Entdecken Sie eBooks
Kategorien
Entdecken Sie Hörbücher
Kategorien
Entdecken Sie Zeitschriften
Kategorien
Entdecken Sie Dokumente
Kategorien
L
ängst ist bekannt, dass Patienten mit IPS nicht nur pulsassoziierten Verhaltensstörungen ein überlappen-
unter motorischen Symptomen wie Akinese, Rigor der Pathomechanismus zugrunde, der eng verbunden
und Tremor leiden. Nachdem die letzten Jahre eine ist mit dem dopaminergen Level sowie dem Auftreten
deutliche Verbesserung der Therapie der motorischen von L-Dopa-induzierten Dyskinesien und somit vermut-
Symptome gebracht haben, sind für die Lebensqualität lich Teil eines gemeinsamen Kontinuums darstellt (4, 5).
der Patienten und ihr soziales Umfeld die sogenannten Eine kürzlich veröffentlichte Studie legt nahe, dass das
nicht motorischen Störungen der limitierende Faktor für IPS nicht per se mit einem erhöhten Risiko für das Auf-
Bernhard F. Décard die Lebensqualität. Dazu gehören neben vegetativen treten impulsassoziierter Verhaltensstörungen verbun-
Symptomen und Veränderungen von Vigilanz und den ist. Demnach beeinflussen insbesondere andere
Schlaf vor allem die neuropsychiatrischen Komplikatio- Faktoren wie zum Beispiel die Exposition gegenüber
nen: kognitive Defizite bis hin zur Demenz, psychoti- dopaminerger Medikation und das Vorliegen gewisser
sche Symptome, Depressionen, Apathie und bei einem demografischer Variablen das individuelle Risiko für das
nicht unbeträchtlichen Teil der IPS-Patienten auch so- Auftreten von impulsassoziierten Verhaltensstörungen
genannte repetitive impulsassoziierte Verhaltensstörun- bei IPS-Patienten (6).
gen. Da diese Störungen eine hohe Alltagsrelevanz Neurobiologisch scheinen impulsassoziierte Störungen
haben und häufig schambehaftet sind, ist es umso bei Parkinson-Patienten mit einer Veränderung von
mehr die Aufgabe der behandelnden Ärzte, eine hohe neuronalen Netzwerken assoziiert zu sein, die Beloh-
klinische Vigilanz an den Tag zu legen und diese häufig nungseffekte und Entscheidungsprozesse vermitteln.
erst auf Nachfrage berichteten Symptome im Rahmen Das ventrale Striatum als Teil des «Belohnungssystems»
Ute Gschwandter der Anamnese einschliesslich der Angaben der Lebens- funktioniert mit Dopamin als Neurotransmitter und ist
partner zu erfragen. Entscheidend für die Behandlung beim IPS typischerweise weniger vom neurodegenera-
und das nicht medikamentöse Management im klini- tiven Prozess betroffen als das dorsale Striatum, sodass
schen Alltag ist eine rasche Identifikation einer latenten die zugeführte dopaminerge Medikation zu einer rela-
oder manifesten impulsassoziierten Verhaltensstörung. tiven Überstimulation der Dopaminrezeptoren im ven-
Als sinnvolle Screeningmethode können im klinischen tralen Striatum und somit zu einer Überaktivierung des
Alltag standardisierte Fragebögen wie zum Beispiel der Belohnungssystems führt (7). Durch die kortiko-basal-
Questionnaire for Impulsive-Compulsive Disorders in ganglionären Verbindungen wird hierdurch auch der
Parkinson’s Disease (QUIB) und die QUIB-Rating-Scale orbitofrontale Kortex dysfunktional beeinflusst, der wie-
(QUIB-RS) eingesetzt werden (1, 2). Eine Validierung der derum eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Im-
deutschsprachigen Version dieses Fragebogens wurde pulskontrollstörungen spielt, indem er die adaptive
im Rahmen des 8. Deutschen Parkinson-Kongresses im Entscheidungsfindung, die kognitive Flexibilität, das Ri-
Peter Fuhr letzten Jahr vorgestellt (3). sikoverhalten sowie das Hinauszögern unmittelbarer
Repetitive impulsassoziierte Verhaltensstörungen wie Belohnungen beeinflusst (8). Im folgenden Übersichts-
