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Physiologie
des Menschen
mit Pathophysiologie
32. Auflage
Springer-Lehrbuch
Ralf Brandes
Florian Lang
Robert F. Schmidt †
(Hrsg.)
Physiologie des
Menschen
mit Pathophysiologie
123
Herausgeber:
Ralf Brandes
Fachbereich Medizin der Goethe-Universität, Frankfurt
Inst f. Kardiovaskuläre Physiologie
Frankfurt, Deutschland
Florian Lang
Universität Tübingen
Medizinische Fakultät
Tübingen, Deutschland
Robert F. Schmidt †
Würzburg, Deutschland
ISSN: 0937-7433
Springer Lehrbuch
ISBN 978-3-662-56467-7 ISBN 978-3-662-56468-4 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-662-56468-4
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1971, 1976, 1977, 1980, 1983, 1985, 1987, 1990, 1993, 1995, 1997, 2000, 2005, 2007, 2011, 2019, korrigierte Publikation 2019
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V
Umfassende Kenntnisse der Physiologie und Pathophysiologie des Menschen sind Voraussetzung für
erfolgreiches ärztliches Handeln. Nur wer versteht, wie der gesunde menschliche Körper funktioniert,
kann die Veränderungen im erkrankten Körper erkennen, richtig interpretieren und die für eine Gesun-
dung erforderlichen Maßnahmen ergreifen.
Das vorliegende Lehrbuch hat den Anspruch, ein Lotse für den umfangreichen Stoff der Physiologie zu
sein. Der dramatische Wissensgewinn der letzten Jahrzehnte macht es heute vollkommen unmöglich, ein
allumfassendes Lehrbuch der Physiologie zu schreiben. Wir haben uns daher bemüht, in unserem Buch
diejenigen Themen zu betonen, die für einen zukünftigen Arzt wichtig sind, weil sie diagnostische und
therapeutische Implikationen nach sich ziehen oder grundsätzliches Verständnis fördern. Die einzelnen
Kapitel wurden von herausragenden Experten auf dem jeweiligen Themengebiet geschrieben. Der dar-
gestellte Stoff ist daher aktuell, aus erster Hand und von gesicherter Qualität.
Ursprünglich von Herrmann Rein verfasst und Max Schneider weitergeführt, wurde die „Physiologie des
Menschen“ 1976 von Robert F. Schmidt und Gerhard Thews völlig neu gestaltet. Das Buch wurde in
folgenden Auflagen immer wieder auf den neuesten Stand des Wissens gebracht. Robert F. Schmidt
brachte auch bei der vorliegenden Fassung seine einmalige Erfahrung ein. In Folge eines tragischen
Unfalles konnte er die Fertigstellung der 32. Auflage leider nicht mehr erleben. Das Buch wird von seinen
vielen Freunden und von seinen Mitherausgebern als sein Vermächtnis gesehen.
Die aktuelle Auflage stellt eine tiefgreifende Überarbeitung des Buches dar. Die Abfolge der Themen
wurde weitgehend neu geordnet. Um eine bessere Orientierung und einfachere Bearbeitung der Physio-
logie zu ermöglichen, wurde der Inhalt auf 83 Kapitel in 19 Themenkreise verteilt. Jedem Kapitel wurden
ein graphisches Abstract und eine Sektion „Worum geht’s?“ vorangestellt. Dieser Text ist so gestaltet,
dass er auch ohne Vorwissen und ohne Kenntnisse der Fachsprache eine kurze Zusammenfassung der
Inhalte und der grundsätzlichen Prinzipien des nachfolgenden Kapitels liefert. Daneben haben wir die
klare Gliederung des Buches beibehalten, die es auch innerhalb der Kapitel durch Hervorhebungen und
Stichwort-Unterschriften ermöglicht, Wissen übersichtlich zu erfassen.
Die wichtigste Neuerung der aktuellen Auflage ist, dass sämtliche Abbildungen mit einem klaren, zeit-
gemäßen Design von Grund auf neu gezeichnet wurden. Die Herausgeber bedanken sich ausdrücklich
bei Frau Ingrid Schobel für ihre exzellente Arbeit als Grafikerin.
Wir danken ebenfalls allen Autoren für ihre großartige Arbeit bei der Erstellung der einzelnen Kapitel.
Unser Dank gilt außerdem unserer Lektorin Frau Kahl-Scholz sowie den Mitarbeitern des Springer
Verlags Frau Renate Scheddin, Frau Christine Ströhla, Frau Barbara Karg und Herrn Axel Treiber.
Die Herausgeber hoffen, dass mit der zeitgemäßen Neugestaltung dieses Buch unsere Studenten erneut
begeistert und ihnen weiterhin ein wertvoller Begleiter sein wird.
Die Originalversion des Frontmatters wurde revidiert: die Copyright-Seite wurde korrigiert. Ein Erratum zum Frontmatter ist
verfügbar unter:
https://doi.org/10.1007/978-3-662-56468-4_85
In Memoriam
Inhaltsverzeichnis
I Allgemeine Grundlagen
1 Erste Schritte in die Physiologie des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Robert F. Schmidt
1.1 Was ist Physiologie und womit beschäftigt sie sich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2 Die Physiologie des Menschen als Teilgebiet der Humanbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.3 Physiologie als elementarer Wissengrundstein im Studium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.4 Physiologie als Basis und Quelle von Pathophysiologie und Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.5 Der Umgang mit der Physiologie in diesem Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
IV Muskel
12 Leben ist Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Wolfgang Linke, Gabriele Pfitzer
12.1 Zytoskelett und Motorproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
12.2 Zellmigration und Kontraktilität als besondere Bewegungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
13 Skelettmuskel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Wolfgang Linke
13.1 Organisationsschema und kontraktile Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
13.2 Molekulare Mechanismen der Skelettmuskelkontraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
13.3 Kontraktionsaktivierung im Skelettmuskel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
13.4 Kontrolle der Skelettmuskelkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
13.5 Skelettmuskelmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
13.6 Energetik der Skelettmuskelkontraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
IX
Inhaltsverzeichnis
V Herz
15 Herzmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Jürgen Daut
15.1 Das Herz als muskuläre Pumpe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
15.2 Frank-Starling-Mechanismus und Laplace-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
15.3 Arbeitsdiagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
15.4 Zusammenspiel von Herz und Kreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
15.5 Regulation der Kontraktionskraft des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
15.6 Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
15.7 Untersuchung der Herzmechanik am Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
16 Herzerregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Nikolaj Klöcker, Hans-Michael Piper
16.1 Ruhe und Erregung der Arbeitsmyokardzelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
16.2 Elektromechanische Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
16.3 Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
16.4 Vegetative Regulation der elektrischen Herztätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
17 Elektrokardiogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Susanne Rohrbach, Hans Michael Piper
17.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
17.2 Das normale EKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
17.3 Herzrhythmusstörungen im EKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
VI Kreislauf
19 Makrozirkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
Ralf Brandes
19.1 Transportsystem Kreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
19.2 Grundlagen der Blutströmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
19.3 Die Gefäßwand und das arterielle System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
19.4 Änderung des Blutdrucks im Gefäßsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
19.5 Das venöse Niederdrucksystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
19.6 Das Niederdrucksystem in der Orthostase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
X Inhaltsverzeichnis
20 Mikrozirkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Markus Sperandio, Ralf Brandes
20.1 Aufbau der Mikrozirkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
20.2 Transvaskulärer Stoff- und Flüssigkeitsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
20.3 Gefäßtonus in der Mikrozirkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
20.4 Das Endothel: zentraler Modulator vaskulärer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
20.5 Blutgefäßneubildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
25 Immunsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Erich Gulbins, Karl S. Lang
25.1 Angeborene Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
25.2 Spezifisches Immunsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
25.3 Pathophysiologie des Immunsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
XI
Inhaltsverzeichnis
VIII Lunge
26 Ventilation und Atemmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
Oliver Thews, Karl Kunzelmann
26.1 Grundlagen der Atmungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
26.2 Ventilation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
26.3 Atmungsmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
26.4 Ventilationsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
28 Atemgastransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
Wolfgang Jelkmann
28.1 Biophysikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
28.2 Hämoglobin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
28.3 Transport von O2 im Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
28.4 Transport von CO2 im Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
28.5 Fetaler Gasaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364
30 Chemorezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
Dörthe M. Katschinski
30.1 Chemorezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
30.2 Veränderungen der Ventilation in Abhängigkeit von pO2, pCO2 und pH . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
30.3 Adaptation der Atemantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
31 Atmungsregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
Diethelm W. Richter
31.1 Physiologie der Atemregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
31.2 Pathophysiologie der Atemregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
IX Niere
32 Aufbau der Niere und glomeruläre Filtration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
Markus Bleich, Florian Lang
32.1 Aufgaben und Funktion der Niere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
32.2 Die Bildung des Primärharns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
XII Inhaltsverzeichnis
37 Säure-Basen-Haushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457
Florian Lang
37.1 Bedeutung und Pufferung des pH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457
37.2 Regulation des pH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
37.3 Störungen des Säure-Basen-Haushaltes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
X Magen-Darm-Trakt
38 Allgemeine Aspekte des Gastrointestinaltrakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471
Wilfrid Jänig, Peter Vaupel
38.1 Allgemeine Funktionseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472
38.2 Steuerung des GIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
38.3 Das Darmnervensystem und seine Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478
38.4 Barrierefunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485
46 Kleinhirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
Birgit Liss, Dennis Kätzel
46.1 Funktion und Gliederung des Kleinhirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598
46.2 Vestibulo- und Spinozerebellum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598
46.3 Pontozerebellum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601
46.4 Die zelluläre Verschaltung des Kleinhirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607
47 Basalganglien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608
Jochen Roeper
47.1 Wozu Basalganglien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609
47.2 Neurophysiologische Funktionsprinzipien der Basalganglien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609
47.3 Neuromodulatorische Steuerung der Basalganglien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612
47.4 Morbus Parkinson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616
55 Der Gleichgewichtssinn und die Bewegungs- und Lageempfindung des Menschen . . 712
Tobias Moser, Hans-Peter Zenner
55.1 Gleichgewichtsorgane im Innenohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
55.2 Gleichgewichtssinn durch Beschleunigungsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714
55.3 Funktion des Gleichgewichtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720
XV Sehen
56 Sehen: Licht, Auge und Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723
Ulf Eysel
56.1 Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723
56.2 Auge und dioptrischer Apparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725
56.3 Nah- und Fernakkommodation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728
56.4 Augeninnendruck, Kammerwasser und Tränen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731
62 Geruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781
Hanns Hatt
62.1 Aufbau des Riechsystems und seine zentralen Verschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782
62.2 Geruchsdiskriminierung und deren neurophysiologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783
62.3 Funktional wichtige Eigenschaften des Geruchssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 788
66 Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827
Herta Flor
66.1 Arten des Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 828
66.2 Plastizität des Gehirns und Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831
66.3 Neurobiologische Mechanismen von Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 834
66.4 Klinische Anwendungen des Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 836
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
67 Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839
Herta Flor
67.1 Formen und Stadien von Gedächtnisprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839
67.2 Neurobiologie des Gedächtnisses und seiner Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842
67.3 Hirnprozesse und Neuropsychologie des Gedächtnisses und seiner Störungen . . . . . . . . . . . . 843
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847
72 Hypothalamus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 909
Wilfrid Jänig, Ralf Baron
72.1 Funktionelle Anatomie und neuronale sowie endokrine Verbindungen des Hypothalamus . . . . 909
72.2 Hypothalamo-Hypophysäres System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 912
72.3 Funktionelle Organisation des Hypothalamus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 913
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 915
XVIII Inhaltsverzeichnis
75 Schilddrüsenhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 932
Florian Lang, Michael Föller
75.1 Wirkungen und Bildung von Schilddrüsenhormonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 932
75.2 Störungen der Schilddrüsenhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 935
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 936
76 Pankreashormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 937
Florian Lang, Michael Föller
76.1 Physiologie von Insulin und Glukagon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 937
76.2 Störungen der Pankreashormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 941
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 942
77 Nebennierenrindenhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 943
Florian Lang, Michael Föller
77.1 Glukokortikoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 943
77.2 Mineralokortikoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 949
77.3 Androgene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 950
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 950
XIX Lebenszyklus
78 Aufbau und Steuerung der Reproduktionsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 953
Friederike Werny, Stefan Schlatt
78.1 Keimbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 954
78.2 Endokrine Steuerung der Reproduktionsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 955
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 958
Erratum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E1
Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1005
Anhang 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1006
Anhang 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1019
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1022
Physiologie des Menschen
Makrozirkulation
Ralf Brandes
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019
R. Brandes et al. (Hrsg.), Physiologie des Menschen, Springer-Lehrbuch
https://doi.org/10.1007/978-3-662-56468-4_19
19
Auswerfen Speichern Entspeichern
Organe
Venen Arterien
Über 850 farbige Venolen Kapillaren Arteriolen
Abbildungen: veran- Druck
schaulichen komplexe
Sachverhalte Widerstand
Ort der aktiven
Widerstands- und
Durchblutungs-
. Abb. 19.1 Makrozirkulation im Überblick regulation
In Kürze:
Das Wichtigste auf den Punkt gebracht
19.1 · Transportsystem Kreislauf
223 19
19.2.4 Scheinbare Viskosität Fahraeus-Lindqvist-Effekt Die Fluidität der Erythrozyten ist
auch die Ursache für ein Phänomen, das in Blutgefäßen mit
Die Viskosität des Blutes nimmt mit dem Hämatokrit zu und einem Durchmesser von weniger als 300 ̀m beobachtet wird:
ist zusätzlich eine Funktion der Strömungsbedingungen. die Axialmigration der Erythrozyten. Hierbei werden die
Erythrozyten von der Randzone des Gefäßes, in der hohe Ge-
Viskosität in großen Gefäßen Wegen seiner Zusammenset- schwindigkeitsgradienten und Schubspannungen bestehen,
zung aus Plasma und korpuskulären Bestandteilen ist Blut zur Gefäßachse hin verschoben, wo die Scherung weit gerin-
eine heterogene (Nicht-Newton-)Flüssigkeit mit variabler ger ist. Hierdurch kommt es zur Ausbildung einer zellarmen
Viskosität. Diese scheinbare oder apparente Viskosität Randzone, die als Gleitschicht der Fortbewegung der zentra-
hängt stark von der jeweiligen Menge der suspendierten Zel- len Zellsäule dient. Dieser Effekt führt bei kleinen Durchmes-
len ab. Eine Steigerung des Zellanteils des Bluts, des Hämato- sern zu einer deutlichen Herabsetzung der scheinbaren Vis-
krits, führt somit zur Viskositätserhöhung. In großen Gefä- kosität des Blutes. (. Abb. 19.7). Die Erniedrigung der schein- Merksatz:
ßen liegt bei schneller Strömung und normalem Hämatokrit baren Viskosität des Blutes mit abnehmendem Gefäßdurch- hebt wichtige Fakten
die Viskosität des Blutes bei etwa 3–4 mPa × s, die Viskosität messer wird als Fahraeus-Lindqvist-Effekt bezeichnet. und Kernaussagen zum
des Plasmas beträgt dagegen nur 1,2 mPa × s und ist somit Lernen hervor
ähnlich der von Wasser (1,0 mPa × s bei 4°C). > In Gefäßen mit 5–10 ̀m Durchmesser ist die schein-
bare Viskosität nur noch geringfügig größer als die von
Aggregation Blutplasma.
Bei niedriger Strömungsgeschwindigkeit und entsprechend niedriger
Schubspannung nimmt die Viskosität des Blutes stark zu. Dieses ist vor
Niedrigvisköse Plasmarandzone
allem auf eine reversible Aggregation der Erythrozyten untereinander
Auch in den Kapillaren, die von den Erythrozyten im „Gänsemarsch“
(Geldrollenform) zurückzuführen, die durch die reversible Vernetzung
passiert werden, kommt es durch extreme Formanpassung (Tropfen- Hintergrundinforma-
mit hochmolekularen Plasmaproteinen (Fibrinogen, α2-Makroglobulin
und andere) zustande kommt. Diese Aggregate bilden sich vor allem
form, Fallschirmform) der Erythrozyten zur Ausbildung einer niedervis- tion: interessantes
kösen Plasmarandzone. Erst bei Gefäßdurchmessern unter 4 ̀m ist ein
bei den verschiedenen Formen des Kreislaufschocks in den postkapillä- Hintergrundwissen zum
Ende der Erythrozytenverformbarkeit erreicht, sodass die scheinbare
ren Venolen und tragen hier zur Stagnation der Strömung und damit Viskosität steil ansteigt. Die Axialmigration der Erythrozyten ist auch besseren Verständnis
zur Minderperfusion der Mikrozirkulation bei. der Grund dafür, dass der Hämatokrit nur einen geringen Einfluss auf
die Viskosität des Blutes in der Mikrozirkulation hat.
Fluidität der Erythrozyten Eine weitere Ursache für das
anomale Fließverhalten des Blutes ist die große Verformbar-
keit der Erythrozyten (Fluidität). Ihr Fließverhalten ent- Literatur
spricht bei erhöhten Schubspannungen weniger dem einer
Levick JR (2010) An introduction to cardiovascular physiology, 5th edn.
Suspension starrer Korpuskeln in Flüssigkeit, sondern eher Hodder Arnold Publication, London
dem einer Emulsion, d. h. einer Aufschwemmung von (Flüs- Palombo C, Kozakova M (2015) Arterial stiffness, atherosclerosis and
sigkeits-)Tröpfchen in Flüssigkeit. Mit steigender Schubspan- cardiovascular risk: Pathophysiologic mechanisms and emerging
nung kommt es durch Orientierung und Verformung der clinical indications. Vascul Pharmacol. 77:1-7
Erythrozyten in der Strömung zu einer Abnahme des hydro- Safar ME, Levy BI (2015) Studies on arterial stiffness and wave reflections
in hypertension. Am J Hypertens. 28:1-6
dynamischen Störeffekts, den die suspendierten Erythrozyten
Chua Chiaco JM, Parikh NI, Fergusson DJ. (2013) The jugular venous pres-
auf die aneinander vorbeigleitenden Flüssigkeitsschichten sure revisited. Cleve Clin J Med. 80:638-44
ausüben und damit zu einer Abnahme der scheinbaren Magder S. (2012) Bench-to-bedside review: An approach to hemody-
Viskosität. namic monitoring--Guyton at the bedside. Crit Care. 16:236
Klinik
Klinik: klinische Fall-
Gefäßaneurysmen
beispiele verdeutlichen
Klinik sich als Folge von Bindegewebsmutatio- Enzyme (Matrixmetalloproteasen). Die
Unter einem Aneurysma versteht man eine nen (Marfan-Syndrom) entwickeln. Die mit Folge ist der Verlust der spannungstragen-
physiologische und
dauerhafte, umschriebene Erweiterung Abstand wichtigste Ursache für die Entste- den elastischen und kollagenen Fasern – pathophysiologische
eines Blutgefäßes. Von klinischer Bedeutung hung von Aortenaneurysmen ist jedoch die das Gefäß beginnt sich auszuweiten. Die Grundlagen
sind Aneurysmen vor allem im Bereich der Atherosklerose: durch die Aussackung bedingte zunehmen-
Aorta und der Hirnbasisarterien. Die Verschlechterung der Diffusionsbedin- de Wandspannung (Formel 19.0) beschleu-
gungen, die durch die Verdickung der nigt diesen Prozess. Aortenaneurysmen mit
Ursachen Intima während der Entwicklung der Athe- einem Durchmesser von mehr als 5 cm rup-
Die Erweiterung kann durch eine Anlage- rosklerose auftritt, führt zu einer Unter- turieren mit einer Wahrscheinlichkeit von
störung entstehen (sackförmige Aneurys- versorgung der Media. Die Folge ist eine 10% pro Jahr – eine auch heute noch meis-
men der basalen Hirnarterien), Folge einer Degeneration der Media (u. a. „Zystische tens tödliche Komplikation.
chronischen Entzündung des Gefäßes sein Medianekrose Erdheim-Gsell“). Hinzu
(mykotisch oder bakteriell bedingt) oder kommt die Aktivierung Matrix-abbauender
Die Herausgeber
Mitarbeiterverzeichnis
Katschinski, Dörthe M., Prof. Dr. Piper, Hans-Michael, Prof. Dr. Dr.
Inst. für Herz- und Kreislaufphysiologie Präsident der Universität Oldenburg
Universität Göttingen Oldenburg
Göttingen
Pohl, Ulrich, Prof. Dr.
Klöcker, Nikolaj, Prof. Dr. Institut für Physiologie
Institut für Neuro- & Sinnesphysiologie LMU München
Heinrich-Heine-Uni. Düsseldorf München
Düsseldorf
Richter, Diethelm W., Prof. Dr.
Kunzelmann, Karl, Prof. Dr. Zentrum Physiologie und Pathophysiologie
Institut für Physiologie Universitätsmedizin Göttingen
Universität Regensburg Göttingen
Regensburg
Roeper, Jochen, Prof. Dr.
Lang, Florian, Prof. Dr. Institut für Neurophysiologie
Physiologisches Institut Fachbereich Medizin der Goethe-Universität Frankfurt
Universität Tübingen Frankfurt am Main
Tübingen
Rohrbach, Susanne, Prof. Dr.
Lang, Karl S., Prof. Dr. Physiologisches Institut
Institut für Immunologie Justus-Liebig-Universität
Universität Essen Gießen
Essen
Sauer, Heinrich, Prof. Dr.
Lehmann-Horn, Frank †, Prof. Dr. Dr. h. c. Physiologisches Institut
Ehemals: Justus-Liebig-Universität
Institut für Angew. Physiologie Gießen
Universität Ulm
Ulm
XXV
Mitarbeiterverzeichnis
Schmidt, Robert F. †, Prof. Dr. Dr. h.c. Weber, Frank, PD Dr. med.
Ehemals: Sana Kliniken
Physiologisches Institut Cham
Universität Würzburg
Würzburg Werny, Friederike, Dr.
Zentrum für Reproduktionsmedizin
Schubert, Rudolf, Prof. Dr. Universitätsklinikum Münster
Kardiovaskuläre Physiologie Münster
Zentrum für. Biomedizin & Medizintechnik Mannheim
Universität Heidelberg Zenner, Hans-Peter, Prof. Dr. Dr. h.c.
Mannheim HNO-Klinik
Universitätsklinikum Tübingen
Sperandio, Markus, Prof. Dr. Tübingen
Institut für Herz-Kreislauf Physiologie
Ludwig-Maximilians-Universität München Zglinicki, Thomas von, Prof. Dr.
München Henry WellcomeLab of Biogerontology
Universität von Newcastle
Thews, Oliver, Prof. Dr. Newcastle upon Tyne, Großbritannien
Jukius-Bernstein-Institut für Physiologie
Universität Halle-Wittenberg
Halle/Saale
Abkürzungsverzeichnis
Übersicht Klinik-Boxen
Kapitel 1 Kapitel 13
Abschnitt 1.4, Fick-Prinzip Abschnitt 13.1.2, Hereditäre Erkrankungen der Myo-
zyte: Duchenne-Muskeldystrophie und Myofibrilläre
Kapitel 2 Myopathien
Abschnitt 2.3.1, Choleratoxin Abschnitt 13.3.1, Myotonieerkrankungen
Abschnitt 2.5.2, Proto-Onkogene und Onkogene Abschnitt 13.3.2, Maligne Hyperthermie
Abschnitt 2.6, Magenblutungen nach Therapie Abschnitt 13.4.1, Klinische Elektromyographie
mit Zyklooxygenasehemmern
Kapitel 14
Kapitel 3 Abschnitt 14.1.1, Beteiligung der glatten Muskulatur
Abschnitt 3.1.1, Zystische Fibrose an inneren Erkrankungen
Abschnitt 3.2.3, Morbus Crohn Abschnitt 14.2.1, Aortenaneurysma
Abschnitt 3.4.3, Bartter-Syndrom Abschnitt 14.4.3, Ein Beispiel aus der Praxis
Kapitel 4 Kapitel 15
Abschnitt 4.3.2, Kanaltoxine Abschnitt 15.2.3, Dilatative Kardiomyopathie (DCM)
Abschnitt 4.4.2, Kanalopathien Abschnitt 15.6.2, Aortenklappenstenose
Kapitel 5 Kapitel 16
Abschnitt 5.1.2, Linsentrübung zur Illustration Abschnitt 16.1.3, Long-and-Short-QT-Syndrom
der Bedeutung der „kritischen Periode“ Abschnitt 16.2, Katecholaminerge polymorphe ventri-
Abschnitt 5.1.2, CIPA -Congenital insensitivity to pain kuläre Tachykardien (CPVT)
with anhidrosis (Hereditäre sensorische und autonome Abschnitt 16.3.3, Sick-Sinus-Syndrom
Neuropathie)
Abschnitt 5.2, Herpes simplex Kapitel 17
Abschnitt 5.2, Tollwut Abschnitt 17.3.3, Vorhofflimmern
Kapitel 6 Kapitel 18
Abschnitt 6.2, Hyperinsulinämische Hypoglykämie Abschnitt 18.2, Ischämiesyndrome
Abschnitt 6.2, Myotonia congenita Abschnitt 18.3, Myokardischämie und Infarktlokalisation
Abschnitt 18.3, Koronare Herzkrankheit (KHK)
Kapitel 7
Abschnitt 7.2.3, Lokalanästhetika Kapitel 19
Abschnitt 7.3.3, Demyelinisierende Erkrankungen Abschnitt 19.3.1, Gefäßaneurysmen
Abschnitt 19.5.1, Arteriovenöse Shunts
Kapitel 8 Abschnitt 19.6.1, Chronisch-venöse Insuffizienz und
Abschnitt 8.3.2, Rolle der Glia bei Erkrankungen des NS Varikosis
Abschnitt 19.6.2, Thrombose
Kapitel 9
Abschnitt 9.2.2, Tetanus (Wundstarrkrampf ) und Kapitel 20
Botulismus Abschnitt 20.1.2, Diabetische Mikroangiopathie
Abschnitt 20.3.4, Karzinoidsyndrom
Kapitel 10 Abschnitt 20.4.3, Atherosklerose
Abschnitt 10.1.1, Psychopharmaka Abschnitt 20.5.2, Tumorangiogenese
Abschnitt 10.1.3, Kokain und Amphetamine
Abschnitt 10.1.4, Entdeckung der lähmenden Wirkung Kapitel 21
des Curare Abschnitt 21.1.1, Hypertonie
Abschnitt 10.2.2, Strychninvergiftung Abschnitt 21.1.2, Hypotonie
Abschnitt 21.3.3, Raynaud-Syndrom
Kapitel 12 Abschnitt 21.3.3, Phäochromozytom
Abschnitt 12.1.1, Zytoskelett-beeinflussende Wirkstoffe Abschnitt 21.3.4, Kreislaufschock
und ihre biomedizinische Anwendung
XXXI
Übersicht Klinik-Boxen
Kapitel 22 Kapitel 33
Abschnitt 22.5, Leberzirrhose und Aszites Abschnitt 33.1.4, Genetische Defekte im proximalen
Abschnitt 22.6, Persistierender fetaler Kreislauf Tubulus
Abschnitt 33.1.6, Hyperurikämie und Gicht
Kapitel 23
Abschnitt 23.3.2, Stammzelltransplantation Kapitel 34
Abschnitt 23.4.2, Polyzythämia vera Abschnitt 34.3.2, Nierenfunktion und Bluthochdruck
Abschnitt 23.4.3, Eisenmangel Abschnitt 34.3.2, Schwangerschaftsnephropathie
Abschnitt 23.4.3, Anämien Abschnitt 34.3.3, Hepatorenales Syndrom
Abschnitt 23.4.5, Sichelzellanämie Abschnitt 34.4.1, Chronische Niereninsuffizienz
Abschnitt 23.5.3, Entzündung Abschnitt 34.4.2, Nierenersatztherapie
Abschnitt 23.7.4, Hämophilie A
Kapitel 35
Kapitel 24 Abschnitt 35.4.3, Empfohlene Flüssigkeitsaufnahme
Abschnitt 24.1.2, HIV Abschnitt 35.5.1, Diabetes insipidus
Abschnitt 24.1.2, Von der Virusinfektion zur erfolgreichen Abschnitt 35.6.2, Hungern, Essen, Hypokaliämie:
Immunaktivierung die Realimentationshypokaliämie
Kapitel 25 Kapitel 36
Abschnitt 25.2.8, Von der Virusinfektion zur erfolgreichen Abschnitt 36.2.6, Rachitis, Osteomalazie
Immunaktivierung Abschnitt 36.3.2, Morbus Paget
Abschnitt 25.3.3, HIV Abschnitt 36.3.2, Osteoporose
Kapitel 26 Kapitel 37
Abschnitt 26.2.4, Lungenemphysem Abschnitt 37.2.7, Volumendepletionsalkalose
Abschnitt 26.3.2, Pneumothorax Abschnitt 37.3.1, Azidose bei entgleistem Diabetes
Abschnitt 26.3.6, Asthma bronchiale mellitus
Abschnitt 26.4.3, Restriktive Ventilationsstörungen Abschnitt 37.3.3, Renal-tubuläre Azidose
Abschnitt 26.4.3, Künstliche Beatmung
Kapitel 38
Kapitel 27 Abschnitt 38.2.1, Ileus und Krämpfe
Abschnitt 27.1.6, Lungenödem
Abschnitt 27.2.3, Pulmonale Hypertonie Kapitel 39
Abschnitt 39.1.2, Sjögren-Syndrom (Sicca-Syndrom)
Kapitel 28 Abschnitt 39.3.1, Störung der Mukosabarriere
Abschnitt 28.1.2, Dekompressionskrankheit Abschnitt 39.3.2, Peptisches Ulkus
Abschnitt 28.3.2, Akute und chronische Bergkrankheit
Abschnitt 28.3.3, Methämoglobinämie und Carboxy- Kapitel 40
hämoglobinämie Abschnitt 40.1.2, Pankreatitis
Abschnitt 40.2.6, Gallensteine
Kapitel 29 Abschnitt 40.2.6, Ikterus
Abschnitt 29.4.1, Frühgeborenenretinopathie
Abschnitt 29.5.4, Reperfusionsschaden Kapitel 41
Abschnitt 41.3.1, Laktasemangel
Kapitel 30 Abschnitt 41.3.2, Hartnup-Syndrom und Zystinurie
Abschnitt 30.2.2, Überdruckbeatmung Abschnitt 41.4.1, Vitamin-B12-Mangel
Abschnitt 41.5.2, Diarrhoe
Kapitel 31
Abschnitt 31.1.5, Atemantrieb beim Lungenödem Kapitel 42
Abschnitt 31.2.1, Obstruktive Atmung und Schlafapnoe Abschnitt 42.2.2, Energieumsatz bei Nahrungsmangel
Abschnitt 42.4.3, Thermoregulation bei Querschnitts-
Kapitel 32 lähmung
Abschnitt 32.2.2, Schockniere Abschnitt 42.5.6, Fetale und neonatale Thermoregulation
Abschnitt 32.2.3, Proteinurie Abschnitt 42.6.2, Maligne Hyperthermie
Abschnitt 32.2.4, Glomerulonephritis Abschnitt 42.6.2, Sonnenstich
Abschnitt 42.6.2, Hypothermie
XXXII Übersicht Klinik-Boxen
Kapitel 44 Kapitel 54
Abschnitt 44.1.1, Krafttraining und Muskelaufbau in der Abschnitt 54.2.2, Recurrenslähmung
Rehabilitation
Abschnitt 44.3.2, Sportherz: Effekte von Ausdauer- Kapitel 55
training auf das Herz Abschnitt 55.1.2, Cupulolithiasis
Abschnitt 44.5.3, Bodybuilding Abschnitt 55.3.4, Ménière-Krankheit
Abschnitt 44.5.4, Übertrainingssyndrom
Abschnitt 44.5.4, Rehabilitatives Muskelaufbautraining Kapitel 56
Abschnitt 44.5.4, Muskelkater Abschnitt 56.2.3, Katarakt (grauer Star)
Abschnitt 56.4.1, Glaukom (grüner Star)
Kapitel 45
Abschnitt 45.3.1, Lebensgefährliche Muskelkrämpfe Kapitel 57
durch Disinhibition Abschnitt 57.1.1, Klinische Bedeutung der Funduskopie
Abschnitt 45.3.2, Querschnittslähmung Abschnitt 57.1.2, Ausfälle retinaler Funktion bei
Abschnitt 45.4.3, Supratentorielle kortikale und sub- Störungen der Sauerstoffversorgung
kortikale Erkrankungen
Kapitel 58
Kapitel 46 Abschnitt 58.1.3, „Blindsight“
Abschnitt 46.2.2, Akute und chronische Alkoholtoxizität
Kapitel 59
Kapitel 47 Abschnitt 59.1.2, Objekt- und Prosopagnosie
Abschnitt 47.4.2, Weitere Erkrankungen Abschnitt 59.1.3, Akinetopsie, Bewegungsagnosie
Abschnitt 59.1.3, Hemineglekt
Kapitel 48 Abschnitt 59.2, Schädigungen des N. opticus
Abschnitt 48.1.4, Capsula-interna-Infarkt
Abschnitt 48.2.1, Pathophysiologie von Handlungs- Kapitel 60
antrieb und Bewegungsentwurf Abschnitt 60.1.5, Amblyopie
Abschnitt 60.2, Pupillenweite und Horner-Syndrom
Kapitel 49
Abschnitt 49.1.1, Allodynie Kapitel 61
Abschnitt 49.4.1, Agnosie Abschnitt 61.3.2, Geschmacksstörungen
Abschnitt 49.6.1, Lärmempfindlichkeit bei Schwerhörigen
Abschnitt 49.6.2, Intermodaler Intensitätsvergleich Kapitel 62
beim Führen von Schmerztagebüchern Abschnitt 62.2.2, Riechstörungen
Abschnitt 62.3.2, Aromatherapie
Kapitel 50 Abschnitt 62.3.2, Expression von olfaktorischen Rezep-
Abschnitt 50.1.1, Brown-Séquard-Syndrom toren außerhalb des Riechepithels
Abschnitt 50.2.6.4, Fokale sensorische Anfälle
Abschnitt 50.4.1, Ein Leben ohne Propriozeption Kapitel 63
Abschnitt 63.2.2, Absence-Epilepsie
Kapitel 51
Abschnitt 51.1.2, Angeborene Schmerzunempfindlichkeit Kapitel 64
Abschnitt 51.3.2, Übertragener Schmerz Abschnitt 64.1.3, Das Delayed-Sleep-Phase- und das
Abschnitt 51.5.1, Trigeminusneuralgie Advanced-Sleep-Phase-Syndrom
Abschnitt 51.5.3, Phantomschmerz Abschnitt 64.5, Narkolepsie
Kapitel 52 Kapitel 65
Abschnitt 52.3.2, Schallleitungsschwerhörigkeit Abschnitt 65.2.2, Fehlerhafte Einschätzung des
Abschnitt 52.3.2, Adenoide Bewusstseinszustandes
Abschnitt 52.4.1, Hörsturz
Abschnitt 52.4.3, Taubheit durch Gendefekte des Kapitel 66
kochleären Kalium-Zyklus Abschnitt 66.2.1, Amblyopie
Abschnitt 52.6.2, Lärm- und Altersschwerhörigkeit Abschnitt 66.2.4, Phantomschmerz
Abschnitt 66.4.3, Brain-Machine-Interfaces
Kapitel 53
Abschnitt 53.1.1, Akustikusneurinom
XXXIII
Übersicht Klinik-Boxen
Kapitel 67 Kapitel 76
Abschnitt 67.3.1, Der Patient H. M. Abschnitt 76.1.2, Orale Antidiabetika
Abschnitt 67.3.1, Alzheimer-Demenz Abschnitt 76.2.2, Hypoglykämie
Abschnitt 67.3.4, Korsakow-Syndrom
Kapitel 77
Kapitel 68 Abschnitt 77.1.4, Adrenogenitales Syndrom
Abschnitt 68.2.2, Mangel an Angst: Neurobiologie
des Bösen Kapitel 79
Abschnitt 79.1.2, Oligoasthenoteratozoospermie
Kapitel 69
Abschnitt 69.3.2, Schizophrenie als genetisch bedingte Kapitel 80
Entwicklungsstörung Abschnitt 80.1.2, Polyzystisches Ovarsyndrom
Abschnitt 69.4.2, Rain Man›s Botschaft: Neurobiologie (PCO-Syndrom)
von Autismus und Savants Abschnitt 80.2.2, Orale Kontrazeption
Kapitel 71 Kapitel 81
Abschnitt 71.1.3, Kardiovaskuläre Reflexe bei quer- Abschnitt 81.1.1, Abort
schnittsgelähmten Patienten Abschnitt 81.1.2, Schwangerschaftsgestosen
Abschnitt 71.4.2, Störungen der Blasenentleerung Abschnitt 81.2.2, Prolaktinom
Abschnitt 71.6.2, Genitalreflexe nach Rückenmarks-
läsionen beim Mann Kapitel 83
Abschnitt 83.1, Stammzelltherapie bei Makula-
Kapitel 72 degeneration
Abschnitt 72.3.2, Funktionsstörungen durch Schädigung
des Hypothalamus beim Menschen Kapitel 84
Abschnitt 84.1.7, Progerien
Kapitel 73 Abschnitt 84.3.1, Frailty – ein klinisches Syndrom
Abschnitt 73.3.1, Glukokortikoidmangel nach Absetzen Abschnitt 84.4, Klinische Studien zur Verlangsamung
einer Behandlung mit Glukokortikoiden des Alterns
Abschnitt 73.3.2, Tumorendokrinologie
Kapitel 74
Abschnitt 74.2.2, Hypophysärer Kleinwuchs
1 I
Allgemeine Grundlagen
Inhaltsverzeichnis
Worum geht’s?
Was ist Physiologie und wie gewinnt sie ihr Wissen? Abgrenzung der Physiologie des Menschen von ihren
Seit etwa so vielen Jahrzehnten wie Finger an einer Hand Nachbardisziplinen, Rolle des IMPP
gebe ich als Beruf „Physiologe“ an. Fast immer ernte ich ein Die Physiologie ist also die Kunde vom Körper (<physis> =
Unverständnis signalisierenden Blick. Mich wundert das Körper, <logos> = Wort, Kunde), genauer die Lehre von
schon deswegen nicht, weil ich selbst zu Beginn meines den normalen Lebensfunktionen. Die Physiologie des
Medizinstudiums keine gute Antwort auf die Frage „Was ist Menschen, das Thema unseres Buches, konzentriert sich
Physiologie?“ gewusst hätte. Also erläutere ich: „Sie wissen auf ein einziges Lebewesen, nämlich uns selbst.
doch, was Anatomie ist, nämlich die Beschreibung der Die Physiologie ist als ein Teilgebiet der Biologie (<bios> =
Struktur der Organe von Lebewesen, also z. B. des Herzens, Leben), von ihren Nachbardisziplinen in der Human-
der Lunge oder des Gehirns?“ Und auf bejahendes Nicken biologie abgegrenzt. Vergleichend wird gezeigt, welche
fahre ich fort: „Und Physiologie ist die Beschreibung ihrer Abgrenzungen das IMPP in seinen Gegenstandskatalogen
Arbeitsweise, also z. B. wie ein Herz funktioniert oder eine zwischen den einzelnen Prüfungsfächern vornimmt und
Lunge oder ein Gehirn.“ wie in diesem Lehrbuch damit umgegangen wird.
Die Physiologie gewinnt ihr Wissen durch Beobachten
und Messen. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel zeigt Stoffauswahl in diesem Lehrbuch
die . Abb. 1.1. Diese unterstreicht eindrucksvoll, dass das Schon im Altertum und im Mittelalter haben große Ärzte
Beobachten und die daraus gewonnenen Schlussfolge die Bedeutung der Physiologie erkannt oder zumindest ge-
rungen zu den wichtigsten Voraussetzungen ärztlicher ahnt und durch ihre Entdeckungen wesentliche Einsichten
Tätigkeit zählen. in die Arbeitsweise menschlicher Organe und Organsyste-
. Abb. 1.1 Bestimmung der Aufgaben der Venenklappen und damit Vene sich nur dann wieder mit Blut füllt, wenn sie proximal verschlossen
der Richtung des venösen Blutflusses. William Harvey zeigte in seinem wird. Die Venenklappen waren vor dieser Entdeckung schon bekannt,
1628 in Frankfurt erschienenen Werk: „Exercitatio anatomica de motu nicht aber ihre Funktion
cordis et sanguinis in animalibus“, dass eine gestaute und ausgestrichene
4 Kapitel 1 · Erste Schritte in die Physiologie des Menschen
1 me geschaffen. Die Stoffauswahl für dieses Lehrbuch rich- Der Umgang mit der Physiologie in diesem Buch
tet sich allerdings weniger nach diesen historischen Gege- Neben der Stoffauswahl (s. o.) ist die Anordnung und Art
benheiten, sondern nach der Wichtigkeit der Erkenntnisse der Erörterung des physiologischen Lernstoffes sowie
für die ärztliche Tätigkeit. seine Bebilderung, also das Layout, entscheidend für seine
Übersichtlichkeit, Lesbar- und Lernbarkeit. Dem wird u. a.
Pathophysiologie und Klinik bleiben ohne Physiologie durch „Grüne-Fäden-“, „Merksätze-“ und „In-Kürze-“ Zusam-
unverstanden menfassungen Genüge getan. Schließlich werden Wege
Die Translation und Erweiterung physiologischen Wissens zur selbständigen Erschließung der wissenschaftlichen
in die Pathophysiologie führt im besten Fall in ein kausales Quellen der Physiologie aufgezeigt.
Verstehen von Erkrankungen, in vielen Fällen ist die Medi-
zin aber bisher erst auf dem Weg dahin.
gebene Handbook of Physiology hat 24 großformatige Bände Kenntnisse notwendig. Die wichtigsten werden in den nach
1 mit insgesamt weit über 10.000 Seiten. Da ein Handbuch folgenden Kapiteln 2 bis 5 dieses Themenkreises „I Allge
nichts anderes ist als eine einführende Zusammenfassung meine Grundlagen“ behandelt. Sie sind im GK Teilkatalog
des jeweiligen Wissensstandes auf professionellem Niveau, Physiologie im Wesentlichen im Hauptabschnitt „1 All
kann jeder Leser ermessen, welche Bedeutung der Auswahl gemeine und Zellphysiologie, Zellerregung“ gelistet. Es
der im Folgenden dargestellten Aspekte der Physiologie zu empfiehlt sich daher, sich zunächst das in den nachfolgenden
kommt. Bei dieser ohne Zweifel sehr persönlichen Auswahl 4 Kapiteln gesammelte Wissen anzueignen. Danach kann an
haben Herausgeber und Autoren sich im Wesentlichen von jeder beliebigen Stelle des Lehrbuchs mit dem Studium fort
folgenden Aspekten leiten lassen: gefahren werden.
5 Vermittlung der Aufgaben, Arbeitsweisen und Leistungs Für die notwendigen chemischen und biochemischen
fähigkeit der menschlichen Organe und Organsysteme in Grundkenntnisse bietet unser Lehrbuch keinen den obigen
einem Umfang, wie er für eine ärztliche Tätigkeit unab Kapiteln vergleichbaren „Werkzeugkasten“. Sie müssen
dingbar ist. Hier lässt sich sicher über den einen oder an daher auf andere Weise (Vorlesungen, Lehrbücher, Kurse,
deren Sachverhalt und seine Bedeutung diskutieren. Aber Medien etc.) erworben werden. Dabei ist zu beachten,
unser Werk stellt den Konsens von Lehrern der Physio dass die meiste Aufmerksamkeit der organischen Chemie
logie dar, die alle als kompetente Fachleute ausgewiesen zu widmen ist.
sind und an der Stoffauswahl zustimmend teilgenommen
haben.
In Kürze
5 Der Schwerpunkt der Auswahl wurde auf diejenigen
Schon im Altertum und im Mittelalter haben große Ärzte
Organe und systeme gelegt, deren Erkrankungen (a)
die Bedeutung der Physiologie erkannt oder zumindest
besonders häufig sind, die (b) oft einen chronischen
geahnt und durch ihre Entdeckungen wesentliche Ein-
Verlauf haben und die (c) nicht selten tödlich enden.
sichten in die Arbeitsweise menschlicher Organe und
Hier sei nur daran erinnert, dass rund die Hälfte aller
Organsysteme geschaffen. Auf diesem Hintergrund wird
Todesfälle in Deutschland durch Erkrankungen des
beschrieben, nach welchen Kriterien Autoren und Her-
HerzKreislaufSystems verursacht wird.
ausgeber die Stoffauswahl für dieses Lehrbuch such-
5 Von einer Betonung der wissenschaftlichen Aktualität
ten und fanden. Für deren Studium sind biophysikali-
an den Brennpunkten der physiologischen Forschung.
sche und biochemische Kenntnisse unabdingbar.
