VORSTAND INHALTSVERZEICHNIS
Präsident: Mag. Dr. Johannes Gießauf, MAS
Vizepräsident: Univ.-Prof. Dr. Heribert Aigner
Schriftführer: Thomas Mader NACHRUF auf Georg Molin (H. D. Galter /1. Seybold)
Schriftfihrer-Stv.: Mag. Margarete Drexel
Kassier: Gerhard Schauperl
Kassier-Stv.: Dr. Peter Panitschek BEITRÄGE
Rechnungsprüfer: Ingrid Kusch
B l i n z e r, Christian:
Mag. Dr. Peter Wiesflecker, MAS 4
Der Ursprung des Mithraskultes. Versuch einer Klärung
Wissenschaftlicher Beirat
Behlmer, Heike:
Med.Rat Dr. Mohammed Gowayed Alt werden unter Pharaonen 24
Dr. Heinz Kusch
Dr. Peter Panitschek G alter , Hannes D.:
Die Eine und die Vielen. Sprache als literarisches Motiv in Babylonien 54
Univ.-Prof. Mag. Dr. Karl Prenner
Dr. Bernhard Scholz
M a r b ö c k, Johannes:
Ambivalenz der Einheit - Rettung der Vielfalt.
Ehrenpräsident Univ.-Prof. Dr. Hermann Mittelberger
Die sogenannte Turmbauerzählung Gen 11,1-9. 79
Adresse Grazer Morgenländische Gesellschaft
A-8053 Graz, Postfach 100, Österreich R a s t el l i, Marion:
Der hinduistische Tantrismus: Streben nach Genuss und Befreiung 97
Telefon (0316) 380-2381 (Gießauf)
(0316) 28 24 03 (Schauperl) Prenner, Karl:
Der Islam in Indien. Von den Moghulen bis in die Gegenwart 112
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Studenten: £ 12,-- jährlich
Förderer: ab E 70,-- jährlich
VEREINSBERICHT Gießauf) 129
Stifter: ab E 700,-- einmalig
Editorial 133
MITTEILUNGEN DER GRAZER MORGENLÄNDISCHEN GESELLSCHAFT
Redaktion Univ.-Prof. Dr. Heribert Aigner
Mag. Margarete Drexel
Mag. Dr. Johannes Gießauf, MAS
Dr. Dr. Gernot Krapinger
Mag. Dr. Marlies Raffler
erscheint einmal jährlich, Preis pro Heft: E 8,--; für GMG-Mitglieder E 4,--
Abbildung Titelseite: Grabmal des Puyemrd in Theben (Detail). Aus: Norman deGaris Davies, The
Thomb of Puyemre at Thebes Vol. 1. Robb de Peyster Tytus Memorial Series Vol. 11. New York 1922,
Tf, XIX.
l
Die Eine und die Vielen Frage nachgehen, ob Sprachenvielfalt und Spracheinheit als literarische Motive in
Sprache als literarisches Motiv in Babylonien
Mesopotamien belegbar sind. Beginnen wir mit einem Bild:
Hannes D. Galten
Man schreibt das Frühjahr 597 v. Chr. Von den Hängen des Libanon leuchten
die Schneefelder herunter, die Luft ist kalt und klar. Auf der alten Militärstraße
Der vorliegende Beitrag versucht, eine Brücke zu schlagen, eine Brücke zwischen zwischen Damaskus und Hamath bewegt sich ein langer Zug von Deportierten
Mesopotamien und Israel, zwischen den Stufentürmen des Zweistromlandes - die nach Norden: müde Gestalten, in Decken und Mäntel gehüllt, die Kinder an der
Babylonier nannten einen solchen Stufenturm Zigqureut „die Hochaufragende" - auf Hand oder auf dem Arm, das notdürftigste Hab und Gut auf Karren verpackt.
der einen Seite und der biblischen Erzählung vom Turmbau zu Babel mit ihrem Etwa 10.000 sind es, Arbeiter, Handwerker, Soldaten, aber auch Mitglieder der
zusätzlichen Motiv der Sprachverwirrung auf der anderen. ' Außerdem möchte ich der Aristokratie und des Königshauses, die mitsamt ihren Familien von den
babylonischen Truppen zum Euphrat und weiter nach Babylon verschleppt
' Der vorliegende Beitrag stellt die überarbeitete Fassung meines gleichnamigen Referats innerhalb werden, zwei Drittel der Bevölkerung Jerusalems. Zurückgeblieben sind nur die
der Vortragsreihe „Der Turm von Babylon - Wirklichkeit und Metapher' dar, die von der
Österreichischen URANIA für Steiermark und der Österreichischen Orientgesellschaft Hammer-
Alten, die Schwachen und die Unbedeutenden. Der Rest erreicht nach einem
Purgstall als Vorbereitung auf die Ausstellung „Der Turmbau zu Babel' im Rahmen des Programms langen und entbehrungsreichen Marsch die Gegend von Nippur in
der Europäischen Kulturhauptstadt 2003 im März und April dieses Jahres durchgeführt wurde. Zum Mesopotamien. Noch hegen viele von ihnen die Hoffnung, die Gefangenschaft
Eröffnungsvortrag .,Die Ziqqurrat - Geschichte der mesopotamischen Tempeltürme" von Jan Waalke würde bald zu Ende gehen, die Armee des ägyptischen Pharaos würde den
Meyer vgl. E. KLENGEL-BRANDT, Der Turm von Babylon. Legende und Geschichte eines Bauwerkes.
Wien-München 1982; H.J. NISSEN, Zielsetzung und Funktion der Ziqqurrat. In: W. Seipel (Hg.), Der
entscheidenden Sieg über die Babylonier erringen und Nebukadnezar gefangen
Turmbau zu Babel. Ursprung und Vielfalt von Sprache und Schrift. Wien-Mailand 2003, Bd. 1, 35-37 vom Euphrat an den Nil zerren, auf derselben Straße, die sie von Jerusalem
sowie E. HEINRICH, Die Tempel und Heiligtümer im Alten Mesopotamien. Typologie, Morphologie nach Norden gezogen waren. Aher nichts dergleichen geschieht. Im Gegenteil,
und Geschichte. Berlin 1982. W. ALLINGER-CS0LLICHS Beitrag „Das neue Bild von der Ziqqurrat -
nach elf Jahren in der Fremde erreicht sie 586 v. Chr. die Nachricht von der
Die Ergebnisse der österreichischen Ausgrabungen in Borsippailrak" findet sich in detaillierter Form
in seinem Aufsatz: Birs Nimrod 11: „Tieftempel" - „Hochtempel". Vergleichende Studien Borsippa -
endgültigen Eroberung und Zerstörung ihrer Heimatstadt. '
Babylon. In: Baghdader Mitteilungen 29 (1998), 95- 330 wieder, vgl. auch DERS., Birs Nimrod t: Die
Baukörper der Ziqqurrat von Borsippa. Ein Vorbericht. In: Baghdader Mitteilungen 22 (1991), 383- Die babylonische Gefangenschaft
499. Zu Stefan M. Mauls Referat .,Das Band zwischen Himmel und Erde - Die Ziqqurrat von Babylon Für den babylonischen König Nebukadnezar Il. (604-562 v. Chr.) bildeten die
in mesopotamischen Quellen` vgl. seinen Aufsatz; Die altorientalische Hauptstadt - Abbild und Nabel Deportierten aus Jerusalem eine willkommene Möglichkeit, die seit dem
der Welt. In; G. Wilhelm (Hg.), Die orientalische Stadt. Kontinuität. Wandel. Bruch (= Golloquien der
Befreiungskampf gegen die Assyrer vor 15-20 Jahren in Trümmern liegenden Otte am
Deutschen Orient-Gesellschaft 1). Saarbrücken 1997, 109-124; weiters A.R. George, „Bond of the
Lands". Babylon, the Cosmic Capital, im selben Band, 125-145 und DERS., E-sangil and E-temen- Kebar-Kanal (när Kabari, der heute ausgetrocknete gacc-en-Nil) hei Nippur
anki, the Archetypal Cult-Centre. In: J. Renger (Hg.), Babylon. Focus mesopotamischer Geschichte, (Niffen'Nuffar) wieder zu beleben. Die Judäer wurden in Orten mit Namen wie
Wiege früher Gelehrsamkeit, Mythos in der Moderne (- Colloquien der Deutschen Orient- „Salzhügel" (Tel Melah), „Scherbenhügel" (Tel Harsa) oder „Fluthügel" (Tel Abih >
Gesellschaft 2). Saarbrücken 1999, 67-86. Johannes Marböcks Vortrag „Die Tunnbauerzählung im
Alten Testament - Spracheneinheit oder -vielfalt?" ist im vorliegenden Band abgedruckt und zu Antje
Senarclens de Grancys Beitrag „Das Motiv vom Turmbau in der europäischen Kunst" vgl, ihre Mißverständnisse. Reimer 2001, 229-245 mit Tf. )X-XXIV; sowie S. Albrecht, Der Turm zu Babel
Dissertation: Der Turm von Babel als Thema der Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts. Graz als bildlicher Mythos. Malerei - Graphik - Architektur. In: J. Renger (Hg.), Babylon. Focus
1993; DIES., Der Turm von Babel. Ambivalenz eines Symbols in der Kunst der Neuzeit. In: mesopotamischer Geschichte, Wiege früher Gelehrsamkeit, Mythos in der Moderne (= Colloquien der
Kunsthistorisches Jahrbuch Graz 26 (1996), 186-202; DIES., Reflexe des Turmes von Babel. ht: P. Deutschen Orient-Gesellschaft 2). Saarbrücken 1999, 553-574.
