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PERSPEKTIV
V I T KEPSREP
WENN
RASSISMUS
AUS
WORTEN
SPRICHT
Fragen, Kontroversen, Perspektiven
MATERIALIEN-N° 185
HALT
INNI
VORWORT
Heike Taubert 02
Andreas Jantowski 04
Benjamin Bloch 08
EINLEITUNG
Inhaltliche Kurzüberlegungen 10
Marina Chernivsky
BEITRÄGE
Wenn Rassismus aus Worten spricht 14
Susan Arndt
»Ich spreche Deutsch, aber nicht sehr gut « 32
Lena Gorelik
»WortGewalt« aus postkolonialer Perspektive 40
Susanne Heyn und Deborah Krieg
Sprache und Identitätsentwicklung bei Kindern 42
Seyran Bostancı und Nele Kontzi
Geschichte ist nicht Vergangenheit 46
Marina Chernivsky
Kindsein ist kein Kinderspiel 52
ManuEla Ritz
Zum kritischen Umgang mit Kinderbüchern 62
Annette Kübler
VERZEICHNIS
Workshops - Eine Übersicht 72
Tagungsreferent_innen 74
Impressum 76
ISSN N° 0944-8705 01
H EI K E TAUB E RT
WORT
VOR
R OV
Heike Taubert
Rassismus hat viele Formen und Facetten: » Schokokuss « zu sagen, anstelle von » Zigeuner «
Sprache ist eine davon. Deshalb mein Dank an » Sinti und Roma « kann dennoch nur der Anfang
die Veranstalter_innen, dass Sie dieses Thema sein beim Abbau von (teils unbewusstem)
gewählt haben. Wenn Rassismus aus Worten spricht Rassismus. Die jeweilige Gruppe muss grund-
– diese Fachtagung kann und soll für den Zu- sätzlich besser und differenzierter wahrgenom-
sammenhang von Sprache und Diskriminierung men werden.
sensibilisieren, bestimmte Begriffe überhaupt Wo Rassismus herrscht, ist sicherlich nicht-
[] wahrzunehmen. Denn in die Alltagssprache hat rassistische Sprache kaum möglich. Ebenso
sich so manche Wendung eingeschlichen, die verändern neue Begriffe nicht gleich gesell-
– wenngleich oft so nicht beabsichtigt – schlicht- schaftliche Rahmenbedingungen, sondern sind
weg diskriminierend und rassistisch sein kann. im schlimmsten Fall lediglich eine neue Hülle
Alle Bereiche des menschlichen Lebens für altes Denken. Andererseits wird durch die
und der Wirklichkeit im Allgemeinen werden unreflektierte Weiterbenutzung von rassistischen
durch Sprache strukturiert. Worte und Dinge Begriffen der bestehende Rassismus permanent
sind für sich genommen diffuse Bereiche, reproduziert. Zudem kann die inhaltliche Ausein-
die erst eine bestimmte Ordnung erhalten, indem andersetzung mit Sprache und Begriffen auch
sie mit Begriffen, versehen in Artikulations- ein Ausgangspunkt sein, das eigene Denken zu
prozessen, benannt werden. Begriffsbildung ist hinterfragen und zu ändern. Und genau das
somit Ordnung und Aneignung der Wirklich- muss unser Ziel sein.
keit. Hätten wir nur den Begriff » Baum «, Es gilt, in der kritischen Auseinandersetzung
nicht aber den Begriff » Wald «, könnte man mit der eigenen Sprache die Wahrnehmung
den » Wald vor lauter Bäumen nicht sehen«. zu schärfen. Junge Menschen müssen so zeitig
Und Rassismus, Diskriminierung wiederum, wie möglich über den Zusammenhang von
spüren wir manchmal nur deshalb nicht, Sprache und möglichem Rassismus, möglicher
weil wir nicht hören, was wir sagen : Beispiel Diskriminierung aufgeklärt werden. Das beginnt
» Schwarz « sehen, » Schwarz « fahren, bei gegenseitigem Respekt, gegenseitiger Ach-
» Schwarz « arbeiten. tung. Es geht darum, sich selber in seiner Wort-
Negative Eigenschaften werden in vielen wahl dem anderen gegenüber korrekt und fair
Sprachen, einschließlich der deutschen, mit zu verhalten. Dazu leistet diese Fachtagung einen
der schwarzen Farbe assoziiert. Weiß hingegen wichtigen Beitrag.
ist grundsätzlich positiv besetzt, steht für das
Unschuldige, Wahre, Gute, Reine. Denken wir
nur an die » weiße Weste «. Das sollte man
bedenken, wenn man Menschen als » Schwarze « []
bezeichnet. Der Verzicht auf das rassistische heike TaUBerT
Wort » Neger « reicht also nicht aus. Wir dürfen Thüringer Ministerin für Soziales,
es nicht bei dem bloßen Austausch von Worten Familie und Gesundheit
belassen. Für eine reflektierte Sprache müssen
alte Gewohnheiten abgelegt werden angesichts
der langen Vergangenheit bestimmter Begriffe.
Anstatt » Mohren- « oder » Negerkuss « nun
WORT
Nicht zuletzt ist auch die Fremd-
VOR
R OV
heitserfahrung in diesem
Zusammenhang von Bedeutung.
Sie ist nicht allein durch die
Thüringer Institut für
Lehrerfortbildung,
kulturelle Vielfalt der Gegenwart,
Lehrplanentwicklung
und Medien
sondern eben auch historisch
bedingt, ob wir uns dessen immer
Sehr geehrte Tagungsgäste, bewusst sind oder nicht. In der
im Rahmen der Dekade Luther 2017 steht das prägt und wir uns überhaupt nicht mehr bewusst Auseinandersetzung mit beiden
Themenjahr 2013 unter dem Titel Reformation sind, dass wir dessen Maßstäbe auch auf alle
und Toleranz . Ein spannungsgeladener Titel, anderen Felder unserer Existenz übertragen. Aspekten wird die eigene Zeit- und
der auch bezogen auf die heutige Tagung, beson- Was kann schon herauskommen, wenn die
ders im Hinblick der reformatorischen Wir- Grundprinzipien des Denkens mit der Rationali- Kulturgebundenheit erfahrbar,
kungen auf die deutsche Sprache und auf die von tät einer Einkaufsentscheidung gehandelt werden.
Luther vier Jahre (1542) vor seinem Tod Ja, wenn es ideal zuginge und sich auf einem wird so zum wichtigen Bestandteil
verfasste Schrift Von den Juden und ihren Lügen , Handelsplatz Käufer und Verkäufer gleicher-
in den Fokus der Betrachtung nimmt. maßen gut auskennen, aus einem reichhaltigen der Identitätsfindung und kann
Ermächtigung und Macht sowie Verständnis Denkangebot überall frei wählen könnten und
und Respekt sind nur wenige der zum Teil erst nach sorgfältiger Abwägung gesammelter zur Entwicklung von Sprache ohne
widersprüchlichen Aspekte, die Einfluss haben Informationen zur Entscheidung kommen. Wenn
auf die Entstehung, Bedeutung, Funktion und sie dann ihre neu gewonnene Erkenntnis auch Rassismus beitragen.
Wirkung von Worten. Deren Tragweite wird wort- und kenntnisreich vertreten, ohne zwang-
einem erst richtig bewusst in der Auseinander- haften inneren Willen, andere von deren Vorteil
setzung mit » Fremdem « und »Vertrautem «, überzeugen zu müssen. Dann kann man von
besonders wenn der Blick zwischen Vergangen- einem unvoreingenommenen wirklichen Mei-
heit und Gegenwart hin und her wandert. Ein nungsbildungsprozess ausgehen.
solches Tun kann schön sein, aber auch Schmer- Was aber, wenn der Markt für Denkwaren
zen bereiten, in jedem Fall ist es erhellend. nur äußerst dürftig bestückt, der Käufer unerfah-
Sprache und Formulierungen sind Ausdruck ren ist und vom Verkäufer ausgenutzt wird, der
unserer stets aktuellen widersprüchlichen Verhal- ihm eine Ideologie andreht, für die eine unbeque- mus münden, zeigen Worte von Ernst Moritz schichte, die man in solche Denkmuster einbauen
tens- und Ausdrucksweisen, die in unterschiedli- me Abwägung von Argumenten angeblich nicht Arndt, zu denen er sich 1813 unter dem Titel : kann, weil sie vermeintlich höchste moralische
cher Ausprägung und Zielrichtung immer wieder mehr nötig ist? Womöglich ist ja gerade diese Be- Über Volkshass verstieg : Werte verkörpern. So schreibt der große Kant
zu beobachten sind. So ist es noch nicht lange her, quemlichkeit attraktiv, weil man sich keinen Bis in den innersten Kern vergiftet war das 1797 unter der Überschrift : Über das vermeintli-
da spürten z.B. die Einwohner Griechenlands eigenen Standpunkt erarbeiten muss und nicht Teutsche von dem Fremden, die ernste Männlichkeit che Recht, aus Menschenliebe zu lügen beispielhaft :
im Zuge der Finanzkrise plötzlich den General- der Unsicherheit ausgesetzt ist, eigene Überle- zu Ziererei, die hohe Wahrheit zu Schmeichelei, Wenn der Mörder uns fragt, ob ein fliehender Freund
verdacht, sich nicht » bessern « zu wollen und gungen gegenüber anderen zu verteidigen. der grade Verstand zu schiefer Albernheit verdreht. in unser Haus geflohen sei, müssen wir dem Mörder
einfach keine Steuern zu zahlen und das, obwohl Nun vielleicht kommt dieses » bessern wol- Das ist das unvermeidliche Schicksal eines Volkes, die Wahrheit sagen, auch wenn’s das Leben des Freun-
ein überwiegender Teil der Bevölkerung die Last len « auch daher, dass man sich selbst überlegen das dem Fremden bis zur Vergessenheit des Eigenen des kosten sollte. Folgte man diesem Denkansatz,
einschneidender Sparmaßnahmen zu schultern glaubt und es sich gut anfühlt. Und dieses nachgebuhlt hat. was würde dann aus dem grundlegenden Men-
hat und sich zu recht fragt, warum sie alle zusam- Gefühl wird noch besser, wenn hinter dieser Und das schrieb er trotz seiner Welterfahren- schenrecht auf Asyl für politisch Verfolgte?
men ohne eigene Schuld nun auch noch stig- Überhöhung auch noch gesellschaftliche heit und in Kenntnis der fundamentalen Ideen Nicht zuletzt ist auch die Fremdheitserfah-
matisiert werden. Akzeptanz oder gar Macht steht, weil man dann der Aufklärung. Dass es nur ein kleiner Schritt ist, rung in diesem Zusammenhang von Bedeutung.
Warum ist die Versuchung so groß, andere die höchste Form der Zugehörigkeit spürt. bis die Abwertung der Nichtzugehörigen dann Sie ist nicht allein durch die kulturelle Vielfalt
» bessern « zu wollen und sich so auch zu äußern? Wie schmal der Grad ist, wenn Freiheitsidea- auch noch befehlsmäßig erfolgt, wurde und wird der Gegenwart, sondern eben auch historisch be-
Es könnte darin begründet sein, dass uns der le zur einseitigen Überhöhung von Zugehörigkeit oft erst zu spät erkannt. Und immer sind es dingt, ob wir uns dessen immer bewusst sind
scheinbar allgegenwärtige Wettbewerb derartig mutieren und schließlich in blinden Nationalis- auch die Worte wichtiger Personen der Weltge- oder nicht. In der Auseinandersetzung mit beiden
Aspekten wird die eigene Zeit- und Kulturge- Menschenrechtscharta. Nun wissen wir, dass die
bundenheit erfahrbar, wird so zum wichtigen bestehenden globalen Institutionen nicht immer
Bestandteil der Identitätsfindung und kann zur die Handlungsmacht haben, die sie nötig hätten,
Entwicklung von Sprache ohne Rassismus um Missständen in der Welt wirksam begegnen
beitragen. zu können. Gleichwohl ist diese Handlungs-
So schreibt Fabienne Müller, Thüringer macht auch im Verfügungsraum jedes einzelnen
Austauschschülerin in Argentinien, in der ge- Menschen angelegt - wenn er bereit ist - seine
meinsamen Publikation von Thillm und Gedanken, seine Sprache und sein Verhalten []
Klassikstiftung Weimar mit dem Titel : Ich wollte einer korrigierenden Reflexion zu unterziehen.
einfach mal raus. Interkulturuller Dialog gestern So entsteht die notwendige Sensibilität für die
und heute folgende Worte : Ich hätte es nicht für langen Spuren der Vergangenheit, die Menschen
möglich gehalten, einmal zusammen thailändisch heute noch treffen kann. Wie lässt sich diese
zu kochen, französische Vokabeln zu üben, ameri- individuelle Handlungsmacht aktivieren?
kanische Außenpolitik zu diskutieren, holländische Lassen sie mich an dieser Stelle Stéphane
Kinderlieder zu singen und Schokolade aus Neu- Hessel selbst zitieren : » Wir müssen versuchen,
seeland zu essen, während ich Fotos von Zeulenroda Gedanken nicht nur in Institutionen, sondern
herum gebe. auch in die Köpfe der jungen Leute zu bringen.
Um ihre Haltung ändern zu können, brauchen sie
Auch wenn der frei gewählte (Bildungs-) Touris- Gedanken der Gelassenheit, der Nicht-Gewalt.
mus nicht mit herausfordernden und grenz- Wir brauchen asketische Menschen, wie der liebe
überschreitenden Migrations- sowie Fluchter- Sloterdijk immer wieder sagt. Wir brauchen
fahrungen gleichgesetzt werden darf, würde ich Menschen, die genügend Vertrauen in sich selbst
darauf hinweisen wollen, dass bei diesen Wor- haben und dabei wissen, dass die Institutionen
ten von Fabienne nichts zu spüren ist davon, an- nur das sind, was sie gewollt haben.« Menschen,
dere bessern zu wollen, vielmehr fühlt man, die bereit sind zu akzeptieren, dass ihre Sprache
dass hier ganz unterschiedliche Menschen mit kein starres Medium, dass sie veränderbar,
ihren ganz individuellen Biografien und Le- beweglich und lebendig ist, und dass sie andere
benswelten suchend auf Augenhöhe sind. In so verletzten kann.
einer Atmosphäre kann man auch in durch- Wenn diese Tagung nur einen kleinen Beitrag
aus emotionaler Auseinandersetzung gemeinsam leistet, dass wir morgen, wenn wir in unseren
nach besseren Wegen suchen, auch wenn die Institutionen zurück sind, der Wirkungsmäch-
eigene Sprache ein verbindendes und gleich- tigkeit unserer Sprache bewusster geworden sind
zeitig ein trennendes Element sein kann. und dies auch anderen vermitteln können, dann
Und Fabiennes Worte sind so nahe an Chris- war es eine gelungene Tagung.
toph Martin Wieland, einem der Vertreter des
klassischen Weimar, und seiner Sicht des » wah-
ren Kosmopoliten «, der » alle Völker als Zweige
einer Familie und das Universum als Staat … []
vernünftiger Bürger « ansieht, die sich einig Dr. aNDreas JaNTOWski
sind, … die Vollkommenheit des Ganzen zu Direktor Thillm | Bad Berka
befördern.« In einer solchen Gedankenwelt hat
Rassismus keine Chance und es ist Stéphane
Hessel nicht genug zu danken, dass er in seiner
Streitschrift Empört euch genau die Worte findet,
um diesem Gedanken neue Kraft zu geben.
Er wollte immer auch Regierungen, die sich
ihrer » Weltregulierungsaufgabe « bewusst sind.
Er selbst hat bei der Schaffung globaler Regel-
werke mitgewirkt, so bekanntermaßen an der UN
WORT
VOR
R OV
ZWST
Verehrte Tagungsteilnehmer_innen,
liebe Partner_innen und Kolleg_innen,
LEITUNG
Die Alltagsmacht rassistisch konnotierter Worte beginnt
bei Vereinheitlichung, Verwendung historisch belegter
EIN NIE
Bezeichnungen, bei einseitiger Schuldzuweisung oder
Kontextverdrehungen. Viele Begriffe sind auf den
ersten Blick nicht zwingend beleidigend, aber sie treffen
INHALTLICHE den Nerv derjenigen, an die diese Ansprachen gerichtet
KURZÜBERLEGUNGEN sind. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die
Wortwahl an sich, sondern auch die Intention und die
VON
Auswirkung unseres Sprechens sehr bedeutsam.
Marina Chernivsky
kann sich gut durchdachte Gegenargumente leisten. Mit der diesjährigen Fachtagung wollten wir eine Dis-
Die Perspektive der Adressierten ist hingegen überwäl- kussion darüber anregen, wie rassistisch unsere Spra-
tigt, wehrt sich gegen die Fremdbestimmung, setzt che ist und was wir in diesem Spannungsfeld bewirken
sich für Korrektur ein. können. Gemeinsam mit unseren zahlreichen Tagungs-
Bei Kritik an der Sprache fühlen sich viele Menschen gästen wollten wir die subtilen – für viele doch kaum
schnell belehrt und gar persönlich angegriffen. Der- erkennbaren – Zwischenräume rassistischen Sprechens
artige Reaktionsmuster entstehen zum Teil durch die erkunden, vertraute Artikulationsräume reflektieren
fehlende Einsicht in die Notwendigkeit einer Kri- und mögliche konzeptionelle Neudeutungen überlegen.
tik und die mangelnde Selbstverantwortung. Es ist in
[ ]
der Tat eine unbequeme Feststellung, dass vertraute
[ ]
Sprachgewohnheiten rassistische, antisemitische Marina Chernivsky
Projektleiterin
Bedeutungen transportieren können, die vielen nicht ZWST Perspektivwechsel
vom Eigenen haben und davon, dass etwa Deutsch- waren es, in Europa. Bei Rassismus als einem Glau-
sein und Schwarzsein oder Deutschland und Islam ben daran, dass Menschen nach › Rassen ‹ unterteilt
unvereinbar seien. Damit wird › fremd ‹ zur gefähr- werden könnten, handelt es sich um eine aus Euro-
lichen Kategorie, weil sie ein bestimmtes Denken pa stammende Ideologie- und Machtstruktur.
TRÄGE
fortschreibt, dass Menschen, die als › fremd ‹ be- › Wann ‹ war das? Der Sexualforscher und Pub-
zeichnet werden, tatsächlich › Fremde ‹ seien. lizist Magnus Hirschfeld verwendete als erster den
Der Begriff › Fremdenfeindlichkeit ‹ reprodu- Begriff Rassismus für eine Lehre, die an die Exis-
BEI
I EB ziert rassistische Logiken, die in vereinfachenden tenz menschlicher › Rassen ‹ glaubt – und zwar in
Lösungsansätzen münden, wie etwa, dass es aus- seinem 1933 /34 geschriebenen und 1938 postum
reiche, dass sich › Fremde ‹ einfach besser › integ- veröffentlichten Werk › Racism ‹. Er wollte die na-
rieren ‹ sollten – als würde es das Problem lösen, tionalsozialistische › Rassen ‹-Ideologie widerlegen.
dass viele Weiße People of Colour ausgrenzen und › Rassentheorien ‹ wurden aber nicht vom National-
diskriminieren.2 sozialismus erfunden und fanden mit ihm auch kein
WENN RASSISMUS Oft werden wir an dieser Stelle hingewiesen, Ende. Das Konzept der › Rassen ‹ wird erstmalig im
dass es sich um ein globales Phänomen handelt, ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhundert aus
AUS WORTEN SPRICHT wenn eine › Kultur ‹ andere › Kulturen ‹ – auch dem Tier- und Pflanzenreich auf Menschen über-
unter Instrumentalisierung von körperlichen Un- tragen, wo es heute übrigens auch umstritten ist. Ab
terschieden – diskriminiert. Dem stimme ich zu, dem 16. Jahrhundert lässt sich der Gebrauch der
Zum machtvollen Zusammenwirken von doch füge ich hinzu: Der Rassismus nimmt da- Vokabel › race ‹ (frz.) oder › race ‹ (engl.) mit eben
Sprache und Diskriminierung 1 rin eine Sonderrolle ein. Kein anderes System der dieser Konnotation finden. Im Werk William Sha-
Unterdrückung einer › Kultur ‹ durch eine andere kespeares etwa findet es sich in der Wende vom 16.
hat strukturell wie diskursiv eine solch tiefgreifen- zum 17. Jh. bereits 18 Mal. Immanuel Kant wird
VON de, nachhaltige und global weitreichende Agenda den Begriff 1775 ins Deutsche übertragen und von
erschaffen wie der Rassismus. Warum das so ist, › Rassen ‹ sprechen.
möchte ich in diesem Artikel ausführen. Dabei › Warum ‹ dann, zu diesem Zeitpunkt? 1492 ist []
Susan Arndt finde ich es unverzichtbar, hier zunächst meine das berühmt-berüchtigte Jahr, in dem Königin Isa- Dieser Artikel basiert auf
einem Vortrag, der am
Rassismusdefinition herzuleiten. Daran ansetzend bella den Kampf um die Vorherrschaft auf der iberi- 25.11.2013 in Weimar im Rah-
möchte ich auf den › Racial Turn ‹ eingehen, um schen Halbinsel für die spanische Krone entschied. men der Fachtagung:
Wenn Rassismus aus
dann, in genealogischer Perspektive exemplarisch Es kam zur Zwangschristianisierung und Vertrei- Worten spricht gehalten
EINFÜHRENDE ÜBERLEGUNGEN Koloss, der diese Spitze trägt, verkannt, bleibt Ras- nachzuzeichnen, welche Spuren der Rassismus bung von Juden und Jüdinnen. Moslems wurden wurde.
Entgegen manch vorschneller Proklamationen ist sismus fast unbetrachtet. Wie die Titanic ist anti- in der weißen westlichen Wissensgesellschaft hin- ebenfalls vertrieben oder gezwungen, hohe Steuern
Rassismus leider nicht Geschichte. Eigentlich ist rassistisches Wirken hier zum Kentern verurteilt. terlassen hat. Dabei werde ich, wie eben bereits zu zahlen, um ihren Glauben ausüben zu dürfen. [2]
Bestenfalls wird postuliert,
er so omnipräsent, dass es schwer ist, ihn zu über- Dieses Scheitern setzt bereits da ein, wo nicht geschehen, immer auch Referenzen einbauen, Diese wiederum gehörten zum Finanzpaket, das dass man › Fremde ‹ besser
sehen – und doch wird er beharrlich wegerklärt. von Rassismus, sondern stattdessen von Ausländer- wie Sprache Rassismus transportiert, aber eben Columbus erhielt, um 1492 seine Reise antreten zu verstehen und ihnen
gegenüber mehr Toleranz
Dies sei dieses oder jenes, nicht aber rassistisch. oder Fremdenfeindlichkeit die Rede ist. Beide Be- auch widerspricht. Dieser Aspekt steht dann zu- können, die ihn statt nach Indien in die Amerikas ausüben sollte. Auch diese
Wer einen Vorfall als rassistisch bezeichnet, wird griffe führen in die Irre. Suggerieren sie doch zum dem prominent im Zentrum des letzten Teils führte – was damals freilich noch ganz anders hieß. Aussage baut auf einem
Raster auf, das klar zu
häufig als hypersensibel oder zu › politisch kor- einen, dass es um Feindlichkeit geht – oder auch dieses Vortrags. Es heißt wiederum gemeinhin, er hätte Amerika benennen vermag, wer
rekt ‹ abgetan. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft Hass, denn alternativ (ja synonym) finden auch Da es immer einer speziellen Methode bedarf, › entdeckt ‹. Wie aber kann man etwas entdecken, dazu gehört – und wer
nicht. Dabei kommt jene
neigt dazu, nicht über Rassismus zu reden. So ist › Ausländerhass ‹ bzw. › Fremdenhass ‹ diesbezüglich um über Rassismus zu sprechen, ohne ihn zu repro- was Menschen bereits bekannt ist? Denn die Ame- Beliebigkeit ins Spiel,
Rassismus zum R-Wort geworden, zum Wort, das Gebrauch. Rassismus aber ist mehr als ein schnöder duzieren, habe ich mich entschlossen, rassistische rikas waren ja bewohnt; etwas, das sich durch Co- die bereits im, in der
griechischen Antike
kaum jemand in den Mund nehmen will. Selbst in Hass oder Feindlichkeit. Der Rassismus ist sogar Begriffe, die im Folgenden diskutiert werden, nicht lumbus Eintreffen und konkret auch sein Dazutun gebräuchlichen, Begriff
rassismuskritischen weißen Kreisen wird das Wort dann am Werk, wenn vermeintlich wohlwollende zu zitieren. Ich habe sie in die Fußnoten verbannt, – von ihm verübten Landraub und Massaker an der ›Xenophobie ‹ angelegt ist,
nämlich, dass eine
Rassismus vorzugsweise ausgespart, wenn etwa von Komplimente über Haut, Haar oder Rhythmus wo sie mit Vorsicht gelesen werden können. Ich Bevölkerung – ändern sollte. Die Menschen, die er anthropologische Grund-
› Anti-Ra-Arbeit ‹ gesprochen wird. ausgeteilt werden. Dieses Phänomen » positiven jedenfalls werde es vermeiden diese im Fließtext zu irrtümlich › I.‹ 3 nannte (ich frage mich, warum wir konstante existiere,
die der Kultur der ander-
Rassismus « zu nennen, ist fatal, denn was sollte erwähnen – und ich werde nicht sprachlos werden um seinen Irrtum wissen und doch noch immer en (fremden) nahezu
Woher kommt das? an Rassismus positiv sein? Immer, wenn davon und immer dort, wo es passt, alternativ widerstän- das I-Wort gebrauchen); also, jene Menschen, die reflexhaft feindselig be-
gegnet.
