Sie sind auf Seite 1von 20

Internationale Politikanalyse

International Policy Analysis

Barbara Lippert

Die Europäische Nachbarschaftspolitik:


viele Vorbehalte – einige Fortschritte –
unsichere Perspektiven

„ Die Ziele der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) – Stabilität,


Sicherheit und Wohlstand in der östlichen und südlichen Nachbarschaft –
sind in der EU unumstritten. Dennoch findet die ENP bislang nur zaghafte
politische Unterstützung und stößt in vielen Mitgliedstaaten auf Vorbehalte
und Kritik.

„ Die Bundesregierung wirkt als Motor der ENP und unterstützt sie als
»eine zentrale Priorität der EU-Außenpolitik«. Denn die ENP ist Ordnungs-
politik zur Strukturierung des Nachbarschaftsraums.

„ Die von der FES initiierte Erhebung nationaler Positionen und Interessen
in elf EU-Mitgliedstaaten zeigt eine gemischte Zwischenbilanz und un-
sichere Perspektiven für einen Erfolg dieser jungen Politik.

„ Die Finalität der ENP (Perspektive der EU-Mitgliedschaft) sollte einstwei-


len offen bleiben. Für einen Übergang von der ENP zur Erweiterungspolitik
ist es wegen der Konsolidierungsnotwendigkeiten innerhalb der EU und
der Europäisierungsdefizite der östlichen ENP-Staaten noch zu früh. Statt
eine Entkoppelung der Süd- von der Ost-ENP zu forcieren, wird eine län-
derspezifische Differenzierung innerhalb einer ENP der verschiedenen Ge-
schwindigkeiten favorisiert.

„ Weitere Empfehlungen betreffen das intensive parlamentarische Mo-


nitoring der Umsetzung der ENP, die inhaltliche Schwerpunktsetzung auf
die Bildung umfassender Freihandelszonen und die verantwortungsvolle
Regierungsführung in den ENP-Ländern sowie die Ausschöpfung der
Impressum Bestellungen Alle Texte sind online verfügbar: neuen Bestimmungen des Lissabonner Vertrags.
Friedrich-Ebert-Stiftung Friedrich-Ebert-Stiftung www.fes.de/ipa
Internationale Politikanalyse Internationale Politikanalyse
Die in dieser Publikation zum Ausdruck
Abteilung Internationaler Dialog z. Hd. Antje Schnadwinkel MÄRZ 2008
kommenden Meinungen sind die des
D-10785 Berlin D-53170 Bonn
Autors / der Autorin und spiegeln nicht
www.fes.de/ipa E-Mail: info.ipa@fes.de notwendigerweise die Meinung der
E-Mail: info.ipa@fes.de Fax: +49 (228) 883-625 Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
ISBN 978-3-89892-891-5
Ausgewählte Veröffentlichungen des Referats „InternationaleInternationale
Politikanalyse“
Politikanalyse
International Policy Analysis Unit

Arbeitskreis Europa Thorsten Benner, Stefanie Flechtner (Hrsg.)


Chancen für eine nachhaltige Energiepolitik Demokratien und Terrorismus – Erfahrungen mit
= mçäáíáâJfåÑçI=^éêáä=OMMT= der Bewältigung und Bekämpfung von Terroran-
= schlägen. Fallstudien USA, Spanien, Niederlande
AG Europäische Integration und Großbritannien.
Plädoyer für ein europäisches Sozialmodell = cêáÉÇÉå=ìåÇ=páÅÜÉêÜÉáí, g~åì~ê=OMMT=
= bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=^éêáä=OMMT= =
= Sven Biscop
Michael Sommer The International Security Engagement of the Eu-
Ein soziales Europa braucht Arbeitnehmer- ropean Union - Courage and Capabilities for a
mitbestimmung [also available in English] “More Active” EU. Report from the 1st
mçäáíáâJfåÑçI=^éêáä=OMMT= European Strategic Forum, Warsaw 2006.
= cêáÉÇÉå=ìåÇ=páÅÜÉêÜÉáíI=g~åì~ê=OMMT
Bert Hoffmann
Kuba in der Nach-Fidel-Ära Stefanie Flechtner
cbpJi®åÇÉê~å~äóëÉI=j®êò=OMMT Demokratie ist die beste Antwort im Kampf
= gegen den Terrorismus
James K. Galbraith = mçäáíáâJfåÑçI=aÉòÉãÄÉê=OMMS=
Maastricht 2042 and the Fate of Europe.
Toward Convergence and Full Employment Michael Dauderstädt, Barbara Lippert,
= bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=j®êò=OMMT= Andreas Maurer
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007:
Daniela Schwarzer Hohe Erwartungen bei engen Spielräumen
Spannungen im Club der 13 – Reformbedarf = bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=kçîÉãÄÉê=OMMS=
der Eurozone.
bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=j®êò=OMMT= Jana Zitzler
Plädoyer für eine europäische Mindestlohnpolitik
Arbeitskreis Europa [also available in English]
Gefahr für die nationale Daseinsvorsorge im = mçäáíáâJfåÑçI=kçîÉãÄÉê=OMMS=
EU-Binnenmarkt?
= mçäáíáâJfåÑçI=j®êò=OMMT= Jo Leinen
Die Kosten der Nicht-Verfassung
Jonathan Wadsworth = mçäáíáâJfåÑçI=kçîÉãÄÉê=OMMS=
Mit flexiblen Arbeitsmärkten aus der Beschäfti-
gungskrise? Ein Blick auf britische Erfahrungen
= mçäáíáâJfåÑçI=j®êò=OMMT
Diese und weitere Texte
Svenja Blanke
Mexikos junge Demokratie zwischen Stagnation sind online verfügbar:
und Krise http://www.fes.de/internationalepolitik
= cbpJi®åÇÉê~å~äóëÉI=j®êò=OMMT=

Jürgen Kahl Bestellungen bitte an:


Die Mongolei im Reformtief – Dauerkrise oder Friedrich-Ebert-Stiftung
„zweiter Aufbruch“? Internationale Politikanalyse
cbpJi®åÇÉê~å~äóëÉI=g~åì~ê=OMMT z.Hd. Ursula Müller
D – 53170 Bonn

E-Mail: info.ipa@fes.de
Tel.: +49 (228) 883-212
Fax: +49 (228) 883-625
Internationale Politikanalyse 1

Inhalt

1. Eine Landkarte der Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

2. ENP im nationalen Kontext – deutsche Europapolitik und ENP . . . . . . . . . . . . . . 4

3. Zwischenbilanz der ENP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

4. Mittelfristige Herausforderungen (2009–2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

5 ENP 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

6. Ausblick und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14


2 Barbara Lippert Die Europäische Nachbarschaftspolitik: viele Vorbehalte – einige Fortschritte – unsichere Perspektiven

1. Eine Landkarte der Interessen staaten sind weder die Länder des westlichen Balkans,
die eine europäische Perspektive besitzen, noch die
Jede Erweiterung der Europäischen Union bringt Türkei, mit der die EU bereits Beitrittsverhandlungen
neue Nachbarschaften mit sich und verändert alte. führt, noch Russland, das eine strategische Partner-
Die große Erweiterung um zwölf Staaten, die 2004 schaft mit der EU reklamiert, einbezogen.
und 2007 vollzogen wurde, hat die EU veranlasst, sys- In dem von der Friedrich-Ebert-Stiftung 2007 initi-
tematischer über eine Neuordnung ihrer Beziehungen ierten Projekt ging es darum, die Formation des neuen
zu den Nachbarn im Süden und Osten nachzuden- Politikfeldes ENP unter dem Gesichtspunkt der spezi-
ken. Es ging ihr vor allem um den Kreis von Staaten, fischen Interessen und politischen Positionen von
für den auf Dauer – siehe Nordafrika – oder auf ab- Mitgliedstaaten zu betrachten. Gerade die neuen Mit-
sehbare Zeit – siehe Osteuropa – keine Perspektive gliedstaaten, von denen mit Litauen, Polen, Rumä-
der Mitgliedschaft in der EU besteht. Seit 2003 / 2004 nien, der Slowakei, Tschechien und Ungarn, sechs in
hat die EU unter dem neuen Namen »Europäische die Untersuchung einbezogen worden sind, bekräf-
Nachbarschaftspolitik« (ENP) einen einheitlichen po- tigen ihr nachhaltiges Interesse an der ENP und vor
litischen Rahmen geschaffen, innerhalb dessen sie allem der östlichen Dimension der Nachbarschafts-
ihre Beziehungen zu den sechs Ländern Osteuropas politik. Darüber hinaus wurden fünf weitere Staaten

Übersicht 1: Untersuchungsländer

Land Größe (Einwohner) Erweiterungsrunde Geografie EU / EWR-Außengrenze


Deutschland groß (82,2 Mio.) Gründungsmitglied Mitte nein
Finnland klein (5,3 Mio.) 1995 Norden / Osten ja
Frankreich groß (63,8 Mio.) Gründungsmitglied Westen / Süden ja
Litauen klein (3,4 Mio.) 2004 Ostmittel ja
Polen mittel (38,0 Mio.) 2004 Ostmittel ja
Rumänien mittel (21,4 Mio.) 2007 Südost ja
Slowakei klein (5,4 Mio.) 2004 Ostmittel ja
Spanien mittel (45,3 Mio.) 1986 Süden ja
Tschechien klein (10,3 Mio.) 2004 Ostmittel nein
Ungarn klein (10,0 Mio.) 2004 Südost ja
Vereinigtes Königreich groß (60,9 Mio.) 1973 Westen / Norden nein

Quelle: Eigene Darstellung.

(Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Mol- in das Untersuchungs-Sample einbezogen, die sich
dova, Ukraine) und zehn des Mittelmeerraums (Ägyp- nach Größe, geografischer Lage und Eintritt in die EU
ten, Algerien, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Ma- unterscheiden: Die beiden großen Gründerstaaten
rokko, Palästinensische Autonomiebehörde, Syrien, Deutschland und Frankreich, das im Rahmen der ers-
Tunesien) gestalten will.1 In diesen Ring von Nachbar- ten Beitrittsrunde 1973 beigetretene Vereinigte Kö-
nigreich sowie Spanien, ein Land der Süderweiterung,
1 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mittei- und Finnland als eines der EFTA-Erweiterung.
lung der Kommission an den Rat und das Europäische Par- Von den elf Staaten liegen acht an einer EU / EWR-
lament. Größeres Europa – Nachbarschaft: Ein neuer Rah-
Außengrenze und haben so Nachbarn, die gegenüber
men für die Beziehungen der EU zu ihren östlichen und süd-
der EU als Drittstaaten gelten.
lichen Nachbarn, KOM(2003)104 endg., 11. März 2003;
dies.: Mitteilung der Kommission. Europäische Nachbar- Die ENP fängt gegenüber den 16 Partnerländern
schaftspolitik. Strategiepapier, KOM(2004)373 endg., nicht bei Null an. Insbesondere in Bezug auf die Län-
12. Mai 2004; dies.: Mitteilung der Kommission an den Rat
und das Europäische Parlament. Über die Stärkung der Euro- Angelegenheiten und Außenbeziehungen: Stärkung der
Dr. Barbara Lippert päischen Nachbarschaftspolitik, KOM(2006)726 endg., Europäischen Nachbarschaftspolitik. Fortschrittsbericht des
ist stellvertretende 4. Dezember 2006; dies.: Mitteilung der Kommission an den Vorsitzes, Dok. 10874 / 07, 18. / 19. Juni 2007; Kommission
Direktorin des Instituts Rat und das Europäische Parlament. Die Schwarzmeersyner- der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommis-
für Europäische gie – Eine neue Initiative der regionalen Zusammenarbeit, sion. Für eine starke Europäische Nachbarschaftspolitik,
Politik, Berlin. KOM(2007)160 endg., 11. April 2007; Rat für Allgemeine KOM(2007)774 endg., 5. Dezember 2007.
Internationale Politikanalyse 3

Übersicht 2: EU-Vertragsbeziehungen mit ENP-Ländern – Stand: Februar 2008

ENP-Partnerland Inkrafttreten vertrag- ENP-Länder- ENP-Aktionsplan Annahme Annahme im


licher Beziehungen mit bericht durch die EU Partnerland
der EG
Algerien AA* – September 2005 – – – –
Armenien PKA** – 1999 März 2005 Herbst 2006 13.11.2006 14.11.2006
(Frühjahr 2008)
Aserbaidschan PKA – 1999 März 2005 Herbst 2006 13.11.2006 14.11.2006
(Frühjahr 2008)
Belarus – – – – –
Ägypten AA – Juni 2004 März 2005 Ende 2006 06.03.2007 06.03.2007
(Frühjahr 2008)
Georgien PKA – 1999 März 2005 Ende 2006 13.11.2006 14.11.2006
(Frühjahr 2008)
Israel AA – Juni 2000 Mai 2004 Ende 2004 21.02.2005 11.04.2005
(Frühjahr 2008)
Jordanien AA – Mai 2002 Mai 2004 Ende 2004 21.02.2005 11.01.2005
(Frühjahr 2008) 02.06.2005
Libanon AA – April 2006 März 2005 Herbst 2006 17.10.2006 19.01.2007
(Frühjahr 2008)
Libyen – – – – –
Moldova PKA – Juli 1998 Mai 2004 Ende 2004 21.02.2005 22.02.2005
(Frühjahr 2008)
Marokko AA – März 2000 Mai 2004 Ende 2004 21.02.2005 27.07.2005
(Frühjahr 2008)
Verhandlungen über Be-
ziehungen auf ›höherer
Ebene‹ – seit Juli 2007
Palästinensische Interims-AA – Juli 1997 Mai 2004 Ende 2004 21.02.2005 04.05.2005
Autonomiebehörde (Frühjahr 2008)
Syrien – – – – –
Tunesien AA – März 1998 Mai 2004 Ende 2004 21.02.2005 04.07.2005
(Frühjahr 2008)
Ukraine PKA – März 1998 Mai 2004 Ende 2004 21.02.2005 21.02.2005
(Frühjahr 2008)
Verhandlungen über Zehnpunkteplan –
›Vertieftes Abkommen‹ – Februar 2005
seit Februar 2007
Aktionsplan ›Freedom,
Justice and Security‹ –
Juni 2007

* AA: Assoziierungsabkommen, ** PKA: Partnerschafts- und Kooperationsabkommen


Quelle: http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/06/1676&format=HTML&aged=1&language=DE; aktualisiert.

der des Mittelmeerraums blickt sie auf eine lange Vor- europäischen Nachbarn neueren Datums und war bis
geschichte als EG / EU- Mittelmeerpolitik (seit Anfang vor Kurzem, was die vertraglichen, institutionellen
der 1970er Jahre)2 zurück und schließt den Barcelona- und verfahrensmäßigen Vorkehrungen angeht, weni-
Prozess (ab 1995) mit ein. Mit allen Mittelmeerländern ger ambitioniert und von geringerer Intensität (vgl.
hat die EU Assoziierungsabkommen geschlossen oder Übersicht 2).
diese angeboten. Demgegenüber ist die Politik der Das vorliegende Papier stützt sich auf elf Länder-
Partnerschaft und Kooperation der EU mit den ost- berichte, die das Ergebnis von strukturierten Exper-
teninterviews mit Beamten der Ministerialverwaltun-
2 Vgl. Eberhard Rhein: Die EU und der Mittelmeerraum, in:
gen (vorwiegend Außenministerien), Parlamentariern
Werner Weidenfeld (Hrsg.): Die Europäische Union – Politi- und unabhängigen Experten in Think Tanks und For-
sches System und Politikbereiche, Bonn 2004, S. 521–538. schungseinrichtungen sowie Journalisten in den in
4 Barbara Lippert Die Europäische Nachbarschaftspolitik: viele Vorbehalte – einige Fortschritte – unsichere Perspektiven

Übersicht 1 aufgeführten Mitgliedstaaten sind. Die Wir danken folgenden an der Erhebung
rund 100 Interviews wurden anhand eines einheit- beteiligten Wissenschaftlern / -innen für ihre
lichen Fragebogens geführt, der vor allem auf die öst- Unterstützung:
liche Dimension der ENP Bezug nahm. (Da den Inter-
viewpartnern Anonymität zugesichert wurde, kann Prof. Dr. Attilla Agh, Corvinus University, Budapest.
hier im Folgenden nicht wörtlich zitiert werden). Die Laia Carbonell Agustin, Center of International
den Ländern zugeschriebenen Positionen in diesem Relations and Development Studies, Barcelona.
Text beruhen weitgehend auf den unveröffentlichten Prof. Dr. Christian Deubner, Paris.
Länderberichten unter Auswertung der geführten In-
Dr. Alexander Duleba, Foreign Policy Association
terviews (siehe die folgende Übersicht »Zum Projekt
Research Centre, Bratislava.
»Europäische Nachbarschaftspolitik« der Friedrich-
Olga Hetze, Friedrich-Ebert-Stiftung, Brüssel.
Ebert-Stiftung). Darüber hinaus sei auf die FES-Analyse
»EU-Nachbarschaftspolitik in der Diskussion – Kon- Dr. Petr Kratochvil, Institute of International
zepte, Reformvorschläge und nationale Positionen«3 Relations, Prag.
verwiesen. Octavian Milevschi, National School for Political
Science, Bukarest.
Zum Projekt »Europäische Nachbarschafts- Markus Palmen, Finnish Institute of International
politik« der Friedrich-Ebert-Stiftung: Affairs, Helsinki.
Arturas Racas, Baltic News Service, Vilnius.
Ziel des ENP-Projekts war die Erhebung und Analyse Andreas Stahn, Freie Universität, Berlin.
nationaler Positionen und Interessen ausgewählter
Prof. Dr. Richard Whitman, Department of
EU-Mitgliedstaaten zur Europäischen Nachbar-
European Studies and Modern Languages,
schaftspolitik. Dazu wurden im Zeitraum Juli-
University of Bath.
Dezember 2007 insgesamt ca. 100 Experten-Inter-
Boleslaw Wozniak, Centre for European Strategy,
views vorrangig mit Parlamentariern, ranghohen
Warschau.
Mitarbeitern der politischen Administration, Fach-
experten sowie Medienvertretern in folgenden Län- Die hier gezeichnete Landkarte der Interessen zur ENP
dern der EU durchgeführt: Deutschland, Frankreich, in der EU gliedert sich in fünf Abschnitte:
Großbritannien, Polen, Finnland, Litauen, Rumä- 쮿 ENP im nationalen Kontext – deutsche Europa-
nien, Spanien, Ungarn, Tschechien und der Slowa- politik und ENP
kei. Weitere Interviews fanden außerdem mit Ver- 쮿 Zwischenbilanz der ENP
tretern von EU-Institutionen in Brüssel statt. Durch- 쮿 Mittelfristige Herausforderungen (2009–2014)
geführt wurde die Erhebung durch die nachfolgend 쮿 ENP 2020
aufgeführten Wissenschaftler / -innen anhand eines 쮿 Ausblick und Empfehlungen für die europäische
speziell dafür entwickelten Fragebogens. Schwer- und deutsche Politik.
punkte des Fragebogens waren u. a.: Die Europä-
ische Nachbarschaftspolitik im nationalen Kontext;
Konzepte und Instrumente der ENP; Perspektiven 2. ENP im nationalen Kontext –
und Handlungsoptionen für die nächsten 3–5 Jahre; deutsche Europapolitik und ENP
die Rolle Russlands sowie die Zukunft der ENP. Die
Ergebnisse der Erhebung bilden die Grundlage für Überall in den Mitgliedstaaten ist die Meinungsbil-
die vorliegende Studie. dung und Positionierung gegenüber der ENP noch im
Das Projekt, das unter der Federführung des Re- Fluss. Das birgt ebenso wie die geringe Politisierung
ferates »Internationale Politikanalyse« der Abtei- des Themas Chancen, aber auch Restriktionen für die
lung »Internationaler Dialog« der FES durchgeführt Fortentwicklung der ENP. Gegenwärtig wird der ENP,
wurde, startete am 1. Januar 2007 und endet am die ein Thema in und für Expertenzirkel ist, noch we-
30. April 2008. nig eigener Stellenwert als EU-Politik zugesprochen
Weitere Einzelheiten zum FES-Projekt erhalten und entsprechend geringe Loyalität entgegenge-
Sie auf der Website des Referates unter: www.fes. bracht: Für Polen ist etwa die ENP untrennbar mit der
de/ipa/inhalt/nachbarschaftspolitik.htm Debatte über die Fortsetzung der EU-Erweiterung ver-
bunden. Frankreich initiierte an der ENP vorbei eine
3 Barbara Lippert: Die EU-Nachbarschaftspolitik in der Diskus-
Mittelmeerunion. In diesen und anderen Mitgliedstaa-
sion – Konzepte, Reformvorschläge und nationale Positio- ten dominiert eine enge Indienstnahme der ENP für
nen, Internationale Politikanalyse der FES, Juli 2007. eine nationale Agenda. Zugleich ist zu beobachten,
Internationale Politikanalyse 5

Übersicht 3: Interesse in EU-Mitgliedstaaten an den ENP-Ländern5

100%

90%

80%

70%

60%

50%

40%

30%

20%

10%

0%
d

ch

en

ei

rn

ei s
gr te
an

an

le

ie

ie

ie
ak

ga
ei

au

ni nig
Po

än

an

ch

ch
hl

nl

kr

ow

Un
Lit

he
m

Sp
sc

Fin

an

Kö erei
Sl
Ru
ut

c
Fr

Ts

V
De

nicht interessiert weiß nicht/keine interessiert


(nicht sehr/gar nicht) Antwort (sehr/ziemlich)

Quelle: Eurobarometer Spezial 285: Beziehungen der EU zu ihren Nachbarländern. Eine Umfrage über Einstellungen in der Euro-
päischen Union, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_285_de.pdf (letzter Zugriff: 01. Februar
2008).

