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DEUTSCH INTENSIV + Lehrbuch für die Studenten des 2.

Studienjahres

Teil 3 Werbung
1. Definieren Sie den Begriff „Werbung“. Vergleichen Sie Ihre Definition mit der Definition,
die im Wörterbuch steht.
2. Was wissen Sie schon über die Werbung? Sammeln Sie Ihre Eindrücke und Meinungen.
Gruppieren Sie diese nach dem Kriterium: eher positiv (pro) und eher negativ (kontra).

Pro Kontra
Die Werbung hilft sich orientieren. Die Werbung lü gt oft.

3. Lesen Sie die Information. Finden Sie darin die Antworten auf Fragen:
 In welchen Formen erleben wir die Werbung?
 Wie ist das Verhalten der Gesellschaft zur Werbung?
 Warum ist die Werbung nü tzlich?
Es dreht sich um die Werbung!
Es gibt Werbefilme, die so einfä ltig sind, dass man den Fernster am liebsten ausschalten mö chte.
Es gibt Anzeigen, die so nichts sagend sind, dass man achtlos darü ber hinweg blä ttert.
Es gibt Werbefunk, der so marktschreierisch ist, dass man schleunigst einen anderen Sender
einstellt.
Wer hä tte nicht schon Anlass gehabt, sich ü ber manche Werbeä ußerung zu ä rgern! Und deshalb
wird auch oft gesagt: Die ganze Werbung ist Unsinn, man sollte sie einfach abschaffen.
Wollte man aber generell so verfahren und alle Einrichtungen unseres heutigen Lebens einfach
abschaffen, weil sie uns manchmal Anlass zum Ä rger geben — dann allerdings hä tten wir weder
politische Parteien, noch Finanzä mter, Polizei, Post und Verkehrsmittel, Krankenhä user und
Rechtsanwä lte.
Die Werbung gehö rt aber genau so selbstverstä ndlich und notwendigerweise zu einem gut
funktionierenden Wirtschaftsleben wie die genannten Einrichtungen zu unserer Gesellschaft
ü berhaupt.
Was der Werbung oftmals angekreidet* wird, ist weniger die Tatsache, dass es sie gibt, als die
Form, in der sie sich äußert. Und da gibt es gewiss noch manches zu verbessern. Eines aber wird
sicher nie zu erreichen sein: dass die Werbung allen gefä llt. Es ist letztlich nicht die Aufgabe der
Werbung, unser Wirtschaftsleben ein bisschen kü nstlerisch oder ä sthetisch zu verbrä men*, sie ist
auch nicht berufen, neue Kunstformen zu entwickeln oder ganz einfach „schö n“ zu sein. Selbst in
der Kunst ist ja sehr umstritten, was denn nun wirklich „schö n“ ist und was nicht ...
„Die Verschä rfung des Wettbewerbs dient dem Interesse des Bü rgers. Wer den Wettbewerb
einschrä nkt, braucht sich nicht zu wundern, wenn die marktwirtschaftlichen Prinzipien in
Misskredit geraten*.“
Das sagte seinerzeit Bundeskanzler Willy Brandt in einer Regierungserklä rung.
Ganz gleich, ob nun jemand „pro“ oder „kontra“ Werbung eingestellt ist ... Wenn er sich
beispielsweise einen neuen Recorder kaufen mö chte, dann wird er vorher die Prospekte der
verschiedenen Hersteller durchblä ttern, er wird sich vom Fachmann Rat holen und sich dann das
eine oder das andere Modell vorfü hren lassen — bis er eins gefunden hat, das ihm gefä llt, das gut in
seine neue Schrankwand passt, dessen Klang ihn begeistert und mit dem er auch Radio Luxem burg
und Radio London hö ren kann.