Wie lässt sich das erklären? ausgegangen wird, dass Menschen nach › Rassen ‹ dige Begriffe verwenden. er irrtümlich mit diesem rassistischen Label ver-
unterteilt werden können, stehen wir mitten im sah, wurden in den nachfolgenden Jahrhunderten [3]
Ich sehe eine gewichtige Ursache darin, dass Ras- Rassismus. Deswegen ist es kontraproduktiv, wenn WAS IST RASSISMUS? genozidal vernichtet. Kaum zehn Prozent überleb- › Indianer ‹
sismus in Deutschland mit dem Nationalsozialis- Proteste gegen die sogenannten » Ausländer- und Wer, Wo, Wann, Warum und Wie sind nicht ten diesen Terror. Bartholomé de las Casas gehört
mus gleichgesetzt wird – sowie mit jenen, die sich Fremdenfeindlichkeit « ausgerechnet diese Grund- nur typische Fragewörter an historische Quel- zu den ersten, die massive Kritik an dieser Gewalt
bewusst in seine Tradition stellen. In diesem Sin- annahme unangefochten stehen lassen. Zum ande- len, sondern auch Grundfragen zur Erfassung üben. Es ist eine tragische Wende der Geschichte,
ne ist der Rassismus ein Bündnis des Bösen, von ren geht es ja nicht darum, dass alle Ausländer_in- von Rassismus : Wer hat Rassismus wann, wo, dass es ausgerechnet dieser Streiter für Menschen-
dem sich gutmeinende Weiße distanzieren. Das nen bedroht seien. Weiße Brit_innen etwa sind warum und wie erfunden? Aber auch : Wer pro- rechte für die › First Nations ‹ war (so ein zeitgemä-
geschieht aber häufig ohne eine dezidierte Ausei- nicht betroffen, türkische Deutsche aber schon, fitiert vom Rassismus und wird durch ihn privi- ßer Begriff, der das I-Wort ersetzt), der dazu bei-
nandersetzung damit, was der Rassismus eigent- obgleich sie gar keine Ausländer_innen sind, son- legiert – und wer nicht? trug, die Idee zu popularisieren, Afrikaner_innen
lich ist. Dabei gerät ziemlich schnell außer Acht, dern deutsche Pässe und Geburtsorte besitzen. Als in die Amerikas zu verschleppen und zu versklaven.
dass Rechtsextremismus und Nationalsozialismus › Fremde ‹ erscheinen sie allein jenen, die, aus einer Zunächst zum › Wer ‹ und › Wo ‹ beginnend mit der 1510 erfolgten die ersten Deportationen von Afri-
nur die Spitze des Eisberges darstellen. Wird der weißen Perspektive heraus, eine klare Vorstellung Frage : » Wer hat Rassismus wo erfunden? « – Weiße kaner_innen in die Karibik.
› Menschenrassen ‹ wurden er- Da diese Menschen nicht gezählt, sondern wie Vieh
gewogen und in Lagern und auf Schiffen grausam
gehörte zu deren täglichen Gewalt-Vergnügungen.
Die horrende Sterberate wurde nicht einfach nur
das als dem Weißsein inhärent verstanden wird,
als vermeintlich naturgegebene Normalität hinge-
[4]
Ich spreche von den
gab, und zwar seien dies das Wort › Sklave ‹ verschleiert, dass diese Men-
schen ja erst versklavt wurden; es blendet aus, dass Ich kann es nicht über mich bringen, dieses Ge-
genau? Die britische Sozialanthropologin Mary
Douglas betonte schon vor Jahrzehnten, jedes Se-
Kontinente bestün-
den nur aus den USA.
die Weißen, und zum anderen Menschen dafür verantwortlich sind, dass Men-
schen zu Sklaven gemacht werden. Historiker_in-
waltverbrechen als › Sklavenhandel ‹ zu bezeichnen.
Das Wort heute im Munde zu führen, scheint mir
hen des menschlichen Körpers besitze eine soziale
Dimension. Das bedeutet, ohne das Verlangen so-
[5]
Welche Kriterien an-
die › Anderen ‹, die › nicht- nen gehen davon aus, dass zwischen dem frühen 16.
Jahrhundert und 1867 bis zu 30 Millionen Afrika-
die perfide Logik zu bestätigen, dass Menschen
zu einer Ware werden können; außerdem blendet
ziale Hierarchien und Grenzen herzustellen, be-
stünde nicht das Interesse, körperliche Grenzen
gelegt werden, um
körperliche Unterschie-
de zu zementieren,
weiß ‹ waren und bestenfalls ner_innen von Europa versklavt wurden, wobei nur
geschätzte 12 Millionen in den Amerikas ankamen.4
es aus, dass diese Menschen nicht schon immer
› Sklaven ‹ waren, sondern erst versklavt wurden.
zu erfinden. Dieses Prinzip liegt auch dem Ras-
sismus zu Grunde. Im Zentrum der Ideologie des
folgt keineswegs reiner
Willkür. Vielmehr ist
die betreffende Logik
truiertes Bindeglied zwischen Küsten, oft weil sie sich widersetzten und dabei
verletzt oder getötet wurden. An den Küsten wur-
USA gängigen Begriffe Black Holocaust oder Maafa
(das Swahili Word für Desaster) sind angemessen.
› Menschenrassen ‹ zu postulieren. Dabei werden
aus einer Vielzahl möglicher körperlicher Merk-
Entscheidend ist zudem,
dass die so gewählten
Unterschiede (und die
Mensch und Tier wurden den Festungen gebaut, in denen die Verschleppten
oft Monate lang in dunklen, kalten und feuchten
Hinzu kommt, dass der Begriff der › Middle Passa-
ge ‹ jene Grauen überdeckt, die die etwa zweimona-
male einzelne herausgenommen und zu Bündeln
geschnürt, die vermeintlich naturgegebene Anti-
diesbezüglichen Kri-
terien) als › natürlich
gegebene ‹ Marker
schien, gegenüber Hunderten zu tun und doch werden diese Festungen oft im
zynischen Kolonialjargon › slave castles ‹ genannt.
Raub an Leben, Land und Reichtümern – all dies
widersprach den Grundprinzipien von Humanis-
führend für die Etablierung des Konzeptes › Men-
schenrassen ‹ als Fundament des Rassismus war. Aus [6]
Gesellschaften auf der gan- Denn es waren keine Schlösser, sondern Konzent-
rationslager und sollten zumindest Festungen oder
mus bis Aufklärung, also Freiheit und Demokratie,
Gerechtigkeit und Gleichheit, Menschenrechten
allen möglichen Nuancierungen zwischen rosa, oli-
ve und diversen Beige- und Brauntönen › Weiße ‹,
Ich spreche von den
Seshadri-Crooks, Kalpana.
Desiring Whiteness.
zen Welt Gewalt auszuüben. Lager genannt werden. und -würde. Genaugenommen war dies auch nach
damaligen Kriterien › böse ‹ – es sei denn, ja, und
› Gelbe ‹, › Schwarze ‹ oder › Rote ‹ zu destillieren
(wie es ja konkret geschah) bedarf eines Abstrak-
A Lacanian Analysis of
Race. London, New York:
Routledge, 2000: 5.
Geschätzte 18 Millionen Afrikaner_innen wurden das ist die perfide Grundlogik des Rassismus, bei tionsprozesses, der aus allen möglichen Schattie-
durch schmale Pforten auf die Schiffe getrieben, den Kolonisierten und Versklavten handele es sich rungen von Haut die Farben schwarz, weiß, gelb
die sie in die Amerikas bringen sollten. Dass diese gar nicht um Menschen. oder rot heraus zoomt. Im Kern bleibt festzuhalten :
Pforten › gate of no return ‹ genannt werden, spie- Hier liegt des Pudels Kern. Aus diesem Grund Hautfarbe ist eine Erfindung des Rassismus oder,
gelt wider, was die Afrikaner_innen erwartete. Heu- wurde aus dem Tier- und Pflanzenreich die Katego- um die Kulturwissenschaftlerin Kalpana Seshad-
te wird davon gesprochen, dass möglicherweise rie › Rasse ‹ auf Menschen übertragen. › Menschen- ri-Crooks zu zitieren : »We believe in the factua-
bis zu sechs Millionen Menschen bereits während rassen ‹ wurden erfunden um zu postulieren, dass lity of difference in order to see it « .6 Mit anderen
dieser qualvollen Zwangsüberfahrt starben. Ge- es zum einen Menschen gab, und zwar seien dies Worten : Wir sehen › Hautfarben ‹, weil der Ras-
brandmarkt wie Tiere und gewogen wie eine Ware die Weißen, und zum anderen die › Anderen ‹, die sismus dieses Sehen erfunden und in Wissen ver-
wurden die Afrikaner_innen nackt und in Ketten › nicht-weiß ‹ waren und bestenfalls Fast-Menschen. wandelt hat. Natürlich tritt menschliche Haut in
auf die Schiffe getrieben. Manche mussten sitzen, Als konstruiertes Bindeglied zwischen Mensch und unterschiedlichen Farbtönen auf. Natürlich könnte
andere auf der Seite liegen. Sie wurden gezwun- Tier wurden sie als so › anders ‹ konstruiert, dass man Menschen so › anordnen ‹, dass ihr Teint immer
gen inmitten von Urin, Fäkalien und Blut sowie es gerechtfertigt erschien, gegenüber Hunderten heller bzw. dunkler wird. Jedoch ist es ein Ding der
Maden, Ratten, Bakterien und Viren zu überleben. Gesellschaften auf der ganzen Welt Gewalt auszu- Unmöglichkeit, eine klar benennbare Trennlinie zu
Viele erkrankten und wurden oft noch lebend in üben. Die Botschaft war so simpel wie fatal. Es gibt ziehen und einen Farbteint zu benennen, der einen
den Ozean geworfen. Andere flüchteten freiwillig › Menschenrassen ‹ und die › weiße Rasse ‹ sei allen Menschen › gerade noch ‹ bzw. › nicht mehr ‹ weiß
in den Tod, manche schafften es, zu rebellieren und anderen › Rassen ‹ überlegen. Im (Gründungs-) oder Schwarz sein lässt.
bezahlten dies mit Folter und Tod. Gewalt war die Kern geht es dem Rassismus um folgende These : Die so erfundenen Unterschiede werden als
Sprache der weißen Besatzung, Vergewaltigung Die › weiße Rasse ‹ wird mitsamt des Christentums, vermeintlich natürlich gegebene körperliche
[7] Unterschiede postuliert. Hat man erstmal diese Kampf um die Bedeutung von › Rasse ‹ zu führen,
Memmi, Albert. Rassismus. Unterschiede konstruiert, so werden sie (wie der um sich diesen Begriff aus anti-rassistischer Sicht
Frankfurt/M.: Europäi-
sche Verlagsanstalt 1987
Schriftsteller und Rassismusforscher Albert Mem- anzueignen. Deswegen schlägt der deutsche Lite-
(Erstveröffentlichung auf mi ausführt) interpretiert. Dazu werden ihnen raturwissenschaftler eine doppelte Denkbewegung
Französisch 1982): 164-178.
bestimmte soziale, kulturelle und religiöse Eigen- vor. Von › Rasse ‹ als biologischem Konstrukt führt
[8] schaften und Verhaltensmuster zugeschrieben. Die sie weg und zwar hin zu Rasse als sozialer Positi-
Vgl.: C'est très
auf diese Weise hergestellten Unterschiede werden on. Er bezeichnet diese Denkbewegung als › racial
exactement la réalité de la dann verallgemeinert, verabsolutiert, hierarchisiert turn ‹, und sie schließt ein, Rasse als kritische Wis-
race. Cela n'existe pas.
Cela produit pourtant des
und ebenfalls – und zwar aus einer Machtposition senskategorie zu etablieren.9
morts. Guillaumin, heraus – als naturgegeben deklariert.7 Für mich beinhaltet der › racial turn ‹ auf einer
Collette. Sexe, race et pra-
tique du pouvoir. Paris:
Dies war die Rezeptur, um Menschen nach zweiten Ebene zudem einen gewichtigen Perspek-
Côté-femmes, 1992: 7. › Rassen ‹ zu klassifizieren – ein Unterfangen, das tivwechsel in der Rassismusforschung. Ihm hat
dem europäischen Streben folgte, koloniale Ver- Toni Morrison 1992 mit ihrem Buch › Playing in
[9] brechen an Millionen von People of Colour zu the Dark ‹ Gehör verschafft. Die afroamerikanische
Raman, Shankar. The
Racial Turn: › Race ‹, Post-
rechtfertigen. Sie wurden als nicht-weiß und damit Nobelpreisträgerin weist darauf hin, dass Rassis-
kolonialität, Literatur- unterlegen, dem Weißsein unterlegen, positioniert. musanalysen im weißen akademischen Mainstream
wissenschaft,In: Miltos
Pechlivanos, Stefan Rieger,
Damit noch mal zurück zum › Wer ‹ : Wer wird von die Tendenz haben, allein über Schwarze und Peo-
Wolfgang Struck und wem rassistisch diskriminiert? People of Colour ple of Colour zu sprechen. Dabei entstehe dann
Michael Weitz (Hrsg.): Ein-
führung in die Literatur-
werden von Weißen rassistisch diskriminiert, bei schnell der Eindruck, Rassismus sei (allein) eine
wissenschaft. Stuttgart einer entgegengesetzt angelegten Diskriminierung Angelegenheit von Schwarzen – und Weiße seien
1995, S. 241-255, hier 255.
handelt es sich nicht um Rassismus. diesbezüglich » neutral «, so, als hätten sie damit
[10] Das Gesagte resümierend komme ich zu (m)ei- nichts zu tun. Insofern es Weiße sind, die Rassis-
Morrison, Toni. Playing in
ner Definition : Rassismus ist der Glaube daran, mus erfunden haben, hält es Morrison für unver-
the Dark.Whiteness and dass Menschen biologisch nach › Rassen ‹ unterteilt zichtbar, » die Auswirkung von Ideen rassischer
the Literary Imagination.
Cambridge, Mass.:
werden können. Dabei verbindet sich das histori- Hierarchie, rassischer Ausgrenzung und rassischer
Harvard UP 1992: 11. sche Interesse daran, diesen Mythos am Leben zu Verletzbarkeit und Verfügbarkeit auf Nichtschwar-
erhalten mit der Macht, ihn global wirkmächtig ze zu untersuchen, die diese Ideen vertreten haben
[11] und irreversibel zu machen. Bei Rassismus han- oder ihnen widerstanden, sie erkundeten oder sie
Hooks, Bell. Representa-
tions of Whiteness In:
delt es sich um ein paneuropäisches Projekt der veränderten. « 10
Dies: Black Looks. Race and Erfindung von Menschen› rassen ‹, bei dem es im
Representation. Boston:
South End Press, 1992,
Kern darum geht, Europa und das ihm einverleibte Morrison moniert, dass es unter Weißen oft als ge-
S. 165-178; hier S. 167-168. Christentum als weiß und überlegen zu konstruie- neröse und liberale Geste gilt, nicht über › Rasse ‹
ren, um weiße Macht herzustellen und zu garantie- zu sprechen. Die Schriftstellerin nennt dieses oft
ren. Weiße haben sich vermittels des Rassismus die als » colour-blindness « oder » myth of sameness « 11
Welt passförmig gemacht, um sie zu beherrschen. bezeichnete Handeln » evasion « bzw. Vermeidung.
Rassismus ist daher white supremacy, eine weiße Sich nicht im System des Rassismus verorten zu [12]
Herrschaftsform. Rassismus hat sich von jeher als müssen, ist jedoch ein Privileg, das der Rassismus Frankenberg, Ruth (Hrsg.).
und im Orientalismus, Antisemitismus, Afrikanis- nur Weißen gibt – eine Option, die People of Color Displacing Whiteness.
Essays in Social and Cultural
mus und Antiziganismus ausdifferenziert. Diese nicht leben können. Wenn Weißsein ignoriert oder Criticism.
Formen des Rassismus unterscheiden sich, weisen für das eigene Leben nicht relevant eingestuft wird, Durham, London 1997.
aber eine gemeinsame strukturelle und diskursive werden zugleich auch die sozialen Positionen, Pri-
Schnittmenge auf. vilegien, Hegemonien und Rhetoriken verleugnet, [13]
Wachendorfer, Ursula.
die daran gebunden sind. Weißsein behält dadurch Weiß-Sein in Deutschland.
DER RACIAL TURN seinen Status als universaler, » unmarkierter Mar- Zur Unsichtbarkeit einer
herrschenden Normalität.In:
» Rassen gibt es nicht «, schreibt die feministische kierer « 12 und » unsichtbar herrschende Normali- Arndt, Susan (Hrsg.): Afrika
Soziologin Collette Guillaumin, » und doch töten tät « 13 bei. Bilder. Studien zu Rassismus
in Deutschland. Münster:
sie «.8 Denn der Glaube, dass es › Rassen ‹ gäbe, Vor diesem Hintergrund ist das Ignorieren Unrast, 2001, S. 87-101.
der Rassismus also, ist präsent, bis heute. Shankar von » Hautfarben «, so paradox das klingen mag,
Raman glaubt daher, dass es notwendig ist, einen auch keine Lösung. Der Rassismus kategorisiert,
[14] markiert und positioniert Menschen – u.a. mit Hil- v. Chr. zur Konstruktion einer kulturellen Diffe- Damit kommt Weißsein auch das Potenzial zu, rigkeiten verschränkten, lässt sich exemplarisch in [16]
Frankenberg, Ruth (Hrsg.). fe von › Hautfarben ‹ – als Diskriminierte, Fremd- renz zwischen › Griechen ‹ und › Nicht-Griechen ‹, schön, tugendsam und vergeistlicht zu sein. Eine Wolfram von Eschenbachs Parzival aus dem frühen Der Begriff leitet sich her
Displacing Whiteness. Es- aus barbarophonus und
says in Social and Cultural
markierte und Entmachtete oder eben als Diskri- von Ersteren zumeist als › Barbaren ‹ bezeichnet.16 solche Ambivalenz gab es bezüglich der Verortung 12. Jahrhundert nachvollziehen. damit den so genannten
Criticism. Durham, London minierende, Markierende und Privilegierte des Um Kulturen geopolitisch zu verorten und zu von Schwarzen nicht. So bedeutet etwa Äthio- Parzival, Wolfram von Eschenbachs berühmter › Brr Brr Sprecher_in-
1997: v. nen ‹; hier dokumentiert
Rassismus. Das passiert zumeist unabhängig vom hierarchisieren, spielten Klimatheorien eine ent- pier_innen, als griechische Vokabel zur Bezeich- Gralssucher, hatte einen Halbbruder namens Feire- sich die Perspektive der
[15] individuellem Wollen und losgelöst davon, ob je- scheidende Rolle. Es ist dieses Paradigma, das die nung aller Afrikaner_innen, die keine Ägypter_in- fiz, gezeugt von ihrem gemeinsamen Vater Gahmu- Griech_innen, die andere
Sprachen als die eigene
Das Gewordensein, ge-
mand Rassismus befürwortet oder ablehnt. Rassis- erste bekannte Theorie der Sklaverei rahmt, die nen sind, übersetzt : » Menschen mit verbrannten ret und Belacane, einer Königin, die wiederholt als nicht verstanden.
genwärtige Wissen mus existiert und in seinem System stellt Weißsein, Aristoteles im 4. Jh. v. Chr. in Politeia entwickelt. Gesichtern «. Dies korreliert mit der These, dass Schwarze markiert wird. Die beiden verband » süe-
und künftige Wirken von
Weißsein als sozialer
wie Ruth Frankenberg betont, eine » soziokultu- Aristoteles war als Lehrer Alexanders des Großen das heiße Klima Haar und Hirn dieser Menschen zer minne « [süße Liebe].20 Dies könnte die Auffas- [17]
Position im Rassismus relle Währungseinheit « 14 dar, die privilegiert. Re- bestrebt, dessen Eroberungszüge sowie die griechi- ausgetrocknet habe und sie deswegen mental und sung bestätigen, dass › Hautfarben ‹ im Mittelalter Aristoteles. Politik.
steht im Zentrum der München: dtv, 1984: I.6:
Kritischen Weißseinsfor-
lativierungen wie Verstärkungen der Macht und sche Ausgrenzungspraxis gegenüber den › Anderen ‹ kulturell unterlegen, ja, animalisch seien.19 noch nicht als symbolische Marker von Differenz 1254a, S. 52.
schung. Weißsein wird Privilegien, die Weißsein in petto hat, ergeben sich philosophisch und politikberatend zu unterlegen. Dieses in der griechischen Antike akkumulierte galten. Doch nur zwei Verse später wird genau die-
hier, und zwar innerhalb
von Rasse als Analyse-
daraus, dass sich Weißsein mit anderen Strukturka- So argumentiert er etwa, dass Sklaverei naturge- Wissen lässt sich (noch) nicht an die Kategorie der se › Ungleichheit ‹ als Vokabel aufgerufen, wenn es [18]
kategorie und komple- tegorien wie etwa Sexualität, Geschlecht, Nationa- geben und gerecht sei. › Rasse ‹ binden. Und doch ist es eben dieses Wis- heißt : » ungelîch war doch ir zweier hût « 21 [doch Aristoteles. Politik.
mentär zu Schwarzsein, München: dtv, 1984: I.4:
zur kritischen Wissens-
lität, Bildung, Religion, Mobilität oder Gesundheit Die Verbindung von Männlichem und Weib- sen, dass körperliche Unterschiede soziale, men- die Farbe ihrer beider Haut war verschieden]. Und 1254b, S. 54.
kategorie. Sie findet An- verschränkt. Doch diese Relativierungen resultie- lichem sei ein für die Fortpflanzung unverzicht- tale und religiöse Differenzen transportieren und tatsächlich findet die » s[zß]werze « [das Schwarz-
wendung in der Analy-
ren nie in einem gänzlichen Verlust von Weißsein. bares naturgemäßes Streben. Analog dazu sei es damit Herrschaft und Sklaverei legitimierten, das sein] Belacanes aus der Erzählperspektive viel Be- [19]
se gesellschaftlicher und
Vgl.: Isaac, Benjamin.
politischer Prozesse Auch wenn Weißsein damit dynamisch und flexibel der Lebenserhaltung wegen erforderlich, dass sich Theoreme bereitstellte, welche in den nachfolgen- achtung, wobei es dem Weißsein (von Parzival und The Invention of Racism in
sowie deren sprachlicher,
fiktionaler wie medialer
ist, bedeutet das jedoch nicht, dass es individuellen einiges » gleich von Geburt an « trennt, » das eine den Jahrhunderten zur Formierung von › Rasse ‹ seiner Mutter Herzeloyde) gegenüber gestellt wird. Classical Antiquity.
Princeton and Oxford:
Repräsentation. Im Kern Spielräumen obliegt, das eigene Weißsein abzule- zum Dienen, das andere zum Herrschen. « 17 Da- als Instrumentarium der Klassifizierung von Men- Princeton University Press,
geht es um die Frage:
Wie haben Weißsein im
gen. Als systemische Position ist Weißsein keine bei kommt er zu dem letztlich nicht unerwarteten schen führte. Das Sehen von › Hautfarbe ‹ war von Eschenbach 2004: 185, 226 – 251, 365.
Besonderen und Rassis- Weltanschauung, sondern eine Machtposition und Schluss, dass die Griech_innen dazu auserwählt sei- Mit dem Erstarken des Christentums erhalten also geläufig. Welche Bedeutung aber kommt ihr [20]
mus im Allgemeinen der
europäischen Versklavung
als solche ein kollektives Erbe des Rassismus und en, Nicht-Griech_innen zu versklaven. Das sei den antike › Hautfarbensymboliken ‹ eine neue Bedeu- in seinem Text zu? Eine Antwort findet sich in der Eschenbach, Wolfram von.
afrikanischer Menschen auch am Werk, wenn Weiße es nicht bemerken Körpern auch eingeschrieben : » Die Natur hat die tung und Gewichtigkeit. Dabei kommt es zwischen Szene, in der Gahmuret (die schwangere) Belacane Parzival. I. 1-8. Stuttgart:
und dem Kolonialismus Reclam, 2004 I.1 44 28.
als ideologisches Schwert
(wollen). Tendenz, auch die Körper der Freien und Sklaven der christlichen Farbsymbolik und Theoremen verlässt. Er versichert ihr, dass dies etwas mit ih-
und Schild gedient? Es geht hierbei nicht um Schuldzuschreibun- verschieden zu gestalten, die einen kräftig für die von › Hautfarbe ‹ zu komplexen Synergieeffekten. rem » (Nicht-)Glauben « zu tun habe – nicht aber [21]
Wie haben Rassismus und
sein Kerntheorem Weiß-
gen, wie einige oft glauben, wenn sie sich verärgert Beschaffung des Notwendigen, die anderen aufge- In der christlichen Religion gilt Weiß als Farbe mit ihrer » swerze «.22 Doch warum bringt er ihr Eschenbach, Wolfram von.
