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DER HERZINFARKT
Die Krone des Herzes: die Herzkranzgefäße
Sisyphos verliert ein Bein
Alarm im Herz: Symptome eines Herzinfarktes
Höchste Eisenbahn: Das Gefäß muss geöffnet werden
Von hellrotem und dunkelblauem Blut
Risiko und Nutzen der Koronarangiografie
Zehn Minuten – und das Blut fließt wieder
HERZSCHMERZ
Der Mann mit dem offenen Herz
Schmerz signalisiert Gefahr
Typischer und atypischer Schmerz
Die falschen Helden
Der Hand-Finger-Test
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LIEBE LESERINNEN UND LESER,
dieses Buch soll ein Ratgeber sein, der Ihnen den Weg zu einem Leben mit einem gesunden
Herz zeigt. Dies ist seit 13 Jahren auch die Hauptaufgabe der Südtiroler Herzstiftung: Sie
setzt sich dafür ein, dass weniger Menschen an Herz- und Gefäßleiden erkranken oder einen
Hirnschlag erleiden, Menschen nicht durch eine Herz-Kreislauf-Erkrankung mit großen
Einschränkungen leben müssen oder vorzeitig daran sterben. Für Betroffene soll das Leben
lebenswert bleiben.
Themen wie gesunde Ernährung sowie die Wichtigkeit von Bewegung und Stressabbau
sind einige der Schwerpunkte, auf die wir uns auch bei unseren Konferenzen, auf den
Gesundheitstagen und am Weltherztag konzentrieren. Wir bemühen uns, die Bevölkerung
zu sensibilisieren und sie über die Risiken von Herzkrankheiten und deren Vorbeugung zu
informieren.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen, aber vor allem, dass Sie
herzgesund leben!
Wenn Sie das Herz auf einem Bild betrachten, dann werden Sie auf den ersten Blick nicht
wirklich viel Faszinierendes daran finden. Es ist kaum größer als eine Faust, wiegt nicht
einmal ein halbes Kilogramm und liegt gut geschützt durch den knöchernen Brustkorb
linksseitig im Oberkörper. Das Herz ist fast schon primitiv aufgebaut. Im Grunde ist es
nicht viel mehr als ein Muskel, der innen hohl ist, ein Hohlmuskel also. Nichts im Vergleich
zur Komplexität der anderen vier lebenserhaltenden und lebensspendenden Organe im
menschlichen Körper: Gehirn, Lunge, Leber und Nieren.
Das Gehirn, das Denkorgan, ist das komplizierteste Gebilde, das es überhaupt gibt. Es
besteht aus 100 Milliarden Nervenzellen und einem Vielfachen an Nervenverbindungen.
Wir sind noch weit davon entfernt, alle Geheimnisse des Gehirns entschlüsselt zu haben.
Die Lunge ist unser Atmungsorgan. Die Lungenwege und -gefäße verästeln sich
atemberaubend klein, sodass die Lunge einem Laubbaum ähnelt, der im Herbst alle Blätter
abgeworfen hat. Wie der Sauerstoff von der Luft ins Blut gelangt, ist ein chemisches und
physikalisches Meisterwerk.
Die Leber ist das zentrale Entgiftungs- und Stoffwechselorgan. Könnte man die einzelnen
Zellen farblich darstellen, dann wäre die Leber ein buntes Mosaik aus tausendundeiner
Farbe.
Und die Nieren schließlich sind die Kläranlage des Körpers, ein geordnetes Gewirr aus
Tausenden Röhren und Zellansammlungen. Jede Gemeinde wäre stolz auf so ein effizientes
Klärwerk.
Im Vergleich dazu ist das Herz richtig einfach aufgebaut. Es ist, wie schon erwähnt, ein
Hohlmuskel, der in der Mitte durch die Herzscheidewand in zwei Hälften geteilt wird. Eben
weil das Herz innen hohl ist, kann es sich zusammenziehen und erschlaffen. Dadurch wird
das Blut angesaugt und wieder ausgestoßen. Im Grunde ist es das – so simpel und doch der
Motor unseres Lebens! Das Herz ist der König unter den Organen, der alle anderen Organe
an Symbol- und Leuchtkraft sowie an Bedeutung übertrifft.
Dum-lup, dum-lup, dum-lup – der Herzschlag entsteht durch das Vibrieren der
Herzklappen, wenn das Blut durch sie hindurchströmt. Um ihn hören zu können, setzt der
Arzt lediglich das Stethoskop auf den Brustkorb auf: dum-lup, dum-lup, dum-lup – die
Musik des Lebens.
Spüren kann den Herzschlag jeder. Wenn wir uns anstrengen oder wenn wir abends im Bett
liegen und um uns herum alles still ist, dann hören wir in unseren Körper hinein und können
spüren, wie das Herz seiner Arbeit nachgeht, wie das Blut durch die Herzklappen strömt
und sie zum Musizieren animiert – dum-lup, dum-lup, dum-lup.
Wahrscheinlich ist es dieser Herzschlag, der die Menschen seit eh und je fasziniert. Die
Tatsache, dass man das Leben auf den Herzschlag reduzieren kann: Ob jemand lebt oder
nicht mehr, wird am Vorhandensein des Pulses, des Herzschlages, festgemacht. Es gibt kein
anderes Organ, das derart über Leben und Tod entscheidet wie das Herz.
Diese Faszination schlägt sich in vielen Lebensbereichen nieder: Das Herz nimmt nicht nur
medizinisch, sondern auch gesellschaftlich, kulturhistorisch, sozial, linguistisch und religiös
eine herausragende Rolle ein. Denken wir nur an die Verehrung des Herzens Jesu in der
katholischen Kirche. In der christlichen Tradition ist das Herz ein Symbol der
BarmHERZigkeit, der Nächstenliebe. Das Herz Christi ist die religiöse Verbindung der
Liebe Gottes zu den Menschen.
Viele Redewendungen haben heute das Herz zum Inhalt. „Du hast dein Herz am rechten
Fleck“, „Du bist eine Person mit einem guten Herzen“, „Das sage ich aus tiefstem Herzen“
oder „Du bist ein herzloser Mensch“, „Du hast ein Herz aus Stein“. Ich erinnere mich noch
an die Studienzeit, als ein Kumpel zu mir sagte: „Jetzt fasse dir ein Herz und sprich diese
Frau an der Theke an.“ Natürlich ging es auch nicht ohne Herz ab, als ich am Morgen
danach noch vor dem Frühstück feige abhauen wollte und eben jene Frau von der Theke mir
nachrief: „Du hast mein Herz erobert und willst es jetzt gleich wieder brechen!“ Auch der
schönste Satz, den man seinem Partner sagen kann, kommt nicht ohne Herz aus: „Ich
schenke dir mein Herz.“
Ich jedenfalls war und bin fasziniert von diesem kleinen Muskel, der uns am Leben hält.
Schon damals im Medizinstudium, und auch heute noch nach vielen Jahren als Kardiologe
und nach vielen Herzen, die ich dank der Fortschritte der Medizin wieder zum Schlagen
bringen konnte. Denn dass es schlägt, ist nicht selbstverständlich. Zu viele von uns tun
einiges dafür, dass es oft gefährlich aus dem Takt gerät oder seine Arbeit ganz einstellt.
Deshalb sind Krankheiten des Herzes auch die häufigste Todesursache. Aber, und das ist
ein wichtiger Punkt, der mich veranlasst hat, dieses Buch zu schreiben: Viele dieser
Todesfälle ließen sich vermeiden durch – man kann es nicht oft genug sagen – einen
gesünderen Lebensstil. Dazu gehören vor allem mehr Bewegung, weniger Stress und eine
ausgewogene Ernährung.
Vielen Patienten können meine Kollegen und ich das Leben retten. Dank schneller
Versorgung und einer modernen Hochleistungsmedizin, die sich ständig weiterentwickelt
und verbessert, können
wir viele Herzen wieder zum Arbeiten bringen. Aber – und das müssen wir Kardiologen
und Herzchirurgen uns auch eingestehen und in aller Deutlichkeit sagen: Ein repariertes
Herz wird niemals wieder ein gesundes Herz! Deshalb tut jeder gut daran, wenn er sich
zwar an den Fortschritten der Medizin erfreut, aber dafür sorgt, dass er sie nie in Anspruch
nehmen muss. So gesehen bin ich Ihnen auch nicht böse, wenn wir uns nie kennenlernen –
oder zumindest nicht in meiner Kardiologie-Abteilung, sondern vielleicht bei einem
Vortrag, einer Buchvorstellung oder einer herzgesunden Freizeitaktivität.
Zuvor nehme ich Sie jedoch mit auf die Reise in ein Wunderwerk der Natur, in Ihr Herz.
Lassen Sie sich faszinieren von diesem einzigartigen Organ. Wenn Sie danach beschließen,
mehr auf Ihr Herz zu achten, ein herzgesundes Leben zu führen und sich selbst ein gesundes
und schlagkräftiges Herz zu schenken, dann freut mich das am meisten.
Ihr
Dr. Felix Pescoller
DIE PUMPE, DIE UNS AM LEBEN HÄLT
Für die einen ist das Herz das Organ des Lebens, für die anderen das Symbol der Liebe und
der großen Gefühle. Für uns Mediziner ist es ein Muskel, 300 bis 400 Gramm schwer, der
über Wohl und Wehe im menschlichen Körper sorgt. Um zu verstehen, warum das so ist,
werfen wir zunächst einen Blick auf das Herz, seine Aufgaben und seine Arbeitsweise.
Das Herz liegt in der Mitte des Brustkorbs, leicht nach links versetzt hinter dem Brustbein.
Wenn Sie Ihre Hand zur Faust ballen, bekommen Sie einen ungefähren Eindruck von der
Größe Ihres Herzes. Ist es nicht erstaunlich? Dieses doch recht kleine Organ sorgt dafür,
dass Ihr ganzer Körper – vom Scheitel bis zur Sohle – ausreichend mit Sauerstoff,
Nährstoffen, Vitaminen und Hormonen versorgt ist. Jede Ihrer Körperzellen lebt nur, weil
es das Herz gibt, das sie rund um die Uhr ernährt. Solche Zellen gibt es in Ihrem Körper
mehr als genug. Ich bezweifle zwar, dass das jemals jemand so genau nachgerechnet hat,
aber man sagt, um die 30 Billionen. Damit Sie sich eine Vorstellung davon machen können:
Schreiben Sie die Zahl 30 und dahinter zwölf Nullen auf einen Zettel. Das sind Ihre
Körperzellen, die aus Ihnen das machen, was Sie sind. Und für die unser Herz pumpt und
pumpt und pumpt – im besten Fall ohne Pause und ohne vorzeitigen Ruhestand.
Vereinfacht dargestellt sehen die beiden Kreisläufe, die vom Herz angetrieben werden, so
aus:
Der Weg unseres Blutes durch den Körper beginnt in der rechten Herzhälfte – aus Ihrer
Perspektive. In der Zeichnung ist es spiegelverkehrt dargestellt. Das verbrauchte Blut, das
seinen Sauerstoff (O2) in den Zellen zurückgelassen hat, wird von der rechten Herzhälfte
über den Lungenstamm und die Lungenarterien in die beiden Lungenflügel gepumpt. Dort
wird das Blut mit Sauerstoff angereichert. Das funktioniert, vereinfacht erklärt, so: Mit
jedem Atemzug gelangt Sauerstoff über Nase und Mund in die Luftröhre und von dort
weiter über die Hauptbronchien in den rechten und linken Lungenflügel. Dort verzweigen
sich die Bronchien – wie beim Bild des Baumes – weiter in die Bronchiolen. An deren Ende
sitzen Luftbläschen, die wir Mediziner auch Alveolen nennen und etwa so ausschauen wie
Trauben an einer Weinrebe.
Jedes der kleinen Bläschen ist von feinsten Blutgefäßen umgeben, den – wie wir bereits
erfahren haben – Kapillaren. Weil die Sauerstoffteilchen winzig sind und die Wand der
Lungenbläschen sehr dünn, können sie diese leicht überwinden und von den Alveolen in die
Blutgefäße wandern. Das tun sie, weil so vieles im menschlichen Körper Physik ist. In
diesem Fall heißt das Prinzip Diffusion. Ausgeglichenheit ist ein Gesetz der Natur: Weil in
den Lungenbläschen viel Sauerstoff enthalten ist, im Blut aber wenig, wandern
Sauerstoffmoleküle in die Blutgefäße, um einen Ausgleich herzustellen. Aus der Schule
kennen das viele noch unter dem Begriff „Gasaustausch“. Das funktioniert übrigens auf
dieselbe Weise mit dem Kohlendioxid (CO2).Dieses wird in der Lunge von den Blutgefäßen
an die Lungenbläschen abgegeben, geht den umgekehrten Weg wie die frische Atemluft
und wird schließlich über Mund und Nase wieder ausgeatmet.
An die roten Blutkörperchen geklammert – dazu später etwas mehr – gelangt der Sauerstoff
im Blut über die Lungenvene zurück zum Herz – allerdings nicht mehr in die rechte,
sondern nun als „frisches“ Blut in die linke Herzhälfte. Damit ist der Lungenkreislauf
beendet.
In der linken Herzhälfte startet dann der Körperkreislauf: Das sauerstoffreiche Blut wird
über die Hauptschlagader, die Aorta, in den Körper gepumpt. Gleich nach dem Herz
zweigen von der Aorta Schlüsselbeinarterien und Halsschlagadern ab, die Arme und Kopf
mit Blut versorgen. Auch die Herzkranzgefäße, die das Herz selbst versorgen, beginnen
unmittelbar nach dem Herz bei der Aorta. Diese verläuft über Brust und Bauch nach unten
und teilt sich dort in die Becken und Beinarterien auf, die die unteren Extremitäten
versorgen. Wie bereits erklärt, verzweigen sich die Arterien in immer kleinere Gefäße, die
das mit Sauerstoff und Nährstoffen angereicherte Blut bis in die entlegensten Winkel des
Körpers bringen. Die Zellen nehmen die für sie wichtige Nahrung auf und geben
Kohlendioxid und nicht mehr benötigte Stoffe im Gegenzug wieder an das Blut ab. Auch
diesem Vorgang liegt das physikalische Prinzip der Diffusion zugrunde, das wir bereits in
der Lunge kennengelernt haben. Der Körper ist eben auf Ausgleich bedacht.
Das sauerstoffarme Blut aus Beinen, Bauch, Armen und Kopf fließt nun wieder zum Herz
zurück – diesmal allerdings nicht mehr durch die Arterien, sondern durch Venolen, dann
Venen und schließlich über den Venenstamm in die rechte Herzkammer. Dann beginnt der
Kreislauf von Neuem.
Übrigens: Während Sie diese Zeilen gelesen haben und dem Weg des Blutes von der Lunge
durch den ganzen Körper wieder zurück gefolgt sind, hat Ihr Blut diesen Weg tatsächlich
zurückgelegt – und das, je nachdem wie schnell Sie lesen, vermutlich nicht nur einmal.
Denn für den gesamten Kreislauf benötigt ein Blutstropfen in etwa eine Minute. In Ruhe
braucht Ihr Blut also ungefähr eine Minute, um einmal durch den gesamten Körper zu
fließen.
Mit jedem Herzschlag ziehen sich die Muskeln der Herzkammern zusammen. Die linke
Herzkammer pumpt dann etwa 70 Milliliter sauerstoffreiches Blut über die Aorta in den
Körper, die rechte Herzkammer pumpt ebenso viel sauerstoffarmes Blut über die
Lungenarterie in die Lunge. Dafür öffnen sich die sogenannten Taschenklappen, die am
Ausgang des Herzes positioniert und so konstruiert sind, dass sie das Blut ausströmen, aber
nicht mehr zurückströmen lassen. Wir Mediziner nennen sie Pulmonalklappe (in der
rechten Herzhälfte zwischen Kammer und Lungenarterie) und Aortenklappe (links
zwischen Kammer und Aorta). Gleichzeitig schließen sich die Segelklappen, die zwischen
Vorhof und Herzkammer positioniert sind, damit das Blut nicht zurück in die Vorhöfe
fließt. Sie heißen Trikuspidalklappe (rechts) und Mitralklappe (links). Diese Auswurfphase
des Blutes nennt man Systole. Alle vier Klappen gemeinsam sind auch als „Herzklappen“
bekannt.Während sich also mit jedem Herzschlag die Muskeln der Herzkammern
zusammenziehen und das Blut „auswerfen“, dehnen sich gleichzeitig die Vorhöfe aus,
sodass ein Unterdruck entsteht. Dadurch wird das sauerstoffarme Blut aus der oberen und
der unteren Hohlvene in den rechten Vorhof gesogen, das sauerstoffreiche Blut aus den
Lungenvenen in den linken Vorhof. Erschlafft die Muskulatur der Herzkammern wieder,
fließt das Blut von den Vorhöfen in die Herzkammer. Dafür öffnen sich die Segelklappen
zwischen Vorhof und Herzkammer, während die Taschenklappen geschlossen sind, damit
kein Blut aus Lungenarterie und Aorta zurückfließen kann. Diese Füllungsphase des
Herzes nennt man in der Medizin Diastole.
↗ Der Blutdruck
Beide Begriffe – Systole und Diastole – sind den meisten geläufig vom Blutdruck. Das ist
jener Druck, den das Blut auf die Wände der Blutgefäße ausübt. Er wird normalerweise in
Millimeter-Quecksilbersäule (mmHg) angegeben. Bei Erwachsenen gilt ein Blutdruck von
120 zu 80 als optimal. 120 steht dabei für den systolischen Druck, also jenen Druck, den
das Blut auf die Gefäße ausübt, wenn sich die Herzkammer zusammenzieht und das Blut
in den Körperkreislauf pumpt. Der zweite Wert steht für den diastolischen Druck, also
wenn die Herzkammer wieder erschlafft und der Druck auf die Gefäße nachlässt.
Entsprechend herrscht dann ein geringerer Druck. Der diastolische Wert ist folglich der
niedrigere der beiden.
Der Herzschlag
Die Herzmuskulatur zieht sich im Bruchteil einer Sekunde zusammen. Das nehmen wir als
Herzschlag wahr und können wir als Puls am Handgelenk oder am Hals spüren. Das ist
auch gut so, zeigt es uns doch, dass unser Herz brav seiner Arbeit nachgeht und uns am
Leben hält.
Nicht jedem ist das aber klar. Ein Patient kam einmal zu mir in die Sprechstunde und klagte
darüber, dass er sein Herz schlagen spüre. Das nerve ihn ziemlich. Ob man das nicht
irgendwie abstellen könne … Tja, wenn man das könnte, dann hätte mein Patient wirklich
ein Problem gehabt – ein lebensbedrohliches Problem. Das erklärte ich ihm natürlich, und
ich hoffe, dass ihn sein Herzschlag nicht mehr nervt, sondern mit Freude erfüllt – darüber,
dass er am Leben ist.
Richtig gut spüren kann man die Arbeit des Herzes, wenn man es zur Hochleistung
herausfordert. Dann muss man auch gar nicht erst nach dem Puls suchen. Beim Sport zum
Beispiel schnellt der Herzschlag in die Höhe, weil richtig viel Sauerstoff in den Körper
gepumpt werden muss. Das spüren wir dann am ganzen Körper. Auch abends im Bett,
wenn alles um uns herum ruhig ist, können wir das Herz beim Arbeiten spüren. Wir erleben
mit, wie das Blut durch die Herzklappen in den Körper strömt: dum-lup, dum-lup, dum-lup.
Ein gesundes Herz gibt bei jedem Herzschlag zwei Töne von sich, die der Arzt mit dem
Stethoskop deutlich hören kann. Es ist das Geräusch, das beim Schließen der Herzklappen
entsteht – beim ersten Ton schließen sich die Segelklappen zwischen Vorhof und
Herzkammer, beim zweiten Ton die Taschenklappen am Ausgang der Herzkammer. Sind
daneben noch weitere Geräusche durch das Stethoskop zu hören, könnte das ein Zeichen für
eine Herzerkrankung sein.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich damals im Medizinstudium das erste Mal das
Herz durch das Stethoskop schlagen hörte – zugegeben, das war kein einfaches
Unterfangen. Beim Auskultationskurs des Herzes lernt man, wie man die Herztöne richtig
interpretiert. Ich kaufte mir ein Stethoskop – und vergaß prompt, es richtig einzuschalten.
Eine ganze Woche lang auskultierten wir an Versuchspatienten die Herztöne. Der Professor
brachte uns bei, sie richtig zu „lesen“ und geriet dabei regelrecht ins Schwärmen. Ich aber
hörte, wenn ich das Stethoskop ansetzte – nichts! Weil ich als Südtiroler unter den vielen
deutschen Studenten keine blöde Figur machen wollte, diskutierte und fachsimpelte ich mit,
gab an, jede Abweichung von der Norm sofort zu hören. Dabei hörte ich nichts! Das ging so
lange, bis ein Kollege rein zufällig an meinem Stethoskop herumspielte und es
versehentlich einschaltete. Nach einer Woche Kurs, in der ich öfters über eine Ohrenvisite
nachgedacht hatte, hörte auch ich sie, die Herztöne in ihrer Pracht. Es war eine
Offenbarung. Und mein Interesse an der Kardiologie war richtig geweckt.
Zurück zum Puls: Dieser entspricht genau der Herzfrequenz. Jedes Mal, wenn das Herz Blut
durch den Körper pumpt, spüren wir das am Handgelenk oder am Hals. Die Anzahl der
Schläge pro Minute gibt Aufschluss darüber, ob das Herz zu schnell oder zu langsam
schlägt. In Ruhe sind es bei einem Erwachsenen etwa 70 Schläge pro Minute. Sie müssen
dafür auch nicht die ganze Minute mitzählen: Zählen Sie zehn Sekunden lang, und
multiplizieren Sie die gezählten Herzschläge mit sechs, schon haben Sie den Herzschlag pro
Minute. Das kann praktisch jeder.
Erfahrene Kardiologen können aber aus dem Puls noch etwas anderes „lesen“, nämlich die
Druckwelle in den Blutgefäßen. Der Druck kann stark, schwach, regelmäßig oder
unregelmäßig, von Kurve zu Kurve unterschiedlich sein. Entsprechend redet der Mediziner,
der mit seinem Wissen angeben will, von „pulsus alternans“, „pulsus paradoxus“, „pulsus
tardus“ oder „pulsus bigeminus“, um nur einige Pulseigenschaften zu nennen. Unter uns
Kardiologen gibt es wahre Spezialisten im Erkennen all dieser Feinheiten. Das ist nicht
unwichtig, denn diese Analyse lässt Rückschlüsse auf viele Herzkrankheiten zu. Ich
gestehe: Ich kann es, aber es gibt bessere „Puls-Leser“ als mich.
Das Blut erfüllt mehrere wichtige Funktionen im Körper. Die wichtigste ist zweifelsohne
der Transport von Sauerstoff, Vitaminen und Nährstoffen bis in den entlegensten Winkel
unseres Körpers. Gleichzeitig schafft das Blut Kohlendioxid aus den Geweben zurück zur
Lunge und andere Abfall- und Schadstoffe zu den Ausscheidungsorganen, zum Beispiel zu
den Nieren. Das Blut spielt auch eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der
Körpertemperatur, bei der Abwehr von körperfremden Stoffen und Krankheitserregern
sowie bei der Übermittlung von wichtigen Signalen durch die Hormone. Außerdem ist das
Blut ein Spiegel des gesamten Stoffwechsels, der viel darüber verrät, wie gesund wir sind
und wie gut unsere Organe funktionieren.
Die zweite Hälfte des Blutvolumens besteht aus Zellen. Sie schwimmen als feste
Bestandteile im Plasma und gelangen auf diese Weise zu den Organen: rote und weiße
Blutkörperchen sowie Blutplättchen.
Das kenne ich aus eigener Erfahrung, und es sind keine schönen Erinnerungen. Als Kind
litt ich unter einer solchen Blutarmut, verursacht durch einen Eisenmangel. Dieses
Spurenelement ist für den Aufbau der roten Blutkörperchen extrem wichtig. Ohne Eisen
kann nicht genügend Sauerstoff an die Blutkörperchen gebunden werden. Ob ich zu wenig
Fleisch gegessen habe – dort ist nämlich viel Eisen enthalten – oder ob mein Körper das
Eisen nicht aufnehmen konnte, weiß ich nicht mehr. Ich musste nur sehr oft zur
Blutabnahme und fiel dabei regelmäßig in Ohnmacht. Schuld daran ist der Nervus vagus,
den wir etwas später im Buch noch kennenlernen werden. Er sorgt dafür, dass sich der
Herzschlag derart verlangsamt, dass man sich nicht mehr auf seinen Beinen halten kann.
Jedenfalls wurde mir jeden Monat Eisen gespritzt. Heute sieht man von dieser Methode ab,
weil medizinisches Eisen toxisch ist und schmerzhafte Muskelreizungen verursacht. Davon
kann ich ein Lied singen. Verabreicht haben mir die Spritzen damals aber kein Arzt und
keine Krankenschwester, sondern eine Frau namens Ida, die im Hauptberuf die
Haushälterin des Pfarrers war. Jeden Monat trat ich, begleitet von meinem Vater, meinen
persönlichen Gang nach Canossa an. Während sich mein Vater mit dem Pfarrer unterhielt,
sterilisierte die Ida die Mehrwegspritze aus Glas durch Erhitzen und desinfizierte eine
ausgewählte Stelle auf meinem Allerwertesten. Ich betete jedes Mal inständig, dass etwas
schiefgehen und mir die Qual erspart bleiben möge. Nie wurden meine Gebete erhört. So
kam es, wie es kommen musste: Die Kühle des Desinfektionsmittels tat ihr Übriges, und
meine Muskeln spannten sich an, was alles nur noch schlimmer machte. Ida trieb mir die
Spritze ohne Rücksicht in den Hintern. Vermutlich dachte sie „kurz und schmerzlos“. Es
war ein Weder-noch. Die Nadel war dick und lang, und die Eisenflüssigkeit, die sich
langsam im Muskel verteilte, brannte wie tausend Höllenfeuer. Die Schmerzen waren
unerträglich. Ich schrie aber nicht einmal auf – weil ich das fromme Gespräch von meinem
Vater mit dem Pfarrer nicht stören wollte. Tagelang konnte ich nicht mehr ohne
Schmerzen gehen. Wie oft ich diesen beschwerlichen Gang machen musste, weiß ich nicht
mehr. Es war oft. Glücklicherweise kamen dann die Eisenpräparate zum Trinken auf den
Markt. Sie schmeckten widerlich, aber kein Vergleich zu den Spritzen. Ich hätte tausend
auf einmal getrunken.
Zurück zu den roten Blutkörperchen: Sie sind nur auf den ersten Blick alle gleich. Bei
genauerem Betrachten weisen sie feine Unterschiede auf ihrer Oberfläche auf, die zur
Unterteilung in Blutgruppen geführt hat. Die unterschiedlichen Eiweiße und Fette auf ihrer
Oberfläche bilden Antigene, die wiederum mit Antikörpern im Blutplasma reagieren
können. Werden bei einer Bluttransfusion zwei unverträgliche Bluttypen miteinander
vermischt, reagieren die Antikörper auf das körperfremde Blut, in der Folge verklumpen
die roten Blutkörperchen – ein lebensgefährlicher Vorgang. Die Entdeckung der
Blutgruppen A, B und 0 geht auf den Österreicher Karl Landsteiner zurück, die Blutgruppe
AB entdeckten seine Assistenten.
Die Blutplättchen
Die Blutplättchen (Thrombozyten) spielen gemeinsam mit bestimmten Eiweißstoffen im
Blutplasma eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung. Nicht nur bei offenen Wunden
sorgen sie für den Verschluss der Wunde. Auch eine geschädigte Gefäßinnenwand wie bei
einer Arteriosklerose führt dazu, dass sich Thrombozyten ablagern – im schlimmsten Fall
kann dies zu einem Gefäßverschluss führen. Die Blutplättchen sind neben der Blutstillung
auch für die Konsistenz des Blutes und den Blutfluss verantwortlich.
Würde man alle Gefäße aneinanderreihen, dann würde das eine Strecke von 100.000
Kilometern ergeben. Eine unglaubliche Zahl. Sind Sie schon einmal nach New York
geflogen? Von München oder Frankfurt sind es etwa 6000 Kilometer, für die Sie acht
Stunden im Flieger sitzen. Eine lange Zeit, weshalb man meistens nachts fliegt, dann
vergeht die Zeit wahrlich wie im Flug. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie fliegen 16-mal
über den Atlantik, achtmal hin, achtmal wieder zurück. So lang sind unsere Blutgefäße
aneinandergereiht, in einem Körper, der nicht einmal zwei Meter Länge hat. Das reicht
auch, um zweimal die Erde zu umrunden.
Da kann man nur staunen. Zuerst darüber, wie die Wissenschaftler diese Zahl errechnet
haben. Dann natürlich auch darüber, welches Wunderwerk der menschliche Körper ganz
allgemein und das Herz im Besonderen ist.
Möglich ist das nur, weil sich die Gefäße von der Aorta bis zu den kleinsten
Kapillargefäßen extrem verdünnen; von etwa drei bis vier Zentimetern – so groß ist der
Durchmesser der Hauptschlagader – auf gerade einmal fünf bis zehn Mikrometer. Ein
Mikrometer ist ein Tausendstel eines Millimeters, unvorstellbar klein also. Die meisten
Kapillargefäße sind dünner als ein Kopfhaar – daher auch ihr zweiter Name „Haargefäße“.
Alle diese Gefäße haben ihren Ursprung im Herz und führen wieder zum Herz hin. Ich sage
deshalb gern: Das Herz ist das Rom unseres Körpers. Denn bekanntlich führen alle Wege
nach Rom.
Mit einem Schlag pumpt das Herz also 70 Milliliter Blut aus der rechten Herzkammer in die
Lungenschlagader und aus der linken Herzkammer in die Körperschlagader. Das sind etwa
fünf Liter pro Minute und 7200 Liter am Tag. Um eine Vorstellung von dieser Leistung zu
bekommen: Ein Mensch sollte am Tag zwei Liter Flüssigkeit zu sich nehmen. Mit 7200
Litern könnten wir also zehn Jahre leben. Würde ich Ihnen einen Euro pro Herzschlag
geben, würden Sie am Ende Ihres Lebens mehrfacher Milliardär sein: Das Herz schlägt
unglaubliche drei bis vier Milliarden Mal in einem Leben. Wenn wir jeden einzelnen
Herzschlag in einen Kilometer umwandeln, dann kämen wir damit mehr als zehnmal zur
Sonne und wieder zurück.
Diese ungeheuerliche Leistung schafft das Herz nur, weil es Tag und Nacht arbeitet, rund
um die Uhr, ohne Pause, ohne Ruhetag. Kennen Sie Sisyphos? Das ist die Figur aus der
griechischen Mythologie, die dazu verdammt ist, auf ewig einen Felsblock einen Berghang
hinaufzuwälzen. Knapp unter dem Gipfel angelangt, rollt er immer wieder ins Tal zurück.
Heute steht das geflügelte Wort Sisyphosarbeit für eine ertraglose, schwere Tätigkeit ohne
absehbares Ende. Für mich ist das Herz deshalb der Sisyphos unter den Organen.
Am schnellsten hingegen schlägt das Herz der Etruskerspitzmaus, des kleinsten Säugetiers
der Welt, mit über 1000 Mal in der Minute. Es ist kleiner als ein Reiskorn. Die Lebensdauer
dieses Winzlings ist nicht sehr lang, höchstens ein paar Jahre. Ganz genau weiß man das
nicht. Auf jeden Fall aber bedeutend kürzer als jene des Blauwals, der weit über 100 Jahre
alt werden kann.
Was sagt uns das? Es gibt einen Zusammenhang zwischen Herzschlag und Lebensdauer: Je
schneller das Herz schlägt, umso kürzer ist die Lebensdauer. Denn die Gesamtzahl an
Herzschlägen im Leben eines Säugetiers ist relativ konstant: Es schlägt etwa eine Milliarde
Mal im gesamten Leben. Sind diese Herzschläge sozusagen aufgebraucht, neigt sich das
Leben des Säugetiers dem Ende zu. Bei Tieren, deren Herz schneller schlägt, ist das früher
der Fall als bei
Manch ein Leser wird jetzt stutzig geworden sein: Eine Milliarde Herzschläge? Wäre ich
dann nicht bereits tot? Immerhin ist auch der Mensch ein Säugetier, bei 70 Schlägen pro
Minute wäre die Reserve bald aufgebraucht, ein höheres Alter unmöglich, sogar ein
mittleres Alter ziemlich schwer zu erreichen. Glücklicherweise bildet der Mensch eine
Ausnahme unter den Säugetieren. Er hat im Schnitt dreimal so viele Herzschläge zur
Verfügung wie ein normales Säugetier. Das reicht im Normalfall für ein hohes Alter.
Warum der Mensch eine derartige Langlebigkeit entwickelt hat, darüber kann nur spekuliert
werden. Er hat keine natürlichen Feinde mehr, lebt sicher und geborgen, Hunger und Durst
braucht er nicht zu fürchten, und wenn er krank wird, helfen die Errungenschaften der
Medizin. Das kommt ihm sicherlich zugute. Das Herz hat sich dem angepasst – und das
Kontingent an Herzschlägen verdreifacht.
Der schlaue Leser, der die Couch dem Sport vorzieht, wird insgeheim an dieser Stelle
jubeln: Der Sportler, dessen Herz immer mal wieder oder regelmäßig schneller schlägt,
wird sein Herzschlag-Kontingent schneller aufgebraucht haben als mit einem gemütlichen
Lebensstil und wenigen Herausforderungen in Herzensdingen. Leider muss ich die
Stubenhocker enttäuschen: Ein sportlich aktiver Mensch hat einen viel niedrigeren
Ruhepuls als ein Bewegungsmuffel. Das heißt, wenn der Sportler schläft, schlägt sein Herz
deutlich weniger oft als das Herz des faulen Zeitgenossen. Damit gleicht sich alles aus.
Außerdem ist ein sportliches und bewegungsfreudiges Leben insgesamt viel gesünder und
damit lebensverlängernd.
Der Schrittmacher
Sie werden sich jetzt vielleicht fragen, warum das Herz überhaupt schlägt. Wer veranlasst
die regelmäßigen Kontraktionen, mit denen das Blut durch den Körper gepumpt wird? Die
Antwort: das Herz selbst. Es besitzt einen eigenständigen Taktgeber, der für den
regelmäßigen Herzschlag verantwortlich ist: den Sinusknoten. Vergleichbar mit dem
Kapellmeister einer Musikkapelle oder dem Dirigenten eines Chores. Oder, um in der
Mediziner-Sprache zu bleiben, ein natürlicher Schrittmacher. Dabei handelt es sich um eine
Gewebestruktur aus spezialisierten Herzmuskelzellen und Nervenzellen, die im oberen
Bereich des rechten Vorhofes sitzt und gerade einmal so groß ist wie der Kopf einer
Stecknadel.
Komplizierte biochemische Prozesse, die ich Ihnen an dieser Stelle ersparen will, sorgen
dafür, dass diese Gewebestruktur in der Regel 70, bei Anstrengung und Belastung auch
deutlich mehr elektrische Impulse pro Minute erzeugt. Sie breiten sich zunächst in den
Vorhöfen aus und werden dann über eine Verbindungsstelle, den AV-Knoten, auch auf die
Kammern übertragen. Ein jeder Impuls löst einen Herzschlag aus. Den Befehl dazu
bekommt der Sinusknoten vom Gehirn, das über Nervenfasern des vegetativen
Nervensystems mit dem Taktgeber verbunden ist. Die Eigenheit des vegetativen
Nervensystems ist, dass es ohne bewusstes Zutun unsererseits, also ohne unsere bewusste
Steuerung, aktiv ist. Auf diese Weise steuert es wichtige Körperfunktionen wie Atmung,
Verdauung, Stoffwechsel und den Herzschlag. Wenn wir uns anstrengen oder aufgeregt
sind, steigt der Sauerstoff- und Nährstoffbedarf der Organe und Gewebe. Ohne dass wir uns
darum kümmern müssen, gibt das vegetative Nervensystem dem Sinusknoten den Auftrag,
vermehrte Impulse loszuschicken und auf diese Weise den Herzschlag zu steigern. Damit
erhöht sich die Blutmenge, die in den Körper geschickt wird, um dort für den Nachschub an
Nährstoffen zu sorgen.
Der Impuls vom Sinusknoten allein reicht allerdings nicht, um das Herz schlagen zu lassen.
Es braucht außerdem, wie übrigens jede andere Zelle im Körper, einen Energieträger in
Form von Zucker und Fett. Beides nehmen wir über die Nahrung auf und bunkern es in
mehr oder weniger großen Mengen in unserem Körper als Reserve.
Die Energieträger sind wie das Holz zum Heizen. Damit wir aber aus Holz Wärme
gewinnen, ist zum Verbrennen Sauerstoff wichtig. Darauf sind auch unser Herz und unsere
Zellen angewiesen, um aus Zucker und Fett Energie gewinnen zu können. Den Sauerstoff
kann unser Körper allerdings nicht speichern. Die menschliche Evolution hat es schlichtweg
nicht für nötig gehalten, Sauerstoffspeicher anzulegen. Warum auch? Sauerstoff ist in
unendlicher Menge in der Luft vorhanden, man braucht ihn nur einzuatmen. Im Grunde
leben wir also von Atemzug zu Atemzug. Genau dieser Umstand ist allerdings die
Achillesferse des gesamten Systems Mensch: die Abhängigkeit vom Sauerstoff.
Das können Sie selbst ausprobieren: Holen Sie tief Luft, und versuchen Sie dann, den Atem
anzuhalten, solange es geht. Richtig lange wird Ihnen das nicht gelingen. Ich schätze, 30 bis
40 Sekunden, bei Rauchern weniger. Ist der Sauerstoff, den Sie bei Ihrem letzten Atemzug
eingeatmet haben, aufgebraucht, wird es im Körper kritisch. Deshalb setzt dann einer der
primitivsten Reflexe ein: Sie schnappen nach Luft. Das ist für Sie überlebenswichtig. Was
passiert, wenn Herz und Körperzellen länger keinen Sauerstoff mehr erhalten, ist schnell
gesagt: Ihr Leben hängt an einem seidenen Faden.
Das wurde mir in meinen jungen Kardiologenjahren deutlich vor Augen geführt und war
mir eine Lehre, die ich nie mehr vergessen werde. Dieser Tag wird noch aus einem anderen
Grund immer in Erinnerung bleiben – aber in guter Erinnerung. Im Grunde war es ein Tag
wie viele andere zuvor. Ein Patient war zum Batteriewechsel beim Herzschrittmacher
vorgemerkt. Bei manchen Patienten schlägt das Herz nicht mehr aus eigenen Stücken. Bei
ihnen fehlt der Impuls zum Herzschlag, und sie sind von einem Herzschrittmacher
abhängig, der für den wichtigen Herzschlag-Rhythmus sorgt. Vereinfacht gesagt, besteht
ein Herzschrittmacher aus einer Batterie und einem elektrischen Draht, der Schrittmacher-
Elektrode. Diese wird über die Vene, die direkt unter dem Schlüsselbein verläuft, in eine
der beiden Herzkammern – meistens in die rechte – geschoben. Die Elektrode wird danach
an die Schrittmacherbatterie geschraubt, die unterhalb des Schlüsselbeins eingesetzt wird.
Schlägt nun das Herz nicht mehr oder zu langsam, setzt die Batterie einen elektrischen
Impuls, der das Herz über die Elektrode schlagen oder schneller schlagen lässt.
Es sind nicht wenige Menschen, die ohne Herzschrittmacher nicht mehr leben könnten. Der
Schrittmacher erledigt hier einen lebenswichtigen Job, einziger Nachteil: Nach zehn bis
zwölf Jahren ist die Batterieleistung aufgebraucht, dann muss sie ersetzt werden. Das ist ein
einfacher Eingriff: So wie der Herzschrittmacher eingesetzt wird – mit örtlicher Betäubung,
also schmerzfrei bei vollem Bewusstsein des Patienten –, wird die Batterie auch
ausgetauscht. Einzig die Zeit zählt dabei. Ohne Herzschlag fließt kein Blut mehr, was ein in
kürzester Zeit lebensbedrohlicher Notfall ist, wie ich an jenem Tag erleben musste.
Der Patient lag bereits vor mir auf dem OP-Tisch, die Stelle unter dem Schlüsselbein war
betäubt, und er plauderte munter drauflos. Der Eingriff dauert zwar nur 15 Minuten, es ist
dennoch besser, wenn der Patient abgelenkt ist und sich nicht auf mich und meine Arbeit
konzentriert. Deshalb verwickle ich alle von Beginn an in ein Gespräch. Während er also
von seinem Leben erzählte, setzte ich das Skalpell an und machte gleich unter dem
Schlüsselbein einen etwa drei Zentimeter langen Schnitt. Die OP-Schwester unterbrach
mich.
Eine neue Krankenschwester möchte gerne bei diesem Eingriff zuschauen. Kein Problem,
so ein Schrittmacherwechsel ist reine Routine. Die Krankenschwester kam näher, und ich
sah – dank OP-Haube und Mundschutz – nur ihre Augen. Aber es war um mich geschehen.
Natürlich wollte ich sie beeindrucken und begann, kleinlich genau jeden einzelnen meiner
Arbeitsschritte zu erklären. Ich legte die Schrittmacherbatterie frei und schraubte sie aus der
Verbindung mit der Elektrode, die – wir wissen es mittlerweile – dem Herz den Impuls zum
Schlagen gibt. Ich zeigte ihr die Batterie, dann die Elektrode, ich kam richtig ins Erzählen –
und vergaß fatalerweise, dass der Patient, losgelöst von der Batterie, keinen Herzschlag
mehr hatte. Die alte Batterie lag in meiner Hand, die neue auf dem OP-Tisch.
Normalerweise muss der Austausch der Batterie ruck, zuck gehen, keine wertvolle Zeit darf
verstreichen. An diesem Tag passierte aber genau das. Sekunden verstrichen, in denen der
Patient keinen Herzschlag hatte, folglich keinen Blutfluss zum Gehirn, also auch keinen
Sauerstoff mehr im Gehirn. Der Patient verlor vor mir auf dem OP-Tisch das Bewusstsein.
Ich reagierte glücklicherweise schnell und richtig. Ich schraubte die neue Batterie an die
Elektrode. Diese machte unverzüglich ihren Job und schickte die ersten elektrischen
Impulse ins Herz. Es begann wieder zu schlagen, und nach Sekunden, die mir natürlich wie
eine Ewigkeit vorkamen, erwachte auch mein Patient wieder. Der war natürlich ziemlich
erschrocken. Er hatte gespürt, dass da etwas nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen
war, ich konnte ihn aber gleich beruhigen. Glücklicherweise hatte diese Unaufmerksamkeit
meinerseits bei ihm keinen bleibenden Schaden angerichtet. Jedoch war es mir eine Lehre.
Die hübsche Krankenschwester war natürlich alles andere als begeistert von meinem Tun –
wurde einige Zeit später aber trotzdem zu meiner Frau.
Das war ein dramatisches Ereignis, das ich natürlich nie mehr herbeigeführt habe. Aber es
zeigt eindrücklich, wie abhängig wir vom Herzschlag und der damit verbundenen
Sauerstoffversorgung sind. Wir alle hängen am seidenen Lebensfaden des Sauerstoffs.
Der menschliche Nervus vagus hat aber eine durchaus menschliche Eigenschaft: Er kann
nämlich in bestimmten Situationen ziemlich zickig sein, ja überreagieren. Das passiert eben
gerne in der vollen Kirche oder in der prallen Sonne. Manche kennen das auch von einer
durchzechten Nacht oder vielmehr dem Morgen nach einer Nacht mit zu wenig Schlaf und
zu viel Alkohol. Der Nervus vagus wird ungemütlich, wie ein kleines Kind hasst er solche
Situationen. Er will diesen unglücklichen Zustand beenden – und zwar auf seine Art. Er
senkt die Schlagfrequenz des Herzes so sehr, dass der Blutdruck zusammenbrechen kann.
Sie ahnen es schon: Das Gehirn und auch alle anderen Zellen werden mit wenig bis gar
keinem Sauerstoff versorgt. Das spüren Sie, Ihr Kopf fühlt sich an, als wäre er in Watte
gehüllt, die Kräfte fangen an zu schwinden, Sie schwitzen und frieren gleichzeitig, die
Beine halten nicht mehr. Irgendwann zieht das Gehirn die Reißleine und schickt Sie in eine
kurze Bewusstlosigkeit – Sie fallen um.
Glücklicherweise hat der Nervus vagus einen Zwillingsbruder: Nervus sympathicus. Der ist,
wie der Name schon sagt, sympathisch. Er registriert nämlich unmittelbar, was sein böser
Bruder angestellt hat, und steuert dagegen. Er steigert die Herzfrequenz, Sauerstoff gelangt
wieder zum Gehirn, und wir erholen uns rasch wieder. Dieser Streit zwischen den Brüdern
Vagus und Sympathicus mit kurzzeitigem Bewusstseinsverlust nennen wir eine Synkope.
Sicherlich wissen Sie auch, was in einer solchen Situation – wenn also jemand in der Kirche
oder in der prallen Sonne umgefallen ist – zu tun ist: Beine hochlagern! Fällt der Blutdruck
nämlich plötzlich ab, sackt das Blut aufgrund seines Gewichtes nach unten in die Beine –
solange man noch steht. Einmal auf dem Boden, ist das Hochlagern der Beine die einzige
Möglichkeit, dieses Blut einigermaßen schnell wieder Richtung Herz zu bewegen. Glauben
Sie mir, ich weiß, wie sich das anfühlt, am Boden zu liegen, die Beine in der Luft zu haben,
und alle starren einen an, wenn man die Augen wieder aufmacht. Ich sage Ihnen auch aus
eigener Erfahrung: Stehen Sie nicht zu schnell wieder auf! Bleiben Sie liegen, machen Sie
es sich gemütlich, und seien Sie geduldig. Tun Sie das nicht, fallen Sie noch einmal um.
DER HERZINFARKT
Ihren Ursprung haben die Herzkranzgefäße in der Aorta, der Hauptschlagader, die aus der
linken Herzkammer entspringt. Von dieser zweigen zwei große Koronararterien ab. Sie
verästeln sich in viele kleine Blutgefäße, die das ganze Herz umschließen. Über diese
Koronararterien gelangen Sauerstoff und Nährstoffe zu den einzelnen Zellen des Herzes. In
diesen findet, wie in den übrigen Körperzellen auch, der Sauerstoffaustausch statt: Das
frische Blut gibt Sauerstoff und Nährstoffe an die Zellen ab, und das verbrauchte und
sauerstoffarme Blut fließt über die Koronarvenen wieder zurück in den rechten Vorhof.
Dort beginnt der Lungenkreislauf, also die Anreicherung des Blutes mit Sauerstoff, von
Neuem.
Gefährlich wird es, wenn die Versorgungsgefäße des Herzes ihrer Aufgabe nicht mehr
nachkommen können. Sind Herzkranzgefäße wegen Kalkablagerungen – mehr dazu später
– verschlossen, gelangen Zucker, Fett und Sauerstoff nicht mehr zu den Herzmuskelzellen.
Diesen geht es wie den normalen Zellen im Körper: Sie können auf einen ordentlichen
Vorratsspeicher an Zucker und Fett zurückgreifen, nicht aber auf Sauerstoff. Der kann auch
in den Zellen des Herzes nicht gespeichert werden. Der zuletzt gelieferte Sauerstoff ist
schnell verbraucht, denn die Stoffwechselprozesse im Körper laufen in Millisekunden ab.
Deshalb bekommt der Herzmuskel vom ersten Augenblick eines Gefäßverschlusses an
Probleme.
Sie können sich vermutlich vorstellen, dass die Auswirkungen schlimmer sind, je früher das
Herzkranzgefäß verschlossen ist: Tritt ein Gefäßverschluss unmittelbar nach der
Abzweigung von der Hauptschlagader auf, ist ein viel größerer Bereich des Herzes von der
Unterversorgung betroffen als bei einem Verschluss „weiter hinten“ bzw. „peripher“.
Ersteres ist ein absoluter Notfall, der oft tödlich endet. Im zweiten Fall muss der Rest des
Herzes künftig ohne diesen Teil des Herzmuskels auskommen. Gewebe, das nicht
rechtzeitig wieder durchblutet werden kann, vernarbt in der Folge und kann sich nicht mehr
entspannen und zusammenziehen. Es ist also für die Pumpleistung des Herzes unbrauchbar.
Dadurch bleibt die Leistungsfähigkeit unseres Lebensmotors dauerhaft eingeschränkt.
Stellen Sie sich vor, unser armer Sisyphos verliert einen Arm oder ein Bein, muss aber
trotzdem den Stein weiter den Berg hinaufschieben. Er plagt sich und müht sich noch mehr
ab. Als Langzeitfolgen eines Herzinfarktes sind Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen,
ein Aneurysma oder ein plötzlicher Herztod nicht selten.
Während bei einem Knochenbruch oder bei einem Hautschnitt mit der Zeit die alten,
abgestorbenen Zellen durch neue ersetzt werden, ist diese Hoffnung beim Herz vergebens.
Herzmuskelzellen können nicht nachgebildet werden. Die Anzahl an Herzmuskelzellen, die
wir bei der Geburt haben, behalten wir das gesamte Leben hindurch. Es ist deshalb mehr als
ratsam, mit seinen Herzzellen behutsam umzugehen.
Schaffen wir es allerdings, vor den zwölf Stunden das Herzkranzgefäß wieder zu öffnen,
dann erhält die Herzzelle Sauerstoff und erholt sich wieder. Ganz so wie in unserem
Haushalt, wenn das Wasser wieder fließt.
Ein Herzinfarkt ist also ein Rennen gegen die Zeit. Innerhalb von zwölf Stunden müssen Sie
so schnell wie möglich ins Krankenhaus gebracht werden, damit das Gefäß durch einen
kleinen kardiologischen Eingriff, die perkutane Koronarintervention, kurz PCI, wieder
geöffnet werden kann. Dazu gleich etwas mehr.
Weil bei einem Herzinfarkt Zeit in der Tat Leben ist, muss ein Infarkt sofort erkannt
werden, um richtig handeln zu können. Deshalb an dieser Stelle das Kapitel zur
Früherkennung.
Sehr häufig äußert sich ein Herzinfarkt durch ein massives Engegefühl in der Brust. Oft ist
es ein heftiger Druck oder ein sehr starkes Einschnürungsgefühl im Herzbereich. Manche
Herzinfarktpatienten berichten von einem Gefühl, als ob ein Elefant auf ihrer Brust stehen
würde.
Auch starke Schmerzen, die mindestens fünf Minuten lang andauern, können auf einen
Herzinfarkt hinweisen. Oft strahlen die Schmerzen in die Arme, zwischen die
Schulterblätter in den Rücken, in den Hals und den Kiefer aus. Nicht selten ist ein heftiges
Brennen im Brustbereich.
Neben diesen eher typischen Beschwerden gibt es auch durchaus unspezifische Anzeichen,
die bei Frauen häufiger vorkommen als bei Männern. Dazu zählen Übelkeit, Schmerzen im
Oberbauch, Erbrechen und Atemnot. Treten diese Symptome in noch nie erlebtem Ausmaß
auf, sollte man auf jeden Fall einen Notarzt kontaktieren. Es kann sich um einen Herzinfarkt
handeln.
Weil die Symptome vor allem bei Frauen eher unspezifisch sind, bleibt ein Herzinfarkt hier
häufiger unentdeckt als bei Männern. Auch deshalb sterben Frauen häufiger an einem
Infarkt als Männer. Interessant ist auch, dass das Herz der Frauen bis zu den Wechseljahren
relativ gut geschützt ist. Dabei spielen die weiblichen Hormone sicherlich eine große Rolle.
Vor den Wechseljahren haben Frauen zum Beispiel auch seltener Bluthochdruck und
niedrigere Blutfettwerte als danach – beides Risikofaktoren für Erkrankungen des Herzes.
Deshalb war es lange Zeit so, dass Frauen im Vergleich zu den Männern erst sieben bis
zehn Jahre später eine koronare Herzkrankheit entwickelten.
Allerdings scheinen die Frauen ihren „Vorteil“ langsam zu verspielen. Das mag daran
liegen, dass Frauen zunehmend den ungesünderen Lebensstil der Männer übernehmen. So
haben früher nur sehr wenige Frauen geraucht, heute rauchen zwar immer noch mehr
Männer, aber die Frauen haben stark „aufgeholt“. Je länger Risikofaktoren bestehen, die wir
später noch genauer kennenlernen werden und zu denen auch das Rauchen gehört, umso
größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Arterienverkalkung und einer Herzerkrankung.
Trotzdem kann man sagen, dass bis zum 60. Lebensjahr Männer drei- bis viermal häufiger
einen Herzinfarkt erleiden als Frauen. Nach dem 75. Lebensjahr wendet sich das Blatt, dann
sind es mehr Frauen als Männer.
Uhr ein Arzt in Bereitschaft. Immer mal wieder werde auch ich mitten in der Nacht aus dem
Schlaf geholt und habe es dann eilig, ins Krankenhaus zu kommen.
Dann muss innerhalb kürzester Zeit ein verschlossenes Gefäß geöffnet oder vielmehr
zunächst die verschlossene Stelle gefunden werden. Das passiert mithilfe der
Koronarangiografie, einer speziellen Röntgenuntersuchung zur Darstellung der Gefäße.
Weil dabei Strahlung im Spiel ist, muss sich der Arzt zuerst einen zehn Kilogramm
schweren Bleimantel überwerfen. Nicht die Gefäße des Arztes, sondern die des Patienten
sollen schließlich durchleuchtet werden.
Nach einer örtlichen Betäubung wird am Handgelenk ein großes arterielles Gefäß punktiert,
was nichts anderes heißt als „angestochen“. Über diese Öffnung wird ein gerade einmal
zwei Millimeter dicker Katheter – im Grunde ein dünner Plastikschlauch – durch die Arterie
bis zum Herz geführt. Was ziemlich wild klingt, ist für den erfahrenen Kardiologen ein
Kinderspiel und für den Patienten praktisch schmerzfrei. Er ist bei vollem Bewusstsein,
kann mit dem Arzt reden und auf einem Bildschirm mitbeobachten, was im Inneren seines
Körpers los ist. Manche sind da auf der Liege auch recht gesprächig und wissbegierig. So
fragte mich einmal ein Patient, warum ich den Katheter am rechten Handgelenk einführe,
wo doch das Herz links im Körper liegt. Sehr gute Frage. Die Antwort kennen wir bereits:
Alle Wege führen nach Rom und damit auch zum Herz. Es ist also völlig egal, ob wir den
Zugang rechts oder links am Handgelenk legen, über jede Arterie gelangen wir zum Herz.
Gar einigen Patienten ist aber nicht wirklich nach Small Talk zumute. Sie machen lieber die
Augen zu oder müssen sogar medikamentös beruhigt werden. Gott sei Dank haben wir
dafür Mittel und Wege. Das interessanteste Mittel ist eines, das nicht nur beruhigt,
entspannt und einschläfernd wirkt, sondern eine retrograde Amnesie verursacht. Ich nenne
es das DeLorean-Medikament. Sie erinnern sich vielleicht an den Kinofilm „Zurück in die
Zukunft“, in dem mit dem DeLorean-Auto und seinen Flügeltüren mit einer
Geschwindigkeit von 88 Meilen pro Stunde zwischen Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft hin- und hergefahren wird. Mit diesem Medikament verhält es sich ähnlich. Wir
spritzen es Patienten, die aufgeregt und unruhig, oft auch so aggressiv sind, dass eine
Behandlung nicht möglich ist. Innerhalb von Sekunden wirkt das Medikament. Lässt die
Wirkung nach, kehrt das Gedächtnis des Patienten zu dem Zeitpunkt zurück, als das
Medikament gespritzt wurde. Bei einer normalen Narkose weiß der Patient, dass er
eingeschlafen ist. Beim DeLorean-Medikament nicht. Er hat nichts mitbekommen und
vermutet deshalb, dass der Eingriff noch bevorsteht. Manchmal kann man einen Patienten
nur vom Gegenteil überzeugen, indem man ihm die Bilder der Untersuchung zeigt.
Manch ein Ehemann oder eine Ehefrau wird jetzt vielleicht ins Grübeln kommen … Einmal
dem Partner ein paar Tropfen davon in den Kaffee schütten … Man könnte ihm endlich all
das sagen, was man sich sonst nicht traut. Das könnte vielleicht sogar guttun und
therapeutisch wirken. Der auf diese Weise Angesprochene würde rein gar nichts davon
mitbekommen. Trotzdem: Keine gute Idee!
Bis hierhin wird eine Koronarangiografie auch durchgeführt, wenn kein Infarkt vorliegt,
sondern nur der Verdacht auf verengte Herzkranzgefäße. Bestätigt sich der Verdacht nicht,
ist die Untersuchung an dieser Stelle zu Ende.
Was hier einfach klingt und zur täglichen Arbeit eines Kardiologen zählt, kann bei aller
Vorsicht auch nicht so glatt und reibungslos laufen. Der Katheter ist zwar sehr dünn, aber er
muss sich durch die ebenso dünnen Gefäße bewegen und stößt dabei immer wieder an die
Gefäßwand. Reißt diese dabei, ist Gefahr in Verzug. Dann muss die Verletzung sofort
chirurgisch saniert werden. Es ist natürlich sehr unangenehm, wenn der Arzt selbst ein
Problem verursacht, kann aber leider bei aller Sorgfalt passieren.
Das ist auch einer der Gründe, warum man eine Koronarangiografie nicht als simple
Vorsorgeuntersuchung ansehen darf, die man nur macht, um zu sehen, wie es in den
Gefäßen ausschaut. Es ist und bleibt eine invasive Untersuchung, die auch schiefgehen, in
ganz seltenen Fällen sogar tödlich enden kann. Auch gibt es Menschen, die das
Kontrastmittel, das in die Gefäße gespritzt wird, nicht vertragen. Die Liste der
Komplikationen, die auftreten können, ist leider lang. Deshalb muss vor einer
Koronarangiografie auf jeden Fall eine Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen werden –
was ein Arzt immer tut, bevor er ein Medikament verschreibt, eine Untersuchung anordnet
oder einen Eingriff vorschlägt. Es muss also bewertet werden, ob sich eine
Koronarangiografie mit ihren Risiken wirklich lohnt. Das bedeutet: Bei einem Patienten,
der von eindeutigen Herzbeschwerden berichtet, wie einem Engegefühl in der Brust, und
der mehrere Risikofaktoren für verengte Koronargefäße aufweist – Raucher,
Bluthochdruck, Diabetes –, ist eine Koronarangiografie angesagt, weil das Risiko der
Untersuchung viel geringer ist, als nicht zu wissen, ob eine möglicherweise
lebensgefährliche Engstelle in den Herzkranzgefäßen die Beschwerden verursacht.
Sind also eindeutige Beschwerden und Risikofaktoren vorhanden oder eben beides nicht
vorhanden, ist die Sache klar. Schwieriger wird es, wenn jemand über unklare Beschwerden
klagt. Dann gibt es allerdings einige Untersuchungen, die man vor einer Koronarangiografie
machen kann: So hilft zum Beispiel eine Belastungsprobe zu klären, ob Beschwerden durch
eine mangelnde Sauerstoffversorgung des Herzmuskels verursacht werden. Eine
Röntgenaufnahme der Herzkranzgefäße (Computertomografie) kann den Verkalkungsgrad
der Herzkranzgefäße zumindest grob nachweisen. Je nachdem wie diese Untersuchungen
ausgehen, kann danach immer noch eine Koronarangiografie durchgeführt werden.
Der große Vorteil dieser Untersuchung ist nämlich, dass sie nicht nur die Diagnose stellen
kann – also Engstellen oder Gefäßverschlüsse sichtbar macht –, sondern gleichzeitig auch
die Möglichkeit der Therapie bietet. Sind also Engstellen zu sehen oder wird ein Patient
bereits mit einem Herzinfarkt, also einem total verschlossenen Gefäß eingeliefert, kann man
im Rahmen der Koronarangiografie das Gefäß unmittelbar öffnen oder die Engstelle
beseitigen.
Draht, wieder entleerter Ballon und Katheter werden aus dem Gefäß gezogen. Der Eingriff
ist beendet, die Engstelle beseitigt – nach kaum mehr als zehn Minuten. Manchmal sind wir
so schnell, dass der Patient es nicht einmal mitbekommt, dass sein lebensbedrohliches
Problem schon behoben ist. Einem todkranken Patienten mit teilweise sehr starken
Brustschmerzen, Kreislaufproblemen und unangenehmen Begleitbeschwerden wie Übelkeit
und Brechreiz können wir innerhalb weniger Minuten helfen. Das Gefäß ist geöffnet, das
Blut fließt, die Herzmuskelzellen erholen sich langsam wieder, und dem Patienten geht es
augenblicklich besser. Er lebt wieder auf und ist irrsinnig dankbar. Ich gebe zu: Auch für
uns Kardiologen ist das ein gutes Gefühl. Wenn der Koronarfluss wiederhergestellt ist, die
Werte von Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffsättigung und Atemfrequenz sich wieder
normalisieren, dann ist das wie der Applaus für einen Theaterschauspieler. Einfach nur
schön.
Ein Patient meinte einmal, wir Kardiologen seien Künstler. Nein, das denke ich nicht. Ich
sehe uns vielmehr als Hydrauliker. Wir öffnen verstopfte Rohre. Dafür ist keine Kunst
notwendig, es braucht nur ein bisschen Geschicklichkeit, und die kommt mit der Erfahrung.
Das war es aber schon mit meinem handwerklichen Geschick. Zu Hause scheitere ich oft
schon an einem Nagel, der in die Wand soll, oder beim Zusammenschrauben eines Billig-
Möbelteiles aus Schweden. Nur verstopfte Leitungen im menschlichen Körper reparieren,
das kann ich.
Meistens zumindest. Geht ein Eingriff nicht so gut aus, lässt sich das Gefäß nicht mehr
öffnen oder kommen Komplikationen dazu, die zum Tod des Patienten führen, ist es auch
nach vielen Jahren in diesem Job immer noch sehr schwer, damit klarzukommen. Mir geht
das immer sehr ans Herz. Leider kann bei einem Eingriff im Inneren des Körpers immer
etwas Unvorhergesehenes passieren oder eine Komplikation dazukommen. Je älter ein
Patient ist und je mehr er Vorerkrankungen hat, umso größer ist das Risiko, dass er einen
Herzinfarkt trotz schneller Hilfe nicht überlebt. Oft kommen die Patienten auch zu spät zu
uns, und der Schaden durch die blockierten Gefäße ist bereits angerichtet. Das erhöht die
Sterblichkeit, nicht nur beim Eingriff, sondern auch in den Tagen und Wochen danach. Das
ist die Schattenseite unserer Arbeit, mit der wir leben müssen.
ARTERIOSKLEROSE –
DIE VERSTOPFTEN LEITUNGEN
Sie werden sich jetzt fragen, warum sich die Herzkranzgefäße überhaupt verschließen
können. Mutter Natur sollte es eigentlich so eingerichtet haben, dass das nicht passiert und
wir ein langes Leben haben. Das hat sie auch. Allerdings pfuschen wir Mutter Natur gerne
in ihr Werk, wie Sie gleich erfahren werden.
Wir stellen uns unsere Adern als rote Muskelschläuche vor, elastisch, ziemlich biegsam, im
Inneren hohl und glatt. In diesen Schläuchen fließt unser Blut. Oder, wenn Sie sich jetzt
einen Gartenschlauch vorstellen, das Wasser. Ist der Schlauch verstopft, bekommt er Risse
oder setzen sich Moos und Kalk an, dann merken Sie das sofort: Kein Wasserstrahl schießt
mehr vorne aus dem Schlauch, im schlimmsten Fall sind es nur noch ein paar Tropfen oder
gar nichts mehr. Auch unsere Gefäße sind innen oft alles andere als glatt und geschmeidig.
Ablagerungen stellen sich dem Blut in den Weg und blockieren die freie Bahn.
Das Bild des verstopften Gartenschlauches ist gar nicht so falsch, um eine Gefäßverkalkung
zu beschreiben. Als Kind der Berge denke ich aber auch an diese, vor allem an die stolzen
Dolomiten. Sie sind über 200 Millionen Jahre alt. Wo sich heute steinerne Riesen in die
Höhe recken, war damals eine tropische Lagune, also nichts anderes als Wasser. Über
Millionen von Jahren hinweg bildeten unzählige Mikroorganismen Riffe und Korallen aus
Kalkgestein mit dem Hauptbestandteil Kalzium. Als sich schließlich die afrikanische
Kontinentalplatte gegen die europäische Platte schob, wurden die Berge angehoben. Die
gesamten Dolomiten sind also nichts anderes als ein riesiges Riffgestein aus Kalk.
Der gleiche geologische Prozess der Ablagerung von kalziumhaltigem Gestein kann auch in
unseren Herzkranzgefäßen stattfinden: Es entstehen kalkartige Erhebungen, sozusagen
Mini-Dolomiten oder, wie wir Mediziner sagen, Arteriosklerose. Das, was in den
Dolomiten in Millionen von Jahren entstanden ist, läuft in unseren Gefäßen in einem
Menschenleben ab – Erdgeschichte im Zeitraffer sozusagen.
Dieser Verkalkungsprozess in den Herzkranzgefäßen ist der Grund, warum sich die
Arterien plötzlich verschließen können und einen Herzinfarkt verursachen. Allerdings
geschieht das nicht von heute auf morgen. Man kann eine Arteriosklerose mit einem Tumor
vergleichen, der langsam wächst und anfangs keine Beschwerden verursacht. Ist der Prozess
der Arteriosklerose einmal in Gang gesetzt, lässt er sich nicht mehr rückgängig machen. Es
ist ein langsamer und stiller Prozess, der über Jahre unbemerkt bleiben und so gut wie keine
Beschwerden verursachen kann.
Am Ende dieses Prozesses ist die Wand der Arterie nicht mehr elastisch und dünn, sondern
verhärtet und dick. Das müssen Sie sich folgendermaßen vorstellen – damals im Studium
haben wir das im Sezierkurs erlebt. Eine gesunde Arterie ist elastisch. Drückt man mit zwei
Fingern darauf, gibt sie unter dem Druck nach. Zieht man die Finger wieder zurück, kommt
auch die Wand der Arterien wieder in ihre Ausgangslage zurück. Kranke Gefäße verlieren
diese Eigenschaft. Man kann sie nicht eindrücken, weil sie zu hart sind. Würde man mit
einem Hammer draufschlagen, würde das Gefäß zerbröseln, also regelrecht kaputtgehen.
Füllt man eine gesunde Arterie mit Kontrastmittel und macht Röntgenbilder davon, dann
sieht man glatte Rohre, ohne Unebenheit, ohne Verengung. Man sieht zwei parallele
geschlängelte Linien, ähnlich der Ufer der Etsch in der Po-Ebene. Das Wasser – in unserem
Fall das Blut – fließt gemütlich dahin, ohne dass es von Hindernissen aufgehalten wird.
Problematische Ablagerungen
„Arteriosklerotische Plaques“ verursachen zwei Probleme:
Problem 1: Sie engen das Gefäßinnere ein. Am Anfang ist die Verengung nur gering, der
Blutfluss ist dadurch nicht beeinträchtigt.
Problematisch wird es, wenn die Verkalkungen über die Jahre weiterwachsen und das
Gefäß immer enger wird. Dabei ist das Herz sehr flexibel, es kann sich gut anpassen.
Deshalb ist der Blutfluss in den Koronargefäßen trotz der Hindernisse lange normal, der
Herzmuskel wird weiterhin ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt.
Irgendwann aber stößt alles an seine Grenzen. Wachsen die Hindernisse zu sehr in das
Gefäßinnere hinein, dann wird der Blutfluss eingeschränkt. Unsere ruhig dahinfließende
Etsch wird zu einem Bergbach nach einem Gewitter. Steine, Baumteile und abgebrochene
Äste stören den Fluss, das Wasser fließt unruhig, wirbelt auf, stockt, muss sich erst einen
Weg bahnen. Es herrscht Chaos, und Chaos ist nie gut – vor allem nicht in den Blutgefäßen.
Wer schon einmal mit einem Kanu gefahren ist, kann sich das gut vorstellen. In jüngeren
Jahren habe ich einmal einen Kanukurs gemacht. Ziemlich am Anfang lernt man, Stellen
mit „Kehrwasser“ aufzusuchen. Diese befinden sich hinter einem großen Hindernis, einem
Stein zum Beispiel, der in der Strömung liegt. Hinter diesem Stein bildet sich aufgrund von
Verwirbelungen des Wassers eine Gegenströmung, die das Wasser zwingt, gegen seine
Fließrichtung nach oben zu strömen. Für Kanufahrer sind diese Stellen deshalb wichtig,
weil sie ein sicherer Hafen sind. Dort kann man sich ausruhen und ein Bild von der
Strömung machen – das Wasser scheint dort nämlich stillzustehen.
Dasselbe passiert auch in den verengten Herzkranzgefäßen. Das Blut steht still. Das Herz
muss also viel mehr arbeiten, um das Blut an diesen Hindernissen und Engstellen vorbei in
Bewegung zu halten. Muss das Herz mehr arbeiten, benötigt es dafür mehr Sauerstoff, der
mit dem Blut herbeigeschafft werden muss. Stehen dabei zu viele Hindernisse im Weg,
kann es passieren, dass die Menge an Sauerstoff, die letztendlich bei der Herzmuskelzelle
ankommt, zu wenig ist für die Leistung, die das Herz erbringen muss. Ja, das ist ein
Teufelskreis. Wir Kardiologen sprechen bei dieser Unterversorgung des Herzmuskels mit
lebenswichtigem Sauerstoff von „myokardialer Ischämie“ oder sogar von
„arteriosklerotisch bedingter myokardialer Ischämie“. Die Folgen kennen wir: Teile des
Herzmuskels sterben ab – Herzinfarkt!
Problem 2: Diese Plaques können plötzlich aufbrechen, einen Riss bekommen. Möglich ist
sowohl, dass die innere Gefäßwand, die die Plaque umhüllt, reißt – ein Mikrotrauma, wie
weiter oben beschrieben –, als auch, dass die Plaque selbst durch die innere Gefäßwand
bricht und diese verletzt. Warum und wie genau das passiert, ist noch nicht ganz geklärt.
Wir sagen jedenfalls, die Plaques werden „instabil“. An und für sich ist das kein Problem.
Es gibt sogar eine Theorie, die besagt, dass ständig in unserem Körper arteriosklerotische
Plaques Risse bekommen, aber dann von selbst wieder ausheilen. Sie bleiben unbemerkt,
klinisch stumm. Ähnlich verhält es sich mit Krebszellen: Auch sie entstehen ständig im
Körper, werden aber glücklicherweise von verschiedenen körpereigenen
Entsorgungssystemen sofort erkannt und spurlos entsorgt. Nichts passiert. „Instabile
Plaques“ können hingegen sehr wohl problematisch werden.
Den gleichen Prozess beobachten wir auch im Herzkranzgefäß. Wenn eine Verkalkung
aufbricht und ein Riss, ähnlich eines Schnittes in der Haut, entsteht, dann reagiert der
Körper, wie er es gelernt hat: Er versucht, den Riss abzudichten. Im Herzkranzgefäß wird
die Gerinnung aktiviert, es bildet sich ein Gerinnsel, und dieses verschließt das Gefäß
komplett. Wir nennen das in der Kardiologie ein „akutes Koronarsyndrom“. Der eigene
Körper verursacht letztendlich den Gefäßverschluss. Er will Gutes tun, macht aber genau
das Falsche.
Das ist für mich die große Ironie des Herzinfarktes: Der eigene Körper schadet sich selbst.
Dabei macht er nur das, was er im Laufe der Menschheitsentwicklung gelernt hat. Für mich
ist das auch ein Hinweis darauf, dass es die Arterienverkalkung als Krankheit nicht immer
schon gegeben hat. Sonst hätte sich vermutlich ein anderer Reparaturmechanismus für die
Gefäße entwickelt. So wie bei Knochenbrüchen. Da wird die Verletzung letztendlich durch
die Neubildung von Knochenzellen ausgeheilt. Bei unseren Vorfahren vor Millionen von
Jahren waren Knochenbrüche häufig, und die Natur hat erfolgreich Reparaturmechanismen
erfunden. Bei der Arteriosklerose nicht.
Warum Verkalkungen aufbrechen, also instabil werden, weiß die Wissenschaft im Übrigen
immer noch nicht. Es kann vorkommen, dass eineiige Zwillinge an derselben Stelle im
Herzkranzgefäß Verkalkungen aufweisen. Bei einem der genetisch identischen Zwillinge
kann die Verkalkung instabil werden und beim anderen nicht. Trotz aller Bemühungen der
Wissenschaft gibt es noch keine schlüssige Erklärung, warum das passiert. Demzufolge
kann man das auch nicht vorhersagen. Sollte das jemals jemand können, dann ist ihm der
Nobelpreis für Medizin sicher.
Mein Patient war zufrieden und ich ebenso. Er verließ das Behandlungszimmer, und nur
kurze Zeit später ging es draußen auf dem Gang hektisch zu. Als ich nachschaute, waren
meine Kollegen gerade dabei, einen am Boden liegenden Menschen wiederzubeleben. Er
hatte einen Herzstillstand erlitten, wie das angeschlossene EKG feststellte. Als ich näher
kam, erkannte ich meinen Patienten. Genau jener Mann, der bei mir soeben den
Belastungstest gemacht hatte und dem ich beste Gesundheit bescheinigt hatte. Mit dem
Zusatz, dass er wohl nie an einem Herzinfarkt sterben werde. Hatte ich etwas übersehen?
Hatte ich etwas falsch gemacht?
Der Patient wurde sofort einer Koronarangiografie unterzogen, das verstopfte Gefäß wieder
geöffnet. Zum Glück überlebte er den Herzinfarkt ohne bleibenden Muskelschaden,
immerhin wurde er im Krankenhaus sofort versorgt. Ich aber sah mir noch einmal das zuvor
gemachte Belastungs-EKG an. Alles war normal, kein Anzeichen für einen Herzinfarkt. So
war in der kurzen Zeit zwischen dem Ende der Belastungsprobe und dem Herzinfarkt eine
Verkalkung im Gefäß gerissen, der Gerinnungsprozess setzte ein, das Gefäß verschloss
sich. Als Komplikation trat dann noch ein Kammerflimmern ein, der Mann verlor das
Bewusstsein. Er hatte Glück im Unglück, weil es im Krankenhaus passiert war.
So ein Plaque-Riss passiert einfach, plötzlich, bei ansonsten bester Gesundheit, ohne
Vorboten. Ich lernte daraus zwei Sachen: Letztendlich kann man einen Herzinfarkt nie
sicher vorhersagen. Die Qualität der ärztlichen Tätigkeit ist die Summe zweier Faktoren:
Statistik und Erfahrung. Das Wissen eignet man sich durch das Studieren von Fachbüchern
und wissenschaftlichen Studien an, die auf Statistik beruhen. Für jede Krankheit gibt es eine
Statistik. Und für die Behandlung jeder Krankheit braucht es Erfahrung.
Übrigens: Arteriosklerose ist keine Erkrankung, die nur die Arterien des Herzes betrifft. Sie
kann praktisch in allen Gefäßen des Körpers auftreten. Diese versorgen die Organe mit den
im Blut gelösten Stoffen. Verkalken sie, besteht das Risiko des Gefäßverschlusses und
damit für alle Organe das Risiko der Mangelversorgung. Sind die Hirnarterien betroffen, ist
die schlimmste Folge ein Schlaganfall, sind es die Darmarterien, dann droht eine Angina
abdominalis. Die periphere arterielle Verschlusskrankheit ist auf eine Verengung oder
Blockade der Arterien vor allem in den Beinen zurückzuführen. In diesem Fall müssen die
Betroffenen schon nach einer kurzen Wegstrecke wegen starker Schmerzen in den Beinen
stehen bleiben. Daher kommt auch der volkstümliche Name „Schaufensterkrankheit“ –
Betroffene kommen praktisch nur mehr von Schaufenster zu Schaufenster. Die aus dem
Verschluss von Gefäßen resultierende Sterblichkeit wird unter dem Namen
„kardiovaskuläre Mortalität“ zusammengefasst. Sie ist die häufigste Todesursache in
unserer modernen westlichen Welt.
Allgemein betrachtet kann man alle chronischen Erkrankungen, die sich über Jahre
entwickeln – so wie es auch die Arteriosklerose ist –, als Zusammenspiel von drei Faktoren
erklären: genetische Veranlagung, Umwelt und Lebensstil. Diese drei Faktoren bestimmen,
wie alt wir werden.
Bereits mit der Befruchtung unserer Eizelle haben wir zwei Geschenke mit auf den Weg
bekommen, die man nicht mehr verändern kann: Gene und Zeit.
Bei Mumien aus verschiedenen Völkern wurden die Gefäße untersucht: aus der Zeit der
ägyptischen Pharaonen, aus dem präkolumbianischen Peru, von den nordamerikanischen
Ureinwohnern und von Einheimischen der Aleuteninseln in der Nähe von Alaska – in
Summe mehr als 100. Das Ergebnis: Ein Drittel davon hatte arteriosklerotisch veränderte
Arterien. Dieser hohe Anteil an Arteriosklerose überraschte, war man doch der Meinung,
dass diese Völker einen nicht verkalkungsfördernden Lebensstil pflegten. Immerhin gibt es
das amerikanische Fast Food erst seit der Neuzeit. Auch Fernseher, Computer und
Supermärkte, die ein bewegungsarmes Leben fördern, sind typische Produkte unserer
modernen Zeit. Doch selbst Ötzi, der Mann aus dem Eis, hatte Verkalkungen in den
Arterien. Den hohen Anteil an Verkalkungen bei diesen Mumien kann man nur dadurch
erklären, dass ihr genetisches Material arteriosklerotisch wirksam war. Gene können wir bis
heute nicht verändern. Es ist der Wissenschaft (noch) nicht möglich, gesunde und gute Gene
einzufügen oder kranke und schädliche zu entfernen.
Das zweite Geschenk bei unserer Geburt ist die Zeit. Sie bewegt sich nur in eine Richtung,
man altert von Tag zu Tag. Mit fortschreitendem Alter verkalken unsere Herzkranzgefäße
und oft auch andere Adern – eine typische Abnützungserscheinung also. Das ist aber nur
ein Grund. Wir machen oft Koronarangiografien bei sehr alten Patienten. Sehr häufig finden
wir auch im hohen Alter ganz normale Herzkranzgefäße, ohne eine Verkalkung. Dann
bekommen die Patienten das größte Kompliment, das ein Kardiologe machen kann: „Sie
haben Herzkranzgefäße wie ein Baby!“ Es kann folglich nicht das Alter allein sein, das
Gefäße verkalken lässt.
Deshalb ist man sich heute einig, dass der Verkalkungsprozess Ausdruck des
Alterungsprozesses, verursacht durch unsere genetische Veranlagung, ist. Manche von uns
tragen diese genetisch bedingte arteriosklerotische Last, die mit fortschreitendem Alter
manifest werden kann. Wenn der Vater oder die Großmutter bereits einen Schlaganfall oder
Herzinfarkt erlitten haben, dann ist das Risiko groß, dass man selbst auch zu Arteriosklerose
neigt.
Ich trage diese Gene also auch in mir. Das klingt deprimierend, ist es aber nicht. Denn
selbst eine genetische Veranlagung ist kein Grund zur Resignation, kein Grund, nur mehr
auf den Herzinfarkt zu warten. Man kann nämlich durch seinen Lebensstil auf die Gene
einwirken. Wie wir leben, was wir essen und wie wir uns bewegen, entscheidet mit, ob ein
Gen seine Wirkung entfalten kann oder nicht. Unser Lebensstil kann den
Verkalkungsprozess also begünstigen, ihn direkt anschubsen, oder er kann ihn aufhalten,
also auch wieder stoppen. Man geht von aus, dass vier von fünf Herzinfarkten durch einen
gesunden Lebensstil verhindert werden können.
Nichts tun und resignieren ist also der falsche Weg. Denn seinen Lebensstil kann man jeden
Tag neu zum Positiven verändern, es liegt in unserer Hand. Die Gene bestimmen die
Verletzlichkeit der Arterien, ob sich aber tatsächlich eine Arteriosklerose entwickelt, liegt
an unserer Umwelt und unserem Lebensstil. Deshalb lohnt sich ein ausführlicherer Blick
auf die krank machenden Lebensweisen, die in unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft
weit verbreitet sind. Sie gelten als vermeidbare kardiovaskuläre Risikofaktoren, als
potenzielle Gefahren für unser Herz und unsere Gefäße.
Die Risikofaktoren zu kennen und über einen gesunden Lebensstil Bescheid zu wissen, ist
noch aus einem anderen Grund wichtig: Sind Verkalkungen in den Gefäßen erst einmal
vorhanden, kann man sie nicht mehr rückgängig machen, sie bilden sich nicht mehr zurück.
Aber: Man kann das Fortschreiten der Arteriosklerose stoppen – durch einen gesunden
Lebensstil! Oder mit anderen Worten: Indem man die Risikofaktoren, von denen ich im
nächsten Kapitel erzähle, in den Griff bekommt bzw. aus seinem Leben verbannt.
Zusätzlich gibt es Medikamente, die dabei helfen, Risikofaktoren für Herzerkrankungen zu
kontrollieren. Sie senken den Blutdruck, die Blutfett- und Blutzuckerwerte. Sogenannte
Blutverdünner verhindern zum Beispiel, dass sich ein Blutgerinnsel bildet, das ein Gefäß
komplett verschließen kann. Andere Arzneimittel können Verkalkungen stabilisieren, also
so verfestigen, dass sie seltener instabil werden und aufbrechen. Genau genommen ist es die
Kombination aus gesundem Lebensstil, Medikamenten und regelmäßigen Arztbesuchen, die
der Arteriosklerose erfolgreich den Kampf ansagen kann. Es ist nie zu spät, sich für ein
gesundes Leben zu entscheiden, selbst wenn die Gefäße schon vorgeschädigt sind.
NICHT GUT FÜRS HERZ
Vermeiden lassen sich aber Bluthochdruck, erhöhte Blutfett- und Blutzuckerwerte und
starkes Übergewicht. Dieses „tödliche Quartett“, wie die vier Faktoren recht dramatisch
genannt werden, sind meistens Auswirkungen unseres Lebensstils mit wenig Bewegung
sowie ungesunder und übermäßiger Ernährung. Immerhin fast jeder Vierte leidet unter dem
„metabolischen Syndrom“, lebt also alles andere als herzgesund. Die gute Nachricht: Alle
vier Werte lassen sich messen. Ein einfacher Bluttest und der Schritt auf die Waage reichen,
und man kann schnell und unkompliziert herausfinden, ob diese Werte in oder außer der
Norm sind. Zu diesen „messbaren Vier“ gesellt sich noch ein weiterer, nicht nur für das
Herz gefährlicher Risikofaktor: das Rauchen.
Blicken wir zuerst in die Vergangenheit zurück. Wir schreiben das Jahr 1945. Während in
Europa der Zweite Weltkrieg zu Ende geht, beunruhigt in Amerika ein anderes Leiden die
Bevölkerung: Jeder zweite Amerikaner stirbt an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Weil das
Wissen um Ursache, Vorbeugung und Behandlung damals noch sehr mangelhaft war,
wurde diese häufige Todesursache als normal angesehen. Herzinfarkt und Schlaganfall
waren eben unvermeidbare Schicksalsschläge. So war es nicht verwunderlich, dass auch
US-Präsident Franklin D. Roosevelt auf einen solchen Tod zusteuerte. In den letzten
Kriegsjahren stand er massiv unter Druck, und mit ihm sein Herz. Sein Leibarzt notierte
damals regelmäßig seinen Blutdruck. Was wir später zu lesen bekamen, war schockierend:
185/105 mmHg, 240/130 mmHg und sogar 300/190 mmHg – Blutdruckwerte, die ich in
den all den Jahren als Kardiologe noch nie zu sehen bekommen habe. Zum Glück! Für
Roosevelt endete das tödlich: Er starb an einem Schlaganfall, mit gerade einmal 63 Jahren.
Wie wir bereits erfahren haben, ist der Blutdruck jener Druck, mit dem das Blut durch die
Gefäße fließt, folglich der Druck, den das Blut auf die Gefäßwände ausübt. Erhoben werden
dabei zwei Werte: zum einen jener Druck, mit dem das Herz das Blut in die Arterien pumpt,
zum anderen der Druck in den Arterien, wenn sich das Herz entspannt, um wieder neues
Blut aufnehmen zu können.
Der Blutdruck ist eine dynamische Größe, er ändert sich also. Vereinfacht gesagt, ist er von
der Pumpleistung des Herzes abhängig, also von der Menge Blut, die in einer bestimmten
Zeiteinheit durch den Körper gepumpt wird. Der Mediziner spricht von Herzzeitvolumen:
Je mehr Blut im Kreislauf, desto höher der Blutdruck. Werden normalerweise etwa fünf
Liter Blut pro Minute durch den Körper gepumpt, kann diese Menge unter körperlicher
Belastung auf 30 Liter pro Minute gesteigert werden. Dadurch wird sichergestellt, dass der
notwendige Sauerstoff an die arbeitende Muskulatur geliefert wird. Außerdem ist der
Blutdruck abhängig vom Widerstand der Gefäße. Je weiter entfernt die Gefäße vom Herz
liegen, umso enger werden sie und umso höher wird der Widerstand, der dem Herz
entgegengesetzt wird.
Als „normal“ bzw. im Normbereich gelten bei einem Erwachsenen Blutdruckwerte von
120/80 mmHg. Ab 180/110 mmHg spricht man von schwerem Bluthochdruck, dazwischen
von leichtem bis mittlerem. Immer vorausgesetzt, diese Werte werden im Ruhezustand
gemessen. Denn bei körperlicher Anstrengung, bei Kälte, Aufregung und Stress steigt der
Blutdruck, dann benötigt der Körper mehr Blut, mehr Sauerstoff und mehr Nährstoffe.
Dann kann der erste Blutdruckwert – der Druck, mit dem das Blut in den Kreislauf gepumpt
wird – gut und gerne auf 220 mmHg ansteigen. Das ist normal.
Kommen wir wieder zur Ruhe, sinkt der Blutdruck aufgrund des verminderten
Blutvolumens auf Werte unter 140 mmHg.
Sind die Blutdruckwerte dauerhaft erhöht, wird es problematisch. Das kann auf zu enge
periphere Blutgefäße zurückzuführen sein. Dafür kommen mehrere Ursachen infrage, zum
Beispiel Übergewicht, mangelnde Bewegung oder Fehlernährung. Auch
Nierenerkrankungen, Hormonerkrankungen oder Medikamente können zu hohen
Blutdruckwerten zugrunde liegen. Meistens aber ist die sogenannte arterielle Hypertonie,
wie Bluthochdruck von Medizinern genannt wird, „idiopathisch“. Das bedeutet, dass man
keine behandlungsbedürftige Ursache finden kann. Jedes Mal, wenn Ärzte keine Ursache
finden, bezeichnet man die Krankheit als „idiopathisch“ oder wie ein Kollege einmal sagte:
„Wir sind zu idiotisch, um eine Ursache zu finden.“ Das ist ziemlich oft so: In neun von
zehn Fällen von Bluthochdruck bleibt die Ursache unbekannt.
Das Tückische am erhöhten Blutdruck: Meistens spürt man ihn nicht. Der Schaden in den
Gefäßen wird dennoch angerichtet. So ist mittlerweile – auch durch die Framingham-Studie
– bewiesen, dass durch permanent erhöhten Druck in den Gefäßen deren Innenwände
geschädigt werden. Es bilden sich Ablagerungen, die das Gefäß verengen und ganz
verschließen können. Herzinfarkt oder Schlaganfall sind die Folge. Ein erhöhter Blutdruck
kann obendrein bereits geschädigte Gefäßwände einreißen lassen. Es treten Blutungen auf,
die lebensbedrohlich sein können. Auch Nieren und Augen können durch einen
Gefäßverschluss nicht mehr ausreichend versorgt werden. Dauerhafter Bluthochdruck führt
außerdem oft zu Vorhofflimmern, einer der häufigsten Herzrhythmusstörungen, vor allem
im Alter. Muss das Herz ständig mit zu hohem Druck das Blut durch den Körper pumpen,
schwächt das Ihre Pumpe – eine Herzschwäche ist die Folge. Hoher Blutdruck ist also eine
Zeitbombe in Ihrem Körper, von der Sie in den meisten Fällen gar nichts wissen.
Doch diese Zeitbombe können Sie selbst entschärfen. Zunächst einmal, indem Sie Ihren
Blutdruck kontrollieren lassen. Das macht Ihr Arzt sehr gerne. Sie können sich aber auch
ein elektrisches Blutdruckmessgerät anschaffen. Diese Geräte sind sehr zuverlässig und
kosten auch nicht viel. Auf jeden Fall ist es eine Investition, die sich lohnt. Messen Sie dann
am besten dreimal am Tag: morgens, mittags und abends und notieren Sie sich jeden Wert.
Dass der Blutdruck im Tagesverlauf schwankt, ist kein Grund zur Beunruhigung. Das
steuert unser autonomes Nervensystem ganz automatisch, ohne unser Zutun. Morgens fährt
der Blutdruck hoch, um uns bereit zum Aufstehen und fit für den Tag zu machen. Gegen
Mittag haben wir und unser Blutdruck meist ein kleines Tief, am späteren Nachmittag
laufen wir wieder zur Hochform auf. Den niedrigsten Blutdruck haben wir in der Nacht.
Ausgerüstet mit den täglichen Werten, die Sie am besten einen Monat lang messen und
notieren, gehen Sie dann zu Ihrem Arzt.
Er wird Ihnen sagen, wie es um den Druck in Ihren Gefäßen steht. Ist er nur leicht erhöht,
können Sie ihn durch eine Veränderung des Lebensstils wieder in den Normbereich
bringen: mehr bewegen, Übergewicht abbauen, mit dem Rauchen aufhören, sich gesünder
ernähren, Stress vermeiden. Dann wird sich Ihr Blutdruck wieder beruhigen. Sind die Werte
viel zu hoch, müssen Medikamente eingesetzt werden, die nicht selten Nebenwirkungen
haben. Übrigens: Der Blutdruck steigt mit dem Alter, und Männer sind häufiger betroffen
als Frauen.
Letzteres passiert zum Beispiel im Sommer: Die Sonne brennt, die Temperaturen steigen,
der Asphalt flimmert. Auch uns und unserem Organismus wird heiß. Überhitzung droht.
Damit das nicht passiert, wird Körperflüssigkeit ausgeschwitzt. Diese kondensiert an der
Luft und setzt Kondensationskälte frei – der Körper kühlt ab. Damit das geschehen kann,
weiten sich die Gefäße unter der Haut. Dabei nimmt der Körper keine Rücksicht auf den
Flüssigkeitsverlust. Denn er setzt darauf, dass wir die verloren gegangene Flüssigkeit
ersetzen und viel trinken werden. Das ist im Sommer noch mehr als zu anderen
Jahreszeiten dringend angeraten. Tun wir das nämlich nicht, droht ein zu niedriger
Blutdruck mit Werten unter 90 mmHg. Man fühlt sich schwindelig, schwach, müde und
abgeschlagen. Nicht selten fällt man um.
Hin und wieder können auch Medikamente den zu niedrigen Blutdruck verursachen. Zum
Beispiel, wenn einem Patienten mit Bluthochdruck blutdrucksenkende Medikamente
verschrieben werden. Werden sie überdosiert, fallen die Werte in den Keller.
Wer neugierig geworden ist und seinen Blutdruck nicht nur im Tagesverlauf, sondern auch
unter Belastung beobachten will, der kann sich für eine Belastungsprobe anmelden.
Ergometrie nennen wir Ärzte das. Dafür wird der Patient an ein Blutdruckgerät
angeschlossen und an ein EKG, das die Arbeit des Herzes aufzeichnet. Er muss auf einem
Untersuchungsfahrrad in die Pedale treten, bei dem die Belastung langsam und
kontinuierlich gesteigert werden kann – wie beim Hometrainer zu Hause. Bei dieser
Untersuchung lässt sich sehr viel feststellen: Wie ist der Ausgangswert von Herzfrequenz
und Blutdruck? Sind die Werte schon in Ruhe erhöht? Wie stark und wie schnell schießen
Sie bei Belastung in die Höhe? Welcher Spitzenwert wird bei welcher Belastungsstufe
erreicht? Mancher Patient entwickelt schon bei niedrigen Belastungen Blutdruck-
Spitzenwerte von über 220 mmHg. Kein Wunder, dass er über Atemnot, Kopfschmerzen
und Schwindel klagt. In diesem Fall brechen wir den Test lieber ab. Eine höhere
Belastungsstufe würde die Beschwerden verstärken, und lebensgefährliche Komplikationen
drohen. In diesem Fall gibt es nur mehr einen Rat: Strengen Sie sich an, bewegen Sie sich,
belasten Sie sich: Sport ist wie eine Massage nicht nur für das Herz, sondern auch für den
Kreislauf. Man muss ihn belasten, trainieren, arbeiten lassen und stressen, damit er
schlussendlich auf die unterschiedlichen Belastungsintensitäten angemessen reagieren kann.
Das Tückische daran: So wie den erhöhten Blutdruck spürt man auch erhöhte Blutfettwerte
nicht. Sie richten still und leise ihren Schaden an. Deshalb rate ich jedem, neben dem
Blutdruck auch die Blutfettwerte kontrollieren zu lassen. Das können Sie nicht selbst tun, es
reicht aber eine einfache Blutuntersuchung. Diese kann der Hausarzt in Auftrag geben oder
selbst durchführen. Am besten wird dabei gleichzeitig auch der Blutzucker kontrolliert.
Gemeinsam mit dem Blutdruck ergibt das ein sehr aufschlussreiches Risikoprofil für
Arteriosklerose.
Das „Gute“ an den Blutfetten: Durch eine veränderte, aber nicht minder schmackhafte
Ernährung lassen sich schlechte Blutfettwerte wieder regulieren. Dann bildet sich sogar eine
bestehende Plaque in den Gefäßen wieder zurück. Glauben Sie jedoch nicht, dass eine
gesunde Ernährung ausreicht: Auch regelmäßige Bewegung wirkt sich positiv aus.
Körperliche Aktivität unterstützt die ernährungsbedingten Maßnahmen und reguliert die
Blutfettwerte.
Man geht sogar davon aus, dass bei Patienten mit verengten Herzkranzgefäßen regelmäßige
körperliche Betätigung dazu führt, dass sich feine Reservegefäße, die im Körper bereits
angelegt sind, zu richtig gehenden Adern entwickeln. Bei Belastung erhält das Herz durch
die Verengungen in den Gefäßen – Koronarsklerose genannt – zu wenig Sauerstoff. Wir
Mediziner sprechen in diesem Fall von einer Ischämie. Diese setzt den Prozess der
Aktivierung und Neubildung der Reservegefäße in Gang. Diese dienen dann
gewissermaßen als natürlicher Bypass, also eine Umleitung bzw. Umgehung von verengten
Blutgefäßen. Diesen Vorgang nennt man auch „ischämische Präkonditionierung“, ein
positiver und kardioprotektiver Vorgang, der Leben retten kann.
Also: Sport ist keinesfalls Mord, wie der ehemalige englische Premierminister Winston
Churchill gesagt haben soll, sondern Bewegung und Sport retten Leben. Wenn Sie jetzt
einwerfen, dass der gute Churchill 91 Jahre alt wurde, dann haben Sie recht. Ich muss
gestehen, dass ich nicht verstehe, wie der kleine, übergewichtige und zigarrerauchende
Churchill so alt werden konnte. Aber wie wir wissen, bestätigen Ausnahmen die Regel.
Churchill war so eine Ausnahme.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie wie Churchill sind und genauso alt werden wie er. Wenn Sie
aber einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erleiden, dann wissen Sie wahrscheinlich,
woran es gelegen hat. Ich könnte einen Herzinfarkt – so ich ihn hoffentlich überlebe –
besser akzeptieren, wenn ich weiß, dass ich alles getan habe, um ihn zu verhindern. Und mir
nicht sagen müsste, dass ich es zwar selbst in der Hand hatte, es aber vergeigt habe.
Außerdem verspreche ich Ihnen: Sport und Bewegung machen glücklich. Oder haben Sie
schon einmal jemanden erlebt, der nach einer Almwanderung, einer Bergtour oder einem
Radausflug geklagt hat, dass es sich nicht gelohnt habe und er lieber zu Hause auf der
Couch geblieben wäre? Ich nicht.
Zucker gilt gemeinhin als süßes Gift, dessen negative Folgen häufig unterschätzt werden.
Das betrifft auch die Blutgefäße. Doch wie kommt der Zucker überhaupt ins Blut? Wir
nehmen ihn über die Nahrung auf, entweder als industriellen Zucker oder als
Kohlenhydrate, die im Körper zu Zucker verstoffwechselt werden. Im Darm wird die
Nahrung in ihre Einzelteile zerlegt und gelangt über die Darmwand in das Blut. Damit der
Zucker von den einzelnen Zellen als Energieträger aufgenommen wird, muss Insulin
ausgeschüttet werden. Fehlt dieses Hormon, wie es bei Diabetes Typ 1 der Fall ist, bleibt
der Zucker im Blut – die Werte steigen über die Norm an. Auch bei Diabetes Typ 2 erhöht
sich der Blutzuckerspiegel, und zwar weil die Zellen nicht mehr auf das Insulin ansprechen,
folglich also den Zucker nicht aufnehmen.
Was macht zu viel Zucker in und mit den Gefäßen? Kurz gesagt: Er macht die Gefäßwände
rauer, fördert damit Arteriosklerose und führt auch dazu, dass das Blut schneller gerinnt.
Beste Voraussetzungen also für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall. Deshalb der wichtige
Ratschlag: Lassen Sie von Ihrem Arzt auch die Blutzuckerwerte kontrollieren.
Die gute Nachricht: Die meisten Diabetiker leiden unter Typ 2, der häufig auf einen
ungesunden Lebensstil zurückzuführen ist. Dieser Diabetes ist also nicht angeboren, wie es
beim Typ 1 der Fall ist, sondern erworben. Deshalb können die allermeisten Diabetiker
selbst einiges dafür tun, um die Blutzuckerwerte wieder ins Lot zu bringen. Immerhin haben
sie auch einiges dafür getan, um den Blutzucker in ihrem Kreislauf derart bedenklich
ansteigen zu lassen. Es ist deshalb höchste Zeit, dass sie ihr Leben und ihre Gewohnheiten
verändern: Das beginnt mit gesunder Ernährung und regelmäßiger Bewegung – mindestens
30 Minuten am Tag. Diabetiker, die rauchen, sollten ihre Zigaretten sofort wegschmeißen.
Rauchen ist in Kombination mit Diabetes besonders schädlich. Und: Übergewicht abbauen!
Die meisten Diabetiker sind übergewichtig, und die meisten Diabetiker bekommen es früher
oder später mit dem Herz zu tun. Übergewichtige übrigens auch.
Zurück in der Heimat hatte ich tatsächlich 20 Kilogramm mehr auf den Rippen. Die Waage
zeigte fast 100 Kilogramm an, ohne dass ich die Fettpolster bemerkt hätte. Verzerrtes
Körperbild nennt man so etwas. Allerdings – und das will ich zu meiner Ehrenrettung und
jener der heute Übergewichtigen auch sagen: Überschüssige Kilos tun nicht weh. Der
Körper nimmt das Mehrgewicht nicht als etwas Schädliches wahr, sondern sammelt die
Kilos stillschweigend und billigend. Immerhin hat er das auch im Laufe der Evolution
gelernt: Überschüssiges Fett ist Energie, die gebunkert wird für Zeiten, in denen das
Nahrungsangebot knapp ist. Das war seine Überlebensstrategie.
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass etwa zwei Prozent der Gene des modernen
Menschen vom Neandertaler stammen. Der Neandertaler, der sich in Europa entwickelte,
und der Homo sapiens, der zeitgleich im warmen Klima Afrikas lebte, sind sich begegnet.
Sie mochten sich, hatten keine Berührungsängste, verliebten sich und gründeten eine
Familie. Eine romantische Vorstellung. Die Nachkommen erhielten Gene von beiden. So
wurden Gene vom Neandertaler auf den Homo sapiens übertragen. Schaut man sich diese
Gene an, sind es jene, die unter anderem den Fett- und Zuckerstoffwechsel mitregulierten.
Der Neandertaler war perfekt angepasst an die Bedingungen des frühzeitlichen Europas: Es
war kalt und gab wenig zu essen. Der Zucker und das Fett aus der Nahrung wurden deshalb
optimal aufgenommen, verwertet und eingelagert. Eine dicke Fettschicht war als Isolier-
und Energieschicht damals sicherlich hilfreich. Der moderne Mensch, der schließlich von
Zentralafrika auswanderte und nach Europa kam, brauchte keine derart großen Fettreserven.
Und hat doch einen Fettstoffwechsel geerbt, der Jahrtausende perfekt auf die kalte
Umgebung und auf die Nahrungsknappheit angepasst war. Heute aber sind große
Fettreserven angesichts eines ständigen Nahrungsüberangebotes schlichtweg unnötig und
derartige Gene eher hinderlich.
Wir legen also Reserven an, oft mehr, als uns guttut. Sie wieder loszuwerden, ist alles
andere als einfach. Obwohl das Abnehmen an sich nicht das eigentlich Schwierige ist, viel
schwerer ist es, das Gewicht zu halten. Wenn wir abnehmen wollen, sind wir motiviert und
leidenschaftlich bei der Sache. Egal, welche Diät wir machen, wir haben meistens genug
Biss, sie durchzuziehen, und verlieren tatsächlich überschüssige Kilos. Doch der Körper
wehrt sich. Er hat seinen Stoffwechsel auf das ursprüngliche Gewicht abgestimmt und tut
sich schwer mit einer Umstellung. Er kämpft dagegen an, schickt den Botenstoff Ghrelin in
den Kampf mit seinem Gegenspieler Leptin.
Ich stelle mir die beiden als skandinavische Trolle vor, die in ständigem Widerstreit stehen.
Der eine, Ghrelin, steigert das Hungergefühl, der andere, Leptin, steuert dagegen, er ist der
Appetitzügler der beiden. Nach einer Diät sinkt der Leptinspiegel. Weil gleichzeitig
vermehrt Ghrelin ausgeschüttet wird, steigt das Hungergefühl. Der Körper tut alles, um
wieder Gewicht zuzulegen, und verlangsamt dafür auch den Stoffwechsel: Es wird weniger
Energie verbraucht, um mehr bunkern zu können. Das ist in meinen Augen einer der
Gründe, wahrscheinlich der wichtigste, warum wir dem Jo-Jo-Effekt unterliegen und wieder
Gewicht zulegen. Schaffen wir es aber, in dieser Zeit standhaft zu sein und nicht wieder in
alte Essensmuster zu verfallen, dann zwingen wir den Körper, das neue Gewicht, die neue
Stoffwechsellage zu akzeptieren. Er mag zwar mitunter träge sein, aber schlussendlich ist
unser Körper auch lernfähig und anpassungsfähig: Nach ein paar Wochen ist der innere
Kampf ausgestanden, Leptin und Ghrelin vertragen sich wieder, das Gewicht wird gehalten.
Wenn ich meinen Patienten rate abzunehmen, dann rate ich ihnen auch, sich Zeit zu lassen,
es Schritt für Schritt anzugehen. Abnehmen ist kein 100-m-Sprint, es ist ein Marathon. Nur
so kann es funktionieren. Welche Diät sie machen, ist in meinen Augen zweitrangig. Egal
ob Paleo, vegan, Intervallfasten, Low-Carb und wie sie alle heißen: Alle haben ihre Vor-
und Nachteile.
Wollen auch Sie abnehmen, ein paar Kilos verlieren? Dann empfehle ich Ihnen Folgendes:
Sie müssen Ihre Diät finden, eine Ernährung, die zu Ihnen, Ihrem Charakter, Ihrer
Motivation, Ihren Essgewohnheiten und auch zu Ihrem Geldbeutel passt. Eines aber ist
entscheidend: Sie muss das Potenzial haben, Spaß und Freude zu schenken. Sie müssen
glücklich werden und sich wohlfühlen in Ihrem Körper. Eine Diät, die keinen Spaß macht,
ist über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt. Denn wer macht schon etwas auf Dauer
gerne, das keinen Spaß macht?
Vergessen Sie dabei nicht die Bewegung und den Sport. Beginnen Sie in kleinen Schritten,
und steigern Sie sich. Ich verspreche Ihnen: Auch wenn Sie sich mitunter überwinden und
Ihren inneren Schweinehund überlisten müssen, Sie werden es nicht bereuen. Denn
Bewegung und Sport machen glücklich – auch unser Herz. Deshalb habe ich ihnen ein
eigenes Kapitel weiter hinten in diesem Buch gewidmet.
Mir geht zum Beispiel ein 30-jähriger Patient nicht mehr aus dem Kopf, der einen
Herzinfarkt erlitten hatte. Mit 30 Jahren! Wir haben ihn retten können. Am Tag vor seiner
Entlassung stand er vor dem Krankenhaus, als ich Feierabend machte. Er sprach mich an
und wollte wissen, wie es möglich sei, dass er in so jungen Jahren einen Infarkt erleide –
und zündete sich dabei genüsslich eine Zigarette an. Vor meinen Augen und vor dem
Krankenhaus. Ich schüttelte den Kopf, klopfte ihm auf die Schulter und verabschiedete
mich bis zum nächsten Tag. Was sollte ich diesem jungen Mann noch sagen? Vielleicht,
dass die vielen, vielen Zigaretten, die er jeden Tag rauchte, nicht nur der Lunge schaden,
sondern auch und vor allem seinem Herz und seinen Blutgefäßen? Über 4000 verschiedene
chemische Substanzen und Verbindungen wurden in dem blauen Dunst nachgewiesen. Eine
richtige Chemiefabrik. Diese teilweise hochgiftigen Stoffe werden direkt in die Lunge
gezogen und bleiben dort, selbst wenn der Rauch wieder ausgeatmet wird. Von der Lunge
gelangen die Substanzen in das Gewebe und in die Gefäße. Kein Teil des Körpers kommt
unbeschadet davon. Ich will an dieser Stelle nur die schlimmsten Folgen für das Herz
aufzählen: Rauchen schädigt die Innenwände der Gefäße, schwächt die Herzmuskulatur und
begünstigt die Bildung von Blutgerinnseln, die jedes Gefäß, ob gesund oder bereits verengt,
verschließen können. Kurzum: Raucher haben ein um ein Vielfaches erhöhtes
Herzinfarktrisiko.
Das sieht der Kardiologe meistens auf den ersten Blick, wenn er bei der Koronarangiografie
die Gefäße mit Kontrastmittel und Röntgenstrahlen sichtbar macht: Raucher haben
typischerweise eine diffuse Koronarsklerose. Alle Herzkranzgefäße sind verkalkt,
verändert, unregelmäßig. Sie ähneln der beschriebenen Silhouette der Dolomiten im
Sonnenuntergang. Da kann man Wetten abschließen und wird fast jede gewinnen. Ganz
nach dem Motto: Zeig mir deine Herzkranzgefäße, und ich sage dir, ob du rauchst.
Ich sage bewusst, fast jede Wette. Denn es gibt tatsächlich auch Menschen, deren
Herzkranzgefäße trotz langjährigen Rauchens nicht verändert sind. In diesem Fall überwiegt
wohl die genetische Veranlagung. Die Gefäße scheinen immun zu sein gegen die
schädlichen Einflüsse des Nikotins. Aber darauf können wirklich nicht viele Raucher
hoffen. Und auch die bekommen von mir keinen Freibrief zum Rauchen. Zu schädlich für
den ganzen Organismus ist der Zigarettenrauch.
Fakt ist nämlich auch, dass Alkohol ein Zellgift ist, das nachgewiesenermaßen die
Gesundheit schädigt. Am meisten leidet die Leber darunter. Unser Entgiftungsorgan muss
mit allerhand fertigwerden, auch mit dem Alkohol. Die Enzyme in der Leber zerlegen das
giftige Ethanol im Alkohol so lange in seine Einzelteile, bis nur mehr die für den Körper
harmlosen Stoffe Kohlendioxid und Essigsäure übrig bleiben. Bei dieser Arbeit entsteht
aber ein Zwischenprodukt, das Acetaldehyd. Es sorgt dafür, dass wir nach einer Nacht, in
der wir dem Alkohol ordentlich zugesprochen haben, mit einem Brummschädel aufwachen
und uns hundeelend fühlen. Acetaldehyd hat aber verheerendere Folgen im Körper: Es wird
von vielen Wissenschaftlern als krebserregend eingestuft und soll Erbschäden verursachen.
Besonders verheerend wirkt sich Acetaldehyd und damit Alkohol bei Asiaten aus. Ihnen
fehlt nämlich aufgrund einer genetischen Veranlagung das Enzym Acetaldehyd-
Dehydrogenase, kurz ALDH, das Acetaldehyd schlussendlich zur unschädlichen Essigsäure
umwandelt. Sammelt sich dieses Gift im Körper an, stellen sich die negativen Folgen des
Alkohols noch viel schneller ein.
Auch wenn es Weinliebhaber und Weinbauern nicht gerne hören werden, aber auch für das
Herz kann ich Alkohol nicht wirklich empfehlen. Denn im Übermaß getrunken ist Alkohol
ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Blutdruck erhöht sich, das Herz
rast, Rhythmusstörungen oder Vorhofflimmern, Herzversagen und Schlaganfall drohen.
Allerdings, und das möchte ich an dieser Stelle auch sagen, ist Alkohol viel mehr als nur
eine für viele schmackhafte, aber ungesunde Flüssigkeit, die wir zu uns nehmen. Moderater
Weingenuss – die Betonung liegt auf „moderat“ – ist eine schöne Ergänzung zum Essen,
schafft Gemütlichkeit, steigert die Glücksgefühle und erhöht die Lebensqualität. Ein Glas
Wein zu trinken, hat also auch eine positive soziale Wirkung. Das Getränk ist ein
Glücksvermehrer, und wer glücklich ist, der tut damit auch seinem Herz Gutes. Unter
diesem Gesichtspunkt kann man das Glas Wein vielleicht als kardioprotektiv, also
schützend für das Herz, bezeichnen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt leider keinen Beweis, dass Alkohol bis zu einer
bestimmten Menge zumindest nicht gesundheitsschädigend ist. Deshalb halte ich es mit
einem Kollegen aus Amerika, der einmal gesagt hat: „Sind Sie kein Weintrinker, dann
fangen sie erst gar nicht damit an.“ Möchten Sie aber auf Ihr Glas Wein nicht verzichten,
dann belassen Sie es bei moderaten Mengen. Ein Richtwert: Bei Frauen sollte es nicht mehr
als ein Glas am Tag sein – und auch das nicht besonders voll – und bei Männern knapp
doppelt so viel.
Ich erzähle Ihnen gerne von einer Studie aus Amerika, die mich – als regelmäßigen Apfel-
Genießer – ziemlich amüsiert hat. Darin wurde die Gesundheit von Apfelessern und Nicht-
Apfelessern miteinander verglichen. Die enttäuschende Antwort für mich: Es gab keine
nennenswerten gesundheitlichen Unterschiede zwischen Apfelverweigerern und
Apfelliebhabern. Eines aber fanden die Forscher doch heraus: Wer keine Äpfel aß, nahm
häufiger Vitaminpräparate aus der Apotheke zu sich als regelmäßige Apfelesser. Der
Bericht schloss mit dem Kommentar: Man könne zwar nicht endgültig sagen, ob der
tägliche Apfel das Einkommen der Ärzte gefährde, jenes des Apothekers aber schon. Dem
kann ich nur zustimmen: Genießen Sie gerne und häufig einen schönen, saftigen Apfel, und
grüßen Sie dafür Ihren Apotheker nur von Weitem.
Die chemische Bezeichnung für Salz ist Natriumchlorid und nennt damit bereits die beiden
Mineralstoffe – Natrium und Chlorid –, ohne die der Körper nicht funktionieren kann.
Beide Stoffe sind wichtig für Muskeln und Nerven, sie halten die Gewebespannung
aufrecht, regulieren den Flüssigkeitshaushalt, die Verdauung und den Knochenaufbau. Eine
gelungene Beziehung, möchte man also meinen: Uns bringt das Salz den nötigen
Geschmack und die Würze ins Essen, und unser Körper lechzt danach, um einwandfrei
arbeiten zu können.
Allerdings ist auch hier die Menge ausschlaggebend. Vielleicht, weil Salz heutzutage von
den Goldpreisen ungefähr so weit entfernt ist wie die Erde von der Sonne, langen wir
kräftig zu: Wir salzen unser Frühstücksei, streuen am Mittagstisch eine Extraportion Salz
über Salat, Nudeln und Fleisch und genießen unser Abendessen mit der Devise „besser eine
Prise mehr als weniger“. Dabei streuen wir das meiste Salz, das wir zu uns nehmen, nicht
selbst in unser Essen, sondern nehmen es unbewusst auf: Fertiggerichte enthalten generell
zu viel Salz. Auch in Wurst, Käse und Brot steckt reichlich von dem Geschmacksverstärker.
So kommt ein durchschnittlicher Esser gut und gerne auf mehr als zehn Gramm Salz pro
Tag. Damit Sie sich das besser vorstellen können: Ein Teelöffel Salz sind ungefähr drei
Gramm. Wir nehmen also vier Teelöffel reines Salz zu uns. Des Guten eindeutig zu viel:
Unser Körper bräuchte nicht mehr als drei Gramm am Tag, um ordentlich arbeiten zu
können. Ernährungsexperten ziehen eine Grenze bei sechs Gramm Salz täglich.
Ein zu hoher Salzkonsum belastet auf Dauer die Nieren, die das überschüssige
Natriumchlorid aus dem Körper befördern müssen. Aber auch die Blutgefäße leiden.
Studien haben ergeben, dass zu viel Salz im Körper das komplexe Zusammenspiel von
Botenstoffen stört, die den Wasser- und Mineralstoffhaushalt des Körpers regeln. In der
Folge ziehen sich auch die Muskelzellen in den Gefäßwänden zusammen, die Gefäße
verengen sich, und der Blutdruck steigt. Eine andere Theorie ist, dass Salz den Zellen
Wasser entzieht. Diese zusätzliche Flüssigkeitsmenge gelangt in den Blutkreislauf, das
Blutvolumen erhöht sich und erzeugt damit Druck in den Gefäßen. Was hier vereinfacht
dargestellt hoffentlich schlüssig erscheint, sind in Wirklichkeit komplexe Vorgänge, die
sich im Körper abspielen. Sie haben einen Einfluss auf das Herz, denn dass ein dauerhaft
erhöhter Blutdruck ein großer Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist, haben wir
bereits gehört.
Allerdings muss auch erwähnt werden, dass bei Weitem nicht alle Menschen derart sensibel
auf Salz reagieren. Man geht davon aus, dass bei etwa jedem Dritten zu viel Salz den
Blutdruck steigen lässt. Das muss dann nicht immer negativ sein: Menschen, die unter
einem für die Herzgesundheit ungefährlichen zu niedrigen Blutdruck leiden, wird
empfohlen, den Salzkonsum zu erhöhen.
Wieder einmal muss ich Ihnen also raten, Ihren Blutdruck zu messen und im Blick zu
behalten. Ist er im Normbereich, müssen Sie sich über Ihren Salzkonsum keine großen
Sorgen machen, ist er zu hoch, sollten Sie probieren, ihn mit weniger Salz wieder ins Lot zu
bringen. Keine Sorge, Sie müssen deshalb nicht mit fad schmeckendem Essen
vorliebnehmen. Kräuter, Zwiebel, Knoblauch oder Zitrone geben dem Essen einen feinen
und meistens viel abwechslungsreicheren Geschmack. Sie können einen übermäßigen
Salzkonsum Schritt für Schritt reduzieren.
HERZSCHMERZ
Trennt man sich von einer geliebten Person, tut einem das im Herzen weh. Auch
Depression und Schwermut drücken aufs Herz, ebenso ein nahender Abschied von einem
lieben Menschen. Erlebt man Leid bei anderen, schnürt es einem das Herz zusammen, das
Herz leidet mit. Sie kennen den „Herzschmerz“, vermutlich nicht nur aus Liebesfilmen und
Theater, sondern haben ihn auch selbst erlebt. Aber – und das finde ich faszinierend – das
Herz selbst kennt keinen Schmerz und hat kein Schmerzempfinden, was gut so ist.
Unser Herz ist verdammt dazu, ständig zu arbeiten, Tag und Nacht, ohne Pause. Mitunter
auch sehr hart. Jeder andere Muskel – Sie erinnern sich: Das Herz ist nichts anderes als ein
hohler Muskel – macht sich nach Überanstrengung bemerkbar durch Muskelkater. Das Herz
kennt diese Katerstimmung nicht – aus gutem Grund, ein schmerzender Herzmuskel wäre
ziemlich unangenehm und für seine lebenserhaltende Arbeit kontraproduktiv. Deshalb hat
Mutter Natur das Herz unempfindlich gemacht.
In der Szene kommt der junge Arzt zu diesem Mann, Kerzenlicht erleuchtet die Stelle. Der
Deckel wird geöffnet, zum Vorschein kommt das Herz. Es liegt ungeschützt da und schlägt,
es lebt. Die Bewunderung und Faszination aller Anwesenden ist groß. Erstmals ein
schlagendes Herz zu sehen, ist auch für Merivel faszinierend. Irgendjemand fordert ihn auf,
das Herz zu berühren. Er streckt seine Hand aus, zögert. Er hat Angst, das Herz zu
berühren, dem Mann Schmerzen zu bereiten. Dieser ermutigt ihn aber, und Merivel greift
zu. Zu seinem – und natürlich auch zu meinem – Erstaunen, schreit der Mann nicht vor
Schmerzen auf, er zuckt nicht einmal zusammen. Nein, er spüre nichts, sagt er auf die Frage
des jungen Arztes. Gar nichts.
Diese Menschen mit einem Loch in der Brust gab es damals wirklich. Sie zogen sich die
Brustverletzungen beim Reiten oder im Krieg zu. Wer überlebte, zog dann nicht selten von
Stadt zu Stadt und öffnete gegen Geld den Metalldeckel zu seinem Herz. Das Erstaunen
damals war sicherlich groß. Immerhin gab es noch keine Röntgenbilder und keine
Ultraschallgeräte, die das Herz in all seiner Pracht und Schlagkraft darstellen konnten.
Auch ich konnte es nicht glauben, dass das Herz berührungs-, ja schmerzunempfindlich sein
sollte. Während der Ausbildung zum Herzspezialisten beschäftigte ich mich natürlich auch
mit diesem Thema und musste feststellen, dass es wirklich so ist: Das Herz hat kein
Schmerzempfinden.
Es gibt ihn zwar, den Herzschmerz, meistens zumindest und zum Glück. Sonst würden wir
einen Herzinfarkt niemals frühzeitig erkennen. Aber es ist kein typischer Schmerz, wie man
ihn zum Beispiel bei einer Schnittverletzung spürt, bei Kopfschmerzen oder wenn man sich
einen Knochen bricht. Wenn es dem Herz nicht gut geht, zeigt sich das sehr oft mit
unterschiedlichen Symptomen. Manche Herzinfarktpatienten berichten vom typischen
Druckgefühl in der Brust mit Ausstrahlung in den linken Arm, andere sprechen von einem
Ziehen, Stechen oder Brennen in der Brust. Wieder andere erzählen von einem Schmerz im
Rücken oder in der Bauchgegend. Manchmal äußert sich ein Infarkt auch mit Übelkeit,
Erbrechen oder Kurzatmigkeit. Und es gibt auch, wenngleich selten, den „stillen“
Herzinfarkt, der überhaupt keine Beschwerden verursacht, er ist wirklich „stumm“.
Ich stelle mir das so vor: Mutter Natur hat den Menschen und all seine Organe geformt.
Jedes bekam seinen Platz und seine Aufgabe. Den allermeisten gestand Mutter Natur auch
eine Ruhepause im anstrengenden Arbeitsalltag zu. Nur dem Herz nicht. Es wurde hinter
den Rippen eingesperrt und mit einem unmissverständlichen Arbeitsauftrag zurückgelassen:
Du sollst jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde arbeiten, ohne zu mucksen. Da protestierte
das Herz zu Recht. Es beschloss, Mutter Natur ein Schnippchen zu schlagen und wurde zum
Hacker, so wie wir ihn heute aus dem Internet kennen.
Wie das geht? Das erzähle ich Ihnen: Herz und Gehirn sind über Nerven miteinander
verbunden. Über diese Nerven kommt beispielsweise der Befehl vom Gehirn an das Herz,
schneller zu schlagen, wenn wir uns aufregen oder anstrengen. Und genau über diese
Nervenfasern kommt der Hackerangriff des Herzes. Es schaltet diese Nervenfasern mit
jenen aus dem Körper zusammen, die das Schmerzempfinden an das Gehirn weiterleiten.
Gewissermaßen hat sich das Herz damit in das System Haut eingeloggt, denn es ist vor
allem die Haut, die Schmerz als Erstes wahrnimmt – etwa wenn wir uns verbrennen,
gezwickt oder von einer Biene gestochen werden.
Leidet das Herz, zum Beispiel bei einem Herzinfarkt, werden durch das Hacken der
Schmerznerven die Hautfasern mitaktiviert. Wie ein blinder Passagier wird die
Herzinformation bis ins Gehirn an jene Hirnstellen weitergeleitet, die für die Zuordnung des
Hautschmerzes verantwortlich sind. Der Herzschmerz wird also zum Hautschmerz. Weil
aber die Haut nicht verletzt ist, versteht das Gehirn nicht sofort, wo das Problem liegt. Es
grübelt nach, versucht, den für eine Hautverletzung unüblichen langen und undefinierbaren
Schmerz einzuordnen und gibt irgendwann entnervt auf. Es bleibt bei einem nicht genau zu
lokalisierenden Unwohlsein irgendwo auf Brusthöhe.
Manchmal ist das Gehirn aber auch dermaßen überfordert, dass es kurz vor einem totalen
Nervenzusammenbruch steht. Dann wird alles Mögliche in den Herzschmerz
hineininterpretiert. Der Herzinfarktschmerz wird dann zum Beispiel als ein Ziehen, Stechen
oder Brennen wahrgenommen. Manchmal strahlen die Beschwerden von der Brustwand in
den linken Arm aus, in beide Arme, in den Hals, in den Unterkiefer oder in den Magen.
Oder die Patienten haben nur Rückenschmerzen oder Magenbeschwerden. Dadurch
entstehen häufig Fehldiagnosen. Wer kommt bei diesen Leiden schon sofort auf einen
Herzinfarkt?
Der typische Schmerz ist ein Druckgefühl in der Brust, nicht genau lokalisierbar, der in den
linken Arm ausstrahlen kann. Verspüren Sie diese Schmerzen, können Sie von Glück reden.
Von Glück im Unglück natürlich. Denn diese Beschwerden sind so typisch für den
Herzinfarkt, dass man sie nicht fehlinterpretieren kann. Um auf Nummer sicher zu gehen,
fordere ich die Patienten meistens auf, mir die Stelle des Druckgefühls mit der Hand zu
zeigen. Legen sie die ganze Hand auf den Brustkorb, weil sie die Stelle nicht genau
lokalisieren können, dann ist die Diagnose Herzinfarkt praktisch gesichert. Zeigen sie aber
mit dem Zeigefinger zielgenau auf eine bestimmte Stelle im Brustbereich, dann ist es mit
großer Wahrscheinlichkeit kein Infarkt.
Der atypische Schmerz ist im Prinzip all das, was nicht typisch ist: ein Brennen hinter der
Brust, Rückenbeschwerden, ein Ziehen im Hals oder im linken Arm, Bauchbeschwerden,
Übelkeit und Erbrechen. Es kann ein Herzinfarkt sein oder auch etwas ganz anderes. Das
verwirrt und überfordert auch uns Ärzte. Die Beschwerden richtig einzuordnen, fällt unter
Umständen ziemlich schwer. Manchmal entgeht einem die Diagnose Herzinfarkt sogar
komplett.
Das musste ich selbst erleben, als mein Vater einen Herzinfarkt erlitt. Ich kann mich noch
gut an diesen Tag erinnern. Ich war noch an der Universität und kam fast jedes
Wochenende nach Hause. Nach dem Fußballtraining mit den Kollegen wurde ausgiebig
gefeiert. Nach einer solchen Feier kam ich, zugegeben nicht mehr ganz nüchtern, spätnachts
nach Hause und wurde schon von meiner Mutter erwartet. Dem Vater gehe es nicht gut, er
habe Bauchschmerzen, auch gebrochen habe er. Als sie erwähnte, dass der Vater am Abend
Pflaumen gegessen hatte, war für mich, den Medizinstudenten, alles klar:
Magenverstimmung. Am nächsten Tag werde alles wieder in Ordnung sein, beruhigte ich
meine Mutter und ging schlafen. Lange ruhte ich nicht, dann rüttelte mich meine Mutter aus
dem Schlaf. Mein Vater klagte nicht mehr über Bauchschmerzen, sondern über ein
Druckgefühl in der Brust, das in den Hals und den linken Arm ausstrahlte. Das kam jetzt
auch mir verdächtig vor. Ich fuhr ihn ins Krankenhaus und tatsächlich: Diagnose
Herzinfarkt. Ich hatte es vermasselt. Weil ich die Symptome falsch eingestuft hatte, waren
wertvolle Stunden verstrichen. Die blockierten Herzkranzgefäße konnten zwar geöffnet
werden, ein Teil des Herzmuskels war aber abgestorben.
Da hatte ich auch schon manche Erlebnisse mit deutschen Urlaubern, die mich nur den
Kopf schütteln ließen. Ich weiß, in Südtirol ist es einfach schön. Man steht auf, die Sonne
lacht, die Berge sind zum Greifen nah. Da kann man schon einen eisernen Willen
entwickeln. Einmal kam ein Urlauber mit dem Hubschrauber angeflogen. Herzinfarkt!
Während ich seine Herzkranzgefäße wieder öffnete, fragte ich ihn, wann die Schmerzen
begonnen haben. Da erklärte er mir, dass er schon beim Frühstück ein Druckgefühl in der
Brust gespürt habe. Er hatte jedoch eine Bergtour geplant, die er unter keinen Umständen
absagen wollte. Deshalb sei er ja nach Südtirol gekommen. Also ging er nicht zum Arzt,
sondern auf den Berg. Mit immer schlimmer werdenden Schmerzen in der Brust schleppte
er sich mit letzter Kraft und ebenso letztem Willen zum Gipfel. Dort brach er zusammen,
und seine Kameraden wählten den Notruf. Ich schüttelte nur den Kopf. Aber er freute sich,
dass er auf dem Gipfel stand. Auch wenn ihm das um ein Haar das Leben gekostet hatte.
Einen anderen Urlauber – auch aus Deutschland – holte der Notarzt direkt am Reisebus ab.
Seine Herzbeschwerden waren schon vor dem Einsteigen in den Bus aufgetreten. Er machte
sich trotzdem auf den sechsstündigen Weg. Das Druckgefühl in der Brust wurde immer
schlimmer, er hielt aber aus. Ich fragte ihn, warum er denn nicht daheim ins Krankenhaus
gefahren sei. Er antwortet mir allen Ernstes, dass die Reise und das Hotelzimmer ja schon
bezahlt waren. Das nützte ihm schlussendlich aber nichts: Er checkte nicht in sein bezahltes
Hotelzimmer ein, sondern in das teuerste Zimmer überhaupt – in eines auf der
Intensivstation.
Der Hand-Finger-Test
Was will ich Ihnen damit sagen? Wenn Sie Beschwerden im Brustbereich haben, denken
Sie daran, dass es eventuell ein Herzinfarkt sein kann. Das ist schon einmal die halbe Miete.
Führen Sie am besten den Hand-Finger-Test durch: Versuchen Sie, die Beschwerden
zielgenau zu orten und mit dem Finger an die schmerzende Stelle zu tippen. Gelingt das,
können Sie die Stelle also genau anzeigen, dann ist es vermutlich ein Brustwandschmerz,
ein parietaler Schmerz: Wahrscheinlich ist ein Nerv eingeklemmt, ein
Zwischenrippenmuskel angeschlagen, oder Sie haben einfach nur eine druckempfindliche
Stelle.
Müssen Sie aber die offene Hand auf die Brust legen und sie womöglich kreisförmig
bewegen, weil Sie den Schmerz nicht genau fassen oder greifen können, dann müssen Sie
achtsam sein. Ist es auch noch ein Druckgefühl, das in den Hals, den linken Arm oder beide
Arme ausstrahlt, ist Ihnen kalt und schwitzen Sie gleichzeitig oder ist Ihnen übel, ist Eile
geboten. Dann hat Ihr Herz die Nervenfasern für die Schmerzempfindung gehackt und
fordert Ihre Aufmerksamkeit: Es kann ein Herzinfarkt sein. Wählen Sie sofort die
Notrufnummer 112. Lassen Sie alles stehen und liegen und rufen Sie um Hilfe!
Am Telefon schildern Sie Ihre Beschwerden, ein geschultes und erfahrenes Ohr hört Ihnen
zu und sagt Ihnen, was zu tun ist: hinlegen, ohne Stress und Hektik auf den Notarzt warten.
Spielen Sie nicht den Helden und setzen Sie sich nicht selbst hinters Steuer. Das kann
gehörig ins Auge gehen. Denken Sie daran: Sie haben nur ein Herz! Ihre Herzmuskelzellen
sollten Sie bis ins hohe Alter hegen und pflegen und nicht aufs Spiel setzen. Lieber einmal
zu oft Beschwerden abklären lassen als einmal zu wenig. War es ein falscher Alarm, dann
wissen Sie, wenn dieselben Beschwerden wiederkommen, dass es kein Herzinfarkt ist.
Machen Sie es also keinesfalls so wie ein Patient aus einem Südtiroler Seitental. Er klagte
plötzlich über ein heftiges Druckgefühl in der Brust und vermutete richtigerweise einen
Herzinfarkt. Auch dass er am besten sofort einen Arzt aufsuchen sollte, erkannte er richtig.
Ab diesem Zeitpunkt machte er aber so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann.
Er wählte nicht den Notruf, sondern setzte sich selbst ins Auto und fuhr los. Nicht ins
nächstgelegene Krankenhaus, in dem ich gerade Dienst hatte und für lebensbedrohliche
Notfälle wie diesen da war, sondern etwa 40 Kilometer weiter ins kleinere Krankenhaus.
Dort angekommen, erkannte man natürlich sofort den Herzinfarkt und brachte ihn mit dem
Hubschrauber zu mir. Ich öffnete sein Herzkranzgefäß, der Schaden hielt sich
glücklicherweise in Grenzen.
Als er keine Beschwerden mehr hatte, fragte ich ihn, warum er denn nicht sofort zu uns ins
Krankenhaus gekommen sei. Was antwortet er? Unser Krankenhaus sei bekannt dafür, dass
man so lange warten müsse, außerdem seien dort so viele Ärzte, die seinen Dialekt nicht
verstehen. Ich gebe zu, ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Also hielt ich
ihm eine Standpauke: Wer mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus kommt, muss nie
warten. Er wird mit dem höchsten Dringlichkeitscode sofort in die Kardiologie gebracht,
wo das Herz und die Gefäße untersucht werden. Abgesehen davon, dass alle Ärzte auch
sprachlich einigermaßen begabt sind, muss da auch nicht viel geredet werden – immerhin
geht es um Leben und Tod.
Aber es ist ja zum Glück alles gut gegangen, erklärte ich ihm, trotz seiner zwei Fehler. Er
schaute mich verwundert an. Wieso zwei Fehler? Einmal natürlich der kilometerlange
Umweg, den er gemacht hatte. Und der zweite Fehler: Wer holt jetzt sein Auto beim
anderen Krankenhaus ab und bezahlt die Parkgebühren? Ich nehme an, mein Patient hat
nach seiner Entlassung auch noch eine Standpauke von seiner Frau erhalten.
SPORTLICHE HÖCHSTLEISTUNG
FÜRS HERZ
Das Herz ist ein Muskel und will, wie jeder Muskel, bewegt und gefordert werden. Ich
erinnere mich noch an mein Studium, als wir im Sezierkurs den menschlichen Körper im
wahrsten Sinne des Wortes auseinandernahmen. Ich war überrascht, dass der Körper von
Muskeln übersät ist und von ihnen komplett zugedeckt wird. Die Muskeln bilden eine
Hülle, die Knochen und Organe umgeben. Sie machen 40 Prozent der Körpermasse aus,
über 600 Muskeln gibt es im Körper.
Das Herz nimmt in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein: Neben der
Skelettmuskulatur, die wir bewusst steuern können und die uns aufrecht gehen, stehen,
laufen, den Finger krümmen, die Zunge rausstrecken und küssen lässt, gibt es die glatte
Muskultur, die wir nicht bewusst steuern können. Diese Muskulatur finden wir im Darm, in
den Atemwegen und Blutgefäßen. Das Herz hat insofern eine Sonderstellung, als dass es
diese beiden Muskeltypen vereint: Einerseits ähnelt es in Struktur und Aufbau der
Skelettmuskulatur, andererseits können wir die Herzbewegungen nicht steuern und
kontrollieren. Außerdem bekommt es – im Gegensatz zur Skelettmuskulatur – bei
Überbeanspruchung keinen Muskelkater. Der Herzmuskel ummantelt auch nicht den
Körper wie alle anderen Muskeln, sondern befindet sich gut geschützt im Brustkorb, wo er
praktisch ständig arbeitet. Während die anderen Muskeln mitunter untätig sind und vor
allem nachts ruhen, schlägt das Herz jederzeit.
Schon damals im Studium erkannte ich, dass die Muskeln nur eine Aufgabe haben: den
Körper zu bewegen. Fast die Hälfte unseres Körpergewichtes schreit förmlich danach, das
tun zu dürfen, wofür sie bestimmt ist: nicht auf der Couch rumzuliegen, sondern den
starren, knöchernen Körper in Bewegung zu halten. Jede Bewegung ist eine Massage für die
Muskeln. Auch für das Herz.
Bevor ich Ihnen erkläre, was beim Sport und bei körperlicher Anstrengung mit und in
unserem Herz passiert, möchte ich noch erwähnen, dass nicht nur Hochleistungssport
glücklich macht. Sie müssen also keineswegs einen Marathon laufen oder mit dem Fahrrad
zig Pässe erklimmen, um glücklich zu werden und gesund zu bleiben. Bei Untersuchungen
wurde herausgefunden, dass der größte Nutzen von körperlicher Aktivität dann erreicht
wird, wenn man sich im Hobby- und nicht im Spitzenbereich betätigt.
Wollen Sie also Ihr Leben um einige Jahre verlängern und Ihr kardiovaskuläres Risiko
maximal senken, dann reicht es zum Beispiel schon, wenn sie drei- bis viermal pro Woche
jeweils 45 Minuten joggen gehen. Die Intensität des Laufens soll dabei so gewählt werden,
dass man sich nebenbei noch gut unterhalten könnte, ohne dabei kurzatmig zu werden. Oder
wie einmal ein Patient zu mir sagte: „Am besten so laufen, dass man eine Frau noch nach
ihrer Telefonnummer fragen kann.“
Zusätzlich hilft Sport dabei, Gewicht zu reduzieren und zu halten, den Blutdruck zu
normalisieren, die Blutfettwerte zu regulieren und den Blutzuckerspiegel zu senken. Wie
wir gehört haben, sind das die „Big Four“, die großen vier Risikofaktoren für Herz-
Kreislauf-Erkrankungen. Und vergessen Sie nicht: Viele Wege führen zum Glück – einer
davon über Sport und Bewegung.
Wenn Sie kein Mathematiker sind, rate ich Ihnen zu folgendem Selbstversuch: Setzen Sie
sich aufs Fahrrad, gehen oder laufen Sie. Nach einer Aufwärmphase steigern Sie die
Intensität, radeln, gehen oder laufen Sie schneller, und zwar so lange, bis Sie es nicht mehr
schaffen. Sie müssen sehr motiviert sein und bereit, bis zur totalen Erschöpfung zu gehen.
Sind Sie an diesem Punkt angelangt, dann legen Sie Zeige- und Mittelfinger ans
Handgelenk oder an den Hals, und fühlen Sie Ihren Puls. Haben Sie ihn gefunden, zählen
Sie zehn Sekunden lang mit. Das Ergebnis multiplizieren Sie mit sechs, um den Herzschlag
pro Minute zu erhalten. Das ist Ihr maximaler Herzschlag. Mehr geht nicht. Außer Sie
haben natürlich vor der totalen Erschöpfung aufgehört.
Der maximale Herzschlag kann im Grunde nicht übertroffen werden. Wenn Sie das
trotzdem probieren wollen, werden Sie schnell merken, dass es nicht geht. Zumindest nicht
wachen Geistes. Dann riskieren Sie, dass Sie zusammenbrechen und ohnmächtig werden.
Muss das Herz nämlich über den maximalen Wert schlagen, reduziert sich die
Füllungsphase des Herzes derart, dass nicht mehr genügend Blut in die Herzkammern
gelangt. Je weniger Blut dort allerdings ist, umso weniger kann in den Kreislauf gepumpt
werden: Die Versorgung der Organe mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff bricht
zusammen.
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie es dem Herz ergehen muss, wenn es aus
seinem „Trainingswinterschlaf“ gerissen wird, empfehle ich Ihnen folgendes Experiment:
Nachts gegen 3 Uhr, wenn Ihr Bettnachbar tief und fest schläft, rütteln Sie ihn laut und mit
aller Vehemenz aus dem Schlaf. Wie vom Donner gerührt wird er oder sie aufschreien, Sie
anfahren und Ihnen vielleicht sogar eine knallen. Ja, genau so fühlt sich Ihr untrainiertes
Herz, wenn es von jetzt auf gleich zu Höchstleistungen getrieben wird.
Sport ist wie eine Massage nicht nur für das Herz, sondern für das gesamte Kreislaufsystem.
Wird es trainiert, so arbeiten Herz, Kreislauf und Muskeln zusammen, sie sind dann ein
eingespieltes Team und bilden eine Einheit. Trainierte Muskeln gehen mit dem vom Blut
angelieferten Sauerstoff ökonomisch um, die Herzfrequenz steigt also nur langsam an. Bis
sie den maximalen Wert erreicht hat, vergeht viel Zeit, in der nach Herzenslust gesportelt
werden kann. Sind die Muskeln hingegen untrainiert, wissen sie nicht, wie sie mit dem
unter Belastung vermehrt angelieferten Sauerstoff umgehen sollen. Sie arbeiten nicht
ökonomisch. Das können Sie sich so vorstellen: 100 Leute – in unserem Fall sind es
Sauerstoffpartikel – wollen auf einmal durch eine Tür gehen. Bei trainierten Muskeln öffnet
sich diese Tür sehr weit, bei untrainierten Muskeln geht sie nur einen kleinen Spalt weit auf.
Die vielen Sauerstoffpartikel tun sich also schwer, durch diesen Spalt zu schlüpfen. Um die
Muskeln trotzdem mit genug Sauerstoff zu versorgen, schickt das Herz-Kreislauf-System
noch mehr Sauerstoff zur betreffenden Stelle: Das Herz steigert seine Schlagfrequenz,
damit steigt die Blutmenge, die im Kreislauf zirkuliert, und das wiederum erhöht den Druck
in den Gefäßen – der Blutdruck steigt. Weil Herzfrequenz und Blutdruck aber
unverhältnismäßig stark und zu schnell ansteigen, ist der Maximalpuls schnell erreicht – der
Sport ist zu Ende, noch bevor der Betreffende seine volle Leistungsfähigkeit erreicht hat.
An seine Grenzen zu gehen, also den maximal möglichen Puls zu erreichen, klingt vielleicht
für manchen – vor allem für die Unsportlicheren unter Ihnen – etwas unheimlich und sogar
gefährlich. Das ist es aber nicht – wenn Sie ein gesundes Herz haben. Mutter Natur gibt die
Grenzen vor und zeigt Sie Ihnen auch auf, solange Sie es übertreiben. Darauf können Sie
sich verlassen.
Bei Erwachsenen ist ein Ruhepuls von 60 bis 80 Schlägen pro Minute normal, bei älteren
Menschen ist es etwas mehr. Diese Herzschläge werden benötigt, um bei keiner
körperlichen Anstrengung den Körper ausreichend mit allem Notwendigen versorgen zu
können. Sportler haben mitunter gerade einmal einen Ruhepuls von 30 bis 35 Schlägen pro
Minute. Trainiert man lange Zeit nicht mehr, ist dieser Effekt wieder rückläufig, der
Ruhepuls steigt also wieder.
Ein niedriger Puls bei einem herzgesunden Menschen ist also keineswegs gefährlich,
sondern ein Zeichen für körperliche Fitness. Das kommt auch dem Herz selbst zugute.
Dieses wird bekanntlich über die Koronararterien mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt.
Wie ein Kranz legen sie sich um das Herz. Diese Herzkranzgefäße werden nicht wie der
restliche Körper in der Auswurfphase des Herzes (Systole) versorgt, sondern in der
Füllungsphase. In der Auswurfphase ist das Herz nämlich maximal angespannt, um das Blut
mit voller Kraft in den Kreislauf pumpen zu können. Gerade am Ausgang der Herzkammer,
wo die Koronararterien abzweigen, herrscht dann ein großer Druck. Deshalb kann dort
kaum Blut in die Herzgefäße abzweigen. Das geschieht erst in der Entspannungsphase,
wenn sich die Kammern wieder mit Blut füllen. Je schneller das Herz schlägt, umso mehr
Zeit verbringt es unter Anspannung, also in der Auswurfphase. Schlägt das Herz langsamer,
kann es sich länger entspannen, es verlängert sich also die Zeit, in der das Herz selbst
versorgt wird.
