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Franz Brentano-Carl Stumpf: Briefwechsel 1867-1917 Herausgabe und


Einleitung

Book · May 2018

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Margret Kaiser-El-Safti
University of Cologne
11 PUBLICATIONS   18 CITATIONS   

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Briefwechsel: Franz Brentano und Carl Stumpf (1867-1917)
Herausgegeben und eingeleitet von Margret Kaiser-el-Safti
unter Mitarbeit von Thomas Binder
erschienen 2014 in Frankfurt am Main: Peter Lang

Vorwort
„Nur aus der hö chst en Kr a ft der Gegenwar t dür ft i hr das Ver ga nge ne deut en : nur
in der stärksten Anspannung eurer edelsten Eigenschaften werdet ihr errathen, was in dem
Vergangenen wissens- und bewunderungswürdig und gross ist.“
Friedrich Nietzsche, 1873-47, Unzeitgemäße Betrachtungen, II.

Der briefliche Austausch zwischen Franz Brentano (1838-1917) und Carl Stumpf (1848-
1936) erstreckte sich über ein halbes Jahrhundert von 1867 bis 1917. Brentano und Stumpf
waren Zeitzeugen einer Epoche, die von gravierenden Paradigmenwechseln in der
Wissenschaft und von avantgardistischen Strömungen in der Kunst geprägt war, aber auch
überschattet wurde von weltpolitischen Auseinandersetzungen. Das Zitat aus Friedrich
Nietzsches „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ soll andeuten, in welcher Weise das geistige Gut
Brentanos und Stumpfs zu würdigen ist. Bevor auf die verzweigte Hintergrundgeschichte
dieses einmaligen Briefkonvoluts eingegangen wird, ist den Personen zu danken, ohne deren
Mithilfe die Herausgabe der Briefe nicht zustande gekommen wäre:
Thomas Binder hat durch die Recherche der Originalbriefe Stumpfs und die Ermöglichung
eines Durchblicks in Bezug auf den unvollständigen und zensierten Bestand der Briefe
Brentanos große Verdienste erworben. Die verwickelten örtlichen und zeitlichen
Hintergründe der nun fast hundert Jahre verzögerten Veröffentlichung der Briefe wird
Thomas Binder im Anschluss an das Vorwort aufschlüsseln.
Dank gebührt auch Frau Margarete Ritzkowsky für die Transkription der Originalbriefe
Carl Stumpfs.
Jedoch wäre die Durchführung dieser im Ganzen schwierigen Unternehmung nicht
zustande gekommen, wenn sie nicht von dem Kölner Maler Gerhard Richter, der von der
Bedeutung der Briefe überzeugt werden konnte, finanziell gefördert worden wäre. Dem
großen Künstler des Kölner Domfensters ist für seine Generosität von Herzen zu danken.
Man hat es im Folgenden mit einem Projekt und einer Hintergrundgeschichte zu tun, die,
schwierig genug, sich in den vergangenen zwei Jahren noch zunehmend komplexer
gestalteten, weil neue Briefe mit überraschenden Inhalten auftauchten, die angeblich verloren
gingen oder möglicherweise auch vernichtet worden waren. Da der Briefwechsel trotz seines
beachtlichen Umfangs aber immer noch Lücken aufweist, ganze Jahrgänge wohl
hauptsächlich infolge der Missstände während des Zweiten Weltkrieges fehlen, Briefe
vielleicht auch zurückgehalten wurden, ist zukünftig mit weiteren Überraschungen zu
rechnen. Im Folgenden sollen, soweit der begrenzte Rahmen einer Einleitung dies erlaubt,
einige Seiten des vielschichtigen Inhalts der Briefe und der besonderen
Freundschaftsbeziehung angesprochen werden. Eine die Grenzen dieser Einleitung
überscheitende detailliertere Kommentierung ist in Arbeit und wird bald erscheinen.
Das theoretische Material ist so reichhaltig, seine interdisziplinären Perspektiven sind bei
Weitem nicht zu erschöpfen und in Bezug auf ,letzte Fragen‘ auch noch keineswegs
beantwortet, sodass in Zukunft noch ganz andere Zugangsweisen und Perspektiven als die
hier verwendeten empfehlens- und wünschenswert sind. Folgende Aspekte sollen abschnitts-
weise angesprochen werden: (1) Die epistemische Brisanz des Projekthintergrunds, (2) die
Umstände der dramatischen Freundschaftsbeziehung, (3) der wissenschaftsgeschichtliche

1
Rahmen, (4) der ,springende Punkt‘ in der theoretischen Auseinandersetzung zwischen Franz
Brentano und Carl Stumpf – die Gefühls- und Wertlehre.
Auf eine Schwierigkeit der Verständigung ist vorab hinzuweisen, die die inhaltliche
Komplexität und die terminologische Vielfalt der behandelten Themen tangiert. Letztere
resultieren aus der Interdisziplinariät der Fragestellungen und Ergebnisse, für die eine
allgemein verwendbare erkenntnistheoretische Basis bislang nicht existiert. Epistemische
Vielfalt entstand im 19. Jahrhundert im Zuge des Ablösungsprozesses der Einzelwissen-
schaften von der Philosophie, die ihre Bedeutung als ,Philosophia perennis et universalis‘ in
Frage stellte und die Philosophie mit der Bewährungsprobe altehrwürdiger metaphysischer
Inhalte konfrontierte. Die Psychologie spielte im Ringen um eine empirisch vertretbare Basis
und Distanz von den metaphysischen Seelenlehren eine epistemisch und wissenschafts-
theoretisch wichtige Schlüsselrolle, vornehmlich in Bezug auf die Wahrnehmungsbasis der
Erkenntnis und diese wiederum in Kontext werttheoretischer Fragestellungen. Im Briefwech-
sel gibt diese Thematik – mal ausdrücklich, mal mehr unterschwellig – den Grundton an.
Auch die sogenannten Geisteswissenschaften kämpften im 19. Jahrhundert innerhalb einer
rasch fortschreitenden Naturwissenschaftsentwicklung um ihre Unabhängigkeit von der
Philosophie. Sie forschten einerseits nach neuen Methoden und suchten Anschluss an das
Exaktheitsideal der Naturwissenschaft, andererseits war eine der Wirklichkeit der Lebenswelt
adäquatere Ethik gefragt und eine der weltlichen Realität im Ganzen besser angepasste
psychologisch vertretbare Grundlage, als die ältere Philosophie zu bieten vermochte; die
Geisteswissenschaften wollten aber auch ihre Eigenständigkeit bewahren und sich nicht
restlos dem Diktum der Naturwissenschaft unterwerfen. In der Sichtweise einer neuen
wissenschaftlichen Psychologie auf empirisch-phänomenologischer Grundlage sollte sowohl
der philosophische Idealismus als auch der materialistisch orientierte Szientismus vermieden
und nach einer grundlegend neuen Konzeption für zentrale Grundlagen der
Menschenwissenschaften gefahndet werden. Im Rahmen dieser, für das 19. Jahrhundert
charakteristischen Trendwende entstand die sogenannte ,phänomenologische Bewegung‘,
durch Franz Brentano und Carl Stumpf ins Leben gerufen, deren Erkenntnisinteresse sich
jedoch bei Schülern, namentlich bei Edmund Husserl (1859-1938), bald wieder in
divergierende Richtungen ausdifferenzierte.
Das Neue an dieser ,phänomenologischen Bewegung‘ erforderte eine erkenntnistheoretisch
veränderte Einstellung der menschlichen Wahrnehmung gegenüber und eine andere,
wissenschaftlich begründete Haltung in Bezug auf den Wertbegriff, dem im 19. Jahrhundert
psychologisch besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, die im 20. Jahrhundert infolge
der positivistischen Forderung einer ,wertfreien Wissenschaft‘ wieder verblasste. Die
konzeptuellen Grundfragen, in welcher Weise einerseits (erkenntnistheoretisch) realitäts-
gemäße und werteinsichtige, andererseits (methodisch) qualitativ und quantitativ orientierte
Forschung am Menschen und mit dem Menschen betrieben werden könnte, sind ja auch heute
noch aktuell und keineswegs als gelöst zu betrachten.
Freilich kann der detaillierte Nachweis des angedeuteten Hintergrunds nicht Gegenstand
der folgenden Einleitung sein; aber er bildet die in ihrer Komplexität kaum zu reduzierende
theoretische Grundlage des Briefwechsels, der indes noch mit einer andersartigen Problematik
konfrontiert: Aus der zunächst gemeinsam anvisierten neuen wissenschaftlichen Wegfindung
entstanden bald kontroverse Vorstellungen über die Realisierung der Ziele, woraus sich
Belastungen für das Freundschaftsverhältnis ergaben. Theoretische und persönliche
Divergenzen zwischen Brentano und Stumpf evozierten wiederum Missverständnisse und
Agitationen der Verschleierung bei den Adepten Brentanos, die über Jahrzehnte hin die

2
Forschung behinderten und ein verzerrtes Bild über die Ursprünge und Ziele der
,phänomenologischen Bewegung‘ hinterließen.
Die angedeuteten negativen Nachwirkungen einer im Ganzen höchst innovativen Ära
deutsch-österreichischer philosophischer und psychologischer Forschung relativieren sich
jedoch aus zeitlicher Distanz und sollten in Zukunft das in der Tat immer noch
Wissenswürdige und sogar Aktuelle der ursprünglichen Intentionen in Erscheinung treten
lassen. Im Folgenden werden aus dem Knäuel sachlich und menschlich verwickelter
Verhältnisse einige Fäden herausgezogen, um sie soweit als möglich zu entwirren.

Einleitung

1. Die epistemische Brisanz des Projekthintergrunds


Von heute her betrachtet ist in der Tat schwer nachvollziehbar, warum Briefe von der
Bedeutung wie die jetzt mit fast hundertjähriger Verspätung zu veröffentlichenden, so lange
auf ihre Publikation und auf ihr Publikum warten mussten. Das nach dem Zweiten Weltkrieg
radikal veränderte Klima in der deutschsprachigen Philosophie und Psychologie sollte nicht
Anlass genug gewesen sein, mit einem gewissen Abstand zu den unheilvollen europäischen
Entwicklungen, Fragen zu formulieren und Material zu recherchieren, die Auskunft darüber
geben konnten, ,wes Geistes Kind‘ in der Zeit vor den politischen Katastrophen und noch
weitgehend unbeeinflusst durch sie, den Ton angegeben hatte? Diesbezügliche letztgültige
Antworten zu formulieren, kann freilich nicht Gegenstand dieser Einleitung sein; aber wer
auch nur von Ferne den radikalen Bruch zwischen einer Forschungsmentalität nach Ende des
Zweiten Weltkrieges und Zielsetzungen, die sich schon im 19. Jahrhundert zu artikulieren
begannen, konstatiert, die sodann in der sogenannten ,phänomenologischen Bewegung‘
Gestalt annahmen, kann sich nur wundern, warum gerade in Sachen ,wissenschaftliche
Psychologie‘ und einer noch mit der Psychologie sympathisierenden Philosophie so gut wie
nichts geschah, um ein wertvolles Gedankengut wieder zugänglich und attraktiv zu machen.
Gerade Briefe vermögen häufig auf andere Weise als eine wie immer zu rechtfertigende
,Objektivität‘ aus tieferliegenden Quellen der wissenschaftlichen Wahrheit näher zu rücken.
Allerdings handelt es sich bei dem Briefwechsel zwischen Brentano und Stumpf um ein – aus
durchaus verschiedenen Gründen – reichlich komplexes Gebilde, worauf im Folgenden so
weit als möglich einzugehen sein wird.
So lässt die Verzögerung der Herausgabe auf Aktivitäten schließen, die vorwiegend von
Seiten der Brentanoforschung ausgingen und aufgrund von Eintrübungen in dem persönlichen
Verhältnis und zunehmenden Differenzen in den Lehren Brentanos und Stumpfs, die man
nicht wahrhaben und/oder nicht öffentlich machen wollte, dazu motivierten, die Briefe
Stumpfs nicht zu publizieren. Briefe Brentanos an Stumpf waren ja bereits 1986 von Gerhard
Oberkofler aus dem Archivbestand der Universität Graz veröffentlich worden, ohne die Briefe
Stumpfs. Aber auch Brentanos Briefe wurden nur unvollständig und mit Streichungen
innerhalb der Briefe versehen publiziert.
Anlässe für die Zurückhaltung der Briefe sind vor und nach Ende des Zweiten Weltkrieges
aus unterschiedlichen Gründen zu vermuten. In den 1950erjahren hatte sich die öffentliche
Wahrnehmung der beiden Philosophen im Vergleich mit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg
ins Gegenteil verkehrt, was sich dann zu Ungunsten einer unparteilichen Würdigung von
Stumpfs Werk auswirkte. Während Stumpf zu Lebzeiten als einer der bedeutendsten Pioniere
der wissenschaftlichen Psychologie gegolten hatte, geriet er nach Ende des Zweiten
Weltkrieges in Vergessenheit. Stumpf machte sich seinerzeit als experimenteller Psychologe
einen Namen, er war zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber auch maßgebend an der

3
Grundlegung von Musikwissenschaft und Musikethnologie beteiligt und brachte als
Philosoph zusammen mit Franz Brentano und Edmund Husserl die ,phänomenologische
Bewegung‘ auf den Weg. Er verschaffte als geistiger Vater der Gestaltpsychologie dem
Berliner psychologischen Institut der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität (heute
Humboldt-Universität) Weltruhm, profilierte sich als Mitherausgeber wichtiger
psychologischer und musikwissenschaftlicher Zeitschriften, war Mitglied und Autor sowohl
der Bayerischen als auch der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Als Autor ist dieser
vielseitige Forscher hauptsächlich mit seiner zweibändigen „Tonpsychologie“ (1883 und
1890) in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen. Obwohl Stumpf in seiner
interdisziplinären Tätigkeit bereits für die Zeitgenossen kein leicht zugänglicher Kollege war,
wie er in der „Selbstdarstellung“ bemerkte, war das seinerzeit kein Hindernis für seine
beträchtliche öffentliche Wirkung und Würdigung.1
Mehrfach Rektor und Dekan, Geheimer Berliner Regierungsrat und mit dem Orden Pour le
Mérite ausgezeichnet, gemalt und modelliert von bedeutenden Künstlern seiner Zeit wie Max
Slevogt (1925) und Georg Kolbe (1928), wurde Stumpf an runden Geburtstagen hoch geehrt.
Anlässlich der Feierlichkeiten zu seinem 80. Geburtstag (1928) schrieb die Gattin von
Edmund Husserl an Roman Ingarden: „So allgemein geehrt und in der großzügigsten Weise
anerkannt, wurde wohl selten ein Gelehrter“ (Husserl 1968, S. 45). Das letzte Werk, das
Stumpfs verzweigtes interdisziplinäres Wirken systematisiert, die zweibändige
„Erkenntnislehre“, erschien posthum 1939 und 1940, wurde aber in den Kriegswirren nur
vereinzelt wahrgenommen; nach dem Krieg waren nur noch vereinzelt Exemplare in
Universitätsbibliotheken und Antiquariaten zu finden; erst 2011 wurde die „Erkenntnislehre“
neu verlegt.
Nach Kriegsende hatte sich das wissenschaftliche Klima in der deutschen Psychologie und
Philosophie durch die Übernahme der amerikanischen behavioristischen Psychologie und der
pragmatistischen Philosophie grundlegend verändert. Das Andenken an die deutsche
Tonpsychologie, seinerzeit Zündstoff für die Etablierung einer empirischen Psychologie und
Sinnespsychologie auf phänomenologischer und experimenteller Grundlage, war sang- und
klanglos untergegangen. Das ehemals bedeutende Feld philosophischer respektive deutsch-
österreichischer erkenntnistheoretischer Forschung hatte der Ausbreitung der amerikanischen
analytischen Philosophie der Alltagssprache zu weichen. 2
Auf die Hintergründe von Brentanos wissenschaftlicher Vita, die von einschneidenden
persönlichen Entscheidungen durchkreuzt wurde, ist im 2. Abschnitt detaillierter
zurückzukommen. Brentano verlor nach einer siebenjährigen produktiven Zeit als
ordentlicher Professor an der Wiener Universität infolge seines Austritts aus der katholischen
Kirche und seiner Heirat mit Ida von Lieben seinen philosophischen Lehrstuhl und blieb nach
1881 lebenslang Privatdozent. Mit einer besonderen Befähigung zur Lehrtätigkeit begabt und
mehr an der Vertiefung als an der Publikation seiner Erkenntnisse interessiert, erschienen zu
Lebzeiten nur wenige, wenngleich wichtige innovative Texte, das Meiste an schriftlich
Fixiertem blieb zu Lebzeiten unveröffentlicht. Brentano konnte jedoch eine bedeutende Zahl

1
Als Motiv, überhaupt eine Selbstdarstellung zu verfassen, gibt Stumpf an, „wie schwer es selbst Fachgenossen
und Schülern bei verschiedenen Gelegenheiten wurde, den eigentlichen Faden meiner stark verzweigten
Schriftstellerei und die Wurzeln meiner wissenschaftlichen Lebensarbeit zu finden“ (1924, S. 205).
2
Wolfgang Stegmüller betonte 1969 in seiner respektvollen Würdigung der Pioniere der ,phänomenologischen
Bewegung‘(ohne Erwähnung Stumpfs) deren Überwindung durch die amerikanische sprachanalytische
Philosophie. – Kritischer als Stegmüller behandelte Rudolf Haller (1993) die der analytischen Sprachphilosophie
vorausgehende Ära des ,Logischen Empirismus‘ (Positivismus) des ,Wiener Kreises‘, der sich dem
,Phänomenalismus‘ Ernst Machs angeschlossen hatte, Stumpfs erklärter Gegner in wissenschaftstheoretischen
Grundlagen.

4
von Schülern um sich scharen, die später an österreichischen Universitäten philosophische
Lehrstühle besetzten und zu einer genuin österreichischen Philosophie beitragen sollten. Zu
Brentanos Schülern zählten auch zwei in die Politik hinein wirkende Persönlichkeiten, Georg
von Hertling, Zentrumsmitglied und von 1917-18 Reichskanzler des deutschen Kaiserreiches
und Tomas Masaryk, erster Staatspräsident der Tschechoslowakei. Beide kommen mit ihren
philosophischen Aktivitäten auch im Briefwechsel vor. Der in den Briefen am häufigsten
erwähnte Schüler Brentanos und enger Freund Stumpfs ist Anton Marty, dessen akribische
Phänomenologie der Sprache heute zu wenig Beachtung erfährt.
Die philosophische Wirkung Brentanos über seinen Tod hinaus erklärt sich weniger aus
Publikationen zu Lebzeiten als vielmehr aus der besonderen Pflege des umfangreichen
Nachlasswerkes. Anders als im Fall von Carl Stumpf bemühte sich die Schülerschaft
Brentanos, die ,Brentanoten‘, nach dessen Tod zwischen den Weltkriegen und ab den 1950er
Jahren intensiv um seine Veröffentlichung, sodass in einem Zeitraum von dreißig Jahren bis
in die 1980erjahre an die zwanzig Bände in einem renommierten philosophischen Verlag bei
Felix Meiner (einige bei Franke in Berlin) erscheinen konnten. Brentanos Philosophie erfuhr
nach seinem Tod weltweit Aufmerksamkeit, wozu ein weiteres Moment beitrug: Edmund
Husserl erwies sich nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als der philosophisch
Durchsetzungsfähigste unter den Pionieren der ,phänomenologischen Bewegung‘. Zum
Bekanntheitsgrad von Brentano dürfte dann auch die internationale Wirkung von Husserls
Begriff ,Phänomenologie‘ beigetragen haben, während die zu Beginn des 20. Jahrhunderts
von Husserl initiierte Kampagne des Antipsychologismus – sowohl gegen ein vermeintliches,
zum Teil auch tatsächliches psychologisches Missverständnis der Logik als auch gegen die
experimentelle Psychologie gerichtet – , in philosophischen Kreisen Schaden in Bezug auf das
Ansehen der Psychologie als Wissenschaft anrichtete und mit Husserls Abgrenzung gegen
Stumpfs Begriff der Phänomenologie nicht zur Würdigung der Lehre Stumpfs beisteuerte.3
Anhänger der Lehre Brentanos und Anhänger der Lehre Husserls bildeten Schulen, was sich
in den Bezeichnungen ,Brentanoten‘ und ,Husserlianer‘ niederschlug, während Stumpf
lebenslang kein Interesse an der Bildung einer Schule nahm, sich dann auch keine Adepten
einfanden, die sein in Zeitschriften unterschiedlicher Fachrichtungen publiziertes Werk nach
seinem Tod gesammelt und nach Kriegsende wieder dem kulturellen Gedächtnis zugänglich
gemacht hätten.4
In allerletzter Zeit konfrontiert ein von Thomas Binder dargelegter Sachverhalt nochmals
mit einer neuen Situation, die sowohl zum Verständnis der verzögerten Herausgabe der Briefe
beiträgt, als auch zu einer neuen Sichtweise des theoretischen Kontextes verpflichtet. Im
Grunde müsste die gesamte Aktenlage der interdisziplinär ausgerichteten ,phänomenolo-
gischen Bewegung‘ neu aufgerollt werden, insbesondere die epistemischen Grundlagen ihrer
Pioniere, das wissenschaftliche Verständnis von einander und das wissenschaftliche
Verhältnis zueinander, möglichst unvoreingenommen unter die Lupe genommen werden.
Was den im Grunde gar nicht ganz neuen, aber von Thomas Binder wieder zur Sprache
gebrachten Sachverhalt betrifft, ist eine vollkommen neue Herausgabe der Schriften
Brentanos in Angriff zu nehmen, mit der Binder auch schon begonnen hat, weil das
vorliegende nachgelassene Werk durch den Interpretationseifer der Herausgeber, namentlich
der ,Brentanoten‘ Oskar Kraus, Alfred Kastil und Franziska Mayer-Hillebrand, entstellt

3
Zu Husserls Antipsychologismus vgl. Kaiser-el-Safti & Loh, 2011; zu Stumpfs und Husserls Begriff
,Phänomenologie‘ Kaiser-el-Safti 2012, S. 205 f.
4
Stumpf schreibt in der ,Selbstdarstellung‘: „Eine Schule im engeren Sinne habe ich denn auch niemals
heranzuziehen versucht und es fast angenehmer, jedenfalls interessanter gefunden, wenn Schüler zu
abweichenden Ergebnissen, als wenn sie nur zur Bestätigung meiner Theorien gelangten“ (1924, S. 57).

5
wurde. Wer in seiner Beschäftigung mit Brentano nicht früh genug auf die Einleitung in dem
von Mayer-Hillebrand 1956 herausgegebenen Band „Die Lehre vom richtigen Urteil“ stieß,
konnte auch nicht die Ursache für eine häufig verspürte, aber nicht ,dingfest‘ zu machende
Irritation entdecken, nämlich Aufklärung darüber zu erlangen, was nach zahlreichen
Änderungen und wechselnden Blickwinkeln denn letztlich die genuinen Intentionen dieses so
scharfsinnigen wie tiefschürfenden Philosophen gewesen sein mochten. Die Veröffentlichung
der Briefe vermag in wesentlichen Grundlagenfragen zur Klärung bislang strittiger Positionen
Stumpfs und Brentanos beizutragen.
Franz Brentano hatte als Philosophiehistoriker, Logiker und Psychologe mit einem starken
Willen begonnen, auf der Basis einer neuen wissenschaftlichen Methode, der später
sogenannten ,deskriptiven Psychologie‘, eine, vornehmlich gegen die vorherrschende
Philosophie des Deutschen Idealismus gerichtete Erneuerung der Philosophie auf den Weg zu
bringen, um sich später zunehmend der Lösung ,letzter‘ metaphysischer, insbesondere
theologischer Fragen zu widmen, das heißt, Beweise für das Dasein Gottes und die
Unsterblichkeit der Seele beizubringen, die seine zeitweise intensiv betriebene Beschäftigung
mit der Psychologie wieder in den Hintergrund treten ließ. Noch im 19. und 20. Jahrhundert
Beweise für das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele beibringen zu wollen, zeugte
von Mut und im Fall von Brentano von bedeutendem Sendungsbewusstsein; aber war die
Bewältigung derartiger Aufgaben mit dem neuen, der menschlichen Erfahrung und der
menschlichen Realität Tribut zollenden Methoden- und Wissenschaftsverständnis in Einklang
zu bringen? An der Beantwortung dieser Frage trennten sich dann auch die Wege von
Brentano und Stumpf. Unterschiedliche Auffassungen über das Verhältnis von Religion und
Wissenschaft, Philosophie und Psychologie, Psychologie und Naturwissenschaft, sorgten
schon früh für eine Distanz von Seiten Stumpfs, die Brentano jedoch lange nicht wahrhaben
wollte.
Die nachgelassenen Werke Brentanos imponieren mit einem ungewöhnlich umfangreichen
Apparat an Fußnoten und Anmerkungen, der sich durch die zahlreichen Änderungen erklärt,
die Brentano im Laufe seines Lebens an wichtigen Positionen seiner Lehre vornahm. Die
Änderungen werden in den Veröffentlichungen der Nachlasswerke aus unterschiedlichen
Zeiten aber nicht chronologisch mitgeführt; häufig werden in früheren Texten bestimmte
Stellen durch spätere Versionen Brentanos und vice versa ersetzt oder mit Interpretationen der
Herausgeber ergänzt. Sie folgten mit diesem Verfahren einem Vermächtnis Brentanos –
jedenfalls behauptete das Franziska Mayer-Hillebrand – Brentano habe kurz vor seinem Tod
gewünscht, „daß seine Schüler die Synthese, die er selbst geplant, aber nicht mehr vornehmen
konnte, zur Ausführung bringen sollten“ (Mayer-Hillebrand 1956, S. XIII). Dieses
emphatische Verständnis von Herausgeberschaft machte, wie Mayer-Hillebrand nicht ganz
ohne Skrupel dem eigenen Verfahren gegenüber äußerte, „tiefgreifende Veränderungen“ der
Originaltexte nötig. Alfred Kastil folgte der Botschaft ohne jeden Skrupel und von einer
sektiererischen Mission geleitet in der bis jetzt einzigen Gesamtdarstellung Brentanos, die
1951 nach Kastils Tod veröffentlicht wurde. In Kastils Einführung in „Die Philosophie Franz
Brentanos“, ist nicht ein einziges wörtliches Zitat Brentanos zu finden respektive als solches
kenntlich gemacht worden. Kastil trennt nicht Äußerungen Brentanos und eigene
Interpretationen voneinander; er rechtfertigt seine Vorgehensweise in dem erstmals 1929
erschienenen Band aus dem Nachlass „Vom Dasein Gottes“ (1980 nochmals aufgelegt) damit,
dass Brentano, „viele[n] Hunderte[n] die Erhaltung des Gottesglaubens und die Bewahrung
vor jener materialistischen Diesseitsreligion“ gerettet habe (1980, S. XI). Das mag ein hehres
Motiv gewesen sein, aber keines – wie schon seinerzeit von durchaus freundschaftlich

6
gesinnter Seite zu bedenken gegeben wurde –, das der Würdigung Brentanos in letzter Instanz
dienlich sein konnte.
Zwei Jahre nach Kastils Brentanobuch nimmt der Phänomenologe und Logiker Paul
Ferdinand Linke, der mit Kastil befreundet und zeitlebens ein Verehrer Brentanos war, mit
einer Rezension Stellung. Linke zollt dem Autor Bewunderung für die Gesamtleistung,
moniert aber den dogmatischen Stil und gibt zu bedenken, ob Kastil damit der Lehre
Brentanos nicht mehr geschadet als genützt hätte. Bei allem Respekt vor den Leistungen
Brentanos, äußerte Linke, hätten sie ihn nicht vor Irrtümern bewahrt: „Und wir gestehen zu,
dass Brentano nicht nur geirrt, sondern bisweilen gewaltig geirrt hat“ (Linke 1953, S. 98). Die
Irrtümer Brentanos aufzuklären, kann nicht Gegenstand dieser Einleitung sein; wohl aber sind
die Verfälschungen anzusprechen, die Alfred Kastil mit den Grundintentionen der Lehre Carl
Stumpfs vornahm, die dann bis in jüngere Zeit Schule machten und Nachfolger ermutigten. 5
Die Polemik der Brentanoschule gegen Stumpf speist sich aus mehreren Quellen: Für
Irritation sorgte ein nicht leicht nachvollziehbarer Tatbestand, nämlich dass Stumpf einerseits
lebenslang, trotz zeitweiliger ungerechter und beleidigender Ausfälle und anhaltender
Polemik Brentanos gegen ihn, eine von tiefer Zuneigung und großer Achtung zeugende
freundschaftliche Beziehung zu seinem ehemaligen Lehrer aufrechterhielt und wiederholt