Parzival. I. 1-8. Stuttgart:
sein im Kolonialismus und persönlich diffamiert fühlen. Es geht darum, an- richtet und ungeeignet für derartige Verrichtungen, des Göttlichen und seiner Engel, des Himmli- Schwarzsein dann überhaupt zur Sprache? Ge- Reclam, 2004 I.1 44 30.
darüber hinaus die Welt
geprägt – diskursiv und
zuerkennen, dass Rassismus – analog zum Patriar- doch brauchbar für das politische Leben. « 18 schen und seiner Transparenz, von Unschuld und nau dieses » es macht mir ja gar nichts aus, dass
strukturell, in Vergangen- chat im Falle der Geschlechterkonzeptionen – ein Zwar wird › Hautfarbe ‹ in diesem Zusammen- Jungfräulichkeit. Schwarz verkörpert dagegen das du Schwarz bist «, zeigt, es ist bedeutsam – und [22]
heit, Gegenwart und
für die Zukunft? Wie kön-
komplexes Netzwerk an Strukturen und Wissen hang nicht als primärer Marker von Differenz Monströse des Teufels und die Untiefen der Hölle zwar eben auch als symbolischer Ort für religiöse Vgl.: Eschenbach, Wolfram
von. Parzival. I. 1-8.
nen diese Diskurse und hervorgebracht hat, das uns – im globalen Maß- bemüht. Allerdings scheiden sich » Freie « und – und damit Sünde und Schande, Ungehorsam und Differenz. Während » swerze « eindeutig mit dem Stuttgart: Reclam, 2004:
Strukturen benannt, her-
ausgefordert und gewen-
stab – sozialisiert und prägt. Dabei ist Wissen in » Barbaren « eben auch an der › Hautfarbe ‹. Das Schuld. Analog dazu wird weiß auch allgemein als verschränkt ist, was von Eschenbach als » Heiden- I.2 94 11-15.
det werden? meiner Lesart weder absolut, wahr und unverän- griechische Wort für die › Hautfarbe ‹, andreíkelon, ist schön, rein und tugendsam konzipiert und Schwarz tum « bezeichnet und im Fall Belacanes als Islam
derbar, sondern historisch gewachsen, von Macht wortgenau als » wie ein Mann « zu übersetzen. Das als Farbe des Hässlichen, Bösen und Unheils. Die zu lesen ist, erfolgen analoge Gleichsetzungen von
formiert sowie dynamisch und subjektiv. 15 Dies soll bedeutet im Umkehrschluss auch, dass ein Mensch dieser Symbolik eingeschriebene Hierarchisierung Weißsein und Christentum nur indirekt. Herzelo-
im Folgenden kursorisch mit Blick auf Aspekte der ohne andreíkelon kein Mensch sei. Wer andreíkelon macht es aus der Sicht des christlichen Europas ydes Hände werden als » linden handen wîz « [wei-
europäischen Kultur- und Literaturgeschichte be- besitze, stehe klimatisch wie geographisch begrün- zu einem naheliegenden Schritt, › Hautfarben ‹ neu che, weiße Hände] und » lac der gotes vlîz« [ wahres
trachtet werden. det im Zentrum und sei folgerichtig kulturell und aufzurastern. Zwar werden antike Klimatheorien Meisterwerk Gottes] beschrieben. Metaphorisch
mental überlegen. Wer kein andreíkelon besitze, sei bemüht, doch nunmehr, um Weißsein, als Symbol wird ihr Weißsein, an die christliche Symbolik von
EINE KURZE GESCHICHTE DES als Bewohner_in klimatischer und geographischer für das Christentum und seinen geopolitischen Ort, Licht anknüpfend, also darüber markiert, dass sie
RASSISMUS-WISSENS Extreme › Barbar_in ‹, sprich geboren, um Sklav_in das metaphorische Europa, als überlegen zu positi- in Helligkeit erstrahlt.
Als das Konzept der › Rassen ‹ aus dem Tier- und zu sein. Das betrifft Schwarze wie Weiße. Weißsein onieren – und zwar als Antithese zum Schwarzsein,
Pflanzenreich im ausgehenden 16. Jahrhundert auf kommt dabei jedoch eine variable › Hautfarben ‹ po- das (regional) für den › Orient ‹ und /oder Afrika Wie bedeutsam die Differenz von › Hautfarben ‹
Menschen übertragen wird, geschieht dies in Rück- sition zu. Nicht nur › Perser_innen ‹ und Skythen steht sowie (religiös) für das Judentum, den Islam für von Eschenbachs Text ist, zeigt sich daran, dass
griff auf Theoreme, die bereits in der Antike ihre sowie andere Bewohner_innen des extremen Nor- und andere nicht-christliche Religionen. Dass die das Kind, das Belacane, kurz nachdem Gahmu-
Anfänge nehmen. Um Abgrenzungsprozesse zu dens hätten einen hellen Teint. Dieser gilt auch christliche Farbsymbolik Positionierungen von ret sie verlassen hat, zur Welt bringt, » zwiefar-
legitimieren und im Kontext von Eroberungskrie- als charakteristisch für griechische Frauen und › Hautfarben ‹ prägte und sich diese wiederum mit ben « ist : » Haut « und » Haare « waren weiß und
gen und Sklaverei kam es im 5. und 4. Jahrhundert Philosophen, deren Leben im Haus zentriert war. Markierungen von Religions- und Nationszugehö- schwarz gescheckt, heißt es, wie bei einer Elster.
sind, der Islam sei dem Christentum unterlegen wurden, desto stärker kamen zunehmend Zweifel Empfindungen noch ein Bewusstsein für Freiheit,
und gehöre nicht zu Europa. Afrikaner_innen an den seit der Antike gültigen Klimatheorien und sie hielten sie vielmehr für wertlos. Das führt He- [28]
Darwin, Charles R.
Bereits im 15. und 16. Jahrhundert, als die euro- an › Hautfarbe ‹ als überzeugendem Träger von gel sogar dazu, den Kampf der Schwarzen gegen
päische Versklavung und Verschleppung von Afri- irreversibel struktu- › Rassentheorien ‹ auf. Um die Existenz von › Ras- die Unterdrückung und Sklaverei – wie Anfang
Origin of Species by Means of
Natural Selection,
or the Preservation of Favored
kaner_innen irreversibel strukturelle Gestalt und sen ‹ nachweisen zu können, nahmen weiße Wis- des 19. Jahrhunderts in Haiti – » dialektisch « so
Gewalt annahm, war diese Farbsymbolik, licht- relle Gestalt und senschaftler_innen deshalb immer stärker andere zu deuten : » Dieser Nichtachtung des Lebens ist
Races in the Struggle of Life.
London:
John Murray, 1859.
durchflutetes Weißsein als göttliche Tugend dar- angebliche Merkmale in den Blick. Dazu vermaßen auch die große von ungeheurer Körperstärke un-
zustellen, gängig. Denken wir etwa nur an Miche- Gewalt annahm, sie zunächst Körperteile wie etwa den Schädel oder terstützte Tapferkeit der N. zuzuschreiben, die sich
langelo, da Vinci oder Raphael. Menschen weißen das Skelett, aber auch Sexualorgane. Noch heute zu Tausenden niederschießen lassen im Kriege ge-
Teints werden – von (göttlichem) Licht erhellt und war diese Farbsym- lagern Relikte dieser scheußlichen biologistischen gen die Europäer.« 27 Deswegen hält Hegel noch
von Engelwesen umrahmt – zu Symbolen christli- Forschungen in ethnologischen Museen und Kran- in der Hochzeit des Abolitionismus und nach dem
cher Reinheit. Dafür, dass Schwarze als ergänzte bolik, lichtdurch- kenhäusern in Europa, auch in Deutschland. Die britischen Verbot von Sklavenhandel und Sklave-
Randfiguren dem vom Weißsein verkörperten Gu- Vermessung des sichtbaren Körpers, als Methode rei » die allmähliche Abschaffung der Sklaverei «
ten gegenüber gestellt werden, steht etwa exempla- flutetes Weißsein als bis weit ins 19. Jahrhundert hinein anerkannt, führ- für angemessener » als ihre plötzliche Aufhebung «.
risch » Die 10-Gebote-Tafel « von Lucas Cranach te nicht dazu, dass feststehende › Rassenmerkmale ‹ Angesichts der gegebenen Unmöglichkeit, › Ras-
d.Ä. von 1516. Während ausschließlich Weiße das göttliche Tugend gefunden werden konnten. Jene Versuchsreihen, sen ‹theorien aus Schädelgrößen oder anderen
rechte Verhalten vorleben, werden ihre Sünden die zu bejahenden Erkenntnissen gelangten, weisen Körperteilen unangreifbar abzuleiten (wie auch?),
durch monströse nackte Gestalten versinnbild- darzustellen, gängig. methodisch vielerlei Schwächen auf. So begründet flüchteten die › Rassentheoretiker ‹, einem allgemei-
licht, die meist weiblich und zudem Schwarz sind. etwa der niederländische Anatom Peter Camper nen Wissenschaftstrend dieser Zeit folgend, tiefer
(1722-1789) seine Skala der › Rassen ‹ mit lediglich in den Körper hinein. Bald dominierten neben bis-
Analog zur Ästhetik zeitgenössischer Malerei for- sieben Köpfen und verfälschte dabei noch. Sehen herigen Markern wie › Hautfarbe ‹ oder Schädel-
miert sich auch in Poesie und Dramatik ein literari- Sie den Fehler? » Bei der geometrischen Ermittlung form › innere Merkmale ‹ wie Blut und Gene die
scher Hype um diese Farbsymbolik und ihre Kolo- des Schädelvolumens der griechischen Apollbüste Theorien. Man hoffte, › Rassen ‹ genetisch nachwei-
nialrhetorik. Das Weißsein poetischer und anderer [24] in frontaler Ansicht «, die als Repräsentant der wei- sen zu können und Gene wurden zu Trägern sozi-
Becker, Thomas. Mann
literarischer Figuren wird jedoch nicht nur über und Weib – schwarz
ßen Norm fungiert, addierte er » schlichtweg einige okultureller Eigenschaften erkoren, die wiederum
die konkrete Aufrufung der Adjektive › weiß ‹ (bzw. und weiß. Die wissen- Zentimeter, die wohl eher der Haarpracht Apolls › Rassenhierarchien ‹ legitimieren sollten. Mit der
schaftliche Konstruk-
im englischsprachigen Kontext › fair ‹) markiert, tion von Geschlecht und
als der Schädelgröße zuzuschreiben waren. « 24 Hinwendung zur Vererbung innerer Dispositionen
sondern auch über die ästhetische Verarbeitung Rasse 1600-1950. Die hysterische Suche, › Rassen ‹ als Fakt und kam es zu einem Anstieg identifizierbarer › Rassen ‹
Frankfurt am Main,
tradierter Metaphern, welche weiße Schönheit in New York: Campus,
die Überlegenheit der Weißen wissenschaftlich zu auf mehr als 100. Diese stetig wachsende Anzahl
ihrer Bandbreite von ästhetischer Hochwertigkeit, 2005: 10-11. postulieren, fand in der Aufklärung einen Höhe- vermeintlicher › Rassen ‹ zeigt letztlich nur eines
Unbeflecktheit bis hin zu Erhabenheit, Rarität und punkt. Dies war kein Nebenprodukt der Aufklä- deutlich : Eindeutige Grenzziehungen lassen sich
Unerreichbarkeit versinnbildlichen. Besonders in- [25] rung, sondern prägte das Weltbild von Männern weder ermitteln noch begründen.
Kant, Imanuel. aa xv.
teressant ist dabei, dass Weißsein prominent auch Handschriftlicher Nachlaß.
wie David Hume, Voltaire und Immanuel Kant. Der Sozialdarwinismus propagierte in einer
über Seide, Perlen, Elfenbein, Silber, Diamanten In: Entwürfe zu dem Colleg Wie weit diese Argumentationen gingen, illustriert Aneignung des Darwinschen » survival of the fit-
- über Anthropologie aus
und Marmor als kostbar inszeniert wird. Es wer- den 70er und 80er Jahren,
ein Zitat aus dem Spätwerk Kants. Sechs Jahre vor test «, dass es legitim sei, jene auszurotten, die
den also figurativ ausgerechnet jene Ressourcen S. 878, url: http:www. seinem Tod schreibt er : » Alle racen werden ausge- sich historisch als unterlegen erwiesen hätten.28
korpora.org/kant/aa15/878.
aufgerufen, die die kolonialen Ambitionen Europas html.
rottet werden (Amerikaner und N. können sich Darwins Cousin Francis Galton brachte › Rasse ‹
und ihrer Legitimationsphilosophie ums Weißsein nicht selbst regieren. Dienen also nur zum Sclaven), und Klasse zusammen und begründete, in Anleh-
überhaupt erst wesentlich motivierten. nur nicht die Weißen.« 25 nung an Platon und Aristoteles, die Wissenschaft,
sprach nicht über Rassismus. (23.01.2007). Jahren eine Erinnerungsarbeit ein, welche die der) Begriffe. Dieser lexikalische Formationspro-
Kontinuität von Kolonialismus und Nationalsozi- zess vollzog sich in verschiedenen europäischen
[33]
Unter dem Mantel der Vgl.: Chakrabarty, Dipesh.
Provincializing Europe.
alismus reflektiert.35 Das steht in der öffentlichen Sprachen in weitgehender Übereinstimmung. Die
Erinnerungsarbeit bis heute aus. Betrachtung der deutschen Afrikaterminologie, auf
und seine Mythen weiter. 2000: 9. und Shoah in einer panischen Angst und Scham Bekannte Beispiele für neologistische Kons-
vor Rassismus. Wer konnte, sprach nicht über Ras- truktionen sind bis heute gültige Bezeichnungen,
[34] sismus. Unter dem Mantel der Amnesie grassier- wie etwa » B.« oder » H.«.36 Beides sind Sammel-
Vgl.: Young, Robert.
White Mythologies.
ten Rassismus und seine Mythen weiter. Auch jene begriffe, die kulturell, politisch und linguistisch
Writing History and the Länder, die den NS zerschlagen hatten, waren davon jeder Grundlage entbehren. Als » B.« wurden alle
West. London 1990: 8.
nicht ausgenommen – siehe etwa die Jim Crow Ge- Völker bezeichnet, die in den von Weißen schwerer
setzgebung in den USA oder das Fortleben von bri- zu kontrollierenden Gegenden jenseits der Küs-
tischem und französischem Kolonialismus. Ganz tenregionen im südlichen Afrika lebten. Als » H.«
besonders virulent ist das Fortleben des Rassismus wurden alle Gesellschaften des südlichen Afrika
[29] die regulieren sollte, wie sich die Menschheit in Zu- von Menschen in Afrika, Australien sowie Teilen in den Grob- und Feinheiten der Sprache, auch der bezeichnet, wie etwa die Xhosa, in deren Sprachen
Vgl.: Galton, Francis. kunft fortpflanze : die Eugenik.29 Auch andere The- Asiens Ausbeutung, Folter und Genozid. Vom Ras- deutschen Sprache. Gerade deswegen ist Sprache implosive Konsonanten, so genannte Schnalzlaute
Hereditary Genius.
London: Macmillan and
orien, auf die sich der Nationalsozialismus später sismus flankiert werden diese Gräueltaten als Recht auch ein wichtiges Medium, um Widerstand gegen oder Clicklaute, vorkommen. In eurozentristischer
Co, 1869. stützen wird, nahmen in dieser Zeit ihre Anfänge. und Pflicht zur Zivilisation verkauft. Zur gleichen Rassismus zu leisten. Manier glaubten Weiße, mit dem Begriff » H.«
Dazu gehören Arthur de Gobineaus apokalpytische Seite dieser Rhetorik gehört es, dass dieses Unter- Im letzten Teil meines Artikels möchte ich mich (durchaus mit Anspielung auf Hufgeräusche von
[30] Überlegungen, dass sich » höhere « gegen » niede- fangen zum Scheitern verurteilt sei(n muss). noch mal gezielt und fokussiert diesem Aspekt Pferden) diese Clicklaute nachzuahmen.
Vgl.: Gobineau, Arthur de.
Essai sur l’inégalité des
re Rassen « zur Wehr setzen müssten und deshalb Die koloniale Rede von der » Bürde des weißen widmen und dabei speziell auf die deutsche Afri- Ein anderes beredtes Beispiel für kolonialisti- [35]
races humaines. Paris: ein globaler » Rassenkrieg « bevorstehe. Das Pro- Mannes « hat Rudyard Kipling 1899 in plakative ka-Terminologie eingehen, um zu zeigen, wie sich sche Neologismen ist die Erfindung des Begriffs Vgl.: Césaire, Aimé.
Éditions Pierre Belfond, Discours sur le colonialisme.
1967: 1853-55
blem sei, dass › die weiße Rasse ‹ unwiderbringlich Poesie gegossen, die Weißsein als uneinholbar hier Rassismus festschreibt und bis heute tradiert, » Hä.« 37, der sich (nicht zuletzt durch anthropo- Paris: Editions Présence
.
durch andere › Rassen ‹ verdorben worden sei. Das überlegen zelebriert 32 und People of Color in den aber eben auch herausgefordert wird. logische Forschungen) als generelle Ersetzung für Africaine, 1955.
[31] einzige Potential sah er lediglich in der » arischen ewigen »Warteraum der Geschichte « verbannt, die Vielzahl von Selbstbezeichnungen für Herr-
Vgl.: Chamberlain, Rasse «, einem reinen Ideologieprodukt, das Go- wie der indische Historiker Dipesh Chakrabarty DIE DEUTSCHE AFRIKATERMINOLO- scher_innen in afrikanischen Gesellschaften so- [36]
Houston Stewart. Die › Buschmänner ‹ und
Grundlagen des XIX.
bineau in England und Norddeutschland verorte- diese Rhetorik heute nennt.33 Abgepuffert durch GIE ALS MEDIUM KOLONIALISTISCHER wie anderen kolonisierten Räumen etablierte. Der › Hottentotten ‹.
Jahrhunderts. München: te.30 Nirgendwo erfuhren Gobineaus Buch und sein diese rassistische Rhetorik bleiben koloniale Ver- WISSENSFORMATION Begriff setzt sich aus dem Wortstamm » Haupt- «
Bruckmann, 1899.
» Arier-Mythos « ab Ende des Jahrhunderts eine brechen gegen die Menschlichkeit in Europa ver- Sprache war von Anfang an ein wichtiges Medium, und dem Suffix » -ling « zusammen. Die in einem [37]
solche starke Rezeption wie in Deutschland. Aber gleichsweise unbeachtet. Rassismus wütet weiter, um die kolonialen Erfindungen festzuschreiben, Grundwort beschriebene Tätigkeit oder Eigen- › Häuptling ‹
niemand hat in Deutschland so wirkungsmächtig nicht nur in den Kolonien. In Deutschland mor- Kolonialismus zu legitimieren und weiße Mythen schaft bzw. die damit bezeichnete Person wird
wie Houston Stewart Chamberlain, mit seinem det er in genozidaler Singularität Millionen von zu stabilisieren. Dabei war es ein gängiges Verfah- durch den Suffix » -ling « diminutiv verortet. In
1899 erschienenen Buch Die Grundlagen des XIX. Juden und Jüdinnen sowie Hunderttausende von ren, Eigenbezeichnungen zu ignorieren. Das steht einigen Fällen erfährt der so Bezeichnete eine Ab-
Jahrhunderts, den rassistischen » Arier-Mythos « Sinti und Roma. Gleichzeitig hat Hitler die Vision, symptomatisch dafür, wie Kulturen, Sprachen, setzung von einem dominanten Gegenüber [wie
als Chauvinismus- und Unterdrückungsideologie durch die Unterwerfung von Europa auch deren Religionen, Sozialstrukturen etc. aus der koloni- im Fall von » Prüfling « (zu » Prüfer «) und » Lehr-
verbreitet. Das Hauptziel des Pamphlets war es, Kolonien beherrschen zu können. alen Perspektive verleugnet/verschwiegen wurden. ling « (zu » Lehrer «)]. Zumeist erfolgt über dem
den › Ariern ‹ ihren Platz in der Gegenwart und Der Nationalsozialismus sei, schreibt Robert Gleichzeitig kam niemand auf die Idee, einfach Suffix » -ling « eine explizite Abwertung wie etwa
Zukunft zu verschaffen, den seiner Meinung nach Young, europäischer Kolonialismus, der nach Eu- Begriffe zu nehmen, die es bereits für Kontexte in in › Feigling ‹, › Wüstling ‹, › Schönling ‹ und › Em-
diese › Rasse ‹ als › Herrenrasse ‹ verdiene.31 ropa getragen wurde – und zwar von einem Land, Europa gab. Schließlich hätte dies ja der Behaup- porkömmling ‹. Tatsächlich vereint der von mir
Parallel zu dieser Radikalisierung des Rassis- dem nach dem Ersten Weltkrieg seine imperialen tung widersprochen, Afrika sei komplett anders als kritisierte Begriff » Hä.« beide Ansätze.
mus tritt auch der Kolonialismus in seine imperia- Gebiete in ›Übersee ‹ entzogen worden waren.34 Europa. Vielmehr wurde eine spezifische Termino- Wurde in anderen Kontexten doch auf bereits
le Phase über. Die europäische Gier nach Gütern Als die alliierten Armeen den Nationalsozialismus logie für den kolonialen Raum im Allgemeinen und bestehende deutsche Begriffe zurückgegriffen, so
wie Elfenbein, Gummi, Diamanten und Gold, aber besiegen, kämpfen in ihnen Hunderttausende von Afrika im Besonderen entwickelt, wollte mensch handelt es sich ausschließlich um solche, die im eu-
auch nach neuem Territorium unterwirft Millionen Schwarzen. Die Siegermächte verweigern ihnen Menschen, gesellschaftliche Strukturen und andere ropäischen Kontext abwertend benutzt wurden und
[38] im Rahmen der Übertragung auf Afrika eine Be- Volk, Religion, Männer und Republik gegenüber-
› Mischling ‹ › Mulatte ‹ deutungsverschiebung oder -erweiterung erfuhren. gestellt, die diskursiv auf Weiße (nur Weiße) rekur-
Zum einen handelt es sich dabei um Begriffe, die rieren sollen.45
[39] ausgehend von dem Postulat menschlicher › Ras- Hier zeigt sich exemplarisch, wie aus einem
› Bastard ‹
sen ‹ aus der Tierwelt zur Bezeichnung von Schwar- Machtraum weißer Hegemonie heraus Begriff-
[40] zen und People of Colour sowie ihrer Kulturen ad- lichkeiten geprägt worden, welche die kolonialis-
› Mohr ‹
aptiert wurden. Dazu gehören zwei » M.«-Wörter 38 tische Ideologie repräsentieren. Das betrifft weit
und auch das » B.«-Wort.39 Mit diesen Begriffen mehr Wörter als die hier gelisteten. Mehrheitlich
[41] werden Konnotationen von Illegitimität und Un- finden sie bis heute in der deutschen Sprache über
› Farbige ‹ fruchtbarkeit transportiert. Afrika Gebrauch, sei es in Medien, Schulbüchern
Zum anderen wurde im Rahmen der zweiten und Alltagssprache. Werden Sprecher_innen dar-
[42] Strategie auf Begriffe zurückgegriffen, die für Eu- auf verwiesen, das dieses oder jenes Wort rassistisch
› Kaffer ‹, › Hamite ‹,
› Schwarzafrika ‹
ropa rein historisierend gebraucht werden und die sei, wird nur selten reagiert mit einem simplen:
und › Schwarzer im aktuellen europäischen Sprachgebrauch Kon- » Ach so, das wusste ich nicht; wie drücke ich es
Kontinent ‹
notationen von › Primitivität ‹ tragen. So bezeichne- aus, ohne zu diskriminieren? «. Vielmehr wird eher
[43] ten Weiße etwa in Anlehnung an die historisierende widersprochen. So kommen dann Verleugnungs-
› Bastard ‹
Benennung germanischer oder keltischer Stämme strategien zum Tragen, von denen ich hier nur eini-
Organisationsformen in Afrika pauschal mit die- ge kurz anreißen möchte : » ach, das habe ich doch
[44] sem Begriff. Damit wird nicht nur die Vielfalt von nicht so gemeint, / das ist nun mal ein historischer
› Naturvolk ‹, › Natur- gesellschaftlichen Strukturen in Afrika negiert, die Begriff /das ist jetzt aber übertrieben/andere sagen
religion ‹, › Buschmänner ‹
und › Bananenrepublik ‹.
etwa zwischen den Hausa mit 30 bis 50 Millionen das doch auch so /so hieß es doch schon immer / das
Menschen und royalen Strukturen, sowie den Ogo- ist jetzt aber ein bisschen hypersensibel/ach du mit
[45] ni mit knapp einer Million Menschen und demo- deiner political correctness /also ich kenne einen
Darwin, Ausgehend von kratischem Rätesystem nicht zu unterscheiden weiß. Afrikaner, der findet das Wort nicht schlimm /ich
der evolutionistischen
Dichotomie › Natur ‹ ver-
Zudem wird suggeriert, dass diese Gesellschaften kann gar nicht rassistisch sein, ich habe doch eine
sus › Kultur ‹ wird in zudem, wenn überhaupt, allein mit einer früheren afrikanische Freundin « usw. usf.
diesem Zusammenhang
von der Annahme aus-
Epoche europäischer Geschichte vergleichbar sei- Oft wird auch im Duden Rückendeckung ge-
gegangen, dass › Natur ‹, en. Auf diese Weise können diskriminierende Per- sucht, der sich selbst in der aktuellen Ausgabe in der
und alles, was gedank-
lich damit verbunden wird,
spektiven und Konstruktionen von Afrika als › das Regel nur (wenn überhaupt) zu so schwammigen
(von der › Kultur ‹) kon- Andere ‹ sowie unterlegen, rückschrittlich und ver- Bezeichnungen wie » veraltet «, » veraltend «, » oft
trolliert, beherrscht und
unterworfen werden
altet transportiert werden. als diskriminierend empfunden « hinreißen lässt
sollte. Und weil die so ge- Sowohl für die Neologismen als auch die Be- – so als gehe es nur um Empfindungen Einzelner
nannten › N. ‹ (15) angeb-
lich keine › Kultur ‹ und
deutungserweiterungen lassen sich zwei zentrale und stecke die Diskriminierung nicht diskursiv und
Geschichte haben, bedürf- Grundtheoreme beschreiben. Zum einen bauen strukturell im Wort fest. Der Marker ›rassistisch‹
ten sie angeblich auch der
zivilisatorischen Mission
viele dieser Termini auf der Annahme auf, dass fehlt im Duden komplett. Immerhin gibt es bei ei-
der vermeintlich › überle- es › Menschenrassen ‹ gäbe. Das zeigt sich etwa an nigen Begriffen ein neues Format, kommentieren-
genen Rasse ‹.
