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1 Wozu Grammatik?
Zu Beginn der Beschäftigung mit einem Gegenstand steht die Frage:
Wozu? Hier also: Wozu die Beschäftigung mit Grammatik? Vor allem deut-
sche Muttersprachler stellen sich diese Frage, denn sie behaupten – sicher
nicht ganz zu Unrecht –, dass sie ja die Grammatik des Deutschen beherr-
schen. Und wenn man die gesprochene Sprache als Grundlage nimmt, so
kann man für Muttersprachler tatsächlich festhalten, dass diese die Gram-
matik des Deutschen tagtäglich meist mehr oder weniger ohne Probleme
anwenden. Sie verfügen über ein implizites Grammatikwissen, das dafür
sorgt, dass sie Deutsch sprechen können. Die Frage ist also: Weshalb ist es
notwendig, das implizite Grammatikwissen um explizites Grammatikwis-
sen zu erweitern, also das Grammatikwissen in Regeln auszudrücken und
bewusst zu machen?
Es gibt eine ganz Reihe von Antworten auf diese Frage:
1. Grammatikwissen ist notwendig, wenn man Deutsch an Nicht-Mut- Wozu Grammatik-
tersprachler vermitteln will: Diese erste Antwort leuchtet intuitiv allen wissen?
ein. Wer eine fremde Sprache lernt, benötigt dazu explizite Grammatik-
kenntnisse, und entsprechend brauchen diejenigen, die Deutsch als
Fremdsprache (oder Deutsch als Zweitsprache) vermitteln, ebenfalls
Grammatikwissen. Dies gilt sowohl dann, wenn man tatsächlich z. B.
Deutsch als Fremdsprache im Ausland unterrichtet, als auch dann, wenn
man in Deutschland an einer Schule mit einem hohen Anteil von Schüle-
rinnen und Schülern, die nicht Deutsch als Muttersprache haben, beschäf-
tigt ist, und daher etwa Förderunterricht für Deutsch als Zweitsprache an-
bieten muss. Helbig (1992: 154–155) stellt fest, dass Lehrende im Fremd-
sprachenunterricht (FU) deutlich mehr Grammatikwissen benötigen als
Lehrende im Muttersprachunterricht:
»Deutlich und allgemein gesagt: Für den FU braucht man nicht weniger, sondern
mehr Grammatik als für den Muttersprachunterricht […] Der Lehrer der Fremd-
sprache (ebenso wie der Lehrbuchautor) braucht zweifellos viel Grammatik. Er
braucht viel mehr Grammatik als der Lerner. Er braucht ein Regelwissen über die
Grammatik, das so vollständig, so genau und so explizit wie möglich ist. Für den
Lehrer stellt in diesem Falle das Maximum das Optimum dar.«
Aus dem
»Hohlspiegel« 60 Beamte gingen gegen Urlauber mit Bierflaschen vor
Nur wer über Grammatikwissen verfügt, kann den Witz verstehen und er-
klären, der – grammatisch gesprochen – daraus resultiert, dass die Präpo-
sitionalphrase mit Bierflaschen entweder als Attribut zu Urlauber betrach-
tet werden kann (in diesem Fall handelt es sich um Urlauber mit Bierfla-
schen) oder als Adverbial zum Verb des Satzes (in diesem Fall würden die
Polizisten mit Bierflaschen gegen Urlauber vorgehen, die Bierflaschen wä-
ren also das Instrument).
Ein Beispiel für einen literarischen Text, bei dem das Grammatikwissen
Grundlagen für die Textinterpretation liefern kann, ist der folgende Aus-
zug aus dem Text Nach Nora von Elfriede Jelinek (2013), der den Brand in
einer Textilfabrik und den Tod vieler Näherinnen behandelt:
Elfriede Jelinek: »Ich sehe derzeit noch nicht, wie ich mir das leisten könnte, und auch nicht, wie
Nach Nora (2013) man diese armen Frauen hätte bewahren können. Ich sehe gar nichts. Was sie nä-
hen, ist ja nicht fürs Bewahren bestimmt, sondern fürs Verbrauchen und Ver-
brauchtwerden. Für dieses Kleid würden Sie sterben, nicht wahr! Es ist aus unse-
rer neuen Kollektion und kostet nur 19 Euro 90. Mehr dürfte es nicht kosten, sonst
würde es eine andre kaufen, die 49 Euro 99 dafür ausgeben könnte. Gut, daß es
eine andre an Ihrer statt tut, ja, auch das Sterben! Sterben findet woanders statt.
Nein, Führungen können wir nicht anbieten. Es ist immer besser, woanders zu
sterben als dort, wo man im neuen Top in den Club geht und selber top ist. Im Jen-
seits können Sie nicht mehr herumgeführt werden, und Sie können auch Ihre
neuen Klamotten dort nicht mehr ausführen. Dürften wir vielleicht als Alternative
zum Sterben unsere Hausmarke topfit anbieten? Dazu müssen Sie Ihren Körper
aber etwas bewegen. Dafür sitzt dann das Kleid, wir sagten es schon, dann sitzt es
aber viel besser, das sagten wir nicht.«
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Wozu Grammatik?
Grammatik-
»grammardef = an abstraction of any organization into significance«. Definition
von Östman 2015
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