Worterläuterungen
ankreiden jmdm. etw. übel nehmen, vorwerfen
verbrä men fig. schmücken
in Misskredit geraten in schlechten Ruf kommen

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4. Übersetzen Sie ins Russische:
einfältige Werbefilme, die Anzeige (-n), schleunigst, der Anlass, abschaffen, das Wirtschaftsleben, die
Verschärfung des Wettbewerbs, die Prospekte der verschiedenen Hersteller durchblättern, das eine
oder das andere Modell vorführen lassen
5. Schreiben Sie aus dem Text alle zusammengesetzten Wörter (Komposita) mit dem
Bestimmungswort Werbe- heraus. Ergänzen Sie Ihre Liste mit Hilfe eines Wörterbuchs
bzw. des aktuellen Zeitungsmaterials.
6. Ergänzen Sie den Text, indem Sie die Vokabeln aus dem Kasten passend einsetzen.
Vergewissern Sie sich zuerst, dass Sie deren Bedeutung verstehen.
die Litfasssäule, der Kunde, der Verbraucher, die Anzeige, das Inserat, aggressiv, die Werbeagentur,
der Verbraucherverband, der Werbespot, der Werbeslogan, der Werbespruch, die Werbestrategie

Zeitungen bringen Werbe _______________ und _______________, Rundfunk und Fernsehen bringen
Werbe______________, Anschlä ge und Plakate auf Hä userwä nden und _______________ zeigen farbige
Reklamen, auf Einkaufstü ten sind Namen von Firmen zu lesen. Großstä dte sind gekennzeichnet
durch das Flackern der ______________ bei Nacht. Fü r die Gestaltung der Reklame setzen die Firmen
Werbe_______________ ein, die sich in einer Spezialausbildung mit Fragen wirksamer Werbung
beschä ftigt haben.
Durch sachliche Informationen wendet sich die Werbung an die Vernunft des________________,
durch psychologische Mittel aber auch an sein Gefü hl. So wird der Werbung manchmal
vorgeworfen, sie manipuliere den__________________. Die Hauptsorge des Erzeugers ist ja, so viel wie
mö glich „an den Mann zu bringen“: Der Produktionssteigerung muss eine ___________________
entsprechen. Dennoch wird der Kunde vor ______________Werbung gesetzlich geschü tzt und er kann
auch einem _______________beitreten, um seine Rechte geltend zu machen.
7. Wie finden Sie diese Werbung?

8. Machen Sie ein Werbeplakat oder eine Werbeanzeige.


Merken Sie sich!

reklamieren (reklamierte, hat reklamiert) vt

a) etw. (A) reklamieren объявлять рекламацию, браковать, предъявлять претензии к качеству


(вещи, товара, требуя соответствующую замену или компенсацию)

2
Sie hat den beschädigten Fernseher reklamiert. Она предъявила рекламацию на неисправный
телевизор.
Diese verdorbenen Lebensmittel wurden reklamiert. Эти испорченные продукты были
возвращены с требованием получения назад уплаченных денег.
Reklamierte Gebrauchsgüter werden vom Lieferbetrieb wieder abgeholt. Забракованные
потребительские товары возвращаются предприятию-поставщику.
b) gegen etw. (A) / wegen einer Sache (G) reklamieren - заявлять решительный протест против
чего-л.
Er hat mit einem Schreiben gegen diese Entscheidung reklamiert. Он заявил в официальном
письме протест против этого решения.
Ich habe wegen der verloren gegangenen Sendung bei der Post reklamiert. Я заявил на почте
жалобу в отношении пропавшего почтового отправления.

Werbung im Kinderfernsehen verbieten?


1. Lesen Sie nun den Artikel und entscheiden Sie: Wer sagt was? Kreuzen Sie an. Nicht alle
der Aussagen in der Liste stehen im Artikel.
Bartels Nickel Keiner
Kinder sollten entscheiden, was fü r sie schä dlich ist.
Viele Experten sind gegen ein Werbeverbot.
Werbung sagt, dass Konsum glü cklich macht.
Werbung im Kinderfernsehen ist fü r die Entwicklung von
Kindern schä dlich.
Kinder haben eine relativ große Kaufkraft.
Kleine Kinder sind normalerweise in der Lage,
Werbung von Fernsehsendungen zu unterscheiden.
Kleine Kinder werden von Werbung zu stark beeinflusst.
Eltern sollten Kindern weniger Taschengeld geben.
Erwachsene sollten Werbung im Kinderfernsehen
verbieten.

Werbung im Kinderfernsehen verbieten?