5
Der 9. Band der Brentano Forschung (2001/2002) spiegelt in den Beiträgen nicht durchwegs, aber zum Teil
unverkennbar, eine verkleinernde Einstellung wider, Stumpf als Philosophen zu diskreditieren.Vgl. dazu
beispielsweise Karl Schumann (l. c. S. 68), der „befürchtet“, Stumpf habe einem „unreflektierten
Empfindungsbegriff“ gehuldigt und sei dem „psychophysischen Modell der Wirkung von Reizen“ aufgesessen.
Nichts könnte unzutreffender sein als diese Unterstellung. Stumpf sprach sich diesbezüglich ganz im
Einvernehmen mit seinem Doktorvater Hermann Lotze verschiedentlich (wie schon Lotze) gegen das Reiz-
Reaktionsmodell (vgl. Stumpf 1896 in 1910) aus und reflektierte luzide den schwierigen Empfindungsbegriff,
der aber schon in den Briefen wiederholt zur Sprache kommt, insbesondere in Dok. 118 von Stumpf in Bezug
auf den metaphysischen Kontext thematisiert wird, mit dem Brentano den Empfindungsbegriff konnotiert. –
Schumanns „Befürchtungen“ erklären sich vermutlich auch daraus, dass der Autor auf die „Tonpsychologie“
„nicht näher eingehen“ möchte. Aber offenbar auch Stumpfs umfassende Arbeiten von 1917 und 1918 über
„Empfindung und Vorstellung“ und über „Attribute der Gesichtsempfindung“ nicht zur Kenntnis nahm. – Es ist
auch nicht nachvollziehbar, wie Robin Rollinger, der Husserls Phänomenologie als eine der Phänomenologie
Stumpfs überlegene und früher als Stumpf konzipierte hinstellen kann, wenn er schreibt, es sei „doubtful that
Stumpf had conceived of phenomenology in this early work, there is no reason to think that he ever came to
regard it as anything else but a work of psychology“ (l. c., S. 159). Sowohl die erste erschöpfende Darstellung
der visuellen Phänomene (1873) als auch die beiden Bände der „Tonpsychologie“ (1883 und 1890) sind
grundlegende phänomenologische Arbeiten im Sinne von Stumpfs Begriff ,Phänomenologie‘; Stumpf
verwendete die Bezeichnung ,Phänomenologie‘ 1907, hier in Abgrenzung zu Ernst Machs „Phänomenalismus“,
Husserl erstmals 1908 (vgl. dazu Kaiser-el-Safti 2012, S. 205 f.). – Mitchell Ash bedient, wie häufig, wenn man
der Komplexität der „Tonpsychologie“ etwas ratlos gegenübersteht, den Kalauer, den angeblich Robert Musil,
„erfunden“ haben soll, der seinerseits keinen Zugang zu Stumpfs Musikforschung fand: „Die Philosophie gilt
hier nicht viel/Man rottet sie aus mit Stumpf und Riehl“ (Ash, l. c. S. 126). Musil hat sich an anderer Stelle
höchst anerkennend über die Philosophie seines Lehrers und Doktorvaters Carl Stumpf geäußert (vgl. dazu
Kaiser-el-Safti, 1993, S. 126 f.).
Dieter Münch fällt, was die philosophische Rezeption Stumpfs betrifft, aus dem Rahmen. In seinem Beitrag
bemerkt er zunächst, es sei „keineswegs selbstverständlich, Carl Stumpf als Philosophen zu behandeln. […]
Offensichtlich fehlt Stumpf die philosophische Ambition, die für Brentano und seine Schule so charakteristisch
ist.“ Er habe „weder das Sendungsbewusstsein Brentanos, noch die unerbittliche Verteidigungshaltung“ anderer
Schüler Brentanos an den Tag gelegt. (Münch 2002/ 2003, S. 13) Münch beantwortet im zweiten Teil seiner
Ausführungen seine eingangs erörterte Frage, ob Stumpf überhaupt als Philosoph anzusehen sei, positiv und
rehabilitiert ihn im Vergleich mit der Phänomenologie Husserls als einen respektablen Philosophen, der „sich
weder in die Sackgasse der Transzendentalphilosophie begibt, noch einem Reduktionismus das Wort redet, und
sich auch nicht auf die Analyse der Sprache zurückzieht und dabei das Interesse an den Ergebnissen der
empirischen Wissenschaften verliert“. Münch betrachtet Stumpf als einen „der wichtigsten Protagonisten dieser
[phänomenologischen] Bewegung“.

7
öffentlich bekundete, aber andererseits in wissenschaftlichen Belangen sehr bald einen
anderen Kurs einschlug, was sich sowohl durch das Werk als nun auch durch die Briefe
Stumpfs belegen lässt. Warum Stumpf in der Öffentlichkeit seine persönliche Beziehung zu
Brentano wesentlich harmonischer darstellte, als sie in Wirklichkeit gewesen war und in
Bezug auf die philosophischen Inhalte mehr Konsens suggerierte, als de facto bestand, scheint
dem dramatischen Beziehungsgeflecht der ersten Jahre seiner Begegnung mit Brentano
geschuldet zu sein, worauf im nächsten Abschnitt einzugehen sein wird. Dass Stumpfs
persönliche Anhänglichkeit an diesen Lehrer von Brentanos Adepten als geistige
Abhängigkeit interpretiert werden konnte, während Stumpf in seinen wissenschaftlichen
Arbeiten stets seine von Brentano abweichenden Ergebnisse deutlich machte, wenngleich
stets in rücksichtsvoller, nie polemischer Art und Weise, rührt wohl schlicht daher, dass man
sich nicht oder nur oberflächlich mit dem Werk Stumpfs befasste, was vornehmlich für die
Auseinandersetzung mit Stumpfs „Tonpsychologie“ gegolten haben dürfte.
Stumpfs Doktorvater Hermann Lotze (1817-1881), zu seiner Zeit der Angesehenste auf
deutschen Lehrstühlen der Philosophie und die in den Briefen am häufigsten erwähnte
philosophische Persönlichkeit, äußerst sich in seiner „Geschichte der Ästhetik in
Deutschland“ über das Verhältnis von Philosophie und Musik, das ab einem bestimmten
Zeitpunkt den größten Konfliktstoff zwischen Brentano und Stumpf darstellte,
folgendermaßen: „Musik hat selten zu den Lieblingen deutscher Philosophen gehört. Nicht
viele von ihnen scheinen hinlänglich natürliche Fähigkeit für diese Kunst und genug
erworbene Kenntniß ihrer Werke besessen zu haben, um wirklich aus einem reichhaltigen
Genuß heraus sich ihre allgemeinen Ansichten zu bilden“ (Lotze 1868, S. 461). Die
Herausforderung für die Zeitgenossen lag aber nicht in diesem wenig freundlichen Urteil über
das philosophische Desinteresse und/oder die mangelnde musikalische Befähigung als in
Lotzes Überzeugung, dass gerade auf dem Feld musikalischer Forschung Grundwesentliches
über den menschlichen Geist, sein kognitives Urteilsvermögen und sein emotionales
Gemütsleben, zu erkunden und zu gewinnen sei. Lotze stand mit dieser, nicht nur ästhetisch,
sondern auch epistemisch, ethisch und psychologisch weitreichenden Auffassung von Musik
auch keineswegs allein da; er hatte auf der einen Seite bereits philosophische Vorläufer wie
Johann Gottfried Herder und Johann Friedrich Herbart und an seinem Doktoranden Carl
Stumpf den bedeutendsten Nachfolger einer philosophisch und experimentell gegründeten
Musikästhetik und Musikpsychologie. Es ist auffallend, dass Stumpf sich in den Briefen an
Brentano nur selten über Musik äußert und die tatsächliche Bedeutung Lotzes für ihn
bemerkenswert marginal behandelt. Wie stark jedoch der musikalische Hintergrund Stumpf
mit Lotze verband, ist aus Stumpfs Nachruf auf Lotze herauszulesen, dort urteilt Stumpf über
Lotzes Beiträge zur Musik: „Ich wüsste nicht, was besonders über Musik Tieferes geschrieben
worden wäre“ (1917, S. 15). In welchem Maße Brentano diesen Einfluss Lotzes in späteren
Jahren ,verdrängt‘ zu haben scheint und ihn als „Märchen“ abtat, demonstriert Dok. 276. Im
Übrigen vermitteln Briefe Stumpfs an seinen Freund Wilhelm Scherer einen ganz anderen
Eindruck über die wahre Bedeutung Lotzes für ihn. 6
Leider ist Stumpfs zweibändige „Tonpsychologie“ einerseits für Philosophen und
Psychologen ohne musiktheoretische Grundlagenkenntnisse ein Buch mit sieben Siegeln;

6
Helga Sprung unter Mitarbeit von Lothar Sprung weist in ihrer Biographie über Stumpf – in allen Fragen zu
Stumpf eine wertvolle biographische Quelle – darauf hin, dass die Briefe Stumpfs an seinen Vetter Wilhelm
Scherer „in vielfacher Hinsicht aufschlussreich“ seien (2006, S. 81). Stumpfs Schreiben an Scherer, nachdem er
Lotzes Tod erfahren hatte, kontrastiert stark gegen diesbezügliche Äußerungen Brentano gegenüber. Brentano
hätte auch schwerlich ertragen, was Stumpf Scherer gestand: „In meinen inneren und äußeren Lebensgang hatte
er [Lotze] mächtig eingegriffen“ (S. 85).

8
andererseits steht dieses Jahrhundertwerk aber nicht isoliert da, sondern ist in eine Ära der
deutschen Pionierphase der empirischen Psychologie eingebettet, die heute nicht mehr oder
nur schwer zugänglich ist. Die deutsche Sinnespsychologie – in enger Konnexion mit der
damaligen Physik und Physiologie der Sinne, mit der die Psychologie in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts Weltruhm erlangte –, wurde zunächst durch Herbarts tonpsychologische
Grundlagen initiiert, der sie wiederum in den Dienst einer empirischen Psychologie stellen
wollte.7 Diese Vorgeschichte von Stumpfs Tonpsychologie kommt in den Briefen überhaupt
nicht zur Sprache, obwohl sie einen wesentlichen Grund für die erkenntnistheoretischen
Differenzen zwischen Stumpf und Brentano bildete, worauf in Abschnitt 3 zurückzukommen
sein wird. Der erkenntnistheoretisch zentrale Dissens zwischen Brentano und Stumpf – beider
Auffassung über den Stellenwert der inneren und äußeren respektive sinnlichen
Wahrnehmung – entwickelte sich im Rahmen der Kontroverse über die Bedeutung der
visuellen und der akustischen Wahrnehmung für die Erkenntnis, wobei auf Brentanos Seite
immer auch der metaphysische Kontext mitgedacht wurde. Der zunächst in diesem Kontext
ausgetragene Dissens spitzte sich im Laufe der Jahre zu und griff auf andere psychologische
Grundlagenfragen wie die der psychologischen Klassenbildung – ein zentrales Anliegen der
Brentanoschen Psychologie, beispielsweise das Verhältnis von Kognition und Emotion
betreffend – über.
Brentano und Stumpf hatten anfangs mit Rekurs auf die angelsächsische
Erfahrungsphilosophie gemeinsam vertreten, dass Erkenntnis nur auf der Basis der Erfahrung
zu gewinnen sei. Brentano hatte diesen Grundsatz aber schon früh in Bezug auf den
Substanzbegriff eingeschränkt (für den Substanzbegriff gibt es kein Erfahrungskorrelat),
während der junge Stumpf nach einer Lösung suchte, über die er in seiner ersten
selbständigen Arbeit „Über den psychologischen Ursprung der Raumvorstellung“ (1873
erschienen) dann auch Rechenschaft ablegte. Schon der Titel bezeugt das Interesse an der
sogenannten ,äußeren Wahrnehmung‘, verrät aber nicht, dass die Grundlegung eines neuen
Seelenbegriffs Hauptanliegen war.8 Brentano profilierte sich in seiner „Psychologie vom
empirischen Standpunkt“ (1. Band 1874 erschienen) als Vertreter der inneren Wahrnehmung,
die nur dem inneren, primären und sekundären Objekt als intentionales Objekt und nur der
inneren Wahrnehmung wahre Erkenntnis im Sinne evidenter Urteile approbiert, der
sogenannten äußeren oder sinnlichen Wahrnehmung nicht nur die Erkenntnis, sondern auch
den Realitätsgehalt abspricht, sie nach idealistischem Vorbild als ,blinden Glauben‘ und
bloßen Schein desavouiert.
Dagegen hatte der junge Stumpf in seiner Arbeit über die Raumwahrnehmung die
erkenntnistheoretischen Weichen so gestellt, dass die äußere Wahrnehmung respektive
sinnliche Empfindung durchwegs Realitätscharakter besitzt und auch zur Erkenntnis
beizutragen vermag. Nach Stumpf waren Wahrnehmung und Wahrnehmungsinhalte
insbesondere der sogenannten ,höheren‘ Sinne, des Sehens und des Hörens, eine
unverzichtbare Grundlage für die Entwicklung und Ausbildung der psychischen Funktionen,
die Analyse der Vorstellungen, Urteile, Wertschätzungen und Gefühle an den visuellen und
akustischen Erscheinungen respektive Empfindungen. Stumpf durchmusterte in seiner Arbeit
über die Raumwahrnehmung das gesamte Spektrum der in früherer und zu seiner Zeit
vertretenen Theorien zur visuellen Wahrnehmung, grenzte Letztere aber auch schon von einer

7
Vgl. Herbart 1808, 1811, 1824-25, 1839; dazu Kaiser-el-Safti 2001, 2006, 2009, 2011, 2014 a und 2014 b.
8
An der Frage nach der Struktur der räumlichen Wahrnehmung hatte sich seit Aristoteles und sodann anhaltend
bis in die Neuzeit der Diskurs über eine nicht-räumliche, nicht-ausgedehnte, nicht-wahrnehmbare, nur innerlich
erfahrbare Seelensubstanz (Monade, punktuelle Seele) festgemacht, der von Anfang an in den Lehren Brentanos
und Stumpfs für kontroverse Standpunkte sorgte.

9
Theorie des Hörens ab, da beide im Vergleich sowohl zu einem differenzierteren
Seelenbegriff als auch zu einem differenzierten Gegenstandsverständnis Anlass geben.
Mit diesen epistemischen Grundvoraussetzungen, die in den Briefen nur sporadisch
anklingen, an keiner Stelle ausdrücklich diskutiert werden, verbindet Brentano schon in den
ersten Jahren des Briefwechsels metaphysische Reflexionen, die den Status der
Seelensubstanz, den Gedanken an die Unsterblichkeit der Seele und ein prinzipielles
göttliches Eingreifen zur Gewinnung des menschlichen Bewusstseins thematisieren, die er in
seiner veröffentlichten „Psychologie“ mit Rücksichtnahme auf den Zeitgeist und die damalige
Popularität einer ,Psychologie ohne Seele‘ (durch Friedrich Albert Lange initiiert)
gewissermaßen ,einklammert‘, aber thematisch niemals loslässt, während Stumpf schon früh
Bedenken bezüglich der logischen Schwierigkeiten des Substanzbegriffs, Zweifel an der
empirischen Einlösbarkeit der Seelensubstanz äußert und mit zunehmender Insistenz das
Eingreifen Gottes zur Erzeugung der menschlichen Seele, ein von Brentano nie aufgegebener
Grundsatz seiner Psychologie, in Frage stellt.
Diese recht früh anklingenden, aber lange nur angedeuteten, nie ausdiskutierten
Differenzen in den epistemischen und metaphysischen Grundlagen machen einen erheblichen
Teil der Schwierigkeiten mit wesentlichen inhaltlichen Aspekten der Briefe aus, zumal das
Lehrer-Schüler-Verhältnis einen anderen Eindruck suggeriert. Es ist auffallend, dass Stumpf
in der Anrede der Briefe fast immer den „Lehrer“ mitführt, auch dann noch, als er selbst eine
ganz und gar selbständige Position in der Wissenschaftswelt errungen und eine weite Distanz
zu Brentanos Metaphysik eingenommen hatte. Man kann in diesem Verhalten eine Art Taktik
in Bezug auf Brentanos Empfindlichkeit gegen Abweichungen von seiner Lehre vermuten.
Jedoch scheint Brentano auch lebenslang für Stumpf diejenige philosophische Instanz
gewesen zu sein, der er die größte geistige Kompetenz attribuierte und die ihn dazu
motivierte, komplizierte Zusammenhänge wieder und wieder zu reflektieren.
Dennoch haben die bei Hermann Lotze in Göttingen zugebrachten ersten fünf Jahre des
jungen Stumpf seine Psychologie wesentlich mehr geprägt als Brentanos Philosophie, der
seinerseits freilich nicht unbeeinflusst durch Lotzes Psychologie war, wenngleich Stumpf
wohl nie das emotionale Verhältnis zu Lotze gewann, das seine fast unerschütterliche
Zuneigung für Brentano auszeichnet. Lotze, sowohl in Philosophie als auch in Medizin
habilitiert, beherrschte perfekt das psycho-physiologische Wissen seiner Zeit und hatte 1852
mit einem brillanten Grundlagenwerk „Medizinische Psychologie oder Physiologie der
Seele“, für einen Meilenstein psychologischer Forschung gesorgt, der heute, vornehmlich in
psychologischer Perspektive – möglicherweise im Schatten von Lotzes Freund Gustav
Theodor Fechner – viel zu wenig Beachtung erfährt. 9
Der Briefwechsel macht deutlich, dass Stumpf in seiner Göttinger Zeit in Bezug auf die
Psychologie einen Kurs einschlug, der im Unterschied zu Brentano sofort die zu ihrer Zeit
9
In den „Meilensteinen der Psychologie“, 2007 von Galliker, Klein und Rykart herausgegeben, kommt Lotze
überhaupt nicht vor. – Bei späterer Gelegenheit wird näher ins Auge zu fassen sein, ob nicht überhaupt Hermann
Lotze (und nicht Stumpf) der eigentliche Rivale war, gegen dessen Metaphysik Brentano seine Metaphysik und
,Psychognosie‘ durchsetzen wollte. – Stumpf schreibt 1907 in einem Überblick über „Richtungen und
Gegensätze in der heutigen Psychologie“, indem er zunächst die Beiträge einer sich bereits im 18. Jahrhundert in
England, Frankreich und Deutschland etablierenden empirischen Psychologie würdigt, über die herausragende
psychologische Bedeutung von Lotze und Fechner: „Was aber Lotze und Fechner von dieser früheren
empirischen Psychologie unterscheidet, ist ihr naturwissenschaftlicher Ausgangspunkt, ihre vollkommene
Beherrschung physikalisch-physiologischer Tatsachen und Methoden. Voneinander unterscheiden sich die
beiden dadurch, daß Lotze nur beobachtet und analysiert, Fechner auch experimentiert. In der Feinheit der
subjektiven Beobachtung war Lotze der größere, wie er auch der schärfere philosophische Kopf war. Aber
Fechner hat durch sein geniales Zugreifen und seine unendliche Geduld in der Durchführung der Experimente
die stärkeren Anregungen gegeben“ (zit. nach Sprung, 1997, S. 144).

10
mächtig an Boden gewinnende naturwissenschaftlich-physiologische Seite der Psychologie
mit im Visier hatte, die ja auch Lotze meisterlich beherrschte, ohne dass er oder Stumpf der
naturwissenschaftlichen Seite das Übergewicht beimaßen, das beispielsweise Gustav Theodor
Fechner und Wilhelm Wundt (in seiner Zeit als Assistent von Hermann von Helmholtz) ihr
einräumten. Brentano hatte vorwiegend ein Interesse daran, die sinnesphysiologische
Forschung im Hinblick auf psychologische und metaphysische Fragen in ihre Grenzen zu
weisen und erhoffte sich das wohl auch von des jungen Stumpfs intensiver Beschäftigung mit
dieser Richtung. Stumpf gewann ihr indes, für Brentano vermutlich unerwartet, zunehmend
Interesse ab, ohne sie im Übrigen überzubewerten. Lotzes und Stumpfs stärker philosophisch
und phänomenologisch geprägte Grundrichtung hing auch mit der Akzentsetzung
musikästhetischer Grundlagenfragen zusammen, während weder Fechner noch Brentano
einen tiefergehenden Zugang zur Musik gehabt zu haben scheinen. Immerhin bedeutete die im
19. Jahrhundert erfolgte wissenschaftliche Hinwendung zu der, in ihrer Komplexität von
Philosophen häufig unterschätzten sinnlichen, insbesondere akustischen Wahrnehmung ein
Novum für die Philosophie. Demgegenüber suchte Brentano von Anfang an und zunächst in
Gegenposition zu dieser psycho-physiologischen Richtung als deskriptiver Psychologe allein
auf der Basis der inneren Wahrnehmung Profil zu gewinnen, während er ab einem
bestimmten Zeitpunkt und je mehr er sich metaphysischen Fragen zuwandte, der visuellen
Wahrnehmung wieder die Bedeutung zurückzugewinnen suchte, die sie in philosophischer
Perspektive traditionell hatte behaupten können.
Die Art und Weise, wie Brentano sich über Stumpfs Raumbuch in den Briefen äußert (vgl.
Dok. 59, 60), spricht dafür, dass er es nur partiell gelesen hatte, dann wohl auch nicht die
methodologischen Konsequenzen erkannte, die Stumpf bereits hier in dem Abschnitt „Theorie
der psychologischen Teile“ (1873, S. 106 f.) für sein späteres phänomenologisches Werk und
für seine Lehre vom Ganzen und den abtrennbaren und unabtrennbaren Teilen zog, die
methodologisch bereits die Basis für das nachfolgende Werk bildete. Stumpf verbindet in
dieser ersten selbständigen Arbeit über Struktur und Funktion der Wahrnehmung Korrekturen
des Substanz- und Seelenbegriffs, die von der traditionell vertretenen rein punktuellen Seele
wegführen und zu einem Seelenbegriff hinleiten, für den die Ausdehnungslosigkeit nicht mehr
das entscheidende Wesensmerkmal ist, hingegen lebenslang für Brentano blieb. Allerdings
erfuhr auch der Raumbegriff in mathematisch-geometrischen und physikalischen Kontexten
zu dieser Zeit erhebliche Veränderungen.
Brentano kündigte wiederholt Untersuchungen über ,binokulare Farbmischungen‘ an (Dok.
58, 59), die darauf hindeuten, dass er schon zu dieser Zeit nach einer Alternative suchte zu
Stumpfs Betonung der Differenzen zwischen dem visuellen und dem akustischen Sinn. Im
Unterschied zu Stumpf und den Sinnesphysiologen der damaligen Zeit suchte Brentano
anstelle der Differenzen nach Analogien zwischen dem Seh- und dem Hörsinn; der
metaphysische Kontext dieser Analogiebildung wird noch zur Sprache kommen. Zunächst
blieb es aber bei Andeutungen, die auch in späteren Briefen wiederholt auftauchen, bis
Brentano mehr als zwanzig Jahre nach der ersten Ankündigung 1896 auf dem Internationalen
Psychologie-Kongress in München, den Stumpf leitete, einen Vortrag über „multiple
Qualitäten“ hält, der das Thema wieder aufgreift, aber wiederum erst zehn Jahre später in
seinen „Untersuchungen zur Sinnespsychologie“ veröffentlichte (1907/1979). Auf diesen
wichtigen Aspekt wird ausführlicher in Abschnitt 3 zurückzukommen sein.
Drei Jahre nach Erscheinen der Monographie über die visuelle Wahrnehmung und deren
Fokussieren auf die Raumwahrnehmung erwähnt Stumpf erstmals experimentelle
Untersuchungen zur akustischen Wahrnehmung (in Dok. 118). Die Interessenserweiterung auf
das Hören erforderte nun eine viel längere Periode von fast zehn Jahren akribischer

11
deskriptiver und experimenteller tonpsychologischer Forschung. Deren philosophische
Gewichtung muss Brentano dann mit Erscheinen des ersten Bandes zur Kenntnis genommen
haben, dessen Vorwort er ja auch gelesen hatte (vgl. Dok. 165). Aber eben nur das Vorwort!
Das Werk selbst dürfte er ebenso wenig studiert haben wie den sieben Jahre später (1890)
veröffentlichten zweiten Band der „Tonpsychologie“. Die Art und Weise, wie Brentano der
Komplexität der sinnlichen Wahrnehmungsforschung im 19. und beginnenden 20.
Jahrhunderts gewissermaßen mit dem Geniestreich „abenteuerlicher Hypothesen“ zu
begegnen suchte, wird weiter unten (Abschnitt 3) zu schildern sein. Mit der Realität der
experimentellen Forschung und den dort, wenn auch kontrovers vertretenen Sachverhalten der
Sinnespsychologie, hatten diese kühnen Hypothesen allerdings nichts gemein.
Dass der Bereich der sinnlichen Wahrnehmung sich innerhalb der philosophischen
Forschung nie besonderer Beliebtheit erfreute, resultiert aus ihrem idealistisch-
rationalistischen Grundverständnis, das sie der Philosophie Platons, René Descartes`, George
Berkeleys, Immanuel Kants verdankt; Brentano berief sich verschiedentlich in wichtigen
Grundlagenfragen auf Descartes, während Stumpf kein Hindernis, vielmehr eine
Notwendigkeit darin sah, neben der Bedeutung der Introspektion auch die sinnliche
Wahrnehmung akribisch für die Erkenntnisgewinnung zu prüfen und zu würdigen. Letztere
Einstellung machte die Grundtendenz seiner Auffassung von Phänomenologie aus.
Das überforderte auch allem Anschein nach weniger Brentanos Verständnis als vielmehr
das seiner Adepten. Ihr Ansinnen, es nach dem Tod von Carl Stumpf so hinzustellen, als habe
dieser klammheimlich Brentanos Lehre von der inneren Wahrnehmung verfälscht, verstößt
gegen alle Standards wissenschaftlicher Redlichkeit. Drei Jahre nach Kriegsende meldete
Alfred Kastil sich 1948 mit einer scharfen Kritik über Stumpfs im Zweiten Weltkrieg
erschienene „Erkenntnislehre“ in der „Zeitschrift für philosophische Forschung“ zu Wort.
Stumpf hatte das Werk Brentano im Andenken an dessen 100. Geburtstag gewidmet, an
zahlreichen Stellen aber auch seine Abweichungen von Brentanos Metaphysik, Logik und
Psychologie zur Sprache gebracht, die sämtlich in Zusammenhang mit beider unter-
schiedlicher wahrnehmungstheoretischer Basis zu sehen sind. Stumpf hatte diesbezügliche
Differenzen aber auch schon zu Lebzeiten Brentano regelmäßig in seinen Veröffentlichungen
kundgetan und in den Briefen, die den Bretanoten, insbesondere Kastil, ja wohl hinlänglich
bekannt waren, werden die kontroversen Auffassungen auch wiederholt diskutiert.
Dagegen meinte Kastil in seiner Rezension von 1948, dass Brentano, der sich ja selbst
„nicht mehr zu wehren vermöchte“, gegen Stumpfs „Entstellung“ eines wichtigen
Bestandteils der Lehre Brentanos (die Evidenz der innerer Wahrnehmung) verteidigt werden
müsste und polemisiert sogleich mit dem ersten Satz seiner Rezension gegen Stumpfs
phänomenologischen Basisansatz, indem Kastil die Relevanz der Sinneswahrnehmung
überhaupt negiert: „In der neueren Erkenntnislehre“ heißt es auf Stumpf gemünzt, „spielt das
Kapitel Sinneswahrnehmung eine größere Rolle, als ihm eingeräumt würde“, und moniert
sodann pauschal einen Mangel, den man dem begrifflich stets penibel verfahrenden und
logisch versierten Carl Stumpf nicht ankreiden kann, nämlich eine Fehlinterpretation der
Sinneswahrnehmung in Folge von nachlässiger Begriffsverwendung, die nicht entstanden
wäre, „wenn man es [das Kapitel Sinneswahrnehmung] frei von Begriffsverwechslung zu
halten verstände“ (vgl. Kastil 1948: 198 ff.). Von Nachlässigkeit kann keine Rede sein, wohl
aber von Kastils Wertung des jeweils anderen Verständnisses und Brentanos spezieller
Deutung der sinnlichen Erscheinungen und deren Folgen für Metaphysik, Logik, Psychologie,
vornehmlich Gefühlstheorie, worauf im 4. Abschnitt zurückzukommen sein wird.
Kastils Kritik betrifft denn auch keineswegs nur angebliche Begriffsverwechslungen in
Bezug auf die Sinneswahrnehmung, sondern fundamentale Differenzen hinsichtlich des

