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drei Kasten voll Gold. »Davon,« sprach er, »ist ein Teil den
Armen, der andere dem König, der dritte dein.« Indem schlug
es zwölfe, und der Geist verschwand, also daß der Junge im
Finstern stand. »Ich werde mir doch heraushelfen können,«
sprach er, tappte herum, fand den Weg in die Kammer und
schlief dort bei seinem Feuer ein. Am andern Morgen kam der
König und sagte »nun wirst du gelernt haben, was Gruseln
ist ?« »Nein,« antwortete er, »was ists nur ? mein toter Vetter
war da, und ein bärtiger Mann ist gekommen, der hat mir da
unten viel Geld gezeigt, aber was Gruseln ist, hat mir keiner
gesagt.« Da sprach der König »du hast das Schloß erlöst und
sollst meine Tochter heiraten.« »Das ist all recht gut,« ant-
wortete er, »aber ich weiß noch immer nicht, was Gruseln ist.«
Da ward das Gold heraufgebracht und die Hochzeit gefeiert,
aber der junge König, so lieb er seine Gemahlin hatte und so
vergnügt er war, sagte doch immer »wenn mir nur gruselte,
wenn mir nur gruselte.« Das verdroß sie endlich. Ihr Kam-
mermädchen sprach »ich will Hilfe schaffen, das Gruseln soll
er schon lernen.« Sie ging hinaus zum Bach, der durch den
Garten floß, und ließ sich einen ganzen Eimer voll Gründlinge
holen. Nachts, als der junge König schlief, mußte seine Ge-
mahlin ihm die Decke wegziehen und den Eimer voll kalt
Wasser mit den Gründlingen über ihn herschütten, daß die
kleinen Fische um ihn herumzappelten. Da wachte er auf und
rief »ach was gruselt mir, was gruselt mir, liebe Frau ! Ja, nun
weiß ich, was Gruseln ist.«

5.
Der Wolf und die sieben jungen Geißlein

Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein,
und hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder lieb hat. Eines
Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen, da rief
sie alle sieben herbei und sprach »liebe Kinder, ich will hinaus
in den Wald, seid auf eurer Hut vor dem Wolf, wenn er herein-
kommt, so frißt er euch alle mit Haut und Haar. Der Böse-
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wicht verstellt sich oft, aber an seiner rauhen Stimme und an


seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn gleich erkennen.« Die
Geißlein sagten »liebe Mutter, wir wollen uns schon in acht
nehmen, Ihr könnt ohne Sorge fortgehen.« Da meckerte die
Alte und machte sich getrost auf den Weg.
Es dauerte nicht lange, so klopfte jemand an die Haustür
und rief »macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und
hat jedem von euch etwas mitgebracht.« Aber die Geißerchen
hörten an der rauhen Stimme, daß es der Wolf war, »wir ma-
chen nicht auf,« riefen sie, »du bist unsere Mutter nicht, die
hat eine feine und liebliche Stimme, aber deine Stimme ist
rauh ; du bist der Wolf.« Da ging der Wolf fort zu einem Krä-
mer und kaufte sich ein großes Stück Kreide : die aß er und
machte damit seine Stimme fein. Dann kam er zurück, klopfte
an die Haustür und rief »macht auf, ihr lieben Kinder, eure
Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht.«
Aber der Wolf hatte seine schwarze Pfote in das Fenster gelegt,
das sahen die Kinder und riefen »wir machen nicht auf, un-
sere Mutter hat keinen schwarzen Fuß wie du : du bist der
Wolf.« Da lief der Wolf zu einem Bäcker und sprach »ich habe
mich an den Fuß gestoßen, streich mir Teig darüber.« Und als
ihm der Bäcker die Pfote bestrichen hatte, so lief er zum Mül-
ler und sprach »streu mir weißes Mehl auf meine Pfote.« Der
Müller dachte »der Wolf will einen betrügen,« und weigerte
sich, aber der Wolf sprach »wenn du es nicht tust, so fresse ich
dich.« Da fürchtete sich der Müller und machte ihm die Pfote
weiß. Ja, so sind die Menschen.
Nun ging der Bösewicht zum drittenmal zu der Haustüre,
klopfte an und sprach »macht mir auf, Kinder, euer liebes
Mütterchen ist heimgekommen und hat jedem von euch etwas
aus dem Walde mitgebracht.« Die Geißerchen riefen »zeig uns
erst deine Pfote, damit wir wissen, daß du unser liebes Mütter-
chen bist.« Da legte er die Pfote ins Fenster, und als sie sahen,
daß sie weiß war, so glaubten sie, es wäre alles wahr, was er
sagte, und machten die Türe auf. Wer aber hereinkam, das war
der Wolf. Sie erschraken und wollten sich verstecken. Das eine
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sprang unter den Tisch, das zweite ins Bett, das dritte in den
Ofen, das vierte in die Küche, das fünfte in den Schrank, das
sechste unter die Waschschüssel, das siebente in den Kasten
der Wanduhr. Aber der Wolf fand sie alle und machte nicht
langes Federlesen : eins nach dem andern schluckte er in sei-
nen Rachen ; nur das jüngste in dem Uhrkasten, das fand er
nicht. Als der Wolf seine Lust gebüßt hatte, trollte er sich fort,
legte sich draußen auf der grünen Wiese unter einen Baum
und fing an zu schlafen.
Nicht lange danach kam die alte Geiß aus dem Walde
wieder heim. Ach, was mußte sie da erblicken ! Die Haustüre
stand sperrweit auf : Tisch, Stühle und Bänke waren umge-
worfen, die Waschschüssel lag in Scherben, Decke und Kissen
waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder, aber nir-
gend waren sie zu finden. Sie rief sie nacheinander bei Namen,
aber niemand antwortete. Endlich, als sie an das jüngste kam,
da rief eine feine Stimme »liebe Mutter, ich stecke im Uhr-
kasten.« Sie holte es heraus, und es erzählte ihr, daß der Wolf
gekommen wäre und die andern alle gefressen hätte. Da könnt
ihr denken, wie sie über ihre armen Kinder geweint hat.
Endlich ging sie in ihrem Jammer hinaus, und das jüngste
Geißlein lief mit. Als sie auf die Wiese kam, so lag da der Wolf
an dem Baum und schnarchte, daß die Äste zitterten. Sie be-
trachtete ihn von allen Seiten und sah, daß in seinem angefüll-
ten Bauch sich etwas regte und zappelte. »Ach Gott,« dachte
sie, »sollten meine armen Kinder, die er zum Abendbrot hin-
untergewürgt hat, noch am Leben sein ?« Da mußte das Geiß-
lein nach Haus laufen und Schere, Nadel und Zwirn holen.
Dann schnitt sie dem Ungetüm den Wanst auf, und kaum
hatte sie einen Schnitt getan, so streckte schon ein Geißlein
den Kopf heraus, und als sie weiter schnitt so sprangen nach-
einander alle sechse heraus, und waren noch alle am Leben,
und hatten nicht einmal Schaden gelitten, denn das Ungetüm
hatte sie in der Gier ganz hinuntergeschluckt. Das war eine
Freude ! Da herzten sie ihre liebe Mutter und hüpften wie ein
Schneider, der Hochzeit hält. Die Alte aber sagte »jetzt geht
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und sucht Wackersteine, damit wollen wir dem gottlosen Tier


den Bauch füllen, solange es noch im Schlafe liegt.« Da
schleppten die sieben Geißerchen in aller Eile die Steine her-
bei und steckten sie ihm in den Bauch, so viel sie hineinbrin-
gen konnten. Dann nähte ihn die Alte in aller Geschwindig-
keit wieder zu, daß er nichts merkte und sich nicht einmal
regte.
Als der Wolf endlich ausgeschlafen hatte, machte er sich auf
die Beine, und weil ihm die Steine im Magen so großen Durst
erregten, so wollte er zu einem Brunnen gehen und trinken.
Als er aber anfing zu gehen und sich hin und her zu bewegen,
so stießen die Steine in seinem Bauch aneinander und rappel-
ten. Da rief er
»was rumpelt und pumpelt
in meinem Bauch herum ?
ich meinte, es wären sechs Geißlein,
so sinds lauter Wackerstein.«
Und als er an den Brunnen kam und sich über das Wasser
bückte und trinken wollte, da zogen ihn die schweren Steine
hinein und er mußte jämmerlich ersaufen. Als die sieben
Geißlein das sahen, da kamen sie herbeigelaufen, riefen laut
»der Wolf ist tot ! der Wolf ist tot !« und tanzten mit ihrer Mut-
ter vor Freude um den Brunnen herum.

6.
Der treue Johannes

Es war einmal ein alter König, der war krank und dachte »es
wird wohl das Totenbett sein, auf dem ich liege.« Da sprach er
»laßt mir den getreuen Johannes kommen.« Der getreue Jo-
hannes war sein liebster Diener, und hieß so, weil er ihm sein
lebelang so treu gewesen war. Als er nun vor das Bett kam,
sprach der König zu ihm »getreuester Johannes, ich fühle, daß
mein Ende herannaht, und da habe ich keine andere Sorge als
um meinen Sohn : er ist noch in jungen Jahren, wo er sich
nicht immer zu raten weiß, und wenn du mir nicht ver-

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