JA
Hans-Peter Bartels
Der 39-jährige SPD-Politiker gehört dem Deutschen Bundestag seit 1998 an. Bartels ist
Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dort vor allem mit den
neuen Medien beschäftigt.
Erwachsene – Eltern, Erzieherinnen, Lehrer – mü ssen entscheiden, was einer guten
kindlichen Entwicklung fö rderlich ist und was ihr schadet. Denn Kinder kö nnen noch nicht wissen,
was gut fü r sie ist. Wozu erzieht nun Fernsehwerbung im Kinderprogramm? Es geht um etwa 200
Millionen Mark, die jä hrlich fü r Werbung im Umfeld von TV-Kindersendungen ausgegeben werden.
Die Botschaft jedes Werbespots heiЯt: kaufen und haben. Nur wer kauft und hat, ist glü cklich.
Kinderwerbung soll schon die Kleinsten als Konsumenten zurichten. Vielfach werden Kindern,
deren Identitä t sich erst herausbildet, Images und Markenidentitä ten angeboten, die das Gegenteil
von fö rderlich sind.
Je kleiner die Kinder sind, desto weniger kö nnen sie dieser kommerziell manipulativen
Miterziehung ausweichen. Sie haben ein Recht darauf, dass Erwachsene es fü r sie tun.
NEIN
Volker Nickel
Der 57-Jährige ist Geschäftsführer des Zentralverbands der Deutschen
Werbewirtschaft (ZAW), dem 40 Organisationen aller Arbeitsbereiche der Werbung
angehören. Nickel gilt als Analytiker der Werbewirtschaft
Die meisten Medienpä dagogen halten nichts von einem Werbebann. Die Welt
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der Kinder ist eben nicht mehr die Kinderwelt der jetzt lebenden Erwachsenen.
Heute gewinnen Kinder frü h Medienkompetenz, sie steigt mit zunehmendem Alter schnell an.
Niemand sieht weniger fern als die 3- bis 13-Jährigen (97 Minuten). Am Zeitbudget des einzelnen
Kindes von 780 Minuten pro Tag hat Fernsehen lediglich einen Anteil von zwö lf Prozent (davon TV-
Werbung: 1,4 Prozent).
Der gewachsene Wohlstand hat den Konsumspielraum auch von Kindern erweitert; sie sind
mit 19 Milliarden Mark Kaufkraft ein Marktfaktor. Doch ihr Sparverhalten verlä uft parallel zu dem
der Erwachsenen. Ihr aktives Komsumpotenzial liegt bei knapp neun Milliarden Mark – im Schnitt
2,38 Mark pro Tag. Kinder sind keine Konsumä ffchen. Sie definieren sich nicht ü berwiegend ü ber
Marken und Labels. In nur vier von 29 Produktkategorien ist die Marke fьr sie wichtig, belegt eine
Kids-Verbraucheranalyse. Und: Kinder kö nnen in der Regel Werbung und Programm bereits im
Vorschulalter unterscheiden. Sie entwickeln laut einer Studie von ARD und ZDF frü h und rasch
ansteigend kritische Distanz zur Werbung.
„FOCUS“, 31/31.07.00
2. Ergänzen Sie nun Ihre Listen mit Pro- und Kontra-Argumenten zum Thema Werbung im
Kinderfernsehen.
Pro Kontra

