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der Europa-Universität
Viadrina Frankfurt (Oder)
Thomas A. Bode
Verdeckte strafprozessuale
Ermittlungsmaßnahmen
Dr. Thomas A. Bode
Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsinformatik
Europa-Universität Viadrina
Frankfurt (Oder), Deutschland
Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Rechte an der
Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Vorgelegt von: Thomas A. Bode
Erstkorrektor: Prof. Dr. Gerhard Wolf
Zweitkorrektor: Prof. Dr. Dr. Uwe Scheffler
ISSN 1431-7923
ISBN 978-3-642-32660-8 ISBN 978-3-642-32661-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-32661-5
Springer Heidelberg Dordrecht London New York
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be-
rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der
Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann
benutzt werden dürften.
Honoré de Balzac
Vorwort
VII
Inhaltsverzeichnis
Teil I Einleitung
§ 1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
I. Ein aktueller Beispielfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
II. Die sich aus dem Beispielfall ergebenden Grundfragen . . . . . . . . . . . 4
IX
X Inhaltsverzeichnis
§ 4 Entwicklung von 1871 bis in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg . . . 25
I. Kodifikation strafprozessualer Befugnisse zu verdeckten
Ermittlungsmaßnahmen bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1. Regelung der Postbeschlagnahme in der StPO . . . . . . . . . . . . . . . 25
2. Einfachgesetzliche Regelung des Telegraphengeheimnisses . . . . . . 26
3. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis in der Weimarer
Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
4. Regelung der Fernmeldeverkehrsüberwachung
in § 12 Fernmeldeanlagengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
a) Überwachung von Verbindungsdaten statt
Kommunikationsinhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
b) Diskussion um möglichen Missbrauch der Fernmeldeüberwachung 27
aa) Befürchtung des Missbrauchs zu politischen Zwecken . . . . . 27
bb) Beschwichtigung durch Verweis auf Schranken des § 12 FAG 28
cc) Reduzierung des Missbrauchspotentials durch hohen Aufwand 28
5. Persönliche Überwachung durch Spitzeleinsatz
und andere Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
II. Missbrauch verdeckter Ermittlungsmaßnahmen durch Diktaturen
ab 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
1. Nationalsozialistische Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
a) Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 30
b) Gescheiterte Gesetzentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
c) Tatsächliche Verbreitung verdeckter Ermittlungsmaßnahmen . . . . 31
2. Verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen in der DDR . . . . 33
a) Formale Regelung verdeckter Ermittlungen in der StPO der DDR . 33
b) Geheime Verfahrensleitung durch das MfS . . . . . . . . . . . . . . . 33
3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
6. Grundrechtsgefährdungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
a) Ansicht der Literatur und der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 88
b) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
4. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
VII. Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG . . . . . . . . . . . . 183
1. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
a) Schutz der Wohnung als Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
b) Definition des Wohnungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
aa) Weite Ansicht der h. M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
bb) Wortlautgetreue, enge Gegenansicht . . . . . . . . . . . . . . . . 185
cc) Vermittelnde Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
dd) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
2. Abgrenzung zu anderen Fallgestaltungen und Grundrechten . . . . . . 188
a) Abgrenzung zu Art. 10 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
b) Abgrenzung zum Computergrundrecht Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . 188
c) Ansicht des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
d) Debatte in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
e) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
3. Eingriff durch verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen . . 192
a) Überwachung der Wohnung durch körperliches Eindringen
in die Wohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
b) Überwachung des Inneren der Wohnung von außen . . . . . . . . . 192
4. Rechtfertigung, Schranken des Eingriffs durch verdeckte Maßnahmen
nach Art. 13 Abs. 3 und 5 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
a) Erfordernis einer schweren Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
b) Subsidiarität der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
VIII. Grundrecht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . 196
1. Verdeckte Maßnahmen und Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . 196
2. Verhältnis des Art. 19 Abs. 4 GG zum Grundrecht auf Freiheit
von Einschüchterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
IX. Freiheitsgrundrechte aus Art. 4 ff. GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
X. Weitere Grundrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
1. Allgemeines Grundrecht auf ein faires Verfahren? . . . . . . . . . . . . 199
a) BVerfG: Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20
Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
b) Ansicht der h. L. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
c) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
2. Keine Anwendung des Art. 6 EMRK auf die verdeckten
Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
3. In Betracht kommende Konkretisierungen des Rechts auf ein faires
Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
a) Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
b) Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
aa) Relativierung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 203
bb) Eigene Ansicht gegen die Geltung des Prinzips bei verdeckten
Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Inhaltsverzeichnis XVII
§ 11 Übersichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
I. Die grundlegenden Strukturelemente der einzelnen Eingriffstatbestände . 245
II. Tabellarische Übersicht zu den einzelnen Maßnahmen . . . . . . . . . . . 246
§ 13 Anlasstaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
I. Anlasstatenkataloge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
II. Schwerwiegende Tat auch im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
1. Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
2. Subjektiv-historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
a) Rechtsprechung – BVerfGE 107, 299, 322 . . . . . . . . . . . . . . . 270
aa) Verweisung des BVerfG auf VerfGBB StV 2002, S. 57, 58:
Strenge Einzelfallprüfung mit Begründungspflicht . . . . . . . . 270
bb) Verweis des BVerfG auf Ansicht in der Literatur:
Vergleich mit § 98a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
b) Weitere Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
c) Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
aa) Schwere Straftaten, die nicht schwerwiegend sind . . . . . . . . 272
bb) Minder schwerer Fall nicht notwendig „nicht schwerwiegend“ 273
3. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
a) Art. 13 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
b) Bezug zu den Anlasstatenkatalogen: In der Regel
eine „schwere“ Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
4. Keine verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
IV. Straftat von erheblicher Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
1. Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
XX Inhaltsverzeichnis
§ 14 Subsidiaritätsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
I. Subsidiaritätsklauseln der StPO im tabellarischen Vergleich . . . . . . . . 282
II. Wortlautauslegung sich widersprechender Subsidiaritätsklauseln . . . . . 282
1. Aufhebungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
2. Erhaltungsorientierte Auslegung der Subsidiaritätsklauseln . . . . . . . 284
III. Systematische und subjektiv-historische Auslegung . . . . . . . . . . . . 285
1. Parallele Regelungen der Erforderlichkeit im StGB . . . . . . . . . . . 285
2. Verfassungskonforme und historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . 286
a) Differenzierung nach Belastungsintensität . . . . . . . . . . . . . . . 287
b) Belastungsunterschiede zwischen der Art der verdeckten
und offenen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
c) Belastungsunterschiede in konkreten Fällen . . . . . . . . . . . . . . 288
3. Bestimmtheitsanforderungen und derzeitige Regelungslage . . . . . . 289
IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
1. Das Fehlen geschriebener Subsidiaritätsklauseln führt
zu Verfassungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
2. Auslegung geschriebener Subsidiaritätsklauseln . . . . . . . . . . . . . 290
3. Vorschlag für eine allgemeine Subsidiaritätsklausel de lege ferenda . 290
§ 15 Kernbereichsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
I. Schutzauftrag des Staates gegen sich selbst aus Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . 294
a) Irrelevanz von Zufall und planbarem Restrisiko . . . . . . . . . . . . 294
b) Risikoverringerung durch „Kernbereichsschutz“ . . . . . . . . . . . 295
1. Kein absolutes Verbot finaler Beobachtung des Kernbereichs . . . . . 295
2. Allgemeine Anforderungen an den Schutz des Kernbereichs . . . . . . 296
II. Formale und inhaltliche Kriterien des Kernbereichsschutzes . . . . . . . 297
III. Zeitlich zweistufiges Schutzkonzept des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . 297
IV. Fragmentarische Regelung des Kernbereichsschutzes in der StPO . . . . 298
1. Erste Schutzstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
a) Maßnahmegebundene Schutzklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
b) § 160a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
aa) § 160a Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
bb) § 160a Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
c) Anordnung- und Genehmigungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
2. Zweite Schutzstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
a) Maßnahmegebundene Löschungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . 300
b) Allgemeine und spezielle Löschungspflichten . . . . . . . . . . . . . 302
c) Kernbereichsschutz durch Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . 302
Inhaltsverzeichnis XXI
§ 16 Anordnungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
I. Aufgabe des Gerichts bei der Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
II. Zweckmäßigkeitsprüfung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
III. Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
§ 17 Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
I. Rechtsweg und Einordnung der Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
II. Verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
1. § 101 Abs. 7 S. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
2. Anwendung des § 98 Abs. 2 StPO analog . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
a) H. M. nach der Einführung des § 101 Abs. 7 StPO . . . . . . . . . . 314
b) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
3. § 304 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
III. Unterschiede zwischen richterlichen und behördlichen Anordnungen . 316
IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
c) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517
Teil I
Einleitung
§ 1 Problemstellung
1
Der Fall wird geschildert von SPIEGEL ONLINE, 28.02.2011. „Betroffener“ ist im Folgenden
immer die Person, welche durch eine verdeckte Ermittlungsmaßnahme überwacht wird.
2
A. a. O.
3
Die materiell-rechtliche Einordnung, ob sich der Betroffene überhaupt strafbar machen kann, ist
zudem nicht einfach, vgl. BGH NStZ, 236 ff.; NStZ-RR 2011, 211.
Der Fall ist ein Beleg dafür, dass die Probleme der verdeckten strafprozessualen
Ermittlungen trotz diverser höchstrichterlicher Urteile und wissenschaftlicher Ab-
handlungen noch lange nicht geklärt sind. Der bayerische Innenminister reagierte
allerdings mit der Aussage, der Einsatz der Spähsoftware sei rechtmäßig gewesen.8
Es stellte sich heraus, dass in dem oben genannten Beispielfall bereits ein Be-
schluss des LG Landshut9 ergangen war, in dem die Maßnahme teilweise für rechts-
widrig erklärt worden war. Außerdem liegt ein Verstoß gegen das erst kürzlich durch
das BVerfG konkretisierte Computergrundrecht nahe.10 Im Zuge der Berichterstat-
tung fallen wiederkehrende Stichworte auf, die nicht nur für die Problematik des
Staatstrojaners, sondern für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen symptomatisch
sind. In stärker rechtlich orientierten Meldungen wird auf die verfassungsrechtli-
chen Vorgaben durch Entscheidungen des BVerfG und die fehlende spezielle ge-
setzliche Regelung hingewiesen: Ein ehemaliger Verfassungsrichter erklärte, die
vom Bayerischen LKA durchgeführte Maßnahme sei „in jedem Fall rechtswid-
rig“. Soweit der Staat überhaupt Computer infiltrieren dürfe, „muss er Risiken eines
4
Vgl. zu den Einzelheiten die Veröffentlichung des CCC, Analyse einer Regierungs-Malware.
5
Dies gilt für alle Sicherheitsbehörden, vgl. SPIEGEL ONLINE, 15.10.2011, mit einer interakti-
ven Grafik in welchen Bundesländern und von welchen Behörden der „Staatstrojaner“ vermutlich
eingesetzt wurde.
6
Stellvertretend für die unüberschaubare Berichterstattung eine Artikelüberschrift: „Staats-
trojaner – Der Computer steht offen wie ein Scheunentor – Ist das Grundgesetz nur ein
Software-Feature? Der Chaos Computer Club enthüllt weitere Staatstrojaner-Pannen.“, FAZ.NET
26.10.2011.
7
Nach ersten Umfragen wurde der Einsatz des „Staatstrojaners“ von den Bürgern mehrheitlich
abgelehnt, Politbarometer ZDF 14.01.2011.
8
Sueddeutsche.de, 11.10.2011.
9
LG Landshut JR 2011, S. 532.
10
BVerfGE 120, 274, 274 – „Online-Durchsuchungen“.
II. Die sich aus dem Beispielfall ergebenden Grundfragen 5
11
faz.net, 09.11.2011.
12
golem.de, 10.10.2011.
13
Ob der Geschäftsmann schließlich verurteilt wird und welche Bedeutung dabei dem Einsatz
des Trojaners zukommt, ist nicht abschließend gerichtlich entschieden. Nach Auskunft des Ver-
teidigers des Geschäftsmanns gegenüber dem Verfasser ist das Ermittlungsverfahren noch nicht
abgeschlossen. Vgl. zu den in dieser Arbeit vorgeschlagenen Lösungsansätzen § 23, IV und § 27,
II 4, b), bb).
14
Netzpolitik.org, 24.02.2012.
15
Sueddeutsche.de, 27.02.2012.
16
Vgl. § 7 und insbesondere § 8, III.
17
Vgl. § 9.
18
Vgl. § 9, I, § 9, II.
19
Vgl. Vierter Teil.
20
Vgl. Fünfter Teil.
6 § 1 Problemstellung
chen Bestimmungen werden analysiert, um dann die Regelungen der StPO auf ihre
Verfassungsmäßigkeitsmäßigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls verfassungs-
konform auszulegen.
Zur Beantwortung der oben gestellten Fragen wird die Arbeit folgenderma-
ßen gegliedert: Im historischen Teil wird die rechtsgeschichtliche Entwicklung
der Regelungen der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen dargestellt. Dieser Teil
untersucht die Gründe für das Fehlen eines historisch gewachsen Regelungskon-
zepts. Der in der Geschichte erfolgte Missbrauch der verdeckten Maßnahmen zur
Unterdrückung der Bevölkerung muss erläutert werden. Er trägt wesentlich zum
Einschüchterungseffekt der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen bei, der verfas-
sungsrechtlich entscheidend ist. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben bestimmen
das Ergebnis dieser Arbeit. Bei diesen Vorgaben geht es um den Eingriff der ver-
deckten Ermittlungsmaßnahmen in die Grundrechte und darum, unter welchen
Voraussetzungen ein solcher Eingriff gerechtfertigt werden kann. Untersucht wer-
den muss, ob die Auffassung des BVerfG zutrifft, nach der das Verfassungsrecht bis
hinein ins Detail die Anforderungen der Regelungen der strafprozessualen Ermitt-
lungsmaßnahmen in der StPO vorgeben kann. Dabei kommt es auf das Verhältnis
zwischen ranghöherem Verfassungsrecht und einfachem Strafprozessrecht an.
Die dogmatische Einordnung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen in das Ver-
fassungsrecht ist bisher aber noch nicht überzeugend vorgenommen worden. Die
im Einzelnen strittige verfassungsrechtliche Dogmatik kann daher nicht unbesehen
übernommen werden, sondern bedarf im Hinblick auf das Grundproblem – sind
verdeckte Maßnahmen und die entsprechenden Regelungen in der StPO mit der
Verfassung vereinbar? – auch in den wesentlichen Einzelfragen der kritischen Ana-
lyse. Die verfassungsrechtlichen Fragen bauen aufeinander auf und müssen daher
von den Grundlagen her erörtert werden.
Diese Auseinandersetzung führt teilweise zu eigenen neuen Lösungen, die zwar
nicht im Ergebnis, aber in der dogmatischen Grundlegung erheblich von den An-
sichten der h. M. abweichen: Ohne einen Grundrechtseingriff muss sich der Ge-
setzgeber nicht durch bestimmte und verhältnismäßige Gesetze für sein Handeln
rechtfertigen, sondern kann im Wesentlichen frei gestalten. Die gesetzlichen Re-
gelungen wären nicht mehr als eine freiwillige Selbstbindung der Legislative und
würden lediglich klassische Auslegungsprobleme bereithalten, die in einer schlich-
ten Kommentierung der einschlägigen Vorschriften zu erledigen wäre. Wenn der
oben genannte Einsatz des Trojaners kein Grundrechtseingriff wäre, könnte auch
ein Streit um dessen Rechtsgrundlage dahinstehen. Zur Beantwortung dieser Frage
ist der Begriff des Grundrechtseingriffs zu klären.
Ob und in welche Grundrechte verdeckte Maßnahmen eingreifen, ist daher von
entscheidender Bedeutung. Einen besonderen Stellenwert nimmt in diesem Zusam-
menhang der umfassende Freiheitsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Bereits der
Ansatz der h. M. wird in dieser Arbeit bestritten, neben der allgemeinen Hand-
lungsfreiheit ein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1
Abs. 1 GG zu folgern. Es wird insbesondere zu untersuchen sein, ob sich statt-
dessen innerhalb des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit eine besondere
Konkretisierung ergibt, ein Grundrecht auf „Freiheit von Einschüchterung“, in das
II. Die sich aus dem Beispielfall ergebenden Grundfragen 7
I. Untersuchungsgegenstand
6. § 100h regelt die heimliche Anfertigung von Bildaufnahmen sowie die kurz-
fristige Überwachung mit sonstigen technischen Mitteln.
7. § 100i StPO regelt den Einsatz des sog. „IMSI-Catchers“, einer mobilen Anla-
ge, mit der die Ermittlungsbehörden den Standort von Mobiltelefonen orten
und die zugehörigen Karten- und Gerätenummern erfassen können. Die so
festgestellten Anschlüsse können nachfolgend gemäß § 100a StPO überwacht
werden.
8. Anlässlich der offenen Durchsuchung eines Computers ist der heimliche Zu-
griff auf in einem Netzwerk verbundene Speichermedien nach § 110 Abs. 3
StPO möglich.
9. §§ 110a, 110b StPO erlauben den Einsatz von Verdeckten Ermittlern, also
Polizeibeamten, die unter einer Legende getarnt am Sozialleben der Zivilge-
sellschaft teilnehmen und Informationen über Tat und Täter, vor allem im
Umfeld des Verdächtigen, sammeln.
10. § 163d StPO regelt die heimliche Speicherung von Daten, die bei polizeilichen
Routinekontrollen anfallen, die nichts mit dem eigentlichen Ermittlungsverfah-
ren zu tun haben.
11. Die Ausschreibung zur Fahndung nach § 163e StPO betrifft nicht die Speiche-
rung, sondern die Erhebung von personenbezogenen Daten bei Polizeikontrol-
len.
12. § 163f StPO enthält die Regelung der an § 100h StPO anschließenden länger-
fristigen Observation mit technischen Mitteln.
13. Neben den speziell geregelten „Standardmaßnahmen“ kommen noch weitere
Maßnahmen in Betracht, deren Einordnung unter die Regelungen der Standard-
maßnahmen zweifelhaft ist. Dies ist zum Beispiel der Einsatz von Trojanern
zur Computerüberwachung oder das Mithören eines Telefonats, wenn etwa der
Verdächtige einen Dritten anruft, der sein Telefon laut stellt und so der an-
wesenden Polizei – für den Betroffenen unerkannt – Zugang zum Gespräch
gewährt (sog. „Hörfalle“). Andere Maßnahmen wie etwa das Anwerben von
privaten Informanten aus dem Umfeld des Verdächtigen oder das schlichte
heimliche Beschatten durch Polizisten können eventuell unter die Ermittlungs-
generalklausel nach § 161 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 163 S. 2 StPO gefasst werden.
Diese Fragen werden im späteren Verlauf der Arbeit zu klären sein.
Zwangsmaßnahmen werden nur einbezogen, wenn sie dem Betroffenen gegenüber
heimlich erfolgen. Ermittlungen zu Präventivzwecken gehören nicht zum strafpro-
zessualen Thema dieser Arbeit, sondern in das Polizei- und Geheimdienstrecht.
a) Strafprozessordnung
In der StPO werden die hier zu untersuchenden Maßnahmen nicht mit einem ge-
meinsamen Oberbegriff bezeichnet. Zwar befinden sich alle einschlägigen Regelun-
gen im 8. Abschnitt des Gesetzes. Er enthält aber nicht nur Regelungen geheimer
Maßnahmen und auch keinen Oberbegriff in der Überschrift („Beschlagnahme,
Überwachung des Fernmeldeverkehrs, Rasterfahndung, Einsatz technischer Mittel,
Einsatz Verdeckter Ermittler und Durchsuchung“).
Beispiel 1 Einem Betroffen wird gegen seinen Willen mit einer Spritze eine Flüs-
sigkeit ins Blut injiziert. Ihm wird vorgespiegelt, es handele sich um eine Impfung.
1
In der zugehörigen Entwurfsbegründung ist auch von „strafprozessualen heimlichen Ermittlungs-
methoden“ die Rede, BTDrucks 16/5846, S. 1. Insgesamt wird der Wortstamm „heimlich“ 10-mal
verwendet. Im Text der Entwurfsbegründung tritt aber die Formulierung „verdeckte strafprozes-
suale Ermittlungen“ wesentlich häufiger auf. Der Wortstamm „verdeckt“ wird 112-mal verwendet.
2
Titel der Dissertation von Warntjen: „Heimliche Zwangsmaßnahmen und der Kernbereich
privater Lebensgestaltung“. Im Text findet sich auch die Formulierung „verdeckte Zwangsmaß-
nahmen“, Warntjen, S. 19.
3
Ebenfalls als einen Teil der Zwangsmaßnahmen ordnet Duttge die verdeckten Ermittlungsmaß-
nahmen ein, der von „Zwangsmaßnahmen im Rahmen der einzelnen Typen informationsrelevanter
Strafverfolgungsmaßnahmen“ spricht. Duttge, Der Begriff der Zwansmaßnahme im Strafprozess-
recht, S. 221 ff.
4
Vgl. zum Zusammenhang dieser Fehlbenennung mit dem klassischen Eingriffsbegriff unten, § 7,
II, 1, f).
12 § 2 Klärung des Untersuchungsgegenstands und der Grundbegriffe
Maßnahmen, die ohne Wissen des Betroffenen durchgeführt werden sollen, sind
in der Regel aber gerade nicht mit Zwangsausübung verbunden, sondern beschrän-
ken sich auf Beobachtung.
Heimliche Beobachtungen schließen das unmittelbare Einwirken auf den Willen
des Betroffenen aus. Für „Zwang“5 ist die zumindest beabsichtigte Willensbeein-
flussung durch Einwirkung auf einen Menschen oder dessen Sachen konstitutiv.
Zwangsmaßnahmen sind darauf gerichtet, geleisteten oder erwarteten Widerstand
konfrontativ zu brechen oder zu beugen.6 In der Grundbedeutung ist Zwang mit
Nötigung gleichzusetzen.7
Bei verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen soll der Betroffene in
der Regel nur beobachtet werden. Er soll gerade nicht zu einem bestimmten Tun,
Dulden oder Unterlassen gezwungen werden. Vielmehr soll er sich so verhalten,
als werde er nicht beobachtet. Dazu können die Ermittlungsbehörden die Identi-
tät ihres Personals als den Strafverfolgungsbehörden zugehörig verschleiern, wie
zum Beispiel beim Einsatz persönlicher Verdeckter Ermittler gemäß § 110a StPO.
5
„die grundanschauung von zwingen ’mit der faust zusammenpressen’“ Bd. 32 Sp. 931, „[. . . ]
als verbalabstract zu zwingen enthält zwang auf der einen seite die nöthigung, gegen die man sich
nicht wehren kann, und auf der andern die einwirkung einer von auszen kommenden gewalt, mag
sie nun mehr oder weniger handgreiflich oder moralisch und geistig sein [. . . ].“ Bd. 32, Sp. 933.
„[. . . ] zwang hat sich in neuerer zeit mehr auf die unwillig ertragene vergewaltigung des willens,
der sittlichen und geistigen unabhängigkeit gewandt [. . . ].“ Grimm, Bd. 32 Sp. 933.
6
Gegenteiliger Ansicht ist Binding, S. 489 f.: „Ihr [der Zwangsmaßnahme] ist nicht charakteris-
tisch, dass sie den Willen des Gezwungenen bricht, d. h. dessen Widerstand überwindet.“ Wenn
jemand ins Zuchthaus gesperrt werde, so geschehe dies kraft Zwangs. Sein Wille werde vollstän-
dig ignoriert und könne nicht zur Verwirklichung gelangen. Charakteristisch sei dem unmittelbaren
physischen Zwang – vis absoluta – vielmehr, dass nur ein Wille zur Verwirklichung komme, weil
der Gezwungene gehindert werde, seinen Willen zu verwirklichen. Sperrte man einen Menschen
ins Zuchthaus, werde sein Wille nicht gebrochen, sondern ignoriert, da es keinen Einfluss habe, ob
er einen angepassten oder entgegenstehenden Willen habe. Dieser Ansicht Bindings ist zu entgeg-
nen, dass der Zuchthäusler, der freiwillig die Haft antritt, zu nichts gezwungen wird und ein Wille
auch gebrochen werden kann, wenn jemand mit Gewalt gehindert wird, ihn auszuleben. Binding
verwechselt zudem schon im Grundsatz Willensbruch mit Willensbeugung. Nach Binding müss-
te immer, wenn ein Wille ignoriert wird, Zwang ausgeübt werden. Niemand würde es aber mit
dem normalen Sprachverständnis für vereinbar halten, dass ein Kind seine Eltern zur Duldung
seines Verhaltens zwingt, wenn es den Willen der abwesenden Eltern ignoriert und entgegen deren
Anweisungen unbemerkt fernsieht.
7
Vgl. zum Tatbestand der Nötigung, vgl. Eser/Eisele in Schönke/Schröder, § 240 Rdn. 1: „Schutz-
gut [. . . ] ist die Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit [. . . ] des Einzelnen. [. . . ] Geht es
bei § 240 nicht um die Gewaltanwendung als solcher, sondern nur insoweit, als damit dem Opfer
ein bestimmtes Verhalten abgezwungen werden soll [. . . ].“ Mehr als vis absoluta und Zwang durch
die Androhung eines Übels wird aber nicht genannt. Die Zufügung eines anderen Übels ist weder
Nötigung noch Zwang. Als Nötigungsmittel kommt auch List nicht in Betracht, a. a. O. Verdeckte
Ermittlungsmaßnahmen sind aber eher „listig“ als „nötigend“.
II. Erläuterung der Terminologie 13
3. Zwischenergebnis
8
Im Wesentlichen sind das Maßnahmen, um technische Überwachungsgeräte zu installieren.
9
Vgl. oben § 2, II, 1, b).
10
Die Verwechslungsgefahr mit dem eingeschränkten Bedeutungsumfang des Terminus „Tätigkei-
ten des Verdeckten Ermittlers“ im Sinne des § 110a StPO, ist demgegenüber vernachlässigenswert
gering. Systematisch ist es durchaus sinnvoll, den Spezialfall des persönlich verdeckt agierenden
Ermittlers im Gegensatz zu offen als Polizeibeamten auftretenden Ermittlern ergänzend mit dem
allgemeinen Gruppenbegriff „verdeckt“ zu kennzeichnen.
11
Löwe/Rosenberg STPO26 , § 163 Rdn. 39.
12
Lüderssen, Verdeckte Ermittlungen im Strafprozess, S. 187; Lammer, S. 1 ff.; Thiel, S. 442.
13
Jene Maßnahmen sind Gegenstand des Polizei- und Geheimdienstrechts.
14
Wenn in dieser Arbeit von „verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen“ die Rede ist,
sind in der Regel „verdeckte, observierende, strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen“ gemeint.
Andere verdeckte Maßnahmen sind Ausnahmen und werden als solche kenntlich gemacht.
Teil II
I. Antike
Heimliches Vorgehen war zwar schon in der Antike wohlbekannt, doch beschränk-
te es sich auf den politischen und militärischen Bereich.1 Neben der unmittelbaren
verdeckten Ermittlung durch Spitzel war bereits in der Antike die Übermittlung
von Nachrichten über weite Strecken durch Boten üblich. Damit stieg auch aus
verschiedenen Gründen der Bedarf nach Verschwiegenheit der Boten, insbeson-
dere bei politischer und geschäftlicher Korrespondenz. Das Briefgeheimnis wurde
aber nicht rechtlich geschützt, sondern faktisch durch Methoden der Kryptographie,
der Verschlüsselung der Daten. Einen rechtlichen Schutz vor staatlichem Lesen
der Post gab es mangels geregelten Postwesens nicht. Auch freiheitliche Bürger-
rechte bestanden bestenfalls in Ansätzen. Das römische Reich gewährte zwar einer
privilegierten Oberschicht einige Bürgerrechte und entwickelte Ansätze eines Straf-
prozessrechts. Die Annahme, dass der Magistrat oder andere Verwaltungsspitzen in
Strafsachen keine Korrespondenz überwachen durften, wäre wegen der dürftigen
Quellenlage aber rein spekulativ.2
1
Eine der frühesten Quellen erwähnt eine Art geheim agierenden Militärdienst im antiken Sparta
Plutarchus, 28, 1–7; Hertzberg, S. 111; Thommen, S. 113, 129.
2
Im römischen Reich gab es zu keinem Zeitpunkt eine reguläre Polizei oder Staatsanwaltschaft.
Die Bürger mussten selbst für ihre Sicherheit sorgen. Die Opfer selbst mussten beim Magistrat
Klage erheben. Vgl. Kepura/Niechoziol, Der Kriminalist, Nr. 11, 2011, S. 31; Neben dieser Pro-
zessform gab es auch als Ausnahme für bestimmte, gegen den Staat gerichtete Delikte einen
inquisitorischen Prozess, in dessen Rahmen der Magistrat die Ermittlung leitete. Dieses Ver-
fahren war aber gesetzlich ungeregelt und „entzieht sich jeder wissenschaftlichen Darstellung“,
Mommsen, S. 340. Von Cicero wird berichtet, dass er in einem Ermittlungsverfahren gegen Ver-
res eine förmliche Hausdurchsuchung „unerwartet“ durchführte, dabei Unterlagen versiegeln ließ
T. A. Bode, Verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, 17
DOI 10.1007/978-3-642-32661-5_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
18 § 3 Entwicklung bis zur Reichsgründung 1871
Die Epoche des Mittelalters lässt sich hinsichtlich des Strafprozessrechts in zwei
Zeitabschnitte einteilen. Die erste Phase war durch den Akkusationsprozess ge-
prägt. Dieser wurde im ausgehenden Mittelalter nach und nach durch das Inqui-
sitionsverfahren abgelöst.
In den mittelalterlichen Quellen finden sich so gut wie keine rechtlichen Rege-
lungen zu verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen. Die Ermittlung
spielte sich, wenn überhaupt, privat und außerhalb des Prozessrechts ab. Dies ergibt
sich daraus, dass der Anklageprozess in Mitteleuropa die Urform des Strafpro-
zesses ist. Zivil- und Strafprozess wurden noch nicht scharf getrennt. Wenn der
Ankläger der Betroffene selbst war, so hatte er dem Richter Zeugen zu stellen und
Beweise vorzulegen.3 Ursprünglich war der germanische Prozess auf Hervorbrin-
gung förmlicher „Beweise“ gerichtet. So wurde ohne wesentliche Intervention von
Richter und Schöffen nach gewissen Regeln unter den Parteien die Tatsachen fest-
gelegt.4 Die Einführung verdeckter Ermittlungsmaßnahmen wurde entscheidend
dadurch verhindert, dass es auf eine objektive Wahrheitsfindung nicht ankam. An-
dere Beweise als Vorführung des Beklagten, die Vorlage des „corpus delicti“ oder
Eid und Gottesurteil wurden nicht zugelassen. Eine Ermittlung wäre nur Zeitver-
schwendung gewesen. Beispielsweise eine noch so überzeugende Zeugenaussage
zugunsten des Betroffenen oder der Fußabdruck zulasten des Beklagten am Tat-
ort waren nichts wert, da der Prozess leicht durch eine größere Zahl angesehener
Zeugen, zum Beispiel durch das sog. „übersiebnen“5 entschieden werden konnte.
Der Prozess verlief im Akkusationsverfahren und war – jedenfalls für die Partei-
en – in allen Vorwürfen und Beweisangeboten bekannt. Er lief also in keiner Weise
verdeckt ab. Entscheidend war, ob der Kläger oder der Beklagte die stärkere Posi-
und beschlagnahmte. Dass diese Durchsuchung heimlich erfolgt, ist aber nicht dargetan. In einem
anderen Prozess ließ er beschlagnahmte Briefe verlesen. Auch hier ist davon auszugehen, dass die
Briefe beim Adressaten und nicht auf dem Weg beschlagnahmt wurden, Zumpt, S. 305 f.
3
Dem Gericht standen weder eine Anklagebehörde noch eine Kriminalpolizei zur Seite. Ermitt-
lung war Sache des Betroffenen, ob geheim oder offen. Eine Polizei gab es nicht und erst recht
keine sonstige Stelle mit Geheimbefugnissen zur Strafverfolgung.
4
Vgl. von Kries, S. 148 f.
5
Wer mehr Zeugen aufbieten konnte, gewann den Prozess. Vgl. Donandt, S. 303. Dies war teil-
weise an eine bestimmte Anzahl, zum Beispiel „sieben“ gebunden. Hayme, S. 231 macht dies
anhand des Verbrechens der Sacramentslästerung deutlich: „Wurden die sieben Zeugen genannt,
welche einen Mißetäter überzeugen mussten, welches auch besiebnen oder übersiebnen hieß“.
Das Prozessrecht war ohnehin völlig lückenhaft. Bezeichnend ist, dass Eike von Repgow in sei-
nem Sachsenspiegel überhaupt kein Ermittlungsverfahren nannte. Eike von Repgow soll nur eine
Art „Hauptverhandlung“ und die spätere Vollstreckung des Endurteils gekannt haben. Vgl. Ignor,
S. 56.
III. Neuzeit 19
tion in der Gemeinschaft inne hatte. Ob Eidhelfer die Wahrheit sagten oder nicht,
war unbeachtlich. Es ging darum, wer für oder gegen den Beklagten auftrat. Im
Mittelpunkt des Prozesses stand nicht die objektive Wahrheitsfindung, sondern eine
Meinungsfindung zur Friedensherstellung.6 Im mittelalterlichen Akkusationspro-
zess waren verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen also systembedingt
nicht notwendig und nicht einmal für das Verfahren förderlich.
III. Neuzeit
1. „Peinliches“ Strafverfahren
6
Persönliche Abhängigkeiten und Reste von Stammesdenken prägten die Rechtsordnungen der
Zeit. Erst mit der Auswechslung der Personal- durch eine Territorialgewalt wurde die objekti-
ve Wahrheit gegenüber subjektiven Machtfaktoren der Personenverbände wichtiger, vgl. Ignor,
S. 58 ff.
7
Der Inquisitionsprozess wurde als Verfahren innerhalb des Klerus begründet. Vorteil war, dass
bereits bei vagem Verdacht oder Gerüchten, „mala Fama“ (Koch, S. 60) ein Verfahren eingelei-
tet und die mangelnde Disziplin in der Geistlichkeit besser bekämpft werden konnten, vgl. auch
Biener, S. 40.
8
Zunächst war der Inquisitionsprozess subsidiär.
9
Vgl. zur Wandlung des Begriffs Koch, S. 1–6, 58 f.
10
Bestimmend für den Strafprozess der Anfangszeit war die Carolina (CCC) und mit ihr verwandte
Gesetze. Vgl. Vormbaum, S. 90 m. w. N.; Ignor, S. 83 ff.
11
Lediglich in Art. 29 und 31 Abs. 3, 154 CCC findet sich eine Andeutung, aus der sich entnehmen
lässt, dass die CCC prozessvorbereitende „Erkundigungen“ (Ermittlungen) voraussetzt.
12
Ob wenigstens anonyme Anzeigen zulässig waren, ist nicht eindeutig. Nach Art. 110 CCC war
das Verfassen einer ehrenrührigen Schmähschrift unter falscher oder fehlender Namensangabe
20 § 3 Entwicklung bis zur Reichsgründung 1871
An die Stelle der Formalbeweise tritt nicht der Wahrheitsgrundsatz, der die verdeck-
ten Ermittlungsmaßnahmen hätte begünstigen können, sondern die Folter. Die in
Art. 154 CCC gesetzlich legitimierte Willkür der Inquisitoren ist nur bei der Ermitt-
lung der Glaubwürdigkeitskriterien von Zeugen beschränkt.13 Da der Schwerpunkt
der Urteilsfindung auf der Erzwingung eines Geständnisses durch Folter lag, waren
heimliche Ermittlungen überflüssig.
Erst mit der Abschaffung der Folter im ausgehenden 18. Jahrhundert wurde ver-
decktes Vorgehen eine effektive Ermittlungsalternative. Im 18. und 19. Jahrhundert
wurden Staatsschutzdelikte vielfach mit Hilfe von Spitzeln verfolgt. Neben der of-
fen gehandhabten Pressezensur wurde die heimliche Briefbeschlagnahme14 für das
Strafverfahren entdeckt und durch die Einführung von Postmonopolen und Staats-
post begünstigt.15 Spitzeldienst und Briefbeschlagnahme sind die ersten tatsäch-
lich dem Strafprozess dienenden verdeckten Ermittlungsmaßnahmen. Sie blieben
aber trotz ihrer Verbreitung16 ohne besondere gesetzliche Regelung. Die regelnden
konkreten Erlasse waren selbst geheim.17 Weder das ALR von 179418 noch die
Kodifikationen in der Zeit der französischen Revolution und der anschließenden
Restauration regelten verdeckte Ermittlungsmaßnahmen.
eine Straftat, auch wenn sich die darin behaupteten Tatsachen als wahr erwiesen, siehe Koch, S. 82,
Fn. 96. Die CCC stand daher grundsätzlich der Heimlichkeit ablehnend gegenüber. Im gemeinen
Recht wurde die anonyme Anzeige einhellig abgelehnt. Die Erkennbarkeit des Urhebers galt als
unverzichtbar, siehe A. a. O., S. 129.
13
Vgl. Otte, S. 35 ff.
14
Brieföffnungen wurden als vertretbar angesehen, solange sich „militärische, diplomatische oder
criminalistische Zwecke“ nachweisen ließen, vgl. (Beyrer)Stephan, S. 271.
15
Vgl. Beyrer in: Stephan, S. 59 ff. Berühmt-berüchtigt ist in diesem Zusammenhang Oliver Crom-
wells Begründung für einen staatlichen Postzwang von 1657: „Die Post wird eines der besten
Mittel sein, um gefährliche und verruchte Anschläge gegen das Commonwealth zu entdecken und
abzuwehren.“Becker, S. 117.
16
Für die Ära Metternich wird ein Jahresdurchschnitt von 15000 abgefangenen Briefen angege-
ben, vgl. Beyrer, S. 59. Unklar ist jedoch, wie weit dies zur Verfolgung politischer Straftaten oder
zu anderen Zwecken erfolgte.
17
„Auf höchste Verordnung vom Oktober 1834 wurde das Netz der Spitzel über ganz Siebenbürgen
ausgebreitet, obwohl sie auch bis dahin dort reichlich vertreten waren.“, vgl. Andics, S. 62; Mehr
zur Spionage unter Metternich findet sich bei: Adler, S. 1–46.
18
Zwar war eine heimliche Anzeige schon im verbesserten Landrecht des Königreichs Preußen
von 1721 (Sechstes Buch, Titel V, Art. VI, § 4) bei Hochverrat zulässig, doch waren im ALR
selbst nur in §§ 14 und 16 die Hinzuziehung der Polizei bei offenen Kriminaluntersuchungen zur
Beweissicherung festgelegt.
III. Neuzeit 21
Wie bei einem Bruch des Briefgeheimnisses durch unmittelbare Anweisung des
Landesherrn zu verfahren ist, regelt diese Verfassung aber nicht. Im Zuge der ge-
scheiterten Revolution von 1848 entstand insbesondere unter dem Eindruck der
erfolgreichen Verfassungsgebungen in den USA 1787/89 und Belgiens (1831)21 die
faktisch nie in Kraft getretene22 Verfassung des Deutschen Reiches vom 28.03.1849
(Paulskirchenverfassung, FRV). Sie sicherte die Unverletzlichkeit der Person in den
§§ 138–142 FRV umfassend. Im gleichen Rang wie der Schutz vor Verhaftungen23
19
Im Verhältnis des Bürgers zu Hoheitsmacht war der Geheimnisschutz zunächst nur einseitig
zu Lasten der Bürger kodifiziert. In der Tiroler Landesordnung von 1532 erwarteten Landesver-
weisung und Ehrverlust denjenigen, welcher Briefe seines Landesherrn unberechtigt öffnete. Die
Bestrafung für das unberechtigte Öffnen anderer Briefe wurde in das Ermessen der Gerichte ge-
stellt. Vgl. Waldschmidt, Postgeheimnis, Sp. 1840–1842.
20
Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen, 5. Januar 1831.
21
Der Einfluss der belgischen Verfassung spiegelt sich auch gerade in der Gewährleistung des
Briefgeheimnisses wieder. So heißt es im ersten Satz des Art. 22 der belgischen Verfassung vom
07.02.1831: „Le secret des lettres est inviolable.“ (Das Briefgeheimnis ist unverletzlich.) Verfas-
sung (Grundgesetz) Belgiens vom 7. Februar 1831. In der Verfassung der Vereinigten Staaten heißt
es: „[Zusatz-] Artikel 4. Das Recht des Volkes auf Sicherheit der Person, des Hauses, der Papiere
und der Habe vor ungerechtfertigter Nachsuchung und Beschlagnahme soll nicht verletzt werden,
und Durchsuchungs- und Haftbefehle sollen nur aus zureichendem Grunde erteilt werden, gestützt
auf Eid oder Gelöbnis, und sollen die zu durchsuchende Örtlichkeit und die in Gewahrsam zu
nehmenden Personen oder Gegenstände genau bezeichnen.“, wortgetreue Übersetzung bei Brug-
ger, S. 454 ff. Zum weiteren Einfluss der genannten Verfassungen auf die FRV vgl. Scholl (USA);
Reineke (Belgien).
22
Zur Frage der positiven Fortwirkung auf die folgenden Verfassungen vgl. Kühne, S. 31 f.
23
Die Verhaftung war nur der umfassendste Eingriffsfall. Die anderen Rechte waren aber im Ver-
gleich zur körperlichen Freiheit nicht minder geschützt, vgl. A. a. O., S. 342.
22 § 3 Entwicklung bis zur Reichsgründung 1871
24
Verfassung des deutschen Reiches vom 28. März 1849.
25
Ob damals tatsächlich ein dem heutigen Grundsatz entsprechender Teil des Verhältnismäßig-
keitsprinzips kodifiziert wurde, ist bisher nicht erforscht worden. Beachtliche Gründe sprechen
aber dafür, dass die FRV dem Freiheitsschutz vor anderen Werten Priorität einräumte und
außerdem im Vertrauen auf ein einverständliches Zusammenwirken von Legislative und Volk weit-
gehend unbeschränkte Freiheitsrechte bestehen sollten. Vgl. den Ausspruch Mittermaiers gegen
Wiegand: „Wenn sie keine Garantie mehr in den Gesetzen finden, die das Volk mitmacht, dann
ist ihnen nicht zu helfen“, vgl. Kühne, S. 516. Zu der hier nur angedeuteten Auffassung und den
Gegenargumenten, vgl. A. a. O., S. 515 ff. Daher ist auch eine Rückbeschränkung des Gesetzesvor-
behalts auf das „Notwendige“ bzw. „Erforderliche“ die einzig systematisch sinnvolle Auslegung
der Verfassungsbestimmung.
26
Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.
27
Bis zur Weimarer Republik.
28
Sievers, S. 104.
29
Vgl. zur technischen Entwicklung Völker, S. 129 ff. m. w. N.
30
Sievers, S. 104.
III. Neuzeit 23
4. Zusammenfassung
31
Sievers, S. 104.
§ 4 Entwicklung von 1871 bis in die Zeit nach
dem zweiten Weltkrieg
Mit der Erfindung des Telegraphen und des Telefons im 19. Jahrhundert ergab sich
eine Zäsur in der Entwicklung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen. Von die-
ser Zeit an konnte auch auf elektronische Fernkommunikation heimlich zugegriffen
werden. Mit der Konsolidierung des deutschen Reiches wurden zudem einheitliche
Regelungen in der jungen StPO von 1877 möglich. Der darzustellende Missbrauch
der verdeckten Maßnahmen in der Diktatur des Nationalsozialismus im Dritten
Reich und des Kommunismus in der DDR ist zudem für die Grundrechtsentwick-
lung in der Bundesrepublik entscheidend.1
1
Vgl. § 8, III, 4, b).
2
Die Kernvorschrift blieb, von kleinen sprachlichen Korrekturen abgesehen, bis heute unverändert.
Vgl. Schäfer in: Löwe/Rosenberg, StPO25 , § 99 vor Rdn. 1.
Die erste Regelung über die technische Fernkommunikation wurde in § 8 des Geset-
zes über das Telegraphenwesen vom 06.04.1892 getroffen. Darin war zwar bereits
eine Einschränkung des Telegraphengeheimnisses für strafprozessuale Zwecke vor-
gesehen:
„Das Telegraphengeheimniß ist unverletzlich, vorbehaltlich der gesetzlich für strafgericht-
liche Untersuchungen, im Konkurse und in civilprozessualischen Fällen oder sonst durch
Reichsgesetz festgestellten Ausnahmen. Dasselbe erstreckt sich auch darauf, ob und zwi-
schen welchen Personen telegraphische Mittheilungen stattgefunden haben.“
Dem folgten jedoch keine strafprozessualen Regelungen. Die zitierte Norm deu-
tet schon in ihrem zweiten Satz die Trennung zwischen Kommunikationsüberwa-
chung und der Erhebung von Verbindungsdaten an.
Bis die Bestimmung außer Kraft trat,4 lautete § 12 FAG wie folgt:
„§ 12 Auskunft im Strafverfahren In strafgerichtlichen Untersuchungen kann der Richter
und bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft Auskunft über die Telekommuni-
kation verlangen, wenn die Mitteilungen an den Beschuldigten gerichtet waren oder wenn
Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die Mitteilungen von dem Beschul-
digten herrührten oder für ihn bestimmt waren und daß die Auskunft für die Untersuchung
3
RGBl. I S. 8, 1928.
4
Am 31.12.1997.
I. Kodifikation strafprozessualer Befugnisse zu verdeckten Ermittlungsmaßnahmen bis 1933 27
Bedeutung hat. Das Grundrecht des Artikels 10 des Grundgesetzes wird insoweit einge-
schränkt.“
Bereits im ersten Ausschuss gab es von kommunistischer Seite den Antrag, eine po-
lizeiliche Überwachung des Fernmeldeverkehrs ganz zu verbieten. Der Vertreter der
KP8 und der Vertreter der DNV9 behaupteten, dass Telefone ihrer Parteiorganisatio-
nen abgehört würden. Ein deutliches Knacken in der Leitung sei dann vernehmbar.
Entgegen den Angaben des Ministeriums bestünden auch technische Möglichkeiten
dazu. Bei Ausstellungen seien sog. Einschaltapparate vorgeführt worden, welche
die Polizei besitze. Außerdem habe man das Abhören von Telefonen bereits in Pro-
zessen verwendet. Aus der Formulierung des § 142 Abs. 3 StGB, „wer unbefugt
von dem Inhalt eines durch Fernsprecher geführten Gesprächs einen anderen be-
nachrichtigt“, gehe hervor, dass die Post Bedienstete habe, welche befugt mithören
5
In der Gesetzesbegründung findet sich insoweit keine Differenzierung, vgl. Reichstag III/1924/27
Drucks. Nr. 3682 S. 9.
6
Reichstag III/1924, Verhandlungen Bd. 394 S. 11719 und 11732; Stenographischer Bericht über
die 346. Sitzung am 24. November 1927.
7
Reichstag IV/1928, 30. Sitzung 2. Ausschuss (Reichsstrafgesetzbuch).
8
Kommunistische Partei.
9
Deutschnationale Volkspartei.
28 § 4 Entwicklung von 1871 bis in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg
und benachrichtigen würden. Auch der Abgeordnete der DNV sorgte sich um miss-
bräuchliches Abhören seiner Organisation durch die Polizei und fragte den Vertreter
des Ministeriums mehrfach nach tatsächlichen Möglichkeiten der Polizei und nach
Sperrmöglichkeiten durch die Post.
Von ministerialer Seite wurde auf die genannten Bedenken der Opposition geant-
wortet, eine technische Möglichkeit zur eigenmächtigen Überwachung durch die
Polizei gebe es nicht. Zudem regele § 12 FAG die Frage abschließend so, dass ei-
ne Überwachung nur unter den engen Anordnungsvoraussetzungen durch Richter
oder StA zulässig sei. Sie dürften auch nicht bei Übertretungen und nur für die
Erhebung von Verbindungsdaten aus der Vergangenheit angeordnet werden. Miss-
brauchsfälle kämen nicht vor und die Post würde zudem ungesetzliches Verlangen
der Polizei zurückweisen. Die Wahrung des Fernmeldegeheimnisses sei „oberstes
Prinzip“. Eine Überwachung aus politischen Gründen sei ungesetzlich und finde
auch nicht statt. Die Postbediensteten selbst würden nur bei Auslandsgesprächen
zu Vermittlungszwecken in Gespräche eingeschaltet. Aufzeichnungen fänden über-
haupt nur über Daten zu Abrechnungszwecken und nicht inhaltlich statt. Nur dies
könne daher durch die Strafverfolgungsbehörden erfasst werden.10
Diese Diskussion zeigt die generelle Problematik der heimlichen Fernmelde-
überwachung: Angst vor Missbrauch durch Behörden entsteht schon durch eine
Befugnisnorm und durch Beamte, die mutmaßlich tatsächliche Möglichkeiten zur
Überwachung haben.11
10
Reichstag IV/1928, 30. Sitzung 2. Ausschuss (Reichsstrafgesetzbuch), Protokolle S. 4 ff. bei
Schubert, Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, S. 325 ff.
11
Dies Problem ist bis heute noch nicht zufriedenstellend gelöst, vgl. § 8, III, 6.
12
Das FAG ist am 31.12.2001 außer Kraft getreten. Die Regelungen wurden aber nicht abge-
schafft, sondern weiterentwickelt und ergeben sich nun aus dem TKG und der StPO. Vgl. unten §
5, IV, 2 a).
13
Vgl. Welp, GA 2002, S. 536 m. w. N.
I. Kodifikation strafprozessualer Befugnisse zu verdeckten Ermittlungsmaßnahmen bis 1933 29
Der Einsatz von V-Personen und Verdeckten Ermittlern war in der Zeit der Weima-
rer Republik nicht geregelt. Man sah offenbar schlicht keinen Anlass für besondere
Gesetze, da spezielle Grundrechte insoweit noch nicht anerkannt waren. Das allge-
meine Persönlichkeitsrecht war nur eine Theorie des Privatrechts.14 Der umfassende
Schutz der Person hinsichtlich der aktiven körperlichen Freiheit, sowie der passi-
ven Integrität der höchstpersönlichen Bereiche der Wohnung und der Privatpapiere
in der FRV wurde in der WRV so nicht weitergeführt. Der Schutz der Privatsphä-
re in der Wohnung und des Briefgeheimnisses waren in der WRV vielmehr bloße
Ergänzungen des zentralen Schutzes der körperlichen Freiheit.15 Der Schutz der
Privatsphäre war somit Ausnahme und nicht Teil des einheitlichen Gesamtkon-
zepts.16 Einer möglichen Ausweitung hin zu einem umfassenden grundrechtlichen
Persönlichkeitsschutz gegen staatliche Personenüberwachung standen somit dog-
matische Hindernisse im Grundkonzept der Verfassung entgegen. Sie konnten in
der Weimarer Republik nicht überwunden werden. Verdeckte Ermittlungen standen
also nur im Schutzbereich des Art. 117 WRV unter Gesetzesvorbehalt. Persönli-
che Bespitzelung stand im freien Ermessen der Strafverfolgungsbehörden. Andere
Maßnahmen wie etwa technische Bild- und Tonaufzeichnungen waren nicht oder
nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglich. Die Regelungsfrage stellte sich
insoweit nicht.
6. Zusammenfassung
14
Vgl. dazu BGHZ 13, 334, 337: „Das Reichsgericht glaubte, einen [allgemeinen] von dem Ur-
heberrecht unabhängigen Persönlichkeitsschutz für Briefveröffentlichungen deshalb versagen zu
müssen, weil die damals geltende deutsche Rechtsordnung keine positiven Gesetzesbestimmungen
über ein allgemeines Persönlichkeitsrecht enthielt (RGZ 79, 397 [398]; 82, 333 [334]; 94, 1; 102,
134; 107, 277 [281]; 113, 414; 123, 312 [320]). Das Reichsgericht hat zwar in zahlreichen Ent-
scheidungen über § 826 BGB Persönlichkeitsrechten Schutz zugebilligt (RGZ 72, 175; 85, 343;
115, 416; 162, 7), aber grundsätzlich Persönlichkeitsrechte mit der absoluten Wirkung der Aus-
schließlichkeitsbefugnis nur für bestimmte einzelne Persönlichkeitsgüter anerkannt. Im Schrifttum
haben sich schon Gierke und Kohler für die Anerkennung eines umfassenden Persönlichkeitsrechts
eingesetzt (Otto v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, 707; Bd. 3, 887; Kohler, ,Das Recht an
Briefen‘ in Archiv für bürgerliches Recht, Bd. 7, 94 ff. [101]; für das schweizerische Recht vgl.
Schweizer ZivGB Art. 28).“
15
Ein Problem, das sich im Grundgesetz ganz ähnlich stellt, Kühne, S. 342, Fn. 103.
16
Kühne, S. 342.
30 § 4 Entwicklung von 1871 bis in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg
1. Nationalsozialistische Herrschaft
a) Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933
17
Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933.
18
Peter Nitschke in: Paul/Mallmann, S. 278.
19
In der rechtsgeschichtlichen Forschung wird zwischen „Maßnahmenstaat“ und „Normenstaat“
der NS-Zeit unterschieden, vgl. Fraenkel, S. 21. Mit diesem Konzept wird impliziert, dass
Maßnahmen aufgrund von Geheimerlassen auch nach streng rechtspositivistischer Anschauung
Unrecht waren. Die Maßnahmen der Polizei zur Verbrechensbekämpfung gehörten zum Maßnah-
menstaat, da sie in geheimen Richtlinien und Erlassen, nicht aber „gesetzlich“ geregelt waren, vgl.
Werle, S. 619. A. a. O. S. 618 findet allerdings zwischen Strafrechtsverordnungen und geheimem
Polizeierlass wenig Unterscheidungskriterien: „Markiert [der Unterschied zwischen Erlaß und
Verordnung] die Grenze zwischen Recht und Nicht-Recht? In Ansehung der ,Rechtsverbindlich-
keit‘ der erteilten Instruktionen ergeben sich in einem System, das ,geheimes Recht‘ kennt, keine
praktisch fassbaren Unterschiede. Gesetzförmige Verordnungen und geheimer Polizeierlass wer-
den vollzogen und von den staatlichen Instanzen als maßgebliche Funktionsmodi anerkannt.“ Für
die verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ist dies insofern bedeutend, als zu der
Geheimhaltung der Maßnahme nun auch noch die Geheimhaltung ihrer Rechtsgrundlage hinzu-
kam. Der geheime Erlass war eine neue verdeckte Regelungsform der Ermittlungen. Damit wurde
nicht (nur) die einzelne Maßnahme, sondern die Ermittlung als solche geheim.
II. Missbrauch verdeckter Ermittlungsmaßnahmen durch Diktaturen ab 1933 31
b) Gescheiterte Gesetzentwürfe
In der Zeit des Nationalsozialismus gab es zwar einige weitere Gesetzentwürfe, die
unter anderem verdeckte Ermittlungsmaßnahmen regeln sollten, aber nicht Gesetz
wurden.20 Gesetzliche Neuregelungen waren unter der Geltung der Notverordnung
überflüssig.
Fraglich ist aber, ob der sich durch die Reichstagsbrandverordnung ergebende recht-
liche Freiraum tatsächlich zu einem verstärkten Einsatz verdeckter strafprozessualer
Ermittlungsmaßnahmen führte. Viele Verfahren der Gestapo kamen durch schlichte
Denunziation zustande. Das stereotype Erklärungsmuster der Nachkriegszeit, die
NS-Gesellschaft sei ausschließlich eine durch brutalen Zwang zusammengehalte-
ne, totalitäre Überwachungsgesellschaft gewesen und demzufolge sei die Geheime
Staatspolizei ein perfekter und allgegenwärtiger Verfolgungsapparat gewesen, gilt
in der Geschichtswissenschaft als nachträgliche Fiktion. Historiker sind der Mei-
nung, diese Fiktion habe eine entlastende Wirkung auf die Mehrheitsgesellschaft
gehabt, die so die Schuld auf nur einige wenige zur Selbstreinigung abladen konnte.
Die Auseinandersetzung mit den politischen Denunziationen im Nationalsozialis-
mus zeige nach dieser Ansicht,
„dass der Blick stärker als bisher von der „Volksopposition“ und „Resistenz“ auf freiwil-
lige und loyale Mitarbeit der Bevölkerung gelenkt und insoweit auch die teilweise noch
anzutreffenden Thesen eines ausschließlich durch Terror zusammengehaltenen „Überwa-
chungssystems“ [. . . ] korrigiert werden müssten, ohne einer Kollektivschuldthese das Wort
zu reden.“21
Auch nach 1933 habe es keine gesetzliche Vorschrift gegeben, Vergehen anderer
anzuzeigen:22
„Angesichts der geringen Personalausstattung und der Arbeitsüberlastung der Gestapo,
war die Denunziation aus der Bevölkerung ein unverzichtbares Instrument polizeilicher
20
Siehe zum Beispiel die Entwürfe der kleinen (1933–1935) und großen Strafrechtskommission
(1936–1938). Der Entwurf von 1939 sah für das FAG vor, dass eine Auskunftspflicht der Post
auf den gesamten Post-, Postscheck-, Postsparkassen- und Fernmeldeverkehr ausgedehnt werden
sollte. Im selben Entwurf war die so genannte Postsperre vorgesehen. Sie hätte darin bestanden,
dass alle Sendungen, die an den Beschuldigten gerichtet sind oder von ihm herrühren, zunächst
aus der Post an die beantragende Behördendienststelle weiterzuleiten sind. Schubert, Quellen zur
Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, S. 487.
21
Diewald-Kerkmann in: Paul/Mallmann, S. 290 ff.
22
Dies ist insoweit richtig, als es keine entsprechende strafprozessuale Generalklausel gab.
Diewald-Kerkmann in: Paul/Mallmann, S. 296: „Heydrichs Vorhaben einer allgemeinen Anzei-
gepflicht, die jeden ,Volksgenossen‘ durch Strafdrohung dazu zwingen sollte, alle Verbrechen und
Vergehen anzuzeigen, die nach ,gesundem Volksempfinden‘ geeignet waren, die Geschlossenheit
und den Kampfwillen [. . . ] des deutschen Volkes [. . . ] zu zersetzen [. . . ]“ (Entwurf einer Verord-
nung über den Volksmeldedienst, BAK, R 43 II/1264 a, Bl. 104 f.) wurde wegen Bedenken, dass die
Verordnung eher das Gegenteil bewirken könnte, nicht umgesetzt.“
32 § 4 Entwicklung von 1871 bis in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg
„Die politische Denunziation war gewollt, der Denunziant aber nicht erwünscht. Einerseits
war der NS-Staat zur Perfektionierung der eigenen Macht auf die freiwilligen Angaben der
Bevölkerung angewiesen, denn nur so konnte er mit seinem Totalitätsanspruch in die Pri-
vatsphäre aller Volksgenossen eindringen. Aber andererseits bedeutete die Instrumentalisie-
rung der Denunziation für individuelle Zwecke und die Inanspruchnahme der öffentlichen
Strafgewalt für private Interessen, dass der Zweck, aus der Perspektive der Machthaber,
umgekehrt wurde.“24
Lediglich bei der politischen Verfolgung von Regimegegnern wurden staatliche
verdeckte repressive Ermittlungsmaßnahmen forciert:
„Vor allem Fahndungserfolge der Anfangsjahre auf dem Felde der politischen Gegnerbe-
kämpfung beruhten fast ausschließlich auf der Zuarbeit durch V-Leute [. . . ]. Über Denun-
zianten schließlich kam die Gestapo den kleinen „Mekkerern und Mießmachern“ auf die
Spur, wobei Denunziationen für die Gestapo selbst eher ein ambivalentes Ermittlungsin-
strument darstellten, da sie nur zum geringen Teil staatspolizeilich relevante Erkenntnisse
zutage förderten, ansonsten aber eine Unmenge Arbeit zur Folge hatten [. . . ]. Staatspolizei-
liche Maßnahmen in Form von Observierungen, Postüberwachungen oder Haussuchungen
wurden nur in einem Drittel der Fälle eingeleitet. In wiederum 17,5 Prozent der Fälle gab
die Gestapo das Verfahren an die Gerichte ab.“25
Wenn justizielle Verfahren abliefen, um den Schein ordnungsgemäßer Verfahren
zu wahren, kam es zu weitgehender Vertuschung der Rolle von V-Leuten in den von
der Gestapo produzierten Quellen selbst:
„Konnten V-Leute nicht vor Gericht aussagen, weil sie sonst gefährdet gewesen wären, so
verschwieg man deren Mitwirkung oft ganz oder bediente sich gegenüber der zuständigen
Staatsanwaltschaft der kryptischen Wendung, dass man etwas „vertraulich erfahren“ habe,
und legte lediglich Verhörsgeständnisse als Beweismittel vor. Auch behördenintern wurde
durch eine verschlüsselte Doppelkartei alles getan, die V-Leute geheimzuhalten.“26
Im Nationalsozialismus wurde durch Notverordnungen und „unbegrenzte Ausle-
gung“ vorhandener Vorschriften eine scheinbar unbegrenzte Legitimation verdeck-
ter strafprozsessualer Ermittlungsmaßnahmen erreicht. Dennoch wurde im „Nor-
menstaat“27 nach außen noch teilweise der Schein einer Gesetzmäßigkeit gewahrt.
Die verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen erfolgten meist nicht un-
mittelbar durch Polizeibeamte. Der Staat nutzte bei der Verfolgung politischer Straf-
taten vielmehr ein Netzwerk informeller Spitzel. Als besonders perfide stellte sich
die Förderung von Denunziation aus dem engsten Familienkreis dar, da so nicht
nur die Betroffenen der Verfolgung ausgeliefert wurden, sondern auch familiäre
Strukturen belastet und zerstört wurden. Die Versuche, das Spitzel- und Denun-
ziantennetz bis hinein in die Familien zu erstrecken, blieben aber praktisch oft
erfolglos.28 Sie hatten aber dennoch eine erhebliche Einschüchterungswirkung:
23
Mallmann/Paul in: Paul/Mallmann, S. 107.
24
Diewald-Kerkmann in: Paul/Mallmann, S. 305.
25
Paul in: Paul/Mallmann, S. 172 f.
26
Mallmann in: Paul/Mallmann, S. 274 ff.
27
Fraenkel, S. 21.
28
Vgl. zur Denunziation im engsten Familienkreis Hornung, S. 226 f.
II. Missbrauch verdeckter Ermittlungsmaßnahmen durch Diktaturen ab 1933 33
„[Das von oben genährte Denunziantentum] machte selbst vor dem engsten Familienkreis
nicht halt [. . . ]. Niemand wagt mehr ein offenes Wort zu sprechen, da er sich auf Schritt
und Tritt von Spitzeln beobachtet fühlen musste.“29
In der DDR konnte über längere Zeit als in den 12 Jahren des Nationalsozialismus
ein Überwachungsapparat in Form des Ministeriums für Staatssicherheit aufgebaut
werden. Die Infiltration des engsten Familien- und Freundeskreises von Dissidenten
mit Spitzeln konnte so erfolgreicher verwirklicht werden:
„[Aus dem MfS-Dossier über den Schriftsteller Reiner Kunze] geht auch hervor, dass der
schlimmste Stasi-Spitzel sein vermeintlich bester Freund war: Manfred Ibrahim Böhme.
Er nutzte das Vertrauen der Familie Kunze aus, um als inoffizieller Mitarbeiter ohne Not,
geschwätzig und widerwärtig beflissen seitenlange Berichte und Einschätzungen zusam-
menzutragen [. . . ]“30
„Die Opferakten enthalten weitreichende Belege dafür, wie das MfS über die Zersetzung
versuchte, [. . . ] Menschen mit in seine Strategien der Zersetzung einzubeziehen oder Ein-
griffe in das intime Leben vorzunehmen, um Familien zu zerstören.“31
Ein Analyst der Stasi-Akten spricht von „permanenter Entwürdigung der Opfer“.32
Diese Maßnahmen waren allerdings nicht durch die StPO der DDR oder andere Ge-
setze gestattet. Das MfS handelte insoweit auf Erlaß- und Befehlsebene außerhalb
des Gesetzes.
Das in der DDR geregelte strafprozessuale Verfahren enthielt in der Frühzeit des
kommunistischen Systems nur wenige gesetzliche Regelungen zu verdeckten straf-
prozessualen Ermittlungsmaßnahmen. In der Spätphase lässt sich nur ein geringer
Unterschied zur westdeutschen Regelung erkennen. So war in der letzten StPO der
DDR eine Regelung zur Überwachung der Telefongespräche enthalten, die in etwa
dem damaligen westdeutschen § 100a StPO entsprach.
29
Helfritz, S. 266.
30
Worst, S. 110 f.
31
Pingel-Schliemann/Greven, S. 362 f.
32
Pingel-Schliemann/Greven, S. 415.
33
In der Sprache der DDR-StPO: Überwachung des „Fernmelders“.
34 § 4 Entwicklung von 1871 bis in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg
anordnete. Dabei war die Anordnung jedoch nur formeller Natur, da der Richter
keine Prüfung der durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) verfassten Vor-
lage vornahm, sondern diese nur abzeichnete.34 Die Gründe für dieses Vorgehen
der Richter lagen nicht zuletzt in der Mitentscheidungskompetenz des MfS bei
der Richtereinstellung. Andererseits kam es in der Endphase der DDR auch zu
Weigerungen einzelner Richter, das Gesetz zu missachten. Das MfS war mit na-
hezu unbegrenzten Machtbefugnissen ausgestattet. Daher spricht viel dafür, dass
die Einsicht der Richter in die Machtverhältnisse des totalitären Systems sie zu vor-
auseilendem Gehorsam verführten.
In der StPO der DDR war zwar eine Aufgabenzuweisung hinsichtlich des Er-
mittlungsverfahrens enthalten. Genannt waren dort in der Anfangsperiode der DDR
(bis 1968) aber nur generell „die Untersuchungsbehörden“. Es existierte also eine
positive Regelung, doch gab diese dem Staat die Rechtfertigung, unzählige Behör-
den seiner Wahl mit der Strafverfolgung zu beauftragen. Rechtsstaatlichkeit liegt
nur scheinbar vor, da mit den „Untersuchungsorganen“ von einem unbefangenen
Leser keine Geheimpolizei assoziiert wird. Schon die Frage ob das MfS überhaupt
ermitteln durfte, war daher genauso unklar wie der geheime Umfang seiner Tätig-
keiten.35
In der DDR wurde versucht, die Fassade der Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhal-
ten. Verdeckte strafprozessuale Maßnahmen fanden vor allem unter Manipulation
der Akteure auf der justiziellen Ebene statt.36 Die Staatsführung ließ mit Hilfe des
Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) scheinbar regelkonforme Strafprozesse ab-
laufen, anstatt das Recht sichtbar zu brechen. Das tatsächliche Strafverfahren war
daher vollständig geheim.
3. Zusammenfassung
Verdecktes Vorgehen war ein Kennzeichen der sich an die Weimarer Republik an-
schließenden beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Der Nationalsozia-
lismus hatte sich der verfassungsrechtlichen Grenzen entledigt und wandte verdeck-
te Maßnahmen auch im Strafprozess ohne rechtliche Grundlage an.37 Der Schwer-
punkt des heimlichen strafprozessualen Vorgehens lag auf weitgehend freiwilliger
bzw. ideologisch motivierter Denunziation durch Spitzel aus der Bevölkerung. Der
Staat ließ teilweise die Erlass- und Befehlskette verdeckt ablaufen und verheimlich-
34
Fricke, S. 1136.
35
Vgl. zur weiteren Entwicklung Vgl. §§ 88 Abs. 2 Nr. 2 StPO der DDR vom 12.1.1968 (GBl. der
DDR I 1968, S. 49) und Marxen in: Engelmann/Vollnhals, S. 18.
36
Eine Dichotomie zwischen Normen- und Maßnahmenstaat, vgl. Fraenkel, S. 21, liegt also im
Vergleich zur Zeit des Nationalsozialismus in abgeschwächtem Maße vor.
37
Daher ist das Erfordernis des Regelungsprimats des Gesetzgebers und das der gesetzlichen Be-
stimmtheit bei den Regelungen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen heute
nicht leichter Hand zu übergehen, vgl. unten § 9, I. Gesetzliche Unbestimmtheit und Delegation
auf die Verwaltung sind mit dem Fehlen von Recht verwandt.
II. Missbrauch verdeckter Ermittlungsmaßnahmen durch Diktaturen ab 1933 35
1
Vgl. BVerfGE 3, 248 – Mehrfachbestrafung; 5, 13 – Blutgruppenuntersuchung; 9, 89 – Gehör
bei Haftbefehl; 16, 194 – Liquorentnahme; 17, 108 – Hirnkammerluftfüllung; 20, 162 – Spiegel.
2
Tillmann in: Löwe/Rosenberg, StPO20 , § 99, 100 Anm. 16.
3
Vgl. § 4, I, 4.
die Post übermittelt werden können.4 Diese Ansicht lässt sich als eine nicht als
solche gekennzeichnete Frühform verfassungskonformer Reduktion interpretieren,
weil hier mit Rücksicht auf das Fernmeldegeheimnis eine enge Auslegung vertreten
wurde, die der Wortlaut so nicht erzwang. Dies wurde zudem durch subjektiv histo-
rische Auslegung gestützt, weil die spärlichen Äußerungen der Ministerialbürokra-
tie der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts eine solche Beschränkung als von Anfang an
durch den Gesetzgeber gewollt darstellen.5 Bei der späteren automatisch-analogen
Vermittlung fielen keine Verbindungsdaten an, sodass der § 12 FAG in Folge dieser
engen Auslegung in der Nachkriegszeit praktisch irrelevant wurde:
„Die Eingriffsintensität der Übermittlung von Verbindungsdaten hat infolge der seit In-
Kraft-Treten des § 12 FAG im Jahre 1928 erfolgten technologischen Neuerungen stark zu-
genommen, da immer mehr Daten für Zwecke der Strafverfolgung nutzbar geworden sind.
Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Fernmeldeanlagengesetzes wurde der Telefonver-
kehr noch manuell vermittelt. Gegenstand der Auskunft konnten nur Wahrnehmungen des
Vermittlungspersonals und die von ihnen für Abrechnungszwecke angefertigten Aufzeich-
nungen sein. Später, mit der Einführung automatisierter Vermittlungsstellen, entfiel sogar
diese Möglichkeit. In der analogen Telekommunikationstechnik wurden die für eine Ver-
bindung notwendigen Schaltungen durch elektromechanische Stellgeräte bewirkt, die nach
Ende der Verbindung in ihre Ausgangsposition zurückgingen. Verbindungsdaten waren also
nur bis zum Ende des Gesprächs verfügbar. Damit war § 12 FAG für Zwecke der Strafver-
folgung nahezu bedeutungslos geworden.“6
4
Zwar wurde anerkannt, dass § 12 FAG die Befugnis des Richters bzw. Staatsanwaltes umfasse,
Informationen über Teilnehmen, Dauer und sogar Inhalte der Gespräche von der Post anzufordern,
jedoch nur soweit diese Daten in der Vergangenheit bei der Post angefallen seien. Die Strafver-
folger durften danach nur nicht die Post dazu verpflichten in der Zukunft zu überwachen und
aufzunehmen oder die Maßnahme selbst durchzuführen, vgl. Schmidt, Lehrkommentar zur Straf-
prozessordnung, § 99 Rdn. 8 f.: „Als unzulässig ist das Abhören der Gespräche durch den Richter
oder Staatsanwalt (oder etwa einen beauftragten Polizeibeamten) anzusehen; [§ 12 FAG] deutet
in dieser Hinsicht nichts an und kann in diesem Sinne nicht ausgelegt werden. [. . . ] Es ist Löwe-
Rosenberg (S. 313/4) zuzustimmen, dass diese Frage nicht aus § 12 [FAG], sondern aus § 99, 100
StPO zu beantworten ist.“
5
Vgl. § 4, I, 4, b), bb).
6
BVerfGE 107, 299.
III. Weitere Änderungen bis 1992 39
zes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses7 , sog. G-10-
Gesetz, in die StPO aufgenommen. Das insgesamt präventiv ausgerichtete Gesetz
enthielt auch repressive Normen. Die Begründung des Gesetzentwurfs spricht von
einem
„dringenden Regelungsbedürfnis, vor allem angesichts einiger Fälle von erpresserischen
Kindesentführungen in den Jahren zuvor.“8
Der Straftatenkatalog beschränkte sich aber schon in der Urfassung der Norm
keineswegs auf Kindesentführungen, sondern umfasste auch andere bestimmte Fäl-
le der Schwerkriminalität. Eine dynamische Verweisung auf die in § 138 StGB
genannten gemeingefährlichen Straftaten war auch vorhanden. Nach Anzahl und
Detailreichtum überwog das politische Strafrecht. Die Aufnahme der Staatsschutz-
delikte ist plausibel, wenn man den Anlass des G-10-Gesetzes und der übergeord-
neten Notstandsgesetze bedenkt. Auf die durch politischen Terrorismus veränderte
Sicherheitslage sollte nicht nur durch präventive Bekämpfung, sondern auch durch
strafprozessuale Normen repressiv reagiert werden.9
Danach waren die Notstandsgesetze mit dem G-10-Gesetz das Mittel, um die
inhaltliche Telefonüberwachung in die StPO einzufügen. Bereits das G-10-Gesetz
war verfassungsrechtlich umstritten und wurde durch das Bundesverfassungsgericht
eingegrenzt.10
7
Gesetz zu Artikel 10 des Grundgesetzes vom 13. August 1968 (BGBl. I S. 949).
8
BTDrucks V/1880, S. 7; Niehaus, S. 24.
9
Schumacher, S. 166.
10
BVerfGE 67, 157 – G 10.
11
BVerfGE 34, 238, 247 – Tonband.
12
BVerfGE 34, 238, 248 – Tonband: „Da nicht ein Zugriff der öffentlichen Gewalt auf den absolut
geschützten Persönlichkeitsbereich in Frage steht, wäre die Verwertung des Tonbandes zulässig,
40 § 5 Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland
Von 1968 an hat der Gesetzgeber den Katalog des § 100a StPO mehrfach modifiziert
und dabei fast immer erweitert.13 Die Regelung der Telekommunikationsüberwa-
chung entwickelte sich von einer selten angewandten Ausnahmevorschrift zu einer
häufig eingesetzten Ermittlungsmaßnahme, wenn auch unter strengen Auflagen. In
den ersten Jahren nach der Einführung des § 100a StPO erfolgten indirekte Ände-
rungen durch Modifikation einschlägiger Vorschriften des StGB oder des WaffG.14
Eine Änderung, die dem Katalog eine völlig neue Richtung gab, war die Auf-
nahme des Betäubungsmittelstrafrechts als neue Nr. 4 des § 100a StPO.15 Damit
wurde der Weg für den neuen Fokus des § 100a StPO geebnet: Der Katalog richtete
sich von nun an verstärkt gegen die Organisierte Kriminalität. Diese Entwicklung
wurde in der Folgezeit weitergeführt.16
Bis in die Zeit zwischen 1968 und 1992 ergingen mit dem Mikrozensus- und Volks-
zählungsurteil Entscheidungen zur Begründung des Rechtes auf informationelle
Selbstbestimmung.17 Die möglichen fundamentale Auswirkungen auf das Strafpro-
zessrecht wurden erst mit Verzögerung und nicht gesondert für verdeckte Ermitt-
lungsmaßnahmen diskutiert.18
wenn sie sich durch ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit rechtfertigen ließe. Das ist
nicht der Fall.“
13
Vgl. dazu größtenteils kritisch Staechelin, KJ, Nr. 28, 1995, S. 472; Hirsch, Ausufernde Tele-
fonüerwachung im Strafverfahren? Bemerkung zur Aushöhlung des Art. 10 GG, S. 132; Krause,
Großer Lauschangriff – Anmerkungen eines Verteidigers zur gesetzlichen Ausgestaltung in der
Strafprozessordnung, S. 235; Niehaus, S. 26.
14
Vergleiche im Einzelnen zu den Änderungen die detaillierte Zusammenstellung bei Niehaus,
S. 26 ff.
15
1. Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9. 12. 1974, BGBl. I (1974), S. 3393.
16
Niehaus, S. 26 ff.
17
BVerfGE 27, 1 Mikrozensus; 65, 1 Volkszählung.
18
Vgl. Rogall, Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozessrecht, S. 11 ff.
IV. Wesentliche Änderungen von 1992 bis 2007 41
Mit der technischen Änderung des analogen Telefonverkehrs hin zur Digitalisierung
wurde der früher ein Schattendasein fristende § 12 FAG plötzlich für kurze Zeit
bedeutend:
„Dies [die Bedeutungslosigkeit des § 12 FAG durch analoge Elektronik] hat sich geän-
dert, seit die analoge Vermittlungstechnik durch Einführung der digitalen Technik ersetzt
worden ist. Für jede Kommunikationsbeziehung wird im digitalen Netz ein Datensatz er-
zeugt, der der rechnergesteuerten Herstellung und Aufrechterhaltung der Verbindung dient.
Diese Daten werden überschrieben und damit gelöscht, wenn die Verbindung von einem
herkömmlichen analogen Anschluss hergestellt worden ist. Ist sie hingegen von einem
Anschluss aufgebaut worden, bei dem die Digitalisierung der Sprachsignale bereits im End-
gerät des Teilnehmers erfolgt, werden die Verbindungsdaten bis zur Rechnungserstellung
gespeichert.“19
Bevor sich die neue Bedeutung des § 12 FAG aber in der Praxis niederschlagen
konnte, wurde die Vorschrift außer Kraft gesetzt und inhaltlich modifiziert in § 100g
StPO wieder eingeführt.20
1992 wurden mit dem „Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels
und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität“ (OrgKG) Ände-
rungen vorgenommen, die auch die verdeckten strafprozessualen verdeckten Er-
mittlungsmaßnahmen betrafen. Der kriminalpolitische Hintergrund dieses Ände-
rungsgesetzes ergibt sich aus den Grenzöffnungen im Zusammenhang mit dem Zu-
sammenbruch des Ostblocks, der Erweiterung des „Schengenraumes“ und den neu-
en Möglichkeiten der Informationstechnik. Der sicherheitspolitische Akzent ver-
schob sich von der Bekämpfung des Terrorismus’ eindeutig auf die Bekämpfung
der Organisierten Kriminalität.
19
BVerfGE 107, 299.
20
Vgl. unten § 5, IV, 2 a).
42 § 5 Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland
lers (§§ 110a ff. StPO) als strafprozessuale Maßnahmen in die StPO eingeführt.21
§ 12 FAG trat mit Ablauf des 31.12.1997 außer Kraft und wurde mit dem 1. Januar
2002 durch die §§ 100g und 100h StPO ersetzt.
Bereits Mitte der 90er Jahre begann eine kontroverse Diskussion um die Einführung
einer Befugnisnorm zur heimlichen Wohnraumüberwachung in die StPO.22
1998 wurde Art. 13 GG um Abs. 3 ergänzt, der die verdeckte Überwachung des
Wohnraums zu strafprozessualen Zwecken – sog. „Großer Lauschangriff“ – unter
bestimmten Bedingungen erlaubt:
„(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz ein-
zeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat
auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von
Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn
die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aus-
sichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit
drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen
einzelnen Richter getroffen werden.“23
21
Zu den verdeckten Ermittlungsmaßnahmen und insbesondere den neuen Regelungen, ergingen
einige Entscheidungen des BVerfG. BVerfGE 93, 181 – Rasterfahndung I; 100, 313 Telekommu-
nikationsüberwachung I; 106, 28 Mithörvorrichtung; NJW 2007, 351 IMSI-Catcher. Zu weiteren
Einzelheiten Schäfer in: Löwe/Rosenberg, StPO25 , § 100c Rdn. 1.
22
Vgl. § 24, III.
23
Eingefügt durch Art. 1 Nr. 1 Gesetz vom 26.3.1998 I 610 mit Wirkung vom 1.4.1998.
24
Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OrgKVerbG) vom
4.5.1998 mit Wirkung vom 9.5.1998.
25
BVerfGE 109, 279 – Großer Lauschangriff. Art. 13 Abs. 3 GG wurde hingegen nicht als „ver-
fassungswidriges Verfassungsrecht“ im Sinne des 79 Abs. 3 GG angesehen.
VI. Zwischenergebnis 43
VI. Zwischenergebnis
Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen waren bis weit ins 18. Jahrhundert kein nen-
nenswerter Bestandteil des Strafprozesses. Heimliches Vorgehen war zwar bekannt,
doch beschränkte es sich auf den diplomatischen und militärischen Bereich. Kri-
minalistisch wurden die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen erst in den absolutis-
tischen Staaten der Neuzeit zur Verfolgung politischer Straftaten eingesetzt. Die
Konstitutionen des 19. und 20. Jahrhunderts beschränkten diese Praxis mit der Ein-
führung des Brief-, Post-, und Fernmeldegeheimnisses. Gesetzliche Befugnisse der
Ermittlungsbehörden wurden erstmals mit der Regelung der Postbeschlagnahme
Ende des 19. Jahrhunderts geschaffen. Kurz darauf wurden ein Gesetzesvorbehalt
und eine Ausnahme vom Schutz des Telegraphengeheimnisses in § 8 des Geset-
zes über das Telegraphenwesen vorgesehen. Die Fernmeldeüberwachung wurde
26
In Kraft getreten am 1.1.2008.
27
BVerfGE 124, 43 – Beschlagnahme von E-Mails.
28
BVerfGE 125, 260 – Vorratsdatenspeicherung.
29
Vgl. § 5, III, 1
30
BVerfG NStZ 2011, 103 ff. Verwertung heimlicher Privatinformationen (Steuer-CD aus Lich-
tenstein).
31
Vgl. den Beispielfall § 1, I.
32
BVerfGE 120, 274 – Online-Durchsuchungen; weitere technische Neuerungen ergeben sich aus
der Möglichkeit flächendeckender Überwachung, vgl. BVerfGE 120, 378 – Automatisierte Kenn-
zeichenerfassung.
44 § 5 Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland
als strafprozessuale Maßnahme in § 12 des FAG von 1928 eingeführt. Mit der
Reichstagsbrandverordnung von 1933 wurden die Beschränkungen aufgelöst und
das Brief-, Post-, und Fernmeldegeheimnis außer Kraft gesetzt. Die Ermittlungs-
behörden waren dadurch von der Gesetzesbindung bei heimlicher Überwachung
befreit.
Wie in der Bundesrepublik gab es auch in der DDR gesetzliche Beschränkun-
gen der Telekommunikationsüberwachung, die aber im Bereich politischer Delikte
nicht beachtet wurden. In der Bundesrepublik wurde das Regelungssystem der ver-
deckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen als Reaktion auf Terrorismus,
Organisierte Kriminalität und neue technische Entwicklungen ab Ende der 1960er
Jahre fortwährend ergänzt. Verfassungsbeschwerden führten dazu, dass sich das
Bundesverfassungsgericht und der Gesetzgeber in ständiger Aktion und Reakti-
on mit dem Regelungsbereich befassten. Die strittigen Grundfragen sind bis heute
nicht gelöst und müssen nicht nur in Bezug auf technische Neuerungen beantwortet
werden.
Teil III
Verfassungsrechtliche Vorgaben
§ 6 Verhältnis zwischen Verfassungsrecht
und Strafprozessrecht
1
Vgl. § 5, III, 1.
2
Krey/Krey, Rdn. 29.
ausdrücklich erwähnt. Darüber hinaus schweigt das Grundgesetz aber und ist so für
die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen lückenhaft.
Das BVerfG hat sich zum zwischen Grundgesetz und StPO bestehenden Verhält-
nis anlässlich eines konkreten Falles geäußert, in dem es um den Zugriff auf eine
III. Streit um die Einflussnahme des Verfassungsrechts auf die Eigenständigkeit der StPO 49
Karteikarte in einer ärztlichen Praxis ging. Das BVerfG führte zur Beschlagnahme-
freiheit solcher Karteikarten gemäß der Vorschrift des § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO aus:
„[Die Vorschrift] ist damit auf einem Teilgebiet eine gesetzliche Konkretisierung des
Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht
äußert seine Wirkung bereits innerhalb der bestehenden Gesetze des Strafverfahrens, das
mit Recht als angewandtes Verfassungsrecht verstanden wird.“3
Auch in der Literatur erfährt dies weitgehend Zustimmung: Die heute anerkannte
Ausstrahlungswirkung der Grundrechte reicht sogar bis in die nichtverfassungs-
rechtlichen Rechtsbereiche hinein.4 Sie betrifft zum einen das Privatrecht und muss
erst recht für das Strafprozessrecht gelten, weil es unmittelbare Konflikte zwischen
Bürger und Staat regelt.
Im Schrifttum wird aber nicht nur eine Ausstrahlungswirkung angenommen. Das
Verfassungsrecht sei, „Fundament des rechtsstaatlichen Strafprozesses.“5
Böckenförde sieht für die Grundregeln des Strafverfahrens keinen Unterschied
zwischen Strafprozessrecht und Verfassungsrecht:
„Im Übrigen zeichnen sich [die die innere Sicherheit betreffenden] Rechtsgebiete dadurch
aus, dass sie einerseits an besonderen Zwecken und Problemen des von dem staats-
rechtlich geregelten Grundverhältnis Staat-Bürger, Staat-Gesellschaft mitbetroffen und
geprägt werden. So sind z. B. Grundregeln des heutigen Straf- und Strafprozeßrechts,
des Gerichtsverfassungs- und des Polizeirechts zugleich Staats- und Verfassungsrecht
(Art. 102, 103, Art. 101, Art. 104 GG).“6
Eberhard Schmidt und ihm folgende Stimmen bezeichnen schließlich das ge-
samte Strafprozessrecht als angewandtes Verfassungsrecht:
„Als „Ausführungsgesetz“7 zum BGG [gemeint ist das Grundgesetz] steckt sie [die StPO]
im Einzelnen die Grenzen ab, innerhalb deren zu Zwecken der Strafverfolgung ein Ein-
bruch in die verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechte statthaft ist. Grundsätzlich be-
hält auch der Beschuldigte im Strafverfahren das Recht der persönlichen Freiheit.“8
3
BVerfGE 32, S. 373, 383; BGHSt 19, 325, 330; Sax in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, S. 967.
4
Ernst W. Böckenförde, S. 13; Hesse, S. 118 ff. und S. 10 f.
5
Wolter, NStZ 1993, S. 1 ff.
6
Ernst W. Böckenförde, S. 13.
7
Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozessordnung, Rdn. 279.
8
Geppert, S. 236 stimmt Schmidt zu und hält die zitierte Aussage für „allgemein bekannt“. Auch
andere schließen sich dem Standpunkt Schmidts an, vgl. Kühne, § 2 I 1 Rdn. 20: „Eine das gesamte
Strafverfahrensrecht leitende und korrigierende Funktion hat das Grundgesetz (GG). Eberhard
Schmidt hat deshalb sehr zutreffend die Strafprozessordnung als angewandtes Verfassungsrecht
bezeichnet.“ Vgl. auch Schmidhäuser/Alwart, 5/34; Sachs in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner,
S. 966. Das BVerfG und die Rechtsprechung des BGH teilen diese Ansicht, BVerfGE 32, 373,
383; BGHSt 19, 323, 330. So auch der Gesetzgeber im RegEntw. des 1. StrVRG: „Ein Gesetz, das
in so starkem Maße wie die StPO angewandtes Verfassungsrecht ist“, BTDrucks 7/551 S. 32.
50 § 6 Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Strafprozessrecht
Einige Stimmen in der Literatur betonen gegenüber der Verquickung von Verfas-
sungsrecht und Strafprozessrecht die Eigenständigkeit der StPO. Während Kühne
die vorstehende weitreichende Aussage Eberhard Schmidts als „sehr zutreffend“
bezeichnet,9 hält Krey sie für „jedoch nur teilweise zutreffend.“10 Richtig sei auch
nach seiner Ansicht zwar, dass gesetzgebende und rechtsprechende Gewalt die Wer-
tungen der Verfassung zu respektieren und zu konkretisieren haben. Dies ergebe
sich aus Art. 20 Abs. 3 GG. Insoweit sei an einen gerechten Ausgleich zwischen
Erfordernissen einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung und der Pflicht
zum Schutz der Grundrechte des Beschuldigten und sonstiger Verfassungswerte
erinnert. Er weist auch darauf hin, dass das Strafprozessrecht zu Recht auch als
„Seismograph der Rechtsstaatlichkeit“ bezeichnet werde.11
Anderseits unterstreicht Krey mit Nachdruck, dass das geltende Strafverfahrens-
recht primär in der StPO und dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) enthalten sei.
Beide Kodifikationen hätten schon bei ihrer Schaffung 1877 einen rechtsstaatlich-
liberalen Strafprozess garantiert und täten das heute in verstärktem Maße. Daher
stehe fest:
„Das geltende Recht ist auch für den Strafprozess nicht einfach aus der Verfassung abzule-
sen.“12
Krey mahnt daher zu Zurückhaltung und appelliert an das BVerfG, der Legislative
und vor allem den Strafgerichten mehr Entscheidungsspielraum zu überlassen.13
Niemöller und Schuppert warnen davor, dass das Strafverfahrensrecht von einer
Teilrechtsordnung mit Eigenständigkeitsanspruch zum Anhängsel des Verfassungs-
rechts abzusinken drohe. 14
Arzt meint, das Strafverfahrensrecht sei durch eigene Schuld der Strafprozess-
rechtswissenschaft zu einer „Kolonie des Verfassungsrechts geworden“, in der
rechtspolitischer Einfluss durch verfassungsrechtliche Generalklauseln ausgeübt
werde.15 Teilweise wird allgemein für das Verhältnis zwischen Verfassungsgericht
und anderen Staatsgewalten bemängelt, dass die Verfassung die Gesetzesauslegung
so beeinflusse, dass die betreffenden Gesetze nicht mehr allein aus sich heraus
verständlich seien. Dies wird beispielsweise in Bettermanns kritisch-ironischer
Charakterisierung des Verhältnisses zwischen Verfassung und einfachem Recht
deutlich:
„Die Verfassung überlagert nicht nur das „einfache“ Recht – wie meistens, ist schon der
Sprachgebrauch verräterisch – sie durchdringt es, durchgeistigt und erleuchtet es: Diese
9
Kühne, § 2 I 1 Rdn. 20.
10
Krey/Krey, § 2 Rdn. 28.
11
Vgl. auch „Seismograph der Staatsverfassung“ Ranft, S. 33 ff.
12
Krey/Krey, § 2 Rdn. 28.
13
Krey/Krey, § 2 Rdn. 28.
14
Niemöller/Schuppert, Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 107, 1982, S. 411 ff.
15
Arzt, Die deutsche Strafrechtswissenschaft zwischen Studentenberg und Publikationsflut,
S. 847 f.
III. Streit um die Einflussnahme des Verfassungsrechts auf die Eigenständigkeit der StPO 51
Gesetze sind im Geiste, im Lichte, nach den Wertvorstellungen des Grundgesetzes aus-
zulegen und anzuwenden – sie werden also durch das Grundgesetz modifiziert, korrigiert
und revidiert. Nicht das Gesetz allein schafft und verlautbart dem Volk sein Recht, sondern
Gesetz und Verfassung, das Gesetz nur nach Maßgabe der Verfassung.“16
3. Eigene Ansicht
16
Bettermann, S. 11.
17
Burgi in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Assmann/Voßkuhle § 18 Rdn. 81 ff.
18
Siehe die Ausführungen § 6, III, 1.
19
„Das Postulat der ,Einheit der Rechtsordnung‘ wird im Hinblick auf den Verbund zwi-
schen Strafrecht und Öffentlichem Recht vielfach behauptet, erweist sich aber wiederum als zu
unspezifisch, um letztlich mehr als eine Scheindeterminante sein zu können.“ Burgi in: Hoffmann-
Riem/Schmidt-Assmann/Voßkuhle, § 18 Rdn. 89 m. w. N.
20
Vgl. Aulehner, S. 404, der die Gehaltlosigkeit andeutet, wenn er schreibt, dass „[. . . ] grund-
sätzlich dem Grundgesetz im Verhältnis zum einfachen Recht der höhere Rang zukommt und das
hieraus resultierende Subordinationsverhältnis wohl zu relativieren ist, aber nicht gänzlich ver-
neint werden kann.“
52 § 6 Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Strafprozessrecht
Aus den getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass die Aussage falsch ist, das
Bundesverfassungsgericht dürfe ein bestimmtes Urteil über die Verfassungsmäßig-
keit einer staatlichen Maßnahme aus mangelnder Kompetenz nicht treffen.23 Das
21
Ossenbühl, Hamburg, Deutschland, Europa, S. 139.
22
Vgl. die Änderung des Art. 13 Abs. 3 GG, § 5, IV, 2 b).
23
Alleweldt, S. 318 hält eine allgemeine Kompetenz des BVerfG, ein strafprozessuales Verfah-
ren zu überprüfen, für „abwegig und absurd“ Auch Schroeder, JuS 1995, S. 877 sieht in einem
zu starken Einfluss des BVerfG auf die Rechtsprechung der Fachgerichte eine Kompetenzüber-
schreitung. In der Entscheidung zum Gewaltbegriff des materiellen Strafrechts hatte das BVerfG
IV. Konsequenzen für die Regelung verdeckter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen 53
Für den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung hat die Reduzierung des Unter-
schiedes zwischen Strafprozessrecht und Verfassungsrecht auf Kompetenzprobleme
systematische und historische Auslegungskriterien bei der Überprüfung des § 240 StGB auf
seine Verfassungsmäßigkeit verwendet. A.a.O. hielt dies für eine Kompetenzüberschreitung des
BVerfG. Die Überprüfung der Zulässigkeit einer sozialrechtlichen Klage im Ausgangsverfah-
ren wurde wegen der engen Verknüpfung des Prozessrechts dieses Verfahrens (dort: SGG) und
des Verfassungsprozessrechts vom BVerfG entsprechend einer verfassungsrechtlichen Vorfrage
geprüft, BVerfGE 67, 26. Die Literatur kritisierte das Gericht scharf wegen dieser angeblichen
Kompetenzüberschreitung, vgl. Benda/Klein, Rdn. 850 m. w. N.: „Höhepunkt dieser zweifelhaften
Rechtsprechung“.
24
Vgl. § 6, III, 3, a).
25
Eine andere Frage ist, ob Kritik an der Dogmatik von Verfassungsprinzipien wie dem Ver-
hältnismäßigkeitsprinzip (vgl. § 9, II), dem Bestimmtheitsprinzips (vgl. § 9, I) oder anderen
ungeschriebenen Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips nur vordergründig die Sache und hinter-
gründig die Kompetenzfrage betreffen. Da es aber nicht auf die Gesinnung des Kritikers, sondern
auf die dogmatische Überzeugungskraft der Argumente ankommt, ist dies unerheblich.
26
Vgl. Eckertz, Der Staat 1978, S. 183 f.: „Da aber den politischen Instanzen die juridische
Einengung ihres Entscheidungsspielraums in öffentlich umkämpften Fragen nicht unwillkommen
ist [. . . ], muss eine Kritik sich zugleich gegen das BVerfG und die politischen Träger der Macht
richten. Der Maßstab der Kritik kann aus dem Anspruch der Verfassung auf Geltung gewonnen
werden [. . . ]. Diese Erweiterung der Kompetenz des BVerfG ist bedenklich, [. . . ] weil die Verant-
wortlichkeiten im Verhältnis zwischen BVerfG und Gesetzgeber verwischt werden [. . . ]“.
27
Dass die Kritik an der Kompetenz zudem mit der persönlichen bzw. der allgemeinen Überzeu-
gung von der inhaltlichen Richtigkeit der Urteile zusammenhängt, klingt schon bei Ossenbühl an,
vgl. Ossenbühl, Hamburg, Deutschland, Europa, S. 140.
54 § 6 Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Strafprozessrecht
2. Verfassungsgerichtsfester Gesetzgebungsspielraum
28
Das lateinische „nemo tenetur se ipsum accusare“ bedeutet übersetzt: „niemand muss sich selbst
anklagen“ und „nemo tenetur se ipsum prodere“, „niemand muss gegen sich selbst als Zeuge
aussagen“, vgl. auch BVerfG NJW 2005, 763 ff. und die von der h. M. vorgenommene Einordnung
in das umstrittene „Grundrecht auf ein faires Verfahren“ unten § 8, V.
IV. Konsequenzen für die Regelung verdeckter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen 55
3. Verfassungskonforme Auslegung
Verfassungsrechtliche Vorgaben können nicht nur zur Nichtigkeit der Gesetze we-
gen Verfassungswidrigkeit führen. Über diese Begrenzung des einfachen Rechts
hinaus wirken sie nach h. M. mittelbar, weil offene Rechtsbegriffe verfassungskon-
29
Das gilt erst recht für Rechtsprechung und Verwaltung. Das BVerfG ist zwar nach seiner ei-
genen stereotypen Formulierung keine „Superrevisionsinstanz“ (BVerfG, 2 BvR 1821/99 vom
24.10.1999, Absatz-Nr. (5), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk19991024_2bvr182199.html)
doch kann es selbst entscheiden, unter welchen Umständen eine Entscheidung eines einfachen
Gerichts die Grundrechte berührt. Die angeführte Selbstbeschränkung erfolgt aus pragmatischen
Gründen. Seine Kriterien hat das Gericht bis heute nicht offen gelegt und handhabt sie entspre-
chend flexibel, vgl. Dreier, GG2 , Art. 2 Abs. 1 Rdn. 45. Anderer Ansicht ist Da Silva, der dies
als Extremkonzeption sehen würde. Er findet mit Hilfe „nichtextremer Konzeptionen“ Spielräume
des Gesetzgebers, da Silva, S. 79 ff. Vgl. dazu auch Jochum, NJW 2003, S. 29 f.
30
Die Äußerungen des BVerfG zur Einschätzungsprärogative sind widersprüchlich. Einerseits bil-
ligt das BVerfG dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die Geeignetheit
zu, BVerfGE 83, 130, 140. Gemeint ist damit aber ein Vertrauen des Gerichts in die Einschätzung
des Gesetzgebers, kein rechtlicher Anspruch auf verfassungsgerichtliche Zurückhaltung. Von Ar-
nauld behandelt den Spielraum, welchen das BVerfG dem Gesetzgeber gewährt, unter dem Aspekt
des Vertrauensschutzes der Bürger in die Rechtssicherheit, v. Arnauld, S. 335. Setzt man diesen
Gedanken konsequent fort, so kann durch Aufhebung von Gesetzen wegen kleinster Monita des
BVerfG der Vertrauensverlust der Bürger gegenüber dem gesetzten Recht entstehen, der gegen-
über dem geringen Vorteil überwiegt, der ihnen durch eine inhaltliche Korrektur des betreffenden
Gesetzes entstehen würde.
31
Auch wenn das BVerfG dem Gesetzgeber eine „Einschätzungsprärogative“ gewährt, ist damit
nur gemeint, dass der Gesetzgeber Regelungen erlassen darf, bevor es gesicherte wissenschaftliche
Erkenntnisse, etwa über Gefahren, gibt. Vgl. zur Einschätzungsprärogative allgemein Sommer-
mann, 428 ff. und im Strafrecht Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 492 f.
Für die heimliche „Online-Durchsuchung“, vgl. BVerfGE 120, 274, 320: „Der heimliche Zugriff
auf informationstechnische Systeme ist geeignet, diesen Zielen zu dienen. Mit ihm werden die Mög-
lichkeiten der Verfassungsschutzbehörde zur Aufklärung von Bedrohungslagen erweitert. Bei der
Beurteilung der Eignung ist dem Gesetzgeber ein beträchtlicher Einschätzungsspielraum einge-
räumt (vgl. BVerfGE 77, 84 [106]; 90, 145 [173]; 109, 279 [336]). Es ist nicht ersichtlich, dass
dieser Spielraum hier überschritten wurde.“
56 § 6 Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Strafprozessrecht
form ausgelegt werden müssen. Bei den Regelungen der verdeckten Ermittlungs-
maßnahmen ergeben sich verschiedene Unklarheiten, bei denen die verfassungs-
konforme Auslegung notwendig oder zumindest hilfreich sein kann. So ist zum
Beispiel mehrdeutig, wie die in vielen Vorschriften32 zu findende Anordnungsvor-
aussetzung aufzufassen ist: „[. . . ] wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die
Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich er-
schwert oder aussichtslos wäre.“ Was ist insoweit eine andere Weise? – Für solche
und ähnliche im weiteren Verlauf der Arbeit zu beantwortende Fragen33 ist die Me-
thode der verfassungskonformen Auslegung grundsätzlich zu klären.
Nach diesem Prinzip ist ein Gesetz dann nicht verfassungswidrig, wenn es im
Einklang mit der Verfassung ausgelegt werden kann.34 Ein mehrdeutiger Inhalt der
Gesetze soll danach durch Inhalte der Verfassung bestimmt werden. Diese Wirkung
bestätigt die oben angesprochene „enge Wechselbezogenheit von Verfassung und
Gesetz und damit den Gedanken der Einheit der Rechtsordnung.“35
Die h. M. erkennt die verfassungskonforme Auslegung grundsätzlich an.36 In-
nerhalb dieser Meinung ist aber zumindest ihr Anwendungsbereich umstritten.37
Die Zulässigkeit der verfassungskonformen Auslegung wird auch grundsätzlich
bestritten.38 Die sich daraus ergebende Frage nach der Zulässigkeit der verfassungs-
konformen Auslegung ist keine reine Methodenfrage, sondern auch eine Frage der
Funktionsverteilung und Kompetenzzuweisung. Gegeneinander abzugrenzen sind
dabei die Kompetenzen des Gesetzgebers, des Bundesverfassungsgerichts und der
einfachen Rechtsanwender.
32
So zum Beispiel in § 100a Abs. 1 Nr. 3 StPO.
33
Die verfassungskonforme Auslegung wird zum Beispiel unten bei der Frage der zitierten hier
sog. „Subsidiaritätsklauseln“ genutzt § 14, III, 2.
34
St. Rspr. BVerfGE 2, 266, 282; 48, 40, 45 f.; 64, 229, 241 f.; 88, 145; 166 f.; 90, 263, 274 f.; so
auch Hesse, Rdn. 80; Müller/Christensen, Rdn. 100.
35
Hesse, Rdn. 85.
36
Hesse, Rdn. 80.
37
Vgl. Müller/Christensen, Rdn. 100.
38
Bettermann, S. 25 f., 46, passim.
IV. Konsequenzen für die Regelung verdeckter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen 57
zungen hierfür erfüllt sind, im Einklang mit dem Grundgesetz fortzubilden. Eine Grenze
findet diese verfassungskonforme Rechtsfindung (im engeren Sinne) indessen dort, wo
einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz ein entgegengesetzter Sinn verliehen,
der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt, oder das gesetzgeberische Ziel
in einem wesentlichen Punkt verfehlt würde.“39
Das BVerfG darf nach der zitierten Selbstbeschränkung keine Bestimmte unter
mehreren Auslegungsvarianten für verfassungsgemäß erklären, es sei denn, nur ei-
ne wäre verfassungskonform. Müller/Christensen folgern daraus, der Aspekt der
verfassungskonformen Auslegung stelle auf solche Weise kein eigentliches Konkre-
tisierungskriterium dar, sondern eine Vorzugsregel für die Entscheidung zwischen
verschiedenen, mit herkömmlichen methodischen Kriterien erarbeiteten Alternati-
ven.40
Das BVerfG setzt sich daher nach drei von Müller/Christensen41 formulierten
Kriterien dann unzulässig42 an die Stelle des Gesetzgebers, wenn es die Verfas-
sungsmäßigkeit der Norm bewahren will, indem es
1. die Norm gegen den mit klassischen Methoden zu ermittelnden Aussagewert
auslegt oder
2. den Sinngehalt der zu prüfenden Norm im einfachen Recht durch Missbrauch
der Verfassungsvorschrift als Bestimmungs- statt Prüfungsnorm durch direkte
Anwendung des Verfassungsrechts ersetzt oder
3. die Kompetenzen des Gesetzgebers verkürzt, indem es sich bei der Prüfung
von Gesetzen an der Verfassung von mehreren Auslegungsvarianten eine ver-
fassungswidrige auswähle, obwohl auch verfassungsmäßige Varianten zur Ver-
fügung stehen.
Eine solche den funktionellen Rahmen des BVerfG überschreitende verfassungs-
konforme Auslegung greife stärker als eine Nichtigerklärung in die Kompetenzen
des Gesetzgebers ein. Durch sie werde ein Quasi-Normtext an die Stelle des amtli-
chen Normtextes gesetzt.43
39
Zusammenfassend im Sondervotum Steinberger BVerfGE 70, 35, 64 f.
40
Nach Müller/Christensen, Rdn. 100 sei „die einzig richtige Entscheidung“ zudem praktisch un-
bedeutend und eine „virtuelle Chimäre“.
41
Müller/Christensen, Rdn. 102.
42
Beispiele für diese Grenzen unzulässig überschreitende Entscheidungen bei Müller/Christensen,
S. 121 Fn. 258.
43
Müller/Christensen, Rdn. 101.
58 § 6 Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Strafprozessrecht
Aus der Wissenschaft erhält die verfassungskonforme Auslegung nicht nur Beifall.
Bettermann weist darauf hin, dass kein sachlicher Unterschied zwischen Teilkassa-
tion und der Verwerfung bestimmter Auslegungen besteht:
„Zwar bewahrt die verfassungskonforme Auslegung das Gesetz vor der Verwerfung – dies
war ursprünglich wohl ihr einziger Zweck – aber oft um den Preis der Veränderung des
Gesetzesinhalts bis hin zur Verkehrung in sein Gegenteil: Die Normerhaltung wird durch
Normverformung erkauft, die Kassation einer Norm durch deren Reformation abgewen-
det.“44
bb) Gegenstimmen
Viele Stimmen in der Literatur teilen die Ansicht des BVerfG oder beschränken
sich auf Präzisierungsversuche.46 Schlichtner-Wicker hält Bettermann entgegen, er
verwechsele Auslegung und Normverwerfung, wenn er kritisiere, die verfassungs-
konforme Auslegung sei nichts anderes als eine Teilkassation. Beide hätten nicht
das gleiche Ergebnis. In einem Fall bleibe der Gesetzestext bestehen, im anderen
nicht. Es sei unzulässig, den Auslegungsgehalt bzw. den „Sinn“ mit dem Wortlaut
gleichzusetzen.47
Dass es sich um eine Verbindung von Normtextauslegung und Normenkontrolle
handelt, erkennen auch Müller/Christensen,48 die deshalb aber nicht die verfas-
sungskonforme Auslegung verwerfen, sondern diese in den oben skizzierten Gren-
zen zulassen wollen.
Bei der verfassungskonformen Auslegung wird oft nicht danach differenziert, wer
diese Auslegung vornehmen darf. Wenn Bettermann Recht zu geben ist und es sich
um eine Art der Teilkassation handelt, würde daraus folgen, dass zunächst nur das
44
Bettermann, S. 46.
45
Bettermann, S. 25 f.
46
Vgl. Hesse, Rdn. 79 Fn. 42 m. w. N.
47
Schlichtner-Wicker, S. 127 ff.
48
Müller/Christensen, Rdn. 100.
IV. Konsequenzen für die Regelung verdeckter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen 59
BVerfG verfassungskonforme Auslegung betreiben darf und nicht die einfachen Ge-
richte oder Behörden.
Durch § 79 BVerfGG ist die Praxis des BVerfG, Auslegungen zu verwerfen, gesetz-
lich legitimiert worden:
„Gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar
oder nach § 78 für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht,
die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden
ist, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung
zulässig.“
Für das BVerfG kommt es bei der verfassungskonformen Auslegung nicht darauf
an, was der Gesetzgeber gewollt hat, sondern darauf, das Maximum dessen aufrecht
zu erhalten, was er gewollt hat.49 Eine solche Vorgehensweise durch das BVerfG
erweist sich schon deshalb als legitim, weil dem Gericht die Teilkassation gestattet
ist. Eine verfassungskonforme Auslegung durch das BVerfG unter Verkürzung des
gesetzgeberischen Willens ist danach als wesensgleiches Minus zulässig.
Denn in gewisser Weise wird auch schon dann dass Gesetz verändert, wenn das
BVerfG nur einen Paragraphen aus einem umfangreichen Gesamtgesetz „streicht“,
auf dem andere Vorschriften des nämlichen Gesetzes oder anderer Gesetzbücher
aufbauen. Insofern sind nicht nur die Grenzen zwischen Teilkassation und ver-
fassungskonformer Auslegung und verfassungskonformer Reduktion fließend, son-
dern auch die zur Kassation an sich.
Beispiel 3 Das BVerfG erklärt die §§ 113a, b TKG für verfassungswidrig. Diese
Vorschriften regelten die sog. Vorratsdatenspeicherung. Das BVerfG kann nun an-
dere Vorschriften bestehen lassen, die auf diese Regelungen Bezug nehmen – zum
Beispiel § 100g StPO, der die Abfrage dieser Daten durch die Strafverfolgungs-
behörden betrifft. Bleibt die nun nutzlose Norm bestehen, ist damit das gleiche
Ergebnis erreicht, als wenn das Verfassungsgericht sie gestrichen hätte. Hier wird
das TKG als Gesamtgesetz geändert und außerdem das Gesamtkonzept von StPO
und TKG. In diesen Fällen würde man auch nicht auf die Idee kommen, dem Ge-
setzgeber würde so ein ungewolltes Gesamtkonzept aufgedrängt, das BVerfG müsse
entweder das ganze TKG und vielleicht auch noch die ganze StPO für nichtig er-
klären, damit dem Gesetzgeber nicht ein Gesetz aufgedrängt werden, dass er so
unvollständig vielleicht nicht hätte erlassen wollen.
Beispiel 4 Tatsächlich hat das BVerfG aber auch den entsprechenden Teil des
§ 100g StPO für nichtig erklärt, der auf das TKG Bezug nahm. Der § 100g StPO
blieb aber darüber hinaus bestehen. Eine Abfrage von Daten die nicht wegen der
49
BVerfGE 8, 28, 34; 9, 194, 200; 12, 45, 61; vgl. auch Hesse, Rdn. 80.
60 § 6 Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Strafprozessrecht
Beispiel 5 Das gleiche Ergebnis wie in den obigen beiden Beispielen ergibt sich
aber auch, wenn man den § 100g StPO in seiner textlichen Form vor dem Urteil
des BVerfG belässt und verfassungskonform reduziert, so, dass der Zugriff auf die
Vorratsdatenspeicherung aus dem Anwendungsbereich fällt.
In jedem der genannten Fälle verwirft das BVerfG einen vom Gesetzgeber ge-
wählten Bedeutungsgehalt. Der Unterschied besteht für das BVerfG nur in der Fra-
ge, ob der Text der Vorschrift geändert werden muss oder nicht. Das „Aufzwingen“
einer ungewollten Norm oder einer „ungewollten Auslegung“ ist keine Kompetenz-
überschreitung, soweit es den Anwendungsbereich reduziert und nicht zusätzlich
ein neuer Bedeutungsgehalt ergänzt wird. Diese Methode der Verwerfung von be-
stimmten, verfassungswidrigen Auslegungsvarianten ist aber nur eine Auslegungs-
hilfe und kein „Allheilmittel“, um Auslegungsprobleme zu lösen. So kann erheb-
liche Rechtsunsicherheit bestehen bleiben, auch wenn eine verfassungswidrige –
da unverhältnismäßige – Auslegungsvariante eliminiert wird. Die Norm ist unbe-
stimmt50 und verfassungswidrig, wenn zwar einige Auslegungsvarianten verfas-
sungswidrig sind, aber noch eine Vielzahl je für sich betrachtet verfassungsmäßiger
Auslegungsalternativen verbleibt, unter denen sich aber keine wegen des unklaren
Wortlauts der Norm eindeutig durchsetzen kann. Die gesamte Vorschrift wäre in ei-
nem solchen Fall daher vom BVerfG für verfassungswidrig zu erklären. In dem oben
genannten Beispiel würden auch nach verfassungskonformer Auslegung jenseits
der Grenze der Privatklagedelikte eine Vielzahl von möglichen verhältnismäßigen
Auslegungsvarianten bestehen bleiben.51 Die Norm wäre daher verfassungswidrig,
ohne dass die Möglichkeit bestünde, sie über eine verfassungskonforme Auslegung
zu retten. Das BVerfG darf in solchen Fällen nicht eine der weiteren verhältnismäßi-
gen Auslegungsvarianten seine Präferenz erteilen und so die fehlende Bestimmtheit
der Norm herstellen. Denn das Treffen einer solchen Auswahlentscheidung ist ge-
rade eine positive Initiative zur Gesetzgebung, die nur der Legislative zukommt.
50
Vgl. zum Bestimmtheitsgrundsatz ausführlich § 9, I, 9.
51
Vgl. zum Meinungsspektrum in der Literatur unten § 13, IV, 2, c).
IV. Konsequenzen für die Regelung verdeckter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen 61
Davon ist folgendes Vorgehen zu unterscheiden, das dem BVerfG ebenfalls nicht
gestattet ist:
Beispiel 7 § 100f StPO regelt die akustische Überwachung des gesprochenen Wor-
tes außerhalb von Wohnungen und Telekommunikation verfügt über keine Rege-
lung zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung. Das BVerfG
darf eine solche Regelung nicht verfassungskonform ergänzen oder aus § 100a
Abs. 4 StPO übertragen, da dem Gesetzgeber so eine neue positive Regelung un-
tergeschoben wird, die er nicht treffen wollte. Hier kommt es nicht nur zu einer
Verkürzung der Reichweite, sondern zum Aufzwingen neuer aktiver Prüfungs- und
Löschungspflichten für die Exekutive. Das BVerfG würde nicht nur die Befugnis-
se der Exekutive einschränken (negative Kompetenz), sondern der Exekutive aktive
Handlungen vorschreiben. Damit übernähme es die oben genannte positive Initia-
tivkompetenz des Gesetzgebers.
Das BVerfG darf keine positive Normsetzung betreiben und den Wortlaut ergän-
zen oder einen ergänzenden Auslegungssinn unterschieben.
In der Literatur wird bemängelt, eine verfassungskonforme Auslegung zwinge
der Legislative ein nicht gewolltes Gesetz auf und das BVerfG überschreite so seine
Kompetenzen. Dieser Einwand ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Grenzen der
verfassungskonformen Auslegung überschritten werden und das BVerfG den Ge-
setzessinn nicht nur in der Reichweite verkürzt, sondern qualitativ verändert oder
den Wortlaut ignoriert.52
Der einfache Rechtsanwender darf den Willen des Gesetzgebers aber in keiner
Weise verkürzen. Die einfachen Gerichte haben keine Verwerfungskompetenz und
können daraus auch nicht als wesensgleiches Minus eine Auslegungsverwerfungs-
kompetenz ableiten. Die einfachen Rechtsanwender dürfen Gesetze aber dann ver-
fassungskonform auslegen, wenn unter mehreren Deutungsmöglichkeiten der ge-
setzgeberische Wille nicht zu ermitteln ist.
52
Vgl. zu den Grenzen oben Müller/Christensen, Rdn. 102.
53
Hefendehl, Kann und soll der Allgemeine Teil bzw. das Verfassungsrecht mißglückte Regelun-
gen des Besonderen Teils retten?, S. 163.
62 § 6 Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Strafprozessrecht
54
BVerfGE 2, 282.
55
Göldner, S. 45.
56
Göldner, S. 45.
