
Die Bücher wurden in alle Sprachen übersetzt und einige gerieten dann auch
einmal dem Kaiser in die Hände. Er saß in seinem goldenen Stuhl, las und las
und nickte jeden Augenblick mit dem Kopfe, denn es freute ihn, diese prächtigen
Beschreibungen von der Stadt, dem Schlosse und dem Garten zu vernehmen.
„Aber die Nachtigall ist doch das Allerbeste!“ stand da geschrieben.
„Was soll das heißen?“ fragte der Kaiser. „Die Nachtigall? Die kenne ich ja gar
nicht. Giebt es einen solchen Vogel in meinem Kaiserreiche und sogar in
meinem eigenen Garten? Davon habe ich nie gehört. So etwas muß man erst aus
Büchern erfahren!“
Darauf rief er seinen Kavalier. „Hier soll sich ja ein höchst merkwürdiger Vogel
aufhalten, der Nachtigall genannt wird!“ redete ihn der Kaiser an. „Man sagt,
daß er das Allerbeste in meinem großen Reiche ist! Weshalb hat man mir nie
etwas von demselben gesagt?“
„Ich habe ihn nie vorher nennen hören!“ sagte der Kavalier; „er ist nie bei Hofe
vorgestellt worden!“
„Ich will, daß er heute abend herkommt und vor mir singt!“ fuhr der Kaiser fort.
„Die ganze Welt weiß, was ich habe, und ich weiß es nicht.“
„Ich habe ihn nie vorher nennen hören!“ entgegnete der Kavalier, „aber ich
werde ihn suchen, ich werde ihn finden!“
Aber, wo war er zu finden? Der Kavalier lief treppauf und treppab, durch Säle
und Gänge, keiner von allen, die er traf, hatte von der Nachtigall je reden gehört;
und der Kavalier lief wieder zum Kaiser und behauptete, es müßte gewiß eine
Fabel der Buchschreiber sein.
„Ja, aber das Buch, in dem ich es gelesen habe,“ versetzte der Kaiser, „ist mir
von dem großmächtigen Kaiser von Japan geschickt worden und folglich ist es
keine Unwahrheit. Ich will die Nachtigall hören! Sie soll heute abend hier sein!
Sie steht in meiner allerhöchsten Gnade!“
Der Kavalier und mit ihm der halbe Hof suchten und fragten nun nach der
merkwürdigen Nachtigall, die alle Welt kannte, nur niemand bei Hofe.
Endlich trafen sie ein armes kleines Küchenmädchen. Sie sagte: „O Gott, die
Nachtigall! Die kenne ich gut! Ja, wie kann die singen! Jeden Abend darf ich
meiner Mutter einige Speisereste bringen. Sie wohnt unten am Meeresufer, und
wenn ich zurückkehre, müde bin und im Walde ruhe, dann höre ich die
Nachtigall singen. Die Thränen treten mir dabei in die Augen, es kommt mir
gerade so vor, als ob mich meine Mutter küßte!“
„Kleines Küchenmädchen!“ sagte der Kavalier, „ich will dir eine Anstellung in
der Schloßküche verschaffen, wenn du uns zur Nachtigall führst, denn sie ist
heute abend zum Gesang befohlen!“
Darauf zogen sie alle nach dem Wald hinaus, wo die Nachtigall zu singen
pflegte, der halbe Hof war mit. Als sie im besten Marsche waren, fing eine Kuh
zu brüllen an.
„Oh!“ sagte ein Hofjunker, „nun haben wir sie! Es steckt doch wirklich eine
ganz außerordentliche Kraft in einem so kleinen Tierchen. Ich habe sie sicher
schon früher einmal gehört!“
„Nein, das sind Kühe, welche brüllen!“ sagte das kleine Küchenmädchen; „wir
sind noch weit von der Stelle entfernt!“
Jetzt quackten Frösche im Sumpfe. „Herrlich!“ sagte der chinesische
Schloßbonze. „Nun höre ich sie, es klingt gerade wie kleine Glocken.“
„Nein, das sind die Frösche!“ versetzte das kleine Küchenmädchen. „Aber nun
werden wir sie, denke ich, bald hören.“ Da begann die Nachtigall zu schlagen.
„Das ist sie!“ rief das kleine Mädchen, „hört, hört, und dort sitzt sie!“ und dabei
zeigte sie auf einen kleinen, grauen Vogel oben in den Zweigen.
„Ist es möglich!“ sagte der Kavalier, „so einfach von Aussehen hätte ich sie mir
nicht vorgestellt!“
„Kleine Nachtigall!“ rief das kleine Küchenmädchen ganz laut, „unser
allergnädigster Kaiser wünscht, daß du vor ihm singst!“
„Mit größtem Vergnügen!“ sagte der Vogel, und sang gleich, daß es eine wahre
Lust war.
„Es klingt gerade wie Glasglocken!“ sagte der Kavalier, „und seht nur die kleine
Kehle, wie die sich anstrengt! Es ist merkwürdig, daß wir sie früher nie gehört
haben! Sie wird einen großen Erfolg bei Hofe haben!“
„Soll ich noch einmal vor dem Kaiser singen?“ fragte die Nachtigall, welche
glaubte, daß der Kaiser zugegen wäre.
„Meine vortreffliche, liebe Nachtigall!“ sagte der Kavalier, „ich habe die große
Freude, Sie zu einem Hoffeste heute abend zu befehlen, wo Sie Seine kaiserliche
Gnaden mit Ihrem reizenden Gesange bezaubern sollen!“
„Es nimmt sich im Grünen am besten aus!“ entgegnete die Nachtigall, aber sie
ging doch mit, als sie hörte, daß es der Kaiser wünschte.
Im Schlosse war alles im festlichen Staate. Wände und Fußboden, die von
Porzellan waren, erglänzten im Scheine vieler tausend goldener Lampen. Die
schönsten Blumen, die recht laut klingeln konnten, waren in den Gängen
aufgestellt. Da war ein Laufen und Rennen, und von dem starken Zugwind
klingelten alle Glocken, so daß man sein eigenes Wort nicht verstand.
Mitten in dem Saale, in welchem der Kaiser saß, war eine kleine, goldene Säule
aufgestellt, auf welcher die Nachtigall sitzen sollte. Der ganze Hof war dort
versammelt, und das kleine Küchenmädchen hatte die Erlaubnis erhalten, hinter
der Thür zu stehen, da ihr nun der Titel einer „wirklichen Hofköchin“ beigelegt
war.
Die Nachtigall sang so lieblich, daß dem Kaiser Thränen in die Augen traten; die
Thränen liefen ihm über die Wangen hinab, und nun sang die Nachtigall noch
schöner, daß es recht zu Herzen ging. Der Kaiser war so froh und zufrieden, daß
er zu bestimmen geruhte, die Nachtigall sollte einen goldenen Pantoffel um den
Hals tragen. Die Nachtigall aber dankte, sie hätte schon eine hinreichende
Belohnung erhalten.
„Ich habe Thränen in den Augen des Kaisers gesehen, das ist mir der reichste
Schatz! Eines Kaisers Thränen haben eine wunderbare Macht! Gott weiß, ich bin
belohnt genug!“ Dann sang sie wieder mit ihrer süßen, bezaubernden Stimme.
Ja, die Nachtigall machte wirklich Glück.
Sie sollte nun bei Hofe bleiben, ihren eigenen Käfig haben und die Freiheit
genießen, zweimal des Tages und einmal des Nachts sich im Freien zu ergehen.
Zwölf Diener mußten sie begleiten, die sie alle an einem um das eine Bein
geschlungenen Bande festhielten. Ein solcher Ausgang war nun eben kein
Vergnügen.
Eines Tages wurde dem Kaiser eine große Kiste mit der Aufschrift „Nachtigall!“
überreicht.
„Da haben wir nun gewiß ein Buch über unsern berühmten Vogel!“ dachte der
Kaiser; aber es war kein Buch, es war ein kleines Kunstwerk, welches in einer
Schachtel lag, eine künstliche Nachtigall, die der lebendigen ähneln sollte, aber
überall mit Diamanten, Rubinen und Saphiren besetzt war. Sobald man den
künstlichen Vogel aufzog, konnte er eines der Stücke singen, welche die
wirkliche Nachtigall sang, und dabei bewegte er den Schwanz auf und nieder
und glänzte von Silber und Gold. Um den Hals hing ihm ein Bändchen, auf dem
geschrieben stand: „Die Nachtigall des Kaisers von Japan ist arm gegen die des
Kaisers von China!“
„Das ist herrlich!“ sagten sie sämtlich, und derjenige, welcher den künstlichen
Vogel überbracht hatte, erhielt sofort den Titel eines „kaiserlichen
Oberhofnachtigallenüberbringers“.
„Nun müssen sie zusammen singen! Was wird das für ein Duett werden!“
So mußten sie denn zusammen singen, aber es wollte nicht recht gehen, denn die
wirkliche Nachtigall ging auf ihre Art und der Kunstvogel ging auf Walzen. „Der
trägt nicht die Schuld!“ sagte der Spielmeister, „der ist besonders taktfest und
ganz aus meiner Schule!“ Nun sollte der Kunstvogel allein singen. — Er machte
ein ebenso großes Glück wie der wirkliche und dann bot er auch einen viel
prächtigeren Anblick.
Dreiunddreißigmal sang er ein und dasselbe Stück und wurde doch nicht müde.
Die Leute hätten ihn gern wieder von vorn gehört, doch meinte der Kaiser, daß
nun auch die lebendige Nachtigall etwas vortragen sollte — — aber wo war
diese? Niemand hatte bemerkt, daß sie zum offenen Fenster hinausgeflogen war,
fort zu ihren grünen Wäldern.
„Aber was ist denn das?“ rief der Kaiser; und alle Hofleute schalten und
meinten, die Nachtigall wäre ein höchst undankbares Tier. „Den besten Vogel
haben wir doch!“ trösteten sie sich und so mußte der Kunstvogel wieder singen.
Der Spielmeister lobte den Vogel über alle Maßen, ja, er versicherte, er wäre
besser als die wirkliche Nachtigall, nicht nur was die Kleider und die vielen
strahlenden Diamanten anbelangte, sondern auch hinsichtlich seines Innern.
Der Kaiser stimmte ihm bei und der Spielmeister erhielt Befehl, den Vogel am
nächsten Sonntage dem Volke vorzuweisen. Und die Leute hörten ihn und waren
ganz entzückt und riefen: „O!“ und hielten nach ihrer Sitte einen Finger in die
Höhe und nickten dabei. Aber die armen Fischer, welche die wirkliche
Nachtigall gehört hatten, meinten: „Das klingt wohl ganz hübsch, es läßt sich
auch eine Ähnlichkeit der Melodie nicht ableugnen, aber es fehlt doch etwas.
Was es nur sein mag?“
Die wirkliche Nachtigall ward aus Land und Reich verwiesen; der Kunstvogel
aber hatte seinen Platz auf einem seidenen Kissen, unmittelbar neben dem Bette
des Kaisers. Alle Geschenke, die er erhalten hatte, Gold und Edelsteine, lagen
rings um ihn her, und im Titel war er bereits bis zum „Kaiserlichen
Nachttischsänger“ mit dem Range eines Rates erster Klasse aufgestiegen.
So ging es ein ganzes Jahr: Der Kaiser, der Hof und alle andern Chinesen
kannten jeden Laut in dem Gesange des Kunstvogels auswendig, aber gerade
deshalb hielten sie die größten Stücke auf ihn. Sie konnten selbst mitsingen und
thaten es. Die Gassenbuben sangen: „Zizizi! Kluckkluckkluck!“ und der Kaiser
sang es. O, es war himmlisch!
Aber eines Abends, als der Kunstvogel gerade am besten sang, und der Kaiser
im Bette lag und zuhörte, ging es inwendig im Vogel: „Schwupp!“ Da sprang
etwas: „Schnurrrrr!“ Alle Räder liefen herum, und dann schwieg die Musik.
Der Kaiser sprang sogleich aus dem Bette und ließ seinen Leibarzt holen, aber
was konnte der helfen! Dann schickte man nach dem Uhrmacher, und nach
vielem Fragen und vielem Untersuchen setzte er den Vogel wenigstens
einigermaßen wieder in Stand, erklärte aber, er müßte sehr geschont werden,
denn die Zapfen wären abgenutzt und es wäre unmöglich, neue dergestalt
einzusetzen, daß die Musik sicher ginge. Da war nun große Trauer. Nur einmal
des Jahres durfte man den Kunstvogel singen lassen, und schon das war ein
großes Wagnis. Dann aber hielt der Spielmeister eine kleine Rede und
versicherte, daß es noch ebenso gut wäre wie früher, und dann war es auch
ebenso gut wie früher.
Nun waren fünf Jahre verstrichen, als das ganze Land plötzlich eine wirkliche
Ursache zu großer Trauer bekam, denn der Kaiser, der sehr geliebt wurde,
erkrankte lebensgefährlich. Ein neuer Kaiser war schon im voraus gewählt und
das Volk stand auf der Straße und fragte, wie es mit dem Herrn stände. Es hieß
schon, der Kaiser sei tot. Aber der Kaiser war noch nicht tot. Steif und bleich lag
er in dem prächtigen Bette mit den langen Sammetvorhängen und den schweren
Goldquasten. Hoch oben stand ein Fenster offen und der Mond schien herein auf
den Kaiser und den Kunstvogel.
Der arme Kaiser konnte kaum noch atmen, es war ihm, als ob etwas auf seiner
Brust läge. Er schlug die Augen auf und da sah er, daß es der Tod war, der auf
seiner Brust saß. Er hatte sich seine goldene Krone aufgesetzt und hielt in der
einen Hand den goldenen Säbel des Kaisers und in der andern dessen prächtige
Fahne. Aus den Falten der großen Sammetvorhänge schauten ringsumher
seltsame Köpfe hervor, einige sehr häßlich, andere Frieden verheißend und mild.
Es waren alle böse und gute Thaten des Kaisers, die ihn jetzt, wo der Tod auf
seinem Herzen saß, anblickten.
„Erinnerst du dich dessen?“ flüsterte eine nach der anderen. „Erinnerst du dich
dessen?“ und dann erzählten sie ihm so viel, daß ihm der Schweiß von der Stirne
lief.
„Das habe ich nie gewußt!“ seufzte der Kaiser. „Musik, Musik, die große
chinesische Trommel!“ rief er, „damit ich nicht alles höre, was sie sagen!“
Aber sie verstummten nicht, und der Tod nickte zu allem, was gesagt wurde.

„Musik, Musik!“ schrie der Kaiser. „Du kleiner lieblicher Goldvogel, singe
doch, singe! Ich habe dir Gold und Kostbarkeiten gegeben, ich habe dir selbst
meinen goldenen Pantoffel um den Hals gehängt, singe doch, singe!“
Aber der Vogel schwieg, es war niemand da, ihn aufzuziehen, und sonst sang er
nicht. Aber der Tod fuhr fort, den Kaiser mit seinen großen, leeren Augenhöhlen
anzuschauen, und es war so still, so erschrecklich still.
Da ertönte plötzlich, dicht neben dem Fenster, der herrlichste Gesang. Er rührte
von der kleinen, lebendigen Nachtigall her, die draußen auf einem Zweige saß.
Sie hatte von ihres Kaisers Not gehört und war deshalb gekommen, ihm Trost
und Hoffnung zuzusingen. Und wie sie sang, erbleichten die Spukgestalten mehr
und mehr, immer rascher pulsierte das Blut in des Kaisers schwachem Körper
und selbst der Tod lauschte und sagte: „Fahre fort, kleine Nachtigall, fahre fort!“
„Ja, wenn du mir des Kaisers goldenen Säbel, seine Fahne und seine Krone
geben willst.“
Und der Tod gab jedes Kleinod für einen Gesang hin, und die Nachtigall war
unermüdlich. Sie sang von dem stillen Friedhofe, wo die weißen Rosen wachsen,
wo der Flieder duftet und wo das frische Gras von den Thränen der
Überlebenden benetzt wird. Da bekam der Tod Sehnsucht nach seinem Garten
und schwebte wie ein kalter, weißer Nebel zum Fenster hinaus.
„Dank, Dank!“ sagte der Kaiser, „du himmlischer kleiner Vogel, ich kenne dich
wohl! Dich habe ich aus meinem Lande und Reiche verwiesen, und doch hast du
die bösen Geister von meinem Bette hinweggesungen, den Tod von meinem
Herzen vertrieben! Wie soll ich dir lohnen?“
„Du hast mir gelohnt!“ sagte die Nachtigall, „Thränen haben deine Augen
vergossen, als ich das erstemal sang; das vergesse ich dir nie, das sind die
Juwelen, die eines Sängers Herzen wohl thun. Aber schlafe nun, werde frisch
und gesund! Ich will dich einsingen.“
Sie sang — — und der Kaiser fiel in einen süßen, sanften, erquickenden Schlaf.
Die Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster auf ihn, als er gestärkt und gesund
erwachte. Noch war keiner von seinen Dienern zurückgekommen, denn sie
hielten ihn für tot, aber die Nachtigall saß noch da und sang.
„Immer mußt du bei mir bleiben!“ sagte der Kaiser; „du sollst nur singen, wenn
du willst, und den Kunstvogel schlage ich in tausend Stücke!“
„Thue das nicht!“ sagte die Nachtigall. „Er hat gethan, was er zu thun
vermochte; behalte ihn auch fernerhin. Ich kann in einem Schlosse nicht
wohnen, doch laß mich zu dir kommen, so oft mich das Verlangen dazu treibt;
dann will ich des Abends dort auf dem Zweige vor dem Fenster sitzen und dir
vorsingen, damit du froh, aber auch zugleich nachdenklich wirst. Ich will singen
von den Glücklichen und von denen, welche leiden; ich will singen vom Bösen
und Guten, was dir verhehlt wird. Der kleine Singvogel fliegt weit umher zu
dem armen Fischer, zu des Landmannes Dach, zu jedem, der fern von dir und
deinem Hofe ist. Dein Herz liebe ich mehr, als deine Krone, und doch hat die
Krone etwas von dem Dufte des Heiligen an sich. — Ich komme, ich singe dir
vor! Aber Eins mußt du mir versprechen!“
„Alles!“ sagte der Kaiser und stand da in seiner kaiserlichen Tracht, die er sich
selbst angelegt hatte, und legte den Säbel, der von Gold schwer war gegen sein
Herz.
„Um Eines bitte ich dich! Erzähle niemand, daß du einen kleinen Vogel hast, der
dir alles sagt, dann wird es noch besser gehen!“
Darauf flog die Nachtigall fort.
Die Diener kamen herein, um nach ihrem toten Kaiser zu sehen; — ja, da
standen sie und der Kaiser sagte ganz frisch und munter: „G u t e n
Morgen!“

Die

Schneekönigin.
Märchen in sieben Geschichten.

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E r s t e Geschichte. Der Zauberspiegel.

in böser Zauberer hatte einst einen Spiegel angefertigt, der die Eigenschaft
besaß, daß alles Gute und Schöne, das sich darin spiegelte,
zusammenschrumpfte und häßlich grinste, während das, was nichts taugte,
deutlich hervortrat und sich gut ausnahm. Das wäre lustig, meinten die, welche
die Schule des Zauberers besuchten, denn dieser gab Unterricht im Zaubern. Sie
liefen mit dem Spiegel umher und zuletzt war weder ein Land noch ein Mensch,
die nicht ihr verdrehtes Bild gesehen hätten.
Nun wollten sie zuletzt sogar auch noch zum Himmel emporfliegen, um mit den
Engeln und dem lieben Gott ihren Spott zu treiben. Je höher sie mit dem Spiegel
flogen, desto stärker grinste er, daß sie ihn kaum festhalten konnten. Höher und
höher flogen sie, Gott und seinen Engeln immer näher. Da erbebte der Spiegel in
seinem Grinsen so furchtbar, daß er ihren Händen entglitt und auf die Erde
hinunterstürzte, wo er in hundert Millionen, Billionen und noch mehr Stücke
zerbrach. Aber gerade hienieden richtete er weit größeres Unglück an als zuvor,
denn einige Stücke waren kaum so groß wie ein Sandkorn, und diese
verbreiteten sich über die ganze weite Welt. Wo sie den Leuten in die Augen
kamen, da blieben sie sitzen, und dann sahen die Menschen alles verkehrt oder
hatten nur Augen für das Verkehrte bei einer Sache, denn jedes
Spiegelsplitterchen hatte dieselben Kräfte behalten, welche dem ganzen Spiegel
eigen waren. Einigen Menschen drang ein solcher Spiegelsplitter sogar in das
Herz, und dann war es entsetzlich, das Herz wurde förmlich ein Eisklumpen.
Einige Scherben waren so groß, daß sie zu Fensterscheiben benutzt wurden,
andere Stücke dienten als Brillengläser, was natürlich eine große Verwirrung
anrichtete. Und immer noch flogen kleine Glassplitter in der Luft umher. Wir
werden nun hören, was durch dieselben geschah.