Zwar sind viele Grundtatsachen über die Arbeitsweise
der menschlichen Organe und Organsysteme seit lan
gem wohl bekannt, aber die kontinuierliche Methoden
verfeinerung (z. B. in der Molekularbiologie oder in der
Erforschung der Hirnfunktionen mit bildgebenden Ver 1.4 Physiologie als Basis und Quelle von
fahren) vertiefen immer wieder neu unser Verständnis Pathophysiologie und Klinik
bisher unbekannter Mechanismen unserer physischen
Existenz, die nicht selten unmittelbar dem Verständnis Die Pathophysiologie hat es sich zur Aufgabe gesetzt, alle
und der Heilung von Krankheiten zugutekommen. Krankheiten kausal zu erklären. Dies gelingt ihr oft, manch-
5 Schließlich sollte auch Berücksichtigung finden, dass mal nur teilweise und manchmal noch nicht.
die Beschäftigung mit der Physiologie – lebenslänglich
in Forschung und Lehre oder zeitweise im Studium – Zu Krankheiten führende Abweichungen von den normalen,
als eine freudige und keinesfalls mühselige Tätigkeit er also den physiologischen Lebensfunktionen werden als
lebt wird. pathophysiologisch bezeichnet. Die Pathophysiologie gilt
als die „Hohe Schule“ der Medizin. Sie schließt alle Bemühun
> Unser Lehrbuch bietet eine für die ärztliche Tätigkeit
gen ein, die Krankheiten nicht nur symptomatisch zu klas
durch Herausgeber und Autoren sorgfältig gewichtete
sifizieren, sondern auch kausal zu erklären. Leider sind wir
Auswahl physiologischer Grundkenntnisse.
immer noch weit davon entfernt, alle Krankheiten patho
physiologisch erklären zu können, aber unsere Kenntnisse
dieser wichtigen Grundlagen der Krankheitslehre nehmen
1.3.2 Biophysikalische und biochemische ständig zu. Diagnostik und Therapie werden dadurch nicht
Voraussetzungen nur erweitert, sondern oftmals erst auf ein rationales Funda
zum Physiologiestudium ment gestellt.
Die Brücke von der Physiologie zur Pathophysiologie
Grundkenntnisse der Biophysik und der Biochemie erleichtern und damit zur Klinik wird in diesem Werk zweifach geboten:
das Verständnis physiologischer Sachverhalte. einmal durch exemplarische „KlinikBoxen“ genannte Fall
beispiele, und zum zweiten durch die Nennung derjenigen
Zum Studium der Physiologie und zum Verständnis der nicht pathophysiologischen Abweichungen, die jeweils für die kli
immer einfachen physiologischen Tatsachen und Mecha nische Symptomatik einer bestimmten organischen Erkran
nismen sind einige physikalische und biophysikalische kung entscheidend sind.
1.5 · Der Umgang mit der Physiologie in diesem Buch
7 1
FickPrinzip
Messung des Herzschlagvolumens nach Adolf Fick: Klinische Konsequenzen einer physiologischen Erkenntnis
Welches Blutvolumen die beiden Herz- während der Versuchszeit eine Probe Anzahl der Herzschläge in dieser Zeit
kammern pro Herzschlag auswerfen war – arteriellen und eine Probe venösen dividiert, wie viel Cubiccentimeter Blut
anders als die über den Puls leicht zu mes- Blutes. In beiden ist der Sauerstoffge- mit jeder Systole ausgeworfen wurden.
sende Herzfrequenz – bis zum 9. Juli 1870 halt und der Kohlensäuregehalt zu Die entsprechende Rechnung mit den
unbekannt. An diesem Tag referierte Adolf ermitteln. Die Differenz des Sauerstoff- Kohlensäuremengen gibt eine Bestim-
Fick in der 14. Sitzung der Physikalisch-Medi- gehalts ergibt, wie viel Sauerstoff jedes mung desselben Werthes, welche die
zinischen Gesellschaft in Würzburg „Über Cubiccentimer Blut beim Durchgang erstere controllirt.
die Messung des Blutquantums in den Herz- durch die Lungen aufnimmt, und da
ventrikeln“. Im Protokoll ist vermerkt man weiß, wie viel Sauerstoff im Gan- Der geniale Vorschlag Adolf Ficks revolu-
zen während einer bestimmten Zeit tionierte die Kardiologie in Forschung und
» Man bestimme, wie viel Sauerstoff aufgenommen wurde, so kann man Klinik. „Fick‘s Principle“, wie es weltweit
ein Thier während einer gewissen Zeit berechnen, wie viel Cubiccentimeter heißt, ist ein hervorragendes Beispiel der
aufnimmt und wie viel Kohlensäure es Blut während dieser Zeit die Lunge Translation der Ergebnisse der Grundlagen-
abgibt. Man nehme ferner dem Thiere passieren, oder wenn man durch die forschung in die klinische Praxis.
Eine solche Nennung liefert in ihrer Kürze keine Erklä zur Geschichte der Physiologie, sind in Kleindruck aus
rung. Diese ist in diesem Lehrbuch vom Thema und vom geführt. Die Abbildungen ergänzen und verdeutlichen die
Platzbedarf her nicht möglich. Der Leser muss hier auf die jeweiligen Sachverhalte.
einschlägigen Lehrbücher der Pathophysiologie oder auch für
eine erste Orientierung auf das Internet, z. B. auf Wikipedia, Grüne Fäden und Merksätze Die einleitenden grünen Fäden
verwiesen werden. sollen helfen, das Folgende einzuordnen und verständlich zu
machen. Sie fördern das Verständnis des/der folgenden Ab
satzes/Absätze. Die abschließenden roten Merksätze heben
In Kürze
wichtige Fakten und Kernsätze zum (Auswendig)Lernen her
Die Motivation, sich für die zukünftige, ärztliche Tätig-
vor. Dies besonders deswegen, weil deren Inhalte sehr häufig
keit ausführlich mit der Physiologie des Menschen zu
in den MultipleChoice Fragen des IMPP vorkommen.
beschäftigen, wird hier dadurch (hoffentlich!) ange-
regt, dass verdeutlicht wird, in welchem Maß die Phy-
Die Zusammenfassungen „In Kürze“ mit den Lernzielen als
siologie die Basis und Quelle von Pathophysiologie
Kurzlehrbuch Die „In Kürze“Texte sind am Ende jedes län
und Klinik bildet. Als Beispiel für die zahllosen Transla-
geren Abschnitts oder einer Reihe von kürzeren, nummerier
tionen physiologischer Erkenntnisse in die Klinik wird
ten Abschnitten angeordnet. Oft sind sie etwas ausführlicher
beschrieben, wie 1870 eine Methode veröffentlich wur-
als im Allgemeinen üblich gehalten. Sie stellen so, dies ist
de, das Herzschlagvolumen zu bestimmen, nämlich das
jedenfalls die Absicht, in ihrer Gesamtheit insgesamt ein
FickPrinzip.
Kurzlehrbuch des gesamten Lernstoffs dar. Sie können so
wohl für orientierendes Lesen wie für schnelles Wiederholen
und Überprüfen genutzt werden.
1.5 Der Umgang mit der Physiologie > Merksätze enthalten meist Inhalte von MultipleChoice
in diesem Buch Fragen des IMPP; daher auswendig lernen!
sind in . Abb. 1.1 und der KlinikBox „FickPrinzip“ be Noch eine letzte Vorbemerkung: schwierige Dinge bleiben
1 schrieben. Für ein modernes Beispiel sei die Erstbeschrei schwierig, auch wenn sie noch so gut erklärt werden. So gibt
bung der patchclamp Technik von Erwin Neher und Bernd es in der Arbeitsweise des menschlichen Körpers Sachver
Sakmann zitiert: halte, die auch von den meisten Medizinstudenten (nicht zu
letzt bei uns seinerzeit während unseres Studiums) nicht auf
» Single-channel currents recorded from membrane of
Anhieb, sondern erst nach einiger Zeit des „Verdauens“, dann
denervated frog muscle fibers.
aber mit deutlichem Erfolgserlebnis, durchschaut werden.
in: Nature. 260, 1976, S. 799–801, die den beiden den Nobel Also bitte nicht resignieren, sondern nochmals und eventuell
preis einbrachte (Erklärung der Technik Seite X). nochmals lesen.
Publikationen der eben zitierten Art sind also das Funda
ment jedes wissenschaftlichen Fortschritts. Dazu kommen
In Kürze
Übersichtsartikels (Reviews), die oft auf Einladung in da
Die didaktischen Elemente dieses Buches dienen dazu,
für speziellen Zeitschriften veröffentlicht werden oder auch
den Lernstoff überschaubar zu gliedern. Auf die große
Bücher, die teils von einzelnen, oft aber auch von vielen
Bedeutung des Originalwissens für das Zustandekom-
Autoren verfasst werden. Im vorliegenden Werk wird, nach
men des Lehrgebäudes „Physiologie“ wird aufmerk-
Themenkreisen geordnet, mit jeweils etwa 10 Titeln pro The
sam gemacht, und es wird gezeigt, welche Wege es
menkreis auf aktuelle Literatur aufmerksam gemacht.
gibt, sich in der Literatur darüber kundig zu machen.
Wer aber, z. B. als Doktorrand, tiefer in die Originallite
Die Bewertung von Originalpublikation über den
ratur eindringen will, dem stehen heute zahlreiche biogra
Impact Factor wird diskutiert.
fische Möglichkeiten zur Verfügung. Beispielsweise kann er
wissenschaftliche Suchmaschine wie PUBMED, MEDLINE
oder DIMDI aufrufen, die ihm nach seiner Registrierung und
einer gewissen Einarbeitung mit dem Umgang fast jede wis
senschaftliche Publikation seines Arbeitsgebiets kenntlich
und zugängig machen können.
Bewertung wissenschaftlicher Publikationen
Wie in jeder Disziplin gibt es auch in der Medizin und dort in der Physio-
logie Fachzeitschriften mit einem mehr oder weniger hohen Prestige.
Von einem in einer Top-Zeitschrift publizierten Artikel wird selbstver-
ständlich unterstellt, dass es sich um eine gute Publikation und einen
wertvollen Beitrag zur Forschung handelt. Was eine Top-Zeitschrift ist,
wird durch den Impact Factor bestimmt, d. h. wie oft im Durchschnitt
die Publikationen im Zeitraum von 2 Jahren nach der Veröffentlichung
zitiert werden. Diese Art der Qualitätsbewertung entscheidet heute
maßgeblich über die Verteilung staatlicher Mittel und über die Karrie-
ren von Wissenschaftlern.
Der Impact Factor gilt als „a systematic and objective means to critically
evaluate the world’s leading journals“. Wahrscheinlich ist das nur be-
dingt richtig oder sogar falsch. Der Hauptgrund ist die extrem unglei-
che Zitierung einzelner Artikel in einer Zeitschrift. So sind laut der Top-
Zeitschrift Nature 89 % des Impact Factors für 2004 durch gerade 25 %
der in diesem Jahr in Nature publizierten Artikel generiert worden.
Dazu kommt, dass Publikationen in einem wenig aktiven Forschungs-
gebiet seltener zitiert werden, auch wenn sie noch so exzellente Be-
funde mitteilen, während oft Artikel, die eine neue, lang erwartete
Methode vorschlagen, sich vor dem „Zitiert werden“ kaum retten kön-
nen. Die Bewertung von Publikationen allein über den Impact Factor
kann also zu groben Fehlern führen. Das australische National Health
and Medical Resarch Council nennt die Bewertung von Beiträgen auf-
grund des Impact Factors „unfair and unscholarly“ und verbietet deren
Verwendung in Anträgen auf Forschungsmittel.
9 2
Rezeptoren
Rezeptoren lassen sich genetisch, biochemisch und nach
ihrem spezifischen Liganden klassifizieren. So können
Ionenkanäle Rezeptoren für physikalische Reize (Span-
nung, Zug) oder biochemische Stimuli wie Neurotrans- Membran Rezeptor
mitter sein. Wachstumsfaktoren aktivieren häufig Re-
zeptoren der Tyrosinkinase-Familie und wirken z. B. über
den MAP (mitogen-activated protein)-Kinase Signal-
Signaltransduktion Ionenkanäle, G-Proteine,
transduktionsweg. Je nach Rezeptorfamilie wirken Hor- Kinasen, Lipasen
mone über unterschiedliche Signaltransduktionswege.
second messenger
So aktivieren Erythropoietin und Leptin den JAK-STAT
Signalweg, während Steroidhormone u.a. über intrazel-
luläre Rezeptoren direkt in die Genexpression eingreifen.
funktionelle Konsequenz Proliferation, Migration,
G-Protein gekoppelte Rezeptoren Apoptose, Differenzierung,
Genexpression, Transport…
Eine besonders wichtige Gruppe von Rezeptoren führt
nach Ligandenbindung zur Aktivierung von Protein-
. Abb. 2.1 Zusammenspiel der Signaltransduktion
10 Kapitel 2 · Die Zelle und ihre Signaltransduktion
2.1 Die Zelle und ihre Umwelt gulation bestimmter Transkriptionsfaktoren, und damit ein-
förmig auf einen bestimmten Umweltreiz reagiert, erlaubt die
2.1.1 Signalverarbeitung Kombination vieler Signalwege, aber auch die zeitliche Inte-
2 gration und die feinabgestimmte Topologie der Signalentste
In einem multizellulären Organismus erhalten die Zellen hung und Signalweiterleitung den Zellen, auf ganz verschie
ständig vielfältige Signale. Die zelluläre Signaltransduktion dene und angepasste Weise auf externe Reize zu reagieren.
dient der Anpassung der Funktion von Effektormolekülen an
äußere Bedingungen und Erfordernisse. Regulation durch Phosphorylierung Die Aktivität von Effek
tormolekülen kann durch chemische Modifikation gesteigert
Der Körper im Organkontext Die Funktionen des Körpers oder abgeschwächt werden. Ein wichtiger Mechanismus zur
sind eine Folge eines komplexen Zusammenspiels der Ele Regulation von Effektormolekülen, wie Proteinen und Lipiden
mente des Gesamtorganismus. Auf der makroskopischen ist die Phosphorylierung. Sie wird durch Kinasen vermittelt,
Ebene betrifft dieses die Funktionen und Interaktionen von die ein Phosphat von ATP auf das Zielmolekül übertragen.
Organen, die koordiniert werden müssen. Die Organe stehen Durch die Bindung des negativ geladenen Phosphats kann
über den Blutkreislauf in Kontakt, sodass lösliche Signale, z. B. es zu einer Konformationsänderung des Proteins mit der je
in Form von Stoffwechselprodukten oder Hormonen, alle weiligen Aktivitätsänderung kommen. Über Phosphatasen
Organe erreichen und dort lokale Reaktionen erzeugen. Neben wird das Phosphat wieder abgespalten und damit die Wirkung
diesem humoralen System verfügen wir über das nervale der Kinasen abgeschaltet. Die Aktivität der Kinasen kann
System, welches komplexe Koordinierungsaufgaben erfüllt selbst durch Phosphorylierung reguliert werden. Solche Kina
und schnelle Reaktionen des Gesamtorganismus ermöglicht. sekaskaden führen über einen Schneeballeffekt zu einer mas
siven Verstärkung des Signals. Beispiele sind die Phospho-
Die Zelle im Organkontext Neben humoralen und nervalen inositoI-3(PI3)-KinaseKaskade oder die mitogen-activated-
Signalen erhalten Zellen vielfältige weitere Reize. Über Zell- protein(MAP)-Kinase-Kaskade (7 Abschn. 2.4.2).
Zell- und Zell-MatrixVerbindungen werden physikalische
Stimuli, wie Zug und Druck, übertragen und der Zelle Infor
mationen über ihre direkte Umwelt zugeleitet. 2.1.2 Regulation der Proteinexpression
Rezeptoren Damit Zellen auf Signale reagieren können, Über Transkriptionsfaktoren wird die Synthese von Proteinen
benötigen sie Rezeptoren. Fehlt der Zelle ein entsprechender reguliert.
Rezeptor, dann ist sie für das eintreffende Signal „blind“.
Rezeptoren detektieren Signale und setzen diese in ein zweites Transkriptionsfaktoren
intrazelluläres Signal („second messenger“) um, welches Die Signaltransduktion kann im Zellkern die gesteigerte oder
jedoch stereotyper ist und dann zu einer zellulären Reaktion herabgesetzte Synthese (Expression) von Effektormolekülen
führt. vermitteln. Die Regulation der Expression wird u. a. durch
Transkriptionsfaktoren vermittelt. Sie wandern bei Aktivie
Konsequenzen von Rezeptoraktivierung Typische Folge der rung in den Zellkern und binden an bestimmte regulatorische
Rezeptoraktivierung ist z. B. die Öffnung von Ionenkanälen, Abschnitte der DNA. Dadurch werden die Synthese der ent
was zur Änderung des Membranpotenzials der Zelle führt sprechenden mRNA und damit die Bildung der jeweiligen
und häufig einen Anstieg der intrazellulären KalziumKon Proteine reguliert.
zentration ergibt. Kalzium ist wohl der wichtigste second Die Transkriptionsfaktoren können u. a. durch Phospho
messenger und eine Vielzahl an Proteinen reagiert auf rylierung, Acetylierung, limitierte Proteolyse oder durch Ver
Änderungen der Kalziumkonzentration mit einer Änderung änderung ihrer Expression reguliert werden. Auch die Ex-
ihrer Aktivität oder Konformation. Andere Rezeptoren akti pression der Transkriptionsfaktoren wird reguliert. Einige
vieren weitere intrazelluläre Signalkaskaden, die dann z. B. Hormone, vor allem Steroidhormone wie Kortisol, binden
zur Freisetzung von Vesikeln oder zur Änderung der Gen an intrazelluläre Rezeptoren. Nach Kortisolbindung wandert
expression führen. Der Prozess der Umsetzung eines Rezep dieser Steroidhormonrezeptor in den Zellkern und wirkt dort
torsignals hin zu einer zellulären Reaktion wird als Signal- über die Bindung an die DNA als Transkriptionsfaktor.
transduktion bezeichnet. Prozesse, die durch Signalkaskaden
β-Catenin
gesteuert werden, sind z. B. Zellproliferation, Zelldifferen Die Glykogensynthasekinase 3β phosphoryliert z. B. β-Catenin und leitet
zierung, aber auch programmierter Zelltod, die Kommunika damit dessen Inaktivierung ein. Eine Hemmung von Glykogensynthase-
tion von Neuronen und damit alle zentralnervösen Funk kinase 3β durch Insulin über den PI3-Kinaseweg steigert die Bildung akti-
tionen, die gerichtete Wanderung von Zellen, die Aktivierung ven β-Catenins, das als Transkriptionsfaktor die Expression mehrerer für
der körpereigenen Abwehr durch Krankheitserreger und die die Zellteilung erforderlicher Gene stimuliert. Insulin fördert somit u. a.
über Steigerung der β-Catenin-Bildung die Zellteilung.
Reaktion auf ZellZell und ZellMatrixInteraktionen.
Differenzierte zelluläre Reaktion Obwohl jede Signalkas Regulation über Abbau Die Menge eines Effektormolekü-
kade in der Zelle bestimmte Wirkungen auslöst, z. B. die Re les ist das Resultat von Neubildung und Abbau. Sie wird nicht
2.2 · Rezeptoren und heterotrimere G-Proteine
11 2
nur durch Änderungen der Expression, sondern auch über bestehen aus einer extrazellulären, einer transmembranären
Änderungen des Abbaus reguliert. Der Abbau eines Proteins und einer intrazellulären Domäne. Die extrazelluläre Domäne
wird u. a. durch Bindung von Ubiquitin (Ubiquitinylierung) dient meistens der Ligandenbindung, der transmembranöse
eingeleitet. Stimulation der entsprechenden UbiquitinLigase Teil der Verankerung in der Zellmembran und der intrazellu
fördert den Abbau des jeweiligen Effektormoleküls durch läre Teil der Weitergabe des Signals in die Zelle. Diese Rezep
Proteasomen. toren binden nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip spezifisch
bestimmte Moleküle, sog. Liganden. Liganden sind beispiels
weise bei Hormonrezeptoren Hormone, bei Wachstumsfaktor
In Kürze
rezeptoren die entsprechenden Wachstumsfaktoren, beim T
Signaltransduktion ist die intrazelluläre Reaktion auf
oder BZellRezeptor die passenden Antigene.
die Aktivierung eines Rezeptors. Die Anpassung der
Zellfunktionen erfolgt durch Regulation von Funktion
Intrazelluläre Rezeptoren Einige Liganden, meist lipidlös
und Expression von Effektormolekülen. Die Funktion
liche Hormone (z. B. Glukokortikosteroide, Mineralokor
wird häufig durch Phosphorylierung/Dephosphorylie-
tikosteroide, Sexualhormone, Schilddrüsenhormone, Vita
rung reguliert. Die Expression steht unter der Kontrolle
min D und Retinoide) binden an intrazelluläre Rezeptoren.
von Transkriptionsfaktoren. Der Abbau wird u. a. durch
Hierdurch kommt es zu einer Konformationsänderung und
Ubiquitinylierung und nachfolgender Spaltung im Pro-
ggf. Dimerisierung des Rezeptors, der dann an bestimmte Ab
teasom reguliert.
schnitte der DNA bindet (. Abb. 2.2). Der RezeptorLigan
denKomplex wirkt wie ein Transkriptionsfaktor (7 Ab-
schn. 2.5.1) und löst die Expression primärer Response-
Gene aus. Diese können weitere Gene regulieren, sog. sekun
2.2 Rezeptoren und heterotrimere däre ResponseGene, die gleichfalls zur Wirkung des Hor
G-Proteine mons beitragen.
2.2.1 Rezeptor-Liganden-Konzept
2.2.2 Heterotrimere G-Proteine
Rezeptoren sind Proteine, die durch Bindung von Liganden
spezifisch Signale aufnehmen und in die Zelle vermitteln. Heterotrimere GTP-bindende Proteine werden durch G-Pro-
tein gekoppelte Rezeptoren (GPCR) reguliert und dienen der
Rezeptoren auf der Zelloberfläche Ligandenbindende Weitervermittlung hormoninduzierter Signale in die Zelle.
Oberflächenrezeptoren sind Proteine, die extrazelluläre
Signale in die Zelle übertragen. Die Oberflächenrezeptoren Heptahelikale Rezeptoren Viele Hormon- und Zytokinre-
zeptoren der Zellmembran, aber auch Rezeptoren für Geruchs
Steroidhormon und Geschmacksstoffe und sogar Licht wirken über Aktivie-
rung GTP-bindender Proteine (GProteine). Die Verankerung
dieser GProtein gekoppelten Rezeptoren (GPCR) in der Zell
membran erfolgt durch sieben helikale Transmembrandomä
Zelle nen (heptahelikale Rezeptoren), wobei die die Helices verbin
denden extrazellulären Anteile der Ligandenbindung dienen
Kern und über entsprechende intrazelluläre Abschnitte heterotri
mere GProteine rekrutiert werden. Diese sind aus drei Unter
einheiten zusammengesetzt, der α-, β- und γ-Untereinheit. Im
zytosolischer inaktiven Zustand bindet die αUntereinheit heterotrimerer
HRE mRNA
Rezeptor GProteine GDP (. Abb. 2.3).
Transkription
GTPase-Zyklus Die Bindung des Liganden an den GPCR
induzierte
Proteine löst eine Konformationsänderung aus, wodurch es zu einem
Austausch von GDP durch GTP an der αUntereinheit des
Translation GProteins kommt. Die GTPgebundene αUntereinheit
trennt sich von der β/γUntereinheit, wird dadurch aktiviert
und kann das Signal weitergegeben. Heterotrimere GPro
. Abb. 2.2 Wirkung von Hormonen über intrazelluläre Rezeptoren. teine werden entsprechend der Funktion der αUntereinheit
Steroidhormone (z. B. Glukokortikoide) binden an zytosolische Rezepto- der stimulatorischen GsFamilie zugerechnet, wenn die
ren. Der Hormon-Rezeptor-Komplex wandert in den Zellkern und bindet αUntereinheit die Adenylatzyklase aktiviert, der inhibito
dort an hormonresponsive Elemente (HRE), entsprechende mRNA wird
gebildet und es werden durch Translation der mRNA in den Ribosomen rischen GiFamilie, wenn die Adenylatzyklase gehemmt wird,
des rauen endoplasmatischen Retikulums hormoninduzierte Proteine oder der GqFamilie, wenn die Phospholipase Cβ (s. u.) akti
synthetisiert viert wird.
12 Kapitel 2 · Die Zelle und ihre Signaltransduktion
H
H
H H H
2 R R R R R
β α β α β α β α β α
γ γ γ γ γ
GDP GDP GTP GDP GDP
GTP
Wirkung Pi
. Abb. 2.3 Aktivierung von heterotrimeren G-Proteinen. Nach Bin- Hormonwirkungen ausgelöst. Das G-Protein wird durch Abspaltung
dung eines Hormons (H) an den Rezeptor (R) wird an der α-Untereinheit eines Phosphates (Bildung von GDP) wieder inaktiviert. Darauf bindet
eines heterotrimeren G-Proteins ein GDP durch ein GTP ersetzt sowie die die α-Untereinheit wieder die β- und γ-Untereinheit
β- und γ-Untereinheit abgespalten. In dieser Konfiguration werden die
> Die α-Untereinheit der G-Proteine besitzt GPTase- Adenylatzyklase Aktivierte αUntereinheiten bestimmter
Aktivität. heterotrimerer GProteine (Gs) interagieren u. a. mit der
Adenylatzyklase, die ATP zu zyklischem AMP (cAMP) um
Die Spaltung des GTP durch intrinsische GTPaseAktivität setzt (. Abb. 2.4). cAMP ist ein intrazellulärer Botenstoff
der αUntereinheit zu GDP inaktiviert die αUntereinheit, die (second messenger), der die Wirkung des Hormons (first
dann wieder einen Komplex mit der β/γUntereinheit bildet messenger) in der Zelle vermittelt. Zyklisches AMP bindet
(. Abb. 2.4). an und aktiviert die Proteinkinase A (PKA). Sie phosphory
liert bestimmte Enzyme, Ionenkanäle und weitere Trans-
Acetylcholin
Auch die β/γ-Untereinheit kann Signale auslösen. So vermittelt Acetyl-
portproteine an einem Serin oder Threonin und beeinflusst
cholin am Sinusknoten des Herzens über M2-muskarinische Rezeptoren auf diese Weise deren Funktion. cAMP kann sich auch an
die Öffnung von Kaliumkanälen der GIRK-Familie, was die Herzfrequenz Ionenkanäle anlagern und diese ohne Vermittlung der Pro
senkt (7 Kap. 16.4.2). teinkinase A aktivieren.
In Kürze
erregendes hemmendes
Ligandenbindende Rezeptoren sind Proteine, die spezi- externes Signal externes Signal
fische Substanzen binden und dadurch der Vermittlung
von Signalen in die Zelle dienen. Die Zellfunktionen
Forskolin
können durch intrazelluläre und membranständige Re-
zeptoren reguliert werden. Intrazelluläre Rezeptoren Rs Ri
bestehen aus einer Hormonbindungsstelle und einer
Gs Gi
DNA-Bindungsstelle. Sie wirken als Transkriptionsfak-
toren, die die zelluläre Wirkung lipophiler Hormone GTP AC Pertussis-
vermitteln. Oberflächenrezeptoren lösen nach der Bin- toxin
GTP Aus-
dung von extrazellulären Liganden eine intrazelluläre ATP GTP
Cholera- Reaktion
Signalkaskade aus. Die Wirkung von Oberflächenrezep- toxin GDP+P
Aus-
toren wird häufig durch heterotrimere G-Proteine ver- Reaktion
GDP+P
mittelt (GPCR). Aktivierung und Inaktivierung dieser
G-Proteine erfolgt durch die Bindung von GDP und GTP Theophyllin,
cAMP PKA
sowie Konformationsänderungen der Untereinheiten. Koffein
AMP
Phosphodiesterase
Die Proteinkinase A phosphoryliert z. B. den Transkrip- Adrenalin (über α2Rezeptoren). Somatostatin kann z. B.
tionsfaktor CREB (cAMPresponsive element binding protein) über Hemmung der cAMPBildung die Cl--Sekretion hem
und löst die Expression cAMPabhängiger Gene aus. men, und Adrenalin hemmt über α2Rezeptoren die Insulin-
Eine Vielzahl von Hormonen wie u. a. Adrenalin (über ausschüttung.
βRezeptoren), Glukagon, Parathormon, Kalzitonin, die meis
ten Peptidhormone des Hypothalamus (Ausnahme: Somato
statin; s. u.) und mehrere Gewebshormone wirken über den 2.3.2 cGMP
beschriebenen Signalweg. Einige Beispiele cAMPabhängiger
Regulation sind in . Tab. 2.1 zusammengestellt. Stickstoffmonoxid (NO), ein kurzlebiger Signalstoff, und atria-
les natriuretisches Peptid (ANP) aktivieren eine Guanylatzy-
> Phosphodiesterasen bauen cAMP und cGMP ab.
klase , die cGMP bildet. cGMP erzeugt, u. a. über Aktivierung
der Protein Kinase G, eine Vielzahl von Wirkungen.
Klinik
Choleratoxin
Guanylatzyklasen Die Bildung von zyklischem GMP (cGMP)
Der Choleraerreger Vibrio cholerae produziert Choleratoxin.
aus GTP wird von Guanylatzyklasen (GC) katalysiert, von
Das Gift fördert den Transfer einer ADP-Ribosyl-Gruppe auf die denen im menschlichen Organismus drei Hauptvertreter exis
GSα-Untereinheit von G-Proteinen. Damit wird deren GTPase- tieren:
Aktivität gehemmt und die G-Proteine bleiben in der aktiven 5 die membranständige GC in den Photorezeptoren des
Form. Auf diese Weise wird die Adenylatzyklase im Darmepithel Auges (7 Kap. 57.2.2),
sehr stark und dauerhaft aktiviert. Durch die gesteigerte, von
äußeren Reizung entkoppelte Bildung von cAMP werden Chlo-
5 die lösliche GC, die in vielen Zellen exprimiert wird und
ridkanäle in der luminalen Membran der Darmepithelzellen sti- durch NO stimuliert wird (7 Kap. 20.4),
muliert. Es kommt über massive Steigerung der Sekretion von 5 die partikuläre, membrangebundene RezeptorGC,
NaCl und Wasser zu Durchfällen mit lebensbedrohlichen Salz- die durch natriuretische Peptide aktiviert wird
und Flüssigkeitsverlusten. (7 Kap. 15.6, 21.5 und 35.3).
rung von Cysteinen modifizieren (z. B. im SNAREKomplex) Ca2+-Freisetzung Um die zytosolische Ca2+Konzentration
und spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation des pro zu erhöhen, stimulieren Rezeptoren u. a. Phospholipase C
grammierten Zelltodes und der Abwehr des Organismus (PLCβ oder PLCγ). PLC spaltet von bestimmten Membran
2 gegen bakterielle Pathogene. phospholipiden (Phosphatidylinositolphosphaten) Inositol-
trisphosphat (IP3) ab. . Abb. 2.5 illustriert die Situation für
cGMP Dieser Second Messenger aktiviert die Protein einen Gqgekoppelten Rezeptor, z. B. den M3Acetylcholin
kinase G. In der Folge werden u. a. die Ca2+ATPase phospho Rezeptor. IP3 bindet an Kanäle im endoplasmatischen Reti
ryliert, die Ca2+ aus der Zelle pumpt, aber auch die Myosin kulum, die eine Freisetzung von Ca2+ aus dem endoplasmati
leichtekettenPhosphatase aktiviert (7 Kap. 14.4.2), was beides schen Retikulum (ER) in das Zytoplasma ermöglichen. Die
zur Relaxation von glatten Muskelzellen führt. Zyklisches Abnahme der Ca2+-Konzentration im ER führt in einigen
GMP kann auch an Ionenkanäle binden und so die Aktivität Zellen zu einer Aktivierung von Ca2+-Kanälen in der Zell
der Ionenkanäle regulieren. Ein cGMPaktivierbarer Katio membran, sog. Calcium release activated Calcium channels
nenkanal erzeugt z. B. den Dunkelstrom bei der Phototrans (CRAC), wodurch weiteres Ca2+ in das Zytosol gelangt.
duktion in Photorezeptoren der Netzhaut (7 Kap. 57.2.2).
Diazylglyzerin und Proteinkinase C Durch die Abspaltung
Phosphodiesterasen cAMP und cGMP werden durch Phos von IP3 entsteht aus Membranphospholipiden Diazylglyze-
phodiesterasen (PDE) zu 5’-AMP bzw. 5‘-GMP gespalten rin. Zusammen mit Ca2+ aktiviert Diazylglyzerin Isoformen
und damit inaktiviert. Derzeit sind mehr als 11 Phospho der Proteinkinase C (PKC), die u. a. über die Phosphorylie
diesterasen identifiziert, die sich in ihrer Selektivität für rung von Transkriptionsfaktoren die Synthese von Proteinen
cAMP bzw. cGMP, ihre Gewebelokalisation und ihren Akti reguliert. (. Abb. 2.5). PKCregulierte Transkriptionsfak
vierungsMechanismus unterscheiden. Die Phosphodieste toren kontrollieren insbesondere sog. early response-Gene,
rase in der Retina (PDE6) wird z. B. im Rahmen der Photo- die der Zelle eine schnelle Anpassung an wechselnde Um
transduktion aktiviert und spaltet selektiv cGMP. PDE1 und weltbedingungen ermöglichen. Daneben reguliert PKC
3 kommen u. a. am Herzen vor und spalten cAMP, während auch Transportproteine in der Zellmembran, wie z. B. den
die cGMPspaltende PDE5 recht selektiv im Gefäßmuskel Na+/H+Austauscher NHE1 (7 Kap. 37.2) und mindert da
exprimiert ist. mit die intrazelluläre H+Konzentration. PKC reguliert ferner
die Vernetzung des Zytoskeletts.
Nicht-selektive Hemmung von Phosphodiesterase
Nicht-selektive Hemmung von Phosphodiesterase z. B. durch Koffein und > Der second messenger Diazylgylzerin aktiviert Protein-
Theophyllin steigert die zytosolische cAMP-Konzentration und damit die
kinase C-Isoformen.
cAMP-abhängigen Zellfunktionen (allerdings wirkt Koffein in üblicher
Dosierung vorwiegend über Stimulation purinerger Rezeptoren). Hemm-
stoffe von kardialen PDEs befinden sich in der Erprobung zur Steigung Ligandengesteuerte und spannungsabhängige Ca2+-Kanäle
der Herzkraft (7 Kap. 15.6). PDE-5-Inhibitoren (z. B. Sildenafil Viagra™)
führen zur Relaxation glatter Gefäßmuskeln, was u. a. den pulmonalen Per-
Die intrazelluäre Ca2+-Konzentration kann auch primär
fusiondruck senkt und zur Erektion führt (7 Kap. 14.4, 20.4, 27.2 und 79.2). über Einstrom von Ca2+ durch Ionenkanäle gesteigert wer
den. So können bestimmte Neurotransmitter direkt an Ca2+
permeable Ionenkanäle binden und diese öffnen (7 Kap. 4.5).
In Kürze
Schließlich verfügen sog. erregbare Zellen über spannungs
Viele Hormonrezeptoren regulieren Zellen über zykli-
abhängige Ca2+permeable Kanäle, deren Aktivität von der
sche Nukleotide, die als second messenger dienen. Zyk-
Potenzialdifferenz über die Zellmembran reguliert wird. Bei
lisches Adenosinmonophosphat (cAMP) aktiviert eine
normaler Polarisierung der Zellmembran (innen negativer als
Proteinkinase A und kann so Effektormoleküle und Ge-
–60 mV) sind die Kanäle geschlossen, bei Depolarisation
nexpression beeinflussen. Zyklisches GMP (cGMP) wirkt
werden die Kanäle aktiviert (7 Kap. 4.2). Über diese Kanäle
u. a. über eine Proteinkinase G auf die Zellfunktionen.
wird die zelluläre Signaltransduktion durch das Zellmem
cAMP und cGMP werden durch Adenylat- bzw. Guanylat-
branpotenzial beeinflusst.
zyklase generiert und durch Phosphodiesterasen abge-
baut.
. Abb. 2.5 Kalzium-(Ca2+-) und Diazylglyzerin-(DAG-)abhängige Calmodulin reguliert Ca2+ z. T. über Aktivierung Calmodulin-abhängiger
Signalwege. Eine Phospholipase C (PLC) spaltet aus Phospholipiden der Kinasen (CaMK) und Phosphatasen (Calcineurin, CaN) die Aktivität von
Zellmembran Inositoltrisphosphat (IP3) ab. Über Aktivierung von Ca2+- Transportproteinen, Enzymen und die Transkription von Genen. Durch
Kanälen entleert IP3 intrazelluläre Ca2+-Speicher und steigert damit die Abspaltung von IP3 entsteht ferner Diazylglyzerol, das u. a. gemeinsam
zytosolische Ca2+-Konzentration. Entweder direkt oder nach Bindung an mit Ca2+ Proteinkinase C-Isoformen (PKC) aktiviert
Ca2+ an Calmodulin kommt es zu einer Konformationsände wechsels (z. B. Glykogenabbau), Fusion von Vesikeln mit der
rung von Calmodulin, das nun u. a. die Kalziumabhängigen Zellmembran und damit die Ausschüttung von Neurotrans
Stickstoffmonoxidsynthasen und die Phosphatase Calcineu- mittern und Hormonen, Expression von Genen, die für die
rin stimuliert. Wichtigstes Substrat von Calcineurin ist der Zellproliferation wichtig sind, sowie Aktivierung von Enzy
Transkriptionsfaktor NFAT (nukleärer Faktor aktivierter men, die den „programmierten“ Zelltod (Apoptose) auslösen
TLymphozyten). Calcineurin dephosphoryliert NFAT, der im können. Einige Beispiele Ca2+abhängiger Regulation sind in
dephosphorylierten Zustand aus dem Zytosol in den Nukleus . Tab. 2.2 zusammengestellt.
wandert und dort die Transkription von Genen stimuliert.
Spezifität von Ca2+-Signalen Aus der Vielzahl Ca2+abhän
Ca2+-abhängige Funktionen Ca2+ reguliert eine Vielzahl zel giger Zellfunktionen wird meist nur ein kleiner Teil in einer
lulärer Funktionen, z. B. Muskelkontraktionen, Zustand des Zelle realisiert – Ca2+ kann ja nicht gleichzeitig Zellteilung
Zytoskeletts, Regulation von Enzymen des Intermediärstoff und Zelltod auslösen. Die Spezifität der Ca2+Wirkungen
P
STAT
STAT
P
Zellkern
Regulation von
Gentranskription
. Abb. 2.7 JAK-STAT-Signalkaskaden. Nach Bindung eines Liganden, bestimmten Tyrosinresten (Tyr), wodurch STAT-Proteine rekrutiert, dime-
z. B. Erythropoietin oder Interleukin 6, ein Entzündungsmediator und Im- risiert und phosphoryliert werden. Diese STAT-Proteine lösen sich dann
munregulator, an einen dimeren Rezeptor kommt es zur Aktivierung as- vom Rezeptor und wandern in den Kern, wo sie die Gentranskription
soziierender Janus-Kinasen (JAKs) durch gegenseitige Phosphorylierung regulieren
(Transaktivierung). Aktivierte JAKs phosphorylieren nun den Rezeptor an
Die Bildung von Multiproteinkomplexen durch Adapterpro- sitidabhängige Kinase1 (PDK1) phosphoryliert und akti
teine Phosphorylierte Tyrosinreste im Rezeptor bzw. asso viert wird. PKB/AKT aktiviert viele Signalwege, die insbe
ziierenden Proteinen dienen als Bindungsstellen für zytoso sondere Zellproliferation oder Überleben stimulieren, wie
lische Proteine, die nun mit dem aktivierten Rezeptorkomplex z. B. mTOR, die sog. ForkheadTranskriptionsfaktoren, Bcl2
interagieren können. Zu diesen Proteinen gehören insbeson oder auch Zyklinabhängige Kinasen. PKB hemmt zudem die
dere Adapterproteine, z. B. das Grb2Protein (. Abb. 2.6), Glykogensynthasekinase GSK3 und beeinflusst damit u. a.
die eine Brücke zwischen dem Rezeptor und eigentlichen den Stoffwechsel. Schließlich phosphoryliert und inaktiviert
intrazellulären Effektormolekülen bilden. PKB Bad, ein Protein, das Apoptose auslösen kann (s. u.).
PKB/Akt wiederum wird durch Phosphatasen inaktiviert:
Weitervermittlung des Signals Die phosphorylierten Tyro- PP2A dephosphoryliert selbst das Enzym, die Lipidphospha
sinreste des Rezeptors oder die gebundenen Adapterproteine tase PTEN hydrolysiert PIP3.
rekrutieren weitere Moleküle an den Rezeptorkomplex, wo Durch selektive Rekrutierung und Kombination be
durch das Signal, das durch die Bindung des Liganden ent stimmter „Signalmodule“ aus relativ wenigen Signalwegen
standen ist, verstärkt wird. Für Rezeptoren mit assoziierter kann zudem eine Vielzahl intrazellulärer Wirkungen erreicht
Tyrosinkinaseaktivität binden z. B. STAT(signal tranducer werden. Rekrutiert z. B. das entsprechende Adapterprotein
and activator of transcription)Proteine an die von JAK (Janus Signalmoleküle, die den Signalweg A+C+E aktivieren, ent
Kinasen) phosphorylierten Tyrosine des Rezeptors, bilden steht ein anderes Signal, als wenn Signalmoleküle rekrutiert
Dimere, wandern in den Zellkern und wirken dort als Trans werden, die schließlich die Signalwege A+B+D stimulieren.
kriptionsfaktoren (. Abb. 2.7).
An phosphorylierte Tyrosinreste von Wachstumsfaktor
rezeptoren oder die entsprechenden Phosphotyrosinreste 2.5.2 Kleine G-Proteine
assoziierter Proteine binden über bestimmte Domänen, sog.
SH2-Domänen, Proteine, die kleine GProteine regulieren Kleine G-Proteine regulieren über Aktivierung von Kinasekas-
können. Dazu gehört auch das sog. SOS-Protein, das das Ras- kaden und Beeinflussung des Zytoskeletts Zellproliferation,
Protein reguliert (7 Abschn. 2.5). Über Tyrosinkinasen wird -differenzierung und -tod.
auch die Phosphatidylinositol-3-kinase reguliert, die Phos-
phatidylinositoltrisphosphat (PIP3) generiert. PIP3 bindet Aktivierung Kleine G-Proteine, die ein Molekulargewicht
an Proteinkinase B (PKB, auch AKT genannt) und rekrutiert von 20–30 kDa aufweisen, binden wie die heterotrimeren
das Protein an die Membran, wo es durch die Phosphoino GProteine im inaktiven Zustand GDP. Der Austausch von
18 Kapitel 2 · Die Zelle und ihre Signaltransduktion
GDP durch GTP aktiviert kleine GProteine (. Abb. 2.6). Die 2.5.3 Apoptose, Nekrose und Autophagie
Aktivierung kleiner GProteine wird durch Guaninnukleotid-
Austauschfaktoren katalysiert. Diese lösen das GDP vom Bei der Apoptose, auch programmierter Zelltod genannt, wird
2 kleinen GProtein ab, wodurch die Bindung des in der Zelle in ein festgelegtes intrazelluläres Signalprogramm aktiviert, das
viel höherer Konzentration als GDP vorkommende GTP er zum Tod der Zelle führt.
folgt. Zu den bekanntesten Austauschfaktoren gehört das SOS
Protein (7 Abschn. 2.4.2), das nach Aktivierung eines Tyrosin Bedeutung der Apoptose Zellen werden in unserem Kör
kinaserezeptors über Adapterproteine mit dem Rezeptor asso per ständig durch Zellproliferation neu gebildet und durch
ziiert und die Aktivierung des GProteins Ras durch GDP/GTP Apoptose entfernt. Über Zellproliferation und Apoptose
einleitet. Die Inaktivierung kleiner GProteine wird durch die kann die jeweilige Zellzahl reguliert und an die funktionellen
Hydrolyse des gebundenen GTP vermittelt (. Abb. 2.6). Anforderungen angepasst werden. Ferner können beschä
digte, mit intrazellulären Erregern infizierte oder unkon
Ras Das bekannteste kleine GProtein ist das Ras-Protein trolliert wachsende Zellen durch Apoptose eliminiert werden.