12
Logikverständnisses beider Philosophen und Differenzen im erkenntnistheoretischen Ansatz,
die, ihrerseits wieder in metaphysischen Prämissen Brentanos wurzelten. Der bereits erwähnte
Philosoph Paul Ferdinand Linke rehabilitiert in seiner Rezension des Kastilbuches gerade
diejenigen Positionen Stumpfs, die Kastil, Erkenntnistheorie und Logik betreffend, kritisiert
hatte. Linke zählte zu den wenigen Philosophen, die nach dem Zweiten Weltkrieg Stumpfs
„Erkenntnislehre“ gelesen hatten und stellte in wichtigen Fragen der Logik und der
Wahrheitstheorie Übereinstimmungen Stumpfs mit dem Logiker Gottfried Frege fest, den
Linke schätzte und nach Kriegsende in philosophischen Kreisen bekannt machte.10
Kastil hielt sich in seiner Gesamtdarstellung der Lehre Brentanos auch in Bezug auf jenen
Bereich nicht zurück, in dem Brentano in der Tat „gewaltig geirrt“ hatte, – im Bereich der
Töne und Klänge. Kastil schloss sich in seiner apologetischen Schreibweise Spekulationen
Brentanos über „Die Elemente der Tonqualitäten“ an, indem er auf zwei Seiten
zusammendrängte, was Stumpf in jahrzehntelanger Arbeit akribisch über die mannigfaltigen
Grundlagen der akustischen und der musikalischen Wahrnehmung auf Hunderten von Seiten
beigebracht hatte, fabulierte in einer Weise über das Wesen von Tönen und Klängen, die er
nun noch einmal verkürzt für empirisch bewiesen ausgab, ohne mit einem Wort zu erwähnen,
dass Brentano in der Vergangenheit wiederholt diesen Punkt betreffend nicht nur von Stumpf,
sondern auch von anderer Seite widersprochen worden war (vgl. Kastil 1951, S. 70-71). Auf
Brentanos eigenwillige Interpretation der Sinne, die bewusst Abstand nahm von der
naturwissenschaftlich-physiologischen Sinnesforschung seiner Zeit, geht Kastil nicht ein; er
interpretiert Brentanos Deutungen so, als handelte es sich um wissenschaftlich erwiesene
Sachverhalte. Kastil stützt sich auf Brentanos weithergeholte Analogien zwischen dem
Sehsinn und dem Hörsinn, visueller und akustischer Wahrnehmung, will „die rätselhafte
Verwandtschaft der Oktaven“ mit einem Mehr oder Weniger an „Verweißlichung oder
Verschwärzlichung“ im musikalischen Oktavphänomen erklären und offenbar enträtseln,
bestreitet den ,höheren‘ Sinnen (Hören und Sehen) prinzipiell eine emotionelle Wirkung und
beruft sich diesbezüglich auf Brentanos Einschränkung der Sinne auf drei Sinne (anstelle der
üblichen fünf) Sehen, Hören und der Hinzufügung einer Klasse von sinnlichen Lust/Unlust
erzeugenden „Mitempfindungen“. Kastil bezeichnet die Verschmelzung, die musikalische
Grundlage von Konsonanz und Dissonanz und das Kernstück von Stumpfs „Tonpsychologie“,
lapidar in Analogie zu Farberscheinungen als „die Verbindung gesättigter mit ungesättigten
Tonelementen“ – ohne je kritische Stellungnahmen zu erwähnen, die sich gegen Brentanos
diesbezügliche Neuerungen ausgesprochen hatten.
Was Alfred Kastil beispielsweise nicht zur Sprache bringt: Der Musikpsychologe Géza
Révész hatte sich bereits 1913 dezidiert mit Brentanos, von Ernst Mach angeregten
tonpsychologischen Konstruktionen auseinandergesetzt, sie als „nicht empfehlenswert“
abgelehnt, weil sie in Bezug auf die musikalischen Sachverhalte nicht weiterführten, ebenso
nicht die reduktionistischen, dem methodologischen Ökonomieprinzip geschuldeten
Grundannahmen von Ernst Mach, an die Brentano sich zeitweise anlehnte (1913, S. 17, S. 33,
37). Abschließend heißt es: „Im übrigen involviert die Brentanosche Theorie gewisse
Vorstellungen, die keine rechte Stringenz zu haben scheinen, bei denen es sehr von
individueller Beurteilung abzuhängen scheint, ob man sie als zutreffend anerkennen will“.11
10
Vgl. Linke 1948, S. 84 in Bezug auf den Begriff Sachverhalt, S. 90 in Bezug auf die logische Aussagefunktion,
S. 96 in Bezug auf den Wahrheitsbegriff.
11
Géza Révész 1913, S. 41, Kursivsetzung nicht bei Révész. Der Musikpsychologe hatte im Übrigen zugegeben,
dass es ein System oder ein Schema, das alle inhaltlichen Beziehungen der Tonwahrnehmung mittels Analyse
der Tonempfindungen in einer Weise darstellen würde, die „Niemanden zu anfechtbaren Schlußfolgerungen
verleiten könnte, nicht gibt“ (1913, S. 20).

13
Stumpf hatte sich 1915 in einem seiner Beiträge zu „Akustik und Musikwissenschaft“
akribisch mit Brentano und mit Révész (der aus anderen Gründen als Brentano Stumpfs
Konsonanz- undVerschmelzungslehre ablehnte) auseinandergesetzt, stets betont freundlich
gegen seinen ehemaligen Lehrer die Analogie des Tonsinns mit dem Farbsinn dort als eine
„schöne Illustration“ bezeichnet, die „aber kein Beweis“ sei (1915, S. 23). 1917 setzt Stumpf
sich in „Die Attribute der Gesichtsempfindungen“ und 1918 nochmals in „Empfindung und
Vorstellung“ mit den erkenntnistheoretisch und psychologisch relevanten Differenzen der
beiden Sinne Sehen und Hören auseinander. In seinen „Erinnerungen an Franz Brentano“
äußert Stumpf sich dann zusammenfassend über Brentanos „kühne Deutungen“ im Bereich
der Sinnespsychologie, insbesondere Tonpsychologie ohne empirische Grundlage und
Brentanos „eminent deduktive Veranlagung“ (vgl. 1919, S. 147). Nichts davon erwähnt Kastil
1951, er behauptet stattdessen dreist, dass diese, weit von Stumpf und von den Ergebnissen
anderer Forscher abweichenden „kühnen Deutungen“ mit den „Tatsachen der Erfahrung aufs
beste übereinstimmten“, ohne für diese „Tatsachen“ irgendeinen wissenschaftlichen Nachweis
beizubringen. (Vgl. Kastil 1951, S. 68)
Kastil bezog sich aber auch an anderer Stelle mit einer von der Tradition abweichenden
Begrifflichkeit auf die „Tatsachen der Erfahrung“. Wenn er dort von einer empirischen
respektive „induktiven“ Erhärtung der Gottesbeweise Brentanos spricht (vgl. Kastil 1951, S.
277), haben „empirisch“ und „induktiv“ offenbar nicht die gängigen Bedeutungen, sondern
fußen auf Brentanos spezieller Bewusstseins- und Wahrheitstheorie, der analytischen Fassung
des Kausalitätsbegriffs, der auf evidenten Urteilen beruhenden Theorie der Wahrheit und
einer nach apriorischen Prinzipien gefassten Theorie der Wahrscheinlichkeit. Brentano
ventiliert sie in verschiedenen nachgelassenen Schriften mit unterschiedlichen Zugängen (vgl.
Brentano 1925/1970; 1930/1974 b), auf die hier nicht eingegangen, geschweige denn die
Frage verhandelt werden kann, auf welcher methodologisch zu rechtfertigenden empirischen
Grundlage Gottesbeweise im derzeitigen Wissenschaftsverständnis überhaupt noch
verhandelt werden könnten. (Vgl. dazu Hiltscher 2008)
Ob die Veröffentlichung der Briefe bewusst verzögert, verhindert oder, wenn sie
veröffentlicht wurden, dann nur zensiert herausgegeben werden sollten, mag dahingestellt
bleiben. Im Übrigen hatte Stumpf selbst nolens volens dazu beigetragen, dass die Komplexität
des schwierigen Verhältnisses zu Brentano nicht an die Öffentlichkeit drang – in der
Hauptsache wohl aus Rücksicht auf seinen Lehrer und vielleicht auch infolge von
Schuldgefühlen, sich hinsichtlich des ehemals gemeinsam gefassten Willens, die Philosophie
auf der Basis eines neuen Gottesverständnisses zu revolutionieren, nicht mehr Brentanos
Vorstellungen folgen zu können. Dennoch ist die Weise, wie Stumpf das persönliche und das
wissenschaftliche Dilemma in der Öffentlichkeit lange aussparte und sogar bagatellisierte, erst
1929 das tatsächlich Maß der „Verstimmungen“ nun ungeschminkt zur Sprache brachte (vgl.
Stumpfs Stellungnahme vom 1929 am Ende der Briefe), in der „Erkenntnislehre“
ausnahmslos jeden Punkt ihrer unterschiedlichen Denkungsweisen in rein sachlicher Manier
und ohne jede Polemik thematisiert, nicht unmittelbar nachvollziehbar. Bislang wurde ja auch
nur auf die epistemisch relevante Differenz bezüglich der inneren und der äußeren sinnlichen,
insbesondere akustischen Wahrnehmung fokussiert, dagegen die aus ihr folgenden
metaphysischen Konsequenzen und das Verständnis betreffend, was man denn ursprünglich
gemeinsam darunter verstanden hatte, die Philosophie zu erneuern, noch ausgespart blieb.
Letzteres ist von der schicksalhaften Lebensgeschichte Brentanos nicht zu trennen.

14
2. Die Umstände der dramatischen Freundschaftsbeziehung
Was hier über die besondere Konstellation der Freundschaftsbeziehung beizubringen ist,
fokussiert auf einige wenige zentrale Aspekte. Stumpf konzentrierte sich in den zwei Jahre
nach Brentanos Tod 1919 erschienenen „Erinnerungen an Franz Brentano“ hauptsächlich auf
die frühe gemeinsame Würzburger Zeit (1867-1874); dagegen bleiben die späteren Jahre und
Jahrzehnte ausgespart, die in den Briefen ab den 1880erjahren eine zunehmende
Verstimmung von Seiten Brentanos erkennen lassen. Während Stumpf es in den
„Erinnerungen“ so darstellt, als sei das Verhältnis zu Brentano im Ganzen harmonisch
verlaufen, mit Ausnahme von Zeiten, „in denen unser inniges Verhältnis zweimal eine
vorübergehende Trübung erfuhr“ (1919, S. 140), korrigiert er die veröffentlichte Version zehn
Jahre später dahingehend, dass er nun von „Verstimmungen“ und zwar „fünfmal und in
steigender Schärfe“ spricht. Er spart aber auch hier die Spannungen aus, die sich aus den
theoretischen Divergenzen seiner und der Lehre Brentanos ergeben und aufgestaut hatten.
Anscheinend erwog Stumpf 1929, die Briefe zu veröffentlichen, entschied sich zuletzt aber
wohl dagegen. Über die Unstimmigkeiten bezüglich der veröffentlichten „Erinnerungen“ und
der späteren Stellungnahme Stumpfs ist man bis heute stillschweigend hinweggegangen – um
auf Brentano keinen Schatten fallen zu lassen, aber vermutlich auch, um sich nicht mit der
Komplexität der theoretischen Differenzen befassen zu müssen, die hier allein von Interesse
sind.
Carl Stumpf, musikalisch hochbegabt, hatte als 17jähriger Student an der Würzburger
Universität mit Jurisprudenz ein ,Brotstudium‘ begonnen, um später möglichst viel Zeit für
seine geliebte Musik erübrigen zu können. Er erfuhr von der Existenz Brentanos, der zu
Beginn ihrer Begegnung noch katholischer Priester und Habilitand an der Univertät in
Würzburg war, anlässlich der Verteidigung der Habilitationsthesen Brentanos, der der junge
Stumpf beiwohnte. Sowohl die charismatische Erscheinung im Priestergewandt als auch die
seinen Herausforderern intellektuell überlegene Verteidigung der Thesen machten Eindruck,
besonders Brentanos vierte Habilitationsthese: „Die Methode der Philosophie ist keine andere
als die der Naturwissenschaft“ (1968, S. 137), von der Brentano, nach heutiger Auffassung
von ,Naturwissenschaft‘, später weit abrücken wird.
Stumpf übernimmt zunächst das philosophische und das theologische Ideal seines Lehrers,
die Durchsetzung einer neuen Religion auf wissenschaftlicher Basis; er besucht Brentanos
Vorlesungen, genießt ein Jahr lang dessen besondere Förderung durch intensive
philosophische Gespräche, stürzt sich aber zugleich auch in naturwissenschaftliche Studien –
für einen angehenden Philosophen durchaus unüblich zu damaliger und noch zu heutiger Zeit.
Schon nach einem Jahr schickt Brentano den nun 19jährigen Studenten nach Göttingen, um
dort bei Hermann Lotze zu promovieren. In bloß vier Studienjahren gelingt es Stumpf mit
Unterstützung von Lotze, der Stumpfs wissenschaftliche Begabung erkennt und fördert, eine
Privatdozentur an der Göttinger Universität zu erhalten.
In den ersten beiden Jahren finden aber auch zwei „Umwandlungen“ statt. Stumpf tritt
nach Abschluss des Promotionsstudiums 1869 in das Würzburger Priesterseminar ein, um
dort nach einigen Monaten infolge von Brentanos Glaubenszweifel wieder zum Austritt
aufgefordert zu werden. Stumpf äußerte sich in seinen „Erinnerungen“ (1919) und in der
„Selbstdarstellung“ (1924) nur mit wenigen Worten zu dieser zweimaligen „Umwandlung“;
im Briefwechsel zeugt nur ein Dokument von den Umständen und den psychisch
erschütternden Nachwirkungen der zweiten ,Umwandlung‘ (Dok. 15), denn offenbar hatte der
junge Stumpf den Gedanken an ein geistliches Leben innerhalb der Kirche liebgewonnen und
bereits verinnerlicht, fühlte sich auch noch nicht reif, eine Dozentur anzutreten. Letztere

15
Vorbehalte scheint er aber bemerkenswert schnell überwunden zu haben, während die
seelischen Folgen der zweiten Umwandlung noch längere Zeit nachwirkten.12
In den nächsten Jahren ist in den Briefen nicht mehr von diesen einschneidenden
Umwandlungen die Rede, vielmehr stehen Stumpfs wissenschaftliche Karriere und Brentanos
Distanz von Priesteramt und Kirche respektive die Planung des wissenschaftlichen
Werdegangs im Zentrum des Austauschs. Die Ereignisse der Jahre zwischen 1870 und 1873,
Stumpfs Berufung als ordentlicher Professor auf den philosophischen Lehrstuhl in Würzburg,
den man Brentano vorenthalten hatte, weil ein Theologe nicht das ganze Spektrum der
Philosophie abdecken könnte und die Umstände von Brentanos Berufung an die Wiener
Universität, sind brieflich ausführlich dokumentiert und widerlegen die Version, Brentano sei
wegen des Infallibilitätsdogmas vom Glauben abgefallen und schließlich auch aus der Kirche
ausgetreten, der Stumpf aber schon in seinen „Erinnerungen“ widersprochen hatte.13
Wie die Briefe demonstrieren, wollte Brentano den für Priester restriktiven Folgen des sich
anbahnenden Kulturkampfes zuvorkommen und seine universitäre Karriere nicht durch das
Priestergewand gefährden, auch seinen Schüler vor diesem Schicksal bewahren. Dass
Brentano jahrelang zögerte, bevor er seinen Austritt aus der Kirche auch öffentlich machte,
erfolgte einerseits aus Rücksichtnahme auf die strenggläubige Mutter, andererseits aus
Vorsicht, weder die staatliche noch die kirchliche Seite vor dem Zeitpunkt einer Berufung auf
einen philosophischen Lehrstuhl zu brüskieren, zumal sich die Folgen des Kulturkampfes
dann anders als vermutet entwickelten. Als Brentanos Berufung nach Wien glücklich erfolgt
war, konnte er daran denken, sein Ziel zu verwirklichen, den Theismus sowohl jenseits der
christlichen Offenbarungstheologie als auch jenseits der materialistischen Tendenzen des
Zeitgeistes mit wissenschaftlichen Methoden zu einer philosophisch gegründeten Religion
außerhalb der Kirche auf den Weg zu bringen. In philosophiehistorischer Perspektive trat
Brentano vornehmlich der transzendentalen Philosophie Immanuel Kants entgegen; Brentano
akzeptierte nicht die Grundlagen von Kants Metaphysik und Erkenntnistheorie, weil sie die
philosophische Basis für Kants strikte Verneinung von Gottesbeweisen jeglicher, theoretisch
zu rechtfertigender Provenienz herstellten. Kants ,Aufhebung‘ des Gottesbegriffs zusammen
mit dem Freiheitsbegriff und dem Begriff der unsterblichen Seele in einer praktischen
Philosophie überzeugte Brentano nicht.14

12
In der ,Selbstdarstellung‘ heißt es: „Das ganz Gebäude der katholisch-christlichen Glaubenslehre und
Weltanschauung zerfiel vor meinen Augen. Unter furchtbaren Seelenschmerzen mußte ich das gewählte
Lebensideal wieder aufgeben […] mußte zur Welt erst wieder zurückfinden und so manche günstige wie
ungünstige Nachwirkungen dieses Jahres machten sich noch lange in meinem Leben fühlbar“ (1924, S. 210).
13
Während Mayer-Hillebrand noch in den 1950erjahren an der Version festhielt, das Infallibilitätsdogma sei
Anlass der Trennung Brentanos von der katholischen Kirche gewesen (vgl. Einleitung in Brentano, 1954, S. VI),
hatte Stumpf bereits 1919 (S. 112) den Sachverhalt klargestellt: „Ebenso waren es aber auch nicht in erster Linie
die historischen Schwierigkeiten des drohenden Unfehlbarkeitsdogmas, die ihn zum Abfall brachten. Sie hatten
für ihn nicht das ausschlaggebende Gewicht wie für viele denkende Katholiken jener Zeit; er würde doch sonst
auch mit seiner inneren Entscheidung gewartet haben, bis das Dogma wirklich als solches erklärt wurde, was erst
am 2. August der Fall war. Während aber mehr historisch als philosophisch gerichtete Geister eben dadurch auch
nur zur Lossagung vom Papste, zum Altkatholizismus geführt wurden, aber auf christlichem und katholischem
Boden stehen blieben, führten Brentanos Überlegungen zum inneren Bruche mit dem Katholizismus, ja mit dem
Christentum überhaupt.“
14
Am deutlichsten tritt Brentanos Kant-Kritik in seiner scharfsinnigen Analyse von „Kants Kritik des
ontologischen Arguments“ in der nachgelassenen Schrift „Vom Dasein Gottes“ hervor (1980, S. 30ff.) – Vgl.
dazu auch Stumpf 1919, S. 101: „Den Gottesbeweisen widmete er besondere Aufmerksamkeit, um trotz Kants
Verdikt, das ja schon seine nächsten Nachfolger, das auch Lotze und Fechner unbeachtet ließen, die
Schlüssigkeit der Zurückführung aller Erscheinungen auf einen göttlichen Ursprung logisch zwingend zu
gestalten“.

16
Die wissenschaftliche Entwicklung beider Protagnisten wird in den ersten Jahren des
Briefwechsels infolge der Umstände der wissenschaftlichen Karrieren nur am Rande und in
Andeutungen thematisiert, sodass das unterschiedliche wissenschaftliche Temperament in den
Briefen der ersten Jahren kaum zu Tage tritt. Bemerkenswert ist, dass der von Natur aus wohl
eher skrupulös veranlagte Carl Stumpf sich in religiösen Fragen widerstandslos der Führung
Brentanos überließ. Die an Brentano gerichteten philosophischen Fragen werden nach Art
eines, betont Respekt und Abstand wahrenden Schülers dem überlegenen Lehrer gegenüber
formuliert; sie waren zweifellos ernst gemeint, aber jede Arbeit, die der junge Stumpf
veröffentlichte – und das gilt auch schon für die Dissertation über Platon, „Verhältniß des
platonischen Gottes zur Idee des Guten“ (1868 abgeschlossen, 1869 veröffentlicht), die das
uneingeschränkte Lob des Doktorvaters Lotze erhielt – zeugt für bedeutende geistige und
wissenschaftliche Selbständigkeit.
Brentano, in erster Linie mit dem Wandel seiner Gesinnung und dessen Folgen für seinen
wissenschaftlichen Werdegang beschäftig, scheint die wissenschaftlichen Arbeiten Stumpfs
nur selektiv zur Kenntnis genommen zu haben. Trotz regen brieflichen Austauschs gerade in
der Würzburger Zeit werden die sich bereits hier ankündigenden Differenzen – die
unterschiedlichen Auffassungen in Bezug auf das Verhältnis von Psychologie und
Metaphysik respektive Differenzen hinsichtlich des Substanz- und Seelenbegriffs –, nur
andeutungsweise aus den Briefen erkennbar.
Das änderte sich, allerdings nur vorübergehend, in den im Jahr 1876 gewechselten Briefen,
als Stumpf Brentano darüber informierte, dass er ihm in Bezug auf wichtige metaphysisch-
theologische Grundlagen nicht mehr Folge leisten könnte. In Dok. 113 will Stumpf nicht mehr
gelten lassen, dass das Geistige im Menschen einem göttlichen Schöpfungsakt zu verdanken
sei, was Brentano bereits in seiner „Psychologie des Aristoteles“ (1866/1967) vertreten hatte
und an dieser kreationistischen Einstellung auch lebenslang festhalten wird. Dagegen will
Stumpf das Geistige biologisch erklären. Schon die Steigerung der Quantität eines Stoffes
erzeuge unter Umständen eine andere, neue Substanz. Bedarf es, fragt Stumpf, um ein neues
Sinnesvermögen auftreten zu lassen, eines größeren Aufwandes als das nach Brentanos
Auffassung für Geistigkeit zeugende Abstraktionsvermögen entstehen zu lassen, das die
Menschen von den sonst so verwandten höheren Tieren unterscheidet? Offenbar ist Stumpf
nicht dieser Meinung; er glaubt aber dennoch, weiterhin für die Unsterblichkeit der Seele
eintreten zu können, denn psychische Akte seien, anders als die Sinnesempfindungen, nicht
„Funktionen des Gehirns“. Zur Entstehung von psychischen Funktionen (Vorstellen, Urteilen,
Wählen, Wertschätzen) sei nur die Erklärung der Entstehung abstrakter Vorstellungen
vonnöten, die nach Stumpf aber nur graduell, nicht spezifisch von konkreten Vorstellungen
verschieden, aus äußeren organischen Ursachen entstanden seien, während Urteile, Schlüsse,
Willensentscheidungen an oder aus den Vorstellungen gebildet würden. 15
Diese wenigen Sätze enthalten ein epistemisches Postulat, das Stumpf in späteren
Akademiearbeiten akribisch weiterentwickeln wird. In Bezug auf den zukünftigen
Forschungsweg schlägt Stumpf vor, metaphysische Fragen, wie solche nach der Existenz und
Wirkungsweise des göttlichen Wesens, auszuklammern und meint, vielleicht sei es „ja besser,
die metaphysischen Vorstellungen nach den psychologischen Ergebnissen umzugestalten, als
umgekehrt“. Er kündigt auch theologische Zweifel an, die die von Gottfried Wilhelm Leibniz
inaugurierte Theodizee betreffen – ein Generalthema des Brentanoschen Theismus – dem
Stumpf im nächsten Brief eine definitive Absage erteilen wird.

15
Wenn Stumpf hier auf „ein neues Sinnesvermögen“ rekurriert, denkt er an den akustischen Sinn, das Hören,
das, vermutlich nicht weniger fundamental als Kehlkopf und Sprechwerkzeuge, die Voraussetzung für
artikuliertes Sprechen und für ein neues, der Sprache parallelgehendes, musikalisches Ausdrucksvermögen ist.

17
Brentano ist in seinem Antwortbrief (Dok. 114) alarmiert und befürchtet, dass Stumpfs
Ansichten wiederum „eine Umwandlung erlitten“ haben könnten, besonders in Bezug auf die
Gedanken der göttlichen Vorsehung und der Theodizee. Er widerspricht der Ansicht, dass
schon für die Empfindung [als physisches Phänomen?] gelten soll, was nur den höheren
geistigen Tätigkeiten vorbehalten sei. Die abstrakten Vorstellungen könnten nicht aus einem
physischen [dem empfindenden] Körperteil hervorgehen, ansonsten dieser wieder ein Teil der
Schöpfung [und also nicht physisch] wäre; das Psychische müsste unabhängig vom Körper
bestehen können und mache eine Substanz erforderlich, selbst wenn diese, wie Brentano in
einem anderen Brief einräumt, nicht wahrnehmbar sei, jedenfalls immer mitgedacht werden
müsste (vgl. Dok 21, 22, 29). Unsterblichkeit sei nur garantiert, wenn das Schöpferische des
Körpers durch den Einfluss Gottes forterhalten würde. Was das Verhältnis von Metaphysik
und Psychologie anbelangt, dürfte die Metaphysik der Psychologie zwar nicht widersprechen,
aber es könnte Gründe geben, „die sie andersher entnimmt, sie [die psychologischen Gründe]
als falsch oder höchst unwahrscheinlich zurückzuweisen.“
Brentanos Hoffnung, dass Stumpf seine Haltung ändern würde, erfüllte sich weder zu
diesem noch je zu einem späteren Zeitpunkt; im nächsten Brief wird dann auch bestätigt, was
Brentano schon befürchtet hatte: Stumpf bezweifelt hier entschieden die Durchführung eines
teleologischen Prinzips auf metaphysischer Basis und verabschiedet sich von dem innersten
Anliegen Brentanos, den Leibnizschen philosophischen Fundamenten – der Theodizee, der
„prästabilierten Harmonie“ in Bezug auf das Leib-Seele-Problem, von den Gedanken an eine
vorgegebene göttliche Ordnung in den Dingen der Welt, dem Kontinuitätsgedanken, der keine
Sprünge in der Entwicklung zulässt und der optimistischen These von der „besten aller
möglichen Welten“ – eine neue wissenschaftliche Basis zu verschaffen.
Brentano wollte dem von Kant eingeführten, die Teleologie charakterisierenden und
relativierenden Als-Ob-Gedanken und der im 19. Jahrhundert von Friedrich Albert Lange
befürworteten bloßen Schein-Teleologie mit einer neuen wissenschaftlichen Fundierung
begegnen; nicht als Schein sei die teleologische Ordnung der Welt zu entlarven oder, nach
Langes Vorstellungen, in der Poesie unterzubringen (Lange 1866/75/1974, S. 981 ff.),
vielmehr sei ihr Realitätscharakter nachzuweisen. Demgegenüber opponiert der junge
Stumpf, der sich nochmals bei Leibniz über dessen Standpunkte informiert hatte, mit
scharfsinnigen Einwänden; er scheint aber mehr noch das alltägliche Leben und Erleben der
Menschen im Visier gehabt zu haben (in Dok. 115).
Das reale, von Leid und Unglück jeder Art durchsetzte Menschenleben sei nicht in
Einklang zu bringen mit der Annahme eines „weisen und gütigen Schöpfers“. Stumpf will
jetzt unter dem Guten, das er in seiner Dissertation noch als identisch mit der höchsten
göttlichen Idee, sogar mit Gott selbst, gleichgesetzt hatte, Anderes verstehen, nämlich Sorge
zu tragen für „das Glück intelligenter Wesen resp. was dazu dient“. In der Welt der
unbeseelten Natur könnte an sich kein Gut liegen. Eine bloße Welt- und Naturordnung als ein
Gut zu betrachten, abgesehen davon, ob sie einem erkennenden und fühlenden Wesen Freude
bereite, erscheint Stumpf absurd. Wie kann all die Mühsal in der Bewältigung des Lebens
durch ein Gut gerechtfertigt werden, das mit den lebendigen Menschen in keiner direkten oder
indirekten Verbindung steht? Die Versprechungen eines glückseligen Jenseits? Warum hat
Gott die Menschen nicht schon im Diesseits mit den Vermögen ausgestattet, ihn aufgrund
seiner Weisheit und Güte zu erkennen, zu preisen und darin ihr Glück zu finden? Das
Christentum suche dem Dilemma mit dem Hinweis auf Sündenfall und Erbschuld
beizukommen, die Philosophie, indem sie entweder auf die Freiheit (Kant) oder den
Determinismus (Leibniz) rekurriere, was jedoch in beiden Fällen die Frage nur