3. Welche Position spiegelt Ihre eigene Meinung wider und warum? Schreiben Sie
mindestens zwei Sätze.

Wenn Kinder im Werbenetz hängen


Bremer Medienpädagogin trainiert den selbstbewussten Umgang mit Werbung.
Wenn ihre Eltern am Wochenende in aller Ruhe ausschlafen, hat fü r Julia lä ngst der Fernseh-
Alltag begonnen. Allein sitzt die 5-Jä hrige vorm Fernseher und nimmt neben dem Kinderprogramm
Dutzende von Werbespots auf, neugierig und leicht beeinflussbar. Etwa 200 auf Kinder
zugeschnittene Werbespots zeigen Privatsender wie RTL eigenen Angaben zufolge jedes
Wochenende. Denn schon bei den Kleinen sollen Kaufwü nsche geweckt und Markenbindungen
aufgebaut werden. Medienpä dagogen wie die Bremerin Carola Michaelis steuern jetzt dagegen und
trainieren Kinder in Sachen Werbekompetenz.
„In Kindergä rten lernen die Kinder, sich Schuhe anzuziehen, die Zä hne zu putzen und aus
Holzspielzeug Burgen zu bauen. Aber mit Fernsehen und seinen Inhalten umzugehen, lernen sie
dort nicht“, kritisiert Michaelis. Dabei sitzen schon die Vierjä hrigen, so das Ergebnis einer aktuellen
Studie, durchschnittlich eine Stunde pro Tag vor der Mattscheibe. Den Fernseher einfach
auszuschalten, hä lt Carola Michaelis trotzdem fü r die falsche Taktik. Ein sinnvoller Umgang mit
Fernsehen bedeute fü r viele Kinder eine Mö glichkeit, sich zu entspannen, fremde Lä nder zu sehen,
sich mit Abenteurern zu identifizieren – alles Dinge, die ihnen der Alltag nicht bietet.
Genau wie das Team des Gö ttinger Vereins „Blickwechsel“, fü r den Michaelis bundesweit tä tig
ist, ist sie den Medien gegenü ber aufgeschlossen: „Um Kinder fü r die Medien fit zu machen, muss
man mit den Medien arbeiten. Sie zu verteufeln, hilft den Kindern wenig.“ In mehr als 60
Kindergä rten und Schulen in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Thü ringen, Bayern und
Nordrhein-Westfalen hat sie bereits – im Auftrag von „Blickwechsel“ – Kinder, Erzieherinnen und
Eltern geschult.
Bei ihren medienpraktischen Aktionen geht Michaelis spielerisch vor. Kinder malen ihre
Erfahrungen mit TV-Werbung auf ein Stü ck Papier oder reisen durch Bewegungsspiele in ein
Fernseh-Wunderland. Weil rund 40 Prozent der Vorschulkinder zwischen Fernsehwerbung und
Programm nicht unterscheiden kö nnen, trainiert Michaelis das kritische Sehen. An einem Papp-
Fernseher lernen sie, dass bei Werbespots das Logo des jeweiligen Senders fehlt – eine wichtige
Hilfestellung fü r Vorschulkinder.
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Bildgeschichten verdeutlichen die Mechanismen der Werbung. Um „Billy Bü chse“ geht es da
zum Beispiel, eine Erbsendose, die wegen ihrer langweiligen Verpackung zum Ladenhü ter wird. Bei
einem speziellen TV-Memory tauscht die Pä dagogin mit den Kindern Erfahrungen mit Werbung
aus. Dabei geht es auch um Teletubbie-T-Shirts, Pokemon-Karten und Arielle-Duschgel. Denn
Kinder sind empfä nglich fü r solche Figuren einer Fernsehsendung, die auch außerhalb des
Programms vermarktet werden, die so genannten Merchandising-Produkte.
Beliebt sind bei den Kindergarten-Projekten die Dialoge zwischen den Handpuppen Frido und
Plietschi. Wä hrend die eine Puppe fü r ein No-Name-Produkt wirbt, schwä rmt die andere von Ernie-
und-Bert-Keksen. Um Aussehen, Inhalt und den Preis der Kekse kreist das Gesprä ch. Zum Schluss
fü hren die Kinder mit verbundenen Augen einen Geschmackstest durch – ein fantasievoller Weg,
um sie fü r Sinn und Unsinn von Werbung zu sensibilisieren.
„Die Kinder begegnen uns mit Offenheit und freuen sich, dass mit ihnen endlich jemand ü ber
Fernsehen spricht“, erzä hlt Michaelis. Neben der Medienforschung bietet sie seit drei Jahren
Fortbildungen fьr Eltern und Erzieherinnen sowie Medienprojekte fü r Kinder an. Nach ihrer
eigenen Ausbildung zur Erzieherin hatte sie in Bremen Kulturwissenschaften studiert und sich
dabei auf die neuen Medien konzentriert. Heute ist die 35-Jä hrige selbst hautnah dran an den
Themen ihrer Seminare und Projekte. Sohn Bela ist fü nf Jahre alt – und TV-Fan wie all die anderen.
Doch in Belas Kindergarten hat sie bisher kein Seminar angeboten. Bremen ist ihrer Meinung
nach bei der Medienerziehung von Vor- und Grundschulkindern hinten dran. Hier werden solche
Projekte kaum gefö rdert. Dabei gä be es viele Mö glichkeiten, Kinder kritisch zu begleiten. Schü ler
zum Beispiel kö nnten eigene Videos produzieren. Wer als Regisseur, Cutter oder Schauspieler
einen Werbespot inszeniert und dabei nach Herzenslust manipuliert hat, begibt sich in der Regel
schnell auf einen neuen Trip: besser No-Name als no Taschengeld.
Sabine Komm, Wenn Kinder im Werbenetz hängen, „Die Welt“, 10.08.00