Impulskontrollstörungen (Impulsive Compulsive Disor- artikel werden die verschiedenen Formen von repetiti-
2/2014 23
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
24 2/2014
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
kation können unter anderem die Vermeidung von Abendstunden beziehungsweise nächtlich durchge-
aversiv behafteten Off-Phasen beziehungsweise die führt werden, kann dies nicht selten zu einem erhebli-
Selbstmedikation von Beschwerden oder das Erreichen chen Schlafmangel führen. Häufig widmen sich
eines hypoman-euphorischen Zustands sein. Die Pa- Patienten Tätigkeiten, die mit Ihren persönlichen Hob-
tienten fordern typischerweise bereits in frühen Phasen bies oder der beruflichen Biografie in Verbindung
der Erkrankung zunehmend höhere Dosen von dop- stehen, sodass die Verhaltensmuster von Patienten und
aminerger Medikation ein und berichten meist über Angehörigen zumindest initial nicht als krankheitsasso-
einen raschen Wirkungsverlust beziehungsweise über ziiert beziehungsweise pathologisch interpretiert wer-
eine unzureichende Wirksamkeit der Medikation. Ob- den. Werden die Patienten im Rahmen ihrer Punding-
wohl sich in der Regel keine höhergradigen motori- Tätigkeiten von Aussenstehenden unterbrochen, so rea-
schen Defizite objektivieren lassen, fühlen sich die gieren sie häufig ängstlich-irritiert oder frustriert (16).
Patienten «unterbehandelt» und zeigen dysphorische Die wenigen publizierten Studien beziffern die Präva-
Züge insbesondere während ihrer «Off-Phasen» (16, 19). lenz von Punding bei IPS-Patienten zwischen 1,4 und
Das DDS ist mit einer geschätzten Prävalenz von zirka 14 Prozent (20, 25, 26). Punding ist häufig assoziiert mit
4 Prozent seltener als andere repetitive impulsassozi- einem DDS oder ICD wie Hypersexualität und patholo-
ierte Verhaltensstörungen. Ebenso wie für die Prävalenz gischem Glücksspiel sowie dem Auftreten von L-Dopa-
liegen auch für mögliche Risikofaktoren des DDS we- induzierten Dyskinesien (21, 28). In einer Studie von
sentlich weniger überzeugende Daten vor als für die Evans et al. (21) konnte gezeigt werden, dass Punding-
ICD beim IPS. Ein enger Zusammenhang konnte aller- Patienten signifikant höhere Dosen an dopaminerger
dings zwischen der Verabreichung von hochpotenter Medikation einnahmen als Patienten, bei denen kein
und kurz wirksamer dopaminerger Medikation, insbe- Punding-Verhalten beobachtet wurde.
sondere Levodopa (v.a. lösliche Form) und Apomorphin, Ähnlich wie bei den anderen impulsassoziierten Verhal-
nachgewiesen werden. Darüber hinaus scheinen männ- tensstörungen liegen für die Behandlung des Punding
liches Geschlecht, Alkoholkonsum, «Novelty Seeking»- keine evidenzbasierten Therapieansätze vor. Behand-
Verhalten und ein jüngeres Alter bei Beginn der lungsversuche sind meist eine Dosisreduktion der dop-
Parkinson-Symptomatik prädisponierend für die Ent- aminergen Medikation (27), unkontrollierte Studien
wicklung eines DDS zu sein (20). Hinweise gibt es weisen auf eine Wirksamkeit von Amantadin oder Que-
zudem, dass eine zwanghaft vermehrte Medikamen- tiapin hin (21, 29). Da die repetitiven Verhaltensmuster
teneinnahme häufiger mit einer depressiven Sympto- typischerweise nächtlich auftreten, sollte zudem auf
matik assoziiert ist (20). Eventuell spiegelt dies eine Art eine verbesserte Schlafhygiene geachtet werden, ge-
von Selbstmedikation wider, da dopaminerge Medika- gebenenfalls auch mittels zusätzlicher medikamentöser
tion bekanntermassen auch gewisse antidepressive Therapien. ●
Effekte besitzt. Die übermässige Einnahme von dop- Korrespondenzadresse:
aminerger Medikation im Rahmen des DDS kann wie- Dr. med. Bernhard Décard