Neologismen wie dem (› N-Wort ‹, einem weiteren de Kästchen, in denen dann etwa steht, dass: heute
» M.«-Wort,40 das » F.«-Wort 41 sowie weitere Be- oft argumentiert wird, dass es keine Menschenras-
griffe 42 oder Bedeutungserweiterungen wie z.B. im sen gäbe. Immerhin, könnte mensch sagen – käme
Fall von » B.«.43 dann nicht nach wie vor noch das seit Urzeiten
Zum anderen gehen diese kolonialistischen zitierte Beispiel zur Illustration des Begriffs vor :
Termini von der These aus, Afrika und Schwarze » schwarze, gelbe, rote Rasse «, wo dann doch wie-
repräsentieren › Natur ‹ und sind als solche ein der eine Bejahung des › Rasse ‹ begriffs drinsteckt.
Bindeglied zwischen Mensch und Tier. Dadurch Angeboten wird, stattdessen von Ethnien zu spre-
werden Europa und Weißsein als › Kultur ‹ und chen. Hier zeigt sich, wie alte Bedeutungsinhalte in
gegebene › Norm ‹ aufgestellt. Dafür stehen etwa neue begriffliche Schläuche gepresst werden und
auch Begriffe wie jene, die ich in der Fußnote 44 Ethnie oft als synonym zu › Rasse ‹ gebraucht wird.
aufliste. In einem asymmetrischen Verfahren wer- Ich möchte noch einmal deutlich sagen : Es geht
den sie implizit den generischen Oberbegriffen bei rassistischen Wörtern nicht um individuelle
LITERATUR
Meinungen und Absichten. Was in einem Wort griffe produziert haben bzw. produzieren, münden Ani, Ekpenyong | Eggers, Ayim, May Frankenberg, Ruth Köpsell, Philipp Khabo
Maureen Maisha Blues in schwarz weiss Introduction. Local Whitenesses, Die Akte James Knopf. Afro-
steckt, bestimmt seine Etymologie, Wortgeschich- würde. Daher ist es wichtig, dass kritische Refle-
Afrodeutsch / Afrodeutsche Berlin: Orlanda. Localizing Whiteness deutsche Wort- und Streitkunst.
te und das Wissen, das hier strukturell eingeschrie- xionen über Begriffe immer in gesellschaftliche in: Arndt, Susan | Ofuatey-Alazard Ayim, May in: Frankenberg (Hg.) 1997, S. 1-33. Münster: Unrast.
ben ist. In Bezug auf die Sprache des Nationalso- Aufarbeitungsprozesse eingebettet sind. Dies (Hg.) 2010, S. 577-579 Nachtgesang | Berlin: Orlanda. Gelbin, Cathy S. | Konuk, Kader Memmi, Albert
zialismus hat Victor Klemperer die (Wirk-)Macht schließt auch eine öffentliche Debatte über den Aristoteles | Politik | I.6. 1254a. Ayim, May Piesche, Peggy (Hg.) Rassismus
von Sprache in folgende Formel gebracht : » Worte Zusammenhang von Ideologie, Wissensherstel- München 1984 Grenzenlos und unverschämt. AufBrüche. Kulturelle Produktio- Frankfurt a.M.: Athenaeum.
Arndt, Susan Frankfurt | Main: Fischer. nen von Migrantinnen, Schwarzen Morrison, Toni
können sein wie winzige Arsendosen, sie werden lung, Sprache und Macht ein. Die Sprachforschung
Mythen des weißen Subjekts. Campt, Tina und jüdischen Frauen. Playing in the Dark. Whiteness
[] unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wir- und -politik des Feminismus oder die Auseinan- Verleugnung und Hierarchisierung Other Germans. Black Germans Königstein | Ts.: Ulrike Helmer. and the Literary Imagination
kung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Gift- dersetzung mit dem Nationalsozialismus zeigen von Rassismus and the Politics of Race, Gender, Göttel, Stefan Cambridge | Mass.: Havard Uni-
wirkung doch da.« 46 Im Kolonialismus entstande- nachdrücklich, dass gesellschaftliche Aufarbei- in: Eggers | Kilomba | Piesche and Memory in the Third Reich Hottentotten versity Press.
ne rassistisch konnotierte Wörter diskriminieren tungsprozesse immer auch eine Sensibilisierung Arndt (Hg.) 2005, S. 340-362. Anna Arbor: University of in: Arndt, Susan | Hornscheidt, Piesche, Peggy | Küppers,
Arndt, Susan Michigan Press. Antje (Hg.) 2004: Michael | Ani, Ekpenyong
Schwarze und zwingen sie, Überlebensstrategien und Transformierung von Sprache mit sich brin-
Weißsein. Zur Genese eines Douglas, Mary Afrika und die deutsche Sprache. Alaguyawanna-Kadalie, Angela
zu entwickeln, die bestenfalls kraftraubend sind. gen und umgekehrt. Diese Reflexionen werden Konzepts | in: Jan Standtke Natural Symbols. Explorations Ein kritisches Nachschlagewerk. (Hg.)
[46] Dabei bietet die deutsche Sprache doch für jedes dann auch scheinbar ganz harmlose Begriffe wie Thomas Düllo (Hg.) 2008: in Cosmology | Harmondsworth: Münster: Unrast, S. 147-153. May Ayim Award. Erster inter-
Klemperer 1987, 21 der genannten Wörter einfache und klare Alterna- Demokratie, Wissen, Feminismus oder Europa Theorie und Praxis der Penguin Books (dt.: Ritual, Tabu Guillaumin, Collette nationaler Schwarzer deutscher
tiven an. Ein Verzicht auf rassistische Wörter hat auf den Prüfstand bringen und nachhaken, inwie- Kulturwissenschaften. Culture – und Körpersymbolik. Sozialanth- Racism, Sexism, Power and Literaturpreis | Berlin: Orlanda.
Discourse – History. ropologische Studien in Industrie- Ideology | London: Routledge Oguntoye, Katharina | Opitz,
mich noch niemals sprachlos werden lassen. Man- fern der Gebrauch allein im weißen Wissensarchiv
Band 1 | Berlin: Logos, S. 95-129. gesellschaft und Stammeskultur. Chapman & Hall. May | Schultz, Dagmar
che Wörter braucht man gar nicht, weil es den verankert ist. Arndt, Susan Frankfurt am Main 1974). Hitler, Adolf Farbe bekennen. Afro-deutsche
hier bezeichneten Gegenstand ja gar nicht gibt. Ein letzter Gedanke: Widerstand gegen Ras- Myths and Masks of ›Travelling‹: Eggers, Maureen Maisha Mein Kampf. Zweiter Band: Die Frauen auf den Spuren ihrer Ge-
Bei anderen Begriffen gibt es Alternativen und wo sismus setzt da ein, wo er erkannt, benannt und Colonial Migration and Slavery in Kilomba ,Grada | Piesche, Peggy nationalsozialistische Bewegung. schichte | Berlin: Orlanda.
es sie nicht geben sollte, da können widerständi- herausgefordert wird. Dazu zählt auch der Wider- Shakespeare ‹s Othello, Arndt, Susan (Hg.) München: Zentralverlag der Oguntoye, Katharina
The Sonnets and The Tempest Mythen Masken und Subjekte. nsdap (Erstveröffentlichung 1927). Eine Afro-deutsche Geschich-
ge Begriffe eingeführt werden. Denn Sprache ist stand gegen rassistische Orte, seien es Straßenna-
in: Eckstein, Lars | Reinfandt, Kritische Weißseinsforschung in Hooks, Bell te. Zur Lebenssituation von
ein dankbarer Schauplatz für Widerstand und der men, Kolonialdenkmäler oder eben auch Begriffe, Christoph (Hg.) 2009: Anglisten- Deutschland | Münster: Unrast. Representations of Whiteness Afrikanern und Afro-Deutschen
schließt immer ein, Rassismus sichtbar zu machen. die rassistisches Wissen tradieren. Gebraucht wird tag 2008 Tübingen: Proceedings. El-Tayeb, Fatima in: Dies. Black Looks. Race and Re- in Deutschland von 1884 bis 1950
Deswegen wäre es auch im Sinne des bereits eine neu gestaltete Erinnerungskultur, die Verant- Trier: wvt, S. 213-226. Schwarze Deutsche. Der Diskurs presentation | Boston | ma: South Berlin: Hoho.
erwähnten » racial turn « politisch kontraproduk- wortungsübernahme einschließt. Diese setzt beim Arndt, Susan um › Rasse ‹ und nationale Identi- End Press, S. 165-178. Robinson, Victoria
Hautfarbe | in: Arndt | Ofua- tät, Frankfurt | New York: Campus. Hooks, Bell Schanzen-Slam | Berlin: Schwarz-
tiv, wenn gemeinhin mit rassistischen Wörtern be- täglichen Sprechen ein und greift auch weit darü-
tey-Alazard (Hg.) 2010, S. 332-341. Evans, Amy Black Looks. Race and kopf & Schwarzkopf | Reihe Anais.
zeichnete Schwarze Deutsche nunmehr einfach als ber hinaus. Arndt, Susan Achidi J's Final Hours: Representation Sow, Noah
Deutsche klassifiziert werden würden. Natürlich Die 101 wichtigsten Fragen: This Thing that Happened in Boston | ma: South End Press. Deutschland Schwarz Weiß.
müssen rassistische Begriffe weggelassen werden. Rassismus | München: C.H. Beck Aschaffenburg … Kelly, Natasha Der alltägliche Rassismus
Gleichzeitig ist es aber wichtig, sprachlich darauf Verlag 2012 in: Eggers | Kilomba | Piesche Afroism. Zur Situation einer München: Goldmann.
Arndt, Susan (Hg.) Arndt (Hg.) 2005, S. 146-157. ethnischen Minderheit in Deutsch- Wachendorfer, Ursula
zu reagieren, dass Schwarze Menschen in Deutsch- []
Afrika Bilder. Studien zu Fanon, Frantz land | Saarbrücken: vdm Verlag Dr. Weiß-Sein in Deutschland.
land Rassismus ausgesetzt sind und eben dieser sUsaN arNDT Rassismus in Deutschland. Schwarze Haut, weiße Masken. Müller. Zur Unsichtbarkeit einer herr-
Identitäten und Positionen prägt. Dass sich in An- Deutsche Anglistin und Münster: Unrast. Frankfurt, a.M.: Syndikat Kilomba, Grada schenden Normalität
lehnung an Debatten in Nordamerika, Frankreich Afrikawissenschaftlerin mit Arndt, Susan | Ofuatey-Alazard, (franz. O. Peau noire, masques Plantation Memories. in: Arndt (Hg.) 2001, S. 87-101.
und Großbritannien zunächst » Afrodeutsche « und Schwerpunkt Literatur Nadja (Hg.) blancs | 1952). Episodes of Everyday Racism.
Wie Rassismus aus Wörtern Frankenberg, Ruth (Hg.) Münster: Unrast.
später dann » Schwarze Deutsche « sowie auch in-
spricht. (K)Erben des Kolonialis- Displacing Whiteness: Essays Klemperer, Victor
ternational, » Schwarze « und » People of Colour « mus im Wissensarchiv deutsche in Social and Cultural Criticism LTI. Notizen eines Philologen.
als widerständige Bezeichnungen etabliert haben, Sprache. Ein kritisches Nachschla- Durham | London: Duke Universi- Leipzig: Reclam (Erstveröffentli-
ist ein Beispiel für diese sprachliche Ambivalenz der gewerk | Münster: Unrast. ty Press. chung 1946).
Markierung von Rassismus und Widerstand dage-
gen. Diese widerständigen Benennungen ersetzen
rassistische Begriffe und machen Schwarze als po-
litische Gruppe sichtbar, wodurch sie sich kollektiv
politisch verorten, ihre Erfahrungen benennen und
ihren Widerstand artikulieren können.
Freilich wäre es ein Irrglaube anzunehmen, dass
der Verzicht auf rassistische Begriffe automatisch
im Verschwinden der Auffassungen, die diese Be-
TRÄGE
BEI
I EB
Das Mädchen, das diesen Satz sagte, der bis heute in meinem Kopf he-
rumschwirrt, sprach ihn tatsächlich in der Schule aus. Wir standen dort
zusammen, weil sie ihre Bildung in dieser Einrichtung verpasst bekam,
»ICH SPRECHE DEUTSCH, die Art von Bildung, die für die deutsche Hauptschule nun einmal vorge-
sehen ist, und ich eine Ergänzung dieser Bildung war. Ich war zusammen
in der Aufzählung mehrerer Rechtschreib-, Grammatik- und Zeichen- [] einer solchen Schreibwerkstatt lachen muss. Die Aufzählung war, wie wir
setzungsregeln und dem ausführlichen Hinweis darauf, dass man, um Lena Gorelik, im Gespräch herausfanden, nicht als kunstvolles, literarisches Stilmittel
»Sie können aber
schreiben zu können, erst einmal die deutsche Schriftsprache perfekt gut Deutsch!« gemeint gewesen, sondern aufgrund fehlender Aufzählungswörter-Al-
beherrschen müsse, wovon sie, die junge Autorin, der dieser Titel mit Warum ich nicht mehr ternativen so entstanden, vielleicht auch, weil in einem Jungenkopf von
dankbar sein will,
dieser Predigt mit einer Bestimmtheit aberkannt wurde, die mich scho- dass ich hier leben darf, zwölf Jahren Prozesse so ablaufen: Und dann und dann und dann, bis
und Toleranz nicht
ckierte, noch ziemlich weit entfernt sei. Ich erinnere mich nicht mehr weiterhilft man in der Pubertät ist. Man kann anschließend darüber sprechen, was
an den genauen Wortlaut seines Vortrags, umso genauer aber an den der © 2012 Pantheon Verlag, nun – unbeabsichtigterweise – entstanden ist, vielleicht lernt der Junge
München, in der
Antwort des Mädchens, die sie mir entgegenwarf als ich ihr, nachdem Verlagsgruppe Random dann (ja, dann!) ein bisschen mehr, zwischen den Zeilen zu lesen, viel-
House GmbH
der Lehrer enteilt war, um andere Kinder wegen irgendetwas zu ermah- leicht sogar das eine oder andere Synonym zu »dann « zu verwenden.
nen, noch einmal sagte, dass das Wichtigste doch sei, dass sie überhaupt Und ich lerne ganz gewiss, wie Denkprozesse und Sätze und Stilmittel
schrieb. Dass ich fände, dass sie Talent habe und weiter schreiben sollte, auch funktionieren können, und fühle mich, als hätte ich eine Konsul-
wenn auch nur für sich. Ihre Antwort lautete: »Ich kann nicht schreiben, tation bei einem »echten Schriftsteller« gehabt.
ich bin doch nur Ausländerin.« Und dann, um diesen »echten Schriftsteller« zu zitieren, kann es
So einfach vernichtet man kleine Autoren. einem passieren, dass man in einem Vortrag zum Thema »Kreatives
Ich habe viele solcher Schreibwerkstätten mitgemacht, in vielen Schreiben mit Schülern mit Migrationshintergrund« sitzt und sich
Schulen aus meinen Romanen vorgelesen. Ich habe Lehrer erlebt, die innerlich bereits über den Titel des Themas aufregt, denn kreatives
ihre Schüler schon im Vorfeld niedermachten (»Sie wissen ja, wir sind Schreiben ist kreatives Schreiben, egal mit wem, das sage ich als »echte
eine Hauptschule hier, die können mit Büchern und Literatur und Schriftstellerin« jetzt mal so, und sich dann noch Folgendes anhören
Schreiben eh nichts anfangen, die können ja noch nicht einmal rich- muss: Dass es besser ist, solchen Schülern, also denen mit diesem großen
tig Deutsch.«). Ich habe aber auch – leider seltener – Lehrer erlebt, Makel, diesem unsäglichen Migrationshintergrund,
die ihre Schüler ermunterten, sich deren Geschichten anhörten, ihnen vorgefertigte Gedichtzeilen aus grammatikalisch kor-
beim Niederschreiben halfen, kleine Bücher mit ihnen herausgaben. Ich rekten deutschen Sätzen vorzulegen, die sie jeweils
habe sogar eine Lehrerin erlebt, die zu mir sagte: »Ich habe viel, auch ein wenig ergänzen können, indem sie hier mal ein
sprachlich, von meinen Schülern gelernt.« Ein Satz, der überraschend Adjektiv hinzufügen, dort mal ein Akkusativ-Objekt
klang, weil ich spontan dachte, dass er in dem hiesigen Bildungssystem (und wie viele von uns wissen noch, was genau ein Ak-
nicht vorgesehen ist. kusativ-Objekt ist?) ... So lernen die Kinder trotz ihres
Ich selbst habe gelernt, dass aus an der einen oder anderen Stelle Migrationshintergrundes vielleicht endlich richtiges
fehlenden oder aus Duden-Sicht falschen Deutsch-Kenntnissen wunder- Deutsch. Vielleicht tun sie das, kreativ sein, schreiben
schöne Sprachbilder entstehen können. Dass Texte auf Deutsch häufig lernen sie so aber mit Sicherheit nicht.
berührender sind, wenn sie mithilfe anderer Sprachen geschrieben wur- Und warum das alles, warum diese Geschichten?
den. Dass sich beispielsweise ein Apfel besser beschreiben lässt, wenn Weil es immer wieder schockierend ist zu beobachten,
man kurz die Augen schließt, das Wort »Apfel« in eine andere – viel- was für Erwartungen in diesem Land beim Thema
leicht die Muttersprache – übersetzt, laut ausspricht und merkt, dass ein Sprachkenntnisse herrschen. Erst einmal vorweg: Ja,
ganz anderer Apfel vor dem inneren Auge auftaucht als der, den man auch ich finde, wer in diesem Land lebt, wer zu diesem
normalerweise in der Obstauslage eines deutschen Supermarkts sieht. In Land gehört, wer zu diesem Land (wirtschaftlich) bei-
meinem Fall sehe und beschreibe ich dann kleine, weiße, beim Reinbei- trägt, wer Teil des Landes ist, muss die deutsche Spra-
ßen saftigtriefende Äpfel, die direkt unter einem Apfelbaum liegen, wie che können. Nicht beherrschen, sondern können. Die
ich sie noch von unserer Datscha in Russland in Erinnerung habe. Ich Definition von »können« variiert, sie darf, sie muss
[]
habe gelernt, dass aus anderen Sprachen übersetzte Metaphern und Bil- auch variieren, weil wir unterschiedliche Menschen
der, die auf Deutsch erst einmal holprig oder sogar falsch klingen, Texte mit unterschiedlichen Voraussetzungen, Fähigkeiten, Lebensläufen,
interessanter machen. Dass Denkweisen, die sich von unseren, im Laufe Lernmöglichkeiten, auch Ansprüchen sind. Und das ist im Übrigen gut
der Jahre angeglichenen unterscheiden, zu neuen stilistischen Mitteln so. Wie viel Deutsch muss meine Großmutter können, die mit 75 Jahren
führen. Wenn zum Beispiel ein Junge schreibt: »Am Dienstag war ich hierher kam, zu alt, um hier noch zu arbeiten? Sie ging gerne und viel
Schlittschuhlaufen, und dann hatte ich einen Pickel, dann war ich vier- spazieren und lernte bei ihren Spaziergängen im Wäldchen nebenan
zehn und dann in der Pubertät«, und der Saal bei der Abschlusslesung andere ältere Leute kennen, mit denen sie sich teils auf Jiddisch, teils
mit Händen und Füßen, teils durch ein freundliches Lächeln unterhielt.
Reicht das nicht, muss sie Goethe im Original lesen können? Sie hat
ihn auf Russisch gelesen, sie hat Faust gelesen, was schon mehr ist, als
viele Ursprungsdeutsche von sich sagen können. Meine Eltern hingegen,
die im Alter von 52 und 46 Jahren den Schritt der Auswanderung ge-
wagt haben, und wagen ist hier wirklich der richtige Begriff, haben hier
nicht nur seit ihrer Ankunft gearbeitet, also Steuern bezahlt, sondern
immerhin so viel Deutsch gelernt, dass sie sich auch in einem deutschen
Freundeskreis bewegen, eine seriöse deutsche Tageszeitung abonnie-
ren und möglicherweise zu den größten Patrioten gehören, die dieses
Land je haben wird. Ich bin in den letzten Jahren nicht mehr viel mit
meinen Eltern unterwegs gewesen, aber fast jedes Mal, wenn ich es war,
konnte ich, wenn sie auf andere Menschen trafen – Kellner, Verkäufer,
Sitznachbarn im Zug, wen man im Alltag eben so an Fremden trifft –,
etwas spüren, was mir nicht behagte, was zu benennen mir schwerfällt.