1. In dieser Zusammenfassung des Artikels fehlen alle trennbaren Verben. Ergänzen Sie
jeweils die richtige Form. Die Infinitivformen finden Sie im Kasten. Manche Wörter
brauchen Sie mehrere Male.
beibringen • fernsehen • umgehen • angehen • anbieten • aufnehmen •
ansprechen • abhä ngen
Fernsehen ist ein normaler Teil des heutigen Alltags. Schon kleine Kinder __________ ohne ihre
Eltern __________. Dabei sehen sie auch viele Werbespots und __________ die Werbebotschaft __________.
Viele dieser Werbespots wollen die Kinder direkt __________ und ihnen bestimmte Produkte
verkaufen.
Deshalb ist es sinnvoll, Kindern zu helfen, besser damit __________. __________ ist jedoch nicht
immer schlecht. Kinder __________ auch positive Sachen durch das Fernsehen __________. Carola
Michaelis arbeitet in Kindergä rten und Schulen. Ihr Ziel ist es Kindern __________, zwischen
Fernsehsendung und Fernsehwerbung zu unterscheiden. Sie __________ zum Beispiel einen Keks-
Geschmacks-Test __________, in dem sie mit den Kindern bespricht, dass die Qualitä t des Produktes
nicht von der Marke __________. Man kann Kindern also helfen, kritischer zu werden, was den
Konsum __________.

2. Beantworten Sie nun die folgende Frage schriftlich (100–150 Wörter): Wie trainiert man
kritisches Fernsehen bei Kindern?
Geschäftstarnungen
Einmal verschlug mich das Schicksal nach Wilmersdorf. Ich wollte meinem Freund Ilia Kitup, dem
Dichter aus Moskau, die typischen Ecken Berlins zeigen.
Es war schon Mitternacht, wir hatten Hunger und landeten in einem tü rkischen Imbiss. Die beiden
Verkä ufer hatten augenscheinlich nichts zu tun und tranken in Ruhe ihren Tee. Die Musik aus dem
Lautsprecher kam meinem Freund bekannt vor. Er erkannte die Stimme einer berü hmten
bulgarischen Sä ngerin und sang ein paar Strophen mit.
»Hö ren die Tü rken immer nachts bulgarische Musik?« Ich wandte mich mit dieser Frage an Kitup,
der in Moskau Anthropologie studierte und sich in Fragen volkstü mlicher Sitten gut auskennt. Er
kam mit den beiden Imbissverkä ufern ins Gesprä ch.