18
zurückverschiebe, warum der allwissende und gütige Gott die Menschen nicht so ausgestattet
hätte, dass sie den Sündenfall hätten vermeiden können.
Stumpf fragt nach dem Kausalnexus, der unser menschliches Unglück rechtfertigen soll;
wir wären ja um keine Antwort verlegen, wenn wir das Leid der Tiere damit erklärten, dass
sie unserem Wohlergehen dienten. Wir wären aber sehr wohl verlegen bezüglich einer
Antwort, wozu oder wem das menschliche Leid diene. Stumpf wirft besonders das geistige
Leiden in die Waagschale, das mentale Ungenügen an der gänzlichen Unwissenheit in Bezug
auf Gott, die Angst, nicht zu wissen, woher wir kommen und wohin wir gehen, die
Todesangst –, nicht (oder doch weniger) die zahlreichen körperlichen Leiden und
Entbehrungen und fordert in Bezug auf die menschliche geistige Beschränktheit und die
daraus entstehenden leidvollen Folgen eine Erklärung. „Ist es nicht höchst inkonvenient, dass
Gott eine Welt geschaffen, in der die Meisten durch kolossale Instanzen beständig an seiner
Existenz irre gemacht werden?“ Leibniz hätte die von Stumpf aufgeworfenen Fragen gar nicht
erwogen, könnte mithin auch keine Antworten auf sie geben.
Brentano verteidigt seinen Standpunkt in seinem Antwortbrief (116); er weiß sich mit
Aristoteles, Thomas von Aquin und Leibniz einig, in Bezug auf das, was die ältere
Philosophie mit dem höchsten moralischen Gut gemeint habe; „gut“ hieße „liebenswürdig“,
„fähig mit motivierter Liebe geliebt zu werden“. Dann fällt der wichtige, nie mehr in Frage
gestellte Grundsatz der Ethik Brentanos hinsichtlich dessen, was er unter „motivierter Liebe“
versteht, nämlich „das Analogon der [rationalen] Einsicht auf dem Gebiet der Liebe“. Es liege
eine gewisse Beziehung zu dem Wesen, welches lieben kann, wie in dem Begriff ,wahr‘ zu
einem, welches urteilen könnte. Im Übrigen würde nach Brentano auch ohne die Existenz des
Psychischen oder eines erkennenden und fühlenden Subjekts „die Wahrheit der materiellen
Welt nach wie vor bestehen“, wie auch die Güte bestehen würde, vorausgesetzt, dass sie in
sich wahr und gut ist, und das ist sie, weil sie von Gott geschaffen wurde. Brentano unterstellt
Stumpf, er habe unter ,gut‘ verstanden „im Sinne des Nützlichen“ und der Lust dienend,
dagegen müsse er sich entschieden mit anderen großen Denkern gegen Stumpf verwahren.
Stumpf hatte aber nicht von „Nutzen“, sondern von Freude gesprochen und dafür plädiert,
für das Glück eines jeden Individuums Sorge zu tragen. Er hat auch nicht „Lust“ geltend
gemacht. So wenig die Bezeichnungen Stumpfs (Glück, Freude) in der Alltagssprache sich
von den ihm unterstellten (Nutzen, Lust) unterscheiden mögen, im Rahmen einer
differenzierteren Gefühlstheorie, Werttheorie und der Ästhetik sind erhebliche Unterschiede
zu verzeichnen, die von Herbart und Lotze analysiert und vertreten worden waren und auf die
erst bei späterer Gelegenheit einzugehen sein wird. Die Folgen des Missverstehens in diesem
scheinbar trivialen, in Wirklichkeit ,springenden Punkt‘, werden sich über Jahre, ja Jahrzehnte
hinziehen, bis es in dem, für die Gefühlstheorie Brentanos entscheidenden Brief (Dok. 249)
als grundlegendes Dilemma erkannt und sich auf Brentanos Seite in einem konvulsivischen
Protest entladen wird.
Brentano macht von seinem theologischen Standpunkt und in einer an ihm ausgerichteten,
an Leibniz anschließenden epistemischen Position geltend: 1. Da alles, was außer Gott
Realität hat, sie nur durch ihn als das allerrealste Wesen hat, diese nur haben kann, indem es
Gott irgendwie ähnlich ist. Durch die Ähnlichkeit mit Gott, der vollkommen und gut ist, hat
es durch die Ähnlichkeit mit ihm auch eine endliche Güte und Vollkommenheit. Selbst das
Unscheinbare sei, wenn ganz erkannt, hoher Bewunderung wert. 2. Die Freude an der
Ordnung sei eine motivierte Liebe und nicht „eine ungerechtfertigte blinde Neigung, ähnlich
unserer Lust an gewissen sinnlichen Eindrücken“. Daraus folgert Brentano: „Also ist die
Ordnung etwas, was an für sich mit motivierter Liebe geliebt werden kann, d. h. sie ist in sich
selbst betrachtet ein Gut.“

19
Das bedeutet, dass Brentano Realität prinzipiell an der ihr von Gott verliehenen
Ähnlichkeit mit ihm festmacht und alles, was keine Ähnlichkeit mit Gott hat – das Böse, das
Schlechte, das Niedere, der bloße Nutzen, aber auch die blinde Lust an ,niederen‘
Gegenständen – auch keine Realität besitzt, falsch oder schlecht ist respektive gar nicht
existiert! Hier treten die metaphysischen Wurzeln der Abwertung der sinnlichen
Wahrnehmung und der sinnlichen Lust in Erscheinung, die ihren Einfluss auf Brentanos
Psychologie des Urteils und des Gefühls, auf das Wesen von Kognition und Emotion, weit
über das Datum der angezogenen Briefstelle hinausgehend ausüben, aber auch den stärksten
Dissens zu Stumpfs Phänomenologie und Gefühlstheorie erzeugen werden. Auf die
theologischen Argumente muss nicht eingegangen werden. Ihr Standpunkt setzt die göttliche
Ordnung immer schon voraus und muss schon deshalb nicht aus der von Gott verliehenen
Bewusstseinsstruktur (These des Kreationismus), ob nun deskriptiv oder genetisch, hergeleitet
respektive bewiesen werden, was doch das genuine Anliegen der Psychologie Brentanos war.
Brentano betont, dass es Stumpfs Scharfsinn alle Ehre mache, einen „Punkt von
entscheidender Wichtigkeit“ erkannt zu haben. Die Theodizee müsste fallen, wenn man
postuliert, dass der allmächtige Gott tatsächlich ein ungleich besseres Werk hätte vollbringen
können, wenn er in alle psychischen Wesen eine Fülle und ein Übermaß an Erkenntniskraft
gegossen hätte. Da er das offenbar nicht tat, bleibt nach Brentano nur die Möglichkeit übrig:
Eine Summe vereinzelter Existenzen anzunehmen, isoliert von der Masse der anderen und nur
in Einzelnen überschwänglich beglückt, geeignet, Stumpf und anderen mit Blindheit
Geschlagenen zu zeigen, „wie wenig eine Welt ohne Zusammenordnung uns als ein würdiges
Werk Gottes erscheinen würde.“ In der ein Jahrzehnt später veröffentlichten Schrift „Vom
Ursprung sittlicher Erkenntnis“ (1889) suchte Brentano differenzierter zwischen seiner
Psychologie auf deskriptiver Basis, einem Summationsprinzip und dem metaphysischen
Prinzip der prästabilierten Harmonie zu vermitteln.
Ein weiteres Argument (in Dok. 117) kündigt auch die Möglichkeit eines veränderten
Gottesbegriffs im Kontext einer sukzessiven Schöpfung an, die Brentano, wenn sie in
geordneter Weise stattfände, „nicht für inkonvenient halte“. Die Welt könnte ja zeitlich und
qualitativ ins Unendliche wachsen und es sei falsch gewesen, mit dem Christentum einen
definitiven Abschluss anzunehmen. „Wahrscheinlicher sei eine Vervollkommnung in Säcula
säculorum“. Brentano gibt zu, dass er nur eine Hypothese formuliert habe, macht jedoch
geltend: „Der Metaphysiker in der Theodizee ist aber in der glücklichen Lage, dass er schon
mit dem Nachweis einer Hypothese seine ganze Sache gewonnen hat.“
Brentano würde sehr bedauern, wenn Stumpf das Beste verlöre, was er in dieser Welt
besitzt, und wenn Brentano unfreiwillig die Ursache von Stumpfs Unglück wäre. Brentano
kann auch nicht nachvollziehen, dass die Erkenntnis Gottes dunkel sei, anscheinend habe er
andere Augen als Stumpf und im Übrigen gelte: „Das Dunkel selbst, das bleibt, wirkt als
Licht. Eine armselige Welt, die für uns, wie wir jetzt sind, ganz begreiflich wäre!“ „Die
unsichtbare Harmonie wird schöner sein als die sichtbare“. Nach dieser ersten grundlegenden
Positionierung scheint Brentano davon überzeugt gewesen zu sein, Stumpf zu einem späteren
Zeitpunkt wieder für seine Sicht der Dinge gewinnen zu können.
Was Brentano zu dieser Zeit anscheinend überhörte, aber auch in seinen Folgen für
Stumpfs spätere Entwicklung nicht abwägen konnte, war Stumpfs Ankündigung, sich
musikpsychologischen Forschungen zuzuwenden. Der Impuls, zu dieser Zeit zu seinem
früheren Interessensgebiet zurückzukehren, könnte mit der 1874 veröffentlichten Doktorarbeit
des späteren Musikwissenschaftlers Hugo Riemann bei Hermann Lotze in Göttingen
zusammenhängen; zugleich bedeutete die nun unter wissenschaftlichen Interessen der Musik
gewidmete, viele Jahre in Anspruch nehmende ton- und musikpsychologische Aktivität

20
zweifellos eine Hinwendung oder eine Rückkehr zu Lotze, über die Stumpf sich in den
Briefen an Brentano aber ausschweigt. Auch das scheint Brentano entgangen zu sein; erst
viele Jahre später erkennt er die eigentliche Ursache für ihren Dissens – Stumpfs
Konzentration auf die akustische Wahrnehmung respektive die mit ihr in Zusammenhang
stehenden Konsequenzen für Erkenntnistheorie und Werttheorie.16
Die 1880ger Jahre bringen einschneidende Veränderung für Brentano. Um heiraten und
eine Familie gründen zu können, verliert er, wie er glaubt, nur vorübergehend, seine
ordentliche Professur an der Wiener Universität. Nur in Deutschland ist die Heirat eines
ehemaligen Priesters möglich und an den notwendigen Staatenwechsel knüpft sich in
Österreich automatisch die Aufhebung der Professur. Brentano hoffte lebenslang auf die
Wiedererlangung seiner alten Position in Wien oder auf eine Berufung an eine andere
österreichische oder deutsche Universität und baute diesbezüglich auf Stumpfs Mithilfe.
Brentano scheint die Möglichkeiten Stumpfs, der alle fünf Jahre auf einen anderen Lehrstuhl
berufen wird, ihm in Berufungsfragen Beistand zu leisten, überschätzt zu haben, was dann
wiederholt für Konfliktstoff sorgte, erstmals auch eine Auseinandersetzung provozierte, als
Stumpf den Prager Lehrstuhl, für den Brentano sich eingesetzt hatte, mit Gründen verließ, die
Brentano nicht überzeugten. Er hatte sich vorgestellt, mit Unterstützung seiner Schüler,
insbesondere Stumpfs und des mit Stumpf befreundeten, ebenfalls nach Prag berufenen Anton
Marty, in Österreich auf lange Sicht die Grundsteine der neuen Philosophie legen zu können.
Mit dem Erscheinen des ersten Bandes der Tonpsychologie 1883 noch während der Prager
Zeit kündigt sich in den Briefen eine Thematik an, die Brentano die epistemische Bedeutung
von Stumpfs Konzentration auf die musikalische Wahrnehmung ahnen lässt, aber auch ein
unüberwindliches Hindernis der Verständigung über Mehrheitslehre (Stumpf) oder
Einheitslehre respektive Wettstreitlehre (Brentano) in Bezug auf zentrale musikalische
Grundlagenfragen ankündigt. Bereits im ersten Band der Tonpsychologie hatte Stumpf das
Thema eingeführt und wohl auch mit Brentano diskutiert, in den Briefen taucht es wiederholt
auf. Im zweiten Band der „Tonpsychologie“ wird es mit Ausschließlichkeit behandelt – die
Theorie der Konsonanz im Gewande von Stumpfs Verschmelzungslehre. Die Tiefe des
theoretischen Grabens zu Brentanos Erkenntnistheorie und Metaphysik wird nicht sogleich
sichtbar, zunächst wird sie auch noch überdeckt durch Stumpfs Weggang von der Prager
Universität. Brentano verübelte Stumpf die Annahme der Berufung an die Hallenser
Universität und interpretierte sie als Undank Österreich und ihm persönlich gegenüber, was
Stumpf verletzte und erstmals auch von seiner Seite eine schroffere Tonart im Briefwechsel
aufkommen ließ (vgl. Dok. 167).
In den 1880erjahren suchte Brentano mit der praktischen Philosophie neues Terrain zu
gewinnen, von dem er sich mehr Breitenwirkung für seine Philosophie versprach. Mit der
bereits erwähnten, zunächst in einem Vortrag behandelten Schrift „Vom Ursprung sittlicher
Erkenntnis“ (1889 erstmals erschienen, jetzt 1969) greift Brentano das Thema wieder auf, von
dem Stumpf sich bereits als junger Dozent distanziert hatte, die Theodizee-Problematik, die
nun auf der Basis der deskriptiven „Psychologie vom empirischen Standpunkt“ zu einer
ethisch und psychologisch vertretbaren Werttheorie weiterentwickelt werden sollte. Brentano
wollte, die gesamte Ethik im Blick, ein sowohl empirisches als auch allgemeingültiges
Fundament zur Sicherung moralischer Motivation schaffen, philosophisch die Verbindung

16
Hugo Riemanns Arbeit „Ueber das musikalische Hören“ suchte das Wesen der Konsonanz zu enträtseln – ein
zentrales Thema der deutschen Sinnespsychologie im 19. Jahrhundert – und verwahrte sich gegen den
diesbezüglichen Versuch Herbarts, den wieder Stumpf 1890 im zweiten Band der „Tonpsychologie“ (S. 185 ff.)
scharf kritisieren wird. Riemann machte aber auch Einwände gegen die Konsonanztheorie von Hermann von
Helmholtz, die bereits Lotze, später dann auch Stumpf, kritisch unter die Lupe nahmen.

21
zwischen utilitaristischer und apriorischer Ethiktheorie herstellen, psychologisch evidente
Vorzugsakte eines richtigen Liebens und Hassens nachweisen – die vielleicht problemreichste
Schrift Brentanos. In Dok. 205 erwähnt er den Vortrag, den er 1889 in der juristischen
Gesellschaft gehalten und in dem er in zwei Stunden „in nuce die ganze Ethik“ behandelt
hätte. In Dok 206 bekennt er, „Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis“ sei das „Reifste und
Beste“, was er herausgegeben habe. Drei Jahre später (1892) gibt er (in Dok. 227) zu
verstehen, dass seine Ethikschrift „den Leuten noch zu schwierig oder fremdartig war“, er
jedoch mit leichteren ästhetischen Schriften inzwischen „das Eis gebrochen“ hätte.17
Stumpf nimmt in den veröffentlichten Briefen niemals auf diese wichtige Schrift Brentanos
Bezug, konnte ihr freilich auch von seinen Prämissen her nicht zustimmen, da er sich von
Brentanos Bemühungen um Rehabilitierung der Leibnizschen Theodizee ja verabschiedet
hatte und die Analogie zwischen rationalen (evidenten) Urteilen und emotionalen
Vorzugsakten ihn nicht überzeugte. 1908 (in 1910, S. 214) kommt Stumpf kurz in „Vom
ethischen Skeptizismus“ auf Brentanos werttheoretische Überlegungen zu sprechen, erwähnt
„eigentümliche erkenntnistheoretische Fragen nach dem Wesen der Gefühlsevidenz, jener
Durchdringung von Fühlen und Erkennen“, der bereits Brentano Aufmerksamkeit geschenkt
hätte. Der von Brentano postulierten Parallele zwischen theoretischer und gefühlter Evidenz
stimmte Stumpf aber nicht zu.
Ein kritischer Geist aus den Reihen der Brentanoten und Mitarbeiter von Oskar Kraus,
Georg Katkov, äußerte sich 1937 in seiner Arbeit „Untersuchungen zur Werttheorie und
Theodizee“ im Ganzen ablehnend über Brentanos Versuch, den ethischen Apriorismus mit
dem Utilitarismus in dessen Schrift „Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis“ zu versöhnen und
diese Verbindung durch eine ,natürliche‘ Grundlage, nämlich evidente Vorzugakte eines als
richtig charakterisierten Liebens und Hassens auf der Basis des Summationsprinzips
herzustellen. Nach Katkovs schwierigen, weithergeholten sprachkritischen Analysen ist
Brentanos Versuch in allen Punkten misslungen. Katkov erklärte das theoretische Amalgam
aus Utilitarismus und Apriorismus als unzureichend und will nun seinerseits die Grundlagen
ethischer Werttheorie auf psychologischer Basis und im Rahmen von Brentanos Theorie der
Affekte verbessern. Katkov macht keinen Hehl daraus, dass dies keine leichte Aufgabe sein
würde und begründet es damit, dass „die deskriptive Psychologie der Affekte zu den
schwierigsten Problemen auf dem Gebiet dieser Wissenschaft gehört“ (1937, S. 93).
Katkovs Stellungnahme in Bezug auf die Affektenlehre ist verblüffend, wenn er einerseits
den Wert der deskriptiven Psychologie Brentanos vorwiegend an sprachkritischen und
logischen Analysen überprüft, andererseits nichts unternimmt, um sich selbst mit dem
„schwierigsten Problemen“ einer Psychologie der Affekte, zu befassen oder sich darauf
einzulassen, wie Brentano das Problem zu lösen versuchte. Katkov will sich auf Brentanos
neue Theorie der Intensität stützen, die im nächsten Abschnitt zur Sprache kommen wird. Der
Kritiker vermittelt aber einen wichtigen weiterführenden Hinweis, indem er den ,springenden
Punkt‘ innerhalb der Divergenzen zwischen Stumpf und Brentano zur Sprache bringt, nämlich
dass „die Polemik, die Stumpf gegen seine [Brentanos] Auffassung geführt hat, […] vielleicht
die wichtigste Reaktion der Psychologie auf die Anregungen Brentanos […]“ war (1937, S.
93). In Bezug auf Stumpfs Polemik erfährt man aber nur, dass sie etwas mit Tönen zu tun
gehabt habe.

17
Es handelt sich um zwei Aufsätze, „Das Genie“ und „Das Schlechte als Gegenstand dichterischer Darstellung“
(abgedruckt in Brentano 1959, S. 88 ff. S. 276 ff.). Letzterer beleuchtet das moralische Fundament von
Brentanos Ästhetik; der Aufsatz könnte angeregt worden sein durch Stumpfs 1887 gehaltenen Vortrag „Die Lust
am Trauerspiel“ (abgedruckt in Stumpf 1910, S. 1 ff.). Stumpf erwähnt den Vortrag in Dok. 196.

22
1889 wechselt Stumpf von Halle auf den philosophischen Lehrstuhl in München, wo er
vier Jahre ausharrt, um dann 1893 einen Ruf an die Friedrich-Wilhelms-Universität
anzunehmen, was wieder eine skeptische Reaktion Brentanos auslöste – gegen den
preußischen Staat, die in jeder Beziehung ungesunde Berliner Atmosphäre und Stumpfs
Entscheidung, dem Ruf Folge zu leisten. Für Brentano waren die 1890erjahre wohl die
schwersten in seinem Leben. Stumpfs Weggang von München schien eine reale und vielleicht
letzte Chance für Brentano zu eröffnen, auf den von Stumpf verlassenen Münchener Lehrstuhl
berufen zu werden, die trotz intensiver Bemühungen von Stumpfs Seite zuletzt am
Widerstand eines ehemaligen Schülers und Verwandten Brentanos, Graf Georg von Hertling,
scheiterte. Von Hertling hatte als Zentrumsmitglied mit einschlägigem politischen
Hintergrund (er wurde von 1917-1918 deutscher Reichskanzler) mit Einwänden gegen
Brentanos Lebenslauf gedroht, seine philosophische Professur in München niederzulegen,
wenn Brentano berufen würde. Aber auch in Wien zerschlägt sich infolge einer Intrige
endgültig die Möglichkeit einer Wiederberufung. Im gleichen Zeitraum stirbt Brentanos
Gattin, Ida von Lieben. Brentano verlässt Wien 1895 und wählt seinen nächsten Wohnsitz in
Italien/Florenz.
Als Stumpf die Leitung des 3. Internationalen Psychologie-Kongresses 1896 in München
übertragen wird und er Brentano um einen Beitrag bittet, kündigen sich wieder theoretische
Diskrepanzen an. Stumpf rät zu einem allgemeinverständlichen Thema, während Brentano
über seine neue Theorie der sinnlichen Wahrnehmung und über seine neue Auffassung des
Intensitätsbegriffs referieren möchte und dies auch gegen die Warnung Stumpfs durchsetzt,
der das Thema für ungeeignet hielt. Der Vortrag „Über Individuation, multiple Qualität und
Intensität sinnlicher Erscheinungen“ (veröffentlicht 1907/1979, S. 66 ff.) bildet nach der
Ursprungsschrift wiederum einen Meilenstein in der psychologischen Theoriebildung und
Metaphysik Brentanos, in der Hauptsache gegen Stumpfs Verschmelzungslehre gerichtet.
Stumpf scheint schon während des Kongresses deutlich ablehnend reagiert zu haben und
Brentano, der sich missverstanden und im Stich gelassen fühlte, verließ München, ohne sich
zu verabschieden oder sich anschließend brieflich zu melden. Zwar gratuliert Stumpf 1898
noch zum 60. Geburtstag Brentanos und äußert überschwängliche Dankbarkeitsbezeugungen,
weil er als junger Mensch von Brentano in die Philosophie eingeführt wurde, die ihm
wesentlichster Lebensinhalt geworden sei, ansonsten wurden keine Briefe mehr gewechselt,
bis Brentano 1899 in einem langen Brief seine Empörung über Stumpfs im selben Jahr
veröffentlichte Arbeit „Über den Begriff der Gemütsbewegung“ zum Ausdruck bringt, in dem
sich dann noch viel mehr, in den vergangenen Jahren Aufgestautes, das nicht zur Sprache
gekommen war, in zornigen Vorwürfen gegen Stumpf entläd.
Für Stumpf anscheinend völlig überraschend, gibt Brentano ihm in einem gekränkten Ton
zu verstehen, dass er bezüglich der Affekte wesentlich anders denke als Stumpf und macht
geltend, dass gerade an der Divergenz in Bezug auf dieses Thema ein grundlegendes
Entfernen von einst gemeinsam vertretenen Anschauungen die Schuld trage. Brentano hatte in
seiner Ethikschrift betont, dass Vorzugsakte eines richtigen Fühlens (Liebens und Hassens)
von rein sinnlichen Gefühlen zu trennen seien, um auf der Basis der so konzipierten
Gefühlstheorie die Theodizee zu festigen. Stumpf hatte es vermieden, sich zu dieser Schrift zu
äußern, aber Brentano scheint wieder vergessen zu haben, dass Stumpf sich ja schon vor mehr
als zwanzig Jahren von Brentanos Metaphysik (insbesondere der Theodizee) verabschiedete,
wenn er Stumpf in diesem Brief als einen Schüler hinstellt, der den Lehren des „Altmeisters“
untreu geworden sei. Auf diesen wichtigen Brief und den ,springenden Punkt‘ des Dissens`
wird im Abschnitt 4 zurückzukommen sein

23
Nach der Auseinandersetzung über die Theorie der Affekte tritt eine lange Pause von drei
Jahren im Briefwechsel ein, die Brentano schließlich mit dem ersten Brief beendet, der das
Freundschaftsverhältnis erschütterte und dem noch zwei weitere folgten. Diese Briefe hatte
Stumpf vernichtet, weil er befürchtete, sie könnten dem Ansehen Brentanos schaden. Es sind
aber Abschriften wieder aufgetaucht und es liegt heute kein Grund vor, sie nicht zu
veröffentlichen. Aus der Distanz dürfte schwerlich erkennbar sein, dass Brentano in diesen
Briefen seine Verbitterung über seine wissenschaftliche Isolierung zum Ausdruck bringt und
in den beleidigenden Vorwürfen, die er Stumpf wegen Strebertums und karrieresüchtiger
Schmiegsamkeit an die Verhältnisse in Berlin macht, Zugeständnisse an den Zeitgeist tadelt,
Kontaktsuche mit minderwertigen Philosophen anprangert, in Wahrheit als ein Ventil für das
ihm Zugestoßene zu interpretieren sind. Die für Stumpf schwerstwiegende Anklage war wohl
Brentanos Unterstellung des Gesinnungsverrats. Angesichts der stets hochgehaltenen
Freundschaft von Seiten Stumpfs ist ein Satz aus seiner Antwort an Brentano allerdings
bemerkenswert: „Sie wissen nichts von mir, nichts von meinem inneren und äußeren Leben.“
Selbst wenn Stumpf Brentano mehr Gelegenheit und Zeit zu gemeinsamem Austausch in
persönlicher Nähe gewidmet hätte, die Brentano wiederholt einforderte, wäre Stumpf auch
unter diesen Umständen nicht mehr zu Brentanos Weltanschauung zu bekehren gewesen. Da
in diesen drei Briefen theoretische Divergenzen nur peripher erwähnt werden und schon in
dem letzten Brief vor Ausbruch der großen Krise zur Sprache kamen, muss auf sie nicht
eingegangen werden. Im Übrigen kommentiert Stumpfs Stellungnahme von 1929 am Ende
der Briefe Brentanos Vorwürfe hinreichend.
Im letzten Brief ermöglicht Brentano es Stumpf, die Kränkungen, die er zum Teil später
wieder zurücknimmt, nicht zum Anlass eines endgültigen Bruchs werden zu lassen. Es kommt
zur Versöhnung, und in den Jahren nach der Auseinandersetzung finden Brentano und Stumpf
zu der alten Herzlichkeit zurück, der freundschaftliche Diskurs wird wieder hergestellt. Die
tiefsten Differenzen in Bezug auf das Gefühlsthema und die praktische Philosophie werden in
den folgenden Briefen fast vollständig ad acta gelegt, nicht jedoch die alte epistemisch
relevante Streitfrage über den Stellenwert der sinnlichen Wahrnehmung in ihrer Abgrenzung
gegen die rein psychischen Akte. Letztere werden in einigen wenigen Briefen, nun aber in
einem freundlichen Ton, behandelt. Eine inhaltliche Annäherung ist jedoch gerade in den
entscheidenden Fragen nicht mehr erfolgt.
Vermutlich war der Schock über die zuletzt abrupt zutage tretende Entfremdung der Grund
dafür, dass die methodologisch wichtigen Arbeiten, die Stumpf nach der Jahrhundertwende,
insbesondere 1907 veröffentlichte, wie „Erscheinungen und psychische Funktionen“, „Zur
Einteilung der Wissenschaften“ und „Über Gefühlsempfindung“ mit Ausnahme von Letzterer
nicht mehr grundsätzlicher Diskussionsgegenstand wurden. Stumpfs Aufsatz „Über
Gefühlsempfindung“ wird wieder Brentanos Interesse erregen, aber Stumpf vermeidet es
zunehmend, in den Briefen inhaltliche Differenzen auszutragen.
Im selben Jahr 1907 veröffentlichte Brentano seine „Sinnespsychologie“, in der er
verschiedene Aufsätze versammelte, die Zeugnis von seiner neuen Theorie der Sinne geben
und die als Gegenmodell zu Stumpfs Konsonanz- und Verschmelzungstheorie konzipiert
wurden, worauf im folgenden Abschnitt einzugehen sein wird. Ab 1914 fehlen die Briefe
Stumpfs, während Brentanos Briefe noch bis in das Jahr 1917 hineinreichen.