Es ist nie etwas vorgefallen, etwas, das man als eine ausländerfeindliche
Handlung bezeichnen könnte. Es ist einfach die Art, der Tonfall, in dem
zum Beispiel die Schuhverkäuferin reagiert, wenn meine Mutter sie um
eine andere Größe bittet. Es steckt zwischen den Zeilen, es lässt sich
nicht beschreiben, schon gar nicht festhalten, aber es tut weh. Vielleicht
kann man es so zusammenfassen: Hätte ich in meinem akzentfreien
Deutsch nach einer anderen Schuhgröße gefragt, wäre ich freundlicher,
zuvorkommender, respektvoller behandelt worden; das ist das Gefühl,
das bleibt. Einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt, um mal eine ab-
gegriffene Metapher zu verwenden, in mir den Wunsch weckt, nach
dem Schuhkauf im Café den Kaffee für alle bestellen zu wollen, weil
ich akzentfrei Deutsch spreche, weil ich damit so gut kaschieren kann,
wer ich eigentlich bin. Das ist ein Wunsch, auf den ich nicht stolz bin,
den ich aber immer wieder verspüre, wenn ich meine, von Menschen,
die mich nicht kennen, als Ausländerin abgestempelt zu werden. Oder
warum lasse ich Die Zeit auf dem Tischchen im Zug liegen, wenn ich
ein russisches Buch zum Lesen hervorhole? Warum habe ich Angst, dass
mein Sitznachbar, mit dem ich kein Wort geredet habe und nie ein
Wort reden werde, vielleicht außer »Darf ich mal vorbei?«, denken
könnte: Oh, komische Buchstaben, was für eine Ausländerin sitzt denn
da neben mir? Mag sein, dass das alles nur in meinem Kopf stattfin-
det, der Sitznachbar mich noch nicht einmal wahrgenommen hat, aber
was da in meinem Kopf stattfindet, kommt nicht von ungefähr, sondern
vom Nachgeschmack. Der Nachgeschmack bleibt noch länger wohl bei
meinen Eltern, nicht nur bei ihnen, sondern bei Tausenden jener, die
sich nach ihrer Einwanderung in dieses Land – nach den ihnen eigenen
Möglichkeiten – so viel Mühe gegeben haben, das neue Zuhause, die
Bräuche zu begreifen, die Sprache zu lernen. So gut es ihnen eben ge-
lang. Der Nachgeschmack bleibt, und mein Vater, der sehr gerne essen
geht, tut es manchmal nicht, um nicht auf Deutsch bestellen zu müssen,
und meine Mutter ruft mich regelmäßig an, um mich nach der Ausspra- neuen Sprache ist ein immerwährender Prozess, der möglicherweise nie
che bestimmter Worte zu fragen, die zu benutzen sie gedenkt: »Ich will aufhört, selbst für Muttersprachler nicht, da man den Wortschatz immer
ein Fondue-Gerät verschenken. Wie spricht man Fondue genau aus?«, wieder erweitert. Ich zum Beispiel habe vor ein paar Wochen das Wort
und dann übe ich am Telefon mit ihr, ehe sie losgeht und dann doch »Stollen« gelernt, nicht im Zusammenhang mit Weihnachten, sondern
undeutlich oder eben einfach mit Akzent spricht, und der Ton, in dem im Zusammenhang mit Schuhen, Fußballschuhen. Ich lernte es während
die Verkäuferin dann antwortet: »Ich habe Sie nicht verstanden. Was eines Spiels mit Freunden, bei dem man die zu erratenden Begriffe
wollen Sie?«, hat nichts mehr mit ihrem anfänglichen, automatisierten zeichnen musste, und ich bekam »Schuhstollen« als Begriff und wusste
und wahrscheinlich deshalb extrafreundlichen »Was kann ich für Sie [] nicht weiter, was den Sohn unserer Freunde schockierte und mich in
tun?« zu tun, weil die Herablassung nicht zu überhören ist und wieder seinen Augen wahrscheinlich herabsetzte. Ich bin ein Mädchen, ich spie-
einen Nachgeschmack hinterlässt. Und der Nachgeschmack mehrt sich, le nicht Fußball, meine Söhne sind zu klein, um Fußballschuhe haben
bis man einmal ausspucken möchte oder den Mund spülen, weil es zu zu wollen, der Begriff und ich, wir sind uns bisher nicht über den Weg
unangenehm wird. gelaufen, ich hätte bis zu diesem Zeitpunkt die Stollen als »die Dinger
Wenn man nicht perfekt oder schlecht oder schlechter als jemand an den Fußballschuhen« bezeichnet, wäre das ein Problem gewesen?
anders oder mit Akzent Deutsch spricht, ist man dann ein schlechterer Oder nicht, weil ich »die Dinger an den Fußballschuhen« akzentfrei
Mensch? Ein Mensch zweiter Klasse? Manchmal fühlt es sich so an. aussprechen kann? Wo beginnt Deutsch können? Soll ich mir wieder
Ich habe eine Weile in Jerusalem gelebt, und als ich dort ankam, Vokabelkärtchen schreiben, wie damals in der Schule im Lateinunter-
reichte mein Hebräisch gerade einmal, um Falafel zu bestellen und mit richt? Werden mir meine Autorenpreise nun aberkannt? Ich merkte mir
Taxifahrern über den Fahrpreis zu verhandeln. Später begann ich einen »Schuhstollen«, speicherte das Wort im Kopf bewusst ab, so wie ich
Sprachkurs, den ich nicht beendete, ich schnappte wichtige Wortfetzen das in meiner Anfangszeit in Deutschland täglich mehrmals getan habe.
bei meinen Mitbewohnern auf, ich redete auf die Taxifahrer ein, ich ver-
suchte, die Boulevardzeitung zu lesen, und übte meine Pantomimefähig-
keiten, wenn mir Begriffe fehlten. (Ich sprach und verstand definitiv um
einiges schlechter Hebräisch als meine Eltern Deutsch.) Und permanent []
wurde ich für meine Sprachkenntnisse gelobt. In diesem Lob steckte LeNa GOreLik
keine Überraschung darüber, keine Herablassung, die Israelis stellten Deutsche Journalistin
es vielmehr fest. Wie gut ich mich ausdrücken würde, wie schnell ich und Schriftstellerin
die Sprache gelernt hätte (gelernt, als abgeschlossene Handlung bereits,
obwohl ich in jedem meiner Sätze mindestens einen Fehler machte und
nur im Präsens sprach, weil mir die anderen Zeitformen fehlten), bewun-
derten mich die Menschen, denen ich begegnete, weil die Israelis was?
verlogener, unehrlicher sind? Wenn jemand in den USA davon spricht,
dass jemand Englisch kann, ist damit immer das hochgestochene Eng-
lisch eines Professors der englischen Literatur aus Harvard gemeint?
Deutsch können sollen die Zuwanderer, wird immer wieder gefor-
dert, dieser Forderung schließe ich mich an, aber wo beginnt Deutsch
können?
Wann haben Sie zuletzt eine Sprache gelernt? Oder konkreter for-
muliert: Wann haben Sie zuletzt eine Sprache gelernt, während Sie
gleichzeitig versuchten, sich in einem Ihnen komplett fremden Land
zurechtzufinden, Ihre Familie zu ernähren, Ihren Kindern trotz des per-
manenten eigenen Unsicherheitsgefühls Selbstsicherheit und Stabilität
zu vermitteln? Wir, all diejenigen, die seit ihrer Schulzeit keine neue
Sprache mehr ge-, geschweige denn erlernt haben, vergessen beizeiten,
wie schwer das ist. Erst recht, wenn man schon älter ist oder gerade dabei,
sich ein komplett neues Leben aufbauen zu müssen. Das Erlernen einer
TRÄGE
BEI
I EB
»WORTGEWALT«
AUS POSTKOLONIALER
PERSPEKTIVE
Zum pädagogischen Umgang mit
diskriminierender Sprache
VON
Im alltäglichen Sprachgebrauch gibt es viele Be- dieser Auseinandersetzung steht das Erkennen und mitteln an. Im Rahmen eines Workshops zum The- Kolonialgeschichte(n) in Frankfurt und darüber
griffe, die auf eine koloniale Geschichte zurückbli- Verstehen der diskriminierenden Geschichte und ma WortGewalt aus postkolonialer Perspektive konnte hinaus und setzen sie sich mit Selbst- und Fremd-
cken. Diese sind selten wertneutral, denn sie mar- Bedeutung dieses Begriffs. Das » N-Wort « wurde das Projekt vorgestellt und diskutiert werden. darstellungen auseinander. Sie werden angeregt,
kieren bis heute die Abwertung von Menschen und aus weißer Sicht lange Zeit als legitime Bezeich- koloniale Kontinuitäten in ihrem Alltag zu erken-
Gruppen und dienen nicht zuletzt dazu, koloniale nung für Schwarze Menschen benutzt, enthielt Folgende Fragen können das Nachdenken nen und suchen gemeinsam nach Handlungsmög-
Herrschaftsmodelle sowie dominante Perspekti- aber immer schon eine stark abwertende und ent- um koloniale Geschichte strukturieren: lichkeiten gegen Rassismus und Diskriminierung.
ven auf die » Anderen« zu legitimieren. Sprache ist menschlichende Bedeutung. Es steht beispielhaft
[] demzufolge nicht nur ein Abbild der Wirklichkeit, für die rassistische und koloniale Ausbeutungsge- Warum wissen wir so wenig über deutsche
sondern sie trägt im Wesentlichen dazu bei, kom- schichte. In Seminaren entfacht sich oftmals eine Kolonialgeschichte?
Wo hat diese bis heute Spuren in unserer []
plexe Realititäten zu konstruieren und aufrecht zu Diskussion um diese Begriffe. In solchen Diskus-
erhalten. Im Hinblick auf die jahrhundertealte Tra- Gesellschaft hinterlassen? sUsaNNe heyN
sionen zeigen sich oftmals Wiederholungen, denn
Woher kommen rassistische Begriffe Studium der Geschichte und Anglistik.
dierung unserer Sprache(n) behalten viele Begriffe die rassistisch konnotierten Begriffe zielen darauf
in unserer Sprache? Derzeit Leiterin des Jugendbildungs-
ihre rassistische Konnotation und tragen zur Stig- ab, Individuuen zu homogenisieren und die Adres-
Welche kolonialen Vorstellungen stecken projekts »Postkoloniales Frankfurt« in
matisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung sierten abzuwerten.
noch heute in unseren (Welt)Bildern? der Bildungsstätte Anne Frank,
von Einzelnen und Gruppen bei. Auf diese Weise können wir auch erkunden, in-
Was haben Kolonialwaren, was haben » Völ- Frankfurt am Main.
Die sogenannte »Wort-Gewalt « ist nicht im- wieweit es im pädagogischen Umgang mit diskri-
mer leicht in unserem alltäglichen Sprachgebrauch minierender Sprache erforderlich ist, zwischen Ab- kerschauen « und Migration damit zu tun?
zu erkennen. Nur durch bewusste Reflexion kön- sicht und Wirkung unterscheiden zu können, denn
DeBOrah krieG
nen die Geschichte, Inhalte und Auswirkungen von auch eine unüberlegte oder gar »gut gemeinte « Diese und andere Fragen sind für das Projekt
Studium der Geschichte, Germanistik und
» Wort-Gewalt « sichtbar und greifbar gemacht Ansprache kann trotzdem treffen und verletzen. von zentraler Bedeutung. Ebenso wird die Stadt
Politologie in Frankfurt am Main.
werden. Dabei geht es jedoch nicht um Vorwürfe Um den Schutz möglicher Betroffener zu gewähr- Frankfurt am Main als ein Lernort mit Kolonial-
Seit 2008 Bildungsreferentin in der
oder Schuldzuweisungen, sondern darum, verant- leisten, ist es wichtig, eine Sensibilität für unseren vergangenheit pädagogisch betrachtet und so zum
Bildungsstätte Anne Frank.
wortungsbewusst mit dem eigenen Sprachgebrauch Sprachgebrauch zu entwickeln und zu hinterfragen, Ausgangspunkt gemacht, um Jugendlichen einen
umzugehen. wer die Definitionshoheit darüber zu haben scheint. Einblick in die Geschichte, Kontinuitäten und Fol-
Ein Beispiel für derartige Reflexionsprozesse ist Diesem Thema nimmt sich das Projekt Postkolo- gen des Kolonialismus sowie Rassismus in der Ge-
die Beschäftigung mit » N-Wörtern « . Im Zentrum niales Frankfurt – Stadtgeschichten entdecken und ver- genwart zu ermöglichen. Jugendliche erschließen
Menschen herabwürdigen und ausschließen kann. Nachdem die Teilnehmenden die Aufschrift des
Wie wir Kinder und Jugendliche ansprechen, hat Stempels gelesen hatten, tauschten sie sich in klei-
erhebliche Auswirkungen auf deren Identitätsent- nen Runden darüber aus, welche Gefühle sie ent-
wicklung und Werdungsprozesse. Oft benutzen wir wickelten, als sie den Stempel bekommen hatten,
TRÄGE
Begriffe und Formulierungen unbewusst und be- und wie es für sie war den Stempel zu lesen. Hier
achten manchmal nicht deren Wirkung auf diejeni- stand: » be proud to be you! « Die meisten hatten
gen, die sie hören und empfangen. Als Erwachsene, ein unwohles Gefühl, von jemand anderem einen
BEI
I EB die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, sind Stempel zu bekommen und einige hatten die Be-
wir hier besonders herausgefordert. Zum einen fürchtung, etwas (nach)spielen zu müssen. Dagegen
müssen wir reflektieren, wie Sprache wirken kann, beschrieben viele ein Gefühl von Erleichterung,
zum anderen brauchen wir ein Wissen darüber, was nachdem sie die Bedeutung des Stempels gelesen
bestimmte Begriffe für eine Bedeutung haben und hatten. Das bedeutet, dass Worte und Bezeichnun-
aus welchem historischen Kontext sie entstammen. gen einen Einfluss darauf haben, wie wir uns mit
das Mittel, durch das wir einander unsere Gefühle in diesem Raum als Anwesende im Workshop zu
beschreiben. Ich kann es aber auch anders formu-
welche Auswirkungen haben sie auf Kinder
und Jugendliche?
kundtun, der Weg, auf den anderen Einfluss lieren: Sie sind die Teilnehmenden des Workshop,
und wir sind die »Referentinnen «. Beide Aussagen Im nächsten Schritt setzten sich die Teilnehmen-
zu nehmen. Worte können unsagbar wohl tun und treffen inhaltlich zu, haben aber eine unterschied- den in Kleingruppen zusammen und diskutierten
fürchterliche Verletzungen zufügen. Freud, 1976, XIV, S. 214 liche (Aus-)Wirkung: Bei der ersten Botschaft be-
tone ich die Gemeinsamkeit von uns als Gruppe,
folgende Übungsfragen:
bei der zweiten Option mache ich eine Unter- • Welche Etikettierungen gegenüber Kindern
scheidung auf, die gleichzeitig auch ein gewisses kommen bei mir vor?
Worte können » Balsam für die Seele « sein – und sie der hat, auf ihre Bildungsprozesse und auf ihre Machtverhältnis widerspiegelt. Die Positionen der • Welche gesellschaftliche Norm steckt hinter
können » im Herzen weh « tun. Sie können jeman- Identitätsentwicklung, und warum es sinnvoll ist, Teilnehmenden und der Seminarleitung sind nicht diesem Etikett?
den bestärken und einladen, oder brüskieren und sich eine bewusste, inklusive Sprache anzueignen. automatisch gleichberechtigt. Es kommt also da- • In welcher Situation greife ich zu
ausschließen. Sprache ist mächtig: Ausgrenzung Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung ist ein rauf an, was ich erreichen möchte, indem ich mei- Etikettierungen?
findet häufig in sprachlicher Form ihren Ausdruck. inklusives Praxiskonzept, das seit 2000 auf der ne Worte auswähle. Beides kann wichtig sein, kann
Sie kann aber auch dazu beitragen, Inklusion zu Grundlage des Anti-Bias Approach aus Kalifornien aber auch zu (unbewussten) Ausgrenzungen und Diese Übung regt dazu an, sich bewusst zu machen,
realisieren. Inklusion verstanden in einem weiten (Derman-Sparks/Olsen 2010) von der Fachstelle Herabsetzungen führen. Ziel ist es, sich dieser Wir- mit welchen Zuschreibungen wir im Alltag kon-
Sinne als Bildungskonzept, das auf Bildungsgerech- KINDERWELTEN entwickelt wurde. Der Ansatz ver- kungen bewusster zu werden und dazu beizutragen, frontiert sind und diese oft auch unbewusst selbst
tigkeit zielt, in dem Unterschieden zwischen Kin- knüpft den Anspruch, Unterschiede zu respektie- eine inklusivere Sprache zu entwickeln. verwenden. Sie können durch genaue Beschrei-
dern und Familien mit Wertschätzung begegnet ren mit dem Ziel, sich eindeutig gegen Abwertung, bung des Verhaltens von Kindern ersetzt werden.
und Herabwürdigungen eine klare Absage erteilt Herabwürdigung und Diskriminierung zu positi- EINE ÜBUNG
wird. (Wagner 2013) onieren. Im Workshop bei der Tagung » Wenn Rassismus AUSWIRKUNGEN VON SPRACHE
Im Fokus der Auseinandersetzung des Ansat- aus Worten spricht « fanden sich alle Teilnehmen- AUF DIE IDENTITÄTSENTWICKLUNG
VORURTEILSBEWUSSTE BILDUNG zes mit der Sprache steht zum einen die Frage der den zu einer Selbstreflexionsübung bereit: VON KINDERN
UND ERZIEHUNG Inklusion und Stärkung durch die Sprache. Zum Die Beteiligten wurden dazu eingeladen ihre Kinder bekommen von Geburt an Rückmeldun-
Mit diesem Beitrag wollen wir aufzeigen, wel- anderen zielt der Ansatz darauf ab, die Bewusstheit Augen zu schließen. Die Workshopleiterin drück- gen aus ihrer Umgebung, die ihnen etwas über
che Wirkung der Umgang mit Sprache auf Kin- dafür zu entwickeln, wie unser Sprechen andere te anschließend allen einen Stempel auf die Hand. sich selbst und über andere Menschen sagen. Es
eines Menschen beziehen, treffen ins Herz: Wenn DARF MAN DENN GAR NICHTS Daneben erfordert inklusive Sprache klare Worte,
das herabgewürdigt oder verlacht wird, was mich MEHR SAGEN? wenn Herabwürdigungen im Spiel sind – um eben
Über unser Sprechen erhalten ausmacht und was ich gar nicht oder schwer ändern
kann wie meine Hautfarbe, meine Familienkonstel-
Darüber gibt es allerdings keinen Konsens. Man-
che sagen: » Das ist doch vollkommen übertrieben!
ihre identitätsbeschädigenden Auswirkungen nicht
hinzunehmen.
Kinder Botschaften über sich, lation, mein Geschlecht, meine Körpergröße, mei-
ne Behinderung usw., bin ich hilflos, traurig oder
Die Kinder nehmen das gar nicht so wahr. Man soll
doch nicht jedes Wort auf die Waagschale legen! « INKLUSIVE SPRACHE IST NICHT ALLES
über andere, über die Welt. auch wütend. Diese Botschaften in der Kindheit zu
erfahren, erschweren den Aufbau eines positiven
Und andere: » Ich unterwerfe mich doch keiner
Zensur! « oder » Ich lasse mir doch wegen Politi-
– ABER WICHTIG!
Eine inklusive Sprache ist wichtig, weil sie verhin- []
Wir können durch Sprache Selbstbildes. Und die anderen Kinder, was lernen
sie? Botschaften wirken nach allen Seiten, in un-
cal Correctness nicht vorschreiben, was ich sage «.
Daraus spricht die Weigerung, Diskriminierung
dern hilft, dass Ausgrenzung und Herabwürdigung
in Alltagssituationen stattfinden. Sie hilft weiterhin
Der Artikel enthält
Auszüge aus: Bostancı,
Seyran/Wagner, Petra
mitteilen, wen wir als zugehörig terschiedlichem Ausmaß. und Ausgrenzung zur Kenntnis zu nehmen. Und
auch die Abwehr, sich in Kinder hinein zu versetzen.
zu erkennen, welche Situationen auch anders ge-
staltet werden können, in denen man nicht gezwun-
(2013): Sprache und
Identitätsentwicklung,
In: Dokumentation
immer lieb und hübsch « wirkt ähnlich wie bspw. Menschen und Gruppen von Menschen auf aktive nur das einmalige Ersetzen bestimmter Worte
das eher ersichtliche negative Etikett » Paul ist ein und eigensinnige Weise zu verarbeiten. Sind die durch andere. Sondern eher: sich immer wieder in
sind bewertende Botschaften, mit denen Kinder Trampel « . Es reduziert den Menschen auf ein be- Botschaften über sie selbst abwertend, so stellen Aushandlungs- und Reflexionsprozesse darüber zu
früh gesellschaftliche Normalitätsvorstellungen stimmtes Merkmal und kann Druck ausüben. In sie für Kinder einen direkten Angriff auf ihr Selbst- begeben, welche Wirkungen sprachliches Handeln
und Hierarchien erlernen. Über unser Sprechen einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung kann es wertgefühl dar. Sind die Botschaften über Andere hat, gerade im Machtverhältnis zwischen Erwach-
erhalten Kinder Botschaften über sich, über andere, dazu führen, dass Kinder zu dem werden, was wir abwertend, so erleben Kinder sehr früh, sich die- senen und Kindern. Und sich dann bewusst für an-
über die Welt. Wir können durch Sprache mitteilen, als Erwachsene von ihnen erwarten. sen »Anderen « in gewissen Punkten überlegen zu dere Sprachverwendungen zu entscheiden, wenn
wen wir als zugehörig und wen als nicht zugehörig Außerdem ist die Sprache selbst nicht neutral, fühlen. Beides, Minderwertigkeits- wie Überlegen- die Vermutung nahe liegt oder wir darauf hinge-
definieren. So kann beispielsweise die wiederkeh- sie enthält gesellschaftlich tradierte Vorstellungen heitsgefühle, stehen einem (späteren) solidarischen wiesen werden, dass Worte weh tun.1
[] rende Frage » Woher kommst du? « bei Kindern von dem, was normal ist und was nicht. Mit der Miteinander im Wege.
das Gefühl hervorrufen, nicht selbstverständlich als Verwendung dieser sprachlichen Mittel bringen Eine inklusive Sprache hat nichts mit Zensur
Teil der (Klassen- oder Kita-) Gemeinschaft zu gel- wir auch die jeweiligen Normvorstellungen zum zu tun. Es geht um das Verstehen, dass bestimmte
ten. Auch Etiketten wie I-Kind (Intergrationskind), Tragen. Es geschieht häufig implizit, beispielswei- Worte und Redeweisen in bestimmten Kontexten []
Schüler_in mit Migrationshintergrund, LMB (Lehr- se durch Formulierungen wie » Lena hat nur eine diskriminieren und ausgrenzen. Der Widerstand seyraN BOsTaNCı
mittelbefreit), NDH (Nicht-Deutscher Herkunfts- Mutter « oder » Aleyna hat eine vollständige Fami- dagegen, dies anzuerkennen, hat vermutlich un- (M.A. Sozialwissenschaften)
sprache) etc. können bei den Kindern das Gefühl lie «. In diesen Aussagen stecken gesellschaftliche terschiedliche Ursachen. freie Mitarbeiterin der
von Abwertung hervorrufen und sie somit in ih- Vorstellungen von einer sogenannten » richtigen « Eine davon ist vielleicht Unsicherheit, wie man Fachstelle Kinderwelten/isTa
rem Selbstwertgefühl schwächen, was wiederum zu Familie: Das Bild einer Familie, die aus Mutter, etwas stattdessen sagen soll. Oder ein Unbehagen,
Lernblockaden führen kann. Inzwischen steht fest: Vater, Kind besteht. Das nur in der Beschreibung weil man darauf aufmerksam gemacht wurde, dass
– auch die Hirnforschung belegt dies – Lernerfolge von Lenas Familie signalisiert, dass in ihrer Fa- die verwendeten Bezeichnungen Abwertungen NeLe kONTZi
stehen in einem engen Zusammenhang mit dem milie vermeintlich jemand fehlt, dass ihre Familie transportieren, die man vielleicht gar nicht beab- (Dipl. Kulturpädagogin)
Zugehörigkeitsgefühl und Wohlbefinden. Die oben angeblich nicht komplett sei. Bei Aleynas Famili- sichtigt hat. Projektkoordinatorin der Fachstelle
genannten Begriffe können in bestimmten Fällen enbeschreibung wiederum wird durch das Adjektiv Kinderwelten/isTa; Freie Anti-
zu einer sinnvollen Unterscheidung beitragen, z.B. » vollständig « zum Ausdruck gebracht, dass in ih- SPRACHE UND EMPOWERMENT Bias-Fortbildnerin im Anti-Bias-Netz.
wenn es um die Finanzierung zusätzlicher Förder- rer Familie alles seine Richtigkeit hat. Obwohl für Worte können wohltun und bestärken. Was kenn-
mittel geht, wobei die Sinnhaftigkeit dieses Sys- beide Kinder wahrscheinlich ihre gegenwärtigen zeichnet Worte, die wir brauchen, um eine inklu-
tems weiterhin hinterfragt werden sollte. Familienkonstellationen so, wie sie sind, » richtig « sive Sprache zu entwickeln? Pädagogische Fach-
Mittels Sprache wird nicht einfach auf eine sind, bekommen sie die Botschaft, dass die eine kräfte brauchen einerseits selbst Klarheit darüber,
neutrale Weise das benannt, was in der Lebenswelt Konstellation » normal « sei und die andere nicht. was sie im Umgang miteinander anstreben und sie
existiert. Das erkennen wir, wenn wir versuchen Hierbei kommt Erwachsenen eine große Ver- müssen es verbalisieren können. In der Situation
eine Beobachtung sachlich wieder zu geben. Es antwortung zu, die Botschaften zu erkennen, die hilft ein sprachliches Repertoire, um auszudrü-
gelingt uns kaum, weil wir schnell bewerten, was eine schädigende Wirkung auf die Identitätsbil- cken, dass Menschen Dinge auf unterschiedliche
wir wahrnehmen. Unsere Wahrnehmungen wer- dung von Kindern haben können und ihnen etwas Weise tun. Also eine Feststellung, die für Kinder
den gefiltert durch unsere Vorannahmen, unsere entgegen zu setzen. Es erfordert, sich in erster das gedankliche Spektrum öffnet, was alles men-
Werte und Normen, auch unsere Vorurteile. Man Linie im eigenen Handeln kritisch zu reflektieren. schenmöglich sein kann. Das geht allerdings nur,
muss es mühsam üben, Beobachtungen von Bewer- wenn unser eigenes Spektrum an Vorstellungen
tungen zu trennen, wovon alle ein Lied singen kön- weit ist: » Es ist normal, dass wir verschieden sind «.
nen, die sich mit » gewaltfreier Kommunikation « Eine Kollegin hat berichtet, dass sie häufig sage:
beschäftigen. » Manche Menschen machen es so, manche Men-
Bezeichnungen für Menschen oder Gruppen schen machen es anders.« So heranzugehen, ohne
von Menschen unterscheiden sich in der Wirkung zu bewerten, hilft tatsächlich, nicht so einfach von
von anderen sprachlichen Mitteln. Worte, die sich » normal « und » abweichend « zu sprechen.
in abwertender Weise auf Aspekte der Identität
TRÄGE
BEI
I EB
von › unvertraut ‹. (Ladwig, 1997, 83; Reuter, 2012) als Mitglied einer als fremd definierten Gruppe
Demnach deutet das Gefühl der Fremdheit nicht identifiziert werden, das heißt, einer Gruppe, die
auf etwas tatsächlich Vorhandenes hin, sondern in ethnischer, kultureller oder religiöser Hinsicht
GESCHICHTE IST wird immer wieder vom eigenen Standpunkt aus als › anders ‹ kategorisiert und mit negativen Stereo-
entwickelt. Man kann also von einer Herstellung typen belegt wird « (Zick et al. 2011, S. 23).
