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Barock
(6,655 words)
1. Einleitung
Article Table of Contents
Der Begri f des B. dient zur Bezeichnung einer Teilepoche
1. Einleitung
innerhalb der Nz., die in ihren spezi schen ästhetischen
und kulturellen Merkmalen in den Bereichen Kunst, 2. Kunst
Literatur und Musik auf wiss. Vereinbarungen beruht. Der 3. Literatur
B.-Begri f ist folglich keine aus der Epoche gewonnene 4. Musik
Bezeichnung (wie z. B. Renaissance, Au lärung oder
Romantik), sondern eine nachträglich im Bereich der
Wissenschaft entstandene zeitliche und inhaltliche
Konstruktion, um Werke der Kunst, Literatur und Musik und ihre spezi schen Gestaltungen im
Zeitraum vom späten 16. bis zum späten 18. Jh. zu charakterisieren. Insbes. die Frage, ob in den
Künsten von einem B.-Stil gesprochen werden könne, wird kontrovers diskutiert und auch zu
keiner eindeutigen Bestimmung zu führen sein. Dennoch ist nicht nur eine wiss., sondern auch
eine kulturhistor. Gegenwärtigkeit und Vitalität des Begri fs B. zu konstatieren, die aus dem
Bereich der Künste ausstrahlt. Wissenschaftshistorisch gingen die Bestimmungsversuche von
der Kunstgeschichte aus, wobei es um die Erfassung von Normen und Formen ging, um
überindividuelle Stil-Typologien zu gewinnen, die auch abgelöst von Namen zu
Epochenkriterien verhelfen sollten. Als Resultat einer langen kritischen Begri fsdebatte kommt
in den Disziplinen entsprechend einer sachlichen Di ferenzierung mittlerweile kein statischer
B.-Begri f zur Anwendung.
Ulrich P sterer
2. Kunst
Der kunsthistor. Stil- und Epochenbegri f des B. umfasst den Zeitraum von ca. 1580/1600 bis
1760/80. Während dieser Jahre wurden die neuen, die vorausgehende Renaissance bzw. den
Manierismus ablösenden Stilformen sukzessive – zunächst ausgehend von Italien – in ganz
Europa und dessen Kolonien adaptiert und weiterentwickelt, bevor sie vom Klassizismus /
abgelöst wurden. Allerdings erweist sich der de nitorisch-explikative Wert des Terminus B.
zunehmend als fraglich: Umfasst werden soll damit ein derart weiter chronologischer,
geographischer, politischer, geistes- und kulturgeschichtlicher Bereich mit teils so
divergierenden Kunstprodukten, dass diese untereinander kaum noch vergleichbar bzw. auf
einen Generalnenner reduzierbar scheinen. Darüber hinaus lassen sich eine Reihe von
Phänomenen der B.-Kunst als ungebrochene Fortsetzung von Phänomenen des 16. Jh.s
verstehen, zumal sich einige Künstler (v. a. der Jahre um 1600) selbst explizit in der Tradition
der Renaissance sahen. Nicht endgültig geklärt ist andererseits, ob die letzten Jahrzehnte des
Zeitraums als eigenständige Epoche des Rokoko (ca. 1715/30–1750/70) abzugrenzen sind oder
ob Rokoko nur als Spezialform des (Innenraum-)Dekors zu verstehen ist. Schließlich sind auch
heute noch die Altlasten der im späteren 18. Jh. einsetzenden Begri fs- und
Forschungsgeschichte mit einseitigen Vorstellungen von überbordender Sinnlichkeit und
Regellosigkeit, von Prunk und überwältigendem Pathos als den »eigentlichen Wesenszügen«
des Barocken nicht ganz beseitigt. Angesichts dieser Vorbehalte verzichten neuerdings manche
Kunsthistoriker ganz auf den Begri f B., um im großen Rahmen der Frühen Nz. di ferenziert
Entwicklungen, Traditionen und Neuerungen analysieren zu können [14].
Geprägt wurde der Begri f B. um die Mitte des 18. Jh.s zur negativen Charakterisierung einer
vermeintlichen Verfallserscheinung (ähnlich wie zuvor schon »Gotik« und »Manierismus«),
denn als solche mussten J. J. Winckelmann und seinen – Au lärung und klassizistische
Stilideale verfechtenden – »bürgerlichen« Zeitgenossen die gerade überwundenen, von Adel
und Kirche beherrschten Kunstformen v. a. der ersten Hälfte des 18. Jh.s erscheinen. Auch wenn
die Etymologie des Wortes B. nicht eindeutig geklärt ist – in Frage kommt eine Ableitung vom
portug./span. barocco, barrueco/berrueco für eine schief gewachsene Perle bzw. eine
unregelmäßige Gesteinsformation, von ital. Termini für spitz ndige logische Schluss guren
bzw. Wucherzinsen (barocco/baroccolo/barocchio) oder aber von der Bezeichnung skurriler
Einfälle in der Literatur –, so liegt doch allen diesen Vorschlägen ein gemeinsames
Bedeutungsfeld des Unklassischen, teils Regelwidrigen, des Gewollt-Ingeniösen bis hin zum
Lächerlich-Verzerrten, des Überbordend-Vielfältigen, des Sinnlich-Materiell-Prunkvollen und
zugleich des Täuschenden zugrunde.
