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AKTEN ZUR
DEUTSCHEN AUSWÄRTIGEN POLITIK
1918-1945

AUS DEM ARCHIV


DES AUSWÄRTIGEN AMTS

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HERAUSGEBER

H e r a u s g e b e r des Bandes II d e r Serie C der Documents on German Foreign


Policy, 1918-19451)

VEREINIGTE STAATEN VON AMERIKA


P a u l R. Sweet (Hauptherausgeber)
H o w a r d M. Smyth J a m e s Stuart Beddie
A r t h u r G. K o g a n George O. Kent

GROSSBRITANNIEN
T h e Hon. M a r g a r e t Lambert (Hauptherausgeberin)
E. C. M. Breuning K. H. M. Duke
F. G. Stambrook K. M. L. Simpson
D. C. W a t t

FRANKREICH
M a u r i c e Baumont (Hauptherausgeber)
Georges Bonnin A n d r e Scherer
J a c q u e s Bariety

HERAUSGEBER DER DEUTSCHEN AUSGABE 2 )

H a n s Rothfels ( H a u p t h e r a u s g e b e r )
Vincent Kroll (Geschäftsführender Herausgeber)
Roland Thimme H a r a l d Schinkel
Peter Krüger H a n s Lehmann
Ingrid Krüger-Bulcke Franz Knipping

(!) Die Liste zeigt die Zusammensetzung der Herausgeberkommission zur Zeit der ab-
schließenden Bearbeitung des Bandes (April 1958). Frühere Herausgeber waren:
Vereinigte Staaten von Amerika
Raymond James Sontag (Hauptherausgeber Sept. 1946-Juli 1949), Bernadotte E. Schmitt
(Hauptherausgeber Juli 1949-Juli 1952), Fredrick Aandahl (Jan. 1951-Sept. 1953), E. Mal-
colm Carroll (Okt. 1946-Aug. 1949), Jean Brownell Dulaney (Dez. 1946-April 1951), Fritz
Epstein (Okt. 1946-Juli 1948), Anna Maria Herbert (April 1951-Aug. 1952), John Huizenga
(Jan. 1947-Sept. 1952), Otto Pflanze (Jan. 1948-Aug. 1949), Joachim Remak (Dez. 1947-
Juli 1951), Norman Rieh (Aug. 1949-Aug. 1954).
Großbritannien
John W. Wheeler-Bennett (Hauptherausgeber Sept. 1946-Mai 1948, danach Historical
Adviser bis 1956), James Joll (Hauptherausgeber Juni-Dez. 1948), General Sir James
Marshall-Cornwall (Hauptherausgeber Juni 1948-Jan. 1951), E. K. Bramsted (Jan. 1948-
Febr. 1952), L. Branney (Sept. 1946-Juli 1948), P. Ericsson (Jan. 1948-Mai 1952), M. H.
Fisher (Mai 1949-Mai 1956), W. H. C. Frend (März 1947-Okt. 1951), K. Ronau (April 1952-
Juni 1956), T. F. D. Williams (Sept. 1947-Sept. 1949), Z. A. B. Zeman (Jan. 1956-Okt. 1957).
Frankreich
Jean Estienne (Juli 1947-April 1950), Leon de Groer (Juli 1947-Okt. 1950), Jacques
Grunewald (Okt. 1950-Okt. 1955).
(2) Frühere Mitarbeiter in der deutschen Herausgebergruppe waren:
Fritz T. Epstein (Geschäftsführender Herausgeber Dez. 1960-Febr. 1964), Hanno Graf
Wolff Metternich (Nov. 1961-Mai 1964), Hans Schwuppe (Okt. 1962-Mai 1969), Auguste
Pasthek (Juni 1964-April 1967).
BEARBEITER DER DEUTSCHEN AUSGABE

Franz Knipping

( Bayerische |
Staatsbibliothek
l München j
AKTEN ZUR DEUTSCHEN AUSWÄRTIGEN POLITIK
1918 - 1 9 4 5

SERIE C: 1933-1937
DAS DRITTE REICH: DIE ERSTEN JAHRE

B A N D II, 1

14. Oktober 1933 bis 3 1 . Januar 1934

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN


1973
Thenee Druck KG • Bonn
INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT ZUR ENGLISCHEN AUSGABE IX

VORBEMERKUNG ZUR DEUTSCHEN AUSGABE . . . . XIII

VERZEICHNIS DER DOKUMENTE (mit kurzer Inhaltsangabe)


Abrüstung und Völkerbund XV
Allgemeine Fragen XXIV
Baltisdie Staaten XXV
Belgien XXV
Bulgarien XXV
Evangelische Kirche XXVI
Ferner Osten XXVI
Finanzfragen XXXII
Frankreich XXXIV
Griechenland XXXVI
Großbritannien XXXVI
Italien XXXVII
Jugoslawien XLI
Litauen und Memel XLII
Niederlande XLIII
Osterreich XLIII
Ostpakt XLIX
Polen und Danzig LI
Rumänien LVI
Saargebiet LVI
Schweiz LX
Sowjetunion LX
Tschechoslowakei LXVIII
Ungarn LXIX
Vatikan LXXI
Vereinigte Staaten von Amerika LXXIV

DOKUMENTE 1
ANHANG
I Geschäftsverteilungsplan des Auswärtigen Amts
(Stand vom April 1934) 891
II Verzeichnis der Filmnummern 895
III Das Deutsche Weißbuch Nr. 2 - Ein Quellennachweis 905
IV Verzeichnis der in den Anmerkungen zitierten Publi-
kationen 907
V Verzeichnis der Abkürzungen 909
VI Personenverzeichnis 913
VORWORT ZUR ENGLISCHEN AUSGABE

Im Juni 1946 kamen das britische Foreign Office und das amerikanische
Department of State überein, aus den erbeuteten Archiven des deutschen
Auswärtigen Amts und der Reichskanzlei gemeinsam Dokumente zu ver-
öffentlichen. Diese Archive gehen bis auf das Jahr 1867 zurück.1) Da das
Ziel der Publikation jedoch sein sollte, „die Entwicklung der deutschen
Außenpolitik vor dem Zweiten Weltkrieg und während seiner Dauer auf-
zuzeigen", wurde beschlossen, lediglich Dokumente aus der Zeit nach 1918
zu veröffentlichen. Die Herausgeber sollten ihre Arbeit „auf der Grundlage
strengster wissenschaftlicher Objektivität" durchführen und sowohl bei der
Auswahl der Dokumente wie in der Methode ihrer Veröffentlichung
völlig unabhängig sein. Die Veröffentlichung sollte so rasch wie möglich in
Angriff genommen und zum Abschluß geführt werden. Jeder der beiden
Regierungen sollte es „freistehen, jeden beliebigen Teil der Akten in Son-
derveröffentlichungen herauszubringen". Die französische Regierung, die
an der Aktenveröffentlichung teilzunehmen wünschte, schloß sich den Be-
stimmungen dieses Abkommens im April 1947 an.
Ursprünglich war beabsichtigt, den gesamten Zeitraum von 1918 bis 1945
in etwa 20 Bänden zu erfassen. Als im Jahre 1954 die Vorarbeiten für die
Auswahl der Dokumente aus den Jahren 1933 bis 1945 abgeschlossen wur-
den, stellte sich jedoch heraus, daß eine angemessene Auswahl von Doku-
menten für diese Zeitspanne den Voranschlag um das Doppelte überschrei-
ten würde. Nach Berechnung der zur Durchführung dieses erweiterten Pro-
gramms erforderlichen Zeitdauer entschlossen sich die beteiligten Regie-
rungen, die Veröffentlichung in englischer Sprache auf die Jahre 1933-1941
zu beschränken - vom 30. Januar 1933, dem Beginn der Kanzlerschaft
Hitlers, bis zur Kriegserklärung Deutschlands an die Vereinigten Staaten im
Dezember 1941. Es wurde mit der Veröffentlichung der Serie D begonnen,
von der bereits 10 Bände (1937-1940) erschienen sind; drei weitere Bände,
XI bis XIII, sind für die Serie D vorgesehen. Die Serie C (1933-1937) wird
6 Bände umfassen.2)

(1) [Anmerkung der Herausgeber der deutschen Ausgabe: Eine Gesamtübersicht über die
von den Alliierten beschlagnahmten und gefilmten deutschen diplomatischen Akten Hegt
inzwischen vor in A catalog oi liles and microiiims of the German Foreign Ministry
Archives 1920-1945, zusammengestellt und hrsg. von George O. Kent, Bde. I-IV,
Stanford, California, 1962-1972. Für die Akten der Zeit von 1867-1920 siehe A catalogue
ol iiies and microiiims oi the German Foreign Ministry Archives, 1867-1920, hrsg. von
The American Historical Association, Committee for the Study of War Documents,
Oxford 1959. Der größte Teil der Akten der Handelspolitischen, der Rechts- und der
Presse-Abteilung und andere Bestände befinden sich im Zentralarchiv Potsdam und
konnten für die Publikation nicht ausgewertet werden. Siehe hierzu Ubersichf über die
Bestände des Deutschen Zentralarchivs Potsdam, Schriftenreihe des Deutschen Zentral-
archivs, Nr. 1, hrsg. von Helmut Lötzke, Berlin 1957.]
(2) [Anmerkung der Herausgeber der deutschen Ausgabe: Zwischen dem Veröffentlichungs-
datum der englischen Ausgabe des Bandes II der Serie C - London und Washington
1959 - und des vorliegenden Bandes ist die Serie D in 13 Bänden sowohl in englischer
als auch in deutscher Ausgabe vollständig erschienen. Von Serie C erschienen inzwi-
schen in englischer Ausgabe auch Band III (Juni 1934 bis März 1935), London und

IX
Der vorliegende zweite Band der Serie C beginnt mit dem 14. Oktober
1933, als Deutschland den Völkerbund und die Abrüstungskonferenz ver-
ließ, und endet am 13. Juni 1934, dem Vorabend des ersten Zusammen-
treffens der beiden Diktatoren Hitler und Mussolini in Venedig. Die
Dokumente wurden von den amerikanischen, britischen und französischen
Herausgebern gemeinsam ausgewählt, doch tragen die amerikanischen
Herausgeber für die editorische Bearbeitung dieses Bandes die Verantwor-
tung. Die Herausgeber hatten völlig freie Hand sowohl bei der Auswahl als
auch in der editorischen Bearbeitung der Dokumente des Bandes. Der
Benutzer sollte davon ausgehen, daß diese Dokumente als eine Quellen-
sammlung zum Studium der Geschichte, nicht als eine abschließende Ge-
schichtsinterpretation vorgelegt werden. Es war durchgehend das Ziel, alle
deutenden Kommentare aus den Anmerkungen herauszuhalten.
Die Dokumente werden in chronologischer Reihenfolge abgedruckt. Die
thematische Anordnung des „Verzeichnisses der Dokumente" am Anfang
des Bandes soll die Benutzung für den an bestimmten Sachgebieten inter-
essierten Leser erleichtern. Jedes in dieser Publikation abgedruckte Doku-
ment trägt in der linken oberen Ecke die Serien- und Seitennummer des
Mikrofilms. Der Fundort des gefilmten Originals kann mit Hilfe des An-
hangs II, „Verzeichnis der Filmnummern", ermittelt werden. Die Mikro-
filme werden, so rasch es die technischen Gegebenheiten zulassen, der
Öffentlichkeit durch die National Archives in Washington und das Public
Record Office in London zugänglich gemacht. Die Akten des deutschen Aus-
wärtigen Amts für die Weimarer Zeit, die ursprünglich in den Serien
A und B dieser Publikation erfaßt werden sollten 3 ), werden ebenfalls
systematisch gefilmt. Eine beträchtliche Anzahl dieser Mikrofilme sind be-
reits in den National Archives und im Public Record Office deponiert
worden.
Die amerikanischen Herausgeber möchten für Mitarbeit und Unter-
stützung mehreren Beamten des Department of State, insbesondere G. Ber-
nard Noble, dem Leiter der Historical Division, und den Mitgliedern des
American Advisory Committee, Sidney B. Fay, Guy Stanton Ford, Carlton
J. H. Hayes, Hajo Holborn, William L. Langer, Conyers Read und Raymond
J. Sontag, ihren Dank aussprechen. Wertvolle Hilfe wurde von Beverly
A. Smith geleistet. Die technische Vorbereitung des Manuskripts für den
Druck erfolgte in der Division of Publishing Services des Department of
State unter der Leitung von Norris E. Drew. Die Herausgeber erkennen
dankbar die von ihm, von Elizabeth A. Vary, Collie E. Haibert, B. Etoile

[Fortsetzung von Anm. 2]


Washington 1959: Band IV (April 1935 bis März 1936), London und Washington 1962;
Band V (März bis Oktober 1936), London und Washington 1966. Von der deutschen
Ausgabe der Serie C erschien bisher Band I, Göttingen 1971.]
(3) [Anmerkung der Herausgeber der deutschen Ausgabe: Im Jahre 1960 faßte die Inter-
nationale Historikerkommission zur Veröffentlichung der Akten zur deutschen aus-
wärtigen Politik 1918-1945 den Beschluß, mit der Veröffentlichung der Akten der
Weimarer Zeit in der deutschen Originalfassung zu beginnen. Von Serie B liegen in-
zwischen vor: die Bände 1.1. 1.2, II.1, II.2, III, IV, V (Dezember 1925 bis Juni 1927),
Göttingen 1966-1972. Inzwischen wurde außerdem mit der Veröffentlichung der Serie E
(1941-1945) begonnen. Es Hegen vor die Bände I und II (Dezember 1941-Juni 1942),
Göttingen 1969, 1972]

X
Tine und anderen Mitgliedern dieser Abteilung gewährte Unterstützung
an.
Die Übersetzungen wurden von der Division of Language Services des
Department of State vorbereitet, doch tragen die Herausgeber sowohl die
endgültige Verantwortung für die Übersetzungen als auch die volle Ver-
antwortung für die Anmerkungen und die übrige editorische Arbeit. Die
Prinzipien, von denen sich die Herausgeber bei den Übersetzungen und in
den übrigen Stadien der Bearbeitung leiten ließen, sind in der ausführ-
lichen „Allgemeinen Einleitung" dargelegt, die in den Bänden I-IV der
Serie D abgedruckt ist.

XI
VORBEMERKUNG ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

Auf Grund eines im Jahre 1960 zwischen den Regierungen der Bundes-
republik Deutschland, Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten
Staaten von Amerika getroffenen Übereinkommens konstituierte sich
am 8. Dezember 1960 in Bonn die Internationale Herausgeberkommission
für die Veröffentlichung der Akten zur deutschen auswärtigen Politik
1918-1945. Ihr gehören amerikanische, britische, deutsche und französische
Historiker an, als Hauptherausgeber zur Zeit Hans Rothfels (Bundesrepu-
blik Deutschland), Maurice Baumont (Frankreich), Hans W. Gatzke (Ver-
einigte Staaten von Amerika), Ronald R. A. Wheatley (Großbritannien)
sowie Alan L. C. Bullock als United Kingdom Historical Adviser. Die
Kommission erhielt den Auftrag, die Veröffentlichung von Akten aus dem
Archiv des Auswärtigen Amts, die in dem amerikanisch-britisch-französi-
schen Editionsprojekt begonnen worden war, fortzuführen. Die deutschen
Herausgeber übernahmen die zusätzliche Aufgabe, die - mit Ausnahme
der Bände I-VII der Serie D - nur in englischer Übersetzung vorliegenden
Aktenbände der Serien C und D (Documents on German Foreign Policy
1918-1945) in der deutschen Originalfassung herauszubringen. Mit dem
Erscheinen der Bände XIII. 1 und XIII.2 liegt die deutsche Ausgabe der
Serie D vollständig vor. Von Serie C ist der erste Band in deutscher Aus-
gabe 1971 erschienen.
Die von den deutschen Herausgebern vorgeschlagenen Editionsgrund-
sätze für die deutsche Ausgabe der Serien C und D wurden von der Inter-
nationalen Historikerkommission auf der Konferenz in Bonn im Dezember
1960 geprüft und gebilligt. Danach lehnt sich die deutsche Ausgabe des
Bandes II der Serie C eng an die englische Ausgabe an; alle Dokumente
erscheinen ungekürzt und in derselben zahlenmäßigen Reihenfolge. Jedoch
sind die deutschen Herausgeber mit Zustimmung der gesamten Kommission
in eigener Verantwortung in folgenden Punkten von der englischen Aus-
gabe abgewichen:
1. Auf bei der Entzifferung der Textvorlagen unbemerkt gebliebene Irr-
tümer wird in Anmerkungen hingewiesen.
2. In einzelnen Fällen werden Dokumente, die in den Anmerkungen der
englischen Ausgabe inhaltlich referiert werden, im Wortlaut zitiert.
3. Persönlichkeiten, die in den Texten nur ihrer Stellung nach bezeichnet
sind, werden nach Möglichkeit in einer Anmerkung identifiziert.
4. Zur Erleichterung der Feststellung des chronologischen Ablaufs der Er-
eignisse werden nur mit Tagesnamen erwähnte Vorgänge regelmäßig
in einer Anmerkung durch Angabe des Datums sichergestellt.
5. Die Regesten im „Verzeichnis der Dokumente" werden etwas ausführ-
licher gehalten als in der englischen Ausgabe.
6. Anmerkungen und sog. „Anmerkungen der Herausgeber" (Editor's
Notes) werden durch Hinweise auf deutsche Dokumenten-Veröffent-

XIII
lichungen ergänzt; auf Dokumente, die erst nach der Veröffentlichung
der englischen Ausgabe von Band II (1959) bekannt geworden sind,
wird hingewiesen.
Die unter den Punkten 1-4 und 6 aufgeführten Abweichungen werden
durch ein ' vor der Anmerkungsziffer kenntlich gemacht.
In dem vorliegenden Band werden die Aktenstücke grundsätzlich in der
deutschen Originalfassung bzw. der amtlichen deutschen Übersetzung ab-
gedruckt. Falls eine amtliche deutsche Übersetzung nicht zu ermitteln ist,
werden Texte in den Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch oder
Spanisch im originalen Wortlaut wiedergegeben; Dokumente in anderen
Sprachen werden in einer deutschen Übersetzung unter Hinweis auf das
Original abgedruckt.
Wurde in der englischen Ausgabe ein Dokument nur in Auszügen wieder-
gegeben, so werden in der deutschen Fassung die nicht gedruckten Ab-
schnitte in eckigen Klammern inhaltlich zusammengefaßt.
Der Abdruck gibt nicht das Äußere der Vorlage in allen Einzelheiten
wieder. Jedoch werden im Kopf Eil- und Geheimvermerke, Datum der Ab-
fassung und - soweit sie sich ermitteln lassen - Absende- und Ankunfts-
zeit sowie Journalnummer bzw. Aktenzeichen angegeben. Abschriften
werden ausdrücklich als solche gekennzeichnet.
Im Text wurden offensichtliche Schreib- und Zeichensetzungsfehler still-
schweigend berichtigt; von einer Änderung der Orthographie nach den
heute gültigen Regeln wurde jedoch abgesehen. Die Schreibweise von
Personen- und Ortsnamen wurde vereinheitlicht.
Um die Benutzung handlicher zu machen, wird dieser Band in zwei Halb-
bänden vorgelegt. Band 11,1 enthält die Dokumente Nr. 1-232, Band 11,2
enthält die Dokumente Nr. 233-506. Die Regesten für den Gesamtband
befinden sich im ersten, die Anhänge, die um ein Verzeichnis der in den
Anmerkungen zitierten Literatur erweitert wurden, sowie das ausführlicher
gehaltene Personenverzeichnis erscheinen am Ende des zweiten Halb-
bandes.
Die Verantwortung für die Bearbeitung des Bandes II der Serie C in der
deutschen Originalausgabe tragen Franz Knipping und die Unterzeichneten.
Sie danken Frau Margaret Messing und Frau Christa Saam für ihre Hilfe.
Besonderer Dank gebührt der Stiftung Volkswagenwerk e.V., die durch
ihre Unterstützung die Veröffentlichung dieses Bandes ermöglicht hat.
HANS ROTHFELS
VINCENT KROLL

XIV
VERZEICHNIS DER DOKUMENTE :

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

ABRÜSTUNG UND VÖLKERBUND


1933
1 14. 10. Auirui der Reichsregierung an das deutsche Volk 1
Aufruf aus Anlaß des deutschen Auszuges aus der Abrüstungs-
konferenz und dem Völkerbund.

2 16. 10. Der Staalssefcreidr des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Botschait in Rom 2
Bülow erklärt, unter Hinweis auf die in Serie C, Bd. 1,2 abge-
druckten Dokumente Nr. 500 und 502, daß der jüngste italieni-
sche Vermittlungsvorschlag keine Verhandlungsbasis abgebe.

4 16. 10. Der Botschafter in Rom von Hasseil an das Auswärtige Amt 5
Hasseil meldet, er habe Mussolini mitgeteilt, daß durch den
Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund eine neue Sachlage
entstanden sei, die einen Hinweis auf den Viererpakt in der
Kanzlerrede unmöglich mache.

8 17. 10. Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 10
Francois-Poncet hat die Reden kritisiert, die Hitler und Neurath
zum Auszug Deutschlands aus der Abrüstungskonferenz und
dem Völkerbund gehalten haben.

9 17. 10. Au/zeichnung des Oberregierungsrats Thomsen (Reichskanzlei) 11


Protokoll einer Kabinettssitzung vom 17. Oktober, in der Hitler
sich über die politische Lage nach dem Ausscheiden Deutsch-
lands aus der Abrüstungskonferenz äußerte.

10 17. 10. Der Botschafter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 12
Bericht über eine Unterredung mit Suvich, der angeregt hat, der
gegenwärtigen Krise durch eine Aktivierung des Viermächte-
pakts zu begegnen.

13 18. 10. Auszeichnung des Legationssekretärs von Kotze 19


Hoesch hat aus London telefonisch über die Rundfunkrede
Simons vom 17. Oktober berichtet und dabei Vorschläge für
eine mögliche deutsche Antwort entwickelt.
18 20. 10. Der Botschafter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 28
Hassell berichtet aufgrund einer Unterredung mit Suvich, Musso-
lini sei über den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund
sehr erregt und bedauere den Schritt aufs äußerste.

(U Die Dokumente dieses Bandes sind in chronologischer Reihenfolge angeordnet. Zur Hilfe
für den Leser, der bestimmte Themen durch den Band hindurch verfolgen möchte, ist
dieses Verzeichnis der Dokumente alphabetisch nach Ländern geordnet, unter Hinzu-
fügung folgender fünf Sachgebiete: „Abrüstung und Völkerbund", „Allgemeine Fragen",
.Evangelische Kirche", „Finanzfragen" und „Ostpakt".

XV
ABRÜSTUNG UND VOLKERBUND

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1933
19 21. 10 Der Botschafter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt 30
Hoesch berichtet über eine Unterredung mit Simon, der ihn im
Interesse einer Ausräumung der zwischen ihm und Neurath ent-
standenen Differenzen um Unterstützung und Rat ersucht hat.

23 24. 10. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 38
Hitler hat in einer Unterredung mit dem neuen britischen Bot-
schafter Phipps einen neuen Abrüstungsplan entwickelt.

26 25. 10. Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrais Frohwein 41


Frohwein hat mit General Schönheinz den in Dokument Nr. 23
wiedergegebenen neuen Abrüstungsplan Hitlers erörtert.

Anmerkung der Herausgeber 42


Zusammenfassung einer Weisung des Reichswehrministers vom
25. Oktober 1933 an die Chefs der Heeres- und Marineleitung
und an den Reichsminister für Luftfahrt für den Fall, daß gegen
Deutschland Sanktionen angewendet werden.

29 26. 10. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Botschaft in London 45
Mitteilung, daß die in Dokument Nr. 23 enthaltenen Ausführun-
gen Hitlers zur Abrüstungsfrage nicht als ein in allen Einzel-
heiten ausgearbeiteter deutscher Vorschlag bewertet werden
dürfen. Nach Möglichkeit solle in der Presse über die Ange-
legenheit nichts weiteres veröffentlicht werden

32 27. 10 Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 49


Bericht Hassells über ein Gespräch mit Mussolini betreffend
Hitlers Erklärungen gegenüber Phipps (Dokument Nr. 23).
Mussolini hat seine Ansichten über die jetzt von Deutschland
einzuschlagende Linie dargelegt.
39 111. Reichswehrminister von Blomberg an den Reichsminister des
Auswärtigen Freiherrn von Neurath 60
Blomberg weist darauf hin, daß die Reichsregierung ihm die
Verantwortung dafür übertragen habe, daß in jedem einzelnen
Falle geprüft werde, ob und wie die wehrpolitischen Belange
mit den Rücksichten der Außenpolitik in Einklang zu bringen
seien. Er fordert, daß alle Maßnahmen, die Bestimmungen des
Versailler Vertrages berühren, ihm zur vorherigen Zustimmung
vorzulegen seien.

40 2. 11. Reichskanzler Hitler an den italienischen Ministerpräsidenten


Mussolini 62
Hitler entwickelt Mussolini seine Ansichten zur Abrüstungs-
frage.

42 [3. 11] Aulzeichnung ohne Unterschritt 71


Mitteilungen des ungarischen Gesandten Masirevich über ein
Gespräch mit Francois-Poncet betreffend die Abrüstungsfrage
und die politischen Ziele Deutschlands.

XVI
ABRÜSTUNG UND VÖLKERBUND

Nummer Datum Titel u n d Inhalt Seite

1933
45 [4. 11.] Aufzeichnung ohne Unterschritt 76
Notizen, die vom Reichswehrministerium und vom Stabe des
Chefs der Marineleitung für die bevorstehenden Besprechungen
zwischen Göring und Mussolini zusammengestellt wurden.

50 8. 11. Aulzeichnung des Botschatters in Rom von Hassell 86


Zusammenfassende Aufzeichnung über den Besuch Görings in
Rom, in dessen Verlauf Göring Mussolini den Brief Hitlers (Do-
kument Nr. 40) überreichte und mit dem italienischen Regie-
rungschef in zwei Unterredungen die deutsch-italienischen Be-
ziehungen, die Abrüstungsfrage und die österreichische Frage
diskutierte.
54 10. 11. Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 94
Francois-Poncet hat einen als „rein persönlich" bezeichneten
Plan vorgetragen, der eine gewisse Aufrüstung Deutschlands für
Frankreich, England und Amerika akzeptabel machen könnte:
Deutschland solle mit Polen und der Tschechoslowakei unter Be-
teiligung Frankreichs und der anderen Mächte einen Ost-
Locarno-Vertrag abschließen und sich außerdem verpflichten,
die Unabhängigkeit Österreichs nicht anzutasten.

61 11. 11. Aulzeichnung des Ministerialdirektors Köpke 105


Francois-Poncet hat Köpke in „privaten" Unterredungen am
3. und 7. November u. a. auf Möglichkeiten und Voraussetzun-
gen einer deutsch-französischen Annäherung angesprochen.

62 11. 11. Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts


von Bülow 109
Stellungnahme Bülows zu den Erklärungen Francois-Poncets.
76 19. 11. Der Botschaiter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt 134
Hoesch berichtet über zunehmende Differenzen zwischen der
britischen und der französischen Regierung in der Abrüstungs-
frage. Er empfiehlt, die Reichsregierung solle alles unterlassen,
was die Neubelebung der schon erschütterten britisch-französi-
schen Front fördern könnte.
78 20. 11. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 139
Göring hat Neurath über seine Gespräche mit Mussolini in Rom
Bericht erstattet.
99 5. 12. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 170
Aufzeichnung über eine Unterredung Hitlers mit dem britischen
Botschafter Phipps, der Fragen zu dem in Dokument Nr. 23 ent-
haltenen deutschen Plan gestellt hat. Hitlers Antworten.

100 5. 12. Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts


von Bülow 171
Francois-Poncet hat Bülow, unter Bezugnahme auf die Unter-
redung mit Hitler am 24. November (Dokument Nr. 86), einige

XVII
ABRÜSTUNG UND VÖLKERBUND

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1933
spezielle Fragen zu den deutschen Rüstungswünschen und zu
der Rolle der paramilitärischen Verbände gestellt.

105 7. 12. Autzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts


von Bülow 180
Francois-Poncet hat um eine neue Unterredung mit Hitler ge-
beten und die Fragen erläutert, die er im Auftrage der franzö-
sischen Regierung mit dem Reichskanzler zu erörtern wünsche.

107 9. 12. Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 185
Der britische Botschafter Phipps hat Hitler eine Reihe von Fra-
gen zum Abrüstungsproblem vorgelegt. Hitler hat auf die Frage
nach dem 300 000-Mann-Heer direkt geantwortet und für die
übrigen Fragen eine Antwort in Aussicht gestellt.

108 8. 12. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an den
Reichsminister des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 186
Francois-Poncet hat sich beschwert, daß der britische Botschafter
ganz kurzfristig von Hitler empfangen worden sei, während er
selbst tagelang auf einen Gesprächstermin warten müsse.

111 8. 12. Der britische Botschaiter in Berlin Phipps an den Reichsminisler


des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 188
Phipps übersendet Neurath eine Zusammenfassung der Aus-
führungen, die er am gleichen Tage in der Abrüstungsfrage
mündlich gegenüber Hitler gemacht hat.

112 9. 12. Aulzeichnung des Reichsminislers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 190
Neurath hat Francois-Poncet erläutert, warum Hitler den briti-
schen Botschafter wesentlich früher als ihn empfangen habe.
Erörterung der deutschen Haltung in der Frage des Wiederein-
tritts in den Völkerbund.

113 9. 12. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 190
Neurath stellt richtig, daß Hitler bei seiner letzten Unterredung
mit Francois-Poncet die ihm in Paris zugeschriebenen Äußerun-
gen über die Möglichkeit des Wiedereintritts Deutschlands in
den Völkerbund, über die deutsch-schweizerischen Beziehungen
und über die ukrainische Frage nicht getan habe.

117 11. 12. Reichskanzler Hitler an den britischen Botschafter in Berlin


Phipps 194
Hitler antwortet namens der Reichsregierung auf die in Doku-
ment Nr. 111 enthaltenen Anfragen der britischen Regierung.

141 20. 12. Der britische Botschaiter in Berlin Phipps an Reichskanzler


Hitler 252
Antwort auf Dokument Nr. 117 mit der Bitte um weitere Er-
läuterung verschiedener Punkte.

XVIII
ABRÜSTUNG UND VÖLKERBUND

Nummer Datum Titel u n d Inhalt Seite

1934
159 1. 1. Aulzeichnung ohne Unterschritt 287
Francois-Poncet hat im Verlaufe einer Unterredung mit Hitler
und Neurath ein Aide-memoire der französischen Regierung zur
Abrüstungsfrage überreicht und es erläutert.

164 5. 1. Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 296
Hassell berichtet über Gespräche, die der britische Außenmini-
ster Simon in Rom über die Abrüstungsfrage und die Frage einer
Reform des Völkerbundes geführt hat.

172 10. 1. Der Reichsminister des Auswärligen Freiherr von Neurath an


die Botschalt in Rom 323
Weisung, Mussolini über die deutsche Stellungnahme zu dem
französischen Aide-memoire vom 1. Januar zu informieren.

178 12. 1. Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 335
Hassell berichtet, er habe die in Dokument Nr. 172 enthaltene
Weisung ausgeführt. Mussolini habe sich zustimmend geäußert.
Gegenüber Simon habe Mussolini nach eigenem Bekunden die
Ansicht vertreten, daß die Welt zwischen illegaler Aufrüstung
Deutschlands und Annahme der deutschen Vorschläge zu wählen
habe.
194 19. 1. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 373
Unterredung Neuraths mit Francois-Poncet bei Gelegenheit der
Übergabe der deutschen Antwort auf das französische Aide-
memoire vom 1. Januar.

195 19. 1. Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 373
Neurath hat Phipps die deutsche Antwort auf Dokument Nr. 141
übergeben.
208 23. 1. Aulzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 395
Unterredung Bülows mit dem italienischen Botschafter Cerruti,
der ein Aide-memoire seiner Regierung zur Reform des Völker-
bunds überreicht hat.
224 26. 1. Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 419
Hassell übermittelt vertrauliche und zum Teil amtliche Informa-
tionen aus guter Quelle über die Haltung des italienischen
Außenministeriums zur Abrüstungsfrage. Es werde dort immer
wieder die Ansicht geäußert, daß der Schlüssel zur Lösung des
Problems in einer Verbesserung des deutsch-sowjetischen Ver-
hältnisses liege.
228 30. 1. Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 425
Unterredung zwischen Hitler und Phipps, der ein britisches
Memorandum zur Abrüstungsfrage mit Vorschlägen für eine
Konvention überreicht hat. Phipps erklärte, die britische Regie-
rung habe davon abgesehen, nochmals auf die Kontroverse

XIX
ABRÜSTUNG UND VÖLKERBUND

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
über eine angeblich veränderte britische Haltung in der Rede
Simons vom 14. Oktober 1933 zurückzukommen.

245 10. 2. Runderlaß des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 449
Weisung zur Information und Sprachregelung betreffend das
jüngste britische Memorandum zur Abrüstungsfrage

250 12. 2. Memorandum der Reichsregierung lür die Italienische Regierung 459
Antwort auf das italienische Aide-memoire vom 23. Januar 1934
zur Reform des Völkerbunds.
266 17. 2. Runderlaß des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 492
Weisung zur Information und Sprachregelung betreffend die
jüngste französische Haltung in der Abrüstungsfrage.
268 19. 2. Der Botschalter in Paris Köster an das Auswärtige Amt 496
Köster berichtet über eine Unterredung mit Eden, in der dieser
seine Eindrücke über die französische Politik in der Abrüstungs-
frage dargelegt hat.
270 20. 2. Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 499
Unterredung zwischen Neurath und Eden im Beisein Blombergs.
Eden hat Neurath über die französische Kritik an dem jüngsten
britischen Abrüstungsmemorandum unterrichtet, Neurath Eden
über die Punkte, die die Reichsregierung an dem Memorandum
zu bemängeln findet.
271 20. 2. Aulzeichnung des Ministerialrats Thomsen {Reichskanzlei) 500 J
Erste Unterredung zwischen Hitler und Eden über die Abrü-
stungsfrage und die Reform des Völkerbunds.
273 21. 2. Aulzeichnung des Ministerialrats Thomsen (Reichskanzlei) 507
Zweite Unterredung zwischen Hitler und Eden. Hitler hat sich
gegen den Vorschlag Edens ausgesprochen, die Abrüstungs-
frage auf einer Konferenz der wichtigsten Regierungen weiter-
zubehandeln, und stattdessen eine britische Initiative zur Aus-
räumung des deutsch-französischen Gegensatzes angeregt.

276 22.2. Aulzeichnung des Vortragenden Legationsrats Frohwein


Abschlußbesprechung zwischen Neurath und Eden. Edens
514 J
Resümee seiner Berliner Besprechungen.

277 24. 2. Der Botschafter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 516 *j
Hassell hat Mussolini weisungsgemäß über die Gespräche
Edens in Berlin unterrichtet. Stellungnahme Mussolinis.
280 26. 2. Vortragender Legationsrat Frohwein an Generalleutnant Schön-
heinz (Reichswehrministerium) 519
Frohwein übersendet Abschriften der Dokumente Nr. 270, 271,
273 und 276 und erläutert eine Bemerkung Hitlers über die Ab-
schaffung der Bombenflugzeuge.

XX
ABRÜSTUNG UND VÖLKERBUND

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
283 27. 2. Der Botschafter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 522
Bericht Hasseils über Gespräche mit Eden, der bei seinem Rom-
besuch offenbar keine neuen Gesichtspunkte für seine nachfol-
genden Gespräche in Paris gefunden habe.

296 3. 3. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an den


Botschafter in Paris von Hoesch 540
Bülow übermittelt Hoesch ergänzende Informationen über die
Gespräche mit Eden in Berlin.
301 7. 3. Der Botschalter in Paris Köster an das Auswärtige Amt 548
Köster berichtet über eine Unterredung mit Barthou, in der
Edens Gespräche in Paris, die Ansichten französischer Senatsaus-
schüsse zur Abrüstungsfrage, die Möglichkeit einer Rückkehr
Deutschlands in den Völkerbund und der Besuch Ribbentrops in
Paris erörtert wurden.

305 8.3. Aulzeichnung des Vortragenden Legationsrats von Bülow-


Schwante 556
Bülow-Schwante hat den Chef des SA-Ministeramts in Gegen-
wart Röhms gebeten, bei Gesprächen mit ausländischen Diplo-
maten Zurückhaltung zu üben, insbesondere in Fragen, die die
SA und die Abrüstungsfrage betreffen.

306 8. 3. Der Botschafter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt 557
Hoesch berichtet über eine ausführliche Unterredung mit Simon
und Eden über die Abrüstungsfrage.
310 9.3. Aufzeichnung des Reichsminislers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 563
Unterredung Hitlers mit dem belgischen Gesandten Kerchove
über eine Erklärung des belgischen Ministerpräsidenten zur Ab-
rüstungsfrage. Hitler hat die Bescheidenheit der deutschen For-
derungen hervorgehoben und den Willen der Reichsregierung
bekräftigt, am Locarno-Vertrag festzuhalten.

321 13. 3. Memorandum der Reichsregierung für die Französische Regierung 584
Antwort auf das französische Aide-memoire zur Abrüstungsfrage
vom 14. Februar.
335 19.3. Aulzeichnung des Vortragenden Legationsrats Frohwein 621
Der deutsche Militärattache in Warschau hat angeregt, die pol-
nische Regierung vertraulich über den Gang der Abrüstungs-
gespräche und über die deutschen Rüstungspläne zu informieren.
343 15. 3. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an den
Botschalter in Paris Köster 632
Die Reaktion Hindenburgs auf die in Dokument Nr. 301 ange-
sprochene Mission Ribbentrops in Paris.
351 23. 3. Der Botschalter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt 647
Hoesch berichtet über eine Unterredung mit Simon, in der die
beiderseitigen Standpunkte in der Frage der Luftrüstung erörtert
worden sind. Im weiteren Verlauf des Gesprächs hat Simon eine

XXI
ABRÜSTUNG UND VÖLKERBUND

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
Konvention der wichtigsten europäischen Staaten zur Kontrolle
und Garantierung allgemeiner Abrüstungsvereinbarungen vor-
geschlagen.

357 24. 3. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an


die Bolschalt in London 657
Weisung zur Beantwortung der in Dokument Nr. 351 übermittel-
ten Anregungen Simons.

360 27. 3. Der Botschaiter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt 661
Hoesch berichtet über eine Unterredung, die er gemäß den in
Dokument Nr. 357 enthaltenen Weisungen mit Simon und Eden
geführt hat. U. a. haben die beiden britischen Minister die
deutschen Bedenken gegen ein regionales Bombenabwurfverbot
bedauert und um weitere Prüfung der Angelegenheit gebeten.
Simon hat darum nachgesucht, in einem britischen Weißbuch
zur Abrüstungsfrage eine Aufzeichnung Edens über seine Ge-
spräche in Berlin veröffentlichen zu dürfen.

378 5.4. Ministerialdirektor Köpke an die Botschatt in London 690


Köpke erläutert die Ausgaben für Heer, Marine und Luftwaffe
in dem jüngst veröffentlichten Reichshaushaltsplan für das
Jahr 1934/35.

384 7. 4. Der britische Botschaiter in Berlin Phipps an den Reichsminister


des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 704
Die britische Regierung bittet um genauere Darlegung der
Gründe für die übermäßige Steigerung des deutschen Rüstungs-
haushalts.

385 9.4. Aide-memoire der Britischen Regierung tür die Reichsregierung 705
Die britische Regierung findet mehrere der Änderungswünsche,
die die Reichsregierung zu der Aufzeichnung Edens über seine
Besprechung im Auswärtigen Amt am 22. Februar vorgebracht
hat, unannehmbar.

386 9.4. Aulzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts


von Bülow 708
Hitler hat mit Bezug auf die Aufzeichnung Edens über die Be-
sprechung am 22. Februar den strittigen Punkt der Luftstreit-
kräfte klargestellt.

387 9.4. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 708
Neurath hat Phipps die Stellungnahme der Reichsregierung
zu dem britischen Aide-memoire (Dokument Nr. 385) mitgeteilt.

399 14.4. Autzeichnung des Ministerialdirektors Dieckhott 725


Die britische Regierung bittet die Reichsregierung um eine Er-
klärung zur Abrüstungsfrage, die anstelle der Aufzeichnung
Edens über die Besprechung vom 22. Februar veröffentlicht
werden soll.

XXII
ABRÜSTUNG UND VÖLKERBUND

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
402 16.4. Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 730
Neurath hat Phipps den als Anlage zu Dokument Nr. 399 ge-
druckten britischen Entwurf einer Erklärung mit Abänderungen
zurückgegeben.

405 18. 4. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an


die Botschalten in Paris und London 734
Weisungen aus Anlaß der Ernennung Ribbentrops zum Sonder-
beauftragten der Reichsregierung für Abrüstungsfragen.

435 3.5. Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 775
Der italienische Botschafter hat mitgeteilt, nach Mussolinis An-
sicht sollte vor dem Zusammentritt der Abrüstungskonferenz
am 29. Mai kein weiterer Versuch zur Lösung der Abrüstungs-
frage mehr unternommen werden.
443 10.5. Aufzeichnung ohne Unterschritt 787
Aufzeichnung Ribbentrops über eine Unterredung mit Simon
und Eden über die Abrüstungsfrage. Ribbentrop hat die Frage
aufgeworfen, ob die Abrüstungskonferenz nicht für einige
Monate vertagt werden sollte, damit sich die internationale
Lage nicht weiter verschärfe.

456 18.5. Autzeichnung des Beauitragten der Reichsregierung tür Ab-


rüstungstragen von Ribbentrop 808
Aufzeichnung über eine Unterredung mit Mussolini über die
Abrüstungsfrage und die Möglichkeit einer Vertagung der be-
vorstehenden Sitzungsperiode der Abrüstungskonferenz.
464 25. 5. Der Botschaiter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt 824
Hoesch berichtet über Gespräche mit Grandi und Vansittart
über die Möglichkeit einer Vertagung der Abrüstungskonferenz.
Vansittart hält eine Vertagung aufgrund der Haltung Hender-
sons, der Opposition Frankreichs und der Ungeduld der briti-
schen Öffentlichkeit für unmöglich.

467 27. 5. Der Botschaiter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt 829
Hoesch berichtet, er habe weisungsgemäß mit Simon die Mög-
lichkeit einer Vertagung der Abrüstungskonferenz und die
Frage eines deutsch-belgischen Nichtangriffspakts erörtert.

487 7.6. Aulzeichnung des Vortragenden Legalionsrats Frohwein 863


Hitler hat angeordnet, daß bis auf weiteres alle öffentlichen
Äußerungen führender Persönlichkeiten zur Abrüstungsfrage
unterbleiben sollen.

506 13. 6. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Botschaft in Paris 887
Weisungen für eine Unterredung mit Barthou über Abrüstung,
Völkerbund und Saarprobleme.
(Siehe auch „Großbritannien" und „Italien".)

XXIII
ALLGEMEINE FRAGEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

ALLGEMEINE FRAGEN
1933
31 27. 10. Aulzeichnung des Stellvertreters des Führers Heß 48
Heß verfügt die Einrichtung des Volksdeutschen Rates als
Beratungs- und Vollzugsorgan für alle Fragen des Grenz- und
Auslandsdeutschtums und für die Fragen der Stärkung und Ein-
heit des Gesamtdeutschtums.

60 11. 11. Aulzeichnung des Vortragenden Legationsrats Stieve 104


Aufzeichnung für eine Besprechung Neuraths mit Heß. Es sollte
vor allem klargestellt werden, daß die letzte Entscheidung in
allen Volksdeutschen und Minderheitenfragen der Reichsregie-
rung, im besonderen dem Auswärtigen Amt vorbehalten bleiben
müsse.

74 17. 11. Das Auswärtige Amt an das Reichsministerium des Innern 133
Neurath und Heß stimmen darin überein, daß der Volksdeut-
sche Rat lediglich als beratende Stelle wirken soll, die die Auf-
gabe hat, die Politik der zuständigen Ministerien in Fragen des
deutschen Volkstums und der Minderheiten zu unterstützen.

123 12. 12. Auizeichnung des Legalionssekretärs von Bargen 207


Aufzeichnung über die japanische Einstellung zur Rassenfrage.
Um schädlichen außenpolitischen Auswirkungen der deutschen
Rassenpolitik entgegenzuwirken, ist in einer Chefbesprechung
am 21. November eine Regierungserklärung entworfen worden,
die am 5. Dezember vom Reichsminister des Innern veröffent-
licht wurde.

140 20. 12. Das Auswärtige Amt an das Reichsministerium des Innern 249
Übermittlung einer Niederschrift über eine Besprechung des
interministeriellen Ausschusses für Volkstums- und Minder-
heitenfragen mit Vertretern des Volksdeutschen Rats am
14. Dezember.
1934
Anmerkung der Herausgeber 426
Hinweis auf Hitlers Rede vor dem Reichstag am 30. Januar 1934.

366 29. 3. Aulzeichnung des Legationssekrelärs von Bülow 671


Der Chef des Truppenamts hat sich bereiterklärt, in seinem
Bericht an den Reichswehrminister die Bedenken des Auswärti-
gen Amts gegen einen verstärkten Grenzaufsichtsdienst an den
deutschen Westgrenzen zu berücksichtigen

452 16. 5. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an


Reichswehrminister von Blomberg 802
Neurath erklärt sich bereit, die außenpolitischen Bedenken
gegen die Einrichtung eines verstärkten Grenzaufsichtsdienstes
zurückzustellen, sofern die notwendigen Maßnahmen nicht als
verkappte Mobilmachungsvorbereitungen in der entmilitarisier-
ten Zone mißverstanden werden können.

XXIV
BALTISCHE STAATEN / BELGIEN / BULGARIEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

BALTISCHE STAATEN
1933
155 14. 12. Das Auswärtige Amt an die Gesandtschatt in Riga 281
Mitteilung, daß der Reichskanzler nicht beabsichtige, den letti-
schen Gesandten zu empfangen und anschließend die demon-
strative Veröffentlichung eines gemeinsamen Kommuniques zu-
zulassen.
1934
169 9. 1. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 306
Aufzeichnung über Erklärungen des polnischen Gesandten Lipski
über angebliche polnisch-russische Verhandlungen mit dem Ziel
einer Garantierung der Unabhängigkeit der Randstaaten.
187 16. 1. Der Botschalter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 359
Nadolny berichtet über eine Unterredung mit Litwinow über
die russisch-polnische Politik gegenüber den baltischen Staaten,
besonders über eine angebliche russisch-polnische Deklaration
zur Garantierung der Unabhängigkeit des Baltikums.
(Siehe auch „Sowjetunion")

BELGIEN
1934
497 12. 6. Ministerialdirektor Köpke an den Gesandten in Brüssel Graten
Adelmann von Adelmannstelden 874
Köpke unterrichtet Adelmann über kürzliche Gespräche be-
treffend die Möglichkeit eines deutsch-belgischen Nichtangriffs-
pakts. Hoesch habe der britischen Regierung die deutsche Be-
reitschaft zu einem solchen Vertrag bekundet. Adelmann könne
sich auf Anfrage in Brüssel entsprechend äußern.
503 13. 6. Der Botschalter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt 883
Hoesch berichtet, Simon habe ihn auf die deutsche Bereitwillig-
keit zum Abschluß eines Nichtangriffspakts mit Belgien ange-
sprochen und bemerkt, es würde sich daraus vielleicht etwas
Nützliches machen lassen.
(Siehe auch „Abrüstung und Völkerbund")

BULGARIEN
1933
22 22. 10. Der Gesandte in Soiia Rümelin an den Reichsminister des Aus-
wärtigen Freiherrn von Neurath 35
König Boris hat Rümelin über seine kürzliche Reise in mehrere
westeuropäische Hauptstädte berichtet und die Nachricht be-
grüßt, daß Neurath im kommenden Frühjahr Sofia zu besuchen
beabsichtige.
1934
246 10. 2. Runderlaß des Ministerialdirektors Köpke 452
Sprachregelung hinsichtlich des tags zuvor abgeschlossenen Bal-
kanpakts, der offenbar direkt gegen Bulgarien gerichtet ist.

XXV
BULGARIEN / EVANGELISCHE KIRCHE / FERNER OSTEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
291 1. 3. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 534
Unterredung mit König Boris über den Balkanpakt und die Be-
ziehungen zwischen Bulgarien und Jugoslawien.
411 21. 4. Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärligen Freiherrn
von Neurath 742
Unterredung mit dem bulgarischen Ministerpräsidenten Muscha-
noff über die bulgarische Außenpolitik im allgemeinen und die
bulgarischen Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland im beson-
deren.

EVANGELISCHE KIRCHE
1933
37 31. 10. Aufzeichnung des Oberregierungsrats Thomsen (Reichskanzlei) 57
Unterredung Hitlers mit Pastor Macfarland, dem früheren Ge-
neralsekretär des Bundesrats der christlichen Kirchen in den
Vereinigten Staaten von Amerika.
55 9. 11. Reichsbischol Müller an das Auswärtige Amt 96
Erörterung der Spannungen, die zwischen der Deutschen Evan-
gelischen Kirche und den ausländischen, vor allem skandina-
vischen Kirchen entstanden sind. Die Deutsche Evangelische
Kirche bemüht sich um besseres wechselseitiges Verständnis,
ist aber dabei auf die Hilfe des Auswärtigen Amts angewiesen.

FERNER OSTEN
1933
7 17. 10. Aulzeichnung des Botschafters in Moskau von Dirksen
(z. Z. Berlin) 9
Der japanische Botschafter Nagai hat inoffiziell die deutsche An-
erkennung Mandschukuos angeregt.
16 19. 10. Aulzeichnung des Vortragenden Legationsrats Völckers 23
Neurath hat Seeckt geraten, die Aufforderung Chiang Kai-sheks,
als militärischer Berater nach China zu kommen, abzulehnen.
Seeckt hat dies zugesagt.
48 8. 11. Autzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 82
Unterredung Bülows mit dem chinesischen Geschäftsträger, der
die Rassenfrage zur Sprache gebracht hat. Chiang Kai-shek
bittet dringend um einen erneuten Besuch Seeckts in China.
63 11. 11. Aulzeichnung des Reichsminislers des Auswärligen Freiherrn
von Neurath 110
Unterredung mit Seeckt über die Einladung nach China. Das
Reichswehrmiiiisterium ist mit einer nochmaligen Chinareise
Seeckts einverstanden.
80 23. 11. Auizeichnung des Legationsrats Allenburg 141
Nach Mitteilung des chinesischen Geschäftsträgers hat Seeckt
die Einladung Chiang Kai-sheks angenommen.

XXVI
FERNER OSTEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1933
89 27. 11. Aufzeichnung des Legationsrats Altenburg 151
Erörterung des Planes Kleins, in Kanton eine Rüstungsindu-
strie aufbauen zu helfen. Die politischen Implikationen des Pro-
jekts.

97 2. 12. Das Auswärtige Amt an die Botschalt in Tokio 169


Informationen über die Absichten Heyes, wieder nach Mand-
schukuo zu reisen und über die Möglichkeiten eines verstärk-
ten deutsch-mandschurischen Warenaustausches zu verhandeln.
Heye wird in ausschließlich privater Eigenschaft tätig sein.

138 20. 12. Der Botschalter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt 245
Bericht Dirksens über seinen Antrittsbesuch bei Hirota, der bei
der Gelegenheit die japanische Politik in Mandschukuo gegen-
über der Sowjetunion, den Vereinigten Staaten und China er-
läutert hat.

154 29. 12. Der Botschaiter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt 280
Nach einer Unterredung mit Hirota hält Dirksen einen persön-
lichen Besuch in der Mandschurei für vorteilhaft und bittet das
Auswärtige Amt um Zustimmung.

157 30. 12. Der Gesandte in Peping Trautmann an das Auswärtige Amt 284
Trautmann erörtert die Position General Wetzells gegenüber der
chinesischen Regierung und die außenpolitischen Aspekte der
Reise Seeckts.
1934
158 1. 1. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Botschalt in Tokio 286
Aus gesamtpolitischen Rücksichten erscheint dem Auswärtigen
Amt eine Reise Dirksens in die Mandschurei nicht ratsam.

162 4. 1. Der Botschalter in Tokio von Dirksen an den Staatssekretär


des Auswärtigen Amts von Bülow 291
Dirksen äußert sich erstaunt über die Weisung, vorerst die
Mandschurei nicht bereisen zu dürfen. Er hält die Anerkennung
Mandschukuos für die wesentliche Voraussetzung einer aktiven
deutschen Japanpolitik.

174 10. 1. Der Staatssekretär des Auswärligen Amts von Bülow an den
Botschalter in Tokio von Dirksen 326
Unter Hinweis auf Dokument Nr. 154 legt Bülow Dirksen dar,
daß ein Besuch des Botschafters in der Mandschurei die Bezie-
hungen zur Sowjetunion und zu China beeinträchtigen müßte.
Eine Annäherung Deutschlands an Japan dürfe vorerst keinen
demonstrativen Charakter haben.

183 15. 1. Der Botschaiter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt 345
Dirksen berichtet über die bevorstehende Ausrufung des Kaiser-
reichs Mandschukuo. Er empfiehlt erneut die Anerkennung
Mandschukuos als den einzigen Weg zu einer deutsch-japani-
schen Annäherung.

XXVII
FERNER OSTEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
198 18. 1. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Botschalt in Tokio 376
Neurath erläutert die Politik der Reichsregierung hinsichtlich
der Anerkennung Mandschukuos und die Motive dieser Politik.
199 19. 1. Der Botschaiter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt 378
Dirksen bittet Neurath, die neuerliche Reise Seeckts nach China
zu verhindern.
235 2.2. Aulzeichnung des Legalionsrats Allenburg 434
Der chinesische Botschaftsrat Tann hat darum ersucht, daß das
Auswärtige Amt die Errichtung von Rüstungsanlagen in den
chinesischen Südwestprovinzen verhindern möge.
236 2. 2. Der Gesandle in Peping Trautmann an das Auswärtige Amt 436
Trautmann vertritt die Ansicht, daß Deutschland durch die Aner-
kennung der Mandschurei weder politische noch wirtschaftliche
Vorteile erringen werde.
237 4. 2. Der Botschalter in Tokio von Dirksen an den Staatssekretär des
Auswärtigen Amts von Bülow 439
Dirksen unterrichtet Bülow über die Instruktionen, die er hin-
sichtlich einer möglichen Anerkennung Mandschukuos von Hitler
persönlich erhalten habe.
238 5. 2. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Botschait in Tokio 440
Neurath informiert die Botschaft über die bisher in bezug auf
Heye ergangenen Weisungen und bittet um eine Beurteilung
seiner bisherigen Tätigkeit.
241 7. 2. Der Botschaiter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt 444
Antwort auf Dokument Nr. 238. Dirksen beschreibt Heyes Tätig-
keiten und schätzt deren mögliche künftige Nützlichkeit ab.
243 8.2. Aulzeichnung des Reichsminislers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 447
Unterredung mit Seeckt über dessen bevorstehende Reise nach
China.
256 9. 2. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an den
Botschalter in Tokio von Dirksen 474
Bitte Bülows an Dirksen, die wirtschaftlichen Möglichkeiten in
der Mandschurei genau zu untersuchen. Versicherung, daß es
im Auswärtigen Amt keine Vorliebe für China gibt.
262 16. 2. Aulzeichnung des Gesandlschaltsrals Kühlborn 483
Protokoll einer Referentenbesprechung über das Kleinsche Pro-
jekt der Errichtung von Rüstungsanlagen in der Provinz Kwan-
tung. Vor einer Entscheidung sollen die Besprechungen Seeckts
mit Chiang Kai-shek abgewartet werden.
267 17. 2. Der Botschalter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt 494
Dirksen wiederholt seine ihm von Hitler erteilten Anweisungen,
kommentiert die Weisungen des Auswärtigen Amts, vermutet,

XXVIII
FERNER OSTEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
daß der günstige Augenblick zur Anerkennung Mandschukuos
bereits verstrichen ist und wägt die wirtschaftlichen Möglich-
keiten Deutschlands in der Mandschurei ab.
269 19. 2. Aufzeichnung des Vorfragenden Legationsrats Ulrich 498
Hitler hat entschieden, Heye mit der Führung von Verhand-
lungen zwecks Herstellung eines Handelsverhältnisses mit
Mandschukuo zu beauftragen. Aufgrund von Einwänden des
Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft wird
Heye angewiesen, alle etwaigen Abreden vor ihrem formellen
Abschluß der Reichsregierung zur Genehmigung vorzulegen.

281 26. 2. Der chinesische Gesandte in Berlin Liu Chung-Chieh an den


Reichsminister des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 520
Liu Chung-Chieh bittet um die Bestätigung, daß die deutsche
Regierung, ungeachtet der Gerüchte über eine Anerkennung
Mandschukuos, von ihrer freundschaftlichen Gesinnung gegen-
über China nicht abgehen wird.
285 27. 2. Der Beaultragte lür Wirtschaitstragen in der Reichskanzlei
Keppler an den Reichsminister des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 526
Hitler hat geäußert, daß die Frage der Anerkennung Man-
dschukuos noch nicht akut sei.
300 6. 3. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Botschatt in Tokio 545
Weisung, daß die Frage der Anerkennung Mandschukuos dila-
torisch behandelt werden soll. Die aus der Anerkennung resul-
tierenden Vorteile würden nur zeitweilig sein und bedeutungs-
loser als die damit verbundenen Risiken. Der wirtschaftliche
Nutzen erscheint dem Auswärtigen Amt zweifelhaft.
312 10. 3. Autzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 567
Der japanische Botschafter hat sich unzufrieden über die Tätig-
keit Heyes in der Mandschurei geäußert.
323 13. 3. Aulzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 592
Bülow hat dem japanischen Botschafter in bezug auf die China-
reise Seeckts beruhigende Zusicherungen gegeben.
324 13. 3. Der Ostasiatische Verein Hamburg-Bremen e. V. an den Reichs-
minister des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 593
Der Ostasiatische Verein fordert die baldige Abberufung Heyes
aus dem Fernen Osten, da seine Tätigkeit sich zum Nachteil
der dort bestehenden deutschen Handelslirmen auswirke.
326 14. 3. Der Botschaiter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt 595
Dirksen berichtet über Versprechungen, die Heye im Vorjahr
gegenüber japanischen Militärkreisen abgegeben habe, über die
Verstimmung deutscher Firmen über Heye und seine Weige-
rung, über seine Tätigkeiten Bericht zu erstatten. Dirksen emp-
fiehlt eine Kontrolle Heyes durch die Partei oder durch den
Konsul in Mukden

XXIX
FERNER OSTEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
336 19. 3. Der Botschalter in Tokio von Dirksen an den Staatssekretär des
Auswärtigen Amts von Bülow 623
Dirksen hat aus vertraulicher Quelle erfahren, daß Japan den
Versuch einer Annäherung an Großbritannien unternommen hat.
353 23. 3. Aufzeichnung des Ministerialdirektors Ritter 650
Unterredung Ritters mit Keppler über Heye. Es besteht Einig-
keit, daß die Frage der Rückberufung Heyes über Thyssen in
die Wege geleitet werden soll. Keppler hat sich kritisch über
die Nachgiebigkeit des Auswärtigen Amts gegenüber Daitz ge-
äußert, Ritter hat auf die Verantwortlichkeit Kepplers für diese
Angelegenheit verwiesen.
358 26. 3. Der Gesandte in Peping Trautmann (z. Z. Nanking) an das
Auswärtige Amt 659
Der japanische Generalkonsul Suma hat Trautmann in warnen-
dem Ton den japanischen Standpunkt hinsichtlich der Präsenz
fremder Mächte in China erläutert.
373 30. 3. Der Gesandte in Peping Trautmann (z. Z. Nanking) an das
Auswärtige Amt 678
Chiang Kai-shek hat sich mit dem Abschluß eines Vertrages
zum Bau einer Flugzeugfabrik durch eine deutsche Firma ein-
verstanden erklärt. Trautmann bittet im Hinblick auf mögliche
japanische Einwände um Instruktionen. Die Botschaft in Tokio
wird ebenfalls informiert.
374 31. 3. Der Gesandte in Peping Trautmann (z. Z. Nanking) an den
Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow 679
Trautmann übermittelt Bülow die Abschrift eines Briefes an
Dirksen betreffend die deutsche Ostasienpolitik.
379 5. 4. Der Botschaiter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt 691
Dirksen zählt Gründe auf, die gegen den Aufbau einer chine-
sischen Luftfahrtindustrie durch deutsche Firmen sprechen.
403 14. 4. Ministerialdirektor Meyer an den Botschalter in Tokio
von Dirksen 731
Meyer formuliert erneut die deutsche Politik gegenüber Japan
und setzt sich mit einigen Ansichten Dirksens auseinander.
404 18. 4. Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 733
Unterredung Neuraths mit dem japanischen Botschafter über die
Beziehungen Deutschlands zu Japan und zur Sowjetunion sowie
über die Mandschurei und China.
408 19. 4. Der Botschalter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Ami 739
Dirksen berichtet über ein Gespräch mit Hirota über eine Ver-
lautbarung der japanischen Regierung, die sich gegen jede
finanzielle oder militärische Unterstützung Chinas durch dritte
Mächte richtet.
412 21. 4. Der Gesandte in Peping Trautmann (z. Z. Nanking) an das Aus-
wärtige Amt 743
Der Vertreter von Solothurn hat Trautmann um Mitwirkung
beim Abschluß eines Waffengeschäfts gebeten. Bitte um Instruk-
tion.

XXX
FERNER OSTEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
429 27.4. Aufzeichnung des Ministerialdirektors Ritter 767
Unterredung Ritters mit Fritz Thyssen am 26. April. Thyssen
hat sich gegen eine Rückberufung Heyes ausgesprochen und
seine Ansichten über die deutsche Ostasienpolitik dargelegt.
Dagegen Ritters Darstellung der Politik des Auswärtigen Amts.
438 7. 5. Der Botschaiter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt 778
Dirksen übermittelt einen Bericht des Militärattaches Ott über
Persönlichkeit und Tätigkeit Heyes. Dirksen sieht sich in seiner
Ansicht bestätigt, daß Heye abberufen werden sollte.
454 17. 5. Der Gesandte in Peping Trautmann an das Auswärtige Amt 806
Chiang Kai-shek hat entschieden, daß künftig nur noch deutsche
Waffen angeschafft werden sollen.
460 24. 5. Der Botschalter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt 819
Dirksen berichtet über eine Beschwerde des Leiters der Wirt-
schaftsabteilung im japanischen Außenministerium über deutsche
Restriktionsmaßnahmen gegenüber dem japanischen Handel.
Ankündigung japanischer Gegenmaßnahmen.
473 29. 5. Die Gesandtschait in Peping an das Auswärtige Amt 837
Übermittlung eines Berichts des Gesandtschaftsrats Lauten-
schlager über den Besuch Seeckts in China.
482 6.6. Der Botschaiter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt 852
Übermittlung einer Meldung Heyes über ein mit der Regierung
von Mandschukuo abgeschlossenes vorläufiges Abkommen.
489 8.6. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Botschalt in Tokio 864
Bülow bittet, unter Bezugnahme auf Dokument Nr. 482, um
Wortlaut und Beurteilung des von Heye ausgehandelten Ab-
kommens.
493 8.6. Auizeichnung des Ministerialdirektors Ritter 870
Unterredung zwischen Neurath, Ritter, Rosenberg und Daitz
über das von Heye ausgehandelte Abkommen mit der Regie-
rung von Mandschukuo.
494 8.6. Der Leiter der Außenhandelsabteilung im Außenpolitischen Amt
der NSDAP Daitz an den Reichsminister des Auswärtigen Frei-
herrn von Neurath 871
Daitz legt Neurath den Text einer zur Absendung an Heye
vorgesehenen telegrafischen Instruktion vor, er solle die Ver-
handlungen über einen Kompensationsvertrag vorantreiben.
In der Anlage eine Zusammenfassung der möglichen Vertrags-
bestimmungen aus Hsinking.

495 9.6. Autzeichnung des Vortragenden Legationsrals von Erdmanns-


dorlt 872
Der chinesische Gesandte hat die Befürchtung geäußert, daß das
von Heye mit der Regierung der Mandschurei abgeschlossene
Abkommen zur Anerkennung von Mandschukuo durch Deutsch-
land führen werde.

XXXI
FINANZFRAGEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

FINANZFRAGEN
1933
93 30. 11. Reichswirlschaltsminister Schmitt an Reichsbankpräsident
Schacht 158
Schmitt wirbt für den Gedanken, daß Deutschland den Grund-
satz der gleichmäßigen Behandlung aller seiner Gläubiger auf-
geben und bei der Bedienung seiner Verpflichtungen diejenigen
Gläubigerländer günstiger stellten sollte, die die Voraussetzun-
gen für eine erhöhte Abnahme deutscher Waren erfüllen.
103 6. 12 Aulzeichnung des Ministerialrats Willuhn (Reichskanzlei) 176
Protokoll über eine Chefbesprechung, in der u. a. Schacht in
Gegenwart Hitlers über die Devisenlage und die Transferfrage
berichtete. Der Reichswirtschaftsminister hielt es für zweck-
mäßig, mit allen Gläubigervertretern zu verhandeln und erst
dann Sonderzugeständnisse an einzelne Gläubigerländer zu
machen. Hitler und Neurath schlössen sich diesem Vorschlag an.
146 23. 12. Der britische Botschaiter in Berlin Phipps an den Reichsminister
des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 265
Die britische Regierung protestiert gegen die von der Reichs-
bank am 18. Dezember einseitig beschlossene sechsmonatige
Herabsetzung der Transfeiquote für Zinszahlungen an auslän-
dische Gläubiger. Eine solche Maßnahme hätte vorher mit den
Gläubigern abgestimmt werden müssen. Sie stelle eine neuer-
liche Diskriminierung der britischen Gläubiger dar.
151 27. 12 Das Reichsbank-Direktorium an Reichswirlschaltsminister
Schmitt 273
Das Reichsbank-Direktorium äußert Bedenken gegen das System
der Transfer-Sonderverträge, wie sie mit der Schweiz und
Holland bestehen. Dieses System mache Verhandlungen über
die Schuldenfrage äußerst schwierig und wirke sich für Deutsch-
land keineswegs nur vorteilhaft aus.
1934
193 19. I. Aulzeichnung des Reichsmimslers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 372
Der britische Botschafter hat Hitler dargelegt, daß seine Regie-
rung über das deutsche Verhalten in der Transferfrage aufs
schwerste besorgt sei Hitler hat darauf hingewiesen, daß
Deutschland sich durch äußerste Not gezwungen verhalte. Nur
über größere Exportmöglichkeiten könnten die Zahlungen der
Schulden und Zinsverpflichtungen eingehalten werden.
196 19. 1. Au/zeichung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 374
Ergänzend zu Dokument Nr 193 hat Neurath Phipps erklärt,
daß er die britische Ablehnung der von Schacht und Norman
vereinbarten Regelung als einen Versuch betrachte, auf Deutsch-
land für andere schwebende Fragen einen Druck auszuüben.
197 19. 1. Autzeichnung des Ministerialdirektors Ritter 374
Ritter vermerkt Mitteilungen Neuraths über die in den Doku-
menten Nr. 193 und 196 wiedergegebenen Unterredungen. In
der Anlage eine von Phipps hinterlassene Notiz.

XXXII
FINANZFRAGEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
200 19. 1. Der Reiclisminisler des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
den britischen Botschaiter in Berlin Phipps 379
Antwort auf die britischen Noten vom 23 und 30. Dezember
über die Transferfrage. Neurath erklärt, daß die erhöhten Trans-
ferschwierigkeiten eine Folge der ungenügenden Entwicklung
des deutschen Exports seien und daß es nicht in der Macht der
deutschen Regierung liege, diese Grundbedingung zu ändern.
Die deutsche Auslandsverschuldung habe ihren Ursprung zum
guten Teil in den vorausgegangenen politischen Verhältnissen.

201 19. 1. Der Botschalter in Washington Luther an das Auswärtige Amt 382
Unterstaatssekretär Phillips hat Luther ein Aide-memoire zur
Schuldenfrage übergeben und mitgeteilt, daß Präsident Roose-
velt auf die besondere Bedeutung der amerikanischen Demarche
aufmerksam zu machen wünsche.

202 20. 1. Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts


von Bülow 383
Der amerikanische Botschafter Dodd hat Bülow eine Note über-
reicht, die einen Protest gegen die Diskriminierung der ameri-
kanischen Bondholder enthält.

204 22. 1. Reichsbankpräsident Schacht an den Reichsminister des Aus-


wärligen Freiherrn von Neurath 387
Bericht Schachts über Verhandlungen mit dem Gouverneur der
Bank von England und dessen Angebot, daß die Bank von
England die in britischer Hand befindlichen Kupons deutscher
Anleihen zu 90 °/o aufkaufen wolle. Das Projekt wurde indessen
von der britischen Regierung nicht gebilligt.

205 22. 1. Reichsbankpräsident Schacht an den amerikanischen Botsclwtler


in Berlin Dodd 391
Schacht schlägt als Auswege aus den Transferschwierigkeiten
eine Erleichterung des deutschen Exports und eine Herabsetzung
der Zinssätze vor. Auch die Einsetzung eines Gläubiger-
Komitees wäre zweckdienlich.

206 22. 1. Der Botschalter in Washington Luther an das Auswärtige Amt 392
Luther berichtet über eine Unterredung mit Präsident Roosevelt
über die Behandlung der amerikanischen Gläubiger in der Trans-
ferfrage. Roosevelt hat sich zu Verhandlungen über eine Aus-
weitung der deutschen Exporte in die USA bereit erklärt, jedoch
auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger be-
harrt.

212 24. 1. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 402
Der britische Botschafter Phipps hat in einer Unterredung die
Bedeutung der Transferfrage für die Zukunft der deutsch-briti-
schen Beziehungen hervorgehoben. Neurath hat ihm entgegen-
gehalten, die britische Regierung sei über die wirtschaftliche
Lage Deutschlands genau informiert, Deutschland sei indessen
nicht bereit, sich bis auf den letzten Pfennig zu entblößen.

XXXIII
FINANZFRAGEN / FRANKREICH

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
231 31. 1. Ministerialdirektor Ritter an die Botschalt in London 421
Information über eine mit Vertretern britischer und amerikani-
scher Gläubiger erzielte Vereinbarung über das Transfer-Ver-
fahren für das laufende Halbjahr. Es ist anzunehmen, daß die
britische Regierung keine Einwände gegen die Vereinbarung
erheben wird, da sie an den Verhandlungen beteiligt war.
233 1.2. Reichsbankpräsident Schacht an Reichskanzler Hitler 433
Schacht erklärt, warum die mit britischen und amerikanischen
Gläubigern getroffene Vereinbarung trotz der günstigen Auf-
nahme in der angelsächsischen Presse vor allem einen deut-
schen Erfolg darstellt.
466 26.5. Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 82E
Francois-Poncet hat Neurath darauf hingewiesen, daß ein abso-
lutes Moratorium für die Dawes- und die Young-Anleihe fran-
zösische Repressalien provozieren würde. Neurath hat erwidert,
eine Pause von mindestens 6 Monaten sei erforderlich, um den
deutschen Gold- und Devisenbestand wieder anzureichern.
471 29. 5. Der britische Botschaiter in Berlin Phipps an den Reichsminisler
des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 834
Eine Unterbrechung der Zinszahlungen für die Dawes- und die
Young-Anleihe würde für die britische Regierung sehr ernste
Fragen aufwerfen. Die britische Regierung hat auch nach wie
vor kein Verständnis für die Bevorzugung von Gläubigern
anderer Nationalität.

484 7. 6. Autzeichnung des Ministerialrats Willuhn (Reichskanzler) 857


Protokoll einer Chefbesprechung über Transferfragen. Der
Reichsbankpräsident berichtete über Verhandlungen mit den
Gläubigervertretern und erklärte, daß auch für die Erfüllung
von Zahlungsverpflichtungen aus den politischen Anleihen keine
Devisen vorhanden seien. Die Bank für Internationalen Zah-
lungsausgleich und die betreffenden Regierungen sollen in die-
sem Sinne informiert werden. Erörterung des Rückkaufs von
Bonds und der Verwendung von Ersatzrohstoffen.
490 8.6. Runderlaß des Ministerialdirektors Ritter 865
Die diplomatischen Vertretungen in den wichtigsten Gläubiger-
ländern werden informiert, daß zum 1. Juli eine Ausweitung
des Transfermoratoriums auch auf Reichsanleihen vorgesehen
ist. Verhandlungen hierüber werden nicht stattfinden. Mit der
Schweiz und Holland sollen neue Sonderabkommen abge-
schlossen werden.

FRANKREICH
1933
27 25. 10. Botschaltsral Forster (Paris) an das Auswärtige Amt 42
Forster empfiehlt, daß Daladier, wenn er dem neuen Kabinett
Sarraut angehören sollte, von der deutschen Presse freundlich
begrüßt werden solle. Zuviel Freundlichkeit könne ihn aller-
dings in innenpolitische Schwierigkeiten bringen.

XXXIV
FRANKREICH

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1933
65 13. 11. Aulzeichnung des Ministerialdirektors Köpke 111
Eine ausführliche Analyse der französischen Politik seit dem
Fortgang Deutschlands aus Genf mit Schlußfolgerungen hinsicht-
lich des weiteren deutschen Verhaltens. Diese für interne
Zwecke des Auswärtigen Amts verfaßte Aufzeichnung wurde
zur Kenntnisnahme an Botschafter Köster übermittelt.
86 25. 11. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 149
In einer Aufzeichnung zwischen Francois-Poncet, Hitler und Neu-
rath am 24. November hat der französische Botschafter erklärt,
daß sich in der französischen öffentlichen Meinung über Deutsch-
land ein Umschwung vorbereite, doch werde noch einige Zeit
vergehen, ehe man sich an den Gedanken einer direkten Ver-
ständigung mit Deutschland gewöhnt habe. Erörtert wurden
auch die Frage einer Rückkehr Deutschlands in den Völker-
bund, deutsche Rüstungswünsche, die österreichische Frage und
die Saarfrage. Es herrschte Übereinstimmung, daß die deutsch-
französischen Besprechungen auf diplomatischem Wege fortzu-
setzen seien.
1934
220 26. 1. Aulzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 412
Bülow hat Röhm geraten, eine Einladung in die argentinische
Gesandtschaft anzunehmen, wo er zwanglos Francois-Poncet
kennenlernen könne.
314 [10.3.] Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärfigen Freiherrn
von Neurath 568
Eine von Bülow entworfene und Neurath zur Unterschrift vorge-
legte Aufzeichnung, mit der Reichspräsident Hindenburg über
die Tätigkeil Ribbentrops als persönlicher Vertreter Hitlers in
den Beziehungen zu Frankreich und Großbritannien informiert
wird.
317 10. 3. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an den
Botschaiter in Rom von Hassell 573
Bülow übermittelt zur persönlichen Information Hassells aus zu-
verlässiger Quelle einen Bericht über eine Unterredung zwi-
schen Chambrun und Mussolini am 2. März. Erörtert worden sei
die politische Bedeutung eines italienisch-österreichisch-unga-
rischen Abkommens insbesondere für Frankreich und die Kleine
Entente.
392 10. 4. Der Staatssekretär des Auswärligen Amts von Bülow an die
Botschait in Paris 717
Hitler hat Ribbentrop beauftragt, Barthou zu einem Besuch in
Berlin einzuladen.
413 21. 4. Der Botschaiter in Paris Köster an das Auswärtige Amt 744
Der Generalsekretär des französischen Außenministeriums hat
Köster im Auftrage Barthous über Barthous bevorstehende Rei-
sen nach Warschau und Prag unterrichtet. Diese Reisen dürften
auf keinen Fall etwa als Teil einer Konspiration gegen Deutsch-
land angesehen werden.

XXXV
FRANKREICH / GRIECHENLAND / GROSSBRITANNIEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
446 [11]. 5. Botschaftsrat Forster (Paris) an das Auswärtige Amt 795
Forster berichtet über eine Rede Barthous über die innerdeut-
sche Lage vor dem Auswärtigen Ausschuß der französischen
Kammer.
461 24.5. Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 820
Francois-Poncet hat Eülow versichert, daß er in seinen Berich-
ten an die französische Regierung keinerlei Prophezeiungen
über einen baldigen Zusammenbruch des gegenwärtigen deut-
schen Systems verwende. Derartige Vorstellungen seien aller-
dings in der internationalen Sozialdemokratie, dem internatio-
nalen Judentum und der Freimaurerei, deren Einfluß in Frank-
reich beträchtlich sei, durchaus lebendig.
(Siehe auch „Abrüstung und Völkerbund", „Oslpakt" und „Saar-
gebiet".)

GRIECHENLAND
1934
289 28. 2. Aulzeichnung des Vortragenden Legationsrals Frohwein 530
Ein Vertreter des Rüstungskonzerns Rheinmetall-Borsig hat an-
gefragt, ob außenpolitische Bedenken gegen Waffenlieferungen
nach Griechenland bestünden. Frohwein bittet um Ermächtigung
für die Antwort, das Auswärtige Amt habe bei Beachtung der
nötigen Vorsicht keine Bedenken.

GROSSBRITANNIEN
1933
57 10. 11. Der Botschaiter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt 101
Hoesch berichtet über ein Gespräch mit MacDonald, der es als
wichtig bezeichnet habe, daß für Deutschland wieder ein inter-
nationaler Kontakt geschaffen werde. MacDonald hat sich inoffi-
ziell nach der Möglichkeit eines Besuches Hitlers in London
erkundigt.
59 11. 11. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an die
Botschatt in London 103
Neurath informiert die Botschaft, daß der Gedanke einer Reise
Hitlers nach London abwegig sei. MacDonald solle dargelegt
werden, daß der deutsche Standpunkt zu allen schwebenden
Fragen in den Reden Hitlers und Neuraths sowie in den Er-
klärungen Hitlers gegenüber dem britischen Botschafter unmiß-
verständlich zum Ausdruck gekommen sei.
1934
426 25. 4. Der Botschaiter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt 759
Hoesch berichtet über ein längeres politisches Gesprach mit dem
englischen König, das sich vor allem um die Abrüstungsfrage
drehte.
(Siehe auch „Abrüstung und Völkerbund" und „Finanzfragen".)

XXXVI
ITALIEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

ITALIEN
1933
28 25. 10. Der Botschalter in Rom von Hassell an den Reichsminister des
Auswärtigen Freiherrn von Neurath 43
Hassell äußert sich besorgt über den Zustand der deutsch-italie-
nischen Beziehungen. Er hebt die Notwendigkeit hervor, mit
Mussolini in Kontakt zu bleiben und Pressepolemiken zwischen
beiden Ländern zu v e r m e i d e n .
G7 13. 11. Ministerialdirektor Ritter an den Botschalter in Rom
von Hassell 121
Ritter hält die A n r e g u n g Hasseils, mit Italien ein A b k o m m e n
ü b e r wirtschaftliche Z u s a m m e n a r b e i t im Donaubecken anzu-
s t r e b e n , für nützlich.
104 7. 12. Der Botschalter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 178
Hassell hat nach Rückkehr aus Berlin Mussolini über die j ü n g -
sten deutsch-französischen Gespräche unterrichtet. Mussolini
h a t sich zur Abrüstungsfrage, zum V ö l k e r b u n d , zu d e m j ü n g s t e n
Besuch Litwinows in Rom und zu den Möglichkeiten einer ge-
m e i n s a m e n Wirtschaftspolitik im Donauraum geäußert.
120 12. 12. Aulzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 203
In einer U n t e r r e d u n g mit N e u r a t h und Bülow hat Suvich die
F r a g e gestellt, ob Deutschland in den V ö l k e r b u n d oder zur Ab-
r ü s t u n g s k o n f e r e n z zurückzukehren g e d e n k e . N e g a t i v e Antwort.
126 13. 12. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 219
U n t e r r e d u n g zwischen Hitler und Suvich in N e u r a t h s Gegen-
w a r t ü b e r die Abrüstungsfrage und über Österreich.
145 22. 12. Der Botschafter in Rom von Hassell an Ministerialdirektor
Köpke 263
Hassell berichtet über die Eindrücke, die Suvich von seiner
Berlinreise nach Rom mitgenommen hat.
1934
257 15. 2. Der Botschalter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 476
Hassell berichtet über Gerüchte um den Plan einer Zollunion
zwischen Italien, Österreich und Ungarn. Er glaubt, daß ein der-
artiger Plan existiert, aber keine unmittelbar aktuelle Bedeutung
besitzt.
279 26. 2. Der Gesandte in Budapest von Mackensen an das Auswärtige
Amt 518
Mackensen berichtet über Äußerungen Känyas hinsichtlich der
Haltung Ungarns gegenüber Österreich, Deutschland und Italien.
282 27.2. Aulzeichnung des Reichsminislers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 521
Auf die Erklärung des italienischen Botschafters Cerruti, daß
die italienische Deutschlandpolitik sich ändern könne wofern
sich nicht die deutsche Österreichpolitik ändere, hat Neurath ge-
antwortet, daß diese Drohung ihn nicht beeindrucke und daß
Deutschland auch seine Italienpolitik ändern könne.
286 28. 2. Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 527
Suvich hat Hassell unterrichtet, daß bei seinen Besprechungen
in Budapest und Wien weder eine Zollunion noch ein Konsul-

XXXVII
ITALIEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
tativpakt ins Auge gefaßt worden sei. Die Besprechungen seien
überwiegend wirtschaftlicher Natur gewesen.
292 1.3. Der Gesandte in Wien Rieth an das Auswärtige Amt 536
Nach Mitteilungen des Generalsekretärs des österreichischen
Außenministeriums hat Dollfuß gegenüber Suvich erklärt, eine
Zollunion zwischen Österreich und Ungarn oder zwischen Öster-
reich und Italien sei indiskutabel.
299 6. 3. Der Gesandte in Wien Ri'efh an das Auswärtige Amt 544
Dollfuß und Generalsekretär Peter haben Rieth erklärt, daß sie
nicht die Absicht hätten, während des bevorstehenden Besuchs
in Rom Verpflichtungen einzugehen, die den außenpolitischen
Spielraum Österreichs einengen würden.
311 9. 3. Aulzeichnung des Ministerialdirektors Köpke 565
Der ungarische Gesandte Masirevich hat Köpke eine Aufzeich-
nung überreicht, in der die ungarische Marschroute für die be-
vorstehenden Dreierbesprechungen in Rom dargelegt ist. Münd-
liche Erläuterungen.
313 10.3. Autzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 568
Bülow erbittet die Zustimmung Neuraths zur Ablehnung eines
ungarischen Konsultativpakt-Vorschlags.
320 13. 3. Der Reichsminister des Auswärligen Freiherr von Neurath an
die Botschalt in Rom -<682—.
Cerruti hat Neurath mitgeteilt, daß Italien weder beim öster-
reichischen Problem noch in der Abrüstungsfrage eine Lösung
anstrebe, die eine antideutsche Spitze haben könnte. In den be-
vorstehenden Dreiergesprächen in Rom werde weder über eine
Zollunion noch über einen politischen Pakt verhandelt werden.
Neurath weist Hassell an, trotzdem in Rom deutlich zu machen,
daß eine politische Vereinbarung der drei Mächte von der
Reichsregierung als unfreundlicher Akt empfunden würde, selbst
wenn Deutschland eine Beitrittsmöglichkeit offengehalten werde.
327 15. 3. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Gesandtschalt in Budapest 597
Bülow unterrichtet Mackensen über die Erklärungen des unga-
rischen Gesandten vom 9. März hinsichtlich der Dreiergespräche
in Rom. Die ablehnende Haltung der Reichsregierung gegen-
über dem ungarischen Angebot eines Konsultativpaktes sei un-
verändert.
332 17. 3. Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 603 J
Hassell berichtet ausführlich über die Dreierbesprechungen in
Rom und die im Anschluß daran unterzeichneten Protokolle.
In der Anlage Aufzeichnungen über Gespräche Hasseils mit
Gömbös, Dollfuß und Suvich.
333 19. 3. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Gesandtschalt in Wien 619
Bülow unterrichtet die Gesandtschaft zur Information und Sprach-
regelung über die den römischen Vereinbarungen im Auswär-
tigen Amt beigelegte Interpretation.

XXXVIII
ITALIEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
334 19. 3. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Gesandtschalt in Budapest 620
Bülow informiert die Gesandtschaft über die Weisung nach Wien
(Dokument Nr. 333) und kommentiert die Vereinbarungen von
Rom im Lichte der deutsch-ungarischen Beziehungen.

338 20. 3. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Gesandtschall in Wien 625
Bülow unterrichtet die Gesandtschaft über die Auffassungen des
Auswärtigen Amts hinsichtlich der wirtschaftlichen Ergebnisse
der römischen Besprechungen. Die österreichische Regierung soll
informiert werden, daß Deutschland sieh seine handelspoliti-
schen Entscheidungen bis nach Kenntnis der Einzelheiten der
römischen Verhandlungen vorbehalte.

339 20. 3. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Botschalt in Rom 627
Bülow übermittelt der Botschaft zur Kenntnisnahme den Text
des Dokuments Nr. 338. Sprachregelung gegenüber der italieni-
schen Regierung.

341 20. 3. Der Gesandte in Budapest von Mackensen an das Auswärtige


Amt 629
Mackensen berichtet, er habe Känya von der deutschen Über-
raschung über Art und Ausmaß der politischen Abmachungen
von Rom unterrichtet. Känya habe sich bemüht, das ungarische
Verhalten zu rechtfertigen.

344 20. 3. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an


den Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers 632
Neurath übermittelt Lammers zur Unterrichtung Hitlers Ab-
schriften der Dokumente Nr. 333 und 334 und erläutert die Hal-
tung des Auswärtigen Amts.

345 21. 3. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 633
Unterredung zwischen Neurath und dem ungarischen Gesandten
über die römischen Protokolle und die Frage eines deutsch-
ungarischen Konsultativpakts. Masirevich hat eine Erklärung
der ungarischen Regierung übergeben.

346 21. 3. Der Gesandte in Budapest von Mackensen an das Auswärtige


Amt 635
Mackensen berichtet über eine Unterredung mit Gömbös über
die deutsch-ungarischen Beziehungen im Lichte der römischen
Protokolle. Gömbös hat Mackensen Auszüge aus den Sitzungs-
protokollen von Rom vorgelesen, um seine Erläuterung der von
Ungarn vertretenen Haltung zu bekräftigen.

349 22. 3. Der Gesandte in Wien Rieth an das Auswärtige Amt 641
Rieth berichtet, unter Bezugnahme auf die Dokumente Nr. 333
und 338, über Unterredungen mit Dollfuß und Peter über die
römischen Protokolle.