3. Der wissenschaftsgeschichtliche Rahmen


Wiederholt wurde auf die unterschiedliche Bedeutung des Begriffs ,Wahrnehmung‘ in den
Erkenntnislehren von Brentano und Stumpf verwiesen. Brentanos „Psychologie“
konzentrierte sich auf den Bereich der inneren Wahrnehmung des Psychischen im Kontext

24
seiner Intentionalitäts-, Logik- und Wahrheitstheorie und der Metaphysik der Seelensubstanz
(der unsterblichen Seele); ,innere Wahrnehmung‘ ist im Übrigen wohlgemerkt nicht mit
psychologischer Beobachtung oder Introspektion zu verwechseln. Die von Oskar Kraus als
dritter Band der „Psychologie vom empirischen Standpunkt“ titulierte, aus dem Nachlass
herausgegebene Arbeit, sucht die apriorische Basis der Psychologie oder Psychognosie der
,inneren Wahrnehmung‘ zu befestigen (Brentano 1968/174), die freilich von Anfang an
intendiert war. Das Psychische, mit dem Attribut des Intentionalen als etwas, das sich auf ein
Anderes wahrnehmend, urteilend und wertschätzend bezieht, ausgezeichnet, kontrastiert
gegen die intentionslosen Inhalte der äußeren Wahrnehmung respektive Empfindung; sie (die
Qualia) wurden ontologisch als ,physische Phänomene‘ bezeichnet und epistemologisch als
bloßer Schein aufgrund ,blinder‘ Urteils- respektive Glaubensakte desavouiert, während das
innere, intentionale Objekt zugleich den Akt vollzieht (primäres Objekt) wie auch sich selbst
zum (sekundären) Objekt hat. Mit diesem Erkenntnismodell differiert Stumpfs Begriff der
Phänomenologie, deren Erkenntnisziel der Deskription und der logischen Analyse der
sinnlichen Erscheinungen der sogenannten höheren Sinne galt, mit der Intention, sowohl die
Differenzen als auch die gemeinsame strukturelle Basis der sogenannten ,höheren Sinne‘, des
Sehen und des Hören – den Inhalten (Qualia) und den psychischen Akt gemäß – zu
verdeutlichen.18
Als generelle phänomenologische Regel war der Ausgang von der ideologisch
unvoreingenommenen und widerspruchsfreien Beschreibung der sinnlichen Phänomene zu
wahren – unbeeindruckt von der Tatsache, dass sinnliche Eindrücke mitunter täuschen – um
ihr Wesen durch die Sonderung der Anzahl ihrer Attribute wie Qualität, Intensität, Helligkeit,
Sättigung, Tonhöhe, Tonstärke, Klangfarbe, Verschmelzung zu erfassen. Da es sich
phänomenologisch und in Bezug auf den Zusammenhang der Attribute um abstrahierte Teile
eines, als einheitlich erfahrenen sinnlichen Ganzen handelt, ist das Ergebnis aus der
beobachtbaren gegenseitigen Veränderung der Attribute wie beispielsweise Qualität und
Intensität oder Tonhöhe und Tonstärke zu erschließen und ihr epistemischer Status als
eigenständige, relativ voneinander unabhängige Attribute zu klären.19

18
Der entscheidende epistemische Dissens rührt aus Brentanos Interpretation von ,Wahrnehmung‘ als stets und
instantan mit einem Urteil über das Wahr- oder Falschsein des wahrgenommenen Inhalts verbunden. Stumpf
wollte unter ,Wahrnehmen’ nur das Bemerken von Etwas verstanden haben, während Brentano ausdrücklich
zwischen Bemerken und innerer Wahrnehmung unterschied (vgl. Brentano „Psychologie“ III, 1968, S. 12 ff.).
Das Wahrgenommene wird (nach Stumpf) stets als Ganzes (als Komplex oder Gestalt) aufgefasst, an dem
instantan Teile (Attribute) und Relationen analysiert werden. (Vgl. dazu Kaiser-el-Safti 2014 a) Stumpf verwies
wiederholt auf das methodische Prozedere der Disjunktion der Attribute vom Ganzen der sinnlichen
Erscheinungen, erstmals 1873, wieder in 1917 und in 1939/2011, S. 188. –
Das epistemisch relevante Verhältnis von Inhalt und Akt, Empfindung und Vorstellung (respektive
Vorstellungsakt) betreffend, das wohl umstrittenste innerhalb der ,phänomenologischen Bewegung‘, das
Brentano zunächst mit der Theorie des inneren primären und sekundären Objekts zu lösen versuchte, wird sich
im Kontext seiner Gefühlslehre zuspitzen und ihn zu einer, für den intentionalen Grundgedanken prekären
Revision veranlassen – die Einführung eines Empfindungsaktes (vgl. Brentano 1907/1911/1979, Anmerkung 39,
besonders S. 237). Letztere Neuerung – anstelle der älteren Theorie, die die Empfindung als physischen Inhalt
begriffen hatte, nun einen Empfindungsakt zu postulieren – , relativierte die Trennung zwischen Akt und Inhalt
und veranlasste Brentano zuletzt dazu, auf den Inhalt überhaupt zu verzichten und das Intentionale neu zu
definieren, nämlich nun als eine einstellige Relation oder etwas ,Relativliches‘ aufzufassen. (Vgl. Brentano,
„Psychologie“ II, Zusätze aus dem Nachlass nach 1911, S.135 ff.)
19
Wir würden Attribute wie Farbe und Ausdehnung oder Gestalt (das heißt Qualität und Quantität) überhaupt
nicht unterscheiden respektive als Teile ,abstrahieren‘ können, wenn sie sich nicht gegenseitig veränderten, z. B.
die Farbe schwächer werden kann, während die Gestalt sich nicht verändert und vice versa. – Der Analyse und
Logik der Erscheinungen im Verhältnis von Ganzem, abtrennbarer und unabtrennbarer Teile, wird Stumpf auch
die Gefühlsanalyse unterstellen (vgl. 1907 c, S. 8), wenn er anlässlich der Diskussion über den ,Gefühlston‘

25
Das Prozedere erfolgte aber durchaus zum Zweck der Analyse der psychischen Akte oder
Funktionen (wie Stumpf terminologisch bevorzugte), nämlich um einerseits aus ihnen
Differenzen in den beiden ,höheren‘ Sinnen (Sehen und Hören) zu extrapolieren, um
andererseits an ihnen [den Qualia] die Arbeitsweise der psychischen Funktionen durch
genauere Beobachtung, sowohl mittels Introspektion als auch mittels des Experiments, zu
überprüfen. Ein primär phänomenologischer Zugang zur Analyse des Sinnlichen wurde auch
von anderen Sinnesphysiologen der damaligen Zeit, beispielsweise von Ewald Hering,
befürwortet und der physikalisch-physiologischen Analyse vorangestellt. Die Ergebnisse
wurden jedoch infolge heterogener ideologischer Vorannahmen (wie konträre Positionen
bezüglich Psychophysischer Parallelismus und Wechselwirkungstheorie) wieder
unterschiedlich interpretiert. In den Briefen werden diesbezügliche Problemstellungen häufig
nur angerissen und erfordern zum Verständnis Hinweise auf ihren theoretischen und
historischen Kontext.
Die Briefe Brentanos belegen, dass er in Bezug auf die äußere (sinnliche) Wahrnehmung
schon früh ein Gedankenkonstrukt ventilierte, das mit zum Teil großem zeitlichen Abstand
wiederholt angesprochen wurde, aber wohl nie die restlos überzeugende Gestalt annahm, die
Brentano sich erhofft hatte. Was an sinnespsychologischen Reflexionen in den Briefen
Brentanos nur angedeutet wird, wurde in Form jener Aufsatzsammlung 1907 veröffentlicht,
nachträglich in der 2. Auflage 1979 noch mit Schriften aus dem Nachlass angereichert – ohne
dass eine Synthese dieser Aufsätze erkennbar würde. Die Einleitung muss sich aus
Platzgründen mit einer Auflistung von Anhaltspunkten begnügen. Während Stumpf das
methodologische Grundgerüst zu seiner Phänomenologie, das sowohl die Differenzen in
Bezug auf Sehen und Hören behandelt, als auch den phänomenologischen Überbau bereits in
dem Kapitel „Theorie der psychologischen Teile“ seiner Arbeit über die psychologische
Raumvorstellung (1873, S. 106 f.) mitgeliefert hatte, erhellen die Briefe, dass Brentano zur
selben Zeit an ein Gegenmodell dachte, das einerseits an Analogien zwischen den Sinnen
interessiert war, andererseits dem Sehen seine traditionell bevorzugte Rolle zurückgewinnen
wollte. Eine Diskussion über die von Anfang an bestehenden Differenzen ist weder in den
Briefen noch später erfolgt.
In Dok. 55, kurz vor Erscheinen von Stumpfs Arbeit über die Raumwahrnehmung (1873),
schreibt Brentano an Stumpf, er habe „ganz unverkennbar binokulare Farbenmischungen
gesehen“, wogegen „Helmholtz` Ausflüchte“ und „Herings Objektion wenig Bedeutung“
hätten. In Dok. 58 behauptet Brentano, ,experimentell‘ festgestellt zu haben, dass Grün „keine
wahre Mischfarbe“ sei. Die Erklärung müsste eine psychologische sein und Stumpf sollte
erraten, welche. Nochmals zum selben Zeitpunkt (in Dok. 59) erwähnt Brentano wieder
Farbuntersuchungen. Er hält Farbmischung prinzipielle für eine Täuschung und plädiert
dafür, dass die Farbanteile sich nicht wirklich vermischten, sondern im Wettstreit gesehen
würden. Zwei Jahre später in Dok. 104 berichtet er von einer „ganz eigentümlichen These
über Farben“, die „eine Menge von Gesetzen“ u. a. auch den simultanen Kontrast in einfacher
Weise erklären würde. Er will Verwandtes, aber auch eklatant Heterogenes bei dem
Physiologen Ewald Hering gefunden haben. In den 1880gerjahren kurz vor Erscheinen von
Stumpfs erstem Band der „Tonpsychologie“ tritt Stumpf (in Dok. 156) Brentanos Votum für

nachweist, dass dieser kein genuines (unabtrennbares) Attribut der Empfindung ist, wogegen Brentano votiert
hatte. (Vgl. dazu Stumpf 1916, S. 4) Eine detailliertere Klärung der Gründe dieser Differenz wird bei späterer
Gelegenheit durchzuführen sein. In der Hauptsache ging es Stumpf um den Nachweis der Differenz, dass
Empfindungen durchaus ohne wertenden Gefühlston erlebt werden können, während für Gefühle stets eine Basis
(Empfindung oder Vorstellung) anzunehmen ist; hingegen Brentano ,Empfindung‘ a priori als niederes
Phänomen (bloße Mitempfindung) und Gefühlsakte als ,höhere‘ Phänomene wertete.

26
„Wettstreit“ entgegen, das Brentano nun auch auf die akustische Wahrnehmung übertragen
hat – bislang war ja nur in Bezug auf die visuelle Farbwahrnehmung von „Wettstreit“ die
Rede gewesen. „Wettstreit“ wird zukünftig zum Dauerthema zwischen Brentano und Stumpf.
In den 1890erjahren kommt Brentano wieder auf das scheinbar unerschöpfliche Thema ,Grün‘
zu sprechen. Nun heißt es nicht, dass Grün keine Mischfarbe, sondern dass Grün keine
einfache Farbe sei.
Das Thema beschäftigte Brentano lebenslang. 1893 erwähnt er (in Dok. 229), er habe in
der Wiener philosophischen Gesellschaft einen Vortrag gehalten „Über das phänomenale
Grün“. Grün sei keine einfache Farbe, sondern aus Gelb und Blau zusammengesetzt und listet
Ungenauigkeiten in einer Abhandlung Herings auf. Nochmals drei Jahre später (in Dok. 245)
schreibt Brentano an Stumpf, indem er sein Thema für den Internationalen Psychologie-
Kongress in München (1896) anmeldet, er habe das ihn am meisten fesselnde Thema (über
das phänomenale Grün) zurückgestellt, weil er Ewald Hering nicht kränken wolle. Sein
weiterführendes Kongressthema – die neue Intensitätslehre – enthülle im Übrigen
überraschende Momente, ungeahnte Aufschlüsse über weit auseinanderliegende
Erscheinungen, nicht nur die Sinnespsychologie und offenbar auch nicht nur die Farbe ,Grün‘
betreffend.
Stellungnahmen Stumpfs zum Thema ,Farbwahrnehmung’ fehlen in den Briefen nicht,
geben aber keinen Aufschluss darüber, was Brentano mit seinem Erkenntnisinteresse an der
Farbe Grün denn eigentlich bezweckte. Von heute her ist erkennbar, dass er nach einer, für
seine Metaphysik günstigeren Alternative zu Stumpfs psychoakustischem Ansatz forschte und
an einem psychologischen Gegenmodel zur damaligen Sinnesphysiologie arbeitete, die nur
scheinbar triviale Frage nach dem Wesen der Farbe Grün mit Brentanos metaphysischen
Intentionen in Zusammenhang stand. An dieser Stelle sind nur einige diesbezügliche
Hinweise möglich, die den historischen Kontext beleuchten: Letztendlich sollte das für die
menschliche Wahrnehmungserkenntnis grundlegende Verhältnis von Quantität und Qualität
neu definiert werden.
Zum vollen Verständnis des Hintergrunds wäre historisch bis auf die philosophische
Diskussion über die sogenannten primären und sekundären Qualitäten in der Erkenntnislehre
John Lockes zurückzugehen (vgl. Locke 1689/1981, 2. Buch, 8. Kap.) und das in der
europäischen Philosophie prompt erfolgte mehrstimmige kritische Echo auf diese Theorie
aufzurollen, das sie zunächst in der angelsächsischen Erfahrungsphilosophie bei George
Berkeley und David Hume erfuhr, sodann mit einem anderen Erkenntnisinteresse bei Leibniz
evozierte und wieder in Kants ,Transzendentaler Ästhetik‘ Bedeutung erlangte. Dass Brentano
sich Leibnizens Kritik an Locke anschließt, folgt aus dem vorherrschen Interesse an Leibniz`
Metaphysik, während Hume seinerzeit die für seine empirisch gegründete Wahrnehmungs-
und Erkenntnistheorie nicht tolerablen Konsequenzen der Lockeschen Prämissen bemängelte
(vgl. Hume 1973, l. c. insbesondere S. 298 f.).20 Brentano befürwortet die Reaktion von
Leibniz auf Descartes und Lockes Interpretation des angeblich diffusen Charakters der
sekundären Qualitäten und sympathisiert mit Leibniz` Modell der „petites perceptions“ als
„perceptions insensibles“ – im Übrigen unbekümmert um den von Leibniz betonten
platonischen Charakter dieser für seine Philosophie insgesamt – die Theorie der fensterlosen
psychischen Monaden, die Theorie der „prästabilierten Harmonie“, die Kontinuumslehre und

20
Stumpf hatte sich bereits 1873 hinsichtlich seiner Kritik an Kants Raumbegriff, dessen besondere Subjektivität
(eigentlich Objektivität, jedenfalls Abtrennbarkeit) Kant mit Rekurs auf Locke gegen den angeblich rein
subjektiven Charakter der sekundären Qualitäten (Töne und Farben) glaubte verteidigen zu können, in seinem
Raumbuch Berkeley und Hume angeschlossen und Kants Übersehen oder Ignorieren der Stellungnahme seiner
Vorgänger beanstandet (1873, S. 23).

27
die Ästhetik – eminent wichtigen Theorie kleiner und kleinster sinnlicher Partikelchen. In
Leibniz` Vorwort zu „Neue Abhandlung über den menschlichen Verstand“ kritisiert er den
von Descartes und Locke vertretenen willkürlichen Charakter der sekundären Qualitäten (wie
Farben und Töne), „die Gott der Seele [angeblich] nach Gutdünken und ohne irgendeine
wesentliche Beziehung zwischen diesen Perzeptionen und den Objekten“ vermacht haben
soll. Nach Leibniz sind diese kleinsten (einfachen) und unmerklichen Perzeptionen für die
Geisteslehre von ebenso großem Nutzen wie die Korpuskeln in der Physik und es sei
gleichermaßen unvernünftig, „die einen wie die anderen unter dem Vorwande, daß sie
außerhalb des Bereichs unserer Sinne fallen“, zu verwerfen. (1985, Vorwort, XV) Als
Beispiel für die irrtümliche Auffassung des scheinbar Einfachen, angeblich nicht aus
kleinsten Teilchen Zusammengesetzen, führt Leibniz paradigmatisch die Vorstellung ,Grün‘
an, da es doch offenkundig sei, „daß das Grüne aus zusammengemischtem Blau und Gelb
entsteht“ (1985, 2. B., 2. Kap. § 1, S. 123).
1852 greift Hermann Lotze die Leibnizsche Stellungnahme zu Grün (ohne
Namensnennung Leibniz`) wieder auf und bestreitet sie: Im Unterschied zur Tonwelt, wo
jeder Tonreiz eine geordnete, gesetzmäßige Reihe bildet, „und jeder einzelne mit dem Werth,
den sie in der Reihe besitzt, auf die Seele zu wirken vermag“, das heißt, Quantität und
Qualität in Bezug auf das Tonhöhenhören immer zugleich und gleichwertig in Erscheinung
träten, verhielte es sich im Bereich der Farben gerade nicht so. Lotze bezweifelt entschieden,
„ob Jemand im Grün in der That Blau und Gelb vermuthen würde, ohne vorher zu wissen,
dass es aus ihrer Mischung entsteht“ (S. 216).21 Brentano wendet sich also, im Vertrauen auf
die Autorität Leibniz`, mit seiner Farbentheorie sowohl gegen Stumpf als auch gegen Lotze.
,Grün‘ übernimmt in Brentanos Theorie der Sinnlichkeit das maßgebliche Beispiel für
irgendwie wahrnehmbare räumlich lokalisierbare – also quantitativ, nicht qualitativ
ausgezeichnete – sinnliche Partikelchen bei sämtlichen „multiplen Qualitäten“, sowohl Farben
als auch Töne betreffend, während nach der Tonlehre Lotzes nur Töne als einfache
Qualitäten, denen auch schon als einfache Phänomene ein Wert entspricht, der sich noch
steigert, wenn harmonische Töne zusammen erklingen und sowohl das eine (das Einfache) als
auch das andere (Komplexere) wahrgenommen, nämlich sowohl erkannt als auch gefühlt
werden können, was der akustischen Wahrnehmung epistemisch und ästhetisch einen
Sonderstatus verlieh. Dass hier an einem scheinbar simplen Phänomen, dem Tonhöhenhören,
demonstriert werden kann, wo die eigentliche Wurzel des Werturteils zu suchen ist, ist wohl
zunächst Lotzes Tief- und Scharfsinn zu verdanken (vgl. Lotze 1852, S. 212).22

21
Stumpf verwendet 1873, S. 18 das gleiche Argument wie Lotze (vor Lotze schon Herbart), um innerhalb der
sogenannten sekundären Qualitäten Farben und Töne zu unterscheiden (was weder von Locke noch von Kant
oder Leibniz berücksichtigt wurde): In Bezug auf die Farbqualität gibt es „keine Messung ihres Unterschiedes
und keine natürlichen Zwischenglieder, da sie zwar eine Mannichfaltigkeit, aber keine Reihe bilden.“
22
Dass Brentano sich in seinen sinnespsychologischen Beiträgen niemals auf die Leibnizsche Theorie der
„petites perceptions“ bezieht, lediglich zweimal den logischen Satz der Identität, das „Leibnizsche principium
indiscernibilium“ erwähnt (1979, S. 167 und S. 229), ist irreführend, weil das logische Prinzip eine beobachtbare
Eigenschaft zur Unterscheidung sonst gleicher respektive identischer Phänomene fordert, nicht aber, dass diese
die Eigenschaft der räumlichen Unterscheidung sein müsste, die für Leibniz ohnehin keine wesentliche
Bedeutung hatte.
In den nachgelassenen „Grundzügen der Ästhetik“ erwähnt Brentano im Brief von 3. 2. 1907 an Christian v.
Ehrenfels in der Tat einmal die Leibnizsche Theorie der „petites perceptions“ (1959, S.140).
Im selben Jahr (1907) gibt er dann im Brief an Carl Stumpf vom 1. Oktober 1907 (Dok. 276) die eigentliche
Quelle für seine Sinnespsychologie Preis und erwähnt die Bedeutung der These, „welche Leibniz in seinen
Nouveaux Essais über das Grün aufstellt. Auch ihm gilt es als ein Gemenge von unmerklich kleinen gelben und
blauen phänomenalen Teilen. Und es scheint überhaupt in den Ausführungen meiner letzten Publikation in sehr
wesentlichen Beziehungen eine Bewährung Leibnizscher Gedanken zur Sinnespsychologie vorzuliegen. Ostwald

28
Im Folgenden ist Brentanos Theorie der Sinne in einem weiteren Spektrum (vgl. Brentano
1979, S. 100 f. und 162 f.) darzustellen, die er schon früh, zeitlich etwa parallel zu Stumpfs
Konzentration auf die akustische Wahrnehmung, in Angriff nahm, aber erst1907 in Buchform
erscheinen ließ. Brentano votiert anstelle der üblichen, von der Organtätigkeit abgeleiteten
fünf Sinne, nur noch für drei Sinne: Sehen, Hören und Mitempfindungen der Lust/Unlust,
während Sehen und Hören normalerweise emotionslos fungieren sollen. „Nicht in dem Sehen
und Hören selbst sind Empfindungen von emotionellem Charakter gegeben, wohl aber
Mitempfindungen [der Lust und Unlust], die sie in normalen Fällen regelmäßig begleiten“ (l.
c. S. 101). Auffallend ist a) die enge wertende Verbindung, die Brentano a priori zwischen
den sinnlichen Erscheinungen oder Empfindungen und deren emotionaler Qualität respektive
Qualitätslosigkeit (in Bezug auf das Sehen und Hören) stiftet. Anscheinend soll dem
Sachverhalt Rechnung getragen werden, dass Menschen unter Umständen über ein exakt
hörendes Organ verfügen, aber ,unempfindlich‘ sind für die musikalischen Qualitäten
(Mitempfindungen), das heißt, insofern unmusikalisch sind, als sie eventuell Tonhöhen, aber
nicht die Tonqualität und die innerhalb der Oktavabstände wiederkehrende Intervallqualität
unterscheiden. b) fällt auf, dass Brentano die Herkunft der begleitenden Mitempfindungen im
Dunkeln lässt, die sich erst aus seiner Wert- und Gefühlstheorie rückerschließen lässt.23
Man wird Brentanos Sinnespsychologie und die in diesem Kontext erfolgte Reduzierung
auf drei Sinne nur dann nachvollziehen können, wenn zum einen der metaphysische Kontext
in Rechnung gestellt wird und zum anderen Brentanos Grundintention mitgedacht wird, den
Pionieren der Tonpsychologie entgegentreten zu können, die werttheoretische Reflexionen im
Kontext der akustischen Wahrnehmung, besonders den Harmonie-und Konsonanzbegriff
betreffend, erörterten und Letzterem überhaupt einen epistemologischen und ontologischen
Sonderstatus mit weitreichenden Auswirkungen auf Ästhetik und Ethik einräumten. Die
Grundidee dieses Sonderstatus resultierte a) aus dem für die musikalische Wahrnehmung
exklusiv geltenden Ur-Phänomen der Harmonie respektive der tonalen Verschmelzung
ausgezeichneter Verhältnisse, das heißt Intervalle, die jedoch die einzelnen Töne noch zu
identifizieren ermöglichen. b) gingen Herbart, Lotze und Stumpf von einer ontologisch
fundierten Basis musikalischer Ur-Phänomene aus, die Brentano mit der Theorie der
Mitempfindungen zu konterkarieren suchte. Das veröffentlichte Werk liefert wenig
Aufschlüsse zur Theorie der Mitempfindungen, aber allem Anschein nach will Brentano sie
charakterisieren als der individuellen Entwicklung geschuldet und ideosynkratisch erworben,
unter ästhetischen Prämissen ihren subjektiven Charakter unterstreichen – entgegen der
Auffassung besonders dem musikalischen Kunstwerk selbst inhärierender positiver (nicht
bloß subjektiver, sondern allgemeingültiger) Eigenschaften, die – zumindest in der
Herbartsche Ästhetik – Letzterer einen epistemischen Vorrang vor der Ethik einräumten.24

behauptet, Leibniz würde für das 20. Jahrhundert das sein, was Kant für das 19. gewesen.“ Warum hat Brentano
diesen Standpunkt, der freilich nicht erst in seiner „letzten Publikation“ an Bedeutung gewann, nie öffentlich
gemacht?
23
Über den angedeuteten Sachverhalt informiert akribisch Stumpfs Abhandlung von 1915, S. 17-56, in „Beiträge
zur Akustik und Musikwissenschaft“ „Über neuere Untersuchungen zur Tonlehre“, die auch Brentanos, mit
Ernst Mach geteilten Standpunkt sowohl würdigend (nämlich Tonhöhe und Tonqualität zu unterscheiden) als
auch kritisch (gegen Stumpfs Verschmelzungslehre gerichtet) unter die Lupe nimmt.
24
In einer Anmerkung der „Sinnespsychologie“ bezeichnet Brentano die ,Mitempfindungen’ als Affekte, „die
bei verschiedenen Tierarten, ja auch bei verschiedenen Menschen von Geburt oft sehr verschieden sind, obwohl
sie dasselbe sehen und hören.[…] auch wechseln sie unter dem Einfluß der Ermüdung.“ (1979, S. 235) – Als
bloße empirische Deskription wäre dem nichts hinzuzufügen; als ästhetisch relevante Argumentation gegen eine
dem Kunstwerk immanente (Gestalt-) Qualität (respektive Verhältnismäßigkeit) müsste die Argumentation der
Gegenseite zu Worte kommen, was aber erst in einer späteren Publikation geschehen kann.