Z w e i t e Geschichte. Die Nachbarskinder.

In der großen Stadt, wo so viel Leute beisammenwohnen, daß nicht alle ein
Gärtchen haben können, sondern viele sich mit Blumentöpfen begnügen müssen,
lebten einst zwei arme Kinder, die einen etwas größeren Garten als einen
Blumentopf besaßen. Sie waren nicht Bruder und Schwester, hatten einander
aber eben so lieb, als ob sie es wären. Ihre Eltern wohnten in unmittelbarer
Nachbarschaft. Sie bewohnten zwei Dachkammern, da, wo das Dach des einen
Nachbarhauses das des andern berührte und die Wasserrinne zwischen den
Dächern entlang lief. Dort hinaus blickte aus jedem Hause ein Fenster. Man
brauchte nur über die Rinne zu schreiten, um von dem einen Fenster nach dem
andern zu gelangen.
Jedes Elternpaar hatte draußen einen hölzernen Kasten angebracht, in welchem
die nötigsten Küchenkräuter gezogen wurden. Auch befand sich in jedem
Kästchen ein kleiner Rosenstock und beide wuchsen und gediehen herrlich. Nun
gerieten die Eltern auf den Gedanken, die Kästen quer über die Rinne so
auszustellen, daß sie fast von dem einen Fenster bis zu dem andern reichten und
sich völlig wie zwei Blumenwälle ausnahmen. Erbsenranken hingen über die
Kästen hinunter und die Rosenstöcke trieben lange Zweige, rankten sich um die
Fenster, neigten sich einander zu und bildeten fast eine Laube, und die Kinder
erhielten oftmals die Erlaubnis, hinauszuklettern und unter den Rosen
miteinander zu spielen.
Im Winter war ja dies Vergnügen vorüber. Die Fenster waren dann oft ganz
zugefroren. Doch dann wärmten sie Kupferdreier auf dem Ofen, hielten sie
gegen die gefrorene Scheibe und dann bildete sich dort ein prächtiges Guckloch,
so rund, o so rund; dahinter strahlte ein glückliches sanftes Auge, eines hinter
jedem Fenster. Das war der kleine Knabe und das kleine Mädchen. Er hieß K a y
und sie hieß G e r d a . Im Sommer konnten sie rasch bei einander sein, im
Winter aber mußten sie die vielen Treppen hinunter und hinauf. — Draußen
wirbelte der Schnee.
„Jetzt schwärmen die weißen Bienen!“ sagte die alte Großmutter.
„Haben sie auch eine Bienenkönigin?“ fragte der kleine Knabe.
„Die haben sie!“ sagte die Großmutter, „sie fliegt immer dort, wo sie am
dichtesten schwärmen. Sie ist die größte von allen Schneeflocken, und nie ist sie
ruhig auf Erden, sie fliegt gleich wieder zu der schwarzen Wolke empor. Manche
Winternacht fliegt sie durch die Straßen der Stadt und guckt zu den Fenstern
hinein, und dann gefrieren diese so wunderbar, als wären sie mit Blumen
besäet.“
„Ja, das habe ich gesehen!“ riefen beide Kinder, und nun wußten sie, daß es
Wahrheit wäre.
„Kann die Schneekönigin hereinkommen?“ fragte das kleine Mädchen.
„Laß sie nur kommen,“ sagte der Knabe, „dann setze ich sie auf den warmen
Kachelofen und sie muß zerschmelzen!“
Aber die Großmutter strich ihm das Haar glatt und erzählte andere Geschichten.
Des Abends, als der kleine Kay zu Hause und halb ausgezogen war, kletterte er
auf den Stuhl am Fenster und guckte zu dem kleinen Loch hinaus. Ein paar
Schneeflocken fielen draußen und eine derselben, die allergrößte, blieb auf dem
Rande des einen Blumenkastens hängen. Die Schneeflocke wuchs und wuchs,
bis sie sich zuletzt in eine vollständige Frau verwandelte, in den feinsten weißen
Flor gehüllt, der wie von Millionen sternartiger Flocken zusammengesetzt war.
Sie war schön und fein, aber von Eis, dem blendenden, blinkenden Eis, doch war
sie lebendig. Die Augen funkelten wie zwei helle Sterne, aber unstät rollten sie
umher ohne Ruh und Rast. Sie nickte nach dem Fenster zu und winkte mit der
Hand. Der kleine Knabe erschrak und sprang vom Stuhle hinunter. Da war es, als
flöge ein großer Vogel draußen an dem Fenster vorüber.
Am folgenden Tag war klares Frostwetter — — und dann begann es zu thauen,
der Lenz hielt seinen Einzug, die Sonne schien, die Spitzen der Grashälmchen
sproßten hervor, die Schwalben bauten Nester, die Fenster wurden geöffnet, und
die kleinen Kinder saßen wieder in ihrem Gärtchen hoch oben in der Dachrinne
über allen Stockwerken.
Die Rosen blühten während dieses Sommers besonders schön. Das kleine
Mädchen hatte ein Lied gelernt und sang es dem Knaben vor und er sang mit:
„Ich liebe die Rosen in all ihrer Pracht,
Doch mehr noch den Heiland, der selig uns macht!“
Kay und Gerda saßen und sahen sich das Bilderbuch mit den vielen Tieren und
Vögeln an, da war es — die Uhr auf dem großen Kirchturme schlug gerade fünf
— daß Kay sagte: „Au! es ging mir wie ein Stich durch das Herz! Und jetzt ist
mir etwas ins Auge geflogen!“ Das kleine Mädchen faßte ihn um den Hals; er
blinzelte mit den Augen: nein, es war durchaus nichts zu sehen.
„Ich denke, es ist fort!“ sagte er, aber fort war es nicht. Es war gerade einer von
diesen Glassplittern, die von dem Spiegel abgesprungen waren, dem
Zauberspiegel. Wir entsinnen uns desselben wohl noch, der bewirkte, daß alles
Große und Gute, welches sich darin abspiegelte, klein und häßlich wurde, und
jeder Fehler an einer Sache sich sofort bemerkbar machte. Der arme Kay, ihm
war ein solches Splitterchen auch gerade in das Herz eingedrungen. Das sollte
nun bald wie ein Eisklumpen werden. Nun that es zwar nicht mehr wehe, aber da
war es.
„Weshalb weinst du?“ fragte er. „So siehst du häßlich aus. Mir fehlt ja durchaus
nichts! Pfui!“ rief er plötzlich aus, „die Rose da ist ja vom Wurme angefressen!
Und sieh, jene ist gar nicht gerade gewachsen. Das sind eigentlich recht häßliche
Rosen. Sie sind ebenso garstig wie die Kasten, in denen sie stehen!“ Und dann
stieß er heftig mit dem Fuße gegen den Kasten und riß die beiden Rosen ab.
„Kay, was thust du!“ rief das kleine Mädchen; und als er ihr heftiges
Erschrecken bemerkte, riß er noch eine Rose ab und sprang dann in sein Fenster
hinein.
Wenn sie später mit dem Bilderbuche kam, spottete er darüber und wenn die
Großmutter Geschichten erzählte, kam er stets mit einem Aber dazwischen;
zuweilen schlich er sich hinter ihr her, setzte ihre Brille auf und ahmte ihre
Stimme nach. Er konnte bald allen Leuten in der Straße Gang und Redeweise
nachahmen und besonders das Unschöne wußte er treffend zu kopieren. Aber
daran war das Glas schuld, welches ihm in die Augen geflogen war, das Glas,
welches ihm in dem Herzen saß. Daher kam es, daß er sogar die kleine Gerda
neckte, die ihn von ganzer Seele lieb hatte.
Seine Spiele nahmen jetzt einen ganz anderen Charakter an, sie wurden mehr
verständig. An einem Wintertage, als Schneegestöber eingetreten war, kam er
mit einem Vergrößerungsglase, hielt seine blauen Rockzipfel hinaus und ließ die
Schneeflocken darauf fallen.
„Sieh nun einmal in das Glas, Gerda!“ sagte er, und jede Schneeflocke wurde
ungleich größer und nahm sich wie eine prächtige Blume oder ein zehnzackiger
Stern aus. Es gewährte einen herrlichen Anblick.
„Siehst du, wie kunstreich!“ rief Kay aus; „das bietet weit mehr Vergnügen und
Stoff zum Nachdenken dar, als die wirklichen Blumen! Auch ist kein einziger
Fehler an ihnen, sie sind ganz regelmäßig; wenn sie nur nicht schmelzen
würden!“
Nicht lange darauf kam Kay mit großen Fausthandschuhen und seinem Schlitten
auf dem Rücken. Er flüsterte Gerda in die Ohren: „Ich habe Erlaubnis
bekommen, auf den großen Platz zu fahren, wo die Andern spielen!“ und fort
war er.
Dort auf dem Platze banden mitunter die kecksten Knaben ihre Schlitten an die
Bauernwagen und fuhren dann eine tüchtige Strecke mit. Das ging gerade recht
lustig. Als das Spiel im vollen Gange war, kam ein großer, weiß angestrichener
Schlitten. Eine Person saß in demselben, die in einen weißen, rauhen Pelz
eingehüllt und mit einer weißen Pelzmütze bedeckt war. Der Schlitten fuhr
zweimal um den Platz herum und Kay gelang es, seinen kleinen Schlitten an
denselben festzubinden und nun fuhr er mit. Rascher und immer rascher ging es
gerade in die nächste Straße hinein. Der Führer des Schlittens wandte den Kopf
und nickte ihm so freundlich zu, als ob sie mit einander bekannt wären. So oft
Kay seinen kleinen Schlitten abbinden wollte, nickte die Person abermals und
dann blieb Kay sitzen; sie fuhren gerade zum Stadtthore hinaus. Da wurde das
Schneegestöber so heftig, daß der kleine Knabe nicht die Hand vor den Augen
mehr erkennen konnte, während er gleichwohl weiter fuhr. Endlich ließ er den
Strick fallen, um sich von dem großen Schlitten los zu machen, aber es half
nichts, sein kleines Fuhrwerk hing fest und es ging mit Windeseile. Da rief er
ganz laut, aber niemand hörte ihn, und der Schnee wirbelte und der Schlitten
flog vorwärts. Mitunter gab es einen Stoß, als ob man über Gräben und Hecken
führe. Er war ganz entsetzt, wollte sein Vaterunser beten, konnte sich aber nur
noch auf das große Einmaleins besinnen.
Die Schneeflocken wurden größer und größer, zuletzt sahen sie wie große weiße
Hühner aus. Plötzlich sprangen die Pferde zur Seite, der Schlitten hielt und die
Person, welche ihn fuhr, erhob sich; Pelz und Mütze waren von lauter Schnee. Es
war eine Dame, hoch und schlank, blendend weiß, es war die
Schneekönigin.
„Wir sind wacker vorwärts gekommen,“ sagte sie. „Aber ist das etwa ein Wetter
zum Frieren? Komm, krieche mit in meinen Bärenpelz hinein!“ und sie setzte
ihn in den Schlitten an ihre Seite und schlug den Pelz um ihn, daß es ihm
vorkam, als versänke er in einen Schneehaufen.
„Frierst du noch?“ fragte sie und küßte ihn dann auf die Stirn. Huh, das war noch
kälter als Eis, das ging ihm gleich bis ans Herz, welches ja schon halb und halb
ein Eisklumpen war. Ihm war zu Mute, als sollte er sterben; — aber nur einen
Augenblick, dann that es ihm gerade gut. Er empfand nichts mehr von der Kälte
um sich.
„Meinen Schlitten! vergiß meinen Schlitten nicht!“ Dessen erinnerte er sich
zuerst. Er wurde auch auf eins der weißen Hühner gebunden, welches mit dem
Schlitten auf dem Rücken hinterher flog. Die Schneekönigin küßte Kay noch
einmal und dann hatte er die kleine Gerda und die Großmutter und alle daheim
vergessen.
Kay fürchtete sich gar nicht vor der Schneekönigin; er erzählte ihr, daß er im
Kopfe rechnen könne und sogar mit Brüchen, daß er die Größe und
Einwohnerzahl der Länder wüßte und sie lächelte zu allem. Und sie flog mit
ihm, flog hoch hinauf zu der schwarzen Wolke und der Sturm sauste und brauste,
als sänge er alte Lieder. Sie flogen über Wälder und Seen, über Meere und
Länder. Unten in der Tiefe sauste der kalte Wind, heulten die Wölfe, flimmerte
der Schnee und über denselben flogen die schwarzen, schreienden Krähen
hinweg, aber über ihnen glänzte der Mond groß und klar und zu ihm schaute
Kay auf, die lange, lange Winternacht hindurch. Am Tage schlief er zu den
Füßen der Schneekönigin.

D r i t t e Geschichte. Der Blumengarten der Zauberin.

Aber was wurde aus der kleinen Gerda, als Kay nicht wiederkam? Wo in aller
Welt befand er sich doch? — Niemand wußte es, niemand konnte Auskunft
erteilen. Die Knaben erzählten nur, daß sie gesehen, wie er seinen kleinen
Schlitten an einen großen und prächtigen angebunden hätte, der in die Straßen
hinein und dann zum Stadtthore hinausgefahren wäre. Niemand wußte, wo er
war; viele Thränen flossen, die kleine Gerda weinte bitterlich und lange. Dann
hieß es, er wäre tot, er wäre in dem Flusse ertrunken, der nahe bei der Stadt
vorbeifloß. O, es waren recht lange dunkle Wintertage.
Jetzt erschien der Lenz mit wärmerem Sonnenscheine.
„Kay ist tot und fort!“ sagte die kleine Gerda.
„Das glaube ich nicht!“ sagte der Sonnenschein.
„Er ist tot und fort!“ sagte sie zu den Schwalben.
„Das glauben wir nicht!“ entgegneten dieselben, und endlich glaubte die kleine
Gerda es auch nicht mehr.
„Ich will meine neuen roten Schuhe anziehen!“ sagte sie eines Morgens,
„diejenigen, welche Kay noch nie gesehen hat, und dann will ich zum Flusse
hinuntergehen und mich bei diesem erkundigen!“
Noch war es ganz früh, als sie sich erhob, die alte Großmutter, welche noch
schlummerte, küßte, die roten Schuhe anzog und dann ganz allein zum Thore
hinaus nach dem Flusse ging.
„Ist es wahr, daß du mir meinen kleinen Spielkameraden genommen hast? Ich
will dir meine roten Schuhe schenken, wenn du mir ihn wiedergeben willst!“
Es kam ihr vor, als ob die Wellen ihr so eigentümlich zunickten. Dann nahm sie
ihre roten Schuhe, das liebste, was sie besaß, und warf sie beide in den Fluß,
aber sie fielen dicht an das Ufer, und die kleinen Wellen trugen sie wieder zu ihr
an das Land, als wollte der Fluß sie ihres liebsten Eigentums nicht berauben,
zumal er ja den kleinen Kay nicht hatte. Nun aber glaubte sie, daß sie die Schuhe
nicht weit genug hinausgeworfen hätte, und kletterte deshalb in ein Boot,
welches im Schilfe lag. Sie ging bis an das äußerste Ende und warf die Schuhe
von neuem in die Wellen. Das Boot war jedoch nicht befestigt, und bei der
Bewegung, welche sie machte, glitt es vom Lande ab. Sie bemerkte es zwar und
beeilte sich zurückzukommen, aber ehe es ihr gelang, war das Boot schon ein
Stück vom Ufer, und nun glitt es rascher den Fluß abwärts.
Da erschrak die kleine Gerda gewaltig und begann zu weinen, allein nur die
Sperlinge hörten sie und diese konnten sie nicht an das Land tragen, aber sie
flogen das Ufer entlang und zwitscherten, als wollten sie sie trösten: „Hier sind
wir! Hier sind wir!“ Das Boot trieb mit dem Strome; die kleine Gerda saß ganz
still in bloßen Strümpfen. Ihre kleinen roten Schuhe schwammen hinterher,
konnten das Boot jedoch nicht erreichen, da dasselbe schneller vom Strome
fortgerissen wurde.
Lieblich war es an beiden Ufern; prächtige Blumen, alte Bäume und die
Abhänge mit Schafen und Kühen belebt, aber nicht ein Mensch war zu sehen.
„Vielleicht trägt mich der Fluß zum kleinen Kay hin!“ dachte Gerda und da
wurde sie besserer Laune, sie erhob sich und betrachtete viele Stunden lang die
schönen grünen Ufer. Dann fuhr sie an einem großen Kirschgarten vorüber, in
welchem ein Häuschen mit merkwürdig roten und blauen Fenstern stand;
übrigens war es mit Stroh gedeckt und draußen standen zwei hölzerne Soldaten,
welche vor den Vorübersegelnden das Gewehr schulterten.
Gerda rief sie an; sie hielt sie für lebendig, aber sie antworteten natürlich nicht;
sie kam ihnen ganz nahe, die Strömung trieb das Boot gerade auf das Land zu.
Gerda rief noch lauter und da trat aus dem Hause eine alte, alte Frau, die sich auf
einen Krückstock stützte. Um sich gegen die Sonne zu schützen, hatte sie einen
großen Hut auf, der mit den schönsten Blumen bemalt war.
„Du liebes armes Kind!“ sagte die alte Frau, „wie bist du auf den großen starken
Strom gekommen und so fern in die weite Welt hinausgetrieben!“ Darauf ging
die alte Frau bis an den Rand des Wassers, zog das Boot mit ihrem Krückstock
an das Land und hob die kleine Gerda heraus.
Obgleich Gerda froh war, auf das Trockene zu kommen, fürchtete sie sich doch
ein wenig vor der fremden alten Frau.
„Komme doch und erzähle mir, wer du bist und wie du hierher kommst!“ sagte
sie.
Gerda erzählte ihr alles und fragte sie, ob sie den kleinen Kay nicht gesehen
hätte. Die alte Frau meinte, er käme wohl noch, sie möchte nur nicht betrübt sein
und Kirschen essen und sich ihre Blumen ansehen. Dann nahm sie Gerda bei der
Hand, ging mit ihr in das kleine Häuschen und schloß die Thüre zu.
Die Fenster waren sehr hoch angebracht und die Scheiben waren rot, blau und
gelb. Das Tageslicht fiel ganz eigentümlich herein, aber auf dem Tische standen
die köstlichsten Kirschen und Gerda aß nach Herzenslust davon, weil sie die
Erlaubnis dazu erhalten hatte. Während sie aß, kämmte ihr die alte Frau das Haar
mit einem goldenen Kamme, und das Haar ringelte sich und schimmerte goldig
um ihr liebes freundliches Gesichtchen, welches rund war und wie eine Rose
blühte.
„Nach einem so holden kleinen Mädchen habe ich mich schon lange gesehnt!“
sagte die Alte. „Du wirst nun sehen, wie gut wir uns gegenseitig gefallen
werden!“ Und je länger sie das Haupt der kleinen Gerda kämmte, desto mehr
vergaß dieselbe ihren Pflegebruder Kay, denn die alte Frau konnte zaubern, aber
eine böse Zauberin war sie nicht. Sie ging in den Garten hinaus, streckte ihren
Krückstock über alle Rosenstöcke aus und diese versanken sofort in die
schwarze Erde. Die Alte befürchtete, daß Gerda beim Anblick der Rosen ihrer
eigenen gedenken, sich dadurch des kleinen Kay erinnern und dann davonlaufen
würde.
Jetzt führte sie Gerda in den Blumengarten hinaus. Welch’ ein Duft, welch’ eine
Pracht herrschte hier! Alle erdenkliche Blumen, und zwar für jede Jahreszeit,
standen hier in üppigstem Flor. Gerda hüpfte vor Freude und spielte, bis die
Sonne hinter den hohen Kirschbäumen unterging. Dann bekam sie ein hübsches
Bett mit rotseidenen Kissen, die mit blauen Veilchen gestopft waren, und schlief
und träumte so herrlich, wie eine Königin.
Am nächsten Morgen durfte sie wieder mit den Blumen in dem warmen
Sonnenscheine spielen — und so ging es viele Tage. Gerda kannte jede Blume,
aber wie viele auch vorhanden waren, so kam es ihr doch vor, als ob eine
darunter fehlte, nur wußte sie nicht welche. Eines Tages sah sie aber auf dem
Sonnenhut der alten Frau eine gemalte Rose. Sie sprang zwischen den Beeten
umher und suchte eine Rose unter den Blumen, aber da war keine zu finden. Da
setzte sie sich hin und weinte; aber ihre heißen Thränen fielen gerade auf eine
Stelle, wo ein Rosenstock versunken war, und als die warmen Thränen die Erde
benetzten, da schoß plötzlich der Stock ebenso blühend, wie er versunken war,
empor, und Gerda umarmte ihn, küßte die Rosen und gedachte der hübschen
Rosen daheim und dabei kam ihr auch der kleine Kay wieder in den Sinn.
„O wie lange bin ich nun schon hier bei der alten Frau!“ sagte das kleine
Mädchen. „Ich wollte ja Kay suchen! — Wißt ihr nicht, wo er ist?“ fragte sie die
Rosen. „Glaubt ihr, daß er tot und fort ist?“
„Tot ist er nicht!“ sagten die Rosen. „Wir sind ja in der Erde gewesen, wo alle
Tote sind, aber dort war Kay nicht!“
„Dank, tausend Dank!“ erwiderte die kleine Gerda und ging zu den andern
Blumen, schaute in ihren Kelch und fragte: „Wißt ihr nicht, wo der kleine Kay
ist?“
Aber jede Blume stand in der Sonne und träumte ihr eigenes Märchen oder
Geschichtchen. Von diesen vernahm die kleine Gerda viele, viele, aber keine
wußte etwas von Kay.
„Es ist vergebens, daß ich die Blumen frage, sie wissen nur ihr eigenes Lied, sie
erteilen mir keine Auskunft!“ sagte Gerda, als ihr die Blumen des Gartens ihre
Geschichten erzählt hatten. Und dann schürzte sie ihr Röckchen auf, um besser
laufen zu können und eilte nach dem Ausgang des Gartens.
Die Thüre war zwar verschlossen, doch drückte sie auf die verrostete Klinke, bis
sie nachgab und die Thüre aufsprang, und nun lief die kleine Gerda barfuß in die
weite Welt hinaus. Dreimal schaute sie zurück, aber niemand verfolgte sie.
Endlich konnte sie nicht mehr gehen und setzte sich auf einen großen Stein. Als
sie nun um sich schaute, war der Sommer vorbei; es war Spätherbst, was man in
dem schönen Garten, wo fortwährend Sonnenschein herrschte und Blumen aller
Jahreszeiten standen, gar nicht hatte wahrnehmen können.
„Gott, wie viel Zeit habe ich versäumt!“ sagte die kleine Gerda. „Es ist ja Herbst
geworden, da darf ich nicht rasten!“ und sie erhob sich, um weiter zu gehen.
O wie wund und müde ihre kleinen Füße waren, und wie rauh und kalt es
ringsumher aussah! Die langen Weidenblätter waren gelb und in großen Perlen
träufelte der Tau herab. Ein Blatt nach dem andern fiel ab, nur der Schlehendorn
trug noch Früchte, die freilich herb genug waren und den Mund
zusammenzogen. O, wie grau und schwer es in der weiten Welt doch war! —
V i e r t e Geschichte. Prinz und Prinzessin.