XXXIX
ITALIEN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
y
354 23. 3. Der Botschalter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 652
Hassell berichtet über ein Gespräch mit Mussolini über die
römischen Protokolle.
363 28. 3. Der Botschaiter in Rom von Hassell an Ministerialdirektor
Köpke 668 y
Hassell übersendet an Köpke und Neurath eine Aufzeichnung
über die „realen" Grundlagen der deutsch-italienischen Bezie-
hungen.
368 29. 3. Der Botschalter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 673 y
Hassell berichtet über private Unterredungen zwischen Papen
und Mussolini, der den von Papen vorgebrachten Gedanken
eines Zusammentreffens mit Hitler, möglicherweise Ende April
in Venedig, lebhaft aufgegriffen hat
377 3. 4. Aulzeichnung des Bolschailers in Rom von Hassell 686 J
Mussolini und Papen haben sich über die mögliche Tagesord-
nung eines Treffens zwischen Hitler und Mussolini unterhalten.
Hassells Empfehlungen hierzu.
380 5. 4. Aulzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 692 ^
Nach Ansicht Neuraths sollte die Frage eines Treffens Hitler-
Mussolini zunächst eingehend geprüft und Italien nicht sofort
eine Antwort erteilt werden.
393 10.4. Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 717
Unterredung zwischen Hitler, Neurath, Blomberg, Hassell und
Bülow über die Frage einer Zusammenkunft Hitlers und Musso-
linis. Entscheidungen wurden nicht getroffen.
420 23. 4. Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 750
Hassell berichtet über eine Unterredung, die er weisungsgemäß
mit Mussolini über die geplante Zusammenkunft von Venedig
geführt hat.
432 1.5. Der Botschaiter m Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 772
Suvich hat Hassell im Auftrag Mussolinis mitgeteilt, daß ange-
sichts der Situation in der Abrüstungsfrage ein Treffen zwischen
Hitler und Mussolini besser bis zur ersten Juni-Dekade aufge-
schoben werden sollte.
449 15. 5. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Botschalt in Rom 798
Hitler ist einverstanden, daß die Zusammenkunft mit Mussolini
in der ersten Junihälfte stattfindet, nach Möglichkeit in Nord-
italien. Mussolini soll das genaue Datum bestimmen.
472 29. 5. Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 835 y
Mussolini hat erklärt, der Zweck seiner bevorstehenden Zu-
sammenkunft mit Hitler sei eine umfassende und offene Aus-
sprache über schwebende internationale Fragen einschließlich
des Österreich-Problems
(Siehe auch „Abrüstung und Völkerbund")

XL
JUGOSLAWIEN

Nummer Datum Titel u n d Inhalt Seite

JUGOSLAWIEN
1933
15 20. 10. Der Leiter des Verbindungsstabes der NSDAP an Gesandl-
schallsrat Hüfter 22
Übermittlung eines Schreibens Wiegands von Hohen-Aesten,
der die Ansicht äußert, daß die Gesandten Jugoslawiens und der
Tschechoslowakei geneigt sind, ihren Regierungen den Abschluß
von Nichtangriffspakten mit Deutschland zu empfehlen.
43 3. 11. Autzeichnung des Legationsrats Busse 73
Ein Vertreter des Reichswehrministeriums hat um entgegenkom-
mende Behandlung zweier kroatischer Emigrantenblätter gebe-
ten, jedoch von Busse die Auskunft erhalten, das Auswärtige
Amt halte ein Verbot dieser Zeitungen im Interesse störungs-
freier Beziehungen zu Jugoslawien für erforderlich.

72 16.11. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an den


Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers 129
Bülow teilt Lammers mit, daß das Auswärtige Amt das preußi-
sche Innenministerium bitten wird, die beiden von Branimir
Jelic herausgegebenen kroatischen Emigrantenblätter zu verbie-
ten. Bülow bittet Lammers, zu veranlassen, daß das Außenpoli-
tische Amt der NSDAP nicht dieser Maßnahme entgegenwirke,
wie dies in der Vergangenheit mehrfach geschehen sei.

91 30 11. Der Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers an das Aus-


wärtige Amt 154
Hitler hat, nachdem er über den Besuch Hohen-Aestens auf der
jugoslawischen Gesandtschaft erfahren hatte, die Verhaftung
Hohen-Aestens angeordnet. In der Anlage ein Protokoll über
die Vernehmung Hohen-Aestens durch Hitler.

92 30. 11. Der Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers an den Staats-


sekretär des Auswärtigen Amts von Bülow 157
Antwort auf Dokument Nr. 72. Lammers übermittelt die Ab-
schrift eines Briefes an Rosenberg, in dem er diesem im Auf-
trag Hitlers mitteilt, daß die Reichsregierung kein Interesse
daran habe, die Tätigkeit kroatischer Emigranten zu fördern.
Den auf Veranlassung des Auswärtigen Amts gegen Jelic ein-
geleiteten Maßnahmen solle nicht entgegengewirkt werden.
1934
309 9.3. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 562
In einer Unterredung zwischen Hitler und dem jugoslawischen
Gesandten hat Hitler Deutschlands Bereitschaft zur begrenzten
Einfuhr jugoslawischer Erzeugnisse erklärt und der Feststellung
des Gesandten beigepllichtet, daß eine Habsburger-Restauration
von beiden Ländern abgelehnt werde.

318 12. 3. Das Auswärtige Amt an die Botschaft in Rom 576


Zusammenfassung der deutschen Position für die bevorstehen-
den Handelsvertragsverhandlungen mit Jugoslawien. Darlegung
der allgemeinen deutschen Politik gegenüber den wirtschaftli-
chen Problemen des Donauraumes.

XLI
JUGOSLAWIEN / LITAUEN UND MEMEL

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
381 5.4. Aulzeichnung des Ministerialdirektors Köpke 692 »'
Unterredung mit dem jugoslawischen Gesandten, der soeben
aus Belgrad zurückgekehrt ist. Balugdzic hat über die zuneh-
mende anti-italienische Stimmung in Jugoslawien und das offen-
bar von Italien aus inspirierte Komplott gegen König Aleksan-
dar berichtet. Man suche in Jugoslawien eine Wiederannähe-
rung an das Deutsche Reich, wisse aber nicht, wie man dabei
vorgehen solle.
(Siehe auch „Österreich")

LITAUEN UND MEMEL


1933
125 12. 12. Der Gesandte in Kowno Zechlin an das Auswärtige Amt 211
Ausführlicher Bericht über die Beziehungen zwischen Litauen
und Polen und ihre Bedeutung für das deutsch-litauische Ver-
hältnis.

142 21. 12. Aufzeichnung des Ministerialdirektors Meyer 254


Meyer hat bei dem litauischen Gesandten gegen die Entlassung
einer Anzahl reichsdeutseher Beamter im Memelgebiet prote-
stiert. Die Reichsregierung betrachte die Maßnahme als einen
Bruch des Memelstatuts und als einen unfreundlichen Akt, den
sie mit wirtschaftlichen Repressalien zu beantworten gedenke.
1934
214 24. 1. Autzeichnung ohne Unterschritt 404
Eine zur Information Bülows angefertigte Zusammenstellung der
Entgermanisierungsmaßnahmen Litauens im Memelgebiet. Als
Gegenmaßnahmen werden empfohlen energische Proteste und
eine Verstärkung des handelspolitischen Drucks auf Litauen.

215 24. 1. Aulzeichnung des Staatssekretärs des Auswärligen Amts


von Bülow 406
Der litauische Gesandte hat Bülow eine Protestnote gegen die
handelspolitischen Repressalien der Reichsregierung gegen
Litauen überreicht. Bülow hat sogar eine Verschärfung der Wirt-
schaftsmaßnahmen angekündigt.

348 22. 3. Aulzeichnung ohne Unterschrift 639


Zusammenfassung der jüngsten legislativen und administrativen
Maßnahmen der litauischen Regierung, die sich gegen Memel-
deutsche richten und auf die Deutschland mit wirtschaftlichen
Gegenmaßnahmen geantwortet hat.

388 9.4. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 709
Phipps hat mitgeteilt, daß der britische Gesandte in Kowno bei
der litauischen Regierung wegen der Memelfrage interveniert
habe; offensichtlich seien aber auch den Nationalsozialisten im
Memelgebiet schwerwiegende Fehler unterlaufen.
(Siehe auch „Sowjetunion".)

XLII
NIEDERLANDE / ÖSTERREICH

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

NIEDERLANDE
1933
110 8. 12. Runderfaß des Auswärtigen Amts 187
Vertrauliche Informationen über Maßnahmen der niederländi-
schen Regierung gegen Ortsgruppen der NSDAP in den Nieder-
landen sowie über Vorstellungen der deutschen Gesandtschaft
im Haag gegen diese Maßnahmen.
(Siehe auch .Finanzfragen".)

ÖSTERREICH
1933
20 21. 10. Auizeichnung des Gesandfschaffsrafs Hüller 33
Aufzeichnung über ein Telefongespräch mit Habicht, der dem
Auswärtigen Amt gemeldet hat, daß zwei österreichische Abge-
sandte im Auftrage Dollfuß' bei ihm in München gewesen seien.
Sie hätten erklärt, daß Dollfuß eine Bereinigung der Beziehun-
gen zum Deutschen Reich wünsche.
35 30. 10. Aufzeichnung des Gesandtschaltsrats Hüiler 54
Bezugnahme auf Dokument Nr. 20. Hüffer hat von Habicht
weitere Informationen über seine Gespräche mit den beiden
österreichischen Abgesandten erhalten. Sie hätten erneut die
Verhandlungsbereitschaft Dollfuß' zum Ausdruck gebracht und
um eine Präzisierung der nationalsozialistischen Forderungen
gebeten.
Anmerkung der Herausgeber 59
Unterredung Schuschniggs mit Heß in München am 31. Oktober.
46 4. 11. Auizeichnung des Gesandtschaltsrats Hüller 77
Aufzeichnung über ein Telefongespräch mit dem österreichischen
Gesandten Tauschitz, der durch Nachrichten über die Bildung
eines sog. Kampfringes der in Deutschland lebenden Österrei-
cher alarmiert ist. Hüffer hat die Angelegenheit bagatellisiert,
gleichzeitig aber dem Vertreter Habichts mitgeteilt, daß er die
Bildung des Kampfringes zur Zeit nicht für opportun halte.
49 8. 11. Aulzeichnung des Gesandtschaltsrats Hülter 85
Habicht hat Hüffer mitgeteilt, daß Hitler sich in schärfster Form
gegen die Einmischung von Privatpersonen wie Alvensleben in
die deutsch-österreichische Politik ausgesprochen habe.
71 16. 11. Aufzeichnung des Gesandfschaffsrafs Hütler 128
Habicht hat Hüffer mitgeteilt, daß Dollfuß als Folge einer Initia-
tive Hanfstaengls neuerdings Verhandlungen mit ihm selbst
auszuweichen suche. Er, Habicht, glaube aber, daß Dollfuß
wegen innerpolitischer Schwierigkeiten bald wieder auf ihn zu-
rückgreifen müsse.
106 6. 12. Der Landesinspekteur der NSDAP in Österreich Habicht an
Gesandtschaltsrat Hüller 184
Habicht berichtet über fortschreitende Zersetzungserscheinungen
innerhalb der Heimwehr und Versuche Dollfuß', direkt mit Hit-
ler ins Gespräch zu kommen. Informationen über italienische
und ungarische Beziehungen zu Österreich.

XLIII
ÖSTERREICH

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1933
115 11. 12. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 193
Hitler hat erneut erklärt, daß vor Verhandlungen von Regierung
zu Regierung im Verhältnis zu Österreich zunächst die Partei-
angelegenheit in Ordnung gebracht werden müsse.

124 [12.] 12. Der Gesandte in Wien Rieth an das Auswärtige Amt 209
Rieth erörterte die innenpolitische Situation in Österreich und
weist auf ihre Labilität und die Machtkämpfe der verschiedenen
Richtungen im Regierungslager hin. Er folgert, daß die Haltung
der österreichischen Regierung gegenüber den Nationalsoziali-
sten wahrscheinlich so lange nicht freundlicher werden wird,
wie die italienische Politik ihren derzeitigen Kurs beibehält.

143 21. 12. Der Gesandle in Wien Rieth an den Staatssekretär des Aus-
wärtigen Amts von Bülow 256
Rieth berichtet, unter dem Eindruck seiner jüngsten Gespräche
mit Dollfuß und neuer Bemühungen des österreichischen Regie-
rungschefs um Kontakte mit Habicht, über die Möglichkeiten
einer Verständigung zwischen Dollfuß und den Nationalso-
zialisten.
144 22. 12. Der Landesinspekteur der NSDAP in Österreich Habicht an
den Botschalter in Rom von Hassell 261
Habicht glaubt aus den Gesprächen, die Suvich während seines
Besuches in Berlin geführt hat, schließen zu können, daß Musso-
lini und Suvich über die tatsächliche Lage in Österreich voll-
kommen falsch informiert sind. Um Suvichs Ansichten vor
dessen Besuch in Wien zu korrigieren, soll eine einschlägige
Dokumentation für ihn zusammengestellt werden.

153 28. 12. Der Botschaiter in Rom von Hassell an den Landesinspekteur
der NSDAP in Österreich Habicht 278
Antwort auf Dokument Nr. 144. Hassell glaubt nicht, daß die
italienischen Ansichten zur österreichischen Frage so negativ
sind wie Habicht vermutet. Die italienische Regierung gehe
vielmehr davon aus, daß der Anschluß auf lange Sicht unver-
meidlich sei, doch wünsche sie ihn nicht zum gegenwärtigen
Zeitpunkt

156 30. 12. Aulzeichnung des Gesandtschaltsrats Hüller 282


Tauschitz hat angedeutet, daß er im Auftrage Dollfuß' den
deutsch-österreichischen Konflikt bei Neurath zur Sprache brin-
gen wolle. Gleichzeitig bahnen sich zwischen Habicht und Doll-
fuß Verhandlungen an. Habicht rechnet mit einer baldigen Reise
nach Wien.
1934
160 1.1. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswarligen Freiherrn
von Neurath 288
Tauschitz hat Neurath mitgeteilt, daß Doilfuß sich entschlossen
habe, mit Habicht zu verhandeln, sofern die Verhandlungen
von Seiten Habichts mit Wissen, Willen und Ermächtigung des
Reichskanzlers geführt würden.

XLIV
ÖSTERREICH

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
166 8. 1. Aulzeichnung des Vortragenden Legationsrats von Renthe-Fink 301
Dollfuß hat seine Einladung an Habicht zurückgezogen. Als
Habicht trotzdem nach Wien fliegen wollte, wurde er von
Hitler persönlich zurückbefohlen.

167 9. 1. Aulzeichnung des Vortragenden Legationsrats von Renthe-Fink 303


Unterredung mit Habicht, der über das Scheitern seiner Zusam-
menkunft mit Dollfuß enttäuscht ist. Nach Habichts Äußerungen
ist jetzt eine Verschärfung des Kampfes gegen Dollfuß zu er-
warten.
179 12. 1. Bolschaffsraf Prinz zu Erbach-Schönberg (Wien) an das Aus-
wärtige Amt 338
Erbach-Schönberg berichtet, daß Prinz Waldeck, der in Wien
mit Führern der Nationalsozialisten und der Heimwehr verhan-
delt habe, zusammen mit diesen verhaftet worden sei. Waldeck
sei schließlich aufgefordert worden, so rasch wie möglich Öster-
reich zu verlassen.
184 16. 1. Autzeichnung des Gesandtschaltsrats Hütier 353
Nach der erneuten Verhaftung des Gauleiters Frauenfeld in
Wien hat Hitler Anweisung gegeben, alle in Deutschland leben-
den Österreicher registrieren zu lassen, um unter ihnen eine
Auswahl für etwaige Verhaftungen treffen zu können. Man
hofft in Parteikreisen, die Freilassung Frauenfelds bereits durch
Androhung von Repressalien erreichen zu können.

188 17. 1. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 361
Tauschitz hat bei Neurath gegen die jüngsten Aktivitäten der
NSDAP in Österreich unter Überreichung einer Note Protest er-
hoben. Neuraths zurückweisende Antwort.
213 24. 1. Auizeichnung des Gesandtschaltsrats Hüller 403
Nach den vorliegenden Meldungen hat der Besuch Suvichs in
Wien die Position Dollfuß' nicht nennenswert gestärkt. Dollfuß,
Starhemberg und der ehemalige Vizekanzler Winkler ver-
suchen, die Verbindungen zu Habicht wieder neu zu knüpfen.

225 26. 1. Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 421
Suvich hat Hassell über die Eindrücke berichtet, die er von
seinem Besuch in Wien mitgebracht hat.
229 31. 1. Botschattsrat Prinz zu Erbach-Schönberg (Wien) an das Aus-
wärtige Amt 426
Der Militärattache in Wien hat Kenntnis von einem Plan der
österreichischen SA und der Österreichischen Legion erhalten,
ohne Wissen der Landesleitung der NSDAP in Wien einen
Putsch zu wagen. Zu seiner Verhinderung erscheint ein Ein-
greifen der obersten Führung in Deutschland unumgänglich.
Anmerkung der Herausgeber 432
Die deutsche Antwort vom 31. Januar auf die österreichische
Note vom 17. Januar (siehe Dokument Nr. 188).

XLV
ÖSTERREICH

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
242 7. 2. Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 446
Hassell berichtet über eine Unterredung mit Suvich, der die
italienische Haltung in der Abrüstungsfrage und die italienischen
Sorgen über das Anwachsen des Nationalsozialismus in Öster-
reich dargelegt hat.
247 10.2. Aulzeichnung des Gesandten in Wien Rieth 453
Unterredung zwischen Hitler und Rieth über die Lage in Öster-
reich. Hitler hat keine neuen Weisungen gegeben, scheint aber
Entscheidungen vorzubereiten.
253 15.2. Der Gesandle in Wien Rieth an das Auswärtige Amt 470
Rieth hat erfahren, daß der österreichische Verbindungsmann
zur SA in München, Rittmeister In der Maur, den Auftrag erhal-
ten hat, mit Dollfuß über die Bildung einer neuen Regierung
mit Habicht als Vizekanzler Verhandlungen aufzunehmen.
254 15. 2. Der Gesandte in Wien Rielh an das Auswärtige Amt 471
Rieth berichtet über Einzelheiten und politische Hintergründe
der in Österreich ausgebrochenen schweren Kämpfe zwischen
Regierungstruppen und den paramilitärischen Verbänden der
Sozialdemokraten.
255 15. 2. Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 473
Suvich hat Hassell über den aktuellen Meinungsaustausch der
italienischen mit der britischen und französischen Regierung
bezüglich einer Erklärung über die Unabhängigkeit Österreichs
informiert.
258 16.2. Autzeichnung des Reichsministers des Auswärligen Freiherrn
von Neurath 480
Cerruti hat Neurath unter Hinweis auf eine kürzliche Erklärung
Mussolinis über Österreich seine große Sorge über die Entwick-
lung der deutsch-italienischen Beziehungen zum Ausdruck ge-
bracht.
260 16. 2. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Botschalt in Rom 481
Neurath unterrichtet Hassell über die Haltung der Reichsregie-
rung in der Frage einer Verständigung der österreichischen Re-
gierung mit den Nationalsozialisten.
261 16. 2. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Botschatl in London 482
Bülow übermittelt der Botschaft den Text des Dokuments
Nr. 255 und legt die deutsche Haltung gegenüber der von den
drei Mächten geplanten Erklärung über die Unabhängigkeit
Österreichs dar.
263 16.2. Aulzeichnung Gilberts In der Maur 486
Zusammenstellung über die von Habicht angeordneten Versuche,
über Schönberg und Schuschnigg neue Kontakte mit Dollfuß an-
zuknüpfen mit dem Ziel einer Zusammenarbeit zwischen NSDAP
und Dollfuß. Analyse der Lage in Österreich nach den Ereig-
nissen des 12. bis 15. Februar.

XLVI
ÖSTERREICH

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
264 16. 2. Der Gesandte in Wien Rieth an den Staatssekretär des Aus-
wärtigen Amts von Bülow 490
Rieth kommentiert Dokument Nr. 263 und äußert sich über ver-
schiedene Punkte kritisch.
278 26. 2. Aulzeichnung des Botschalters in Rom von Hassell 517
Hassell berichtet über eine Unterredung mit Mussolini am
24. Februar betreffend die Tätigkeit Habichts in Österreich und
die Wirtschaftsbesprechungen zwischen Italien, Österreich und
Ungarn.
308 7./8. 3. Autzeichnung des Stabsleiters der Landesleitung Österreich der
NSDAP Weydenhammer 560
Unterredungen Weydenhammers mit dem österreichischen Ge-
sandten in Rom Rintelen, der sich bedingungslos bereit erklärt
hat, den Weisungen Habichts zu folgen. Rintelen empfiehlt, die
deutsche Propaganda solle alles tun, um einen weiteren Keil
zwischen die Heimwehr und die Vaterländische Front zu treiben.
316 10. 3. Der Gesandte in Wien Rieth an das Auswärtige Amt 570
Rieth berichtet über eine Unterredung mit dem jugoslawischen
Gesandten Nastasijevic über Fragen der Habsburger-Restaura-
tion und der wirtschaftlichen Neuordnung im Donauraum sowie
über die bevorstehenden italienisch-österreichisch-ungarischen
Besprechungen in Rom.
328 15.3. Ministerialdirektor Köpke an den Gesandten in Wien Rieth 598 ^->
Köpke informiert Rieth über die von Hitler angeordnete Ände-
rung der Österreichpolitik. Künftig sollen Gewaltanwendung
und direkte Angriffe auf die österreichische Regierung vermie-
den werden, das Hauptgewicht soll auf die Propaganda inner-
halb Österreichs und den Ausbau der dortigen Parteiorgani-
sation gelegt werden.
329 16. 3. Aulzeichnung des Ministerialdirektors Köpke 600
Aufzeichnung über eine Unterredung zwischen Neurath und
Habicht und eine weitere zwischen Neurath und Hitler. Habicht
hat sich über die neuen Weisungen bezüglich Österreich besorgt
gezeigt, doch hat Hitler sie erneut bekräftigt.
369 29. 3. Der Gesandte in Wien Rieth an das Auswärtige Amt 675
Rieth übermittelt eine Denkschrift eines österreichischen Natio-
nalsozialisten, in der Hitler um Zustimmung zu einer Gefangen-
setzung der österreichischen Regierung ersucht wird. Rieth emp-
fiehlt Maßnahmen zur Unterbindung solcher Aktionen.
389 9.4. Aulzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 710
Aufzeichnung mit Empfehlungen für Neurath zur Weiterbehand-
lung der österreichischen Frage, die in einer Unterredung mit
Hitler am 10. April erörtert werden soll.
394 10.4. Aufzeichnung des Ministerialdirektors Köpke 719
Tauschitz hat bei Köpke unter Überreichung einer Note gegen
Grenzverletzungen sowie die Tätigkeit der österreichischen
Legion im deutsch-österreichischen Grenzgebiet protestiert.

XLVII
ÖSTERREICH

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
409 19.4. Auizeichnung des Gesandtsclialtsrats Hülter 739
Habicht hat Hüffer über eine Unterredung mit Hitler über alle
Aspekte der österreichischen Frage berichtet. Hitler habe er-
klärt, er werde weder italienischem Druck nachgeben noch Kon-
zessionen machen, die von den österreichischen Nationalsozia-
listen als Unterwerfung gedeutet werden könnten.
431 30.4. Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Ulrich 770
Aufzeichnung über eine Besprechung zwischen Habicht und
Beamten des Auswärtigen Amts und des Reichsministeriums
für Ernährung und Landwirtschaft. Es wurde über die Hand-
habung der von Hitler angeordneten Einfuhrbeschränkungen
für österreichische Produkte beraten
448 14. 5. Runderlaß des Auswärtigen Amts 797
Informationen über den Stand der Habsburger-Frage mit Sprach-
regelung.
451 16. 5. Auizeichnung des Gesandtschaltsrats Hülter 800
Hüffer leitet eine Aktennotiz, die Habicht ihm übergeben hat,
an Ritter weiter. In der Notiz wird die Politik der Dresdner
Bank und der Deutschen Bank gegenüber österreichischen Ban-
ken, an denen sie erheblich beteiligt sind, kritisiert. Verbesse-
rungsvorschlage.
459 24.5. Autzeichnung des Leutnants von Pappenheim (Reichswehr-
ministerium) 817
Aufzeichnung über ein Gespräch zwischen dem Militärattache
in Wien General Muff und dem Chef der Heeresleitung am
23. Mai über die Lage in Österreich. Muff vermißt eine klare
Politik der Reichsregierung gegenüber Österreich und hält eine
Übereinkunft mit Italien für wünschenswert.
462 24. 5 Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
das Reichsministerium des Innern 821
Neurath informiert das Reichsministerium des Innern, daß die
Aktivitäten der Heimwehr und der österreichischen Legion an
der bayerischen Grenze eine kritische Situation herbeigeführt
haben. Er schlägt eine Ressortbesprechung zur Beschlußfassung
über die erforderlichen Schritte vor.
469 29. 5. Auizeichnung des Vortragenden Legationsrats von Renthe-Fink 833
Aufzeichnung über eine Unterredung mit Baron Wächter, dem
Stellvertreter Habichts, der sich über die Gefahr eines Aufstan-
des in Österreich besorgt gezeigt hat.
478 1. 6. Der Botschalter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 849
Hassell berichtet, daß man im italienischen Außenministerium
die Bestrebungen österreichischer und ungarischer Legitimisten
nicht ernst nehme. Die italienische Regierung stehe Plänen einer
Habsburger-Restauration aus Furcht vor politischen Verwicklun-
gen ablehnend gegenüber.
479 4.6. Auizeichnung des Gesandtschaltsrats Hüller 850
Aufzeichnung über das Ergebnis von Besprechungen über die
Beteiligungen deutscher Banken an österreichischen Banken
(siehe Dokument Nr. 451).

XLVIII
ÖSTERREICH / OSTPAKT

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
492 8.6. Autzeichnung des Gesandtschaltsrats Hüller 868
Aufzeichnung über die zur Entspannung der in Dokument
Nr. 462 dargelegten Situation unternommenen Maßnahmen.
501 12. 6. Der Gesandle in Wien Rieth an den Staatssekretär des Auswär-
tigen Amts von Bülow 881
Rieth teilt mit, daß die Behauptungen Dollfuß', die jüngsten
Vorfälle in Österreich seien von Deutschland aus gesteuert
worden, wenigstens teilweise der Wahrheit entsprechen. Dies
könne gefährliche Folgen haben. Rieth hält einen persönlichen
Vortrag in Berlin für notwendig.
(Siehe auch „Ungarn" und „Italien".)

OSTPAKT
1933
147 25. 12. Ministerialdirektor Köpke an die Botschait in Moskau 266
Weisung, Litwinow auf die Verhandlungen anzusprechen, die
nach dessen eigenen Angaben zur Zeit zwischen der Sowjet-
union und Frankreich geführt werden.

148 26. 12. Autzeiclmung des Botschattsrats von Twardowski (Moskau) 267
Twardowski übermittelt Nachrichten aus zuverlässiger Quelle
über ein französisches Angebot an die Sowjetunion zum Ab-
schluß eines Paktes über gegenseitige Unterstützung für den
Fall, daß das europäische Gebiet eines der beiden Partner von
einer dritten Macht angegriffen wird. Abschätzung der mögli-
chen sowjetischen Reaktion und der Implikationen für die deut-
sche Politik.
150 27. 12. Botschaltsrat von Twardowski (Moskau) an das Auswärtige Amt 271
Twardowski ist der Ansicht, daß das französische Angebot die
Verhandlungsposition der Sowjetunion stärkt. Eine Initiative
zur Verbesserung der deutsch-sowjetischen Beziehungen werde
fortan von Deutschland auszugehen haben. Twardowski spricht
sich gegen die in Dokument Nr. 147 angeordnete Demarche bei
Litwinow aus.
1934
458 23.5. Aulzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 815
Aufzeichnung über eine Unterredung Bülows mit Cerruti, der
von angeblichen Verhandlungen zwischen Barthou und Litwinow
über ein sog. „Ostiocarno" berichtet hat. Bülow hat erklärt,
hierüber nicht unterrichtet zu sein.

465 25. 5. Der Gesandie in Warschau von Mollke an das Auswärtige Amt 826
Moltke berichtet über die polnische Haltung gegenüber Meldun-
gen von Verhandlungen zwischen Frankreich und der Sowjet-
union über eine Militärallianz. Ausführungen Becks, auch über
die polnische Einstellung zu einem Eintritt der Sowjetunion in
den Völkerbund.

XL1X
OSTPAKT

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
486 7.6. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Botschalt in Paris 861
Vertrauliche Information, daß Francois-Poncet mitgeteilt habe,
Litwinow habe Barthou den Abschluß eines Ostpakts unter
Beteiligung Polens, der Tschechoslowakei, der baltischen Staa-
ten, der Sowjetunion und Deutschlands vorgeschlagen. Dieser
Ostpakt solle aus einem Konsultativpakt, einem Nichtangriffs-
pakt und einem Beistandspakt bestehen. Frankreich sei bereit,
diesen Pakt gegen eine sowjetische Garantie des Locarno-Ver-
trages zu garantieren. Der Pakt würde nicht gegen Deutschland
gerichtet sein. Barthou wünsche zu erfahren, ob die Reichsregie-
rung an einem solchen Vertragssystem interessiert sei. Die In-
formation wurde ebenfalls an die Botschaften in London und
Rom, an die Gesandtschaft in Brüssel und an das Konsulat
in Genf übermittelt.

491 8.6. Der Reichsminisler des Auswärtigen Freiherr von Neurath an


die Botschalten in London und Rom und an die Gesandtschalt in
Brüssel 866
Bezugnahme auf Dokument Nr. 486. Die Reichsregierung wertet
den Vorschlag eines Ostpakts für Deutschland negativ. Sprach-
regelung.

496 9.6. Auizeichnung des Reichsministers des Auswärligen Freiherrn


von Neurath 873
Der finnische Außenminister Hackzeil hat Neurath über eine
Unterredung mit Litwinow über den Plan eines Ostpakts unter-
richtet. Er, Hackzeil, habe Litwinow erklärt, daß Finnland nicht
in der Lage sei, an einem Garantiepakt solchen Ausmaßes teil-
zunehmen. Litwinow habe auf deutsche Expansionswünsche im
Baltikum hingewiesen, doch sehe er, Hackzell, keinen Grund für
Finnland, sich gegen Deutschland abzusichern.

502 13. 6. Der Botschafter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt 882
Hoesch berichtet über eine Unterredung mit Simon über den
Ostpakt-Plan. Simon hat sich eine genauere Prüfung des Projekts
vorbehalten. Ganz allgemein begrüße England alle Versiche-
rungen, die die internationalen Beziehungen verbessern könn-
ten, ein Beitritt zu einem Ostpakt-System mit Beistandsverpflich-
tung sei für die britische Regierung aber indiskutabel.

504 13.6. Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 884
Unterredung mit Litwinow über den Plan eines Ostpakts. Neu-
rath hat sich ablehnend geäußert, aber die Bereitschaft der
Reichsregierung zu bilateralen Abkommen hervorgehoben.

505 13. 6. Runderlaß des Staatssekretärs des Auswärligen Amts


von Bülow 886
Information über die Unterredung Neuraths mit Litwinow und
über die deutsche Haltung zum Ostpakt-Plan.

L
POLEN UND DANZIG

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

POLEN UND DANZIG


1933
11 17. 10. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 13
Aufzeichnung über eine Unterredung zwischen Hitler und dem
Präsidenten des Danziger Senats Rauschning. Rauschning hat
sich über die Schwierigkeiten beklagt, die ihm durch die loka-
len SA und SS gemacht würden und die den Bestrebungen
Danzigs um einen Ausgleich mit Polen zuwiderliefen. Rausch-
ning hat auch eine Zusammenkunft Hitlers mit Pilsudski ange-
regt.
38 1. 11. Auizeichnung des Ministerialdirektors Meyer 60
Neurath hat Hitler mitgeteilt, daß die deutsch-polnischen Wirt-
schaftsverhandlungen sich ungünstig entwickeln. Hitler hat
Konzessionen an Polen vorgeschlagen, um einen Abbruch der
Verhandlungen zu vermeiden.
41 3. 11. Aulzeichnung ohne Unterschritt 66
Aufzeichnung über eine Besprechung zwischen Vertretern des
Auswärtigen Amts, des Reichsfinanzministeriums, interessierter
Finanzinstitute sowie der IG-Gesellschaften über die Frage, ob
es möglich sei, mit den Polen wegen des IG-Kattowitz-Konzerns
zu einem modus vivendi zu gelangen.
52 9. 11. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 92
In einer Unterredung mit dem polnischen Gesandten Lipski hat
Neurath eine Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen zwi-
schen Deutschland und Polen als eine notwendige Voraus-
setzung für die Entspannung der politischen Beziehungen zwi-
schen beiden Ländern bezeichnet.
58 11. 11. Der Gesandte in Warschau von Mollke an das Auswärtige Amt 102
Moltke berichtet, Beck habe versprochen, sich für die Weiter-
führung der Wirtschaftsverhandlungen einzusetzen, jedoch auch
darauf hingewiesen, daß es Schwierigkeiten gebe.
69 15. 11. Ministerialdirektor Meyer an die Gesandtschalt in Warschau 126
Information über eine Unterredung zwischen Hitler und Lipski.
Hitler hat seine Bereitschaft zu einer Erklärung bekundet, daß
die Reichsregierung keine gewaltsame Lösung der zwischen
Deutschland und Polen strittigen Probleme anstrebe.
70 16. 11. Ministerialdirektor Meyer an die Gesandtschalt in Warschau 127
Informationen zu dem Kommunique über die Unterredung zwi-
schen Hitler und Lipski.
73 17. 11. Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 132
Unterredung Bülows mit Reichswirtschaftsminister Schmitt über
die veränderte Haltung, die nach einer Ministerbesprechung
vom Vortag in den Wirtschaftsverhandlungen mit Polen, be-
sonders in der Kohlenfrage einzunehmen sei. Moltke soll davon
unterrichtet werden, daß die Reichsregierung Polen gegenüber
in Wirtschaftfragen zu weitergehenden Konzessionen als bisher
bereit sei.

LI
POLEN UND DANZIG

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1933
75 18. 11. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 134
Nadolny berichtet, daß die deutsch-polnischen Besprechungen
über eine gemeinsame Gewaltverzichts-Erklärung in Moskau
größtes Interesse finden und regt an, bei Gelegenheit der Über-
reichung seines Beglaubigungsschreibens die sowjetische Regie-
rung offiziell ins Bild zu setzen.
77 Aulzeichnung ohne Unterschritt 136
Undatierte Bemerkungen zum Gedanken des Abschlusses eines
Nichtangriffspakts zwischen Deutschland und Polen.
79 21. 11. Das Auswärtige Amt an die Botschatt in Moskau 140
Spraehiegelung für die Behandlung des Themas der deutsch-pol-
nischen Beziehungen in Gesprächen mit sowjetischen Regie-
rungsvertretern.
81 Aulzeichnung ohne Unterschritt 142
Undatierte Bemerkungen zu einem im Auswärtigen Amt ver-
faßten Entwurf einer deutsch-polnischen Erklärung. Nach einem
Randvermerk Neuraths hat sich Hitler mit dem Entwurf ein-
verstanden erklärt.
82 23. 11. Auizeichnung des Ministerialdirektors Meyer 143
Moltke hat angeregt, daß er beauftragt werde, den Text einer
gemeinsamen Gewaltverzichts-Erklärung an Pilsudski zu über-
geben. Er fürchtet, daß anderenfalls die Polen als erste einen
Vorschlag vorlegen würden.
84 24. 11. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
der Gesandtschaft in Warschau 145
Neurath informiert Moltke, daß Hitler mit dem in Dokument
Nr. 81 abgedruckten Entwurf einer deutsch-polnischen Erklärung
einverstanden ist. Moltke soll zur Übergabe des Entwurfs un-
verzüglich um eine Audienz bei Pilsudski nachsuchen.
87 25. 11 Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt 150
Beck hat Moltke mitgeteilt, daß er im Einvernehmen mit Pil-
sudski glaube, daß der Zeitpunkt für eine Initiative in der
deutsch-polnischen Frage gekommen sei.
88 27. 11. Aufzeichnung des Reichsminislers des Auswärligen Freiherrn
von Neurath 151
Neurath hat Lipski eine Abschrift des Entwurfs einer deutsch-
polnischen Erklärung (Dokument Nr. 81) übergeben.
90 28. 11. Der Gesandle in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt 153
Moltke berichtet, daß er den Entwurf einer deutsch-polnischen
Erklärung Pilsudski übergeben habe und daß die sich daran an-
schließende Unterredung in betont freundlichem Rahmen ver-
laufen sei. Pilsudski habe den Grundgedanken des deutschen
Vorschlages zugestimmt, jedoch angemerkt, daß sich noch
Schwierigkeiten ergeben könnten und daß der Entwurf geprüft
werden müsse
102 5. 12. Konsul Koester (Danzig) an Ministerialdirektor Meyer 174
Koester äußert sich zu Differenzen zwischen Senatspräsident
Rauschning und Gauleiter Forster in Danzig.

LII
POLEN UND DANZIG

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1933
109 8. 12. Autzeichnung des Präsidenten des Senats der Freien Stadt
Danzig Rauschning 187
In einer Besprechung mit Heß sind Grundsätze zur Regelung der
Beziehungen zwischen dem Senatspräsidenten und dem Gau-
leiter in Danzig verabredet worden. Bei Meinungsverschieden-
heiten entscheidet künftig der Stellvertreter des Führers.

131 16. 12. Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 229
Neurath hat mit Lipski den Entwurf einer deutsch-polnischen Er-
klärung (Dokument Nr. 81) erörtert. Die polnische Regierung
erhebt im Prinzip keine Einwände, fragt aber nach der Inter-
pretation des in dem Entwurf zitierten Schiedsvertrages von
Locarno.
1934
168 9. 1. Aufzeichnung des Reichsminislers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 304
Lipski hat Neurath den polnischen Gegenentwurf für eine
deutsch-polnische Erklärung übergeben.
186 16. 1. Aulzeichnung des Ministerialdirektors Gaus 356
Gaus hat mit Lipski den polnischen Gegenentwurf für eine
deutsch-polnische Erklärung besprochen. Lipski hat sich zu Vor-
behalten seiner Regierung hinsichtlich der Verträge Polens mit
Frankreich und Rumänien sowie zu Minderheitenfragen ge-
äußert.
203 22. 1. Aufzeichnung des Ministerialdirektors Gaus 384
Es haben zwei weitere Unterredungen zwischen Gaus und Lipski
über den Entwurf einer deutsch-polnischen Erklärung stattge-
funden. Für einzelne Punkte wurden neue Formulierungen aus-
gehandelt, die den polnischen Vorbehalten stärker Rechnung
tragen. Der neue Entwurf hat Neurath vorgelegen und die Billi-
gung Hitlers gefunden.
209 23. 1. Autzeichnung des Minslerialdircktors Meyer 397
Moltke hat Szembek weisungsgemäß darauf angesprochen, daß
die deutschen Vertreter der IG über die Verhältnisse ihrer Ge-
sellschaften in Oberschlesien mit den zuständigen polnischen
Stellen reden möchten. Meyer regt an, daß Neurath die Ange-
legenheit mit Lipski besprechen solle.
211 24. 1. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Botschatten in Rom und Moskau 401
Bülow unterrichtet die Botschaften, daß mit der polnischen Re-
gierung Verhandlungen über eine gemeinsame Gewaltverzichts-
erklärung stattfinden und vor dem Abschluß stehen. Die italie-
nische und die sowjetische Regierung sollen informiert werden.
217 25. 1. Aulzeichnung des Ministerialdirektors Meyer 409
Unterredung Meyers mit Lipski über die polnischen Maßnahmen
gegen die IG-Gesellschaften. Meyer hat auf direkte Verhand-
lungen zwischen den IG-Vertretern und der polnischen Regie-
rung gedrängt.

LIU
POLEN UND DANZIG

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
218 25. 1. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Botschatt in London 410
Neurath unterrichtet die Botschaft in London und gleichzeitig
die Botschaft in Paris, daß die Verhandlungen mit Polen über
eine gemeinsame Gewaltverzichts-Erklärung erfolgreich abge-
schlossen seien. Die britische und die französische Regierung
sollen unter Hinweis auf die Bedeutung der Vereinbarung für
den europäischen Frieden in Kenntnis gesetzt werden.
219 26. 1. Gemeinsame Erklärung der Deutschen Regierung und der Polni-
schen Regierung 411
Wortlaut der deutsch-polnischen Erklärung.
221 26. 1. Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Fretherrn
von Neurath 413
Rauschning hat Neurath über die katastrophale Finanzlage
Danzigs informiert und um Unterstützung des Auswärtigen Amts
für eine Reichsbeihilfe nachgesucht. Neurath hat seine Unter-
stützung für den unbedingt notwendigen Betrag zugesagt.
226 27. 1. Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt 423
Moltke beriohtet, daß Beck sich über das Zustandekommen der
deutsch-polnischen Erklärung und ihre Aufnahme in der polni-
schen Öffentlichkeit sehr befriedigt geäußert habe.
230 31. 1. Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt 427
Beck hat Moltke mitgeteilt, daß Hitlers Rede vom 30. Januar
in allen Kreisen der polnischen Bevölkerung einen günstigen
Eindruck hinterlassen habe. Er beabsichtige, dem Reichskanzler
vor dem Sejm im gleichen Geiste der Verständigung zu ant-
worten.
234 2.2. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 434
Neurath hat Lipski den Vorschlag unterbreitet, daß die auf
beiden Seiten bestehenden Zeitungsverbote aufgehoben werden
sollten.
244 9. 2. Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt 447
Moltke hat in einer Unterredung mit Beck weisungsgemäß Hit-
lers Zufriedenheit über Becks Erklärungen vom 5. Februar über
das deutsch-polnische Verhältnis zum Ausdruck gebracht. Er-
örterung der bevorstehenden Reise Becks nach Moskau.
275 21. 2. Der Botschalter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 512
Nadolny berichtet über den Besuch Becks in Moskau, dessen
Ergebnisse offenbar sehr dürftig sind.
287 28. 2. Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt 528
Moltke berichtet über die Paraphierung des Protokolls betref-
fend die Beendigung des Zollkrieges zwischen Deutschland und
Polen, das am 15. März 1934 in Kraft treten soll.
331 17. 3. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Gesandtschalt in Warschau 602
Neurath weist Moltke an, bei Beck energisch in der IG-Ange-
legenheit vorstellig zu werden und ihm mitzuteilen, daß die
Reichsregierung die sofortige Aufnahme von Verhandlungen
über den gesamten Fragenkomplex für notwendig halte.

LIV
POLEN UND DANZIG

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
340 20. 3. Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt 628
Moltke berichtet, er habe in Abwesenheit Becks mit Szembek
die IG-Angelegenheit erörtert. Szembek habe das bisherige pol-
nische Vorgehen zu rechtfertigen gesucht und, vorbehaltlich der
Zustimmung Becks, den Vorschlag der Aufnahme von Regie-
rungsverhandlungen beifällig aufgenommen.
352 23.3. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 649
In einer Unterredung mit Lipski über die IG-Angelegenheit hat
Neurath die Frage gestellt, ob die polnische Regierung an
deutschen Investitionen in Polen und an wirtschaftlicher Zusam-
menarbeit überhaupt interessiert sei. Lipski hat dies bejaht.
Neurath hat daraufhin den Gesandten gebeten, seiner Regie-
rung den deutschen Standpunkt in der IG-Angelegenheit in drin-
gender Form darzulegen, andernfalls könne er keinerlei Garan-
tien für die Rückwirkungen auf die deutsch-polnischen Beziehun-
gen übernehmen.
372 30. 3. Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt 677
Moltke berichtet, er sei bei Beck in der IG-Angelegenheit vor-
stellig geworden. Beck habe sich an deutsch-polnischer Wirt-
schaftszusammenarbeit unbedingt interessiert gezeigt und sehe
einer befriedigenden Lösung des gesamten Fragenkomplexes
zuversichtlich entgegen.
407 18.4. Aufzeichnung des Ministerialdirektors Meyer 737
Aufzeichnung über eine Chefbesprechung, in der unter dem
Vorsitz von Heß über die Lage in Danzig beraten wurde.
439 7.5. Der Generalkonsul in Danzig von Radowifz an Minisferiaf-
direktor Meyer 780
Durch die persönlichen Differenzen zwischen Rauschning und
Forster ist eine schwierige Situation in Danzig entstanden. In
einer Aussprache zwischen Rauschning, Forster, Linsmayer und
mehreren Senatoren konnte ein Rücktritt Rauschnings noch ein-
mal vermieden werden. Radowitz hält den Frieden jedoch nicht
für dauerhaft und schlägt vor, von höherer Stelle aus auf
Forster einzuwirken und ihm den Ernst der Lage vor Augen
zu führen.
441 9.5. Der Generalkonsul in Danzig von Radowitz an Ministerial-
direktor Meyer 785
Fortsetzung der Berichterstattung über die Differenzen zwischen
Rauschning und Forster. Der Hohe Kommissar des Völkerbunds
Lester hat Forster auf die Gefährlichkeit seines Verhaltens hin-
gewiesen, den Generalkommissar Papee hat er gebeten, sich
für eine maßvolle Haltung Polens zu verwenden. Die einge-
tretene Entspannung sei vor allem Lester zu verdanken und
habe Rauschnings Position gefestigt.
485 [7. 6] Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 860
Unterredung zwischen Neurath und Beck, der sich auf der
Durchreise von Genf nach Warschau befindet. Gesprächsthemen
waren die jüngsten Vorgänge in Genf, das polnisch-sowjetische
Verhältnis und die deutsch-polnischen Beziehungen.
(Siehe auch „Ostpakt".)

LV
RUMÄNIEN / SAARGEBIET

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

RUMÄNIEN
1933
36 30. 10. Der Reichstührer des Volksbunds lür das Deutschtum im Aus-
land Steinadler an den Vortragenden Legationsrat Roediger 55
Steinadler übermittelt dem Auswärtigen Amt ein Schreiben Heß'
an Fabritius. Es enthält die Anweisung, daß die NSDR künftig
jeden Anschein einer Abhängigkeit von reichsdeutsdien Stellen
vermeiden müsse, da sonst die Existenz deutscher Einrichtungen
im Ausland gefährdet werde.
1934
468 28.5. Auizeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 832
Der rumänische Gesandte Petrescu-Comnen hat Neurath um
Stellungnahme zu einem früher überreichten rumänischen Wirt-
schaftsplan gebeten. Neurath hat angeführt, daß die Reichsregie-
rung wirtschaftliche Opfer nur für Staaten bringen könne, die
Deutschlands Gegner nicht politisch unterstützten.

SAARGEBIET
1933
94 30. 11. Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Saarbevollmächtigte
von Papen an den Vortragenden Legat'.onsrat Voigt 160
Übermittlung einer Aufzeichnung über die erste Sitzung der
Saar-Referenten am 23. November unter Vorsitz des Saarbevoll-
mächtigten von Papen, der seine Pläne zur künftigen Behand-
lung der Saarfrage dargelegt hat.
96 30. 11. Das Auswärtige Amt an den Stellvertreter des Reichskanzlers
und Saarbevollmächtigten von Papen 164
Übermittlung eines Berichtes des Bischofs von Trier über seine
Besprechungen mit Pacelli und anderen in Rom am 18. und
19. November über die beabsichtigte Entsendung eines päpst-
lichen Vertreters in das Saargebiet.
101 5. 12. Auizeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
von Bülow 173
Francois-Poncet hat Bülow erklärt, daß die gegenwärtige fran-
zösische Regierung wahrscheinlich zu schwach sei, um sich lei-
sten zu können, über die Anregung Hitlers zum Verzicht auf
die Saarabstimmung zu verhandeln.
114 9. 12. Der Adjutant des Stellvertreters des Reichskanzlers
von Tschirschky und Bögendorii an das Auswärtige Amt 191
Übermittlung einer Aufzeichnung Papens über eine Unterredung
mit dem Sondergesandten des Heiligen Stuhls Testa, der zur
persönlichen Unterrichtung in das Saargebiet entsandt worden
ist. Testa habe erklärt, für ihn sei das Saargebiet ein deutsches
Land, das so rasch wie möglich zum Reich zurückzukehren
wünsche.

116 11. 12. Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 193
Unterredung Hitlers mit dem französischen Botschafter. Francois-
Poncet hat erklärt, daß seine Regierung nicht geneigt sei, auf

LVI
SAARGEBIET

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1933
die Saarabstimmung zu verzichten. Daraufhin hat Hitler den
Vorschlag des Botschafters abgewiesen, daß sofort mit Verhand-
lungen über Wirtschaftsfragen begonnen werden solle.
1934
170 9. 1. Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Saarbevollmächtigte
von Papen an den Reichsminister des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 307
Übermittlung einer Aufzeichnung Papens über eine Unterredung
mit dem Präsidenten der Regierungskommission des Völker-
bunds für das Saargebiet Knox. Es wurden mehrere Deutschland
und das Saargebiet betreffende Fragen durchgesprochen.
185 16. 1. Konsul Krauel (Geni) an das Auswärtige Amt 355
Krauel berichtet über eine Unterredung mit Aloisi, der mitge-
teilt hat, daß der Völkerbundsrat die Einsetzung eines Dreier-
komitees zur Vorbereitung der Abstimmung im Saargebiet er-
wäge.
207 23. 1. Der Botschalter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt 393
Hoesch berichtet über eine Unterredung mit Simon über die
Saarfrage. Der britische Außenminister hat angeregt, daß erneut
der Versuch gemacht werden sollte, die Saarabstimmung durch
eine deutsch-französische Vereinbarung überflüssig zu machen.
222 26. 1. Ministerialdirektor Köpke an das Konsulat in Geni 413
Die Einrichtung des Dreierkomitees könnte dazu führen, daß
die Beurteilung der Lage im Saargebiet hauptsächlich Knox zu-
fällt. Da dieser seine Informationen vorzugsweise aus franzö-
sichen Quellen bezieht, muß darauf geachtet werden, daß das
Komitee sich durch Beobachtung an Ort und Stelle ein eigenes
Urteil verschafft.

223 26. 1. Runderlaß des Auswärtigen Amts 414


Übermittlung einer vertraulichen Aufzeichnung Röchlings über
die Gespräche, die er vom 16. bis 19. Januar in Genf unter an-
derem mit Aloisi und Beck geführt hat.
249 12.2. Ministerialdirektor Köpke an die Botschatt in Rom 457
Köpke übermittelt die Stellungnahme der Reichsregierung zur
bevorstehenden ersten Tagung des Dreierkomitees und zu dem
zu erwartenden Bericht Knox'.
274 21.2. Ministerialdirektor Köpke an die Botschatt in Rom 511
Köpke übermittelt einen Bericht des Konsulats in Genf über die
Tagung des Dreierkomitees. Es ist beschlossen worden, eine
Abstimmungskommission und ein Juristenkomitee einzusetzen.
303 7. 3. Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Saarbevollmächtigte
von Papen an den Botschaiter in Rom von Hassell 552
Papen unterrichtet Hassell über die Schritte, die unternommen
worden sind, um die Betätigung der NSDAP im Saargebiet ein-
zuschränken und die politische Aktivität in der Deutschen Front
zu zentralisieren. Papen äußert sich weiter zu verschiedenen An-
regungen Aloisis zur Saarpolitik.

LVII
SAARGEBIET

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
304 7. 3. Der Preußische Ministerpräsident und Chel der Geheimen
Staatspolizei Göring an das Auswärtige Amt 554
Übermittlung einer Verordnung betreffend die Fernhaltung Un-
befugter von der Saarpolitik und vom Saarnachrichtendienst.
350 22. 3. Der Botschaiter in Paris Köster an den Staatssekretär des Aus-
wärligen Amts von Bülow 646
Köster berichtet, daß im Auftrage Papens der Legationsrat a. D.
Lersner mit führenden französischen Politikern Gespräche über
die Saarfrage geführt hat. Köster befürchtet, daß Lersner seinem
Auftraggeber unangenehme Wahrheiten verschweigen wird.
365 29. 3. Der Botschalter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 670
Hassell berichtet über eine Unterredung zwischen Papen und
Aloisi über die Saarfrage. Papen bittet um Mitteilung, wie er
auf einen Vorschlag Aloisis zu antworten habe, daß zur Siche-
rung der Abstimmungsfreiheit zwei Erklärungen abgegeben
werden sollten: ein Aufruf des Reichskanzlers, mit dem alle
deutschen Organisationen im Saargebiet zum Verzicht auf Ge-
waltanwendung aufgefordert werden, und eine gleichzeitige
deutsch-französische Erklärung, in der beide Regierungen sich
verpflichten, die Person und das Eigentum aller Abstimmenden
ohne Unterschied der politischen Gesinnung zu respektieren.

397 12. 4. Der Staatssekretär des Auswärligen Amts von Bülow an die
Botschatt In Rom 723
Instruktion, daß der in Dokument Nr. 365 enthaltene Vorschlag
Aloisis, die Abstimmungsfreiheit im Saargebiet durch eine
gleichzeitige deutsche und französische Erklärung zu sichern,
nicht praktikabel sei.
400 14. 4. Autzeichnung des Stellvertreters des Reichskanzlers und Saar-
bevollmächtigten von Papen 727
Aufzeichnung über eine Unterredung mit Aloisi über die
Deutsche Front im Saargebiet, über die ablehnende Haltung der
Reichsregierung hinsichtlich einer deutsch-französischen Er-
klärung zur Sicherung der Abstimmungsfreiheit und über die
Schlußfolgerungen des Juristenkomitees in der Frage von
Repressalien.
428 26. 4. Der Botschafter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 763
Hassell berichtet über eine Unterredung mit Aloisi, der be-
dauert, daß die Reichsregierung seine in Dokument Nr. 400 ent-
haltenen Vorschläge abgelehnt hat. In der Anlage ein Prome-
moria in dem Aloisi die verschiedenen Aspekte seiner Vor-
schläge und der deutschen Antwort beleuchtet.
436 3.5. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Botschalt in Rom 776
In Beantwortung des Dokuments Nr. 428 zeigt Neurath auf,
wie weit die Reichsregierung Aloisi aus politischen Gründen
entgegenkommen kann.
442 10. 5. Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 786
Hassell übermittelt einen neuen Vorschlag Aloisis, nach dem
der Termin der Saarabstimmung festgesetzt werden soll, sobald

LVIII
SAARGEBIET

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
Deutschland und Frankreich die Verpflichtung des VersaiUer
Vertrags, eine freie Abstimmung zu sichern, bekräftigt haben.
445 11.5. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an das
Konsulat in Genf 794
Bülow übermittelt den Text des Dokuments Nr. 442 mit der
Instruktion, daß die Reichsregierung mit dem letzten Vorschlag
Aloisis einverstanden ist.
450 16. 5. Konsul Krauel (Geni) an das Auswärtige Amt 798
Krauel berichtet, Biancheri habe ihm einen Resolutionsentwurf
zur Frage der Garantien und des Abstimmungsdatums über-
reicht und ihn mündlich erläutert.
470 29.5. Konsul Krauel (Gent) an das Auswärtige Amt 834
Krauel übermittelt einen Bericht Lersners für Papen über den
Stand der Gespräche, die Lersner in Genf mit den Italienern
führt.
474 31.5. Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Voigt 838
In einer Besprechung mit Neurath und Papen über die Saarfrage
hat Hitler Beschlüsse gefaßt, die dem Konsul in Genf als Wei-
sung zugesandt worden sind.
475 31. 5. Legationsrat a. D. Freiherr von Lersner an das Auswärtige Amt 840
In einer Unterredung mit Lersner hat Barthou der sofortigen
Festsetzung eines Abstimmungstermins zugestimmt und erklärt,
er sei ein überzeugter Anhänger der Verständigung mit Deutsch-
land.
477 1. 6. Der Reichsminisler des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
das Konsulat in Genf 848
Weisung, den am Vortage im Hinblick auf die Saarabstimmung
formulierten Texten zuzustimmen.
481 5.6. Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Saarbevollmächtigle
von Papen an den Reichsminister des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 851
Unterrichtung über die bei der Durchführung der deutsch-fran-
zösischen Garantie-Erklärung vom 4. Juni einzuhaltende Linie.
498 12. 6. Der Staatssekretär im Büro des Reichspräsidenten Meissner an
den Reichsminister des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 876
Übermittlung der Antwort Papens auf eine Anfrage Hinden-
burgs wegen der Mission Lersners in Genf.
499 12. 6. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
den Staatssekretär im Büro des Reichspräsidenten Meissner 877
Anmerkungen Neuraths zu den in Dokument Nr. 498 enthalte-
nen Erläuterungen Papens hinsichtlich der Mission Lersners in
Genf.
500 12.6. Runderfaß des Auswärtigen Amts 878
Informationen über die Bedeutung der am 4. Juni vom Völker-
bundsrat gefaßten Beschlüsse hinsichtlich der Vorbereitungen
für die Saarabstimmung.

LIX
SCHWEIZ / S O W J E T U N I O N

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

SCHWEIZ
1933
33 27. 10. Der Gesandle in Bern Freiherr von Weizsäcker an das Aus-
wärtige Amt 50
Bericht über eine Unterredung mit dem schweizerischen Kriegs-
minister Bundesrat Minger, der auf Gefahren hingewiesen hat,
die der Nationalsozialismus für die Schweiz mit sich bringe.
Weizsäcker glaubt, daß die schweizerische Neutralitätspolitik
im Falle eines Krieges sich gegen Deutschland richten würde.
1934
422 24. 4. Der Gesandle in Bern Freiherr von Weizsäcker an das Aus-
wärtige Amt 753
Weizsäcker analysiert das Verhältnis der Schweiz zum national-
sozialistischen Deutschland. Trotz Vorhandenseins deutsch-
freundlicher Momente ist die Gesamtbilanz negativ.
483 6. 6. Der Gesandle in Bern Freiherr von Weizsäcker an das Aus-
wärtige Amt 853
Weizsäcker berichtet, daß das Verbot schweizerischer Zeitungen
in Deutschland wahrscheinlich analoge Maßnahmen gegen die
deutsche Presse in der Schweiz zur Folge haben werde.
(Siehe auch „Finanzfragen".)

SOWJETUNION
1933
12 17. 10. Botschaftsrat von Twardowski (Moskau) an das Auswärtige Amt 14
Twardowski berichtet über eine Unterredung mit Litwinow über
das deutsch-sowjetische Verhältnis. Litwinow hat sich außerge-
wöhnlich freundlich und entgegenkommend gezeigt. Twardowski
sucht die Klimaveränderung zu erklären.
14 18. 10. Auizeichnung des Botschatters in Moskau von Dirksen
(z. Z. Berlin) 20
Der sowjetische Botschafter in Berlin Chintschuk hat Dirksen
erklärt, daß Krestinskis Versäumnis, seine Durchreise durch
Berlin zu politischen Gesprächen mit der Reichsregierung zu
nutzen, keine politische Bedeutung habe. Die sowjetische Regie-
rung wünsche ein gutes Verhältnis zu Deutschland.
21 22. 10. Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärligen Freiherrn
von Neurath 34
Ministerialdirigent Fischer vom preußischen Innenministerium
hat Neurath mitgeteilt, er habe im Auftrage Görings mit der
sowjetischen Botschaft Verhandlungen über die Zulassung so-
wjetischer Vertreter zum Leipziger Reichstagsbrandprozeß ge-
führt. Neurath hat die Ansicht vertreten, daß die Angelegenheit
auf diplomatischem Wege erledigt werden müsse.

24 24. 10. Botschaitsrat von Twardowski (Moskau) an das Auswärtige Amt 39


Bericht über ein Gespräch mit einem ungenannten Russen, der
angeregt hat, daß Dirksens Abschiedsbesuche in Moskau zum
Anlaß genommen werden sollten, das deutsch-sowjetische Ver-
hältnis wieder auf eine freundschaftlichere Basis zu stellen.

LX
SOWJETUNION

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1933
25 24. 10. Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 40
Neurath ist in einer Unterredung mit Chintschuk zu einer vor-
läufigen Vereinbarung betreffend die Beilegung des Journa-
listenkonflikts sowie die Beendigung antideutscher Berichte
in der sowjetischen Presse und im Moskauer Rundfunk ge-
langt.
30 27. 10. Aufzeichnung des Ministerialdirektors Meyer 47
Aufzeichnung über eine Unterredung mit Chintschuk über Ein-
zelheiten der Erledigung des Journalistenkonflikts. Die Frage
der Zulassung deutscher Journalisten in der Sowjetunion ist
weiter ungeklärt.
34 28. 10. Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn
von Neurath 52
Unterredung zwischen Neurath und Litwinow über die schwe-
benden Verhandlungen betreffend die Klärung der deutsch-so-
wjetischen Differenzen, Litwinow hat erklärt, gegen eine Zu-
lassung von Korrespondenten des Angriii und des Völkischen
Beobachters in Moskau bestünden keine prinzipiellen Bedenken,
über die Veröffentlichung eines Kommuniques besteht Einig-
keit.
44 3. 11. Der Botschaiter in Moskau von Dirksen an den Staatssekretär
des Auswärtigen Amts von Bülow 74
Dirksen berichtet am Vorabend seiner Abreise aus Moskau,
daß die Welle der Pressehetze und sonstigen deutschfeind-
lichen Einstellung im Abnehmen begriffen sei. Seine Verab-
schiedung habe sich in einer betont freundschaftlichen und herz-
lichen Form vollzogen.
47 6. 11. Botschaitsrat von Twardowski (Moskau) an das Auswärtige Amt 79
Bericht über eine Unterredung zwischen Twardowski und
Tuchatschewski bei Gelegenheit des Abschiedsessens für Dirk-
sen. Tuchatsehewski hat versichert, die Rote Armee werde nie-
mals Material über die Zusammenarbeit mit der Reichswehr
an andere Mächte weitergeben. In der Roten Armee bestehe
nach wie vor größte Sympathie für die Reichswehr.
53 9. 11. Botschaitsrat von Twardowski (Moskau) an das Auswärtige Amt 93
Twardowski berichtet, daß die sowjetische Presse voraussicht-
lich zu dem Ergebnis des Reichstagsbrandprozesses in scharfer
Form Stellung nehmen werde. Er regt an, Nadolnys Eintreffen
in Moskau solle soweit verschoben werden, daß es zeitlich nicht
mit dem Aufflackern der antideutschen Propaganda zusammen-
falle.
66 13. 11. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
den Botschaiter in Moskau Nadolny (z. Z. Berlin) 118
Text der von Hitler gebilligten Richtlinien für Nadolny anläß-
lich seiner Entsendung als Botschafter nach Moskau.
118 11. 12. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an Ministerialdirektor
Meyer 198
Nadolny empfiehlt, die sowjetische Regierung über den Stand
der deutsch-polnischen Verhandlungen zu unterrichten. Eine Zu-

LXI
SOWJETUNION

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1933
rückhaltung in diesem Punkte würde in Moskau falsch interpre-
tiert werden und biete keinerlei Vorteil, da die polnische Re-
gierung ihrerseits die sowjetische Regierung mit Sicherheit über
die deutschen Schritte ins Bild setze
119 11. 12. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 199
Nadolny gibt einen Überblick über den Stand des deutsch-
sowjetischen Wirtschaftsverkehrs und kommt zu dem Schluß,
daß die Auffassung, der Rückgang der sowjetischen Aufträge
an die deutsche Industrie sei auf die Abkühlung der politischen
Beziehungen zurückzuführen, unzutreffend sei. Die Gründe seien
vielmehr in der allgemeinen Wirtschaftslage der Sowjetunion
und ihren Beziehungen zu anderen Ländern zu suchen. Die deut-
sche Industrie müsse unter Berücksichtigung der veränderten
Situation besondere Anstrengungen unternehmen.

122 12. 12. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 206
Bericht Nadolnys über eine Unterredung mit Litwinow nach
dessen Rückkehr aus den USA. Litwinow erwarte die Entwick-
lung sehr freundschaftlicher Beziehungen zu den Vereinigten
Staaten. Er habe auch über seine Unterredung mit Mussolini
auf dem Rückweg kurz berichtet. Nadolny hat Litwinow darauf
hingewiesen, daß in der Sowjetunion eine gefährliche Hetze
gegen Deutschland registriert werden müsse.

127 14. 12. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 220
Nadolny berichtet über eine lange und heftige Diskussion mit
Litwinow, in der die zwischen Deutsehland und der Sowjetunion
bestehenden Meinungsverschiedenheiten durchgesprochen wur-
den. Die Verantwortung für die Verschlechterung der Beziehun-
gen wurde dabei jeweils der anderen Seite zugeschoben.
130 15. 12. Der Botschalter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 227
Hassell berichtet über den Besuch Litwinows in Rom. Der Be-
such habe dort keinen sonderlichen Eindruck hinterlassen und
scheine auch keine unmittelbaren praktischen Ergebnisse ge-
bracht zu haben. Es scheine, daß die Sowjetunion Deutschland
fürchte und sieh wegen eines möglichen deutschen Eingreifens
im Falle einer sowjetischen Verwicklung im Fernen Osten
Sorgen mache.
1934
161 1. 1. Auizeichnung ohne Unterschritt 288
Eine vermutlich von Twardowski angefertigte Aufzeichnung
über eine Unterredung mit Litwinow zu dessen Rede vom
29. Dezember sowie über ein Gespräch mit Radek, der auf anti-
sowjetische Schriften und Reden deutscher Politiker, vor allem
auf die Neuauflage in unveränderter Form von Mein Kampt,
hingewiesen hat.
163 5. 1. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 294
Bericht Nadolnys über eine Unterredung mit Litwinow, die sehr
unbefriedigend verlaufen ist. Litwinow hat dargelegt, daß er es
in seiner jüngsten Rede für notwendig gehalten habe, dem
deutschen Volk vor Augen zu führen, wohin die deutsch-
sowjetischen Beziehungen trieben. Nadolny hat Litwinow zu

LXII
SOWJETUNION

Nummer Datum Titel u n d Inhalt Seite

1934
verstehen gegeben, daß die intransigente sowjetische Haltung
zu Konsequenzen führen müsse, an denen keines der beiden
Länder interessiert sein könne.
165 7. 1. Aulzeichnung ohne Unterschrill 299
Eine vermutlieh von Meyer verfaßte Analyse der jüngsten Un-
terredung Nadolnys mit Litwinow. Offenbar hat die sowje-
tische Außenpolitik eine Kehrtwendung gemacht und die „Ra-
pallo-Politik" beendet. Für die deutsche Regierung erscheint
eine abwartende Haltung angezeigt, eine Aufkündigung des
Berliner Vertrags ist nicht zu empfehlen.

171 9. 1. Der Botschalter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 310


Ausführliche Analyse des deutsch-sowjetischen Verhältnisses.
Nadolny empfiehlt, mit allen Mitteln freundliehe Beziehungen
aufrechtzuerhalten. Die deutsehe Außenpolitik dürfe sieh nicht
von Spekulationen auf einen Zusammenbruch der Sowjetregie-
rung leiten lassen.

173 10. 1. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 324
Bericht über das Interview eines deutsehen Journalisten mit
Radek, der die distanzierte Haltung Litwinows gegenüber
Deutschland zu erklären suchte.
176 11. 1. Der Botschafter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 329
Nadolny berichtet über eine Unterredung mit Woroschilow, der
die Hoffnung geäußert hat, daß in irgendeiner Form die Zusam-
menarbeit zwischen Roter Armee und Reichswehr wiederherge-
stellt werden könne. Nadolny hat deutlich gemacht, daß die
Rote Armee die Initiative ergreifen müsse.
181 13. 1. Der Botschafter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 343
Nadolny berichtet über eine Unterredung zwischen Twardowski
und Jegorow, der die freundschaftlichen Gefühle der Roten
Armee für die Reichswehr hervorgehoben und den Wunsch nach
Wiederherstellung der früheren guten Beziehungen geäußert
hat. Jegorow hat versichert, daß eine Weitergabe von Informa-
tionen über die Reichswehr an Frankreich nicht erfolgt sei.
190 17. 1. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Botschalt in Moskau 365
Neurath informiert die Botschaft, daß die Haltung der Reiehs-
regierung gegenüber der Sowjetunion sich in keiner Weise ge-
ändert habe und daß eine Wiederherstellung des früheren
freundschaftlichen Verhältnisses ausschließlich von Moskau ab-
hänge. Deutsche Vorschläge kommen zur Zeit nicht in Betracht.
. Der Botschaft wird für Gespräche mit maßgebenden sowjetischen
Persönlichkeiten kühle Reserve auferlegt.
191 17. 1. Militärattache' Hartmann (Moskau) an das Auswärtige Amt 367
Jegorow hat sich für die Wiederherstellung des früheren guten
Verhältnisses zwischen der Roten Armee und der Reichswehr
ausgesprochen und anerkennende Worte für einzelne deutsche
Offiziere gefunden. Der Bericht Hartmanns enthält auch Infor-
mationen über die sowjetischen Seestreitkräfte im Fernen Osten.

LXIII
SOWJETUNION

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
210 23. 1. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an den Staatssekretär des
Auswärtigen Amts von Bülow 398
Nadolny bittet um ein überdenken der in Dokument Nr. 190
enthaltenen Weisungen. Die dort geforderte Reserve gegenüber
der sowjetischen Regierung würde seiner Meinung nach das
Ende des Versuchs bedeuten, die Sowjetunion von einem Zu-
sammengehen mit Frankreich fernzuhalten. Nadolny regt an,
daß die Reichsregierung durch eine freundschaftliche Erklärung
ihren guten Willen gegenüber der Sowjetunion bekunde.
227 29. 1. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an des Auiwärt'ge Amt 424
Nadolny berichtet über die Rede Stalins am 26. Januar vor
dem 17. Kongreß der Kommunistischen Partei der Sowjetunion.
Der Botschafter sieht Stalins Ausführungen als eine Bestätigung
seiner Ansicht an, daß die sowjetische Regierung eine maß-
gebende deutsche Erklärung zum deutsch-sowjetischen Verhält-
nis erwarte.
240 6. 2. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an den Staatssekretär des
Auswärtigen Amts von Bülow 442
Nadolny äußert sich beunruhigt über die Aktivitäten Litwinows
gegenüber den baltischen Staaten, insbesondere Litauen, sowie
über die Verhaftung zahlreicher Personen in der Sowjetunion,
die Verbindungen zu Deutschland besitzen. Nadolny empfiehlt,
daß als Geste guten Willens Thälmann und andere Kommuni-
sten der sowjetischen Regierung übergeben werden sollen.
251 12. 2. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an den
Botschaiter in Moskau Nadolny 463
Antwort auf die Dokumente Nr. 210 und 240. Bülow hält wei-
tere Zusicherungen an die Sowjetunion nicht für wünschenswert,
beurteilt die französisch-sowjetische Annäherung als unbedeu-
tend und spricht sich gegen deutsch-polnische Gespräche über
Litauen und gegen einen Gefangenenaustausch mit der Sowjet-
union aus
342 20. 3. Aulzeichnung des Ministerialdirektors Meyer 630
über das Protokoll für die Regelung des deutsch-russischen
Wirtschaftsverkehrs im Jahre 1934 und die Zahlungsmodalitäten
ist Einigung erzielt worden. Zusammenfassung der wichtigsten
Bestimmungen.
362 28. 3. Der Botschalter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 666
Nadolny übermittelt den Entwurf einer deutsch-sowjetischen Er-
klärung über die Unabhängigkeit der baltischen Staaten, den
Litwinow ihm übergeben und erläutert hat. Nadolny regt an,
die Reichsregierung solle, anstatt auf Litwinows Vorschlag ein-
zugehen, lieber ein Erweiterungsabkommen zum Berliner Ver-
trag anstreben.
364 29. 3. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 669
Nadolny berichtet über Gespräche mit Krestinski und Woro-
sehilow, die die Bedeutsamkeit der von Litwinow vorgeschlage-
nen deutsch-sowjetischen Erklärung über die Unabhängigkeit
der baltischen Staaten hervorgehoben haben.

LXIV
SOWJETUNION

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
375 3. 4. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 684
Nadolny erläutert seine in Dokument Nr. 362 dargelegte Hal-
tung gegenüber Litwinows Vorschlag einer deutsch-sowjetischen
Erklärung über die Unabhängigkeit der baltischen Staaten. Der
Botsehafter empfiehlt, daß die Reichsregierung als Antwort den
Vorschlag einer gemeinsamen Erklärung zwar begrüßen, je-
doch gleichzeitig darauf dringen solle, die Erklärung nicht auf
die baltischen Staaten zu beschränken. Sie solle vielmehr auf
eine allgemeinere Basis gestellt werden und eine Ergänzung
zum Berliner Vertrag bilden.

376 3. 4. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die


Botschail in Moskau 686
Der sowjetische Vorschlag zur Garantierung der baltischen Staa-
ten kann erst nach Rückkehr Neuraths und Hitlers nach Berlin
behandelt werden. Bülow hält den Vorschlag für unannehmbar.
Nadolny soll vorerst substantiellen Erörterungen aus dem Weg
gehen.
382 5. 4. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an den Staatssekretär des
Auswärtigen Amts von Bülow 695
Nadolny wiederholt, unter Bezugnahme auf Dokument Nr. 376,
seine Argumente für ein Zusatzabkommen zum Berliner Vertrag.
Er bittet, zu mündlichem Vortrag nach Berlin kommen zu dürfen.
390 9.4. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Botschaft in Moskau 713
Instruktion, daß Litwinow mitgeteilt werden solle, daß die
Reichsregierung den vorgeschlagenen Vertrag zur Garantierung
der baltischen Staaten weder für zweckmäßig noch für notwen-
dig halte, da die Unabhängigkeit dieser Staaten nicht bedroht
sei. Für die deutsch-sowjetischen Beziehungen solle weiter der
Berliner Vertrag die Grundlage bilden.
391 [9. 4.] Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an den
Botschaiter in Moskau Nadolny 716
Antwort auf Dokument Nr. 382. Bülow erläutert, warum Na-
dolnys Vorschlag eines persönlichen Vortrags in Berlin für den
Augenblick abgelehnt worden ist.
396 12. 4. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 722
Nadolny regt an, daß in der Antwort auf Litwinows Vorschlag
in konkreterer Form als bisher vorgesehen auf den Wunsch
der Reichsregierung hingewiesen werden sollte, die deutsch-
sowjetischen Beziehungen auf der Grundlage des Berliner Ver-
trags zu verbessern.
398 12. 4. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Botschalt in Moskau 724
Neurath stimmt zu, daß in die Antwort an Litwinow der zu-
sätzliche Hinweis aufgenommen wird, daß die Reichsregierung
in Übereinstimmung mit dem Berliner Vertrag bereit sei, mit
der sowjetischen Regierung die Wiederherstellung vertrauens-
voller, für beide Länder nutzbringender Beziehungen zu be-
sprechen.

LXV
SOWJETUNION

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
401 15. 4. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 729
Nadolny berichtet über die Übergabe der Antwort auf den Vor-
schlag Litwinows zur Garantierung der baltischen Staaten.
Litwinow hat sieh eine weitere Prüfung der deutschen Antwort
und die Möglichkeit einer öffentlichen Stellungnahme vorbe-
halten.
414 21.4. Der Botschalter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 745
Nadolny berichtet über die Stellungnahme Litwinows zur deut-
schen Antwort auf seinen Vorschlag. Die sowjetische Regierung
erklärt sich bereit, über die Wiederherstellung vertrauensvoller
Beziehungen Besprechungen zu führen. Nadolny dringt darauf,
die baltischen Staaten nun über die gesamte Garantiepakt-Frage
umfassend zu informieren, da die sowjetische Regierung das in
ihrem Sinne ebenfalls beabsichtige.
415 23. 4. Der Gesandte in Riga Martius an das Auswärtige Amt 746
Martius berichtet über eine Unterredung mit Munters bei Ge-
legenheit der Unterrichtung der lettischen Regierung über die
deutsche Haltung zu dem sowjetischen Vorschlag einer gemein-
samen Garantie der baltischen Staaten.
416 23. 4. Legationssekretär Mohrmann (Kowno) an das Auswärtige Amt 747
Mohrmann berichtet, er habe Zaunius über die deutsche Haltung
zu dem sowjetischen Vorschlag einer gemeinsamen Garantie
der baltischen Staaten informiert.
417 23. 4. Der Gesandte in Riga Martius an das Auswärtige Amt 748
Ulmanis hat Martius um weitere Informationen über die ableh-
nende deutsche Antwort auf den sowjetischen Vorschlag ge-
beten, damit die lettische Regierung in der Lage sei, alle dies-
bezüglichen Anfragen zu beantworten.
418 23. 4. Der Gesandte in Reval Reinebeck an das Auswärtige Amt 749
Reinebeck berichtet, er habe Seljamaa über die deutsche Haltung
zu dem sowjetischen Vorschlag einer gemeinsamen Garantie
der baltischen Staaten informiert.
419 23. 4. Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt 750
Hassell berichtet, er habe Mussolini über die deutsche Haltung
zu dem sowjetischen Vorschlag einer gemeinsamen Garantie
der baltischen Staaten informiert.
421 24. 4. Der Gesandte in Helsinki Büsing an das Auswärtige Amt 752
Büsing berichtet, er habe Hackzeil über die deutsche Haltung
zu dem sowjetischen Vorsehlag einer gemeinsamen Garantie
der baltischen Staaten informiert.
423 25. 4. Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt 756
Moltke berichtet, er habe Beck über die deutsche Haltung zu
dem sowjetischen Vorschlag einer gemeinsamen Garantie der
baltischen Staaten informiert. Stellungnahme Becks.
424 25.4. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 757
Nadolny erörtert die Möglichkeit einer Normalisierung der
deutsch-sowjetischen Beziehungen. Es erscheint ihm notwendig,
zu persönlichem Vortrag nach Berlin zu kommen.

LXVI
SOWJETUNION

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
425 25. 4. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Gesandtschait in Riga 758
Unter Bezugnahme auf Dokument Nr. 417 übermittelt Neurath
die Ulmanis zu erteilende Antwort.
427 26. 4. Der Botschalter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 762
Nadolny hat die sowjetische Regierung weisungsgemäß unter-
richtet, daß die Reichsregierung angesichts der lettischen Ver-
öffentlichung des sowjetischen Vorschlags einer Garantie der
baltischen Staaten und der deutschen Stellungnahme auch ihrer-
seits die Dokumente veröffentlichen wird.
430 28. 4. Der Gesandte in Reval Reinebeck an das Auswärtige Amt 769
Außenminister Seljamaa hat erklärt, er glaube nicht, daß die
Frage einer Garantierung der baltischen Staaten einfach fallen-
gelassen werden könne, da die Öffentlichkeit beunruhigt sei.
Reinebeck erwartet eine Initiative Estlands und Lettlands oder
möglicherweise aller drei baltischen Staaten.
433 2. 5. Auizeichnung des Legationsrats von Tippeiskirch 773
Aufzeichnung über die jüngste Entwicklung der deutsch-so-
wjetischen Wirtschaftsbeziehungen.
434 3.5. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 774
Nadolny empfiehlt Maßnahmen, die verhindern sollen, daß die
sowjetische Regierung die Ablehnung des Litwinow-Plans gegen
Deutschland auswertet.
437 4. 5. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Botschalt in Moskau 777
Die Reichsregierung beabsichtigt nicht, im Zusammenhang mit
der Ablehnung des Litwinow-Vorschlags weitere Erklärungen
abzugeben oder sich in eine Pressepolemik einzulassen.
440 9. 5. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 782
Nadolny analysiert anläßlich der Unterzeichnung des Proto-
kolls zur Verlängerung des sowjetisch-polnischen Nichtangriffs-
pakts die sowjetische Politik in Osteuropa.
447 12. 5. Der Botschalter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt 796
Litwinow hat Nadolny versichert, daß die sowjetische Regierung
eine Verbesserung der Beziehungen zu Deutschland wünsche. Er
hat außerdem um das Agrement der Reichsregierung für die
Ernennung von Suritz zum Botsehafter in Berlin ersucht.
476 31.5. Auizeichnung ohne Unterschritt 841
Bemerkungen zu einer im Anhang beigefügten, auf Anordnung
Hitlers von Nadolny angefertigten Aufzeichnung über den Stand
der deutsch-sowjetischen Beziehungen.
488 7. 6. Der Botschaiter in Moskau Nadolny an den Staatssekretär des
Auswärtigen Amts von Bülow 863
Nadolny rekapituliert die Erwägungen, die ihn zum Rücktritt
von seinem Moskauer Botschafterposten geführt haben.
(Siehe auch „Abrüstung und Völkerbund", „Baltische Staaten"
und „Ostpakt".)

LXVII
TSCHECHOSLOWAKEI

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

TSCHECHOSLOWAKEI
1933
51 8. 11. Der Gesandte in Prag Koch an das Auswärtige Amt 89
Koch gibt einen Überblick über die Entwicklung der DNSAP
und die nach ihrer Auflösung begonnenen Versuche, neue sude-
tendeutsche Organisationen ins Leben zu rufen.
56 9. 11. Der Gesandte in Prag Kocli an das Auswärtige Amt 98
Koch berichtet über eine Unterredung mit Benes über die
deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen. Es bestand Einver-
nehmen, daß Konflikte zwischen beiden Staaten und jede Art
von Kriegshysterie vermieden werden müßten. Benes hat eine
stillschweigende Übereinkunft über die Freilassung von politi-
schen Gefangenen vorgeschlagen.
68 15. 11. Aufzeichnung des Ministerialdirektors Köpke 123
Unterredung mit dem tschechoslowakischen Gesandten Mastny,
der in Prag eine Beruhigung der deutsch-tschechoslowakischen
Spannungen festgestellt haben will. Er hat Köpke vertraulieh
informiert, daß er kürzlidi von einer Persönlichkeit aus Hitlers
engerer Umgebung auf die Möglichkeit eines Nichtangriffspakts
zwischen Deutschland und der Tsechoslowakei angesprochen
worden sei.

83 23. 11. Das Auswärtige Amt an die Gesandtsdiatt in Prag 144


Antwort auf Dokument Nr. 56. Die Gesandtschaft wird angewie-
sen, vertraulich festzustellen, wie sich amtliche tschechoslowa-
kische Kreise die Realisierung der Vorschläge Benes' vorstellen.
128 14. 12. Der Sfaalssckreliir in der Reichskanzlei Lammers an den Reichs-
minister des Auswärligen Freiherrn von Neurath 222
Lammers übermittelt die Bitte Hitlers, das Auswärtige Amt solle
alles tun, um der Notlage der verfolgten sudetendeutschen Na-
tionalsozialisten abzuhelfen. Heß und Goebbels sollen zur Bera-
tung der erforderlichen Maßnahmen zugezogen werden.
132 17. 12 Der Gesandte in Prag Koai an das Ausvjärtige Amt 230
Koch unterbreitet Vorsehläge zur Linderung der Notlage der
sudetendeutschen Nationalsozialisten. Eine Hilfsaktion der
Reichsregierung könne im Augenblick nur finanzieller Natur
sein. Angesichts der Risiken solcher Hilfe müsse indessen mit
äußerster Vorsicht verfahren werden
137 19. 12. Aulzeichnung des Gesandtschaltsrats Hüller 243
Aufzeichnung über eine Ressortbesprechung, in der ein Beschluß
über finanzielle Hilfsmaßnahmen für die Mitglieder der verbote-
nen DNSAP gefaßt worden ist.
1934
180 12. 1. Aufzeichnung des Gesandtschaltsrats Hütfer 339
Während eines Besuchs in Prag hat Hüffer die mit der Hilfs-
aktion für die sudetendeutschen Nationalsozialisten im Zusam-
menhang stehenden Probleme erörtert. Er analysiert verschie-
dene Aspekte der deutsdi-tsdiechoslowakischen Beziehungen,
auch Gerüchte über Putsdipläne in Nordböhmen. Im Anhang
eine Verfügung Heß' betreffend nationalsozialistische Aktivi-
täten im Sudetengebiet.

LXVIII
TSCHECHOSLOWAKEI / UNGARN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
293 27. 2. Das Auswärtige Amt an den Gesandten in Prag Koch 537
Der Abschluß eines deutsch-tschechoslowakischen Abkommens
ähnlich der deutsch-polnischen Erklärung vom 26. Januar kommt
nach wie vor nicht in Frage.
330 19.3. Aulzeichnung des Wissenschattlichcn Hillsarbeiters Goeken 601
Aufzeichnung über eine Besprechung im Auswärtigen Amt über
sudetendeutsche Angelegenheiten. Der Gesdiäftsführer des
Volksdeutschen Rats Steinadler hat erklärt, daß in absehbarer
Zeit an eine nationalsozialistische politische Organisation in der
Tschechoslowakei nicht zu denken sei und daß Heß durch eine
Verfügung vorn 13. März dem Volksdeutschen Rat die alleinige
Zuständigkeit für sudetendeutsche Angelegenheiten übertragen
habe.
355 23.3. Der Gesandte in Prag Koch an Ministerialdirektor Köpke 653
In Vorbereitung einer Reise nach Berlin zur Besprechung von
sudetendeutschen Fragen übermittelt Koch eine Übersicht über
die aktuelle Lage.
361 28.3. Auizeichnung des Gesandtschaltsrats Hüller 664
Aufzeichnung über eine Unterredung zwischen Beamten des
Auswärtigen Amts und Steinadler über die durch die in Doku-
ment Nr. 330 wiedergegebene Entscheidung Heß' geschaffene
Lage. Es bestand Einverständnis darüber, daß die neue natio-
nale Bewegung der Sudetendeutschen sich selbständig und ohne
sichtbare Hilfe reichsdeutsdier Organisationen entwickeln müsse.
453 16.5. Der Gesandle in Prag Koch an das Auswärtige Amt 803
Koch beriditet über Gespräche betreffend das deutsch-tschecho-
slowakische Verhältnis mit Senator Kfepek und mit Benes, der
den Botschafter aufgefordert hat, die deutschen Beschwerden
schriftlich einzureichen.

UNGARN
1933
95 1. 12. Aulzeichnung des Ministerialdirektors Köpke 162
Der ungarische Gesandte Masirevich hat Köpke auf Gerüchte
über einen deutsch-tschechoslowakischen Nichtangriffspakt sowie
auf die deutsch-österreichischen Beziehungen angesprochen.
129 14. 12. Der Gesandte in Budapest von Mackensen an das Aus-
wärtige Amt 223
Mackensen berichtet über ein längeres Gespräch mit Gömbös
über die Minderheitenfrage. Gömbös beabsichtigt, zu diesem
Problem in naher Zukunft ein ausführliches Schreiben an Hitler
zu richten.
1934
175 11.1. Auizeichnung des Staatssekretärs des Auswärligen Amts
von Bülow 327
Masirevich hat eine mündliche Absprache bzw. einen geheimen
Notenwechsel über die deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehun-
gen vorgeschlagen, außerdem einen Konsultativpakt in bezug
auf die Kleine Entente und die deutsche bzw. ungarische Politik
gegenüber dieser und ihre einzelnen Mitglieder.

LXIX
UNGARN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
182 13. 1. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
den ungarischen Außenminister Känya 344
Die Reichsregierung erklärt sich bereit, in Wirtschaftsverhand-
lungen mit Ungarn einzutreten. Geheimrat Waldeck vom Reichs-
wirtschaftsministerium ist als Leiter der deutsehen Verhand-
lungsdelegation vorgesehen.

189 17. 1. Autzeichnung des Ministerialrats Thomsen (Reichskanzlei) 364


Vermerk über eine Chefbesprechung, in der entschieden worden
ist, daß Ungarn Zollpräferenzen eingeräumt werden sollen, um
italienischen Bemühungen um eine Zollunion zwischen Öster-
reich und Ungarn zuvorzukommen.

192 18. 1. Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 370
Neurath hat in einer Unterredung mit Masirevich die deutsche
Unterstützung der ungarischen Revisionsbestrebungen bekräftigt.
Weitere Gesprächsthemen waren die Frage eines deutsch-unga-
rischen Nichtangriffspakts und das Problem der deutschen Min-
derheiten in Ungarn.

216 24. 1. Aulzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts


von Bülow 407
Bülow hat in einer Unterredung mit Masirevich zu den in Doku-
ment Nr. 175 enthaltenen ungarischen Vorschlägen Stellung ge-
nommen.
252 14.2. Der ungarische Minislerpräsi'denf Gömbös an Reichskanzler
Hitler 466
Gömbös erläutert ausführlich seine Haltung in der Frage der
deutsehen Minderheiten in Ungarn und des Verhältnisses zwi-
schen deutschen und ungarischen Minderheiten in den sog.
Nachfolgestaaten.

288 28. 2. Der Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers an den Reichs-


minister des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 529
Lammers übermittelt die Reaktion Hitlers auf den Brief Göm-
bös' vom 14. Februar (Dokument Nr. 252) und bittet das Aus-
wärtige Amt um Vorlage eines Antwortentwurfs.