dass selbst die in den Hauptstädten mit der ENP be- ten in Tschechien, Litauen, Polen und Spanien ausge-
fassten Akteure in den Außenministerien oder Parla- prägt.4 Allerdings beruhen die Ergebnisse des Euro-
menten unsicher sind, wie groß ihr »nationaler Ein- barometer auf einer sehr allgemein gestellten Frage,
fluss« auf die Gestaltung der ENP ist. Stakeholders der die nicht nach Süden und Osten differenziert (siehe
ENP sind in der EU außerhalb der außen- und sicher- Übersicht 3). 5
heitspolitischen Zirkel der Exekutiven erst in Ansätzen Auch in Deutschland taucht die ENP nur sporadisch
zu finden oder zu vermuten: Es handelt sich um in der öffentlichen Debatte auf, gewinnt jedoch in
Geschäftsleute, Unionsbürger in Grenzgebieten zu europapolitischen Zirkeln mehr und mehr Aufmerk-
den Nachbarn und Bevölkerungsgruppen, die wie
4 Eurobarometer Spezial 285: Beziehungen der EU zu ihren
Studierende ein besonderes Interesse und besondere
Nachbarländern. Eine Umfrage über Einstellungen in der
Chancen (Mobilitätsprogramme) haben, in EU-Staa-
Europäischen Union, abrufbar unter: http://ec.europa.eu /
ten zu arbeiten und sich dort aufzuhalten. Eine im public_opinion / archives / ebs / ebs_285_de.pdf (letzter Zu-
Jahr 2007 durchgeführte Eurobarometer-Erhebung griff: 01. Februar 2008).
zur ENP ergab, dass rund 80 % der EU-Bürger keine 5 Eurobarometer Spezial 285, Frage QC7: Wie stark sind Sie
Kenntnis von der Europäischen Nachbarschaftspolitik daran interessiert, was in den Nachbarländern der EU ge-
schieht? Sind Sie daran …?; Den Befragten wurde eine Land-
haben. Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger aus
karte gezeigt, auf der die ENP-Länder farbig hervorgehoben
den hier behandelten elf Mitgliedstaaten ist sehr un- waren. Antwortmöglichkeiten: Sehr interessiert; ziemlich in-
einheitlich. In den Untersuchungsländern ist es am teressiert; nicht sehr interessiert; gar nicht interessiert; weiß
stärksten in Frankreich und Deutschland, am gerings- nicht / keine Angabe.
6 Barbara Lippert Die Europäische Nachbarschaftspolitik: viele Vorbehalte – einige Fortschritte – unsichere Perspektiven

samkeit. Die Bundesregierung sieht sich als Motor der »Die ENP hat sich als zentrales Instrument der Gestal-
ENP und unterstützt sie als »eine zentrale Priorität der tung der EU-Beziehungen zu den Nachbarstaaten eta-
EU-Außenpolitik«6. Die ENP ist Ordnungspolitik zur bliert. Sie wird auch mittel- und langfristig unersetz-
Strukturierung des Nachbarschaftsraums gemäß den bar sein, um Trennlinien abzubauen und der Dichoto-
Prinzipien, Werten und Verfahren, auf denen die EU mie von ›EU-Beitritt: Ja oder Nein‹ ihre Dramatik zu
gründet und für die sie in den internationalen Bezie- nehmen.«11 Diese mehrdimensionale und ergebnis-
hungen eintritt.7 offene Position der Bundesregierung zur ENP stößt bei
Über das Interesse an einer aufgewerteten öst- ihren strategischen Partnern in der EU (Frankreich,
lichen Dimension der ENP hinaus unterstützt Deutsch- Polen, Vereinigtes Königreich) nur auf zwiespältige
land traditionell die Mittelmeerpolitik der EU ein- Unterstützung. Der brüchige Konsens mit Frankreich
schließlich des Barcelona-Prozesses und betreibt aus- erstreckt sich allenfalls auf die nächstliegenden prak-
drücklich kein Nullsummenspiel Ost gegen Süd. So tischen Schritte der ENP(-Implementierung). Der Coup
stellte der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Sarkozys, eine Mittelmeerunion auszurufen, und die
Amt klar: »[Die ENP] richtet sich an alle Partner im lange Zeit sehr restriktive Haltung Frankreichs gegen-
Süden und im Osten. Ein ausgewogenes Verhältnis über Assoziierungsangeboten für die osteuropäischen
muss gewährleistet sein. Ein interregionaler Wettbe- Staaten treffen sich nicht mit den Präferenzen der
werb oder gar starre Allokationsquoten sollten ver- Bundesregierung. Das einseitige Interesse Polens an
mieden werden.«8 Diese Position wurde auch jüngst den osteuropäischen Nachbarn (v. a. Ukraine, Belarus,
deutlich in den Reaktionen der Bundesregierung auf Moldova) und seine Ignoranz gegenüber der süd-
französische Pläne für eine Mittelmeerunion, bei lichen Dimension der ENP sowie das Schüren hoher
denen sie ein Teilnahme- und Mitspracherecht be- Erwartungen bei den östlichen Nachbarn stehen zwar
ansprucht. So unterstrich Bundesaußenminister Stein- einer gemeinsamen deutsch-polnischen ENP-Agenda,
meier, es sei »selbstverständlich, dass auch Deutsch- nicht aber einer praktischen Kooperation gegenüber
land, obwohl nicht Mittelmeeranrainer, Interessen den östlichen Nachbarn im Wege. So heben einige
rund um das Mittelmeer hat. Deshalb mahnen wir zu Interviewpartner in Polen hervor, dass Berlin zwar
Recht an, dass auch Deutschland an dem Nachdenken gegen eine Mitgliedschaftsoption votiere, diese Posi-
über eine solche Mittelmeerunion beteiligt sein will. tion aber eine mittelfristige Zusammenarbeit nicht
[…] Wir haben den Barcelona-Prozess, und wir haben beeinträchtigen müsse.12 Das Vereinigte Königreich ist
den Vorschlag für eine Mittelmeerunion. Deren Mehr- für Deutschland wie gewohnt ein guter Partner im
wert muss überzeugend dargelegt werden, und er Hinblick auf die pragmatischen Schritte und die
darf nicht in Konflikt geraten zu den Zielen der EU, zu außen- und sicherheitspolitische Lageanalyse. Ein
denen die Pflege der europäischen Nachbarschaft, deutsch-britischer Dissens existiert jedoch wie bei der
auch südlich des Mittelmeeres, gehört.«9 Die Bundes- Erweiterungspolitik hinsichtlich der Bewertung der
regierung hat mit der Initiative für eine EU-Zentral- Implikationen der unterschiedlichen Optionen für die
asienstrategie außerdem die Nachbarn der östlichen Fortentwicklung der ENP (als Vorstufe für eine Mit-
Nachbarn als Zielländer für ein starkes EU-Engage- gliedschaft selbst der Staaten des Maghrebs und des
ment ins Blickfeld gerückt und damit die außen- und Nahen Ostens) für das innere Gefüge und die politi-
sicherheitspolitische Stoßrichtung beziehungsweise sche Identität der EU. So forderte der britische Außen-
Kontextuierung der ENP betont.10 minister: »Das Ziel muss, nach dem Vorbild der Euro-
Die Bundesregierung favorisiert den Schwebezu- päischen Freihandelsassoziation, eine multilaterale
stand hinsichtlich der politischen Finalität der ENP-Ost, Freihandelszone in unserem Umfeld sein, die die Län-
der auch die Geschäftsgrundlage der ENP darstellt: der des Maghrebs, des Nahen Ostens und Osteuropas
an den Binnenmarkt heranführt; nicht als Alternative
6 Rat: Fortschrittsbericht des Vorsitzes, 2007, [Fn. 1], S. 1. zum Beitritt sondern potenziell als Schritt auf dem
7 Vgl. Barbara Lippert: Teilhabe statt Mitgliedschaft? Die EU
Weg zur Mitgliedschaft.«13 Neben Polen ist Litauen
und ihre Nachbarn im Osten, in: Osteuropa, 2–3 / 07,
S. 69–94.
bislang am stärksten unter den neuen Mitgliedstaten
8 Günter Gloser: Europäische Nachbarschaftspolitik nach der in der ENP profiliert. Andere »natürliche« Unterstützer
deutschen EU-Ratspräsidentschaft – Bilanz und Ausblick, in:
integration, 4 / 07, S. 493–498, hier S. 494. 11 Gloser: Europäische Nachbarschaftspolitik, 2007, [Fn. 8],
9 Interview mit Frank-Walter Steinmeier, in: Frankfurter Allge- S. 498.
meine Zeitung, 17. Dezember 2007. 12 Vgl. den ENP-Länderbericht Polen der Friedrich-Ebert-Stif-
10 Vgl. Frank-Walter Steinmeier: Rede von Bundesminister tung, Bonn 2007 (unveröffentlichtes Manuskript – im fol-
Steinmeier anlässlich der Eröffnung der Konferenz »Zentral- genden u.M).
asien und Europa: Eine neue Wirtschaftspartnerschaft für 13 David Miliband: Europe 2030: Model Power not Superpower,
das 21. Jh.«, 13. November 2007. Rede am Europakolleg in Brügge, 15. November 2007.
Internationale Politikanalyse 7