Gerda mußte sich wieder ausruhen. Da hüpfte auf dem Schnee gerade vor ihr
eine große Krähe, die schon dagesessen, sie aufmerksam angeschaut und mit
dem Kopfe gewackelt hatte. Nun sagte sie: „Kra, kra! — gut’ Tag, gut’ Tag!“
Besser konnte sie es nicht aussprechen, aber trotzdem meinte sie es mit dem
kleinen Mädchen sehr gut und fragte, wohin sie so allein in die weite Welt
hinausginge. Das Wort allein verstand Gerda nur zu wohl und fühlte den ganzen
Inhalt desselben gar tief, und dann erzählte sie der Krähe ihr ganzes Leben und
Schicksal und fragte, ob sie Kay nicht gesehen hätte.
Und die Krähe nickte ganz bedächtig und sagte: „Es könnte sein, es könnte
sein!“
„Wie? Glaubst du?“ rief das kleine Mädchen und küßte die Krähe so ungestüm,
daß sie dieselbe fast tot gedrückt hätte.
„Vernünftig, vernünftig!“ entgegnete die Krähe. „Ich denke, es wird der kleine
Kay sein! Aber jetzt hat er dich wohl schon vergessen. Doch es macht mir Mühe,
deine Sprache zu reden. Allein, wenn du die Krähensprache verstehst, dann kann
ich besser erzählen!“
„Nein, die habe ich nicht gelernt!“ sagte Gerda, „doch die Großmutter konnte sie
recht geläufig. Hätte ich sie nur gelernt!“
„Thut nichts, thut nichts!“ sagte die Krähe, „ich werde erzählen, so gut ich
kann,“ und dann erzählte sie, was sie wußte:
„In dem Königreiche, in welchem wir hier sitzen, wohnt eine ungeheuer kluge
Prinzessin. Eines Tages fiel es dieser ein, sich zu vermählen. Sie wollte jedoch
einen Mann haben, der zu antworten verstand, wenn man ihn anredete, einen, der
nicht nur dastand und vornehm aussah, denn das ist höchst langweilig. Nun ließ
sie alle Hofdamen zusammentrommeln, und als diese ihre Willensmeinung
vernahmen, wurden sie sehr froh. „So hab ichs gern!“ rief eine jede, „daran hab’
ich neulich auch schon gedacht!“
„Die Zeitungen erschienen sofort mit einem Rande von Herzen und den
Namenszügen der Prinzessin. Manniglich konnte darin schwarz auf weiß lesen,
daß es einem jeden jungen Manne von hübschem Äußeren frei stände, auf das
Schloß zu kommen und mit der Prinzessin zu sprechen, und den, welcher so zu
reden verstände, daß er sich trotz des ihn umgebenden Glanzes unbefangen
äußerte und zugleich am besten spräche, den wollte die Prinzessin zum Manne
nehmen! — Ja, ja!“ sagte die Krähe, „du kannst es mir glauben, es ist so wahr,
wie ich hier sitze. Die Leute strömten herzu, da war ein Gedränge und Gelaufe,
aber dennoch glückte es niemand, weder den ersten noch den zweiten Tag. Wenn
sie draußen auf der Straße waren, konnten alle vortrefflich plaudern, sobald sie
aber zum Schloßportale hereintraten und die silberstrotzenden Leibwächter und
die Treppen hinauf die Diener in Gold und die großen erleuchteten Säle
erblickten, dann wurden sie verwirrt. Standen sie nun vor dem Throne, auf
welchem die Prinzessin saß, so vermochten sie nur ihr letztes Wort
nachzusprechen, und diese Wiederholung flößte ihr kein Interesse ein. In ganzen
Reihen standen sie vom Stadtthore bis zum Schlosse. Ich war selbst drinnen, um
es mit anzusehen!“ versicherte die Krähe.
„Aber Kay, der kleine Kay!“ fragte Gerda. „Wann kam er? Befand er sich unter
der Menge?“
„Eile mit Weile! nun sind wir gerade bei ihm! Am dritten Tage kam eine kleine
Person, weder mit Pferd, noch mit Wagen, ganz lustig und guter Dinge gerade
auf das Schloß hinaufspaziert. Seine Augen blitzten wie deine, er hatte
prächtiges langes Haar, aber sonst ärmliche Kleider.“
„Das war Kay!“ jubelte Gerda. „O, dann habe ich ihn gefunden!“ und dabei
klatschte sie in die Hände.
„Er hatte einen kleinen Ranzen auf seinem Rücken!“ sagte die Krähe.
„Nein, das war sicherlich sein Schlitten!“ sagte Gerda, „denn damit ging er fort!“
„Das ist wohl möglich!“ entgegnete die Krähe; „ich sah nicht so genau hin! Aber
so viel weiß ich, daß er, als er in das Schloßthor hineintrat und die
silberstrotzenden Leibwachen und die Treppen hinauf die Diener in Gold
erblickte, nicht im Geringsten in Verlegenheit geriet. Er nickte ihnen flüchtig zu
und sagte: „Das muß langweilig sein, auf der Treppe zu stehen. Ich gehe lieber
hinein!“ Drinnen erglänzten die Säle in hellem Kerzenscheine. Geheimeräte und
Exzellenzen gingen auf bloßen Füßen und trugen goldene Gefäße; man konnte
wohl beklommen werden. Seine Stiefel knarrten entsetzlich laut, doch schien er
sich darüber gar nicht zu beunruhigen.“
„Das ist ganz gewiß Kay!“ rief Gerda, „ich weiß, er hatte neue Stiefel; ich habe
sie in der Stube der Großmutter knarren hören!“
„Ja, geknarrt haben sie!“ versetzte die Krähe, „und munter und guter Dinge ging
er gerade zur Prinzessin hinein; dieselbe saß auf einer Perle, die so groß wie ein
Spinnrad war. Alle Hofdamen mit ihren Zofen, und den Zofen ihre Zofen, und
alle Kavaliere mit ihren Dienern, und den Dienern ihrer Diener, die sich auch
einen Burschen hielten, standen ringsherum aufgestellt.“
„Das muß fürchterlich sein!“ sagte die kleine Gerda. „Und Kay hat die
Prinzessin doch bekommen?“
„Ja, er hat sie bekommen,“ sagte die Krähe, „da er so gut zu reden verstand.“
„Ja, sicher! das war Kay!“ sagte Gerda, „er war so klug, er konnte mit Brüchen
im Kopfe rechnen! — O, willst du mich nicht auf dem Schlosse einführen!“
„Ja, das ist leicht gesagt!“ meinte die Krähe. „Aber wie machen wir das? Denn
das will ich dir nur sagen, so ein kleines Mädchen, wie du bist, erhält nie
Erlaubnis zum Eintritt!“
„Ja, die bekomme ich!“ rief Gerda aus. „Wenn Kay von meiner Ankunft hört,
kommt er gleich heraus und holt mich!“
„Erwarte mich dort am Zaune!“ erwiderte die Krähe, wackelte mit dem Kopfe
und flog davon.
Es war schon dunkel, als die Krähe zurückkehrte. „Rar, rar!“ sagte sie. „Es ist für
dich unmöglich, in das Schloß zu gelangen, weil du barfuß bist. Die
silberstrotzenden Leibwachen und Diener in Gold würden es nicht gestatten.
Weine jedoch nicht, du sollst doch schon hinaufkommen. Ich habe nämlich eine
Base, die im Schlosse Kammerjungfer ist, die kennt eine kleine Hintertreppe, die
zum Schlafzimmer hinaufführt, und sie weiß, wo sie den Schlüssel holen kann!“
Sie gingen in den Garten hinein, in den großen Baumgang, wo schon ein Blatt
nach dem andern abfiel, und als auf dem Schlosse nach und nach die Lichter
ausgelöscht wurden, führte die Krähe die kleine Gerda zu einer Hinterthür, die
nur angelehnt war.
O, wie Gerdas Herz vor Angst und Sehnsucht klopfte! Ihr war zu Mute, als ob
sie etwas Böses thun wollte, und sie wollte doch nur erfahren, ob der kleine Kay
da wäre. Ja, er mußte es sein! Sie stellte sich ganz lebendig seine klugen Augen,
sein langes Haar vor; sie sah ihn ordentlich lächeln, wie damals, als sie daheim
unter den Rosen saßen. Er würde sich gewiß freuen, sie zu sehen und dann von
ihr zu hören, einen wie weiten Weg sie um seinetwegen zurückgelegt hätte, und
wie betrübt sie alle zu Hause gewesen wären, als er nicht wieder heimkehrte.
O, das war eine Furcht und eine Freude!
Nun waren sie auf der Treppe. Dort brannte eine kleine Lampe auf einem
Schranke. Mitten auf dem Fußboden stand die Base der Krähe und betrachtete
Gerda, die sich vor ihr verneigte.
„Ich werde vorangehen,“ begann die Schloßkrähe. „Wir gehen hier den geraden
Weg, denn da begegnen wir niemand!“
„Mir ist, als ob jemand hinter uns kommt!“ sagte Gerda, und es sauste wirklich
etwas an ihr vorüber. Es war, als ob Schatten über die Wand hin glitten, Pferde
mit flatternden Mähnen und schlanken Beinen, Jägerburschen, Herren und
Damen zu Pferde.
„Das sind nur Träume!“ sagte die Krähe, „sie kommen und holen die Gedanken
der hohen Herrschaft zur Jagd ab.“
Nun traten sie in den ersten Saal hinein; er war mit rosenrotem Atlas behängt
und künstliche Blumen zogen sich an allen Wänden hinauf. Hier sausten die
Träume schon an ihnen vorüber, flogen aber so schnell, daß Gerda die hohe
Herrschaft nicht zu sehen bekam. Ein Saal war immer prächtiger als der andere;
der Anblick der vielen Kostbarkeiten konnte einen förmlich betäuben. Jetzt
waren sie in dem Schlafzimmer. Die Decke desselben glich einer großen Palme
mit Blättern vom herrlichsten Glase, und mitten auf dem Fußboden hingen an
einem dicken Stengel von Gold zwei Betten, deren jedes die Gestalt einer Lilie
hatte. Das eine, in welchem die Prinzessin lag, war weiß; das andere war rot, und
in diesem sollte Gerda den kleinen Kay suchen. Sie bog eines der roten Blätter
zur Seite und da erblickte sie einen braunen Nacken. Ja, das war Kay! Sie rief
ganz laut seinen Namen, hielt die Lampe, daß das Licht auf ihn fiel — die
Träume sausten zu Pferde wieder in die Stube hinein — er erwachte, wandte das
Haupt — — — und es war nicht der kleine Kay.
Der Prinz ähnelte ihm nur im Nacken, war aber jung und schön. Und aus dem
weißen Lilienbette guckte die Prinzessin hervor und fragte, was das wäre. Da
weinte die kleine Gerda und erzählte ihre ganze Geschichte und alles, was die
Krähen für sie gethan hätten.
„Du arme Kleine!“ sagten der Prinz und die Prinzessin und lobten die Krähen
und sagten, sie wären gar nicht böse auf sie, sie sollten es aber doch ja nicht öfter
thun. Indes sollten sie eine Belohnung erhalten.
„Wollt ihr frei fliegen?“ sagte die Prinzessin, „oder wollt ihr eine feste
Anstellung als Hofkrähen haben, mit allem, was aus der Küche abfällt?“
Und beide Krähen verneigten sich und baten um feste Anstellung, denn sie
dachten an ihr Alter und sagten, es wäre so schön, im Alter sorgenfrei leben zu
können.
Der Prinz erhob sich aus seinem Bette und ließ Gerda in demselben schlafen,
und mehr konnte er doch nicht thun. Sie faltete ihre keinen Händchen und
dachte: „Wie gut Menschen und Tiere doch sind!“ und dann schloß sie die
Augen und entschlummerte sanft.
Am nächsten Morgen wurde sie von Kopf bis zu Fuß in Sammet und Seide
gekleidet. Sie wurde freundlich aufgefordert, auf dem Schlosse zu bleiben und
herrlich und in Freuden zu leben, aber sie bat lediglich um einen kleinen Wagen
mit einem Pferde und um ein Paar Stiefelchen, dann wollte sie wieder in die
weite Welt hinausfahren und Kay suchen.
Sie erhielt sowohl Stiefelchen als auch einen Muff und ward niedlich gekleidet.
Als sie fort wollte, hielt vor der Thüre ein neues Wägelchen aus reinem Golde,
das Wappen des Prinzen und der Prinzessin leuchtete wie ein Stern auf
demselben. Kutscher, Diener und Vorreiter saßen da mit goldenen Kronen auf
dem Kopfe. Der Prinz und die Prinzessin halfen Gerda in den Wagen und
wünschten ihr alles Glück. „Lebewohl, lebewohl!“ riefen ihr beide nach, und die
kleine Gerda weinte und die Krähen auch. Die Waldkrähe begleitete sie die
ersten drei Meilen; sie saß ihr zur Seite, weil sie das Fahren auf dem Rücksitz
nicht vertragen konnte. Inwendig war der Wagen mit Zuckerbretzeln gefüttert
und die Sitzkasten waren mit Früchten und Pfeffernüssen angefüllt.
So ging es die ersten drei Meilen, dann sagte auch die Krähe Lebewohl, und das
war der schwerste Abschied. Sie flog auf einen Baum und schlug mit ihren
schwarzen Flügeln, solange sie noch den Wagen, der wie der helle Sonnenschein
glänzte, sehen konnte.

F ü n f t e Geschichte. Das kleine Räubermädchen.