Diese Einschätzung, die den B. nur als Dekadenz und »verwilderte[n] Dialekt« ( J. Burckhardt)
der Normen der Hochrenaissance und damit indirekt der Antike begri f (und deshalb den B.
auch schon mit Michelangelo beginnen lassen konnte), erfuhr erst mit den Arbeiten von C.
Gurlitt und insbes. H. Wöl in eine Korrektur. Präsentierten Gurlitts Bände zur B.-Architektur
Italiens (1887), denen Arbeiten zu Deutschland bzw. England, Belgien und Holland folgten,
erstmals die Denkmälerfülle, so bemühte sich Wöl in in seiner die röm. B.-Architektur
behandelnden Habilitationsschrift (1888) und dann – auf alle Kunstgattungen ausgeweitet –
1915 in den Kunstgeschichtlichen Grundbegri fen um eine Abgrenzung von der Renaissance und
Bestimmung als eigenständiger Epoche mittels fünf formalanalytischer Gegensatzpaare
(linear/malerisch; Fläche/Tiefe; geschlossene/o fene Form; Vielheit/Einheit;
Klarheit/Unklarheit). Der fachübergreifende Erfolg der Grundbegri fe verhalf dem B. endgültig
und nun auch in anderen Disziplinen zum Durchbruch. Kunsthistor. Forschungen seit den
1930er Jahren (rezipiert jedoch zumeist erst nach 1945) liefern auch heute noch wegweisende
/
Fragen und Ergebnisse etwa zu Kunsttheorie und Ikonographie [18]; [19]; [21]. Gerade diese
mühsam errungene Akzeptanz als Epoche sollte die »eigentliche« B.-Kunst jedoch für lange
Zeit auf einen polaren Gegensatz zur Renaissance festlegen (dem etwa auch M. Foucaults
»[Tiefen-]Archäologie« der europ. Episteme mit ihrer Unterscheidung zwischen dem älteren
Denken in »Ähnlichkeiten« und dem der »Repräsentation« im 17. und 18. Jh. zuarbeitet) – eine
Polarisierung, deren Korrektur die Kunstgeschichte erst seit den letzten drei Jahrzehnten
unternimmt.
Als Ursprungsort des B. gilt das Rom der letzten Jahre des 16. Jh.s, für die Malerei kommt als
zweiter Ausgangspunkt Bologna mit den Carracci und ihrer Schule hinzu [11]; [13].
Umfassende, tendenziell monokausale Erklärungsversuche für die Genese des neuen Stils, wie
die in der Forschung der 1910er bis 1940er Jahre favorisierte Herleitung aus dem kath.
Glaubenskampf, insbes. den Vorgaben des Trienter Konzils und der Jesuiten-Mission, erwiesen
sich schnell als unzureichend (zudem stand in Frage, ob überhaupt der B. oder nicht eher der
Manierismus als »Kunst der Gegenreformation« zu verstehen sei [25]). Allerdings bestätigt sich
unter modi zierter Fragestellung in den letzten Jahrzehnten erneut, dass im Rahmen der
Konfessionalisierung Europas theologische und frömmigkeitsgeschichtliche Aspekte eine der
zentralen Rollen für die spezi schen Ausformungen, Entstehungs- und
Rezeptionsbedingungen der Künste spielten [10]. Von Anfang an lassen sich in der B.-Kunst
jedenfalls große formale Gegensätze konstatieren: In der Malerei verfolgten etwa Annibale
Carracci, Domenichino und Caravaggio (vgl. Abb. 1 und Abb. 2), in der Skulptur Bernini und
Algardi, in der Architektur wiederum Bernini und Borromini ganz unterschiedliche ästhetische
Ziele – die grob mit »eigentlichem B.« und »B.-Klassizismus« zu fassen versucht werden [20];
[6].
Anders als es die harte Verurteilung der Kunst des 17. und
frühen 18. Jh.s durch die Klassizisten vermuten ließe,
wurden bestimmte barocke Phänomene schnell
wiederbelebt. So sind Vorbilder dieser Zeit etwa bereits in
Werken des Malers E. Delacroix und des Bildhauers F.
Rude im 19. Jh. unübersehbar. Nach der politisch-
ideologischen Restauration in Frankreich 1830 kam dort
ein Neorokoko-Dekor als Signum von Adel und
Großbürgertum in Mode. Mit den 1860er Jahren setzte
sich dann in ganz Europa ein neobarocker Stil bevorzugt
Abb. 5: München, Kirche St.