290 28. 2. Der Gesandte in Budapest von Mackensen an das Auswärtige


Amt 531
Bericht Mackensens über eine vertrauliche Unterredung mit
Horthy. Der Reichsverweser hat über seine jüngsten Gespräche
mit Dollfuß und Suvich berichtet und sich sehr darauf bedacht
gezeigt, daß seine Ausführungen zum deutsch-österreiehisehen
Konflikt sowie über die deutsch-ungarischen Beziehungen zur
Kenntnis Hitlers gelangen.

322 13. 3. Das Auswärtige Amt an den Staatssekretär in der Reichskanzlei


Lammers 588
Übermittlung einer Aufzeichnung über die Bedeutung zweier
Wirtschaftsvereinbarungen mit Ungarn, die am 21. Februar in
Budapest unterzeichnet worden sind.

LXX
UNGARN / VATIKAN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
371 29.3. Der Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers an den
Reichsminister des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 676
Lammers teilt mit, daß Hitler vorerst von einer Beantwortung
des Briefes Gömbös' vom 14. Februar (Dokument Nr. 252) ab-
sehen möchte.

444 10. 5. Der Gesandte in Budapest von Mackensen an den Reichsminister


des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 790
Mackensen übermittelt eine streng vertrauliehe Aufzeichnung
über eine Unterredung mit Känya. Känya hat die Überzeugung
Horthys dargelegt, daß die Beilegung des deutsch-österreichi-
schen Konflikts zur Verhinderung einer Habsburger-Restau-
ration beitragen werde.

455 18. 5. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an


den Gesandten in Budapest von Mackensen 807
Neurath hat die in Dokument Nr. 444 übermittelten Vorstellun-
gen Horthys mit Hitler erörtert. Sowohl Neurath als auch Hitler
glauben, daß eine ungarische Intervention in Wien mit dem
Ziel der Beilegung des deutsch-österreichischen Konflikts zur
Zeit wenig sinnvoll ist.

480 4. 6. Der Gesandle in Budapest von Mackensen an den Reichsminister


des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 850
Mackensen berichtet, daß Känya sieh bei der Unterrichtung
über den Inhalt des Dokuments Nr. 455 weder überrascht noch
enttäuscht gezeigt hat.
(Siehe auch „Italien".)

VATIKAN
1933
3 16. 10. Der Botschaiter beim Heiligen Stuhl von Bergen an das Aus-
wärtige Amt 3
Kardinalstaatssekretär Pacelli hat Bergen mitgeteilt, daß Papst
Pius XI. weiter auf der Absendung einer Protestnote wegen
der Verletzungen des Konkordats durch die Reichsregierung be-
stehe. Abschätzung der in der Politik des Vatikans erkennbar
werdenden Einflüsse.

6 17. 10. Der Botschalter beim Heiligen Stuhl von Bergen an das Aus-
wärtige Amt 8
Bergen berichtet über eine Unterredung mit Pacelli, der dem
Papst empfehlen wird, der Aufnahme von Verhandlungen mit
Ministerialdirektor Buttmann über die bestehenden Differenzen
hinsichtlich der Durchführung des Konkordats zuzustimmen.

17 19. 10. Kardinalstaatssekretär Pacelli an den Botschalter beim Heiligen


Stuhl von Bergen 23
Pacelli hat Bergen zur Weiterleitung an Buttmann ein Prome-
moria über die päpstlichen Besehwerden hinsichtlieh der Durch-
führung des Konkordats überreicht.

LXXI
VATIKAN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1933
64 11. 11. Der Stellvertreter des Reichskanzlers von Papen an den Bot-
schaiter beim Heiligen Stuhl von Bergen 110
Papen berichtet über seine Bemühungen, mit dem katholischen
Episkopat zu einer Verständigung über die Beilegung der zwi-
schen Reichsregierung und Vatikan bestehenden Differenzen zu
gelangen.

85 24. 11. Auizeichnung des Vortragenden Legationsrats Menshausen 147


Aufzeichnung über eine Unterredung mit Ministerialdirektor
Jäger vom preußischen Kultusministerium über die Wahl des
Bischofs Bares von Hildesheim zum Bischof von Berlin. Im
preußischen Kultusministerium und im Auswärtigen Amt be-
stehen entgegengesetzte Meinungen. Hitlers persönliche Ent-
scheidung soll angerufen werden.

98 3. 12. Der Botschaiter beim Heiligen Stuhl von Bergen an das Aus-
wärtige Amt 170
Bergen berichtet, Pacelli empfinde das Ausbleiben jeglicher
Nachrichten seitens Buttmanns als Mangel an Courtoisie. Der
Botschafter empfiehlt, Buttmann solle dem Kardinalstaatssekre-
tär möglichst bald seine Bereitschaft zur Fortsetzung der Ver-
handlungen mitteilen.

121 12. 12. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
die Botschatt beim Heiligen Stuhl 205
Die Reidisregierung hat den Willen, die Verhandlungen mit
dem Heiligen Stuhl über die schwebenden Streitfragen fortzu-
führen, sie erwartet aber keine sofortigen abschließenden Ver-
einbarungen.

133 Aulzeichnung ohne Unterschritt 233


Undatierte Aufzeichnung über eine Unterredung zwischen Butt-
mann und Pacelli am 18. Dezember. Pacellis Gravamina und
Buttmanns Antworten.

134 18. 12. Aulzeichnung des Vortragenden Legationsrats Menshausen 239


Weiterleitung einer Stellungnahme Hitlers zu den von Buttmann
und Pacelli erörterten Streitfragen (Dokument Nr. 133). Butt-
mann sollen Instruktionen im Sinne dieser Stellungnahme zuge-
leitet werden.

135 19. 12. Ministerialdirektor Buttmann (Reichsministerium des Innern) an


Kardinalstaatssekretär Pacelli 240
Buttmann erklärt in diesem Schreiben die Haltung der Reidis-
regierung zu den am Vortage in seiner Unterredung mit Pacelli
erörterten Punkten.

136 Aulzeichnung ohne Untersdirilt 241


Undatierte Aufzeichnung über eine Unterredung zwischen Butt-
mann und Pacelli über die in Buttmanns Brief vom 19. Dezem-
ber (Dokument Nr. 135) enthaltenen Darlegungen und über die
Erfolgsaussichten weiterer Verhandlungen.

LXXII
VATIKAN

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1933
149 27. 12. Der Botschaiter beim Heiligen Stuhl von Bergen an das Aus-
wärtige Amt 270
Papst Pius XI. hat in einer Unterredung mit Bergen Kritik an
der Entwicklung in Deutschland geübt. Bergen hat anschließend
mit Pacelli die Ausführungen des Papstes sowie den Weih-
nachtshirtenbrief der österreichischen Bisehöfe erörtert.

152 28. 12. Der Botschaiter beim Heiligen Stuhl von Bergen an den Reichs-
minister des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 276
Bergen rät zu einer schriftlichen Antwort auf das päpstliche
Promemoria vom 19. Oktober (Dokument Nr. 17). Die Antwort
müsse so abgefaßt sein, daß sie mögliche Absichten des Vati-
kans durchkreuze, über die Differenzen zwischen der Reichsre-
gierung und dem Heiligen Stuhl hinsichtlich des Konkordats
ein Weißbuch zu veröffentlichen.
1934
177 11. 1. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an
den Botschaiter beim Heiligen Stuhl von Bergen 331
Neurath übermittelt den Text eines Memorandums, das eine
Antwort auf verschiedene Memoranden und Noten des Heiligen
Stuhls betreffend die Durchführung der Konkordatsbestimmun-
gen darstellt und das Bergen Pacelli überreichen soll.

232 31. 1. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an


die Bolschait beim Heiligen Stuhl 430
Übermittlung des Inhalts einer Note, die Bergen dem Kardinal-
staatssekretär übermitteln soll. In der Note wird Klage geführt
über die zweideutige Haltung vieler katholischer Geistlicher
in Deutschland gegenüber der nationalsozialistischen Regierung.
Der Vatikan wird gebeten, durch zentrale Instruktion eine posi-
tivere Haltung des Klerus herbeizuführen.

239 5. 2. Der Botschalter beim Heiligen Stuhl von Bergen an das Aus-
wärtige Amt 441
Bemerkungen Bergens zu einer Note des Heiligen Stuhls vom
31. Januar, die das Memorandum der Reiehsregierung vom
15. Januar (Dokument Nr. 177) beantwortet hat, und zu der
Rolle des Prälaten Kaas in Rom.

265 16. 2. Der Botschalter beim Heiligen Stuhl von Bergen an das Aus-
wärtige Amt 491
Der Heilige Stuhl erwägt angeblich erneut die Publikation eines
Weißbuches, um seine Haltung in der Auseinandersetzung mit
der Reichsregierung öffentlich zu rechtfertigen. Bergen regt an,
Beschwerdematerial gegen deutsche Geistliche zusammenzustel-
len.

272 20. 2. Der Jugendiührer des Deutschen Reiches von Schirach an den
Stellvertreter des Reichskanzlers von Papen 506
Schirach gibt sein Einverständnis zu Richtlinien für die Einglie-
derung der katholischen Jugendorganisation in die Hitler-
jugend.

LXXIII
VATIKAN / VEREINIGTE STAATEN V O N AMERIKA

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
370 29. 3. Der Botschaiter beim Heiligen Stuhl von Bergen (z. Z. Berlin)
an den Reichsminister des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 675
In einer Besprechung über das deutsche Verhältnis zum Vatikan
hat Hitler für die Verhandlungen Buttmanns Weisungen hin-
sichtlich der katholischen Jugendorganisation erteilt.
383 7. 4. Der Stellvertreter des Reichskanzlers von Papen an den Bot-
schalter beim Heiligen Stuhl von Bergen 696
Überblick über das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und
Staat in Deutschland. Erörterung von Möglichkeiten zur Bei-
legung der gegenwärtigen Differenzen.
406 18. 4. Runderlaß des Auswärtigen Amts 735
Unterrichtung der Auslandsvertretungen über die Haltung der
Reichsregierung in der Auseinandersetzung mit der katholi-
schen Kirche über die Durchführung des Konkordats. Die Reichs-
regierung beabsichtige nicht, eine antichristliche Politik einzu-
leiten, könne aber den Mißbrauch von Kanzel, Beichtstuhl,
Schule und kirchlichen Vereinen zur Agitation nicht dulden.
463 24. 5. Der Botschaiter beim Heiligen Stuhl von Bergen an den Reichs-
minister des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 823
Bergen schlägt vor, daß die neue Beschwerdenote des Heiligen
Stuhls Hitler vorgelegt wird. Sofern sich die Reichsregierung
nicht zu einer Bereinigung der schwebenden Fragen und zur Er-
füllung der übernommenen Verpflichtungen entschließt, erseheint
ein Zusammenstoß unvermeidlich. Ein päpstlicher Vorwurf der
mangelnden Vertragstreue würde von anderen Mächten, wie
z. B. Frankreich, sicher gern aufgegriffen werden, um die Glaub-
würdigkeit aller von Deutsehland vorgeschlagenen Abmachungen
und Verpflichtungen von vornherein in Zweifel ziehen zu kön-
nen.

VEREINIGTE STAATEN VON AMERIKA


1933
5 16. 10. Aulzeichnung des Vortragenden Legationsrats Fuehr 5
Fuehr berichtet über den Besuch zweier Parteigenossen aus
New York, die nach Berlin gekommen sind, um die sofortige
Abstellung jeglicher parteipolitischen Betätigung der national-
sozialistischen Partei in den USA zu fordern. Eine entspre-
chende Anordnung, die mit Bohle abgesprochen und von Heß
genehmigt ist, soll an das Generalkonsulat in New York und
an die Botschaft in Washington übermittelt werden.
Anmerkung der Herausgeber 12
Unterredung Hitlers mit Botschafter Dodd am 17. Oktober.
139 20. 12. Autzeichnung des Vortragenden Legationsrats Fuehr 246
Aufzeichnung über die antideutsche Kampagne in New York,
über den gegen Spanknöbel wegen unterlassener Registrierung
als Beauftragter einer fremden Macht eingeleiteten Prozeß und
über die von Dickstein im Repräsentantenhaus geleiteten
Hearings über nationalsozialistische Agententätigkeit in den
USA.

LXXIV
VEREINIGTE STAATEN VON AMERIKA

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
248 11.2. Der Botschalter in Washington Luther an das Auswärtige Amt 456
Luther warnt davor, die im Oktober 1933 erlassenen Richtlinien
betreffend den Bund der Freunde des Neuen Deutsehland (Doku-
ment Nr. 5) wieder zu ändern und nationalsozialistische Orts-
gruppen in den USA neu zu gründen.

259 16. 2. Ministerialdirektor Dieckholl an die Botschalt in Washington 480


Unterrichtung, daß die Auslandsabteilung der NSDAP allen
Parteimitgliedern in den USA in einem Rundschreiben die Mit-
gliedschaft im Bund der Freunde des neuen Deutschland ver-
boten hat.

284 27. 2. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an


die Botschalt in Washington 524
Weisung, der amerikanischen Regierung die Aufnahme von
Verhandlungen über eine Verbesserung des deutsch-amerika-
nischen Handelsverkehrs vorzuschlagen. Eine deutsche Dele-
gation könne nach Washington entsandt werden.

294 3.3. Der Botschalter in Washington Luther an das Auswärtige Amt 538
Luther berichtet, er habe Außenminister Hüll den in Dokument
Nr. 284 enthaltenen Vorschlag unterbreitet, daß zur Erörterung
der deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen eine deut-
sche Delegation nach Washington entsandt werden könne. Hüll
habe den Gedanken begrüßt, halte jedoch den gegenwärtigen
Zeitpunkt für derartige Verhandlungen für ungeeignet.

295 3. 3. Der Botschaiter in Washington Luther an das Auswärtige Amt 539


Luther berichtet, er habe im State Department gegen die ge-
plante Abhaltung einer Anti-Hitler-Veranstaltung in Form eines
Mode trial am 7. März in New York mehrfach Protest eingelegt.

297 5.3. Aufzeichnung des Reichsminisiers des Auswärtigen Freiherrn


von Neurath 542
Neurath hat Dodd erklärt, daß ernste Folgen für die deutsdi-
amerikanisdien Beziehungen zu erwarten seien, wenn das für
den 7. März in New York geplante Mode trial nicht unterbleibe.
Neurath hat dem Botschafter eine Aufzeichnung über die anti-
deutsche Agitation in den USA überreicht.

298 5. 3. Ministerialdirektor Dieckholi an die Botschalt in Washington 543


Dieckhoff antwortet auf Dokument Nr. 295 und informiert die
Botschaft über die Unterredung Neuraths mit Dodd (Dokument
Nr. 297).

302 7. 3. Der Botschalter in Washington Luther an das Auswärtige Amt 551


Luther berichtet, daß er bei Unterstaatssekretär Phillips erneut
gegen die New Yorker Veranstaltung am 7. März Protest einge-
legt habe. Phillips habe erklärt, daß die amerikanische Regie-
rung das Gesehehen zutiefst bedauere und das Justizministe-
rium mit der Angelegenheit befaßt habe. Die Bundesregierung
besitze aber keine Handhabe, um den Staat New York um ein
Verbot der Veranstaltung ersuchen zu können.

LXXV
VEREINIGTE STAATEN V O N AMERIKA

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
307 8. 3. Der Bolsdiatter m Washington Luther an das Auswärtige Amt 559
Bericht über den Verlauf der Anti-Hitler-Kundgebung vom
7. März in New York. Luther sehlägt vor, die Angelegenheit
nach außen hin zu ignorieren, aber auf diplomatischer Ebene
unter Hinweis auf Einzelheiten der Veranstaltung scharfen
Protest zu erheben.

315 10. 3. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die
Botschalt in Washington 569
Bülow erklärt sich mit dem in Dokument Nr. 307 enthaltenen
Vorschlag einverstanden, daß die Anti-Hitler-Kundgebung nach
außen hin ignoriert werden soll. Luther wird angewiesen, er-
neut im State Department Protest einzulegen und zu erklären,
daß die deutsch-amerikanischen Beziehungen durch ständige
Verhetzung einer schweren Belastung unterworfen würden.

319 12.3. Auizeichnung des Ministerialdirektors Dieckholl 581


Dieckhoff vermerkt, daß Botschafter Dodd, der zum Urlaub in
die USA reist, ihn auf die Möglichkeit einer Botschaft Hitlers
an Roosevelt hingewiesen hat. Dies sei bereits mit Hitler be-
sprochen. Dieckhoff bittet Neurath um Weisung, ob die Ange-
legenheit weiter verfolgt werden soll.

325 14. 3. Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an


das Generalkonsulat in New York 595
Weisung, Botschafter Dodd bei der Durchreise eine Botschaft
Hitlers an Roosevelt auszuhändigen.

337 20. 3. Ministerialdirektor Dieckholl an die Botschatt in Washington 624


Dieckhoff weist auf eine Agenturmeldung hin, nach der der Kon-
greßabgeordnete Didvstein eine Untersuchung der Aktivität der
Nationalsozialisten in den USA vorgeschlagen habe. Anfrage an
Luther, ob er eine Möglichkeit sehe, die Untersuchung abzu-
biegen.

347 22. 3. Der Botsdialter in Washington Luther an das Auswärtige Amt 637
Bericht über eine Sitzung des Repräsentantenhauses, in der die
Gesetzesvorlage für die Einsetzung eines Ausschusses zur
Untersudiung nationalsozialistischer Umtriebe in den USA ange-
nommen wurde.

356 24. 3. Der Botschaiter in Washington Luther an das Auswärtige Amt 655
Luther berichtet über eine Unterredung mit Hüll, in der er wei-
sungsgemäß gegen die antideutsche Propaganda in den Ver-
einigten Staaten protestiert hat

359 27. 3. Der Botschaiter in Washington Luther an das Auswärtige Amt 660
Luther berichtet, bei einem von Hüll in der in Dokument
Nr. 356 wiedergegebenen Unterredung angesprochenen Schrift-
stück handele es sich um die Aufzeichnung zur Unterredung
Neuraths mit Dodd vom 5. März (Dokument Nr. 297).

LXXVI
VEREINIGTE STAATEN VON AMERIKA

Nummer Datum Titel und Inhalt Seite

1934
367 29. 3. Die amerikanische Botschatt in Berlin an den Reichsminister
des Auswärtigen Freiherrn von Neurath 673 -^
Der amerikanische Geschäftsträger übermittelt Neurath, in Er-
widerung der von Hitler an Roosevelt gesandten Botschaft
(Dokument Nr. 325), eine Botschaft Roosevelts an Hitler.
395 10. 4. Aulzeichnung des Ministerialdirektors Diedihoii 720
Aufzeidinung über eine Unterredung mit dem amerikanischen
Geschäftsträger, der ein Aide-memoire mit der Stellungnahme
der amerikanischen Regierung zu der am 5. März Dodd über-
gebenen Aufzeichnung überreicht hat.
410 20. 4. Der Botschaiter in Washington Luther an das Auswärtige Amt 741
Unter Hinweis auf Dokument Nr. 259 berichtet Luther, Kapitän
Mensing habe ihn gebeten, beim Department of State festzu-
stellen, ob gegen die Bestellung eines NS-Vertrauensmannes
in den Vereinigten Staaten wie auch gegen die Ernennung eines
Kassierers für die Beitragseinziehung Bedenken bestünden.
Das State Department habe auf seine Anfrage ablehnend reagiert,
mit der Begründung, jede Form des Obergreifens der NSDAP
auf die Vereinigten Staaten würde von vielen amerikanischen
Bürgern übel vermerkt werden.

457 22. 5. Das Auswärtige Amt an die Botschait in Washington 813


Weisung, der amerikanischen Regierung nochmals unter Hin-
weis auf die Dringlichkeit von Verhandlungen die Entsendung
einer deutschen Handelsdelegation nach Washington vorzu-
schlagen.
(Siehe auch „Abrüstung und Völkerbund" und „Finanzfragen".)

LXXVII
DOKUMENTE
Nr. 1 14. OKTOBER 1933

Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk *)


BERLIN, den 14. Oktober 1933

Die deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk sind sich einig in
dem Willen, eine Politik des Friedens, der Versöhnung und der Verständi-
gung zu betreiben, als Grundlage aller Entschlüsse und jedes Handelns.
Die deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk lehnen daher die
Gewalt als ein untaugliches Mittel zur Behebung bestehender Differenzen
innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft ab.
Die deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk erneuern das Be-
kenntnis, jeder tatsächlichen Abrüstung der Welt freudig zuzustimmen, mit
der Versicherung der Bereitwilligkeit, auch das letzte deutsche Maschinen-
gewehr zu zerstören und den letzten Mann aus dem Heere zu entlassen,
insofern sich die andern Völker zu gleichem entschließen.
Die deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk verbinden sich in
dem aufrichtigen Wunsche, mit den anderen Nationen einschließlich aller
unserer früheren Gegner im Sinne der Überwindung der Kriegspsychose
und zur endlichen Wiederherstellung eines aufrichtigen Verhältnisses unter-
einander alle vorliegenden Fragen leidenschaftslos auf dem Wege von Ver-
handlungen prüfen und lösen zu wollen.
Die deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk erklären sich daher
auch jederzeit bereit, durch den Abschluß kontinentaler Nichtangriffspakte
auf längste Sicht den Frieden Europas sicherzustellen, seiner wirtschaft-
lichen Wohlfahrt zu dienen und am allgemeinen kulturellen Neuaufbau
teilzunehmen.
Die deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk sind erfüllt von der
gleichen Ehrauffassung, daß die Zubilligung der Gleichberechtigung
Deutschlands die unumgängliche moralische und sachliche Voraussetzung
für jede Teilnahme unseres Volkes und seiner Regierung an internationalen
Einrichtungen und Verträgen ist.
Die deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk sind daher eins in
dem Beschlüsse, die Abrüstungskonferenz zu verlassen und aus dem
Völkerbund auszuscheiden,2) bis diese wirkliche Gleichberechtigung unse-
rem Volke nicht mehr vorenthalten wird.
Die deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk sind entschlossen,
lieber jede Not, jede Verfolgung und jegliche Drangsal auf sich zu nehmen,

*(l) Der Text des Aufrufs wurde nachgedruckt aus Dokumente der Deutschen Politik, Bd. I,
7. Auflage, Berlin 1942, S. 115-16. Hitler persönlich erließ am 14. Oktober ebenfalls
einen Aufruf an das deutsche Volk und hielt außerdem am Abend des gleichen Tages
eine Rundfunkansprache. Der Aufruf Hitlers ist abgedruckt ebenda, S. 113-15: eine
englische Übersetzung findet sich in Documents on International Allairs, 1933, S. 287-89.
Die Rundfunkrede Hitlers ist abgedruckt in Dokumente der Deutschen Politik, Bd. I,
S. 116-25; Auszüge in englischer Übersetzung finden sieh in Documents on International
Allairs, 1933, S. 289-94.
Siehe auch Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 499.
(2) Neurath übermittelte Avenol am 19. Oktober die offizielle Mitteilung des deutsehen
Austritts aus dem Völkerbund (8692/E 607 636).

11,1 Bg. 1
Nr. 2 16. OKTOBER 1933

als künftighin Verträge zu unterzeichnen, die für jeden Ehrenmann und für
jedes ehrliebende Volk unannehmbar sein müssen, in ihren Folgen aber nur
zu einer Verewigung der Not und des Elends des VersaiUer Vertrags-
zustandes und damit zum Zusammenbruch der zivilisierten Staatengemein-
schaft führen würden.
Die deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk haben nicht den
Willen, an irgendeinem Rüstungswettlauf anderer Nationen teilzunehmen,
sie fordern nur jenes Maß an Sicherheit, das der Nation die Ruhe und
Freiheit der friedlichen Arbeit garantiert. Die deutsche Reichsregierung und
das deutsche Volk sind gewillt, diese berechtigten Forderungen der deut-
schen Nation auf dem Wege von Verhandlungen und durch Verträge sicher-
zustellen.
Die Reichsregierung richtet an das deutsche Volk die Frage: Billigt das
deutsche Volk die ihm hier vorgelegte Politik seiner Reichsregierung und
ist es bereit, diese als den Ausdruck seiner eigenen Auffassung und seines
eigenen Willens zu erklären und sich feierlich zu ihr zu bekennen? s)
DIE REICHSREGIERUNG
(3) Hitler gab in seinem Aufruf (siehe Anm. 1) bekannt, er habe dem Reichspräsidenten
empfohlen, die Politik der Reichsregierung dem deutschen Volke zur Stellungnahme
vorzulegen und Neuwahlen zum Reichstag abzuhalten. Als Datum wurde der 12. Novem-
ber festgelegt.

2
7467/H 178 874-75
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow
an die Botschaft in Rom
Telegramm
Nr. 247 BERLIN, den 16. Oktober 1933 11 Uhr 30
zu II F. Abr. 3298 »)
Auf Tel[egramme Nr.] 229 und 2302).
Hinweis auf Rom-Pakt3) für uns unmöglich, da dieser besonders in
Präambel mit Völkerbundsgrundsätzen durchsetzt, was Franzosen bequemen
Vorwand zur Ablehnung seiner Anwendung gibt. Ablehnung eines deut-
schen Verhandlungsangebots wäre schwere Niederlage für uns. Rom-Pakt
kommt für uns erst in Frage, wenn sichergestellt, daß übrigen Mächte
bereit ihn anzuwenden.
Letzter italienischer Vermittelungsvorschlag 4) keine Verhandlungsbasis,
da er in gemilderter Form die Grundsätze Simons wiedergibt und nicht von

*(l) II F.Abr. 3298: Telegramm Hasseils Nr. 229 vom 14. Oktober, abgedruckt in Serie C,
Bd. 1,2, Dokument Nr. 500.
(2) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 502.
(3) Der Text des Viermächtepakts ist abgedruckt in Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 292.
*(4) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 494.

2
Nr. 3 16. OKTOBER 1933

Gleichberechtigung ausgeht. Er sollte stillschweigend ohne unsere ausdrück-


liche Ablehnung begraben werden.
BÜLOW 5)

*(5) Randvermerk: .Hat dem Herrn RM vorgelegen. V[öldcer]s 16. 10."

3
8115/E 580 081-83
Der Botschafter beim Heiligen Stuhl von Bergen an das Auswärtige Amt
Telegramm
Vertraulich ROM (VAT.), den 16. Oktober 1933 13 Uhr 45
Nr. 71 vom 15.10. Ankunft: 16. Oktober 15 Uhr 55
II Vat. 451
Im Anschluß an Tel[egramm Nr.] 70 vom 14. [10.] *)
Für Reichsminister.
Bei Abwicklung wichtiger Aktionen und Ausgleich von Differenzen bildet
die Starrheit und Unberechenbarkeit Papstes 2 ) oft schwere Hemmungen, die
selbst der einflußreiche und realpolitisch eingestellte Kardinalstaatssekretär
nicht mehr zu beheben vermag. Dies Hindernis war bei Konflikt zwischen
Kurie und italienischer Regierung im Jahre 1931 deutlich erkennbar, des-
gleichen bei der Ratifizierung,3) die Botschaftsrat Klee während meines
Urlaubs nur mit größter Mühe vor Antritt Erholungsurlaubs Kardinalstaats-
sekretärs in der Schweiz durchsetzen konnte, und macht sich jetzt wieder
störend geltend. Kardinal Pacelli hat sein Versprechen erfüllt und nach
unserer telegrafisch gemeldeten Unterhaltung 4 ) Papst Vortrag gehalten.
Papst äußerte darauf nach freundlichen Bemerkungen über meine Person,
daß er trotz aller neu vorgebrachten Argumente es für nötig erachte, an
seiner Weisung festzuhalten, er wünscht sogar eine sehr scharfe Form der
abzusendenden Protestnote. Kardinal war im Begriff, diesem Befehl zu ent-
sprechen, hat aber unter Druck unserer neuen ernsten Darlegungen be-
schlossen, nochmals beim Papst vorstellig zu werden.
Kardinal erklärte sich wiederholt gern bereit, Ministerialdirektor Butt-
mann jeden Augenblick zu empfangen und in Besprechungen mit ihm einzu-
treten; 5) ich erwiderte, daß ich dessen Entsendung nach Rom nicht be-
antragen würde, solange die Protestdrohung schwebt, daß die Protestein-

(1) Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 501.


*P) Pius XI.
(3) Gemeint ist die Ratifizierung des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und der
Reichsregierung. Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokumente Nr. 419 und 422 sowie ebenda die
Anmerkung der Herausgeber nach Dokument Nr. 422, S. 780.
(4) Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 501.
(5) Buttmann war als Vertreter der Reiehsregierung für Verhandlungen mit dem Heiligen
Stuhl über die Durchführung des Reichskonkordats vorgeschlagen worden.

3
Nr. 3 16. OKTOBER 1933

legung die Aufnahme von Verhandlungen sehr erschwere, vielleicht unmög-


lich machen würde und daß eine Coramierung Reichsregierung durch den
Papst in einer Allokution die scharfen [sie] Folgen nach sich ziehen müsse.
Wolle die Kurie einen Konflikt, so würde ich ihm nicht ausweichen; ein
solcher müsse uns aber von dem Ziel abtreiben, dem der Kardinal und ich
bisher stets zugestrebt: die allgemeine Befriedung und die Aufrecht-
erhaltung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl
und dem Reich.
Die in vorgeschriebenen Zwischenräumen auszuführende visitatio ad
limina der deutschen Bischöfe verteilt sich im allgemeinen über das ganze
Jahr; diesmal hat eine große Anzahl von ihnen kürzlich gleichzeitig in Rom
geweilt, oder sie sind schnell aufeinander gefolgt. Die Bischöfe haben jetzt
mehr oder weniger zahlreiche bewegte Klagen beim Papst vorgebracht und
um energische Abstellung der Mißstände gebeten, gleichzeitig aber ein
maßvolles Vorgehen angeregt. Dies gilt in erster Linie vom Kardinal
Bertram, wider Erwarten auch von bayerischen Bischöfen trotz ihrer beson-
ders schweren Beschwerden; dieselben aussprechen sich über Reichsstatt-
halter für Bayern 6 ) und den Ministerpräsidenten 7 ) sehr anerkennend, klag-
ten dahingegen bitter über die Haltung Kultusministers 8 ) und Innen-
ministers 9 ). Die in kurzen Abständen erfolgten Audienzen der deutschen
Bischöfe, die fast tägliche Abladung und Anhäufung von Beschwerden haben
in steigendem Maße zu den jetzt unliebsamen Bemerkungen Verstimmung
Papstes beigetragen. Gefühlsmäßig, nicht positiv nachweisbar, verdichtet
sich bei mir Eindruck, daß von Wien aus stark auf eine öffentliche Kund-
gebung des Papstes gegen uns gedrängt wird mit der Begründung, daß die
deutschfreundliche Haltung des Papstes, seine Reserve gegenüber der
konkordatswidrigen Behandlung Katholiken in Deutschland die Gläubigen
in Österreich irre machen müsse, so daß sie den gegnerischen National-
sozialismus stärken und die Stellung Regierung auf die Dauer gefährlich
schwächen würde. Österreich erfreut sich im Vatikan gegenwärtig beson-
derer Sympathien, und man wird daselbst gern alles vermeiden, was für
Land und Regierung abträglich sein könnte. - Beim italienischen Botschaf-
ter 10) fand ich bis jetzt weitgehendes freundliches Verständnis für das neue
Deutschland und mehrfach eine indirekte Unterstützung meiner Darlegun-
gen. Es liegt aber auf der Hand, daß seine Worte und Handlungen sich nach
jeweiligen Ansichten Mussolinis richten, dem er sehr nahesteht, und es ist
daher verständlich, daß er sich jetzt Gedankengänge zu eigen macht, die in
dem bekannten Artikel Popolo d' Italia „Gli Unterführer" ") wiedergegeben
wurden.
BERGEN

(6) Epp.
P) In der Vorlage heißt es: .die Minister". Der Text wurde nach einer anderen Ausferti-
gung des Dokuments aus den Akten der Botschaft Vatikan (8125/E 581 730-32) richtig-
gestellt. Bayerischer Ministerpräsident war Siebert.
(8) Sdiemm.
(») Wagner.
(10) Vecchi di Val Cismon.
(ii) Der Hinweis bezieht sich auf einen Artikel, der sich mit Fällen ungerechtfertigter
Befehlsanmaßung durch nachgeordnete deutsche Stellen beschäftigte. Er war am 5. Okto-
ber u. a. im Messagero nachgedruckt worden und ist gefilmt unter 8125/E 581 733.

4
Nr. 5 16. OKTOBER 1933

4
7467/H 178 877
Der Botschafter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 232 v o m 16. 10. ROM (QUIR.), d e n 16. O k t o b e r 1933 20 Uhr
Ankunft: 16. Oktober 23 Uhr 15
II F. Abr. 3326
Auf Telegramm Nr. 247 v o m 16. [10.] »)
Meine Telegramme Nr. 229 2) u n d 230 3 ) gingen, da mir anderes nicht mit-
geteilt war, d a v o n a u s , d a ß w i r n u r a u s Abrüstungskonferenz ausgetreten
seien. In diesem Sinne h a b e ich mit Mussolini gesprochen und h a t er seine
A n r e g u n g gegeben. Nachdem ich eine halbe Stunde nach Besprechung mit
Mussolini durch Zeitungsleute Austritt aus Völkerbund erfahren hatte,
h a b e ich Mussolini dies privatbrieflich mitgeteilt und ihn auf Grund tele-
fonischer Rücksprache mit Baron v o n Neurath durch Mitglied italienischen
Außenministeriums v e r s t ä n d i g e n lassen, daß durch Austritt aus Völkerbund
neue Sachlage geschaffen, die natürlich Hinweis auf Viererpakt in Kanzler-
rede unmöglich mache.
HASSELL

(1) Dokument Nr. 2.


(2) Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 500.
(3) Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 502.

5
K 1052/K 269 239-42
Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Fuehr
BERLIN, d e n 16. O k t o b e r 1933
III A. 3376
AUFZEICHNUNG

Von Herrn Generalkonsul Dr. Kiep eingeführt, erschienen heute bei dem
Unterzeichneten im A u s w ä r t i g e n Amt Herr Kapitän F. C. Mensing v o n d e r
New Yorker A g e n t u r d e s Norddeutschen Lloyd und Herr W a l t e r H. Schel-
lenberg ') v o n der Firma Robert C. M e y e r & Co. in N e w York, mit denen
in Gegenwart d e s d e m G e n e r a l k o n s u l a t in N e w York zugeteilten Attaches

(1) In den Unterlagen über eine spätere Vernehmung vor einem amerikanischen Kongreß-
ausschuß wurde der Name „Schallenberg" geschrieben. Siehe fnves/igafion of Nazi
Propaganda Activities and Investigation oi Cerlain Olher Propaganda Activities:
Hearings before the House Special Committee on Un-American Activities, 73rd. Cong.,
2nd sess., Hearings Nr. 73-NY 7 (July 9-12, 1934), S. 145-55.

5
Nr. 5 16. OKTOBER 1933

Dr. Schütter eine eingehende Unterredung betreffend die Betätigung der


NSDAP in den Vereinigten Staaten stattfand.
Die Herren Mensing und Schellenberg, die Pg. Pg. sind, erklärten, sich
speziell zu dem Zwecke nach Deutschland begeben zu haben, um bei der
Parteileitung sofortige Abstellung jeglicher parteilichen Betätigung der
NSDAP in den Vereinigten Staaten zu veranlassen, da eine solche Betäti-
gung nach ihrer Überzeugung die deutschen Belange jeder Art in diesem
Lande auf das schwerste zu gefährden geeignet ist. Sie bemerkten, daß sie
von der Aktion des Congressman Samuel Dickstein,2) die die Richtigkeit
ihrer Auffassung besonders unterstreicht, erst nach ihrer Ankunft in
Deutschland gehört hätten.
Zur Erreichung des gedachten Zweckes haben die beiden Herren mit
Unterstützung des Herrn Generalkonsuls Kiep mit dem Führer des Gaues
Ausland, Herrn Ernst Bohle in Hamburg, folgendes vereinbart:
1. Parteigenossen können nur Reichsangehörige sein.
2. Den in den Vereinigten Staaten lebenden Parteigenossen ist jegliche
parteiliche Betätigung strengstens untersagt. Sie unterstehen als Einzel-
mitglieder ausnahmslos dem Führer des Gaues Ausland in Hamburg.
3. Der mit einem ursprünglich tatsächlich erteilten, indessen längst wider-
rufenen Parteiauftrag in den Vereinigten Staaten weilende Pg. Spanknöbel
wird angewiesen werden, die Leitung des „Bundes der Freunde des Neuen
Deutschlands" einem amerikanischen Bürger zu übergeben.
4. Gegen die Zugehörigkeit der Pg. in den Vereinigten Staaten zu dem
„Bund der Freunde des Neuen Deutschlands" bestehen unter der Voraus-
setzung, daß der Bund sich auf reine Vereinstätigkeit beschränkt und von
jeder politischen Betätigung fernhält, keine Bedenken.
5. Der Auslandsgauführer Bohle wird einem seit längerer Zeit in den
Vereinigten Staaten lebenden Pg.3) schriftlichen Auftrag erteilen, als sein
persönlicher Vertrauensmann die genaue Durchführung des Abs. 4 zu über-
wachen.4)
Wie Herr Kapitän Mensing erklärte, sind die vorstehenden Abmachungen
von dem Auslandgauführer Bohle dem Stellvertreter des Führers, Pg. Heß,
zur parteiamtlichen Genehmigung vorgelegt worden und haben dessen aus-
drückliche Zustimmung gefunden. Pg. Spanknöbel wird durch ein an ihn
gerichtetes, am 21. d.M. nach New York abgehendes Schreiben des Aus-
landgauführers Bohle Instruktionen erhalten.6)

(2) Luther hatte in Telegrammen Nr. 558 und 559 vom 10. Oktober (K 1052/K 269 226-29) be-
richtet, der Abgeordnete Dickstein aus New York, Vorsitzender des Einwanderungs-
ausschusses des Repräsentantenhauses, habe angekündigt, er werde in Kürze eine
Sitzung des Unterausschusses zur Untersuchung pro-nationalsozialistiseher Tätigkeiten
in den USA einberufen.
*(3) Hier wurden folgende Worte gestrichen: „wahrscheinlich Herrn Kapitän Mensing".
4
*( ) Hier wurden folgende Worte gestrichen: „mit der Befugnis, zuwiderhandelnden Pg. Pg.
die Parteizugehörigkeit zu entziehen".
*(5) Randbemerkung Fuehrs: „Nicht mit abschreiben: Bei einem Besuch am 19. X. teilte
Herr K[a]p[i]t(än] Mensing mit, daß Herr Bohle es nachträglich (aus finanziellen
Bedenken) abgelehnt habe, Spanknöbel direkt abzuberufen. Vielmehr werde er ihm nur
die weitere parteipolitische Tätigkeit streng untersagen und ihm anheimstellen, wegen
seiner evtl. Rückkehr selber Vorschläge zu machen."

6
Nr. 5 16. OKTOBER 1933

Von der vorstehend umrissenen parteiamtlichen Regelung hat der Unter-


zeichnete Kenntnis genommen und zugesagt, ihren Inhalt mittels eines
unter den Anwesenden vereinbarten Telegramms dem deutschen General-
konsulat in New York und durch dieses der Botschaft in Washington zur
Kenntnis zu bringen.6) Er hat dabei darauf hingewiesen, daß es sich emp-
fehle, vor Absendung des Telegramms das Außenpolitische Amt der NSDAP
von der neuen Regelung in Kenntnis zu setzen, damit nicht etwa ihrerseits
in Unkenntnis der Abmachungen irgendwelche parteiliche Betätigung in
den Vereinigten Staaten stattfände. Herr Kapitän Mensing hat es über-
nommen, an die fragliche Stelle heranzutreten.
Es bestand Einverständnis darüber, daß die neue Regelung zweckdien-
licherweise von den Herren Bohle, Mensing und Schellenberg zur Kenntnis
des hiesigen amerikanischen Botschafters7) gebracht werden sollte. Der
Unterzeichnete wird zu diesem Zwecke einem befreundeten Sekretär der
amerikanischen Botschaft von der Angelegenheit mit dem Bemerken
sprechen, daß, falls sein Chef Interesse an der Sache nehmen sollte, die
New Yorker Herren auf Wunsch fraglos bereit sein würden, mit dem Aus-
landgauführer bei ihm vorzusprechen.
FUEHR

Zusatz vom 19. Oktober 1933.


Herr Hartmann vom Außenpolitischen Amt der NSDAP rief mich heute
telephonisch an und teilte folgendes mit:
Herr Kapitän Mensing habe bei ihm vorgesprochen und zur Sprache
gebracht, daß eine parteiliche Betätigung der Pg. in den Vereinigten Staaten
im höchsten Grade bedenklich sei. Das Außenpolitische Amt teile durchaus
diese Auffassung. Er, Hartmann, halte eine solche Betätigung direkt für
gefährlich. Aus diesem Grunde sei dem Pg. Spanknöbel der ihm erteilte
Parteiauftrag für Amerika bereits am 23. September wieder entzogen
worden.
Nachdem ich Herrn Hartmann meine Befriedigung über diese Regelung
ausgesprochen, bestätigte er mir ausdrücklich, daß nach Auffassung des
APA lediglich Reichsangehörige Pg. sein dürften, daß den Pg. in den Ver-
einigten Staaten künftig lokale parteiliche Organisationen nicht gestattet
seien, sie vielmehr zum Gau Ausland in Hamburg zu gehören hätten, und
daß der bestehende „Bund der Freunde des Neuen Deutschlands" sich ledig-
lich im Rahmen der gewöhnlichen Vereinstätigkeit, aber nicht politisch
betätigen dürfe.
FUEHR
[Fortsetzung von Anm. 5]
Der Inhalt dieser Randbemerkung und eine Abschrift der vorliegenden Aufzeichnung
unter Weglassung der laut Anm. 3 und 4 gestrichenen Worte wurden mit einem Erlaß
vom 21. Oktober der Botschaft in Washington und dem Generalkonsulat in New York
übermittelt (K 1052/K 269 244-50).
• («) Telegramm Prüfers Nr. 109 vom 19. Oktober (K 1052/K 269 243).
• (7) Dodd.

7
Nr. 6 16. OKTOBER 1933

6
8115/E 580 087-88

Der Botschafter beim Heiligen Stuhl von Bergen an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 72 vom 16. 10. ROM (VAT.), den 17. Oktober 1933 7 Uhr 55
Ankunft: 17. Oktober 11 Uhr 45
II Vat. 452
Im Anschluß an Telegramm Nr. 71 vom 15. d. M.1)
Für Herrn Reichsminister.
In einer ausdrücklich als rein privat charakterisierten freundschaftlichen
Unterhaltung haben Kardinalstaatssekretär 2 ) und ich heute nach einem
Weg gesucht, um den drohenden Konflikt abzuwenden und eine Lösung zu
finden, die auch Wünschen des Papstes 3) entgegenkäme. Schließlich habe
ich Kardinal folgenden Vorschlag gemacht: Ich bäte ihn, in meinem Namen
S. Heiligkeit zunächst nochmals meine ernsten Bedenken gegen eine Protest-
note wegen der daraus zu erwartenden Verzögerung der geplanten Ver-
handlungen und den noch ernsteren Bedenken gegen eine öffentliche Kritik
wegen der dann unausbleiblichen schweren Konflikte darzulegen und dann
zu sagen: Der wichtigste Artikel des Konkordats wäre für mich die Nr. 33
Absatz 2,4) der eine freundschaftliche Erledigung auftauchender Schwierig-
keiten vorsehe. Die Reichsregierung habe sich mehrfach zur Aufnahme von
Verhandlungen mit der Kurie bereit erklärt, und ihr Delegierter Ministerial-
direktor Buttmann wäre bereits auf dem Wege nach Rorschach gewesen,
aber auf Wunsch des Papstes zurückgerufen worden.5) Ich vorschlüge nun-
mehr baldigst Aufnahme der Verhandlungen und würde zu dem Zweck bei
meiner Regierung noch heute die möglichst umgehende Entsendung des
Herrn B. nach Rom beantragen. Kardinalstaatssekretär würde letzterem von
dem Beschwerdematerial soweit tunlich Kenntnis geben und ihm bei An-
kunft statt der Protestnote ein Memorandum über die Beschwerde Heiligen
Stuhls mit einem Begleitbrief zugehen lassen. Kardinal will S. Heiligkeit
morgen in dem Sinne Vortrag halten und erhofft dessen Zustimmung. Ich
darf meinerseits bitten, Ministerialdirektor B. einzuziehen, baldigste Her-
reise veranlassen zu wollen; auch möchte ich empfehlen, daß die von ihm
aufzunehmenden Verhandlungen ohne Hast geführt werden.
Auf diese Weise ist dieses Mal noch, hoffe ich, ein ernster Konflikt mit der
Kurie abgebogen worden, doch wird sich ein solcher auf die Dauer nur dann
vermeiden lassen, wenn wir den Wünschen Kurie, soweit sie berechtigt
sind, Rechnung tragen und regierungsseitig bindende Zusicherungen für die

(i) Dokument Nr. 3.


• (2) Pacelli.
*(3) Pius XI.
(4) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 371
(5) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 501

8
Nr. 7 17. OKTOBER 1933

wirksam e Durchführung der erteilten Z u s a g e n ausgesprochen werden. Darf


vorschlagen, Ministerialdirektor B. zur A b g a b e derartiger Erklärungen zu
ermächtigen.
Ich habe es mir a n g e l e g e n sein lassen, hier beruhigend auf die deutschen
Bischöfe einzuwirken, und ihnen empfohlen, sich mit ihren Klagen in
Deutschland an die führenden Stellen zu wenden, die es nicht unterlassen
würden, gegebenenfalls für Remedur zu sorgen. 6 )
BERGEN

(6) Neurath teilte Bergen in Telegramm Nr. 37 vom 18. Oktober (8115/E 580 091) mit:
.Angelegenheit mit Reichskanzler besprochen. Buttmann erhält Anweisung, noch im
Laufe dieser Woche nach Rom zu reisen. Er wird mit nötigen Instruktionen und Voll-
machten versehen. Bitte Kardinalstaatssekretär entsprechend verständigen."
Siehe Dokument Nr. 17.

7
8933/E626 711

Auizeichnung des Botschalters in Moskau von Dirksen (z. Z. Berlin)l)

BERLIN, den 17. O k t o b e r 1933


IV Ja. 1031
AUFZEICHNUNG

Gestern abend bei einem Essen auf der japanischen Botschaft sagte mir
der Botschafter Nagai, es w ä r e jetzt doch vielleicht für Deutschland der
Augenblick gekommen, um Mandschukuo anzuerkennen. Deutschland sei
an den Völkerbund nicht mehr gebunden; 2 ) die japanische Regierung w ü r d e
die A n e r k e n n u n g Mandschukuos auf das lebhafteste begrüßen; andererseits
seien die Franzosen in der Mandschurei sehr tätig und suchten dort wirt-
schaftlich einzudtingen.
Ich e r w i d e r t e dem Botschafter, daß auch ohne die Bindungen des Völker-
bundes u n s e r e Beziehungen zu China u n s große Zurückhaltung in der Frage
der A n e r k e n n u n g Mandschukuos auferlegten.
Hiermit H e r r n Staatssekretär über Abteilung IV vorgelegt.
v. DIRKSEN

*(i) Dirksen war am 31. August 1933 zum Botschafter in Tokio ernannt worden. Er ver-
ließ Moskau endgültig am 3. November (siehe Dokument Nr. 44) und trat seinen
Dienst in Tokio am 16. Dezember an. Vom 21. August bis zum 26. Oktober befand er
sieh in Urlaub und wurde am 18. Oktober von Hitler zu einer Unterredung empfangen
und mit Weisungen versehen. Siehe hierzu Dokument Nr. 237.
(2) Randbemerkung Bülows: „USA auch nichtl"

9
Nr. 8 17. OKTOBER 1933

8
3154/D 670 125-26
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 17. Oktober 1933
RM. 1438
AUFZEICHNUNG

Heute morgen suchte mich der französische Botschafter auf, um sich vom
Urlaub zurückzumelden. Herr Poncet erzählte, er sei von Paris abgereist,
als unsere Entschließung über den Austritt aus der Abrüstungskonferenz
und dem Völkerbund dort bekannt geworden sei. Er habe keine Gelegen-
heit mehr gehabt, sich mit Herrn Daladier darüber zu unterhalten. Herr
Poncet begann dann an meiner gestrigen Rede l) zu kritisieren, daß ich be-
hauptet hätte, man wolle von französischer Seite 8 Jahre lang nicht ab-
rüsten. Das sei nicht richtig, man hätte sich doch bereit erklärt, nach den
ersten 4 Jahren in Abständen von 2 zu 2 Jahren die schweren Waffen
allmählich zu zerstören und uns auch eine gewisse Aufrüstung zuzuge-
stehen. Ich sagte Herrn Poncet, ich hätte zwar in Genf am letzten Tage 2)
von einer gewissen Absicht der französischen Regierung, in der zweiten
Hälfte der Abrüstungskonvention einen Teil der schweren Waffen aufzu-
geben, gehört, dagegen sei mir nichts davon bekannt geworden, daß man
uns die verlangte qualitative Gleichberechtigung zugestehen wolle. Im
übrigen hätte er etwas vergessen, nämlich, daß auch diese eventuelle
Abrüstung der zweiten Periode von einer Prüfung des Funktionierens der
Kontrolle über unsere in der ersten Periode zu vollziehende Umbildung
unserer Reichswehr etc. abhängig gemacht worden sei. Herr Poncet wußte
darauf nichts zu erwidern. Er begann dann zu fragen, wie ich mir die
zukünftige Entwicklung denke. Ich verwies ihn auf den Schluß meiner
gestrigen Rede.8)
(1) Neurath hatte am 16. Oktober vor Vertretern der ausländischen Presse eine Rede ge-
halten, in der er die von der deutschen Regierung in Genf unternommenen Schritte
erläuterte. Der Text der Rede ist abgedruckt in Dokumente der Deutschen Politik, Bd. I,
S. 125-33; Auszüge in englischer Übersetzung finden sich in Documents on International
Allairs, 1933, S. 294-98.
(2) Gemeint ist der letzte Tag von Neuraths Aufenthalt in Genf. Siehe Serie C, Bd. 1,2,
Dokument Nr. 472.
*(3) Am Ende seiner Rede hatte Neurath im Hinblick auf die Zukunft folgende Erklärung
abgegeben: „Meine Damen und Herren! Sie werden midi vielleicht fragen: Was nun?
Die Antwort auf diese Frage ist aber nicht Sache Deutschlands, sondern Sache der
anderen Mächte. Diese haben jetzt das Wort. Die Konferenz in Genf mag doch zeigen,
ob sie etwas leisten kann. Unser Ausseheiden braucht für ihre Arbeiten kein Hindernis
zu bilden, da wir abgerüstet sind und da niemand den gewaltigen Rüstungsabstand
zwischen uns und den anderen leugnen kann. Die anderen haben jetzt zwar nicht mehr
die Möglichkeit, ihre Bemühungen auf eine zweite Entwaffnung Deutschlands zu kon-
zentrieren, dafür zeigt sich ihnen aber hoffentlich um so klarer die Aufgabe, sieh über
ihre gegenseitige Abrüstung zu einigen. Sie haben damit auch das künftige Schicksal
des Völkerbundes in der Hand, dessen Versagen in der Durchführung der allgemeinen
Abrüstung und der Herstellung der deutschen Gleichberechtigung ihn jeden Wertes für
Deutschland beraubt hat. Er hat sein praktisches Hauptziel, die Ausführung des Artikels
8 seiner Satzung, nicht erfüllt. Damit haben die hochgerüsteten Staaten eine der
elementarsten ihrer Bundespflichten verletzt. Deutschland wird selbstverständlich ernste

10
Nr. 9 17. OKTOBER 1933

Sodann kam Herr Poncet auf die Rede des Reichskanzlers vom 14.4) zu
sprechen und erklärte, durch diese Rede sei die Stellung Daladiers in Frank-
reich erschwert worden, da das Angebot direkter Verhandlungen zu „bru-
tal" gemacht worden sei. Ich erwiderte Herrn Poncet: Zunächst bezweifelte
ich, ob wirklich eine Verschlechterung der Stellung Daladiers eingetreten
sei. Im übrigen könnte man es den Franzosen nie recht machen. Jede Geste
von unserer Seite werde dort mit Mißtrauen aufgenommen. Herr Poncet
ging sodann auf die in der Kanzlerrede erwähnte Saarfrage 5 ) ein und
erging sich in Spekulationen, wie man diese lösen könne, wobei er eine
Lösung ohne Abstimmung als unmöglich zurückwies. Im übrigen könnte
man ja daran denken, eine gemischte Verwaltung für etwa 10 Jahre oder
die Einteilung in Zonen einzuführen. Ich lehnte diese Ideen als absurd ab.
Auf das Drängen Herrn Poncets, ihm mitzuteilen, wie wir die direkten Ver-
handlungen mit Frankreich zu führen gedächten, erwiderte ich, daß ich
zunächst einmal die Wirkungen unserer Entschlüsse abwarten wolle, ehe
ich mir darüber den Kopf zerbräche, wie wir die direkten Verhandlungen
führen könnten, und stellte ihm anheim, sich auch seinerseits darüber zu
besinnen, welcher Weg am ehesten zu einem Ergebnis führen könnte.6)
v. N[EURATH]
[Fortsetzung von Anm. 3]
Abrüstungsvorsdiläge jederzeit prüfen und auch weiterhin bereit bleiben, sich auf der
Grundlage der Gleichberechtigung über sein künftiges Rüstungsregime zu verstän-
digen."
4
( ) Siehe Dokument Nr. 1, Anm. 1.
(5) Hitler hatte in seiner Rede hierzu ausgeführt: „Nach der Rückkehr des Saargebietes
zum Reich könnte nur ein Wahnsinniger an die Möglichkeit eines Krieges zwischen den
beiden Staaten denken, für den von uns aus gesehen dann kein moralisch oder ver-
nünftig zu rechtfertigender Grund mehr vorhanden ist."
*(') Der Bericht Francois-Poncets über diese Unterredung ist abgedruckt in Documents
Diplomatiques Frant;ais, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 319.

9
3598/D 794 011-13
Aufzeichnung des Oberregierungsrats Thomsen (Reichskanzlei)
Rk. 12176-77
NIEDERSCHRIFT ÜBER DIE MINISTERBESPRECHUNG
AM 17. OKTOBER 1933, 4 UHR 30 NACHMITTAGS
Anwesend die Herren: Reichskanzler Adolf Hitler, Stellvertreter des
Reichskanzlers von Papen, Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von
Neurath, Reichsminister des Innern Dr. Frick, Reichsminister der Finanzen
Graf Schwerin von Krosigk, Reichswirtschaftsminister Dr. Schmitt, Reichs-
arbeitsminister Seldte, Reichsminister der Justiz Dr. Gürtner, Reichswehr-
minister von Blomberg, Reichspostminister und Reichsverkehrsminister
Freiherr von Eltz-Rübenach, Reichsminister für Ernährung und Landwirt-
schaft] Darre, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Dr. Goeb-
bels, Reichsminister der Luftfahrt [und] Preußischer Ministerpräsident
Göring, Preußischer Finanzminister Dr. Popitz, Reichsbankpräsident Dr.

11
Nr. 10 17. OKTOBER 1933

Schacht, Staatssekretär in d e r Reichskanzlei Dr. Lammers, Reichspressechef


Staatssekretär Funk, Stellvertreter d e s Führers d e r NSDAP Heß. Protokoll-
führer: Oberregierungsrat Dr. Thomsen.
Beratungsgegenstand: Politische Lage.
Der Reichskanzler führte aus, daß die politische Lage sich wie zu erwarten
g e w e s e n sei entwickelt habe. Bedrohliche Schritte gegen Deutschland seien
w e d e r erfolgt noch zu e r w a r t e n . Schon in der vom Präsidenten d e r Abrü-
stungskonferenz an uns gerichteten Antwortnote ') seien die inneren Gegen-
sätze der in der Abrüstungskonferenz führenden Mächte ersichtlich. Deutsch-
land könne n u n m e h r die Ereignisse a n sich herankommen lassen. Irgendein
Schritt deutscherseits sei nicht erforderlich. Deutschland befindet sich in der
a n g e n e h m e n Lage, zusehen zu können, w i e die Streitigkeiten zwischen d e n
a n d e r e n Mächten sich auswirken. Der kritische Moment dürfte überwunden
sein. Die Erregung wird sich voraussichtlich in kurzer Zeit von selbst legen.
Die Gegenseite wird versuchen, auf welchem W e g e sie mit uns wieder in
Verbindung treten kann. Für die kommende Zeit muß für uns der Grund-
satz maßgebend sein, d a ß w i r a n k e i n e r internationalen Konferenz teil-
n e h m e n können, wenn nicht v o n vornherein feststeht, daß Deutschland die
Gleichberechtigung uneingeschränkt gewährt wird. Ein Aushandeln der
Gleichberechtigung im Verlaufe einer Konferenz würde nicht genügen, um
u n s e r e Teilnahme v o n vornherein zu rechtfertigen.
Für die Niederschrift:
THOMSEN

(1) Das von Henderson am 16. Oktober an Neurath gerichtete Telegramm ist abgedruckt in
Documenfs on international Atlairs, 1933, S. 286.

[ANMERKUNG DER HERAUSGEBER: Am 17. O k t o b e r s t a t t e t e William E. Dodd,


n e u e r Botschafter der USA in Berlin, Hitler seinen Antrittsbesuch ab. In
den deutschen A k t e n konnte eine Aufzeichnung über die Unterredung nicht
ermittelt werden. Dodds Bericht ist abgedruckt in Foreign Relations of the
United States, 1933, Bd. II, S. 396-97.]

10
7467/H178 896
Der Botschafter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 235 vom 17. 10. ROM (QUIR.), den 17. O k t o b e r 1933 21 Uhr 05
Ankunft: 18. Oktober 0 Uhr 30
II F. Abr. 3345
Auf Telegramm Nr. 246 v o m 14. [10.] ')
Hatte heute Gelegenheit, Suvich im Sinne Weisung über unseren Stand-
p u n k t zu verständigen. Er meinte, d a ß italienische Regierung jeden W e g

(1) Fundort: 7360/E 537 813-16

12
Nr. 11 17. OKTOBER 1933

ergreifen würde, um Ausweg zu finden, insbesondere natürlich auch Vierer-


pakt. Indessen habe französischer Botschafter2) bereits Zweifel geäußert,
ob dieser Weg noch gangbar, da Viererpakt nicht ratifiziert und Deutschland
schwerlich einen Pakt ratifizieren könne, der sofort in Präambel auf Zuge-
hörigkeit zum Völkerbund Bezug nehme. Suvich meinte, daß man zur Not
auch mit nicht ratifiziertem Pakt arbeiten könnte, aber nur, wenn allerseits
guter Wille vorhanden und vorausgesetzt. Ich erwiderte, daß guter Wille
bei uns im Sinne Kanzlerrede 3 ) sicherlich vorhanden, aber keine Initiative
von uns zu erwarten, auch nicht bezüglich Viererpakts. Suvich meinte, daß
natürlich von Seiten Kleiner Entente und Polen heftigster Widerstand gegen
Versuch Aktivierung Viererpakts zu erwarten, was mir übrigens auch
Unterhaltung mit polnischem Botschafter4) bestätigte. Zur Zeit könne
Italien keine Initiative entfalten; das hierfür gegebene Land sei im Augen-
blick England, dessen Presse übrigens sehr energisch auf Viererpakt los-
ginge.
HASSELL
(2) Pineton de Chambrun.
(3) Siehe Dokument Nr. 1, Anm. 1.
(<) Wysocki.

11
3015/D598 302
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 17. Oktober 1933
RM. 1439
Bei dem Empfang des Präsidenten des Danziger Senats Herrn Rauschning
durch den Herrn Reichskanzler brachte Rauschning zunächst die Sprache
auf die Schwierigkeiten, die ihm durch die lokalen SA, SS und auch den
Gauleiter Forster immer wieder gemacht würden und die eine Gefährdung
der Autorität der Danziger Regierung sowie ihrer Bestrebungen, zu einem
Ausgleich mit Polen zu kommen, darstellten. Der Kanzler verwies Herrn
Rauschning deswegen an den Stabschef Röhm, der von ihm Weisungen
erhalten werde. Sodann kam Herr Rauschning auf die beabsichtigte Trans-
aktion mit der Bank Polski*) zu sprechen. Der Kanzler verwies Herrn
Rauschning an den Reichsbankpräsidenten Schacht und an mich, da er über
diese technischen Fragen nicht genügend Bescheid wisse. Im übrigen billigte
der Kanzler die Bestrebungen der Danziger Regierung, soweit dies ohne
Gefährdung des deutschen Charakters von Danzig und der deutschen Inter-
essen überhaupt möglich sei, zu einer Verständigung mit Polen auf allen
Gebieten zu kommen.
Herr Rauschning schlug dem Kanzler endlich noch ein Zusammentreffen
zwischen ihm und Pilsudski vor. Der Reichskanzler lehnte den Gedanken
nicht vollständig ab, meinte jedoch, die Angelegenheit müßte gut vorbe-

(1) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokumente Nr. 491 und 492

13
Nr. 12 17. OKTOBER 1933

reitet werden, jedenfalls käme ein Zusammentreffen zwischen ihm und


Pilsudski in Danzig, wie dies Herr Rauschning vorgeschlagen hätte, nicht in
Betracht.
v. N[EURATH]

12
6609/E 497 254-63
Botschaitsrat von Twardowski (Moskau) an das Auswärtige Amt')
A 2251 MOSKAU, den 17. Oktober 1933
Ankunft: 19. Oktober
IV Ru. 4632
POLITISCHER BERICHT

Inhalt: Gespräch mit Herrn Litwinow über die deutsch-sowjetischen Be-


ziehungen.
In der Anlage wird eine Aktennotiz über das Gespräch mit Herrn
Litwinow vom 16. d.M. vorgelegt, über dessen Inhalt ich bereits ander-
weitig 2 ) berichtet habe.
Die Tatsache, daß im gegenwärtigen Augenblick der Leiter der Sowjet-
außenpolitik es als notwendig erachtete, das Ausbleiben des Herrn
Krestinski aus Berlin3) nicht als Ausdruck eines politischen Willens der
Sowjetregierung hinzustellen, sondern zu betonen, daß die Sowjetregierung
nach wie vor und jederzeit bereit s[ei],4) mit der deutschen Regierung über
eine Beilegung des ak[uten] Konfliktes und eine Wiederherstellung der
alten Beziehungen] zu verhandeln, und daß die Sowjetregierung den
größten [Wert] auf möglichst gute und freundschaftliche Beziehungen zu
Deutschland lege, kann eine überraschende Wandlung in [der] Auffassung
der hiesigen amtlichen Kreise bedeuten. So[llte] diese Annahme richtig sein,
worauf vor allem die ganze Art der Gesprächsführung durch Herrn Litwinow
schließen läßt, so dürfte diese Sinnesänderung vor allem zurückzuführen
sein auf die Zuspitzung der Lage im Fernen Osten. In diesem Zusammen-
hang läßt der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund vor der hiesigen
Phantasie bereits das Gespenst einer deutsch-japanischen Zusammenarbeit
auftauchen. Andererseits könnte aber auch der Ausbruch des akuten Kon-
fliktes zwischen Deutschland und den Westmächten es der Sowjetregierung
als angebracht erscheinen lassen, sich als „verkannter Freund" bei Deutsch-
land wieder zu melden.

*(') Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. V[ölcker]s 20. 10."


(2) Telegramm Twardowskis Nr. 234 vom 16. Oktober (6609'E 497 247-51).
(3) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 487. In einer Aufzeichnung des Auswärtigen Amts
ohne Unterschrift vom 18. Oktober (6609/E 497 243-46) ist eine Übersicht über die im Zu-
sammenhang mit der Reise Krestinskis nach Deutschland und der Möglichkeit seines
Zusammentreffens mit Hitler entstandene Korrespondenz enthalten.
*(4) Die Vorlage wurde durch Brand beschädigt. Fehlende Textstellen sind sinngemäß in
eckigen Klammern ergänzt worden.

14
Nr. 12 17. OKTOBER 1933

Es ist aber auch ebenso gut möglich, daß Herr Litwinow es vermeiden
wollte, daß durch Herrn Krestinski die Wiederanbahnung der deutsch-
sowjetischen guten Beziehungen erfolge. Als dann von deutscher Seite das
Ausbleiben Krestinskis politisch gewertet wurde, hat sich Herr Litwinow
beeilt, durch eine Erklärung diesen ungünstigen Eindruck zu verwischen,
und dabei als Bonbon die altbekannten Erklärungen wiederholt, ohne je-
doch dabei den materiellen Inhalt etwaiger Verhandlungen irgendwie zu
berühren.
Auf jeden Fall aber bleibt als erfreuliche Tatsache bestehen, daß Herr
Litwinow es für nötig hielt, diese Erklärungen im jetzigen Augenblick ab-
zugeben, und daß durch das Ausbleiben weiterer Zwischenfälle in Deutsch-
land die allgemeine Atmosphäre hier eine gewisse Beruhigung zeigt.
TWARDOWSKI

[Anlage]
MOSKAU, den 16. Oktober 1933
AKTENNOTIZ

Betrifft: Unterredung mit Volkskommissar Litwinow über die deutsch-


sowjetischen Beziehungen.
Litwinow bat mich heute zu sich. Er hatte vor sich ein Telegramm des Bot-
schafters Chintschuk über eine Unterredung mit Herrn von Dirksen liegen,
aus dem er vorlas.5) Botschafter von Dirksen habe darauf hingewiesen, daß
nach meiner Berichterstattung das Nichterscheinen Krestinskis in, Berlin
auf Weisung der Sowjetregierung erfolgt sei, die im jetzigen Augenblick
nicht in Gespräche mit der Reichsregierung einzutreten wünsche. Ferner
hätte ich nach den Worten des Herrn von Dirksen berichtet, daß ich aus
einer Unterredung mit Herrn Stern entnähme, daß der Sowjetregierung zur
Zeit nichts an einer Beilegung des Konfliktes mit Deutschland liege.6) Er,
Litwinow, wolle mir hierzu folgendes erklären: Krestinski habe niemals die
Absicht gehabt, seine Rückreise vom Urlaub über Berlin zu machen. Noch
am letzten Tage vor dessen Urlaubsantritt habe Krestinski ihm seinen Plan
folgendermaßen entwickelt: Kurzer Aufenthalt in Berlin, Kur in Kissingen,
Nachkur in Meran, Aufsuchen eines Arztes in Wien, von dort direkte Rück-
kehr. Von einer zweiten Reise nach Berlin sei also nicht die Rede gewesen.
Nun habe zwar Staatssekretär von Bülow in einem Gespräch mit Herrn
Chintschuk mitgeteilt, daß der Herr Reichskanzler bereit sei, Herrn
Krestinski bei einem eventuellen Aufenthalt in Berlin zu empfangen.7)
Gleichzeitig aber habe Herr von Bülow als seine und des Reichskanzlers
Auffassung der Lage unterstrichen, daß der Leipziger Prozeß einen Höhe-
punkt der gegenseitigen Agitation bedeute, womit also von ihm zugegeben
worden sei, daß man in Deutschland zur Zeit eine Agitation gegen die

(5) Die Aufzeichnung Dirksens über seine Unterredungen mit Chintschuk in Berlin ist als
Dokument Nr. 14 gedruckt.
(«) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokumente Nr. 438 und 487.
(7) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 461.

15
Nr. 12 17. OKTOBER 1933

Sowjetunion notwendig habe. Die Sowjetregierung aber betreibe keine


Agitation gegen Deutschland.
Ich widersprach lebhaft, stellte eine üble Hetze der Sowjetpresse gegen
uns fest und verwies darauf, daß Staatssekretär von Bülow nicht von
„Agitation", sondern von „Erregung" gesprochen habe. Hierauf ließ sich
Litwinow den Bericht Chintschuks kommen und las daraus vor, daß
Chintschuk ausdrücklich die Worte des Herrn von Bülow wiederholt habe:
„Während des Leipziger Prozesses habe die gegenseitige Agitation ihren
Höhepunkt erreicht."
Herr Litwinow fuhr dann fort: Die Bereitwilligkeit des Herrn Reichs-
kanzlers, den Stellvertretenden Volkskommissar zu empfangen, stelle doch
an sich weiter nichts Besonderes dar, da es allgemein üblich sei, daß ein
führender Staatsmann, der in einer fremden Hauptstadt weile, dem Regie-
rungschef und dem Außenminister seine Aufwartung mache. Die Sowjet-
regierung hätte von deutscher Seite keine Benachrichtigung darüber er-
halten, daß beabsichtigt wäre, mit Herrn Krestinski bei Gelegenheit seiner
Anwesenheit in Berlin wichtige politische Fragen zu besprechen. Unter-
streichen möchte er, daß mein Eindruck aus der Unterhaltung mit Herrn
Stern, die Sowjetregierung habe zur Zeit kein Interesse, den Konflikt mit
Deutschland beizulegen, unzutreffend sei. Die Sowjetregierung lege großen
Wert auf möglichst gute und freundschaftliche Beziehungen zu Deutschland
und s[ei] jederzeit bereit, in Besprechungen über eine Beilegung [des] Kon-
fliktes einzutreten, der lediglich durch die Schuld der deutschen Seite ent-
standen sei. Aber nach deutscher Auffassung sei während des Leipziger
Prozesses der Zeitpunkt hierzu noch nicht gekommen.
Ich habe Herrn Litwinow erwidert, ich sei sehr erfreut darüber, von ihm zu
hören, daß die Sowjetregierung bereit sei, in Verhandlungen über eine Bei-
legung des Konfliktes einzutreten, und daß sie großen Wert darauf lege,
in guten und freundschaftlichen Beziehungen zu Deutschland zu leben. Was
den Besuch des Herrn Krestinski in Berlin anbelange, so hätten sowohl Herr
von Dirksen wie ich bis unmittelbar vor der Abreise des Herrn Krestinski
mit ihm die Möglichkeit einer gründlichen Aussprache mit maßgebenden
deutschen Staatsmännern während seines projektierten Berliner Aufent-
haltes um den 10. Oktober in recht konkreter Form besprochen. Herr
Krestinski könne also wohl kaum im unklaren gewesen sein, welche Mög-
lichkeiten vorhanden wären. Außerdem hätte ich bei meinen Besprechungen
mit Litwinow sowohl am 14. wie am 26. September 8 ) nachdrücklich auf den
Besuch von Herrn Krestinski in Berlin und die daraus sich ergebenden Mög-
lichkeiten hingewiesen, von ihm, Litwinow, aber beidemal die Antwort
erhalten, daß Worte genug gewechselt wären, daß man hier nur nach den
Taten der Regierungen ihre wirklichen Absichten beurteile. Auch Herrn
Stern hätte ich in meinen vielfachen Unterhaltungen niemals darüber im
unklaren gelassen, daß die Anwesenheit von Herrn Krestinski in Berlin
nach meiner Auffassung die gegebene Gelegenheit sei, um in ernsthafter
Weise zu erörtern, wie die alten freundschaftlichen Beziehungen zwischen
Deutschland und der Sowjetunion wieder herzustellen seien. Ich sei daher

(8) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokumente Nr 438 und 458

16
Nr. 12 17. OKTOBER 1933

aufs äußerste überrascht, daß Herr Litwinow sich nicht darüber orientiert
fühle, daß die Anwesenheit des Herrn Krestinski in Berlin die Gelegenheit
geboten hätte, ohne die Prestigefrage anzuschneiden, in Erörterungen über
die Beilegung des deutsch-sowjetischen Konfliktes einzutreten. Hier unter-
brach mich Herr Litwinow mit den Worten, daß es nicht weiterführe, gegen-
seitig Höflichkeitsphrasen auszutauschen und unter vier Augen die Ver-
sicherung abzugeben, daß man in guten Beziehungen zu leben wünsche,
wenn nicht etwas Ernsthaftes daraufhin geschehe. Er habe nicht den Ein-
druck gehabt, daß anläßlich der Anwesenheit des Herrn Krestinski in Berlin
mehr als dieses von deutscher Seite beabsichtigt gewesen sei. Es müsse
auch bedacht werden, daß nach Ausbruch des akuten Konfliktes zwischen
Deutschland und der Sowjetunion es in der Welt einen falschen Eindruck
gemacht hätte, wenn Krestinski nach Berlin gekommen wäre. Dies wäre nur
möglich gewesen, wenn tatsächlich durch den Aufenthalt des Herrn
Krestinski in Berlin eine Beilegung des Konfliktes zu erreichen gewesen
wäre. Darüber habe man der Sowjetregierung von deutscher Seite keine
Mitteilungen gemacht. Er möchte noch einmal wiederholen, die Sowjet-
regierung habe sich in die Urlaubspläne des Herrn Krestinski nicht einge-
mischt und habe keine Veranlassung gesehen, ihn nach Berlin zu beordern.
Wenn auf deutscher Seite tatsächlich die Absicht vorhanden gewesen wäre,
in ernsthafte Besprechungen einzutreten, so wäre er natürlich bereit ge-
wesen, Herrn Krestinski nach Berlin zu entsenden und ihm entsprechende
Instruktionen zu geben. Ich erwiderte, daß die Situation natürlich nicht so
gewesen sei, daß etwa deutscherseits beabsichtigt gewesen wäre, an die
Sowjetregierung die Aufforderung zu richten, Herrn Krestinski mit Ver-
handlungen in Berlin zu beauftragen, sondern daß man bei uns der Auf-
fassung gewesen wäre, daß der zufällige Besuch von Herrn Krestinski in
Berlin die Möglichkeit ergeben könne, um einen verantwortlichen Staats-
mann der Sowjetunion mit den verantwortlichen Leitern der deutschen Poli-
tik in Berührung zu bringen, damit die vorhandenen Mißverständnisse auf-
geklärt würden. Diese Gelegenheit sei leider von der Sowjetregierung nicht
ergriffen worden, obgleich der Herr Staatssekretär von Bülow dem Sowjet-
botschafter ausdrücklich die Bereitwilligkeit des Herrn Reichskanzlers,
Herrn Krestinski zu empfangen, mitgeteilt habe. Was meine Unterhaltungen
mit Herrn Stern anbelangt, so hätte ich allerdings nicht nur den Eindruck
gehabt, sondern jeder Zweifel sei unmöglich gewesen, daß bei der gegen-
wärtigen Stimmung der Sowjetregierung Verhandlungen mit Aussicht auf
Erfolg nicht möglich wären und daß insbesondere während der Dauer des
Leipziger Prozesses wegen der Frage der Zulassung der Sowjetjournalisten
zum Leipziger Prozeß9) eine Verständigung nicht zu erreichen sei. Ich sei
daher sehr erfreut, aus seinen Worten zu entnehmen, daß die Sowjetregie-
rung jederzeit bereit sei, in Verhandlungen über eine Beilegung des Kon-
fliktes einzutreten. Dies unterstrich Herr Litwinow noch einmal und bat
mich, seine Ausführungen nach Berlin zu telegraphieren.
Ich setzte dann Herrn Litwinow die Gründe auseinander, die Deutschland
zum Austritt aus dem Völkerbund und zum Verlassen der Abrüstungskonfe-

(») Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokumente Nr. 428, 455, 457, 461, 467, 476 und 487.

17

II.l Bg. 2
Nr. 12 17. OKTOBER 1933

renz gezwungen hätten. Herr Litwinow zeigte für unseren Standpunkt so


viel Verständnis, daß ich mein Bedauern darüber aussprach, daß diese Auf-
fassung des verantwortlichen Leiters der sowjetischen Außenpolitik sich
durchaus nicht in der Sowjetpresse widerspiegele. Es werde die Beilegung
des Konfliktes zwischen Deutschland und der Sowjetunion außerordentlich
erleichtern, wenn die Sowjetpresse Verständnis für die Handlungsweise
Deutschlands aufbringe. Herr Litwinow entgegnete, er habe in der Sowjet-
presse nichts gefunden, was für den deutschen Standpunkt ungünstig sei,
seiner Auffassung nach seien die hiesigen Leitartikel völlig farblos und
uninteressant. Ich entgegnete, die Sowjetpresse werfe Deutschland z. B.
kriegerische Absichten vor. Dies sei eine bösartige Verleumdung, die um so
schwerer wiege, als sie von einem alten Freunde komme. Die Sowjet-
regierung, die ihre Presse doch völlig in der Hand habe, sei über die
militärischen Möglichkeiten Deutschlands so gut orientiert wie keine
andere Regierung der Welt. Sie wisse also genau, daß Deutschland
schon aus militärischen Gründen keine kriegerischen Absichten hegen
könne. Herr Litwinow entgegnete, an einen Angriffskrieg Deutschlands
denke kein Mensch. Wohl aber sei durch den [Austritt] Deutschlands aus
dem Völkerbund die Gefahr kriegerischer Verwickelungen sehr gestiegen.
Japans Position sei z. B. gestärkt worden. Die deutsch-japanische Freund-
schaft sei jetzt in aller Leute Mund. Japan habe kriegerische Absichten
gegenüber der Sowjetunion. Es sei auch nicht zu leugnen, daß durch den
Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund und das Verlassen der Ab-
rüstungskonferenz die Gefahr eines Präventivkrieges Frankreichs gegen
Deutschland außerordentlich gestiegen sei. Die Sowjetpresse habe also allen
Grund, davon zu sprechen, daß durch die letzten Schritte der deutschen
Regierung die Kriegsgefahr unendlich gestiegen sei; aber an einen Angriffs-
krieg Deutschlands denke natürlich kein Mensch. Allerdings werde Deutsch-
land wohl jetzt aufrüsten, dann könnten auch die Pläne von Hugenberg,
Rosenberg etc. wieder akut werden. Ich habe erwidert, eine Aufrüstung
Deutschlands, um einen Angriffskrieg zu führen, sei eine völlige Utopie.
Deutschland sei friedlich und wolle nur die Mittel haben, um seine Grenzen
gegen einen Angriff verteidigen zu können. Ich nähme mit Befriedigung
davon Kenntnis, daß auch nach seiner Auffassung Deutschland für abseh-
bare Zeit eine friedliche Politik führen werde. Ich machte ihn dann beson-
ders aufmerksam auf die große Rede des Herrn Reichskanzlers vom Sonn-
abend, die in vorbildlicher Weise den Friedenswillen des neuen Deutsch-
land dokumentiere. 10 ) Da Herr Litwinow sie noch nicht kannte, übersandte
ich ihm einen Abdruck der Rede aus der Königsberger Allgemeinen Zeitung.
Ich fuhr dann fort, daß also nach seiner Auffassung für die aktuelle Politik
die sowjetischen Befürchtungen über aggressive Absichten Deutschlands
gegenüber [der] Sowjetunion hinfällig wären. Was die Beziehungen
Deutschlands zu Japan anbelange, so seien sie freundlich, ohne daß damit
in irgendeiner Form die Bedrohung eines Dritten gegeben sei. Der neue Bot-
schafter Deutschlands in Japan, Herr von Dirksen, sei ein überzeugter An-
hänger guter Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion.

(10) Gemeint ist die Rundfunkrede Hitlers vom 14. Oktober. Siehe Dokument Nr. 1, Anm. 1.

18
Nr. 13 18. OKTOBER 1933

Wenn gute Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion be-


ständen, so könne die Tätigkeit des Herrn von Dirksen auch für die Sowjet-
union in Japan sehr wertvoll werden. Herr Litwinow sprach sich darauf
sehr anerkennend über Herrn von Dirksen aus und betonte, daß er mit
großer Befriedigung davon Kenntnis genommen habe, daß Herr von Dirksen
auch noch jetzt, wo seine Tätigkeit in Moskau beendet sei, während seines
Urlaubs für eine Beilegung des deutsch-sowjetischen Konfliktes tätig sei. Er
bedauere um so mehr, daß durch seine Reise nach Ankara es ihm nicht mehr
möglich wäre, Herrn von Dirksen persönlich Lebewohl zu sagen. Herr
Litwinow erkundigte sich dann sehr angelegentlich, ob er Herrn Nadolny
in Ankara treffen werde.11)
Die Unterhaltung mit Herrn Litwinow, die fast eine Stunde dauerte, ver-
lief in ausgesprochen freundschaftlichem und entgegenkommendem Tone,
sehr im Gegensatz zu den Unterhaltungen, die ich in den letzten Wochen
mit ihm geführt hatte.

*(rt) Nadolny war als Nachfolger Dirksens als Botsehafter in Moskau vorgesehen. Siehe
Dokument Nr. 7, Anm. 1.

13
3154/D 670 136-37
Aufzeichnung des Legationssekretärs von Kotze
BERLIN, den 18. Oktober 1933
NOTIZ

Soeben, 10 Uhr 15 vm., rief Botschafter von Hoesch, London, persönlich


an und teilte folgendes mit:
Der englische Außenminister Sir John Simon sei sehr verärgert aus Genf
zurückgekehrt, verärgert insbesondere über die Rede des Herrn Reichs-
ministers vor den ausländischen Pressevertretern. 1 ) Er habe auf Grund
eines Beschlusses der englischen Minister gestern abend um 9 Uhr 15 im
englischen Rundfunk eine Rede gehalten,2) die rein als Polemik gegen die
Ausführungen des Herrn Reichsministers aufzufassen sei.
Zwei Punkte erschienen dem Botschafter aus den Ausführungen Sir John
Simons besonders wichtig: Erstens erwecke er den Anschein, daß Deutsch-
land bei den Vorverhandlungen zu den letzten Ereignissen in Genf beteiligt
gewesen sei, zweitens behaupte er, daß die deutschen Forderungen sich seit
seiner persönlichen Fühlungnahme mit dem Herrn Reichsminister in Genf 8)
versteift hätten. In diesen Argumenten versuche er, die Ausführungen des
Herrn Reichsministers zu dementieren. Nach den früheren persönlichen

(1) Siehe Dokument Nr. 8, Anm. 1.


(2) Der Text der Rede Simons wurde am 18. Oktober in der Londoner Zeitung The Times
abgedruckt.
(3) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 447.

19
Nr. 14 18. OKTOBER 1933

Erörterungen habe er annehmen müssen, daß eine gemeinsame Basis für


die von ihm aufzustellenden Amendments zum MacDonald-Plan gefunden
sei. Aus den Erklärungen, die der Geschäftsträger, Fürst Bismarck, im Auf-
trag der Reichsregierung ihm übermittelt habe,4) habe er dann später mit
Bedauern feststellen müssen, daß die deutsche Regierung neuerdings
schärfere Forderungen als bei der persönlichen Fühlungnahme gestellt habe.
Der Botschafter wollte wissen, ob eine Replik des Herrn Reichsministers
beabsichtigt sei.5) Er schlüge vor, in einer evtl. Antwort stark zu unter-
streichen, daß die Vorverhandlungen über die neuen englischen Vorschläge
unter Ausschluß der Deutschen geführt worden wären, und ferner die Be-
hauptung richtigzustellen, daß die durch Bismarck überreichten Erklärungen
eine Versteifung der deutschen Forderungen darstellen.6)
Hiermit Herrn Reichsminister gehorsamst vorgelegt.
H. KOTZE
(4) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 480, Anm. 5.
(5) Randbemerkung Bülows: „Nein".
*(6) Randbemerkungen: „Der Herr RM bittet, Herrn v. Hoesch Mitteilung von der Instruk-
tion, die Aschmann heute an die Presse gegeben hat, zu machen. Herr v. Hoesch hat
den Herrn RM auch selbst angerufen. Der Herr RM hat auf die Richtigstellung durch
die Presse verwiesen u. gesagt, daß er nicht beabsichtige, die Polemik fortzusetzen.
Hiermit Herrn St.S. vorzulegen. V[ölekerjs 18. 10."
,H[errn] GR Völdcers. Heutiges Inf[ormations-]Material (siehe diplom[atisch-]polit[isehe]
Korrespondenz) ist an Botschaft London gegeben mit dem Ersuchen, es auch über
Ustinow an Reuter zu geben. Asch(man]n 18. 10."
Eine Mitteilung an die deutsehe Presse, die bei der Kommentierung der Rede Simons
als Sprachregelung diente, ist gefilmt unter 3154/D 670 138-40.

14
9460/E 667 431-33
Autzeichnung des Botschafters in Moskau von Dirksen (z. Z. Berlin) •)
Geheim BERLIN,den 18. Oktober 1933
zu IV Ru. 46002) III
AUFZEICHNUNG

Die Gespräche, die ich mit dem Botschafter Chintschuk über den gegen-
wärtigen Stand der deutsch-sowjetischen Beziehungen gehabt habe, ver-
liefen folgendermaßen:
Nach meiner Ankunft in Berlin suchte ich Herrn Chintschuk am Donners-
tag, den 12. d.M. auf. Ich hatte kurz vorher einen Brief von Herrn von
Twardowski bekommen, dem seine Aufzeichnung über die Unterhaltung mit
Herrn Stern 3 ) beilag.

*(t) Siehe Dokument Nr. 7, Anm. 1. - Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen
V(öloker]s 21. 10."
(2) IV Ru. 4600: Telegramm Twardowskis Nr. 234 vom 16. Oktober (6609/E 497 247-51)
Siehe Dokument Nr. 12 und Anm. 2 dazu.
(3) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 487.

20
Nr. 14 18. OKTOBER 1933

Ich sagte Herrn Chintschuk, ich bedauerte sehr, daß anläßlich der An-
wesenheit Herrn Krestinskis in Deutschland dieser von der ihm gebotenen
Gelegenheit zu politischen Unterhaltungen in Berlin, insbesondere zu einer
Besprechung mit dem Herrn Reichskanzler, keinen Gebrauch gemacht habe.
Schon aus der Tatsache, daß Herr Krestinski über Wien nach Hause ge-
fahren sei, sei eine Ablehnung der ihm gegebenen politischen Möglich-
keiten zu erkennen gewesen. Wenn irgendein Zweifel noch über die Ab-
sichten der Sowjetregierung bestanden habe, so sei dieser durch die Unter-
haltung von Herrn Stern mit Herrn von Twardowski beseitigt worden. Auf
den Vorhalt von Herrn von Twardowski über die Schlüsse, die wir aus
einem Ausweichen Herrn Krestinskis durch direkte Rückreise über Wien
ziehen müßten, habe Herr Stern ausdrücklich gesagt, man sei eben in
Kreisen der Sowjetregierung der Ansicht, daß zur Zeit die Atmosphäre für
politische Unterhaltungen mit Deutschland nicht günstig genug sei; infolge-
dessen solle lieber beiderseits eine günstigere Stimmung abgewartet
werden.
Herr Chintschuk bemühte sich, den Reiseweg von Herrn Krestinski als
lediglich durch den Wunsch der Konsultation eines Arztes in Wien be-
gründet hinzustellen; als ich ihm den Inhalt des Gespräches Twardowski-
Stern wiedergegeben hatte, wußte er sich nicht anders zu helfen als durch
die Ausrede, daß Herr Stern sicherlich nicht befugt gewesen wäre, in dieser
Weise zu sprechen. Die Sowjetregierung wünsche gute Beziehungen zu
Deutschland; im übrigen legte Herr Chintschuk immer erneut Wert darauf,
daß die Wiederzulassung der Sowjetjournalisten zum Leipziger Prozeß 4)
gewissermaßen die Vorbedingung für alles Weitere sei. Ich erwiderte ihm,
daß alle weiteren Ersuchen der Sowjetregierung in dieser Beziehung nutz-
los seien; durch die vollzogene Ausweisung der deutschen Journalisten aus
Moskau sei die Tür für Verhandlungen in jeder Beziehung zugeschlagen
worden.
Am Freitag, dem 13. d.M., traf ich Herrn Chintschuk wieder auf einer
Abendgesellschaft bei Geheimrat Krückmann. Herr Chintschuk fragte mich
nach meinen Reiseplänen, worauf ich ihm darlegte, daß ich meine Abreise
nach Japan vorverlegt hätte, insbesondere um schon vor dem 1. Januar
mein Beglaubigungsschreiben abgeben zu können. Dazu käme, daß ich
meinen Aufenthalt in Moskau auf das durch Abschiedsbesuche bedingte
Maß hätte einschränken können, da eine Gelegenheit zu weitergehenden
politischen Gesprächen ja nunmehr nicht bestände.
Herr Chintschuk war über diese Mitteilungen sichtlich betroffen und
fragte wiederholt, was denn nun zu tun sei. Ich erwiderte ihm, daß unserer-
seits zweifellos keine Schritte unternommen werden würden, seitdem die
Verhandlungsbereitschaft, die wir durch den in Aussicht genommenen
Empfang Herrn Krestinskis beim Herrn Reichskanzler gezeigt hätten,
russischerseits zurückgewiesen worden wäre.
Hiermit dem Herrn Reichsminister über den Herrn Staatssekretär und
Herrn Ministerialdirektor Meyer vorgelegt.
gez. v. DIRKSEN

*(4) Siehe Dokument Nr. 12, Anm. 9.