der östlichen Dimension der ENP treten weniger pro- 3. Zwischenbilanz der ENP
nonciert auf oder verfolgen vorzugsweise eine enge
Kooperation mit den jeweils unmittelbaren Nachbarn, Die ENP hat 2007 Tritt gefasst und einige Fortschritte
zum Beispiel Ungarn gegenüber Serbien und der bei der Konsolidierung und inhaltlichen Fokussierung
Ukraine, ohne bisher Beiträge zur Gesamtkonzeption gemacht. Folgende konsolidierte Positionen zur ENP
der ENP zu liefern. So ist die Schwarzmeerkooperation zeichnen sich gegenwärtig ab:
für Bulgarien und Rumänien ein prioritäres Element 쮿 Die Ziele der ENP: Stabilität, Sicherheit und Wohl-
der ENP. Tschechien ist unter den ostmitteleuropä- stand in der östlichen und südlichen Nachbar-
ischen Ländern am aufgeschlossensten für das EU- schaft;
Engagement im Mittelmeerraum und unterstützt mit 쮿 Das Prinzip der länderspezifischen und leistungs-
Blick auf die osteuropäischen ENP-Länder besonders bezogenen Differenzierung als Gegengewicht zum
die Anstrengungen zur Demokratisierung von Belarus. umstrittenen Gebot der geografischen Ost-Süd-
Für Tschechien, das keine EU-Außengrenze hat (siehe Kohärenz;
Übersicht 1), ist darüber hinaus die Visegrád-Gruppe 쮿 Der Instrumentenkasten der ENP (Aktionspläne,
ein wichtiger Zusammenschluss, um ENP-Positionen ENPI, Governance-Fazilität, Nachbarschaftsinvesti-
mit Ungarn, Polen und der Slowakei abzustimmen tionsfazilität, TAIEX, Twinning, Öffnung von EU-
und Initiativen vorzubereiten. Das Engagement könnte Agenturen und Programmen, völkerrechtliche Ab-
auch in die tschechische EU-Ratspräsidentschaft ein- kommen), der 2008 durch verbesserte Monitoring-
gebracht werden. verfahren ergänzt werden soll.14
Die nordischen Staaten können als Verfechter so- Das in den Anfängen sehr breite und diffuse ENP-
wohl der geografischen Kohärenz als auch der prag- Angebot – »alles außer Institutionen«15 – wird stärker
matischen Kooperationsformen mit regionaler und auf folgende Elemente fokussiert:
multilateraler Komponente gelten. Sie akzentuieren 쮿 Im Zentrum steht die Schaffung umfassender bi-
traditionell Konditionalitätsgesichtspunkte und haben lateraler (und später gegebenenfalls intraregional
so ein offenes Ohr für die Sensibilität der neuen Mit- vernetzter) Freihandelszonen, die verbindlich in
gliedstaaten, die sowohl von den historischen Erfah- neuen vertieften Abkommen zwischen der EU und
rungen mit Russland und der UdSSR als auch den dem Nachbarland geplant sind. Sie sollten die Kon-
autoritär-imperialen Tendenzen der jüngsten Zeit her- vergenz im Regulierungsbereich durch die Über-
rührt. Gleichgesinnte findet die Bundesregierung am nahme von diesbezüglichen Teilen des Acquis
ehesten bei den Regierungen der nordischen Staaten, durch die Nachbarn einleiten. Die Acquisüber-
darunter besonders Finnland (zuverlässig, aber pas- nahme kann bei intensiver Nutzung und Orientie-
siv), der Niederlande, Ungarns, der Slowakei und rung auf Kernbestände des Binnenmarkts als prak-
Rumäniens. Finnlands Vorstellung von der Stärkung tische Beitrittsvorbereitung gelten.
der ENP ähnelt der deutschen Forderung nach besse- 쮿 Weitere Kooperationsschwerpunkte sind aus Sicht
ren Anreizen und stärkerer Differenzierung. Finnlands der EU die Energiepolitik und Energiesicherheit, In-
Hauptinteresse in der Nachbarschaft gilt Russland, so- nere Sicherheit (besonders die Bekämpfung orga-
dass es traditionell die Entwicklung der Nordischen nisierter Kriminalität) sowie die außen- und sicher-
Dimension der GASP und der Partnerschaft mit Russ- heitspolitische Kooperation, wobei vor allem Polen
land Priorität über ein ENP-Engagement eingeräumt und andere neue EU-Staaten (Rumänien, Slowakei)
hat. Wie Berlin ist Helsinki an einer geografisch aus- auf ein stärkeres Engagement der EU bei der Bear-
gewogenen Ost-Süd-Ausrichtung der ENP gelegen. beitung der eingefrorenen Konflikte drängen.16
Ungarn hat etwa den deutschen Vorstoß für eine
›neue Ostpolitik‹ unterstützt und ebenso wie die unter 14 Vgl. Kommission: Für eine starke Europäische Nachbar-
der deutschen Ratspräsidentschaft vorangetriebene schaftspolitik, 2007, [Fn. 1], S. 12 f.: »Die alljährlichen Be-
richte über die Fortschritte der ENP-Partnerstaaten werden
Einrichtung einer Nachbarschaftsinvestitionsfazilität.
2008 noch weiter ins Detail gehen, um einen objektiveren
Insgesamt deutet sich aus deutscher Sicht eine Vergleich der Leistung der einzelnen Partnerstaaten zuzulas-
Neuauflage der schwierigen Interessenskonstellation sen, was wiederum zu größerer Transparenz der Entschei-
innerhalb der EU an, die schon bei der Osterweiterung dungen über die Gewährung von Zuwendungen aus den
vorherrschte. Jedoch ist die Position der Bundesregie- Mitteln der Fazilität ›Verantwortliches Regieren‹ führt.«
rung gegenüber der ENP ambivalenter als gegenüber 15 Romano Prodi: A Wider Europe – A Proximity Policy as the
key to stability, SPEECH / 02 / 619, Brüssel, 6. Dezember
der Osterweiterung. Die ENP stößt, wie die nachfol-
2002.
gende Bestandsaufnahme zeigt, auf zahlreiche Vor- 16 Vgl. die ENP-Länderberichte Polen und Rumänien der FES,
behalte in den EU-Hauptstädten, was ihre politische Bonn 2007(u.M.); Lippert: EU-Nachbarschaftspolitik in der
Durchsetzungskraft und Glaubwürdigkeit deutlich Diskussion, 2007, [Fn. 3], S. 11 ff.
mindert.
8 Barbara Lippert Die Europäische Nachbarschaftspolitik: viele Vorbehalte – einige Fortschritte – unsichere Perspektiven

Einen weiteren Themenschwerpunkt für die EU bil- der EU geben müssen. Auch französische Experten18
den Fragen der Mobilität, wie die Migrationssteu- halten den einheitlichen Ansatz der ENP nicht für an-
erung und Visapolitik, die Verbesserung des gemessen, selbst wenn die zugrunde liegende Logik –
zivilgesellschaftlichen Austauschs, in den vor allem nämlich die disparaten Präferenzen der Mitgliedstaa-
junge Leute, Studierende, Geschäftsleute und Ver- ten unter einen Hut zu bringen – nachvollziehbar sei
treter von Nichtregierungsorganisationen einbezo- (siehe Übersicht 4).
gen werden sollen. Die EU ist allerdings noch weit Zu den andauernden Restriktionen der ENP zählt
entfernt von einem kohärenten Ansatz, der ihre neben dem geografischen Kohärenzimperativ (also
außenpolitischen Ziele – die Förderung von direk- Osten und Süden unter einem ENP-Dach) die strate-
tem Austausch zum Zwecke der Verständigung, gische Ambivalenz (mit dem Dissens zur Beitrittsper-
der Ausbildung und der wirtschaftlichen und ge- spektive) beziehungsweise die offene Finalität. Zu den
schäftlichen Aktivitäten – mit ihren anderen Zie- Hauptkritikern gehören Regierungen neuer Mitglied-
len – die Wahrung der Sicherheit im Innern und die staaten wie Polen, aber auch Frankreich, das sich als
gezielte, bedarfsdeckende Anwerbung von Ar- Wahrer der Interessen der »alten«, südlichen Nach-
beitskräften – in Einklang bringt. barn, die ohne französische Intervention vermeintlich
쮿 Die bilateralen Beziehungen der EU zu den Nach- nur unzureichend berücksichtigt worden wären, sieht.
barn sind prioritär, werden aber durch eine regio- Polnische Kritiker unterstreichen den Unterschied zwi-
nale Komponente ergänzt. Das Wunschszenario schen »Nachbarn in Europa« und den »Nachbarn
der EU läuft auf eine regionale Kooperation mit Europas«. Zu fragen ist aber, wie schwer derzeit diese
variabler Geometrie hinaus, bei der die EU, vor beiden Restriktionen in der Praxis tatsächlich wiegen.
allem vertreten durch die Kommission, eine beob- Das gilt etwa im Hinblick auf die in den untersuchten
achtende und gegebenenfalls auch teilnehmende Mitgliedstaaten überwiegend als schwach eingestufte
Rolle spielt. Als Vorbild zur Gestaltung der regiona- Konditionalitätspolitik. Vielfach wird die Einschätzung
len Zusammenarbeit gilt in den Mitgliedstaaten geteilt, dass die Konditionalitätspolitik der EU nur da
weithin die Ostsee-Kooperation. Als neuer regio- stark ist und auch sein kann, wo die Gemeinschaft
naler Schwerpunkt hat sich im Zusammenhang mit über einen gefestigten und operationalisierbaren
der ENP der Schwarzmeerraum herausgebildet, Acquis verfügt. Analysen zur Erweiterungspolitik sind
eine Entwicklung, der jedoch beispielsweise Frank- bereits zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. Es wäre
reich aufgrund des US-Einflusses in dieser Region demnach ratsam, zwischen Acquis- und Policy- oder
mit einiger Skepsis begegnet. aber wertebezogener politischer Konditionalität zu
Die konzeptionellen und strukturellen Defizite der ENP unterscheiden, wobei letztere vergleichsweise schwä-
bestehen jedoch fort. Ihre notorischen Schwächen – cher ist.19 Insofern verwundert nicht, dass die Förde-
das Oszillieren zwischen Außen- und Sicherheitspoli- rung von Demokratie als Themenschwerpunkt der
tik, Entwicklungs- und Erweiterungspolitik, die geo- ENP selten genannt wird. Insgesamt herrscht in den
grafische Beliebigkeit, die opake Anreizstruktur und Mitgliedstaaten der Eindruck vor, dass die ENP vor al-
die strategische Ambivalenz der ENP – werden durch lem denen hilft, die bereits Fortschritte machen, dass
die heterogenen Präferenzen und Interessen, die die sie aber nicht kraftvoll genug ist, um Blockaden bei
EU-Akteure verfolgen, am Leben gehalten: Reformunwilligen aufzubrechen und Widerstände zu
Die Konstruktion der ENP als ein einheitlicher, inte- überwinden.
grativer und kohärenter politischer Rahmen wird in-
tern und von außen als Schieflage wahrgenommen,
die sich zu einer Bruchstelle auswachsen könnte, die
sich aber auch herunterspielen und inkrementell klein
arbeiten ließe. Deutliche Kritik wird in den FES-Länder-
berichten aus Polen und Ungarn geübt. So wird die
Kombination der östlichen und der südlichen Dimen-
sion unter dem einheitlichen Dach der ENP als klarer
Konstruktionsfehler bezeichnet; in Zukunft werde es schaft wurde hingegen im Jahr 1987 aus geografischen
für beide Regionen (aufgrund ihres unterschiedlichen Gründen zurückgewiesen.
rechtlichen Status)17 getrennte Politikansätze seitens 18 Vgl. den ENP-Länderbericht Frankreich der FES, Bonn 2007
(u.M.).
19 Frank Schimmelfennig / Ulrich Sedelmeier: Governance by
17 Laut Artikel 49 EUV können alle europäischen Länder, die Conditionality: EU Rule Transfer to the Candidate Countries
die Grundsätze der EU achten, beantragen, Mitglied der of Central and Eastern Europe, in: Journal of European Pub-
Union zu werden. Der Antrag Marokkos auf EG-Mitglied- lic Policy, 4 / 04, S. 661–679.
Internationale Politikanalyse 9

Übersicht 4: Bewertung der ENP von EU-Mitgliedstaaten – FES-Interviewergebnisse

Land ENP bislang Stärkere geo- Geogra- Förderung von Inhalt der Politische Finanzierung
erfolgreich? grafische fisches Demokratie/politi- Aktions- Konditionalität
Differenzierung Interesse schen Institutionen pläne
befürwortet?
Deutschland differenziert; Differenzierung Osten länderspezifische Be- angemessen bessere Anreize not- Ausstattung aus-
hängt stark angemessen; trachtung notwendig: wendig (finanziell, reichend; Evaluie-
von Partner- unterschiedliche guter Erfolg bei Ukra- wirtschaftlich, zivil- rung abwarten
land ab Präferenzen unter ine und Marokko gesellschaftlich)
Mitgliedern wer-
den akzeptiert
Finnland generell ja; ja; Osten, v. a. länderspezifische Be- angemessen bessere Anreize not- Evaluierung ab-
hängt stark östliche und süd- Russland trachtung notwendig: wendig (wirtschaft- warten
vom jewei- liche Dimension guter Erfolg bei Ukra- lich, zivilgesellschaft-
ligen Partner- beide sinnvoll ine lich)
land ab
Frankreich eher nein ja; Süden genau richtig; – nicht wirksam, –
kritische Beurtei- aber realistischerweise Beitrittsperspektive
lung der östlichen nur begrenzter Ein- ist der einzige wirk-
Dimension fluss same Anreiz
Litauen Regierung: ja ja Osten angemessen angemessen bessere Anreize not- mehr für die öst-
Opposition: wendig (Beitritt) liche Dimension
nein
Polen teilweise ja; exklusiv Os- begrenzte Wirksam- Nicht-EU- bessere Anreize not- mehr Geld not-
Unterscheidung ten keit Experten: zu wendig (politisch, wendig;
zwischen »Euro- vage; wirtschaftlich, zivil- ungleiche Vertei-
päischen Nach- gesellschaftlich, Bei- lung zwischen
EU-Experten:
barn« und »Nach- tritt); Osten und Süden
angemessen
barn Europas« kritisiert
Monitoring sollte
einführen
verbessert werden