29
Brentanos Bemühungen konzentrierten sich also darauf, das Interesse an der Erforschung
der Differenzen innerhalb der Sinne, das im Übrigen von fast allen Vertretern der
Sinnesphysiologie und -psychologie der damaligen Zeit geteilt wurde und die seiner
Auffassung nach falsche oder überschätzte Rolle der akustischen Wahrnehmung mit einer
Alternative zu konfrontieren, die seine Metaphysik zu stützen vermochte. Brentano votiert
dementsprechend a) für einen einheitlichen Sinnesraum, in dem die Elementarteilchen der
Farben und der Töne mosaikartig nebeneinander liegend lokalisiert sein sollen und b) gegen
die nach seinem Dafürhalten falsche Interpretation multipler Qualitäten, die für eine jeweils
unterschiedlich zu deutende Verschmelzung oder Vermischen von Farben und der
Verschmelzung oder Durchdringung von Tönen votierte. Demgegenüber bestreitet Brentano
die von Herbart, Lotze, Stumpf und anderen Sinnespsychologen vertretenen Differenzen
innerhalb der Sinne, machte sich für weitreichende Analogien stark und plädiert für eine
Gleichschaltung der Sinne, die er mit seiner neuen Theorie der Intensität beweiskräftig zu
machen suchte. Dieser Alleingang erfolgte freilich zu Gunsten seiner Metaphysik: Gegen das
Seelischen, als Immaterielles, seinem Wesen nach nicht-Ausgedehnte sollte das seiner Natur
nach Sinnliche, für visuelle und für akustische Phänomene gleichermaßen geltende Attribut
des Ausgedehntes kontrastieren.
Das Hören war im 19. Jahrhundert infolge naturwissenschaftlicher Fortschritte auf dem
Gebiet der Akustik und Psychoakustik in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses
gerückt; es wurde aber auch gestützt und bereichert durch Herbarts psychologisches und
Lotzes philosophisches Interesse an basalen musikalischen Strukturen und Begriffen wie
Konsonanz und Dissonanz im Rahmen der Ton- und Musiklehre. Brentano blendet diese, von
naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Seite initiierte Forschung weitgehend
aus; in den Briefen werden nur vereinzelt Namen und Forschungsergebnisse erwähnt.25
In diesem Kontext, der dem Hören erstmals eine bedeutende, dem Sehen vielleicht sogar
überlegene epistemische Relevanz verlieh, jedenfalls mit weitreichenden Folgen für Ästhetik
und Ethik versah, sind auch Stumpfs tonpsychologische Untersuchungen, insbesondere seine
Verschmelzungslehre, einzuordnen, gegen die Brentano ankämpfte, sobald er die ihr
applizierte epistemische und ethische Bedeutung erkannte, noch bevor Stumpf sie im zweiten
Band seiner Tonpsychologie, der allein dieser Thematik gewidmet ist, nach allen Seiten hin
ausformuliert hatte (vgl. Dok. 155). Die 1890 im 2. Band der Tonpsychologie gleich eingangs
seitenweise behandelte Kontroverse über die Konsonanztheorie als (1) Mehrheits- oder
Verschmelzungslehre (Stumpf) versus (2) Einheitslehre oder (3) Wettstreitlehre (Brentano)
war wohl in der Hauptsache das Ergebnis anhaltender Auseinandersetzungen zwischen
Stumpf und Brentano, ansonsten die Aufblähung dieser Thematik nicht ganz nachvollziehbar
ist. Brentanos Aufsatz über ,multiple Qualitäten‘ und seine in diesem Kontext entwickelte
Auffassung des Intensitätsbegriffs gehören zu diesem Diskussionsgegenstand.26
25
Auf der einen Seite gingen Impulse von Herbarts Tonlehre (ab 1808 respektive 1811) und von Hermann
Lotzes Musikästhetik (1868) aus, in der Lotze wieder an Herbarts Tonlehre erinnerte, die angeblich in
Vergessenheit geraten war; auf der anderen Seite wirkte Hermann von Helmholtz` Grundlagenwerk zum Hören
(1863) auf Philosophie und Musiktheorie zurück. Der Musikwissenschaftler Hugo Riemann wiederum
promovierte 1873 „Über das musikalische Hören“ in Göttingen bei Hermann Lotze, nachdem die Dissertation
von dem Hegelianer Oskar Paul abgelehnt worden war, was bei Riemann eine gewisse anti-philosophische
Einstellung zurückgelassen haben könnte, die seine Kontroverse mit Stumpf beeinflusste. Ab 1875 (eventuell
schon früher) begann Carl Stumpf, der natürlich über die angedeutete Vorgeschichte informiert war, mit
tonpsychologischen Experimenten.
26
Die Bezeichnungen wie ,Mehrheit‘, ,Einheit‘, ,Wettstreit‘ sind sämtlich ambiguös und haben zahlreiche
Missverständnisse erzeugt. In Frage stand, ob beim Hören eines Intervalls oder eines Akkords, in dem die Töne
sich durchdringen, zugleich auch die einzelnen an ihm beteiligten Töne herausgehört werden können (Stumpfs
Plädoyer für Mehrheit der Töne als harmonisches Ganzes) oder ob das nicht der Fall ist und eigentlich nur ein

30
Es ist nicht möglich, hier den ganzen Hintergrund auszuleuchten, den die Verschmelzungs-
theorie zur Erklärung der Konsonanz und ihre Erweiterung zur Erklärung der Konkordanz in
der Lehre Stumpfs unter musiktheoretischen, musikästhetischen, epistemischen und
psychologischen Aspekten einnimmt; Brentano verstand unter ,Verschmelzung‘ jedenfalls
etwas ganz anderes als Stumpf;27 er hatte freilich bald bemerkt, dass Stumpf mit dieser
Theorie mehr beabsichtigte als zur Klärung eines nur musiktheoretisch und
musikpsychologisch interessanten Phänomens beizutragen. Auf einen kurzen Nenner
gebracht, der die erkenntnis-, emotions- und musiktheoretischen Seiten dieser Theorie
programmatisch zu erfassen sucht, meint ,Verschmelzung‘ entgegen Brentanos Insistieren auf
ein räumlich ausgedehntes Nebeneinander von Tönen die Durchdringung von Tönen in
konsonanten Tonintervallen, besonders der Oktavtöne, sowie qualitativ sich steigernde
Verschmelzungsgrade der Intervalle von der Terz, Quarte, Quinte zur Oktave, Letztere mit
dem höchsten Verschmelzungsgrad. In allen Intervallen können jedoch die einzelnen Töne
noch herausgehört und identifiziert werden, mehr oder weniger leicht mit Zu- oder Abnahme
des Verschmelzungsgrades.28
Intervalle als multiple Qualitäten (in der Ausdrucksweise Brentanos) unterscheiden sich
nach Stumpf von Mischfarben als multiple Qualitäten. In Bezug auf ihre Zusammensetzung
können Mischfarben auf unterschiedliche Weise erzeugt werden, ist der jeweilige Anteil von
Grundfarben und die Beimischung der tonlosen Farben (Weiß und Schwarz) nicht mehr
wahrnehmbar, das heißt, dass die jeweiligen Farbanteile phänomenologisch oder perzeptiv
nicht mehr isoliert, bestenfalls in das Ganze hineingesehen (Phantasiert, interpretiert) werden,
während einzelne Töne sehr wohl aus dem Ganzen herausgehört werden können. Eine
bestimmte Farbe kann auf unterschiedliche Weise erzeugt (gemischt) werden; anders verhält
sich das bei Tönen. Quart- und Quint-Intervalle können nicht auf unterschiedliche Weise
zustande kommen, das c und das g der Quinte nicht auch durch c und a oder irgendeine
andere Kombination erzeugt werden, wenngleich Quinten und Terzen in anderen Tonarten
jeweils anders klingen, aber immer als Quinten und als Terzen infolge der Struktur der
Tonleiter erkannt werden können; einzelne Töne sind auch im Verschmelzen (bei
gleichzeitigem Erklingen) der Intervalltöne noch als einzelne Teile, wie beispielsweise das c
und das g in der Quinte, das c und das f in der Quarte, erkennbar und identifizierbar.
Brentano suchte zur Erhärtung seines Standpunktes gegen Stumpfs Verschmelzungslehre
durchgängig für beide Sinne, Sehen und Hören, die Wettstreitlehre durchzusetzen und
behauptete, die scheinbare Wahrnehmung der Durchdringung der Töne beruhe auf einer
Täuschung, nämlich einer blitzschnellen, sukzessiven Folge räumlich nebeneinanderliegender
Tonpartikelchen in gegenseitigem Wettstreit. Mit dem Beitrag am Psychologie-Kongress in
München (1896) suchte Brentano dann prinzipiell seine für alle Sinne geltende Interpretation
multipler Qualitäten auf der Basis seiner neuen Intensitätslehre durchzusetzen, die allen
sinnlichen Erscheinungen (auch Tönen) ein räumliches Attribut appliziert respektive für alle
Sinne einen Raum präjudiziert, um der Durchdringung von Tönen entgegentreten zu können.
Epistemisch implizierte das, den Farb- und den Tonempfindungen eine ihnen je eigene

Ton vernommen wird (häufig von Unmusikalischen vertreten), oder ob zwar mehrere Töne gehört werden, aber
nicht zugleich, sondern blitzschnell hintereinander und im Wettstreit miteinander (Brentanos Version).
27
Vgl. dazu Brentano 1899/1907/1979, Anm. 20, S. 218. – Brentano räumte 1907 (in Dok. 274) ein, dass er
Stumpfs Lehre „von der Verschmelzung nicht vollkommen verstanden hatte“; er bietet auch an, „den Fehler
durch öffentliche Berichtigung wieder gut zu machen“, ist dem Angebot aber nie nachgekommen.
28
In Bezug auf die zahlreichen Missverständnisse der Verschmelzungslehre schreibt Stumpf 1890: „Er [der
Begriff] gehört ja zu den psychologischen Ausdrücken, die am meisten missbraucht worden sind, an die sich die
unmöglichsten Vorstellungen und ganze fictive Theorien angeknüpft haben“ (vgl. „Tonpsychologie“ II, 1890, S.
129).

31
spezifische Qualität respektive Synergie abzusprechen, auf die Stumpf, aber außer ihm auch
andere Forscher wie Hermann von Helmholtz, Theodor Fechner, Ewald Hering und Hermann
Lotze, wenngleich auf je unterschiedlicher epistemischer Basis, gerade Wert legten.29
Im Hinblick auf seine Psychologie bestand Brentanos eigentliches Anliegen darin, mit der
neuen Theorie jegliche Intensität von psychischen Phänomenen ausschließen und neben der
intentionalen Beziehung des Psychischen auch das Fehlen von Intensität als ein weiteres
Wesensmerkmal des Psychischen in Abgrenzung zum Physischen der sinnlichen
Empfindungen sicher stellen zu können.30 Brentano hatte jahrzehntelang gegen die von
Stumpf postulierten Differenzen in den Grundlagen des Sehens und Hörens Einspruch
erhoben. Das Motiv, die besondere Art der Durchdringung der Töne zu bekämpfen, rührte aus
der naheliegenden Analogie der Durchdringung der Töne mit dem Durchdringen der dennoch
im Einzelnen analysierbaren psychischen Funktionen und hob die Besonderheit auf, nach der
Brentano die psychischen von den sinnlichen, von ihm die längste Zeit als physisch
bezeichneten Phänomene, separieren wollte. Das sich Durchdringen der Töne würde das
Kriterium zunichtemachen, nach dem sich prinzipiell nicht räumlich ausgedehnte psychische
von räumlich ausgedehnten physischen Phänomenen unterscheiden sollten.
Es ist nicht möglich, erschöpfend darzustellen, was Stumpf im Ganzen mit der
Verschmelzungstheorie im Sinn hatte; im Folgenden werden die Hauptziele lediglich
zusammengefasst:
(1) Erkenntnistheoretisch behauptete das Postulat der dem Sinnlichen immanenten
Verhältnisse oder Ur-Phänomene (paradigmatisch an den musikalischen Intervallen
nachweisbar) des Quantitativen und Qualitativen die Grundlage des Bewusstseins und die
Basis für Abstraktion, Begriffs- und Urteilsbildung.
(2) Psychologisch bildete die Konsonanztheorie aber schon bei Stumpfs Vorläufern
(Herbart und Lotze) die Wurzel einer Theorie des Fühlens und die Basis des Werturteils
anstelle der älteren metaphysischen Bezugnahmen auf das eine höchste (göttliche) Gut. Zur
empirischen Untermauerung letzterer entwickelte Stumpf die Theorie der Gefühlsempfindung
als Überbrückung der in der deutschen Philosophie postulierten Unterscheidung der
Empfindungen von den ,höheren‘ Gefühlen respektive letzterer biologisch-organische
Verankerung. Das Konsonanzempfinden als Gefühlsempfindung und als eine Quelle des
musikalischen Genusses hat eine physiologische Grundlage; aber wie auf den Intervallen die
Akkorde sich aufbauen können, kann sich das musikalische Denken – als eine weitere Quelle
des musikalischen Genusses – auf der Basis der spezifischen Gefühlsempfindung entwickeln
respektive konnte Musik sich zu einem höchst komplexen kulturellen Gebilde entfalten.
(3) Musiktheoretisch relevant ergänzte Stumpf die Verschmelzungstheorie 1911 in einem
seiner wichtigsten (a) musiktheoretischen und (b) musikpsychologischen Beitrag, in
„Konsonanz und Konkordanz“. In diesem Beitrag gelangen wesentliche musiktheoretische

29
Dass Brentano und Stumpf auch bezüglich der Theorie der „spezifischen Sinnesqualität“ unterschiedliche
Interpretationen bevorzugten, muss bei späterer Gelegenheit analysiert werden. – Brentanos Theorie wendet sich
philosophisch gegen alternative Versionen, wie die schon von David Hume vertretene Auffassung ,ortloser‘
(ausdehnungsloser) und also sich durchdringender Töne einschließlich der Analogie bezüglich psychischer
Phänomene, da Gedanken oder Wünsche ja auch keinen bestimmten Ort einnehmen und nicht teilbar sind. Hume
stellte die Tonempfindungen auf eine Stufe mit den psychischen Funktionen. (Hume, 1739-40/1973, S. 255, 306
f.) – Für die Mehrheitslehre im Sinne Stumpfs, die bereits in der philosophischen Antike vertreten worden war,
hatte sich auch Hermann Lotze in seiner „Psychologie“ stark gemacht (1852, S. 267 f.). Auf weitere Vertreter
der einen oder anderen Theorie verweisen die §§ 16 und 17 in Stumpfs „Tonpsychologie“ II, S. 1 ff.
30
Brentano hatte sich in den Briefen schon früh, nämlich noch vor Erscheinen des ersten Bandes der
Tonpsychologie, hier noch zögerlich, gegen Stumpf Verschmelzungslehre, die schon im ersten Band auf sie
hinwies, abgegrenzt (vgl. Dok. 155).

32
Bausteinen, Unterscheidungen wie die der Intervalle und Akkorde, wichtige Differenzen in
Bezug auf das intellektuelle und das emotionelle Erleben zur Diskussion. Stumpf differenziert
ab 1911 zwischen Konsonanz und Konkordanz, Dissonanz und Diskordanz. „Konsonanz ist
eine Sache der direkten sinnlichen Wahrnehmung, Konkordanz eine Sache der
Auffassung und des beziehenden Denkens (1911, S. 341). Die hier summarisch
aufgelisteten interdisziplinär relevanten Aspekte der Verschmelzungslehre wurden von
Brentano nicht gewürdigt; sie werden auch zukünftig erst dann eine breitere
Verständnisgrundlage erhalten können, wenn ihr Hintergrund und Untergrund historisch und
systematisch detaillierter aufgeschlüsselt worden ist als hier möglich war.
,Freude an der Musik‘, Wertschätzen und Gefallen an harmonischen Verhältnissen galten
bei Herbart, Lotze und Stumpf als Paradigmata genuin positiver Urteile (Werturteile);
dagegen bedeutete Musik für Brentano lediglich die schon von Kant pejorativ formulierte
Erregung rein sinnlicher Lust als bloße Mitempfindung.31 Letztere stand in ihrer Wertigkeit
freilich tief unter dem alten ehrwürdigen Begriff der Harmonie. Harmonie in ihrem primär
musikalischen, nicht metaphysischen Kontext (Leibniz` Philosophie der „prästabilierten
Harmonie“) ist heute zu einem Gemeinplatz verflacht und wird metaphorisch auf alle
möglichen, irgendwie als wohltuend empfundene Zustände angewendet; gegen diese
Begriffsverflachung hatte Lotze sich ausdrücklich zur Wehr gesetzt.32
Die betont ästhetische Bezeichnung der Harmonie ist kulturgeschichtlich ein späteres
Entwicklungsphänomen als die griechische Würdigung ethischer Wirkweisen durch
Rhythmus und Melos; die besondere ästhetische Schätzung harmonischer Klänge entstand
erst im Zuge der Entdeckung der (latent immer vorhandenen) Mehrstimmigkeit.33 Auf
Herbarts tonpsychologische Initiation wurde bereits hingewiesen, auf seine revolutionäre
Gefühlstheorie ist bei anderer Gelegenheit zurückzukommen. Von größter epistemischer
Bedeutung war indes Herbarts Umlenken des Interesses am Sehen auf ein Interesse am Hören,
was dann ab dem 19. Jahrhundert auch zu einer akribischen Erforschung der Differenzen
zwischen dem Sehsinn und dem Hörsinn auf wissenschaftlicher Grundlage motivierte.
Der Psychologe Eckart Scheerer weist in seinem Artikel über die Geschichte der
Erforschung der Sinne in „Historisches Wörterbuch der Philosophie“ darauf hin, dass die
Bestimmung der Differenzen der Sinne von physiologischer und psychologischer Seite nach
großen Anstrengungen im 19. Jahrhundert auf bis heute ungelöste epistemische
Schwierigkeiten geführt hätte, nicht zuletzt weil die Psychologie als Wissenschaft zu keinem

31
Kant äußerte sich wiederholt über den angeblich rein sinnlichen, nur den Körper erregenden, nichts zum
Denken und nichts zur Kultivierung beitragenden minderwertigen Charakter der Musik als künstlerischer
Ausdruck (besonders § 53 der „Kritik der Urteilskraft“; vgl. dazu Kaiser-el-Safti 2009 a und b).
32
Lotze kritisierte in seiner „Geschichte der Ästhetik“ die verflachende metaphorische Verwendung des
Harmoniebegriffs. Gegen die Gepflogenheit, Konsonanz und Dissonanz als Bezeichnungen auch in anderen
Kontexten zu verwenden, machte er geltend, dass nur die Konsonanzen und Dissonanzen der Töne, die in ihrer
Art ganz einzigartig wären, das Verhältnis des Zusammenpassens oder Widersteitens in ihrem konzentrierten
Wert als ein unmittelbar erlebbares Gefühl zum Ausdruck brächten; „von ihnen hat daher die Sprache stets die
Ausdrücke der Harmonie und Disharmonie entlehnt, wenn sie den ähnlichen Werth analoger Verhältnisse
zwischen Dingen oder Personen gleich ausdrucksvoll und ebenso unabhängig von aller Rücksicht auf Zwecke
oder Objekte, an denen die verschiedenen Wirksamkeiten dieser zusammenstoßen, zu bezeichnen suchte“ (1868,
S. 288).
Auch in musiktheoretischen Kontexten scheint der Harmoniegedanke mit Aufkommen der Zwölftonmusik eine
Relativierung erfahren zu haben. Es war indes Arnold Schönberg, der sich durch Carl Stumpf bezüglich einer
Erweiterung, nicht etwa Vernichtung des Harmoniebegriffs, bestätigt und angeregt fühlte (vgl. dazu Julia
Kursell, 2008, S. 141).
33
Stumpf setzte sich 1911, S. 350, akribisch mit den Wandlungen und der begrifflichen Unschärfe des
Harmoniebegriffs auseinander,

33
Konsens hinsichtlich einer allgemein vertretbaren Theorie des Sinnlichen gefunden hätte:
„Mangels theoretischer Geschlossenheit hat die Psychologie des 20. Jahrhunderts keine
homogene Perspektive auf die S. [Sinne] ausgebildet“(1995, Bd. 9, Sp. 859).
Man muss dieser Aussage Gewicht beimessen, denn der Mangel an theoretischer
Geschlossenheit führte nach Scheerer dazu, dass die Thematik an die Physiologie und
Psychophysik delegiert wurde, die Wahrnehmungspsychologie „sich mit allgemeinen, dem
Anspruch nach für alle S. [Sinne] gültigen Gesetzmäßigkeiten“ befasste und die Differenzen
zwischen den Sinnen ignorierte. Der Tendenz nach ist das heute am Beispiel der
epistemischen Grundlagen der Berliner Gestaltpsychologen zu verifizieren, die ihren primären
Fokus auf die musikalische Perzeption aufgaben, sich wieder der visuellen Basis zuwandten,
um zuletzt unter positivistischem Einfluss mit allgemeinen Gestaltgesetzen, jetzt ohne
epistemische Basis und frag-würdiger ästhetischer Relevanz, aufzuwarten. Anstelle der
Differenzen pochte man zuletzt auch im engsten Kreis der Schüler Stumpfs unter
ökonomischen und positivistischen Aspekten auf eine Einheit der Sinne,34 was im Kontext
von Stumpfs Entwicklungstheorie freilich einen Rückfall in vor-kulturelle ,primitivere‘ Zeiten
bedeutete. Man sucht heute gelegentlich den Verzicht auf sinnliche Differenzen mit einem
veränderten Interesse an ,Synästhesie‘ zu kompensieren, was jedoch epistemisch und
ästhetisch irrelevant ist.35 In der Auseinandersetzung zwischen Brentano und Stumpf – in den
Briefen vorwiegend in der zweiten Hälfte der Briefe thematisiert –, behauptete das Thema
,Differenz versus Gleichheit der Sinne‘ einen noch zu wenig reflektierten epistemisch und
emotionstheoretisch relevanten Stellenwert.36
Brentano beklagte sich wiederholt bei Stumpf, er habe seine Intensitätslehre nicht
gewürdigt. Der Vorwurf ist zutreffend; aber warum sollte Stumpf eine Theorie würdigen, die
a) über keine empirische Basis verfügte und sich b) explizit gegen die Verschmelzungslehre
wandte, ohne dass Brentano je entsprechende experimentell überzeugende Belege für seine
Wettstreittheorie hätte beibringen können?37 Stumpf übertrug Jahre später, 1911, die
Auseinandersetzung mit dem Intensitätsbegriff in der damaligen Psychologie einem
Doktoranden, Wilhelm Reimer, der sich detailliert mit den systematischen (allgemeinen,
erkenntnistheoretischen) Prämissen und den historischen Aspekten dieser Theorie
auseinandersetzte, die, von Herbart angestoßen, in der Hauptsache das Verhältnis des
Quantitativen und Qualitativen in der menschlichen Wahrnehmung und für eine Theorie des

34
Vgl. dazu Kaiser-el-Safti 2014 a. – Frauke Fitzner (2014 a, S. 191 ff.) befasste sich erkenntniskritisch mit den
Grundlagen der von Stumpfs Schüler Erich von Hornbostel vertretenen ,Einheit der Sinne‘. Sie stellt eine
Ambivalenz bei v. Hornbostel fest, insofern eine an Messung interessierte positivistische Haltung mit einer
pessimistischen, an der Kunst orientierten essayistischen Weltanschauung konkurrierte.
35
Da werden vermutlich unterschiedliche Konzepte, nämlich Synästhesie und Synergie verwechselt, die aus
Unklarheiten der Gestaltpsychologie rühren könnten.
36
Scheerer verweist darauf, dass sowohl in psychologischer als auch in philosophischer Perspektive
unterschiedliche erkenntnistheoretische Ansätze den Grund für die Heterogenität in der Interpretation und der
Gewichtung der Sinne verursachten. Auf psychologischer Seite artikulierten sich biologisch, lebenspraktisch und
behavioristisch orientierte Ansätze, auf philosophischer Seite transzendental-formale, realistische und kritisch-
realistische epistemische Ansätze (l. c. P. 860 ff.).
37
Der ,springende Punkt‘ resultiert aus dem Sachverhalt, dass einzelne Töne sich im Wahrnehmungsexperiment
in der Tat herstellen lassen und wahrgenommen werden können, nicht jedoch die Mischanteile von Farben,
insofern ,Farbe‘ als Bezeichnung für das wahrnehmbare Phänomen gemeint ist und nicht als Ausdruck für
physikalische Lichtverhältnisse. Brentano scheint diese beiden Perspektiven in seinem Votum für Grün
wiederholt verwechselt zu haben, wenn er die Fähigkeit der Maler, Farben zu unterscheiden und zu mischen
gegen die angeblichen Irrtümer der Physiologen auszuspielen suchte (vgl. Brentano 1979, S. 5 f.) – Stumpf
betont 1915, S. 18 und wieder in der „Selbstdarstellung“ nochmals die Möglichkeiten und die Notwendigkeit, mit
einfachen Tönen (nach Beseitigung der Obertöne durch Interferenzvorrichtungen) zu experimentieren und hebt
deren Gewinn für die Musiktheorie hervor (1924, S. 245).

34
Seelischen tangierte. Reimer nahm auch Brentanos Interpretation unter die Lupe. 38 Wiederum
nach Jahren, 1918, – Brentano war inzwischen verstorben – rollte Stumpf nochmals die zu
dieser Zeit auf breiter Basis diskutierte Intensitätslehre nach allen Seiten hin auf und befasste
sich seinerseits mit Brentanos Lehre, der er freilich, da sie unter epistemischen Aspekten
gegen seine Empfindungs- und Vorstellungstheorie, unter ästhetischen Aspekten gegen die
Verschmelzungslehre gerichtet war, nicht zustimmen konnte.
Der Terminus ,Intensität‘ behauptete seit Herbart eine exzeptionelle Position innerhalb der
deutschen Psychologie. Brentano hatte dem Intensitätsbegriff bereits in der Schrift „Vom
Ursprung sittlicher Erkenntnis“ eine wichtige Funktion eingeräumt, um die Bedeutung eines
Guten von einem Besseren und Letzteres wieder von einem Besten (höchsten Gut) zu
unterscheiden. Zehn Jahre später versieht er den Intensitätsbegriff in seinem Kongressbeitrag
mit einer anderen Gewichtung, die besonders eine Kritik an Herbarts rechnender Psychologie
im Visier hat. ,Intensität‘ bedeutete nach Herbart im Rahmen der Infinitesimalrechnung
Annäherung an einen absoluten Wert. Das eigentliche Ziel der Herbartschen Psychologie galt
letztlich der Überwindung quantitativer und qualitativer Teilaspekte. Brentano hatte sich des
Phänomens der Steigerung 1889 positiv bedient, um auf dieser, wie er meinte, empirischen
Basis die Annäherung durch Summation eines Guten an ein höchstes Gut plausibel machen zu
können.
Zehn Jahre später (im Kongressbeitrag) erfolgte dann Brentanos Neubestimmung des
Intensitätsbegriffs. Mit dem revidierten Begriff will er in seinem Beitrag „Über Individuation,
multiple Qualität und Intensität sinnlicher Erscheinungen“ (1896/1979, S. 66 ff.) nachweisen,
dass eine Größenangabe, die keine wirklich vermessbare Größe (eine Größe realer
Teilbarkeit) darstellt und keine Messung ermöglicht, auch kein seriöser Begriff sein könnte,
der Intensitätsbegriff vielmehr, wenn er weiterhin wissenschaftliche Verwendung finden
sollte, eine Änderung erfahren müsste. Anstelle einer qualitativen Steigerung und
Intensivierung sinnlicher Erlebnisse soll er nun im Kontext quantitativer, räumlicher
Vorstellungen von der Ausbreitung irgendwie wahrnehmbarer farblicher, tonaler Partikelchen
in den Sinnesempfindungen zeugen, die einen allgemeinen Sinnesraum (einen Raum für alle
Sinne) mehr oder weniger stark ausfüllen. In dieser Bedeutung könnte er dann für die ihrem
Wesen nach raumlosen psychischen Akte – und also auch Gefühlsakte – prinzipiell keine
Anwendung mehr finden. Der neue Intensitätsbegriff diente Brentano hier hauptsächlich zur
Ausschließung des Sinnlichen vom Psychischen respektive der strikten Unterscheidung
sinnlicher Mitempfindungen von ethisch relevanten psychischen Gefühlsakten.
Brentanos Umwandlung der üblichen Verwendung des Intensitätsbegriffs (als qualitativer
Stärkegard für Wahrnehmungsphänomene respektive deren Attribute) impliziert Brentanos
Verschränkung phänomenologischer mit logischen Argumenten zur Durchsetzung
metaphysischer Ideen, die dem Verhältnis des Qualitativen und Quantitativen einen
Hintergrund verschaffen sollen, der sich mit Brentanos Erkenntnispsychologie der inneren
Wahrnehmung und mit den ethischen Grundlagen richtiger (ethisch wertvoller) respektive
falscher (ethisch minderwertiger) Vorzugsakte vertragen würde und diese scharf von der
sinnlichen Wahrnehmung zu scheiden erlaubte. Brentano definierte ,Raum‘ respektive
Raumanschauung oder Raumempfindung nun als logisch zu rechtfertigendes
Individuationsprinzip der Körper und der Sinne (vgl. Brentano 1896 in 1907, S. 66 ff.). Alle
sinnlichen Erscheinungen, auch Töne, seien räumlich ausgedehnt. Brentano votiert, nach dem
logischen Satz der „Identität des Ununterscheidbaren“, phänomenologisch freilich nicht
nachvollziehbar, für einen Sinnesraum, will in diesem Kontext Differenzen zwischen dem

38
Reimer führte eine akribische Untersuchung der Verwendung des Intensitätsbegriffs bei zahlreichen Vertretern
der deutschen Psychologie durch, die auch eine Kritik an Brentanos Theorie der Intensität enthielt (S. 331 f.).