für repräsentative Bau- und Ausstattungsaufgaben durch,
Nepomuk (Blick in den
der um 1900 aufgegeben wurde, zumindest in Ansätzen
Altarraum), errichtet 1733–1746
aber im Jugendstil fortwirkte. Die vermeintliche
durch Ägid Quirin und Cosmas
Verbindung von prunkvollem B. und Oberschicht dürfte
Damian Asam. Der kleine, von
noch in den 1930er bis 60er Jahren in Deutschland einen
den beiden Künstler-Brüdern
ironisch als »Gelsenkirchener B.« bezeichneten Möbelstil
konzipierte und auf eigene
attraktiv gemacht haben, mit dem vorrangig das
Kosten realisierte Kirchenbau
Kleinbürgertum den (veralteten) Geschmack der
zeigt nicht nur das vollkommene
Bourgeoisie zu adaptieren versuchte und sich zugleich
Zusammenwirken, sondern auch
von der avantgardistischen, rational-kühlen Ästhetik des
die konstrastierende Steigerung
Bauhauses abwandte.
der verschiedensten
Seit den 1980er Jahren schließlich entstehen Kunstwerke Kunstgattungen und Materialien
und Bauten, begleitet von zahlreichen Publikationen zum in formaler wie
Phänomen des »Barocken«, die im Zuge der ikonographischer Hinsicht.
postmodernen Modernitätskritik mit ihrer Zudem lässt sich die zentrale
Neuentdeckung des Nicht-Rationalen, Sinnlich- Rolle erkennen, die einer genau
Körperlichen und spielerisch-abundanten Künstlichen geplanten »theatralischen«
den B. als – universal übertragbaren, d. h. primär Lichtinszenierung für die
»wesenhaft« und nicht historisch de nierten – »Transzendierung« des Heiligen
Schlüsselbegri f und (visuellen) Fundus des neuen
/
Denkens und der neuen Kunst entdecken. Als bzw. für Blickführung und
prototypische Verkörperung eines so verstandenen Wirkung auf den Rezipienten
barocken Künstlers erscheint insbes. Caravaggio [8], der zukommt.
unterschiedlichsten modernen Künstlern und
Künstlerinnen wie C. Sherman, G. Deem oder J. Christensen als Anregung dient und dessen
Leben D. Jarman einen Film widmete. In dieser Rezeption manifestiert sich eine zur aktuellen
Forschung konträre Tendenz, wieder zur Vorstellung von B. (im Sinne Wöl ins) als eines
Gegensatzes zur »rationalen Renaissance« bzw. »Klassik« zurückzukehren.
Ulrich P sterer
Bibliography
Quellen
[4] C. R , Iconologia overo descrittione dell’ imagini universali cavate dall’ antichita e da latri
luoghi, 1593 f.
[6] R. W , Art and Architecture in Italy, 1600 to 1750 (Pelican History or Art 16), 1958.
Sekundärliteratur
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[10] D. B (Hrsg.), Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, 2 Bde., 1995
[12] N. B , Word and Image. French Painting of the Ancien Régime, 1981
/
[13] E. C /C .D , The State of Research in Italian Painting of the Seventeenth
Century, in: Art Bulletin 69, 1987, 494–509
[17] F. H , Maler und Auftraggeber. Kunst und Gesellschaft im ital. Barock, 1996 (engl.
Orig. 1963)
[23] V. I. S , Das selbstbewußte Bild. Vom Ursprung der Metamalerei, 1998 (franz. Orig.
1993)
[24] B. T , Roger de Piles et les débats sur le coloris au siècle de Louis XIV, 1965
3. Literatur
In der Literaturwissenschaft versteht man unter dem Begri f B. eine literarische Epoche, die
etwa den Zeitraum zwischen 1600 und 1720 umfasst. Zwischen Humanismus/ Reformation und
Au lärung bezeichnet er die mittlere Phase der Makroepoche Frühe Neuzeit (vgl. [9]; [13]).
Innerhalb der B.-Zeit selbst haben sich z. T. Binnengliederungen etabliert (etwa: Früh-, Hoch-,
Spät-B. oder erste und zweite Schlesische Schule), die aber nicht als Stufen einer
Verfallsgeschichte missverstanden werden dürfen; sie markieren vielmehr verschiedene
Erscheinungsformen barocker Literatur. Gelegentlich begrenzten (ältere) dt.
Literaturgeschichten B. auf eine protest. geprägte Kunstdichtung, die sich an Martin Opitz’
Buch von der teutschen Poeterey (1624) orientierte. Neuere Forschungen benutzen den B.-Begri f
in deutlich pragmatischerer Absicht auch für die Frühphase dt.sprachiger Literatur im 17. Jh.
/
oder die kath. orientierte oberdt. Literatur (vgl. [5]). Zentren der europ. B.-Literatur waren
Spanien, die Niederlande, Italien und einzelne Regionen des Heiligen Römischen Reiches (bes.
Schlesien, Hamburg, Königsberg, Leipzig, Nürnberg, Wien und das kath. Süddeutschland).
Seit Ende des 19. Jh.s kam im dt.sprachigen Raum die Idee auf, den ursprünglich nur
kunstgeschichtlichen Stilbegri f auf alle Künste, also auch auf die Literatur zu übertragen. So
versuchte Friedrich Nietzsche in seiner Skizze Vom Barockstile (1879), B. als überzeitliches,
periodisches Phänomen aufzufassen, das in seiner spezi schen Qualität gesehen werden
müsse: Es erscheint prinzipiell an das Rhetorische gebunden [3. 3–21]. Wenn auch schon
Heinrich Wöl in in seiner Studie Renaissance und Barock (1888) unmissverständlich feststellte,
dass die Dichtung des 17. Jh.s »barock« sei, »auch wenn man nicht nur an Schwulst und
Überladung denkt, sondern auf die tieferen Prinzipien der Gestaltung zurückgeht« [3. 14], so
wirkte für die frühe literaturwiss. Verwendung des B.-Begri fs doch eher Borinskis
Literaturgeschichte (1893) prägend. Durchgesetzt hat den Begri f dann Fritz Strich in seiner
Untersuchung zur Lyrik des 17. Jh.s (1916). Die Poesie dieser Zeit nannte er B.-Lyrik, für die ein
antithetisches Verfahren bestimmend sei. Als wichtiger Kritiker des B.-Begri fs in der
Literaturwissenschaft trat Benedetto Croce auf, der 1925 den bis dahin vorwiegend pejorativ
gebrauchten Begri f für ungeeignet hielt, eine Epoche oder einen Stil zu bezeichnen.
Vermutlich verwendete die Italianistik aus diesem Grund den B.-Begri f eher zögerlich. Später
kritisierte die dt. B.-Forschung v. a. das Nebeneinander verschiedener Denotationen des B.-
Begri fs, seine vorgeblich »hö sche« Konnotation und das Fehlen eines geschlossenen
Konzepts [9. 200 f.].
V.a. der Germanistik der 1960er und frühen 1970er Jahre ist es gelungen, die literaturwiss.
Kategorie B. als praktikablen Arbeitsbegri f zu etablieren [2]; [16]. Seine ursprünglich
abwertende Konnotation hat der Begri f im wiss. Bereich heute verloren, auch wenn er
gelegentlich noch in polemischen Auseinandersetzungen benutzt wird (so Adorno in: Der
mißbrauchte Barock, 1967) und Alternativbegri fe bzw. andere zusätzliche
Epochendi ferenzierungen (wie Konfessionalismus oder Späthumanismus) erprobt werden
(vgl. [11]).
Anders als in Kunst und Musik spielten die nationalen Orientierungen in der B.-Literatur eine
größere Rolle. Trotz der Zweisprachigkeit frühnzl. Literatur – lat. und muttersprachlich – und
der damit naturgemäß gegebenen internationalen Durchlässigkeit von Motiven, Gattungen,
/
Normen und Stilen prägte die B.-Literatur die ostentative Hinwendung zur Muttersprache (
Literatursprachen; Nationalsprachen). Diese verstand man nun als gleichberechtigte und auch
gelehrt verwendbare Ausdrucksmöglichkeit von Poesie. Die Neuorientierung an der
Muttersprache, die v. a. für den dt. Barock in der ersten Hälfte des 17. Jh.s zentral wurde, setzte
zuerst im Italien der Renaissance ein, wurde schon früh in Spanien, dann in Frankreich, den
Niederlanden und England gep egt. Im dt.sprachigen Raum stellte die neue
Muttersprachlichkeit ästhetisch anspruchsvoller Dichtung einen zentralen Beitrag zur
kulturellen Emanzipation in Europa dar. Sie erscheint als wichtige Komponente einer sich
entwickelnden dt. Kulturnation (Nation). Neben der Poetik von Opitz und vielen Gedichten
diskutierten Texte wie der Graçian-Discours (1687) von Christian Thomasius oder die
Ermahnung an die Teutsche[n], ihren Verstand und [ihre] Sprache besser zu üben (1679) von
Gottfried Wilhelm Leibniz diesen Gedanken.
Die europ. B.-Literatur wurde von ganz unterschiedlichen Autoren geprägt [4]; [8]: Als
wichtigster Poet des ital. B. gilt Torquato Tasso, der schon vor 1600 wirkte und bald in den
Nachbarländern rezipiert wurde. Giambattista Marino, auf den der Begri f »Marinismus«
zurückgeht, suchte in seinen Dichtungen die Renaissance in übertriebener Rhetorik
fortzuführen und zu überbieten. Italien ist zudem die Wiege der sich in ganz
Europa durchsetzenden B.-Oper, des wirkungsmächtigen Schäferspiels (Schäferdichtung) und
des für das europ. Theater inspirativen Stegreifspiels der Commedia dell'Arte. Als Meisterwerk
der span. B.-Literatur ist zweifellos der Roman Don Quijote (1605/1615) von Miguel de Cervantes
Saavedra anzusehen. Auf die Darstellung idealer Verhaltensweisen wirkten in ganz Europa
Balthasar Graciáns Agudenza y arte de ingenio (1642; »Scharfsinnigkeit oder Kunst der
Er ndung«), El criticón (1651 f.) und das Oráculo manual, 1647 (»Hand-Orakel«;
Anstandsliteratur).