Rumänien nein ja; Osten sollte besser vom klarere Stan- bessere Anreize not- mehr Geld not-
östliche und süd- Europarat übernom- dards und wendig (finanziell); wendig
liche Dimension men werden stärkere Dif- Möglichkeit nega-
beide sinnvoll ferenzierung tiver Konditionalität
notwendig gefordert
Slowakei ja ja; Osten angemessen angemessen bessere Anreize not- ungleiche Vertei-
wendig (finanziell, lung zwischen
kritische Beurtei-
zivilgesellschaftlich); Osten und Süden
lung der süd-
Monitoring sollte kritisiert
lichen Dimension
verbessert werden
Spanien zu früh für ja; Süden begrenzte Wirksam- angemessen bessere Anreize not- mehr Geld not-
Beurteilung östliche und süd- keit aufgrund Mangels wenig (wirtschaft- wendig
liche Dimension, an politischem Willen lich, institutionelle
beide sinnvoll Einbindung)
Tschechien eher ja Differenzierung Osten – – stärkere politische mehr Geld not-
angemessen Konditionalität not- wendig
wendig
Ungarn eher nein strikte Trennung Osten nicht angemessen angemessen bessere Anreize not- stärkere Differen-
zwischen Ost und wendig (wirtschaft- zierung zwischen
Süd befürwortet lich, Beitritt) einzelnen Ländern
gefordert
Vereinigtes ja (als erster ja Osten und – zu vage bessere Anreize –
Königreich Schritt zum Süden nötig
Beitritt)

Quelle: ENP-Länderberichte der FES, Bonn 2007 (u.M.).


10 Barbara Lippert Die Europäische Nachbarschaftspolitik: viele Vorbehalte – einige Fortschritte – unsichere Perspektiven

Übersicht 5: Prioritäten für die Weiterentwicklung der ENP von EU-Mitgliedstaaten

Land Prioritäten für die Weiterentwicklung


Deutschland Freihandel mit ENP-Staaten; zunächst asymmetrische Marktöffnung in bestimmten Sektoren
Visaerleichterung
verstärkte Kooperation in Energiefragen, Migrationssteuerung, Bekämpfung der organisierten Kriminalität
Stärkung sektorübergreifender Themen wie Good Governance, Rechtstaatlichkeit, Justiz, innere Sicherheit,
Verkehr, Umwelt
politischer Dialog unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft stärken
vertieftes Abkommen mit Ukraine als Modell
Finnland bessere Anreize (v. a. Handelsliberalisierung)
stärkere Differenzierung nach einzelnen Ländern
Korruptionsbekämpfung
zivilgesellschaftliche Kontakte stärken
Frankreich Energieversorgung
Migrationssteuerung
Kriminalitätsbekämpfung
Litauen stärkere Flexibilität und Differenzierung (in Aktionsplänen Perspektiven für Assoziierung/Beitritt)
Visaerleichterung
Freihandel und Handelserleichterungen
Polen tiefe, umfassende Freihandelszone etablieren
Kooperation auf Energiesektor
Wertegemeinschaft etablieren
zivilgesellschaftliche Kontakte stärken (Visafreiheit)
Rumänien –
Slowakei verbesserter Marktzugang
Migrationssteuerung
Energiesicherheit
externe Sicherheit
politischer Dialog
stärkere Differenzierung
Freihandelsabkommen als und sonstige starke Anreize für besonders ›willige‹ Staaten wie beispielsweise Ukraine
Spanien –
Tschechien Fokussierung auf Energie, Migration und wirtschaftliche Zusammenarbeit
Demokratisierung von Belarus
Ungarn Migrationssteuerung
Bekämpfung des organisierten Verbrechens (Menschenhandel und Drogenschmuggel)
Vereinigtes multilaterale Freihandelszone (Vorbild EFTA)
Königreich zivilgesellschaftliche Kontakte stärken
Terrorismusbekämpfung
Energiesicherheit

Quelle: ENP-Länderberichte der FES, Bonn 2007 (u.M.).

In den Mitgliedstaaten herrscht ferner weitgehend formationen über deren Implementierung haben. Die
Einigkeit darüber, dass die ENP bessere Anreize bieten häufigsten Verbesserungsvorschläge beziehen sich
muss, um erfolgreich zu sein. Gefordert wird beispiels- auf wirtschaftliche Anreize (Zugang zum Binnen-
weise, in den Aktionsplänen ein größeres Gewicht auf markt, Gewährung asymmetrischer Handelserleichte-
die Bekämpfung von Korruption und Armut zu legen rungen) sowie auf die Erleichterung zivilgesellschaft-
(siehe Übersicht 5). Allerdings gelten die Aktionspläne licher Kontakte. In Frankreich herrscht jedoch die An-
überwiegend als »angemessen«, wobei jedoch zu be- sicht vor, dass Konditionalitätsmechanismen im Rah-
rücksichtigen ist, dass nur wenige Experten in den men der ENP grundsätzlich nicht oder kaum greifen
Ministerien eine genauere Kenntnis und konkrete In- können, da die Beitrittsperspektive als ultimativer An-
Internationale Politikanalyse 11

reiz fehlt. Staaten, die eine Beitrittsperspektive zumin- zu berücksichtigen. Zu nennen sind unter anderem
dest der östlichen Nachbarländer nicht prinzipiell aus- die relativ ausgewogene politische Kräftekonstella-
schließen, sehen entsprechend dazu die Beitrittspers- tion, die Parallelität von EU- und NATO-Erweiterung
pektive als bestmöglichen potenziellen Anreiz der ENP. in Bezug auf die drei baltischen Staaten und Polen,
Dies gilt besonders für Länder wie Polen aber auch die ökonomische Stärke und die Attraktivität des Ost-
Spanien. seeraums für Investoren, der hohe Stand demokra-
Die Ratsformel, dass die ENP keineswegs die künf- tisch-rechtsstaatlicher Konsolidierung der Anrainer-
tigen Entwicklungen der Beziehungen zwischen der staaten, die geringere Konfliktintensität (bezogen auf
EU und den Nachbarländern präjudiziert,20 bedeutet, weiche Sicherheitsrisiken und zum Beispiel Grenzfra-
dass die EU die Tür zur Mitgliedschaft für die osteuro- gen) sowie die finanziellen und wirtschaftlichen An-
päischen Staaten nicht schließt. Tendenziell gewinnen reize für eine wenn auch begrenzte Kooperation mit
diejenigen Staaten in der EU an Boden, die für eine Russland.
Beitrittsperspektive für osteuropäische Staaten eintre- Obwohl der Stabilisierungs- und Assoziierungspro-
ten oder diese zumindest mittelfristig nicht ausschlie- zess für Südosteuropa und die Politik der EU gegen-
ßen. Eine ideale Vorstellung von der zukünftigen Ent- über den Ländern des westlichen Balkans nicht unter
wicklung liefe auf eine Stabilisierung des Südens und die ENP fallen, gewinnt die Vernetzung mit dieser
eine Integration des Ostens hinaus.21 Zwar favorisie- Region angesichts der prekären Sicherheitslage, der
ren die meisten Regierungen einen länderspezifischen Grenz- und Minderheitenkonflikte größere Aufmerk-
Ansatz, die Länderpräferenzen variieren aber stark. samkeit etwa seitens Ungarns, Rumäniens, aber auch
Hier lauert die Gefahr fauler Paketlösungen. Für eine Italiens. Die Mittelmeerunion stieß zunächst außer-
sachbezogene Meinungsbildung und Entscheidungs- halb Frankreichs nur in Spanien (und Italien) auf Sym-
findung müssen die Evaluationsberichte der Kommis- pathie, während die Skala ansonsten von neutral
sion von hoher Qualität sein und sich politische Glaub- (Tschechien) bis ablehnend (Deutschland) reichte.24
würdigkeit verschaffen. Die regionale Kooperation in der östlichen Nach-
Die regionale Komponente der ENP wird generell barregion könnte sich künftig dynamischer entwi-
begrüßt, wenn auch in unterschiedlicher Intensität für ckeln, wobei die EU als externer Impulsgeber unver-
einzelne Regionen unterstützt. Die Schwarzmeerko- zichtbar scheint. Eine Grundsympathie für regionale
operation findet vor allem die Unterstützung des An- Kooperation und eine multilaterale Ergänzung der
rainerstaates Rumänien,22 aber auch von Deutschland, ENP in Osteuropa ist vielfach unter den Mitgliedstaa-
das sich für die Schwarzmeersynergie besonders ein- ten vorhanden. Wie sich dies konkret und angesichts
gesetzt hatte.23 Weiterhin stößt die regionale Koope- der status-quo-orientierten »Gegenkräfte« in den
ration in der Ostsee auf das Interesse alter und neuer südlichen Mitgliedstaaten entwickelt und einpendelt,
Mitgliedstaaten. Dazu zählen Deutschland, Estland, wird wohl Gegenstand politischer Verhandlungen und
Lettland, Schweden, Finnland und mit Einschränkun- Tauschgeschäfte in der EU werden.
gen Polen. Gerade die nördliche Dimension bietet für Zu weiteren Schwächen der ENP zählen außerdem
einen pragmatischen bottom up- und low politics- ihre geringe Visibilität und das schlechte Image in den
Ansatz einige positive Lehren für andere Regional- Partnerländern, aber auch in EU-Mitgliedstaaten
kooperationen. Allerdings sind auch Besonderheiten selbst. So werden »Marketingfehler« beklagt und
konstatiert, dass die ENP in den Partnerstaaten von
negativen Konnotationen und Assoziationen begleitet
20 Vgl. Rat: Fortschrittsbericht des Vorsitzes, 2007, [Fn. 1],
S. 2. ist. Aus Sicht vieler Mitgliedstaaten fällt die ENP-
21 Vgl. ENP-Länderbericht Tschechien der FES, Bonn 2007 Zwischenbilanz bestenfalls gemischt aus, wobei für
(u.M.). den Erfolg die Resonanzfähigkeit der Partnerländer
22 Vgl. Intervention by Mr. Laszlo Borbely, Minister of Develop- gegenüber den Europäisierungsangeboten der EU
ment, Public Works and Housing, Romania, Rede auf der
ausschlaggebend ist (vgl. Übersicht 4). In vielen Mit-
Konferenz »Working together – strengthening the European
gliedstaaten wird die Ukraine, der gute Fortschritte
Neighbourhood Policy« in Brüssel, 3. September 2007: »Ro-
mania welcomes and strongly supports enhanced energy bei der Umsetzung des Aktionsplans bescheinigt wer-
dialogue between the EU and the countries in the Black Sea- den und mit der gegenwärtig über ein ›vertieftes Ab-
Caspian region. We believe the Black Sea region can play an
important role as a transit route towards the European mar- 24 Siehe ENP-Länderberichte Tschechien und Deutschland der
kets and is, therefore, strategically important.« FES, Bonn 2007 (u.M.); sowie vgl. u. a. Angela Merkel clearly
23 Vgl. Staatsminister für Europa Günter Gloser anlässlich der against Mediterranean Union but Nicolas Sarkozy seeking to
ENP-Konferenz »Working together – strengthening the reassure her, in: Agence Europe, 8. Dezember 2007; Paris
European Neighbourhood Policy« in Brüssel, 3. September verprellt Berlin mit Mittelmeer-Union, in: Handelsblatt, 6. Fe-
2007. bruar 2008.
12 Barbara Lippert Die Europäische Nachbarschaftspolitik: viele Vorbehalte – einige Fortschritte – unsichere Perspektiven