NICHT VERGANGENHEIT
der › Anderen ‹ sprechen als ein sozial wirksames, Bezogen auf Bildungsperspektiven und päda- [1]
hochfunktionales Zuordnungsprinzip, das mit Ein- gogische Praxisfelder stellt sich hier ebenfalls die Ein Artikel zum Tagungs-
workshop Zu Sprache
und Ausschluss einhergeht und Gruppengrenzen Frage nach » wer sind wir « und » wer sind die an- und Tabuisierung .
Thematisierungs- und Bildungsperspektiven 1 festlegt. Auch Jens Schneider thematisiert in sei- deren « , denn die pädagogische Nicht-Thematisie- Durchgeführt von
Judith Steinkuehler und
ner Studie » Deutsch sein: Das Eigene, das Fremde rung von historisch tradierten, aktuell wirksamen Marina Chernivsky.
und die Vergangenheit im Selbstbild des vereinten Kategorisierungen und Fremdheitskonstruktionen Eine kurze Beschreibung
des Workshops ist auf den
VON Deutschlands « (2001) die historische Dimension zieht zwangsläufig die Reproduktion von Stereoty- Seiten 72-73 zu finden.
der › Anderen ‹ als Gegenbild des › Eigenen ‹, das pisierungen, Machtasymmetrien und Ungleichver-
stets (neu) hergestellt werden muss, damit die sich hältnissen nach sich. Eine Schwierigkeit in der The-
Marina Chernivsky eingespielten Prozesse der Abgrenzung und Selbst- matisierung und Aufdeckung dieser Zustände ist
vergewisserung nicht aus der Bahn geraten. » Die die Kulturalisierung der Innen- und Außenzuord-
Konstruktion der Anderen innerhalb der eigenen nungen sowie ihre Rolle für das eigene Selbst- und
Gesellschaft besteht aus mehreren Facetten. Ein Gesellschaftsbild. » Mit der Behauptung kultureller
Es ist ein verbreitetes und Auch wenn es uns nicht immer bewusst ist, sind
wir stets auf Schritt und Tritt mit Geschichte
Aspekt ist das unmittelbare › Befremden ‹ gegenüber Unvereinbarkeiten zwischen Bevölkerungsgruppen
bestimmten Gruppen – hauptsächlich Einwande- wird es möglich, Rassismus unsichtbar werden zu
hartnäckiges Missver- verbunden, die überall und auf allen Ebenen der
sozialen Organisation sichtbar und spürbar wird.
rergruppen, die aus unterschiedlichen historischen lassen, ihn gar für überwunden halten zu können
Kontexten heraus in Deutschland leben. Ein ande- und sich doch der im rassistischen Diskurs her-
ständnis, Erinnern sei Die Rolle der Geschichte gewinnt besonders dann
an Bedeutung, wenn sich der Umgang mit gesell-
rer Aspekt ist dagegen, wie die › Gemeinschaft der ausgebildeten Vorstellungen von den Identitäten
Deutschen ‹ im Hinblick auf ihre kulturelle Zusam- › Anderer ‹ zu bedienen.« (Messerschmidt, 2012, 9).
eine rückwärtsgerichtete schaftlicher Heterogenität mit Gefühlen der Vor-
eingenommenheit, Über- und Unterlegenheit zu
mensetzung und den Umgang mit von außen hin- Zentral ist hier die Annahme der Differenz, wobei
zukommenden Personen oder Gruppen imaginiert nicht die tatsächliche kulturelle Differenz, sondern
Haltung, die an der vermengen beginnt. Denn genau in diesem Span-
nungsfeld werden Fragen der Zugehörigkeit und
wird. « (Schneider, 2001, 223). die » soziale Organisation dieser Differenz « (Barth
Im national-deutschen Kontext lassen sich 1969 in Mendel 2010, 45) ausschlaggebend ist für
Vergangenheit klebt und Nichtzugehörigkeit ausgehandelt und kommen im-
mer besonders dann deutlich zum Tragen, » wenn
solche Konstrukte folgendermaßen untergliedern: die Eingrenzung des › Eigenen ‹ und die Platzie-
In Konstruktionen der › Anderen ‹ außerhalb sowie rung des › Fremden ‹ im Gesellschaftsgefüge.
die Zukunft vorstellt. das gesellschaftliche › Wir ‹ mit Verweisen auf eine
national-kulturell-religiöse Abstammung vertei-
innerhalb der deutschen Gesellschaft. Während die Wollen wir diese Prozesse begreifen, brauchen
Definition der › Anderen ‹ außerhalb Deutschlands wir ansatzweise ein Verständnis ihrer Historie.
Denn zu den aktuellen digt wird. « (Messerschmidt, 2012, 8).
Die Bedeutung der historischen › Perspektivi-
nach subjektiv empfundener › kultureller ‹ und his- Durch das Verstehen der Struktur, Dynamik und
torischer Distanz verläuft, werden die Vorstellun- Auswirkung von historisch geprägten und heute
Zukunftsfragen (...) tät ‹ besteht in erster Linie darin, dass sie nicht nur
individuelle, sondern auch transgenerative Auswir-
gen der › Anderen ‹ innerhalb der deutschen Ge- noch wirksamen Innen- und Außenzuordnungen
sellschaft um viele zusätzliche Differenzmaßstäbe eröffnen sich neue Möglichkeiten im Erkennen
gehören heute die Migra- kungen mit sich bringt. Ein mögliches Ergebnis
dieser Dynamik ist die Erkenntnis, dass unsere
– Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, sozialer von sowie Umgehen mit aktuellen Grenzziehun-
Status, Behinderung u. ä. – erweitert und fest mar- gen und Ungleichwertigkeitsideologien.
tionsthematik sowie Vorstellungen von › Anderen ‹ historisch vorstruk-
turiert sind sowie selten reflexiv überdacht werden.
kiert (vgl. Schneider, 2001). » Inwieweit Menschen Wie kann die vormoderne Selbstdefinition,
(…) als (…) Fremde wahrgenommen werden, ist wo nur eine Sprache, eine Ethnie, eine Religion
die schwellende Fremden- Außerdem sind sie oftmals rassistisch begründet
und weitgehend normalisiert, d.h. sie scheinen so
folglich nicht unbedingt von ihrer Staatsbürger- den Kurs für alle bestimmt, kritisch diskutiert
schaft oder Herkunft abhängig. Innerhalb eines und erweitert werden? Wie soll ein separieren-
feindlichkeit und ihre › normal ‹ zu sein, dass die Grenzen zwischen dem
› Eigenen ‹ und › Fremden ‹ als › naturgegeben ‹ und
Landes können Menschen, auch wenn sie die des Wir-Gefühl, das › Andere ‹ ab- und ausgrenzt,
entsprechende Staatsbürgerschaft besitzen, schon umgewandelt werden in ein umfassendes, rassis-
historische Erbschaft. gleichzeitig als unveränderbar betrachtet werden.
Bernd Ladwig unterscheidet in diesem Zu-
lange in einem Land leben oder dort geboren sind, muskritisches Wir-Gefühl, das nicht auf Einspra-
trotzdem von der Mehrheit der Bevölkerung als chigkeit, Mono-Ethnizität, Überlegenheit und
Assmann, 2013, 133 sammenhang zwischen zwei Bedeutungsebenen Migrantinnen und Migranten, als Ausländerinnen Leitnormgefügigkeit beruht, sondern alle Gruppen
von › anders ‹ oder › fremd ‹: zum einen im Sinne und Ausländer oder als Fremde wahrgenommen mit einschließt und die Vielfalt als › grundsätzlich ‹
von › nichtzugehörig ‹ und zum anderen im Sinne werden. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sie gegebene Normalität anerkennt?
Lebensformen sind zum Schweigen gebracht, ver- Die Auseinandersetzung mit unbequemen Perspek- Chernivsky, Marina Mendel, Meron Trisch, Oliver
drängt, ausgegrenzt, entwertet, ausgebeutet. Dif- tiven, die historisch bedingt sind, Rassismen bein- Perspektivwechsel – Theorien, Jüdische Jugendliche in Deutsch- Der Anti-Bias-Ansatz. Beiträge
Praxis, Reflexionen | (Hg.) zwst land. Eine biographisch-narrative zur theoretischen Fundierung und
ferente Lebensweisen sind darum immer neu zu halten und mit generationsübergreifenden Schuld-
Frankfurt am Main. Analyse zur Identitätsfindung. Professionalisierung der Praxis.
entdecken (...) und in ihrem Wert anzuerkennen. oder Schamgefühlen vermengt sein können, ist Im Archiv unter : Diss. Phil. Frankfurt am Main. Stuttgart.
Die Option für Differenz ist eine Option gegen alles andere als selbstverständlich und erfordert viel www.zwst-perspektivwechsel.de Messerschmidt, Astrid Zick, Andreas | Küpper, Beate |
Hegemonie. Dabei werden häufig zuvor etikettie- Mut und Aufgeschlossenheit seitens der Beteiligten. Chernivsky, Marina (Un)sagbares – über die The- Hövermann, Andreas
rende und diskriminierende Zuschreibungen offen- Die Bereitschaft › dahin zu schauen ‹ bedeutet sich Von Bias zum Perspektivwechsel. matisierbarkeit von Rassismus Die Abwertung der Anderen. Eine
in: Thillm Jahrbuch | Dazugehören und Antisemitismus im Kontext europäische Zustandsbeschrei-
[] siv gewendet und erfahren eine neue Bedeutung. « nicht auszuschließen, sich nicht als externe und di-
in der Bildung | Bad Berka, postkolonialer und postnational- bung zu Intoleranz, Vorurteilen
(Prengel, 2006, 181) Die › Qualitätssicherung ‹ die- stanzierte Beobachter_innen zu begreifen, sondern s. 149-160. sozialistischer Verhältnisse. und Diskriminierung | Fried-
ser Option ist zunächst einmal die individuelle sich aktiv in die Auseinandersetzung mit hinein zu Gorelik, Lena in: (Hrsg.) zwst | Das offene rich-Ebert-Stiftung | Forum Berlin.
Bereitschaft, die Rolle und die Fiktion von histori- nehmen. Eine kontinuierliche, achtsame und wert- Sie können aber gut Deutsch. Schweigen. Zu Fallstricken und www.fes-gegen-rechtsextremis-
schen Fremdheitskonstruktionen zu durchschauen, schätzende Prozessbegleitung ebnet hier den Weg Warum ich nicht mehr dankbar Handlungsräumen rassismuskriti- mus.de
sein will, dass ich hier leben darf, scher Bildungs- und Sozialarbeit.
ihren Einfluss auf das eigene Denken und Handeln zu einer schuld- und angstfreien Konfrontation mit
und Toleranz nicht weiterhilft. Frankfurt am Main.
zu erkennen und, wenn möglich, zu revidieren. Bil- biografischer, sozialer und gesellschaftlicher Rea- München, S. 40. Im Archiv unter:
dung kann diese Option nicht ohne institutionelle lität und schafft Raum für konstruktive und aner- Ladwig, Bernd www.zwst-perspektivwechsel.de
und politische Unterstützung herstellen und auf- kennende Lernprozesse, die nicht nur auf die Kon- »Das Fremde « und die Philoso- Prengel, Annedore
rechterhalten. Aber Bildung kann und muss Un- frontation mit Defiziten, sondern in erster Linie phie der normalen Sprache. Gleichberechtigung der
in : Naguschewski, D. | Trabant, J. Verschiedenen. Plädoyer für eine
gleichheiten, die aufgrund der sozialen und kultu- auf die Ressourcenaktivierung und Wertschätzung
(Hg.) | Was heißt hier »fremd«? Pädagogik der Vielfalt.
rellen Differenz entstanden sind, bewusst machen der eigenen Praxis ausgerichtet sind. Studien zu Sprache und Fremd- Verfügbar unter:
und korrigieren. » Für eine angemessene politische heit | Berlin. www.liga-kind.de/fruehe/603_
Bildungsarbeit (...), die beispielsweise Rassismus Leiprecht, Rudolf prengel.php
nicht einzig als individuelles Problem Einzelner Diversität und subjektiver Mög- Reuter, Julia
lichkeitsraum | in: (Hrsg.) zwst Ordnungen des Anderen. Zum
oder als Ausdruck rechtsextremer Gruppierungen
Das offene Schweigen. Zu Fall- Problem des Eigenen in der Sozio-
mit NS-Ideologie betrachtet, ist es unumgäng- [] stricken und Handlungsräumen logie des Fremden | Bielefeld
lich, die eigene Geschichte (...) in den Blick zu MariNa CherNiVsky rassismuskritischer Bildungs- und Schneider, Jens
nehmen. « (Trisch, 2013, 25). Gelingt es uns, die ist Diplom Psychologin, Verhaltens- Sozialarbeit | Frankfurt am Main. Deutsch sein. Das Eigene und das
historischen Verflechtungen zu begreifen, die ge- therapeutin und Leiterin des Im Archiv unter : Fremde und die Vergangenheit im
www.zwst-perspektivwechsel.de Selbstbild des vereinten Deutsch-
sellschaftlich-systemischen Machtverhältnisse zu Projekts › Perspektivwechsel ‹ der ZWsT.
lands | Frankfurt am Main.
reflektieren und die eigenen Haltungen dazu zu Sie arbeitet ebenso als freie
überdenken, so kann dieses › Wissen ‹ in praxisnahe Bildungsreferentin, Verhaltens-
(pädagogische) Handlungsperspektiven übersetzt therapeutin und Beraterin.
werden und in der Arbeit gegen Vorurteile und
Diskriminierung sehr hilfreich sein. Werden diese
Verbindungen nicht durchdrungen, nicht als Teil
der eigenen Geschichte rezipiert, werden sie dann
den › Anderen ‹, in diesem Fall den › Fremden ‹, zu-
geschrieben (vgl. Chernivsky 2010).
TRÄGE
BEI
I EB
spiel auch bei den Begriffen Sexismus, Rassismus, werden. Dies geschieht in dem Bewusstsein, eine [1]
Ableismus (› Behindertenfeindlichkeit ‹) oder Ageis- Diskriminierungsstruktur zu thematisieren und gekürzt veröffentlicht
in Handbuch Kinderwelten.
mus (› Altenfeindlichkeit ‹). Diskriminierungen – welcher Art auch immer – im-
KINDSEIN IST
Vielfalt als Chance –
Adultismus beschreibt den Umgang von Erwach- plizieren notwendigerweise die Benachteiligungen Grundlagen einer vor-
urteilsbewussten
senen mit dem Machtungleichgewicht, welches der betroffenen Personen. Oder um es mit Karims Bildung und Erziehung
KEIN KINDERSPIEL
zwischen Kindern und Jugendlichen einerseits Worten zu sagen: Kinder werden » benachteiligt « Hg. Petra Wagner /
Verlag Herder GmbH
und Erwachsenen andererseits besteht. Der Be- und » ungerecht behandelt «. Freiburg im Breisgau
griff verweist auf die Einstellung und das Verhalten Die Autorin ist sich vollkommen bewusst, dass 2008
Erwachsener, die davon ausgehen, dass sie allein Kindheit neben Schattenseiten oft auch helle und
Adultismus – ein (un)bekanntes Phänomen 1 aufgrund ihres Alters intelligenter, kompetenter, sonnige Momente in sich birgt. Dublin beispiels-
schlicht besser sind als Kinder und Jugendliche weise erklärt, Kind zu sein, bedeutet » spielen « und
und sich daher über deren Meinungen und Ansich- » Spaß (zu) haben «. Spitty ergänzt die schönen
VON ten hinwegsetzen. Adultismus ist eine gesellschaft- Erfahrungen als Kind mit den Worten: » Kleine
liche Macht- und Diskriminierungsstruktur, die Kinder können besser stibitzen. Sie passen in klei-
durch Traditionen, Gesetze und soziale Instituti- ne Höhlen und können sich in Sonnenblumenfel-
ManuEla Ritz onen untermauert wird. dern verstecken.« Seine Schwester Anna sagt, zu
Kindheit gehöre es » Erdbeeren zu naschen « und
3. KLEINE ›GEBRAUCHSANWEISUNG‹ schließt mit den Worten: » Ich will jetzt meine
Den Umgang von Erwachsenen mit Kindern als Torte essen! «. Sie wurde am Tag des Interviews
Mama, was arbeitest du? gesellschaftliche Machtstruktur zu betrachten, ist 5 Jahre alt.
ein Novum. Dabei ist Adultismus nicht nur die ein-
Ich bespreche mit Erwachsenen, wurden die Kinder gebeten frei zu den Begriffen zige Diskriminierungserfahrung, die alle Menschen 4. ADULTISMUS ALS VIELFALTSASPEKT
wie sie netter zu Kindern sein können. › Erwachsene ‹ und › Kinder ‹ sowie zu › groß ‹ und teilen, sondern auch die einzige gesellschaftliche UND DISKRIMINIERUNGSFORM
› klein ‹ zu assoziieren. Im Anschluss an diese, als Machtstruktur, die jeder Mensch sowohl aus einer Ziel dieses Artikels ist es zu beschreiben, wie Kin-
Oh, kannst du das auch mal meiner Spiel eingeführte Methode, wurden den Kindern eher machtlosen Position – als Kind – als auch aus der gesellschaftliche Vielfaltsaspekte wahrnehmen,
die folgenden zwei Fragen gestellt: › Was machen einer eher machtvollen Position – als Erwachse- erleben und einordnen. Bezogen auf das Thema
Lehrerin erklären? Erwachsene, wenn es richtig schön ist, mit ihnen ner – erlebt. Adultismus, in dem alle Kinder als eine von Un-
zusammen zu sein? ‹ und › Was machen Erwachse- Dem, was Kindern seit Jahrhunderten im Na- terdrückung betroffene Gruppe im Fokus stehen,
(aus einem Gespräch mit meinem ne, wenn es nicht schön ist, mit ihnen zusammen men elterlicher Rechte, Pflichten und pädagogi- heißt dies zu illustrieren, wie Kinder ihr Zusam-
6-jährigen Sohn) zu sein? ‹. Zum Abschluss des Interviews gaben scher Notwendigkeiten widerfährt, einen Namen menleben mit Erwachsenen beschreiben.
sich die Kinder selbst Namen, um ihre Aussagen zu geben, selbiges gar als Diskriminierungsform Die meisten Diskriminierungsformen unterlie-
im folgenden Text anonymisiert wiedergeben zu zu deklarieren, stellt herkömmliche Perspektiven, gen einer ähnlichen und immer wiederkehrenden
können. Sie heißen: Anna (ein 5-jähriges Mädchen), Denk- und Verhaltensmuster sowohl im familiären Struktur, die folgende Aspekte aufweist:
Homer (ein 5-jähriger Junge), Spitty (ein 6-jähriger als auch im institutionellen Kontext auf den Prüf-
1. WIE ALLES BEGANN. Junge), Donald (ein 7-jähriges Mädchen), Raphael stand. Diese neue Sichtweise auf das Zusammen- I. Festschreibung gesellschaftlich aner-
Im nachfolgenden Artikel möchte ich Ihnen einen (ein 8-jähriger Junge) und Dublin (ein 11-jähriger leben von Erwachsenen und Kindern mag für Sie kannter Normen und Werte
Einblick in einen, bis dato kaum beachteten, al- Junge). Die Brüder Rashid (9 Jahre), Karim (11 als LeserIn herausfordernd und unter Umständen II. Kreieren eines von Vorurteilen und
tersbezogenen Vielfaltsaspekt ermöglichen: Adul- Jahre) und Tahir (13 Jahre) verzichteten auf die nicht immer leicht nachvollziehbar sein. Daher Zuschreibungen geprägten
tismus. Meine Ausführungen werden unterstützt Verwendung eines Synonyms mit der Begründung, meine Einladung an Sie: Legen Sie an dieser Stelle Menschenbildes
durch die Aussagen von 9 Kindern. Die zwischen sie stünden zu dem, was sie zum Thema zu sagen des Artikels eine kleine Lesepause ein und verset- III. Soziale Bedeutung aufgrund öffent-
5 und 13-Jährigen wurden eigens für diesen Aufsatz
hätten und deshalb könne auch jeder wissen, wer zen Sie sich in Ihre eigene Kindheit zurück. Lassen licher Präsenz
interviewt. Die Anzahl der Kinder erlaubt sicher-was gesagt habe. Sie Ihre Kindheit vor Ihrem geistigen Auge aufer- IV. Manifestieren spezifischer Regeln
lich keine empirisch stichhaltigen Generalisie- stehen und lesen Sie dann die folgenden Kapitel in und Gesetze
rungen, doch die Übereinstimmungen mancher 2. WAS IST ADULTISMUS? der Erinnerung Ihrer Kindheitserfahrungen. Auf V. Verinnerlichung
Kinderaussagen lassen eine Grundtendenz kind- Adultismus setzt sich aus dem englischen Wort diese Weise werden Ihnen viele der beschriebenen
licher Befindlichkeiten im Zusammenleben mit Adult und der Endung -ismus zusammen. Adult heißt Aspekte vertraut erscheinen, was Ihnen den Zugang Im Folgenden wird auf die einzelnen Aspekte ge-
Erwachsenen erkennen. Um zu vermeiden, dass in der direkten Übersetzung erwachsen oder Er- zur Thematik Adultismus erleichtern mag. Sie wer- nauer eingegangen. Die jeweiligen Ausführungen
in den Gesprächen mit den Kindern erwachsene wachsene . Die Endung -ismus verweist häufig auf den beim Lesen des Textes bemerken, dass überwie- sind als Beispiele zu verstehen und erheben keinen
Denkweisen und Erwartungen impliziert werden, eine gesellschaftliche Machtstruktur, wie zum Bei- gend die Schattenseiten von Kindheit aufgezeigt Anspruch auf Vollständigkeit.
I. Festschreibung gesellschaftlich Lebens. « Immer wenn ein neuer Lebensabschnitt II. Kreieren eines von Vorurteilen Fall von Adultismus also Erwachsene. Die Mani-
anerkannter Normen und Werte beginnt, › wird es ernst ‹. Beim Eintritt in den Kin- und Zuschreibungen geprägten Men- festierung eines » Wir-und-die-anderen-Gefühls «
[2] Übersetzt man » Norm « wörtlich als das, was » nor- dergarten, in die Schule, beim Erlernen eines Beru- schenbildes lässt Bilder über diese » Anderen « entstehen und
In: Miller, Alice mal « ist, eben als das, an dem Jegliches gemessen fes, beim Eintritt ins Berufsleben. Abgesehen davon, » Was sind Kinder? « fragte Maria Montessori im führt zu Zuschreibungen.
Das Drama des begabten
Kindes und die Suche
und dem alles angepasst werden soll, so gehört es in dass es laut dieser Aussage scheinbar immer noch 18. Jahrhundert und fand die erschütternde Ant- Zur Illustration soll hier die weit verbreitete
nach dem wahren Selbst. unserer Gesellschaft eindeutig zur Norm, » groß « ein bisschen ernster zu werden scheint, je älter ein wort: » Eine dauernde Störung für den von immer Meinung beleuchtet werden, dass Kinder trotzig
Frankfurt/M. | 1983.
zu sein. Die Welt, die wir kreiert haben, ist auf gro- Mensch wird, suggeriert dieser Satz auch, dass es schwereren Sorgen und Beschäftigungen in An- bzw. bockig seien. Zahlreiche Erziehungsratgeber
[3] ße Menschen zugeschnitten. ein Leben gäbe, dass unernst, gleichsam nur so zum spruch genommenen Erwachsenen. « 4 und wissenschaftliche Abhandlungen deklarieren
In: Öhlschläger,
Wie mühsam scheint es für Kinder in einen Spaß existiert. Es wird der Anschein vermittelt, dass Eine überaus drastische und veraltete Annah- Kinder im Alter zwischen zwei und drei Jahren als
Annelie (Hg.): Bus oder Zug zu steigen. Wie anstrengend mutet die Kindergartenzeit nicht so wichtig sei wie die me? Dass Erwachsene heute eine solch scharfe An- in der Trotzphase befindliche Wesen. Trotz wird
Mit Janusz Korczak
die Kinderwelt verstehen.
es an, wenn ein kleines Kind einen Stuhl erklimmt. Schulzeit; die Schule weniger wichtig sei als ein sicht wohl kaum mehr aussprechen würden, mag hier nicht selten als altersbezogene Charakterei-
Freiburg im Breisgau Hat das Kind es also schließlich geschafft, jenen Studium oder eine Berufsausbildung. Doch an der zum einen daran liegen, dass sich die Gesellschaft genschaft manifestiert, die eindeutig den erwach-
2006.