Auch die Konzeption des barocken Welttheaters (Theatrum mundi) geht auf span. Autoren
zurück, v. a. auf Calderón de la Barca; dessen El gran teatro del mundo (1645) und La vida es
sueño (»Das Leben ein Traum«) sind Schlüsseltexte barocken Selbstverständnisses. Neben
Calderón gilt der Begründer des span. Nationaltheaters, Félix Lope de Vega Carpio, als der
wichtigste B.-Dramatiker Spaniens. Im europ. Kontext würde man sicher die Werke des
Hugenotten Théophile de Viau oder jene Cyranos de Bergerac als barocke Texte Frankreichs
ansehen. Die Geschichte des europ. Dramas prägten aber eher die großen klassizistischen
Dichter der Zeit wie Pierre Corneille, Molière oder Jean Racine, in deren Stücken man aber
durchaus barocke Züge – vom Personal und Plot bis zur Rhetorik – entdeckt hat [8. 29–31].
/
Frühau lärer Bodmer und Breitinger (1732) bekannt. Die engl. B.-Kultur belebten die
Trauerspiele und Opern von John Dryden sowie die in London wirkenden (Opern-)Musiker
Georg Friedrich Händel und Henry Purcell.
Aus den Niederlanden stammte die schriftlich xierte Ethik des Neustoizismus, der
Leitphilosophie des B., De Constantia (»Von der Unerschütterlichkeit«, 1584) von Justus Lipsius.
Zumindest für das dt.sprachige B.-Theater waren die holländ. Dramatiker von großer
Bedeutung, insbes. Jost van den Vondel und Pieter Corneliszoon Hooft. Beide Autoren und der
didaktisch-erbauliche Dichter Jacob Cats prägten die holländ. B.-Lyrik. Nicht nur als Lyriker,
sondern auch als in ganz Europa rezipierter Dichtungstheoretiker trat Daniel Heinsius auf
(Poetik).
Die Frühphase des deutschen B. war einerseits geprägt durch die sich allmählich entfaltende
plurale Theaterkultur (Theater) und durch erste Versuche, mit einer formstarken dt.sprachigen
Lyrik Anschluss an die Renaissance-Poetiken zu nden ( Georg Rudolf Weckherlin, Theobald
Hock). Im Bereich des Dramas wirkte sich die Präsenz der engl. Wanderbühne in dt. Ländern
positiv aus. Sie beein usste z. B. die Stücke des Heinrich Julius von Braunschweig und die schon
1620 anonym erschienenen dt.sprachigen Wanderbühnenstücke. Diese traten zunehmend in
Konkurrenz zum erfolgreichen Jesuitendrama ( Jacob Gretsers Udo, 1598, Jacob Bidermanns
Cenodoxus, 1602) und zum sich allmählich entwickelnden protest. Schuldrama. Den frühen dt.
Barock prägten andererseits die neulateinische Dichtung ( Jakob Balde, Johannes Bisselius), die
geistliche Lyrik ( Friedrich Spee, Paul Gerhard) und die Übersetzungen ital. und franz. Literatur
(etwa im Petrarkismus). Mit Opitz’ Buch von der teutschen Poeterey (1624) setzte sich im
dt.sprachigen Gebiet eine neue Prosodie durch, die die dt. Poesie z. T. bis heute geprägt hat
(etwa die Beachtung des natürlichen Wortakzents). Im Bereich der Lyrik orientierten sich
Simon Dach, Paul Fleming und Andreas Gryphius an Opitz. Neue poetische Akzente, insbes. im
klanglichen Ausdruck, setzte Georg Philipp Harsdör fer, die zentrale Gestalt der Nürnberger
Pegnitz-Schäfer (Schäferdichtung).
Im Bereich des Dramas entwickelte sich ausgehend von niederländ. Vorbildern, Martin Opitz’
Übersetzung der Trojanerinnen des Seneca (1625) und Andreas Gryphius’ Musterdrama Leo
Armenius (1650) in Deutschland eine eigenständige Form, das » schlesische Trauerspiel« [13.
142 f.]: Die Stücke hatten fünf Akte, waren meist in Alexandrinern verfasst und enthielten in
der Regel »Reyen« zwischen den Akten, die die Handlung kommentierten. Die Stücke sollten
durch tugendhafte Vorbilder hohen Standes und lasterhafte Schreckbilder zu Trost, Abhärtung
und politischer Klugheit führen. Viele der Stücke sind Geschichtsdramen, so etwa Daniel
Casper von Lohensteins Cleopatra (1661/1680), oder Märtyrerdramen, z. B. die Catharina von
Georgien (1657) von Andreas Gryphius. Von diesem Autor stammen auch die wichtigsten
Komödien des 17. Jh.s (Herr Peter Squentz, 1658; Horribilicribrifax, 1663). Das barocke Lustspiel
(Komödie) erscheint zwar als eigenständige Leistung der dt. Literatur, nahm aber Anregungen
von den röm. Komödiendichtern Terenz und Plautus, der Commedia dell'Arte und den
Wandertruppen auf.