IV. Konsequenzen für die Regelung verdeckter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen 63
geschweige denn bestimmte Prinzipien oder Rechte zu achten. Für den hier behan-
delten Bereich besteht im Vergleich dazu eine gegenteilige Ausgangslage:
„Das Recht der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen, das in den §§ 98a
bis 101, 110a bis 110e und 163d bis 163f StPO geregelt ist, wird einer umfassenden Über-
arbeitung unterzogen. Der Gesetzentwurf soll – unter Wahrung der bisherigen Systema-
tik – die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen und grundrechtssichernden Ausgestaltun-
gen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen harmonisieren und diesen
Regelungskomplex dadurch insgesamt übersichtlicher und rechtsstaatlichen Geboten ent-
sprechend gestalten, zugleich aber auch praktische Erfordernisse berücksichtigen. Wo dies
geboten ist, sollen einzelne Ermittlungsmaßnahmen auf eine klare, verfassungsrechtlich
unbedenkliche Rechtsgrundlage gestellt werden.“57
„Der Entwurf verfolgt das Ziel, das Recht der verdeckten strafprozessualen Ermittlungs-
maßnahmen zu harmonisieren und entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsge-
richts rechtsstaatlich auszugestalten.“58
e) Zusammenfassung
57
BTDrucks 16/5846 S. 1.
58
BTDrucks 16/5846 S. 22.
59
BTDrucks 16/5846 S. 1 f.
60
BTDrucks 16/5846 S. 3, 22 ff., 2, 36 f.
61
BTDrucks V/1880, S. 11 f.: „In Anbetracht des nicht unerheblich in das Grundrecht des Arti-
kels 10 GG eingreifenden Charakters der Überwachung des Fernmeldeverkehrs [. . . ] würde eine
generelle Zulassung bei Straftaten aller Art Bedenken begegnen. [. . . ] Da hierfür [für eine TKÜ
im Vollstreckungsverfahren] auch kein besonderes Bedürfnis besteht, soll in das Grundrecht des
Artikels 10 GG nicht weiter als nötig eingegriffen werden.“
62
BTDrucks 12/898, S. 33, 36 ff. Erste Ansätze lassen sich bereits aus dem G-10-Gesetz von 1967
herleiten.
63
BTDrucks 15/4533, S. 1 ff. 15/4533: „Der Gesetzentwurf soll die Verfassungsmäßigkeit der
einfachgesetzlichen Ausgestaltung der akustischen Wohnraumüberwachung in der Strafprozess-
ordnung herbeiführen, um dieses Ermittlungsinstrument zur Gewährleistung einer effektiven
Strafverfolgung zu erhalten.“
64 § 6 Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Strafprozessrecht
4. Verfassungskonforme Reduktion
64
Die Frage der Subsumtion der Online-Durchsuchung unter § 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO wird später
im Einzelnen erläutert. Siehe unten § 27, II, 1.
65
Hefendehl, Kann und soll der Allgemeine Teil bzw. das Verfassungsrecht mißglückte Regelun-
gen des Besonderen Teils retten?, S. 163.
66
Larenz, S. 375 ff.; widersprüchlich Bleckmann, DÖV 2003, S. 156, der diese Reduktion für
zulässig hält, aber mit dem BVerfG die Wortlautgrenze eingehalten wissen will.
67
Vertreten wird diese insbesondere von Larenz, S. 391 ff.
68
Vgl. Pawlowski, Rdn. 492, der den Unterschied eingehend erläutert.
69
Vgl. Hefendehl, Kann und soll der Allgemeine Teil bzw. das Verfassungsrecht mißglückte Re-
gelungen des Besonderen Teils retten?, S. 163, der allerdings abschwächend nur für junge Gesetze
den gesetzgeberischen Willen für maßgeblich hält.
IV. Konsequenzen für die Regelung verdeckter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen 65
Diese Feststellungen treffen auch auf das BVerfG zu, das im Falle einer verfas-
sungskonformen Reduktion die Gesetzgebungskompetenz des Gesetzgebers durch
eine eigene Rechtssetzungsbefugnis ersetzt, die es nicht hat. Das Verbot einer ver-
fassungskonformen Reduktion kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass
der zu weit gefasste Wortlaut für mehrdeutig erklärt wird. Der Wortlaut eines Ge-
setzes ist nicht schon deshalb mehrdeutig, weil er sich auf zahlreiche verschiedene
Gegenstände bezieht.70
5. Verfassungskonforme Ersetzung
Eine Ergänzung des klaren Wortlauts durch neue Sätze oder neue Attribute ist un-
zulässig, wenn damit der äußerste Wortsinn überschritten wird. Eine rein attributive
Ergänzung ist aber zulässig, solange sich diese noch im Bereich des herkömmli-
chen Wortlautverständnisses bewegt und mit dem Willen des Gesetzgebers über-
70
Allerdings kann ein weiter Wortlaut zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes führen, nicht weil
ihm rein mengenmäßig zu viele, sondern weil ihm aufgrund seiner Weite nicht erforderliche oder
unangemessene Sachverhalte entsprechen. Dies ist dann eine Folge mangelnder Verhältnismä-
ßigkeit. Beispiel: Ein fiktives Gesetz erlaubt die verdeckte Überwachung jeden Verhaltens ohne
konkreten Anlass. Das Gesetz ist zwar eindeutig, da jedes Verhalten umfasst ist, schränkt die
Handlungsfreiheit aber unangemessen stark ein.
71
Bachof , S. 19.
72
Siehe unten § 20, II. Vgl. auch die Problematik von verfassungsrechtlichen Beschlagnahmever-
boten im Rahmen der Postbeschlagnahme nach §§ 97, 99 StPO unter § 21, IV, 2 e).
73
Eine Grenze zur verfassungskonformen Reduktion und Ergänzung ist insoweit schwer zu be-
stimmen und dies ist auch nicht notwendig, da die Kategorien gleich zu behandeln sind. Nach hier
vertretener Ansicht liegt dann eine verfassungskonforme Ersetzung vor, wenn eine neue Norm im
einfachen Recht gebildet wird, indem Verfassungsrecht unmittelbar gelten soll.
66 § 6 Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Strafprozessrecht
74
„Darüber hinaus empfangen Normen des einfachen Rechts im Rahmen ihres Wortlauts gegebe-
nenfalls auch ergänzenden Sinn aus dem Grundgesetz [. . . ]“, BVerfGE 70, 35, 63 (Abweichende
Meinung des Richters Steinberger.)
75
Vgl. zur Wortlautgrenze Scheffler, Jura 1996, S. 504 ff.
76
Kritisch dazu Herdegen in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 13 Rdn. 54; Hermes in: Dreier,
GG2 , Art. 13 Rdn. 34. Allgemein ablehnend Stein, S. 72.
77
Diese Formulierung bezieht sich meist auf die problematischere Ausstrahlung der Grundrechte
in das Privatrecht, das gilt aber umso mehr für das gesamte Strafrecht als Teil des öffentlichen
Rechts, vgl. Menzel/Ackermann, 186 ff. zu BVerfGE 32, 98, und gilt konsequent auch für die
StPO, vgl. Kramer, Rdn. 163b und zum Beispiel VG Köln, Urteil vom 12.08.2010 zum Az. 20
K 7418/08: „Bei Auslegung des § 163 b StPO ist die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts auf
Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG zu berücksichtigen.“
78
Siehe § 12.
IV. Konsequenzen für die Regelung verdeckter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen 67
8. Zwischenergebnis
In § 6 wurde allgemein geklärt, dass und wie das Verfassungsrecht die Vorschriften
der verdeckten Ermittlungen in der StPO als Prüfungs- und Auslegungsmaßstab be-
einflussen kann. Ein solcher Einfluss besteht aber nur, wenn überhaupt Grundrechte
oder andere Verfassungsprinzipien durch verdeckte strafprozessuale Ermittlungs-
maßnahmen berührt werden. In der verfassungsrechtlichen Dogmatik ist eine rele-
vante Berührung verfassungsrechtlicher Bereiche zumindest dann gegeben, wenn
die Maßnahmen oder die ihnen zugrunde liegenden Gesetze in die Grundrechte
eingreifen. Die Frage, ob in Grundrechte eingegriffen wird, kann nur beantwortet
werden, wenn zuvor geklärt worden ist, was ein „Grundrechtseingriff“ ist.
Der Eingriffsbegriff baut auf der Dogmatik der Freiheitsgrundrechte auf. Freiheits-
grundrechte schützen entweder die Handlungsfreiheit insgesamt, Art. 2 Abs. 1 GG
oder nur Teilausschnitte, vgl. im vorliegenden Zusammenhang Art. 10 und
Art. 13 GG. Der jeweils geschützte grundrechtliche Lebensbereich wird „Schutzbe-
reich“ genannt. Das Verhalten einer Person im Schutzbereich wird als Grundrechts-
ausübung oder Grundrechtsgebrauch bezeichnet. Ein Grundrecht gewährleistet mit
seiner Schutzwirkung subjektive Abwehrrechte des Betroffenen gegen Eingriffe
des Staates.1
In die Schutzbereiche kann quasi wie in einen Raum „eingegriffen“ werden.
Dieser „Eingriff“ in den Schutzbereich der Grundrechte erfolgt durch staatliche
Maßnahmen, die die Grundrechtsausübung beeinträchtigen. Die Begriffe Schutz-
bereich und Eingriff sind also aufeinander bezogen.2 Die wesentliche Folge eines
Eingriffs in Grundrechte ist, dass die eingreifenden, verdeckten Ermittlungsmaß-
1
Pieroth/Schlink, Rdn. 212 ff.
2
Pieroth/Schlink, Rdn. 239 ff.
nahmen grundsätzlich rechtswidrig sind.3 Nur wenn der Eingriff nicht gerechtfertigt
werden kann, ist das betreffende Grundrecht „verletzt.“ Für die Rechtfertigung ist
in Fällen des einfachen Gesetzesvorbehalts eine bestimmte und verhältnismäßige
gesetzliche Regelung ausreichend, wenn sich die jeweilige Maßnahme in deren
Rahmen bewegt.4
Teilweise wird bestritten, dass alle verdeckten strafprozessualen Ermittlungs-
maßnahmen Grundrechtseingriffe sind.5 Dies hätte zur Konsequenz, dass verdeckte
Maßnahmen keinem Gesetzesvorbehalt unterlägen und von der Exekutive ohne be-
sondere gesetzliche Befugnis nach eigenem Ermessen eingesetzt werden könnten.
Die Fragen nach den Grundrechtseingriffen durch verdeckte Ermittlungsmaß-
nahmen und deren Folgen können nur beantwortet werden, wenn klar ist, was unter
einem „Grundrechtseingriff“ zu verstehen ist. Der Begriff „Eingriff“ hat eine lange
Verfassungstradition6 und wird heute neben dem Begriff der „Beschränkung“ im
Grundgesetz für Durchbrechungen bzw. „Verkürzung“7 der Grundrechtsgewähr-
leistungen durch den Staat verwendet.8 Die h. M. der Grundrechtsdogmatik geht
3
Krey/Krey, Rdn. 584; Vgl. auch Duttge, Der Begriff der Zwangsmaßnahme im Strafprozessrecht,
S. 106. Der Eingriff kann aber unter Umständen durch ein Gesetz gerechtfertigt werden. Wenn der
Eingriff den Anspruch auf Achtung der Menschenwürde verletzt, besteht diese Rechtfertigungs-
möglichkeit nach h. M. nicht, vgl. unten § 8, IV, 3.
4
Vgl. unten § 9. Die Frage, in welche Grundrechte eingegriffen wird und ob und unter welchen
Umständen die Eingriffe durch die Regelungen der verdeckten Ermittlungen in der StPO gerecht-
fertigt werden, wird erst in den nachfolgenden Kapiteln behandelt.
5
So ging noch 1991 die Entwurfsbegründung zum OrgKG nicht davon aus, dass jede verdeckte
Maßnahme Eingriffscharakter habe: „[. . . ] in vielen Fällen [verdeckter Ermittlungsmaßnahmen]
fehl[e] es bereits am Eingriffscharakter der Maßnahme [. . . ]“, BTDrucks 12/989, S. 38. Auch
der BGH nimmt nicht bei jeder verdeckten Maßnahme einen Eingriff an, vgl. BGHSt 39, 335,
343 f.; 42, 139, 154. Zumindest für einige verdeckte Maßnahmen wird der Eingriffscharakter
noch in der Literatur bestritten. So zum Beispiel von Makrutzki, S. 99; Quentin, JuS 1999, S. 139;
Wendisch differenziert zwischen eingreifendem verdeckten Vorgehen, das durch Verschleierung
täuscht und schlicht verdecktem Vorgehen, das kein Eingriff sei. Wendisch in: Löwe/Rosenberg,
StPO24 , § 163 Rdn. 57. Für Wohlers kann der Eingriff von der Dauer der verdeckten Maßnahme
abhängen. Wohlers in: SK-StPO, Vor § 98 Rdn. 47.
6
„Die von der konstitutionellen, bürgerlich-liberalen Staatsauffassung des 19. Jahrhunderts ge-
prägte Formel, eine Gesetz sei nur erforderlich, wo ,Eingriffe in Freiheit und Eigentum‘ in Rede
stehen [. . . ].“ BVerfGE 40, 237, 249; BVerfGE 8, 155, 166 f.
7
BVerfGE 105, 279, 299 f.
8
Nach Grabitz wird das sprachliche Bild, dass mit dem „Eingriff“ „in“ das Grundrecht ein Sub-
stanzverlust einhergehe, nur scheinbar durch den Wortlaut bestätigt, den die Gesetzesvorbehalte
im Grundgesetz erfahren haben. Grabitz, S. 57 Fn. 29. Neben dem Begriff Eingriff in Art. 2 Abs. 2
S. 3, Art. 13 Abs. 7 GG wird „Beschränkung“ in Art. 8 Abs. 2, 10 Abs. 2 S. 1, Art. 11 Abs. 2,
Art. 13 Abs. 7; Art. 17a Abs. 1 und 3, Art. 19 Abs. 1 und Art. 104 Abs. 1 GG verwendet. Zudem
handele es sich um ein unpassendes sprachliches Bild, das auf scholastische und naturalistische
Vorstellungen von Rechten zurückgreife, nach denen Rechte wie Körper angesehen werden müss-
ten. Diesen rein begrifflichen Bedenken ist zu entgegnen, dass eine begriffliche Annäherung an
Rechte zwangsläufig mit übertragenen Begriffen und Modellen erfolgen muss. Von rein abstrak-
ten Entitäten vermag sich kein Mensch eine sinnvolle Vorstellung zu machen. Alle Versuche, eine
streng logische Sprache aufzubauen, sind bisher gescheitert. Sonst wären auch Begriffe wie „Ge-
setzgeber“ oder „Gesetzesverstoß“ ebenfalls abzulehnen. Gesetze können nicht wie eine Sache
irgendwem gegeben werden. Auch ein Verstoß gegen etwas – und erst recht gegen ein Gesetz – ist
I. Funktionale Einordnung des Eingriffsbegriffs in die Grundrechtsdogmatik 71
von einem quasi vor die Klammer gezogenen Eingriffsbegriff aus, der grundsätz-
lich für alle Grundrechte gilt.9
Darüber hinaus sind aber je nach Grundrecht spezielle Modifikationen des Ein-
griffsbegriffs möglich.10 Vereinzelt werden daher in der Literatur „bereichsspezifi-
sche Standards“ statt eines geschlossenen Eingriffsbegriffs vorgeschlagen.11 Nach
Heintzen handelt es sich dabei um eine grundrechtssystematische Frage, die das
Eingriffsproblem als solches nicht betrifft.12 Dem ist insoweit zuzustimmen, als
die grundrechtsspezifischen Modifikationen eine Konsequenz normativer Schutz-
bereiche sind. Der Verfassungsgeber darf Grundrechte durch rechtliche Setzung
erschaffen, ohne dass mit einem Eingriff in diese Rechte eine Verkürzung natür-
licher Freiheiten verbunden ist.13
Der Verfassungsgeber ist also frei, für bestimmte Grundrechte durch besondere
Definition der Schutzbereiche oder der Schrankenregelungen vom allgemeinen Ein-
griffsbegriff abweichende Eingriffsstandards zu setzen. Dies trifft insbesondere auf
die Art. 10 Abs. 1 GG und Art. 13 Abs. 3 GG zu, die für den Bereich der verdeck-
ten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen relevant sind. Das Grundrecht aus
Art. 10 GG gewährleistet die Wahrung von „Geheimnissen“, wehrt also eindeutig
Eingriffe durch verdeckte Ermittlungsmaßnahmen ab. Entsprechendes gilt für die
Schrankenregelung des Art. 13 Abs. 3 GG, die sich dem Sinn nach hauptsächlich
gegen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen richtet. Ob es sich dabei um bereichs-
spezifische Standards für spezielle Eingriffe oder lediglich um Konsequenzen aus
besonderen Schutzbereichen handelt, kann hier offen bleiben. Gesichert ist, dass es
dem Verfassungsgeber freisteht, entsprechende Regelungen zu treffen.
Die Möglichkeit eines Eingriffs durch verdeckte Ermittlungsmaßnahmen in die
Grundrechte aus Art. 10 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 GG ist unproblematisch. Un-
klar bleibt aber, unter welchen Umständen verdeckte Maßnahmen Eingriffsqualität
haben. Zur Beantwortung dieser Fragen muss auf den allgemeinen Eingriffsbe-
griff und die dort diskutierten Merkmale zurückgegriffen werden. So ist bei einer
sog. Hörfalle auf Initiative des Angerufenen, dem Mithören eines Telefongesprächs
durch Polizeibeamte, nicht gesichert, ob überhaupt dem Staat zurechenbares Ver-
halten vorliegt.14 Dazu gehört neben der Zurechnung zu staatlichem Handeln,15 die
individuelle Betroffenheit,16 die etwa fraglich ist, wenn eine heimliche Telefonüber-
sinnlos, verstoßen werden kann man im wörtlichen Sinne eine Person aus der Gemeinschaft, aber
nicht „gegen ein Gesetz“.
9
Vgl. Pieroth/Schlink, Rdn. 222 ff. Der Grundrechtseingriff gehört als Rechtsinstitut jedenfalls
zum Allgemeinen Teil der Dogmatik der Freiheitsrechte. Bethge, Der Grundrechtseingriff, S. 13.
10
Heintzen, VerwArch 1990, S. 537 f.
11
Albers, DVBl. 1996, S. 241; Vgl. auch Bethge, Der Grundrechtseingriff, S. 14.
12
Heintzen, VerwArch 1990, S. 537.
13
Eingriff und Freiheitsrecht sind da zu trennen „[. . . ] wo keine natürliche Freiheit vorgegeben
ist, sondern wo die Grundrechtssubstanz vom Gesetzgeber ausgestaltet wird.“, Bethge, Der Grund-
rechtseingriff, S. 19; Vgl. zur Unterscheidung zwischen natürlichen und ausgestaltungsbedürftigen
Freiheiten auch BVerfG NJW 1977, 1842.
14
Vgl. dazu unten im Detail § 34, III.
15
Vgl. § 7, III, 1.
16
Vgl. § 7, III, 3.
72 § 7 Klärung des Eingriffsbegriffs
wachung stattfindet, von der der Überwachte nie in Kenntnis gesetzt wird, oder ob
bereits die Regelung einer Telekommunikationsüberwachung in Grundrechte des
Betroffenen eingreift, ohne dass es auf eine darauf gestützte Maßnahme ankommt.
Auch die Notwendigkeit einer Erheblichkeitsschwelle ist strittig, worauf später ge-
nauer eingegangen wird.17 Sollte sich erweisen, dass eine solche Erheblichkeits-
schwelle erforderlich ist, ist zum Beispiel fraglich, ob diese Schwelle überschritten
wird, wenn eine Person, deren Telefonanschluss nur für Sekunden überwacht wur-
de, weil sich der überwachte Verdächtige verwählte. Offen bleibt zudem die Frage,
ob in andere in Betracht kommende Grundrechte, insbesondere in das Grundrecht
aus Art. 2 Abs. 1 GG, grundsätzlich durch verdeckte Maßnahmen eingegriffen
werden kann. Verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen finden auch au-
ßerhalb von Wohnungen und ohne Überwachen der Fernkommunikation statt. Zur
Beantwortung derartiger Fragen muss auf den allgemeinen Eingriffsbegriff zurück-
gegriffen werden.
Die allgemeinen Bedingungen, unter denen ein Grundrechtseingriff anzuneh-
men ist, sind in der verfassungsrechtlichen Dogmatik umstritten. Dieser allgemeine
Eingriffsbegriff wurde früher allein mit dem „klassischen Eingriffsbegriff“ enger
definiert als durch den heute herrschenden „modernen Eingriffsbegriff“.18 Der mo-
derne Eingriffsbegriff ist eine Erweiterung des klassischen Eingriffsbegriff und ent-
hält dessen Merkmale.
17
Vgl. § 7, III, 5.
18
Pieroth/Schlink, Rdn. 251 ff.
19
Pieroth/Schlink, Rdn. 251 ff.
II. Klassischer Eingriffsbegriff 73
Dieses traditionelle enge Verständnis ist also dadurch gekennzeichnet, dass dem
Grundrechtsträger ein bestimmtes Verhalten zielgerichtet durch konkreten Befehl
oder abstrakte Regelung der Staatsgewalten verboten oder geboten wird. Diese An-
ordnung muss im Weigerungsfall mit Zwang durchsetzbar sein.20 Die genannten
Kriterien gelten für Rechtsvorschriften wie für einzelne Rechtsakte.21 Der klassi-
sche Eingriffsbegriff hat heute keine Anhänger mehr.22 Das sich aus ihm ergebende
enge Eingriffsverständnis ist nach der h. M. auch „mit der grundgesetzlichen Kon-
zeption des Grundrechtsschutzes offensichtlich unvereinbar“.23
Der klassische Eingriffsbegriff hat nach wie vor Bedeutung, weil er jedenfalls
eine gesicherte Ausgangsbasis ist, um das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs zu
beurteilen. Unstreitig ist nämlich, dass ein evidenter Grundrechtseingriff vorliegt,
wenn seine Merkmale erfüllt sind. Nur wenn ein Merkmal des klassischen Ein-
griffsbegriffs nicht vorliegt, muss ausführlich begründet werden, warum trotzdem
ein Eingriff vorliegen soll.
a) Finalität
Finalität liegt nur vor, wenn eine den grundrechtlichen Schutzbereich beeinträchti-
gende Wirkung einer staatlichen Maßnahme bezweckt ist. Unbeabsichtigte Neben-
folgen gehören nicht dazu.24 Für die beobachtenden verdeckten strafprozessualen
Ermittlungsmaßnahmen ist dies unproblematisch. Sie sind auf den Betroffenen fo-
kussiert und damit zielgerichtet.
20
Epping, Rdn. 378 und Pieroth/Schlink, Rdn. 61; Isensee in: Isensee/Kirchhof , HStR 5, § 111
Rdn. 61; Dreier in: Dreier, GG2 , Vorb. Rdn. 124 vgl. auch BVerfG 105, 279, 299 f.: „Die Merk-
male eines Grundrechtseingriffs im herkömmlichen Sinne werden [durch negative Äußerungen des
Staates über Sekten] allerdings nicht erfüllt. Danach wird unter einem Grundrechtseingriff im All-
gemeinen ein rechtsförmiger Vorgang verstanden, der unmittelbar und gezielt (final) durch ein
vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also im-
perativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt. Keines dieser Merkmale liegt bei
den Äußerungen vor, die hier zu beurteilen sind.“ Als eigenständiges fünftes Merkmal wird von
einigen die Grundrechtsverpflichtung des Staates genannt. Cremer, S. 147 f.; Eckhoff , S. 176.
21
Dreier in: Dreier, GG2 , Vorb. Rdn. 124.
22
Er mag in seiner extremen Form selbst aus rechtshistorischer Sicht nie randscharf konturiert
gewesen sein. Vgl. Cremer, S. 148 ff., der meint, einen klassischen Eingriffsbegriffs habe es vor
1949 nie gegeben, sondern dieser sei später konstruiert worden. Dafür, dass er bei Erlass des
Grundgesetzes vorausgesetzt wurde, spreche auch nichts.
23
Cremer, S. 149. Wenn Cremer gegen den klassischen Eingriffsbegriff mit der Existenz des
Art. 10 GG und Art. 13 Abs. 1, 3 und 5 GG argumentiert,24 ist das insofern überzeugend, als
in diese Rechte gerade nach ihrer durch den Wortlaut und die Historie, vgl. oben § 2, II, 3, nahe
gelegten Kernbedeutung durch heimliche Maßnahmen eingegriffen werden kann. Der klassische
Eingriffsbegriff verstößt als Regel ohne Ausnahme schon gegen die Systematik des Grundgeset-
zes.
24
Eckhoff , S. 186 ff.
74 § 7 Klärung des Eingriffsbegriffs
b) Rechtswirkung
Rechtliche Wirkung haben staatliche Maßnahmen nur dann, wenn ihnen die Quali-
tät eines Rechtsaktes zukommt.25 Diese Rechtswirkung ist verdeckten Ermittlungs-
maßnamen nicht abzusprechen: Es handelt sich um richterliche oder ermittlungs-
behördliche Anordnungen oder ausführende Maßnahmen, die jedenfalls auf diesen
beruhen.26
c) Unmittelbarkeit
d) Zwangsfunktion
Nach dem klassischen Eingriffsbegriff ist erforderlich, dass die Maßnahme auf eine
verbindliche Anordnung gerichtet ist, die nötigenfalls mit Befehl und Zwang durch-
gesetzt werden kann.28 Die erforderliche Imperativität oder Zwangsfunktion ist nur
dann erfüllt, wenn die Maßnahme gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt
wird.29
Dies ist bei verdeckten Ermittlungsmaßnahmen überaus problematisch, weil der
Betroffene von ihnen während ihrer Durchführung nichts erfährt. Sie werden in der
25
Eckhoff , S. 218 ff.
26
So auch zum Beispiel der (heimlichen) Postbeschlagnahme, Dreier in: Dreier, GG2 , Vorb.
Rdn. 124.
27
Eckhoff , S. 197 ff.
28
Vgl. Epping, Rdn. 378.
29
Klein, S. 175.
II. Klassischer Eingriffsbegriff 75
Regel nicht wahrgenommen und appellieren daher nicht an den Willen des Betrof-
fenen.
Bereits oben30 wurde festgestellt, dass die verdeckten Maßnahmen im Sinne der
allgemeinen Bedeutung des Wortes „Zwang“ keinen Zwangscharakter haben. Zu
einem anderen Ergebnis gelangt man nur dann, wenn man den Zwangsbegriff über
die Grundbedeutung des Wortes hinaus im Hinblick auf den Eingriffsbegriff er-
weitert. Durch diese Ausdehnung des Zwangsbegriffs wird eine Veränderung des
Eingriffsbegriffs vordergründig vermieden.31
30
Siehe § 2, II, 2.
31
Eine parallele Problematik findet sich im Vollstreckungsrecht. In der einschlägigen Literatur
wird die Unterteilung in einen weiten und engen Zwangsbegriff diskutiert. Vgl. zum Meinungs-
spektrum Lemke, S. 52 Fn. 37. Der Streit hat sich auch in unterschiedlichen Begriffsbildungen der
Landespolizeigesetze niedergeschlagen, in denen dann unterschiedliche Begriffe verwendet wer-
den. Bachor in: Lisken/Denninger, Rdn. 467. Der enge Zwangsbegriff setzt eine Einwirkung auf
den entgegenstehenden Willen des Betroffenen voraus. Nach dem weiten Zwangsbegriff wird der
Wille des Betroffen bei der Zwangsausübung ignoriert. Lemke, S. 51 f. Auch in diesem Fall ist
die Ausweitung des Zwangsbegriffes vom Ergebnis her begründet. H. Pfeifer spricht zutreffend
von der „Janusköpfigkeit“ der Ersatzvornahme, die sich einmal als Zwangsmittel, das andere Mal
als zwangloses Vollziehungsmittel darstelle, Pfeifer, BWVBl 1957, S. 1. Der entgegenstehende
Wille des Pflichtigen werde für den weiten Zwangsbegriff vom Gesetz unterstellt,33 um Zwang als
Oberbegriff rechtfertigen zu können.
32
Ein solches Verständnis deutet sich bei Schlink an, der ungefragte Informationserhebungen als
„Ersatzvornahme“ zur Befragung ansieht und damit evtl. unbeabsichtigt eine dogmatische Paralle-
le zur Ausweitung des Zwangsbegriffs im Verwaltungsvollstreckungsrecht herstellt, Schlink, Die
Amtshilfe: Ein Beitrag zu einer Lehre von der Gewaltenteilung in der Verwaltung, S. 198.
76 § 7 Klärung des Eingriffsbegriffs
2. Zwischenergebnis
33
Vgl. dazu aber unten § 8, III, 4.
34
Duttge entdeckt, dass Zwangsmaßnahmen immer ein Eingriff in Grundrechte sind und schließt
daraus implizit, dass jeder Eingriff in Grundrechte durch strafprozessuale Maßnahmen eine
Zwangsmaßnahme sei. Duttge, Der Begriff der Zwangsmaßnahme im Strafprozessrecht, S. 43
Fn. 110, 114, S. 43 ff., S. 141 ff.
35
Kritisch zur Vermischung von Täuschung, Zwang und Heimlichkeit schon Schmitz, S. 32 und
Guder, S. 73 f.
III. Moderner Eingriffsbegriff 77
währleisteten Freiheiten.36 Eine andere Frage ist jedoch, ob der Eingriff so weit
verstanden werden muss, dass jeder kausal verursachte Erfolg dem Staat als grund-
sätzlich rechtswidriger Eingriff zugerechnet werden muss oder ob die Grenzen des
klassischen Eingriffsbegriffs nur marginal verschoben werden. Antworten auf diese
Frage werden unter dem „modernen Eingriffsbegriff“ diskutiert.
Der herrschende sog. moderne Eingriffsbegriff stellt anders als der klassische Ein-
griffsbegriff nicht mehr bestimmte Anforderungen an das staatliche Eingriffsver-
halten. Der Akzent wird vielmehr von der Handlung auf den Erfolg verlagert. Im
modernen Eingriffsbegriff wird die durch staatliches Handeln verursachte Auswir-
kung auf die Freiheiten des Betroffenen als wesentliches Kriterium erkannt.37 Dazu
werden sämtliche klassische Kriterien erweitert.38
Aus dem modernen Eingriffsbegriff ergeben sich allerdings die Abgrenzungs-
fragen, unter welchen Umständen ein Verhalten teilweise unmöglich ist und unter
welchen es nur erschwert ist. Ebenfalls noch nicht geklärt ist, ob die unbeabsich-
tigten Wirkungen mittelbarer Eingriffe auf Drittbetroffene erfasst werden sollen,
denen gegenüber der Staat nicht bewusst handeln wollte. Der moderne Eingriffsbe-
griff hat also zwar alte Probleme gelöst, aber auch neue geschaffen.
In der Literatur wird daher die Ansicht vertreten, der Eingriffsbegriff befinde sich
nach wie vor in einer „Krise“.39 Es bestünden dogmatische Begründungsdefizite40
und auch im Ergebnis sei der Begriff bis heute völlig ungeklärt:41 In der Literatur
werden zwar qualifizierte Kriterien vorgeschlagen, konnten sich aber als abstrakte
Maßstäbe zur Überwindung der herrschenden Kasuistik nicht durchsetzen.42
Die Erforderlichkeit einer Erweiterung des klassischen Eingriffsbegriffs darf
nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch gegen eine uferlose Ausdehnung gewich-
tige Bedenken bestehen. Mit dem Eingriff korrespondiert ein Rechtfertigungszwang
des Staates. Dem Staat wäre aber in vielen Fällen kein rechtmäßiges Handeln mehr
möglich, wenn ihm alle adäquat verursachten freiheitsbeeinträchtigenden Folgen
des Handelns seiner Organe als Eingriffe zugerechnet werden sollen. Der Ausweg
36
Gallwas, S. 45 ff.; Roth, S. 263 ff. Eine abschließende Definition durch den klassische Eingriffs-
begriff wird heute einhellig abgelehnt, Roth, S. 33; Albers, DVBl 1996, S. 234 Fn. 14; Dreier in:
Dreier, GG2 , Vorb. Rdn. 125, jeweils m. w. N.
37
Vgl. die insoweit grundlegende Arbeit von Gallwas und die nachfolgend ergangenen Urteile des
BVerfG zu Warnungen und Empfehlungen Weber-Dürler, Der Grundrechtseingriff, S. 59 Fn. 2, 3
m. w. N.; Dreier in: Dreier, GG2 , Rdn. 125 f. Fn. 523.
38
Vgl. Pieroth/Schlink, Rdn. 253.
39
Bethge, Der Grundrechtseingriff, S. 37.
40
So müssen wegen der Weite des Eingriffsbegriffs Abstriche beim Zitiergebot gemacht wer-
den. Bei ungezielten Eingriffen soll das Zitiergebot nicht gelten. Vgl. Pieroth/Schlink, Rdn. 324;
BVerfG, NJW 1999, 3399, 3400.
41
Roth, S. 34, 39; Lübbe-Wolff , S. 47 f.
42
Vgl. Dreier, GG2 , Art. 2 Abs. 1 Rdn. 51.
78 § 7 Klärung des Eingriffsbegriffs
aus diesem Dilemma wird daher in einer begrenzten Erweiterung des Eingriffsbe-
griffs gesehen.43 Alle Kriterien, die in diesem Zusammenhang zur Erweiterung des
klassischen Eingriffsbegriffs herangezogen werden, sind allerdings umstritten.44
In Teilen der Literatur wird eine Theorie der rein kausalen Verursachung vertre-
ten.47 Danach ist jedes staatliche Verhalten ein Eingriff, soweit es zu einem grund-
rechtsbeeinträchtigenden Erfolg im Sinne einer „Condicio-sine-qua-non-Formel“
führt. Das Problem wird vor allem für die Beteiligung Dritter diskutiert. Diese Auf-
fassung kann aus zwei Gründen nicht überzeugen. Erstens werden solche weiten
Definitionen oft nicht konsequent durchgehalten. Schlink definiert beispielsweise:
„Ein Eingriff ist danach jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, wel-
ches in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht,
gleichgültig ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, recht-
lich oder tatsächlich (faktisch, informal), mit oder ohne Befehl und Zwang eintritt.“48
43
Einen Überblick der Diskussion bietet Weber-Dürler, Der Grundrechtseingriff, S. 77, 85 ff.
Eingehend zu den verschiedenen Lösungsvorschlägen Cremer, S. 150 ff.
44
Bei der modernen Erweiterung des Eingriffsbegriffs stehen heute drei klassische Merkmale der
Grundrechtsbeeinträchtigung im Vordergrund der Diskussion: „Finalität“, „Unmittelbarkeit“ und
„Intensität“. Weber-Dürler, Der Grundrechtseingriff, S. 85 ff.
45
Vgl. Bleckmann/Eckhoff , DVBl. 1988, S. 380.
46
Vgl. Isensee/Kirchhof , HStR 5, § 111 Rdn. 67; Fabio, JZ 1993, S. 695; weitere Nachweise bei
Weber-Dürler, Der Grundrechtseingriff, S. 88 f.
47
Sachs in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 182 f.
48
Pieroth/Schlink, Rdn. 253.
III. Moderner Eingriffsbegriff 79
b) Objektive Zurechnung
aa) H. L.
49
Pieroth/Schlink, Rdn. 257 ff.
50
Vgl. Jakobs, S. 185 ff.
80 § 7 Klärung des Eingriffsbegriffs
den Staat hinaus und behandelt „echt normative Fragen“.51 Diese Ansicht ist der
Sache nach mit der strafrechtlichen Lehre von der objektiven Zurechnung52 eng
verwandt.53 Als allgemeiner Maßstab zur Prüfung der verfassungsrechtlichen Zu-
rechnung wird die „objektive Vorhersehbarkeit“ der Grundrechtsbeeinträchtigung
angesehen.54
Gegen die Bezeichnung „Vorhersehbarkeit“ mag man einwenden, dass es in der Sa-
che darum geht, welches Maß an Vorausplanung und Risikoberechnung den staat-
lichen Gewalten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zuzumuten ist und nicht
darum, was vorhergesehen werden kann. Dabei geht es aber nur um die begriff-
liche Benennung des Kriteriums. Im Ergebnis ergeben sich keine Unterschiede.
Für die erforderliche Ausdifferenzierung der verfassungsrechtlichen objektiven Zu-
rechnung kann auf die weit entwickelte strafrechtliche Lehre von der objektiven
Zurechnung und die strafrechtliche Tatherrschaftslehre zurückgegriffen werden.56
Die strafrechtliche „Risikoerhöhungstheorie“57 ist eine nicht völlig deckungs-
gleiche Modifikation der strafrechtlichen Lehre von der objektiven Zurechnung.58
Danach ist die Zurechnung eines Taterfolges zur Handlung des Täters von einer
51
Rusteberg, S. 203.
52
Vgl. Wessels/Beulke, Rdn. 176 ff.
53
Vgl. Rusteberg, S. 203; Roth überträgt explizit die strafrechtlichen Kriterien der objektiven Zu-
rechnung auf die Eingriffsdogmatik.
54
Vertreten von Amelung, JR 1984, S. 257; Gallwas, S. 95; Bleckmann, Allgemeine Grundrechts-
lehren, S. 234. Ablehnend die extrem weiten Eingriffsdefinitionen von Duttge, Der Begriff der
Zwangsmaßnahme im Strafprozessrecht, Fn. 594; Eckhoff , S. 246 ff.; Sachs, JuS 1995, S. 305.
55
Cremer, S. 162 ff.
56
Vgl. zur objektiven Zurechnung im materiellen Strafrecht Rotsch, S. 183, 186 ff. So lässt sich
beispielsweise die Fallgruppe der Sozialadäquanz übertragen: Wenn eine staatliche Maßnahme
so geringe Folgen hat, dass diese nicht aus der Summe alltäglicher Lästigkeiten herauszufiltern
sind, kommt ihr kein eigener Eingriffscharakter zu. In der Lehre von der objektiven Zurechnung
entspricht diesem Kriterium die sog. „Sozialadäquanz“.
57
Begründet von Roxin, Strafrecht: Allgemeiner Teil. Grundlagen, der Aufbau der Verbrechens-
lehre, § 11 Rdn. 88 ff.
58
Vgl. Wessels/Beulke, Rdn. 199.
III. Moderner Eingriffsbegriff 81
2. Finalität
Nach der h. M. ist Finalität auch nach dem modernen Eingriffsbegriff kein notwen-
diges, aber ein hinreichendes Kriterium für einen Eingriff.60 Finalität bedeutet, dass
der Staat willentlich grundrechtliche Freiheiten verkürzt. Werden die Beeinträchti-
gungen nur in Kauf genommen, ist dies nach der h. M. nicht ausreichend, um allein
dadurch einen Eingriff zu bejahen.61 In diesen Fällen müssen die anderen Eingriffs-
kriterien vorliegen.
b) Eigene Ansicht
59
Rengier, § 53 Rdn. 35.
60
Bleckmann/Eckhoff , DVBl. 1988, S. 377; Di Fabio, JZ 1993, S. 695; Lübbe-Wolff , S. 270.
61
Weber-Dürler, Der Grundrechtseingriff, S. 90.
62
Vgl. zur Begründung der finalen Handlungslehre Welzel, S. 5 ff.
82 § 7 Klärung des Eingriffsbegriffs
eingegriffen wird, die nicht in ihren Rechten verkürzt werden sollten, aber dennoch
von der staatlichen Maßnahme erheblich betroffen werden, ist damit ebenfalls er-
ledigt. Da keine zielgerichtete Beeinträchtigung notwendig ist, kann der Staat auch
in Rechte Dritter eingreifen, die er in ihren Freiheiten nicht verletzen wollte.
Bei der Verwendung des Finalitätskriteriums im Sinne der h. M. besteht jedoch
die Gefahr, „gewollt“ und „billigend in Kauf genommen“ nicht trennscharf abzu-
grenzen. Es ist entscheidend, dass nur direkter Vorsatz und nicht bedingt vorsätz-
liches Verhalten das Kriterium der Finalität erfüllt. Der Staat handelt nicht ohne
weiteres rechtswidrig, wenn er zwar Freiheiten verkürzt, aber alle Anstrengungen
unternommen hat, dies zu vermeiden.
Beispiel 8 Der Staat weiß, dass ein bestimmtes Handeln ein Risiko für die natür-
lichen Freiheiten der Bürger birgt, etwa die Genehmigung eines Atomkraftwerks.
Er trifft also alle möglichen Sicherheitsmaßnahmen, damit es zu keiner Verletzung
der grundrechtlich gesicherten Interessen der Bürger kommt, aber die Maßnahme
trotzdem durchgeführt werden kann. Hier kalkuliert die staatliche Stelle das Restri-
siko63 in ihre Planungen ein. Fraglich ist, ob ihr die Realisierung des Risikos dann
als staatlicher Eingriff zugerechnet werden kann.
Eindeutig ist, dass der Schaden ohne staatliches Handeln nicht eintreten wür-
de und auch nicht „vorhersehbar“ wäre, sonst wären keine Vorsorgemaßnahmen
erforderlich gewesen. Die Verwirklichung dieses Restrisikos ist aber nicht schon
deshalb ein Eingriff, weil der Staat das Risiko kannte. In solchen Fällen müssen
auch die übrigen Eingriffskriterien gegeben sein und können nicht durch die Ri-
sikokenntnis ersetzt werden. Der Staat dürfte andernfalls im Grundsatz überhaupt
keine Tätigkeiten entfalten, da sich selbst bei harmlosen Aktivitäten Risiken nicht
ausschließen lassen. Ein solches Verständnis würde zu einem gesetzlichen Totalvor-
behalt für staatliches Handeln führen, der im Grundgesetz nicht vorgesehen ist.64
63
Grundlegend zum Begriff des Restrisikos: BVerfGE 49, 89, 137 ff. Wenn das von der Rechts-
ordnung tolerierte Risiko „üblicherweise als Restrisiko bezeichnet wird, welches die Bürger als
sozialadäquate Last zu tragen haben“, Sach, S. 35 m. w. N. in Fn. 29, legt dies nahe, dass wegen
dieser Sozialadäquanz auch die objektive Zurechnung und damit zugleich ein Grundrechtseingriff
ausgeschlossen sein soll, so die herrschende Meinung für die objektive Zurechnung im Strafrecht,
vgl. Otto, Rdn. 70 m. w. N. Auch im materiellen Strafrecht wurde aber eine Lösung über die Recht-
fertigungsebene vertreten, vgl. Klug, Sozialkongruenz und Sozialadäquanz im Strafrechtssystem.
Die Einordnung des Restrisiko in die Fallgruppe der Sozialadäquanz ist nicht zutreffend. Sozi-
aladäquat sind unerhebliche Lästigkeiten. Schwere Folgen eines Restrisikos sind alles andere als
„sozialadäquat“. Dies triff auf die Explosion eines Kernkraftwerks ebenso zu, wie auf ein unbe-
absichtigtes Eindringen des Staates in die Privatsphäre der Bürger. Im Falle einer tatsächlichen
Beeinträchtigung liegt zwar ggf. ein Eingriff vor, doch ist dieser gerechtfertigt, sofern er dem
Gesetzesvorbehalt genügt. BVerfGE 55, 250, 254: „Risiken, die als solche erkannt sind, müssen
mit hinreichender, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechender Wahrscheinlichkeit ausge-
schlossen sein.“
64
Zum Argument des Totalvorbehaltes vgl. auch § 7, III, 1, a); § 9 und § 8, III, 4, g).
III. Moderner Eingriffsbegriff 83
Als weiteres Kriterium für den modernen Eingriffsbegriff wird teilweise in der
Literatur eine individuell konkrete Betroffenheit gefordert. Dann müsste für den
einzelnen Grundrechtsträger als Folge des staatlichen Handelns jeweils eine Frei-
heitseinbuße nachweisbar sein.65 Im klassischen Eingriffsbegriff ist ein solches Er-
fordernis bereits in der Imperativität bzw. Zwangsfunktion enthalten, denn Zwang
kann sich nicht gegen ein Kollektiv richten.
Weber-Dürler hält dieses Erfordernis für unhaltbar. Sie argumentiert, dass durch ab-
strakte Gesetze als solche, unstrittig in Grundrechte eingegriffen werden kann. Ge-
setze sind aber gerade nicht individuell-konkret, sondern abstrakt-generell. Weber-
Dürler folgert daraus, dass Gesetze das Erfordernis der individuell-konkreten Be-
troffenheit nicht erfüllen können. Sie sieht das Erfordernis allerdings als rein pro-
zessuales Problem der Klagebefugnis an.66 Dieser Analyse ist zuzustimmen. Die
Frage bei den zu untersuchenden gesetzlichen Vorschriften ist in der Regel nur, ob
sich in Grundrechte eingreifende Maßnahmen mit den gesetzlichen Vorschriften in
der StPO vereinbaren lassen. Das Gesetz ist dann Anlass für die vermittelte Be-
einträchtigung. Das Gesetz selbst kann aber ohne die Vermittlung einer tatsächlich
ausgeführten Maßnahme ein Grundrechtseingriff sein. Unter welchen Umständen
dies der Fall ist, bleibt eine Frage der Unmittelbarkeit.
Die Angst vor einer Art grundrechtlichen Popularklage ist unbegründet. Die Kla-
gebefugnisse für konkret-individuelle Maßnahmen durch Exekutive und Judikative
bemessen sich ohnehin an Art. 19 Abs. 4 GG. Eine „Popularklage“ in Form von
Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze (sog. Rechtssatzverfassungsbeschwerde)
ist hinzunehmen. Die Gesetze gelten für alle Bürger. Daher kann nicht überzeu-
gend begründet werden, warum sich der Einzelne dann nicht gegen diese auch ihn
betreffenden Gesetz wehren können soll. Die allgemeinen Probleme der Eingriffsin-
dividualisierung entschärfen sich wesentlich, wenn der prozessuale Nachweis eines
Grundrechtseingriffs von der individuell-konkreten Beeinträchtigung getrennt wird.
Der Nachweis individueller Betroffenheit ist ein an dieser Stelle nicht entschei-
dendes Problem des Verfassungsprozessrechts. Das Grundgesetz geht von einem
65
Kirchhof , S. 199; „Die Grundrechte in ihrer Ausprägung als subjektive Rechte des Einzelnen
schützen aber ausschließlich die individuelle Rechtssphäre des einzelnen.“ Heckmann, JZ 1996,
S. 885 Fn. 57 Ein Aufweichen dieses Erfordernisses würde den Einzelnen zum Hüter des objektiv-
rechtlichen Gehalts der Grundrechte machen und einer „allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle
staatlichen Handelns Tür und Tor öffnen“. Dies sei weder zum Grundrechtsschutz notwendig noch
sachdienlich und der gleichen Argumente mehr, Epniney, Der Staat, Nr. 34, 1995, S. 581.
66
Weber-Dürler, Der Grundrechtseingriff, S. 87 f.
84 § 7 Klärung des Eingriffsbegriffs
4. Zwangsähnlichkeit
Die Zwangsfunktion als Element des klassischen Eingriffsbegriffs lässt sich auf
Grundlage des modernen Eingriffsbegriffs nicht aufrechterhalten. Wirkte eine sons-
tige Grundrechtsbeeinträchtigung zwangsähnlich, komme sie einem Imperativ so
nah, dass eine Gleichstellung mit dem Erfordernis der Zwangsfunktion unumgäng-
lich sei. Zwangsähnlichkeit sei aber nur bei Fällen unwiderstehlicher Verhaltenslen-
kung anzunehmen und habe daher keine abschließende Abgrenzungsfunktion.70
b) Eigene Ansicht
„Zwangsähnlichkeit“ liefert lediglich einen Hinweis darauf, dass ein Eingriff nur
dann vorliegt, wenn tatsächlich die Freiheit des Einzelnen durch staatlichen Ein-
fluss gestört wird. Und zwar so, dass der Betroffene sich an die sozialen Normen
anpasst und seine eigentlich gewünschten Handlungen aufgibt. Der empfundene
Druck muss dabei so stark sein, dass er einem imperativen Verbot gleichkommt. Es
liegt in der Natur der Sache, dass ein Verbot weniger abschreckend wirken kann
67
BVerfGE 86, 382, 236 ff.; BVerfG NVwZ 2001, 790.
68
Vgl. Weber, JuS 1995, S. 114 ff.
69
Vgl. Scherzberg, DVBl. 1989, S. 1128 ff. Anderes gilt aber für den Anspruch auf Achtung der
Menschenwürde vgl. § 8, IV, 2.
70
Weber-Dürler, Der Grundrechtseingriff, S. 86.
III. Moderner Eingriffsbegriff 85
als eine Überwachung, denn die strafprozessuale Überwachung kann zur Verurtei-
lung des Betroffenen wegen einer Straftat führen. Die Übertretung eines Verbotes
wird dem Einzelnen unter Umständen leichter fallen, als das nicht verbotene, aber
belastende oder zweideutige Verhalten auszuführen.
Wie im Weiteren zu zeigen sein wird, ist der Einzelne auch in Fällen der vermu-
teten heimlichen Überwachung in seiner Freiheit eingeschränkt. Der Staat nimmt
ihm in solchen Fällen zwar nicht die Entscheidungsautonomie, aber von der Wirk-
kraft her ist der psychische Druck zwangsähnlich. Dies leitet zur Frage nach der
Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung über.
71
Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 17 S. 1207; Lübbe-Wolff , S. 191;
Bleckmann/Eckhoff , DVBl. 1988, S. 380 f.; Pieroth/Schlink, Rdn. 267; Heckmann, JZ 1996, S. 885
Fn. 57 m. w. N.; Weber-Dürler, Der Grundrechtseingriff, S. 87.
72
Duttge, Der Begriff der Zwangsmaßnahme im Strafprozessrecht, S. 106.
73
Duttge, Der Begriff der Zwangsmaßnahme im Strafprozessrecht, S. 106 Fn. 603, 604 m. w. N.
86 § 7 Klärung des Eingriffsbegriffs
c) Eigene Ansicht
74
Rebmann, NJW 1985, S. 3 f.
75
Vgl. oben § 7, II, 1, d).
76
Vgl. unten § 8, II, 2 und § 8, III, 4 ff.
III. Moderner Eingriffsbegriff 87
Bei der Bestimmung des Eingriffsbegriffs besteht die Gefahr, dass aus dem Blick
gerät, dass es um die Beeinträchtigung von Freiheitsgrundrechten geht. Die Wir-
kung des staatlichen Verhaltens muss daher nicht irgendeine, sondern gerade ei-
ne freiheitsbeeinträchtigende Wirkung sein. Es ist unmöglich, den Eingriffsbegriff
sinnvoll zu erläutern, ohne auch den Gegenstand des Eingriffs in den Blick zu neh-
men. Daher muss an dieser Stelle kursorisch auf die Freiheitsgrundrechte und den
Freiheitsbegriff vorgegriffen werden.
77
Vgl. zum Freiheitsbegriff instruktiv Poscher, S. 110 m. w. N. zu den grundlegenden Werken in
Fn. 4.
78
Einige Handlungsformen stehen unter besonderem Schutz, zum Beispiel die Meinungs- oder
Versammlungsfreiheit, Art. 5 und Art. 8 GG.
88 § 7 Klärung des Eingriffsbegriffs
Menschenwürde frei zu sein. Aus diesen Unterschieden ergeben sich auch unter-
schiedliche Anforderungen an den Eingriffsbegriff. In dem Fall, dass der Gesetzge-
ber die Fernkommunikation durch Art. 10 GG vor heimlicher Beobachtung schützt,
ist es unerheblich, welche Auswirkungen diese Beobachtung auf die natürliche
Handlungsfreiheit hat. Andersherum kann nicht ohne weiteres von einer Beobach-
tung auf eine Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit geschlossen werden. Insoweit
müssen also zwingend unterschiedliche Eingriffsbegriffe gelten. Der Verfassungs-
geber könnte die normativen Freiheiten beliebig vermehren und beispielsweise die
Freiheit, nicht beobachtet zu werden, allgemein schützen. Entgegen dem Vorgehen
bei der umfassenden Handlungsfreiheit wurde aber kein allgemeines normatives
Recht auf Freiheit von Beobachtungen erlassen. Die h. M. hat mit dem allgemei-
nen Persönlichkeitsrecht ein zusätzliches, normatives Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1
und Art. 1 Abs. 1 GG zusammengesetzt, das die ganz erheblichen Lücken in dem
Bereich der normativen Freiheiten weitgehend schließt. Es gewährleistet für be-
stimmte Fallgruppen die Freiheit der Person vor staatlicher Fremdwahrnehmung.
Ob dies Vorgehen mit der Verfassung zu vereinbaren ist, wird sich im späteren Ver-
lauf der Arbeit zeigen. An dieser Stelle muss zunächst festgehalten werden: Nur für
die allgemeine Handlungsfreiheit79 muss ein besonderer Eingriffsbegriff festgelegt
werden. Sind normative Freiheiten geschützt, ergibt sich auch der Freiheitsbegriff
aus entsprechender Auslegung des Grundrechts.80
Durch Auslegung der jeweiligen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind spe-
zielle objektive Kriterien zu entwickeln, die für die jeweilige Freiheit unbeachtliche
Einflüsse nicht als Eingriff gelten lassen. Die notwendigen Begrenzungen finden für
die allgemeine Handlungsfreiheit auf der Ebene der Zurechnung statt. Sie betreffen
neben der allgemeinen „Zwangsähnlichkeit“ die Frage, ob auch staatliches Han-
deln, das mitursächlich für völlig irrationale Entscheidungen des Einzelnen wird,
ein Eingriff in seine Handlungsfreiheit sein kann.81
6. Grundrechtsgefährdungen
79
Und die hier aber nicht ins Gewicht fallenden speziellen Handlungsfreiheiten.
80
Ein „Geheimnisgrundrecht“ schützt zum Beispiel vor der Aufdeckung des Geheimnisses durch
Beobachtung.
81
Vgl. unten unter § 8, III, 4, b) und weiter zur Frage, ob schon die Willensbildungsfreiheit in
Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wird § 8, II, 2.
IV. Zwischenergebnis 89
b) Eigene Ansicht
IV. Zwischenergebnis
Nach hier vertretener Ansicht liegt ein Grundrechtseingriff nur vor, wenn folgende
Anforderungen erfüllt sind:
1. Grundrechtlich geschützte Freiheiten einer Person müssen erfolgreich verkürzt
werden.
82
Feik, S. 41 f.
83
Feik, S. 41 f.; Bethge, Der Grundrechtseingriff, S. 43 f.; Vgl. allgemein zu den Grundrechtsge-
fährdungen Sachs in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 78 IV.2, S. 210 ff.
und Ossenbühl, Grundrechtsgefährdungen. „[Dass es eine Pflicht gibt, den Betroffenen nicht durch
ein Strafverfahren in Lebensgefahr zu bringen,] versteht sich für den Rechtsstaat des Grundgeset-
zes von selbst.“ BVerfGE 51, 324, 346 f. Grundrechtsgefährdungen sollen nach BVerfGE 51, 324,
347 „Grundrechtsverletzungen im weiteren Sinne“ sein.
84
Vgl. BVerfGE 49, 89, 141 f.; 53, 30, 57; 56, 54, 78. Die Schwelle für die Gleichstellung von
Gefährdungen gegenüber Eingriffen bleibt darüber hinaus offen: „Um welche Voraussetzungen es
sich dabei handelt, braucht hier nicht abschließend erörtert zu werden.“ BVerfGE 51, 324, 346 f.
85
So ähnlich auch Cremer, der die Begründung von Schutzrechten aus der Abwehrfunktion der
Freiheitsgrundrechte ebenfalls zurückweist. Cremer, S. 178.
86
„Unbestimmter Rechtsbegriff par excellence“, Di Fabio, S. 33.
90 § 7 Klärung des Eingriffsbegriffs
2. Ein solcher Erfolg liegt nur vor, wenn eine freie Entscheidungsfindung durch
fühlbaren staatlichen Einfluss im Ergebnis verändert wird („Freiheitsbeeinträch-
tigung“) (Art. 2 Abs. 1 GG).
3. Der Erfolg muss dem Handeln staatlicher Organe wenigstens im Sinne einer
Risikoerhöhungstheorie objektiv zurechenbar sein.
4. Für die einzelnen Grundrechte können sich jedoch abweichende Ergebnisse er-
geben: Wird durch spezielle Freiheiten der Eingriff normativ vorverlagert, kann
auch schon staatliches Verhalten, das die Entscheidungsfreiheit nicht unbedingt
beeinflusst, ein Eingriff sein (Art. 1 GG, Art. 10 GG, Art. 13 GG).
Für die einzelnen Grundrechte können sich abweichend spezielle Eingriffsvoraus-
setzungen ergeben. Ob die verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen
in Grundrechte eingreifen,87 ist mangels direkter Freiheitseinbuße nicht auf Anhieb
entscheidbar. Eingriffe lassen sich nicht für alle in Betracht kommenden Grundrech-
te und alle Maßnahmen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen
unterstellen. Vielmehr kommt es darauf an, welche spezifischen Grundrechte be-
troffen sind.
87
Vgl. § 1, I, 1.
§ 8 Freiheitsgrundrechte und
Menschenwürdeschutz
Bisher wurde geklärt, dass ein Eingriff in Grundrechte durch verdeckte Ermittlungs-
maßnahmen generell möglich ist. Die klassischen Merkmale des Eingriffsbegriffs,
die durch verdeckte Ermitllungsmaßnahmen verfehlt werden, gelten nicht abschlie-
ßend. Vielmehr ist auf Grundlage des modernen Eingriffsbegriffs zu prüfen, ob die
in der StPO geregelten Maßnahmen Grundrechtseingriffe sind. Die Antwort hängt
aber nicht nur vom Eingriffsbegriff, sondern auch von den einzelnen Freiheitsgrund-
rechten ab. Bei verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen kommt ein
Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ebenso in Betracht, wie eine Verlet-
zung des Anspruchs auf Achtung der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG. Au-
ßerdem sind Eingriffe in andere Grundrechte zu untersuchen, insbesondere solche
gemäß Art. 10 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 GG. Zunächst ist jeweils der
Schutzbereich dieser Grundrechte zu bestimmen, soweit er für das Thema der vor-
liegenden Untersuchung von Interesse ist.1 Dabei ist in Erinnerung zu bringen, dass
mit der Feststellung eines Grundrechtseingriffs noch nicht gesagt ist, dass eingrei-
fende, verdeckte Ermittlungsmaßnahmen generell unzulässig sind. Entscheidend ist
die nach der Darstellung der Freiheitsgrundrechte zu erörternde Möglichkeit der
Rechtfertigung durch Vorschriften, die den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts
entsprechen. Aber auch diese Möglichkeit variiert teilweise mit den Grundrechten,
in die eingegriffen wird. Art. 1 GG und Art. 13 GG unterscheiden sich bezüglich
ihrer Eingriffsschranken deutlich von Art. 2 und Art. 10 GG.
1
Die primäre Funktion der Grundrechte ist die Eingriffsabwehr, vgl. Bethge, Der Grundrechtsein-
griff, S. 14. Die Schutzbereiche müssen daher in den Zusammenhang der Eingriffsabwehr gestellt
werden, vgl. § 7 und Pieroth/Schlink, Rdn. 249.
Um die verdeckten Maßnahmen umfassend und nicht nur für die Spezialfälle der
Telekommunikations- und Wohnraumüberwachung (Art. 10 und Art. 13 GG) ein-
ordnen zu können, wird zunächst untersucht, ob verdeckte Ermittlungsmaßnahmen2
in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein-
greifen. Dazu wird der Schutzbereich dieses weiten Grundrechts geklärt werden.
Den weitesten Schutzbereich aller Grundrechte gewährt Art. 2 Abs. 1 GG. Traditio-
nell werden Art. 2 Abs. 1 GG nicht nur ein, sondern zwei Grundrechte entnommen,
nämlich die allgemeine Handlungsfreiheit als Aktivitätsschutz und das allgemei-
ne Persönlichkeitsrecht als Integritätsschutz, die ihrerseits viele verschiedene sub-
jektive Rechte gewährleisten.3 Diese zwei Grundrechtsgarantien haben nach h. M.
unterschiedlichen Inhalt und sind nur auf eine gemeinsame „Wurzel“4 zurückzu-
führen:5
„So bedarf die Handlungsfreiheit des Menschen zum Schutz seiner freien Entfaltung der
Ergänzung durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das die Persönlichkeit selbst als Vor-
aussetzung ihrer Entfaltung schützt.“6
2
Beispiele: Das heimliche Beschatten eines Verdächtigen ohne technische Mittel nach der Ermitt-
lungsgeneralklausel, §§ 161 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 163 S. 2 StPO. Die Überwachung mit technischen
Mitteln gemäß §§ 100h, 163 f StPO. Die Überwachung eines Gesprächs mittels Richtmikrofon auf
der Straße nach § 100f StPO. Die Anfangs im Beispielfall vorgestellte Ausspähung von Compu-
terspeichern mittels Trojanern.
3
Murswiek in: Sachs, GG6 , Art. 2 Rdn. 41.
4
Dreier in: Dreier, GG2 , Art. 2 Abs. 1 Rdn. 25.
5
Vgl. Murswiek in: Sachs, GG6 , Art. 2 Rdn. 41 ff. und 59 ff.; Dreier in: Dreier, GG2 , Art. 2 Abs. 1
Rdn. 68 ff.
6
Stein, S. 250.
7
Pieroth/Schlink, Rdn. 386 ff.
I. H. M. zur allgemeinen Handlungsfreiheit und zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht 93
Der Schutz der „Integrität“ menschlichen Seins durch das allgemeine Persön-
lichkeitsrecht wird von der h. M. mit dem Einfluss des objektiven Achtungsan-
spruchs der Menschenwürde begründet. Dieser soll danach auf das Grundrecht aus
Art. 2 Abs. 1 GG „ausstrahlen“. Nach h. M. ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht
8
Rieß in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , § 163 Rdn. 39.
9
BVerfGE 54, 148, 153.
10
Dreier in: Dreier, GG2 , Art. 2 Abs. 1 Rdn. 69.
11
Dem BVerfG wird lediglich teilweise vorgeworfen, es habe versäumt deutlich zu machen, dass
dieses Recht selbstständig neben der allgemeinen Handlungsfreiheit stehe, Stein/Frank, S. 252.
12
Stein/Frank, S. 255.
13
Stein/Frank, S. 255.
94 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
in seinem ganzen Schutzbereich mit Art. 1 Abs. 1 GG verbunden, „weil es wie die
Menschenwürde das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Einzelnen weniger mit
seinem Verhalten, als vielmehr in seiner Qualität als Subjekt schützt.“14 Das all-
gemeine Persönlichkeitsrecht umfasst danach sowohl den Schutz des Kernbereichs
der privaten Lebensgestaltung als auch den darüber hinausgehenden personalen
Integritätsschutz in sozialen Bezügen.
14
Pieroth/Schlink, S. 391. So in der Sache auch Stern, Ehrschutz und allgemeine Gesetze, S. 815,
826; Vogelsang, S. 127 ff., Schmitt Glaeser in: Isensee/Kirchhof , HStR 6, § 129 Rdn. 28 f., der den
Unterschied zwischen „Tun“ und „Sein“ sieht; Cremer, S. 83 schreibt: „So verlangt das BVerfG
zu Recht, dass bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1
die Grundnorm des Art. 1 Abs. 1 GG zu berücksichtigen ist.“; weitere Nachweise bei Baston-Vogt,
S. 420 Fn. 507.
15
Mit den ersten Ansätzen in der Privatrechtswissenschaft wurde die Rechtswidrigkeit ungeneh-
migter Veröffentlichungen von Privatbriefen oder Tagebüchern begründet. Vgl. Gierke, § 81 I,
S. 703 f.; zu weiteren Nachweisen der Entwicklung vgl. Pawlowski, Rdn. 786 ff. Diese Meinung
wurde jedoch vorerst nicht von der Rechtsprechung anerkannt. RGZ 51, 369 ff., vgl. auch Ehmann,
AcP, Nr. 188, 1988, S. 230 ff. Nach 1945 konnte sich diese Ansicht dann durchsetzen.
16
Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 119 f. Es war die zivilrechtliche
Rechtsprechung, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht zuerst an die Artikel des Grundgesetzes
band: „Nachdem nunmehr das Grundgesetz das Recht des Menschen auf Achtung seiner Würde
(Art 1 GrundG) und das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit auch als privates, von
jedermann zu achtendes Recht anerkennt, soweit dieses Recht nicht die Rechte anderer verletzt
oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt (Art 2 GrundG), muß
das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht angese-
hen werden (vgl Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil 14. Aufl § 78 I 2; Enneccerus-Lehmann,
Schuldrecht 14. Aufl. §§ 233 2c; Coing SJZ 1947, 642).“, BGHZ 13, 334, 338. Vgl. auch BGHZ
24, 76; 26, 349; 31, 308 ff.; 39, 124.
17
Erstmals im „Elfes Urteil“, BVerfGE 6, 389, drei Jahre nach BGHZ 13, 334. Vgl. zur Entwick-
lung schon oben § 5, III, 1.
18
BVerfGE 54, 148, 153; 60, 329, 339; 63, 131, 142 f.
19
BVerfG-K, NJW 2006, 3409, 3410. Vgl. auch Baston-Vogt, S. 11–17.
20
Zur bis heute andauernden gegenseitigen Beeinflussung des zivilrechtlichen und verfassungs-
rechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts vgl. schon Ehmann, JURA 2011, 437 ff.
I. H. M. zur allgemeinen Handlungsfreiheit und zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht 95
im Zivilrecht sehr weit ausgelegt wurde,21 war der Schutzbereich dieses Rechts mit
der anfänglichen Übernahme der zivilrechtlichen Dogmatik bereits auf Ausweitung
angelegt.
Spätestens mit dem Volkszählungsurteil22 wurde deutlich, dass die verfassungs-
gerichtliche Rechtsprechung den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeits-
rechts erweitern wollte. Das BVerfG stellte in diesem Urteil klar, dass es unter
den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung „kein belangloses Datum“
mehr gebe.23 Danach ist jede personenbezogene Informationssammlung ein Ein-
griff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, da sich alle Informationserhebungen,
seien es Wort- oder Bildaufnahmen oder Datensätze heute elektronisch speichern
und weiterverarbeiten lassen. Das trifft auch auf die verdeckten strafprozessualen
Ermittlungsmaßnahmen zu. Die durch sie gewonnenen Informationen werden heute
nahezu sämtlich elektronisch gespeichert und unterliegen den damit verbundenen,
im Vergleich zur manuellen Verarbeitung potenzierten, Missbrauchsgefahren.
Obwohl Art. 1 Abs. 1 GG zur Begründung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
herangezogen wird und die Menschenwürde unantastbar ist, zieht das BVerfG aus
dieser Ausweitung des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht
etwa den Schluss, nun alle Eingriffe in den Schutzbereich des Grundrechts für ver-
fassungswidrig zu erklären. Das Gericht stellt das allgemeine Persönlichkeitsrecht
vielmehr – soweit der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht betroffen
ist – unter den durch den Grundsatz der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit er-
gänzten allgemeinen Gesetzesvorbehalt.24
21
Vgl. den Sachverhalt in BGHZ 13, 334, 334. Dort ging es um die leicht veränderte Wiedergabe
eines anwaltlichen Schreibens, dieses gehörte aber nicht zum Kernbereich persönlicher Lebensge-
staltung, sondern zum Geschäftsbereich.
22
Vgl. § 5, III, 3.
23
BVerfGE 65, 1, 45, für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
24
Dies war bereits im Mikrozensusurteil angelegt: „Nicht jede statistische Erhebung über
Persönlichkeits- und Lebensdaten verletzt jedoch die menschliche Persönlichkeit in ihrer Würde
oder berührt ihr Selbstbestimmungsrecht im innersten Lebensbereich.“ BVerfGE 27, 1, 7.
25
Vgl. Pawlowski, Rdn. 792.
26
Vgl. Schmitt Glaeser in: Isensee/Kirchhof , HStR 62 , § 129 Rdn. 30.
96 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
27
BVerfGE 101, 361, 380.
28
Vgl. dazu die Ausführungen unten und zu weiteren variierenden Ausprägungen Dreier in:
Dreier, GG2 , Art. 2 Abs. 1 Rdn. 68 ff.; Jarras, NJW 1989, 858 f.; Degenhart, JuS 1992, 363 ff.
29
Die Einteilung in die Kategorien Selbstdarstellung und Selbstbewahrung folgt Pieroth/Schlink,
Rdn. 394, 397.
30
Siehe oben § 1, I.
I. H. M. zur allgemeinen Handlungsfreiheit und zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht 97
Das BVerfG begründet den Schutz des gesprochenen Wortes durch das allge-
meine Persönlichkeitsrecht auch mit dem Schutz der persönlichen Ehre. Durch eine
Einbeziehung in den Schutzbereich werde vermieden, dass Äußerungen des Ein-
zelnen nach Außen gelangen, die seiner Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit
abträglich sein können.35
31
BVerfGE 34, 238, 246; 106, 28, 39. f.
32
BVerfGE 106, 28, 41.
33
BVerfGE 101, 361, 381.
34
BVerfGE 101, 361, 381 f.
35
BVerfGE 99, 185, 193 f., 114, 339. 346; Pieroth/Schlink, Rdn. 398.
98 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
36
BVerfGE 65, 1, 41.
37
Zöller, S. 27; Kunig, Jura 1993, S. 595, 599. „Daten“ wird teilweise nur in Bezug oder in
Parallele zu DIN ISO/IEC 2382 verwendet. Danach sind Daten (nur) Gebilde aus Zeichen oder
kontinuierliche Funktionen, die aufgrund bekannter oder unterstellter Abmachungen Informatio-
nen darstellen, vorrangig zum Zweck der Verarbeitung und als deren Ergebnis. In der Informatik
und Datenverarbeitung versteht man Daten als (maschinen-) lesbare und -bearbeitbare, in der
Regel digitale Repräsentation von Information. Bei Informationen als Gegenstand der verdeck-
ten Ermittlungsmaßnahmen geht es um Informationen, also Daten im weiteren Sinne, sei es das
gesprochene Wort oder eine einfach visuelle Wahrnehmung. Dabei wird unter Bezugnahme auf
die Umsetzung im einfachen Recht für Daten durch § 3 Abs. 1 BDSG als ausreichend erachtet,
dass Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder be-
stimmbaren Person sein sollen. In diesen Fällen ist eine Person bestimmt, wenn die Daten selbst
einen Rückschluss auf ihre Identität zulassen. Bestimmbarkeit liegt vor, wenn mit Hilfe der Um-
stände und zusätzlicher Kenntnisse der Bezug zu einer konkreten Person hergestellt werden kann.
38
Zöller, S. 27.
I. H. M. zur allgemeinen Handlungsfreiheit und zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht 99
die Möglichkeit über diese Daten zu bestimmen. Nach dem BVerfG ist jede per-
sonenbezogene verdeckte Datenerhebung und deren weitere Verwendung durch die
Ermittlungsbehörden also – vorbehaltlich des Schutzes durch speziellere Grund-
rechte – ein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbe-
stimmung.
39
BVerfG 120, 274, 302: „als Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität
informationstechnischer Systeme.“
40
BVerfG 120, 274, 302.
41
Vgl. Murswiek, der eine eigenständige Bedeutung neben dem Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung zwar ablehnt, aber die eigentliche Bedeutung des Computergrundrechts der
Rechsprechung in der allgemeinen Errichtung eines „Schutzzauns“ gegen Maßnahmen sieht, die
eine Ausspähung, Manipulation und Überwachung ermöglichen, Murswiek in: Sachs, GG6 , Art. 2
Rdn. 73c.
42
BVerfG 120, 274, 310.
43
BVerfGE 120, 274.
44
BVerfG 120, 274, 310.
100 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
verneinen, dass der Betroffene bemerkt, dass die Daten in seinem Rechner gerade
ausgespäht werden.
Ob das neue Computergrundrecht ein Teilbereich des Rechts auf informationel-
le Selbstbestimmung sein soll oder ob es neben den bisherigen Konkretisierungen
stehen soll, ist strittig.45 Das BVerfG scheint sich für die letztgenannte Variante ent-
schieden zu haben und stellt das „neue“46 Grundrecht subsidiär neben das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung:
“[. . . ] verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Art. 1 i. V. m. Art. 1 Art. 1 GG)
in seiner besonderen Ausprägung als Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit
und Integrität informationstechnischer Systeme. Diese Ausprägung des allgemeinen Per-
sönlichkeitsrechts schützt vor Eingriffen in informationstechnische Systeme, soweit der
Schutz nicht durch andere Grundrechte, wie Art. 10 oder Art. 13 GG, sowie durch das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet ist [. . . ].“47
„Dieses Recht fußt gleich dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf Art. 2
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG; es bewahrt den persönlichen und privaten
Lebensbereich der Grundrechtsträger vor staatlichem Zugriff im Bereich der Informations-
technik auch insoweit, als auf das informationstechnische System insgesamt zugegriffen
wird und nicht nur auf einzelne Kommunikationsvorgänge oder gespeicherte Daten.“48
45
Dagegen Murswiek in: Sachs, GG6 , Art. 2 Rdn. 73c; Eifert, NVwZ 2008, S. 521 f.; Volkmann,
JZ 2006, S. 591.
46
Wegen der insoweit ungeänderten Artikel des GG geht es nicht um ein im engen Wortsinn „neu-
es“ Grundrecht. Das Grundrecht ist nicht „neu“ im Sinne einer Verfassungsergänzung. Vielmehr
handelt es sich um die konkretisierende Auslegung der Art. 2 Abs. 1 (i. V. m. Art. 1 Abs. 1) GG
durch das BVerfG. Vgl. Roßnagel/Schnabel, NJW 2008, S. 3534 ff.
47
BVerfGE 120, 206, 302.
48
BVerfGE 120, 206, 313.
49
So auch Murswiek in: Sachs, GG6 , Art. 2 Rdn. 73c, der einerseits meint, das Grundrecht sei
neben dem Grundrecht auf Informationelle Selsbtbestimmung überflüssig, aber andererseits die
Rechtsprechung des BVerfG so interpretiert, dass der Schutz durch das Computergrundrecht Ein-
griffe verhindern soll, die Informationserhebungen nur vorbereiten. Nach dem hier vertretenen
und im weiteren Verlauf der Arbeit noch zu erläuternden Ansatz kommt es auf solche Abgren-
zungen im Ergebnis nicht an, da es sich nur um standardisierte Begründungen für Eingriffe in die
allgemeine Handlungsfreiheit handelt, vgl. unten § 8, 2, 3.
50
Ob das BVerfG damit von zwischenzeitlichen Ansätzen abrücken will, nach denen ein Grund-
recht durch anderes – sogar ohne Schutzbereichseröffnung beider Grundrechte – verstärkt werden
könne, bleibt unklar: Nach der Ansicht des BVerfG erhält das allgemeine Persönlichkeitsrecht sein
besonderes Gewicht dadurch, dass das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 GG
mit der Menschenwürde aus Art. 1 GG gekoppelt wird, auch wenn die Menschenwürde nicht bei
jedem Eingriff berührt wird. Vgl. allgemein kritisch zur Dogmatik der Grundrechtsverstärkung
Borowski, 443 f. Weiterreichend ist die Frage, ob bei jeder neuen technischen oder gesellschaft-
lichen Entwicklung ein neues Grundrecht begründet werden muss. Dies ist zweifelhaft, da es
doch aus der Auslegung der geschriebenen Grundrechte besteht. Gibt es zum Beispiel auch ein
I. H. M. zur allgemeinen Handlungsfreiheit und zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht 101
Durch die bloße Benennung der Funktion des Rechts auf Selbstbewahrung wird
nicht ohne weitere Erläuterung klar, unter welchen Umständen ein Verhalten nicht
beobachtet werden darf. Das BVerfG gibt dem Recht auf Selbstbewahrung mit ver-
schiedenen „Sphären“ Konturen (sog. Sphärentheorie).52 Dies sind die Intimsphäre,
die Privatsphäre und die Sozialsphäre.
Die Intimsphäre macht den „Kernbereich der privaten Lebensgestaltung“ aus.
In diese „tabuisierte“ Sphäre darf unter keinen Umständen – auch nur durch
bloße Einblicknahme – eingegriffen werden, weil dieser Kernbereich durch den
Einfluss der Menschenwürde unantastbar ist.53
Die Privatsphäre ist ein Bereich privater, autonomer Lebensgestaltung, in dem
der Einzelne seine Individualität entwickeln und wahren kann.54 Die Privatsphä-
re ist nicht auf den eigenen häuslichen Bereich beschränkt, sondern erstreckt
sich auch auf Örtlichkeiten und Situationen, an und in denen begründeterma-
ßen objektiv davon ausgegangen werden darf, dass man der Öffentlichkeit nicht
ausgesetzt ist.
Grundrecht auf Integrität von gentechnikfreien Lebensmitteln oder ein Recht an Teilnahme an
Anti-Windkraft-Demonstrationen usw.? Im Endeffekt sind „neue Grundrechte“ als bloße Konkre-
tisierungen geschriebener Grundrechte rein deklaratorisch und kein dogmatisches Problem. Die
Feststellung eines „neuen“ Grundrechts hat insoweit nur eine größere Signalwirkung als wenn das
BVerfG es bei der schlichten Subsumtion unter Art. 2 Abs. 1 GG belassen hätte. Für die Rechtsan-
wendung in der StPO spielt diese Methodenfrage keine Rolle. Entscheidend ist, dass das BVerfG
dieses spezielle Grundrecht herausgestellt hat, da sich in der bisherigen Dogmatik Schutzlücken
in der Systematik der Grundrechtskonkretisierungen ergeben haben.
51
Pieroth/Schlink, Rdn. 394 ff.
52
Pieroth/Schlink, Rdn. 396; Riepl, S. 21 f.; BVerfGE 27, 1 „Mikrozensus“. Nach Schmitt-Glaeser
sind für die Bestimmung des Privatbereichs vier Theorien ausschlaggebend: Die Sphärentheorie,
welche die Personennähe als Kriterium zur Abgrenzung der drei Sphären nutzt; die Rollentheorie,
die auf die Betroffenheit in der jeweiligen Funktion, im Beruf, in der Familie, unter Freunden etc.
abstellt; die Theorie der autonomen Selbstdarstellung, die an die Entscheidungsfreiheit anknüpft;
die Kommunikationstheorie, welche die Integrität der Kommunikation als Unterscheidungsmerk-
mal benennt, Isensee/Kirchhof , HStR 6, § 129 Rdn. 14. Keine dieser Lehren konnte sich als
alleiniger Maßstab durchsetzen. Die Sphärentheorie ist zwar im Grundsatz anerkannt, doch muss
sie weiter konkretisiert werden. Dabei können die anderen Theorien Hilfe leisten. Vgl. Stern in:
Stern/Sachs/Dietlein, § 99 II 2, der die Sphärentheorie des BVerfG aber nicht heraushebt.
53
BVerfGE 80, 367, 373 f.
54
BVerfGE 35, 202, 220.
102 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Die Sozialsphäre ist die Sphäre, in welcher der Einzelne als gemeinschaftsbezo-
gene und gemeinschaftsgebundene Person im Rahmen des öffentlichen Lebens
mit anderen Gesellschaftsmitgliedern interagiert.55
In die letzten beiden Sphären darf nur durch bestimmte und verhältnismäßige
Gesetze eingegriffen werden. Der Schutz der Privatsphäre ist stärker als der Schutz
der Sozialsphäre. Er
„ist umso intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen [. . . ].“56
Für das Recht auf Privatsphäre und das Recht auf Wahrung des Kernbereichs der
privaten Lebensgestaltung ist nicht entscheidend, ob eine Information visuell oder
akustisch wahrgenommen wird. Unerheblich ist ferner, ob sie Daten aus einer Kar-
tei oder Speicherinhalte eines Computers betrifft. Der Schutzbereich wird vielmehr
„thematisch“ und „räumlich“ bestimmt.59 Für die thematische Einschränkung ist
der Wille zur Vertraulichkeit entscheidend. Räumliche Bereiche sind umfasst, wenn
sie die Annahme begründen, der öffentlichen Wahrnehmung entzogen zu sein. Ge-
meint ist, dass die Umstände auch objektiv und nicht nur nach dem Willen des
Betroffenen eine begründete Wahrscheinlichkeit liefern müssen, von anderen nicht
bemerkt zu werden.
Eingriffe in die Privatsphäre hängen nach dem BVerfG nicht davon ab, dass
Wahrnehmungen aufgezeichnet werden, also fotografiert oder Ton aufgenommen
wird. Ausreichend ist, dass Einblick genommen wird. Dieses Recht ist also teils
55
BVerfGE 65, 1, 44.
56
BVerfGE 89, 69, 82 f. Teilweise wird die Sphärentheorie als bloße Verhältnismäßigkeitsbe-
trachtung ohne Sinn für die Schutzbereichsabgrenzung gesehen, vgl. Wölfl, NVwZ 2002, S. 50.
Die Sphärentheorie ist aber bereits auf der Schutzbereichsebene erforderlich, da zunächst festge-
stellt werden muss, ob und wenn ja, in welche Grundrechte eingegriffen wird. Die Beteiligung des
Art. 1 Abs. 1 GG ist dabei keine von der Verhältnismäßigkeit erfasste Kategorie, da alle Eingrif-
fe in Art. 1 Abs. 1 GG unverhältnismäßig sind. In der öffentlichen Sphäre ist der Schutzbereich
lückenhaft und muss zunächst abgegrenzt werden, bevor Eingriffe möglich sind, die verhältnismä-
ßig sein könnten.
57
Vgl. § 9.
58
Siehe unten § 8, III und § 8, IV.
59
BVerfGE 101, 361, 384 ff.
II. Einwände gegen die Konstruktion eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts 103
enger, teils weiter als die anderen Konkretisierungen. Der Betroffene wird davor
geschützt, fotografiert oder abgehört zu werden, ohne dass die Umstände, in denen
er aufgenommen wird, privat sein müssen. Auch vor dem Sammeln persönlicher
Daten oder dem Ausspähen der in einem Computer gespeicherten Daten wird er
unabhängig davon geschützt, ob die Informationen aus seinem Privatbereich stam-
men. Die Privatsphäre wird hingegen teils umfangreicher definiert, weil sie auch
gegen die Beobachtung durch schlichte Einblicknahme einer Ermittlungsperson,
ohne den Einsatz technischer Mittel grundsätzlich geschützt ist.60
Mit verdeckten strafprozessualen Maßnahmen sollen in der Regel Personen be-
obachtet werden, die unbeobachtet bleiben wollen, sich vor dem Staat zurückziehen
und von ihm allein gelassen werden wollen. Im Groben wird damit bereits deutlich,
dass genau die vom BVerfG genannten Abschirmungen durch die verdeckten straf-
prozessualen Ermittlungsmaßnahmen umgangen werden sollen.
60
BVerfGE 101, 361, 383, mit weiteren ausführlichen Erläuterungen.
61
Vgl. für einen kurzen historischen Blick über die Entstehung Murswiek in: Sachs, GG6 , Art. 2
Rdn. 1.
104 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
„Rechtlich gesehen ist er (Art. 2 Abs. 1) ein selbständiges Grundrecht, das die allgemei-
ne menschliche Handlungsfreiheit gewährleistet. Es waren nicht rechtliche Erwägungen,
sondern sprachliche Gründe, die den Gesetzgeber bewogen haben, die ursprüngliche Fas-
sung „Jeder kann tun und lassen was er will“ durch die jetzige Fassung zu ersetzen (vgl. v.
Mangoldt, Parlamentarischer Rat, 42. Sitzung des Hauptausschusses, S. 533).“62
Nach subjektiv-historischer Auslegung ist also eine Interpretation des Art. 2 Abs. 1
GG, die über die allgemeine Handlungsfreiheit hinaus einen Integritätsschutz bietet,
nicht mit dem Willen des Verfassungsgebers vereinbar.
Die h. M. stützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht nur auf Art. 2 Abs. 1 GG,
sondern auch auf Art. 1 Abs. 1 GG. So wird der Aktivitätsschutz der allgemeinen
Handlungsfreiheit um den allgemeinen Integritätsschutz der Person ergänzt. Damit
wird das Problem scheinbar gelöst, dass sich der Schutz der personalen Integri-
tät als passives „So-gesehen-werden“ durch das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG
nicht mit der Auslegung dieser Vorschrift als Schutznorm einer aktiven allgemeinen
Handlungsfreiheit vereinbaren lässt. Wie zu zeigen sein wird, ergeben sich daraus
allerdings neue Probleme.
Das BVerfG nimmt ein solches einheitliches Grundrecht an, dessen gesamter
Schutzbereich sich sowohl aus Art. 1 Abs. 1 als auch aus Art. 2 Abs. 1 GG ergibt.63
62
BVerfGE 6, 32, 36 f. Cremer, S. 83: „Insoweit reicht [. . . ] angesichts der [. . . ] zurückgewie-
senen Gegenargumente und des letztlich unergiebigen Wortlauts der Hinweis auf die Genese des
Grundgesetzes, aus der zweifelsfrei hervorgeht, dass der Verfassungsgeber Art. 2 Abs. 1 GG als
ein Recht ,zu tun und zu lassen was man will‘, als allgemeine Handlungsfreiheit also, verstanden
wissen wollte“. Cremer, S. 83 Fn. 54 mit wörtlichen Zitaten aus den Ausschüssen zur sprachlichen
Kritik an „zu tun und zu lassen was man will“: Es wurde auf die Formulierung verzichtet, weil
sie „zu vulgär klingt“, weil sie „wenig schön“ ist. Andere sagten sie „klingt sehr schlecht“; „das
Würdevolle im Klang“ fehle.
63
Ständige Rspr. BVerfGE 34, 238 ff. – Tonband; BVerfGE 35, 202 ff. – Lebach; BVerfGE 65,
1 ff. – Volkszählung; 120, 274 ff. – Computergrundrecht. Diese Rechtsprechung erfährt jeden-
falls im Ergebnis Unterstützung aus der Literatur. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht erfahre
inhaltliche Bestimmung „von der Garantie der Menschenwürde her“. Zugleich ergebe sich aus der
Verbindung des Art. 2 Abs. 1 GG mit Art. 1 Abs. 1 GG eine Verstärkung des Schutzes. Da das Sein
und nicht nur das Verhalten betroffen sei, ließen sich Eingriffe „nicht so leicht rechtfertigen“ wie
solche in die allgemeine Handlungsfreiheit, Murswiek in: Sachs, GG6 , Art. 2 Rdn. 62. Murswiek
weist darauf hin, dass nicht zwei Grundrechte kumulativ zur Anwendung kämen. Das allgemeine
Persönlichkeitsrecht ergebe sich aus Art. 2 Abs. 1 bei der Bestimmung von Inhalt und Gewähr-
leistungsumfang sei Art. 1 GG als Interpretationsrichtlinie zu beachten, Murswiek in: Sachs, GG6 ,
Art. 2 Rdn. 63. Nach h. M. schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht über die Einbeziehung des
Art. 1 Abs. 1 GG so vorwiegend das menschliche Sein als Qualität. Diese Ansicht setzt voraus,
dass der Anspruch auf Achtung der Menschenwürde nur ein objektives Recht ist. Das Problem ei-
ner Verletzung des Achtungsanspruchs der Menschenwürde durch einen Eingriff in das allgemeine
Persönlichkeitsrecht wird damit aber nicht gelöst. Die Definition der Menschenwürdegarantie als
objektives Recht ändert nichts an ihrer Unantastbarkeit.
II. Einwände gegen die Konstruktion eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts 105
Welche staatliche Behandlung eines Menschen diesen Schutz auslöst, wird nor-
mativ bestimmt. Die Behandlung des Betroffen wird mit einem ethischen Makel
versehen und als verwerflich bewertet. Dabei sind nicht primär die möglichen Fol-
gen der Behandlung auf die Handlungsfreiheit des Einzelnen entscheidend. Ausrei-
chend ist eine Verächtlichmachung der Person. Diese abwertende Behandlung muss
nur sehr vage abstrake Gefahren für die Freiheiten des Einzelnen begründen kön-
nen. Daher gehören nach der Rechtsprechung auch Beobachtungen und sonstige
Informationserhebungen über intime Details des betroffenen Menschen zu solchen
Behandlungen, ohne dass die natürlichen Freiheiten des Betroffenen tatsächlich
nachweisbar beeinträchtigt werden müssen. Handlungsfreiheit oder Entscheidungs-
autonomie müssen nicht eingeschränkt werden, um einen Eingriff zu bejahen. Da-
her ist ein Eingriff durch diesen normativen Einfluss des Achtungsanspruchs der
Menschenwürde allein durch eine als entwürdigend oder anstößig bewertete Beob-
achtung möglich. Der bei den klassischen Freiheitsrechten gebräuchliche Eingriffs-
begriff gilt nicht, da das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG durch eine Einbeziehung
des objektiven Anspruchs auf Achtung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG
zu einem Recht auf allgemeine Wahrung der persönlichen Integrität umgebildet
wird. Mit persönlicher „Integrität“ ist das Selbstbild gemeint, dass der Einzelne
durch Selbstdarstellung in der Gesellschaft zum Ausdruck bringen will. Zu dieser
persönlichen Integrität gehört der Anspruch, von der Gesellschaft so wahrgenom-
men zu werden, wie man gesehen werden will oder gar die Beobachtung als solche
zu verbieten. Dieses Recht auf eine bestimmte Art der Fremdwahrnehmung ist als
Grundrecht also streng genommen ein Anspruch gegen den Staat, bestimmte Wahr-
nehmungen des Einzelnen zu unterlassen, und kein klassisches Recht auf die eigene
aktive Entfaltung.
Die herrschende Meinung geht aber nicht so weit, jeden Eingriff in das allgemei-
ne Persönlichkeitsrecht als Verletzung des Anspruchs auf Achtung der Menschen-
würde einzuordnen. Durch die Verbindung zwischen Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1
GG wird die Menschenwürde in ihrem Wert herabgesetzt und das Grundrecht aus
Art. 2 Abs. 1 GG erhält einen höheren Wert. Der Schutz des so zusammengefügten
Grundrechts besteht nicht nur gegenüber einer „entwürdigenden“ Behandlung im
Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Er wirkt auch gegen eine „unschickli-
che“ oder „anstößige“ Behandlung im Bereich der weiteren Privatsphäre. Letzteres
ist im Sinne einer „abgeschwächten Menschenwürde“ zu verstehen, die auch außer-
halb des stärker geschützten Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung gilt.64 Ab-
geschwächt ist die Menschenwürde im allgemeinen Persönlichkeitsrecht deshalb,
weil die bestrittene65 h. M. davon ausgeht, dass ein Eingriff in die Menschenwürde
als solche in keinem Fall gerechtfertigt werden kann, weil sie nach Art. 1 Abs. 1
64
„[. . . ] jedem einzelnen Bürger [ist] eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig
vorbehalten. [Es besteht] also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit, welcher
der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist.“ BVerfGE 6, 32, 42; vgl. auch 34,
238, 245.
65
Zu diesem Streit finden sich nähere Ausführungen unten im Rahmen der Behandlung der Men-
schenwürde unter § 8, IV, 3, b).
106 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
GG unantastbar ist. Ein Eingriff in die Privat- bzw. Sozialsphäre sei hingegen in-
nerhalb der Schranken66 des Art. 2 Abs. 1 GG erlaubt, aber rechtfertigungsbedürf-
tig.67 Je näher ein Eingriff der Geheim- oder Intimsphäre kommt, umso gewichtiger
müssen nach dieser Ansicht die Interessen der Allgemeinheit sein, um ihn zu recht-
fertigen.68 Teilt man den Standpunkt der h. M., die von der Unantastbarkeit der
Menschenwürde ausgeht, lässt sich daraus keine widerspruchsfreie Lösung ablei-
ten. Auch an anderer Stelle bietet das BVerfG keine dogmatisch befriedigenden
Antworten auf diese Fragen.
Der entscheidende Einwand gegen die Verbindung von Art. 1 Abs. 1 mit
Art. 2 Abs. 1 GG zu einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht besteht darin, dass
durch diese dogmatische Herleitung der h. M. der Anspruch auf Achtung der Men-
schenwürde unzulässig für Eingriff und Abwägung geöffnet und relativiert wird.69
Der Weg des BVerfG, das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Gesamtheit
unter Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu subsumieren, bleibt im Hinblick auf
die gefundenen Ergebnisse dogmatisch widersprüchlich. In einigen Entscheidungen
des BVerfG erkennt das Gericht einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1
GG,70 aber hält nicht den Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung für be-
troffen. Zumindest diese Entscheidungen basieren daher auf der dogmatisch nicht
haltbaren Mischkonstruktion des Grundrechts. Denn dieser Ansatz geht – konse-
quent zu Ende gedacht – davon aus, das Schutzkonzept der Menschenwürde aus
Art. 1 Abs. 1 GG müsse nur mit einem anderen Grundrecht verbunden werden, um
die Definition dessen, was unter Würde zu verstehen ist, zu relativieren und so das
Antasten der Menschenwürde an der Verfassung vorbei zu legitimieren.
Das BVerfG greift nur deshalb zu dieser gefährlichen Konstruktion, weil es die
Bürger vor solchen Maßnahmen schützen will, die keine klassischen Eingriffe in
Freiheitsrechte sind, aber auch nicht so gravierend in die Privatsphäre eindringen,
dass sie entwürdigend sind. Es besteht die begründete Vermutung, dass das BVerfG
jedenfalls ursprünglich davon ausging, ein Eingriff in die allgemeine Handlungs-
freiheit ließe sich für bloß überwachende oder warnende Maßnahmen nicht begrün-
den. Wegen der unzureichenden Quellenlage ist unklar, ob das Gericht das ver-
fassungsrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht entwickelte, weil das BVerfG
davon ausging, dass rein beobachtende Maßnahmen keine auch nur mittelbare Fol-
gen für die Handlungsfreiheit haben. Als alternative Erklärung ist anzunehmen,
dass das Gericht lediglich den klassischen Eingriffsbegriff verwendete, der eine
Zurechnung der durch die Überwachung verursachten Folgen ausschloss. Die plau-
66
„Schranken“ sind die einschränkenden Umstände, die sich hier aus dem Gesetzesvorbehalt er-
geben. Vgl. § 9.
67
Seit BVerfGE 65, 1, 43.
68
Mückenberger, KJ 1984, S. 5.
69
Die hier vertretene Argument des inneren dogmatischen Widerspruchs der h. M., ließe sich nur
entkräften, wenn sich die h. M. dazu durchringen würde, die Menschenwürde insgesamt Eingriff
und Abwägung zu öffnen. Diese Konsequenz wollen aber nur wenige ziehen, siehe unter § 8, IV,
3, b). Die eigene Ansicht zu diesem Grundsatzkonflikt findet sich unter § 8, IV, 3, c).
70
Zum Beispiel: BVerfGE 34, 238 – Tonband; BVerfGE 101, 361 – Caroline von Monaco II;
BVerfGE 106, 28 – Mithörvorrichtung; BVerfGE 115, 320 – Rasterfahndung II.
II. Einwände gegen die Konstruktion eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts 107
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht könnte in der Sache nur noch dadurch gerettet
werden, dass die allgemeine Handlungsfreiheit bereits die Willensbildung schützt.
Im Folgenden ist zu untersuchen, welcher Freiheitsbegriff dem Art. 2 Abs. 1 GG
zugrunde liegt.
71
BVerfGE 54, 148.
72
BVerfGE 66, 39, 60; 105, 279, 299 ff.
73
Vgl. § 7, III.
74
Vgl. § 7, III.
75
Vgl. § 7, III.
108 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Eine Ansicht in der Literatur vertritt einen weiten Freiheitsbegriff. Dieser Begriff
setzt nicht am Entscheidungsergebnis, sondern am Entscheidungsprozess an und
erscheint daher schon von vornherein nur zur Klärung der Handlungsfreiheit nur
geeignet, wenn bereits der Beginn der Willensbildung zur Handlung gezählt wird.
Nach dieser Ansicht kommt es nicht auf die Veränderung des Ergebnisses des ur-
sprünglichen Handlungsentschlusses im Sinne einer „Condicio-sine-qua-non“ an.
Als Kriterium dient vielmehr der Einfluss in der Vorstufe zur Willensausführung,
der Willensbildung, auch wenn er keinen handlungsverändernden Effekt hat.76 Da-
nach wird Freiheit als Abwesenheit äußerer Einflüsse auf den Willensbildungspro-
zess verstanden. Eine latente Beeinflussung der Willensbildung durch psychischen
Druck (sei es durch Verursachung schlechten Gewissens oder Angst beim Betrof-
fenen), wäre also schon geeignet, die Freiheit zu beeinträchtigen. Nur wenn der
Betroffene frei von diesen Einflüssen seine Entscheidung treffen kann, ist er ganz
frei. Ob eine Person tatsächlich dem Druck nachgibt oder ob sie ihm widersteht
ist unerheblich. Allein, dass der Betroffene sich mental mit den möglichen negati-
ven Konsequenzen seines Widerstandes befassen muss, schränkt seine Freiheit ein.
Für diese Ansicht kommt es auf eine gesamtbewertende Erheblichkeitsschwelle an,
um minimale Effekte geistiger Beeinflussung auf die Entschließungsfreiheit aus
dem Eingriffsbegriff zu verbannen. Dass dieser Freiheitsbegriff für die allgemei-
ne Handlungsfreiheit gelten kann, erscheint abwegig, da ein bloßer Gedanke noch
keine Handlung beeinflussen muss. Insoweit müssen zunächst die Ebene der Ent-
schlussfassung77 und die der Handlungsausführung unterschieden werden. Staat-
liches Verhalten kann die Willensbildung und damit die Entschlussfassung eines
Einzelnen beeinflussen. Rechnet man diesen Prozess zur Handlung, läge eine Be-
einträchtigung der Handlungsfreiheit vor.
b) Ausführungsfreiheit
76
Vgl. zu diesem sog. „materiellen“ Freiheitsbegriff in Bezug zur Aussagefreiheit: Stalinski,
S. 120 ff.; zum Spezialproblem des Lügendetektors vgl. Seiterle, S. 216 ff.; Frister, S. 325 f.
77
Die Probleme und begrifflichen Unschärfen der allgemeinen Handlungslehren sollen hier nicht
Thema sein. Auch, ob ein Handlungsentschluss bewusst oder unbewusst getroffen wird, ist für den
Freiheitsbegriff unerheblich. Entscheidend ist, dass erst auf der geistigen bzw. neurobiologischen
Ebene ein Abwägungsprozess zwischen handlungshemmenden und -motivierenden Faktoren ab-
läuft, an dessen Ende der Entschluss zu handeln oder zu unterlassen steht.
78
Vgl. dazu Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 276
und die instruktive Darstellung bei Seiterle, S. 217, der diese Ansicht aber dezidiert ablehnt.
II. Einwände gegen die Konstruktion eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts 109
ren. Erst wenn die Drohung in die Tat umgesetzt würde, wäre seine Freiheit dann
beeinträchtigt. Nach dieser Ansicht wäre nur unmittelbarer Zwang in Form von
vis absoluta eine Beseitigung der Freiheit. Abstufungen zwischen Freiheitsbeein-
trächtigung und Freiheitsbeseitigung wären nicht möglich. Diese Freiheit kann also
auf verschiedene Weise aufgefasst werden. Nach einem absoluten Verständnis kann
Freiheit als Abwesenheit jeden fremden Einflusses verstanden werden. Nach einer
relativen Interpretation fehlt Freiheit erst dann, wenn dem Einzelnen Verhaltens-
weisen unmöglich sind.
Der hier sog. absolute Freiheitsbegriff ist für die allgemeine Handlungsfreiheit zu
weit, der hier sog. relative Freiheitsbegriff ist zu eng.
Die allgemeine Handlungsfreiheit ist die Freiheit, „zu tun und zu lassen, was
man will.“ Diese Freiheit kann nicht in die Freiheit umgedeutet werden, unbe-
einflusst Entscheidungen treffen zu können. Wer sich einem von außen kommen-
den psychischen Druck nicht gebeugt hat, ist in seinen Handlungsmöglichkeiten
nicht beschränkt worden. Er hat gehandelt wie er wollte. Dass ihm sein Entschluss
eventuell schwer gemacht wurde, weil er in seinem Entschließungsprozess einen
hemmenden geistigen Faktor durch überwiegende Motivation beseitigen musste, ist
unerheblich. Insoweit bleibt es beim Versuch eines Eingriffs oder der bloßen Ge-
fährdung der Freiheit.
Das hat aber keineswegs einen relativen Freiheitsbegriff zur Konsequenz, nach
dem ein Eingriff in die Handlungsfreiheit nur durch unmittelbaren Zwang mit vis
absoluta erfolgen kann. Vielmehr kann jedes Handeln oder Unterlassen des Einzel-
nen Folge eines staatlichen Handelns sein. Voraussetzung ist aber, dass der Einfluss
im Sinne einer „Condicio-sine-qua-non“ nicht nur die Entscheidungsfindung als
Prozess, sondern den Entschluss auch im Ergebnis beeinflusst. Entscheidend ist zur
Abgrenzung gegenüber einer unerheblichen Lästigkeit,79 dass der psychisch vermit-
telte Druck tatsächlich als negative Fremdbeeinflussung wahrgenommen wird. Der
Einzelne müsste sich ohne den fremden Einfluss für ein anderes Verhalten entschie-
den haben. Andernfalls handelt es sich bloß um die Veranlassung völlig frei erlebter
Auswahlentscheidungen. Letztlich kann es nur darum gehen, ob der Einzelne sich
durch die staatliche Maßnahme unter physischen oder psychischen Druck gesetzt
wird und darauf reagiert. Dieser Druck kann auch ohne physischen Zwang erfolgen
79
Ansatzpunkt für eine objektive Alternative zur oben abgelehnten Bestimmung einer Erheb-
lichkeitsschwelle per Gesamtbewertung kann dabei nur die Entscheidungsfreiheit der betroffenen
Person selbst sein. Dieser Ansatz ist subjektiv, weil er die tatsächliche subjektive Betroffenheit des
Einzelnen ins Zentrum stellt, aber objektiv, da eine tatsächliche Veränderung des Entscheidungs-
programms – etwa durch Befragung des Betroffenen – festgestellt werden kann. Bei der Freiheit
von Willensbeeinflussung wäre dies nicht möglich, da für diese Theorie auch die latente und un-
bewusste Belastung des Gefühlslebens ausreichend für eine Freiheitsbeeinträchtigung ist. Ob er
anders gehandelt hätte, kann der Betroffene in vielen dieser Fälle nicht einmal selbst erkennen und
mitteilen.
110 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
und auch ohne psychisch vermittelte Drohung mit zwangsweiser Durchsetzung von
Gegenmaßnahmen. Vielmehr kann dieser Einfluss auch der Angst vor staatlicher
Überwachung und deren Folgen geschuldet sein.
Abweichend vom Beispiel muss nicht einmal ein Verbot vorhanden sein. Die
sozialethische Missbilligung eines bestimmten Verhaltens kann ausreichen. Wenn
dies so ist, wird deutlich, dass auch die heimliche strafprozessuale Überwachung
ein Eingriff in Grundrechte sein kann.
Ein Eingriff in diese Freiheit liegt vor, wenn der Einzelne von einem geplan-
ten oder gewünschten Vorhaben Abstand nimmt und dabei durch staatlichen Druck
motiviert wurde.80
Als Konsequenz ist derjenige nicht in seiner Freiheit beeinträchtigt, der über
eine hohe mentale Widerstandskraft verfügt und durch äußeren Druck unbeeinflusst
bleibt. Nach hier vertretener Ansicht ist dies hinzunehmen, da er keines Schutzes
bedarf. Derjenige, der aber durch den Druck von seinen eigentlichen Zielen und
Plänen abgebracht wird, verliert seine Freiheit durch den äußeren Druck.81
Da nicht jeder, sondern nur der handlungsbeeinflussende Einfluss ein Eingriff
in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ist, kann nach hier vertretener Auffassung
auf eine Erheblichkeitsschwelle verzichtet werden. Ob die Handlungsfreiheit beein-
80
Eine Werbung für eine staatliche Veranstaltung ist daher kein Eingriff, soweit damit keine auch
nur entfernt mögliche Sanktionierung verbunden ist. Auch staatliche Warnungen vor privaten Drit-
ten sind nicht ohne weiteres Eingriffe. Positive Verstärkungen, Lob und positive Anreize sind
jedenfalls keine Eingriffe in Freiheitsgrundrechte.
81
Allerdings ist auch in die Freiheit desjenigen ausnahmsweise eingegriffen, der trotz Drucks den
Entschluss trifft, den er auch ohne diesen Druck getroffen hätte, wenn dieser Druck bei ihm se-
kundäre Folgen auslöst, wie etwa Schlaflosigkeit und Reizbarkeit im Umgang mit der Familie.
In diesen Fällen verhält er sich nämlich unerwünscht anders, als er es ohne den staatlichen Ein-
fluss wollte. Außerdem ist zu untersuchen, ob nicht die konkret unbeeinflussten Personen in den
Genuss von „Schutzreflexen“ kommen. Schon wenn nur Wenige tatsächlich beeinträchtigt sind,
muss ein Gesetz den Eingriff rechtfertigen. Auch kann das Gesetz als generell-abstrakte Maßnah-
me selbst bereits ein Eingriff sein, wenn es Druck auf bestimmte Personen ausübt, die deshalb ihr
Verhalten ändern. Auch kann eine Maßnahme gegen eine Person, die sich davon nicht in ihren
Entscheidungen beeindrucken lässt oder sie nicht einmal wahrnimmt deshalb ein Eingriff in die
Entscheidungsfreiheit Dritter sein, die sich durch dieses Beispiel unter Druck gesetzt führen.
II. Einwände gegen die Konstruktion eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts 111
trächtigt ist oder nicht, kann ohne das unklare Korrektiv einer Gesamtbetrachtung
(Erheblichkeit) auf phänomenologischer Ebene festgestellt werden.
Außerhalb des allein durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kernbereichs der
privaten Lebensgestaltung und der gesetzten Grundrechte der Art. 10 und 13 GG
ist nur die Freiheit, sich aktiv zu entfalten, geschützt. „Normative“ Ansätze und
„Passivitätskonstruktionen“82 über eine irgendwie geartete „Verstärkungswirkung“
der Menschenwürde sind in diesem Bereich dogmatisch haltlos. Die genannten
Schlagwörter können den Bruch in den Konstruktionen nur kaschieren und nicht
beseitigen. 83
82
Nach der h. M. schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht das passive menschliche „Sosein“
und nicht die aktive Handlungsfreiheit.
83
Damit die Menschenwürde nicht in dem hier kritisierten Sinne relativiert werden kann, wer-
den in der Literatur verschiedene Hilfskonstruktionen bemüht, um den Anspruch auf Achtung der
Menschenwürde als Grundlage des Integritätsschutzes in der erweiterten Privatsphäre zu entfer-
nen. Dreier in: Dreier, GG2 , Art. 1 Rdn. 68, m. w. N. in Fn. 261; Starck in: von Mangold/Klein2 ,
Art. 2 Abs. 1 Rdn. 89; Härtel, Durch Gendiagnostik zum gläsernen Menschen? – Freiheitsrechte
in neuer Bewährug, S. 235; Di Fabio in: Maunz/Dürig, GG57 , Art. 2 Abs. 1 Rdn. 189. Keine der
Ansichten kann jedoch überzeugen, da das Grundproblem in der Verbindung des Art. 2 Abs. 1
GG mit Art. 1 Abs. 1 GG liegt und gerade dies auch von den meisten abweichenden Ansichten
nicht in Frage gestellt, sondern nur näher begründet wird. Soweit versucht wird, Art. 1 Abs. 1 GG
durch die Wesensgehaltsgarantie des Art. 2 Abs. 1 GG nach Art. 19 Abs. 2 GG zu ersetzen, Wölfl,
NVwZ 2002, S. 50 ff.; Lecheler, S. 216; Vgl. zum Wesensgehalt schon von Hippel; Häberle, Die
Wesensgehaltsgarantie des Artikel 19, Abs. 2, Grundgesetz und zur Problematik des „Wesens“ als
Begriff Scheuerle, AcP, Bd. 163, 1964.
84
Vgl. § 8, IV, 1, b).
85
Eine andere Interpretation dieses Rechts ist nicht zulässig, da das Grundgesetz in Art. 2 Abs. 1
GG keine Andeutung dazu macht. Dies ist zum Beispiel beim notwendig gesetzlich auszu-
formenden Eigentumsrecht anders. Ein eigentumsähnliches Verfügungsrecht über persönliche
Information müsste normativ begründet werden, dies ist nur für den Kernbereich der persönlichen
Lebensgestaltung möglich, aber auch dort nicht nötig.
112 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
86
Vgl. § 8, IV, 2, b).
87
Siehe unten § 8, IV.
88
Dieser Streit um die Möglichkeit der Rechtfertigung von Eingriffen in den Anspruch auf Ach-
tung der Menschenwürde wird weiter unten geklärt, § 8, IV, 3.
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 113
Grundrechtseingriff. Sind die klassischen Merkmale hingegen nicht erfüllt, ist der
Eingriff zunächst nicht offensichtlich. Vielmehr muss nach den erweiterten Voraus-
setzungen des modernen Eingriffsbegriffs ausführlich begründet werden, warum
dennoch ein Eingriff vorliegt.89 Zum Schutzbereich des Grundrechts auf freie Ent-
faltung der Persönlichkeit gehören „Betätigungen“ jedweder Güte.90 Der heimli-
chen Beobachtung fehlt das klassische Zwangselement, um eine dem Wortsinn nach
nur aktiv zu verstehende „Entfaltung“ der Persönlichkeit unmittelbar zu beeinträch-
tigen. Daher ist ohne weitere Begründung nicht anzuerkennen, dass die „freie Ent-
faltung des Persönlichkeit“ als angegriffen zu betrachten ist, wenn eine Person nur
heimlich überwacht wird. Die heimliche Beobachtung im Rahmen strafprozessua-
ler Maßnahmen greift in die Handlungsfreiheit ein, wenn sie handlungssteuernde
Effekte im Sinne des modernen Eingriffsbegriffs auslöst. Diese Effekte können in
einer einschüchternden Wirkung bestehen. Ist die Einschüchterung von Bürgern
generell geeignet, die Handlungsfreiheit einzuschränken, besteht ein subjektives
Recht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG. Um die konkreten
Eingriffe durch verdeckte Ermittlungsmaßnahmen in das Grundrecht auf allgemei-
ne Handlungsfreiheit zu begründen, muss ein solches Grundrecht auf Freiheit von
Einschüchterung als Unterkategorie des Rechts auf allgemeine Handlungsfreiheit
bestimmt werden. Über die bereichsspezifischen Notwendigkeiten der verdeckten
strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen hinaus kann an dieser Stelle allerdings
keine vollständige Ausarbeitung dieses Grundrechts erfolgen.
89
Vgl. oben § 7, III.
90
Dreier in: Dreier, GG2 , Art. 2 I Rdn. 27 und: „Schwierigkeiten bereitet die genaue Bestimmung
von grundrechtsrelevanten Beeinträchtigungen jenseits der klassischen, imperativen Eingriffe.“
Dreier in: Dreier, GG2 , Art. 2 I Rdn. 51; Vgl. zum Eingriffsbegriff oben § 7, III.
91
Nach der Ansicht des BVerfG betreffen die Eingriffe das hier aus grundsätzlichen Erwägungen
abgelehnte allgemeine Persönlichkeitsrecht.
92
Bereits Schlink ordnet die Veröffentlichung privater Informationen oberhalb der „Lächerlich-
keits- oder Peinlichkeitsschwelle“ als Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit und nicht
in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein, ohne freilich auf die Heimlichkeit einzugehen, vgl.
Schlink, Die Amtshilfe: Ein Beitrag zu einer Lehre von der Gewalteteilung in der Verwaltung,
S. 199. Eine solche „Schwelle“ kann bei den verdeckten Maßnahmen nicht angenommen werden,
da es nicht (nur) um Peinlichkeit, sondern um die Angst vor Strafverfolgung geht. Eine entspre-
chende Erheblichkeitsschwelle ist nur dann nicht überschritten, wenn die heimliche Maßnahme
die Entscheidungsautonomie nicht im Sinne einer „Unfreiwilligkeit“ stört (Vgl. oben § 7, III, 5,
c)). Diese Schwelle wird aber bei den gesetzlichen Regelungen der Maßnahmen immer überschrit-
ten sein, da auch Straftäter geschützt sind, die in jeder Lebenssituation begründete Angst vor einer
verdeckten Maßnahme haben können.
114 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
chung „Peinlichkeit aus“, gelten als unschicklich und provozieren negative Reaktio-
nen der Umwelt.93 Der daraus gezogene Schluss des BVerfG ist folgender: Fehlte
es hier an einem Schutz vor der Kenntniserlangung anderer, wären die Auseinan-
dersetzung mit sich selbst, die unbefangene Kommunikation unter Nahestehenden,
die sexuelle Entfaltung oder die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe beeinträchtigt
oder unmöglich, obwohl es sich um grundrechtlich geschützte Verhaltensweisen
handelt.94
Wenn das BVerfG auch in anderen Entscheidungen Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 GG
mit der psychisch vermittelten Wirkung von Einschüchterungseffekten begründet,
dann ist die Freiheit von Einschüchterung die gemeinsame Grundlage der „Grund-
rechtskonkretisierungen“ des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das bedeutet, dass
die bisher bekannten „Grundrechte“ nur dann bestehen, wenn die Maßnahmen, vor
denen sie Schutz bieten, Einschüchterungswirkung haben.
93
Weßlau sieht in verdeckten Datenerhebungen ebenfalls erhebliches „Verunsicherungspotential“
und leitet daraus einen Grundrechtseingriff ab, Weßlau, Vorfeldermittlugen: Probleme der Legali-
sierung „vorbeugender Verbrechensbekämpfung“ aus strafprozessrechtlicher Sicht, S. 196.
94
BVerfGE 101, 361.
95
Vgl. unten unter § 8, III, 2, gg).
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 115
96
Vgl. unten unter § 8, III, 2, ee).
97
Vgl. oben unter § 8, II.
98
Da das hier abgelehnte allgemeine Persönlichkeitsrecht nach der h. M. für Integritätsschutz
sorgt, besteht nach dieser Ansicht auch kein Bedarf, eine handlungssteuernde Wirkung der Maß-
nahme festzustellen.
99
Vgl. Schulze-Fielitz in: Dreier, GG2 , Rdn. 62; Limma, S. 5 ff.
100
BVerfGE 122, 342, 369.
116 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Das BVerfG begründet das Recht am eigenen Bild damit, dass Manipulationen des
Bildes in der Öffentlichkeit den Betroffenen diskreditieren können.102 Die Bildma-
nipulation muss nach hier vertretener Ansicht die nach dem Wortlaut des GG „freie
Entfaltung der Persönlichkeit“ durch einen Einschüchterungseffekt beeinträchtigen.
Die oben genannte Begründung des BVerfG für den Eingriff durch Abbildungen,
gibt aber nicht an, warum bestimmte Handlungen nicht mehr ausgeführt werden
könnten. Der Kausalzusammenhang zwischen Fotoaufnahmen bzw. deren Manipu-
lation und Entscheidungen der abgebildeten Person, bestimmte Handlungen aus-
zuführen oder zu unterlassen, wird nicht deutlich. Die Einschüchterungswirkung
wird nur zwischen den Zeilen und über den Begriff der „Peinlichkeit“ angespro-
chen. Unklar bleibt vor allem der letzte Begründungsschritt, der klarstellen muss,
warum persönliche Gefühle, die indirekt zu einem Unterlassen bestimmter Hand-
lungen führen, einem direkten Eingriff durch Zwang gleichgestellt werden. Weil
eine tatsächliche Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit notwendig
ist, lässt die Urteilsbegründung des BVerfG eine wesentliche Frage offen:
Warum soll sich jemand nicht verhalten können, wie er will, nur weil andere
schlecht über ihn denken könnten?103 Ist der Hinweis auf den Ehrschutz ein Rück-
griff auf Art. 1 Abs. 1 GG? Dies deutet zumindest die durchgängig verwendete Zi-
tierweise des allgemeinen Persönlichkeitsrechts „Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1
GG“ an.104
Das Gericht begründet den Schutz der Privatsphäre mit den einschüchternden Fol-
gen einer Beobachtung.
„Im Kern geht es aber um einen Raum, in dem er die Möglichkeit hat, frei von öffentlicher
Beobachtung und damit der von ihr erzwungenen Selbstkontrolle zu sein, auch ohne daß er
101
BVerfG ZUM 2004, 560, 561.
102
Vgl. oben § 8, I, 3, a).
103
Dem BVerfG reicht insoweit bereits die Gefahr für den Grundrechtseingriff aus. Vgl. das Wort
„kann“ im vorangegangenen Zitat, BVerfGE 101, 361, 383 f.
104
Vgl. oben § 8, I, 1, b). Die Lösungen zu den Fragen finden sich unten unter § 8, III, 4.
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 117
sich dort notwendig anders verhielte als in der Öffentlichkeit. Bestünden solche Rückzugs-
bereiche nicht mehr, könnte der Einzelne psychisch überfordert sein, weil er unausgesetzt
darauf achten müßte, wie er auf andere wirkt und ob er sich richtig verhält. Ihm fehlten die
Phasen des Alleinseins und Ausgleichs, die für die Persönlichkeitsentfaltung notwendig
sind und ohne die sie nachhaltig beeinträchtigt würde.“105
105
BVerfGE 101, 361, 383 f. mit weiteren ausführlichen Erläuterungen.
106
Alleweldt, S. 62 ff. m. w. N. Vgl. zur ausführlichen Diskussion des Eingriffsbegriffs, oben § 7,
III.
107
Vgl. ab § 8, III, 2.
108
BVerfGE 65, 1, 42 f. Volkszählung.
118 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
weniger belastend ist, der zu der Maßnahme Anlass gegeben hat, als bei einem Be-
troffenen, der keinen Anlass gegeben hat, und kommt insbesondere bezüglich der
letzteren Gruppe zur Begründung eines Eingriffs in das hier abgelehnte allgemeine
Persönlichkeitsrecht auf die Einschüchterungswirkung zu sprechen:
„Werden Personen, die keinen Erhebungsanlass gegeben haben, in großer Zahl in den
Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen, können von ihr auch allgemeine Einschüch-
terungseffekte ausgehen, die zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten
führen können [. . . ]. Die Unbefangenheit des Verhaltens wird insb. gefährdet, wenn die
Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und
ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen [. . . ]. Das aber ist gerade bei der seriellen
Erfassung von Informationen in großer Zahl der Fall.“109
Wichtig ist, dass hier allein aus der Streubreite der Maßnahme von dem „Ge-
fühl des Überwachtwerdens“ ausgehend auf „allgemeine Einschüchterungseffekte“
geschlossen wird. Der Zusammenhang zwischen Heimlichkeit und Einschüchte-
rungswirkung wird aber nicht erläutert. Das BVerfG geht vielmehr von einer nicht
weiter erläuterten „Verstärkungswirkung“ der Heimlichkeit aus:
„Die Heimlichkeit einer in Grundrechte eingreifenden staatlichen Ermittlungsmaßnahme
führt zur Erhöhung des Gewichts der gesetzgeberischen Freiheitsbeeinträchtigung (vgl.
BVerfGE 107, 299, 321; 115, 166, 194; 115, 320, 353). Dem Betroffenen wird durch die
Heimlichkeit des Eingriffs vorheriger Rechtsschutz faktisch verwehrt und nachträglicher
Rechtsschutz kann zumindest erschwert werden (vgl. BVerfGE 113, 348, 383 f.; BVerfG
NJW 2007, 2464, 2470 f.). Er kann also nicht selbst darauf hinwirken, die Eingriffsinten-
sität durch erfolgreichen Rechtsschutz zu verringern, etwa für die Zukunft zu beseitigen.
Die Heimlichkeit staatlicher Informationseingriffe betrifft darüber hinaus die Gesellschaft
insgesamt.“110
Ähnliche Ausführungen finden sich in weiteren Urteilen.113 Ist damit also eine Art
„Kollektivgrundrecht“ gemeint? – Diese im weiteren Gang der Arbeit noch einge-
hend zu diskutierende114 Frage ist für die Eingriffsqualität verdeckter Ermittlungen
von entscheidender Bedeutung, denn wenn der Einzelne von der Überwachung nie
oder erst nach Abschluss der Ermittlungen etwas erfährt, ist eine Beeinflussung ge-
rade seines Verhaltens unter Umständen nicht vorhanden. Ein Eingriff könnte in
109
BVerfG MMR 2008, 308, 309.
110
BVerfG MMR 2008, 308, 309.
111
BVerfGE 93, 181, 188.
112
BVerfGE 100, 313, 381.
113
BVerfGE 107, 299, 328; 109, 279, 354 f.
114
Siehe dazu unten § 8, III, 4, d).
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 119
Das BVerfG nimmt mit Hilfe der Objektformel115 zu der Frage Stellung, ob die
spezifische Heimlichkeit der Ermittlungsmaßnahme mit der Menschenwürde kolli-
diert:
„Dabei führt ein heimliches Vorgehen des Staates an sich noch nicht zu einer Verletzung
des absolut geschützten Achtungsanspruchs. Wird jemand zum Objekt einer Beobachtung,
geht damit nicht zwingend eine Missachtung seines Wertes als Mensch einher.“116
An dieser Stelle vermischt das Gericht Heimlichkeit und Beobachtung, ohne da-
bei der spezifischen Belastung durch die Heimlichkeit gerecht zu werden. Zwar
wird zuerst festgestellt, die Heimlichkeit führe an sich nicht zu einer Verletzung
des durch die Menschenwürde geschützten Achtungsanspruchs. Statt einer Begrün-
dung, warum die Heimlichkeit hier unbedeutend sein soll, folgt eine weitere apo-
diktische Aussage. Diese bezieht sich nicht auf Heimlichkeit, sondern allein auf die
Beobachtung als solche, ohne das Attribut der Heimlichkeit anzusprechen. Welche
Bedeutung dem Aspekt der Heimlichkeit in der heimlichen Beobachtung zukommt,
wird nicht erkennbar.
g) Heimliche Online-Durchsuchung
Diese Urteilspassage bringt bereits einen großen Teil der Begründung für einen
Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und nicht des allgemeinen Persön-
lichkeitsrechts. Das Gericht spricht in der Sache sowohl die „Mittelbarkeit“ des
Eingriffs durch Einschüchterung als auch die betroffene „Freiheit der Bürger“ an.
115
Vgl. unter § 8, IV, 2, b).
116
BVerfGE 109, 279, 313.
117
BVerfGE 120, 274, 322 f.
120 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
h) Heimliche Datenspeicherung
i) Zusammenfassung
Mit dem Argument des Kontrollverlusts über persönliche Informationen wird die
subjektive Komponente des Grundrechts ausgebaut. So wird der psychische Druck
als abstrakte Gefahr konkretisiert. Diese liegt in der möglicherweise entstehenden
zurückhaltenden Wahrnehmung von Kommunikationsgrundrechten durch die Bür-
ger begründet. Der psychische Druck öffentlicher Anteilnahme kann zu Verunsi-
cherung und schließlich zu „Duckmäuser- und Mitläufertum“ führen. Die Entschei-
dung, darauf zu verzichten, Grundrechte wahrzunehmen, wäre in solchen Fällen
also nur teilweise frei getroffen worden.119
Das BVerfG sieht Heimlichkeit als eine verstärkende bzw. intensivierende
Komponente der Eingriffe in das hier abgelehnte allgemeine Persönlichkeitsrecht
Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.120 Nicht nur die einschüchternden Effekte
der Informationserhebung werden durch Heimlichkeit verstärkt. Auch wenn die
Vorbereitung für den Einsatz von Zwangsmaßnahmen heimlich erfolgt, ergibt sich
ein verstäkter Einschüchterungseffekt im Vergleich zu offenen Maßnahmen. Die
Heimlichkeit gibt jeder Einschüchterung eine neue „kollektiv wirkende“ Qualität,
weil jeder Bürger damit rechnen muss, der Betroffene des staatlichen Zugriffs zu
sein. Daher erfasst das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Kon-
kretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Fallgruppe der verdeckten
Ermittlungsmaßnahmen nur unzureichend. Die Heimlichkeit ist eine zusätzliche
Begründung für die Entstehung einer über den konkret Betroffenen hinausreichen-
den Einschüchterungswirkung.
118
BVerfGE 125, 260, 335 f.
119
Albers, Informationelle Selbstbestimmung, S. 153.
120
Das Gleiche gilt für Art. 10 und 13 GG.
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 121
In der Dogmatik der Menschenrechte wurden früher ganz andere Ansätze entwi-
ckelt, die konträr zu den oben genannten Bedenken eines zu weit gehenden Schutzes
121
Thiel, S. 254.
122
Bull, Meilensteine auf dem Weg des Rechtsstaates, S. 327.
123
Thiel, S. 254 f.
124
Thiel, S. 256.
122 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
125
„Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948“
(AEMR), Riedel, Uiverseller Menschenrechtsschutz – Vom Anspruch zur Durchsetzung, S. 26.
Vgl. auch Rensmann, S. 137, der allerdings nur eine Referenz an die vier Freiheiten in der Präam-
bel und eine Ablehnung in der Struktur erkennt.
126
Vgl. Bundestag/Bundesarchiv, S. 69 und Kimminich, Menschenrechtsschutz im geteilten
Deutschland, S. 155.
127
Diese Freiheiten, die nach dem Sturz der Diktatur als Basis einer neuen Weltordnung dienen
sollten, nannte Roosevelt in seiner Kongressrede vom 6.1.1941: Meinungsfreiheit (freedom of
speech and expression), Religionsfreiheit (freedom of every person to worship God in his own
way), Freiheit von Not (freedom from want) und Freiheit von Furcht (freedom of fear). Vgl. dazu
Wolgast, S. 215. Die Rede im Volltext findet sich unter Roosevelt.
128
Maunz2 , § 14 III 3.
129
Maunz2 , § 14 III 3.
130
von Münch in: von Münch, GG, Art. 2 Rdn. 64; Herzog/Scholz in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2,
Rdn. 49 Fn. 2.
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 123
Observieren, „Beschatten“ u. ä. Wer sich nicht mehr „vor die Haustür traut“, ist in seiner
körperlichen Bewegungsfreiheit auch dann eingeschränkt, wenn ihm nicht verboten ist, vor
die Haustür zu gehen.“131
Dem ist zuzustimmen. Denn wenn die zurechenbar verursachte rational begründ-
bare Angst zu Vermeidungsverhalten führt, was noch mit eigenen Argumenten be-
gründet werden wird,132 kann ihr eine Eingriffsqualität nicht abgesprochen werden.
Nach dem modernen Eingriffsbegriff muss dies zudem nicht nur für einige weni-
ge Sonderkonstellationen, sondern für jedes einschüchternde Verhalten des Staates
gelten, dass zurechenbare Folgen auf die Handlungsfreiheit hat.
In jüngster Vergangenheit wurde eine Forderung nach einem Grundrecht auf
Freiheit von Einschüchterung von Dencker erneut erhoben. Er begründete dies aus-
drücklich mit der angsteinflößenden Wirkung verdeckter strafprozessualer Ermitt-
lungsmaßnahmen:
„Heimliche Eingriffe in Fernmeldegeheimnis, Hausrecht und Privatsphäre werfen einen
(berechtigten!) „Angstschatten“ über den tatsächlichen Bereich vorgenommener Eingriffe
hinaus; dieser Angstschatten ist selbst eine eigene und schwerwiegende Grundrechtsbeein-
trächtigung.“133
Die vorstehend genannten Ansätze allein liefern richtige Ergebnisse und Ansät-
ze, aber keine tragfähige dogmatische Begründung für ein Grundrecht auf Freiheit
von Einschüchterung. Ein Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung muss auf
Art. 2 Abs. 1 GG, auf die allgemeine Handlungsfreiheit und nicht auf das hier ab-
gelehnte allgemeine Persönlichkeitsrecht zurück geführt werden. Der Ansatzpunkt
dazu ist der von Dencker so genannte „Angstschatten“ und die oben dargestell-
te Argumentation des BVerfG für eine mittelbar freiheitsbeschränkende Wirkung
über Einschüchterungseffekte staatlichen Handelns. Damit begründet das BVerfG
Eingriffe in das hier abgelehnte allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Beobach-
tungen.
131
von Münch, GG, Art. 2 Rdn. 64; Denninger stützt das Grundrecht auf die „demokratische
Grundordnung“ Denninger, VVDStRL, Nr. 37, 1979, S. 7 ff., 27 ff.
132
Siehe unten § 8, III, 4.
133
Dencker, StV 1994, S. 683.
134
Bzw. nach herrschender Terminologie „des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“.
124 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
135
Vollständig müsste es daher „Grundrecht auf Freiheit von handlungsbeeinflussender Ein-
schüchterung“ heißen, die Formulierung wird hier und im Folgenden allein aus Gründen der
Prägnanz verkürzt.
136
Dazu oben § 7, III, 5, c).
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 125
Auch das Gefühl der Peinlichkeit gehört zum Begriff der Angst in diesem Sin-
ne.139 Die so erzeugte Angst ist – und das ist psychologisch trivial – die Motivation
für einen Handlungsverzicht.140
Im nächsten Schritt muss untersucht werden, ob diese Angst auch durch heimli-
che Überwachung erzeugt werden kann.
137
Der Einzelne, der eine Überwachung seiner Handlungen fürchtet, ist sich bewusst, dass er
selbst sich dafür entscheidet, der hemmenden Angst vor Überwachung oder der aktivierenden
Gegenmotivation zur eigentlich gewünschten Äußerung zu folgen. Es kommt also auf das psychi-
sche Erleben des Einzelnen an. Fühlt er sich einem wie auch immer verursachten und vermittelten
Druck des Staates ausgesetzt, liegt keine autonome Entscheidung vor. Psychologisch gesehen han-
delt es sich bei Eingriffen entweder um Bestrafung oder um sog. negative Verstärkung. Strafe
verstärkt das Nicht-Auftreten eines bestimmten Verhaltens. Tritt es doch auf, wird es bestraft.
Negative Verstärkung belohnt Vermeidungsverhalten. Die Belohnung kann aber bereits darin
bestehen, dass ein erwartetes Übel nicht eintrifft. Das Vermeiden bestimmter Handlungen, um
staatlicher Repression zu entgehen, wird positiv verstärkt, weil ein erwartetes Übel nicht eintritt.
Der andernfalls zu erwartende Stress bleibt aus und ein Gefühl der Erleichterung setzt ein, Musahl,
S. 155 ff.
138
Dabei handelt es sich keineswegs um zu disqualifizierende „Laienphilosophie“, vgl. Moore.
139
„Scham als Angst vor Schande und die Vermeidungshaltung ,peinlich aufzufallen‘ unter-
scheiden sich von ihrer Leiblichkeit her nicht nur in den Blickrichtungen und im schwächeren
Fluchtimpuls bei der Peinlichkeit, sondern auch darin, dass erstere der Angst selbst verwandter
ist. [. . . ] Damit ist die leiblich schwächere Peinlichkeit aber nicht etwa sozial weniger wirkungslos,
ganz im Gegenteil [. . . ]“, Landweer, S. 166 f.
140
Angst führt allgemein zu Vermeidungsverhalten. Zu den psychischen Mechanismen vgl. die
Konzepte zur sozialen Phobie, Essau, S. 52 ff.; Esser, S. 518 ff.; Bassler, S. 66 ff.
126 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Beispiel 14 Y hängt auf der Straße Poster auf, auf denen er ankündigt, in Zu-
kunft die Nachbarn mit seiner Videokamera heimlich zu überwachen, wenn ihm
„Schlechtes“ über einen der Nachbarn berichtet werde. Er behält sich ausdrücklich
vor, das aufgezeichnete Material dann der Polizei zur Verfügung zu stellen. Der
Nachbar Z liest die Aushänge des Y und erfährt auch durch andere von der Rolle
des Y im Prozess gegen X. Z entschließt sich daher, nicht mehr X zu treffen, mit
dem er sonst regelmäßig ein Bier in der Eckkneipe getrunken hat.
„freie“141 Kommunikation. Diese Motivation ist nicht kleiner als jene, welche durch
ein imperatives Verbot des entsprechenden Verhaltens verursacht wird. Damit wä-
re sogar die oben diskutierte „Zwangsgleichheit“142 des Eingriffs gegeben. Durch
das möglicherweise bei einigen Bürgern induzierte Gefühl, dauernd heimlich über-
wacht zu werden, können sich sogar stärkere Effekte als bei solchen befehlenden
Maßnahmen ergeben, die bei Nichtbefolgung zwangsweise durchgesetzt werden
können. Bereits oben143 wurde das Beispiel eines Verbots im Straßenverkehr ange-
führt, das allein nur geringe Wirkungen hat, aber erst durch eine damit zusammen-
hängende Überwachung eine starke Handlungssteuerung entfaltet. Die einschüch-
ternden Folgen verdeckter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen müssten auch
durch das staatliche Verhalten objektiv zurechenbar verursacht sein.144 Bereits die
gesetzlichen Regelungen der verdeckten Maßnahmen in der StPO schaffen ein Risi-
ko,145 dass Menschen aus Angst vor staatlicher Überwachung ihr Verhalten ändern.
Dieses Risiko hat sich auch bereits in einigen Fällen verwirklicht. Schon die Ver-
fassungsbeschwerden gegen verdeckte Maßnahmen sind Beispiele für zumindest
schlüssig behauptete, tatsächlich bewirkte Verhaltensänderungen.146 Hinzu kom-
men evidente, aber nicht in der Literatur nachweisbare Fälle, in denen Tatverdäch-
tige oder der sich verfolgt wähnende Täter Gespräche, die sie sonst führen würden,
vermeiden, weil sie mit staatlicher Überwachung rechnen. Dieser objektiv zure-
chenbare Effekt reicht für einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG grundsätzlich aus. Auf
die strafpozessuale Ermittlungen übersetzt bedeutet das zusammengefasst: Hand-
lungssteuernde Einschüchterungseffekte entstehen vor allem durch die Gesetze, die
strafprozessuale verdeckte Ermittlungen gestatten und das tatsächliche Nutzen von
durch heimliche Ermittlungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnissen in Prozessen.
Konkrete verdeckte Maßnahmen sind ebenfalls notwendig um diese Drohkulisse
aufrecht zu erhalten, da sie sonst nicht glaubhaft wäre. Sie sind aber nur mittelbar an
der Handlungssteuerung durch Einschüchterungseffekte beteiligt. Die Kombination
von tatsächlichen Maßnahmen, Vorschriften die diese ankündigen und Ausnutzen
der gewonnen Erkenntnisse führen nachträglich zu Einschüchterungseffekten bei
Dritten. Dies sind diejenigen in deren Grundrecht eingegriffen wird, nicht der von
141
Es geht nicht um die Unterscheidung zwischen Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit, sondern le-
diglich um die Qualität des staatlichen Einflusses auf die Selbstbestimmung, bei der von einem
Eingriff gesprochen werden kann, vgl. oben § 7, III, 5, c), aa). Ein ähnliches Problem besteht bei
der Freiwilligkeit des Rücktritts vom Versuch gemäß § 24 StGB im materiellen Strafrecht, vgl.
Eser in: Schönke/Schröder, § 24 Rdn. 42 ff. Dort wird eine Differenzierung nach autonomen und
heteronomen Gründen für die Freiwilligkeit des Rücktritts vertreten. Grundlage sind psycholo-
gisierende oder wertende Ansätze. Diese Lehre hat aber rücktrittsfreundliche Ziele und tendiert
daher mit teleologischen Argumenten zu einer leichten Bejahung der Freiwilligkeit. Beim Rück-
tritt geht es zudem um die Unterscheidung zwischen „ganz frei“ und „unfrei“. Dies ist insoweit
nicht auf den verfassungsrechtlichen Eingriffsbegriff übertragbar.
142
Vgl. oben § 7, III, 4.
143
Vgl. oben § 8, II, 2, c).
144
Vgl. oben § 7, III, 1.
145
Dazu oben § 7, III, 3, b), bb).
146
Zum Beispiel: Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung
der Organisierten Kriminalität durch Burkhard Hirsch, abgedruckt in Vormbaum/Asholt, S. 9.
128 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
der Überwachung Betroffene. Für Letzteren ergibt sich noch eine zusätzliche Be-
gründung, wenn die Ermittlungsergebnisse gerade für ihn zu negativen Folgen wie
einer Verurteilung führen. Davon kann der Eingriff aber nicht abhängen.
Die Einschüchterungswirkung ist aber nur dann ein Eingriff in die allgemeine
Handlungsfreiheit, wenn alle Erfordernisse des modernen Eingriffsbegriffs erfüllt
sind. Neben den herkömmlichen Gesichtspunkten objektiver Zurechnung muss
noch das Kriterium der negativen Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit gegeben
sein.147 Dieses Kriterium muss durch das hier sog. „Vernünftigkeitsprinzip“ weiter
konkretisiert und seinerseits begrenzt werden. Damit wird dem möglichen Einwand
begegnet, es handele sich zwar um einen subjektiv fühlbaren Einschüchterungsef-
fekt, doch basiere dieser auf einem irrationalen „Tabu“148 , das indigenen Völkern
aus Amerika zugeschrieben wurde, die erst wenig Kontakt mit den Ideen rationaler
Wissenschaft hatten.
Das Fotografieren einer Person hatte nach deren Vorstellung einen negativen ma-
gischen Einfluss auf den Fotografierten, die Seele wird zumindest ein Stück weit
vom „Kasten“ der Fotokamera eingefangen, so dass der Fotograf Macht über den
Fotografierten erlangt.149
Ein weiterer Beleg über die angeborene Angst vor Missbrauch von Aufzeich-
nungen persönlichen Ausdrucks – in diesem Fall stimmlicher Art – ergibt sich aus
Grammophonaufzeichnungen im Rahmen von Forschungen an den der westlichen
Zivilisation fernen San (sog. Buschleuten) in Afrika 1931:
„,Wir werden wieder missbraucht. Wir befinden uns wieder in der Konservendose. Mir wur-
de gesagt, ich soll sprechen. Nun weiß ich nicht, was ich sagen soll. Ich schreie nur, wie ein
Hund im Fangeisen.‘ Kanaje war wütend: ,Ich kenne die Leute nicht, die diese Dinge benut-
zen werden‘, erklärte er 1931 in den Trichter des Phonographen, der seine Worte aufnahm.
,Wer weiß, wer sie sind?‘ Die Frage verhallte ungehört. Der, der sie hätte beantworten kön-
nen, der Mann hinter dem Phonographen, verstand nicht, was der Südwestafrikaner sagte
und es interessierte ihn auch nicht besonders: Für Hans Lichtenecker waren Kanajes Worte
nur unverständlicher Kauderwelsch, nur eine weitere Stimmprobe in seiner Sammlung.“150
147
Vgl. oben § 7, III, 5, c) und § 7, III, 1, b), bb).
148
„Tabus sind unhinterfragt, strikt, bedingungslos, sie sind universell und ubiquitär, sie sind
mithin Bestandteil einer funktionierenden menschlichen Gesellschaft. Dabei bleiben Tabus als
Verhaltensregeln unausgesprochen oder werden allenfalls durch indirekte Thematisierung (z. B.
Ironie) oder beredtes Schweigen angedeutet: Insofern ist das mit Tabu Belegte jeglicher ratio-
nalen Begründung und Kritik entzogen. Gerade auf Grund ihres stillschweigenden Charakters
unterscheiden sich Tabus von den ausdrücklichen Verboten mit formalen Strafen aus dem Bereich
kodifizierter Gesetze. [. . . ] Auslöser für tabuistische Vorkehrungsmaßnahmen ist ein Spektrum von
Wahrnehmungen, das von Ehrfurcht und Scheu über Angst und Panik bis hin zum Ekel reichen
kann.“, Wikipedia, Tabu.
149
Vgl. Karsten, Zeitschrift für Ethnologie 1916, S. 165; Theye, S. 225 ff.
150
Seethaler; David Eagleman gibt ein Erlebnis des Musiksammlers Arthur Alberts wieder, der in
den 1940ger Jahren mit einem Tonbandgerät Aufnahmen von Gesängen in Afrika machte. (S. 9):
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 129
Ist das heimliche Überwachen einer Person also keine reale Beeinträchtigung,
sondern ein Rest archaischen Aberglaubens, der das Zeitalter der Aufklärung über-
dauert hat oder ist diese „Urangst“ ein Anzeichen dafür, dass es sich bei der Freiheit
von Überwachung um ein durch rationale Vernunft begründbares Menschenrecht
handelt?
Freiheitsbeschränkendes privates Verhalten des Betroffenen selbst oder Dritter
ist nur dann durch staatliches Handeln zurechenbar verursacht und der Grund für
seine Entscheidung, wenn mit diesem Verhalten vernünftigerweise aus Ex-ante-
Sicht zu rechnen ist.151 Danach ist das Verhalten Dritter oder das Verhalten des
Betroffenen selbst nur dann dem Staat zurechenbar, wenn es auf einer rational
nachvollziehbaren Entscheidung desjenigen beruht, der eine Mitursache für die
Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit setzt. Dafür spricht an dieser Stelle, dass
irrationales Verhalten in der Regel unberechenbar ist und der Staat solches auch
nicht in seiner Handlungsentscheidungen einplanen kann. Die Zurechnung nicht
planbarer, unvernünftiger Entscheidungen des Betroffenen oder Dritter würde einen
faktischen gesetzlichen Totalvorbehalt für staatliches Handeln bedeuten, der offen-
sichtlich durch das Grundgesetz nicht vorausgesetzt wird. Damit ist die Zurechnung
negativer Freiheitseffekte dann gegeben, wenn tatsächliche Kausalität und Risiko-
erhöhung aus objektiver Ex-ante-Sicht zu verzeichnen sind. Damit schieden so,
lediglich zufällig mit staatlichem Handeln zusammenhängende Schadensverlage-
rungen aus. Dies gilt aber nur für den Regelfall, dass irrationales Verhalten nicht
berechenbar ist. Eine solche Einschränkung kann aber nicht mit den im Vorge-
henden dargestellten Argumenten begründet werden, wenn der Staat im Einzelfall
mit irrationalem Verhalten rechnen muss, weil beispielsweise eine wissenschaftlich
nicht haltbare Verschwörungstheorie in der Bevölkerung Verbreitung gefunden hat.
Das Grundgesetz schützt nur ausnahmsweise irrationales Verhalten. Ein Recht,
unbeeinflusst vom Staat irrational entscheiden zu können, ist nur mit der Religi-
onsfreiheit nach Art. 4 GG ausnahmsweise geschützt. Religionen erheben im Kern
gar keinen Anspruch auf Rationalität, der Staat darf sich aber dennoch nicht nach
Art. 4 GG in Glaubensangelegenheiten einmischen. Die geistige Integrität irratio-
naler Entscheidungsprozesse ist im Gegensatz zu tatsächlich ausgeübtem Verhalten
nicht ein durchgängig durch das Grundgesetz geschützter Wert. Wenn das Grund-
gesetz die Vernunftphilosophie der Aufklärung voraussetzt,152 entspricht es nicht
dessen Menschenbild, die abergläubische Entscheidungsfindung des Einzelnen zu
schützen. Grundsätzlich ist die bloße Störung abergläubischer Gedanken daher kein
Eingriff in Grundrechte. Eine andere Ansicht müsste die vernünftige Natur des
Menschen leugnen. Freie Entscheidungen können nur auf rationaler Basis getroffen
werden. Handlungsverhindernde Angst ist irrational, wenn sich die Gründe nicht in-
„Doch mit seinem Tonbandgerät handelte er sich immer wieder Ärger ein. Ein Westafrikaner, der
seine Stimme auf Band hörte, beschuldigte Alberts, seine Zunge gestohlen zu haben. Alberts ent-
kam einer Tracht Prügel nur knapp, indem er einen Spiegel aus der Tasche zog und den Mann
davon überzeugte, dass seine Zunge noch da war. [. . . ] Als Alberts einem anderen Stammesange-
hörigen die Musik vorspielte, staunte der über den ,mächtigen Zauber‘.“
151
So auch Roth, S. 312 ff.; Cremer, S. 162.
152
So Kahl, S. 1 und Fn. 2 m. w. N.
130 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
tersubjektiv nachvollziehen lassen. Das wäre etwa der Fall, wenn sich für die ängst-
lich erwarteten Folgen weder aus wissenschaftlichen Erkenntnissen noch histori-
schen Erfahrungen eine gewisse Wahrscheinlichkeit schlussfolgern lässt. Staatliche
Information über harmlose Tatsachen sind kein Eingriff in die Handlungsfreiheit,
auch wenn Einzelne daraufhin wegen Aberglaubens oder psychischer Verwirrung
massive Verhaltensänderungen zeigen. Die Handlungssteuerung aufgrund irratio-
naler Ängste kann nicht dem Staat als Verursacher zugerechnet werden. Sie ist
vom Einzelnen selbst verursacht und kann nur von ihm selbst durch eigene ver-
ständige Überlegungen ausgeräumt werden. Ansonsten wäre jede Handlung des
Staates ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, da jede staatliche Maß-
nahme irrationale Ängste auslösen kann. Daher ist ein subjektiv-objektiver Maßstab
zur Abgrenzung der unerheblichen Lästigkeiten von den Eingriffen heranzuziehen.
Im Gegensatz zur Lösung über das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Rahmen der
Eingriffsrechtfertigung ist so dogmatisch begründet, dass für diese unerheblichen
Beeinträchtigungen der allgemeinen Handlungsfreiheit kein Gesetzesvorbehalt gilt.
Die Erheblichkeit der Einwirkung in Freiheitsrechte ist daher mit der subjektiv
empfundenen Beseitigung der Freiheit der Entscheidungsfindung gleichzusetzen.
Wenn der Betroffene durch irrationale Missverständnisse staatliches Handeln für
bedrückend hält, ist dies allerdings kein Eingriff. Die subjektive „Freiheit der Ent-
scheidungsfindung“ und das objektive „Vernünftigkeitsprinzip“ ergänzen also das
Erfordernis objektiver Zurechnung.
Die durch psychische Einschüchterungseffekte ausgelösten Ängste153 wären
nach der Einschränkung des erweiterten Eingriffsbegeriffs durch dieses „Vernünf-
tigkeitsprinzip“, nur dann nicht durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt, wenn es sich um
irrationale, abergläubische Ängste handelt.154
Die Ängste vor einem Missbrauch der gewonnenen Erkenntnisse verdeckter
staatlicher strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen können aber bereits wegen
ihrer historischen Dimension155 nicht als irrational abgetan werden. Dass ein Miss-
brauch erst nach dem Versagen verfahrensrechtlich verbindlicher Sicherheitsstufen,
wie dem Richtervorbehalt oder Begrenzungen auf bestimmte Taten oder Verdachts-
stufen möglich ist, ändert nichts daran, dass diese Sicherungen versagen können.156
Das Bestehen einer Sicherheitsinfrastruktur stellt durch die Gefahr eines politischen
Systemwechsels eine rational begründbare Gefahr dar. Dies legen auch Geller, v.
153
Vgl. oben § 8, III, 4, a).
154
Vgl. schon oben im Rahmen des Eingriffsbegriffs, § 7, III, 5, c). Wenn der Betroffene irrational
handelt, entscheidet er in eigener Verantwortung „freiwillig“ und wird nicht unter relevanten psy-
chischen Druck gesetzt. Diese Frage ist mit dem „Tabu-Phänomen“ verwandt, vgl. oben § 8, III,
4, a), aber nicht identisch. Beim „Tabu“ muss überhaupt kein psychischer Effekt das menschliche
Verhalten beeinflussen. Bei der Frage nach der Vernünftigkeit geht es um die Erheblichkeit eines
vorhandenen Effekts.
155
Die als bekannt vorausgesetzten verheerenden mittelbaren Auswirkungen auf Leib, Leben,
Freiheit und Eigentum der von solchen verdeckten Ermittlungen betroffenen Bürger machen deut-
lich, dass die Einschüchterungswirkung einen realistischen Hintergrund hat. Vgl. § 4, II, 3.
156
Vgl. hierzu das System der DDR, § 4, II, 2, in der gerade trotz im Gesetz verankerter Rechts-
staatlichkeit Missbrauch nicht verhindert wurde.
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 131
Schlabrendorff und Rupp nahe, die sich zu diesem Thema in einer abweichenden
Meinung zum Abhörurteil des BVerfG äußern:
„Die Gefahr einer solchen Entwicklung mag, in Anbetracht der Erfahrungen seit 1949,
fernliegen. Man mag davon ausgehen, daß in einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demo-
kratie alle Normen „korrekt und fair“ angewendet und die Geheimdienste entsprechend
kontrolliert werden. Ob dies aber für alle Zukunft gesichert ist, und ob der mit der Ver-
fassungsänderung vollzogene erste Schritt auf dem bequemen Weg der Lockerung der
bestehenden Bindungen nicht Folgen nach sich zieht, vermag niemand vorauszusehen.“157
Die Ansicht in der Literatur, die die Relevanz der Einschüchterungswirkung für
Eingriffe in die Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG ablehnt, argumentiert, dass die blo-
ße Möglichkeit einer Beeinträchtigung nicht ausreichend sei. Die einschüchternde
Wirkung sei aber nicht mehr als die Behauptung einer möglichen Beeinträchti-
gung.158
Richtig daran ist, dass ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit durch
verdeckte strafprozessuale Maßnahmen nur dann vorliegen kann, wenn eine Per-
son tatsächlich durch die Möglichkeit einer strafprozessualen Überwachung aus
psychischen Gründen betroffen ist.159 Die bloße Möglichkeit besteht immer, so-
lange es einen Staat mit Strafverfolgungsorganen gibt. Entscheidend ist nicht die
bloße Möglichkeit, sondern eine tatsächliche staatliche Maßnahme und deren tat-
sächliche Auswirkung. Die heimliche Beobachtung ist nicht als solche allein der
Eingriff, vielmehr ist sie nur unselbstständiger Teil der oben dargestellten Kombi-
nation aus dem die Maßnahmen gestattenden Gesetz und nachträglichen negativen
Auswirkungen (wobei letztere dann Zwangscharakter für den Betroffenen haben
und abschreckendes Beispiel für Dritte sind). Der Einwand, durch das Grundrecht
auf Freiheit von Einschüchterung werde die Gefahr eines Grundrechtseingriffs un-
zulässig bereits als Eingriff selbst ausgegeben, trifft daher nicht. Isoliert betrachtet
läge nur eine Gefährdung vor. Dieser spezielle Eingriff besteht aber nicht nur aus
der heimlichen Beobachtung, sondern ergibt sich erst aus den eben genannten zu-
sätzlichen Elementen.160
157
BVerfGE 30, 1, 47.
158
Vgl. oben § 8, III, 3, a).
159
Vgl. oben § 7, III, 3.
160
Die gesetzlichen Regelungen sind insoweit nicht konstitutiv. Selbstverständlich greift auch der
Staat ein, der ohne Rechtsgrundlage nur faktisch verdeckte Ermittlungsmaßnahmen nutzt. Der
Einschüchterungseffekt ist dann umso größer.
132 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Problematisch ist, dass die konkret-individuelle Maßnahme nicht fühlbar ist, weil
der Betroffene sie nicht bemerkt. Es ist aber auch nicht notwendig, dass der Beob-
achtete tatsächlich von den gegen ihn gerichteten Überwachungsmethoden weiß.
Ausreichend ist bereits ein Gesetz, das heimliche Eingriffe gestattet. Für einen
Grundrechtseingriff reicht aus, dass irgendjemand durch die Eingriffe betroffen
ist. Um das Erfordernis einer konkret-individuellen Betroffenheit zu begründen,
wird argumentiert,161 es wäre für einen wirksamen Grundrechtsschutz schädlich,
die individuelle Betroffenheit als Eingriffskriterium aufzugeben.162 Das Beharren
auf dem Merkmal der konkret-individuellen Betroffenheit ist gerade für die ver-
deckten Ermittlungsnahmen heikel, da der individuell Überwachte die Maßnahme
gar nicht bemerkt. Es ist aber auch nicht notwendig, dass jede Einzelmaßnahme
der verdeckten Ermittlungen tatsächliche Auswirkungen hat. Denn es sind bereits
die gesetzlichen Regelungen selbst, die einen Einschüchterungseffekt haben. Gegen
diese Gesetze muss eine Person nicht erst verstoßen, um belastet zu sein. Um in-
dividuell betroffen zu sein, genügt, dass die Person in ihrem Verhalten sanktioniert
werden kann, wenn sie gegen ein Strafgesetz verstößt. Dies muss konsequent auch
für verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen gelten.163
Die Abstraktion bzw. Kollektivierung liegt nur darin begründet, dass man zwar
um die psychischen Effekte einer Überwachungsmöglichkeit weiß, diese aber nicht
bei allen Personen im Einflussbereich der fraglichen Gesetze nachweisen kann. Dies
ist auch nicht notwendig. Völlig ausreichend ist, wenn nur einige Personen durch
die Regelungen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen einge-
schüchtert werden. Wenn gerade bei den verdeckten Ermittlungsmaßnahmen mit
einem „allgemeinen Klima der Angst“ argumentiert wird, ist damit einerseits ge-
meint, dass die Ängste bei den Einzelnen notwendig diffus sein müssen, da sie
die Überwachung nicht kennen können. Andererseits ist auch schwer zu sagen,
wer sein Verhalten tatsächlich aufgrund einer „diffusen“ Bedrohungssituation um-
stellt. Ein genauer Einzelnachweis wird hier kaum gelingen.164 Schon wegen der
öffentlichen Diskussion und der Klagen vor dem BVerfG ist unbestreitbar, dass
Einzelne sich tatsächlich bedroht fühlen. Die Gegenansicht ist nicht überzeugend,
da die beeinträchtigende Wirkung nicht nur behauptet ist, sondern real eintritt. Al-
lein die diversen Klagen gegen gesetzliche Regelungen verdeckter strafprozessualer
161
Vgl. oben § 7, III, 3, a).
162
Missverständlich aber Epniney, Der Staat, Nr. 34, 1995, S. 582.
163
Die im Hinblick auf § 90 Abs. 2 BVerfGG prozessuale Frage, ob bereits abstrakt generelle
Gesetze, also hier die §§ 98 ff. StPO, Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG darstel-
len, ist bei materiellen Strafgesetzen ausdiskutiert, vgl. Henke/Gröschner, S. 82 und gilt auch für
belastende strafprozessuale Maßnahmen, BVerfGE 30, S. 16 ff., Leits. Nr. 1 und B II; Verfassungs-
beschwerde gegen das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität
durch Burkhard Hirsch, abgedruckt in Vormbaum/Asholt, S. 9.
164
Der Nachweis ist ein verfassungsprozessuales Problem, vgl. § 7, III, 3, b).
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 133
165
Der Eingriff kann jedoch durch die „verfassungsmäßige Ordnung“ gerechtfertigt sein, steht
also unter allgemeinem Gesetzesvorbehalt.
166
Vgl. zur Übertragung des Grundsatzes auf Schutzbereichsabgrenzungen: Quaritsch in: Isen-
see/Kirchhof , HSTtR 5, § 120 Rdn. 81. Dagegen spricht sich wegen „seines ,dubiosen‘, unbe-
stimmten an keiner Norm der Verfassung ausgerichteten Inhalts“ eine Ansicht in der Literatur
aus, die den Grundsatz aber immerhin als Hilfsfunktion im Rahmen verfassungskonformer Ausle-
gung gelten lassen will, vgl. Hochreiter, S. 117 f.
134 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
167
Vgl. das Zitat oben, in dem das BVerfG die Gefahr für das „Gemeinwohl“ anspricht, § 8, III,
2, ee).
168
Vgl. oben § 7, III, 3.
169
Wenn der Betroffene verurteilt wird, ist eine Begründung des Eingriffs durch eine zurechenbare
Verursachung der Verurteilung durch verdeckte Maßnahmen natürlich eine Eingriffsbegründung,
vgl. die Anforderungen des Eingriffsbegriffs oben § 7, III. Das löst aber nicht die Probleme der
dogmatischen Einordung vor der Verurteilung oder ohne Verurteilung, wenn die Maßnahme eine
entlastende Erkenntnis bringt. Das kann nicht den Eingriff bedingen.
170
Vgl. unten § 9, II.
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 135
bb) Drittbetroffene
171
Für das prozessrechtliche Rechtsschutzbedürfnis muss besonders begründet werden, warum
bereits die zugehörige Befugnisnorm ein Eingriff ist und warum ein Eingriff auch nach seiner Be-
endigung noch belastende Nachwirkungen hat, etwa durch Wiederholungsgefahr oder erhebliche
Grundrechtsbetroffenheit.
172
Jedenfalls nicht nur.
173
Vgl. oben § 7, III, 2.
136 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
individuelle, unmittelbare, sondern die durch Gesetz vermittelte, auf alle Individuen
ausstrahlende Fühlbarkeit für eine Einschüchterungswirkung ausreichend.
Wenn Schlink einerseits öffentliche Warnungen vor Produkten oder Vereinigun-
gen als Eingriffe in Grundrechte ansieht und andererseits den Verkehrsstau in Folge
einer Verkehrskontrolle als alltägliche Lästigkeit abtut,174 ist dem hinsichtlich der
Verkehrskontrolle nicht zu folgen. Entscheidend ist nicht, dass Folgen staatlichen
Verhaltens nach normativer Wertung unter dem Stichwort „Sozialadäquanz“ als läs-
tig und alltäglich abqualifiziert oder als bloß subjektive Empfindlichkeit entwertet
werden. Vielmehr geht es um die Effektivität der Handlungsbeeinflussung. Richtig
ist, dass nur eine gefühlsmäßige Beeinflussung ohne Einfluss auf die Handlungsent-
scheidungen des Einzelnen kein Eingriff in dessen Persönlichkeitsentfaltung sein
kann. Bei sog. „Drittbetroffenen“175 darf man aber davon ausgehen, dass auch die-
se sich durch verdeckte Ermittlungsmaßnahmen beeinflussen lassen. Die Gründe
hierfür sind rational, da bei Gebrauch oder Missbrauch der erhobenen Informatio-
nen zum Beispiel der Tatverdacht auf sie ausgeweitet oder zur privaten Bloßstellung
verwendet werden könnte.
Die Ansicht, die eine Erheblichkeit der Einschüchterungseffekte für einen Eingriff
generell ablehnt, begründet dies, indem sie eine Konsequenz eines solchen Ein-
griffs für absurd erklärt.176 Als offenbar sinnwidrige Folge eines Eingriffs in die
Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG durch staatliche Einschüchterung wird von dieser An-
sicht vorgestellt, dass dann bereits auch eine bloße „Überwachungsattrappe“ in das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen müsste. Dies sei außerdem
dogmatisch widersprüchlich, weil nicht einmal Informationen erhoben würden.
Beispiel 15 Eine Überwachungsattrappe wäre zum Beispiel ein Hinweis auf Radar-
messgeräte zur Geschwindigkeitsüberwachung, die aber nicht vorhanden sind oder
die Attrappe eines Polizeiautos am Straßenrand.
Richtig daran ist, dass nicht in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
eingegriffen wird, wohl aber in die Handlungsfreiheit. Denn durch die Einschüchte-
rung wird sie mittelbar durch Vermeidungsverhalten verkürzt. Wenn man so will, ist
§ 100c StPO auch eine Art „Überwachungsattrappe“, da nur wenige177 tatsächliche
Maßnahmen der akustischen Wohnraumüberwachung angeordnet werden.
Eine wirklich absurde Konsequenz wäre es, deshalb einen Eingriff in das Grund-
recht aus Art. 2 Abs. 1 GG durch § 100c StPO jedenfalls in der Zeit, in der keine
Maßnahmen beantragt und durchgeführt werden, zu verneinen. Das Aufstellen von
Überwachungsattrappen ist daher genauso ein Eingriff in die Handlungsfreiheit wie
174
Pieroth/Schlink, Rdn. 261.
175
Vgl. oben § 7, III, 2, b).
176
Vgl. oben § 8, III, 3, a).
177
8 Maßnahmen im Jahr 2010, vgl. BTDrucks 17/3038 vom 24.09.2010.
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 137
Die Alternative zum Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung wäre, dem Staat
zu erlauben, seine Bürger in sprichwörtlich „lähmende“ Angst zu versetzen. Staats-
terror wäre gestattet, soweit er sich auf das bloße „In-Schrecken-Versetzen“ be-
schränken würde. Es wäre zynisch, dem Bürger zuzumuten, er solle gegen seine
rational begründete Angst handeln, um die tatsächlichen Folgen seines Weiterhan-
delns178 zu testen.
Der Aufnahme der Freiheit von Einschüchterung in den Schutzbereich des Grund-
rechts der allgemeinen Handlungsfreiheit kann man entgegenhalten, es gehe nur um
eine ergebnisorientierte Sichtweise, die einen Totalvorbehalt für staatliches Handeln
einführen wolle. So wird bereits gegen das Recht auf informationelle Selbstbestim-
mung argumentiert179 und dies ließe sich auch gegen das Grundrecht auf Freiheit
von Einschüchterung anführen.
178
Vgl. § 4, II, 3.
179
Rogall, Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozessrecht, S. 30 ff.
138 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Darauf ist zu erwidern, dass das Problem nicht eine ergebnisorientierte Manipu-
lation des Schutzbereichs, sondern Folge des heute allgemein anerkannten moder-
nen Eingriffsbegriffs ist.180
180
Vgl. § 7, III.
181
Britz spricht treffend von einer „kaskadenartigen Konkretisierung“, Britz, S. 4.
III. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 139
182
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat sich im Zivilrecht erst nach dem Aufbrechen der
traditionellen, am Eigentumsrecht orientieren Herrschaftsstruktur eines Subjekts über ein Ob-
jekt durchsetzen können, vgl. Götting in: Götting/Scherz/Seitz, § 1 Rdn. 29. Doch wurde diese
Herrschaftsstruktur nur auf die eigene Person als Herrschaft des Subjekts über sich selbst erwei-
tert, um den ethischen Wert des Menschen vor totaler Kommerzialisierung zu bewahren. Einen
weitergehenden philosophischen Ansatz vertrat Max Stirner, der das „Eigentum an sich selbst“
ohne jeden kollektivistischen Einschlag radikal individualistisch begründete: „Was man der Idee
der Menschheit zuschrieb, das gehört Mir. Jene Handelsfreiheit z. B., welche die Menschheit erst
erreichen soll, [. . . ] Ich nehme sie Mir als mein Eigenthum vorweg und treibe sie einstweilen in
der Form des Schmuggels. Freilich möchten nur wenige Schmuggler sich diese Rechenschaft über
ihr Thun zu geben wissen, aber der Instinct des Egoismus ersetzt ihr Bewußtsein. Von der Preß-
freiheit habe Ich dasselbe oben gezeigt. Alles ist mein eigen, darum hole Ich Mir wieder, was sich
Mir entziehen will, vor allem aber hole Ich Mich stets wieder, wenn Ich zu irgend einer Dienstbar-
keit Mir entschlüpfet bin. Aber auch dieß ist nicht mein Beruf, sondern meine natürliche That.“,
Stirner, S. 438. Hubmann kritisierte, dass man „Immaterialgüterrechte in Analogie des Eigentums
zu behandeln habe“, Hubmann, S. 116. Die zivilrechtliche Dogmatik hat zwar längst ihrerseits
verfassungsrechtliche Begründungen in sich aufgenommen, doch wurden damit nie alle eigen-
tumsähnlichen Ansätze aufgegeben. Deshalb kann der dynamische Aspekt als Grundlage aktiver
Entschließungs- und Handlungsfreiheit ohne dogmatische Probleme mit einem statischen Recht
(Menschenwürdegarantie) verbunden werden, nach dem Beobachtungen eigener Tätigkeit durch
andere und deren Verwertung durch diese verboten werden können. Die übergeordneten Aspekte
sind das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht an der Persönlichkeit und das Recht
auf Individualität, vgl. Götting in: Götting/Scherz/Seitz, § 1 Rdn. 1–3. In verfassungsrechtlichen
Kategorien kann aber nur Art. 2 Abs. 1 GG die Grundlage sein. Die Fragen kommerzieller Nutz-
barkeit und eigentumsähnlicher Normativierung können daher nicht als Begründung dienen, vgl.
Götting in: Götting/Scherz/Seitz, § 1 Rdn. 3.
140 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
6. Zwischenergebnis
Mit der oben vertretenen Aufgabe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist eine
klare Trennung des Art. 1 Abs. 1 und des Art. 2 Abs. 1 GG verbunden.183 Dies
lenkt den Blick darauf, dass es nicht etwa um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht,
in das grundsätzlich eingegriffen werden dürfte, sondern dass es um eine Verlet-
zung der Achtung der Menschenwürde geht. Greifen verdeckte Ermittlungen in den
Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ein, missachten sie die Menschenwürde
183
Eine andere Frage ist, ob alle Grundrechte auf eine philosophischen Metaebene in der Men-
schenwürde „wurzeln“. Entscheidend, ist dass die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG
unantastbar ist und die nachfolgenden Grundrechte antastbar sind, unabhängig davon, wie diese
Metapher von der „Wurzel“ zu verstehen ist.
IV. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Art. 1 Abs. 1 GG 141
und stehen folglich auf einer Stufe mit Folter und nationalsozialistischen Rassege-
setzen. Nur wenn man verneint, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung
durch bloße Beobachtungen nicht verletzt wird, kann man dieser Konsequenz aus-
weichen. Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass verdeckte Ermittlungsmaßnahmen
durchaus die Menschenwürde missachten können. Voraussetzung dafür ist aber,
dass mit dem überwachten Verhalten thematisch der Kernbereich der privaten Le-
bensgestaltung betroffen ist. Als bedeutende Einschränkung dieses Kernbereichs ist
zu untersuchen, ob ein inhaltlicher Bezug zu konkreten Straftaten die Zugehörigkeit
zum Kernbereich ausschließt. Außerdem wird zu zeigen sein, das nur absichtli-
che (finale) oder verächtliche Beobachtungen des Kernbereichs die Menschenwürde
missachten.
Für die verdeckten strafprozessualen Ermittlungen ist Art. 1 Abs. 1 GG in der
eben genannten Hinsicht von besonderer Bedeutung. Tasten die verdeckten Ermitt-
lungsmaßnahmen die Menschenwürde an, darf der Staat sie um keinen Preis184
durchführen. Eine Rechtfertigung der Missachtung der Menschenwürde ist daher
unzulässig.185 Folgen und mögliche Gefährdungen können zwar durchaus Einfluss
auf die normative Bezeichnung als „menschenunwürdige Behandlung“ haben, ent-
scheidend ist aber, dass der Betroffene wie ein Objekt behandelt wird, nicht welche
Folgen dies für ihn tatsächlich hat. Daher lässt sich über diese Ansicht ein Eingriff
in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung durch verdeckte Ermittlungsmaß-
nahmen prinzipiell begründen.
Mit der obigen Ausarbeitung des Grundrechts auf Freiheit von Einschüchterung ist
klargestellt, dass der erweiterte Bereich der Privatsphäre nur durch die allgemeine
Handlungsfreiheit geschützt wird und insoweit die dogmatische Konstruktion eines
allgemeinen Persönlichkeitsrechtes abzulehnen ist. Eine andere Frage ist, ob das all-
gemeine Persönlichkeitsrecht als Kombination aus Gewährleistung der Handlungs-
freiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG für den Schutz der Intimsphäre
aufrecht erhalten werden sollte oder ob der Schutz dieses Bereichs allein durch
Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet ist.
184
Die Preislosigkeit der Menschenwürde war schon für Kant eines ihrer Wesensmerkmale. Im
Gegensatz zum Preis ist Würde bei Kant der absolute, niemals gegenrechenbare „innere Wert“ der
Menschheit. Der Grund für die Menschenwürde ist die Vernunft und damit die allein menschliche
Eigenschaft, nach ethischen Maßstäben urteilen und handeln zu können, vgl. Kant, Grundlegung
zur Metaphysik der Sitten, GMS 2. Abs. III. 60 ff. Mit zu „achten“ in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG wird
die ebenfalls von Kant erwähnte „Achtung“ und mit der „Unveräußerlichkeit“ der Menschenrechte
in Art. 1 Abs. 2 GG, wird das Konzept der Preislosigkeit Kants zitiert.
185
Selbst die Ansicht, die bei der Definition des Anspruchs auf Achtung der Menschenwürde eine
gewisse Relativierung durch gegenläufige Interessen einfließen lassen will, gibt der Menschenwür-
de ein besonderes Gewicht. Zu dieser Ansicht und den unterschiedlichen Ergebnissen, vgl. unten
§ 8, IV, 3, b).
142 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Die Intimsphäre ist ein absolut geschützter, also unantastbarer Kernbereich privater
Lebensgestaltung. Nach h. M.186 resultiert er aus der Menschenwürdegarantie des
Art. 1 Abs. 1 GG sowie aus der Wesensgehaltsgarantie des Art. 2 Abs. 1 GG187
gemäß Art. 19 Abs. 2 GG. Stürner fasst die h. M folgendermaßen zusammen:
„Die wohl herrschende Meinung betrachtet Art. 1 I 1 als ,oberstes Konstitutionsprinzip‘, das
als Auslegungskriterium auf die einzelnen Grundrechte einwirkt, so dass Art. 2 I und II GG
im Lichte des Art. 1 I 1 GG zu interpretieren ist. Es ist deshalb richtig, wenn das BVerfG
Art. 2 I GG als verletztes Grundrecht nennt, aber die Menschenwürde als wesentliches
inhaltliches Kriterium nennt.“188
b) Eigene Ansicht
Die Ansicht der h. M., den Kernbereichsschutz durch eine Verbindung von Art. 2
Abs. 1 GG zu schützen, ist inkonsequent. Der Schutz des allgemeinen Persönlich-
keitsrechts wird nur deshalb von der h. M. in einer Verbindung des Art. 2 Abs. 1 GG
mit Art. 1 GG verankert, weil Art. 2 Abs. 1 GG mit dem Schutz der Handlungsfrei-
heit alleine keinen reinen Integritätsschutz gewährleisten kann. Wenn der Kernbe-
reich der privaten Lebensgestaltung beobachtet wird, geht es nicht darum, dass die
Handlungsfreiheit eingeschränkt wird, sondern darum, dass die Beobachtung dieses
Bereichs „entwürdigend“ ist. Im Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist dies
im Gegensatz zur erweiterten Privatsphäre der Fall.
Auch die Beobachtung dieses Kernbereichs hat im Regelfall erst recht die ein-
schüchternde Wirkung, die mit jeder beobachtenden strafprozessualen verdeckten
Ermittlungsmaßnahme verbunden ist. Ist die beobachtende Maßnahme aber entwür-
digend, kommt es nicht mehr darauf an, ob auch das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1
GG betroffen ist.189 Die „Abstrahierung der Würde vom Rechtsträger“ wird in der
186
BVerfGE 109, 279, 320 ff.; Lindemann, JR 2006, S. 193; Warntjen, S. 48 ff.
187
Er kann sich bei spezielleren Grundrechten entsprechend aus Art. 10 Abs. 1 oder 13 Abs. 1 GG
in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 10 Abs. 2 ergeben.
188
Stürner, NJW 1981, S. 1757.
189
Anderes würde nur gelten, wenn Art. 1 Abs. 1 GG kein subjektives Recht enthielte, sondern
nur ein objektives Recht wäre. Die Frage, ob der Anspruch auf Achtung der Menschenwürde ein
objektiver Grundsatz oder ein subjektives Grundrecht des Einzelnen ist, wird kontrovers disku-
tiert. In erster Linie geht es um die prozessuale Konsequenz, wer eine Verletzung des Anspruchs
auf Achtung der Menschenwürde einklagen kann, Art. 93 Nr. 4a GG. Diese Frage kann für das
vorliegende Thema offen bleiben. Für die verdeckten Ermittlungen ist nur relevant, ob auch dann
eine Verletzung der Pflicht zur Achtung der Würde vorliegt, wenn der Einzelne sich nicht gekränkt
fühlt oder die Maßnahme gar nicht bemerkt. Eine Würdekonzeption wird aber nicht vertreten, nach
der nur in solchen Fällen die Menschenwürde missachtet wird, in denen der Einzelne das Antasten
seiner Würde spürt und sie gerade ihm zum Nachteil gereicht. Es wird zumindest ein normativer
Einschlag der Menschenwürde anerkannt, nach dem eine individuelle Betroffenheit nicht mit einer
individuellen Fühlbarkeit oder Freiheitsbeeinträchtigung einhergehen muss. Das BVerfG hat dazu
nicht eindeutig Stellung genommen, aber beiläufig die Menschenwürde als Grundrecht eingeord-
IV. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Art. 1 Abs. 1 GG 143
Literatur anerkannt. 190 Zum Teil wird Art. 1 Abs. 1 GG sogar nur als Gewährleis-
tung eines objektiven, nicht eines auch subjektiven Rechts verstanden.191
Ein Unterschied in den Ergebnissen ergibt sich dazu gegenüber der h. M. freilich
nicht, da diese nur pro forma auf Art. 2 Abs. 1 GG hinweist. Welches inhaltliche
Verständnis der Menschenwürde der Kernbereichslehre zu Grunde gelegt werden
muss, ist mit der hier vertretenen Ansicht zur Trennung von Kernbereichsschutz
und allgemeiner Handlungsfreiheit aber noch nicht vorentschieden.192
Der Inhalt der Menschenwürde ist umstritten. Auf einer hohen Abstraktionsebene
besteht aber Konsens über einige Grundaussagen. Unstreitig enthält sie ein ega-
litäres Prinzip, einen liberalen Grundsatz und eine soziale Komponente. Für die
net, vgl. BVerfGE 1, 322, 343; 14, 249, 255; 50, 256, 262; 61, 126, 137; 72, 105, 114 ff. In der
Literatur ist die Einordnung strittig. Die Argumente aus Wortlaut und Systematik sprechen eher
dafür, dass es sich um einen besonderen Grundsatz handelt, auf den weder die Schutzbereichsdog-
matik noch die Eingriffslehre der Freiheitsgrundrechte anzuwenden sind, Dreier, GG2 , Rdn. 128;
kritisch Herdegen in: Maunz/Dürig, GG57 , Art. 1 Abs. 1 Rdn. 26. Zudem würde nach dieser
Ansicht eine solche Einordnung „Relativierung und Abwägung des Art. 1 Abs. 1 GG Vorschub
leisten“, Dreier, GG2 , Art. 1 Rdn. 127. Ein Rechtsschutzdefizit besteht auch bei einer Einordnung
als rein objektivem Grundsatz nicht, vgl. Art. 93 Nr. 4a GG, da Art. 1 Abs. 1 GG auch vom BVerfG
immer in Verbindung mit Freiheitsgrundrechten geprüft werde. Nach dieser Ansicht gäbe es keine
Notwendigkeit, die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG als beschwerdefähiges Grundrecht ein-
zustufen. Enders, S. 94 ff.; zum Streitstand siehe Dreier, GG2 , Art. 1 Rdn. 129, Fn. 422, 423. Für
die Einordnung des Menschenwürdeschutzes als Grundrecht, Stern in: von Mangoldt/Klein/Starck,
93 Rdn. 663, Kloepfer, Leben und Würde des Menschen, S. 71 ff. Danach gibt Art. 1 Abs. 1 GG
dem Einzelnen ein Individualgrundrecht auf Respektierung der Würde durch die Staatsgewalt.
Auch nach hier vertretener Ansicht ist die Menschenwürde ein individuelles Grundrecht, aber zu-
gleich objektiver Wert. Die objektive Seite kann nicht individuell eingeklagt werden, auf sie kann
der Einzelne auch nicht verzichten. Hinsichtlich des individuellen Anspruchs ist beides zulässig.
Eine Absage ist der Auffassung Dreiers zu erteilen, nach der es sich nur um ein objektive Recht
handelt. Daher wird im Folgenden nicht nur von einer Schutz- oder Achtungspflicht, sondern von
einem (individuellen) Anspruch auf Achtung der Menschenwürde gesprochen.
190
Enders, S. 129.
191
Dürig meint, es sei „ein Unding, ein subjektives Recht annehmen zu wollen, dessen Anspruchs-
inhalt man gleichzeitig vom konkreten Rechtsträger abstrahiert“ Es handele sich um die Setzung
einer zentralen Norm des nur objektiven Rechts, Dürig in: Maunz/Dürig, GG2 , Art. 1 Abs. 1 GG
Rdn. 4 in Fn. 3. Zustimmend und diese Ansicht erweiternd, Enders, S. 129 ff. Dem ist aber nicht
zuzustimmen. Der oberste Wert des Grundgesetzes steht auch dem einzelnen Menschen zu. Schon
nach der Konzeption Kants ist die Menschenwürde einerseits Idee und andererseits Eigenschaft
des Einzelnen (der Mensch selbst ist seine Würde). Das Gegenargument Dreiers, die Menschen-
würde habe sich noch immer mit Grundrechten verbinden lassen, kann nicht überzeugen, Dreier,
GG2 , Art. 1 Rdn. 129. Diese Methode des BVerfG ist gerade für die Verbindung mit der allgemei-
nen Handlungsfreiheit unsystematisch, da die Würde den Integritätsschutz betrifft und nichts mit
der Handlungsfreiheit zu tun haben muss. Gerade für den Integritätsschutz ist ein eigenständiges
Individualrecht auf Menschenwürde notwendig.
192
Vgl. dazu die ausführliche Streitdarstellung unten, § 8, IV, 2.
144 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
193
Dreier, GG2 , Rdn. 50, 58.
194
BVerfGE 109, 279, 314 ff.
195
Pieroth/Schlink, Rdn. 378a.
196
„Wenn Art. 1 Abs. 1 GG sagt: ,Die Würde des Menschen ist unantastbar‘, so will er sie
nur negativ gegen Angriffe abschirmen. Der zweite Satz: ,. . . Sie zu achten und zu schützen
ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt‘ verpflichtet den Staat zwar zu dem positiven Tun des
,Schützens‘, doch ist dabei nicht Schutz vor materieller Not, sondern Schutz gegen Angriffe auf
die Menschenwürde durch andere, wie Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung usw.
gemeint.“, BVerfGE 1, 97, 105.
197
Vgl. die Diskussion um den Vorschlag v. Mangoldts als Reaktion auf den Nationalsozialismus
in Art. 1 Abs. 2 GG die folgende Formulierung zu verwenden: „deshalb erkennt das Deutsche
Volk de naturgegebenen Rechte erneut als Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft an“. Dies
wurde abgelehnt, weil das GG nicht nur eine metanoia, eine Umkehr und Abkehr vom Nationalso-
zialismus sein sollte. Dass es aber auch eine solches Reaktion war, zeigt die zustimmende Replik
Schrages auf Heuss: „Viele unter uns und Tausende andere haben die Würde in der Nazizeit hoch-
gehalten, haben dafür Opfer gebracht und sind dafür in den Tod gegangen. Aber die Würde wurde
getreten wie es schlimmer nicht möglich war.“, zu alledem Bundestag/Bundesarchiv, S. 65 ff., 73.
198
Aus dem Verbot der Behandlung als bloßes Mittel zu anderen Zwecken hat sich die sog. Ob-
jektformel entwickelt. Danach darf der Einzelne nicht wie ein Objekt, wie eine Sache behandelt
IV. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Art. 1 Abs. 1 GG 145
ein, dass eine punktuelle Behandlung des Menschen als Objekt der Strafverfolgung
unvermeidbar sei und nicht immer gegen den Anspruch auf Achtung der Menschen-
würde verstoße. Der Wert als Mensch dürfe nur nicht grundsätzlich durch deren
Maßnahmen in Frage gestellt werden.199 Die Objektformel ist selbst interpretati-
onsoffen. Sie kann eng oder weit verstanden werden. Nach dem weiten Verständnis
darf der Mensch nicht bloß als „Objekt“ behandelt werden, nach dem engen Ver-
ständnis darf er nur nicht zum „bloßen Objekt“ degradiert werden.200 In den hier
zitierten Entscheidungen entschließt sich das BVerfG für das engere Verständnis
und relativiert so die Objektformel. Dass sei der Fall wenn er verächtlich behandelt
werde:
„Die Behandlung des Menschen durch die öffentliche Hand, die das Gesetz vollzieht, muß
also, wenn sie die Menschenwürde berühren soll, Ausdruck der Verachtung des Wertes, der
dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, also in diesem Sinne eine ,verächtliche
Behandlung‘ sein.“201
Mit Hilfe der Objektformel nimmt das BVerfG zu der Frage Stellung, ob die spezi-
fische Heimlichkeit der Ermittlungsmaßnahme mit der Menschenwürde kollidiert:
„Dabei führt ein heimliches Vorgehen des Staates an sich noch nicht zu einer Verletzung
des absolut geschützten Achtungsanspruchs. Wird jemand zum Objekt einer Beobachtung,
geht damit nicht zwingend eine Missachtung seines Wertes als Mensch einher.“202
Nach der Ansicht des BVerfG ist der Eingriff durch heimliche beobachtende Maß-
nahmen im Privatbereich aber notwendigerweise schwer und kann auch in den
Kernbereich eingreifen.
„Bei Beobachtungen ist aber ein unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung zu
wahren [. . . ]. Würde der Staat in ihn eindringen, verletzte dies die jedem Menschen unan-
tastbar gewährte Freiheit zur Entfaltung in den ihn betreffenden höchstpersönlichen Ange-
legenheiten.203
In der Rechtsprechung des BVerfG wird der Kernbereich der privaten Lebensgestal-
tung durch objektive Umstände der Verhaltensäußerung abgegrenzt. So gehört zwar
nicht die Privatwohnung an sich zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung,
werden. Dies Formel baut auf der Philosophie Kants auf und wurde zunächst in der Literatur,
namentlich von Wintrich und Dürig entwickelt, vgl. dazu unten § 8, IV, 2, b).
199
BVerfGE 30, 25 f.; 109, 279, 312 f.
200
Teifke, S. 12 ff.
201
BVerfGE 30, 25 f.
202
BVerfGE 109, 279, 313. Vgl. auch BVerfGE 34, 238, 249.
203
BVerfGE 109, 279, 313.
146 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
wohl aber das Verhalten in diesen Räumen, wenn es sich als intim oder besonders
vertraulich darstellt. Das BVerfG kommt deswegen zu dem Schluss, dass die heim-
liche akustische Wohnraumüberwachung den Kernbereich verletzt, wenn damit ein
solches Verhalten überwacht wird.204
Das Gespräch in der Wohnung soll schutzwürdiger sein, als außerhalb der Woh-
nung. Entscheidend ist aber, dass dieses Verhalten inhaltlich zum Kernbereich der
persönlichen Lebensgestaltung gezählt wird. Die äußeren Umstände sind daher als
widerlegliche Vermutung für die Kernbereichsbetroffenheit anzusehen.
„Ob ein Sachverhalt dem unantastbaren Kernbereich zuzuordnen ist, hängt davon ab, ob
er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist, also auch in welcher Art und In-
tensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berührt (vgl.
BVerfGE 80, 367 [374]). Maßgebend sind die Besonderheiten des jeweiligen Falles (vgl.
BVerfGE 34, 238 [248]; 80, 367 [374]). Entscheidend ist, ob eine Situation gegeben ist, in
der auf Grund von konkreten Hinweisen oder typischerweise und ohne gegenteilige tatsäch-
liche Anhaltspunkte im Einzelfall der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung
betroffen wird, etwa im Zuge der Beobachtung von Äußerungen innerster Gefühle oder von
Ausdrucksformen der Sexualität.“205
Dies wird für alle anderen äußeren Umstände ebenfalls gelten müssen, die für
einen intimen Charakter des Informationsaustausches oder der Verhaltensäußerung
sprechen. Nach dieser Rechtsprechung gibt es keinen, durch äußere Kriterien unab-
änderlich zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehörigen Bereich. Nur
durch das Verbot der Totalüberwachung werden bei einer konkreten Überwachungs-
situation absolute Freiräume offen gelassen. Verdeckte strafprozessuale Ermittlun-
gen missachten daher im Ausnahmefall auch dann nicht die Menschenwürde, wenn
sich der Betroffene mit dem Pfarrer im Beichtraum einer Kirche befindet. Das wäre
etwa der Fall, wenn der Pfarrer selbst im Verdacht steht, an der konkreten Straftat
mitgewirkt zu haben.
Das BVerfG macht aber auch deutlich, dass sich der Kernbereich der privaten Le-
bensgestaltung nicht auf das sog. „forum internum“ beschränkt. Das ist der Bereich,
in dem der Einzelne mit sich allein ist und Selbstgespräche führt oder Tagebücher
schreibt.206 Der Kernbereich geht vielmehr über die interne Selbstreflexion hinaus.
Im Konzept des Kernbereichsschutzes ist die soziale Natur des Menschen als wich-
tiger Teil seiner Würde angesprochen:
„Der Mensch als Person, auch im Kernbereich seiner Persönlichkeit, verwirklicht sich not-
wendig in sozialen Bezügen [. . . ]. Die Zuordnung eines Sachverhalts zum unantastbaren
Bereich privater Lebensgestaltung oder – soweit dieser nicht betroffen ist – zum Sozial-
bereich, der unter bestimmten Voraussetzungen dem staatlichen Zugriff offen steht, kann
daher nicht danach vorgenommen werden, ob eine soziale Bedeutung oder Beziehung über-
haupt besteht; entscheidend ist vielmehr, welcher Art und wie intensiv sie im konkreten Fall
204
BVerfGE 109, 279, 313 f.
205
BVerfGE 109, 279, 314 f.
206
Strenggenommen ist nach dem BVerfG schon das Äußern der Gedanken ein Schritt hinaus aus
dem „forum Internum“. Danach kommt es für die Zugehörigkeit eines Verhaltens nicht auf die
formale Art der Äußerung, sondern entscheidend auf deren Inhalt an. Unter welchen Umständen
dies gegeben ist, wird weiter unten zu beantworten sein.
IV. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Art. 1 Abs. 1 GG 147
ist [. . . ].“207 [. . . ] „Ein gewichtiger Anhaltspunkt für die Menschenwürderelevanz des Ge-
sprächsinhalts ist die Anwesenheit von Personen des höchstpersönlichen Vertrauens. Der
Einzelne konstituiert seine Persönlichkeit in erster Linie im Wechselspiel mit anderen, also
in der Kommunikation.“208
Das BVerfG sichert sich insoweit Entscheidungsflexibilität. Zwar spricht eine Kom-
munikation mit eng vertrauten Personen dafür, dass der Kernbereich der privaten
Lebensgestaltung betroffen ist, doch lässt das BVerfG mit der Formulierung „ge-
wichtiger Anhaltspunkt“ Raum dafür, dass andere Anhaltspunkte gegen den Kern-
bereich sprechen und überwiegen.
Nicht nur, wenn der Mensch wie ein Tier mit all seinen Lebensäußerungen beobach-
tet wird, kann der Kernbereich der Persönlichkeit verletzt werden. Die wachsende
Missbrauchsgefahr, die durch zu viele gesammelte Informationen über den Einzel-
nen bei staatlichen Stellen entsteht, kann nach Ansicht des BVerfG so groß sein,
dass auch dann, wenn „nur“ eine „nahezu“ lückenlose Beobachtung stattfindet, die-
se letzte Lücke durch das Gefährdungsmoment quasi ausgeglichen wird. Dann ist
der Kernbereich bereits betroffen und die Menschenwürde ist verletzt:
„Eine zeitliche und räumliche ,Rundumüberwachung‘ wird regelmäßig schon deshalb un-
zulässig sein, weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass dabei höchstpersönliche Gespräche
abgehört werden. Die Menschenwürde wird auch verletzt, wenn eine Überwachung sich
über einen längeren Zeitraum erstreckt und derart umfassend ist, dass nahezu lückenlos alle
Bewegungen und Lebensäußerungen des Betroffenen registriert werden und zur Grund-
lage für ein Persönlichkeitsprofil werden können (zu diesem Risiko vgl. BVerfGE 65, 1
[42 f.]).209
Im Tagebuchurteil210 vertritt das BVerfG die Auffassung, dass es einerseits für die
Zugehörigkeit eines Verhaltens zum Kernbereichs auf den Willen des Betroffenen
zur Geheimhaltung ankommt. Dieser Wille soll andererseits nur beachtlich sein,
wenn der geheim gehaltene Inhalt „höchstpersönlichen Charakters ist“. Entschei-
dend ist also die objektive Wertung des BVerfG bezüglich der „Geheimhaltungs-
würdigkeit“ und nur innerhalb dieses Rahmens der Wille des Einzelnen. Er darf nur
entscheiden, welche objektiv geheimhaltungswürdigen Informationen er tatsächlich
geheim halten will. Als inhaltliches Abgrenzungskriterium für das, was objektiv
207
BVerfGE 109, 279, 319.
208
BVerfGE 109, 279, 321.
209
BVerfGE 109, 279, 323.
210
BVerfGE 80, 367.
148 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
nicht geheimhaltungswürdig ist, stellt das BVerfG fest, dass Informationen nicht
zur privaten Lebensgestaltung gehören, die eine konkrete Straftat betreffen.211
Geht es um konkrete Straftaten, ist danach selbst die Aufzeichnung in einem
Tagebuch nicht schützenswert.212 Diese ständige Rechtsprechung hat das BVerfG
auch für die Überwachung elektronischer Kommunikation aufrechterhalten.
„Ob eine personenbezogene Kommunikation diesem Kernbereich zuzuordnen ist, hängt da-
von ab, ob sie nach ihrem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist und in welcher Art und
Intensität sie aus sich heraus die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berührt.
Maßgebend sind die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls. Nicht zu diesem Kernbe-
reich gehören Kommunikationsinhalte, die in unmittelbarem Bezug zu konkreten strafbaren
Handlungen stehen, wie etwa Angaben über die Planung bevorstehender oder Berichte über
begangene Straftaten.“213
Die überwiegende Ansicht in der Literatur geht der von Dürig214 ausgearbeiteten
Objektformel aus:215
„Die Menschenwürde ist betroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem blo-
ßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird.“216
211
BVerfGE 80, 367, 373 f.
212
BVerfGE 80, 367, 375. Kritisch dazu Kleb-Braun, CR 1990, S. 344 ff; Händel, NJW 1964, S.
1139; Wolter, Strafverteidiger 1990, S. 175 ff; Schmidt, Jura 1993, S. 591 und schon Sax, JZ, 1965,
S. 1 ff.
213
BVerfGE 124, 43, 70.
214
Dürig, AöR, Bd. 81, S. 117 ff.
215
„[. . . ] die Objektformel als abstrakte Bestimmung des Menschenwürdebegriffs ist ohne wei-
teres konsensfähig. Teilweise wird sie, da sie Selbstverständliches zum Ausdruck bringe, als
Leerformel bezeichnet.“ Teifke, S. 11; zur Kritik wegen der inhaltlichen „Leere“, Michael/Morlok,
Rdn. 135.
216
Dürig in: Maunz/Dürig, GG2 , Art. 1 Abs. 1 Rdn. 28; Dürig, AöR, Bd. 81, 1956, S. 127. Die
Formel geht auf die Vorarbeit Wintrichs zurück: „Da die Gemeinschaft sich aus freien eigenstän-
digen Personen aufbaut, die durch ihr Zusammenwirken das Gemeinschaftsgut verwirklichen, muß
aber der Mensch auch in der Gemeinschaft und ihrer Rechtsordnung immer ,Zweck an sich selbst‘
(Kant) bleiben, darf er nie zum bloßen Mittel eines Kollektivs, zum bloßen Werkzeug oder zum
rechtlosen Objekt eines Verfahrens herabgewürdigt werden.“ Wintrich, Über Eigenart und Me-
thode verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung, S. 235 f. Die Formel lehnt sich an Kants zweite
Formel des kategorischens Imperativs an: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner
Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mit-
tel brauchst.“ „Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, dass jedes derselben sich
selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst
behandeln solle.“ Vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, GMS 2. Abs. III. 60 ff;
Menschenwürde ist danach die vernünftige Einsicht in die wechselseitige Verpflichtung, andere
Menschen auch „als Zweck an sich selbst“ und „niemals bloß als Mittel“ zu behandeln. „Die
Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Menschen (weder von ande-
ren noch sogar von sich selbst) bloß Mittel, sondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht
werden, und darin besteht eben seine Würde (die Persönlichkeit).“ Kant, Metaphysik der Sitten.
Tugendlehre, MST § 38 (III 321). Bei Kant ist die Achtung der Würde normativer Achtungs-
anspruch. Nur die „Würde der Menschheit als vernünftiger Natur“ ohne einen zu erreichenden
IV. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Art. 1 Abs. 1 GG 149
Diese Ansichten unterscheiden sich im Ergebnis nicht von der dargestellten Recht-
sprechung die ebenfalls die Objektformel ins Zentrum ihrer Erwägungen stellt.217
Innerhalb der h. M. sind allerdings die Ansätze des BVerfG, die Objektformel
durch eine enge Interpretation zu relativieren, nach der eine punktuelle Behandlung
als Objekt zulässig ist,218 auch auf Kritik gestoßen.219 In der h. M. wird daher vor-
geschlagen, den Menschenwürdetatbestand positiv zu formulieren. Danach ist es
geboten, den Menschen als Subjekt zu behandeln. Zwar können dieses Subjektprin-
zip und die Objektformel gleichbedeutend verwendet werden, dies gilt allerdings
nur, wenn der zugrunde liegende Inhalt der Menschenwürde gleich verstanden wird.
Im Vergleich zur relativierten Objektformel der Rechtsprechung ist mit dem Sub-
jektprinzip, das auch vom BVerfG der Sache nach zum Beispiel im Abhörurteil
ergänzend herangezogen wird,220 eine Akzentverschiebung verbunden.
Dieser Kritik geht es aber nicht um eine Änderung der Ergebnisse des BVerfG,
sondern eher um die Gefahr, dass eine Relativierung der Objektformel auch zu einer
Relativierung der Menschenwürde führen kann. Kritisiert wird also die gefährliche
Symbolik. Im Ergebnis vertritt auch diese Unteransicht keine abweichenden Ergeb-
nisse zur Relevanz der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen für die Menschenwürde.
Auch nach dieser Ansicht verstieße nicht etwa jede verdeckte Überwachungsmaß-
nahme gegen die Menschenwürde, nur weil sie den menschlichen Willen vorüber-
gehend ignoriert. Sie kann aber nicht ohne dogmatische Inkonsequenz erklären,
warum dies zulässig sein soll.
c) Eigene Ansicht
Im Prinzip ist dem BVerfG im Hinblick auf die Verwendung der Objektformel zu-
zustimmen. Nicht die punktuelle Behandlung als Mittel ist entscheidend, sondern
die Entwertung des Einzelnen. Auf einer psychologischen Ebene ist der Respekt vor
dem fremden Willen des Anderen eventuell auch nur dem Eigennutz geschuldet.221
Jedenfalls ist die Durchsetzung des eigenen Willens nicht immer eine Entwürdigung
des Anderen, der auf die Durchsetzung seiner Zwecke verzichten muss.
Zweck, „also die Achtung für eine bloße Idee“ dient als sittliche Vorschrift. Vgl. Kant, Grundle-
gug zur Metaphysik der Sitten, GMS 2. Abs. III. 65 f. Konsequent zur Würde als „Idee“ ist eine
Verlegung der Würde daher nicht möglich, aber eine Verletzung der Pflicht, die Würde zu bewah-
ren. Nur das ist auch sinnvoll, da die Würde nicht etwa endet, wenn ein Mensch umgangssprachlich
„entwürdigt“ wird. Sie kann gerade nicht verloren gehen. Der Einzelne muss nach Kant die Würde
stellvertretend für die Würdeidee als Ganzes individuell bewahren. „Seine Pflicht ist es, die Würde
der Menschheit in seiner eigenen Person nicht zu verleugnen“, Kant, Über Pädagogik, VIII 240 f.
Dieses idealistische Würdekonzept hat auch Eingang in die Erwägungen des parlamentarischen
Rates gefunden.
217
Vgl. oben § 8, IV, 2, a).
218
Vgl. § 8, IV, 2, a).
219
Teifke, S. 12 ff.
220
Vgl. BVerfGE 30, 1, 40.
221
Dabei handelt es sich um eine metaphysische Frage, die hier offen bleiben muss.
150 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Beispiel 16 Der Torwart der Verlierermannschaft bei einem Fußballspiel wird nicht
entwürdigt, wenn gegen seinen Willen ein Tor geschossen wird. Der Bürger wird
nicht entwürdigt, wenn er gezwungen wird, Steuern zu zahlen. Er wird auch nicht
unbedingt entwürdigt, wenn er zeitweise Objekt strafprozessualer verdeckter Er-
mittlungsmaßnahmen ist.
Auf die ständige Beachtung des Willens des Betroffenen kann es daher nicht
ankommen müssen.
Nicht zutreffend ist die in der Tagebuchentscheidung zum Ausdruck kommende
Ansicht des BVerfG,222 es müsse sich um Informationen objektiv „höchstper-
sönlichen Charakters“ handeln, aus denen der Betroffene auswählen kann.223
„Höchstpersönliche“ Informationen tragen den Kernbereichsbezug schon objektiv
in sich. Der Betroffene hätte nur eine negative Auswahlmöglichkeit, Informationen
für nicht mehr höchstpersönlich zu erklären.
Nach der hier vertretenen Ansicht wird nicht der objektive Kernbereichsschutz,
sondern die subjektive Auswahlmöglichkeit des Einzelnen limitiert. Aus den einzel-
nen Handlungsalternativen, welche nach den traditionellen gesellschaftlichen Auf-
fassungen224 nicht schon zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zählen,
darf er Weitere auswählen. Entscheidend ist, was der Betroffene als intim empfin-
det und nur seinem persönlichsten Umfeld zugänglich machen will.
Beispiel 17 Eine ältere Dame D lässt sich von ihrem Cousin C die Bedienung ih-
res Computers erläutern. Einerseits fühlt sie sich zu Dank verpflichtet, andererseits
hat sie weder Lust noch Absicht den Umgang mit diesem Medium zu erlernen.
Sie schreibt daher ihrem Patenkind P, dass sie sich mit den erläuterten Program-
men nicht beschäftigt, P dürfe dies aber auf keinem Fall C weitersagen. Sowohl die
Lüge als auch die mangelnden Kenntnisse gehören für sie zu ihrem innersten Pri-
vatbereich, den sie nicht einmal ihrem privaten Umfeld zugänglich machen möchte.
Andererseits können für D andere objektiv zum Kernbereich gerechnete Verhaltens-
weisen nicht vertrauenswürdig sein.
Es gibt keinen Grund, warum der Einzelne nicht selbst definieren können soll,
was für ihn unbedingt privat und vertraulich sein soll. Zur Würde gehört gerade
auch die Freiheit über den Unterschied zwischen Privat und Öffentlich selbst zu
disponieren. Eine objektive Definition des Kernbereichs ist ebenfalls notwendig,
doch kommt sie nur subsidiär zum Tragen, wenn keine besonderen Präferenzen des
Betroffenen erkennbar sind. Praktisch wird dies bei dem Großteil der verdeckten
Maßnahmen der Fall sein.
222
BVerfGE 80, 367, 373 f.
223
Damit geht das Gericht über die Ausgrenzung von konkreten Straftaten aus dem Kernbereich
hinaus.
224
Ihr zuzuordnen sind Sachverhalte höchstpersönlichen Charakters wie Tagebucheinträge oder
Sexualität, wobei die Zuordnung auch davon abhängt, ob ein Sachverhalt aus sich heraus die Pri-
vatsphären anderer und nicht nur die des Betroffenen berührt.
IV. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Art. 1 Abs. 1 GG 151
Die Themen dürfen nicht schon durch gesetzliche Regelungen als zum öffent-
lichen Bereich oder durch eine abschließende objektive Definition kernbereichsre-
levanter Themen definiert werden. Die Auswahlentscheidung muss allerdings nach
außen deutlich werden. Die Grenzen, die ein Privater dem Staat oder Dritten setzt,
müssen entweder durch den Durchschnittsstandard definiert oder durch individuelle
Äußerung erkennbar sein. Der Staat kann nicht verpflichtet sein, Grenzen einzuhal-
ten, die er nicht erkennen kann. Damit ist der Kernbereich der privaten Lebens-
gestaltung eine subjektive Auswahl aus einem objektiv in seinem Mindeststandard
garantierten Handlungsbereich. Ist nichts anderes bekannt, wird für jeden Einzelnen
das gesellschaftliche Durchschnittsverständnis von Intimität und Vertraulichkeit als
Kernbereich vermutet.
d) Konsequenzen
aa) Vertrauensbeziehungen
225
Vgl. § 8, VI, 1, c), cc).
152 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Beispiel 18 X hat sich mit seinem Geschäftspartner Y angefreundet. Bei einem Bier
nach Abschluss der Geschäftsverhandlungen im Hinterzimmer eines Restaurants
oder auf der nachts menschenleeren Straße berichtet X dem Y, dass er als Kind
sexuell missbraucht wurde und dass er heute selbst manchmal pädophile Neigungen
verspürt.
Hat der Staat in diesem Fall Y bereits vorher als Verbindungsperson angeworben,
darf dieser nicht zu diesem Thema nachfragen oder sein Wissen zu Strafverfol-
gungszwecken weitergeben. Die Ermittlungsbehörden dürfen das Gespräch zwi-
schen X und Y auch nicht absichtlich auf solche Informationen hin abhören bzw.
die unbeabsichtigt angefallenen Informationen verwenden.
Fallen ungeplant Informationen aus dem Kernbereich der privaten Lebensge-
staltung bei verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen an und werden
diese nicht weiter beachtet und genutzt, ist dies keine Missachtung der Menschen-
würde. Bedingung dafür ist aber, dass gesetzliche Vorkehrungen getroffen werden,
die verhindern, dass solches Verhalten beobachtet wird. Der Einzelne wird dann
weder als bloßes Objekt noch verächtlich behandelt.226 Durch eine absichtliche
Einblicknahme in den Kernbereich kommt hingegen immer eine entwürdigende Ge-
ringschätzung des Betroffenen zum Ausdruck.
Das Ministerium für Staatssicherheit setzte in der DDR Spitzel im engsten Fami-
lienumfeld ein. Die Einblicknahme in diesen Bereich führt zu starken psychischen
Belastungen. Die Folgen reichen bis hin zur Desintegration der Familie durch Ver-
trauensverluste. Damit ging eine Zerstörung der wichtigsten sozialen Bindungen
des Einzelnen einher, der letztlich in seiner bürgerlichen Existenz vernichtet wer-
den konnte.227 Auch in der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Denunziation
durch Spitzel im engsten Familienkreis gefördert und so die Entscheidung nicht re-
spektiert, sich in diesen Kreis ohne die Beobachtung der anderen Mitglieder der
Gesellschaft zurückzuziehen. Durch Denunziation von Spitzeln wurden zudem im
erweiterten Privat- oder Geschäftsbereich heimlich gewonnene Informationen an
den Staat weitergegeben. Im Falle von Systemfeinden bzw. -opfern kam es in der
Folge zu schwersten ungerechtfertigten Beeinträchtigungen an Leben, Leib, oder
Freiheit. Die schweren Folgen wirken sich wiederum auf die ethische Bewertung
der heimlichen Beobachtung aus.228 Bereits die verwerfliche Zweckbindung macht
sie zu Verstößen gegen die Pflicht, die Menschenwürde zu wahren. Aber auch ohne
diese Zweckbindung müssen solche Maßnahmen daher fortan als gefährlich für die
Achtung der Menschenwürde betrachtet werden.
226
Zur Erforderlichkeit eines zweistufigen – präventiven und nachträglichen – Kernbereichs-
schutzkonzepts vgl. unten § 15.
227
Vgl. § 4, II, 2.
228
Vgl. oben § 4, II, 1, c).
IV. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Art. 1 Abs. 1 GG 153
Ein aktueller Fall aus Großbritannien zeigt, dass auch in heutigen Rechtsstaa-
ten sogar Polizisten als Verdeckte Ermittler Liebesbeziehungen zu Verdächtigen
aufnehmen und teils über Monate nicht nur in das Privatleben der Betroffenen ein-
dringen, sondern dieses sogar prägen. Eine der so „überwachten“ Frauen fasste die
Empörung zusammen:
„Es ist unglaublich, dass die Polizei für eine Hausdurchsuchung zwar einen richterlichen
Beschluss benötigt, jedoch ein ausgeschickter Amtsträger mit Aktivisten leben und schlafen
darf, und dies offensichtlich ohne jegliche Aufsicht geschehen kann!“229
Ausreichend für eine Verletzung des Anspruchs auf Achtung der Menschenwürde
ist, dass solch ein Bespitzelungsverfahren die aufgezeigten abstrakten Gefahren in
sich birgt. Denn in diesen Fällen wird es allgemein als auf ethisch niedrigster Stufe
stehende Behandlung eines Menschen eingeordnet.230 Eine konkrete Beeinträchti-
gung der Handlungsfreiheit ist nicht notwendig.
Sicher ist, dass die Behandlung des Menschen als Tier oder Sache entwürdigend ist.
Dies ergibt sich schon aus der herrschenden Objektformel.231 Ständige Observati-
on, heimliche oder offene, ist eine Behandlung, die Tieren widerfährt, die sich in
Gefangenschaft befinden oder Wildtieren, die von Naturfilmern ständig verfolgt und
aufgenommen werden. Dabei werden alle Lebensäußerungen der Tiere beobachtet,
aufgezeichnet und einem (breiten) Publikum vorgeführt. Im Falle von Forschungs-
projekten werden die Tiere sogar mit Peilsendern versehen, damit man sie später
weiterverfolgen kann. Daten über die Tiere werden erhoben und mit Computerpro-
grammen weiterverarbeitet, um Verhaltensprofile der Tiere zu erstellen.
Ähnlich verfahren Eltern mit Kleinkindern. Die Objektformel ist allerdings zu
erweitern, denn auch die Behandlung eines Erwachsenen als Säugling oder eines
psychisch gesunden Menschen als psychisch krank ist entwürdigend. In diesen Fäl-
len wird die tatsächlich vorhandene Vernunft, die Entscheidungsfreiheit, negiert und
menschliches Mitleid durch Herabsetzung und Voyeurismus ersetzt.232
229
heise online, 17.12.2011.
230
Vgl. AG Heidenheim NJW 1981, 1628.
231
Vgl. § 8, IV, 2, b).
232
Aber selbst psychisch Kranke oder unvernünftige Kinder dürfen nicht vom Staat in allen Le-
benslagen ohne zwingenden Grund überwacht werden. Auch sie haben Menschenwürde. Über die
„Idee“ oder den „absoluten Wert“ der Würde ist die Konzeption an grundlegender Stelle für weite-
re Erwägungen offen. Denn auch geistig stark behinderte Menschen und Säuglinge tragen die Idee
der Würde in sich und sollen daher, soweit dies möglich ist, so behandelt werden als ob sie einen
Funken Vernunft in sich hätten und dürfen jedenfalls nicht mit dem Ausdruck der Verachtung für
ihr „Sosein“ behandelt werden. Dies ergibt sich daraus, dass sie entweder Vernunft in sich entwi-
ckeln können oder wenigstens daraus, dass sie als Teil der ganzen Menschheit stellvertretend auch
an deren Würde teilhaben. Diese normative Zuschreibung lässt sich nicht durch andere Begriffe
umgehen. Der Begriff der rein rationalen Vernunft ist nach Erkenntnissen der Neurowissenschaf-
ten um „Ich-Bewusstsein“ oder „Empfindungsfähigkeit“ zu erweitern, vgl. Heun, Humangenetik
und Menschenwürde. Beginn und Absolutheit des Menschenwürdeschutzes, S. 209 f; Braun, Die
154 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Bereits in der Mikronzensus-Entscheidung geht das BVerfG davon aus, dass nicht
jede Beobachtung ein Eingriff in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist.
Das Gericht verneint zuerst einen Eingriff in den Kernbereich,233 stellt danach aber
fest, dass die Befragung in einen „Bereich privaten Lebens“ eingreife. In den könne
der Staat auch „ohne Verletzung der Menschenwürde und des Selbstbestimmungs-
rechts des Einzelnen eingreifen“.234 Dem ist zuzustimmen. Nicht jede Beobachtung
tastet die Menschenwürde an. Von der Art der schweren Missachtungen kann nicht
darauf geschlossen werden, dass jedes Minus zu solchen umfangreichen Maßnah-
men ebenfalls gegen den Anspruch auf Achtung der Menschenwürde verstößt.
Die Würde wird missachtet, wenn es entweder zu einer besonders langen Ob-
servation kommt oder die Überwachung punktuell ein Verhalten folgender Art um-
fasst: Der Einzelne hat sich – und das ist entscheidend – seines eigenen Schutzes
vor Ausforschung begeben und beichtet seine innersten privaten Gedanken und Ge-
fühle einer vertrauenswürdigen Person. Dies gilt erst recht, wenn sich der Einzelne
besten Gründe für eine kategorische Auffassug der Menschenwürde, S. 86 und zum Einfluss der
Neurowissenschaften auf den Begriff der Menschenwürde, Wetz, S. 174 ff. Dies ändert nichts dar-
an, dass es Fälle gibt, in denen auch diese Fähigkeiten fehlen und trotzdem von menschlicher
Würde ausgegangen werden muss. Sonst ist der allgemeine Wert der Würde gefährdet. Aus der
Würdetheorie Kants und den Grundlagen der Mitleidsethik ergibt sich noch nicht zweifelsfrei,
warum die Menschenwürde als „Idee“ oder „Wert“ kollektiviert und abstrahiert wird und nicht
wie die ihr nachfolgenden Grundrechte nur vor individuellen Beeinträchtigungen schützt. Dieser
Grund liegt in der über die individuelle Erniedrigung hinausgehende Gefahr für die Behandlung
aller anderen. Dieses „Dammbruchargument“ ist die notwendige realistische Ergänzung zu dem
logisch schlüssigen idealistischen Würdekonzept Kants, dass die Gleichsetzung von Idee und Rea-
lität axiomatisch voraussetzt. Vgl. zum Dammbruchargument bei Menschenwürde und Folter,
Weilert, S. 179; Taupitz, S. 3 warnt allerdings vor der Gefahr, dass das „Dammbruchargument“
in der Menschenwürdediskussion leicht als „Totschlagargument“ oder „rhetorisches Trumpf-As“
verwendet werden kann, vgl. zum „Dammbruchargument“ auch Hefendehl, JZ 2009, S. 165 ff.
Ohne diesen Ansatz ist ein Antasten der Menschenwürde durch eine individuell folgenlose Maß-
nahme aber nicht möglich; sonst könnten nur körperliche Erniedrigungen die Menschenwürde
missachten. Bereits das verbale Absprechen der Menschenwürde kann eine Missachtung im Sinne
des Art. 1 Abs. 1 GG sein, vgl. zum Beispiel das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der
deutschen Ehre (RGBl. I S. 1146) – das sogenannte Blutschutzgesetz – sowie das Reichsbürgerge-
setz (RGBl. I S. 1146) von 1935. Der drohende Schaden ist, dass ein Mensch nicht nur punktuell,
sondern ganzheitlich als „Sache“ oder „Tier“ und nicht als Mensch behandelt wird, dass ihm Leib,
Leben und Freiheit so genommen werden, dass er seinen autonomen Lebensentwurf nicht mehr
ausleben kann. Wenn das verächtliche, erniedrigende Verhalten des Täters, dermaßen widerlich
ist, dass die Behandlung des Opfers den Aussagewert hat, „Du bist für mich kein Mensch mehr!“,
dann erst ist die Würde missachtet.
233
BVerfGE 27, 1, 7.
234
BVerfGE 27, 1, 8.
IV. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Art. 1 Abs. 1 GG 155
der Selbstreflexion hingibt und diese zum Beispiel in einem Tagebuch äußert. Damit
liefert er sich quasi schutzlos einem Missbrauch der von ihm geäußerten Gedanken
aus. Diesen Moment der Schwäche und Verwundbarkeit darf der Staat nicht zur
Beobachtung des Betroffenen ausnutzen. Zu beachten ist allerdings die Einschrän-
kung, dass Details konkreter Straftaten nicht zu den innersten privaten Gedanken
gehören. Ob und unter welchen Umständen solche Informationen erhoben und ver-
wertet werden dürfen, ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in das
Grundrecht auf Einschüchterung.
Die oben dargestellte Ansicht des BVerfG, dass mit der Dauer der Observation die
Wahrscheinlichkeit der Kernbereichsbetroffenheit zunimmt und außerdem Persön-
lichkeitsprofile angefertigt werden,235 muss weiter ausgearbeitet werden. Gemeint
ist mit „Rundumüberwachung“, dass durch eine Masse an Daten über Gespräche
und Bewegungen die letzten Lücken im Persönlichkeitsbild leicht ergänzt werden
können. So kann aus den wiederkehrenden Verhaltensmustern eines Menschen ein
detailreiches Bild seines Charakters entworfen werden. Letzte Lücken in der Über-
wachung lassen sich durch die Vielzahl an anderen Daten schließen, weil sich
daraus mit großer Wahrscheinlichkeit das weitere Verhalten des Betroffenen vor-
hersagen lässt. Für die „Rund-um-Überwachung“ durch Bild- und Tonaufnahmen
ist dies ab einer gewissen Dauer evident.
Diese Konsequenz ist allerdings für das Problem der Anfertigung von sog. Be-
wegungsprofilen einzuschränken: Ob in den Kernbereich der privaten Lebensge-
staltung allein dadurch eingegriffen werden kann, dass die Bewegungen des Betrof-
fenen über lange Zeit anhand von GPS-Überwachung oder Daten aus einer heimli-
chen Überwachung der Telekommunikationsverkehrsdaten aufgezeichnet werden,
ist nicht so einfach zu beurteilen wie die Kernbereichsrelevanz einer Überwachung
in Wort und Bild. Nicht jedes Bewegungsprofil lässt auf die Persönlichkeit schlie-
ßen.
Beispiel 20 Wird das Auto eines Betroffenen, das nur selten benutzt wird, mittels
GPS-Senders überwacht, ist daraus kein Persönlichkeitsprofil zu erschließen. Auch
reine Bewegungsprofile können aber im Falle eines über längere Zeit fest an die
Person gebundenen Senders etwa in den Schuhen oder im Hörgerät der Person einen
Eingriff in den Kernbereich der Persönlichkeit bedeuten.
Weitaus häufiger wird dies aber bei der Kombination236 unterschiedlicher Ob-
servationsmittel vorkommen.237
235
Siehe oben § 8, IV, 2, a), bb).
236
Vgl. dazu die Ausführungen unten, § 35.
237
Zum Problemkomplex Menschenwürde und Bewegungsprofile eingehend Roggan, Grenzenlo-
se Ortung im Strafverfahren?, S. 153 ff.
156 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
In der obigen Darstellung wurde vorausgesetzt, dass eine Verletzung des Anspruchs
auf Achtung der Menschenwürde durch verdeckte strafprozessuale Beobachtungen
in keinem Fall gerechtfertigt werden kann. Wenn ein Eingriff nicht zu rechtferti-
gen ist, dann ist jeder Eingriff in den Anspruch auf Achtung der Menschenwürde
unzulässig und entsprechende verdeckte strafprozessuale Ermittlungen sind unter-
sagt. Regelungen, die sie erlauben, sind verfassungswidrig. Über diese Unantastbar-
keit der Menschenwürde besteht trotz des eindeutigen Wortlauts des Grundgesetzes
Streit.
Bestünde entgegen dem Wortlaut in besonderen Ausnahmefällen grundsätzlich
die Möglichkeit, Eingriffe zu rechtfertigen, so könnten auch besonders starke Inter-
essen der Strafverfolgung in diesem Sinne rechtfertigend wirken.
a) Ansicht der h. M.
Wenn der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nach der oben stehenden An-
sicht des BVerfG238 berührt ist, darf nach Auffassung der h. M. keine Abwägung
mehr stattfinden.239
238
Vgl. oben § 8, IV, 2, a), cc).
239
BVerfGE 34, 238, 245.
240
Herdegen in: Maunz/Dürig, GG57 , Rdn. 43 ff.; Dederer, JöR 2009, S. 117 ff.
241
Herdegen in: Maunz/Dürig, GG57 , Art. 1 Abs. 1 Rdn. 43 ff.
242
Herdegen in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 45.
IV. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Art. 1 Abs. 1 GG 157
habe, der Betroffene tatverdächtig sei und die anderen Ermittlungsinstrumente er-
schöpft seien.243
c) Eigene Ansicht
Dogmatisch kann unstrittig nicht überzeugen, dass ein Recht nicht berührt wird,
nur weil die durch dieses Recht geschützten Interessen durch entgegenstehende
Interessen überwogen werden. Die vorhergehend genannten einschränkenden An-
sichten bergen die Gefahr, Definitionsbildung und Abwägung zu vermischen. Die
soeben vorgestellte Interpretation Makrutzkis ist insofern problematisch.244 Richtig
ist zwar, dass bei der Bildung des Menschenwürdebegriffs nicht nur die Interessen
des Betroffenen Berücksichtigung finden, was dazu führt, dass die Objektformel in
ihrer strengen Form nicht durchgehalten werden kann. Der Einzelne darf unter Um-
ständen auch punktuell gegen seine Interessen als Mittel zu einem anderen Zweck
behandelt werden. Wenn aus dem Ansatz Makrutzkis aber folgen sollte, dass in
jedem Einzelfall eine reine Verhältnismäßigkeitsabwägung vorgenommen werden
muss um die Menschenwürde neu zu bestimmen, ist dem nicht beizupflichten. Die
genannte Ansicht setzt voraus, dass prinzipiell ein stärkeres allgemeines Interes-
se jedes Interesse des Betroffenen überwiegen könne. Im Umkehrschluss müsste
danach auch jede unverhältnismäßige Maßnahme eine Missachtung der Menschen-
würde sein. Das ist aber nicht richtig:
243
Vgl. auch Makrutzki, S. 65 ff.; 103, der speziell verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnah-
men von V-Personen behandelt. Diese Ansicht müsste konsequent für alle anderen Maßnahmen der
verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gelten.
244
Makrutzki, S. 65 ff.; 103.
158 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
245
Das führt auf der anderen Seite zu einem engen Verständnis des Schutzbereichs der Men-
schenwürde: Das Töten eines Menschen muss nicht gegen seine Menschenwürde verstoßen und
ist jedenfalls nicht wegen des Achtungsanspruchs aus Art. 1 Abs. 1 GG in jedem Falle verbo-
ten, obwohl eine stärkere Missachtung des Menschen als seine Vernichtung nicht möglich ist.
Die Trennung von Lebensschutz und Menschenwürde ergibt sich schon aus der Systematik des
Grundgesetzes, das diese Rechte in Art. 1 und Art. 2 GG trennt. Auch in der Philosophie wird
das „Dasein“ vom „Sosein“ getrennt, vgl. Heidegger, S. 42. Die sachliche Basis der normativ-
dogmatischen Funktion der Menschenwürde findet nach Enders, S. 129, ihre tatbestandliche
Grundlage in der Unterscheidung von innerem „Sein“ und äußerer Entfaltung der Persönlichkeit.
246
Dagegen hält Dreier in: Dreier, GG2 , Art. 1 Abs. 1 Rdn. 49 die Menschenwürde insoweit für
ein untaugliches Instrument.
IV. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Art. 1 Abs. 1 GG 159
gung hat bereits bei Bildung der Definition stattgefunden247 und darf nicht in jedem
Einzelfall wieder in Frage gestellt werden. Dogmatisch müsste sonst die Menschen-
würde als letzter unantastbarer Wert aufgegeben werden. Diese Relativierung der
Menschenwürde ginge über die notwendige Bildung neuer Fallgruppen hinaus. Es
gibt aber keinen Grund, bei bereits dem Verfassungsgeber bekannten Fallgruppen
eine neue Abwägungsentscheidung zu treffen. Der Verfassungsgeber war sich viel-
mehr darüber im Klaren, dass insbesondere die Nazis mit ihren Gräueltaten die
Menschenwürde missachteten.248 Die auf der Unantastbarkeit der Menschenwürde
beharrende h. M. wird daher dem ursprünglichen Sinn, den der Verfassungsgeber
mit Art. 1 Abs. 1 GG verbunden wissen wollte, eher gerecht als die Gegenposition,
die Eingriffe unter bestimmten Umständen zulassen will. Herdegen unterscheidet
bei der Begriffsbildung der Menschenwürde zwischen den unstrittigen Fallgruppen
(Kernbedeutung) und strittigen Fallkonstellationen (Randbereich). Für diese stritti-
gen Fallgruppen sei der entwürdigende Charakter nicht festgelegt und ergebe sich
erst aus einer Abwägung. Dem ist für relativ neue Gefahren zuzustimmen, bei denen
sich gerade noch kein Wertekonsens gebildet hat. Die verdeckten strafprozessualen
Ermittlungsmaßnahmen sind solch ein Fall.
Ergebnis dieses abwägenden Diskurses ist, dass dem Einzelnen ein letzter Be-
reich verbleiben muss, in dem er frei von absichtlicher Beobachtung durch den Staat
bleiben muss, auch wenn die entgegenstehenden Interessen von vitaler Wichtigkeit
für die Gemeinschaft sind. Aus der Sicht der Strafverfolgungsinteressen ist hinzu-
nehmen, dass Informationen, die mittelbar auf konkrete Straftaten schließen lassen,
nicht final überwacht und verwertet werden dürfen. Nur finale Eingriffe in den
Kernbereich der privaten Lebensgestaltung sind Missachtungen der Menschenwür-
de und absolut unzulässig.249 Denn der unbeabsichtigte Einblick in den Kernbereich
trägt nicht den schweren sittlichen Makel der Würdeverletzung. Er wird vielmehr
247
Dass in der Sache bei der Bildung des Menschenwürdebegriffs nicht nur Interessen des Be-
troffenen, sondern auch gegenläufige Interessen berücksichtigt werden, zeigt Alexy u. a. an dem
Beispiel des Abhörurteils des BVerfG (BVerfGE 30, 1). Zwar findet keine Abwägung der Men-
schenwürde gegen Sicherheitsinteressen statt, aber der Begriff der Menschenwürde bzw. der
Menschenwürdeverletzung wird eng ausgelegt, so dass das Abhören von Gesprächen nicht unbe-
dingt dazu gehört. Alexy unterscheidet zwischen Menschenwürdeprinzip, das auch gegen andere
Prinzipien abgewogen werden darf und dem Ergebnis dieser Abwägung, der Menschenwürderegel,
die nicht mehr der Abwägung offen stehe, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 96 f. Vgl. dazu
auch den Streit um die Abwägbarkeit der Menschenwürde unter § 8, IV, 3, b). Aus einem ähnli-
chen Ansatz leitet Brugger, JZ 2000, S. 165 f., ab, dass die Folter von Terroristen unter bestimmten
Umständen (sog. Rettungsfolter zur Gefahrenabwehr) nicht gegen die Menschenwürde verstoße.
Die Menschenwürde ist dann trotz Einsatz eines grundsätzlich verwerflichen Mittels nicht berührt,
wenn bestimmte Gründe vorliegen. Dass die „Rettungsfolter“ nach h. M. gegen den Anspruch auf
Achtung der Menschenwürde verstößt, ist nicht von dogmatischen Gesichtspunkten, sondern von
subjektiven ethischen Überzeugungen abhängig.
248
Vgl. Dreier in: Dreier, GG2 , Art. 1 Abs. 1 Rdn. 22 m. w. N.
249
So nachdrücklich auch Herdegen in: Maunz/Dürig, GG57 , Rdn. 44, der die Zweckrichtung
einmal als Abwägungstopos bei der Begriffsbildung nutzen will und ein anderes Mal als Ver-
letzungsgrund an sich einordnet. Vgl. auch Herdegen, JZ 2001, S. 775; Dreier in: Dreier, GG2 ,
Art. 1 Abs. 1 Rdn. 90. Nach der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht gilt für den Einblick in
den Kernbereich Letzteres: Die Absicht oder das sichere Wissen in den Kernbereich einzudrin-
160 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
auch von dem Betroffenen als Versehen und nicht als Missachtung seines Wertes
als Mensch angesehen werden.
Ähnlich wie in diesen Beispiel ist auch bei einer heimlichen Beobachtung nur
dann von einer Missachtung der Menschenwürde auszugehen, wenn die Ermitt-
lungsbehörden absichtlich Einblick in den Kernbereich nehmen.
In diesem Fall ist eine Missachtung der Menschenwürde gegeben, da die Er-
mittlungsbehörden als Organe des Staates absichtlich oder zumindest wissentlich
(final) Einblick in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nehmen. Ob die-
ses verfassungswidrige Verhalten mit § 100a Abs. 4 StPO zu vereinbaren ist, bleibt
späteren Erörterungen vorbehalten.250 Ebenfalls offen bleibt vorerst die Frage des
Missbrauchsschutzes.251
d) Konsequenzen
Der Anspruch auf Achtung der Menschenwürde wird normativ definiert. Daher
kann durchaus bereits in den Begriffsinhalt einbezogen werden, dass die Motive
entscheidend sind, aus denen die staatlichen Behörden verdeckte Ermittlungsmaß-
nahmen durchführen. Der Begriff „Verletzungen der Menschenwürde“ teilt daher
nicht die Voraussetzungen des modernen Eingriffsbegriffs.
Beispiel 24 So wird der Anspruch auf Achtung der Menschenwürde nicht verletzt,
wenn ein Polizeibeamter auf einen Angreifer schießt, um diesen kampfunfähig zu
machen. Das gilt selbst dann, wenn er dabei die absehbare Folge einer zu qualvol-
lem Siechtum führenden Verletzung des Angreifers in Kauf nimmt. Er will dabei
gen, begründet unabhängig von weiteren noch so lauteren Absichten allein die Missachtung der
Menschenwürde.
250
Vgl. unten § 23, I, 2.
251
Vgl. dazu unten § 15, IV, 4.
IV. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Art. 1 Abs. 1 GG 161
die schwere Folge möglichst vermeiden. Würde der Beamte den Angreifer aber mit
Absicht in diesen Zustand versetzen, um ihn zu erniedrigen und zu quälen, wäre das
eine Verletzung des Anspruchs auf Achtung der Menschenwürde.
Die Finalität ist also insoweit das entscheidende Kriterium. Auch ist eine Über-
wachung sehr intimer menschlicher Verhaltensweisen zur Strafverfolgung gestattet,
wenn nicht schon sicher abzusehen ist, dass es sich um kernbereichsrelevantes
Verhalten handelt und die Behörden alles tun, um ein solches Verhalten nicht wahr-
zunehmen und gegebenenfalls dennoch gewonnene Erkenntnisse löschen.
Der Anspruch auf Achtung der Würde wird daher auch nicht schon deshalb ver-
letzt, weil der Staat in die Privatsphäre des Einzelnen eindringt oder ihm Leid252
antut. Der Anspruch auf Achtung der Menschenwürde ist nur verletzt, wenn dar-
in die Verachtung des Einzelnen in seinem menschlichen „Sosein“ zum Ausdruck
kommt.
Art. 1 Abs. 1 GG betrifft nicht nur den Einzelnen und dessen individuellen An-
spruch auf Achtung seiner Würde. Sondern es geht auch um die Würde des Staates
als Organ des Volkes und die Menschenwürde als „Wert an sich“, um der abstrak-
ten Gefahr des Rückfalls der Gesellschaft in die Barbarei vorzubeugen. Stehen die
staatlichen Behörden vor der Entscheidung, die persönliche Würde zu missachten,
um andere wichtige Interessen zu schützen, verlangt dies somit von den Behörden
„heroische Zurückhaltung“, weil selbst der Bestand des Staates und das Leben und
die Würde der übrigen Bürger es nicht wert sind, die Menschenwürde auch nur ei-
nes Einzelnen zu verletzen. Dahinter steht die Einstellung: Wir gehen lieber in Ehre
(Würde) unter, als Menschen wie Tiere zu behandeln und so selbst einander zu Tie-
ren zu werden.253 Mit der Achtung der Menschenwürde ist daher auch eine Absage
an eine reine Nützlichkeitsethik verbunden.
252
So ist etwa die Auslieferung eines Bürgers an Terroristen, die diesen foltern und töten wollen,
nicht gestattet, auch wenn diese damit drohen, ein Atomkraftwerk zu sprengen. Vgl. auch zur Ver-
fassungswidrigkeit des Luftsicherheitsgesetzes BVerfGE 115, 118, 159: „Unter der Geltung des
Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (Menschenwürdegarantie) ist es schlechterdings unvorstellbar, auf
der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen, die sich in einer derart
hilflosen Lage befinden, vorsätzlich zu töten.“
253
Vgl. Hobbes, Vom Menschen, Vom Bürger, S. 69, der den Rückfall in den Naturzustand mit
dem Vergleich, „der Mensch wird des Menschen Wolf“, beschreibt. Gerade diesen Naturzustand
möchte Hobbes um jeden Preis vermeiden. Jenseits des Staates, den er mit menschlicher Zivi-
lisation gleichsetzt, droht der Mensch nur als Tier zu agieren. Die Menschenwürde des jeweils
anderen wird nicht mehr geachtet, da er nur als Objekt der Bedürfnisbefriedigung oder zu meiden-
der bzw. bekriegender Ressourcenkonkurrent gesehen wird. Der Ausspruch „homo homini lupus“
ist ursprünglich ein Zitat des Römischen Komödiendichters Plautus.
162 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
bensgestaltung das ist, was objektiv als intim, privat oder vertraulich angesehen
wird und was erkennbar nach dem zumindest schlüssig ausgedrückten subjektiven
Dafürhalten zusätzlich vertraulich bleiben soll, ohne die öffentliche Sphäre zu be-
rühren. Was aber außerhalb von Vertrauensverhältnissen geäußert wird, gehört nicht
zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.
Zum geschützten Kernbereich können bestimmte Verhaltensweisen gehören, wie
beispielsweise die Beichte über persönliche Schuld vor einem Geistlichen. Dies
trifft aber auch auf in ihrer Einzelheit unerhebliche Verhaltensweisen zu, die in
ihrer Zusammenschau ein „Bewegungsprofil“ und daher ein Persönlichkeitsprofil
liefern, womit die Lebenswelt des Betroffenen „durchleuchtet“ werden kann.
Zufällige Beobachtungen kernbereichsrelevanten Verhaltens sind keine Verlet-
zung des Achtungsanspruchs der Menschenwürde. Der Staat darf aber unter kei-
nen Umständen zielgerichtet Verhaltensweisen aus dem Kernbereich beobachten.
„Fahrlässige“ und „bedingt vorsätzliche“ Beobachtungen sind durch ein Schutzkon-
zept zur Risikominimierung möglichst zu vermeiden. So kann etwa ein Gespräch
unerwartet sehr private Wendungen nehmen, das im Rahmen einer Telekommuni-
kationsüberwachung nach § 100a StPO oder einer akustischen Überwachung des
Betroffenen in einem Park gemäß § 100f StPO aufgezeichnet wird. Wie dieses
Schutzkonzept gestaltet werden muss, ist eine Frage der konkreten Regelungen in
der StPO und wird an anderer Stelle dieser Arbeit erörtert.254
Neben dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist auch dann eine Miss-
achtung der Menschenwürde gegeben, wenn der Betroffene mit Zwang oder
Täuschung seitens der Ermittlungsbehörden dazu zu bewegt wird, sich selbst zu
belasten („Nemo-tenetur-Prinzip“).255 Das Verbot der Pflicht bzw. des Zwangs zur
Selbstbelastung wird durch verdeckte Ermittlungsmaßnahmen umgangen. Auch
Täuschungen und Gewaltanwendungen sind nicht notwendig, wenn man die Äu-
ßerungen des Betroffenen heimlich ausspähen kann. Insbesondere hinsichtlich sog.
„Hörfallen“256 wird das Nemo-tenetur-Prinzip diskutiert.
Das BVerfG geht ebenso wie die h. L. davon aus, das das Nemo-tenetur-Prinzip in
der Verfassung verankert ist. Das BVerfG hat im sog. Gemeinschuldnerbeschluss
ausführlich dargelegt, dass der Zwang sich selbst zu belasten sowohl gegen das
254
Siehe unten § 15.
255
Eisenberg, JR 2011, S. 407.
256
Vgl. dazu unten § 34, III.
V. Das Nemo-tenetur-Prinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG 163
hier abgelehnte allgemeine Persönlichkeitsrecht als auch gegen das Grundrecht auf
allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 verstößt und außerdem die Men-
schenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) des Betroffen missachtet.257 Ein gegenüber den
bisherigen Ausführungen „neues Grundrecht“ ergibt sich danach also nicht.
Das BVerfG hat aber keinen kategorischen Verstoß heimlicher ÜQberwachungs-
aufnahmen gegen das verfassungsrechtliche Nemo-tenetur-Prinzip angenommen.
Das Nemo-tenetur-Prinzip wird zum Beispiel in der Tonband-Entscheidung258 nur
am Rande mit der Erwähnung des § 136 StPO gestreift. Für das BVerfG ist es
offenbar keine maßgebliche verfassungsrechtliche Kategorie für verdeckte Ermitt-
lungsmaßnahmen:
„Den bei einer solchen Abwägung schutzwürdigen Belangen des Beschuldigten trägt die
Strafprozeßordnung unter anderem dadurch Rechnung, daß sie ihn nicht zwingt, gegen sich
selbst auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO). Schutzwürdig ist aber der Beschuldigte
auch, wenn eine ohne sein Wissen auf Tonband festgehaltene Äußerung im Strafverfahren
gegen ihn verwendet werden soll. Damit ist allerdings noch nicht ausgeschlossen, daß in
Fällen, wo überwiegende Interessen der Allgemeinheit dies zwingend gebieten, auch das
schutzwürdige Interesse des Beschuldigten an der Nichtverwertung einer heimlichen Ton-
bandaufnahme zurücktreten muß.“259
Der große Senat des BGH hat entschieden, dass die Freiheit von Zwang den Gegen-
stand des Nemo-tenetur-Prinzips ausmacht. In der Literatur wird ebenfalls mehr-
heitlich vertreten, dass nur Zwang oder List, die im Gegensatz zu verdeckten Ermit-
tungsmaßnahmen eine aktive Selbstbelastung des Betroffenen bewirken, gegen das
Nemo-tenetur-Prinzip verstoßen.260 Ellenbogen schließt aus diesem Grundansatz,
dass Nemo-tenetur-Prinzip könne nicht rein zwangsbezogen sein, da sonst verdeck-
te Ermittlungen generell unzulässig seien.261
Eine abweichende Ansicht sieht die Entscheidungsfreiheit des Beschuldigten,
in einem Strafverfahren gegen ihn mitzuwirken, in einem umfassenden Sinn ge-
schützt.262 Der 3. Senat des BGH nimmt einen Verstoß gegen das Nemo-tenetur-
Prinzip an, wenn ein Verdeckter Ermittler einen Beschuldigten unter psychischen
257
BVerfGE 56, 37, 43.
258
BVerfGE 34, 238.
259
BVerfGE 34, 238, 249, in dieser Entscheidung ging es allerdings um eine Aufnahme, die auf
eigene Initiative eines nicht betroffenen Privatmanns gefertigt wurde.
260
Jäger, Beweisverfahren und Beweisverwertungsverbote im Strafprozess, S. 164 f.; Krey, Son-
derband der BKA Forschungsreihe 1993, Rdn. 169; Meyer-Goßner, StPO50 , Einl. Rdn. 29a; Rogall
in: SK-StPO, Vor § 133 Rdn. 139 f.; Hellmann, Rdn. 444; vgl. auch die Darstellung bei Verrel,
NStZ 1997, S. 361, 415.
261
Ellenbogen, Kriminalstatistik 2006, S. 547.
262
Engländer, ZIS (www.zis-oline.com); Kühne, Rdn. 904 f.; Eidam, S. 82 ff.; Eisenberg, Beweis-
recht der StPO: Spezialkommentar, Rdn. 571a; Roxin, NStZ 1997, S. 19; Weßlau, ZStW, Bd. 110,
164 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Druck setzt und so zu einer selbstbelastenden Aussage bringt. Entscheidend ist da-
nach, ob die Befragung vernehmungsähnlich ist.263 Engländer generalisiert dies
über den Fall hinaus, dass sich der Beschuldigte den Behörden gegenüber bereits
auf sein Schweigerecht berufen hat.264 Es gehe um die kommunikative Autono-
mie. Diese sei durch das Nemo-tenetur-Prinzip geschützt und das sei auf Verfas-
sungsebene angesiedelt.265 Welche Bedeutung die verschiedenen verfassungsrecht-
lichen Vorgaben bei der Konkretisierung des Nemo-tenetur-Prinzips haben, bleibt
bei alledem undeutlich.266 Die Positionen zum Nemo-tenetur-Prinzip sind „diver-
gierend“.267
In der Literatur wird versucht, das Verbot einer Selbstbelastungspflicht vor staatli-
chen Behörden bzw. in vernehmungsgleichen Situationen, in das Verbot einer unbe-
wussten Selbstbelastung im Rahmen verdeckter Ermittlungen umzudeuten. Dies ist
nicht ohne weiteres möglich. Es sei denn, man ist bereit, die Konsequenz zu ziehen
und auf verdeckte Ermittlungsmaßnahmen ganz zu verzichten.
Die Antwort kann nicht allein aus „rechtsstaatlichem Vorverständnis“ entnom-
men werden. Sie muss von Art. 1 Abs. 1 GG und den nachfolgenden Grundrechten
ausgehend im Verbund mit allen in Betracht kommenden allgemeinen Grundsätzen
aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet werden. Danach ist entscheidend, ob die
entsprechenden Regelungen der StPO das Grundrecht auf Freiheit von Einschüch-
terung aus Art. 2 Abs. 1 GG in bestimmter und verhältnismäßiger Weise beschrän-
ken, ohne den Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung zu verletzen. Auch
das Nemo-tenetur-Prinzip ist eine Ausprägung des Art. 1 Abs. 1 GG (i. V. m. dem
Rechtsstaatsprinzip). Nach hier vertretener Ansicht ist das Nemo-tenetur-Prinzip
als Verfahrensgrundsatz aber bereits begrifflich überfordert, die Erkenntnisse zur
grundrechtsbeeinträchtigenden Dimension der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen
aufzunehmen, da die in diesem Prinzip implizierte Freiheit von Handlungszwang –
„niemand muss sich belasten“ – nicht durch die verdeckten Maßnahmen beein-
trächtigt wird. Das Nemo-tenetur-Prinzip ist auf Maßnahmen beschränkt, die durch
ihren Einfluss eine aktive Selbstbelastung bewirken.268 Gleiches muss für ein Täu-
schungsverbot gelten.
S. 1; Renzikowski, JZ, Bd. 52, 1997, S. 710, 714 sieht es als Bestandteil des Recht auf informatio-
nelle Selbstbestimmung.
263
BGHSt 52, 11.
264
Engländer, ZIS (www.zis-oline.com), S. 166; so ähnlich schon Esser, JR 2004, S. 106.
265
Engländer, ZIS (www.zis-online.com), S. 166.
266
Als einer der wenigen setzt sich Bosch, S. 27 ff. mit den verfassungrechtlichen Grundlagen
auseinander. Vgl. auch Rogall in: Wolter, SKStPO, Vor § 133 Rdn. 132.
267
Engländer, ZIS (www.zis-oline.com), S. 166; Weßlau, ZStW Bd. 110, S. 10.
268
Vgl. zu den eigenen Ansätzen unten § 30 und § 34 und zum grundsätzlichen Unterschied zwi-
schen verdeckten Maßnahmen und Zwang zur Selbstbelastung.
V. Das Nemo-tenetur-Prinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG 165
269
Vgl. aber die später zu behandelnde besondere Problematik des Verdeckten Ermittlers § 30.
270
So schon Fischer, S. 95 ff.; Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Rdn. 51; Möller, JZ
2005, S. 317.
271
Überwachungsprotokolle oder -aufnahmen werden sogar als Sachbeweis bezeichnet, vgl. (Stel-
lungnahme der Bayerischen Staatsregierung)Vormbaum, S. 47.
272
Vgl. unten § 30, I, 3 und ausführlich an diese Ausführungen anknüpfend § 34, III, 2.
166 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
wenn ein Privatmann, der nicht unmittelbar dem Gemeinwohl verpflichtet ist, ein
Versprechen abgibt. Indem der Staat einen Verdeckten Ermittler einsetzt, täuscht er
nicht aktiv, da er dieses Vertrauen gar nicht in Anspruch nimmt. Der Einsatz eines
Verdeckten Ermittlers hat nicht den Erklärungswert: „Ich, der Staat, verspreche dir,
Bürger, dies hier ist eine Zivilperson.“ Dieses Faktum wird gerade verschleiert. Für
eine Täuschung mit Autorität durch den verdeckten Beamten bzw. die V-Person
bleibt daher grundsätzlich kein Raum. Nur wenn der Verdeckte Ermittler solche
psychische Macht über den Betroffenen erlangt, dass sie einem staatlichen Einfluss
gleichkommt, ist eine Verletzung des Nemo-tenetur-Grundsatzes möglich.
Wenn ein verdeckter Ermittler in einer Wohnung aktiv am Leben des Betroffenen
teilnimmt, kann damit nach hier vertretener Ansicht unter besonderen Ausnah-
meumständen ein Eingriff erfolgen, der den Betroffenen noch stärker belastet als
eine akustische Wohnraumüberwachung:
Beispiel 25 X ist ein Verdeckter Ermittler und beginnt mit der Verdächtigen Y ein
Liebesverhältnis. Er erfährt so Details aus dem Kernbereich ihrer privaten Lebens-
gestaltung. Zudem sorgt der attraktive X dafür, dass Y ihm geradezu hörig wird.
Als Y bereits psychisch von X abhängig geworden ist, droht er ihr, sie zu verlassen,
wenn Sie kein Geständnis hinsichtlich der verfolgten Tat ablegt.
Neben den erörterten Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG ist Art. 10 GG für die
verdeckten Ermittlungsmaßnahmen von entscheidender Bedeutung. Diese Bestim-
mung ist ein Beleg dafür, dass der Verfassungsgeber heimliche Beobachtungen als
Grundrechtseingriffe sieht, weil das Geheimnis der Fernkommunikation ausdrück-
lich als geschütztes Grundrecht genannt wird. Im Gegensatz zu Art. 2 Abs. 1 GG
muss für einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 GG daher keine Beeinträch-
tigung der Handlungsfreiheit erfolgen. In den Schrankenregelungen unterscheiden
sich Art. 10 und Art. 2 Abs. 1 GG allerdings nicht. Die wichtigen Vorschriften
der Postbeschlagnahme (§§ 94, 99 StPO), der Telekommunikationsüberwachung
(§ 100a StPO) und der zugehörigen Erhebung von Verkehrsdaten (§ 100g StPO)
sowie die Regelung des „IMSI-Catchers“ (§ 100i StPO) und eventuell auch andere
Regelungen (§§ 100f, 100h und 163f StPO) greifen in dieses Grundrecht ein, was
im weiteren Verlauf der Arbeit noch zu untersuchen sein wird.273
Nach der h. M. ergibt sich heute aus Art. 10 GG ein „einheitliches Grundrecht“,
das die „Vertraulichkeit individueller Kommunikation schützt, die wegen ihrer
räumlichen Distanz, auf Übermittlung durch Dritte angewiesen ist.“274 Dennoch
sind die in Art. 10 Abs. 1 GG genannten Gewährleistungen nach subjektiv-
historischer Auslegung einzeln zu behandeln, soweit sie Besonderheiten aufweisen.
273
Vgl. unten Fünfter Teil.
274
Thomas Böckenförde, S. 400; vgl. auch Jarass/Pieroth, Art. 10 Rdn. 6.
VI. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gemäß Art. 10 GG 167
Geschützt ist gemäß Art. 10 Abs. 1 GG mit allen drei Gewährleistungen das Ge-
heimnis der Fernkommunikation. Dieser spezielle Geheimnisschutz schützt nicht
vor jeder zurechenbaren Einflussnahme, sondern den Inhalt der vertraulichen Fern-
kommunikation vor Kenntnisnahme durch den Staat.276
a) Briefgeheimnis
Das Briefgeheimnis schützt jede Sendung, mit der erkennbar eine individuel-
le schriftliche Mitteilung transportiert wird, vor inhaltlicher Kenntnisnahme durch
den Staat. Darunter fallen auch Telegramme, Pakete und Päckchen, denn es soll aus-
reichen, dass die Sendung individuelle schriftliche Mitteilungen enthalten kann.277
b) Postgeheimnis
275
Pieroth/Schlink, Rdn. 826 f.
276
Zum Schutzbereich im Detail, vgl. Pieroth/Schlink, Rdn. 826 ff.
277
Pieroth/Schlink, Rdn. 829 f.
278
Pieroth/Schlink, Rdn. 835.
279
Vgl. 3. unter § 2, I.
280
BVerfGE 67, 157, 172.
281
Vgl. Badura in: Dolzer/u. a., Art. 10 Rdn. 31. Anders die h. M. Hermes in: Dreier, GG2 ,
Art. 10 Rdn. 28; Pieroth/Schlink, Rdn. 836 m. w. N., die aber über das Argument, „private Be-
förderer gehören nicht zum Staat“ kaum hinaus kommt. Für eine Wirkung auch zu Lasten der
privaten Dienstleister spricht die Herkunft des Postgeheimnisses, das in der Verfassungsgeschich-
te ursprünglich als gesondertes Recht gegen den privaten Postdienstleister vom gegen den Staat
gerichteten Briefgeheimnis getrennt war, vgl. oben. Durch die Privatisierung der Staatspost wird
also gleichsam die historische Funktionsverteilung wiederhergestellt, die der originären Bedeu-
tung des Postgeheimnisses in der Verfassungstradition entspricht.
168 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
c) Fernmeldegeheimnis (Telekommunikationsgeheimnis)
Die Kommunikation ist jedenfalls dann vom Schutzbereich umfasst, wenn sich die
entsprechenden Signale auf dem Übertragungsweg befinden. Dieser Weg, seien
es Leitungen, Funkfrequenzen oder Satellitensignale, gehört in der Regel Dritten
und ist dem Einfluss des Einzelnen entzogen. Daher wird der Schutz dieses Be-
reichs durch Art. 10 Abs. 1 GG besonders hervorgehoben. Dies kann als gesicherter
Grundbestand des Art. 10 GG gelten. Im Einzelnen bestehen aber verschiedene
Abgrenzungsprobleme zu anderen Grundrechten, insbesondere zum Recht auf all-
gemeine Handlungsfreiheit.
Das BVerfG grenzt den oben umrissenen inhaltlichen Schutzbereich des Telekom-
munikationsgeheimnisses grundsätzlich formal danach ab, ob ein laufender Kom-
munikationsvorgang stattfindet.284
282
Nicht nur die Organisation erfolgt privatrechtlich, sondern auch die Anteilsmehrheit der Unter-
nehmen liegt inzwischen bei Privaten. Zur Bedeutung für die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen,
vgl. unten § 8, VI, 3, b).
283
BVerfGE 106, 28, 37.
284
BVerfGE 115, 166.
VI. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gemäß Art. 10 GG 169
bb) Verkehrsdaten
Dies gilt auch, wenn sie von der eigentlichen Kommunikation getrennt und bereits
abgesondert gespeichert sind. Zu den Verkehrsdaten gehören nach § 3 Nr. 30 TKG:
der in Anspruch genommene Telekommunikationsdienst
die Nummer oder die Kennung der beteiligten Anschlüsse (Anrufer und Ange-
rufener)
personenbezogene Berechtigungskennungen
die Kartennummer (bei Verwendung von Kundenkarten)
eventuelle Standortdaten (bei Mobiltelefonen)
Beginn und das Ende der jeweiligen Verbindung (Datum und Uhrzeit)
die übermittelten Datenmengen
Die Telekommunikationsverkehrsdaten verlieren den Schutz durch Art. 10 GG
nicht dadurch, dass bereits eine staatliche Stelle von ihnen Kenntnis erlangt hat.
Das Grundrecht fordert eine klare Zweckbindung. Auch die Weitergabe der Da-
ten und Informationen an weitere Stellen ist daher ein Eingriff.287 § 100g StPO
lässt die Erhebung aller Verkehrsdaten unter Bestimmten Voraussetzungen zu. Ein
großer Teil der Regelungsmaterie des (nur im Bezug auf Vorratsdaten teilnichtigen)
§ 100g StPO fällt also trotz digitaler Informationstechnik unter Art. 10 GG. Denn
die meisten Verkehrsdaten sind dynamischer Natur, haben direkte Verbindung zu
Kommunikationsinhalten, wie zum Beispiel Identität der Teilnehmer oder Dauer
und Ort des Gespräches. Nur die mittelbar mit der Kommunikation verbundenen
Daten, insbesondere die Ortskoordinaten der Mobiltelefone, die im Standbybetrieb
aktuell gerade nicht zur Kommunikation verwendet werden, gehören nicht in den
Schutzbereich.
285
Eine Doppelnatur haben insoweit statische IP-Adressen, die sowohl Verkehrs- als auch
Bestandsdaten sind. Denn mit diesen Daten lässt sich ein konkreter Computer und dessen wahr-
scheinlicher Inhaber bestimmten. Dynamische IP-Adressen sind nur Verkehrsdaten, soweit eine
solche Zuordnung nicht erfolgen kann.
286
BVerfGE 125, 260, 309.
287
BVerfGE 125, 260, 333.
170 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Aus dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 10 GG wird das Vertrauen in
die Person des Gesprächspartners ausgeschlossen. Ein solches Vertrauen unterliegt
nach Auffassung des BVerfG keinem Grundrechtsschutz.288 Dies gilt nach dem
BVerfG auch dann, wenn nur einer der beteiligten Kommunikationsteilnehmer auf
staatliche Initiative hin die Strafverfolgungsbehörden am Endgerät mithören lässt.
Dies wird damit begründet, dass das Telekommunikationsgeheimnis das personen-
gebundene Vertrauen der Kommunikationsbeteiligten zueinander nicht schützt.289
Noch konkreter wird das BVerfG für den Fall der Internetkommunikation:
„Dagegen ist ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG zu verneinen, wenn etwa ein Teilnehmer
eines geschlossenen Chats der für die Verfassungsschutzbehörde handelnden Person seinen
Zugang freiwillig zur Verfügung gestellt hat und die Behörde in der Folge diesen Zugang
nutzt. Erst recht scheidet ein Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis aus, wenn die
Behörde allgemein zugängliche Inhalte erhebt, etwa indem sie offene Diskussionsforen
oder nicht zugangsgesicherte Webseiten einsieht.“290
288
Dies kann das BVerfG freilich nicht durchhalten, denn wenn der Kernbereich der privaten
Lebensgestaltung betroffen ist, ist auch nach dem BVerfG jede absichtliche Überwachung eine
Missachtung der Menschenwürde, gerade weil persönliches Vertrauen schutzwürdig ist, vgl. § 8,
IV, 2, a), aa); BVerfGE 109, 279, 321. Nach hier vertretener Auffassung gehört dieses Vertrauen,
auch wenn es nicht sehr privaten Inhalte betrifft, zum Schutzbereich des Grundrechts auf Freiheit
von Einschüchterung. Die „Alles-oder-Nichts-Lösung“ (Missachtung der Menschenwürde bei der
Eindringen in höchst private Vertrauensbeziehungen, aber kein Grundrechtsschutz bei darüber hin-
ausgehendem Ausforschen von Kommunikation in Vertrauensbeziehungen) überzeugt nicht.
289
BVerfGE 120, 274, 340 f.
290
BVerfGE 120, 274, 341.
291
Dass dies Vorgehen aber auch nicht in andere Grundrechte eingreifen soll, ist höchst fraglich.
Jedenfalls wenn der Staat an eine Kontaktperson herantritt und diese freiwillig staatlicher Überwa-
chung zustimmt, kommt nach hier vertretener Ansicht ein Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit
von Einschüchterung in Betracht. Denn diese Privatperson ist nur Vermittler eines Zugriffs, der
dem staatlichen Verantwortungsbereich zugerechnet werden muss, siehe oben § 8, III, 6. Dieses
spezielle Problem wird unten unter im Detail behandelt.
VI. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gemäß Art. 10 GG 171
Nur weil keine Telekommunikation stattfindet, weil etwa die Verbindung unterbro-
chen ist und der Betroffene weiter redet, ist der Einzelne mit seinem Verhalten
aber noch nicht schutzlos vor Überwachung. Faktisch kann eine Überwachung über
den Telekommunikationsdiensteanbieter dann nicht mehr stattfinden. Eine Über-
wachung durch technische Manipulation des Endgeräts und die Aufzeichnung der
Spracheingabe kann aber durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt werden. Das Recht
auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG in der Form des Rechts
auf Freiheit von Einschüchterung dient insoweit als Auffanggrundrecht. Insoweit
kommt wegen der technischen Ablösung von sog. „Abhörwanzen“ durch die ein-
gangs dieser Arbeit geschilderten „Trojaner“ die Fallgruppe des „Computergrund-
rechts“ in Betracht. Auf einer abstrakten Metaebene ist aber auch der Schutzbe-
reich des Art. 10 Abs. 1 GG ein Ausschnitt aus dem Grundrecht auf Freiheit von
Einschüchterung. Art. 10 GG wäre dann Spezialfall eines übergeordneten „Super-
grundrechts“. Das BVerfG formuliert dies so:
„Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gewährleisten die freie Entfaltung der Persönlich-
keit durch einen privaten, vor der Öffentlichkeit verborgenen Austausch von Informationen
und schützen damit zugleich die Würde des Menschen.“292
292
BVerfGE 115, 166.
293
BVerfGE 115, 166, 188 f.
294
Unruh, S. 12.
172 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
295
Nach hier vertretener Ansicht ist das Grundrecht aus Art. 10 GG als spezielle Regelung des
Grundrechts auf Freiheit von Einschüchterung einzuordnen, da die Überwachung der Fernkom-
munikation wie jede heimliche Überwachung die oben beschriebenen Einschüchterungseffekte
hat. Für die Anforderungen an eine Rechtfertigung des Eingriffs ist nur ein Gleichlauf beider
Grundrechte konsequent. Die Identität der Schrankenregelungen erkennt auch das BVerfG in sei-
nen Entscheidungen zur E-Mail-Beschlagnahme und zur Vorratsdatenspeicherung, wenn es die
für das hier abgelehnte allgemeine Persönlichkeitsrecht entwickelten „Maßgaben“ auf das spezi-
ellere Grundrecht aus Art. 10 GG überträgt, vgl. BVerfGE 124, 43, 56 f.; 125, 260, 310. Beide
Grundrechte sind gleichrangig (vgl. dazu § 9, II, 4, a)) und die Schrankendogmatik ist austausch-
bar. Daher ergibt die vom des BVerfG ausführlich begründete Unterscheidung zwischen Art. 10
GG und dem Computergrundrecht auf den ersten Blick keinen Sinn. Aulehner, S. 404 f. kritisiert
die verfassungsrechtliche Dogmatik allgemein. Das Herausgreifen eines singulären Grundrechts-
verhältnisses erfolge „gleichsam selbstverständlich“ und werde einer komplexen Situation aus
verschiedenen ranggleichen Grundrechts- und Verfassungspositionen oft nicht gerecht.
296
Das Urteil zur E-Mail Überwachung (BVerfGE 115, 166) setzt sich mit der Abgrenzung ein-
gehend auseinander. Für die Frage, wie stark das Schutzniveau für die Sicherung der jeweiligen
Grundrechte sein muss, ist die Bedeutung der Schutzbereichsunterscheidung zwischen Art. 10
GG und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG durch die überragende Bedeutung des Verhält-
nismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen
weitgehend nivelliert.
297
Dies ist hier ausführlich mit der Herleitung des Grundrechts auf Freiheit von Einschüchterung
gezeigt worden, vgl. oben § 8, III.
298
Siehe § 8, VI, 2, c).
299
Teilnichtig nach BVerfGE 125, 260.
300
BVerfGE 125, 260, 326.
VI. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gemäß Art. 10 GG 173
Moderne Computer sind in den meisten Fällen zumindest zeitweise über Daten-
verbindungen mit dem Internet verbunden. Bereits das Aufrufen von einfachen
Internetseiten ist mit dem Senden und Empfangen von Informationen vom Com-
puter des Nutzer zum Server des Anbieters der Internetseite verbunden. Es handelt
sich also um durch Art. 10 GG geschützte Fernkommunikation. Die technisch ver-
mittelte Sprachkommunikation über Entfernungen entwickelt sich mehr und mehr
von der klassischen Telefonie hin zu Voice-over-IP-Verfahren.301 Sie verlagert sich
also vom klassischen Telefon zum Computer und zu Endgeräten, die sich direkt an
digitale Datenleitungen oder Funknetze anschließen lassen.
Das BVerfG hat diesbezüglich neue Gefahren ausgemacht, die durch Art. 10
Abs. 1 GG nicht erfasst werden und daher unter das Computergrundrecht fallen.
In diese Schutzlücke gehören die Infiltration und die Ausspähung des Computers
über Datennetze.302 Nach Ansicht des BVerfG fallen die Infiltration eines Compu-
tersystems mittels Trojanersoftware und die Ausspähung der gespeicherten Daten
im System nicht unter Art. 10 GG, wenn diese Daten nicht per Telekommunikation
übertragen werden. Dass die gespeicherten Daten per Telekommunikationsverbin-
dung ausgespäht werden, führt nicht zu einem Bruch des Fernmeldegeheimnisses:
„Hinsichtlich der Erfassung der Inhalte oder Umstände außerhalb der laufenden Telekom-
munikation liegt ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG selbst dann nicht vor, wenn zur Über-
mittlung der erhobenen Daten an die auswertende Behörde eine Telekommunikationsver-
bindung genutzt wird, wie dies etwa bei einem Online-Zugriff auf gespeicherte Daten der
Fall ist (vgl. Germann, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, 2000, S. 497;
Rux, JZ 2007, S. 285 <292>).“303
Die Freiheit, nicht mit dem Staat per Internet zu kommunizieren, fällt nicht unter
Art. 10 GG. Eine negative Kommunikationsfreiheit ist nicht vom Schutzbereich
umfasst.
301
Auch „Internet-Telefonie“ genannt. Zu den technischen Hintergründen vgl. Bonnekoh, S. 26 ff.
und zu der Subsumtion unter das TKG ebenfalls Bonnekoh, S. 72 ff. Dies ist auch für die dyna-
mische Verweisung aus der StPO in das TKG bezüglich des derzeit teilnichtigen § 100g StPO
bedeutsam.
302
BVerfGE 120, 274, 308.
303
BVerfGE 120, 274, 308.
174 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
b) Eigene Ansicht
Der dargestellten Ansicht des BVerfG ist zuzustimmen. Eine heimliche Computer-
durchsuchung fällt dann nicht unter Art. 10 GG, wenn der Computernutzer nicht
mit einer anderen Person kommuniziert. Art. 10 Abs. 1 GG schützt nach seinem
Wortlaut nicht die generelle Telekommunikationsfreiheit, sondern das Telekom-
munikationsgeheimnis, also die Heimlichkeit der Kommunikation. Wenn der Be-
troffene nicht kommunizieren will, kann das Grundrecht folglich nicht betroffen
sein. Die Durchsuchung einer Festplatte oder eines RAM-Speichers greift nicht in
den Schutzbereich des Art. 10 GG ein, wenn der Computer nicht aktuell – zum
Beispiel über das Internet – mit einer Gegenstelle kommuniziert und gerade die-
se Kommunikation abgefangen würde. Art. 10 GG schützt die Geheimnisse der
Fernkommunikation von staatlicher Kenntnisnahme. Nicht geschützt ist eine nega-
tive Kommunikationsfreiheit, nach der es aus Art. 10 GG ein Recht gäbe, nicht vom
Staat angerufen zu werden. Auch das Durchsuchen des Computers über eine Daten-
leitung ist daher nur Gegenstand des Grundrechts auf Freiheit von Einschüchterung
bzw. des Art. 13 GG.
Das BVerfG hält jedoch eine Überwachung der Telekommunikation durch eine Auf-
nahme an der Quelle dann für einen Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG und nicht in
das Computergrundrecht, wenn mit Hilfe der technischen Manipulation des End-
geräts nur laufende Kommunikation überwacht wird und nicht auch sonstige Daten
im Endgerät ausgespäht werden.304 Dies soll nach dem BVerfG auch gelten, wenn
das Endgerät ein „vernetztes komplexes informationstechnisches System“ ist, das
nicht nur zum Kommunizieren genutzt werden kann.305 Die Reichweite des Grund-
rechtsschutzes dürfe nicht allein am Unterschied zwischen einem Eingriff in die
durch Dritte kontrolliert Leitung oder einem durch den Betroffenen kontrollierten
Endgerät festgemacht werden. Diese „rein technisch definierte Abgrenzung“ werde
„angesichts der technologischen Entwicklungen und insbesondere der durch sie be-
dingten vielfältigen Konvergenzen der Übertragungswege, Dienste und Endgeräte“
dem Schutzanliegen des Art. 10 GG „nicht gerecht“. Auch wenn an einem End-
gerät, etwa einem Telefon, ein Abhörgerät angebracht und genutzt wird, liege ein
Eingriff vor:
„Wird der laufende Kommunikationsvorgang überwacht, liegt ein Eingriff in das Fern-
meldegeheimnis auch dann vor, wenn die Erfassung des Nachrichteninhalts am Endgerät
erfolgt.“306
Im Vordergrund des Telekommunikationsgeheimnisses aus Art. 10 GG stehe der
Schutz des Vertrauens in die Sicherheit der zur Nachrichtenübermittlung eingesetz-
304
BVerfGE 120, 274, 307.
305
BVerfGE 120, 274, 307.
306
BVerfGE 115, 166.
VI. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gemäß Art. 10 GG 175
Der Einzelne kann seine Telekommunikation kaum selber vor staatlichem Zugriff
schützen. Er kann sich weder durch das Aufsuchen eines besonders heimlichen
Ortes oder der Nachtzeit, noch durch die Auswahl seiner Gesprächspartner vor
dem Zugriff Dritter verbergen. Die Wege der Kommunikation, seien es Kabel-
oder Funksignale, stehen außerhalb seiner Kontrollmöglichkeit. Da die technischen
Kommunikationskanäle Dritten gehören, ist der Betroffene nur durch Verschlüsseln
oder Unterlassen der Kommunikation in der Lage, seine Informationen geheim zu
halten:309
„Der spezielle Schutz des Fernmeldegeheimnisses durch Art. 10 GG schafft einen Aus-
gleich für den technisch bedingten Verlust an Beherrschbarkeit der Privatsphäre, der durch
die Nutzung von Anlagen Dritter zwangsläufig entsteht, und errichtet eine besondere Hür-
de gegen den vergleichsweise wenig aufwendigen Zugriff auf Kommunikationsdaten, den
die Nutzung der Fernmeldetechnik ermöglicht. Demgegenüber wird die von dem Bürger
selbst beherrschbare Privatsphäre von anderen Grundrechten, insbesondere Art. 13 Abs. 1
GG und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 GG) geschützt.“310
Nach der Ansicht des BVerfG311 ist das Abhören mit einem versteckten techni-
schen Gerät aber trotz der letztgenannten Ausführungen des Gerichts ein Eingriff
in Art. 10 GG. Gleiches gilt für das Abrufen einer E-Mail vom Server eines E-
Mail-Diensteanbieters, nicht jedoch das Abrufen einer E-Mail vom Computer des
betroffenen Endnutzers. In den Schutzbereich gehört nach dieser Ansicht die In-
stallation des Abhörgerätes am oder im Telekommunikationsgerät, wenn damit die
Kommunikation überwacht wird. Findet keine Kommunikation statt, kann höchs-
tens ein Eingriff in das Computergrundrecht vorliegen.
307
BVerfGE 106, 28, 37 f.
308
BVerfGE 125, 260, 309.
309
BVerfGE 115, 166.
310
BVerfGE 115, 166.
311
„So gewährt Art. 10 Abs. 1 GG auch Schutz, wenn an einem Endgerät, etwa einem Telefon, ein
Abhörgerät angebracht und genutzt wird. [. . . ] Im Vordergrund steht [der Schutz des] Vertrauens
in die Sicherheit der zur Nachrichtenübermittlung eingesetzten Telekommunikationsanlage [. . . ]“,
BVerfGE 106, 28, 37 f.
176 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
d) Eigene Ansicht
Historisch gesehen war nicht das Mitlesen von Briefen während des Schreibens
oder das Belauschen durch Spitzel während eines Telefongesprächs Bestandteil des
Art. 10 Abs. 1 entsprechenden Grundrechts. Geschützt werden sollte nur die In-
formation, die den eigenen Schutzbereich verließ.312 Denn nur in diesem Fall ist
wegen des Kontrollverlusts durch Abgabe der Information an den Herrschaftsbe-
reich eines notwendig einzuschaltenden Dritten kein Selbstschutz mehr möglich.
Ansonsten müsste auf die Fernkommunikation ganz verzichtet werden. Das eigene
Telefon oder den eigenen Computer kann der Betroffene hingegen selbst kontrol-
lieren.313 Wenn dies so ist, weil der spezielle Schutz des Fernmeldegeheimnisses
durch Art. 10 GG einen Ausgleich für den technisch bedingten Verlust an Be-
herrschbarkeit der Privatsphäre schafft, der durch die Nutzung von Anlagen Dritter
zwangsläufig entsteht,314 kann nicht plötzlich das Vertrauen in das eigene Kommu-
nikationsgerät zum Schutzbereich gehören.
Nach der Ansicht des BVerfG ist die technische Manipulation eines modernen
Mobiltelefons durch Aufschrauben und Einsetzen eines anderen Speicherbausteins
nur ein Eingriff in das Computergrundrecht. Dieser Eingriff wandelt sich aber zu
einem Eingriff allein in ein Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG, wenn nachgehend
durch den veränderten Chip die Kommunikation an eine dritte, mithörende Stelle
ausgeleitet wird. Dies ist dogmatisch inkonsistent. Dass im Endeffekt das Gespräch
aufgenommen wird, kann nicht entscheidend sein. Das Belauschen eines telefonie-
renden Menschen ist auch keine Telekommunikationsüberwachung. Der Einzelne
kann seine Telekommunikation kaum selber vor staatlichem Zugriff schützen, wenn
sie in den Machtbereich des Diensteanbieters übergegangen ist.315
Das BVerfG tut die Unterscheidung zwischen dem Schutz der Integrität des
Endgeräts und der Integrität der Übertragungswege „als eine rein technisch defi-
nierte Abgrenzung“316 ab, die „angesichts der technologischen Entwicklungen und
insbesondere der durch sie bedingten vielfältigen Konvergenzen der Übertragungs-
wege, Dienste und Endgeräte“ nicht gerecht wird. Dem ist zu widersprechen. Es
mag sein, dass moderne Endgeräte den Nutzer zuweilen überfordern. Dies ändert
jedoch nichts daran, dass seine Endgeräte seiner „alleinigen Einflussnahme“ unter-
liegen. Das BVerfG spricht von „einer Vielzahl von Leistungen und Diensten“, die
außerhalb der Kontrolle des Betroffenen liegen. Daraus schließt es, dass auch das
Endgerät außerhalb der Kontrolle des Betroffenen liegen muss. Wenn diese Dienste
Telekommunikation sind, werden sie durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützt. Dies kann
also nicht das Problem sein. Entweder verwechselt das Gericht Telekommunika-
tionsdienste mit Computerprogrammen oder es nennt die Dienste, meint aber das
312
Vgl. oben § 3, III, 3.
313
Dass auch diese Anlagen nicht weniger intensiv, aber auf andere Weise geschützt werden müs-
sen, ist eine andere Frage, die analog der Schutzbereichsabgrenzung zwischen Art. 10 Abs. 1 GG
und Art. 2 Abs. 1 GG beantwortet werden muss. Vgl. oben § 8, VI, 2.
314
Vgl. oben § 8, VI, 2, c).
315
BVerfGE 115, 166.
316
BVerfGE 115, 166, 187; BVerfGE 106, 28, 38.
VI. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gemäß Art. 10 GG 177
Gerät, das die Richter möglicherweise nicht verstehen und darum für durch Dritte
beherrscht halten. Richtig ist, dass die Kontrolle des Endgerätes schwerer ist als
früher. Die Kontrolle eines Wahlscheiben-Telefons auf eine sog. „Wanze“ ist einfa-
cher, als zu erkennen, ob die ursprüngliche Steuerungssoftware eines Mobiltelefons
durch eine Trojaner-Software ersetzt wurde. Das ändert jedoch nichts daran, dass
diese Manipulation im Machtbereich des Inhabers stattfindet und er auf seinem Ge-
rät mit entsprechender Virenerkennungssoftware Kontrollmöglichkeiten hat, auch
wenn diese begrenzt sind.
Das BVerfG sagt einerseits, allein das Computergrundrecht und nicht Art. 10 GG
sei bei einer Online-Durchsuchung verletzt317 und nimmt andererseits den Stand-
punkt ein, die Integrität des Endgeräts gehöre zum Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1
GG. Dies wirft die Frage auf, warum der Schutzbereich nicht konsequent auch im
Fall der Online-Durchsuchung ausgeweitet wurde. Der einzig dogmatisch schlüssi-
ge Weg, einen Zusammenhang zwischen der Integrität des Endgeräts und Art. 10
GG herzustellen, würde darin liegen, wenigstens die Infiltration des Endgeräts über
das Datennetz als Verstoß gegen Art. 10 GG zu verstehen. Zumindest wurde die
Infiltration über die vom Endnutzer nicht kontrollierbare Datenleitung eingeleitet.
Dieser Lösungsweg ist aber aus den bereits genannten Gründen318 abzulehnen, die
negative Kommunikationsfreiheit ist nicht erfasst. Auch das BVerfG spricht sich
ausdrücklich dagegen aus:
„Das Grundrecht schützt dagegen nicht davor, dass eine staatliche Stelle selbst eine Tele-
kommunikationsbeziehung zu einem Grundrechtsträger aufnimmt.“319
Der Grund für das Beharren des Gerichts auf einem Endgeräteschutz allein durch
Art. 10 Abs. 1 GG320 trotz Einführung des Computergrundrechts, liegt vermutlich in
der zunächst durch das BVerfG – beraten durch ein Papier der EU-Kommission321 –
unterschätzten Dynamik der technischen Entwicklung. Für das Gericht war im Jahre
2002 (BVerGE 106, 28) das Computergrundrecht zwar schon zum Greifen nah.
Auch mangels besserer Alternativen wurde die Problemlösung in Art. 10 Abs. 1
GG verortet, indem der Schutzbereich entgegen dem ursprünglichen Sinn von der
Leitung auf das Endgerät ausgeweitet wurde. Im Jahr 2007 (BVerfGE 120, 274)
wurde anlässlich der Entscheidung zur Online-Durchsuchung deutlich, dass sich
erhebliche Schutzlücken aufgetan hatten. Erst dann wurde das Computergrundrecht
konkretisiert.
Die Ausspähung der Daten des Betroffenen konnte man nicht mehr begrifflich
unter Art. 10 Abs. 1 GG fassen. Nun erst wurde die Bedeutung der über Tele-
kommunikationsnetze verbundenen Computer für die private Lebensgestaltung voll
erkannt. Trotzdem wollte man die bereits gefestigte Erweiterung des Schutzbereichs
317
Vgl. § 8, VI, 2, a).
318
Vgl. § 8, VI, 2, b).
319
BVerfGE 120, 274, 340 f.
320
BVerfGE 120, 274, 309.
321
Grünbuch zur Konvergenz der Branchen Telekommunikation, Medien und Informationstech-
nologie und ihren ordnungspolitischen Auswirkungen – Ein Schritt in Richtung Informationsge-
sellschaft, /* KOM/97/0623 endg. */.
178 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
des Art. 10 Abs. 1 GG auf den Endgeräteschutz nicht wieder korrigieren. Das ist im
Hinblick auf die Rechtssicherheit nachvollziehbar. Da jedes moderne Telefon aber
über einen Datenspeicher verfügt, gehört der Großteil der Endgeräte heute schon
zu den „komplexen informationstechnischen Systemen.“ Der Weg, der zu dieser
getrennten Regelung des Endgeräteschutzes geführt hat, wirkt chaotisch und ist da-
her dogmatisch nicht überzeugend. Eine klare Trennung zwischen dem Schutz der
Endgeräte und dem der Datenleitung ist demgegenüber vorzugswürdig.
Jede Installation von Hilfsmitteln zur Ausspähung von Kommunikation im
Machtbereich des Betroffenen ist daher ein zusätzlicher Eingriff in das Computer-
grundrecht oder in das allgemeine Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung.
Denn die Infiltration des Systems ist kein Ausspähen eines Geheimnisses während
der Datenübertragung und damit kein Eingriff in Art. 10 GG. Die sog. „Online-
Durchsuchung“ findet zudem nur teilweise – bei der Aus- und Einleitung der Daten
im vom Betroffenen unkontrollierbaren – Herrschaftsbereich eines Dritten statt.
Dieser Streit ist für die Frage der Art der Eingriffsschranken zwar nicht entschei-
dend, doch kommt ihm hinsichtlich der Frage, ob die Quellen-TKÜ Überwachung
der Telekommunikation im Sinne des § 100a Abs. 1 StPO ist, weitreichende Bedeu-
tung zu.322
322
Vgl. unten § 23, IV, 5, g).
323
Vgl. zur Streitdarstellung Meininghaus, S. 261 ff.
324
Übernommen von Meininghaus, S. 48 ff.; Klesczewski, ZStW 2011, 745.
325
BGH NJW, S. 1828 geht auf in Phase 3 (Zwischenspeicherung) nicht von Telekommunikation
aus. Da der BGH aber statt § 100a StPO § 99 SPO prüft und ausdrücklich darauf hinweist, die
E-Mail-Beschlagnahme sei in jeder Hinsicht vergleichbar mit der Beschlagnahme anderer Mittei-
lungen, welche sich zumindest bei einem Postdienstleister befinden, scheint er insoweit nicht das
Fernmeldegeheimnis, sondern das Brief oder Postgeheimnis für betroffen zu halten.
VI. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gemäß Art. 10 GG 179
die vierte Phase. Die h. M. stimmt insoweit dem BVerfG zu und fasst die E-Mail-
Beschlagnahme unterschiedslos unter Art. 10 GG.326
f) Eigene Ansicht
Man könnte allerdings für diese vierte Phase, in der die E-Mail schon abgerufen,
aber weiterhin auf dem Server des Providers gespeichert ist, annehmen, dass die
dort gespeicherten E-Mails dann aus dem Schutzbereich des Art. 10 GG fallen.
Nach Zugang sind Sendungen der Fernkommunikation allgemein nicht mehr von
Art. 10 GG geschützt.327 Insoweit wäre eine Parallele zum Briefverkehr zu ziehen:
Das Abrufen der E-Mail entspricht dem Abholen eines Briefes aus einem dem Post-
dienstleister gehörenden Postfach. In Fortsetzung dieser Parallele wäre zu fragen,
ob der Brief auch noch dem Brief- und Postgeheimnis unterliegt, wenn er wieder in
das Postfach zurückgelegt wird.
Ob das Beförderungsunternehmen auch noch bei der Kommunikation hilft, wenn
es lediglich nachträglich aufbewahrt, ist ebenso unklar, wie die Frage: Ist die auf
einem Server des Providers gespeicherte E-Mail Teil der in Art. 10 GG geschütz-
ten Fernkommunikation? Nach hier vertretener Ansicht sind beide Fälle gleich zu
behandeln. Richtig ist, dass der Schutzbereich des Art. 10 GG hinsichtlich einer
E-Mail dann eröffnet ist, wenn die spezifische Gefährdungslage der Fernkommuni-
kation vorliegt. Der Betroffene soll dann durch Art. 10 GG geschützt werden, wenn
er sich selbst nicht mehr schützen kann, weil er seine Information in Hände Drit-
ter geben muss. Ein solches Schutz- und Beförderungsinteresse besteht nicht bei
der externen Lagerung von Briefen, anderen Postsendungen oder E-Mails aus Ar-
chivierungsgründen für den Fall, dass sie bereits vollständig im Machtbereich des
Adressaten waren.
Beispiel 27 A mietet sich Speicherplatz auf einem externen Server (sog. „Cloud“),
er speichert dort den gesamten Inhalt seiner Festplatte. Darunter befindet sich auch
sein E-Mail-Archiv.
326
Vgl. Keller, KR 2009, S. 491; Klesczewski, ZStW 2011, S. 746 m. w. N.
327
Vgl. Pieroth/Schlink, Rdn. 838.
180 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
bestehen fort. Die Kommunikation endet erst dann, wenn der Empfänger volle Kon-
trolle über die Nachricht erlangt, also die E-Mail abruft und auf dem Server des
Providers löscht. Dem Streit ist zwar im Hinblick auf die Frage, ob überhaupt ein
Eingriff in irgendein Grundrecht vorliegt, die Spitze gebrochen, da das Grundrecht
auf Freiheit von Einschüchterung als Auffanggrundrecht dient.328 Allerdings wird
zu zeigen sein, dass die Abgrenzung hinsichtlich der möglichen Subsumtion der
„Beschlagnahme“ einer E-Mail auf dem Server eines Providers unter das Merk-
mal „Telekommunikation“ in § 100a Abs. 1 StPO zumindest für die systematische
Auslegung des Begriffs in der StPO Bedeutung zukommt.329
Die Fragen der Fühlbarkeit und Folgen des Grundrechtseingriffs können hinsicht-
lich des Schutzbereichs des Art. 10 GG dahinstehen, da diese Gesetzesvorschrift
den Schutzbereich in Abs. 1 und die Eingriffsmöglichkeit in Art. 10 Abs. 2 GG
ausdrücklich benennt und lediglich unter einfachen Gesetzesvorbehalt stellt. Selbst
wenn kein realer Gehalt hinter dem Grundrecht stünde, würde die rechtliche Rege-
lung des Art. 10 GG in diesem Fall den Schutzbereich erschaffen bzw. fingieren.
Der Verfassungsgeber ist insoweit berechtigt „Tabus“ zu setzen. Auf die Frage des
„Schutzgutes“ oder „Interesses“, das hinter Art. 10 GG steht, kommt es daher nicht
an. Der Eingriff muss unabhängig davon weder unmittelbar noch zielorientiert er-
folgen.330
Die gesetzlichen Vorschriften §§ 100a, 100g, 100i, 100g und evtl. 100f, 100h
und 163f StPO, die in Art. 10 Abs. 1 GG eingreifen, müssen sich an den so ge-
nannten „Schranken-Schranken“,331 die sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes erge-
ben (Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit)332 , messen lassen,333 um den Eingriff
rechtfertigen zu können.
Da eine Telekommunikationsüberwachung in der Regel heimlich abläuft, ist
nicht mit jedem heimlichen Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG zusätzlich ein Eingriff
in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG verbun-
328
Der E-Mail-Beschlagnahme kommt auch eine handlungssteuernde Einschüchterungswirkung
zu. Menschen die eine solche Beschlagnahme fürchten, werden unter Umständen ihre Handlungs-
möglichkeiten zur externen Speicherung nicht wahrnehmen.
329
Weicht der Begriff der Telekommunikation in der StPO vom verfassungsrechtlichen Begriff
ab? Vgl. unten § 23, V, c).
330
Zöller, S. 33 ff.
331
Näher inhaltlich dazu und zur Überflüssigkeit des sprachlichen Bildes Michael/Morlok, § 21
Rdn. 543.
332
Vgl. § 9 ff.
333
Vgl. dazu unten Vierter Teil und Fünfter Teil.
VI. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gemäß Art. 10 GG 181
den. Zwar können die Rechte aus Art. 10 Abs. 1 GG auch durch Zwang gebrochen
werden,334 doch geht das traditionelle Leitbild dieser Grundrechte von einer heim-
lichen Überwachung aus. Das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung bleibt
subsidiär. Die Begründung über eine handlungsbeeinflussende Wirkung des heim-
lichen Überwachens ist überflüssig.
334
Vgl. zur begrifflichen Unterscheidung zwischen Heimlichkeit und Zwang oben, § 2, II, 2.
335
BVerfGE 125, 260, 311.
336
Vgl. 3. in: § 2, I.
337
BVerfGE 125, 260, 325.
338
BVerfGE 125, 260, 325.
182 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
In konsequenter Fortsetzung der Rechtsprechung zu Art. 2 Abs. 1 GG, nach der die
Heimlichkeit die Intensität eines Grundrechtseingriffs verstärkt,339 sind die vorste-
hend genannten Erwägungen des BVerfG als Begrenzung des Eingriffs durch das
Prinzip der Erforderlichkeit zu interpretieren.
Das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung leistet die notwendige Hilfe,
um einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit zu begründen. Eine sol-
che Begründung ist für einen Eingriff in die Grundrechte aus Art. 10 Abs. 1 GG
nicht notwendig, da hier die Ausspähung des Geheimnisses kraft normativer Set-
zung Eingriff ist. Das BVerfG hat also mit Recht keinen Grund gesehen, weiter
zur Heimlichkeit Stellung zu nehmen. Der Schutz vor heimlicher Ausspähung der
Kommunikation ist nach subjektiv-historischer Auslegung integraler Bestandteil
der Grundrechte aus Art 10 GG. Das Ausspähen der Fernkommunikation erfolgt
in aller Regel geheim.
4. Rechtfertigung
Eingriffe in die Grundrechte aus Art. 10 Abs. 1 GG müssen nach Art. 10 Abs. 2
GG gesetzlich geregelt sein. Durch die dichte Regelung der §§ 100a, 100g, 100i in
der StPO ist dies für die Maßnahmen der verdeckten Telekommunikationsüberwa-
chung unproblematisch. Fraglich ist lediglich, ob die Regelungen der entsprechen-
den Eingriffe auch bestimmt und verhältnismäßig sind. Dies betrifft in erster Linie
die gesetzliche Regelung in der StPO als solche. Vielfach wird mittels subjektiv-
historischer und verfassungskonformer Auslegungskriterien ein verfassungsmäßi-
ges Verständnis des Gesetzes zu erreichen sein. Bezüglich der tatsächlichen Maß-
nahme ist dann nur fraglich, ob diese unter die ausgelegte Regelung zu subsumieren
ist.
5. Zwischenergebnis
339
Vgl. oben § 10, I.
VII. Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG 183
In das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG kann durch verdeckte strafprozessuale Er-
mittlungsmaßnahmen eingegriffen werden, wenn die örtliche Privatsphäre der Woh-
nung berührt wird. Die Regelung der akustischen Wohnraumüberwachung durch
strafprozessuale Gesetze ist bereits in Art. 13 Abs. 3 GG gestattet und beschränkt.
Das Grundgesetz stellt zwar Anforderungen an die gesetzliche Eingriffsgrundlage,
klärt allerdings nicht, was eine Wohnung ist, was eine bestimmte schwere Straftat
ist oder unter welchen Umständen eine Erforschung des Sachverhalts auf andere
Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre.
1. Schutzbereich
Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG ist die Wohnung als Raum
der Persönlichkeitsentfaltung. Art. 13 GG schützt die Wohnung in ihrer Funktion,
dem Einzelnen Obdach zu bieten. Sie soll ihm Abschirmung und Rückzugs für sein
persönliches und eventuell auch geschäftliches Verhalten ermöglichen. Wann dieses
Verhalten selbst rechtmäßig und wann es rechtswidrig ist, sei nicht an Art. 13 GG,
sondern an den anderen Grundrechten zu messen. So gelten die Straf- und Zivil-
rechtsnormen, innerhalb ebenso wie außerhalb der Wohnung soweit sie mit anderen
Grundrechten zu vereinbaren sind. An Art. 13 Abs. 1 GG ist nur das Eindringen
in die Wohnung zu messen. Geschützt ist also das Allein-gelassen-Werden, „das
Recht, in diesen Räumen in Ruhe gelassen zu werden“,340 „[. . . ]-kurz: Die Stätte
privaten Lebens und Wirkens.“341 Art. 13 GG schützt nicht nur die Entscheidung
340
Pieroth/Schlink, Rdn. 252.
341
Hermes in: Dreier, GG1 , Art. 13 Rdn. 13.
184 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
342
Dreier, GG2 , Art. 13 Rdn. 12.
343
Vgl. Epping, Rdn. 656.
344
BGHSt 50, 206 ff.; vgl. auch Kolz, NJW 2005, S. 3248.
345
Zur genauen Umgrenzung des Schutzbereiches und des Begriffs „Wohnung“ vgl. BVerfGE 32,
54. Danach ist der Begriff der Wohnung weit auszulegen. Vgl. auch Epping, Rdn. 654 f.; Jarras
in: Jarass/Pieroth, Art. 13 Rdn. 4. Hafträume gehören nach Ansicht des BVerfG nicht dazu, vgl.
BVerfG, NJW 1996, 2643. Anderer Ansicht Ruthig, JuS 1998, S. 512.
346
Pieroth/Schlink, Rdn. 946 ff.
347
Epping, Rdn. 656.
VII. Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG 185
Als eine vermittelnde Ansicht wird die Möglichkeit erörtert, den Schutz zunächst
mit der h. M. auf alle Räumlichkeiten auszudehnen, davon aber eine Rückausnahme
zu machen, wenn über den Zugang nicht individuell entschieden wird.351 Nach Her-
mes liegt der Kern der Kontroverse darin, dass die Schrankensystematik der Absätze
2 bis 7 des Art. 13 GG für Wohnungen im Wortsinne „passt“, auf Geschäfts- und
Betriebsräume aber nicht in Gänze sachgerecht übertragen werden kann. Für Durch-
suchungen seien die Schranken angemessen, für behördliche Besichtigungs- und
Kontrollbefugnisse „eklatant unpassend“.352 Ob es sich wegen der langen Tradition
dieser weiten Auslegung durch das BVerfG um verfassungsrechtliches Gewohn-
heitsrecht handelt oder ob die Ausweitung des Schutzbereichs des Art. 13 Abs. 1
GG methodisch eine verfassungsrechtliche Analogie darstellt,353 sei im Ergebnis
unerheblich. Entscheidend sei, dass in jedem Falle keine direkte Anwendung des
Art. 13 GG mit sämtlichen Schranken und der dazugehörigen Dogmatik erfolge.
Vielmehr sei auch nach der h. M. eine Abschwächung der strikten Schranken für
Geschäftsräume quasi als Wohnungen „zweiter Klasse“ zulässig.
Für die verdeckten strafprozessualen Ermittlungen interessieren die Schranken
des Art. 13 Abs. 3, 5 GG. Nach der Argumentation von Hermes und des BVerfG
müsste es auch dabei auf die „Sachgerechtigkeit“ ankommen.
348
BVerfGE 32, 54, 69 ff.; zustimmend Herdegen in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 13 Rdn. 34
und Stern in: Stern/Sachs/Dietlein, § 99 IV 3.
349
So aber BVerfGE 97, 228, 265.
350
Vgl. Battis, JuS 1973, S. 29 f.
351
Diskutiert von Epping, Rdn. 658.
352
Hermes in: Dreier, GG1 , GG1 Art. 13 Rdn. 27.
353
Hermes spricht von der „Kreation eines neuen Grundrechts [. . . ], das mit Art 13 GG nur noch
die Schranke des Absatzes 2 gemeinsam hat“. Hermes in: Dreier, GG2 , Art. 13 Rdn. 27.
186 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
354
So auch in der Grundkonzeption, allerdings für das hier abgelehnte allgemeine Persönlich-
keitsrecht, Hermes in: Dreier, GG1 , Art. 13 Rdn. 12. Dieser Ansicht ist in Bezug auf die geringe
Relevanz der dogmatischen Einordnung für die Ergebnisse Recht zu geben.
355
Vgl. Hermes in: Dreier, GG1 , Art. 13 Rdn. 12.
356
Dies wird nicht dadurch geändert, dass bestimmte andere Personen rechtlich dazu befugt sind,
diesen Raum zu betreten. Zu denken wäre an die hierarchische Rangordnung in einem Unter-
nehmen. Auch ein Hausbesetzer ist zudem vom Schutzbereich erfasst, soweit sich die Besetzung
gefestigt hat. Denn es kann für den Schutz der Privatsphäre der Wohnung gegen den Staat nicht
davon abhängen, ob ein anderer Privater eine Räumungsklage gegen den Bewohner durchsetzen
kann. Daher kommt es auch nicht auf die rechtlichen Herrschaftsverhältnisse an, sondern auf die
faktische Herrschaft. Dies gilt aber nur, wenn diese dermaßen qualifiziert ist, dass der Betroffene
die Räume zu seinem privaten Rückzugsraum gemacht hat – also dort wohnt. Der sich nur vorüber-
gehend in fremden Räumen aufhaltende Einbrecher gehört nicht dazu. Auch der Strafgefangene
hat nach der zutreffenden Ansicht des BVerfG (NJW 1996, 2643.) keine Wohnung in der Haftan-
stalt, weil der Staat die faktische Herrschaft über die Räume nie verloren hat. Wenn der Gefangene
zeitweise allein gelassen wird, hat er dennoch keine faktische Macht über den Haftraum, den er
nicht einmal verlassen darf. Darin liegt der Unterschied zum Hausbesetzer, der die Räume des
Eigentümers durch eigene Macht aktiv in seine Herrschaft gebracht hat.
357
Sicher in den Schutzbereich fielen zudem die Arbeitsräume, der in § 162 StPO genannten Be-
rufsgruppen, deren Kommunikation mit Anderen besonderen Vertrauensschutz verdient.
358
Dort sind in aller Regel ohnehin Überwachungskameras der Bank installiert, so dass der Ge-
danke unbeobachtet zu sein, gar nicht erst aufkommen kann.
VII. Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG 187
jedoch der hintere Raum des Imbissstandes gehören, zu dem nur die Angestellten
Zugang haben.
Allgemein wäre entscheidend, ob die in den Räumen betriebenen Geschäfte und
sonstigen Verhaltensweisen durch persönliches Vertrauen geprägt sind und ob sie
Rückzugsräume für die dort beschäftigten Menschen bieten.
Die Geschäftsräume sind nicht wie die Privatwohnung pauschal dem privaten
Bereich der Lebensgestaltung (Privatsphäre)359 zuzuordnen.360 Sind die Geschäfts-
bereiche von Vertraulichkeit zwischen Beschäftigtem und Publikum oder persön-
lichem Rückzug der Beschäftigten geprägt, muss die Schranke des Art. 13 Abs. 3
GG gelten. Es kommt demnach darauf an, ob der Raum faktisch dem öffentlichen
Verkehr geöffnet ist. Wer seine Räume dem Publikum ohne Differenzierung öffnet,
kann sich nicht darauf berufen, dass der Staat, also die verfasste Öffentlichkeit, dort
keinen Zugang haben soll.
Beispiel 28 Die strengen Anforderungen des Art. 13 Abs. 3, 5 GG etwa auf die
Überwachung eines Gesprächs zweier Verdächtiger als Kunden vor dem Kühlregal
in einem Supermarkt zu übertragen, wäre ein Widerspruch zu deren eigenem Ver-
halten. Denn sie begeben sich bewusst in die Öffentlichkeit und befinden sich nicht
in einem geschützten Privatraum. Die Wände des Supermarktes ändern daran so
wenig wie die eines Stadions oder der abgrenzende Zaun einer privaten Kuhwiese
neben einem öffentlichen Spazierweg.361
Dogmatisch ist eine analoge Anwendung der Schranken im Rahmen der Verhält-
nismäßigkeit beim Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung bzw. Privatsphäre
vorzugswürdig, da dem Problem der Wortlautgrenze so ausgewichen werden kann.
Außerdem enthält das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung den Kernge-
danken des Schutzes der Privatsphäre vor staatlichem Einblick und kann so mühelos
die zu übertragenden Schranken aus Art. 13 Abs. 3, 5 GG aufnehmen. Die ge-
nannten Räume stehen einer Wohnung insoweit gleich, weil dort auch regelmäßig
Verhalten stattfindet, dass vertraulich bleiben muss. Eine noch weitere Ausdehnung
des Art. 13 Abs. 3, 5 GG entsprechenden Schutzes ist allerdings abzulehnen. Die
Räume, die nicht der genannten Definition entsprechen, sind durch das Grundrecht
auf Freiheit von Einschüchterung hinreichend geschützt und benötigen die Schran-
ke des Art. 13 Abs. 3 GG nicht. Mit Art. 2 Abs. 1 GG seht ein Auffanggrundrecht
zur Verfügung, sodass Schutzlücken nicht auszumachen sind.
Findet der Schutz von Geschäftsräumen unter der Regie des Art. 2 Abs. 1 GG
statt, wird die hergebrachte Schrankendogmatik für Geschäftsräume problemlos auf
359
Vgl. § 8, I, 4, b).
360
Vgl. dazu auch den gesellschaftlichen Wandel zu Intimisierung der Wohnung und Öffnung der
Arbeitsräume bei Hermes in: Dreier, GG2 , Art. 13 Rdn. 14 f.
361
Beiflächen zu Häusern, wie Gärten oder Höfe, gehören in der Regel nicht zum (analog) erwei-
terten Schutzbereich. Etwas anderes gilt nur dann, wenn diese Flächen zum dauernden privaten
Rückzug (wohnen) genutzt werden und durch physische Grenzen abgeschirmt sind oder eine große
Entfernung zum nächsten bebauten Grundstück oder öffentlicher Infrastruktur besteht. In diesen
Fällen verführen sie dazu, in ähnlich ungezwungener Weise zu kommunizieren wie innerhalb der
eigentlichen Wohnung. Zu weiteren Beispielen vgl. Hermes in: Dreier, GG2 , Art. 13 Rdn. 19 ff.
188 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
diese übertragen werden können. Der sich aus Art 2 Abs. 1 GG ergebende Schutz
der Geschäftsräume hat im Vergleich zum Schutz der eigentlichen Wohnräume ein
abgesenktes Niveau. Dabei wird jedoch nicht der dogmatische Fehler begangen,
Räume, die keine Wohnräume sind, unter Art. 13 GG zu subsumieren.
a) Abgrenzung zu Art. 10 GG
Die Abgrenzung zwischen dem Schutz der Privatsphäre der Wohnung nach Art. 13
GG und dem Computergrundrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG (als Unterkategorie des
Grundrechts auf Freiheit von Einschüchterung) ist von entscheidender Bedeutung
für den eingangs dieser Arbeit genannten Beispielfall363 verfassungsrechtliche
Möglichkeit eines Einsatzes von Staatstrojanern als strafprozessualer verdeckter
Ermittlungsmaßnahme. Art. 13 Abs. 4 GG erlaubt den Einsatz technischer Über-
wachungsmittel lediglich zur Abwehr dringender Gefahren. Art. 13 Abs. 5 GG
konkretisiert diese Möglichkeit für die Sicherung eines Verdeckten Ermittlers in
eine Wohnung. Art. 13 Abs. 3 GG erlaubt als strafprozessuale technische Über-
wachung nur die akustische Wohnraumüberwachung. Diese Regelung muss daher
systematisch als Ausnahme verstanden werden.364 Ist die Online-Durchsuchung ein
Eingriff in die die Privatsphäre der Wohnung, ist sie zu strafprozessualen Zwecken
kategorisch ausgeschlossen. Ist sie nur ein Eingriff in das Grundrecht auf Frei-
heit von Einschüchterung bzw. das Computergrundrecht, kann die strafprozessuale
Online-Durchsuchung gerechtfertigt werden. Voraussetzung wäre dann ein Gesetz,
das den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts genügt.
362
Vgl. zur grundsätzlichen Gleichrangigkeit der Grundrechte § 9, II, 4, a).
363
Siehe oben § 1, I.
364
„Die technische Wohnungsüberwachung zu Strafverfolgungszwecken ist durch Abs. 3 auf
Lauschangriffe begrenzt.“ Kühne in: Sachs, GG6 , Art. 13 Rdn. 41.
VII. Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG 189
Nicht jeder Computer wird in einer Wohnung betrieben. Fraglich ist aber, ob
Art. 13 GG das Computergrundrecht verdrängt, wenn ein Computer, dessen Daten
heimlich ausgespäht werden, in einer Wohnung steht.
Das BVerfG sieht keinen Anlass, aus dem Grundgesetz einen „doppelten“ Schutz
des Computers in der Wohnung aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 13 GG abzuleiten. Ein
Eingriff in den Schutzbereich aus Art. 13 GG liegt danach auch dann nicht vor,
wenn der Computer in einer Wohnung steht:
„ Denn der Eingriff kann unabhängig vom Standort erfolgen, so dass ein raumbezoge-
ner Schutz nicht in der Lage ist, die spezifische Gefährdung des informationstechnischen
Systems abzuwehren. Soweit die Infiltration die Verbindung des betroffenen Rechners zu
einem Rechnernetzwerk ausnutzt, lässt sie die durch die Abgrenzung der Wohnung ver-
mittelte räumliche Privatsphäre unberührt. Der Standort des Systems wird in vielen Fällen
für die Ermittlungsmaßnahme ohne Belang und oftmals für die Behörde nicht einmal er-
kennbar sein. Dies gilt insbesondere für mobile informationstechnische Systeme wie etwa
Laptops, Personal Digital Assistants (PDAs) oder Mobiltelefone. Art. 13 Abs. 1 GG schützt
zudem nicht gegen die durch die Infiltration des Systems ermöglichte Erhebung von Daten,
die sich im Arbeitsspeicher oder auf den Speichermedien eines informationstechnischen
Systems befinden, das in einer Wohnung steht (vgl. zum gleichläufigen Verhältnis von Woh-
nungsdurchsuchung und Beschlagnahme BVerfGE 113, 29 <45>).“365
Art. 13 GG erfasst demnach keine Systeme außerhalb der Wohnung. Innerhalb der
Wohnung schützt er auch nicht vor einem quasi körperlosen Eindringen auf die
Festplatte oder andere Speichermedien durch einen bloßen elektronischen Zugriff
über bestehende Datenleitungen.366 Dies entspricht der verfassungsgerichtlichen
Rechtsprechung zur Beschlagnahme. Bei der behördlichen Maßnahme, die über
die eigentliche Durchsuchung hinausgeht, ist Art. 13 GG nicht berührt, sondern
nach dem BVerfG das hier abgelehnte allgemeine Persönlichkeitsrecht.367 So ist das
Suchen nach beschlagnahmefähigen Gegenständen, zum Beispiel nach einem Com-
puter, ein Eingriff in Art. 13 GG, aber das Beschlagnahmen und Durchsuchen des
gefundenen Computers selbst nur ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1
GG,368 denn diese Maßnahmen folgen nur mittelbar aus der Durchsuchung.
Das BVerfG besteht darauf, dass das Grundrecht auf Computerschutz zu Art. 10
und Art. 13 GG subsidiär ist,
„ [. . . ] soweit diese keinen oder keinen hinreichenden Schutz gewähren.“369
Nach Ansicht des BVerfG kann es allerdings unter Umständen doch zu einer Über-
schneidung der Schutzbereiche kommen:
365
BVerfGE 120, 274, 310 f.
366
BVerfGE 120, 274.
367
BVerfGE 113, 29, 45.
368
Das BVerfG geht auch hier konsequent vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus.
369
BVerfGE 120, 274, 303.
190 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Die zwischen Rux371 und Hornung372 geführte Debatte darüber, ob die Infiltration
eines Computers in das Recht aus Art. 13 Abs. 1 GG eingreift, wurde vom BVerfG
zwar zur Kenntnis genommen, doch entschied das BVerfG, nur einen Eingriff in
das Computergrundrecht anzunehmen.
e) Eigene Ansicht
370
BVerfGE 115, 166, 187.
371
Rux, JZ 2007; Rux, JZ 2007.
372
Hornung, JZ 2007.
373
Vgl. oben § 8, VII, 2, c).
VII. Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG 191
wenn der Apfel kurz zuvor geschält wurde. Allerdings darf mit technischen Mit-
teln das Schreiben des Buches oder des Briefes ebenso wenig heimlich überwacht
werden wie das Schälen des Apfels. Der Computer selbst darf beschlagnahmt und
durchsucht werden.
Hinsichtlich des Computers könnte man entsprechend technisch differenzieren:
Die Eingabe von Informationen dürfte nach einer rein technischen Differenzierung
unter keinen Umständen mittels Trojaner überwacht werden, wohl aber bereits ge-
speicherte Informationen.
Dagegen ist einwenden, dass dieses Argument haarspalterisch ist. Da durch den
in kleinen Abständen erfolgenden dauernden Zugriff auf gerade erst im Arbeitsspei-
cher (RAM) nur kurzfristig festgehaltene Inhalte im Endeffekt die zulässige Aus-
forschung gespeicherter Information faktisch nicht von einer Simultanüberwachung
flüchtigen Verhaltens zu unterschieden werden kann: Wenn alle fünf Minuten eine
Durchsuchung des Arbeitszimmers in der Wohnung eines Betroffenen stattfände
und die jeweils von ihm geschriebene Manuskriptseite durch die Ermittlungsbeam-
ten beschlagnahmt würde, wäre auch kaum eine Unterscheidung zwischen Überwa-
chung des Verhaltens und Durchsuchung der Wohnung sinnvoll. Durch quantitative
Steigerung kann also eine Durchsuchung qualitativ in eine Überwachung umschla-
gen. Einziges Gegenargument bleibt, dass ähnlich wie beim Telefongespräch durch
die Internetverbindung gleichsam eine Tür nach außen geöffnet wird. Daher könnte
man argumentieren, dass der Einzelne sich so des Schutzes seiner Privatwohnung
als Ort des Rückzugs und des intimen Austausches begibt. Schließlich wird sein
Computer Teil des Internets und damit der Öffentlichkeit. Will er für sich blei-
ben, kann er die Internetverbindung unterbrechen und so die Gefahr einer Online-
Durchsuchung beseitigen.
Im Unterschied zum Telefongespräch will der Betroffene die Daten, die aus-
geforscht werden, gerade nicht nach außen zu einer anderen Person übertragen.
Das Argument, die Internetverbindung öffne den Computer nach außen und schlie-
ße die Speicherplätze des Computers aus dem Schutzbereich der Privatsphäre der
Wohnung aus, ist aber so wenig überzeugend wie die Einlassung, ein Zimmer in
einem Haus sei nicht von Art. 13 GG geschützt, weil das Haus über eine öffentliche
Straße sozial vernetzt sei. Auch in dieses Zimmer des Hauses darf nicht heimlich
mit technischen Überwachungsmitteln zur Strafverfolgung eingedrungen werden,
nur weil Fenster oder Türen geöffnet sind. Anders wäre nur zu urteilen, wenn In-
haber des Hauses der Öffentlichkeit ungefiltert Zutritt gewährt, wie etwa im oben
beschriebenen Beispiel eines Supermarktes.374 In diesem Fall ist der Raum gerade
keine Wohnung und genießt nicht den vollen Schutz des Art. 13 GG. Entsprechend
ist bei einem Computer zu differenzieren. Nur weil die Möglichkeit besteht, dass
von außen eingedrungen wird, ist der Raum noch nicht rechtlich für den Zugriff
anderer geöffnet. Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Computer über kei-
nerlei Schutzvorkehrungen verfügt und zusätzlich gespeicherte Inhalte explizit der
Öffentlichkeit oder auch nur besonderen Personen zur Verfügung gestellt werden.
Eine Überwachung des Computers ist insoweit auch innerhalb von Wohnungen
374
Vgl. § 8, VII, 1, b), dd).
192 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Es kommt darauf an, ob nicht nur das physische Eindringen in die Wohnungen, son-
dern auch das Beobachten durch Fenster oder Belauschen durch Horchen an Türen
etc. in den Schutzbereich fällt. Betrachtet man Art. 13 Abs. 1 GG isoliert, ist nicht
375
Pieroth/Schlink, Rdn. 253 ff. und § 7, III.
VII. Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG 193
eindeutig, ob der Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG betroffen ist, wenn Daten
der in Wohnungen installierten Geräte ausgewertet werden. Aus Art. 13 Abs. 3 GG
ergibt sich, dass „akustische Überwachung des Wohnraumes“ in den Schutzbereich
des Art. 13 Abs. 1 GG fällt. Daher kommt es nicht darauf an, wo die Überwa-
chungsgeräte installiert sind, sondern nur darauf, dass die Geräusche innerhalb der
Wohnung abgehört werden. Das gleiche gilt für visuelle Wohnraumüberwachung,
da diese ebenfalls von außen erfolgen kann. Zu beachten ist aber, dass es um die ge-
schützte Privatheit in der Wohnung geht. Wird in einer Wohnung – etwa bei offenem
Fenster – so laut gesprochen, dass man dies auf der Straße hören kann, liegt kein
Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG vor, wenn die dort gehörten Gespräche aufgezeich-
net werden. Es existieren aber inzwischen technische Geräte, die die normalerweise
unhörbaren akustischen Signale verstärken und Aufnehmen können, die durch die
Schwingungen der Fensterscheiben oder ähnliche Effekte nach aus der Wohnung
außen dringen. Nutzen die Ermittlungsbehörden solche Geräte von außen, um Ge-
spräche im Inneren einer Wohnung abzuhören, ist dies auch ein Eingriff in das
Grundrecht aus Art. 13 GG.
Eingriffe in die Privatsphäre der Wohnung können gerechtfertigt werden. Die „Un-
verletzlichkeit“ ist im historischen Kontext zu sehen. In der Unverletzlickeitsformel
verbirgt sich danach nur die einfachgesetzliche Eingriffsmöglichkeit.376 Für die ver-
deckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen sind in Art. 13 Abs. 3 und Abs. 5
GG allerdings Sonderregelungen für Eingriffe enthalten, die weit über den einfa-
chen Gesetzesvorbehalt hinausgehen. Dadurch, dass der Schutzbereich weit und
der Eingriff modern verstanden wird, bedürfen viele Handlungen der Sicherheits-
und Ordnungsbehörden der Rechtfertigung im Hinblick auf Art. 13 GG. Für die
verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen sind die Beschränkungen aus
Art. 13 Abs. 3, 5 GG bedeutsam. Art. 13 Abs. 3 GG regelt explizit die Beschränkun-
gen der Strafverfolgung bei akustischer Wohnraumüberwachung und ist daher für
die vorliegende Arbeit von entscheidender Bedeutung. Art. 13 Abs. 3 GG stellt fol-
gende Anforderungen an eine strafprozessuale akustische Wohnraumüberwachung
Räume so dürfen zur Verfolgung der Tat durch technischer Mitteln von Wohnungen
akustisch überwacht werden:
1. Bestimmte Tatsachen müssen den Verdacht begründen, dass jemand eine durch
Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat.
2. Die Erforschung des Sachverhalts muss auf andere Weise unverhältnismäßig
erschwert oder aussichtslos sein.
376
Vgl. Kühne, S. 340. Wenn in den Schutzbereich eines Grundrechts eingegriffen wird, ohne dass
dies gerechtfertigt werden kann, ist das Grundrecht verletzt.
194 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
377
BVerfGE 109, 279, 309 ff.
378
BVerfGE 109, 279, 382 ff.
379
BVerfGE 109, 279; Abweichende Meinung 382, 390 f.
380
Vgl. BVerfGE 57, 250, 284.
VII. Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG 195
Weil Art. 13 Abs. 3 GG eine durch Gesetz einzeln bestimmte, besonders schwe-
re Straftat als Voraussetzung für eine akustische Wohnraumüberwachung fordert,
muss das Delikt durch Angabe des Gesetzes und des Paragraphen genau benannt
sein. Eine Kategorisierung bloß über Mindeststrafen wäre nicht ausreichend. Die-
se besondere Schwere der Tat im Einzelfall muss der Gesetzgeber in bestimmter
Weise angemessen regeln. Die Umsetzung dieses Erfordernisses in § 100c Abs. 1
StPO muss sich systematisch widerspruchslos in die bestehende Ordnung schwerer
Taten des materiellen Strafrechts einfügen und darf zudem ein gewisses absolu-
tes Minimum nicht unterschreiten, ab dem von einer schweren Tat keine Rede
mehr sein kann. Wie diese Regelung in der StPO ausgestaltet sein muss, schreibt
Art. 13 Abs. 3 GG nicht vor. Die Frage, ob diese Maßgabe verfassungsgemäß um-
gesetzt wurde, muss daher im Rahmen der Erläuterung der in der StPO geregelten
Merkmale der Einzelmaßnahmen erfolgen.381
381
Wie zu zeigen sein wird, ist höchst zweifelhaft, ob der Gesetzgeber die Formulierung aus
Art. 13 Abs. 3 GG tatsächlich umgesetzt oder ob er sie vielmehr „abgeschrieben“ hat und für un-
besehen auch für weitere Fälle außerhalb der Regelung der akustischen Wohnraumüberwachung
verwendet (§§ 100a Abs. 1 Nr. 2, 100f Abs. 1 Hs. 4 StPO), vgl. § 13, II und zu § 100c StPO
speziell § 24, III, 2.
382
Vgl. dazu unten den eigenen Vorschlag zur Entwicklung objektiver Kriterien § 8, IV, 3, c).
383
Vgl. § 14.
196 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
5. Zwischenergebnis
Art. 19 Abs. 4 GG garantiert jedem, der von staatlichen Maßnahmen betroffen ist,
einen subjektiven Anspruch auf rechtliches Gehör. Art. 19 Abs. 4 GG ist als Verfah-
rensgrundrecht bei allen Maßnahmen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungs-
maßnahmen betroffen, da sich durch die Heimlichkeit faktisch keine Möglichkeit
zur Rechtsverfolgung ergibt.384 Zwar ist der Beschuldigte auch gegenüber dem
Richter im Ermittlungsverfahren nicht minderberechtigt, doch ist er faktisch von ei-
ner effektiven Rechtsverfolgung vor oder während der Maßnahme ausgeschlossen.
Der Betroffene erfährt in der Regel erst von der Maßnahme, wenn diese beendet
384
BVerfGE 30, 1, 15 f., 18 f.
VIII. Grundrecht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 19 Abs. 4 GG 197
ist. Das BVerfG hält daher die besondere Begründung eines Rechtsschutzinteresses
nicht für erforderlich:
„Setzt ein Grundrechtseingriff aus verfassungsrechtlich gerechtfertigten Gründen Heim-
lichkeit voraus, wird ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen, die etwaige Rechtswid-
rigkeit der Maßnahme anschließend gerichtlich feststellen zu lassen, nicht nur ausnahms-
weise anzunehmen sein.“385
Neben dem Verlust der rechtlichen Abwehrmöglichkeit des Eingriffs wird dem Be-
troffenen auch jedes tatsächliche Ausweichen und Abwehren des Eingriffs in seine
Rechte durch heimliches Vorgehen genommen.
Das BVerfG nimmt einen Eingriff in Art. 19 Abs. 4 GG und außerdem einen
Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG oder das Recht auf informationelle Selbstbestim-
mung durch entsprechende verdeckte Ermittlungsmaßnahmen an.387 Im Vergleich
zu offenen Maßnahmen sei der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbe-
stimmung „intensiviert“. Dabei liegt die Intensivierung aber nicht in dem Eingriff
in Art. 19 Abs. 4 GG. Denn diesen Eingriff behandelt das Gericht schließlich ge-
sondert und zieht ihn nicht als „Verstärker“ mit dem Recht auf informationelle
Selbstbestimmung bzw. Art. 10 GG zusammen. Dies ergibt nur Sinn, wenn ein zu-
sätzliches Grundrecht – nämlich das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung
aus Art. 2 Abs. 1 GG – vorhanden ist.
385
BVerfGE 107, 299.
386
Vgl. unten § 17.
387
BVerfGE 67, 157, 169, zum Spezialfall des Art. 10 Abs. 1 GG.
198 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Diese „Verstärkungswirkung“ hat das BVerfG nur bezüglich Art. 6 Abs. 1 und 2 GG
ausdrücklich benannt, dogmatisch spricht aber nichts dagegen, dieses methodische
Prinzip auch bezüglich anderer Grundrechte anzuwenden.
Selbst wenn man die Eigentumsgarantie als reinen Schutz eines Integritätsin-
teresses und nicht als Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit sieht395 und
folglich Beobachtungen des Privateigentums nicht ohne weiteres Art. 14 GG be-
rühren können, ist eine Beschränkung möglich. Die Installation eines GPS-Senders
388
Die Überwachung religiöser Handlungen kann über Einschüchterungseffekte zur Vermeidung
dieser Praktiken führen.
389
Beobachtung von wissenschaftlicher Forschung, von Presseerzeugnissen oder der Interne-
taktivität Betroffener kann über die beschriebenen Einschüchterungseffekte die Presse- und
Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG berühren.
390
Die Überwachung der Familienmitglieder oder gar das Anwerben von V-Personen aus diesem
Bereich kann den familiären Zusammenhalt belasten.
391
Gerade die Versammlungsfreiheit wird durch die Angst vor Überwachung behindert.
392
Personen die sich Vereinigungen anschließen wollen, die wahrscheinlich heimlich überwacht
werden, zum Beispiel Motoradclubs oder rechtsextreme Parteien, werden sich unter Umständen
von dieser Erwartung abschrecken lassen.
393
Die Berufsfreiheit kann ebenfalls durch Einschüchterungseffekte betroffen sein.
394
BVerfGE 101, 361, 386.
395
Vgl. zum aufeinander aufbauenden Verhältnis von Freiheit und Eigentum Wieland in: Dreier,
GG2 , Art. 14 Rdn. 1.
X. Weitere Grundrechte? 199
an einem Auto oder die eines Trojaners in einen Computer können aber Art. 14 GG
unmittelbar betreffen.
X. Weitere Grundrechte?
Neben den genannten Grundrechten wird auch ein Grundrecht auf eine faires Straf-
verfahren aus der Verfassung abgeleitet. Wie zu zeigen sein wird, gehen die dog-
matischen Grundregelungen insoweit nicht wesentlich über die bereits erörterten
Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG und den Anspruch auf Achtung der Menschen-
würde nach Art. 1 Abs. 1 GG hinaus. Zusätzlich wird dieses Grundrecht noch in
Art. 20 Abs. 3 GG verankert. Wenn die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen „un-
fair“ sind, bestünde daher ein weiterer Grund für die grundsätzliche Unzulässigkeit
verdeckter Ermittlungsmaßnahmen. Im Folgenden wird dargestellt, dass sich die
Anforderungen an ein faires Verfahren aus den oben erläuterten Grundrechten erge-
ben. Das Verfahren ist nicht fair, wenn die genannten Grundrechte – insbesondere
das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung und der Anspruch auf Achtung
der Menschenwürde – verletzt sind. Die Verfahrensfairness ist insoweit eher ein
Ergebnis als ein Ort der Deduktion.
Das BVerfG nimmt über die genannten Grundrechte hinaus ein Prozessgrundrecht
auf ein „faires“ Verfahren an. Ein faires und rechtsstaatliches Verfahren hat danach
eine freiheitssichernde Funktion und ist als Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V.
m. Art. 20 Abs. 3 GG396 mit Verfassungsrang versehen:
„Der in der Rechtsprechung anerkannte Anspruch auf ein faires gerichtliches Verfahren
gilt als generelles Prinzip in allen Prozessordnungen. [. . . ] Das Recht auf ein faires Verfah-
ren als eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, das in der Verfassung nur zum Teil näher
konkretisiert ist, enthält keine im Einzelnen bestimmten Gebote und Verbote; es bedarf viel-
mehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dabei ist es grundsätzlich
Sache des Gesetzgebers, zwischen möglichen Alternativen bei der normativen Konkretisie-
rung eines Verfassungsgrundsatzes zu wählen. Erst wenn sich unter Berücksichtigung aller
Umstände und nicht zuletzt der im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Gegenläufigkeiten
ergibt, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind, können
aus diesem allgemeinen Prozessgrundrecht konkrete Forderungen für die Ausgestaltung des
Strafverfahrens im Rahmen der vom Gesetzgeber gewählten Grundstruktur des Verfahrens
gezogen werden.“397
396
BVerfGE 57, 250, 274 f.; 75, 183, 190 f.; BVerfG NJW 1996, S. 1811; BVerfG DVBl 2001,
118.
397
BVerfG DVBl 2001, 118.
200 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
Das BVerfG ist sich also der Schwäche der Konstruktion eines solchen Grundrechts
bewusst: Das allgemeine Rechtsstaatsprinzip ist als solches im Grundgesetz nicht
geregelt, sondern wird nur an wenigen Stellen sinngemäß erwähnt. Daraus lässt
sich nur schwer eine konkrete Regel für anstehende Rechtsprobleme ableiten. Das
BVerfG behilft sich damit, zwar ein Grundrecht auf Verfahrensfairness anzuerken-
nen, aber nur dann auf dieses Grundrecht zurückzugreifen, wenn es zu evidenten
Ungerechtigkeiten im Verfahren kommt.
b) Ansicht der h. L.
Auch nach Ansicht der h. L. ist das Recht auf ein faires Verfahren ein Grundrecht.
Dabei wird versucht, Fallgruppen näher zu definieren. Wie das hier abgelehnte
allgemeine Persönlichkeitsrecht besteht dieses Grundrecht der Verfahrensfairness
danach aus einem Bündel konkretisierter Rechte bzw. „unterschiedlicher Einzelele-
mente“. Der Grundsatz der Verfahrensfairness ist dabei durch eine „vollständige Of-
fenheit geprägt.“ Er geht anders als im angestammten angloamerikanischen Rechts-
raum „in Deutschland auf keine Tradition zurück und ist daher bar jeder Struktur.“
398
Mit einigem Aufwand wird versucht Art. 6 der Europäischen Menschenrechts-
konvention (EMRK) als Grundlage des fairen Verfahrens in das Grundgesetz zu
implementieren oder die Vorschrift wenigstens den Grundrechten im Rang anzu-
gleichen, um konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung eines fairen Verfahrens in
Verfassungsrang zu erheben.399 Über seine Verankerung in Art. 6 EMRK hinaus
ist sein Geltungsgrund ungeklärt.400 Mit diversen Begründungen wird der Fair-
nessgrundsatz in der Verfassung verankert.401 Sein genauer Inhalt lässt sich wegen
seines abstrakt-formalen Charakters auch von der Literatur kaum angeben.402
398
Kühne in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , Einl. Abschn. I Rdn. 103.
399
Die EMRK ist ursprünglich ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag, der im Rahmen des
Europarats geschlossen wurde und dafür sorgen soll, dass die in ihm genannten Menschenrechte
eingehalten werden. Kraft gesetzlicher Übernahme kommt der EMRK der Rang eines einfachen
Bundesgesetzes zu. Die EMRK steht in ihrem Rang unterhalb der Grundrechte des Grundgesetzes.
Allerdings ist nach der Rechtsprechung des BVerfG der Inhalt und Entwicklungsstand der EMRK
bei der Auslegung des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Darüber hinaus sei bei der Auslegung
der Grundrechte des Grundgesetzes die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Men-
schenrechte (EGMR) in Straßburg zu beachten, auch wenn eine parallele Bestimmung zu § 31
BVerfGG fehlt, BVerfG NJW 2004, 3407 ff.; BVerfGE 74, 358, 370. Denn Art. 46 EMRK ver-
pflichtet die Mitgliedstaaten, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil
des EGMR zu befolgen. Die EMRK wirkt danach als Auftrag an den Gesetzgeber, über die Aus-
strahlungswirkung bei der Auslegung auf das deutsche Strafverfahrensrecht. Vgl. Satzger, Jura
2009; Eisele, JA 2005.
400
Kühne in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , Einl. Abschn. I Rdn. 103.
401
Vgl. den Versuch einer Klärung der Verankerung im Grundgesetz bei Tettinger, S. 2 ff.
402
Kühne in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , Einl. Abschn. I Rdn. 107.
X. Weitere Grundrechte? 201
c) Eigene Ansicht
Selbst wenn der Inhalt eines Grundrechts auf eine „faires“ Verfahren aus Art. 6
EMRK entnommen wird und dieses Recht auf die gleiche Rangstufe mit den Grund-
403
Der Anglizismus „fair“ bedeutet allgemein „anständig, ehrlich, gerecht, tolerant, rücksichts-
voll“. Er ist im deutschen Sprachraum zunächst im Bereich des internationalen Handels und
vor allem im Sport über das „fair play“ Ende des 19. Jahrhundert verwendet worden, vgl.
Schulz/Basler, S. 641. „Fair“ bedeutet im letzteren Sinne zunächst „regelgerecht“ aber auch „ka-
meradschaftlich, anständig“. Damit ist aber auch die Konnotation verbunden, dass beide Seiten des
sportlichen Wettkampfs eine Chance haben zu gewinnen. Dies ist ein schiefes Bild, das dem Straf-
prozess nicht gerecht wird. Gegenüber den strafprozessualen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen
ist der Betroffene von vornherein ohne Chance. Durch das verdeckte Vorgehen ist ihm jede Ge-
genwehr abgeschnitten. Solange er nichts von dem Verfahren weiß, wird er keine Anträge stellen,
er wird sich nicht an den Richter wenden, der ihn folglich auch nicht anhört. Die Strafverfolgungs-
behörden hören den Betroffenen vielmehr ab, ohne dass er sich dagegen wehren kann oder nutzen
andere, unvorhergesehene verdeckte Mittel. Selbst das im Deutschen, traditionell im Bereich des
Sports und nicht des Rechts gebräuchliche „fair“ passt nicht auf die verdeckten strafprozessualen
Ermittlungsmaßnahmen. Eine gegenüber dem Beschuldigten verdeckte strafprozessuale Ermitt-
lung ist in sportlichen Kategorien ein „permanentes Foul“ am Betroffenen. Zur Bedeutung dieses
eingedeutschten Wortes vgl. Schulz/Basler, S. 1063 f.
404
Selbst die Verneinung eines gesonderten Grundrechts auf eine faires Verfahren bedeutet selbst-
verständlich nicht, dass es verfassungsrechtlich zulässig wäre, unfair zu mit Verdächtigen zu
verfahren. Es geht nur um die dogmatische Verankerung, die sich alternativ direkt in den Frei-
heitsgrundrechten finden lässt.
202 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
rechten aus dem Grundgesetz gestellt werden kann, enthält Art. 6 EMRK keine
besonderen Kriterien für die Behandlung verdeckter Ermittlungsmaßnahmen.405
Wenn der Fairnessgrundsatz zu den Menschenrechten gehört, lässt sich aus ihm ein
Kerngehalt der Gewährleistung einer eigenverantwortlichen Teilhabe am Verfah-
ren ableiten. Daraus folgt nach der Ansicht Kühnes beispielsweise eine geschützte
Geheimsphäre zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Verteidigungsbefug-
nissen, die Unzulässigkeit von Täuschungen, das Nemo-tenetur-Prinzip und die
Anerkennung von Beweisverboten. Letztere dienen insbesondere zum Schutz des
Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung.406 Während die Geltung anderer
Prozessprinzipien im Ermittlungsverfahren strittig ist, gilt dies nicht für das Nemo-
tenetur-Prinzip.407 Wie oben ersichtlich408 besteht aber kein Anlass das Nemo-
tenetur-Prinzip als Grundrecht außerhalb des Art. 1 Abs. 1 GG zu verankern. Der
Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und die Verfahrsfairness ist lediglich Ergeb-
nis der Missachtung der Menschenwürde.
405
Es ist bereits höchst zweifelhaft, ob Art. 6 EMRK auf das Ermittlungsverfahren anzuwenden
ist. Art. 6 EMRK ist dem Wortlaut nach nur auf einen Angeklagten im gerichtlichen Verfahren an-
wendbar. Der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren ist nicht Angeklagter. Er befindet sich nicht
im gerichtlichen Hauptverfahren, das dann mit dem „ganzen Verfahren“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1
EMRK gemeint wäre. Dafür spricht auch der Sinnzusammenhang der Norm, die offenbar nicht
auf das Ermittlungsverfahren zugeschnitten ist. Entschieden für eine Anwendbarkeit auf das
Ermittlungsverfahren hat sich der EGMR ausgesprochen, der das Ermittlungsverfahren in eine
Gesamtwürdigung des Verfahrens einbezieht. Der EGMR hat sich in verschiedenen Entscheidun-
gen mit der Fairness der verdeckten Ermittlungsmethoden beschäftigt, EGMR, Schenk v. Schweiz,
Serie A Nr. 140; EGMR, Allan v. Vereinigtes Königreich (48539/99), StV 2003, 257 m. Anm. Ga-
ede; EGMR, Teixeira de Castro v. Portugal, Reports 1998-IV; EGMR, Kostovski v. Niederlande,
Serie A Nr. 166; EGMR, Kruslin v. Frankreich, Serie A Nr. 176; Huvig v. Frankreich, Serie A
Nr. 176-B; EGMR Valenzuela Contras v. Spanien, Reports 1998-V. Nach hier vertretener Ansicht
wäre nur ein Bezug zu Art. 8 EGMRK zutreffend, den der EGMR in anderen Entscheidungen zu
verdeckten Ermittlungsmaßnahmen auch feststellt, vgl. EGMR, Bykov v. Russland, Nr. 4378/02
(NJW 2010, 213); Lüdi v. Schweiz, Serie A Nr. 238. Auch in der Literatur ist die Anwendung
auf das Ermittlungsverfahren kein Streitthema, vgl. Gaede, Fairness als Teilhabe – Das Recht auf
konkrete und wirksame Teilhabe durch Verteidigung gemäß Art. 6 EMRK, S. 7, 188 ff., der den
abweichenden Sprachgebrauch zum deutschen Strafverfahren mit einer zwingenden völkerrecht-
lichen Auslegung der Vorschrift erklärt. Der Streit soll in dieser Arbeit aber nicht weiter vertieft
werden.
406
Kühne in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , Einl. Abschn. I Rdn. 107 f.
407
„Anerkannt ist, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit als „Kernbereich“ der Garan-
tie eines fairen Strafverfahrens (Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG, 6 Abs. 1 S. 1 EMRK)
auch dann verletzt sei kann, wenn die Ermittlungsbeamten ein Schweigen des Beschuldigten durch
Täuschung zu überwinden trachten [. . . ].“ Eisenberg, JR 2011, S. 407.
408
Vgl. oben § 8, V, 3.
X. Weitere Grundrechte? 203
a) Beweisverwertungsverbote
b) Waffengleichheit
Das BVerfG hat neben den oben besprochenen gefestigten Prinzipien aus dem Fair-
nessgrundsatz die Erforderlichkeit einer gewissen verfahrensrechtlichen Waffen-
gleichheit von Staatsanwalt und Beschuldigtem abgeleitet.410 Die Waffengleichheit
bietet einen abstrakteren Rahmen als andere klassische Prozessprinzipien. Dieses
Prinzip könnte zur Unrechtmäßigkeit der verdeckten strafprozessualen Ermittlun-
gen führen, da eine ausgewogene Verteilung von Angriffs- und Verteidigungsmit-
teln im verdeckten Ermittlungsverfahren nicht gegeben ist.
Das Prinzip der Waffengleichheit wirft grundsätzliche Fragen auf, da Staat und
Einzelner sich im Strafverfahren schon wegen der strukturellen Verschiedenheit
der Prozessfolgen nicht als Gleiche gegenüberstehen können. In der Literatur wird
vertreten, dass mit Waffengleichheit natürlich keine Gleichstellung gemeint sei.
Es sollten nur die verfahrensspezifischen Unterschiede ausgeglichen werden.411 Es
ist unbestritten, dass die Waffengleichheit zur Beschreibung des gesamten Ermitt-
lungsverfahrens kaum geeignet ist und dieses Prinzip seine Wirkung vor allem im
gerichtlichen Erkenntnisverfahren entfalten kann.412
bb) Eigene Ansicht gegen die Geltung des Prinzips bei verdeckten Maßnahmen
409
Dies wirft die Frage auf, zu welchen Folgen der einfache Rechtsmissbrauch bzw. einfache
Rechtsanwendungsfehler – ohne Kernbereichsbetroffenheit – bei den verdeckten strafprozessualen
Ermittlungen auf der Ebene der Beweisverwertung führt. Die Beantwortung dieser Frage ist ohne
Auseinandersetzung mit den allgemeinen gänzlich ungelösten Problemen den Beweisverwertung
nicht möglich. Diese Probleme können nicht im Rahmen der vorliegenden Arbeit gelöst werden.
Sie müssen im größeren Zusammenhang der Beweisrechtsdogmatik behandelt werden.
410
BVerfGE 38, 105, 111; Tettinger, S. 31 m. w. N.
411
Kühne in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , Einl. Abschn. I Rdn. 117.
412
Kühne in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , Einl. Abschn. I Rdn. 118.
204 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
geklagten. So richtig und wichtig der Begriff der Waffengleichheit für die Prozess-
handlungen im Hauptverfahren ist,413 so unpassend ist er für das Ermittlungsverfah-
ren. Die Strafverfolgungsbehörden beherrschen nicht nur das Ermittlungsverfahren,
sondern haben objektiv gesehen auch die besseren „Waffen“. Die Strafverfolgungs-
behörden haben unter Umständen das Recht, den Beschuldigten mittels unmittel-
baren Zwangs zu verhaften, dieser hat aber nicht das Recht, sich mit Zwang gegen
Ermittlungsbehörden dem Verfahren zu entziehen.414 Gleiches gilt entsprechend für
die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
Das Ermittlungsverfahren hat nichts mit einem sportlichen Wettkampf oder einem
Duell zu tun. Das Assoziationen an den Sportbereich weckende Fairnessprinzip
oder die aus ihm angeblich auch für das Ermittlungsverfahren folgende Waffen-
gleichheit – die sich dann aber so ausdrückt, dass nur die eine Seite Waffen benutzen
darf 415 – sind für das Ermittlungsverfahren nur sehr begrenzt belastbar. Vielmehr
geht es um den Kampf zweier typischer Weise strukturell ungleich „bewaffneter“
Parteien, bei dem die ungleich mächtigere staatliche Seite ihre Übermacht gegen-
über dem Beschuldigten oder anderen Betroffenen verhältnismäßig und gerecht
einsetzen muss. Erst recht versagt das Prinzip der Waffengleichheit bei den verdeck-
ten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen. Hier kann man auch durch einen
Verweis auf die unterschiedlichen sachlogischen Strukturen von Verteidigung und
Anklagevertretung416 keine Waffengleichheit feststellen.
413
Schon Mittermaier, ZStR 1861, Spalte 37 meinte: „Gerechtigkeit hört auf, wenn nicht Gleich-
heit der Waffen gegeben ist.“ Das BVerfG leitet sie direkt aus dem Gebot des fairen Verfahrens ab,
BVerfG NJW 1975, 103; 1983, 1043.
414
Vgl. nur § 113 StGB usw.
415
Dabei wird dann in der Literatur versucht, durch eine Umdeutung des ursprünglichen Begriffs
die Waffengleichheit auch für das Ermittlungsverfahren zu retten. Sie sei nicht „als mathemati-
sche oder logische Egalität“ zu verstehen Kühne, § 9 Rdn. 174. Woraus man schließen muss, dass
die Anwendung der Waffengleichheit auf das Ermittlungsverfahren unlogisch ist und daher bes-
ser erst gar nicht auf selbiges angewendet werden sollte. A. a. zur Geltung des Grundsatzes der
Waffengleichheit vgl. Kühne, § 9 Rdn. 174.
416
Müller, NJW 1976, S. 1065.
X. Weitere Grundrechte? 205
„Der Anspruch auf Respektierung der Menschenwürde und des Rechts zur freien Entfal-
tung der Persönlichkeit setzt [. . . ] den ganz und gar unabhängigen Menschen gar nicht mehr
voraus, sondern knüpft auch an dessen Hilfsbedürftigkeit und Schutzlosigkeit an.“417
„Verfahrensfairness“ wäre daher – wenn dieser Begriff für die verdeckten Maß-
nahmen überhaupt beibehalten werden soll – bei den verdeckten strafprozessualen
Ermittlungsmaßnahmen nicht „Waffengleichheit“ oder „Selbstbelastungsfreiheit“,
sondern in erster Linie Achtung der Menschenwürde und Einhaltung der Verhält-
nismäßigkeit bei Grundrechtseingriffen.
Die klassischen Prozessmaximen sind als Reaktionen auf Zwang und Täuschung
geschaffen worden. Da der massenhafte Einsatz verdeckter strafprozessualer Er-
mittlungsmaßnahmen eine historisch neuere Entwicklung ist,418 sind diese auf kon-
krete andere Maßnahmen ausgerichteten Prinzipien nicht geeignet, die verdeckten
Maßnahmen vollständig zu erfassen. Die Argumentation über „Leerlauf“ und „Um-
gehung“419 der Aussagefreiheit kann ebenso wenig Klärung bringen, wie der An-
satz, die Begriffe von Täuschung und Zwang umzudefinieren.420
Jedes Unterfangen in dieser Hinsicht wird bei den letzten Gründen dieser Prin-
zipien ansetzen müssen. Diese lassen sich nur in den Grundrechten finden. Das
Rechtsstaatsprinzip ist nur in seinen anerkannten Konkretisierungen für deduktive
Schlussfolgerungen zu gebrauchen. Eine Ableitung aus dem „Rechtsstaatsprinzip“
als solchem ist daher nicht sinnvoll. Wird im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips
nicht an die im Zusammenhang mit den Grundrechten stehenden Prinzipien wie
Verhältnismäßigkeit und Bestimmtheit, sondern an Konkretisierungen des fairen
Verfahrens angeknüpft, besteht die Gefahr damit nur das Ergebnis subjektiver Vor-
stellungen über Verfahrensfairness zu benennen.
Eine Lösung kann nur bei den Freiheitsgrundrechten ansetzen. Der Eingriff in
die oben genannten Grundrechte muss ins Verhältnis zu den Staatsaufgaben bzw.
Schutzpflichten gesetzt werden.421 Die in den vorangegangenen Abschnitten gefun-
417
Lüderssen, Verbrechensprophylaxe durch Verbrechensprovokation, S. 365.
418
Vgl. oben Zweiter Teil.
419
Das Umgehungsargument nutzt der EGMR beim angeblichen Unterlaufen der Aussagefreiheit
durch einen Verdeckten Ermittler, EGMR StV, 2003, 257, 259. Dabei unterliegt der EGMR jedoch
einer petitio principii, da er den Schutz nicht nur vor Zwang, sondern vor Täuschung voraussetzt,
anstatt ihn zu begründen. So auch Engländer, ZIS (www.zis-oline.com), S. 165 Fn. 15 m. w. N.
420
Vgl. dazu bereits § 7, II, 1, f).
421
Ebenfalls bei den Grundrechten setzt Joerden an, der die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen
im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch rechtsstaatsadäquate „Einhegung“ begrenzt sieht, vgl.
Joerden, S. 84 ff. Die Rechtfertigung entnimmt er nicht wie hier direkt den Schutzpflichten, son-
dern der Sozialbindung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Dazu schlägt er zehn
Parameter möglicher Legitimierbarkeit für eine Schrankenbildung vor, vgl. Joerden, S. 89. Diese
Parameter finden sich teilweise auch in den hier vorgeschlagenen konkreten Verhältnismäßigkeits-
kriterien, vgl. § 9, VI.
206 § 8 Freiheitsgrundrechte und Menschenwürdeschutz
4. Zwischenergebnis
Selbst wenn man das Recht auf ein faires Verfahren als gesondertes Grundrecht
anerkennt, enthält es keine eindeutigen Vorgaben für die verdeckten strafprozessua-
len Ermittlungsmaßnahmen. Die Probleme müssen über die bekannten Grundrechte
und die traditionellen rechtsstaatlichen Prinzipien gelöst werden. Ein Grundrecht
auf ein faires Verfahren würde unmittelbar an den Begriff der Gerechtigkeit anknüp-
fen, der sich aber erst aus einer Abwägung der allgemeinen Sicherheitsinteressen
gegen die individuellen grundrechtlich geschützten Individualinteressen ergibt.
422
Vgl. oben § 6, IV, 1. Vgl. auch unten § 9, VI.
§ 9 Vorbehalt des Gesetzes
Grundrechtseingriffe sind dem Staat grundsätzlich verwehrt. Die meisten der oben
genannten Grundrechte stehen jedoch unter einem Gesetzesvorbehalt. In sie darf
also aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Dieser Gesetzesvorbehalt enthält
zwei Aspekte. Erstens die Bestimmtheit und zweitens die Verhältnismäßigkeit. Die
den Grundrechtseingriff gestattenden Gesetze müssen bestimmt sein. Die Bürger
müssen wissen, in welchen Fällen der Staat gegen sie vorgehen darf. Nur dann
können sie sich in ihrem Verhalten im Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts auf
die Eingriffsregelung einstellen oder sich gegen ungerechtfertigte Eingriffe wehren
(Prinzip der Rechtssicherheit).
Aufgrund des Verfassungsprinzips der Gewaltenteilung müssen die Gesetze auch
deshalb klar und präzise gefasst sein, weil der parlamentarische Gesetzgeber und
nicht die Gerichte oder die Verwaltung die wesentlichen Entscheidungen treffen sol-
len. Ob generell Ausnahmen vom Grundrechtsschutz zugelassen werden sollen, ist
so wesentlich, dass die Entscheidung vom Parlament getroffen werden muss. Sei-
ne demokratische Legitimation erfährt das Parlament unmittelbar per Wahl durch
das Volk. Richter und Verwaltungsbeamte sind nicht unmittelbar vom Volk gewählt
und daher nur mittelbar demokratisch legitimiert. Sie entscheiden allein oder in
kleinen Gremien. Lassen die Gesetze zu weite Auslegungsspielräume oder sind sie
sonst unklar, verlagert sich die Gesetzgebungskompetenz faktisch von der dafür zu-
ständigen parlamentarischen Legislative auf die Exekutive und auf die Judikative
(Demokratieprinzip und Prinzip der Gewaltenteilung).
Die den genannten Anforderungen entsprechenden Eingriffsgesetze sind aber
nur dann Rechtfertigungen für Grundrechtseingriffe, wenn sie dafür sorgen, dass
der Einzelne in seinen Grundrechten möglichst geschont wird. Das ist der Fall,
wenn die Gesetze verhältnismäßig sind (Verhältnismäßigkeitsprinzip).
Sowohl der Bestimmtheitsgrundsatz als auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip
haben Verfassungsrang, ohne ausdrücklich im Grundgesetz geregelt zu sein. Die
Erfordernisse des Bestimmtheitsgrundsatzes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips
sind für die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über die verdeckten strafprozes-
sualen Ermittlungen von entscheidender Bedeutung. Das Grundrecht auf Freiheit
von Einschüchterung bewirkt, dass jede personenbezogene verdeckte Ermittlungs-
T. A. Bode, Verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, 207
DOI 10.1007/978-3-642-32661-5_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
208 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
1
Eine Auseinandersetzung mit der strittigen Lehre vom gesetzlichen Totalvorbehalt ist daher nicht
notwendig. Näher dazu Riepl, S. 20 f. mit Verweisen auf einen der Begründer Schwan, VerwArch
1975, S. 127 f.; kritisch demgegenüber schon Gallwas, Der Staat 1979, S. 507 ff. und im Hinblick
auf einen befürchteten Ersatz des Totalvorbehalts durch die Ausprägungen des allgemeinen Per-
sönlichkeitsrechts Ladeur, DÖV 2009, 45 ff.; Rogall, Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt
im Strafprozessrecht, S. 30 ff.
2
Trotz der Wortwahl des Verfassungsgebers ist die Schrankentrias wegen des weiten Schutz-
bereichs als einfacher Gesetzesvorbehalt anzusehen, vgl. Pieroth/Schlink, Rdn. 406 f. Kritisch
Rensmann, S. 131, der von einer „entmaterialisierten, zum allgemeinen Gesetzesvorbehalt um-
funktionierte Schrankentrias“ spricht.
3
BVerfGE 10, 264, 268; BVerfGE 107, 395, 408.
4
Eine Frage der speziellen Voraussetzungen in der StPO ist, ob ohne besondere gesetzliche
Regelungen mit der sog. „Ermittlungsgeneralklausel“ eine bestimmte und den inhaltlichen Anfor-
derungen an den Vorbehalt des Gesetzes genügende Regelung für verdeckte Maßnahmen besteht.
Vgl. Wollweber, NJW 2000, S. 3623; Meyer-Goßner, StPO50 , § 161 Rdn. 1, dazu im Detail unten
§ 34.
I. Bestimmtheitsgrundsatz 209
I. Bestimmtheitsgrundsatz
Das angesprochene „Wie“ der Gesetzesausgestaltung wird im Hinblick auf die Ge-
nauigkeit der Regelung durch den sog. „Bestimmtheitsgrundsatz“ ausgearbeitet.
Dieser leitet sich aus ebenso fundamentalen wie im Ansatz trivialen verfassungs-
rechtlichen Vorgaben der Rechtssicherheit und der Gewaltenteilung ab. Die eingrei-
fenden Gesetze müssen verständlich sein. Der Gesetzgeber muss zudem in der je-
weiligen Norm das „Wesentliche“5 selbst regeln und darf die Regelungshoheit nicht
durch unbestimmte Gesetze an die Rechtsanwender delegieren. Dies wird durch
den Grundsatz der Normenbestimmtheit gewährleistet. Das Prinzip der Rechtssi-
cherheit betrifft die Normenverständlichkeit für den Bürger und das Prinzip der
Gewaltenteilung umfasst die Interpretationsspielräume, die der Gesetzgeber den
Rechtsanwendern überlässt. Beide Prinzipien sind Konkretisierungen des Rechts-
staatsprinzips. Diese zwei unterschiedlichen Ausprägungen des Rechtsstaatsprin-
zips stellen in ihrer Synthese strenge Anforderungen an die gesetzliche Bestimmt-
heit. Richtige Ergebnisse werden nur erzielt, wenn man beide Grundpfeiler der
Gesetzesbestimmtheit betrachtet.6 Es ist weder genug, dass ein Betroffener die
Norm verstehen kann, noch dass der Gesetzgeber das Wesentliche selbst regelt.
5
Wie hier bezieht Staupe, S. 139 ff. die sog. Wesentlichkeitstheorie in den Vorbehalt des
Gesetzes ein. Von einer „engen Wechselwirkung“ zwischen Vorbehalt des Gesetzes und We-
sentlichkeitstheorie geht Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 144, 399 ff. aus. Ähnlich auch Nierhaus,
Bestimmtheitsgebot und Delegationsverbot, S. 727 f. Im Ergebnis macht das keinen Unterschied.
6
Papier und Möller erwägen in ihrer kritischen Behandlung des Gebrauchs des Bestimmtheits-
grundsatzes, die beiden Begründungen des Bestimmtheitsgebots deutlicher zu unterscheiden. Dies
sind nach ihrer Ansicht einerseits die Rechtssicherheit als „Rechtsstaatsunterprinzip“ und ande-
rerseits der Gesetzesvorbehalt. Nach hier vertretener Ansicht sind dies „Rechtssicherheit“ und
„Gewaltenteilung“, beide Grundsätze sind vom Gesetzesvorbehalt abhängig. Für die sich aus den
beiden unterschiedlichen Gründen ergebenden Anforderungen gelten danach aber dieselben re-
lativ unscharfen Maßstäbe. Die Identität der gewonnenen Kriterien spreche nach dieser Ansicht
gerade dafür, dass nur ein einheitliches Bestimmtheitsgebot bestehe, Papier/Möller, AöR, S. 199;
so auch Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 400 f. Das Bestimmtheitsgebot ließe sich aus jedem der
gängigen Teilaspekte des Rechtsstaatsprinzips, Gewaltenteilung, Gesetzesbindung, Rechtsschutz,
Gewährleistung persönlicher Grundrechte, Rechtssicherheit, ableiten. Dies führe zwar nicht zu
einer übersichtlichen Dogmatik, unterstreiche aber die Bedeutung des Bestimmtheitsgebots, Pa-
pier/Möller, AöR, S. 178 ff.
210 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
Sowohl das Prinzip der Gewaltenteilung als auch das der Rechtssicherheit kon-
kretisieren die Anforderungen, die an die gesetzlichen Regelungen der verdeck-
ten strafprozessualen Ermittlungen gestellt werden müssen. Diese Regelungen sind
nur notwendig, da die entsprechenden Grundrechte unter Gesetzesvorbehalt stehen.
Beide Begründungen gestalten daher diesen Parlamentsvorbehalt aus.7
Das BVerfG hat mit der „Wesentlichkeitstheorie“8 ein Konzept entwickelt, das Kri-
terien der Bestimmtheit aufstellt. Diese Theorie bestimmt, wie genau in Grundrech-
te eingreifende Gesetzte die ihnen unterliegenden Sachverhalte regeln müssen.9 Die
Wesentlichkeitstheorie wird aus dem Demokratieprinzip10 den Grundrechten11 oder
dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet.12
7
Ob die Rechtssicherheit außerhalb des Parlamentsvorbehalts eine eigenständige Bedeutung hat,
kann jedenfalls für die hier behandelten Vorschriften dahinstehen.
8
BVerfGE 33, 125; BVerfGE 47, 46; 49, 89; BVerfGE 83, 130, 152; BVerfG NJW 1998, 2515,
2520; in der Sache auch BVerfGE 110, 141, 175 f. Vgl. aus der Literatur Kloepfer, JZ 1984, S. 689;
Ossenbühl in: Isensee/Kirchhof , HStR 5, § 101 Rdn. 46 ff.; Seiler, S. 64 ff.; Eberle, DÖV 1984.
9
Beispiele zur Beschreibung des „Wesentlichen“ finden sich in der Judikatur: BVerfGE 34, 165,
192 f.; 49, 89, 127; 109, 29, 37; 101, 1, 34.
10
Dies betont Vöneky, S. 214 ff. Gewaltenteilung ist aber kein exklusives oder konstitutives Kenn-
zeichen einer Demokratie. Vgl. dazu Würtenberger in: Klein, S. 27 ff.: „Entfaltet sich Freiheit
in und durch Gesetze, in und durch Justizorganisation, in und durch die – modern gesprochen –
bürgerliche Rechtsordnung, so kommt die Staatsorganisation als Bedingung der Freiheitlichkeit
in den Blick. Denn weder die Demokratie noch die Aristokratie sind für Montesquieu ihrer Natur
nach freiheitliche Staatsformen. [. . . ] Die Begrenzung der richterlichen Gewalt auf den Wortlaut
des positiven Rechts schafft eben Freiheit vor richterlicher Willkür.“
11
Die Rechtsprechung hat die Wesentlichkeitstheorie mit dem Ziel der Grundrechtssicherung ge-
schaffen. Vgl. auch Axer, S. 350: „Wesentlichkeit bedeutet in der verfassungsrechtlichen Judikatur
primär Grundrechtswesentlichkeit.“
12
Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 157 ff.
13
Das Verhältnis zwischen dem Parlamentsvorbehalt und der Bestimmtheitstrias des Art. 80 Abs. 1
S. 2 GG ist umstritten. Einerseits wird eine kumulative Staffelung vertreten. Danach regelt der
Parlamentsvorbehalt das „Ob“ der Delegation, Art. 80 GG das „Wie“. Andererseits wird die sog.