21
Nr. 15 20. OKTOBER 1933

15
8911/E 621 809-11
Der Leiter des Verbindungsstabes der NSDAP an Gesandtschaftsrat Hüffer
Verbindungsstab der NSDAP BERLIN, den 20. Oktober 1933
Außenpol. Referat Ts. 1294
N./V.
Sehr geehrter Herr Doktor!
Im Anschluß an unsere gestrige Unterredung') übersende ich Ihnen in
Abschrift den mir von Pg. Wiegand von Hohen-Aesten eingereichten Brief
an Pg. Dr. Graeschke.2)
Heil Hitler!
Der Leiter des Verbindungsstabes
i. V. DEFHOLZ

[Anlage]
Abschrift

S. Wiegand von Hohen-Aesten BERLINW. 30, den 18. Oktober 1933


Rosenheimerstr. 17
Sehr geehrter Herr Pg. Dr. Graeschke!
In Ergänzung unserer letzten Besprechung teile ich Ihnen folgende Infor-
mation mit:
Gleich nach der Bekanntgabe des Textes des Appells des Herrn Reichs-
kanzlers an die Weltöffentlichkeit3) und des anschließenden Aufrufs unserer
Regierung 4 ) hatte ich Gelegenheit, mich mit den mir persönlich gut bekann-
ten Gesandten von Jugoslawien und der Tschechoslowakei, Herrn Balugdzic
und Mastny, über den Sinn und die politische Bedeutung beider dieser Ver-
öffentlichungen zu unterhalten.
Abgesehen von der Hochachtung vor der Person des Führers und aufrich-
tiger Bewunderung seiner staatsmännischen Genialität, die von beiden
Diplomaten unserem Volkskanzler gezollt werden, gewann ich aus dieser
Unterredung die Überzeugung, daß beide Exzellenzen geneigt wären, sich
mit ihren Regierungen in Verbindung zu setzen mit dem Ziel, die feierliche
Erklärung der deutschen Regierung: „durch den Abschluß kontinentaler
Nichtangriffspakte auf längste Sicht den Frieden Europas sicherzustellen",
als Grundlage für die Anbahnung der Verhandlungen über den Abschluß
der Nichtangriffspakte zwischen dem Deutschen Reich und Jugoslawien bzw.
der Tschechoslowakei wärmstens zu empfehlen, sobald sie (die Herren
Balugdzic und Mastny), durch vertrauliche Fühlungnahme mit den maßgeb-
lichen Vertretern unserer Partei, die Überzeugung gewinnen, daß ihre dies-
bezüglichen Anregungen von den führenden Männern der NSDAP geteilt
und unterstützt werden.

• (i) Nicht ermittelt.


*(2) Nähere Angaben über die Parteiämter Graeschkes konnten nicht ermittelt werden.
(3) Siehe Dokument Nr. 1, Anm. 1.
(4) Dokument Nr. 1.

22
Nr. 17 19. OKTOBER 1933

Daß die beiden Diplomaten Wert darauf legen, vorerst die Meinung der
in Frage kommenden Parteifunktionäre hierüber zu hören, ergibt sich aus
der Stellung, die unsere Partei im Staate einnimmt, einer Stellung, mit der
jeder Diplomat unbedingt zu rechnen hat.
Indem ich Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, diese Information zur Kennt-
nis bringe, bitte ich Sie, sie an Ihre vorgesetzte Stelle weiterzuleiten und
dort zu erfragen, ob man höheren Orts bereit wäre, die von den Gesandten
Jugoslawiens und der Tschechoslowakei gewünschte Fühlung zu nehmen.6)
Heil Hitler!
(5) Siehe die Dokumente Nr. 68 und 91.

16
8580/E 601 927
Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Völckers
Unter Umschlag BERLIN, den 19. Oktober 1933
e. o. IV Chi. 2366
Generaloberst von Seeckt wurde heute auf seinen Wunsch vom Herrn
Reichsminister empfangen. Herr von Seeckt berichtete dem Minister über
seine Chinareise l) und erwähnte bei der Gelegenheit, daß der Marschall
Chiang Kai-shek ihn aufgefordert habe, als militärischer Berater nach China
zu kommen. Der Herr Reichsminister hat Herrn von Seeckt erklärt, daß
diese Tätigkeit politisch für uns im Augenblick nicht tragbar sei, und hat
ihn ersucht, das Ansuchen abzulehnen. Herr von Seeckt hat dieses zugesagt.
Hiermit über den Herrn Staatssekretär Herrn Direktor IV 2 ) vorzulegen.
VÖLCKERS

(l) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 412.


• (2) Meyer.

17
8125/E 581 734-43
Kardinalstaatssekretär Pacelli
an den Botschafter beim Heiligen Stuhl von Bergen •)
Abschrift
Segreteria di Stato di Sua Santitä DAL VATICANO, den 19. Oktober 1933
Nr. 2976/33
Euer Exzellenz
spreche ich den verbindlichsten Dank aus für Ihre gestrige sehr geschätzte
Meldung, daß Herr Ministerialdirektor Dr. Buttmann noch im Laufe dieser

(i) Bergen übermittelte mit Bericht Nr. 264 vom 23. Oktober (8115/E580 114) eine Abschrift
des vorliegenden Dokuments an das Auswärtige Amt.

23
Nr. 17 19. OKTOBER 1933

Woche nach Rom reisen wird. 2 ) Der H[ei]l[ige] Stuhl ist bereit, nach seiner
Ankunft unverzüglich in die vereinbarten Verhandlungen einzutreten.
In diesem Zusammenhange darf ich Euer Exzellenz bitten, H e r r n Dr. Butt-
m a n n in seiner Eigenschaft als außerordentlichem Bevollmächtigten d e r
Reichsregierung für die Verhandlungen mit dem Hl. Stuhl nach seiner A n -
kunft in Rom umgehend das anliegende Promemoria auszuhändigen. Indem
der Hl. Stuhl es überreicht, legt Er W e r t darauf zu betonen, daß es in k e i n e r
W e i s e die Sphäre des rein Politischen berühren will, daß vielmehr die nach-
gerade zur Unerträglichkeit gesteigerten Schwierigkeiten und Bedrückungen,
die die katholische Kirche in Deutschland in offenbarem Gegensatz zum
Konkordat erfährt, dem Hl. Stuhl diesen Schritt zur strengen und unabweis-
lichen Pflicht gemacht haben. Ich k a n n nur der Hoffnung Ausdruck geben,
daß die bevorstehenden Verhandlungen zur beschleunigten Abstellung d e r
im Promemoria aufgeführten konkordatswidrigen Zustände führen werden. 3 )
Ich benütze die Gelegenheit, um Eure Exzellenz meiner ausgezeichneten
V e r e h r u n g zu versichern, in der ich verbleibe
Eurer Exzellenz ergebenster
gez. E. CARD. PACELLI

[Anlage]
Abschrift
Segreteria di Stato di Sua Santitä DAL VATICANO, den 19. O k t o b e r 1933
Nr. 2976/33
Bereits vor der Ratifizierung des Reichskonkordats 4 ) hat der Hl. Stuhl die
Reichsregierung mehrfach mit Nachdruck darauf aufmerksam gemacht, d a ß
seitens staatlicher oder sich auf die Staatsgewalt berufender Stellen eine
wachsende Zahl v o n Verfügungen und Eingriffen in den durch die Kon-
kordatsbestimmungen geschützten Wirkungs- und Freiheitsbereich der
katholischen Kirche erfolgt seien, die in offenbarem Widerspruch zu d e n
W o r t e n und dem Geist des Vertragswerkes stehen und zu den Zusiche-
rungen, die von verantwortlicher Stelle wiederholt in feierlicher W e i s e
gegeben worde n sind. Zugleich wurde um angemessenes Einschreiten gegen
diese Übergriffe ersucht.
Den Wunsch der Reichsregierung, durch eine baldige Ratifikation die
Zwischenphase der Unsicherheit und des Zweifels zu beenden, hat der Hl.
Stuhl erfüllt trotz schwerer Bedenken und ungeachtet seines begreiflichen
Strebens, vorerst die Anwendungsgrundsätze für Art. 31 und den Katalog

*(2) Siehe Dokument Nr. 6, Anm. 6. Menshausen vermerkte in einer Aufzeichnung vom
20. Oktober (8115/E 580 095), er habe Klee telephonisch mitgeteilt, daß Buttmann am
Abend des 22. Oktober in Rom eintreffen und „persönliche Instruktionen" des Reichs-
kanzlers mitbringen werde.
(3) Die Verhandlungen zwischen Buttmann und Pacelli endeten ohne Ergebnis am 28. Ok-
tober, als Buttmann zur Unterrichtung Hitlers nach Berlin zurückkehrte; siehe Tele-
gramm Bergens Nr. 79 vom 27. Oktober (8115/E 580 102). Am 28. Oktober übermittelte
Pacelli Buttmann eine Zusammenfassung der geklärten und ungeklärten Verhandlungs-
punkte nebst einer Zusatzaufzeichnung. Buttmann übersandte diese Dokumente am
1. Dezember an Neurath (8115/E 580 131-42). Siehe auch die Dokumente Nr. 98 und 121.
*(4) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Anmerkung der Herausgeber nach Dokument Nr. 422, S. 780.

24
Nr. 17 19. OKTOBER 1933

der unter seinen Schutz fallenden katholischen Organisationen endgültig


vereinbart zu sehen. Er tat dies nicht zuletzt deshalb, weil von Seiten der
Regierungsvertreter erklärt worden war, mit geschehener Ratifikation er-
lange die Reichsregierung erst die gesetzliche Handhabe, um die kraftvolle
und sinngetreue Durchführung der Konkordatsbestimmungen gegen die
sich in gewissen Ländern und Gebieten geltend machenden Strömungen zu
sichern. Zugleich erklärte sich die Reichsregierung zur Besprechung gewis-
ser noch umstrittener Punkte bereit.
Die unterdessen zur Kenntnis des Hl. Stuhles gelangten Vorkommnisse
machen es Ihm jedoch zur unabweisbaren Pflicht, nicht zu schweigen gegen-
über den offenbaren Eigenmächtigkeiten und Gewalttätigkeiten, durch die
in Deutschland und besonders in gewissen Gebieten konkordatlich ge-
schützte und unveräußerliche Freiheitsrechte des katholischen Bekenntnisses
unterdrückt werden und ein Zustand geschaffen wird, der von den Er-
fahrungen des beklagenswerten Kulturkampfes früherer Zeiten sich nur
durch seine größere Härte und Willkür unterscheidet. Mit immer stärkerer
Ungeduld schaut das in seinen Gefühlen verletzte, in seinen Überzeugungen
enttäuschte, in seinen Freiheitsrechten und seinen Interessen, seiner wirt-
schaftlichen und bürgerlichen Existenz geschädigte katholische Volk nach
seinen geistlichen Oberhirten aus und erwartet und verlangt von ihnen das
Wort des Freimuts und der Verwahrung, das zum Besten des Leidenden
und Bedrückten stets eine apostolische Pflicht des Episkopats war. Immer
dringender und beschwörender wird der Ruf der Bischöfe an den Aposto-
lischen Stuhl als den kirchlichen Garanten einer sinngemäßen und würdigen
Erfüllung der in dem Reichskonkordat getroffenen und angebahnten Ver-
einbarungen. In dem Bestreben, der deutschen Reichsregierung die Peinlich-
keit einer öffentlichen Auseinandersetzung über die vielfach bestehenden
Zustände zu ersparen, und von dem Willen geleitet, in gegenseitiger Ein-
tracht die Mißstände behoben zu sehen, hat der HI. Stuhl bisher den Weg
vertraulicher Verhandlungen der Flucht in die Öffentlichkeit vorgezogen.
Er kann jedoch nicht zulassen, daß die durch diese seine versöhnliche und
abwartende Haltung bedingte Frist von Vertretern einer anderen und ver-
tragswidrigen Richtung ausgenutzt werde zu einer immer weiter fortschrei-
tenden, vielfach offenbar planmäßigen Minderung des bei der Vertrags-
unterzeichnung vorliegenden und vertraglich geschützten Besitzstandes des
katholischen Volksteils in Deutschland auf den verschiedensten Gebieten
seiner berechtigten und selbstverständlichen Betätigungsformen kirchlichen
und religiösen Lebens. Der Hl. Stuhl darf annehmen, daß die fortgesetzten
Beeinträchtigungen des katholischen Volksteils der Reichsregierung nur zu
sehr bekannt sind, und verzichtet daher - unter Hinweis auf die in Aussicht
stehenden Besprechungen - darauf, an dieser Stelle in Einzelheiten einzu-
treten. Er weist lediglich beispielsweise auf einige zentrale Fragen hin, die
er auch schon bei früheren Gelegenheiten in den Vordergrund der Er-
örterungen zu rücken genötigt war. Hierher gehören:
1. Die mit allen möglichen Mitteln betriebene Niederhaltung und Er-
drückung katholischer Vereine und Organisationen, vielerorts Verbot ihrer
Veranstaltungen (dem Katholischen Frauenbund sind in einem Land sogar
Nähabende für die Winterhilfe verboten worden), Wegnahme ihrer Heime

25
Nr. 17 19. OKTOBER 1933

oder Ausrüstung, ihre nationale Verfemung, die Verfolgung ihrer Mit-


glieder durch wirtschaftlichen Druck und Bedrohung mit Maßregelungen
und Schädigungen aller Art, die Unterbindung der geregelten Werbung
neuer Mitglieder, die Verhinderung der gleichmäßigen Mitgliedschaft in
Hitlerjugend und religiösen Vereinen usw. Neuerdings treten auf dem
Gebiet der katholischen Caritas ernste Behinderungen ein.
2. Die planmäßige Lahmlegung, die wirtschaftliche Vernichtung sowie
auch die meinungsmäßige Knechtung der katholischen Presse, letzteres
selbst in solchen Fragen, wo es sich um die pflichtmäßige Geltendmachung
katholischer Glaubens- und Lebensgrundsätze handelt. Selbst die Bezeich-
nung „Katholische Presse" ist, jedenfalls vereinzelt, verboten worden. Die
Entziehung amtlicher Nachrichten, Inserate und Publikationen, der Zwang
zur Haltung nationalsozialistischer Blätter, die Drohung wirtschaftlichen
Boykotts oder anderer schwerwiegender Nachteile gegen die Abonnenten
katholischer Blätter werden aus den verschiedensten Orten mit solcher
Gleichmäßigkeit berichtet, daß von zufälligen Exzessen einzelner nicht
gesprochen werden kann. Mancherorts sind Zeitungsverleger sogar wegen
der Veröffentlichung bischöflicher Hirtenschreiben in schwerster Weise
gemaßregelt worden.
3. Die entschädigungslose Entlassung zahlloser katholischer Beamter,
Angestellter und Gewerkschaftssekretäre, lediglich wegen ihrer früheren
aktiven Zugehörigkeit zu politischen Parteien, in denen der deutsche Katho-
lizismus nicht mit Unrecht für lange Zeit die traditionelle Vertretung seiner
religiösen Interessen sehen mußte. Die gegenüber solchen Männern geübte
Haltung findet in den Kreisen des katholischen Volkes um so weniger Ver-
ständnis, als nach übereinstimmenden Mitteilungen das Einströmen außer-
ordentlich zahlreicher militanter Kommunisten in die nationalsozialistischen
Reihen unbedenklich zugelassen wird.
4. Die Sonntagsheiligung gelegentlich öffentlicher Veranstaltungen ent-
spricht auch nicht bescheidenen Anforderungen. Appelle und Festlichkeiten
werden in vollem Widerspruch mit Art. 31 des Konkordats so gelegt, daß
für Gottesdienst und Sakramentsempfang unmöglich Zeit bleibt. Die für
Katholiken verbotenen Gemeinschaftsgottesdienste finden immer noch
statt. Die in manchen Arbeitsdienstlagern bestehenden Zustände geben
sowohl vom Standpunkt der Erfüllung der religiösen Pflichten wie beson-
ders vom sittlichen Standpunkt aus zu schwersten Klagen Anlaß.
5. Die katholischen Theologiestudierenden werden nach dem „Deutschen
Studentenrecht" zum Wehrsport, zum Arbeitsdienst in Arbeitslagern, zum
Eintritt in die studentische Fachschaft gezwungen, ohne daß vorher mit dem
Hl. Stuhl bzw. dem Episkopat festgestellt wurde, welche dieser Betätigun-
gen mit den Aufgaben des priesterlichen Standes vereinbar seien und
welche Formen man für ihre etwaige Verwirklichung mit Rücksicht auf die
Eigenart und die besonderen Aufgaben des priesterlichen Standes zu wählen
habe.
6. Die teilweise noch bestehende Beschlagnahmung kirchlichen Vermö-
gens und kirchlicher Stiftungen. Die Überwachung und mancherorts drako-
nisch strenge Kontrollierung der Predigttätigkeit unter Verletzung der kon-

26
Nr. 17 19. OKTOBER 1933

kordatsgemäßen Freiheit. Unbegründete, vielfach rein willkürliche Verhän-


gung von Schutzhaft über Geistliche. Dabei sind Priester in Kerkerzellen wie
Verbrecher untergebracht worden, ohne daß der Bischof auch nur verstän-
digt oder irgendein Grund der Verhaftung angegeben worden wäre. Die
Amtsentsetzung von geistlichen Religionslehrern ohne jede Benachrichti-
gung des zuständigen Bischofs. Die versuchte Anwendung des sogenannten,
von der katholischen Kirche nicht anerkannten Arierparagraphen auf Ange-
hörige des geistlichen Standes.
7. Die schwere Gefährdung der katholischen Bekenntnisschule nicht nur
durch gesteigerte Propaganda gegen die Bekenntnisschule und durch Ver-
suche, katholische Bekenntnisschulen auf dem Verwaltungswege in Ge-
meinschaftsschulen umzuwandeln, sondern ebenso sehr durch Methoden
der Lehrerbildung, die jegliche katholische Lehrererziehung in der Wurzel
vergiften müssen; so ist es, um nur ein Beispiel anzuführen, unerträglich,
wenn Werke wie Rosenberg, Der Mythos des Zwanzigsten Jahrhunderts, als
Lehrbücher in Lehrerbildungsanstalten gebraucht werden.
8. Die zwangsweise Schulung zur Durchdringung mit nationalsoziali-
stischer Weltanschauung, der in bestimmten Provinzen alle Beamten und
Angestellten, sogar die in der Krankenpflege tätigen katholischen
Schwestern unterstellt werden; da zwischen gewissen bisher vertretenen
Grundsätzen der nationalsozialistischen Weltanschauung und dem katho-
lischen Glauben wesentliche Differenzen bestehen, ist eine solche zwangs-
weise Schulung offensichtlich gegen Art. 1 des Reichskonkordats.
9. Der Gewissensdruck, in den die kirchlich gesinnten Katholiken durch
das sogenannte Sterilisierungsgesetz kommen, und die Notwendigkeit
einer Lösung, welche unüberwindbaren Gewissensbedenken gesetzgeberisch
Rechnung trägt.
Der Hl. Stuhl gibt sich der Hoffnung hin, daß die deutsche Reichsregie-
rung die zwingenden Gründe würdigt, aus denen er es für angezeigt hält,
auf die Notwendigkeit einer beschleunigten und wirksamen Abstellung der-
jenigen Übergriffe zu drängen, die auf Eigenmächtigkeit untergeordneter,
aber einflußstarker Stellen zurückgehen, wie auch einer baldigen vereinbar-
lichen Regelung derjenigen Fragen, die z. Z. die volle Auswirkung des von
beiden Seiten beim Konkordatsabschluß ersehnten aufrichtigen Friedens-
zustandes zwischen Kirche und Staat in bedauerlichem Maße verzögern.
Die bisherige Zurückhaltung des Hl. Stuhles in der Öffentlichkeit hat
sowohl innerhalb Deutschlands als auch in der übrigen Welt die katho-
lischen Gewissen teilweise zu Auffassungen und Urteilen - wenn auch ohne
jede sachliche Berechtigung - gelangen lassen, die den Hl. Stuhl im Inter-
esse seiner Würde und der hohen moralischen Autorität seiner weltumspan-
nenden Mission nicht gleichgültig lassen können. Wenn nicht in kurzer
Frist die überzeugende Sprache der Tatsachen die katholische Welt darüber
aufzuklären imstande sein sollte, daß den berechtigten Forderungen der
katholischen Kirche Genüge geschehen ist, so wird der Hl. Stuhl nicht umhin
können, in der ihm geeignet erscheinenden Weise bekanntzugeben, was er
im Interesse des Friedens, der Gerechtigkeit und Freiheit getan hat, um
klarzustellen, daß die trotz all seiner Bemühungen noch nicht beseitigten

27
Nr. 18 20. OKTOBER 1933

Verstöße gegen die Gerechtigkeit und gegen die Freiheit der Kirche und
ihrer Bekenner in Deutschland nicht hoffen können, durch ein beschönigen-
des Schweigen der obersten kirchlichen Stelle der verdienten Beurteilung
entzogen zu werden.
SEGRETERIA DI STATO DI SUA SANTITÄ

18
7467/H 178 903-06
Der Botschafter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 240 vom 20. 10. ROM (QUIR.), den 20. Oktober 1933 23 Uhr 50
Ankunft: 21. Oktober 2 Uhr 45
II F. Abr. 3412
Suvich bat mich heute in dringender Form zu sich, um mir folgendes mit-
zuteilen: Mussolini habe ihn beauftragt, mir ganz klaren Wein über seine
Auffassung bezüglich unseres Austritts aus dem Völkerbund einzuschenken.
An Hand von Notizen, die entweder von Mussolini stammten oder auf
Grund der Unterhaltung mit ihm aufgesetzt waren, ausführte Suvich, die
von der Regierung dirigierte günstige Haltung der italienischen Presse, so
auch gestriger Popolo d' Italia-Artikel, dürften nicht darüber täuschen, daß
Regierungschef über unseren Schritt sehr erregt sei und ihn aufs äußerste
beklage. Ausscheidung erfolge in einem Augenblick, in dem seines Erach-
tens taktisch Fortsetzung der Verhandlungen, gerade vom deutschen Stand-
punkte aus, nötig gewesen wäre. Es liege ihm aber fern, uns darüber Vor-
schriften oder Vorhaltungen zu machen, weil er unsere Motive sich schon
erklären könne, aber Ergebnis sei sehr bedenklich und lähme [vor allen
Dingen] ') jede italienische Betätigung im Sinne Rüstungsausgleichs. Wären
wir nur aus Abrüstungskonferenz ausgeschieden, so ergäbe sich zwanglos,
wie in Unterhaltung mit mir 2 ) dargelegt, Rückgriff auf Viererpakt. Aus-
scheiden aus dem Völkerbund aber mache dies unmöglich, wie schon fran-
zösische Kammerverhandlungen 3 ) bewiesen. Matin habe geschrieben, daß
seit Matteotti-Affaire4) deutscher Schritt schwerster Schlag für Mussolinis

*(l) Diese G r u p p e w u r d e in der V o r l a g e bei der Übermittlung verstümmelt. Sie w u r d e nach


einer in d e n A k t e n der Botschaft Rom befindliehen Abschrift (M 149/M 005 179-83)
ergänzt.
(2) Dieser Hinweis bezieht sieh auf die U n t e r r e d u n g zwischen Mussolini u n d Hassell am
14. O k t o b e r , siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 502.
(3) Dieser H i n w e i s bezieht sich vermutlich auf außenpolitische E r k l ä r u n g e n , d i e Daladier
am 17. O k t o b e r v o r der französischen A b g e o r d n e t e n k a m m e r a b g e g e b e n h a t t e . Darin
h a t t e der französische Ministerpräsident den deutschen Rückzug v o n der A b r ü s t u n g s -
konferenz s t a r k kritisiert. Der Text d e r K a m m e r r e d e w a r d e m A u s w ä r t i g e n A m t in
T e l e g r a m m Forsters Nr. 820 vom 17. O k t o b e r (3154/D 670 128-30) übermittelt w o r d e n .
(4) Mussolini w u r d e allgemein für die Ermordung des sozialistischen A b g e o r d n e t e n Matteotti
im J a h r e 1924 verantwortlich gemacht.

28
Nr. 18 20. OKTOBER 1933

Prestige. Als ehrlicher Kämpfer müsse er zugeben, daß dieser Hieb franzö-
sischer Zeitung gut getroffen habe. Es sei ganz abwegig, wenn deutsche
Presse jetzt vielfach ihm Initiative zuschiebe, als könne er, nachdem wir
alle Verhandlungsgrundlagen, nämlich Abrüstungskonferenz, Völkerbund
und Viererpakt zerschlagen, dieses Porzellan wieder kitten und als sei er
dazu geradezu verpflichtet. Weder sei er verpflichtet noch könne er erken-
nen, wie dies möglich sein sollte. Er sähe keinen Ausweg aus der Lage, und
er wisse nicht, wie Deutschland weiter vorwärts kommen wolle.
Ich erwiderte zunächst bezüglich Pressestimmen, diese seien nur aus
Gefühl entsprungen, daß Italien als einziges Verständnis gezeigt und ehr-
lich versucht habe, unter Berücksichtigung deutscher Interessen zu Ergebnis
zu gelangen; daraus entspringe Gedanke, Mussolini könne jetzt im Wege
Viererpakts Lage entwirren. Deutsche Regierung sei indessen weit davon
entfernt, eine Vermittlung Mussolinis gewissermaßen zu beanspruchen und
Initiative bezüglich Viererpakts zu verlangen. Kanzler und Außenminister
seien durchaus Gegner einer in Presse vielleicht gelegentlich durchblicken-
den sentimentalen Auffassung deutsch-italienischen Verhältnisses, die von
dieser Zusammenarbeit bald Unmögliches verlange, bald über Versagen
klage. Italienische Politik in Abrüstungsfrage und Mussolinis letztes Be-
mühen würden von deutscher Regierung durchaus anerkannt; ich könnte
daher auch nicht ganz verstehen, wie sich Mussolini von so eklatanter
Stinkbombe wie Mafin-Artikel beeindrucken lassen könne. Zur Sache selbst
erläuterte ich deutschen Standpunkt an Hand Telegramm Nr. 2506) sowie
Artikel von R[udolf] K[ircher] in Frankfurter Zeitung. Kernpunkt liege
nicht in Einzelfragen, sondern, darin, daß man uns gegebenes Versprechen
nicht mehr halten wolle, weil neue angeblich kriegerische deutsche Regie-
rung Garantien nicht mehr böte. Auf dieser Grundlage könnten wir nicht
mehr verhandeln, zumal wir schlechterdings nicht wüßten, was wir noch tun
sollten, unseren Friedenswillen besonders gegenüber Frankreich zu be-
weisen. Beweispflichtig für ihre Sorge sei im Gegenteil andere Seite.
Suvich einwendete, daß auch gerade unser Verfahren Nervosität der
anderen Seite, von der in Artikel Frankfurter Zeitung die Rede, neu ge-
steigert habe. Jedenfalls sei in der Sache mindestens bis zum 12. Novem-
ber 6 ) nichts zu machen. Die italienische Regierung sei für weitere Ver-
tagung der Abrüstungskonferenz. Der von anderer Seite vorgeschlagene
Weg, Konvention ohne Deutschland aufzustellen und Deutschland zur An-
nahme oder Ablehnung vorzulegen, scheine Italien nicht gangbar. Ich
erwiderte, daß wir der anderen Seite, wenn sie diesen Weg gehen wollte,
Verantwortung ganz überlassen müßten. Das einzige, was jetzt geschehen
könnte, sei, so meinte Suvich, diplomatische Besprechungen zwischen den
einzelnen Regierungen, um Atmosphäre allmählich zu bereinigen.
Erregung Mussolinis über deutschen Schritt wird mir auch von anderer
Seite bestätigt; deutsche Pressestimmen über angebliche bevorstehende
italienische Initiative auf Basis Viererpakts haben weiter verstimmt. Zur
Wiederherstellung deutsch-italienischen Vertrauensverhältnisses empfehle

(5) Fundort: 9653/E 680 943-46.


(«) Siehe Dokument Nr. 1, Anm. 3.

29
Nr. 19 20. OKTOBER 1933

dringend baldige Absendung des in Telegramm 251 7) erwähnten Briefes


unter Beachtung des sich aus vorstehendem ergebenden psychologischen
Moments.
Anrege, Brief mir mit regelmäßigem deutschen Flieger zur persönlichen
Übergabe zu senden,8) da ich vielleicht mündlich einiges ergänzen kann.
HASSELL

(?) Neurath hatte Hassell in Telegramm Nr. 251 vom 19. Oktober (3154/D 670 142) mitge-
teilt, Hitler habe ihm erneut zugesagt, Mussolini einen persönlichen Brief zu schreiben.
Siehe auch Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 500, Anm. 6.
*(8) Hierzu finden sidi in den Akten des Reichsministers folgende Notizen (3154/D 670
186-88):
„Der Kanzler hat erklärt, daß er einen Brief an M[ussolini] schreiben werde und diesen
durch einen Spezialbevollmächtigten mit münd[lichen] Instruktionen nach Rom bringen
lassen werde, v. N[eurath] 25. 10."
„Der Herr Reichsminister wird heute nachmittag Herrn von Hassell telefonisch ver-
ständigen. [Völckers 25. 10.]"
„Ich habe den Botschafter von Hassell verständigt, v. N[eurath] 25. 10."
Für die weitere Entwicklung siehe Dokument Nr. 40.

19
7360/E 537 963-66
Der Botschalter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 240 vom 20. 10. LONDON, den 21. Oktober 1933 12 Uhr 28
Ankunft: 21. Oktober 3 Uhr 55
II F. Abr. 3454
Für Reichsminister persönlich und ausschließlich.
Simon bat mich heute zu sich *) und ersuchte mich um Unterstützung und
Rat zwecks Beseitigung der zwischen dem Reichsminister und ihm ent-
standenen persönlichen Differenz.2)
Er ausführte, Differenz zwischen den beiden Außenministern sei zunächst
sachlich unerwünscht und müsse aus allgemeinem politischem Interesse
beseitigt werden. Darüber hinaus sei es ihm aber auch angesichts mehr-
jähriger guter Beziehungen zwischen Reichsminister und ihm und häufigem
freundschaftlichem Verkehr von Haus zu Haus schmerzlich, daß die frag-
lichen Differenzen entstanden seien, die durchaus nicht zusammenstimmten
mit dem Ansehen und Vertrauen, das dem Reichsminister von englischer
Regierung und nicht zum mindesten von ihm selbst entgegengebracht werde.
Er wünsche das seinige zu ihrer Beseitigung beizutragen.
Sachlich habe er in der Tat Eindruck gehabt, als ob Reichsminister in
Genf, ohne allerdings irgendwelche Zusicherungen zu machen, in Frage

*(l) Ein Bericht Simons über die Unterredung, der am 20. Oktober Botschafter Phipps über-
mittelt wurde, ist abgedruckt in Documents on British Foreign Pollcy, 2. Serie, Bd. V,
Nr. 475.
(2) Siehe Dokument Nr. 13.

30
Nr. 19 20. OKTOBER 1933

Zweiteilung Konvention und Musterwaffen eine entgegenkommendere


Sprache geführt habe 3 ) als Bismarck in Ausführung seiner Instruktion
vom 6. Oktober. 4 ) Dies habe er dementsprechend Bismarck und später am
10. Oktober mir gegenüber zum Ausdruck gebracht.5) öffentlich habe er
aber nichts über diesen vermeintlichen Unterschied verlauten lassen und
sich auch in seiner Rede in Genf am 13.6) Oktober absichtlich jeder Er-
wähnung Deutschlands enthalten. Reichsminister habe darauf in seiner
öffentlichen Darlegung den deutschen Standpunkt gegen ihn polemisiert,7)
was er zwar bedauert, aber begreift, da es ja Reichsminister darauf hätte
ankommen müssen, deutschen Standpunkt in möglichst umfassender und
wirkungsvoller Weise darzulegen. Ihm sei es andererseits unmöglich ge-
wesen, Ausführungen Reichsministers unbeantwortet zu lassen, da er sonst
einem Kreuzfeuer von Anfragen und Anwürfen ausgesetzt gewesen wäre
und sich auf eine peinliche, in ihren Auswirkungen möglicherweise sehr
unerfreuliche Debatte nach Zusammentritt Parlaments hätte gefaßt machen
müssen. Die Berliner Repliken 8 ) hätten dann wie eine Fortsetzung der
Kontroverse gewirkt, die er eben jetzt beizulegen wünsche und hoffe, daß
damit das alte Verhältnis zwischen Reichsminister und ihm wiederherge-
stellt werde.
Habe es sich bei den vorstehenden Divergenzen um bedauerliche Mißver-
ständnisse gehandelt, so sei der gegen ihn erhobene Vorwurf, daß er
Amerika falsch informiert habe,9) geeignet gewesen, ihn zu verletzen. Er
habe sofort Ermittlungen vorgenommen und festgestellt, daß eine direkte
Unterrichtung Washingtons oder eine Informierung hiesigen amerika-
nischen Botschafters10) nicht stattgefunden habe. Zwar habe er franzö-
sischen Botschafter n ) und italienischen Geschäftsträger 12 ) kurz ins Bild
gesetzt, Amerika aber sei englischerseits nur durch eine Mitteilung Cado-
gans an Norman Davis unterrichtet worden, die sich als überflüssig er-
wiesen habe, da Norman Davis Cadogan erklärt habe, Weizsäcker habe
ihm soeben die Instruktion an Bismarck vorgelesen.13) Er fühle sich also
(3) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 447.
(4) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 480, Anm. 5.
(5) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 486.
(6) Randbemerkung: „14.?" - Der Hinweis bezieht sich offenkundig auf eine Rede, die
Simon am 14. Oktober auf einer Sitzung des Büros der Abrüstungskonferenz gehalten
hatte. Der Text der Rede ist abgedruckt in S.d.N., Conference pour la Reduction et la
Limitation des Armements, Actes, Serie C, Bd. II, S. 181-83.
(?) Siehe Dokument Nr. 8, Anm. 1.
(8) Siehe Dokument Nr. 13.
(8) Neurath hatte in seiner Rede am 16. Oktober (siehe Dokument Nr. 8, Anm. 1) erklärt:
„Unsere Instruktion nach London vom 6. Oktober wurde in so mißverständlicher Form
nach Washington weitergegeben, daß dort der Eindruck entstand, wir hätten neue, die
Konferenz gefährdende Forderungen erhoben. In Washington erfolgte daraufhin eine
offiziöse Verlautbarung, in der gesagt wurde, die Regierung der Vereinigten Staaten
sei durch den Berliner Vertrag von 1921 Mitunterzeichner der Abrüstungsbestimmungen
des VersaiUer Vertrages geworden und fühle sich deshalb berechtigt, in Deutsehland
Vorstellungen gegen die deutschen Forderungen zu erheben." Siehe auch Foreign
Relations ol the United States, 1933, Bd. I, S. 240-45.
• (10) Bingham.
*(il) Corbin.
• (12) Botschaftsrat Vitetti.
(13) Siehe Foreign Relations oi the Uniled States, 1933, Bd. I, S. 238-40.

31
Nr. 19 20. OKTOBER 1933

bezüglich des Vorwurfs tendenziöser Unterrichtung Washingtons unschul-


dig, da eben, abgesehen von dem Besuch Cadogans bei Norman Davis,
überhaupt keine Unterrichtung erfolgt sei.
Er ergreife gern die Initiative zur Beilegung der entstandenen persön-
lichen Differenz und hoffe sehr, daß auf diese Weise der Streitfall aus der
Welt geschafft werden würde.
Ich bemerkte, mir sei bekannt, daß Reichsminister nicht beabsichtige,
Kontroverse weiterzuführen, wie er ja auch schon auf Rundfunkrede Simons
nicht mehr persönlich geantwortet, sondern dies der Presse überlassen habe.
Im übrigen zusagte ich Übermittlung Mitteilungen Simons, nachdem ich
ihren Inhalt nochmals festgelegt hatte.
Gespräch glitt dann auf Sachlage selbst über, nachdem ich unter Zu-
stimmung Simons ausdrücklich erklärt hatte, daß natürlich von Verhand-
lungen gegenwärtig zwischen uns keine Rede sein könnte. Ich vorhielt
Simon nochmals ganzes Sündenregister englischer Politik: Nichtbeteiligung
Deutschlands an Vorverhandlungen, Abgleiten von Dezember-Verein-
barung,14) Preisgabe MacDonald-Plans,15) Abringen unseres großen Zuge-
ständnisses der Umformung Reichswehr mit nachträglicher Nichterfüllung
der verheißenen Gegenleistung einer sofortigen allgemeinen, insbesondere
französischen Abrüstung, Absurdität der Zumutung einer Prüfungsperiode
mit de facto einseitiger Kontrolle Deutschlands, Verunstaltung Gleich-
berechtigungsprinzips durch Berücksichtigung neuer französischer Sicher-
heitswünsche und Begründung dieses ganzen Abrutschens mit der durch
deutsche Umwälzung geschaffenen Lage. Nachdem Simon Verteidigungs-
versuch unter Hinweis darauf gemacht hatte, daß englischer Ansicht nach
MacDonald-Plan nicht aufgegeben sei, daß er sich nicht auf vierjährige
Dauer Vorperiode eingelassen habe, und daß es seine Absicht gewesen sei,
Frankreich auf substantielle Abrüstungsmaßnahmen in zweiter Periode fest-
zulegen und ihm Entscheidung über Gelingen erster Periode durch Zu-
weisung dieser Entscheidung an ein Kollektivorgan zu entziehen, betonte
Minister, er habe Dezember-Vereinbarung der fünf Mächte mit eigener
Hand unterschrieben und festhalte mithin an Zugeständnis der „egalite
des droits dans un regime de securite". Auf dieser Basis werde er auch
weiterarbeiten mit dem ehrlichen Bemühen, doch eine Einigung herbeizu-
führen. Die Gestaltung der Dinge in Deutschland würde dabei keine Rolle
spielen, da England sich grundsätzlich nicht in die inneren Angelegenheiten
eines anderen Landes einmischen wolle.
Am Schluß Unterhaltung, die von Simon mit dem offensichtlich aufrich-
tigen und sehr eindringlichen Bestreben nach Beseitigung persönlicher
Differenz geführt wurde, meinte Minister, er habe nun Hand zur Beilegung
Verstimmung geboten, könne diese aber ja nicht einseitig beseitigen. Dabei
ließ er durchblicken, daß es ihm lieb wäre, wenn Reichsminister ihm etwa
in einem persönlichen Brief mitteilen würde, daß er persönliche Verstim-
mung als beigelegt ansehe.
HOESCH

(14) Siehe Serie C, Bd. 1,1, Anmerkung der Herausgeber nach Dokument Nr. 8, S. 18.
(15) Siehe Serie C, Bd. 1,1, Dokument Nr. 90.

32
Nr. 20 21. OKTOBER 1933

20
6114/E 454 094-95
Aulzeichnung des Gesandtschaltsrats Hülter')
Eilt sehr BERLIN, den 21. Oktober 1933
Geheim e. o. II Oe. 1706
AUFZEICHNUNG

Landesinspekteur Habicht rief mich soeben telefonisch aus München an


und bat mich, dem Herrn Reichsminister von seinen weiteren Verhand-
lungen Kenntnis zu geben.2) Heute seien bei ihm zwei Abgesandte von
Dollfuß (Abgeordnete) gewesen,3) die sich im ausdrücklichen Auftrag von
Dollfuß über Habichts österreichische Pläne informiert hätten und denen er
in der hier besprochenen Weise Aufklärung gegeben habe. Die Herren
hätten betont, es sei Dollfuß besonders darum zu tun, zu einer Bereinigung
seines Verhältnisses mit dem Deutschen Reich zu kommen. Es fiele Dollfuß
natürlich schwer, dem Reich gegenüber einen Canossa-Gang machen zu
müssen, und er möchte daher zunächst von Habicht wissen, ob eine Be-
teiligung der Nationalsozialisten an der Regierung auch automatisch eine
Bereinigung des Verhältnisses mit dem Deutschen Reich zur Folge habe.
Letzteres sei von Habicht den Herren gegenüber zugesichert worden. Die
beiden Herren reisten noch heute nach Wien zurück mit dem von ihnen
selbst ausgehenden Vorschlage an Dollfuß, Herrn Habicht in den nächsten
14 Tagen auf Grund eines Geleitbriefs nach Wien kommen zu lassen, um
persönlich mit Dollfuß zu verhandeln.
Die betreffenden Herren hätten ebenfalls wieder die Frage angeschnitten,
ob es wünschenswert sei, daß Dollfuß vorher direkt mit den hiesigen
Reichsstellen eine Verbindung herstelle, was von ihm, Habicht, aber als
*(l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. V[ölcker]s 21. 10."
• (2) Für frühere Verhandlungen zwischen Habicht und der Heimwehr-Vertretung in der
österreichischen Regierung siehe Serie C, Bd. 1.2, Dokument Nr. 497 und Anm. 1 dazu,
über die in dem vorliegenden Dokument behandelten Anfänge der Verhandlungen mit
Dollfuß konnten im Archiv des Auswärtigen Amts Akten nicht ermittelt werden. Es
gibt hierüber jedoch eine ausführliche veröffentlichte Darstellung von Franz Langoth,
der Mitglied der Großdeutschen Partei und Abgeordneter im oberösterreidiischen
Landtag war. Langoth war einer der beiden in der Vorlage genannten „Abgesandten
von Dollfuß". Der zweite war Hermann Foppa, Vorsitzender der Großdeutschen Partei
und Mitglied des österreichischen Nationalrats (siehe auch die Dokumente Nr. 35 und
71). Nach Langoths Darstellung waren er und Foppa in einer Unterredung in Marga-
rethenbad (Tschechoslowakei) am 27. September 1933 von Habicht ermächtigt worden,
.gegebenenfalls für die ganze Kampffront mit Kanzler Dollfuß in Verhandlungen zu
treten, soferne sich solche ergeben". Am 13. Oktober hatten Langoth und Foppa sidi zu
einer zweistündigen Unterredung bei Dollfuß eingefunden und mit diesem Möglich-
keiten einer Verständigung mit den Nationalsozialisten erörtert. Dollfuß hatte seine
beiden Gesprächspartner aufgefordert, einen direkten Kontakt zu Hitler und Heß her-
zustellen, sich jedoch ablehnend gegen Verhandlungen mit Habicht und die Landes-
leitung der österreichischen NSDAP in München geäußert. Abschließend hatte Dollfuß
seinen Standpunkt dargelegt und sieh bereit erklärt, für die ungehinderte Ausreise
Langoths und Foppas nach Deutschland Sorge zu tragen. Siehe Langoth, Kampt um
Österreich, S. 120-32. Siehe auch Dokument Nr. 35.
(3) Nach Langoths Darstellung fand diese Unterredung am Nachmittag des 20. Oktober
in München statt. Siehe Langoth, Kampt um Österreich, S. 132-36.

33

II,1 Bg. 3
Nr. 21 22. OKTOBER 1933

unnötig bezeichnet worden sei. - Habicht sagte mir weiterhin, daß er im


übrigen alles tue, um die außerordentlich aussichtsreichen Verhandlungen
nicht von seiner Seite durch irgendwelche Unvorsichtigkeiten zu stören. So
habe er heute seine sämtlichen Gauleiter nach München zusammenberufen
und ihnen in schärfster Form erklärt, daß er sie persönlich dafür haftbar
mache, daß auch nicht der geringste Zwischenfall in Österreich in den näch-
sten Wochen passiere. Gute Absicht oder guten Willen lasse er in Zukunft
nicht mehr gelten; er würde gegen jeden, der nicht pariere, in schärfster
Weise vorgehen.
Im übrigen bat Herr Habicht, seitens des Auswärtigen Amts alles zu ver-
meiden, was etwa die Österreicher als Stärkung ihrer Stellung auslegen
könnten. Er seinerseits wolle mich genauestens über seine Verhandlungen
auf dem laufenden halten,4) um mit dem AA völlig konform gehen zu
können.
Hiermit über Herrn MD Köpke und den Herrn Staatssekretär dem Herrn
Reichsminister gehorsamst vorgelegt.
HÜFFER

(4) Siehe Dokument Nr. 35.

21
9447/E 666 736-37
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 22. Oktober 1933
Heute rief mich der Ministerialdirigent Fischer im preußischen] Innen-
ministerium (Staatspolizei) an und teilte mir folgendes mit:
In den letzten Tagen habe er mit der russischen Botschaft Verhand-
lungen wegen Beilegung des durch die Verhaftung der russischen] Jour-
nalisten entstandenen Zwischenfalles1) geführt. Mit Zustimmung des
Reichskanzlers und des Ministerpräsidenten Göring sei abgemacht worden,
daß die Vertreter der Tass 2) und der Iswestija3) zu dem Reichstagsbrand-
prozeß zugelassen werden sollten, wenn der russische] Botschafter4) die
Zusicherung gebe, daß die Berichterstattung rein objektiv bleibe, und wenn
ferner die bereits gegebene Zusicherung, daß der russische] Sender seine
antideutsche Hetze unterlasse, weiterhin einhalte [sie]. Endlich, daß die aus-
gewiesenen deutschen Journalisten sofort wieder in Rußland zugelassen
würden. Diese Zusicherung habe der russische] Botschafter gegeben. Dar-
aufhin habe der Senat des Reichsgerichts die Zulassung der beiden
russischen] Journalisten beschlossen. Die Karten liegen bereit und sollten
morgen ausgehändigt werden.

(1) Siehe Dokument Nr. 12 und Anm. 9 dazu


• (2) Bespalow.
• (3) Keith.
• (4) Chintschuk.

34
Nr. 22 22. OKTOBER 1933

Ich äußerte mein Erstaunen über dieses Vorgehen der Staatspolizei und
fragte, wie er dazu komme, mit dem russischen] Botschafter direkt zu ver-
handeln. Fischer erklärte, er habe dies auf Weisung Görings getan, weil die
Staatspolizei ja durch die ungerechtfertigte Verhaftung der beiden Russen
an dem ganzen Zwischenfall schuldig sei. Göring habe gesagt, die Sache
müsse in Ordnung gebracht werden. Die deutsch-russischen Beziehungen
ertrügen keine solche Belastung.
Ich sagte darauf Herrn Fischer folgendes: Die Aushändigung der Karten
an die russischen] Journalisten dürfe nicht erfolgen, ehe ich oder mein
Vertreter eine Aussprache mit dem russischen] Botschafter gehabt hätte. Es
handle sich hier um die Erledigung eines politischen Zwischenfalls mit
seinen Konsequenzen, der auf dipIomat[ischem] Wege beigelegt werden
müsse.
Eine Ermächtigung, die Karten an die Journalisten auszuhändigen, erhalte
er von mir erst, nachdem ich die Angelegenheit noch einmal nachgeprüft
hätte, frühestens am Dienstag 5 ) morgen.
v. N[EURATH] 6)
• (5) 24. Oktober.
(«) Bei der Vorlage befindet sich folgende Notiz Neuraths (9447/E 666 734-35): „22. Okt.
St.S.: Ich bitte entweder den russischen] Botschafter kommen zu lassen u. mit ihm die
Angelegenheit zu besprechen oder Meyer zu beauftragen, damit die Sache in unserem
Sinn erledigt wird. Neurath."
Siehe auch Dokument Nr. 34 und Anm. 3 dazu.

22
5865/E 429 478-81
Der Gesandte in Sofia Rümelin an den Reichsminister des Auswärtigen
Freiherrn von Neurath
Vertraulich SOFIA, den 22. Oktober 1933
II Balk. 2236 B.
Sehr verehrter, lieber Baron Neurath,
am Freitag, dem 20. Oktober, ließ mich der König ins Palais rufen, wo
ich zwei Stunden bei ihm war. Da er das immer tut, wenn ich von Berlin
komme, so nahm ich an, daß er sich auch dieses Mal von meinen Berliner
Eindrücken erzählen lassen wolle. Die erste Stunde unserer Unterhaltung
galt aber ausschließlich der auswärtigen Politik. Ich will versuchen, in mög-
lichst komprimierter Form das, was er sagte, wiederzugeben. Der Schwer-
punkt seiner Ausführungen galt der Reise, die er nach der Schweiz, Italien,
Frankreich und England gemacht hat.1) Während des Kuraufenthalts der
Königin 2 ) in Ragaz hat er mit dem Bundespräsidenten Schulthess und Motta

*(l) Die Reise König Boris' III. von Bulgarien hatte in der ersten Hälfte des September 1933
stattgefunden.
• (2) Ioanna.

35
Nr. 22 22. OKTOBER 1933

gesprochen. Den ersteren bezeichnete er als guten Wirtschaftler, während


er von Motta ausführlicher sprach, den er als guten Außenminister und
gründlichen Kenner des Genfer Milieus bezeichnete, auch als überzeugten
Neutralen. Motta habe ihm gesagt, daß die Außenpolitik Bulgariens, im
besonderen die Tendenz, sich aus allen Kombinationen herauszuhalten, die
einzig richtige sei. Motta habe direkt gewarnt, die bisherige Linie zu ver-
lassen.
In Italien hat er bei seinen Schwiegereltern 3 ) längere Unterhaltungen
mit Mussolini gehabt, dem er offen seine Absicht mitteilte, bei nächster
Gelegenheit sich mit dem rumänischen König 4 ) und auch mit dem jugo-
slawischen König 5 ) zu treffen. Der letztere Plan scheint zu einer lebhaften
Auseinandersetzung mit Mussolini geführt zu haben, wobei der König dem
Duce sagte, er habe keine Lust, bei seinen Nachbarn beständig als eine Art
„Führer der Komitadschis" hingestellt zu werden, der einer friedlichen An-
näherung der Balkanstaaten entgegenstehe. Mussolini solle nicht mehr ver-
langen als ein nach allen Seiten unabhängiges Bulgarien. Italien mache es
sich leicht. Es bezeichne sich als Feind Jugoslawiens, aber es sei der größte
Abnehmer jugoslawischer Erzeugnisse, während Bulgarien an wirtschaft-
licher „Asphyxie" zu Grunde gehe. Auch wies er Mussolini auf die
ungünstige Verteidigungslage Bulgariens hin. Mussolini, von dessen Politik
der König schließlich direkt einräumte, daß sie dazu neige, Bulgarien als
„Handelsobjekt" zu behandeln, habe schließlich keine Einwendungen mehr
gegen diese Darlegungen gemacht und sie schweigend angehört.
In England sei er von seinem Onkel, dem König Georg, sehr herzlich aufge-
nommen worden, dem es gesundheitlich nicht gut gehe und der ihn auch auf
der Jagd nicht habe begleiten können. Für die bulgarische Politik habe er
bei dem König volles Verständnis gefunden, ebenso bei Ramsay Mac-
Donald. über die Stellung des derzeitigen Kabinetts zu Deutschland sagte
er, daß Ramsay MacDonald der einzige Mann im Kabinett sei, der gegen
die volle Wiederherstellung der Entente mit Frankreich wie in der unmittel-
baren Nachkriegszeit sich einigermaßen wehre. Die übrigen Minister, dem
Beispiel des Außenministers 6) folgend, bliesen ins gegnerische Hörn. Der
König bat mich, ganz offen sprechen zu dürfen. Die Gegnerschaft komme
nicht von der politischen Struktur unseres Vaterlandes von heute, und sie
gelte noch weniger der Person des Führers, dessen besonnene und vernünf-
tige Außenpolitik anerkannt werde, sondern der Schwerpunkt der Gegner-
schaft liege in der Judenfrage.
Von dem Pariser Aufenthalt sprach der König nur kurz. Die Atmosphäre
war natürlich kühler als in London. Daladier schilderte der König als ernsten
und vernünftigen Mann, der im Unterschied zu manchen seiner Vorgänger
nicht in Phrasen mache und Deutschland gegenüber wenigstens kein
Fanatiker sei. Er selbst habe ihm - Daladier - gesagt, sein Ziel sei die Er-
haltung der Unabhängigkeit Bulgariens, wie es heute sei, und es würde im
Balkan besser aussehen, wenn die Nachbarn wenigstens ihrerseits die

*(3) König Vittorio Emanuele III. und Gattin Elena


• (*) CarolII.
• (5) Aleksandar I.
• («) Simon.

36
Nr. 22 22. OKTOBER 1933

Friedensverträge ausführen würden, womit dann das Thema der Minori-


täten von selbst gegeben war. Die Stimmung uns gegenüber in militärischen
Kreisen Frankreichs sei uns ja bekannt.
Der König sagte dann, daß sein Aufenthalt in London am Ende der Reise
sehr wenig gemütlich gewesen sei. Er habe auf die Rückkehr des Prinzen
von Wales 7 ) vier Tage warten müssen, den er nach dreiundzwanzig Jahren
einmal wieder habe ausführlich sprechen wollen, da er ja, so wie die Dinge
lägen, sehr bald auf den Thron kommen könne. Inzwischen hätten seine
Leute bei dem politisch in gar keiner Weise vorbereiteten Türkenbesuch 8)
nach verschiedenen Seiten hin einen Übereifer an den Tag gelegt, der ihm
politische Sorgen darüber bereitet hätte, ob man auch in Sofia fest bleiben
und keine Voreiligkeiten machen würde. (Darüber berichte ich gelegentlich
noch mündlich.) Dazu seien dann noch die Nachrichten in der bulgarischen
und deutschen Presse gekommen, er würde nach Berlin kommen, obwohl
der Herr Reichspräsident gar nicht in Berlin gewesen wäre. Die Nachricht
sei von dem General Gantscheff und dessen Kamarilla lanciert worden, der
in der von ihm herausgegebenen Balkankorrespondenz - er sage das als
König, nicht als Sohn seines Vaters - die unschöne Tendenz verfolge, den
Anschein hervorzurufen, als sei die Deutschfreundlichkeit des alten Königs
waschechter als die des jungen. Der König hat sofort versucht, als er die
Nachricht und ihren Urheber erfuhr, sich mit Hoesch in Verbindung zu
setzen, der aber auf Urlaub war, um auch nur den Anschein zu vermeiden,
als schneide er das Deutschland von heute. Er hat dann mit Pomenoff tele-
fonisch gesprochen und sich außerdem mit seinem Schwager, dem Prinzen
Philipp von Hessen, in Verbindung gesetzt, der im Flugzeug zu ihm ge-
fahren ist und den er gebeten hat, den Herrn Reichspräsidenten und den
Herrn Reichskanzler über diese Geschichte ins Bild zu setzen.
Am Schluß der Audienz habe ich, ohne Sie irgendwie festzulegen, auf
meine Verantwortung den König vertraulich von den Reiseerwägungen
informiert, die Sie für das Frühjahr haben. (Ich habe mit ihm verabredet,
daß er auch mit dem Ministerpräsidenten 9 ) nicht darüber spricht.) Der König
sagte mir, daß ihm ein Besuch auf der Rückreise von Ankara 10) eigentlich
ziemlich gegeben scheine. Die gemeinschaftliche Kriegsepisode könnten wir
nicht „mit dem Radiergummi wegwischen", und das sei auch gar nicht nötig.
Im Gegenteil würde es nur auffallen, wenn Sie hier durchfahren würden,
ohne auszusteigen.
Die Aufnahme würde sicher sehr gut sein, und er würde sich auch persön-
lich freuen.
• (7) Edward.
(8) Der türkische Ministerpräsident Ismet Pascha und sein Außenminister Ruschdi Bei
waren am 20. September zu einem Staatsbesuch nach Sofia gekommen.
(») Musdianoff.
(10) Ein Besuch Neuraths in Ankara im Frühjahr 1934 wurde eine Zeitlang in Berlin
erwogen. Anfang März teilte der Reichsminister des Auswärtigen jedoch Botschafter
Rosenberg mit, daß die für Mai 1934 in Ankara vorgesehene Konferenz der Außen-
minister der Balkanpakt-Staaten es ihm unmöglich mache, der türkischen Hauptstadt
zu diesem Zeitpunkt einen Besuch abzustatten. Siehe Aufzeichnung ohne Unterschrift
vom 22. September 1933 (9565/E 673 582); Schreiben Rosenbergs an Neurath vom
1. Februar 1934 (9609/E 678 371-73); Schreiben Neuraths an Rosenberg vom 7. März
1934 (9609/E 678 378).

37
Nr. 23 24. OKTOBER 1933

über die Frage, ob der Besuch ein offizieller oder nicht offizieller sein
würde, haben wir in dem jetzigen Stadium der Erwägungen noch nicht
gesprochen. Persönlich neige ich mehr zu einem zwanglosen, inoffiziellen.
Die Aufnahme seitens aller Beteiligten wird in beiden Fällen gleich herzlich
sein.
Interessant war auch noch, daß der König, als er mich um V28 Uhr zur Tür
begleitete, mir noch sagte, er hätte heute abend noch einen gemeinschaft-
lichen bulgarischen Bekannten von uns bei sich, den er als „Mittler" be-
nützen wolle, um die in Universitätskreisen über sein Zusammentreffen mit
dem serbischen König n ) entstandene Erregung zu beschwichtigen! Der
beste Beweis, wie diese Dinge in Wirklichkeit stehen.
Zum Schluß bat der König um Grüße an Sie und auch an den Herrn
Reichspräsidenten, die ich hiermit übermittle.
Da dieser Brief an die Stelle eines Berichts tritt, sende ich in der Voraus-
setzung Ihres Einverständnisses eine Abschrift an Herrn von Bülow.
Mit schönsten Grüßen und Empfehlungen stets Ihr
E. RÜMELIN

[P.S.] Für unseren Standpunkt in Sachen Völkerbund zeigt der König durch-
aus Verständnis.
(11) Am 3. Oktober war König Boris in der Nähe von Varna mit dem jugoslawischen
Königspaar zusammengetroffen, das auf dem Wege zu einem Besuch des türkischen
Präsidenten Kemal in Konstantinopel bulgarisches Staatsgebiet durchquerte.

23
3154/D 670 182-83
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 24. Oktober 1933
RM. 1472
Der Herr Reichskanzler empfing heute morgen in meiner Gegenwart den
neuen englischen Botschafter. Im Laufe der einstündigen Unterhaltung, in
welcher der Reichskanzler dem Botschafter eingehend die Gründe für unseren
Austritt aus der Abrüstungskonferenz und dem Völkerbund darlegte, verlas
Sir Phipps ein Telegramm des englischen Außenministers 1 ), in dem unge-
fähr gesagt war: 2 ) die englische Regierung bedauere unseren Rücktritt von
den beiden Institutionen und könne die dafür angegebenen Gründe nicht als
stichhaltig anerkennen. Sie hoffe aber, daß damit die Türe nicht zuge-
schlagen sei und daß wir baldigst wieder zur Mitarbeit bereit wären. Der
Reichskanzler versuchte, dem englischen Botschafter auseinanderzusetzen,
daß man in England offenbar noch immer nicht begriffen habe, wie die

• (i) Simon.
(2) Siehe Documents on British Foreign Policy, 2. Serie, Bd. V, Nr. 482.

38
Nr. 24 24. OKTOBER 1933

Dinge stünden. Er erklärte: es gebe zwei Möglichkeiten, um weiterzukom-


men, entweder die Abrüstung der andern oder die Aufrüstung Deutschlands.
Nach dem bisherigen Verlauf der Dinge sei ganz klar, daß die hochgerüste-
ten Staaten nicht abrüsten wollten und nicht abrüsten könnten. Es bleibe
also eigentlich nur der andere Weg, daß man nämlich Deutschland gestatte,
sich insoweit mit einer Rüstung zu versehen, daß es wenigstens in der Lage
sei, sich gegen Angriffe zu wehren. Auf die Frage des englischen Botschaf-
ters, welches danach die Wünsche Deutschlands seien, erwiderte der Kanz-
ler, er könnte sich etwa folgende Abmachungen denken: die hochgerüsteten
Staaten verabreden unter sich in bindender Weise, daß sie ihren jetzigen
Rüstungszustand nicht erhöhen wollen. Deutschland seinerseits wird die Auf-
stellung eines Heeres von 300 000 Mann mit einjähriger Dienstzeit zuge-
standen und außerdem die Anschaffung der dafür notwendigen Waffen.
Deutschland verzichtet auf alle schweren Waffen, insbesondere die Artillerie
über 15 cm, auf Tanks über 6 t und auf Bombenflugzeuge. Zu begrüßen wäre
ferner eine Abmachung über die Nichtanwendung von Giftgasen gegen die
Zivilbevölkerung und über das Verbot zum Abwurf von Fliegerbomben in
einem Abstand von 30 km hinter der Gefechtsfront. Eine solche Konvention
könnte etwa auf 8 Jahre abgeschlossen werden.
Der Kanzler betonte nochmals, daß Deutschland auf keinen Fall irgend-
welche Abmachungen unterzeichnen würde, die ihm nicht die Gleichberech-
tigung zugestehen.3)
v. N[EURATH]
(3) Berichte Phipps' über die Unterredung sind abgedruckt in Documents on British
Foreign Policy, 2. Serie, Bd. V, Nr. 485 und 489.

24
6609/E 497 277
Botschaftsrat von Twardowski (Moskau) an das Auswärtige Amt
Telegramm
Cito MOSKAU, den 24. Oktober 1933 14 Uhr 35
Nr. 239 vom 24. 10. Ankunft: 24. Oktober 14 Uhr 55
IV Ru. 4701
Für Botschafter v. Dirksen.
Unser Freund J) herbeiführte gestern Unterredung. Er hält Atmosphäre
gegenüber Deutschland durch das Ausbleiben neuer Zwischenfälle, letzte
Maßnahme Reichsregierung sowie vor allem durch den Notenwechsel mit
Roosevelt 2 ) neuerdings für so beruhigt, daß es jetzt nur kleinen Anstoßes

(1) Die hier angesprochene Person konnte nicht identifiziert werden. Siehe auch Serie C,
Bd. 1,2, Dokument Nr. 477.
(2) Dieser Hinweis bezieht sich auf einen Briefwechsel zwischen Roosevelt und Kalinin vom
10. bzw. 17. Oktober. Siehe Foreign Relations ot the United States, The Soviet Union,
1933-1939, S. 17-18.

39
Nr. 25 24. OKTOBER 1933

bedürfe, um Gespräch über Liquidierung Zerwürfnisses erfolgreich zu be-


ginnen. Endgültige Konfliktsbeendigung ohne Litwinow kaum möglich.
Immerhin erscheint es Freund wünschenswert, daß keine Zeit verloren
werde und daß Gelegenheit Ihrer Abschiedsbesuche 3) dazu benutzt wird,
Faden wieder anzuspinnen. Nadolny soll dann vielleicht durch die Unter-
zeichnung eines kleinen Protokolls Streitaxt endgültig begraben.
Da Molotow Ankara-Reise aufgegeben hat und unser Freund seine Ver-
mittlung ausdrücklich zur Verfügung stellt, hielt ich es für erforderlich,
diese Ideen Ihnen noch vor Ihrer Abreise aus Berlin zur Kenntnis zu
bringen.
TWARDOWSKI
(3) Siehe hierzu Dokument Nr. 14.

25
2860/D 562 580-81
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 24. Oktober 1933
RM. 1473
Ich habe heute den russischen Botschafter empfangen, um mit ihm die
Frage der Beilegung des deutsch-russischen Konflikts zu erörtern. 1 ) Ich habe
mich bei meinen Darlegungen an die anliegende Aufzeichnung 2 ) gehalten.
Der Botschafter äußerte sich sehr befriedigt darüber, daß die Angelegenheit,
die ihm außerordentlich unangenehm sei, nunmehr eine Regelung erfahren
soll. Er sagte zu,
1) daß der Moskauer Rundfunk und die Moskauer offiziöse Presse sich
jeder Einmischung in innerdeutsche Verhältnisse und jeder aggressiven
Tendenz gegenüber der deutschen Regierung und ihren maßgebenden Ver-
tretern enthalten werden. Er betonte, daß dies auf seine Veranlassung
bereits seit etwa 10 Tagen der Fall sei;
2) die deutschen Journalisten würden selbstverständlich wieder zuge-
lassen;
3) die russischen Journalisten würden ihre Tätigkeit in Deutschland
wieder aufnehmen. Bezüglich des Wiedererscheinens der Frau Keith 3 )
müsse er allerdings den Vorbehalt machen, daß sie gleichfalls zugelassen

(1) Siehe Dokument Nr. 21.


(2) Aufzeichnung Meyers vom 23. Oktober (9447/E 666 752-53), in der die in Unterredungen
mit Chintschuk über den Journalistenkonflikt sich empfehlende Verhandlungslinie
skizziert wurde.
(3) Meyer empfahl in seiner Aufzeichnung (siehe Anm. 2), der sowjetische Botschafter solle
informiert werden, daß es deutscherseits begrüßt werden würde, „wenn die russischen
Journalisten wieder in Deutschland ihre Tätigkeit aufnehmen würden, wobei wir aller-
dings davon ausgingen, daß ein Wiedererscheinen von Frau Keith nicht in Frage käme".
Siehe auch Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 455.

40
Nr. 26 25. OKTOBER 1933

werde. Er verspreche jedoch, dafür zu sorgen, daß Frau Keith etwa in einem
Monat aus Deutschland verschwinde.
Es wurde verabredet, daß ein gemeinschaftliches Kommunique über die
Beilegung des Konflikts verfaßt und daß vorher nichts darüber in die Presse
gegeben werde.
v. N[EURATH]

26
7467/H 178 926-27
Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Frohwein
BERLIN, den 25. Oktober 1933
e. o. II F. Abr. 3476
VERMERK

Ich habe Herrn General Schönheinz über den Inhalt der Unterredung
zwischen dem Herrn Reichskanzler und dem britischen Botschafter') vom
24. d. M. (RM. 1472 2)) verständigt. Er erklärte, die Tatsache, daß der Kanzler
dem englischen Botschafter ein neues Abrüstungsprogramm entwickelt habe,
sei ihm völlig neu. Zu dem Inhalt des Programms bemerkte er, solche Er-
wägungen hätten zwar im Reichswehrministerium geschwebt und seien viel-
leicht auch zwischen dem Herrn Reichskanzler und dem Reichswehrmini-
ster 3 ) einmal erörtert worden. Es habe sich aber seines Wissens dabei
nicht um etwas Endgültiges gehandelt, Auch habe er seither immer ange-
nommen, daß vor dem 12. November 4 ) dieses Programm nicht nach außen
mitgeteilt werden solle. Zu den Einzelheiten, insbesondere darüber, ob der
Kanzler einen einseitigen Verzicht Deutschlands auf schwere Waffen
(Artillerie über 15 cm, Tanks über 6 t und Bombenflugzeuge) im Auge habe
oder ob dieser Verzicht unter der Voraussetzung der Abschaffung der
schweren Angriffswaffen auch durch die anderen Staaten gedacht ist, konnte
mir General Schönheinz nichts sagen.
Ich darf bemerken, daß die Äußerungen des Kanzlers über das Verbot
der Verwendung von Giftgasen gegen die Zivilbevölkerung und das Verbot
des Abwurfs von Fliegerbomben in einem Abstand von 30 km hinter der
Gefechtsfront hinter dem zurückbleiben, was bereits auf Grund der Ver-
handlungen der Abrüstungskonferenz als angenommen angesehen werden
kann. Danach ist die Anwendung von Giftgasen schlechthin verboten, und
es war nur zweifelhaft, ob auch die Anwendung als Repressalie bei Über-
tretung des Verbots ausgeschlossen werden soll; außerdem sollte nach dem
MacDonald-Plan der Abwurf von Bomben nicht nur hinsichtlich einer be-
bestimmten Zone hinter der Gefechtsfront, sondern allgemein verboten wer-

• (i) Phipps.
(2) Dokument Nr. 23.
• (3) Blomberg.
• (4) Siehe Dokument Nr. 1, Anm. 3

41
Nr. 27 25. OKTOBER 1933

d e n und n u r A u s n a h m e n für die entfernt liegenden Gebiete gemacht wer-


den, wobei die Engländer hauptsächlich an die indischen Grenzverhältnisse
denken.
FROHWEIN

[ANMERKUNG DER HERAUSGEBER: Am 25. O k t o b e r 1933 erließ Reichswehr-


minister v o n Blomberg a n die Chefs d e r Heeres- u n d Marineleitung sowie
an den Reichsminister für Luftfahrt eine Weisung, die „die G r u n d l a g e für
die Vorarbeiten d e r Wehrmacht für den Fall v o n Sanktionsmaßnahmen
gegen Deutschland" bilden sollte. In dieser W e i s u n g hieß es, d a ß die wei-
t e r e Entwicklung d e r durch Deutschlands Austrittserklärung a u s d e m Völ-
kerbund und sein Verlassen der Abrüstungskonferenz geschaffenen außen-
politischen Lage dazu führen könne, „daß Sanktionsmaßnahmen gegen
Deutschland zur A n w e n d u n g gelangen". Nach einer Prüfung d e r Fragen,
welche Staaten möglicherweise zu Sanktionen schreiten w ü r d e n u n d wel-
cher Art diese Sanktionen sein könnten, wurde in d e r W e i s u n g festgestellt:
„In erster Linie m u ß mit einer Besetzung deutschen Landgebietes gerechnet
werden". Die Reichsregierung sei gewillt, Sanktionen, „die eine Verletzung
des deutschen Hoheitsrechtes darstellen, [...] o h n e Rücksicht auf militäri-
sche Erfolgsaussicht örtlich bewaffneten W i d e r s t a n d entgegenzusetzen". So-
d a n n folgte eine Zusammenstellung d e r für Heer, M a r i n e und Luftwaffe zur
Durchführung des bewaffneten W i d e r s t a n d s ins A u g e gefaßten „organsato-
rischen Notwehrmaßnahmen". Der Text der W e i s u n g ist abgedruckt in Der
Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher, Dokument Nr. 140-C, Bd. XXXIV,
S. 487-91.]

27
7811/E 566 630
Botschaitsrat Forster (Paris) an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 848 vom 25. 10. PARIS, d e n 25. O k t o b e r 1933
Ankunft: 25. Oktober 17 U h r 20
II Fr. 3141
Für Min.Dir. Köpke persönlich.
Für d e n Fall, daß Daladier als Kriegsminister oder Außenminister in
n e u e s Kabinett eintreten sollte, 1 ) möchte ich empfehlen, daß er v o n deut-
scher Presse zwar freundlich begrüßt, seine Bereitschaft zur V e r s t ä n d i g u n g
mit Deutschland aber nicht zu stark betont wird. A b s t e m p e l u n g als Verstän-
digungsmann durch deutsche Presse w ä r e geeignet, ihm hier innerpolitische
Schwierigkeiten zu bereiten und ihn gegebenenfalls bei v o n u n s a n g e s t r e b -
ter außenpolitischer Aktion zu hemmen.

• (i) Daladier trat als Kriegsminister in das am 26. Oktober gebildete Kabinett Sarraut ein.

42
Nr. 28 25. OKTOBER 1933

Dabei erscheint es mir selbstverständlich, daß unsachliche Beurteilungen


und Bemerkungen, die ihn verletzen oder reizen könnten, zu vermeiden
sind.2)
FORSTER

(2) Randbemerkung: „Die Angelegenheit ist mit H[err]n Aschmann besprochen worden."

28
5737/H 028 762-67
Der Botschalter in Rom von Hassell an den Reichsminister des Auswärtigen
Freiherrn von Neurath
ROM, den 25. Oktober 1933
Ankunft: 30. Oktober
zu II It. 1264 •)
Lieber Neurath,
eine wachsende Sorge über die Entwicklung der deutsch-italienischen Be-
ziehungen veranlaßt mich heute, noch einmal auf diesen Punkt zurückzu-
kommen.2) Ich glaube, alles Grundsätzliche und alles Wichtige, was ich
dazu zu sagen habe, in den Stichworten vom September 3 ) und dem daran
anschließenden Bericht Nr. I 1520 vom 6. Oktober d. J.4) dargelegt zu haben.
Aus beiden geht hervor, daß ich weit davon entfernt bin, von einer deutsch-
italienischen Front oder dergleichen zu träumen oder geträumt zu haben.
Im Gegenteil: Ich sehe die Grundursache der in letzter Zeit ungünstigen
Entwicklung, soweit unsere Seite in Frage kommt, in der maßlosen Über-
schätzung Italiens als Freund, der sich manche Kreise, besonders unmittel-
bar nach dem März 1933, hingegeben haben, und in gewissen Vorgängen,
die sich auf Grund dieser falschen Einsteilung bald danach, besonders aus
Anlaß der österreichischen Angelegenheit, ereignet haben. Wovor ich aber
nochmals auf das allerdringendste warnen möchte, das ist eine in das Gegen-
teil überschlagende Reaktion. Bei unserer außenpolitischen Lage können
wir m. E. kaum einen schwereren Fehler machen als den, die politische
Wichtigkeit Italiens für uns zu verkennen. Bei unserer in gewissem Grade
unvermeidlichen, wenn auch unnötig verschärften Isolierung bleibt Italien
nach wie vor das einzige große Land, das uns gegenüber eine einigermaßen
freundliche Haltung zeigt und das mit uns in einer entscheidenden Frage
durch ein gemeinsames politisches Interesse verbunden ist, das Interesse
nämlich, die Vormachtstellung Frankreichs zu beseitigen und eine Art
Gleichgewicht in Europa herzustellen. Es wäre m. E. nicht zu verantworten,
wenn wir dieses gemeinsame Interesse infolge der oben angedeuteten
gefühlsmäßigen Reaktion vernachlässigen würden. Ich kann mich des Ein-

(1) II It. 1264: Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 485.


(2) Randbemerkungen: „Eine unnötige Predigt, v. N(eurath]". „RM will H[erm] v. Hassell
vorläufig nicht nach Berlin kommen lassen. B[ülow] 30. 10."
(3) Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 448.
• («) Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 485.

43
Nr. 28 25. OKTOBER 1933

drucks nicht erwehren, daß Mussolini nicht ganz unrecht hat, wenn er meint,
in Deutschland scheine man manchmal eine Art Pflicht Italiens zu statuieren,
uns in der Abrüstungsfrage usw. durch dick und dünn zu unterstützen. In
Wahrheit besteht natürlich keine Pflicht, wohl aber ein reales italienisches
Interesse an einem gewissen Rüstungsausgleich in Europa; und wenn es
richtig ist, daß die italienischen Delegationen in Genf wiederholt und viel-
leicht auch zuletzt nicht so gearbeitet haben, wie wir es wünschten, so bleibt
doch unbedingt bestehen, daß Mussolini der einzige ist, der in der Ab-
rüstungsfrage in der großen Linie mit uns übereingestimmt und unsere In-
teressen gefördert hat. Ich kann nicht ganz einsehen, warum es nicht mög-
lich gewesen ist, auf seine Anregung wegen der Ziffern5) in irgendeiner
Weise zu reagieren, vor allem aus psychologischen Gründen. Aber ich muß
mich in dieser Hinsicht natürlich dem Urteil der maßgebenden Stellen in
Berlin unterordnen. Dagegen glaube ich, daß wir in der Frage der Donau-
politik Mussolinis Anregung 6) unbedingt hätten ausnutzen sollen und kön-
nen. Herr Ritter schreibt mir, daß er nach Rückkehr von seiner römischen
Reise meine entsprechenden Berichte erörtert und alsdann Berlin in der
Überzeugung verlassen habe, es sei beschlossen, auf der Basis der von mir
ausgearbeiteten 5 Punkte Mussolini eine Art Punktation vorzuschlagen.7)
Warum ich dann keine Instruktionen bekommen habe, weiß ich nicht. Auch
den Gedanken des deutsch-italienischen Gentlemen's Agreement über die
Verständigung mit Frankreich haben wir praktisch nicht weiter verfolgt.
Das schlimmste wäre nun aber m. E., wenn wir uns in eine Art gegen-
seitiger Verärgerung hineintreiben ließen.8) Daß Mussolini durch den Aus-
tritt aus dem Völkerbund schwer gereizt ist, steht fest 9 ) und ist sicherlich
noch dadurch gefördert worden, daß er am Sonnabend 10) mittag zunächst
nur die halbe Wahrheit erfuhr. Wir sollten aber unter keinen Umständen
den gleichen Weg gehen und uns nun wieder über Mussolinis Ärger ärgern.
Ich halte den italienischen Regierungschef für einen sehr großen Mann mit
einigen wenigen kleinen Eigenschaften, zu denen eine gewisse Eitelkeit und
Empfindlichkeit gehört, über diese sollten wir uns nicht ärgern und gegen
sie angehen, sondern sie auszunutzen suchen, indem wir ihn psychologisch
richtig behandeln. Ebenso unrichtig scheint mir der jetzt in Deutschland
häufiger auftretende Gedanke zu sein, der Nationalsozialismus müsse sich
sozusagen geistig vom Faschismus absetzen und seine Selbständigkeit, wo-
möglich gar Priorität, betonen. Auch das ist eine sehr gefährliche Reaktion,
nachdem man Mussolini vorher als Papst und unfehlbar verehrt hat. Das
geistige Absetzen des Nationalsozialismus vom Faschismus kommt ganz
von selbst, und wir müssen umgekehrt darauf achten, daß es nicht zu
unserm Nachteil umschlägt, ein Punkt, auf den ich in meinem Bericht ja
schon eingegangen bin.
(S) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 494.
(«) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 485, Anm. 6.
(7) Schreiben Ritters an Hassell vom 16. Oktober (8036'E 577 993-8 005). Ritter hatte am
2. und 3. August m Rom Gespräche geführt. Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 388
mit Anm. 5 sowie Dokument Nr. 485.
(8) Randbemerkung Neuraths: „Wir nicht".
(») Siehe Dokument Nr. 18.
• (10) 14. Oktober.

44
Nr. 29 26. OKTOBER 1933

Praktisch gesprochen scheint mir zweierlei erforderlich zu sein: 1.) den


Kontakt mit Mussolini nicht zu verlieren, wozu auch mein persönlicher
Kontakt gehört, der einen sehr freundschaftlichen Charakter angenommen
hatte und den ich als bedroht ansehe, wenn ich nicht die Basis habe, mit ihm
sachlich zu sprechen. Vor allem ist in dieser Hinsicht der bewußte Brief,11)
und ein psychologisch gut durchgearbeiteter Brief, nötig, um so mehr als
Mussolini offenbar durch die italienische Botschaft in Berlin von diesem
Plane hat etwas läuten hören. Wird er noch lange hinausgeschoben, so ver-
liert er seine Wirkung; 2.) sollten wir alles tun, um so lange wie möglich
eine gereizte Presseauseinandersetzung zu vermeiden. Bis jetzt hat sich die
italienische Presse nach unserem Austritt aus dem Völkerbund auf Weisung
von oben recht anständig verhalten. Das kann sich jeden Tag ändern, be-
sonders wenn nun etwa von deutscher Seite gereizte Stimmen herüber-
klingen. In der heutigen Morgenpresse hat schon ein nicht sehr freundlicher
Artikel des Tag starke Beachtung gefunden und, wie ich höre, soll heute
oder gestern ein scharfer Artikel in der DAZ 12) erschienen sein.
Wie ich eben höre, fährt Smend heute auf Deine Anregung nach B[er]l[i]n.
Ich gebe ihm daher diesen Brief mit. Meine eigene Reise nach B[er]l[i]n
könnte vom 6.-10. 11. (etwa) stattfinden oder, wenn besser, nach den
Wahlen, vom 16.-19. 11. (am 15. soll ich in Florenz sein). Vielleicht sagst Du
Smend, was Du für zweckmäßiger hältst.13)
Dein Sohn bewährt sich sehr! Ich freue mich täglich, ihn hier zu haben.
Herzlichste Grüße immer Dein
HASSELL
(U) Siehe Dokument Nr. 18 und Anm. 7 dazu.
(12) Abkürzung für Deutsche Affgemeine Zeitung.
(13) Einige der in der Vorlage von Hassell angesprodienen Probleme finden in dem als
Dokument Nr. 67 abgedruckten Brief Ritters an Hassell eine Antwort.

29
7467/H 178 934-36
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow
an die Botschalt in London •)
Telegramm
Sofort BERLIN, den 26. Oktober 1933 21 Uhr 20
Nr. 289 e. o. II F. Abr. 3486
Im Anschluß an Nr. 286.2)
Die Äußerungen des Reichskanzlers über Abrüstung in seinem Gespräch
mit hiesigem englischen Botschafter darstellen sich lediglich als spontane

*(i) Die Vorlage wurde gleichzeitig an die Botschaften in Paris (Nr. 531), Washington
(Nr. 375) und Moskau (Nr. 226) übermittelt.
*(2) Telegramm Bülows Nr. 286 vom 25. Oktober an die Botschaft in London, das gleich-
zeitig an die Botschaften in Paris (Nr. 527), Rom (Nr. 255), Washington (Nr. 369) und

45
Nr. 29 26. OKTOBER 1933

Skizzierung deutscher Forderungen in Erwiderung entsprechender Frage


des englischen Diplomaten. So bedeutsam Ausführungen Kanzlers für die
weitere Entwicklung Abrüstungsproblems sind, dürfen sie doch nicht etwa
als in allen Einzelheiten ausgearbeiteter deutscher Vorschlag bewertet wer-
den. Der vom Kanzler skizzierte deutsche Standpunkt beruht auf Fest-
stellung, daß hochgerüstete Staaten wirkliche Abrüstung nicht durchzu-
führen bereit sind. Diese angesichts völligen Versagens der Genfer Ver-
handlungen von keiner Seite mehr hinwegzuleugnende Tatsache wird durch
Verhalten zahlreicher Länder bestätigt. Frankreich, das seine Rüstungen in
letzter Zeit immer weiter vervollkommnet hat, konnte, offensichtlich aus
innerpolitischen Gründen, nicht einmal die geringste Abrüstungsmaßnahme
mit sofortiger Bindung zusagen. Polen, die Kleine Entente und Belgien ver-
stärken dauernd ihre Rüstung, selbst neutrale Schweiz faßt neueren Nach-
richten zufolge Rüstungsverstärkung ins Auge. Auch Italien kann sich
natürlich unter diesen Umständen zu wirklichen Abrüstungsmaßnahmen
nicht entschließen. England nimmt Privileg für sich in Anspruch, daß es,
soweit Landarmee in Frage kommt, nicht mehr abzurüsten braucht, lehnte
auch für sich Standardisierung der Armee gemäß MacDonald-Plan ab, ist
aber ebenso wie Vereinigte Staaten lebhaft mit Ausbau seiner Flotte be-
schäftigt. Angesichts dieser Gesamtlage ist Schlußfolgerung gerechtfertigt,
daß trotz unserer ständigen, auch heute noch mehr denn je berechtigten
Forderung nach endgültiger Einlösung des Abrüstungsversprechens durch
die hochgerüsteten Staaten zur Zeit bestenfalls Limitation auf jetzigen
Stand erreichbar. Hieraus ergeben sich nach Maßgabe der uns zugestande-
nen Gleichberechtigung zwangsläufig Folgerungen für Deutschland, die nur
in einer Anpassung des deutschen Rüstungsregimes an das der anderen, auf
ihrem Rüstungsstande verharrenden Staaten bestehen können. Die Präzi-
sierung dieser Folgerungen kann nicht als Bekundung deutschen Auf-
rüstungswillens ausgelegt werden, da uns der mangelnde Abrüstungswillen
der anderen, den wir nicht zu verantworten haben, schon im Hinblick auf
unsere eigene Sicherheit keine andere Wahl läßt. Daß wir auf dem Wege
von Verhandlungen keine Möglichkeit zu einer gerechten Regelung der
Gleichberechtigungsfrage etwa im Sinne der Ausführungen des Reichskanz-
lers gegenüber dem englischen Botschafter hatten, haben zuletzt noch die
Vorgänge in der Bürositzung der Abrüstungskonferenz vom 14. d.M.3) zur
Genüge gezeigt.
Sollten Sie von dortiger Regierungsseite auf die Äußerungen Reichs-
kanzlers zu englischem Botschafter angesprochen werden, so bitte ich, sich
im obigen Sinne zu äußern. Es wäre erwünscht, wenn Presse jetzt möglichst
nichts oder wenigstens keine Einzelheiten über die Angelegenheit bringen
würde.
BÜLOW 4)

(Fortsetzung von Anm. 2]


Moskau (Nr. 225) übermittelt worden war (7467/H 178 928). Darin hatte Bülow die
Missionen über die in Dokument Nr. 23 wiedergegebene Unterredung zwischen Hitler
und Phipps unterrichtet.
(3) Siehe Dokument Nr. 19, Anm. 6.
*(4) Auf der Vorlage befindet sich die Paraphe Neuraths vom 26. 10.

46
Nr. 30 27. OKTOBER 1933

30
9447/E 666 741-42

Autzeichnung des Ministerialdirektors Meyer


BERLIN, den 27. Oktober 1933

AUFZEICHNUNG

Ich habe heute die Frage der Erledigung des Journalistenkonfliktes ein-
gehend nochmals mit dem russischen Botschafter besprochen. Die sehr lange
Unterredung zeitigte folgendes Ergebnis:
1. In der Frage der Frau Keith 1 ) hat Herr Chintschuk die bindende Zu-
sicherung gegeben:
a) daß Frau Keith innerhalb der nächsten beiden Monate aus Deutsch-
land verschwindet,
b) daß die Tätigkeit der Frau Keith während der Zeit ihres Aufenthaltes
in Deutschland in keiner Weise zu Beanstandungen Anlaß geben wird.
Ich habe Herrn Chintschuk mitgeteilt, daß diese Zusicherung im Interesse
der Lösung des Konfliktes und als Zeichen des persönlichen Vertrauens
zu ihm als ausreichend angenommen würde.
2. In der Frage des Rundfunks gab Herr Botschafter Chintschuk die Er-
klärung ab, er werde dafür sorgen, daß der Moskauer Rundfunk, wie dies
bereits in den letzten 14 Tagen der Fall gewesen sei, zu Beschwerden
keinerlei Anlaß gebe. Er führte aus, daß es ihm unmöglich sei, einen Satz
über den Rundfunk in das Kommunique aufzunehmen, und bat dringend,
ihm die Aufgabe der Lösung des Konfliktes durch diese Forderung nicht zu
erschweren. In längerer Diskussion sagte ich zu, daß die Lösung des Kon-
fliktes im Hinblick auf seine Zusage an der Forderung einer Aufnahme
eines Satzes über den Rundfunk nicht scheitern sollte, falls im übrigen ein
Einvernehmen erzielt werde.
3. Die Zulassung des Vertreters des Völkischen Beobachters und des
Angritl. Ich führte aus, daß es sich um eine prinzipielle Frage handele und
daß eine Diskriminierung der der deutschen Regierung besonders nahe-
stehenden Presse ausgeschlossen sei. Der Herr Botschafter hatte weitgehen-
des Verständnis für unseren Standpunkt und erklärte sich bereit, ihn sich
voll und ganz zu eigen zu machen und die Angelegenheit morgen vormittag
sofort mit Herrn Litwinow zu besprechen. Er hoffe, mir noch morgen vor-
mittag einen günstigen Bescheid geben zu können.
Der Zusatz in dem Kommunique-Entwurf über die Einmischung in die
inneren Verhältnisse ist im gegenseitigen Einvernehmen gestrichen
worden.2)
Es besteht hiernach Einvernehmen a) über Frau Keith, b) über die Zu-

(l) Siehe Dokument Nr. 25.


• (2) Nach einer undatierten Aufzeichnung Meyers (9447/E 666 754-56) war in einer früheren
Unterredung mit Winogradow über einen solchen Passus diskutiert worden. Ein vom
Auswärtigen Amt abgelehnter sowjetischer Kommunique-Entwurf ist gefilmt unter
9447/E 666 758.

47
Nr. 31 27. OKTOBER 1933

lassung sämtlicher bisher in Rußland tätigen Journalisten, c) über den Text


des Kommuniques.3)
Es steht nur noch aus die Frage der Zulassung der Vertreter der national-
sozialistischen Zeitungen.4)
MEYER

(3) Der Text des am 31. Oktober veröffentlichten Kommuniques ist abgedruckt in Dokument
Nr. 34, Anm. 3.
(4) Randbemerkungen: „Dir. IV: Der russische Botschafter hat mir die obigen Abmachungen
bestätigt. In der Frage der Zulassung der nat[ional]soz[ialistischen] Zeitungen will er
morgen Litwinow fragen. Sollte dieser eine Entscheidung ablehnen, will der Botschafter
an Stalin direkt berichten. Er erklärte, daß er überzeugt sei, daß die Frage in unserem
Sinn geregelt werde. Schließlich frug Ch(intsdiuk) noch, wann midi morgen Litw[inow]
aufsuchen könne, v. N(eurath) 27. 10."
„Der Herr RM wird H[err]n Litwinow morgen, 12 Uhr 45, empfangen. V(öldcer]s
27. 10."
Siehe Dokument Nr. 34.

31
8772/E611267
Auizeichnung des Stellvertreters des Führers Heß
Streng vertraulich MÜNCHEN, den 27. Oktober 1933
zu VI A. 2428 l)
VERFÜGUNG

1.) Sämtliche Fragen des Deutschtums jenseits der Grenzen (Grenz- und
Auslandsdeutschtum) und die Fragen der Stärkung und Einheit des Gesamt-
deutschtums sowie alle damit zusammenhängenden Angelegenheiten im
Innern des Reiches unterliegen meiner Obhut und Aufsicht.
2.) Als Beratungs- und Vollzugsorgan habe ich den Volksdeutschen Rat
berufen, an dessen Spitze Herr Universitätsprofessor Dr. Haushofer, Mün-
chen, steht.
3.) Nach außen federführend vertritt den Volksdeutschen Rat Herr Dr.
Steinadler, Berlin.
4.) Der Volksdeutsche Rat tritt in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung.
gez. RUDOLF HESS

• (l) VI A. 2428: Schreiben Heß' an das Auswärtige Amt vom 28. Oktober (8772/E611 266),
in dem der Stellvertreter des Führers mitteilte, „daß dem Volksdeutschen Rat in allen
Volksdeutschen Fragen (Fragen des Grenz- und Auslandsdeutschtums) die Begutachtung
und Kontrolle zusteht".

48
Nr. 32 27. OKTOBER 1933

32
7467/H 178 954-55

Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt

Telegramm

Nr. 244 v o m 27. 10. ROM (QUIR.), den 27. O k t o b e r 1933 23 Uhr 10
Ankunft: 28. O k t o b e r 1 Uhr 45
II F. Abr. 3538

H a b e gestern Suvich gemäß Auftrag des H e r r n Reichsministers über be-


v o r s t e h e n d e n Brief •) unterrichtet und gleichzeitig in allgemeiner Form v o n
Unterredung Kanzlers mit dem englischen Botschafter in Berlin 2 ) vertraulich
Kenntnis gegeben. 3 ) Nachdem ich bei dieser U n t e r h a l t u n g angedeutet, daß
ich, w e n n erwünscht, Mitteilung persönlich a n Regierungschef machen
würde, w u r d e ich h e u t e zu Mussolini gerufen, d e n ich in gleicher W e i s e
informiert habe. Ich machte zunächst einige Ausführungen über Grund und
Sinn deutschen Schrittes und hatte Eindruck, daß Mussolini dafür allmäh-
lich Verständnis gewinnt. Mussolini ausführte ü b e r Lage etwa folgendes:
Nachdem deutscher Schritt einmal geschehen, sei es erforderlich, ohne nach-
trägliche G e d a n k e n über Zweckmäßigkeit von seiner Realität auszugehen.
Er glaube, daß es stärkstes deutsches Interesse sei, jetzt unbedingt fest zu
bleiben und k e i n e Schwäche zu zeigen. Deutschland w ü r d e seines Erachtens
am besten tun, mit keinerlei Initiative hervorzutreten, sondern Völkerbund
und Abrüstungskonferenz schmoren zu lassen. Völkerbund und A b -
rüstungskonferenz seien englisch-französisches Versicherungsunternehmen
auf Gegenseitigkeit und zum Schutz Vasallen. D a h e r mögen nun England
und Frankreich sehen, w i e sie dies Instrument w i e d e r zum Leben brächten
oder A u s w e g fänden. Ich sagte, daß meinem Eindruck nach England so
etwas wie schlechtes Gewissen habe und Zeichen des Wunsches zum Ein-
lenken zeige. Dies bestätigte er energisch und hinzufügte, bezeichnender-
weise sei er von englischer Seite schon gefragt, ob Italien auch ausscheiden
wollte. Er h a b e geantwortet, Italien betrachte sich ohnehin mehr als Gast in
dieser Gesellschaft. J e d e s Schwächezeichen unsererseits, das Initiative er-
k e n n e n ließe, vielleicht doch wieder mitzumachen, w e r d e Weiterentwicklung
englischer Stimmung stören. In Frankreich sei Lage verworren; Kabinetts-
krise 4 ) sei nur erfolgt, um Daladiers Gesicht zu wahren, der erklärt h a b e :
„Am 26. sind wir w i e d e r in Genf." Mussolini h a b e V e r t a g u n g auf J a n u a r
vorgeschlagen, 4. Dezember 5 ) sei nur auf französischen Wunsch angenom-

(1) Siehe Dokument Nr. 18 und Anm. 7 dazu.


• (2)Phipps. - Siehe Dokument Nr. 23.
(3) Randbemerkung Bülows: „?!"
(4) Das Kabinett Daladier war am 24. Oktober nach einer Abstimmungsniederlage in der
Abgeordnetenkammer zurückgetreten.
(5) Der Hauptausschuß der Abrüstungskonferenz hatte auf seiner Sitzung am 26. Oktober
beschlossen, sich bis zum 4. Dezember zu vertagen. Das Büro der Konferenz war gleich-
zeitig ermächtigt worden „ä poursuivre ses travaux et ä prendre tous arrangements
necessaires pour permettre ä la Commission generale de commencer sa deuxieme

49

11,1 Bg. 4
Nr. 33 27. OKTOBER 1933

men worden, aber am 4. Dezember werde Lage noch im Grunde unverändert


sein, und das wäre auch in unserem Interesse durchaus zu wünschen. Letz-
ten Endes werde man dann auf Besprechungen zu vieren oder fünfen her-
auskommen, ob man das nun Viererpakt nenne oder nicht, der übrigens
seiner Ansicht nach in Kraft stände. Vor allem müsse man Polen und
sonstige französische Vasallen aus Erörterung heraushalten. Zur Ab-
rüstungsfrage selbst meinte er, nachdem ich ihm Grundgedanken Unter-
haltung Kanzlers mit englischem Botschafter in Berlin angedeutet, daß an
sich der schon von ihm früher vertretene Grundsatz richtig sei, statt von
einem nicht vorhandenen Abrüstungswillen Frankreichs von dem Gegenteil
auszugehen. Indessen war er bezüglich der Taktik offensichtlich der Mei-
nung, daß wir besser zur Zeit überhaupt keine Vorschläge machten, ebenso
wie sich Italien jeder Initiative enthalten werde.
HASSELL

[Fortsetzung von Anm. 5]


lecture sur un texte revise et parfaitement mis au point du projet". Siehe S.d.N.,
Conference pour la Riduction et la Limitation des Armements, Actes, Serie B, Bd. III,
S. 648-52.

33
8549/E 598 212-16

Der Gesandte in Bern Freiherr von Weizsäcker an das Auswärtige Amt


A 858 BERN, den 27. Oktober 1933
Ankunft: 31. Oktober
II Sz. 1051
Inhalt: Schweizerische Neutralitätspolitik.
(Einheitlicher Wille zu passiver Neutralität besteht. Einheitlicher
Wille zur aktiven Neutralität ist fraglich. Verstärkung präventiver
Wehrbereitschaft. Zweifel an streng objektiver Neutralitätspolitik
im Krisenfall).
Der schweizerische Kriegsminister, Bundesrat Minger, Sohn einer kräf-
tigen deutsch-schweizerischen Bauernfamilie, sagte mir vor einigen Wochen,
als ich ihm meinen Antrittsbesuch machte, der Nationalsozialismus sei für
Deutschland eine naheliegende, ihm sympathische Entwicklung. In die
Schweiz passe der Nationalsozialismus freilich nicht; er sei geradezu eine
Gefahr für sie; denn er könne zu einer Zersplitterung des Landes und zum
Anheimfall seiner Teile an die sprachverwandten Nachbargebiete führen.
Wäre diese Ansicht nicht von einem so kernigen und gescheiten Mann
wie Herrn Minger geäußert worden, so hätte ich ihr nicht mehr Bedeutung
beigemessen als vielen ähnlichen Äußerungen welscher Eidgenossen, die als
gefährlich ansehen, was immer aus Deutschland kommen mag, oder als ähn-
lichen Stimmen solcher Parlamentarier und Stelleninhaber, die vor der An-

50
Nr. 33 27. OKTOBER 1933

steckung ihrer Wähler aus Deutschland Angst haben. In Wirklichkeit hat es


nämlich gute Weile, bis ein Nationalsozialismus deutscher Prägung und mit
Anlehnungsneigung an Deutschland in der Schweiz entscheidende Wirkung
üben könnte. An eine Aufspaltung des Landes im normalen Gang der Zeit
ist überhaupt nicht zu denken.
Der Äußerung von Herrn Minger liegt aber doch etwas Ernsteres zu-
grunde. Als Kriegsminister muß er an den Krieg denken, und zwar natür-
lich - wie er bei einer kürzlichen Rüstungsdebatte im Nationalrat näher aus-
führte - an den Krieg zweier Nachbarstaaten der Schweiz. In eine solche
Lage würden die Schweizer aller Richtungen gewiß mit dem einmütigen
Willen zur passiven Neutralität eintreten. Um diese sicherzustellen, tut
jeder Eidgenosse gerne etwas für seine Armee. Das zeigte sich auch in
diesem Fall in der Genehmigung einer ersten Rate von 15 Millionen
Franken für militärische Materialreserven (das Nähere hierüber und über
die folgenden Raten von insgesamt 85 Millionen Franken dürfte der Militär-
attache der Gesandtschaft berichten 1)). Besonders gern bewilligte das Parla-
ment diese Ausgabe aber unter dem Einfluß der bekannten Augur-Artikel
über deutsche Pläne für den Durchmarsch durch die Schweiz.2) Diese Artikel
wurden im Nationalrat nicht nur benutzt, um das Gruseln zu erwecken
- übrigens glauben oder glaubten an sie sehr viele Schweizer bis in die
hohen Beamtenstellen des Politischen Departements hinein -, sondern sie
sollten besonders das Gruseln vor Deutschland erwecken bzw. steigern.
Der Wille der Schweiz zur aktiven Neutralität - und das ist bei solcher
Einseitigkeit der kritische Fall - wird nun hier offiziell und wurde auch von
Bundesrat Minger in jener Parlamentsdebatte wieder so ausgelegt, daß die
Schweiz jedem Angriff, komme er von welcher Seite er wolle, ernsthaften
Widerstand entgegensetzen werde, womit sie sich zum faktischen Bundes-
genossen des anderen der kriegführenden Teile machen würde. Das hätte
aber zur Voraussetzung, daß im Notfalle die Deutschschweizer bereit wären,
auf einen deutschen Gegner zu schießen und ebenso die welschen Schweizer
auf einen französischen.
Ich halte zur Zeit das erstere für wahrscheinlich, das letztere für zweifel-
haft. Man kann sich nach der heutigen Stimmung in der Schweiz sogar kaum
einen Fall vorstellen, in welchem die Gewehre eines Regiments aus
Lausanne gegen französische Soldaten losgehen würden. Der germanisch-
rassenbetonte Nationalsozialismus kann in der welschen Schweiz keine
Werbekraft haben. Er brandet - wenn nicht vorher - am alten, stets vor-
handenen Graben zwischen der deutschen und der welschen Schweiz und
vertieft ihn. Die Hetze gegen Deutschland ähnelt in der welschen Schweiz
jetzt wieder sehr der von 1914-18. Mit Sorge muß daher der schweizerische

(1) Siehe hierzu den Berieht Muffs Geh. 82 vom 2. November (M 136/M 005 000-06).
(2) Dieser Hinweis bezieht sich auf mit „Augur" (Poliakow) gezeichnete Artikel des Pefff
Parisien vom 24. September und 8. Oktober. Weizsäcker hatte das Auswärtige Amt in
seinem Bericht Nr. A 774 vom 4. Oktober (M 137/M 005 011) über die Reaktion der
schweizerischen Presse auf den ersten dieser Artikel informiert. Seiner Meinung nach
kamen die in ihm enthaltenen Gerüchte dem schweizerischen Generalstab im Hinblick
auf seine Forderung nach militärischen Sonderkrediten für das kommende Jahr nicht
ungelegen.

51
Nr. 34 28. OKTOBER 1933

Kriegsminister an die geistige Verfassung seiner Truppen in dem Falle


denken, wo die Regierung zwischen Deutschland und Frankreich zu optieren
hätte. An diese Lage wird Herr Minger auch gedacht haben, als er zu mir
von der Gefahr sprach, die der schweizerischen Einheit vom Nationalsozia-
lismus her drohe.
Welchen Schluß zieht nun die schweizerische Regierung daraus? Zunächst
den sehr begreiflichen, die schweizerische Wehrmacht so zu stärken, daß sie
nach allen Seiten präventiv wirkt. Mit gutem Grund wird sie ferner politisch
versuchen, in einem deutsch-französischen Konflikt der offenen Option für
eine der beiden Streitparteien so lange wie irgend möglich zu entgehen. Sie
würde aber gegebenenfalls, so wie die Dinge heute liegen, den Begriff der
Neutralität gegen Deutschland zu unserem Nachteil bestimmt strenger aus-
legen als gegen Frankreich. Wir sollten darum nichts versäumen, was dazu
beitragen kann, sie wieder in die richtige Mitte zu rücken.
WEIZSÄCKER

34
2860/D 562 584-85
Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 28. Oktober 1933
RM. 1489
Heute morgen besuchte mich Herr Litwinow.1) Nach einigen einleitenden
Worten über seine Reise nach den Vereinigten Staaten ging ich sofort auf
die zwischen uns schwebenden Verhandlungen über die Erledigung der
deutsch-russischen Differenzen ein. Ich erwähnte zunächst den noch offenen
Punkt der prinzipiellen Zustimmung zur Zulassung von Vertretern des
Angrili und des Völkischen Beobachters in Rußland. Herr Litwinow erklärte,
die Zulassung dieser Vertreter habe niemals in Frage gestanden. Sie sei
seines Wissens auch nie beantragt, jedenfalls aber von russischer Seite nicht
abgelehnt worden. Ich frug sodann Herrn Litwinow, ob danach also in der
eventuellen Zulassung in Rußland keine Schwierigkeiten gemacht würden,
worauf Herr Litwinow antwortete, mit dem Vorbehalt eines eventuellen
Einspruchs gegen ganz bestimmte Persönlichkeiten würden russischerseits
keine Schwierigkeiten gemacht werden.
Ich frug sodann ferner, ob gegen die Veröffentlichung des verabredeten
Kommuniques noch weitere Einwendungen von russischer Seite zu erheben
seien, worauf Herr Litwinow bat, noch bis Montag 2 ) zu warten, da eine
definitive Antwort der russischen Regierung noch ausstehe. Ich erklärte
mich damit einverstanden und sagte Herrn Chintschuk, der Litwinow be-
gleitet hatte, ich erwartete also eine Mitteilung von seiner Seite über die

(1) Litwinow legte auf seiner Reise in die USA in Berlin einen Zwischenaufenthalt ein.
(2) 30. Oktober.

52
Nr. 34 28. OKTOBER 1933

Entscheidung der russischen Regierung. Ich fügte hinzu, daß meinerseits


keinerlei Eilbedürftigkeit bestünde.3)
Herr Litwinow begann sodann in seiner bekannten süffisanten Weise
über die deutsch-russischen Beziehungen zu sprechen, wobei er versuchte,
die Schuld an der entstandenen Spannung uns zuzuschieben. Ich lehnte diese
Beweisführung entschieden ab und hielt Herrn Litwinow vor, daß er offen-
bar äußerst vergeßlich sei. Ich erinnerte ihn insbesondere an das Verhalten
der Sowjet-Regierung gegenüber den Deutschen nach der russischen Revo-
lution und an die vielen Zwischenfälle, die durch die schlechte und unge-
rechte Behandlung Deutscher in Rußland im Laufe der Jahre entstanden
seien. Herr Litwinow wich diesen Angriffen aus, indem er sagte, die Ver-
hältnisse in Rußland seien ganz andere gewesen als hier in Deutschland,
worauf ich ihm erwiderte, das sei allerdings richtig. Ich wollte aber nicht
näher darauf eingehen, um wieviel schwerer unsere deutschen Volks-
genossen in Rußland unter der Revolution zu leiden gehabt hätten als die
Russen in Deutschland.
Herr Litwinow meinte beim Abschied dann noch, unsere persönlichen
Beziehungen brauchten ja unter den jeweils auftretenden Spannungen nicht
zu leiden, worauf ich ihm lediglich eine gute Reise und „recht guten Erfolg"
in Amerika wünschte.
Ein Eingehen auf die vom Luftministerium vorgebrachten Wünsche be-
züglich der Regelung des deutsch-russischen Luftverkehrs war mir nicht
möglich.4)
v. N[EURATH]

*(3) Nach einer Aufzeichnung Meyers vom 30. Oktober (9447/E 666 747-48) wurde zwischen
ihm und Winogradow an diesem Tage eine endgültige Einigung über den Text des
Kommuniques zur Beilegung des Journalistenkonflikts erzielt. Das Kommunique wurde
am Abend des gleichen Tages unter dem Datum vom 31. Oktober veröffentlicht und
hatte folgenden Wortlaut (9447/E 666 750):
„WTB, amtlich. Berlin, den 31. Oktober 1933. Nachdem der bekannte Journalisten-
konflikt in letzter Zeit wiederholt Gegenstand diplomatischer Unterhaltungen zwischen
Deutsehland und der UdSSR gewesen ist, hat über diese Angelegenheit kürzlich eine
Besprechung zwischen dem Herrn Reichsaußenminister Freiherrn von Neurath und dem
Botschafter der UdSSR, Herrn Chintschuk, stattgefunden. Dabei ist eine Verständigung
über die Beilegung des Konfliktes erzielt worden. Ausgangspunkt und Grundlage der
Verständigung ist die Übereinstimmung der beiden Regierungen darüber, daß die
Pflege der beiderseitigen Beziehungen von der Verschiedenheit der Regierungssysteme
in den beiden Ländern unberührt bleiben muß.
Die Journalisten der Sowjetunion werden ihre Tätigkeit in Deutsehland und die
deutschen Journalisten ihre Tätigkeit in der Sowjetunion wieder ausüben. Auf Anord-
nung des Senatspräsidenten werden der Vertreter der Tass und die Vertreterin der
Iswestija Zulassungskarten zum Reichstagsbrandprozeß erhalten."
Am gleichen Tage (30. Oktober) vermerkte Tippeiskirch in einer Aufzeichnung (9447/
E 666 761), er habe den Ministerialdirigenten Fischer vom preußischen Innenministerium
über die Beilegung des Journalistenkonflikts unterrichtet. Fischer habe sich befriedigt
gezeigt und darauf hingewiesen, daß die Zulassungskarten zum Leipziger Prozeß für
Bespalow und Keith zur Abholung bereitlägen. Siehe auch Dokument Nr. 21.
(4) Nach einer Aufzeichnung Schultz-Sponholz' vom 28. Oktober (9447/E 666 739) hatte ihm
Ministerialdirektor Fisch vom Reichsluftfahrtministerium telefonisch die Bitte über-
mittelt, Litwinow möge bei seinen Besprechungen im Auswärtigen Amt veranlaßt wer-
den, eine Erklärung etwa folgender Art abzugeben: „Die Sowjetregierung würde eine
Zusammenarbeit mit der deutschen Luftfahrt auf dem Wege nach dem Osten begrüßen."

53
Nr. 35 30. OKTOBER 1933

35
3086/D 617 001-04
Aufzeichnung des Gesandtschaltsrats HülterJ)
Geheim BERLIN, den 30. Oktober 1933
e. o. II Oe. 1757
AUFZEICHNUNG
Im Anschluß an die Aufzeichnung II Oe. 1706 vom 21. Oktober.2)
Herr Habicht teilte mir heute mit, daß seine Verhandlungen mit Dollfuß
bisher programmäßig verlaufen seien. Die von Dollfuß nach München ent-
sandten beiden Großdeutschen Abgeordneten (darunter Professor Foppa) 3 )
hätten Herrn Habichts Bereitwilligkeit zu Verhandlungen auf der hier be-
kannten Basis dem Bundeskanzler inzwischen vorgetragen. Insbesondere sei
Dollfuß darüber informiert worden, daß nach Weisung des Reichskanzlers
nur Herr Habicht im Namen der Nationalsozialistischen Partei berechtigt
sei, mit Dollfuß zu verhandeln, daß fernerhin sich aus der innerpolitischen
österreichischen Bereinigung des Verhältnisses zur NSDAP automatisch
eine Bereinigung des Verhältnisses zum Reich ergebe und daß die Forde-
rung von Dollfuß auf Beibehaltung von Herrn Fey in einem neuen Kabinett
von Herrn Habicht gleichfalls akzeptiert würde, wie denn überhaupt Dollfuß
innerhalb des Rahmens seiner prozentualen Beteiligung völlig frei sein
würde bei der Auswahl seiner Mitarbeiter.
Dollfuß habe sich daraufhin seinerseits prinzipiell zur Aufnahme der Ver-
handlungen bereiterklärt und um Präzisierung der nationalsozialistischen
Forderungen gebeten.4) Seine beiden Abgeordneten seien gestern wieder in
München eingetroffen und hätten diesen Wunsch von Dollfuß bekannt-
gegeben. Herr Habicht habe den Herren daraufhin eine Reihe von genau
formulierten Punkten überreicht und nunmehr verlangt, daß Dollfuß in
bindender Form sich über die Annahme oder Ablehnung äußere.
Als Basis der Verhandlungen ist von Herrn Habicht gefordert worden:
Völlige Gleichberechtigung der beiden Partner, d. h. Zusammensetzung des
neuen österreichischen Kabinetts zu je 50 Prozent durch die Gruppe Dollfuß
bzw. Habicht, wobei Dollfuß den Posten des Bundeskanzlers und Habicht
den eines mit erweiterten Rechten ausgestatteten Vizekanzlers bekommen
würde. Weiterhin hat Herr Habicht gefordert die Aufhebung des Verbots
der Partei, der SA und SS, der nationalsozialistischen Presse und Rück-
gängigmachung der erfolgten Ausweisungen und verhängten Strafen,
fernerhin seine Einbürgerung in Österreich. Eine weitere innenpolitische
Forderung Herrn Habichts ist die Eröffnung des schärfsten Kampfes gegen
den Marxismus sowie außenpolitisch die Herstellung eines freundschaft-
lichen Verhältnisses zum Reich.

• (1) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. V[öldcer]s 31. 10."


(2) Dokument Nr. 20.
(3) Siehe Dokument Nr. 20 und Anm. 2 dazu.
(4) Nach der Darstellung Langoths fand die Unterredung zwischen ihm und Foppa einer-
seits und Dollfuß und Staatssekretär Gleißner andererseits am 25. Oktober 1933 in Wien
statt. Siehe Langoth, Kampt um Österreich, S. 136-40.

54
Nr. 36 30. OKTOBER 1933

Die vorstehenden Punkte müssen als Ganzes von Dollfuß angenommen


oder abgelehnt werden, wobei im einzelnen in der Formulierung noch Ent-
gegenkommen gezeigt werden kann.
Zu dem von Dollfuß vorgeschlagenen Waffenstillstand hat Herr Habicht
geantwortet, daß dieser erst beginnen könne mit dem Tage der ersten Be-
sprechung zwischen ihm und Dollfuß und auf 14 Tage befristet sein solle.
Während dieser Zeit müsse er fordern, daß jede Agitation in der öster-
reichischen Presse gegen den Nationalsozialismus unterlassen würde und
Ausweisungen und Bestrafungen unterblieben. Er seinerseits werde sich
gleichfalls verpflichten, in dieser Zeit die Agitation gegen die österreichische
Regierung einzustellen, und seine Radiovorträge lediglich auf eine Dar-
legung der Arbeiten und Leistungen der deutschen Regierung beschränken.
Die beiden Abgesandten von Herrn Dollfuß reisen heute wieder nach
Wien zurück und werden verabredungsgemäß am Freitag 5 ) Herrn Dollfuß
die Forderungen von Herrn Habicht sowie den Vorschlag unmittelbarer
direkter Verhandlungen zwischen Dollfuß und Habicht übermitteln und mit
der endgültigen Antwort des Bundeskanzlers am Samstag wieder nach
München zurückkehren.
Herr Habicht hat im übrigen Herrn Dollfuß keinen Zweifel darüber ge-
lassen, daß bei einer Ablehnung seiner Vorschläge der Kampf im vollen und
verschärften Umfange wieder aufgenommen würde. Dollfuß, der auf die
Intervention Hanfstaengls 8 ) in den letzten Tagen gewisse Hoffnungen
gebaut hätte, habe sich inzwischen von der Bedeutungslosigkeit dieser
Aktion überzeugt.
Schließlich erzählte mir Herr Habicht noch, daß der Vizekanzler Fey in
den letzten Tagen ebenfalls mit Habichts Beauftragtem, dem Bundesrat
Schattenfroh, in Wien verhandelt, dabei allerdings die Forderung aufge-
stellt habe, daß vor direkten Verhandlungen wegen der Regierungsneu-
bildung erst eine Periode der Beruhigung und des Waffenstillstands ein-
treten müsse, was Herr Schattenfroh aber als unmöglich bezeichnet habe.
HÜFFER

• (5) 3. November.
(6) Siehe Dokument Nr. 71, Anm. 2.

36
9783/E 686 917-19
Der Reichsiührer des Volksbunds lür das Deutschtum im Ausland Steinacher
an den Vortragenden Legationsrat Roediger
BERLIN, den 30. Oktober 1933
Ankunft: 31. Oktober
VI A.2400
Sehr verehrter Herr Geheimrat!
Unter Bezugnahme auf das eben stattgefundene Ferngespräch darf ich
Ihnen beiliegend im verschlossenen Umschlag das bewußte Schreiben für

55
Nr. 36 30. OKTOBER 1933

Herrn Fabritius überbringen lassen. Ich bin vom Braunen Haus beauftragt,
den Brief auf kürzestem und geeignetstem Wege zu besorgen. Ich hatte
zuerst daran gedacht, den Brief Bischof Glondys mitzugeben. Dieser bleibt
aber doch noch viel länger, als er angenommen hatte, hier. Da andererseits
gerade in diesen Tagen in Siebenbürgen für den 5. November der Wahl-
kampf im Gange ist, halte ich dafür, daß es richtig ist, den Inhalt des Briefes
chiffriert nach Bukarest zu drahten') und das Original des Schreibens mit
dem nächsten Kurier des Auswärtigen Amtes nachzusenden.
Mit verbindlichsten Empfehlungen
Ihr sehr ergebener
DR. STEINACHER

[Anlage]
Abschrift
Nationalsozialistische MÜNCHEN, den 27. Oktober 1933
Deutsche Arbeiterpartei
Der Stellvertreter des Führers
K/S
An den Führer der NSDR
Herrn Fritz Fabritius,
Hermannstadt, Siebenbürgen
Sehr geehrter Herr Fabritius!
Die besondere Lage des Auslanddeutschtums erfordert die Vermeidung
jedes Anscheins einer Abhängigkeit von reichsdeutschen Stellen, welche
das Auslanddeutschtum als eine Art Expositur des Deutschen Reiches er-
scheinen lassen könnte und unnötigerweise Möglichkeiten zum Einschreiten
bietet. So sehr wir die Pflege des Gedankengutes und der sittlichen Kräfte
der NSDAP durch das Auslanddeutschtum begrüßen, müssen wir doch dar-
auf bestehen, daß unter allen Umständen alles vermieden werde, was zu
einer Vernichtung deutsch-völkischer Einrichtungen im Auslande Anlaß
geben könnte. Dazu kommt die Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Lage
des Auslanddeutschtums, die vor Belastungen nach Möglichkeit bewahrt
bleiben muß. Aus solchen Erwägungen heraus muß gefordert werden, daß
Bezeichnungen und Formen vermieden werden, die den Anschein auch nur
der geringsten Verbindung zu Reichs- wie parteiamtlichen Dienststellen
erregen könnten. Dazu gehört z. B. die Bezeichnung NSDR, SAM, Führer
und dgl. Die Umbenennung ist dringend geboten. Auch ist Wert darauf zu
legen, daß eine friedliche Durchdringung des Auslanddeutschtums, unter
Vermeidung rein personeller, machtpolitischer Auseinandersetzungen, durch
sachliche Erörterung der Grundidee des Nationalsozialismus angestrebt
werde. Die Beseitigung von Personen, welche diese Entwicklung hemmen,
aus ihren führenden Stellungen ist auf dem in den Bestimmungen der aus-
landdeutschen Organisation vorgesehenem Wege zu suchen, öffentlich

(1) Der Brief wurde am 31. Oktober chiffriert an die Gesandtschaft in Bukarest gesandt
(9783/E686 920).

56
Nr. 37 31. OKTOBER 1933

geführter Kampf schadet dem deutschen Ansehen in den Augen der nicht-
deutschen Welt. Mit Rücksicht auf die ohnehin vorhandene antisemitische
Haltung des Siebenbürger Sachsenvolkes ist unter stiller Beibehaltung,
eventuell Vertiefung dieser Einstellung von einem in öffentlichen Kund-
gebungen, Zeitungen, Versammlungen usw. hervortretenden aggressiven
Antisemitismus abzusehen.
Bei der großen Verantwortung, welche die NSDR einerseits als bewußte
Trägerin unseres Gedankengutes, andererseits mit Rücksicht auf ihre schon
errungene Machtstellung innerhalb des Sachsenvolkes Siebenbürgens unter
volkspolitischen Gesichtspunkten besitzt, muß eine genaue Beachtung dieser
Wünsche und ernsthaftes Eingehen auf alle sich bietenden Möglichkeiten zu
einer friedlichen Durchdringung des Sachsenvolkes mit den Kräften der
Erneuerung erwartet werden.
Heil!
gez. RUDOLF HESS

37
L433/L 124 299-302
Aufzeichnung des Oberregierungsrats Thomsen (Reichskanzlei)
BERLIN, den 31. Oktober 1933
zuRk. 12 2881)
Der Herr Reichskanzler empfing heute den früheren Generalsekretär des
Bundesrats der christlichen Kirchen in den Vereinigten Staaten, Pastor
Charles S. Macfarland. Herr Macfarland leitete das Gespräch damit ein, daß
er seine Mission als eine völlig private bezeichnete. Er habe keinerlei amt-
lichen Auftrag, sondern lediglich den Wunsch, sich der Reichsregierung zur
Verfügung zu stellen als ein Mann, dessen Stimme in weiten Kreisen in
Amerika gehört werde. Er habe Deutschland seit drei Wochen bereist und
mit nicht weniger als 60 verschiedenen Persönlichkeiten, besonders über
kirchliche Fragen, gesprochen. Als er im Jahre 1915 sich auf einer kirch-
lichen Mission in Deutschland befand, habe er den Eindruck gewonnen, daß
der damalige Reichskanzler von Bethmann Hollweg keine Fühlung mit dem
Vertreter der Vereinigten Staaten in Berlin gehabt habe. Dadurch seien
viele Mißverständnisse entstanden, die man hätte vermeiden können. Er
habe jetzt eine völlig veränderte Atmosphäre festgestellt. Der amerika-
nische Botschafter Dodd habe sich in sehr warmen Worten über seinen Emp-
fang durch den Herrn Reichskanzler ausgesprochen.2) Herr Dodd sei zweifel-
los von den allerbesten Absichten beseelt und wünsche, das vertrauensvolle
Verhältnis zur Reichsregierung, das sich bereits in so kurzer Zeit angebahnt
habe, zu vertiefen. Da Herr Dodd aber eine zurückhaltende Natur sei, wäre

(1) Rk. 12 288: Nicht gedruckt (L 433/L 124 296-98).


(2) Hitler hatte Dodd am 17. Oktober 1933 empfangen. Siehe die Anmerkung der Heraus
geber nach Dokument Nr. 9, S. 12.

57
Nr. 37 31. OKTOBER 1933

es nützlich, wenn die Initiative zu einem regeren Meinungsaustausch mit


ihm von der Reichsregierung ausgehe.
Auf sein eigentliches Thema übergehend, betonte Herr Macfarland, daß
die Lage der evangelischen Kirche in Deutschland starke Rückwirkungen auf
die Beurteilung deutscher Verhältnisse durch das Ausland habe. Sein Ein-
druck sei, daß sich in den Kreisen der evangelischen Pastoren zwei etwa
gleich starke Parteien scharf gegenüberstehen. In beiden Lagern gäbe es
aggressive Kräfte. Aus einem Gespräch mit Reichsbischof Müller habe er die
Zuversicht gewonnen, daß dieser sich bemühe, zwischen diesen Kräften
einen Ausgleich herzustellen. In Amerika herrsche die Auffassung vor, die
durch sensationelle Zeitungsartikel genährt werde, daß die Reichsregie-
rung durch Ernennung des Reichsbischofs und andere organisatorische Ver-
änderungen über ihre Kompetenzen hinaus in die Verfassung der evan-
gelischen Kirche eingegriffen habe.3) Er, Macfarland, halte das für einen
falschen Eindruck, den er aufzuklären bestrebt sein wird. Die Frage habe
aber eine große Tragweite, weil die Organisation der deutschen evan-
gelischen Kirche mit der internationalen Kirchenorganisation in engster
Verbindung stehe. Er bäte daher, an den Herrn Reichskanzler die Frage
richten zu dürfen, welches seine Auffassung über das richtige Verhältnis
zwischen Kirche und Staat sei.
In seiner Antwort führte der Herr Reichskanzler folgendes aus:
Von der nationalen Erhebung in Deutschland sei das ganze deutsche Volk
erfaßt worden. Schon aus diesem Grunde könne man von einem Eingreifen
der Reichsregierung in das kirchliche Leben nicht sprechen. Regierung und
Volk in Deutschland ständen nicht zueinander im Gegensatz, sondern seien
miteinander identisch. Die Wahlen vom 12. November würden hierfür den
besten Beweis erbringen. Die Reichsregierung nähme an der inneren Orga-
nisation der evangelischen Kirche nur Anteil, soweit es sich um den Ab-
schluß des Vertragswerks handele, durch das die evangelische Kirche auf
eine neue Grundlage gestellt werde. Während die Struktur des Deutschen
Reichs grundlegende Veränderungen erfahren habe, hätten immer noch
26 evangelische Landeskirchen in Deutschland bestanden. Es hat sich der
Zustand herausgebildet, daß bei politischer Einigkeit des deutschen Volkes
eine Zersplitterung in der evangelischen Kirche eingerissen sei. Es sei daher
ein unabweisbares Erfordernis gewesen, hier klare organisatorische Ver-
hältnisse zu schaffen. Gerade dadurch erhalte die evangelische Kirche in
Deutschland ihre wahre Freiheit und Selbständigkeit. Irgendwelche Ein-
griffe der Reichsregierung in die innere Organisation der evangelischen
Kirche oder gar eine Einflußnahme auf den Lehrstoff der Kirche komme
überhaupt nicht in Frage. Die Reichsregierung habe in vereinzelten Fällen
lediglich dort eingreifen müssen, wo durch Zuspitzung gegensätzlicher Auf-
fassungen Gefahr einer Störung der öffentlichen Ordnung bestand.

(3) Durch das „Gesetz über die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche" vom
14. Juli 1933 (siehe Reichsgesefzbktft, 1933, Teil I, S. 471) war das Amt eines Reichs-
bischofs geschaffen worden. Nach den am 23. Juli durchgeführten Kirchenwahlen, bei
denen die „Deutschen Christen", Befürworter des Führerprinzips in kirchlichen Ange-
legenheiten, eine Mehrheit erreicht hatten, war am 27. September von der National-
synode in Wittenberg Dr. Müller zum Reidisbischof gewählt worden.

58
Nr. 37 31. OKTOBER 1933

Herr Macfarland fragte alsdann, wie die Reichsregierung sich zu etwaigen


Kundgebungen evangelischer Pastoren stellen würde, die mit der Auf-
fassung der Reichsregierung über die Belange der evangelischen Kirche
nicht übereinstimmten.
Der Herr Reichskanzler antwortete, daß eine solche Auflehnung evan-
gelischer Geistlicher an sich nicht in erster Linie gegen die Reichsregierung
sich richte. Sie sei vielmehr im Sinne des geistlichen Berufs als eine Ver-
sündigung religiöser Art, und zwar sowohl gegen das Dogma wie gegen die
kirchlichen Oberen und das Kirchenvolk selbst aufzufassen. Wenn gegen-
sätzliche Strömungen innerhalb der Pastorenschaft beständen, so werde
zweifellos das Kirchenvolk selbst seinen Einfluß dahin geltend machen, daß
diese Meinungsverschiedenheiten beseitigt würden. Aufgabe der Reichs-
regierung sei lediglich, an der Schlichtung solcher Konflikte mitzuwirken.
Seine, des Reichskanzlers, bisherige Amtsführung sei darauf gerichtet ge-
wesen, dem Volke das kirchliche Leben zu erhalten. Er habe dafür Beweise
genug gegeben. Sein einziger Wunsch gehe dahin, daß dem Volk eine
christliche Erziehung vermittelt werde.
Herr Macfarland erwähnte, daß er in allen Kreisen der evangelischen
Pastorenschaft ein unbedingtes Zutrauen zu der Person des Reichskanzlers
gefunden habe. Nur ständen diejenigen Pastoren, die gegen die Kirchen-
politik der jetzigen Regierung eingestellt seien, unter dem Eindruck, als ob
die der Regierung nahestehenden kirchlichen Kreise sich der vollen Unter-
stützung des Reichskanzlers erfreuten, während sie selbst abseits stehen
müßten. Er frage daher, ob nicht der Herr Reichskanzler, wenn auch nicht in
seiner Eigenschaft als Reichskanzler, so doch als Persönlichkeit gemein-
samen Vertrauens, führende Männer aus beiden Lagern empfangen wolle,
um auf diesem Wege eine Einigung durch seine Autorität herbeizuführen.
Der Herr Reichskanzler antwortete hierauf, daß er selbstverständlich hier-
zu bereit sei. Er könne aber erst dann in vermittelnde Funktion treten, wenn
er hierzu von einer der interessierten Teile gebeten werde. Er ermächtigte
aber Herrn Macfarland, von dieser Erklärung seiner Bereitschaft zu einer
Vermittlung den ihm gut dünkenden Gebrauch zu machen.4)
THOMSEN

(4) Zu Macfarlands Besuch in Deutsehland siehe Macfarland, The New Churdx and the
New Germany. Siehe auch Foreign Relations of fhe United Sfafes, 1933, Bd. II, S. 303-04.

[ANMERKUNG DER HERAUSGEBER: Am 31. Oktober wurde der österreichische


Minister für Justiz und Erziehung Schuschnigg, der auf Veranlassung Doll-
fuß' zu politischen Gesprächen mit führenden deutschen Nationalsozialisten
nach München gekommen war, von Heß zu einer einstündigen Unterredung
empfangen. Schuschnigg gab den Inhalt des Gesprächs wieder in seinem
Buch Dreimal Österreich, S. 243-45. In den Akten des Auswärtigen Amts
konnte eine Aufzeichnung über die Unterredung nicht ermittelt werden.]

59
Nr. 39 1. NOVEMBER 1933

38
5643/H 000 945
Aulzeichnung des Ministerialdirektors Meyer
Abschrift
BERLIN, den 1. November 1933
AUFZEICHNUNG

Der Herr Reichsminister hat heute dem Herrn Reichskanzler die Lage der
deutsch-polnischen Wirtschaftsverhandlungen : ) vorgetragen. Er hat dabei
präzisiert, daß die Verhandlungen sich bis zum 14. Oktober d. J. verhältnis-
mäßig günstig angelassen hätten, von diesem Datum an aber die Polen mit
Forderungen vorgetreten seien, deren Erfüllung ihm nicht möglich erscheine.
Es handele sich dabei in erster Linie um die Forderung der Einfuhr pol-
nischer Kohle nach Deutschland und um die Verweigerung der Aufhebung
der Diskriminierung der deutschen Schiffahrt. Der Herr Reichsminister hat
dem Herrn Reichskanzler vorgeschlagen, daß die Einfuhr von oberschlesi-
scher Kohle nicht zugestanden werden könne, daß aber deutscherseits auf
der Beseitigung der Diskriminierung der deutschen Schiffahrt bestanden
werden müsse. Er hat dabei darauf aufmerksam gemacht, daß bei einer
intransigenten Haltung der Polen damit gerechnet werden müsse, daß die
Verhandlungen abgebrochen würden. Der Herr Reichskanzler hat sich mit
dem Vorschlage des Herrn Reichsministers einverstanden erklärt. Der Herr
Reichskanzler hat aber Wert darauf gelegt, daß eine Prüfung vorgenommen
werde, ob nicht auf anderem Gebiete im Interesse einer Vermeidung des
Abbruchs der Verhandlungen den Polen Konzessionen gemacht werden
könnten.
gez. MEYER
(l) Während der vorangegangenen Monate hatten zwischen Deutschland und Polen Wirt-
sdiaftsverhandlungen stattgefunden, bei denen es vor allem um eine Modifizierung be-
stehender Zollbestimmungen und Einfuhrbeschränkungen ging.

39
3154/D 671 328-29
Reichswehrminister von Blomberg an den Reichsminister des Auswärtigen
Freiherrn von Neurath s)
Streng vertraulich BERLIN, den 1. November 1933
Nr. 580/33 VGH I
Betrifft: Maßnahmen zum Schutz der nationalen Sicherheit.
Das Verlassen der Abrüstungskonferenz und der Austritt des Reiches aus

• (1) Auf der Vorlage befindet sieh die Paraphe Neuraths vom 4. November. - Das Schreiben
wurde gleichzeitig dem Reichsminister des Innern (Friek), dem Reichsminister der Luft-

60
Nr. 39 1. NOVEMBER 1933

dem Völkerbund zwingen dazu, bei allen Maßnahmen zur Stärkung der
nationalen Verteidigungskraft der schwierigen außenpolitischen Lage in
besonderem Maße Rechnung zu tragen. Noch mehr als bisher ist in jedem
einzelnen Falle scharfe Prüfung nötig, ob und wie die wehrpolitischen Be-
lange mit den Rücksichten der Außenpolitik in Einklang zu bringen sind.
Die Verantwortung für die Durchführung dieser Forderungen hat mir die
Reichsregierung durch die in der Ministerbesprechung vom 17. 10. 33 ange-
nommene Entschließung 2 ) übertragen.
In Ausführung dieses Auftrages darf ich zunächst darauf hinweisen, daß
die mit meinem Schreiben vom 14. 9. 33 Nr. 489/33 W. IIb 3 ) mitgeteilten
Richtlinien über Maßnahmen auf den Gebieten der Tarnung, der Abwehr
und der wehrpolitischen Propaganda weiterhin voll in Kraft bleiben und die
Grundlage für die Behandlung dieser Fragen bilden müssen. Um eine ein-
heitliche Handhabung zu sichern, muß ich alle Maßnahmen, die gegen die
Bestimmungen des VersaiUer Diktats verstoßen, grundsätzlich von meiner
vorherigen Zustimmung abhängig machen, wobei ich bitten darf, zur Ver-
meidung unnötiger Arbeit in derartigen Fragen von vornherein mit mir in
Fühlung zu treten. In jedem Falle wird zu erwägen sein, ob auch an sich
wünschenswerte und richtige Maßnahmen nach ihrem augenblicklichen
praktischen Nutzen so hoch zu bewerten sind, daß sie die Übernahme der
damit verbundenen außenpolitischen Gefahr rechtfertigen. Ist diese Frage
zu bejahen, so wird eingehend zu prüfen sein, in welcher Form der Tarnung
und Geheimhaltung im Sinne meiner Richtlinien vom 14. 9. 33 am wirk-
samsten Rechnung zu tragen ist. Auch hierüber müßte vor Einleitung irgend-
welcher Schritte im Einvernehmen mit mir volle Klarheit geschaffen werden.
Besondere Bedeutung kommt unter der jetzigen außenpolitischen Lage
allen in der entmilitarisierten Zone zu treffenden Maßnahmen zu. Mit Rück-
sicht auf die freiwilligen Verpflichtungen, die das Reich im Locarno-Vertrag
hinsichtlich dieser Zone übernommen hat (Beobachtung der Bestimmungen
der Artikel 42 und 43 des VersaiUer Vertrages 4 )), muß hier zunächst alles
unterbleiben, was der Gegenseite Anlaß geben könnte, uns Verstöße gegen
unsere Vertragsverpflichtungen vorzuwerfen. Bei der Wichtigkeit dieser
Frage bitte ich daher, für jede Maßnahme, die den jetzt bestehenden Zu-
stand auf dem Gebiete der Landesverteidigung in der entmilitarisierten
Zone verändert, auch wenn dabei nicht ausdrücklich gegen die militärischen
Bestimmungen des VersaiUer Diktats verstoßen wird, mein vorheriges Ein-
verständnis herbeizuführen.
Weitere, ins einzelne gehende Richtlinien auf Grund des Kabinetts-
beschlusses vom 17. 10. 33 werde ich mir erlauben bei einer mündlichen
Besprechung zu geben, zu der ich die für Tarnungs- und Abwehrfragen zu-

[Fortsetzung von Anm. 1]


fahrt und preußischen Minister des Innern (Göring), dem Reichsminister für Volksauf-
klärung und Propaganda (Goebbels) sowie der Obersten SA-Führung, z. Hd. des Herrn
Stabschefs Röhm, übermittelt.
(2) Der Text der Entschließung oder andere aktenmäßige Hinweise hierauf konnten nicht
ermittelt werden. Siehe Dokument Nr. 9.
(3) Nicht ermittelt.
(4) Diese Artikel betreffen die Entmilitarisierung des Rheinlandes.

61
Nr. 40 2. NOVEMBER 1933

ständigen Referenten der obersten Reichsbehörden und der Innenministerien


der Länder für den 10. 11. 33 eingeladen habe.5)
v. BLOMBERG
(5) Neurath antwortete dem Reidiswehrminister am 6. November (3154/D 671 327): „Mit dem
Inhalt des dortigen Schreibens vom 1. November 1933 - Nr. 580/33 VGH I -, betreffend
Maßnahmen zum Schutz der nationalen Sidierheit, bin ich durchaus einverstanden. Um
Mißverständnissen vorzubeugen, die aus einem unbeabsichtigten Bekanntwerden dieses
oder ähnlicher Schreiben, z. B. der von anderen Dienststellen daraufhin veranlaßten
Mitteilungen, entstehen könnten, empfehle ich, nicht von Maßnahmen zu sprechen, die
gegen den VersaiUer Vertrag verstoßen, sondern von Maßnahmen, die von Frankreich
(oder anderen Ländern) als vertragswidrig angesehen werden könnten. Eine solche
Tarnung der Ausdrucksweise dürfte sich auch im Schriftverkehr zwischen den Behörden
empfehlen."
Eine Aufzeichnung über die von Blomberg für den 10. November anberaumte Bespre-
chung konnte nicht ermittelt werden.

40
3154/D 671 310-17
Reichskanzler Hitler an den italienischen Ministerpräsidenten Mussolini •)
BERLIN, den 2. November 1933
Euere Exzellenz!
Es ist die Wiedergabe der Empfindungen des ganzen deutschen Volkes,
wenn ich an die Spitze dieses Briefes die Versicherung des aufrichtigen
Dankes setze für die vielseitigen Bemühungen Euerer Exzellenz, in denen
wir eine ebenso wertvolle Unterstützung des deutschen Volkes wie tat-
kräftige Förderung aufrichtiger Friedensbestrebungen erblicken. Das deut-
sche Volk wird dies nicht vergessen. In mir selbst verbindet sich die Be-
wunderung für das geschichtliche Wirken Euerer Exzellenz mit dem
Wunsche einer vom Geiste wahrer Freundschaft erfüllten Zusammenarbeit
unserer beiden Nationen, die, weltanschaulich verwandt, durch zweckmäßige
Wahrnehmung gleicher Interessen unendlich viel zur Befriedung Europas
beitragen können.
Denn ich brauche Euerer Exzellenz nicht zu versichern, daß die deutsche
Regierung und das deutsche Volk nur von dem einen Wunsche beseelt sind,
unter Wahrung der allgemeinen Gleichberechtigung und damit des Lebens-
rechtes des deutschen Volkes, mitzuhelfen an der Beendigung einer Periode
der Geschichte der europäischen Staaten, die einzelnen Völkern vielleicht
scheinbare Vorteile gebracht haben mag, insgesamt aber weder der Wohl-
fahrt dieser Völker, ihrer zukünftigen Stellung innerhalb der übrigen Welt,
noch der allgemeinen menschlichen Kultur nützlich war. Ich darf weiter
Euerer Exzellenz versichern, daß ich während eines vierjährigen Einsatzes
an der Westfront den Krieg in seiner unromantischen Wirklichkeit zu sehr
kennengelernt habe, um nicht die ungeheure Verantwortung derer zu er-
messen, die die Vorsehung Völker regieren läßt, daß ich aber als Mann

(i) Für die näheren Umstände der Übermittlung dieses Briefes siehe Dokument Nr. 50.

62
Nr. 40 2. NOVEMBER 1933

erfüllt bin von der Überzeugung, nicht nur das Recht, sondern auch die Ehre
der Nation, die mich als ihren Sprecher und Führer anerkennt, vertreten zu
müssen. Ich wollte daher lieber jede Drangsal ertragen, als für mich oder die
Nation jene Prinzipien preisgeben, die durch Blut und Opfer zahlreicher
Generationen verteidigt und erhalten, für die Existenz einer Nation unent-
behrlich und damit wahrhaft geheiligt sind.
Euere Exzellenz haben das Glück, der souveräne Führer eines aus dem
Weltkrieg erfolgreich zurückgekehrten Volkes zu sein. Als glühender
Patriot werden Sie aber dennoch Verständnis empfinden für Männer, die in
nicht minder großer Liebe an einem Volke hängen, das das Schicksal nach
heroischem Widerstände und unermeßlichen Opfern geschlagen hat und
die nun die geschichtliche Aufgabe zu erfüllen haben, diesem Volke Ehre
und Lebensrecht wiederzugeben. Als großer Italiener können Sie nicht
anders denken und würden selbst nicht anders handeln, wie wir deutsche
Nationalsozialisten es heute tun!
Die Abrüstungsfrage ist ein Problem, das für die anderen Nationen nur
sachliche, für Deutschland leider aber auch moralische Bedeutung besitzt. Es
ist für die Regierungen der anderen Staaten nur eine Angelegenheit sach-
licher militärischer Zweckerwägungen, Verminderungen oder Begrenzung
der Streitkräfte und Rüstungen vorzunehmen. Für Deutschland ist diese
Frage verbunden mit jenem Kapitel des VersaiUer Vertrages, das nicht nur
unsere sachliche Wehrlosigkeit, sondern auch moralische Diskriminierung
beinhaltet. Für uns kann daher diese Frage nicht nur eine solche ausschließ-
lich sachlicher Erwägungen sein, sondern es ist dies eine Frage des Ehr-
empfindens der Nation und ihrer Regierung. Es ist daher eher noch möglich,
auf sachlichen Gebieten entgegenzukommen, als es möglich ist, auf mora-
lischen Konzessionen zu machen!
Als die deutschen Regierungen einst den Waffenstillstand und später den
Friedensvertrag unterzeichneten, konnten sie nur eine einzige schwache
Entschuldigung für ihr Handeln anführen: Nicht die sonst drohende Not,
sondern nur die in den 14 Punkten Wilsons und später im Friedensvertrage
gegebene Aussicht, daß die Waffenniederlegung und Waffenzerstörung des
deutschen Volkes die Voraussetzungen sein würden zu einem analogen
Verfahren der übrigen Völker und damit zu einer Entgiftung und Befriedung
der Welt. Ich nehme nicht zur Ideologie dieser Auffassung Stellung, sondern
nur zu den in den Verträgen niedergelegten Zusicherungen und der in der
Tat vollzogenen deutschen Ausführung.
Deutschland hat abgerüstet.
Daß Deutschland ein Recht besitzt, die Abrüstung der anderen Staaten
unter Berufung auf den Friedensvertrag zu fordern, kann nicht bestritten
werden, schon aus dem Grunde, weil die Unbegrenztheit der Dauer der
deutschen Abrüstung bzw. die Fixierung der deutschen Rüstung für die
Zukunft überhaupt nur denkbar war unter der Annahme, damit eine Vor-
aussetzung für die Abrüstung der anderen Staaten und zugleich für deren
Ausmaß zu bestimmen. Denn wenn jemand die Verpflichtung der Abrüstung
der anderen Nationen bestreitet, so würde er bei der zeitlich unbegrenzten
Dauer der im VersaiUer Vertrag niedergelegten deutschen Abrüstung und
des in ihm fixierten deutschen Rüstungsstandes behaupten, daß durch diesen

63
Nr. 40 2. NOVEMBER 1933

Vertrag für ewige Zeiten und unbegrenzt für alle Zukunft ein Kriegsaus-
gang entscheidend sein soll für die Minderberechtigung eines Volkes. Es
erübrigt sich jede Stellungnahme zu einer solchen wahnsinnigen Auf-
fassung; wollte man einen Friedensvertrag so auslegen, dann hieße dies
zugleich, dem Besiegten jedes moralische Recht zum Bruch eines solchen
Vertrages zubilligen. Damit aber läge in einem solchen Vertrage bereits
der Keim eines kommenden Krieges.
Dies konnte nicht der Sinn des Abschlusses des Weltkrieges sein und war
es auch nicht. Indem das deutsche Volk seine Verpflichtungen erfüllt hat,
besitzt es ein moralisches Recht, von der übrigen Welt die Erfüllung der
analogen Verpflichtung zu fordern und zu erwarten.
Die praktische Entwicklung dieser Angelegenheit läßt aber eines ein-
deutig und klar erkennen: Keine Macht denkt im Ernst daran, ihre Rüstung
irgendwie zu beschränken und damit die einst übernommene Verpflichtung
zu erfüllen. Es ist nicht notwendig, im einzelnen die Gründe für dieses Ver-
halten zu untersuchen. Ich will aber annehmen, daß es den Regierungen
unmöglich erscheint, vor den Parlamenten und den Generalstäben die Be-
lastung einer wirklichen Abrüstung auf sich zu nehmen. Ja, im Gespräch
unter vier Augen wurde uns von verschiedenen Staatsmännern ganz offen
und frei erklärt, daß ihre Regierungen nicht daran dächten, auch nur eine
einzige Kanone zu vernichten. Damit aber konnte der Zweck der Genfer
Verhandlungen nur mehr der sein:
Erstens eine wirkliche Abrüstung unter allen Umständen zu verhindern
und
zweitens die Schuld von sich ab- und auf einen anderen hinzuwälzen!
Ich habe schon in meiner Rede vor dem Reichstag 2) keinen Zweifel dar-
über gelassen, daß im Falle einer solchen Entwicklung Deutschland sowohl
die Abrüstungskonferenz als auch den Völkerbund verlassen würde. Ich
habe in einer Unterredung mit dem Botschafter Euerer Exzellenz 8 Tage
vorher 3 ) desgleichen darauf hingewiesen, daß ich dieser Entwicklung nicht
willenlos zusehen würde, sondern daß ich unter allen Umständen und auf
jede Gefahr hin die gebotenen Konsequenzen ziehen würde.
Baron von Neurath, der am 14. Oktober 10 Uhr vormittags Eurer Exzellenz
Botschafter die bevorstehende Durchführung des deutschen Schrittes mit-
teilen sollte, konnte diesen leider nicht erreichen. Ich hielt es aber nach den
gegebenen Umständen für notwendig, nach der Bekanntgabe der neuen
englischen Entwürfe 4 ) unverzüglich eine Bindung zu lösen, aus der sich
unter solchen Umständen nur noch mehr Verwirrungen und damit eine Ver-
schärfung der Lage hätten ergeben müssen.
Da der Vorsatz der hochgerüsteten Staaten, in Sonderheit Frankreichs,
nicht abzurüsten, feststeht, glaube ich auch nicht mehr an eine Möglichkeit

(2) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Anmerkung der Herausgeber nach Dokument Nr. 246. S. 446.
(*) Dieser Hinweis bezieht sich vermutlieh auf die Unterredung, die am 12. Oktober,
wenige Tage vor dem Austritt Deutsehlands aus der Abrüstungskonferenz und dem
Völkerbund, zwischen Hitler und Cerruti stattgefunden hatte. Siehe Serie C, Bd. 1,2,
Dokument Nr. 494. Siehe auch Aloisi, Journal (25 juillet 1932 - 14 juin 1936), Eintragung
für den 13. Oktober 1933.
(4) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokumente Nr. 486 und 493.

64
Nr. 40 2. NOVEMBER 1933

der Verwirklichung des MacDonald-Planes. Im Gegenteil, ich fürchte, vom


deutschen Standpunkt aus gesehen, daß jede Verbindung der Forderung
unserer Gleichberechtigung mit einer Forderung nach Abrüstung der ande-
ren Staaten dem deutschen Rechtsanspruch nur schädlich sein kann.
Ich glaube daher auch, daß dieser und jeder ähnliche Versuch keinerlei
Aussicht auf tatsächliche Verwirklichung mehr besitzen. Ich glaube, daß
statt dessen bei der Lösung dieser Frage ausgegangen werden muß von der
Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände. Folgendes scheint mir dabei
wichtig:
1.) Deutschland hat ein unbestreitbares Recht auf Gleichberechtigung.
2.) Die hochgerüsteten Staaten gedenken unter keinen Umständen ihre
Rüstungen preiszugeben.
Ich sehe damit, soweit die hochgerüsteten Staaten in Frage kommen,
höchstens nur noch eine Möglichkeit, nämlich unter Verzicht auf eine wirk-
liche Abrüstung ihre Rüstungshöhe für die Dauer einer bestimmten Kon-
vention auf den heutigen Stand festzulegen und zu erhalten. Ich darf Eurer
Exzellenz dabei versichern, daß Deutschland an dieser Lösung weniger
interessiert ist als die hochgerüsteten Staaten selbst. Jede Steigerung der
derzeitigen Rüstungen kann nicht gegen Deutschland gedacht sein. Deutsch-
land fühlt sich auch durch sie nicht mehr bedroht, als es an sich bedroht ist.
Ob Frankreich zur Masse seiner zwanzig- oder dreißigtausend Kriegs-
geschütze noch einige tausend dazu erhält, seine viertausend Tanks noch um
einige tausend erhöht, seine dreitausend Flugzeuge auf fünf- oder zehn-
tausend bringt, seine Unterseeboote verdoppelt usw., kann für Deutschland
ziemlich gleich sein. Es sind die hochgerüsteten Staaten selbst, die allein
ein Interesse daran haben könnten, diesen nur sie betreffenden gegenseitigen
Rüstungskrieg zu stoppen.
Ich halte es nun für eher möglich, diesen Rüstungswettstreit anzuhalten,
als die vorhandenen Rüstungen abzubauen.
Deutschland, das an sich keinen anderen Wunsch besitzt, als in Ruhe und
Frieden seiner inneren Entwicklung nachgehen zu können, würde sich an
diesem Wettstreit der Schaffung von Angriffswaffen überhaupt nicht be-
teiligen. Wir würden uns aber im Rahmen einer solchen Konvention, die auf
eine längere Reihe von Jahren abgeschlossen werden könnte, beteiligen
a) unter Anerkennung einer wirklichen Gleichberechtigung durch die
anderen Mächte,
b) unter der freiwilligen eigenen Verpflichtung Deutschlands, von dieser
Gleichberechtigung nur einen ebenso begrenzten mäßigen wie für die
anderen Staaten angriffsungefährlichen Gebrauch zu machen.
Ministerpräsident General Göring, den ich beauftrage, dieses Schreiben
an Eure Exzellenz zu überbringen, ist unterrichtet, auf Eurer Exzellenz
Wunsch über diese Frage noch mündliche Ausführungen zu machen.
Ich halte es weiterhin für möglich, daß in einer solchen Konvention allge-
meine Verpflichtungen übernommen würden der Respektierung gewisser
humaner Grundsätze der Kriegführung, besonders gegenüber der Zivil-
bevölkerung. Wesentlich scheint mir aber zu sein, daß jedes Abkommen,
das Aussicht auf Erfolg haben soll, möglichst klar und einfach gehalten ist.
Und ebenso wesentlich, daß durch eine Fühlungnahme der in Frage kom-

65

11,1 Bg. 5
Nr. 41 3. NOVEMBER 1933

menden europäischen Großmächte untereinander schon vorher versucht


wird, das vorhandene Mißtrauen nach Möglichkeit zu beheben und durch
eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens zu ersetzen.
Indem ich diese Gedanken Eurer Exzellenz unterbreite, möchte ich aus-
drücklich betonen, daß ich nicht die Absicht habe, sie irgendeiner Konferenz
vorzulegen oder gar zu diesem Zwecke eine solche anzuregen. Ich habe aber
diese Gedanken in Gesprächen mit dem amerikanischen und dem englischen
Botschafter5) - auf deren Befragung nach der Auffassung der deutschen
Regierung über eventuelle Möglichkeiten für die Zukunft - in groben Um-
rissen skizziert und möchte daher nicht verfehlen, sie auch Eurer Exzellenz
vorzulegen. Wie immer aber auch die Entwicklung in der Zukunft vor sich
gehen mag, so wird doch eines unser unabänderlicher Entschluß und Wille
sein, nichts zu tun und nichts zu unterschreiben, was irgendwie mit der Ehre
der Nation und ihren Ansprüchen auf Gleichberechtigung unverträglich ist.
Indem ich Eure Exzellenz nochmals des Dankes der deutschen Regierung
und des deutschen Volkes versichere, bin ich in persönlicher aufrichtiger
Bewunderung
Ihr
gez. ADOLF HITLER

• (5) Für Hitlers Unterredung mit Dodd siehe die Anmerkung der Herausgeber nach Doku-
ment Nr. 9, S. 12. Hitlers Unterredung mit Phipps ist wiedergegeben in Dokument
Nr. 23.

41
5552/E 393 494-99
Autzeichnung ohne Unterschriftl)
3. November 1933
AUFZEICHNUNG ÜBER EINE BESPRECHUNG IM AUSWÄRTIGEN AMT
AM 3. NOVEMBER 1933, 12 UHR 15 2)
Anwesend die Herren: Meyer, von Moltke, Graf Adelmann vom Aus-
wärtigen Amt; Nasse vom Reichsfinanzministerium; von Flotow von Hardy
& Co.; Ritscher von der Dresdner Bank; Flick, Steinbrinck, Bruhn für die
IG-Gesellschaften.
Dr. Bruhn führte etwa folgendes aus:
Am gestrigen Nachmittag ist das Verwaltungsgebäude der IG-Gesell-
schaften in Kattowitz 3 ) von polnischer Polizei besetzt worden. Die Ge-

• (i) Eine beiliegende Notiz (5552/E 393 493) lautet: „Herrn Ministerialdirektor Meyer im
Auftrage von Herrn Dr. Bruhn ergebenst überreicht. Berlin, den 21. November 1933.
Sekretariat Dr. Bruhn: Eberhardt."
(2) Neurath wurde über diese Besprechung durch eine kurze Aufzeichnung Meyers vom
3. November (5552/E 393 531) unterrichtet. In den Akten befindet sich noch eine weitere
Aufzeichnung des Auswärtigen Amts über die Besprechung (5552/E 393 509-11).
(>) Frühere Dokumente zur Frage des IG Kattowitz-Laura-Konzerns sind abgedruckt in
Serie C, Bd. 1,2, Dokumente Nr. 359 und 473. Eine umfassende Aufstellung über die
Finanzstruktur und die Besitzverhältnisse des Konzerns (5552/E 393 368-84) wurde am
8. März 1934 von Flotow an Meyer übermittelt.

66
Nr. 41 3. NOVEMBER 1933

schäftsbücher und Akten der Finanzabteilung wurden beschlagnahmt, die


Zimmer der deutschen Vorstandsmitglieder und ihrer Sekretäre versiegelt
und der Oberbuchhalter Szczendzina verhaftet. Nach vertraulichen Mit-
teilungen handelt es sich um eine von Warschau aus angeordnete Maß-
nahme der Kattowitzer Staatsanwaltschaft, um dem Steuerfiskus auf Grund
der Bilanzen 1931 und der Unterlagen für die Bilanzen 1932 einen Vorwand
zur Verhängung hoher Steuerstrafen zu geben.
Der Vorstoß gegen die IG ist von langer Hand vorbereitet und verfolgt
rein politische Zwecke. Es ist in kürzester Zeit damit zu rechnen, daß ent-
weder die Sequestrierung der Werke erfolgt oder eine Geschäftsaufsicht
eingesetzt wird. In beiden Fällen ist die vollständige Polonisierung der
Belegschaft unvermeidlich.
Seit IV2 Jahren bemüht sich der Woiwode 4) mit Nachdruck, eine stärkere
Berücksichtigung des polnischen Elementes in den maßgebenden Stellen der
Verwaltung herbeizuführen. Im Herbst 1932 schon wurde das Verlangen
gestellt nach einer Umbesetzung der Aufsichtsräte und nach einer Bestellung
eines neuen polnischen Vorstandsmitgliedes als Ersatz für die ausgefallenen
Herren Kiedron und Haase. Nach langem Drängen erfolgte am 1. Oktober
1932 die Bestellung von Radowski, wodurch das Verhältnis 5 deutsche Vor-
standsmitglieder zu 3 polnischen hergestellt wurde.
Im Februar dieses Jahres wurde der Austritt des Fürsten Radziwill aus
dem Aufsichtsrate durch einen unmotivierten Angriff des Handelsministers
Zarzycki im Sejm-Ausschuß durchgesetzt.
Im März 1933 verlangte der Woiwode weitere Maßnahmen zur Ver-
stärkung des polnischen Einflusses mit der Begründung, daß die Werke von
uns nicht nach wirtschaftlichen, sondern nach rein politischen Gesichtspunk-
ten geführt würden. Als Beweis wurden angezogen: unser Widerstand gegen
den Beitritt zur Unja, die viel zu hohe Belegschaft und unsere Weigerung,
deutsche Beamten (Optanten) zu entlassen.
Herr Flick lehnte damals die Einsetzung eines Generaldirektors ab, stellte
aber in Aussicht, die Parität im Vorstande bis zum Juli d. Js. herzustellen.
Wie in früheren Jahren wäre es zweifellos bei Drohungen und vielleicht
allmählich verstärktem Druck geblieben, weil die Polen letzten Endes
damit rechneten, daß sich die deutsche Aktionärgruppe bei der Aufrecht-
erhaltung des deutschen Einflusses bei den O/S-Gesellschaften auf die
Politik der deutschen Regierung stützte. Es wurde in polnischen Zeitungen
wiederholt ausgesprochen, daß ein großer Teil des Aktienbesitzes direkt
oder indirekt im Besitz des Deutschen Reiches sei; sie schlössen daraus, daß
das Deutsche Reich starkes Interesse daran habe, die Position für das
Deutschtum zu erhalten. Diese Tatsache ist letzten Endes wohl ein wirk-
samer Schutz vor allzu weitgehenden Eingriffen der polnischen Regierung
gewesen.
Mit dem Augenblick, als im Mai (Londoner Konferenz) die Polen er-
fuhren, daß die deutsche Regierung gesonnen sei, diese Position aufzugeben,
und als Verkaufsverhandlungen mit Rajchmann eingeleitet wurden, brach
dieser gewissermaßen moralische Schutz für die Gesellschaften zusammen.

• (4) Grazynski.

67
Nr. 41 3. NOVEMBER 1933

Das Feld wurde frei für energische polnische Vorstöße. Diese setzten nun
auch schlagartig ein. Es genügt der Hinweis auf einige wenige Vorfälle:
Anfang Juli Verhaftung Bernhardt.5)
Schärfstes Drängen auf Vorlage der Bilanzen, Androhung hoher Steuern
und Verzugsstrafen.
Verlangen nach Beseitigung der Parität zu Gunsten einer polnischen
Majorität im Vorstand.
Formulierte Forderungen der polnischen Regierung für die neue Be-
setzung des Aufsichtsrates.
Verweigerung der Diskontierung von Russenwechseln und Staatsbahn-
wechseln mit dem ausgesprochenen Hinweis, daß so lange nicht diskontiert
werde, als gewisse politische Forderungen nicht erfüllt sind.
Der bisher den Polen entgegengesetzte Widerstand wurde dadurch völlig
untergraben, daß seitens der Unterhändler die mit großer Sorgfalt aufge-
zogene Tarnung der amerikanischen Beteiligung, der geringe Einfluß der
Amerikaner, die tatsächlichen Besitzverhältnisse beim Stahlverein und
Gelsenkirchen, die Ausschaltung des Herrn Flick und dergleichen mehr in
allen Einzelheiten den Polen berichtet wurden. Durch diese Art der Ver-
handlungsführung seitens der Vermittler sind die schwachen Punkte unserer
Position den Polen zur Kenntnis gekommen, die nun mit großer Geschick-
lichkeit ihren Angriffsplan ansetzen konnten. Die Vorwürfe gehen dahin,
daß auf Veranlassung der deutschen Kapitalisten die Gesellschaften von
den deutschen Vorständen mit fiktiven Schulden belastet worden sind, so
daß die deutschen Kapitalisten aus den Zinsen auf diese Schulden laufend
Einnahmen aus den Gesellschaften herausgezogen haben, die an und für
sich einkommensteuerpflichtig wären. Aus diesem Vorwurf konstruieren
die Steuerbehörden eine Anklage gegen den Vorstand wegen Steuerhinter-
ziehung; sie wollen die Werke mit einer Steuer von 25 bis 30 Millionen
Zloty belasten und aus Anlaß dieses Prozesses zunächst die deutschen Vor-
standsmitglieder Rohde und Tomalla entfernen.6)
Als Kuriosum wurde noch erwähnt: Der polnische Unterhändler Levin,
der neben Herrn Honigmann mit der Vermittlung des Verkaufs betraut
worden ist, hat heute morgen von Paris aus erklärt, die Aktion der Staats-
anwaltschaft habe nichts zu bedeuten, man solle sich darüber nicht be-
unruhigen, sondern die Verkaufsverhandlungen in bisheriger Weise fort-
führen. Es bestehe die größte Wahrscheinlichkeit, daß der Verkauf in näch-
ster Zeit in der gedachten Weise perfekt werde.

(5) Ein Mitarbeiter des Kattowitz-Konzerns, dem von den polnischen Behörden kriminelle
Handlungen zur Last gelegt wurden.
(6) Adelmann meldete dem Auswärtigen Amt am 24. November aus Kattowitz (5552/E 393
473), daß polnischen Presseberichten zufolge ein Haftbefehl gegen Rohde und Tomalla
ergangen sei, weil sie sieh trotz mehrmaliger Aufforderung nicht zur Vernehmung vor
Gericht gestellt hätten; beide seien jedoch inzwischen ins Ausland gegangen. Siehe
auch Sehreiben des Reichsfinanzministeriums an das Auswärtige Amt und das Reichs-
wirtschaftsministerium vom 29. November (5552/E 393 459-63). Am 14. Januar 1934
informierte Meyer jedoch Moltke (5552/E 393 436-39), daß ein Verfahren gegen die IG
nicht schwebe, nur gegen einige Vorstandsmitglieder! seines Wissens sei gegen Rohde
und Tomalla „ein formelles Verfahren noch gar nicht eingeleitet". Siehe auch Dokument
Nr. 217.

68
Nr. 41 3. NOVEMBER 1933

Der Vertreter der Harriman-Gruppe, Mr. Rossi, ist heute früh von Herrn
Dr. Radowski gebeten worden, nach Kattowitz zu kommen, um morgen eine
Unterredung mit dem Woiwoden zu haben, der ihn sprechen möchte.
Herr Meyer führte aus, daß er auf die Vorgänge der letzten Monate heute
nicht eingehen wolle, und erklärte, daß entsprechend der Entscheidung von
höchster Stelle ein Verkauf der Werke nicht mehr in Frage komme.7) Es sei
aber entschieden worden, daß die Verhandlungen nicht brüsk abgebrochen
werden, sondern allmählich versanden sollten. Hierüber bestand allge-
meines Einverständnis.
Herr Flick erklärt, er sei immer der größte Gegner des Verkaufsgedan-
kens gewesen und habe die Tatsache, besonders aber die Art der Verhand-
lungen, für ein großes Unheil angesehen. Sobald er davon in Kenntnis
gesetzt worden sei, daß über den Verkauf im Auftrage der deutschen
Aktionäre verhandelt werde, habe er kaum mehr daran gezweifelt, daß die
polnische Regierung Mittel und Wege finden werde, sich in den Besitz der
begehrten Werke zu setzen, daß sie aber gleichzeitig auch Mittel und Wege
finden werde, um dies ohne nennenswerten Gegenwert zu erreichen.
Nach kurzer Erörterung der Lage schlägt Herr Meyer vor, die noch be-
stehende Verbindung mit den Unterhändlern auszunutzen, um den Eingriff
der Kattowitzer Behörden zur Sprache zu bringen und auch auf diesem
Wege eine Einwirkung zu versuchen. Herr Meyer schlägt ferner vor, daß
Herr Flick gleichzeitig mit Herrn Rossi den Woiwoden besuchen möge.
Dr. Bruhn empfiehlt ein Vorgehen in dieser Richtung in zwei Etappen der-
gestalt, daß Herr Rossi den Woiwoden veranlaßt, Herrn Flick um eine
Unterredung zu bitten.
Herr Meyer schlägt vor, nicht allzusehr auf einer formellen Einladung
von Herrn Flick zu bestehen. Wie die Form gewählt werde, sei gleichgültig,
wichtig sei nur, daß bald eine Besprechung zwischen Herrn Flick und dem
Woiwoden zustande komme.
Dr. Bruhn empfiehlt, die Sanierung der Bilanzen mit tunlichster Be-
schleunigung vorzubereiten, um zu einem Arrangement mit der polnischen
Behörde zu gelangen, wobei man gegenseitige Konzessionen anbieten kann,
z. B. Verzicht der polnischen Behörde auf ihre unberechtigten Steuerforde-
rungen gegen Stundung der deutschen Bankforderungen nebst Zinserlaß
und gegen Opfer der Aktionäre in Gestalt einer Zusammenlegung des
Kapitals und dergleichen.
Herr Ritscher hält diesen Gedanken für richtig, weist aber darauf hin,
daß die mit einer Sanierung verknüpften Opfer nutzlos gebracht würden,
wenn man nicht entschlossen sei, durch die Beschaffung flüssiger Betriebs-
mittel die Gesellschaften unter allen Umständen durchzuhalten, auch wenn
die Bank Polski in Zukunft bei der Finanzierung der Russenwechsel Schwie-
rigkeiten machen sollte.
Die Herren Meyer und Flick schließen sich dieser Auffassung an. Herr
Meyer betont, daß der Beschluß, die Werke zu halten, selbstverständlich
zur Folge habe, daß die Werke finanziell sichergestellt werden müßten. Das

(7) Neurath hatte diese Entscheidung Hitlers in einem hsdir. Vermerk vom 1. November
(5552/E 393 535) aufgezeichnet.

69
Nr. 41 3. NOVEMBER 1933

Finanzministerium wird gebeten, die Bereitstellung der dafür erforderlichen


Mittel zu betreiben.
Auf eine Frage des Herrn Nasse legte Dr. Bruhn den Umfang der bisher
gewährten Zuschüsse zahlenmäßig dar. Im Jahre 1932 wurden durch die
Akzeptbank 8 Millionen RM, in diesem Jahre 6,7 Millionen RM zur Ver-
fügung gestellt, insgesamt also 14,7 Millionen RM. Demgegenüber sind aber
noch immer neben den dinglichen Sicherheiten und der Verpfändung der
CSSC 8)-shares und der Vorräte und Bestände rd. 4 Millionen RM liguide
geldwerte Sicherheiten in Gestalt von Russenwechseln und Zessionen von
Forderungen hinterlegt, die den Betriebsmitteln der IG entzogen sind, so
daß, wenn man die ersten 8 Millionen RM auf das Vorjahr anrechnet, in
diesem Jahre nicht, wie es den Anschein haben könnte, 6,7 Millionen RM,
sondern nur 2,7 Millionen RM an neuen Mitteln gegeben worden sind.
Auf die Frage des Herrn Nasse, welche Beträge für die nächste Zeit
erforderlich sein würden, um den Betrieb in der bisherigen Weise zu finan-
zieren, antwortet Dr. Bruhn, daß dies naturgemäß von der Konjunktur ab-
hängig sei. Die Betriebsergebnisse seien seit Frühjahr dieses Jahres aktiv,
reichten aber nicht dazu aus, die langfristigen Zahlungsbedingungen fast
aller heutigen Lieferungsaufträge, insbesondere der russischen, zu über-
brücken und darüber hinaus nennenswerte Zinsen zu zahlen, ganz zu
schweigen von den Abschreibungen. Er erinnerte an die von Herrn v. d.
Porten im Februar verfaßte Denkschrift, in der der Geldbedarf bis Ende 1933
auf 14 Millionen RM geschätzt sei, wobei die Freigabe der oben erwähnten
liquiden Sicherheiten ausdrücklich vorausgesetzt wurde. Die Verhältnisse
haben sich inzwischen etwas gebessert, und, ohne die Verwaltung irgend-
wie festlegen zu können, glaubte Dr. Bruhn, daß bei Fortdauer der gegen-
wärtigen Beschäftigungslage ein Zuschuß in Höhe der gegenüber der
v. d. Portenschen Schätzung noch ausstehenden 7,3 Millionen RM die Ge-
sellschaften bis zum nächsten Sommer gut über Wasser halten werde, aber-
mals unter der Voraussetzung, daß eine Freigabe der liquiden Sicherheiten
erfolgt.
Auf Vorschlag von Herrn Meyer erklären sich die Herren Ritscher,
v. Flotow, Nasse und Bruhn bereit, die Vorbereitung der Sanierung mit
aller Beschleunigung zu fördern und im Einvernehmen mit dem Finanz-
ministerium festzustellen, ob die zur Durchhaltung der Gesellschaft erforder-
lichen Mittel auch für den Fall des Versagens der Bank Polski bereitgestellt
werden können. Herr Meyer verspricht die politische Hilfestellung des
Auswärtigen] A[mts].
Es soll versucht werden, mit der polnischen Seite zu einem modus vivendi
zu kommen, zu dem die Besprechung mit dem Woiwoden den Auftakt geben
kann.*)

(8) In der umfassenden Aufzeichnung über die Finanzstruktur des IG-Kattowitz-Laura-


Konzerns, die Meyer am 8. März von Flotow zugesandt wurde (siehe Anm. 3), heißt es,
daß die CSSC im Jahre 1929 gegründet worden sei, „um angesichts der in Polen drohen-
den Liquidationsgefahr den deutschen Besitz als amerikanischen erscheinen zu lassen".
(9) Dokumente über die nachfolgenden Verhandlungen zwischen Rossi und polnischen Ver-
tretern sind gefilmt unter der Seriennummer 5552.

70
Nr. 42 3. NOVEMBER 1933

42
3154/D 670 215-19
Aufzeichnung ohne Unterschrittl)
[3. November 1933]
RM. 1519
Die Feinde des Regimes liefern aus Rache zahlreiche Denunziationen über
die Wiederaufrüstung Deutschlands. Bei den hiesigen fremden Militär-
attaches laufen derartige Denunziationen täglich in großer Anzahl ein. Aus
denselben geht hervor, daß Deutschland sich nicht an das Rüstungsniveau
von Versailles gehalten hat, und infolgedessen halten sich die Sieger auch
nicht mehr an ihr Abrüstungsversprechen gebunden.
Auf meinen Einwand, daß, wenn dieses wahr wäre, Hitler kaum in der
Lage gewesen wäre, die angeblichen geheimen Rüstungen Deutschlands mit
solcher Entschiedenheit zu dementieren, antwortete mein Mitredner, daß
Hitler bloß die angeblichen deutschen Waffenfabriken in Holland, Schweden,
Rußland etc. erwähnt hätte, hingegen kein Wort darüber sagte, was in
dieser Beziehung innerhalb der deutschen Grenzen geschieht.
Auf meine Frage, ob die von deutschen amtlichen Stellen und insbeson-
dere von seiten des Reichskanzlers immer häufiger erklingenden Friedens-
botschaften vollkommen wirkungslos seien, antwortete mein Mitredner, daß
diese Erklärungen nicht ganz ohne Eindruck blieben. Der gesäte Samen ver-
dorre nicht im Sande und, bei entsprechend behutsamer Behandlung, könne
daraus Nützliches hervorsprießen. Der Wert dieser Erklärungen werde je-
doch dadurch abgeschwächt, daß die Deutschen gleich zuviel sagen. Er ver-
wies auf jenen Teil der Rede Daladiers,2) wo letzterer in Beantwortung der
Erklärungen Hitlers sagte, er habe offene Ohren, um zu hören, aber auch
offene Augen, um zu sehen.
Hierauf fing mein Mitredner an darüber zu sprechen, was meinem Ein-
drucke nach der Hauptzweck seines Besuches war, nämlich über die Frage
der unmittelbaren Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich. Er
frug mich, ob ich etwas darüber gehört hätte, daß Deutschland bereits ein
fertiges Programm für diese Besprechungen habe. Seine Informationen
lauten dahin, daß Deutschland bei diesen direkten Verhandlungen mit
solchen Forderungen aufzutreten gedenkt, deren Erfüllung mit der deut-
schen Hegemonie in Europa gleichbedeutend wäre. Diese Forderungen
wären:
1.) Rückkehr des Saargebietes. Dies hätte, sagte mein Mitredner, von
politischem Standpunkt keine größeren Schwierigkeiten; es handle sich nur
darum, ob bei der Abstimmung 90, 80 oder nur 70 oder 60 Prozent der

*(1) Am Kopf des nicht unterzeichneten und undatierten Dokuments befindet sich folgender
nschr. Vermerk: „Der ungarische] Gesandte teilte mir nachstehendes über eine Unter-
redung mit dem französischen] Botschafter [Francois-Poncet] mit (unter Betonung der
Notwendigkeit strengster Diskretion). B[ülow] 3. 11."
Das Dokument wurde in den Akten in einem versiegelten Umschlag abgelegt, der die
Aufschrift trägt: „Memorandum Masirevich".
Das Datum wurde vom Eingangsstempel des Auswärtigen Amts übernommen.
(2) Siehe Dokument Nr. 18, Anm. 3.

71
Nr. 42 3. NOVEMBER 1933

Stimmen für die Rückkehr zum Reich abgegeben würden. Die Schwierig-
keiten werden sich nur ergeben bei der Regelung der finanziellen und der
Bergwerksfragen.
2.) Unterstellung von Elsaß-Lothringen unter die Bestimmungen des
Minoritätenschutzes.
3.) Durchführung des österreichischen Anschlusses.
4.) Rückgabe des polnischen Korridors.
Ich antwortete, daß ich nicht den Eindruck habe, Deutschland hätte solch
ein bestimmtes Programm, und selbst wenn ein Programm vorhanden wäre,
so glaube ich sicherlich nicht an deutsche hegemonistische Velleitäten.
Meiner Überzeugung nach seien die friedlichen Absichten Deutschlands voll-
kommen aufrichtig, und selbst wenn sie nicht aufrichtig wären, so sei die
Lage eine derartige, daß die Durchführung nichtfriedlicher Absichten die
Frage einer nur äußerst entfernten Zukunft sein könnte; es schiene mir
aber nicht zweckmäßig, eine europäische Politik auf so weite Sicht zu be-
treiben. Mein Mitredner gab zu, daß er selbst die Quelle, aus welcher die
Informationen über die angeblichen deutschen Wunschzettel stammte, für
nicht sehr zuverlässig halte. Im übrigen wäre es eine Naivität, anzunehmen,
daß Frankreich gerade nach den letzten Ereignissen in der Lage wäre, sich
in ä-deux-Verhandlungen einzulassen, wodurch es seinen Alliierten und
dem Völkerbund einen Affront antun würde.
Der Austritt Deutschlands, sagte mein Mitredner, habe überraschend
gewirkt. Man habe den Eindruck gehabt, daß Hitler gemäßigt sein und die
Dinge nicht auf die Spitze treiben wolle. Er betonte mit sorgenvoller Miene,
daß dieser drastische Schritt noch schwere Folgen nach sich ziehen könne.
Ich antwortete, ich könne meiner innersten Überzeugung nach in diesem
Schritte des Reichskanzlers ebenso wenig einen Akt erblicken, der die
Wiederaufrüstung oder die Störung des Friedens zum Ziele hätte, als auch
einen Akt politischer Taktik. Meiner Auffassung nach sei der Austritt
Deutschlands aus dem Völkerbunde ganz einfach aus der Hitler eigentüm-
lichen Ideologie entsprungen: er wollte aus der mit Intrigen erfüllten Atmo-
sphäre in freie Luft gelangen.
Mein Mitredner kam dann auf die Kontroverse Neurath-Simon *) zu
sprechen. Er sagte, die Deutschen hätten nicht recht, wenn sie behaupteten,
sie wären über das Wesen des Simon-Planes nicht unterrichtet gewesen;
die vier Großmächte hätten sich darüber geeinigt gehabt und der Plan wäre
äußerst raisonabel gewesen, nämlich:
1.) In der ersten vierjährigen Periode hätte sich die Kontrolle bei den
gerüsteten Staaten darauf erstreckt, daß sie ihre Rüstungen nicht erhöhen,
bei den abgerüsteten Staaten hingegen darauf, daß sie das Niveau des
Friedensvertrages nicht überschreiten. In dieser Periode hätte auch die
Standardisierung der Heere begonnen.
2.) In der zweiten Vierjahres-Periode wären die schweren Angriffswaffen
der gerüsteten Staaten stufenweise vernichtet worden, die abgerüsteten
Staaten hingegen hätten, gleichfalls stufenweise, die bisher verbotenen Ver-

*(3) Siehe die Dokumente Nr. 13 und 19

72
Nr. 43 3. NOVEMBER 1933

teidigungswaffen erhalten. Innerhalb 8 Jahren wäre daher die Gleichberech-


tigung verwirklicht worden.4)
Wie aus obigem hervorgeht, bemerkte mein Mitredner, sei die deutsche
Einstellung nicht stichhaltig, daß nämlich bloß von einer einseitigen Kon-
trolle die Rede gewesen wäre und daß die Frage der Zeitspanne und des
Rüstungsmaterials im unklaren gelassen worden wäre.
Zum Schluß sagte mein Mitredner, er glaube nicht, daß Frankreich in eine
Vertagung der Abrüstungskonferenz einwilligen, sondern vielmehr deren
Weiterführung verlangen werde. Falls eine Konvention zustande kommt,
würde dieselbe Deutschland präsentiert werden, und wenn Deutschland
nicht annimmt, würde auf die Bestimmungen von Versailles zurückgegriffen
werden.