/
Der dt.sprachige Roman orientierte sich in seiner satirischen Variante am span. Modell des
Picaro-Romans, das etwa bei Lazarillo de Tormes (anonym, 1554) und Guzmán de Alfarache
(1599/1604) von Mateo Alemán zu nden ist. Es wurde in Hans Jacob Christoph von
Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch (1668 f.) zum Schelmenroman weiterentwickelt: In
einem komplexen, vielfach ausdeutbaren Handlungsge echt durchlebt der Held die Wirren
des Dreißigjährigen Krieges, ehe er geläutert und um viele Erfahrungen reicher als Einsiedler
auf einer Insel zur Ruhe kommt. Für den hö sch-historischen Roman war seit der Renaissance
Heliodors Aithiopiká (»Äthiopische Geschichten«, 3. Jh. n. Chr., dt. 1554) ein wichtiger Prätext.
Ein auch im 18. Jh. noch viel gelesenes Beispiel dieser Gattung war Heinrich Anselm von
Ziegler-Kliphausens Asiatische Banise (1689).
Auch wenn sich ein halbwegs eigenständiges Literatursystem erst zu Beginn des 18. Jh.s
etablierte (vgl. [14]; Literarische Institutionen), kann zweifellos von einem Systemcharakter der
B.-Literatur gesprochen werden [17]; [18]. Dominierende Bezugspunkte des B. wären demnach
(v. a. für den dt.sprachigen Bereich):
(1) ein poetisches Programm und – daran anschließend – die Entfaltung einer
muttersprachlichen Literatur, die sich einerseits an den Maßstäben antiker Dichtungstheorie
und den Normen der Renaissance-Poetiken (v. a. an Julius Caesar Scaligers Poetices libri septem,
1561) orientierte, sich andererseits aber auch selbstbewusst der Konkurrenz lat. und
romanischer Literaturen aussetzte;
(2) ein sich peu à peu entwickelndes und letztlich auf Eigenständigkeit zielendes literarisches
Leben;
Insbes. der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) und seine spezi schen Folgen erscheinen
zumindest in der dt. B.-Literatur als Gegenstand, Quelle, Inspirationsmoment und prägende
Leitvorstellung, ja als »Ursprung der ›deutschen Poeterey‹« [10]. Ganz wesentlich war die B.-
Literatur durch die Vorrangstellung der Rhetorik geprägt [2]: Sie verscha fte in der Dichtung
der Dreistillehre (lat. genus grande, genus medium, genus subtile, d. h. »hoher, mittlerer und
niederer Stil«), der Argumentationstheorie, der Topik oder den Produktionsregeln Geltung (lat.
inventio/Er ndung, dispositio/Gliederung, elocutio/sprachlich-stilistische Ausarbeitung,
memoria/Einprägung ins Gedächtnis, actio/Vortrag). Als zentrales Moment der barocken
Literatur erscheint deshalb die Angemessenheit der Darstellung (decorum/aptum), die sich auf
den Stil, die Gattung, den Anlass, das Vokabular, die Tropen, die rhetorischen Figuren und die
Performanz bezieht.
/
3.4. Barock-Rezeption
Die Rezeption der B.-Literatur erscheint weniger aufregend als die in der Musik oder bildenden
Kunst. Mit der Frühau lärung setzte eine deutliche Kritik v. a. an ihrer Sprachgestaltung
(»Schwulst«) ein. Trotzdem blieben viele B.-Titel auch im 18. Jh. weiter präsent, so die
umfangreiche Gedichtsammlung Herrn von Ho fmannswaldau und anderer Deutschen
auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte (1695–1727), herausgegeben von Benjamin
Neukirch. Weiterhin gelesen wurden auch die hö sch-historischen Romane und der
Simplicissimus. Mitunter wurde, wie etwa das letztgenannte Werk immer wieder, die B.-
Literatur nach dem geltenden Geschmack umgeschrieben. In einigen Fällen nahmen sich
namhafte Autoren der Edition barocker Literatur an: So edierte Lessing eine Ausgabe mit
Epigrammen des B.-Autors F. Logau. Große Verbreitung fanden barocke Texte als Kirchenlieder
und Volkslieder (Lied). Immer wieder aufgelegt und ins Deutsche übertragen wurden die
großen span. (Cervantes, Gracián, Calderón), ital. (Tasso), engl. (Milton) und franz. Texte
(Racine, Molière) des 17. Jh.s.
Dirk Niefanger
Bibliography
4. Musik
/
Das Modell des musikalischen B. ist dezidiert dt. und protest. konzipiert: Zwar lassen sich ital.
Zeitgenossen von Schütz ( Giovanni Gabrieli, Claudio Monteverdi) darin einbeziehen (so
schon 1834 durch C. von Winterfeld); doch für das Modell übernehmen sie keine
konkurrierende Funktion, sondern erscheinen in ihm lediglich im frühen 17. Jh. als Wegbereiter
einer ersten universalen, führenden dt. Musikkunst, die dann im Werk der aus
Mitteldeutschland stammenden Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel ihre
»Erfüllung« gefunden habe – abermals vorbereitet durch Musiker aus anderen Gegenden
Europas, etwa durch Jean-Baptiste Lully am Hof Ludwigs XIV. oder durch Arcangelo Corelli in
Rom. Zudem kann sich dieser dt. B.-Begri f auf histor. Vorstellungen gründen: J. J. Quantz legte
1752 dar, dass es in Deutschland keinen Nationalstil gebe wie in Frankreich und Italien, dass
eine dt. Führungsrolle jedoch darin liege, die jeweils besten Elemente jener Nationalstile
miteinander »vermischt« zu haben [6].