(. Abb. 2.6), das durch SOS aktiviert wird und u. a. Zellpro- Apoptose ist ein suizidaler Zelltod, der nach einem bestimm
liferation reguliert. Ras aktiviert über Raf-Kinasen die MAP- ten Programm abläuft.
Kinasen (Mitogenaktivierte Proteinkinasen), die u. a. die
Synthese neuer Proteine steuern und das Zytoskelett kon Kennzeichen der Apoptose Bei Apoptose kommt es zu typi-
trollieren (. Abb. 2.6). Ras aktiviert ferner die Phosphatidyli schen Veränderungen der Zelle, insbesondere zu Zell-
nositol3Kinase. schrumpfung, Fragmentation der DNA, Kondensation des
nukleären Chromatins, Fragmentation des Nukleus und zur
> Ras ist ein Proto-Onkogen.
Abschnürung kleiner Zellanteile, den apoptotischen Kör
perchen. In der Zellmembran wird z. B. unter der Wirkung
MAP-Kinasen MAPKinasen sind vor allem in der Signal- von hohen intrazellulären Ca2+Konzentrationen Phospha-
übertagung der Wirkungen von Zytokinen, Wachstums tidylserin umgelagert. Phosphatidylserin an der Oberfläche
faktoren und von zellulärem Stress beteiligt. Ein dreistufiges apoptotischer Zellen bindet an Rezeptoren von Makrophagen,
Kinasekaskadensystem von der MAPKinaseKinaseKinase welche die apoptotischen Zellen phagozytieren und dann
(MAP3K) über die MAPKinaseKinase (MAP2K) führt zur intrazellulär abbauen. Damit wird die Freisetzung intrazel
MAPKinase, die die Effekte vom Rezeptor zu zytoplasma lulärer Proteine verhindert, die sonst zu einer Entzündung
tischen Zielen und dem Zellkern vermittelt. Um eine zuver führen würde.
lässige Abfolge dieser MAPKinasekaskade zu gewährleisten,
binden alle 3 Kinasen an ein intrazelluläres Gerüstprotein Apoptosestimuli Apoptose kann sowohl durch Rezeptoren,
und befinden sich damit in unmittelbarer räumlicher Nähe wie z. B. CD95 (FAS) oder den TumorNekroseFaktorRezep
zueinander. tor, sowie durch Stressreize, wie ionisierende Strahlen, UV
Licht, Hitze oder Zytostatika ausgelöst werden (. Abb. 2.8).
Weitere kleine G-Proteine Ras reguliert schließlich weitere
kleine GProteine (. Abb. 2.6), insbesondere die kleinen Caspasen Apoptose wird durch die Aktivierung intrazel
G-Proteine Rac und Rho. Rac und Rho steuern u. a. das lulärer Proteasen aus der Familie der Caspasen vermittelt.
Zytoskelett und stressaktivierte Kinasen, die das Signal über Caspasen schneiden Proteine zwischen den Aminosäuren
den Transkriptionsfaktor AP1 in den Kern weiterleiten. Die Cystein und Aspartat. Die oben genannten Rezeptoren bzw.
Transkription von Genen und die Synthese neuer Proteine Stimuli aktivieren über verschiedene intermediäre Enzyme
erlauben es der Zelle, auf veränderte extrazelluläre Bedingun Caspase 3, das ein Schlüsselenzym für die Exekution von
gen zu reagieren. Kleine GProteine regulieren viele weitere Apoptose ist. Caspase 3 vermittelt direkt oder indirekt die
zelluläre Funktionen, z. B. sind RabGTPasen an der Kon Spaltung vieler zellulärer Proteine, die Fragmentation der
trolle des Vesikeltransports beteiligt und RanGTPasen nukleären DNA, Veränderungen des Zytoskeletts und eine
regulieren den Import von Proteinen in den Zellkern. Disintegration der Zelle.
Klinik
CD 9
Zelle eigene Bestandteile. So haben viele Zellorganellen nur
5-L
Na+ CD95
Ca2+ Cytochrom-C K+
eine Halbwertszeit von Tagen und müssen in der Zelle ab
Cas8
Bax gebaut werden. Dabei wird mithilfe einer Vielzahl von Pro
APAF-1 teinen eine neue Doppelmembran um das zu verdauende
Protein, Vesikel oder Organell gebildet, sodass ein Auto-
phagosom entsteht. Durch Verschmelzung mit einem Lyso
casp9
DNA-Fragmentierung som entsteht ein Autophagolysosom, in dem der überflüs
sige/schädliche/gealterte Zellbestandteil schließlich abgebaut
casp3
wird, teilweise aber auch der Neusynthese zur Verfügung ge
stellt wird.
SCR
In Kürze
Die Bindung eines Liganden an einen Wachstumsfak-
Phosphatidylserin- torrezeptor führt zur Aktivierung von Rezeptor-Tyro-
Umlagerung Zellschrumpfung
sinkinasen oder Rezeptoren mit assoziierten Tyrosin-
. Abb. 2.8 Apoptotische Signalkaskaden. Apoptose kann über kinasen. Diese führt zur Autophosphorylierung des
Schädigung der Zelle bzw. ihrer Mitochondrien sowie über Rezepto- Rezeptors, worauf Adapterproteine binden und ein
ren (z. B. CD95) ausgelöst werden. Mitochondrien setzen unter Ver- Multienzymkomplex entsteht. Das Signal wird in die
mittlung des Proteins Bax Cytochrom C (roter Kreis) frei, das gemeinsam Zelle über Kinasen, kleine G-Proteine und weitere Sig-
mit dem Adapterprotein APAF-1 die Caspase 9 (casp 9) aktiviert. Letzt-
nalmoleküle weitergegeben.
lich wird Caspase 3 (casp 3) aktiviert, die andere Proteine spaltet, durch
Aktivierung der Phospholipid-Scramblase (SCR) eine Phosphatidylse- Kleine G-Proteine werden durch den Austausch von
rinumlagerung in der Zellmembran bewirkt, durch Aktivierung von GDP und GTP aktiviert und durch Hydrolyse von GTP
Kanälen in der Zellmembran zu Zellschrumpfung und durch Aktivierung inaktiviert. Sie regulieren intrazellulär Signalwege, die
von Endonukleasen zum Abbau nukleärer DNA führt. Apoptose kann zur Proliferation und Differenzierung der Zelle führen.
auch über gesteigerten Ca2+-Einstrom (Kationenkanäle) ausgelöst
Das bekannteste kleine G-Protein ist das Ras-Protein.
werden. CD95=Todesligandrezeptor, CD95-L=Todesligand
Aktive Mutanten von Ras sind für die Entstehung und
das Wachstum vieler maligner Tumoren verantwortlich.
Proapoptotische Stimuli induzieren Apoptose u. a. über
Mitochondrien Viele proapoptotische Stressreize wirken in
Aktivierung von Caspasen. Die Folge ist Abbau der Zell-
der Zelle über sog. Bcl-2-ähnliche Proteine, insbesondere
strukturen, Fragmentation der DNA, Zellschrumpfung
Bax, Bak, Bad und Bid, die das apoptotische Signal auf Mito
und Umlagerung von Phosphatidylserin in der Zellmem-
chondrien übertragen (. Abb. 2.8). Die Wirkung der Proteine
bran. Apoptose dient dem physiologischen Umsatz von
wird durch Bcl-2 gehemmt. Die Interaktion dieser Proteine
Zellen ohne Auslösung von Entzündung. Bei Nekrose
mit den Mitochondrien führt zu einer Depolarisierung der
kommt es umgekehrt zu Zellschwellung, Freisetzung
Mitochondrien und zu einer Freisetzung von Zytochrom C.
zellulärer Proteine und Entzündung. Autophagie dient
Zytochrom C bindet an ein Adapterprotein (APAF1), der
dem Verdau intrazellulärer Moleküle und Organellen.
Komplex bindet Caspase 9, die damit aktiviert wird, wieder
um Caspase 3 schneidet und damit aktiviert, die dann
schließlich Apoptose induziert.
Nekrose Mechanische, chemische und thermische Schädi 2.6 Eikosanoide und Endocannabinoide
gungen der Zelle können die Integrität der Zellmembran auf
heben, Elektrolyte und Wasser strömen ein und die Zelle Die Aktivierung einer Phospholipase A2 setzt aus Membran-
platzt. Dabei spricht man von nekrotischem Zelltod. Auch phospholipiden Arachidonsäure frei, aus der u. a. Prostaglan-
bei Energiemangel (z. B. bei Mangeldurchblutung) können dine, Leukotriene und Endocannabinoide gebildet werden.
die Elektrolytgradienten über die Zellmembran nicht auf
rechterhalten werden und die Zelle stirbt durch Nekrose. Im Arachidonsäurebildung Durch Aktivierung einer Phospho-
Gegensatz zur Apoptose werden bei Nekrose intrazelluläre lipase A2 (PLA2) wird aus Zellmembranphospholipiden die
Proteine frei, wodurch eine Entzündungsreaktion entsteht. mehrfach ungesättigte Fettsäure Arachidonsäure freigesetzt
Bisweilen versucht die Zelle bei Schädigung bzw. Energie (. Abb. 2.9). PLA2 wird u. a. durch Anstieg der intrazellulären
20 Kapitel 2 · Die Zelle und ihre Signaltransduktion
Extrazellulär-
raum
Zytosol γ
β α PLA2
Rezeptor-G-Protein- Phospholipase A2
Komplex
COOH
Plasma-
membran O C C O COOH C O
Arachidonsäure O O HO O
Zytosol
Cox LiPox EPox CH₂ CH CH₂ CH₂ C CH₂
O O
andere
PGH2 5-HPETE HETEs O P O- O P O-
EETs
O O
Thromboxan Prostaglandine Leukotriene
TxA2 PGE2 Leukotrien A4 . Abb. 2.9 Eikosanoide. Durch eine Phospholipase A2 (PLA2) wird
Arachidonsäure aus Membranphospholipiden freigesetzt. Aus Ara-
O O COOH
COOH chidonsäure entstehen über Zyklooxygenase (COX) über das Zwischen-
COOH produkt PGH2 Prostaglandine und Thromboxan. Ferner werden über
O
O HO Lipoxygenasen (LiPox) über das Zwischenprodukt 5-Hydroperoxyarachi-
donsäure (5-HPETE) Leukotriene, und über Epoxygenase (Epox) Hydro-
OH OH
xyeicosatriensäuren (HETE) und Exoxyeicosatriensäuren (EET) gebildet.
Ca2+Konzentration und viele Entzündungsmediatoren (u. a. bilität (7 Kap. 20.2). Damit erleichtern sie das Einwan
Histamin, Serotonin, Bradykinin) stimuliert. Glukokortikoide dern von Entzündungszellen und das Eindringen von
hemmen die PLA2. Antikörpern in das entzündete Gewebe. Das vor allem bei
Aktivierung von Thrombozyten gebildete Thromboxan A2
Zyklooxygenaseprodukte Arachidonsäure kann durch die dient in erster Linie der Blutungsstillung (Hämostase)
Enzyme Zyklooxygenase und Peroxidase zu Prostaglandin H2 (7 Kap. 23.6).
(PGH2) umgewandelt werden. Aus PGH2 können in weiteren
Reaktionen Prostaglandine (z. B. PGE2 und PGF2α) und Lipoxygenaseprodukte Vor allem bei Entzündungen wer
Thromboxan A2 entstehen. Prostaglandine werden u. a. von den Lipoxygenasen aktiviert, die Arachidonsäure zu Leuko-
hypoxischen Zellen oder bei Entzündungen gebildet. Die trienen umsetzen. Bestimmte Leukotriene wirken stark bron
Zyklooxygenase COX1 wird ubiquitär exprimiert (7 Box chokonstriktorisch sowie ödematös und spielen bei Asthma
„Magenblutungen nach Therapie mit Zyklooxygenasehem- eine große Rolle.
mern“). Bei Entzündungen wird u. a. in Makrophagen, Leu
kozyten und Fibroblasten eine induzierbare Zyklooxygenase Epoxygenase Schließlich können über Oxidation aus Ara
(COX2) vermehrt exprimiert und sorgt für die gesteigerte chidonsäure Hydroxyeicosatetraensäuren (HETE) und Epoxy
Bildung von Prostaglandinen. Im Endothel ist COX2 jedoch eicosatriensäuren (EET) gebildet werden. HETE und EET
konstitutiv exprimiert und bildet dort Prostazyklin (PGI2). stimulieren u. a. die Ca2+Freisetzung und fördern Zellpro
Thromboxan A2 wird vor allem bei Aktivierung von Throm liferation.
bozyten freigesetzt.
Endocannabinoide Aus der Arachidonsäure leiten sich
> COX2 wird bei Entzündung induziert, im Endothel ist
auch Endocannabinoide ab, insbesondere das Arachidonyl
sie jedoch konstitutiv vorhanden.
ethanolamid, das auch als Anandamid bezeichnet wird, der
Die Wirkungen von Prostaglandinen erfolgt über die GPro 2Arachidonylglycerylether und das Arachidonylglycerol.
teingekoppelten EndoperoxidRezeptoren und zielen in Endocannabinoide binden an CannabinoidRezeptoren, die
erster Linie auf den Schutz von Zellen ab. Sie drosseln be sog. CannabinoidRezeptor1 (CB1) und 2 (CB2). CB1 fin
stimmte zelluläre Leistungen (z. B. die Salzsäuresekretion det sich insbesondere im zentralen Nervensystem, CB2 ins
im Magen) und fördern durch Erweiterung benachbarter besondere auf Immunzellen.
Gefäße die Versorgung der Zelle mit Sauerstoff und Sub CannabinoidRezeptoren regulieren eine Vielzahl von
straten. Besonders bedeutsam sind Prostaglandine bei Ent- Signalwegen, z. B. GProteine, Kaliumkanäle, Kalziumkanäle,
zündungen. Sie lösen Schmerzen und Fieber aus und stei den MAPKinaseweg, stressaktivierte Proteinkinasen und
gern neben der Durchblutung auch die Blutgefäßpermea- Transkriptionsfaktoren wie cJun und cFos.
Literatur
21 2
Klinik
Literatur
In Kürze
Eikosanoide sind eine Gruppe mehrfach ungesättigter Alberts B, Johnson A, Lewis J, Morgan D, Raff M, Roberts K, Walter P
Fettsäuren, die sowohl als intrazelluläre Transmitter, als (2014) Molecular biology of the cell, 6th edn. Garland Science,
New York
auch als Signalstoffe für Nachbarzellen dienen und aus
Heinrich PC, Müller M, Graeve G (2014). Löffler/Petrides - Biochemie
Arachidonsäure gebildet werden. Die Zyklooxygenase und Pathobiochemie, Springer Verlag, 9. vollständig überarbeitete
bildet Prostaglandine und Thromboxan, die Lipoxyge- Auflage
nase Leukotriene und die Epoxygenase Hydroxyeico-
satetraensäuren (HETE). Prostaglandine und Leuko-
triene vermitteln vor allem Wirkungen von Entzündun-
gen. Thromboxan A2 wirkt bei der Blutungsstillung mit.
Transport in Membranen
3 und Epithelien
Michael Fromm
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019
R. Brandes et al. (Hrsg.), Physiologie des Menschen, Springer-Lehrbuch
https://doi.org/10.1007/978-3-662-56468-4_3
Worum geht’s?
Der Körper muss in seiner Zusammensetzung konstant Carrier transportieren ebenfalls nur bestimmte Stoffe. Eine
gehalten werden besonders raffinierte Sorte von Carriern transportiert nur
Das ist schwierig, denn die Zellen und Organe des Körpers dann, wenn sich zwei oder drei bestimmte Substanzen zu-
besitzen zwar wirksame Barrieren, aber durch diese hin- gleich anlagern. Ein Beispiel ist Natrium und Glukose. Wenn
durch müssen auch Substanzen geschleust werden. Die für Natrium ein Konzentrationsunterschied besteht, so-
Barrieren werden bei Zellen durch Zellmembranen und in dass es in die Zelle hinein transportiert wird, nimmt es das
vielen Organen durch Epithelien (und Endothelien) ge- Glukosemolekül mit, sodass dieses aufgenommen wird,
bildet. auch wenn es außen nur noch gering konzentriert ist.
Zellmembranen und Epithelien stellen somit zugleich Eine besondere Form der Carrier sind Pumpen, auch Trans-
Grenzen und Passierstellen dar, welche die gezielte Auf- port-ATPasen genannt. Bei ihnen wird Energie des Moleküls
nahme und Abgabe von Wasser sowie darin gelösten Io- ATP verwendet, um den Transport auch entgegen eines
nen, Nährstoffen und vielen anderen Substanzen regeln. Konzentrationsunterschieds zu bewerkstelligen. Dieser
Bei einzelnen Zellen werden die Grenzen für wasserlösliche „Bergauf“-Transport wird als aktiver Transport bezeichnet.
Substanzen vor allem durch die Lipidschicht der Zellmem-
branen gebildet. Bei Epithelien müssen zusätzlich auch Röhrenförmige Epithelien besitzen eine einheitliche
die Spalten zwischen den Zellen durch zellverbindende Strategie des Transports
Proteine abgedichtet werden. Typischerweise werden in den proximalen Abschnitten des
Darms, der Nierentubuli und der Drüsenausführungsgänge
Die Passierstellen sind Kanäle, Carrier und Pumpen große Mengen gegen geringe Konzentrationsunterschiede
Die Passierstellen werden durch Proteine in der Zellmem- aufgenommen (resorbiert) oder abgegeben (sezerniert).
bran gebildet. Es gibt drei Formen: Kanäle, Carrier und Fast alle Nährstoffe werden nur hier resorbiert. In den dis-
Pumpen. Bei Epithelien gibt es darüber hinaus auch Kanäle, talen Abschnitten dagegen werden kleine Mengen gegen
die zwischen den Zellen hindurchführen. Die meisten große Konzentrationsunterschiede transportiert. Hier wer-
Kanäle können offen oder geschlossen sein und je nach den fast nur noch Ionen und Wasser resorbiert, und zwar
Kanalsorte Ionen wie Natrium, Kalium, Chlorid oder Wasser jeweils so, dass deren Konzentrationen im Körper gleich-
hindurchlassen. bleiben. (. Abb. 3.1)
tight junction
basolaterale
Seite . Abb. 3.1 Transportwege durch Membranen und Epithelien
3.1 · Transmembranale Transportproteine
23 3
3.1 Transmembranale Transportproteine schiedlichen Zellen molekular verschieden, sodass eine große
Zahl von Kanälen und Carriern identifiziert worden ist. Dies
3.1.1 Kanäle und Carrier hat jedoch seine klinische Bedeutung in der Tatsache, dass
Defektkrankheiten oft nur ganz bestimmte Transporter be
Kanäle und Carrier sind Transportproteine, die das innere treffen. Beispiele hierfür sind die zystische Fibrose (7 Klinik-
Milieu konstant halten; bei angeborenen Defektkrankheiten Box „Zystische Fibrose“) und das Bartter-Syndrom (7 Klinik-
von Kanälen und Carriern kommt es zu Mangel- oder Über- Box „Bartter-Syndrom“).
schusszuständen der transportierten Solute.
Transportierende Kanäle Ionenkanäle üben zwei ineinan
Milieu intérieur Der Mensch muss mit der Umgebung dergreifende Funktionen aus: Informationsweiterleitung und
dauernd Stoffe austauschen, zugleich aber sein flüssiges Transport. Die vorwiegend der Informationsweiterleitung
„inneres Milieu“ konstant halten, obwohl die zugeführten dienenden Kanäle verursachen Änderungen des Zellmem
Stoffe meist völlig anders zusammengesetzt sind. Dieser Stoff branpotenzials erregbarer Zellen. Bei den in diesem Kapitel
austausch wird auf zellulärer Ebene durch die Zellmem besprochenen Kanälen steht dagegen die Transportfunktion
branen und für den Gesamtorganismus durch Epithelien ge im Vordergrund. Transportierende Kanäle kommen in allen
währleistet. Zellen vor. In der Zellmembran von Epithelzellen sind sie für
Membranen und Epithelien bilden Barrieren zwischen den Transport unabkömmlich und sind dort oft durch Hor
den Flüssigkeitsräumen des Körpers und transportieren in mone (Aldosteron, Vasopressin) oder second messenger
geregelter Weise Solute und Wasser durch diese Barrieren (cAMP, Ca2+, 7 Kap. 2.3) aktivierbar bzw. induzierbar.
hindurch. Da die Stoffzusammensetzung der aufgenomme
nen Nahrung nicht ausreichend kontrolliert werden kann, Wasserkanäle Die Zellmembran besitzt für Wasser nur eine
geschieht die Konstanthaltung des inneren Milieus haupt geringe Permeabilität, jedoch finden sich in fast allen Zellen
sächlich durch Regelung der Ausscheidung durch Nieren, wasserpermeable Kanäle, die Familie der Aquaporine. Sie
Darm, Lunge und Haut. besitzen kein Gating, sind also, wenn in die Zellmembran
eingebaut, immer offen. In Epithelien existieren derartige
Kanäle und Carrier sind Transporter Die Transportproteine Kanäle sowohl in der apikalen als auch der basolateralen Zell
sind asymmetrisch in der apikalen und basolateralen Zell membran. Keine bzw. nur eine sehr geringe Wasserpermeabi
membran der Epithelzellen verteilt. Im Hinblick auf ihren lität und somit AquaporinDichte weisen u. a. der aufsteigen
Mechanismus kann man die Transporter in Kanäle und de Teil der HenleSchleife und der Speicheldrüsengang auf.
Carrier (mit einer Sonderform, den Pumpen) einteilen Aquaporin 2 wird im Gegensatz zu den anderen Aquaporinen
(. Tab. 3.1). Kanäle und Carrier sind integrale Membranpro- nur nach Stimulation mit antidiuretischem Hormon (ADH,
teine, die die gesamte Zellmembran mehrfach durchziehen Vasopressin) in die Zellmembran eingeschleust. Hierüber
und zumeist eine hohe Spezifität für den Transport einzelner kann somit ADHabhängig der transzelluläre Wasserstrom
Substanzen oder Gruppen ähnlicher Substanzen besitzen. Die reguliert werden. Aquaporin 2 kommt bei Säugern aus
Transportrate beider Transporterarten ist sättigbar. Einen schließlich in der apikalen Membran von spätdistalem Tubu
Überblick über die wichtigsten Transporter der Zellmem lus und Sammelrohr vor (7 Kap. 33.2 und 33.4).
branen gibt die Tabelle „Transporter der Zellmembranen
> Aquaporin 2 wird durch Antidiuretisches Hormon
(Auswahl)“ im Anhang.
geregelt, alle anderen Aquaporine sind konstant in der
Zellmembran vorhanden.
Spezifität Kanäle und Carrier können für einzelne bzw.
einander ähnliche Teilchensorten oder für Wasser spezifisch
sein. Weiterhin unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Carrier Während Kanäle im geöffneten Zustand ohne wei
Permeabilität und ihrer molekularen Struktur. In manchen tere Konformationsänderung Teilchen mit hoher Geschwin
Fällen sind funktionell gleichartige Transporter in unter digkeit passieren lassen, durchlaufen Carrier eine Änderung
Klinik
Zystische Fibrose
Symptome gewicht. In den Bronchiolen entsteht zu nämlich auf einen fehlenden Membran-
Transportstörungen an Zellmembranen zäher Schleim, der schlecht abtransportiert einbau oder einer verminderten Aktivier-
wirken sich in gleicher Weise oft an meh- wird. Dies führt zu chronischem Husten, barkeit des Cl–-Kanals CFTR (. Abb. 3.4).
3 reren Organen aus. So treten z. B. bei der
zystischen Fibrose (CF, Mukoviszidose),
starker Atembehinderung und Infektionen.
Generalisierte Maldigestion und beein-
Dadurch kann u. a. in Lunge und Pankreas
NaCl nicht ausreichend sezerniert werden,
einer häufigen, autosomal-rezessiv ver- trächtigte O2-Aufnahme in der Lunge füh- sodass die Sekrete nicht ausreichend ver-
erbten Erkrankung (Allel-Häufigkeit in ren zu Verzögerung des Wachstums und dünnt werden (. Abb. 3.10). Folge ist eine
Deutschland ca. 1:50, Inzidenz 1:2500), viel- der Pubertät. Die NaCl-Konzentration im Verringerung und Viskositätserhöhung
fältige scheinbar zusammenhanglose klini- Schweiß ist auf über 60 mmol/l erhöht dieser Sekrete, sodass ihr Abfluss durch die
sche Störungen auf: eine Eindickung des (7 Abschn. 3.4.7). Die mittlere Lebenser- entsprechenden Lumina erschwert wird. In
Pankreassekrets mit anschließendem Stau wartung beträgt bei intensiver Behandlung den Schweißdrüsen dient CFTR der NaCl
verursacht eine Pankreasinsuffizienz. Es etwa 40 Jahre, unbehandelt etwa 20 Jahre. Resorption und die erhöhte NaCl-Konzen-
kommt zur Zystenbildung mit anschließen- tration im Schweiß ist ein frühes diagnosti-
dem bindegewebigem Umbau (Fibrose) Ursachen sches Merkmal der CF.
des exokrinen Pankreas (daher der Name Die oben genannten Symptome der CF
der Erkrankung). Die Pankreasinsuffizienz sind im Wesentlichen auf einen generellen
führt zu Verdauungsstörungen und Unter- Defekt in allen Epithelien zurückzuführen,
ihrer Konformation bei jeder Aufnahme und Abgabe der sie nicht durch Diffusion angetrieben werden, sondern die
transportierten Teilchen. Sie transportieren daher wesentlich Energie für den Transport aus der Hydrolyse von ATP zu
langsamer als Kanäle (. Tab. 3.1). Carrier zeigen nicht das ADP + Phosphat beziehen. Die Transport-ATPasen sind
bei den meisten Kanälen auftretende gating (Regulation der daher sowohl Enzyme als auch Transporter. Am bekanntes
Kanalöffnung u. a. durch Potenzialänderungen). Einige spe ten ist die in allen Zellen vorkommende Na+/K+-ATPase,
zialisierte Carrier, die Pumpen oder TransportATPasen, nut die bei Epithelien in der basolateralen Membran lokalisiert
zen ATP als direkten Antrieb für den Transport. ist und pro ATPMolekül 3 Na+ gegen 2 K+ transportiert
(. Abb. 3.2a). Dieses Zahlenverhältnis bedeutet, dass die
> Im Gegensatz zu Kanälen sind Carrier nie vollständig
Na+/K+ATPase im Nettoeffekt elektrische Ladung trans
geöffnet.
portiert, also Strom erzeugt und zum Membranpotenzial
beiträgt. Die Na+/K+ATPase kann durch das Medika
ment Ouabain blockiert werden (siehe . Abb. 3.2a). Es gibt in
3.1.2 Symporter, Antiporter und Uniporter tierischen Zellmembranen drei wesentliche weitere Trans
portATPasen für kleine Ionen, nämlich Ca2+ATPase, H+/
Carrier können als Symporter und Antiporter unterschiedliche K+ATPase und H+ATPase (7 Tab. im Anhang).
Solute in einem festen Zahlenverhältnis transportieren.
Multidrug-Resistance-Protein-1 (MDR1) Auch MDR1 (an
Flusskopplung Viele Carrier transportieren eine spezifische derer Name PGlykoprotein, Pgp) ist eine ATPase und gehört
Kombination von zwei oder sogar drei Teilchensorten in zu der großen Gruppe der ABC-Transporter (ATP binding
einem festen Zahlenverhältnis (7 Tab. im Anhang). Hinsicht cassette). MDR1 transportiert eine Vielfalt von unterschied
lich der Transportrichtung unterscheidet man lichen Substanzen unter direktem ATPVerbrauch gegen
5 Symporter, die mehrere Teilchensorten in gleicher Rich einen Konzentrationsgradienten aus der Zelle heraus. Es kann
tung transportieren (positive Flusskopplung) und hineindiffundierende Substanzen bereits in der Zellmembran
5 Antiporter, die Teilchensorten in entgegengesetzter abfangen und befördert sie zurück. Dieser Transporter, der
Richtung transportieren (negative Flusskopplung). physiologischerweise z. B. in der Leber, im Dünndarm und
5 „Einfache“ Carrier arbeiten ohne Flusskopplung und in der Niere vorkommt und der Ausscheidung von Stoff
heißen Uniporter. wechselgiften dient, wird in vielen Tumorzellen fatalerweise
verstärkt gebildet und verursacht dann eine Resistenz gegen
Der Begriff Kotransport wird in der Literatur teils für Fluss zytostatische Medikamente (. Abb. 3.2b).
kopplung und teils nur für Symport benutzt und daher hier Zu der Vielzahl von ABCTransportern gehört auch
vermieden. der ChloridKanal CFTR, der sich bei Anlagerung von
ATP bzw. ADP vollständig (wie für einen Kanal typisch)
> Flusskopplung bedeutet, dass zwei (oder drei) Teil-
öffnet (7 Klinik-Box „Zystische Fibrose“). Anders als bei
chensorten gemeinsam transportiert werden.
den TransportATPasen verwerten bei den ABCTrans
portern die ATPBindungsstellen die metabolische Ener
Pumpen oder Transport-ATPasen Sie bilden eine besondere gie des ATP nicht. Die ATPBindung dient hier nur als
Gruppe von „primär aktiven“ Carriern (7 Abschn. 3.3), da Regulator.
3.2 · Zusammenspiel von Transport und Barrierefunktion in Epithelien
25 3
a b
ATP
zu transportierendes
3 1 Molekül
α-Untereinheit 1
4 ADP
β-Untereinheit P
3 Na+
ATP
2 K+ 2
5 2
Ouabain
6
. Abb. 3.2a,b ATP-abhängige Transporter. a Na+/K+-ATPase. Sie zellulär eintreten und an der Poreninnenseite binden. Das Phosphat ver-
transportiert Na+ und K+ gegen deren Gradienten („bergauf“) und ver- lässt seine Bindungsstelle und bewirkt Schließung beider Porenseiten.
braucht hierzu metabolische Energie des ATP. Der Arbeitszyklus besteht [6] K+ wird nach intrazellulär entlassen, nachdem durch Bindung eines
aus sechs Schritten: [1] Ein ATP ist an die ˟-Untereinheit der ATPase ge- neuen ATP die intrazelluläre Porenseite geöffnet wurde und dadurch
bunden und die intrazelluläre Porenseite ist offen. [2] Drei Na+ gelangen ein neuer Arbeitszyklus beginnt. b MDR1 als Beispiel eines ABC-Trans-
von intrazellulär an die Poreninnenseite und binden dort aufgrund porters. Im ersten Schritt [1] kann ein lipophiles Molekül (z. B. ein Medi-
hoher Affinität. [3] ATP wird zu ADP hydolysiert und ein Phosphat phos- kament) entweder beim Durchtritt durch die Zellmembran seitlich auf-
phoryliert einen Aspartatrest. Dies bewirkt Schließung der intrazellu- genommen werden oder es gelangt von intrazellulär in den Transporter.
lären Porenseite. [4] Daraufhin öffnet sich die extrazelluläre Porenseite [2] Nun lagern sich zwei ATP an und bewirken eine 90°-Drehung des
und entlässt das Na+ nach extrazellulär. In diesem Stadium kann sich das Transporterproteins, die zu einer Schließung der intrazellulären Poren-
Medikament Ouabain anlagern und verursacht eine dauerhafte Schlie- seite und zugleich Öffnung der extrazellulären Porenseite führt und das
ßung beider Porenseiten. [5] Im Gegenzug können zwei K+ von extra- Molekül nach extrazellulär entlässt
3 3.2.2 Schlussleisten
. Abb. 3.4 Aufbau der tight junction. Die tight junction besteht aus tight junction-Proteine benachbarter Zellen haben abdichtende oder
Membranproteinen, deren extrazelluläre Schleifen (ECL1 und 2) zwischen kanalbildende Funktion. Während Claudine und Occludin vorwiegend in
zwei Zellen (bizelluläre tight junction, bTJ) oder an den Kontaktpunkten der bTJ lokalisiert sind, finden sich Tricellulin und Marvel-D3 überwie-
zwischen drei Zellen (trizelluläre tight junction, tTJ) angeordnet sind. Die gend in der tTJ
Klinik
Morbus Crohn
Morbus Crohn (Ileitis terminalis) ist eine mehrt gebildeten proentzündlichen Zyto- Ulzera, vermehrte Apoptose und eine
chronisch entzündliche Darmerkrankung, kine wie Tumor-Nekrose-Faktor α (TNFα) Schädigung der tight junction zustande
die alle Wandschichten des Darms befällt und Interferon-γ sind Ursache der meisten kommt. TNFα bewirkt eine Abnahme des
und sich über mehrere nicht zusammen- Krankheitssymptome. Im Vordergrund der abdichtenden tight-junction-Proteins
hängende Stellen des gesamten Verdau- Beschwerden stehen Durchfälle, abdomi- Claudin-8 und eine Zunahme des kationen-
ungstraktes ausbreiten kann. Ursache ist nale Schmerzen, Fieber, Gewichtsabnahme kanalbildenden Proteins Claudin-2. Thera-
vermutlich eine dauerhafte Aktivierung der und perianale Fisteln. Pathophysiologisch peutisch können bei schwerem Krankheits-
intestinalen Immunabwehr bei genetisch bedeutsam ist die Barrierestörung des verlauf Anti-TNF˞-Antikörper oder lösliche
prädisponierten Menschen. Die hierbei ver- befallenen Darmepithels, die durch lokale TNFα-Rezeptoren eingesetzt werden.
3.3 · Aktiver und passiver Transport
29 3
GTJ, GMem: Leitfähigkeiten von tight junctions bzw. Zellmembranen; * Speicheldrüsen, Schweißdrüsen, Pankreas
fenestriert und ihre tight junctions sind weniger permeabel 5 Speicherung der Ausscheidungsprodukte. Das Epithel
als ihre Zellmembranen. Dies hat zur Folge, dass polare der Harnblase transportiert praktisch nicht, kann aber
Moleküle, für die kein Transporter vorhanden ist, nicht oder sehr große Gradienten zwischen Lumen und Blut über
kaum hindurchtreten können, während polare Moleküle, für lange Zeit aufrechterhalten. Die Harnblase ist somit aus
die ein Membrantransporter existiert, sogar gegen einen elek schließlich ein Speicherorgan.
trochemischen Gradienten transportiert werden können.
Hinsichtlich der Barriereeigenschaften für Solute gilt analo In Kürze
ges für die BlutLiquorSchranke, die BlutPlazentaSchranke
Epithelzellen sind durch die tight junction miteinan-
und weitere Schranken des Körpers.
der verbunden und bilden dadurch eine Barriere gegen
> Röhrenförmige Epithelien gliedern sich funktionell den Durchtritt von Soluten und Wasser. Die einzelne
ähnlich: Proximal transportieren sie große Stoffmen- Epithelzelle besitzt eine unterschiedliche Ausstattung
gen gegen geringe Gradienten; distal geringe Mengen mit Kanälen, Carriern und Transport-ATPasen in ihrer
gegen hohe Gradienten. apikalen und basolateralen Zellmembran. Erst die bei-
den Funktionen Transport und Barriere ermöglichen es
dem Körper, unterschiedlich zusammengesetzte Kom-
Segmentale Heterogenität Die Segmente der röhrenför
partimente zu bilden. Der transepitheliale Transport
migen Epithelien in Niere, Darm und Ausführungsgängen
kann transzellulär durch die Zellmembranen und para-
der exokrinen Drüsen werden i. Allg. nach distal hin immer
zellulär durch die tight junction verlaufen. Letztere wer-
dichter (. Tab. 3.2). Diese segmentale Heterogenität bewirkt
den vor allem durch die Familie der Claudine gebildet.
ein Muster der Aufbereitung der Ausscheidungsprodukte, das
Während die meisten Claudine zur Barrierebildung bei-
die genannten Epithelien in gleicher Weise verwirklichen und
tragen, bilden einige (Claudin-2, -10a, -10b, -15, -17, -16
das in etwa der Dreiteilung in lecke, relativ dichte und prak
mit -19) parazellulär verlaufende Kanäle. Bei zahlreichen
tisch undurchlässige Epithelien entspricht:
Erkrankungen ist die Barriere verändert, was den Krank-
5 Erzeugung eines isoosmotischen Primärinhaltes.
heitsprozess noch verstärken kann. Bei röhrenförmigen
Der primäre Inhalt des Lumens wird annähernd
Epithelien wie Darm und Nierentubulus nimmt die Per-
plasmaisoosmotisch produziert (glomeruläre Ultrafiltra
meabilität der tight junction von proximal nach distal
tion, primäre Sekretion in den Azini der exokrinen
ab. Dadurch ergibt sich eine einheitliche Strategie der
Drüsen) und/oder durch Wassereinstrom isoosmotisch
Aufbereitung der Ausscheidungsprodukte: In proxi-
eingestellt (Magen, Anfangsteil aller röhrenförmigen
malen Segmenten werden große Mengen gegen kleine
Epithelien).
Gradienten trans- und parazellulär transportiert. In dis-
5 Isoosmotischer Massentransport. Die lecken Epithelien
talen Segmenten werden kleine Mengen auch gegen
der proximalen Segmente transportieren große Solut und
große Gradienten transportiert.
Wassermengen in nahezu isoosmotischer Weise ohne
starke Beeinflussung durch Hormone.
5 Feineinstellung der Ausscheidungsprodukte. Die
relativ dichten Epithelien der distalen Segmente trans
portieren zwar nur kleinere Mengen, dies jedoch u. U. 3.3 Aktiver und passiver Transport
gegen erhebliche elektrochemische Gradienten. Die
Transportraten werden durch Hormone geregelt. Hier 3.3.1 Passiver Transport
werden demnach die auszuscheidenden Stoffe in ihrer
Konzentration und Ausscheidungsrate so aufbereitet, Passiver Transport wird durch hydrostatische Druckgradien-
dass das innere Milieu relativ konstant gehalten wird. ten, Konzentrationsgradienten und elektrische Spannung
Innerhalb der distalen Segmente nimmt die Leckheit angetrieben.
stetig ab und somit die Fähigkeit, gegen Gradienten zu
transportieren, stetig zu.
30 Kapitel 3 · Transport in Membranen und Epithelien
Gradient Dieser im Folgenden häufig benutzte Begriff membran diffundieren daher vor allem Gase (z. B. O2, CO2,
gibt den Abfall freier Energie eines Stoffes entlang einer Weg N2), schwache Elektrolyte in ihrer ungeladenen Form und
strecke an (dE/dx). In der Transportphysiologie wird auch sonstige apolare Substanzen, nicht oder kaum jedoch Wasser
die Richtung des Gradienten angegeben, da der Transport in und Ionen.
biologischen Systemen nicht nur bergab „mit“ (passiver
„Erleichterte Diffusion“
Transport), sondern auch bergauf „gegen“ den Gradienten
3 (aktiver Transport) ablaufen kann. In Transportschemata
Der Begriff wurde geprägt, bevor die Transportproteine bekannt waren
und umfasst eigentlich alle durch Transportproteine vermittelten For-
werden oft Pfeile eingezeichnet (. Tab. 3.1), deren Richtung men der Diffusion. Erleichterte Diffusion ist sättigbar. Heutzutage wird
und Neigung den elektrochemischen Gradienten symbolisiert. dieser Begriff meist nur auf Uniporter angewandt.
Die Einteilung in aktiv und passiv wird hauptsächlich zur Osmose verursacht osmotischen Druck und solvent drag;
Unterscheidung des durch Transportproteine vermittelten Proteine erzeugen den kolloidosmotischen Druck und den
Transports benutzt. Diffusion durch die Lipidphase der Zell Donnan-Effekt.
membran sowie der parazelluläre Transport durch die
Schlussleiste und den gesamten Interzellularspalt ist dagegen Osmose Unter Osmose versteht man die Diffusion des
stets passiv. Lösungsmittels (Wasser). Antrieb ist auch hier ein Konzentra-
tionsgradient, in diesem Fall für das Wasser selbst. Die Vor
Filtration bzw. Ultrafiltration Der Transport aufgrund eines stellung einer „Wasserkonzentration“ ist ungewohnt: Reines
hydrostatischen Druckgradienten durch einen Filter ge Wasser hat die maximale Wasserkonzentration
schieht durch Filtration. Die Transportrate hängt linear von
> Je mehr Solute darin gelöst sind, umso stärker wird
der treibenden Kraft ab. Die Poren eines normalen Filters
das Wasser durch diese Solute „verdünnt“. Die Konzen-
(z. B. eines Kaffeefilters) unterscheiden nur zwischen unge
tration des Wassers ist demnach umgekehrt proportio-
lösten und gelösten Teilchen. Die Poren der Kapillarendo
nal zu seiner Osmolalität.
thelien sind jedoch kleiner (Glomeruluskapillaren etwa 50–
100 nm) und lassen große Moleküle wie Proteine nicht durch,
obwohl sie gelöst sind; dieser Prozess wird daher Ultrafiltra- Osmotischer Druck An einer für Wasser durchlässigen und
tion genannt. Ultrafiltration ist an Kapillarendothelien mit für gelöste Teilchen (Solute) völlig undurchlässigen Membran
ihrer extrem hohen Permeabilität ein wesentlicher Transport verursacht Osmose einen der Wasserbewegung entgegen
mechanismus, an den viel dichteren Zellmembranen und an gesetzten Druck. Dieser osmotische Druck π wird durch die
Epithelien im engeren Sinne ist sie jedoch fast null. Summe der Solutkonzentrationen c, die allgemeine Gaskon
Für die Ultrafiltration (und für solvent drag, s. u.) gilt, stante R und die absolute Temperatur T beschrieben (van’t
dass die mitgeführten Teilchen an den Wasserdurchtrittsstel HoffGesetz, p = c ◊ R ◊ T). Die Konzentrationen einzelner
len entweder durchgelassen oder „gesiebt“ werden können. Solute (mol/l) werden in ihrer Summe als Osmolarität
Das Maß hierfür ist der Siebkoeffizient, der Werte zwischen (osmol/l) angegeben. Biologische Membranen sind – insbe
0 (kein Durchlass) und 1 (unbehinderter Durchlass) anneh sondere durch ihre Kanal und Carrierproteine – nicht im
men kann. Formal stellt er die Wahrscheinlichkeit dar, mit der permeabel für Solute, sodass noch die Permeabilität P in die
eine Teilchensorte die Membran passieren kann. Formel eingeht.
