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In: (Mit) Pflanzen kartographieren / Mapping (with) Plants (mit Andrea Klier und Sara
Lindeborg), Hamburg: Material Verlag 2017, 22-33.
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Ohne ihre, zweifellos prägende, Bedeu- 4 ) Alois Riegl, Grammatiken und Diagramme
tung für Hilma af Klint zu ignorieren, sol- Historische Grammatik
len ihre Werke nicht als Manifestation des der bildenden Künste, Das 19. Jahrhundert wird als das Jahrhundert der allmählichen Etablie-
Okkulten, von Theosophie oder Anthro- hg. von Karl M. rung der ‚modernen‘ Wissenschaftsdisziplinen und Forschungsmethoden
posophie oder als Ausdruck von Gläubig- Swoboda und Otto erachtet. Ihre Ergebnisse wurden oftmals in Form einer Grammatik vorge-
keit betrachtet werden. Auch der These, Pächt, Graz 1966. stellt. Diese Wissensanordnung suggerierte Systematik, Anwendbarkeit
ihre Kunst sei eine, die das Unsichtbare und Überblick. In den Bereichen der Kunst und Kunstgeschichte denken
sichtbar gemacht hätte,2 wird nicht wei- 5 ) Maurice Tuchman, wir dabei an Owen Jones’ Grammar of Ornament (1856), die von William
ter nachgegangen, zumindest nicht dort, Hidden Meanings Henry Goodyear ähnlich angelegte Grammar of the Lotus (1891) oder Alois
wo solch Unsichtbares ausschließlich in Abstract Art, in: Riegls posthum publizierte Historische Grammatik der bildenden Künste
metaphysisch-transzendental eingefärbt The Spiritual in Art. (Manuskript 1899)4. Besonderer Erwähnung gebührt jedoch der Gram-
ist. Vielmehr geht es darum, den Einfluss Abstract Painting 1890 – maire des arts du dessin (1867) des französischen Kunsthistorikers und
selbst als einwirkende Kräfte und dynami- 1985, hg. von Maurice
1985 Kritikers Charles Blancs, ein Werk, das die Demokratisierung und Popula-
sche Prozesse zu fassen – und dabei Hil- Tuchman, Kat. Los risierung der bildenden Künste zu fördern beabsichtigte.
ma af Klints zeichnerische und malerische Angeles County Muse Auch wenn diese Grammatik vermutlich nicht in Hilma af Klints Bi-
Verfahren und Bildfindungen im Kontext um of Art, New York bliothek zu finden war, sollen zwei ihrer grundlegenden Ideen in den
wahrzunehmen: nicht als Erfindungen ei- 1986, 17 – 61, 32. Kontext der folgenden Verhandlung rücken: ihr erzieherischer Ansatz und
ner isolierten, eigenartigen Person, son- ihr Status als „eine Bibel für die Generation der Symbolisten“5. Aufgrund
dern im un/bewussten Austausch mit je- 6 ) Catherine de seines ganzheitlich formulierten Begriffs der „heiligen Geometrie“ sowie
nen Bildformationen der Geistes- und Na- Zegher, Hilma af Klint, den ebenfalls beleuchteten Themen der Dualität und der kosmischen
turwissenschaften und der Kunst, die zu Emma Kunz, Agnes Bildsprache wurde das Buch von Künstlern als ein einflussreicher Vor-
ihrer Zeit als Wissensanordnungen und Martin. 3 x Abstraction. stoß innerhalb des spirituell-abstrakten Nexus geschätzt. Die zeitgemäße
Vermittlungssysteme zirkulierten. Dazu New Methods of Draw Anwendung geometrischer Formen und bestimmter Symmetrien sollte
zählt auch die Abstraktion, begreifen wir ing (2005), in: dies., allerdings keineswegs in eine völlig neue Ästhetik münden. Sie führte, im
sie als Methode und nicht als ungegen- Women’s Work Is Never Gegenteil, eine über die Jahrhunderte währende Überlieferung der be-
ständliche Morphologie: „Es wurde be- Done. An Anthologyo ,
ogy stehenden Vorstellung fort, dass es nicht-individuelle und nicht subjektiv
hauptet, ich sei eine Pionierin gewesen Gent 2014, 260 – 283, generierte Muster sind, die Zugang zu okkultem Wissen gewährten.