An Details, denen eine Abgrenzung des B. nach vorn und hinten folgen kann, fehlt es nicht;
einige beziehen sich auf histor. Sichtweisen und scheinen damit besondere Plausibilität zu
gewinnen. Doch vergleichbare Bruchzonen gibt es auch im Inneren des Zeitraums: Ähnliche
Probleme des Traditionalismus wie die, denen Bach in den 1730er Jahren ausgesetzt war (in
ihnen erscheint die B.-Abwertung vorweggenommen [8]), lassen sich um 1650 für das Wirken
Schütz’ konstatieren (hier erscheint die Vorrede der Geistlichen Chormusik 1648 als
Gegenposition zum Modernen der Zeit). Wenn im 17. Jh. die Institutionalisierung und
Internationalisierung der Oper als Gattung als etwas radikal Neues in den Blick fällt, ergibt sich
ein vergleichbarer Leitgedanke 100 Jahre später mit den Konzerttechniken Antonio Vivaldis.
Unverkennbar spiegeln all diese Abgrenzungen, für die es histor. Bezugspunkte zu geben
scheint, lediglich Generationenkon ikte, die somit keinesfalls im Sinne einer
Epochenabgrenzung generalisierbar sind. Eher ist von einer bruchlosen Entwicklung der
musikalischen Kunstformen zu sprechen: beginnend mit dem späten 16. Jh. (in der
Verfestigung der Ergebnisse von Reformation und Gegenreformation) und endend mit dem
Auseinanderbrechen absolutistischer Gesellschaftsbilder des frühen 19. Jh.s
(Reformabsolutismus), die erst nach der Restaurationsphase durch eine Dominanz bürgerlich
bestimmter Verhältnisse ersetzt wurden. Eher in diesen Grenzen wird in der Musikkultur
Einheitliches fassbar, nicht also mit dem eingeengten B.-Begri f.
4.2.2. Generalbass
So ist B. in der Musik häu g als Generalbasszeitalter umschrieben worden: in dem Sinn, dass
sich Musik dieser Zeit auf die Führung einer Bassstimme gründe, auf der sich – wiedergegeben
in Bezi ferungen –Akkorde au auen. Derartige Denkmodelle reichen jedoch bis ins frühe 16.
Jh. zurück, als ein von Laute oder Tasteninstrument gestütztes Musizieren einzelner Stimmen
denkbar war; dessen Vorgeschichte kann – weil nicht schriftlich gefasst – nicht nachgezeichnet
werden. Wenn der Generalbass prägend für eine Epoche gewesen sein sollte, müssten seine
Spezi ka überzeitlich klar fassbar sein; doch zwischen den Beschreibungen etwa M. Praetorius’
(1619) und C. P. E. Bachs (1753) liegen gewaltige Unterschiede. Auch kann von einem Ende des
Generalbasszeitalters um 1750 keine Rede sein; noch in der Musikpraxis der Wiener Klassik war
Generalbass elementare Grundlage (in den früheren Sinfonien Haydns ebenso wie noch in
/
Klavierkonzerten Mozarts), und bis weit ins 19. Jh. hinein war Generalbass einer der
Hauptunterrichtsgegenstände musikalischer Ausbildung mit entsprechend fundamentaler
Funktion im Musikverständnis.
4.2.3. A fekte
Als weiteres Charakteristikum der sog. B.-Musik ist das Interesse am Menschen genannt
worden, v. a. geäußert in der Darstellung von A fekten ( A fektenlehre). Doch diese wurde
schon in der musiktheoretischen Literatur des frühen 16. Jh.s diskutiert, und dies überdauerte
nicht nur die au lärerische Neukonzeption des Menschenbildes, sondern auch die
Opernreformen des 18. Jh.s ( Christoph Willibald Gluck; Überwindung der Da-capo-Arie): Dass
Opernrollen einer fest umrissenen Typologie folgend eingerichtet wurden, ist nicht nur in
Mozarts elementarem Opernverständnis festzustellen (Daines Barrington, 1769), sondern
verbindet sich mit der Konzeption von »Stimmfächern« und deren Berücksichtigung bei der
Opernkomposition. Supranational neuernd wirksam wurde erst Richard Wagners Idee des
Musiktheaters, zugleich die Verdrängung rezitativischer Elemente aus der ital. Oper (im
Spätwerk Giuseppe Verdis).