(4) Randbemerkung Neuraths: „?"

43
6065/E 448 738-40
Autzeichnung des Legationsrats Busse
Geheim [BERLIN, den] 3. November 1933
II Balk. 1989 Js.
In der Angelegenheit der beiden in Berlin erscheinenden kroatischen
Emigrantenblätter') suchte mich heute Herr Major a. D. Voss vom Reichs-
wehrministerium auf, um mir den Standpunkt seiner Dienststelle zu der
Frage des Verbots der beiden Blätter darzulegen. Er sagte, eine entgegen-
kommende Behandlung der hier lebenden kroatischen Emigranten, insbe-
sondere des Herausgebers der beiden Blätter, Dr. Branimir Jelic, durch die
deutschen Behörden sei deshalb erwünscht, weil die Kroaten bei der Nach-
richtenbeschaffung, insbesondere aber wegen ihrer Verbindung mit den im
Auslande, namentlich in Italien und in Ungarn befindlichen und dort mili-
tärisch geschulten kroatischen Organisationen nützlich seien. Denn das
Reichswehrministerium gehe davon aus, daß bei einer etwaigen künftigen
kriegerischen Verwicklung in Europa Jugoslawien auf der Seite unserer
Gegner stehen werde und daß daher die organisierten kroatischen Emi-
granten, die gegen das jetzige Jugoslawien feindlich eingestellt seien, uns
als Verbündete willkommen sein müßten. Die Zahl dieser im Auslande
lebenden, für den Kriegsfall zu einer Verwendung gegen Jugoslawien in
Betracht kommenden kroatischen Emigranten schätzte Herr Voss auf 3000
bis 10 000 Mann. Diese sollten nach der Vorstellung des Reichswehrministe-

(1) Die Frage des Status dieser kroatischen Emigrantenblätter und ihres Herausgebers
Jelic war Gegenstand mehrerer Schriftwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt und
dem Reichsministerium des Innern gewesen und hatte Demarchen der jugoslawischen
Gesandtschaft in Berlin ausgelöst. Die Akten zu dieser Angelegenheit sind gefilmt
unter der Seriennummer 6065.

73
Nr. 44 3. NOVEMBER 1933

riums die kroatische Bevölkerung in Jugoslawien selbst im Falle eines


Kriegsausbruchs zu einem Aufstand mobilisieren. Die Bauernrevolte in der
Lika vom vorigen Jahre, die von nur 9 Mann inszeniert worden sei, habe
ein Probeaufstand sein sollen. Ich erwiderte Herrn Voss, daß das Auswär-
tige Amt sich von den kroatischen Dingen fernhalte und danach trachte, zu
dem jugoslawischen Staat, auf dessen Zerfall nicht zu rechnen sei, unge-
störte Beziehungen zu unterhalten. Durch das Bestehen der beiden Kroaten-
Blätter in Deutschland würden diese Beziehungen aber beeinträchtigt; wir
legten daher Wert darauf, daß ein endgültiges Verbot ausgesprochen werde.
Dies erscheine auch dann erforderlich, wenn die Blätter sich jetzt etwa einer
anderen Schreibweise befleißigen würden; ein Blatt unter dem Namen Der
unabhängige Kroatische Staat (Nezavisna Hrvatska Drzava) sei vollends
unmöglich. Wenn das Reichswehrministerium auf die Aufrechterhaltung
freundlicher Beziehungen zu der kroatischen Emigration seinerseits Wert
lege, so sei es erwünscht, wenn es diese Beziehungen in anderer Weise als
durch Eintreten für die beiden Blätter pflegen würde.
Herr Major Voss erkannte diesen letzteren Gesichtspunkt an und wollte
versuchen, wenn er von seinen Vorgesetzten hierzu ermächtigt werde, auf
Dr. Jelic in dem Sinne einzuwirken, daß er freiwillig von der weiteren Her-
ausgabe der beiden Blätter absehe oder sie anderswo im Auslande erschei-
nen lasse, oder sich gar selbst, wenigstens vorübergehend, in ein anderes
Land, z. B. nach Danzig, begebe. Über das Ergebnis seiner Bemühungen in
dieser Hinsicht wollte er mich im Laufe der nächsten Woche verständigen. 2 )
BUSSE
(2) Siehe Dokument Nr. 72.

44
4620/E 200 288-92
Der Botschalter in Moskau von Dirksen
an den Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow l)
MOSKAU, den 3. November 1933
Lieber Bülow!
In der Eile eines vollbesetzten Abreisetages möchte ich Ihnen kurz privat-
brieflich über meine Eindrücke in Moskau in dieser letzten Woche berichten.
Mein Gesamteindruck war der, daß die Welle der Pressehetze und sonstigen
deutschfeindlichen Einstellung im Abnehmen begriffen ist. Dazu hat die be-
ginnende Ernüchterung über die neue Freundschaft zu Frankreich bei-
getragen, ebenso wie eine allmählich einsetzende ruhigere Beurteilung der
Einstellung Deutschlands gegenüber der Sowjetunion; insbesondere hat.
natürlich die Beilegung des Journalisten-Konflikts beruhigend gewirkt.
In meinen Unterhaltungen mit Krestinski habe ich unsere Bereitwilligkeit

(1) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Vö[ldcer]s 9. 11."

74
Nr. 44 3. NOVEMBER 1933

zu einer Aussprache über eine Bereinigung der gesamten Atmosphäre bzw.


der entstandenen Konflikte betont, nachdem wir durch das Gespräch Litwi-
nows mit Twardowski 2 ) endlich Klarheit über die entsprechende Bereit-
willigkeit der Russen erhalten hätten. Alle weiteren Einzelheiten habe ich
offen gelassen und nur darauf hingewiesen, daß es nun Sache der Russen
wäre, den weiteren modus procedendi vorzuschlagen.
Hinsichtlich der unterbliebenen Reise Krestinskis nach Berlin habe ich die
Überzeugung gewonnen, daß diese Unterlassung, die auf uns als Brüskie-
rung wirken mußte, einerseits auf die Intrige Litwinows zurückzuführen ist,
der keine anderen Götter neben sich duldet und Krestinski nicht an diese
Besprechungen heranlassen wollte; andererseits befürchtete man, daß der
Beginn von politischen Besprechungen durch Krestinski in Berlin von der
Öffentlichkeit als ein Nachlaufen der Sowjetseite gedeutet werden könne.
Der Abschied von mir wurde in betont freundschaftlichen und herzlichen
Formen gehalten. Mir wurde vom Protokollchef Florinski im Auftrage von
Kalinin und Jenukidse - also des Präsidenten und des Sekretärs des ZIK -
ein Geschenk in Form einer wertvollen Nephritschale überreicht; für meine
Frau wurde mir eine Wiener Tabatiere - Ende des XVIII. Jahrhunderts -
mit einer sehr schönen Miniaturmalerei übergeben. Es wurde dabei zu
meiner Kenntnis gebracht, daß bis auf Brockdorff-Rantzau noch kein Bot-
schafter durch ein Geschenk ausgezeichnet worden sei.
überrascht wurde ich auch durch ein Geschenk, das mir Woroschilow, der
zur Zeit in der Türkei ist, überreichen ließ: eine Schreibtischgarnitur in
schwarzem Lack mit den aus altrussischer Tradition stammenden Palech-
Malereien geschmückt.
Mir ist nicht ganz erinnerlich, ob nach den Bestimmungen des Auswärtigen
Amts solche Geschenke der Genehmigung bedürfen; sollte dies der Fall sein,
so wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie diese Genehmigung herbeiführen
wollten.
Zu meiner Verabschiedung gab Krestinski ein großes Essen, an dem etwa
50 Personen teilnahmen; zu ihm waren die hier maßgebenden amtlichen
Persönlichkeiten in einer sonst hier kaum zu erreichenden Vollzähligkeit
vereinigt: Der „Staatssekretär beim Reichspräsidenten" Jenukidse, Finanz-
kommissar Grinko, Außenhandelskommissar Rosenholz, Volkskommissar
für die leichte Industrie Lubimow, Volkskommissar für Versorgung Mikojan,
Stellvertretender Kriegskommissar Tuchatschewski, der Chef des General-
stabes der Roten Armee Jegorow, die Spitzen des Außenkommissariats, der
Presse, Kommandeure der Roten Armee und Flotte etc.
Krestinski hielt eine sehr warme und freundschaftliche Rede auf mich, in
der er die Verdienste betonte, die ich mir in neunjähriger Arbeit um die
deutsch-russischen Beziehungen erworben hätte. In der Rede klang sehr
deutlich der Wunsch mit, mit Deutschland überhaupt in freundschaftlichen
Beziehungen zu leben. Der ganze Abend verlief auch in den Unterhaltungen
der anderen Botschaftsmitglieder betont freundschaftlich und harmonisch.
Ich möchte noch hervorheben, daß ich in unmißverständlicher Weise
gebeten wurde, in Tokio mäßigend und beruhigend zu wirken.

(2) Siehe Dokument Nr. 12

75
Nr. 45 4. NOVEMBER 1933

Zur Überreichung meines Abberufungsschreibens k o n n t e ich die Rückkehr


Kalinins nicht mehr abwarten. Ich h a b e das Abberufungsschreiben gestern
dem Stellvertreter Kalinins Tscherwiakow übergeben in A n w e s e n h e i t von
Jenukidze und Krestinski. Die Unterhaltung w a r kurz, aber freundschaft-
lich und bewegte sich mehr in offiziellen Gemeinplätzen.
Meine Moskauer fünf J a h r e haben durch die vielen Zeichen freundschaft-
licher Gesinnung und ehrlichen Bedauerns über das Scheiden v o n meiner
Frau und mir einen für mich sehr befriedigenden Abschluß gefunden.
Ich fahre also heute abend von hier ab; am 12. N o v e m b e r von N e a p e l .
Einen Durchdruck füge ich mit der Bitte um A u s h ä n d i g u n g an M e y e r bei.
Mit vielen Grüßen bin ich
Ihr g e t r e u e r
DIRKSEN

45
3154/D 671 323-24
Aulzeichnung ohne Unterschrift1)
[4. N o v e m b e r 1933]

NOTIZEN FÜR MINISTERPRÄSIDENT GÖRING


(IHM AM 4. NOVEMBER ÜBERGEBEN)

Reines 300 000-Mann-Heer, d. h. ohne Einrechnung von Luftstreitkräften,


Luftschutztruppen, Küstenwehr, Polizei und Verbänden.
Allmählicher Übergang dazu in insgesamt 6 J a h r e n .
300 000 bedeutet Tagesdurchschnittstärke.
Höchstdienstzeit 1 Jahr, i. ü. angemessene Zahl Langdienender - minde-
stens 40 % - keine Beschränkung der Rekrutenquote.
Artillerie (Feldheer) nicht über 15-cm-Kaliber.
Tanks nicht über 6 t (Leergewicht).
Im Dienst befindliches Material im übrigen entsprechend der Ausrüstung
der französischen Armee.
30 %> der Zahl der Aufklärungs- und Jagdflugzeuge folgender an Deutsch-
land angrenzender Staaten: Frankreich, Belgien, Polen, Tschechoslowakei.
Allgemeines absolutes Gas- sowie Bombenabwurfverbot. Unter dieser
Bedingung Verzicht auf Bombenflugzeuge.
Teil V des V[ersailler] Vfertrags] 2 ) fällt im übrigen.

(1) Randvermerk Neuraths: „Vom R[eichs-]Wehrminister." Die vorliegende Aufzeichnung


und Hitlers Brief an Mussolini vom 2. November (Dokument Nr. 40) wurden am
18. November mehreren auswärtigen Vertretungen übermittelt. In einem Begleit-
sehreiben bezeichnete Bülow die Aufzeichnung als eine Unterlage für die Unterredung
Görings mit Mussolini, die in Abstimmung mit dem Reichswehrministerium zusammen-
gestellt worden sei. Siehe Dokument Nr. 50.
(2) Bestimmungen über Landheer, Seemacht und Luftfahrt.

76
Nr. 46 4. NOVEMBER 1933

KONVENTIONS-ENTWURF ALS ÜBERGANG BIS ZUM SCHLUSS


3
DER LONDONER SEE-ABRÜSTUNGS-KONFERENZ BZW- BIS ENDE 1936 )
I.
Soll die Marine überhaupt nicht erwähnt werden, wie offenbar die übrigen
Großmächte es im Hinblick auf die neue Marinekonferenz 1935/36 planen,
würde die deutsche Marine in der bisher vorgesehenen Weise in Anlehnung
an das VersaiUer Diktat ausgebaut. Dann müßte aber unbedingt vermieden
werden, etwa die Bestimmungen des Diktats nochmals für die Marine aus-
drücklich zu garantieren, da dann auch kleinere Abweichungen in Frage
gestellt wären.
II.
Für die Marine kann eine mehrjährige Ausbauperiode nicht festgesetzt
werden, da sie in die Verhandlungen über Erneuerung des Washington-
London-Abkommens 1935/36 eingeschaltet werden muß. Sie bedarf daher
einer kurzen Übergangszeit, für die folgende Einzelheiten vorgeschlagen
werden:
1) Deutschland findet sich bis zur Herstellung der völligen Gleichberech-
tigung auf der neuen Washington-London-Konferenz 1935/36 mit einer
Übergangsperiode ab.
2) Es wird sich in der Schiffszahl der Uberwasserschiffe weiter an die
bisherigen Bindungen halten.
3) Für Kreuzer und Torpedobootszerstörer gelten die Bestimmungen des
MacDonald-Planes.
4) Für Verteidigungszwecke werden U-Boote kleineren Typs bis zu
10 000 t Gesamtdeplacement gebaut.
(3) Auf einer Abschrift dieses Entwurfs, die sieh in den Akten der Marineleitung befindet
(7792/E 565 697), wurde vermerkt, daß er vom Stabe des Chefs der Marineleitung für
die Besprechungen Görings mit Mussolini angefertigt wurde.

46
3086/D 617 009-11
Aufzeichnung des Gesandtschaftsrats Hüfter *)
BERLIN, den 4. November 1933
e. o. II Oe. 1800
AUFZEICHNUNG

Der österreichische Gesandte, der ursprünglich am Montag 2 ) zu Herrn


Ministerialdirektor Köpke kommen wollte, rief mich heute telefonisch an,
um mir zu sagen, daß die Angelegenheit, die er am Montag mit Herrn
Ministerialdirektor Köpke besprechen wollte, so dringend sei, daß er sie
bereits jetzt mir telefonisch mitteilen möchte. Nach ihm zugegangenen Mit-
*(i) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. V[ökker]s 6. 11."
• (2) 6. November.

77
Nr. 46 4. NOVEMBER 1933

teilungen solle morgen in Kassel ein Kampfring der Österreicher im Deut-


schen Reiche gebildet und ein Aufruf erlassen werden, in dem erneut der
Kampf gegen die Regierung Dollfuß proklamiert werde. Er sei von sicherer
Seite über diese Sache informiert und halte sie im gegenwärtigen Augen-
blick mit Rücksicht auf die Verhandlungen für höchst unerwünscht. Es sei
fernerhin beabsichtigt, die im Deutschen Reich bisher bestehenden öster-
reichischen Vereine aufzulösen und auch das Vereinsvermögen zugunsten
dieses Kampfringes zu beschlagnahmen. Ich habe Minister Tauschitz zu-
nächst geantwortet, daß die Angelegenheit zweifellos wieder aufgebauscht
sei und daß meiner Ansicht nach von einer Auflösung der österreichischen
Vereine bzw. Beschlagnahme ihres Vermögens doch keine Rede sein könne.
Im übrigen schiene mir die ganze Angelegenheit in erster Linie Sache der
Österreicher selber zu sein, da es sich ja bei dieser Gründung um den Zu-
sammenschluß österreichischer Staatsangehöriger handele, der ich im
übrigen keine große Bedeutung beimäße.
Tatsächlich ist die Situation folgende: Aus den Kreisen der ca. 100 000 im
Reiche lebenden Österreicher ist in den letzten Wochen in immer dringen-
derer Form an die maßgebenden Stellen der Wunsch herangebracht worden,
sich eine Organisation der Österreicher im Reiche zu schaffen, die den
jetzigen innerdeutschen Verhältnissen konform geht. Verschiedene öster-
reichische Vereine, so der Volksbund, haben sich bereits freiwillig auf-
gelöst, um neuen Formen Platz zu machen. Die morgige Kasseler Tagung ist,
wie mir von der Landesleitung Österreich mitgeteilt wurde, seit längerer
Zeit von den nationalsozialistischen Österreichern im Reiche vorbereitet
worden und soll mit einer Rede von Landesinspekteur Habicht vor ungefähr
50 Abgeordneten eröffnet werden. Die deutschen parteiamtlichen Stellen
halten sich an sich von der Angelegenheit zurück und betrachten sie als
eine rein österreichische Sache.
Ich habe mit dem Stellvertreter von Herrn Habicht,3) der selber zur Zeit
nicht in München zu erreichen war, gesprochen und ihn auf das Inopportune
dieser mir bisher nicht bekannten Gründung im gegenwärtigen Augenblick
hingewiesen. Eine Verlegung des Zeitpunkts der Gründung scheint nicht
mehr möglich zu sein, da die Delegierten bereits nach Kassel unterwegs
sind. Wie mir noch mitgeteilt wurde, betrachtet Herr Habicht die Ernennung
Steidles zum Staatssekretär für Propaganda 4 ) und die Errichtung von Kon-
zentrationslagern 5) als eine von den Österreichern beabsichtigte Verschär-
fung der Situation, so daß er nicht beabsichtigt, in der Sache des Kampf-
ringes irgendeinen Rückzug anzutreten. An eine gewaltsame Auflösung
der anderen öst[er]r[eichischen] Vereine oder Vermögensbeschlagnahme
wurde natürlich nicht gedacht.
HÜFFER
• (8) Wächter.
(4) Richard Steidle, Führer der Tiroler Heimwehr und Sicherheitsdirektor von Tirol, wurde
Anfang November 1933 als Staatskommissar für Propaganda nach Wien berufen.
• (5) Durch eine Verordnung des österreichischen Bundeskanzlers vom 23. September 1933
war verfügt worden, daß Personen, die im begründeten Verdacht stünden, staatsfeind-
liche oder sonstige die öffentliche Sicherheit gefährdende Handlungen vorzubereiten, zu
fördern oder zu ermutigen, zwecks Verhinderung von Störungen der öffentlichen Ruhe,
Ordnung und Sicherheit „in einem bestimmten Ort oder Gebiet" festgehalten werden
könnten. Siehe Keesing's Archiv der Gegenwart, 1933, S. 1052.

78
Nr. 47 6. NOVEMBER 1933

47
6609/E 497 288-94
Botschaftsrat von Twardowski (Moskau) an das Auswärtige Amt
Geheim MOSKAU, den 6. November 1933
A 2410 Ankunft: 8. November
IV Ru. 4915
POLITISCHER BERICHT

Inhalt: Unterredung mit dem Stellvertreter des Kriegskommissars Tucha-


tschewski.
In der Anlage wird die Aktennotiz über eine Unterredung mit Herrn
Tuchatschewski vorgelegt, die ich anläßlich des Abschiedsessens für Herrn
Botschafter J) mit ihm gehabt habe. Die Unterredung, die nur auszugsweise
wiedergegeben wird, dauerte etwa dreiviertel Stunden. Wenn auch vieles,
was Herr Tuchatschewski als seine Meinung über die politischen Zusam-
menhänge äußerte, falsch oder schief gesehen ist, so sind seine mit großem
Ernst vorgetragenen Erklärungen, daß die Rote Armee niemals anderen
Mächten gegenüber die Zusammenarbeit mit der Reichswehr preisgeben
würde und daß in der Roten Armee nach wie vor größte Sympathien für die
Reichswehr herrschen, bedeutungsvoll und interessant. Die Persönlichkeit
und das Ansehen Tuchatschewskis sind derartig, daß seinen Worten Gewicht
beizumessen ist.
TWARDOWSKI

[Anlage]
MOSKAU, den 1. November 1933
NOTIZ

Ich hatte gestern abend Gelegenheit zu einer ausgedehnten Unterhaltung


mit dem Stellvertretenden Kommissar für das Kriegswesen, Tuchatschewski.
Herr Tuchatschewski sprach in sehr freundlichen Worten über die Tätigkeit
des Herrn Botschafters von Dirksen und betonte, wie sehr man in der
Sowjetunion sein Scheiden bedauere, da man hier überzeugt gewesen sei,
daß die deutsch-sowjetischen Beziehungen bei ihm in den besten Händen
gelegen hätten. Das Gespräch wandte sich dann allgemein den deutsch-
sowjetischen Beziehungen zu. Herr Tuchatschewski unterstrich mehrfach,
daß trotz der bedauerlichen politischen Entwicklung die Gefühle der Roten
Armee gegenüber der Reichswehr und dem deutschen Volke die alten
geblieben seien und daß man nie vergessen werde, daß die Reichswehr die
Rote Armee bei ihrem Aufbau entscheidend unterstützt habe.
Ich erwiderte, auch die Reichswehr erinnere sich gern der Zeit gemein-
samer Arbeit, aber ich möchte ihm nicht verhehlen, daß wir in letzter Zeit
aus guten Quellen von den verschiedensten Seiten in den Besitz von Nach-

(l) Siehe Dokument Nr. 44

79
Nr. 47 6. NOVEMBER 1933

richten gekommen wären, daß die Sowjetregierung oder die Rote Armee,
um ihre neue Freundschaft mit Frankreich zu festigen, den Franzosen oder
Polen Material über die deutsch-sowjetische militärische Zusammenarbeit in
die Hände gespielt habe. Das habe bei uns, besonders in der Reichswehr,
natürlich eine gewisse Beunruhigung hervorgerufen.
Herr Tuchatschewski wurde über diese meine Ausführungen sehr erregt
und führte etwa aus, daß solche Nachrichten doch deutlich den Stempel der
politischen Intrige trügen und in Deutschland doch nicht ernst genommen
werden könnten. Denn erstens wäre es von der Roten Armee eine große
Dummheit, etwas Derartiges zu tun, da die Reichswehr über den inneren
Aufbau und die Stärke und die strategischen Absichten der Roten Armee
weit besser orientiert sei als die Rote Armee über die Reichswehr, so daß
also in der Beziehung die Rote Armee sich sehr viel mehr preisgegeben
habe als die Reichswehr; zweitens aber gäbe es auch in der Roten Armee
eine soldatische Ehre. Ebensowenig, wie man bei der Roten Armee jemals
auf den Gedanken kommen würde, daß der deutsche Offizier die ihm ver-
trauensvoll gewährten Einblicke in die Rote Armee anderen Ländern gegen-
über verwenden könne, ebenso wenig dürfe die Reichswehr etwas Der-
artiges von der Roten Armee annehmen. Der Begriff der Ehre sei mit dem
Soldaten untrennbar verbunden, und die Rote Armee habe, auch wenn ihre
Weltanschauung anders sei als die der Reichswehr, genau die gleiche
soldatische Ehre und erhebe unbedingten Anspruch auf sie. Es sei völlig
ausgeschlossen, daß von der Roten Armee jemals etwas Derartiges gemacht
würde.
Ich warf darauf ein: „Auch von der Sowjetregierung?", worauf Herr
Tuchatschewski erwiderte: „Audi von der Sowjetregierung." Ich entgegnete,
leider gäbe es gewisse Fakten, die diese Verdachtsgründe bei uns verstärkt
hätten: die Reise des Generals von Bockelberg in der Sowjetunion 2) sei sehr
harmonisch verlaufen, aber in der Zeit zwischen seiner Abreise von Moskau
und seiner Ankunft in Berlin habe die Rote Armee plötzlich ganz unerwartet
die Forderung nach einer sofortigen Liquidation der Unternehmungen ge-
stellt.3) Kurz darauf sei in einer äußerst unhöflichen Form die Absage für die
Teilnahme an Kursen in Deutschland durch Offiziere der Roten Armee
erfolgt, die auf Wunsch der Roten Armee für sowjetische Kommandeure
eingerichtet worden wären.4) Um diese Zeit seien auch die ersten Nachrich-
ten zu uns gedrungen, die davon sprachen, daß die Rote Armee sich auf
eine engere Zusammenarbeit mit Frankreich einstelle. Er werde also ver-
stehen, daß diese Fakten einen guten Nährboden abgegeben hätten für
solche Nachrichten, die er als politische Intrige bezeichnet hätte.
Herr Tuchatschewski entgegnete, die Liquidation der Stationen sei eine
politische Konsequenz gewesen, nachdem man sich in der Sowjetunion
davon überzeugt hätte, daß der Kurs der deutschen Regierung eine sowjet-

(2) Zu der Reise General Bockelbergs in die Sowjetunion siehe Serie C, Bde. 1,1 und 1,2,
Dokumente Nr. 147, 232 und 252.
*(') Dieser Hinweis bezieht sich auf die von der Reichswehr in der Sowjetunion in Zusam-
menarbeit mit der Roten Armee unterhaltenen drei Militärstationen Tomka, Lipezk und
Kasan. Siehe Serie C, Bde. 1,1 und 1,2, Dokumente Nr. 197, 252, 460 und 470.
(<) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 460.

30
Nr. 47 6. NOVEMBER 1933

feindliche Richtung nähme. Er möchte in diesem Zusammenhang an die


Tätigkeit des Herrn Dr. Rosenberg, an das Memorandum des damaligen
Ministers Hugenberg 5 ) etc. etc. erinnern. Die Absage der Kurse hinge
damit zusammen, daß der Kommandeurbestand in diesem Sommer außer-
ordentlich beansprucht gewesen sei und daß man daher geglaubt habe, im
gegenwärtigen Augenblick bei dem jetzigen Ausbildungsstande der Roten
Armee auch eventuell ohne die Kurse auskommen zu können. Irgendeine
Kränkung der Reichswehr sei damit nicht beabsichtigt gewesen, und ihm
sei nichts davon bekannt, daß die Form der Absage ungehörig gewesen
wäre. Was die Zusammenarbeit mit der französischen Armee anbelange, sei
natürlich davon keine Rede; so etwas entwickele sich nicht von heute auf
morgen und sei, wie er mir ganz bestimmt versichern könne, zum aller-
größten Teil auch von der deutschen Politik abhängig. Andererseits könne
es doch kein denkender Mensch der Roten Armee übelnehmen, daß sie,
wenn man ihr die Gelegenheit biete, etwas von der französischen Luftwaffe
einmal zu sehen, daß sie diese Gelegenheit gern ergreife. Die Rote Armee
sei den Franzosen gegenüber noch sehr zurückhaltend. Was habe denn
Herr Cot viel gesehen! 6 ) In Charkow habe man ihm von einem Geschwader
einen Schauflug vorführen lassen. In Moskau habe man ihn und seinen Stab
die Fabriken besichtigen lassen, die uns Deutschen doch bis ins kleinste
Detail gezeigt worden wären. General Bockelberg, das wolle er mir auf das
bestimmteste versichern, habe unendlich viel mehr gesehen als Herr Pierre
Cot. Er möchte noch einmal betonen, daß die Rote Armee nie und nimmer
irgend etwas von der Zusammenarbeit mit der Reichswehr preisgeben
würde, daß solche Nachrichten gemeine Denunziationen darstellten; er
möchte unterstreichen, daß die Gefühle der Roten Armee gegenüber der
Reichswehr und dem deutschen Volke die gleichen geblieben seien und daß
man gern zu den alten Beziehungen zurückkommen würde. Aber das sei
eine Frage, die einzig und allein von der Politik abhänge. Man sei in der
Sowjetunion trotz gewisser offizieller Erklärungen der Überzeugung, daß
die neue deutsche Regierung in ihren letzten Absichten der Sowjetunion
feindlich oder zum mindesten gleichgültig gegenüberstehe. Gelinge es der
Politik, diese Bedenken bei der Sowjetregierung zu zerstreuen, so gäbe es
keinen Grund, die alte Zusammenarbeit zwischen beiden Armeen nicht
wieder aufzunehmen, die von der Roten Armee aufs freundlichste begrüßt
werden würde. Natürlich sei die Sowjetunion bestrebt, auch ihre Beziehun-
gen zu Polen und zu Frankreich möglichst freundschaftlich zu gestalten, weil
dies der allgemeinen Friedenspolitik der Sowjetregierung entspreche. Das
habe aber nichts mit einer intimen Zusammenarbeit der Armeen zu tun. In
der Sowjetunion bleibe die Rapallopolitik die populärste, und die Reichs-
wehr sei die Lehrmeisterin der Roten Armee in schwerer Zeit gewesen; das
sei unvergessen und werde nicht vergessen werden.

Durch das Hinzutreten anderer Personen wurde das Gespräch abge-


brochen.
Bei der Verabschiedung, etwa eine Stunde später, gab mir Herr Tucha-

(5) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 312.


(8) Zum Besuch Cots in der Sowjetunion siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 439.

81

11,1 Bg. 6
Nr. 48 8. NOVEMBER 1933

tschewski die Hand mit den Worten: Vergessen Sie nicht, es ist die Politik,
Ihre Politik, die uns trennt, nicht unsere Gefühle, die Gefühle der Freund-
schaft der Roten Armee zur Reichswehr! (N'oubliez pas, mon ami, c'est la
politique, seulement votre politique, qui nous separe, pas nos sentiments,
nos sentiments les plus amicaux pour la Reichswehr.)
gez. VON TWARDOWSKI

48
8580/E 601 928-32
Aulzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von Bülow
BERLIN, den 8. November 1933
IV Chi. 2473
Der chinesische Geschäftsträger besuchte mich heute und brachte die
Sprache auf das Memorandum betreffend die Diskriminierung der farbigen
Rassen, das er am 2. ds. Mts. überreicht hat.1) Ich sagte ihm eine Antwort
auf dieses Memorandum zu und setzte ihm auseinander, daß wir keineswegs
auf die chinesische Rasse irgendwie herabblickten oder sie deklassieren
wollten. Bei uns sei allerdings ein Vorurteil gegen Rassenvermischung weit
verbreitet, jedoch nur gegen die Vermischung als solche, nicht gegen die
Rassen, die für eine solche Vermischung in Frage kämen. Was die Gesetz-
gebung anlange, so werde nur verlangt die Rassenreinheit von deutschen
Beamten, Anwälten usw. sowie neuerdings von Erbhofbauern. Alles dies
seien Angelegenheiten, die für China und seine Staatsangehörigen praktisch
nicht in Frage kämen und wo seine Regierung doch nicht gut Gleichstellung
fordern könne. Ein Entwurf des preußischen Justizministers vom neuen
Strafgesetzbuch 2) habe ein gewisses Aufsehen hervorgerufen. Dieser Ent-
wurf sei gänzlich mißverstanden worden. Es handele sich praktisch nur um
einen Vortrag auf einer juristischen Gesellschaft. Preußen sei für eine der-
artige Gesetzgebung gar nicht zuständig, und das Reichsjustizministerium
habe auch nicht die Absicht, diesen preußischen Vorschlägen zu folgen. Wir
hätten den preußischen Justizminister auch befragt, woran er bei seinen
Vorschlägen gedacht habe, und es sei uns geantwortet worden, er habe den
Fall der Rheinlandbesetzung mit farbigen Truppen vor 10 Jahren im Auge
gehabt und die Mischehen, die damals gelegentlich vorgekommen seien.
Der Geschäftsträger meinte, es werde uns offenbar nicht schwer fallen, eine
die chinesische Regierung befriedigende Antwort auf dieses Memorandum
zu geben.3)
Er brachte dann seinerseits den Fall des Professors Tun Hui-shen zur
Sprache, der eine Deutsche, Gertrud Schulz, heiraten möchte, mit der er seit

(1) Fundort: 6022/H 044 372.


(2) Kerrl, Nationalsozialistisches Stralrecht: Denkschritt des Preußischen Justizminislers
(Berlin 1933).
(*) Eine deutsche Antwort auf das chinesische Memorandum konnte nicht ermittelt werden.

82
Nr. 48 8. NOVEMBER 1933

zwei Jahren verlobt ist. Der preußische Justizminister hat bekanntlich die
Genehmigung zur Eheschließung verweigert. Ich sagte dem Geschäftsträger,
nach unseren Erkundigungen habe diese Verweigerung an sich nichts mit
dem Rassenproblem und der diesbezüglichen Gesetzgebung zu tun, sondern
hänge damit zusammen, daß der Dispens nur in Ausnahmefällen erteilt
werden solle und sich das preußische Justizministerium über die Sachlage
nicht recht klar geworden sei. Der Fall werde aber sowohl im preußischen
Justizministerium wie von uns noch geprüft.4)
Schließlich brachte der Geschäftsträger zur Sprache, daß der Marschall
Chiang Kai-shek außerordentlichen Wert darauf lege, daß General von
Seeckt wieder nach China komme, um die Reorganisation der chinesischen
Armee in die Hand zu nehmen. Der Geschäftsträger führte aus, daß der
General Wetzell für die chinesischen Verhältnisse doch etwas zu preußisch
und nicht mehr recht in der Lage sei, seine Aufgabe zu erfüllen, da er sich
viele Feindschaften zugezogen habe. Der Geschäftsträger deutete auch an,
daß die Franzosen sich um diese Stelle bewürben und daß die deutsche mili-
tärische Beratung für Waffen- und Materiallieferungen auch von Einfluß sei,
um zu beweisen, welchen Schaden wir eventuell erleiden könnten, sowohl
moralisch wie materiell, wenn Herr von Seeckt die ehrenvolle Berufung
ablehne. Herr von Seeckt habe dem Marschall ganz außerordentlich gefallen
und auf ihn einen nachdrücklichen Eindruck gemacht. Der Marschall sei ein
Typ, den man nach europäischen Begriffen als ritterlich bezeichnen würde,
bei dem das persönliche Vertrauen die allergrößte Rolle spiele. Ebenso wie
General Bauer entsandt worden sei wegen des großen Vertrauens, das der
Marschall in die Person von Ludendorff gesetzt habe, so sei es jetzt auch mit
Seeckt, nur daß hier eine persönliche Bekanntschaft vorliege und der Mar-
schall sich in den Kopf gesetzt habe, Seeckt müsse unbedingt nach China
kommen. General von Seeckt habe jedoch abgelehnt, wahrscheinlich wegen
seiner Gesundheit, vielleicht auch wegen seines Alters. Der Geschäftsträger
bat, wir möchten doch auf Seeckt einwirken, daß er wenigstens noch eine
Reise nach China mache.
Ich bat den Geschäftsträger, mir ganz offen zu sagen, ob man Seeckt nur
haben wolle, um auf elegante Weise den General Wetzell auszuschiffen. Er
verneinte dies und sagte, der Grund sei lediglich die starke Zuneigung und
das große Vertrauen des Marschalls für Seeckt. Ich suchte ihm dann ausein-
anderzusetzen, daß Seeckt ein alternder Mann von schwacher Gesundheit
sei, der sich eine so große und schwere Aufgabe wohl kaum zumuten könne
und auf den wir auch nicht in diesem Sinne drücken könnten, denn uns liege
natürlich daran, daß der Leiter der Militärberatung tatsächlichen Erfolg habe
und seiner Aufgabe nicht nur geistig, sondern auch physisch gewachsen sei.
Diese Argumentation machte auf den Geschäftsträger wenig Eindruck, und
er gab mir schließlich zu verstehen, daß es ihm und den anderen Chinesen
(mit Ausnahme vielleicht des Marschalls, der Herrn von Seeckt in China
behalten wolle) vor allen Dingen darauf ankomme, daß der Wunsch des
Marschalls befriedigt werde und Seeckt wieder, wenn auch nur für einige

(4) Weitere Dokumente über diese Angelegenheit sind gefilmt unter 6022/H 044 362-67 und
6022/H 044 377-79.

83
Nr. 48 8. NOVEMBER 1933

Monate, nach China komme. N u r so k ö n n e seiner Meinung nach der


deutsche Charakter der Militärberatung gewahrt bleiben. Der Vorschlag
des Marschalls gehe nach dem Telegramm, das eingegange n sei und von
dem er mir Abschrift hinterließ (siehe Anlage) dahin, daß Seeckt die beiden
Generale, die er an seiner Stelle anscheinend vorgeschlagen hat (der
Geschäftsträger n a n n t e sie nicht, es handelt sich a b e r um General von
F a l k e n h a y n 5 ) und General Faupel), mitbringe. Es sei ja Seeckt, der anschei-
nend vor dem heißen Sommer in China Angst habe, unbenommen, nach
zwei oder drei Monaten zu erklären, er könne nicht länger in China bleiben,
und die Generale, die er mitbringe, dort zu belassen. Er k ö n n e auch in Aus-
sicht stellen, von Deutschland aus durch Vermittlung dieser G e n e r a l e die
chinesische A r m e e weiter zu beraten. Das Entscheidende und Ausschlag-
gebende sei, daß Seeckt wieder nach China komme und die Bitte des Mar-
schalls nicht abschlage.
Ich sagte abschließend dem Geschäftsträger, die ganze Vorgeschichte der
Angelegenheit, d. h. alles, was nach Rückkehr Seeckts aus China sich
ereignet habe, sei mir neu. Ich sei aber bereit, dem Herrn Reichsminister
vorzuschlagen, daß er die Angelegenheit mit Seeckt bespreche, oder auch
selbst die Frage mit dem General von Seeckt zu erörtern. 6 )
BÜLOW

[Anlage]
Abschrift

TELEGRAMM VON HERRN MINISTER CHU VOM 2. NOVEMBER 1933

Bitte Exzellenz von Seeckt folgendes Telegramm weiterzuleiten:


Mein Telegramm vom 28. Oktober wohl angekommen. - Soeben Tele-
gramm vom Marschall erhalten mit folgendem Inhalt:
„Drahte umgehend an Herrn General von Seeckt, daß ich ihn aufrichtigst
bitte, persönlich mit den von ihm vorgeschlagenen beiden Generäle n zu
kommen. Könnte Herr General von Seeckt nicht kommen, w a s [sie] dann
eine Führung über die beiden Herren fehlt, dann stellen wir die Berufung
beider H e r r e n zurück." Herr Marschall wünscht und bittet Sie unbedingt zu
kommen. Die geplante Lehrbrigade hat schon jetzt mit der Vorbereitung
begonnen unter der Führung des in Deutschland studierten Obersten Kuei
Yuen-tsing. M a n arbeitet schon ernst mit der Ausbildung der u n t e r e n
Offiziere. Ich bitte Sie, bald zu kommen, damit alle Arbeiten unter Ihrer
Führung erfolgreich durchgeführt w e r d e n können.
CHU CHIA-HUA

(5) Gemeint ist offenkundig Generalleutnant a. D. von Falkenhausen, der von 1934 bis
1938 als militärischer Berater der chinesischen Nationalregierung tätig war. Siehe auch
Dokument Nr. 323.
(«) Siehe Dokument Nr. 63.

84
Nr. 49 8. NOVEMBER 1933

49
6114/E 454 100-01
Autzeichnung des Gesandtschaltsrats Hütler

Geheim BERLIN, d e n 8. N o v e m b e r 1933


e. o. II Oe. 1823

Landesinspekteur Habicht, der gestern mit d e m Herrn Reichskanzler nach


München zurückgeflogen ist, teilte mir heute a u s München mit, daß d e r
Kanzler sich in schärfster Form gegen die Einmischung, die in letzter Zeit
von verschiedenen Privatpersonen in die deutsch-österreichische Politik
erfolgt ist, ausgesprochen habe. Gemeint sind damit in erster Linie die
H e r r e n v o n Alvensleben, 1 ) Graf Trautmannsdorff (Reichsarbeitsministerium)
und Reichsgraf Lamberg. Herr Habicht sei nach w i e v o r einzig befugt, in
diesen Dingen V e r h a n d l u n g e n zu führen.
H e r r n v o n Alvensleben, d e r sich in d e n letzten T a g e n wiederum mit
einem Gesuch um kostenfreie Erteilung eines A u s r e i s e v e r m e r k s bzw. Be-
freiungsvermerks v o n d e r 1000-RM-Gebühr für Österreich an das Reichs-
ministerium d e s Innern bzw. das Auswärtige A m t g e w a n d t hat, 2 ) soll auf
ausdrückliche W e i s u n g des Reichskanzlers in Zukunft weder ein Paß noch
A u s r e i s e v e r m e r k für Österreich gegeben w e r d e n . Ich habe d a s Reichs-
ministerium d e s Innern entsprechend verständigt. 3 )
H e r r Habicht fügte im übrigen noch hinzu, d a ß d e r Stellvertreter d e s
F ü h r e r s 4 ) H e r r n v o n Alvensleben heute oder morgen zu sich bestellen
werde, um ihm im N a m e n des Kanzlers zu e r k l ä r e n , daß er unweigerlich in
ein Konzentrationslager komme, w e n n sein N a m e nochmals mit d e r deutsch-
österreichischen Politik verquickt w ü r d e .
HÜFFER

(1) Bülow-Sehwante hatte in einer Aufzeichnung vom 30. Oktober (6114/E 454 096-98) ver-
merkt, daß zwei Tage zuvor Werner von Alvensleben bei ihm gewesen sei, der soeben
in Wien seinen Sohn aufgesucht habe, der wegen Mittäterschaft an der versuchten
Ermordung des österreichischen Heimwehrführers Steidle seiner Aburteilung entgegen-
sehe (siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 305, Anm. 1). Alvensleben habe mitgeteilt,
er habe in Wien Gelegenheit gehabt, Vizekanzler Fey und Generalsekretär Peter zu
sprechen; „beide Herren seien ohne sein Zutun auch auf die derzeitige politische
Situation zu sprechen gekommen". Fey habe erklärt, daß gegen eine österreichische
NSDAP mit österreichischen Führern nichts einzuwenden sei und daß man mit einer
solchen Partei sehr wohl gemeinsam ein Kabinett bilden und einen scharfen Kampf
gegen den Marxismus führen könne. Allerdings wehre sich Fey gegen Habicht, „über
den er sehr bittere Worte äußerte". Siehe weiter Dokument Nr. 71.
(2) Ein solches Gesuch war in einem Schreiben Alvenslebens an Neurath vom 8. Novem-
ber (6114/E 454 103-04) enthalten. Alvensleben bezog sich in diesem Sehreiben auch
auf seine Unterredung mit Fey in Wien (siehe Anm. 1) und bemerkte, er habe darüber
„sowohl dem Auswärtigen Amt wie auch dem mir befreundeten Stabschef Röhm"
berichtet. Siehe auch Langoth, Kampt um Österreich, S. 146-47.
(3) Randbemerkung: „H[err]n GR Hüffer erg[e]b[en]st. Der H[er]r RM bittet H[err]n
v. A[lvensleben] kommen zu lassen und in diesem Sinne zu belehren. Ko[tze] 8. 11."
(<) Heß.

85
Nr. 50 8. NOVEMBER 1933

50
8054/E 578 952-56
Aulzeichnung des Botschafters in Rom von Hassell *)
ROM, den 8. November 1933
Herr Ministerpräsident Göring traf am Montag, den 6. d. M. etwa um
V23 Uhr nachmittags auf dem Flugplatz Centocelle Nord ein, wo er von
Herrn Suvich und Graf Valle empfangen wurde. Ich begleitete ihn nach der
Villa Pollissena, wo er abstieg, und hatte dort eine längere Unterredung
mit ihm über die augenblickliche Lage der deutsch-italienischen Beziehungen
(Viererpakt, Donaupolitik, österreichische Frage, Abrüstungsfrage, Austritt
aus dem Völkerbund). Dabei habe ich besonders auf die Notwendigkeit hin-
gewiesen, Mussolini klar zu machen, daß die endgültige Entscheidung über
den Austritt aus dem Völkerbund wirklich erst am Sonnabend 2 ) mittag
gefallen sei, da die halbe Unterrichtung ihn stark verschnupft habe; sodann
habe ich betont, daß die anfangs scharf ablehnende Stellungnahme Musso-
linis zu unserm Austritt aus dem Völkerbund in erster Linie durch die Sorge
um den Viererpakt hervorgerufen wurde und daß es daher zweckmäßig sei,
auf diesen Punkt einzugehen. In bezug auf die Unterrichtung Mussolinis
vertrat Herr Göring die Auffassung, daß dem Kanzler von diesen Vor-
gängen beim Schreiben des Briefes3) nichts bekannt gewesen sei; vielmehr
sei der Kanzler davon ausgegangen, daß ich beauftragt worden sei, Musso-
lini nicht nur das Ausscheiden aus der Abrüstungskonferenz, sondern auch
den bevorstehenden Austritt aus dem Völkerbund mitzuteilen. Daher sei in
dem Briefe auch davon die Rede, daß der deutsche Botschafter in Rom beauf-
tragt worden sei, Mussolini über den deutschen Schritt zu unterrichten. Herr
Ministerpräsident Göring versprach, Herrn Mussolini zu diesem Punkte alle
erforderliche Aufklärung zu geben. Im übrigen habe ich in einem Telefon-
gespräch mit Baron Neurath 4) auf diese Angelegenheit besonders hinge-
wiesen. Was den Viererpakt angeht, so legte Herr Göring dar, in welcher
Weise er versuchen würde, die Besorgnisse Mussolinis in dieser Hinsicht
zu zerstreuen. Schließlich wurde in unserer Unterhaltung noch in ganz ver-
traulicher Form eine geheime Personalfrage besprochen,6) die Herr Göring
Mussolini vortragen wollte.
Die Unterredung mit Mussolini war auf 5 Uhr festgesetzt, wurde aber
dadurch etwas verzögert, daß infolge der Nachlässigkeit des Cerimoniale
das zur Abholung entsandte Auto zu spät kam. Bei der Unterhaltung war
Herr Suvich anwesend. Herr Göring übergab zunächst den Brief des Kanz-

(i) Die Vorlage befindet sich in den Akten der Botschaft in Rom. In den Akten des Aus-
wärtigen Amts konnte ein Exemplar nicht ermittelt werden. In seinem Bericht Nr. I
1078 vom 17. November (3154/D 670 322-27), in dem er sich mit dem Göring-Besuch in
Rom und seinen Auswirkungen befaßte, vermerkte Hassell, daß Göring über den Ver-
lauf seiner politischen Gespräche mit Mussolini und Suvich wohl noch persönlich be-
richten werde. Siehe Dokument Nr. 78.
(2) 14. Oktober.
(3) Dokument Nr. 40.
(4) Eine Aufzeichnung über das Telefongespräch konnte nicht ermittelt werden.
(5) Siehe Dokument Nr. 78.

86
Nr. 50 8. NOVEMBER 1933

lers an den italienischen Regierungschef und gab dazu einige Aufklärungen.


Indessen dauerte die Unterhaltung nur kurze Zeit, und es wurde vereinbart,
sie am nächsten Morgen um 11 Uhr fortzusetzen und zu vertiefen.
Bei dem Essen in der Botschaft zu Ehren des Ministerpräsidenten waren
von politischen Persönlichkeiten der Kolonialminister de Bono, Finanz-
minister Jung, Suvich, Graf Ciano, Buti, Quaroni, Fürst Borghese-Nettuno
und die Gräfin Robilant anwesend, deutscherseits Botschaftsrat Smend,
Oberst Fischer, Hauptmann v. Waldau sowie die in Begleitung des Herrn
Göring erschienenen Herren Staatssekretär Körner und Major Bodenschatz.
Der Prinz von Hessen, der gleichfalls mit dem Ministerpräsidenten in Rom
angekommen war, hatte sich wegen seines Geburtstages entschuldigt. Nach
dem Essen unterrichtete mich Herr Göring über die Unterhaltung, und ich
setzte alsdann mit Herrn Suvich einen ersten Entwurf für ein Kommunique
auf, wobei von Interesse ist, daß Herr Suvich ursprünglich als Grund des
Dankes des Kanzlers den „aiuto" zu bezeichnen vorschlug, den Mussolini
Deutschland habe zuteil werden lassen. Ich habe hiergegen Bedenken
geäußert, und es wurde dann der Ausdruck „equa sistemazione dei rapporti
internazionali" gewählt.6) Für das Kommunique wurde telefonisch während
des Abends das grundsätzliche Einverständnis Baron Neuraths eingeholt.7)
Baron Neurath machte besonders auf die Notwendigkeit aufmerksam, jeden
Anschein zu vermeiden, als wenn wir mit dem Briefe und der Reise eine
Hand ausstrecken wollten, um den abgerissenen Faden wieder anzuknüpfen.
In diesem Sinne sind auch alle Informationen der Botschaft an die Presse
usw. gehalten worden, ebenso wie über das Unterlassen jeglicher Initiative
deutscher- oder italienischerseits sich volle Übereinstimmung zwischen dem
deutschen und dem italienischen Standpunkt ergab.
Herr Göring war von dem ersten Eindruck der Unterhaltung durch-
aus befriedigt, weniger davon, daß Mussolini ihn in Gegenwart von Suvich
empfangen hatte. Er bat mich, etwas zu unternehmen, um sicherzustellen,
daß er am nächsten Morgen allein empfangen würde. Auf meinen Einwand,
daß es kaum möglich sein werde, in die italienischen Dispositionen in der
Hinsicht einzugreifen, meinte er, daß er einen Brief an Mussolini mit dieser
Bitte schreiben würde. Da ich meinerseits hiergegen etwas Bedenken hatte,
so habe ich Herrn Suvich in vertraulicher und persönlicher Weise auf den
begreiflichen Wunsch des Ministerpräsidenten hingewiesen, worauf er sich
ohne weiteres bereit erklärte, bei der nächsten Unterredung nach einiger
Zeit zu verschwinden. Dieses Versprechen hat er auch gehalten, so daß Herr
Göring den Schluß der Unterhaltung heute morgen allein mit Mussolini
führen konnte.
Nach allem, was ich von Herrn Göring selbst, von Mussolini und von
Suvich über die zweite Unterhaltung gehört habe, muß sie in jeder Be-
ziehung befriedigend verlaufen sein, über die Taktik in der Abrüstungs-

(8) In dem am 7. November in Rom veröffentlichten Kommunique hieß es, Göring habe
Mussolini einen Brief überbracht, in dem Hitler dem italienischen Regierungschef „für
seine zugunsten einer gerechten Regelung der internationalen Beziehungen entfalteten
Tätigkeit" den Dank ausspreche.
*P) In den Akten des Reichsministers befindet sich eine kurze Notiz über das Telefonge-
spräch (3154/D 670 224).

87
Nr. 50 8. NOVEMBER 1933

frage und über den Charakter des deutsch-italienischen Verhältnisses wurde


volles Einverständnis erzielt, und auch die österreichische Frage wurde in
einer Form berührt, die eine Verständigung hoffen läßt. Dabei wurde der
Gedanke geäußert, vielleicht sogar eine schriftliche Form für die Festlegung
des gegenseitigen Verhaltens in dieser Frage zu finden. Auch wurde von
Herrn Göring angeregt und von Herrn Mussolini mit Beifall aufgenommen
der Gedanke, etwa im Januar n. J. einen Besuch des Herrn Suvich in Berlin
zu veranstalten. 8 )
Auf dem Festbankett am Abend zeigte sich Mussolini sowohl in der sehr
intensiven Unterhaltung mit meiner Frau wie später in der Unterhaltung
zunächst mit mir und dann mit Herrn Göring und mir gemeinsam in bester
Stimmung.
Ich habe dann heute morgen vor der Abreise des Ministerpräsidenten
noch einmal eine längere Unteihaltung mit ihm gehabt, in der er mich ein-
gehend über die Besprechung mit Mussolini unterrichtete. Dabei wurde auch
die oben angedeutete Personalfrage berührt, in der Herr Göring glaubte,
den beabsichtigten Erfolg erzielt zu haben. Ferner teilte er mir mit, daß er
mit Herrn Mussolini über den besonderen Charakter der Botschafterposten
in Rom und Berlin einig geworden sei, weil es sich nicht nur um das rein
diplomatische Geschäft, sondern auch um das Vertrauensverhältnis zwischen
den beiden Führern und Regimen handle. Er habe Herrn Mussolini gebeten,
mich in dieser Weise als besonderen Vertrauensmann aufzufassen, sofern
er eben das hierzu erforderliche persönliche Vertrauen zu mir habe, da man
unter diesen Umständen keine andere Persönlichkeit neben dem Botschafter
für diesen Zweck nach Rom zu entsenden wünsche. Herr Mussolini hat
darauf in sehr klarer und bestimmter Weise zum Ausdruck gebracht, daß er
volles Vertrauen zu mir habe und sehr gern mit mir arbeite. Herr Göring
erklärte dazu, daß also nunmehr das Verhältnis auf dieser Basis stabilisiert
sei, in welchem Sinne er auch den Kanzler, Baron Neurath und Herrn Heß
(worum ich aus besonderen Gründen besonders bat) informieren werde.
Prinz Philipp von Hessen sprach sich mir gegenüber dahin aus, daß nach
seinen Eindrücken aus der Unterhaltung mit Mussolini der Besuch ein voller
Erfolg gewesen sei, und fügte hinzu, daß ich für dieses Ergebnis ausgezeich-
net vorgearbeitet hätte.
Die Rückfahrt erfolgte etwa um V2I Uhr. Außer dem Unterstaatssekretär
im Luftfahrtministerium Valle waren vom Außenministerium Graf Senni
und Jacomoni erschienen. Die Verabschiedung erfolgte in besonders herz-
licher Form.
Nach Informationen, die von unserem gut unterrichteten Vertrauensmann
stammen, hat der Brief des Kanzlers einen sehr guten Eindruck gemacht
und sicherlich dazu beigetragen, die in den letzten Monaten durch ver-
schiedene Vorgänge etwas getrübte Atmosphäre zwischen Deutschland und
Italien zu bereinigen. Nur hätte man vorgezogen und würde in künftigen
Fällen vorziehen, wenn solche Botschaften ohne besonderen Boten, der
unnützes Aufsehen errege und zu Kombinationen reize, auf üblichem diplo-
matischem Wege überbracht werden.
H[ASSELL]
(8) Siehe die Dokumente Nr. 120 und 126.

88
Nr. 51 8. NOVEMBER 1933

51
9151/E 643 880-86
Der Gesandte in Prag Koch an das Auswärtige AmtJ)
A I I I 2 f. PRAG, den 8. November 1933
Ankunft: 11. November
II Ts. 1432
Unter Bezugnahme auf den Bericht A III 2 f. vom 10. 10. 19332)
Inhaltsverzeichnis: Entwicklung der DNSAP. Auflösung der DNSAP. Der
Kameradschaftsbund. „Volksfront" und „Sudetendeut-
sche Heimatfront". Schwenkung der Heimatfront in
Richtung „Aktivismus".
Entwicklung der DNSAP.
Mit der Auflösung der „Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei",
die sich der NSDAP in Deutschland gegenüber gern als die ältere rühmte,
hat eine Bewegung ihren Abschluß gefunden, die bis in die 90er Jahre des
vorigen Jahrhunderts zurückverfolgt werden kann. Damals gründeten in
Böhmen, Mähren und Schlesien die Buchbinder Ludwig Vogel und Ferdinand
Buschowsky den „Deutschnationalen Arbeiterverein" mit dem Programm
„Kampf gegen tschechische Unternehmer und deutsche Sozialdemokratie".
Politisch gliederten sich die Arbeitervereine der Alldeutschen Partei Georg
von Schönerers an. 1904 gründete der Deutschnationale Arbeiterverein eine
eigene Partei (Deutsche Arbeiter-Partei). Unter ihren Abgeordneten befand
sich der spätere Nationalsozialist Hans Knirsch. Auf dem Parteitag in Wien
vom 5. Mai 1918 nahm die Partei den Namen „Deutsche Nationalsoziali-
stische Partei Österreichs" an, die nach dem Umsturz in eine österreichische
und eine sudetendeutsche Gruppe, letztere unter Führung des Ingenieurs
Rudolf Jung, auseinanderfiel. Die sudetendeutschen Nationalsozialisten
gaben sich auf dem Parteitag zu Dux, 1919, ein den neuen Verhältnissen
angepaßtes Programm. 1920 zog die DNSAP mit 5 Mandaten in das tschecho-
slowakische Abgeordnetenhaus ein, 1925 erzielte sie 7 Mandate, 1928
8 Abgeordneten- und 4 Senats-Mandate. Charakteristisch war die Ein-
stellung der DNSAP auf eine starke parlamentarische Tätigkeit unter dem
Taktiker Jung.
War die Partei bis dahin in ruhiger, stetiger Entwicklung ihren Weg
gegangen, ohne sich zu einer hervorragenden Bedeutung im tschecho-
slowakischen Parteileben aufzuschwingen, so änderte sich die Lage grund-
sätzlich mit der stürmisch voranschreitenden Entwicklung im Reich. Die
Welle der nationalen Erhebung in Deutschland schlug auch ins sudeten-
deutsche Lager und führte der hiesigen DNSAP viele Mitglieder, ja im
Herzen die gesamte sudetendeutsche Jugend zu. In den Gemeinderats-
wahlen kam der große Stimmenzuwachs offensichtlich zum Ausdruck. Zu
Parlamentswahlen, die in dieser Zeit ein ähnliches Bild ergeben hätten,

*(l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 13. 11."


(2) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 488.

89
Nr. 51 8. NOVEMBER 1933

ist es nicht gekommen. Die Jugend organisierte sich im „Volkssport", einer


der SA entsprechenden Formation.
Die Parteileitung geriet durch diese Entwicklung in einen tragischen
Konflikt. In der alten, liberalistischen Epoche aufgewachsen und geschult,
jedem gewaltsamen Vorgehen abhold, sah sie sich einer stürmisch drängen-
den Jugend gegenüber, der es nicht darauf ankommt, für die Freiheit im
Gefängnis zu schmachten. Einer solchen, über die bisherige kleinbürgerliche
Form hinauswachsenden Bewegung fehlte der Führer, der in der Lage
gewesen wäre, die parteipolitische Linie klar und eindeutig zu bestimmen.
Die Beteuerungen, daß die Partei nur die Autonomie anstrebe, wurden im
Hinblick auf die Betätigung der Parteimitglieder von den tschechoslowa-
kischen Behörden nicht ernst genommen. Die Verhaftung und Verurteilung
von 7 jungen Volkssportführern, 1932,3) war der erste Schlag, der gleich-
wohl das weitere Anwachsen der Partei bis zum Sommer dieses Jahres nicht
verhindern konnte.
Auflösung der DNSAP.
Die tschechoslowakische Regierung geriet dieser von Tag zu Tag wach-
senden sudetendeutschen Einheitsfront gegenüber in eine schwierige Lage,
zumal die Slowaken unter Führung des Prälaten Hlinka ebenfalls nach
Autonomie drängten. So lange die Deutschen sich in mehrere Parteien zer-
splitterten, drohte dem tschechoslowakischen Staat, dessen Regierung ge-
schickt nach dem Prinzip „divide et impera" verfährt, keine Gefahr. Dies
wurde anders, als der Nationalsozialismus das gesamte sudetendeutsche
Volk zu umfassen begann. In diesem Augenblick griff die tschechoslowa-
kische Regierung, ermuntert durch den Widerstand von Dollfuß in dem
kleineren Österreich, scharf durch. Als es feststand, daß das Oberste Gericht
in Brunn das Volkssporturteil bestätigen würde, war das Schicksal der
DNSAP besiegelt. Die Partei suchte dem durch Selbstauflösung zuvorzu-
kommen, nach tschechoslowakischer Version, um die Parteigelder in Sicher-
heit zu bringen. Die obrigkeitliche Auflösungsorder folgte gleichwohl nach.
Die Parteiführer wurden verhaftet. Der Abgeordnete Krebs flüchtete nach
Deutschland.
Der „Kameradschaftsbund".
Es fehlt nicht an Bemühungen, die Anhänger der nationalsozialistischen
Bewegung in einer neuen „Front" unterzubringen. Bei diesen Versuchen
schob sich in den Vordergrund die in der Öffentlichkeit bisher wenig be-
kannte, aber immer schon sehr einflußreiche Organisation „Kameradschafts-
bund", von ihren Anhängern als eine Art „sudetendeutscher Maffia" be-
zeichnet. Die im Kameradschaftsbund vereinigten Persönlichkeiten stehen
den Gedankengängen des Wiener Professors Othmar Spann und seines
Schülers Walter Heinrich nahe, die ihr Programm „Abkehr von der Demo-
kratie" und „ganzheitlich ständischer Aufbau" auch der österreichischen
Heimwehr geliefert haben. Dem Kameradschaftsbund gehören zwar nur
etwa 200 Sudetendeutsche, meist Intellektuelle der verschiedensten poli-
tischen Schattierungen an, die sich höherem Befehl folgend absichtlich von

• (3) Siehe Serie C, Bd. 1,2, Dokument Nr. 326, Anm. 3 und Dokument Nr. 429, Anm. 3

90
Nr. 51 8. NOVEMBER 1933

Parteipolitik möglichst ferngehalten haben. Sein Einfluß geht aber so weit,


daß kein wichtiger Posten im sudetendeutschen Lager ohne seine Zustim-
mung besetzt werden kann, ob es sich nun um das Deutsch-politische
Arbeitsamt (Amtsleiter Kundt ist Kameradschaftsbündler) oder eine kul-
turelle Organisation handelt. Durch den führenden Kameradschaftsbündler
Dr. Brand hat der Bund auch Einfluß auf den Deutschen Turnverband (Leiter
Konrad Henlein) und damit auf die junge Generation aller bürgerlichen
Parteien erlangt. Trotz der Gegensätze zwischen Kameradschaftsbund und
DNSAP bezüglich des Anspruchs auf die sudetendeutsche Führung bestehen
bzw. bestanden doch auch enge Querverbindungen der Kameradschafts-
bündler zu einzelnen jugendlichen Führern der nationalsozialistischen Be-
wegung.
Der geschickten, zurückhaltenden Taktik entsprechend hat sich der Kame-
radschaftsbund über sein Verhältnis zu Deutschland nie ausgesprochen. Es
steht fest, daß er stark die sudetendeutsche Raumlage und Eigenart betont.
Von Nationalsozialisten mit dem Blick auf ein Großdeutschland wird den
Kameradschaftsbündlern vorgeworfen, daß sie den „sudetendeutschen Men-
schen" analog dem „österreichischen Menschen" schaffen wollen, daß sie
also nicht zum Reich streben, sondern vom Reiche fort. Damit wäre der Weg
zu einer Art „Verschweizerung" offen.
„Volksfront" und „Sudetendeutsche Heimatfront".
Mit der Zerschlagung der Nationalsozialistischen Partei (ebenso wie der
Deutschnationalen) glaubte der Kameradschaftsbund den Zeitpunkt für den
aktiven Eintritt in die sudetendeutsche Politik gekommen. Nach dem
Scheitern der Idee der „Volksfront", die außer Nationalsozialisten und
Deutschnationalen auch den Bund der Landwirte, die Christlich-Sozialen, die
Gewerbe-Partei und die Deutsch-Demokraten umfassen sollte, rief in letzter
Stunde der Leiter des Turnverbandes Konrad Henlein, angeblich aus eigener
Initiative, in Wirklichkeit vom Kameradschaftsbund vorgeschoben, zum
Beitritt zur „Sudetendeutschen Heimatfront" auf, die ein Sammelbecken für
die den aufgelösten Parteien angehörenden Massen sein soll. Jugendliche
Führer der Nationalsozialisten, die damals noch nicht eingekerkert waren,
wie Kasper und Haider, neigten unter der Bedingung, daß ihnen führende
Stellungen zuerkannt würden, zum Beitritt. Von der älteren Generation der
Nationalsozialisten (Jung, Knirsch) sagt man, daß sie nach der Entwicklung
der Dinge in den letzten Wochen des Kampfes müde geworden seien.

Schwenkung der „Heimatfront" in Richtung „Aktivismus".


Die Ereignisse überstürzten sich. In den Oktoberwochen brach die ganze
Welle der tschechischen Verfolgung über das nationale Sudetendeutschtum
herein. Obwohl Henlein in einer von der Polizei später aufgelösten Presse-
konferenz sich zur Demokratie bekannte, obwohl er den Arierparagraphen
für die Heimatfront ablehnte, obwohl er sogar Zusicherungen für eine
loyale, ja aktivistische 4 ) Einstellung zum tschechoslowakischen Staat gab

(4) Die Bezeichnungen „aktivistisch" und „Aktivismus" wurden für die deutsehen Parteien
und ihre politischen Führer verwendet, die in tschechoslowakischen Kabinetten vertreten
waren und sie im Parlament unterstützten.

91
Nr. 52 9. NOVEMBER 1933

und damit eine vollständige Frontschwenkung ankündigte, blieben die


Tschechen mißtrauisch. Eine große Anzahl von Turnvereinen - seine
ureigenste Domäne - wurden aufgelöst und ihr Vermögen beschlagnahmt.
In der allgemeinen Nervosität folgten Verhaftungen über Verhaftungen.
Das Schicksal der Heimatfront erscheint danach völlig ungewiß. Nur eines
ist sicher, daß Henlein politischer Gefangener des im Kabinett sitzenden
Landbundführers Spina geworden ist, der in dem allgemeinen Chaos über
Wohl und Wehe der Sudetendeutschen entscheidet.
Das Sudetendeutschtum hat durch den Zusammenbruch der DNSAP einen
schweren Schlag erlitten und ist gegenwärtig vollständig führerlos. Aus
der Provinz drangen bis vor kurzem Gerüchte über von Sudetendeutschen
geplante Terrormaßnahmen, die willkommenen Anlaß für eine tschechische
Militärdiktatur bieten würden. Mit der überraschenden Beteiligung des
Sudetendeutschtums an dem Staatsfeiertag vom 28. 10. sind die Gerüchte
verstummt.
Nach einer Beruhigung der allgemeinen Lage wird jedenfalls künftighin
eine offene politische Betätigung der Sudetendeutschen nur in loyalster
Einstellung zum tschechoslowakischen Staat möglich sein. Auf lange Sicht
gesehen könnte hiermit bei einem Teil der Bevölkerung die vorerwähnte
„Verschweizerung" Hand in Hand gehen. Auf der anderen Seite steht die
ungebrochene Kraft der Jugend, die fest mit dem Ideengut des National-
sozialismus und dem großdeutschen Gedanken verbunden ist. Welche Rich-
tung sich in dem Spiel der Kräfte durchsetzen wird, hängt letztlich von der
machtpolitischen Stellung Deutschlands ab.
DR. KOCH

52
2945/D 575 854-55
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 9. November 1933
e. o. RM. 1541
Bei der Unterredung, die ich heute morgen mit dem polnischen Gesandten
hatte, habe ich Herrn Lipski eingehend auf die Unmöglichkeit hingewiesen,
das Verlangen der polnischen Regierung auf Gewährung eines Kohlenkon-
tingents zu erfüllen.1) Herr Lipski erwiderte darauf, daß es für die polnische
Regierung besonders schwer sei, auf dieses Verlangen zu verzichten, weil
der ganze deutsch-polnische Handelskrieg seinerzeit in der Kohlenfrage
seinen Ausgang gehabt habe. Es sei also für die polnische Regierung schwer,
irgendwelche vertraglichen Abmachungen mit Deutschland zu treffen, in
denen die Kohlenfrage nicht geregelt werde. Immerhin wolle er seiner
Regierung von meinen Mitteilungen sofort Kenntnis geben. Der Gesandte

(l) Siehe Dokument Nr. 38

92
Nr. 53 9. NOVEMBER 1933

sprach dann von der Eventualität des Abschlusses eines kleineren Abkom-
mens, wozu ich erwähnte, daß mir auch ein solches Abkommen möglich
erscheine, vorausgesetzt, daß die Diskriminierung der deutschen Schiffahrt
aufgehoben würde. Als Herr Lipski auch dagegen gewisse Bedenken geltend
machte, erklärte ich ihm, daß ich dann allerdings nicht wüßte, wie man auf
dem doch auch von seiner Regierung gewünschten Wege der Entspannung
der deutsch-polnischen Verhältnisse und der Einleitung normaler Handels-
beziehungen weiterkommen könne. Für uns sei jedenfalls die Beibehaltung
dieser Diskriminierungsbestimmung durch Polen nicht tragbar.
Sodann sprach ich Herrn Lipski auf die Vorkommnisse in Ostober-
schlesien an und betonte die hier von deutschen Aktionären und Geldgebern
zum Ausdruck gebrachte Besorgnis der Gefährdung ihrer Interessen.2) Ich
sagte dem Gesandten, die Maßnahmen, die in letzter Zeit von den polni-
schen Verwaltungsstellen unternommen würden, um eine weitere Poloni-
sierung der Verwaltung der Unternehmungen der IG-Kattowitz durchzu-
führen, seien nicht geeignet, eine Entspannung der deutsch-polnischen Be-
ziehungen herbeizuführen, sondern eher das Gegenteil. Ich ersuchte Herrn
Lipski, in diesem Sinne nach Warschau zu berichten und dabei auch noch zu
erwähnen, daß ich hoffte, die von unserer Seite erfolgte Zurückziehung der
Klagen im Haag 3 ) werde von der polnischen Regierung als ein Akt des Ent-
gegenkommens aufgefaßt und nicht etwa dazu benutzt werden, schärfere
Maßnahmen zu ergreifen.
Herr Lipski war in seinen Ausführungen äußerst zurückhaltend.
v. N[EURATH]
(2) Siehe Dokument Nr. 41.
(3) Der Hinweis bezieht sieh auf den Rückzug von einem Prozeß um das Vermögen des
Fürsten von Pleß, der von der deutsdien Regierung vor dem Ständigen Internationalen
Gerichtshof in Den Haag angestrengt worden war

53
9452/E 666 895
Botschaftsrat von Twardowski (Moskau) an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 254 vom 9. 11. MOSKAU, den 9. November 1933 18 Uhr 59
Ankunft: 9. November 20 Uhr
IV Ru. 4937
Auf [Telegramm Nr.] 231.1)
Für Herrn Botschafter Nadolny persönlich.
Beim Empfang anläßlich Revolutionsfeier bin ich von nichtamtlicher
russischer Seite wiederholt gefragt worden, wann voraussichtlich Leipziger

*(i) Telegramm Meyers Nr. 231 vom 6. November (9452/E 666 894) mit der Nachricht, daß
Nadolny beabsichtige, am 14. November nach Moskau abzureisen.

93
Nr. 54 10. NOVEMBER 1933

Prozeß zu Ende gehen würde.2) Dabei gab man zu verstehen, daß die Sowjet-
presse voraussichtlich zu Ergebnis scharf Stellung nehmen müsse. Gleich-
zeitig wurde der Besorgnis Ausdruck gegeben, daß Ende Leipziger Prozeß
und damit erneutes Aufflackern antideutscher Pressepropaganda zeitlich mit
Ihrem Eintreffen in Moskau zusammenfallen könnte, wodurch der Beginn
Ihrer Tätigkeit in eine unangenehme Atmosphäre fallen würde; ob dieses
Zusammentreffen sich nicht irgendwie vermeiden lasse.3)
TWARDOWSKI

*(2) Randbemerkung: „Nach Auskunft von H[errn] v. Bargen wird der Prozeß noch minde-
stens 3 Wochen dauernl v. T[ippelskireh] 10. 11."
(3) Bülow antwortete mit Telegramm Nr. 235 vom 10. November (9452/E 666 896): „Reichs-
tagsbrandprozeß wird voraussichtlich noch einige Wochen dauern. An Reisetermin von
Herrn Botschafter Nadolny ändert sich nichts."

54
3154/D 670 245-48

Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath


BERLIN, den 10. November 1933
RM. 1549
Gestern abend suchte mich der französische Botschafter auf. Er begann
damit, daß er gehört habe, in der Wilhelmstraße sei man betroffen davon,
daß in der französischen Regierungserklärung Deutschland nicht erwähnt
worden sei.1) Dies habe aber seinen Grund darin, daß das Ministerium
Sarraut sich als ein Ubergangsministerium betrachte. Im übrigen habe ja
Herr Sarraut selbst sofort erklärt, daß er in der Außenpolitik die Linie von
Herrn Daladier einhalten werde. Ich erwiderte Herrn Poncet, es sei völlig
irrig anzunehmen, „daß wir von der Nichterwähnung Deutschlands .betrof-
fen' seien". Er habe ja schon aus meiner Rede am Montag 2 ) ersehen, daß ich
der Ansicht sei, die im Völkerbund und in der Abrüstungskonferenz zurück-
gebliebenen Mächte brauchten Zeit, um sich zu überlegen, was sie nun tun

• (1) Forster hatte in Telegramm Nr. 877 vom 5. November (8216/E 583 824-25) aus Paris
über die Regierungserklärung des neugebildeten französischen Kabinetts Sarraut be-
richtet. Der Schlußabsatz des Telegramms lautete: „Außenpolitischer Teil der Regie-
rungserklärung, der Deutschland mit keinem Wort erwähnt, deutet auf Unsicherheit
hinsichtlich außenpolitischen Vorgehens. Erklärung kann als unfreundliche Zurück-
haltung gekennzeichnet werden." Am 6. November fertigte Bülow eine Aufzeichnung
über ein Telefongespräch mit dem französischen Botschafter vom gleichen Tage an
(2406/D 510 742). Frangois-Poncet habe sich über das Echo, das die französische Regie-
rungserklärung in Berlin ausgelöst habe, sehr besorgt gezeigt und versichert, daß der
beabsichtigte Passus über Deutschland „nur aus französischen innerpolitischen Gründen"
gestrichen worden sei. Dieser Sachverhalt wurde in Telegramm Forsters Nr. 882 vom
7. November (7467/H 179 030) bestätigt.
(2) Der Text dieser Rede, die Neurath am 6. November im Deutschen Klub hielt, ist abge-
druckt in Schwendemann, Abrüstung und Sicherheit, Bd. II, S. 494-506.

94
Nr. 54 10. NOVEMBER 1933
X • • **.
sollten. Es sei für mich also keineswegs erstaunlich gewesen, daß Herr
Sarraut über Deutschland nichts gesagt habe.
Herr Poncet kam sodann auf die Reise von Herrn Göring 8 ) und den
Kanzlerbrief an Mussolini 4 ) zu sprechen und sagte, wir hätten jetzt wohl
Herrn Mussolini gebeten, seine Vermittlerrolle wieder aufzunehmen. Ich
erwiderte ihm darauf, er befinde sich in einem groben Irrtum, wir dächten
nicht daran, jemanden zum Vermittler anzurufen. Unsere Ansprüche seien
klar fixiert, und wir warteten nun darauf, was man uns etwa zu sagen habe.
Der Brief an Mussolini sei lediglich ein Dankschreiben des Kanzlers für
die früheren Bemühungen Mussolinis auf der Abrüstungskonferenz und für
den Weltfrieden und enthalte ferner noch eine eingehende Darstellung der
Gründe, die uns zum Austritt aus dem Völkerbund und aus der Abrüstungs-
konferenz veranlaßt hätten. Herr Poncet frug sodann nochmals, ob es richtig
sei, daß der Kanzler dem englischen Botschafter5) unsere Rüstungswünsche
mitgeteilt habe, und führte diese Wünsche einzeln auf.6) Ich erwiderte ihm,
das sei durchaus zutreffend, worauf Herr Poncet meinte, dann hätten wir
doch keine Veranlassung gehabt, aus der Abrüstungskonferenz fortzugehen,
denn über diese Wünsche hätte man ja verhandeln können. Ich brach diese
Unterhaltung damit ab, daß ich Herrn Poncet erklärte, ich hätte nicht die
Absicht, mich mit ihm nochmals über die Gründe, die zu unserem Schritt
vom 14. Oktober geführt hätten, auseinanderzusetzen. Er brauche nur die
Reden des Kanzlers 7 ) und die meinige nachzulesen, um sich diese ins
Gedächtnis zurückzurufen.
Herr Poncet ging sodann ganz plötzlich unter Bezugnahme auf eine
private Unterredung, die er mit Herrn Köpke gehabt habe,8) dazu über, mir
einen Plan auseinanderzusetzen, den er als rein persönliche Ansicht bezeich-
nete, um die durch den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund geschaf-
fene Gefahrenzone zu überbrücken. Der Botschafter führte aus, es unter-
liege keinem Zweifel, daß Deutschland mit allen Mitteln aufrüste. Wenn
man auch bisher in Frankreich dazu noch keine offizielle Stellung genom-
men habe, so sei doch mit absoluter Bestimmtheit damit zu rechnen, daß die
französische Regierung in Bälde aus ihrer Zurückhaltung heraustreten und
gegen diese Verfehlungen Deutschlands Schritte unternehmen werde.
Welcher Art diese Schritte sein würden, vermöge er nicht zu sagen. Nun
gehe ja aus den Mitteilungen, die der Herr Reichskanzler dem britischen
Botschafter gemacht habe, hervor, daß wir nicht mehr die Abrüstung der
hochgerüsteten Staaten, sondern nur das Weiterrüsten und das Wettrüsten
verhindern wollten, daß wir aber unsererseits ein gewisses Maß der Auf-
rüstung verlangten. Nun sei uns ja bekannt, daß das Wort Aufrüstung in
den angelsächsischen Ländern die Gemüter in heftige Erregung bringe und
daß man von dort her alle Versuche Deutschlands, auch nur die sogenann-
ten Verteidigungswaffen zugebilligt zu bekommen, bekämpfe. Man müsse

(3) Siehe Dokument Nr. 50.


(4) Dokument Nr. 40.
*(5) Phipps.
(6) Siehe Dokument Nr. 23.
*(?) Siehe Dokument Nr. 1, Anm. 1
(8) Siehe Dokument Nr. 61.

95
Nr. 55 9. NOVEMBER 1933

also einen Weg suchen, um die Aufrüstung zu verkleiden. Dies könne


dadurch erreicht werden, daß Deutschland mit Polen und der Tschecho-
slowakei unter Beteiligung Frankreichs und der anderen Mächte einen Ost-
locarno-Vertrag abschließe und daß es sich ferner verpflichte, die öster-
reichische Unabhängigkeit nicht anzurühren. In diesem Falle glaube er, daß
auch England und Amerika sich mit einer gewissen Aufrüstung Deutsch-
lands abfinden würden, da ja durch die oben erwähnten Verträge der
Friede Europas sichergestellt werde.
Ich erwiderte Herrn Poncet, daß ich den von ihm vorgeschlagenen Weg
kaum für gangbar hielte. Wenn wir auch, wie aus den wiederholten Er-
klärungen aller verantwortlichen Stellen hervorgehe, keineswegs die Ab-
sicht hätten, Grenzfragen durch Gewalt zu lösen, so sei es doch etwas ganz
anderes, wenn man von uns verlange, daß wir diese Fragen überhaupt nicht
anrühren sollten. Man wolle uns durch solche Verträge nur in ein neues
Netz einspinnen und uns dadurch jede Bewegungsfreiheit nehmen.
Herr Poncet erklärte ferner noch, er wisse ja auch gar nicht, ob seine
Regierung einem solchen Plan zustimmen würde, immerhin beabsichtige er,
demnächst um eine Audienz beim Herrn Reichskanzler nachzusuchen, um
ihm diese Pläne vorzutragen. 9 )
10
v. N[EURATH] )

(») Siehe Dokument Nr. 86.


'(10) Randvermerk: „Durchdruck von RM dem Herrn RK persönlich übergeben. 11. 11."
Der Bericht Francois-Poncets über diese Unterredung ist abgedruckt in Documents
Dipiomatiques Francais, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 413.

55
L432/L 123 536-38
Reichsbischof Müller an das Auswärtige Amt •)
K.K. 12765 BERLIN, den 9. November 1933
Ankunft: 11. November
VI A. 2549
Auf das Schreiben vom 22. September 1933 betr. die Stellung der nor-
dischen evangelischen Kirchen zur Deutschen Evangelischen Kirche und die
Arierfrage 2 ) erwidere ich, daß auf der Deutschen Evangelischen National-
synode 3) keinerlei Bestimmungen über nichtarische Geistliche und Beamte

*(i) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 15. [11.]"


*(2) In diesem Schreiben (L 432/L 123 485-86) hatte das Auswärtige Amt die Leitung der
Deutschen Evangelischen Kirche auf die Gefahr hingewiesen, daß die evangelischen
Kirchen in den skandinavischen Staaten geneigt sein könnten, die engen Beziehungen
zur Deutsehen Evangelischen Kirche abzubrechen, besonders wenn diese auf der bevor-
stehenden Nationalsynode einen Arierparagraphen offiziell einführen sollte. Das Aus-
wärtige Amt gab zu erwägen, „ob nicht eine Durchführung des Arierparagraphen auf
dem Verwaltungswege anstelle einer offiziellen Annahme des Gesetzes möglich wäre".
(3) Siehe Dokument Nr. 37, Anm. 3.

96
Nr. 55 9. NOVEMBER 1933

der Kirche oder über nichtarische Kirchenglieder [sie] beraten und angenom-
men worden sind. Es ist auch nicht beabsichtigt, solche Bestimmungen e'ner
späteren Tagung der Nationalsynode zur Beratung und Beschlußfassung
vorzulegen.
über die Stimmung in den ausländischen protestantischen Kirchen, insbe-
sondere auch des Nordens, bin ich durch zahlreiche mündliche und schrift-
liche Äußerungen ausländischer Kirchenführer unterrichtet. Ich bin mir der
Spannungen, die durch die Behandlung des Arierproblems in den Be-
ziehungen der Deutschen Evangelischen Kirche zu den Kirchen des Aus-
landes eingetreten sind, durchaus bewußt und fühle die Verantwortung, die
die Deutsche Evangelische Kirche hierbei auch gegenüber Volk und Vater-
land trägt. Denn in der Tat würde eine Lockerung oder gar ein Verlust
der bisher freundlichen Beziehungen gerade zu den lutherischen Kirchen
des Nordens nicht nur für die Kirche selbst, sondern auch für unser Volk
einen Nachteil bedeuten. Deshalb ist es mein ernstes Bemühen, die Er-
kaltung dieser Beziehungen zu verhindern. Andererseits kann ich mich des
Urteils nicht enthalten, daß die Einwendungen, auch von kirchlich-aus-
ländischer Seite, gegen den Arierparagraphen schlechthin nicht frei von
politischen und weltanschaulichen Vorurteilen sind und vielfach auf einer
theologischen Grundeinstellung beruhen, die unhaltbar ist.
Es ist zunächst versucht worden, die durch die Annahme des Arierpara-
graphen durch verschiedene Landeskirchen entstandene Mißstimmung in
den ausländischen Kirchen im Wege der Korrespondenz mit ausländischen
Kirchenführern und durch persönliche Besprechungen zu klären. Ferner
bemühen sich die deutschen evangelischen Pfarrer des Auslandes darum,
durch Aussprachen und, wo es möglich ist, durch Vorträge oder Zeitungs-
äußerungen aufklärend zu wirken. Anfang Oktober war eine Gruppe von
Göttinger theologischen Universitätsprofessoren zu Besuch in Schweden
und hat hierbei durch Vorträge und Besprechungen, u. a. auch mit dem Erz-
bischof von Schweden,4) zu wirken gesucht. Aus Anlaß der Lutherfeier am
10. November wird D. Dr. Johannes Müller-Elmau in Oslo Vorträge halten.
Ferner weilt der Generalsekretär der Deutsch-Christlichen Studenten-Ver-
einigung (DCSV), Pfarrer Dr. Lilje - allerdings in seiner Eigenschaft als
Vizepräsident des Christlichen Studentenweltbundes - Anfang November
in Schweden und wird hierbei vor allem in studentischen Kreisen über die
deutschen Probleme sprechen können. Auch mit englischen, vor allem angli-
kanischen Kirchenkreisen ist durch Besuche von Bischof Hossenfelder und
der hiesigen Sachbearbeiter im Oktober in London Fühlung aufgenommen
und - vor allem über die Oxford-Bewegung des Pfarrers Buchman - die
Möglichkeit zu aufklärenden Aussprachen gefunden worden.
Es ist beabsichtigt, die Vortragstätigkeit, wenn einmal die erste Auf-
regung im Ausland sich gelegt hat, vor allem im Norden planmäßig auszu-
gestalten, wozu allerdings Mittel bereitgestellt werden müßten. Ferner wird
versucht werden, durch theologische Schriften über die Grundlage der
Deutschen Evangelischen Kirche das Urteil des Auslandes zu bestimmen.
Ich wäre dem Auswärtigen Amt ganz außerordentlich dankbar, wenn es sich

(4) Eidem.

97

iL i Bg. 7 f Bayerische
I Staatsbibliothek
Nr. 56 9. NOVEMBER 1933

bereit erklären könnte, die geplante Arbeit eventuell auch finanziell zu


fördern.5) Der Etat der Deutschen Evangelischen Kirche, der mindestens bis
1. Januar 1934 noch auf die geringeren Bedürfnisse des Deutschen Evan-
gelischen Kirchenbundes zugeschnitten ist, wird keinesfalls ausreichen, die
durch die - auch im Interesse von Volk und Reich - neu in Angriff genom-
menen Aufgabengebiete und die stärkere Konzentration der Arbeit ge-
stiegenen finanziellen Anforderungen der Deutschen Evangelischen Kirche
zu decken.9)
LUDWIG MÜLLER
(5) Randbemerkung Bülows: „Pro[paganda]mi|nisterium]P
(8) Randbemerkung: „Die Ev[angelische] Kirche steht wegen der Vortragsreisen auch mit
dem Pro[paganda]mi[nisterium] in Verbindung.
Ich habe H[err]n OKR Hedeel mitgeteilt, daß wir im Augenblick keine Mittel zur Ver-
fügung hätten. Er schien dies zu erwarten u[nd] meinte, eine Antwort auf das Schreiben
sei nicht nötig. Der Reichsbischof habe damit in erster Linie die Absicht verfolgt, das
AA auf die Notwendigkeit verstärkter Auslandspropaganda auf kirchlichem Gebiet hin-
zuweisen. Ich erklärte H[err]n Hedeel, daß wir gern bereit seien, evtl. an uns heran-
tretende Wünsche der Kirche betreffend] Einzelreisen deutscher evangelischer] Geist-
licher ins Ausland von Fall zu Fall zu prüfen. Z. d. A. RJoediger] 23. 11."

56
9151/E 643 887-91
Der Gesandte in Prag Koch an das Auswärtige Amt •)
A III 1 b. 8 PRAG, am 9. November 1933
Ankunft: 11. November
II Ts. 1435
POLITISCHER BERICHT

Inh[alt]: Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei.


Gestern suchte ich Minister Benes auf und hatte ein längeres Gespräch
mit ihm über die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und der
Tschechoslowakei.
Ich ging zunächst von der Tatsache aus, daß der deutsche Konsul in
Brunn 2 ) wegen versuchter Nötigung - er soll einen Buchhändler durch die
Androhung, ihm Kundschaft abwendig zu machen, zur Entfernung von
Greuelliteratur aus dem Schaufenster veranlaßt haben - vor den Straf-
richter geladen worden ist. Ich fragte Benes geradezu, was man mit solchem
Unsinn, hinter dem Kommunisten die treibenden Kräfte sind, eigentlich
bezwecke. Möglich, daß man einen Konsul wegen privater Handlungen
strafrechtlich zur Rechenschaft ziehen könne. Aber hier hätte der Konsul
- übrigens in einer Form, bei der von Nötigung nicht die Rede sein könne -

*(l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 11. 11."


*(2) Bethusy-Huc.