Sie fuhren durch den dunklen Wald, aber der Wagen leuchtete weithin. „Das ist
Gold!“ riefen die Räuber, stürzten hervor, fielen den Pferden in die Zügel,
erschlugen die kleinen Vorreiter, den Kutscher und die Diener und zogen nun die
kleine Gerda aus dem Wagen.
„Sie ist fett, sie ist reizend, sie ist mit Nußkernen gemästet!“ sagte das alte
Räuberweib, welches einen langen struppigen Bart und Augenbrauen hatte, die
ihr bis über die Augen herabhingen. „Das ist ebenso gut wie ein kleines fettes
Lamm! Nun, wie soll sie schmecken.“ Bei diesen Worten zog sie ihr blankes
Messer heraus und das blitzte, daß es Angst einjagen konnte.
„Au!“ schrie das Weib zu gleicher Zeit. Kein Wunder! der Frau wilde und
ungeberdige Tochter, die auf ihrem Rücken hing, hatte sie in das Ohr gebissen
und so konnte sie nicht gleich dazu kommen, Gerda zu schlachten.
„Sie soll mit mir spielen!“ sagte das kleine Räubermädchen herrisch. „Sie soll
mir ihren Muff, ihr schönes Kleid geben, sie soll neben mir in meinem Bette
schlafen!“
„Ich will in den Wagen hinein!“ sagte das kleine Räubermädchen, und es mußte
und wollte seinen Willen haben, denn es war gar verhätschelt und gar halsstarrig.
Es setzte sich mit Gerda hinein und dann fuhren sie über Stock und Stein immer
tiefer in den Wald. Das kleine Räubermädchen war eben so groß wie Gerda, aber
kräftiger, breitschultriger und gebräunter. Seine Augen waren ganz schwarz, sie
sahen fast traurig aus. Es faßte die kleine Gerda um den Leib und sagte: „Sie
sollen dich nicht schlachten, so lange ich nicht böse auf dich werde! Du bist
gewiß eine Prinzessin?“
„Nein,“ erwiderte die kleine Gerda, und erzählte ihr alles, was sie erlebt hatte
und wie lieb sie den kleinen Kay hätte.
Jetzt hielt der Wagen still; sie befanden sich mitten auf dem Hofe eines
Räuberschlosses. Von oben bis unten war es geborsten, Raben und Krähen
flogen aus den offenen Löchern, und die großen Bullenbeißer, die aussahen, als
könnte jeder einen Menschen verschlingen, sprangen hoch empor, aber ohne zu
bellen, denn das war verboten.
Mitten auf dem steinernen Fußboden des großen, alten, verräucherten Saales
brannte ein großes Feuer. Der Rauch zog unter der Decke hin und drang durch
die zahlreichen Risse und Sprünge ins Freie. In einem großen Braukessel wurde
Suppe gekocht und Hasen wie Kaninchen wurden am Spieße gedreht.
„Du sollst diese Nacht mit mir bei allen meinen lieben Tierchen schlafen!“ sagte
das Räubermädchen. Sie erhielten nun zu essen und zu trinken und gingen dann
nach einer Ecke, wo Stroh und Decken lagen. Oben drüber saßen auf Latten und
Stangen wohl an hundert Tauben, die alle zu schlafen schienen, sich aber doch
ein wenig bewegten, als die kleinen Mädchen kamen.
„Die gehören samt und sonders mir!“ sagte das kleine Räubermädchen und
ergriff schnell eine der nächsten, hielt sie an den Beinen und schüttelte sie, bis
sie mit den Flügeln schlug.
„Dort sitzt das Waldgesindel!“ fuhr sie fort und deutete auf eine Menge Stäbe,
die hoch oben vor einem Loche in die Mauer eingeschlagen waren. „Das ist
mein Waldgesindel und hier steht mein altes, liebstes Bä!“ Dabei zog sie ein
Renntier am Geweihe hervor, welches einen blanken Kupferring um den Hals
hatte und angebunden war. „Jeden Abend kitzle ich es mit meinem scharfen
Messer am Halse, wovor es sich sehr fürchtet!“ Das kleine Mädchen zog ein
langes Messer aus einer Spalte in der Mauer und ließ es über den Hals des
Renntieres hingleiten.
„Willst du das Messer während des Schlafes bei dir behalten?“ fragte Gerda und
sah sie etwas ängstlich an.
„Ich schlafe immer mit dem Messer!“ sagte das kleine Räubermädchen. „Man
weiß nicht, was sich ereignen kann. Aber nun lass mich’s noch einmal hören,
was du mir vorhin von dem kleinen Kay erzähltest, und weshalb du in die weite
Welt hinausgegangen bist.“ Und Gerda begann ihre Geschichte wieder von vorn,
und die Waldtauben girrten oben in ihrem Käfig, die andern Tauben aber
schliefen. Das kleine Räubermädchen legte einen Arm um Gerda’s Hals, hielt
das Messer in der andern Hand und schnarchte, daß man es hören konnte, Gerda
jedoch war nicht imstande, ein Auge zu schließen, wußte sie doch nicht, ob sie
leben bleiben oder sterben sollte. Die Räuber saßen rund um das Feuer, sangen
und tranken und das Räuberweib schlug Purzelbäume. O, es war dem kleinen
Mädchen wahrhaft entsetzlich, dies mit ansehen zu müssen.
Da sagten die Waldtauben: „Kurre, kurre! wir haben den kleinen Kay gesehen.
Ein weißes Huhn trug seinen Schlitten, er saß auf dem Wagen der
Schneekönigin, welche unmittelbar über den Wald hinfuhr, als wir im Neste
lagen. Sie blies uns junge Tauben an und mit Ausnahme von uns beiden starben
alle; kurre, kurre!“
„Was sagt ihr dort oben?“ rief Gerda. „Wohin reiste die Schneekönigin? Ist euch
etwas davon bekannt?“
„Sie reiste vermutlich nach Lappland, denn dort ist immer Schnee und Eis!
Frage nur das Renntier, welches dort angebunden steht!“
„Dort ist Eis und Schnee, dort ist ein gesegnetes und herrliches Land!“ versetzte
das Renntier. „Dort springt man in den großen, glitzernden Thälern frei umher.
Dort hat die Schneekönigin ihr Sommerzelt, aber ihr festes Schloß hat sie oben
nach dem Nordpole zu, auf der Insel, die Spitzbergen genannt wird!“
„O, Kay, lieber Kay!“ seufzte Gerda.
„Nun mußt du still liegen!“ sagte das Räubermädchen, „sonst stoße ich dir das
Messer in den Leib!“
Am Morgen erzählte Gerda ihr alles, was die Waldtauben gesagt hatten, und das
kleine Räubermädchen sah ganz ernsthaft aus, nickte jedoch mit dem Kopfe und
sagte: „Das ist ganz gleich! — Weißt du, wo Lappland liegt?“ fragte sie das
Renntier.
„Wer sollte es wohl besser wissen, als ich,“ sagte das Tier, und die Augen
leuchteten ihm im Kopfe. „Dort bin ich geboren und aufgewachsen, dort habe
ich mich auf den Schneefeldern umhergetummelt.“
„Höre!“ sagte das Räubermädchen zu Gerda. „Wie du siehst, sind unsere
Mannsleute sämtlich fort, aber Mutter ist noch hier und bleibt auch zu Hause.
Zum Frühstück trinkt sie jedoch aus der großen Flasche und entschlummert bald
darauf. Dann will ich etwas für dich thun.“
Als nun die Mutter aus ihrer Flasche getrunken hatte und einen kleinen Nickkopf
machte, ging das Räubermädchen zum Renntiere und sagte: „Ich hätte zwar ganz
besondere Lust, dich noch manchmal mit dem scharfen Messer zu kitzeln, denn
das ist außerordentlich belustigend, aber gleichviel, ich will trotzdem deinen
Strick lösen und dir hinaushelfen, daß du nach Lappland laufen kannst, aber du
mußt laufen wie noch nie und mir dieses kleine Mädchen nach dem Schlosse der
Schneekönigin bringen, wo sich ihr Spielkamerad aufhält. Du hast wohl gehört,
was sie erzählte, denn sie schwatzte laut genug, und du pflegst zu lauschen!“
Das Renntier sprang vor Freude hoch auf. Das Räubermädchen hob die kleine
Gerda hinauf und war vorsichtig genug, sie festzubinden und ihr sogar ein
kleines Sitzkissen zu geben. „Das ist einerlei!“ sagte sie, „da hast du deine
Pelzstiefelchen wieder, denn es wird kalt werden, den Muff behalte ich aber, er
ist doch gar zu niedlich! Gleichwohl sollst du nicht frieren. Hier hast du meiner
Mutter große Fausthandschuhe, sie reichen dir gerade bis an die Ellbogen! Zieh
sie an!“
Gerda weinte vor Freude.
„Solch’ Gejammer kann ich nicht ausstehen!“ sagte das kleine Räubermädchen.
„Nun mußt du gerade vergnügt aussehen! Hier hast du noch zwei Brote und
einen Schinken, damit du nicht zu hungern brauchst!“ Beides wurde hinten auf
das Renntier gebunden; das kleine Räubermädchen öffnete die Thüre, lockte alle
die großen Hunde herein, zerschnitt dann den Strick mit ihrem Messer und sagte
zum Renntiere: „Lauf nun, aber gieb wohl auf das kleine Mädchen acht!“
Und Gerda streckte die Hände mit den großen Fausthandschuhen gegen das
Räubermädchen aus, sagte Lebewohl und dann flog das Renntier vorwärts über
Gebüsch und Gestrüpp, durch den großen Wald, über Sümpfe und Steppen, so
schnell es vermochte. Die Wölfe heulten und die Raben schrieen. Schwaches
Knistern ließ sich aus weiter Ferne vernehmen und starkes Wetterleuchten zeigte
sich auf allen Seiten.
„Das sind meine alten Nordlichter!“ sagte das Renntier, „sieh, wie sie leuchten!“
und dann lief es noch hurtiger vorwärts, Tag und Nacht. Die Brote wurden
verzehrt, der Schinken dazu und dann waren sie in Lappland.

S e c h s t e Geschichte. Die Lappin und die Finnin.

Vor einem kleinen, unansehnlichen Häuschen machten sie Halt. Das Dach ging
bis zur Erde hinunter, und die Thüre war so niedrig, daß die Bewohner nur auf
dem Bauche kriechend sich durch den Eingang zwängen konnten. Mit
Ausnahme einer Lappin, welche neben einer Thranlampe stand und Fische briet,
war niemand daheim. Das Renntier erzählte ihr Gerdas ganze Geschichte, zuerst
jedoch seine eigene, welche ihm ungleich wichtiger erschien, und Gerda war vor
Kälte so erstarrt, daß sie nicht zu reden vermochte.
„Ach, ihr Armen!“ sagte die Lappin, „da habt ihr noch weit zu laufen! Ihr müßt
über hundert Meilen weit in das Innere der Finnmark hinein, denn dort hat die
Schneekönigin ihre Sommerwohnung und läßt jeden Abend blaue Flammen
auflodern. Ich werde in Ermangelung des Papiers ein paar Worte auf einen
trocknen Stockfisch schreiben, den werde ich euch an die Finnin dort oben
mitgeben, welche euch bessere Auskunft erteilen kann, als ich!“
Als sich Gerda nun wieder erwärmt und zu essen und zu trinken bekommen
hatte, schrieb die Lappin ein paar Worte auf einen trocknen Klippfisch, bat
Gerda, denselben wohl zu verwahren, band sie wieder auf das Renntier und
dieses sprang davon. Oben in der Luft knisterte es und die ganze Nacht brannten
die schönsten blauen Nordlichter; und dann kamen sie nach Finnmark und
klopften an den Schornstein der Finnin, denn sie hatte nicht einmal eine Thür.
Es herrschte eine Hitze darin, daß sogar die Finnin nur eine ganz dünne
Bekleidung trug. Sie war klein und starrte von Schmutz. Sie löste sofort die
Kleider der kleinen Gerda auf, zog ihr die Fausthandschuhe und Stiefel aus, weil
sie die Hitze sonst nicht hätte ertragen können, legte dem Renntiere ein Stück
Eis auf den Kopf und las dann, was auf dem Klippfische geschrieben stand.
„Du bist sehr klug!“ sagte das Renntier; „ich weiß, du kannst alle Winde der
Welt mit einem Zwirnsfaden zusammenbinden. Wenn der Schiffer den einen
Knoten löst, erhält er guten Wind, löst er den andern, dann bläst ein scharfer
Wind, und löst er den dritten und vierten, dann stürmt es, daß die Wälder
niederstürzen. Willst du dem kleinen Mädchen nicht einen Trank geben, daß sie
die Kraft von zwölf Männern erhält und die Schneekönigin überwindet?“
„Die Kraft von zwölf Männern!“ sagte die Finnin, „die würde sicher nicht
ausreichen!“ Dann ging sie nach einem Gestell, holte ein großes
zusammengerolltes Fell hervor und entrollte es. Seltsame Buchstaben waren
darauf geschrieben, und die Finnin las, daß ihr dicke Schweißtropfen von der
Stirn rieselten.
Aber das Renntier bat so beweglich für die kleine Gerda und diese schaute die
Finnin mit so bittenden, thränenfeuchten Augen an, daß dieselbe das Renntier in
eine Ecke zog, wo sie demselben zuflüsterte, während sie ihm frisches Eis auf
den Kopf legte:
„Der kleine Kay ist wirklich bei der Schneekönigin, findet dort alles nach
seinem Wunsche und Behagen und meint, ihm sei das beste Los in der Welt
zugefallen. Das rührt aber davon her, daß ihm ein Glassplitter in das Herz und
ein Glaskörnchen in das Auge gedrungen ist. Beides muß erst heraus, sonst wird
er nie wieder ein tüchtiger Mensch und die Schneekönigin behält Gewalt über
ihn.“
„Aber kannst du der kleinen Gerda nichts eingeben, daß sie Macht über das
Ganze erhält?“
„Ich kann ihr keine größere Macht geben, als sie schon besitzt! Siehst du nicht,
wie groß diese ist? Siehst du nicht, wie Menschen und Tiere ihr dienen müssen,
wie sie auf bloßen Füßen so gut in der Welt vorwärts gekommen ist? Von uns
darf sie ihre Macht nicht erfahren, die sitzt in ihrem Herzen und besteht darin,
daß sie ein süßes, unschuldiges Kind ist. Kann sie nicht selbst in das Schloß der
Schneekönigin eindringen und den kleinen Kay von dem Glase befreien, dann
können wir nicht helfen! Zwei Meilen von hier beginnt der Garten der
Schneekönigin; dorthin kannst du das kleine Mädchen bringen; setze sie neben
dem großen Busche ab, der mit roten Beeren bedeckt im Schnee steht. Halte dich
nicht mit langem Geschwätz auf und beeile dich, hierher zurückzukommen!“
Dann hob die Finnin die kleine Gerda auf das Renntier, welches aus
Leibeskräften davon eilte.
„Meine Stiefelchen! Meine Fausthandschuhe!“ rief die kleine Gerda, der sich die
schneidende Kälte fühlbar machte. Aber das Renntier wagte nicht anzuhalten, es
lief, bis es den großen Busch mit den roten Beeren erreichte. Dort setzte es
Gerda ab, küßte sie auf den Mund, wobei dem Tiere große heiße Thränen über
die Backen hinabrollten, und dann lief es, so schnell es konnte, wieder zurück.
Da stand nun die arme Gerda, ohne Stiefelchen, ohne Handschuhe, mitten in der
unwirtbaren, kalten Finnmark.
Sie lief vorwärts, so schnell sie vermochte. Da zeigte sich plötzlich ein ganzes
Regiment Schneeflocken. Sie fielen aber nicht etwa vom Himmel herab, der war
ganz klar und strahlte von Nordlichtern, die Schneeflocken flogen vielmehr
gerade über die Oberfläche der Erde hin und nahmen, je näher sie kamen, an
Größe zu. Gerda erinnerte sich noch, wie groß und kunstvoll sie unter dem
Brennglase ausgesehen hatten. Aber hier zeigten sie sich wahrlich noch in ganz
anderer Größe und Schreckensgestalt; es waren lebendige Wesen, es waren die
Vorposten der Schneekönigin. Sie hatten die seltsamsten Gestalten; einige sahen
aus wie häßliche, große Stachelschweine, andere wie ganze Schlangenknäuel,
aus denen die Köpfe hervorragten, und andere wie kleine dicke Bären, auf
welchen sich die Haare sträubten; alle aber schimmerten weiß, alle aber waren
lebendige Schneeflocken.
Da betete die kleine Gerda ihr Vaterunser. Die Kälte war so stark, daß sie ihren
eigenen Atem sehen konnte, welcher ihr wie Rauch vor dem Munde stand. Der
Atem wurde dichter und dichter und verwandelte sich in lauter kleine Engel, die,
sobald sie die Erde berührten, mehr und mehr wuchsen, und alle Helme auf dem
Kopfe und Spieß und Schild in den Händen hatten. Ihre Anzahl vermehrte sich,
und als Gerda ihr Vaterunser beendet hatte, war eine ganze Legion um sie
versammelt. Sie stachen mit ihren Spießen nach den schrecklichen
Schneeflocken, daß dieselben in hundert Stücke zersprangen, und die kleine
Gerda sicher und fröhlich vorwärts schreiten konnte. Die Engel streichelten ihre
Füße und Hände und da fühlte sie die Kälte weniger und ging rasch auf das
Schloß der Schneekönigin zu.
Aber nun müssen wir erst sehen, wie es Kay geht. Er dachte wahrlich nicht an
die kleine Gerda und am allerwenigsten, daß sie draußen vor dem Schlosse
stände.

S i e b e n t e Geschichte. Im Schlosse der Schneekönigin.


Die Mauern des Schlosses waren von dem wirbelnden Schnee aufgetürmt und
schneidende Winde hatten die Thüren und Fenster gebildet. Über hundert Säle
reihten sich aneinander, wie sie gerade ein Schneetreiben zusammengeweht
hatte; der größte erstreckte sich viele Meilen weit. Alle aber waren von starken
Nordlichtern erleuchtet und waren groß, leer, eisig kalt und schimmernd. Nie
herrschte hier eine Lustbarkeit, nicht einmal ein kleiner Bärenball, wobei der
Sturm hätte die Blasinstrumente spielen können; leer, weit und kalt war es in den
Sälen der Schneekönigin. Die Nordlichter flammten so regelmäßig, daß man
berechnen konnte, wann sie am höchsten und wann sie am niedrigsten standen.
Mitten in dem leeren und unendlichen Schneesaale war ein gefrorener See. Er
war in tausend Stücke geborsten, aber jedes Stück glich dem andern auf das
Genaueste, so daß es ein wahres Kunstwerk war. Mitten auf demselben saß die
Schneekönigin, so oft sie zu Hause war, und dann sagte sie, sie säße im Spiegel
des Verstandes, und dieser wäre der beste in dieser Welt.
Der kleine Kay war ganz blau vor Kälte, ja fast schwarz, aber er merkte es doch
nicht, denn sie hatte ihm den Frostschauer weggeküßt, und sein Herz war so gut
wie ein Eisklumpen. Er ging und schleppte einige scharfe, flache Eisstücke
herbei, die er auf alle mögliche Weise zusammenlegte, um ein gegebenes Muster
nachzubilden, gerade so, wie wenn wir kleine Holzstückchen zu bestimmten
Figuren zusammenpassen, was das chinesische Spiel genannt wird. Kay ging
auch und legte Figuren, es waren die allerkunstreichsten, es war das „Eisspiel
des Verstandes“. In seinen Augen waren diese Figuren ganz ausgezeichnet und
von der allerhöchsten Wichtigkeit; das bewirkte das Glaskörnchen, welches ihm
im Auge saß; er legte ganze Figuren, die ein geschriebenes Wort bildeten, aber
immer scheiterte er an der Zusammensetzung des Wortes, welches er gerade
wünschte, des Wortes: „E w i g k e i t “, und die Schneekönigin hatte gesagt.
„Kannst du mir diese Figur zu stande bringen, dann sollst du dein eigener Herr
sein, und ich schenke dir die ganze Welt und noch ein Paar neue Schlittschuhe!“
Aber er konnte es nicht.
„Nun sause ich fort nach den warmen Ländern!“ sagte die Schneekönigin. „Ich
will in meine schwarzen Töpfe hineingucken!“ Das waren die feuerspeienden
Berge Aetna und Vesuv, wie man sie nennt. „Ich werde sie ein wenig mit Weiß
überziehen, das gehört dazu und thut den Zitronen und Weintrauben gut!“
Darauf flog die Schneekönigin fort und Kay saß ganz allein in dem viele Meilen
weiten, leeren Eissaale, betrachtete die Eisstücke und dachte und dachte, daß es
in ihm ordentlich knackte. Ganz steif und still saß er da, man hätte glauben
können, er wäre erfroren.
In diesem Augenblicke trat die kleine Gerda durch die große Eingangspforte in
das Schloß. Schneidende Winde wehten ihr entgegen, aber sie betete ihr
Abendgebet und da legten sich die Winde, als ob sie schlafen wollten. Sie trat in
die großen leeren, kalten Säle — da gewahrte sie Kay; sie erkannte ihn, sie flog
ihm um den Hals, hielt ihn fest umschlungen und rief: „Kay! süßer, lieber Kay!
so habe ich dich endlich gefunden!“
Er aber saß ganz still, steif und kalt; — da weinte die kleine Gerda heiße
Thränen, sie fielen auf seine Brust, sie drangen in sein Herz, sie tauten den
Eisklumpen auf und verzehrten das kleine Spiegelsplitterchen in demselben. Er
blickte sie an und sie sang:
„Ich liebe die Rosen in all’ ihrer Pracht,
Doch mehr noch den Heiland, der selig uns macht!“
Da brach Kay in Thränen aus; er weinte so, daß ihm das Spiegelkörnchen aus
den Augen geschwemmt wurde, er erkannte sie und jubelte: „Gerda! süße, liebe
Gerda! — Wo bist du doch so lange gewesen und wo bin ich gewesen?“ Und er
schaute rings um sich her. „Wie kalt es hier ist! Wie leer und weit es hier ist!“
Und er umfaßte Gerda und sie lachte und weinte vor Freude. Das war ein so
lieblicher Anblick, daß sogar die Eisstücke vor Freude ringsumher tanzten. Als
sie nun müde waren, legten sie sich gerade auf die Buchstaben, von denen die
Schneekönigin gesagt hatte, wenn er sie ausfindig machen könnte, sollte er sein
eigener Herr sein und sie wollte ihm die ganze Welt und noch ein Paar neue
Schlittschuhe schenken.
Gerda küßte ihm die Wangen und sie wurden wieder blühend; sie küßte ihn auf
die Augen und sie glänzten wie die ihrigen; sie küßte ihn auf Hände und Füße
und er war gesund und munter. Nun mochte die Schneekönigin dreist nach
Hause kommen, sein Freibrief stand mit flimmernden Eisstücken
geschrieben da.
Sie reichten einander die Hände und wanderten aus dem großen Schlosse hinaus.
Auch sprachen sie von der Großmutter und von den Rosen oben auf dem Dache,
und wo sie gingen, legten sich die Winde und die Sonne brach hervor. Als sie
den Busch mit den roten Beeren erreichten, stand das Renntier da und wartete.
Es hatte ein zweites Renntier mitgebracht und beide trugen Gerda und Kay erst
zu der Finnin, in deren heißer Stube sie sich wärmten, und dann zur Lappin,
welche ihnen neue Kleider genäht und ihren Schlitten in stand gesetzt hatte. Die
Renntiere und die Lappin begleiteten sie bis zur Landesgrenze, dort nahmen sie
Abschied. „Lebt wohl!“ sagten sie sämtlich. Die ersten kleinen Vögel begannen
zu zwitschern, der Wald trieb grüne Knospen und aus demselben heraus kam auf
einem prächtigen Pferde, welches Gerda kannte (es war nämlich vor den
goldenen Wagen gespannt gewesen), ein junges Mädchen angeritten mit einer
weithin leuchtenden roten Mütze auf dem Kopfe und Pistolen im Gürtel. Es war
das kleine Räubermädchen. Sie erkannte Gerda sofort und Gerda erkannte sie
auch, das war eine Freude. Gerda streichelte ihr die Wangen und fragte nach dem
Prinzen und der Prinzessin.
„Die sind nach fremden Ländern gereist!“ sagte das Räubermädchen.
„Aber die Krähe?“ fragte die kleine Gerda.
„Ach, die Krähe ist tot!“ antwortete sie; „ihre Base trauert um sie mit einem
schwarzwollenen Lappen um das Bein. Doch nun erzähle mir, wie es dir
ergangen ist und wie du seiner habhaft geworden bist!“
Und Gerda und Kay erzählten alle beide.
Das Räubermädchen reichte beiden die Hand, nahm Abschied und ritt dann in
die weite Welt hinaus.
Aber Kay und Gerda gingen Hand in Hand, und während sie dahinschritten, war
es ein herrliches Frühlingswetter und die Blumen dufteten. Die Kirchenglocken
läuteten und sie erkannten die hohen Türme, die große Stadt, es war ihre
Geburtsstätte, und sie gingen in dieselbe hinein und hin zu der Thüre der
Großmutter, die Treppe hinauf, in die Stube hinein, wo noch alles auf derselben
Stelle wie früher stand. Die alte Uhr sagte: „Tick, tack!“ und die Zeiger drehten
sich. Während sie aber durch die Thüre schritten, bemerkten sie, daß sie
erwachsene Menschen geworden waren. Die Rosen blühten von der Dachrinne
her zu den offenen Fenstern herein, und da standen die kleinen Kinderstühlchen,
und Kay und Gerda setzten sich, ein jedes auf den seinigen, und hielten einander
bei den Händen. Wie einen schweren Traum hatten sie die kalte leere
Herrlichkeit bei der Schneekönigin vergessen. Großmutter saß in Gottes klarem
Sonnenscheine und las laut aus der Bibel: „Es sei denn, daß ihr umkehrt und
werdet wie die Kinder, so könnet ihr nicht in das Reich Gottes kommen!“
Und Kay und Gerda schauten einander in die Augen und verstanden auf einmal
das alte Lied:
„Ich liebe die Rosen in all’ ihrer Pracht,
Doch mehr noch den Heiland, der selig uns macht!“
Da saßen die beiden, Erwachsene und doch Kinder, Kinder im Herzen; und es
war Sommer, warmer, erquickender Sommer. —