Naredi-Rainer (Hg.), lmitatio- Von der Produktivität künstlerischer Anspielungen und '- Vgl. 2. Könige 24, 14-16 sowie 25, 8-12; Bab. Chronik, Jeremia 52, 28ff.; Ezechiel 33. 21.
54
Tel Aviv) angesiedelt. 3 Sie sollten Häuser bauen, Nutzgärten anlegen und Tiere halten. dürfte auch weithin sichtbare Inschriftenbänder getragen haben. Teile des
Auch die alten Sippenverbände blieben bestehen. Darüber hinaus wurden die Arbeiter Allerheiligsten auf der Spitze des Turmes waren nach Aussage der Inschriften
und Handwerker bei den zahllosen Bauvorhaben des Königs, vor allem beim Ausbau Nebukadnezars 11. vergoldet. 5 Dieses Bauwerk, das nach babylonischer Vorstellung
seiner Hauptstadt Babylon eingesetzt. ein Band zwischen Himmel Erde bildete und das Babylon als den Nabel der Welt
markierte,' war wie alle mesopotamischen Bauprojekte auch dazu gedacht, den Ruhm
Babylon glich damals einer Riesenbaustelle. In einem Zeitraum von knapp 50 Jahren Nebukadnezars für alle Ewigkeiten festzuschreiben und seinen Namen unsterblich zu
entstand nicht nur eine völlig neue und alles Bisherige übertreffende Palastanlage, machen. '
sondern auch eine neue, doppelt geführte Befestigungsmauer, die von den
Zeitgenossen als Weltwunder betrachtet wurde, ein erweiterter Haupttempel Esangila Nabopolassar (626-6(15 v. Chr.), der Vater Nebukadnezars, hatte mit dem Neubau von
des Stadtgottes Marduk, eine Prozessionsstraße mit einer gewaltigen Toranlage Etemenanki begonnen, ihn aber nicht fertig stellen können:
(lstartor) und zahlreiche neue Tempelbauten. Das im wahrsten Sinne des Wortes
herausragendste Bauwerk von allen war aber der Neubau der Ziqqurrat von Babylon „Damals befahl mir Marduk, der Herr, das Fundament von Etemenanki, der
Etemenanki, dem „Fundament von Himmel und Erde". Herodot beschreibt sie in Ziqqurrat von Babylon, die vor meiner Zeit baufällig und zum Einsturz gebracht
seinem Babylonischen Logos folgendermaßen: worden war, in der Brust der Unterwelt fest zu gründen und seine Spitze dem
Himmel gleich zu machen. Hacken, Spaten und Ziegelformen stellte ich
„Der Tempelbezirk bildet ein Quadrat, dessen Seite zwei Stadien lang ist. In wahrhaftig aus Elfenbein, Ebenholz und Sissooholz her und zahlreiche
seiner Mitte befindet sich ein fester Turm, ein Stadion lang und breit. Darauf Handwerker, das Aufgebot meines Landes, ließ ich sie tragen." 8
steht ein zweiter Turin, wieder auf ihm ein dritter, im ganzen acht Türme
übereinander. Der Aufgang zu ihnen ist eine Treppe, die außen im Kreise um Erst die Feldzüge am Beginn der Regierungszeit Nebukadnezars Ii., lieferten
alle Türme herum hinauffiihrt. Etwa in der Mitte des Aufstiegs befindet sich ein ausreichende Ressourcen an Rohmaterialien (Holz, Stein, Metalle etc.) und Arbeitern,
Rastplatz mit Ruhebänken, auf die sich die Aufsteigenden setzen und ausruhen um das Werk zu vollenden:
können. Auf dem letzten Turm befindet sich ein großer Tempel; darin steht ein
breites Ruhebett mit schönen Decken und daneben ein goldener Tisch." 4
` Vgl. die in Anm. 1 genannten Arbeiten von ALLINGER-CSOLLICH; weiters R. KOLDEWEY, Das
wieder erstehende Babylon. München 5 1990, besonders 182-195 und 303-342; F. WETZELJF.H.
Diese Beschreibung. verknüpft mit keilschriftlichen Aussagen, der archäologischen
WEISSBACH, Das Hauptheiligtum des Marduk in Babylon, Esagila und Etemenanki (= Wissen-
Erforschung der spärlichen Überreste des Bauwerkes und vergleichenden schaftliche Veröffentlichungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 59). Leipzig 1938; H. SCHMID, Der
Untersuchungen an der Ziqqurrat von Borsippa ermöglicht die Rekonstruktion eines Tempelturm Etemenanki in Babylon (= Baghdader Forschungen 17). Mainz 1995; E. BLEIBTREU, Zur
siebenstufigen Bauwerkes auf quadratischem Grundriss (91,48 x 91,66 m) mit einer Archäologie des Turmbaus zu Babel. Im W. Seipel (Hg.). Der Turmbau zu Babel. Ursprung und
Vielfalt von Sprache und Schrift Wien-Mailand 2003, Bd. 1, 27-33 sowie H. TRENKWALDER, Das
Freitreppe im Süden. Nach den Befunden von Borsippa muss zumindest die unterste
Projekt „Vergleichende Studien Babylon -. Borsippa". Ebda., 39-58.
Stufe mit schwarzen Bitumen überzogen gewesen sein. Im oberen Bereich war die Vgl. die in Anm. 1 genannten Arbeiten von MAUL und GEORGE.
Ziqqurrat - wie das Istartor - mit lapislazuliblauen Glasurziegeln verziert, und sie ' Vgl. C. UEHLINGER, Weltreich und „eine Rede". Eine neue Deutung der sogenannten
Turmbauerzählung (Gen 11, 1-9) (= Orbis biblicus et orientalis 101). Freiburg/Schweiz-Göttingen
1990, 380-396.
` Ezra 2, 59, Nehemia 7, 61, Ezechiel 3, 15, vgl. Ezechiel 1, 1-3 und Jeremia 29. 8
Nabopolassar 1 (Zyl. 111,1): i 30 - ii 4; siehe SCHMID, Etemenanki (wie Anm. 4) 80; UEHL[NGER,
Herodot, 1-listorien 1, 181. Weltreich (wie Anm. 7) 222.