35
visuellen und dem akustischen Sinn, den Farben und den Tönen, bestreiten. Er behauptet, dass
Raum getrennt von Raumerfüllung mit Qualität ,irgendwie‘, wenngleich nicht bewusst
wahrgenommen, jedenfalls unterschieden würde.39
Reimer bemerkt 1911 in seiner akribischen Auseinandersetzung mit dem Intensitätsbegriff
zu Brentanos Intensitätslehre, dass der Empfindungsraum „in dieser konkreten Ausgestaltung
im besten Falle doch nur ein Bild ist, da dieser Raum in jedem Falle nicht wie der sonst
bekannte Raum anschaulich gegeben ist“ (Reimer 1911, S. 332). ,Vielheit‘ in Brentanos
Verständnis einer quantitativen Ausbreitung farblicher und tonaler Partikelchen ließe sich
nirgends beobachten und es bestehe ein gewaltiger Unterschied zwischen den Gebieten der
Qualität und der Intensität. (S. 333) Stumpf kritisierte seinerseits nicht nur den angeblichen
Wahrnehmungs- oder den Anschauungscharakter dieser Raumauffassung, sondern auch den
von Brentano in diesem Kontext in Anspruch genommenen logischen Grundsatz der „Identität
des Ununterscheidbaren“; nach Stumpf hat er zwar Geltung für Dinge (Körper, Gegenstände),
aber nicht für Dingattribute, ,unabtrennbare Teile‘ wie räumliche und zeitliche Ausdehnung
(vgl. Stumpf 1939/40,§ 12, S. 148). Die anhaltende Diskussion über den Terminus ,Intensität‘
bezeugt seine Bedeutung für Phänomenologie und Erkenntnistheorie. Brentano suchte mit
seiner Sicht der Dinge bei anderen Forschern Zustimmung und hat sie im Einzelfall (bei Ernst
Mach) wohl auch gefunden. Die sinnespsychologische Basis der meisten Forscher ging aber
von ganz anderen Fragestellungen aus, die sich mit der Diversität der Sinne respektive den
Attributen der beiden ,höheren‘ Sinne, Sehen und Hören, befassten.
Hermann von Helmholtz und Ewald Hering explizierten sich über Begriff und Wesen der
Farbe, Anzahl der Grundfarben (sechs nach Young, vier nach Hering, drei nach Helmholtz),
reine Farben, Wesen der Mischfarben, Bedeutung der ,tonlosen‘ Farben (Schwarz und Weiß)
in Bezug auf das Attribut ,Helligkeit‘. Hinsichtlich der Farben respektive Mischfarben – denn
jede perzipierte Farbe (nicht die physikalische Bestimmung der Lichtfrequenzen) ist infolge
ihrer physiologischen Verarbeitung eine Mischfarbe, reine Farben sind phänomenologisch
betrachtet Idealisierungen – hatte Hering vertreten, dass Farben der Begriff ,Intensität‘
jedenfalls nicht zukomme, weil jede Farbe infolge ihrer Weiß- und Schwarzbeimischung
(Differenzen ihrer Helligkeit) eine andere Farbe ergebe und auf den Begriff der Intensität aus
denkökonomischen Prinzipien verzichtet werden könnte. Im Unterschied zu Farben kann man
aber bei Tönen sehr wohl von einfachen oder reinen Tönen sprechen und sie nach
Eliminierung ihrer Obertöne auch wahrnehmen (hören), mit ihnen und an ihnen weitere
musikalische Attribute wie das der Verschmelzung, sowohl experimentell erhärten, als auch
(an einfachen Tönen) problemlos Intensität bezüglich Lautstärke nachweisen.
Das Zusammenerklingen von Tönen zu Intervallen und Akkorden (als ,multiple Qualität‘)
hat vor allem etwas mit Qualität, nämlich dem Auslösen eines positiven Wohlempfindens und
darüber hinaus mit dem Erkennen von Verhältnissen zu tun, nicht mit der quantitativen
Verteilung von Tonpartikelchen! Warum sperrte Brentano sich gerade gegen diesen
Tatbestand, den Stumpf zum wiederholten Mal nachgewiesen hatte? Weil es nach Brentanos
Metaphysik und der Grundintention seiner Schrift „Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis“
(1889) im sinnlichen, dem Körper verhafteten Fühlen, kein wertvolles, positives Erleben,
lediglich niedere lustvolle oder unlustvolle Mitempfindungen geben kann und jedes richtige
Gefühl allein den moralischen Vorzugsakten eines richtigen Liebens vorzubehalten ist,
worauf im Folgenden Abschnitt zurückzukommen sein wird.
Brentano glaubte sich mit seiner Auffassung von Intensität einerseits auf Ewald Hering
berufen zu können, der die Intensitätslosigkeit (in phänomenologischer respektive qualitativer

39
Auf die metaphysische, an Leibniz‘ idealistische respektive an die platonische Philosophie anknüpfende
Theorie der „petites perceptions“ wurde bereits hingewiesen.

36
Perspektive) der Farben aber mit einem ganz anderen Erkenntnisinteresse verteidigte. Nach
Brentano können visuelle Phänomene in dem Sinne als intensitätslose eingeschätzt werden,
weil sie, im Unterschied zu Tönen, keine Lücken im Sehraum aufweisen, weil selbst bei
geschlossenen Augen nicht nichts, sondern das Augengrau erscheint, während Töne durch
Pausen unterbrochen werden, sie nach Brentanos Theorie also ,lückenhaft‘ sind. Aus dieser
Sicht der Dinge konnte nun nach Brentanos Modell auch die Überlegenheit des lückenlosen
Sehsinns über den lückenhaften Hörsinn gefolgert und gegen Stumpfs Erklärung der
Verschmelzung von Tönen und Klängen polemisiert werden.40
Abschließend sollen Kritiker aus den Reihen Brentanos noch zu Wort kommen: Christian
von Ehrenfels hatte sich unmittelbar nach Brentanos Kongressvortrag gegen dessen Theorie
der Intensität ausgesprochen, bezeichnenderweise nicht auf der Basis der Wahrnehmungs-
psychologie, sondern in Bezug auf die Aktpsychologie (auf die es Brentano ja hauptsächlich
ankam) und hier besonders gegen die Intensitätslosigkeit von Gefühlsakten polemisiert, die
sich empirisch nicht aufrecht erhalten ließe. Ehrenfels konstatierte „schwere Verwicklungen
mit den Zeugnissen der direkten Erfahrung“ (1898, S. 54) und glaubte zum einen empirisch
nachweisen zu können, dass gerade Gefühlsakte ohne Intensität für eine Gefühlstheorie nicht
haltbar seien, zum anderen erhebliche Probleme der Klassifikation und in Bezug auf das
Verhältnis von Akt und Inhalt nachweisen zu können.
Richard Müller, der sich 1943 mit Brentanos Gefühlstheorie auseinanderzusetzte und
Klarheit über sie zu gewinnen suchte, verweist auf den exquisit moralischen Charakter der
Gefühlslehre Brentanos (1943, S. 39), den die Verfechter der Tonlehre auf der Basis einer
empirischen Ästhetik gerade zu vermeiden suchten: Wenn Brentano die postulierten
Vorzugsakte im Sinne richtig charakterisierter Gemütstätigkeiten (des Liebens, Hassens) „aus
Begriffen entspringen“ lässt, ergebe sich die notwendige Folgerung, „daß sie unsinnliche,
noetische, intensitätslose Bewertungsakte sind“. Wenn diese wiederum mit Affekten der Lust-
Unlust in Widerstreit gerieten, meinte Brentano, entstünde ein moralischer Konflikt. – Nach
Müller bleibt in diesem Fall jedoch die Frage unbeantwortet, „wie der Kampf völlig
intensitätsloser Gemütstätigkeiten mit solchen höchster Intensität und insbesondere ein
Obsiegen der ersteren über die letzteren zu begreifen ist.“
Georg Katkov wollte im Rahmen seiner werttheoretischen Untersuchungen Brentanos
Postulat evidenter Vorzugsakte nur dann akzeptieren, wenn Brentanos neue Intensitätslehre
hieb und stichfest wäre, wofür Katkov sich dann auch stark machte.41 Zwar trägt er dem
Einwand Rechnung, dass die sinnlichen Partikelchen in der Tat nicht wahrgenommen werden,
meint aber vertreten zu können, dass sich die Intensitätsunterschiede in negativen
Wahrnehmungsurteilen zu erkennen gäben, die gewissermaßen ein Ungenügen (einen
Mangel, ein Fehlen) in dem sinnlich Wahrgenommenen zum Ausdruck brächten. Katkov geht
mit dem Postulat negativer Wahrnehmungsurteile (das Urteilen über die Wahrnehmung eines
nicht vorhandenen Etwas) über Brentanos Theorie hinaus, meint aber wohl, sich auf diese
Weise dem rationalen Charakter der evidenten Vorzugsakte respektive Urteile über ein
richtiges Lieben und Hassen annähern und zugleich dem prinzipiellen Ungenügen am
sinnlichen Erleben gerecht werden zu können. Wenn es im Bereich des Sinnlichen,
insbesondere der Töne, keine dauerhafte und keine vollkommene Erfüllung (kein volles Maß

40
Die von Stumpf und schon von Herbart postulierte Einfachheit der Töne wurde zunächst von den Vertretern
der Relativitätslehre der Empfindungen, insbesondere von Wilhelm Wundt, bestritten (vgl. Stumpf
„Tonpsychologie“ I, S. 4 ff.), später dann auch von den Berliner Gestaltpsychologen auf der Basis des
Psychophysischen Parallelismus negiert.
41
Es ist kaum nachvollziehbar, dass Georg Katkov die eigentliche philosophische Quelle von Brentanos
Intensitätslehre nicht kannte.

37
an Intensität) geben kann, weil Katkov wie Brentano das räumliche Nebeneinanderliegen von
Tönen, das von Pausen, in denen nichts geschieht, unterbrochen ist, verteidigt, dann ist im
Zuge eines negativen Beweises ein höchstes (vollkommenes) Gut nur in evidenten Urteilen
über ein richtiges Lieben und Hassen zu erbringen. Wir haben in unserem, von Gott
geschaffenen Bewusstsein (These des Kreationismus) eine Vorstellung von einem
vollkommenem Guten und diese Vorstellung kann nicht aus den sinnlichen Affekten,
überhaupt nicht aus dem Sinnlichen entstanden sein, das selbst ohne Perfektion ist. Dem
sinnlichen Verlangen und der körperlichen Lust inhäriert, wie von den meisten antiken
Ethiktheorien bis Kant verfochten wurde, stets ein der Vergänglichkeit und Unzuverlässigkeit
unterworfenes niederes Begehren nach Mehr oder Anderem, dem von Seiten der Religion ein
jenseitig Besseres in Aussicht gestellt wird und von Seiten der Vernunft mit Enthaltung und
mit Widerstand zu begegnen war.
Mit Hinweis auf ein alltagspsychologisch bekanntes Erleben unterstreicht Katkov seine
Konstruktion, die auch zu einer experimentellen Überprüfung Anlass geben könnte: Wenn wir
nach einem abgeklungenen Schmerz oder der Befreiung von einer Krankheit ein scheinbar
positives Glücksgefühl erleben, bringt dieses in Wirklichkeit nur das negative Urteil über das
Nachlassen oder Aufhören des Übels (der Schmerzen), der Befreiung von der Krankheit zum
Ausdruck (,ich bin nicht mehr krank, habe die verlorene Gesundheit wiedererlangt‘), deutet
demnach gerade nicht auf eine positive sinnliche Glücksquelle. Wenn also das Fühlen sich per
se nicht und nie einem höchsten (besten, vollkommenen, dauernden) Gut anzunähern vermag,
dann scheidet das Gefühl als Quelle des Ethischen prinzipiell aus, oder es ist ein Dualismus
anzunehmen zwischen ,höheren‘ (Vorzugsakte des richtigen Liebens und Hassens) und
,niederen‘ Gefühle (bloße sinnliche Mitempfindungen). Folgerichtig müssten dann aber auch
die ästhetischen Werturteile entweder etwas Negatives zum Ausdruck bringen (ein Fehlen,
ein Ungenügen) oder kognitive Urteile sein, womit Katkov und Brentano ja auch nicht allein
standen, vielmehr mit einem moderneren Gefühlstheoretiker, mit William James,
übereinstimmten. Von dieser weithergeholten angeblichen Verwandtschaft zwischen
Brentano und James handelt der letzte Abschnitt.

4. Der ,springende Punkt‘ in der Auseinandersetzung zwischen Franz Brentano und


Carl Stumpf – die Gefühlslehre.
Das Fühlen kam erstmals im Briefwechsel der 1876gerjahre zur Sprache und zwar in
Zusammenhang mit Stumpfs Distanzierung von Brentanos Metaphysik, Kreationismus,
Theodizee und markierte den Beginn tonpsychologischer Forschung. Stumpf hatte sich
dagegen gesträubt, dass eine, weil von Gott geschaffene und infolgedessen a priori an sich
gute und schöne Weltordnung auch ohne erkennendes und fühlendes Subjekt Sinn machen
würde, um dann im Nachhinein dem Subjekt (als Geschöpf Gottes) die Befähigung
anzutragen, diese Ordnung erkennend und fühlend auch für die Existenz Gottes bezeugen zu
können. Der Zirkelschluss, der Weisheit und Güte Gottes immer schon voraussetzt, um sie
sodann im Erkennen und Fühlen des Subjekts psychologisch wiederum als einen Beweis für
Gottes Existenz in Anspruch nehmen zu können, war wohl auch Brentano nicht entgangen;
ihn aufzulösen veranlasste vermutlich „Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis“.
Stumpf näherte sich der Komplexität der emotionellen Phänomene im Kontext ethischer
und ästhetischer Fragen, für die es ja bereits Vorläufer gab, auf die er sich stützen konnte. Im
Vorwort zum ersten Band der „Tonpsychologie“ kündigt Stumpf an, dass er neben
erkenntnistheoretischen Reflektionen besonders den ethischen Grundlagen des Musikgefühls
Aufmerksamkeit schenken will (1883, S. VII). Die philosophischen Schwesterdisziplinen
Ästhetik und Ethik begegneten sich im Reich der Töne und Klänge und schon die alten

38
Philosophen hätten „von einem tiefen Einfluss der Musik auf die Sitten, neue von einer
ethischen Grundlage des Musikgefühls“ gesprochen (S. VI, VII.). Stumpf erwähnt
vornehmlich Herbart, der der Musik eine unmittelbare Beziehung zur Ethik vindiziert habe,
zitiert aber auch dessen epistemisch-musikpsychologische Präambel: „Als Kant die Geometrie
aus der reinen Anschauung des Raumes erklärte, da vergass er die Musik mit ihren
synthetischen Sätzen a priori von Intervallen und Accorden“. Stumpf geht noch weiter: „Man
könnte in der That den ganzen ersten Theil der transcendentalen Elementarlehre [der
transzendentalen Ästhetik] der Kritik der reinen Vernunft s. z. s. in Musik setzten“(VIII). Es
wird allerdings noch drei Jahrzehnte dauern, bis Stumpf die auf zahlreiche Texte verteilten
tonpsychologischen Grundlagen zu einer Musikästhetik versammelt hatte. Warum es zu einer
endgültigen Ausformulierung dieser ihm besonders am Herzen liegenden Thematik nicht
mehr kam – darauf ist bei späterer Gelegenheit eine Antwort zu finden.42
Dass Brentano diese weitgesteckten Intentionen Stumpfs registrierte, steht außer Frage;
seine brieflichen Reaktionen richteten sich aber in der Hauptsache nur gegen die Konsonanz-
und Verschmelzungstheorie, die freilich den Kern der Musikforschung Stumpfs bildete – mit
Auswirkungen auf seine psychologische Grundkonzeption. Stumpf teilte schon im ersten und
wieder im zweiten Band der „Tonpsychologie“ nicht mehr Brentanos strikte
Klassifikationsbasis der psychischen Funktionen, die Vorstellungen scharf von Urteilen,
Urteile wiederum von Gefühls- und Willensphänomenen, Letztere in eine Grundklasse
zusammengefasst, unterscheidet. Stumpf leitete Freude an der Musik in beiden Bänden der
„Tonpsychologie“ aus einer Wurzel, dem Interesse, her, das Intellektuelle und das
Emotionale im Werturteil gleichermaßen berücksichtigend; dass er die Klasse der Urteile
wesentlich breiter auslegte, scheint Brentano zunächst entgangen zu sein.43 Stumpfs
Erweiterung der Klassifikationsfrage löste nämlich erst Jahre nach Erscheinen der
„Tonpsychologie“ bei Brentano im Brief vom 18. August 1899, S. 249, einem der
aufschlussreichsten Briefe der Sammlung, einen Sturm der Entrüstung aus. Von diesem Brief,
der die heftigste Krise in der Beziehung einleitete, war bereits in Abschnitt 2 die Rede
gewesen. Brentano gibt hier zu verstehen, dass er bezüglich der Affekte entschieden anders
denkt als Stumpf; er beklagt sich darüber, dass gerade an der Divergenz in Bezug auf das
Gefühlsthema eine grundlegende Entfernung von einst gemeinsam vertretenen Anschauungen
die Schuld trage und stellt Stumpf als einen abtrünnigen Schüler hin, der leichtfertigt die
Lehren des ,Altmeisters‘ missachtet hätte.44
Ausgelöst wurde Brentanos Zorn angeblich durch Stumpfs kurz zuvor erschienenen Artikel
„Über den Begriff der Gemütsbewegung“ (1899), in dem Stumpf sich gegen die
sensualistische Gefühlstheorie von William James aussprach. Auf den ersten Blick
verblüffend ist Brentanos Bekenntnis zu James` Theorie in diesem Brief. Stumpf hatte die
sogenannte James-Lange-Theorie akribisch zu widerlegen versucht, indem er deren

42 1911 schreibt Stumpf (in Dok. 294): „Dann möchte ich die Summe meiner musikpsychologischen Studien zu
einer Ästhetik der Tonkunst zusammenfassen und damit zugleich von diesen Studien Abschied nehmen, um auch
in Psychologie und Philosophie überhaupt noch einiges Zusammenfassendes zu sagen“.
43
„Freude an der Musik“ wird in beiden Bänden der „Tonpsychologie“ akribisch erörtert (1883, § 4, 1890, § 22;
vgl. dazu auch Kaiser-el-Safti 2011, § 6, „Erkenntnispsychologie des Hörens“, S. 26 f.).
44
Das Problem der Gefühle in ethischer (werttheoretischer) Perspektive verweist (wie der Artikel Ehrenfels`
andeutete) auf ein Dilemma der Grundklassen im Rahmen der deskriptiven Psychologie; es überschreitet die
angedeutete Problematik, wenn ethisch relevante Fragen nach dem Willen (Freiheit des Willens, Determinismus)
ins Spiel kommen, die in den Briefen wiederholt angesprochen, aber nie ausdiskutiert werden. Die in der
„Psychologie vom empirischen Standpunkt“ erfolgte Zusammenfassung von Gefühl und Wille in eine
Grundklasse (vgl. Brentano 1874/1911/1971; S. 83 ff.) verschärft die Problematik, sobald der Dichotomie
niederer respektive höherer Gefühle Bedeutung erteilt wird.

39
Reduzierung sämtlicher Gefühle auf die Wahrnehmung körperlicher Veränderungen und
James Weigerung, überhaupt noch von Gefühlen zu sprechen, wenn körperliche Sensationen
(wie Herzrasen, Zittern, Erblassen, Rotwerden, Schwitzen, Gliederreißen) nicht auftraten, als
kontraintuitiv und als empirisch nicht haltbare Verallgemeinerung zurückgewiesen; dagegen
die in der deutschen Psychologie vertretene Klasse von Gefühlen verteidigt, die Vorstellungen
und Urteile einschließt, körperliche Reaktionen nicht unbedingt sehen lässt, die aber darum
nicht weniger intensiv erlebt werden. James hielt sich in seinem Artikel „What is an
Emotion?“, bereits 1884 erschienen, nicht lange mit einer Begründung seiner Abweisung
speziell der „purely intellctual Aesthetics“ (1884, S. 195) auf. In dem, Charles Darwins
„evolutionary priciples“ nachempfundenen Aufsatz, konnten sie auch schwerlich eine Rolle
spielen.45 Stumpf plädierte gegen James Theorie für die Notwendigkeit kognitiver Anteile
(Vorstellungen, Urteile) bei vielen Gemütsbewegungen, so auch bei den ästhetischen
Musikgefühlen. Gegen die sensualistische Theorie und die rein sensualistische Deutung der
Musik durch Théodule Ribot machte Stumpf geltend: „Erst wenn Empfindungen und
namentlich Combinationen von Empfindungen von einem sei es noch so wenig entwickelten
,beziehenden Denken‘ umsponnen werden, beginnt auch das ästhetische Fühlen“ (S. 54, Herv.
nicht bei Stumpf).
Bemerkenswert ist zunächst das späte Datum von Stumpfs Reaktion auf James Artikel.
Das Erscheinen von James Aufsatz lag 15 Jahre zurück! Wenn wiederum Brentano sich zu
dieser Zeit mit James Theorie identifizierte, dann freilich nicht, weil er sich der Lehre
Darwins verwandt fühlte, die er im Gegenteil strikte ablehnte, sondern weil er sich mit James
und Ribot gegen Stumpfs Verteidigung kognitiv durchmischter Musikgefühle abgrenzen und
behaupten konnte, dass alles an den Musikgefühlen rein sinnlicher Natur sei. Im
Postskriptum des Briefes unterstreicht Brentano diese Auffassung: „Ich glaube nicht
fehlzugehen, wenn ich annehme, dass die Frage nach dem Affekt Sie ganz besonders mit
Beziehung auf die musikalischen Genüsse interessierte. Sie möchten, um deren Adel
Rechnung zu tragen, sie über die sinnliche Sphäre in die geistige erheben. Gewiss ist auch
hier, soweit es sich um intensive Erscheinungen handelt, alles sensualistisch zu begreifen.“
Die heftige Reaktion Brentanos wurde aber vermutlich nicht allein oder nicht erst durch
Stumpfs Artikel von 1899 provoziert. Stumpf hatte nämlich bereits zwei Jahre früher, 1897,
zwei Artikel über Musik und Gefühl veröffentlicht, in denen das Thema der Musikgefühle im
Kontext ethischer Reflexionen zentral behandelt wird. In diesen Beiträgen werden die
Musikgefühle in Zusammenhang mit der Konsonanz- und Verschmelzungslehre sowohl
systematisch in Bezug auf musiktheoretische Grundlagen aufgearbeitet als auch in
historischer Retrospektive bis in die antike Philosophie zurückverfolgt. In dem Beitrag, „Die
Pseudo-Aristotelischen Probleme über Musik“, äußert Stumpf auch vorbehaltslos – wie sonst
in keinem seiner Briefe an Brentano – seine Grundeinstellung zum Hören, nämlich „dass das
Gehör wenigstens durch die Feinheit und Vielgestaltigkeit der rhythmischen und qualitativen
Abstufungen weit über allen anderen Sinnen steht“ (S. 62). Sollte Brentano die Inhalte dieser
Artikel gekannt haben, musste er gewahr werden, wie weit Stumpf sich in der Tat von seiner
Gefühlslehre entfernt hatte.46

45
Jedenfalls erachtete Stumpf das Bemühen, ästhetische Phänomene evolutionistisch ,erklären‘ zu wollen, für
irrelevant (vgl. Stumpf „Musikpsychologie in England“, 1885, S. 308 f., ein Jahr nach James` Artikel
erschienen!).
46
Es handelt sich neben den „Pseudo-aristotelischen Problemen über Musik“ um die „Geschichte des
Konsonanzbegriffs“, beide 1897 im Rahmen der Bayerischen und der Preußischen Akademie der
Wissenschaften erschienen.

40
Brentano selbst hegte freilich eine andere Auffassung vom ästhetischen Wert der Musik,
die in seiner „Klassifikation der Künste“ an Kants Urteil über den minderwertigen Rang der
Musik als Kunstform erinnert. Brentano stützt sich hier nicht auf Kant, sondern auf
Aristoteles, um den Nachahmungscharakter der Musik zu erhärten (1959, S. 207 f), der zu
Beginn des 20. Jahrhundert, jedenfalls in Bezug auf die meiste Instrumentalmusik von
niemandem ernst zu Nehmenden noch vertreten wurde. Summa summarum meint Brentano in
Bezug auf den Wert von Musik: „Da zeigt sich denn, daß die Kunst, die sich direkt an das Ohr
wendet, wenn sie auch alles aufbietet, unvergleichlich weniger vermag als die Kunst, die sich
an das Auge wendet. Skulptur und Malerei wecken begriffliches Denken mit ungleich
größerer Deutlichkeit, bei der Musik bleibt fast alles verschwommen“ (S. 210). Wie
selbstverständlich ergibt sich dann: „Von vorneherein ist dann die Kunst, die sich an das Auge
wendet, als die höhere zu erkennen, ist doch das Gesicht der vorzüglichste unserer Sinne und
macht am meisten Unterschiede offenbar.“47 Der Hintergrund der Differenzen in Bezug auf
den Stellenwert der Musik lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
(1) Prima Vista ist nicht nachvollziehbar, warum Brentano sich über Stumpfs Verteidigung
kognitiv getönter Gefühle empören konnte, wenn der metaphysische Kontext nicht mitgedacht
wird. Anscheinend hatte er wieder vergessen, was Stumpf schon vor Jahren dazu bewogen
hatte, sich dem Leben und dem Glücksverlangen der Menschen zuzuwenden, statt über die
metaphysischen Rätsel der Theodizee zu grübeln. Neben dem nicht zu verleugnenden Leid
und den moralischen Übeln in der Welt war nach einem verlässlichen Grund für Freude zu
forschen, der noch andere Möglichkeiten eröffnete als die angeblich ,niederen‘, der
zweckgebundenen Lebensbewältigung, der sinnlichen Befriedigung, dem bloßen Nutzen
dienend oder durch zufällige, sich schnell erschöpfende Vergnügungen verursacht – und zwar
ohne sofort und a priori religiös-metaphysische Erwägungen in Bezug auf ein höchstes Gut
mitsprechen zu lassen. Bereits zu dieser Zeit dürfte Stumpf an das positive Gefühl, den Wert,
die Freude, gedacht haben, die Musik und jeglicher Kunstgenuss zu vermitteln vermag.
Der Punkt ist von allgemeinerer Bedeutung: Bis heute rätselt die moderne
Emotionsforschung darüber, was sie als Ersatz für den metaphysischen respektive ethisch-
werttheoretischen Hintergrund der Gefühle als allgemein positiv gewertetes Gefühl,
insbesondere in Bezug auf dessen spezifischen körperlichen Ausdruck beibringen könnte (vgl.
dazu Kaiser-el-Safti 2014b). Derzeit tonangebend von bio-neurologischen und
evolutionistischen Vorgaben bestimmt, kann die angeblich wertfreie wissenschaftliche
Emotionsforschung, von pathogenen und defizitären Entwicklungen ausgehend und unter
Anpassungsaspekten doch nur den Mangel Ersterer und die ,Normalität‘ Letzterer positiv
gewichten, für die aber, wie für ,Gesundheit‘, im Grunde nur das Fehlen von Krankheit und
Anomalie, also letztlich allein negative Befunde nachzuweisen sind. Dagegen brachte die
musikpsychologische Forschung das positive emotionale Erleben der Harmonie ins Spiel.
(2) Offenbar hatte Brentano sich nie mit den zahlreichen Inhalten und Einzelheiten der
Tonpsychologie befasst, die zum vollen Verständnis zentraler Grundgedanken, insbesondere
der Harmonie-, Konsonanz- und Verschmelzungslehre, in der Tat unverzichtbar waren.
(3) Stumpf hatte sich seinerseits in den Briefen nicht zu Brentanos Ethikschrift geäußert,
die Brentano (in Dok. 206) als „das Reifste und Beste“ seiner Arbeiten ausgezeichnet hatte
und der neuen Intensitätslehre seine Zustimmung verweigert, sodass sich auf beiden Seiten im
Laufe der Jahre ein gegenseitiges Nicht-Verstehen-Wollen oder -Können in wichtigen

47
Brentano äußerte sich auch noch an anderen Stellen über den ästhetischen Wert der Musikgefühle, z. B. in
seinem Beitrag zum 5. Internationalen Psychologie-Kongress in Rom (1905/1907/1979) und in einem Diktat
„Aphorismen über die Musik“ (1959, S. 216 ff.), auf das bei späterer Gelegenheit detailierter einzugehen ist.