Stuhl zu erklimmen, liegt zum Lohn seiner Bemü- Spitze dessen, was ernst und damit ernst zu nehmen samt ihrer Normen und Werte in den zurückliegen- senen Normen von Einsicht, Geduld und Nachgie-
hungen womöglich das Kinn auf der Tischplatte, ist, steht der berufstätige, der leistende, erwachsene den 200 Jahren verändert hat und diese Verände- bigkeit konträr entgegensteht.
was den Überblick über das Tischgeschehen er- Mensch. » Als ob nicht in der Kindheit die Wurzeln rungen sich auch im Zusammenleben von Kindern Die Erhebung von Vorurteilen und ihr Um- [4]
schweren wird. des ganzen Lebens verborgen wären. « 2 und Erwachsenen niederschlagen. Zusätzlich mag gang mit ihnen unterliegen einem schwer zu durch- In: Montessori, Maria
Kinder sind anders.
Auf den ersten Blick scheinen Kindertages- sich aber auch eine Art › political correctness ‹ in un- schauenden Teufelskreis: Sobald ein bestimmtes München | 2002.
stätten eine Ausnahme zu bilden. Hier sind klei- Doch in der von Erwachsenen geprägten Welt sere Betrachtungsweise von Kindern und Kindheit Bild von einer Person oder Personengruppe mani-
ne Stühle, kleine Tische, niedrige Waschbecken scheint es demnach ein eminenter Wert zu sein, eingeschlichen haben, die bestimmte Äußerungen festiert wird, knüpfen sich auch bestimmte Erwar- [5]
und Toiletten zu finden. Doch die kindgerechte Wichtiges zu leisten. Einer der wenigen Lehr- unaussprechbar machen, nicht jedoch auch zwin- tungen an die betroffene Person. Immer da, wo ein In: Juul, Jesper
Das kompetente Kind.
Ausstattung geht kaum über das Mobiliar hinaus. sätze, an den ich mich aus meiner Ausbildung zur gend eine Haltungsänderung mit sich bringen muss. Machtgefälle besteht, ist die Gefahr groß, dass die- Reinbek bei Hamburg
Die Treppen sind für Kinder schwer zu besteigen, Krippenerzieherin erinnere, lautet, das Spiel sei Das zumindest belegt der 13-jährige Tahir, der bei se » unterlegene « Person versuchen wird, den Er- 2003.
Türklinken sind bis zu einer gewissen Körpergröße die Arbeit des Kindes. Würden Erwachsene diesen seinen Assoziationen zu dem Wort » Kind « unter wartungen desjenigen, der (vermeintlich) über ihm
unerreichbar, Lichtschalter können nicht betätigt Denkansatz ernst nehmen, kämen sie wohl kaum anderem den Begriff » Störenfried « fand. Jesper steht, zu entsprechen - ganz gleich wie hoch oder [6]
In: Korczak, Janusz
werden. Aufgrund dieser Normierungen sind Kin- auf die Idee, das Spiel des Kindes leichtfertig und Juul legt den Fokus auf eine weitere Fehleinschät- wie niedrig diese Erwartungen auch sein mögen. Wie man ein Kind
der länger als tatsächlich notwendig in den alltäg- unvorangekündigt zu unterbrechen. zung von Erwachsenen: » Soweit ich sehen kann, Alles, was die machtvollere Person nun von der an- lieben soll.
Göttingen | 1967.
lichsten Situationen des Lebens von Erwachsenen Dazu ein Beispiel: Ist der Lebensgefährte/die machen wir einen entscheidenden Fehler, wenn wir deren wahrnimmt, ist ein Verhalten, das darauf aus-
abhängig und werden nicht nur als kleiner gesehen, Lebensgefährtin am PC beschäftigt, würde derjeni- nicht davon ausgehen, dass Kinder von Geburt an gerichtet ist, den auferlegten Erwartungen zu ent-
sondern auch klein gehalten. ge Partner, der gerade das Abendessen zubereitet, richtige Menschen sind. Wir sind gewohnt, Kinder sprechen. In der Folge sieht die erste Person ihre
Spittys Vermutung » Kinder wollen groß sein, wohl zu ihr/ihm hinübergehen, um zu besprechen, als eine Art potentiell asoziale Halbmenschen an- Vorurteile häufig bestätigt, was dazu führt, dass aus
damit sie an alles rankommen « unterstützt diese wie lange die Arbeit noch dauern wird, um die Zu- zusehen, die zunächst einmal massiver Einwirkung Vorurteilen Urteile werden.
Aussage. Außerdem sieht Spitty einen weiteren Vor- bereitungszeit des Essens so zu kalkulieren, dass und Manipulation durch Erwachsene unterzogen Die Überzeugung jedoch, sich ein gerechtes
teil, groß zu sein, darin, dass » man Dinge machen man gemeinsam speisen kann. Denn die Arbeit ei- werden müssen. « 5 Urteil über eine Person gebildet zu haben, erschwert
kann, die Kleine nicht können oder manchmal auch nes Erwachsenen ist wichtig. Das Spiel des Kindes Aber machen Sie doch selbst den Test und as- bzw. verunmöglicht, bestimmte Verhaltensweisen
nicht dürfen. « Anna verbindet mit Großsein » stark ist es offenbar nicht. Deshalb glauben wir Erwach- soziieren Sie frei und unzensiert zu den Begriffen umzudeuten und somit klarer und wahrheitsnaher
sein «. Rashid und Tahir schließen aus ihren Beob- senen, wir könnten Kinder, während sie ein Bild » Kind/ Kinder « ! zu erkennen. Ein wichtiger Schritt, Adultismus zu
achtungen, dass groß sein » schön « und » lustig ist «. malen, etwas bauen, die Puppe wickeln oder ein Korczak behauptet: » Wir kennen das Kind wahrzunehmen und ihm entgegenzuwirken, be-
Doch selbst wenn Kinder eine gewisse körperliche Buch anschauen, jäh in ihrer Beschäftigung unter- nicht, schlimmer noch: wir kennen es aus Vorur- steht darin, nicht nur Werte und Normen, sondern
Größe erreicht haben, greift das Alter als weitere brechen, beispielsweise mit dem Ruf: » Essen ist teilen. « 6 auch die Interpretation von Verhaltensweisen zu
Normierung und zusätzliches Ausschlusskriterium. fertig! Komm! « Dass Vorurteile über Kinder existieren, mag hinterfragen – sowohl die eigenen als auch die der
Folgende Kinder hatten zu den Begriffen » erwach- Zusammengefasst heißt das: Je größer, je älter zunächst etwas abwegig anmuten. Doch die Entste- vermeintlich » Anderen «.
sen/Erwachsene « die Assoziationen » bestimmend, ein Mensch ist, desto wichtiger ist er. Oder um es hung von Vorurteilen ist stets eng mit der Erhebung Bezogen auf das Thema Trotz könnte eine Um-
reich und ungerecht « (Karim), » frei « (Tahir) und mit den Worten von Janusz Korczak zu sagen und gesellschaftlicher Normen und Werte verknüpft. deutung wie folgt aussehen: Gesunde Kinder im Al-
» Macht und Kontrolle « (Dublin). diese Annahme gleichzeitig zu widerlegen: » Un- Normen dienen nicht zuletzt dazu, Menschen in ter von zwei bis drei Jahren haben bereits wichtige
Und noch ein Beispiel zur Normierung von beholfen teilen wir die Jahre in mehr oder weniger Gruppen einzuteilen. In jene, die den Normierun- Entwicklungsschritte geleistet. Sie können schon
Alter: Wer kennt nicht den Satz, den Erwachsene reife auf; es gibt gar kein unreifes Heute, keine Hi- gen entsprechen und jene, die als » normabwei- vieles selbstständig und ihr Drang, noch mehr zu
leidenschaftlich gern und deshalb allzu oft gleich- erarchie des Alters, keinen höheren oder tieferen chend « klassifiziert werden. Diese Abweichungen können, unabhängiger zu werden, scheint manchmal
sam als Prophezeiung an Kinder und Jugendliche Rang des Schmerzes und der Freude, der Hoffnung werden von denjenigen festgeschrieben, die über unermesslich. Ermutigt von dem, was sie in nur zwei
jeden Alters richten: » Jetzt beginnt der Ernst des und Enttäuschung. « 3 das Privileg der Definitionsmacht verfügen – im Jahren bereits alles erlernt haben, unterschätzen
sie mitunter die Hürden, die der Alltag für sie be- Lassen Sie uns noch einmal zum Anfang dieses
reithält, wenn beispielsweise der Bausteinturm Abschnittes zurückkehren. Fühlen Sie sich einge-
trotz höchster Konzentration ab einer gewissen laden, Ihre Assoziationen zu den Begriffen » Kind/
Höhe immer wieder einstürzt. An derartigen Hür- Kinder « mit der Vielzahl von Selbstbeschreibun-
den zu scheitern, mag manche Kinder traurig ma- gen zu vergleichen, welche die interviewten Kinder
chen, lässt sie vielleicht resignieren und Bausteine für sich und ihre Altersgenossen gefunden haben.
schon mal wütend durch das Zimmer schleudern. Ihrer Meinung nach sind Kinder » witzig, laut, er-
Verständnislos stehen wir Erwachsenen einem sol- wartungsvoll, wendig, fröhlich, traurig, lustig, stark,
chen Verhalten gegenüber, wenn wir das Spiel des schlau «. Sie » wollen boxen lernen und Ballett tan-
Kindes nicht als dessen Arbeit begreifen. zen. « Und schlussendlich die Aussage von Rashid,
Eine andere Zuschreibung, die Erwachsene Kinder seien » bewundernswert « … » wenn sie was
für Kinder parat haben, besteht in der Aussage: können «. Doch was wirkliches Können ist und so-
» Kinder hören nicht zu. « Ich lade Sie zu einem mit Bewunderung verdient, bestimmen abermals
kleinen Experiment ein: Geben Sie dem Kind bzw. viel zu häufig wir Erwachsenen, womit sich der
den Kindern, mit denen Sie leben und/oder arbei- Bogen zurück zu den Normierungen spannen lässt.
ten ein oder zwei Stunden täglich die Möglichkeit,
die Tagesgestaltung zu übernehmen. Sie werden III. Soziale Bedeutung aufgrund
sicherlich erleben, zu wie vielen Aktivitäten und öffentlicher Präsenz
Spielen Sie aufgefordert werden. Halten Sie sich Die Bedeutsamkeit eines Themas wird nicht zuletzt [7]
strikt an die Spielregeln und folgen Sie den Anwei- durch seine öffentliche Präsenz bestimmt. Doch In: Juul
Das kompetente Kind
sungen der Kinder. Vermutlich werden Sie merken, weder die Problematik Adultismus an sich noch
wie anstrengend es ist, sich ausschließlich auf die die diesbezüglichen Belange von Kindern sind in
Wünsche einer anderen Person einzustellen, die gesellschaftlichen Diskursen gegenwärtig. Freilich
möglicherweise weit von Ihren eigenen Bedürf- berichten Medien hin und wieder von Fällen, in
nissen entfernt sind. Und nun stellen Sie sich vor, denen Kinder misshandelt, missbraucht oder der
Ihr ganzer Tag wäre so strukturiert. Ständig gäbe Verwahrlosung überlassen werden und lösen damit
es jemanden, der darüber bestimmt, wann Sie auf- reflexartiges Entsetzen aus. Doch dies ist nur die
zustehen haben, was Sie anziehen sollen und in Spitze des Eisberges. Adultismus beginnt bereits
welchem Tempo das zu geschehen hat – rasch die viel früher als da, wo Kinder » den Po voll kriegen «,
Zähne geputzt, gefrühstückt, ganz gleich, ob Sie Erwachsene Kinder » schlagen «, » kneifen «, » zu
hungrig sind oder Appetit auf das haben, was Ihnen etwas zwingen, was sie nicht wollen « und » bedro-
vorgesetzt wird, und dann in einem Tempo aus dem hen « wie Donald, Tahir, Homer und Rashid er-
Haus gehetzt, das nicht das Ihre ist … zählen. Zu Adultismus gehört auch, wenn Erwach-
Der Tagesablauf von Kindern ist in der Re- sene » gemein und sauer « sind, wie Raphael und
gel voll von Anweisungen, Aufgaben, Befehlen, die Homer es ausdrücken und wenn sie » schimpfen,
Erwachsene an sie richten. Und so wünscht sich auch wenn man gar nicht Schuld ist «, wie Anna
Dublin, dass Erwachsene sie » nicht rumkomman- sagt. Spitty beschreibt es so: Erwachsene » verlet-
dieren «. Da mag es eine (Überlebens)Strategie sein, zen Gefühle mit bösen Worten « und gesteht, dass
nicht ständig alles zu hören, was einem gesagt wird er » Angst hat, wenn sie laut schreien «. Auch Ras-
– einmal ganz abgesehen davon, dass Erwachsene in hid erkennt erwachsenes Fehlverhalten sehr klar,
ihrem Bemühen, den Alltag zu strukturieren, kaum wenn er sagt, dass Erwachsene » Witze erzählen,
mit Neuigkeiten aufwarten. Oder wie Raphael es die Kinder kränken oder beleidigen «. Doch die
konkretisiert: Erwachsene » wiederholen sich im- Liste adultistischen Handelns scheint schier un-
mer « – was das gespannte Interesse am Zuhören erschöpflich: » Bestrafen mit Hausarrest « (Tahir),
möglicherweise in Grenzen hält. Wirkliche Neu- » wenn Erwachsene sagen, so blöd kann man nicht
igkeiten und zugewandte Gespräche verändern fast sein oder überhaupt einen blöden Ton benutzen. «
immer die Aufmerksamkeit von Kindern. » Kinder (Dublin).
hören zu wenn Erwachsene etwas zu sagen haben. «
Stellt Jesper Juul lapidar fest.7
Donald: » Ich finde es blöd, wenn Kinder etwas Bezugspersonen ihr Leben in einer Art bestim- macht es Erwachsenen nicht nur schwer, kindliche 5. »WÜNSCH DIR WAS!« – KINDER
wollen und Erwachsene das nicht erlauben, ohne men und reglementieren, die zeitweise ihren eige- Belange zu verstehen, sondern erschwert darüber PLÄDIEREN AN ERWACHSENE
zu wissen warum «. Darüber hinaus werden Re- nen Empfindungen, Bedürfnissen, Interessen und hinaus eine echte Bündnispartnerschaft mit den Wann ist es für Kinder einfach schön, mit Erwach-
geln besser ausgehandelt, denn gesetzt. Um dies Perspektiven konträr entgegensteht. Kinder haben Kindern, die uns anvertraut sind. Spitty drückt es senen zusammen zu sein?
mit Raphaels Worten zu unterstreichen: » Es wäre angesichts dieser Tatsache wenig Reaktionsalter- so aus: » Ich bin lieber Kind, weil man die besten Immer dann, wenn die Erwachsenen …
schön, wenn sie (Erwachsene) mich auch bestim- nativen. Sie können ihren Bedürfnissen und Emp- Jahre dann noch nicht vergessen hat. « Auf die Fra-
men lassen «. Nicht zuletzt sollten Regeln in pas- findungen folgen und sich gegen die Bevormun- ge, wann denn die besten Jahre seien, antwortete er ... mich so richtig doll lieb haben, wenn sie Zeit mit
senden Konstellationen für alle gelten, nicht nur dung und Fremdbestimmung von Erwachsenen selbstbewusst: » Na jetzt! « mir verbringen und mit mir spielen. « (Anna)
für Kinder. auflehnen. Die Konsequenz einer derartigen Ent- ... lachen. (Homer)
So ist sicher Dublin nicht das einzige Kind, das scheidung ist in der Regel eine Konfrontation mit Adultismus ist die erste fundamentale Unterdrü- ... ganz zärtlich sind, schön mit mir reden, Witze
sagt: » Es wäre schön, wenn sie (Erwachsene) mich Zuschreibungen wie: unartig, nicht lieb, ungezo- ckungserfahrung eines jeden Menschenlebens. In machen und lachen. (Spitty)
wie sich selbst behandeln. « Ein bewusster und spar- gen, fortschreitend verhaltensauffällig oder schwer einem Alter, in dem Lernen oft unbewusst erfolgt, ... nett sind und zum Beispiel sagen: ›Komm, wir
samer Umgang mit Reglementierungen zahlt sich erziehbar. Letztlich würden Kinder mit einem erleben wir, wie sich Macht, Machtmissbrauch, gehen einkaufen oder spazieren‹ und wenn
nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachse- solchen Verhalten die Liebe und Zuneigung der Machtlosigkeit anfühlen und wie Machtspiele die Erwachsenen mir alles erlauben würden.
ne aus. Denn Diskriminierung – egal welcher Art Erwachsenen aufs Spiel setzen. » Eine schwerwie- funktionieren. Unsere herkömmliche Art und Wei- (Donald)
– kostet Energie und Kraft, und zwar auf beiden Sei- gende Folge der Anpassung ist die Unmöglichkeit, se Kinder zu sehen und mit ihnen umzugehen als ... nett, zuverlässig, gutmütig und nicht gemein sind.
ten. Für Erwachsene mag es bei genauer Betrach- bestimmte Gefühle (wie z.B. Eifersucht, Neid, Adultismus – als eine Form von Diskriminierung Wenn sie beschützen, nicht zu sehr verwöhnen
[] tung nerv- und zeitraubend sein, Kinder mittels Zorn, Verlassenheit, Ohnmacht, Angst) in der Kind- zu verstehen – mag erklären, warum unser Zusam- und mehr mit mir unternehmen. (Rashid)
einer Vielzahl von Vorschriften » unter Kontrolle heit und dann im Erwachsenenalter bewusst zu menleben mit Kindern immer wieder so schwer ... wenn sie vernünftig und gerecht sind und
zu bringen und zu halten «, ständig Anweisungen erleben. « 10 fällt und uns an unsere Grenzen stoßen lässt. Um Kinder nicht wie Babys behandeln. (Karim)
zu geben, Regeln zu erstellen, auf deren Einhal- Eine weitere Strategie mit Unterdrückung es mit Korczak zu sagen: » Offenbar geht es sowohl ... vertrauensvoll, nett und freundlich
tung zu achten und sich bei Verstoß zu ärgern und umzugehen, besteht darin, den Druck, der von der den Kindern als auch den Erwachsenen nicht be- sind und wenn sie die Kinder fragen, was sie
nach Konsequenzen zu sinnen. Karim hat hierzu mächtigeren Person auferlegt wird, an eine macht- sonders gut. Die einen haben ihre Sorgen und ihre machen wollen. (Tahir)
[10] die Assoziation, Kinder würden von Erwachse- losere Person abzugeben. Nicht selten suchen Gründe zur Traurigkeit, die anderen – die ihren. « 12 ... mich so behandeln, wie sich selbst. (Donald)
Vgl. Miller nen » bewacht «. Letztlich trägt die Konfrontation sich Kinder (vermeintlich) Schwächere, um sie zu Den Kreislauf von Macht und Unterdrückung zu
1983
mit kindlichem Aufbegehren gegen Normierung, drangsalieren und somit Druck abzubauen. Anna unterbrechen, bedeutet aber nicht nur für jedes
[11] Fremdbestimmung und fragwürdige Regeln nicht hat das klar im Blick, wenn sie sagt, dass Größere Kind und jeden Erwachsenen ein entspannteres,
Ebd.
zu einem entspannten Umgang zwischen Kindern » viel stärker « sind und » Kleinere verprügeln «. Er- glücklicheres Leben. Man könnte noch weiter ge- []
und Erwachsenen bei. Umgekehrt spielt sich bei wachsene, die derartiges Kinderverhalten beobach- hen und gemeinsam mit Juul mutmaßen, » dass die MaNUeLa riTZ
[12] Kindern ähnliches ab. Es kann nicht Kraft spen- ten, haben nicht selten den Standardspruch parat: Art, wie wir mit unseren Kindern umgehen, bestim- Dipl. Sozialpädagogin und gelernte
Janusz Korczak dend sein, sich als » Normabweichler « abgestem- » Kinder können so grausam sein. « Dabei ist es eine mend sein wird für die Zukunft der Welt. « 13 Erzieherin. Arbeitet seit knapp
Wenn ich wieder klein
bin: Und andere Ge-
pelt zu sehen, im Sinne von Vorurteilen und Zu- Binsenweisheit, dass Kinder das Tun von Erwach- 15 Jahren als freiberufliche Anti-
schichten von Kindern. schreibungen immer wieder verkannt zu werden senen nachahmen und kopieren. Dies gilt auch für Diskriminierungs-Trainerin.
Göttingen | 1973.
und Regeln zu folgen, die weder die eigenen noch erlebtes adultistisches Verhalten, das Erwachsene
[13] einsehbar sind. Umso erstaunlicher, wie Kinder ihr Kindern entgegenbringen.
Jesper Juul, ebd.
Leben unter diesen Gegebenheiten meistern und Die Workshops, die ich zum Thema Adultis-
so kann ich Spitty nur beipflichten, wenn er sagt: mus leite, beginnen mit Methoden der Biographie-
» Kinder sind stark. « arbeit. Unter anderem werden die TeilnehmerIn-
nen gebeten, sich an besonders schöne Momente
V. Verinnerlichung ihrer Kindheit zu erinnern, in welcher sie sich von
Jede Diskriminierungsform birgt die Gefahr in sich, Erwachsenen angenommen, wertgeschätzt und als
dass definierte » Normabweichungen «, Bilder, die eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen ge-
sich die Dominanzgesellschaft über die fokussierte fühlt haben. In der Regel folgt dieser Aufgabenstel-
Personengruppe macht, und die Gefühle, die da- lung tiefe Nachdenklichkeit.
durch entstehen, verinnerlicht werden. Im Kontext Kindheit wird nicht selten als die Zeit der
LITERATUR
von Adultismus spielt sich Verinnerlichung auf bei- Unbeschwertheit und Sorglosigkeit verklärt. Alice
den Seiten ab – auf Seiten der Kinder ebenso wie Miller erkennt: » Die Geschichte zeigt, dass Illu- Juul, Jesper Miller, Alice
bei den Erwachsenen. sionen sich überall einschleichen, jedes Leben ist Das kompetente Kind Das Drama des begabten Kindes
Adultistische Verinnerlichung findet in erster voll davon, wohl weil die Wahrheit oft unerträglich Reinbek bei Hamburg. und die Suche nach dem wahren
Linie dann statt, wenn Kinder die Attribute, die wäre.« 11 Viele Erwachsene vergessen oder verdrän- Korczak, Janusz Selbst | Frankfurt/M.
Wie man ein Kind lieben soll. Montessori, Maria
Erwachsene für sie finden, annehmen und in ihr gen Aspekte ihrer Kindheit – vielleicht ein Indiz
Göttingen. Kinder sind anders. München
Selbstbild integrieren. Zum Beispiel, wenn Donald dafür, dass es doch kein » Kinderspiel « ist, Kind zu Korczak, Janusz Öhlschläger, Annelie (Hg.)
sagt: Kinder sind » klein, süß und haben eine mick- sein. Das Verdrängen, Vergessen, Verleugnen oder Wenn ich wieder klein bin: Mit Janusz Korczak
rige Stimme «. gar das Umschreiben der eigenen Kindheitsbiogra- Und andere Geschichten von die Kinderwelt verstehen
Doch Verinnerlichungen gehen noch viel tie- phie macht es uns Erwachsenen schwer, die Welt Kindern | Göttingen. Freiburg im Breisgau.
Korczak, Janusz
fer. Kinder sind in besonderer Weise auf die Liebe, mit Kinderaugen zu sehen, kindliche Sorgen, Fra-
Das Recht des Kindes auf
Fürsorge und Unterstützung Erwachsener ange- gen und Bedürfnisse wahr- und ernst zu nehmen. Achtung | Hrsg. von Elisabeth
wiesen. Gleichzeitig erleben sie aber immer wie- Die Schwierigkeit bis hin zur Unfähigkeit unsere ei- Heimpel und Hans Roos
der – bewusst oder unbewusst – wie erwachsene gene Kindheit mit all ihren Facetten zurückzurufen, Göttingen.