56 57
„Weite Völkerscharen, die Marduk mein Herr, mir anvertraut hat, deren sowie Elamier, Perser, Meder und Ägypter. l" Es verwundert somit nicht, dass das Bild
Hirtenamt Samas, der Heid, mir übergeben hat, alle Länder, die Gesamtheit einer derartigen Großbaustelle mit dem Neben- und Durcheinander unterschiedlichster
aller Wohnstätten vom oberen bis zum unteren Meer, ferne Länder, die Völker Sprachen und Sprachmischformen zur biblischen Metapher für menschlichen
weitverstreuter Wohnstätten, die Könige ferner Gebirge und entlegener Inseln Größenwahn geworden ist.
inmitten des oberen und unteren Meeres, deren Zügel (wörtl.: „Nasenseil")
Marduk, mein Herr , in meine Hände gelegt hat, damit sie sein Joch (wörtl.: „Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen
Sänftentragestange") ziehen, bot ich auf, und beim Bau von Etemenanki legte Worte. Als sie von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar
ich ihnen als Arbeitstruppen von Sama" und Marduk den Ziegelkorb auf: und siedelten sich dort an. Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel
und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als
Ur, Uruk, Larsa, Eridu, Kullab, die Stadt Nemed-Laguda, die Landschaft Ugar- Steine und Erdpech als Mörtel. Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt
Sin, die Gesamtheit des Landes am unteren Meer von seinem oberen bis zu und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit
seinem unteren Teil; Nippur, Isin, Larak, Dilbad, Marad, die Länder Puqudu, einen Namen. dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. Da
Bit-Dakurim, Bit-Amukanim, Bit-Silanim, Bira[tim, ...], Der, Akkad, Dur- stieg der Herr herab, um sich die Stadt und den Turm anzusehen, die die
Sarrukin, Arrapha, Lahiru, Suhu, die Gesamtheit der Länder Akkad und Assur; Menschenkinder bauten. Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie und eine
die Könige, jenseits des Stromes (= Euphrat), die Statthalter des Landes Hatti Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen
vom oberen bis zum unteren Meer, das Land Sumer und Akkad, das ganze Land nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen wir
Assyrien, die Könige ferner Inseln inmitten des oberen Meeres, die Könige hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, so dass keiner mehr die Sprache des
ferner Inseln inmitten des unteren Meeres; die Statthalter des Landes Hatti im Anderen versteht. Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde, und
Westen jenseits des Euphrats, die ich auf Geheiß Marduks, meines Herrn, sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. Darum nannte man die Stadt Babel
beherrsche, und die mir mächtige Zedern aus dem Libanon in meine Stadt (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort
Babylon bringen, alle Völker der weitverstreuten Wohnstätten, die Marduk, aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut." '
mein Herr mir geschenkt hat, ließ ich beim Bau von Etemenanki Frondienst tun
und legte ihnen den Ziegelkorb auf." 9 Wirft man einen generellen Blick auf die Gesellschaft der spätbabylonischen Zeit, so
hat man das Gefühl, die vielen Sprachgruppen wurden nicht über die ganze Welt
Auf den zahllosen Baustellen in Babylon oder in einer der anderen Städte Babyloniens verstreut, sondern blieben alle in Babylonien. Ran Zadok untersucht seit Jahren die
- z.B. Borsippa oder Sippar - arbeiteten Männer aus Jerusalem gemeinsam mit Personennamen dieser Epoche und unterscheidet zahllose Volksgruppen. '2 Neben den
Zwangsarbeitern aus allen Teilen des Vorderen Orients. Wirtschaftsdokumente aus
Babylon aus dem Jahr 592 v. Chr., die Lebensmittelrationen für den ebenfalls '0 E. WEIDNER, Jojachin. König von Juda. in babylonischen Keilschrifitexten. In: Melanges syriens
verschleppten König Jojachin von Jerusalem und seine fünf Söhne verzeichnen, offerts ä Monsieur Rene Dussaud. Paris 1939, 923-935.
" Genesis 11,1-9: Einheitsübersetzung; Für eine Arbeitsübersetzung, die nahe am Urtext bleibt, siehe
nennen neben weiteren Judäern noch Seeleute aus Askalon und Tyros, phönizische
UE.HLINGER, Weltreich (wie Anm. 7) 32. Die Endredaktion dieser Passage wird gemeinhin in
Tischler aus Byblos und Arwad, griechische und lydische Handwerker aus Kleinasien nachexilische Zeit verlegt, vgl. UEHLINGER, ebda 578-583. der allerdings Vorstufen bereits in
assyrischer Zeit (Ende S. ih. v. Chr.) annimmt, ehda 512f.
12
R. ZADOK, lranian Names in Laie Babylonian Documents. In: indrehunian Journal 17 (1975), 245-
9
Nebukadnezar 11. 17 (Zyl. IV,1): il 27' - iii 38'; siehe SCHMID, Etemenanki (wie Anm. 4), 8üf.; 247; DERS., On Stirne Egyptians in First-Millennium Mesopotamia. In: Göttinger Miszellen 26 (1977),
UEHI.INGER, Weltreich (wie Anm. 7). 553f. 63-68; DERS., Iranians and Individuals Kearing lranian Narnes in Acbaemenian Babylonia. In: Israel
5s 59
großen mesopotamischen Bevölkerungsteilen der Babylonier und Assyrer sind es vor Multikulturalismus in Mesopotamien
allem westsemitische Gruppen - Aramäer, Chaldäer, Phönizier, Araber, Moabiter, Diese Situation kann als charakteristisch für Mesopotamien betrachtet werden. Die
Israeliten und Judäer. Daneben finden sich Ägypter, Philister, Elamier, Urartäer, Mehrsprachigkeit gehörte zu den dynamischen Kräften in der Geschichte des
Perser. Meder, Kilikier, Lyder, Karer.
Zwischenstromlandes. Seine geographische Lage an den Flusstälern von Euphrat und
Tigris mit dem dazwischenliegenden Schwemmland im Süden und der Steppe der
7 Djezira im Norden - olme natürliche Barrieren gegenüber den umgebenden Regionen
-t Hethiter und ohne nennenswerte Rohstoffvorkommen - nur Wasser und Lehm gab es in Hülle
w hen 4 und Fülle - diese Situation förderte, ja sie erzwang sogar wirtschaftliche. politische
rär_täer und kulturelle Kontakte zu den Nachbarländern von Anbeginn an.
L derb urr1
• of' Karer Ki Ier
sy erx
a äer
Während des größten Teils der mesopotamischen Geschichte wurden zwei oder mehr
Meder Sprachen gleichzeitig gesprochen und geschrieben, und mit der Ausbreitung der
,Aramäe
K
Phöni r Keilschrift über den gesamten Vorderen Orient wurden Sprachkontakte zwischen den
Israelit B v iär unterschiedlichsten Sprachfamilien unausbleiblich. Die beiden großen Familien der
aer' Emier
Philis Moabiter semitischen (Akkadisch, Aramäisch, Arabisch, Hebräisch etc.) und der indo-
Edomiter Perser europäischen Sprachen (Hethitisch. Luwisch, Medisch, Persisch etc.) trafen auf
Ägyer
Vertreter der hamitischen (Ägyptisch), der protodrawidischen (Induskultur, Elamisch)
Araber oder der kaukasischen Sprachen (Hurritisch, Urartäisch). 13 Das Sumerische steht nach
wie vor isoliert da, wenn es sich nicht doch an die protodrawidischen Sprachen
anschließen lässt.
Oriental Studies 7 (1977), 89-138; DERS., On West Semites in Babylonis During the Chaldean and „Dragoman". die sich im Englischen, Französischen, Russischen und - etwas
Achaemenian Periods. An Ononmastic Study. Jerusalem 1977; DERS,, Phoenicians, Philistines and veraltet - auch im Deutschen findet.
Moabites in Mesopotamia in the First Millennium B.C.E. Chiefly According to Akkadian Sources. In:
Bulletin of the Ameriean Schools of Orients] Research 230 (1978), 57-65; DERS., The Jews in
Unser zweites deutsches Wort für „Übersetzer" hat seinen Ursprung in der ebenfalls
Babylonia during the Chaldean and Achaemenian Periods. Haifa 1979; DERS., On Some Foreign
Population Groups in First-Millennium Babylonia. in; Tel Aviv 6 (1979), 164-181; DERS., Arabians in mehrsprachigen Umgebung des osmanischen Hofes. Das türkische tihnai' (alttürkisch
Mesopotamia during the Laie-Assyrian, Chaldean, Achaemenian and Hellenistic Periods Chiefly
According to the Cuneifonn Sources. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft
131 (1981), 42-84; DERS., On Early Arabians in the Fenile Crescent. ln: Tel Aviv 17 (1990), 223-231;
DERS., Egyptians in Babylonia and Elam durin g the 1" Miliennium B.C. In: Eingas Aegyptica 2 '3 Vgl. H.D. GALTER, Cuneifonn Bilingual Royal lnscriptions. In: S. Izre'el/R, Drory (Hgg.),
(1992), 139-146; DERS., Foreigners and Forcigt Linguistic Material in Mesopotamia and Egypt. In: Language and Culture in the Near Esst (= Israel Oriental Studies 15). Leiden-New York-Köln 1995,
Orientalia Lovaniensia Analecta 65 (1995), 431-447. 2 5-50.