Diffusion Sie ist die Nettobewegung von Teilchen vom Ort Kolloidosmotischer Druck Der Anteil am gesamten osmo
höherer Konzentration zum Ort geringerer Konzentration. tischen Druck, der durch Makromoleküle (Kolloide) entsteht,
Die zugrundeliegende Brownsche Molekularbewegung ist wird als kolloidosmotischer Druck bzw. onkotischer Druck
zufällig und somit ungerichtet. Die treibende Kraft der Diffu bezeichnet. Er kommt dadurch zustande, dass die Kapillar
sion ist ein Konzentrationsgradient. wand gut für kleine Solute, aber schlecht für Makromoleküle
Einfache Diffusion erfolgt ohne Beteiligung eines Trans wie Albumin und andere Proteine durchlässig ist. Da der intra
portproteins durch die PhospholipidDoppelschicht der vasale Proteingehalt etwas höher ist als der der Umgebung,
Membran oder in freier Flüssigkeit und ist nicht sättigbar. Für fördert dies einen Wassereinstrom in das Kapillarlumen.
die einfache Diffusion durch die Lipidphase der Zellmembran Beim Wassertransport aufgrund lokaler Osmose folgt
gilt, dass die Permeabilität der Lipophilität des transportier Wasser passiv der Gesamtheit der transportierten Solute.
ten Moleküls proportional ist. Durch die Lipidphase der Zell Wenn die Wasserpermeabilität ausreichend groß ist, wird
3.3 · Aktiver und passiver Transport
31 3
Wasser nahezu isoosmolal in Relation zum Blutplasma trans 3.3.3 Primär, sekundär und tertiär aktiver
portiert. Transport
Solvent drag Solvent drag bedeutet, dass bei Filtration oder Primär aktiver Transport erfolgt unter unmittelbarem Ver-
Diffusion von Wasser die darin gelösten Solute mitgeführt brauch von ATP; sekundär aktiver Transport ist ein Symport
werden. Dies geschieht an den Poren von Kapillarendothelien oder Antiport, dessen Antrieb typischerweise ein Konzentra-
(z. B. im Glomerulus) oder – vermittelt durch das Wasser tionsgradient für Na+ ist; tertiär aktiver Transport wird durch
und Kationenkanalprotein Claudin2 – an der tight junction sekundär aktiven Transport angetrieben.
von lecken Epithelien (z. B. im Dünndarm und proximalen
Tubulus). Primär aktiver Transport Primär aktive Transporter sind
die bereits besprochenen Transport-ATPasen (Pumpen),
Donnan-Effekt Proteine liegen im Blut bei physiologischem die Solute entgegen ihrem elektrochemischen Gradienten
pH vorwiegend als Anionen vor. Dadurch, dass bei der Ultra „pumpen“ können und hierfür metabolische Energie ver
filtration die Proteinmoleküle zurückgehalten werden, ergibt brauchen. Ein typisches Beispiel für primär aktiven Transport
sich eine Ungleichverteilung aller beteiligten Ionensorten zeigt . Abb. 3.6a.
diesseits und jenseits der Filtermembran (. Abb. 3.5). Analoge
Verhältnisse gelten für alle Zellmembranen, da das Zytoplas Sekundär aktiver Transport Der Mechanismus des sekun
ma reich an Proteinanionen ist, die die Zelle nicht verlassen där aktiven Transports sei am Beispiel des in der apikalen
können. Membran vieler Epithelien vorhandenen Na+-Glukose-Sym-
porters SGLT1 erklärt (. Abb. 3.6b). SGLT1 transportiert nur
Donnan-Verteilung
Die primäre Ungleichverteilung der permeablen Ionen hat Konsequen-
dann, wenn er zwei Na+ und ein Glukosemolekül aufge
zen: Sie erzeugt eine kleine Spannung, das Donnan-Potenzial. Dieses nommen hat. Nun muss nicht etwa für beide Teilchensorten
wiederum beeinflusst die sich endgültig einstellende Donnan-Ver- ein „Bergab“Gradient vorhanden sein; die Flusskopplung
teilung. Die Donnan-Verteilung lässt sich durch den Donnan-Faktor bewirkt vielmehr, dass der gemeinsame Transport beider Teil
beschreiben, der für alle passiv verteilten Kationen und Anionen gilt. Im chensorten stattfindet, wenn die Summe der Gradienten aller
Gleichgewicht ist die Konzentration im Plasmawasser von einwertigen
Kationen um 5% höher, die der einwertigen Anionen um 5% niedriger
Teilchen in die entsprechende Richtung weist. Da für Na+ ein
als im Interstitium. Der Konzentrationsunterschied für zweiwertige starker Gradient von extrazellulär nach intrazellulär besteht,
Ionen ist 10%. kann das Glukosemolekül auch gegen einen erheblichen Kon
zentrationsgradienten in die Zelle aufgenommen werden.
a Anfangszustand Glukosetransport und Energieverbrauch
Blutplasma Interstitium Für sich allein gesehen arbeitet der o. g. Symporter eigentlich passiv,
da die Energie für den Glukosetransport aus dem elektrochemischen
102,5 Na+ 102,5 Na+ Gradienten für Na+ stammt. Der Na+-Gradient muss jedoch von einem
Da Elektroneutralität gewahrt sein
– muss, ist Cl– auf der proteinarmen primär aktiven Transporter, nämlich der in der basolateralen Membran
92,5 Cl 102,5 Cl–
Seite höher konzentriert. befindlichen Na+/K+-ATPase, ständig aufrechterhalten werden, sodass
10 Protein– für den Glukosetransport auf indirekte Weise eben doch Stoffwechsel-
energie verbraucht wird.
Summe 205 205
Sekundär aktiver Transport ist weit verbreitet; bei Carriern
b gedachter Zwischenzustand der Zellmembranen ist die Flusskopplung fast immer an Na+
– + und die Na+/K+ATPase gebunden. Die wichtigsten Sym
+
porter und Antiporter der Zellmembranen sind in der Tabelle
102,5 Na 102,5 Na+ Cl– diffundiert aufgrund seines im Anhang dargestellt. An der Membran von synaptischen
95 Cl– 100 Cl– Konzentrationsgradienten und eine
Vesikeln ist ein anderes Prinzip des sekundär aktiven Trans
elektrische Spannung entsteht.
10 Protein– ports verwirklicht: Hier befindet sich eine VATPase (V für
Vesikel), die H+ATPase, und stellt einen Gradienten für Pro
207,5 202,5
tonen her, der dann als Antrieb für H+/Neurotransmitter
c Donnan-Verteilung Antiporter fungiert.
– + wenige mV
Tertiär aktiver Transport So wie der sekundär aktive Trans
105 Na+ 100 Na+ Das Donnan-Potenzial treibt Na+
port von einem primär aktiven Transport angetrieben wird,
95 Cl– 100 Cl– zur proteinhaltigen Seite. wird der tertiäraktive Transport von einem sekundär aktiven
Der Donnan-Faktor beträgt 5 %. Transport angetrieben. Ein einfaches Beispiel bieten die
10 Protein–
H+, Dipeptid-Symporter (PepT1 und PepT2), die sich u. a.
209,9 200,1 in der apikalen Membran des Dünndarms und der proxi
. Abb. 3.5 Donnan-Effekt. Die Entstehung des Donnan-Effektes ist malen Tubuli finden (. Abb. 3.6c). Diese Transporter
hier gedanklich in drei Schritte (a–c) aufgetrennt. Die Zahlenwerte sind akzeptieren Di und Tripeptide, die sie gegen einen elektro
fiktiv und sollen die 5%ige Abweichung im Endzustand veranschaulichen chemischen Gradienten in die Zelle aufnehmen können,
32 Kapitel 3 · Transport in Membranen und Epithelien
NHE3
Na+ 3Na+ 3.4 Typische Anordnung epithelialer
tertiär aktiver H+
ATP Transporter
2K+
Transport:
Beispiel H+ 3.4.1 Na+-Resorption über Na+-Kanäle
apikale Dipeptid- Dipeptide
Aufnahme Amino-
Pep T1 säuren Elektrogene Na+-Resorption und K+-Sekretion werden über
Kanäle in der apikalen Membran distaler Epithelien geregelt.
Klinik
Bartter-Syndrom
Symptome und Ursachen müssen funktionieren, damit NaCl resor- Nieren verursacht. Das Bartter-Syndrom
Beim Bartter-Syndrom kommt es schon im biert werden kann. Bei genetischem Defekt hat daher die gleichen Symptome wie eine
Säuglingsalter bei normalem Blutdruck zu einer Untereinheit des Cl–-Kanals (Barttin) dauerhafte Furosemid-Einnahme, sodass
3 Hypokaliämie, Erbrechen, Polyurie, Dehy-
dratation und Wachstumsstörungen. Ur-
kommt es neben einem renalen Elektrolyt-
und Flüssigkeitsverlust zusätzlich zur Be-
Letzteres auch als Pseudo-Bartter bezeich-
net wird.
sache ist u. a. eine Defektmutation des einträchtigung der Sekretion von Endo-
Na+-K+-2Cl–-Symporters NKCC2 im auf- lymphe und damit zu Taubheit (syndroma- Gitelman-Syndrom
steigenden dicken Teil der Henle-Schleife les Bartter-Syndrom). Beim Gitelman-Syndrom kommt es ab-
(Bartter-Syndrom Typ 1). Zu ähnlichen geschwächt zu den gleichen Symptomen.
Symptomen kommt es auch bei Defekten Pseudo-Bartter Hier ist im frühdistalen Tubulus die Auf-
des K+-Kanals ROMK1 (Bartter-Syndrom Der NKCC2 ist der Angriffsort für das häufig nahme von NaCl durch den apikalen Sym-
Typ 2) oder des Cl–-Kanals ClC-Kb (Bartter- benutzte Diuretikum Furosemid, das durch porter NCC gestört.
Syndrom Typ 3). Die Erklärung ist in . Abb. Blockade des NKCC2 eine gesteigerte Aus-
3.6a–c zu erkennen: Alle drei Transporter scheidung von NaCl und Wasser durch die
dicken aufsteigenden Teil der HenleSchleife (7 Kap. 33.2) Epithelien der Stria vascularis Für die Transduktion von
erfolgt Cl–Resorption durch ähnliche Transporter wie in den akustischen Signalen in Nervenimpulse ist ein endokochleares
sezernierenden Epithelien, hier jedoch in spiegelbildlicher transepitheliales Potenzial von +80 mV sowie eine sehr hohe
Anordnung: Der Furosemid bzw. Bumetanidblockierbare K+Konzentration (150 mmol/l) der Endolymphe unerlässlich
Na+K+2Cl–Carrier NKCC2 befindet sich in der apikalen (7 Kap. 52.4). Beides wird von den Epithelien der Stria vascu
und der Cl–Kanal ClCKb in der basolateralen Membran. laris gewährleistet (. Abb. 3.8):
5 In den basalen Zellen verursacht der apikale K+Kanal
Kir4.1 ein hohes endokochleares Potenzial;
5 in den marginalen Zellen wird K+ durch den baso
3.4.4 K+-Sekretion im Innenohr lateralen Na+K+2Cl–Symporter NKCC1 und den
apikalen K+Kanal IsK bzw. KCNQ1/KCNE1 in die
Für die Hörfunktion muss die Innenohrflüssigkeit K+-reich Endolymphe sezerniert (. Abb. 3.8, rechts). Cl verlässt
sein; das Diuretikum Furosemid kann dies beeinträchtigen die Zelle über Chloridkanäle (ClCKb/Barttin und
und so vorübergehend Taubheit verursachen. ClCKa/Barttin).
. Abb. 3.8 Ionentransport im Innenohr. Links: Querschnitt durch die der Stria vascularis trennen diesen Flüssigkeitsraum von der Perilymphe
Kochlea mit ihren drei extrazellulären Flüssigkeitsräumen. Die margi- (hellgrün). Die Scala tympani (lila) enthält ebenfalls Perilymphe. Rechts:
nalen Zellen der Stria vascularis trennen die Endolymphe (blau) vom Flüs- K+-Sekretion und endokochleares Potenzial in der Stria vascularis. (Nach
sigkeitsraum im Inneren der Stria vascularis (hellgrau); die basalen Zellen Wangemann 2002)
3.4 · Typische Anordnung epithelialer Transporter
35 3
Störungen der K+-Sekretion Das Diuretikum Furosemid
a
kann NKCC1 hemmen und damit als Nebenwirkung eine re
versible Innenohrschwerhörigkeit verursachen. Ebenso not NHE1
wendig ist der K+Kanal KCNQ1/KCNE1: Bei einem angebo Na+
renen Defekt von KCNQ1/KCNE1 (JervellLangeNielsen Bikarbonat- AE2 H+
Sekretion HCO3–
Syndrom) kommt es zur Innenohrschwerhörigkeit, die oft
zusammen mit einem verlängerten QTIntervall im EKG Cl– HCO3–
(long QTsyndrome 1) auftritt. Bei defektem Barttin kommt es CA
zu Taubheit und renalen Elektrolyt und WasserVerlusten. H2O CO2 CO2 H2O
CA
und Aminosäuren, denen Wasser aus osmotischen Gründen Wasser dem resorbierten NaCl nicht folgen und der Schweiß
folgt. Zwei der wichtigsten Transporter sind hierbei der wird auf dem Weg nach außen auf 10–25 mmol/l NaCl ver
Na+/H+-Antiporter NHE1 und der Cl–/HCO3–-Antiporter AE2 dünnt. Der Cl–Kanal ist CFTR. Dieser ist bei der Zystischen
(. Abb. 3.9), die beide auf die Funktion der Karboanhydrase Fibrose (Mukoviszidose) defekt. Dies führt im Ausführungs
angewiesen sind. gang zu verminderter NaClResorption und somit aus
bleibender Verdünnung des Schweißes. Überschreitet die
3 Glaukom (grüner Star) Bei einem Missverhältnis von Kam NaClKonzentration 60 mmol/l, ist dies ein diagnostischer
merwasserproduktion und abfluss steigt der Augeninnen Hinweis auf diese Erkrankung.
druck mit der Gefahr der Netzhaut und Sehnervschädigung.
Medikamentös können Karboanhydrasehemmer eingesetzt
werden. Sie hemmen indirekt NHE1 und AE2, sodass weni In Kürze
ger Kammerwasser produziert wird und der Druck sinkt. Einige typische Anordnungen von Transportern kom-
men in mehreren Epithelien in gleicher Weise vor. Bei-
spiele: Elektrogene Na+-Resorption und K+-Sekretion
3.4.7 Funktion der Schweißdrüsen über Kanäle in der apikalen Membran distaler Epithe-
lien. Glukose- und Aminosäurenresorption durch Sym-
Der im Endstück der Schweißdrüse sezernierte Schweiß wird porter in der apikalen Membran proximaler Epithelien;
auf dem Weg durch den Ausführungsgang verdünnt. Bei Zys- elektrogene Cl–-Sekretion durch einen apikalen Cl–-Ka-
tischer Fibrose bleibt die Verdünnung aus. nal und einen basolateralen Na+-K+-2Cl–-Symporter so-
wie Cl–-Resorption durch spiegelbildliche Anordnung
Schweißdrüsen bestehen aus dem „Endstück“ und dem Aus der Transporter; K+-Sekretion im Innenohr durch apikale
führungsgang. Im Endstück wird zunächst ein weitgehend K+-Kanäle in der Stria vascularis; HCO3–-Resorption/
Plasmaisotoner Primärschweiß sezerniert (. Abb. 3.10a). Sekretion und Na+Cl–-Resorption durch Na+/H+-Anti-
Die Regelung erfolgt über Acetylcholin und einen apikalen porter, HCO3–/Cl–-Antiporter und Na+-HCO3–-Symporter.
Cl–Kanal. Wasser wird über Aquaporine sezerniert. Im Aus- Im Schweißdrüsenausführungsgang wird der Schweiß
führungsgang wird Na+ und Cl– resorbiert (. Abb. 3.10b). verdünnt. Bei Zystischer Fibrose, der ein CFTR-Defekt zu-
Die Regelung erfolgt über Aldosteron und den Na+Kanal grunde liegt, bleibt diese Verdünnung aus.
ENaC. Da hier keine Aquaporine vorhanden sind, kann
a b
Flüssigkeitsstrom
Ca2+
?
ATP ATP
NKCC1
Na+ K+ 2K+ 3Na+ 2Cl– K+ Na+ K+ 2K+ 3Na+
”Endstück” Ausführungsgang
. Abb. 3.10a,b Schweißproduktion und -abgabe. a Im Endstück durch den Ausführungsgang wird der Schweiß verdünnt, indem NaCl
wird ein zunächst plasmaisotoner Schweiß sezerniert. b Auf seinem Weg resorbiert wird ohne dass Wasser folgen kann
Literatur
37 3
Literatur
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Bernd Fakler
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019
R. Brandes et al. (Hrsg.), Physiologie des Menschen, Springer-Lehrbuch
4 https://doi.org/10.1007/978-3-662-56468-4_4
. Abb. 4.1 Die Rolle der Ionenkanäle bei der Wahrnehmung von Sinnesreizen
4.1 · Funktionsprinzipien von Ionenkanälen
39 4
der Kanalpore. Durch Repolarisierung der Membranspan- wird als Inaktivierung bezeichnet. Darüber hinaus können
nung bzw. Ablösen des Liganden wird der Kanal wieder offene Kanäle auch durch exogene Faktoren wie klein-
geschlossen (Deaktivierung). Der Verschluss des aktivier- molekulare Porenblocker oder Toxine verschlossen
ten Kanals durch eine zytoplasmatische Proteindomäne werden.
4.1 Funktionsprinzipien von Ionenkanälen fließen, z. B. bei der Umladung erregbarer Zellen während des
Aktionspotenzials.
4.1.1 Grundeigenschaften von Ionenkanälen
Das elektrochemische Potenzial Die Ionenbewegung durch
Ionenkanäle sind integrale Membranproteine, die durch ver- einen Kanal wird durch zwei verschiedene Kräfte getrieben:
schiedene Reize aktiviert werden können und dadurch den den Konzentrationsgradienten (chemische Energie) und
Durchtritt von Ionen durch die Lipiddoppelschicht der Zell- die Potenzialdifferenz (elektrische Energie), die zusammen
membran ermöglichen. die elektrochemische Triebkraft aufbauen.
Für ein Ion, das außer und innerhalb einer Zelle in den
Eine Vielzahl physiologischer Prozesse, wie die Ausbildung Konzentrationen ca und ci vorliegt, beträgt die elektroche-
und Fortleitung der Erregung in Neuronen, Herzmuskelzel mische Energiedifferenz bei einer Spannung U über der
len oder dem Skelettmuskel, basiert auf elektrischen Prozes Membran:
sen an der Zellmembran. Grundlage dieser elektrischen Pro
zesse ist der Fluss kleiner anorganischer Ionen wie Na+, K+, DG = DG chem + DG elektr = RT ¥ ln (Ci / Ca ) + zF ¥ U Gl. 4.1
Ca2+ und Cl– durch eine besondere Klasse von Membran
proteinen, der Ionenkanäle. Dabei ist R die allgemeine Gaskonstante, T die absolute
Temperatur, z die Ladung bzw. die Wertigkeit des Ions, F die
Konzept des Ionenkanals Ionenkanäle sind integrale FaradayKonstante. Mit der Definition des Gleichgewichts
Membranproteine, die einen wassergefüllten Diffusionsweg bzw. Umkehrpotenzials des Ions (Urev = RT / zF · ln (Ca / Ci);
durch die Doppellipidschicht der Zellmembran ausbilden 7 Kap. 6.1), lässt sich Gl. 4.1 auch folgendermaßen darstellen:
(. Abb. 4.2). Dementsprechend besteht ein Ionenkanal aus
lipophilen Anteilen, die in Kontakt mit der Lipidmatrix der DG = zF ¥ ( U - U rev ) Gl. 4.2
Zellmembran stehen, und aus hydrophilen Anteilen, die das
intra und extrazelluläre Medium über eine Pore verbinden. Entspricht die an der Membran anliegende Spannung
Das Protein muss seine Konformation nicht ändern, um ein dem Umkehrpotenzial ist die elektrochemische Energie
Ion von einer Membranseite zur anderen zu transportieren. differenz 0, d. h. es erfolgt keine Nettoionenbewegung
Ionenkanäle sind deshalb effektive elektrische Leiter (Trans durch den Kanal. Der Ausdruck (U – Urev), also die Diffe
portraten: ca. 107–108 Ionen/s) im Unterschied zu Carriern renz zwischen anliegender Membranspannung und Um
(Transportraten: ca. 102–104 Ionen/s) (7 Kap. 3.1). Sie sind kehrpotenzial, wird auch als elektrische Triebkraft be
immer dort zu finden, wo relativ große elektrische Ströme zeichnet.
> Die elektrochemische Triebkraft ist die Differenz aus
aktueller Membranspannung und Umkehrpotenzial.
Das gating von Ionenkanälen ermöglicht die schnelle Um Strom [pA]
setzung eines äußeren Reizes in einen elektrischen Strom 3
durch die Zellmembran. Es ist die Grundlage der schnellen
Aufnahme und Weiterleitung von Reizen und Signalen.
2
Kanal hat einen konstanten Widerstand, der sich aus der Steigung der 2
Geraden ergibt: R = ΔU / ΔI. c Abhängigkeit der Offenwahrscheinlichkeit
des Kanals von der Membranspannung. Bei Spannungen in der Nähe des
Ruhemembranpotentials ist die Offenwahrscheinlichkeit 0, der Kanal ist
immer geschlossen. Bei positiveren Spannungswerten steigt die Offen- 1
wahrscheinlichkeit bis zu einem Maximalwert, hier 0.8; d. h. selbst bei sehr
positiven Spannungen ist der Kanal nur zu 80% der Zeit geöffnet. d Strom-
Spannungs-Kennlinie des Stroms durch 1000 Kanäle mit den in B gezeig-
ten Eigenschaften. Der makroskopische Strom ergibt sich als Produkt aus 0
der Anzahl der Kanäle (n), der Offenwahrscheinlichkeit (PO) und der Einzel- -120 -80 -40 0 40 80
kanalstromamplitude (IA): I = n · PO · IA = n · PO · [1 / R · (U – Urev)] Spannung [mV] d
4.1 · Funktionsprinzipien von Ionenkanälen
41 4
ten Ionenfluss. Je größer die elektrische Triebkraft ist, desto
RRück
größer ist die Amplitude des Ionenstroms (. Abb. 4.3).
Aus der Spannungsabhängigkeit der Einzelkanalam
plitude lässt sich mithilfe des Ohm Gesetzes (R = U/I) der
Widerstand oder die Leitfähigkeit (g = 1/R) eines einzelnen OP
Ionenkanals bestimmen. Einzelne Ionenkanäle weisen, je DV
nach Kanaltypus, Ionenkonzentration und Temperatur, Leit
fähigkeiten zwischen 1 und 100 pS (1 pS = 10–12 S) und damit Vsoll
Widerstände im Bereich von 1 TΩ (1 TΩ = 1012 Ω) bis etwa
10 GΩ (1 GΩ = 109 Ω) auf.
Voltage-clamp und patch-clamp
Der Strom durch Ionenkanäle kann mithilfe der Spannungsklemm-
technik (voltage-clamp) gemessen werden. Bei dieser Technik wird die a
Spannung über einer Membran durch eine elektrische Regelschaltung
auf einem vorgegebenen Sollwert konstant gehalten (geklemmt). Ab-
weichungen vom Sollwert, wie sie durch Ionenströme durch die Mem-
bran verursacht werden, steuern einen Stromfluss, der diese Abwei-
chung ausgleicht. Der Ausgleichsstrom entspricht damit dem Strom, der
bei der vorgegebenen Membranspannung durch die Ionenkanäle fließt.
Die Spannungsklemme mit der besten Auflösung wird bei der patch-
cell-attached Exzision
clamp-Technik erreicht, mit der Ströme durch einzelne Ionenkanäle ge-
messen werden können (. Abb. 4.4). Bei diesem Verfahren wird eine
polierte Glaspipette auf die Membran einer Zelle aufgesetzt und dann
durch Saugen ein kleiner Membranfleck (patch) elektrisch isoliert.
Durch die dichte Verbindung der Zellmembran mit der Glaspipette
kann der Membran-patch von der Zelle abgezogen werden und zwar
mit der Innenseite (inside-out-patch) oder der Außenseite (outside-out- Exzision
patch) nach außen gerichtet (. Abb. 4.4). Ist in dem Membran-patch
nur ein einzelner Kanal enthalten, kann dessen Schaltverhalten bei
einer vorgegebenen Spannung charakterisiert werden. Wird das Ver-
fahren in whole-cell-Konfiguration benutzt, können Ströme durch alle
Kanäle in der Membran einer Zelle gemessen werden. Als Beispiel zeigt whole-cell outside-out inside-out b
. Abb. 4.4 die Stromantworten einer Vielzahl von Natriumkanälen auf
eine sprunghafte Änderung der Membranspannung von –90 auf –20 mV.
Die Ursache für das zeitliche Verhalten des Natriumstroms ist eine zeit-
patch-Einzelkanäle
abhängige Veränderung der Offenwahrscheinlichkeit. Bei –90 mV sind
alle Natriumkanäle geschlossen, bei –20 mV erhöht sich die Offenwahr-
scheinlichkeit zeitweise und geht danach durch einen besonderen Pro-
zess, die Natriumkanalinaktivierung, wieder auf 0 zurück (s. u.).
a Aminosäureposition b Aminosäureposition
50 100 150 200 250 300 350 400 50 100 200 300 400 500 600
hydrophob
hydrophil
P-Schleife P-Schleife
. Abb. 4.5a,b Primärsequenz und Membrantopologie. Mem- α-Helix zu durchspannen, sind markiert. Die untere Bildhälfte zeigt
brantopologie zweier Kaliumkanalproteine, abgeleitet aus dem die aus dem Hydropathieprofil abgeleitete Topologie der Kanäle:
„Hydropathieprofil“ ihrer Aminosäuresequenz. In der oberen Bild- 2 bzw. 6 Transmembrandomänen mit intrazellulär gelegenen N-
hälfte sind die Hydropathieprofile eines 2-Segment- (a) und eines und C-terminalen Enden. Der hydrophobe Abschnitt zwischen den
6-Segment-Kanals (b) gegenüber der jeweiligen Primärstruktur dar- gelb markierten Transmembransegmenten ist an der Ausbildung
gestellt: Aminosäuren mit hydrophobem Index sind nach oben, der Kanalpore beteiligt und wird als Porenschleife (kurz: P-Schleife
Aminosäuren mit hydrophilem Index nach unten aufgetragen. oder P-Domäne) bezeichnet
Hydrophobe Abschnitte, die lang genug sind, die Zellmembran als
4.2 · Aufbau spannungsgesteuerter Kationenkanäle
43 4
Die Anzahl der hydrophoben und hydrophilen Segmente kann a
sehr unterschiedlich sein, wobei die im Genom am häufigsten
repräsentierten Ionenkanalproteine zwei oder sechs Trans
membransegmente aufweisen (2 bzw. 6SegmentKanäle).
Na+
+
+ – +
+
Selektivitätsfilter befindet sich nahe dem extrazellulären
+ +
+ + + + + +
+ + + + + +
+ +
+ +
Genomische Variation – + +
4 Das menschliche Genom umfasst eine Vielzahl von Inakti-
vierungs-
Genen, die für α-Untereinheiten von Kationenkanälen domäne
mit spezifischen strukturellen und funktionellen Eigen-
schaften kodieren.
Natriumstrom
4.3 Gating von Kationenkanälen
. Abb. 4.10 Grundprinzip des Schaltverhaltens spannungsge-
steuerter Ionenkanäle. Die Abbildungen zeigen einen spannungsge-
4.3.1 Spannungsabhängige Aktivierung und steuerten Kanal in seinen drei Hauptzuständen: Im aktivierbaren Ge-
Inaktivierung schlossen-Zustand (links), im offenen Zustand (Mitte) und im inaktivier-
ten Geschlossen-Zustand (rechts), in dem der Kanal von einer N-termi-
Die Aktivierung spannungsgesteuerter Kanäle ist ein sequen- nalen Inaktivierungsdomäne blockiert wird (s. Text). Bei Depolarisation
zieller Vorgang aus Bewegung des Spannungssensors und durchläuft der Kanal die Zustände von links nach rechts, bei Repolarisa-
tion von rechts nach links. Die Rotmarkierung in dem unteren Teil der
nachgeschalteter Öffnung der Kanalpore; die Inaktivierung
Abbildung ordnet die Kanalzustände dem zeitlichen Zustandekommen
erfolgt durch Verschluss der Pore mittels einer zytoplasma- des depolarisationsaktivierten Natriumeinstroms zu
tischen Inaktivierungsdomäne.
Ionenkanäle können im Wesentlichen zwei Zustände ein Die Bewegung der S4-Helix wird über Zug an der helikalen
nehmen, den Geschlossen-Zustand, in dem die Pore imper S4S5 Domäne auf die porenbildenden S5 und S6Segmente
meabel ist, und den Offen-Zustand, in dem Ionen durch den übertragen, die dadurch in der Membranebene gedreht und
Kanal permeieren und so für die physiologisch wichtige Leit leicht verkippt werden. Das Resultat dieser Konformations
fähigkeit sorgen können. änderungen ist eine Aufweitung der Kanalpore unterhalb
des Selektivitätsfilters und damit die Öffnung des Kanals
Kanalaktivierung und -deaktivierung Für die Öffnung bzw. (. Abb. 4.10).
Aktivierung eines Kanals muss Energie aufgewendet werden. Im Gegensatz zur S4Bewegung, die in Kv, Nav und
Diese stammt beim spannungsabhängigen gating, wie es in CavKanälen sehr ähnlich abläuft, sind Art und Geschwin-
Kv, Nav oder CavKanälen zu beobachten ist, aus der Ände digkeit der zur Porenöffnung führenden Konformations
rung der Membranspannung, die im Kanalmolekül eine Kas- änderungen kanalspezifisch. So laufen diese Prozesse in
kade von Konformationsänderungen in Bewegung setzt. NavKanälen in weniger als einer Millisekunde ab, während
Der erste Schritt in dieser Kaskade ist die Übertragung der sie bei KvKanälen deutlich länger dauern und im Bereich von
elektrischen Energie auf den Spannungssensor des Kanals, etwa 10 bis mehreren 10 Millisekunden liegen.
der im Wesentlichen aus dem o. g. S4-Segment besteht. Dieses Der durch Depolarisation geöffnete Kanal kann durch
Transmembransegment trägt eine positive Nettoladung (je Repolarisation der Membranspannung wieder geschlossen
nach Kanaltypus 2–8 Arginin und/oder Lysinreste), aufgrund oder deaktiviert werden. Der Prozess der Deaktivierung ver
derer es sich unter dem Einfluss des elektrischen Feldes be läuft im Wesentlichen spiegelbildlich zur Aktivierung: In einem
wegen kann (. Abb. 4.10): ersten Schritt verlagern sich die S4Helizes wieder zur Mem
5 Bei Depolarisation der Membranspannung bewegt es braninnenseite und bewirken so eine Reorganisation der po
sich nach außen, in Richtung des Extrazellulärraums, renbildenden Segmente, die zum Schließen des Kanals führt.
5 bei Repolarisation nach innen, in Richtung des Intra
zellulärraums. Kanalinaktivierung NavKanäle, wie auch einige KvKanäle
(die sog. ATypKanäle) bleiben nach Aktivierung trotz an
Die Bewegung der S4Helizes erfolgt vorwiegend als Rotation haltender Depolarisation der Membran nicht offen, sondern
und bewirkt eine Verschiebung von 12 positiven Ladungen werden wieder verschlossen, was die Unterbrechung des
(drei pro S4Segment) in den Extrazellulärraum. Ionenstroms zur Folge hat. Dieses Schließen des Kanals,
das im Zeitbereich von etwa einer Millisekunde abläuft, wird
> Positive-geladene Aminosäuren im Spannungssensor als Inaktivierung bezeichnet.
bewirken seine Bewegung im elektrischen Feld über Strukturell stehen hinter der Inaktivierung zytoplasmati-
der Membran. sche Proteindomänen: Bei den KvKanälen ist es das Nter
4.3 · Gating von Kationenkanälen
47 4
minale Ende der αUntereinheit (je nach KvKanal die ersten tung. Wird dieses Zustandsmodell an die tatsächlich ablau
20–40 Aminosäuren, daher auch N-Typ-Inaktivierung) oder fenden Konformationsänderungen des Kanalproteins ange
der βUntereinheit Kvβ1, bei den NavKanälen ist es ein kur passt, wird das System deutlich komplexer und muss sowohl
zer Abschnitt des Verbindungsstücks zwischen dem dritten um mehrere GeschlossenZustände, als auch um zusätzliche
und vierten 6SegmentAbschnitt (sog. interdomain III–IV Inaktivierungszustände erweitert werden.
linker). Entsprechend der Quartärstruktur der Kanalproteine
besitzen demnach die NavKanäle genau eine solche Inak
tivierungsdomäne, während die KvKanäle bis zu vier solcher 4.3.2 Alternative gating-Mechanismen
Domänen haben können (alle Kombinationen einer Hetero
multimerisierung zwischen αUntereinheiten mit und ohne Ionenkanäle können durch verschiedene Stimuli geöffnet bzw.
Inaktivierungsdomäne). verschlossen werden, wie: intrazelluläre Messenger-Moleküle,
Zur Inaktivierung der Kanäle treten die Inaktivierungs- Proteine, mechanische Spannung, Wärme/Kälte und klein-
domänen – nach Öffnung des Kanals – in die Pore ein und molekulare Porenblocker.
binden dort an ihren Rezeptor, der von Abschnitten der Kanal
wand gebildet wird (. Abb. 4.10). Solange sie dort gebunden Neben der Änderung der Membranspannung und der Bin
sind, blockieren bzw. verstopfen sie den offenen Kanal und dung von Neurotransmittern (7 Abschn. 4.4) können noch
unterbinden dadurch den Ionenstrom – der Kanal ist inak- verschiedene andere Stimuli eine Kanalöffnung bewirken.
tiviert. Soll die Inaktivierung aufgehoben werden, muss die Diese alternativen gatingMechanismen lassen sich nach
Membranspannung repolarisiert werden. Nach Repolarisa ihrem jeweiligen Stimulus und der Lokalisation des entspre
tion dissoziiert die Inaktivierungsdomäne, getrieben durch chenden „Rezeptors“ am Kanal klassifizieren.
die Konformationsänderungen der Porensegmente, von ihrem
Rezeptor und tritt aus der Pore aus (Aufhebung der Inaktivie Intrazelluläre Messenger Eine Reihe von gatingMechanis
rung). Dadurch kann der Kanal nochmals für kurze Zeit ge men werden durch Veränderungen in der Konzentration
öffnet werden (sog. reopening), ehe er in einem zweiten intrazellulärer MessengerMoleküle, wie ATP, zyklische
Schritt deaktiviert. Nukleotide, H+ oder Ca2+ Ionen, in Gang gesetzt (. Abb. 4.11).
So wird ein 2SegmentKaliumkanal (Kir6; . Abb. 4.8,
C-Typ-Inaktivierung
Neben dieser klassischen oder N-Typ-Inaktivierung gibt es noch wei-
. Abb. 4.11) mit einer zytoplasmatischen Bindungsstelle für
tere, meist langsamer ablaufende Inaktivierungsprozesse, die auf ATP (KATP-Kanal) durch hohe Konzentration des Trinukleo
Konformationsänderungen des Kanalproteins vor allem im Bereich des tids verschlossen bzw. durch ein Absinken des ATPSpiegels
Selektivitätsfilters beruhen. Einer dieser alternativen Inaktivierungs- aktiviert. Über diesen Kaliumkanal wird in den BZellen
mechanismen, der in einigen Kv- aber auch Nav-Kanälen zu beobachten des Pankreas die Insulinausschüttung gesteuert (KATP;
ist, wird als C-Typ-Inaktivierung bezeichnet. Sie ist ein unabhängiger
Prozess, kann aber durch die N-Typ-Inaktivierung bis in den Millisekun-
7 Kap.76.3.1). Ein weiterer 2SegmentKaliumkanal (Kir1 oder
denbereich beschleunigt werden. Funktionell ist die C-Typ-Inaktivie- ROMK; . Abb. 4.8, . Abb. 4.11) wird durch eine Erniedrigung
rung in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Zum einen ist sie die Vorausset- des intrazellulären pH (Erhöhung der H+Konzentration) ver
zung zur Blockierung der Nav-Kanäle durch Lokalanästhetika (wie Lido- schlossen bzw. durch Alkalinisierung geöffnet. Mithilfe dieses
cain oder Benzocain), zum anderen ist sie in der Lage, wegen der beson- Kanals wird im distalen Nierentubulus die Kaliumausschei
ders langsamen Rückreaktion, Nav- und Kv-Kanäle für Intervalle von
mehreren Sekunden (!) Dauer zu inaktivieren.
dung an den pHHaushalt gekoppelt (ROMK; 7 Kap. 33.2).
Die zyklischen Nukleotide cAMP und cGMP aktivieren zwei
Familien von 6SegmentKanälen, die HCN- (hyperpolariza
Zustandsmodell des Kanal-gating Das Schaltverhalten tionactivated cyclicnucleotidegated) und CNG- (cyclic
spannungsgesteuerter Kationenkanäle lässt sich stark ver nucleotidegated) Kanäle (. Abb. 4.8). Die Kanalaktivierung
einfacht als eine sequenzielle Reaktion in einem System erfolgt über eine Interaktion der zyklischen Nukleotide mit
aus drei Zuständen verstehen (. Abb. 4.10). Diese Zustände Bindungsstellen, die sich im CTerminus dieser Kanäle befin
sind: den (. Abb. 4.11). Diese Steuerung durch zyklische Nukleo
5 der Geschlossen-Zustand, aus dem der Kanal aktiviert tide liegt der elektrischen Antwort der retinalen Photorezep
werden kann, toren auf einen Lichtreiz (CNGKanäle) ebenso zugrunde wie
5 der Offen-Zustand und der Schrittmacheraktivität der Sinusknotenzellen am Herzen
5 der inaktivierte Zustand, in dem der Kanal durch die oder einiger zentraler Neurone (HCNKanäle).
Inaktivierungsdomäne blockiert ist. Einer Reihe von Kanälen, von denen die SKCa und die
Cav1Kanäle die bekanntesten sind, dienen intrazelluläre
Bei Depolarisation der Membran wird das Gleichgewicht Kalziumionen als gatingModulator. Als Rezeptor benutzen
des Systems vom GeschlossenZustand in zwei Teilreaktionen die genannten Kanäle das Kalziumbindungsprotein Calmo-
in den inaktivierten Zustand verlagert: Der erste Schritt, der dulin, das wie eine akzessorische Untereinheit mit dem pro
Übergang vom Geschlossen in den OffenZustand, ist die ximalen CTerminus der αUntereinheit des Kanals verbun
Aktivierung, der zweite Schritt, der Übergang vom Offen in den ist (. Abb. 4.11). Durch Bindung von Kalziumionen an
den inaktivierten Zustand, entspricht der Inaktivierung. Bei Calmodulin werden Konformationsänderungen auf das Ka
Repolarisation verläuft die Reaktion in umgekehrter Rich nalprotein übertragen, die dann zur Aktivierung (SKKanäle)
48 Kapitel 4 · Grundlagen der zellulären Erregbarkeit
SPM4+
1 1
10 M SPM
5 mM K+
1 mM Mg2+
10 mM K+
-1 -1
0 Mg2+
. Abb. 4.12 Block von NMDA-Rezeptoren und Kir-Kanälen. Links: ckers verläuft die I-U-Kennlinie jenseits des Gleichgewichtspotenzials
NMDA-Rezeptoren werden durch extrazelluläre Mg2+-Ionen blockiert, (U < 0 mV am NMDA-Rezeptor und U > –90 mV am Kir-Kanal) über einen
Kir-Kanäle durch das intrazelluläre Polykation Spermin. Rechts: Die Strom- Maximalwert zur Null-Strom-Linie. Die Bedeutung dieses Maximums
Spannungs-(I-U-)Beziehung am NMDA-Rezeptor und Kir-Kanal ist linear in des Kir-Kanals für die Ausbildung des Aktionspotentials wird in 7 Kap 6.2
Abwesenheit des Blockers (0 Mg2+ bzw. 0 SPM4+); in Anwesenheit des Blo- beschrieben.
Klinik
Kanaltoxine
Phänomen 100–200 verschiedenen Peptidtoxinen her, oder einer effizienten Blockade der synapti-
Maritime Kegelschnecken (Conus) benut- die aus jeweils 12–30 Aminosäuren beste- schen Übertragung insbesondere an der
zen bei der Jagd nach Fischen ein hoch- hen und durch Disulfidbrücken stabilisiert neuromuskulären Endplatte. Beim Men-
aktives Gift, das sie über einen harpunen- werden. Diese Conotoxine binden mit schen ist vor allem die Blockade der neuro-
artigen Zahn in ihre Beute injizieren und hoher Affinität an extrazelluläre Domänen muskulären Übertragung der Atemmusku-
diese damit in Sekundenbruchteilen voll- verschiedener Ionenkanäle und beeinflus- latur entscheidend; ohne Gegenmaßnah-
ständig paralysieren. Für Menschen, die sen deren Leitfähigkeit und/oder Schaltver- men kann sie zum Tode führen, ein Antidot
Kegelschnecken wegen ihres markanten halten. So werden durch µ- und δ-Cono- steht bislang nicht zur Verfügung.
Aussehens am Strand auflesen und damit toxine Nav-Kanäle blockiert (Nav1.4, Einigen der ω-Conotoxine kommt aber
den Harpunenstich der Tiere als Abwehr- Nav1.5) oder verstärkt aktiviert (durch Ver- auch therapeutische Bedeutung zu: Als
reaktion auslösen, kann das Gift sogar zögerung der Inaktivierung in Nav1.2 oder Blocker der Cav2.2 Kanäle (sog. N-type
tödlich sein. Nav1.3), während ω-Conotoxine Cav-Kanäle Kanäle) können sie die Erregungsübertra-
inhibieren (Cav2.1, Cav2.2). Bei Beutetieren gung in Schmerzfasern effizient hemmen
Erklärung der Kegelschnecke führt die gemeinsame und als „pain killer“ ohne Suchtpotenzial
Kegelschnecken stellen in den Epithel- Wirkung dieser Toxine zu einer starken neu- eingesetzt werden.
zellen ihres Giftorgans einen „Cocktail“ aus ronalen Übererregung (Schockstarre) und/
50 Kapitel 4 · Grundlagen der zellulären Erregbarkeit
a
In Kürze Pore Pore
Spannungsgesteuertes gating von Kationenkanälen
Für die Öffnung eines Kanals ist Energie notwendig.
Beim spannungsgesteuerten gating stammt sie aus der
Änderung der Membranspannung: Der positiv gelade-
ne Spannungssensor des Kanals (S4-Segment) bewegt
sich bei Depolarisation nach außen, bei Repolarisation
4 nach innen. Durch die Bewegung des S4-Segmentes 2,5 nm
Klinik
Kanalopathien
Ursachen adäquaten Steigerung der Funktion kanals Nav 1.5 hat daher andere klinische
Erbkrankheiten, bei denen das Defektgen (gain-of-function). Die Funktionsstö- Auswirkungen als die gleiche Funktionsän-
für einen Ionenkanal kodiert, werden als rung kann die Aktivierung der Kanäle, derung des im Skelettmuskel exprimierten
Kanalopathien bezeichnet. Grundsätzlich die Permeabilität bzw. Leitfähigkeit, Natriumkanals Nav 1.4. Bei Ionenkanälen,
lassen sich zwei Arten von Gendefekten sowie die Biogenese, den Abbau, die die in verschiedenen Organen exprimiert
unterscheiden: subzelluläre Lokalisation oder die Regu- sind, hat eine genetische Funktionsverän-
5 „Nonsense“-Mutationen haben eine lierbarkeit (z. B. durch Proteinphospho- derung meist eine Fehlfunktion aller dieser
Deletion des Genproduktes zur Folge rylierung) der betroffenen Kanalpro- Organe zur Folge (beispielsweise führen
und führen zum weitgehenden oder teine beeinträchtigen. Mutationen in KCNQ1-KCNE1-Kanälen
vollständigen Funktionsverlust. zu Herzrhythmusstörungen und Innenohr-
5 „Missense“-Mutationen verändern Symptome schwerhörigkeit). Es besteht allerdings
die Primärsequenz des Proteins (Punkt- Die Ausprägung bzw. Symptomatik eines auch die Möglichkeit der partiellen Kom-
mutation) und führen entweder zu Ionenkanaldefektes ist durch sein Expres- pensation, sodass die entsprechende
einer Einschränkung der Funktion (loss- sionsmuster bestimmt. Eine Funktionsver- Kanalopathie auf ein Organ beschränkt
of-function) oder aber zu einer in- änderung des herzspezifischen Natrium- bleiben kann.
52 Kapitel 4 · Grundlagen der zellulären Erregbarkeit
M1
M3
M4
M1
M2
M3
M4
torProteine wie Adenylatzyklase, Phosholipase oder Ionen
kanäle (Cav2, Kir3) (7 Kap. 2.3). Wie bei den ionotropen
Rezeptoren leitet sich der Name der metabotropen Rezep
4 toren vom spezifischen Agonisten ab, sodass ein Glutamat
aktivierter Rezeptor als metabotroper GlutamatRezeptor
bezeichnet wird.
Das menschliche Genom kodiert eine Vielzahl von iono
tropen Rezeptoren, die aufgrund von Ähnlichkeiten in ihrer
Aminosäuresequenz und Proteinarchitektur in Klassen, Fami
lien und Unterfamilien eingeteilt werden können. Die nach
folgende Einteilung orientiert sich allerdings mehr an der phy c Ligand-Bindungsdomäne
siologischen Funktion der Kanäle, die vor allem durch die Ligand
Ionenart definiert wird, für die der Kanal durchlässig ist. So
sind die ligandgesteuerten Kationenkanäle als exzitatorische
Rezeptorkanäle, die Anionenkanäle als inhibitorische
Rezeptorkanäle klassifiziert.
Aufbau exzitatorischer Rezeptorkanäle Bezüglich ihrer . Abb. 4.14a–d Topologie und Struktur ionotroper Acetylcholin-
und Glutamatrezeptoren des AMPA-Typs. Membrantopologie (obere
Membrantopologie weisen die Untereinheiten beider Rezep
Bildhälfte) und Untereinheitenaufbau (untere Bildhälfte) des AMPA-
torkanaltypen vier hydrophobe Segmente auf, die allerdings Typ iGluRs (a) und des nAChR (b), abgeleitet aus dem Hydropathieprofil
in eine etwas unterschiedliche Kanalarchitektur umgesetzt der Aminosäuresequenz und den funktionellen Eigenschaften der Ka-
werden (. Abb. 4.14). Bei den iGluR sind drei dieser Segmente näle. c Seitenansicht (links) und Aufsicht auf zwei Schnittebenen (rechts)
(M1, M3 und M4) als Transmembrandomänen konfiguriert, der Kristallstruktur (Auflösung 3.6 Å) des AMPA-Typ iGluRs. Während die
Kanalpore rotationssymmetrisch ist, erscheint die extrazelluläre Domäne
das zweite Segment (M2) ist lediglich in die Membranebene
des Rezeptors auf Höhe der Bindungsstellen der Liganden (Glutamat-
eingefaltet und an der Porenbildung beteiligt, ähnlich der moleküle sind in „ball-&-stick“ Darstellung gezeigt) spiegelsymmetrisch.