Fliedermütterchen.
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ebend vor Fieberfrost lag ein kleiner Knabe im Bett, weil er sich erkältet hatte.
Er war mit nassen Füßen nach Hause gekommen, doch niemand konnte
begreifen, wie das geschehen war, da es nicht geregnet hatte. Seine Mutter ließ
die Theemaschine hereinbringen, um ihm eine gute Tasse Fliederthee zu kochen,
denn der wärmt. Zu gleicher Zeit trat auch der alte, muntere Mann zur Thüre
herein, der ganz oben im Hause wohnte und völlig für sich allein lebte, denn er
hatte weder Weib noch Kind, hatte aber die Kinder gar lieb und wußte so viele
Märchen und Geschichten zu erzählen, daß es eine Lust war, ihm zuzuhören.
„Jetzt trinke deinen Thee!“ sagte die Mutter, „dann erzählt dir der Onkel
vielleicht auch ein Märchen.“
„Ja, wenn man nur immer gleich ein neues wüßte!“ versetzte der alte Mann und
nickte gutmütig. „Aber wo hat denn der Kleine die nassen Füße herbekommen?“
fragte er dann.
„Ja, wo er sie her hat,“ entgegnete die Mutter, „ist eben das Unbegreifliche!“
„Erzählen Sie mir ein Märchen?“ fragte der Knabe.
„Ja, wenn du mir genau angeben kannst, denn das muß ich zuerst wissen, wie
tief der Rinnstein da drüben in der Gasse ist, in der deine Schule liegt?“
„Gerade bis mitten an die Schäfte,“ sagte der Knabe, „aber dann muß ich schon
in das tiefe Loch treten!“
„Sieh, sieh! also da stammen die nassen Füße her!“ sagte der alte Mann. „Nun
müßte ich freilich ein Märchen erzählen, aber ich weiß keines mehr.“ Die Mutter
warf Fliederthee in die Kanne und goß siedendes Wasser darüber.
„Erzählen Sie, erzählen Sie!“ bat der Knabe.
„Ja, wenn ein Märchen von selbst kommen wollte, aber solch echtes ist gar
vornehm, das kommt nur, wenn es Lust dazu hat — —! Doch halt!“ sagte er
plötzlich. „Da haben wir eins! Gieb acht, jetzt ist eins dort in der Theekanne!“
Der kleine Knabe blickte nach der Theekanne hinüber, der Deckel hob sich mehr
und mehr und die Fliederblumen kamen frisch und weiß heraus, trieben große
lange Zweige, sogar aus der Tülle breiteten sie sich nach allen Seiten aus und
wurden größer und größer. Es war der prächtigste Fliederbusch, ein ganzer
Baum, der bis in das Bett hineinragte und die Vorhänge zur Seite schob. Wie das
blühte und duftete! Mitten im Baume saß eine alte freundliche Frau in einem
seltsamen Gewande, welches grün wie die Blätter des Fliederbaumes war und
einen Besatz von großen weißen Fliederblüten hatte. Man konnte nicht sogleich
unterscheiden, ob es Zeug oder lebendiges Grün und Blumen waren.
„Wie heißt die Frau?“ fragte der Knabe.
„Die Römer und Griechen,“ entgegnete der alte Mann, „nannten sie eine
D r y a d e , aber das verstehen wir nicht. Draußen in den neuen Anlagen haben
wir einen bessern Namen für sie, dort heißt sie „F l i e d e r m ü t t e r c h e n “.
Von ihr will ich dir nun erzählen. Höre zu:
„Ein ebenso großer, blühender Baum stand draußen in den neuen Anlagen und
zwar in der Ecke eines kleinen Hofes, welcher zu einem kleinen Häuschen
gehörte. Unter diesem Baume saßen eines Nachmittags im herrlichsten
Sonnenschein zwei alte Leute. Es war ein alter, alter Seemann und sie seine alte,
alte Frau. Sie waren Urgroßeltern und sollten bald ihre goldene Hochzeit feiern,
konnten sich aber nicht genau des Datums erinnern. Fliedermütterchen saß in
dem Baume und sah ebenso vergnügt aus wie hier. „„Ich weiß wohl, wann eure
goldene Hochzeit ist!““ sagte sie, doch hörten jene es nicht, sie sprachen von
alten Tagen.“
„Erinnerst du dich dessen wohl noch,“ sagte der alte Seemann, „wie wir ganz
klein waren und umherliefen und spielten? Es war gerade in diesem nämlichen
Hofe, wo wir jetzt sitzen. Wir pflanzten kleine Stöckchen in die Erde und
machten uns einen Garten.“
„Ja,“ erwiderte die alte Frau, „dessen erinnere ich mich sehr wohl, und wir
begossen die Stöckchen, und eines derselben, ein Fliederzweig, schlug Wurzeln,
trieb grüne Schößlinge und ist nun zu dem großen Baume herangewachsen, unter
welchem wir alten Leute jetzt hier sitzen.“
„So ist’s!“ sagte er, „und dort in jener Ecke stand eine Wasserkufe; dort
schwamm mein Kahn, ich hatte ihn mir selbst geschnitzt. Wie er segeln konnte!
Ich sollte freilich das Segeln bald in andrer Weise erlernen!“
„Ja, aber erst gingen wir in die Schule und lernten etwas!“ sagte sie, „und dann
wurden wir eingesegnet. Wir weinten alle beide; des Nachmittags erstiegen wir
Hand in Hand den runden Turm und schauten über Kopenhagen und den
Meeresspiegel hin. Dann gingen wir nach Friedrichsberg hinaus, wo der König
und die Königin in ihrer prächtigen Gondel auf den Kanälen umherfuhren.“
„Aber mir war es freilich bald beschieden, in andrer Weise umherzusegeln, und
das so manches Jahr hindurch, weit hinaus auf langen, beschwerlichen Reisen.“
„Ja, ich weinte oft deinetwegen!“ unterbrach sie ihn, „denn ich glaubte, du lägest
tot in der Tiefe des Wassers! Manche, manche Nacht stand ich auf und sah nach,
ob die Wetterfahne sich drehte. Sie drehte sich wohl, doch du kamst nicht. Ich
entsinne mich noch deutlich, wie eines Tages ein heftiger Platzregen
herniederrauschte, der Kehrichtkärrner machte vor der Thüre meiner
Dienstherrschaft Halt, ich ging mit dem Kehrichtfasse hinunter und blieb an der
Thüre stehen. Gerade wie ich so dastand, kam plötzlich der Postbote auf mich zu
und gab mir einen Brief. Er war von dir. O, wie der umhergereist war! Ich brach
ihn in Hast auf und las ihn. Ich lachte und weinte, ich war so froh! Da stand, daß
du in den warmen Ländern wärest, wo die Kaffeebohnen wachsen. Was für ein
glückliches, gesegnetes Land muß das sein! Du erzähltest so viel und ich sah es
alles im Geiste, während der Regen fort und fort herniederplätscherte und ich
noch immer mit dem Kehrichtfasse dastand. Plötzlich tauchte jemand neben mir
auf, der mich um den Leib faßte — — —“
„Und dem du zur Belohnung eine klatschende Ohrfeige versetztest!“
„Wußte ich doch nicht, daß du es warst! Du warst mit deinem Briefe zugleich
angekommen; und du warst so schön — —, doch das bist du noch. Du machtest
mit einem langen gelbseidenen Taschentuche Staat und trugest einen weißen,
funkelnagelneuen Hut. Du warst so fein. Gott, was war es doch für ein Wetter,
und wie sah die Straße aus!“
„Dann heirateten wir uns,“ fuhr er fort.
„Ja, und wie unsere Kinder nun sämtlich herangewachsen und brave Menschen
geworden sind,“ sagte sie.
„Und auch ihre Kinder haben schon wieder Kinder, das sind Kindeskinder,“ fiel
der alte Matrose ein. „Wie mich dünkt, haben wir gerade in dieser Zeit unsere
Hochzeit gefeiert,“ setzte er hinzu.
„Ja, just heute ist der goldene Hochzeitstag!“ sagte Fliedermütterchen und
steckte den Kopf gerade zwischen die beiden Alten; diese aber hielten sie für die
Nachbarin, die ihnen zunickte. Sie schauten sich einander an und hielten die
Hände verschlungen. Bald darauf erschienen die Kinder und Kindeskinder, die
sehr wohl wußten, daß es der goldene Hochzeitstag war und auch schon am
Morgen gratuliert hatten; aber während sich die Alten der Ereignisse aus längst
vergangenen Jahren so gut erinnerten, war ihnen dies wieder entfallen. Der
Fliederbaum duftete stark, und die Sonne, welche sich ihrem Untergange
zuneigte, schien dem greisen Ehepaare gerade ins Antlitz. Beide sahen
rotwangig aus, und das kleinste der Kindeskinder tanzte um sie herum und rief
voller Glückseligkeit, daß es heute abend hoch hergehen sollte, sie würden
warme Kartoffeln bekommen. Fliedermütterchen nickte in ihrem Baume und rief
mit allen anderen „Hurrah“.
„Aber das war ja gar kein Märchen!“ unterbrach der kleine Knabe den Erzähler.
„Ja, das mußt du freilich verstehen!“ entgegnete der Alte. „Aber laß uns das
Fliedermütterchen danach fragen!“
„Es war kein Märchen!“ sagte Fliedermütterchen; „nun aber kommt es. Aus der
Wirklichkeit wächst gerade das seltsamste Märchen heraus; sonst könnte ja mein
prächtiger Fliederstrauch auch nicht aus der Theekanne emporgesproßt sein.“
Darauf nahm es den Knaben aus seinem Bette, umschlang ihn mit den Armen
und die blütenbedeckten Zweige schlugen um sie zusammen, so daß sie wie in
der dichtesten Laube saßen. Diese flog mit ihnen durch die Luft, es war
unvergleichlich schön. Fliedermütterchen hatte sich plötzlich in ein kleines
niedliches Mädchen verwandelt, doch war der Rock noch von demselben
grünen, weißgeblümten Zeuge, welches Fliedermütterchen getragen hatte. An
der Brust hatte es eine wirkliche Fliederblüte und um sein aschblondes, lockiges
Haar einen ganzen Kranz von Fliederblüten. Seine Augen waren groß und blau,
o, es war eine Freude, dasselbe anzusehen!
Hand in Hand gingen sie aus der Laube und standen nun in dem schönen
Blumengarten der Heimat. Bei dem frischen Rasenplatze lag der Stock des
Vaters an einen Pflock angebunden. Für die Kleinen war Leben in dem Stocke;
sobald sie sich quer über denselben setzten, verwandelte sich der blanke Knopf
in einen stolz wiehernden Kopf; die lange schwarze Mähne flatterte, vier
schlanke kräftige Beine wuchsen hervor: das Tier war stark und feurig. Im
Galopp ritten sie um den Rasenplatz herum und fortwährend rief das kleine
Mädchen, welches, wie wir wissen, niemand anders als Fliedermütterchen war:
„Nun sind wir auf dem Lande! Siehst du das Bauernhaus mit dem großen
Backofen, der wie ein riesengroßes, in der Mauer befindliches Ei auf den Weg
herausguckt? Der Fliederbaum läßt seine Zweige über ihn herabhängen und der
Hahn schreitet stolz einher und scharrt nach Futter für seine Hühner. Doch nun
vorwärts nach dem prächtigen Rittergute!“
Und alles, was das kleine Mädchen, das hinten auf dem Stocke saß, sagte, das
flog auch an ihnen vorüber; der Knabe sah es, und doch kamen sie nur um den
Rasenplatz herum. Dann spielten sie in dem Seitengange und steckten auf dem
Boden einen kleinen Garten ab. Das Mädchen nahm die Fliederblüte aus seinem
Haar, pflanzte sie und sie wuchs ganz eben so wie bei jenen Alten in die Höhe,
als dieselben noch als Kinder, wie früher erzählt ist, in den neuen Anlagen
miteinander spielten. Wie jene wandelten sie Hand in Hand, doch erstiegen sie
nicht den roten Turm, ergingen sich nicht im Friedrichsberger Parke, nein, das
kleine Mädchen faßte den Knaben um den Leib und dann flogen sie weit umher,
und es war Frühling und wurde Sommer, es war Herbst und wurde Winter, und
tausend Bilder spiegelten sich in den Augen und in dem Herzen des Knaben ab,
und immer sang das kleine Mädchen ihm vor: „Das darfst du nie vergessen!“
Während des ganzen Fluges duftete der Fliederbaum gar süß und herrlich. Der
Knabe nahm wohl die Rosen und die Blumen wahr, aber der Fliederbaum duftete
noch balsamischer, denn seine Blüten hingen an des kleinen Mädchens Herzen
und an dieses lehnte das kranke Knäblein während des Fluges oft das müde
Haupt.
„Hier ist es herrlich im Frühling!“ sagte das kleine Mädchen und sie standen in
einem knospenden Buchenwalde, wo grüner Waldmeister zu ihren Füßen duftete
und blaßrote Anemonen aus dem jungen Gras schauten. „O, wäre es immer
Frühling!“
„Hier ist es herrlich im Sommer!“ sagte sie und sie fuhren an alten Burgen aus
der Ritterzeit vorüber, deren rote Mauern und zackige Giebel sich in den Gräben
spiegelten, in denen Schwäne schwammen und in die alten kühlen Baumgänge
hinaufschauten. Auf dem Felde wogte das Korn gleich der bewegten See, rote
und gelbe Blumen wiegten sich in den Gräben, an den Gehegen rankten sich
wilder Hopfen und blühende Winden empor, und des Abends ging der Mond
groß und voll auf, und die Heuschober auf den Wiesen dufteten süß. „Das
vergißt sich nie!“
„Hier ist es herrlich im Herbst!“ sagte das kleine Mädchen, und die Luft wurde
doppelt so hoch und blau, der Wald nahm die schönsten Farben von Rot, Gelb
und Grün an, die Jagdhunde stürmten vorwärts, ganze Scharen wilder Vögel
flogen kreischend über die Hünengräber hin, auf denen sich Brombeerranken
über die alten Steine hinzogen. Auf dem tiefblauen Meere zeigten sich überall
weiße Segler, und in der Tenne saßen alte Frauen, Mädchen und Kinder und
pflückten Hopfen in ein großes Gefäß. Die Jungen sangen Lieder, aber die Alten
erzählten Märchen von Kobolden und Zauberern. „Besseres ließ sich nicht leicht
denken!“
„Hier ist es herrlich im Winter!“ sagte das kleine Mädchen, und alle Bäume
standen mit Reif bedeckt da, als wären sie in weiße Korallen verwandelt. Der
Schnee knirschte unter den Füßen, als ob man immer neue Stiefel anhätte, und
vom Himmel fiel eine Sternschnuppe nach der andern. Im Zimmer wurde der
Weihnachtsbaum angezündet, da gab es Geschenke und fröhliche Laune. In der
Bauernstube auf dem Lande ertönte lustiger Fiedelklang, unter Jauchzen und
Lachen haschte man nach Äpfelschnitten und selbst das ärmste Kind bekannte:
„Es ist doch herrlich im Winter!“
Ja, es war auch herrlich! Das kleine Mädchen zeigte dem Knaben alles und der
Fliederbaum duftete und die rote Flagge mit dem weißen Kreuze flatterte, die
Flagge, unter welcher der alte Seemann aus den neuen Anlagen gesegelt war.
Und aus dem Knaben wurde ein Jüngling und er sollte hinaus in die weite Welt,
weit fort nach den warmen Ländern, wo der Kaffee wächst. Aber beim Abschied
nahm das kleine Mädchen eine Fliederblüte von der Brust und gab sie ihm zum
Aufbewahren. Er legte sie in sein Gesangbuch, und so oft er es im fremden
Lande öffnete, fiel sein Blick zuerst auf die Stelle, wo die Blüte der Erinnerung
lag. Je länger er sie anblickte, desto frischer wurde sie; er fühlte gleichsam einen
Duft aus den heimischen Wäldern und deutlich sah er zwischen den
Blütenblättern das kleine Mädchen mit seinen klaren Augen hervorlugen und
hörte, wie sie ihm zuflüsterte: „Hier ist es herrlich im Frühling, Sommer, Herbst
und Winter!“ Und Hunderte von Bildern glitten dann durch seine Gedanken.
So verstrichen viele Jahre und er war nun ein alter Mann und saß mit seiner alten
Frau unter einem blühenden Baume. Sie hielten einander an den Händen, genau
so wie es der Urgroßvater und die Urgroßmutter draußen in den neuen Anlagen
gethan hatten, und sie sprachen gleichfalls von den alten Tagen und von der
goldenen Hochzeit. Das kleine Mädchen mit den blauen Augen und den
Fliederblüten im Haare saß oben im Baume, nickte ihnen Beiden zu und sagte:
„Heute ist der goldne Hochzeitstag!“ — Darauf nahm es zwei Blumen aus
seinem Kranze, küßte dieselben und nun leuchteten sie zuerst wie Silber, dann
wie Gold, und als es diese auf die Häupter der Alten legte, verwandelte sich jede
Blüte in eine goldene Krone. Da saßen sie Beide wie ein König und eine
Königin unter dem duftenden Baume, der völlig wie ein Fliederbaum aussah,
und er erzählte seiner alten Frau die Geschichte vom Fliedermütterchen, so wie
sie ihm als kleinem Knaben erzählt worden war, und es schien Beiden, als ob
vieles darin vorkäme, was ihrer eigenen Geschichte ähnelte.
„Ja, so ist es,“ sagte das kleine Mädchen im Baume; „einige nennen mich
Fliedermütterchen, andere Dryade, aber mein wahrer Name ist E r i n n e r u n g .
Ich habe meinen Platz in dem grünen Baume, welcher wächst und wächst. Ich
schaue weit zurück und kann erzählen. Hast du auch deine Blüte noch?“
Und der alte Mann öffnete sein Gesangbuch; da lag die Fliederblüte, so frisch,
als wäre sie erst vor kurzem hineingelegt worden, und Fliedermütterchen, oder
vielmehr die Erinnerung, nickte, und die beiden Alten mit den goldenen Kronen
saßen in der glühenden Abendsonne. Sie schlossen die Augen, und — und — ja
da war das Märchen aus.
Der kleine Knabe lag in seinem Bettchen, er wußte nicht, ob er alles geträumt
oder ein Märchen gehört hatte. Die Theekanne stand auf dem Tische, aber es
sproßte kein Fliederbaum aus ihr hervor, und der alte Mann, welcher erzählt
hatte, ging eben zur Thüre hinaus.
„Wie schön war das!“ sagte der kleine Knabe. „Mutter, bin ich in den warmen
Ländern gewesen?“
„Ja, das glaube ich wohl!“ sagte die Mutter, „wenn man zwei bis an den Rand
gefüllte Tassen Fliederthee trinkt, dann kommt man schon nach den fremden
Ländern!“ Und sie deckte ihn gut zu, damit er sich nicht von neuem erkältete.
„Du hast wohl geschlafen, während ich saß und mit unserem alten Freunde
darüber stritt, ob es eine Geschichte oder ein Märchen wäre.“
„Und wo ist Fliedermütterchen?“ fragte der Knabe.
„Das steckt in der Theekanne!“ sagte die Mutter, „und da kann es bleiben!“
Der Tannenbaum.
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Weit draußen im Walde stand ein niedlicher Tannenbaum; er hatte einen guten
Platz, die Sonne konnte zu ihm dringen, Luft war genug da und rund umher
wuchsen viele größere Kameraden, Tannen und Fichten. Aber der kleine
Tannenbaum wollte nur immer wachsen und wachsen; er dachte nicht an den