6D
61
til „Sprache" + Suffix -ma0 'a gelangte über das Slawische (russisch tohnäcd) oder das
Das Bildfeld des Siegels zeigt eine Verehrungsszene vor einer sitzenden Göttin. Die
Ungarische (tolmdcs) ins Mittelhochdeutsche (tolmetsche, tubnetsehe) und wurde zu
sumerische Aufschrift lautet:
unserem Dolmetsch.
b2
63
in der Assyrischen Schrift (= Keilschrift) und in der Taimanischen Schrift der er eine Parallele zum biblischen Bericht vom Turmbau zu Babel sah» Der Text
(= aramäisches Alphabet). Auch konnte ich zwölf Sprachen. Anlässlich von beschreibt in äußerst knapper Form eine Zeit, in der keine natürlichen Feinde der
Reiseuntemehmungen hatte mir mein Herr bezüglich dieser Sprachen den Sohn Menschen existieren, in der Angst und Furcht unbekannt sind und in der alle Völker
eines jeden Landes zur Verfügung gestellt, und er lehrte mich alle (sprachliche) den Götterherrn Enlil in einer Sprache anrufen. Dann habe - so Kramer - etwas den
Gewandtheit."'' Zorn des Weisheitsgottes Enki erregt, und dieser habe anstelle von Harmonie und
Eintracht Konflikte, Kriege und Sprachverwirrung gesetzt.
Eine sumerische Sprachverwirrung?
Es erhebt sich nun die Frage, ob diese Erfahrung der Mehrsprachigkeit Mesopotamiens 136 u4-ba mus nu-g61-äm giri nu-gäl-äm
137 kiri4 nu-g61-äm ur-mah nu-gäl-äm
auch Spuren in der Keilschriftliteratur hinterlassen hat. " 138 ur-gis ur-bar-ra nu-gät-äm
139 ni-te- ä su-zi-zi-i nu-gäl-äm
140 fit-ülu^" gaba- t u-gar nu-tuku
Könige wie Hammurabi von Babylon " oder Sargon 11. von Assyrien '4 rühmen sich, 141 u. -ba kur suburk' ha-ma-zi k'
142 eme-ha-mun ki-en-gi kur-gal me-nam-
entfernte Völkerschaften mit schwerverständlichen Sprachen zu beherrschen und in nun-na-ka
dem langen „philosophischen" Hymnus an den Sonnengott Samas heißt es: 143 ki-uri kur me-te gii-la
144 kur mar-tu ü-sal-la nti-a
145 an-ki nigin-na un sag si-ga
„Von allen Ländern mit unterschiedlichster Sprache: Du kennst ihre Pläne, Du 146 den-lil-ra eme 1-äm he-en-na-da-ab-dug 4
147 u.1-ba a-da-en a-da-nun a-da lugal-la
siehst ihren Wandel. Alle Lebenden fallen vor Dir auf die Knie." 25 148 `Ien-ki a-da en a-da nun a-da lugal-la
149 a-da en-e a-da nun-e a-da lugal-la
150 aen-ki en he-gäl-la en dug4-ga zid-da
Und an einer anderen Stelle wird von ihm gesagt: 151 en geStug-ga igi-gäl kalam-ma-ke4
152 mas-su dingir-re-e-ne-ke4
153 gestug-ge päd-da en eridugk'-ga-ke4
154 ka-ba eme i-kür en-na mi-ni-in-gar-ra
„Du deutest die unterschiedlichsten Sprachäußerungen wie eine (einzige) 155 eme nam-lü-ülu 1 i-me-äm]
Verszeile."26
Abb. 3: Ash. 1924.475 nach
JAOS 88, 110
Doch den wichtigsten Text in diesem Zusammenhang veröffentlichte 1968 der große
„Einstens gab es keine Schlange, gab es keinen Skorpion, gab es keine Hyäne,
Sumerologe Samuel Noah Kramer. Auf der Keilschrifttafel Ash 1924A75 im
gab es keinen Löwen. Es gab keinen Wildhund und keinen Wolf. Es gab keine
Ashtnolean Museum in Oxford fand er eine sumerische Textstelle von 20 Zeilen, in
Angst und keinen Schrecken. Der Mensch hatte keinen Rivalen.
2' F. STARKE. Sprachen und Schriften in Karkamis. In: B. Pongratz-Leisten et
al. (Hgg.), Ans tadi
Labnäni Ifi allik. Fs Röllig (= Alter Orient und Altes Testament 247). Kevelaer-Neukirchen/Vluyn Einstens: die Länder Subur-Hamazi, das vielsprachige Sumer, das Land groß
1997, 381-395. durch die me der Vorherrschaft, Uri, das Land, in dem alles passt, das Land
"- Vgl. UEHLINGER, Weltreich (wie Arun. 7) 482-492.
n Ur Exeavations, Texts 1, Nr. 146: iii 6f., vgl. UEHLINGER. Weltreich (wie Anm. 7) 482.
UEI-IUNGER, Weltreich {wie Anm. 7) 471.
'-' S.N. KRAMER, The „Babel of Tongaes". A Sumerian Version. In: Journal of the American Oriental
25 W.G. LAMBERT, Bahylonian Wisdom Literature. Oxford 1960, 128:
26
49-51. Society 88 (1968), 108-111; vgl. auch S.N. KRAMERIJ. MAIER. Myths of Enki, the Crafty God. New
F. SCHOLLMEYER, Hymnen und Gebete an Samas. Paderborn 1912, 50: 10.
York-Oxford 1989, 8Sf.
64 65
Mami, das sicher daliegt, die gesamte Welt - die Völker im Einklang - rief „An dem Tag, an dem es keine Schlange (mehr) gibt, an dem es keinen
Enlil in einer Sprache an. Skorpion gibt, an dem es keine Hyäne (mehr) gibt, an dem es keinen Löwen
gibt, an dein es weder (Wild)hund noch Wolf gibt, an dem es (somit) weder
Dann; der Streiter, der Herr, der Streiter, der Herrscher, der Streiter der König;
Angst noch Schrecken gibt, ist die Menschheit ohne Rivalen.
Enki, der Streiter, der Herr, der Streiter, der Herrscher, der Streiter der König;
der Streiter, der Herr, der Streiter, der Herrscher, der Streiter der König; Enki, In jener Zeit sollen die Länder Subur und Hamazi, die verschiedensprachigen,
der Herr des Überflusses, dessen Worte unfehlbar sind, der Herr der Schlauheit, und Sumer, das große Land der nie des Fürstentums, und Uri (- Akkad), das
der Scharfsinnige des Landes, der Weise der Götter, ausgestattet mit Verstand, wohlversorgte Land, und das Martu-Land, das in sicherem Weideland liegt -
der Herr von Eridu, veränderte die Sprache ihres Mundes, indem er Streit die Gesamtheit von Himmel und Erde, die wohlbehüteten Völker - sie (alle)
hineinlegte in die menschliche ... sollen Enlil in einer Sprache anrufen!
Nach Kramer deutete diese Textstelle auf einen Machtkampf zwischen den Göttern (Denn) in jener Zeit (wird er) dem streitenden Herrn, dein streitenden Fürsten
Enki und Enlil hin. 2t Diese Deutung hat - nicht zuletzt auf Grund ihrer angeblichen und dem streitenden König, wird Enki dem streitenden Herrn, dem streitenden
Nähe zum biblischen Bericht - breite Zustimmung erfahren und Eingang in viele Fürsten und dein streitenden König, wird dem streitenden Herrn, dein
populäre Darstellungen gefunden. Nur vereinzelt wurden Zweifel an dieser mythischen streitenden Fürsten und dem streitenden König, Enki, der Herr des Überflusses,
Auseinandersetzung laut. ' der Herr der festen Entscheidungen, der Herr der Weisheit, der Scharfsinnige
des Landes, der Wissende der Götter, der Weisheit zeigende Herr von Eridu, die
Und wenn man genauer auf den Text schaut, ergeben sich auch andere Sprache(n) in ihrem Mund umdrehen, so viele von ihnen eingesetzt waren. auf
Deutungsmöglichkeiten. Die sumerische Sprache ist bei der Markierung von Zeiten an dass die Sprache der Menschheit wahrhaft eine sei." '
sieh zurückhaltend und im vorliegenden Text ganz besonders sparsam. Außerdem
kann die Verbalform in Zeile 146 nicht nur affirmativ, sondern auch als Wunsch Zwei Schwierigkeiten gibt es für diese auf die Zukunft bezogene Deutung der Passage.
übersetzt werden. Und drittens fehlen in diesem Text mehrfach die Markierungen für Eine davon ist die Tatsache, dass nach unserem bisherigen Kenntnisstand „u4-ba" in
Subjekt und Objekt. Daher ist mit leichten Veränderungen auch die Folgende der Regel mit vergangenen Ereignissen verknüpft ist und „u 4-ne" mit zukünftigen. 3!
Übersetzung möglich: Darüber hinaus findet sich eine - allerdings sehr fragmentarische - Parallele zu den
Zeilen 136-140, die eine Zeit ohne Gefahren für den Menschen beschreiben, in einem
Fragment der sogenannten Eridu-Genesis, wo sie sich auf die Zeit vor der großen Flut
bezieht. 3' Auf der anderen Seite wird unsere Textpassage in den Zeilen davor als
S.N. KRAMER, Enki andhis Inferiority Compler. Orientalin NS 39 (1970), 103-110. „Heiliges Lied" (sir-kü) und als „Beschwörung des Nudimmud" (nam-sub- dnu-dim-
VAN D11K, La "confusion des langues". Note sur le lexique et sur la morphoiogie d'Emnerkar,
147-155. In: Orientalia NS 39 (1970), 302-310; B. ASTER, An Aspect of "Enmerkar and the Lord of
tnud) bezeichnet,33 was nur bedeuten kann, dass mit ihr eine zukünftige Heilszeit und
Aratta. In: Revue Assyriologique 67 (1973), 101-109; DERS., Dilmun, Bahrain, and the Alleged
Paradise in Sumerian Myth and Literature. In: D.T. Potts (Hg.), Dilmun. New Studies in the w
Vgl dazu auch die ETCSL-Übersetzung unter http:llwww-etcsl.orient.ox.ac.uklseetionl/ tr1823.htn
Archaeology and Early History of Bahrain (= RBVO 2). Berlin 1983, 39-74 und zuletzt UEHLINGER, (Zugriff am 25.05.2003).
Weltreich (wie Anm. 7) 410-425; vgl. auch O.R. GURNEY, A Note an "The Babel of Tongues". In: `' Siehe ALSTER, Dilmun (wie Anm. 29) 58 und UEHLINGER, Weltreich (wie Anm. 7) 412.
Archiv für Orientforschung 25 (1974-77), 170f.; T. JACOBSEN, The Spell of Nudimmud. In: M.
n T. JACOBSEN, The Eridu Genesis. In: Journal of Biblical Literature 100 (1981), 513-529, vor allem
Fishbane/E. Tov (Hgg.), Sha'arei Talmon, Studies Presented to Shemarjahu Talmon. Winona Lake 516f. En. 7: 10'-15'; vgl. ALSTER, Dilmun (wie Anm. 29) 56f.
1992, 403-4 1 6.
" Nudimmud ist der Name des Gottes Enki in seiner Manifestation als Schöpfungsgott.
66 67
ein ideales Königtum beschworen werden, die unter der Führung des Gottes Enlil und Die Geschichte spielt in einer mythischen Zeit, da es weder Handel noch Schrift gibt.
unter Anleitung des Gottes Ertki alle Völker vereinen werden. ' Enmerkar, der Herrscher (en) von Uruk, ist ein Abkömmling des Sonnengottes und als
Priesterkönig zugleich Ritualgatte der Stadtgöttin Inanna, von deren Gnade und Gunst
Damit wird aus der Erzählung eines mythischen Zeitalters der Eintracht (mag es nun
das Wohlergehen der Stadt abhängt.
nach numerischer Vorstellung existiert haben oder nicht), das durch die Eifersucht
eines Gottes (oder durch ein anderes Ereignis) in unsere Zeit der Zwietracht und des Weit im Osten, im iranischen Hochland - jenseits der sieben Gebirge - liegt die Stadt
Streites verwandelt wurde, eine Hoffnungsvision für die Zukunft, die ein Dichter im Aratta, in der ebenfalls ein Priesterfürst und Ritualgatte der Inanna regiert. Beide
Südirak, einer damals wie heute krisengeschüttelten Region, zwischen 2000 und 1700 haben die gleichen kubischen Aufgaben und administrativen Pflichten, beide sprechen
v. Chr. auf Ton geschrieben hat. Die Erfahrung der Vielsprachigkeit, der die gleiche Sprache, Aratta erscheint als Spiegelbild Uruks in den Bergen. Doch
Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten hatte offenbar dazu geführt, dass lnanna bevorzugt Enmerkar:
der Wunsch nach Einstimmigkeit, Einklang und Eintracht in Form einer kurzen
Beschwörung in die sumerische Traditionsliteratur Eingang fand. „Erstrahle wie die Sonnenscheibe auf meiner Brust. Du bist mir wahrlich (so
nahe), wie die Juwelen an meiner Kehle. 3t Gepriesen seiest Du, Enmerkar,
Enmerkar und der Herr von Aratta Sohn der Sonne" (Zn. 102-104).
Die behandelte Textstelle steht aber nicht isoliert da. Sie ist eingebettet in eines der Der Grund dafür liegt darin, dass Enmerkar das _Himmelshaus" (-an-na), ihren
großen sumerischen Epen, das von dem legendären König Enmerkar handelt, dem Tempel in Uruk mit einer Hochterrasse versehen und prunkvoll ausschmücken
Großvater des Gilgamesch und dem Gründer der Stadt Uruk. Dieses Epos, das unter möchte. Dazu benötigt er aber Rohmaterialien: Gold, Silber und Lapislazuli, die es in
dem Namen „Enmerkar und der Herr von Aratta" bekannt ist, berichtet über die Surner nicht gibt, sehr wohl aber im Gebiet von Aratta.
wahrscheinlich älteste bezeugte Auseinandersetzung zwischen dem Irak und dem
lran. 34 Es ist auf etwa 22 Tontafeln und Tafelfragmenten aus Nippur, Ur und Kisch Inanna hält den Regen im Bergland zurück, damit eine Hungersnot Aratta zwinge, sich
erhalten, die sich heute in den Museen in Philadelphia, Istanbul, Berlin und Oxford Uruk zu unterwerfen und als Tribut die benötigten Materialien und Arbeitskräfte
befinden. abzuliefern. Enmerkar schickt einen sprachbegabten und ausdauernden Boten mit einer
dementsprechenden Aufforderung nach Aratta.
Sollte der Herr von Aratta sich nicht unterwerfen, Gold und Edelmetalle (?) abliefern
und für Uruk einen Hochtempel („einen Berg für die strahlenden nie") bauen, würde es
Vgl. ALSTER, Dilmun (wie Anm. 29) 58.
S.N. KRAMER, Enmerkar and the Lord of Aratta. A Sumerian Epic Tale of lraq and Iran zum Krieg kommen und Aratta völlig zerstört und entvölkert werden. Der Tempel
(= Unirersity Museum Monographs 7). Philadelphia 1952; S. COHEN, Enmerkar and the Lord of solle verschwenderisch ausgestattet sein, seine strahlenden Hörner bunt wie ein
Aratta. phil. Diss. Philadelphia 1973; T. JACOBSEN, The Harps that Once .,. Sumerian Poetry in Sonnenaufgang, und seine Torpfosten sollen hell leuchten. Das Heilige Lied, das in
Translation. New Haven-London 1987. 275-319; HERS., Enmerkar and the Lord of Aratta. In W.W.
seinen Räumen gesungen werde, die Beschwörung des Nudimmud, soll der Bote dem
Hallo (Hg.), The Context of Seripture t: Canonical Compositions fron the Biblical World. Leiden-
New York-Köln 1997, 547-550 sowie die Internet-Textedition von J.A. BLACK, G. CL I NN1NGHAM, Herrn von Aratta singen:
E. FLUCKIGER-IFAWKER, E. ROBSON und G. ZÖLYOMI, The Eleetronic Text Corpus of Sumerian
Literature (http://www-etesl.orient.ox.ac.uk ). Oxford 1998ff. Die Transliteration des Keilschrifttextes
findet sich unter http:Ihseew-etcsl.orient.ox.ac.uklsectionilc1823.htm, die Übersetzung unter
http:li www-etcsl.orient.ox.ac.ukisectionll tr1823.htm und die Bibliographie unter http:llwww- n Vgl. Sure 50 des Korans, wo Gott in Vers 16 sagt: „Und Wir sind ihm (= dem Menschen] näher als
etcsl.orient.ox.ac.uksection Ub 1823.htm (Zugriff am 25.05.2003). die 11alsschlagmdei-."