PDomäne der Kv oder NavKanäle. Das lange Nterminale d Strom durch iGluRs bei kurzer (links, 1 ms) und langer (rechts, 100 ms)
Ende der iGluRProteine liegt im Extrazellulärraum, das Gabe des Agonisten Glutamat
kurze Cterminale Ende auf der zytoplasmatischen Seite der
Membran. Bei den nAChRProteinen dagegen sind alle vier
hydrophoben Segmente als Transmembrandomäne ausge
bildet, wodurch die N und CTermini im Extrazellulärraum
zu liegen kommen.
4.5 · Ligandaktivierte Ionenkanäle
53 4
Entsprechend dieser unterschiedlichen Topologie sind werden (. Abb. 4.14d). Zum einen durch die Deaktivierung,
auch die Quartärstrukturen der beiden Rezeptortypen, die nach Dissoziation des Agonisten von der Bindungsstelle, oder
Untereinheitenstöchiometrie sowie der Aufbau der Ligan durch Desensitisierung bzw. Inaktivierung (IZustand), bei
denbindungsstellen unterschiedlich. Die iGluR sind Tetramere Verbleib des Liganden an seinem Rezeptor. Die Deakti
(. Abb. 4.14a), die sich je nach iGluRTyp aus vier identischen vierung läuft in wenigen Millisekunden ab, während die
oder vier unterschiedlichen Untereinheiten zusammensetzen. Geschwindigkeit der Desensitisierungsreaktion sehr variabel
So sind die iGluR vom NMDATyp Heterotetramere aus ist und von wenigen Millisekunden (SkelettmuskelnAChR
GluN1 und GluN2Untereinheiten, die AMPARezeptoren oder AMPARezeptoren) bis zu mehreren hundert Milli
Homo- oder Heterotetramere der Untereinheiten GluA1–4, sekunden reicht.
während die Kainatrezeptoren Homo oder Heterotetramere
aus den Untereinheiten GluK1–3 und GluK4 und 5 sind. Alle Permeation Wie oben erwähnt, ähneln sich die iGluR und
iGluRUntereinheiten verfügen über eine Glutamatbindungs nAChR auch bezüglich der Ionenpermeation. Grundsätz
stelle, die vom NTerminus und dem Verbindungstück der lich sind beide Kanaltypen für kleine monovalente Kationen,
Transmembransegmente M3 und M4 gebildet wird. vor allem Natrium und Kalium, permeabel. Dabei ist der
Die nAChR setzen sich dagegen i. d. R. aus fünf verschie- unter physiologischen Bedingungen einwärtsgerichtete
denen Untereinheiten (Pentamer) zusammen (. Abb. 4.14b). Natriumstrom wegen der höheren Triebkraft (s. oben) und
Dabei ist der nAChR des Skelettmuskels ein Heteropentamer der mehr oder weniger ausgeprägten Selektivität der Kanäle
aus zwei α1Untereinheiten, sowie je einer β, γ bzw. ε und für Natriumionen wesentlich größer als der gleichzeitig
δUntereinheit, die nAChR des Nervensystems sind dagegen stattfindende Auswärtsstrom von Kaliumionen. Aus diesem
Pentamere aus zwei oder drei αUntereinheiten (α2–10) und Grund führt die Aktivierung beider Rezeptoren zu einer
drei bzw. zwei βUntereinheiten (β2–4). Nach heutigem Depolarisation der postsynaptischen Membran bzw. zu
Kenntnisstand verfügt jeder nAChR über zwei Agonisten- einer Exzitation der postsynaptischen Zelle. Manche nAChR
bindungsstellen, die vorwiegend von der αUntereinheit ge und iGluR, wie der NMDARezeptor, sind über die kleinen
bildet werden. Die Pore der nAChR wird von den M2Seg monovalenten Ionen hinaus auch für das divalente Kalzium
menten der fünf Untereinheiten sowie den an sie angrenzen (Ca2+) permeabel, während das divalente Magnesiumion
den Proteinabschnitten gebildet (. Abb. 4.14b). (Mg2+) oder das tetravalente Spermin am Selektivitätsfilter
„hängenbleiben“ und damit die Pore des NMDARezeptors
(Mg2+) oder des AMPARezeptors (Spermin) blockieren.
4.5.2 Funktionelle Eigenschaften Neben den iGluR und nAChR gibt es noch einige weitere
exzitatorischer Rezeptorkanäle exzitatorische Rezeptorkanäle, deren funktionelle Bedeutung
allerdings geringer ist. Dazu gehören
Ionotrope Rezeptoren werden durch Bindung extrazellulärer 5 die ionotropen Monoaminrezeptoren (5Hydroxytryp
Liganden/Transmitter aktiviert; die exzitatorischen Glutamat- tamin oder kurz 5HT3Rezeptoren), die in ihrer Archi
und Acetylcholinrezeptoren sind nichtselektive Kationen- tektur den nAChR verwandt sind, sowie
kanäle. 5 die ionotropen ATP-Rezeptoren (P2XRezeptoren) und
5 die Protonen-(H+-Ionen-)Rezeptorkanäle (ASIC),
Gating Trotz dieser Unterschiede in der Proteinarchitektur die beide den prinzipiellen Proteinaufbau der oben
sind die funktionellen Eigenschaften der iGluR und nAChR, genannten 2SegmentKanäle aufweisen.
die Grundzüge ihres Schaltverhaltens sowie die Ionenper
meation recht ähnlich. Wie spannungsabhängige Kanäle bei
hyperpolarisierter Membranspannung sind die Rezeptor 4.5.3 Aufbau und Funktion inhibitorischer
kanäle in Abwesenheit des Agonisten in einem Geschlossen- Rezeptorkanäle
Zustand (CZustand), aus dem sie durch Bindung des Ago-
nisten Glutamat (und bei NMDARezeptoren zusätzlich Die ligandaktivierten inhibitorischen ionotropen Rezeptoren
Glyzin) oder Acetylcholin aktiviert werden können. Die Ago- sind pentamere Anionenkanäle, die durch die Transmitter
nist-Rezeptor-Interaktion sorgt dabei, analog zur S4Helix GABA und Glyzin aktiviert werden.
Bewegung, für eine Energie-Einkoppelung in das Kanalpro
tein: Durch die Agonistenbindung wird eine Konformations Aufbau Die wichtigsten inhibitorischen Transmitter des
änderung der Bindungsstelle und ihrer Umgebung bewirkt, zentralen Nervensystems sind die Aminosäuren γ-Amino-
die auf die porenbildenden Proteinabschnitte übertragen wird Butyrat (GABA) und Glyzin; die entsprechenden Rezeptor
und via struktureller Reorganisation dieser Proteinsegmente kanäle sind die GABAA-Rezeptoren, die vor allem in Kortex
zur Öffnung des Kanals führt (OZustand). Bei AMPARezep und Zerebellum vorkommen und die Glyzinrezeptoren, die
toren und dem nAChR des Skelettmuskels sowie einigen neu insbesondere im Hirnstamm und Rückenmark exprimiert
ronalen nAChR spielt sich die Öffnungsreaktion in weniger sind. Beide Rezeptoren gehören genetisch zur Klasse der
als einer Millisekunde ab, während sie bei anderen, wie dem nAChR Rezeptoren, mit denen sie die 4-Segment-Topologie
NMDARezeptor, 10 und mehr Millisekunden dauert. Der ge und die pentamere Untereinheiten-Stöchiometrie teilen.
öffnete Kanal kann dann auf zwei Arten wieder verschlossen Dabei sind die GABAARezeptoren aus zwei α (α1–6), zwei
54 Kapitel 4 · Grundlagen der zellulären Erregbarkeit
Nervenzelle und
Umgebung
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 5 Nervenzellen – 57
Jens Eilers
Nervenzellen
Jens Eilers
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019
R. Brandes et al. (Hrsg.), Physiologie des Menschen, Springer-Lehrbuch
https://doi.org/10.1007/978-3-662-56468-4_5
Worum geht’s?
Nervenzellen (Neurone) sind komplex aufgebaut und
verschaltet
Aufgabe der Neurone ist die Informationsverarbeitung.
Die hierfür notwendige Vernetzung mit anderen Nerven-
zellen bedingt eine Verzweigung der Zellausläufer, die
beachtliche Dimensionen annehmen kann. Sie stellt die
Neurone aber auch vor Versorgungsprobleme.
Dendriten Dendriten
Soma
zentraler
Neurit
peripherer
Neurit
Axon
Axon
. Abb. 5.3 Nervenzelltypen. Von links nach rechts: unipolare Nerven- striche deuten an, dass der Neurit nicht in seiner vollen Länge dargestellt
zelle, pseudounipolare Nervenzelle, kortikale Chandelierzelle und zere- wurde. Die Zellen sind in unterschiedlicher Vergrößerung dargestellt
belläre Purkinje-Zelle (beides multipolare Nervenzelltypen). Zwei Quer-
zerebelläre Purkinje-Neurone, von denen jedes einzelne Vernetzung Auf der makroskopischen Ebene weisen
von etwa hunderttausend vorgeschalteten Neuronen menschliche Gehirne eine sehr große Ähnlichkeit zwischen
kontaktiert wird. Individuen auf. Man muss aber davon ausgehen, dass die
5 Verbindungen zwischen Nervenzellen können erregend Individualität jedes einzelnen Menschen zumindest in Teilen
oder hemmend wirken; die rekurrente Hemmung stellt auf einer unterschiedlichen Vernetzung auf mikroskopischer
60 Kapitel 5 · Nervenzellen
Ebene basiert. Für die Ausbildung des Nervensystems mit all findung („guidance cues“) von Zellausläufern dienen. Dabei
seinen neuronalen Verbindungen sind ineinandergreifende gibt es anziehende (z. B. Ephrine) und abstoßende Substanzen
Mechanismen maßgeblich, die zwar einem vordefinierten (z. B. Semaphorine). Zum anderen sind neuronale Wachstums-
Bauplan folgen, diesen aber individuell anpassen können. faktoren (Neurotrophine) für die Vernetzung des Nerven-
systems unabdingbar. Besonders wichtige Faktoren sind dabei
Kritische Perioden In der frühen Hirnentwicklung kommt NGF (Nervenwachstumsfaktor, nerve growth factor), BDNF
es über Zellproliferation, Zellwanderung und Zelldifferen- (brain-derived neurotrophic factor) und GDNF (glia-derived
zierung zur Ausbildung der verschiedenen Hirnstrukturen neurotrophic factor). Mangel an diesen Wachstumsfaktoren
mit jeweils spezifischen Zelltypen. Die Vernetzung der Zellen oder Dysfunktion der zugehörigen Rezeptoren führt zu drama-
erfolgt primär ebenso vordefiniert, bedarf aber einer Phase tischen Entwicklungsstörungen (7 Klinik-Box „CIPA“).
5 der aktivitätsabhängigen Feinjustierung. Für viele Hirn-
bereiche geschieht dies in festen Zeitfenstern während der
frühkindlichen Entwicklung, den sogenannten kritischen In Kürze
Perioden. In diesem Zeitabschnitt ist die neuronale Vernet- Nervenzellen dienen der Informationsverarbeitung
zung besonders plastisch. Gewünschte Verbindungen können und zeigen eine Polarisierung in vom Soma abgehen-
leicht hergestellt werden, unerwünschte über den Prozess der den Dendriten und Axone, die der Informationsaufnah-
Eliminierung (engl. pruning) leicht gekappt werden. Wäh- me bzw. Weiterleitung dienen. Die komplexe Morpho-
rend dieser Feinjustierung wird sichergestellt, dass der ent- logie von Nervenzellen spiegelt die Notwendigkeit zur
stehende Schaltkreis nicht nur Information aus relevanten massiven Vernetzung von Nervenzellen wider. Makro-
vorgeschalteten Bereichen erhält, sondern diese Information skopisch lässt sich die neuronale Verschaltung in anato-
auch sinnvoll verarbeiten kann. Entsprechend dominieren misch-fassbaren Strukturen beschreiben. Funktionell-
in den kritischen Phasen aktivitätsabhängige Regeln der Ab- relevante, mikroskopische Verschaltungsmuster basie-
schwächung oder Verstärkung von neuronalen Verbindun- ren typischerweise auf Divergenz, Konvergenz, rekur-
gen, über die das neuronale Netzwerk selbständig die opti- renter Hemmung und lateraler Hemmung. Während
male Vernetzung sicherstellt. der Hirnreifung greifen genetisch determinierte Pro-
gramme und aktivitätsabhängige Prozesse ineinander,
> Kritische Perioden setzen ein zeitliches Fenster zur
um ein voll funktionsfähiges Nervensystem zu etablie-
sinnvollen Vernetzung des Gehirns.
ren. Neurotrophine sind dafür maßgebliche Wachs-
tumsfaktoren. Kritische Perioden setzen dabei ein zeit-
Zielfindung und Wachstum Für die genetisch vorgegebene liches Fenster für maßgebliche Änderungen der neuro-
Zellwanderung und -differenzierung sowie die aktivitätsab- nalen Vernetzung. Einmal geschlossen kann dieses
hängigen Vernetzungsregeln sind verschiedene Faktoren un- Fenster nicht erneut geöffnet werden.
abdingbar. Hierzu gehören zum einen Substanzen, die der Ziel-
Klinik
Klinik
CIPA – Congenital insensitivity to pain with anhidrosis (Hereditäre sensorische und autonome Neuropathie)
Klinik Ursachen führt. Schweißdrüsen sind nicht innerviert,
Dieses extrem seltene Krankheitsbild ist Es handelt sich um einen autosomal-rezes- ebenso fehlt die Innervation der Haut mit
charakterisiert durch Schmerzunempfind- siv vererbten Defekt im Rezeptor für den nozizeptiven Fasern.
lichkeit, fehlende Schweißsekretion, Fieber- Nervenwachstumsfaktor NGF, der insbeson-
schübe, mentale Retardierung und selbst- dere im vegetativen Nervensystem und bei
verstümmelndes Verhalten. Schmerzfasern zu Entwicklungsstörungen
5.2 · Zelluläre Kompartimente von Neuronen
61 5
5.2 Zelluläre Kompartimente von Neuronen daher über eigene Organellen, um weitestgehend unab-
hängig vom Soma arbeiten zu können. Hierzu gehört ein
Informationsaustausch findet über Synapsen statt, die vom glattes dendritisches ER zur Speicherung bzw. Freisetzung
Axon aus Dendriten und den Zellkörper erreichen. von Ca2+, sowie Mitochondrien um genügend Energie für
aktive Transportprozesse besonders bei hoher Belastung
Synapsen Nervenzellen sind untereinander über speziali- bereitstellen zu können. Auch eine lokale Proteinsynthese
sierte Kontaktstellen verbunden, den sogenannten Synapsen. findet in Dendriten statt. Sie dient dem regulären Austausch
Diese bestehen aus einer Präsynapse (einer Spezialisierung von Proteinen (turnover) und der raschen Bereitstellung
der vorgeschalteten, präsynaptischen Zelle), einer Speziali- von Proteinen für den Fall, dass eine neue synaptische Verbin-
sierung der nachgeschalteten (postsynaptischen) Zelle und dung aufgebaut werden muss. Die hierfür nötige messenger
einem diese beiden Strukturen trennenden, etwa 20 nm RNA (mRNA) wird ebenso wie die Mitochondrien aus dem
breiten synaptischen Spalt. Ein Aktionspotenzial in der prä- Soma über Mikrotubuli antransportiert.
synaptischen Nervenzelle führt zur Freisetzung von chemi-
schen Botenstoffen (Neurotransmitter), die wiederum in der Dornfortsätze Dendriten vieler Zelltypen (z. B. Pyramiden-
postsynaptischen Zelle elektrische bzw. biochemische Signale zellen, Purkinje-Neurone) verfügen über spezialisierte Kon-
hervorrufen. In den 7 Kap. 9–11 werden die Prozesse der taktstellen für Synapsen, welche als Dornfortsätze (engl.
synaptischen Übertragung im Detail besprochen. Die an den spines) bezeichnet werden. Dornfortsätze dienen dabei pri-
Synapsen hervorgerufenen elektrischen Signale können je mär einzelnen erregenden Synapsen als Kontaktstelle, einige
nach Neurotransmitter und Rezeptor entweder erregend weitere erregende oder auch hemmende Synapsen können
(depolarisierend) oder hemmend (hyperpolarisierend) auf aber dazukommen.
die postsynaptische Zelle wirken. Dornfortsätze sind sehr kleine Kompartimente (kleiner
als 1 fL bzw. 1 µm3) und sind über einen schlanken Hals
> Synapsen sind Kontaktstellen zwischen Nervenzellen.
(Durchmesser ca. 100 nm, Länge ca. 1 µm) mit dem Dendri-
ten verbunden. Dornfortsätze erfüllen drei Funktionen.
Soma Jede Nervenzelle besitzt einen Zellkörper mit Zell- Erstens erleichtern sie die Kontaktaufnahme zwischen dem
kern, Golgi-Apparat, rauem und glattem endoplasmatischen Dendriten und dem in der Nachbarschaft vorbeilaufenden
Retikulum (ER) sowie Mitochondrien. Das Soma ist damit als Axon; die Ausformung eines Dornfortsatzes Richtung Axon
zentraler Ort der Proteinsynthese und der Energiebereitstel- ist deutlich einfacher als die Versetzung des gesamten Den-
lung erkennbar. Das Soma ist aber auch der Ort, an dem die driten oder Axons. Zweitens repräsentiert der schlanke Hals
elektrischen Signale zusammenlaufen, die durch hemmenden einen beachtlichen elektrischen Widerstand (10–50 MΩ),
und erregenden Zufluss anderer Nervenzellen in den Den- der dazu führt, dass die elektrischen synaptischen Signale
driten generiert werden. Diese Zuflüsse werden im Zellkörper im aktiven Dornfortsatz deutlich größer sein können als im
integriert (7 Kap. 9) und führen gegebenenfalls dazu, dass benachbarten Dendriten. Drittens repräsentieren Dornfort-
im Soma bzw. in somanahen Abschnitten des Axons ein sätze eigene biochemische Kompartimente, in denen vor Ort
Aktionspotenzial (7 Kap. 6.2) generiert wird, welches wiede- generierte sekundäre Botenstoffe (z. B. Ca2+, cAMP) deut-
rum Grundlage der Informationsweiterleitung an nachge- lich höhere Konzentrationen erreichen als im Dendriten.
schaltete Zellen ist. Der Zellkörper übernimmt damit eine Über die genannten elektrischen und biochemischen Eigen-
zentrale Rolle bei der Informationsverarbeitung. In vielen schaften werden Dornfortsätze zu kleinsten Kompartimenten
Zellen finden sich entsprechend nicht nur in den Dendriten neuronaler Signalverarbeitung.
sondern auch am Soma hemmende Synapsen. Diese axo- Dornfortsätze besitzen einzelne Mitochondrien zur Ener-
somatischen Synapsen sind ideal positioniert, um die Gene- gieversorgung, glattes ER für die Aufnahme und Freisetzung
rierung eines Aktionspotenzials zu verhindern oder zu verzö- von Ca2+ sowie strukturbildende Aktinfilamente.
gern. Ein gutes Beispiel hierfür sind Korbzellen. Diese finden
sich im Hippocampus, Kleinhirn und Neokortex und sind Axone Axone dienen der Informationsweiterleitung über
durch viele hemmende axo-somatischen Synapsen charak- kurze und lange Strecken. Ihre Aufgabe ist die verlässliche
terisiert. Korbzellen können damit besonders effektiv syn- und schnelle Weiterleitung von Aktionspotenzialen an alle
chrone Netzwerkaktivität steuern. nachgeschalteten Nervenzellen. Das Axon entspringt vom
Soma am Axonhügel, ein Bereich mit besonders hoher
Dendriten Aufgabe der Dendriten ist die Informationsauf- Dichte an spannungsgesteuerten Na+-Kanälen, läuft zum
nahme. Hierzu kontaktieren Axone vorgeschalteter Nerven- Zielgebiet und teilt sich in Kollateralen auf, welche die jewei-
zellen die Dendriten über hemmende oder erregende axo- ligen Zielzellen erreichen. Axone von Interneuronen kon-
dendritische Synapsen. Die eindrucksvolle dendritische taktieren Nervenzellen in der Nachbarschaft; Axone von Pro-
Morphologie vieler Nervenzellen (z. B. Pyramidenzellen, jektionsneuronen kontaktieren primär weit entfernt liegen-
Purkinje-Neurone) belegt den Bedarf für eine massive Ver- de Ziele (z. B. in der kontralateralen Hemisphäre), sie ver-
netzung mit benachbarten Zellen. fügen zum Teil aber auch über rekurrente Kollateralen zur
Aufgrund der Länge von Dendriten ist der Stoffaustausch Kontaktierung benachbarter Zellen. Axone können über eine
mit dem Soma meist nicht sehr effizient. Dendriten verfügen Myelinscheide verfügen, welche die Weiterleitungsgeschwin-
62 Kapitel 5 · Nervenzellen
digkeit für Aktionspotenziale um das 10 bis 100-fache erhöht graden, Dyneine für den retrograden Transport. Die Trans-
(7 Kap. 7). portmoleküle ihrerseits binden an Mikrotubuli, welche ein
polarisiertes intrazelluläres Gerüst bilden, das von den dista-
Axonaler Transport Die Länge der Axone macht aktiven len Dendriten über das Soma bis zu distalen Axonabschnitten
Transport erforderlich, um einen effektiven Stoffaustausch zu reicht. Insbesondere Organellen (Mitochondrien und ER-Seg-
gewährleisten. Hierfür stehen Prozesse zur Verfügung, die mente) werden so transportiert. Die retrograde Transportrate
Stoffe vom Soma in distale Axonabschnitte transportieren ist nur etwa halb so groß wie die anterograde.
(anterograder Transport) oder in umgekehrter Richtung Über den langsamen Transport (nur anterograd) werden
arbeiten (retrograder Transport). Die Transportprozesse hauptsächlich Proteine mit Geschwindigkeiten zwischen 0,2
werden ferner in schnellen und langsamen Transport ein- und 10 mm pro Tag bewegt. Auch der langsame Transport
5 geteilt. Während anterograd sowohl schnell als auch lang- nutzt die für den schnellen Transport nötigen Transportpro-
sam transportiert wird, ist der retrograde Transport immer teine und Mikrotubuli. Allerdings wird der Transport häufig
schnell. unterbrochen (Stop-und-Go-Modell), wodurch eine im Mit-
tel langsame Transportrate resultiert.
> Axonaler Transport läuft sowohl antero- also auch
Der axonale Transport wird von einigen Krankheitser-
retrograd.
regern als Verbreitungsweg genutzt. So werden das Gift von
Clostridium tetani (7 Kap. 9) oder auch bestimmte Viren
Diffusion
In Axonen reicht passive Diffusion nicht zur Versorgung aus, wie sich am
(7 Klinik-Boxen „Herpes simplex“ und „Tollwut“) durch axo-
Beispiel der Diffusion kleiner Teilchen mit einem angenommenen Diffu- nalen Transport vom Eintrittsort Richtung Rückenmark und
sionskoeffizient D von 10-5 cm2 s-1 entlang des Axons eines α-Motoneurons Gehirn transportiert.
mit angenommener Länge x = 1 m zeigt. Nach den Gesetzen der Diffu-
sion (<x>2=2Dt) dauert es ungefähr 15 Jahre, bis am Ende des Axons > Axonaler Transport ermöglicht bestimmten Krank-
auch nur die halbe Konzentration der Teilchen im Soma erreicht wird. heitserregern den direkten Zugang zum zentralen
Selbst in einem kurzen Axon von nur 1 cm Länge dauerte der diffusive Nervensystem.
Transport immer noch etwa 14 Stunden.
Der schnelle Transport (antero- wie retrograde) ist ATP-ge- Präsynapse Axone stellen an Präsynapsen Kontakt zu ihren
trieben und erreicht Geschwindigkeiten von ca. 400 mm pro Zielzellen her (. Abb. 5.2). Hier führt ein über das Axon ein-
Tag. Zu transportierende Teilchen werden hierbei an spezi- laufendes Aktionspotenzial zur Freisetzung von Neurotrans-
fische Transportmoleküle gebunden: Kinesine für den antero- mittern, die auf die nachgeschaltete Zelle wirken (7 Kap. 9–11).
Klinik
Herpes simplex
Klinik tenz, ohne klinische Symptome), der Befall Unterschiedliche Typen des HSV sind für
Wiederkehrende Bildung juckender und ist aber serologisch nachweisbar (seropo- die Infektionen im Gesichtsbereich (meist
schmerzhafter Bläschen, typischerweise im sitiver Test). Ausgelöst durch unterschiedli- Typ 1) bzw. für genitale Infektionen (meist
Mund- oder Genitalbereich. che Trigger vermehren sich die Viren erneut Typ 2) verantwortlich. In Deutschland sind
und gelangen über anterograden axona- etwa 85–90% der Bevölkerung (männlich
Ursachen len Transport wieder entlang der Nerven- wie weiblich) seropositiv für HVS Typ 1,
Infektion mit Herpes-simplex-Viren (HSV). faser zu Haut. Zu den Triggern gehören 12–15% der Bevölkerung für Typ 2.
Nach Erstinfektion der Haut oder Schleim- u. a. Fieber, Stress, Infektionen, Verletzung
haut gelangen die Viren über retrograden im ursprünglich betroffenen Hautbereich,
axonalen Transport in sensorischen Fasern Menstruation, starkes Sonnenlicht.
zum Zellkörper. Hier ruhen die Viren (Persis-
Klinik
Tollwut
Klinik Ursachen Von dort gelangen sie über retrograden
Wenige Tage nach Infektion treten grippe- Tollwut wird durch Lyssaviren hervorge- axonalen Transport in das Rückenmark,
artige Symptome auf. Dann folgen rasch rufen, übertragen meist durch Biss eines verlassen die Zelle im Bereich der Synapsen
fortschreitende zentrale Symptome wie infizierten Tieres. Die Viren sind neurotroph über Pinozytose und werden dann von
Lähmungen, Krämpfe, Verwirrtheit, Hallu- (bevorzugen also Nervenzellen) und ver- präsynaptischen Nervenzellen aufgenom-
zination und die typische Wasserscheu. fügen über die besondere Eigenschaft, an men. Nach wenigen Zyklen retrograden
Ohne rasche passive Immunisierung nach Synapsen auf die präsynaptische Zelle axonalen Transports und synaptischen
Infektion verläuft Tollwut meist tödlich. überspringen zu können. Sie treten nach Überspringens hat das Virus weite Bereiche
Vermehrung im Bereich der Bisswunde in des zentralen Nervensystems befallen.
sensible und motorische Nervenfasern ein.
5.3 · Funktionelle Morphologie von Neuronen
63 5
Präsynapsen befinden sich typischerweise am Ende des ver- 5.3 Funktionelle Morphologie
zweigten Axons (z. B. α-Motoneuron, Chandelierzelle); sie von Neuronen
werden dann als präsynaptische Endigungen oder synap-
tische Terminalien bezeichnet. In einigen Zelltypen (z. B. hip- Visualisierung von Neuronen Die morphologische Analyse
pokampale und zerebelläre Körnerzellen) finden sich Prä- einzelner Neurone erlaubt wichtige Rückschlüsse über die
synapsen aber auch entlang des Axons; sie werden dann als Funktionsweise des Gehirns. So wissen wir seit etwa einem
en-passant-Synapse (frz. für „im Vorbeigehen“) bezeichnet. Jahrhundert aus den Arbeiten von Ramón y Cajal, der erfolg-
Funktionell unterscheiden sich Terminalien und en-passant- reich die Golgi-Färbemethode einsetzte, dass Neurone nicht
Synapsen nicht. wie ein Synzytium direkt miteinander verbunden sind,
Typischerweise kontaktiert das Axon die Zielzellen im Be- sondern dass der Informationsaustausch an spezialisierten
reich der Dendriten, es werden also axo-dendritische Synap- Kontaktstellen (den Synapsen) stattfindet. Moderne Mikro-
sen ausgebildet. Insbesondere die Axone einiger hemmenden skopieverfahren erlauben es, Lernvorgänge im lebenden Ver-
Nervenzelltypen kontaktieren ihre Zielzellen aber auch über suchstier zu untersuchen.
axo-somatische Synapsen am Zellkörper oder über axo-axo- Grundlage der morphologischen Analyse ist jeweils
nale Synapsen am Axon der postsynaptischen Zelle. Die die Markierung einzelner Neurone durch eine Marker-
Lokalisation axosomatischer und axoaxonaler Synapsen er- substanz und die anschließende Visualisierung durch ge-
möglicht ihnen einen maßgeblichen Einfluss auf die gesamte eignete optische Verfahren. Die Silbernitrat-Färbung nach
Informationsverarbeitung bzw. –weiterleitung der Zielzelle. Golgi, immunhistochemische Färbungen sowie retro- und
Eine subtilere Wirkung können axo-axonale Synapsen aus- anterograde Markierung (bei der Farbstoff lokal in das
üben, die direkt andere Präsynapsen kontaktieren und hier Nervengewebe injiziert wird, dann von den Zellen aufge-
einen hemmenden oder fördernden Einfluss ausüben. Über nommen und entlang der Zellausläufer transportiert wird)
die resultierende präsynaptische Hemmung bzw. präsynap- repräsentieren klassische Verfahren zur Markierung ein-
tische Fazilitierung kann die Informationsweiterleitung an zelner Zellen bzw. einzelner Zelltypen. Heutzutage ermög-
eine einzelne Zielzelle moduliert werden (7 Kap. 11.1). lichen molekularbiologische und transgene Techniken die
spezifische Markierung auch von Nervenzellen. So kann z. B.
Dendro-dendritische Synapse
Einige Nervenzellen stellen darüber hinaus synaptische Verbindungen
über Mikroinjektion, Viren oder transgene Techniken DNA
zwischen Dendriten her. Diese dendro-dendritischen Synapsen sind in Zellen eingebracht werden, die für Markerproteine kodiert.
insbesondere für die Informationsverarbeitung in Mitralzellen des So ist es möglich, dass Zellen das grün-fluoreszierende
Riechkolben relevant (7 Kap. 62.1). Protein (GFP) oder spektrale Varianten (. Abb. 5.5) expri-
mieren. In Verbindung mit neuen Mikroskopiemethoden
> Je nach Lokalisation kann man axo-dendritische,
(Konfokalmikroskopie, Laser-Rastermikroskopie, hochauf-
axo-somatische, axo-axonale, dendro-dendritsche
lösende Mikroskope, Lebendmikroskopie) können diese
Synapsen unterscheiden.
Nervenzellen dann auch im lebenden Versuchstier während
eines Verhaltensexperiments untersucht werden. Neben der
Präsynapsen-Energiegewinnung
Präsynapsen verfügen über Mitochondrien zur lokalen Energiebereit-
Morphologie können dabei auch funktionelle Parameter wie
stellung. ATP wird insbesondere für die Bereitstellung fusionsbereiter die intrazelluläre Dynamik sekundärer Botenstoffe analysiert
Vesikel als auch für die Wiederherstellung normaler intrazellulärer werden.
Ionenkonzentrationen nach Aktivierung spanungsgesteuerter Ionen-
kanäle benötigt.
In Kürze
Für die Informationsverarbeitung besitzen Nervenzellen
die hochspezialisierten Kompartimente Dendrit, Axon,
Dornfortsatz und Präsynapse. Dendriten und Dorn-
fortsätze dienen der Informationsaufnahme, Axone
und Präsynapsen der Informationsweitergabe. Aktive
Transportvorgänge und Mitochondrien zur lokalen
Energiebereitstellung stellen die Versorgung der weit
verzweigten Zellausläufer sicher. Axonaler Transport
dient spezifischen Krankheitserregern als Eintritts-
pforte in das zentrale Nervensystem.
> Gentechnologische Ansätze erlauben die Visualisierung > Auch im ausgereiften Gehirn zeigen Neurone morpho-
einzelner Nervenzellen im lebenden Gewebe und Tier. logische Plastizität.
Morbus Alzheimer
Klassifizierung von Neuronen Für die Beschreibung des Störungen in der Plastizität der neuronalen Vernetzung scheinen für
Nervensystems sowie für das Verständnis seiner Erkran- neurodegenerative Erkrankungen wie den Morbus Alzheimer relevant
kungen und der Therapieoptionen ist eine Klassifizierung zu sein. Ob sie maßgeblich für das Fortschreiten der Erkrankung sind
der Nervenzellen hilfreich. Primär werden die Zellen dabei oder nur ihre Folge, ist derzeit noch unklar.
nach ihrer Lage (Kortex, Hippokampus, Zerebellum, etc.)
und ihrer Form (Körnerzelle, Pyramidenzelle, etc.) unter- In Kürze
schieden. Hieraus ergeben sich u. a. die Neuronenklassen
Moderne molekularbiologische und mikroskopische
5 „kortikale Pyramidenzelle“ und „zerebelläre Körnerzelle“.
Methoden erlauben eine detaillierte Charakterisierung
Weiter werden die Neurone nach ihrer Verschaltung
einzelner Nervenzellen. Morphologische und funktio-
(Interneuron, Projektionsneuron) und der Expression typi-
nelle Parameter definieren verschiedene Nervenzell-
scher Rezeptoren oder intrazellulärer Proteine unterschieden
klassen. Nervenzellen zeigen lebenslang die Fähigkeit
(z. B. Expression des Ca2+-bindenden Proteins Parvalbumin),
zur morphologischen Plastizität.
woraus sich z. B. die Klasse „Parvalbumin-positives Inter-
neuron“ ergibt. Wichtig sind weiter die Einteilungen nach
der Wirkung auf nachgeschaltete Neurone (mit den Klassen
„erregende“ bzw. „hemmende Nervenzelle“) sowie die Ein-
teilung nach dem neuronalen Botenstoff, der von der Nerven- Literatur
zelle freigesetzt wird: „glutamaterges“, „GABAerges“, „choli-
nerges“ oder „dopaminerges Neuron“. DeFelipe J et al. (2013) New insights into the classification and nomen-
clature of cortical GABAergic interneurons. Nat Rev Neurosci 14:202-
> Nervenzellen werden entsprechend ihrer anatomischen, 216
Hanus C, Schuman EM (2013) Proteostasis in complex dendrites. Nat Rev
morphologischen und funktionellen Eigenschaften
Neurosci 14:638-648
klassifiziert. Kandel ER, Schwartz JH, Jessell TM, Siegelbaum SA, Hudspeth AJ (Hrsg)
Die klinische Relevanz der Klassifizierungen von Neuronen (2013) Principles of Neuroscience. 5. Ausgabe, McGraw-Hill
Lichtman JW, Denk W (2011) The big and the small: challenges of imaging
wird z. B. an der neurodegenerativen Erkrankung Morbus the brain’s circuits. Science 334:618-623
Parkinson (oder „Schüttellähmung“) erkennbar, bei der Nicholls JG, Martin RA, Fuchs PA, Brown DA, Diamond ME, Weisblat D
dopaminerge Projektionsneurone in der Substantia nigra (2012) From neuron to brain, 5. Ausgabe. Sunderland, MA: Sinauer
zugrunde gehen (7 Kap. 47.4). Associates
Feuerverhalten
Eine weitere Klassifizierung kann nach dem Feuerverhalten der Neuro-
ne erfolgen, also nach dem für sie typischen Muster von Aktionspoten-
zialen, die in Antwort auf einen Reiz generiert werden. Unterschieden
werden dabei u. a. „schnell“, „unregelmäßig“ oder „rhythmisch feuernde
Neurone“.
Ruhemembranpotenzial
und Aktionspotenzial
Bernd Fakler, Jens Eilers
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019
R. Brandes et al. (Hrsg.), Physiologie des Menschen, Springer-Lehrbuch
https://doi.org/10.1007/978-3-662-56468-4_6
Ruhemembran- Aktions-
potenzial potenzial
Dendrit
Soma
K+
K+
-70 mV
Axon
Na+
Kv-Kanäle
Nav-Kanäle
Fick Diffusionsgesetz Findet sich ein Molekül oder Ion in Spannung [mV]
höherer Konzentration auf der Außenseite der Zellmembran 0
als auf der Innenseite, kommt es zur Diffusion des Teilchens -90 90
in die Zelle. Die Geschwindigkeit dieses Diffusionsprozesses
wird durch den Strom der Moleküle beschrieben, also die
Anzahl bzw. Stoffmenge n der Teilchen, die pro Zeiteinheit
(meist 1 s) durch eine Flächeneinheit (meist in cm2) der
Membran hindurchtritt. Der Strom ist dabei umso größer, je KCI KCI
150 mM 5 mM
besser sich das Molekül in der Lipidschicht der Zellmembran
löst und je kürzer die Diffusionsstrecke in der Membran ist. NaCl NaCl
5 mM 150 mM
Diese Zusammenhänge fasst das Fick Diffusionsgesetz zu-
sammen:
dm A A
= D ¥ ¥ (ca - ci ) = D ¥ ¥ Dc Gl. 6.1
dt d d
0 0
D ist der Diffusionskoeffizient (Einheit cm2/s) des Moleküls
in der Membran, ci und ca die Innen- und Außenkonzentra- -90 90 -90 90
tionen, A die Membranfläche und d die Dicke der Membran.
Unterschiedliche Moleküle wie Sauerstoff oder Kohlen-
dioxid, Zucker oder Ionen haben sehr unterschiedliche Diffu-
sions-Koeffizienten, die von ihrer Ladung, Größe und Lipid- KCI KCI KCI KCI
löslichkeit abhängen. Die Membrandicke dagegen ist in allen 150 mM 5 mM 150 mM 5 mM
Zellen annähernd gleich (~5 nm). Diffusionskoeffizient und NaCl NaCl NaCl NaCl
Membrandicke werden oft als eine Art Stoffkonstante, die 5 mM 150 mM 5 mM 150 mM
Permeabilität (Einheit cm/s), zusammengefasst, wodurch
K+ Na+
sich Gl. 6.1 vereinfacht:
Cl- K+ Na+ Cl-
dm Cl- Cl-
= P ¥ A ¥ Dc Gl. 6.2
dt
. Abb. 6.2 Diffusionspotenzial. Die Entstehung eines Diffusions-
potenzials an einer Membran, die selektiv für K+ (links) oder Na+ (rechts)
permeabel ist. Zu Beginn (Mitte) gibt es keine Spannung zwischen den
beiden Kompartimenten. Mit dem selektiven Konzentrations-getriebe-
nen Übertritt von K+ bzw. Na+ entsteht eine Ladungstrennung an der
Membran, die eine Spannung hervorruft
6.1 · Grundlagen des Ruhemembranpotenzials
67 6
linken Seite baut einen elektrischen Gradienten auf, der dem zelne Ionenspezies durchlässig ist. Dies ist nur selten der Fall.
konzentrationsgetriebenen Kaliumstrom nach rechts ent- Daher kann man in den meisten Fällen das Membranpoten-
gegenwirkt. Wenn Konzentrationsgradient und elektrischer zial mit dieser Gleichung nur näherungsweise berechnen.
Gradient den gleichen Betrag haben, erreicht der Prozess ein
Gleichgewicht, d. h. es diffundieren pro Zeiteinheit gleich Goldman-Gleichung Eine Möglichkeit für die Berechnung
viele Kalium-Ionen von links nach rechts, wie von rechts nach des Membranpotenzials unter Berücksichtigung mehrerer
links. Die so entstandene Ladungstrennung definiert eine Ionenspezies und entsprechend selektiver Permeabilitäten ist
elektrische Spannung bzw. Potenzialdifferenz zwischen die Goldman-Hodgkin-Katz-(GHK)-Gleichung:
den Kompartimenten, die als Gleichgewichtspotenzial be-
zeichnet wird. Bringt man anstelle der selektiven Permeabi- R ¥T P ¥ [ K + ]a + PNa ¥ [ Na + ]a + PCl ¥ [Cl - ]i
lität für Kalium-Ionen eine für Natrium-Ionen ein, ergibt sich Em = ¥ ln K
F PK ¥ [ K + ]i + PNa ¥ [ Na + ]i + PCl ¥ [Cl - ]a
ein Gleichgewichtspotenzial mit umgekehrtem Vorzeichen.
Gl. 6.5
> Am Gleichgewichtspotenzial sind die Beträge der
chemischen und der elektrischen Triebkraft auf das Ion
gleich; es findet kein Nettostrom statt.
Sie erlaubt die Berechnung des Membranpotenzials für eine
Membran, die für verschiedene Ionen, wie Na+, K+ und Cl–,
Nernst-Gleichung Das Diffusions- bzw. Gleichgewichts- durchlässig ist. Es ist aber zu beachten, dass die Permeabili-
potenzial eines Ions wird durch die Nernst-Gleichung be- täten in komplizierter Weise von der Membranspannung und
schrieben, die sich aus der elektrochemischen Energiediffe- den Ionenkonzentrationen (7 Kap. 4.3) abhängen und sich
renz (Gl. 6.3) ergibt: meist nur näherungsweise bestimmen lassen.
Ê [ Ion a ] ˆ > Die Goldman-Gleichung dient zur Abschätzung des
DG = DG chem + DG elektr = RT ¥ ln Á + zF ¥ U Gl. 6.3
Ë [ Ion i ] ˜¯ aktuellen Membranpotenzials.
-60
6 zial entspricht weitgehend dem Diffusionspotenzial
-80 für Kalium-Ionen und weist in erregbaren Zellen Werte
α = 0,03
-100 zwischen –60 und –90 mV auf. Die dafür notwendige
α = 0,01 Kaliumleitfähigkeit wird durch Kir- und 2-P-Domänen-
-120
Kanäle bestimmt.
-140
-160
-180 α=0
Repolarisation
Klinik
Hyperinsulinämische Hypoglykämie
Symptome Ursachen potenzials bewirkt über die Aktivierung von
Das Hauptsymptom dieser Erkrankung ist Ursache dieser Erkrankung ist ein Defekt Cav1-Kanälen einen Einstrom von Ca2+ und
eine bereits frühkindlich auftretende Ent- des ATP-sensitiven Kaliumkanals KATP eine Sekretion von Insulin-haltigen Vesikeln.
kopplung der Insulinsekretion vom Blut- (7 Kap. 4.3.2), der für die Generierung des Punktmutationen in beiden Untereinheiten
Glukosespiegel, d.h. auch bei niedriger Ruhemembranpotenzials in den β-Zellen von KATP-Kanälen, Kir6 und Sulphonylharn-
Blutglukose wird aus den β-Zellen des Pan- sowie für die Steuerung der Insulinsekre- stoffrezeptor (SUR), führen zu einem Funk-
kreas Insulin freigesetzt und so eine aus- tion verantwortlich ist: Bei erhöhtem tionsverlust des Kanals und damit über eine
geprägte Hypoglykämie hervorgerufen Glukosespiegel werden die KATP-Kanäle dauerhafte Depolarisation des Membran-
bzw. erhalten, die zu schwerer Schädigung durch den Anstieg der intrazellulären potenzials zu einer übermäßigen und
der glukoseabhängigen Neurone des Ge- ATP-Konzentration geschlossen. Die daraus unkontrollierten Sekretion von Insulin.
hirns führt. resultierende Depolarisation des Membran-
6
Repolarisation Entsprechend dem oben dargestellten Ka- tionspotenzial. Die Kanäle, die für diese Leitfähigkeit sorgen,
nal-gating (7 Kap. 4.3), werden die Nav-Kanäle durch die sind als kalziumaktivierte Kaliumkanäle (SK-, BK-Kanäle;
starke Depolarisation innerhalb weniger Millisekunden inak- . Tab. im Anhang) bekannt. Sie werden durch Kalzium-
tiviert, wodurch der Natriumeinstrom in die Zelle beendet ionen, die während des Aktionspotenzials über Cav-Kanäle
wird. Zeitgleich kommt es zu einem starken Anstieg der Ka- in die Zelle einströmen, aktiviert und bleiben so lange offen,
liumleitfähigkeit durch die Kv-Kanäle, deren Öffnungsreak- bis die intrazelluläre Kalziumkonzentration Werte unter
tion im Vergleich zu den Nav-Kanälen verzögert abläuft. Der 100 nM aufweist. Nach Absinken des intrazellulären Kal-
resultierende Kaliumausstrom leitet dann die Repolarisa- ziums (Puffersysteme, Kalziumionenpumpen) unter diese
tionsphase des Aktionspotenzials ein (. Abb. 6.4, . Abb. 6.5). Grenze, was zwischen mehreren 10 ms und wenigen Sekun-
Während der Repolarisation nähert sich das Membranpoten- den (!) dauern kann, schließen die Kanäle wieder und das
zial wieder den Werten von EK, was das Aktionspotenzial be- Membranpotenzial nähert sich den Werten, die vor Einsetzen
endet und zu folgenden gating-Vorgängen führt: des Aktionspotenzials zu beobachten waren.