derum andere repetitive impulsassoziierte Verhaltens- Universitätsspital Basel
störungen wie Punding oder Impulskontrollstörungen Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Neurologie
wie pathologisches Glücksspiel und Hypersexualität Petersgraben 4
(21–23), aber auch psychotisches Erleben sowie Hallu- 4031 Basel
zinationen fördern und hierdurch die Gefahr eines so- Tel. 061-265 41 51
zialen Breakdowns erhöhen. E-Mail: bernhard.decard@usb.ch
Die Behandlung des DDS gestaltet sich häufig schwie-
rig, da den betroffenen Patienten meist die Krankheits- 1 Neurologische Klinik, Abteilung für klinische
einsicht fehlt und typischerweise ein ausgeprägtes Neurophysiologie, Universitätsspital Basel, Schweiz
«Craving» nach dopaminerger Medikation besteht. Ein-
zelfallberichte schildern eine Besserung der Symptoma- Literaturverzeichnis:
tik nach Reduktion der L-Dopa-Dosis und gleichzeitiger 1. Weintraub D, Hoops S, Shea JA, Lyons KE, Pahwa R, Driver-Dunckley
Gabe von Amantadin (24) beziehungsweise nach Um- ED, Adler CH, Potenza MN, Miyasaki J, Siderowf AD, Duda JE, Hurtig
HI, Colcher A, Horn SS, Stern MB, Voon V.: Validation of the question-
stellen auf intrajejunale L-Dopa-Gaben (25). naire for impulsive-compulsive disorders in Parkinson’s disease. Mov
Disord. 2009 Jul 30; 24(10):1461-7. doi: 10.1002/mds.22571.
2. Weintraub D, Mamikonyan E, Papay K, Shea JA, Xie SX, Siderowf A.:
Punding Questionnaire for Impulsive-Compulsive Disorders in Parkinson’s
Disease-Rating Scale. Mov Disord. 2012 Feb; 27(2): 242–7.
Unter Punding versteht man ein komplexes, repetitives 3. C. Probst, L.M. Winter, K. Witt, D. Weintraub, G. Deuschl, B. Möller, T.
und nicht zielorientiertes Verhaltensmuster, welches van Eimeren.: German Versions of the Questionnaire for Impulsive-
Compulsive Disorders in Parkinson’s Disease (QUIP) and the QUIP-
über einen längeren Zeitraum in fast zwanghafter Ma- Rating Scale. P59, 8. Deutscher Parkinson-Kongress 2013.
nier ausgeübt wird. Im Gegensatz zu Verhaltensweisen 4. Voon V, Fernagut PO, Wickens J, Baunez C, Rodriguez M, Pavon N,
Juncos JL, Obeso JA, Bezard E.: Chronic dopaminergic stimulation in
bei Zwangsstörungen kommt es jedoch hierdurch nicht Parkinson’s disease: from dyskinesias to impulse control disorders.
zu einer Reduktion von Angst und Anspannung. Typi- Lancet Neurol. 2009 Dec; 8(12): 1140–9.
5. Voon V, Mehta AR, Hallett M. : Impulse control disorders in Parkinson’s
scherweise kann es sich bei den Tätigkeiten um das wie- disease: recent advances. Curr Opin Neurol. 2011 Aug; 24(4): 324–30.
derholte Auseinander- und Zusammenbauen von 6. Weintraub D, Papay K, Siderowf A.: Parkinson’s Progression Markers
Initiative. Screening for impulse control symptoms in patients with
technischen Geräten, Sortieren von Gegenständen oder de novo Parkinson disease: a case-control study. Neurology. 2013
aber auch zielloses Umherfahren beziehungsweise -lau- Jan 8; 80(2): 176–80.
7. van den Heuvel OA, van der Werf YD, Verhoef KM, de Wit S, Berendse
fen handeln. Als Folge von Punding können andere HW, Wolters ECh, Veltman DJ, Groenewegen HJ.: Frontal-striatal ab-
wichtige Tätigkeiten, Grundbedürfnisse und soziale In- normalities underlying behaviours in the compulsive-impulsive
spectrum. J Neurol Sci. 2010 Feb 15; 289(1–2): 55–9.
teraktionen zunehmend vernachlässigt werden. Da die 8. van Eimeren T, Ballanger B, Pellecchia G, Miyasaki JM, Lang AE, Stra-
Punding-Tätigkeiten typischerweise in den späten fella AP.: Dopamine agonists diminish value sensitivity of the orbito-
2/2014 25
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
26 2/2014
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE