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Das Nocebophänomen – Wie


­Kommunikation krank machen kann

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Hartmut Schröder

„Es ist der Geist, der sich den Körper baut.“


Der Arzt und Dichter Friedrich von Schiller,
Wallensteins Tod III, 13

Dass Angst und schlechte Gedanken


krank machen können bzw. Krankheits­
verläufe negativ beeinflussen ist seit Lan­
gem bekannt und gilt durch zahlreiche
Studien als gesichert. Erfahrungsmedi­
zinisch gut belegt ist ebenfalls, dass
Störungen in der Arzt-Patienten-Kom­
­
munikation zu Heilungsblockaden, Ver­
schlechterungen und zu Symptomen füh­
ren können, die medizinisch oft nicht zu
erklären sind. Einen Namen hat dieses
Phänomen, dass Angst, Gedanken, Infor­
mationen und Kommunikation der Ge­ Abb. 1  Der Begriff Nocebo stammt aus der Arzneimittelforschung. Es können Symptome verursacht
werden durch die Erwartung von Symptomen und damit verbundenen Gefühlszuständen.
sundheit schaden können, erst vor ca. 50
© Imperium Lucis/Fotolia
Jahren aus Erfahrungen in der klinischen
Forschung bekommen: Kennedy [14]
nannte dieses Phänomen Nocebo (lat.: Eine Erweiterung erhielt der Begriff Voraussetzung ist immer eine zu Angst
Ich werde schaden). spätestens durch Hahn [10], der außer­ führende negative Erwartungshaltung
Zunächst wurde der neue Begriff sehr halb des engen pharmakologischen Kon­ des Patienten, die wiederum durch
eng gefasst. Kennedy [14] meinte damit texts aus der anthropologischen For­ Informa­tion oder Kommunikation stimu­
negative Nebeneffekte von Placebos, d. h. schung Fälle des psychogenen Todes liert w
­ orden ist. Der Begriff Kommunika­
das Entstehen von Symptomen, die wie berichtete und die Kategorie der Erwar­ tion umfasst dabei nicht nur die direkte
die positiven Effekte einer Zuckerpille tung in den Vordergrund rückte: Die Er­ zwischenmenschliche Kommunikation,
zum Erstaunen der Forscher als unspezifi­ wartung von Krankheit und die damit sondern auch die Medienkommunikation
sche Wirkungen auftraten. So antwor­ verbundenen Affektzustände (v. a. Angst) und die Selbstkommunikation (das inne­
teten in einer Studie zu einem Brechmittel können nach Hahn [10] Symptome bzw. re Gespräch mit sich selbst) sowie
80 % der Patienten, die zur Placebogruppe Krankheit bis hin zum Tod erzeugen. schließlich die interne Kommunikation
gehörten, dennoch mit Erbrechen. Ver­ In diesem Artikel verfolge ich einen er­ im biologischen System Mensch und die
gleichbare Beobachtungen werden seit­ weiterten Nocebobegriff in Anlehnung komplexen Wechselwirkungen mit der
dem in fast allen placebokontrollierten an Hahn [10], ohne jedoch den engen Be­ natürlichen Umwelt und sozialen Umge­
Studien gemacht. Der nicht gewünschte griff (ungewollte negative Effekte von bung. Angeregt werden kann Angst bzw.
Effekt wird daher auch als der böse Bru­ Placebos) zu vernachlässigen. Beide hän­ eine nega­tive Erwartungshaltung durch
der des Placebos bezeichnet. gen nämlich eng miteinander zusammen. schriftliche Texte zu Wirkmitteln (insbe­

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ZUSAMMENFASSUNG ABSTR AC T berichtet Heier [12] in seiner Übersicht
zum Nocebo:
Das Nocebo gilt als der „böse Bruder“ des The nocebo is considered to be the “evil ■■ „Sam Shoeman hätte nicht sterben
Placebos, da es sich um unerwünschte Wir­ brother” of the placebo, since nocebos are müssen. Aber er war überzeugt da­
kungen handelt. Eng gefasst meint der Be­ unwanted effects. In a narrow sense, this
von, todkrank zu sein. Seine Ärzte
griff negative Effekte bei Teilnehmern von term means negative effects among the
Arzneimittelstudien, die zur Placebogruppe participants of drug studies belonging to
­gaben ihm nur wenige Monate. Und
gehören. Dennoch lassen sich die gleichen the placebo group. However, the same ad­ so schnell starb er auch. Allerdings
Nebenwirkungen beobachten, die vom Ve­ verse effects can be observed, which could nicht an seinem Tumor. Der war am
rum verursacht werden könnten. Weit ge­ be caused by the verum. In a broad sense, Ende nicht bedrohlich. Shoeman starb
fasst bedeutet Nocebo die Verursachung nocebo means causing symptoms by the ex­ an seiner Überzeugung, sterben zu
von Symptomen durch die Erwartung von

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pectation of symptoms and associated emo­
müssen.“
Symptomen und damit verbundene Ge­ tional states. Nocebo effects are part of the
fühlszustände. Noceboeffekte gehören zum daily clinical practice, but have not been in­
■■ „Derek Adams hatte sterben wollen.
klinischen Alltag, sind bislang aber nur we­ vestigated in detail yet. The communication Er nahm 29 Kapseln eines Antide­
nig erforscht. Zur Vermeidung spielt die between patient and physician plays an im­ pressivums, die er im Rahmen einer
Arzt-Patienten-Kommunikation eine ent­ portant role in avoiding these effects. Medikamentenstudie bekommen hat­
scheidende Rolle.
te. Die Überdosis war zu hoch, die
Schlüsselwörter Keywords Ärzte konnten ihm nicht mehr helfen.
Nocebo, Placebo, Kommunikation. Nocebo, placebo, communication. Bis sich herausstellte: Seine Überdosis
waren nur Placebos – er gehörte zur
Kontrollgruppe der Studie. Doch er
war sicher, sich tödlich vergiftet zu
sondere Beipackzettel von Medikamen­ ■■ Wenn Krebspatienten glaubten ein haben. Als er erfuhr, dass er nur ein
ten), aber auch durch die Gesprächsfüh­ neues Medikament zu erhalten, ent­ Scheinmedikament geschluckt hatte,
rung des Arztes. Darüber hinaus können wickelten 71 % von ihnen mindestens verschwanden die Symptome sofort.“
durch Medien und systemische Faktoren zwei neue Symptome, auch wenn sie
(Umfeld, Co-Therapeuten) Noceboreize Teil der Placebogruppe ­waren. Aus der Schweiz wurde 2012 ein interes­
gegeben werden. ■■ Einige wissenschaftlich gut unter­ santer Fall bekannt:
Aufgabe des Artikels ist es, einen kur­ suchte Präparate, wie zum Beispiel ■■ Bei einem vermeintlichen Antrax-An­
zen Überblick zum Nocebomechanismus Proglumide, verloren ihre Wirksam­ schlag wurden 34 Personen mit Übel­
zu geben und diesen durch Beispiele zu keit (…) vollständig, wenn die posi­ keit und Kopfweh ins Krankenhaus
belegen. Einem späteren Beitrag bleibt es tiven Erwartungen an ihre Wirkung eingeliefert. Es stellte sich aber her­
vorbehalten, Überlegungen zu den ver­ eliminiert wurden. aus, dass es sich nur um ein ungefähr­
schiedenen Typen des Noceboeffekts und ■■ Sogar bei alltäglichen medizinischen liches weißes Pulver gehandelt hat.
zur Bedeutung des Phänomens insbeson­ Interventionen wie einer lokalen be­ Im Interview erklärt der Historiker
dere für die komplementäre Medizin vor­ täubenden Injektion in die Haut, be­ Sarasin [18]: „Es braucht die giftige
zustellen sowie Vorschläge zu machen, stimmten die Äußerungen des Arztes Substanz gar nicht. Der Glaube daran
wie diese ungewollten Effekte in der kli­ über zu erwartende Schmerzen die reicht aus. Der Körper reagiert dann
nischen Praxis zum Wohle des Patienten vom Patienten wahrgenommene tatsächlich mit Vergiftungssympto­
vermieden werden können. Schmerzintensität. men.“

In den USA sorgte vor zwanzig Jahren die Weitere medizinisch mittlerweile gut be­
Beispiele für das Nocebo­ große Framingham-Herz-Studie für Auf­ legte Nocebophänomene sind psychoso­
phänomen im klinischen Alltag sehen als sich Folgendes herausstellte: matische Vergiftungserscheinungen [6],
■■ Frauen, die glaubten, dass sie eher als Stress-Kardiomyopathie bzw. das Broken
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft andere anfällig für Herzerkrankungen Heart Syndrome [7] und medieninduzierte
fördert seit 2011 die Forschergruppe FOR seien, starben 3,7-mal häufiger an Noceboeffekte, die sogar eine feste Be­
1328 [4], die sich interdisziplinär mit der Herzinfarkt und plötzlichem Herztod zeichnung bekommen haben wie z. B.
Placebo- und Noceboforschung beschäf­ als Frauen ohne eine solche Angst, Morbus Mohl [5]:
tigt und wesentlich zur Aufklärung dieser wobei die Studie hinsichtlich anderer ■■ Der Name bezieht sich auf den Mode­
Phänomene beigetragen hat. Auf der Risikofaktoren bereits bereinigt war rator Hans Mohl, der 30 Jahre lang
Homepage der Forschergruppe gibt es ei­ [9]. das monatlich gesendete Gesund­
nen Überblick mit Beispielen von Noce­ heitsmagazin Praxis im ZDF mode­
boeffekten im engeren und weiteren Sinn, Zwei weitere spektakuläre Beispiele aus rierte. Ärzte stellten fest, dass an den
von denen hier einige zusammengefasst den USA für die Macht der Erwartungen Tagen nach der Ausstrahlung eine
werden: Vielzahl von Patienten die Arztpraxen

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chanismus ist immer mit Angst bei den
Betroffenen verbunden, die einerseits
durch die negative Erwartungshaltung ge­
fördert wird und andererseits diese wei­
ter stimuliert.
Noceboeffekte lassen sich aber keines­
wegs auf psychologische Prozesse begren­
zen, denn es handelt sich hierbei nicht um
die Einbildung von Symptomen. Die Effek­
te sind vielmehr real, körperlich und

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messbar: „Die Erwartung manipuliert das
Immunsystem – und macht anfällig für
Krankheiten. Angst manipuliert Herz und
Kreislauf – und kann zu akut bedrohli­
chen Zuständen führen“ [11]. Insbesonde­
re panische Angst sowie das Gefühl des
Kontrollverlusts setzen biochemische Pro­
Abb. 2  Die Gesprächskompetenz spielt eine wichtige Rolle, um Noceboeffekte zu vermeiden. zesse in Gang und bewirken reale physio­
­Entscheidend ist nicht nur, wie der Arzt etwas sagt, sondern auch, was der Patient versteht.
logische Veränderungen.
© Gina Sanders/Fotolia; nachgestellte Situation
Rief, et al. [17] beschreiben, dass viele
Patienten mit körperlichen Symptomen
ihren Körper genau auf mögliche Symp­
aufsuchten und über die Symptome von Krankheit (oder Tod) und damit asso­ tomveränderungen beobachten. Die Er­
klagten, über die in der Sendung be­ ziierte Gefühlszustände“. Noceboeffekte wartung dieser Symptome induziert nun
richtet wurde. stellen damit nicht nur eine Beeinträch­ eine bestimmte Gehirnaktivität, die die
tigung für das Wohlbefinden dar, sie kön­ Perzeption dieser Symptome wiederum
Eingang hat der Begriff Nocebo mittler­ nen vielmehr „eine echte Gefährdung“ für begünstigt. Dementsprechend sieht das
weile auch in die juristische Fachliteratur den Patienten sein [21]. DFG-Projekt FOR 1328 [4] auf der Grund­
gefunden. Donner-Wielke/Wielke [8] be­ Weit gefasst handelt es sich beim Ent­ lage einer Analyse der Forschungsliteratur
schäftigten sich mit durch Auffahrunfälle stehen eines Noceboeffekts um eine Asso­ Hinweise dafür, dass es sich bei Nocebo­
verursachte gesundheitliche Schäden und ziation, bei der sich eine negative Erwar­ effekten „um komplexe psychoneurobio­
konnten experimentell einen Noceboef­ tungshaltung (unbewusst) mit einer logische Phänomene (handelt), die sowohl
fekt nach einem Auffahrunfall nachwei­ Konditionierung verknüpft. Reize aus der Einfluss auf die Aktivität bestimmter
sen. Ergebnis ihrer Studie war: Auch bei Umwelt (durch Medikamente mit spezifi­ Hirnregionen nehmen, als auch auf peri­
„Stößen sehr geringer Intensität bis zum schen Wirkmitteln oder Placebos ohne phere physiologische Prozesse“.
Wert von Null km/h“ können „im Licht des spezifische Wirkmittel, echte Behand­ Zech et al. [21] sehen Noceboeffekte als
psychologischen sog. Noceboeffekts“ Be­ lungen oder Scheinbehandlungen, aber „körpereigene Reaktionen wie Schmerz oder
schwerden im HWS-Bereich ausgelöst auch durch Informationen und Kommu­ Entzündung“: nocebobedingter Schmerz
werden. Denn „allein die Erwartungshal­ nikation bis hin zu Geräuschen und Gerü­ wird zwar nicht durch eine Noxe ausge­
tung, in der gegebenen Versuchsanord­ chen) führen über die negative Erwar­ löst, ist aber für den Betroffenen genauso
nung eventuelle Beschwerden im Bereich tungshaltung zu negativen Reaktionen real. Gut erforscht ist in diesem Zusam­
der HWS zu erleiden, kann zu den ent­ auf körperlicher und psychischer Ebene, menhang die analgetische Wirkung von
sprechenden Reaktionen führen. (…) ohne dass diese Reize einen konkreten Lachgas, die bei einer entsprechenden
Knapp 20 % der Versuchspersonen berich­ Wirkstoff enthalten, auf den die Reaktio­ Suggestion (Die Substanz erhöht die Kör­
ten auch nach einem 0-km/h-Stoß über nen direkt zurückgeführt werden könn­ perempfindungen) nicht nur aufgehoben
Beschwerden im Bereich der Halswirbel­ ten. wurde, „sondern in eine erhöhte Schmerz­
säule.“ Negative Reaktionen können sowohl sub­ empfindlichkeit (…) gewandelt“ werden
jektiver Art (Unwohlsein, Übelkeit, Kopf­ konnte. „Wurde Carisoprodol, ein muskel­
schmerzen, Ermüdung, Leistungsabfall relaxierendes Medikament als ­Stimulans
Begriff und Merkmale etc.) sein, als auch objektiv messbare Sym­ (Koffein) angekündigt, so war nicht nur
ptome (Herzrate, Blutdruck, Temperatur die gefühlte Anspannung höher statt
Die Arbeitsdefinition von Hahn [10] ist etc.). Die Symptome können zeitlich be­ niedriger, auch die Plasmakonzentratio­
einfach und umfassend zugleich: „Der grenzt sein, sich aber auch chronifizieren, nen der Substanz und des Metaboliten
Noceboeffekt ist die Verursachung von sodass das Entstehen von Erkrankungen Meprobamat waren niedriger als bei kor­
Krankheit (oder Tod) durch Erwartung begünstigt werden kann. Der Nocebome­ rekter Ankündigung als Relaxans (…). Das

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bedeutet, dass durch die Aufklärung nicht die Erwartung und die damit assoziierten chohygiene und Resilienzfaktoren eine
nur ein subjektives Empfinden verändert Affekte des Patienten. Dem gegenüber große Rolle.
wurde, sondern die physiologische Auf­ steht eine generische Form, wo das Sub­ Noceboeffekte verursachen Leid bei Pa­
nahme des oral gegebenen Medikaments“. jekt nur vage negative Erwartungen hat tienten, erschweren die Arbeit von Ärzten
Häuser et al. [11] sehen in ihrer umfas­ bzw. generell pessimistisch ist. Auch hier und verursachen schließlich Kosten für
senden Übersichtsarbeit sowohl Placebos realisieren sich die Erwartungen in Form die Gesundheitssysteme. Die gesellschaft­
als auch Nocebos „als psychobiologische bestimmter Symptome bis hin zu Krank­ liche Bedeutung des Nocebophänomens
Phänomene (…), die durch den gesamten heit und Tod, wobei diese nicht spezifisch sei daher kurz zumindest für den engeren
therapeutischen Kontext entstehen“ bzw. erwartet worden sind. Bereich der Arzneimittel gestreift, wo be­
durch unspezifische Effekte, die im Falle Heier [12] weist schließlich darauf hin, reits Schätzungen vorliegen. Noceboeffek­

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des Placebos für den Patienten nützlich dass Noceboeffekte „sogar dann funktio­ te sind in der vorliegenden Forschungs­
und im Falle des Nocebos schädlich sind. nieren, wenn der Betroffene weiß, dass er literatur nicht nur für Scheinmedikamente
Sie unterscheiden zwischen einem Noce­ getäuscht wird”. (Placebos) gut belegt, sondern auch für
boeffekt und einer Noceboantwort: Den Medikamente mit spezifischen Wirkmit­
Begriff Noceboeffekt begrenzen sie auf teln, bei denen in der klinischen Praxis
den Rahmen klinischer Studien, bei denen Lösungen ebenfalls unerwünschte schädliche Neben­
im Placeboarm der Studie negative Effekte wirkungen beobachtet werden können,
entstehen; unter einer Noceboantwort Das Nocebophänomen zeigt, „dass nega­ die nicht unmittelbar von den Wirkstoffen
verstehen sie negative Effekte, die „nur tive Überzeugungen und Erwartungshal­ im Medikament herrühren müssen. Viel­
durch negative Erwartungen des Patien­ tungen unserer Gesundheit schaden“ [16]. mehr kann ein Teil der Nebenwirkungen
ten und/oder negative verbale und non­ Nocebos mindern des Weiteren den Effekt sowie ausbleibende Compliance auf den
verbale Kommunikation der Behandler von Behandlungen. Allerdings „gelingen“ Nocebomechanismus zurückgeführt wer­
ohne eine (Schein-)Behandlung hervorge­ sie nur unter bestimmten Bedingungen: den. Barsky et al. [1] gehen für die USA
rufen werden“. Allein ein auslösender Reiz (Beipackzettel, davon aus, dass ca. 89 % der durch Neben­
Interessant ist eine Differenzierung bei Medienbericht, misslungenes Arzt-Patien­ wirkungen verursachten Kosten von Me­
Hahn [10] der zwei Formen von Nocebos ten-Gespräch etc.) reicht nicht aus. Es dikamenten auf das Konto von Nocebos
unterscheidet: Eine spezifische Form, wo müssen bestimmte Kontextfaktoren (im gehen. Nach Strausz [20] belaufen sich die
das Subjekt ein ganz bestimmtes negati­ Umfeld und durch vorherige Erfahrungen Kosten in Deutschland auf zwei bis drei
ves Ergebnis erwartet, das dann konse­ des Betroffenen) hinzukommen sowie Milliarden Dollar im Jahr. Über mögliche
quenterweise auch eintritt. Als Beispiel schließlich ein förderliches Milieu beim Kosten des Nocebophänomens im weites­
nennt Hahn [10] die Erwartung eines Pa­ Patienten finden (Ängstlichkeit, Konditio­ ten Sinne gibt es bislang überhaupt keine
tienten bei einer Operation zu sterben, nierung durch frühere negative Erfahrun­ Schätzungen.
was dann auch wirklich eintritt – freilich gen etc.). Zur Lösung des Noceboproblems Handlungsbedarf ist somit vorhanden,
nicht durch die Operation, sondern durch spielen daher Selbstkommunikation, Psy­ und es ist dringend erforderlich, dass ne­

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ben der weiteren wissenschaftlichen Er­ sundheitssystemforscherin Dehn-Hinden­ ermöglichen eine Entschärfung. Der beste
forschung des Phänomens auf der Ebene berg [2] zur Patientenzufriedenheit bestä­ Schutz vor Aufklärungsschäden ist eine
der Versorgung Lösungen erarbeitet wer­ tigt. Ergebnis dieser Studie war, dass nicht vertrauensvolle therapeutische Bezie­
den. Darüber hinaus ist das Nocebo gera­ der Behandlungserfolg für die Patienten­ hung.“
de aus Sicht der komplementären Medizin zufriedenheit entscheidend ist, „sondern
nicht nur eine interessante Erscheinung, die Gesprächskompetenzen des Arztes
sondern auch mit der Chance eines Para­ sind es“. Am wichtigsten für die Patienten Fazit
digmenwechsels verbunden. Das Nocebo war: „Sich verstanden fühlen“ (Platz 1),
ist – konsequent zu Ende gedacht – ein „Infos über Behandlungsmöglichkeiten“ Nicht zuletzt sollte es bei der Bewältigung
Beweis für die Selbstheilungskräfte, da es (Platz 2) und „Informationen über Selbst­ der Noceboproblematik in der Praxis

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sich ja auch umkehren lässt. Eine wirk­ hilfe“ (Platz 3). Zu den wichtigsten Kriteri­ ­darum gehen, das Nocebo als Chance zu
liche Lösung ist nur auf der Grundlage en der Therapie gehören gemäß dieser sehen, es explizit aufzugreifen und seine
eines ganzheitlichen Menschenbildes
­ Studie: „Ermutigung“ und „Einfühlungs­ subtile Kraft zusammen mit dem Patien­
möglich. Die Suche nach einer etwaigen vermögen“. ten in heilende Impulse umzukehren.
„Nocebopersönlichkeit“ und damit ver­ Wenn Arzt und Patient das Potenzial von
bunden nach einer genetischen Dispositi­ Bewusstsein und Geist für den Behand­
on, nach möglichen Prädiktoren sowie Ethisches Dilemma lungserfolg wirklich verstehen, lassen sich
bestimmten Indikationen, die Nocebos gezielt Placeboeffekte herstellen. Diese
befördern, ist eher eine Fortsetzung des In der Praxis gibt es freilich ein ethisches können Therapien gleich welcher Art
alten Denkens. Dass Menschen sich über Dilemma für den Arzt im Hinblick auf sinnvoll begleiten, ihre Wirkungen ver­
ihr Bewusstsein und ihren Geist krank, mögliche Nocebowirkungen, worauf Jütte stärken und unerwünschte Nebenwirkun­
aber eben auch gesund machen können, [13] hinweist: „Einerseits ist er zur Auf­ gen vermeiden.
ist nichts Pathologisches, sondern erklärt klärung des Patienten verpflichtet, ande­ Veronika Carstens [3] hat bereits lange
sich durch das gleichzeitige Dasein des rerseits läuft er Gefahr, gerade durch die vor dem Beginn der eigentlichen Placebo-
Menschen als Natur- und Kulturwesen Aufklärung seinem Patienten zu schaden.“ und Noceboforschung diese Möglichkei­
[19]. Abzulehnen sind in diesem Zusam­ Jütte zeigt aber Auswege aus diesem Di­ ten erkannt und für die komplementäre
menhang besonders alle Bestrebungen, lemma: „Zum Beispiel könne man einem Medizin eine klare Botschaft hinterlassen.
den „schwarzen Peter“ betroffenen Pa­ Patienten das Nocebophänomen erklären Voller Bewunderung für neue Erkenntnis­
tienten zuzuschieben, diese zu pathologi­ und ihm anbieten, ihn über weniger gra­ se aus der Forschung fragte sie 1998: „Wer
sieren (Angststörung, Depression etc.) vierende UAW nicht zu informieren. von uns hätte eine solche meßbare Kraft,
und dann gezielt pharmakologisch zu the­ Wichtig sei, dass der Patient im Sinne ei­ die von unseren Gedanken ausgeht, ver­
rapieren, damit Noceboantworten gelin­ ner gemeinsamen Entscheidungsfindung mutet? (…) In jedem Augenblick und
dert werden können. in eine solche Praxis einwillige. Auch nicht nur wenn wir sprechen, sondern
komme es bei der Aufklärung auf den auch wenn wir ‚nur‘ denken. Welch eine
Verbesserung der Kommunikation Kontext an (Framing). Statt zu betonen, Verantwortung!“
Einfacher und auch nachhaltiger lässt sich dass eine UAW – im Sinne der BfArM-De­ Information und Kommunikation sind
das Noceboproblem durch Kommunika­ finition – häufig vorkomme, könne man mächtige Werkzeuge in der Therapie, aber
tion lösen. Eine Verbesserung der Kom­ auch betonen, dass 95 % der Patienten die­ sie sind – wie Lown [15] es für die Worte
munikation durch Optimierung der Text­ se Nebenwirkung nicht erlebten“. des Arztes im Gespräch mit Patienten
gestaltung und durch die ärztliche Die Konsequenz für den Arzt ist klar: formuliert hat – ein zweischneidiges
­
Gesprächsführung allein reicht aber nicht „Reden, reden, reden. Patienten dürfen Schwert. Sie können dem Patienten nicht
aus – entscheidend ist, was beim Patien­ nicht verunsichert, nicht verängstigt, nur nutzen, sondern auch schaden.
ten ankommt. Denn der Patient selbst nicht in Panik versetzt werden“ [11]. Der Wie der Arzt ungewollte und negative
„entscheidet“, ob Noceboeffekte „gelin­ ärztliche Beistand und die therapeutische Effekte in der Kommunikation vermeiden
gen“ oder nicht. Zu stärken ist daher nicht Beziehung sind „der wirkmächtigste Fak­ sowie die Patientenkompetenz in Sachen
nur die Kompetenz der professionellen tor bei der Entstehung wie bei der Abwen­ Nocebo stärken kann, wird in der Fortset­
Akteure, sondern auch die der Angehöri­ dung von Aufklärungsschäden“ [21]. Zech zung dieses Artikels mit besonderem Au­
gen und des Patienten, der erkennen et al. [21] vergleichen die unsachgemäße genmerk für die Naturheilkunde und
kann, dass seine Gedanken und Gefühle, Risikoaufklärung mit „einer schlecht durch­ komplementäre Medizin behandelt.
seine Einstellungen und Erwartungen Ein­ geführten Operation oder Narkose“, die
fluss auf Krankheit und Heilung haben. den Behandlungserfolg insgesamt gefähr­ Online zu finden unter:
Wie wichtig eine Verbesserung der det: „Eine unsachgemäße medizinische http://dx.doi.org//10.1055/s-0042-101400
ärztlichen Gesprächskompetenz sowie Aufklärung bedeutet eine Gefährdung des
eine Stärkung der Patientenkompetenz Patienten. Kenntnisse über Noceboeffekte, Interessenkonflikte: Der Autor erklärt, dass keine
sind, wird auch durch die Studie der Ge­ Negativsuggestionen und ihre Wirkweise Interessenkonflikte bestehen.

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Literatur [11] Häuser W. Nocebophänomene in der Medi- [21] Zech et al. Noceboeffekte und Negativsug-
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2002; 287 (5): 622–627 [12] Heier M. Nocebo: Wer’s glaubt wird krank:
Wie man trotz Gentests, Beipackzetteln und
[2] Dehn-Hindenberg im Artikel von Beneker ÜBER DEN AUTOR
Röntgenbildern gesund bleibt. Stuttgart:
C. Ärzte punkten bei Patienten mit Zuwen- Hirzel; 2012
dung. In: Ärzte Zeitung, 14.02.2012
[13] Robert Jütte zitiert im Artikel von Baeth­
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1998; 1 lichen Einbildungskraft. Dtsch Arztebl 2013;
[4] DFG Forschergruppe FOR 1328. Im Inter- 110 (41)
net: http://placeboforschung.de/

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Mohl?utm_source=www.doccheck.flexikon Anleitung zum Umdenken. Frankfurt:
&utm_medium=web&utm_campaign = Suhrkamp; 2004
 DC %2BSearch
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[6] DocCheck. Sekundäre Pilzvergiftungen. danken oft stärker sind als Medizin: Wissen-
Im Internet: http://flexikon.doccheck.com/ schaftliche Beweise für die Selbstheilungs- Hartmut Schröder ist Inhaber des Lehrstuhls für
de/Sekundäre_Pilzvergiftungen?utm_ kraft. München: Kösel; 2014 Sprachgebrauch und Therapeutische Kommuni­
source=www.doccheck.com&utm_medium kation an der Europa-Universität Viadrina in
=web&utm_campaign = DC %2BSearch [17] Rief W. et al. The power of expectation –
Frankfurt (Oder) und dort Initiator des ersten
understanding the placebo and nocebo
[7] DocCheck: Stresskardiomyopathie. Im In- universitären Masterstudiengangs für Komple­
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ternet: http://flexikon.doccheck.com/de/ mentäre Medizin. Gründer des Therapeiums –
chology Compass 2008; 2 (4): 1624–1637
Stress-Kardiomyopathie Zentrum für Natur- und Kulturheilkunde in
[18] Sarasin P. Interview Aargauer Zeitung, Berlin.
[8] Donner-Wielke T, Wielke B. Auffahrunfall 06.09.2012
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Prof. Dr. Hartmut Schröder
fekt. Zeitschrift für Verkehrsrecht 2004; 3: [19] Schröder H. Medizin und Bewusstsein. Auf
Therapeium – Zentrum für Natur- und
dem Weg zu einer Kulturheilkunde? In:
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ronary death among women: psychosocial Anwendungen und Entwicklung. Berlin: Me- Hohenzollernstr. 12
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­ ommunikation krank machen kann. EHK 2016; 65: 84–89 89

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