Antiklerikalismus
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Der neue protest. Pfarrerstand (Pfarramt) de nierte sich primär über Bildungsideale und ein
sehr hohes, dominant asketisches Professionsethos, während das Konzil von Trient (sessio
XXIII, 1563) das kath. Weihepriestertum und seine religiöse Überlegenheit über den Laienstand
erneuerte. Trotz der Reformen im Gefolge des Konzils, die auch den Klerus betrafen, gewann
daher der A. in den kath. Ländern und Gegenden Europas insgesamt ein sehr viel größeres
Gewicht als in den protest. geprägten Territorien.
Die Religions-, Christentums- und Kirchenkritik vieler Au lärer (Au lärung), v. a. in
Frankreich (prominent Voltaire) und in Großbritannien ( D. Hume), sowie der um der Freiheit
der Bürger willen forcierte ideenpolitische Kampf gegen klerikale Fremdbestimmung von
Kultur und politischem Gemeinwesen ließen seit dem 18. Jh. einen neuen A. entstehen. Er
spielte nicht mehr die christl. Moral (Ethik) gegen eine korrupte »Klerisei« aus, sondern warf
auf der Grundlage spezi sch moderner Wissenskonzepte v. a. den röm.-kath. Klerikern geistige
Inferiorität und dumpfe Borniertheit, den Jesuiten auch politische Unterwanderung vor. Auch
im protest. Deutschland führte die au lärerische Kritik am kirchlichen Traditions- und
Deutungsmonopol zur Wiederbelebung der These vom »Priesterbetrug« ( S. H. Reimarus).
Der neue A., der im revolutionären Frankreich der Jahre 1789–1801 zur Zerschlagung der
kirchlichen Strukturen zugunsten eines Kultes der Vernunft und zu blutiger Verfolgung des
Klerus führte, stützte sich auf die Garantiemacht von »autonomer Wissenschaft« (Wissen und
Wissensideale) sowie auf spezi sch au lärerische und dann bürgerlich-liberale
Wertorientierungen (Bürgerlichkeit). Die Entstehung eines Bildungsbürgertums war auch in
Deutschland nicht selten von antikirchlichen Ressentiments begleitet, z. B. bei J. W. Goethe.
Überdies wurde, inspiriert von den entstehenden Nationalismen (Nationalismus), den röm.-
kath. Klerikern eine internationalistische, die normativen Grundlagen des Staates und des
Volkes unterminierende Gesinnung vorgeworfen. Die Au ebung des Jesuitenordens, der schon
in einigen Staaten verboten war, durch den Papst (1774) stellte einen Versuch dar, dem
allgemeinen A. eine Spitze zu nehmen.
Moderner A. lässt sich strukturell als Reaktion auf die dezidiert konservative
Selbstmodernisierung der kirchlichen Institutionen deuten; er ist bemüht, den Ein uss der
Kirchen bzw. ihres Personals auf die Gestaltung ö fentlichen Lebens zu reduzieren oder
/
gänzlich zu eliminieren. Inhaltlich kennzeichnend ist dabei die Kritik am »Missbrauch« der
Religion zu politischen Zwecken oder umgekehrt: am Bemühen, die Politik in den Dienst der
Kirche zu stellen. Gerade diese Argumentation trug nicht unwesentlich dazu bei, dass die
Kirche aus ihren traditionalen Bildungs- und Gesellschaftsinstitutionen bzw.
vollverantwortlichen Trägerschaften (insbes. bei Schulen und Krankenhäusern)
zurückgedrängt wurde.
Nach dem Kulturkampf, dem Au ommen des Laizismus und der ihm folgenden Trennung von
Kirche und Staat (in Frankreich 1905) wurde der Katholizismus gesellschaftlich isoliert. Es ist
au fällig, dass die Säkularisierung der Gesellschaften, die sich in protest. geprägten Regionen
grundsätzlich früher vollzog, keine antiklerikalen Elemente ausbildete, während im
Katholizismus nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) eine antiklerikale, d. h.
antiröm. Grundhaltung als Modus innerkath. Kirchenkritik nochmals an Bedeutung gewann.
Verwandte Artikel: Geistliche | Kirche und Staat | Pfarramt | Politik und Religion | Papsttum |
Priesteramt | Reformation
Bibliography
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Geschichtliches und Bestandsaufnahme, 1995
[7] P. A. D / H. A. O (Hrsg.), Anticlericalism in Late Medieval and Early Modern
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Graf, Friedrich Wilhelm, “Antiklerikalismus”, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in
Verbindung mit den Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Copyright © J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst
Poeschel Verlag GmbH 2005–2012. Consulted online on 14 May 2020 <http://dx-doi-org.uaccess.univie.ac.at/10.1163/2352-0248_edn_COM_240174>
First published online: 2019