5 die Kv-Kanäle deaktivieren,
5 die Kir-Kanäle werden deblockiert (Ende des Porenblocks Variation der Aktionspotenzialdauer Der Zeitverlauf des
durch Spermin) und liefern so wieder die für das Ruhe- Aktionspotenzials einer Zelle wird nicht nur von der Anzahl
membranpotenzial notwendige Kaliumleitfähigkeit, und der vorhandenen Kanäle bestimmt, sondern ganz wesentlich
5 die Nav-Kanäle kehren in den aktivierbaren Geschlossen- auch von deren gating-Eigenschaften. So sorgen schnell
Zustand zurück. aktivierende Kv-Kanäle für ein kurzes Aktionspotenzial (ca.
1 ms in verschiedenen zentralen Neuronen), während eine
Refraktärzeit Die Umkehr der Nav-Kanal-Inaktivierung be- langsamere Aktivierung ein länger dauerndes Aktions-
stimmt die Wiedererregbarkeit nach einem Aktionspotenzial: potenzial zur Folge hat (ca. 10 ms in Skelettmuskelzellen).
5 In der absoluten Refraktärzeit (ein Intervall von Treten neben den Nav-Kanäle weitere „Depolarisatoren“ auf,
ca. 2 ms nach Auslösung des ersten Aktionspotenzials) wie die Cav-Kanäle, oder wird die Repolarisation vorwiegend
ist keine erneute Erregung möglich (auch nicht durch von extrem langsam aktivierenden Kv-Kanälen getragen,
einen extrem starken depolarisierenden Stimulus), da kann die Aktionspotenzialdauer wesentlich verlängert wer-
die Nav-Kanäle noch im inaktivierten Zustand sind. den (ca. 300 ms in Herzmuskelzellen; . Abb. 6.6).
5 In der relativen Refraktärzeit, nach der bereits ein Teil
der Nav-Kanäle wieder den aktivierbaren Zustand er-
reicht hat, ist die Reizschwelle erhöht und die Amplitude
des auslösbaren Aktionspotenzials ist reduziert.
Myotonia congenita
Symptome auch nach Ende der neuronalen Erregung der Repolarisationsphase zu einer Erhö-
Diese Muskelerkrankung ist durch eine weiterhin selbstständig Aktionspotenziale hung der extrazellulären K+-Konzentration,
Muskelsteifigkeit bei Willkürbewegungen feuert. Diese elektrische Übererregbarkeit und damit zu einer Depolarisation der
charakterisiert. Patienten werden beim Auf- wird durch einen Defekt des muskulären T-tubulären Membran. Im gesunden Mus-
stehen oder beim Gehen steif, oder können CIC-1 Kanals hervorgerufen, der zu einer kel wird die Depolarisation durch die hohe
nach einem Händedruck diesen nicht mehr Reduktion der Chloridleitfähigkeit in myo- Chloridleitfähigkeit kompensiert. In der
lösen. Die Muskelsteifigkeit löst sich bei tonen Muskelfasern führt. Die Skelettmus- myotonen Muskulatur fehlt diese Leitfähig-
Wiederholung der Bewegung, weshalb kulatur weist im Unterschied zu den meis- keit und die T-tubuläre Kaliumakkumulation
die Patienten meist nur geringgradig be- ten erregbaren Zellen eine stark ausgepräg- depolarisiert auch die oberflächliche Mem-
einträchtigt sind. te Chloridleitfähigkeit auf, die zwar keinen bran. Die Konsequenz ist eine Nachdepola-
großen Beitrag zum Ruhemembranpoten- risation, die bei entsprechender Amplitude
Ursachen zial leistet, es jedoch stabilisiert: Im T-Tubu- neue Aktionspotenziale auslösen kann.
Die Ursache für diese Muskelsteifigkeit be- lus kommt es bei Serien von Aktionspoten-
steht darin, dass die myotone Muskelfaser zialen durch den Ausstrom von K+ während
Literatur
In Kürze
Das Aktionspotenzial ist eine kurzzeitige Änderung der Ashcroft FM (2000) Ion channels and disease. Academic Press, London
Membranspannung auf Werte bis zu 40 mV und kann Hille B (2001) Ion channels of excitable membranes, 3rd ed. Sinauer,
Sunderland
in vier Phasen unterteilt werden: (1) Initiationsphase:
IUPHAR Compendium of voltage-gated ion channels 2015/16 (2015).
Depolarisierender Kationeneinstrom durch einen äuße- Br J Pharmacol 172: 5870–5955
ren Reiz blockiert die Kir-Kanäle (Sperminblock), (2) De- Kandel ER, Schwartz JH, Jessell TM, Siegelbaum SA, Hudspeth AJ (2013)
polarisation (Aufstrich und overshoot): Starke Depola- Principles of neural science. McGraw-Hill, New York
risation des Membranpotenzials durch Aktivierung der Zheng J, Trudeau MC (2015) Handbook of ion channels. CRC Press, Boca
Raton
Nav- Kanäle und den damit verbundenen Natriumein-
strom, (3) Repolarisation: Inaktivierung der Nav-Kanäle
und Aktivierung der Kv-Kanäle, die einen Kaliumaus-
strom tragen; die Repolarisation bewirkt auch die De-
blockierung der Kir-Kanäle und die Rückkehr der Nav-
Kanäle in den aktivierbaren Zustand, (4) Nachhyperpo-
larisation (in zentralen Neuronen): Kurzzeitiger Anstieg
der Kaliumleitfähigkeit nach einem Aktionspotenzial
durch Aktivierung kalziumgesteuerter Kaliumkanäle.
Aktionspotenzial: Fortleitung im Axon
Peter Jonas
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019
R. Brandes et al. (Hrsg.), Physiologie des Menschen, Springer-Lehrbuch
https://doi.org/10.1007/978-3-662-56468-4_7
. Abb. 7.1a,b Molekulare und strukturelle Faktoren der schnellen myelinisierten Axon gleichmäßig verteilt, bei myelinisierten Axonen da-
Aktionspotenzialleitung im Axon. a In Invertebraten (z. B. beim Tinten- gegen an den Ranvier-Schnürrigen (Unterbrechungen der Markscheide)
fisch) begünstigt der hohe Axondurchmesser die schnelle Fortleitung des konzentriert. Trägt man die für die Fortleitung des Aktionspotenzials be-
Aktionspotenzials. b In Vertebraten (z. B. bei Säugern und auch beim nötigte Zeit gegen die zurückgelegte Strecke auf, so ergibt sich eine konti-
Menschen) begünstigt die Ausbildung einer Markscheide die schnelle nuierliche Fortleitung bei der nichtmyelinisierten Faser, aber eine sprung-
Fortleitung. Die spannungsgesteuerten Na+- und K+-Kanäle sind im nicht- hafte Leitung bei der myelinisierten Faser
7.1 · Die passiven Eigenschaften des axonalen Kabels
73 7
7.1 Die passiven Eigenschaften von spezifischem Membranwiderstand (Einheit: Ω cm2 ) und
des axonalen Kabels spezifischer Membrankapazität (Einheit: F cm −2 ). Bei der
Multiplikation von spezifischem Membranwiderstand und
7.1.1 Eigenschaften des sphärischen spezifischer Membrankapazität kürzen sich die Flächen
Zellkörpers einheiten heraus, sodass man im Ergebnis eine Zeiteinheit
erhält.
Der Zellkörper kann durch einen Kondensator und einen
> Die Membranzeitkonstante ergibt sich als Produkt von
Widerstand repräsentiert werden.
Membranwiderstand und Membrankapazität.
Elektrischer Signalfluss im biologischen Kabel Ein Axon be
steht aus einem zylindrischen Zytoplasmaschlauch und einer
umgebenden Plasmamembran. Es bildet somit ein „biolo 7.1.2 Eigenschaften des Axonkabels
gisches Kabel“. Der elektrische Signalfluss in einem solchen
Kabel ist bereits recht kompliziert; wir müssen daher bei Ein zylindrisches Axon kann als eine Serie von Kondensatoren
der Analyse vereinfachend vorgehen. Erstens ist es sinnvoll, und Widerständen aufgefasst werden.
die aktiven Leitfähigkeiten zunächst komplett aus der Unter
suchung herauszunehmen. Wir bezeichnen die resultierende Zylindrischer Fortsatz Als nächstes betrachten wir eine
Struktur auch als „passiv“. Zweitens ist es hilfreich, die Struk passive, zylindrische Struktur, die beispielsweise einem hypo
tur so zu vereinfachen, dass sie durch eine möglichst geringe thetischen Axon ohne Ionenkanäle entsprechen könnte
Zahl von Kondensatoren und Widerständen repräsentiert (. Abb. 7.2b). Der Zeitverlauf der Spannungsänderung bei
werden kann. Injektion eines rechteckförmigen Strompulses unterscheidet
sich von dem in der sphärischen Zelle mit gleichen Mem
Sphärischer Zellkörper Damit sind wir beim einfachsten braneigenschaften. Der Zeitverlauf ist einerseits nicht mehr
denkbaren Fall: einer passiven, sphärischen Struktur, die bei einfach exponentiell, andererseits ortsabhängig.
spielsweise einem Zellkörper entsprechen könnte (. Abb. 7.2a).
Injiziert man an einer solchen Zelle einen rechteckförmigen Aufladecharakteristik Dabei kann man die Veränderungen
Reizstrom, so führt dies zu einer exponentiellen Aufladung gegenüber der sphärischen Struktur folgendermaßen zusam
während der Strominjektion und zu einer exponentiellen Ent menfassen:
ladung nach der Strominjektion. 1. Unmittelbar am Reizort ist die Aufladecharakteristik
steiler als an der sphärischen Struktur.
Aufladecharakteristik Da das Membranpotenzial an allen 2. Mit zunehmender Entfernung vom Reizort wird die
Stellen der Membran zu einem gegebenen Zeitpunkt gleich ist Aufladecharakteristik flacher und beginnt gegenüber
(man spricht auch von einer isopotenzialen Situation), ist eine dem Reiz mit einer Verzögerung.
quantitative Analyse der Spannungsänderung sehr einfach.
Wir können die Zellmembran als ein einzelnes Kondensator- Mit zunehmender Entfernung vom Reizort wird die maxi
Widerstands-Element repräsentieren (. Abb. 7.2a). Der Kon male Amplitude immer geringer. Im Gegensatz zu einem
densator würde der Lipiddoppelschicht entsprechen, und der elektrischen Kabel finden wir also beim biologischen Kabel
Widerstand den in der Membran enthaltenen Leckkanälen. sowohl eine Verzögerung als auch einen Amplitudenverlust
Die Änderung des Membranpotenzials ∆E als Funktion der des zu leitenden Signals (. Abb. 7.2b).
Zeit t ist exponentiell, folgt also der Beziehung Um die Spannungsänderungen an einem solchen Kabel
quantitativ zu analysieren, muss man das Kabel als eine Serie
DE ( t ) = DE max (1 - e - t / t ) (Aufladung) bzw. (7.1) von KondensatorWiderstandsElementen repräsentieren, die
über Widerstände miteinander verbunden sind (. Abb. 7.2b).
DE ( t ) = DE max e - t /t (Entladung), (7.2) Dabei entspricht der Kondensator wieder der Lipiddoppel
schicht. Der Widerstand jedes Elements ist ein Maß für die
wobei ∆Emax die maximale Spannungsänderung darstellt. enthaltenen Leckkanäle. Der Widerstand zwischen den Ele
t wird als Membranzeitkonstante bezeichnet. Die Mem menten entspricht dem intrazellulären Widerstand, der durch
branzeitkonstante ist also die Zeit, in der das Membranpoten das Zytoplasma gebildet wird.
zial auf den Bruchteil 1 − 1 / e ≈ 63% (e = Eulersche Zahl) des
Maximalwertes ansteigt (Aufladephase) bzw. auf den Bruch Längskonstante Ein komplexer Zusammenhang ergibt sich
teil 1 / e ≈ 37% abfällt (Entladephase). zwischen dem lokalen Membranpotenzial einerseits und
dem räumlichen („Ort“) und zeitlichen („Zeit“) Abstand zur
Membranzeitkonstante In dem beschriebenen einfachen Strominjektion. Der Zusammenhang zwischen der maxi
Fall ergibt sich die Membranzeitkonstante als τ = R m C m , malen Amplitude der Spannungsänderung (Emax) und dem
wobei R m den Membranwiderstand und C m die Membran- Ort (x) lässt sich dagegen durch eine Exponentialfunktion
kapazität repräsentieren. Dabei werden die beiden Größen darstellen.
oft auf die Membranfläche normalisiert. Man spricht dann
74 Kapitel 7 · Aktionspotenzial: Fortleitung im Axon
Em
folgerungen ableiten:
1. Bei konstantem Rm und Ri ist die Längskonstante l pro
portional zur Wurzel des Faserradius a ; einfach gesagt,
τ je größer der Radius, desto größer die Längskonstante
des Kabels und damit die Reichweite des elektrischen
Signals.
0 50 100 150 200
2. Bei konstantem a ist die Längskonstante l proportional
Zeit nach Beginn des Stromflusses [ms]
zur Wurzel des Verhältnisses R m / R i ; hieraus ergibt
sich: je größer der Membranwiderstand im Verhältnis
zum intrazellulären Widerstand, desto größer ist die
b außen Reichweite des elektrischen Signals.
> Die Längskonstante hängt von Axonradius, Membran-
widerstand und intrazellulärem Widerstand ab.
innen
∆i E0 E1 E2
Leitungsgeschwindigkeit Die Grundgrößen des biologi
schen Kabels, Membranzeitkonstante und Längskonstante,
bestimmen zusammen die Geschwindigkeit der passiven Lei-
„Kabel” tung. Diese ergibt sich näherungsweise als
(Dendrit
oder Axon)
v ª 2l / t . (7.5)
x0 x1 x2
x = Abstand zwischen Elektroden [mm]
Da die Längskonstante l proportional zur Wurzel des Faser
radius a ist, muss auch die passive Leitungsgeschwindig-
depolarisierender Strom ∆ i keit proportional zur Wurzel des Faserradius a sein. Je
größer also der Radius des biologischen Kabels, desto größer
E0 E1 E2 die passive Leitungsgeschwindigkeit.
Emax
Emax
Emax
0 50 100 0 50 100 0 50 100 . Abb. 7.2a,b Auflade- und Entladevorgänge an passiven Struk-
Zeit nach Beginn des Stromflusses [ms] turen. a Passive Aufladecharakteristik einer sphärischen Zelle. Bei Injek-
tion eines depolarisierenden Reizstromes ändert sich das Membran-
potenzial in exponentieller Weise (τ, Membranzeitkonstante). b Passive
Emax
Aufladecharakteristik eines Kabels. Bei Injektion eines depolarisierenden
E0 Potenzialänderung Reizstromes am Ort x0 ist die resultierende Spannungsänderung orts-
nach langem Stromstoß abhängig und nicht mehr einfach exponentiell. Am Ort der Injektion ist
die Aufladung schneller als in einer sphärischen Struktur mit identischen
E1 Membraneigenschaften. Mit zunehmender Entfernung vom Injektions-
E2 ort wird die maximale Spannungsänderung immer geringer. Die Abhän-
λ
gigkeit der maximalen Spannungsänderung von der Entfernung wird
0 1 2 3 4 5 6 durch eine Exponentialfunktion beschrieben, deren Abnahmekonstante
x [mm] die Längskonstante (λ) des Kabels ist
7.2 · Das axonale Aktionspotenzial und die zugrundeliegenden Na+- und K+-Leitfähigkeiten
75 7
> Längskonstante und passive Leitungsgeschwindigkeit Aktionspotenzial bei überschwelliger Reizung Erhöht man
sind proportional zur Wurzel des Faserradius. die Reizintensität, so ändert die Membran fundamental ihre
Eigenschaften. Bei einer gerade noch unterschwelligen Reiz
Bei allen bisherigen Überlegungen wurde ein hypothetisches intensität kommt es zunächst zu einer Abweichung von der
Axon betrachtet, das nur aus Kondensatoren und Wider exponentiellen Auflade und Entladecharakteristik, die man
ständen zusammengesetzt ist. Man bezeichnet eine solche als lokale Antwort bezeichnet. Jede weitere Erhöhung der
Struktur als passiv. In der Tat verhalten sich manche Dendri Reizintensität führt zur Auslösung eines Aktionspotenzials
ten als passive Kabel, sodass man die Gesetzmäßigkeiten der (. Abb. 7.3b, c). Dabei liegt der Schwellenwert für die Aus
Kabeltheorie hier unmittelbar anwenden kann. lösung des Aktionspotenzials, relativ unabhängig vom Typ
Echte Axone verhalten sich jedoch nicht passiv, sondern des Neurons, bei ca. −50 mV. Amplitude und Zeitverlauf des
aktiv. Sie sind mit spannungsgesteuerten Na+ und K+Kanä Aktionspotenzials im Axon sind relativ unabhängig von
len bestückt. Die Regeln der passiven Kabeltheorie beschrei Reizintensität und Reizdauer. Diese Konstanz wird aus histo
ben die Verhältnisse daher in den meisten Axonen unzurei rischen Gründen auch als Alles-oder-Nichts-Gesetz be
chend. Der Zusammenhang zwischen Leitungsgeschwin zeichnet. Im Computerzeitalter bezeichnet man das axonale
digkeit und Faserradius (v ~ a ), den wir für den passiven Aktionspotenzial auch als „digitales“ Signal.
Fall abgeleitet hatten, gilt jedoch näherungsweise auch für
den aktiven Fall: dicke Faser = schnelle Leitung, dünne Faser Dauer des Aktionspotenzials Das Aktionspotenzial in Axo
= langsame Leitung (7 Abschn. 7.3). nen ist extrem kurz; die Gesamtdauer beträgt ca. 1 ms (zum
Vergleich: das Aktionspotenzial des Skelettmuskels ist ca. 10 ms
und das Aktionspotenzial des Herzmuskels (Arbeitsmyokard)
In Kürze
ca. 300 ms lang (7 Kap. 6.2). Es kann in folgende Phasen unter
Membranzeitkonstante und Längskonstante sind wich-
gliedert werden:
tige Kenngrößen der Erregungsausbreitung im Axon.
1. der Aufstrich (die Phase zwischen der Schwelle und dem
Die Membranzeitkonstante ergibt sich als das Produkt
Maximum des Aktionspotenzials),
von Membranwiderstand und Membrankapazität und
2. der „Overshoot“ (die Phase, in der das Membranpoten
bestimmt den Zeitverlauf von Auf- und Entladung der
zial positiv ist) und
Membran. Die Längskonstante des Axons wird durch
3. die Repolarisation.
Radius, Membranwiderstand und intrazellulären Wider-
stand bestimmt und definiert die Reichweite der elek-
Je nach Zelltyp kann die Rückkehr zum Ruhepotenzial direkt
trischen Signale. Längskonstante und Membranzeit-
sein oder über eine transiente Nachhyperpolarisation oder
konstante bestimmen gemeinsam die Ausbreitungsge-
Nachdepolarisation erfolgen (. Abb. 7.3c).
schwindigkeit von Aktionspotenzialen im Axon.
> Aktionspotenziale im Axon sind besonders kurz. Dies
erlaubt eine effiziente Informationskodierung.
Aktionspotenziale im Axon sind digitale Signale kurzer Dauer Permeabilitäten Welche Mechanismen liegen dem Aktions
(<1 ms). potenzial zugrunde? In klassischen Experimenten am Riesen
axon des Tintenfisches konnten Hodgkin und Huxley (1952)
Was geschieht nun, wenn das Axon aktive Eigenschaften be zeigen, dass sich die Na+ und K+Leitfähigkeit bzw. Per
sitzt, also spannungsgesteuerte Na+ und K+Kanäle enthält? meabilität der Membran während des Aktionspotenzials
Zur Erinnerung: Im passiven Fall kommt es zu einer nähe dramatisch verändert (. Abb. 7.3c, d). Während in der ruhen
rungsweise exponentiellen Aufladung während der Strom den Nervenzelle das gNa/gKLeitfähigkeitsverhältnis bzw. PNa/
injektion und zu einer näherungsweise exponentiellen Ent PKPermeabilitätsverhältnis ≈ 0.05 ist, steigt es während des
ladung nach der Strominjektion (7 Abschn. 7.1). Im aktiven Aufstrichs des Aktionspotenzials steil an und beträgt
Fall ist bei geringer Reizstärke das Antwortverhalten zunächst am Maximum ≈ 10. Setzt man diesen Wert in die Goldman
noch ähnlich: die Auf und Entladung zeigt eine näherungs Gleichung ein (7 Kap. 6.1), so erhält man ein Membranpoten
weise exponentielle Charakteristik (. Abb. 7.3b, c). zial von +45 mV, das mit der Amplitude des Overshoots gut
übereinstimmt.
76 Kapitel 7 · Aktionspotenzial: Fortleitung im Axon
Reizstrom
zials. Na+-Kanal-Inaktivierung und K+-Kanal-Aktivierung führen aus der
positiven Rückkopplungsschleife heraus. Dies führt zur Repolarisation
und Beendigung des Aktionspotenzials. (Nach Hodgkin und Huxley 1952)
0 1 2 3 4 5
Zeit [ms]
Membranpotenzial [mV]
keit (d. h. Aktivierung von spannungsgesteuerten „Overshoot”
Na+Kanälen), die 0
2. das Membranpotenzial weiter in Richtung des Repolarisation
Aufstrich
Na+Gleichgewichtspotenzials (ENa) verschiebt. Diese Schwellen-
Depolarisation führt potenzial
lokale
3. zu einer weiteren Zunahme der Na+Leitfähigkeit Antwort
(d. h. einer zusätzlichen Aktivierung von Na+Kanälen), VRuhe
-80
sodass sich die Depolarisation weiter beschleunigt.
V [mV]
20 g 50
Aktionspotenzial, so ist die erneute Auslösung erschwert. In
15 40
der absoluten Refraktärphase (innerhalb eines Intervalls gNa 30
von ca. 2 ms nach Auslösung des ersten Aktionspotenzials) ist 10
20
das Neuron unerregbar (selbst durch extrem hohe depolari 5 gK 10
sierende Strominjektionen). In der nachfolgenden relativen 0 0
-10
Refraktärphase ist die Reizschwelle erhöht, während die
AktionspotenzialAmplitude reduziert ist. Die Refraktärität 0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4
t [ms]
kommt dadurch zustande, dass die Na+Leitfähigkeit wäh
rend des Aktionspotenzials inaktiviert und sich nur langsam e Depolarisation
von dieser Inaktivierung erholt.
Damit hat die Inaktivierung der Na+Leitfähigkeit eine
Doppelfunktion. Einerseits führt sie zur zeitlichen Begren
zung des Aktionspotenzials, andererseits „schützt“ sie die Na+-Kanal-
Membran vor einer vorzeitigen Neuerregung. Refraktärität Aktivierung
vermeidet unter anderem eine Reflexion von Aktionspotenzi Na+-Kanal-Inaktivierung
alen an den Endpunkten des Axons. Die Dauer der Refraktär K+-Kanal-Aktivierung
phase ist eng mit der Dauer des Aktionspotenzials korreliert:
Kurze Aktionspotenzialdauer – kurze Refraktärzeit, lange
Aktionspotenzialdauer – lange Refraktärzeit. Somit ermög 7.2.3 Axonale Ionenkanäle
licht die kurze Dauer des axonalen Aktionspotenzials nicht
nur die zuverlässige Übertragung von einzelnen Aktions Die Erregbarkeit des Axons wird durch drei Ionenkanaltypen
potenzialen, sondern auch von hochfrequenten Aktions bestimmt: spannungsabhängige Na+-Kanäle, spannungsab-
potenzialsalven. hängige K+-Kanäle und spannungsunabhängige „Leckkanäle“.
> Am Axon gilt: Kurze Aktionspotenzialdauer – kurze In den verschiedenen Zellen des menschlichen Organismus
Refraktärzeit. wird eine Vielzahl von Ionenkanälen exprimiert. Im Axon sind
7.3 · Fortleitung des Aktionspotenzials im Axon
77 7
Klinik
Lokalanästhetika
Klinischer Einsatz Substanzen zu seiner Bindungsstelle im zentralen Be-
Zahlreiche Pharmaka und Toxine wirken Strukturell handelt es sich um Amine, deren reich der Pore gelangen. Dies ist nur mög-
über Hemmung von spannungsgesteuerten pKa-Wert bei ≈ 7 liegt. Bei pH-Werten > 7 lich, wenn es in geladener Form vorliegt
Na+-Kanälen des Axons. Lokalanästhetika sind sie weitgehend ungeladen, bei pH- und gleichzeitig der Na+-Kanal im offenen
sind prototypische Blocker von spannungs- Werten < 7 überwiegend einfach positiv Zustand ist (die Bindungsstelle liegt zwi-
gesteuerten Na+-Kanälen. Sie verhindern bei geladen. Beispiele sind Lidocain, Procain, schen Selektivitätsfilter und Tormechanis-
lokaler Applikation die Fortleitung des Akti- Tetracain und Benzocain. mus). Dies erklärt die Aktivitätsabhängig-
onspotenzials im Axon. Sensible Informati- keit der Na+-Kanal-Blockierung bei man-
on, wie Schmerz, wird nicht mehr zum Rü- Molekularer Wirkmechanismus chen Lokalanästhetika. Neben dem hydro-
ckenmark geleitet, motorische Information Der Weg des Lokalanästhetikums an seine philen Weg des Lokalanästhetikums durch
nicht mehr in die Peripherie. Folge ist neben Bindungsstelle ist komplex: 1. Bei extrazel- die Pore gibt es einen lipophilen Weg durch
einer schlaffen Lähmung ein Ausfall der lulärer Applikation (wie zum Beispiel bei die Kanalwand, über den das Lokalanästhe-
Sensibilität und eine komplette Analgesie einer Leitungsanästhesie) muss das Lokal- tikum den Kanal im geschlossenen Zustand
(Schmerzlosigkeit). Systemisch angewandt anästhetikum zunächst durch die Membran wieder verlassen kann.
finden Na+-Blocker als Klasse-I-Antiarrhyth- hindurch. Dies geschieht in ungeladener
mika am Herzen Verwendung (7 Kap. 16.1). Form. 2. Das Lokalanästhetikum muss dann
es dagegen im Wesentlichen drei Ionenkanaltypen: span tremfall kann ein Axon bis zu zwei Meter lang sein. Daher
nungsgesteuerte Na+Kanäle, spannungsgesteuerte K+Ka stellt sich die Frage, wie elektrische Signale im Axon über
näle, und spannungsunabhängige „Leckkanäle“. große Distanzen geleitet werden. Zunächst müssen wir aber
5 Spannungsgesteuerte Na+Kanäle: im Axon bilden vor fragen, wo der Ausgangspunkt der Erregung liegt.
allem die Typen Nav1.1, Nav1.2 und Nav1.6Kanäle
die molekulare Basis der Na+Leitfähigkeit im schnellen Ort der Aktionspotenzialinitiation Unter experimentellen
Aufstrich des Aktionspotenzials. Bedingungen liegt der AktionspotenzialInitiationsort direkt
5 Spannungsgesteuerte K+Kanäle: im Axon vermitteln an der Reizelektrode. Dies ist zum Beispiel in Experimenten
insbesondere Kv1 = KCNA, Kv3 = KCNC und mit isolierten Axonen der Fall (. Abb. 7.3). In der physiologi
Kv7 = KCNQ (7 Kap. 6.2) die Zunahme der K+Leitfähig schen Situation ist der auslösende Reiz durch erregende post
keit in der Repolarisationsphase des Aktionspotenzials. synaptische Potenziale gegeben, die am Dendritenbaum des
5 Spannungsunabhängige K+Kanäle. Diese auch als „Leck Neurons eingehen. Wo liegt der AktionspotenzialInitiations
kanäle“ bezeichneten Proteine werden vom Typ KCNK ort unter diesen Bedingungen? Mithilfe von gleichzeitiger
gebildet. Sie generieren im Wesentlichen die K+Leit Ableitung von mehreren Punkten der Zelle kann man die
fähigkeit der axonalen Membran in Ruhe. Sie sind nicht räumlichzeitliche Sequenz der Aktionspotenzialausbreitung
oder nur wenig spannungsabhängig. Da die Kanäle exakt vermessen. Der Ort, an dem das Aktionspotenzial
selektiv für K+Ionen durchlässig sind, tragen sie erheb am frühesten auftritt, ist dann der Ort der Aktionspotenzial
lich zur Ausbildung des Ruhepotenzials des Axons bei. Initiation. Er liegt i. d. R. im Axon-Initialsegment, in einer
Entfernung von 20–50 µm vom Soma (. Abb. 7.4a–c).
In Kürze
Mechanismen der Aktionspotenzialinitiation und ihrer räum-
Aktionspotenziale im Axon sind von kurzer Dauer. Für den
lichen Präferenz Warum tritt die Aktionspotenzialinitiation
Aufstrich spielen spannungsgesteuerte Na+-Kanäle, für
mit hoher Präferenz im AxonInitialsegment auf? Drei Fakto
die Repolarisation spannungsgesteuerte K+-Kanäle eine
ren sind entscheidend. Der erste wichtige Faktor ist die Längs-
entscheidende Rolle. Spannungsunabhängige „Leckka-
konstante des Axons. Wenn erregende postsynaptische
näle“ sind für die Ausbildung des Ruhepotenzials wichtig.
Potenziale (EPSPs) am Dendritenbaum der Zelle auftreten,
durch räumliche und zeitliche Summation „integriert“ werden
und in das Axon einlaufen, wird die Amplitude immer weiter
abgeschwächt. Die Aktivierung der Na+Kanäle ist also in
7.3 Fortleitung des Aktionspotenzials proximalen (somanahen) Anteilen des Axons effektiver als in
im Axon distalen (somafernen) Anteilen. Zweitens ist die Na+-Kanal-
dichte im AxonInitialsegment höher als am Soma und im
7.3.1 Aktionspotenzialinitiation distalen Axon (. Abb. 7.4d–f). Obwohl das quantitative Aus
maß des Dichteunterschiedes unklar ist, begünstigt eine
Das Aktionspotenzial wird im Axon-Initialsegment ausgelöst. hohe Kanaldichte die Aktionspotenzialinitiation. Drittens un
terscheidet sich das Schaltverhalten der Na+Kanäle des
Im Nervensystem liegen die Zellkörper von miteinander AxonInitialsegmentes von denen des benachbarten Somas.
kommunizierenden Neuronen oft weit auseinander. Im Ex Bei den axonalen Na+Kanälen ist die Aktivierungskurve
78 Kapitel 7 · Aktionspotenzial: Fortleitung im Axon
a b c 200
∆t
100
Soma
Latenz ∆t [µs]
10 mV 0
proximales
Axon
-100
d -200
Soma
100 µs
-300
distales -20 0 20 40 60 80 100
Axon
Distanz d vom Soma [µm]
d e f
7 3000
Soma
µs Axon
präsynaptischer
. Abb. 7.4a–f Aktionspotenzialinitiation im Axon-Initialsegment. elektrode liegt. c Latenz zwischen axonalem und somatischem Signal
a Ableitung elektrischer Signale vom Soma und Axon eines Prinzipalneu- gegen die Distanz an einer Körnerzelle im Hippokampus. Der Ort der
rons. Eine Patch-Pipette befindet sich am Soma, die andere am Axon. Aktionspotenzialinitiation entspricht dem Punkt minimaler Latenz. Er ist
b Ableitung von einem proximalen (oben) und distalen Axonabschnitt ca. 20 µm vom Soma entfernt. d Quantitative Analyse der Na+-Kanaldichte
(unten) eines Pyramidenneurons in Schicht 5 des Neokortexes. Das Span- an isolierten Membranpatches. e Na+-Ströme an isolierten Membran-
nungssignal im Axon (rot) und das zeitgleich abgeleitete Signal im Soma patches, die von axonalen (rot) und somatischen Stellen (blau) isoliert
(blau) sind überlagert dargestellt. Im proximalen Axon tritt das axonale wurden. f Na+-Leitfähigkeit als Funktion der Distanz. (Nach Kole et al.
Aktionspotenzial vor dem somatischen Aktionspotenzial auf. Dies zeigt, 2007; Kole und Stuart 2012; Schmidt-Hieber et al. 2008; Schmidt-Hieber
dass der Aktionspotenzial-Initiationsort in der Nähe der axonalen Ableit- und Bischofberger 2010)
um ca. 10 mV zu negativen Membranpotenzialen verschoben unerregten Membranarealen führt. Dies resultiert in einer Aus
und die Kinetik der Aktivierung erfolgt schneller. Beide Fak breitung der Erregungsfront über das Axon (. Abb. 7.5a, b).
toren begünstigen die Aktivierung der Kanäle und somit die
Aktionspotenzialinitiation im Axon. Membranstromprofil Damit besteht das Membranstrom
profil des kontinuierlich fortgeleiteten Aktionspotenzials aus
> Die Aktionspotenzialinitiation eines Neurons erfolgt
drei Abschnitten (. Abb. 7.5b):
im Axon-Initialsegment.
1. einem zentralen Einwärtsstrombereich, der durch
spannungsabhängige Na+Kanäle getragen wird.
2. einem in Fortleitungsrichtung vor dem Aktionspotenzial
7.3.2 Kontinuierliche Erregungsleitung im liegenden Auswärtsstrombereich, der durch Umladung
marklosen Axon der Membrankapazität bedingt ist.
3. einem in Fortleitungsrichtung hinter dem Aktions
Marklose Axone leiten das Aktionspotenzial kontinuierlich. potenzial befindlichen Auswärtsstrombereich, der
durch spannungsgesteuerte K+Kanäle getragen wird.
Ist das Axon marklos, so breitet sich das Aktionspotenzial von
der Initiationsstelle her kontinuierlich aus. Dabei bildet sich Zwischen dem Einwärtsstrombereich und den Auswärts
zwischen erregten und benachbarten unerregten Membran strombereichen bilden sich längs gerichtete (d. h. axiale)
arealen ein längs gerichteter Stromfluss aus, der zur Depola Stromschleifen aus, die im Axoplasma und im extrazellulären
risation der unerregten Membranbereiche führt. Dadurch Flüssigkeitsraum verlaufen. Die Ladungsträger für diesen
kommt es zu einer Aktivierung von spannungsgesteuerten Stromfluss sind die in der intra und extrazellulären Flüssig
Na+Kanälen, die zu einer weiteren Depolarisation von vormals keit enthaltenen Ionen.
7.3 · Fortleitung des Aktionspotenzials im Axon
79 7
Aktive Leitungsgeschwindigkeit Wie bei der passiven Lei Segmente unterscheiden sich fundamental von denen der
tungsgeschwindigkeit ist auch die aktive Leitungsgeschwin- RanvierSchnürringe. Bezüglich der aktiven Eigenschaften
digkeit bei der kontinuierlichen Leitung näherungsweise lassen sich die Unterschiede wie folgt zusammenfassen:
proportional zur Wurzel des Faserradius a . Damit ergibt Die axonalen spannungsgesteuerten Na+Kanäle unterliegen
sich die Grundregel: dicke Faser – schnelle Leitung, dünne einer nahezu absoluten Segregation. Im nodalen Bereich
Faser – langsame Leitung. Eine besonders dicke Nervenfaser des Axons ist die Na+-Kanaldichte extrem hoch (≈ 1000 Ka
ist das sog. „Riesenaxon“ des Tintenfisches, dessen Durch näle µm−2). Im paranodalen und internodalen Bereich des
messer fast 1 mm beträgt. Der obigen Regel folgend hat Axons fehlen die Na+Kanäle dagegen weitgehend.
dieses eine hohe Leitungsgeschwindigkeit (ca. 20 m s–1). Beim Die spannungsgesteuerten K+-Kanäle zeigen eine relative
Menschen haben marklose Axone einen Durchmesser von Segregation. Im nodalen Bereich ist die Dichte gering, im
ca. 1 µm. Damit ist die Leitungsgeschwindigkeit auf einen paranodalen und internodalen Bereich dagegen sehr hoch.
Wert von ca. 1 m s–1 beschränkt (. Tab. 7.1, . Tab. 7.2). Die funktionelle Bedeutung dieser unter der Markscheide
versteckten K+Kanäle ist nicht ganz klar. Am Säugeraxon
> Die Leitungsgeschwindigkeit in marklosen Axonen ist
fehlen die spannungsgesteuerten K+Kanäle am Ranvier
proportional zur Wurzel des Faserradius.
Schnürring weitgehend. Dagegen kommen langsam aktivie
rende KCNQKanäle und spannungsunabhängige K+Kanäle
(Leckkanäle) in der Nähe des RanvierSchnürrings vor. Die
7.3.3 Saltatorische Erregungsleitung im Termination des Aktionspotenzials wird zum großen Teil
myelinisierten Axon durch Na+-Kanalinaktivierung vermittelt. Eine Repolarisa
tion über diesen Mechanismus erhöht im Vergleich zur
Myelinisierte Axone leiten Aktionspotenziale saltatorisch mit Repolarisation durch K+Kanalaktivierung die energetische
erheblich gesteigerter Geschwindigkeit. Effizienz, reduziert also die metabolische Energie, die pro
Aktionspotenzial benötigt wird.
Leitungsgeschwindigkeiten können durch Myelinisierung
der Axonen massiv gesteigert werden (. Abb. 7.5c, d). Myelin Eigenschaften des internodalen Segments Die passiven
scheiden, auch als Markscheiden bezeichnet, werden durch Eigenschaften dieses Bereichs, Kapazität und Membran
Gliazellen gebildet (Schwannzellen im peripheren Nerven widerstand, unterscheiden sich erheblich von denen der
system, Oligodendrozyten im Zentralnervensystem). Diese RanvierSchnürringe. Die spezifische internodale Kapazität
„wickeln“ sich in der Embryonalentwicklung des Nerven ist um einen Faktor von ca. 250 geringer. Dies erklärt sich da
systems um das Axon, stark vereinfacht wie beim Aufrollen durch, dass durch die Markscheide der leitende Intrazellulär
eines Teppichs. Die Markscheide wird aus ca. 100 dieser Wick und Extrazellulärraum weit voneinander getrennt sind. Ob
lungen gebildet, wobei das Zytoplasma der Schwannzellen/ wohl die Länge des internodalen Segmentes um ein vielfaches
Oligodendrozyten weitgehend verdrängt wird. Die Mark höher ist als die des nodalen Abschnittes, sind die absoluten
scheide ist in regelmäßigen Abständen unterbrochen. Die Werte der Kapazitäten fast gleich (Cinternodal = 2–4 pF; Cnodal =
Unterbrechungen werden als RanvierSchnürringe bezeich 0.6–1 pF). 2. Der spezifische radiale internodale Widerstand ist
net, die dazwischen gelegenen Segmente als internodale im Vergleich zum RanvierSchnürring um einen Faktor von
Segmente. Im Bereich der RanvierSchnürringe steht die ≈ 8000 größer. Beides wirkt sich auf die Fortleitung des Ak
Plasmamembran des Axons also direkt mit dem extrazellu tionspotenzials über das internodale Segment günstig aus: da
lären Raum in Verbindung. Im Bereich der Internodien ist nur wenig Ladung im internodalen Segment abfließt, gelangt
die Plasmamembran des Axons von einer „Isolationsschicht“ viel Ladung zum nächsten RanvierSchnürring.
bedeckt.
Leitungsgeschwindigkeit Die Leitungsgeschwindigkeit an
Räumliche Trennung passiver und aktiver Leitungsmecha- myelinisierten Fasern kann, in Abhängigkeit vom Fasertyp,
nismen Die schnelle Leitung wird durch Kombination von bis zu 100 m s1 betragen. Die hohe Leitungsgeschwindigkeit
aktiven und passiven Leitungsmechanismen realisiert. Im ist eine unmittelbare Konsequenz der Myelinisierung. Hat
Gegensatz zum nichtmyelinisierten Axon, in dem aktive ein Aktionspotenzial einen RanvierSchnürring erreicht,
(Aktivierung von spannungsgesteuerten Na+Kanälen) und dann bildet sich ein längs gerichteter (d. h. axialer) Strom-
passive (Aufladung der Membrankapazität) Leitungsmecha fluss zum benachbarten RanvierSchnürring aus, der diesen
nismen parallel ablaufen, sind diese bei den myelinisierten depolarisiert. Durch die spezifischen Eigenschaften des inter
Fasern sowohl zeitlich als auch räumlich voneinander ge nodalen Segmentes (hoher spezifischer Widerstand, geringe
trennt. Die aktiven Prozesse sind auf die Ranvier-Schnürringe spezifische Kapazität) erfolgt die Depolarisation des be
konzentriert. Die passiven Mechanismen laufen dagegen an nachbarten Schnürringes mit hoher Effizienz und Geschwin-
den internodalen Segmenten ab, die durch Axon und umge digkeit.
bende Markscheide gebildet werden. Etwas vereinfacht könnte man sagen, dass die Erregung
von Schnürring zu Schnürring „springt“. Daher bezeichnet
Eigenschaften von Schnürringen und internodalen Seg- man die Erregungsleitung an myelinisierten Axonen auch als
menten Die elektrischen Eigenschaften der internodalen saltatorisch (Lateinisch saltare – tanzen, hüpfen). Eine quan
80 Kapitel 7 · Aktionspotenzial: Fortleitung im Axon
titative Betrachtung zeigt, dass ungefähr 50% der Leitungszeit > Internodale Abschnitte haben einen hohen radialen
auf die aktiven Mechanismen am Ranvierschen Schnürring Widerstand und eine geringe spezifische Kapazität.
entfällt (Umladung der Membran, Aktivierung der span
nungsgesteuerten Na+Kanäle), während die anderen 50% Nervenfasertypen Nervenfasern werden nach ihrem Mye
durch die passive Leitung über die internodalen Segmente linisierungsgrad, ihrem Durchmesser und ihrer Leitungs
bedingt sind. Dies ist auch in . Abb. 7.5d zu erkennen. Die geschwindigkeit klassifiziert. Dabei sind die Klassifikatio
Ausbildung der Markscheide erhöht aber nicht nur die Ge nen nach ErlangerGasser (für motorische und sensorische
schwindigkeit der Leitung, sondern auch die energetische Nerven; . Tab. 7.1) und LloydHunt (nur für sensorische
Effizienz. Nerven; . Tab. 7.2) gebräuchlich. Auf die unterschiedlichen
Klinik
Demyelinisierende Erkrankungen
Eine intakte Markscheide ist für die Ge- paradoxer weise bei demyelinisierenden ist oft schubweise. Im Kernspintomogramm
schwindigkeit der saltatorischen Aktions- Erkrankungen therapeutisch wirksam sein des Gehirns zeigen sich Flecken, die dem
potenzialleitung im Axon von essentieller können. Zerfall der Markscheiden entsprechen. Die
Bedeutung. Daher ist es nicht überraschend, Vielfalt der Symptome korreliert mit der
dass es bei Erkrankungen der Markscheide Multiple Sklerose (MS) Vielzahl der Leistungen des Nervensys-
zu gravierenden Störungen in der saltato- Die klassische Erkrankung der Markscheide tems, die schnelle Signalleitung an myelini-
rischen Erregungsleitung kommt. Insbeson- ist die Enzephalomyelitis disseminata oder sierten Nervenfasern erfordern.
dere ergeben sich bei der Zerstörung der „Multiple Sklerose“ (MS). Hierbei kommt
Markscheide zwei Probleme. es zu einer Zerstörung der Markscheide, Vererbte Myelinisierungsstörungen
Erstens wird die Isolationsfunktion beein- vermutlich durch Autoimmunprozesse. Auch bei genetischen Erkrankungen kann
trächtigt, sodass die Funktion des Myelins, Diese Prozesse laufen an den Oligodendro- die Markscheide beeinträchtigt sein. Ein
d. h. die Erhöhung des Widerstandes und zyten ab und betreffen daher selektiv das Beispiel ist die Charcot-Marie-Tooth Erkran-
Verminderung der Kapazität nicht mehr er- zentrale Nervensystem. Der Begriff Enze- kung. Eine Form wird durch Verdopplung
füllt wird. Dies kann zu einer Verminderung phalomyelitis bringt den entzündlichen des peripheren Myelin Protein (PMP22)-
der Leitungsgeschwindigkeit führen und Charakter der Erkrankung zum Ausdruck. Gens hervorgerufen. Eine andere Form ist
die Zuverlässigkeit der Leitung beeinträch- Die Symptome umfassen: Sehstörungen durch Mutationen im Connexin-32-Gen
tigen . Abb. 7.5d). (durch Zerstörung der Markscheiden im bedingt. Connexin 32 wird in Schwann-Zel-
Zweitens werden paranodale und inter- optischen Nerven), Sensibilitätsstörungen, len exprimiert, daher betreffen die Erkran-
nodale K+-Kanäle freigelegt, die normaler- z. B. Taubheitsgefühl oder Kribbelparästhe- kungen periphere Axone. Bei der Pelizaeus-
weise unter der Markscheide versteckt sien (durch Zerstörung der Markscheide Merzbacher Erkrankung findet man Muta-
sind. Dies reduziert das Na+-/K+-Kanalver- der aufsteigenden Bahnen des Rücken- tionen im Proteolipidprotein (PLP). PLP
hältnis und kann im Extremfall zur Uner- marks) und motorische Störungen (durch wird in Oligodendrozyten exprimiert,
regbarkeit der Membran führen. So kann Zerstörung der Markscheide der absteigen- daher betrifft die Erkrankung zentrale
erklärt werden, warum K+-Kanalblocker den Bahnen des Rückenmarks). Der Verlauf Axone.