warmen Sonnenschein und die frische Luft, bekümmerte sich nicht um die
Bauernkinder, wenn sie draußen im Walde umherschwärmten, um Erdbeeren und
Himbeeren zu sammeln. Oftmals kamen sie mit einem ganzen Topfe voll oder
hatten Erdbeeren auf Strohhalme gezogen. Dann setzten sie sich neben das
Bäumchen und sagten: „Ach, wie klein der ist!“ Doch das gefiel dem Bäumchen
nicht. Im nächsten Jahre war es schon um einen Schuß größer und das Jahr
darauf war es wieder um einen gewachsen; denn bei einem Tannenbaume kann
man, sobald man zählt, wie oft er einen neuen Trieb angesetzt hat, genau die
Jahre seines Wachstums berechnen.
„O, wäre ich doch ein so großer Baum wie die anderen!“ seufzte das Bäumchen,
„dann könnte ich meine Zweige weit ausbreiten und mit dem Gipfel in die weite
Welt hinaus schauen! Dann würden die Vögel ihre Nester zwischen meine
Zweigen bauen, und wenn es stürmte, könnte ich so vornehm nicken wie dort die
anderen.“
Weder der Sonnenschein, noch die Vögel, noch die roten Wolken, die morgens
und abends über ihn hinsegelten, machten ihm Freude.
War es nun Winter, und Schnee lag blendend weiß ringsherum, dann kam oft ein
Hase angesprungen und setzte gerade über das Bäumchen hinweg. O, das war
empörend! Aber zwei Winter verstrichen und im dritten war der Baum schon so
hoch, daß der Hase um ihn herumlaufen mußte. „O, wachsen, wachsen, groß und
alt werden, das ist doch das einzig Schöne in der Welt!“ dachte der Baum.
Im Spätherbst erschienen regelmäßig Holzhauer und fällten einige der größten
Bäume. Das geschah jedes Jahr und den jungen Tannenbaum, der nun schon
tüchtig in die Höhe geschossen war, befiel Zittern und Beben dabei, denn mit
Gepolter und Krachen stürzten seine Kameraden zur Erde, die Zweige wurden
ihnen abgehauen, sie sahen nun ganz nackt, lang und schmal aus, sie waren
kaum noch wiederzuerkennen. Dann aber wurden sie auf Wagen gelegt und
Pferde zogen sie zum Walde hinaus.
Wohin sollten sie? — Was stand ihnen bevor? —
Als im Frühjahr die Schwalbe und der Storch kamen, fragte sie der Baum: „Wißt
ihr nicht, wohin sie geführt wurden? Seid ihr ihnen nicht begegnet?“
Die Schwalbe wußte nichts, doch der Storch sah sehr nachdenklich aus, nickte
mit dem Kopfe und sagte: „Ja, ich glaube fast; mir begegneten auf meiner
Rückreise von Ägypten viele neue Schiffe. Auf denselben standen prächtige
Mastbäume; ich darf wohl behaupten, daß sie es waren; sie verbreiteten
Tannengeruch. Ich kann vielmals grüßen, sie überragen alles!“
„O, wäre ich doch auch groß genug, um über das Meer hinzufliegen! Wie ist es
eigentlich, dieses Meer, und wem ähnelt es?“
„Ja, das ist etwas weitläufig zu erklären!“ sagte der Storch und ging.
„Freue dich deiner Jugend!“ sagten die Sonnenstrahlen, „freue dich deines
Wachstums, des jungen Lebens, welches dich erfüllt!“
Und der Wind küßte den Baum, und der Tau weinte Thränen über ihn, allein der
Tannenbaum verstand es nicht.
In der Weihnachtszeit wurden ganz junge Bäume gefällt, Bäume, die nicht
einmal so groß waren, noch im gleichen Alter standen wie unser
Tannenbäumchen, das weder Ruh noch Rast hatte, sondern nur immer weiter
wollte. Diese jungen Bäume, und es waren gerade die allerschönsten, behielten
immer ihre Zweige, sie wurden auf Wagen gelegt und Pferde zogen sie aus dem
Walde.
„Wohin bringt man sie?“ fragte der Tannenbaum. „Sie sind nicht größer als ich,
ja da war sogar einer dabei, der noch weit kleiner aussah. Weshalb behalten sie
alle ihre Zweige? Wo fahren sie hin?“
„Das wissen wir, das wissen wir!“ zwitscherten die Sperlinge. „Unten in der
Stadt haben wir zu den Fenstern hineingeschaut. O, sie gelangen zur größten
Pracht und Herrlichkeit, die sich denken läßt! Wir haben gesehen, daß sie mitten
in die warme Stube hineingepflanzt und mit den herrlichsten Sachen, mit
vergoldeten Äpfeln, Honigkuchen, Spielzeug und vielen hundert Lichtern
ausgeschmückt wurden!“
„Und dann?“ fragte der Tannenbaum und bebte in allen Zweigen. „Und dann?
Was geschieht dann?“
„Ja, mehr haben wir nicht gesehen, es war unvergleichlich!“
„Ob auch mir dieses Los zufallen wird, diesen strahlenden Weg zu gehen?“
jubelte das Bäumchen. „Das ist noch besser, als über das Meer zu fahren. O, wie
mich die Sehnsucht verzehrt! O wäre ich erst auf dem Wagen! Wäre ich erst in
der warmen Stube mit all’ ihrer Pracht und Herrlichkeit! Und dann? Ja dann
kommt noch etwas Besseres, noch Schöneres, weshalb würde man mich sonst so
ausschmücken! Da muß noch etwas Größeres, noch etwas Herrlicheres kommen
— —!“
„Freue dich meiner!“ sagte die Luft und sagte der Sonnenschein; „freue dich
deiner frischen Jugend draußen im Freien!“
Aber das Bäumchen freute sich gar nicht; es wuchs und wuchs, Winter und
Sommer stand es dunkelgrün da! Die Leute, welche es sahen, sagten: „Das ist
ein hübscher Baum!“ und zur Weihnachtszeit wurde er zuerst von allen gefällt!
Die Axt hieb tief durch das Mark; der Baum fiel mit einem Seufzer zu Boden. Er
fühlte einen Schmerz, eine Ohnmacht, er vermochte an gar kein Glück mehr zu
denken. Er war betrübt, von der Heimat zu scheiden, von dem Flecke, auf dem er
emporgeschossen war. Er wußte ja, daß er nie mehr die lieben, alten Kameraden,
die kleinen Büsche und Blumen wiedersehen würde.
Der Baum kam erst wieder zu sich, als er im Hofe, mit den andern Bäumen
abgeladen, einen Mann sagen hörte: „Der ist prächtig! Wir brauchen keinen
andern!“
Nun kamen zwei Diener im vollen Staate und trugen den Tannenbaum in einen
großen, prächtigen Saal. Er wurde in ein großes, mit Sand gefülltes Gefäß
gestellt, doch konnte niemand merken, daß es ein Gefäß war, denn es wurde
ringsherum mit grünem Zeug behängt und stand auf einem großen bunten
Teppiche. O, wie der Baum bebte! Was sollte doch nun geschehen? Die Diener
und die Fräulein kamen und putzten ihn aus. Über die Zweige hängten sie kleine,
aus buntem Papier ausgeschnittene Netze, mit Zuckerwerk gefüllt. Vergoldete
Äpfel und Walnüsse hingen wie festgewachsen herab, und über hundert rote,
blaue und weiße Lichterchen wurden an den Zweigen befestigt. Puppen, die wie
leibhaftige Menschen aussahen, schwebten im Grünen, und ganz oben auf der
Spitze strahlte ein Stern von Flittergold. Es war prächtig, ganz unvergleichlich
prächtig!
„Heute Abend,“ sagten alle, „heute Abend wird er strahlen!“
„O!“ dachte der Baum, „wäre es doch erst Abend! Würden doch nur die Lichter
bald angezündet! Und was mag dann geschehen? Ob wohl die Bäume aus dem
Walde kommen und mich anschauen? Ob die Sperlinge gegen die
Fensterscheiben fliegen? Ob ich hier festwachsen und Winter und Sommer
geschmückt dastehen werde?“ —
Nun wurden die Lichter angezündet. Welcher Glanz! Welche Pracht! Der Baum
bebte in allen Zweigen dabei, so daß einige Nadeln an einem der Lichter Feuer
fingen. Es sengte ordentlich.
„Gott bewahre uns!“ schrieen die Fräulein und löschten es schnell aus.
Nun durfte der Baum nicht einmal beben. O, das war ein Graus! Er war so
besorgt, etwas von all’ seinem Staate zu verlieren; er war von all’ dem Glanze
wie betäubt. — Und nun öffneten sich beide Flügelthüren, und eine Menge
Kinder stürzten herein, als ob sie den ganzen Baum umrennen wollten. Die
älteren Leute kamen bedächtig hinterher; die Kleinen standen ganz stumm, aber
nur einen kurzen Augenblick, dann jubelten sie wieder so, daß es wiederhallte.
Sie tanzten um den Baum, und ein Geschenk nach dem andern wurde
abgepflückt.
„Was haben sie nur vor?“ dachte der Baum. „Was soll da geschehen?“ Die
Lichter brannten bis auf die Zweige herunter und darauf löschte man sie aus und
die Kinder erhielten Erlaubnis, den Baum zu plündern. O, die stürzten auf ihn
los, daß es in allen Zweigen knackte. Wäre er nicht mit der Spitze und dem
goldenen Stern an der Decke befestigt gewesen, so hätten sie ihn sicher
umgeworfen.
Die Kinder tanzten nun mit ihrem prächtigen Spielzeuge umher. Niemand
beachtete den Baum, mit Ausnahme der alten Kinderfrau, die aufmerksam
zwischen die Zweige nach einem etwa vergessenen Apfel blickte.
„Eine Geschichte, eine Geschichte!“ riefen die Kinder und zerrten einen kleinen,
dicken Mann nach dem Baume hin. Er setzte sich gerade unter denselben nieder,
„denn so,“ meinte er, „sind wir im Grünen. Aber ich erzähle nur eine Geschichte.
Wollt ihr die von Ivede-Avede hören oder die von Klumpe-Dumpe, der die
Treppe hinabfiel und sich doch auf den Thron schwang und die Prinzessin
erhielt?“
„Ivede-Avede!“ schrieen einige, „Klumpe-Dumpe!“ schrieen andere. Was war
das für ein Rufen und Durcheinanderschreien! Nur der Tannenbaum schwieg
still. Seine Rolle war vorüber, er hatte ja seine Schuldigkeit gethan!
Der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, der die Treppe hinabfiel und sich doch
auf den Thron schwang und die Prinzessin erhielt. Und die Kinder klatschten in
die Hände und riefen: „Erzähle, erzähle!“ Sie wollten auch noch die Geschichte
von Ivede-Avede hören, mußten sich aber mit Klumpe-Dumpe begnügen. Der
Tannenbaum stand ganz still und gedankenvoll, nie hatten die Vögel draußen im
Walde dergleichen erzählt. „Klumpe-Dumpe fiel die Treppe hinab und bekam
doch die Prinzessin! Ja, ja, so geht es in der Welt zu!“ dachte der Tannenbaum
und hielt es für Wahrheit, weil der Erzähler ein so netter Mann war. „Ja, ja, wer
kann wissen, vielleicht falle ich auch die Treppe hinab und bekomme eine
Prinzessin!“ Und er freute sich darauf, den nächsten Tag wieder mit Lichtern und
Spielzeug, mit Gold und Früchten bekleidet zu werden.
„Morgen werde ich nicht zittern!“ dachte er. „Ich werde eine recht herzliche
Freude über alle meine Herrlichkeit empfinden. Morgen werde ich wieder die
Geschichte von Klumpe-Dumpe hören und vielleicht auch die von Ivede-
Avede.“ Und der Baum stand die ganze Nacht still und gedankenvoll da.
Am folgenden Morgen traten die Diener und Mägde herein.
„Nun beginnt der Staat von neuem!“ dachte der Baum, aber sie schleppten ihn
zum Zimmer hinaus, die Treppe hinauf bis auf den Boden und dort stellten sie
ihn in einen dunklen Winkel, wohin kein Tageslicht fiel. „Was hat denn das zu
bedeuten?“ dachte der Baum. „Was habe ich denn hier zu thun? Was mag ich
denn hier hören sollen?“ Er lehnte sich gegen die Mauer und stand da und sann
und sann. Und Zeit hatte er genug dazu, denn es verstrichen Tage und Nächte.
Niemand kam herauf und als endlich einmal jemand kam, geschah es nur zu dem
Zwecke, einige große Kasten in den Winkel zu stellen.
„Nun ist draußen Winter!“ dachte der Baum. „Die Erde ist hart und mit Schnee
bedeckt, die Menschen können mich nicht pflanzen; deshalb soll ich
wahrscheinlich bis zum Frühling hier im Schutze stehen! Wie fürsorglich doch
das ist! Wie gut die Menschen doch sind! Wäre es hier nur nicht so dunkel und
so erschrecklich einsam! Nicht einmal ein Häschen ist hier zu finden! Draußen
im Walde war es doch lustig, wenn der Schnee lag und der Hase vorübersprang,
ja selbst wenn er über mich hinwegsetzte; aber damals gefiel es mir freilich
nicht. Hier oben ist es aber doch entsetzlich einsam!“
„Pip, pip!“ sagte plötzlich eine kleine Maus und schlüpfte hervor, und darauf
kam noch eine kleine. Sie schnüffelten an dem Tannenbaume und schmiegten
sich durch die Zweige desselben.
„Es herrscht heute eine furchtbare Kälte!“ sagten die zwei kleinen Mäuschen;
„nicht wahr, du alter Tannenbaum?“
„Ich bin noch gar nicht alt!“ versetzte der Tannenbaum, „es giebt viel ältere als
ich bin!“
„Wo kommst du her?“ fragten die Mäuse, „und was weißt du?“ Sie waren
gewaltig neugierig. „Erzähle uns doch von dem herrlichsten Plätzchen auf
Erden! Bist du schon dort gewesen? Bist du schon in der Speisekammer
gewesen, wo Käse auf den Brettern liegen und Schinken unter der Decke
hängen, wo man auf Talglichtern tanzt, mager hineingeht und fett
herauskommt?“
„Die kenne ich allerdings nicht,“ sagte der Baum, „aber den Wald kenne ich, wo
die Sonne scheint und die Vögel singen!“ Darauf erzählte er ihnen alle
Erlebnisse seiner Jugend und die Mäuschen hatten dergleichen nie zuvor gehört.
„O!“ sagten die Mäuschen, „wie glücklich du gewesen bist, du alter
Tannenbaum!“
„Ich bin durchaus nicht alt!“ erwiderte der Tannenbaum, „erst in diesem Winter
bin ich ja aus dem Walde gekommen! Ich stehe in meinem allerbesten Alter, ich
bin nur sehr gewachsen!“
„Wie schön du erzählst!“ sagten die Mäuschen, und in der nächsten Nacht
kamen sie mit vier andern kleinen Mäusen wieder, welche den Baum auch
erzählen hören sollten, und je mehr er erzählte, desto lebhafter trat es ihm selbst
vor die Augen und er sagte: „Es waren doch wirklich glückliche Zeiten! Aber sie
können wiederkommen! Klumpe-Dumpe fiel die Treppe hinab und bekam doch
die schöne Prinzessin.“
„Wer ist Klumpe-Dumpe?“ fragten die Mäuschen.
Nun erzählte der Tannenbaum das ganze Märchen, dessen er sich Wort für Wort
entsinnen konnte. Und die Mäuschen wären aus lauter Freude fast in die Spitze
des Baumes gesprungen. In der folgenden Nacht versammelten sich noch weit
mehr Mäuse und am Sonntag kamen sogar zwei Ratten. Die behaupteten aber,
die Geschichte sei nicht lustig, und das betrübte die Mäuschen, denn sie kam
ihnen nun auch weniger schön vor.
„Können Sie nur die eine Geschichte erzählen?“ fragten die Ratten.
„Nur die eine!“ antwortete der Baum, „ich hörte sie an meinem glücklichsten
Abend, aber damals dachte ich nicht daran, wie glücklich ich war!“
„Das ist eine höchst elende Geschichte! Wissen Sie keine von Speck und
Talglichtern? Keine Speisekammergeschichten?“
„Nein!“ sagte der Baum.
„Nun, dann danken wir dafür!“ erwiderten die Ratten und kehrten zu den Ihrigen
zurück.
Zuletzt blieben die Mäuschen auch fort und da seufzte der Baum: „Es war doch
ganz hübsch, als sie um mich saßen, die muntern Mäuschen, und auf meine
Erzählungen lauschten! Nun ist das gleichfalls vorbei. Aber die schöne Zeit wird
wiederkommen!“
Und eines Morgens, da kamen Leute herauf und kramten auf dem Boden umher.
Die Kasten erhielten einen andern Platz und der Baum wurde hervorgezogen. Sie
warfen ihn unsanft auf den Fußboden, aber sofort schleppte ihn ein Hausknecht
nach der Treppe hin, wo das Tageslicht schimmerte.
„Nun beginnt das Leben wieder!“ dachte der Baum. Er fühlte die frische Luft,
den ersten Sonnenstrahl, — und nun war er draußen auf dem Hofe. Alles ging so
schnell, daß der Baum völlig vergaß, sich selbst zu betrachten; zu viel Neues war
ringsumher anzustaunen. Der Hof stieß an einen Garten und alles stand darin in
voller Blüte. Die Rosen hingen frisch und duftend über den kleinen Staketenzaun
hinüber, die Lindenbäume blühten und die Schwalben flogen umher und
zwitscherten: „Quirre virrevit, mein Mann ist gekommen!“ Aber den
Tannenbaum meinten sie damit nicht.
„Nun will ich leben!“ jubelte dieser und breitete seine Zweige weit aus. Ach, sie
waren alle vertrocknet und gelb und zwischen Unkraut und Nesseln lag er in
einem Winkel da. Der Goldpapierstern saß noch oben auf der Spitze und
leuchtete im hellsten Sonnenscheine.
Auf dem Hofe selbst spielten ein paar von den lustigen Kindern, die am
Weihnachtsabend um den Baum getanzt hatten und dabei so fröhlich gewesen
waren. Eines der kleinsten lief hin und riß den Goldstern ab.
„Sieh, was da noch an dem alten, häßlichen Tannenbaume sitzt!“ rief es und trat
auf die Zweige, daß sie unter seinen Stiefeln knackten.
Und der Baum betrachtete all’ die Blumenpracht und Frische im Garten,
betrachtete dann sich selbst und wünschte, daß er in seinem finstern Winkel auf
dem Boden geblieben wäre. Er gedachte seiner frischen Jugend im Walde, des
lustigen Weihnachtsabends und der kleinen Mäuse, die so fröhlich der
Geschichte von Klumpe-Dumpe zugelauscht hatten.
„Vorbei, vorbei!“ seufzte der arme Baum. „Hätte ich mich doch gefreut als ich es
noch konnte! Vorbei, vorbei!“
Der Hausknecht kam und hieb den Baum in kleine Stücke, ein ganzes Bund lag
da; hell loderte es auf unter dem großen Braukessel. Er seufzte tief, jeder Seufzer
tönte wie ein kleiner Schuß. Deshalb liefen die Kinder, welche draußen spielten,
herbei, setzten sich vor das Feuer, schauten hinein und riefen: „Piff, paff!“ Aber
bei jedem Knalle, der ein tiefer Seufzer war, gedachte der Baum eines
Sommertages im Walde, einer Winternacht draußen, wenn die Sterne glänzten.
Er gedachte des Weihnachtsabends und des Klumpe-Dumpe, des einzigen
Märchens, welches er gehört hatte und zu erzählen wußte, — und dann war der
Baum verbrannt.
Die Kinder spielten im Hofe und der kleinste hatte auf der Brust den Goldstern,
den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen hatte. Nun war dieser
vorüber und mit diesem auch der Baum nebst seiner Geschichte. Vorbei, vorbei
— und so geht es mit allen Geschichten.