„Identitätsthese“ vertreten, nach der Parlamentsvorbehalt und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG auf einem
I. Bestimmtheitsgrundsatz 211
Zwingende Vorgaben lassen sich daraus aber nicht für den Gesetzesvorbehalt ablei-
ten. Das BVerfG belässt es insoweit bei sehr abstrakten Erwägungen:
„Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei in ersten Linie den tragenden
Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den vom Grundgesetz anerkannten und ver-
bürgten Grundrechten zu entnehmen. Nach den gleichen Maßstäben beurteilt sich, ob der
Gesetzgeber, wie der verfassungsrechtliche Gesetzesvorbehalt weiter fordert (BVerfGE 34,
165 [192]), mit der zur Prüfung vorgelegten Norm die wesentlichen normativen Grundla-
gen des zu regelnden Rechtsbereichs selbst festgelegt und dies nicht dem Handeln etwa der
Verwaltung überlassen hat.“17
Über die genannte Spezialvorschrift zu den Rechtsverordnungen und Art. 103 Abs. 2
GG hinaus sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der Parlamentsgesetze
nicht ausdrücklich festgelegt. Analoge Anwendungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG
oder des Art. 103 Abs. 2 GG auf die Gesetzgebung hinsichtlich des Strafprozess-
rechts sind nicht schon offensichtlich begründet.
identischen Prinzip beruhen. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG sei nur eine besondere Konkretisierung des
Gesetzesvorbehalts, weil sie ähnlich umschrieben werde und beide in Rechtsstaats- und Demokra-
tieprinzip wurzeln sollen. Vgl. zum Ganzen Axer, S. 347 f. m. w. N. Nach hier vertretener Ansicht
sind sie dem Prinzip der Gewaltenteilung zuzuordnen, aber gehören beide zum Vorbehalt des Ge-
setzes.
14
BVerfGE 1, 14, 60; 7, 282, 301; 23, 62, 72 f.; 41, 251, 265 f.; 58, 257, 277.
15
Eine Parallele sieht auch Alleweldt, S. 300. Für einen weitgehenden Unterschied zur Wesent-
lichkeitstheorie aber Bauernfeind, S. 216 f.
16
BVerfGE 49, 89, 126.
17
BVerfGE 49, 89, 126.
212 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
18
BVerfGE 125, 260, 328.
19
BVerfGE 120, 274, 315 f.
20
BVerGE 49, 89, 126 f. Hält das BVerfG die Norm für einen nicht besonders schweren
Grundrechtseingriff, können die Eingriffsvorschriften also weniger genau sein. Vgl. auch Wilms,
Rdn. 1090. Die Wesentlichkeit einer Regelung wird auch nach der Literatur in erster Linie aus
der Berührung grundrechtlich geschützter Lebensbereiche und der Intensität der Grundrechtsbe-
einträchtigung abgeleitet, vgl. Sachs in: Sachs, GG6 , Art. 20 Rdn. 117.
I. Bestimmtheitsgrundsatz 213
Entsprechend dem Vorgehen bei der sog. Wesentlichkeitstheorie geht das BVerfG
auch hinsichtlich der aus dem Prinzip der Rechtssicherheit gefolgerten Bestimmt-
heitsanforderungen davon aus, dass die Bestimmtheit der Gesetze mit der Eingriffs-
intensität sinken darf:
„Es ist weiter zu berücksichtigen, daß das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit die
notwendige Ergänzung und Konkretisierung des aus dem Demokratie- und Rechtsstaats-
prinzip folgenden Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes darstellt. Es muß deshalb im
Lichte dieses Verfassungsprinzips und seiner Auslegung durch die Rechtsprechung inter-
pretiert werden. Die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm muß der Grundrechtsrelevanz
21
Vgl. dazu im Detail Cornils, JURA 2010, S. 443 m. w. N.
22
Vgl. BVerfGE 114, 1, 53.
23
BVerfGE 112, 304, 315.
214 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
der Regelung entsprechen, zu der ermächtigt wird. Greift die Regelung erheblich in die
Rechtsstellung des Betroffenen ein, so müssen höhere Anforderungen an den Bestimmt-
heitsgrad der Ermächtigung gestellt werden, als wenn es sich um einen Regelungsbereich
handelt, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert.“24
Zu beachten ist also, dass sich auch nach dem BVerfG25 das Gebot der Normen-
bestimmtheit „im Einzelfall nach Art und Schwere des jeweiligen Eingriffs in die
Grundrechte“26 richten soll. Der Maßstab der Bestimmtheit
„ist von den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes sowie der Intensität
der Maßnahme abhängig.“27
Die Anforderungen an Klarheit und Bestimmtheit der Norm sind daher umso strik-
ter, je „stärker die Unsicherheit bei der Beurteilung der Gesetzeslage es dem Norm-
adressaten erschwert, Grundrechte auszuüben.“28
6. Anpassung an Sachzwänge
Allgemein passt das BVerfG den Grundsatz nicht nur an die Eingriffsintensität,
sondern auch an die Komplexität der Regelungsmaterie an:
„Geringere Anforderungen sind vor allem bei vielgestaltigen Sachverhalten zu stellen [. . . ]
oder wenn zu erwarten ist, daß sich die tatsächlichen Verhältnisse alsbald ändern werden
[. . . ]. Es bleibt somit ausreichend Raum für eine sachgerechte und situationsbezogene Lö-
sung bei der Abgrenzung von legislativen und exekutiven Kompetenzen.“30
24
BVerGE 58, 257, 278.
25
BVerfGE 58, 257, 278; 98, 218, 252; 125, 260, 328.
26
Towfigh, Der Staat 2009, S. 42.
27
BVerfGE 58, 257, 277 f.
28
Towfigh, Der Staat 2009, S. 42.
29
BVerfGE 83, 130, 145.
30
BVerfGE 49, 168, 181.
I. Bestimmtheitsgrundsatz 215
Die genauen Kriterien dafür benennt das Gericht freilich nicht. Der Gesetzgeber
habe nur so bestimmt zu regeln, „wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden
Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist.“31
In der Literatur wird kritisiert, das Wesentlichkeitskriterium sei wegen der zuvor
dargestellten Rechtsprechung unbestimmt.35 Daher verwundere, wie dieses Krite-
rium die Anforderungen an die Gesetzesbestimmtheit konkretisieren können soll.
Überwiegend wird in der Literatur parallel zur Bemängelung der Wesentlichkeits-
theorie auch im Hinblick auf die bürgerliche Rechtssicherheit eine „bestimmtere“
Handhabung des Bestimmtheitsgebots selbst gefordert.36 Zwischen dem Anspruch
auf gesetzliche Bestimmtheit und dessen tatsächlicher Umsetzung bestehe eine „tie-
fe Kluft“. Dies betrifft zuerst den Gesetzgeber,37 aber auch das BVerfG, das Chan-
cen zur Korrektur teilweise ungenutzt gelassen habe.38 Die Kritik erkennt an, dass
31
BVerfGE 49, 168, 181.
32
Schulze-Fielitz in: Dreier, GG2 , Art. 20 Rdn. 130 ff.
33
BFH, Beschl. v. 6. September 2006, XI R 26/04, juris, Abs. 43.
34
Towfigh, Der Staat 2009, S. 50, der dies zusätzlich mit dem Verweis auf Beispiele und der
allgemeinen Wirkungsweise des Rechts begründet.
35
Axer, S. 350.
36
Papier/Möller, AöR, S. 196 ff.
37
Stern, Das Staatsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 830.
38
Kunig, Rechtsstaatprinzip, S. 396 ff.
216 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
8. Eigene Ansicht
Die Aussagen des BVerfG zur Bestimmtheit erscheinen nicht kohärent und lassen
die Anforderungen an die Regelungen der verdeckten strafprozessualen Ermittlun-
gen weitgehend im Unklaren. Grundsätzlich werden strenge Anforderungen an die
Bestimmtheit des in Grundrechte eingreifenden Gesetzes gestellt. Diese werden
aber durch vier Einschränkungen vom BVerfG wesentlich abgemildert:
1. Die Anforderungen an die Bestimmtheit der strafprozessualen Normen müssen
nach Ansicht des BVerfG nicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG
genügen.
2. Der Bestimmtheitsmaßstab solle sich graduell und proportional zur Intensität
der Grundrechtsbelastung ändern.
3. Auslegungsprobleme dürfen nach dem BVerfG bestehen bleiben, wenn sich der
Sinn der Norm mit „mit herkömmlichen juristischen Methoden“ erschließen
lässt.
4. Der Gesetzgeber dürfe bei komplexen und dynamische Regelungsmaterien we-
niger bestimmte Regelungen schaffen.
Durch diese Abschwächungen wird letztlich das Bestimmtheitsgebot selbst zu
einer unbestimmten Regel.
39
Papier/Möller, AöR, S. 198 und Sachs, GG6 , Art. 20 Rdn. 126.
40
Papier/Möller, AöR, S. 199.
I. Bestimmtheitsgrundsatz 217
Art. 103 Abs. 2 GG ist keine Ausnahmevorschrift für das materielle Strafrecht. Für
den Einzelnen ist es unerheblich, ob die Verurteilung wegen unbestimmter Vor-
schriften des Prozessrechts oder unbestimmter Vorschriften des materiellen Rechts
erfolgt. Für ihn kommt es darauf an, dass der Staat ihn wegen Vorschriften bestraft,
auf die er sich nicht einstellen konnte. Das Strafprozessrecht muss dem Betroffenen
verständlich machen, wie die Ermittlungsbehörden mit ihm verfahren dürfen.41
Der allgemeine Erfolg der Grundrechtseingriffe durch verdeckte strafprozessua-
le Ermittlungsmaßnahmen besteht in ihrer Einschüchterungswirkung. Diese Wir-
kung wird durch unbestimmte Gesetze nicht etwa gerechtfertigt, sondern potenziert.
Gerade weil die Grundrechtseingriffe an zentralen Stellen über einen psychisch
vermittelten „Angst-“ bzw. „Einschüchterungsfaktor“42 zustande kommen, ist eine
Verständlichkeit der gesetzlichen Regelungen auch für die Betroffenen erforderlich.
Denn wenn der Grundrechtseingriff so vermittelt wird, dass der Einzelne nicht weiß,
welche Informationen der Staat über ihn erhoben hat, ist eine klare Gesetzeskennt-
nis notwendig, um zu vermeiden, dass ein Klima der Angst entsteht. Wissen die
Bürger nicht, welchen Teil der Kommunikation der Staat überwachen darf, können
sie zum Beispiel veranlasst sein, politische Kommunikation in der Familie zu un-
terlassen oder regierungskritische Internetseiten und Zeitungen zu meiden. Wenn
gerade wegen der Gefahr dieses Effekts übermäßige verdeckte strafprozessuale
Ermittlungsmaßnahmen zu vermeiden sind, muss der Bürger anhand der gesetz-
lichen Regelungen klar erkennen können, in welchen Bereichen er unter welchen
Bedingungen in seiner sozialen Interaktion und sonstigen Persönlichkeitsäußerung
überwacht werden darf und wann er vor strafprozessualer Überwachung sicher ist.
An die Regelungen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen müs-
sen schon daher die gleichen strengen Bestimmtheitsanforderungen gestellt werden
wie an Regelungen des materiellen Strafrechts. Aus den Anforderungen an den
Vorbehalt des Gesetzes ergibt sich daher ein Art. 103 Abs. 2 GG entsprechendes
Analogieverbot daher auch für das Strafprozessrecht.43
Das BVerfG geht davon aus, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit propor-
tional von der Eingriffsintensität abhängen. Dies führt ebenfalls zur Relativierung
des Bestimmtheitsmaßstabs. In der Sache bedeutet die proportionale Abhängigkeit,
41
Die Erlaubnis zu verdeckten Maßnahmen betrifft in erster Linie die Strafverfolgungsbehörden,
die ihr Verhalten – nämlich ob und wie sie verdeckt ermitteln – nach den Normen der StPO aus-
richten müssen. Dies ändert aber nichts daran, dass auch der Betroffene an ihnen ablesen können
muss, wie mit ihm in Strafsachen verfahren werden darf.
42
Vgl. § 8, III, 4, a).
43
So auch Jäger, GA, Bd. 153, 2006, S. 625, 628; Volker Krey, S. 34 ff. m. w. N.; Krey, ZStW
1989, S. 855; Klesczewski, ZStW 2011, S. 751.
218 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
dass nach Ansicht des BVerfG mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsprinzips die Be-
stimmtheit geklärt werden soll.44 Es verhält sich aber anders herum.
Die Eingriffsintensität kann nur festgestellt werden, wenn inhaltlich klar ist, was
die Regelung erlaubt und was nicht. Weil die Einschätzung der Eingriffsintensität
von der Bestimmtheit der Regelung abhängig ist, kann die Eingriffsintensität somit
schon aus logischen Gründen nicht zu einer Relativierung des Bestimmtheitsgrund-
satzes führen. Daher ist einem „absoluten“ Bestimmtheitsgebot gegenüber dem
„relativen“ Bestimmtheitsgebot des BVerfG der Vorzug zu geben. Die Intensität
des Grundrechtseingriffs ist kein Faktor, der die Anforderungen an die Gesetzesbe-
stimmtheit beeinflussen kann.
Die Auffassung des BVerfG, die Ermittlung des Sinns einer Norm mit „herkömm-
lichen juristischen Methoden“ sei für die Bestimmtheit ausreichend, bedeutet im
Ergebnis, dass die Bestimmtheit um die Bestimmbarkeit erweitert wird. Grund-
sätzlich ist nichts daran auszusetzen, dass der Gesetzgeber Normen schafft, die
Auslegungsprobleme enthalten, wenn diese ihrerseits mit anerkannten Methoden
der Auslegung gelöst werden können. Eine wissenschaftlich exakte Sprache gibt es
außerhalb der Mathematik nicht und sie ist nach den Erkenntnissen der Sprachphi-
losophie45 auch nicht praktikabel. Zu kritisieren ist aber, dass mit dem Verweis auf
„die herkömmlichen Methoden“ unbestimmt bleibt, welche dazu zählen. Auch ist
unklar, ob das BVerfG für das Strafprozessrecht an einer grundsätzlichen „Metho-
denbeliebigkeit“ festhält, derzufolge keinem methodischen Kriterium grundsätzlich
Vorrang einzuräumen ist und nach der auch objektiv-teleologische Auslegungsziele
zulässig sind.46 Deutlich wird diese in der gesamten Rechtsprechung herrschende
Auffassung in einer Entscheidung des BGH:
„Die Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus der im weiteren Ge-
setzgebungsverfahren im Ergebnis nicht in Frage gestellten Begründung des Regierungs-
entwurfs ergibt, ist eine mit anderen gleichrangige Auslegungsmethode (vgl. hierzu Vogel,
Juristische Methodik S. 129; Wank, Die Auslegung von Gesetzen 3. Aufl. S. 49 f.). Ein
Auslegungskanon mit einer feststehenden Rangfolge der Auslegungsmethoden wird in der
juristischen Methodenlehre heute ganz überwiegend nicht mehr vertreten (vgl. Christensen/
Kudlich, Theorie richterlichen Begründens S. 375 ff.; Looschelders/Roth, Juristische Me-
thodik im Prozeß der Rechtsanwendung S. 192 ff.). Vielmehr sind die Auslegungsmethoden
für jede auszulegende Gesetzesnorm einerseits nach ihrer Nähe zum Normtext, andererseits
44
„Die Bestimmtheit einer Regelung [muss] ihrer Grundrechtsrelevanz entsprechen“, Ohler,
S. 273.
45
Vgl. die letztlich gescheiterten frühen Versuche von Carnap und Wittgenstein, wobei Letzterer
in seinem Spätwerk die Erschaffung einer logischen Sprache aufgab und sich der Analyse der
Normalsprache und der „Spieltheorie“ zuwendete, Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen.
46
BVerfGE 1, 299, 312; 11, 126, 130 st. Rspr.
I. Bestimmtheitsgrundsatz 219
nach der Stichhaltigkeit der konkreten einzelnen Argumente zu gewichten (vgl. Christen-
sen/Kudlich aaO S. 377 ff.).“47
47
BGH, HRRS 2008 Nr. 407, Abs. 10.
48
Vgl. zur objektiv-teleologischen Auslegung Bode, S. 29 f. Anders Roxin, Strafrecht: Allge-
meiner Teil. Grundlagen, der Aufbau der Verbrechenslehre, AT I § 7 Rdn. 70: „[Strafrechts-
wissenschaft ist Strafrechtsfindung und die liegt] [. . . ] in der schöpferischen Ausarbeitung (d. h.
Entwicklung und Systematisierung der gesetzgeberischen Zielvorstellungen selbst Kriminalpolitik
im Gewande der Dogmatik.“
49
Zu dieser Gefahr auch Vogel, Strafgesetzgebung und Strafrechtswissenschaft, S. 117, der an-
merkt, dass Gefahren für Rechtssicherheit bestünde. Trotzdem ist die teleologische Auslegung für
ihn die „Krone“ der Auslegung.
50
Bzw. „Methodenpluralismus“, vgl. Vogel, Strafgesetzgebung und Strafrechtswissenschaft,
S. 113.
51
Für eine Rangfolge der Auslegungsmethoden speziell im materiellen Strafrecht Bode, S. 26 f.
Allgemein gegen eine Lockerung der Gesetzesbindung durch (zu weite) Auslegung und Rechts-
fortbildung: Hillgruber, JZ 2008, S. 746 ff., Rüthers, Rd. 696 ff., 707 ff. Walz schlägt folgende
allgemeine Bearbeitungsreihenfolge vor: I. Stufe: Wortlautauslegung, II. Stufe: Gemeinschafts-
konforme Auslegung, III. Stufe: Verfassungskonforme Auslegung, IV. Stufe: Historische (und
auch subjektiv-teleologische Auslegung), V. Stufe: Systematische Auslegung, VI. Stufe: Teleo-
logische Auslegung, 1. Normtextnahe teleologische Auslegung, 2. Normtextferne teleologische
Auslegung, siehe Walz, ZJS 2010, S. 489. Dem kann nur bedingt zugestimmt werden.
220 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
Die Auffassung des BVerfG, der Gesetzgeber könne nur im Rahmen des sachlich
Möglichen Regelungen treffen, führt – auf die Spitze getrieben – dazu, dass es für
die Bestimmtheit ausreicht, wenn nur noch Experten Gesetze verstehen.54
Adressaten der Regelungen der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen sind sowohl
die Ermittlungsbehörden als auch die normunterworfenen Bürger.55 Bereits durch
die Außenwirkung der Vorschriften ist dies zwingend. Sie geben den Ermittlungs-
behörden Befugnis und Grenzen an, aber auch den Bürgern, die sich so auf die
Grundrechtseingriffe einstellen können. Die Beschränkung der Bestimmtheit durch
das sachlich Mögliche darf nicht dahingehend ausgedehnt werden, dass eine Ver-
ständlichkeit für Experten als ausreichend angesehen wird. Dies gilt jedenfalls,
wenn die Möglichkeit besteht für durchschnittliche Bürger verständliche Regelun-
gen zu schaffen. Die abweichende Ansicht aus der Literatur56 ist abzulehnen.
Der Gesetzgeber darf keine in Grundrechte eingreifenden Gesetze zu strafpro-
zessualen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen erlassen, wenn er nicht in der Lage
52
Vgl. zum Ganzen Bode, S. 26 ff.
53
Wie oben gezeigt, vgl. § 6, IV, 8, darf der einfache Rechtsanwender dies nur im Ausnahmefall.
54
Vgl. zur praktischen Erheblichkeit für das hier behandelte Thema zum Beispiel § 14, II, 2. und
§ 26, III, 2.
55
Die Rechtsprechung unterscheidet bei den Anforderungen an die Gesetzesverständlichkeit zu-
treffend nach dem Adressatenkreis. Danach kommt es darauf an, dass nicht irgendjemand, sondern
der Adressat der Vorschrift seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen
kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag, vgl. st. Rspr.; BVerfGE 108, 52, 75;
BVerfGE 83, 130, 145; Herzog, NJW 1999, S. 25; Papier/Möller, AöR, S. 184.
56
Towfigh, Der Staat 2009, S. 52.
I. Bestimmtheitsgrundsatz 221
57
Towfigh, Der Staat 2009, S. 52.
58
Krey, Sonderband der BKA Forschungsreihe 1993, S. 127.
59
Krey, Sonderband der BKA Forschungsreihe 1993, S. 127.
60
So in der Sache auch Kim, S. 129.
61
Köhler, S. 77; vgl. auch Vormbaum, S. 70 und Cattaneo unter Bezugnahme auf Feuerbach.
62
Das Josephinische Strafgesetz (Allgemeines Gesetzbuch über Verbrechen und derselben Be-
strafung, kurz: Josephina, Josefina oder StG 1787) war ein von Joseph II. erlassenes Strafrecht für
die Erbländer der Habsburger. Es war von 1. Januar 1787 bis 1803 in Kraft. Es bestand aus zwei
getrennt durchnummerierten Teilen („Kriminal-Verbrechen“ und „politische Verbrechen“).
63
Bereits der Vorgängerin Josef II., Maria Theresia (1740–1780), wird das Zitat zugeschrieben
„Ein Gesetz ist erst dann legitim, wenn selbst der letzte Schweinehirte in Galizien es verstehen
kann“, Helfrich, S. 82.
64
Kim, Der Gesetzlichkeitsgrudsatz im Lichte der Rechtsidee, S. 123.
65
Hobbes, Leviathan, S. 250.
222 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
Ursache für den Erlaß eines Gesetzes verständlich abzufassen und den Hauptteil des Geset-
zes selbst so kurz, aber in so angemessenen und aussagekräftigen Termini wie möglich.“66
9. Zwischenergebnis
II. Verhältnismäßigkeit
66
Hobbes, Leviathan, S. 295 f. Zur weiteren Verankerung in der rechtlichen Tradition Europas,
vgl. Kim, Der Gesetzlichkeitsgrudsatz im Lichte der Rechtsidee, S. 123 ff.
67
Vgl. § 20.
II. Verhältnismäßigkeit 223
1. Verfassungsrechtliche Herleitung
Verhältnismäßigkeit ist die Korrelation zwischen „Zweck und Mittel“. Das Mittel
liegt mit den Regelungen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnah-
men fest. Nach h. M. ist der Grundsatz im verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprin-
zip und den Grundrechten selbst verankert.68 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist
„nach ersten Ansätzen der Judikatur des BayVerfGH vom BVerfG allmählich als
verfassungsrechtliches Prinzip herausgearbeitet und ist als solches heute weitge-
hend anerkannt, gilt zudem auch im Europarecht.“69
Dem Gesetzesvorbehalt wird nicht schon durch jede bestimmte gesetzliche Rege-
lung genüge getan. Das Gesetz muss außerdem inhaltlich verhältnismäßig sein.
Diese Schranke des Eingriffs wird in Weiterführung des räumlichen Bildes vom
Schutzbereich und dem Eingriff oder der Beschränkung als Schranken-Schranke
bezeichnet.70 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit modifiziert den Vorbehalt des
Gesetzes so, dass unter der Bindung der Gesetzgebung an die Grundrechte der
grundrechtliche Vorbehalt des Gesetzes zum Vorbehalt des verhältnismäßigen Ge-
setzes geworden ist.71
68
BVerfGE 19, 342, 348 f.: „In der Bundesrepublik Deutschland hat der Grundsatz der Ver-
hältnismäßigkeit verfassungsrechtlichen Rang. Er ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, im
Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Frei-
heitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur so weit
beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist.“ Dies ist h. M.,
vgl. auch Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 448; Cremer, S. 270 f. Fn. 504 m. w.
N.
69
Sachs, GG6 , Art. 20 GG, Rdn. 145; Neben einigen anderen Ansätzen, die Art. 19 Abs. 2 oder
Art. 3 GG bemühen, vgl. zu den verschiedenen Begründungsansätzen die Darstellung bei Lind-
ner, S. 221 f. wird auch vertreten, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht das Ergebnis
der Auslegung und Interpretation einzelner Verfassungsbestimmungen sei, sondern als eigen-
ständiger ungeschriebener Grundsatz Verfassungsbestimmung sei. Dessen Rechtsquelle sei das
Verfassungsgewohnheitsrecht, vgl. Wolff , Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundge-
setz, S. 238 ff., 465.
70
Zur Überflüssigkeit des sprachlichen Bildes Michael/Morlok, § 21 Rdn. 543.
71
Vgl. Schlink, EuGRZ 1984, 459 f.; Pieroth/Schlink, Rdn. 284. Entgegen der hier vertretenen
Ansicht werden Bedenken vorgebracht, dass das vom Grundgesetz verfasste System von grund-
rechtlichen Gewährleistungen einerseits und Schrankenvorbehalten andererseits über den Weg der
Verhältnismäßigkeitsprüfung aus den Angeln gehoben wird. Pfeiffer/Hannich in: KK 6 , Einleitung
Rdn. 31; Scholz, NJW 1983, S. 709; Ress in: Kutscher/Ress/Teitgen, S. 7. Diese Befürchtungen
sind aber unbegründet, da es ein besonders „verfasstes System“ so nicht gegeben hat. Im Rege-
lungsbereich der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gäbe es nur eine Dichotomie zwischen dem
nicht weiter bestimmten Gesetzesvorbehalt für die Grundrechte aus Art. 10 und Art. 2 Abs. 1 GG
und den Schranken des Art. 1 Abs. 1 und des Art. 13 Abs. 3 GG. Wenn allein die Unterscheidung
dieser Grundrechte in den Schranken gemeint ist, bedeutete das, verdeckte Ermittlungsmaßnah-
224 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
men wären außerhalb von Wohnungen und Telefonkommunikationsleitungen durch eine einzige
generalklauselartige Befugnisnorm gerechtfertigt und bis an die Grenze des Kernbereichs schon
bei dem geringsten Anlass zulässig.
72
Daraus ergeben sich die Untergrundsätze der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessen-
heit.
73
Schlink Abwägung im Verfassungsrecht, passim.
74
BVerfGE 34, 238, 249.
75
Die Verankerung in der Verfassung ist auch für die Prüfung der Angemessenheit wichtig, da die
Verfassungsvorschriften – zum Beispiel Art. 20 Abs. 3 GG, in dem die Schutzpflichten verankert
werden – im Vergleich zu schlichten öffentlichen Interessen ein besonderes Gewicht haben, vgl.
Michael in: Häberle, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, S. 198. Vgl. zur Bedeutung
in der Angemessenheit § 9, II, 5, c), bb).
II. Verhältnismäßigkeit 225
4. Erforderlichkeit
Außerhalb des Grundgesetzes ist die Erforderlichkeit für Notwehr und Notstand
essentiell. Im Rahmen des Notstandes nach § 34 StGB kann eine Interessenabwä-
gung als Wertmaßstab auf die durch Geldstrafe oder Zeitdauer der Freiheitsstrafe
vergleichbaren Strafrahmen zurückgreifen. Die Verletzungen der geschützten In-
teressen bzw. Rechtsgüter sind so durch den Gesetzgeber bewertet worden und
76
Grundsätzlich wird die Frage gestellt: Gibt es mildere, gleich effektive Maßnahmen? Maßnahme
in diesem Sinne kann auch ein Gesetz sein, zum Beispiel die Regelung der §§ 100a, 100b StPO.
77
Vgl. Cremer, S. 156.
78
Eichhoff , S. 295.
226 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
die sich daraus ergebende Rangfolge ist für den Rechtsanwender bei seiner In-
teressenabwägung zumindest ein normativer Anhaltspunkt für eine Systematik des
Gesetzgebers. Ein vergleichbares Vorgehen ist im Verfassungsrecht so einfach nicht
möglich. Auch eine Parallele zu einfach gesetzlichen Regelungen ist nicht zuläs-
sig, weil die Erforderlichkeit so durch den einfachen Gesetzgeber bestimmt werden
könnte. Verfassungsrechtlich wäre dann nur eine Überprüfung auf Widersprüche in
der Gesetzgebung möglich. Das BVerfG interpretiert seine Rolle als Verfassungs-
wächter aber zurecht nicht dermaßen eingeschränkt. Ein in sich schlüssiges, aber
zum Beispiel ein bestimmtes Grundrecht radikal vernachlässigendes Konzept des
Gesetzgebers, kann nicht verfassungsgemäß sein.
Nach h. M. sind die Grundrechte des Grundgesetzes grundsätzlich gleich-
rangig.79 Dies kann jedoch hinsichtlich der Hauptfunktion der Grundrechte als
Eingriffsabwehrrechte nur gelten, wenn Grundrechte Schranken haben, die gleich
strenge Anforderungen an eine eingreifende Maßnahme stellen. Ein Grundrecht
ist offensichtlich wichtiger als das andere, wenn in das eine Grundrecht nicht, in
das andere aber durch jedes bestimmte und verhältnismäßige Gesetz eingegriffen
werden darf. Ebenso ist ein Grundrecht höherrangig als ein anderes, wenn in das ei-
ne Grundrecht nur unter strengen oder qualifizierten Voraussetzungen eingegriffen
werden darf und das andere Grundrecht unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt
steht. Daher ist ein Unterschied zwischen dem Eingriff in das eine oder das andere
Grundrecht der Art nach nur relevant, wenn unterschiedlich strenge Schranken-
regelungen vorhanden sind.80 Bei den verdeckten strafprozessualen Ermittlungen
sind insbesondere Art. 13 Abs. 3, 5 GG hervorzuheben, die besonders strenge
Eingriffsschranken aufstellen. Eine Sonderstellung genießt zudem der Kernbereich
der privaten Lebensgestaltung, der nach Art. 1 Abs. 1 GG absolut geschützt ist.81
Insoweit ergibt sich eine klare Rangfolge:
1. Anspruch auf Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)
2. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1, 3, 5)
3. Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung (Art. 2 Abs. 1 GG) und Brief-,
Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG).82
79
Die Grundrechte sind bis auf wenige Ausnahmen im Rang der Art nach gleich, da vom je-
weiligen Schutzbereich eine Bandbreite verschiedener Fälle erfasst wird, vgl. Alexy, Theorie der
Grundrechte, S. 520 und zu den differierenden Ansichten und Versuchen einer abstrakten Rangfol-
gebildung Eichhoff , S. 292 ff., 295 m. w. N., die aber das Fazit ziehen muss: „Nach alledem bleibt
allerdings für die größeren Teile der persönlichen Grundrechte das Rangverhältnis untereinander
offen.“
80
Vgl. aber Lothar Michael in: Häberle, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegewart, S. 197,
Fn. 208 m. w. N., der eine abstrakte Ungleichgewichtigkeit als Abweichung von der abstrakten
Gleichrangigkeit diskutiert. Vgl. auch Eichhoff , S. 292 ff.
81
Weil er die Integrität des Menschen in seinem „So-Sein“ schützt und wegen seiner Doppelnatur
als subjektives Recht des Einzelnen auf individuelle Abwehr von Maßnahmen, die die Würde an-
tasten und als objektives Recht, das dem Staat entwürdigendes Handeln verbietet, ist der Anspruch
auf Achtung der Menschenwürde allerdings kein klassisches Freiheitsgrundrecht.
82
Art. 19 Abs. 4 GG soll Grundrechtsschutz durch Gerichte gewährleisten. Es steht daher als
„Hilfsgrundrecht“ auf der Stufe des jeweiligen Grundrechts.
II. Verhältnismäßigkeit 227
Dies betrifft aber nur eine abstrakte Reihenfolge der Art nach. Freilich können auch
die Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG im konkreten Einzelfall genau-
so schwerwiegend sein wie Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.83
Auch wenn verschiedene Eingriffe das nämliche Grundrecht oder unterschiedliche
Grundrechte gleichen Ranges betreffen, können diese Eingriffe im konkreten Fall
unterschiedlich belastend sein.
b) Fehlende „Wägbarkeit“
Der Vergleich immaterieller Interessen muss wegen der fehlenden physischen Wäg-
barkeit und der fehlenden verfassungsrechtlichen Größenangaben objektiviert wer-
den, um einen unvermeidbaren subjektiven Einfluss möglichst gering zu halten. So-
weit es um die Grundrechte geht, kann die subjektive Einschätzung des Betroffenen
bzw. ein gesellschaftlicher Durchschnitt dessen, was für belastend gehalten wird,
als Hilfe bei der Objektivierung der Kriterien dienen.84 Die hinter den Grundrech-
ten stehenden Interessen lassen sich nur schwer quantifizieren. Immerhin gibt es
im Eigentumsbereich finanzielle Wertmaßstäbe. Körperlich wirksame Beeinträchti-
gungen lassen sich in gewissem Maße in eine Rangfolge bringen. Ein einheitlicher
Maßstab, anhand dessen psychische Beeinträchtigungen mit den vorgenannten mo-
netären oder körperlichen Beeinträchtigungen verglichen werden können, ist bisher
nicht ausgearbeitet worden. Bei den verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaß-
nahmen geht es um psychische (Einschüchterungs-)Effekte.85
c) Objektive Kriterien
83
Die oben besprochen Übertragung der Schranken des Art. 13 Abs. 3, 5 GG auf das Grundrecht
auf Freiheit von Einschüchterung beruht auf diesem Gedanken, vgl. § 8, VII, 1, b, dd).
84
Letztendlich kann der Einzelne in gewissem Umfang selbst entscheiden, wie wichtig ihm seine
Grundrechte sind, vgl. unter § 8, IV, 2, c). Da Meinungsumfragen dazu schlecht möglich und Sta-
tistiken nicht vorhanden sind, bleibt es insoweit bei Schätzungen. Die Schätzungen dürfen – wenn
keine persönlichen Präferenzen bekannt sind – nur anhand von möglichst objektiven Kriterien
getroffen werden.
85
Vgl. § 8, III, 4, d).
228 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
Ausgehend vom Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung müssen sich Kri-
terien für die Unterscheidung der Belastungsintensität verdeckter strafprozessua-
ler Ermittlungsmaßnahmen an der Stärke der Einschüchterungseffekte orientieren.
Dies sind folgende Kriterien:
Mit der Dauer einer Maßnahme wächst die Zahl der gewonnenen Informationen.
Je mehr Erkenntnisse über das Leben des Betroffenen gesammelt werden, desto
stärker ist der einschüchternde Effekt.
Wenn ein Verhalten unmittelbar durch technische Geräte aufgezeichnet wird, ist
ein stärkerer psychischer Einschüchterungseffekt zu erwarten, als wenn sich ei-
ne beobachtende Person Notizen zum Geschehen macht. Damit korrespondiert auf
der anderen Seite ein großer Überzeugungsfaktor bei der Beweiswürdigung. Eine
Videoaufzeichnung eindeutigen Verhaltens lässt sich schwerer abstreiten als eine
Zeugenaussage darüber. Dies verstärkt wiederum den Einschüchterungseffekt.
Auch die Art und Anzahl der Überwachungsmittel kann die Belastung beeinflus-
sen. Je mehr Mittel eingesetzt werden, desto umfangreicher ist die Überwachung.
Erfolgt zusätzlich zu einer akustischen Überwachung mittels Mikrofon noch eine
visuelle Überwachung mittels Kamera, ist die Überwachung wegen der stärkeren
Einschüchterungswirkung belastender als eine mit nur einem technischen Mittel.
Auch die Art der Mittel kann also die Einschüchterungswirkung verstärken. So
ist die Aufnahme von Sprache wegen der höheren Informationsdichte des gespro-
chenen Wortes in der Regel belastender als eine Bildaufnahme ohne Ton. Dem
entsprechen im Ergebnis verschiedene Fallgruppen der Grundrechte. Der Eingriff
in die allgemeine Handlungsfreiheit durch Einschüchterung kann über verschiedene
„Rechte“ im Sinne der h. M. begründet werden. Diese Rechte sind nur Unterkate-
gorien des Grundrechts auf Freiheit von Einschüchterung:86
Beispiel 30 So ist das Recht am eigenen Bild, am eigenen Wort und dem Recht auf
Privatsphäre betroffen, wenn der Betroffene per Videoaufzeichnung bei einem Pri-
vatgespräch im Park beobachtet wird. Der Betroffene ist dann stärker eingeschüch-
86
Wie oben gezeigt, vgl. § 8, III, 5, handelt es sich bei Grundrechtskonkretisierungen im Rahmen
des Art. 2 Abs. 1 GG um Begründungen für Einschränkungen der Handlungsfreiheit.
II. Verhältnismäßigkeit 229
tert als wenn er nur auf der Straße ohne weitere Hilfsmittel bei einem einsamen
Spaziergang kurzfristig ohne technische Hilfsmittel beschattet wird.
Beispiel 31 Auf einem Berggipfel ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass ein an-
derer Äußerungen mithört, die ein Einzelner dort einem Vertrauten erzählt. Eine
Unterhaltung auf einer belebten Straße kann hingegen leicht von Passanten mitge-
hört werden.
Ist kein erheblicher physischer Schutz zu anderen vorhanden, kann sich der Ein-
zelne weniger auf natürlichen Schutz verlassen. Insoweit ist das Vertrauen in seinen
Kommunikationspartner eine „natürliche“ bzw. „menschliche“ Sicherungsmaßnah-
me.
87
Vgl. dazu schon § 8, IV, 2, a), bb).
230 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
Beispiel 32 Ein Gast in einer Bar erzählt seinem Thekennachbarn Geschichten aus
dem Krieg. Hier kann sich der Gast nur auf den bekanntermaßen oft trügerischen
ersten Eindruck verlassen, wenn er meint, der andere würde die Geschichte für sich
behalten und nicht weitererzählen.
Beispiel 33 A wird von einem Callcenter aus angerufen. Der Mitarbeiter des Call-
centers vermittelt eine kurze Werbebotschaft. A sagt, er habe kein Interesse und legt
auf. Am Tag darauf telefoniert A mit einem Arbeitskollegen und teilt diesem mit,
dass ihm schwere Fehler bei der Buchprüfung unterlaufen sind.
Im ersten Fall ist der Inhalt des Gesprächs nicht geeignet, peinliche Informa-
tionen über A zu erhalten. Man kann daraus lediglich schließen, dass er – wie die
88
Dass sie aus kommerziellen Interessen für diesen Schutz eintreten, ist nicht mit einem originären
Schutzinteresse vergleichbar. Das reine Interesse am Gewinn lässt sich auch in vielfältiger Weise
durch den Staat ausnutzen.
89
In der Literatur wird folgende Formel aufgestellt Eichhoff , S. 295: „Je sensibler der Bereich
ist, desto stärker wird die Menschenwürde betroffen sein.“ Dass darf jedoch nicht auf die Bestim-
mung des milderen Mittels angewendet werden, da ein Eingriff in den Anspruch auf Achtung der
Menschenwürde nicht zu rechtfertigen ist.
II. Verhältnismäßigkeit 231
Die in diesem Abschnitt genannten Kriterien für die belastende Wirkung der ver-
deckten Maßnahmen lassen sich wie folgt zusammenzufassen:
Dauer der Maßnahme
Speichern der Informationen, mittelbar oder unmittelbar
Art und Anzahl der Überwachungsmittel
Schwierigkeit, natürliche Hindernisse zu überwinden
Inhaltliche Betroffenheit der Privatsphäre.
90
Vgl. § 7, III, 4, b).
91
Vgl. § 8, III, 4, a).
92
Vgl. § 8, VII, 4.
93
Die Ausarbeitung einer Rangfolge der Zwangsmaßnahmen würde den Rahmen dieser Arbeit
sprengen.
232 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
setz abgelesen werden, sondern muss sich aus einer Abwägung aller Umstände im
Einzelfall ergeben. Lediglich Art. 13 Abs. 3 GG geht von einer starken Belastung
durch die akustische Wohnraumüberwachung aus. Die dortigen Anforderungen ge-
hen sogar teilweise über die Schranken des Art. 104 Abs. 1 GG hinaus. Für die
Untersuchungshaft muss binnen 48 Stunden eine richterliche Entscheidung erfol-
gen, eine Anordnung der akustischen Wohnraumüberwachung ist auch im Eilfall
nicht ohne richterliche Entscheidung zulässig. Dass die Vorschrift des Art. 13 Abs. 3
GG dahingehend zu erweitern ist, dass verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaß-
nahmen immer belastender sind als Zwangsmaßnahmen oder ob Art. 13 Abs. 3 GG
eine Ausnahme darstellt, ist dem Grundgesetz nicht zu entnehmen. Nur aufgrund
des modernen Eingriffsbegriffs,94 der mittelbare Wirkungen einbezieht, sind beob-
achtende Maßnahmen Eingriffe. Mit dem modernen Eingriffsbegriff ist kein Dogma
verbunden, nach dem durch die Eingriffserweiterung subsumierbare Eingriffe we-
niger belastend wären als solche, die schon unter dem klassischen Eingriffsbegriff
ein Eingriff waren. Dies ist auch nicht sinnvoll, da es auf die Folgen für den Betrof-
fenen und nicht auf den Eingriffsweg ankommt. Ob die Entscheidungsfreiheit durch
Zwang oder durch psychisch manipulierende Einschüchterung beeinträchtigt wirkt,
ist unerheblich. Die Folgen heimlicher Eingriffe sind nicht in jedem Fall weniger
oder stärker belastend als Eingriffe durch Zwangsmaßnahmen.95
hh) Zusammenfassung
94
Vgl. § 7, III.
95
Vgl. § 7, III, 5, c), aa); § 8, III, 1.
96
Qualifizierter Zwang wäre solcher, der die Menschenwürde antastet, insbesondere also solcher
zur Erzwingung einer aktiven Selbstbelastung. Dieser wiegt schwerer als eine verdeckte Maßnah-
me, die ihrerseits nicht den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung antastet.
II. Verhältnismäßigkeit 233
5. Angemessenheit
Nach dem BVerfG muss der Eingriff „in angemessenem Verhältnis zu dem Ge-
wicht und der Bedeutung des Grundrechts“ stehen.101 Das Maß der den Einzelnen
treffenden Belastung (muss) „noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der All-
gemeinheit erwachsenden Vorteilen stehen“.102 Damit bekennt sich das BVerfG zu
einer Berücksichtigung des Abwägungsgedankens in der Angemessenheitsprüfung
und setzt sich wegen seiner oft allgemein gehaltenen Formulierungen diesbezüglich
der Kritik aus.
97
Cremer, S. 156; vgl. auch Wolff , Ungeschriebenes Verassungsrecht uter dem Grundgesetz,
S. 230.
98
Roxin/Schünemann, § 29 Rdn. 5.
99
Dort allerdings nicht Stärke im Ergebnis, sondern besonderes Begründungserfordernis.
100
Vgl. Fünfter Teil.
101
BVerfGE 67, 157, 173.
102
BVerfGE 67, 1, 57.
234 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
c) Eigene Ansicht
Beispiel 34 Ein Eingriff in das Eigentum einer Person, um einer anderen Person zu
helfen, ist nach dem Geldwert der Schäden bestimmbar. Ob aber ein Eingriff in das
Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung durch die heimliche Überwachung
einer Person schwerer wiegt als der damit mittelbar verbundene Schutz vor Verbre-
chen durch erfolgreiche Strafverfolgung, ist nicht anhand eines solchen Maßstabs
zu beurteilen.
103
Statt vieler Epping, Rdn. 56 ff.
104
Pieroth/Schlink, Rdn. 299.
105
Vgl. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 127 ff., 199 ff., zustimmend Roellecke, NJW
1977, S. 888; ebenfalls ablehnend Isensee, JZ 1996, S. 1090; Ernst Wolf , S. 86 ist der Ansicht,
Interessen und Güterabwägung bedeute „Willkür statt Rechtserkenntnis“. Ossenbühl, Maßhal-
ten mit dem Übermaßverbot, S. 157 nennt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einen „großen
Weichmacher“ und schreibt vom „Übermaß des Übermaßverbots“ sowie „Maßhalten mit dem
Übermaßverbot“. Für eine Beibehaltung der Abwägungslehre mit Verbesserungsvorschlägen vgl.
die Nachweise bei Lindner, S. 218, Fn. 156.
106
Es mag Fälle außerhalb der verdeckten strafprozessualen Ermittlungen geben, in denen eine
solche Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile einer Maßnahme nach einem pekuniären Maß-
stab erfolgen kann.
107
Diese abstrakte Ranggleichheit ist sogar notwendig, damit eine Abwägung im konkreten Fall
überhaupt stattfinden kann, vgl. Lothar Michael in: Häberle, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der
Gegewart, S. 197. So schon Canaris, S. 75, der die Gleichrangigkeit komparativer Elemente als
Strukturmerkmal bezeichnet und Alexy, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft NF 25,
1985, S. 17, der das Kollisionstheorem durch eine Abwägung im konkreten Fall geprägt sieht.
II. Verhältnismäßigkeit 235
das Verfahrensrecht vorgesehen. Welchen Stellenwert die durch das Strafrecht ge-
schützten Belange haben, ergibt sich daraus jedoch nicht.
bb) Abwägung der Grundrechte des Betroffenen gegen eine Schutzpflicht aus den
Grundrechten
Nach der derzeitigen Gesetzeslage geht das BVerfG davon aus, dass der Staat ver-
pflichtet ist, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Diese Schutzpflicht
wird aus den Grundrechten gefolgert und betrachtet die Sicherheit der Bevölkerung
sowie deren Individualinteressen an Leib, Leben und Freiheit als Verfassungswerte,
die mit anderen hochwertigen Gütern im gleichen Rang stehen. Das BVerfG spricht
eine allgemeine Schutzpflicht auf Sicherheitsgewährleistung speziell für den heim-
lichen Eingriff in Computersysteme an:
„Die Schutzpflicht findet ihren Grund sowohl in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 als auch in Art. 1
Abs. 1 Satz 2 GG [. . . ]. Die vermehrte Nutzung elektronischer oder digitaler Kommu-
nikationsmittel und deren Vordringen in nahezu alle Lebensbereiche erschwert es der
Verfassungsschutzbehörde, ihre Aufgaben wirkungsvoll wahrzunehmen. Auch extremisti-
schen und terroristischen Bestrebungen bietet die moderne Informationstechnik zahlreiche
Möglichkeiten zur Anbahnung und Pflege von Kontakten sowie zur Planung und Vor-
bereitung, aber auch Durchführung von Straftaten. Maßnahmen des Gesetzgebers, die
informationstechnische Mittel für staatliche Ermittlungsmaßnahmen erschließen, sind ins-
besondere vor dem Hintergrund der Verlagerung herkömmlicher Kommunikationsformen
hin zum elektronischen Nachrichtenverkehr und der Möglichkeiten zur Verschlüsselung
oder Verschleierung von Dateien zu sehen (vgl. zur Strafverfolgung BVerfGE 115, 166
<193>).“108
108
BVerfGE 120, 274, 319 f.
236 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
109
So in der Sache auch Hirschberg, S. 172 ff. Vgl. aus österreichischer Perspektive Stelzer, S. 150
Fn. 174.
110
Pieroth/Schlink, Rdn. 285.
111
Vgl. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, Insbesondere S. 75 f. und passim.
112
BVerfGE 12, 81, 88, 26, 72, 93; 38, 1, 21; vgl. auch Gröschner, S. 14 und Gröschner in:
Isensee/Kirchhof , HStR 3, § 23.
II. Verhältnismäßigkeit 237
Diese Gesetzesgebundenheit des Richters wird gelockert, wenn Gerichte nach sub-
jektiven Überzeugungen über Angemessenheit urteilen müssen. Ossenbühl kritisiert
die Erosion der Gewaltenteilung (nicht nur durch die richterliche Angemessenheits-
prüfung, sondern auch durch Verhältnismäßigkeitserwägungen im weiteren Sinne):
„Die Grundrechtsprüfung verschwimmt zur Verhältnismäßigkeitsprüfung. Der damit ver-
bundene Verlust an Strukturen und Rechtssicherheit ist das eine, die mit der Verhältnis-
mäßigkeitsprüfung einhergehende Machtverschiebung im Gefüge der Staatsfunktion das
andere. In die Leerformel des Verhältnismäßigkeitsprinzips werden Zwecksetzungen, Tat-
sachenfeststellungen (sei es als Einzeltatsachen oder legislative facts), Prognosen und Ein-
schätzungen eingespeist und in einem schwer rationalisierbaren Vorgang miteinander in
Beziehung gesetzt. Dies ermöglicht der kontrollierenden Instanz ein Maximum an Bewe-
gungsfreiheit zwischen judical self restraint und umfassender Kontrolle. Man mag dies
auf Ebene des Verfassungsrechts im Verhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und
Gesetzgeber hinnehmen. Im übrigen Bereich der Rechtsordnung eröffnet der Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit der entscheidenden Verwaltungsinstanz oder dem kontrollierenden
Richter die Möglichkeit zur Einzelfallgerechtigkeit, aber auch den selbst erteilten Dispens
vom Prinzip der Gesetzmäßigkeit.“113
113
Ossenbühl, Maßhalten mit dem Übermaßverbot, S. 158.
114
Vgl. § 6.
115
Vgl. dazu § 6, IV, 3.
238 § 9 Vorbehalt des Gesetzes
6. Zwischenergebnis
Zum Abschluss der allgemeinen Ausführungen ist noch als Konsequenz der bespro-
chenen verfassungsrechtlichen Vorgaben zusammenzufassen, unter welchen Um-
ständen die Ermittlungsbehörden zwar Ermittlungsmaßnahmen ergreifen, aber die-
se nicht verdeckt sondern nur offen ausführen dürfen.
Weil die Abwehr „diffuser Bedrohlichkeit“ durch ein Grundrecht auf Freiheit
von Einschüchterung gewährleistet ist, sorgt Offenheit der Ermittlungsmaßnahmen
dafür, dass dieser Faktor entfällt, der die Handlungsfreiheit psychisch begrenzt. Da
es ein Recht auf Freiheit von Einschüchterung gibt, muss es unter bestimmten Um-
ständen einen Anspruch auf Offenheit geben, der Betroffenen zu diesem Recht
verhilft. Fraglich bleibt, wie ein Anspruch auf Offenheit staatlicher Ermittlungs-
maßnahmen verfassungsrechtlich einzuordnen ist und unter welchen Bedingungen
er geben ist.
Das BVerfG selbst spricht von einem „Grundsatz der Offenheit der Erhebung und
Nutzung von personenbezogenen Daten“.1 Diesen Grundsatz und die entsprechen-
den „Transparenzanforderungen“ begründet das Gericht mit einer „diffusen Be-
drohlichkeit“ heimlicher Datenspeicherung.2
„Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Transparenz der Datenverwendung er-
lauben eine geheime Erhebung der nach § 113a TKG gespeicherten Daten nur, wenn dies
aus überwiegenden, gesetzlich näher zu konkretisierenden Gründen erforderlich und rich-
terlich angeordnet ist.“3
1
BVerfGE 125, 260 335 f.
2
BVerfGE 125, 260, 353.
3
BVerfGE 125, 353.
Das BVerfG geht davon aus, dass die Heimlichkeit der strafprozessualen Ermitt-
lungsmaßnahmen tatsächlich nur eine „Intensivierung“ oder „Verstärkung“ der Ein-
griffe in Grundrechte ist.4
Nach Ansicht des BVerfG soll die heimliche Infiltration eines vernetzten Compu-
tersystems das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG besonders intensiv verletzen. Dar-
um definiert das BVerfG neben dem Schutzbereich des neu konkretisierten Compu-
tergrundrechts auch, unter welchen Bedingungen die heimliche Überwachung ein
Eingriff in dieses Recht ist:
„Unter einem heimlichen Zugriff auf ein informationstechnisches System ist demgegen-
über eine technische Infiltration zu verstehen, die etwa Sicherheitslücken des Zielsystems
ausnutzt oder über die Installation eines Spähprogramms erfolgt. Die Infiltration des Ziel-
systems ermöglicht es, dessen Nutzung zu überwachen oder die Speichermedien durchzu-
sehen oder gar das Zielsystem fernzusteuern.“5
Wie bereits erwähnt7 kommt es nach der Ansicht des BVerfG zu einer Verstär-
kungswirkung des Einschüchterungseffektes durch die Heimlichkeit. Die Heimlich-
keit wird darüber hinaus nicht dogmatisch eingeordnet. Dem Urteil lässt sich nur
entnehmen, dass die Heimlichkeit durch Einschüchterungseffekte den Eingriff in
das Grundrecht verschlimmert.8
4
Vgl. § 10, I; § 8, III, 2, e).
5
BVerfG 120, 260, 276.
6
BVerfG 120, 260, 314.
7
Vgl. § 8, III, 2, e).
8
BVerfGE 120, 260, 326: „[. . . ] [Heimliche Zugriffe des Staates auf informationstechnische Sys-
teme können] das Vertrauen der Bevölkerung beeinträchtigen, dass der Staat um eine möglichst
hohe Sicherheit der Informationstechnologie bemüht ist. (2) Der Grundrechtseingriff, der in dem
heimlichen Zugriff auf ein informationstechnisches System liegt, entspricht im Rahmen einer prä-
ventiven Zielsetzung angesichts seiner Intensität nur dann dem Gebot der Angemessenheit, wenn
bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechts-
gut hinweisen [. . . ].“
9
Meurer, Informelle Ausforschung, S. 1294 f.
10
BGHSt 42, 139, 149 f.
11
Meurer deutet dieses Grundrecht nur an, da er zwar kritisiert, der BGH lehne einen allgemeinen
Grundsatz der Offenheit staatlicher Ermittlungen ab, dann aber ausdrücklich nur den Grundsatz
der Offenheit von Vernehmungen und das Nemo-tenetur-Prinzip als Gegenargumente nennt und
dies mit grundrechtlichen Erwägungen zu Art. 1 Abs. 1 GG und zum Recht auf informationelle
Selbstbestimmung vermischt. Da er sich auf Dencker, StV 1994, S. 683 bezieht, spricht aber alles
III. Eigene Schlussfolgerung aus dem Recht auf Freiheit von Einschüchterung 241
wird ein Grundrecht auf generelle Offenheit staatlicher Maßnahmen auch als Teil-
haberecht aus dem Demokratieprinzip gefolgert.12
Würde der „Grundsatz“ auf Offenheit als Grundrecht im Rahmen des Art. 2 Abs. 1
GG eingeordnet werden, hätte dies erhebliche Konsequenzen, nicht nur für die
verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen, sondern für das Ermittlungs-
verfahren als Ganzes. Gesetzliche Regelungen zur Durchsetzung dieses Anspruchs
müssten bereitgestellt werden, Ausnahmen müssten gesondert geregelt werden.
Der Einzelne hat nach dem oben dargelegten Verständnis des allgemeinen Geset-
zesvorbehalts das Recht, wenn er schon eingeschüchtert wird, nur im erforderlichen
und angemessen Maß eingeschüchtert zu werden. Daraus ergibt sich unter Umstän-
den ein Anspruch auf Offenheit als Ergebnis der verhältnismäßigen Einschränkung
des Grundrechts auf Freiheit von Einschüchterung. Die Verminderung der Ein-
schüchterungswirkung durch Offenheit der Maßnahme kann aber schon deshalb zu
keinem eigenständigen Grundrecht auf Offenheit führen, weil eine offene Überwa-
chung nicht jede Grundrechtsbelastung beseitigt.
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist zu beachten, dass offene Über-
wachung weniger grundrechtsbelastend ist als entsprechende verdeckte Überwa-
chung. Die Einschüchterungswirkung wird insgesamt durch offenes Vorgehen re-
duziert. Weil die Heimlichkeit zu einer Unberechenbarkeit der Überwachung führt,
ist die Verhaltensbeeinflussung durch verdeckte Überwachung insgesamt belasten-
der für die allgemeine Handlungsfreiheit als eine offene Überwachung. Dies gilt
zunächst für die Anzahl der betroffenen Personen. Weil niemand weiß, ob er kon-
kret beobachtet wird, fühlen sich auch Personen überwacht, die gar nicht beobachtet
werden.
Auch die Auswirkungen auf den Einzelnen, der sich beobachtet fühlt, sind stär-
ker als bei einer offenen Überwachung. Da der Einzelne nicht weiß, durch welche
Mittel, wie lange und in welchen Situationen er überwacht wird, ist das Gefühl der
Angst und Hilflosigkeit dauerhafter und stärker als bei punktueller offener Überwa-
chung, auf die er sein Verhalten besser einstellen kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass
die Ermittlungsbehörden wegen offener Überwachung zu Erkenntnissen kommen,
die zur Verurteilung des Betroffenen führen, ist mithin geringer als die Wahrschein-
lichkeit, dass der Betroffene aufgrund effektiverer verdeckter Ermittlungsmaßnah-
men überführt wird.13
dafür, dass er wenigstens einen allgemeinen verfassungsrechtlichen „Grundsatz“ auf Offenheit des
Strafverfahrens vertritt. Meurer, Informelle Ausforschung, S. 1294 f.
12
Wegener, S. 391.
13
Eine andere Frage ist, dass der Überwachte, der etwa sieht, dass ihm ein Polizist „auf Schritt und
Tritt“ folgt, stärker eingeschüchtert ist, als ein anderer, der heimlich überwacht wird und auch nicht
mit dieser Möglichkeit rechnet. Die heimliche Überwachung ist aber wegen ihres Gesamteffektes
242 § 10 Bedingter Anspruch auf Offenheit strafprozessualer Überwachung
Daraus ergibt sich innerhalb des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persön-
lichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein gestuftes Abwehrkonzept.14 Entsprechend betrifft
die Freiheit von einschüchternder Überwachung das „Ob“ der Überwachung und
der Anspruch auf Offenheit der Überwachung das „Wie“ der Maßnahme. Damit
enthält Art. 2 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung, aus dem
sich ein Recht auf Freiheit von Überwachung ergibt und für die Fälle, dass eine
Überwachung an sich ausnahmsweise gerechtfertigt ist, auf der zweiten Stufe ein
Anspruch auf Offenheit der Überwachung:
1. Der Einzelne hat grundsätzlich das Recht nicht überwacht zu werden.
2. Wird ein Bürger überwacht, darf dies nur aufgrund bestimmter und verhältnis-
mäßiger Regelungen und durch entsprechende Maßnahmen geschehen.
3. Wird der Einzelne überwacht, kann er nur dann rechtmäßig heimlich überwacht
werden, wenn die Heimlichkeit erforderlich und in Anbetracht der Schwere der
Anlasstat angemessen ist.
4. Aus 1.–3. erklärt sich auch die vom BVerfG angesprochene nebulöse „Eingriffs-
intensivierung“ anderer Grundrechtseingriffe durch Heimlichkeit.
trotzdem belastender. Es sei nochmals daran erinnert, dass der konkret heimlich Überwachte nicht
der eigentlich Leidtragende der heimliche Überwachung sein muss. Vielmehr kommt es entschei-
dend auf die nachfolgenden und durch die Befugnisregelungen als solche bewirkten Effekte (auf
Dritte) an.
14
Eine ähnliche Konstruktion eines abgestuften Grundrechts gibt es auch im Rahmen der Dog-
matik der Berufsfreiheit, bei der zwischen Berufswahl (dem „Ob“ der Berufsausübung) und
Berufsausübungsfreiheit (dem „Wie“ der Berufsausübung) unterschieden wird. Vgl. dazu Pie-
roth/Schlink, Rdn. 894 ff.
Teil IV
Im vorhergehenden Teil wurde erläutert, dass die Regelungen der verdeckten Er-
mittlungsmaßnahmen Eingriffe in Grundrechte sein können. Gegebenenfalls müs-
sen diese Eingriffe gerechtfertigt werden. Die Regelungen müssen dazu den Anfor-
derungen der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit genügen. Im Folgenden wird
untersucht, ob die in der StPO vom Gesetzgeber verwendeten grundlegenden Struk-
turmerkmale diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen.
1
Vgl. § 12.
2
Vgl. § 13.
3
Vgl. § 14.
4
Vgl. § 15.
5
Vgl. § 16.
6. Rechtsschutz6
7. Informations- und Löschungspflichten7
Annexbefugnisse?8
Allgemeine Verhältnismäßigkeitsregelung?9
Maßnahmenkombination?10
Die Strukturelemente 1. bis 7. finden sich der Sache nach nicht in vielen Regelun-
gen der Standardmaßnahmen11 oder in § 101 StPO bzw. dem allgemeineren § 160a
StPO. Weder in § 101 StPO noch in den Regelungen der Standardmaßnahmen ist
die Behandlung von Eingriffsmaßnahmen aufgeführt, die nicht direkt zur Über-
wachung dienen, aber sie unmittelbar vorbereiten. Dazu zählen zum Beispiel die
Installation eines Abhörgeräts im Auto eines Betroffenen oder die im Eingangsfall
genannte Infiltration eines Computers mit einem Trojaner. Wie diese „Installati-
onsmaßnahmen“ zu behandeln sind, wird nach den Ziff. 1. bis 7. erörtert. Ähnlich
verhält es sich mit der „allgemeinen Verhältnismäßigkeitsklausel“, die zwar auch
nicht in der StPO geregelt ist, aber von der h. M. als ungeschriebener Bestandteil der
Vorschriften über das Strafverfahren angesehen wird. Ob sie tatsächlich eventuelle
Mängel der Gesetze ausgleichen kann, die sonst zur Verfassungswidrigkeit führen
würden, wird nach den bereits in der StPO vorhandenen „Regelungsbausteinen“
zu prüfen sein. Ebenfalls nicht gesondert in der StPO geregelt ist die Kombination
mehrerer Standardmaßnahmen. Auch diese Problematik erlangt Bedeutung für die
Verfassungsmäßigkeit aller Regelungen der Standardmaßnahmen. Zu diesem Pro-
blem kann aber erst sinnvoll Stellung genommen werden, nachdem die Regelungen
der Standardmaßnahmen einzeln besprochen worden sind.
6
Vgl. § 17.
7
Vgl. § 18.
8
Vgl. § 19.
9
Vgl. § 20.
10
Vgl. § 35.
11
Vgl. dazu im Einzelnen Tab. 1, § 11, II.
Tab. 1 Die Tabelle bezieht sich auf die listenmäßige Darstellung im oben vorgestellten Grundmodell. Die dort unter den 8. und 9. angegebenen Punkte sind
nicht in die Tabelle aufgenommen worden. Die gesetzlich ungeregelte Maßnahmenkombination betrifft eine Kombination der Maßnahmen und ist daher nicht
für die Einzelmaßnahmen darstellbar. Die (hier bestrittene) allgemeine Verhältnismäßigkeitsklausel ist ebenfalls ein allgemeiner Sonderpunkt und kein Teil
der Regelungen der Einzelmaßnahmen
§§ 94, 97, 99 Bestimmte Tatsachen Alle Straftaten Keine Regelung Keine Re- Gericht §§ 101 Abs. 7 Unverzügliche
StPO gelung (nur S. 2 Weiterleitung,
§ 160a StPO wenn Zurück-
und § 97 StPO) behaltung nicht
erforderlich +
§ 101 StPO
§§ 98a StPO Zureichende tatsächliche 6 Deliktsgrup- Erheblich weniger er- Keine Re- Gericht §§ 101 Abs. 7 § 101 StPO
Anhaltspunkte pen folgversprechend oder gelung (nur S. 2
wesentlich erschwert § 160a StPO)
§ 100a StPO Bestimmte Tatsachen Katalog mit Andere Maßnahmen § 100a Abs. 4 § 100b StPO §§ 101 Abs. 7 § 101 StPO
II. Tabellarische Übersicht zu den einzelnen Maßnahmen
* Die hier aus satztechnischen Gründen gewählte Formulierung „Information und Löschung“
entspricht den unter 6. genannten „Informations- und Löschungspflichten“.
247
248
Tab. 1 (Fortsetzung)
§ 100g StPO Bestimmte Tatsachen Erhebliche § 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Keine Re- § 100b StPO § 101 Abs. 7 § 101 StPO
Bedeutung und i. V. m. S. 2 StPO Ermitt- gelung (nur Ermittlungs- S. 2
im Einzelfall lung des Aufenthaltsorts § 160a StPO) gericht, Eilfall
schwerwiegend sonst aussichtslos, An- StA
oder mittels gemessenheit, keine
TK begangen Echtzeit § 100g Abs. 1
S. 1 Nr. 1 StPO für die
Ermittlungsmaßnahmen
erforderlich
§ 100h StPO Gegen den Beschuldig- Abs. 1 Nr. 1 Abs. 1 Nr. 1 sonst Keine Re- Polizei und § 101 Abs. 7 § 101 StPO
ten: keine Regelung; alle Straftaten erheblich weniger er- gelung (nur StA S. 2 StPO
gegen andere: Abs. 1 Abs. 1 Nr. 2 folgversprechend oder § 160a StPO)
Nr. 1 keine Regelung, Tat erheblicher wesentlich erschwert
Abs. 1 Nr. 2 bestimm- Bedeutung Abs. 1 Nr. 2
te Tatsachen ergeben
Verbindung mit Be-
schuldigtem
§ 100i StPO Bestimmte Tatsachen Erhebliche Abs. 1 erforderlich, Keine Re- § 100i Abs, 3 §§ 101 Abs. 7 § 101 StPO
Bedeutung + Abs. 2 technisch unver- gelung (nur i. V. m. § 100b S. 2
im Einzelfall meidbar § 160a StPO) StPO Gericht,
schwerwiegend Eilfall StA
§§ 94, 110 Bestimmte Tatsachen Erhebliche Abs. 1 Keine Re- Gericht, Eilfall §§ 98 Abs. 2 § 101 StPO
Abs. 3 StPO Bedeutung + gelung (nur StA StPO
im Einzelfall § 160a StPO
schwerwiegend und § 97 StPO)
§ 11 Übersichten
Tab. 1 (Fortsetzung)
§ 110a StPO Zureichende tatsächliche Erhebliche Vergehen: Sonst aus- § 110c kein § 110b Abs. 1 §§ 101 Abs. 7 § 101 StPO;
Anhaltspunkte Bedeutung sichtslos oder wesentlich über Legende StPO, StA, S. 2 § 110b Abs. 3
in 4 Delikts- erschwert Verbrechen: hinausgehen- Eilfall Poli- StPO Identität
gruppen + alle Besondere Bedeutung des Täuschen zei; Abs. 2 des VE kann
Verbrechen sonst aussichtslos bei Wohnung, Zustimmung uU weiter
bei Wiederho- § 160a StPO des Gerichts, geheim bleiben
lungsgefahr Eilfall StA
§ 161 Abs. 1 Zureichende tatsächliche Alle Straftaten, Keine Regelung Keine Re- StA und Poli- § 98 Abs. 2 Keine Rege-
S. 1 i. V. m. Anhaltspunkte, § 152 § 152 StPO gelung (nur zei StPO ana- lung
§ 163 S. 2 StPO § 160a StPO) log oder 23
StPO EGGVG
§ 163d StPO Bestimmte Tatsachen; Taten nach Maßnahme nicht außer Keine Re- Gericht, Eil- § 101 Abs. 7 § 101 StPO
wenn Tatsachen die §§ 100a und Verhältnis zur Sache gelung (nur fall StA und S. 2 StPO
II. Tabellarische Übersicht zu den einzelnen Maßnahmen
Das BVerfG hat jüngst die Formulierung „bestimmte Tatsachen“ ausgelegt und
dabei zum wiederholten Male erkennen lassen, dass es diese Regelung des Tat-
verdachts den Grundrechtseingriffen durch verdeckte Ermittlungsmaßnahmen ge-
genüber für angemessen hält:
„Der durch ,bestimmte Tatsachen‘ begründete Verdacht unterliegt höheren Anforderungen
als der bloße Anfangsverdacht, wenn er auch nicht den Grad eines ,hinreichenden‘ oder gar
,dringenden‘ Tatverdachts erreicht, den andere Normen der Strafprozessordnung vorsehen.
Er erfordert eine konkretisierte Verdachtslage (vgl. BVerfGE 109, 279 <350>). Eine An-
hebung der in § 160a Abs. 4 StPO enthaltenen Verdachtsstufe ist von Verfassungs wegen
nicht geboten [. . . ].“2
1
Vgl. BVerfGE 109, allgemein für Ermittlungsmaßnahmen BVerfG NJW 2009, 281.
2
BVerfG EuGRZ 2011, S. 696, 712. Das Gericht hält die Regelung jedenfalls im Zusammenwir-
ken mit den weiteren Restriktionen der Anlasstat (Tatkataloge, besondere Schwere der Tat) für
angemessen, auf die es im Anschluss an das aufgeführte Zitat hinweist. Das auch die gesetzlichen
Im Folgenden wird die vom BVerfG implizit vertretene Ansicht untersucht, ob die
Regelung eine den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes genügt, ob damit
tatsächlich eine „konkretisierte Verdachtslage“ gemeint ist und was „konkretisiert“
insoweit bedeutet.
Die Literatur beschränkt sich teilweise darauf, die im weiteren Verlauf dieses Ab-
schnitts noch zu erläuternden Ausführungen der Gesetzesbegründung zu konkreti-
sieren, nach der mit der Formulierung „bestimmte Tatsachen“ eine „gewisse Kon-
kretisierung“ des Verdachts erreicht werden sollte.3 In der Kommentarliteratur wird
das Zitat aus der Entwurfsbegründung so ergänzt, dass „bestimmte Tatsachen den
Verdacht ergeben“, wenn aufgrund „der Lebenserfahrung“ oder „der kriminalisti-
schen Erfahrung“ mit einiger Wahrscheinlichkeit auf eine Katalogtat geschlossen
werden kann. Dazu müsse sich der Schluss aus
1. Zeugenaussagen
2. Observationen
3. sachlichen Beweisanzeichen wie Fingerspuren oder
4. den Ergebnissen eines Schusswaffenvergleichs
ergeben.4
Die Konkretisierung soll sich durch „äußerlich wahrnehmbare Ereignisse“ erge-
ben.5 Auch wird statt der Konkretisierung durch eine Flucht in Kasuistik schlicht
auf „Umstände“ verwiesen, die „in erheblichem Maße darauf hindeuten“, dass je-
mand eine Katalogtat begangen hat.6
Teilweise werden kritische Stimmen in der Literatur laut, die monieren, dass der
Begriff „bestimmte Tatsachen“ wegen oder trotz der knappen Entwurfsbegründung
Anforderungen an der Tatschwere in Bezug auf die Bestimmtheit höchst problematisch ist, wird
im weiteren Verlauf dieser Arbeit dargestellt, vgl. § 13.
3
Vgl. BTDrucks V/1880 S. 11.
4
Schäfer in: Löwe/Rosenberg, StPO25 , § 100a Rdn. 42.
5
Hilger in: Löwe/Rosenberg, StPO25 , § 112 Rdn. 23.
6
Nack in: KK 6 , § 100a Rdn. 34 und auch zur Auflistung von Beispielen für die Parallelnorm § 112
Abs. 2 S. 1 StPO a. a. O.
II. Eigene Kritik an der Literatur 253
erhebliche Verständnisprobleme bereitet. Nach dieser Ansicht ist der Ausdruck „un-
klar“.7 Aus der gesetzlichen Formulierung wird gefolgert, dass entweder dem Be-
griff „bestimmte Tatsachen“ keine Bedeutung beigemessen wird und es inhaltlich
bei einer Tautologie zum Anfangsverdacht bleibe8 oder dass „wenn man [dem
Ausdruck] Sinn abgewinnen will“ es sich um äußerlich wahrnehmbare Ereignisse
handeln müsse, die „zu deuten der Beobachter keiner oder nur einfacher Schlüsse
bedarf.“9
3. Eigene Kritik
Die von der Literatur geforderte äußere Erkennbarkeit der Tatsachen und Leich-
tigkeit der Schlussfolgerung ergeben eine Auslegungsmöglichkeit, die aber nicht
wirklich zu einer Klärung führt, sondern selbst unbestimmt bleibt. Schlüsse müssen
immer erfolgen, eine Tatsache erklärt nichts von allein und unter welchen Umstän-
7
Wendisch in: Löwe/Rosenberg, StPO25 , § 112 Rdn. 27.
8
Wendisch in: Löwe/Rosenberg, StPO25 , § 112 Rdn. 27.
9
Hilger in: Löwe/Rosenberg, StPO26 § 112 Rdn. 23.
10
So schon Schlüchter, S. 209.
11
BTDrucks V/1880 S. 11.
254 § 12 „Bestimmte Tatsachen“, die den Verdacht einer Straftat „begründen“
den Schlüsse nicht erforderlich sind, ist rätselhaft. Unter welchen Bedingungen sie
einfach sind, bleibt Ergebnis einer rein subjektiven Erheblichkeitsprüfung.
1. Wortlautauslegung
12
So schon Schäfer in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , § 111 Rdn. 11. Aus unbestimmten Tatsachen
könne ohnehin nichts gefolgert werden, Wendisch in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , § 112 Rdn. 27.
13
BTDrucks V/1880 S. 11.
14
BTDrucks V/1880 S. 11.
III. Entwicklung einer eigenen Ansicht 255
tive Gedanken als auch objektive Umstände Tatsachen sind, besteht die ganze Welt
ausschließlich aus Tatsachen. Der Begriff Tatsache trennt lediglich die Realität von
der Irrealität.15
Fraglich ist, ob Tatsachen wie, zum Beispiel „Gerüchte“, „Gerede“ oder anony-
me Anzeigen dann bestimmte Tatsachen sind. Dies sind menschliche Äußerungen,
denen man Tatsachenqualität schwerlich absprechen kann. Diese Tatsachen sind
auch individualisiert, da es jeweils um konkrete Äußerungen geht. Der Ausdruck
„bestimmte Tatsachen“ ist so unklar, dass er sich allein durch den ersten Zugang
zum Wortlaut nicht erschließen lässt.16 Allein die Auslegung nach dem Wortlaut ist
also unergiebig.
Der Gesetzeswortlaut ist aber trotz des unbefriedigenden Ergebnisses der reinen
Wortlautauslegung nur dann unbestimmt und verfassungswidrig, wenn er sich mit
den Auslegungskriterien in der oben genannten Rangfolge17 nicht ermitteln lässt.
Nach dieser Rangfolge der Auslegungsmethoden kommt dem Willen des Gesetzge-
bers besondere Bedeutung zu. Für den Willen des Gesetzgebers lassen sich konkrete
Anhaltspunkte in der entsprechenden Gesetzesbegründungen finden.
Nach der Gesetzesbegründung zum G-10-Gesetz von 196718 wird für den Tat-
verdacht verlangt, dass bestimmte, objektiv feststellbare Tatsachen vorliegen. Es
muss sich um äußerlich wahrnehmbare Ereignisse handeln. Zu deren Feststellung
darf der ermittelnde Beobachter nur folgende Grundlagen aus äußeren Tatsachen
für seine Schlussfolgerungen ableiten:
„Bloße Vermutungen oder Schlussfolgerungen allein reichen danach nicht aus. Vielmehr
muß der Verdacht für eine der aufgeführten Straftaten durch schlüssiges Tatsachenmaterial
aus der äußeren oder inneren Geschehenswelt bereits ein gewisses Maß an Konkretisierung
erreicht haben.“19
15
Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 1.1: „Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen“.
16
So auch KG NJW 1965, 1390 zur gleichlautenden Formulierung in § 112 Abs. 2 S. 1 StPO und
Hilger in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , § 112 Rdn. 23.
17
Vgl. § 9, I, 8, c).
18
G-10-Gesetz, BTDrucks V/1880.
19
BTDrucks V/1880 S. 11.
20
Die Entwurfsbegründung, BTDrucks 16/5846, betrifft § 100a StPO, der hier beispielhaft für die
Maßnahmen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen steht.
256 § 12 „Bestimmte Tatsachen“, die den Verdacht einer Straftat „begründen“
hin der auf bestimmte Tatsachen gründende Verdacht, dass eine schwere Straftat begangen,
in strafbarer Weise versucht oder durch eine andere Straftat vorbereitet wurde.“21
Weder im Zuge der Gesetzesreform 2007 noch mit dem OrgKG zu Beginn der
1990er Jahre wurde weiter zu der Formulierung in den Gesetzesbegründungen Stel-
lung genommen.22 Es bleibt bei den Ausführungen zu Einführung der Formulierung
in die Regelungen der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen in § 100a StPO durch das
G-10-Gesetz von 1968.23 Der Gesetzgeber wollte danach mit der Gesetzesformulie-
rung „bestimmte Tatsachen“ erreichen, dass ein „gewisses Maß an Konkretisierung“
Voraussetzung für die Bejahung eines Tatverdachts bei den verdeckten strafprozes-
sualen Ermittlungsmaßnahmen ist.24 In der Gesetzesbegründung wird aber nicht
geklärt, unter welchen Umständen ein Maß an Konkretisierung ein „gewisses“ ist.
Nach welchen Kriterien „bloße Gerüchte und Vermutungen“ von bestimmten Tat-
sachen abzugrenzen sind, bleibt daher offen.
Auch die Lektüre der Gesetzesbegründung beseitigt bei den schwierigen Grenz-
fällen nicht die Ratlosigkeit des Rechtsanwenders, unter welchen Umständen Tat-
sachen so bestimmt sind, dass sie einen Verdacht begründen.
Neben den Gesetzesbegründungen kann sich der Wille des Gesetzgebers konklu-
dent aus der Systematik des Gesetzes ergeben. Ein Vergleich mit der Verwendung
der Formulierung „bestimmte Tatsachen“ an anderer Stelle ist ebenso sinnvoll wie
ein Vergleich mit anderen Regelungen des Tatverdachts. Zudem kann sich durch
Bezüge in den jeweiligen Regelungen selbst eine weitere Konkretisierung ergeben.
Bestimmte Tatsachen sind nicht zwingend mit dem Tatverdacht verknüpft. Neben
der Kennzeichnung der Beurteilungsgrundlage des Tatverdachts verwendet der Ge-
setzgeber die identische Formulierung für die Bestimmung der Begründung der
Haftgründe bei der Untersuchungshaft. Im Rahmen des § 112 Abs. 2 S. 1 StPO
wurde der Begriff vor der Einführung des § 100a StPO verwendet. Dort dient der
Begriff „bestimmte Tatsachen“ zwar nur zur Annahme eines Haftgrundes, dieser
steht aber als weitere Voraussetzung neben dem eigentlichen – im Fall des § 112
Abs. 1 StPO dringenden – Tatverdacht. Trotzdem ist grundsätzlich von einer ent-
sprechenden Bedeutung der Verwendung von „bestimmten Tatsachen“ in beiden
21
BTDrucks 16/5846, S. 40.
22
BTDrucks 12/989.
23
BTDrucks V/1880 S. 11.
24
BTDrucks V/1880, S. 11.
III. Entwicklung einer eigenen Ansicht 257
Wichtig für das Verständnis der Formulierung „bestimmte Tatsachen“ ist, dass es
nicht um den Tatverdacht, sondern die Tatsachengrundlage dieses Verdachts geht.
Grundsätzlich liegt jeder Bejahung eines Tatverdachts eine Wertung zugrunde,28
die irgendeine Grundlage haben muss. Ein Tatverdacht kann unabhängig von sei-
ne Grundlage niemals rein objektiv festgelegt werden, weil immer die subjektive
Bewertung des Prüfenden Eingang in die Entscheidung findet. Ein gewisses Maß
an Objektivierung im Sinne intersubjektiver Nachprüfbarkeit ist nur zu erreichen,
indem Bewertungskriterien festgelegt werden. Der Gesetzgeber operiert jedoch bei
den drei klassischen Verdachtsstufen „Anfangsverdacht“ (§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1
StPO),29 „hinreichender Tatverdacht“ und „dringender Tatverdacht“ mit Zieldeter-
minanten. Bewertungskriterien bei der Frage, ob der vorgegebene Verdachtsgrad
(Ziel) erreicht ist, müssen sich mangels Angabe im Gesetz aus dem Standard krimi-
nalistischer Erfahrung ergeben. Die in den Regelungen der verdeckten Ermittlungs-
maßnahmen am häufigsten zu findende Formulierung,
„wenn [. . . ] bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teil-
nehmer eine [. . . ] Straftat begangen [. . . ] hat,“30
25
„Wie bei der Feststellung des Haftgrundes für die Anordnung der Untersuchungshaft (§ 112
Abs. 2 und 3), so müssen auch hier bestimmte Tatsachen die Grundlage [bilden]“, BTDrucks
V/1880 S. 11.
26
BTDrucks IV/1020 S. 2.
27
Hilger in: Löwe/Rosenberg, StPO26 § 112 Rdn. 23 f.
28
Lohner, S. 185; Eisenberg, Beweisrecht der StPO: Spezialkommentar, § 27, Rdn. 10.
29
Definiert durch „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“.
30
§§ 97, 100a, 100c, 100f, 100g, 100h, 100i, 110a StPO.
31
Schäfer vertritt eine Auffassung, die demgegenüber auf einen Verdachtsgrad zwischen Anfangs-
verdacht und dringendem Tatverdacht hinausläuft: Auf der einen Seite sollen Vermutungen nicht
ausreichen, auf der anderen Seite sei ein dringender Tatverdacht nicht erforderlich. Auf Rechts-
widrigkeit und Schuld brauche sich der Verdacht – wie bei anderen Verdachtsarten – nicht zu
erstrecken, vgl. Schäfer in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , § 111 Rdn. 10.
258 § 12 „Bestimmte Tatsachen“, die den Verdacht einer Straftat „begründen“
Bewertungskriteriums handelt. Das ist aber keine besondere „vierte Art der Ziel-
vorgabe“ für einen Tatverdacht.32
In § 112 Abs. 1 StPO bezieht sich das „dringend“ als Adjektiv direkt auf „Tat-
verdacht“ als grammatisches Subjekt. So ist die grammatische Verknüpfung der
Wortgefüge „bestimmte Tatsachen“ und „Tatverdacht“ in § 100a Abs. 1 StPO nicht
beschaffen. Zum Beispiel in § 100a StPO heißt es: „[. . . ] wenn bestimmte Tatsachen
den Verdacht begründen, dass jemand [. . . ]“. Das Wort „Tatsachen“ ist selbst gram-
matisches Subjekt, „bestimmte“ ist das zugehörige Adjektiv, „Verdacht“ ist nur
Objekt. Folgt man dem Wortlaut der Normen und nimmt die Beziehungsstrukturen
im Satzgefüge ernst, reicht für verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen
vielmehr ein einfacher Verdachtsgrad.
bb) Vergleich zur Regelung des Anfangsverdachts nach §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1
StPO
32
So auch BGH JR 2011, 404, 405: „Die Norm verlangt danach [. . . ] keinen bestimmten Ver-
dachtsgrad [. . . ].“
III. Entwicklung einer eigenen Ansicht 259
Beispiel 35 Wenn sich X öfter an einer Stelle in einem Park aufhält, die als Um-
schlagplatz für Drogen dient, mag dies ein tatsächlicher Anhaltspunkt nach § 152
Abs. 2 StPO für den Beginn von Ermittlungsmaßnahmen sein. Aus dieser Tatsache
ergibt sich jedoch nicht zwingend, dass es überhaupt eine konkrete Straftat gegeben
hat und wer daran beteiligt war. Sie ist lediglich ein Anhaltspunkt für eine Straftat,
keine Tatsache, die inhaltlich einen Tatverdacht bestimmt.
cc) Vergleich mit § 98a StPO: Personalisierung des Tatverdachtes durch das
Bezugswort „jemand“
Beispiel 36 So ist der Verdacht bereits in dieser Weise konkretisiert, wenn der ver-
mutliche Täter laut einer Zeugenaussage Person X angerufen wird, nicht jedoch,
wenn nur bekannt ist, dass Person X etwas über die Tat weiß und lediglich krimina-
listische Erfahrung dafür spricht, dass der Täter bei ihr anrufen könnte.
Eine weitere, leicht vom oben stehenden Lösungsvorschlag der Literatur33 abwei-
chende Auslegungsmöglichkeit besteht darin, das Wort „bestimmte Tatsachen“
nicht mit Betonung der formalen Aspekte, sondern als „inhaltlich bestimmt“ zu
verstehen. Dies ist durch die in diesem Zusammenhang unterschätzte Bedeutung
des Wortes „begründen“ zu verstehen. Die Tatsachen müssen nämlich von solcher
Qualität sein, dass sie einen Tatverdacht begründen können. Dieser systematische
Zusammenhang ergibt Folgendes: Für die „Bestimmtheit“ der Tatsache kommt es
nicht auf die Individualität oder äußere Erkennbarkeit der Tatsache an. Eine Tat-
sache ist vielmehr nur so bestimmt wie die mitgeteilten Inhalte. Entscheidend ist
nicht die äußere Form, sondern der „Informationswert“ der Tatsache. „Bestimmt“
ist hier im Sinne von inhaltlich „eindeutig“ gemeint.
Nach dieser Auslegung sind Tatsachen in ihrer Funktion als Sprachzeichen bzw.
Symbol für einen bestimmten Inhalt auf ihre Bestimmtheit zu untersuchen. Diese
Lösung ist mit dem Kontext des Ermittlungsverfahrens zu erklären. Bei den Ermitt-
lungsmaßnahmen geht es immer um den typischen Informationswert der Tatsachen,
die später im Verfahren zum Beweis oder als Ermittlungsansatz benötigt werden
und nicht um sonstige objektive Verwendbarkeiten.
„Bestimmte Tatsachen“ meint daher „Tatsachen, die typischerweise einen aus-
gewählten bzw. besonderen Informationswert haben“. Das heißt, der Informations-
wert muss auf etwas Bestimmtes, Ausgewähltes, Individuelles – den Verdacht einer
konkreten Straftat – gerichtet sein. Nicht erforderlich ist, dass dieser Informations-
wert sicher ist. Die Formulierung des Gesetzgebers in der Entwurfsbegründung
zum Ausschluss von „bloßen Vermutungen“ würde – wörtlich verstanden – nur
33
Vgl. § 12, II.
III. Entwicklung einer eigenen Ansicht 261
Halluzinationen der Ermittler ausschließen. Sinnvoll ist nur eine Auslegung, nach
welcher „Tatsachen unbestimmt sind“, wenn sie keine Informationswerte haben, die
typischerweise bzw. eindeutig in Verbindung mit anderen Tatsachen und krimina-
listischer Erfahrung auf eine Straftat hinweisen. Die verlangte bestimmte Richtung
des Informationsgehalts ergibt sich allerdings aus kriminalistischer Erfahrung. Tat-
sachen haben aus sich heraus keine bestimmte Informationsrichtung. Diese ergibt
sich vielmehr aus menschlichen Zuschreibungen. Das Attribut „bestimmt“ setzt al-
so einen objektiven Standard an kriminalistischer Erfahrung voraus.
Beispiel 37 Das Messer in einer Leiche ist eine solche Tatsache mit bestimmter
Informationsrichtung, ebenso wie die Aussage des Zeugen Y, dass X einen Mord
begangen hat. Auch eine anonyme Aussage ist dafür ausreichend.
Beispiel 38 Ein blutiges Messer in einer Metzgerei hat nicht den typischen Infor-
mationswert dafür, dass eine Straftat begangen wurde.
Dass die Schlussfolgerungen einfach sind, ist keine Bedingung für die Eindeu-
tigkeit. Auch komplizierte Schlussfolgerungen – man denke nur an Wirtschafts-
strafverfahren mit umfangreichem Tatsachenmaterial – können auf Tatsachen mit
bestimmten Informationswerten beruhen.
4. Verfassungskonforme Auslegung
Die oben34 entwickelte Auslegung ist sachlich überzeugend, doch ist auch die Ent-
scheidung für eine Gleichbehandlung der „bestimmten Tatsachen“ mit den „tatsäch-
lichen Anhaltspunkten“ des Anfangsverdachts auslegungstechnisch möglich. Nach
den allgemeinen Ausführungen ist diese Auslegungsmöglichkeit aber durch eine
verfassungskonforme Auslegung als unvertretbar auszuschließen, wenn der Gesetz-
geber sich in der Entwurfsbegründung auf Verfassungsprinzipien bezieht, die er
einzuhalten gedenkt und die Norm in dieser Auslegungsvariante verfassungswidrig
wäre.
In der Entwurfsbegründung deutet der Gesetzgeber wegen des Eingriffs in
Art. 10 GG eine einschränkende Linie bei Anwendung der Telekommunikations-
überwachung an:
„Wegen der grundrechtsbeschränkenden Wirkung dieser Überwachungsmaßnahmen ist ih-
re Anordnung an streng zu prüfende Voraussetzungen geknüpft.“35
Denn auf dieses Zitat folgen unmittelbar in der Begründung die Ausführungen zur
Qualität des Tatverdachtes. Es besteht also Grund zu der Annahme, dass mit der Re-
gelung des Tatverdachtes das Verhältnismäßigkeitsprinzip umgesetzt werden sollte.
34
Siehe § 12, III, 3, c).
35
BTDrucks V/1880, S. 11.
262 § 12 „Bestimmte Tatsachen“, die den Verdacht einer Straftat „begründen“
Das BVerfG geht davon aus, dass der Tatverdacht in einem proportionalen Zu-
sammenhang zur Schwere des Tatverdachts stehen muss, damit die Angemessen-
heit der betreffenden Vorschrift gewahrt wird.37 Außerdem hat das Gericht in der
Entscheidung zum Computergrundrecht nochmals klargestellt, dass schon ein zu
niedriger Verdachtsgrad eine Vorschrift verdeckter strafprozessualer Ermittlungs-
maßnahmen38 verfassungswidrig machen kann:39
„In dem Spannungsverhältnis zwischen der Pflicht des Staates zum Rechtsgüterschutz und
dem Interesse des Einzelnen an der Wahrung seiner von der Verfassung verbürgten Rechte
gehört es zur Aufgabe des Gesetzgebers, in abstrakter Weise einen Ausgleich der wider-
streitenden Interessen zu erreichen (vgl. BVerfGE 109, 279 [350]). Dies kann dazu führen,
dass bestimmte intensive Grundrechtseingriffe nur zum Schutz bestimmter Rechtsgüter und
erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden dürfen. In dem
Verbot unangemessener Grundrechtseingriffe finden auch die Pflichten des Staates zum
Schutz anderer Rechtsgüter ihre Grenze (vgl. BVerfGE 115, 320 [358]). Entsprechende
Eingriffsschwellen sind durch eine gesetzliche Regelung zu gewährleisten (vgl. BVerfGE
100, 313 [383 f.]; 109, 279 [350 ff.]; 115, 320 [346]). (b) Ein Grundrechtseingriff von ho-
her Intensität kann bereits als solcher unverhältnismäßig sein, wenn der gesetzlich geregelte
Eingriffsanlass kein hinreichendes Gewicht aufweist.“40
Würde bereits ein auf kriminalistische Erfahrung und generelle Tatsachen ge-
stützter Verdacht zu verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen berech-
tigen, bestünde die Gefahr, dass auch die weiteren restriktiven Merkmale umgangen
würden. Die Beschränkung der Anlasstaten würde hinfällig, wenn sich Tatsachen
nicht zu einem konkreten Verdacht verdichten lassen und nur der Anfangsverdacht
einer Straftat besteht. Eine solches Auslegungsergebnis wäre als verfassungswidrig
zu verwerfen.
36
Die drohenden Konsequenzen der hier vertretenen Auffassung für den Anfangsverdacht nach
§ 152 Abs. 2 StPO sind nicht Thema dieser Arbeit.
37
BVerfGE 115, 320, 360 ff.
38
Insoweit ist die Erwähnung des „Verdachtsgrads“ als „obiter dictum“ zu verstehen. In der Ent-
scheidung ging es um geheimdienstliche Maßnahmen und damit nur um „Gefahrstufen“.
39
BVerfGE 120, 274, 326.
40
BVerfGE 120, 274, 326.
III. Entwicklung einer eigenen Ansicht 263
b) Zusammenfassung
41
Für die verwandte, aber unkonkrete Ansicht der Literatur gilt dies erst recht, daher wird sie nicht
gesondert behandelt.
42
Siehe oben, § 9, II, 5, c).
264 § 12 „Bestimmte Tatsachen“, die den Verdacht einer Straftat „begründen“
fen.43 Zudem steht dem auch ein Vergleich mit § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO entgegen,
der die Einzelfallbetrachtung explizit auf die Tatschwere bezieht. Der Gegenschluss
ergibt, dass dies nicht für den Verdachtsgrad gilt. Hätte der Gesetzgeber eine Paral-
lele gewollt, hätte er dies auch im Gesetz deutlich machen müssen.
5. Formales Begründungserfordernis
43
„Entsprechende Eingriffsschwellen sind durch eine gesetzliche Regelung zu gewährleisten“,
BVerfGE 120, 274, 326.
III. Entwicklung einer eigenen Ansicht 265
a) Fehlender Verdacht
Bei Initiativermittlungen44 ist zunächst gar kein Verdacht bezüglich einer konkreten
Straftat vorhanden, dieser entsteht vielmehr erst, wenn die Ermittler auf konkrete
Spuren stoßen. Gerade im Bereich der organisierten Kriminalität, zum Beispiel im
Drogenhandel, sind die Behörden der Taten zu Initiativermittlungen gezwungen,
weil die Tat keine unmittelbaren Opfer hat. Im Bereich der organisierten Krimi-
nalität sind verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen zudem besonders
wirksam und oft notwendig, um Erkenntnisse zu erlangen, da wenige Opferzeugen
existieren und die Tätergruppen abgeschottet agieren.
b) Inhaltliche Unbestimmtheit
In den eben genannten Fällen werden zu Anfang der Initiativermittlungen keine der
speziellen Maßnahmen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen
durchgeführt, da es an Tatsachen mit einem bestimmten, auf eine Straftat gerichte-
ten Informationswert fehlt.
Bei Initiativermittlungen bestehen zu Anfang nur sehr allgemeine Kenntnisse,
z. B. dass es in der Stadt B ein Rotlichtmilieu gibt. Diese Kenntnisse sind teilweise
nicht konkret genug, um inhaltlich bestimmt zu sein. Allerdings sind sie auch nicht
personalisiert genug, um einen erfolgversprechenden Ermittlungsansatz zu liefern,
so dass insoweit schon allein nach kriminalistischen Gesichtspunkten Überwachun-
gen mit technischen Mitteln unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit ineffektiv sein
dürften. Eine solche Ressourcenverschwendung läge vor, wenn etwa sämtliche Te-
44
Zum Begriff: Rau, Country Report on Germany, S. 334 f. m. w. N., Generell ablehnend zu In-
itiativermittlungen: Schaefer, NJW, S. 3756. Bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität
sind dafür die Vorschriften über die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft be-
achtenswert: Vgl. zum Beispiel 33a Abs. 1 Nr. 2 und 3 Nds. SOG oder die Ziffer 6. der Richtlinie
über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten
Kriminalität Gem. RdErl. d. MJ u. d. MI v. 16.7.2008 – 4208-S4.84, P23.23-12334/4 (Nds.MBl.
Nr. 30/2008 S. 825) (OK-Richtlinie 1990). „Da Initiativermittlungen der Klärung sowohl eines
Anfangsverdachts als auch einer Gefahrenlage dienen können, betonen die Richtlinien die po-
lizeirechtlichen Möglichkeiten zu Initiativermittlungen; für Fälle der Gefahrenabwehr zu der –
nach herrschender Lesart – auch die vorbeugende Verbrechensbekämpfung gezählt wird, stehe der
Staatsanwaltschaft eine Leitungsbefugnis nicht zu.“, Pütter, Föderalismus und Innere Sicherheit.
Die Innenministerkonferenz zwischen exekutivischer Politik und politisierter Exekutive, S. 275.
„Warum die Justiz der Ziffer 6 dieser Richtlinien, wo es den Begriff der sogen. „Initiativermitt-
lungen“ gibt, zugestimmt hat, der bedeutet, dass im Bereich der organisierten Kriminalität auch
unterhalb der Schwelle des sogenannten Anfangsverdachts Ermittlungsmaßnahmen aufgenommen
werden können, ist nicht ganz verständlich [. . . ] bewährte Abgrenzung Gefahrenabwehr – Sache
der Polizei, Strafverfolgung – Sache der Justiz, der Staatsanwaltschaft – durcheinandergeraten ist
und damit auch das gleichgewichtige Spiel der Kräfte, auf dem unser rechtsstaatliches Strafver-
folgungssystem beruht.“Schaefer, Zur Entwicklung des Verhältnisses Staatsanwaltschaft-Polizei,
S. 195.
266 § 12 „Bestimmte Tatsachen“, die den Verdacht einer Straftat „begründen“
Für die Bestimmung des Verdachtsgrades wird dem Ermittlungsrichter ein Beurtei-
lungsspielraum zuerkannt, so dass sowohl Tatgericht als auch Revisionsgericht die
ermittlungsrichterliche Beurteilung nur begrenzt überprüfen dürfen.46 Unter wel-
chen Umständen ein Tatverdacht für die Anordnung einer Ermittlungsmaßnahme
erheblich genug sei, lasse sich daher kaum in handhabbare abstrakte Formeln fas-
sen. Es handele sich also um einen nur quantitativ und nicht qualitativ von anderen
Verdachtsgraden abgrenzbaren Steigerungsbegriff, der ganz wesentlich von der Ein-
zelfallbetrachtung des jeweiligen Ermittlungsrichters bestimmt wird.47
Ein solcher Beurteilungsspielraum ist aber entgegen der Rechtsprechung des
BGH nicht anzuerkennen. Eine Stütze für eine solche Rechtsschutzverkürzung gibt
es im Gesetz nicht. Das Schrifttum lehnt die Auffassung des BGH mehrheitlich
ab.48 Der Kritik ist zuzustimmen, da es sinnlos wäre, inhaltliche Anforderungen
an die Bestimmtheit des Tatverdachts zu stellen, wenn diese der Einschätzung des
Rechtsanwenders obliegen. Der oben gefundene Maßstab für die „bestimmten Tat-
sachen“ ist auch nicht „kaum handhabbar“. Zwar muss die Überprüfung nach Ab-
schluss der Maßnahme die Tatsachenlage ex ante und nicht ex post berücksichtigen,
doch gibt es keinen Grund, einen Beurteilungsspielraum anzuerkennen.
45
Problematisch im Hinblick auf die Umgehung des Verbots der verdeckten Initiativermittlun-
gen durch Maßnahmen der §§ 98 ff. StPO erscheint, dass nach Polizei oder Geheimdienstrecht
übermittelte Daten aus verdeckten präventiven Ermittlungsmaßnahmen in das Strafverfahren über-
geleitet werden dürfen, vgl. zum Beispiel für die Polizei in Brandenburg nach § 42 Abs. 1 S. 1
BbgPolG. §§ 18 bis 22a BVerfSchG regeln die Übermittlung von Informationen zwischen den
Ämtern für Verfassungsschutz und anderen Behörden. Die Übermittlung von personenbezogenen
Daten von den Strafverfolgungsbehörden an die Verfassungschutzämter ist in allen Fällen erlaubt,
in denen die Informationen den Aufgaben der Ämter dienen. Für alles weitere wird auf die detail-
lierten Regelung in den genannten gesetzlichen Vorschriften verwiesen. Diesen Hinweisen kann
im Rahmen dieser Arbeit aber nicht nachgegangen werden, da sie das Thema sprengen, weil sie
zu den verdeckten präventivrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen überleiten.
46
BGHSt 41, 30; BGH StV 98, 242; BGHSt 47, 322. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass
unabhängig von der Wahrnehmung der für die Verdachtsprognose erforderlichen Tatsachen auf
allen Ebenen der Verdachtsfindung und bei allen Verdachtsstufen eine Subsumtion hinsichtlich der
strafrechtlichen Relevanz des festgestellten Tatbestandes zu erfolgen habe. Nach dieser Ansicht
bestehe im Rahmen des Legalitätsprinzips ein gewisser „Wertungsspielraum“, Lohner, S. 185;
Eisenberg, Beweisrecht der StPO: Spezialkommentar, § 27, Rdn. 10.
47
BGHSt 41, 30; BGH StV 98, 242; BGHSt 47, 322.
48
Vgl. zum Teils kritischen Schrifttum Fezer, HRRS, Nr. 6., S. 240 Fn. 3.
§ 13 Anlasstaten
Bisher wurde geklärt, dass ein Tatverdacht bestehen muss und unter welchen Um-
ständen er begründet ist. Aber nicht nur an die Verdachtsbegründung, sondern auch
an die Straftat als Gegenstand des Verdachts sind nach den oben besprochenen ver-
fassungsrechtlichen Vorgaben besondere Anforderungen zu stellen. Die Schwere
der Anlasstat muss gegenüber der Belastung durch den jeweiligen Grundrechtsein-
griff angemessen sein. Es wird aber zunächst zu prüfen sein, ob der Gesetzgeber
insoweit bestimmte Regelungen der Tatschwere getroffen hat. Dazu bedient er sich
zweier Mittel: Einerseits wird in einigen Regelungen ein Katalogsystem verwendet
in dem schwere Taten der Art nach genannt sind. Immer wenn ein solcher An-
lasstatenkatalog vorhanden ist, wird aber auch verlangt, dass die Tat im Einzelfall
schwerwiegend sein oder eine im Einzelfall eine erhebliche Bedeutung haben muss.
Dies gilt auch für einige Regelungen die über keine Anlasstatenkataloge verfügen.
I. Anlasstatenkataloge
1
Vgl. § 9, I.
2
BVerfGE 120, 274, 327; vgl. auch BVerfGE 115, 230, 360 f.
Da die Normenbestimmtheit kein variabler Faktor ist, der proportional mit einer ver-
muteten typischen Eingriffsintensität steigen kann,3 ist die Bestimmtheit für alle in
die Grundrechte eingreifenden verdeckten Maßnahmen gleich zu handhaben. Dar-
aus folgt, dass, wenn der Katalog verfassungsrechtlich wegen des Bestimmtheits-
grundsatzes erforderlich ist, alle verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnah-
men an Anlasstatenkataloge gekoppelt werden müssen.
Die Differenzierung der Anlasstatenkataloge kann also nur den Sinn haben, die
verfassungsrechtliche Angemessenheit4 in der StPO umzusetzen. Hierbei obliegt
es der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, ob und wie er zwischen den
einzelnen verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen unterscheidet. Ob
die Vorschriften verfassungsgerichtlicher Überprüfung standhalten, ist eine Frage,
die den jeweiligen speziellen Regelungen vorbehalten ist.
1. Wortlautauslegung
Beispiel 39 Ein Zeuge hat ausgesagt, dass X als Kurier ca. 100g Amphetaminta-
bletten von Berlin nach Frankfurt (Oder) transportiert hat. Staatsanwalt S prüft, ob
er mit Erfolg eine Telekommunikationsüberwachung für des Anschluss des X be-
antragen kann. § 29 BtMG findet er im Katalog des § 100a. Wiegt diese Tat aber
auch im einzelnen Fall schwer?
Der isoliert betrachtete Wortlaut legt für das Verständnis eine umfangreiche Ab-
wägung der Tatschwere im Einzelfall nahe. Bei einer vollumfänglichen Einzelfall-
abwägung würde der jeweilige Anlasstatenkatalog zur bloßen Mindestvorausset-
zung verkommen, und eine Erosion an Bestimmtheit wäre die Folge. Die Norm
wäre insgesamt unbestimmt, da nicht klar wäre, unter welchen Umständen eine Tat
„schwerwiegend“ ist. Weder ist ein klares Ziel vorgegeben, noch sind Kriterien für
die Ermittlung der Tatschwere angegeben. Dem Gesetzgeber wäre zumindest die
Zielangabe leicht möglich, indem er etwa eine bestimmte zu erwartende Strafhöhe
3
Siehe § 9, I, 9.
4
Vgl. § 9, II, 6.
II. Schwerwiegende Tat auch im Einzelfall 269
2. Subjektiv-historische Auslegung
5
Vgl. § 9, II, 6.
6
Vgl. § 13, II, 1.
7
Oder – was später zu zeigen sein wird – durch systematische Auslegung.
8
So auch Gerhard Wolf , S. 203: „[Die] Schwere der Tat [ergibt sich] aus denjenigen Tatumstän-
den, die für die Strafzumessung heranzuziehen sind.
9
1 BVR 330/96 vom 12.3.2003 Absatz-Nr. 76.
270 § 13 Anlasstaten
Hier und im Folgenden soll den Auslegungshinweisen aus der Entscheidung BVerf-
GE 107, 299, 322 nachgegangen werden. Wie zu zeigen sein wird, liegt insoweit
eine „Verweisungskette“ vor, die insgesamt analysiert werden muss.
Die fragliche Passage in der Entscheidung des BVerfG bezieht sich zwar auf
eine Straftat von erheblicher Bedeutung und gibt an, wann eine solche im Ein-
zelfall gegeben ist. Dies könnte für die Katalogtaten nach § 100a StPO fruchtbar
gemacht werden. Für ein Minimum an Bestimmtheit, Rechtssicherheit und effekti-
ver Strafrechtspflege sollten sich wenigstens Zielbestimmungen (bestimmte Straf-
erwartungen) oder handhabbare quasi tatbestandliche Kriterien für ein solches Prü-
fungsprogramm benennen lassen (bestimmte Schadenshöhe, bestimmte Schwere
der Verletzung). Zur Begründung und Erläuterung der oben genannten Formel ver-
weist das BVerfG auf eine frühere eigene Entscheidung in anderer Sache.10 Dort
findet man aber nur den Ansatz einer Einzelfallbetrachtung für eine Tat von „erheb-
licher Bedeutung“:
„Zwar betraf das eingestellte Verfahren eine Katalogstraftat des § 81g StPO, doch sind Aus-
nahmen von der Regelwirkung möglich und bedürfen der Prüfung, wenn Anhaltspunkte
hierfür gegeben sind. Hier bot allein schon die Tatsache, dass die gefährliche Körper-
verletzung allenfalls versucht worden war, vor allem aber die psychische Erkrankung des
Beschwerdeführers genügenden Anlass zu einzelfallbezogener Erörterung.“
aa) Verweisung des BVerfG auf VerfGBB StV 2002, S. 57, 58: Strenge
Einzelfallprüfung mit Begründungspflicht
Die Entscheidung BVerfGE 107, 299, 322 verweist ihrerseits auf eine Entscheidung
des VerfG des Landes Brandenburg,11 ein Urteil, in dem es um § 81g StPO geht, der
ebenfalls die „erhebliche Bedeutung“ einer Straftat zur Voraussetzung hat, jedoch
in einem ganz anderen, präventiv polizeilichen Kontext:
„Schon die Qualifizierung der Anlasstat als Straftat von erheblicher Bedeutung durch das
Amtsgericht erscheint nach Lage des Falles allzu schematisch [. . . ] [der Fall hätte eine]
genauere Auseinandersetzung mit Art und Maß der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen
objektiven Tatbeteiligung nahegelegt. [. . . ] Auch hätte die Begründung näher auf den sich
nach dem bisherigen Ermittlungsstand abzeichnenden Grad der persönlichen Schuld des
10
Genauer auf BVerfG NJW 2001, 2320, 2321.
11
VerfGBB StV 2002, S. 57, 58.
II. Schwerwiegende Tat auch im Einzelfall 271
Beschwerdeführers eingehen müssen. [Es war nicht auszuschließen, dass sich der Täter in
einer] psychischen Ausnahmesituation [befand] und [die Tat] von daher Rückschlüsse auf
die Begehung weiterer einschlägiger Straftaten nicht uneingeschränkt zulässt. Dies lässt
darauf schließen, dass Amtsgericht und Landgericht unter Verkennung der verfassungs-
rechtlichen Anforderungen davon ausgegangen sind, dass das Vorliegen eines Regelbei-
spiels im Sinne von § 81g Abs. 1 StPO von einer Prüfung der Erheblichkeit der Straftat
entbindet.“12
Der indirekte Bezug auf diese Entscheidung lässt befürchten, dass nach Ansicht
des Gesetzgebers tatsächlich bei jeder Tat auch im Rahmen des § 100a StPO im
Normalfall bzw. schon beim geringsten Anlass eine Einzelfallprüfung stattfinden
soll, die auch die persönliche Schuld des Täters mit einbezieht.
Die Übertragung des in dem letztgenannten Urteil angemahnten Prüfungspro-
gramms auf die verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ist metho-
dologisch grundsätzlich abzulehnen. Während bei § 81g StPO Vorsorge für die
Aufklärung zukünftiger Taten getroffen werden soll, geht es bei den verdeckten
strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen nur um die Aufklärung begangener Ta-
ten, ohne dass es auf eine Negativprognose für die Zukunft ankommt. Auch der
Grad der persönlichen Schuld kann in aller Regel praktisch nicht bewertet werden,
soweit es um persönliche Umstände aus der Lebensgeschichte des Verdächtigen
geht und nicht um objektive Umstände der Tat.
Die Frage, welche Umstände für die Beurteilung der Tatschwere heranzuziehen
sind, ist „das zentrale Problem der Strafzumessungslehre.“13 Die Strafzumessung
nach § 46 StGB erfordert eine umfassende Abwägung der Umstände, die für und ge-
gen den Täter sprechen: Motive des Täters (Ziele und Beweggründe), die Gesinnung
und der aufgewandte Wille des Täters zur Tatbegehung, die Art der Begehungswei-
se und die Folgen der Tat, das Vorleben des Täters (insbesondere Vorstrafen), seine
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, das Nachtatverhalten, die Bemü-
hungen um Schadenswiedergutmachung oder die Bemühungen um einen Ausgleich
mit dem Opfer (Täter-Opfer-Ausgleich). Diese Abwägung kann nicht sinnvoll vor-
greiflich von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren durchgeführt werden,
soweit es um verdeckte Ermittlungsmaßnahmen geht. Denn die fraglichen Erkennt-
nisse mögen sich erst im Laufe des weiteren Ermittlungsverfahrens ergeben und sie
liegen oft erst bei Abschluss der Ermittlungsmaßnahmen vor.14
Außerdem stehen die Ermittlungsmaßnahmen der StPO nicht nur dem Schuld-
strafrecht, sondern auch dem Recht der Maßregeln und Sicherungen zur Verfügung.
Der Ansatz, bereits im Ermittlungsverfahren vor der Entscheidung der StA über die
Erhebung der Anklage aus Strafzumessungserwägungen die Ermittlung abzubre-
chen, ist daher problematisch. Rein in der Person des Täters liegende Schuldaspekte
sollten jedenfalls keine Rolle spielen.
12
VerfGBB StV 2002, S. 57, 58.
13
Gerhard Wolf , S. 203.
14
Das führt auch nach der Ansicht G. Wolfs, der den Begriff der Schwere der Tat im Rahmen des
§ 140 Abs. 2 StPO untersucht, zu einer Verkomplizierung, vgl. Gerhard Wolf , S. 205.
272 § 13 Anlasstaten
bb) Verweis des BVerfG auf Ansicht in der Literatur: Vergleich mit § 98a StPO
BVerfGE 107, 299, 322 verweist für die Kriterien zur schwerwiegenden Tat im
Einzelfall weiter auf einen Beitrag von Welp.15 Wie groß der Schaden und die
Bedrohung für die Allgemeinheit sein sollen oder wenigstens welche Vergleichs-
kriterien hier gelten sollen, findet sich dort nicht. Welp bezieht sich wiederum auf
Niehaus, der das Problem im Rahmen des § 98a StPO behandelt.16 Dort geht es
aber nicht um eine „schwerwiegende“ Straftat, sondern um eine von erheblicher
Bedeutung.
In der Kommentarliteratur17 wird zu § 100c StPO klargestellt, dass Mord und Tot-
schlag unabhängig vom konkreten Einzelfall schwerwiegend sind. Dazu wird auf
BVerfGE 109, 346 verwiesen. Aus der Entscheidung lässt sich nach hier vertrete-
ner Auffassung allerdings nichts Entsprechendes ableiten.
c) Eigener Ansatz
Geht man den Hinweisen der Entwurfsbegründung und Literatur nach, kommt man
also nicht zu einem in sich widerspruchsfreien Konzept für die „schwerwiegen-
de Tat im Einzelfall“. Während der unbestimmte Begriff „Straftat von erheblicher
Bedeutung“ (im Rahmen des 81g StPO) ohne Abwägung im Einzelfall gar nicht
handhabbar ist, wirkt die nachgeschaltete „Korrekturklausel“ in §§ 100a, 100c, 100f
StPO auf den ersten Blick überflüssig.
Bei den Katalogtaten wiegen die meisten Taten immer auch im Einzelfall schwer.
Dies gilt bei den Straftaten gegen das Leben ohne Einschränkung. Andere Delikte
in den Katalogen sind Verbrechen, die teilweise sogar das Wort „schwer“ im Na-
men führen.18 In anderen Fällen werden in den Katalogen nur die Regelbeispiele
– also per gesetzlicher Definition „besonders schwere Fälle“19 – herausgehoben.
Hier erscheint es unsinnig, noch eine Einzelfallprüfung nachfolgen zu lassen, um
herauszufinden, ob der Betrug in einem besonders schweren Fall auch im Einzelfall
ganz konkret schwerwiegend ist oder ob die gemeinschaftliche (und daher selbst-
verständlich schwerwiegende) Vergewaltigung20 im einzelnen Fall schwer wiegt.
15
Welp, GA 2002, S. 539.
16
Niehaus, S. 156.
17
Nack in: KK 6 , § 100c, Rdn. 12.
18
§ 100a Abs. 2 Nr. 1 j) Alt. 2.
19
§ 100a Abs. 2 Nr. 1 n).
20
§ 100a Abs. 2 Nr. 1 f) Alt. 3.
II. Schwerwiegende Tat auch im Einzelfall 273
Diese Ausführungen bringen die Begriffsdefinition aber nicht voran. Bei schweren
Auswirkungen auf das Opfer wird aber schon kein minder schwerer Fall vorliegen.
Weitere Erläuterungen enthält die Gesetzesbegründung an dieser Stelle nicht. Sie
ist daher für die Auslegung nur mit großer Einschränkung zu gebrauchen.
Im Grunde wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nahegelegt, um die Tatschwe-
re zu bestimmen. Mäßig erhellend ist dabei einerseits der Verweis auf die BVerfG-
Entscheidungen, die sich mit der Straftat erheblicher Bedeutung nach §§ 81g, 100g
a. F. StPO oder dem Nds. SOG beschäftigten, bei denen mangels Katalog mit einer
enumerativen Auflistung der Einzeldelikte eine umfassende Abwägung im Ein-
zelfall notwendig ist. Widersprüchlich wirkt der Hinweis, dass nicht einmal das
Vorliegen eines minder schweren Falls dazu zwingt, die Tat nicht als schwerwie-
gend zu werten.
Soll der Rechtsanwender eine positive Gesamtabwägung jeder Tat im Einzelfall
vornehmen und prüfen, ob diese mit dem Indiz übereinstimmen? Oder reicht es
aus, wenn die „Katalogtat“ bei triftigem Anlass nur darauf hin geprüft wird, ob sie
besonders gravierend im Hinblick auf Schaden oder Bedrohungsfaktor ist?
Die Gesetzesbegründung kann nach alledem den interpretationsbedürftigen Ge-
setzeswortlaut nicht abschließend klären, lässt also einen großen Spielraum für die
Auslegung der „schwerwiegenden Tat im Einzelfall“. Bindend für die Rechtsan-
wendung ist sie ohnehin nicht, es gilt der Wortlaut der §§ 100a, 100c, 100f StPO.
Das Gesetz lässt sich allein durch die subjektiv-historische Auslegung nach der Ent-
wurfsbegründung nicht klären.
21
BTDrucks 16/5846, S. 40.
22
BTDrucks 16/5846 S. 40.
274 § 13 Anlasstaten
3. Systematische Auslegung
a) Art. 13 Abs. 3 GG
Offensichtlich ist die Formulierung eine direkte Übernahme des Art. 13 Abs. 3 GG.
Der Gesetzgeber wollte praktikable Normen für die Strafverfolgung zu schaffen und
dabei keine verfassungswidrigen Vorschriften riskieren. Um insoweit keinen Fehler
zu begehen, hat sich der Gesetzgeber damit beholfen, Art. 13 Abs. 3 GG nahezu
wörtlich in § 100a Abs. 1, § 100c Abs. 1 und § 100f Abs. 1 StPO wiederzugeben.23
Die Verfassungsmäßigkeit ist damit aber noch nicht gesichert. Wie oben gezeigt,24
ist es Aufgabe des Gesetzgebers selbst die verfassungsrechtlichen Vorgaben in ein-
faches Recht umzusetzen. Er darf die Konkretisierung dieser Vorgabe nicht gänzlich
dem Rechtsanwender überlassen.