98
Nr. 56 9. NOVEMBER 1933

ganz zweifellos in amtlicher Eigenschaft, auf Grund des generellen Auf-


trags, der Greuelpropaganda entgegenzutreten, gehandelt. Wenn die
tschechoslowakische Regierung Bedenken gegen die Amtsführung des Kon-
suls hätte, so wäre doch wohl die Einvernahme mit der Reichsregierung,
nicht aber die Inanspruchnahme der Gerichte der einzig mögliche Weg.
Benes, der wie gewöhnlich „das erste Wort von der Sache hörte", erklärte,
er könne gegen meine Ausführungen nichts einwenden, müsse sich aber
zunächst informieren und werde mir möglichst bald Bescheid geben.
Er betonte bei dieser Gelegenheit in einer geradezu herzlichen Weise, daß
er zu seinem Teile alles tun wolle, um jede Schwierigkeit mit dem Deut-
schen Reiche auszuräumen, alle Konflikte zu vermeiden und ein ruhiges
Nebeneinanderleben beider Staaten herbeiführen.
Ich dankte ihm für diese Erklärung und versicherte ihm, daß ich bei
meiner kürzlichen Anwesenheit in Berlin die Reichsregierung durchaus von
den gleichen Absichten beseelt gefunden habe. Er, Benes, habe in seiner
jüngsten Rede im Auswärtigen Ausschuß3) von korrekten Beziehungen
zwischen unsern Ländern gesprochen, und ich würde sehr glücklich sein,
wenn ich diesen Ausdruck akzeptieren und bestätigen könne. Wie er aber
mit ihm die Tatsache in Einklang bringen wolle, daß Regierungsblätter, wie
z. B. der Sozialdemokrat, bis in die neueste Zeit das deutsche Volk als Mord-
und Brandstifter bezeichnen, das sei mir ein Rätsel.
Benes entgegnete, dieser Unfug, den er am allermeisten beklage, werde
sich, nun er wieder im Lande sei, wohl bald legen. Wenn er nicht genötigt
gewesen wäre, sehr oft abwesend zu sein, wäre manches anders gelaufen.
Sein Stellvertreter 4 ) habe wohl im Verkehr mit der Regierung die nötige
Autorität; aber nicht gegenüber den Parteien die erforderliche Durchschlags-
kraft, und darauf komme es an. Er werde jedenfalls alles versuchen, um die
gerügten Mißstände abzustellen und die Emigranten zu der Bescheidenheit
zu verhalten [sie], die ihnen als Asylsuchenden zukomme.
Ich kam dann auf die 25 bis 30 Reichsdeutschen zu sprechen, die hier im
Lande noch in Untersuchungshaft wegen Vergehen gegen das Schutzgesetz
gehalten werden und deren einziges Vergehen zumeist darin bestehe, daß
sie nationalsozialistische Parteimitglieder im Reich seien oder im Besitz
von nationalsozialistischen Schriften befunden worden seien. Nachdem die
sudetendeutsche Nationalsozialistische Partei aufgelöst 5 ) und tatsächlich
von der Bildfläche verschwunden sei und nachdem man sich auf Grund der
Haltung, die die reichsdeutsche Presse zu diesen Vorgängen eingenommen
habe, hoffentlich davon überzeugt habe, daß die bombastischen Vermutun-
gen, das Reich suche die Sudetendeutschen zu revolutionieren, haltlos ge-
wesen seien, liege doch gar kein Grund mehr vor, gegen jeden Reichsdeut-
schen, der Nationalsozialist sei, mit Feuer und Schwert vorzugehen. Man
möge die Leute doch möglichst bald laufen lassen.

(3) Benes hatte am 31. O k t o b e r im A u s w ä r t i g e n Ausschuß der tschechoslowakischen


N a t i o n a l v e r s a m m l u n g eine außenpolitische Rede gehalten, in der nach einem Bericht
H o l z h a u s e n s v o m 2. N o v e m b e r (9147/E 643 359-60) eine völlig n e g a t i v e Haltung gegen-
ü b e r Deutsehland zum Ausdruck gekommen war.
(4) Krofta.
(5) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 483.

99
Nr. 56 9. NOVEMBER 1933

Benes erwiderte, da müsse er doch zunächst einmal meinen Blick über die
Grenze nach Reichsdeutschland hinüberlenken, dort säßen in Haft oder in
Konzentrationslagern sieben- oder acht- oder zehnmal soviel Tschecho-
slowaken, die zumeist auch nichts anderes auf dem Kerbholz hätten, als daß
sie einer in Deutschland verfemten Partei, die in der Tschechoslowakei
Regierungspartei sei, angehörten. Er hätte seinem Gesandten 6 ) bei den
unzähligen Schritten, die er für diese Unglücklichen getan habe, die konzi-
lianteste Tonart zur Pflicht gemacht, weil er den Ausnahmeverhältnissen,
die in Deutschland herrschten, voll habe Rechnung tragen wollen. Er bitte
mich, dem Herrn Reichsaußenminister sowie dem Herrn Staatssekretär
von Bülow und Herrn Ministerialdirektor Köpke seinen herzlichen Dank zu
übermitteln für die gute und verständnisvolle Aufnahme, die die Schritte
seines Gesandten im Auswärtigen Amt gefunden haben. Aber der Erfolg
habe dem guten Willen der Beteiligten doch nur sehr ungenügend ent-
sprochen. Die Ausnahmeverhältnisse im Reiche seien doch nun vorüber,
und er sei genötigt, in Kürze wesentlich energischer auf die Freilassung
seiner Landsleute zu dringen. Sei es denn nicht möglich, alle diese Fälle
jenseits und diesseits der Grenze pari passu - in stillem, äußerlich nicht in
die Erscheinung tretenden Einverständnis - zu liquidieren?
Es hätte nahe gelegen zu bemerken, daß die Verhaftungen Reichsdeut-
scher in der Tschechoslowakei wohl zum größeren Teile aus diesem Kom-
pensationsbedürfnis entsprungen seien. Ich unterdrückte aber diese Be-
merkung, um die freundliche Temperatur des Gesprächs nicht zu stören, und
beschränkte mich darauf zu erklären, daß ich diesen Gedanken, zu dem ich
selbst keine Stellung nehmen könne, da ich die Fälle im Reich nicht kenne,
meiner Regierung unterbreiten wolle.
Wir kamen zum Schluß überein, daß von beiden Seiten alles geschehen
müsse, um der sinnlosen Kriegshysterie, die Teile der Bevölkerung ergrif-
fen hätte, entgegenzutreten. Benes bemerkte dabei, sie sei vielfach auf das
„rastlose Marschieren" in Deutschland, das in Zeitungsabbildungen und
Filmen vom Tage dem Publikum gezeigt werde und das man hierzulande
nur begreifen könne als Vorbereitung eines künftigen Krieges, zurückzu-
führen. Er sei geradezu erschüttert gewesen, als er dieselbe Hysterie auch
in breiten Schichten Frankreichs und Englands angetroffen hätte.
Die ganze Unterhaltung blieb zwar, von beiden Seiten gewollt, an der
Oberfläche des Problems. Denn die tiefer liegenden Gegensätze zwischen
beiden Ländern sind mindestens derzeit unlösbar. Aber wenn es wenigstens
gelänge, diese Oberfläche zu glätten und äußerlich ein reibungsloses Neben-
einanderleben herzustellen, so wäre, scheint mir, auch für uns in unserer
jetzigen Lage viel gewonnen.
Die heute früh erschienene Replik Benes' in den Auswärtigen Ausschüs-
sen füge ich bei.7)
DR. KOCH

• (6) Mastny.
(7) Fundort: 9151/E 643 892-95.

100
Nr. 57 10. NOVEMBER 1933

57

3154/D 671 320-22

Der Botschalter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt


Telegramm
Nr. 258 vom 10.11. LONDON, den 10. November 1933 15 Uhr 17
Ankunft: 10. November 18 Uhr 55
RM. 1555
Für Herrn Reichsminister ausschließlich.

MacDonald hat gestern bei Jahresbankett des Lord Mayor eine bedeut-
same politische Rede gehalten, deren ganzer außenpolitischer Teil dem
Abrüstungsproblem und dem Vorgehen Deutschlands gewidmet war. Rede
darstellt einen dringenden Appell an Deutschland zur Rückkehr zur inter-
nationalen Zusammenarbeit. Sie ist kritisch gegenüber Ausscheiden Deutsch-
lands aus Abrüstungskonferenz und Völkerbund, enthält aber verschiedene
Stellen, in denen weitgehendes Verständnis für deutsche Beschwerde und
Bestrebungen und Sympathie für deutsche Wünsche bekundet wird. Wich-
tigste Stellen aus der Rede habe in Telegramm Nr. 257 •) gedrahtet. Voller
Text abgeht heute abend mit Flugpost.
Vor Bankett zog mich MacDonald in ein Gespräch. Er aussprach Bedauern
über Rückzug Deutschlands aus internationaler Zusammenarbeit, worauf
ich kurz unsere Hauptgravamina betreffend Behandlung Abrüstungspro-
blems aufzählte: Preisgabe MacDonald-Plans, Ausschaltung Deutschlands bei
Vorbesprechungen, vierjährige Probezeit, Hinausschiebung Gleichberechti-
gung, einseitige Kontrolle usw. MacDonald verteidigte englisches Vorgehen,
ließ aber vorsichtig durchschimmern, daß er mit Behandlung Angelegenheit
durch Foreign Office nicht ganz einverstanden sei. So sagte er, er habe Er-
gebnis der Vorbesprechungen dieses Sommers keineswegs als bindende Ab-
machungen betrachtet und gewünscht, daß sie auch Deutschland gegenüber
nur als Vorschläge, über die weitere Verhandlungen durchaus möglich
seien, in Erscheinung treten sollten.
Im weiteren Verlauf der Unterhaltung wiederholte MacDonald immer
wieder, man dürfe die Dinge, wie sie sich nun einmal gestaltet hätten, nicht
weiter hinschleppen lassen, sondern müsse darauf bedacht sein, daß wieder
ein internationaler Kontakt geschaffen werde. Wie man dazu kommen solle,
darüber zerbreche er sich den Kopf, und dabei sei ihm der Gedanke ge-
kommen, ob nicht vielleicht ein Besuch des Herrn Reichskanzlers in Lon-
don 2) ein geeigneter Weg sein würde. Es handelte sich bei diesem Gedan-
ken, wie er ausdrücklich betonen wolle, um eine rein persönliche Idee, von
der das englische Kabinett überhaupt nichts wisse. Er spreche mit mir dar-
über nur als Freund und nicht als Ministerpräsident. Jedenfalls sei er aber

(1) Fundort: 3154/D 670 258-61.


(2) Randbemerkung Neuraths: „Ganz abwegig"

101
Nr. 58 10. NOVEMBER 1933

sicher, daß der Herr Reichskanzler in England freundlichste Aufnahme bei


Volk und Regierung finden würde.
Ich bin auf diesen Gedanken, den ich in der Tat für ein rein persönliches
Produkt MacDonalds halte, nicht eingegangen, da ich mir über die viel-
fachen Umstände, die einen solchen Besuch unmöglich machen, natürlich
vollkommen klar bin und da ich selbst für den Fall der Denkbarkeit eines
solchen Besuchs ihn im gegenwärtigen Augenblick nicht für angezeigt hal-
ten würde.
Das Gespräch endete mit der nochmaligen Betonung der Notwendigkeit
durch MacDonald, daß nach Beendigung deutscher Wahl 3 ) ein Weg gefun-
den werden müsse, um internationale Zusammenarbeit wieder in Gang zu
bringen.
Ich werde am Mittwoch, den 15. November bei einem gemeinsamen Be-
kannten in ganz kleinem Kreise mit MacDonald speisen. Natürlich bin ich
mir bewußt, daß ich nur in Kritik und Aufklärung der vergangenen Ereig-
nisse positiv sein kann, während ich mich bezüglich Weiterentwicklung
rezeptiv zu verhalten haben werde.4)
HOESCH
(3) Gemeint ist die Reichstagswahl am 12. November 1933.
(4) Siehe Dokument Nr. 59 und Anm. 6 dazu.

58
9176/E 645 570

Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt


Telegramm
Nr. 67 vom 10. 11. WARSCHAU, den 11. November 1933 1 Uhr 30
Ankunft: 11. November 2 Uhr 50
W. IV Po. 8179
Habe heute mit dem Außenminister Weiterführung der Wirtschaftsver-
handlungen gemäß den in Berlin getroffenen Entscheidungen besprochen.
Beck zusagte, Angelegenheit vor Ministerrat zu bringen und sich für Zu-
standekommen Vereinbarung einzusetzen. Er betonte aber, für Erfolg seiner
Bemühungen nicht garantieren zu können, weil bei gegenwärtiger Wirt-
schaftskrise Einfluß des Außenministeriums auf Wirtschaftsressort gering
sei. Dabei ließ er durchblicken, daß Entwicklung allgemeiner Lage seit Aus-
tritt Deutschlands aus dem Völkerbund nicht ohne Einfluß auf polnisches
Interesse an Regelung deutsch-polnischer Wirtschaftsbeziehungen geblieben
sei. Wenn auch hiesige öffentliche Meinung im Gegensatz zu gewissen ande-
ren Ländern die politische Lage mit Ruhe verfolge, so würde es doch schwer
sein, ohne das Argument großer wirtschaftlicher Vorteile, wie sie Ermög-
lichung einer Kohlenausfuhr nach Deutschland geboten hätte, vorhandene
Widerstände zu überwinden.

102
Nr. 59 11. NOVEMBER 1933

Unterhaltung wurde in betont freundschaftlicher Form geführt; doch fehlte


diesmal die Beteuerung des unbedingten Verständigungswillens, wie sie
von Beck sonst unterstrichen zu werden pflegt.
Da Handelsminister J ) zur Zeit abwesend, wird die mit diesem vorge-
sehene Besprechung der Einzelfragen erst am Mittwoch 2 ) stattfinden kön-
nen. Ich werde daher Verlängerung Provisoriums in die Wege leiten, falls
nicht die Polen ihrerseits Initiative hierzu ergreifen.
MOLTKE

*(i) Zarzyoki.
(2) 15. November.

59
3154/D 671 318-19

Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath


an die Botschatt in London
Telegramm
Nr. 302 BERLIN, den 11. November 1933 17 Uhr 05
zuRM. 15551)
Auf [Telegramm Nr.] 258.
Für Botschafter persönlich.
Der Ihnen gegenüber von MacDonald zum Ausdruck gebrachte Gedanke
einer eventuellen Reise des Reichskanzlers nach England ist natürlich gänz-
lich abwegig. Gründe brauche ich nicht einzeln aufzuführen. Ich bitte jedoch,
MacDonald gelegentlich darauf aufmerksam zu machen, daß ja der eng-
lische Außenminister öffentlich erklärt hat, die Deutschland im Dezember
vorigen Jahres zugestandene Gleichberechtigung2) könne dem jetzigen
Regime in Deutschland nicht gewährt werden. Im gleichen Sinne hat sich
Simon auch in Genf mir gegenüber ausgesprochen. Ferner bitte ich
MacDonald darauf hinzuweisen, daß unsere Wünsche ihm doch eigentlich
bekannt sein müßten, und zwar sowohl aus den Reden des Reichskanzlers
als auch aus den meinigen, ganz besonders aber aus den vom Herrn Reichs-
kanzler dem englischen Botschafter3) gemachten eingehenden Mitteilun-
gen.4) Diesen Mitteilungen hätten wir vorerst nichts hinzuzufügen, und
MacDonald befinde sich in einem Irrtum, wenn er glaube, aus meiner Rede

(i) RM. 1555: Telegramm Hoeschs Nr. 258 vom 10. November, gedruckt als Dokument
Nr. 57.
(2) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Anmerkung der Herausgeber nach Dokument Nr. 8, S. 18.
• (3) Phipps.
(4) Siehe Dokument Nr. 23.

103
Nr. 60 11. NOVEMBER 1933

am 6. November 5 ) herauslesen zu können, daß wir nach den Wahlen mit


neuen Vorschlägen hervortreten würden.8)
NEURATH
(5) Siehe Dokument Nr. 54, Anm. 2.
*(6) In Telegramm Nr. 263 vom 15. November (3154/D 671 330-33) berichtete Hoesch, er habe
an diesem Tage im Hause eines Bekannten eine zweistündige Unterredung mit
MacDonald geführt. MacDonald habe gefragt, „ob Deutschland nicht irgendeinen
Fingerzeig geben könne, der zur Wiederaufnahme des Verhandlungskontakts führen
könnte. Ich beschränkte mich demgegenüber auf Erklärung, daß Deutschland sicherlich
bereit sein würde, auf jede Unterhaltung einzugehen, die man mit ihm zu führen
wünsche, daß aber mit einer deutschen Initiative nicht gerechnet werden könne, eben-
sowenig wie es für Deutschland in Frage komme, den Genfer Schacher nach der alten
Methode wieder aufzunehmen. Die vom Reichskanzler dem englischen Botschafter in
Berlin gemachten Mitteilungen habe ich nicht vorgebracht, da sie MacDonald offenbar
nicht gegenwärtig waren und ich es für taktisch falsch gehalten hätte, sie in diesem
Augenblick vorzubringen".

60
8772/E611 274-76
Autzeichnung des Vortragenden Legationsrats Stieve
BERLIN, den 11. November 1933
e. o. VI A. 2531
Ref.: VLR Roediger
AUFZEICHNUNG FÜR DIE BESPRECHUNG DES HERRN REICHSMINISTERS
MIT HERRN RUDOLF HESS

In dem Schreiben des Herrn Heß an das Auswärtige Amt vom 28. Okto-
ber J) wird mitgeteilt, daß der Volksdeutsche Rat sich wegen der Einzel-
heiten seiner Betätigung mit dem Auswärtigen Amt in Verbindung setzen
werde. Herr Steinadler hat inzwischen um eine Besprechung gebeten. Das
Auswärtige Amt ist hierzu bereit. Es ist zugleich beabsichtigt, dem Volks-
deutschen Rat Gelegenheit zu geben, seine Gedanken dem für Volksdeutsche
Fragen zuständigen interministeriellen Gremium gegenüber zu äußern. In
diesem Gremium sind die Abteilungsleiter und Referenten des Auswärtigen
Amts (federführend), des Reichsministeriums des Innern, des Reichsfinanz-
ministeriums, des Reichswirtschaftsministeriums, des Ministeriums für
Volksaufklärung und Propaganda, des preußischen Staatsministeriums, des
preußischen Ministeriums des Innern, des preußischen Kultusministeriums
und des preußischen Finanzministeriums vertreten.
Die Schaffung des Volksdeutschen Rats ist zu begrüßen, da er ein wert-
volles Mittel zur Vereinheitlichung der Deutschtumsarbeit, besonders im
Interesse der deutschen Volksgruppen im Ausland darstellt. Es muß aber
volle Klarheit darüber bestehen, daß die von dem Volksdeutschen Rat

(i) Siehe Dokument Nr. 31, Anm. 1.

104
Nr. 61 11. NOVEMBER 1933

erbetenen Besprechungen nur auf folgender Grundlage geführt werden


können:
Die Volksdeutsche Arbeit und die Minderheitenfrage sind aufs engste mit
der allgemeinen Außenpolitik des Reichs verknüpft. Die zuständigen
Ressorts werden von dem Volksdeutschen Rat gern jede Anregung hinsicht-
lich der Förderung der Deutschtumsarbeit entgegennehmen und prüfen. Es
muß jedoch die letzte Entscheidung in allen Volksdeutschen und Minder-
heitenfragen der Reichsregierung, insbesondere dem für Außenpolitik ver-
antwortlichen Auswärtigen Amt vorbehalten bleiben.
Auch über Fragen der finanziellen Betreuung des Auslandsdeutschtums
sind die zuständigen Ressorts gern bereit, Anregungen und Vorschläge des
Volksdeutschen Rats entgegenzunehmen. Aber auch auf diesem Gebiet muß
die letzte Entscheidung in allen Fragen, die die amtlichen Fonds oder die
Fonds von solchen Organisationen, die von amtlichen Stellen abhängen
(Deutsche Stiftung, Ossa) 2 ), ausschließlich den zuständigen Ressorts vorbe-
halten bleiben [sie]. Auf diesen letzten Punkt ist Herr Heß in dem Schreiben
des Herrn Reichsministers vom 3. November d. J.3) in Beantwortung seines
Schreibens vom 28. Oktober bereits hingewiesen worden.
Hiermit dem Herrn Reichsminister über den Herrn Staatssekretär erge-
benst vorgelegt. 4 )
STIEVE
(2) Diese unter der Kontrolle des Auswärtigen Amts stehenden Organisationen waren zur
Unternehmensfinanzierung mit dem Zweck der wirtschaftlichen Stärkung deutscher
Minderheiten im europäischen Ausland geschaffen worden. Siehe hierzu Serie D,
Bd. VIII, Dokument Nr. 523, Anm. 2.
(3) In diesem Schreiben (8772/E 611 268-71) war die Einsetzung des Volksdeutschen Rats
vom Auswärtigen Amt grundsätzlich gutgeheißen worden, jedoch unter Hinweis auf die
Tatsache, „daß sowohl die Ossa mit ihren Tochtergesellschaften (Ostsee, Pontus, Ver-
einigte Finanzkontore usw.) als auch die Deutsche Stiftung Organisationen sind, die von
der Reichsregierung zur Durchführung politischer Aufgaben geschaffen worden sind und
die der laufenden Überwachung der aufsichtsführenden Reichsministerien und des
Rechnungshofs des Deutsehen Reichs unterliegen". Zu diesem Hinweis war Neurath
veranlaßt worden durch ein Sehreiben Heß' vom 30. Oktober an die Ossa und andere
Organisationen (9781/E 686 851), daß sie der Gerichtsbarkeit des Volksdeutschen Rats
unterstellt würden.
(4) Randvermerk: „Zur Besprechung] mit Heß w[ieder]v[or]z[u]l(egen]. v. N[eurath] 13. 11."

61
3154/D 670 250-57
Aulzeichnung des Ministerialdirektors Köpke
BERLIN, den 11. November 1933
zuRM. 1549 •)
Mit der auf S. 2 der Aufzeichnung des Herrn Reichsministers über seine
Unterhaltung mit dem französischen Botschafter Francois-Poncet erwähnten

(1) RM. 1549: Dokument Nr. 54

105
Nr. 61 11. NOVEMBER 1933
' • '• (!%k
privaten Unterredung des Botschafters mit mir 2 ) hat es folgende Bewandt-
nis:
Der französische Botschafter, der gegen seine Gewohnheit sich mehrere
Wochen nicht hatte bei mir blicken lassen, sprach mich beim Empfang auf
der englischen Botschaft am 3. d. M. darauf an, daß er mich so lange nidit
aufgesucht habe, und stellte seinen Besuch für Anfang nächster Woche mit
dem Hinzufügen in Aussicht, daß er mir keinerlei amtliche Mitteilung zu
machen habe, aber das Bedürfnis fühle, sich einmal mit mir ganz privat und
freundschaftlich über die ihn außerordentlich beunruhigende außenpolitische
Lage auszusprechen. Herr Francois-Poncet hat mich dann nach dem Empfang
auf der russischen Botschaft am 7. d. M. abends aufgesucht. Er leitete seine
Unterhaltung mit der Bemerkung ein, daß er, wie schon angekündigt, ohne
amtlichen Auftrag, ja ohne vorherige Fühlungnahme mit Paris komme und
sich mit mir lediglich als Privatmann unterhalten wolle. Er hat diesen Hin-
weis im Laufe der Unterhaltung verschiedentlich wiederholt und seine
Zurückhaltung u. a. damit begründet, daß er zu Sarraut und dessen Kreis
keine persönlichen Beziehungen habe, im übrigen auch kaum glaube, daß
die Regierung Sarraut stark genug sei, um mit ihr deutscherseits ein Ge-
spräch, geschweige denn nutzbringende Verhandlungen zu beginnen. Am
Schluß der Unterhaltung bat der Botschafter mich noch einmal, seine Mit-
teilungen als ganz persönliche Ideen, als eine Art Privatstudie zu betrach-
ten und auch zu behandeln. Er bäte mich, nichts darüber zu Papier zu brin-
gen, werde aber, sobald er in Paris etwas klarer sehe, im gleichen Sinne mit
dem Herrn Reichsminister und womöglich auch mit dem Herrn Reichskanzler
zu sprechen suchen.
Dieses vorweg bemerkt, ist über seine Ausführungen in Anknüpfung an
die Niederschrift des Herrn Reichsministers zu bemerken, daß Herr
Francois-Poncet mir gegenüber nicht die Behauptung, daß „Deutschland mit
allen Mitteln aufrüste", zum Ausgangspunkt seiner Unterhaltung genom-
men hat. Herr Francois-Poncet ging vielmehr im Gegenteil davon aus, daß
eine Aufrüstung im Rahmen der Erklärungen, die der Herr Reichskanzler
dem englischen Botschafter3) gegenüber gemacht habe,4) ihm durchaus dis-
kutabel erscheine, wenn man gleichzeitig, wie dies dem Herrn Reichskanzler
selbst offensichtlich vorschwebe, den Status guo der Rüstungen der anderen
Großmächte vertraglich sanktioniere. Der Botschafter ergänzte diese Be-
merkung noch dahin, daß in einem solchen Abkommen bezüglich der schwe-
ren Angriffswaffen auch seitens der hochgerüsteten Staaten Zugeständnisse
möglich und erreichbar erschienen. Eine solche Abrüstungs-Konvention
würde aber vor allem in der angelsächsischen Welt den Widerspruch der
gesamten öffentlichen Meinung finden, da sie sich als eine Aufrüstung
Deutschlands und ein Beibehalten der gefährlichen schweren Rüstungen der
anderen Großmächte darstelle, also keinerlei Fortschritt in Richtung auf die
allseits so heiß ersehnte Abrüstung bringen würde. Insoweit decken sich
also die Ausführungen des französischen Botschafters durchaus mit dem,
was er dem Herrn Reichsminister erklärt hat. Herr Francois-Poncet fügte

*(2) Siehe Dokument Nr. 54


• (3) Phipps.
(4) Siehe Dokument Nr. 23

106
Nr. 61 11. NOVEMBER 1933

noch hinzu, daß man von dem Wort „Aufrüstung" loskommen müßte. Man
müsse etwa von Modernisierung der deutschen Wehrmacht sprechen oder
sonst irgendein anderes, propagandistisch wirksameres Wort ersinnen. Den
Übergang zu den Ausführungen über die Nichtangriffspakte mit Polen und
der Tschechoslowakei sowie über die österreichische Unabhängigkeit und
die Saar, die Francois-Poncet auch mir gegenüber gemacht hat, suchte der
Botschafter durch die Formulierung herzustellen, daß ein demgemäß die
Waffen nicht niederlegendes Europa seinen Völkern die allseitige Friedens-
liebe durch besondere Akte wie die oben erwähnten darlegen müsse. Die
in die Tat umgesetzte, vertragsmäßig sanktionierte Gleichberechtigung
Deutschlands sei für Europa nur erträglich verbunden mit einer treuga dei
für einen möglichst lang bemessenen Zeitraum. Der Botschafter führte dann
in der Unterhaltung mit mir noch des weiteren aus, daß seiner persönlichen
Ansicht nach Abschluß eines Nichtangriffs-Paktes mit Polen durchaus im
Rahmen der Erklärungen liege, die der Herr Reichskanzler seinerzeit in
seiner Reichstagsrede 5) und auch später abgegeben habe. Das gleiche gelte
für den zweifellos weniger schwierigen Abschluß eines Nichtangriffs-Paktes
mit der Tschechoslowakei. Auch bezüglich der Unabhängigkeit Österreichs
glaubte der Botschafter aus verschiedenen Äußerungen des Herrn Reichs-
kanzlers eine Geneigtheit zu einer beruhigenden vertraglichen Zusicherung
des Nichtanschlusses herleiten zu können. Besonders ausführlich äußerte
sich Herr Francois-Poncet dann noch über seine Ideen wegen der Bereini-
gung des Saar-Problems. Diese lassen sich kurz dahin zusammenfassen, daß
er das Saargebiet als Brücke zwischen Deutschland und Frankreich betrach-
tet. Die Saar, die er wiederholt als Zwei-Sprachen-Gebiet 6 ) bezeichnete, sei
wirtschaftlich von Frankreich ebenso abhängig wie von Deutschland. Hier
sei der gegebene Boden für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Herr Francois-
Poncet ließ im Laufe dieser reichlich vagen und zum Teil phantastischen
Ausführungen auch das Wort von der Einrichtung einer Freizone fallen.
Schließlich ging der Botschafter noch auf die Frage ein, wie Verhandlungen
zwischen Frankreich und Deutschland zweckmäßig angebahnt werden könn-
ten. Herr Francois-Poncet schien dabei als selbstverständlich vorauszu-
setzen, daß besonders die Verhandlungen über die vorerwähnten Nicht-
angriffs-Pakte mit Polen und der Tschechoslowakei über Paris zu laufen
haben würden. Er wies wiederholt darauf hin, daß für jede französische
Regierung die Rückkehr Deutschlands in den Völkerbund die selbstver-
ständliche Voraussetzung für den Abschluß eines solchen Vertragswerks
sei. Er meinte aber, daß dieses Axiom der französischen Politik nicht aus-
schließe, daß die Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich un-
mittelbar und außerhalb Genfs begonnen und geführt würden, nur müsse die
Vollendung des Werkes durch die Rückkehr Deutschlands in den Völker-
bund gekrönt werden.

Ich habe mich bei den Ausführungen des Botschafters rezeptiv verhalten
und mich auf gelegentliche Fragen beschränkt, wie z. B., warum er die
Schiedsverträge mit Polen und der Tschechoslowakei im Rahmen von

(5) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Anmerkung der Herausgeber nach Dokument Nr. 246, S. 446.
(6) Randbemerkung Neuraths: „11"

107
Nr. 61 11. NOVEMBER 1933

Locarno 7) nicht für ausreichend halte, was er damit beantwortete, daß [er]
die politische Wirkung dieser absichtlich gegenüber dem Westen differen-
zierten Abkommen nicht für ausreichend halte; wie er sich die Lösung des
Korridor-Problems oder zum mindesten die Aufrechterhaltung dieses An-
spruchs denke, worauf der Botschafter erwiderte, daß man dem berechtigten
Verlangen Deutschlands sicherlich durch entsprechend formulierte Vorbe-
halte Rechnung tragen könne;8) was er sich unter der österreichischen Un-
abhängigkeit vorstelle, worauf es der Botschafter für ausreichend erklärte,
daß man es aufgebe, dauernd vom Anschluß zu reden, geschweige denn
ihn etwa jetzt zu vollziehen. Die Ausführungen des Botschafters über die
Saar waren derartig allgemein und zeugten von so geringem Sachverständ-
nis, daß ich ihm erklärte, eine Unterhaltung über dieses Problem könne auf
der von ihm skizzierten Grundlage überhaupt nicht in Frage kommen.
Zusammenfassend habe ich den Botschafter darauf hingewiesen, daß eine
Initiative Deutschlands in der von ihm angeregten Richtung meiner persön-
lichen Auffassung nach nach Lage der Dinge nicht in Betracht kommen
könne. Es sei jetzt Sache der anderen Großmächte, uns Vorschläge zu unter-
breiten, um so mehr, als auch seine Pläne letzten Endes von einer vorheri-
gen allseits zufriedenstellenden Regelung der deutschen Gleichberechti-
gungsforderung auf dem Gebiete der Abrüstung abhänge [sie].
Ich habe der Unterhaltung, bei der, wie geschildert, Herr Francois-Poncet
so gut wie ausschließlich das Wort führte, zunächst keine besondere Be-
deutung beigelegt. Ich bin dann aber stutzig geworden, als gestern der
belgische Gesandte mich gleichfalls ohne besonderen Anlaß nach seiner
Rückkehr aus Brüssel aufsuchte, um dann im Laufe einer längeren Unter-
haltung über schwebende Angelegenheiten auf das gleiche Thema zu kom-
men, das Francois-Poncet mit mir erörtert hatte. Graf de Kerchove bewegte
sich in den gleichen Gedankengängen und gebrauchte nahezu dieselben
Argumente. Wie wir aus verläßlicher Quelle wissen, hat der französische
Botschafter fast die gleiche Unterhaltung nach dem 7. d. M. auch mit dem
italienischen Botschafter geführt. Herr Francois-Poncet hat dabei Herrn
Cerruti als die ihm vorschwebende Formel etwa folgendes ausgeführt: es
könne Akt genommen werden von den tatsächlichen friedlichen Gefühlen
Deutschlands, die es mit seinem Vorschlag an Frankreich, über das Saar-
problem zu verhandeln, und mit seinem Angebot eines Nichtangriffs-Paktes
an die Tschechoslowakei und Polen klar bekundet habe; man könnte von
ihm Zusicherungen darüber verlangen, daß es die Unabhängigkeit Öster-
reichs respektieren werde,- dagegen würde man Deutschland eine Miliz von
300 000 Mann zubilligen können, desgleichen leichte Tanks und eine ge-
wisse Anzahl Verteidigungsflugzeuge, während die anderen Mächte die
Verpflichtung eingehen müßten, ihre Rüstungen während einer gewissen
Reihe von Jahren nicht zu vermehren. Bezeichnenderweise scheint hiernach
Francois-Poncet dem italienischen Botschafter gegenüber das in der Unter-
haltung mit mir so stark in den Vordergrund geschobene Verlangen der
vorherigen Rückkehr Deutschlands nach Genf nicht wiederholt zu haben.

(7) Siehe S. d. N., Recueil des Traites, Bd. LIV, S. 289-363


(8) Randbemerkung Neuraths: „?"

108
Nr. 62 11. NOVEMBER 1933

Auffällig ist, daß auch der französische Marine-Attache •) kürzlich den


Korvettenkapitän Bürkner vom Stabe des Chefs der Marineleitung aufge-
sucht hat, um diesen nach anfänglicher Unterhaltung über rein maritime
Fragen zu sondieren, was für Absichten die deutsche Regierung auf poli-
tischem Gebiete habe. Herr Bürkner hat die Unterhaltung abgelehnt und
dem zuständigen Referenten im AA entsprechende Mitteilung gemacht.
Nach alledem hat es den Anschein, daß es sich doch wohl nicht nur um pri-
vate Ideen und persönliche Ermittlungsversuche des französischen Botschaf-
ters mehr handelt, sondern daß er seine Unterhaltung zum mindesten im
Einvernehmen mit Paris geführt hat.10)
KÖPKE

(») T r a c o u .
(10) R a n d v e r m e r k : „Hat RK vorgelegen, v. N(eurath] 15. 11."

62
3154/D 670 249
Auizeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von Bülow
BERLIN, den 11. November 1933
zuRM. 1549 J)
Die Gedankengänge des französischen Botschafters sind sehr einfach:
Er will uns die geringe von uns geforderte Aufrüstung mit einer Treuga
Dei bezahlen lassen, die auf eine freiwillige Anerkennung der territorialen
Lösungen des VersaiUer Vertrages hinauslaufen würde. Der Herr Reichs-
kanzler hat dagegen diese bescheidene Aufrüstung als Gegenleistung dafür
gefordert, daß wir zunächst auf die - vertraglich fällige - Abrüstung der
anderen verzichten und uns mit einer Begrenzung ihrer Rüstungen be-
gnügen.
Zur Abwehr der Vorschläge Francois-Poncets können wir geltend machen,
daß Leistung und Gegenleistung in keinem Verhältnis stünden. Für ein
Ostiocarno bzw. eine Treuga Dei müßten wir entweder eine Aufwertung
der Möglichkeiten friedlicher Revision oder effektive Abrüstung der ande-
ren (oder beides) fordern.
Der Botschafter fordert natürlich das Ostiocarno zusätzlich zu den alten
Sicherheiten: No-force,2) Kontrolle usw. Würden wir auf seine Anregungen
eingehen, dann hätten wir nach Ablauf der ersten Abrüstungskonvention,
wenn die Frage der Abrüstung der anderen erneut spruchreif wird, nichts
mehr zu vergeben und wären auf die „moralischen" Druckmittel beschränkt,
die jetzt so offenkundig versagt haben.3)
BÜLOW

*(i) RM. 1549: D o k u m e n t Nr. 54. Siehe auch Dokument Nr. 61.
(2) Siehe Serie C, Bd. I, 1, D o k u m e n t e Nr. 36 u n d 38.
(3) Hschr. R a n d v e r m e r k e : „[Für] Neurath. H[itler]." „Hat RK vorgelegen, v. N(eurath)
11. 11."

109
Nr. 64 11. NOVEMBER 1933

63
8580/E 601 937
Auizeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 11. November 1933
RM. 1554 / IV Chi. 2490
Ich habe heute mit Generaloberst von Seeckt wegen des Wunsches des
Marschalls Chiang Kai-shek J ) gesprochen. Herr von Seeckt, an den der
chinesische Geschäftsträger bereits herangetreten war, sagte mir, er müsse
sich die Antwort, ob er eventuell wenigstens für einige Monate nochmals
nach China gehen könne, vorbehalten. Er habe den Gedanken ganz aufge-
geben gehabt. Wenn er eventuell sich jetzt doch noch dazu bereit finden
würde, so geschehe es nur, weil er der Überzeugung sei, daß im Falle der
Ablehnung der Berufung der Marschall Chiang Kai-shek sich an die Fran-
zosen wenden und damit die deutsche Position in China verloren gehen
würde.
Nach einer Mitteilung des Oberst von Reichenau im Reichswehrministe-
rium wäre das Reichswehrministerium mit einem nochmaligen Hinausgehen
des Generaloberst von Seeckt nach China einverstanden. 2 )
gez. FRHR. V. NEURATH

(i) Siehe die Dokumente Nr. 16 und 48.


(2) Randbemerkung: „Abt. IV. Reichenau hat heute im gleichen Sinne mit mir gesprochen
Ich wies ihn darauf hin, daß es wesentlich sei, daß S|eedct] nur eine Besuchsreise
unternehme und keinen Anstellungsvertrag oder dgl. abschließe. B[ülow] 11. 11."

64
8125/E 581 744-45
Der Stellvertreter des Reichskanzlers von Papen
an den Botschaiter beim Heiligen Stuhl von Bergen
BERLIN, den 11. November 1933
A591
Lieber Herr von Bergen!
Herzlichen Dank für Ihre Zeilen vom 3. d. M. l ) und Ihre dahingehenden
Bemühungen. Bezüglich unserer eigenen Lage hoffe ich auf baldige Ver-
ständigung. Meine mehrfachen Besprechungen, wie zuletzt gestern in Köln,
hatten den Erfolg, daß der Episkopat wahrscheinlich sich damit abfinden
wird, wenn wir bezüglich des Verbändewesens eine der italienischen ana-
loge Regelung treffen, d. h. wenn die katholischen Vereine, auch die der
ersten Kategorie,2) dem Gesamtverband der Hitlerjugend eingefügt werden

(i) Nicht ermittelt.


(2) Siehe Artikel 31 des Reiehskonkordats, Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 371

110
Nr. 65 13. NOVEMBER 1933

u n t e r d e r Bedingung, daß sie eine ausreichende r e l i g i ö s e B e t r e u u n g durch


Geistliche (Balilla-Kapläne 3)) erhalten. Ich h a b e mich a n Erzbischof G r ö b e r
mit d e r Bitte gewandt, ob nicht d e r Episkopat v o n sich a u s e i n e n solchen
V o r s c h l a g m a c h e n wolle. 4 )
M i t herzlichen Grüßen, auch für die v e r e h r t e G a t t i n , I h r aufrichtig e r g e -
bener
PAPEN

(3) Baliila war die Bezeichnung für eine faschistische Jugendorganisation in Italien.
(4) Randbemerkung: „Wie ich vertraulich erfahre, hat der K[ardina]lst[aats]s[ekretär] es
in schroffer Form abgelehnt, den Vermittlungsvorschlag der deutsehen Bischöfe ent-
gegenzunehmen, und darauf hingewiesen, daß für die Behandlung dieser konkordats-
mäßig gebundenen Frage der Heilfige] Stuhl allein zuständig wäre. Der Papst wollte
ursprünglich das diesbezügliche Schreiben des Erzbischofs Gröber unbeantwortet zurück-
schicken lassen. BJergen] 22. 11."

65
8681/E 607 321-33

Autzeichnung des Ministerialdirektors Köpkex)

BERLIN, d e n 13. N o v e m b e r 1933

BEMERKUNGEN ZUR FRANZÖSISCHEN POLITIK


SEIT DEM FORTGANG DEUTSCHLANDS VON G E N F

Entscheidende Bedeutung d e r H a l t u n g Frankreichs.


I. D a ß für die Erfolgsaussichten des v o n d e r d e u t s c h e n Politik in d e r
A b r ü s t u n g s f r a g e am 14. O k t o b e r d. J. e i n g e s c h l a g e n e n W e g e s sich die
H a l t u n g Frankreichs letzten Endes als a u s s c h l a g g e b e n d e r w e i s e n wird,
bedarf k e i n e r n ä h e r e n Darlegung. Bis h e u t e ist d i e s e H a l t u n g noch nicht
k l a r ersichtlich; es läßt sich n u r feststellen, d a ß F r a n k r e i c h j e d e n f a l l s v o n
einem sofortigen scharfen Zupacken, w i e es angesichts d e r h e u t i g e n Situa-
tion im Sinne eines C l e m e n c e a u oder Poincare vielleicht h ä t t e erfolgen
m ü s s e n , A b s t a n d g e n o m m e n hat. Wesentlich ist die F r a g e , o b es mit Sicher-
h e i t d a b e i b l e i b e n wird. Die hierfür b e s t i m m e n d e n M o m e n t e sind e i n m a l

(1) Diese Aufzeichnung wurde als eine von mehreren Anlagen (8681/E 607 334-41) mit
einem Brief Köpkes vom 21. November (8681/E 607 316-20) an den Botschafter in Paris
Köster übermittelt. Köpke führte in seinem Brief aus, die Aufzeichnung sei im Aus-
wärtigen Amt für „interne Zwecke" angefertigt worden. Wenngleich sie inzwischen
durch die Ereignisse in einigen Punkten etwas überholt erscheine, könnte sie vielleicht
für Köster von Interesse sein. Im Auswärtigen Amt sei ein Kommentar des Botschafters
erwünscht.
Abschließend bemerkte Köpke in seinem Brief, „daß es sich bei den in den beiliegen-
den Schriftstücken behandelten Fragen selbstverständlich um Probleme allererster
Ordnung handelt, die privatbrieflich eigentlich nicht behandelt werden sollten. Die
Fragen sind aber noch nicht so spruchreif, daß wir Ihnen in Form eines höheren Ortes
sanktionierten Erlasses die erforderlichen Weisungen zu erteilen in der Lage wären.
Deshalb habe ich diese Form der freundschaftliehen unverbindlichen Verständigung
gewählt. Ich bitte, dies bei der Verwertung des Materials zu berücksichtigen".

111
Nr. 65 13. NOVEMBER 1933

in den Gegebenheiten und Erfordernissen der französischen Innen- und


Außenpolitik zu suchen; als weiterhin entscheidende Faktoren treten hierzu
die Haltung der anderen Großmächte sowie unsere eigenen weiteren Ent-
schlüsse.
Auswirkung der innerpolitischen Lage in Frankreich.
II. Die innerpolitische Lage in Frankreich ist für die Durchsetzung unserer
Gleichberechtigungsforderung verhältnismäßig günstig. Die politische Füh-
rung liegt auch jetzt noch bei der bürgerlichen Linken, die schon, um nicht
mit ihrer eigenen politischen Ideologie in Widerspruch zu geraten, sich
nur schwer zu Gewaltmaßnahmen entschließen wird. Wichtiger ist noch die
Stimmung der französischen Wählermassen, die von kriegerischen Aben-
teuern in ihrer großen Mehrheit nichts wissen wollen. Die Scheu vor einer
Politik der Gewaltmaßnahmen ist heute in Frankreich zudem um so wirk-
samer, als man das unbestimmte Gefühl haben wird, jetzt bei einem Ein-
marsch in deutsches Gebiet nicht nur auf eine lediglich passive Resistenz
wie vor 10 Jahren an der Ruhr zu stoßen, sondern mit unabsehbaren und
blutigen Folgen rechnen zu müssen. Von den Pariser Redaktionsstuben aus
hat man sich zwar seit Jahr und Tag eifrig bemüht, die Deutschfeindlichkeit
der Massen mit dem Schreckgespenst des von Deutschland drohenden Krie-
ges erneut anzufachen, und damit den Erfolg erzielt, daß der Durchschnitts-
franzose den Erklärungen der deutschen Regierung heute mit tiefem Miß-
trauen gegenübersteht. Die Überzeugung von der drohenden deutschen
Revanche, die man dem französischen Volke eingeimpft hat, wird denn auch
nicht von heute auf morgen verschwinden. Aber gerade weil dem franzö-
sischen Volke der Glaube an den kommenden Krieg in dieser Weise beige-
bracht worden ist, haben die Worte des Herrn Reichskanzlers, daß Deutsch-
land Frankreich die Hand zur Versöhnung biete, jenseits der Vogesen trotz
allen bestehenden Mißtrauens doch größere Beachtung gefunden, als die
französische Presse gelten lassen will. Man fragt sich, ob sich die Regierung
nicht mit schwerster Verantwortung belaste, wenn sie die dargebotene
Hand zur Verständigung zurückweise. Die erdrückende Mehrheit des fran-
zösischen Volkes will in Frieden leben, die Währung nicht erneut aufs Spiel
gesetzt wissen und die Staatsfinanzen möglichst ohne eigene Opfer geordnet
sehen. Nur wenn es gelingt, dem Franzosen die Überzeugung von dem
unmittelbaren Bevorstehen eines feindlichen Einfalls in sein Land beizu-
bringen, wird er alles hintansetzen und wie noch stets in der Geschichte in
patriotischer Begeisterung zu den Fahnen eilen.

Möglichkeit eines Umschwungs in Frankreich.


Freilich darf die Hemmung, die diese Volksstimmung für die französische
Politik bildet, auch nicht überschätzt werden. Bismarcks Satz, daß Frank-
reichs Politik jederzeit unter dem Impuls einer oft auffällig geringen, aber
energischen Minorität gestanden habe, gilt auch heute noch. Gelingt es
einer solchen, mit Hilfe der Federn der Pariser Zeitungsschreiber dem fran-
zösischen Volk eine Maßnahme der deutschen Politik als Auftakt eines Ein-
falls nach Frankreich nicht nur hinzustellen, sondern glaubhaft zu machen,
so kann der Umschwung über Nacht eintreten. Die Schwäche des gegen-
wärtigen Kabinetts ist dagegen keine Sicherung, denn gerade wegen dieser

112
Nr. 65 13. NOVEMBER 1933

Schwäche kann es von heute auf morgen hinweggefegt werden, um einem


Kabinett der Union Nationale Platz zu machen.
Verhältnis Frankreichs zum Genfer Völkerbund.
III. Die französische Außenpolitik hat ihre eigene Logik, die vor allen
Dingen die konsequente Weiterverfolgung ihrer bisherigen Linie verlangt.
Wenn das Echo der französischen Presse auf die deutschen Erklärungen
über die Bereitwilligkeit zu einer Verständigung so schlecht ausgefallen ist,
so hat hierzu wesentlich beigetragen, daß diese Erklärungen gleichzeitig den
Auszug Deutschlands aus Genf in sich schlössen. Denn für die französische
Außenpolitik bedeutet Genf nicht nur eine internationale Organisation,
deren man sich bedienen kann oder auch nicht, sondern Frankreichs Politik
hat sich im Laufe der Jahre mit Genf nahezu identifiziert. Besonders seit
dem Ausgang des Ruhrkonflikts von 1923 ist es geradezu der Sinn der
französischen Außenpolitik geworden, die Aufrechterhaltung des VersaiUer
Status quo aus der Atmosphäre des erzwungenen Diktatfriedens in ein in
Genf verankertes völkerrechtlich allein noch maßgebendes System hinüber-
zuführen. Unter diesen Umständen kann es nicht Wunder nehmen, daß den
Franzosen der Gedanke, in dem Augenblick mit Deutschland verhandeln
oder sich gar mit ihm verständigen zu sollen, in dem dieses Genf den Rücken
kehrt, nahezu unverständlich erscheint. Es ist bezeichnend für die in Paris
durch die deutschen Entschlüsse vom 14. Oktober d. J. zunächst einmal her-
vorgerufene Ratlosigkeit, daß trotzdem neben der Wiederholung der be-
kannten These, als Verhandlungsrahmen käme nur Genf in Frage, in der
französischen Öffentlichkeit eine Diskussion darüber entstanden ist, ob
direkte Verhandlungen mit Deutschland in Frage kommen könnten oder
nicht, überwiegend lehnt man diesen Gedanken jedoch ab, und auf die
Stimmung im französischen Parlament wirken sich jedenfalls die geschil-
derten Gegebenheiten der französischen Innen- und Außenpolitik dahin aus,
daß man weder von militärischen Abenteuern noch von Verhandlungen mit
Deutschland etwas hören will.

Frankreich und die Abrüstungsdebatte.


Stattdessen ist in Paris zunächst der Gedanke verfolgt worden, den Faden
der Abrüstungsdebatte in Genf fortzuspinnen, und zwar trotz des schweren
Rückschlages, den man dort durch die deutschen Entschlüsse vom 14. Okto-
ber erfahren hat. Nur langsam hatte man sich in Frankreich zu der Erkennt-
nis durchgerungen, daß ein zu starres Festhalten an den Entwaffnungsbe-
stimmungen des VersaiUer Vertrages doch nicht mehr möglich sei, und sich
so schließlich zu der Unterschrift unter das Genfer Fünf-Mächte-Protokoll
vom 11. Dezember v.J. 2 ) verstanden. Dieses Zugeständnisses wurde man
aber wieder leid, als der Umschwung in Deutschland im Frühjahr d. J. vor
allem in England und in Amerika einen Stimmungswechsel auslöste, der die
taktische Position Frankreichs ohne eigenes Zutun von Woche zu Woche zu
verbessern schien. Fortan war man daran interessiert, das so zurückgewon-
nene Terrain nicht wieder verloren gehen zu lassen. Die antideutsche Stim-
mung und den Glauben an die akute Bedrohung Frankreichs durch das

(2) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Anmerkung der Herausgeber nach Dokument Nr. 8, S. 18.

113

U.l Bg. 8
Nr. 65 13. NOVEMBER 1933

neue Deutschland immer erneut anzufachen, sah man deshalb als wesent-
liche Aufgabe der französischen Presse an und stellte sich folgerichtig allen
beruhigenden deutschen Erklärungen gegenüber taub, da man ja mit der
allgemeinen Beunruhigung Geschäfte machen wollte. Im Oktober d. J. ver-
meinte man dann endlich so weit zu sein, die Früchte dieses Treibens nun
in Genf pflücken zu können. Da blieb der Erfolg plötzlich aus. Die völlig
neue Lage, vor die Frankreich sich dadurch gestellt sieht, wird von ihm
natürlich dazu ausgenutzt werden müssen, um sich für die weitere Entwick-
lung möglichst alle Atouts zu sichern und um Deutschland die Aktionsfrei-
heit, die es sich zurückgenommen hat, möglichst zu erschweren. Beides
müßte der französischen Politik am leichtesten erreichbar sein durch den
einfachen Fortgang der Genfer Abrüstungskonferenz mit dem Ziel der Fer-
tigstellung einer durch Deutschlands Beitritt bedingten Konvention. Gelänge
dies, so wäre Deutschland in die Rolle des Verhinderers des Weltfriedens
gedrängt, und zwar unter Umständen, die Frankreich zugleich der Notwen-
digkeit enthebt, seinerseits zur Abrüstung zu schreiten. Es ist sicher, daß
die französische Politik diesen Weg verfolgen würde, wenn ihr die Haltung
der anderen Großmächte hier nicht einen Strich durch die Rechnung machte.
Enttäuschung Frankreichs durch die Haltung der anderen Großmächte.
IV. Gleich nach der Erklärung des Auszugs Deutschlands aus dem Völker-
bund mußte Paris die höchst unangenehme Erfahrung machen, daß das eben
noch der französischen Öffentlichkeit vorgezauberte Bild einer Einheitsfront
der Großmächte gegen Deutschland sich als trügerisch erwies. Die Ent-
täuschung begann mit der amerikanischen Erklärung, sich an rein euro-
päischen Streitfragen nicht beteiligen zu wollen.3) Schlimmer noch ist für
Frankreich, daß in der englischen öffentlichen Meinung sich eine rückläufige
Bewegung in der Richtung auf ein größeres Verständnis für den deutschen
Standpunkt bemerkbar macht und sich auf die Haltung der englischen Regie-
rung auszuwirken beginnt. Auf Italien schließlich kann man in Paris für eine
Unterstützung des französischen Standpunkts durch dick und dünn unter
keinen Umständen rechnen. Man wird sich in Paris sagen müssen, daß der
Grund für diesen jähen Wechsel der politischen Kulisse in der Befürchtung
der anderen Großmächte zu suchen ist, Frankreich könne vielleicht den Weg
der Gewaltpolitik beschreiten wollen. Es genügt eben, daß die allgemeine
Lage in den Köpfen auch nur den Gedanken an Sanktionen auftauchen läßt,
um die anderen Großmächte zu veranlassen, sich von der französischen
Politik zu distanzieren. Diese Lehre wird dazu beitragen, die französische
Politik vorerst auf friedlichen Bahnen festzuhalten, zumal die Erfahrung des
Ruhrkonflikts von 1923 jedem französischen Politiker die nachhaltige Lek-
tion erteilt hat, daß Frankreich nicht in der Lage ist, die Früchte eines ge-
waltsamen Vorgehens gegen Deutschland in die französischen Scheuern

(3) Während der Sitzung des Büros der Abrüstungskonferenz am 16. Oktober hatte Norman
Davis im Namen der amerikanischen Regierung eine Erklärung verlesen, in der es
hieß, die Vereinigten Staaten seien „not[. . .] interested in the political element or any
purely European aspect of the picture" und „in no way politically aligned with any
European Powers". Für den Text der Erklärung siehe Foreign Relations oi the United
States, 1933, Bd. I, S. 277.

114
Nr. 65 13. NOVEMBER 1933

einzubringen, wenn es sich bei einem solchen Vorgehen zu der Weltmeinung


in Gegensatz stellt.
Hemmung der französischen Politik durch den Vertrag von Locarno.
In der gleichen Richtung wird sich die Tatsache auswirken, daß Frank-
reich heute auch nicht mehr die Aktionsfreiheit von 1923 besitzt. Das Ver-
tragswerk von Locarno ist zweischneidiger Natur; es kann für und gegen
Frankreich wirksam werden. Freie Hand würde es Frankreich nur dann
geben, wenn Deutschland entgegen den Bestimmungen über die Entmili-
tarisierung des linken Rheinufers und der 50-Kilometer-Zone rechtsseits des
Rheins in dieser Zone bewaffnete Kräfte derart zusammenzöge, daß darin
eine unprovozierte Angriffshandlung erblickt werden müßte, die sofortige
Abwehrmaßnahmen erforderlich macht. Geschähe dies, so würde freilich
Frankreichs Position mit einem Schlage überaus günstig sein, da dann sämt-
liche Vertragspartner von Locarno, d. h. England, Italien, Belgien mitsamt
den Polen und Tschechoslowaken, vertraglich verpflichtet wären, Frankreich
Beistand zu leisten. Geschieht dies aber nicht und unterlassen wir jeden
Verstoß gegen die Bestimmungen über die 50-Kilometer-Zone, so wird
Frankreichs Bewegungsfreiheit jedenfalls schon durch die völkerrechtliche
Lage wesentlich behindert.
Behinderung einer deutsch-französischen Verständigung durch dritte
Mächte.
Wirkt sich so die Rücksicht auf die dritten Mächte auf die französische
Politik hemmend aus, so steht sie andererseits in gewisser Hinsicht auch
einer direkten deutsch-französischen Verständigung im Wege. Die Möglich-
keit einer Lösung des Rüstungsproblems in der Weise, daß Frankreich auf
seinem Rüstungsstand verbliebe, aber dafür Deutschland die Aufrüstung bis
zu einer gewissen Grenze gestattet, stößt auf den grundsätzlichen Wider-
stand der angelsächsischen Großmächte gegen jedwede Aufrüstung und
deren Festhalten an dem Gedanken einer moralischen Verpflichtung zum
allgemeinen Abrüsten. Insofern enthält die etwas phrasenhafte Behauptung
der französischen Presse, Deutschland wolle durch ein direktes Verhand-
lungsangebot an Frankreich Frankreich nur von den anderen Mächten tren-
nen, doch einen Kern von Wahrheit.
Somit ergibt sich aus der Notwendigkeit der Rücksichtnahme auf die
anderen Großmächte für Frankreich die Folge, daß es sich sowohl eine Poli-
tik der Gewaltmaßnahmen gegen Deutschland wie auch eine Politik der
direkten Verständigung mit diesem zweimal überlegen muß.
Wille Frankreichs, eine unbegrenzte deutsche Aufrüstung zu unter-
binden.
V. So werden es schließlich die weiteren Entschlüsse der deutschen Re-
gierung sein, die für die französische Haltung den Ausschlag geben werden.
Der deutsche Auszug aus Genf ist in Frankreich zunächst einhellig dahin
aufgefaßt worden, daß Deutschland sich damit die Möglichkeit zu einer von
Kontrollen ungestörten Aufrüstung habe sichern wollen. Daß Frankreich
einer solchen deutschen Aufrüstung einfach ihren Lauf ließe, ist ausge-
schlossen. Schon die Rücksicht auf das eigene Prestige würde Frankreich

115
Nr. 65 13. NOVEMBER 1933

zwingen, sofort gegen Deutschland aktiv vorzugehen, wenn dieses etwa


in formeller Weise den VersaiUer Vertrag oder auch nur dessen Teil V als
für es nicht mehr bindend erklären würde. Aber auch eine mehr oder weni-
ger unsichtbar fortschreitende deutsche Aufrüstung kann Frankreich nicht
ruhig mit ansehen. Es wird deshalb darauf bedacht sein, sich für diesen
Fall die erforderliche Aktionsmöglichkeit zu sichern, was nach Lage der
Dinge in erster Linie durch ein irgendwie geartetes Genfer Mandat ange-
strebt werden müßte. Den Weg hierzu bieten die Investigationsbestimmun-
gen und gegebenenfalls auch der Art. 15 der Völkerbundssatzung. 4 )
Voraussichtliche Wirkung einseitiger deutscher Erklärungen zur
Rüstungsfrage.
In dieser Lage stellt sich die Frage, inwieweit die französische Politik
etwa durch einseitige deutsche Erklärungen über die positiven deutschen
Rüstungsziele beeinflußt werden kann. Hierfür wird es natürlich einmal
von entscheidender Bedeutung sein, ob die in einer solchen deutschen Er-
klärung umrissenen Ziele die Grenze dessen überschreiten, was die fran-
zösische Politik noch als tragbar glaubt hinnehmen zu können. Als weiteres
Moment muß hierbei aber auch die Möglichkeit in Rechnung gestellt wer-
den, daß sich die französische Regierung angesichts einer solchen deutschen
Erklärung sofort einem so scharfen Druck aus der französischen öffentlichen
Meinung und dem französischen Parlament heraus gegenübersieht, daß sie
dazu genötigt ist, unverzüglich mit einem scharfen eigenen Vorgehen zu
antworten. Ein solches Vorgehen, wie es z. B. ein Zusammenberufen des
Völkerbundsrats oder auch nur dringende Demarchen in Berlin darstellen
würden, würde die Gefahr in sich schließen, daß die französische Regierung
damit auf einen Weg gedrängt wird, der sie weiterführen muß, als ihr selbst
erwünscht sein mag. Denn letzten Endes bliebe schließlich doch nur die
Wahl zwischen einem Zurückweichen und Gewaltmaßnahmen übrig, wobei
dann aber der Zeitpunkt zum Zurückweichen bereits verpaßt sein dürfte. So
könnte sich die französische Regierung infolge einer solchen Fortentwick-
lung der Dinge geradezu gezwungen sehen, das Experiment von 1923 mit
dem Ziele der Wahrung und Wiederherstellung des VersaiUer Vertrages
noch einmal zu versuchen. In den Arm fallen wird Frankreich von den ande-
ren Mächten dabei wohl niemand, insbesondere dann nicht, wenn es der
französischen Politik gelingen sollte, England zu einem Mitgehen bei den
vorangegangenen Schritten zu bestimmen oder Beschlüsse des Völkerbunds-
rats herbeizuführen, auf die sie sich berufen könnte.
Dies schließt natürlich nicht jede Mitteilung über die deutschen Rüstungs-
ziele aus, wie denn ja derartige Mitteilungen auch bereits tatsächlich er-
folgt und zur Kenntnis der französischen Regierung gelangt sind. Es muß
auch die Möglichkeit in Rechnung gestellt werden, daß wir vielleicht schon
sehr rasch mit einer genauen Formulierung unserer gegenwärtigen Forde-
rungen auf dem Rüstungsgebiet werden hervortreten müssen. Auch wenn
diese für französische Ohren zunächst schlechthin indiskutabel klingen, wird
man ihnen in Paris schließlich doch näher treten, sofern sie nicht in einer

(4) Artikel 15 der Völkerbundssatzung behandelte Streitigkeiten zwischen Mitgliedern des


Völkerbunds, die dem Völkerbundsrat zur Stellungnahme unterbreitet wurden.

116
Nr. 65 13. NOVEMBER 1933

Form zum Ausdruck gelangen, die die französische Regierung zu sofortiger


formeller Zurückweisung veranlaßt.
Voraussichtliche Bedingungen, von denen Frankreich jede Lösung ab-
hängig machen wird.
Erscheint somit auch eine Lösung der entstandenen Spannung auf weitere
Sicht als immerhin im Bereich des Möglichen liegend, so kann andererseits
doch kein Zweifel darüber bestehen, daß die französische Politik von ge-
wissen Bedingungen nicht abgehen wird, sobald versucht werden sollte,
einer solchen Lösung in Vertragsform näher zu kommen. Es muß jedenfalls
damit gerechnet werden, daß erstens die französische Regierung unter
allen Umständen von Deutschland die erneute Unterwerfung unter ganz
eindeutige Rüstungsbeschränkungen und deren Garantierung durch eine
internationale Kontrolle verlangen wird. An dieser Forderung wird die
französische Politik um so sicherer festhalten, als auch die anderen Groß-
mächte den Gedanken einer Regelung des Rüstungsproblems durch eine
internationale Abrüstungskonvention keineswegs aufgegeben haben.
Zweitens wird die französische Politik auf das hartnäckigste auf der Vor-
aussetzung bestehen, daß jedes Gespräch mit Deutschland nur zu dem Zweck
geführt werden kann, um es nach Genf, d. h. in den Rahmen des Völker-
bundes, zurückzuführen. Auch in diesem Punkte kann Frankreich auf die
Unterstützung der großen Mehrzahl der Mächte rechnen.
Drittens ist es selbstverständlich, daß die französische Regierung in dem
Maße, in dem sie uns über die Grenze ihres bisherigen Entgegenkommens
hinaus Zugeständnisse auf dem Rüstungsgebiet etwa zu gewähren bereit
sein sollte, von uns Zugeständnisse auf anderen Gebieten verlangen wird,
mit denen sie eine unserem Standpunkt Rechnung tragende Lösung ihrem
Parlament und den französischen Alliierten gegenüber vertreten könnte. Sie
bliebe nur den Traditionen der französischen Politik treu, wenn sie derartige
deutsche Zugeständnisse auf dem Gebiete der „Sicherheit" zu erlangen
suchte. Den Anknüpfungspunkt hierzu bietet ihr die Erklärung der Reichs-
regierung vom 14. Oktober über unsere Bereitwilligkeit zum Abschluß
kontinentaler Nichtangriffspakte auf längste Sicht.5) Die Franzosen werden
dies in ein „Ostiocarno" umzumünzen suchen, und dazu werden voraussicht-
lich noch die Forderung nach Garantien gegen den Anschluß Österreichs an
das Reich sowie möglicherweise auch nochmals Wünsche in Richtung auf
einen europäischen Pakt über die gegenseitige Beistandspflicht treten.

Schlußfolgerungen.
VI. Soweit sich die Dinge heute übersehen lassen, ergibt sich somit fol-
gende Alternative:
1) Eine Verständigung mit Frankreich erscheint immerhin denkbar und
kann von der deutschen Politik angestrebt werden. In diesem Falle müssen
wir jedoch damit rechnen, daß man weitgehende Zumutungen, insbesondere
auf dem Gebiete der Sicherheitsgarantien („Ostiocarno") an uns stellen
wird. Wieweit es möglich sein wird, bei etwa sich anspinnenden Verhand-
lungen diese Zumutungen auf ein für uns erträgliches Maß zurückzuführen,

(5) Dokument Nr. 1

117
Nr. 66 13. NOVEMBER 1933

muß noch dahingestellt bleiben. Einen starken Trumpf haben wir mit der
Möglichkeit der Erklärung in der Hand, Deutschland betrachte seine An-
sprüche auf die Abrüstung seiner VersaiUer Vertragsgegner durch seine
Entbindung von den Bestimmungen des VersaiUer Vertrags über Deutsch-
lands Entwaffnung als erledigt. Ein Ausspielen dieses Trumpfes könnte uns
aber leicht bei dem Fortgang der Verhandlungen das Mitgehen Englands
rauben, dessen mäßigender Einfluß auf Frankreich jedoch schwer zu ent-
behren sein wird.
2) Auf der anderen Seite steht eine Fortdauer der entstandenen Span-
nung, während deren Frankreich bemüht sein wird, den Ring um uns immer
enger zu schließen, um nötigenfalls doch unter Hintansetzung seiner heute
noch bestehenden Hemmungen schließlich mit seinen Trabanten zum ver-
nichtenden Schlage gegen die wiedererstarkende deutsche Wehrmacht aus-
zuholen. Diese Gefahr könnte vielleicht gebannt werden, wenn es uns ge-
länge, die anderen Großmächte von Frankreich weg - und zu unserem
Standpunkt herüberzuziehen. Bei der grundsätzlichen Ablehnung jeder Auf-
rüstung durch England und Amerika und der betonten Zurückhaltung
Italiens sind die Aussichten hierfür jedoch nicht allzu günstig.
Angesichts dieser Alternative dürften für unser weiteres Verhalten zu-
nächst folgende Gesichtspunkte in den Vordergrund zu stellen sein:
1) Eine weitere Klärung der Lage ist abzuwarten, wobei jedoch sich an-
bahnenden Besprechungen, die zu dieser Klärung beitragen könnten, nicht
ausgewichen werden sollte.
2) Es muß eine präzise Formulierung unserer gegenwärtigen Forderungen
auf dem Rüstungsgebiet vorbereitet werden, damit wir in der Lage sind,
mit einer solchen Formulierung im gegebenen Zeitpunkt hervorzutreten.
3) Gegenüber den zu erwartenden Forderungen nach ergänzenden Sicher-
heitsgarantien werden wir zweckmäßig eine mehr hinhaltende Taktik ver-
folgen müssen, um die auf diesem Gebiet möglichen Konzessionen nicht vor-
zeitig aus der Hand zu geben.
KÖPKE

66
9452/E 666 883-87
Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath
an den Botschalter in Moskau Nadolny (z. Z. Berlin)])
BERLIN, den 13. November 1933
IV Ru. 4969 I
In der Anlage beehre ich mich, Ihnen die Richtlinien für ihre Tätigkeit
als Botschafter in Moskau zu übersenden. Ich habe dem Herrn Reichskanzler

(1) Randvermerk: ,H[errn] Botschafter Nadolny persönlich übergeben."

118
Nr. 66 13. NOVEMBER 1933

v o n der Instruktion für Sie Mitteilung gemacht. Der Herr Reichskanzler hat
die „Richtlinien" gebilligt.
gez. NEURATH

[Anlage]
RICHTLINIEN FÜR HERRN BOTSCHAFTER NADOLNY
ANLÄSSLICH SEINER ENTSENDUNG ALS BOTSCHAFTER NACH MOSKAU

BERLIN, den 11. N o v e m b e r 1933


e. o. IV Ru. 4969
1.) Als allgemeine Grundlage unserer Beziehungen zur Sowjet-Union
h a b e n die Ausführungen des Herrn Reichskanzlers in seiner Reichstagsrede
v o m 23. März 1933 2) zu gelten:
„Gegenüber der Sowjet-Union ist die Reichsregierung gewillt, freund-
schaftliche, für beide Teile nutzbringende Beziehungen zu pflegen. Gerade
die Regierung der nationalen Revolution sieht sich zu einer solchen posi-
tiven Politik gegenüber Sowjet-Rußland in der Lage. Der Kampf gegen den
Kommunismus in Deutschland ist unsere innere Angelegenheit, in den wir
Einmischungen von außen niemals dulden werden. Die staatspolitischen
Beziehungen zu anderen Mächten, mit d e n e n uns wichtige gemeinsame
Interessen verbinden, w e r d e n davon nicht berührt."
2.) Die vertragliche Grundlage bilden nach wie vor die bestehenden Ver-
träge zwischen Deutschland und der Sowjet-Union, und zwar insbesondere:
a) der Rapallo-Vertrag, 3 )
b) der Berliner Vertrag, 4 )
c) das V e r t r a g s w e r k vom 12. Oktober 19'25.B)
3.) Auf dieser Grundlage sind die Beziehungen so zu gestalten, daß
Deutschland in der Sowjet-Regierung wieder einen wertvollen Faktor für
seine Außenpolitik erhält und daß die Sowjet-Union ein lohnendes Feld
für die deutsche wirtschaftliche Betätigung bietet.
4.) Im Hinblick auf die gegenwärtige Spannung kommt es zunächst darauf
an, wieder eine bessere Atmosphäre herzustellen, auf ihrer Basis eine Eli-
minierung der vorhandenen Streitpunkte herbeizuführen, die zum Teil aus
d e r Verschiedenheit der beiden Staatssysteme erwachsenden Mißhellig-
keiten zu beseitigen und ihrer Wiederholung für die Zukunft vorzubeugen.

(2) Der Text der Rede ist abgedruckt in Domarus, Hitler Reden, Bd. I, S. 229-37.
(3) Der Text des deutsch-russischen Vertrages von Rapallo vom 16. April 1922 ist abge-
druckt in Reichsgesetzbfatt, 1922, Teil II, S. 677-78.
*(4) Freundschaftsvertrag zwischen Deutsehland und der Union der Sozialistischen Sowjet-
republiken vom 24. April 1926. Der Text ist abgedruckt in Serie B, Bd. II, 1, Dokument
Nr. 168. Der Vertrag wurde durch ein am 5. Mai 1933 ratifiziertes Protokoll ver-
längert; siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 212.
*(5) Vertrag zwischen dem Deutsehen Reich und der Union der Sozialistischen Sowjet-
republiken vom 12. Oktober 1925, der ein Abkommen über Niederlassung und allge-
meinen Rechtsschutz, ein Wirtschaftsabkommen, ein Eisenbahnabkommen, ein See-
schiffahrtsabkommen, ein Steuerabkommen, ein Abkommen über Handelsschiedsgerichte
und ein Abkommen über gewerblichen Rechtsschutz umfaßte. Der Text des Vertrages
ist abgedruckt in Reichsgesetzblatt, 1926, Teil II, S. 2-88, 139-42.

119
Nr. 66 13. NOVEMBER 1933

Die Verträge müssen wieder sinngemäß und voll zur Anwendung gebracht
werden. Bei alledem ist nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit zu ver-
fahren. Nach Lage der Dinge wird der Prozeß einer freundschaftlichen Ge-
staltung der Beziehungen eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen; es wäre
schädlich, das zu erhoffende Ergebnis durch allzu großes Empressement
forcieren zu wollen.
5.) Insbesondere ist auf folgendes Bedacht zu nehmen:
a) Politisch: Gute deutsch-sowjetische Beziehungen sind für Deutschland
von wesentlicher Bedeutung. Im Verhältnis Deutschlands zu Polen sind sie
sogar von außerordentlicher Wichtigkeit. Es wird in vorsichtiger Weise zu
klären sein, wohin in dieser Beziehung die wirklichen Ziele der sowjetischen
Außenpolitik gehen und ob diese noch, wie früher, gewillt ist, das VersaiUer
System abzulehnen. Nötigenfalls muß versucht werden, die sowjetische
Politik wieder in die alten Bahnen zurückzulenken. Wir können und brau-
chen es nicht zu bekämpfen, daß die Sowjet-Regierung ihre Beziehungen zu
anderen Mächten, wie Polen und Frankreich, normalisiert. Was aber natür-
lich verhindert werden muß, ist eine Eingliederung der Sowjet-Union in eine
irgendwie gegen Deutschland gerichtete politische Front. In bestimmten
Einzelfragen wird das Interesse Deutschlands darin liegen, sich in die Aus-
einandersetzung zwischen der Sowjet-Union und ihren Nachbarstaaten in
geeigneter Weise einzuschalten.
Das gute Verhältnis zwischen der Reichswehr und der Roten Armee ist
zu pflegen.
b) Wirtschaftlich: Für die deutsch-sowjet-russischen Wirtschaftsbeziehun-
gen gelten die in Artikel 1 des Wirtschaftsabkommens vom 12. Oktober
1925 niedergelegten Richtlinien. Es muß weiterhin unser Bestreben sein, der
deutschen Industrie einen möglichst großen Anteil am Rußlandgeschäft zu
sichern. Es muß aber auch darauf Bedacht genommen werden, den russi-
schen Erzeugnissen einen entsprechenden Absatz auf dem deutschen Markt
zu sichern, um der Sowjet-Regierung die Abdeckung ihrer Verpflichtungen
gegenüber Deutschland zu erleichtern. Diese Interessen müssen miteinander
in Einklang gebracht und die notwendige Stabilität des Warenverkehrs muß
hergestellt werden.
c) Hinsichtlich der beiden Staatssysteme: Die grundsätzliche Verschieden-
heit der beiden Staatssysteme braucht kein Hindernis für die gedeihliche
Weiterentwicklung der deutsch-sowjetischen Beziehungen zu sein. Dabei ist
jedoch an dem Grundsatz festzuhalten, daß alle Versuche einer Beeinflus-
sung der inneren Angelegenheiten des anderen Landes zu unterbleiben
haben (Rundfunk, Presse).
6.) Bei den Schwierigkeiten unserer Beziehungen zur Sowjet-Regierung
erfordert die Lösung der gestellten Aufgaben, daß ein besonders enger und
ständiger Kontakt der Botschaft in Moskau mit dem Auswärtigen Amt be-
steht. Auf die Aufrechterhaltung dieses Kontakts, im Bedarfsfalle durch
mündliche Aussprache in Berlin, ist daher von dem Botschafter besonders
zu achten.

120
Nr. 67 13. NOVEMBER 1933

67
8038/E 578 119-22
Ministerialdirektor Ritter an den Botschafter in Rom von Hassell
BERLIN, den 13. November 1933
Lieber Herr von Hassell,
wir haben die kürzliche Anwesenheit von Herrn Smend ') dazu benützt,
mit ihm Ihre Anregung deutsch-italienischer Punktationen über eine ge-
meinsame Wirtschaftspolitik im Donauraum zu besprechen. Herr Smend hat
zuerst mit den Herren von Bülow und Köpke gesprochen und dabei fest-
gestellt, daß die beiden nach wie vor solche Punktationen für eine nützliche
Idee halten. Daß ich der gleichen Auffassung bin, wissen Sie aus unserem
Briefwechsel.2) Wenn Sie seinerzeit keine ausdrückliche Instruktion erhal-
ten haben, diese Anregung weiter zu verfolgen, so lag dies nur daran, daß
Herr Köpke seinerzeit erkrankte und ich für einige Wochen nach Genf
reiste.
Die Frage ist, ob der Gedanke solcher Punktationen nach den zwischen-
liegenden Ereignissen, insbesondere nach dem italienischen Memorandum,3)
heute noch von neuem aufgegriffen und verfolgt werden kann. Ich glaube,
da müssen wir hier uns in erster Linie auf Ihr Urteil verlassen. Es ist von
hier aus etwas schwer, sich laufend ein klares Bild davon zu machen, welche
Absichten, insbesondere in den zeitlichen und taktischen Nuancen, die
italienische Regierung für die Weiterverfolgung ihres Donaumemorandums
hat. Ich sehe die Dinge für den Augenblick und für die nächste Zeit wie
folgt.
Zur Zeit bestehen hinsichtlich der Wirtschaftsfragen im Donauraum zwei
Aktivitätszentren, das eine in Rom, das andere in Prag. Rom hat seine Pläne
offen dargelegt und zur diplomatischen Diskussion gestellt. Nur weiß an-
scheinend zur Zeit niemand recht, wie diese diplomatische Diskussion wei-
tergehen soll. Prag läßt seine Pläne in einem gewissen Halbdunkel. Die
Beschlüsse von Sinaia 4 ) sind offiziell nicht veröffentlicht worden. Halboffi-
ziell oder bei besonderen Gelegenheiten, wie bei der kürzlichen außen-
politischen Debatte im tschechoslowakischen Parlament, läßt Benes darüber
aber so viel verlauten, als ihm notwendig erscheint, um später gegebenen-
falls sagen zu können: „Aber ich habe aus diesen Absichten ja keinen Hehl
gemacht; ich habe sie ja ganz offen angekündigt". In einer Aufzeichnung
über meine Genfer Eindrücke in dieser Frage, die der Botschaft mit Erlaß
vom 17. Oktober 1933 - Nr. W. 7317 II - 5 ) zugegangen ist, habe ich zu
diesem Punkte gesagt: „Das Hauptziel von Benes ist, die Großmächte aus
der weiteren Behandlung und Entwicklung der Donaufragen herauszuhal-
ten . . . Er hat geäußert, daß ihm das gleiche (Zusammenschweißung der

(i) Siehe Dokument Nr. 28.


• (2)Siehe Dokument Nr. 28 und Anm. 7 dazu.
(3) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 485, Anm. 6.
(4) Vom 25. bis 27. September hatte in Sinaia in Rumänien der Ständige Rat der Kleinen
Entente getagt.
(5) Fundort: 8036/E 578 006-10.

121
Nr. 67 13. NOVEMBER 1933

Kleinen Entente) auch auf wirtschaftlichem Gebiet gelingen werde, wenn


er nur die Großmächte fernhalten könne." Diese damaligen Genfer Ein-
drücke haben eine Bestätigung erfahren durch die Darlegungen, die Benes
kürzlich zu diesem Punkt im tschechoslowakischen Parlament gemacht hat.8)
Herr Benes hat es für angebracht gehalten, der deutschen Regierung seine
Darlegungen im Parlament - für die Versendung anscheinend im Detail noch
etwas weiter ausgearbeitet - durch die hiesige tschechoslowakische Gesandt-
schaft überreichen zu lassen. Ich habe daraus einen Auszug über die wirt-
schaftlichen Ausführungen machen lassen. Ein Erlaß darüber geht der
Botschaft noch zu.7) Das Wesentlichste bei den Plänen von Benes scheint
mir dabei zu sein, daß er alles im Rahmen der Kleinen Entente machen will
und ängstlich darauf bedacht ist, die Großmächte fernzuhalten. Berlin und
Paris stehen den Bestrebungen dieser zwei Aktivitätszentren zur Zeit in
einer etwas abwartenden taktischen Haltung gegenüber. Berlin und Paris
haben beide Wert darauf gelegt, nach außen hin ihre Sympathien für das
italienische Donaumemorandum laut werden zu lassen. Ich glaube, daß
dabei die sachliche Zustimmung Berlins ernsthafter zu werten ist als die von
Paris. Für mich wenigstens besteht kein Zweifel, daß Paris sachlich und
politisch hinter den Prager Plänen steht und dem italienischen Memorandum
nur aus taktischen Gründen zustimmt, um die Hände in der Weiterverfol-
gung dieses Planes zu behalten.
Wenn diese meine Auffassung begründet ist, dann könnte es vielleicht
der italienischen Regierung nicht unerwünscht sein, mit Deutschland Punk-
tationen in Ihrem Sinne auch heute noch abzumachen. Solche Punktationen
könnten für die italienische Regierung den Vorteil haben, daß sie bei der
weiteren Auseinandersetzung zwischen den beiden Aktivitätszentren auf
jeden Fall Deutschland durch ein Vertragsinstrument intern auf ihrer Seite
hat. Darin könnte eine wertvolle Sicherheit liegen. Denn wenn es auch
richtig ist, daß Deutschland infolge seiner eigenen neueren Agrarpolitik
heute für Rumänien und Jugoslawien nicht mehr die gleiche Bedeutung hat
wie vor drei Jahren, so ist es doch auch heute noch so, daß ohne oder gegen
Deutschland im Donauraum wirtschaftlich etwas Grundlegendes nicht ge-
schehen kann. Außerdem läge in der Tatsache solcher Punktationen aber
auch nach außen hin eine Stärkung Roms gegenüber Prag, denn die Tatsache
solcher Punktationen bliebe nach außen hin doch nicht unbekannt, besonders
wenn man in Rom und Berlin keinen besonderen Wert auf ihre Geheim-
haltung legte. Ein Bedenken hinsichtlich unserer sachlichen Vorbehalte zu
einigen Punkten des italienischen Donaumemorandums würde ich in solchen
Punktationen nicht sehen, denn die Punktationen in Ihrer Fassung oder auch
in einer etwas abgeänderten Fassung legen uns ja bezüglich dieser Vorbe-
halte gegenüber dem italienischen Memorandum (Bevorzugung der Länder
mit passiver Handelsbilanz und Bevorzugung Triests) nicht fest. Auch die
noch im Fluß befindliche Österreich-Frage kann an der Stellungnahme nichts
ändern.
So sehe ich die Dinge und komme daher für mich zu dem Ergebnis, daß es

(8) Siehe Dokument Nr. 56, Anm. 3


(7) Fundort: 9608/E 678 125-34.

122
Nr. 68 15. NOVEMBER 1933

auch heute unter veränderten Verhältnissen vielleicht möglich sein könnte,


Ihren Gedanken der Punktationen noch weiter zu verfolgen. Herr von Bülow
und Herr Köpke haben diesen Brief gelesen und ihm zugestimmt. Es würde
uns sehr interessieren, Ihre Auffassung dazu zu erfahren.8)
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
RITTER

(8) In einem Aktenvermerk für Bülow vom 29. November (3086/D 617 030), der Neurath
vorlag, vermerkte Ritter, er habe in Berlin mit Hassell die Frage besprochen, ob das
italienische Donaumemorandum noch schriftlich beantwortet werden solle. Sie seien
beide der Meinung gewesen, daß es zur Zeit nicht angebracht wäre, eine schriftliehe
Antwort zu geben. Sie hätten verabredet, daß Hassell die weiteren Absichten der
italienischen Regierung bezüglich des Donaumemorandums erkunden und in der ent-
sprechenden Unterredung die Überleitung zu den früher behandelten Punktationen
suchen solle. Wenn sich die italienische Regierung zu einer Vertiefung des Gesprächs
in dieser Richtung bereit zeige, solle Hassell versuchen, zu solchen Punktationen zu
kommen. Siehe auch den Bericht Hasseils über seine Unterredung mit Mussolini am
6. Dezember, gedruckt als Dokument Nr. 104.

68
3086/D 618 270-74

Aufzeichnung des Ministerialdirektors Köpke1}


BERLIN, den 15. November 1933
[II Ts. 1459] 2)
Der tschechoslowakische Gesandte Mastny, der mich heute nach seiner
Rückkehr aus Prag aufsuchte, überreichte zunächst die anliegende Verbal-
note,3) worin sich die Gesandtschaft erneut über den Sudetendeutschen Hei-
matbund beschwert. Herr Mastny fügte hinzu, daß er in Prag von allen
maßgebenden Stellen immer wieder auf die verhetzende und für die
beiderseitigen Beziehungen so gefährliche Tätigkeit des Sudetendeutschen
Heimatbundes angesprochen worden sei und darauf von Benes den aus-
drücklichen Auftrag erhalten habe, die Angelegenheit abermals beschwerde-
führend im AA zur Sprache zu bringen. Auf Weisung seiner Regierung
müsse er um schriftliche Beantwortung bitten.
Ich erwiderte dem Gesandten, daß wir inzwischen bereits Schritte in der
von ihm seinerzeit gewünschten Richtung unternommen hätten. Der Sude-
tendeutsche Heimatbund sei zur Zeit in personellem und organisatorischem
Umbau begriffen, und ich hoffte, daß schon durch diese Maßnahme den
tschechischen Beschwerden künftig Rechnung getragen würde. Selbstver-

*(l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 16. [11.]"


(2) Die Journalnummer wurde einer anderen Ausfertigung des vorliegenden Dokuments
entnommen.
(3) Fundort: 9681/E681 689-95.

123
Nr. 68 15. NOVEMBER 1933

ständlich würden wir trotzdem die vorliegende Beschwerde den zuständigen


Stellen zuleiten und ihm demnächst die gewünschte schriftliche Antwort er-
teilen.
Der Gesandte berichtete im übrigen von seinem Aufenthalt in Prag, daß
er mit großer Befriedigung habe feststellen können, daß zweifellos in der
allgemeinen Stimmung der Beginn einer gewissen Beruhigung zu spüren sei.
Er wies in diesem Zusammenhang besonders auf das zweitinstanzliche Urteil
hin, das im Brünner Jungsturm-Prozeß 4) inzwischen ergangen sei und das
die auch seiner Ansicht nach überaus bedenklichen Schlußfolgerungen der
ersten Instanz nicht mitgemacht habe. Auch das in einer Hultschiner Sache
ergangene Urteil in Gitschin trage dieser besseren Einsicht der inzwischen
höheren Ortes mit entsprechender Belehrung und Weisung versehenen
Gerichte Rechnung.
Ich habe diese Tatsache mit einigen freundlichen Worten der Anerken-
nung für die offensichtlich erfolgreiche Vermittlertätigkeit des Gesandten
in Prag quittiert.
Herr Mastny gab zu, daß er allerdings persönlich alle Hebel in Bewegung
gesetzt habe, um eine weitere Verschärfung des Konflikts zu verhindern.
Er könne mir mit der Bitte um zunächst vertrauliche Behandlung sogar
sagen, daß er Benes bestimmt habe, die Begnadigung der verurteilten 10
Ascher Reichsdeutschen5) in die Wege zu leiten. Es werde zwar noch einige
Zeit vergehen, bis die Begnadigung ausgesprochen werde, sie sei ihm aber
so gut wie bestimmt zugesichert worden. Er hoffe nur, daß inzwischen nicht
neue Unruhe und Gereiztheit in die beiderseitige Presse und sonstige
Öffentlichkeit getragen werde. In dieser Hinsicht habe er gewisse Besorg-
nisse wegen des Verlaufs des Prozesses, der kürzlich in Prag in einem der
sog. Kass-Fälle gegen einen ehemaligen SA-Mann gespielt habe. In diesem
Verfahren habe der übrigens jüdische Anwalt des Angeklagten in unerhör-
tester Weise Greuelpropaganda getrieben und u. a. den Antrag gestellt,
einen umfangreichen Zeugenbeweis wegen der in den deutschen Konzentra-
tionslagern angeblich vorgekommenen Greuel zuzulassen. Das Gericht habe
diesen Antrag sofort als nicht zur Sache gehörig abgelehnt. Immerhin fürchte
er, daß die unerhörte Rede des Anwalts in der deutschen Presse vielleicht
aufgegriffen werden und in Verkennung der Sachlage zu neuen heftigen
Ausfällen gegen die tschechischen Gerichte Anlaß bieten könnte. Er mache
mich auf diesen Fall, über den er bis jetzt in unserer Presse noch nichts ge-
lesen habe, für alle Fälle lieber von sich aus aufmerksam.
Auf den in der Unterhaltung zwischen Benes und dem Gesandten Koch in
Prag erörterten Gedanken des Austausches der beiderseitigen politischen
Gefangenen 6) kam Herr Mastny nicht zu sprechen. Auch über die Presse-
verbote haben wir uns nicht unterhalten. Des weiteren erwähnte der Ge-
sandte diesmal den Fall Tschuppik 7 ) nicht. Herr Mastny war offensichtlich
in zeitlicher Bedrängnis, da er sich von mir aus zu der Eröffnung der Reichs-
kulturkammer begeben mußte.

