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IMMANUEL KANT
Was ist Aufklärung?
Die Frage Was ist es nur wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ih-
Aufklärung? »stammt res Geistes sich aus der Unmündigkeit heraus zu wickeln und den-
ursprünglich von dem noch einen sicheren Gang zu tun.
Berliner Theologen und
Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es
Mitglied der Berliner
Mittwochsgesellschaft ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich. Denn da
J. F. Zöllner (1753–1804). werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar unter den einge-
Im Dezember 1783 schrieb setzten Vormündern des großen Haufens finden, welche, nachdem
er in der Berlinischen Mo- sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist
natsschrift den Artikel ›Ist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs je-
es ratsam, das Ehebündnis des Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten werden. Beson-
nicht ferner durch die
ders ist hiebei: daß das Publikum, welches zuvor von ihnen unter
Religion zu sanzieren?‹ Er
nahm damit Stellung zu dieses Joch gebracht worden, sie hernach selbst zwingt, darunter zu
einem Plädoyer für die bleiben, wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller Auf-
Zivilehe, das – unter klärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt worden; so schädlich ist es,
Pseudonym – im September Vorurteile zu pflanzen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen,
1783 am selben Ort er- die oder deren Vorgänger ihre Urheber gewesen sind. Daher kann ein
schienen war. Zöllner kon- Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch eine Revo-
statierte einen allgemeinen
Niedergang der Sitten,
lution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotism
verursacht durch die ›herr- und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber nie-
schende Denkungsart‹ des mals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen; sondern
Zeitalters, nämlich ›unter neue Vorurteile werden, ebensowohl als die alten, zum Leitbande
dem Namen der Aufklärung des gedankenlosen großen Haufens dienen.
die Köpfe und Herzen der Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und
Menschen zu verwirren‹. In zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag,
einer Anmerkung zu seinem
Artikel (auf die sich Kants
nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen
Seitenverweis bezieht) gibt Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seiten rufen:
Zöllner nun das folgen- räsonniert nicht! Der Offizier sagt: räsonniert nicht, sondern exer-
schwere Stichwort ›Was ziert! Der Finanzrat: räsonniert nicht, sondern bezahlt! Der Geistli-
ist Aufklärung?‹. Damit hatte che: räsonniert nicht, sondern glaubt! (Nur ein einziger Herr in der
der Diskurs ein Problem Welt sagt: räsonniert, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber
geboren und darüber hinaus gehorcht!) Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. Welche Ein-
eine ganze Epoche mit
Diskussionsstoff gefüllt.«
schränkung aber ist der Aufklärung hinderlich, welche nicht, son-
Immanuel Kant: Von den dern ihr wohl gar beförderlich? – Ich antworte: Der öffentliche Ge-
Träumen der Vernunft. brauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann
Kleine Schriften zur Kunst, Aufklärung unter Menschen zustande bringen; der Privatgebrauch
Philosophie, Geschichte derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch
und Politik, hrsg. von darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern. Ich ver-
Steffen und Birgit Dietzsch, stehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Ver-
Leipzig und Weimar 1979,
S. 574 f.
nunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen
Publikum der Leserwelt macht. Den Privatgebrauch nenne ich den-
jenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen
Posten oder Amte von seiner Vernunft machen darf. Nun ist zu man-
chen Geschäften, die in das Interesse des gemeinen Wesens laufen,
ein gewisser Mechanism notwendig, vermittelst dessen einige Glie-
der des gemeinen Wesens sich bloß passiv verhalten müssen, um
durch eine künstliche Einhelligkeit von der Regierung zu öffentli-
chen Zwecken gerichtet oder wenigstens von der Zerstörung dieser
Zwecke abgehalten zu werden. Hier ist es nun freilich nicht erlaubt
zu räsonnieren; sondern man muß gehorchen. Sofern sich aber die-
ser Teil der Maschine zugleich als Glied eines ganzen gemeinen
Wesens, ja sogar der Weltbürgergesellschaft ansieht, mithin in der
Qualität eines Gelehrten, der sich an ein Publikum im eigentlichen
KANT Aufklärung 7
ihre Gedanken über eine bessere Abfassung derselben, sogar mit ei-
ner freimütigen Kritik der schon gegebenen, der Welt öffentlich vor-
zulegen; davon wir ein glänzendes Beispiel haben, wodurch noch
kein Monarch demjenigen vorging, welchen wir verehren.
Aber auch nur derjenige, der, selbst aufgeklärt, sich nicht vor
Schatten fürchtet, zugleich aber ein wohldiszipliniertes zahlreiches
1 In den Büschingschen Heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, – kann das sa-
wöchentlichen Nachrichten gen, was ein Freistaat nicht wagen darf: räsonniert, so viel ihr wollt,
vom 13. Sept. lese ich und worüber ihr wollt; nur gehorcht! So zeigt sich hier ein be-
heute den 30. ebendess. fremdlicher, nicht erwarteter Gang menschlicher Dinge; so wie auch
die Anzeige der Berlinischen
sonst, wenn man ihn im großen betrachtet, darin fast alles paradox
Monatsschrift von diesem
Monat, worin des Herrn ist. Ein größerer Grad bürgerlicher Freiheit scheint der Freiheit des
Mendelssohn Beantwortung Geistes des Volks vorteilhaft und setzt ihr doch unübersteigliche
ebenderselben Frage ange- Schranken; ein Grad weniger von jener verschafft hingegen diesem
führt wird. Mir ist sie noch Raum, sich nach allem seinen Vermögen auszubreiten. Wenn denn
nicht zu Händen gekom- die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärt-
men; sonst würde sie die lichsten sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, aus-
gegenwärtige zurückgehal-
ten haben, die jetzt nur zum
gewickelt hat: so wirkt dieser allmählich zurück auf die Sinnesart
Versuche dastehen mag, des Volks (wodurch dieses der Freiheit zu handeln nach und nach
wiefern der Zufall Einstim- fähiger wird), und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regie-
migkeit der Gedanken zu- rung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr
wege bringen könne. als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln.1