es 69
„Das Heilige Lied, die Beschwörung, die in seinen Räumen gesungen wird, die Bevorzugung Enmerkars berichtet, stellt der Herrscher von Aratta eine unmöglich
Beschwörung des Nudimmud, singe ihm" (Zn. 134f.: e-nun-e-nun-ba Air kü erscheinende Bedingung. Wenn Enmerkar wirklich so mächtig und von Inanna
nam-tsub du 12-a-ba nam-sub d nu-dim-mud-da-kea e-ne-ra duga-mu-na-ab). bevorzugt sei, dann solle er Getreide für die hungernde Bevölkerung nach Aratta
liefern - aber nicht in Säcken, sondern in den üblichen großmaschigen
Der Text dieser Beschwörung, der danach (Zn. 136-155) wiedergegeben wird, ist jene Transportnetzen. Darm würde sich Aratta unterwerfen.
kurze Episode von Enki und der Sprache, die wir zuvor besprochen haben. Sie
beschwört eine Zeit der Eintracht unter einem idealen König, der, von Enlil anerkannt Nach seiner Rückkehr nach Uruk überbringt der Bote Enmerkar wortgetreu die
und von Errki unterstützt, die Welt unter seiner Herrschaft befrieden und ihr eine Antwort des Königs von Aratta, ja er imitiert sogar dessen zornig aggressiven Tonfall.
Sprache geben wird. Es besteht kaum ein Zweifel, dass damit eine erhoffte sumerische
Auf Rat der Getreidegöttin Nidaba sendet Enmerkar bereits vergorenes Getreide, das
Vorherrschaft angesprochen wird. " Christof Uehlinger interpretiert die „Beschwörung
zu einem festen Klumpen Malz geworden war, nach Aratta und fordert seinen
des Nudimmud" und ihre Funktion innerhalb des Epos ähnlich, verlegt den idealen
Gegenspieler auf, das Szepter von Uruk zum Zeichen der Unterwerfung anzunehmen.
Zustand der Spracheinigung allerdings in die Vergangenheit.' "
Die Bevölkerung von Aratta stimmt zu, doch der Priesterkönig will sich nur einem
Ohne Pause läuft der königliche Bote durch die Zubi-Berge nach Susa im heutigen
außergewöhnlichen Szepter unterwerfen: keinem aus Holz, Stein oder Metall, sondern
Khuzistan und Anschan in der heutigen Provinz Fars und weiter über die sieben
einem, dessen Material er nicht kennt. Es folgt eine lange Liste der bekannten
großen Gebirgsketten nach Aratta. Am Hof von Aratta verkündet er die Macht seines
Materialien. Diesmal ist es Enki, der Herr des Abzu, des unterirdischen
Herrn:
Süßwasserozeans, der Enmerkar hilft. Unter seiner Anleitung züchtet Enmerkar ein
„Dein Vater,3' mein König, hat mich zu Dir gesandt; der Herr von Uruk, der besonders glänzendes Schilfrohr - im Gebirge unbekannt - und lässt daraus ein
Herr von Kulaba hat mich zu Dir gesandt" (Zn. 176f.). Szepter anfertigen. Nun ist auch die Priesterelite von Aratta bereit, sich zu
unterwerfen. Doch der Priesterkönig verlangt einen allerletzten Test. Es soll zu einem
Darm übermittelt er die auswendig gelernte Botschaft Enmerkars einschließlich der Zweikampf der besten Kämpfer der beiden Städte kommen. Der bessere möge
„Beschwörung des Nudimmud". Der Herr von Aratta soll diese offenbar zum Zeichen gewinnen, doch Uruks Held dürfe keine Kleider tragen, deren Farbe einen Namen hat.
seiner Unterwerfung wiederholen, denn hei der Wiederholung des Botenberichtes am
Hof von Aratta heißt es: Da wird Enmerkar ungeduldig. Er kleidet seinen Helden in ein naturbelassenes,
„Das Heilige Lied, die Beschwörung, die in seinen Räumen gesungen wird, die ungefärbtes Gewand, dessen Farbe somit auch nicht benannt werden konnte.
Beschwörung des Nudimmud, singe mir" (Zn. 206f.: e-nun-e-nun-ba Air kü Gleichzeitig aber schickt er eine lange Botschaft nach Aratta, in der er erstens die
nam-sub du 12-a-ba (nam-subj d nu-dim-mud-da-kea gä-ra dug4-m[u-na-ab]). Herausforderung annimmt, zweitens seine Forderungen nach Tributen und Frondienst
bekräftigt und drittens erneut mit der Zerstörung und Entvölkerung von Aratta droht.
Der Priesterkönig von Aratta ist empört über dieses Ansinnen: Seine Gebirgsstadt sei Diese Nachricht übersteigt durch ihre Länge die Merkkraft des Boten. Daher lässt
uneinnehmbar und das Blut der Feinde werde von den Hängen fließen; Inanna solle Enmerkar sie auf einer Tontafel niederschreiben und erfindet so die Keilschrift und
entscheiden, wen sie fallen lasse und wen sie erhebe. Als der Bote von Inannas den Brief."'
Dilmun (wie Anm. 29) 58; UEHLINGER, Weltreich (wie Anm. 7) 420-425.
Vgl. ALSTER,
.W
Vgl. G. KOMORÖCZY, Zur Ätiologie der Schrifterfindung im Enmerkar-Epos. In: Altorientalische
n UEHLINGER, Weltreich (wie Alun. 7) 417-420. Forschungen 3 (1975), 19-24. Uruk ist auch jener Ort, von dem uns die bislang ältesten
19 Enmerkar wird durch diese Bezeichnung als ranghöher dargestellt. Keilschrilitafeln bekannt sind.
70 71
vermehren sich auch die Herden von Aratta. Das Schicksal von Uruk und Aratta wird sondern zwischen „Beseeltem" und „Unbeseeltem". Diese Unterscheidung zieht sich
bestimmt. Früchte, Gold, Silber, Lapislazuli, Schilf, alles soll für den Kult der Inanna morphologisch durch die Personalpronomina, Possessivsuffixe, Fragepronomina und
bereit stehen, und ein modus vivendi zwischen Uruk und Aratta - anscheinend auf der die pronominalen Elemente finiter Verbalformen. Als „beseelt" wurden Menschen,
Basis des Tauschhandels - wird gefunden. Aratta bleibt unzerstört und hilft Uruk Götter und Dämonen betrachtet, als „unbeseelt" Sachen, Pflanzen und Tiere» Die
freiwillig beim Tempelbau. Kein Krieg muss geführt werden, kein Volk wird Sprachfähigkeit selbst gehörte also zu den Kriterien, die der elementaren Aufteilung
unterdrückt. Der Text endet mit einer Aufzählung der Errungenschaften Enmerkars. der Welt zugrunde lagen.