41
Grundlagen manifestierte. Jedoch schien Brentano auch in seiner brieflichen Abrechnung mit
Stumpf Informationen zurückzuhalten, die seinen Zorn verständlicher erscheinen lassen.
Man hätte sich aber auch von Stumpfs Seite mehr Offenheit gewünscht, der jedoch, wie
häufig in den Briefen an Brentano, vornehmlich defensiv reagierte, obwohl ihm der
,springende Punkt‘ der Ethikschrift doch wohl bekannt war. Lapidar verteidigt er sich gegen
die ihm angetragene Nachfolgerschaft, Brentano und Aristoteles betreffend: „Wenn Sie daher
eine Reihe von Abweichungen von dem, was einst Sie selbst oder gar Aristoteles gelehrt,
anführen, so kann ich darin allein doch keine Widerlegung [eigener Standpunkte] erblicken.“
Stumpfs Zurückhaltung wird – von einem historischen Anknüpfungspunkt, auf den weiter
unten einzugehen sein wird, noch abgesehen –, mit der epistemisch und psychologisch
unakzeptablen Grundhaltung der Gefühlslehre Brentanos in Zusammenhang gestanden haben:
Um die höheren Vorzugsakte eines als richtig charakterisierten Liebens und Hassens gegen
die ,niederen‘ Gefühle der Lust und Unlust abgrenzen zu können, hatte Brentano sie
(epistemisch) in Analogie zu „einem Drang zu blinden Urteilen“, (ethisch) als „blinde
Affekte“ und (psychologisch) als „unrichtige Gemütsbewegungen“ desavouiert (1969, S.
136).48
Epistemisch und psychologisch kann es unrichtige oder falsche Gemütsbewegungen nicht
geben; Affekte mögen das Urteil trüben, aber sie selbst sind nicht ,blind‘. Wohl mag es
Gefühle geben, die in Bezug auf eine Situation und infolge bestimmter Wertkriterien – ein
(induktives) ethisches Urteil oder das jeweilige individuelle Selbstbild – als nicht angemessen
– nicht mit der jeweiligen Situation, dem moralischen Urteil, dem Ideal-Ich übereinstimmend
–, gedeutet werden. Allgemein geltende ,richtige‘ Gefühle – vergleichbar mit den von Kant
postulierten universellen ethischen Geboten des ,kategorischen Imperativs‘ – kann es
jedenfalls nicht geben.49 Im Rahmen der intentionalen Psychologie wirkte sich die Analyse
der emotionellen Beziehung fatal aus, die als Beziehung keine allgemeine Geltung ihrer
Richtigkeit beanspruchen kann. Bei späterer Gelegenheit wird dieser Aspekt, der die
epistemisch schwierige Struktur des Werturteils respektive Wertgefühls genauer in
Augenschein nimmt, ausführlicher zur Sprache kommen.50
Was konnte Brentano, außer der Übereinstimmung mit James und Ribots Verballhornung
ästhetischer Gefühle, in seinem Brief an Stumpf zu einer Identifizierung mit deren
sensualistischer Gefühlstheorie veranlassen? „Sie [die James-Lange-Theorie]“, behauptet
Brentano, „schließt aus, dass je ein Affekt auf Objekte des abstrakten und eigentlich
sogenannten Denkens gehe und leugnet, dass jeder notwendig von Denktätigkeiten bedingt
sei“. Zu den ,Objekten‘ des abstrakten Denkens zählte Brentano auch die moralischen
Vorzugsakte bezüglich Gewissensentscheidungen. Offenbar sah er sich durch James in einer
scharfen Trennung zwischen körperlichem Affekt (Mitempfindung) und höherer (abstrakter)
Geistestätigkeit (moralische Vorzugakte) bestätigt, während Stumpf zu einer Überbrückung

48
Selbst wenn dieses Zitat aus der Ethikschrift einem Nachtrag aus späterer Zeit (1906) entstammen sollte, ist
die dort geäußerte epistemische Einstellung schon aus den Briefen der 1876erjahren deutlich erkennbar.
49
In Bezug auf die noch zu selten behandelte Problematik angeblich falscher oder unechter Gefühle vgl. William
Haas 1919. – In Brentanos Sicht der Dinge ist der Bezugspunkt freilich weder eine bestimmte Situation oder das
individuelle Selbstbild, noch etwas dem Kantischen ,kategorischen Imperativ‘ Vergleichbares, sondern die
immer vorausgesetzte immaterielle seelische Substanz.
50
In den nachgelassenen Schriften finden sich Korrekturen Brentanos, die die Theorie der intentionalen
Beziehung zum Objekt (primär, sekundär/immanent oder transzendent) betreffen, die von Stumpf nicht
mitgetragen wurden. Ein entscheidender Anstoß zu diesen Korrekturen ging vermutlich von der emotionalen
Beziehung aus, die Brentano dazu motivierte, den Beziehungscharakter zu radikalisieren und zuletzt für eine
bloß einstellige psychische Beziehung, ein „Relativliches“ zu votieren, die jeglichen inhaltlichen Aspekt aus der
Relation entfernte (vgl. Brentano 1911/1971, S. 133).

42
für die in der deutschen Psychologie stets thematisierte Spanne zwischen Empfindung und
Gefühl votierte. Dass körperliche Affekte sich niemals auf Objekte des abstrakten Denkens
richten könnten, war aber wohl eher Opinio communis des philosophischen Rationalismus
und Formalismus und mehr ihnen als James zu verdanken, der ästhetische Gefühle schlicht
nicht als Gefühle, sondern nur als ,blasse Gedanken‘ gelten lassen wollte. Näher liegt eine,
von Brentano sonst verpönte Nähe zu Kants Ethik, denn offenbar hatten sich auch in Kant
Skrupel geregt, in Bezug auf das Verhältnis von Urteil und Gefühl eine Vermischung von
Gefühlen mit Urteilen zu akzeptieren.51
Ein weiterer Aspekt in Brentanos Brief – hier nun den weiter oben angekündigten
historischen Blickwinkel einblendend – dürfte der aufschlussreichste sein; Brentano empört
sich wortreich über eine, seiner Meinung nach despektierliche Äußerung Stumpfs über
Descartes und verteidigt Descartes` philosophische Bedeutung. Stumpfs Bemerkung über
Descartes` „philosophisches Mönchstum“ (1899, S. 96) ist auf den ersten Blick in der Tat
befremdlich; sie gibt gewissermaßen James` Klage über uferlose Klassifikationsversuche der
Gefühle Recht und relativiert, für Brentano nicht tolerabel, an sich die Bedeutung der
Klassifikation des Psychischen. Brentano gegenüber rechtfertigt Stumpf sich (in Dok. 250),
indem er Descartes als „einsamen Menschen“ hinstellt, der sich von der Betriebsamkeit der
Welt in den philosophischen Elfenbeinturm zurückgezogen habe und erklärt Descartes` Hang
zu „tabellarischer Klassifikation der Gemütsbewegungen“ mit der Situation eines Menschen,
dem das eigene und fremde Leben nicht fortwährend die tausendfältigen Varietäten vor
Augen führten, „welche die Aufführung fester Spezies hier ebenso erschweren wie in der
Botanik und Zoologie“. Stumpf dürfte jedoch gewusst haben, wie wichtig Descartes` Ethik –
wenigstens zeitweilig – für Brentanos Ethiktheorie gewesen war, aber er scheint der
Auffassung gewesen zu sein, dass von Descartes` Philosophie keine epistemisch
überzeugende Antwort über das Wesen der Affekte zu erhalten war, um die es Stumpf ja viel
mehr zu tun war als eine formale klassenmäßige Erfassung der Gefühle beizubringen, die
Brentano hinsichtlich seiner metaphysischen Konstituenten benötigte.
Brentano hatte sich in „Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis“ wiederholt auf Descartes
bezogen, allerdings keine konkrete Stelle aus dem Werk, die den anstehenden Kontext
erhellen würde, herangezogen.52 In Bezug auf den schneidenden Satz Brentanos; „Sie [die
Jamessche Gefühlstheorie] schließt aus, dass je ein Affekt auf Objekte des abstrakten und
eigentlich sogenannten Denkens gehe, und leugnet, dass jeder notwendig von Denktätigkeiten
bedingt sei“, kommt als eigentlicher Ideengeber viel eher Descartes als James in Frage.
Descartes, der von heutigen Emotionsforschern gelegentlich als rigider Körper-Geist-
Dualist verschrieen wurde (beispielsweise von Antonio Damasio 1998), war entgegen des
sonst vertretenen Körper-Geist-Dualismus‘ in seiner Schrift „Die Leidenschaften der Seele“
(1649/1984) in Bezug auf die Emotionen im Gegenteil gerade dafür eingetreten, Abstand zu
nehmen von der traditionellen Trennung der Seelenteile in ,obere‘ und ,untere‘, ihre
vernünftige (rationale) und ihre sensitive (emotionale) Seite, die mit der Körperlichkeit
identifiziert wird, und hatte dafür plädiert:„Es gibt aber in uns nur eine Seele, und diese Seele

51
Kant gibt in der Vorrede zur „Kritik der Urteilskraft“ zu bedenken, dass in der Erkenntnis der Natur zwar der
teleologische Aspekt (die emotionale Erfassung ihrer Schönheit) eine gewisse regulative, aber keine
philosophisch konstitutive Rolle spielen dürfte und verleiht in diesem Kontext seiner Verwunderung Ausdruck
über „die Beziehung auf das Gefühl der Lust und Unlust, die gerade das Rätselhafte in dem Prinzip der
[ästhetischen] Urteilskraft ist“ (1968, Bd. 8, S. 240). Dass Kant dieses Rätselhafte nach seinen Prämissen
jedenfalls nicht aufklären konnte, wird bei anderer Gelegenheit ausführlicher zu behandeln sein (vgl. dazu
Kaiser-el-Safti 2014 b).
52
Das Register gibt zahlreiche Stellen zu Descartes an, die Brentanos Billigung und Missbilligung aus
unterschiedlichen Zeiten demonstrieren.

43
hat in sich keinerlei Verschiedenheit der Teile: diejenige, die sensitiv ist, ist auch vernünftig,
und alle ihre Bedürfnisse sind gewollte. Der Irrtum, den man begangen hat, indem man in ihr
verschiedene Charaktere auftreten ließ, die gewöhnlich einander entgegengesetzt sind, kam
lediglich daher, daß man ihre Funktionen nicht richtig von denen des Körpers unterschieden
hat“ (1984, S. 77 f.).
In den „Leidenschaften“ vertrat Descartes zunächst die ausnahmslose Beteiligung
körperlicher Erscheinungen an den Affekten mit einer Akribie, die sowohl mit der Lehre
James` als auch mit dem heutigen, sensualistisch und neurologisch geprägten Ehrgeiz,
sämtliche Gefühle auf körperliche Begleiterscheinungen zu reduzieren, konkurrieren könnte.
Allerdings unterschied Descartes funktionell zwischen Gefühlen, die der Lebensbewältigung
dienen und solchen, die für die innere Wahrnehmung Bedeutung haben. Der für Brentano
vermutlich interessanteste Aspekt war aber folgender: Descartes schränkte die körperliche
Mitbeteiligung wieder ein. Von den körperlichen Affekten unterscheidet er in Artikel 91 und
147 noch einen anderen Affekt, eine „intellektuelle“, „reine Freude“, die „in der Seele nur
durch sie selbst erregt“ würde, und zwar immer dann, wenn es sich um „unser Gut oder
Übel“, also um moralische Entscheidungen handelte. (1989, S. 229) Descartes gibt jedoch zu
bedenken, dass selbst diese reine Freude nicht entbehren könnte, von einer körperlichen
Affektion, gewissermaßen einer Mitempfindung, begleitet zu werden, „die eine Leidenschaft
darstellt“. Die Seele kann diese reine Freude über ein Gutes zwar durch sich selbst erregen,
aber nicht selbst ausdrücken, weil sie dazu wieder des Körperausdrucks bedürfe. Dieser
bemerkenswerte Gedanke, der die Meisterschaft Descartes` bescheinigt, den philosophisch
notorisch unterschätzen Schwierigkeitsgrad einer philosophischen Erklärung der Vielfalt
menschlicher Gefühle in ein helles Licht zu rücken, könnte Brentanos Ursprungsschrift und
zu dem besonderen Wesen der ethischen Vorzugsakte inspiriert haben, deren Charakter als
rationale oder emotionale, apriorische oder auf dem Boden der Erfahrung entstandene, so
schwer zu bestimmen war. Dass Brentano sich in der Ursprungsschrift aber gerade nicht auf
diese reine intellektuelle Freude bezieht, könnte wiederum mit Folgendem zusammenhängen:
Descartes ist in Bezug auf das Körper-Geist-Verhältnis nicht als rigider Dualist
abzufertigen, sondern gerade, was die Rolle der Gefühle für dieses problematische Verhältnis
betrifft, als ein revolutionärer, wenn auch nicht restlos widerspruchsfreier Geist zu würdigen.
An manchen Stellen der früheren Schrift „Meditationen über die Grundlagen der Philosophie“
(1629/1977) unterstreicht er die substantielle Verschiedenheit von menschlichem Geist und
Körper (z. B. Widmung, „Meditationen“, S. 13), an anderen Stellen hebt er wieder die enge
Verbindung zwischen Körper und Geist hervor, betont aber auch die erkenntnistheoretische
Differenz zwischen sinnlicher, häufig täuschender Wahrnehmungserkenntnis (besonders in
der 1. Meditation). An einer hervorzuhebenden Stelle setzt er sich wieder für die enge
Verbindung zwischen Körper und Seele ein, wenn er schreibt, „daß ich meinem Körper nicht
nur wie ein Schiffer seinem Fahrzeug gegenwärtig bin, sondern dass ich ganz eng mit ihm
verbunden und gleichsam vermischt bin, so daß ich mit ihm eine Einheit bilde. Sonst würde
ich nämlich, da ich nichts als ein denkendes Wesen bin, nicht, wenn mein Körper verletzt
wird, deshalb Schmerz empfinden, sondern ich würde diese Verletzung mit dem reinen
Verstand wahrnehmen, ähnlich wie der Schiffer mit dem Gesicht wahrnimmt, wenn irgend
etwas am Schiffe zerbricht“ (6. Meditation, S. 145). 53

53Dieses Argument, das dem Fühlen in Bezug auf das Werturteil eine autonome Bedeutung verleiht, freilich
unter der Voraussetzung einer substantiellen Seele, kehrt 1852, S. 234 in Lotzes „Psychologie“ wieder. „In dem
Begriff der Seele ferner als eines nur intelligenten Wesens liegt kein Motiv, das sie bestimmen könnte, die
Veränderungen, die sie erfährt, jemals anders, als unter der Form vollkommen gleichgültiger Vorstellungen
wahrzunehmen. Den höchsten Schwung der Begünstigung, sowie die drohendste Gefahr vollkommener

44
Brentano ist die Mehrdeutigkeit in der Cartesianischen Epistemologie und der Affektlehre
sicher nicht entgangen. Epistemologisch schwankt Descartes zwischen der Desavouierung der
sinnlichen Wahrnehmung im Unterschied zur Evidenz der Ich- oder inneren Erfahrung (des
Cogito sum), die metaphysisch überbrückt wird, indem angenommen wird, dass Gott uns
bezüglich der äußeren, sinnlichen Erfahrungserkenntnis nicht permanent täuschen kann. Dem
Dualismus von Körper und Seele entspricht dann zuletzt doch ein Dualismus der körperlichen
Affekte, die von rein seelischen Affekten unterschieden werden. Descartes wertet die
körperlichen Affekte nicht ab, aber er schätzte die „innere Erregung“ als „reine“ Freude, doch
als die moralisch höherwertige. 1899 rekurriert Brentano im Brief an Stumpf noch energisch
auf Descartes, vermutlich wegen der ,Analogie‘ zwischen Descartes und der Theorie James.
Die Konstruktion ist aber nicht überzeugend, weil es Descartes um das Elaborat der ethischen
Gefühle, James – vielleicht mit einer Brentano nicht unähnlichen anti-ästhetischen Motivation
– um die Abwehr der Bedeutung ästhetischer Gefühle zu tun war, insofern sie sich den
Wertcharakter ethischer Gefühle anmaßten. In Brentanos Ursprungsschrift werden dann in
den Anmerkungen auch wieder erhebliche Zweifel an Descartes geäußert.
Brentano hatte 1896 in seinem Kongressbeitrag eine radikale Konsequenz in Bezug auf die
Psychologie gefordert, nämlich dass nun nach Klärung des Intensitätsbegriffs in seinem
(quantitativ-reduktionstischen) Sinne, der zukünftig nicht mehr zur Erklärung intensiver
höherer (geistiger, ethischer) Gefühle herangezogen werden dürfe, auch Abstand zu nehmen
sei von jeglicher Berechnung des Psychischen, womit die Herbartsche Psychologie und die
experimentelle Psychophysik insgesamt jegliche Stütze verlieren würden: „Wie viel hatte die
Herbartsche Psychologie, wie viel nicht auch die Psychophysik auf dieses Dogma [der
Intensität des Psychischen] gebaut! Alles wird im Sturz mitgerissen werden. Und wir sehen
so, wie die Berichtigung eines kleinen Punktes der Empfindungslehre einen weittragenden
reformatorischen Einfluß üben wird. Selbst die Hypothesen, die man über das Weltganze
aufgestellt hat, werden davon nicht unberührt bleiben“ (1896/1907 in 1979, S. 87). Um einen
kleinen Punkt handelte es sich wahrlich nicht, wenn das Weltall zu seiner Beseitigung
herangezogen werden musste. Brentano räumt an derselben Stelle aber auch ein, wie sehr es
der von ihm projektierten „reinen Psychologie“ – das heißt einer Psychologie, die vom
Sinnlichen und Körperlichen, der Rechnung und dem Experiment abstrahiert – derzeit noch
an elementarsten Grundlagen fehle (l. c. S. 89).
In einem vermutlich spät verfassten Text, der den Nachweis der rein geistigen Natur (der
Substantialität) der Seele für den „psychologischen Gottesbeweis“ benötigt, setzt Brentano
sich nochmals mit dem Leib-Seele-Problem auseinander. Das Erkenntnisziel, die Psychologie
hier als eine „der Naturwissenschaft weit überlegene“ (1980:420) Disziplin zu nobilitieren,
weil allein sie unmittelbare (evidente) anstelle bloß vermittelter Erkenntnis zu liefern
vermöchte, geht mit der Absicht parallel, die Erkenntnisse der Naturwissenschaft, weil im
Wandel begriffen, als weitestgehend ungesicherte zu desavouieren, wofür die
naturwissenschaftliche „Divergenz der Meinungen“ beredt Zeugnis ablegen würde.
Die Kritik zielt auf Paradigmenwechsel und Begriffswandel in Mathematik und Physik wie
,nicht-Euklidische Geometrie‘, ,Relativitätstheorie‘, ,Quantenphysik‘, die Brentano ablehnte,
weil in diesem Kontext für die Untersuchung, ob die Seele körperlich oder nicht körperlich
sei, nun „jeder Anhalt zu fehlen“ drohe (422). Aber auch die ehemals ausgezeichneten
Philosophen werden mit ihren Stellungnahmen zum Leib-Seele-Problem in Frage gestellt;

Zerrüttung, so weit ihr substantielles Wesen ihrer überhaupt fähig wäre, würde sie mit demselben Gleichmuth
unparteiischer Klarheit auffassen müssen. Thut sie dies dennoch nicht, so muss der Grund dazu in einem anderen
Zug ihres Wesens liegen, der sie befähigt und nöthigt, Werth oder Unwerth ihrer veränderten Zustände unter der
eigenthümlichen Form des Wohl und Wehe zu fühlen.“

45
Descartes habe „vorschnell angenommen“, dass dasjenige, was in uns denkt, nichts
Körperliches sei (S. 428), ohne zu verdeutlichen, was es denn sei; Platon und Aristoteles wird
ein „Semimaterialismus“ angelastet (S. 424). Als „entschieden verwerflich“ wird jetzt auch
die Art und Weise sanktioniert, wie Aristoteles zwischen den sinnlichen und den sogenannten
übersinnlichen psychischen Funktionen unterschieden habe (S. 425).
Dieser Passus über den „psychologischen Gottesbeweis“ (den Beweis der unsterblichen
Seelensubstanz) beleuchtet an sich keine neuen Erkenntnisse über das Leib-Seele-Verhältnis,
sondern konfrontiert traditionelle Prämissen und Definitionen der metaphysischen Seelenlehre
wie ,Seele als ausdehnungslose Substanz‘ mit dem naturwissenschaftlichen Begriffswandel
und wesentlich abstrakteren Definitionen anstelle der ,alten‘ Begriffe ,Ausdehnung‘,
,Materie‘, ,Raum‘, ,Zeit‘, Energie‘ etc., die zu den älteren metaphysischen Auffassungen,
Seele als einfache Substanz sei nicht ausgedehnt, Seele sei eine immaterielle nicht körperliche
Substanz, Psychisches sei nicht dem Gesetz der Erhaltung der Energie zu subsummieren etc.,
in der Tat keine überzeugenden Kontraste mehr bieten konnten, die Stumpf (wie vor ihm
schon Herbart) aber mit Rücksicht auf die Tatsache, dass wissenschaftliche Begriffe
(philosophische wohl nicht) dem Wandel und dem Fortschreiten im Denken unterworfen sind,
gerade für eine Neubestimmung des Seelenbegriffs zu verwenden suchte.
Dieser letzte Abschnitt verdeutlicht, was sich an einem scheinbar marginalen, die längste
Zeit unterschätzten und unterbewerteten Bereich – der Theorie der Gefühle – im Briefwechsel
schon früh als grundlegende Differenz über den Substanzbegriff zwischen Brentano und
Stumpf gezeigt hatte: Während Brentano trotz Psychologie „vom empirischen Standpunkt“
stets ein metaphysisches, vornehmlich an der Philosophie Leibniz` orientiertes
Erkenntnisinteresse zur Erhärtung theistischer Weltanschauung verfolgte, forschte Stumpf
nach einer epistemologisch und werttheoretisch vertretbaren Basis für die empirische
Psychologie, die den basalen Grundlagen der Erkenntnis – innere und äußere Wahrnehmung,
rationale Erkenntnis und emotionale Wertschätzung – ohne abwertende Tendenz nach der
einen oder anderen Seite gleichermaßen Aufmerksamkeit schenkte. Die spezielle Beachtung,
die vor diesem Hintergrund nicht erst durch Stumpf, sondern schon durch philosophische
Vorläufer wie Herbart und Lotze, der akustischen Wahrnehmung zuteil wurde, ist infolge von
Stumpfs, in den Briefen häufig defensiv geübter Haltung Brentano gegenüber, zu kurz
gekommen und wird bei nächster Gelegenheit ihre Würdigung mit Einbeziehung des
historischen Kontextes erfahren müssen, die umfassender als hier möglich, die Bedeutung von
Hermann Lotze mitberücksichtigen wird. Auf einige wesentliche Kulminationspunkte der
theoretischen Besonderheit der akustischen Wahrnehmung für Erkenntnis- und Werttheorie ist
hier noch, wenngleich nur kursorisch, vorauszuweisen:
1) Die akustische Wahrnehmung, für die kulturelle menschliche, beispielsweise
sprachliche Entwicklung mindestens ebenso relevant wie die visuelle, konfrontiert
erkenntnistheoretisch a priori mit einem anderen Gegenstandsverständnis, weil Auditives,
anders als Visuelles (und in einem gewissen Sinne auch anders als Sprachliches mit seinem
Bedeutungshorizont), nichts nachahmt und nichts abbildet, dafür (wie Zahlen) eine
systemimmanente, vermutlich auch genetisch verankerte Verhältnismäßigkeit (als Muster
oder Struktur) aufweist.54 Es ist bezeichnend, sowohl für die Kantische und nachkantische
transzendentale Gegenstandstheorie (der Subjekt-Objekt-Relation) als auch für Brentanos
Theorie der Intentionalität, dass der epistemologischen Besonderheit der akustischen
Wahrnehmung partout nicht Rechnung getragen wurde, was Auswirkungen auf das
sogenannte Qualia-Problem nach sich zog.

54
Stumpf ist stets für die genetische Verankerung der Tonverschmelzung eingetreten, die neuerdings von Martin
Ebeling auf mathematischer Basis erhärtet wurde (vgl. Ebeling 2007).

46
2) Das Interesse der Pioniere der Tonpsychologie im 19. Jahrhundert, vornehmlich im
Duktus phänomenologischer Forschung, erstreckte sich auf ein fundamentales
Wesensmerkmal der musikalischen Wahrnehmung, das Letztere geeignet machte, dem
Qualia-Problem näherzutreten. Dieses, bis heute ungelöste Problem wurde durch John Lockes
Theorie primärer und sekundärer Qualitäten falsch eingefädelt und inspirierte Kant zu der
transzendental interpretierten Dichotomie von Subjektivität und Objektivität, die ihrerseits
den Weg versperrte zu einer anders gedeuteten, phänomenal ursprünglicheren Basis
quantitativer und qualitativer Wahrnehmung.55
3) Hermann Lotze fokussierte, m. E. als Erster, auf ein scheinbar triviales Phänomen, das
Tonhöhenhören, um an ihm zu demonstrieren, dass primäre und sekundäre Qualität respektive
Quantität und Qualität stets, hier in besonderer Weise, zugleich wahrgenommen werden; er
entwickelte aus diesem, weder als rein quantitativ noch rein qualitativ zu charakterisierenden
epistemischen Urphänomen (Tonhöhenhören), bislang weitgehend unbeachtet, relevante
Prämissen sowohl für die Erkenntnistheorie als auch für die Gefühlstheorie, Werttheorie und
Musikästhetik. Bei späterer Gelegenheit wird nachzuliefern sein, welche Reaktionen dieser
innovative Anstoß auslöste und warum er (nicht zuletzt in Folge der Durchsetzungskraft der
Fechnerschen Psychophysik) später wieder verloren ging.
4) Das heute, nach mehr als 150 Jahren wieder in den Fokus neurologischer Forschung
gerückte prinzipielle Interesse am Tonhöhenhören (vgl. Henning Scheich in Eckold 2014, S.
69 ff.), mit dem durchaus auch erkenntnistheoretische Konsequenzen in Bezug auf
Bewusstseins- und Kategorienbildung verknüpft werden, weiß, wie häufig heutzutage, nichts
von philosophischen Vorläufern und wird auch schwerlich für eine Epistemologie des Hörens
zu interessieren sein. Was jedoch das Verhältnis von Philosophie und Psychologie anbelangt,
ist jene ,vergessene‘ Phase tonpsychologischer und ästhetischer Forschung, die bis zum
Ersten Weltkrieg reges Interesse evozierte, wissenschaftsgeschichtlich und
wissenschaftstheoretisch eminent aufschlussreich. Eine Retrospektive des damals Erreichten
würde jedenfalls nicht nur den Blick und das Ohr schärfen für Carl Stumpfs Intentionen, das
zu seiner Zeit verstreute und kontrovers diskutierte tonpsychologische und
musikwissenschaftliche Wissen zu einer Systematik zusammenzufassen, und vor diesem
Hintergrund einer philosophisch tiefer gegründeten empirischen Psychologie zum Durchbruch
zu verhelfen. Letzteres würde bedeuten, neben quantitativen und experimentellen Verfahren
auch werttheoretisch Relevantem Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und – nicht zuletzt –
selbst metaphysischen Reflexionen Aufmerksamkeit zu schenken. Diese Sicht der Dinge
würde allerdings auch Stumpfs, gegen alte Vorurteile gerichteten Grundsatz Nachhaltigkeit
verleihen, bei aller akribischen Sorgfalt, die dank Brentano auf Introspektion und
Beschreibung des Psychischen zu verwendenden ist, nicht den Kontakt mit der
naturwissenschaftlichen Forschung zu verlieren, da Geist und Körper eine Einheit (ein
Ganzes) bilden.
Das letzte Wort soll Stumpfs unerschütterlicher Achtung seinem Lehrer gegenüber gelten,
die ihren Grund vielleicht in Folgendem hatte: Niemand dürfte wie Brentano die Tragweite

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Was John Locke in seinem epochalen Werk über den menschlichen Verstand lapidar über das Wesen von
Tönen (als sekundäre Qualitäten) äußerte (vgl. 1981. 2. Buch, XVIII. Kap. XVIII, § 3), lässt, wie auch im Falle
Kants, nicht auf einen musikalisch informierten oder interessierten Philosophen schließen. Abgesehen davon,
dass Locke die sekundären Qualitäten als minderwertige deklassiert, weil sie anders als die primären Qualitäten,
nicht die Möglichkeit einer Steigerung ins Unendliche implizierten (was auf Töne im Prinzip nicht zutrifft,
wenngleich unserer Wahrnehmung Grenzen gesetzt sind) und keine Auswirkung auf das menschliche Handeln
hätten, äußerte er über die akustischen Phänomene: „Die Töne werden – abgesehen von dem verschiedenartigen
Schrei der Vögel und anderer Tiere – auch dadurch modifiziert, daß man mancherlei Noten von ungleicher
Länge zusammenfügt.“ (Vgl. dazu auch Kaiser-el-Safti 2001, S. 56 f.)

47
der tonpsychologischen Forschung in Bezug auf die ,alte‘ Metaphysik erkannt haben, die dem
Schauen, der Betrachtung, dem Sehen in seiner höheren (platonischen) Bedeutung, die größte
Bedeutung für die Erkenntnis und die Beantwortung ,letzter Fragen‘ einräumte und nun einer
anderen, sogar noch höher geschätzten Einstellung und Bevorzugung des Hörens weichen
sollte. Stumpf würdigt den Gedanken, den Brentano wahrlich lebenslang gegen Stumpf
glaubte verteidigen zu müssen, den Gedanken an die Unsterblichkeit der Seele. Stumpf selbst
hatte diesen Gedanken nicht aufgegeben, nur schwieriger gemacht. In seiner einzig
veröffentlichten Ethikschrift findet sich der Satz: „Nur wer seine Seele verliert, wird sie
gewinnen.“ Nach Stumpf enthält „dieser schlichte Satz“ gegen alle Wortkünste des späteren
Nietzsche bezüglich der ,Umwertung aller Werte‘ „die Grundformel auch für unsere Zeit und
das Geheimnis aller Größe“ (1908/1910, S. 217).

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