Ist man herzgesund, dient eine Pulsuhr nur zum Befriedigen der Neugierde. Menschen sind
nun einmal neugierig und wollen wissen, wie schnell die maximale Herzfrequenz erreicht
wird und wie schnell bei welcher Belastungsintensität der Herzschlag hinauf- und wieder
heruntergeht. Ausdauersportler arbeiten viel mit der Herzfrequenz, unterschiedliche
Belastungen werden mit einer genau definierten Frequenz bewältigt. Sportliche Menschen
wissen um ihren Informationsgehalt. Einen medizinischen Sinn hat das Beobachten des
Pulses eigentlich nicht.
Bei herzkranken Menschen ist das anders. Ihnen rate ich zum Tragen einer Pulsuhr, wenn
sie sportlich aktiv sein möchten. Ist das Herz geschädigt, etwa durch einen Herzinfarkt,
kann das Erreichen der maximalen Herzfrequenz unter Umständen gefährlich bis
lebensbedrohlich sein. Je schneller das Herz schlagen muss, umso mehr muss es arbeiten.
Wenn es dazu nicht in der Lage ist, da es zu schwach oder vorgeschädigt ist, dann droht
eine Herzinsuffizienz: Der Körper wird nicht mehr ausreichend versorgt, oder es treten
lebensgefährliche Rhythmusstörungen auf. Sind noch dazu die Herzkranzgefäße durch
Verkalkungen verengt, droht ab einer bestimmten Herzfrequenz eine
Sauerstoffmangelversorgung des Herzes.
Wenn Sie also herzkrank sind, dann fragen Sie den Herzspezialisten, bis zu welcher
Frequenz Sie sich und Ihr Herz belasten dürfen. Der Kardiologe wird Ihnen eine
Belastungsprobe verschreiben, um ihre Maximalwerte zu bestimmen. Am EKG zeigen sich
typische Veränderungen, wenn eine Herzfrequenz erreicht wird, bei der das Herz nicht
mehr in der Lage ist, seiner Aufgabe nachzukommen und der Körper in der Folge Schaden
nimmt. Das zeigt dann die kritische Herzfrequenz an. Bleibt der Patient beim Sport
darunter, ist körperliche Betätigung für ihn ungefährlich. In diesem Fall macht eine Pulsuhr
also Sinn, um relativ sicher Sport betreiben zu können.
HOCH HINAUS – AUCH MIT EINEM
KRANKEN HERZ?
Was darf ich noch? Das ist eine Frage, die sich alle Patienten nach einem Herzinfarkt
stellen. In einem Land mit vielen Bergen folgt sogleich eine zweite: Darf ich noch auf den
Berg gehen? In meinen ersten Jahren als Kardiologe gab es darauf eine Standardantwort,
die in Stein gemeißelt schien: auf den Berg gehen ja, aber nicht höher als auf 2500 Meter.
Auch heute noch fragen viele Patienten nach dieser Höhenangabe, weil sie davon gehört
oder irgendwo gelesen haben. Eines gleich vorweg: Von dieser strikten Begrenzung halte
ich nicht viel. Trotzdem ist es eine berechtigte Frage, ob das Herz auf der Alm oder auf
einem Berggipfel anders arbeitet als zum Beispiel am Meer? Als Kardiologe, der seinen
Beruf ebenso liebt wie das Bergsteigen, wollte ich das genau wissen und habe die
Ausbildung zum Berg- und Höhenmediziner gemacht.
Eines ist sicher: Die Luft ist am Berg anders als am Meer. Die Bedingungen am Berg
unterscheiden sich grundsätzlich von jenen, die wir von unserem Zuhause in Tallagen und
Ebenen gewohnt sind. Es sind vor allem drei Dinge, die sich mit zunehmender Höhe
verändern.
Zum einen nimmt die UV-Strahlung der Sonne zu. Je weiter wir aufsteigen, umso kräftiger
wird die Sonne. Die Gefahr von Sonnenbränden ist groß. Dieser Umstand hat auf das Herz
allerdings weniger Auswirkungen als die nächsten beiden Punkte: Mit zunehmender Höhe
wird es kälter. Der Körper droht auszukühlen. Um das zu verhindern, ziehen sich die
Blutgefäße zusammen. Dadurch fließt weniger warmes Blut durch die äußeren
Hautschichten und die darunterliegenden Gefäße, und der Körper spart Wärme ein. Das
merken wir sofort an Händen, Füßen und Nasenspitze: Man friert. Sind die Gefäße verengt,
muss das Herz aber auch mehr arbeiten und stärker pumpen, um alle wichtigen Organe
weiter mit Sauerstoff versorgen zu können.
Das gilt vor allem dann, wenn wir uns zusätzlich anstrengen: also auf dem Berg
weitermarschieren oder im Winter voll motiviert Schnee schaufeln. Sind dann bereits
Engstellen in den Gefäßen vorhanden, ist die Gefahr, dass sich ein Gerinnsel bildet oder ein
Gefäß verschließt, sehr groß. Kein Wunder also, dass das Risiko für Herzinfarkt und
Schlaganfall gerade mit sinkenden Temperaturen steigt. Herzkranke Patienten sollten das
berücksichtigen und die richtige Kleidung anziehen, warme Getränke und ausreichend
Nahrung mitnehmen, wenn sie hoch hinaus oder sich im Winter im Freien körperlich
betätigen wollen. Generell gilt: Übertreiben Sie es nicht!
Der geringere Sauerstoffgehalt in der Bergluft ist der springende Punkt. Wir haben also
weniger Sauerstoff, der eingeatmet und zu den Muskeln und Zellen gepumpt werden kann.
Auf 5000 Meter Meereshöhe haben wir nur mehr die Hälfte an Sauerstoff zur Verfügung als
auf Meeresniveau, und auf der Höhe des Mount Everest – mit 8848 Metern der höchste
Berg der Erde – ist es nur mehr ein Drittel. Der Mensch ist schlichtweg nicht dafür
geschaffen, sich dort aufzuhalten.
Die Entwicklung des Menschen spielte sich sicher nicht auf über 2500 Metern ab. Dort war
nicht genügend zum Essen da. Der Urmensch als Jäger und Sammler fand seine Nahrung in
den Ebenen, nicht auf den Bergen. Also musste sich der Organismus auch nicht auf ein
Leben in den höchsten Lagen anpassen. Und trotzdem: Dass wohl schon die Menschen in
der Steinzeit mitunter hoch hinaus wollten, beweist der Ötzi. Die berühmte Gletschermumie
wurde auf 3200 Meter Meereshöhe gefunden.
Mittlerweile gehen die Menschen aus purer Leidenschaft auf die Berge. „Weil er da ist“,
sagte einst George Mallory auf die Frage, warum er auf den Everest gehen wolle. Er starb
übrigens beim dritten Versuch, den höchsten Berg zu besteigen. Mittlerweile ist es
mehreren gelungen, den Gipfel des Everest sogar ohne Sauerstoff zu erreichen. Eine
großartige Leistung! Würde man einen Menschen mit dem Hubschrauber vom Strand
abholen und am Gipfel des Everest absetzen, würde er augenblicklich das Bewusstsein
verlieren und innerhalb kürzester Zeit an akutem Sauerstoffmangel sterben.
Dass es einen Unterschied macht, ob Sie im Tal 100 Meter laufen oder auf einer Alm, das
können Sie selbst testen. Das Herz schlägt in der Höhe schneller, der Puls steigt, und sie
sind kurzatmiger. Dasselbe gilt auch für das Küssen. Bei einem richtig innigen Kuss werden
bis zu 60 Muskeln bewegt, der Herzschlag steigt. Das spüren Sie in der Höhe, wo weniger
Sauerstoff zur Verfügung steht, mehr als im Tal, das verspreche ich Ihnen. Es ist also nicht
unbedingt die ganz große Leidenschaft, die für die Erschöpfung hinterher verantwortlich ist,
sondern der Sauerstoffmangel. Deshalb: Wenn Sie bei Ihrer nächsten Bergtour am Gipfel
ein Pärchen sehen, das sich nicht küsst, dann ist einer von beiden vielleicht herzkrank und
will nichts riskieren – oder sie haben sich nichts mehr zu sagen.
Dass das eine Herausforderung werden würde, wusste ich. Nur mehr ein Drittel des
Sauerstoffs in der Luft wie gewöhnlich – das lässt den Körper auf Sparflamme
zurückfahren, die Effizienz und Leistungsfähigkeit sinken. Alle Körperfunktionen, die von
Sauerstoff abhängig sind, müssen sich anpassen. Das dauert Wochen. Schon allein daran
erkennt man, welche Belastung diese Höhen für das Herz-Kreislauf-System sind. Doch ich
fühlte mich körperlich gut vorbereitet, mein Herz war trainiert und ich hochmotiviert.
Kurzum: Ich fühlte mich bärenstark und bereit für den Gipfelsturm – und sorgte mich, dass
mich einige ältere Expeditionsteilnehmer womöglich einbremsen könnten auf dem Weg
nach ganz oben.
Es kam natürlich ganz anders: Am 33. Tag der Expedition, dem Tag, an dem wir den Gipfel
erreichen sollten, quälte ich mich mit praktisch letzter Kraft nach oben. Mein Herz-
Kreislauf-System wollte nicht so, wie ich wollte, ich war wohl doch nicht so gut vorbereitet,
wie ich es mir gewünscht hatte. Jeder Schritt war eine Qual. Endlich am Gipfel
angekommen, war ich dort nicht der Erste: Eine 65-jährige Expeditionsteilnehmerin aus
meiner Gruppe gratulierte mir. Sie war bereits eine knappe Stunde vor mir am Gipfel
angekommen – fast eine Stunde! Ich konnte es nicht glauben. Es war bewundernswert. Ihr
Herz-Kreislauf-System hatte sich besser an die extremen Bedingungen angepasst. Was
lernen wir daraus? Egal, wie alt man ist und welche Statur man hat: Entscheidend ist, wie
das Herz-Kreislauf-System arbeitet. Man muss ihm Zeit geben, sich anzupassen. Das
Potenzial, solche Leistungen zu erbringen, ist prinzipiell bei jedem gegeben. Man muss sich
nur trauen.
Denn am Gipfeltag quälte ich mich schon wieder nach oben. Akklimatisiert an die Höhe
war ich nicht. Das wiederum gefiel meinem Nervus vagus gar nicht. Wie Sie bereits wissen:
Das ist mein nerviger Freund, der, wenn er beleidigt ist, meinen Herzschlag verlangsamt
und mich fast in die Bewusstlosigkeit stürzt. Kurz vor dem Gipfel meldete er sich.
Wahrscheinlich bekam er nicht genug Sauerstoff. Im denkbar ungünstigsten Moment
verlangsamte er den Herzschlag, und mein Blutdruck fiel in den Keller. Ich hatte ein
Problem, denn ich war komplett kraftlos: In der Luft war wenig Sauerstoff, und der, den ich
einatmen konnte, gelangte durch den langsamen Herzschlag erst mit Verspätung an die
Muskulatur. Einen solch langsamen Herzschlag nennen wir Kardiologen eine Bradykardie
oder bradykarde Herzrhythmusstörung. Den nahen Gipfel erreichte ich nicht mehr. Ich
rutschte auf dem Bauch liegend den Hang hinunter, auf allen vieren quälte ich mich in
Richtung Zelt. Ich flehte meinen Freund Vagus an, mein Herz wieder zu stimulieren. Zum
Glück hörte er auf mich, und ich erholte mich langsam.
Dass man aber alles schaffen kann, zeigt das Beispiel meines Vaters. Er war ein
hervorragender Bergsteiger, stand auf den Gipfeln unzähliger Dreitausender. Die Berge
waren sein Leben – bis er einen Herzinfarkt erlitt. Ein Teil seines Herzes erholte sich davon
nicht mehr. Medizinisch gesprochen hatte er danach eine mittelgradige Einschränkung der
systolischen Funktion des linken Ventrikels. Allgemein verständlich heißt das, ein Drittel
der Muskulatur der linken Herzkammer konnte sich nicht mehr zusammenziehen und damit
auch nicht mehr das Blut nach vorne in die Herzschlagader pumpen. Die Pumpfunktion des
Herzes war von da an also nicht mehr effizient.
Er erholte sich wieder von diesem Herzinfarkt und träumte weiter von seinen geliebten
Bergen. Noch einmal einen Viertausender erklimmen, das war sein großer Wunsch. Mit mir
an seiner Seite wollte er es schaffen. Und so nahm ich mit ihm das 4190 Meter hohe
Strahlhorn in der Schweiz in Angriff, mit den Tourenskiern. Mein Vater bewegte sich
Richtung Gipfel wie Sisyphos ohne ein Bein. Ich war natürlich viel früher am Gipfel, aber
mein Vater folgte mir, langsam und gemächlich: Er schaffte es. Oft lagen wir uns nicht in
den Armen, doch dort oben war einer dieser seltenen Momente, die ich nie vergessen
werde. Ich war mächtig stolz auf ihn. Trotz systolischer Dysfunktion der linken
Herzkammer stand er auf einem Viertausender.
Deshalb: Konzentrieren Sie sich nicht auf die 2500-m-Vorgabe, die Sie wahrscheinlich
öfter noch hören oder lesen werden. Haben Sie keine Angst, und probieren Sie es aus!
Sprechen Sie mit Ihrem Kardiologen, und wenn er nichts einzuwenden hat, dann sind auch
höhere Berge kein Problem. Ich sage immer: Ein Herzinfarkt kann überall passieren. Davor
Angst zu haben und sich einzuschränken, ist aber falsch. Wenn Sie glücklich sind, dann
profitiert auch Ihr Herz. Wenn Sie auf den Bergen glücklich werden, sollten Sie auf dieses
Glück nicht verzichten. Seien Sie dennoch vorsichtig, und muten Sie sich nicht zu viel auf
einmal zu!
AKTE X – DIE UNGEKLÄRTEN FÄLLE
DER KARDIOLOGIE
Die moderne Medizin von heute kann vieles erklären, Unsichtbares sichtbar machen, mit
kleinen Eingriffen komplexe und lebensbedrohliche Probleme lösen. Die medizinische
Forschung ist bestrebt, Krankheiten einzuordnen, Zusammenhänge festzustellen und sie
erklärbar zu machen. Daraus werden Richtlinien für Diagnose und Therapie erstellt, die
überall auf der Welt angewandt werden können. Ob Sie einen Herzinfarkt am Mount
Everest, am Montblanc oder bei Ihnen zu Hause erleiden – die Behandlung ist überall
gleich.
Wir Mediziner haben es gerne, wenn man Krankheiten in ein klares Schema einordnen
kann: Wenn man raucht, sich nicht bewegt und ungesund isst, dann verkalken die Gefäße,
und man riskiert einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. Führe ich hingegen ein
gesundes Leben, geht es auch den Gefäßen und dem Herz gut. So behandeln wir unsere
Patienten, beraten sie und geben ihnen die Richtlinien mit nach Hause, die ihnen erklären,
wie sie gesund leben sollen. Aber nicht immer funktioniert dieser Ansatz. Nicht alles lässt
sich logisch und eindeutig erklären.
Das ist die kardiologische Welt des Unerklärlichen, des Mysteriösen und des Unfassbaren,
die es auch gibt. Die Welt der Kardiologie, in der nichts so ist, wie es sein sollte. Wo ein
Herzinfarkt ist, wo es keinen geben sollte, wo Risikofaktoren keine Risikofaktoren sind, wo
ein gesunder Lebensstil krank macht, Rhythmusstörungen wie ein Phantom gejagt werden
und wo erstaunliche Selbstheilungen erfahrene Kardiologen ins Grübeln bringen. Hier stößt
die Wissenschaft an ihre Grenzen und lässt uns Ärzte im Stich. Das sind für mich die
unheimlichen Fälle der Kardiologie, meine X-Akten oder – um es mit einem nicht mehr
ganz aktuellen Filmtitel zu sagen – „The dark side of the heart“, „Die dunkle Seite des
Herzens“.
Es sind ziemlich einige Sportler, die zu uns in die Kardiologie kommen und sich, so wie
wir, fragen, warum sie überhaupt hier sind. Egal ob Marathonläufer, Triathlet,
Skitourensportler und Bergsteiger: Ihr Körper ist durchtrainiert, kein Gramm Fett zu viel,
ihr Lebensstil gesund. Zu uns geschickt werden sie, weil bei der sportärztlichen Visite
einige Werte auffällig waren. Typische Brustbeschwerden sind zwar keine vorhanden, auch
das Elektrokardiogramm unter Belastung ist zumindest grenzwertig positiv. Meist waren
nur Extrasystolen zu hören. Das sind Herzschläge, die neben dem normalen Herzrhythmus
auftreten. Ohne Abklärung durch einen Kardiologen bekommen diese Sportler kein
sportärztliches Attest – und das bedeutet, dass sie an Sportveranstaltungen und
Wettkämpfen nicht teilnehmen dürfen. Für einen passionierten Sportler ist das die
Schreckensnachricht schlechthin.
Also sitzen diese Sportler bei uns und warten auf die Koronarangiografie. Sie erinnern sich:
Dabei führen wir einen dünnen Katheter über die Arterie am Handgelenk zum Herz.
Mithilfe eines Kontrastmittels können wir Engstellen in den Gefäßen sehen und, sofern
vorhanden, noch bei der gleichen Untersuchung entfernen. In den allermeisten Fällen sehen
wir bei diesen Sportlern nichts. Der Sportler kann das Krankenhaus verlassen und zur
nächsten Startlinie rennen, radeln oder schwimmen. Bei fünf, bis sechs Sportlern im Jahr
trauen wir aber oft unseren Augen nicht und müssen die Diagnose überbringen, die
Sportlerträume platzen lässt: Die Herzkranzgefäße sind stark verkalkt!
Würde man nur das Röntgenbild sehen, könnte man meinen, man hat einen Patienten vor
sich, der alle Risikofaktoren der Welt auf sich vereint: übergewichtig, zuckerkrank,
Raucher, hoher Blutdruck, abnormale Blutfettwerte. Nichts von alledem liegt aber vor
einem auf der Untersuchungsliege. Der Patient ist geschockt – und ich bin es auch. So einen
Befund erwartet man sich nicht bei einem Sportler. Als Arzt kann man ihn auch nicht
erklären. Weil ihn nämlich die Medizin und all die Forschung nicht erklären können. Es
gibt sie einfach, diese unerklärlichen und noch unbekannten Ursachen einer Arteriosklerose.
Natürlich freue ich mich mit dem Patienten, aber ich hadere auch mit meinem Beruf,
meinem studierten Wissen, der Wissenschaft. Diese Seite der Kardiologie gefällt mir nicht.
Weil ich sie nicht erklären kann.
Diese Patienten bringen nicht nur die Kardiologen ins Grübeln. Denn eigentlich müssten
Kettenraucher auch prädestiniert für Lungenkrebs sein. Zumindest sagt die Statistik, dass 80
Prozent aller Lungentumoren auf das Rauchen zurückzuführen sind. 20 Prozent aber eben
nicht. Umgekehrt erkrankt nur etwa jeder zehnte Raucher an Lungenkrebs. Viele werden
auch ziemlich alt, und nicht wenige sehen nicht einmal ein Krankenhaus von innen.
Die Wissenschaft kann nicht alles erklären. Häufig ist es Veranlagung, oft auch von anderen
Lebensstilfaktoren abhängig, ob man krank wird oder gesund bleibt. Verlassen Sie sich
allerdings nicht darauf. Lassen Sie die Finger von den Zigaretten, oder versuchen Sie davon
loszukommen. Der Giftcocktail, den Sie mit jedem Zug einatmen, ist und bleibt giftig und
damit extrem ungesund.
Zur Abklärung wird ein Ultraschall des Herzes gemacht. Dort zeigt sich, dass mitnichten
alles in Ordnung ist. Der untere Teil des Herzes bewegt sich nicht, scheint wie gelähmt. Er
ist aufgebläht wie ein Ballon und ähnelt einem Tako-Tsubo, einer Tintenfischfalle. Dabei
handelt es sich um ein bauchiges Tongefäß mit schmalem Hals, mit dem in Japan
Tintenfische gefangen werden. Japanische Ärzte waren es in den 1990er-Jahren auch, die
das Krankheitsbild erstmals wissenschaftlich beschrieben und ihm den Namen Tako-Tsubo-
Kardiomyopathie gaben. Eine andere Bezeichnung für dieses Syndrom ist – eben wegen der
aufgeblähten unteren Herzspitze – „apical-ballooning“.
Wenn sich die linke Herzkammer zusammenzieht, um das Blut über die Aorta in den
Körperkreislauf zu pumpen, tut sie dies bei einem „gebrochenen“ Herzen noch im oberen
Teil, nicht aber in der Herzspitze, die sich nicht mehr bewegt. Der Patient spürt diese
Funktionsstörung durch die typischen Herzinfarktschmerzen in der Brust, Luftnot, oft auch
Übelkeit. Wir Kardiologen sprechen in diesem Fall von einer schwergradigen Dysfunktion,
die durchaus kritisch und bedrohlich sein kann.
Auch wenn sich das Herz in den allermeisten Fällen wieder erholt und folgenlos heilt, ist
vor allem in der Akutphase ärztliche Überwachung, meist auf der Intensivstation,
notwendig. Meistens löst sich die Lähmung dann wieder, und der Blutfluss in den
Koronararterien normalisiert sich. Der Herzmuskel, anfangs schwer beschädigt, erholt sich
auf wundersame Weise. Schon nach ein paar Tagen ist die Beweglichkeit des Herzes
wiederhergestellt, als wäre nichts gewesen. Der Patient geht nach Hause mit der einzigen
Empfehlung, die auslösenden Situationen möglichst zu vermeiden.
Denn auch wenn noch vieles unklar und ungewöhnlich ist an dieser Krankheit, so deutet ihr
deutscher Name auf die Entstehung dieser Sonderform des Herzinfarktes hin. Sie beginnt
mit großem emotionalen Stress: ein heftiger Streit mit dem Partner, der mit dem Liebesaus
endet. Eine schlimme Nachricht, wie es der Tod eines Familienangehörigen bei einem
Autounfall ist. Die Aufregung und der Stress sind groß, Stresshormone wie Adrenalin
werden ausgeschüttet. Eine Theorie besagt, die Stresshormone verengen die Gefäße derart,
dass Teile des Herzes nicht mehr durchblutet werden. Oder dass eine Verkrampfung der
Gefäße die typischen Infarktsymptome zur Folge hat.
Interessantes Detail am Rande, das Frauen ihrer größeren Empathie und Sensibilität
zuschreiben mögen: Deutlich mehr Frauen als Männer leiden am Syndrom des
„gebrochenen“ Herzens.
Gefährlicher Stresstest
Das zeigt, welche Auswirkungen Stress auf den Körper und vor allem das Herz haben kann.
Dass bei Stress der Körper in Alarmbereitschaft ist, hat Mutter Natur so vorgesehen. Bei
akuter Bedrohung für Leib und Leben wurde Adrenalin ausgeschüttet, die Herzfrequenz
hochgefahren, der Sauerstoffbedarf im Gehirn und in den Muskeln angekurbelt und der
Druck in den Gefäßen erhöht. Angriff oder Verteidigung war nun die Devise, Kampf oder
Flucht. War die Gefahr gebannt, wurde auch die Alarmbereitschaft aufgegeben, der Körper
und auch das Herz beruhigten sich wieder. So war es früher. Heute hält die
Alarmbereitschaft oft über Wochen, gar Monate an. Stress ist bei vielen zum
Allgemeinzustand geworden – und das schadet. Hoher Blutdruck, Stresshormone, die
Blutgefäße dauerhaft eng stellen, erhöhte Blutzuckerwerte, weil durch den Stress die
Ausschüttung von Insulin gestört ist – all das setzt dem Herz zu. Ein gut gemeinter Rat:
Entspannen Sie sich! Sorgen Sie für Ruhepausen in Ihrem Alltag! Schalten Sie einen oder
auch zwei Gänge zurück. Ihr Herz und Ihr gesamter Organismus danken es Ihnen –
versprochen!
Wie wir bereits erfahren haben, ist das Herz ein sehr flexibles Organ. Es passt sich den
verschiedensten Situationen an, kann bei Bedarf seine Herzkammern erweitern oder
verkleinern, die Schlagkraft erhöhen, an Muskeldichte zulegen oder diese abbauen. Eine
Zunahme der Herzmuskelmasse ist zum Beispiel nötig, wenn das Herz dauerhaft mit
erhöhtem Druck pumpen muss, um das Blut bis in die entlegensten Stellen des Körpers zu
bringen – man spricht dann von Bluthochdruck, den ich bereits beschrieben habe.
Muss das Herz ständig mehr Kraft aufwenden, passiert dasselbe wie beim Bodybuilder, der
mit ordentlich Kraftanstrengung Bizeps und Quadrizeps an Oberarmen und Oberschenkeln
vergrößert: Das Herz legt an Muskelmasse zu, die Muskelfasern werden dicker, die Zellen
vergrößern sich. Wir Mediziner sprechen von Hypertrophie, das Herz hypertrophiert.
Ausdauersportler auf Hochleistungsniveau können davon profitieren, im Normalfall aber
macht sich eine Zunahme der Herzmuskelmasse früher oder später durch eine verminderte
Leistungsfähigkeit bemerkbar. Kurzatmigkeit ist dann ein häufiges erstes Symptom.
Richtig gefährlich wird es aber, wenn eine verengte Aortenklappe das Herz zwingt, zum
Bodybuilder zu werden. Auch diese Engstelle zwischen linker Herzkammer und
Hauptschlagader veranlasst das Herz dazu, mit zusätzlichem Kraftaufwand zu pumpen, um
den Körper mit ausreichend Blut versorgen zu können. Dabei legt es ordentlich an
Muskelmasse zu. Wird nun die enge Herzklappe operativ ausgetauscht, fehlt plötzlich
dieses Hindernis – das Herz aber schlägt so stark und kräftig weiter, wie es bisher gewohnt
war. Weil die Kraft, die vom Herz ausgeht, nun übertrieben stark ist, wird die linke
Herzkammer gewissermaßen wie eine Zitrone ausgepresst, die gegenüberliegenden Wände
der Herzkammern berühren sich sogar. Das verhindert, dass die Kammer wieder mit genug
Blut aus dem Vorhof gefüllt wird. Wo aber nichts hineinkommt, kann auch nichts hinaus –
das Herzminutenvolumen, also die Menge an Blut, die pro Minute durch den Körper
gepumpt wird, sinkt, der Blutdruck fällt, ein lebensbedrohlicher Schock droht. Trotz
kräftigen Herzschlags, der normalerweise ja für einen guten Blutkreislauf spricht, ist das
Herz ziemlich schnell funktionsuntüchtig. Es hat sich selbst in diese missliche Situation
gebracht – wie gesagt: Selbstmord. Weil dieses Phänomen häufig in der linken Herzhälfte
vorkommt, spricht man vom genannten „Suicide left ventricle syndrome“.
Davor kann man das Herz aber bewahren. Verdickte Herzwände, die auf eine zu starke
Schlagkraft des Herzes hindeuten, kann man nämlich im Ultraschall erkennen. Wird nun
vor und/oder während des Austauschs der Herzklappe ein Medikament, ein sogenannter
Betablocker, verabreicht, wird die Schlagkraft des Herzes gedrosselt. Das verhindert, dass
nach dem Entfernen der engen Klappe das Herz mit übertriebener Pumpleistung
weiterarbeitet und sich damit an den Rand des Abgrunds bringt. Allerdings muss man als
Arzt rechtzeitig an dieses Krankheitsbild denken und präventiv tätig werden – sonst wird
ein unerklärliches Phänomen zu einem lebensbedrohlichen Problem.
Für einen Kardiologen ist schnell klar, dass es sich dabei um Extraschläge außerhalb des
normalen Herzrhythmus (Extrasystolen) oder um das umgangssprachliche Herzrasen
(Tachykardie) handeln muss. Ist die Verdachtsdiagnose auch schnell gestellt, so fangen die
Probleme erst an. Denn bevor eine geeignete Therapie vorgeschlagen werden kann, muss
die Diagnose bestätigt und abgesichert werden. Kommen die Extraschläge häufig vor,
genügt ein Elektrokardiogramm. Sind sie selten, schlägt das Herz also nur ab und zu
außerhalb des Rhythmus, dann wird es schwierig. Solche seltenen Extraschläge meiden
unsere Untersuchungsgeräte nämlich fast so wie der Teufel das Weihwasser. Dann beginnt
die Suche nach dem Phantom, das uns immer wieder zuzurufen scheint: „Fang mich doch,
wenn du kannst.“
Die Medizin mit ihren hochmodernen Geräten kommt uns dabei natürlich zu Hilfe. Der
Patient wird zu James Bond, der Arzt ist „Q“. Unser erster Verbündeter ist das 24-h-EKG,
auch Langzeit-EKG genannt. Dafür kleben wir dem Patienten Elektroden an die Brustwand,
die an ein Aufnahmegerät angeschlossen sind. Auf diese Weise werden alle Herzschläge
innerhalb von 24 Stunden aufgezeichnet. Am nächsten Tag werten wir sie dann aus. Nicht
wenig Arbeit, immerhin sind es über 100.000 Schläge, die zu analysieren sind. Klingt
langweilig, ist es auch. Jedoch nicht immer. Denn in den Stunden, in denen der Patient an
das EKG-Gerät angeschlossen ist, soll er Tagebuch über seine Aktivitäten und über
eventuell auftretende Beschwerden führen. Dies erleichtert die Analyse der
Herzbewegungen und ermöglicht es, eine Verbindung zwischen Symptomen und
Herzrhythmus festzustellen. Meist stehen in den Tagebüchern gewöhnliche Dinge, wie
Kochen, Essen, Nickerchen, Gartenarbeit, Schlafen. So manch ein Patient geht aber gerne
ins Detail und lässt uns fast minutiös an seinem Leben teilhaben. Ich erspare Ihnen lieber
Details, nur so viel: Es gibt Patienten, die beichten in den Protokollen doch tatsächlich, dass
sich ihr Leben nicht nur in den häuslichen vier Wänden und am Arbeitsplatz abspielt. Das
ist die amüsante Seite der EKG-Befundung.