↑ Hilma af Klint, und hätte mich einer Arbeitsmethode unterstellt, die man nicht verstand,“3 261, Übers. HL. Grammatiken im übertragenen Sinn, erfüllen sie eine ähnliche Rol-
Die zehn Größten, sagt die Künstlerin von sich selbst. le wie Enzyklopädien und Atlanten: Sie dienen nicht nur der Erfassung
Nr. 7
7, Erwachsenenalter, Um ihre Methode näher zu bestimmen, umkreisen wir Hilma af Klints 7 ) Siehe dazu die von bestimmten, oftmals anwendungsbezogenen, praktischen Feldern,
IV, 1907,
Gruppe IV 1907 Notizbuch Nr. 588: Blumen, Moose, Flechten von 1919/1920, im Original ausgezeichneten Aus sondern geben zugleich die Regularien vor, nach denen sich einzelne
Tempera auf Papier deutsch betitelt – ihr botanisches Notizbuch. Chronologisch datiert, fin- führungen samt zahl Instanzen innerhalb der Gesamtkomposition eines Phänomens zu richten
montiert auf Lein den sich Pflanzennamen nach Carl von Linnés Systema Naturae (1735) reicher Beispielsdia hätten. Entsprechend setzen derartige Grammatiken auf Wiederholbarkeit,
wand, 315 × 235 cm. verzeichnet, so dass das Resultat zwischen Tagebuch und taxonomisch gramme von Julia Voss, Gesetzmäßigkeit und Struktur – Eigenschaften von Ordnungen, auf denen
organisiertem Herbarium schwankt. Als Herbar betrachtet, kommt es aller- Das erste Bild der Evo Hilma af Klints Arbeiten gründen –, um mittels ihrer etwas Unbekanntes
dings ohne getrocknete, gepresste, entfärbte Objekte aus, sondern ist, in lution. Wie Charles zu ergründen. Zugleich aber stellt die Grammatik ein in sich geschlos-
seiner Mischung aus verbalen Beschreibungen gewisser Charakteristika, Darwin die Unordnung senes und auf Vollständigkeit, manchmal auch auf Vollkommenheit ab-
ungegenständlichen visuellen Repräsentationen und symbolischen Zei- der Natur zeichnete zielendes System bereit. Die Kunsthistorikerin Catherine de Zegher stellt
chen gleichsam biosemiotisch angelegt. Als Tagebuch wiederum entbehrt und was daraus wurde, dazu eine bemerkenswerte These auf: „In diesem Prozess, die Welt durch
es jeder subjektiv-individuellen Mitteilung. Wir platzieren mithin einen Ge- in: Kurt Bayertz, Myri ihr Erklärungsmodell zu ersetzen, sieht es so aus als würden Linguistik
genstand im Zentrum der Überlegungen, der ein merkwürdiger Hybrid ist am Gerhard, Walter und Grammatologie den Kosmologien früherer Jahrhunderte ähneln, die
und selbst unscheinbar wirkt, nicht zuletzt im Vergleich mit Hilma af Klints Jaeschke (Hgs.), Welt-
Welt jedoch nicht mehr zufriedenstellend waren.“6
für ihre Zeit einzigartig großformatigen, ja monumentalen Werkzyklen. anschauung, Philosophie Gleich der dem Sprachsystem entlehnten Grammatik kennt das 19. Jahr-
und Naturwissenschaft hundert auch das Diagramm, vornehmlich als prägnante Artikulationsform
2 ) Vgl. Almquist und 3 ) Hilma af Klint, zit. nach: Daniel Hilma af Klint. Nine Contemporary im 19. Jahrhundert, wissenschaftlicher Abhandlungen, besonders der Naturgeschichte.7 Die
Belfrage, Hilma af Birnbaum und AnnSofi Noring, Responses, Moderna Museet Bd. 2: Der Darwinis- Theosophie, in der af Klint ihre ‚Denkbilder‘ verortete, hatte bestimmte Auffas-
Klint. The Art of Seeing The Time Is Ripe for Hilma af Klint, Stockholm, London 2013, o.S.; mus-Streit, Hamburg
mus-Streit sungen des wissenschaftlichen Diskurses ihrer Zeit integriert, insbesondere
the Invisible 2015. in: dies. (Hgs.), The Legacy of Hervorh. und Übers. HL. 2007 47 – 82.
2007, den Evolutionsdiskurs. Und da wir von ihrem ernsthaften Interesse an Mathe-