Das Rezitativ, um 1600 eines der fundamental neuen Elemente der jungen Oper, reichte somit
selbst weit über die B.-Vorstellung hinaus; dasselbe gilt, als sein Gegenpart hochstilisiert, für
die strenge Polyphonie, die, auf dem Prinzip der Gleichberechtigung von Stimmen im Satz des
späten 15. Jh.s fußend, bei J. J. Fux (1725) und Bach extreme, unterschiedliche Grade der
Perfektionierung ausprägte. Auch damit verschwanden diese Techniken nicht von der
Bild äche: Dass der junge Beethoven an Fugen Bachs geschult wurde, steht im Zeichen eines
neuen, nunmehr auf Bachs Klavierfugen gegründeten Kompositionsverständnisses; die
traditionelle, vokalmusikalische Ausrichtung der Polyphonie lernte Beethoven darau in um
1800 in Wien bei Johann Georg Albrechtsberger kennen, der die Fux-Lehre weitertrug. Im
Berufsbild protest. Organisten Norddeutschlands schließlich bestand der Anspruch, Fugen
improvisieren zu können, gleichfalls bis in die Zeit um 1800 fort. Diese Situation bot
gemeinsam mit der ital. Kontrapunktlehre (Giovanni Battista Martini [4]) einen der
Ausgangspunkte für die Theorie »reiner« Tonkunst um 1800, gemeinsam mit der Ausprägung
dezidiert histor. Ideale (E. T. A. Ho fmann [2]).
Die Entwicklung der Oper ist als etwas so entscheidend Neues in der Zeit um 1600 verstanden
worden, dass sogar eine Teilung der Musikgeschichte in eine ältere und eine neuere möglich
erschien [12]; diese Sicht verschmolz mit der Bewunderung für die ausdrucksbezogene
Textbehandlung im Vokalwerk Monteverdis, mit der sich dieser punktuell über Regeln der
strengen Satztechnik hinwegsetzte (Harmonie- und Satzlehre). Er und sein Umfeld bezogen
sich für dieses Letztere auf eine lange Generationenreihe älterer Musiker, sodass schon damit
dieser Aspekt relativiert ist; ohnehin sind ältere Formen, Text zu verdeutlichen, im Laufe der
Stilentwicklung untergegangen (Stil). Die Formen der Oper insgesamt, die im Italien des 17. Jh.s
etabliert wurden, wurden bis ins späte 19. Jh. organisch und ohne elementare Brüche
fortentwickelt; nur die Vorstellung, dass mit dem Ideal dt. Instrumentalmusik in der zweiten
/
Hälfte des 18. Jh. etwas grundlegend Anderes in den Vordergrund trete, konnte zu einer
Darstellung führen, aus der ein Fortbestehen der ital. Opernkultur ausgegrenzt wurde. Und
nicht einmal die Idee, B.-Musik mit den Prinzipien der Suite zu korrelieren, erweist sich als
tragfähig; Suitenrepertoires lebten noch weit über die Mitte des 18. Jh.s hinaus fort – und
widerlegen dort auch, dass es eine grundsätzliche Neubesinnung auf funktionslose und somit
allein ästhetisch wirksame Instrumentalmusik gegeben habe.
4.2.5. Kantorentradition
So zeigt sich, dass der musikalische B.-Begri f allzu sehr von mitteldt. protest. Musiktraditionen
getragen ist: von der Idee, eine Blütezeit der Kirchenmusik zu beschreiben, die im
Wesentlichen von »Kantoren« repräsentiert worden sei – eigentlich den Musiklehrern der
Lateinschulen, in deren Kreis jedoch auch alle Kapellmeister protest. Höfe (wie Schütz)
einbezogen wurden. Diese mitteldt. » Kantorentradition« entfaltete sich gegen Ende des 16.
Jh.s und verebbte im mittleren 18. Jh.; schon auf norddt. Entwicklungen lässt sich dieses Modell
nicht bruchlos übertragen. Ansonsten wird es von Negationen geleitet: Es deckt sich nicht mit
ital. oder franz. Entwicklungen, lässt einen für kath. Verhältnisse immens wichtigen
Komponisten wie Giovanni Pierluigi da Palestrina von einem Neuerer, der er war, zu einem
Alten, einem Renaissance-Komponisten, werden und grenzt v. a. Teilentwicklungen der
Instrumental- und Opernmusik aus. Bereits im dt. Sprachraum hätte die Untauglichkeit des
Modells deutlich werden können: Es stellte sich das unüberwindliche Problem, Bach (gest.
1750) und Mozart (geb. 1756) in eine nationale »Reihe« zu bringen; seine Wurzel liegt somit
jedoch in der eingeengten Vorstellung, die jenen B.-Begri f steuerte und die nicht einmal Raum
für zeitlich parallele Entwicklungen in Österreich ließ: In dessen Orientierung an der
Musikkultur Italiens ist um 1750 keine Zäsur zu erkennen.
Konrad Küster
Bibliography
Quellen
[1] C. P. E. B , Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen, 11753 (31787)
[2] E. T. A. H , Alte und neue Kirchenmusik, in: Allgemeine Musikalische Zeitung 16,
1814, 577–619
/
[6] J. J. Q , Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, 1752
Sekundärliteratur
P sterer, Ulrich, Niefanger, Dirk and Küster, Konrad, “Barock”, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts
(Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Copyright © J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und
Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH 2005–2012. Consulted online on 14 May 2020 <http://dx-doi-org.uaccess.univie.ac.at/10.1163/2352-
0248_edn_COM_244121>
First published online: 2019