Durch eine Bezugnahme auf die Anlasstatenkataloge ließe sich folgende Ausle-
gung vertreten: Mit den Anlasstatenkatalogen hat der Gesetzgeber zumindest für
einige Regelungen der verdeckten Maßnahmen die grundsätzliche Entscheidung
getroffen, dass diese schweren Straftaten in ihrer typischen Form zur verdeckten
strafprozessualen Ermittlung berechtigen sollen.25 Die Tatschwereklausel ist ein
Ausnahmetatbestand für ungewöhnliche Fälle, die als besonders leicht aus dem
Rahmen des Üblichen bei einem durchschnittlichen schweren Delikts fallen. Im
Normalstandard ist eine Katalogtat also schwer.
Ein ähnlicher Ansatz wird bei der Prüfung der Gebotenheit der Notwehr im ma-
teriellen Strafrecht verfolgt, die für den Regelfall nicht mehr als einen Merkposten
darstellt, aber in besonderen Konstellationen wie der Notwehr gegen Schuld-
unfähige und der Notwehrprovokation normtextlicher Ort für eine wesentliche
Abwägungsentscheidung ist.26 Die entsprechende Übertragung dieses Ansatzes
auf die Auslegung der „schwerwiegenden Tat im Einzelfall“ bringt auf den ersten
23
Die wörtliche Vorgabe aus dem GG erwähnt nur die akustische Wohnraumüberwachung. Da-
mit ist aber nicht zwingend der Gegenschluss verbunden, dass die Maßnahmen nach §§ 100a,
100f StPO weniger strenge Anordnungsmerkmale haben müssen als § 100c StPO. Ein zu hohes
Schutzniveau existiert insoweit nicht.
24
Vgl. § 9, VI.
25
Natürlich gilt dies nur, wenn auch die anderen Merkmale für die Anordnung erfüllt sind.
26
Vgl. Otto, § 8, Rdn. 66 ff.
II. Schwerwiegende Tat auch im Einzelfall 275
27
Die verfassungskonforme Reduktion ist bereits aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen
vgl. § 6, IV, 4.
276 § 13 Anlasstaten
III. Zwischenergebnis
1. Wortlautauslegung
In §§ 98a Abs. 1, 100g Abs. 1 Nr. 1, 100h Abs. 1 a. E., 100i Abs. 1, 110a Abs. 1,
163e Abs. 1, 163f Abs. 1 StPO ist eine Straftat von „erheblicher Bedeutung“ ei-
nes der Anordnungsmerkmale. Nach dem Wortlaut der Norm ist unbestimmt, unter
welchen Umständen eine Straftat eine erhebliche Bedeutung hat. „Erheblich“ ist ein
unbestimmter Begriff. Er ist nicht fassbarer als der oben genannte Begriff „schwer-
wiegend“.
2. Subjektiv-historische Auslegung
a) Gesetzentwurfsbegründungen
28
Vgl. § 9, II, 5, c).
29
Vgl. § 9, I.
30
Vgl. BTDrucks 14/1484 S. 24; BTDrucks 13/10791, S. 5; BTDrucks 16/5846 S. 39 f.
31
Schoreit in: KK 6 , § 163e Rdn. 12; vgl. auch Hilger, NStZ 1992, S. 462.
IV. Straftat von erheblicher Bedeutung 277
Nach Ansicht des BVerfG könne auch die gesetzliche Ausgestaltung der minder-
schweren Fälle bedeutsam werden.
„Dabei grenzen die in der Vorschrift genannten Regelbeispiele den unbestimmten Rechts-
begriff weiter ein. Dadurch wird dem Bestimmtheitsgebot hinreichend Rechnung getragen
(vgl. Graf, Rasterfahndung und organisierte Kriminalität, 1997, S. 265 ff.; krit. Lindemann,
KJ 2000, S. 86 ff.).“37
Das kann aber nur für die Minderheit der Deliktsregelungen gelten, die überhaupt
benannte Regelbeispiele enthalten. Das Argument gilt nicht allgemein. Das BVerfG
sieht das Problem also durch zwei aufeinander aufbauende Argumente gelöst:
1. Die Anforderungen an die Bestimmtheit bei verfahrensrechtlichen Normen sei-
en niedriger Anzusetzen als im materiellen Strafrecht.
32
Hilger, NStZ 1992, S. 462.
33
BVerfGE 112, 304, 316; Meyer-Goßner,StPO54 , § 98a Rdn. 6 m. w. N.
34
vgl. BVerfGE 103, 21, 34; 107, 299, 322; BTDrucks 13/10791, S. 5; BTDrucks 16/5846 S. 39 f.;
Schäfer in: Löwe/Rosenberg, StPO25 , § 98a Rdn. 27 m. w. N.
35
Schoreit in: KK 6 , § 163e Rdn. 13.
36
BVerfGE 112, 304, 316.
37
BVerfGE 103, 21, 34.
278 § 13 Anlasstaten
2. Wegen dieser geringen Anforderungen reiche es nach dem BVerfG aus, die-
sen undefinierten Rechtsbegriff mit drei weiteren Kriterien zu konkretisieren:
„Straftat von erheblicher Bedeutung“, „mindestens mittlere Kriminalität“,
„empfindlich“ (gestörter Rechtsfrieden), „erheblich“ (gestörtes Gefühl der
Rechtssicherheit)
c) Eigene Ansicht
„Mittlere“ Kriminalität ist aber ebenso wenig verbindlich definiert wie eine Straf-
tat „erheblicher Bedeutung“. Allein aus dem Wortlaut ist damit kaum mehr als
eine negative Abgrenzung zu einem normalen Ladendiebstahl und einer Beför-
derungserschleichung verbunden. Es sind zwar verschiedene Vorschläge für eine
Abgrenzung gemacht worden,38 Einigkeit konnte jedoch nicht erzielt werden. Wann
der Rechtsfrieden „empfindlich“ gestört sein soll, erörtert das BVerfG nicht. Auch
die Rückverfolgung der Einzelnachweise aus Literatur und Rechtsprechung lässt
diesbezüglich keine eindeutige Grenzbestimmung des Begriffs eines empfindlich
gestörten Rechtsfriedens zu. Ebenso unklar bleibt die Frage, unter welchen Um-
ständen die Tat geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit „erheblich“ zu be-
einträchtigen. Das BVerfG erklärt also, dass der eine unbestimmte Rechtsbegriff
der „Straftat von erheblicher Bedeutung“ durch drei weitere unbestimmte Begrif-
fe – „mindestens mittlere“ (Kriminalität), „empfindlich“ (gestörter Rechtsfrieden),
„erheblich“ (gestörtes Gefühl der Rechtssicherheit) konkretisiert werden soll. Da
keiner dieser Begriffe seinerseits geklärt ist, kann die Argumentation des BVerfG
nicht überzeugen.
Die Begriffe tragen nicht zur klaren Konturierung „der Straftat von erhebli-
cher Bedeutung“ bei, sondern geben der Opportunität der Ermittlungsbehörden und
der freien Abwägung der Gerichte Raum. Denn die Einschätzung der statistischen
Einordnung in die allgemeine Kriminalitätslage und die Effekte der Tat auf „Rechts-
frieden“ und die „Gefühle“ der Bevölkerung sind objektiv nicht fassbar. Sie hängen
vielmehr von der subjektiven Einschätzung derjenigen ab, die mit Kriminalität und
ihren Auswirkungen auf die Bevölkerung zu tun haben. Das sind die Ermittlungs-
behörden und die Gerichte, welche nichts mehr als ihre eigenen subjektiven Erfah-
rungen und Grenzziehungen zum Maßstab machen müssen. Unklar bleibt, wie das
Zusammenspiel der Gerichte und der Ermittlungsbehörden genau ausgestaltet ist.
Wird die Einschätzung von Polizei und Staatsanwaltschaft durch die Gerichte auf
Plausibilität geprüft? Nehmen die Gerichte unbeeinflusst ihren eigenen Maßstab
aus der gesammelten Erfahrung der Rechtsprechung wahr? Eine gefestigte und in
der Wissenschaft allgemein akzeptierte Rechtsprechung mit eindeutigen Grenzkri-
38
BVerfG NJW 2009, 2431, 2435: nicht mehr ohne weiters bei Höchstmaß unter 5 Jahren; Nack
in: KK 6 , § 110a Rdn. 21: „Müsste die Anklage beim LG bzw. OLG erhoben werden?“; Hart-
mann/Schmidt, 639: Höchststrafe von mindestens drei Jahren; Wilhelm, S. 3 Mindeststrafrahmen
ab drei Monate bzw. 6 Monate; Rieß, GA 2004, S. 623 ff., Schnabel, DuD 2007, S. 428, Meyer-
Goßner, StPO50 , § 98a Rdn. 5 f.: Strafrahmenobergrenze bei über 2 Jahren.
V. Zwischenergebnis 279
terien ist jedenfalls nicht belegt. Sie wäre auch nicht ausreichend, denn das BVerfG
konzentriert sich nur auf die Normenverständlichkeit als Gebot der Fairness des
Rechtsstaates gegenüber dem Bürger als Normadressaten und lässt dabei die oben
dargelegte Begründung des Bestimmtheitsgebots aus dem Prinzip der Gewaltentei-
lung39 außer Acht. Es geht aber nicht nur darum, dass der Adressat die Vorschrift
verstehen kann, sondern auch darum, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Ent-
scheidungen selbst treffen muss und nicht an die Verwaltung oder Rechtsprechung
delegieren darf. Die Vorschläge aus der Literatur sind rein rechtspolitischer Natur
und führen zu keiner weiteren Klärung. Die Ansiedlung oberhalb der Kleinkrimi-
nalität40 führt nicht weiter, da erheblich durch „nicht klein“ ersetzt wird. Damit
ist nichts gewonnen. Der Begriff der Straftat von erheblicher Bedeutung lässt sich
daher auch durch Auslegung nicht bestimmen. Einen zwingenden Grund für den
Gesetzgeber, diese Frage offen zu lassen, gibt es nicht. Zwar kann er den kompletten
Einzelfall nicht voraussehen, doch ist es unproblematisch, eine zu erwartende Straf-
höhe oder sonstige Kriterien für die erhebliche Bedeutung anzugeben. Eine verfas-
sungskonforme Auslegung unter Einbeziehung der Verhältnismäßigkeit im engeren
Sinne (Angemessenheit) ist abzulehnen.41 Im Gegensatz zur oben behandelten42
Tatschwereklausel ist für die „Straftat von erheblicher Bedeutung“ in einigen Fäl-
len noch nicht einmal ein Anlasstatenkatalog als Orientierungspunkt gegeben, von
dem aus ein konkretisierender Vergleich zu atypisch leichten Taten gezogen werden
könnte. Die Unbestimmtheit liegt in diesen Fällen auf Grundlage der hier entwickel-
ten Ansicht zur verfassungskonformen Auslegung43 auf der Hand.
V. Zwischenergebnis
39
Vgl. § 9, I, 2, a) ff.
40
Hilger, NStZ 1992, S. 462.
41
Dies ergibt sich konsequent aus dem oben gefundenen Ergebnis § 9, II, 6.
42
Vgl. § 13, II.
43
Vgl. § 6, IV, 3.
§ 14 Subsidiaritätsklauseln
1
Vgl. § 9, II.
2
Die h. M. ergänzt die übrigen Regelungen durch eine ungeschriebene Verhältnismäßigkeitsklau-
sel, die alle Lücken im Schutzkonzept schließen kann. Dieses Vorgehen wird mit einer direkten
Wirkung des Verhältnismäßigkeitsprinzips begründet. § 160a StPO deutet an, dass auch der Ge-
setzgeber voraussetzt, dass ein solcher ungeschriebener Grundsatz für alle Ermittlungsmaßnahmen
gilt. Ob diese ungeschriebene Regelung gilt, ist eine allgemeine Frage, die vorliegend ausgeklam-
mert und erst am Ende dieses Teils der Arbeit beantwortet wird, vgl. § 20.
Tab. 2 In der Tabelle sind den unterschiedlich formulierten Subsidiaritätsklauseln die gesetzli-
chen Regelungen der StPO zugeordnet, in denen sie verwendet werden. Sehr selten wird direkt
auf Begriff „erforderlich“ zurückgegriffen. Die übrigen Umsetzungen des Erforderlichkeitsgrund-
satzes sind in einer Reihenfolge von der schwächsten zur strengsten Erforderlichkeitsprüfung von
links nach rechts sortiert
3
Geändert durch die Reform von 2007, vgl. § 5, V. Die Entscheidung des BVerfG zur teilweisen
Verfassungswidrigkeit ist insoweit nicht relevant.
II. Wortlautauslegung sich widersprechender Subsidiaritätsklauseln 283
Dabei ergeben sich zwei Möglichkeiten das Regelungskonzept in der StPO aus-
zulegen: Dieser Widerspruch kann durch andere Alternativen mit ähnlichen Subsi-
diaritätsregelungen beliebig erweitert werden.
1. Die Klauseln heben sich im Kollisionsfall wegen Widersprüchlichkeit auf und
sind insoweit als unwirksam zu ignorieren (Aufhebungslösung).
2. Die Klauseln sind in eine richtige Reihenfolge zu bringen, die sich aus ei-
ner durch verfassungsrechtliche Vorgaben bestimmten Systematik ergibt. Dazu
ist eventuell eine verfassungskonforme Auslegung nötig (erhaltungsorientierte
Auslegung).
284 § 14 Subsidiaritätsklauseln
1. Aufhebungslösung
Sich widersprechende Regeln auf gleicher Rangstufe heben sich gegenseitig auf.4
Die speziellen Subsidiaritätsklauseln stehen für die genannte Problemkonstellati-
on wechselseitig im Widerspruchsverhältnis. Die Regelungen wären also insoweit
faktisch unwirksam.5
Konsequent könnte dann eine jede Maßnahme angeordnet werden, da die Aus-
wahlbeschränkung auf die mildeste Maßnahme wegfällt. In diesem Falle könnten
die Maßnahmen ohne Rücksicht auf eine mögliche Abstufung nach Belastungsin-
tensität nach Opportunität der Ermittlungsbehörden angewendet werden. Rücksicht
auf Belastungsunterschiede durch unterschiedliche Grundrechtsbetroffenheit zwi-
schen den Maßnahmen müsste nicht genommen werden.
4
Bekannter Rechtssatz, der sich traditionell schon aus der Logik ableitet, vgl. Grotefend, S. 243.
5
Die auf der Hand liegende einfache Lösung des Grundproblems benennt schon Schäfer in:
Löwe/Rosenberg, StPO25 , § 110a Rdn. 31: „Wörtlich genommen blockieren sich diese Subsidiari-
tätsklauseln gegenseitig.“
6
Nimmt man noch eine Geltung der Erforderlichkeit im übrigen Strafprozessrecht über eine ver-
fassungskonforme Auslegung an, werden auch insoweit die Konfliktfälle gelöst. Zum Streit um
die Geltung einer allgemeinen ungeschriebene Verhältnismäßigkeitsklausel vgl. § 20.
7
Siehe § 5, V.
III. Systematische und subjektiv-historische Auslegung 285
den milderen Eingriff darstellt.“8 Nur bei gleich „tief“ eingreifenden Maßnahmen
sollen die Ermittlungsbehörden danach ein Wahlrecht haben.9
Die beiden genannten Lösungsmöglichkeiten führen zu unterschiedlichen Er-
gebnissen.
Für die Aufhebungslösung spricht, dass die Vorschriften nach ihrem Wortlaut
syntaktisch fehlerhaft sind. Dem Gebot der Normenklarheit genügen solche Fehler
in der Regel nicht.10 Diese verfassungsrechtliche Anforderung an die Rechtssicher-
heit ist daher grundsätzlich nicht erfüllt. Die Vorschriften können daher nur dann
noch den Anforderungen an die Normenklarheit genügen, wenn sich der Fehler mit-
tels der herkömmlichen Auslegungsmethoden in der oben geschilderte Rangfolge11
beseitigen lässt.
Gegen eine erhaltungsorientierte Auslegung ist einzuwenden, dass die Erforder-
lichkeitsprüfung zu einer Entscheidung führt, die dem Rechtsanwender in der kon-
kreten Situation eine genaue Kenntnis des Verfassungsrechts und insbesondere der
Rechtsprechung des BVerfG abverlangt. Denn er muss nun nicht nur entscheiden,
welche Ermittlungsmaßnahme kriminalistisch zweckmäßig und mit dem einfachen
Recht zu vereinbaren ist, sondern auch, welche die Grundrechte des Betroffenen am
geringsten belastet.
Wegen der aufgezeigten Nachteile im Hinblick auf die Normenbestimmtheit
können nur die systematische und subjektiv-historische Auslegung Klarheit über
das Verständnis der Subsidiaritätsklauseln bringen. Sie müssen zeigen, dass die ab-
strakten verfassungsrechtlichen Erwägungen sich so festigen lassen, dass praktisch
verwertbare Kriterien angegeben werden können. Andernfalls wären die Regelun-
gen insofern „unvermittelbares Expertenrecht“.12
Die Erforderlichkeit ist nicht nur für die Anordnung der verdeckten Ermittlungs-
maßnahmen entscheidend, sondern findet sich auch in anderen Rechtsbereichen.
In § 32 Abs. 2 StGB wird mit der Erforderlichkeit der Notwehr dem Einzelnen in
einer Notsituation abverlangt, Belastungen anderer in die richtige Reihenfolge zu
bringen. Es erscheint daher nicht sinnvoll, die Erforderlichkeit trotz der Probleme
bei der Bestimmung der Vergleichsgrößen ganz aus der Rechtsanwendung zu ver-
bannen. Allerdings kann der Verteidiger im Notwehrbereich die Verletzungsfolgen
nach allgemein bekannten Rangfolgen (Leben vor Eigentum, pekuniärer Maßstab
8
Schäfer in: Löwe/Rosenberg, StPO25 , Rdn. 31 und dort Fn. 92 m. w. N.
9
Schäfer in: Löwe/Rosenberg, StPO25 , Rdn. 31.
10
Vgl. dazu § 9, I.
11
Vgl. § 9, I, 8, c).
12
Vgl. zu dieser Gefahr § 9, I, 8, d).
286 § 14 Subsidiaritätsklauseln
bei Sachwerten etc.) abschätzen und muss keine detaillierten Kenntnisse der Fall-
gruppen des Grundrechts auf Freiheit von Einschüchterung besitzen.
Weder die oben genannte „Aufhebungslösung“ noch die „erhaltungsorientierte
Auslegung“ kann evident überzeugen.
Folgt man der oben13 angesprochenen Aufhebungslösung führt das zur Ver-
fassungswidrigkeit der Regelung. Denn es existiert sonst keine ausdrückliche
Regelung in der StPO, welche die Erforderlichkeit der verdeckten Ermittlungsmaß-
nahme gewährleisten kann.
Ob nur das BVerfG oder auch der einfache Rechtsanwender diese Auslegung
„verwerfen“ kann, kommt darauf an, was der Gesetzgeber mit den Subsidiari-
tätsklauseln erreichen wollte. Wenn er hier eine verfassungskonforme Regelung
schaffen wollte, entspricht die verfassungskonforme Auslegung der subjektiv-
historischen Auslegung. Jeder Rechtsanwender ist dann gehalten, diese verfas-
sungswidrige Auslegungsalternative nicht weiter zu verfolgen.14
Die Deckungsgleichheit zwischen historischer und verfassungskonformer Aus-
legung ist auch bei der Auslegung der Subsidiaritätsklauseln zu beachten. Der Ge-
setzgeber wollte bereits bei Erlass des § 100a StPO, dass „in das Grundrecht des
Art. 10 GG nicht weiter als unbedingt nötig eingegriffen wird.“ Die Subsidiari-
tätsklausel sei eine „rechtstaatlichen Grundsätzen entsprechende Beschränkung“.
Beispielhaft stellt der Gesetzgeber in der Entwurfsbegründung zum G-10-Gesetz
die Erhebung von Verkehrsdaten als vorrangige Alternative zur Überwachung dar.
Auch damit macht er klar, dass „andere“ weniger belastende Maßnahmen gemeint
sind, obwohl er dies nicht ausdrücklich erklärt.15
An dieser Regelungsabsicht hat sich auch durch die Einführung neuer Vorschrif-
ten und Maßnahmen nichts geändert. So formuliert die Entwurfsbegründung zur
Reform der verdeckten Maßnahmen von 2007 beispielhaft zu § 100g StPO:
„Durch diese strenge Subsidiaritätsklausel wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in be-
sonderer Weise Rechnung getragen.“16
Zudem bezieht sich die Entwurfsbegründung auf die oben genannte Kommentie-
rung Schäfers, der eine Einzelfallentscheidung nach dem Verhältnismäßigkeitsprin-
zip vorschlägt.17 Die Aufhebungslösung ist daher nach verfassungskonformer und
subjektiv-historischer Auslegung nicht vertretbar.
13
Vgl. § 14, II, 1.
14
Vgl. § 6, IV, 8.
15
BTDrucks V/1880 S. 12.
16
BTDrucks 16/5846 S. 52. Auch für § 163f StPO wird die Subsidiaritätsklausel mit der Eingriff-
sintensität in Verbindung gebracht, BTDrucks 16/5846 S. 66.
17
BTDrucks 16/5846 S. 52 und § 14, II, 2.
III. Systematische und subjektiv-historische Auslegung 287
Jedenfalls die Regelungen der Maßnahmen, welche der Gesetzgeber mit einer Sub-
sidiaritätsklausel versehen hat, sprechen dafür, dass er offene Maßnahmen weniger
belastend als verdeckte Maßnahmen wertet. Auch in der Literatur wird die Ansicht
vertreten, dass die mit Subsidiaritätsklauseln versehenen Regelungen der verdeck-
ten Maßnahmen gegenüber den „klassischen“ Eingriffsbefugnissen in der StPO
eine gesteigerte Eingriffsintensität aufweisen.19 Die Gesetzesentwurfsbegründung
bezieht sich zudem auf diese Ansicht.20
Für diese Lösung könnte man mit dem oben gefundenen Ergebnis argumen-
tieren, dass mit verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen immer eine
zusätzliche Einschüchterungswirkung verbunden ist. Dogmatisch liegt daher ein
Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung oder wegen der Heim-
lichkeit zumindest ein Verstärkung des Eingriffs in ein spezielles Grundrecht vor.21
Allerdings lässt sich über den Sonderfall des Art. 13 Abs. 3 GG (akusti-
schen Wohnraumüberwachung) kein Grundsatz aus der Verfassung ableiten, nach
dem Heimlichkeit belastender als eine entsprechende Zwangsmaßnahme (Haus-
durchsuchung, Art. 13 Abs. 2 GG) ist. Eine heimliche Maßnahme ist nur im
Vergleich zu einer ihr genau entsprechenden – aber offen durchgeführten – Über-
wachungsmaßnahme belastender.
18
Vgl. § 14, II, 2.
19
Schäfer in: Löwe/Rosenberg, StPO25 , § 110a Rdn. 31.
20
BTDrucks 16/5846 S. 66.
21
Vgl. § 8, III, 6 für Art. 2 Abs. 1 GG. Im Schutzumfang der Art. 10 und Art. 13 GG ist das
Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung enthalten, so dass es nicht gesondert erwähnt wer-
den muss. Auch in diesen Fällen ist die heimliche Maßnahme aber belastender als die offene. Die
besondere Begründung des Eingriffs über einen Einschüchterungseffekt ist dann nicht notwendig.
Die Tatsache, dass eine heimliche Maßnahme belastender ist als eine entsprechende offene Maß-
nahme, wird dadurch aber nicht obsolet. Lediglich wenn die Überwachung so weit geht, dass die
Menschenwürde angetastet wird, erübrigen sich wegen des absoluten Verbots alle Vorrangfragen.
288 § 14 Subsidiaritätsklauseln
Die Belastung durch eine offene Maßnahme, die über das Kriterium der Offenheit
hinaus weitere Unterschiede zu einer konkreten verdeckten Maßnahme aufweist, ist
nicht in jedem Falle ihr gegenüber als geringer einzuordnen. Entscheidend ist die
konkrete Einschüchterungswirkung der Maßnahme im Einzelfall, auch wenn sich
diese Wirkung nicht auf den überwachten Betroffenen bezieht.22
Beispiel 42 Für den überwachten Betroffenen ist es belastender, wenn die Ermitt-
lungsbehörden erst seine Wohnung – im Falle der Weigerung gewaltsam – durch-
suchen und zwangsweise sein Blut für eine Untersuchung abnehmen, als wenn sie
ihn heimlich in der Öffentlichkeit außerhalb seiner Wohnung gemäß § 100h StPO
in einer unverfänglichen Alltagssituation fotografieren. Dies gilt ebenfalls für die
Einschüchterungseffekte die andere Menschen durch das Beispiel einer solchen
Maßnahme und die Regelung des § 100h StPO betreffen.
22
Oben wurde bereits gezeigt, dass nicht nur das Grundrecht des konkret Überwachten betroffen
ist und es daher nicht auf seine subjektive Empfindung ankommt, vgl. § 8.
23
Vgl. § 6, VI.
24
Diese Formulierung ergibt wörtlich auch nur in ihrer Singularität Sinn, weshalb der Verfassungs-
geber sie auch nur für den einen Sonderfall der akustischen Wohnraumüberwachung als absolut
belastendsten erlaubten Überwachungsgrundrechtseingriff verwendet hat.
III. Systematische und subjektiv-historische Auslegung 289
25
Vgl. § 9, II, 4, c), § 9, VI.
26
Gegen eine Übertragung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes spricht grundsätzlich das Rege-
lungsprimat des Gesetzgebers. Wie gezeigt betrifft dies aber vordringlich die Angemessenheit,
§ 9, II, 6.
27
Vgl. § 9, II, 4, c).
28
Vgl. § 9, II, 4, c).
29
Vgl. bereits § 9.
290 § 14 Subsidiaritätsklauseln
IV. Zwischenergebnis
30
Von der h. M. wird ein solcher Grundsatz über eine direkte Wirkung des verfassungsrechtlichen
Verhältnismäßigkeitsprinzips „hineingelesen". Die Geltung ungeschriebener Subsidiaritätsklau-
seln ist aber höchst zweifelhaft, § 20.
31
Dieses Verständnis wäre bei genauer Analyse eine verfassungskonforme Auslegung. Da Wörter
ergänzt werden, könnte es sich bei genauer Analyse auch um eine verfassungskonforme Ergän-
zung handeln. Nach hier vertretener Auffassung ist die Grenze zu einer Ergänzung aber noch
nicht überschritten, da im subjektiv-historischen Vergleich zu § 34, 35 StGB ein solches Verständ-
nis im Wortlaut enthalten sein kann. Es handelt sich allerdings um einen kritischen Grenzfall.
Eine vollständige Diskussion über den Übergang zwischen zulässiger verfassungskonformer Aus-
legung und unzulässiger Ergänzung kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden, vgl.
zum Problem § 6, IV, 6. Zur Sicherheit ist dem Gesetzgeber eine Neuregelung zu empfehlen, die
das Problem beseitigt, vgl. § 14, IV, 3.
IV. Zwischenergebnis 291
Bisher wurde gezeigt, dass für die Angemessenheit der Regelungen eine der Schwe-
re nach bestimmte Anlasstat und für die Erforderlichkeit eine zumindest mit ein-
deutigem Ergebnis auslegbare Subsidiaritätsregelung notwendig ist. Diese Punkte
betreffen die Verhältnismäßigkeit von Eingriffen durch die Regelungen der verdeck-
te Maßnahmen in die Grundrechte aus Art. 2, Art. 10 und Art. 13 GG. Oben wurde
gezeigt, dass die Regelungen der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen den durch
Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht ver-
letzen dürfen. Zudem wurde angesprochen, dass der Gesetzgeber ein Schutzkonzept
schaffen muss, um Einblicke in den Kernbereich möglichst zu verhindern.1 Im Fol-
genden wird dies weiter ausgeführt und dargelegt, wie dieses Schutzkonzept in der
StPO auszugestalten ist.
Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betrifft in erster Linie das Ver-
halten des Einzelnen, wenn er sich vor anderen zurückzieht, um allein und ungestört
zu sein. Außerdem gehört soziale Interaktion zu diesem Kernbereich, wenn die Be-
teiligten vertraulich handeln wollen. Entscheidend ist in jedem Fall, dass es dem
Einzelnen erkennbar darauf ankommt, Außenstehende von diesem Verhalten aus-
zuschließen, weil er es für intim bzw. höchstpersönlich und daher niemanden etwas
angehend hält. Diese subjektive Komponente des Kernbereichs wird durch ein ob-
jektives Kriterium begrenzt. Betrifft das Verhalten inhaltlich die rechtlich geschütz-
ten Interessen Dritter, gehört es nicht zum Kernbereich. Äußerungen über konkrete
Straftaten gehören daher nicht zum Kernbereich.2
1
Vgl. § 8, IV, 2, d), aa).
2
Vgl. § 8, IV und § 8, I, 4, a).
Von der Definition des Kernbereichs ist die Frage nach dessen Schutz abzugrenzen.
Der Schutz des Kernbereichs persönlicher Lebensgestaltung ist eine verfassungs-
rechtliche Vorgabe.3 Der Kernbereichsschutz ist Bestandteil des in Art. 1 Abs. 1
S. 2 GG genannten staatlichen Auftrages die Menschenwürde zu schützen. Der
Staat achtet so darauf, das Risiko der Einblicknahme in den Kernbereich zu mini-
mieren. Der Staat schützt die Menschenwürde quasi vor dem Staat selbst, nämlich
davor durch die Staatsorgane missachtet zu werden.
3
Vgl. die verfassungsrechtliche Vorgabe, § 8, IV, 1, b).
4
Vgl. Anm. in Bsp. 8 § 7, III, 2, b).
I. Schutzauftrag des Staates gegen sich selbst aus Art. 1 Abs. 1 GG 295
5
Ein wissentlicher oder absichtlicher Einblick in der Kernbereich ist jedenfalls dann nicht ent-
würdigend, wenn er Rettungszwecken dient. Das ist aber kein Fall der bei den strafprozessualen
Ermittlungen eintritt. Bei den Eingriffen in die vorbehaltlich gewährleisteten Grundrechte, welche
dem Art. 1 GG nachfolgenden, entspricht dies einem vorsätzlichen Eingriff. Bei diesen „norma-
len“ Grundrechten wäre er gerechtfertigt, wenn er verhältnismäßig ist. In der Sache findet so eine
Art Verhältnismäßigkeitsprüfung statt, die aber der Eingriffs- bzw. der Verletzungsabgrenzung
dient. Im Gegensatz zur Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist der Maßstab für das zulässige Rest-
risiko des Ein-„blicks“ in den Kernbereich auf Optimierung gerichtet. Je höher das Restrisiko ist,
desto restriktiver muss das Schutzkonzept sein. Vergleiche zu den geforderten vor- und nachträgli-
chen Sicherungsmaßnahmen im Detail, § 15, III. Bei der Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen der
„echten“ Verhältnismäßigkeitsprüfung müsste nicht auf weniger effektive Maßnahmen zurückge-
griffen werden. Für die Anpassung des Restrisikos gilt unmittelbar ein Angemessenheitsmaßstab,
der weniger effektive Maßnahmen verlangt.
296 § 15 Kernbereichsschutz
6
Dass staatliche Behörden über das verfassungsrechtlich Erlaubte hinaus auch in den Kernbereich
eingreifen und daher Regelungen zum Kernbereichsschutz erforderlich sind, zeigt ein Beispiel aus
Bayern: In diesem Fall wurde gegen Personen aus dem neonazistischen Milieu wegen Straftaten
gegen das Waffengesetz ermittelt (Vgl. die Schilderung des Falles durch Zypries). Das Schlaf-
zimmer eines Verdächtigen wurde nach dem verfassungswidrigen § 100c a. F. StPO mit einer
Kamera optisch und akustisch überwacht. Als sog. „Zufallsfund“ wurden Vorbereitungen zu ei-
nem Anschlag gegen die Grundsteinlegung einer Synagoge entdeckt. In der politischen Bewertung
heiligen die Ergebnisse das Mittel. So äußerte sich der damalige Innenminister im Nachhinein
in einem Interview, merkur-online.de, 15.11.11: „Keine Versäumnisse? Im Gegenteil: Wir sind
bei Rechtsextremisten härter vorgegangen als bei Linksextremisten – weil die Zustimmung in
der Bevölkerung hier viel größer ist. Manchmal gingen wir sogar weiter, als der Rechtsstaat
eigentlich erlaubt. Was meinen Sie? Es ging um den geplanten Anschlag auf die Grundsteinle-
gung der Münchner Synagoge. Da haben wir einem der Hauptverdächtigen eine Videokamera im
Schlafzimmer installiert. Ich habe das damals besten Gewissens angeordnet, aber das Bundesver-
fassungsgericht hat im Nachhinein festgestellt, dass es sich beim Schlafzimmer um einen absolut
geschützten Bereich handelt, in dem eine Überwachung per Videokamera unzulässig ist. Aber nur
durch diese Videokamera haben wir festgestellt, wo sich der Sprengstoff befindet.“
7
Vgl. § 8, IV, 2, a), aa).
8
BVerfGE 109, 279, 331 ff.
9
BVerfGE 112, 30, 319 f und ausführlich § 35.
10
Das BVerfG sieht – jedenfalls in der Wohnung – keinen Unterschied zwischen dem Kernbereich
der privaten Lebensgestaltung des Wohnungsinhabers und dem des Gastes, vgl. BVerfGE 109,
279, 311, 325.
II. Formale und inhaltliche Kriterien des Kernbereichsschutzes 297
dieses Schutzkonzept Fragen: Ist der „Kernbereichsschutz“ keine Frage der Kern-
bereichsverletzung, sondern betrifft er die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die
Privatsphäre und in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung? Oder lässt
das BVerfG mit dem Schutzkonzept eine Missachtung der Menschenwürde zu? Ent-
fällt die Missachtung der Menschenwürde, nur weil dagegen Schutzvorkehrungen
getroffen wurden? Wie wäre Letzteres logisch zu erklären?
Im Ergebnis ist die Ansicht des BVerfG so zu deuten, dass eine unbeabsichtigte
Kenntnisnahme von kernbereichsrelevantem Verhalten keine Verletzung des Ach-
tungsanspruchs sein soll. Das BVerfG legt an dieser Stelle implizit die Finalität aus
dem klassischen Eingriffsbegriff als Bedingung für eine Verletzung des Kernbe-
reichs zugrunde.
Das BVerfG hat für Art. 10 GG,11 Art. 13 GG12 und nun auch für das Computer-
grundrecht13 ein in einen vor- und einen nachträglichen Kernbereichsschutz geteil-
tes Konzept entwickelt:
1. Danach muss zunächst darauf hingewirkt werden, dass die Erhebung kernbe-
reichsrelevanter Daten unterbleibt, „soweit wie informationstechnisch und er-
mittlungstechnisch möglich.“ Entscheidend sind dabei konkrete Anhaltspunkte
des Einzelfalls. Wenn der Betroffene kernbereichsrelevante Inhalte mit Infor-
mationen über das konkrete Ermittlungsziel verbindet, um eine Überwachung
zu vermeiden, ist die Überwachung trotzdem zulässig.
11
BVerfGE 113, 348, 391 f.
12
BVerfGE 109, 279, 324.
13
BVerfGE 120, 274, 339.
298 § 15 Kernbereichsschutz
Das zweistufige Schutzkonzept des BVerfG ist auf den gesamten Kernbereich der
privaten Lebensgestaltung anzuwenden. Der Gesetzgeber hat ein zweistufiges Kon-
zept für den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung an einigen Stellen in der
StPO entwickelt, um diese Anforderungen des BVerfG zum Kernbereichsschutz zu
erfüllen.14
1. Erste Schutzstufe
a) Maßnahmegebundene Schutzklauseln
Auf der ersten Schutzstufe ist in §§ 100a Abs. 4, 100c Abs. 4 StPO der Kernbe-
reichsschutz unter anderem durch eine den Ermittlungsbehörden auferlegte Pflicht
zur Unterlassung der Maßnahme bei zu vermutender Kernbereichsbetroffenheit ge-
währleistet. In anderen Regelungen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungs-
maßnahmen fehlt diese Stufe. Ob diese Regelungen verfassungswidrig sind, hängt
davon ab, ob die Maßnahmen ihrer Art nach so ungefährlich für den Kernbereich
der persönlichen Lebensgestaltung sind, dass keine besonderen Schutzvorkehrun-
gen notwendig sind. Das ist aber eine Frage der einzelnen Regelungen, die jeweils
am geeigneten Ort weiter unten in dieser Arbeit geklärt wird.
b) § 160a StPO
Nach § 160a Abs. 1 StPO ist die Verwertung von Erkenntnissen aus Ermittlungs-
maßnahmen, die zeugnisverweigerungsberechtigte Berufsgruppen nach 53 Abs. 1
S. 1 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 StPO genannte Person, einen Rechtsanwalt, eine Person
nach § 206 der Bundesrechtsanwaltsordnung StPO betreffen, nicht erlaubt, wenn
diese Personen auch im konkreten Fall das Zeugnis verweigern dürften. Auch die
14
BVerfGE 109, 279, 311, 325.
IV. Fragmentarische Regelung des Kernbereichsschutzes in der StPO 299
fragmentarische Regelung des § 160a StPO füllt aber nach hier vertretener Ansicht
die Schutzlücken nicht vollständig. Die Reglung des § 160a Abs. 1 StPO bietet nur
einen nachträglichen Schutz und erfasst nicht alle Situationen, in denen Einblick in
den Kernbereich genommen wird.
Ähnlich wie § 160a Abs. 1 StPO für den Kontakt mit Berufsgeheimnisträgern ist
in § 160a Abs. 2 StPO der Kernbereichsschutz für die Kommunikation mit Ange-
hörigen nur ansatzweise allgemein geregelt. In diesem Fall greift der Schutz nicht
nur nachträglich hinsichtlich der Verwertung der Erkenntnisse, sondern bereits vor
der Ermittlungsmaßnahme ein. § 160a Abs. 2 StPO erfasst die vor einer Ermitt-
lungsmaßnahme deutlich werdende Gefahr, dass der Kernbereich berührt werden
könnte. Ob vor jeder Maßnahme eine Prüfung durchzuführen ist, bleibt unklar. Ent-
scheidend ist, dass Kommunikation mit den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b
oder Nr. 5 genannten Personen zu erwarten ist, das Erkenntnisse anfallen, über
welche die genannten Personen das Zeugnis verweigern dürften. Die Maßnahme
muss von vornherein unterbleiben, wenn eine Verhältnismäßigkeitsabwägung dies
nahelegt („soweit geboten“). „Soweit [. . . ] möglich“, ist die Maßnahme zu be-
schränken. Dieser Verweis auf eine allgemeine Prüfung der Verhältnismäßigkeit
kann verfassungsrechtlich nicht richtig sein, jedenfalls wenn § 160a Abs. 2 StPO
eine abschließende Regelung des Kernbereichsschutztes sein soll. Denn der Kern-
bereichsschutz dient der Sicherung der unabwägbaren Menschenwürde und darf
daher gerade nicht einer Abwägung unterliegen. Zudem ist die Gruppe der Perso-
nen in § 160a Abs. 2 StPO eng begrenzt. Wie oben gezeigt, hängt die Möglichkeit
der Kernbereichsbetroffenheit aber von den Umständen des Einzelfalls ab.15
Das BVerfG hat in einem kürzlich ergangenen Urteil entschieden, dass die Vor-
schrift des § 100a StPO auch hinsichtlich des Kernbereichsschutzes verfassungsge-
mäß ist und klargestellt, dass die Regelungen des § 160a Abs. 1 StPO dem Schutz
der Menschenwürde dient, soweit sie ein Verwertungsverbot für Erkenntnisse aus
dem Bereich zeugnisverweigerungsberechtigter Personen enthält und die Gesprä-
che mit Familienangehörigen betrifft, § 160 Abs. 2 StPO.16
Eine vollständige Regelung der oben genannten verfassungsrechtlichen Vorga-
ben des Kernbereichsschutzes17 ist in der Vorschrift des § 160a StPO jedoch nicht
enthalten.
15
Vgl. § 8, IV, 2, c).
16
BVerfG EuGRZ 2011, 696, 712.
17
Vgl. § 15, I, 2.
300 § 15 Kernbereichsschutz
3 Monate 100a, 100g, 100f, Gerichtlich nach Eil- Alle verdeckten Maß-
(163f, 100i verweisen fall 3 Werktage nahmen
in 100b)
1 Monat, ab dem 6. 100c
Monat durch OLG
2. Zweite Schutzstufe
a) Maßnahmegebundene Löschungspflichten
Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die durch eine Maß-
nahme nach § 100a Abs. 1 StPO erlangt wurden, dürfen nach § 100a Abs. 4 StPO
nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen.
Entsprechendes gilt leicht abgewandelt für § 100c Abs. 1, Abs. 5 S. 2 StPO. In
der Praxis können Informationen über kernbereichsrelevante Inhalte kaum von In-
formationen über konkrete Straftaten zu trennen sein. So kann sich ein Gespräch
über intime Details aus dem Privatleben in wenigen Worten zu einem Gespräch
über konkrete Straftaten wandeln. § 100a Abs. 4 StPO schafft hier Vorsorge, indem
danach nur von einer Überwachung abzusehen ist, wenn zu befürchten ist, dass „al-
18
Anordnungsfristen laufen immer ab Anordnung. Es gibt also keine Vorratsfristen.
19
Vgl. § 8.
20
Diese Fristen dienen auch der vorbeugenden Sicherung des Grundrechts auf rechtliches Gehör
nach Art. 19 Abs. 4 GG, da die dem Betroffenen faktisch abgeschnittene Möglichkeit des Rechts-
behelfs teilweise durch die vorgreifliche Prüfung des Gerichts ersetzt wird, vgl. § 8, VIII, 1.
IV. Fragmentarische Regelung des Kernbereichsschutzes in der StPO 301
Beispiel 43 A ruft seine in München wohnende Frau aus Hamburg an. Er berichtet
ihr bei dem überwachten Telefongespräch, dass er eine urologische Erkrankung hat
und dass sie seinem Abnehmer ausrichten solle, dass er das Heroin erst eine Woche
später übergeben könne.
21
Dass dies den Beweiswert der Aufzeichnung vor Gericht im Vergleich zu einer vollständigen
Aufnahme mindern wird, ist eine andere Frage. Dem Gericht ist jedenfalls die Dauer und der
Abschnitt der Löschung mitzuteilen.
22
Vgl. dazu § 15, I, 0, b).
302 § 15 Kernbereichsschutz
§ 101 Abs. 8 StPO enthält eine spezielle Löschungspflicht für verdeckte Ermitt-
lungen und § 489 Abs. 2 StPO eine allgemeine Löschungspflicht. Diese Klauseln
können aber allein keinen Kernbereichsschutz garantieren.23
Ein Teil der zweiten, nachträglichen Stufe des Kernbereichsschutzes ist die Re-
gelung eines an die Kernbereichsbetroffenheit anknüpfenden Beweisverwertungs-
verbots. Wenn eine verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme rechtswidrig
erfolgt, kann dieser nicht gerechtfertigte Eingriff noch vertieft werden, indem die
gewonnenen Erkenntnisse zu Beweiszwecken im Strafprozess verwertet werden.
Beweisverwertungsverbote sind nur punktuell in der StPO geregelt.24
Bei einer Verletzung des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung sieht
§ 100a Abs. 4 S. 2 StPO allerdings ein spezielles Verwertungsverbot vor. Wenn
der Gesetzgeber dieses Mittel für den Kernbereichsschutz in § 100a StPO vorsieht,
besteht kein Grund in anderen Fällen, bei denen ebenfalls die Gefahr einer Kern-
bereichsbetroffenheit besteht, auf diesen Schutz zu verzichten. Regelungen anderer
verdeckter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen sind daher ebenfalls mit ei-
ner solchen Klausel zu versehen, wenn die Gefahr einer Kernbereichsbetroffenheit
nicht deutlich geringer sein sollte. Ein entsprechendes Verwertungsverbot muss von
Verfassungs wegen allgemein für alle Verletzungen des Kernbereichs bestehen.
23
Zu den Bestimmungen und ihrer Funktion im Einzelnen, vgl. gesondert § 18, III.
24
Der allgemein als hochproblematisch und ungeregelt geltende Zustand des Beweisverwertungs-
rechts ist zumindest für die verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen im Hinblick auf
Verhältnismäßigkeit und Normenbestimmtheit bedenklich. Auch die grundrechtsdogmatische Be-
gründung eines eventuellen Verbots ist noch unklar, vgl. Hermes in: Dreier, GG2 , Art. 13 Rdn. 42
m. w. N. Die Probleme der Beweisverwertungsverbote sind aber kein zu klärendes Spezifikum
der Regelungen verdeckter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen. Auch der insoweit in Frage
kommende § 136a Abs. 1 StPO kann nicht speziell für die verdeckten strafprozessualen Er-
mittlungsmaßnahmen (verfassungskonform) so ausgelegt werden, dass unrechtmäßige verdeckte
Ermittlungsmaßnahmen seiner Täuschungsalternative unterfallen, denn eine tatbestandliche Täu-
schung kann nicht von der Berechtigung des Täuschenden abhängen. Rechtmäßige verdeckte
Ermittlung sind – soweit sie überhaupt Täuschungscharakter haben, was in der Regel verneinen
ist – Ausnahmen vom Täuschungsverbot. Vgl. zum Problemkomplex die Lösungen von Jäger
bezüglich unselbstständiger Verwertungsverbote speziell bei verdeckten strafprozessualen Ermitt-
lungen Jäger, Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im Strafprozess, S. 169 ff. (zu
Hörfallen und V-Personen u. 204 ff. zu den §§ 100a ff. StPO); Hanack, StV 1998, S. 527; Händel,
NJW 1964, S. 1139, bezüglich der Privatsphäre allgemein; Brenner; Wolfslast, NStZ 1987, S. 103;
Prittwitz, StV 2009, S. 437; Rothfuß, StraFo 1998, 289 ff. Eine harmonische Integration des Grund-
satzes der Mitwirkungsfreiheit in eine Strafverfahrenswirklichkeit, die den systematischen Einsatz
von Verdeckten Ermittlern und V-Leuten kennt, sei nicht möglich, vgl. Weßlau, ZStW, Bd. 110,
S. 1 ff.
IV. Fragmentarische Regelung des Kernbereichsschutzes in der StPO 303
Auch das BVerfG geht wie die hier vertretene Ansicht davon aus, dass der Kern-
bereich nach dem von ihm selbst entwickelten Konzept geschützt werden muss.
Das BVerfG hat seine oben dargestellte Rechtsprechung zum Kernbereichsschutz
aber kürzlich selbst in Frage gestellt. Zwar ist es nicht davon abgewichen, dass
der Schutz bestehen muss, doch sieht das Gericht ein solches Schutzkonzept oh-
ne Angabe einer Vorschrift der StPO als im Strafverfahren geltendes Recht an.
Das BVerfG nennt lediglich Art. 1 Abs. 1 GG, der offenbar ohne gesetzgeberische
Umsetzung unmittelbare Wirkung im Strafverfahren haben soll. Dieser allgemeine
Grundsatz sei auch im Rahmen der §§ 94 ff. StPO von den Rechtsanwendern zu
berücksichtigen.26
b) Eigene Ansicht
25
Vgl. zum Beispiel § 21, II, 1.
26
BVerfGE 124, 43, 69 f.
27
BVerfGE 124, 43, 69 f.
304 § 15 Kernbereichsschutz
28
BVerfGE 33, 125; BVerfGE 47, 46; 49, 89; BVerfGE 83, 130, 152; BVerfG NJW 1998, 2515,
2520; in der Sache auch BVerfGE 110, 141, 175 f. Vgl. ausführlich § 9, I, 2, a).
29
Vgl. § 6; § 20, III.
30
Vgl. § 5, V.
31
Vgl. § 88, I, 4.
V. Zwischenergebnis 305
me überfordert nach hier vertretener Ansicht aber die Mittel der Judikative und
trägt nur unverhältnismäßig wenig zur Vermeidung von Missbrauchsfällen bei. Sie
findet auf die Spitze getrieben letztlich kein Ende – Wer soll den Richter kontrollie-
ren? Wer überwacht dessen Kontrolleur? Zudem ist auch beim weit gefährlicheren
Führen einer Schusswaffe durch die Ermittlungsbeamten keine richterliche Auf-
sicht notwendig, um Missbrauch zu vermeiden. Alternativ wären verschärfte Diszi-
plinarmaßnahmen zur Abschreckung denkbar. Das ist aber nur zusammen mit der
generellen Frage zu beantworten, wie auf rechtswidriges Verhalten von einzelnen
Beamten angemessen reagiert werden muss und nicht Thema dieser Arbeit.
Schon im Hinblick auf das auch hier vertretenen zweistufige Schutzkonzept sind
die Anforderungen an die beteiligten Beamten nicht zu überspannen. Die in einer
Verfassungsbeschwerde vorgetragene Ansicht, dass insbesondere bei der Telekom-
munikationsüberwachung, entsprechend § 100c Abs. 4 StPO eine Simultanüber-
wachung und keine Aufzeichnung zum Kernbereichsschutz notwendig sei, wurde
durch das BVerfG mit überzugenden Gründen abgelehnt:32 Eine solche Überwa-
chung wäre bei der Beteiligung von Ausländern wegen der Übersetzungsschwie-
rigkeiten und der Möglichkeit eines nur vorgetäuschten Kernbereichsgespräch nicht
zwingend.
V. Zwischenergebnis
32
BVerfG EuGRZ 695 ff.
§ 16 Anordnungskompetenzen
1
Vgl. § 8, VIII, 1.
T. A. Bode, Verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, 307
DOI 10.1007/978-3-642-32661-5_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
308 § 16 Anordnungskompetenzen
recht auf Freiheit von Einschüchterung bzw. das Recht auf Privatsphäre und das
andere Mal Art. 10 GG betroffen ist, wird der Betroffene noch nicht unterschiedlich
stark belastet. Bezüglich der Eingriffsintensität sind beide Maßnahmen grundsätz-
lich gleichwertig. Eine subsidiäre Anordnungskompetenz für Ermittlungspersonen
der Staatsanwaltschaft nach § 152 GVG besteht nur noch für Fälle der Daten-
speicherung bei Grenzkontrollen nach § 163d Abs. 2 StPO2 und der langfristigen
Observation nach § 163f StPO. Für den Verdeckten Ermittler gilt nach § 110b
Abs. 1 StPO die Besonderheit, dass die Staatsanwaltschaft dem Vorschlag der Poli-
zei zustimmen muss. Für Einsätze, die sich gegen einen bestimmten Beschuldigten
richten oder bei denen eine Wohnung betreten wird, ist die Zustimmung des Ge-
richts notwendig, § 110b Abs. 2 StPO. Die Staatsanwaltschaft ist wiederum nur im
Eilfall für die Zustimmung zuständig. Für Maßnahmen nach § 100h StPO besteht
eine originäre Zuständigkeit der Polizei. Nach der gesetzlichen Vorstellung steht sie
unter Leitung der Staatsanwaltschaft.
2
Soweit man diese Maßnahme überhaupt zu den verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaß-
nahmen zählt.
3
Vgl. Zweiter Teil.
4
„Indessen bedarf es zur Sicherung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ergänzen-
der verfahrensrechtlicher Vorkehrungen für Durchführung und Organisation der Datenerhebung.“,
BVerfG 65, 1, 2.
II. Zweckmäßigkeitsprüfung durch das Gericht 309
Aus dem Wortlaut des Gesetzes geht nicht eindeutig hervor, ob der Richter selbst-
ständig kriminalistische Zweckmäßigkeitserwägungen anstellen darf. Nach syste-
matischer Auslegung könnte die allgemeine Regelung des § 162 Abs. 2 StPO für
gerichtliche Untersuchungshandlungen durchgreifen. Danach hat das Gericht die
gesetzliche Zulässigkeit der Untersuchungsmaßnahmen inklusive der inhaltlichen
Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen, nicht aber die Notwendigkeit, Zweck-
mäßigkeit und Angemessenheit des Antrags der Staatsanwaltschaft.5 Dies soll aber
nicht für die Anordnung von Zwangsmaßnahmen gelten, die mit Grundrechtsein-
griffen verbunden sind.6 Die verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen
sind zwar keine Zwangsmaßnahmen, doch trotzdem Grundrechtseingriffe.7
Daher müsste sich der Entscheidungsumfang bei der Anordnung verdeckter
strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen konsequent ebenfalls auf die Zweckmä-
ßigkeit und nicht nur auf die Überprüfung von Ermessensfehlern der Staatsanwalt-
schaft erstrecken. Diese Überprüfung ist aber keine Mittelauswahl, sondern nur
eine Überprüfung des Mittels auf Auswahlfehler.
Wenn nach der h. M. Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der
Maßnahme in jedem Fall wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu prüfen
sind, muss der Richter die Maßnahme auf ihre kriminalistische Eignung prüfen und
auch mit anderen, milderen Maßnahmen vergleichen. Weil Zweckmäßgikeit und
Rechtmäßigkeit somit zusammenfallen, muss der Ermittlungsrichter die Zweckmä-
ßigkeit im Hinblick darauf überprüfen, ob eine andere Maßnahme gleich geeignet,
aber milder für den Betroffenen ist. Dann muss er prüfen, ob die Zweckverfolgung
gerade durch die gewählte Maßnahme dem Grundrechtseingriff gegenüber ange-
messen ist. Die allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die anordnenden
Gerichte wird aber in dieser Arbeit bestritten. Nach hier vertretener Ansicht ist die
Verhältnismäßigkeit aber kein Grundsatz, der ohne weitere Umsetzung durch den
Gesetzgeber in der StPO gilt. Zu prüfen wäre im Falle geschriebener Subsidiaritäts-
klauseln die Subsidiarität der Maßnahme, welche die Elemente der Geeignetheit
und Erforderlichkeit enthält, nicht aber die Prüfung der Angemessenheit beinhal-
tet.8
Fraglich bleibt lediglich, ob das Gericht die Maßnahme deshalb anhalten darf,
weil es sie für fachlich unzureichend hält. Darf es zum Beispiel eine Postbeschlag-
nahme ablehnen, weil ihm eine Telekommunikationsüberwachung als wirksamer
erscheint oder darf es einen Antrag auf Telekommunikationsüberwachung ableh-
nen, weil es eine akustische Wohnraumüberwachung für die Ermittlungsmaßnah-
men als förderlicher ansieht? Diese Fälle können nur vorkommen, wenn die mildere
Maßnahme im Vergleich zur schärferen die Ermittlungsmaßnahmen „wesentlich
5
BVerfGE 31, 46; BGHSt 7, 207; 15, 238; KG JR 1965, 268; Zöller in: HK, § 162, Rdn. 9, m. w.
N.
6
Zöller in: HK, § 162, Rdn. 10; Wohlers in: SK-StPO, § 162, Rdn. 29.
7
Vgl. § 8, III, 4.
8
Zu genauen Erläuterung vgl. § 20.
310 § 16 Anordnungskompetenzen
erschweren“ würde. Bei Aussichtslosigkeit wäre sie bereits ungeeignet und daher
abzulehnen. Gegen eine solche Kompetenz spricht das mangelnde Initiativrecht des
Gerichts. Kriminalistische Ermittlungsinitiativen sollen vom Ermittlungsgericht ge-
rade nicht ausgehen, sonst hätte es neben Recht und Pflicht zur Anordnung auf
Antrag auch eine „Verschärfungskompetenz“ erhalten.
Mit der Anordnung durch das Gericht ist eine funktionelle Vermischung von Exeku-
tive und Legislative verbunden. Dies ist im Hinblick auf den Schutz der Rechte aus
Art. 19 Abs. 4 GG und die genannten anderen Grundrechte möglichst zu vermeiden.
Nach verfassungskonformer Auslegung ist das Gericht daher nur zur Rechtsprüfung
verpflichtet und befugt. Der Anschein, dass der Richter Zweckmäßigkeitsentschei-
dungen bei der Anordnung trifft und auf „der Seite“ der Staatsanwaltschaft steht,
muss vermieden werden. Im Gesetzestext sollte de lege ferenda klargestellt werden,
dass der Richter nicht anordnet, sondern lediglich „genehmigt“ oder „prüft“. Inhalt-
lich ist fraglich, ob das Ermittlungsgericht es bei einer Art Schlüssigkeitsprüfung
des Antrages der Staatsanwaltschaft belassen kann oder sogar darauf beschränkt
ist. Im Sinne des Grundrechtsschutzes muss das Gericht die Angaben zum Tat-
verdacht anhand aller maßgebenden bis zum Beurteilungszeitpunkt angefallenen
Ermittlungsergebnisse9 prüfen und bei Zweifeln Informationen von der Staatsan-
waltschaft nachfordern. Eine Prüfung allein des Antrags ist nicht genügend. Daher
ist der Richter auf Rechtskontrolle beschränkt. Er darf keine andere Maßnahme an
die Stelle der beantragten Maßnahme setzen und auch keine Maßnahme ablehnen,
weil er eine andere Maßnahme für effizienter hält.
9
So auch BGH, JR 2011, 404, 406. Zustimmend und zur Staatshaftung bei unvollständigen Infor-
mationen Schäfer, Vom Umgang mit dem Ermittlungsrichter, S. 1299 ff.
§ 17 Rechtsschutz
1
Vgl. § 8, VIII, 1.
2
Nach dem Willen des Gesetzgebers handelt es sich bei den Fällen, in denen zwei Behörden
intern zusammenwirken, aber nach außen nur eine einheitliche Entscheidung getroffen wird, re-
gelmäßig lediglich um eine und nicht um zwei rechtlich selbstständige Entscheidungen. Lediglich
die dem Bürger gegenüber ergehende abschließende Maßnahme ist ein Verwaltungsakt, während
die Mitwirkung der anderen Behörde ein Verwaltungsinternum darstellt. Diese Ansicht wird da-
durch bestätigt, das eine Bekanntgabe des Mitwirkungsaktes dem Bürger gegenüber grundsätzlich
nicht vorgesehen ist, Gornig, S. 42. Wenn aber die Handlungsentscheidung durch einen Akt der
Rechtsprechung erfolgt, ist in Konsequenz auch nur ein Akt der Rechtsprechung gegeben, dem
verschiedene verwaltungsinterne Entscheidungen vorausgegangen sind.
chung3 – oder eine der Staatsanwaltschaft bzw. der Polizei,4 also ein Justizverwal-
tungsakt.
§ 101 Abs. 7 S. 2 StPO stellt einen Rechtsbehelf gegen alle in § 101 Abs. 1 StPO
genannten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung.5 Danach können alle
nach § 101 Abs. 2 StPO Betroffenen diesen Rechtsbehelf beim Ermittlungsgericht6
einlegen. Dies gilt unabhängig davon, ob dieses Gericht die Maßnahme selbst ange-
3
Aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung und dessen Konkretisierung in
§ 4 EGGVG und § 42 DRiG ergibt sich klar, dass Richter bis auf wenige Ausnahmen nicht zu-
gleich Aufgaben der Verwaltung und Rechtsprechung wahrnehmen dürfen. Vgl. BVerwGE 5, 69:
„Ob ein Gericht (Richter) rechtsprechende Tätigkeit oder Justizverwaltung ausübt, richtet sich
demgemäß nicht nach dem sachlichen Gehalt der Tätigkeit, sondern ob die Erledigung in rich-
terlicher Unabhängigkeit oder als weisungsgebundene Maßnahme erfolgt.“ Vgl. auch Schäfer in:
Löwe/Rosenberg, StPO24 , Einl. Kap. 8 Rdn. 11. „Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, auch Aufga-
ben, die nicht Rechtsprechung im materiellen Sinn sind, dem Richter anzuvertrauen. Hat sich der
Gesetzgeber hierzu entschlossen, so muss das Verfahren mit den verfassungsrechtlichen Garantien
des gerichtlichen Verfahrens ausgestattet sein. Art. 92 GG garantiert deshalb in jedem vom Ge-
setzgeber als Rechtsprechung eingeführten Verfahren, auch wenn der Gesetzgeber zur Zuweisung
gerade dieser Materie zur rechtsprechenden Gewalt verfassungsrechtlich nicht verpflichtet gewe-
sen wäre, den gesetzlichen und unabhängigen Richter und das rechtsstaatliche Gerichtsverfahren
des IX. Abschnitts des GG.“, BVerfGE 22, 49, 78.
4
Nur noch in wenigen Ausnahmen darf die Polizei subsidiär oder originär über die Maßnahme
entscheiden, vgl. § 16.
5
Vgl. dazu auch den Überblick bei Singelnstein, NStZ 2009, S. 481 ff.
6
Bzw. beim Gericht der zuständigen Staatsanwaltschaft. Für die akustische Wohnraumüberwa-
chung ist zudem eine besondere Kammer am LG zuständig, § 100d Abs. 1 S. 1 StPO i. V. m. § 74a
Abs. 4 GVG.
II. Verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten? 313
7
Engländer, Examens-Repetitorium Strafprozessrecht, Rdn. 171.
8
Gercke in: HK, § 101 Rdn. 16); Meyer-Goßner, StPO54 , § 101 Rdn. 25a.
314 § 17 Rechtsschutz
ausgelegt werden.9 Erfährt der Betroffene früher von der Maßnahme oder vermutet
er sie, kann der Rechtsbehelf erst recht eingelegt werden.
Eine wegen der oben dargelegten Begründung abzulehnende Ansicht in der Li-
teratur sieht insoweit zwar eine Rechtsschutzmöglichkeit gegeben, hält den Rechts-
behelf nach § 101 Abs. 7 S. 2 StPO für unzulässig. Vor Erledigung der Maßnahme
soll sich der Rechtsschutz – wenn die Maßnahme denn ungeplant bekannt wird –
nach dem im Folgenden noch zu besprechenden herkömmlichen Konzept nach § 98
Abs. 2 analog richten.10 Der Betroffene müsse nach dieser Ansicht nachvollziehbar
darlegen, dass sich eine verdeckte Maßnahme gegen ihn richte.11
Nach dem Wortlaut des § 98a Abs. 2 StPO erfasst die Norm andere verdeckte Über-
wachungsmaßnahmen als die Postbeschlagnahme nicht. Weder wird bei anderen
verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen etwas beschlagnahmt, noch
fehlt in vielen Fällen eine richterliche Anordnung. Die Gesetzesbegründung ging
trotzdem davon aus, dass § 98 Abs. 2 StPO weiterhin anwendbar bleiben sollte.12
Die h. M. geht wegen vorstehend genannten Wortlautarguments nur von einer ana-
logen Anwendung des § 98 Abs. 2 StPO auf alle strafprozessualen Ermittlungs-
maßnahmen aus, die über keine dem § 101 Abs. 7 S. 2 StPO entsprechende Sonder-
regelung verfügen.13 Nach dieser Ansicht wird eine doppelte Analogie vertreten:
§ 98 Abs. 2 StPO gilt danach sowohl für erledigte Maßnahmen als auch für solche
Maßnahmen, die nur durch die Ermittlungsbehörden und nicht durch das Ermitt-
lungsgericht angeordnet werden.14 Diese Ansicht erstreckt den Rechtsschutz nach
§ 98 Abs. 2 StPO aber nicht auf die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen soweit sie
9
Auch in der Literatur wird inzwischen teilweise davon ausgegangen, dass die Benachrichtigung
nicht notwendig ist und dass deren Unterlassen jedenfalls beanstandet werden kann, vgl. Singeln-
stein, NStZ 2009, S. 482; a. A. Wesemann, StraFo 2009, S. 507.
10
Meyer-Goßner, StPO54 , § 101 Rdn. 25a.
11
Nack in: KK 6 , § 101 Rdn. 34; Meyer-Goßner, StPO54 , § 101 Rdn. 25a.
12
Vgl. BTDrucks 16/5846, S. 62.
13
BGHSt 28, 57; 37, 79, 82; Meyer-Goßner, StPO54 , § 98 Rdn. 23; Laser, NStZ 2001, S. 123 f.
Im Detail zu § 98 Abs. 2 StPO vgl. auch Glaser, S. 335 und passim, der zu einer Ablehnung
der entsprechenden Anwendung kommt und gegen nicht beendete Maßnahmen § 23 EGGVG für
einschlägig hält.
14
Selbst wenn es um die Art und Weise der Durchführung einer nichtrichterlichen Maßnahme
geht, wird nicht wie in der älteren Rechtsprechung (OLG Karlsruhe NStZ 1992, 97; OLG Koblenz
StV 1994, 284) § 23 EGGVG, sondern § 98 Abs. 2 StPO analog angewendet vgl. Meyer-Goßner,
StPO54 , § 98 Rdn. 23.
II. Verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten? 315
in § 101 Abs. 1 StPO geregelt sind und damit von § 101 Abs. 7 S. 2 StPO erfasst
werden. Insoweit ist § 101 Abs. 7 S. 2 StPO nach dieser Ansicht lex specialis.15
b) Eigene Ansicht
15
BGHSt 53,1; Meyer-Goßner, StPO54 , § 101 Rdn. 25a; Singelnstein, NStZ 2009, S. 482.
16
BTDrucks 16/5846, S. 62: „Die ausdrückliche Regelung über den nachträglichen Rechtsschutz
[. . . ] hat im Wesentlichen die Funktion, den Betroffenen den Nachweis eines Rechtsschutzbe-
dürfnisses im Einzelfall zu ersparen, führt aber nicht dazu, dass die schon bislang anerkannten
Rechtsbehelfe verdrängt werden (vgl. Löffelmann, a. a. O., § 100d StPO, Rn. 10). So kann der von
einer noch andauernden verdeckten Ermittlungsmaßnahme Betroffene – so er von der Maßnahme
Kenntnis erlangt – stets Rechtsschutz entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO erlangen.“
17
Vgl. Larenz, S. 368 m. w. N.
18
Praktisch kaum relevant. Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen die durch den Richter angeordnet
werden, fallen in der Regel unter § 101 Abs. 1 StPO.
19
Das kann etwa bei verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen aufgrund der Annah-
me einer Ermittlungsgeneralklausel nach § 161 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 163 S. 2 StPO der Fall sein,
die nicht in § 101 Abs. 1 StPO erwähnt ist. Ob diese generell geeignet ist, verdeckte Ermittlungs-
maßnahmen zu rechtfertigen, ist aber bereits stark zu bezweifeln, siehe § 34.
20
Justizverwaltungsakte sind in § 23 Abs. 1 EGGVG definiert. Verwaltungsakte der Justiz-
behörden auf dem Gebiet der Strafrechtspflege sind demnach als Justizverwaltungsakte der
Verwaltungsgerichtsbarkeit entzogen und den ordentlichen Gerichten zugewiesen. Entscheidend
ist, dass die jeweilige Justizbehörde die Maßnahme in Wahrnehmung ihrer spezifischen Aufgabe
auf dem Gebiet der Strafrechtspflege trifft. Sie muss im funktionalen Sinn „als Justizbehörde“ tätig
geworden sein, Lorenz, § 11 Rdn. 73 m. w. N. Es besteht also durch die organisatorische Zuordnung
der Behörde keine Sicherheit über den Charakter der Handlungsform. Unter diesem Aspekt wird
beispielsweise die Einordnung der polizeilichen Tätigkeit als problematisch angesehen, weil diese
organisatorisch zur Verwaltung gehöre, funktionell aber durch ihre doppelte Aufgabenstellung prä-
ventiver Gefahrenabwehr und repressiver Strafverfolgung gekennzeichnet sei. Träfen beide Ziele
in einer Maßnahme zusammen, entscheide der Schwerpunkt der Regelung, Lorenz, § 11 Rdn. 76
m. w. N.
316 § 17 Rechtsschutz
3. § 304 StPO
Die Regelung des vorstehend erläuterten § 101 Abs. 7 S. 2 StPO verdrängt andere
allgemeine Rechtsbehelfe gegen Ermittlungsmaßnahmen. Daher ist auch die einfa-
che fristlose Beschwerde nach § 304 StPO gegen eine verdeckte Ermittlungsmaß-
nahme nach § 101 Abs. 1 nicht zulässig. § 304 StPO gilt nur für den theoretischen
Fall, dass eine verdeckte Maßnahme, die nicht unter § 101 Abs. 1, 7 fällt, richterlich
angeordnet wird.
IV. Zwischenergebnis
Das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG verlangt, dass ein nachträglicher Rechtsbe-
helf gegen die verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung
stehen muss. Dem Betroffenen ist Möglichkeit zu gewähren, seine eigenen Ar-
gumente gegen eine verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme zumindest
im Nachhinein vorbringen können. Der Rechtsbehelf nach § 101 Abs. 7 StPO ist
sowohl nachträglich im Standardfall als auch während der laufenden Maßnahme
zulässig. Nach h. M. stehen für nicht in § 101 Abs. 1 StPO geregelte Maßnahmen
21
Vgl. BVerfGE 65, 76 90; 74, 358, 377; 78, 7, 18.
IV. Zwischenergebnis 317
mit § 98 Abs. 2 StPO ein Rechtsbehelf zur Verfügung. Für die analoge Anwendung
des § 98 Abs. 2 StPO ist mangels gesetzlicher Lücke kein Raum, und sie ist auch
nicht verfassungsrechtlich geboten. § 23 EGGVG erfasst die § 101 Abs. 7 und § 304
StPO nicht unterfallenden Fälle verdeckter Maßnahmen.
§ 18 Berichts- und Löschungspflichten
I. Statistische Berichtspflicht
Weil der Eingriff in das Recht auf Freiheit von Einschüchterung und in das Recht
auf Offenheit strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen auf das nach dem Verhält-
1
Vgl. die entsprechenden Berichte des BfJ, Übersicht Telekommunikationsüberwachung (Maß-
nahmen nach § 100a StPO) für 2009; Übersicht Telekommunikationsüberwachung (Maßnahmen
nach § 100g StPO) für 2009.
2
Engel in: Isensee/Kirchhof HStR 4, S. 480.
3
Das Ermessen ist in diesen Fällen nicht an die Gefährdung des Untersuchungszwecks gebunden.
III. Löschungspflichten 321
maßnahmen hat, kehren die Berichtspflichten in § 101 StPO den Grundsatz der
§§ 29, 30 VwVfG um und verpflichten daher den Staat zur Offenlegung der Er-
mittlungsmaßnahmen. Weder muss die Auskunft beantragt werden, noch besteht
Ermessen hinsichtlich einer Zurückstellung der Benachrichtigung. Die individuel-
le Benachrichtigung darf nur wegen „Gefährdung des Untersuchungszwecks“ oder
der Gefährdung der in § 101 Abs. 5 StPO genannten Rechtsgüter zurückgestellt
werden. Ist eine solche Gefährdungslage nicht gegeben, muss benachrichtigt wer-
den. Die Entscheidung ist nicht von weiteren Zweckmäßigkeitserwägungen abhän-
gig. Selbst wenn es sich bei der „Gefährdung des Untersuchungszwecks“ um einen
unbestimmten Rechtsbegriff handeln sollte, sind die Anforderungen gerichtlich voll
überprüfbar. Die Benachrichtigungspflichten dienen sowohl dem Grundrecht aus
Art. 19 Abs. 4 GG als auch dem Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung.
III. Löschungspflichten
1. Spezielle Löschungspflichten
§ 101 Abs. 8 StPO regelt eine spezielle Löschungspflicht für Daten, die im Rahmen
verdeckter Ermittlungsmaßnahmen angefallen sind. Die Löschung muss stattfinden,
wenn die Daten nicht mehr erforderlich sind. Das ist erst der Fall, wenn keine Zwei-
fel mehr hinsichtlich des Fehlens einer sinnvollen Verwendung im gerichtlichen
Verfahren bestehen. Eine gewisser Konflikt ergibt sich daraus, dass der Betroffene
überprüfen lassen will, ob und was für Informationen über ihn gespeichert wurden.
Aus dem Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung ergibt sich als Ergebnis der
Verhältnismäßigkeitsprüfung ein bedingter Anspruch auf Offenheit.4 Daher muss,
4
Vgl. § 10.
322 § 18 Berichts- und Löschungspflichten
2. Allgemeine Löschungspflichten
Das BVerfG hat darauf hingewiesen, dass bereits § 489 Abs. 2 StPO Löschungs-
pflichten enthält, die nach Ansicht des BVerfG in dieser Entscheidung zu einem
adäquaten Schutz auch im Rahmen verdeckter Ermittlungsmaßnahmen beitragen.6
Diese Vorschrift gilt nur für verdeckte Maßnahmen nach § 110 Abs. 3 StPO und der
Ermittlungsgeneralklausel nach § 161 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 163 S. 2 StPO gelten,7
da die anderen Maßnahmen von der spezielleren Vorschrift des § 101 Abs. 8 StPO
erfasst werden.
5
Dafür auch Meyer-Goßner, StPO54 , § 101 Rdn. 27. „Zufallsfunde“, die nach § 477 Abs. 2 StPO
weitergegeben werden dürfen, müssen nicht gelöscht werden, wenn sie zur Gefahrenabwehr rele-
vant sind, vgl. Meyer-Goßner, StPO54 , § 101 Rdn. 27.
6
BVerfGE 124, 43, 73 f.
7
Das BVerfG sieht diese Vorschrift als „Grundrechtssicherung durch Verfahren“. Diese Auffas-
sung ist auf Grundlage der Ansicht des BVerfG konsequent, da das Gericht von einem materiellen
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im einfachen Strafprozessrecht ausgeht, der hier abgelehnt
wurde, vgl. § 20, III. Die Maßnahmen, die nicht unter § 101 Abs. 8 StPO fallen, sind aber
hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit höchst zweifelhaft. Zwar regelt § 489 Abs. 2 StPO Lö-
schungspflichten für Daten, die nicht mehr für ihre bezeichneten Zwecke erforderlich sind, doch
kann die Regelung keine materiellen Mängel der Verhältnismäßigkeit heilen.
§ 19 Sog. Annexbefugnisse
1
Teilweise werden die Maßnahmen auch „Annexkompetenzen“ genannt, vgl. Klesczewski, ZStW
2011 S. 744.
die Erhebung, Speicherung, Übermittlung und die kartographische Umsetzung der ,GPS‘-
Positionsdaten gehören zur Verwendung der ,GPS‘-Technik und sind daher ebenfalls gemäß
§ 100 c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StPO rechtmäßig. Die Vorschrift gestattet den Strafverfol-
gungsbehörden im Wege der Annexkompetenz unter Beachtung des Verhältnismäßigkeits-
grundsatzes auch die Vornahme der für den Einsatz des technischen Mittels notwendigen
Begleitmaßnahmen. Hierzu kann auch, sofern im konkreten Fall kein milderes Mittel in
Betracht käme, trotz des damit verbundenen Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 14 GG
die kurzzeitige Verbringung des Fahrzeugs in eine Werkstatt gehören (Nack in KK 4. Aufl.
§ 100 c Rdn. 15).“2
Der Vorbehalt des Gesetzes ist als Vorbehalt des bestimmten Gesetzes zu verstehen.
Dies hat zur Folge, dass jeder Grundrechtseingriff mit der gleichen Bestimmtheit
geregelt werden muss.8 Weniger belastendende Folgen eines Eingriffs im Vergleich
zu einem anderen Eingriff sind nicht weniger wesentlich. „Installationseingriffe“
müssen daher gesetzlich bestimmt werden. Diese Maßnahmen müssen durch Aus-
2
So für die Anbringung von GPS-Sendern an Fahrzeugen im Rahmen der insoweit inhaltsgleichen
früheren Regelung, § 100c StPO a. F. des jetzigen §§ 100h, 163f StPO: BGHSt 46, 266, 273 f.
3
BVerfGE 112, 304, 316.
4
Kühne, S. 272.
5
Bär, TK-Überwachung, § 100a Rdn. 32 und Bär, MMR 2008, S. 325 ff.
6
Zur Begrifflichkeit Kratzsch, S. 17 ff.
7
Vgl. dazu die wesentlichen Ergebnisse Kratzsch, S. 283 ff. und speziell zu den verdeckten Maß-
nahmen Kratzsch, S. 252 ff.
8
Vgl. § 9, I, 2.1.
IV. Zwischenergebnis 325
legung der jeweiligen gesetzlichen Hauptregelung des Eingriffs unter diese selbst
subsumiert werden können. Andernfalls sind sie nicht rechtmäßig.
Wenn die Überwachungsmaßnahme ihrer Art nach in jedem Fall durch einen
Installationseingriff vorbereitet werden muss, ist dieser im Regelungsumfang der
Vorschrift enthalten. Ebenfalls ausreichend ist es, wenn der „Installationseingriff“
ein typisches9 Kennzeichen der Durchführung der Maßnahme ist und der Gesetzge-
ber sich gerade eine solche Vorgehensweise bei Erlass der Regelung vorgestellt hat.
In diesem Fall muss sich durch subjektiv-historische Auslegung ein entsprechend
weiter Umfang des Gesetzes ermitteln lassen. Dass der „Installationseingriff“ unter
die Hauptregelung fällt, ist nicht selbstverständlich und bedarf der Andeutung im
Gesetz und der Begründung in den Gesetzgebungsmaterialen.
Wenn der Installationseingriff eine Maßnahme ist, die nicht typischerweise zur
Vorbereitung der Überwachung gehört und auch nicht in den Gesetzesmaterialien
erwähnt wird, kann er nicht unter die Überwachungsregelung subsumiert werden.
Ob dies für die Regelungen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnah-
men der Fall ist, kann nicht pauschal, sondern nur jeweils nach Auslegung der
einzelnen gesetzlichen Vorschrift entschieden werden. Grund für diese Ablehnung
weitgehender Annexbefugnisse sind Eingriffe in mehrere, teils unterschiedliche
Grundrechte. Nur weil ein Grundrechtseingriff gestattet wird, ist noch nicht klar,
dass auch in andere Grundrechte oder durch unterschiedliche Maßnahmen in ein
Grundrecht mehrfach eingegriffen werden darf. Zwischen beobachtenden und den
in die Integrität des Betroffenen direkt physisch eingreifenden Maßnahmen besteht
zudem ein kategorialer Unterschied. Daher können die physischen Eingriffe auch
dann nicht als „Minusmaßnahmen“ zu beobachtenden Eingriffen verstanden wer-
den, wenn die wesentliche Belastung von der beobachtenden Maßnahme ausgeht.
Die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus den Grundrechten und dem Grundsatz der
Normenverständlichkeit10 erfordern eine gesonderte Rechtsgrundlage, wenn nicht
typischerweise mit einem solchen Eingriff gerechnet werden muss.
IV. Zwischenergebnis
Wenn die Überwachungsmaßnahme ihrer Art nach in jedem Fall durch einen In-
stallationseingriff vorbereitet werden muss, ist dieser im Regelungsumfang der Vor-
schrift enthalten. Ebenfalls ausreichend ist es, wenn der „Installationseingriff“ ein
typisches Kennzeichen der Durchführung der Maßnahme ist und der Gesetzgeber
sich gerade eine solche Vorgehensweise bei Erlass der Regelung vorgestellt hat.
In diesem Fall muss sich durch subjektiv-historische Auslegung ein entsprechend
weiter Umfang des Gesetzes ermitteln lassen. Dass der „Installationseingriff“ un-
ter die Hauptregelung fällt, ist nicht selbstverständlich und bedarf der Andeutung
9
Näher zum Kriterium der Typizität als Kennzeichen eines zulässigen Installationseingriffs
Schneider, NStZ 1999, S. 389.
10
Vgl. § 9, I, 9. Soweit nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit betroffen ist, gehört dazu auch
das Zitiergebot.
326 § 19 Sog. Annexbefugnisse
Nach h. M. ist die Verhältnismäßigkeit nicht nur ein Grundsatz, mit dem beurteilt
wird, ob eine gesetzliche Regelung verfassungsgemäß ist. Die Verhältnismäßig-
keit ist nach dieser Ansicht auch eine unmittelbare Norm des einfachen Strafpro-
zessrechts und füllt Lücken in geschriebenen Regelungen der StPO, wenn diese
Vorschriften ansonsten unverhältnismäßige Eingriffe in die Rechte des Betroffenen
wären.1 Entspricht eine Regelung des Ermittlungsverfahrens – isoliert betrachtet –
nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit, wird sie
nach Ansicht der h. M. also grundsätzlich durch eine unmittelbare Wirkung des Ver-
hältnismäßigkeitsprinzips verfassungsmäßig ergänzt.2 Diese ungeschriebene Ver-
hältnismäßigkeitsklausel soll danach nicht nur Geeignetheit und Erforderlichkeit,
sondern auch die Angemessenheit umfassen.
Wie bereits bei den allgemeinen Voraussetzungen des oben vorgeschlagenen
Grundmodells3 teilweise erläutert wurde und unten noch weiter auszuführen sein
wird, ist das Regelungskonzept der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen in der StPO
so unvollständig, dass die einzelnen Regelungen in vielen Fällen wegen mangeln-
der Bestimmtheit oder wegen Unverhältnismäßigkeit verfassungswidrig sind. Wenn
das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip unmittelbar in der StPO gelten wür-
de, könnten eventuell bestehende verfassungsrechtliche Defizite dieser Regelungen
hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit durch eine solche ungeschriebene Verhältnis-
mäßigkeitsklausel beseitigt werden.
1
BVerfGE 32, 373, 379; Pfeiffer/Hannich in: KK 6 , Einleitung Rdn. 30 f.; Meyer-Goßner, StPO54 ,
Einl Rdn. 21.
2
Vgl. BVerfGE 16, 202 f.; Pfeiffer/Hannich in: KK 6 , Einleitung Rdn. 30 f.
3
Vgl. § 11, I.
I. Einfaches Gewohnheitsrecht
4
Auch Bettermann favorisiert die unmittelbare Geltung altbewährter Rechtsgrundsätze, um Kom-
petenzen vor angeblichen Übergriffen durch die Verfassungsgerichtsbarkeit zu schützen und für
die einfache Judikative zu reservieren. Speziell zum Gleichheitssatz und nicht zum Verhältnismä-
ßigkeitsprinzip, Bettermann, S. 46.
5
Kersten, S. 267 ff. Damals wurde es aber noch nicht klar in seine Teile geschieden, vgl. Lerche,
S. 21 Fn. 6. Schon Svarez benannte den auch bei den Problemen der verdeckten strafprozessualen
Ermittlungsmaßnahmen zugrunde liegenden Konflikt als ersten Grundsatz des öffentlichen Staats-
rechts: „[. . . ], dass der Staat die Freiheit der Einzelnen nur so weit einzuschränken berechtigt ist,
als es notwendig sei, damit die Freiheit und Sicherheit aller bestehen könne.“, Conrad/Kleinheyer,
S. 486 f. Gleichzeitig müsse der Schaden, welcher durch die Einschränkung der Freiheit abgewen-
det werden solle, „bei weitem erheblicher sein als der Nachteil, welchen das Ganze oder auch die
Einzelnen durch eine solche Einschränkung leiden.“ Zur Geschichte des Verhältnismäßigkeits-
prinzips ausführlich: Stern, Entstehung und Ableitung des Übermaßverbots, S. 165 ff. Bis zum
Inkrafttreten des GG war es ein polizeirechtliches und kein allgemeines Rechtsprinzip, Ossenbühl,
Maßhalten mit dem Übermaßverbot, S. 158.
6
Die Motive für den Aufstieg des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus dem einfachen Polizeirecht in
die Verfassung liegen nicht zuletzt im Missbrauch der staatlichen Macht durch den Nationalsozia-
lismus begründet, Kraft, BayVBl. 2007, S. 577 f. Dies gilt aus den oben genannten Gründen, § 4,
II, 3, auch besonders für die verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen.
7
Vgl. § 9, II. Der Gesetzgeber macht selten den Fehler, ohne Rechtsgrundlage in Grundrechte
einzugreifen. Zu verfassungsrechtlichen Streitigkeiten führen in der Regel nur die Fälle, in denen
es um die Verhältnismäßigkeit der eingreifenden Regelung geht. Wenn dieser Grundsatz in die
II. Ansicht der h. M.: Unmittelbare Geltung der Verhältnismäßigkeitsklausel 329
Konsequent müsste das auch in der StPO gelten. Hinsichtlich der rechtlichen Über-
prüfung von Verwaltungsakten hat sich mit der Kodifikation der Verwaltungsge-
setze und der Einführung der Verwaltungsgerichte nicht nur ein formaler, sondern
auch ein moderner inhaltlicher Prüfungsmaßstab der „Verhältnismäßigkeit“ heraus-
gebildet:
„Diese Grundsätze werden nach ständiger Rechtsprechung wie geschriebene Normen an-
gewendet [. . . ]. Soweit es an einer Kodifikation fehlt, gelten die allgemeinen Grundsätze
entweder als Gewohnheitsrecht oder als Richterrecht. Diese Grundsätze sind – woran man
denken könnte – nicht beliebig erfunden, sondern stellen sich zum großen Teil als Konkre-
tisierungen fundamentaler Verfassungsprinzipien dar.“10
Die h. M. nimmt an, dass auch in der StPO eine allgemeine ungeschriebene Ver-
hältnismäßigkeitsklausel gilt:
„Bei allen Maßnahmen des 8. Abschnittes ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Einl. Rn
30) zu beachten. Der bei Durchführung der Maßnahme zu erwartende Schaden, der auch
die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte umschließt, darf nicht außer Verhältnis zu
dem beabsichtigten Erfolg stehen. Die Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
hängen von den Umständen des Einzelfalles ab. Stets ist eine Abwägung zu treffen, die
die Schwere der Straftat und Stärke des Tatverdachts, aber auch die Erforderlichkeit der
Maßnahme berücksichtigt. An der Erforderlichkeit fehlt es, wenn weniger einschneidende
Mittel zur Verfügung stehen.“11
StPO in seiner heutigen Bedeutung in die StPO hineininterpretiert wird, dann ist dies eine direkte
Folge der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Prinzips.
8
Vgl. jüngst speziell zu verdeckten Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen der §§ 94, 110 StPO,
BVerfGE 124, 66 ff., 70.
9
Sachs, GG6 , Art. 20 Rdn. 148.
10
Peine, Rdn. 166. Weiteres zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, insbesondere bei Ver-
waltungsermessensentscheidungen im Allgemeinen Verwaltungsrecht findet sich ebenfalls dort,
Peine, Rdn. 138, 222, 573, 758.
11
BVerfGE 32, 373, 379; Nack in: KK 6 , Vorbem. § 94 Rdn. 6; Meyer-Goßner, StPO54 , Einl.
Rdn. 20 f.
330 § 20 Allgemeine ungeschriebene Verhältnismäßigkeitsklausel
In der Literatur wird immerhin erkannt, dass die Subsidiaritätsklauseln der ver-
deckten Ermittlungsmaßnahmen „in der jüngeren Gesetzgebung“ den Verhältnis-
mäßigkeitsgrundsatz konkretisieren. Ausprägungen der Verhältnismäßigkeit sind
auch die unterschiedlichen Verdachtsschwellen, die Tatbestandskataloge und die
Beschränkung der Zulässigkeit auf erhebliche Straftaten.13 Dass dies keine Laune
des Gesetzgebers, sondern eine verfassungsrechtliche Vorgabe des Bestimmtheits-
gebots und des Grundrechtsschutzes ist, wird jedoch nicht erörtert. Die Konsequen-
zen für die hergebrachte Auffassung des „lückenfüllenden“ Verhältnismäßigkeits-
grundsatzes werden ebenfalls nicht gezogen:
„Aus diesem Grund und wegen des geringeren Grades an normativer Vorstrukturierung
kommt der unmittelbare Rückgriff auf dieses Prinzip vor allem im Ermittlungsverfahren in
Betracht, wo es ein notwendiges Korrelat zum Grundsatz seiner freien Gestaltung darstellt.
[. . . ] Namentlich in neuerer Zeit neigt der Gesetzgeber dazu, die Wahrung des Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Maßnah-
me oder die Unverhältnismäßigkeit als Unzulässigkeitskriterium zu normieren [. . . ].“14
Nach hier vertretener Ansicht ist die vorstehend dargestellte Argumentation der
h. M. nicht ohne weiteres überzeugend. Der von der h. M. eilig verneinte Gegen-
schluss drängt sich gerade bei den gesetzlichen Umsetzungen des Verhältnismä-
ßigkeitsprinzips nahezu auf. Dies gilt insbesondere im Rahmen der Regelung der
verdeckten Ermittlungsmaßnahmen. Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich
die h. M. durch einen indirekten Nachweis des Verhältnismäßigkeitsprinzips ausrei-
12
Pfeiffer/Hannich in: KK 6 , Einleitung Rdn. 31.
13
Pfeiffer/Hannich in: KK 6 , Einleitung Rdn. 31.
14
Kühne in: Löwe/Rosenberg, StPO26 Einl. Abschn. I Rdn. 99 f.
15
Diese „Schwereskala“ lässt sich allerdings mit dem oben dargestellten Ansatz aus der Verfas-
sung und den „natürlichen“ Belastungsempfindungen entwerfen, vgl. das Konzept § 9, II, 4, c).
16
Kühne in: Löwe/Rosenberg, StPO26 Einl. Abschn. I Rdn. 99 f.
III. Eigene Ansicht 331
chend untermauern lässt oder ob es bei fragmentarischen Ansätzen bleibt und der
Gegenschluss zwingend ist.
§ 160a Abs. 1 und Abs. 2 StPO regeln allgemeine Ermittlungsverbote für Maß-
nahmen gegen zeugnisverweigerungsberechtigte Personen.17 Dieser Personenkreis
reicht von Rechtsanwälten bis zu Angehörigen des Verdächtigen. Das Ermittlungs-
verbot gilt aber nicht generell, sondern nur falls zu befürchten ist, dass Informatio-
nen ermittelt werden, über welche diese Personen das Zeugnis verweigern dürften.
Insoweit regelt der Gesetzgeber einen Ausschnitt aus den Anforderungen an die
Verhältnismäßigkeit und an den Kernbereichsschutz. Dies ist keine vollständige
Umsetzung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips.
Der Gesetzgeber geht seit der Reform von 2007 in § 160a Abs. 2 StPO davon
aus, dass für die darüber hinausgehenden Anforderungen aus dem verfassungsrecht-
lichen Verhältnismäßigkeitsprinzip eine allgemeine ungeschriebenen Verhältnismä-
ßigkeitsprüfung für die Anwendung strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen be-
steht. Denn § 160a Abs. 2 StPO kann als indirekter Hinweis darauf angesehen
werden, dass der Gesetzgeber von der Existenz einer allgemeinen ungeschriebe-
nen Verhältnismäßigkeitsklausel im Strafprozessrecht ausgeht. Diese Ansicht wird
durch die Gesetzesbegründung bestätigt. Dort wird eine ausdrückliche Regelung
der Subsidiarität damit begründet, dass bisher nur das allgemeine Verhältnismäßig-
keitsprinzip für die diese Fallgruppe gegolten hat:
„Auch unter Berücksichtigung dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung empfiehlt
sich jedoch [eine Regelung durch eine Subsidiaritätsklausel] für diese Fallgruppe, für
die bislang außer dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine einschränkenden
Merkmale im Hinblick auf die Schwere oder Erheblichkeit der Anlassstraftat geregelt sind
[. . . ].“18
17
Vgl. jüngst ausführlich zur Besprechung der Personengruppen BVerfG EuGRZ 2011, 696 ff.
18
BTDrucks 16/5846 S. 52.
19
Vgl. § 9.
332 § 20 Allgemeine ungeschriebene Verhältnismäßigkeitsklausel
punktuellen Regelungen in der StPO ergeben aber noch keine allgemeine Verhält-
nismäßigkeitsklausel.
Fraglich bleibt, ob durch einen vagen Bezug in § 160a Abs. 2 StPO auf eine
gewohnheitsrechtliche Verhältnismäßigkeitsklausel die Anforderungen des Parla-
mentsvorbehalts eingehalten werden. Dabei geht es nicht darum, ob § 160a Abs. 2
StPO diese Voraussetzungen einhält. Die Vorschrift beschränkt die Befugnisse
der Ermittlungsbehörden und erweitert sie nicht. Die Vorschriften der StPO, für
die § 160a Abs. 2 StPO gilt, sind verfassungsgemäß, wenn diese verhältnismäßig
sind. Deren Verhältnismäßigkeit würde auch gewahrt, wenn eine allgemeine Hilfs-
vorschrift wie § 160a Abs. 2 StPO die Erforderlichkeit und Angemessenheit der
Regelung im Normengefüge sichert. Wenn dies nicht der Fall ist und es auch durch
§ 160a StPO nicht zu einer bestimmten Regelung kommt, sind die entsprechenden
Regelungen der Eingriffsbefugnisse (§§ 98a ff. StPO soweit keine punktuellen
Regelungen gegeben sind) verfassungswidrig.
Nach der Vorstellung des Gesetzgebers erfolgt die allgemeine Regelung der Ver-
hältnismäßigkeit im Strafverfahren über die punktuellen Umsetzungen im Rahmen
der Regelungen der Standardmaßnahmen und darüber hinaus gewohnheitsrechtlich.
Der Gesetzgeber wollte dieses Konzept durch § 160a Abs. 1 und Abs. 2 StPO ledig-
lich ergänzen. Dies ist aber in Bezug auf die Bestimmtheit und die Angemessenheit
unzulässig. in Bezug auf die Geeignetheit und Erforderlichkeit ist zwar eine all-
gemeine Regelung erlaubt, doch muss auch bei dieser allgemeinen Regelung der
konkrete Bezug zu den strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen hergestellt wer-
den. Es reicht nicht aus, dass die allgemeine Klausel wörtlich „Erforderlichkeit“
oder „Verhältnismäßigkeit“ verlangt oder wie im Fall des § 160a Abs. 2 StPO die
Prüfung der Verhältnismäßigkeit sogar nur erwähnt, statt sie zu regeln. Eine solche
„salvatorische Klausel“ gibt dem Gesetzanwender nichts Bestimmtes vor. Wenn der
Gesetzgeber schlicht begrifflich Bezug auf die Kategorien des Verfassungsrechts
nimmt, setzt er diese nicht um. Denn er gibt damit dem Rechtsanwender nur auf,
sich an die Verfassung zu halten. Der Gesetzgeber regelt so „das Wesentliche“ nicht
selbst, sondern überlässt die Umsetzung den Rechtsanwendern. § 160a Abs. 2 StPO
ergänzt die von den Rechtsanwendern entwickelten gewohnheitsrechtlichen Rege-
lungen nur rudimentär.
Unklar bleibt, warum der Gesetzgeber nur partiell ausdrücklich spezielle Regelun-
gen der Verhältnismäßigkeit in die StPO eingefügt hat.
Im Hinblick auf die älteste Maßnahme, die Postbeschlagnahme nach § 99 StPO,
hat der Gesetzgeber eine Anpassung der Regelung versäumt. Nur bei den Regelun-
gen der relativ modernen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen hat der Gesetzgeber
die Grundsätze der Normenbestimmtheit und der Erforderlichkeit stärker beachtet.
Der Gesetzgeber musste sich insoweit an die Entwicklung in der Rechtsprechung
des BVerfG hin zu strengeren Maßstäben anpassen. Das BVerfG entschied aber
20
Vgl. dazu Waadt, S. 3 ff.
334 § 20 Allgemeine ungeschriebene Verhältnismäßigkeitsklausel
21
Vgl. auch die Entscheidung BVerfG EuGRZ 2011, 695 ff., in der das BVerfG eine Ausein-
andersetzung mit § 100f StPO wegen Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde insoweit nicht
vornimmt.
22
Vgl. oben § 9, I, 8, b).
23
§ 9, I.
24
Vgl. oben § 9, I. Das BVerfG setzt sich zudem in der kürzlich ergangenen Entscheidung zur Gel-
tung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips in den § 94 ff. StPO in gewissen Widerspruch
zu seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung. Dort war die allgemeine Verhältnismäßig-
keitsklausel gerade nicht als verfassungsrechtlich ausreichende Regelung angesehen worden, vgl.
BVerfG 125, 250, 352: „[. . . ] [Nicht verfassungsgemäß ist, dass der Gesetzgeber Straftaten in
Bezug auf ihre Schwere ] nach Maßgabe einer allgemeinen Abwägung im Rahmen einer Ver-
hältnismäßigkeitsprüfung als möglichen Auslöser einer Datenabfrage ausreichen lässt. Mit dieser
Regelung werden die nach § 113a TKG gespeicherten Daten praktisch in Bezug auf alle Straftat-
bestände nutzbar. Ihre Verwendung verliert [. . . ] ihren Ausnahmecharakter.“
III. Eigene Ansicht 335
Eine allgemeine Verhältnismäßigkeitsklausel ist de lege lata nur dann ein Be-
standteil der StPO, wenn man an sie glaubt. Nachgewiesen werden kann sie nicht.
Die Auslegungsvariante, nach der das Verhältnismäßigkeitsprinzip ergänzend zur
Lückenfüllung herangezogen wird, ist also als verfassungswidrig zu verwerfen.
5. Zwischenergebnis
Besondere Voraussetzungen
§ 21 Postbeschlagnahme
gemäß §§ 97, 99, 100 StPO
Die Regelung der Postbeschlagnahme ist seit 1877 in der StPO enthalten und
wurde seitdem kaum verändert.1 Das Grundgesetz macht allerdings andere Vor-
gaben als die Reichsverfassung von 1871. Die Vorschriften der §§ 97, 99, 100
StPO zur Postbeschlagnahme müssen den heutigen verfassungsrechtlichen Anfor-
derungen entsprechen. Dass dies nicht ohne Zweifel ist, zeigt schon die Kritik von
Papier/Dengler an den § 94, 95, 103 StPO, deren Übertragung auf die Postbe-
schlagnahme zu untersuchen sein wird:
„Damit jedoch Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verfassungs-
rechtlich gerechtfertigt sind, bedarf es nach dem den Grundrechten immanenten Grundsatz
vom Vorbehalt des Gesetzes einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage, an der es
im vorliegenden Fall fehlt. Die §§ 94, 95, 103 StPO, auf die die Staatsanwaltschaft ihre
Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stützt, stellen zwar förmli-
che Gesetze dar, jedoch entsprechen sie nicht (mehr) den verfassungsrechtlichen Anfor-
derungen, die an gesetzliche Grundlagen zu stellen sind, die zu Eingriffen in das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung ermächtigen. Damit auf der Grundlage einer ge-
setzlichen Ermächtigung in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen
werden darf, müssen sich aus dieser dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit ent-
sprechend ,die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den
Bürger erkennbar ergeben‘ “2
Während Papier/Dengler das BVerfG auf ihrer Seite wähnten, hat das Gericht
jüngst in der Entscheidung zur E-Mail-„Beschlagnahme“ zumindest §§ 94, 110
StPO als bestimmte und verhältnismäßige Grundlage für einen Eingriff in Art. 10
GG durch eine E-Mail-Beschlagnahme auf dem Server eines Diensteanbieters
angesehen.
„§ 94 StPO kann ohne Verfassungsverstoß als Ermächtigung auch zu Eingriffen in Art. 10
Abs. 1 GG verstanden werden.“3
1
Vgl. § 4, I, 1.
2
Papier/Dengler, BB 1996, S. 2545, die sich auf das Volkszählungsurteil, BVerfGE 65, 1, 44,
beziehen.
3
BVerfGE 124, 43, 58.
Es ist daher davon auszugehen, dass das BVerfG diese Linie auch im Hinblick auf
die nicht im genannten Urteil erwähnte Postbeschlagnahme folgen würde. Ob die
Ansicht des BVerfG zutreffend ist, wird im Folgenden zu klären sein.
I. Anwendungsbereich
Bei der Postbeschlagnahme werden Briefe auf dem Postwege abgefangen und be-
schlagnahmt. Die eigentliche Anordnungsbefugnis enthält § 99 StPO. Beschlag-
nahmt dürfen danach nur solche Sendungen werden, die sich auf dem Postweg bei
staatlichen oder Privaten Dienstleistern befinden. Es muss sich um Post des Be-
schuldigten handeln, was sich auch konkludent aus dem Inhalt ergeben kann. Nach
§ 97 StPO dürfen bestimmte Sendungen nicht beschlagnahmt werden. Dazu gehört
insbesondere der Briefwechsel mit zeugnisverweigerungsberechtigten Personen.
Nach der Rechtsprechung des BGH fällt auch die Beschlagnahme von E-Mails, die
bei einem Service-Provider zwischengespeichert sind, unter § 99 StPO.4 Dies erfuhr
in der Literatur5 Kritik, da die E-Mail-Beschlagnahme dem Fernmeldegeheimnis
unterfalle. Entscheidend gegen eine Einordnung der zwischengespeicherten E-Mail
spricht aber, dass es sich dem Wortlaut nach eindeutig nicht um eine Postsendung
oder ein Telegramm handelt. Der BGH wendet § 99 StPO analog an:
„[Die Beschlagnahme einer zwischengespeicherten E-Mail ist] auch unter Berücksichti-
gung des heutigen Kommunikationsverhaltens in jeder Hinsicht vergleichbar mit der Be-
schlagnahme anderer Mitteilungen, welche sich zumindest vorübergehend bei einem Post-
oder Telekommunikationsdiensteleister befinden, bspw. von Telegrammen, welche gleich-
falls auf dem Telekommunikationsweg dorthin übermittelt wurden.“
Nach der hier vertreten Ansicht zu den Auslegungsmethoden ist eine Analogie –
zumal zu Lasten des Betroffenen – auch im Strafprozessrecht nicht zulässig.6 Die
„Beschlagnahme“ einer E-Mail gehört daher nicht in den Anwendungsbereich des
§ 99 StPO.7
4
BGH NJW 2009, 1828; vgl. auch KK 6 , § 100a Rdn. 22.
5
Vgl. Klesczewski, ZStW 2011 S. 746.
6
Vgl. § 9, I, 8, a).
7
Das BVerfG wendet die Beschlagnahmeregelungen der §§ 94, 110 StPO und nicht § 99 StPO
an, vgl. BVerfGE 124, 43 72 f.; Kasiske, StraFo 2010, S. 228 ff. stimmt dem BVerfG und dem
BGH insoweit zu, dass die Beschlagnahme Vorschriften einschlägig seien, will dies aber nur für
II. Missachtung der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG 341
Bei der Möglichkeit einer Kernbereichsverletzung durch die Maßnahme muss der
Regelungsumfang durch Ausnahmen so eingeschränkt werden, dass die sonst sub-
sumierbare Verletzung des Kernbereichs ausgeschlossen wird. Die Vorschrift muss
nach dem zweistufigen Schutzkonzept des BVerfG ausgestaltet sein.8
2. Kernbereichsschutzkonzept?
Durch einen Vergleich der Regelungen der Postbeschlagnahme mit dem oben vorge-
stellten Grundmodell9 und den Vorschriften zur Telekommunikationsüberwachung
drängt sich die Frage auf, warum §§ 99, 100 StPO auch nach der Reform 2007
keine Kernbereichsschutzklausel enthalten. Denn wie gezeigt, ist ein Kernbereichs-
schutzkonzept notwendig, um finale Einblicke in die absolut geschützte private
Lebensgestaltung zu verhindern. Für die Telekommunikationsüberwachung ist ein
entsprechendes Schutzkonzept zudem in § 100a Abs. 4 StPO ausdrücklich geregelt.
Ein Grund weshalb dies nicht bei der Postbeschlagnahme erfolgen können soll, ist
nicht ersichtlich: Ein Verzicht auf Kernbereichsschutz gegenüber dem vergleichba-
ren § 100a StPO würde nur dann nicht zur Verfassungswidrigkeit der Vorschriften
über die Postbeschlagnahme führen, wenn die Postbeschlagnahme keine Gefahr für
den Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung darstellen oder dieser Schutz
auf andere Weise wirksam hergestellt würde.
Eine wesentliche Differenz bezüglich der Kernbereichsbetroffenheit zwischen
der Postbeschlagnahme und der im weiteren Verlauf der Arbeit noch genauer zu
behandelnden Regelung der Telekommunikationsüberwachung besteht nicht. Aber
offengelegte Maßnahmen gelten lassen. Insgesamt kritisch zu der Entscheidung des BGH und auch
insoweit zur Ansicht des BVerfG: Klesczewski, ZStW 2011 S. 746 f.
8
Vgl. § 15, V. Das BVerfG würde insoweit den fehlenden Kernbereichsschutz in die StPO
hineininterpretieren. Das ist aber aus den oben genannten Gründen zur Ablehnung des Ver-
hältnismäßigkeitsprinzips entsprechend zu verneinen, da es sich bei der generell-abstrakten
Ausgestaltung eines Schutzkonzeptes für das Strafverfahren um Gesetzgebung und nicht um
Gesetzesausführung handelt. Dies ist eine Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der Ermittlungs-
behörden. Vgl. § 20, III und unten zu § 110 StPO § 29, III, 2.
9
Vgl. § 11, I.
342 § 21 Postbeschlagnahme gemäß §§ 97, 99, 100 StPO
nur für letztere findet sich in § 100a Abs. 4 StPO ein besonderer Kernbereichs-
schutz. Einblicke in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung können sich
allerdings nicht nur beim Mithören von Telefonaten oder Lesen von E-Mails erge-
ben. Sie können sich auch durch das Lesen fremder Briefe eröffnen:
Hier ist für die Frage wie privat diese Äußerung ist, nicht entscheidend, ob die-
se Äußerung schriftlich im Brief oder fernmündlich erfolgt. Die Regelungen der
Postbeschlagnahme lassen also eine wesentliche Schutzlücke.
Zwar regeln die Beschlagnahmeverbote nach § 97 StPO einen Teil des Kernbe-
reichsschutzes, weil die Kommunikation mit den dort genannten Zeugnisverwei-
gerungsberechtigten Personen mit einiger Wahrscheinlichkeit den Kernbereich der
privaten Lebensgestaltung betreffen kann. Die Regelung ist aber insoweit unvoll-
ständig. Die erkennt auch die h. M. an, die zwar eine analoge Anwendung auf
andere Personen ablehnt,10 aber davon ausgeht, dass sich Schutzlücken durch Be-
schlagnahme Verboten schließen lassen, die sich direkt aus dem Grundgesetz er-
geben.11 Eine solche direkte Geltung des Verfassungsrechts an Stelle der StPO ist
aber aus den oben dargelegten grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen.12
Die Regelung des § 160a StPO kann die genannte Schutzlücke ebenfalls nicht
schließen, sie geht hier insoweit auch nicht über den spezielleren § 97 StPO hin-
aus.
10
Schäfer in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , § 97 Rdn. 11.
11
Vgl. Meyer-Goßner, StPO54 , § 97 Rdn. 2.
12
Vgl. die Ausführungen zur verfassungskonformen Ersetzung und Ergänzung unter § 6, IV, 5 ff.
13
Vgl. § 15, IV, 1, b).
III. Eingriff in das Brief- und Postgeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG 343
3. Zwischenergebnis
Die Vorschrift des § 99 StPO ist daher bereits wegen fehlenden Kernbereichsschutz-
konzepts verfassungswidrig.
Die Regelung der Postbeschlagnahme in §§ 97, 99, 100 StPO greift in den Schutz-
bereich des Art. 10 GG ein. Der Kernbereich ist hier durch Art. 10 Abs. 1 i. V. m.
Art. 1 Abs. 1 GG geschützt.14
„Art. 10 GG ist das für die Postbeschlagnahme wesentliche Grundrecht. Als Schutz der
Selbstbestimmung über Informationen weist das Grundrecht aus Art. 10 GG Besonder-
heiten auf, die es insbesondere mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
teilt: Anders als bei anderen Grundrechten besteht typischerweise die Gefahr, dass ein erster
Eingriff (Erhebung der Information) sich durch den weiteren Umgang mit kommunika-
tionsbezogenen Informationen durch Speicherung, Verwendung und Weitergabe vertieft.
Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Eingriffe in das Grundrecht auf informatio-
nelle Selbstbestimmung müssen darauf abgestimmt sein. Deshalb gewährleistet Art. 10 GG
neben dem Schutz vor der Erhebung auch das Selbstbestimmungsrecht über den weiteren
Umgang mit kommunikationsbezogenen Informationen durch Speicherung, Verwendung
und Weitergabe. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Eingriffe in das Grund-
recht auf informationelle Selbstbestimmung müssen deshalb auch bei der Auslegung von
Art. 10 GG herangezogen werden. [. . . ] Die Schutzrichtung von Art. 10 GG gegenüber un-
gewollten Informationserhebungen durch Dritte weist dieses Grundrecht als wesentlichen
Bestandteil des Schutzes der Privatsphäre aus.“15
Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG
als Auffanggrundrecht nicht betroffen. Art. 10 GG ist nach dieser Ansicht im Ver-
hältnis zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung spezieller, sofern es um
Datenerhebung und -verarbeitung im Geheimnisbereich des Art. 10 Abs. 1 GG
geht.16 Auch das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung ist nicht zusätzlich
betroffen. Ein Eingriff in Art. 10 GG muss zwar Informationen erheben, er erfolgt
aber nicht notwendig heimlich. Dennoch ist dem historisch geprägten Schutzbe-
reich gerade der Schutz vor heimlichen Eingriffen immanent. Offenes Überwachen
von Telekommunikation ist eine krasse Ausnahme.17
14
Art. 10 GG ist insoweit spezieller als Art. 2 Abs. 1 GG. Dogmatisch sind keine zusätzlichen
Unterschiede zum weiter gefassten Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung
durch Art. 2 Abs. 1 GG gegeben.
15
Dreier in: Dreier, GG1 , Art. 10 Rdn. 14, 16.
16
BVerfGE 100, 313, 358.
17
Dies findet im Wesentlichen in den früher sog. „besonderen Gewaltverhältnissen“ statt. Dies
trifft heute nur noch auf Häftlinge zu.
344 § 21 Postbeschlagnahme gemäß §§ 97, 99, 100 StPO
Ein Eingriff in die Grundrechte aus Art. 10 Abs. 1 GG ist grundsätzlich nach Art. 10
Abs. 2 S. 1 GG gerechtfertigt, da er aufgrund eines Gesetzes erfolgt. Diese ge-
setzliche Grundlage rechtfertigt den Eingriff aber nicht, wenn sie unbestimmt oder
unverhältnismäßig ist.
Die Regelung der Postbeschlagnahme muss bestimmt sein. Daran bestehen keine
Zweifel. Denn sowohl die Anlasstaten als auch die übrigen Anordnungsmerkmale
sind eindeutig benannt. Dass diese Merkmale einen teilweise sehr weiten Bereich
von Sachverhalten erfassen – so kann zum Beispiel jede Straftat eine Anlasstat
sein – ist keine Frage der Bestimmtheit, sondern das nachfolgende Problem der
Verhältnismäßigkeit.
Beispiel 47 Ein Fahrrad im Wert von 100 C wurde gestohlen. A ist als Ersttäter
aufgrund einer anonymen Anzeige verdächtig. Zeugen stehen zur Verfügung und
am Tatort könnten Fingerabdrücke gesichert wurden. Nach dem Wortlaut der §§ 94,
97, 99, 100 StPO ist die Postbeschlagnahme als Mittel erster Wahl zur Aufklärung
eines einfachen Verdachts eines Fahrraddiebstahls zulässig.
Dieses Beispiel illustriert die Frage, ob die in diesem Fall nach dem Wortlaut der
Vorschriften zulässige Postbeschlagnahme verfassungsgemäß ist. Die Vorschriften
wären dann verfassungsmäßig, wenn diese konkrete Maßnahme verhältnismäßig,
also geeignet, erforderlich und angemessen wäre.
a) Geeignetheit
Die Postbeschlagnahme ist ein zum legitimen Zweck der Strafverfolgung geeigne-
tes Mittel. Die Möglichkeit, in missbräuchlicher Anwendung der Postbeschlagnah-
IV. Rechtfertigung der Eingriffe in das Post- und Briefgeheimnis 345
b) Erforderlichkeit
Die Postbeschlagnahme nach §§ 97, 99, 100 StPO ist aber nur dann gerechtfertigt,
wenn sie erforderlich und angemessen ist. Erforderlich ist die Maßnahme, wenn
kein milderes, zur Erreichung des Zwecks gleich geeignetes Mittel zur Verfügung
steht. Da man nicht bei jeder konkreten Straftat nur mit einer Postüberwachung
zum Ziel der Ermittlungsmaßnahmen gelangt, ist die Regelung für solche Fälle
bereits bedenklich. Sind etwa bereits Zeugenaussagen, Fingerabdrücke oder Fuß-
spuren am Tatort vorhanden, die dem Verdächtigen zugeordnet werden können oder
ist sogar ein Geständnis bei dessen nächster Vernehmung wahrscheinlich, ist keine
Postbeschlagnahme mehr erforderlich. Hält man uneingeschränkt am Wortlaut der
Norm fest, ergibt sich bereits daraus die Unverhältnismäßigkeit und somit die Ver-
fassungswidrigkeit der Regelung zur Postbeschlagnahme. § 100 Abs. 6 StPO sorgt
zwar dafür, dass die ermittlungsunwichtigen Teile der Postsendung an den Betroffe-
nen weitergeleitet werden, doch kann dies den Verstoß gegen den Erforderlichkeits-
grundsatz nicht kompensieren. Schon deshalb ist die Regelung verfassungswidrig,
wenn nicht andere spezielle oder Klauseln den Mangel heilen. Diese Frage wird
aber erst am Ende der Ausführungen zur Postbeschlagnahme für spezielle Kompen-
sationsmöglichkeiten innerhalb des Regelungskonzepts der Postbeschlagnahme19
geklärt.
c) Angemessenheit
Erst recht bei der Angemessenheit im engeren Sinne ist zu bezweifeln, dass die
Regelung das Übermaßverbot beachtet. Denn auch bei dem geringsten Vergehen –
etwa dem im Beispiel beschrieben Fahrraddiebstahl oder der Unterschlagung einer
geringwertigen Sache – ist nach dem Wortlaut der Norm eine Überwachung des
Briefverkehrs zulässig.20
Weil der Prüfungsmaßstab unklar ist, kann auch eine inhaltliche Prüfungspflicht des
die Post öffnenden Richters (§ 100 Abs. 3 StPO) die Unverhältnismäßigkeit nicht
18
Vgl. § 16.
19
Siehe § 21, IV, 2, d).
20
Zur grundsätzlichen Vereinbarkeit der Strafbarkeit von Bagatellen mit dem Schuldgrundsatz,
vgl. BVerfGE 50, 205, 215; 73, 206, 253; 86, 288, 313.
346 § 21 Postbeschlagnahme gemäß §§ 97, 99, 100 StPO
beseitigen. Diese Regelung kann nur umgekehrt zur formalen Sicherung inhaltlicher
Vorgaben führen,21 Letztere fehlen jedoch.
Danach ist diese Reglung isoliert betrachtet verfassungswidrig.
Dem ist aber nicht beizupflichten. Die einfachgesetzliche Wirkung des allgemei-
nen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wurde bereits oben abgelehnt.23 Sie kann die
Norm daher nicht vor der Verfassungswidrigkeit bewahren.
V. Zwischenergebnis
Die Regelung der Postbeschlagnahme ist wegen der genannten Gründe – fehlen-
de Erforderlichkeitsklausel, fehlende Einschränkung der Anlasstaten, nicht ausrei-
chender inhaltlicher Kernbereichsschutz – ein unverhältnismäßiger Eingriff in die
Grundrechte des Betroffenen und verfassungswidrig.
21
Die Prüfung durch den Richter ist für den Schutz der Grundrechte sowohl verfahrensmäßig
(Grundrechtsschutz durch Verfahren) als auch inhaltlich ausreichend. Zwar gilt nach der richter-
lichen „Vorprüfung“ das für alle Beweismittel geltende Beschlagnahmeverfahren nach §§ 94, 98
StPO. Das heißt die weitere Auswertung des Materials wird der StA und ihren Ermittlungsper-
sonen überlassen, Schäfer in: Löwe/Rosenberg, StPO25 , § 100 StPO Rdn. 33. Dabei wird nur der
bereits durch den Richter verübte Eingriff intensiviert, wenn weitere Personen Zugriff zu den In-
formationen erhalten, die dem betroffenen Briefschreiber persönlich zugeordnet werden können.
Dies ist aber notwendig, um die Ermittlungsmaßnahmen überhaupt führen zu können, da der Er-
mittlungsrichter nicht (mehr) für die operative Führung der Ermittlungsmaßnahmen zuständig ist,
sondern Aufgaben wahrnimmt, die man in Teilen mit denen eines Notars vergleichen kann. § 100
Abs. 6 StPO ordnet die Weiterleitung für die Ermittlungsmaßnahmen unerheblicher Inhalte sogar
an. Auch dies spricht für die Prüfungskompetenz des Richters. Die Übertragungsmöglichkeit auf
die StA nach § 100 Abs. 3 Satz 2 wäre ebenfalls entsprechend eng auszulegen.
22
BVerfGE 124, 43, 70.
23
Vgl. § 20, III, 5.
§ 22 Datenabgleich, „Rasterfahndung“
gemäß § 98a StPO
In § 98a StPO ist die sog. „Rasterfahndung“ geregelt. Bei dieser Maßnahme wird
ein bestimmtes personenbezogenes Datenprofil mit Datensätzen in behördlichen
oder privaten Dateien abgeglichen.1 Durch diesen Abgleich soll nach dem BVerfG
die Schnittmenge von Personen ermittelt werden, auf welche bestimmte, vorab fest-
gelegte und für die weiteren Ermittlungen als bedeutsam angesehene Merkmale
zutreffen.2
1
Zur Technik der Rasterfahndung vgl. Nack in: KK 6 , § 98a Rdn. 2.
2
BVerfG 4.4.2006, 1 BvR 518/02, Pressemitteilung.
3
Siehe § 11, I und die näheren Ausführungen zu Ziffer 5. unter § 15.
die Sammlung dieser Daten zum Schutz des Betroffenen verböte und die Daten
anderseits zu dessen Nachteil verwendete. Die Vorschrift ist daher systematisch
im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung so auszulegen, dass mit „anderen
Daten“ in § 98a Abs. 1 StPO nur solche gemeint sind, die nicht illegal kernbe-
reichsrelevante Daten enthalten. Diese Auslegung ist methodisch zulässig.4 Eine
diese Systematik ignorierende umfassendere Auslegungsvariante ist auch nach der
verfassungskonformen Auslegung als verfassungswidrig zu verwerfen.5
Die Rasterfahndung greift nach h. M. in das Recht auf eine eigene Privatsphäre und
in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG6 ein. Bei-
de Rechte sind nach hier vertretener Ansicht nur insoweit anzuerkennen, als sie
Unterkategorien des Rechts auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG
sind. Dazu müsste auch gerade diese Form der Datenverarbeitung eine handlungs-
beeinflussende Einschüchterungswirkung haben. Für diese Untersuchung ist nach
Betroffenen zu unterscheiden, die mit dem Datenprofil der Behörden entsprechen
(Treffer) und solchen Personen, die dem Profil nicht entsprechen (Fehler).
1. „Treffer“
4
Vgl. § 6, IV, 3, e).
5
Hier gilt ebenfalls das oben bereits Erwähnte zur Deckungsgleichheit von verfassungskonformer
und subjektiv-historischer Auslegung, vgl. § 6. Der Gesetzgeber will ausdrücklich „die Tragweite
des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“ beachten, BTDrucks 12/989, S. 36 ff. Er geht
aber von der Geltung eines allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips aus und hält die Regelung
daher für verfassungsgemäß: „Daneben [neben der Erforderlichkeitsklausel] gilt das allgemeine
Prinzip der Verhältnismäßigkeit.“ BTDrucks 12/989, S. 37.
6
BVerfGE 65, 1, 42; vgl. auch BGH NJW 1991, 2651; Meyer-Goßner, StPO54 , § 98a Rdn. 1.
7
Zur Funktionsweise der Rasterfahndung im Einzelnen vgl. Nack in: KK 6 , § 98a Rdn. 2.
II. Grundrechtseingriff in das Recht auf Freiheit von Einschüchterung, Art. 2 Abs. 1 GG? 349
2. „Fehler“
Bei der Rasterfahndung wird eine große Zahl Personen als „Fehler“ im Vorgang,
nicht aber im Ergebnis der Rasterfandung erfasst. Dieser Vorgang läuft vollautoma-
tisch ab, ohne dass die Fehler den Beamten der Ermittlungsbehörden im Einzelnen
bekannt werden. Die entsprechenden Personen sind daher nicht in relevanter Wei-
se betroffen. Eine Einordnung der Person als „unverdächtig“ stellt keine rational
verständliche Belastung der Grundrechte dar.
3. Zusammenfassung
als solcher. Denn niemand weiß wegen der Heimlichkeit der Maßnahme, ob seine
Daten „Treffer“ oder „Fehler“ sind.
III. Rechtfertigung
Wie gezeigt ist die Regelung ein Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit von Ein-
schüchterung. Dieser ist aber gerechtfertigt, wenn die Eingriffsregelung des § 98a
StPO bestimmt und verhältnismäßig ist.
1. Bestimmtheit
8
Siehe § 12.
9
Vgl. § 12.
10
Meyer-Goßner, StPO54 , § 152 Rdn. 4 m. w. N.
11
Alternative wäre höchstens ein kasuistisches Beispielsystem zu entwerfen, das aber kaum noch
einer abstrakt generellen Regelung entspräche.
12
Vgl. § 9, I, 8, c).
III. Rechtfertigung 351
2. Verhältnismäßigkeit
Die Verhältnismäßigkeit kann nur hilfsweise erörtert werden, da die Vorschrift be-
reits unbestimmt ist. § 98a StPO ist bei unterstellter Bestimmtheit im Übrigen
verhältnismäßig, wenn die Norm zur Strafverfolgung geeignet und erforderlich so-
wie gegenüber der Bedeutung des Grundrechts auf Freiheit von Einschüchterung
angemessen ist.
a) Geeignetheit
Trotz einiger Vorbehalte ist die Rasterfahndung eine kriminalistisch geeignete Maß-
nahme der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen.15
b) Erforderlichkeit
c) Angemessenheit
13
Meyer-Goßner, StPO54 , § 98a Rdn. 3; Schnabel, DuD 2007, S. 429.
14
Vgl. § 20.
15
Bei einer Analyse aller angeordneten 31 Maßnahmen von 1992–2007 konnte gezeigt werden,
dass 13 % der Maßnahmen als erfolgreich und 58 % als bedingt erfolgreich zu bewerten waren.
„Insgesamt erbrachten mehr als zwei Drittel der durchgeführten Rasterfahndungen neue Ermitt-
lungsansätze, die jedoch nur vereinzelt zu Erfolgen führten. Lediglich bei vier Maßnahmen konnten
neue Ermittlungsansätze erfolgreich zur Ergreifung von Tätern führen.“ MPI, S. 1 ff.; Pehl, S. 1 ff.
16
Vgl. § 14, IV.
352 § 22 Datenabgleich, „Rasterfahndung“ gemäß § 98a StPO
schwer die Tat konkret sein muss lässt sich wegen der Unbestimmtheit jedoch nicht
ermitteln. Die gewonnenen Daten sind jedenfalls nur Ermittlungsansätze und keine
unmittelbar verwertbaren Beweise. Der Eingriff durch die Rasterfahndung ist daher
weniger belastend, als eine verdeckte Maßnahme, deren gewonnene Erkenntnisse
direkt als Beweise im weiteren Prozess prolongiert werden können.
IV. Zwischenergebnis
§ 98a StPO ist (nur) wegen der Unbestimmtheit des Begriffs „Straftat von erhebli-
cher Bedeutung“ verfassungswidrig.
§ 23 Telekommunikationsüberwachung
gemäß §§ 100a, 100b StPO
1
Zur Ausleitung und den Pflichten der Diensteanbieter nach § 100b StPO i. V. m. § 110 TKG
und § 11 TKÜV vgl. Meyer-Goßner, StPO54 , § 100b Rdn. 7 ff. Zum Kreis der Verpflichteten
gehören auch solche, die keine geschäftsmäßigen Leistungen erbringen, wie etwas Behörden und
Universitäten soweit sie eigene Netzte betreiben, vgl. BTDrucks 16/5846 S. 47; Nack in: KK 6 ,
§ 100b Rdn. 12; Heun, CR 2008, S. 82.
2
Vgl. oder § 11, I.
Wie bereits im verfassungsrechtlichen Teil3 deutlich gemacht wurde, kann auch das
Abhören von Telefongesprächen die Menschenwürde missachten. Es kommt bei
der Überwachung jeder Kommunikation insoweit auf den Inhalt der Äußerungen
an. Betreffen die Äußerungen absolut private Themen, ist der Kernbereich verletzt,
wenn gerade diese Äußerungen absichtlich überwacht werden. Nur die finale Über-
wachung des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung ist eine Missachtung der
Menschenwürde.
3
Vgl. § 8, IV, 2, d).
I. Missachtung der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG 355
4
BTDrucks 15/4533, S. 14.
5
BVerfGE 109, 279, 318 ff.
6
Vgl. § 15.
356 § 23 Telekommunikationsüberwachung gemäß §§ 100a, 100b StPO
1. Bestimmtheit
a) Anlasstatenkatalog
Der Anlasstatenkatalog des § 100a Abs. 2 StPO ist sehr weit gefasst und bezeichnet
eine Mischung aus Delikten, die keine einheitliche Systematik aufweist. Nach der
Reform von 2007 sind nochmals einige Vermögensdelikte hinzugekommen. Delikte
7
BVerfG EuGRZ 2011, S. 696 ff.; vgl. schon BTDrucks 16/5846, S. 44.
8
Vgl. § 8, VI, 1, b).
II. Eingriff der TKÜ in den Schutzbereich des Post- und Fernmeldegeheimnisses 357
aus der AO finden sich ebenso wie BtM-Delikte, schwere Delikte aus dem Kern-
strafrecht wie bestimmte Hoheitsdelikte, Totschlag, Raub, gewerbsmäßige Hehle-
rei, Bandendiebstahl etc. Die Anzahl der Delikte macht diesen Katalog aber noch
nicht unbestimmt. Er entspricht daher insoweit den verfassungsrechtlichen Anfor-
derungen.
b) Tatschwere im Einzelfall
§ 100a StPO enthält bereits im Tatbestand den unklaren Rechtsbegriff wie „schwer-
wiegende Tat im einzelnen Fall“. Er orientiert sich an der Formulierung des Art. 13
Abs. 3 GG: „Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch
Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat“ Der Klärung
bedarf, ob der Gesetzgeber trotz des offenkundigen Willens, mit der Übernahme der
Formulierung des Art. 13 Abs. 3 GG verfassungsrechtliche Vorgaben umzusetzen,
eventuell keine eindeutige Regelung der Tatschwere getroffen hat.
Indem der Gesetzgeber als Ergänzung zum insoweit unproblematischen Anlas-
statenkatalog die Anforderung aufstellt, dass eine solche Straftat auch im Einzelfall
schwer wiegen muss, zitiert er verfassungsrechtliche Vorgaben, setzt diese aber
nicht um. Die sich eigentlich mit Bestimmtheit aus dem Katalog ergebende Rechts-
lage wird durch die Tatschwereklausel unklar. Die Kriterien für die Tatschwere im
Einzelfalls sind völlig offen. Wie oben dargestellt, ist eine solche Tatschwereklausel
unbestimmt und daher verfassungswidrig.9
2. Erforderlichkeit
9
Vgl. § 13, III.
10
Vgl. § 14, IV.
358 § 23 Telekommunikationsüberwachung gemäß §§ 100a, 100b StPO
3. Angemessenheit
Die Angemessenheit der Regelung der §§ 100a, 100b StPO kann nicht beurteilt
werden, da unklar ist, welche Taten mit den unbestimmten „schwerwiegenden Taten
im Einzelfall“ gemeint sind.11
III. Zwischenergebnis
Wegen der Unbestimmtheit der Schwere der Anlasstat ist § 100a StPO verfassungs-
widrig.
1. Technische Ausgangsproblematik
11
Wenn man sich doch mit der oben erwähnten Auslegungsalternative für die Bestimmtheit der
Regelung entscheiden würde, wäre die Angemessenheit zu bejahen. Vgl. § 13.
12
Als weitere Vorschriften kommen § 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO (vgl. dazu § 27) und die Ermitt-
lungsgeneralklausel in Betracht (vgl. zur dort zu verortenden Abgrenzung zur sog. „Hörfalle“ ).
IV. Sonderfall der „Quellen-TKÜ“ 359
überwachen. Dies ist mittels Computerprogrammen möglich, die die Eingabe über
Tastatur13 oder Mikrofon14 überwachen.15 Dies wird im Folgenden näher erläutert.
13
Sog. „keylogger“, Kretschmann, S. 90 ff. und speziell zum sog. „Bundestrojaner“, S. 100 f.
14
Vgl. Herrmann, S. 31.
15
Hardwarelösungen, also die Implementierungen von Kleinstgeräten zur Aufzeichnung von Text
und Bildaufnahmen, sind ebenfalls möglich, vgl. Kretschmann, S. 97 ff.
16
Voice-over-IP-Telefonie (VoIP-Telefonie) Zur Technik und Sicherheit vor Überwachung:
Eren/Detken, S. 10 ff.; Henkel, S. 25 f.; 33 ff.
17
Dies betrifft vor allem den derzeit führenden Dienst „Skype“.
18
Vgl. Buermeyer, HRRS 2007, S. 160 Fn. 49.
19
ZDNet 2007.
20
SPIEGEL ONLINE, 09.07.2012.
21
Vetter Lawblog, 17.08.2010.
22
heise online, 24.07.2008.
23
Mangels Veröffentlichung des Skype-Verbindungsprotokolls ist nach Klesczewski, ZStW 2011
S. 742 eine unabhängige Evaluation nicht möglich. In seinem jüngst erschienen Aufsatz berichtet
a. a. O. allerdings er habe in einer Expertenbefragung von Prof. Lindemann (Institut für Informatik
Universität Leipzig) erfahren, dass Skype-Telefonate nun generell decodierbar seien, da Skype die
Codierungsparameter regelmäßig abändere, so Klesczewski, ZStW 2011 S. 742.
24
Skype darf seinen „Schlüssel“ selbst anwenden oder an die Ermittlungsbehörden weitergeben.
Die sog. „Datenschutzrichtlinien“ von Skype legen nämlich fest, dass „[. . . ] Skype [. . . ] Kom-
munikationsinhalte [. . . ] Justiz-, Strafvollzugs- oder Regierungsbehörden zur Verfügung [stellt],
die derartige Informationen rechtmäßig anfordern. [. . . ] Sie [der Skype-Nutzer] stimmen hiermit
einer derartigen Offenlegung zu.“ Die Weitergabe der Kommunikationsinhalte an Behörden wird
somit von Skype eingeräumt und im Kleingedruckten das Einverständnis des Nutzers unterstellt,
vgl. Wikipedia, Skype. Doch dürfte der Aufwand für eine solche Mitwirkung des Unternehmens
zu hoch für ein Ermittlungsverfahren sein. Da Skype seinen Sitz im (EU-)Ausland hat und erst
ein Rechtshilfeersuchen gestellt werden muss, ist dessen Ausgang wegen unterschiedlicher Ver-
fahrensordnungen unklar. Die damit verbundene Dauer wird ein solches Vorgehen zudem nur bei
360 § 23 Telekommunikationsüberwachung gemäß §§ 100a, 100b StPO
Beispiel 51 Telefonieren X und Y miteinander mittels eines Dienstes, der die Da-
ten verschlüsselt und ist eine Entschlüsselung auch nicht zeitnah möglich, ist eine
Überwachung der Telefonate über die Ausleitung der Datensignale nicht sinnvoll.
Neben den oben genannten27 genannten Methoden ist eine Manipulation des Com-
puters mittels Spionageprogramm zur Fernsteuerung von Computern möglich.28
Mit diesen so genannten „Trojanern“ kann die Mikrofonsteuerung des Computers
manipuliert werden und so mit einem anderen Programm Sprache aufgezeichnet
und übertragen werden. Entsprechend kann bei Spracheingabe mittels „Chatpro-
grammen“29 verfahren werden. Zur visuell abbildenden Überwachung wird ein Pro-
gramm genutzt, das zum Beispiel die „Screenshot“-Funktion jedes Computers nutzt
und so jeweils in kurzen Abständen das Monitorbild des Computers „einfriert“ und
die Kopie dieser Standbilder per Internet an die Adresse der Ermittlungsbehörden
schickt. Ebenfalls geeignet ist ein Programm, das die Tastatureingabe überwacht.
Damit wird vor der Absendung der Inhalte die Information aufgezeichnet und über-
äußerst langfristigen Verfahren und wenig intelligenten Tätern, die ihre Skype-Kennungen nicht
wechseln, nahe legen.
25
Klesczewski, ZStW 2011 S. 741.
26
Ein normales Mobiltelefon ist an Anwendungsumfang und Rechenleistung älteren Computern
weit überlegen.
27
Siehe unter § 23, IV, 1, a).
28
Vgl. auch Wolter in: SK-StPO, § 100a Rdn. 28; Buermeyer/Bäcker, HRRS 2009, S. 434 f.
29
Chatprogramme sind Computerprogramme, die ein Texteingabefenster bereitstellen, in dem kur-
ze Textnachrichten eingegeben und versendet werden können. In dem Fenster ist dann der Verlauf
der Unterhaltung (engl. „chat“) sichtbar. Diese Art der Kommunikation kombiniert die Möglich-
keit zur unmittelbaren Reaktion – ähnlich wie bei einem Telefongespräch – mit einer gewissen
Dauerhaftigkeit textgebundener Nachrichten, ähnlich wie bei einer E-Mail.
IV. Sonderfall der „Quellen-TKÜ“ 361
mittelt. Diese Programme laufen als Hintergrundprozesse, ohne dass ein argloser
Betroffener davon Kenntnis erlangt.
Neben den unter § 23, IV, 1, a) und § 23, IV, 1, b) genannten Maßnahmen ist die
Rekonstruktion der Eingabeprozesse über die Messung der Abstrahlung des Com-
putermonitors (Van-Eck-Phreaking)30 möglich, dies bezieht sich allerdings nur auf
die Texteingaben. Inzwischen sind auch Methoden zur Anwendung gekommen, mit
denen die Tastaturanschläge nicht über einen Eingriff von innen mittels Trojaner,
sondern von außen über das Messen elektromagnetischer Abstrahlung in bis zu 20
Metern Entfernung registriert werden können.31
Der Wortlaut der Norm umfasst nach § 100a Abs. 1 StPO die Überwachung und
Aufzeichnung von Telekommunikation. Die technische Form der Überwachung ist
nur insoweit angedeutet, als die Verpflichtung der Diensteanbieter voraussetzt, dass
diese die Telekommunikationsdaten ausleiten und an die Behörden weiterleiten. Für
die Quellen-TKÜ ist kein Modus der Überwachung erwähnt.
Das Infiltrieren eines Computers zu dergleichen Überwachungszwecken ist im
Wortlaut der §§ 100a, 100b StPO ebenso wenig ausdrücklich genannt wie die In-
stallation sonstiger technischer Mittel zur Überwachung der Nachrichteneingabe in
andere Endgeräte. Eine Subsumtion der Installation von Trojanern oder technischen
Geräten findet keinerlei Andeutung im Wortlaut der Norm, weder in § 100a noch
in § 100b Abs. 3 StPO. Die notwendige Annexkompetenz würde jedenfalls fehlen
und die Maßnahme nach § 100a StPO undurchführbar machen.
Ob die Überwachung der Eingabe von Kommunikation über das manuelle Instal-
lieren von Kameras und Mikrofonen am Computer, über das Messen elektronischer
Abstrahlung der Eingabegeräte oder das Überwachen der Eingabe über Software
und Internetverbindung (Trojaner) unter §§ 100a, 100b StPO subsumiert werden
kann, ist fraglich: Geklärt werden muss, ob überhaupt Telekommunikation über-
wacht wird, wenn die Gespräche bei der Eingabe überwacht werden.
Zur Lösung dieses Problems bestehen im Wesentlichen zwei Möglichkeiten:
1. Die Überwachung an der Quelle ist unter § 100a StPO ohne eine Überschreitung
des Wortlauts subsumierbar, wenn sie den Kommunikationsvorgang als solchen
und nicht dessen Vorbereitung betrifft.32
30
Wikipedia, Van-Eck-Phreaking.
31
PCWELT, 21.10.2008.
32
Inzwischen h. M. Vgl. Bär, TK-Überwachung, § 100a Rdn. 31; A. a. Klesczewski, ZStW 2011
S. 743 m. w. N.
362 § 23 Telekommunikationsüberwachung gemäß §§ 100a, 100b StPO
2. Mit dem Wortlaut ebenfalls vereinbar ist die Auslegung, nach der nur Telekom-
munikation „in der Übertragung“ nach § 100a StPO überwacht werden darf.
Wie oben dargestellt,33 sieht das BVerfG das neue Computergrundrecht als Auf-
fanggrundrecht gegenüber Art. 10 GG an:
„Art. 10 Abs. 1 GG ist hingegen der alleinige grundrechtliche Maßstab für die Beurteilung
einer Ermächtigung zu einer ,Quellen-Telekommunikationsüberwachung‘, wenn sich die
Überwachung ausschließlich auf Daten aus einem laufenden Telekommunikationsvorgang
beschränkt. Dies muss durch technische Vorkehrungen und rechtliche Vorgaben sicherge-
stellt sein.“34
Der Darstellung des BVerfG lässt sich entnehmen, dass sich die Schutzbereiche
des Computergrundrechts und Art. 10 GG gegenseitig ausschließen sollen. Es liegt
daher nahe, dass das Computergrundrecht und nicht der Schutz des Telekommuni-
kationsgeheimnisses betroffen ist, wenn eine Überwachung der Kommunikation an
der Quelle erfolgt. Die Einordnung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung
durch das BVerfG ist jedoch widersprüchlich. Der Sinn einer Überwachung an
der Quelle ist es gerade, die Daten Sekundenbruchteile vor der Kommunikation
zu überwachen. Eine Quellen-Telekommunikationsüberwachung bezüglich Daten
„aus“ einer laufenden Telekommunikation wäre lediglich auf der Empfängerseite
möglich, da nur hier die mit „aus“ angesprochene Beziehung besteht. Es können
kein Daten „aus“ aus einer Telekommunikation überwacht werden, wenn der tech-
nische Übertragungsvorgang noch gar nicht begonnen hat. Ohne diese technische
Sendung gibt es noch keine Telekommunikation.
Das BVerfG teilt diese Auffassung nicht, ihm geht es vielmehr um Spracheinga-
be oder Sprachausgabe, die auch tatsächlich kommuniziert wird. Die Eingabe von
Text für eine tatsächlich binnen Kürze abgesendete E-Mail gehört dazu, nicht aber
der Entwurf einer E-Mail, die nicht abgesendet wurde. Dabei sind beide Textein-
gaben noch nicht abgesendet, sondern nur im Speicher des Computers befindlich.
Der Unterschied liegt also nur in der späteren Verwendung bzw. dem zeitlichen
Abstand dazu. So kann der Entwurf später noch abgesendet werden. Entscheidend
ist, ob die Überwachung seiner Eingabe dann Telekommunikationsüberwachung ist
oder nicht.
Das BVerfG positioniert sich zu solch feinen Abgrenzungen nicht, was auf
Grundlage der dogmatischen Konstruktion des Computergrundrechts als Auf-
fangrecht konsequent ist. Wenn es nicht um Art. 10 GG geht, ist das Computer-
grundrecht betroffen. Kommt es zur Kommunikation, ist der Schutzbereich des
Art. 10 GG schon bei der Eingabe der Informationszeichen eröffnet. Wie oben
33
Vgl. § 8, I, 3, c).
34
BVerfGE 120, 274, 309.
IV. Sonderfall der „Quellen-TKÜ“ 363
dargestellt35 geht es dem BVerfG darum, durch das Computergrundrecht die durch
Art. 10 GG gelassene Lücke zu schließen, nicht darum, dessen Schutzbereich zu
verengen. Von einer abstrakteren Betrachtungsebene aus gesehen handelt es sich
bei der Konkretisierung des Grundrechts auf Freiheit von Einschüchterung um
den weiteren Baustein eines „Supergrundrechts“ mit gleichen Anforderungen an
die Eingriffsrechtfertigung. Dessen Schutzbereich umfasst unter Einschluss des
Art. 10 GG alle weiteren schutzwürdigen Facetten des Grundrechts auf Freiheit
von Einschüchterung. Eine trennscharfe Abgrenzung der einzelnen Bestandteile
des „Supergrundrechts“ ist dafür nicht zwingend. Einen gewissen Bruch erfährt
diese Dogmatik des Computergrundrechts als Auffanggrundrecht aus Art. 2 Abs. 1
GG, wenn die Entscheidung Forderungen im Hinblick auf die Notwendigkeit kon-
kreter Gefahr aufstellt:
„Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss weiter als Voraussetzung des heimlichen
Zugriffs vorsehen, dass zumindest tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für
die hinreichend gewichtigen Schutzgüter der Norm bestehen.“36
35
Vgl. § 8, I, 3, c).
36
BVerfGE 120, 274, 328.
37
Vgl. AG Bayreuth MMR 2010, 266; LG Landshut NStZ 2011, 470, 479 f. (konkret Bär, MMR
1998, Bär, MMR 2008, S. 218 f. zum Einsatz von Staatstrojanern, vgl. auch den Eingangsfall.);
Bär, MMR 2008, S. 218.
364 § 23 Telekommunikationsüberwachung gemäß §§ 100a, 100b StPO
rät.38 Auch die Änderung des § 110 Abs. 1 Nr. 1 TKG spreche für diese Auslegung,
da der Gesetzgeber so angeblich die Internet-Telefonie in die Telekommunikations-
überwachung einbeziehen wollte.39 Außerdem ergebe sich nach Vertretern dieser
Ansicht ähnlich wie im Rahmen des § 100c StPO – der implizit das Anbringen von
„Abhörwanzen“ in Wohnungen gestattet – nach dieser Ansicht eine Annexkompe-
tenz aus Art. 100a Abs. 1 StPO. Diese Annexkompetenz berechtige zur Installation
der Trojaner an der Quelle.40
38
Bär, TK-Überwachung, § 100a Rdn. 32; dieses Argument diskutierend auch Kudlich, GA, Bd.
158, 2011, S. 207; Kudlich, Juristische Arbeitsblätter, Nr. 4, 2010, S. 310 ff. gegen eine Quellen-
TKÜ hinsichtlich einer „Skype“-Überwachung.
39
Vgl. BR-Drucks 359/06 S. 52; Bär, TK-Überwachung, § 100a Rdn. 33; Bär, S. 219; Löffelmann
in: Krekeler/Löffelmann/Sommer, § 100a Rdn. 18 Fn. 94.
40
Cierniak in: Meyer-Goßner, StPO54 , § 100a Rdn. 7.
41
BVerfGE 120, 274 ff.
42
Buermeyer/Bäcker, HRRS 2009, S. 438 m. w. N.
43
Klesczewski, ZStW 2011 S. 744.
44
Vgl. BTDrucks 16/5846. Sog. „Kartenspieler“.
IV. Sonderfall der „Quellen-TKÜ“ 365
Die oben zuerst genannten Lösungsmöglichkeit der h. M.,47 nach der auch eine
Überwachung der Eingabe von Sprache am Endgerät eine Überwachung von Te-
lekommunikation ist, hat erhebliche Konsequenzen.
a) Uferlose Ausweitung?
Ob die Überwachung beim Diensteanbieter erfolgt, ist nach der h. M. nicht von
Belang. Diese Ansicht müsste sich die Frage gefallen lassen, warum dann nicht
jede Überwachung durch schlichtes Belauschen der Äußerungen einer Person, die
etwa auf der Straße telefoniert, eine Telekommunikationsüberwachung sein soll. Ei-
ne Folge dieser Auffassung wäre, dass auch die Überwachung durch das Mithören
der Strafverfolgungsbehörden am anderen Ende der Leitung (sog. „Hörfalle“)48 ei-
ne Überwachung der Telekommunikation wäre und unter § 100a StPO subsumiert
werden müsste. § 100a StPO würde uferlos ausgeweitet werden können. Diesem
Einwand wird man nur begegnen können, indem man auf das Endgerät als zumin-
dest noch physisch unmittelbar mit dem Kommunikationsvorgang verbundenen Teil
verweist. Eine weitere Ausdehnung des Anwendungsbereichs wäre über ein solches
Wortlautargument – nur Eingriffe in die technische Übertragungsstruktur können
Telekommunikationsüberwachung sein – vermieden. Der Vorwurf einer uferlosen
Ausdehnung kann daher die Argumente der h. M. nicht entkräften.
45
In § 20l Abs. 2 ist eine Eingriffsgrundlage für eine Quellen-TKÜ unter Eingriff in das Compu-
tergrundrecht geregelt. § 20k Abs. 2 und 3 i. V. m. § 20l Abs. 2 S. 2 BKAG sind die genannten
Schutzvorkehrungen vorhanden. Danach dürfen nur „unerlässliche“ Veränderungen des Compu-
ters vorgenommen werden, die nachträglich möglichst rückgängig zu machen sind. Des Weiteren
werden verschiedene bestimmte Anforderungen an die Protokollierung der Maßnahme gestellt,
die später die rechtliche Überprüfung ermöglichen sollen. Näher dazu Bäcker, S. 105 f.
46
Becker/Meinicke, StV 2011, S. 105 f.
47
Siehe § 23, IV, 2, Nr. 1.
48
Vgl. § 34, III.
366 § 23 Telekommunikationsüberwachung gemäß §§ 100a, 100b StPO
Nimmt man diese Lösung, dass auch eine Überwachung der Eingabe von Sprache
am Endgerät eine Überwachung von Telekommunikation ist, als noch wortlaut-
konform ernst, ist eine Überwachungsmaßnahme dann nicht unter § 100a StPO
subsumierbar, wenn Kommunikation nicht stattfindet. Denn selbst, wenn man den
Einwand beiseitegeschoben hat, dass sich die Nachricht noch nicht im Herrschafts-
bereich eines Diensteanbieters befindet, kann von Telekommunikation unter diesen
Umständen keine Rede sein. Der bloße Versuch ist keine Kommunikation und auch
nicht als „wesensgleiches Minus“ in der Regelung enthalten.
Beispiel 52 Spricht eine Person in ihr Telefon, obwohl die Verbindung unbemerkt
zusammengebrochen ist, kann dies auch nach h. M. keine Telekommunikation sein.
Die Einordnung der nämlichen Äußerung hängt also davon ab, ob eine Verbindung
zustande kommt oder nicht. Die tatsächliche Äußerungsvorgang ist aber ebenso wie
der Überwachungsvorgang völlig unabhängig von dem Bestehen einer Telekommu-
nikationsverbindung.
49
Die Verfassungswidrigkeit der Regelung wegen der nicht hinreichend bestimmten Tatschwere-
klausel wird dabei ausgeklammert.
50
Die Maßnahme kann auch nicht von einer anderen verfassungsmäßigen Regelung „aufgefangen“
werden, da § 100h Abs. 1 Nr. 2 und § 161 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 163 S. 2 StPO keine verfassungs-
konformen Regelungen für die Quellen-TKÜ sind, was später zu zeigen sein wird vgl. § 27 ff.
51
Vgl. § 6, IV, 7.
IV. Sonderfall der „Quellen-TKÜ“ 367
Beispiel 53 Ein Chatfenster des Programms „icq“ nimmt etwa 1/5 der Bildschirm-
fläche ein. In den verbleiben 4/5 können das persönliche elektronische Tagebuch des
Betroffenen, sein Terminkalender oder andere sehr private Informationen sichtbar
sein.
Die Information über den ganzen Bildschirminhalt ist schlicht nicht erforder-
lich und die Maßnahme wäre daher unzulässig. Dieses Argument lässt sich aber
damit widerlegen, dass ein Trojaner auch mit einem eingeschränkten Funktionsum-
fang programmiert oder nicht zur Kommunikation gehörende Informationsteile im
Nachhinein gelöscht werden können.
Im Folgenden soll zunächst unterstellt werden, die h. M. träfe zu und eine Überwa-
chung des Telefonats auch durch technische Manipulation am Endgerät sei Tele-
kommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 StPO. Neben der Überwachung
selbst müsste auch die Installation der Überwachungsmittel gesetzlich geregelt sein.
Ist sie dies nicht, kann die h. M. noch so überzeugende Argumente für sich haben,
in der Praxis würde sie leer laufen. Die Maßnahme wäre nicht rechtmäßig durch-
führbar, da zwar überwacht, nicht aber installiert werden dürfte.
Wenn die Durchführung einer Überwachungsmaßnahme unter eine Norm sub-
sumiert werden kann, trifft das nicht automatisch auf alle Maßnahmen zu, die eine
solche Maßnahme ermöglichen oder unterstützen.53 Gerade bei den notwendigen
Installationen von Trojanern oder technischen Mitteln zur Quellen-TKÜ ist dies
problematisch, da das gesetzliche Leitbild von einer Ausleitung der technischen
Signale durch den Telekommunikationsdiensteanbieter ausgeht.
52
Vgl. § 23, IV, 2, Nr. 1.
53
Vgl. dazu die ausführliche Behandlung des allgemeinen Problems § 19.
368 § 23 Telekommunikationsüberwachung gemäß §§ 100a, 100b StPO
Das BVerfG hat mit dem Computergrundrecht einen weiteren Teil des allge-
meinen Persönlichkeitsrechts (bzw. nach hier vertretener Ansicht der allgemeinen
Handlungsfreiheit)54 konkretisiert. Damit wird der durch die Bedeutung des Com-
puters als Kombination aus Kommunikations- und Speichermedium veränderten
Lebenswirklichkeit Rechnung getragen. Die Menschen sind mehr und mehr auf
Computer angewiesen, um überhaupt an der modernen Gesellschaft teilhaben zu
können.55 Das Computergrundrecht war dem Gesetzgeber bei Erlass des § 100a
StPO in seiner heutigen Fassung noch nicht bekannt.56 Das heißt aber auch, dass
der Gesetzgeber solche Eingriffe nicht bei Erlass des § 100a StPO vorhergesehen
haben kann. Schon die subjektiv-historische Auslegung verbietet daher eine Instal-
lation von Trojanersoftware zur Telekommunikationsüberwachung.
Eine Installation von Überwachungstechnik am Endgerät wäre nur unter die Vor-
schrift des § 100a StPO subsumierbar, wenn sie typischerweise zur Durchführung
der Telekommunikationsüberwachung notwendig ist57 oder wenn eine solche Be-
fugnis nach dem Willen des Gesetzgebers der Norm immanent sein soll. Der Ge-
setzgeber hat in den entsprechenden Entwurfsbegründungen keine Andeutungen zur
Quellen-TKÜ gemacht. Historisch gesehen ist diese Art der Überwachung auch
nicht bedeutend. Nach historischer Auslegung lässt sich also kein Wille des Gesetz-
gebers erkennen, die Installationsmaßnahme unter § 100a StPO zu subsumieren.
Dieser Wille wird auch nicht konkludent zum Ausdruck gebracht, weil die Tele-
kommunikationsüberwachung typischerweise nicht auf solche Installationseingriffe
angewiesen ist. Denn im Standardfall läuft die Überwachung ohne zusätzliche Ein-
griffe über die Technik des Diensteanbieters ab.
Eine Auslegungsvariante, nach der die Installation eines Trojaners unter § 100a
StPO subsumiert würde, wäre außerdem als verfassungswidrig zu verwerfen, wenn
sie keine angemessene bereichsspezifische Regelung ergibt. Denn eine solche In-
stallationsmaßnahme ist kein Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis nach
Art. 10 GG. Vielmehr ist sie ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1
GG in seiner Ausprägung als Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung bzw.
Grundrecht auf Computerschutz. Zu deren verfassungskonformer Regelung ist eine
54
Vgl. § 8, II.
55
„[. . . ] früher nicht absehbare Bedeutung [. . . ] begründet aber auch neuartige Gefährdungen
der Persönlichkeit“, BVerfGE 120, 274, 303 ff.
56
Vgl. § 8, VI, 2, d).
57
Vgl. § 19, III.
IV. Sonderfall der „Quellen-TKÜ“ 369
58
BVerfGE 120, 274, 302 f. Diese Rechtsprechung mag der hier abgelehnten Ansicht des BVerfG
geschuldet sein, dass ein Computer auch in der Wohnung überwacht werden darf. Das BVerfG
kann durch die Statuierung strenger Eingriffsschranken die nach hier vertretener Ansicht vorlie-
gende Verletzung des Art. 13 Abs. 1 GG kaschieren, indem es der Sache nach die Schranken des
Art. 13 Abs. 4 GG bemüht.
59
Vgl. dazu die Anforderungen, die das BVerfG an das VSG in NRW gestellt hat, BVerfGE 120,
274, 302 f.
60
Zum Verhältnis zwischen dem Grundrecht auf Computerschutz und den Grundrechten Art. 10,
Art. 13 GG sowie dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung siehe § 8, VII, 2.
370 § 23 Telekommunikationsüberwachung gemäß §§ 100a, 100b StPO
Eine vollständige Regelung der Gesamtmaßnahme könnte sich aus einer Kombina-
tion von § 100a mit § 100h StPO ergeben. Es ist dem Wortlaut nach möglich die
Überwachung an der Quelle unter § 100a StPO und die Installation der erforderli-
chen Überwachungsgeräte oder -software unter § 100h StPO zu subsumieren. Das
Annexproblem der Geräteinstallation wäre dann gelöst. Die h. M. lehnt allerdings
einen solche Funktion des § 100h StPO entgegen dem Wortlaut ab. Der Streit um
§ 100h StPO soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.61 Es wird aber klar,
dass die Frage des Installationseingriffs ein schwerwiegendes Argument gegen die
Zulässigkeit einer Quellen-TKÜ als Gesamtmaßnahme aus Installationseingriff und
Überwachung ist, aber eine „zweite Unbekannte“ in das Problem einfügt und den
Streit um die Quellen-TKÜ nicht als entscheidendes Argument lösen kann.
e) Systematische Auslegung
Die bisherigen Argumente können keine endgültige Entscheidung über die An-
wendbarkeit des § 100a StPO auf die Quellen-TKÜ herbeiführen. Um die Proble-
matik der Quellen-TKÜ zu klären, ist entscheidend, ob sich die Maßnahme nach
systematischer und subjektiv-historischer Auslegung unter §§ 100a, 100b StPO sub-
summieren lässt.
Im mehrteiligen Regelungskonzept der Telekommunikationsüberwachung be-
zieht sich § 100b Abs. 3 StPO auf die Telekommunikationsüberwachung mit Hilfe
der Telekommunikationsdiensteanbieter. Im Gegenschluss ergibt sich daraus, dass
eine Überwachung durch Selbstvornahme an der Quelle des Endgerätes nicht ge-
setzlich vorgesehen ist. Das gilt nicht nur für die oben62 bereits abgelehnte Instal-
lation von Überwachungsmitteln, sondern auch für die rechtlich davon abtrennbare
Überwachung der Sprach- oder Informationseingabe in das Endgerät als solche.
f) Subjektiv-historische Auslegung
Das vorstehend gefundene Ergebnis der systematischen Auslegung wird durch die
Geschichte der Vorschrift bestätigt. Der Gesetzgeber hat nicht an die sog. Quellen-
TKÜ gedacht, als er die Vorschrift des § 100a StPO erlassen hat. In den Gesetzesbe-
gründungen findet sich keine Erwähnung dieser Überwachungsmethode. Historisch
gesehen war die Überwachung des Fernsprecherverkehrs mit Hilfe der Dienstean-
bieter bzw. der Staatspost die einzig durch den Gesetzgeber antizipierte Maßnahme.
61
Ein anderes, hier nicht zu entscheidendes Problem ist, dass die Regelung des § 100h StPO aber
weder die nötige Bestimmtheit aufweist, noch dass sie angemessen ist, um einen solchen Eingriff
zu tragen, vgl. unten das Ergebnis unter § 27. Die Überwachung an der Quelle scheitert daher nach
dem hier vertretenen Gesamtkonzept in jedem Fall an der fehlenden Befugnis, die entsprechenden
Gerätschaften oder Programme zu installieren.
62
Vgl. § 23, IV, 5, d).
IV. Sonderfall der „Quellen-TKÜ“ 371
g) Verfassungskonforme Auslegung
63
BTDrucks V/1880, S. 11: „In Anbetracht des nicht unerheblich in das Grundrecht des Artikels
10 GG eingreifenden Charakters der Überwachung des Fernmeldeverkehrs [. . . ]“, vgl. auch zur
Historie § 4, I, 4.1.
64
Vgl. § 5, II.
65
Der Begriff wird nur in ganz anderen Zusammenhang (E § 53b) im Rahmen eines Zitats
des BVerfG ein einziges Mal genannt, um Beweisverwertungsfragen zu erörtern, vgl. BTDrucks
16/5846, S. 36.
66
BTDrucks 16/5846, S. 1: „Die Entscheidungen vom 4. Februar 2005 – 2 BvR 308/04 – (NJW
2005, 1637, 1639 f.) und vom 2. März 2006 – 2 BvR 2099/04 – (BVerfGE 115, 166 ff.) veranlas-
sen eine Klarstellung [Hervorhebung vom Verfasser], nach welchen Rechtsvorschriften bei der
Erhebung von Verkehrsdaten von Datenträgern zu verfahren ist, wenn diese sich nach Abschluss
des Kommunikationsvorgangs nicht im Herrschaftsbereich des Telekommunikationsdienstleisters
befinden.“
372 § 23 Telekommunikationsüberwachung gemäß §§ 100a, 100b StPO
aus Art. 2 Abs. 1 GG gegeben ist, muss sich eindeutig aus dem Gesetz ergeben ob
mit § 100a StPO nur ein Eingriff in das Recht aus Art. 10 GG oder auch ein Eingriff
in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG gestattet
wird. Ist dies nicht der Fall werden die Einschüchterungseffekte, die gerade durch
die Heimlichkeit stark sind, durch eine weite Unklarheit verstärkt. Der Betroffene
kann so nicht einmal aus dem Gesetz erkennen, unter welchen Umständen er über-
wacht werden darf. Dieses Argument führt nach der hier vertretenen Konzeption
zwingend dazu, die andere Auslegungsvariante, nach der einen Quellen-TKÜ unter
§ 100a StPO gefasst werden kann, als verfassungswidrig abzulehnen.
De lege ferenda ist eine verfassungsmäßige Regelung der Quellen-TKÜ möglich.
Auch insoweit müssen strenge Schranken gelten, die denen des § 100a StPO in
ihrem Grundrechtsschutz nicht nachstehen dürfen. Eine Klarstellung in § 100a StPO
wäre ausreichend.
6. Zwischenergebnis
67
LG Hamburg MMR 2008, 186, 187; Gaede, StV 2009, S. 97; (S. 86). Jedenfalls für die hier
interessierende heimliche „Beschlagnahme“ vgl. auch Kasiske, StraFo 2010, S. 228 ff.
V. Sonderfall der E-Mail-„Beschlagnahme“ 373
c) Eigene Ansicht
Bereits bei der Erörterung des Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG wurde klar-
gestellt, dass eine E-Mail solange Teil der Fernkommunikation bleibt, bis sie vom
Server des Providers gelöscht wird. Ein Gleichlauf des Eingriffs in das Fernmelde-
geheimnis aus Art. 10 GG und der heimlichen Überwachung der Telekommunikati-
on § 100a StPO, ist verfassungsrechtlich nicht zwingend. Es liegt aber durchaus
nahe den Begriff in der Rechtsordnung einheitlich zu verwenden. Eine Sonder-
bedeutung in der StPO gegenüber dem verfassungsrechtlichen Begriff müsste mit
guten Gründen nachgewiesen werden. Der Gesetzgeber wollte aber ausweislich der
Gesetzesbegründung die Überwachung jeder Telekommunikation und nicht nur die
bestimmter Formen in §§ 100a, 100b StPO erfassen, auch den E-Mail-Verkehr.72
Es ist nicht überzeugend, aus der Zwischenspeicherung auf eine Ende der Kommu-
nikation zu schließen. Das sophistische Argument, die überwachten Daten müssten
zwingend „unterwegs“ sein, um im Sinne des § 100a StPO Telekommunikation
sein zu können, ist ungefähr so überzeugend wie die Behauptung, das an einer
Ampel wartende Auto nehme nicht am Straßenverkehr teil. Der Adressat kann die
68
BGH NJW 2009, 1828.
69
Klesczewski, ZStW 2011 S. 750.
70
vgl. weitere Argumente bei Valerius, JR 2007, S. 277.
71
Klesczewski, ZStW 2011 S. 751.
72
Vgl. BTDrucks 16/5846, S. 71, 81. Der Gesetzgeber war sich über die verschiedenen Phasen
der E-Mail-Übertragung dabei im Klaren (vgl. BTDrucks 16/5846, S. 81) und sah aber keinen
Differenzierungsbedarf auf Normenebene.
374 § 23 Telekommunikationsüberwachung gemäß §§ 100a, 100b StPO
1. Zwischenergebnis
73
Ob es sich um eine Kopie oder das „Original“ handelt ist insoweit ohne Belang, da die versende-
ten elektrischen Signale ohnehin nicht im ontologischen Sinne identisch mit den angekommenen
Signalen sind.
74
BVerfGE 124, 43, 58: „§ 94 StPO kann ohne Verfassungsverstoß als Ermächtigung auch zu
Eingriffen in Art. 10 Abs. 1 GG verstanden werden.“ In § 94 StPO ist von Gegenständen die Re-
de, die Beschlagnahme werden können. Wie dies ohne eine Analogie hinsichtlich elektronischen
Daten begrifflich möglich sein soll, bleibt unklar.
75
Vgl. dazu § 29.
§ 24 Akustische Wohnraumüberwachung,
so genannter „großer Lauschangriff“
gemäß §§ 100c, 100d StPO
Die Frage des Großen Lauschangriffs wurde lebhaft diskutiert.4 In der aktuellen
Fassung der Vorschrift hat der Gesetzgeber erstmals ausführlich den Kernbereichs-
schutz geregelt und umfangreichen Grundrechtsschutz durch Benachrichtigungs-
und Löschungspflichten bereitgestellt.
Die Diskussion hinsichtlich des „großen Lauschangriffs“ rankt sich um den be-
fürchteten Bruch „der persönlichen Intimsphäre, manifestiert in den eigenen vier
Wänden“.5 Der „große Lauschangriff“ wurde zur entscheidenden Frage erklärt, ob
Deutschland noch ein Rechtsstaat oder bereits ein Überwachungsstaat geworden
1
Das Gesetz in seiner heutigen Form geht auf das Gesetz zur Umsetzung des Urteils des BVerfG
vom 3. 3. 2004 (BVerfGE 109, 279 – akustische Wohnraumüberwachung) zurück (BGBl I, 1841)
und war somit kein Teil der großen Reform der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen von 2007. Die
Ausgestaltung des § 100c StPO nahm aber viele Punkte der späteren Reform vorweg.
2
BVerfGE 109, 279.
3
BVerfGE 109, 279, Leitsatz 2.
4
Staechelin, ZRP 1996, S. 466 ff.; Dittrich, NstZ 1998, S. 336 ff.; Momsen, ZRP 1998, S. 459 ff.;
Gusy, JuS 2004, S. 457 ff.; Haas, NJW 2004, S. 3082 ff.; Lepsius, JURA 2005, S. 433 ff.;
Leutheusser-Schnarrenberger, DuD 2005, S. 323 ff.; Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 2005,
S. 1 ff.; ebenso wie die Neuregelung des § 100c StPO Löffelmann, NJW 2005, S. 2023.
5
BVerfGE 109, 279; abweichende Meinung 391.
sei. Die Bitterkeit mit der die Diskussion geführt wurde, lässt sich nur aus der
Historie der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen erklären.6 Denn darin könnte ei-
ne Missachtung der Menschenwürde und somit ein Verstoß gegen das Gebot der
Unantastbarkeit aus Art. 1 Abs. 1 GG liegen.7 Das BVerfG erklärte die damalige
Fassung des § 100c StPO wegen Missachtung der Menschenwürde für nichtig.
2. Kernbereichsschutzkonzept?
Das BVerfG hatte in seinem Urteil zum „großen Lauschangriff“ § 100c StPO a.
F. und diverse andere Vorschriften in der StPO für verfassungswidrig erklärt, weil
es Art. 13 Abs. 3 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als verletzt erkannte. In der aktuel-
len Fassung der Vorschrift hat der Gesetzgeber auf die Monita des BVerfG hin
erstmals den Kernbereichsschutz geregelt und umfangreichen Grundrechtsschutz
durch Benachrichtigungs- und Löschpflichten bereitgestellt. Grundsätzlich ist die
Regelung der akustischen Wohnraumüberwachung verfassungsgemäß.
Ein Raum, in dem sich über dauernd Menschen aufhalten, ist nicht in jedem Fall
mit dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gleichzusetzen. Die Auslegung
der Rechtsbegriffe orientiert sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Daher
gehören nach verfassungskonformer Auslegung nur die oben genannten Betriebs
und Geschäftsräume nicht zur Wohnung im Sinne des § 100c Abs. 1 StPO, die dem
Publikumsverkehr geöffnet sind.8 Andere Betriebs- und Geschäftsräume, in denen
nur bestimmte Personen nach individueller Prüfung eingelassen werden, gehören
zum Wohnungsbegriff im Sinne des § 100c StPO.
6
Vgl. § 4, II, 3.
7
BVerfGE 109, 279; abweichende Meinung 391.
8
Vgl. § 8, VII, 1, b), dd).
II. Eingriff in das Recht aus Art. 13 Abs. 1 GG 377
Mit § 100c StPO wird der Eingriff in den Schutzbereich des Rechts aus Art. 13 GG
gestattet. Dieser Eingriff muss die besonderen Schranken des Art. 13 Abs. 3 GG
beachten.
9
Nack in: KK 6 , § 100c StPO, Rdn. 4; BGH NJW 1997, 2189; BGHSt 44, 13.
10
Vgl. § 8, VII, 3, b).
11
Vgl. § 6.
12
Vgl. § 9, I, 9.
13
Vgl. § 34.
378 § 24 Akustische Wohnraumüberwachung, so genannter „großer Lauschangriff“
Die Infiltration und Ausspähung eines Computers ist grundsätzlich keine akusti-
sche Wohnraumüberwachung.14 Zwar kann sich der Computer in der Wohnung
befinden, doch ist das Ausspähen über die Internetverbindung ein Eingriff in das
neue Computergrundrecht, solange nur das „Innere“ des Computers und nicht über
dessen Peripheriegeräte der Wohnraum ausgespäht wird. Das Gleiche ist für die
unvermeidbare Aufnahme von Raumgeräuschen bei der Telekommunikationsüber-
wachung anerkannt.
Eine Online-Durchsuchung kann entgegen der Rechtsprechung des BVerfG in
den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG eingreifen.15 Mangels ausdrücklicher
Regelung umfasst § 100c StPO diese Art der Überwachung aber nur, wenn aus-
schließlich der Wohnraum über die Manipulation eines Peripheriegerätes akustisch
überwacht würde. Die Vorschrift schreibt die Art der Installation von Abhörgeräten
nicht vor.
2. Bestimmtheit
Die Regelung der Tatschwere im Einzelfall ist wie die anderen Regelungen unbe-
stimmt. Zwar besteht insofern ein Unterschied, weil der Katalog des § 100c Abs. 2
StPO wesentlich restriktiver als der weite Katalog des § 100a StPO ist. Dennoch än-
dert dies nichts daran, dass die Frage, unter welchen Umständen die Tat nach § 100c
Abs. 1 Nr. 2 StPO im Einzelfall schwer wiegt, mehrdeutig und nicht objektiv zu klä-
ren ist. § 100c StPO ist daher wegen dieser Unbestimmtheit verfassungswidrig.
14
Schlegel, GA 2007, S. 648.
15
Vgl. § 8, VII, 2, e).
16
Vgl. dazu die Ausführungen zur allgemeinen Annexkompetenzregel unter § 19, III.
IV. Zwischenergebnis 379
3. Verhältnismäßigkeit
Wegen der Unbestimmtheit der Regelung ist die Verhältnismäßigkeit nur hilfswei-
se zu erörtern. Insoweit bestehen allerdings keine Bedenken, da die Regelung über
eine Subsidiaritätsklausel zur Gewährleistung der Erforderlichkeit und einen quali-
fizierten Richtervorbehalt nach § 100d StPO verfügt.
IV. Zwischenergebnis
Durch eine Maßnahme nach § 100f StPO kann Einblick in den absolut geschützten
Kernbereich der privaten Lebensgestaltung genommen werden:
Beispiel 54 Der Verdächtige tauscht auf einer Parkbank Zärtlichkeiten mit seiner
Geliebten aus und macht ihre einen Heiratsantrag, den sie ablehnt. Die Polizei über-
wacht das Gespräch mittels Richtmikrofon und nimmt es mit einem Speichergerät
auf.
1
Meyer-Goßner, StPO54 , § 100f Rdn. 1.
2
BGHSt 50, 206.
2. Kernbereichsschutzkonzept?
§ 100f StPO unterscheidet sich nur hinsichtlich des Kernbereichsschutzes von der
Regelung des § 100a StPO. Die unterschiedlichen Anforderungen in §§ 100a und
100f StPO müssten sich begründen lassen, damit das Fehlen eines Kernbereichs-
schutzkonzeptes die Norm nicht verfassungswidrig werden lässt, weil sie eine Miss-
achtung der Menschenwürde durch die entsprechend Maßnahme zulässt.
Dass Kernbereichsschutz nur bei der Telefonüberwachung und nicht bei ei-
nem „Vier-Augen-Gespräch“ erforderlich ist, lässt sich nicht mit der „besonderen
Schutzbedürftigkeit“ der Telekommunikationsübertragung im Kontrollbereich Drit-
ter3 erklären. Mit der „besonderen Schutzbedürftigkeit“ ist aber nur gemeint, dass
ein der Kommunikationsart angepasster spezifischer Schutz zu gewähren ist. Dass
andere Grundrechte weniger gut geschützt werden dürfen, ist damit nicht gesagt.
Das Konzept des Kernbereichsschutzes ist nicht durch die speziellen Gefahren
der Telekommunikation bedingt. Der Kernbereichsschutz wurde gerade entwi-
ckelt, um die Intimsphäre und damit die Menschenwürde zu schützen.4 Ohne
ein entsprechendes Schutzkonzept gestattet § 100f StPO auch Aufnahmen inti-
mer Verhaltensäußerungen und verletzt so selbst den Anspruch auf Achtung der
Menschenwürde.
Zudem wäre unverständlich, warum man beim Telefonieren mit einer anderen
Person besser geschützt wäre, als wenn man unterwegs vertrauliche Informationen
in den eigenen Laptop eingibt.5 Es kann auch keinen Unterschied machen, wenn
kernbereichsrelevante Inhalte etwa in einem Selbstgespräch geäußert oder einer ver-
trauten Person auf der Parkbank mitgeteilt werden.6
Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem persönlichen Gespräch unter Anwesen-
den kernbereichsrelevante Inhalte geäußert werden, ist sogar größer als bei einem
Telefongespräch. Bei Letzterem kann sich der Äußernde nicht sicher sein, dass sein
Gesprächspartner nicht andere Personen mithören lässt. Nach dem obigen Kon-
zept der Überwindung natürlicher Sicherheitsschranken7 wäre die Überwachung
des Betroffenen nach § 100f StPO sogar belastender als die Überwachung eines
vergleichbaren Telefonats. Damit ist auch die Gefahr, kernbereichsrelevante Inhalte
aufzunehmen, bei akustischer Personenobservation nicht geringer als bei Telekom-
munikation. Die akustische Überwachung einer Person ist daher mangels Schutz-
konzeptes verfassungswidrig. Die Differenzierungen zwischen § 100f und § 100a
StPO im Kernbereichsschutz sind verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.
3
Vgl. zur Schutzbedürftigkeit BVerfGE 124, 43, 56.
4
BVerfGE 6, 32.
5
Auch die h. M. geht insoweit von einer Vergleichbarkeit der Maßnahmen aus, ohne aber den
fehlenden Kernbereichsschutz zu monieren vgl. Meyer-Goßner, StPO54 , § 100f Rdn. 2.
6
Immerhin hat der Betroffene das „forum internum“ als Ursprung des Kernbereichs sicher verlas-
sen, wenn er mit einer anderen Person spricht. Diktiert er seinem Computer per Spracherkennung
ein Tagebuch, ist dies zweifelhaft. Das ist aber kein entscheidendes Gegenargument, da der Kern-
bereichsschutz auch für soziale Interaktion gilt. Siehe § 15.
7
Vgl. § 9.
II. Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 383
Wenn eine Person bei der Eingabe von Daten oder beim Empfangen von Telekom-
munikationsignalen mit einem informationsverarbeitenden Endgerät8 außerhalb ei-
ner Wohnung belauscht wird, kann die eigentliche Observation unter § 100f StPO
subsumiert werden.
1. Bestimmtheit
Weil keine Unterschiede bestehen, gelten die zu § 100a StPO9 gefundenen Er-
gebnisse entsprechend auch für § 100f StPO. Die Anlasstatenregelung ist danach
unbestimmt und verfassungswidrig.
8
Jedes aktuelle Telefon und jeder Computer.
9
Vgl. § 27, II, 3.
384 § 25 Akustische Überwachung außerhalb von Wohnungen gemäß § 100f StPO
2. Verhältnismäßigkeit
IV. Zwischenergebnis
§ 100g StPO erlaubt die Erhebung von Verkehrsdaten. Damit sind insbesondere1 die
Daten gemeint, mit welchen bestimmt werden kann, mit welchem Anschluss, wann,
mit wem, wie lange telefoniert wurde. Die zugehörigen Personenbezüge zu den
technischen Daten ergeben sich über die beim Telekommunikationsdiensteanbieter
gespeicherten Angaben der Anschlussinhaber. Ob diese Angaben zutreffen oder ob
der eingetragene Inhaber tatsächlich den Anschluss genutzt hat, kann letztlich nur
durch einen Zugriff auf die Inhalte der Kommunikation oder die Beobachtung des
Betroffenen verifiziert werden. Dies erlaubt § 100g StPO allerdings nicht, sondern
nur § 100a StPO oder andere Vorschriften. Es kann also nicht direkt aus diesen Da-
ten geschlossen werden, wer mit wem, wie lange telefoniert oder sonst elektronisch
kommuniziert hat. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht allerdings dafür, dass
der eingetragene Inhaber den Anschluss auch genutzt hat. Nach § 100g StPO dür-
fen diese Daten erhoben werden, wenn der Verdacht begründet ist, dass eine Straftat
von erheblicher Bedeutung, insbesondere eine Tat nach § 100a Abs. 2 StPO oder
eine Tat mittels Telekommunikation begangen wurde. Für letztere Fallgrupppe ist
allerdings keine Erhebung der Daten in Echtzeit zulässig. Um die Erhebung von
Daten aus der Vergangenheit zu sichern, sah § 100g StPO vor, dass auf Daten aus
der Vorratsdatenspeicherung zugegriffen werden konnte. Die Diensteanbieter wa-
ren nach § 113a TKG verpflichtet, Verkehrsdaten 6 Monate auf Vorrat zu speichern.
Dieser Teil der Regelung wurde vom BVerfG allerdings für nichtig erklärt.2 § 100g
StPO ist aber nach wie vor auf gespeicherte Daten anwendbar, sofern diese etwa
zu Abrechnungszwecken bei den Diensteanbietern gespeichert wurden. An der Be-
fugnis zur Echtzeitüberwachung hat sich ebenfalls nichts geändert.3 Die weiteren
1
Das Wort „Verkehrsdaten“ ist in § 3 Nr. 30 TKG legal definiert: „Verkehrsdaten sind solche
Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder ge-
nutzt werden.“ Für die vollständige Auflistung der Verkehrsdaten, die der Erhebung nach § 100g
StPO unterliegen, sei auf die 2007 reformierten §§ 113a, 96 TKG und die obige Darstellung im
verfassungsrechtlichen Teil verwiesen.
2
BVerfGE 125, 260.
3
Vgl. Graulich, NVwZ 2008, S. 485; Meyer-Goßner, StPO54 , § 100g Rdn. 2 ff. Verkehrsdaten
können auch durch die Versendung von „Stillen-SMS“ gewonnen werden, diese Maßnahme ist
Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist durch § 100g StPO selbst nicht
berührt, da die Verkehrsdaten als bloß technische Informationen keinen Einblick in
den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ermöglichen. Eine am Ende dieses
Teils der Arbeit zu klärende Frage ist, ob diese Daten als Bestandteil einer Rundu-
müberwachung dennoch die Menschenwürde verletzen können.4
2. Kernbereichsschutzkonzept?
§ 100g StPO greift in die Rechte des Betroffenen aus Art. 10 GG ein. Dies trifft
auf die Abfrage der Daten sowie auf ihre Speicherung und weitere Verwertung zu.
Auch die nunmehr durch das BVerfG in der bisherigen Form für verfassungswidrig
erklärte Vorratsdatenspeicherung ist ein solcher Eingriff. Auf das subsidiäre Grund-
recht auf Freiheit von Einschüchterung kommt es nicht an. Wie oben dargelegt, sind
auch die sog. Verkehrs- oder Verbindungsdaten der Telekommunikation vom Tele-
kommunikationsgeheimnis umfasst.6
aber durch die Maßnahme der Echtzeitüberwachung obsolet und unzulässig. § 100g Abs. 1 a.
E. StPO ist insoweit abschließende Spezialregelung. Die Vorschrift gestattet eine Echtzeitabfrage
der Verkehrsdaten (insbesondere des Standorts des mobilen Endgeräts) nur für die Verfolgung
der schweren Straftaten gemäß § 100g Abs. 1 Nr. 1 StPO. Das Versenden von Stillen-SMS zu
Verkehrsdatengenerierung ist eine unzulässige Umgehung der Anforderungen dieser Norm. Vgl.
dazu auch Töpel, S. 267.
4
Vgl. § 35.
5
Vgl. § 35 ff.
6
Vgl. § 8.
III. Verfassungswidrigkeit aus im Urteil des BVerfG nicht genannten Gründen 387
Die Regelung des § 100g StPO wurde durch das BVerfG wegen der teilweisen Un-
verhältnismäßigkeit der Regelung in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung für
teilnichtig erklärt.7 § 100g StPO hielt einer grundrechtlichen Überprüfung eben-
so wenig stand wie die betroffenen Hilfsvorschriften in §§ 113a, b TKG. Verboten
ist dadurch nur die Vorratsdatenspeicherung und deren Verwertung. Das Speichern
von Verkehrsdaten ist, wie das Urteil darstellt, nach wie vor grundsätzlich erlaubt.
Dies betrifft zum Beispiel technische bzw. Abrechnungszwecke der Telekommuni-
kationsdiensteanbieter. Nach Nr. 2 des Urteilstenors vom 2.3.2010 (1 BvR 256/08
u. a. BGBl. I S. 272) gilt nun Folgendes:
„§ 100g Absatz 1 Satz 1 der Strafprozessordnung in der Fassung des Artikel 1 Nummer
11 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer ver-
deckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.
Dezember 2007 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 3198) verstößt, soweit danach Verkehrsda-
ten nach § 113a des Telekommunikationsgesetzes erhoben werden dürfen, gegen Artikel 10
Absatz 1 des Grundgesetzes und ist insoweit nichtig.“
Eine mögliche Neuregelung der Vorschrift des § 100g StPO wäre nach dem BVerfG
mit geänderten Anforderungen zur Vorratsspeicherung de lege ferenda zulässig.
Fraglich ist dabei, ob die Struktur der Vorschrift ansonsten wie bisher beibehalten
werden könnte.
Während § 100a StPO noch einen Anlasstatenkatalog benennt, ist dies bei § 100g
StPO nicht der Fall. Die Vorschrift nimmt den Katalog des § 100a StPO nur als Re-
gelbeispiel. Abschließendes Merkmal ist die Straftat von „erheblicher Bedeutung“.
in Bezug auf die Daten aus der Vorratsdatenspeicherung hat das BVerfG § 100g
Abs. 1 StPO insoweit bereits wegen der Unbestimmtheit für verfassungswidrig und
teilnichtig erklärt:
7
BVerfGE 125, 260.
388 § 26 Verkehrsdatenerhebung gemäß § 100g StPO
„Schon § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO stellt nicht sicher, dass allgemein und auch im
Einzelfall nur schwerwiegende Straftaten Anlass für eine Erhebung der entsprechenden
Daten sein dürfen, sondern lässt – unabhängig von einem abschließenden Katalog – gene-
rell Straftaten von erheblicher Bedeutung genügen. Erst recht bleibt § 100g Abs. 1 Satz 1
Nr. 2, Satz 2 StPO hinter den verfassungsrechtlichen Maßgaben zurück, indem er unabhän-
gig von deren Schwere jede mittels Telekommunikation begangene Straftat nach Maßgabe
einer allgemeinen Abwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung als möglichen
Auslöser einer Datenabfrage ausreichen lässt.“8
Die gleiche Argumentation muss für die Abfrage von Daten gelten, die zu techni-
schen Zwecken oder zur Abrechnung gespeichert oder in Echtzeit erhoben werden.
Dieses Merkmal ist daher – wie auch oben bereits allgemein festgestellt – unbe-
stimmt und kann auch durch Auslegung nicht gefestigt werden.9 Daher ist § 100g
StPO insoweit ebenfalls verfassungswidrig.
8
BVerfGE 125, 250, 352.
9
Vgl. § 13, IV.
10
§ 100b StPO ist insoweit bereits für die Regelung der Telekommunikationsüberwachung nach
§ 100a StPO hinsichtlich der Normenklarheit bedenklich, allerdings ist der Zusammenhang durch
leichter zu durchschauen, da §§ 100a und 100b StPO direkt zusammenhängen.
III. Verfassungswidrigkeit aus im Urteil des BVerfG nicht genannten Gründen 389
11
Aus der komplizierten Abstimmung zwischen § 100g StPO und § 7 TKÜV ergibt sich ein weite-
res Spezialproblem. § 100g erlaubt das Erheben von Standortdaten in Echtzeit im Falle des § 100g
Abs. 1 Nr. 1 a. E. im Gegenschluss. In der Vorgängerregelung des § 100g StPO a. F. war die Date-
nerhebung zudem generell nur im Falle einer Verbindung zulässig, also nicht im Standby-Betrieb.
BTDrucks 14/1448: „rechtlich unbedenklich“, vgl. auch Töpel, S. 31 und Eisenberg/Singelnstein,
NStZ 2005.
12
Vgl. Meyer-Goßner, StPO54 , § 100g Rdn. 5.
13
Gesetz über den Datenschutz bei Telediensten, Kurztitel: Teledienstedatenschutzgesetz.
14
BTDrucks 16/6979; S. 70; Urteil des LG Offenburg vom 17.04.2008, Az.: 3 Qs 83/07.
15
Vgl. zur Generalklausel § 34.
390 § 26 Verkehrsdatenerhebung gemäß § 100g StPO
3. Zusammenfassung
Ein reformierter § 100g StPO muss die Begrenzung des Zugriffs auf Vorratsda-
ten aus zwingenden Gründen der Normenklarheit selbst enthalten oder wenigstens
klarstellen, dass die in Bezug genommene Regelung des TKG die Vorratsdaten-
speicherung regelt. Die Regelung der Umstände der Übertragungspflicht darf nicht
auf den Verordnungsgeber delegiert werden, sondern muss sich bereits aus einem
Parlamentsgesetz ergeben.
16
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspei-
cherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommu-
nikationsdienste erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG
(Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie oder Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung).
17
Vgl. Kindt, MMR 2009, S. 661 ff. m. w. N.
IV. Pflicht zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung 391
ortdaten sowohl von juristischen als auch von natürlichen Personen sowie für alle damit in
Zusammenhang stehenden Daten, die zur Feststellung des Teilnehmers oder registrierten
Benutzers erforderlich sind. Sie gilt nicht für den Inhalt elektronischer Nachrichtenüber-
mittlungen einschließlich solcher Informationen, die mit Hilfe eines elektronischen Kom-
munikationsnetzes abgerufen werden.“
18
heise online, 14.03.2005.
19
heise online, 14.03.2005.
20
Süddeutsche Zeitung, 20.12.2007.
21
„Vorratsdatenspeicherung – Die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten“, WeltOnline,
15.12.2009; stattgegeben am 11.03.2010 durch BVerfGE 125, 260.
22
Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 2007, S. 9 ff.
392 § 26 Verkehrsdatenerhebung gemäß § 100g StPO
Die Republik Irland hatte vor dem EuGH gegen die Richtlinie 2006/24/EG ge-
klagt, die auch der reformierten deutschen Regelung der Vorratsdatenspeicherung
in §§ 113a, 113b TKG zugrunde liegt. Auf dieser Regelung baut wiederum der
nunmehr teilnichtige § 100g StPO auf, soweit es um die Erhebung von Verkehrs-
daten aus der Vergangenheit geht. Irland monierte, die Richtlinie regele die Straf-
verfolgung und diese gehöre in die Kompetenz der Nationalstaaten, die sich im
Ministerrat der EU in einem entsprechenden Rahmenbeschluss einigen könnten.
Die EU-Kommission hatte dagegen den Weg über eine Richtlinie eingeschlagen und
die Vorratsdatenspeicherung somit als Instrument zur Binnenmarktharmonisierung
ausgegeben. Im Gesetzgebungsverfahren hatte daher auch das Europaparlament
23
Wolff , NVwZ 2010, S. 751.
24
BVerfGE 125, 260.
25
Das BVerfG hat in den Solange-I (BVerfGE 37, 271 ff.) Solange-II (BVerfGE 73, 339 ff.) wie
folgt entschieden: „Verfassungsbeschwerden und Vorlagen von Gerichten, die eine Verletzung in
Grundrechten des Grundgesetzes durch sekundäres Gemeinschaftsrecht geltend machen, sind von
vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass die europäische Rechtsentwick-
lung einschließlich der Rechtsprechung des EuGH nach Ergehen der Solange-II-Entscheidung
unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken sei“, BVerfG, Az. 2 BvL 1/97; BVerf-
GE 102, 147. Im Anschluss an diese Begründungen erklärte sich auch das BVerfG nur für insoweit
kompetent innerhalb des Umsetzungsspielraums der Richtlinie deren Umsetzung (§ 113a TKG)
auf Grundrechtsverletzungen zu prüfen, BVerfGE 125, 260, 307 f.
26
Zu dieser Gefahr jedenfalls für die Rolle des BVerfG vgl. Wolff , NVwZ 2010, S. 751 f., von
dem der Begriff übernommen wurde.
IV. Pflicht zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung 393
27
heise online 2006. Dazu auch Wiesehahn, S. 133 ff.
28
Pressemitteilung Nr. 11/09 10. Februar 2009 Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache
C-301/0, vgl. auch Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 10. Februar 2009 – Ir-
land/Europäisches Parlament, Rat der Europäischen Union, Rechtssache C-301/06 Abs. 84 ff.
29
Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 10. Februar 2009 – Irland/Europäisches Parla-
ment, Rat der Europäischen Union, Rechtssache C-301/06.
30
Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Frage nach der Richtlinienkompetenz aber durchaus rele-
vant, da sich Fälle einer kompetenzwidrigen Richtlinie, die unzulässig auf das Strafprozessrecht
übergreift, auch in Zukunft wiederholen können. Nach hier vertretener Auffassung ist die Richt-
linie entgegen der Ansicht des EuGH kompetenzwidrig erlassen worden: 1. Die Gründung auf
die Marktharmonisierungskompetenz ist vorgeschoben. Es besteht keine Notwendigkeit für eine
Angleichung der Regelungen, da Telekommunikationsunternehmen keine Waren- oder Dienstleis-
tungen exportieren. Wollen sie im Ausland Dienste anbieten, müssen sie dort Infrastruktur schaffen
oder mieten. Es ist nicht einzusehen, warum sie dort die Regeln des Heimatlandes vorfinden kön-
nen sollen. In Deutschland gilt auch kein spanisches Baurecht. 2. Selbst wenn die Argumentation
des EuGH zutrifft, geht die Richtlinie zu weit. Sie gibt als Verwendungszweck die Vorratsdaten-
speicherung zu strafprozessualen Zwecken an. Diesen Zweck durfte die EU aber jedenfalls nicht
im Mitentscheidungsverfahren verfolgen.
31
Vgl. § 26, IV, 1, a).
394 § 26 Verkehrsdatenerhebung gemäß § 100g StPO
rechts eingeengt werden können. Dies ist allerdings für das Prinzip der Gewaltentei-
lung und auch für das Demokratieprinzip problematisch. Insbesondere ist das dann
der Fall, wenn das BVerfG quasi von der anderen Seite den Umsetzungsspielraum
durch Restriktionen beschränkt. Die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie zwingt aber
keineswegs dazu, strafprozessuale Regelungen zu schaffen, welche die Vorratsda-
tenspeicherung auch ausnutzten. Denn wenn man die Richtlinie ernst nimmt, soll
sie zur Harmonisierung des Binnenmarktes für Telekommunikationsdiensteanbieter
unter Beachtung des Datenschutzes dienen.
Diese Ziele werden auch verwirklicht, wenn Daten erhoben und gespeichert,
jedoch nicht von Strafverfolgungsbehörden abgerufen werden. Argumentiert man
dagegen, dass bei tatsächlicher Nutzung der Vorratsdaten durch die Ermittlungsbe-
hörden ein größerer Aufwand bei den betroffenen Diensteanbietern im Inland als
in anderen Staaten entsteht, in denen keine Vorratsdaten abgerufen werden, ist dies
nicht überzeugend. Die Richtlinie selbst soll nur die Vorratsdatenspeicherung und
nicht die weitere Verwendung der Daten regeln.
Abgesehen davon kann zur Harmonisierung der wirtschaftlichen Bedingungen
der Telekommunikationsdiensteanbieter monatlich ein bestimmter Referenzsatz un-
sinniger Datenabrufe getätigt werden. Diese Daten würden nicht zu den Strafverfol-
gungsbehörden weitergeleitet, sondern müssten vernichtet werden. Die wirtschaft-
liche Gleichbehandlung wäre gesichert. Es ist zu erwarten, dass diese etwas gewagt
erscheinende Argumentation als „absurd“ zurückgewiesen wird. Dem ist zu entgeg-
nen, dass diese Argumentation schlicht den EU-Gesetzgeber ernst nimmt. Handelt
es sich tatsächlich – wie in der Richtlinie behauptet – um eine Harmonisierungs-
kompetenz in wirtschaftlichen Binnenmarktangelegenheiten und eine Modernisie-
rung der Datenschutzrichtlinie, besteht keine Pflicht, strafprozessuale Befugnisse
auf nationaler Ebene zur regeln.
V. Zwischenergebnis
Nach § 100h StPO dürfen Observationen mit technischen Mitteln durchgeführt wer-
den. Eindeutig erfasst ist von der Vorschrift das Anfertigen von Bildaufnahmen.
Daneben ist auch die sonstige Observation mit technischen Mitteln geregelt. Gera-
de der letztgenannte Teil macht die Norm zu einer Generalklausel für technische
verdeckte Ermittlungsmaßnahmen. Eine Grenze erfährt der Regelungsbereich nur
durch die speziellen Standardmaßnahmen (§§ 98a, 99, 100a ff. StPO) die insoweit
verdrängend wirken.
1
Die zeitliche Begrenzung ergibt sich mittels systematischer Auslegung im Vergleich zu § 163f
StPO.
2
Vgl. § 8.
Beispiel 57 Der Ehemann der Y ist getötet worden. In diesem Fall kann ein Liebes-
verhältnis zwischen dem Fremden X und Y ein Motiv des X bestätigen. Ein Foto
des Betroffenen X, wie er Zärtlichkeiten mit seiner Geliebten Y an einem einsamen
Ort in der Natur austauscht, wäre ein belastendes Indiz und zugleich ein Eingriff in
den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.
b) Kernbereichsschutzkonzept?
Das Restrisiko, durch die Maßnahme nach § 100 h Abs. 1 Nr. 1 StPO in den Kern-
bereich der privaten Lebensgestaltung einzudringen, kann durch die zweistufige
Schutzkonzeption des BVerfG weiter begrenzt werden. Dies kann ohne Behinde-
rung der Effektivität der Ermittlungsmaßnahmen geschehen. Ein Aufnahmeverbot
im Vorfeld sowie eine nachträgliche Löschungspflicht und ein Beweisverwertungs-
verbot würden den Schutz komplettieren. Die Gefahr, kernbereichsrelevante In-
formationen zu erheben und zu verwerten, ist zwar geringer als bei Maßnahmen
nach § 100c StPO. Für den Vergleich zu anderen Maßnahmen sind Unterschie-
de in der Kernbereichsbetroffenheit aber eher zufällig als berechenbar. Außerdem
können mehrere der Maßnahmen kombiniert werden, so dass die Gefahr einer Kern-
bereichsbetroffenheit durch Kumulation der Überwachungsarten steigt.3
Beispiel 58 Wegen einer konkreten Äußerung wird die Prognose gestellt, dass das
erwartete Verhalten im Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung liegt. Des-
wegen wird davon abgesehen, das Verhalten zu filmen oder zu fotografieren. Im
Nachhinein stellt sich jedoch heraus, dass der Betroffene mit seinen Bezugsper-
sonen einen Sprach-Code vereinbart hat, nach dem kernbereichsrelevante Wörter
lediglich bestimmte Umstände des Drogenhandels verklausulieren.
3
Vgl. zur Belastungserhöhung durch mehrere Maßnahmen, Kirchhof , S. 732 ff. und ausführlich
§ 35.
I. Bildaufnahmen nach § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO 397
In solchen Fällen könnte zunächst die mildere Form der Überwachung ohne je-
des technische Mittel gewählt werden, um sicherzustellen, dass es sich tatsächlich
um kernbereichsrelevantes Verhalten handelt. Bestätigt sich dies für den Anfang des
Verhaltens, ist auch diese Überwachung mit „unbewaffnetem“ Auge abzubrechen.
Bestätigt sich das nicht, können die Bildaufnahmen fortgesetzt werden. Für die-
se abgestufte Vorgehensweise fehlt aber gerade eine Regelung. Die Regelung des
§ 100 h Abs. 1 Nr. 1 StPO ist daher verfassungswidrig.
4
So aber speziell für verdeckte strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen Beulke, Rdn. 472 ff.
Danach wäre zu ermitteln, ob die Verwertung etwa auf Grundlage der Abwägungslehre oder der
anderen vertretenen Ansätzen verwertbar wäre, Meyer-Goßner, StPO54 , Einl. Rdn. 55a m. w. N.
Zu den hier gegenständlichen Bildaufnahmen schreibt Beulke, Rdn. 474: „Sofern die sehr weiten
Eingriffsvoraussetzungen nicht gegeben sind, greift insoweit ein Verwertungsverbot ein. [. . . ] ent-
hält die StPO keine Regelung, dh. es gelten die allgemeinen Grundsätze. Insbes. kommt es dann
also auf eine Abwägung zwischen Intensität des Eingriffs in die Privatsphäre einerseits und den
Strafverfolgungsinteressen andererseits an.“
5
BTDrucks 16/5846, S. 24.
6
Meyer-Goßner, StPO54 , Einl Rdn. 55a: „Auf allgemein verbindliche Regeln, unter welchen Vor-
aussetzungen ein solches Verbot besteht, haben sich Rspr. und Lehre bisher noch nicht einigen
können.“; Vgl. auch zu verdeckten Maßnahmen speziell Jäger, Beweisverwertung und Beweis-
verwertungsverbote im Strafprozess, S. 131 f.
398 § 27 Einsatz technischer Observationsmittel gemäß § 100h StPO
prozessualen Probleme, der „von einer Klärung weit entfernt“ ist. Eine allgemeine
Regel konnte nicht entwickelt werden.7 Aus diesen Gründen ist ein Verzicht auf
Kernbereichsschutzklauseln verfassungsrechtlich ebenso unzulässig wie die unvoll-
ständige Regelung der Erforderlichkeit. § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO ist damit verfas-
sungswidrig.
Die Maßnahmen nach § 100h StPO greifen in das Grundrecht auf Freiheit von
Einschüchterung ein, da sich Menschen auch außerhalb von Wohnungen, Telekom-
munikation und Gesprächen unter Anwesenden so verhalten, dass sie dabei nicht
beobachtet werden wollen und auch begründeten Anlass haben, dass natürliche Si-
cherungen sie davor schützen.
Der Eingriff ist gerechtfertigt, wenn die Regelungen des § 100h StPO bestimmt sind
und darüber hinaus nur verhältnismäßige Maßnahmen gestatten.
a) Bestimmtheit
Bildaufnahmen sind nach § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO für jede Anlasstat und in allen
Lebenssituationen des Betroffenen gerechtfertigt. Diese Regelung ist eindeutig und
bestimmt.
7
Beulke, Rdn. 457, vgl. zu den Ansätzen auch Jäger, Beweisverwertung und Beweisverwertungs-
verbote im Strafprozess, S. 131 ff. Daher liegt nahe, dass der Gesetzgeber die Beweisverwer-
tungsfrage trotz seines Schweigens offen lassen wollte. Ausdrücklich geregelt hat er sie jedenfalls
nicht. Bei Fehlen einer dem Gesetzgeber unbewussten Lücke ist auch keine Analogie zulässig.
Wenn keine subsidiären gesetzlichen Regelungen bestehen, dürfen nach dem hier vorausgesetzten
Methodenverständnis Gerichte und Rechtswissenschaftler nicht ihre eigenen „sachgerechteren“
subsidiären oder speziellen Regeln schaffen. Dies gilt jedenfalls für die vom Gesetzgeber teilweise
geregelte Unverwertbarkeit von Erkenntnissen aus dem Kernbereich. Deren Fehlen bei einzelnen
Vorschriften der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ist daher verfassungswid-
rig.
I. Bildaufnahmen nach § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO 399
b) Verhältnismäßigkeit
aa) Geeignetheit
bb) Erforderlichkeit
Nach dem oben vorgestellten Grundmodell8 ist eine Subsidiaritätsklausel ein ge-
eignetes Tatbestandsmerkmal, um die Anforderungen verfassungsrechtlicher Er-
forderlichkeit einfachgesetzlich umzusetzen. In § 100h ist aber insoweit nur die
Einschränkung enthalten, dass sich die Maßnahme in der Regel gegen Beschuldigte
richten muss und nur subsidiär gegen Nichtbeschuldigte. Dass die Maßnahme als
solche nur dann angewendet werden darf, wenn entsprechende offene Maßnahmen
erheblich weniger effektiv wären, ist nicht im Gesetz festgehalten. Ob der Verzicht
auf eine solche Regelung der Subsidiarität der Maßnahme bei der Überwachung des
Beschuldigten gegen die Anforderungen der Erforderlichkeit verstößt, ist unklar.
Nach § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO können von jedem Beschuldigten Bildaufnah-
men hergestellt werden. Da sich gegen den Beschuldigten bereits ein konkretisierter
Verdacht ergeben muss, könnte das Minus an Subsidiarität durch ein Plus an Ver-
dachtswahrscheinlichkeit aufgewogen werden. Ein Erfahrungssatz, nach dem es
stets erforderlich ist, einen Beschuldigten zu fotografieren oder zu filmen, lässt sich
nicht finden. Diese Art der Überwachung ist nicht in jedem Fall eine unerhebliche
Belastung. Insbesondere wenn privates Verhalten abgebildet wird, ist sogar eine Be-
troffenheit des Kernbereichs möglich. Auch hier hätte eine Erforderlichkeitsklausel
die Erforderlichkeit regeln müssen. Die Abstufung zwischen Beschuldigtem und
Nichtbeschuldigtem ist nicht ausreichend. Die Regelung ist daher mangels Subsi-
diaritätsklausel unverhältnismäßig und verfassungswidrig.9
cc) Angemessenheit
8
Vgl. § 11, I.
9
Die Geltung einer Lückenfüllenden Verhältnismäßigkeitsklausel in der StPO wurde oben abge-
lehnt, vgl. § 20, III, 5.
400 § 27 Einsatz technischer Observationsmittel gemäß § 100h StPO
müsste eine Bagatellgrenze eingeführt werden, die aber weit unterhalb der Schwere
der Anlasstaten – etwa bei § 100a StPO – liegen können.10
Die Regelung des § 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO stellt eine subsidiäre Generalklausel für
die Observation mit anderen technischen Mitteln als Bildaufnahmen dar. Sie deckt
aber nicht den gesamten Bereich der unspezifischen verdeckten strafprozessualen
Ermittlungsmaßnahmen ab, da verdecktes Vorgehen und Überwachen auch durch
Maßnahmen der direkten Sinneswahrnehmung möglich sind. Anerkannte Fallgrup-
pen der technischen Überwachungsmittel sind: Alarmkoffer, Bewegungsmelder,
Nachtsichtgeräte, Peilsender, GPS-Systeme.11
1. Trojaner-Installation im Anwendungsbereich?
Nach dem Wortlaut der Norm lässt sich auch die Überwachung von Computern
mittels Trojanern unter diese Vorschrift subsumieren, die keine Bild und Tonaufnah-
men anfertigen, sondern die zugehörigen Daten kopieren und an die Ermittlungs-
behörden senden. Dabei geht es in erster Linie um die Überwachung von Daten,
die sich erst nach ihrer Erhebung wieder zu Bild- und Toninformationen zusam-
mensetzen lassen. Nutzt der Trojaner die werksseitig eingebaute Kamera oder das
Mikrofon des Computers, wird man allerdings von einer kombinierten Maßnahme
nach § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO und § 100f StPO ausgehen müssen. Unabhängig von
der Übermittlungsform der Daten gilt § 100f StPO auch, soweit es sich um Tonauf-
nahmen der Spracheingabe durch den Betroffenen handelt. Da § 100f StPO auch in
diesem Fall nicht die Installation des Trojaners selbst umfasst, dient insoweit § 100h
Abs. 1 Nr. 2 StPO als Auffangregelung.
Die h. M. lehnt die Subsumtion der Trojaner-Installation unter § 100h ab.12 Der
BGH begründet dies damit, dass die Vorschrift nur Überwachungen außerhalb von
Wohnungen regele.
10
Auch eine Heranziehung des § 100h StPO im Ordnungswidrigkeitenrecht (Tempo- und Ab-
standskontrollen per Video) ist de lege lata nicht gesetzlich angeordnet und daher unzulässig, vgl.
so schon Wilcken, NZV 2011, S. 67 ff.
11
Meyer-Goßner, StPO54 , § 100h Rdn. 2; Nack in: KK 6 , Rdn. 2; Hilger, NStZ 1992, S. 461;
Bernsmann, StV 2001, S. 382.
12
BGHSt 51, 211, 218; Cornelius, JZ 2007, S. 798; Meyer-Goßner, StPO54 , § 100h Rdn. 2.
II. Einsatz sonstiger technischer Mittel nach § 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO 401
b) Eigene Ansicht
Dem ist nicht zuzustimmen. Entgegen § 100f StPO ist in § 100h keine Formulierung
enthalten, die nur eine Anwendung der technischen Mittel außerhalb von Wohnun-
gen zulässt. Wenn der BGH § 100c StPO als lex specialis für jede Überwachung
in Wohnungen annimmt, ist dem nach verfassungskonformer Auslegung zuzustim-
men. Dies gilt aber nur für die Nutzung eines Computers in Wohnungen und daher
auch nur für eine entsprechende Überwachung mittels Trojaner. Computer werden
nicht nur in Wohnräumen verwendet. In dem im Eingangsbeispiel geschilderten
Fall handelte es sich bei dem Betroffenen um einen Geschäftsreisenden, der sei-
nen Laptop eventuell auf der Reise vorwiegend in Cafés oder anderen öffentlich
zugänglichen Räumen nutzte. § 100c StPO hätte insoweit keine verdrängende Wir-
kung.
Auch mit dem Argument subjektiv-historischer Auslegung lässt sich kein ande-
res Ergebnis erzielen, da § 100h Abs. 1 StPO für technische Neuerungen offen sein
soll. Zudem wäre das eine verfassungskonforme Reduktion, die aus oben dargeleg-
ten Erwägungen grundsätzlich abzulehnen ist.13 Ebenfalls ein technisches Mittel ist
ein Computer mit einer Internetverbindung. Daher kann auch die Ausforschung des
öffentlich zugänglichen Internets unter § 100h StPO subsumiert werden (hier sog.
„virtuelle Streife“). Für die Bestimmung zur Observation ist der Wille der Ermitt-
lungsbehörden entscheidend. Ein Teleskop ist vom Hersteller zur Sternbeobachtung
bestimmt. Wenn die Ermittlungsbehörden das Teleskop zur Observation von Perso-
nen verwenden, ist es dazu auch bestimmt. Der Anwendungsbereich ist aber nicht
zu überdehnen. So gehören nicht alle Bedingungen, die Überwachung mittelbar er-
möglichen, zu den technischen Mitteln, die für Observationszwecke bestimmt sein.
Wenn die Ermittler aus einem Auto heraus den Betroffenen filmen, ist das Auto
zum Fahren und nicht zum Überwachen bestimmt.
Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung kann nur beurteilt werden, wenn ihr Rege-
lungsbereich zunächst definiert wird. Dafür kommt es auf den Umfang der erlaubten
Maßnahmen an.
Ähnlich wie bei § 98a und § 100g StPO sind die technischen Mittel, die keine
Bild und Tonaufnahmen anfertigen, wenig geeignet, den Kernbereich der privaten
Lebensgestaltung anzutasten. Lediglich in Kombination mit anderen Maßnahmen
13
Vgl. § 6, IV, 4.
402 § 27 Einsatz technischer Observationsmittel gemäß § 100h StPO
können sie zur Rundumüberwachung beitragen. Unter welchen Umständen ein sol-
cher Kombinationsbeitrag in Betracht kommt, ist aber eine Frage, die gesondert
für die Kombination aller Maßnahmen zu diskutieren ist.14 Die Installation und
Nutzung von Trojanern kann jedoch bereits allein nach § 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO
Informationen zu Tage bringen, die kernbereichsrelevant sind:
Beispiel 59 Mittels Trojanersoftware wird der Speicher des Computers des X aus-
gelesen und via Internet an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet. Unter den so
erlangten Daten befindet sich das elektronische Tagebuch, das sehr persönliche In-
formationen enthält.
b) Kernbereichsschutzkonzept?
Durch verschiedene Fallgruppen des § 100h StPO kann in das Grundrecht auf Frei-
heit von Einschüchterung eingegriffen werden:
Die Überwachung nach § 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO greift in die Konkretisierungen
des Grundrechts auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Die
Vorstellung, dass etwa das eigene Auto mit Hilfe eines Peilsenders überwacht wer-
den darf, wird Personen, die begründet davon ausgehen, überwacht zu werden, unter
Umständen davon abhalten, eine eigentlich geplante Fahrtroute zu wählen oder eine
entsprechendes Ziel aufzusuchen.
Beispiel 60 Gegen X läuft ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf illegalen
Betäubungmittelhandel. Konkret werden ihm Kurierfahrten und Verkauf der verbo-
tenen Wahre in einer Diskothek vorgeworfen. Er hat bisher keine Aussage gemacht
14
Siehe § 35.
15
Für die anderen Hilfsmaßnahmen bzw. Installationseingriffe – etwa den Einsatz einer Drohne,
die ein Mikrofon oder eine Kamera trägt, deren Einsatz sich nach § 100f bzw. § 100h Abs. 1 Nr. 1
StPO richtet – bliebe die Frage der Kombination mit anderen Maßnahmen zur menschenwürde-
widrigen Rundumüberwachung bestehen, die unter § 35 geklärt wird.
II. Einsatz sonstiger technischer Mittel nach § 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO 403
und weiß, dass die Ermittlungsbehörden alle offenen Maßnahmen gegen ihn erfolg-
los durchgeführt haben. Er möchte eigentlich in die besagte Diskothek fahren, um
dort eine Freundin zu treffen. Aus Angst vor der Überwachung seines Autos mittels
Peilsender geht er den Weg von 5 km zu Fuß.
16
Das Aufrufen von Internetseiten ist zwar anonym und somit notwendig verdeckt, die Polizei hat
aber keine Intention, heimlich zu handeln. Die Anonymität ist vielmehr die allen Nutzern, inklusi-
ve des Betroffenen, bekannte technische Nutzungsbedingung für das Internet. Ob trotzdem in das
Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung eingegriffen wird, kann dahinstehen. Es wäre jeden-
falls nicht notwendig, dass die Polizei jeden Betreiber einer Internetseite informieren müsste, dass
sie dessen Seite besucht habe. Die Polizei muss dem Betroffen auch nicht mitteilen, dass sie die
Adresse des Betroffenen in einem Telefonbuch gesucht oder Zeugen nach seinem Aufenthaltsort
befragt hat.
404 § 27 Einsatz technischer Observationsmittel gemäß § 100h StPO
a) Bestimmtheit
Die Vorschrift grenzt die technischen Mittel nicht ein. Der systematische Vergleich
zu den anderen Vorschriften ergibt nur, dass der Einsatz der technischen Mittel in
den besonders geregelten Fällen nach den dort genannten Regeln zu erfolgen hat.
§ 100h Abs. 2 StPO ist also diesbezüglich eine subsidiäre Regelung. Dies ausge-
nommen, lassen sich alle möglichen technischen Maßnahmen unter den Wortlaut
der Regelung subsumieren. Das reicht von Nachtsichtgeräten, Sonar- und Radar-
geräten über GPS-Peilsender bzw. -empfangsgeräte19 und RFID-Technik20 bis zu
ferngesteuerten Drohnen,21 die mit Kameras bestückt sind. Die Vorschrift ist be-
wusst offen angelegt und kann daher auch derzeit noch nicht entwickelte technische
Instrumente erfassen. Die fehlende genaue Beschreibung der Überwachungsmittel
könnte allerdings ein Problem für die Bestimmtheit der Maßnahme darstellen.
17
Vgl. § 9, I, 9.
18
Siehe § 13, IV, 2, c).
19
Die Anwendung von GPS-Technik wurde von BGH NJW 2001, 1658, BVerfGE 112, 304 und
EGMR NJW 2011, 1333 für rechtmäßig befunden.
20
Dies ist ein System bei dem Micro-Chips mit einem Lesegerät kommunizieren. So ein RFID-
Chip kann an einem Objekt oder einer Person angebracht werden, um sie zu identifizieren oder zu
überwachen, vgl. Gercke, Strafprozessuale Beweisgewinnung mithilfe der R.F.I.D.-Technologie,
S. 381. Die Reichweite ist aber von der Leistungskraft des Chips abhängig und geringer als bei der
satellitengestützen GPS-Technik.
21
nwzonline.de.
II. Einsatz sonstiger technischer Mittel nach § 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO 405
BVerfGE 65, 1 [42 f.]) informationstechnischen Wandels, dessen Gefahren für das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung auch der Sachverständige Prof. Dr. G. in der münd-
lichen Verhandlung vor dem Senat beschrieben hat, muss der Gesetzgeber die technischen
Entwicklungen aufmerksam beobachten und bei Fehlentwicklungen hinsichtlich der kon-
kreten Ausfüllung offener Gesetzesbegriffe durch die Strafverfolgungsbehörden und die
Strafgerichte notfalls durch ergänzende Rechtssetzung korrigierend eingreifen (Vgl. BVerf-
GE 90, 145 [191]).“22
22
BVerfGE 112, 304, 316.
23
BVerfGE 112, 304, 316.
24
Vgl. § 9, I.
406 § 27 Einsatz technischer Observationsmittel gemäß § 100h StPO
der Betroffenen. Damit kann in alle Konkretisierungen des Grundrechts auf Freiheit
von Einschüchterung eingegriffen werden. Dies betrifft insbesondere Computer und
damit das Computergrundrecht.25
Die Regelung ist verständlich und regelt das Wesentliche der Maßnahme, sie ist
also bestimmt.
Der Umfang der erlaubten Mittel hängt von der Auslegung des Begriffs der „be-
sonderen für Observationszwecke bestimmten technischen Mittel“ ab. Denn diese
dürfen zur Erforschung des Sachverhalts „verwendet“ werden. Das BVerfG hält je-
des technische Observationsmittel für ein „bestimmtes Mittel“, auch wenn es bei
Erlass des Gesetzes noch unbekannt war. „Kriminaltechnische Neuerungen“ sind
danach „bestimmte technische Mittel“.26 Nach Ansicht des BVerfG spreche der
Wortlaut der Vorschrift dafür, dass die technischen Mittel eindeutig der Observation
gewidmet sein müssten. Wenn das Mittel aber nicht originär als Observationsmittel
erfunden sei, handele es sich nur um ein für die Observation bestimmbares Mit-
tel. Die Subsumtion bloß bestimmbarer Mittel sei nach dieser Ansicht weder vom
Wortlaut noch von der Begründung im Gesetzgebungsverfahren gedeckt. Es ergebe
keinen Sinn, dass der Gesetzgeber die Mittel durch die Zweckbestimmung „zur Ob-
servation bestimmtes“ ergänzt und mithin einschränkt, wenn ohnehin jedes Mittel
zulässig sein solle.
Die Begrenzung staatlichen Handelns als Gesetzeszweck ist auch nach der Be-
wertung der Literatur zutreffend durch den ersten Senat des BVerfG zu den Ab-
hörvorschriften des Zollkriminalamts im Außenwirtschaftsgesetz herausgearbeitet
worden. In der Entscheidung des BVerfG27 zum GPS sei es „wohl aus Gründen
des gewollten Ergebnisses“ vernachlässigt worden.28 Eine solche Eingrenzung der
Vorschrift ist aber nicht mit dem Wortlaut und der Gesetzesbegründung der Norm
vereinbar. Ein Mittel, dass exklusiv zu strafprozessualer Ermittlung eingesetzt wer-
den kann, gibt es nicht. Alle Observationsgeräte sind auch für Privatanwender zu
Zwecken erhältlich, die nicht im strengen Sinne Observation sind (Tierbeobach-
tungen, Sport, Suchfunktion). Die Begrenzung auf originäre Observationsgeräte ist
daher sinnlos.
25
Vgl. § 19.
26
BVerfGE 112, 304, 316.
27
BVerfGE 112, 302, 316.
28
Roggan, NJW 2010, S. 162; Bernsmann, StV 2001, S. 383 f.; anders die h. M. zum GPS: „Der
Wortlaut der Norm trägt dieses Ergebnis, zum Teil erkennen dies auch die Kritiker an.“, Schäfer
in: Löwe/Rosenberg, StPO25 , § 100c Rdn. 25.
II. Einsatz sonstiger technischer Mittel nach § 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO 407
Wie bereits dargelegt, ist die Überwachung eines Computers ist nach dem Wortlaut
des § 100h StPO erlaubt. Ein Trojaner ist ein „sonstiges besonderes für Observa-
tionszwecke bestimmtes technisches Mittel“. Also ist dessen Einsatz inklusive der
Installation und Infiltration nach dem Wortlaut gestattet. Gleiches gilt für die nicht
unter § 100a SPO fallende29 Installation von Überwachungstechnik an einem End-
gerät zur Telekommunikation.
Dass Annexbefugnisse30 nicht gegeben sind, wenn sie nicht ausdrücklich ge-
nannt oder im typischen Grundmuster der Maßnahmen zwingend genannt sind,
kann den Anwendungsbereich der Norm nicht reduzieren, da alle technischen Mit-
tel nach Wortlaut und Willen des historischen Gesetzgebers erfasst sind, also gar
keine Annexbefugnis für solche Maßnahmen nötig ist.
cc) Geeignetheit
Die genannten Maßnahmen können zur Ermittlung von Tat und Täter beitragen
sowie gerichtsverwertbare Beweise ergeben.
dd) Erforderlichkeit
ee) Angemessenheit
Der durch § 100h StPO erlaubte Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit von Ein-
schüchterung ist, wenn man die Anforderungen des BVerfG für eine Rechtfertigung
des Eingriffs in das Computergrundrecht zugrunde legt, unangemessen. Denn weil
die Anlasstaten nicht definiert sind, also können sie auch zu leichte Taten umfas-
sen. Das Computergrundrecht ist vom BVerfG im Bereich der Gefahrenabwehr im
Rahmen der Angemessenheitsprüfung auf den Anlass einer Gefahr für „Leib, Leben
und Freiheit der Person“ oder überragend wichtige Allgemeingüter beschränkt wor-
den.32 Daraus folgt nicht, dass strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, die in das
Computergrundrecht eingreifen, nicht im Ganzen verfassungswidrig sind. Im Fall
29
Vgl. § 23, IV, 6
30
Vgl. § 19.
31
Vgl. § 14, IV, 2.
32
BVerfGE 120, 274, 274.
408 § 27 Einsatz technischer Observationsmittel gemäß § 100h StPO
Hätte es von dieser Rechtsprechung abweichen wollen, hätte das Gericht dies deut-
lich machen müssen.
Weil die Gefahrenabwehr tendenziell ein größeres Abwägungsgewicht als die
Strafverfolgung hat, kann nur bei schwersten Straftaten eine repressive Online-
Durchsuchung gestattet sein. Für die Lösung des Problems bietet die Regelung
des § 100c StPO Anhaltspunkte. Die ebenfalls als sehr intensiver Grundrechtsein-
griff eingeschätzte Wohnraumüberwachung ist unter strengsten Auflagen gestattet.
Wenn die Anforderungen hinsichtlich der Merkmale des Grundmodells denen des
§ 100c StPO entsprechen und die Anforderung des BVerfG hinsichtlich des Schut-
zes des Computergrundrechts aufnehmen, ist eine solche Regelung verfassungsmä-
ßig. § 100h StPO ist hingegen eine unangemessene Maßnahme. Auch daher ist die
Norm insoweit unverhältnismäßig und verfassungswidrig.34
III. Zwischenergebnis
Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 100h StPO ist in Bezug auf neue
technische Entwicklungen (Online-Durchsuchungen, Überwachung mit miniatu-
risierten Peilsendern und Micro-Drohnen) nur zu wahren, wenn der Regelungs-
umfang verfassungsmäßig reduziert wird, was aus grundsätzlichen Erwägungen
abzulehnen ist. Die Vorschrift ist zu weit gefasst und mithin ein unangemessener
Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung.
33
BVerfGE 107, 299 ff.
34
Die allgemeine Frage der Angemessenheit von Maßnahmekombinationen wird unten geklärt,
siehe § 35.
§ 28 IMSI-Catcher gemäß § 100i StPO
1
„Die International Mobile Subscriber Identity (IMSI) dient in GSM- und UMTS-
Mobilfunknetzen der eindeutigen Identifizierung von Netzteilnehmern (interne Teilnehmerken-
nung). Neben weiteren Daten wird die IMSI auf einer speziellen Chipkarte, dem so genannten
SIM (Subscriber Identity Module), gespeichert. Die IMSI-Nummer wird weltweit einmalig pro
Kunde von den Mobilfunknetzbetreibern vergeben. Dabei hat die IMSI- nichts mit der Telefon-
nummer zu tun, die der SIM-Karte zugeordnet ist. Wikipedia, IMSI.
2
Meyer-Goßner, StPO54 , § 100i Rdn. 1.
3
Eine leicht verständliche kurze Erläuterung der technischen Hintergründe bieten Görrisch, Mo-
derne Lausch-und Störverfahren, S. 38 und Harnisch/Pohlmann, NVwZ 2009, S. 202.
Mit dem IMSI-Catcher ist zwar auch die inhaltliche Überwachung von Telefonge-
sprächen oder Nachrichten möglich, doch ist dies nicht von § 100i StPO erfasst. Ein
Einblick in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist daher nach § 100i
StPO nicht gestattet, wenn man die Norm isoliert betrachtet. Allerdings kann der
Einsatz des IMSI-Catchers in Kombination mit anderen Maßnahmen zu einer Rund-
umüberwachung führen, die gegen den Anspruch auf Achtung der Menschenwürde
verstößt. Für eine endgültige Beurteilung kommt es auf eine Gesamtschau der mög-
lichen Maßnahmen an, die gesondert erfolgt.4
2. Kernbereichsschutz
Da keine Beschränkung vorhanden ist, die eine Benutzung im Rahmen einer „Rund-
umüberwachung“ ausschließt, wäre auch die Regelung des § 100i StPO soweit
verfassungswidrig. Dieses Ergebnis hängt ebenfalls von der vorstehend erwähnten
Gesamtbewertung einer Kombination aller zulässigen Maßnahmen ab.
1. Bestimmtheit
Mit dem nicht abschließenden Verweis des § 100i Abs. 1 StPO auf den Tatkatalog
des § 100a StPO und die zusätzlich aufgestellte Anforderung einer Straftat von
erheblicher Bedeutung im Einzelfall teilt die Vorschrift die bereits oben5 ausführlich
4
Vgl. § 35, II, 2, b).
5
Vgl. § 26, III, 1 und § 13, IV.
III. Rechtfertigung des Eingriffs 411
dargestellten Mängel hinsichtlich der Eingrenzung dieses Merkmals und ist mithin
unbestimmt und verfassungswidrig.
2. Verhältnismäßigkeit
a) Geeignetheit
Die genannten Maßnahmen können unproblematisch zur Ermittlung von Tat und
Täter beitragen sowie gerichtsverwertbare Beweise ergeben.
b) Erforderlichkeit
c) Angemessenheit
Unklar ist, ob die Regelung dem Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 GG
angemessen ist. Bedenken bestehen insbesondere hinsichtlich der technischen
Missbrauchsmöglichkeiten. Der IMSI-Catcher kann auch zur inhaltlichen Ge-
sprächsüberwachung genutzt werden.8 So besteht die Möglichkeit ohne den
zeitaufwändigen Weg des Ersuchens an die Telekommunikationsdiensteanbieter
spontan ein Telefon in der Nähe zu überwachen. Es erscheint aber nicht zwin-
gend, dass die Norm die Verwendung bestimmter Geräte vorsehen muss, um diesen
Missbrauch zu vermeiden.
Das BVerfG sieht offenbar auch ein erhebliches Gefahrenpotential in der Nutzung
des IMSI-Catchers. Im Jahr 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht noch
zum alten Gesetzesstand über eine Verfassungsbeschwerde gegen § 100i StPO. Das
6
„[Die Maßnahme ist zulässig,] soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermitt-
lung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten erforderlich ist.“
7
Vgl. § 14.
8
Görrisch, Moderne Lausch-und Störverfahren, S. 38.
412 § 28 IMSI-Catcher gemäß § 100i StPO
Der IMSI-Catcher stellt derzeit wegen seiner aufwendigen Technik kein Instrument
dar, das massenhaft zur Überwachung eingesetzt werden kann.
Fraglich bleibt nach dem restriktiven Urteil des BVerfG zu § 100g StPO, ob
nicht auch im Rahmen des § 100i StPO der Katalog des § 100a StPO zwingend sein
müsste, um die Anforderungen an die Angemessenheit der Maßnahme zu sichern.
Mit dem IMSI-Catcher werden alle Mobilfunkgeräte im Bereich einer Funkzelle
identifiziert. Damit bei einer Reichweite von bis zu 1,5 km jedenfalls im städti-
schen Bereich eine Anzahl von mehreren 1000 Teilnehmern erfasst und in den
Kreis der potentiellen Verdächtigen aufgenommen werden. Zudem bietet der IMSI-
Catcher wegen seiner besonderen Technik die Möglichkeit, nicht nur Standort-
und Verbindungsdaten zu ermitteln, sondern auch die Telekommunikationssigna-
le und damit die Kommunikation inhaltlich zu erfassen. Auch wenn dies nicht
unter § 100i StPO, sondern unter § 100a StPO fallen würde, muss für die verfas-
sungsrechtliche Bewertung das Gefährdungspotential einkalkuliert werden, weil es
die Einschüchterungswirkung bedingt. Dies ist auch im Schutzbereich des Art. 10
GG als Eingriffsintensivierung zu berücksichtigen. Die vom BVerfG erwogenen
Benachrichtigungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten sind im Zuge der Reform von
2007 mit § 101 Abs. 4 und § 101 Abs. 7 S. 2 StPO eingeführt worden. Solange das
Missbrauchspotential nicht exorbitant durch neue technische Entwicklungen steigt,
ist die Regelung daher angemessen.
IV. Zwischenergebnis
Ohne zwingendes Katalogsystem oder eine genaue Angabe des Kriteriums für die
Tatschwere im Einzelfall ist § 100i StPO unbestimmt10 und verfassungswidrig.
9
BVerfG NJW 2007, S. 351 ff.
10
Vgl. § 9, I, 9.
§ 29 Sog. Kleine-Online-Durchsuchung
gemäß § 110 Abs. 3 StPO
Problematisch ist, ob nach § 110 Abs. 3 StPO auch solche Speichermedien durch-
sucht werden dürfen, die Dritten gehören. Denn wenn auf diese Speicherplätze vom
Computer des offen Durchsuchten aus zugegriffen wird, ist der Zugriff auf den Spei-
cherplatz des Dritten heimlich, wenn er darüber nicht informiert wird.
1
Das ist dem Betroffenen zur eigenen Nutzung exklusiv zugewiesener Speicherplatz, der ihm von
seinem Diensteanbieter zur Verfügung gestellt wird. Der Speicherplatz wird physisch auf einem
ortsfernen Rechner des Diensteanbieters bereitgestellt, ohne dass der Betroffene über manuellen
Zugang zu diesen Speichergeräten verfügt.
2
Vgl. BTDrucks 16/5846 S. 64; 1679, S. 45; Bär, MMR 2008, S. 221; Meyer-Goßner, StPO54 ,
§ 110 Rdn. 6.
Zunächst muss man feststellen, dass in § 110 Abs. 3 StPO keine Verfahrensre-
gelung enthalten ist, die eine Heimlichkeit gegenüber dem Drittbetroffenen erlaubt
oder verbietet. Der Wortlaut lässt beides zu. Die Stellung als Annex zu einer Durch-
suchung beim Wohnungsinhaber lässt darauf schließen, dass nur entscheidend ist,
ob sich der zu durchsuchende Rechner bei dem Wohnungsinhaber befindet. Der
Wortlaut erlaubt die Durchsicht von Speichermedien. Danach ist es unerheblich,
wo sich das externe Speichermedium befindet und – im Gegensatz zur zunächst
geplanten Fassung – wer daran Rechte hat.3 Zusätzliche Anordnungsvoraussetzun-
gen gibt es nicht. Dritte müssen nicht gesondert informiert werden. im Folgenden
wird dabei zwischen der E-Mail-„Beschlagnahme“ auf Servern der Diensteanbieter
(Provider) und der „Beschlagnahme“ sonstiger Daten unterschieden. Die Daten des
E-Mail-Verkehrs beim Provider gehören in den Schutzbereich des Art. 10 GG und
den Anwendungsbereich der §§ 100a, 100b StPO. Ob § 110 Abs. 3 StPO insofern
eine zusätzliche Befugnis enthält, wird zu prüfen sein. Eine andere Frage ist, ob
weitere Daten ausgeforscht werden dürfen, die aber ebenfalls auf einem per Netz-
werk verbunden anderen Computersystem gespeichert sind. Dazu gehören etwa auf
gemietetem externem Speicherplatz ausgelagerte Text-, Bild- oder Tondateien, auf
die der Betroffene jederzeit zugreifen kann. In der Fallgruppe des „der Nutzung
externen Speicherplatzes“ ist besonders problematisch, ob von der Norm auch sol-
che Fälle erfasst sind, in denen der Betroffene illegal eine Verbindung zu fremdem
Speicherplatz hergestellt hat oder zumindest lediglich mit einem ihm bekannten
Passwort auf die fremden Daten zugreifen darf und diesen Zugang auch nicht teilen
darf. Das träfe etwa auf einen Angestellten zu, der auf Daten seines Arbeitgebers per
Telearbeit von zu Hause zugreifen darf, aber das Passwort zum Firmenintranet nicht
weitergeben darf. Auch kann sich zum Beispiel eine Familie ein so geschütztes Netz
schaffen, in dem etwa Fotos gespeichert werden, die nur für Familienmitglieder be-
stimmt sind.
1. Gesetzesbegründung
Der Gesetzgeber geht für § 110 Abs. 3 StPO ausdrücklich von einer offenen Maß-
nahme aus.4 Bezüglich besonderer Fallgestaltungen kann es zu einer heimlichen
Durchsuchung des Speicherplatzes auf dem Rechner eines Dritten kommen. Dies
wäre der in der Gesetzesentwurfsbegründung genannte Fall, in dem ein Mitarbei-
ter die Berechtigung zur Online-Nutzung des Servers seines Arbeitgebers hat. Ihm
fehlt dann in der Regel eine Berechtigung, die Daten Dritten zugänglich zu machen,
die ohne weiteres eine Durchsuchung rechtfertigen würde. Der Dritte hätte inso-
3
Vgl. BTDrucks 16/5846, S. 64.
4
BTDrucks 16/5846, S. 33 und 64: „Nicht erlaubt wird durch § 110 Abs. 3 StPO-E der heim-
liche Online-Zugriff auf zugangsgeschützte Datenbestände im Sinne eines mitunter ,staatlichen
Hackings‘ oder einer heimlichen Online-Durchsuchung. Der Online-Zugriff auf öffentlich zugäng-
liche Datenbestände, die keiner besonderen Zugangsberechtigung bedürfen, erfordert hingegen
keine besondere Ermächtigungsgrundlage.“
II. Verdeckte Durchsuchung verbundener Speichermedien 415
weit – wie etwa ein kommerzieller Anbieter von Internet-Speicherplatz – auf einen
Schutz vor Durchsuchungen zumindest konkludent verzichtet. Ein schützenswertes
Interesse lässt sich dafür auch nicht begründen, da er dem ursprünglich Durch-
suchten den Platz zur freien Verfügung eingeräumt hat. Wie der Fall, in dem der
Arbeitgeber Dritten gegenüber auf Heimlichkeit Wert legt, wäre auch der Fall zu be-
urteilen, in dem der ursprünglich Durchsuchte eine illegale Verbindung zu fremden
Computersystemen aufgebaut hat, indem er in fremde Computer mittels Trojaner
eingedrungen ist. Nach dem Wortlaut der Norm, welcher der Gesetzesentwurfsbe-
gründung widerspricht, dürften die Ermittlungsbehörden diesen Zugang ausnutzen.
Der Gesetzgeber sah das Problem und versuchte, mit einem Rechtschutzmecha-
nismus zu reagieren. Information und Rechtsschutz wollte er dem Drittbetroffenen
nicht völlig entziehen. Über den Verweis auf § 98 Abs. 2 StPO sieht der Gesetz-
geber die verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllt. Entsprechend einer Be-
schlagnahme in Abwesenheit des Betroffenen muss das Gericht in drei Tagen die
heimliche Durchsuchung genehmigen. Auf diesem Wege erhält der Drittbetroffene
auch Kenntnis von der Maßnahme, denn der Richter muss ihm rechtliches Gehör
gewähren.
Nach der bereits im Rahmen der Darstellung des § 100a StPO angesprochenen
Rechtsprechung des BVerfG zur E-Mail-Beschlagnahme kann eine E-Mail auf dem
Server des Providers nach § 110 StPO beschlagnahmt werden. Die vom BVerfG
ausgeführte Berührung des Fernmeldegeheimnisses ändere daran nichts, obwohl
sich die auf dem Mailserver des Providers vorhandenen E-Mails nicht [nur] im Herr-
schaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers, sondern des Providers befinden.5
Es gebe weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus der Systematik des achten
Abschnitts der StPO einen Grund, der einen Vorrang der §§ 100a, 100b StPO vor
§ 110 StPO erzwinge.6 Nach dieser Ansicht können verbundene informationstech-
nische Systeme erst recht dann nach § 110 Abs. 3 StPO durchsucht werden, wenn es
insoweit nicht um Telekommunikation (beim Provider gespeicherte E-Mails) geht,
sondern um andere Inhalte, etwa elektronische Texte oder Ton- und Bildaufnah-
men.