Nicht immer gelingt es aber, mit einer 24-h-Überwachung des Herzrhythmus den
Problemen auf die Spur zu kommen. Dann müssen wir James Bond technisch aufrüsten.
Unter der Brusthaut des Patienten werden sogenannte „Event-Records“ eingesetzt, kaum
größer als ein Streichholz, mit einer Batterie, die bis zu eineinhalb Jahren läuft. Spürt der
Patient die Extraschläge, drückt er einen Knopf auf einer Fernbedienung, und der „Event-
Recorder“ zeichnet die Herzaktivitäten auf. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Patient ein
kleines Gerät bei sich hat, das er bei Herzklopfen oder Herzaussetzern auf die Brust legt.
Dort schaltet es sich ein und zeichnet den Herzrhythmus auf. Meistens ist das Phantom
damit gefangen, die Diagnose gesichert. Allerdings ist noch nicht erklärt, warum manches
Herz Extraschläge von sich gibt.
Lassen Sie mich dafür etwas ausholen: Bereits an anderer Stelle im Buch haben wir
erfahren, dass das Herz einen elektrischen Impuls benötigt, um zu schlagen. Dieser wird
vom Sinusknoten erzeugt und über ein eigenes Leistungssystem schnell und effizient in die
Herzkammer weitergeleitet. Für mich ist das die Autobahn des Herzes.
Der Sinusknoten ist eine Ansammlung von Zellen, die sich oben im rechten Vorhof
befinden. Er ist der große Boss. Er diktiert, wie schnell ein Herz schlagen muss, er ist der
Herr über die Herzfrequenz. Man kann ihn mit einem Orchesterdirigenten vergleichen. Er
gibt den Takt vor, entscheidet, wie schnell oder langsam gespielt wird. Er versucht, alle
Instrumente in Einklang zu bringen, alles harmonisch und rhythmisch ablaufen zu lassen.
Das eine ist ein Genuss für die Ohren, das andere ein Fest für den gesamten Organismus.
Chaos im Orchester
Theoretisch wäre jede Herzmuskelzelle in der Lage, selbst elektrische Impulse zu setzen
und den normalen Herzrhythmus, der vom Sinusknoten vorgegeben wird, zu stören. Die
Herzmuskelzellen tun es aber nicht, weil sie nicht über eine solche Leitungsautobahn
verfügen wie der Sinusknoten. Außerdem ist die elektrische Kraft zu schwach, um gegen
den Impuls des Bosses anzukämpfen.
Was passiert aber, wenn eine oder mehrere der vielen Herzmuskelzellen es trotzdem
schaffen, so stark zu werden, dass sie den Takt des Sinusknotens stören? Auch das
verdeutliche ich am Beispiel des Orchesters: Achtet einer der Musiker nicht mehr auf den
Dirigenten, dann kommt er aus dem Takt. Plötzlich spielt er lauter oder schneller als
vorgesehen. Das ganze Orchester wird unruhig und unrhythmisch. Es droht sogar ein
kompletter Zusammenbruch, wenn sich andere Musiker anstecken lassen.
Ich spreche aus eigener Erfahrung. Ich war nämlich vor vielen Jahren mitbeteiligt am
totalen Zusammenbruch eines Orchesters oder vielmehr der Musikkapelle meines
Heimatortes. Ich spielte zweites Flügelhorn, und ich gebe zu, dass ich nicht zu den
allerbesten Musikanten gehörte. An einem heißen Sommertag spielten wir bei einem großen
Fest zuerst während des Gottesdienstes, und später – etwas zu spät – sollten wir ein Konzert
auf der Bühne geben. Bis dahin vertrieben sich wohl zu viele von uns die Zeit beim
Bierausschank. Die Sonne tat noch ihr Übriges, und unser Auftritt war zum Scheitern
verurteilt. Benommen von Bier und sommerlicher Hitze schenkten wir unserem
Kapellmeister nicht jene Aufmerksamkeit, die er verdient und die ein einwandfreies
Konzert voraussetzt. Kurzum: Bei uns gab es kein „piano“ und kein „forte“, jeder spielte,
wie es ihm gerade gefiel. Das ärgerte unseren Boss, den Kapellmeister, der uns allerdings
nicht mehr unter Kontrolle brachte und schließlich mitten im Spiel den Taktstock zur Seite
legte und vom Pult stieg. Anfangs merkten wir seinen Abgang nicht einmal, wir spielten
munter weiter. Bis den Ersten der fehlende Taktgeber auffiel und sie zögerlich ihr
Musizieren einstellten. Nach und nach taten es ihnen die anderen Musikanten nach. Das
Konzert war ein Desaster, die Blamage für uns perfekt.
Warum ich Ihnen das erzähle? Weil es sich so ähnlich im Herz abspielt, wenn eine oder
mehrere Herzmuskelzellen plötzlich Party machen und den Boss ärgern. Es entstehen die
sogenannten Extraschläge, die sich in den normalen Herzrhythmus einschleichen und ihn
unregelmäßig machen. Das spürt man: mehr Schläge als normal, kräftigere Schläge, die den
Brustkorb kurz durcheinanderwirbeln.
Bis der Boss, der Sinusknoten, wieder Ordnung in die Unruhe bringt und einen
regelmäßigen Rhythmus wiederherstellt, vergeht Zeit, eine kurze Pause entsteht. Diese
Pause wird von den Patienten als „Aussetzer“ wahrgenommen. Viele haben dann Angst, das
Herz könne stehen bleiben, man werde sterben. Nein, so arg ist es nicht. Das ist nur die
Zeit, die vergeht, bis der Boss wieder Ordnung in die Partybude bringt. Geht es dort zu
heftig her, können sich regelrechte Anfälle von Herzrasen entwickeln. Dabei handelt es sich
um eine rasche Abfolge von Extraschlägen, die minuten- oder stundenlang dauern können
und den Patienten sehr belasten. Manchmal ist dieses stundenlange Herzrasen so stark, dass
der Patient das Bewusstsein verliert.
Herunterspielen will ich deshalb die Extraschläge nicht. Auch wenn die Mehrheit davon
wirklich harmlos und ohne Einfluss auf die Lebenserwartung ist. Aber sie gehören
abgeklärt, denn manchmal verbirgt sich hinter den Extraschlägen eine ernst zu nehmende
Herzerkrankung.
AUS DEM TAKT: DAS HERZ IN NOT
Normalerweise arbeiten Vorhöfe und Kammern sehr gut zusammen: Die beiden Vorhöfe
ziehen sich zusammen und pumpen dabei das Blut in die Herzkammern. Während sich die
Vorhöfe wieder entspannen, ziehen sich die Herzkammern zusammen und pumpen das Blut
weiter in den Kreislauf. Beim Vorhofflimmern gerät dieser Ablauf durcheinander. Anstelle
einer regelmäßigen Abfolge von Spannung und Entspannung zittern die Muskelzellen der
Vorhöfe nur schwach und schnell – sie flimmern. Ist das der Fall, schaffen sie es nicht
mehr, sich zu entspannen, Blut aufzunehmen und es durch eine starke Kontraktion in die
Kammer zu pumpen.
Deshalb können sie die Kammern bei ihrer Pumpleistung nicht mehr ausreichend
unterstützen. Betrifft das Flimmern nur die Vorhöfe, können die Herzkammern aber fast
normal weiterarbeiten. Die Vorhöfe sind viel kleiner und muskelschwächer als die
Kammern. Sie tragen bis zu 30 Prozent an der Blutfüllung der Herzkammern bei. Der
Großteil des Füllvolumens der Kammern wird einzig und allein durch die Sogwirkung des
Herzkammerschlages erzeugt. Indem sich die Kammer zusammenzieht (Kontraktionsphase,
Systole) und wieder entspannt (Entspannungsphase, Diastole), wird ein Druckunterschied
aufgebaut. Bei der Kontraktion wird das angesammelte Blutvolumen mit Überdruck in den
Kreislauf ausgeworfen. Bei der Entspannung wird ein Unterdruck erzeugt, der das Blut
ansaugt und die Kammer füllt. Die Arbeit des Herzes ist nichts anderes als eine Abfolge
von Systole und Diastole, der Rhythmus des Lebens. Die Kammer versorgt sich
gewissermaßen selbst mit Blut.
30 Prozent der Kammerfüllung sind zwar nicht viel, aber auch nicht wenig. Menschen mit
Vorhofflimmern fehlt dieser Vorhofanteil. Solange die zu 70 Prozent mit Blut gefüllte
Herzkammer reicht, um den Körper mit Sauer- und Nährstoffen zu versorgen, ist ein ganz
normales Leben möglich. Dann spürt man Vorhofflimmern fast gar nicht. Benötigt der
Körper jedoch mehr als 70 Prozent, etwa bei körperlicher Betätigung oder beim Sport, kann
es zu Sauerstoffengpässen kommen: Der Patient wird kurzatmig, müde, die
Leistungsfähigkeit ist eingeschränkt, die Lebensqualität sinkt. Manchmal macht sich die
Rhythmusstörung durch einen unregelmäßigen, teilweise sehr schnellen Herzschlag bzw.
Puls bemerkbar. Nicht selten kann man dann über 300 arrhythmische Herzschläge pro
Minute zählen.
Vorhofflimmern kann also allemal unangenehm sein und die Lebensqualität einschränken.
Das flimmernde Herz verbraucht nämlich viel mehr Sauerstoff und Energie, gleichzeitig
leistet es viel weniger als ein gesundes Herz. Diese Rhythmusstörung kann aber auch
gefährlich werden. Durch das Flimmern wird das Blut in den Vorhöfen nicht mehr richtig
bewegt. Es kann zu Wirbelbildungen kommen. Das Blut wird darin gefangen und kann
verklumpen. Das passiert häufig an einer bestimmten Stelle im linken Vorhof, wo das Blut
beim Flimmern fast vollständig zum Stillstand kommen kann.
In so einem Fall lohnt es sich auch nicht mehr, das Gefäß chirurgisch zu öffnen. Das wäre
sogar kontraproduktiv. Ist Gewebe wegen eines zu langen Sauerstoffmangels abgestorben,
verliert es seine normale Zellarchitektur und weicht langsam auf. Würde nun wieder Blut in
dieses tote Gewebe fließen, kann es passieren, dass der Druck des Blutes das aufgeweichte
Gewebe nochmals schädigt. Dann könnte das Herz an dieser Stelle reißen. Wir sprechen
von einer Herzwandruptur, die ein Todesurteil wäre. Wie bereits erwähnt, tickt bei
Gefäßverschlüssen die Uhr: Beim Herzinfarkt beträgt die Zeitspanne, in der ein
chirurgisches Öffnen des Gefäßes angebracht ist, weil der Schaden noch nicht
unwiderruflich ist, etwa zwölf Stunden, beim Schlaganfall sind es weniger.
Die Blutgerinnsel können auch in andere Arterien wandern und dort zu Embolien führen.
Das Gefäß wird verschlossen, der Teil des Körpers oder Organs nach dem Verschluss wird
nicht mehr ausreichend mit Sauer- und Nährstoffen versorgt. Auch das muss nach
Möglichkeit verhindert werden. Deshalb nehmen Patienten mit Vorhofflimmern
blutverdünnende Medikamente ein. Sie verhindern, dass sich Blutgerinnsel in den Vorhöfen
bilden, die sich auf gefährliche Wanderschaft begeben können.
Kommen Patienten zur Visite und klagen über einen unregelmäßigen Puls, dann kommen
zu 99 Prozent nur zwei Ursachen infrage: Extraschläge, also Extrasystolen, die wir bereits
kennengelernt haben, oder Vorhofflimmern. Ein einfaches EKG bringt dann die Diagnose.
Sie fragen sich, unter welcher Krankheit das übrig bleibende eine Prozent der Patienten mit
unregelmäßigem Puls leidet? Unter keiner Krankheit, diese Patienten sind „nur“ verliebt.
Das kennt vermutlich jeder: Trifft man auf das Objekt der Begierde, dann geht der Puls
augenblicklich hoch, das Herz pocht wie verrückt, man spürt den Herzschlag bis in den
Hals. Ein herrliches Gefühl – und ganz und gar harmlos.
Die Ursachen des Vorhofflimmerns sind unterschiedlich. Das Alter spielt eine große Rolle.
Je älter, umso größer das Risiko für Vorhofflimmern. Andererseits kann praktisch jede
Herzerkrankung zum Vorhofflimmern führen. Die mir mit Abstand sympathischste Ursache
ist das „honeymoon“-Flimmern: Man heiratet den Partner seiner Träume, feiert ausgiebig
und lang. Irgendwann ist die schönste Party zu Ende, der Mann sammelt seine letzten
Kräfte und trägt die Braut ganz romantisch über die Türschwelle ins Schlafzimmer. Obwohl
total erschöpft und todmüde, steht noch das an, was früher „die Hochzeit muss noch
vollzogen werden“ genannt wurde. Genau dann passiert es. Die Romantik wird durch eine
Episode von Vorhofflimmern jäh unterbrochen. Die Magie ist dahin, und statt die letzten
Reste der Hochzeitstorte aufzuessen, findet man sich im Krankenhaus wieder. Die
Rhythmusstörung wird behandelt – entweder durch Medikamente oder einen Stromschlag,
der das Flimmern unterbrechen und den natürlichen Herzrhythmus wiederherstellen soll.
Nach einem kurzen Schläfchen darf der Patient nach Hause gehen, natürlich mit der
Empfehlung, es besser bei der einen Hochzeit zu belassen.
Lebensbedrohliches Kammerflimmern
Unabhängig von den Vorhöfen können auch die Herzkammern flimmern. Das ist ein
lebensbedrohlicher Notfall. Wenn die Kammern sich nicht mehr ordentlich an- und
entspannen, sondern unkontrolliert und chaotisch zucken, wird zu wenig oder in den
meisten Fällen gar kein Blut mehr in den Kreislauf gepumpt. Im EKG kann man zu diesem
Zeitpunkt erkennen, dass das Herz rast. Weit über 400 Schläge in der Minute sind dann zu
zählen. Wenn man bedenkt, dass sich die maximale Herzfrequenz von Vorhof und Kammer
aus der Formel „200 minus Lebensalter“ errechnen lässt, kann man sich vorstellen, dass das
Flimmern ein ernsthaftes Problem darstellt.
Bei dieser schnellen Herzfrequenz bringen die Kammern keinen Tropfen Blut mehr in den
Körperkreislauf. Dieser bricht zusammen, man wird ohnmächtig. Weil auch das Herz selbst
nicht mehr mit frischem Blut versorgt wird, ist ein Herzstillstand die Folge. Wird dieser
Zustand nicht durch einen Stromschlag (Defibrillation) beendet, wird das Flimmern
lebensbedrohlich. Ein Stromschlag stoppt zunächst die unkontrollierten Erregungen und
Zuckungen im Herz, im Idealfall setzt danach der normale Herzrhythmus wieder ein.
Die häufigste Ursache von Kammerflimmern ist ein plötzlicher Herzinfarkt durch einen
Koronarverschluss. Sie ist die gefürchtetste Komplikation des Herzinfarktes, die ohne
Herzdruckmassage und Defibrillation nicht zu behandeln ist. Schnelle Hilfe durch Laien ist
gerade in diesen Fällen sehr wichtig. Bis ein Notarzt den Patienten erreicht, verstreichen
wertvolle Minuten, selbst wenn er mit dem Rettungshubschrauber kommt. Deshalb rate ich
jedem, einen Erste-Hilfe-Kurs zu besuchen und regelmäßig aufzufrischen. Dort lernt man
das Abc der Herzdruckmassage (siehe hintere Innenklappe des Buches), die Leben retten
kann. Ein plötzlicher Herzstillstand kann im Prinzip jeden treffen, schnelle Hilfe entscheidet
dann über Leben oder Tod. Und: Trauen Sie sich, das Gelernte auch anzuwenden. Das
Schlimmste ist, wenn Sie nichts tun.
Das Herz hat nach wie vor eine sehr gute Anpassungsfähigkeit. Das gilt vor allem bei
körperlichen Belastungen. Ein 60-Jähriger wird einen Marathon zwar noch laufen können,
jedoch nicht mehr so schnell wie mit 20. Die Muskeln machen das nicht mehr mit. Das ist
ganz normal. Weil das Herz ein sehr ökonomisches Organ ist, arbeitet es nicht mehr und
nicht weniger als notwendig: Es versorgt die Muskeln mit dem von diesen benötigten
Sauerstoff. Zwar könnte es noch mehr arbeiten, aber wenn der übrige Körper nicht
mitmacht, wäre das nur verschwendete Energie. Das Herz wird also nicht schwächer,
sondern altert mit dem Menschen mit.
Deshalb können auch ältere Menschen noch ein topfittes Herz haben. Das erlebe ich immer
wieder, wenn ich im Ambulatorium Dienst habe. Ich gebe es gerne zu: Visiten sind nicht so
mein Ding. Ich schneide lieber, arbeite gerne mit Kathetern, Herzschrittmachern und
Bypässen direkt am Herz. Das ist meine Welt. Visiten sind selten spannend, ein
notwendiges Übel.
Eines Tages saß ich deshalb wieder einmal wenig motiviert im Ambulatorium, als zwei
Damen zur Tür hereinkamen. Mutter und Tochter. Die Mutter 92 Jahre alt, ziemlich rüstig
und fidel. Auf den ersten Blick kein Grund ersichtlich, warum sie mich, einen Herzdoktor,
brauchen würde. Die Tochter erzählte mir, dass der Bruder der Mutter, ihr Onkel, gerade an
einem Herzinfarkt gestorben ist, und sie wollte nur wissen, ob das ihrer Mutter auch
passieren könnte.
Als ob ich hellsehen kann, dachte ich noch übel gelaunt. Könnte ich das, würde ich nicht im
Ambulatorium sitzen und Visiten machen, sondern wäre längst an der Börse und würde
Millionen verdienen. Nun gut, nachdem das augenscheinlich nicht so war – an die Arbeit.
Ich bat die Frau, ihren Oberkörper frei zu machen, damit ich sie untersuchen konnte.
Gesagt, getan, nach kurzer Zeit war ich fertig. Ich setzte mich an den Schreibtisch, tippte
meinen Bericht und sagte zur Tochter, ihre Mutti erfreue sich bester Gesundheit. Ob sie
jemals einen Herzinfarkt bekommen werde, sei schwer vorherzusagen, derzeit deute aber
nichts darauf hin. Sie solle also einfach so weiterleben und das Leben genießen. Immerhin
sei sie damit bereits 92 Jahre alt geworden.
Ich war ziemlich zufrieden mit mir und in Gedanken schon bei der nächsten Visite – oder
vielmehr beim nahen Feierabend. Die Tochter der 92-Jährigen aber zögerte, wollte das
Ambulatorium nicht verlassen. Da ist mir meine Freundin – die heute meine Frau ist –
eingefallen, Krankenschwester von Beruf, also durchaus vom Fach, vor allem was das
Zwischenmenschliche angeht. Sie sagte einmal zu mir: „Wenn du das Gefühl hast, dass die
Patienten nicht zufrieden sind, mit dem, was du sagst – was ja an und für sich schon eine
Katastrophe für einen Arzt ist –, dann sag ihnen, dass sie noch drei Fragen stellen können,
egal welche.“ So würde ich den wahren Grund der Visite erfahren. Denn oft haben die
Patienten nicht den Mut, direkt das zu fragen, was ihnen wirklich auf dem Herzen liegt. Ob
sie nach einem Herzinfarkt wieder auf hohe Berge steigen könnten? Ob sie nach einem
Infarkt wieder mit ihrem Partner schlafen könnten? Meistens wird es dann wirklich
interessant, teilweise auch zum Lachen. Dann machen auch mir die Visiten Spaß.
Ich zog also meinen „Notfallplan“ aus der Tasche und sagte zu der älteren Dame, dass sie
mir noch drei Fragen stellen könne. Sie überlegte kurz und fragte schließlich tatsächlich, ob
ich verheiratet sei. Ich gebe es zu: Ich war überrascht, spürte, wie ich errötete. Ich
antwortete ihr, dass ich in festen Händen sei und die Hochzeit noch bevorstehe. Nächste
Frage? Es kam noch besser. Die 92-Jährige fragte mich nämlich allen Ernstes, ob ich sie
heiraten würde, und lachte dabei herzhaft. Jetzt antwortete ich nicht mehr, sondern wies die
beiden Damen mit gespieltem Ernst aus dem Ambulatorium. Alle drei mussten wir lachen.
Ich war fasziniert. Diese Frau war mit ihren 92 Jahren noch so fit und munter, dass sie noch
mit einem jungen Arzt flirtete und ihm sogar einen Heiratsantrag machte. Von
Herzproblemen oder Herzschwäche keine Spur.
Wird Sport betrieben, brauchen die Bewegungsmuskeln mehr Energie. Mehr Energie
bedeutet auch mehr Sauerstoff, die das Herz mit dem Blut liefert. Besteht ein
Ungleichgewicht zwischen Sauerstoffbedarf (Muskelarbeit) und Sauerstoffangebot
(Herzarbeit) ist das Herz insuffizient, zu schwach. Daraus ergeben sich sehr viele Probleme.
Ein Patient mit einer Herzschwäche klagt über einen Leistungseinbruch und Kurzatmigkeit.
Im Grunde können Sie sich das so vorstellen, als würden Sie versuchen, auf 3000 Meter
Meereshöhe eine Strecke von 100 Metern zu laufen. Versuchen Sie es. Sie werden sehen,
dass Sie schnell aus der Puste kommen, da Ihnen auf 3000 Meter Höhe der Sauerstoff fehlt,
den Sie bräuchten. Ein Herzinsuffizienzpatient lebt praktisch immer wie auf 3000 Meter
Meereshöhe: egal, ob er zu Hause Treppen steigt, einkaufen oder spazieren geht. Der
Sauerstoff wäre zwar vorhanden, erreicht aber nicht die Organe, weil das Herz an
Pumpkraft verloren hat. Es kann den notwendigen Sauerstoff nicht anliefern.
Je geschädigter das Herz ist, desto schwergradiger ist die Herzinsuffizienz. Bildlich
gesprochen gibt es Patienten, die auf 3000, 4000 oder auf 5000 Meter Meereshöhe leben
müssen. Manchmal ist die Herzinsuffizienz so ausgeprägt, dass bereits die geringste
Anstrengung zur Qual wird.
Eine Herzinsuffizienz droht auch, wenn ein nicht behandelter Bluthochdruck das Herz
dauerhaft zwingt, gegen einen höheren Widerstand zu pumpen. Diese Mehranstrengung
kann es lange kompensieren, irgendwann aber fängt es an zu schwächeln, und die
Pumpleistung lässt nach.
Auch eine Herzmuskelentzündung kann das Herz schnell und nachhaltig schädigen. Erholt
sich das Herz nicht, droht ein Leben wie auf 3000 Metern oder mehr. Eine
Herzmuskelentzündung ist im Prinzip wie eine Grippe. Dabei greifen die Viren in erster
Linie die Atemwege an: Husten und Fieber sind die Folge. Diese Viren können jedoch auch
auf das Herz übergreifen und zur „Herzgrippe“ führen. Meistens heilt diese ohne
Beschwerden oder Folgen aus, selten, aber doch kann die Herzgrippe eine bleibende
Schädigung hinterlassen, Herzinsuffizienz droht. Eine Grippe sollte deshalb niemals
unterschätzt werden.
Kranke Herzklappen
Das Blut fließt, weil das Herz es mit jedem Schlag in Bewegung hält. Die Fließrichtung ist
dabei immer die gleiche: vom Herz weg hinein in den Körperkreislauf oder in den
Lungenkreislauf. Damit das Blut immer nur in diese Richtung und nicht zurück ins Herz
fließt, gibt es die Herzklappen, die Ventile des Herzes. Das Herz hat davon vier Stück –
zwei in der rechten Herzhälfte, zwei in der linken. Sie verbinden jeweils Vorhof und
Kammer sowie Kammer und Lungenstamm (rechte Herzhälfte) und Kammer und Aorta
(linke Herzhälfte).
Auch die Herzklappen können entweder von Geburt an defekt sein oder mit der Zeit
erkranken, beispielsweise durch eine Verkalkung. Sie funktionieren dann nicht mehr
einwandfrei. Es gibt zwei Fehlfunktionen: die Klappeninsuffizienz und die Klappenstenose.
Bei der Insuffizienz ist die Herzklappe nicht etwa „zu schwach“, sondern sie schließt nicht
richtig und lässt Blut in die Kammer oder den Vorhof zurückfließen. Bei einer Stenose ist
die Stelle, an der sich die Klappe befindet, verengt. Dadurch kann nur eine verminderte
Menge Blut durch sie hindurchfließen.
In beiden Fällen muss der Herzmuskel mehr arbeiten. Bei der Klappeninsuffizienz fließt ein
Teil des Blutes wieder zurück in Kammer und Vorhof und belastet zusätzlich das Herz, das
bereits wieder mit neuem Blut gefüllt wird. Bei der Verengung muss es mehr Kraft
aufwenden, um genügend Blut durch die Verengung in Lungenstamm und Aorta zu pressen.
Das Herz kann diese Fehlfunktionen lange Zeit kompensieren. Tut es das nicht mehr, droht
eine Herzschwäche, wie wir sie gerade kennengelernt haben: Der Körper wird nicht mehr
ausreichend mit Sauer- und Nährstoffen versorgt. Es fühlt sich an, wie Leben auf 3000 oder
4000 Meter Höhe.
Schränken die Beschwerden den Betroffenen in seiner Lebensqualität zu sehr ein, müssen
die betroffenen Herzklappen ausgetauscht, also ersetzt werden. Das ist eine Operation, bei
der normalerweise der Brustkorb geöffnet werden muss, um die kranke oder defekte
Herzklappe durch eine funktionstüchtige, künstliche Klappe zu ersetzen. Bei einer
Aortenklappenstenose kann bereits seit einigen Jahren auf das Öffnen des Brustkorbes
verzichtet werden. Die neue Klappe kann in diesem Fall über die Leistenarterie eingeführt
und mithilfe eines Ballons an die Stelle der „kranken“ Klappe gebracht werden, wo sie sich
entfaltet. Die Technik ist ähnlich einer Stent-Implantation, die wir bereits kennengelernt
haben. Nur hat ein Stent einen Durchmesser von zwei bis fünf Millimetern, die Herzklappe
immerhin von zwei, bis drei Zentimetern. Trotzdem ist das eine schonendere Methode als
das Öffnen des Brustkorbes. Allerdings ist auch nicht jeder Patient dafür geeignet.
DIE SUCHE NACH HERZENSGLÜCK
Hurra, endlich wieder ein Kongress! Ja, Sie haben richtig gelesen. Was für viele nach
staubtrockener Zeitverschwendung klingt, lässt mein Herz höherschlagen. Ich liebe
Kongresse. Nicht nur, weil man dafür in die schönsten Städte reisen darf, alles umsonst
bekommt und noch reichlich beschenkt wird: Kugelschreiber, Taschen, Schlüsselanhänger
oder quadratische Wundpflaster, die auch US-Elitetruppen im Irakkrieg verwendet haben.
In erster Linie sind solche Kongresse eine große Spielwiese für Ärzte wie mich, die gerne
am offenen Herz arbeiten. Vor allem, wenn es sich um den Euro-PCI handelt, den
wichtigsten europäischen Kongress für interventionelle Kardiologie, der jedes Jahr in Paris
stattfindet. In unzähligen Kursen und Vorträgen geben Fachleute Tipps und erklären Tricks,
wie Eingriffe am Herz noch besser, effektiver und schonender für den Patienten
durchgeführt werden können. Man hat die Qual der Wahl. Auch abends. Da wird man dann,
wenn man sich nicht allzu ungeschickt anstellt, von Pharmafirmen zu noblen Essen
eingeladen.