7.3 · Fortleitung des Aktionspotenzials im Axon
81 7
a markloses Axon c markhaltiges Axon
Ranvierscher
Schnürring
SZ
SZ SZ Myelin
N
Axon
Axon Axon
Axon
SZ
N
Myelin
1-3 µm 20 -1000 µm 1-20 µm 2 µm
Vertebraten Invertebraten N N
C-Faser Riesenaxon Internodium
300 -2000 µm
b d
+
0
V [mV]
–
Ranvierscher Myelin
gNa Schnürring Internodium
gK
Zeit bis zum Eintreffen des
0
Aktionspotenzials
Auswärts- ic
strom
im
Einwärts- ii
strom
Axon Distanz
x [-Θt]
demyelinisierte Region
. Abb. 7.5a–d Kontinuierliche und saltatorische Fortleitung des Kapazität und des hohen Widerstandes des internodalen Segmentes
Aktionspotenzials in Axonen. a Morphologische Eigenschaften ver- greifen die Stromschleifen bis zum nächsten Ranvier-Schnürring aus. Der
schiedener markloser Axone. SZ=Schwann-Zelle. b Kontinuierlich fort- obere Graph zeigt die Situation bei intakter Markscheide. Der mittlere
geleitetes Aktionspotenzial am marklosen Axon. Ausgehend von einem Graph zeigt den Zeitpunkt des Eintreffens des Aktionspotenzials als Funk-
erregten Membranbereich bilden sich lokale Stromschleifen aus, die zu tion des Ortes. Obwohl der internodale Abschnitt um einen Faktor 1000
einer Depolarisation unmittelbar benachbarter Membranareale führen. länger ist als der nodale Abschnitt, sind die absoluten Zeitverzögerungen
Der untere Graph zeigt eine Momentaufnahme des fortgeleiteten Aktions- an den beiden Abschnitten vergleichbar. Die Graphik ist stark vereinfacht;
potenzials und das zugehörige Membranstromprofils als Funktion des in der Realität ist der sprunghafte Charakter der Aktionspotenzialleitung
Ortes. im, gesamter Membranstrom; ic, kapazitive Stromkomponente; ii, weniger ausgeprägt. Der untere Graph illustriert die Situation nach Zer-
Ionenstromkomponente. c Morphologische Eigenschaften des myelini- störung der Markscheide, z. B. bei Multipler Sklerose. (Nach Hille 2001;
sierten Axons. Im Bereich der sog. Ranvier-Schnürringe ist die Markscheide Kandel et al. 2012)
unterbrochen. d Saltatorische Erregungsleitung. Aufgrund der geringen
82 Kapitel 7 · Aktionspotenzial: Fortleitung im Axon
NG2-Zelle
Oligodendrozyt
Neuron
Astrozyt
Mikroglia
Oligodendrozyten-
Vorläuferzelle Perizyt
. Abb. 8.1 Zelluläre Bestandteile des ZNS. Die Arbeitsweisen und zyten (7 Abschn. 8.1), die Oligodendrozyten und die NG2-Zellen (7 Ab-
die Interaktionen der Gliazellen mit den Nervenzellen (z. B. die gezeigten schn. 8.2) und die Mikroglia (7 Abschn. 8.3). Das ZNS enthält noch weitere
Axonmyelinisierungen) sind die Themata dieses Kapitels, sowie die Astro- Zellen, hier als Beispiel ein Perizyt
84 Kapitel 8 · Das Milieu des ZNS: Gliazellen
Immunrezeptoren gekennzeichnet sind. Durch die Besei- reaktive Gliose bezeichnet wird. Die reaktive Gliose ist ein
tigung von apoptotischen Neuronen bzw. überflüssigen Oberbegriff für reaktive Astrogliose, Aktivierung von Oligo-
synaptischen Verbindungen tragen Mikrogliazellen zur Ent- dendrozyten/NG2-Zellen und Mikroglia. Diese Prozesse
wicklung und Aufrechterhaltung des ZNS bei. laufen i. d. R. parallel ab, mit dem gemeinsamen Ziel der
Neuroprotektion und Regeneration des Gewebes. Je nach
Zusammen bilden die Neurogliazellen das Verteidigungs- Schädigung/Krankheit grenzen aktivierte Neurogliazellen
system des Gehirns die Schädigung ein, entfernen Pathogene und setzen rege-
Läsionen des ZNS aktivieren ein evolutionär konserviertes nerationsfördernde Faktoren frei.
mehrstufiges Umstrukturierungsprogramm, welches als
8.1 Astrozyten näle (z. B. GABAA Rezeptoren) einen Cl--Ausstrom und eine
Depolarisation der Zelle.
8.1.1 Arten von Astrogliazellen Astrozyten bilden keine Aktionspotenziale aus, sie nutzen
jedoch kontrollierte Schwankungen intrazellulärer Ionen-
Es gibt viele Arten von Astrozyten. Die wichtigsten sind: proto- Konzentrationen als Grundlage ihrer Erregbarkeit. Durch die
8 plasmatische Astrozyten der grauen Substanz; fibröse Astrozy- Verbindungen über gap junctions können sich solche Schwan
ten der weißen Substanz; Radialglia (Müller-Zellen der Retina) kungen über größere Entfernungen ausbreiten. Somit ist es
und semi-radiale Glia (z. B. Bergmann-Glia im Kleinhirn) sowie Astrozyten möglich, Informationen über längere Strecken aus
Tanyzyten und Pituizyten in der Hypophyse und dem Hypo- zutauschen.
thalamus. Astrozyten exprimieren alle wichtigen Ionenkanäle
(z. B. nichtselektive Kationenkanäle und verschiedene Arten
Protoplasmatische Astrozyten Protoplasmatische Astro- von AnionenKanälen), einschließlich spannungsgesteuerter
zyten der grauen Substanz haben viele 2–10 µm lange Aus K+, Na+ und Ca2+Kanäle. Die Dichte dieser spannungs
läufer mit komplexen Verästelungen aus ultrafeinen und weit gesteuerten Kanäle reicht jedoch nicht aus, um ein Aktions
läufig verzweigten Fortsätzen, die die Zellen schwammartig potenzial auszulösen. Außerdem exprimieren Astrozyten fast
aussehen lassen. Der durchschnittliche Durchmesser einer alle bekannten Rezeptoren für Neurotransmitter, Hormone
solchen Zelle (samt Ausläufern) beträgt ca. 140 µm. Pro und Neuromodulatoren. Die Dichte der letzteren hängt je
toplasmatische Astrozyten besetzen einzelne territoriale doch stark von der unmittelbaren neurochemischen Umge
Domänen mit geringer Überlappung zwischen benachbarten bung ab.
Zellen. Die Grenzen dieser Domänen werden von astroglialen
Fortsätzen gezeichnet. Die einzelnen astroglialen Domänen
sind gleichmäßig angeordnet und unterteilen die graue Sub 8.1.2 Signalgebung von Astrogliazellen
stanz in ungefähr gleichgroße dreidimensionale Felder.
Informationsaustausch zwischen Astrogliazellen Räumlich
Gap junctions zwischen Astrozyten Die einzelnen Astro zeitliche Schwankungen der zytosolischen Ca2+Konzentra
zyten sind durch gap junctions miteinander verbunden und tion (allgemein als Ca2+-Signalgebung bezeichnet) stellen
bilden dadurch eine netzartige Struktur, bekannt als Astro- den am besten charakterisierten Mechanismus astroglialer
glia-Synzytium. Die Fortsätze einer Zelle bedecken den Erregbarkeit dar. Astrogliale Ca2+Signale kommen in erster
Großteil neuronaler Membranen innerhalb ihrer Domäne Linie durch die Aktivierung zahlreicher GProteingekoppel
und kontaktieren ca. 2 Mio. Synapsen. Zusätzlich umhül ter metabotroper Rezeptoren (GPCRs) zustande (. Abb. 8.2).
len die Ausläufer der Astrozyten Blutgefäße und bilden die Diese aktivieren die Phospholipase C, erhöhen die intrazellu
sog. perivaskulären Endfüße. Somit verbinden protoplas läre Konzentration des sekundären Botenstoffs IP3, welcher
matische Astrozyten die in Reichweite ihrer Ausläufer lie durch die Bindung an IP3Rezeptoren am endoplasmatischen
genden Neurone und Blutgefäße zu einer neurovaskulären Retikulum (ER) Ca2+Ionen aus dem ER freisetzt. Darüber
Einheit. hinaus wird durch Absinken der Ca2+Konzentration im ER
ein Ca2+Einstrom über die Zellmembran (store operated
Ruhemembranpotenzial und Erregbarkeit Die meisten Ca2+ entry, SOCE) ausgelöst. Nach Beendigung dieser Prozesse
Astrozyten besitzen ein stark negatives Ruhemembranpo- ist das ER in der Lage durch Aktivierung der Kalziumpumpen
tenzial (ca. –80 bis –90 mV), welches dem Kaliumgleich des sarkoplasmatischen/ endoplasmatischen Retikulums
gewichtspotenzial entspricht und eine hohe Ruheleitfähigkeit (SERCAPumpen) Ca2+Ionen wiederaufzunehmen.
für K+ widerspiegelt. Astrozyten beinhalten viel mehr Na+
(15–17 mM) und Cl– (30–60 mM) als Neuronen. Das Gleich Ausbreitung von Ca2+-Wellen Astrogliale Ca2+Signale lösen
gewichtspotenzial von Cl– in Astrozyten beträgt ca. –40 mV. die Aktvierung von Enzymen bzw. Ca2+gesteuerten Proteinen
Demnach induziert die Öffnung der Cl–durchlässigen Ka aus, welche unterschiedliche intrazelluläre Signalkaskaden in
8.1 · Astrozyten
85 8
Zellmembran
endoplasmatisches
Zytosol Retikulum
Ca2+
ATP
SERCA-
Pumpe
ADP+Pi
IP3 2+
Ca IP3R RyR Na+/K+-
ATPase
Ca2+
ADP+Pi
G PIP2 ATP
PL Na+ Ca2+ Na+ Ca2+ Na+ Ca2+ Na+ Glu Na+
ATP GABA
C ADP+Pi Na+
GPCR
K+
NCX
Ca2+ GAT
SOCE TRP AMPA-R EAAT1/2 Ca2+
NMDA-R 2+
Ca -ATPase
P2X-R
. Abb. 8.2 Die wichtigsten Ionenkanäle und Transporter der Astro- tor potential Kanal; SOCE = store operated Kalzium entry Kanal;
gliazellen. Abkürzungen = IP3R = Inositol-1,4,5-trisphosphat-Rezeptor; NCX = Na+/Ca2+-Austauscher; GPCR = G-Protein-gekoppelter Rezeptor;
RyR = Ryanodin-Rezeptor; SERCA = Kalziumpumpe des sarkoplasmati- PLC = Phospholipase C; AMPA = α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazol-
schen/endoplasmatischen Retikulums; GAT = GABA Transporter; EAAT = Propionsäure Rezeptor; NMDA = N-Methyl-D-Aspartat Rezeptor
Transporter für erregende Aminosäuren (Glutamat); TRP = transient recep-
Gang setzen. Die in einer Zelle entstandenen Ca2+Signale 8.1.3 Funktionen von Astrozyten
können sich in Form einer Ca2+Welle über das gesamte astro
gliale Synzytium ausbreiten. Dabei kann entweder IP3 über Astrozyten sind für die Homöostase des Nervensystems zu-
gap junctions diffundieren oder Neurotransmitter (z. B. ATP) ständig. Durch ihre Beteiligung an der reaktiven Gliose tragen
können Ca2+abhängig freigesetzt werden. Es wird vermutet, sie außerdem zur ZNS-Immunabwehr bei.
dass solche Ca2+-Wellen dem Informationsaustausch zwi-
schen weit entfernten Gliazellen dienen und daher in ihrer Kontrolle der extrazellulären Kaliumhomöostase Die neu
Bedeutung der Ausbreitung von Aktionspotenzialen zwischen ronale Aktivität geht mit dem Einstrom von Na+ und Ca2+
Nervenzellen ähnlich sind. (Depolarisation) und dem Ausstrom von K+ (Repolarisation)
einher. Da eine Erhöhung der extrazellulären K+Konzentration
> Astrogliale Ca2+-Signale breiten sich über gap junctions
([K+]o) die neuronale Erregbarkeit bedeutend ändern kann,
aus (Ca2+-Signalgebung).
muss [K+]o konstant gehalten werden. Astrozyten sind für die
Entfernung von überflüssigem K+ aus dem Extrazellulärraum
Schwankungen der Na+-Konzentration als Astrogliasignal verantwortlich. Dabei stehen ihnen zwei verschiedene Mecha
Ein zusätzlicher Mechanismus astroglialer Signalgebung nismen zur Verfügung. Zum einen kann K+ aktiv (z. B. durch
beruht auf schnellen Schwankungen der zytosolischen die Na+/K+ATPase bzw. den Na+/K+/Cl–Cotransporter) bzw.
Na+-Konzentration ([Na+]i). Diese Schwankungen entstehen passiv (über Kir4.1 Kaliumkanäle) aufgenommen werden.
durch die Aktivierung unterschiedlicher Kationenkanäle (z. B.
Gliale Pumpen
ionotrope Rezeptoren wie AMPARezeptoren oder TRPKa Die glialen Na+/K+-Pumpen sind speziell für diese Aufgabe gerüstet,
näle) bzw. Na+abhängiger Transporter, insbesondere EAAT da sie erst bei etwa 10–15 mM [K+]o gesättigt werden, im Gegenteil zu
Transporter (. Abb. 8.2). Diese physiologischen Vorgänge neuronalen Na+/K+-Pumpen, welche schon bei 3 mM [K+]o vollständig
können [Na+]i um 10–20 mM steigern. In Astrozyten steuert gesättigt sind. Zum anderen steht den Astrozyten das System der räum-
der transmembranäre Na+Gradient viele Membranproteine, lichen K+-Pufferung zur Verfügung. Lokal aufgenommene K+-Ionen
können innerhalb der Astrozyten bzw. innerhalb des über gap junc-
einschließlich der Na+/K+ATPase, der Transporter für Glu tions gekoppelten astroglialen Synzytiums verteilt werden.
tamin, Glutamat und GABA, des Protonen und Bicarbonat
Transporters, des Transporters für Ascorbinsäure etc.
Kontrolle der kleinen Blutgefäße Astrozyten senden End
> Schnelle Schwankungen der zytosolischen Na+-Kon- füße aus, die die benachbarten Blutgefäße fast komplett um
zentration sind ein wichtiger Signalmechanismus in geben, während andere Ausläufer dieser Zellen Neurone und
Astroglia. deren Synapsen kontaktieren (. Abb. 8.3). Dadurch sind
86 Kapitel 8 · Das Milieu des ZNS: Gliazellen
Astrogliazellen befähigt den lokalen Blutfluss an die lokale Raum freigesetzt, von Neuronen aufgenommen und als Ener
Aktivität von Neuronen anzupassen. Erhöhte neuronale giesubstrat verwendet (. Abb. 8.3). Dieser Mechanismus ist als
Aktivität setzt Glutamat frei und löst Ca2+Signale in Astro Astrozyten-Neuronen-Laktat-Shuttle bekannt.
zyten aus. In astroglialen perivaskulären Endfüßen lösen
Energiegewinnung
diese Ca2+Signale die Freisetzung von vasoaktiven Substan Astrozyten nehmen, wie in . Abb. 8.3 zu sehen, Glukose über GLUT1 auf.
zen aus, welche wiederum den Tonus kleiner Arteriolen und/ Das während der neuronalen Aktivität freigesetzte Glutamat wird von
oder Kapillaren beeinflussen (7 Kap. 22.2). Dabei können Astrozyten über Na+-abhängige Glutamat-Transporter (EAAT, . Abb. 8.2)
Astrozyten sowohl eine Vasodilatation als auch eine Vaso- aufgenommen. Dies führt zu einem Anstieg der zytosolischen Na+-Kon-
konstriktion auslösen, abhängig von den freigesetzten Sub zentration, welcher die Na+/K+-ATPase stimuliert. Durch den ATP-Ver-
brauch wird Phosphoglyceratkinase aktiviert und eine Glykolyse in Gang
stanzen. Durch diesen Mechanismus sind Astrozyten zumin gesetzt. Dabei wird Pyruvat und anschließend Laktat gebildet, wobei
dest teilweise für die funktionelle Hyperämie (ein schneller letztere Reaktion durch die Laktatdehydrogenase Typ 5 katalysiert wird.
Anstieg der lokalen Durchblutung als Antwort auf die Er Laktat wird dann über den Monocarboxylat-Transporter 1, 4 (MCT-1/4) in
höhung neuronaler Aktivität) verantwortlich. den extrazellulären Raum freigesetzt und über MCT2 von Neuronen auf-
genommen. In der Nervenzelle wird Laktat von der Laktatdehydrogenase
Typ 1 zu Pyruvat umgewandelt. Pyruvat gelangt in den Zitratzyklus, um
Kontrolle der Aquaporine Astrogliaspezifische Wasser der neuronalen Energiegewinnung zu dienen. Abkürzungen: GLUT – Glu-
kanäle, Aquaporine genannt, befinden sich vor allem in den kosetransporter; LDH – Laktatdehydrogenase.
astroglialen Endfüßen und den perisynaptischen Fortsätzen.
Das von Astrozyten aufgenommene Wasser wird über die Astrozyten und die synaptische Übertragung Astrozyten
8 Gap junctions im astroglialen Synzytium verteilt. Außerdem sind an der Bildung und Reifung von Synapsen und an der
sind astrogliale Aquaporine für das glymphatische System Stabilisierung der Synapsenfunktion beteiligt. Die Mehrheit
des Gehirns (ein Analogon des lymphatischen Systems des der Synapsen im ZNS wird von astroglialen Membranen
Körpers) von entscheidender Bedeutung. Astrogliale Fortsätze umhüllt (. Abb. 8.4), welche Erweiterungen der peripheren
bilden paravaskuläre Kanäle, die für einen Austausch zwischen Fortsätze darstellen. Diese Strukturen sind äußerst dünn
interstitieller und zerebrovaskulärer Flüssigkeit sorgen und (weniger als 200 nm im Durchmesser). Sie stellen den Haupt
somit die Entsorgung der Abfallprodukte des zellulären Stoff anteil (ca. 80%) der Oberfläche eines einzelnen Astrozyten
wechsels unterstützen. dar, tragen jedoch nur einen geringen Bruchteil (ca. 4–10%)
zum Zellvolumen bei.
Astrozyten als Energiespeicher Sie sind die einzigen Zellen Die synapsennahen AstrogliaSchichten sind in der Lage,
im ZNS, die Glykogensynthetisierende Enzyme exprimieren. die Neurotransmitter, die in den synaptischen Spalt freigesetzt
Sie sind damit in der Lage, Glykogen anzuhäufen (. Abb. 8.3). werden, zu detektieren. Interessanterweise exprimieren Astro-
Es wird vermutet, dass unter ischämischen Bedingungen zyten ähnliche Neurotransmitter-Rezeptoren wie die umlie-
das in Astrozyten gespeicherte Glykogen abgebaut wird, um genden Neurone. Deswegen rufen Neurotransmitter, die im
die umliegenden Neurone zu versorgen. Des Weiteren wird Laufe der synaptischen Übertragung freigesetzt werden, tran
Glukose in Astrozyten in Pyruvat und danach in Laktat um siente lokale Veränderungen der intrazellulären Ca2+ und
gewandelt. Laktat wird anschließend in den extrazellulären Na+Konzentration in angrenzenden Astrozyten hervor.
Diese Konzentrationsänderungen sind die Grundlage der
astroglialen Erregbarkeit (s. o.). Die in Synapsennähe ent
Blutgefäß Astrozyt Neuron standenen astrozytären Signale breiten sich dann innerhalb
MCT2
der Zelle bzw. innerhalb des astrozytären Synzytiums aus.
Laktat Sie können ihrerseits Neurotransmitter aus den Astrozyten
Glut1 LDH freisetzen (s. u.) und so die neuronale Erregbarkeit beeinflus
Glukose
Glut1 MCT1/4
Pyruvat sen. Diese enge, räumliche und funktionelle Verbindung von
Astrozyten mit der Prä und Postsynapse bezeichnet man als
Glykolyse
Glukose tripartite synapse (. Abb. 8.4).
Glykolyse O2 Glut3
Glukose Pyruvat > Astrozyten beteiligen sich an der Entfernung von
LDH ATP Glutamat Neurotransmittern, v. a. von Glutamat, aus dem synap-
Glykogen tischen Spalt.
Laktat
Gluta- SNAT H+
SNAT3/5 minase Na+- Glutamat-
„Wolke” synthase
H+
EAAT1/2 K+
. Abb. 8.4 Astrozyten dienen der Entfernung von Glutamat aus in die präsynaptische Endigung führt. Dort wird das Glutamin wieder
dem synaptischen Spalt. Glutamat wird im Symport mit Na+ mittels in Glutamat umgewandelt und in synaptische Vesikel verpackt. Abkür-
EAAT1/2 in Astrozyten aufgenommen und in Glutamin umgewandelt. zungen: GS = Glutamin-Synthetase; GA = Glutaminase; SNAT = sodium-
Dieser Vorgang kann [Na+]i um 10–20 mM steigern (s. oben). Dadurch dependent neutral amino acid transporter). Neurone exprimieren elek-
verschiebt sich das Gleichgewicht des SNAT3/5-Transporters, der nun zu trogene SNAT1/2/4, während Astrozyten elektroneutrale SNAT3/5-Trans-
einer Freisetzung von Glutamin aus der Zelle und seinem Rücktransport porter exprimieren.
matTransporter EAAT1 und EAAT2 kontrolliert. Astrozyten extrazelluläre Signalmoleküle freizusetzen. Das Konzept der
nehmen ca. 80% des freigesetzten Glutamats auf. Der Rest regulierten NeurotransmitterFreisetzung aus Astrozyten ist
wird von Neuronen aufgenommen. allgemein als Gliotransmission bekannt.
Nach Aufnahme des Glutamats in die Astrozyten wird
dieses in Glutamin umgewandelt. Glutamin wird anschlie Mechanismen der Gliotransmission Astrozyten setzen neuro
ßend in die präsynaptische Endigung rücktransportiert und aktive Substanzen mithilfe mehrerer Mechanismen frei. Dazu
dort für die Herstellung von Glutamat (und GABA, welches gehören die Ca2+abhängige Exozytose, die Beförderung durch
aus Glutamat synthetisiert wird) verwendet. Dieser Mecha verschiedene Arten von Membrankanälen (Connexone oder
nismus der Wiederverwertung von Glutamat mithilfe von AnionenKanäle) und Membrantransportern und das vor
Astrozyten ist als Glutamat-Glutamin-Zyklus bekannt. Astro kurzem entdeckte sog. ectosome shedding, welches als Aus
zyten steuern außerdem die extrazelluläre GlycinKonzentra stoßen von Mikrobläschen aus der Plasmamembran definiert
tion und agieren über den AstrogliaAdenosinZyklus als wird. Die Mikrobläschen enthalten Lipide, Zelloberflächen
primäre Regulatoren des Adenosinspiegels im ZNS. proteine und Material aus dem Zytoplasma oder dem Zellkern.
Sie alle können als Signalmoleküle für die interzelluläre Kom-
Substanzen der Gliotransmission Astrozyten setzen zahlrei munikation verwendet werden. Die Hauptfunktionen von As
che Substanzen frei, die verschiedene Aspekte der neuronalen trozyten sind in . Tab. 8.1 zusammengefasst.
Aktivität regulieren und auch andere Zellen im ZNS beein
> Astrozyten beteiligen sich über die Freisetzung
flussen. Es können (i) klassische Neurotransmitter (beispiels
von Neurotransmittern und -modulatoren aktiv an der
weise Glutamat, GABA und ATP) (ii) Neuromodulatoren
Informationsverarbeitung im ZNS.
(DSerin, Taurin oder Kynurensäure) und (iii) Wachstums
faktoren bzw. Zytokine freigesetzt werden. Astrogliose
Die Entdeckung der NeurotransmitterFreisetzung aus Bei akuten Verletzungen bzw. neurotoxischen/neurodegenerativen Er-
Astrozyten hat unser Verständnis über die Rolle dieser Zellen krankungen des ZNS findet eine Aktivierung der Astrozyten statt. Die
grundlegend verändert, nämlich, dass Astrozyten sich aktiv Zellen proliferieren, erhöhen die Expression des Intermediär-Filament-
proteins GFAP, glial fibrillary acidic protein, und setzen Zytokine, Che-
an der Informationsverarbeitung im ZNS beteiligen. Sie
mokine und Wachstumsfaktoren frei. Solche reaktiven Astrozyten bil-
sind in der Lage über NeurotransmitterRezeptoren Informa den ein dichtes Netz ihrer Plasmamembran-Erweiterungen (Glia-Narbe),
tionen von Neuronen aufzunehmen, diese in Form von astro das den Platz von toten bzw. sterbenden Nervenzellen einnimmt und
zytären Ca2+Wellen weiträumig zu verteilen und letztendlich die anschließende Regeneration behindert.
88 Kapitel 8 · Das Milieu des ZNS: Gliazellen
. Tab. 8.1 Hauptfunktionen von Astrozyten. (Nach Verkhratsky & Butt 2013)
modulatoren sondern auch die für myeloide Zellen charak reicht eine Überexpression von P2X7Rezeptoren in Mikro
teristischen Immunrezeptoren besitzen. Letztere umfassen gliazellen aus, um die Aktivierung dieser Zellen auszulösen.
P2X7Purinozeptoren, Rezeptoren für Chemokine und Zyto
> Anders als Knochenmarksmakrophagen wandert
kine und Rezeptoren für verschiedene Gewebs und Entzün
Mikroglia in der frühen Embryonalentwicklung ins
dungsmediatoren, wie z.B. Plättchenaktivierender Faktor,
ZNS ein.
Thrombin, Histamin oder Bradykinin (. Abb. 8.5).
Eine andere wichtige Klasse der Immunrezeptoren ist Mikrogliazellen exprimieren auch P2X4Rezeptoren, die
durch die Toll-like-Rezeptoren (TLR19) vertreten. Die Toll die mikrogliale Aktivierung beim chronischen Schmerz-
likeRezeptoren sind in der Lage Pathogene anhand von cha zustand vermitteln. Darüber hinaus werden auch metabo
rakteristischen Mustern (so genannten PAMPs) zu erkennen trope P2Y2, P2Y6, P2Y12, und P2Y13 Rezeptoren exprimiert.
und eine Immunantwort einzuleiten. Die UTPempfindlichen P2Y6Rezeptoren sind mit mikro
glialer Ca2+Signalgebung gekoppelt und regulieren die Pha
Rezeptoren der Mikroglia Mikrogliazellen exprimieren gozytose, während ADPbevorzugende P2Y12Rezeptoren für
außerdem fast alle bisher bekannten Neurotransmitter-Re- die verletzungsbedingte, akute MikrogliaAktivierung von
zeptoren des ZNS, einschließlich Rezeptoren für Glutamat, entscheidender Bedeutung sind. Die Anzahl der exprimierten
Acetylcholin, Noradrenalin, Dopamin, Serotonin, Purine und Rezeptoren/Kanäle ist bei den Mikrogliazellen im gesunden
GABA (. Abb. 8.5). Die Purinrezeptoren (AdenosinRezep Gehirn relativ gering, steigt jedoch bei der Aktivierung der
toren, ionotrope P2X und metabotrope P2YRezeptoren) Zellen erheblich an.
8 kommen in Mikroglia am häufigsten vor. Besonders die kon
stitutiv exprimierten P2X7Rezeptoren tragen zu mehreren
Antwortverhalten dieser Zellen bei. 8.3.2 Funktionen der Mikroglia
Die P2X7-Rezeptoren sind in allen Immunzellen expri
miert. Sie werden durch massive ATPFreisetzung (z. B. wäh Mikrogliazellen sind bemerkenswert vielfältig. Sie sind nicht
rend der Verletzung des Gewebes) aktiviert und vermitteln nur an der Immunabwehr des ZNS beteiligt, sondern auch für
verschiedene Immunreaktionen, einschließlich der Pro die Entwicklung, Reifung und die normale Funktion zellulärer
duktion und Freisetzung unterschiedlicher Zytokine. In vitro Netzwerke im ZNS von entscheidender Bedeutung.
Physiologische Funktionen
ZNS-Entwicklung - Kontrolle der Synaptogenese
- Phagozytose redundanter/apoptotischer Neurone
- Entfernung unerwünschter/überflüssiger/stiller Synapsen
- Herstellung und Freisetzung trophischer Faktoren (z. B. Zytokine, Wachstumsfaktoren)
Neuronale Plastizität - Überwachung von Synapsen
- Regulation synaptischer Plastizität/Konnektivität durch Freisetzung von Zytokinen oder anderen Faktoren
Rolle bei der Immunabwehr
Erkennung von Pathogenen - Erkennung von Pathogenen über Toll-like Rezeptoren
- Erkennung von Schäden über Purinrezeptoren
Phagozytose Phagozytose von (a) beschädigten Zellen (z. B. Neuronophagie oder Waller-Degeneration); (b) Mikro-
organismen (z. B. Abszess); (c) viral infizierten Zellen (z. B. Herpes-Simplex-Encephalitis); (d) Erythrozyten
nach einer lokalen Blutung
Antigen-Präsentation Präsentation von Pathogenen (z. B. im Verlauf bakterieller, pilzlicher bzw. viraler Infektionen) gebunden
an den Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) zwecks Aktivierung von T-Lymphozyten
Immunantwort - Freisetzung proinflammatorischer Faktoren (z. B. Chemokine oder Interferon-γ)
- Erkennung von gebundenen Antikörpern (Beitrag zur spezifischen Immunantwort)
Reparatur Umbau der extrazellulären Matrix
Pathologie
Zytotoxizität - Freisetzung von reaktiver Sauerstoffspezies (ROS)
Tumorwachstumsförderung - Freisetzung von Matrix-Metalloproteasen
Demyelinisierung - Myelin Zerstörung/ Phagozytose (z. B. bei multipler Sklerose)
- Unterstützung viralen Eindringens ins ZNS; Hosting von HIV-1
Infektion - Aktivierung durch bakterielle Bestandteile
synaptische Aktivität beeinflussen. Mikrogliazellen beein antworten des Gehirns auf nahezu alle pathologischen Um
flussen neuronale Schaltkreise auch durch kontinuierliche stände (. Tab. 8.2). Auch bei neurologischen Erkrankungen
Beseitigung neuronaler Zellen, die es nicht geschafft haben, spielt aktivierte Mikroglia eine sehr wichtige Rolle.
sich in bestehende Netzwerke einzugliedern. Die Signale, die die MikrogliaAktivierung kontrollieren
bzw. auslösen, können in ON und OFFSignale aufgeteilt
Immunabwehrfunktion der Mikroglia Eine der Hauptfunk werden. ON-Signale sind Moleküle, die Mikrogliazellen akti
tionen der Mikroglia ist die Erkennung der Pathologie/Schä- vieren. Das sind vor allem pathogen bzw. schädigungsasso
digung im ZNS und die Einleitung einer Abwehrreaktion. ziierte Moleküle (PAMPs bzw. DAMPs). Die PAMPs (patho
Die Aktivierung der Mikroglia bildet das Rückgrat der Immun genassociated molecular patterns) sind im Wesentlichen
Klinik
Pathogene (z. B. Fragmente von Bakterien oder Viren), wäh oft reversibel, sodass nach Auflösung der Pathologie Mikro
rend DAMPs (dangerassociated molecular patterns) körper gliazellen zu ihren, aus dem gesunden Gewebe bekannten
eigene Moleküle sind. Diese kommen im ZNS entweder gar verzweigten Phänotyp, zurückkehren. Starke, und/oder lang
nicht vor (z. B. aus dem Blut stammende Faktoren) oder tau anhaltende Beschädigungen des Gewebes führen jedoch zur
chen erst nach Gewebsschädigung auf (z. B. intrazelluläre Häufung von amöboiden, phagozytierenden Mikroglia-
Enzyme bzw. ATP, das nach Zellschädigung massiv freigesetzt zellen, die neurotoxisch wirken.
wird).
In Kürze
Rolle der OFF-Signale OFF-Signale sind Moleküle, deren
Mikrogliazellen sind ortsansässige Immunzellen des
Vorkommen eine normale Nervenaktivität signalisiert (z. B.
ZNS, die ihre Umgebung ständig abtasten, um kleine
Neurotransmitter Acetylcholin bzw. Adenosin). Die An
Schäden zu entdecken und zu reparieren. Darüber hin-
wesenheit dieser Moleküle verhindert die Aktivierung von
aus sind diese Zellen maßgeblich an der Entwicklung
Mikroglia. Die Abwesenheit/Entfernung der OFFSignale
und Reifung neuronaler Netze beteiligt. Sie entfernen
weist jedoch auf ein gestresstes Gewebe hin und kann
unerwünschte bzw. überflüssige Synapsen und besei-
Mikrogliazellen aktivieren. Zusätzlich reagieren Mikroglia
tigen Nervenzellen, die einer entwicklungsbedingten
zellen auf Moleküle, die die Motilität und Phagozytose steu
physiologischen Apoptose unterliegen. Unter patholo-
ern. Diese Signale sind als „find-me“Signale, die die Mikro
gischen Bedingungen werden Mikrogliazellen aktiviert
gliazellen zum Ort der Schädigung locken, und „eat-me“
8 Signale, die die pathologischen Ziele markieren und eine
und leiten eine Abwehrreaktion ein. Dabei verändern
sich die Zellen morphologisch und setzen eine Reihe
Phagozytose auslösen, bekannt.
von neuroprotektiven sowie neurotoxischen Substan-
zen frei. Starke oder langanhaltende Beschädigungen
Ablauf der Aktivierung Die Aktivierung von Mikrogliazel-
des Gewebes führen jedoch zur Häufung von amöboi-
len ist ein komplexer und mehrstufiger Prozess. Zuerst wer
den, neurotoxisch-wirkenden Mikrogliazellen.
den die Ausläufer der Mikrogliazellen weniger und dicker,
und der Durchmesser des Zellkörpers wird größer. Im wei
teren Verlauf der Aktivierung werden die Zellen amöboid,
proliferieren und bewegen sich auf eine Läsion zu. Dieser
Prozess läuft jedoch nicht in allen Zellen gleichzeitig ab, so Literatur
dass sich im Verlauf einer Pathologie mehrere unterschied
Brawek B, Garaschuk O (2013). Microglial calcium signaling in the adult,
liche Zustände bzw. Phänotypen von Mikrogliazellen finden. aged and diseased brain. Cell calcium 53(3): 159-169
Grundsätzlich stellt die Aktivierung der Mikroglia eine Clarke LE, Barres BA (2013). Emerging roles of astrocytes in neural circuit
Abwehrreaktion des Gewebes dar, die nicht nur morpho development. Nature reviews Neuroscience 14(5): 311-321
logische, sondern auch biochemische Veränderungen der Kettenmann H, Ransom BR (eds) (2013). Neuroglia. Oxford University
Press: Oxford
Zellen miteinschließt. Die Zellen erhöhen die Genexpres-
Pellerin L, Magistretti PJ (2012). Sweet sixteen for ANLS. Journal of
sion und setzen unterschiedliche Substanzen (z. B. Interleu cerebral blood flow and metabolism 32(7): 1152-1166
kin1, TNFα, Interferonγ) sowohl mit neuroprotektiver als Verkhratsky A, Butt AM (2013). Glial Physiology and Pathophysiology.
auch neurotoxischer Wirkung frei. Diese Veränderungen sind Wiley-Blackwell: Chichester
93 III
Erregungsübertragung
von Zelle zu Zelle
Inhaltsverzeichnis
Worum geht’s?
Chemische und elektrische Synapsen Das Öffnen postsynaptischer Rezeptorkanäle erzeugt
Nervenzellen können über chemische oder elektrische erregende oder hemmende Ströme
Synapsen kommunizieren. Bei der chemischen Synapse Die Transmitter diffundieren durch den synaptischen Spalt
wird ein Überträgerstoff (Transmitter) ausgeschüttet, der und binden an postsynaptische Rezeptoren, deren Akti-
die nachgeschaltete Zelle beeinflusst. Bei der elektrischen vierung Ionenströme hervorrufen. Ob die postsynaptische
Synapse fließen Ionen durch kleine Poren in der Membran Zelle erregt oder gehemmt wird, hängt von der Ionenleit-
direkt von einer zur anderen Zelle (. Abb. 9.1). Im ZNS fähigkeit der Rezeptoren ab.
des Menschen spielen die elektrischen Synapsen eine
untergeordnete Rolle. Nervenzellen integrieren eine Vielzahl von synaptischen
Eingängen
Transmitter werden durch Vesikelfusion in der Nervenzellen können synaptische Signale von nur einer
Präsynapse freigesetzt bis hin zu Hundertausenden anderen Nervenzellen erhal-
An chemischen Synapsen werden Transmitter in Bläschen ten. Hierbei kommt es zu einer räumlichen und zeitlichen
aus Doppellipidmembranen (synaptischen Vesikeln) ange- Summation der erregenden und hemmenden postsynap-
reichert. Durch die Fusion der Vesikel mit der präsynapti- tischen Ströme.
schen Plasmamembran (Exozytose) werden die Transmitter
in den synaptischen Spalt freigesetzt.
präsynaptische
Endigung
M
1
AZ V
PSD
6
. Abb. 9.2 Elektronenmikroskopische Aufnahme einer chemischen 2 Ca2+ Ca2+
Synapse. In der gelb-eingefärbten Präsynapse befinden sich transmitter- 3
gefüllte Vesikel (V), die an der aktiven Zone (AZ) fusionieren. An der Mem- 4
bran der blau-eingefärbten Postsynapse befindet sich eine dunkle Ver-
dickung, die postsynaptische Dichte (PSD) genannt wird, an der die post- postsynaptische
5
9 synaptischen Rezeptoren angereichert sind. M: Mitochondrien D: Dornen-
Membran
2 1 3 0 1 1 2 t t
Quanten im EPSC Zielmembran
fusionierte Pore
. Abb. 9.5 Quantale synaptische Übertragung. Bei den schwarzen
Pfeilen wird ein Aktionspotenzial in der Nervenendigung ausgelöst. Post- b
synaptisch werden daraufhin EPSCs gemessen, die aus 2, 1, 3 ... mEPSC
(Quanten), wie unter dem EPSC angegeben, bestehen. Zwischen den her-
vorgerufenen EPSCs erscheint ein spontanes mEPSCs (roter Pfeil) mit
gleicher Stromamplitude wie die hervorgerufenen mEPSCs
BoNT/D BoNT/F
TeNt
BoNT/B
BoNT/G
mit nur einer aktiven Zone) oder von Hunderten von Vesi- BoNT/A
keln (neuromuskuläre Endplatte) auslösen. Da sich EPSCs BoNT/C BoNT/E
aus einzelnen mEPSCs und IPSCs aus einzelnen mIPSCs
zusammensetzten, sind die Miniatur-Ströme die kleinste
Einheit der postsynaptischen Ströme und werden auch als
9 Quanten bezeichnet.
> Miniatur EPSCs und IPSCs (mEPSCs und mIPSCs)
werden durch die Fusion eines einzelnen Vesikels her- . Abb. 9.6a,b Molekulare Mechanismen der Vesikelfusion. a. Das
Vesikelprotein Synaptobrevin (blau) bildet mit Proteinen der präsynap-
vorgerufen.
tischen Membran (Syntaxin und SNAP-25) den SNARE-Komplex, dessen
Verdrehung die Membranen aneinanderdrückt (Pfeile). b. SNARE-Kom-
Vesikelverschmelzung Während der Exozytose der synap- plexe mit angedeuteten Spaltungsstellen von Tetanusneurotoxin (TeNT)
am Synaptobrevin (blau) und von 7 verschiedenen Botulismusneuro-
tischen Vesikel müssen die Doppellipidmembran des Vesikels toxinen (BoNT/A bis BoNT/G) am Syntaxin (rot), Synaptobrevin und
und der präsynaptischen Zelle zeitlich genau kontrolliert SNAP-25 (grün). (Modifiziert nach Südhof und Rothman 2009 und Sutton,
und schnell fusionieren. Aus biophysikalischer Sicht ist dies Fasshauer, Jahn und Brunger 1998)
aber wegen der hydrophoben Eigenschaften der Fettsäuren in
der Membran nicht ohne weiteres möglich. Daher sind an der bran (t-SNARE; für engl. target) Syntaxin und SNAP-25. Diese
Vesikelfusion eine Vielzahl von Proteinen beteiligt, deren drei Proteine können sich vergleichbar mit dem Schließen
zentrale Komponente aus drei sog. SNARE-Proteinen gebildet eines Reißverschlusses derart verdrehen, dass die Vesikel-
wird: dem vesikulären SNARE-Protein (v-SNARE) Synapto- membran an die präsynaptische Membran gedrückt wird, bis
brevin und den zwei Proteinen der präsynaptischen Mem- beide Membranen schließlich fusionieren (. Abb. 9.6a). Es
Klinik
Reserve-
vesikel
Füllung mit
Transmitter
Trans-
lokation
ng ing
ng mi Kiss&run Endo-
cki pri lprim
do ar zytose
. Abb. 9.7 Wirkung einer Infektion mit Tetanusbakterien. Die durch cul ona
ole siti site
m po Fusion clearance
die Muskelkrämpfe erzwungene Stellung wird Opisthotonus genannt.
(Sir Charles Bell 1809)
aktive Zone
Ca2+-Kanäle
entsteht ein Bündel aus vier α-Helices. Eine Vielzahl von bio- . Abb. 9.8 Vesikel-Exo- und -Endozytose. Kreislauf der Vesikel an
logisch und klinisch wichtigen Toxinen greift am SNARE- der präsynaptischen Membran. Erklärung im Text. (Modifiziert nach Jahn
Komplex an (. Abb. 9.6b). und Fasshauer 2012 und Neher und Sakaba 2008)
Summe der
Einzelkanalströme > Das Umkehrpotenzial ist das Membranpotenzial der
1 postsynaptischen Zelle, an dem kein Nettostrom über
5
3 die synaptische Membran fließt.
3 pA
1
6
2 2 ms c Kurzschlusshemmung Sind Umkehrpotenzial und Ruhe-
membranpotenzial etwa gleich groß (häufig bei für Chlorid-
Gesamtstrom der leitfähigen GABA Rezeptoren), fließt kein Strom. Es kommt
postsynaptischen
Zelle (EPSC)
5 nA
Reiz EPSC
d +38 mV + 200
e –120 mV 1 ms
. Abb. 9.9a–e Entstehung eines EPSCs und EPSPs aus Einzelkanal- . Abb. 9.10 Abhängigkeit des EPSC vom Membranpotenzial. Das
strömen. a Zeitverlauf der Transmitterkonzentration. b Illustration der Membranpotenzial wurde mit einer Spannungsklemme auf ein kon-
Offenzeiten von sechs Kanälen (Öffnung nach unten dargestellt, am Be- stantes Potenzial eingestellt und gleichzeitig das durch Nervenreizung
ginn der Erregung öffnen alle dargestellten Kanäle). c Resultierender ausgelöste EPSC gemessen. Das EPSC ist bei –120 mV Klemmspannung
Summenstrom der sechs in B gezeigten Kanäle. d Das EPSC ist der Sum- stark negativ, verkleinert sich bei Klemmspannungen von –90, –65 und
menstrom vieler Kanäle. e Resultierendes EPSP –35 mV, und wird bei +25 bzw. +38 mV zunehmend positiver
9.4 · Interaktionen von Synapsen
101 9
allerdings zur Erhöhung der Membranleitfähigkeit, wodurch a räumliche Summation
erregende Eingänge (EPSCs) weniger Einfluss auf das Mem- Synapse I Synapse II
branpotenzial haben (d.h. das resultierende EPSP ist verklei- EPSP I EPSP II
nert). Vereinfacht kann man sich vorstellen, dass ein erregen-
der Einwärtsstrom eines EPSCs dadurch sofort wieder aus der
Zelle herausfließt, ohne eine Depolarisation der Membran EPSC I
EPSC II
hervorzurufen. Diese kurzschließende Wirkung (engl.