5
BVerfGE 124, 43, 58.
6
BVerfGE 124, 43, 60 f. Das BVerfG war aber früher selbst von einem Vorrang der §§ 100a,
100b StPO ausgegangen, vgl. BVerfGE 113, 348; zustimmend Puschke/Singelnstein, NJW 2008,
S. 3534.
416 § 29 Sog. Kleine-Online-Durchsuchung gemäß § 110 Abs. 3 StPO
Teilweise wird der oben genannten Ansicht des BVerfG ohne wesentlich neue Ar-
gumente gefolgt.7 Verlangt wird aber teilweise, dass der Betroffene im Nachhinein
gesondert informiert werden müsse.8
4. Eigene Ansicht
a) Nochmals: E-Mail-Beschlagnahme?
7
Wohlers in: SK-StPO, § 110 Rdn. 10; Knierim, StV 2009, S. 211.
8
Kasiske, S. 228 ff.
9
Schlegel, HRRS 2008, S. 27 f.
10
Schlegel, HRRS 2008, S. 28 f.; ähnlich auch Brodowski, JR 2009, S. 408.
11
Vgl. § 29, II, 2.
II. Verdeckte Durchsuchung verbundener Speichermedien 417
Das entscheidende Argument des Vorranges des § 100a StPO vor § 110 Abs. 3
StPO erfasst aber nicht die heimliche Durchsuchung von anderen verbundenen
Speichermedien, die nichts mit dem E-Mail-Verkehr zu tun haben. Insoweit lässt
sich auch das systematische Argument aus § 101 Abs. 1 StPO nicht halten. Für
diesen Fall ließ der Gesetzgeber wissentlich zu,13 dass selbst der dem Betroffenen
eigentlich verbotene Zugriff auf fremde Informationstechnische Systeme durch die
Ermittlungsbehörden zur Durchsuchung ausgenutzt werden darf. Und zwar ohne
den Dritten vor der der Überwachung zu informieren. Der Gesetzgeber nahm dies
um der Praktikabilität willen hin.14
Der Versuch Schlegels, die Vorschrift einzuschränken, ist daher eine – aus grund-
sätzlichen Erwägungen abzulehnende15 – verfassungskonforme Reduktion und
kein durch Auslegung zu gewinnendes Ergebnis. § 110 Abs. 3 StPO legitimiert in
bestimmten Fällen verdeckten Zugriff auf Computer Dritter. Wenn der Gesetzgeber
dabei Heimlichkeit zulässt und nicht die verschärften Anforderungen an verdeckte
Maßnahmen beachtet, ist zweifelhaft, ob die Vorschrift nicht verfassungswidrig ist.
Dies ist im Folgenden zu klären.
12
BTDrucks 16/5846. S. 15.
13
Entgegen dem zunächst in der Entwurfsbegründung vorgeschlagenen Verbot, vgl. Schlegel,
HRRS 2008, S. 27.
14
„Freilich hätte sie erhebliche praktische Probleme mit sich gebracht. Man hätte schwierige Ab-
klärungen über die entsprechenden Befugnisse des Betroffenen treffen müssen und vor allem wäre
die Regelung leer gelaufen, wenn ein entsprechendes Verbot für den Zugriff weiterer Personen
zwischen Betroffenen und Dritten vereinbart worden wäre.“ Schlegel, HRRS 2008, S. 27.
15
Vgl. § 6, IV, 4.
418 § 29 Sog. Kleine-Online-Durchsuchung gemäß § 110 Abs. 3 StPO
2. Kernbereichsschutzkonzept?
Ein über die wenigen verstreuten Ansätze in der StPO (§§ 53, 160a) hinausgehendes
gesetzliches Kernbereichsschutzkonzept ist wegen der eben geprüften Möglichkeit
des Einblicks notwendig.16 Es besteht jedenfalls nicht im Rahmen der Vorschriften
der §§ 94, 110 StPO. § 110 Abs. 3 StPO ist bereits daher verfassungswidrig. Das
BVerfG sieht ein solches Schutzkonzept aber ohne weitere Angabe einer Vorschrift
als im Strafverfahren geltendes Recht an, dass auch im Rahmen der §§ 94 ff. StPO
von den Rechtsanwendern zu berücksichtigen ist.17 In Wirklichkeit projiziert das
BVerfG aber nur seine Vorstellungen darüber, wie die Gesetzeslage im Hinblick auf
die Anforderungen des Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsmäßiger Weise auszusehen
hat in die Lücken, die der Gesetzgeber zwischen den Vorschriften der §§ 94 bis
110 StPO gelassen hat. Wie bereits oben allgemein begründet, ist dem nicht zu
folgen.18
Das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung ist durch die Maßnahme nach
§ 110 Abs. 3 StPO betroffen, da auch Personen dadurch eingeschüchtert werden
können, dass sie mit einer heimlichen Durchsuchung ihrer eigenen Computer über
verbundene Systeme rechnen müssen. Aus der Sichtweise des betroffenen Dritten
wären die verbundenen privaten Computer potentielle Instrumente staatlicher Über-
wachung. Das kann gemäß folgender Überlegung zu einer Handlungseinschrän-
kung führen: Besonders auf die Einrichtung von Netzwerken mit den Computern
16
Vgl. § 15.
17
BVerfGE 124, 43, 69 f.
18
Vgl. § 15, IV, 3, b); § 20, III.
V. Rechtfertigung des Eingriffs 419
anderer Personen kann daher gegen den eigentlichen Wunsch auf diesen Druck hin
verzichtet werden.
1. Bestimmtheit
Die Heimlichkeit der Maßnahme ist nicht im Sinne der Wesentlichkeitstheorie be-
stimmt geregelt. Eine Formulierung wie in § 100a StPO „auch ohne das Wissen des
Betroffenen“ fehlt. Weil in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung ein-
gegriffen wird, kann auch nicht überzeugend argumentiert werden, dass es sich um
einen nur verstärkenden Eingriff handele und daher keine ausdrückliche Regelung
des Eingriffs erforderlich sei. Eine verfassungskonforme Auslegung kommt nicht
in Betracht, da der Wortlaut umfassend und der Wille des Gesetzgebers eindeutig
sind. Die Vorschrift könnte nur durch eine hier abgelehnte verfassungskonforme
Reduktion des unbestimmten Wortlauts19 in ihrer Geltung erhalten werden.
2. Verhältnismäßigkeit
a) Geeignetheit
b) Erforderlichkeit
Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 110 Abs. 3 StPO scheitert selbst bei
unterstellter Bestimmtheit daran, dass § 110 Abs. 3 StPO keine Subsidiaritätsklau-
sel vorsieht, sondern die Durchsuchung verbundener Speichermedien Dritter als
Mittel erster Wahl angeordnet werden darf.
c) Angemessenheit
Soweit die heimliche Durchsuchung fremder Speichermedien geregelt ist, ist § 110
Abs. 3 StPO gegenüber dem Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung keine an-
gemessene Eingriffsregelung. Die Anlasstaten sind nicht beschränkt, dies muss zur
19
Siehe § 6, IV, 4.
420 § 29 Sog. Kleine-Online-Durchsuchung gemäß § 110 Abs. 3 StPO
Unangemessenheit der Norm führen. Das BVerfG hält die Vorschriften der §§ 94,
110 StPO aber für angemessen, weil der allgemeine Grundsatz der Verhältnismä-
ßigkeit, den es gerade als Maßstab verwendet, insoweit im einfachen Recht gelte
und so die Verfassungsmäßigkeit der Norm garantiere. Zudem seien geeignete Ver-
fahrenssicherungen in §§ 35, 98 Abs. 2 StPO vorhanden um diesen Schutz durch
Verfahren zu komplettieren.20 Dieser Ansatz wurde aber bereits oben aus grund-
sätzlichen Erwägungen abgelehnt. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip dient nicht als
„Lückenfüller“ in der StPO, sondern als Richtschnur des Gesetzgebers. Er darf die
Umsetzung des Prinzips aus Gründen der Gewaltenteilung nicht den Rechtsanwen-
dern überlassen.21 Dem BVerfG ist daher insoweit zu widersprechen.
VI. Zwischenergebnis
Die Vorschrift des § 110 Abs. 3 StPO ist mangels Bestimmtheit, Erforderlichkeit
und Angemessenheit verfassungswidrig.
20
BVerfGE 124, 43, 62. Dies steht im Widerspruch zu den Wertungen in BVerfGE 120, 274, 322 f.
(in diesem Urteil wurde eine Online-Durchsuchung nur bei dringenden Gefahren für überragend
wichtige Allgemeingüter gestattet) und BVerfGE 125, 260, 335 f. (Die Abfrage von auf Vorrat
gespeicherter Verkehrsdaten war mit § 100g i. V. m. TKG im Hinblick auf die Anlasstaten unan-
gemessen, da der Katalog des § 100a nicht verpflichtend ist.)
21
Vgl. ausführlich § 20, III.
§ 30 Verdeckter Ermittler
gemäß §§ 110a-110c StPO
Verdeckte Ermittler sind Beamte der Strafverfolgungsbehörden, die unter einer „Le-
gende“ ermitteln.1 Sie täuschen also nach außen eine andere Identität vor. Die
Beamten treten insoweit als Zivilpersonen ohne polizeiliche Verbindung auf. Der
Einsatz Verdeckter Ermittler nach § 110a ff. StPO ist vor allem im Hinblick auf das
Nemo-tenetur-Prinzip umstritten.2
Die Gefahr, kernbereichsrelevante Inhalte zu beobachten, besteht auch für den Ver-
deckten Ermittler. Dies gilt insbesondere, wenn er ein Vertrauensverhältnis zu be-
troffenen Zeugen oder Verdächtigen aufbaut. Dies kann von der Vorspiegelung von
Freundschaft bis zu Liebe reichen. Nicht nur die Beobachtung als solche, son-
dern auch die Täuschung des Betroffen und die spätere Enttäuschung über einen
„falschen Freund“ oder „eine falsche Geliebte“ verletzen den Kernbereich der priva-
ten Lebensgestaltung.3 Während bei Kernbereichsverletzungen durch Beobachtung
über technische Geräte das Leben des Beobachteten nicht direkt verändert wird,
kann ein Verdeckter Ermittler Teil des realen Lebens eines Betroffenen werden.
Die Anwesenheit einer (ent-)täuschenden realen Person im zwischenmenschlichen
Nahbereich steht den Gefahren, die bei der Telekommunikationsüberwachung für
den Kernbereich entstehen können, jedenfalls in nichts nach.
1
BGHSt 41, 64, 65; Meyer-Goßner, StPO54 , § 110a Rdn. 2.
2
Vgl. § 8, V; Schneider, NStZ 2004, S. 359 ff.; Schmitz, S. 11 ff. und passim.
3
So in der Sache auch Makrutzki, S. 68 und die Entscheidung AG Heidenheim NJW 1981, 1628.
Vgl. dazu auch schon die Grundsätzlichen Erwägungen mit dem aktuellen Beispiel aus Großbri-
tannien unter § 8.
2. Kernbereichsschutzkonzept?
Die Regelung des Einsatzes Verdeckter Ermittler enthält nur in § 110c eine Ein-
schränkung, sich nicht durch Vortäuschung von Zutrittsrechten Zugang zu einer
Wohnung zu verschaffen. Eine ausdrückliche Einschränkung zu Zwecken des Kern-
bereichsschutzes fehlt. Der Verzicht des Verdeckten Ermittlers, kernbereichsrele-
vante Einblicke in das Privatleben des Betroffen zu nehmen, ergibt sich nicht aus
der Vorschrift.
Mangels eines ausreichenden Schutzkonzeptes für den Kernbereich der privaten
Lebensgestaltung genügt § 110a StPO insoweit nicht den verfassungsrechtlichen
Anforderungen und ist mithin verfassungswidrig.
Oben wurde bereits dargelegt, dass ein Verdeckter Ermittler dann gegen das Nemo-
Tenetur-Prinzips verstößt, wenn er psychischen Druck auf den Betroffenen aus-
übt, der Zwang oder Täuschung in einer Vernehmungssituation gleichkommt.4 Die
Norm enthält insoweit keine Einschränkung und erlaubt dem Verdeckten Ermittler
daher, so starken Druck auszuüben. Auch deshalb ist die Norm verfassungswidrig.
Der Einsatz des Verdeckten Ermittlers ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit
von auf Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG, soweit der Verdeckte Ermittler In-
formationen über einen Betroffenen ausspäht. Weitere Grundrechte sind betroffen,
wenn der Verdeckte Ermittler etwa eine Wohnung betritt, Art. 13 Abs. 1, 5 GG.
4
Vgl. § 8, V, 3. Genauer zu diesem Problemkreis noch unten im Rahmen der Generalklausel bei
der Erörterung der V-Personen § 34, III, 2.
II. Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 423
5
So im Ergebnis auch die h. M., vgl. Meyer-Goßner, StPO54 , § 110a Rdn. 4a m. w. N.
6
Henrichs/Wilhelm, Kriminalistik 2010, S. 30.
7
Diese Person kann gänzlich erfunden sein oder real existieren.
424 § 30 Verdeckter Ermittler gemäß §§ 110a-110c StPO
Eine Analogie wäre sinnvoll, muss aber wegen der oben dargestellten Wirkung des
Analogieverbots unterbleiben.8 De lege ferenda wäre ein Ergänzung vorzuschlagen.
Der Einsatz eines virtuellen Verdeckten Ermittlers ist nur dann unter § 110a StPO
zu subsumieren, wenn die falsche Identität im Internet „eine auf Dauer angelegte,
veränderte Identität (Legende)“ ist. Der Gesetzgeber hat bei Erlass der Vorschrift
nicht an verdeckte Ermittlungsmaßnahmen im Internet gedacht. Andererseits ge-
hört die Aktivität im Internet zum Standard modernen Sozialverhaltens. Nur weil
ein Sozialverhalten noch nicht bei der Gesetzgebung bekannt ist, kann es trotzdem
unter einer Legende ausgeführt werden. Die Nutzung eines neuen Fortbewegungs-
wie auch eines neuen Kommunikationsmittels kann durch „Verdeckte Ermittler“
erfolgen. Dies ist kein Aliud zur verdeckten strafprozessualen Ermittlung unter ei-
ner Legende, sondern ein sowohl vom ursprünglichen Wortlaut als auch vom Sinn
der Norm umfasstes Sozialverhalten. Der virtuelle „Verdeckte Ermittler“ ist da-
her nur unter den Anforderungen des § 110a StPO zulässig.9 Wenn die Legende
entgegen dem Wortlaut des § 100a StPO nicht auf Dauer angelegt wird, ist die
kurzfristige verdeckte Ermittlung als Minusmaßnahme zulässig. Eine kurzfristige
verdeckte virtuelle Ermittlung unter einer Legende ließe sich aber ähnlich wie die
Unterscheidung zwischen § 100h StPO und 163f StPO de lege ferenda auch bei
weniger schwerwiegenden Anlasstaten und ohne richterliche Anordnung regeln.
Eine andere Folgerung ergäbe sich, wenn die Ermittlung unter falscher Identität
im Internet ein Aliud und kein Minus zu Maßnahmen nach § 110a StPO darstellten
würde. Eine solche einschränkende Auslegung des § 110a StPO ist abzulehnen.
Eine Auffanglösung über ein Verständnis der § 161 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 163 S. 2
StPO als Befugnisgeneralklausel wäre insoweit von der Verfassungsmäßigkeit der
Generalklausel abhängig, die in keinem Fall grundrechtsschonendere Regelungen
als § 110a, b StPO enthält.10
1. Bestimmtheit
Die Vorschrift des § 110a StPO lässt im Wesentlichen nur erkennen, unter welchen
Umständen ein Verdeckter Ermittler eingesetzt werden darf. Seine Handlungsmög-
lichkeiten werden durch § 110a Abs. 2 und 3 StPO offensichtlich nicht abschließend
definiert. Der Verdeckte Ermittler darf danach unter seiner Legende am Rechtsver-
8
Vgl. § 9, I, 8, a).
9
Anders BVerfGE 120, 274, 341, dass keinen Eingriff in Grundrechte erkennt. Kritisch dazu Kle-
sczewski, ZStW 2011 S. 753, jedenfalls für das Eindringen in geschlossene Newsgroups wegen
Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 10 GG.
10
Wegen der angeführten Grundrechtseingriffe könnte die Maßnahme in diesem Fall auch
wahrscheinlich nicht unter die Generalklausel subsumiert werden, weil die Bestimmtheit und Ver-
hältnismäßigkeit der Generalklausel in Frage steht. Diese Frage wird unter § 34 abschließend
geklärt. Ohne eine ausreichende Regelung wäre die Maßnahme erst recht verfassungswidrig.
III. Rechtfertigung des Eingriffs 425
2. Verhältnismäßigkeit
a) Geeignetheit
Das Verleiten zu Straftaten ist vom Wortlaut der Norm umfasst. Dieses Vorgehen
ist nur auf den ersten Blick nicht geeignet dem Zweck der inneren Sicherheit des
Gemeinwesens zu dienen. Ein anderes Ergebnis kann nur damit begründet werden,
dass die Provokation einer leichten Straftat die Aufklärung einer schweren Straftat
begünstigen kann. Da eine solche Abwägung aber nicht im Gesetz enthalten ist, sind
auch ungeeignete Maßnahmen vom Wortlaut der Norm gestattet. Nach systemati-
scher Auslegung ist die Begehung von Straftaten aber nicht gestattet. § 110a Abs. 3
StPO erlaubt nur den Gebrauch von entsprechenden Urkunden zur Aufrechterhal-
tung der Legende. Im Gegenschluss sind alle weiteren Straftaten nicht gestattet.
Die Erlaubnis zur Begehung szenetypischer Straftaten bleibt rein rechtspolitische
Forderung.12
11
Vgl. § 13.
12
Vgl. Schnorr/Wissing, ZRP 2001, S. 535.
426 § 30 Verdeckter Ermittler gemäß §§ 110a-110c StPO
b) Erforderlichkeit
13
Vgl. dazu jüngst Engländer, ZIS (www.zis-online.com), S. 63 ff. m. w. N.
14
Vgl. § 8, V.
15
Vgl. § 9, II, 4, c).
IV. Zwischenergebnis 427
c) Angemessenheit
IV. Zwischenergebnis
Die Anlasstaten sind nicht bestimmt. Die Norm ist nicht verfassungsmäßig. Selbst
wenn die Anlasstaten bestimmt wären, würde § 110a StPO gestatten, den Kernbe-
reich der privaten Lebensgestaltung zu infiltrieren und zu manipulieren. Das wäre
eine Verletzung des Anspruchs auf Achtung der Menschenwürde und daher gemäß
Art. 1 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Die enthaltene Erlaubnis psychischen Druck
auszuüben, um selbstbelastende Informationen zu erlangen, ist unangemessen und
verfassungswidrig. Das von der Norm umfasste Verleiten zu Straftaten ist ferner
schon nicht in allen Fällen geeignet, dem Zweck der inneren Sicherheit des Ge-
meinwesens zu dienen.
16
Vgl. § 6, IV, 6.
§ 31 Datenspeicherung bei polizeilichen
Kontrollen gemäß § 163d StPO
§ 163d StPO gestattet die heimliche Speicherung von Daten, die bei bestimmten po-
lizeilichen Personenkontrollen anfallen. § 163d StPO regelt auch die Übermittlung
dieser Daten an zuständige Strafverfolgungsbehörden, die Zuständigkeit für die An-
ordnung, Form und Inhalt sowie räumliche und zeitliche Begrenzung, Beendigungs-
und Löschungspflichten.
Der Verdächtige muss noch nicht durch persönliche Daten bekannt oder be-
reits Beschuldigter sein. Nach § 163d Abs. 3 S. 2 StPO sind unterscheidungsfähige
Merkmale und Eigenschaften eines Verdächtigen ausreichend, um Daten über die-
se Person zu speichern. Dies sind in erster Linie Identitätsmerkmale wie Name,
Geburtstag oder Wohnort, die sich aus den Ausweispapieren ergeben. Da die zu-
grunde liegenden Verdachtsmerkmale (zum Beispiel 35 Jähriger Mann, unterwegs
mit Auto des Typs Jaguar XJ) auf mehrere Personen zutreffen können, weist die
Datenspeicherung bei polizeilichen Kontrollen damit eine Verwandtschaft zur Ras-
terfahndung auf. Die Maßnahme nach § 163d StPO wird daher auch „Netzfahndung
vermittels Datenspeicherung“ genannt.1
Die Vorschrift erlaubt nur die Speicherung und Weitergabe, nicht aber die Er-
hebung der Daten. Die Maßnahme darf nur bei grenzpolizeilichen Kontrollen und
Kontrollen nach § 111 StPO eingesetzt werden, welche die Rechtsgrundlage für die
Datenerhebung darstellen.2 Die praktische Relevanz der Maßnahme nach § 163d
StPO ist durch den Wegfall der Außengrenzen und die Seltenheit der Maßnahmen
nach § 111 StPO gering.
1
Schoreit in: KK 6 , § 163d Rdn. 3.
2
Meyer-Goßner, StPO54 , § 163d Rdn. 4.
Ein Einblick in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung allein durch eine
gesetzmäßige Maßnahme gemäß § 163e StPO ist nicht möglich. Allerdings kann
die Datenspeicherung bei polizeilichen Kontrollen in Kombination mit anderen
Maßnahmen zu einer Rundumüberwachung führen, die gegen den Anspruch auf
Achtung der Menschenwürde verstößt. Für eine endgültige Beurteilung kommt es
auf eine Gesamtschau der möglichen Maßnahmen an, die gesondert erfolgt.3
2. Kernbereichsschutzkonzept?
Da keine Beschränkung vorhanden ist, die einen Einsatz der Maßnahme nach
§ 163d StPO im Rahmen einer „Rundumüberwachung“ ausschließt, ist auch die
vorliegende Regelung verfassungswidrig, wenn die Kombinationsmöglichkeiten
aller Maßnahmen tatsächlich eine solche Rundumüberwachung ergeben können.
Die Speicherung von Daten bei polizeilichen Kontrollen greift nach h. M. in das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein.4 Nach hier vertretener An-
sicht liegt ein Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung und in
das Grundrecht auf Offenheit strafprozessualer Maßnahmen vor, da die Maßnahme
geheim erfolgen darf.
Der Eingriff ist gerechtfertigt, wenn die Regelung des § 163d StPO bestimmt und
verhältnismäßig ist.
3
Vgl. § 35, II, 2, b).
4
Schoreit in: KK 6 , § 163d Rdn. 3.
III. Rechtfertigung des Eingriffs 431
1. Bestimmtheit
2. Verhältnismäßigkeit
5
Schoreit in: KK 6 , § 163d Rdn. 3.
6
Schoreit in: KK 6 , § 163d Rdn. 3 dort m. w. N. zur genannten Diskussion.
7
Vgl. das Ergebnis § 9, II, 6.
8
Krahl, NStZ 1998, S. 342.
9
So auch in der Sache Kühl, NJW 1987, S. 742, der die hier abgelehnte allgemeine Verhältnismä-
ßigkeitsklausel einfachen Rechts angewendet wissen will.
10
Meyer-Goßner, StPO54 , § 163d Rdn. 1; Rieß in: Löwe/Rosenberg, StPO26 , § 163d Rdn. 1; Scho-
reit in: KK 6 , § 163e Rdn. 3, wobei letzterer die Erwähnung sogar für überflüssig hält.
11
Schoreit in: KK 6 , § 163e Rdn. 3; Kühl, NJW 1987, S. 742; Rogall, NStZ 1986, S. 389.
432 § 31 Datenspeicherung bei polizeilichen Kontrollen gemäß § 163d StPO
a) Geeignetheit
Die genannte Maßnahme kann zur Ermittlung von Tat und Täter beitragen. Sie ist
daher zum legitimen Zweck der Strafverfolgung geeignet.
b) Erforderlichkeit
Die Norm verfügt über keine Subsidiaritätsklausel zur Regelung der Erforderlich-
keit. Es ist lediglich der Hinweis enthalten, dass „die Maßnahme nicht außer Ver-
hältnis zur Bedeutung der Sache“ stehen darf. Dadurch wird die Verhältnismäßig-
keit gerade nicht im Sinne einer Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben durch
den Gesetzgeber geregelt. Die Maßnahme darf nach dem Gesetzeswortlaut ohne
vorangehende Subsidiaritätsprüfung als Mittel erster Wahl genutzt werden. Dies ist
nach den Grundsätzen der Erforderlichkeit nicht zulässig. Die Einschüchterungs-
wirkung ist im Vergleich zu anderen Maßnahmen nicht herabgesetzt. Gerade wegen
der Parallele zur Rasterfahndung können durch die Maßnahme nach § 163d StPO
viele Personen als Verdächtige identifiziert werden, die nur durch äußere Merkmale
dem „eigentlich“ Verdächtigen ähneln. Denn sie geraten so persönlich ins Visier
der Strafverfolgungsbehörden. Bereits daher ist die Vorschrift verfassungswidrig,
da unverhältnismäßig.
c) Angemessenheit
IV. Zwischenergebnis
Die Vorschrift des § 163d StPO ist ein unbestimmter und unverhältnismäßiger Ein-
griff in die Grundrechte auf Freiheit von Einschüchterung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG
und daher verfassungswidrig.
12
Vgl. zum übergeordneten Problem der Maßnahmenkumulation unter § 35, II, 2, b).
§ 32 Ausschreibung zur polizeilichen
Beobachtung gemäß § 163e StPO
Die polizeiliche Beobachtung nach § 163e StPO ist im Gegensatz zu § 163d StPO
(Netzfahndung vermittels Datenspeicherung) nicht auf grenzpolizeiliche Kontrollen
und Personenkontrollen gemäß § 111 StPO beschränkt, erstreckt sich aber ande-
rerseits auch auf die Fahndung nach Kraftfahrzeugen durch die Überwachung von
KFZ-Kennzeichen. Zeitlich ist sie höchstens auf ein Jahr befristet. Im Gegensatz
zu § 163d StPO müssen persönliche Daten des Verdächtigen bereits feststehen, da
in § 163e Abs. 1 StPO vom „Beschuldigten“ die Rede ist.1 § 163e regelt die Da-
tenerhebung bei Gelegenheit von Polizeikontrollen und ist keine Befugnisnorm für
Kontrollen. Eine spezialgesetzliche Grundlage für die Verarbeitung und Nutzung
der Daten enthält § 163e StPO nicht. Die entsprechende Befugnis ergibt sich aus
§§ 483 ff. StPO.
Nach der Gesetzesbegründung ist die Regelung der Maßnahme darauf gerichtet,
ein Bewegungsbild des Betroffenen zu erstellen.2
Bei Personenkontrollen, die nicht anlässlich des konkreten Strafverfahrens
stattfinden, werden Daten der ausgeschriebenen Person aufgenommen und an die
Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet. Durch die Ausschreibung zur polizeili-
chen Beobachtung soll nicht direkt eine verdächtige Person festgenommen oder ein
gestohlenes Kraftfahrzeug beschlagnahmt werden. Hauptsächlich geht es darum,
einen Verdächtigen zu beobachten, um den Tatverdacht auf lange Sicht zu klären.
Die Maßnahme wird verdeckt durchgeführt.3
1
Vgl. Wolter in: Wohlers, SK-StPO, § 163d Rdn. 10.
2
BTDrucks 12/989 S. 43; Schoreit in: KK 6 , § 163e Rdn. 3.
3
BTDrucks 12/898 S. 43: „Aufgrund einer Ausschreibung der betreffenden Person wird sein An-
treffen anlässlich anderer polizeilicher Kontrollen [. . . ] einschließlich der dabei festgestellten
Umstände, die für die Aufklärung erheblich sein können (z. B. Begleitpersonen, Reiseweg, mitge-
führte Gegenstände), erfasst und zur Auswertung an die ausschreibende Strafverfolgungsbehörde
gemeldet. Der Betroffene erfährt nichts.“
Nach § 163e StPO kann nur ein sehr grobes Bild über den Aufenthalt von Perso-
nen bzw. Kraftfahrzeugen angelegt werden. Die Erstellung von Bewegungsprofilen
durch Erfassung von Mobiltelefon- oder Peilsenderdaten nach §§ 100a, 100g, 100h,
163f StPO wäre allerdings wesentlich genauer. Wegen der praktisch unvermeidbar
dünnen Kontrolldichte einer Maßnahme nach § 163e StPO ist eine kernbereichs-
relevante Überwachungsdichte nur theoretisch denkbar. Sie soll „wenn überhaupt
[. . . ] eher die zufallsbedingte Abrundung des Persönlichkeitsbildes als die gezielte
Ermittlung ermöglichen.“4 Die Ausschreibung zur Fahndung ist allein nicht ge-
eignet, Einblicke in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zu eröffnen.
Lediglich als Teil einer groß angelegten Überwachung des Betroffenen durch ei-
ne Maßnahmenkombination ist möglich, dass die Maßnahme zur Erforschung des
Kernbereichs beiträgt. Diese Frage wird gesondert zu beantworten sein.5
2. Kernbereichsschutzkonzept?
§ 160e StPO ist zwar für sich betrachtet kein Eingriff in den Kernbereich der pri-
vaten Lebensgestaltung, die Norm kann aber ein Eingriff in das abwägbare Grund-
recht auf Freiheit von Einschüchterung sein. Die Regelung der Ausschreibung zur
Fahndung kann etwa dazu führen, dass eine Person, die sich einem Strafverfah-
ren ausgesetzt sieht, bestimmte Orte meidet, an denen Polizeikontrollen stattfinden
bzw. stattfinden können, denn der Betroffene weiß nicht, ob die Polizei seine Da-
ten an die strafverfolgenden Stellen weitergibt. Daher greift die Regelung in das
Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung ein.6
4
Schoreit in: KK 6 , § 163e Rdn. 3; Wolter in: Wohlers, SK-StPO, § 163e Rdn. 7.
5
Vgl. § 35.
6
Vgl. entsprechend § 31, II.
III. Rechtfertigung 435
III. Rechtfertigung
Die Regelung des § 163e StPO rechtfertigt den Eingriff in das Grundrecht auf Frei-
heit von Einschüchterung, wenn sie bestimmt und verhältnismäßig ist.
1. Bestimmtheit
Die Regelung der Maßnahme in § 163e StPO ist im Hinblick auf die Anlasstat „von
erheblicher Bedeutung“ unbestimmt und daher verfassungswidrig.7
2. Verhältnismäßigkeit
a) Geeignetheit
Die genannte Maßnahme kann zur Ermittlung von Tat und Täter beitragen. Sie ist
daher zum legitimen Zweck der Strafverfolgung geeignet.
b) Erforderlichkeit
7
Vgl. bereits § 13, IV und das Beispiel aus der Gesetzesbegründung zu § 163e StPO § 13, IV, 2,
a).
8
Schoreit in: KK 6 , § 163f Rdn. 2.
9
Wolter in: SK-StPO, vor § 151 Rdn. 78; § 163e Rdn. 8.
10
Krahl, NStZ 1998, S. 342.
11
Vgl. das allgemeine Ergebnis zu den Erforderlichkeitsklauseln unter § 14, IV.
436 § 32 Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung gemäß § 163e StPO
c) Angemessenheit
Nach der Ansicht von Schoreit ist die langfristige bundesweite geheime Datener-
fassung über eine Person „nur durch sehr handfeste ermittlungsmäßige Erfolgsaus-
sichten gerechtfertigt [. . . ], welche im Einzelfall überzeugend begründet werden
müssen.“12
IV. Zwischenergebnis
Die Vorschrift des § 163e StPO ist im Hinblick auf die Anlasstat „von erheblicher
Bedeutung“ unbestimmt und daher verfassungswidrig.
12
Schoreit in: KK 6 , § 163e Rdn. 4.
13
Vgl. § 35.
§ 33 Längerfristige Observation
gemäß § 163f StPO
Die langfristige Beobachtung begrenzt die Maßnahmen nach § 100h StPO in zeitli-
cher Hinsicht und stellt die längerfristige Observation unter strengere Voraussetzun-
gen als die im Gegenschluss zu § 163f StPO kürzere Observation mit technischen
Mitteln nach § 100h StPO. Die Regelung des § 163f StPO gilt für Observationen
mit oder ohne technische Mittel. Die Voraussetzungen der kurzfristigen Observati-
on mit technischen Mitteln nach § 100h StPO oder § 100f StPO müssen bei Einsatz
technischer Mittel im Rahmen der längerfristigen Observation zusätzlich geprüft
werden.1 Die kurzfristige Observation ohne technische Mittel ist in § 161 Abs. 1
S. 1 i. V. m. § 163 S. 2 StPO geregelt und wird ebenfalls modifiziert. Die Ermitt-
lungsbehörden müssen allerdings nicht zwei verschiedene Anordnungen treffen, da
die Maßnahme nach § 100h StPO nicht auf einem bestimmten formalen Weg ange-
ordnet werden muss. Die Entschließung der Behörden bedarf also nur hinsichtlich
der langfristigen Observation regelmäßig einer durch einen Antrag der StA begrün-
deten Anordnung durch das Ermittlungsgericht, im Eilfall vorläufig durch die StA
allein. Für die formalen Anforderungen an die Anordnung wird auf § 100b StPO
verwiesen.
1
So die h. M. OLG Hamm NStZ 2009, S. 347; Meyer-Goßner, StPO54 , § 163f Rdn. 2 , der die
Voraussetzungen zusätzlich prüfen will. Dies trifft aber für § 100h StPO nicht zu, da § 163f StPO
insoweit die strengeren Anforderungen stellt.
2
Roggan, Grenzenlose Ortung im Strafverfahren?, S. 153; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO54 ,
§ 163f Rdn. 2.
3
Vgl. § 8.
4
Vgl. zu der Kombination mehrerer unter verschiedene Spezialregelungen zu subsumierender
Maßnahmen § 35.
5
Eine Überwachung mittels Funk-Peilsendern, GPS- oder RFID-Technik erstellt zwar kein Foto
des Betroffenen, kann aber Informationen durch bildgebende Verfahren liefern (Navigations-
software) oder per Zuordnung der entstandenen Daten zur Erstellung von Bewegungsprofilen
beitragen.
III. Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG 439
langen Dauer eher zu erwarten als bei dem subsidiären § 100h StPO für kurzfris-
tige Überwachungen. Eine totale Bild- und Bewegungsüberwachung außerhalb der
Wohnung kann allerdings, weil eine Tonaufnahme fehlt, nur in Ausnahmefällen die
Anfertigung eines Persönlichkeitsprofils ermöglichen.
2. Kernbereichsschutzkonzept?
Aber auch zur Vermeidung der berechenbaren Ausnahmefälle muss eine rechtliche
Schutzvorkehrung bestehen. Eine zeitliche Befristung ist dafür allein nicht ausrei-
chend. Die Befristungen können verlängert werden und der prüfende Ermittlungs-
richter findet im Gesetz keinen Hinweise darauf, eine Verlängerung zu unterlassen,
weil die Beobachtung zu umfassend ist. Die Regelung der längerfristigen Obser-
vation muss durch ein inhaltliches Verbot der Totalüberwachung ergänzt werden,
sonst ist sie verfassungswidrig.
Wie oben dargelegt, ist ein Kernbereichsschutzkonzept schon bei der kurzfris-
tigen Observation nach § 100h StPO notwendig.6 Dann muss es erst recht bei der
langfristigen Observation erforderlich sein. Durch die Länge der Observation steigt
im Vergleich zu kurzfristigen Observationen die Gefahr, dass kernbereichsrelevante
Inhalte beobachtet, bildlich festgehalten und später verwertet werden. Nach dem
BVerfG ist bei längerfristigen Observationen auch darauf zu achten, dass nicht mit-
tels Rundumüberwachung ein Persönlichkeitsprofil des Betroffenen ermittelt wird.
Um dies zu verhindern, müssen die strafprozessualen Vorschriften über „allgemeine
verfahrensrechtliche Sicherungen“ verfügen, welche die Erstellung von Persönlich-
keitsprofilen verhindern.7
Wie bereits bei § 100h StPO gezeigt,8 wird durch eine technische verdeckte Ob-
servation in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung eingegriffen. Das
gleiche gilt für eine Kombination der längerfristigen Observation mit dem Einsatz
technischer Mitteln.9 Aber auch die längerfristige Observation ohne technische Mit-
tel hat unter Umständen einen handlungsbeeinflussenden Einschüchterungseffekt.
Wenn die Bürger damit rechnen müssen, dass sie bei jeder Verrichtung des tägli-
chen Lebens außerhalb ihres Hauses von Polizeibeamten heimlich verfolgt werden,
stellt sich auch bei unverdächtigen Personen Angst vor dieser Art der Überwachung
6
Vgl. § 27, II, 2, b), § 27, I, 1.
7
BVerfGE 112, 304, 319.
8
Vgl. § 27, II, 3.
9
Vgl. zur Kombination mit anderen Maßnahmen noch § 35.
440 § 33 Längerfristige Observation gemäß § 163f StPO
ein, da sie nicht wissen wer, wann, wo, von wem beschattet wird. Deshalb werden
Einzelne, die einen Anlass für konkrete Überwachung bieten, möglichst Orte mei-
den, an denen sie unbemerkt beschattet werden können.
IV. Rechtfertigung
Der Eingriff ist gerechtfertigt, wenn die Regelung des § 163f StPO bestimmt und
angemessen ist.
1. Bestimmtheit
Hinsichtlich der Bestimmtheit ist wie bei den meisten anderen Vorschriften der
verdeckten Maßnahmen die Regelung der Anlasstat problematisch. Die Einwände
gegen § 100h StPO10 gelten entsprechend auch gegen § 163f StPO. Die im Ver-
gleich zu § 100h StPO verschärfte Anordnungsvoraussetzung des Richtervorbehalts
in § 163f Abs. 3 StPO beseitigt nicht das Problem der fehlenden Bestimmtheit der
Anlasstat. Die Versuche in der Literatur11 und der Rechtsprechung,12 die Anlas-
staten gegen Bagatelldelikte abzugrenzen, offenbaren die durch die Gesetzgebung
verursachte Hilflosigkeit der Rechtsanwender und führen zu mangelnder Rechtssi-
cherheit. So soll nach der Rechtsprechung bereits die abstrakte Höchststrafe von
einem Jahr für die Tat von erheblicher Bedeutung ausreichen, ohne dass überhaupt
auf die Bedeutung der Tat im konkreten Einzelfall eingegangen wird.13
Teilweise entschließt man sich in der Literatur offenbar mangels gesetzlichen
Maßstabs in der StPO unter der Hand zu einem Rückgriff auf das allgemeine Ver-
hältnismäßigkeitsprinzip, um den Begriff der „Straftat von erheblicher Bedeutung“
in diesem speziellen Fall zu festigen. Im Vergleich zu § 163e StPO, der ebenfalls
den Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung voraussetzt, könne an § 163f
StPO nur ein „weniger strenger Maßstab angelegt werden“,14 weil das Gewicht
des Grundrechtseingriffs durch § 163f StPO „als zu gering und etwa im Vergleich
zu § 163e StPO als nicht dem Gewicht des Grundrechtseingriffs entsprechend an-
gesehen“ wird.15 Dies sind Angemessenheitsabwägungen, die eindeutig nur zu den
Aufgaben des Gesetzgebers gehören.16 Außerdem ist der Vergleich mit § 163e StPO
auch kriminalpolitisch nicht überzeugend. Die Wirksamkeit einer geheimen Aus-
10
Vgl. § 27, III.
11
Meyer-Goßner, StPO54 , § 163f Rdn. 4.
12
LG Kaiserslautern, NStZ 2006, 516, 517.
13
LG Kaiserslautern, NStZ 2006, 516, 517.
14
Schoreit in: KK 6 , § 163f Rdn. 14.
15
Schoreit in: KK 6 , § 163f Rdn. 13 unter Bezugnahme auf Krehl, JR 2001, S. 491, 495.
16
Vgl. schon die oben gefundenen allgemeinen Ausführungen und Ergebnisse zur Angemessen-
heit unter § 9, II, 6 und unter § 13, IV zur Straftat „von erheblicher Bedeutung“.
V. Zwischenergebnis 441
schreibung zur Fahndung ist im Vergleich zur Observation sehr bescheiden. Ob der
Betroffene überhaupt bei einer Kontrolle registriert wird, ist mehr als unsicher.
2. Verhältnismäßigkeit
a) Geeignetheit
Die genannte Maßnahme kann zur Ermittlung von Tat und Täter beitragen. Sie ist
daher zum legitimen Zweck der Strafverfolgung geeignet.
b) Erforderlichkeit
Die in § 163f Abs. 1 StPO enthaltene Subsidiaritätsklausel ist kein schlichter Ver-
weis auf die Verhältnismäßigkeit, sondern eine verfassungskonforme Umsetzung
des Erforderlichkeitsgrundsatzes.17
c) Angemessenheit
Wegen der Unbestimmtheit der Anlasstat ist die Angemessenheit nicht eindeutig zu
beurteilen. Eine Anhebung des Anlasstatenniveaus auf Taten nach dem Katalog des
§ 100a StPO, die auch im Einzelfall eine Strafe von mindestens einem Jahr erwarten
lassen, ist aber nicht notwendig. Die genaue Abgrenzung bleibt der Einschätzungs-
prärogative des Gesetzgebers überlassen.
V. Zwischenergebnis
Die Vorschrift des § 163f StPO verstößt gegen das Recht auf einen unbeobachte-
ten Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Art. 1 Abs. 1 GG und ist deshalb
verfassungswidrig. Sie bietet keine ausreichende Vorsorge gegen Extremfälle, in
denen eine Totalüberwachung durch visuelle Observation erfolgt und gleichzei-
tig Bewegungsprofile mittels Sendern angefertigt werden, die Ortskoordinaten an
die Ermittlungsbehörden übermitteln. Außerdem besteht kein Schutzkonzept zur
Vermeidung von punktuellen visualisierten Aufnahmen aus dem Kernbereich pri-
vater Lebensgestaltung außerhalb von Wohnungen. Die Regelung ist ferner eine
Verletzung des Grundrechts auf Freiheit von Einschüchterung, da sie hinsichtlich
der Anlasstaten unbestimmt ist.
17
Vgl. das allgemeine Ergebnis zu den Erforderlichkeitsklauseln unter § 14, IV.
§ 34 Generalklausel für unspezifische verdeckte
Ermittlungsmaßnahmen gemäß
§ 161 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 163 S. 2 StPO
Ob in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung und das Grundrecht auf Frei-
heit von Einschüchterung eingegriffen werden kann, hängt von der Frage ab, ob
die Generalklausel eine Aufgabenzuweisung oder eine Eingriffsbefugnis ist. Der
Gesetzgeber hat sich mit der Formulierung „ist befugt“ in § 163 S. 2 StPO ausdrück-
lich für eine Befugnis und nicht nur für eine Aufgabenzuweisung entschieden. Die
sog. Ermittlungsgeneralklausel ist ausdrücklich subsidiär zu anderen speziellen Re-
gelungen. Die Polizei „ist befugt, Ermittlungsmaßnahmen jeder Art vorzunehmen,
soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regeln.“ Die
reformierte Generalklausel ist daher nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätz-
lich Befugnisnorm und nicht nur Aufgabenzuweisung.2
Welche dieser Fallkonstellationen tatsächlich zu den verdeckten strafprozessua-
len Ermittlungsmaßnahmen zählen und ob diese in Grundrechte der Betroffenen
eingreifen, ist unklar. Bei solchen Grundrechtseingriffen durch und aufgrund der
Generalklausel, drängt sich die Frage nach Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit
der weitgefassten Generalklausel auf. Diese Fragen können nur exemplarisch in
1
Griesbaum in: KK 6 , § 161 Rdn. 12.
2
Vgl. Hefendehl, StV 2001, S. 700 ff.
Die schlichte heimliche Beschattung ohne technische Mittel unterfällt der General-
klausel.
Im Gegensatz zum Verdeckten Ermittler besteht hier keine Legende unter wel-
cher der Beamte mit dem Betroffenen oder Dritten interagiert. Im Vergleich zu
§ 100h StPO besteht der Unterschied, dass keine technischen Mittel zur Observation
eingesetzt werden.
Die Beschattung eröffnet auch die Möglichkeit, Kenntnisse aus dem Kernbereich
der privaten Lebensgestaltung zu ermitteln. Der sich verborgen haltende Beamte
kann etwa ein sehr persönliches Gespräch des Betroffenen mit seiner Geliebten in
der abgelegenen Natur belauschen.
b) Kernbereichsschutzkonzept?
Die Maßnahme greift in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung ein. Eine
Person, die befürchten muss beschattet zu werden, wird Anlass haben, die eigene
Wohnung seltener als gewünscht zu verlassen.
III. V-Person und „Hörfallen“ 445
Beispiel 63 Das verschwommene Foto auf einem öffentlichen Parkplatz kann für
den Betroffenen sowohl objektiv als auch subjektiv eine geringere Gefahr für das
Entstehen von Einschüchterungseffekten darstellen als die verdeckte Überwachung
durch beschattende Beamte, weil das Foto objektiv nicht beweiserheblich und sub-
jektiv nicht als bedrohlich angesehen wird. Aus einer normalen verdeckten Be-
schattung ohne den Einsatz technischer Überwachungsmittel können sich hingegen
objektiv hilfreiche Ermittlungsansätze zu Lasten des Betroffenen ergeben. Selbst
das Abhören eines Telefongesprächs kann unter Umständen belanglos sein, im Ge-
gensatz zum heimlichen Infiltrieren des Privatbereichs durch Veranlassen der Spit-
zeltätigkeit von Freunden (als V-Personen).
Mit einer V-Person3 ist eine Vertrauensperson gemeint. Das sind oftmals selbst dem
kriminellen Milieu entstammende Personen, die polizeibekannt sind, aber mit Er-
mittlungsbehörden zusammenarbeiten.4 Die Ermittlungsgeneralklausel erfasst nach
ihrem Wortlaut die Führung von V-Personen.5 Die Generalklausel enthält keine Be-
schränkungen, sondern ist nach ihrem Wortlaut allein durch den kriminalistischen
Bedarf bedingt.6 Eine „Hörfalle“ kann auf unterschiedliche Weise mit Hilfe des Ein-
satzes von V-Personen entstehen und kann nicht trennscharf vom schlichten Einsatz
von V-Personen als Kundschafter abgegrenzt werden.7 Insoweit sind für die vorlie-
gende Untersuchung verschiedene Konstellationen zu unterscheiden:
1. Die Ermittlungsbeamten laden den Beschuldigten zur Vernehmung vor. Der
Raum wird heimlich akustisch überwacht. Nachdem der Beschuldigte oder
Zeugnisverweigerungsberechtigte von seinem Schweigerecht gebraucht ge-
macht hat, lassen ihn die Beamten mit einer V-Person allein.
3
Vgl. zur V-Person die umfangreiche Darstellung bei Ellenbogen, Die verdeckte Ermittlungstätig-
keit der Strafverfolgungsbehörden durch die Zusammenarbeit mit V-Personen und Informanten.
4
Vgl. auch schon oben die Erörterung bei der Darstellung der Regelung des Einsatzes Verdeckter
Ermittler, § 30, II, 2.
5
So auch die h. M. jedenfalls für nicht aktiv auf Selbstbelastung hinwirkende V-Personen, vgl.
BGH NStZ 10, 528; undifferenziert Meyer-Goßner, StPO54 , § 161 Rdn. 1 und § 110a Rdn. 4a.
6
Vgl. Meyer-Goßner, StPO54 , § 161 Rdn. 1: „Ermittlungen jeder Art“; vgl. auch Wollweber, NJW
2000, S. 3623.
7
Vgl. BGHSt 40, 211; BGH NStZ 1995, 557; Roxin, NStZ 1997, S. 18; Roxin, S. 465 ff.
446 § 34 Generalklausel für unspezifische verdeckte Ermittlungsmaßnahmen
2. Alternativ wird der Raum nicht überwacht, aber die V-Person sagt über das Ge-
spräch mit dem Beschuldigten aus.
3. Die Ermittlungsbehörden nehmen über eine V-Person telefonischen Kontakt zu
einem Verdächtigen oder sonst für das Verfahren wichtigen Zeugen auf. Die V-
Person lässt die Anwesenden staatlichen Ermittlungspersonen über einen Zweit-
hörer oder Lautsprecher mithören.
4. Eine Privatperson – etwa das Opfer einer Straftat – nimmt auf eigene Initiative
Kontakt mit der Polizei auf und bittet die Ermittlungsbeamten ein Telefonat mit
dem Beschuldigten mitzuhören.
5. In den Fällen 1–4 setzt befragt die V-Person den Beschuldigten nicht nur, son-
dern setzt ihn unter starken psychischen Druck, so dass er sich genötigt sieht der
V-Person Geheimnisse zu verraten.
Nr. 1–2 sind – soweit aufgenommen wird – unter § 100f StPO zu subsumieren. Der
Einsatz der V-Person ergibt sich aber nicht als Annexkompetenz aus § 100f StPO,
sondern muss sich aus der Ermittlungsgeneralklausel ableiten lassen. Dies gilt erst
Recht, wenn keine technischen Mittel der Überwachung eingesetzt werden.
Die „Telefon-Hörfallen“ in Nr. 3–4 sind weder unter Art. 10 GG noch unter
§ 100a StPO zu subsumieren. Vielmehr greifen diese Ermittlungsmaßnahmen in
das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung ein. Damit korrespondiert eine
Einordnung der Hörfalle als technische Überwachung des gesprochenen Worts nach
§ 100f StPO, wenn technisch aufgezeichnet wird oder als ungeregelte Maßnahme
der Ermittlungsgeneralklausel nach § 161 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 163 S. 2 StPO, wenn
ohne weitere technische Geräte mitgehört wird.
Bei einem nicht durch technische Mittel aufgezeichneten Gespräch in einer Hörfal-
le besteht in etwa die gleiche Wahrscheinlichkeit, Gespräche aus dem Kernbereich
der privaten Lebensgestaltung mitzuhören, wie bei anderen Gesprächsüberwachun-
gen, zum Beispiel nach §§ 100a, 100f StPO. Weil der eine Gesprächspartner mit
der Polizei zusammenarbeitet, wird er das Gespräch eventuell nicht auf kernbe-
reichsrelevante Themen lenken, aber diese Annahme hängt von den Umständen des
Einzelfalls ab. Wenn die Ermittlungsbehörden ein vom Betroffenen für vertraulich
gehaltenes Telefongespräche mithören, können auch Äußerungen des Betroffenen
fallen, die sehr private Umstände seines Lebens betreffen. Es spielt keine Rolle, dass
der Gesprächspartner, der die Ermittlungsbehörden mithören lässt, das Vertrauen
bricht. Damit endet der Grundrechtsschutz nicht, weil der Dritte den Kernbereichs-
III. V-Person und „Hörfallen“ 447
schutz nicht einseitig aufheben kann, ohne diesem anderen deutlich zu machen.8
Die V-Person kann die gleichen Handlungen kann über das Einzelgespräch hinaus
Handlungen wie ein Verdeckter Ermittler durchführen, insbesondere in den fami-
liären und freundschaftlichen Bereich des Betroffenen eindringen. Daher gelten
die zu § 110a StPO gefundenen Ergebnisse grundsätzlich entsprechend. Allerdings
enthält die Generalklausel keine § 110a Abs. 2 und 3 StPO entsprechende Beschrän-
kungen für die Handlungen der V-Person. Wie schon der Verdeckte Ermittler nach
§ 110a StPO in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung eindringen kann, ist
dies auch der V-Person möglich.
b) Kernbereichsschutzkonzept?
Oben wurde dargelegt, dass unter Umständen eine Verletzung des Nemo-tenetur-
Prinzips bei verdeckten Ermittlungsmaßnahmen in Betracht kommen kann.
Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass durch den Einsatz ei-
ner Hörfalle kein Verstoß gegen die Belehrungspflichten aus § 163a Abs. 4, 136
Abs. 1 StPO gegeben sei. Auch eine Missachtung der Menschenwürde kann daher
nicht vorliegen. Diese Rechtsprechung ist jüngst unter Einbeziehung sich durch den
Einsatz von V-Personen ergebenden „vernehmungsähnlichen Situationen“ bestätigt
worden. Solange die V-Person nicht in amtlicher Position auftrete, sei die Drucksi-
tuation nicht mit einer Vernehmung vergleichbar.9 Auch die Täuschungsalternative
des § 136a wird sowohl in direkter als auch analoger Anwendung verneint. Die
Täuschungsalternative sei bei systematischer Auslegung eng zu verstehen.10 Der
BGH behandelt nach den eben genannten Ausführungen das Nemo-tenetur-Pinzip
als solches und verneint auch insoweit einen Verstoß.11 Dieser könne zwar unter
Umständen beim Einsatz einer V-Person bzw. Hörfalle vorliegen, aber nur wenn die
8
Siehe § 8.
9
BGH NStZ 2011, 596 m. w. N.
10
BGH NStZ 2011, 596.
11
BGH NStZ 2011, 596.
448 § 34 Generalklausel für unspezifische verdeckte Ermittlungsmaßnahmen
c) Eigene Ansicht
Die Rechtsprechung ist mit der bereits oben dargelegten Argumentation15 zu unter-
stützen: Auf bloß beobachtende verdeckte Ermittlungsmaßnahmen ist das Nemo-
tenetur-Prinzip nicht anwendbar. Der Einsatz von V-Personen und Hörfallen ist
nicht nur beobachtend16 sondern wirkt mitunter auch unmittelbar veranlassend bzw.
aktivierend auf den Betroffenen. Eine solche gemischt aktivierende und beobach-
tende Maßnahme missachtet nur dann das Nemo-tenetur-Prinzip, wenn ein psychi-
scher Druck entfaltet wird, der staatlichem Zwang oder staatlicher Täuschung zur
Selbstbelastung gleichkommt. Die oben genannten Fälle 1.–4. sind also gleich zu
behandeln. Lediglich in Fall 5. ergibt sich eine Verletzung der Menschenwürde.
Weniger intensiver Einfluss auf die Handlungssteuerung – in diesem Fall zu Selbst-
belastung – fällt unter den Schutz des Grundrechts auf Freiheit von Einschüchte-
rung. Da ein solches psychologisch perfides Vorgehen der V-Personen aber von der
Generalklausel umfasst ist, ist die Norm bereits insoweit verfassungswidrig. Eine
Vorschrift, die den Einsatz von V-Personen gesondert regelt, müsste nicht nur ein
Kernbereichsschutzkonzept, sondern ein umfassendes Menschenwürdeschutzkon-
12
Vgl. dazu BGHSt 52, 11.
13
Salditt, AnwBl 1999, S. 134. Vgl. insoweit die Darstellung bei Guder, S. 50 ff. Vgl. auch zur
strittigen Einordnung der „Hörfallen“ als Probleme des Nemo-tenetur-Prinzips vgl. Eisenberg,
Beweisrecht der StPO: Spezialkommentar, Rdn. 638; Eisenberg, JR 2011, S. 1299 ff.; Sternberg-
Lieben, Jura 1995, S. 299 ff.; Krehl, StV 1988, S. 376; Rieß, NStZ 1996, 505 f.; Fezer, NStZ 1996,
S. 289 ff.; Lagodny, StV 1996, S. 167 ff.
14
Vgl. Bosch, 240 Fn. 46.
15
Vgl. § 8, V, 3.
16
Und damit nur mittelbar handlungsbeeinflussend, vgl. das Grundrecht auf Freiheit von Ein-
schüchterung § 8, III, 4.
III. V-Person und „Hörfallen“ 449
zept enthalten. Der Einsatz der V-Personen muss de lege ferenda in einer speziellen
Standardmaßnahme (zum Beispiel im Rahmen des § 110a StPO) geregelt werden,
wenn nicht ganz auf die Maßnahme verzichtet werden soll.
Die Maßnahme greift in das Grundrecht auf Freiheit von Einschüchterung ein, wenn
die Folgen der Führung von V-Personen einen Einschüchterungseffekt haben und
diese Folgen zurechenbar durch die Strafverfolgungsbehörden verursacht wurden.
In der Literatur wird ein Grundrechtseingriff durch den Einsatz von V-Personen be-
reits seit langem diskutiert. Rechtsprechung und h. M. gingen lange davon aus, dass
es an einem Grundrechtseingriff fehle.17 Eine Minderheitenansicht in der Literatur
ging schon früh wegen der Absenkung der Anforderungen an den Eingriffsbegriff
davon aus, dass in jedem Falle ein Grundrechtseingriff bei Einsatz von V-Personen
vorliege.18 Das BVerfG hat seine Rechtsprechung geändert und differenziert nun
danach, ob die V-Person die Informationen lediglich „passiv“ aufnimmt oder „ak-
tiv“ darauf hinarbeitet, dem Betroffenen belastende Äußerungen zu entlocken.19
Diese Differenzierung ist nach dem hier vertretenen Grundrecht auf Freiheit von
Einschüchterung aufzugeben. Der Eingriff hängt nicht davon ab, ob der Betroffe-
ne „aktiv“ oder „passiv“ überwacht wird. Auch das Abhören eines Selbstgesprächs
mit einem unbemerkten elektronischen Gerät ist ein Eingriff. Es kann keinen Un-
terschied machen, ob der Betroffene durch einen Menschen oder ein elektronisches
Gerät überwacht wird:
Diese Maßnahme nach § 100f StPO ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit
von Einschüchterung.
17
BGHSt 32, 121 f.; 40, 211, 215 f.; BVerfG NStZ 1991, 445; 1995, 600; Krey, JR 1992, S. 3;
Jähnke, Verwertungsverbote und Richtervorbehalt beim Einsatz Verdeckter Ermittler, S. 430.
18
Vgl. Krüger, S. 855 f.; Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, S. 232 f. Die Diskussion
ist nach wie vor aktuell und ungelöst, vgl. BGHSt 52, 11, 17; Mahstedt, S. 25; Roxin, NStZ-
Sonderheft Miebach 2009, S. 41.
19
BVerfG StV 2000, 233; vgl. auch Lesch, JA 2000, S. 638 f.
450 § 34 Generalklausel für unspezifische verdeckte Ermittlungsmaßnahmen
Suchtkranken auf Entzug. Er setzt sich neben X auf die Parkbank und beginnt ein
Gespräch über das Wetter. Der ein Geschäft witternde X bringt von sich aus das
Thema auf seine Tätigkeit als „Dealer“. V berichtet den Gesprächsinhalt sofort dar-
auf der Kriminalpolizei.
Beispiel 66 Eine Veranlassung ist auch bereits dann gegeben, wenn lokal bekannt
ist, dass die Polizei Spitzeldienste in bestimmten Milieus belohnt und etwa Klein-
Dealer daher freiwillig in Drogenhändlerkreisen „ermitteln“. Kommt hinzu, dass V-
20
Vgl. BVerfG StV 2000, S. 233, 234.
21
Vgl. zum Eingriffsbegriff § 7, III; § 7, III, 5, c); § 8, III, 4, a). Für einen Eingriff auch Duttge,
JZ 1996, S. 556 ff., der ebenfalls für eine spezialgesetzliche Regelung de lege ferenda vorschlägt.
22
Ähnlich Wolter in: SK-StPO, § 110a Rdn. 14; vgl. auch Lagodny, StV 1996, S. 172.
III. V-Person und „Hörfallen“ 451
23
Vgl. § 8, III, 4, g).
24
Zufälliges Mithören ist nur dann kein Eingriff, wenn es nicht zurechenbar ist, vgl. dazu die
Erläuterung des Eingriffsbegriffs unter § 7, III.
25
Vgl. § 7, III.
452 § 34 Generalklausel für unspezifische verdeckte Ermittlungsmaßnahmen
§ 161 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 163 S. 2 StPO ist nur dann eine ausreichende Rechts-
grundlage für in Grundrechte eingreifende verdeckte strafprozessuale Ermittlungs-
maßnahmen, wenn sie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Vorbehalt
des Gesetzes nach Normenbestimmtheit und Verhältnismäßigkeit erfüllen.
1. Bestimmtheit
2. Verhältnismäßigkeit
Unterstellt, die Normen wären insgesamt bestimmt, ist problematisch, dass der
Normenkomplex wegen seiner Weite auch unverhältnismäßige Eingriffe erfassen
könnte.29
26
Vgl. § 9, I.
27
Vgl. zur alten Rechtslage Duttge, JZ 1996, S. 556.
28
Vgl. § 6, IV, 4, a).
29
Vgl. Griesbaum in: KK 6 , § 161 Rdn. 19.
V. Zwischenergebnis 453
a) Geeignetheit
b) Erforderlichkeit
Erforderlich ist die Maßnahme, wenn kein milderes, zur Erreichung des Zwecks
gleich geeignetes Mittel zur Verfügung steht. Die Regelung ist nur dann verhältnis-
mäßig, wenn sie eine Erforderlichkeits- bzw. Subsidiaritätsklausel enthält.
Die h. M.30 füllt die Regelung der Generalklausel wegen deren Offenheit mit dem
allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.31 Auch für die genannten Fallgruppen
wird dies explizit vertreten.32
V. Zwischenergebnis
30
„Bei allen Ermittlungshandlungen ist neben dem Ermittlungszweck (§ 160 Abs. 1) und den
Rechten Dritter, in die nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden darf, auch der Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit (Einl. Rn. 30f) zu beachten. Er bestimmt Art, Maß und Reihenfolge der
Ermittlungsmaßnahmen und namentlich der Eingriffsmaßnahmen (Meyer-Goßner Rn. 9).“, Gries-
baum in: KK 6 , § 161 Rdn. 19.
31
Vgl. § 20, II.
32
Vgl. etwa für den Einsatz von V-Personen Lesch, JA 2000, S. 638; a. A. implizit Lilie/Rudolphi,
NStZ, S. 514 Fn. 3.
33
Vgl. § 11, I.
34
Vgl. § 20, III; § 20, III, 5.
454 § 34 Generalklausel für unspezifische verdeckte Ermittlungsmaßnahmen
erlaubt.35 Für eine verfassungskonforme Auslegung bleibt kein Raum, da der Wort-
laut der Norm bewusst weit gewählt wurde. Eine verfassungskonforme Reduktion
auf Maßnahmen, die nicht in Grundrechte eingreifen, ist aus den grundsätzlich die-
ser Methode entgegenstehenden Gründen abzulehnen.36
35
So ähnlich schon Meurer, Informelle Ausforschung, S. 1295; Renzikowski, JZ, Bd. 52, 1997,
S. 716; Schmitz, S. 53 ff. A. A. Krey, Sonderband der BKA Forschungsreihe 1993, S. 80.
36
Vgl. § 9, II, 6.
§ 35 Die Zulässigkeit der Kombination
unterschiedlicher Maßnahmen
1
Die Problematik, dass sich dabei repressive und präventive Maßnahmen überschneiden, soll hier
ausgeklammert werden. Sie ist nicht Thema der Arbeit. Vgl. dazu BVerfGE 112, 304, 320: „Für
den Fall, dass neben den Strafverfolgungsinstanzen auch Verfassungsschutzbehörden und Nach-
richtendienste ermittelnde Maßnahmen anordnen und vollziehen, hat der Gesetzgeber in § 492
Abs. 4 StPO die Möglichkeit geschaffen, dass grundlegende, den Staatsanwaltschaften zugängli-
che Verfahrensdaten auch den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Amt
für den Militärischen Abschirmdienst und dem Bundesnachrichtendienst zur Verfügung gestellt
werden, sofern diesen Behörden ein Auskunftsrecht gegenüber den Strafverfolgungsbehörden zu-
steht. Diese Regelung, die in erster Linie der Verfahrensvereinfachung dienen sollte (BTDrucks
12/6853, S. 37), hat zugleich eine Voraussetzung für die grundrechtssichernde Abstimmung der
Ermittlungstätigkeit geschaffen. [. . . ] Der Gesetzgeber wird darüber hinaus zu beobachten haben,
ob die bestehenden verfahrensrechtlichen Vorkehrungen auch angesichts zukünftiger Entwick-
lungen geeignet sind, den Grundrechtsschutz effektiv zu sichern. Es dürfte zu erwägen sein, ob
durch ergänzende Regelung der praktischen Ermittlungstätigkeit – etwa in den Richtlinien für das
Strafverfahren und das Bußgeldverfahren – unkoordinierte Ermittlungsmaßnahmen verschiedener
Behörden verlässlich verhindert werden können.“
I. Maßnahmen in Wohnungen
§ 100c StPO regelt jedoch nur die Tonaufnahme des gesprochenen Wortes inner-
halb von Wohnungen, nicht jedoch die Bildaufnahme. Die Regelung ist mehrdeutig
und lässt sich in zwei Varianten auslegen:
1. Mit dem Schweigen des § 100c StPO zu weiteren Arten der Überwachung lässt
sich argumentieren, dass also eine Bildaufnahme nach § 100h StPO zulässig sei.
Zumindest ist sie in § 100c StPO nicht ausdrücklich verboten. Der Wortlaut des
§ 100h StPO ist insoweit ebenfalls nicht begrenzt.
2. Man kann § 100c StPO genauso gut als abschließende Spezialregelung für die
Überwachung von Wohnraum auffassen, die aber nur eine bestimmte Form der
Überwachung – nämlich die akustische – benennt.
Die erstgenannte ebenfalls mit dem Wortlaut zu vereinbarende Auslegung schei-
det als verfassungswidrig aus. Nach verfassungskonformer Auslegung verstieße sie
nämlich gegen das Grundgesetz. In Art. 13 Abs. 3 GG ist nur die akustische Wohn-
raumüberwachung geregelt. Art. 13 Abs. 4 GG erlaubt sonstige technische Mittel
zur Überwachung von Wohnungen nur im Falle der dringenden Gefahrenabwehr.
Im Gegenschluss ist von Verfassungs wegen keine andere technische Überwachung
von Wohnungen gestattet.2 In Wohnräumen ist aber die Kombination der Maß-
nahme nach § 100c StPO mit der Telekommunikationsüberwachung nach § 100a
StPO und dem Einsatz persönlicher Verdeckter Ermittler nach § 110a StPO zuläs-
sig. Diese Kombination ist gestattet, weil Telekommunikation früher im Regelfall
in Wohnräumen stattfand und ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis in Art. 10
GG vorgesehen ist. Bei einer Telekommunikationsüberwachung wird zudem nicht
die absolut geschützte Privatsphäre der Wohnung verletzt, da sich der Kommuni-
zierende einem anderen außerhalb dieser Sphäre eröffnet, indem er ihn anruft. Für
den Einsatz eines Trojaners – eine Regelung de lege ferenda vorausgesetzt – gilt
dies nicht, da dies eine Ausspähung nach Art. 13 Abs. 4 GG wäre, die nur bei
dringender Gefahr für wichtige Rechtsgüter zulässig wäre.3 Die Abgrenzung muss
entsprechend der oben vorgenommenen Unterscheidung zwischen dem Grundrecht
auf Freiheit von Einschüchterung nach Art. 2 Abs. 1 GG und dem Grundrecht auf
Gewährleistung der Privatsphäre der Wohnung aus Art. 13 GG erfolgen.4
Der Verdeckte Ermittler gemäß § 110a StPO darf Wohnungen betreten, wenn
der Betroffene ihn einlässt. Dass der Gesetzgeber diese Möglichkeit schaffen darf,
2
Vgl. dazu das gefundene Ergebnis zur Auslegung des Art. 13 GG, § 8, VII, 2, b).
3
Einzige Ausnahme wäre, wenn die Speicherinhalte vom Betroffenen der Öffentlichkeit zugäng-
lich gemacht werden.
4
Vgl. § 8, VII, 2, e).
II. Maßnahmen außerhalb von Wohnungen 457
ergibt sich indirekt aus Art. 13 Abs. 5 GG, weil diese Norm die Sicherung Verdeck-
ter Ermittler in Wohnungen regelt. Diese Maßnahme kann also zu der akustischen
Wohnraumüberwachung nach § 100c StPO und der Telekommunikationsüberwa-
chung nach § 100a StPO hinzu kommen. Somit kann der Betroffene in seiner Woh-
nung abgehört werden, seine Telefonate und seine Computerkommunikation kön-
nen überwacht werden und ein Verdeckter Ermittler kann – getarnt als Freund –
die visuelle Überwachung beisteuern. Diese Maßnahmenkombination wäre eine
punktuelle Totalüberwachung. Sie würde daher die Menschenwürde antasten. Zwar
enthält § 100c Abs. 4 StPO ein Kernbereichsschutzkonzept, doch macht dies nicht
deutlich, dass eine solche Kombination unzulässig wäre. § 100c Abs. 4 GG be-
trifft nach dem eindeutigen Wortlaut nur „Äußerungen, die dem Kernbereich der
privaten Lebensgestaltung zuzurechnen sind“. Die Regelung lässt nach hier vertre-
tener Ansicht auch keinen Spielraum für eine verfassungskonforme Auslegung. Das
gilt entsprechend für den Kernbereichsschutz nach § 100a Abs. 4 StPO sowie für
§§ 110a, 100b StPO, die gar kein dezidiertes Kernbereichsschutzkonzept aufwei-
sen. De lege ferenda muss daher ein solches Schutzkonzept in die Normen integriert
oder als allgemeine Vorschrift geschaffen werden. Nach derzeitigem Gesetzesstand
sind die genannten Vorschriften verfassungswidrig.
Neben der parallelen Kombination von Maßnahmen ist auch die aufeinander fol-
gende Kombination der Maßnahmen möglich. So kann in einer Ermittlung der
Tatverdacht zunächst mittels Rasterfahndung individualisiert werden und nachfol-
gend das gesamte Arsenal der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen genutzt werden.
Dies kann dann zur vom BVerfG geächteten „Rundumüberwachung“5 führen, weil
so eine lückenlose Überwachung gewährleistet ist, die dem Betroffenen keinen un-
beobachteten Freiraum mehr lässt. Wenn die Ton- und Filmüberwachung an der
Haustür des Betroffenen endet, kann die Überwachung innerhalb des Hauses durch
akustische Wohnraumüberwachung fortgesetzt werden.
5
[. . . ] eine von Verfassungs wegen stets unzulässige „Rundumüberwachung“ [. . . ], mit der ein
umfassendes Persönlichkeitsprofil eines Beteiligten erstellt werden könnte [. . . ], BVerfGE 112,
30, 319.
458 § 35 Die Zulässigkeit der Kombination unterschiedlicher Maßnahmen
2. Eigene Ansicht
Durch die Kombination der Überwachungsmittel bleibt dem Betroffenen nur mar-
ginaler Rückzugsraum, in dem er unüberwacht bleibt. Dieser wird innerhalb der
Wohnung durch Art. 100c Abs. 4 StPO, aber nur für bestimmte kernbereichsrele-
vante Verhaltensweisen, gewährleistet. Das BVerfG sieht die Menschenwürde ge-
mäß Art. 1 GG aber offenbar nicht nur dann angetastet, wenn der Kernbereich
der privaten Lebensgestaltung betroffen ist. Die Menschenwürde ist auch dann an-
getastet, wenn ein umfassendes Persönlichkeitsprofil erstellt wird.7 Während ein
Bewegungsprofil nur einen Ausschnitt aus der Persönlichkeit betrifft, könnte die
Totalüberwachung auch dann ein Persönlichkeitsprofil ergeben, wenn zwar die in-
timsten Details nicht bekannt sind, aber das übrige Leben des Betroffenen so in-
tensiv ausgeforscht wurde, dass die bestehenden Kenntnislücken bezüglich seiner
Biographie so klein sind, dass sein Charakter ausgeleuchtet wird und sein Verhalten
in den meisten Situationen vorhergesagt werden kann.
In der oben zitierten Entscheidung8 stellt das BVerfG besondere Anforderun-
gen an das Verfahren. Diese definiert es aber nur dem Ziel nach. Mit dem Ver-
6
BVerfGE 112, 304, 319 f.
7
Vgl. § 8.
8
Siehe § 35, II, 1.
II. Maßnahmen außerhalb von Wohnungen 459
Die Erstellung eines „Persönlichkeitsprofils“ ist zudem nicht die einzig mögliche
Verletzung des Anspruchs auf Achtung der Menschenwürde durch eine Kombina-
tion von Maßnahmen. Der Kernbereich der Persönlichkeit kann auch durch eine
punktuelle Kombination von Bild- und Tonaufnahmen von sexueller Interaktion
oder ähnlich intimen Verhaltensweisen des Betroffenen den Kernbereich der pri-
vaten Lebensgestaltung und damit den Anspruch auf Achtung der Menschenwürde
aus Art. 1 Abs. 1 GG verletzen.
9
Vgl. § 20, I; § 20, III, 5.
10
Dieser wäre zudem auch nicht durch Verhältnismäßigkeitserwägungen zu erreichen, da der
Kernbereich nach Art. 1 Abs. 1 GG absolut gegen Eingriffe geschützt ist.
460 § 35 Die Zulässigkeit der Kombination unterschiedlicher Maßnahmen
11
Vgl. § 6, IV, 4.
III. Maßnahmenkombination als Verletzung ungerechtfertigter Grundrechtseingriffe 461
Über den Kernbereichsschutz hinaus ist dafür Sorge zu tragen, dass Maßnahmen-
kombinationen, die nicht die Menschenwürde antasten, nur verhältnismäßig in
Grundrechte eingreifen. Die Erforderlichkeit ist für die Maßnahmen, die über spe-
zielle Subsidiaritätsklauseln verfügen, bereits durch diese Klauseln selbst gesichert.
Die Maßnahmen, die keine Subsidiaritätsklauseln enthalten, sind deswegen schon
isoliert betrachtet unverhältnismäßige Eingriffe in das Grundrecht auf Freiheit von
Einschüchterung aus Art. 2 Abs. 1 GG. Sie sind es erst Recht in Kombination
mit anderen Maßnahmen. Die Regelungen erlauben de lege lata auch unver-
hältnismäßige Kombinationen. Dem könnte durch eine allgemeine gesetzliche
Subsidiaritätsregel oder durch spezielle Klauseln abgeholfen werden.
Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG ist die Belastung der Betroffenen außer-
dem durch einen universellen Richtervorbehalt bei einer Maßnahmenkombination
zu minimieren, da die Gesamtüberwachung durch eine Kombination so ein wesent-
lich höheres belastendes Gewicht erhält als eine Einzelmaßnahme.
IV. Zwischenergebnis
Wie in dieser Arbeit gezeigt, weisen die einzelnen Vorschriften zur Regelung der
verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen teilweise Defizite auf, die zu
ihrer Verfassungswidrigkeit führen.
I. Orientierung am Grundmodell
1
Siehe § 11, I.
(2) Die Maßnahme darf nur angeordnet und durchgeführt werden, wenn bestimmte Tatsa-
chen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in § 100a Abs. 2
StPO bezeichnete Straftat begangen hat und wenn nicht die bei der Anordnung bekannten
bestimmten Tatsachen begründen, dass im Einzelfall eine Freiheitsstrafe von weniger als
einem Jahr für die Tat zu erwarten ist.
Die Klausel für die Tatschwere im Einzelfall ist bei allen betreffenden Vorschriften
an eine konkrete Tatschwere und nicht über den abstrakten Begriff an eine un-
bestimmte „Schwere“ oder „erhebliche Bedeutung“ zu koppeln. Da der Verdacht
sich zwar auf eine bestimmte Tat konkretisiert haben muss, werden weitere Kon-
kretisierungen, die eine Beurteilung der Tatschwere zulassen, oft erst nachträglich
deutlich. Zudem sind die Kriterien für die Tatschwere dermaßen mannigfaltig, dass
sie selbst nicht einzeln oder gruppenweise im Gesetz regelbar sind, ohne die Ent-
wicklung neuer kriminalistischer Methoden der Verdachtsfindung zu unterdrücken.
Eine nur durch ein bestimmtes Ergebnis reglementierte Einzelfallbewertung objek-
tiver Gesichtspunkte ist daher für das Stadium des Ermittlungsverfahrens auch unter
verfassungsrechtlichen Erwägungen unverzichtbar und kann durch den Gesetzgeber
kaum weiter als hier vorgeschlagen abstrakt generell bestimmt werden.
Bestimmt und angemessen wäre zum Beispiel für § 100a StPO eine Regelung,
nach welcher konkrete Tatsachen bestimmten Anlass geben müssen, dass eine zu er-
wartende Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr zu erwarten ist. Für die meisten
Anlasstaten wäre dies eine Überprüfung, welche nur bei Besonderheit des Falles
vorgenommen werden muss. Denn geringere Strafen werden in Anbetracht der
meisten Delikte in den Anlasstatenkatalogen nur im Ausnahmefall zu erwarten sein.
Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn sie im Hinblick auf objektive Kriterien wie Art
und Ausmaß des Schadens vom zu erwartenden Normalbild der Tat abweichen. Die
die Persönlichkeit des Täters betreffenden Gesichtspunkte der Schuld sind zu dem
relevanten Anordnungszeitpunkt im Ermittlungsverfahrens in der Regel sehr unsi-
cher und müssen nur einbezogen werden, soweit sie bereits bekannt sind.
Es wird daher vorgeschlagen § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO wie folgt neuzufassen:
§ 100a
[. . . ] und wenn nicht die bei der Anordnung bekannten bestimmten Tatsachen, insbesondere
Art und Ausmaß der Rechtsgutsverletzung, begründen, dass im Einzelfall eine Freiheits-
strafe von weniger als einem Jahr für die Tat zu erwarten ist [. . . ].
Dies Erfordernis wäre jedoch nicht für die Regelungen geeignet, bei denen die
„erhebliche Bedeutung“ einziges Anlasstatenerfordernis, ohne Bezug auf einen Ka-
talog ist, wie §§ 163d und 163f StPO. In diesen Fällen hat der Gesetzgeber noch
keine Grundsatzentscheidung durch einen Katalog getroffen, nach dem bestimmte
er Straftatengruppen in der Regel für schwerwiegend hält. In diesen Fällen muss der
Gesetzgeber entweder ebenfalls eine Katalogtat festlegen oder bestimmte Kriterien
für die Einzelfallabwägung vorgeben:
IV. Regelung der Erforderlichkeit 467
[. . . ] wenn die bei der Anordnung bekannten bestimmten Tatsachen, insbesondere Art und
Ausmaß der Rechtsgutsverletzung, den Verdacht begründen, dass im Einzelfall eine Frei-
heitsstrafe für die Tat zu erwarten ist [. . . ].
Dem könnte man vorwerfen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff – „die Tat
auch im Einzelfall schwer wiegen muss“2 oder „Straftat von erheblicher Bedeu-
tung“3 – durch einen anderen unbestimmten Rechtsbegriff ersetzt werde. Dieser
Einwand trifft aber nicht zu, da mit dem Mindeststrafmaß auf einen durch das StGB
und die Praxis der Strafzumessung bestimmbaren Maßstab zurückgegriffen wird.
Unbestreitbar kann aber in der Praxis eine bestimmte Prognose – mehr als Hypothe-
senbildung ist im Ermittlungsverfahren nicht möglich – stellen, die ein bestimmte
Straferwartung als Ergebnis hat. Eine bestimmte Straferwartung ist im Gegensatz
zu Blankettbegriffen im Hinblick auf die Schwere Straftat bestimmt. Die nicht zu
leugnenden Probleme bei der Prognose der Straferwartung liegen in der Hypothe-
senbildung und dem Strafzumessungsrecht an sich begründet. Die Probleme die im
Strafzumessungsrecht verborgen liegen, können und sollen hier nicht Thema sein.
2
Vgl. § 13, II; § 13.
3
Vgl. § 13, IV.
468 § 36 Vorschläge für gesetzliche Neuregelungen
§ 160a
[. . . ]
(6) Soweit nicht anders bestimmt, darf die Maßnahme nur angeordnet werden, wenn die
Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten
auf eine andere, den Betroffenen voraussichtlich in geringerem Maße belastende Weise
erkennbar weniger erfolgversprechend wäre. Für die Bewertung der Belastung des Betrof-
fenen ist insbesondere die Dauer der Maßnahme und die Schwierigkeit der Überwindung
natürlicher Sicherungen der Privatsphäre ausschlaggebend. Eine verdeckte Maßnahme ist
grundsätzlich nicht weniger belastend als eine offene Ermittlungsmaßnahme.
VII. Allgemeine Regelungen für verdeckte Ermittlungsmaßnahmen 469
Die Regelung des Einsatzes Verdeckter Ermittler muss im Hinblick auf den speziel-
len Kernbereichsschutz geändert werden. Bei dieser Gelegenheit wird vorgeschla-
gen, auch den Einsatz der V-Personen4 in dieser Vorschrift zu regeln:
§ 110a
(1) Verdeckte Ermittler dürfen zur Aufklärung von Straftaten eingesetzt werden, wenn be-
stimmte Tatsachen den Verdacht ergeben, dass eine Straftat gemäß § 100a Abs. 1 StPO
begangen worden ist. Zur Aufklärung von Verbrechen dürfen Verdeckte Ermittler auch ein-
gesetzt werden, soweit bestimmte Tatsachen die Gefahr der Wiederholung nahelegen. Der
Einsatz ist nur zulässig, soweit die Aufklärung auf andere, den Betroffenen weniger belas-
tende Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Zur Aufklärung von Verbrechen
dürfen Verdeckte Ermittler außerdem eingesetzt werden, wenn die besondere Bedeutung
der Tat den Einsatz gebietet und andere Maßnahmen aussichtslos wären.
(2) Verdeckte Ermittler sind Beamte des Polizeidienstes, die unter einer ihnen verliehe-
nen, auf Dauer angelegten, veränderten Identität (Legende) ermitteln. Sie dürfen unter der
Legende am Rechtsverkehr teilnehmen.
(3) Soweit es für den Aufbau oder die Aufrechterhaltung der Legende unerlässlich ist, dür-
fen entsprechende Urkunden hergestellt, verändert und gebraucht werden.
(4) Verdeckte Ermittler dürfen keinen psychischen oder körperlichen Druck ausüben, um
Betroffene zu selbstbelastenden Äußerungen zu veranlassen und auch nicht in den Kern-
4
Zu einem alternativen Gesetzesvorschlag vgl. Duttge, JZ 1996, S. 556 ff.
470 § 36 Vorschläge für gesetzliche Neuregelungen
bereich der privaten Lebensgestaltung der Betroffenen eindringen oder an ihm teilnehmen.
Verdeckte Ermittler dürfen die überwachten Betroffenen nicht zu Straftaten verleiten.
(5) Diese Bestimmungen gelten entsprechend für durch die Ermittlungsbehörden angewor-
bene und geführte private Verbindungspersonen (V-Personen). Die Absätze 2 und 3 gelten
jedoch nicht für V-Personen.
Die sog. Quellen-TKÜ ist wegen des Sachzusammenhangs im Rahmen des § 100a
StPO zu regeln. Verschärfte Voraussetzungen im Vergleich zur Telekommunikati-
onsüberwachung sind nicht notwendig. Wie oben gezeigt, sollte die Neuregelung
aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit des § 100h StPO erfolgen. Das Erfassen
von E-Mails die bei einem Diensteanbieter gespeichert sind, kann zur Klarstellung
ebenfalls in die Norm aufgenommen werden.5 Daher wird folgende Neuregelung
vorgeschlagen:
§ 100a
(1) Auch ohne Wissen der Betroffenen dürfen auf einem Server eines Telekommunikations-
diensteanbieters gespeicherte E-Mails erfasst sowie Äußerungen oder die Telekommunika-
tion durch den Einsatz technischer Mittel an Endgeräten oder auf dem Übertragungswege
mit Hilfe der Telekommunikationsdiensteanbieter überwacht und aufgezeichnet werden,
[. . . ].
5
Zusätzlich könnte noch die Selbstvornahme mittels „IMSI-Catcher“6 durch die Ermittlungsbe-
hörden in der Norm geregelt werden.
X. Regelung der „Online-Durchsuchung“ 471
4. die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Mit-
beschuldigten auf andere Weise aussichtslos wäre.
Das komplexe informationstechnische System darf zu diesem Zweck auch über verbundene
Datennetze verändert werden.
(2) [entsprechend § 100c Abs. 2 StPO]
(3) Die Maßnahme darf sich grundsätzlich nur gegen den Beschuldigten richten und nur
in komplexen informationstechnischen Systemen des Beschuldigten durchgeführt werden.
In komplexen informationstechnischen Systemen anderer Personen ist die Maßnahme nur
zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass
1. der in der Anordnung nach § 100d Abs. 2 bezeichnete Beschuldigte dieses System nutzt
und
2. die Maßnahme in komplexen informationstechnischen Systemen des Beschuldigten al-
lein nicht zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes
eines Mitbeschuldigten führen wird.
Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar be-
troffen werden. Sie darf nur dann informationstechnische Systeme in Wohnungen betreffen,
wenn diese Systeme vom Nutzer dem öffentlichen Zugriff zur Verfügung gestellt werden.
(4) Das Aufzeichnen ist unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwa-
chung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Informationen erfasst werden, die dem Kernbe-
reich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind. Aufzeichnungen über solche Informa-
tionen sind unverzüglich zu löschen. Erkenntnisse über solche Informationen dürfen nicht
verwertet werden. Die Tatsache der Erfassung der Daten und ihrer Löschung ist zu doku-
mentieren. Ist eine Maßnahme nach Satz 1 unterbrochen worden, so darf sie unter den in
§ 101 Abs. 10 genannten Voraussetzungen fortgeführt werden. Im Zweifel ist über die Un-
terbrechung oder Fortführung der Maßnahme unverzüglich eine Entscheidung des Gerichts
herbeizuführen; § 100d Abs. 4 gilt entsprechend.
(5) In den Fällen des § 53 ist eine Maßnahme nach Absatz 1 unzulässig; ergibt sich während
oder nach Durchführung der Maßnahme, dass ein Fall des § 53 vorliegt, gilt Absatz 5 Satz 2
bis 4 entsprechend. In den Fällen der §§ 52 und 53a dürfen aus einer Maßnahme nach
Absatz 1 gewonnene Erkenntnisse nur verwertet werden, wenn dies unter Berücksichtigung
der Bedeutung des zugrunde liegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis zum
Interesse an der Erforschung des Sachverhalts oder der Ermittlung des Aufenthaltsortes
eines Beschuldigten steht. § 160a Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Soweit ein Verwertungsverbot nach Absatz 5 in Betracht kommt, hat die Staatsanwalt-
schaft unverzüglich eine Entscheidung des anordnenden Gerichts über die Verwertbarkeit
der erlangten Erkenntnisse herbeizuführen. Soweit das Gericht eine Verwertbarkeit ver-
neint, ist dies für das weitere Verfahren bindend.
Ergebnisse
§ 37 Zusammenfassung der Ergebnisse
Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen waren bis weit ins 18. Jahrhundert kein nen-
nenswerter Bestandteil des Strafprozesses. Heimliches Vorgehen war zwar bekannt,
doch beschränkte es sich auf den diplomatischen und militärischen Bereich. Kri-
minalistisch wurden verdeckte Ermittlungsmaßnahmen erst in den absolutistischen
Staaten der Neuzeit zur Verfolgung politischer Straftaten eingesetzt. Erst die Kon-
stitutionen des 19. und 20. Jahrhunderts beschränkten diese Praxis mit der Einfüh-
rung des Brief-, Post-, und Fernmeldegeheimnisses. Gesetzliche Befugnisse wur-
den erstmals mit der Regelung der Postbeschlagnahme Ende des 19. Jahrhunderts
geschaffen. Kurz darauf wurden ein Gesetzesvorbehalt und eine Ausnahme vom
Schutz des Telegraphengeheimnisses in § 8 des Gesetzes über das Telegraphenwe-
sen vorgesehen. Die Fernmeldeüberwachung wurde als strafprozessuale Maßnahme
in § 12 des FAG von 1928 eingeführt. Mit der Reichstagsbrandverordnung von
1933 wurden die Beschränkungen aufgelöst und das Brief-, Post-, und Fernmel-
degeheimnis außer Kraft gesetzt. Die Ermittlungsbehörden waren dadurch von der
Gesetzesbindung bei heimlicher Überwachung befreit.
Wie in der Bundesrepublik Deutschland gab es auch in der DDR gesetzliche
Beschränkungen der Telekommunikationsüberwachung, die aber im Bereich poli-
tischer Delikte in der DDR nicht beachtet wurden. In der Bundesrepublik wurde
das Regelungssystem der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen als
Reaktion auf Terrorismus, Organisierte Kriminalität und neue technische Entwick-
T. A. Bode, Verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, 475
DOI 10.1007/978-3-642-32661-5_37, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
476 § 37 Zusammenfassung der Ergebnisse
Der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung wird nur durch Art. 1
Abs. 1 GG gewährleistet. Im Unterschied zum Grundrecht auf Freiheit von Ein-
schüchterung kommt es auf eine Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit gemäß
Art. 2 Abs. 1 GG im Rahmen des Art. 1 Abs. 1 GG nicht an. Geschützt ist insofern
die Integrität des menschlichen „Soseins“.
Für die Praxis der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen lässt
sich die Kernbereichslehre so beschreiben, dass der „ermittlungsfeste“ Kernbereich
der privaten Lebensgestaltung das ist, was objektiv als intim, privat oder vertraulich
angesehen wird und was erkennbar nach dem zumindest schlüssig ausgedrückten
subjektiven Dafürhalten zusätzlich vertraulich bleiben soll, ohne inhaltlich Themen
der öffentlichen Sphäre zu berühren. Konkrete Straftaten berühren immer Belan-
ge der Allgemeinheit. Äußerungen über sie gehören nie zum Kernbereich. Auch
alles, was außerhalb von Vertrauensverhältnissen geäußert wird, gehört nicht zum
Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.
Zum geschützten Kernbereich können bestimmte Verhaltensweisen gehören, wie
beispielsweise die Beichte über persönliche Schuld vor einem Geistlichen oder an-
dere Äußerungen über schwere Gewissenskonflikte. Dies trifft auch auf in ihrer
Einzelheit unerhebliche Verhaltensweisen zu, die in ihrer Zusammenschau ein „Be-
wegungsprofil“ und daher ein Persönlichkeitsprofil liefern, mit dem der Betroffene
in seiner Lebenswelt „durchleuchtet“ werden kann. Zufällige Beobachtungen kern-
bereichsrelevanten Verhaltens sind keine Verletzung des Achtungsanspruchs der
Menschenwürde. Der Staat darf aber unter keinen Umständen zielgerichtet Ver-
haltensweisen aus dem Kernbereich beobachten. „Fahrlässige“ oder bedingt „vor-
sätzliche„ Beobachtungen sind durch ein Schutzkonzept zur Risikominimierung zu
vermeiden.
Das ebenfalls in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte nemo-tenetur-Prinzip ist durch
die verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen nicht verletzt. Sie nehmen
gerade keinen Einfluss auf den unmittelbar Betroffenen, sich selbst zu belasten.
Vielmehr nutzen sie nur seine Unachtsamkeit aus.
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben 479
Nach dem StGB können nur Taten, die Verbrechen sind, als besonders schwere
Straftaten eingeordnet werden.
3. Art. 13 Abs. 3 StPO bestimmt zudem ausdrücklich die Subsidiarität der Maß-
nahme. Danach darf akustische Wohnraumüberwachung nur angeordnet wer-
den, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismä-
ßig erschwert oder aussichtslos ist. Das bedeutet, dass die akustische Wohnrau-
müberwachung immer das letzte Mittel der Ermittlungsmaßnahmen sein muss.
Selbst wenn man das Recht auf ein faires Verfahren als gesondertes Grundrecht
anerkennt, enthält es keine eindeutigen Vorgaben für die verdeckten strafprozessua-
len Ermittlungsmaßnahmen. Die Probleme müssen über die bekannten Grundrechte
und die traditionellen rechtsstaatlichen Prinzipien gelöst werden. Ein Grundrecht
auf ein faires Verfahren würde unmittelbar an den Begriff der Gerechtigkeit anknüp-
fen, der sich aber erst aus einer Abwägung der allgemeinen Sicherheitsinteressen
gegen die grundrechtlich geschützten Individualinteressen ergibt.
a) Bestimmtheit
b) Verhältnismäßigkeit
Die Freiheit von einschüchternder Überwachung betrifft das „Ob“ der Überwa-
chung. Durch die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus dem Gesetzes-
vorbehalt kann sich ein Anspruch auf Offenheit der Überwachung ergeben, der das
„Wie“ der Maßnahme betrifft. Damit enthält Art. 2 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf
Freiheit von Einschüchterung und für die Fälle, dass eine grundsätzlich unzulässige
Überwachung ausnahmsweise gerechtfertigt ist, auf der zweiten Stufe ein Anspruch
auf Offenheit der Überwachung.
482 § 37 Zusammenfassung der Ergebnisse
Aus den verfassungsrechtlichen Anforderungen lässt sich ein Grundmodell der für
die Regelung einer abstrakten Ermittlungsmaßnahme notwendigen Strukturelemen-
te bilden:
1. Tatverdacht
2. Anlasstaten
3. Subsidiarität
4. Kernbereichsschutz
5. Anordnungskompetenz
6. Informations- und Löschungspflichten
7. Rechtsschutz
8. Annexbefugnisse
9. Maßnahmenkombination
Das jeweilige Tatbestandsmerkmal muss den Anforderungen der Verständlich-
keit und Verhältnismäßigkeit genügen. Einen Sonderstatus nimmt die Kombina-
tion von Maßnahmen ein, die aus der Natur der Sache nicht jede Maßnahme al-
lein betrifft, aber trotzdem die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der einzelnen
Maßnahmen aufwirft. Der Rechtsschutz ist schließlich kein Merkmal der einzelnen
Anordnung, sondern ein nachfolgendes Problem, das aber ebenfalls auf alle Maß-
nahmen zutrifft.1
V. Tatverdacht
1
Diese beiden Punkte kommen daher nicht in den Tabellen der Einzelmaßnahmen vor. Die
Probleme der Beweisverwertung werden in der vorliegenden Arbeit nur hinsichtlich des Kern-
bereichsschutzes erörtert. Darüber hinaus sind sie kein spezielles Probleme der verdeckten
Ermittlungsmaßnahmen, sondern allgemein für das Ermittlungsverfahren zu behandeln.
VI. Anlasstaten 483
VI. Anlasstaten
Die verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sind in vielen Fällen nur dann erlaubt, wenn
sich der Verdacht auf bestimmte Delikte als Anlasstaten bezieht. Diese Katalog-
systeme sind uneinheitlich weit gefasst und betreffen wie Tatschwereklauseln die
Angemessenheit der Maßnahme.
Zur Sicherung der Verfassungsmäßigkeit der verdeckten strafprozessualen Er-
mittlungsmaßnahmen sind nur im Rahmen des Art. 13 Abs. 3 GG enumerative
Anlasstatenkataloge erforderlich. Bei der Kombination der Kataloge mit einer Ka-
tegorisierung nach Straferwartungen muss aber wenigstens ein bestimmter Wert,
zum Beispiel die Grenze zwischen Verbrechen und Vergehen, ausgewählt werden.
Unbestimmt sind die Begriffe einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“ oder der
Begriff „die Tat auch im Einzelfall schwer wiegt“. Das führt zur Verfassungswid-
rigkeit weiter Teile der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen. Eine
weitere Konkretisierung der Tatschwere war dem Gesetzgeber ohne Beschädigung
der Regelungssystematik leicht möglich. Wenn der Gesetzgeber sich aber de lege
ferenda nur für ein reines Anlasstatenkatalogsystem entscheidet, muss er die Taten
in ein schlüssiges System bringen, das die Grundrechtsbelastung durch die jeweili-
gen Maßnahmen berücksichtigt.
VII. Subsidiarität
VIII. Kernbereichsschutz
IX. Anordnungskompetenz
2. Inhaltliche Prüfungspflicht
X. Rechtsschutz
XII. Annexbefugnisse
Wenn die Überwachungsmaßnahme ihrer Art nach in jedem Fall durch einen In-
stallationseingriff vorbereitet werden muss, ist dieser im Regelungsumfang der Vor-
schrift enthalten.
Ebenfalls ausreichend ist es, wenn der „Installationseingriff“ ein typisches Kenn-
zeichen der Durchführung der Maßnahme ist und der Gesetzgeber sich gerade eine
solche Vorgehensweise bei Erlass der Regelung vorgestellt hat. In diesem Fall muss
sich durch subjektiv-historische Auslegung ein entsprechend weiter Umfang des
Gesetzes ermitteln lassen. Dass der „Installationseingriff“ unter die Hauptregelung
fällt, ist nicht selbstverständlich und bedarf der Andeutung im Gesetz und der Be-
gründung in den Gesetzgebungsmaterialien.
Wenn der Installationseingriff eine Maßnahme ist, die nicht typischerweise zur
Vorbereitung der Überwachung gehört und auch nicht in den Gesetzesmaterialien
erwähnt wird, kann er nicht unter die Überwachungsregelung subsumiert werden.
Die Auswirkungen der oben genannten Ergebnisse auf die bestehenden Regelun-
gen im Einzelnen sind in der nachstehenden Tabelle dargestellt. Einige wichtige
Einzelergebnisse stehen außerhalb der Einteilung der Tabelle und sollen kurz zu-
sammengefasst werden:
1. Die Quellen-TKÜ ist kein Fall der Telekommunikationsüberwachung nach
§ 100a StPO.
2. Die E-Mail-„Beschlagnahme“ ist ein Fall der Telekommunikationsüberwachung
nach § 100a StPO.
3. Die Online-Durchsuchung kann bereits de lege lata unter § 100h StPO subsu-
miert werden, was aber verfassungswidrig ist.
Tab. 4 Die Auswirkungen der oben genannten Ergebnisse auf die bestehenden Regelungen im Einzelnen sind in der Tabelle dargestellt. Der Aufbau der
Tabelle orientiert sich an Tab. 1in § 11, II. Nicht aufgenommen worden sind hier – ebenso wie in Tab. 1 – mögliche Kombinationen von Regelungen der
strafprozessualen verdeckten Ermittlungen
94, 99 Bestimmte Tatsachen Alle Straftaten Keine Regelung § 97, keine Gericht Unverzügliche Verfassungswidrig
inhaltliche Weiterleitung,
Regelung wenn Zurück-
behaltung nicht
erforderlich +
§ 101 StPO
98a Zureichende tatsächli- 6 Delikts- Erheblich weniger er- Keine Regelung Gericht § 101 StPO Verfassungswidrig
che Anhaltspunkte gruppen von folgversprechend oder verfassungskonform
erheblicher wesentlich erschwert auszulegen
Bedeutung
100a Bestimmte Tatsachen Katalog mit Andere Maßnahmen § 100a Abs. 4 § 100b Gericht, § 101 StPO Verfassungswidrig
11 Punkten wesentlich erschwert StPO Eilfall StA verfassungskonform
+ Einzelfall oder aussichtslos auszulegen
schwerwiegend
100c Bestimmte Tatsachen Katalog mit Andere Maßnahmen we- § 100c Abs. 4, § 100d Landge- § 101 StPO Verfassungswidrig
7 Punkten sentlich erschwert oder 5, 6 S. 2 StPO richtskammer, verfassungskonfor-
+ Einzelfall aussichtslos nur gegen § 74a Abs. 4 me Auslegung
schwerwiegend den Beschuldigten GVG, Eilfall
Vorsitzender
100f Bestimmte Tatsachen Katalog wie Andere Maßnahmen Keine Rege- § 100b Gericht, § 101 StPO Verfassungswidrig
§ 100a + wesentlich erschwert lung Eilfall StA verfassungskonform
Einzelfall oder aussichtslos auszulegen
schwerwiegend
§ 38 Tabellarische Übersicht der Auswirkungen auf die einzelnen Regelungen
Tab. 4 Fortsetzung
100g Bestimmte Tatsachen Erhebliche § 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 2 § 100b Ermitt- Keine Regelung § 101 StPO Verfassungswidrig
Bedeutung und i. V. m. S. 2 Ermittlung lungsgericht, verfassungskonform
im Einzelfall des Aufenthaltsorts sonst Eilfall StA auszulegen
schwerwiegend aussichtslos, Angemes-
oder mittels TK senheit, keine Echtzeit
begangen § 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 1
für die Ermittlungsmaß-
nahmen erforderlich
100h Gegen Beschuldig- Abs. 1 Nr. 1 Abs. 1 Nr. 1 sonst Keine Rege- Polizei § 101 StPO Verfassungswidrig
ten: keine Regelung; alle Straftaten erheblich weniger er- lung verfassungskonform
gegen andere: Abs. 1 Abs. 1 Nr. 2 folgversprechend oder auszulegen
Nr. 1 keine Regelung, Tat erheblicher wesentlich erschwert
Abs. 1 Nr. 2 bestimm- Bedeutung Abs. 1 Nr. 2
te Tatsachen ergeben
Verbindung mit Be-
schuldigtem
100i Bestimmte Tatsachen Erhebliche Abs. 1 erforderlich, Keine Regelung § 100i Abs, 3 § 101 StPO Verfassungswidrig
Bedeutung + Abs. 2 technisch unver- i. V. m. § 100b verfassungskonform
§ 38 Tabellarische Übersicht der Auswirkungen auf die einzelnen Regelungen
110a Zureichende tatsächli- Erhebliche Be- Vergehen: Sonst aus- § 110c kein § 110b Abs. 1 § 101 StPO; Verfassungswidrig
che Anhaltspunkte deutung in 4 sichtslos oder wesentlich über Legende StA, Eilfall § 110b Abs. 3 verfassungskonform
Deliktsgruppen erschwert Verbrechen: hinausgehen- Polizei; Abs. 2 Identität des VE auszulegen
+ alle Ver- Besondere Bedeutung des Täuschen Zustimmung kann uU weiter
brechen bei sonst aussichtslos bei Wohnung, des Gerichts, geheim bleiben
Wiederholungs- keine weitere Eilfall StA
gefahr Regelung
161 Zureichende tatsäch- Alle Straftaten, Keine Regelung Keine Rege- StA und Polizei Keine Rege- Als Eingriffser-
Abs. 1 liche Anhaltspunkte, § 152 StPO, lung lung mächtigung für
S. 1 i. V. § 152 StPO alle sonstigen verdeckte Ermitt-
m. 163 Maßnahmen, lungsmaßnahmen
S. 2 auch auf ver- verfassungswidrig
deckte Art und
Weise
163d Bestimmte Tatsachen; Taten nach Maßnahme nicht außer Keine Regelung Gericht, Eilfall § 101 StPO Verfassungskonfor-
wenn Tatsachen die §§ 100a und Verhältnis zur Sache StA und Ermitt- me Auslegung
Annahme rechtferti- 111 StPO lungspersonen
gen
163e Zureichende tatsächli- Tat von er- Keine Regelung Keine Regelung Gericht, Eilfall § 101StPO Verfassungswidrig
che Anhaltspunkte heblicher StA
Bedeutung,
nur gegen den
Beschuldigten
163f Zureichende tatsächli- Tat von er- Andere Weise erheblich Keine Regelung Gericht, Eilfall § 101 StPO Verfassungswidrig
che Anhaltspunkte heblicher weniger Erfolg verspre- StA und Ermitt- verfassungskonform
Bedeutung chend oder wesentlich lungspersonen auszulegen
erschwert
§ 38 Tabellarische Übersicht der Auswirkungen auf die einzelnen Regelungen
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Sachverzeichnis
A B
Abhörgeräte, 378 Befugnisnorm, 135
Abhörwanzen, 364 Begleitmaßnahmen, 324
Abrechnungszwecke, 385 Begründungserfordernis, 264
Achtungsanspruch der Menschenwürde, 104 Belastungsintensität, 227
Akkusationsprozess, 18 Benachrichtigungspflicht, 320
Akteneinsichtsrecht, 320 Beobachtungszeitraum, 460
Aktivitätsschutz, 92 Berechtigungskennungen, 169
Akustische Wohnraumüberwachung, 375 Berichtspflicht, 134, 319
Allgemeine Handlungsfreiheit, 92 Beschlagnahmefreiheit, 49
Allgemeines Persönlichkeitsrecht, 92 Beschlagnahmeverbote, 342
ALR, 20, 221 Beschlagnahmeverfahren, 346
Analogieverbot, 217 Beschuldigtenbegriff, 260
Andere Weise, 288 Besondere Gewaltverhältnisse, 343
Anfangsverdacht, 258 Bestimmte Tatsachen, 251
Angemessenheit, 233 Bestimmtheitsgebot, 209
Angemessenheitsmaßstab, 295 Bestimmtheitsgrundsatz, 209
Angemessenheitsprüfung, 269 Beugemittel, 373
Angst, irrationale, 128 Beurteilungsspielraum, 55, 266
Angst, rational begründbare, 123 Bewegungsmelder, 400
Anlasstat, 267 Bewegungsprofile, 155
Anlasstatenkatalog, 267, 279 Beweisverwertung, 305
Beweisverwertungsverbot, 203, 302
Annexbefugnisse, 323
Bildaufnahmen, 399
Anordnung, 307
Bildmanipulationen, 97
Anordnungsfristen, 300
Binnenmarkt, 394
Anordnungskompetenz, 308
Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, 166
Anscheinstelefonat, 366
Briefgeheimnis, 21, 167
Auffanggrundrecht, 363
Bundesdatenschutzgesetz, 98
Ausleitung von Daten, 356
BVerfGG, 52
Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung,
433
Außendarstellung, 96 C
Außenwahrnehmung, 96 Cloud, 179
Ausstrahlungswirkung, 49 Computergrundrecht, 99, 173, 188
Autonomierecht, 93 Condicio-sine-qua-non, 78, 108
517
518 Sachverzeichnis
D Ermittlungsansatz, 266
Dammbruchargument, 154 Ermittlungsgeneralklausel, 443
Datenmengen, 169 Ermittlungsverbot, 331
Datenprofil, 348 EU, 391
Datensätze, 347 EU-Kommission, 393
Datenspeicherung bei Polizeikontrollen, 429 Europarecht, 392
Dauer der Maßnahme, 289
DDR, 33 F
Demokratieprinzip, 210 Fehler, 350
Denunzianten, 152 Fernmeldeanlagengesetz (FAG), 26, 28, 37, 41
Denuziation, 32 Fernmeldegeheimnis, 168
Diensteanbieter, 181, 353 Finalität, 73, 81, 161, 295
Diffuse Bedrohlichkeit, 239 Firewall, 192
Dokumentationspflichten, 459 Folter, 20
Drittbetroffene, 82, 135 Fotoaufnahmen, 116
Freiheit von Furcht, 122
E Freiheitsbegriff, 88, 108
Echtzeitüberwachung, 385 Freiheitsgrundrechte, 69
EGMR, 200, 205 Freiwilligkeit, 127
Ehrschutz, 97 Funkzelle, 412
Eigentum, Analogie zum, 139
Eingriffsabwehr, 91 G
Eingriffsbegriff, 69 G-10-Gesetz, 39, 286
Eingriffsintensität, 218 Geeignetheit, 224
Eingriffsqualität, 71 Gefahrenabwehr, 333
Eingriffsschranken, 91 Gefühl der Überwachung, 121
Einheit der Rechtsordnung, 51 Geheimdienste, 455
Einschätzungsprärogative, 55 Geheimnisbruch, 356
Einschüchterungseffekt, 287 Geheimnisgrundrecht, 88
Einschüchterungseffekte, 312, 319 Generalklausel, 443
Einschüchterungswirkung, 114, 287 Gesamtmaßnahme, 455
Einschüchterungswirkung, psychisch Gesetzesbestimmtheit, 209
vermittelte, 114 Gesetzesvorbehalt, 106, 207
Einzelfallgerechtigkeit, 212 Gestapo, 32
Elektromagnetische Abstrahlung, 361 Gewaltenteilung, 52, 54, 210
E-Mail-Beschlagnahme, 178, 340, 372, 415, Gewisse Konkretisierung, 259
417 Gewohnheitsrechtliche Geltung des
EMEI-Nummer, 364 Verhältnismäßigkeitsprinzips im
EMRK, 200 Strafverfahren, 328
Endgeräte, 177, 361 GPS, 324, 400
Entscheidungsautonomie, 105, 113 Großer Lauschangriff, 42, 194, 375
Entscheidungsfreiheit, 86, 90 Grundrecht auf ein faires Verfahren, 199
Entscheidungsfreiheit Dritter, 110 Grundrecht auf Freiheit von
Entscheidungsspielraum, 53 handlungsbeeinflussender
Entschließungsfreiheit, 108 Einschüchterung, 124
Entwürdigung, 294 Grundrecht auf geheime Fernkommunikation,
Erfahrungswissen, 255 166
Erforderlichkeit, 225 Grundrecht auf rechtliches Gehör, 196
Ergebnisse, 475 Grundrecht auf Unverletzlichkeit der
Erheblichkeitsschwelle, 85 Wohnung, 183
Ermessen, 86, 320 Grundrechte, weitere, 198
Ermessensfehler, 309 Grundrechtsausübung, 69
Ermittlugnspersonen, 446 Grundrechtsdogmatik, 71
Sachverzeichnis 519
Grundrechtseingriff, 69 KfZ-Kennzeichen, 98
Grundrechtsgebrauch, 69 Klagebefugnis, 83
Grundrechtsgefährdungen, 89 Klassischer Eingriffsbegriff, 72
Grundrechtskonkretisierungen, 101, 112, 133, Kollektivgrundrecht, 118
138 Kollektivierung der Einschüchterungseffekte,
Grundrechtsverstärkung, 100 121
Kollektivwirkung, 118
H Kombination unterschiedlicher Maßnahmen,
Haftraum, 186 455
Handlungsbeeinflussender Effekt, 103 Kommerzielle Interessen, 139
Handlungssteuerung, 110 Kompetenz des BVerfG, 52
Hausdurchsuchung, 225, 287 Kompetenz-Kompetenz, 53
Hobbes, 221 Kompetenzüberschreitung, 60
Hörfalle, 445, 446 Kompetenzzuweisung, 56
Kontrolldichte, 51
I Kontrollverlust, 120
Imperativität, 74 Kryptographie, 17
IMSI-Catcher, 409 Kumulation der Maßnahmen, 457
IMSI-Nummer, 409
In dubio pro libertate, 133 L
Individuelle Betroffenheit, 84 Längerfristige Observation, 437
Individueller Rechtsschutz, 134 Lästigkewit, 136
Informationsanspruch, 320 Löschungspflichten, 302, 319, 321
Informationserhebungen, 105 Löschungsvermerk, 354
Informationssammlung, 137 Lückenfüllung, 335, 459
Informationswert der Tatsachen, 260
Initiativermittlungen, 265 M
Initiativkompetenz, 61 Maßnahmenkombination, 457
Initiativrecht, 55 Menschenwürde, 104, 140, 294
Inquisationsverfahren, 18 Menschenwürde „light“, 112
Installationseingriff, 323, 326 Menschenwürde, Relativierung der, 156
Integritätsschutz, 92 Methodenfrage, 56
Interessenabwägung, 235 Mikrofonsteuerung, 360
Internetkommunikation, 170 Minder schwerer Fall, 273
Internetrecherche, 403 Ministerum für Staatssicherheit, 34
Internetverbindung, 191, 361 Minusmaßnahmen, 325
Intimsphäre, 101 Missbrauchsgefahr, 139, 308
Missbrauchskontrolle, 300
J Missbrauchsschutz, 160, 305
Justizverwaltungsakt, 311, 312 Mittelauswahl, 309
Mobiltelefone, 169
K Moderner Eingriffsbegriff, 77
Kant, 148
Karolina (CCC), 19 N
Kartennummer, 169 Nachrichteneingabe, 361
Katalogsystem, 267 Nachtsichtgeräte, 400
Kausale Verursachung, 78 Nationalsozialismus, 31, 144, 152
Kennzeichenüberwachung, automatisierte, 118 Natürliche Hindernisse, 229
Kernbereich, 293 Nemo-tenetur-Prinzip, 54, 162, 202
Kernbereichsschutz, 296, 297 Neurowissenschaften, 154
Kernbereichsschutz, konkrete Straftaten, 147 Normenbestimmtheit, 285
Kernbereichsschutz, verfassungsrechtliche Normenstaat, 32
Herleitung, 141 Notstandsgesetze, 39
Kernbereichsschutzkonzept, 303 NS-Zeit, 30
520 Sachverzeichnis
O Risikoerhöhung, 80
Objektformel, 145, 148 Rundumüberwachung, 155, 457
Objektive Zurechnung, 80
Online-Durchsuchung, 119, 188, 408 S
Organisierte Kirminalität, 40 Schranken-Schranken, 180
OrgKG, 41 Schutz von Ehe und Familie, 198
Schutzbereich, 69
P Schutzlücke, 137
Parlamentsvorbehalt, 210, 332 Schutzpflicht, 89
Paulskirchenverfassung, 22 Schutzpflicht auf Sicherheitsgewährleistung,
Peilsender, 323, 400 451
Peinlichkeit, 125 Schweigerecht, 445
Peripheriegerät, 378 Schwerwiegende Tat, 269
Persönlichkeitsentfaltung, 97 Schwierigkeit Hindernisse zu überwinden, 289
Persönlichkeitsprofil, 155, 438, 457, 458 Screenshot, 361
Personalisierung des Verdachts, fehlende, 350 Selbstbelastungsfreiheit, 205
Polizeierlass, 30 Selbstbelastungspflicht, 164
Polizeigesetz, 333 Selbstbild, 105
Popularklage, 84 Selbstreflexion, 155
Postbeschlagnahme, 339 Selbstvornahme der TKÜ am Endgerät, 364
Postgeheimnis, 22, 167 SIM-Karten, 364, 409
Presse- und Meinungsfreiheit, 198 Simultanüberwachung, 191, 301, 305
Privatleben, 301 Skype-Überwachung, 359
Privatsphäre, 101, 289
Sosein, 153
Proportionalität der
Sozialadäquanz, 82
Bestimmtheitsanforderungen, 213
Sozialethische Missbilligung, 110
Psychische Betroffenheit, 124
Sozialsphäre, 102
Publikumsverkehr, 376
Speichermedien, mit dem durchsuchten
System verbundene, 413
Q
Speichern der Information, 289
Quellen-TKÜ, 174, 358
Spezielle Befugnisregelungen, 335
R Sphärentheorie, 101
Rahmenrecht, 95 Spitzel, 152
Rangfolge der Grundrechtseingriffe, 226 Staatsschutzdelikte, 20
Rasterfahndung, 347 Staatsterror, 137
Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Staatstrojaner, 3
98 Standortdaten, 169, 412
Recht auf Privatsphäre, 102 Standortprotokollierung, 438
Recht auf Selbstbewahrung, 101 Stillbilder, 367
Rechte am eigenen Bild und Wort, 97 Stille-SMS, 386
Rechtsbehelf, 300, 307, 312, 317 Strafgefangene, 186
Rechtsicherheit, 212 Strafzumessungsrecht, 467
Rechtsprüfung, 310 Subjektprinzip, 149
Rechtsstaatsprinzip, 209 Subsidiarität, 195
Rechtsweg, 311 Subsidiaritätsklausel, 281
Rechtswirkung, 74 Supergrundrecht, 363
Regelbeispiele, 289 Synchrone Überwachung, 353
Reichstagsbrandverordnung, 30
Restrisiko, 82, 295 T
RFID-Technik, 404 Tabu, abergläubisches, 124
Richtervorbehalt, 307 Täuschung, 302
Richtlinienkompetenz, 391 Tagebuchurteil, 147
Richtmikrofon, 283 Tatsächliche Beeinträchtigung, 121
Sachverzeichnis 521
Zwangsbegriff, 75 Zwangsmaßnahmen, 11
Zweckmäßigkeit, 309
Zwangsfunktion, 74 Zweckmäßigkeitserwägungen, 309