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»Das sind keine Tü rken, das sind Bulgaren, die nur so tun, als wä ren sie Tü rken«, erklä rte mir
Kitup, der auch ein wenig bulgarisches Blut in seinen Adern hat. »Das ist wahrscheinlich ihre
Geschä ftstarnung.« »Aber wieso tun sie das?«, fragte ich. »Berlin ist zu vielfä ltig. Man muss die Lage
nicht unnö tig verkomplizieren. Der Konsument ist daran gewö hnt, dass er in einem tü rkischen
Imbiss von Tü rken bedient wird, auch wenn sie in Wirklichkeit Bulgaren sind«, erklä rten uns die
Verkä ufer.
Gleich am nä chsten Tag ging ich in ein bulgarisches Restaurant, das ich vor kurzem entdeckt
hatte. Ich bildete mir ein, die Bulgaren dort wä ren in Wirklichkeit Tü rken. Doch dieses Mal waren
die Bulgaren echt. Dafü r entpuppten sich die Italiener aus dem italienischen Restaurant nebenan
als Griechen. Nachdem sie den Laden ü bernommen hatten, waren sie zur Volkshochschule
gegangen, um dort Italienisch zu lernen, erzä hlten sie mir. Der Gast erwartet in einem italienischen
Restaurant, dass mit ihm wenigstens ein bisschen Italienisch gesprochen wird. Wenig spä ter ging
ich zu einem »Griechen«, mein Gefü hl hatte mich nicht betrogen. Die Angestellten erwiesen sich als
Araber.
Berlin ist eine geheimnisvolle Stadt. Nichts ist hier so, wie es zunä chst scheint. In der Sushi-
Bar auf der Oranienburger Straße stand ein Mä dchen aus Burjatien hinter dem Tresen. Von ihr
erfuhr ich, dass die meisten Sushi-Bars in Berlin in jü dischen Hä nden sind und nicht aus Japan,
sondern aus Amerika kommen. Was nicht ungewö hnlich fü r die Gastronomie-Branche wä re. So wie
man ja auch die billigsten Karottenkonserven von Aldi als handgeschnitzte Gascogne-Mö hrchen
anbietet: Nichts ist hier echt, jeder ist er selbst und gleichzeitig ein anderer.
Ich ließ aber nicht locker und untersuchte die Lage weiter. Von Tag zu Tag erfuhr ich mehr.
Die Chinesen aus dem Imbiss gegenü ber von meinem Haus sind Vietnamesen. Der Inder aus der
Rykestraße ist in Wirklichkeit ein ü berzeugter Tunesier aus Karthago. Und der Chef der
afroamerikanischen Kneipe mit lauter Voodoo-Zeug an den Wä nden - ein Belgier. Selbst das letzte
Bollwerk der Authentizitä t, die Zigarettenverkä ufer aus Vietnam, sind nicht viel mehr als ein durch
Fernsehserien und Polizeieinsä tze entstandenes Klischee. Trotzdem wird es von den Beteiligten
bedient, obwohl jeder Polizist weiß, dass die so genannten Vietnamesen mehrheitlich aus der
Inneren Mongolei kommen.
Ich war von den Ergebnissen meiner Untersuchungen sehr ü berrascht und lief eifrig weiter
durch die Stadt, auf der Suche nach der letzten unverfä lschten Wahrheit. Vor allem beschä ftigte
mich die Frage, wer die so genannten Deutschen sind, die diese typisch einheimischen Lä den mit
Eisbein und Sauerkraut betreiben. Die kleinen gemü tlichen Kneipen, die oft »Bei Olly« oder »Bei
Scholly« oder ähnlich heißen, und wo das Bier immer nur die Hälfte kostet. Doch dort stieß ich auf
eine Mauer des Schweigens. Mein Gefü hl sagt mir, dass ich etwas Großem auf der Spur bin. Allein
komme ich jedoch nicht weiter. Wenn jemand wirklich weiß, was sich hinter den schö nen Fassaden
einer »Deutschen« Kneipe verbirgt, der melde sich. Ich bin fü r jeden Tipp dankbar.

W. Kaminer, Russendisko
Aufgaben
1. Finden Sie diese Sätze im Text:
Мы проголодались.
Казалось, обоим продавцам было нечем заняться.
Музыка, которая доносилась из колонок, показалась моему другу знакомой .
С этим вопросом я обратился к своему другу, который изучал антропологию и хорошо
разбирается в вопросах народных обычаев.
Зато итальянцы из итальянского ресторана оказались греками.
2. Ergänzen Sie:
Die Geschichte beginnt damit, dass …
In einem tü rkischen Imbiss, den der Autor mit seinem Freund besucht hatten, …
Der Autor findet es komisch, dass die Tü rken bulgarische Musik hö ren, und …
Spä ter entdeckte der Autor, dass …
Er erfuhr auch, dass …
3. Fassen Sie den Text kurz zusammen.

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