„shunting“-Inhibition) ist häufig der dominierende Mecha- Summation
nismus der Hemmung.
EPSP I +II
In Kürze
Während der synaptischen Übertragung erlaubt die
kurzzeitig (~100 µs) erhöhte Konzentration des Trans-
Dendrit
mitters im synaptischen Spalt dessen Bindung an die EPSC I +II
postsynaptischen Rezeptoren. Nach dem Öffnen nimmt
die Offenwahrscheinlichkeit der Rezeptorkanäle expo-
Soma
nentiell ab. An erregenden Synapsen öffnen unspezi-
fische postsynaptische Kationenkanäle, deren Um- Axon
kehrpotenzial im Bereich von 0 mV liegt. Es kommt zur b zeitliche Summation
Depolarisaton (EPSP). An hemmenden Synapsen öff-
nen K+- und/oder Cl–-Kanäle, deren Umkehrpotenzial
EPSP
im Bereich des Ruhemembranpotenzials oder negativer
liegt. Es kommt meist zu einer leichten Hyperpolarisa-
tion (IPSP). Zusätzlich werden erregende Depolarisa-
tionen durch die Erhöhung der Membranleitfähigkeit
EPSC
„kurzgeschlossen“ und damit das Membranpotenzial
auf seinem Ruhewert stabilisiert. 2 ms
Viele schwache Synapsen An den meisten Synapsen, vor Zeitliche Summation Wenn ein und dieselbe oder mehrere
allem des ZNS, sind die einzelnen synaptischen Potenziale nahegelegene Synapsen mit geringem zeitlichen Abstand von
unterschwellig, oft kleiner als 1 mV. Dafür besitzen die post- wenigen Millisekunden erregt werden, kommt es zur zeit-
synaptischen Zellen oft viele tausend erregende und hem- lichen Summation. In dem in . Abb. 9.11b dargestellten
mende synaptische Eingänge von anderen Neuronen. Beispiel sind die synaptischen Ströme praktisch abgelaufen,
bis die zweite Erregung beginnt. Die synaptischen Poten-
Räumliche Summation In . Abb. 9.11a sind zwei erregende ziale haben jedoch einen langsameren Verlauf. Beginnt vor
Synapsen auf einer Nervenzelle dargestellt, um ihr Zusam- Ende des EPSPs ein neuer synaptischer Strom, so addiert
menwirken zu demonstrieren. An den beiden Synapsen löst sich die durch ihn verursachte Depolarisation zu der noch
das EPSC ein lokales EPSP aus. Ein Teil des Stroms fließt zum bestehenden.
Axonhügel. Die einzelnen EPSPs sind als elektrotonisches
Potenzial am Axonhügel etwas kleiner, summieren sich je- > Die räumliche und zeitliche Summation von EPSPs
doch und erzeugen zusammen ein größeres EPSP. Weil sich und IPSPs bestimmt die Aktionspotenzialentstehung
hier die gleichzeitige Aktivierung von räumlich getrennten am Axonhügel.
Synapsen addiert, wird der Vorgang auch als räumliche Sum-
mation bezeichnet.
102 Kapitel 9 · Arbeitsweise von Synapsen
9.4.2 Präsynaptische Hemmung wird deutlich, wenn man die durch präsynaptische Hem-
mung induzierte Depression eines monosynaptischen Eigen-
Im Rückenmark kommt es durch hemmende axoaxonale reflexes betrachtet (. Abb. 9.12c).
Synapsen zur präsynaptischen Hemmung.
Primäre afferente Depolarisationen (PAD)
Als Ursache für die Hemmung der Präsynapse der Ia-Fasern hat man in
An einigen Synapsen, insbesondere im Rückenmark, kann die ihnen beträchtliche Depolarisationen gemessen, welche als primäre
Transmitterfreisetzung direkt durch eine hemmende axo- afferente Depolarisationen (PAD) bezeichnet werden. Sie werden ver-
axonale Synapse moduliert werden. . Abb. 9.12 zeigt eine mutlich durch eine chemische GABAerge Synapse der Interneurone
solche Hemmung am alpha-Motoneuron. Das Motoneuron erzeugt. Das Umkehrpotenzial dieser GABAergen Synapsen scheint bei
-40 mV zu liegen (nicht wie sonst typischerweise bei –70 mV) und ist
bekommt einen erregenden Zufluss von den Muskelspindeln daher positiver als das Ruhemembranpotenzial der Präsynapse, wo-
über deren Ia-Fasern. An den Präsynapsen der Ia-Fasern gibt durch es zu einer Depolarisation kommt. Durch die Depolarisation
es axoaxonale Synapsen mit den Axonen von Interneuro- kommt es zur Inaktivierung der präsynaptischen spannungsabhängi-
nen. Werden diese Interneurone einige Millisekunden vor gen Na+- und Ca2+-Kanäle. Hierdurch wird die Aktionspotenzialentste-
den Ia-Fasern erregt, so wird die synaptische Übertragung der hung in den Ia-Fasern blockiert oder abgeschwächt.
Ia-Faser auf das alpha-Motoneuron gehemmt (. Abb. 9.12a
und b). Der Zeitverlauf der Hemmung über einige 100 ms
In Kürze
Die meisten Nervenzellen haben eine Vielzahl von Sy-
napsen, deren synaptische Potenziale und Ströme sich
a
von summieren können. Räumliche Summation beschreibt
Interneuronen
9 1
die Addition im gleichen Zeitraum an verschiedenen
Orten einer Zelle, zeitliche Summation den Vorgang
bei einem geringen zeitlichen Abstand an der gleichen
Ia-Faser oder räumlich beieinanderliegenden Synapsen. Die prä-
2 synaptische Hemmung ist eine Spezialform der Inter-
aktion von Synapsen, bei der eine axoaxonale Synapse
Motoneuron 3 hemmend auf die Transmitterfreisetzung einer erregen-
1 den Nervenendigung wirkt. Hierbei erzeugen Chlorid-
b 2 2 kanäle eine primäre afferente Depolarisation, wodurch
3 3
Na+-Kanäle inaktiviert werden.
65 65
5 ms
70 70
1 1 2
9.5 Elektrische synaptische Übertragung
75 75
9.5.1 Funktionelle Bedeutung
Ia-Faser aktiv Interneuron vor Ia-Faser aktiv
c
An elektrischen Synapsen fließt Strom über gap junctions
Zeitverlauf präsynaptischer Hemmung direkt von einer in eine andere Zelle.
[%]
monosynaptischer Reflex
100 Elektrische Kopplung An elektrischen Synapsen sind die
Zellen über gap junctions verbunden. In ihnen liegen mit ge-
75 ringem Abstand und regelmäßiger Anordnung Konnexone,
von denen jedes eine der Membranen durchsetzt; zwei solcher
50 Ia-Faser Konnexone liegen jeweils einander gegenüber, und ihre Lumina
Ableitung
stoßen aneinander. Die Kanäle durch die Konnexone haben
25 Vorderwurzel
monosynapti- große Öffnungen, also hohe Einzelkanalleitfähigkeiten für
scher Reflex kleine Ionen, und lassen auch relativ große Moleküle bis zu
0
0 100 200 300 400 500 einem Molekulargewicht von etwa 1 kDa (Durchmesser etwa
[ms] 1,5 nm) passieren. Jedes der Konnexone ist aus sechs Unterein-
. Abb. 9.12a–c Präsynaptische Hemmung. a Versuchsanordnung heiten mit einem Molekulargewicht von jeweils etwa 25 kDa
zum Nachweis präsynaptischer Hemmung eines monosynaptischen aufgebaut (. Abb. 9.13a). Der Strom durch die Synapse kann
EPSP eines Motoneurons. b EPSP nach Reizung der Ia-Fasern ohne (links) linear zur Potenzialdifferenz der beiden Zellen sein (. Abb.
und mit vorhergehender Aktivierung präsynaptisch hemmender Inter- 9.13b) oder eine Gleichrichtung beinhalten (. Abb. 9.13c).
neurone (rechts). c Zeitverlauf der präsynaptischen Hemmung eines
monosynaptischen Reflexes. Die Einsatzfigur zeigt den Versuchsaufbau
und den Reflexweg der präsynaptischen Hemmung, der mindestens Funktionelle Synzytien Auch außerhalb des Nervensystems
zwei Interneurone umfasst finden sich sehr häufig Zellkopplungen über gap junctions.
9.5 · Elektrische synaptische Übertragung
103 9
a Vor allem der Herzmuskel und die glatte Muskulatur sind
∆E durch gap junctions zu funktionellen Synzytien verknüpft. In
diesen Zellverbänden läuft die Erregung von Zelle zu Zelle,
Pipette 1 Pipette 2 ohne dass an den Zellgrenzen eine Verzögerung oder eine
Verkleinerung des Aktionspotenzials stattfindet. Neben die-
iKo sen erregbaren Zellen sind auch viele andere Zellverbände
durch gap junctions verknüpft, beispielsweise alle Epithelien
Zelle 1 Zelle 2
inklusive Leberzellen. Die Verknüpfung der Zellen ist eigent-
lich der originäre Zustand; in frühen Embryonen sind alle
Zellen durch gap junctions verbunden, und erst wenn sich
„Gap Organverbände differenzieren, gehen die Verbindungen zwi-
junction“ Plasmamembran
Connexon schen diesen verloren.
(6 Untereinheiten)
Literatur
Eggermann E, Bucurenciu I, Goswami SP, Jonas P (2011) Nanodomain
coupling between Ca2+ channels and sensors of exocytosis at fast
mammalian synapses. Nat Rev Neurosci 13:7-21
Jahn R, Fasshauer D (2012) Molecular machines governing exocytosis
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Kandel ER, Schwartz JH, Jessell TM, Siegelbaum SA, Hudspeth AJ (2013)
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Neher E, Sakaba T (2008) Multiple roles of calcium ions in the regulation
of neurotransmitter release. Neuron 59:861-72
Südhof TC (2013) Neurotransmitter release: the last millisecond in the
life of a synaptic vesicle. Neuron 80:675-90
9
105 10
ACh
Glu GABA
K+ K+ K+
Na+ Cl–
HCO3–
AMPA/Kainat/
mGlu-Rezeptor
NMDA-Rezeptor
Umkehrpotenzial:
~ 0 mV – 100 mV – 70 mV – 100 mV
Effekt:
erregend hemmend meist hemmend hemmend
Klassische synaptische Überträgerstoffe sind niedermoleku- H3C – C – O – CH2 – CH2 – N – (CH3)3 HO CH2 – CH2 – NH3+
lare Verbindungen wie Acetylcholin, einige Aminosäuren und
Noradrenalin:
Monoamine.
HO
Aminosäuren HO CH2 – CH2 – NH3+
Gemeinsame Eigenschaften niedermolekularer Überträger
OH
stoffe Es hat sich eingebürgert, die Synapsen nach der Sub-
stanz zu benennen, die präsynaptisch freigesetzt wird. Gluta- γ - amino - Buttersäure (GABA): Adrenalin:
+H N – CH – CH – CH – COO- HO
mat freisetzende Synapsen werden als glutamaterg bezeich- 3 2 2 2 CH3
net, Azetylcholin freisetzende Synapsen als cholinerg etc. HO CH2 – CH2 – NH3+
(-erg von griechisch ergon für Arbeit, Energie). OH
Diese Transmitter werden im Neuron selbst syntheti Glycin: Serotonin:
+H N – CH – COO-
siert und nach Freisetzung spezifisch inaktiviert. Es handelt 3 2 HO C – CH2 – CH2– NH3+
sich bei den Substanzen, die diese Kriterien erfüllen, um
N
relativ kleine Moleküle, daher auch der Begriff niedermo H
lekulare (Neuro)Transmitter. Im Folgenden wird auf Glutamat: Histamin: H
+H N – CH – CH – CH – COO-
drei klassische Gruppen von Neurotransmittern einge- 3 2 2 HC C – CH2 – C – H
gangen. COO- HN N NH3+
C
H
10 Acetylcholin (ACh) An den meisten cholinergen Synapsen
wirkt ACh (. Abb. 10.2) erregend. Prototyp ist hierbei die Peptide
neuromuskuläre Synapse (Endplatte), also die Verbin-
Met-Enkephalin: Substanz P:
dungsstelle der motorischen Nervenfasern (aus den Moto-
Tyr – Gly – Gly – Phe – Met Arg – Pro – Lys – Pro – Gln – Gln – Phe –
neuronen in Rückenmark und Hirnstamm) mit den Skelett-
Phe – Gly – Leu – Met – NH2
muskelfasern. Leu-Enkephalin:
Im Zentralnervensystem (ZNS) ist das ACh der Trans- Tyr – Gly – Gly – Phe – Leu Angiotensin II:
mitter von ca. 10 % aller Synapsen. Dies sind z. B. Projektio- Asp – Arg – Val – Tyr – Ile – His– Pro – Phe – NH2
nen vom Rückenmark zum Kortex oder Projektionen inner-
halb des Gehirns. Vasoaktives intestinales Peptid:
His – Ser – Asp – Ala – Val – Phe – Thr – Asp – Asn – Tyr – Thr – Arg – Leu – Arg –
Im vegetativen (autonomen) Nervensystem ist ACh im
parasympathischen Teil Überträgersubstanz in allen Gang- Lys – Gln – Met – Ala – Val – Lys – Lys – Tyr – Leu – Asn – Ser – Ile – Leu – Asn – NH2
Aminosäuren Die Glutaminsäure (. Abb. 10.2) bzw. Glu Monoamine Die Transmitter Adrenalin, Noradrenalin und
tamat ist der verbreitetste erregende Überträgerstoff im Dopamin sind chemisch (durch den gemeinsamen „Katechol-
ZNS. Die GammaAminobuttersäure, GABA (γ-amino-buty- ring“) eng miteinander verwandt (. Abb. 10.2) und werden
ric acid) ist der verbreitetste hemmende Überträgerstoff als Katecholamine bezeichnet. Zusammen mit dem ebenfalls
im ZNS. Die Aminosäure Glycin ist der dominierende hem- verwandten Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT) und
mende Transmitter der postsynaptischen Hemmung in Histamin bilden sie die Gruppe der Monoamine, die durch
Rückenmark und Hirnstamm, während glycinerge Synapsen Decarboxylierung aus Aminosäuren entstehen.
im Gehirn seltener zu finden sind. Die Katecholamine Adrenalin, Noradrenalin und Dopa-
min werden auch adrenerge Überträgersubstanzen ge-
> Glutamat ist der häufigste erregende, GABA der nannt (. Abb. 10.2). Von diesen ist Noradrenalin der Trans-
häufigste hemmende Transmitter im ZNS. mitter an allen postganglionären sympathischen Endigungen
10.1 · Synaptische Überträgerstoffe
107 10
mit Ausnahme der Schweißdrüsen (dort ist es ACh). Adre teilung aus. Der niedermolekulare Transmitter übernimmt
nalin wird neben Noradrenalin im Nebennierenmark sezer- die schnelle synaptische Übertragung, während der peptiderge
niert. Noradrenalin und Dopamin wirken auch im ZNS als Kotransmitter für Langzeitverstellungen der Erregbarkeit
Transmitter, z. B. im Hypothalamus, im limbischen System (entweder Zu- oder Abnahmen) verantwortlich ist. Letztere
und in den Kerngebieten der motorischen Stammganglien. Funktion wird als synaptische Modulation bezeichnet. Ein
Serotonin (5HT) dient einigen vom Hirnstamm aufsteigen- synaptischer Modulator bewirkt also unmittelbar keine EPSP,
den Bahnen als Transmitter (insbesondere den Projektionen sondern modifiziert Intensität und Dauer der Wirkung der
der Raphe-Kerne). Histamin ist u. a. Transmitter hypotha- niedermolekularen Überträgerstoffe.
lamischer Neurone, deren Axone zur Großhirnrinde, zum Die präsynaptische Speicherung erfolgt in Vesikeln, die
Thalamus und zum Kleinhirn projizieren. mit einem Durchmesser von ca. 100 nm größer als die Vesikel
Die postsynaptische Wirkung freigesetzter Monoamine der kleinmolekularen Transmitter sind (ca. 50 nm). In elek-
wird v. a. durch Wiederaufnahme in die präsynaptische tronenmikroskopischen Aufnahmen erscheinen sie dunkel
Endigung beendet. Noradrenalin stellt eine Ausnahme dar, da und werden daher als (engl.) large dense core vesicle bezeich-
es in der Peripherie hauptsächlich ins Blut diffundiert. Da- net. Die Freisetzung der Neuropeptide ist ebenfalls Calcium-
neben werden Monoamine durch MonoaminOxidasen gesteuert, erfordert aber, dass mehrere Aktionspotenziale in
(MAO) abgebaut. MAO-Hemmer werden klinisch z. B. zur kurzem Abstand in die Präsynapse einlaufen.
Behandlung von Depressionen eingesetzt (7 Klinik Psycho-
pharmaka). Nichtpeptiderge Neuromodulation Nicht-peptiderge Mo-
dulatoren sind nicht so zahlreich wie die peptidergen, aber
z. T. weit verbreitet. Das gilt v. a. für Adenosin-Triphos-
10.1.2 Neuromodulatoren phat (ATP), den universellen Energieträger aller Zellen. ATP
findet sich als Kotransmitter in cholinergen (z. B. an der
Peptide bewirken relativ langsame synaptische Effekte. Sie motorischen Endplatte) und adrenergen präsynaptischen
sind meistens mit klassischen Transmittern kolokalisiert. Endigungen, aber auch im Gehirn, wo es die präsynaptische
Freisetzung von Glutamat fördern oder dessen postsynap-
Vorkommen peptiderger Kotransmitter Häufig wird an tische Wirkung steigern kann.
synaptischen Nervenendigungen neben einem niedermole- Ein Abbauprodukt des ATP, das Adenosin, wirkt über-
kularen Überträgerstoff eine weitere Substanz ausgeschüttet, wiegend hemmend auf die präsynaptische Freisetzung erre-
die an der Übertragung mitwirkt. Überträgerstoffe, die zu- gender kleinmolekularer Transmitter. Da Coffein und Theo
sammen mit einem niedermolekularen Transmitter in einer phyllin u. a. Antagonisten an Adenosin-Rezeptoren sind,
präsynaptischen Endigung auftreten, werden Kotransmitter hemmen sie diesen Effekt. Durch diesen Mechanismus ist die
genannt. anregende Wirkung von Kaffee und Tee zu erklären.
Bei vielen, aber nicht bei allen Synapsen, sind Kotrans- Aus Arachidonsäure werden im Körper zahlreiche Sub-
mitter neuroaktive Peptide, von denen einige häufig vor- stanzen synthetisiert (z. B. Prostaglandine, Thromboxane,
kommende in . Abb. 10.2 zu sehen sind. Mittlerweile wurden Endocannabinoide), die z. T. als Neuromodulatoren freige-
mehr als 50 verschiedene Neuropeptide identifiziert. Sie wer- setzt werden. So führt die Freisetzung von Prostaglandinen
den aufgrund von Strukturmerkmalen in Familien eingeteilt zu Entzündungsreaktionen, Fieber und Schmerz.
(z. B. Enkephaline, Tachykinine). Schließlich kann auch Stickstoffmonoxid (NO) als Neu-
romodulator wirken. NO wird durch das Enzym Stickstoff-
> Präsynaptische Endigungen enthalten häufig in Vesikeln
monoxidsynthase (NOS) gebildet und entfaltet für wenige
gespeicherte Peptide als Kotransmitter
Sekunden seine Wirkung (z. B. eine Entspannung der Gefäß-
muskulatur). NO spielt eine Rolle bei der synaptischen Plas-
Neuromodulation durch peptiderge Kotransmitter Die Auf tizität, weil es von der Post- zur Präsynapse durch die Mem-
gaben von peptidergen Kotransmittern sind noch nicht branen diffundieren und als retrogrades Signal wirken kann
überall verstanden. In vielen Fällen sieht es nach einer Arbeits- (7 Kap. 11.2).
Klinik
Psychopharmaka
Zentrale chemische Synapsen sind wichti- Serotonin (5-HT) an serotonergen Synapsen legenden Mechanismen dieser zeitlichen
ge Angriffspunkte von Psychopharmaka, (engl. selective serotonin reuptake inhibi- Diskrepanz bisher nicht verstanden. Die
wie zum Beispiel Fluoxetin. tor; SSRI). Für Fluoxetin, wie für viele andere verzögerte antidepressive Wirkung hat
Fluoxetin ist eines der wirkungsvollsten Antidepressiva, gilt, dass ihre synaptische auch klinische Bedeutung, weil die ausblei-
und weltweit meist verschriebenen Antide- Wirkung praktisch sofort, ihr antidepressi- bende Stimmungsaufhellung demoralisie-
pressiva und Stimmungsaufheller („mood ver Effekt jedoch erst nach 3 bis 8 Wochen rend wirken kann und ein Suizidrisiko dar-
stabilizer“, „Glückspille“). Es ist ein selektiver einsetzt. Trotz intensiven wissenschaft- stellt.
Hemmer der aktiven Wiederaufnahme von lichen Anstrengungen sind die zugrund-
108 Kapitel 10 · Neurotransmitter und ihre Rezeptoren
[mV]
-60
Kurare Kurare
10.1.3 Dauer und Beendigung -70
der Transmitterwirkung -80
-90
Die schnelle Entfernung des Transmitters aus dem synap- 0 2 4 6 8 10 0 2 4 6 8 10
[ms] [ms]
tischen Spalt ist entscheidend für die zeitliche Präzision der
synaptischen Übertragung. . Abb. 10.3 Wirkung von Kurare und Physostigmin auf das End
plattenpotenzial. Das Endplattenpotenzial löst bei Depolarisation auf
–60 mV ein Aktionspotenzial (roter Pfeil) aus. In Gegenwart eines Blo-
Wirkungsdauer Nachdem der Überträgerstoff in den synap-
ckers der postsynaptischen Rezeptoren (Kurare) wird das Endplatten-
tischen Spalt freigesetzt ist, bleibt er dort nur sehr kurz aktiv potenzial verkleinert und erreicht die Schwelle für die Auslösung von
(etwa 100 µs; siehe . Abb. 9.9 in 7 Kap. 9.3). Die im Folgenden Aktionspotenzialen nicht mehr – der Muskel ist gelähmt. Wird zusätzlich
erläuterten Mechanismen spielen hierbei eine Rolle: Abbau, zu Kurare der Cholinesterasehemmer Physostigmin gegeben, so wird
Wiederaufnahme, Abtransport und Diffusion des Überträ das Endplattenpotenzial vergrößert und verlängert und erreicht wieder
die Schwelle zur Auslösung von Aktionspotenzialen
gerstoffs.
Enzymatische Spaltung An der neuromuskulären Endplatte Entsprechend werden Cholinesterasehemmer zur Aufhebung der Mus-
ist ein sehr effektives Abbausystem für Acetylcholin wirksam; kelrelaxation in der Anästhesie eingesetzt, aber auch bei Krankheitsbil-
dern wie der Myasthenia gravis. Cholinesterasehemmer werden jedoch
10 an die postsynaptische Membran assoziiert findet sich in
auch vielfach als Insektizide verwendet und verursachen Vergiftungen.
hoher Konzentration Cholinesterase, ein Enzym, das Acetyl- Cholinesterasehemmer wurden im ersten Weltkrieg als Kampfstoffe
cholin in Azetat und Cholin spaltet. Ein beträchtlicher Teil entwickelt, der Kontakt führt zu krampfartig verlängerten cholinergen
des nach der Freisetzung durch den synaptischen Spalt dif- synaptischen Übertragungen, vor allem im vegetativen Nervensystem.
fundierenden Acetylcholins wird schon gespalten, bevor es
die Rezeptoren erreicht, und innerhalb von weniger als 100 µs Abtransport und Wiederaufnahme An vielen Synapsen wird
wird praktisch alles Acetylcholin von der Cholinesterase zer- der Überträgerstoff durch Transportmechanismen („Pum-
legt. Damit wird die Synapse schnell wieder für eine neue pen“) in den Membranen der umliegenden Zellen (Präsynap-
Übertragung empfänglich. Die Spaltprodukte werden an- tische Endigung, Glia) aus dem synaptischen Spalt entfernt.
schließend in die präsynaptische Endigung aufgenommen
und dort wieder zu ACh synthetisiert. Diffusion Freigesetzter Überträgerstoff diffundiert inner-
halb von etwa 100 μs aus dem synaptischen Bereich. Auch
Cholinesterasehemmer
. Abb. 10.3 zeigt die Bedeutung der Cholinesterase für die Übertragung
die Diffusion beendet also die synaptische Übertragung rela-
an der Endplatte anhand eines Cholinesterasehemmers (Physostigmin): tiv schnell. Der Aufwand für zusätzliche Abbau- und Trans-
Das Endplattenpotenzial dauert länger als normal und wird vergrößert, portmechanismen deutet die Wichtigkeit der Kontrolle der
weil Acetylcholin in höherer Konzentration und für längere Zeit mit den Überträgerstoffkonzentration an.
Rezeptoren reagieren kann. Im Falle der . Abb. 10.3 ist dies ein „the-
rapeutischer Effekt“, denn das Physostigmin wurde in Gegenwart eines
> Die Beendigung der Transmitterwirkung erfolgt
Blockers der postsynaptischen Rezeptoren (Kurare) appliziert (7 10.2.2).
Die resultierende Vergrößerung des Endplattenpotenzials ließ dieses die entweder durch enzymatische Zerlegung, (Wieder)Auf
Erregungsschwelle wieder erreichen und hob damit die Lähmung auf. nahme oder Diffusion.
Klinik
Agonisten Im Sinne einer Rezeptor-Liganden-Interaktion Wirkung der postsynaptischen Rezeptoren Ob eine Synapse
(7 Kap. 2.1) binden Neurotransmitter an der Postsynapse an erregend oder hemmend wirkt, hängt von den postsynap
ihre spezifischen Rezeptoren. Die Spezifität für den Überträ- tischen Rezeptoren, und nicht der Art des Transmitters ab.
gerstoff ist jedoch nicht extrem hoch. Es gibt für praktisch alle Ein und derselbe Transmitter kann also sowohl die eine als
Rezeptoren weitere natürliche und pharmakologische Sub- auch andere Wirkung entfalten.
stanzen, die an sie binden. Folgt auf die Bindung auch die Ak-
tivierung des Rezeptors, so ersetzt die Substanz den physiolo- Ionotrope und metabotrope Rezeptoren Der Transmitter
gischen Liganden. Solche Substanzen nennt man Agonisten. interagiert dazu mit in der postsynaptischen Membran
Agonisten an der Endplatte sind z. B. Succinylcholin und eingelagerten Rezeptoren, die hierdurch aktiviert wer-
Carbamylcholin. Andere Stoffe binden, aber sind wenig effek- den. Grundsätzlich unterscheidet man zwei Arten von
tiv im Herbeiführen der Leitfähigkeitsänderung. Dies sind Rezeptoren: Solche, die selber Ionenkanäle sind und
dann partielle Agonisten, an der Endplatte z. B. Cholin solche, die über nachgeschaltete Signaltransduktionskas-
(s. auch Dauer und Abbau der Wirkung). kaden Ionenkanäle aktivieren oder andere Wirkungen her-
vorrufen.
Antagonisten Es gibt auch Substanzen, die an den synap- Wird der Ionenkanal dadurch geöffnet, dass sich der
tischen Rezeptor binden, aber keine Rezeptoraktivierung ver- Transmitter an ihn selbst bindet, ist er also gleichzeitig Re
ursachen. Sie interagieren mit dem Rezeptor und verhindern, zeptor und Ionenkanal, wird er als ligandengesteuerter
dass der physiologische Ligand wirken kann. Solche Stoffe Ionenkanal oder ionotroper Rezeptor bezeichnet. Im zwei-
heißen Antagonisten. Findet ein Wettbewerb (Kompetition) ten Fall, bei dem der Transmitter über eine intrazelluläre
um die Bindungsstelle zwischen Agonisten und Antagonisten GProteingekoppelte Signalkette (7 Kap. 2.2, 4.5) Ionen-
statt, spricht man von kompetitiven Antagonisten. Wird die kanäle öffnet, wird der Rezeptor als metabotroper Rezeptor
Agonistenwirkung ohne Wettbewerb um die Bindungsstelle bezeichnet.
verhindert (z. B. durch allosterische Wirkung), spricht man
von nichtkompetitiven Antagonisten. Präsynaptische Autorezeptoren An vielen Synapsen, beson-
ders an katecholaminergen, finden sich neben postsynap-
tischen Rezeptoren auch präsynaptische Rezeptoren. Diese
In Kürze Rezeptoren werden, ebenso wie die postsynaptischen Rezep-
Klassische Überträgerstoffe (Neurotransmitter) sind toren, vom Transmitter aktiviert – sie werden daher als Auto
Acetylcholin, γ-Amino-Buttersäure (GABA), Glycin, Glu- rezeptoren bezeichnet.
tamat, Dopamin, Noradrenalin, Adrenalin, Serotonin und Die Hauptaufgabe der Autorezeptoren ist, die prä-
andere kleine Moleküle. Daneben gibt es Peptidüber synaptische Transmitterausschüttung dadurch zu begrenzen,
trägerstoffe, die als synaptische Modulatoren relativ dass sie hemmend auf die Freisetzung und die präsynaptische
langsame synaptische Effekte bewirken. Sie beeinflussen (Re)Synthese des Transmitters wirken, also eine übermä-
Intensität und Dauer der Wirkung der klassischen Über- ßige Ausschüttung verhindern (7 Kap. 11.2).
trägerstoffe und sind meistens mit klassischen Transmit-
tern in den präsynaptischen Endigungen kolokalisiert. Desensitisierung ligandengesteuerter Rezeptorkanäle Bei
Das membranpermeable Stickoxid (NO) kann als retro- rasch wiederholtem oder langanhaltendem Kontakt mit
grader Transmitter Signale von der Post- zur Präsynapse ihrem Transmitter oder einem Agonisten können synaptische
übermitteln. Die Wirkung der Überträgerstoffe an den Rezeptoren desensitisieren, d. h. unempfindlich werden
Rezeptoren wird zeitlich begrenzt durch spaltende En- (manche glutamaterge Synapsen im ZNS desensitisieren
zyme (wie z. B. Cholinesterase an der Endplatte), durch bereits nach 1 ms). Desensitisierung scheint ein Sicherheits
aktiven Transport entweder in die präsynaptische Ner- mechanismus der Synapsen zu sein, der zu starke und
venendigung (Wiederaufnahme des Transmitters) oder langandauernde Aktivierungen verhindert.
in benachbarte Gliazellen sowie durch Diffusion in das
Interstitium. Agonisten sind Stoffe, die an den synapti-
schen Rezeptoren die gleichen Wirkungen erzielen wie 10.2.2 Ionotrope Rezeptoren
die Überträgerstoffe, während Antagonisten die Über-
trägerstoffwirkungen behindern. Ionotrope Rezeptoren vermitteln schnelle postsynaptische
Ströme mit einer Dauer von wenigen ms.
110 Kapitel 10 · Neurotransmitter und ihre Rezeptoren
Klinik
Kurare
Kurare-analoge Stoffe werden in der Anästhesie zur Muskelrelaxation
. Abb. 10.4a–c Nikotinischer Acetylcholinrezeptor der neuro
eingesetzt. Bei voller Relaxation muss der Patient beatmet werden. Eine
muskulären Endplatte. a Der Rezeptor besteht aus 5 Untereinheiten
andere Form von Muskelrelaxation benutzt einen Agonisten wie
(griechisch beschriftet), die jeweils aus 4 transmembranären Regionen
Succinylcholin, das lang andauernd wirkt und an der Endplatte eine
(M1 – M4) zusammengesetzt sind. b Räumliches Schema des Rezeptors
Dauerdepolarisation hervorruft. Die Depolarisation inaktiviert die
und c Aufsicht auf den Ionenkanal
Na+-Kanäle der Muskelmembran und verhindert damit die Erregung
des Muskels.
Im ZNS existieren nikotinische ACh-Rezeptoren dieses isoxazolepropionic acid und Kainat ist das Salz der Kain-
Grundschemas aber mit anderer Zusammensetzung der säure.
Untereinheiten und mit unterschiedlichen Empfindlich-
keiten für Agonisten und Antagonisten. Beispielsweise ist die NonNMDATypRezeptoren Die AMPARezeptoren ver-
Aktivierung nikotinischer ACh-Rezeptoren des ZNS durch mitteln die schnellen glutamatinduzierten postsynaptischen
das beim Rauchen eingeatmete Nikotin für seine psychophy- Antworten. KainatRezeptoren spielen bei der synaptischen
sischen Wirkungen verantwortlich. Übertragung eine geringere Rolle und sind prä- und post-
synaptisch lokalisiert. Wie die ionotropen Acetylcholin-
Ionotrope Glutamatrezeptoren Die glutamatergen iono- rezeptoren sind die Non-NMDA-Rezeptoren unspezifische
tropen Rezeptorkanäle werden nach ihren spezifischen Anta- Kationenkanäle (. Abb. 10.5a). Sie haben vier Untereinheiten
gonisten als NMDATyp und als AMPA und KainatTyp (und nicht fünf wie der nikotinische ACh-Rezeptor). Ihre
(nonNMDATyp) bezeichnet. NMDA steht für N-Methyl-D- Ca2+-Leitfähigkeit ist meist sehr gering und ihre Öffnung
Aspartat, AMPA für engl. α-amino-3-hydroxy-5-methyl-4- führt – ausgehend vom Ruhepotenzial – zu einem schnellen
10.2 · Postsynaptische Rezeptoren
111 10
Na+-Einstrom, was die Zelle depolarisiert, also zu einem a AMPA-Rezeptorkanal b NMDA-Rezeptorkanal
EPSP führt. extrazellulär extrazellulär
Ca2+ Na+
NMDARezeptoren Anders als beim non-NMDA-Gluta- Na+
Glutamat Glutamat
matrezeptor ist die Ca2+-Leitfähigkeit der NMDA-Rezep-
toren recht groß. Der NMDA-Rezeptor (. Abb. 10.5b) hat die
Glyzin Mg2+
Besonderheit, dass sein Ionenkanal bei normalem Ruhe
potenzial (etwa -70 mV) von extrazellulär durch ein Mg2+
verschlossen wird. Zwar öffnet der Kanal nach Bindung
von Glutamat an den Rezeptor, der Durchtritt von Na+, K+
und Ca2+ wird jedoch verhindert.
Die Mg2+-bedingte Blockade des NMDA-Rezeptors wird
erst aufgehoben, wenn das Membranpotenzial des Neurons K+ K+
durch die erregende Wirkung anderer Synapsen auf Werte
intrazellulär intrazellulär
von mehr als –30 mV depolarisiert wird. In diesem Fall löst
sich Mg2+ vom Rezeptor und Ionen können den Kanal passie- . Abb. 10.5a,b Ionotrope Glutamatrezeptoren. a AMPA-Rezeptor-
ren. Der folgende Anstieg der intrazellulären Ca2+-Konzen- protein, dessen Ionenkanal für kleine Kationen, besonders Na+- und
tration aktiviert vielfältige Signalkaskaden und beeinflusst K+-Ionen, permeabel ist. b NMDA-Rezeptorprotein, dessen Ionenkanal
normalerweise durch ein Mg2+-Ion verschlossen ist (s. Text)
so die Genexpression und das Zytoskelett. Damit erhält der
NMDA-Rezeptor eine zentrale Rolle bei bestimmten Formen
der synaptischen Plastizität (und assoziativem Lernen), bei
der an einer Zelle gleichzeitig mehrere synaptische Aktivie- a GABA-Rezeptorkanal b Glycinrezeptorkanal
rungen erfolgen müssen (7 Kap. 11.2).
Benzo- extrazellulär
Der NMDA-Rezeptor hat noch die Besonderheit, dass er diazepine
Strychnin Cl–
einen obligatorischen Kotransmitter zur Aktivierung benö- GABA
Glyzin
tigt: entweder Glycin oder D-Serin. Nur bei gleichzeitiger α-Unter-
Besetzung der Bindungsstellen für Glutamat und für Glycin Einheit
oder D-Serin kann der Ionenkanal öffnen (. Abb. 10.5b). Barbi-
turiate
Exzitotoxizität
Kanalpore
narkotisierende Wirkung. Die Substanzen werden daher auch andere metabotrope Rezeptoren. Eine nicht-GPCR
als Schlafmittel, Beruhigungsmittel, in der Narkose und als metabotrope Rezeptorklasse sind Tyrosinkinaserezeptoren,
Antiepileptika eingesetzt. Auch Alkohol ist in der Lage, be- wie z. B. der Insulinrezeptor, oder Guanylatzyklase-gekop-
stimmte GABA-Rezeptoren zu aktivieren, was die sedierende pelte Rezeptoren, wie z. B. ANP oder BNP-Rezeptoren.
Komponente seiner Wirkung erklärt. Bei GPCRs führt, wie in . Abb. 10.7 illustriert, die extra
zelluläre Bindung des Liganden auf der intrazellulären Seite
Ionotroper Glycinrezeptor Nach GABA ist die Aminosäure dazu, dass das Guanosintriphosphat(GTP)bindende Pro
Glycin der zweitwichtigste hemmende Neurotransmitter, be- tein (G-Protein) in seinen αAnteil (an den in Ruhe das
sonders im Rückenmark. Sein postsynaptischer Rezeptor ist GDP gebunden ist) und in seinen β/γAnteil zerfällt. Der
ein Ligandengesteuerter Chloridkanal, der in seinem Auf- eine oder andere dieser beiden Anteile gibt dann das Signal
bau aus 5 Untereinheiten mit den nikotinischen ACh-Kanä- weiter (welcher der beiden wichtiger ist, hängt von dem jewei-
len verwandt ist. Wie . Abb. 10.6 illustriert, öffnet er bei ligen Rezeptor ab). In Folge können Ionenkanäle geöffnet
Bindung von Glycin für Cl–, die daraufhin in die Zelle strö- oder Ionenpumpen und Signaltransduktionskaskaden akti-
men und diese hyperpolarisieren, d. h. ein IPSP hervorrufen viert werden.
(7 Kap. 9.3). Hemmung der glycinergen Transmission führt Beim Menschen gibt es etwa 800 verschiedene GPCRs,
zu Krämpfen (7 Klinik-Box „Strychninvergiftung“). von denen viele nicht durch Transmitter aktiviert werden,
sondern, wie in der . Abb. 10.7 dargestellt, durch Hor
Ionotrope Rezeptoren für Serotonin und ATP Die meisten mone und andere körpereigene Stoffe. Es gibt allein etwa
Serotonin-(5-Hydroxytryptamin, 5-HT-)Rezeptoren sind 400 GPCRs im Geruchssystem für die Erkennung von
metabotrop. Somit stellt der ligandengesteuerte 5HT3Rezep Geruchsstoffen. Von den bekannten Transmittern und Hor-
tor eine Ausnahme dar. Dieser ist ein nichtselektiver Katio- monen entfalten etwa 80% ihre Wirkungen über metabotrope
nenkanal, der bei Aktivierung für K+, Na+ und Ca2+ durch- Rezeptoren.
10 lässig wird. Der 5-HT3-Rezeptor findet sich in hoher Dichte
im Mittelhirn, und zwar in einem Areal, das bei Reizung Metabotrope AcetylcholinRezeptoren Für Acetylcholin
Erbrechen auslöst. 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten (z. B. (ACh) gibt es neben der Familie der nikotinischen, iono-
Odansetron, Cannabis) wirken antiemetisch. tropen Rezeptoren eine weitere Familie von metabotropen
Für das ATP ist nur ein ligandengesteuerter Rezeptor be- Rezeptoren. Metabotrope ACh-Rezeptoren werden agonis-
kannt, der P2XRezeptor. Er ist ebenfalls ein nichtselektiver tisch durch das Fliegenpilzgift Muskarin aktiviert und
Kationenkanal, der also bei Aktivierung für K+, Na+ und Ca2+ antagonistisch durch das Tollkirschengift Atropin blockiert.
durchlässig wird. P2X-Rezeptoren finden sich überall in Es wurden bisher 5 Untertypen metabotroper ACh-Rezep-
Rückenmark und Gehirn. Die meisten ATP-Rezeptoren sind toren beschrieben: M1-M5.
allerdings metabotrop. Auch außerhalb des Nervensystems Während M1, M3 und M5 über Gαq die Phospholipase C
spielen 5-HT3- und ATP-Rezeptor eine wichtige Rolle. aktivieren, hemmen M2 und M4 über Gαi die Adenylatcyclase.
Außerdem kann Gβγ die Kaliumleitfähigkeiten (KIR-Kanäle)
aktivieren, die auch als GIRK (engl. G protein activated
10.2.3 Metabotrope Rezeptoren inwardly rectifying K+ channel) bezeichnet werden. Am
Herzen vermitteln z. B. M2-Rezeptoren die hemmende Wir-
Metabotrope Rezeptoren vermitteln eine langsamere synap- kung von ACh durch eine cAMP-abhängige Veränderung der
tische Übertragung als ionotrope Rezeptoren. Spannungsabhängigkeit von HCN-Kanälen und durch eine
Hyperpolarisation über Aktivierung von K+-Kanälen (GIRK)
Arbeitsweise metabotroper Rezeptoren Für alle metabotro- (7 Kap. 16.4).
pen Rezeptoren gilt, dass durch die Zwischenschaltung von
Signalkaskaden der Wirkungseintritt gegenüber den iono- Metabotrope Glutamat– und GABAB–Rezeptoren Auch für
tropen Rezeptoren deutlich langsamer ist, aber auch länger Glutamat und GABA existieren metabotrope Rezeptoren.
anhält. Aktivierung metabotroper GlutamatRezeptoren kann eine
Die meisten metabotropen Rezeptoren sind GProtein Vielzahl von Wirkungen hervorrufen, u. a. eine elektrische
gekoppelte Rezeptoren (GPCRs, 7 Kap. 2.2). Es gibt aber Erregung oder Hemmung. Es gibt verschiedene Untergrup-
Klinik
Strychninvergiftung
Strychnin ist ein Inhaltsstoff der Samen der sen. Es kommt zu schweren Krämpfen, an der Motoneurone über die GABAA-Rezep-
Brechnuss. Das früher als Rattengift einge- denen das Tier schließlich, im Wesentlichen toren verstärkt. Die Krämpfe können durch
setzte neurotoxische Alkaloid ist ein starker wegen Erstickung, zugrunde geht. die Blockade der neuromuskulären Über-
Antagonist am ionotropen Glycinrezeptor Eine Strychninvergiftung beim Menschen tragung mit Muskelrelaxantien z. B. vom
(. Abb. 10.6). Strychnin inaktiviert daher kann u. a. mit Benzodiazepinen (z. B. Diaze- Kurare-Typ verhindert werden, was jedoch
v. a. im Rückenmark viele hemmende Synap- pam) behandelt werden, das die Hemmung eine künstliche Beatmung erfordert.
10.2 · Postsynaptische Rezeptoren
113 10
Neurologisch am besten bekannt ist der Verlust der dopa-
minergen Innervation des Striatums beim Morbus Parkin
son, dessen Symptome teilweise durch die Dopamin-Vorstufe
Licht anorganische kleine Molekühle Proteine L-Dopa gebessert werden können (7 Kap. 47.4).
Ionen
Aminosäuren, Amine, Hormone
Nukleotide, Nukleoside, Interleukine Metabotrope Rezeptoren für Serotonin und ATP Metabo
Prostaglandine, Chemokine
Geruchsstoffe, Peptide Toxine trope Serotoninrezeptoren (5HT12 und 5HT47) sind im
ZNS weitverbreitet. Sie beeinflussen das zirkadiane Schlaf-
e1 NH2 Wach-Verhalten, insbesondere den REM-Schlaf, und das
extra- e2 e3 Essverhalten. Die Wirkung des Halluzinationen erzeugenden
zellulär Rauschgifts LSD soll auf die Blockade von 5HT2Rezep
Effektoren: toren zurückzuführen sein.
Enzyme Das Migränemitte