Übersicht 6: Regionale Verteilung der ENPI-Mittel pro Kopf

ENPI: Indikative Mittelzuweisung (2007–2010) pro Einwohner


50

45

40

35

30

25

20

15

10

0
n

u
ko
n

n
en

on

e
n
en

s
n

nd
n
l
de

te

da
ae

ru
rie

ie

ie

in
rie

ha
ie
ok
st

an
ni
yp

en

rg

la
ra
la

Isr

ol
es
ge

Sy

sc
O

ar

ss
Be

eo

Uk
Lib
Äg

M
m
n
rd

id
Al

Ru
M

Tu

Ar

G
Jo

ba
er
As

Quelle: Europäische Kommission sowie eigene Berechnungen; Süden = südliche ENP-Länder + Regionalprogramm für die Partner-
schaft Europa-Mittelmeer; Osten = östliche ENP-Länder (ohne Russland) + Programm für die Region Ost

kommen‹ verhandelt wird, als Beispiel für das große Ein grundlegendes Problem der EU bleibt die teils
Potenzial der ENP angesehen.25 schwache und insgesamt sehr uneinheitliche politi-
In den neuen Mitgliedstaaten wird die Aufteilung sche Unterstützung aus den Hauptstädten, auch
der ENP-Finanzmittel zu Lasten der östlichen ENP- wenn die politische Rhetorik seitens der Regierungen
Länder kritisiert. Allerdings gewinnt man ein anderes oft sehr viel positiver klingt. Ähnlich sieht es die Kom-
Bild, wenn man die Ausgaben pro Kopf heranzieht mission: »Entscheidend wird in diesem Zusammen-
(siehe Übersicht 6). Rechnet man die respektiven hang sein, dass die Mitgliedstaaten der Kommission
Regionalprogramme hinzu, so erhalten die östlichen bei ihren Bestrebungen den Rücken stärken […].«27
ENP-Länder (ohne Russland) für den Zeitraum Um den Partnerländern robuste Angebote und wir-
2007–2010 einen Betrag von 16,55 € pro Einwohner, kungsvolle Anreize zu geben, müssten die EU-Staaten
die südlichen ENP-Länder hingegen nur 13,79 €. Eine ihren Verpflichtungen zuverlässig und energisch nach-
Aufstockung der Mittel gehört jedoch nicht zu den kommen und sie in einer dynamischen Perspektive
prioritären Forderungen von EU-Mitgliedstaaten.26 von Kooperation und Integration auch in den einzel-
Insgesamt ist zu konstatieren, dass sich die inhalt- nen Sektoren substanziell anreichern. Die Kommission
lichen ENP-Profile der Mitgliedstaaten gegenwärtig stößt jedoch diesbezüglich bei den Mitgliedstaaten
bei Weitem noch nicht so klar abheben wie ihre auf die bekannten Reflexe des Protektionismus, der
geografischen Präferenzen. internen Verteilungskonflikte und der Profilierungs-
egoismen einzelner Akteure. Darüber hinaus haben
die ENP-Länder auf längere Sicht mit strukturellen
25 Siehe u. a. ENP-Länderberichte Tschechien und Finnland der Transformationsproblemen zu kämpfen, denen die EU
FES, Bonn 2007 (u.M.); sowie vgl. Frank-Walter Steinmeier: vor allem durch Sozialisierungs- und Entwicklungs-
Verflechtung und Integration. Eine neue Phase der Ostpolitik strategien begegnen will. Das erfordert eine länger-
der EU: Nicht Abgrenzung, sondern Vernetzung lautet das
fristig angelegte Politik.
Gebot der Globalisierung, in: Internationale Politik, 3 / 07,
S. 6–11.
26 Siehe u. a. ENP-Länderberichte Finnland, Deutschland, Polen 27 Kommission: Für eine starke Europäische Nachbarschafts-
der FES, Bonn 2007 (u.M.). politik, 2007, [Fn. 1], S. 5.
Internationale Politikanalyse 13

Nicht auszuschließen ist, dass die ENP auf der Stelle staats Ukraine in das »EU-Lager«. Russland wird von
treten und vornehmlich von akuten Herausforderun- diesen EU-Ländern als negativer und destabilisieren-
gen aus den Nachbarregionen angetrieben wird. Da- der Faktor in der Region gewertet.28 Sie kritisieren die
mit bliebe die EU ein reaktiver Spieler mit begrenzten mangelhafte Kohärenz der EU-Russlandpolitik, wobei
externen Governance-Erfolgen in der östlichen und sie vor allem eine stärkere Verteidigung ihrer Interes-
südlichen Nachbarschaft. sen und Prinzipien sowie Gesten der Solidarität mit
jenen EU-Staaten erwarten, die von Russland etwa
bei den Energielieferungen unter Druck gesetzt wer-
4. Mittelfristige Herausforderungen den. Das davon abgeleitete wahrscheinliche Szenario
(2009–2014) ist die vom Risikofaktor Russland ausgehende Rivali-
tät zwischen Moskau und Brüssel, die sich besonders
Formal betrachtet ist die Zukunft der ENP durch den im ENP-Raum manifestieren kann. Dem gegenüber
zyklischen Einsatz der oben genannten Instrumente stehen zum Beispiel die deutsche und finnische Re-
und ihre Überprüfung sowie die regelmäßige umfas- gierung, die die Möglichkeiten für eine strategische
sende Bewertung der politischen und wirtschaftlichen Partnerschaft weiter auszuloten versuchen. Sie schlie-
Lage des Partnerlandes vorgezeichnet. Die Implemen- ßen zwar das Szenario geopolitischer Rivalität nicht
tierung der ENP und deren Kontrolle sowie die Anpas- aus, machen es aber nicht zum Axiom der EU-
sung der Instrumente stehen künftig im Vordergrund: Russlandpolitik. Sie lehnen demgemäss derzeit eine
Pragmatisierung dominiert über weiterführende kon- Containment-Politik ab und suchen statt Regression
zeptionelle Ideen. Das bedeutet auch, dass sich im der Beziehungen wo immer möglich die Kooperation
Zuge der Implementierung der ENP das Feld der Nach- und Verflechtung der Interessen. So bekräftigt etwa
barländer, die sich in unterschiedlichen Geschwindig- Bundesaußenminister Steinmeier: »Kooperation und
keiten auf die EU zubewegen werden, neu ordnen Partnerschaft sind auch die Konstanten unserer Russ-
wird. Die EU wird Vorreiter belohnen, aber auch eine landpolitik. Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind
tragfähige und transparente Position gegenüber den groß, das stabilisiert die Gesamtbeziehungen. Ich
Ländern entwickeln müssen, die entweder reformwil- werbe für eine strategische Partnerschaft, um Ruß-
lig, aber unfähig oder reformunwillig, aber zugleich land so fest als möglich in Europa zu verankern. Das
von strategischem Interesse für die EU sind. Hier schließt gelegentliche Meinungsverschiedenheiten
kommt es im Sinne politischer Glaubwürdigkeit dar- und Dissens nicht aus.«29 Dieser Ansatz geht in seiner
auf an, dass die EU Automatismen und doppelte Maß- pro-aktiven und ›werbenden‹ Attitüde deutlich über
stäbe meidet. die vom polnischen Ministerpräsidenten Tusk favori-
Nicht auszuschließen ist darüber hinaus, dass die sierte »harmonische Koexistenz« mit Russland hin-
Ukraine und Moldova bis 2014 Beitrittsanträge stel- aus.30 Zu bewerten wäre, wie limitierend das russi-
len. Grundsätzlich hat die EU diesbezüglich zwei Op- sche Desinteresse an der Demokratisierung und der
tionen: Sie kann die Dinge laufen lassen, oder aber, Etablierung einer Wertegemeinschaft mit den Nach-
wie im Falle des westlichen Balkans, den Prozess durch barstaaten ist. Als wichtigste Konfliktlinien wird viel-
konditionierte Annäherungsstufen inhaltlich und zeit- fach auf Russlands Rolle bei den eingefrorenen Kon-
lich zu steuern versuchen. Damit wäre die ENP in die flikten in Europa, unterschiedliche Wertevorstellun-
Heranführungsstrategie beziehungsweise Erweite- gen und Energiefragen verwiesen. Einigkeit herrscht
rungspolitik übergegangen. Außerdem verfolgen ins- hingegen in der EU in der Einschätzung, dass auch die
besondere Georgien und die Ukraine den Beitritt zur ENP daran krankt, dass es keine gemeinsame Russ-
NATO, wozu die EU noch keine gemeinsame Position landpolitik der EU gibt. Polen, dessen Beziehungen zu
hat. Das Thema ENP, NATO und »doppelte Erweite- Russland in den letzten Jahren besonders belastet
rung« gehört deshalb verstärkt auf die transatlan- waren, sieht dagegen in jüngster Zeit, insbesondere
tische Agenda und in die EU-USA Beziehungen.
Der größte Sprengstoff innerhalb der EU jedoch 28 Siehe u. a. ENP–Länderberichte Ungarn, Tschechien, Litauen
liegt in der Frage der EU-Russlandpolitik. Das Rivali- der FES, Bonn 2007 (u.M.); sowie vgl. u. a. Valdas Adamkus:
tätsszenario »Brüssel-Moskau« steht dem der über- Remarks by President Valdas Adamkus at the Discussion
lappenden Kooperationsräume gegenüber. Die ost- »Russia and its Neighbours«, World Economic Forum in
mitteleuropäischen EU-Staaten gehen überwiegend Davos, 26. Januar 2008.
29 Frank-Walter Steinmeier: Rede des Bundesaußenministers
(abgeschwächt Ungarn, Slowakei) von einem Hege-
anlässlich der Eröffnung der Botschafterkonferenz im Aus-
monialanspruch Russlands in Bezug auf den post- wärtigen Amt, 3. September 2007.
sowjetischen Raum aus. Der Kreml sabotiert aus die- 30 Donald Tusk: Unser Nachbar Russland, in: Frankfurter Allge-
ser Sicht insbesondere das Abwandern des Schlüssel- meine Zeitung, 18. Februar 2008.
14 Barbara Lippert Die Europäische Nachbarschaftspolitik: viele Vorbehalte – einige Fortschritte – unsichere Perspektiven

unter der deutschen Ratspräsidentschaft, einige Fort- etwa auch Frankreich34, Spanien und Großbritannien
schritte auf dem Weg zu einer gemeinsamen EU- vorstellen können. Dennoch werden diese Optionen,
Russlandpolitik.31 die auch im Zusammenhang mit der Mittelmeerunion
Wenig ergiebig dürfte – als Spiegelbild der offenen auftauchen, in Zukunft eine Rolle bei der Gestaltung
Finalität der ENP – die Frage der endgültigen Festle- der ENP spielen.
gung der Grenzen der EU sein, die in nächster Zeit im
Umfeld der Reflexionsgruppe »Horizont 2020–2030«
wiederbelebt wird. Die Debatte behält aber ihre im- 6. Ausblick und Empfehlungen
merwährende Funktion als Spiegel der politischen
Identitätssuche in der EU. Vor dem Hintergrund der Projektergebnisse und ihrer
Analyse sollen folgende Empfehlungen für die euro-
päische und deutsche Politik zur Diskussion gestellt
5. ENP 2020 werden:

Viele der Interviewpartner bezweifeln, dass die ENP (1) Um die ENP als Alternative oder als Übergangs-
als überwölbender einheitlicher Rahmen bis zum Jahr und Auffangstrategie zur Erweiterung zu etablieren,
2020 halten wird. Experten aus Frankreich, Rumänien, ist ein beharrliches politisches Engagement notwen-
Polen und Tschechien rechnen beispielsweise eher da- dig. Die ENP wird von politischen Kräften in der EU als
mit, dass es sich um eine Lösung für eine Zwischenzeit ein Laboratorium genutzt, um eine neue Architektur
handelt. Allgemein werden verschiedene (Reform-) der Beziehungen zwischen der EU und Nachbarstaa-
Geschwindigkeiten und eine Selbst-Differenzierung ten unterhalb der Mitgliedschaft zu entwickeln und
im südlichen und östlichen Nachbarschaftsraum pro- zu erproben. Diesbezüglich sollte die deutsche Politik
gnostiziert. Im besten Falle liefe das auf »Stabilität im keine politischen Tabus verhängen, auch wenn diese
Süden und Integration im Osten«32 hinaus. Aus deut- Debatte in Deutschland kaum von der Kontroverse
scher Sicht dürfte sich bis 2020 die Frage der Mitglied- über einen Beitritt der Türkei zu trennen sein wird.
schaft oder engen Assoziation der Türkei im Rahmen
einer Sonderbeziehung geklärt haben. Die Türkei- (2) Die (multilaterale) institutionelle Dimension der
Problematik wirft gegenwärtig einen Schatten auf die ENP ist vernachlässigt. Vorschläge von Think Tanks
Frage der Fortsetzung der Erweiterungspolitik gegen- und aus dem Europäischen Parlament, die politische
über Osteuropa. Dimension der ENP-Ost durch multilaterale Gesprächs-
Entsprechend graduiert müsste die Privilegierung und Konsultationsformate (siehe gesamteuropäische
von Nachbarn im Verhältnis zur EU ausfallen. Die Aufgabenkonföderation35) auf parlamentarischer
Skala reicht von Kooperation – Assoziierung – EWR – Ebene (Versammlung36) und auf Ministerebene sym-
EWR plus – Mitgliedschaft minus – bis zum Beitritt. bolisch wie praktisch hervorzuheben, sind stärker aus-
Eindeutig ist bei diesen Vorschlägen nur, dass der Bi- zuloten. Diese Arrangements und Initiativen dürften
lateralismus dominiert, aber politisches Momentum jedoch gerade bei ostmitteleuropäischen Mitglied-
haben diese Vorstellungen noch nicht gewonnen. Mit staaten auf Ablehnung stoßen, sobald sie institutio-
Blick auf Alternativen und Zwischenlösungen zur Auf- nalisierte Formen annähmen. Dazu würde im Prinzip
nahme neuer Mitglieder könnte der Fortgang oder auch der vom Europäischen Parlament geforderte
das Stocken der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei »Europäische Wirtschaftsraum Plus« zählen. Anders
Impulse geben und nicht zuletzt die offene Debatte
über die Ukraine befeuern. Wegen der bekannten re- 34 Vgl. Nicolas Sarkozy, zitiert nach: France will not oppose EU
servierten Haltung (von Teilen) der Bundesregierung talks with Turkey: Sarkozy, in: EUbusiness, 27. August 2007,
und der deutschen Bevölkerung zur Frage der Türkei- abrufbar unter: http://www.eubusiness.com / Turkey /
1188210721.96 / (letzter Zugriff: 11. Februar 2008): »I’m not
Mitgliedschaft wird sich die Bundesregierung aber
going to be a hypocrite. Everyone knows that I am only in
nicht an die Spitze derer stellen können, die innovati- favor of an association […] I think that the idea of an asso-
vere Modelle zur Anbindung von Nachbarstaaten ciation will one day be recognised by everyone as being the
suchen, wie etwa ein EWR-ähnliches Verhältnis oder most reasonable«.
andere Assoziationsformen neuen Typs,33 die sich 35 Barbara Lippert: Assoziierung plus gesamteuropäische Auf-
gabenkonföderation: Plädoyer für eine selbstbewusste Nach-
barschaftspolitik der EU, in: integration 2 / 06, S. 149–157.
31 Vgl. ENP-Länderbericht Polen der FES, Bonn 2007 (u.M.). 36 Europäisches Parlament: Entschließung des Europäischen
32 Vgl. ENP–Länderbericht Tschechien der FES, Bonn 2007 Parlaments vom 15. November 2007 zur Stärkung der Euro-
(u.M.). päischen Nachbarschaftspolitik, Dok. P6_TA(2007)0538,
33 Vgl. Lippert: Teilhabe statt Mitgliedschaft?, 2007, [Fn. 7]. 15. November 2007, Punkte 42 und 43.
Internationale Politikanalyse 15

als der zwischen der multilateralen EFTA und der EU (6) Bundesregierung und Bundestag sollten sich wie
geschlossene EWR ist der »EWR Plus« offenbar als auch die nationalen EU-Parlamente generell intensiver
Entwicklungsstufe in den bilateralen Beziehungen mit dem Monitoring und den Fortschrittsberichten der
zwischen dem Partnerland und der EU konzipiert.37 Kommission zu den Nachbarländern befassen, für
hohe Qualitätsstandards bei der Evaluierung eintreten
(3) Bei der Überarbeitung der Europäischen Sicher- und den Nachbarschaftsthemen regelmäßig öffentlich
heitsstrategie unter französischer Präsidentschaft Aufmerksamkeit schenken. Das umso mehr, als sen-
sollte der ENP als »eine zentrale Priorität der EU- sible sektorale Interessen berührt werden können, die
Außenpolitik« stärkeres Gewicht beigemessen und die ENP (noch vorrangig) auch als außenpolitisches
auch Hinweise auf die Operationalisierung und gege- Elite-Thema popularisieren (Visafreiheit, Energiesicher-
benenfalls den Zeithorizont eingebaut werden. In die- heit). Vorschläge zur Stärkung der positiven Konditio-
sem Zusammenhang sollte sich die EU nachdrück- nalitätspolitik – etwa der Ausstattung und Vergabe-
licher für die Beilegung der eingefrorenen Konflikte kriterien für die Governance-Fazilität – sind auch in
im östlichen Nachbarschaftsraum einsetzen. diesem Zusammenhang in engem Dialog mit der
Kommission und staatlichen und nichtstaatlichen Ak-
(4) Implikationen des Lissabonner Vertrags, die sich teuren in den ENP-Ländern weiterzuentwickeln.
für die ENP aus der institutionellen Neuordnung in
Bezug auf das auswärtige Handeln der EU ergeben, (7) Die Zivilgesellschaften der Partnerländer sollten
sollten geprüft und Optionen für die praktische Aus- systematischer in die Prozesse der Evaluierung, aber
gestaltung entwickelt werden. Das neue Führungs- mehr noch als Adressaten und Kooperationspartner
quartett, insbesondere der ›EU-Außenminister‹ (Fusion in die ENP einbezogen werden. Dialogforen und kon-
»Solana« und »Ferrero-Waldner«), müsste Kapazitä- krete Projekte zur Verstärkung von gesellschaftlichen
ten entwickeln, die die institutionellen Synergien ver- Strukturen und des Engagements einzelner sollten
bessern (ENP aus einer Hand), Reibungsverluste mini- etwa durch die politischen Stiftungen, die Parteien
mieren und der ENP eine stärkere politische Ausstrah- und andere Nichtregierungsorganisationen ins Leben
lung und Kohärenz geben. Andernfalls müsste eine gerufen, und im Sinne des joint ownership nachhaltig
enge Koordinierung mit dem ENP-Kommissionsmit- unterstützt werden.
glied gelingen. Deshalb kommt der Neugestaltung
des administrativen Unterbaus (z. B. spezielle Gene- (8) Für die Bundesregierung bleiben die französische
raldirektion für ENP, Zusammenlegen der GD Erweite- und polnische Regierung schwierige, aber unverzicht-
rung mit ENP-Referaten der GD RELEX, Europäischer bare Partner in der EU, um weitere Fortschritte bei der
Auswärtiger Dienst, administrativer Unterbau des Prä- ENP durchzusetzen. Das Weimarer Dreieck ist ein zu-
sidenten des Europäischen Rats) aller am auswärtigen sätzliches Forum, um ENP-Themen zu behandeln und
Handeln der Union beteiligten Akteure große Bedeu- den Profilierungsehrgeiz beider Regierungen in kons-
tung zu. Zu bedenken ist, dass eine administrative truktive Bahnen zu lenken. Die Stärkung der östlichen
Zuordnung unter dem Namen ENP (bei Kommission Dimension der ENP soll weiterhin nicht auf Kosten des
und Rat) gegebenenfalls ungewollte Restriktionen Engagements für den Mittelmeerraum gehen. Der
schafft, um die Differenzierung Süd / Ost und nach Streit über eine geografische Entkoppelung der Ost-
Ländern maximal und angemessen zu betreiben. und Süd- ENP ist nachrangig. Die länderspezifische
Differenzierung wird sich in der Realität im Sinne einer
(5) Bei der Implementierung der Aktionspläne sollte ENP der verschiedenen Geschwindigkeiten durchset-
die EU größten Wert auf die Querschnittsaufgaben zen. Die EU muss durch ihre Konditionalitätspolitik
der Good Governance und Rechtstaatlichkeit sowie diesen unterschiedlichen Reformerfolgen Rechnung
der Einrichtung einer umfassenden und vertieften tragen und diese anerkennen.
Freihandelszone legen und auf erkennbare Fortschritte Die ursprünglich von Präsident Sarkozy vorgeschla-
in beiden Feldern im Lichte vereinbarter Indikatoren gene Mittelmeerunion verdiente als eine Konkurrenz-
drängen. Die Verhandlungen mit der Ukraine haben veranstaltung Frankreichs zum Barcelona-Prozess und
Pilotfunktion und könnten ein sichtbar positives Bei- zur ENP keine Unterstützung, zumal sie der ENP poli-
spiel für privilegierte Beziehungen zwischen der EU tische Energie und Glaubwürdigkeit entzog. Zudem
und den Nachbarstaaten sein. suggerierte der Begriff »Mittelmeerunion«, dass die
EU als ganzes oder teilweise eine feste Verbindung
mit den Ländern des Mittelmeers bilden wollte
(»Neben-EU«). Auch die inzwischen in »Union für das
37 Ebd., Punkt 31. Mittelmeer« umbenannte Initiative wirft kritische Fra-
16 Barbara Lippert Die Europäische Nachbarschaftspolitik: viele Vorbehalte – einige Fortschritte – unsichere Perspektiven