Das alte Haus.


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n einem Seitengäßchen stand ein altes, altes Haus; es war fast dreihundert Jahre
alt. Dies konnte man an dem Balken lesen, wo die Jahreszahl von Tulpen und
Hopfenranken umschlungen eingeschnitten war. Da standen auch in
altertümlicher Schreibart ganze Verse und über jedem Fenster war in den Balken
ein fratzenhaftes Gesicht eingeschnitten und am ganzen Gebäude wucherte der
Epheu üppig empor. Das eine Stockwerk trat weit über das andere heraus und
dicht unter dem Dache lief eine Bleirinne, die am Ende einen Drachenkopf als
Zierat trug. Das Regenwasser sollte aus dem Rachen seinen Ausgang nehmen,
fand aber seinen Weg durch den Bauch, denn es war ein Loch in der Rinne.
Alle andern Häuser in der Straße waren neu und man konnte es ihnen zur
Genüge ansehen, daß sie mit dem alten Hause nichts zu thun haben wollten.
Gerade gegenüber in der Straße standen gleichfalls neue und hübsche Häuser
und am Fenster eines derselben saß ein kleiner Knabe mit frischen roten
Wangen, mit hellen, strahlenden Augen, welchem dies alte Haus noch am besten
gefiel, sowohl im Sonnenschein wie im Mondenschein. Und blickte er zu der
Mauer hinüber, von der der Kalk abgefallen war, dann konnte er dasitzen und
sich mit seiner regen Einbildungskraft die seltsamsten Bilder entwerfen, wie die
Straße früher müßte ausgesehen haben mit ihren Treppen, Erkern und spitzen
Giebeln. Er vermochte im Geiste Soldaten mit Hellebarden zu sehen und
Dachrinnen, die in der Gestalt von Drachen und Lindwürmern ausliefen.
Das Haus bewohnte ein alter Mann. Er ging noch immer in den altmodischen
Kniehosen, trug einen Rock mit großen Messingknöpfen und eine Perücke, der
man es ansehen konnte, daß es eine echte Perücke war. Jeden Morgen kam ein
alter Mann zu ihm, um aufzuräumen und Gänge zu besorgen, sonst war der alte
Mann in den Kniehosen ganz allein in dem alten Hause. Bisweilen trat er an das
Fenster und blickte hinaus, und der kleine Knabe nickte ihm zu und der alte
Mann nickte wieder. Auf diese Weise wurden sie erst miteinander bekannt und
dann Freunde, obgleich sie nie miteinander gesprochen hatten, aber das war ja
auch gleichgültig.
Der kleine Knabe hörte seine Eltern oft sagen: „Dem alten Manne da drüben
geht es sehr gut, aber er lebt so erschrecklich einsam!“
Am nächsten Sonntage wickelte der kleine Knabe etwas in ein Stück Papier, that
es in ein kleines Pappschächtelchen, ging hinunter vor die Thür, und als der alte
Mann, welcher die Gänge besorgte, in das alte Haus wollte, sagte er zu ihm:
„Höre, willst du dies deinem Herrn von mir bringen? Ich besitze zwei
Zinnsoldaten, dies ist der eine; er soll ihn haben, weil ich weiß, daß er so ganz
allein ist!“
Das Gesicht des alten Mannes wurde mit einemmale ganz heiter; er nickte und
trug den Zinnsoldaten zu dem alten Mann hinauf, welcher den Vorgang vom
Fenster aus mit angesehen hatte. Bald darauf geschah von dort die Anfrage, ob
der kleine Knabe nicht drüben einen Besuch abstatten wolle. Dazu erhielt er
auch von seinen Eltern die Erlaubnis und so kam er in das alte Haus.
Die Messingknöpfe an dem Treppengeländer glänzten weit stärker als sonst; man
hätte vermuten können, daß sie zu Ehren des Besuches geputzt worden wären,
und es schien, als ob die ausgeschnitzten Trompeter — denn an der Thüre waren
Trompeter angebracht — in ihre aus Holz geschnitzten Trompeten: „Tratteratra,
der kleine Knabe ist da!“ bliesen. Der ganze Hausflur war mit alten Portraits
behängt. Dann kam eine Treppe, die aufwärts und auf einen baufälligen Altan
führte, der ganz mit Grün bewachsen, wie ein Garten aussah. Hier standen
altmodische Blumentöpfe, die Gesichter mit Eselsohren darstellten; die Blumen
waren sich aber völlig selbst überlassen und wuchsen wild auf.
Von hier trat man in ein Zimmer, dessen Wände mit Schweinsleder bekleidet
waren. Die darauf gedruckten, goldenen Blumen gewährten einen gar
freundlichen Anblick. — „Vergoldung vergeht, aber Schweinsleder besteht!“
sagten die Wände. Darauf gelangte der kleine Knabe in das Erkerzimmer, in
welchem der alte Mann saß.
„Besten Dank für den Zinnsoldaten, mein kleiner Freund!“ sagte der alte Herr,
„und Dank, daß du zu mir herüberkommst!“
Nun sah sich der Knabe erst ein wenig in dem mit alten Möbeln überfüllten
Zimmer um. Mitten an der Wand hing das Portrait einer jungen, lebensfrohen
Frau, aber in altväterischer Tracht, mit gepudertem Haar und steifleinenem
Rocke. Sie schaute mit gar sanften Augen auf den Knaben hernieder, der den
alten Mann sogleich fragte: „Wo hast du diese herbekommen?“
„Vom Trödler drüben!“ sagte der alte Mann. „Dort hängen noch viele Bilder;
niemand kennt sie oder kümmert sich um sie, denn die Personen, welche sie
vorstellen, sind sämtlich längst begraben; aber in jungen Tagen habe ich diese
gekannt, und nun ist auch sie gestorben und weilt schon seit einem halben
Jahrhundert nicht mehr auf Erden.“
„Meine Eltern sagten, du seiest ganz allein,“ begann der kleine Knabe wieder.
„O,“ sagte der Greis, „die alten Gedanken und alles, was sie in meiner Seele
wachrufen, kommen und besuchen mich, und nun kommst du ja auch! — Mir
geht es ganz gut!“
Darauf nahm er vom Bücherbrett ein Bilderbuch. Was war darin alles zu sehen!
Lange Prozessionen, die seltsamsten Kutschen, wie sie heutigen Tages längst
von unsern Straßen verschwunden sind, und sonst noch die wunderbarsten
Dinge. O, was war das für ein Bilderbuch!
Der alte Mann ging in das Nebenzimmer, um Eingemachtes, Äpfel und Nüsse zu
holen; — für einen kleinen Knaben war es da oben in dem alten Hause gar nicht
so übel.
„Ich kann es nicht aushalten!“ begann plötzlich der Zinnsoldat, welcher auf der
Kommode stand, zu sprechen; „hier ist es so einsam und traurig; nein, wenn man
an ein Familienleben gewöhnt ist, kann man sich an die unheimliche Stille in
diesem Hause hier gar nicht gewöhnen! — Ich kann es nicht aushalten!“
„Du brauchst doch nicht zu klagen!“ sagte der kleine Knabe, „mir kommt es hier
sehr hübsch vor, zumal da alle die alten Gedanken und alles, was sie in des alten
Mannes Seele wachrufen, zu Besuch kommen!“ — „Die sehe und kenne ich aber
nicht!“ sagte der Zinnsoldat, „ich kann es nicht aushalten!“ — „Du mußt!“
erwiderte der kleine Knabe.
Der alte Mann erschien jetzt wieder mit dem heitersten Gesicht, dem herrlichsten
Eingemachten, mit Äpfeln und Nüssen, und darum dachte der kleine Knabe
nicht länger an den Zinnsoldaten.
Glücklich und vergnügt kam der Kleine wieder nach Hause. Tage und Wochen
verstrichen seitdem und nach dem alten Hause und von dem alten Hause nickte
man sich gegenseitig freundlich zu; und dann kam der kleine Knabe wieder
hinüber.
Die ausgeschnitzten Trompeter bliesen: „Tratteratra! der kleine Knabe ist da!“
und auch sonst war es genau so wie beim ersten male, denn da drüben verstrich
ein Tag wie der andere.
„Ich kann es nicht aushalten!“ sagte da wieder der Zinnsoldat, „ich habe Zinn
geweint! Hier ist es zu trübselig! Jetzt weiß ich, was es heißt, Besuch von seinen
alten Gedanken zu erhalten. Ich habe den Besuch der meinigen gehabt und sah
euch alle so deutlich vor mir. Ihr Kinder standet alle mit gefalteten Händen vor
dem Tische und sanget euern Morgen-Choral. Vater und Mutter waren in gleich
feierlicher Stimmung, als plötzlich die Thüre aufging und die kleine Schwester
Marie, welche immer tanzt, sobald sie nur Musik hört, hereinkam. So stand sie
denn erst auf dem einen Beinchen und neigte den Kopf ganz vornüber, und dann
auf dem andern und neigte den Kopf wieder ganz vornüber. Ihr standet sämtlich
sehr ernsthaft da, obgleich das euch sauer genug wurde, ich aber mußte innerlich
so lachen, daß ich vom Tische fiel und mir eine Beule schlug, mit der ich noch
einhergehe, denn es war nicht recht von mir, zu lachen. Erzähle mir, ob ihr des
Sonntags noch singt? Erzähle mir etwas von der kleinen Marie! Und wie
befindet sich mein Kamerad, der andere Zinnsoldat? Ja, der ist fürwahr
glücklich! — Ich kann es nicht aushalten!“
„Du bist verschenkt!“ war die Antwort; „du mußt bleiben. Kannst du das nicht
begreifen?“
Der alte Mann kam mit einem Kasten, worin viel zu sehen war, Häuschen aus
Kreide gearbeitet und Balsambüchsen und alte Karten, so groß und so vergoldet,
wie man sie heutigen Tages nie mehr erblickt. Der Inhalt großer Kästen wurde
besichtigt, und auch das Klavier geöffnet; heiser klangen die Töne, die der alte
Mann hervorlockte; dann summte er leise ein Lied vor sich hin.
„Ja, das konnte sie singen!“ sagte er, und dabei nickte er ihrem Portrait zu,
welches er bei dem Trödler gekauft hatte und hellauf leuchteten dabei die Augen
des alten Mannes.
„Ich will in den Krieg! Ich will in den Krieg!“ rief der Zinnsoldat, so laut er
konnte, und stürzte sich gerade auf den Fußboden hinab.
Ja, wo war er geblieben? Der alte Mann suchte, der kleine Knabe suchte, fort
war er und fort blieb er. Der Zinnsoldat war durch eine Ritze gefallen und lag
nun im offenen Grabe.
Der Tag verging und der kleine Knabe kam nach Hause, und Wochen auf
Wochen verstrichen. Die Fenster waren fest zugefroren. Der kleine Knabe mußte
lange dasitzen und auf die Scheiben hauchen, um ein Guckloch nach dem alten
Hause hinüber zu erhalten. Dort war der Schnee in alle Schnörkel eingedrungen;
die ganze Treppe war verschneit, als ob niemand dort zu Hause wäre. Es war
dort auch niemand zu Hause — der alte Mann war tot.
Am Abend hielt ein Wagen vor der Thür und auf demselben wurde er in seinem
engen Sarge nach dem Lande hinaus gefahren, um dort in seinem
Erbbegräbnisse zu ruhen. Da fuhr er nun, aber niemand folgte, alle seine
Freunde waren ja tot. Nur der kleine Knabe warf dem Sarge beim Vorüberfahren
einen Kußfinger nach.
Einige Tage darauf fand in dem alten Hause Auktion statt. Der kleine Knabe sah
von seinem Fenster aus, wie man alles forttrug: die alten Ritter und die alten
Damen, die Blumentöpfe mit langen Ohren, die alten Stühle und die alten
Spinden, alles zerstreute sich, einiges kam in diese, anderes in jene Hände. Ihr
Portrait, welches er beim Trödler aufgefunden hatte, wanderte wieder zum
Trödler und da blieb es für immer hängen, denn niemand kannte die Frau mehr
und niemand bekümmerte sich um das alte Bild.
Im Frühling riß man das alte Haus selbst nieder, denn es war nur noch ein altes
Gemäuer, sagten die Leute. Man konnte von der Straße aus gerade in das
Zimmer mit der schweinsledernen Bekleidung hineinsehen, welche fetzenweise
abgerissen wurde; verwildert hing der Epheu an dem alten Altan um die
stürzenden Balken. So wurde dort alles gründlich dem Boden gleich gemacht! —
„Das half!“ sagten die Nachbarhäuser. —
Auf dem nämlichen Platze wurde ein schönes Haus mit großen Fenstern und
weißen glatten Mauern aufgeführt, aber vorn, wo eigentlich das alte Haus
gestanden hatte, wurde ein kleiner Garten angelegt und gegen die
Nachbarmauern rankten wilde Weinreben empor. Auf den Ranken schaukelten
sich die Sperlinge und plauderten in ihrer Sprachweise miteinander; aber nicht
von dem alten Hause, dessen sie sich nicht mehr erinnerten. —
Viele Jahre vergingen; aus dem Knaben war ein tüchtiger Mann geworden. Er
bewohnte mit seiner jungen Frau das neue, schöne Haus, vor dem sich der
Garten befand. Einst stand er neben ihr, während sie eine Blume pflanzte und die
Erde mit ihren feinen Fingern festdrückte. „Au!“ Was war das? Sie hatte sich
gestochen. Eine Spitze guckte aus der weichen Erde hervor.
Das war — ja denkt euch nur! — das war der Zinnsoldat, derselbe, der dort oben
bei dem alten Manne abhanden gekommen und allmählich durch Gebälk und
Schutt hindurchgeglitten war und endlich viele Jahre in der Erde gelegen hatte.
Die junge Frau wischte den Soldaten zuerst mit einem grünen Blatte und dann
mit ihrem feinen Taschentuche ab; es kam dem Zinnsoldaten vor, als erwachte er
aus tiefer Ohnmacht.
„Laß mich ihn sehen!“ sagte der junge Mann, lachte und schüttelte den Kopf.
„Derselbe kann es wohl schwerlich sein, aber er erinnert mich an eine
Geschichte, die ich mit einem Zinnsoldaten erlebte, als ich noch ein kleiner
Knabe war!“ Dann erzählte er seiner Frau von dem alten Hause und dem alten
Manne und von dem Zinnsoldaten, den er ihm hinübergesandt, weil er so
erschrecklich einsam war. Er erzählte dies so anschaulich, als ob es sich erst jetzt
vor ihren Augen zutrüge, so daß der jungen Frau über das alte Haus und dem
alten Mann die Thränen in die Augen traten.
„Es ist gleichwohl möglich, daß es der nämliche Zinnsoldat ist!“ erwiderte sie.
„Ich will ihn aufbewahren und alles im Gedächtnis behalten, was du mir erzählt
hast. Aber das Grab des alten Mannes mußt du mir zeigen!“
„Ja, das kenne ich nicht,“ sagte er, „und niemand kennt es! Alle seine Freunde
waren tot, niemand pflegte ihn, und ich war ja damals ein kleiner Knabe.“
„Wie entsetzlich einsam muß er doch gewesen sein!“ rief sie aus.
„Entsetzlich einsam!“ sagte der Zinnsoldat, „aber herrlich ist es, nicht vergessen
zu werden!“
„Herrlich!“ rief etwas dicht neben ihnen, aber außer dem Zinnsoldaten sah
niemand, daß es ein Fetzen der schweinsledernen Wandbekleidung war. Alle
Vergoldung hatte er verloren, er sah wie nasse Erde aus, aber seine Ansicht hatte
er sich doch bewahrt und er sprach sie aus:
„Vergoldung vergeht,
aber Schweinsleder besteht!“
Doch das glaubte der Zinnsoldat nicht.