Ich war also wieder mal in Paris und saß am Abend mit Kollegen aus Deutschland beim
Abendessen. Da erzählte ein Kollege ein Erlebnis, das er sogar in der wichtigsten
Fachzeitschrift für interventionelle Kardiologie veröffentlicht hat. Bei einem Kongress
wollte er eine Veranstaltung mit dem Titel „Die neuen europäischen Richtlinien zur
kardiovaskulären Prävention“ besuchen. Er war spät dran und sprintete zum größten Saal im
Kongresszentrum, um noch einen Platz zu bekommen. Eine Veranstaltung wie diese war
sicherlich überlaufen. Er öffnete zaghaft die Tür – und erschrak. Hatte er sich in der Zeit
geirrt? In der Tür? Im Saal, der locker einigen Hundert Personen Platz bot, saßen gerade
einmal 20 Ärzte. 20! Bei einem Vortrag über Prävention. Er machte ein Foto, schrieb einen
Beitrag und schickte ihn an die Fachzeitschrift, die ihn mit dem Titel „Eine Schande“
abdruckte.
Es ist in der Tat eine Schande. Beim selben Kongress platzten die Säle, in denen über die
neuesten Techniken in der Herzchirurgie diskutiert wurde, aus allen Nähten, und zu einem
Vortrag über die Vorsorge finden nur 20 Ärzte den Weg! Wir öffnen verschlossene
Herzkranzgefäße, setzen Stents, implantieren Herzschrittmacher und Defibrillatoren.
Wichtige Eingriffe, keine Frage. Aber ebenso wichtig wäre es, sich mit den Risikofaktoren
zu befassen, die zu einer Herzerkrankung führen oder bei einem Patienten dazu geführt
haben. Hat man sie erkannt, muss man den Patienten damit konfrontieren, es muss unser
Ziel sein, einen Lebensstilwechsel zu bewirken, damit sich Herzinfarkt und Co. nicht mehr
wiederholen. Oder am besten erst gar nicht auftreten. Das ist Prävention. So wie es der
lateinische Wortursprung „prevenire“, „Bevor es kommt“ sagt. Oder in der Medizin auch:
damit es nicht wiederkommt. Vorsorge und Vorbeugung also.
Und was tun wir oder zumindest die meisten von uns? Wir meinen, unsere Arbeit endet in
dem Moment, in dem wir einen Stent ins Koronargefäß geschoben haben oder sobald ein
Herzschrittmacher die ersten Impulse setzt. Ja, es ist eine Schande. Da musste ich meinem
Kollegen recht geben.
Im Grunde besteht unsere Arbeit nämlich aus zwei Teilen. Zum einen ist es die Feststellung
der Krankheit und deren Behandlung. Beim Patienten mit dem Herzinfarkt ist es die
Arteriosklerose, die der lebensbedrohlichen Gefäßverengung oder dem Gefäßverschluss
zugrunde liegt. Wir beseitigen Engstellen und öffnen Gefäße in den meisten Fällen
problemlos.
Dann aber beginnt der zweite Teil der Behandlung: nämlich dafür Sorge zu tragen, dass der
Patient keinen zweiten Herzinfarkt bekommt. Darum kümmern sich in der Kardiologie-
Abteilung hauptsächlich das Krankenpflegepersonal und die Psychologen. Nach dem
Krankenhausaufenthalt wird den Patienten eine kardiovaskuläre Rehabilitation nahegelegt.
In eigenen Einrichtungen wird das Herz trainiert, damit es wieder fit wird für den normalen
Alltag. Hier wird auch an einer Änderung des Lebensstils gearbeitet. Er ist, wie wir gehört
haben, meistens Schuld an dem lebensbedrohlichen Ereignis. Es wird also einiges
unternommen, um die Patienten nach einem Herzinfarkt von einem gesünderen Lebensstil
zu überzeugen. Trotzdem gelingt es oft nicht.
Wenn es schon so schwierig ist, Patienten nach einem Herzinfarkt zu einem gesünderen
Lebensstil zu bewegen, dann kann man sich vorstellen, wie herausfordernd es ist, Menschen
mit Risikofaktoren – aber noch ohne Herzinfarkt – zu überzeugen.
Mittlerweile habe ich erkannt, dass das der wichtigste Teil meiner Arbeit ist. Und der
schwierigste. Ein Herzkranzgefäß zu öffnen oder einen Schrittmacher einzusetzen, ist im
Vergleich dazu ziemlich einfach.
Ich möchte eine Starthilfe geben. Ich kann im besten Fall das Feuer entfachen. Die
Flammen nicht erlöschen lassen, das muss der Patient selbst. Natürlich muss man zuerst
selbst überzeugt sein. Wie sagte schon Augustinus? „In dir muss brennen, was du bei
anderen entzünden willst.“ Und das tut es. Seit dem Kongress damals in Paris ist einige Zeit
vergangen, ich bin auch klüger geworden.
Überzeugt hat mich vor allem ein wunderbarer Satz des römischen Dichters Juvenal: „Mens
sana in corpore sano“ („Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“). Diese Aussage ist
für mich nicht nur die Quintessenz der Prävention, sondern auch eine kardiologische
Anleitung zum Glücklichsein.
Geist und Körper sind untrennbar miteinander verbunden. Wenn der Geist fit und der
Körper gesund sind, ist das ein großes Glück, die Voraussetzung für ein glückliches Leben.
Wie wichtig der Geist, die Psyche für den Körper und seine Gesundheit ist, das erfahren wir
immer wieder. Ein sehr schönes Beispiel hat mir ein Kollege erzählt – bei einem dieser
vielen Kongresse, zu denen ich so gerne fahre. Eine hübsche junge Frau war bei ihm in
Behandlung. Sie litt unter lebensgefährlichen Herzrhythmusstörungen: „Ventrikuläre
Tachykardien“ lautete die Diagnose. Das ist ein kardiologischer Notfall. Das Herz schlägt
immer wieder wahnsinnig schnell und unkoordiniert, gut und gerne 250- bis 300-mal pro
Minute. Sie erinnern sich: Normal sind etwa 70 Herzschläge pro Minute. Rast das Herz
derart, ist es nicht mehr in der Lage, das Blut effizient in die Adern zu pumpen. Der
Blutdruck kann zusammenbrechen, das Gehirn wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt, und
man verliert innerhalb von Sekunden das Bewusstsein. Wird die ventrikuläre Tachykardie
nicht sofort unterbrochen, etwa durch einen Stromschlag mit dem Defibrillator, droht sogar
der Tod. Wer unter diesen Rhythmusstörungen leidet, lebt ständig in der Sorge vor solchen
Anfällen und in der Angst, jederzeit sterben zu können. Diese junge Patientin hatte häufig
solches Herzrasen, ständig wurde sie vom Notarzt ins Krankenhaus gebracht und stationär
aufgenommen. Sie war dem Tod oft näher als dem Leben.
Mein Kollege und sein Team versuchten alles, um die Patientin anfallsfrei zu bekommen.
Alle Therapiemöglichkeiten wurden ausgeschöpft, starke Medikamente verschrieben, die
Stellen im Herz, wo die Rhythmusstörung ihren Ursprung hatte, verödet, Herzschrittmacher
und Defibrillatoren implantiert, die im Notfall den lebensrettenden Stromschlag geben
konnten. Doch das Ergebnis war leider nicht zufriedenstellend. Nicht für die Ärzte und
schon gar nicht für die junge Frau. Sie litt zunehmend mehr unter der belastenden Situation.
Sie wurde depressiv und magerte stark ab.
Auf einmal kam sie nicht mehr zu den Kontrollvisiten ins Krankenhaus, wurde auch nicht
als Notfall eingeliefert. „Was ist passiert?“, fragte sich mein Kollege. Kam die Hilfe
womöglich einmal zu spät? War die junge Frau gestorben?
Medizinisch kann man sich das nicht erklären, doch die Glückshormone scheinen in diesem
Fall eine heilende Wirkung ausgeübt zu haben. Viel erfolgreicher, als es jedes Medikament
und jeder Eingriff vermochten. Geht es dem Geist gut, geht es auch dem Körper gut. Diese
junge Frau ist ein eindeutiges Beispiel dafür, dass man alles schaffen kann, wenn man
glücklich ist oder wird. Das ist der Schlüssel, der viele Türen öffnet.
Deshalb ist es wichtig, dass wir eine Veränderung unseres Lebensstils wirklich wollen, dass
wir ein neues Leben mit Liebe, Freude und Begeisterung leben. Denn das ist die Grundlage
dafür, dass eine Veränderung dauerhaft bestehen bleibt und unser Leben wirklich
verbessert. Haufenweise Glücksgefühle gehen damit einher.
Meine Patienten fragen mich immer wieder, wie sie ihre Art zu leben verändern können.
Einmal saß ein Mann vor mir: übergewichtig, Sportverweigerer, Fast-Food-Liebhaber,
starker Raucher. Er hat Blutproben gemacht und den Blutdruck überwacht, da er so
ziemlich alles vereint, was wir im Lehrbuch als Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-
Erkrankungen stehen haben. Sein Hausarzt ist gut, er hat ihm ein kardiovaskuläres
Risikoprofil erstellt. Das bestätigt es: Die Cholesterinwerte sind zu hoch, die
Blutzuckerwerte über der Norm, viel zu hoher Blutdruck. Der Patient weiß selbst, was das
bedeutet. Man sieht es ihm förmlich an, die Stimmung ist schlecht.
Ich kann ihn nicht schonen und schon gar nicht erheitern: Er ist auf dem besten Weg,
ernsthaft zu erkranken, wenn er es nicht bereits ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass er längst
verkalkte Koronararterien hat, ist extrem groß. Allerhöchste Zeit also, seinen Lebensstil zu
ändern. Doch ist er dazu bereit? Falls nicht, helfen nur mehr Medikamente, eine gute
Versicherung und das Schicksal. Ist er bereit, dann will ich ihm gerne eine Starthilfe geben.
Danach liegt es allerdings an ihm, ob er dabei glücklich ist oder wird. Nur dann wird es
auch gelingen.
Nur wenn man sich für eine Idee begeistern kann, kann man auch glücklich werden. Und ist
man das erst einmal, dann wird man sicher nicht mehr darauf verzichten wollen. Glücklich
sein macht süchtig. Man will diese Gefühle immer wieder erleben. Nur so ist die
Veränderung dauerhaft, nur so kann es funktionieren. Wird man nicht glücklich, ist eine
Lebensstiländerung zum Scheitern verurteilt.
Das Hirn ist glücklich, wenn es denkt, die Lunge, wenn sie atmet, die Nieren, wenn sie das
Blut filtern, und die Leber, wenn sie den Stoffwechsel am Laufen hält. Das Herz ist ein
Muskel, nicht mehr und nicht weniger. Seine Aufgabe ist es, das Blut in Bewegung zu
halten. Es ist glücklich, wenn es wie ein kleines Kind spielen, sich bewegen und austoben
kann. Das Herz liebt es, die ganze Bandbreite seiner Pumpleistung auszuschöpfen.
Neugierig wie ein Kind will es seine Möglichkeiten ausloten, Grenzen überwinden, um
noch effizienter und besser zu arbeiten. Es will an Aufgaben mitwachsen, trainieren, seine
Leistung optimieren. Gönnen wir unserem Herz dieses Glück und schenken ihm eine
geeignete Spielwiese.
Mit dem hatte auch ein Patient von mir zu kämpfen. 140 Kilogramm schwer stand er vor
mir, extrem übergewichtig, Anzug, schwarze Krawatte, einen Aktenordner mit den
Ergebnissen von zig Untersuchungen bei sich und ein Anliegen: Er will abnehmen, aber er
schafft es einfach nicht.
Ob er es denn schon beim Diätzentrum probiert habe. Hat er. Dort riet man ihm zur
Magenverkleinerung. Zuvor müsse er jedoch beweisen, dass er motiviert sei abzunehmen.
Aber das schaffe er einfach nicht. Und gemeinsam mit seiner Frau oder Freundin? Er sei
geschieden, habe auch keine Freunde, weil er immer arbeite. Manchmal ist guter Rat
wirklich teuer. Ich wollte wissen, wie ich ihm helfen könnte. Den Zauberstab habe ich
schließlich auch nicht. Und was sagt er zu mir? Ich solle jeden Tag in der Früh zu ihm
kommen und ihm einen Tritt in den Allerwertesten geben. Denn nur so schaffe er es auch!
Es war ein Hilferuf. Der Mann tat mir leid. Er arbeitete viel zu viel, sein Privatleben war ein
Scherbenhaufen, vielleicht wegen der Arbeit, vielleicht war die Arbeit sein Zufluchtsort.
Dass er motiviert war, bewies der Aktenordner, der nach jedem Arztbesuch ein bisschen
dicker wurde. Er musste nur den inneren Schweinehund überwinden. Ich konnte natürlich
nicht jeden Tag zu ihm nach Hause kommen und ihn in Schwung treten. Mein Chef und vor
allem meine Frau hätten das vermutlich nicht so lustig gefunden. Dennoch wollte ich ihm
eine Starthilfe geben. Ich setzte bei der Arbeit an. Jeden Tag eine Stunde weniger arbeiten,
morgens oder abends. Oder am besten morgens und abends. Und diese Zeit konsequent
nutzen: Sport und gesundes Essen. Kleine Schritte setzen, aber konsequent – das ist die
einzige „Zauberformel“, die ich kenne. Ich versuchte, ihn zu motivieren: jeden Tag
durchziehen, nie aufgeben, keinen Millimeter nachgeben, sich vom Diätzentrum helfen
lassen oder eine Diät finden, die Spaß macht. Ich redete lange mit ihm, dann ging er. Ich
wünschte, ich könnte hier von einem Happy End berichten. Ich sah den Mann nie wieder.
Gern wüsste ich, ob er es geschafft hat, seinen inneren Schweinehund zu überwinden. Ich
hoffe es.
Den inneren Schweinehund werden auch Sie manches Mal überwinden müssen, wenn Sie
Ihrem Herzen eine Spielwiese geben wollen, wo es sich austoben kann. Überwinden Sie
sich, werfen Sie sich abends nicht auf die Couch und schalten den Fernseher an, sondern
nehmen Sie Ihren Partner, Ihre Kinder oder einen Freund und gehen Sie spazieren. Tun Sie
das jeden Abend oder anfangs zumindest jeden zweiten Abend. Steigern Sie sich: Gehen
Sie weiter, gehen Sie öfter, gehen Sie schneller, joggen Sie! Und küssen Sie! Gerne und
häufig und durchaus innig und lang. Bei einem Kuss werden über 60 Muskeln bewegt – und
das Herz ist, Sie wissen es, auch ein Muskel.
Ein gesundes Leben bedeutet nicht Verzicht, Entbehrung und Kampf, auch wenn es sich am
Anfang vielleicht so anfühlt. Prävention ist ein Mehrgewinn an Lebensqualität, an Glück.
Lassen Sie sich Zeit mit dem Lebensstilwechsel. Er muss in kleinen Schritten vor sich
gehen, nicht radikal und schnell. Der Weg muss aber konsequent und kompromisslos
gegangen werden. Dann greift der Mechanismus der kleinen Schritte. Sie werden
irgendwann merken, dass Sie die gleiche Wandertour in weniger Zeit bewältigen als vorher,
wieder Ihren Lieblingsberg aus der Jugendzeit erklimmen können. Sport ist wie eine
Massage für das Herz, trainieren Sie es! Sie werden merken, dass sich Blutdruckwerte und
Blutzuckerspiegel normalisieren. Sie schauen dann nicht mehr fern, sondern erfreuen sich
an der Natur. Irgendwann ist auch die letzte Zigarette tatsächlich geraucht, der
Glimmstängel erloschen. Das sieht man Ihnen dann auch an. Weil Sie ausgeglichen und
glücklich wirken, nicht mehr müde und außer Form.
Wenn Sie das Gefühl haben, es trotz aller Bemühungen nicht zu schaffen, sich allein und
hilflos fühlen, beim Arzt nicht die Hilfe bekommen, die Sie sich erhoffen, lassen Sie nicht
den Kopf hängen. Suchen Sie Freunde und Gleichgesinnte, mit denen Sie etwas
unternehmen können und mit denen Sie am gemeinsamen Ziel arbeiten. Finden Sie keine,
dann suchen Sie sich eine Herzsportgruppe. Hier finden Sie Unterstützung und neue
Weggefährten. Es lohnt sich!
Sich anmelden und mitmachen kann im Prinzip jeder. Es werden nicht nur Menschen mit
Herzerkrankungen angesprochen; nein, jeder, der sein Herz glücklich machen und seinen
ungesunden Lebensstil ändern möchte, ist willkommen. Teil einer Gruppe zu sein, die das
gleiche Ziel verfolgt und die gleichen Ängste, Sorgen und Hoffnungen teilt, hat viele
Vorteile. In der Gruppe ist man dabei, fühlt sich aufgehoben, kann sich austauschen. Man
motiviert sich gegenseitig und zieht den anderen mit. Dabei ist der gemeinsame Sport
ebenso wichtig wie der psychologische und der soziale Aspekt.
Er erlitt zwei Rückfälle, mehrere Stents mussten gesetzt werden. Aber er überstand alles
problemlos, fiel in kein depressives Loch mehr, denn er hatte die Herzsportgruppe. Er hatte
sie ins Herz geschlossen. Sie war seine Rettungsinsel in schwierigen Zeiten. Die
Herzsportgruppe war für ihn die beste Medizin.
Deshalb: Auch nach einem Herzinfarkt geht das Leben weiter. Es ist eine Chance, sein
Leben zu ändern. Jeder entscheidet selbst, ob zum Guten oder zum Schlechten. Jeder muss
es selbst schaffen – tief im Herzen liegen bei jedem die Motivation, der Wille und die
Ausdauer, trotz Krankheit glücklich(er) zu werden.
Ich erzähle Ihnen noch eine Geschichte eines Patienten. Mit knapp 60 Jahren hatte er einen
Herzinfarkt. Er war leicht übergewichtig, gestresst und hatte eine familiäre Veranlagung für
Arteriosklerose. Die Beschwerden wurden anfangs nicht korrekt eingeordnet, und es
verging wertvolle Zeit, bis er ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Das Herzkranzgefäß
konnte zwar wieder geöffnet werden, aber der Schaden war bereits angerichtet. Ein Drittel
des Herzes war abgestorben. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich der neuen Situation
anzupassen und seinen Lebensstil zu ändern. Er ging in Frühpension, baute Stress ab,
ernährte sich gewissenhaft, tat das, was ihm Freude machte, bergwandern und fotografieren.
Er machte mit seiner Frau immer wieder Reisen in der ganzen Welt. In diesen Jahren nach
dem Herzinfarkt erlebten seine Kinder ihn als einen sehr glücklichen und ausgeglichenen
Menschen. Er war ein Beispiel dafür, wie die Prävention ein Streben nach mehr
Lebensqualität und letztendlich nach mehr Glück ist.
15 Jahre nach dem ersten Herzinfarkt hatte er leider einen Rückfall. Wir leben nicht in einer
perfekten programmierbaren Welt. Auch wenn ein gesunder Lebensstil gepflegt wird, ist
das noch keine 100-prozentige Garantie, dass man keinen Herzinfarkt mehr erleidet. Die
Gefahr, einen zweiten Herzinfarkt zu bekommen, besteht leider. Durch Prävention und
einen gesunden Lebensstil kann das Risiko gesenkt werden, ganz ausschalten kann man es
aber nicht.
Besagter Patient erlitt den zweiten Herzinfarkt nachts und verstarb noch im Ehebett, bevor
der Notarzt kam. Bei seiner Beerdigung bedauerten viele, dass er so schnell habe sterben
müssen, wo er doch so fit und glücklich gewesen sei. Sein Sohn bestätigte das, sagte aber
auch, dass er schon beim ersten Herzinfarkt hätte sterben können. Ihm seien noch 15 Jahre
geschenkt worden, in denen er sehr viel fröhlicher und ausgeglichener gewesen sei als all
die Jahre davor. Sein Vater habe immer gesagt, der Herzinfarkt sei das Beste gewesen, das
ihm habe passieren können. Er habe ihn gezwungen, sein Leben zu ändern. Deshalb war er
als glücklicher Mensch gestorben.
Dieser Mann war mein Vater. Und ich sowie meine Kollegen in der Herz-Abteilung werden
nie müde werden, den Leuten zu helfen, ihr Herz zu pflegen und sie zu einem
herzgesünderen Leben zu motivieren.
DIE HERZSPORTGRUPPEN DER
SÜDTIROLER HERZSTIFTUNG
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind nach wie vor die Haupttodesursache in unserem Land
und für 35,8 Prozent aller Todesfälle verantwortlich (32,5 % bei Männern und 38,8 % bei
Frauen). Insbesondere sind nach den ISTAT-Daten von 2017 ischämische
Herzerkrankungen für 10,4 Prozent aller Todesfälle verantwortlich (11,3 % bei Männern
und 9,6 % bei Frauen), während zerebrovaskuläre Unfälle für 9,2 Prozent verantwortlich
sind (7,6 % bei Männern und 10,7 % bei Frauen).
2007 beschloss eine Gruppe von Fachleuten und Betroffenen, den Verein „Südtiroler
Herzstiftung“ zu gründen. Dessen Tätigkeit zielt in erster Linie auf die Förderung von
selbstverantwortlichen Aktivitäten der betroffenen Personen zur Verbesserung der eigenen
Lebensqualität nach Akutfall und entsprechendem ärztlichen Eingriff sowie der postakuten
Rehabilitation. Der zweite Vereinsauftrag heißt Information und Aufklärung über
Risikofaktoren und Lebensstile, die eine Herz-Kreislauf-Erkrankung fördern oder
entsprechend vermeiden. Seitdem hat die Südtiroler Herzstiftung ständig an Bedeutung
gewonnen. 50 freiwillige und ehrenamtliche Mitarbeiter und 100 Ärztinnen und Ärzte
organisieren und begleiten die Herzsporttätigkeit zur Verbesserung der Herzgesundheit und
zur Reduzierung der Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall.
Die südtirolweit organisierten Herzsportgruppen setzen sich aus Patientinnen und Patienten
mit chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammen. Nach vorhergehender ärztlicher
Verordnung treffen sich die Teilnehmer regelmäßig nahe am Wohnort mindestens einmal
wöchentlich unter Aufsicht von Ärztinnen und Ärzten und unter Betreuung von
qualifizierten und eigens ausgebildeten Physio- und Sporttherapeutinnen und -therapeuten.
In Einzel- und Gruppengesprächen wird über die Krankheit informiert und es werden
Verhaltensmaßnahmen nahegelegt, die der Genesung dienen und die Gesundheit fördern.
Wichtigster Aspekt jedoch ist das Üben und Trainieren des Körpers durch Gymnastik,
Ausdauerbeanspruchung, Entspannungstechniken, Kräftigungsmaßnahmen und Spielen.
Durch die fachkompetente Anleitung gewinnen die Teilnehmer Selbstsicherheit und
Selbstvertrauen und können das erlernte Wissen und die gewonnene Erfahrung eigenständig
und eigenverantwortlich im Alltag, Beruf und Freizeit konsequent umsetzen – ein
lohnendes Ziel!
B
Belastungs-EKG →, →
Belastungsprobe →, →, →, →
Blut →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →–→, →, →, →, →, →, →, →, →, →–→, →, →, →, →, →, →–→, →– →,
→, →, →–→, →–→, →, →
Blutdruck →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →
Blutfett →, →, →–→, →
Blutgefäß →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →
Blutgerinnsel →, →, →
Bluthochdruck →, →, →, →–→, →, →, →, →
Blutkörperchen →, →–→, →, →
Blutkreislauf →, →, →
Blutplasma →, →, →, →
Blutplättchen →, →, →
Blutzucker →, →/→
C
Cholesterin →
D
Defibrillation →, →
Diabetes →, →, →, →
Diastole →–→, →
Diät →, →, →
Druckgefühl →, →, →, →, →, →
Dysfunktion →, →
E
EKG →, →, →, →, →, →, →, →
Elektrokardiogramm →, →, →, →
Engegefühl →, →
Ergometrie →
Ernährung →, →, →, →, →, →
Erythrozyten →
Extrasystolen →, →, →, →
F
Fitness →
Framingham-Studie →, →
G
Gasaustausch →
gebrochenes Herz →–→
Gefäßverengung →–→, →
Gefäßverschluss →, →–→, →, →, →, →, →, →
Glück →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →
H
Haargefäße →, →
Halsschlagader →
Hand-Finger-Test →
Hauptschlagader →, →–→, →, →, →, →, →, →, →
Herzdruckmassage →
Herzfrequenz →, →, →, →, →, →– →, →, →, →, →, →
Herzinfarkt →–→, →, →–→, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →–→, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →,
→, →, →, →, →, →
Herzinsuffizienz →, →–→
Herzkammer →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →
Herzkatheter-Untersuchung →
Herzklappe →, →, →, →, →, →, →–→
Herzkranzgefäße →, →–→, →–→, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →
Herz-Kreislauf-Erkrankungen →, →, →, →, →, →, →, →
Herzmuskelzellen →, →, →, →, →, →, →, →, →
Herzmuskulatur →, →
Herzrasen →–→, →
Herzrhythmusstörung →, →, →, →, →, →
Herzschlag →, →, →, →, →–→, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →
Herzschmerz →, →, →
Herzschrittmacher →, →, →, →, →
Herzschwäche →, →, →–→
Herzsportgruppe →, →–→
Herzstillstand →, →, →
Herzzeitvolumen →
Herzzellen →, →
Hohlmuskel →, →, →
Hohlvene →, →
Hormone →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →
Hypertrophie →
K
Kalkablagerung →, →, →, →
Kammerflimmern →, →/→
Kapillaren →, →, →
kardiovaskuläre Prävention →, →, →, →
Kontrastmittel →, →, →, →, →
Koronarangiografie →, →–→, →, →, →, →, →
Koronararterie →, →, →, →, →
Koronarien →
Koronarintervention →
Koronarverschluss →
Körperkreislauf →, →, →, →, →, →, →
Körperschlagader →
L
Lebensqualität →, →, →, →, →, →, →
Lebensstil →, →, →, →–→, →, →, →, →–→
Leukozyten →
linke Herzkammer →, →, →, →, →, →
linker Vorhof →, →
Lungenarterie →, →, →
Lungenbläschen →
Lungenflügel →
Lungenkreislauf →–→, →, →
M
Maximalpuls →–→, →
metabolisches Syndrom →–→
Mikrotrauma →
Mitralklappe →
myokardiale Ischämie →
N
Nervus sympathicus →–→
Nervus vagus →, →–→, →, →
Notfall →, →, →, →
Notrufnummer →, →
O
obere Hohlvene →, →
Östrogene →
P
PCI →
perkutane Koronarintervention →
Plaque →, →, →, →
Pulmonalklappe →
Puls →, →–→, →–→, →, →, →, →
Puls messen →
Pulsuhr →
R
Rauchen →, →, →, →, →–→, →, →
rechte Herzkammer →, →, →
rechter Vorhof →, →, →, →
Rhythmus →, →, →, →
Risikofaktoren →, →, →, →, →–→, →, →, →, →, →, →
rote Blutkörperchen →, →–→, →, →
Ruhepuls →, →, →, →
S
Schlagader →, →, →, →, →, →, →, →, →
Schlaganfall →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →, →
Schmerzen →, →, →, →
Segelklappen →, →, →
Sinusknoten →–→, →, →, →
Sport →, →, →, →, →, →–→, →, →, →–→
Stent →, →, →, →, →
Stress →, →, →, →, →/→, →
Südtiroler Herzstiftung →, →–→
Symptome Herzinfarkt →, →, →, →, →
Synkope →, →
Systole →, →, →, →
T
Tachykardie →, →, →
Tako-Tsubo →
Taschenklappen →, →, →
Thromben →
Thrombozyten →
Triglyzeride →
Trikuspidalklappe →
U
Übergewicht →, →, →, →, →–→
untere Hohlvene →, →
V
Vene →, →, →, →
Venolen →, →
Verkalkung →–→, →, →
Vorhof →, →, →, →, →, →
Vorhofflimmern →, →, →–→
W
weiße Blutkörperchen →, →
BIBLIOGRAFISCHE INFORMATION DER DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOTHEK Die Deutsche
Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet abrufbar: www.dnb.de
2021
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Illustrationen: Max Bachmeier, Heidelberg (D)
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Druck: Athesia Druck, Bozen
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