TRÄGE
BEI
I EB
Dominanz scheint oft normal, darum tungen aufgeladen sind. Demnach wird bestimmt,
sehe ich was, was du nicht siehst. wer als wertvoll gilt und wer nicht. Wenn in den
Wenn von diskriminierenden Strukturen privile- Bücher nur » Bilderbuchfamilien « abgebildet wer-
ZUM KRITISCHEN UMGANG giert wird, nimmt man diese oft nicht wahr. Des-
halb passiert es mir regelmässig, dass ich nicht
den, bleiben Kinder mit alleinerziehenden Müttern
ausgeschlossen und unbenannt. Kinder beziehen
MIT KINDERBÜCHERN
verstanden werde, wenn ich auf diskriminierende diese Botschaften auf sich, verinnerlichen sie als
Strukturen hinweise. » Ich kann hier keinen Rassis- Werturteile und denken, dass etwas mit ihnen
mus sehen «, höre ich im Alltag oder in Seminaren falsch ist. Gerade über diese Auslassungen erleben
Bedarfe, Widerstände, Möglichkeitsräume oft. Woran könnte es liegen, dass manche Rassis- und erlernen Kinder gesellschaftliche Bewertun-
mus sehen und andere nicht? gen ihrer selbst: Wer selbst sichtbar gemacht wird,
Als Beispiel die Weltkarte: » Diese Karte ist ist wichtig. Zur Entwicklung ihrer Berufswün-
VON falsch «. Ja? Ja, stimmt! Wir haben eine andere Kar- sche orientieren sich Kinder z.B. an den Abbil-
te gelernt. Und es wurde vereinbart, dass der Nor- dungen und ziehen ihre Schlüsse daraus. Wenn
den immer oben zu sein hat. Aber wer hat das ei- sie keine Schwarze Pilotin oder einen Schwarzen
Annette Kübler gentlich vereinbart? Und warum zufällig der Nor- Arzthelfer sehen, denken sie, der Beruf ist nicht für
den und nicht der Süden? Wer wird hier privile- sie gedacht.
giert und wer marginalisiert? Und welchen Ein- Die Diskurse der letzten Jahre rund um die [4]
EIN BIOGRAFISCHER UND AKTIV WERDEN fluss hat dieses Wissen auf meine Wahrnehmung Kinderbücher sind symptomatisch, denn sie ma- Chimananda Adichie zur
Gefahr einer einzigen Erzählung:
PÄDAGOGISCHER ZUGANG der Welt? 2 chen deutlich, dass es noch lange nicht selbstver- http://www.ted.com/talks/
Rassismus geschieht oft ohne böse Ab- Jetzt wollen sie uns auch noch unsere ständlich ist, dass alle Kinder das Recht haben, in lang/en/chimamanda_adichie_
MUSTER AUFBRECHEN Kinderbücher wegnehmen. einer vorurteilsbewussten sowie diskriminierungs- the_danger_of_a_single_
sicht, doch gut gemeint, ist nicht genug. story.html
[1] Als im letzten Jahr die Debatte um rassistische Be- Die sogenannte » Kinderbuchdebatte « im letzten freien Umgebung aufzuwachsen. Als Lesende wer-
Kalpaka, Annita leidigungen in Kinderbüchern entbrannte, erinner- BÜNDNISSE AUFBAUEN Jahr brachte mich ins Nachdenken. Abgesehen von den nicht alle Kinder mitgedacht, denn nicht-weiße
Räthzel, Nora (Hg.):
te ich mich an meine eigene Lerngeschichte. Es ist jenem » sie « und » uns «, fiel mir die Massivität des Kinder spiegeln sich beispielsweise in vielen Bü-
Die Schwierigkeit, nicht
rassistisch zu sein | 1986. mir vertraut wie viel Energie Menschen verwenden, STRUKTUREN VON DISKRIMI- Widerstands auf und ich fragte mich, woher er wohl chern nicht wider. Eine dadurch vermittelte Bot-
um zu beweisen, dass sie nicht rassistisch sein kön- NIERUNG WAHRNEHMEN kommt. Am Rande bemerkt, bleibt weiterhin un- schaft ist auch, dass nicht alle Kinder als zugehörig
[2] nen. Als ich an der Uni in autonomen Studiengrup- klar, wer wem etwas wegnimmt (die Diskriminier- gelten und demzufolge nicht zu dem » wir « und
Kübler, Annette: Anti-Bias
pen erstmals mit der Tatsache konfrontiert wurde, ten den Dominierenden, oder?). Abgesehen davon, » uns « in Deutschland zählen.3
ermöglicht neue Perspekti- PERSPEKTIVEN WECHSELN dass keine_r der Aktivist_innen die Möglichkeit Dieser Aspekt ist sehr bedeutend, denn Zuge-
ven auf Globales Lernen. dass Rassismus mich im Alltag oft privilegiert,
In: (Hg.) Anti Bias Netz: Vor-
fraßen meine Schuldgefühle und mein schlechtes hat tatsächlich irgend jemandem ein Buch weg- hörigkeit und Beteiligung sind essentielle Grund- RACE DOES
urteilsbewusste Veränder-
ungen mit dem Anti-Bias-An- Gewissen viel Kraft. Es war damals und es ist auch VONEINANDER LERNEN zunehmen. lagen für einen positiven Selbstwert, ein gutes Ler- NOT EXIST,
satz. Erscheint voraussicht-
heute nicht leicht, in mein Selbstbild zu integrieren, Doch zunächst Schritt für Schritt: Warum ist nen und damit auch für die Bildungsgerechtigkeit. BUT IT KILLS.
lich im Januar 2015
dass das Aufwachsen in einer rassistischen Gesell- EMOTIONAL BEGREIFEN es überhaupt wichtig sich kritisch mit Kinderbü- Deshalb benötigen wir Bücher, die alle Kinder Colette Guillaumin
[3] schaft mich tief geprägt hat. Eine der hilfreichen WAS DIKRIMINIERUNG IST chern zu beschäftigen? in ihrer Unterschiedlichkeit und mit ihren jeweili-
Ogette, Tupoka: Wanted: Lektüren damals war der Aufsatz » Die Schwierig- gen Familienkulturen wertschätzen und repräsen-
Schwarze Held_innen in
keit, nicht rassistisch zu sein « von N. Rätzel und 1. BEDARFE - WAS MACHT ES tieren. Leider gibt es erschreckend wenige solcher
deutschen Kinderbüchern
SO WICHTIG SICH ERNSTHAFT MIT Bücher. Wenn Kinder mit » anderen « Namen vor- VERGISS,
http://heimatkunde. A. Kalpaka: » Dass Rassismus keine böse Absicht ist, ANTI-BIAS IST EINE DASS ICH
boell.de/2014/02/24/
sondern eine Lebensform, ein Bestandteil unserer KINDERBÜCHERN AUSEINANDER- kommen, werden sie fast immer als » anders « mar-
wanted-schwarze- LANGE REISE ZUSETZEN? kiert: frisch zugewandert, adoptiert, Ziel von Dis-
SCHWARZ
heldinnen-deutschen- kulturellen Identität (...) ist eine nüchtern zu tref- BIN.
kinderbuechern
fende – wenn auch schmerzliche – Erkenntnis «. 1 Kinder nehmen Botschaften über eigene und ande- kriminierung, arm, mit einer scheinbar ganz ande- VERGISS NIE,
Wichtig ist, sensibel für Schieflagen zu re Gruppenzugehörigkeiten wahr und beziehen sie ren Kultur. Einige Bücher und Geschichten sind DASS ICH
werden und diese zu verändern. auf die eigene Person. Sie erkunden ihre Umwelt gut gemeint – gedacht zur Sensibilisierung gegen SCHWARZ
Inzwischen arbeite ich als Trainerin für Vielfalt, An- xität von Diskriminierung auf individueller und – auch über Bücher – und registrieren genau: Kom- Rassismus – doch verletzend für Kinder, deren Fa- BIN.
tidiskriminierung und Vorurteilsbewusstsein (nach gesellschaftlicher Ebene, ihren psychologischen me ich in den Geschichten vor? Finde ich mich in milien zu diesen als anders Markierten gehören. Pat Parker
dem Anti-Bias-Ansatz). Wichtig ist mir dabei vor und politischen Dimensionen sowie der Verwo- den Büchern wieder? Wie kommen meine Identität Chimananda Adichie beschreibt die Folgen dieser
allem, dass wir einander die Augen öffnen für struk- benheit von Menschen im Alltag. Ziele sind dabei und meine Lebensformen dort zum Tragen und » single stories « sehr berührend.4
turelle Formen von Ausgrenzung und unser eige- Machtstrukturen (mehr) wahrzunehmen, besser zu wie werden » Kinder wie ich « von außen gesehen? Und wir brauchen noch mehr, denn Worte
nes Verwickelt-Sein darin. » Anti-Bias « verstehe zu hören und eigene Handlungsmöglichkeiten zu Oft geht es um explizite und noch viel mehr verletzen und haben massive Auswirkungen auf
ich als eine lange Reise, wissend um die Komple- erweitern. um verdeckte Botschaften, die mit sozialen Bewer- die Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls
richtet, sondern auf das eigene Weiß-Sein und des- infrage gestellt. Trotz aller Widerstände ist es ein begonnene Reise aufregend genug, denn sie zieht
[5] von Kindern. So lange Bücher so sind, wie sie sind, sen gesellschaftliche Bedeutung. Auf dieser Reise [10]
notwendiger Schritt auf dem Weg zum Abbau von weitere Aufträge nach sich: sich zu informieren, Seriamel:
Ich spreche hier explizit brauchen Kinder diskriminierungserfahrene und wird die Vorstellung von gegebener Normalität Ungerechtigkeit. » andere « Texte zu lesen, Menschen mit margina- Überall alles nur Rassismus
die weiße Mehrheitspers-
pektive an, denn aus dieser
-reflektierte Erwachsene, die mit ihnen Strategien stets infrage gestellt. Petra Wagner schreibt dazu Aus meiner Sicht ist da kein Rassismus. lisierten Perspektiven aktiv zuzuhören, ihre Äu- oder schwarze Babies sind
viel süsser als Weisse
heraus werden die Beden- im Umgang mit den Büchern entwickeln können. treffend: » Zu verstehen, worin unsere Verstrickt- Das war eine häufige Antwort auf meine Briefe an ßerungen ernst zu nehmen und nicht als » über- http://serialmel.wordpress.
ken und die Kritik an einer
Änderung rassisitischer
heit in die Aufrechterhaltung von ungleichen Verlage. Ich frage mich jedesmal: Das glaub ich ja, empfindlich « , » aggressiv « oder » unangemessen « com/2013/01/24/uberall-
alles-nur-rassismus-oder-
Zuschreibungen in Kinder- 2. WAS MACHT ES SO SCHWER ? Machtverhältnissen besteht, ist eine Anforderung nur, woran könnte es liegen? abzuwehren. » Mit der Forderung auf den Verzicht schwarze-babies-sind-viel-
büchern geäußert.
Doch statt all unsere Energie darin zu stecken, die an uns alle, eine Aufgabe, die gleichzeitig schwie- Mir gefällt der Satz, denn auch wenn er oft auf diffamierende Sprache vertrete ich nicht nur susser-als-weisse/
[6] Vielfalt unserer Gesellschaft wiederspiegelnde Kin- rig und unangenehm ist: Was die selbstverständ- aus Abwehr gesagt werden mag, hat er das Poten- meine Empfindlichkeit, sondern ich verlange den
derbücher zu entwickeln und gemeinsam diskrimi- liche Basis des eigenen Denkens und Handelns [11]
Eggers, Maisha zu tial darauf hinzudeuten, dass es mit dem eigenen Verzicht darauf, mich rassisch zu gruppieren, mich Chinua Achebe zu
Pippi Langstrumpf nierungskritisches Lesen zu üben, wird vehement ist, versteht sich ja von selbst und ist zunächst als Blickwinkel zu tun hat, ob ich Rassismus erkenne fremd zu definieren, mich exklusiv zu behandeln. the strong must leasten
http://www.kinderwelten.
net/pdf/tagung/Pippi_
behauptet, es gäbe gar kein Problem. Erkenntnisgegenstand nicht zugänglich. Es bedarf oder nicht. Tatächlich sehe ich aus meiner privile- Ich verlange, dass ich als Person wahrgenommen to the weak
http://www.youtube.com/
Langstrumpf-Emanzi- Was macht es so schwer, ein paar einer bewussten Anstrengung, häufig eines starken gierten Position weniger Rassismus, als wenn ich werde. Ich bestehe darauf, als Mensch erlebt zu watch?v=_8gjYpKwV7I
pation_nur_fuer_weisse_
Kinder.pdf
beleidigende Worte aus Kinderbüchern Impulses von außen, um das zu hinterfragen, was selber davon betroffen bin. werden.« 10 Eigentlich eine Selbstverständlichkeit:
zu entfernen? Was wird da angerührt? › normal ‹ und nicht weiter erklärungsbedürftig Wir leben in einer Gesellschaft, die beanprucht » If we had enough imagination to put ourselves
[7] Ahnen weiße Menschen in Deutschland 5 vielleicht, erscheint. Tut man das, so ist die Erkenntnis, Teil demokratisch zu sein und für Menschenrechte in the shoes of the oppressed, then things would
Wagner, Petra: dass es um mehr geht als um die Veränderung eines von Ungleichverhältnissen zu sein, deren negati- einzustehen. Damit dies nicht nur ein Anspruch change «.11
http://heimatkunde.boell.
de/2012/08/01/
Wortes? Dass dies erst der Anfang einer Auseinan- ve Implikationen man eigentlich ablehnt, häufig bleibt, ist es wichtig den Blick zu wenden von den Aber wir können das Wort den Kindern
diversitaet-respektieren- dersetzung ist, in der es darum geht hinzuschauen, verbunden mit starken Gefühlen von Schuld und Geanderten zu den Eigentlichen: » Mein Projekt doch erklären, sagen andere.
diskriminierung-wider-
stehen-vorurteilsbewusste-
wie mich gesellschaftliche Machtverhältnisse ge- Scham, die sich wiederum › mildern ‹ lassen mit ist das Bemühen darum, den kritischen Blick vom Können alle Eltern diesen Auftrag erfüllen? Ist das
bildung-und prägt haben, auch durch Bücher und Filme, mit Rechtfertigungsstrategien und Schuldzuweisungen rassischen Objekt zum rassischen Subjekt zu wen- wirklich so? Wie sollten Eltern die Brutalität des
denen ich groß geworden bin. Und dadurch auch an andere. Auch diese gehören zum Repertoire an den; von den Beschriebenen und Imaginierten zu Kolonialismus und das System von White Supre-
anzuerkennen, dass ich vieles verinnerlicht habe Erkenntnis- und Verantwortungsabwehr, das auf- den Beschreibenden und Imaginierenden; von den macy als Gutenachthupferl sowie die Gewalt, die im
und verstrickt bin in die Aufrechterhaltung von gedeckt werden muss. « 7 Dienenden zu den Bedienten«. 8 Und Menschen in N-Wort steckt, Kindern zur Bettgehzeit erklären?
3. MÖGLICHKEITSRÄUME
– WAS KÖNNEN WIR TUN ?
[12] Zu dieser Tagung hatte ich zwei Kisten voller
http://www.situations- Kinder- und Bilderbücher mitgebracht. Es gibt ja
ansatz.de/fachstelle-
kinderwelten.html
inzwischen Bücher, die Alltagsrealitäten von Kin-
dern aufgreifen und entsprechend wiedergeben. Es
gibt nicht mehr nur » Bilderbuchfamilien « sondern
auch zwei Papas, es gibt arbeitslose Eltern, schrei-
ende Mamas, Menschen sprechen mehrere Spra-
chen, sitzen im Rollstuhl, Kinder gehen mit Wut
und anderen Gefühlen um, sie wehren sich gegen
Vorurteile und Diskriminierung.
[13] Die Bücheranalyse war ein inspirierender Prozess I. Kriterien für vorurteilsbewusste Bücher er- um die zeitgenössische Kinderbuchliteratur Wir brauchen Bücher, die Vielfalt aufzeigen, weil...
Kübler, Annette und und wir stellten fest, wie komplex er sein kann, arbeiten und in der eigenen Praxis anwenden. perspektivisch dahin gehend zu verändern, dass
Pohle, Berit
Rezension des Buches
denn es gibt nicht ein Buch, das alle Aspekte ab- Diese Bücher sollen jedes Kind und jede Fa- die Vielfalt der Gesellschaft in ihr widergespie- • jedes Kind sehen möchte, dass auch
Die Kinderkiste Freiheit gibt deckt. Außerdem sind viele Bücher › gut gemeint ‹, milie abbilden und Kinder als gleichberechtigt, gelt wird und neue Autor_innen zu Wort kom- sie/er ein_e Held_in sein kann.
es nicht nur in Träumen
https://www.kritisch-lesen.
aber ›schlecht‹ gemacht. Wichtige Aspekte unserer anerkannt und wertgeschätzt darstellen. men können. Dazu gehört sowohl das Ermuti- • Kinder sich selbst und einander auch in
de/rezension/freiheit-gibt- Diskussion waren: II. Eigenen Blick schulen, um sensibler zu sein gen von Autor_innen, aus marginalisierten Per- Büchern wiederfinden sollen.
es-nicht-nur-in-traumen
Kommen unterschiedliche Realitäten ›einfach ‹ gegenüber all den subtilen Formen der Diskri- spektiven Geschichten zu schreiben, als auch • Bücher die Welt wiedergeben sollen,
[14] vor – als selbstverständlich und nebenbei wie bei minierung, die Kinder beeinflussen - entweder, Verlage und bekannte Autor_innen auf Einsei- auch in ihrer Vielfältigkeit. []
Noah Sow:
» Du gehörst dazu, das große Buch der Familien « indem sie sie direkt verletzen und klein machen tigkeiten hinzuweisen. Vielleicht gibt es Kin- • Geschichten unsere Wahrheiten/
Deutschland Schwarz Weiß. von Hoffmann /Asquith, » Ganz toll! « von Cooke / oder indem sie ihnen ein brüchiges Selbstwert- derbuchautor_innen, die ihre Einflussmöglich- Realitäten sind und es diese ebenso oft gibt
Der alltägliche Rassismus.
München 2008, 272.
Oxenburg und » Die Kinderkiste « von Toni / Slade gefühl nahelegen, das auf Abwertung anderer keiten nutzen können, um Menschen mit » an- wie unterschiedliche Menschen.
Morrison.13 Oder wird Abweichung von der Norm basiert. Wie Noah Sow treffend sagt: »Rassis- deren « Erfahrungen Raum zu verschaffen? • wir beide Seiten von Geschichten
[15] als Problem dargestellt? mus verletzt unsere ganze Gesellschaft, und bei Vielleicht gibt es Menschen, die selbst aktiv wer- sehen sollten.
Eggers, Maisha Das Buch » Zwei Papas für Tango « ist sicher- genauem Hinsehen sind in jedem rassistischen den möchten und sich gegen Ausgrenzung ein- • Ausschluss und Ausgrenzung schmerzen.
http://heimatkunde.boell.
de/2012/08/01/
lich geeignet um Kinder anzusprechen, die in he- System alle Menschen auf unterschiedliche setzen, wenn sie erkennen, dass sie eigenverant- • wir unsere Freund_innenschaft in Büchern
gleichheit-und-differenz teronormativen Verhältnissen leben. Das Buch ist Art betroffen. Weiße Menschen verlieren ihre wortlich zu solchen Veränderungen beitragen sehen wollen.17
-der-fruehkindlichen-
bildung-was-kann-
aber nicht stärkend für Kinder aus Regenbogenfa- Würde, wenn sie Rassismus ausüben oder ge- können? Wir alle können Verlage anschreiben,
diversitaet-leisten milien, denn sie werden hier wieder als Ausnahme schehen lassen.«14 mit Autor_innen diskutieren, eigene Einfluss-
und dementsprechend als Problem verhandelt. III. Eigene Bücherschränke überprüfen, denn möglichkeiten nutzen und erweitern.
[16] In der überwiegenden Anzahl aller Bücher über die theoretischen Kriterien hinaus sollten
Annette Kübler
The danger of a single story –
kommen nur weiße, scheinbar ›gesunde ‹ Mittel- eigene Bücherregale, Schulen und Kitas, Buch- []
Reproduktion von Vorurteilen schichtskinder aus heteronormativen Familien vor. handlungen und Internetressourcen ebenfalls aNNeTTe kÜBLer
in Fortbildungen und Mate-
rialien des Globalen Lernens
Was fast völlig fehlt, sind Kinder mit arabischen in den Blick genommen und im Hinblick auf ist Diplompädagogin und Expertin für
– ein Erfahrungsbericht. oder türkischen Namen oder Familien, die › einfach die erarbeiteten Kriterien sorgfältig analysiert Vielfalt und Antidiskriminierung.
Artikel in der Broschüre
Develop-mental Turns, 2013
so ‹ Teil des bundesdeutschen Alltags sind. Aufge- werden. Bücher, die Menschen verletzen, ver- Bietet Training, Beratung und Motivation
http://annette-kuebler.im- fallen ist uns in der Workshop-Diskussion, dass in fehlen ihr eigentliches Ziel, Menschen Freude in den Bereichen Anti-Bias / vorurteils-
netz-praesent.de/files/
2011/09/single-story.pdf
vielen ›gut gemeinten‹ Büchern Stereotype und zu bereiten und Wissen zu vermitteln. bewusste Bildung und rassismuskritische
damit die Markierung als ›Andere‹ beibehalten IV. Kritisch › lesen lernen ‹ bedeutet, vielfältige Haltung im Globalen Lernen an.
[17] werden. Häufig findet sich die Idee › Anders sein Perspektiven einzuholen, Normalitäten infra-
http://www.policymic. ist schön‹ als Strategie gegen Ausgrenzung, z.B. in ge zu stellen, sich mit diskriminierungserfah-
com/articles/88811/there-s-
been-a-stunning-trend-
dem Buch »Elmar «. In manchen Büchern werden renen Menschen zu vernetzen und auch bei
in-children-s-books-over-the- darüber hinaus rassistische Klischees ohne böse veröffentlichten Empfehlungslisten kritisch LITERATUREMPFEHLUNGEN
last-12-years?utm_source
=policymicFB&utm_medium
Absicht massiv reproduziert, wie z.B. bei »Neben mitzudenken. Es bedeutet ebenfalls kritisch da-
=main&utm_campaign mir ist noch Platz « von Paul Maar. rüber zu reflektieren, wie Kinderbücher dazu Dossier der Heinrich Böll http://heimatkunde.
=social Stiftung : Ich mach mir die Welt, boell.de/vorurteilsbewusste-
Mit Dank für die Überset-
In vielen Büchern, die Kindern Mut machen beitragen, dass gesellschaftliche Normen von
wie sie mir gefällt. kinderliteratur-jenseits-
zung an Berit Pohle. sollen, sich gegen Diskriminierung zu wehren, wie Mehrheiten und Minderheiten verfestigt und Kinderliteratur jenseits von hegemonialer-weltbilder
» Erstaunliche Grace « von Hoffmann/ Binch, wird weitergetragen werden. Hier finde ich Mais- Vorurteilen und hegemonialen http://www.migazin.de/2011/
das diskriminierte Kind als besonders toll stilisiert, ha Eggers Überlegungen weiterführend, wie Weltbildern. Mit Beiträgen 12/09/vorurteile-in-der-
um schließlich Anerkennung für sein Handeln und Ungleichheitsverhältnisse als der » eigentliche von Maisha Eggers, Tupoka kinder-und-jugendliteratur/
Ogette u.v.a.m.
Erleben zu bekommen. Bücher wie »They were Lerngegenstand ernstgenommen und über-
wrong! « von ELRU in Südafrika oder » Der Bus von dacht werden können «.15
Rosa Parks « von Silei /Quarello machen Diskrimi- V. Ermöglichen, dass ›andere‹ Geschichte(n) EMPFEHLUNGEN FÜR KINDERBUCHLISTEN:
nierungserfahrungen gezielt zum Thema und fin- erzählt und veröffentlicht werden können,
den im Buch Umgangsweisen und Lösungen dafür. weil andere – verborgene / marginalisierte – Vorurteilsbewusste iNTeNZ Kinderbuchliste :
Der benannte Workshop hat im Rahmen der Fach- Geschichte(n) wichtig wären, damit das Wis- Kinderbücher : http://annette-kuebler.im-netz-
http://www.situationsansatz. praesent.de/anti-bias-trainings/
tagung viele vorhandene Perspektiven verdeutli- sen erweitert, blinde Flecken aufgespürt, bis-
de/vorurteilsbewusste- kinderbucher/
chen können, aber er hat auch viele neue Fragen herige › Normalitäten‹ hinterfragt und brüchig kinderbuecher.html
aufgemacht. Die Aufgaben und Handlungsperspek- gemacht werden.16 GLaDT Kinderbuchliste :
tiven aus dem Workshop können wie folgt zusam- VI. Strukturen verändern, bedeutet, die struktu- http://www.gladt.de/archiv/
mengefasst werden: rellen Gegebenheiten in den Blick zu nehmen, paedagogik/Buecherliste.pdf
ZEICHNIS
VER
REV
WORKSHOP 3 WORKSHOP 5
ZEICHNIS
Kolonialbewegt. Jugend in der Weimarer Republik Publizistik, Theater- und Musikwissenschaften an
zwischen kolonialer Vergangenheit und Zukunft. der Freien Universität Berlin. Seit dem Studium
Derzeit Leiterin des Jugendbildungsprojekts Tätigkeit als Journalistin für den öffentlich-
Postkoloniales Frankfurt: Stadtgeschichte(n) entdecken rechtlichen Rundfunk. Neben zahlreichen Bei-
VER
REV
und vermitteln in der Bildungsstätte Anne Frank, trägen für die ARD moderiert sie seit 15 Jahren
Frankfurt am Main. Kultur- und Gesellschaftsmagazine (Deutsch-
sheyn@bs-anne-frank.de landradio, ehem. radiomultikulti, Funkhaus
www.jbs-anne-frank.de Europa, Kulturradio vom rbb, rbb Fernsehen)
und arbeitet als freie Redakteurin beim Deutsch-
JANTOWSKI, DR. PHIL. ANDREAS landradio Kultur. Thematische Schwerpunkte:
TAGUNGS-
Direktor des Thüringer Instituts für Lehrerfort- Kultur und Zivilgesellschaft, Demokratie und
bildung, Lehrplanentwicklung und Medien. Partizipation, Diskriminierung und Rassismus
Lehrbeauftragter der Friedrich-Schiller-Univer- sowie Integrations- und Migrationsthemen.
Materialien N° 185
ISSN N° 0944-8705
76
TRÄGER
PROJEKT
T KEJ ORP
www.zwst-perspektivwechsel.de