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Der Buchweizen.
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Wenn man nach einem Gewitter an einem Buchweizenfelde vorübergeht, nimmt


man oft wahr, daß es schwarz und wie versengt aussieht. Es ist gerade, als ob
eine Feuerflamme über dasselbe hinweggegangen wäre und der Landmann sagt
dann: „Das hat der Buchweizen vom Blitzstrahl bekommen!“ Aber weshalb hat
er das bekommen? — Ich will erzählen, was mir der Sperling gesagt hat, und der
Sperling hat es von einer alten Weide, die neben einem Buchweizenfelde stand
und noch daselbst steht. Es ist eine gar ehrwürdige, hohe Weide; sie neigt sich
vorn über und die Zweige hängen auf die Erde hinunter, wie wenn sie grünes,
langes Haar vorstellten.
Auf allen Feldern ringsumher wuchs Korn, Roggen, Gerste und Hafer. O, der
köstliche Hafer! Wenn er reif ist, nimmt er sich wie eine ganze Menge kleiner,
gelber Kanarienvögel auf einem Zweige aus. Das Korn versprach einen reichen
Erntesegen, und je schwerer es war, desto tiefer neigte es sich in frommer
Demut.
Aber da war auch ein Buchweizenfeld und dies lag der alten Weide gerade
gegenüber. Dem Buchweizen fiel es nicht ein, sich wie das andere Korn zu
neigen; er trug den Kopf hoch und stand stolz und steif da.
„Ich bin wohl ebenso reich, wie die Ähre,“ sagte er, „und bin überdies weit
hübscher. Kennst du jemand, der sich prächtiger ausnimmt als ich und die
Meinigen, du alte Weide?“
Und die Weide nickte mit dem Kopfe, als wollte sie sagen: „Freilich kenne ich
welche!“
Plötzlich zog sich ein entsetzliches Unwetter zusammen. Alle Feldblumen
falteten ihre Blätter oder neigten ihre feinen Köpfe hernieder, während der Sturm
über sie dahinfuhr. Nur der Buchweizen brüstete sich in seinem Stolze.
„Neige dein Haupt wie wir!“ sagten die Blumen.
„Das habe ich gar nicht nötig!“ versetzte der Buchweizen.
„Neige dein Haupt wie wir!“ rief das Korn. „Jetzt kommt der Sturmengel
geflogen! Er hat Flügel, die von den Wolken bis zur Erde herunterreichen. Er
zerschlägt dich, ehe du ihn um Gnade anflehen kannst!“
„Ich will mich aber nicht neigen!“ sagte der Buchweizen.
„Schließe deine Blüten und neige deine Blätter!“ ermahnte auch die alte Weide.
„Sieh nicht in den Blitz, wenn die Wolke bricht! Selbst die Menschen dürfen das
nicht, denn in dem Blitze kann man bis in Gottes Himmel hineinschauen; doch
vermag dieser Anblick sogar die Menschen zu blenden. Was würde da nicht erst
uns, den Gewächsen der Erde, geschehen, wagten wir es, die wir doch weit
geringer sind!“
„Weit geringer?“ entgegnete der Buchweizen. „Nun will ich erst gerade in
Gottes Himmel sehen!“ Und er that es in seinem Übermute und Stolz. Es war, als
wenn die ganze Welt in Flammen stände, so blitzte es.
Als sich das Unwetter verzogen hatte, standen die Blumen und das Korn in der
stillen, reinen Luft vom Regen erfrischt da, aber der Buchweizen war vom Blitz
kohlschwarz gebrannt; er war nun ein totes, nutzloses Gewächs.
Der alte Weidenbaum bewegte seine Zweige und Wassertropfen träufelten von
seinen Blättern, gerade wie Thränen, und die Sperlinge fragten: „Weshalb weinst
du? Hier ist es ja wunderbar erquickend! Sieh, wie die Sonne leuchtet und die
Wolken eilen! Weshalb weinst du also, du alte Weide?“
Und die Weide erzählte von dem Stolze und dem Übermute und von der Strafe
des Buchweizens. Denn die Strafe folgt immer. Die Sperlinge haben mir die
Geschichte erzählt, als ich sie eines Abends um ein Märchen bat.

Die roten Schuhe.


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Einst lebte ein kleines Mädchen, welches gar fein und niedlich war, doch seiner
großen Armut wegen im Sommer stets barfuß und im Winter mit großen
Holzschuhen gehen mußte, wovon der Spann seiner Füßchen ganz rot und wund
wurde.
Die alte Mutter Schusterin, welche mitten im Dorfe wohnte, nähte für die
Kleine, welche K a r e n hieß, aus alten roten Tuchlappen ein Paar Schühchen,
welche das Kind am Begräbnistage seiner Mutter erhielt und sie da zum
erstenmal trug. Zum Trauern waren sie freilich nicht recht geeignet, aber sie
hatte ja keine andern, und darum zog sie dieselben über ihre nackten Füßchen
und schritt so hinter dem ärmlichen Sarge her.
Da kam auf einmal ein großer altmodischer Wagen angefahren, in welchem eine
alte Frau saß. Sie betrachtete das kleine Mädchen und fühlte Mitleid mit
demselben. Deshalb sagte sie zu dem Geistlichen: „Hört, würdiger Herr, gebt mir
das kleine Mädchen, dann will ich getreulich für dasselbe sorgen!“
Karen bildete sich ein, sie hätte das alles nur den roten Schuhen zu verdanken,
aber die alte Frau sagte, sie wären abscheulich und ließ sie verbrennen. Karen
selbst wurde rein und kleidsam angezogen; sie mußte den Unterricht besuchen
und nähen lernen, und die Leute sagten, sie wäre niedlich, aber der Spiegel
sagte: „Du bist mehr als niedlich, du bist schön!“ —
Da reiste einmal die Königin durch das Land und hatte ihre kleine Tochter, die
eine Prinzessin war, bei sich. Die Leute strömten vor das Schloß und auch Karen
fand sich da ein. Die kleine Prinzessin stand weißgekleidet an einer Balkonthür
und ließ sich bewundern; Schleppe oder Goldkrone hatte sie nicht, aber herrliche
rote Saffianschuhe, die freilich weit zierlicher waren als die, welche Mutter
Schusterin der kleinen Karen genäht hatte. Ja, was könnte es Schöneres in der
Welt geben als rote Schuhe!
Jetzt war Karen so alt, daß sie eingesegnet werden sollte; sie erhielt neue Kleider
und neue Schuhe sollte sie auch haben. Der beste Schuhmacher in der Stadt
nahm zu ihrem kleinen Fuße Maß. Mitten unter den Schuhen, im großen
Glasschranke, standen ein Paar rote, genau wie sie die Prinzessin getragen hatte;
wie schön waren die! Der Schuhmacher sagte auch, sie wären für ein Grafenkind
gearbeitet, hätten aber nicht gepaßt.
„Das ist wohl Glanzleder?“ fragte die alte, kurzsichtige Frau, „sie glänzen so
schön!“
„Ja, sie glänzen!“ sagte Karen; und sie paßten und wurden gekauft; aber die alte
Frau, welche ja so schlecht sah, wußte nicht, daß sie rot waren, denn nie würde
sie sonst Karen erlaubt haben, mit roten Schuhen zur Einsegnung zu gehen, aber
so that sie es.
Alle Menschen sahen ihr nach den Füßen, und als sie über die Kirchschwelle zur
Chorthüre hineintrat, kam es ihr vor, als ob selbst die alten Bilder in der Kirche
die Augen auf ihre roten Schuhe hefteten; und nur an diese dachte sie auch, als
ihr der Prediger die Hand auf das Haupt legte und von der heiligen Taufe redete,
vom Bunde mit Gott und daß sie sich nun wie eine erwachsene Christin
aufführen sollte. Die Orgel spielte so feierlich, die lieblichen Kinderstimmen
sangen und der alte Kantor sang, aber Karen dachte nur an die roten Schuhe.
Am Nachmittage erfuhr dann die alte Frau von allen Seiten, daß Karens Schuhe
rot gewesen wären und sie sagte, das schickte sich nicht und in Zukunft sollte
Karen, so oft sie zur Kirche ginge, stets schwarze Schuhe anziehen, selbst wenn
sie alt wären.
Am folgenden Sonntage war die erste Abendmahlfeier der Konfirmanden; Karen
sah erst die schwarzen Schuhe an, dann die roten — und dann noch einmal die
roten und zog sie an.
Es war herrlicher Sonnenschein; Karen und die alte Frau schlugen einen
Fußsteig durch das Kornfeld ein, auf dem es etwas stäubte.
An der Kirchthüre stand ein alter Soldat mit einem Krückstock und mit einem
merkwürdig langen Barte, der mehr rot als weiß war; ja, rot war er sicher. Er
verneigte sich bis zur Erde und fragte die alte Frau, ob er ihr vielleicht die
Schuhe abstäuben sollte. Karen streckte gleichfalls ihren Fuß vor. „Sieh, welch’
prächtige Tanzschuhe!“ sagte der Soldat. „Sitzt fest, wenn ihr tanzt!“ und dann
schlug er mit der Hand gegen die Sohlen.
Die alte Frau reichte dem Soldaten ein Geldstück und trat darauf mit Karen in
die Kirche ein.
Alle Menschen drinnen sahen nach Karens roten Schuhen und alle Bilder sahen
nach ihnen, und als Karen vor dem Altare niederkniete und den goldenen Kelch
an die Lippen setzte, dachte sie nur an die roten Schuhe. Es war, als ob sie vor
ihr im Kelche schwämmen; und sie vergaß das Lied mitzusingen, sie vergaß ihr
Vaterunser zu beten.
Alle Leute verließen jetzt die Kirche und die alte Frau stieg in ihren Wagen.
Schon erhob Karen den Fuß, um hinter ihr einzusteigen, als der alte Soldat,
welcher dicht dabeistand, sagte: „Sieh, welch’ prächtige Tanzschuhe!“ — Karen
konnte sich nicht enthalten, einige Tanzschritte zu thun, sowie sie aber begann,
tanzten die Beine unaufhaltsam fort. Es war, als hätten die Schuhe Macht über
sie erhalten. Sie tanzte um die Kirchenecke, denn sie vermochte nicht inne zu
halten. Der Kutscher mußte hinterher laufen und sie greifen; er hob sie in den
Wagen, aber auch jetzt setzten die Füße ihren Tanz rastlos fort, so daß sie die alte
gute Frau empfindlich trat. Erst als sie die Schuhe auszog, erhielten die Beine
Ruhe. Daheim wurden die Schuhe in einen Schrank gestellt, aber Karen wurde
nicht müde, sie immer wieder zu betrachten.
Nun erkrankte die alte Frau lebensgefährlich und Karen, die ihr am nächsten
stand, sollte sie warten und pflegen. Aber in der Stadt war ein großer Ball, zu
dem Karen eingeladen war. Sie sah die alte Frau an, die ja doch rettungslos
verloren war, sie sah die roten Schuhe an, und es kam ihr vor, als ob keine Sünde
dabei wäre. — Sie zog die roten Schuhe an, und das konnte sie ja auch wohl,
aber dann ging sie auf den Ball und begann zu tanzen. Das war gewiß nicht recht
von ihr.
Als sie aber nach rechts tanzen wollte, tanzten die Schuhe nach links, und als sie
den Saal hinauf wollte, tanzten die Schuhe den Saal hinunter, die Treppe hinab,
durch die Straße und zum Stadtthore hinaus. Tanzen that sie und tanzen mußte
sie, gerade hinaus in den finstren Wald.
Da leuchtete es zwischen den Bäumen und sie glaubte, es wäre der Mond, denn
es war ein Gesicht, aber es war der alte Soldat mit dem roten Barte; er saß und
nickte und sagte: „Sieh, welch’ prächtige Tanzschuhe!“
Da erschrak sie und wollte die roten Schuhe abwerfen, aber sie hingen fest, wie
angewachsen, und tanzen mußte sie über Felder und Wiesen, in Regen und
Sonnenschein, bei Tag und bei Nacht, aber nachts war es am entsetzlichsten.
Sie tanzte auf den einsamen Kirchhof hinauf, aber die Toten, die dort ruhten,
tanzten nicht, sie hatten viel Besseres zu thun, als zu tanzen. Sie wollte sich auf
das Grab des Armen setzen, wo das bittere Wurmkraut blühte, aber für sie war
weder Ruh noch Rast, und als sie auf die offene Kirchthüre zutanzte, erblickte
sie neben derselben einen Engel in langen weißen Kleidern, mit Flügeln, welche
von den Schultern bis auf die Erde hinabreichten; sein Antlitz war streng und
ernst und in der Hand hielt er ein breites leuchtendes Schwert.
„Tanzen sollst du!“ sagte er, „tanzen mit deinen roten Schuhen, bis du bleich und
kalt wirst! Tanzen sollst du von Thür zu Thür, und wo stolze, eitle Kinder
wohnen, sollst du anklopfen, daß sie dich hören und sich vor dir fürchten!
Tanzen sollst du, tanzen — — — —“
„Gnade!“ rief Karen. Aber sie vernahm nicht, was der Engel antwortete, denn
die Schuhe trugen sie durch die Pforte auf das Feld hinaus, über Weg und Steg,
und immer mußte sie tanzen.
Eines Morgens tanzte sie vor einer Thür vorüber, die ihr sehr wohl bekannt war.
Drinnen tönte Choralgesang, man trug einen blumenbekränzten Sarg hinaus. Da
wußte sie, daß die alte Frau gestorben war und es beschlich sie das Gefühl, als
ob sie von allen verlassen und von Gottes Engel verdammt wäre.
Tanzen that sie und tanzen mußte sie, tanzen in der dunklen Nacht. Die Schuhe
trugen sie über Dornen und Baumstümpfe, und sie riß sich bis aufs Blut; sie
tanzte über die Haide nach einem kleinen, einsamen Hause. Hier wohnte, wie sie
wußte, der Scharfrichter, und sie klopfte mit den Fingern an die Scheiben und
sagte:
„Kommt heraus! Kommt heraus! Ich kann nicht hineinkommen, denn ich muß
tanzen.“
„Ich bin der Scharfrichter“, entgegnete es von drinnen, „ich höre, daß meine Axt
klirrt.“
„Schlagt mir meine Füße mit den roten Schuhen ab“, bat Karen.
Der Scharfrichter kam aus dem Hause heraus und schlug ihr die Füße mit den
roten Schuhen ab, aber die Schuhe tanzten mit den kleinen Füßen über das Feld
hin in den tiefen Wald hinein.
Er verfertigte ihr Stelzfüße und Krücken, lehrte sie ein Sterbelied, welches die
armen Sünder zu singen pflegen, und sie schritt weiter über die Haide.
„Nun habe ich genug um der roten Schuhe willen gelitten!“ sagte sie, „nun will
ich in die Kirche gehen, damit man mich sehen kann!“ Schnell ging sie auf die
Kirchthüre zu, als sie sich ihr aber näherte, tanzten die roten Schuhe vor ihr her
und sie erschrak und kehrte um.
Die ganze Woche hindurch war sie traurig und weinte viel heiße Thränen, als
aber der Sonntag kam, sagte sie: „Fürwahr, nun habe ich genug gelitten und
gestritten! Jetzt möchte ich glauben, daß ich eben so gut bin wie viele von denen,
welche in der Kirche sitzen und hochmütig auf die andern herabschauen.“ Mutig
trat sie den Weg an; aber sie war erst bis zur Eingangsthüre zum Friedhofe
gelangt, als sie plötzlich die roten Schuhe vor sich hertanzen sah. Sie erschrak,
wandte um und bereute von ganzem Herzen ihre Sünde.
Sie ging zur Pfarre und bot sich als Magd an; sie versprach fleißig zu sein und
alles zu thun, was in ihren Kräften stände; auf Lohn sähe sie nicht, sie wünschte
nur, wieder ein Obdach zu erhalten und bei guten Menschen zu sein. Die Frau
Pfarrerin fühlte Mitleid mit ihr und nahm sie in Dienst. Sie war stets fleißig und
in sich gekehrt. Sie saß still da, und lauschte aufmerksam zu, wenn der Pfarrer
aus der Bibel vorlas. Alle Kinder gewannen sie lieb; sobald dieselben aber von
Putz und Staat und davon sprachen, wie schön es doch sein müßte, eine
Prinzessin zu sein, schüttelte sie den Kopf.
Am folgenden Sonntage gingen alle zur Kirche und fragten sie, ob sie sie
begleiten wollte, aber traurig und mit Thränen in den Augen sah sie auf ihre
Krücken, und nun gingen die andern hin, Gottes Wort zu hören, sie aber ging
allein in ihr kleines Kämmerlein, welches nur so groß war, um einem Bett und
einem Stuhle Platz zu gewähren. Hier setzte sie sich mit ihrem Gesangbuche hin,
und während sie frommen Sinnes darin las, trug der Wind die Orgeltöne von der
Kirche zu ihr herüber und sie erhob ihr mit Thränen benetztes Antlitz und sagte:
„Gott sei mir Sünderin gnädig!“
Da schien die Sonne hell und klar, und dicht vor ihr stand der Engel Gottes in
den weißen Kleidern, derselbe, welchen sie in jener verhängnisvollen Nacht an
der Kirchthüre gesehen hatte, aber er hielt nicht mehr das scharfe Schwert,
sondern einen herrlichen grünen Zweig voller Rosen. Er berührte mit demselben
die Decke, welche sich höher und höher dehnte und dort, wo sie berührt war,
einen goldenen Stern hervorleuchten ließ, und er berührte die Wände und sie
erweiterten sich allmählich, bis sie die Orgel erblickte, welche gespielt wurde,
und die alten Bilder der früheren Pfarrer sah. Die Gemeinde saß in den festlich
geschmückten Stühlen und sang aus dem Gesangbuche. So war die Kirche selbst
zu der armen Magd in ihre kleine, enge Kammer gekommen; oder auch war sie
dahingekommen. Sie saß in dem Kirchstuhle bei den übrigen Leuten des
Pfarrers, und als sie nach Beendigung des Chorals aufblickte, nickten sie ihr zu
und sagten: „Das war recht, daß du kamst, Karen!“ — „Das war Gnade!“
erwiderte sie.
Und die Orgel klang und der Chor der Kinderstimmen tönte mild und lieblich.
Der klare Sonnenschein strömte warm durch das Fenster in den Kirchenstuhl, in
welchem Karen saß. Ihr Herz war so voller Sonnenschein, Friede und Freude,
daß es brach. Auf den Sonnenstrahlen flog ihre Seele zu Gott und vor seinem
Thron war niemand, der nach den roten Schuhen fragte.

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Pajeken, Fr. J., Bill der Eisenkopf. Eine Erzählung aus der Wildnis Nordamerikas. Für die Jugend
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Peltz, E., Afrikanischer Lederstrumpf. Erzählung aus den Amatolas. Mit 5 Farb- und 4 Tonbild. Ein starker
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Stein, Adalbert, Auf gefahrvoller Prisenjagd. Eine Erzählung für die Jugend. Nach dem Englischen des
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Abbildungen
Bild (allein)/ Picture alone Seite/ Page

Umschlagsbild (Umschlag)
Däumelieschen 3
Die Störche 8
Der fliegende Koffer 11
Der Schneemann 15
Buntbild Tafel 2
Es ist ein Unterschied 19
„D“ 18
Das Feuerzeug 21
2. Bild 23
3. Bild 24
Das häßliche Entlein 28
2. Bild 30
Buntbild Tafel 3
Die Stopfnadel: „E“ 31
Fünf in der Schote 37
Das Märchen vom Sandmann 39
2. Bild 43
Die Theekanne: „I“ 45
Die Blumen der kleinen Ida 49
„T“ 46
Das kleine Mädchen 51
mit den Schwefelhölzern
Die wilden Schwäne 57
Buntbild Tafel 4
Die glückliche Familie: „D“ 61
Der Engel 64
Der standhafte Zinnsoldat 65
Des Kaisers Nachtigall 73
„D“ 68
Buntbild Tafel 5
Die Schneekönigin: Buntbild Tafel 1
„E“ 74
Die Nachbarskinder. 76
Der Blumengarten der Zauberin. 79
Fliedermütterchen 95
„B“ 91
Der Tannenbaum 97
Das alte Haus 105
„I“ 103
Der Buchweizen 107
Die roten Schuhe 109

End of Project Gutenberg's Märchen für Kinder, by Hans Christian Andersen

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MÄRCHEN FÜR KINDER ***

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Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
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providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
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harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of


electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the


assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive


Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit


501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.


Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations. Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:


Dr. Gregory B. Newby
Chief Executive and Director
gbnewby@pglaf.org

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg


Literary Archive Foundation
Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating


charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we


have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make


any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic


works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm


concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed


editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,


including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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