In diesem Epos wird der für Mesopotamien klassische Topos vom Heils- und Die Sprache war innerhalb der mesopotamischen Mythen und Epen das Medium, in
Unheilsherrscher erzählt. Dem einen - von den Göttern geliebt - gelingt alles. Der dem die unterschiedlichsten beseelten Wesen ohne Verständigungsprobleme
andere - zuerst von den Göttern, dann auch von seinem Volk und seiner Elite miteinander kotrununizieren. Die Götter reden miteinander, ob in höchster sexueller
verlassen - ist auf sich allein gestellt und muss sehen, wie er aus den Schwierigkeiten Erregung (Enlil und Ninlil) oder in tiefster Trunkenheit (Enki und Ninmah), sie
herauskommt. Er setzt auf Zeitgewinn - irgendwann wird sich die göttliche Gunst ihm sprechen aber auch mit den Menschen und umgekehrt. Enmerkar unterhält sich mit
ja wieder zuwenden - und bewahrt Aratta vor dem Untergang. Damit ist unser Text Inanna. Adapa, der Priesterfürst von Eridu, muss sich vor dem Himmelsgott An dafür
unter anderem auch ein Lehrstück, wie man sich als schwächerer Herrscher gegenüber rechtfertigen, dass er den Flügel des Südwinds gebrochen hat und so das klimatische
einem stärkeren verhält. Verhandeln und Zeitgewinn werden dabei deutlich höher Gleichgewicht Sumers gestört hat. Enki warnt Ziusudra, den König von Suruppak, vor
bewertet als militärische Auseinandersetzungen. der drohenden, alles vernichtenden Flut. Die Sprache vermittelt zwischen Menschen
In dem Zusammenhang sumerischer Weltanschauung erhält die „Beschwörung des Al S. IZRE ' EL, Adapa and the South Wind. Langvage Has the Power of Life and Death. Winona Lake
Nudimmud" eine wichtige Bedeutung für den Text. Als kosmisch-politisches Idealbild 2001, 132.
einer befriedeten - einsprachigen - Welt ist sie in den ersten Botenbericht eingebaut „`So im Mythos "Enki und Ninmah": KRAMER/MAIER, Enki (wie Anm. 27) 31-37. Die Passage mit
der eigentlichen Menschenschöpfung ist äußerst fragmentarisch erhalten, doch lassen die Textreste
und erinnert den Zuhörer bereits am Beginn der Konfrontation, dass nach göttlichem
erkennen, dass die Gestaltung des Mundes extra erwähnt wird, vgl. JACOBSEN, The tlarps (wie Anm.
Willen am Ende aller Auseinandersetzungen eine einzige, geordnete Zivilisation steht. 35) 157: 41.
Irgendwann einmal, wenn alle eine Sprache sprechen, dann wird es keine Kriege und M.-L. THOMSEN, The Sumerian Langvage. An lntroduetion to its History and Grammattcal
keinen Streit mehr geben. Structure (= Mesopotamia 10). Kopenhagen 1984, 49.
73
72
unterschiedlicher Herkunft (Enmerkar, Lugalbanda), zwischen Menschen und gesamte Welt auszudehnen, dann würde dieser Zustand wiederkehren. Auch in
überirdischen Wesen (Etana, Gilgamesch) und zwischen Menschen und Verstorbenen „Enmerkar und der Herr von Aratta" wird das kosmisch-politische Ideal einer
(Gilgamesch). befriedeten einsprachigen Welt beschworen, der sich durch die Hegemonie Uruks über
Aratta einstellen würde. 48 Diese literarische Fiktion, dieser Wunschtraum von einer
Darüber hinaus bedeutete Sprachfähigkeit auch Macht. Sprache besaß die Macht, die einheitlichen Sprache innerhalb der zivilisierten Welt, dem geordneten Universum der
Natur zu manipulieren. Adapa bricht den Flügel des Südwindes mit Hilfe eines mesopotamischen Großreiche, trug wohl wesentlich dazu bei, dass über die
44
Spruchs. Sprache hatte Schöpfungskräfte. In den Mythen um den Gott Enki gibt es Jahrhunderte hinweg trotz aller Mehrsprachigkeit jeweils nur eine Sprache zur
zahlreiche Beispiele verbaler Schöpfungsakte. 45 Und im Bereich der Magie, ebenfalls offiziellen Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg benutzt wurde: zuerst das
eine Domäne Enkis, hatte Sprache die Macht, Gesundheit und Krankheit, Leben und Sumerische, dann das Akkadische und schließlich das Aramäische.
Tod herbeizuführen. Und auch der letzte Wirkungsbereich des Gottes Enki, die
„Weisheit", ist eng mit der Sprache verknüpft. In einer Gesellschaft, die nur zu einem Auf der anderen Seite hingegen ließ die intellektuelle Schreiberelite keinen Zweifel
sehr geringen Teil auf schriftlicher Tradition beruhte, war es oft das vorgetragene daran, dass diese Sprache der Einheit und Ordnung das Sumerische war. Von der
Wissen, der Ratschlag, der zwischen Erfolg und Misserfolg unterschied. Mit seinen offiziellen Sprache wandelte es sich am Ende des 3. Jahrtausends zur Sprache der
Ratschlägen holt Enki die Göttin lnanna aus der Unterwelt zurück, mit ihnen bereitet hohen Literatur und blieb bis zum Untergang der Keilschriftkultur im 1. Jahrhundert n.
er Adapa vor, als dieser vor den Himmelsgott An zitiert wird. Und nicht umsonst Chr. ein wesentlicher Bestandteil der mesopotamischen Gelehrsamkeit. Sumerisch
haben Sumerer wie Babylonier das Ohr als den Sitz des Verstandes angesehen. 4t Wie gehörte zum Pflichtprogramm der Schreiberausbildung, im medizinischen und im
sehr die Konzepte „Sprache" und „Macht" nach mesopotamischer Vorstellung magisch-mantischen Bereich waren sumerische Texte an der Tagesordnung, und
miteinander verbunden waren, zeigt schließlich die Tatsache, dass es nur einen babylonische Schreiber des 6. Jahrhunderts imitierten in königlichem Auftrag die
einzigen Weg gab, den Sturmvogel Anzud zu bändigen, nachdem er mit der Keilschrift des 3. Jal-u-tausends. 49
Schicksalstafel alle Macht an sich gerissen hatte, nämlich ihn daran zu hindern, diese
Darüber hinaus blieb Sumerisch die „Heilige Sprache" Mesopotamiens, jene Sprache,
Macht auch auszusprechen. 47
die vor der großen Flut gesprochen worden war und in der man nach wie vor am
Nach mesopotamischer Vorstellung gab es in mythischer Vorzeit eine Sprache, die im besten mit den Göttern kommunizieren konnte. Bis in hellenistische und parthische
Machtbereich der Götter, dem geordneten zivilisierten Bereich der Schöpfung, Zeit hinein wurden Gebete und Beschwörungen in Sumerisch geschrieben und
gesprochen wurde. Und wenn es den mesopotamischen Herrschern gelänge, diesen gesprochen. Da das Sumerische im Alltag seit dem Ende des 3. Jahrtausends
Zivilisationsbereich, also den eigenen Macht- und Herrschaftsbereich, wieder über die zunehmend außer Gebrauch gekommen war - die Geschichte des Lateins im
Mittelalter und in der Neuzeit fällt einem ein -, wurden die Texte in vielen Fällen
übersetzt und kommentiert. Eine Fülle zweisprachiger religiöser Texte entstand. Und
1ZRE. ' rL,
Adapa (wie Anm. 41) 130f.
wie hei anderen Heiligen Sprachen auch (Hebräisch, Arabisch, Sanskrit) suchte man
KRAMERIMAIER. Enki (wie Anm. 27) 32f., 45f. und 48; vgl, auch die große Eniil-Hymne in
]ACOBSEN, The Harps (wie Anm. 35) 109f.: 143-155.
den tieferen Sinn der Texte mittels textexegetischer Methoden (Einsetzen von
se
H.D. GALTER, Der Gott EalEnki in der akkadischen Überlieferung. Eine Bestandsaufnahme des
vorhandenen Materials (= Dissertationen der Karl-Franzens-Universität Graz 58). Graz 1983, 95-103:
DERS., Die Wörter für Weisheit im Akkadischen, In: 1. Seybold (Hg.), Meqor Hajjim. Fs. Molin. Graz " Weltreich (wie Anm. 7) 425f.
Vgl. ULI-BANGER,
19813,89-105. av P. MICIIALOWSKI. The Life and Death of the Sumerian Language in Comparative Perspective. In:
47
Bin "gar dadme, Edition and Analysis Acta Sumerologiea 22 (2000, im Druck).
M.E. VOGELLANG, of the Akkadian Anzu Poem. Groningen
1988, 87r. Vgl. http;llwww,personal.umich.edul-piotmmlDlGLOS%7El.htm (Zugriff am 25.5.2003).