gen auf: ihr Mehrwert gegenüber dem Barcelona- Osteuropas, von der Klarheit in der Frage des Beitritts
Prozess und der ENP, die Inklusivität mit Blick auf die der Türkei, von der Bewertung des Faktors Russland
südlichen Nachbarn einschließlich der Türkei, die Be- im »gemeinsamen Nachbarschaftsraum«, vom Stand
teiligung von EU-Organen und Einrichtungen sowie der NATO-Erweiterung, von der glaubwürdigen Um-
die von EU-Mitgliedstaaten, die Finanzierung der setzung der »3 K« (Konsolidierung, Konditionalität
Union für das Mittelmeer, ihre inhaltliche Ausrich- und Kommunikation)38 innerhalb der EU sowie – als
tung, die institutionellen Angebote, die Haltung zum Signal in die EU – erfahrungsgemäß von einer deutsch-
Konditionalitätsprinzip, also das Verhältnis von Geben französischen Einigung bei dieser Weichenstellung.
und Nehmen im Rahmen der neuen Beziehungen.
(10) Für die institutionelle Architektur des auswärtigen
(9) Das Offenhalten der Finalitätsfrage in der ENP ent- Handelns der Union bedeutet das zum 1. Januar 2009
spricht weiterhin den deutschen Präferenzen. Ange- erwartete Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags ei-
sichts der Konsolidierungsnotwendigkeiten im Innern nen Einschnitt. Die EU sollte diese neue Lage auch
der EU und des noch unzureichenden Europäisie- dazu nutzen, um ihre außenpolitischen Prioritäten zu
rungsgrads der Nachbarn wäre ein seitens der EU an- schärfen. Der neue ›Nachbarschaftsartikel‹ (Art. 8
gebotener Übergang von der ENP zur Heranführungs- EUV) im EU-Vertrag kann ein Anknüpfungspunkt sein,
und damit zur Erweiterungspolitik verfrüht. Solange um unter den Mitgliedstaaten mehr praktische Unter-
die Strategie der ENP – »Europäisierung ohne Mit- stützung und Loyalität für die ENP zu mobilisieren und
gliedschaft« – nicht offenkundig als Reform- und Mo- ihre politische Sichtbarkeit zu verbessern. Im Sinne
dernisierungsbremse wirkt, sollte die EU von eiligen dieses neuen Artikels geht es für die EU darum, keine
politischen Versprechen absehen. Wann und ob sich »ENP-Müdigkeit« aufkommen zu lassen, sondern die
die EU für den Schritt zur Erweiterung entscheiden »besonderen Beziehungen zu den Ländern in ihrer
wird, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die Nachbarschaft« kraftvoll zu entwickeln und einen
abzuwägen sind: Von der Qualität der Reformen und »Raum des Wohlstands und der guten Nachbarschaft
Modernisierung in den in Frage kommenden Ländern zu schaffen«!

38 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mittei-


lung der Kommission an das Europäische Parlament und den
Rat. Erweiterungsstrategie und wichtigste Herausforderun-
gen für den Zeitraum 2006–2007 mit Sonderbericht über
die Fähigkeit der EU zur Integration neuer Mitglieder,
KOM(2006)649 endg., 8. November 2006. Mit Konsolidie-
rung ist hierbei das Einhalten bestehender Verpflichtungen
gegenüber den im Beitrittsprozess befindlichen Ländern bei
gleichzeitiger Zurückhaltung, was die Übernahme neuer
»Beitrittsversprechen« und Beitrittsperspektiven seitens der
EU angeht, gemeint. Konditionalität bezeichnet die Anwen-
dung strikter Bedingungen gegenüber den Kandidatenlän-
dern, wobei es vom Vorankommen des einzelnen Landes bei
der Erfüllung der Bedingungen abhängt, ob die nächsten
Schritte im Beitrittsprozess eingeleitet werden. Mit Kommu-
nikation ist die bessere Erläuterung der Vorteile von EU-
Erweiterungen für die Bürger gemeint.
Ausgewählte Veröffentlichungen des Referats „InternationaleInternationale
Politikanalyse“
Politikanalyse
International Policy Analysis Unit

Arbeitskreis Europa Thorsten Benner, Stefanie Flechtner (Hrsg.)


Chancen für eine nachhaltige Energiepolitik Demokratien und Terrorismus – Erfahrungen mit
= mçäáíáâJfåÑçI=^éêáä=OMMT= der Bewältigung und Bekämpfung von Terroran-
= schlägen. Fallstudien USA, Spanien, Niederlande
AG Europäische Integration und Großbritannien.
Plädoyer für ein europäisches Sozialmodell = cêáÉÇÉå=ìåÇ=páÅÜÉêÜÉáí, g~åì~ê=OMMT=
= bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=^éêáä=OMMT= =
= Sven Biscop
Michael Sommer The International Security Engagement of the Eu-
Ein soziales Europa braucht Arbeitnehmer- ropean Union - Courage and Capabilities for a
mitbestimmung [also available in English] “More Active” EU. Report from the 1st
mçäáíáâJfåÑçI=^éêáä=OMMT= European Strategic Forum, Warsaw 2006.
= cêáÉÇÉå=ìåÇ=páÅÜÉêÜÉáíI=g~åì~ê=OMMT
Bert Hoffmann
Kuba in der Nach-Fidel-Ära Stefanie Flechtner
cbpJi®åÇÉê~å~äóëÉI=j®êò=OMMT Demokratie ist die beste Antwort im Kampf
= gegen den Terrorismus
James K. Galbraith = mçäáíáâJfåÑçI=aÉòÉãÄÉê=OMMS=
Maastricht 2042 and the Fate of Europe.
Toward Convergence and Full Employment Michael Dauderstädt, Barbara Lippert,
= bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=j®êò=OMMT= Andreas Maurer
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007:
Daniela Schwarzer Hohe Erwartungen bei engen Spielräumen
Spannungen im Club der 13 – Reformbedarf = bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=kçîÉãÄÉê=OMMS=
der Eurozone.
bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=j®êò=OMMT= Jana Zitzler
Plädoyer für eine europäische Mindestlohnpolitik
Arbeitskreis Europa [also available in English]
Gefahr für die nationale Daseinsvorsorge im = mçäáíáâJfåÑçI=kçîÉãÄÉê=OMMS=
EU-Binnenmarkt?
= mçäáíáâJfåÑçI=j®êò=OMMT= Jo Leinen
Die Kosten der Nicht-Verfassung
Jonathan Wadsworth = mçäáíáâJfåÑçI=kçîÉãÄÉê=OMMS=
Mit flexiblen Arbeitsmärkten aus der Beschäfti-
gungskrise? Ein Blick auf britische Erfahrungen
= mçäáíáâJfåÑçI=j®êò=OMMT
Diese und weitere Texte
Svenja Blanke
Mexikos junge Demokratie zwischen Stagnation sind online verfügbar:
und Krise http://www.fes.de/internationalepolitik
= cbpJi®åÇÉê~å~äóëÉI=j®êò=OMMT=

Jürgen Kahl Bestellungen bitte an:


Die Mongolei im Reformtief – Dauerkrise oder Friedrich-Ebert-Stiftung
„zweiter Aufbruch“? Internationale Politikanalyse
cbpJi®åÇÉê~å~äóëÉI=g~åì~ê=OMMT z.Hd. Ursula Müller
D – 53170 Bonn

E-Mail: info.ipa@fes.de
Tel.: +49 (228) 883-212
Fax: +49 (228) 883-625
Internationale Politikanalyse
International Policy Analysis

Barbara Lippert

Die Europäische Nachbarschaftspolitik:


viele Vorbehalte – einige Fortschritte –
unsichere Perspektiven

„ Die Ziele der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) – Stabilität,


Sicherheit und Wohlstand in der östlichen und südlichen Nachbarschaft –
sind in der EU unumstritten. Dennoch findet die ENP bislang nur zaghafte
politische Unterstützung und stößt in vielen Mitgliedstaaten auf Vorbehalte
und Kritik.

„ Die Bundesregierung wirkt als Motor der ENP und unterstützt sie als
»eine zentrale Priorität der EU-Außenpolitik«. Denn die ENP ist Ordnungs-
politik zur Strukturierung des Nachbarschaftsraums.

„ Die von der FES initiierte Erhebung nationaler Positionen und Interessen
in elf EU-Mitgliedstaaten zeigt eine gemischte Zwischenbilanz und un-
sichere Perspektiven für einen Erfolg dieser jungen Politik.

„ Die Finalität der ENP (Perspektive der EU-Mitgliedschaft) sollte einstwei-


len offen bleiben. Für einen Übergang von der ENP zur Erweiterungspolitik
ist es wegen der Konsolidierungsnotwendigkeiten innerhalb der EU und
der Europäisierungsdefizite der östlichen ENP-Staaten noch zu früh. Statt
eine Entkoppelung der Süd- von der Ost-ENP zu forcieren, wird eine län-
derspezifische Differenzierung innerhalb einer ENP der verschiedenen Ge-
schwindigkeiten favorisiert.

„ Weitere Empfehlungen betreffen das intensive parlamentarische Mo-


nitoring der Umsetzung der ENP, die inhaltliche Schwerpunktsetzung auf
die Bildung umfassender Freihandelszonen und die verantwortungsvolle
Regierungsführung in den ENP-Ländern sowie die Ausschöpfung der
Impressum Bestellungen Alle Texte sind online verfügbar: neuen Bestimmungen des Lissabonner Vertrags.
Friedrich-Ebert-Stiftung Friedrich-Ebert-Stiftung www.fes.de/ipa
Internationale Politikanalyse Internationale Politikanalyse
Die in dieser Publikation zum Ausdruck
Abteilung Internationaler Dialog z. Hd. Antje Schnadwinkel MÄRZ 2008
kommenden Meinungen sind die des
D-10785 Berlin D-53170 Bonn
Autors / der Autorin und spiegeln nicht
www.fes.de/ipa E-Mail: info.ipa@fes.de notwendigerweise die Meinung der
E-Mail: info.ipa@fes.de Fax: +49 (228) 883-625 Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
ISBN 978-3-89892-891-5

Das könnte Ihnen auch gefallen