74 75
seinem Bruder und seinem Onkel auch in einer Gelehrtenliste aus der Bibliothek
Zahlenwerten, Verwendung von Homophonen, Deutung logographischer Werte von
Assurbanipals in Ninive (um 650 v. Chr.) auf. ''
Silben, graphisch-etymologische Assoziationen etc.) zu entschlüsseln. sn
Der Arzt und die Gärtnerin Dieser Ninurta-sagentarbi-zaemen wird von einem Hund gebissen und begibt sich
Wie eng Gelehrsamkeit und Schriftkultur nach mesopotamischer Vorstellung mit dem nach Isin, der Stadt der Heilsgöttin Gula, um sich behandeln zu lassen. Ein Gula-
Beherrschen des Sumerischen verknüpft waren, soll zum Abschluss ein kleiner Priester namens Amel-Bau heilt ihn mittels einer Beschwörung. Daraufhin bedankt
literarischer Text aus Uruk belegen» Er stammt aus dem Bereich von Eanna und zwar sich Ninurta-sagentarbi-zaemen mit einem Segenswunsch und einer Einladung in seine
aus den Wohnhäusern, die im 1. Jahrtausend v. Chr. im Nordwesten der Zigqurrat Heimatstadt Nippur, dem altehrwürdigen Zentrum sumerischer Religion und
errichtet wurden. Nach Aussage des Kolophons entstand er im Jahr 818 v. Chr. und Gelehrsamkeit. Auf die Frage Amel-Baus, wo er in Nippur wohne, beschreibt er ihm
diente wahrscheinlich als Leseübung für die in Ausbildung befindlichen Jungschreiber. den Weg bis in die Tillazida-Straße. Dort solle er die Gärtnerin, die dort Gemüse
verlädt oder verkauft, nach seinem Haus fragen.
Als Amel-Bau wirklich nach Nippur kommt, folgt er der Wegbeschreibung und findet
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die Gärtnerin. Er redet sie mit ihrem Namen - Nin-lugalabzu - an, worauf sie ihm
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„Ja, mein Herr?"
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Dieser akkadisch-sumerische Mischsatz ruft bei Amel-Bau eine seltsame Reaktion
hervor. „Warum beschimpfst Du mich so sehr", fragt er die Frau, worauf ihn diese
Abh.4: W 23558 nach BaM 10. 112F
aufklärt:
Die Geschichte rankt sich um einen Gelehrten mit dem wunderschönen sutnerischen anni ball agb¢ka (Z. 24)
Namen Ninurta-sangentarhi-zaemen, „Ninurta, du bist sein Betreuer". Es muss sich bei „Ja, mein Herr, habe ich zu Dir gesagt."
ihm um eine relativ bekannte Person gehandelt haben, denn er taucht zusammen mit
Nun wissen wir es. Der Arzt und Wissenschaftler Amel-Bau aus Isin versteht kein
Sumerisch und fühlt sich von der Gärtnerin beschimpft, bis diese auf Akkadisch seinen
Irrtum korrigiert. Amel-Bau fordert sie daraufhin nicht gerade höflich auf, ihm das
Haus des Ninurta-sagentarbi-zaemen zu zeigen. Daraufhin antwortet die Gärtnerin:
S.M. MAUL, Küchensamerisch oder hohe Kunst der Exegese? Überlegungen zur Bewertung
akkadischer Interlinearübersetzungen von Emesal-Texten. ln: B. Pongratz-Leisten et al. (Hgg.), Ana
sadi Labn8ni lü allik. Fs Rällig (= Alter Orient und Altes Testament 247). Kevelaer-Neukirchen/Vluyn
1997, 253-267; DERS., Das Wort im Worte. Orthographie und Etymologie als hermeneutische
Verfahren babylonischer Gelehrter. In: Glenn W. Most (1-Ig.) Commentaries - Kommentare (= Apo-
remata: Kritische Studien zur Philologiegeschichte 4). Göttingen 1999, 1-18. 52
Vgl. zum Folgenden H. HIRSCH, Spaß mit Sprache. In: 1. Seybold (Hg.), Meqor Hajjim. Fs. Mohn.
A. CAVIGNEUAX, texte und Fragmente aus Warka (32. Kampagne). In: Baghdader Mitteilungen l0
Graz 1983, 155-162, wo er auch flüchtig eine Ähnlichkeit mit Nasreddin Hodscha überlegt.
( 1979), I El-117, Nr. 1, W 23558.
77
76
bell nu tuginen (Z. 28) Ambivalenz der Einheit - Rettung der Vielfalt
Die sogenannte Turmbauerzählung Gen 11,1-9
„Mein Herr ist nicht zu Hause"
Johannes Marböck
Wieder glaubt Amel-Bau, er werde beschimpft und wieder klärt ihn die Gärtnerin auf:
be f ul asib agbika (Z. 29) Die Erzählung vom sogenannten Turmbau zu Babel aus dein ersten Mosebuch aus den
„Mein Herr ist nicht zu Hause, habe ich zu Dir gesagt" Anfangskapiteln der Bibel Israels und auch der christlichen Bibel zählt zu jenen
Texten, die sich in unser kulturelles Gedächtnis eingeschrieben haben. Die
Das Ganze wiederholt sich ein drittes Mal, als sie auf seine Frage, wohin der Gelehrte
Kunstgeschichte listet vom 6. bis zum 20. Jahrhundert mindestens 600 Darstellungen
gegangen sein, ihm erst auf Sumerisch, dann auf Akkadisch antwortet, dass er zum
auf, die von jener biblischen Szene Gen 11,1-9 inspiriert sind; ) das Ölgemälde von Piet
Opfern in den Tempel gegangen sei.
Brueghel dem Älteren (1563) mit seinen vielen Details ist wohl das berühmteste Bild
vom Turmbau geworden. Eine beinahe gleichzeitig (1565166) in Brüssel entstandene
Der Text endet hier leider sehr fragmentarisch, aber es scheint doch so, als zöge der
Tapisserie zeigt in Verbindung mit einem interpretierenden Text zu Gen 11,1-9 eine
Autor die Schlussfolgerung, dass Amel-Bau - der sich durch seine Unkenntnis des
bemerkenswerte Darstellung jenes Bauwerks. '-
Sumerischen vor der einfachen Gärtnerin aus Nippur bis auf die Knochen blamiert -
besser für längere Zeit oder intensiver in das Edubba, die Schreiberschule, gegangen
Auch Philosophie und Literatur können sich von der Aufklärung bis in die Gegenwart
wäre oder dass er es noch einmal tun solle. Im Kolophon wird den Schreiberschülem
der Faszination dieser kurzen Geschichte nicht entziehen. Dies gilt bereits für die
empfohlen, diese Geschichte recht oft zu lesen. Es sollte ihnen nicht so wie Amel-Bau
kulturphilosophischen Auseinandersetzungen mit diesem Text bei Immanuel Kant 3 und
ergehen. Sie sollten aber auch erkennen, dass sie in einer Jahrtausende alten Tradition
kurz darauf bei Johann Gottfried Herder, der in seinem Werk „Vom Geist der
stehen - einer Tradition, die einst von Enki, dem Gott der Weisheit, ausgegangen ist
Ebräischen Poesie" (1782183) im Aderschal (Gleichnis) vom Babel bereits die
und über die Nabü. der Gott der Gelehrsamkeit, wachte. Diese Tradition war auf das
möglichen Gefahren der einen idealen Kultur bewusst macht und daran das
Engste mit dem Sumerischen verknüpft, der Sprache der großen Weisen der Vorzeit:
Prinzip der Offenheit für Individualität und Fremdheit kulturellen Sinnes als Ordnung
Adapa, der zum Himmel aufstieg, Ziusudra, der die große Flut überlebte, Enmerkar,
des Schöpfers knüpft. `[
der die Schrift erfand oder Gilgamesch, der die Unsterblichkeit suchte und sie letztlich
in der literarischen Erinnerung erlangte.
Vgl. A. MANN, Babylonischer Turm, tn: Lexikon der christlichen Ikonographie 1 (1968), 236-238.
2 Den Hinweis verdanke ich einer freundlichen Mitteilung von Frau Dr. Rotraud Bauer vom
Kunsthistorischen Museum Wien.
Vgl. C. SCHMIDT, Kant verirrt sich in Babel. In; C. Hilfrich-KunjappenlS. Moses (Hgg.), Zwischen
den Kulturen. Tübingen 1997, 93-106; I. EBACFI, Die Erzählungen vom „Turmbau zu Dabei". In:
G. Collet (Hg.), Weltdorf Babel. Globalisierung als theologische Herausforderung (= Theologie und
Praxis 11). Münster 2002, 20-41. hier 39f.
' Vgl. das Zitat bei EtiACI-I, Die Erzählungen (wie Anm. 3) 40.
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