(4) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 326 und Anm 3 dazu
(5) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 326.
(6) Siehe Dokument Nr. 56.
(7) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 429 und Anm. 6 dazu

124
Nr. 68 15. NOVEMBER 1933

Im Aufbruch brachte der Gesandte das Gespräch noch kurz auf das Pro-
blem der Nichtangriffs-Pakte, von dem vor allem in der polnischen Presse in
den letzten Tagen so viel die Rede sei. Herr Mastny stellte keine präzise
Frage, sondern beschränkte sich auf die Bemerkung, daß doch wohl an dem
Gerede von einem deutsch-polnischen Nichtangriffs-Pakt irgend etwas daran
sein müsse, denn auch ihm sei deutscherseits die Frage der Möglichkeit
eines deutsch-tschechoslowakischen Nichtangriffs-Paktes kürzlich von sehr
beachtlicher Seite gestellt worden. Der Gesandte erläuterte die Andeutung
mit der Bitte um streng vertrauliche Behandlung dahin, daß es sich um eine
Persönlichkeit aus der Umgebung des Kanzlers selbst gehandelt habe. Wer
dies gewesen ist, wollte mir der Minister nicht sagen.8) Er habe auf die
Anfrage lediglich geantwortet, daß er sich keinen Gesandten irgendeines
Landes denken könnte, der sich gegenüber einer solchen Möglichkeit, die
Beziehungen zwischen seinem Heimatland und Deutschland zu vertiefen
und zu festigen, ablehnend verhalten könnte. Andererseits könne er in Prag
keinerlei Schritte in dieser Richtung, ja nicht einmal, ohne den Erfolg von
vornherein zu gefährden, Sondierungsversuche unternehmen, wenn er nicht
in die Lage versetzt würde, damit konkrete Vorschläge zu verbinden. Mir
gegenüber wolle er aber rein persönlich seine Auffassung dahin präzisieren,
daß er es für ausgeschlossen halte, daß im augenblicklichen Stadium der
Dinge Verhandlungen mit der Tschechoslowakei über einen Nichtangriffs-
pakt zu einem beide Länder befriedigenden und für den Frieden Europas
wirklich nützlichen Abkommen führen könnten. Die Tschechoslowakei sei
nicht nur durch ihre freundschaftlichen und vertraglichen Beziehungen zu
Frankreich gebunden, sondern würde bei einem solchen Nichtangriffs-Pakt
auch auf die gleichfalls vertraglich festgelegte Konstruktion der Kleinen
Entente, ja auch auf die tschechischen Beziehungen zu Polen Rücksicht
nehmen müssen. Ohne entsprechende Vorbehalte wäre ein deutsch-tschecho-
slowakischer Nichtangriffs-Pakt seiner Ansicht nach nicht möglich. Die
grundlegende Voraussetzung für solche Verhandlungen sei seines Erachtens
daher die Bereinigung des deutsch-französischen Verhältnisses. Er erinnere
daran, daß auch Benes immer wieder erklärt habe, daß die deutsch-tschecho-
slowakischen Beziehungen letzten Endes von dem deutsch-französischen
Verhältnis abhängig seien. Das hindere selbstverständlich nicht, daß Prag
und Berlin jederzeit in unmittelbaren Verhandlungen die zwischen den
beiden Ländern zur Zeit leider bestehenden Differenzen in freundschaft-
lichem Einvernehmen zu bereinigen suchen. Der Gesandte erinnerte dann
noch an unseren Locarno-Schiedsvertrag und an den Kellogg-Pakt, worin
doch für beide Länder ausreichende Gewähr vor kriegerischen Unterneh-
mungen geboten sei. Ein Nichtangriffs-Pakt zwischen der Tschechoslowakei
und Deutschland dürfe sich nicht rein negativ auf gegenseitiger Furcht vor
Angriffen aufbauen, sondern müsse, so schloß der Gesandte seine Aus-
führungen, die beiderseitige Freundschaft in konstruktiver Weise zum Aus-
druck bringen.

KÖPKE

(8) Siehe Dokument Nr. 15

125
Nr. 69 15. NOVEMBER 1933

69
6177/E 463 472-73
Ministerialdirektor Meyer an die Gesandtschaft in Warschau
Telegramm
Cito [BERLIN, den] 15. November 1933
Vorrang Abgesandt: 16. November 0 Uhr 20
Nr. 146 IV Po. 8269
Die Unterredung des Herrn Reichskanzlers mit Herrn Lipski') hat heute
vormittag in Gegenwart von Herrn von Neurath stattgefunden und unge-
fähr eine Stunde gedauert. Das amtliche Kommunique wird durch WTB ver-
breitet. Dieses Kommunique ist mit Herrn Lipski vereinbart worden, der
auch die Genehmigung der Warschauer Regierung eingeholt hat.2)
Herr Lipski begann die Unterredung, indem er Grüße von Pilsudski be-
stellte und dem Wunsch des Marschalls Ausdruck verlieh, die deutsch-pol-
nischen Beziehungen durch unmittelbare Aussprache freundschaftlicher zu
gestalten. Er hob dabei hervor, daß es immer der Wunsch des Marschalls
gewesen sei, mit Deutschland freundschaftliche Beziehungen zu pflegen.
Auf die längere Rede von Lipski erwiderte der Herr Reichskanzler ein-
gehend, indem er zunächst ausführte, daß sein Standpunkt als National-
sozialist bekannt sei; er rechne mit Realitäten und betrachte den Bestand des
polnischen Staates als etwas Gegebenes. Ähnlich wie in seiner Reichstags-
rede vom Mai d. J.3) hat der Herr Reichskanzler ausgeführt, daß er ein
Gegner jeder gewaltsamen Nationalisierung fremder Gebietsteile sei. Polen
und Deutschland seien nun einmal Nachbarvölker, dieser Tatsache müsse
Rechnung getragen werden, und es sei ein Unsinn, etwa wegen kleiner
Grenzberichtigungen einen Krieg zu führen. Allerdings müsse er betonen,

(1) Außer der Vorlage konnte eine Aufzeichnung über die Unterredung nicht ermittelt
werden. In den Akten des Auswärtigen Amts befindet sich lediglich noch eine Auf-
zeichnung ohne Unterschrift vom 14. November (6174/E 462 948-50), die Neurath als
Unterlage für das bevorstehende Gespräch dienen sollte. Lipskis Bericht über die
Unterredung ist abgedruckt in der Publikation des polnischen Außenministeriums
OUicial Documents Concernlng Polish-German and Polish-Soviet Relations 1933-1939,
S. 16-19.
(2) In den Akten befindet sich folgender Kommunique-Entwurf mit hschr. Änderungen
Neuraths (2945/D 575 856):
„Berlin, den 15. November 1933 Dem polnischen Gesandten heute übergebener Entwurf
um 4 [16] Uhr 15.
Der Reichskanzler empfing heute vormittag in Gegenwart des RAM den polnischen
Gesandten, der ihm seinen Antrittsbesuch machte. Die Aussprache über die deutsch-
polnischen Beziehungen ergab volle Übereinstimmung beider Regierungen in der Ab-
sicht, die beide Länder berührenden Fragen auf dem Wege unmittelbarer Verhand-
lungen in Angriff zu nehmen und ferner zur Festigung des Friedens in Europa in ihrem
Verhältnis zueinander auf jede Anwendung von Gewalt zu verzichten.
Zusatz des Herrn Reichsministers: Vom RK genehmigt."
Ein weiterer Vermerk in Neuraths Handschrift auf demselben Dokument lautet: „Der
polnische] Gesandte überbrachte um 7 [19] Uhr 20 die Zustimmung der polnischen]
Regierung] zu obiger Fassung. Das Kommunique] soll morgen früh veröffentlicht
werden, v. N[eurath] 15. 11."
(3) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Anmerkung der Herausgeber nach Dokument Nr. 246, S. 446.

126
Nr. 70 16. NOVEMBER 1933

daß durch d e n Friedensvertrag v o n Versailles ein Zustand geschaffen wor-


d e n sei, d e r für Deutschland unerträglich sei u n d j e d e n Deutschen immer
schmerzen müsse. Er glaube, daß es ebensogut möglich gewesen wäre, dem
W u n s c h e Polens auf freien Zugang zum Meere auf einem anderen W e g e zu
entsprechen. Er sei Soldat gewesen, er kenne d e n Krieg und wisse auch, daß
ein siegreicher Krieg k e i n e m Teil dauernd n u r Vorteil bringen würde und,
g e m e s s e n a n d e n Opfern, in keinem Verhältnis stehen w ü r d e zu dem
Gewinn. Er glaube aber, d a ß bei gutem Willen u n d bei Schaffung einer
g e e i g n e t e n A t m o s p h ä r e auch schwierige Fragen einer friedlichen Lösung
entgegengeführt w e r d e n können. In diesem Sinne begrüße er die Anregung
Pilsudskis, und e r sei seinerseits zu einer Erklärung durchaus bereit, daß
die deutsche Regierung die Absicht habe, auf eine gewaltsame Lösung der
zwischen Deutschland u n d Polen schwebenden F r a g e n zu verzichten.
MEYER

70
6177/E 463 474
Ministerialdirektor Meyer an die Gesandtschaft in Warschau ')
Telegramm
Cito BERLIN, den 16. N o v e m b e r 1933 20 Uhr 15
Nr. 148 IV Po. 8269 II
Im Anschluß a n Telegramm Nr. 146.2)
In d e r Besprechung d e s Reichskanzlers mit H e r r n Lipski ist die Frage
eines förmlichen Nichtangriffs-Paktes nicht erörtert worden. W i e bereits in
dem Kommunique 3) zum Ausdruck gebracht, bestand lediglich volle Über-
einstimmung beider Regierungen in der Absicht, die die beiden Länder
b e r ü h r e n d e n Fragen auf dem W e g e unmittelbarer V e r h a n d l u n g e n in Angriff
zu n e h m e n und zur Festigung des Friedens in Europa in ihrem Verhältnis
zueinander auf j e d e A n w e n d u n g v o n Gewalt zu verzichten. Es handelt sich
also n u r um eine W i e d e r h o l u n g des Gedankens d e r No-Force-Declaration, 4 )
und zwar n u r in d e r Form d e s Presse-Kommuniques, nicht aber in der Form
eines b e s o n d e r e n Vertrags. 5 )
MEYER

*(l) Das vorliegende Telegramm wurde zur vertraulichen Unterrichtung auch den Botschaften
in London (Nr. 305), Rom (Nr. 273), Moskau (Nr. 240) und Paris (Nr. 565) übermittelt.
(2) Dokument Nr. 69.
(3) Siehe Dokument Nr. 69, Anm. 2.
(4) Siehe Serie C, Bd. I, I, Dokument Nr. 36, Anm. 2.
(5) In einem Telegramm Meyers vom 17. November (6177/E 463 477) an die Gesandtschaft in
Warschau (Nr. 149) und an die Botschaften in London (Nr. 306), Rom (Nr. 275), Moskau
(Nr. 242) und Paris (Nr. 567) wurde der Inhalt der Vorlage wie folgt abgeändert: „Vor-
stehendes Telegramm ist insofern zu berichtigen, als in Aussicht genommen ist, No-
Force-Declaration in Vertragsform zu fixieren."
Auf dem Arbeitsexemplar dieses Telegramms befindet sich noch folgende hschr. Er-
läuterung: „Pro.not. Gemäß der Ministerbesprechung beim Herrn RK gestern abend.
17. 11." Eine Aufzeichnung über diese Besprechung konnte nicht ermittelt werden.

127
Nr. 71 16. NOVEMBER 1933

71
6114/E 454 109-11
Aufzeichnung des Gesandtschaftsrats Hüffer
Geheim BERLIN, den 16. November 1933
e. o. II Oe. 1893
AUFZEICHNUNG

Landesinspekteur Habicht hat heute wieder im Auswärtigen Amt vor-


gesprochen und dabei Mitteilungen über den Ausgang der Verhandlungen
mit Dollfuß gemacht. Dollfuß habe entgegen seiner bisherigen Stellung-
nahme den beiden Abgesandten Professor Dr. Foppa und Langoth jetzt
lediglich durch Staatssekretär Gleißner sagen lassen, daß er sie nicht direkt
empfangen könne. An sich wäre er zu Verhandlungen bereit, möchte diese
aber nicht über München führen, da sich ihm inzwischen andere Wege
geboten hätten.1) Dieser Stellungswechsel von Dollfuß geht nach Herrn
Habicht auf die Aktion Hanfstaengl, von Alvensleben und Graf Traut-
mannsdorff zurück, von der Herr Dollfuß hoffe, daß sie ihm den Weg über
München ersparen würde.2)
Im Widerspruch zu der Äußerung von Dollfuß, daß er Verhandlungen mit
Herrn Habicht ablehne, steht allerdings die Tatsache, daß er sachlich auf die
Vorschläge von Herrn Habicht schon hat antworten lassen, und zwar im
wesentlichen in einer Richtung, die sich mit den 9 Punkten von Herrn Hanf-
staengl decke. Er sei zur Hereinnahme unbelasteter Nationalsozialisten, vor
allem aus Wirtschaftskreisen, in die Regierung, und zum stufenweisen Ab-
bau der gegen den Nationalsozialismus getroffenen Kampfmaßnahmen usw.
bereit. Im übrigen hat er den beiden Herren wieder die Pässe für ihre
Münchner Reise besorgt und sie durch Staatssekretär Gleißner bitten lassen,
die Verbindung mit Herrn Habicht nicht abreißen zu lassen und über die
Ansichten von Herrn Habicht ihm bzw. Herrn Gleißner weiter zu berichten.
Herr Habicht hat den beiden Herren, die gestern wieder nach Wien
zurückgereist sind, erklärt, daß er es Herrn Dollfuß durchaus überlassen

(i) Nach der veröffentlichten Darstellung Langoths hatten er und Foppa am 4 und am
13. November in Linz weitere Besprechungen mit Staatssekretär Gleißner geführt. In der
letzten Aussprache hatte Gleißner den beiden Mittelsmännern erklärt, er müsse ihnen
„nach wiederholter Rücksprache mit Bundeskanzler Dr. Dollfuß" mitteilen, daß Ver-
handlungen mit der österreichischen Landesleitung der NSDAP in München indiskutabel
seien. Mithin erübrige sieh eine Besprechung der von Foppa und Langoth dargelegten
Vorschläge. Dollfuß sei aber jederzeit bereit, mit der Nationalen Kampffront Ver-
handlungen zu führen, sofern diese österreichisch konstituiert und in ihren Entschei-
dungen selbständig und unabhängig von Faktoren des Deutschen Reiches sei. Er sei auch
bereit, direkt mit der deutschen Regierung zu verhandeln. Siehe Langoth, Kampt um
Österreich, S. 140-44.
(2) über die Aktion Hanfstaengls konnten im Archiv des Auswärtigen Amts Akten nicht
ermittelt werden. Langoth gibt in seinem Buch Kampt um Osterreich, S. 144-48, eine
Darstellung wieder, die Habicht in einer Unterredung mit Foppa und Langoth am
14. November in München gab. Demzufolge hatte Hanfstaengl der österreichischen
Gesandtschaft in Berlin durch einen Mittelsmann ein aus neun Punkten bestehendes
Befriedungsprogramm zugestellt. Als Neurath davon hörte, informierte er Hitler, der
Hanfstaengl einen scharfen Verweis erteilte.

128
Nr. 72 16. NOVEMBER 1933

müsse, die Möglichkeiten eines neuen Weges auszuprobieren, daß er aber


von der Nutzlosigkeit dieses Weges für Herrn Dollfuß überzeugt sei. Er
werde in Bälde wieder auf ihn zurückgreifen müssen. Herr Habicht könne
dieses neue Zwischenspiel im übrigen in Ruhe abwarten.
Herr Habicht glaubt, daß diese auf die Aktion Hanfstaengl zurückzu-
führende Änderung der Taktik von Dollfuß voraussichtlich nur von kurzer
Dauer sein könne und daß an sich die ganze innerpolitische Situation in
Österreich Dollfuß bald zur Nachgiebigkeit zwingen werde. Er sehe zur Zeit
nur einen großen Gefahrenpunkt, das sei eine etwaige Durchführung der
auf völlig ungesetzmäßigem Wege wiedereingeführten Todesstrafe 3 ) bzw.
ihre Vollstreckung an einem Nationalsozialisten. In diesem Falle könne er
nicht mehr für Ruhe und Ordnung in Österreich garantieren, da dann die
durch die Terrormaßnahmen der Regierung so schon erbitterte allgemeine
Volksstimmung, die er ohnehin nur mit größter Energie und Mühe von
übereilten Schritten zurückhalten könne, in offene Auflehnung ausmünden
würde. Allerdings hoffe er selber nicht, daß Dollfuß derartig töricht sein
werde.
Hiermit über Herrn Dirigenten von Renthe-Fink, Herrn Min.Dir. Köpke
und dem Herrn Staatssekretär gehorsamst vorgelegt.4)
HÜFFER
*(3) Die österreichische Regierung hatte mit einer Verordnung vom 10. November die
Todesstrafe für Mord, Brandstiftung und öffentliche Gewalttätigkeit wieder eingeführt.
Siehe Keesing's Archiv der Gegenwart, 1933, S. 1126.
(4) Hüffer hatte die Vorlage ursprünglich auch für das Büro des Reichsministers bestimmt,
dodi wurde diese Stelle von Köpke von der Verteilerliste gestrichen. Köpke erläuterte
die Streichung in folgendem Randvermerk:
„St.S. z(ur] g[efälligen] K[ennt]nis. Ich möchte RM im augenblicklichen Ubergangsstadium
nicht mit der Sache befassen. Die Sache Alvensleben, die RM vielleicht persönlich
interessieren könnte, ist zudem inzwischen abgestoppt. Köpke 18. 11."

72
6065/E 448 775-80
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow
an den Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers
BERLIN, den 16. November 1933
Abgesandt: 17. November
zuIIBalk. 1995 Js.;1)
IIBalk. 2017 Js.2)
Sehr verehrter Herr Lammers!
Die dem Auswärtigen Amt zuständigkeitshalber von der Reichskanzlei
überwiesene, mit der Bitte um demnächstige Rückgabe wieder beigefügte
(1) II Balk. 1995 J s . : Schreiben des Außenpolitischen Amts der NSDAP an das A u s w ä r t i g e
A m t v o m 3. N o v e m b e r (6065/E 448 741-42).
(2) II Balk. 2017 J s . : Eingabe des emigrierten kroatischen J o u r n a l i s t e n Jelic an Hitler vom
31. O k t o b e r (6065/E 448 745).

129

II.1 Bg. 9
Nr. 72 16. NOVEMBER 1933

Eingabe des jugoslawischen Staatsangehörigen Dr. Branimir Jelic an den


Herrn Reichskanzler3) gibt mir Anlaß zu folgenden Bemerkungen:
Der in Berlin lebende kroatische Emigrant Dr. Jelic, der sich selbst als
staatenlos bezeichnet, ist einer der Führer der kroatischen Opposition und
als solcher Herausgeber der in Berlin erscheinenden beiden Emigranten-
blätter Croatiapress und Nezavisna Hrvatska Drzava. Auch das der Eingabe
an den Herrn Reichskanzler beigefügte Memorandum dient den gleichen
politischen Zwecken. Das Memorandum schildert die Geschichte des kroati-
schen Volkes, insbesondere auch die Ereignisse von 1918 bei der Entstehung
des SHS-Staates, die gegenwärtigen Leiden der Kroaten unter serbischer
Herrschaft und ruft den Völkerbund, die Regierungen der Vereinigten
Staaten und von Kanada sowie aller anderen zivilisierten Nationen, ferner
die Presse und die einzelnen Staatsmänner und politischen Führer der Welt
auf, den König 4 ) und die Regierung von Serbien aufzufordern, die serbi-
schen Truppen und den serbischen Verwaltungsapparat, aus Kroatien zu-
rückzuziehen, damit die kroatische Nation dann ihr Selbstbestimmungsrecht
ausüben und über ihre Zukunft entscheiden könne. Andernfalls werde der
kroatischen Bevölkerung nichts anderes übrig bleiben, als zu der Art von
Selbsthilfe zu greifen, die auch offene Empörung einschließt.
Die politische Tätigkeit des Herrn Dr. Jelic und die ausgesprochen jugo-
slawienfeindliche Haltung der beiden vorerwähnten von ihm heraus-
gegebenen Blätter hat bereits zu zahlreichen Beschwerden der hiesigen
jugoslawischen Gesandtschaft5) und des Belgrader Außenministeriums ge-
führt. Da vor allem das Erscheinen der genannten Emigrantenblätter eine
immer fühlbarer werdende, völlig unnötige Belastung unserer Be-
ziehungen zu Jugoslawien darstellt, die, wie Sie wissen, auf besonderen
Wunsch des Herrn Reichskanzlers nicht nur aus wirtschaftlichen Rücksichten
eine besonders pflegliche Behandlung erfahren sollen,6) so sind wir seiner-
zeit beim preußischen Innenministerium wegen des Verbots der beiden poli-
tischen Kampfschriften vorstellig geworden. Dieses Verbot wurde auch
zunächst antragsgemäß ausgesprochen, ist dann aber, und zwar ohne vor-
herige Fühlungnahme mit dem Auswärtigen Amt, wieder aufgehoben wor-
den. Dem Herausgeber wurde seitens der zuständigen preußischen Stellen
lediglich aufgegeben, sich künftig aller Angriffe gegen den jugoslawischen
Staat zu enthalten. Erst für den Fall der Zuwiderhandlung hiergegen wurde
ihm ein Verbot seiner Blätter angedroht. Wie sich nachträglich herausstellte,
ist diese Änderung in der Haltung des preußischen Innenministeriums auf
einen unmittelbaren Schritt des Außenpolitischen Amtes der NSDAP bei
diesem Ministerium zurückzuführen.
Das Außenpolitische Amt hat sich nunmehr in dem unter Rückerbittung
beigefügten Schreiben vom 3. d. M.7) mit dem Ersuchen hierher gewandt,
(3) Siehe Anm. 2. Siehe auch Dokument Nr. 43.
• («)Aleksandar I.
(5) Siehe Dokument Nr. 43, Anm. 1.
(6) In einem Schreiben Köpkes an das preußische Innenministerium vom 29. November
6065/E 448 791-93) hieß es hierzu: „Wie ich vertraulich bemerke, hat der Herr Reichs-
kanzler unseren neuernannten Gesandten in Belgrad, Herrn von Heeren, persönlich
mit besonderen Weisungen in dieser Richtung versehen."
(7) Siehe Anm. I.

130
Nr. 72 16. NOVEMBER 1933

die ablehnende Haltung gegenüber dem Dr. Jelic und seinen Zeitungen auf-
zugeben. Zur Begründung dieses Ansinnens wird in dem Schreiben des
Außenpolitischen Amts geltend gemacht, daß Dr. Jelic seit längerer Zeit mit
dieser Stelle zusammenarbeite und ihr bereits mehrfach wertvolle Dienste
geleistet habe. Auf seine Arbeit sei es zurückzuführen, daß in der gesamten
kroatischen Presse nicht ein einziger deutschfeindlicher Artikel geschrieben
oder Greuel- und Hetzpropaganda betrieben worden sei.
Ich möchte es ganz dahingestellt sein lassen, ob diese Annahme des
Außenpolitischen Amts nicht auf unvollständigem Einblick in die Verhält-
nisse der jugoslawischen Presse und in die Einwirkungsmöglichkeiten auf
diese beruht. Jedenfalls ist Dr. Jelic und seine politische Einstellung gegen-
über seinem Heimatstaat nachgerade eine ernsthafte Belastung unserer Be-
ziehungen zu Jugoslawien geworden. Das jugoslawische Außenministerium
hat inzwischen wiederum Anlaß genommen, unsere Gesandtschaft in
Belgrad beschwerdeführend auf das Weitererscheinen der beiden Blätter
hinzuweisen,8) und zwar gerade im Zusammenhang damit, daß die jugo-
slawische Regierung auf Betreiben unserer Gesandtschaft eine von deut-
schen Emigranten veröffentlichte Broschüre Israel, souviens-toi für Jugo-
slawien vorbehaltlos verboten habe. Auch der hiesige jugoslawische Ge-
sandte Balugdzic ist in letzter Zeit verschiedentlich im Auswärtigen Amt
erneut dringlich in der leidigen Angelegenheit vorstellig geworden,
übrigens wird die Richtigkeit unserer Auffassung im Gegensatz zu der Ein-
stellung des Außenpolitischen Amts Dr. Jelic gegenüber auch durch einen
uns vorliegenden Bericht eines nach Belgrad entsandten Vertrauensmannes
des preußischen Geheimen Staatspolizei-Amtes in sehr nachdrücklicher
Weise bestätigt.9) Auch in diesem Bericht wird zur baldigen Unterdrückung
der beiden kroatischen Blätter dringend geraten.
Bei dieser Sachlage, die im politischen Interesse des Reichs ein end-
gültiges Verbot der beiden Blätter unabweisbar erscheinen läßt, werde ich
nunmehr in diesem Sinne beim preußischen Innenministerium erneut vor-
stellig werden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auf einem Ihnen geeignet
erscheinenden Wege veranlassen könnten, daß das Außenpolitische Amt
der NSDAP unseren Schritten bei den inneren Ressorts in dieser Sache
nicht entgegenwirkt. Der in dem Schreiben des genannten Amts enthaltene
Hinweis darauf, daß die Haltung der jugoslawischen Presse Deutschland
gegenüber teilweise immer noch ungünstig sei, berührt ein grundsätzlich
anderes Gebiet, dem wir gleichfalls im Einvernehmen mit der Presse-
Abteilung des Auswärtigen Amts unsere dauernde Aufmerksamkeit zu-
wenden, kann aber keineswegs für eine amtliche Duldung des unseren
gesamtpolitischen Beziehungen zu Jugoslawien so abträglichen Treibens der
Emigranten auf deutschem Boden herangezogen werden.

(8) Heeren hatte dem Auswärtigen Amt am 20. Oktober über diesen jugoslawischen Schritt
berichtet (6065/E 448 733-34) und bei dieser Gelegenheit auf ein Verbot der beiden
kroatischen Blätter gedrängt.
(•) In einem Brief der Gestapo an das Auswärtige Amt vom 8. November (6065/E 448 783-88)
war, unter Bezugnahme auf den Berieht eines Vertrauensmanns in Belgrad, ein Verbot
der beiden kroatischen Blätter dringendst empfohlen worden.

131
Nr. 73 17. NOVEMBER 1933

Für eine gefällige Äußerung 10 ) wäre ich Ihnen bei Rückgabe der Anlagen
sehr verbunden.
Mit den besten Empfehlungen
Ihr sehr ergebener
B[ÜLOW]

(»•) Siehe Dokument Nr. 92.

73
2945/D 575 877-78
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von Bülow
BERLIN, den 17. November 1933
Reichswirtschaftsminister Schmitt rief mich heute nachmittag um 5 Uhr
an und fragte unter Bezugnahme auf die Ministerbesprechung von gestern
abend') und im Anschluß an eine Besprechung, die er mit Staatssekretär
Posse gehabt hat, ob wir bereits den Gesandten von Moltke über die ent-
scheidende Wendung von gestern abend im Hinblick auf die schwebenden
Wirtschaftsverhandlungen informiert hätten, insbesondere auch über unsere
veränderte Haltung in der Kohlenfrage.
Ich sagte dem Reichswirtschaftsminister, wir hätten den Gesandten von
Moltke in bezug auf die wirtschaftspolitische Seite der gestrigen Bespre-
chung noch nicht informiert und unseren Reichsminister auch nicht dahin
verstanden, daß den Polen nun ein Kohlenangebot gemacht werden solle.2)
Wir hätten lediglich erfahren, daß die Verhandlungen in Warschau in der
Kohlenfrage nicht scheitern sollten. Das heiße aber nicht, daß Moltke Kohlen
in beliebiger Menge anbieten könne. Soweit ich unterrichtet sei, würden
die Verhandlungen ohnehin in diesen Tagen nicht zu einem Abschluß ge-
langen, ein Bruch sei also nicht zu befürchten. Wir hätten mehrere Tage
Zeit, um in Referentenbesprechungen zu klären, welches praktische Ent-
gegenkommen in der Kohlenfrage wir anbieten können.
Reichsminister Schmitt war hiermit einverstanden, er bat, eine Referen-
tenbesprechung für Anfang nächster Woche einzuberufen. Schließlich
kamen wir noch überein, daß Herr von Moltke davon verständigt werden
sollte, daß wir als Parallele zu den politischen Verhandlungen auch zu
einem weiter als bisher gehenden Entgegenkommen auf wirtschaftlichem
Gebiet bereit seien.3) Ich bitte die Gesandtschaft in Warschau in diesem
Sinne zu verständigen.
BÜLOW

(1) Eine Aufzeichnung ü b e r diese Besprechung konnte nicht ermittelt w e r d e n . Siehe D o k u -


ment Nr. 70 u n d Anm. 5 dazu.
(2) R a n d b e m e r k u n g : „So w a r es nicht. Es w u r d e aber v e r a b r e d e t , daß ein A u s w e g gesucht
w e r d e n solle, v. N [ e u r a t h ] . "
(3) Am 20. N o v e m b e r fand eine Sachverständigen-Besprechung statt, an der auch M o l t k e
selbst teilnahm (9663/E 681 293-94). Am gleichen T a g e ü b e r g a b Ritter an M o l t k e e i n e
Aufzeichnung, in der die Z u g e s t ä n d n i s s e präzisiert w a r e n , zu d e n e n sieh die d e u t s c h e
Regierung in der F r a g e der Kohlenimporte aus Polen bereitfinden w ü r d e .

132
Nr. 74 17. NOVEMBER 1933

74

8772/E 611 281-83

Das Auswärtige Amt an das Reichsministerium des Innern l)

Eilt sehr BERLIN, den 17. November 1933


VI A. 2586
Ref.: VLR Roediger

Unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 16. November d. J. - 2413


Ang. II.*)

In diesen Tagen fand zwischen dem Herrn Reichsminister des Auswärti-


gen und dem Stellvertretenden Führer der NSDAP, Herrn Rudolf Heß, eine
Besprechung über den Volksdeutschen Rat statt. Dabei wurde volles Ein-
vernehmen darüber erzielt, daß der Rat lediglich als beratende Stelle wirken
soll, die die Aufgabe hat, die Politik der zuständigen Ministerien in Fragen
des deutschen Volkstums und der Minderheiten zu unterstützen. Die Reichs-
regierung wird sich des Volksdeutschen Rats nach ihrem Ermessen bedienen
können. Hinsichtlich der Deutschtumsfonds erklärte Herr Heß, daß nicht
daran gedacht sei, durch die Schaffung des Volksdeutschen Rats eine Ände-
rung in der Verfügung der zuständigen Ministerien über die amtlichen
Fonds oder die Fonds der Organisationen, die von amtlichen Stellen ab-
hängen, eintreten zu lassen.
Diese Gesichtspunkte werden die Grundlage für die Besprechungen bil-
den, die die Vertreter des Volksdeutschen Rats demnächst bei den zustän-
digen Ministerien erbeten haben.3)
I.A.
gez. STIEVE 4)

*(i) Dieses Schreiben wurde auch dem Reichsfinanzministerium, dem Reichsministerium für
Volksaufklärung und Propaganda, dem Reichswirtschaftsministerium, dem preußischen
Staatsministerium, dem preußischen Ministerium des Innern, dem preußischen Mini-
sterium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung und dem preußischen Finanzministe-
rium zugestellt. Der Deutschen Stiftung sowie der Ossa-Vereinigte Finanzkontore wurde
eine Abschrift zur Kenntnisnahme übermittelt.
*(2) 2413 Ang. II: Schreiben des Auswärtigen Amts vom 16. November (8773/E611 365-71) an
das Reichsministerium des Innern sowie an die in Anm. 1 aufgeführten Stellen, mit dem
eine Aufzeichnung über eine interministerielle Beratung vom 10. November über die
Zusammenarbeit der zuständigen Ressorts des Reichs und Preußens in Volkstums- und
Minderheitenfragen übermittelt worden war.
(3) Siehe Dokument Nr. 140.
(4) Randvermerk: „Notiz. Das Rundschreiben beruht auf einer mündlichen Mitteilung des
Herrn Reichsministers über das Ergebnis der Besprechung."

133
Nr. 76 18. NOVEMBER 1933

75
6177/E 463 482
Der Botschafter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt
Telegramm

Cito MOSKAU, den 18. November 1933 20 Uhr 56


Nr. 263 vom 18. 11. Ankunft: 18. November 21 Uhr 30
IV Po.8386
Auf [Telegramme] Nr. 239,1) 240 *) und 242.")
Deutsch-polnische Besprechungen über No-force-Erklärung findet hiei
größtes Interesse. Stelle daher zur Erwägung, ob es nicht im Sinne Schaf-
fung vertraulicher Atmosphäre zweckmäßig, wenn ich anläßlich Überrei-
chung Beglaubigungsschreibens 20. November Sowjetregierung gemäß
Artikel 1, Absatz 2 Berliner Vertrag 4 ) ins Bild setze. Erbitte Drahtweisung.5)
NADOLNY

(l) Fundort: 6177/E 463 475-76.


(*) Dokument Nr. 70 und Anm. 1 dazu.
(8) Siehe Dokument Nr. 70, Anm. 5.
*(4) Deutsch-sowjetischer Vertrag vom 24. April 1926, abgedruckt in Serie B, Bd. II, 1,
Dokument Nr. 168, und S. d. N., Recueif des Traitis, Nr. 1268, Bd. LIII, S. 387-96.
(5) Siehe Dokument Nr. 79.

76
7467/H 179 104-05
Der Botschafter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt
Telegramm

Nr. 267 vom 18.11. LONDON, den 19. November 1933 13 Uhr 48
Ankunft: 19. November 16 Uhr 50
II F. Abr. 3791
über den gegenwärtigen Genfer Abrüstungsverhandlungen brütet Un-
heil.1) Es ist unzweifelhaft, daß der englische und französische Standpunkt

(l) Am 9. November war, gemäß einem Beschluß des Hauptausschusses vom 26. Oktober,
das Büro der Abrüstungskonferenz zusammengetreten und hatte Unterausschüsse
konstituiert, die die zur Erledigung anstehenden Fragen prüfen sollten. Die Sitzungen
des Büros und der Unterausschüsse enthüllten erhebliche Meinungsunterschiede hin-
sichtlich des weiteren Verfahrens. Daraufhin forderte Henderson die verantwortliehen
Führer der Delegationen auf, persönlich nach Genf zu kommen. Am 18. November trafen
Simon, Eden, Paul-Boncour und Soragna zu Gesprächen in Genf ein. Am 21. November
wurde im Verlaufe einer Zusammenkunft der Delegierten Großbritanniens, Frankreichs,
Italiens und der Vereinigten Staaten von Amerika mit Henderson und Beamten des
Büros eine Einigung darüber erzielt, daß die Arbeit der Konferenz durch parallele und
ergänzende Bemühungen der Regierungen untereinander unterstützt werden solle. Es
wurde außerdem vereinbart, daß Henderson und das Büro die vom Büro und seinen

134
/

Nr. 76 18. NOVEMBER 1933

nicht mehr zusammen stimmt [sie]. In meinen zahlreichen Unterhaltungen


mit maßgebenden Persönlichkeiten habe ich immer wieder feststellen kön-
nen, daß der Vorwurf, die englische Regierung habe durch ihr Abgehen
vom MacDonald-Plan 2 ) ihr eigenes Kind preisgegeben, auf schuldbewußten
Widerspruch stoße. England will wieder zum MacDonald-Plan zurück und
betrachtet die Sommergespräche der Rüstungsmächte mehr und mehr als
unverbindliche Versuche zur Herbeiführung neuer Lösungen. Simon selbst
hat sich unter dem Druck von Kabinett, Parlament und öffentlicher Meinung
immer mehr von den Vereinbarungen mit Paris weggeredet und hat seinem
ganzen Verhalten in der Abrüstungsfrage hier eine Färbung gegeben, die
den Eindrücken der französischen Regierung von Simons früheren Zusagen
offenbar nicht entspricht.
Auf der anderen Seite ist in der jüngsten französischen Kammerdebatte
über die Außenpolitik 3 ) insbesondere durch Intervention Daladiers klar zum
Ausdruck gekommen, daß Franzosen daran festhalten, daß Simon sich ihnen
gegenüber auf „periode d'epreuve" und alles, was damit zusammenhängt,
festgelegt habe. Wie unter diesen Umständen jetzt in Genf Ergebnisse er-
zielt werden sollen, ist nicht ersichtlich. Als eine mögliche Konsequenz er-
scheint an sich Rücktritt Simons. Dieser würde aber eine schwere Bedrohung
des englischen nationalen Kabinetts bedeuten, da Simons Ausscheiden den
Abmarsch der kleinen liberalen Teilfraktionen nach sich ziehen könnte, die
jetzt noch einen der mehr ideellen als tatsächlichen Pfeiler der gegenwärti-
gen Koalition darstellen. Es ist also durchaus berechtigt, wenn die maß-
gebenden Kreise hier die Genfer Vorgänge mit Sorge verfolgen.
Wir haben gewiß keine dieser Sorgen zu teilen. So wenig uns die Evo-
lution der englischen Arbeiterpartei in der Abrüstungsfrage bisher zufrie-
denstellen kann, haben wir doch Anlaß, den Prozeß an sich zu begrüßen
und uns zu freuen, daß in Desavouierung der Preisgabe des MacDonald-
Plans wenigstens der Anfang einer Rückkehr zu besseren Methoden sich
anbahnt. Es ist außerdem eine alte Erfahrung, daß Frankreich immer erst
dann zu ernsterem Meinungsaustausch mit Deutschland sich bereit zeigt,
wenn es die Hoffnung verliert, Deutschland in der fest gefügten Phalanx
seiner ehemaligen Bundesgenossen gegenübertreten zu können.
Damit der Entwicklungsgang der Dinge nicht gestört wird, möchte ich
empfehlen, daß sich die deutsche Regierung fürs erste der Angriffe auf
England möglichst enthält und insbesondere davon absieht, England Vor-
würfe wegen mangelnder Abrüstung zu Lande zu machen. Unser Haupt-
programm liegt sicherlich nicht hier, sondern bei den Kontinentalarmeen,

[Fortsetzung von Anm. 1]


Unterausschüssen in Angriff zu nehmenden Fragen festlegen sollten und daß die Sitzung
des Hauptausschusses nicht für den 4. Dezember, sondern für den Januar 1934 einbe-
rufen werden sollte, während oder nach der Tagung des Völkerbundsrats. Von diesem
Beschluß wurde das Büro der Abrüstungskonferenz am 22. November in Kenntnis ge-
setzt. Siehe S. d. N., Conference pour la Reduction et la Limitation des Armements,
Actes, Serie C, Bd. II, S. 196-200; siehe auch Foreign Relations oi the United States,
1933, Bd. I, S. 306-19.
• (2) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 90.
'(3) Über diese Debatte, die vom 9. bis 14. November stattfand, berichtete Köster in Tele-
grammen Nr. 902, 903 und 904 vom 15. November (3154/D 670 284-96).

135
Nr. 77 NOVEMBER 1933

und wenn mit Bezug auf diese unsere Gleichberechtigung erkämpft werden
kann, so werden wir hier mit der englischen Armee keine Schwierigkeiten
mehr haben. Im gegenwärtigen Augenblick erscheint mir jedenfalls als die
Hauptsache, darüber zu wachen, daß nichts geschieht, was die Neubelebung
der schon erschütterten Einheitsfront der Gegenseite fördern könnte.
HOESCH

77
6177/E 463 488-93
Aufzeichnung ohne Unterschrift*)
Geheim
BEMERKUNGEN ZUM GEDANKEN DES ABSCHLUSSES EINES NICHTANGRIFFSPAKTS
ZWISCHEN DEUTSCHLAND UND POLEN

Der Nichtangriffspakt - ein erst in der Nachkriegszeit aufkommender


Vertragstypus - bedeutet an sich und nach seinem rein juristischen Gehalt
nichts anderes, als was das Wort selbst besagt: die Verpflichtung jedes
Kontrahenten, gegen den anderen Kontrahenten keinen Angriffskrieg zu
führen. Politisch geht aber die Bedeutung eines solchen Paktes wohl in
allen Fällen über die formalen Rechtsverpflichtungen weit hinaus. Zwei
Staaten, die für ihr gegenseitiges Verhältnis feierlich auf jedes aggressive
militärische Vorgehen verzichten, bekunden damit, daß zwischen ihnen
wirklich vitale Interessengegensätze nicht bestehen oder daß ihre Politik
jedenfalls nicht mehr ernstlich auf die Austragung solcher Gegensätze ein-
gestellt ist. In diesem Sinne sind alle nach dem Kriege in Europa abge-
schlossenen Nichtangriffspakte verstanden worden.
Im Verhältnis zwischen Deutschland und Polen kommt dieser allgemeinen
Erwägung aus besonderen Gründen erhöhte Bedeutung zu. Der Kernpunkt
der Locarno-Verhandlungen war die Forderung der damaligen Verhand-
lungspartner Deutschlands, daß dieses unter der Garantie Frankreichs auch
gegenüber Polen auf jede kriegerische Austragung eines Konflikts vertrag-
lich verzichten solle. Die damalige deutsche Regierung ist auf diese Forde-
rung nicht eingegangen, weil sie entscheidenden Wert darauf legte, daß das
Verhältnis zu Polen nicht auf gleichem Fuße mit dem Verhältnis zu Frank-
reich und Belgien geregelt wurde. Der Rheinpakt von Locarno 2) war seinem
eigentlichen juristischen Gehalt nach auch nichts anderes als ein unter der
Garantie anderer Mächte stehender Kriegsverzicht zwischen Deutschland
einerseits und Frankreich und Belgien andererseits, der allerdings eine be-
sondere Note dadurch erhielt, daß er im Vertragstext ausdrücklich als Mittel
zur Aufrechterhaltung des Status quo bezeichnet wurde. Hätte Deutschland

*(•) Die Aufzeichnung trägt kein Datum.


(2) Siehe Dokument Nr. 61, Anm. 7.

136
Nr. 77 NOVEMBER 1933

im Rahmen des Vertragswerks von Locarno einen ähnlichen Kriegsverzicht


gegenüber Polen, wenn auch ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die terri-
torialen Ostfragen, ausgesprochen, so wäre damit die deutscherseits damals
angestrebte radikale Unterscheidung zwischen seinen West- und Ostgrenzen
beseitigt oder doch stark verwischt worden. Der deutsche Widerstand hat
dazu geführt, daß Polen - ebenso wie die Tschechoslowakei - sich in Locarno
mit einem gewöhnlichen Schiedsverträge begnügen mußte, der zwar in
seiner Präambel in allgemeiner Form den Willen zur Aufrechterhaltung des
Friedens zum Ausdruck brachte, der sich aber doch ganz wesentlich von
dem auf die Westmächte bezüglichen Rheinpakt unterschied.
Polen und auch Frankreich haben die so in Locarno international festge-
legte Differenzierung der Westgrenzen und der Ostgrenzen Deutschlands
als politischen Mißerfolg empfunden. Sie haben in den folgenden Jahren
die verschiedenartigsten Versuche gemacht, diese Lücke des internationalen
Vertragssystems zu beseitigen. Das ist der Sinn der bekannten Forderung
eines „Ost-Locarno", einer Forderung, die von Polen und Frankreich ebenso
nachdrücklich vertreten, wie sie von Deutschland abgelehnt wurde. Die
deutsche Politik hat dabei stets betont, daß es ihr nicht darauf ankomme,
sich in dem Netz der internationalen Vertragssysteme noch ein Loch für die
Möglichkeit eines Angriffskriegs gegen Polen offen zu halten. Sie lehnte
eine direkte vertragliche Bindung gegenüber Polen hinsichtlich des Angriffs-
kriegs nur deshalb ab, weil eine solche Bindung wegen ihrer Ähnlichkeit
mit dem Rheinpakt politisch als Verzicht auf die Revision der Ostgrenzen
hätte aufgefaßt werden müssen.
Diese politische Linie wurde von Deutschland auch nicht dadurch aufge-
geben, daß es sich im Jahre 1928 zur Unterzeichnung des Kellogg-Pakts3)
entschloß. Dieser Pakt enthielt zwar, wenn auch in anderer Form, gleichfalls
den Verzicht auf den Angriffskrieg. Es war aber ein Vertrag zwischen fast
allen Staaten der Welt, der schon aus diesem Grunde keinen Anlaß zu
Schlußfolgerungen hinsichtlich des besonderen Verhältnisses Deutschlands
zu Polen geben konnte. Der Pakt ist denn auch niemals von irgendeiner
Seite politisch so interpretiert worden, als ob Deutschland damit die von
ihm in Locarno eingenommene Position gegenüber Polen aufgegeben habe.
Im Lichte dieser historischen Entwicklung gesehen, würde ein zweiseitiger
Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Polen, auch wenn er ohne
direkte Anspielung auf territoriale Fragen als reiner Nichtangriffspakt ab-
geschlossen würde, international zweifellos als die Aufgabe oder minde-
stens als eine wesentliche Abschwächung des bisherigen deutschen Stand-
punktes hinsichtlich der Ostgrenzen aufgefaßt werden. Diese Folge würde
auch dann kaum vermieden werden, wenn der Vertrag nicht mit Polen
allein, sondern etwa mit einer Gruppe von Oststaaten abgeschlossen würde.
Denn auch in diesem Falle bliebe die Beziehung des Paktes auf die terri-
torialen Ostfragen in den Augen der Weltöffentlichkeit bestehen.
Dazu kommt noch ein anderes. Es ist mit ziemlicher Sicherheit anzuneh-

*(') „General Treaty for renunciation of war as an Instrument of national policy" (Briand-
Kellogg-Pakt) vom 27. August 1928. Der Text ist abgedruckt in Bruns, Politische Ver-
träge, Bd. I, S. 248-53.

137
Nr. 77 NOVEMBER 1933

men, daß Polen bei den Verhandlungen über den Abschluß eines Nicht-
angriffspakts bemüht sein würde, in den Vertragstext Wendungen hinein-
zubringen, die sich mehr oder weniger deutlich auf die Erhaltung des terri-
torialen Status quo beziehen. Polen würde einen bequemen Ausgangspunkt
für derartige Vorschläge in den vielen Nichtangriffspakten der letzten Zeit
finden, die fast durchweg in der Präambel oder dem Vertragstext selbst
eine Klausel über die Integrität des territorialen Besitzstandes der beiden
Kontrahenten enthalten. Wenn Deutschland solche polnischen Vorschläge
ablehnt, könnte leicht eine recht mißliche Diskussion entstehen, mit der
Folge, daß der Pakt daran scheitert. Die Spannung in den gegenseitigen
Beziehungen würde dann nicht nur nicht gemildert, sondern bedenklich ver-
schärft werden.
Selbst wenn sich dies aber vermeiden ließe und selbst wenn es ferner
gelänge, dem Vertrage durch seine Redaktion und durch seine offizielle
Interpretation die Nebenbedeutung eines Verzichts auf die territoriale
Revision zu nehmen, bliebe noch zu überlegen, was Deutschland durch den
Pakt gewönne. Der Pakt müßte, falls er überhaupt einen politischen Effekt
haben soll, wohl mindestens für eine Zeit von zehn Jahren abgeschlossen
werden. Auch nach zehn Jahren würde es praktisch schwer sein, ihn zu
kündigen oder seine Verlängerung abzulehnen, da das nahezu identisch mit
dem Bekenntnis deutschen Angriffswillens wäre. Der Pakt würde also auch
als reiner Nichtangriffspakt auf lange Jahre hinaus eine starke Einschrän-
kung der politischen Handlungsfreiheit Deutschlands zur Folge haben. Man
wird sich hierüber nicht einfach mit der Erwägung hinwegsetzen dürfen,
daß es zu gegebener Zeit schon möglich sein werde, eine von Deutschland
für nötig und aussichtsreich gehaltene kriegerische Auseinandersetzung mit
Polen in einer Weise einzuleiten, die uns vom Odium des Paktbruchs ent-
laste. Solche Möglichkeiten lassen sich jedenfalls im voraus kaum mit eini-
ger Sicherheit übersehen. Auf der anderen Seite steht aber fest, daß wir uns
durch den Pakt keineswegs vor einer militärischen Intervention Polens
gegen eine von uns ohne Verständigung mit den Mächten betriebene Auf-
rüstung sichern würden. Denn Polen könnte durch den Paktabschluß mit
Deutschland natürlich in keinem Falle seine Bündnisverpflichtung gegen-
über Frankreich modifizieren. Es müßte also, wie das z. B. umgekehrt auch
Frankreich in seinem Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion 4 ) getan hat,
auf die Einfügung einer Klausel des Inhalts in den Pakt bestehen, daß durch
diesen die bereits anderweitig begründeten Vertragspflichten der beiden
Kontrahenten nicht berührt werden. Das würde bedeuten, daß, wenn es
etwa wegen der Aufrüstung Deutschlands zu einer militärischen Interven-
tion Frankreichs käme, Polen diese Intervention trotz des Nichtangriffspakts
mit Deutschland unterstützen könnte und müßte.

(4) Nichtangriffspakt zwischen Frankreich und der Sowjetunion vom 29. November 1932.
Siehe Recueil des Traites, Nr. 3615, Bd. CLVII, S. 411-19.

138
Nr. 78 20. NOVEMBER 1933

78
3154/D 670 316-17

Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath

BERLIN, den 20. November 1933


RM. 1600

Ministerpräsident Göring hat mir am letzten Freitag 1 ) eingehend über


den Verlauf seiner Reise nach Rom und seine Aufnahme 2 ) Bericht erstattet.
Er sagte, Mussolini sei über die ihm durch den Brief des Herrn Reichs-
kanzlers 3) und die persönliche Uberbringung durch Göring erwiesene Auf-
merksamkeit ganz besonders erfreut gewesen. Er habe dies in jeder Weise
zum Ausdruck gebracht. Nach seiner Ankunft in Rom habe Göring noch am
gleichen Nachmittag den Brief des Kanzlers Herrn Mussolini im Palazzo
Venezia übergeben. Bei dieser Gelegenheit hätten nur allgemeine Erörte-
rungen über die Gründe, weshalb Deutschland aus der Abrüstungskonferenz
und dem Völkerbund ausgetreten sei, stattgefunden, und Mussolini habe
sich vorbehalten, nach der Lektüre des Briefes eingehender mit Göring zu
sprechen. Diese Aussprache sei am anderen Tage erfolgt. Dabei habe Musso-
lini erklärt, daß er nunmehr volles Verständnis für unseren Schritt habe.
Er sei zuerst etwas überrascht gewesen, gebe aber nunmehr unumwunden
zu, daß wir richtig gehandelt hätten, und könne uns versichern, daß er in
Zukunft unsere Politik weitgehend unterstützen werde. Göring scheint bei
dieser Gelegenheit auch die etwas ungenügende Unterstützung von Seiten
Aloisis und Suvichs in Genf zur Sprache gebracht zu haben. Bezüglich des
ferneren Verhaltens teilte Mussolini die Auffassung, daß wir uns jetzt
abwartend verhalten sollten. Sowohl die französische als die englische
Regierung, insbesondere die letztere, seien in große Verlegenheit gekom-
men. Man müsse es ihnen überlassen, aus dieser Situation einen Ausweg
zu finden. Jede Initiative von deutscher Seite wäre ein Fehler. Ebensowenig
beabsichtige er, von sich aus den Viererpakt in Aktion zu bringen. Musso-
lini scheint es besonders angenehm empfunden zu haben, daß Göring ihm
sagte, wir sähen an sich den Viererpakt als noch geltend an.
Am Schluß der langen Unterredung wurde verabredet, daß evtl. Anfang
Dezember Herr Suvich nach Berlin kommen solle, um hier gewissermaßen
den Besuch Görings zu erwidern und dabei das in Rom begonnene Gespräch
fortzusetzen.4)
Herr Göring erzählte ferner, daß auch die deutsch-österreichische Frage
von ihm eingehend mit Mussolini besprochen worden sei, wobei dieser sein
lebhaftes Interesse für eine baldige Lösung bekundet habe. Göring habe
ihm bei dieser Gelegenheit nochmals im Auftrage des Kanzlers versichert,
daß die Reichsregierung nicht daran denke, die österreichische Unabhängig-

• (i) 17. November.


(2) Siehe Dokument Nr. 50.
*(3) Dokument Nr. 40.
(4) Siehe die Dokumente Nr. 120 und 126.

139
Nr. 79 21. NOVEMBER 1933

keit jetzt anzutasten. Er habe aber hinzugefügt, daß Mussolini sich darüber
klar sein müsse, daß letzten Endes der Zusammenschluß Deutschlands und
Österreichs nicht zu verhindern sein würde. Ehe dies geschehe, werde aber
über die näheren Umstände eine eingehende Verabredung mit Italien ge-
troffen werden.5)
v. N[EURATH]

'(5) Am 25. November setzte Köpke die Botschaften in Rom, London, Paris, Moskau und
Washington sowie die Gesandtschaft in Bern anhand der vorliegenden Aufzeichnung
von dem Bericht Görings in Kenntnis (7467/H 179 160-62).

79
6177/E 463 485-86

Das Auswärtige Amt an die Botschaft in Moskau


Sofort [BERLIN,] den 21. November 1933
Mit Kurier e. o. IV Po. 8410
Im Anschluß an anderweitige Weisung vom 19. d. M. - Nr. 247.')
über die Unterredung des Herrn Reichskanzlers mit dem hiesigen polni-
schen Gesandten 2 ) geben die Telegramme Nr. 239,3) 2404) und 2425) er-
schöpfende Auskunft. Zur Regelung Ihrer Sprache in etwaigen Besprechun-
gen führe ich folgendes aus:
Die Initiative lag auf polnischer Seite. Die beiden Hauptpunkte des Ge-
sprächs sind in dem amtlichen Kommunique scharf herausgearbeitet, näm-
lich die Absicht, alle zwischen beiden Ländern auftauchenden Fragen, wel-
cher Art sie auch sein mögen, auf den Weg unmittelbarer Verhandlungen
zu leiten, und die Absicht beider Regierungen, zur Festigung des Friedens
in Europa in ihrem Verhalten zueinander auf jede Anwendung von Gewalt
grundsätzlich zu verzichten. Hieraus ergibt sich, daß in Zukunft deutsch-
polnische Angelegenheiten, welcher Art sie auch sein mögen, in unmittel-
barer Aussprache der diplomatischen Vertretungen beider Länder mit den
jeweiligen Regierungen erfolgen werden. Wir erhoffen von einer fortlaufen-
den Aussprache, über die sich im einzelnen jetzt noch gar nichts sagen läßt,
eine weitgehende Entspannung und eine Bereinigung wesentlicher Punkte.
Augenblicklich stehen im Vordergrund der Besprechungen die von Herrn
von Moltke in Warschau geführten Handelsvertragsverhandlungen, die
darauf abzielen, den Zollkrieg auf beiden Seiten zu beenden und den wirt-

(i) In diesem Telegramm (6177/E 463 483) war angekündigt worden, daß ausführliche
Weisungen mit dem nächsten Kurier übermittelt werden würden.
• (2) Lipski.
(3) Fundort: 6177/E 463 475-76.
(4) Siehe Dokument Nr. 70, Anm. 1.
(5) Siehe Dokument Nr. 70, Anm. 5.

140
Nr. 80 23. NOVEMBER 1933

schaftlichen Austausch im Rahmen des Möglichen wiederherzustellen, über


etwas später einsetzende Verhandlungen über andere Themata läßt sich
heute noch nichts sagen. Was den zweiten Punkt des Gesprächs anbelangt,
so ist es heute noch verfrüht, etwas darüber zu sagen, ob und in welcher
Form eine schriftliche Fixierung erfolgen wird. Diesseits würde eine schrift-
liche Fixierung für erwünscht gehalten werden, aber Besprechungen irgend-
welcher Art sind mit den Polen noch nicht aufgenommen worden. Ich bitte
daher, diese Frage in Ihren Gesprächen nicht zu vertiefen und als offen
zu behandeln. 8 )

*(•) Die Vorlage trägt den Vermerk: „I[n] Reinschrift] N[ame] d[es] H[errn] St.S." Sie
wurde sowohl von Bülow als auch von Neurath paraphiert.

80
8580/E 601 939

Aufzeichnung des Legationsrats Altenburg

BERLIN, den 23. November 1933


e. o. IV China 2572

Der chinesische Geschäftsträger teilte mir bei seinem heutigen Besuch


nachstehendes vertraulich mit:
Generaloberst von Seeckt habe grundsätzlich zugesagt, dem Wunsche des
Marschall Chiang Kai-shek entsprechend im März 1934 in China zu sein, er
bäte aber vor der Annahme der Stellung um die persönliche Zusicherung
des Marschalls, daß ihm die Mitnahme der notwendigen militärischen Ge-
hilfen, einschließlich der Generale Faupel und von Falkenhausen, zugestan-
den werde.1)
Es erscheint befremdlich, daß Generaloberst von Seeckt sich über die ihm
augenscheinlich bekannten deutschen Wünsche, den General Faupel wegen
seiner Ungeeignetheit für China nicht mitzunehmen, hinwegsetzt.
Hiermit über Herrn Ministerialdirektor Meyer dem Herrn Staatssekretär
gehorsamst vorgelegt.2)
I. V. ALTENBURG

(i) Siehe die Dokumente Nr. 48 und 63.


*(2) In einer weiteren Aufzeichnung Altenburgs vom 6. Dezember (8580/E 601 944) heißt es:
„Wie der chinesische Geschäftsträger telefonisch mitteilt, hat Marschall Chiang Kai-shek
die Bedingungen des Generalobersten von Seeckt (einschließlich der Mitnahme der
Generäle Faupel und von Falkenhausen) angenommen."

141
Nr. 81 NOVEMBER 1933

81
6177/E 463 498-501
Aufzeichnung ohne Unterschrift')
BEMERKUNGEN ZU DEM ANLIEGENDEN ENTWURF
EINER DEUTSCH-POLNISCHEN ERKLÄRUNG

Für die in Aussicht g e n o m m e n e Abmachung mit Polen ist in dem an-


liegenden Entwurf, anstelle der üblichen Vertragsform, die etwas unge-
wöhnliche Form einer ausführlichen Erklärung gewählt. Diese Form bietet
mancherlei Vorteile.
Einmal ermöglicht sie eine e t w a s freiere Diktion, die sich, ohne die
juristische Bindung hinsichtlich des Gewaltverzichts abzuschwächen, von den
abgegriffenen Klauseln d e r Nichtangriffspakte abhebt und das politische
Endziel eindrucksvoller e r k e n n e n läßt. Außerdem w ü r d e n sich die Polen bei
einer solchen freieren Redaktion der Abmachung nicht unbedingt gezwun-
gen sehen, in d e n Text eine Klausel über die Aufrechterhaltung der von
ihnen bereits abgeschlossenen V e r t r ä g e (Bündnisvertrag mit Frankreich 2 ))
aufzunehmen. Endlich dürfte die Fassung der Erklärung die A n e r k e n n u n g
der h e u t i g e n deutschen Ostgrenzen nicht nur nicht in sich schließen, son-
dern im Gegenteil zum Ausdruck bringen, daß mit der Erklärung eine
Grundlage für die Lösung aller Probleme, also auch der territorialen Pro-
bleme, geschaffen w e r d e n soll. 3 )

[Anlage]
ERKLÄRUNG
[Entwurf]
Die deutsche Regierung und die polnische Regierung halten den Zeitpunkt
für gekommen, um durch eine unmittelbare Verständigung v o n Staat zu
Staat eine n e u e Phase in den politischen Beziehungen zwischen Deutschland
und Polen einzuleiten. Sie h a b e n sich deshalb entschlossen, durch die gegen-
wärtige E r k l ä r u n g die Grundlage für die künftige Gestaltung dieser Be-
ziehungen festzulegen.
Beide Regierungen g e h e n dabei v o n der Tatsache aus, daß die Aufrecht-
erhaltung u n d Sicherung eines d a u e r n d e n und gerechten Friedens zwischen
ihren Ländern e i n e wesentliche Voraussetzung für den allgemeinen Frieden
in Europa ist.
Sie wollen d e s h a l b die Verpflichtungen, die sich für sie aus dem Schieds-
vertra g v o n Locarno vom 16. O k t o b e r 1925 4 ) und dem Pakt von Paris v o m
27. August 1928 6 ) ergeben, g e n a u e r bestimmen, um, soweit das Verhältnis

*(i) Die Vorlage trägt kein Datum.


*(2) „Accord Politique" zwischen Frankreich und Polen vom 19. Februar 1921, abgedruckt
in S. d. N., Jtecueif des Trailes, Nr. 449, Bd. XVIII, S. 11-13.
(3) Randbemerkung: „RK ist mit dem Entwurf einverstanden u. auch damit, daß Moltke
den Entwurf an Pi![su]ds[ki] persönlich übergibt u. ihm Grüße des RK übermittelt,
v. N[eurath] 23. 11."
(4) Siehe S. d. N., itecue;7 des Traites, Nr. 1295, Bd. LIV, S. 327-39.
*(5) Siehe Dokument Nr. 77, Anm. 3.

142
Nr. 82 23. NOVEMBER 1933

zwischen Deutschland und Polen in Betracht kommt, jede Möglichkeit einer


Unklarheit in diesen für das Schicksal ihrer Völker entscheidenden Fragen
auszuschließen.
Zu diesem Zweck stellen sie fest, daß sie entschlossen sind, alle zwischen
den beiden Ländern auftauchenden Fragen, welcher Art sie auch sein mögen,
auf den Weg unmittelbarer Verhandlungen zu leiten. Sollten etwa Streit-
fragen zwischen ihnen entstehen und sollte sich deren Bereinigung durch
unmittelbare Verhandlungen nicht erreichen lassen, so werden sie eine
Lösung durch andere friedliche Mittel, wie insbesondere das Schiedsgerichts-
und Vergleichsverfahren, suchen. Unter keinen Umständen werden sie
jedoch zum Zweck der Austragung solcher Streitfragen zur Anwendung von
Gewalt schreiten.
Die durch diese Grundsätze geschaffene Friedensgarantie wird den beiden
Regierungen die große Aufgabe erleichtern, für die zwischen ihren Ländern
schwebenden oder künftig entstehenden Probleme politischer, wirtschaft-
licher oder kultureller Art eine Lösung zu finden, die einen gerechten und
billigen Ausgleich der beiderseitigen Interessen darstellt.
Die beiden Regierungen sind der Überzeugung, daß sich auf diese Weise
die Beziehungen zwischen ihren Ländern fruchtbar entwickeln und zur Be-
gründung eines gutnachbarlichen Verhältnisses führen werden, das nicht
nur ihren beiden Ländern, sondern auch den übrigen Völkern Europas zum
Segen gereicht.
Die gegenwärtige Erklärung, an die sich die beiden Regierungen für einen
Zeitraum von mindestens zehn Jahren für gebunden erachten, soll ratifiziert
werden; die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in
ausgetauscht werden.
Ausgefertigt in doppelter Urschrift in deutscher und polnischer Sprache.
BERLIN, den November 1933.
Für die deutsche Regierung: Für die polnische Regierung:
gez X. gez. Y.

82
6177/E 463 487
Aufzeichnung des Ministerialdirektors Meyer
BERLIN, den 23. November 1933
IV Po. 8441
Herr Legationsrat Schliep, der gestern aus Warschau hier eintraf, über-
mittelte die Anregung des Herrn Moltke, ihn zu beauftragen, den Text einer
No-force-declaration in einer privaten Audienz dem Marschall Pilsudski
mit den Grüßen des Herrn Reichskanzlers zu übergeben. Herr von Moltke
hält die Angelegenheit für dringlich, da zu befürchten sei, daß die Polen
durch Vorlegung eines eigenen Vorschlages das praevenire zu spielen ver-
suchen würden.
Ich habe Herrn Schliep erwidert, daß die Fixierung einer No-force-decla-
ration sich noch im Stadium der Prüfung befinde; ich würde die Anregung

143
Nr. 83 23. NOVEMBER 1933

von Herrn von Moltke sofort weiterleiten; es werde ihm telegraphischer


Bescheid zugehen.1)
MEYER
(i) Randvermerk: „Sofort H[errn] MD Meyer. RK ist mit der polnischen] .Erklärung' ein-
verstanden. Er ist auch mit dem v[on] Schliep überbrachten Vorschlag einverstanden]
Bitte also Moltke anweisen, daß er P[ilsudski] die Erklärung mit Grüßen usw. des RK
übergibt. B(itte) daran zu denken, daß der Anfang von Abs. 4 der .Erklärung' geändert
wurde. Hat Moltke diese Änderung bereits? B(ülow] 23. 11."
Die Weisung an Moltke ist Dokument Nr. 84.

83
9151/E 643 902-04
Das Auswärtige Amt an die Gesandtschaft in Prag
Sofort den 23. November 1933
BERLIN,
Kurier am 23. 11. [zu] II Ts. 1432 l)
1435 *)
1507 s)
Auf die Berichte A III 2 f. vom 8. d. M., A III 1 b. 8 vom 9. d. M. und A III
1 b. 8 vom 17. d.M.
Das Auswärtige Amt ist nach Lage der Dinge gleichfalls der Ansicht, daß
es zwar auf absehbare Zeit noch nicht möglich sein wird, die großen grund-
sätzlichen politischen Fragen und Gegensätze zwischen Deutschland und der
Tschechoslowakei einer Lösung näherzubringen, daß aber trotzdem beider-
seits angestrebt werden sollte, die äußeren Beziehungen zur Tschechoslo-
wakei möglichst bald wieder mindestens zu normalisieren.
Neben der Frage des Emigrantentums und einer Bereinigung der gegen-
seitigen Presseverbote wird in diesem Zusammenhang besonders auch der
von Benes selbst angeregte Austausch der aus politischen Gründen be-
straften bzw. festgesetzten Personen erwogen werden können. Hiernach
käme eine vorsichtige Vorbereitung einer solchen Maßnahme in der Rich-
tung in Betracht, daß eine Liste der seit dem Umsturz verurteilten Reichs-
deutschen in der Tschechoslowakei, die auch im einzelnen das ihnen vor-
geworfene Vergehen und ihre Strafen enthalten müßte, für die kommenden
Verhandlungen zusammengestellt und hierher eingereicht würde. Es ist
*(l) II Ts. 1432: Bericht Kochs Nr. A III 2 f. vom 8. November, abgedruckt als Dokument
Nr. 51.
*(2) II Ts. 1435: Bericht Kochs Nr. A III 1 b. 8 vom 9. November, abgedruckt als Dokument
Nr. 56.
• (3) II Ts. 1507: Bericht Kochs Nr. A III 1 b. 8 vom 17. November (9151/E 643 900-01), in dem
das Auswärtige Amt darauf aufmerksam gemacht worden war, daß der stellvertretende
tschechoslowakische Außenminister Krofta bei einem vertraulichen Empfang der Asso-
ciation der Auslandspresse in Prag erklärt habe, Deutschland habe der Tschechoslowakei
inoffiziell das Angebot eines Nichtangriffspakts gemacht. „Die Tschechoslowakei habe
aber darauf geantwortet, daß sie einen derartigen Pakt nicht ohne Einvernehmen mit
Frankreich sehließen könne und daß ferner gleichzeitig ein Nichtangriffspakt Deutsch-
land-Polen geschlossen werden müßte." Koch bat um Mitteilung darüber, inwieweit
Kroftas Äußerungen den Tatsachen entsprächen.

144
Nr. 84 24. NOVEMBER 1933

vorgesehen, eine ähnliche Liste der in Deutschland aus politischen Gründen


verhafteten oder verurteilten tschechoslowakischen Staatsangehörigen durch
das Reichsministerium des Innern herstellen zu lassen, sobald die ernste
Absicht der tschechoslowakischen Regierung auf Vornahme von entspre-
chenden Verhandlungen über den Austausch feststeht.
Ferner bitte ich, unter der Hand - jedenfalls ohne einen besonderen diplo-
matischen Schritt deswegen zu unternehmen - Feststellungen zu treffen, wie
man sich dort in amtlichen Kreisen die Konkretisierung der Benesschen An-
regung denkt.
Herr Mastny ist inzwischen nach seiner Rückkehr von Prag am 15. d.M.
bei mir erschienen 4 ) und hat mir über seinen letzten Aufenthalt in Prag und
von seinen Versuchen, auch seinerseits eine weitere Verschärfung des Kon-
flikts zu verhindern, Mitteilung gemacht. Dabei ist er seinerseits, wie sich
aus der beiliegenden Aufzeichnung über die Unterhaltung mit mir 5 ) ergibt,
auf die Frage des Gefangenenaustauschs nicht zu sprechen gekommen. Er
hat aber von sich aus die Gelegenheit dazu benutzt, um seinerseits das
Problem der Nichtangriffspakte anzuschneiden, das er offenbar im vor-
herigen Einverständnis mit Krofta in ähnlichem Sinne behandelt hat. Alles
Nähere darüber ergibt sich aus meiner Aufzeichnung. Irgendeine deutsche
Erklärung zu der Frage eines Nichtangriffspakts mit der Tschechoslowakei
liegt bisher nicht vor; daraus erklärt sich auch die Tatsache, daß ich mich
meinerseits zu den Ausführungen Mastnys durchaus rezeptiv verhalten
habe.
über den Sudetendeutschen Heimatbund und dessen zur Zeit im Gange
befindliche Umorganisation erfolgt gesonderter Bericht.6)
Im Auftrag
KÖPKE
(4) Siehe Dokument Nr. 68.
(5) Dokument Nr. 68.
(«) Randvermerk: „Erl[edigt] durch Reise nach Prag."

84
6177/E 463 495-97
Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath
an die Gesandtschait in Warschau
Telegramm
Citissime [BERLIN], den 24. November 1933 20 Uhr 50
Vorrang IV Po. 8503
Nr. 157
Für Gesandten persönlich.
Der Herr Reichskanzler ist mit dem Ihnen hier bereits persönlich über-
gebenen Entwurf einer deutsch-polnischen Erklärung einverstanden. 1 ) Es

(l) Für den von Hitler gebilligten Entwurf einer deutsch-polnischen Erklärung siehe Doku-
ment Nr. 81. Der Entwurf, der Moltke in Berlin übergeben worden war, vermutlich bei
seinem dortigen Aufenthalt am 20. November, ist gefilmt unter 9984/E 697 412-14.

145

II,1 Bg. 10
Nr. 84 24. NOVEMBER 1933

ist lediglich folgende Änderung vorzunehmen:


Auf Seite 1 der Erklärung ist der erste Satz des Absatzes 4 wie folgt zu
fassen: 2 )
„Zu diesem Zweck stellen sie fest, daß sie entschlossen sind, alle zwischen
den beiden Ländern auftauchenden Fragen, welcher Art sie auch sein mögen,
auf den Weg unmittelbarer Verhandlungen zu leiten. Sollten etwa Streit-
fragen usw." Im übrigen bleibt der Text unverändert.
Der Herr Reichskanzler ist ferner damit einverstanden, daß Sie diesen
Entwurf in einer Audienz dem Marschall Pilsudski im Namen des Herrn
Reichskanzlers übergeben. Ich bitte Sie, sofort diese Audienz in geeigneter
Form nachzusuchen und auf schnelle Anberaumung des Termins zu drängen,
damit die Polen uns nicht mit irgendwelchen Vorschlägen zuvorkommen.
Den Tag der Audienz bitte ich drahtlich zu melden, da ich an dem gleichen
Tage den polnischen Gesandten 3 ) empfangen will, um ihm Abschrift der
von Ihnen zu überreichenden Erklärung zu übergeben. Von dieser Absicht
bitte ich aber den dortigen Stellen gegenüber noch nichts verlauten zu
lassen. Auch bitte ich die Nachsuchung der Audienz nur in der Weise zu
begründen, daß Sie in Verfolg der Demarche, die der polnische Gesandte
in Berlin im Auftrage des Marschalls Pilsudski beim Herrn Reichskanzler
gemacht habe,4) einen Auftrag des Herrn Reichskanzlers beim Marschall
auszuführen hätten.
Ich bitte bei der Audienz etwa folgendes auszuführen: Der Herr Reichs-
kanzler erwidere mit bestem Dank die Grüße des Marschalls. Er habe mit
Genugtuung die Initiative des Marschalls begrüßt, dessen Ideen von ihm
durchaus geteilt würden, wie sich aus dem vereinbarten Pressekommuni-
que 5 ) ergebe. Der Reichskanzler sei der Ansicht, daß es zweckmäßig sei,
es nicht bei diesem Kommunique zu belassen, sondern eine Form zu finden,
welche die Gedanken und die Willensrichtung der beiden Regierungen
klarer präzisiere und einen nachhaltigeren politischen Effekt habe. Sie
seien deshalb beauftragt, den Entwurf einer Erklärung zu überreichen, wie
sie von beiden Regierungen abgegeben werden könnte, um zu dem ge-
wünschten Ziele zu gelangen. Zur Begründung dieses Entwurfs wäre weiter
auszuführen, daß es dem Herrn Reichskanzler gut erscheine, nicht mit den
hergebrachten alten Begriffen und schon etwas abgegriffenen Formulierun-
gen zu operieren, sondern anstatt dessen eine Form zu wählen, die den
politischen Entschluß der beiden Regierungen unzweideutig in Erscheinung
treten lasse und auf die Öffentlichkeit einen stärkeren Eindruck machen
würde als die nicht mehr in besonderem Ansehen stehende übliche Pakt-
form. Dabei wäre aber zu betonen, daß die in dem Entwurf gewählte Form
nichts an dem bindenden Charakter der Abmachungen ändere, wie sich
schon aus der am Schluß vorgesehenen Ratifizierung ergäbe.

(2) Der entsprechende Satz lautete in dem Moltke in Berlin übergebenen Entwurf: „Zu
diesem Zwecke stellen sie fest, daß sie entschlossen sind, alle die beide Länder
berührenden Fragen, welcher Art sie auch sein mögen, auf dem Wege unmittelbarer
Verhandlungen in Angriff zu nehmen."
• (3) Lipski.
• (4) Siehe Dokument Nr. 69.
(0) Siehe Dokument Nr. 69, Anm. 2.

146
Nr. 85 24. NOVEMBER 1933

Sollte der Marschall Pilsudski Sie allein ohne den Außenminister emp-
fangen, so bitte ich nach der Audienz Herrn Beck aufzusuchen und ihm Ab-
schrift der dem Marschall übergebenen Erklärung zu übergeben, wobei Sie
die gleichen Ausführungen zu machen hätten wie dem Marschall Pilsudski
gegenüber. Auch der weitere modus procedendi wäre dann mit Herrn Beck
zu besprechen.
v. N[EURATH]

85
6159/E 461 245-48
Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Menshausen
Geheim BERLIN, den 24. November 1933
zu II Vat. 526 >)
AUFZEICHNUNG

Ministerialdirektor Jäger vom Preußischen Kultusministerium hat dem


Auswärtigen Amt in nichtamtlicher Form vertraulich zur Kenntnis gebracht,
daß das hiesige Domkapitel den Bischof Bares von Hildesheim zum Bischof
von Berlin gewählt und gemäß Artikel 6 des Preußischen Konkordats bei
der Preußischen Staatsregierung angefragt habe, ob Bedenken politischer
Art gegen den Genannten bestünden. Auf Grund der beim Kultusministe-
rium vorliegenden Informationen sei beabsichtigt, die Wahl abzulehnen,
sofern von seiten des Auswärtigen Amts gegen die Ablehnung keine Be-
denken bestünden. Zwecks Wahrung der im Schlußprotokoll des Reichs-
konkordats 2) vorgesehenen Ablehnungsfrist sei dem Domkapitel auf seine
Anfrage ein Vorbescheid des Inhalts erteilt worden, daß die Erwägungen
über die Angelegenheit noch nicht abgeschlossen seien.
Die gegen Bischof Bares vorliegenden Bedenken begründete Herr Jäger
damit, daß Bares noch im verflossenen Jahre die von Zentrumsseite in seiner
Diözese betriebene Pressekampagne gegen den Nationalsozialismus und
die politische Terrorisierung der katholischen Bevölkerung durch verschie-
dene Geistliche seines Bezirks zum mindesten geduldet habe. Als besonders
gehässig gelte der Generalvikar, für dessen Verhalten der Bischof doch
letzten Endes verantwortlich sei. Ein im Juli 1932 an den Bischof gerichtetes
Protesttelegramm der von Oberregierungsrat Lossau geleiteten „Abwehr-
stelle gegen Kirchenmißbrauch" wegen Mißbrauchs des Beichtstuhls von
seiten einiger Redemptoristenpater zu parteipolitischen Zwecken sei un-
beantwortet geblieben. Jedenfalls bestehe kein Zweifel, daß Bischof Bares -
wie wohl die meisten Mitglieder des deutschen Episkopats - dem National-
sozialismus innerlich ablehnend gegenüberstehe. Es sei daher wünschens-
wert, daß für den besonders wichtigen Berliner Bischofsstuhl eine Persön-
lichkeit ernannt werde, deren nationalsozialistische Gesinnung einwandfrei
feststehe. Er (Jäger) habe dies auch dem Bischof Berning von Osnabrück

(i) II Vat. 526: Telegramm Bergens Nr. 91 vom 22. November (6159/E 461 242)
(2) Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 371.

147
Nr. 85 24. NOVEMBER 1933

(Mitglied des Preußischen Staatsrats) noch dieser Tage bei seinem Besuch
in Berlin unverhohlen zum Ausdruck gebracht.
Unsere auf Grund dieser Mitteilungen an den Botschafter beim Heiligen
Stuhl gerichtete Bitte um Stellungnahme 3 ) wurde dahingehend beantwortet,
daß eine nicht hinreichend begründete Ablehnung des 1928 als einwandfrei
anerkannten Bischofs von Hildesheim leicht zu Weiterungen mit der Kurie
führen würde.4) Bares gelte bei der Kurie als streng kirchlicher Bischof, der,
abgesehen von seiner früheren Zugehörigkeit zum Zentrum und seinen
persönlichen Beziehungen zu den damaligen Parteiführern, politisch nicht
weiter in die Erscheinung getreten sei.
In der Tat lassen die gegen Bischof Bares vorgebrachten Bedenken den
so schwerwiegenden Schritt einer Ablehnung „aus politischen Gründen"
nicht genügend gerechtfertigt erscheinen. Wie ich natürlich streng ver-
traulich feststellen konnte, hatte im Gegenteil auch der Regierungspräsident
von Hildesheim auf Anfrage ausdrücklich berichtet, daß ihm keine Tat-
sachen bekannt seien, aus denen Bedenken politischer Natur gegen Bares
begründet werden könnten. Die Anregung der Ablehnung geht offenbar
von anderer, nichtamtlicher Stelle aus.
Auf Weisung des Herrn Reichsministers habe ich Ministerialdirektor
Jäger von der Äußerung des Botschafters von Bergen in Kenntnis gesetzt
und ihm unter Darlegung unseres Standpunktes auftragsgemäß mitgeteilt,
daß Auseinandersetzungen mit der Kurie vermieden werden müßten und
daß dies auch der ausdrückliche Wunsch des Herrn Reichskanzlers sei. Dabei
wies ich darauf hin, daß Bischof Bares im Falle der Ablehnung seiner
Transferierung nach Berlin ja doch den Bischofsstuhl von Hildesheim be-
hielte und somit ohnehin Mitglied des Preußischen Episkopats bliebe.
Ministerialdirektor Jäger erwiderte, daß er sich den von uns vorge-
brachten Bedenken nicht verschließen könne und einsehe, daß daraus
schwerwiegende Komplikationen entstehen könnten. Er glaube zwar kaum,
daß Ministerpräsident Göring ohne weiteres mit der Wahl des Bischofs
Bares einverstanden sein werde, aber ausschlaggebend sei ja letzten Endes
der Wunsch des Führers.
Da inzwischen auch an den Herrn Reichskanzler in seiner Eigenschaft als
Reichsstatthalter von Preußen von seiten des Berliner Domkapitels eine
ähnliche Anfrage wie an das Preußische Staatsministerium auf Grund des
Artikels 14 des Reichskonkordats ergangen sein dürfte, erscheint es zweck-
mäßig, dem Führer baldigst eine persönliche Entscheidung in dem Sinne
vorzuschlagen, daß Bedenken gegen die Ernennung des Bischofs Bares zum
Ordinarius der Diözese Berlin nicht geltend gemacht werden sollen.
Hiermit dem Herrn Reichsminister über den Herrn Staatssekretär und
Herrn Ministerialdirektor Köpke zur geneigten Kenntnis gehorsamst vor-
gelegt.5)
MENSHAUSEN
(3) Telegramm Nr. 44 vom 21. November (6159/E 461 241).
*(4) Telegramm Bergens Nr. 91 vom 22. November. Siehe Anm. 1.
(5) Bei der Vorlage befindet sich in den Akten folgende Notiz (6159/E 461 244): „Göring
will von der Wahl Bares' zum Bischof von Berlin nichts wissen, trotzdem ich unsere
Bedenken gegen die Ablehnung geltend gemacht habe. v. N[eurath] 2. 12."
Siehe Dokument Nr. 134.

148
Nr. 86 25. NOVEMBER 1933

86
2406/D 510 757-59

Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath


BERLIN, den 25. November 1933
RM. 1620
Der Herr Reichskanzler empfing gestern in meinem Beisein den franzö-
sischen Botschafter.1) Dieser begann die Unterhaltung mit längeren Aus-
führungen, in welchen er darzulegen suchte, daß sich in Frankreich in der
öffentlichen Meinung ein Umschwung vorbereite, der auf die verschiedenen
Erklärungen des Reichskanzlers über den Friedenswillen Deutschlands und
die Absicht direkter Verständigung mit Frankreich zurückzuführen sei. Herr
Poncet erklärte dazu, daß die Meinung Frankreichs natürlich noch sehr ge-
teilt sei und daß noch einige Zeit vergehen werde, bis die Mehrheit des
französischen Volkes sich an den Gedanken einer direkten Verständigung
mit Deutschland gewöhnt habe. Immerhin sei ein wesentlicher Fortschritt
in dieser Richtung zu verzeichnen. Der Kanzler unterbrach den Botschafter
und machte ihn auf die Veröffentlichung im Petit Parisien aufmerksam, die
er als offensichtliche Fälschung bezeichnete mit dem Zwecke, eine deutsch-
französische Annäherung zu sabotieren.2) Aus der Antwort des französi-
schen Botschafters ging hervor, daß er selbst nicht durchaus von der Fäl-
schung überzeugt ist, und ich hatte sogar den Eindruck, daß er vor der Ver-
öffentlichung von den Dokumenten Kenntnis erhalten hat.
übergehend zu dem von dem Herrn Reichskanzler dem Herrn de Brinon
gegebenen Interview, 3 ) das übrigens, wie der Herr Reichskanzler bemerkte,
ohne seine Zustimmung veröffentlicht worden ist, allerdings mit der Ab-
sicht, der Veröffentlichung des Petit Parisien und seinen ungünstigen Wir-
kungen entgegenzuarbeiten, frug Herr Poncet, ob der darin vorkommende
Satz, daß wir auf keinen Fall wieder nach Genf zurückkehren würden, richtig
wiedergegeben sei. Anstelle des Reichskanzlers erwiderte ich Herrn Poncet,
daß wir jedenfalls einem Völkerbund in der jetzigen Form nicht wieder
beitreten würden, dagegen seien wir selbstverständlich bereit, auf solchen
Gebieten mitzuarbeiten, die nicht politischer Natur seien und deshalb eine
internationale Zusammenarbeit fruchtbar erscheinen ließen. Der Reichs-
kanzler unterstrich noch diese meine Ausführungen.
Sodann frug Herr Poncet nach unseren Rüstungswünschen. Der Kanzler
gab ihm die gleichen Erklärungen wie seinerzeit dem englischen Botschaf-
ter,4) die Herr Poncet als ihm bekannt bezeichnete. Herr Poncet erwähnte

l1) Siehe auch Dokument Nr. 54.


(2) Der Hinweis bezieht sich auf einen Artikel im Petit Parisien vom 17. November 1933,
in dem unter der Überschrift „Le vrai visage des maitres du 3e Reich" angebliche Pro-
pagandaleitsätze für die deutschen diplomatischen Vertretungen, besonders in Nord-
und Südamerika, vorgestellt worden waren. Die Botschaft in Paris hatte in Telegramm
Nr. 905 vom 16. November (2406/D 510 752-53) über den Artikel berichtet.
(3) Dieses Interview Hitlers mit dem französischen Journalisten Brinon war am 22. Novem-
ber in der Zeitung Le Matin veröffentlicht worden. Siehe auch Brinon, Memoires, S. 28.
*(4) Phipps. - Siehe Dokument Nr. 23.

149
Nr. 87 25. NOVEMBER 1933

hierbei auch die Kontrollfrage und frug, ob wir also einer Kontrolle „si
omnes" zustimmten. Der Reichskanzler bejahte dies,
Auf die Saarfrage übergehend, brachte Herr Poncet seine alten Thesen
vor, daß nämlich wirtschaftlich die Saar aufs engste mit Lothringen verbun-
den sei und daß man bezüglich der Saargruben einen Weg finden müsse,
der eine deutsch-französische Zusammenarbeit dort ermögliche. Diesen
letzteren Gedanken bezeichnete der Kanzler auch als seinen Intentionen
entsprechend, während er auf die Frage der wirtschaftlichen Abhängigkeit
des Saargebiets von Lothringen nicht näher einging.5) Endlich brachte Herr
Poncet die Sprache auch noch auf die österreichische Frage, die jedoch der
Kanzler mit der kurzen Bemerkung abfertigte, daß man in Österreich eben
Neuwahlen ausschreiben müsse. Im übrigen betonte der Kanzler Herrn
Poncet gegenüber, daß er nicht die Absicht habe, die österreichische An-
schlußfrage aufzurollen. Wir hätten genügend Probleme im eigenen Lande
zu lösen, so daß wir nicht Lust hätten, uns durch den österreichischen An-
schluß noch weitere aufzubürden.
Die Unterredung dauerte beinahe 1 l /i Stunden. Es herrschte Überein-
stimmung darüber, daß die deutsch-französischen Besprechungen auf diplo-
matischem Wege fortzusetzen seien, daß aber eine längere Zeit vergehen
müsse, bis sie zu einem Ergebnis führen könnten. Herr Poncet äußerte be-
züglich der Zukunft der französischen Regierungen die Ansicht, daß voraus-
sichtlich in einiger Zeit Herr Daladier, evtl. auch Herr Tardieu, die Regie-
rungsgewalt wieder übernehmen würden, daß aber noch ein bis zwei kurz-
lebige Ministerien vorausgehen müßten, um die für eine starke Regierung
in Frankreich erforderlichen Vorbedingungen zu schaffen.6)
v. N[EURATH]
(5) Siehe hierzu Dokument Nr. 101 und Anm. 2 dazu.
*(8) Ein Bericht Francois-Poncets über die Unterredung mit Hitler ist abgedruckt in Docu-
ments Diplomatlques Francais, 1. Serie, Bd. V, Nr. 52.

87
5752/H 037 417
Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt
Telegramm

Nr. 75 vom 24. 11. WARSCHAU, den 25. November 1933 2 Uhr 45
Ankunft: 25. November 5 Uhr
IV Po. 8521
Außenminister Beck, den ich heute im Zusammenhang mit Wirtschafts-
verhandlungen sprach, benutzte die Gelegenheit, um seiner Befriedigung
über letzte Entwicklung deutsch-polnischer Beziehungen Ausdruck zu
geben. Die verschiedenen Äußerungen Reichskanzlers, insbesondere die
von früherem Ton abweichenden Bemerkungen über Polen, hätten hier
starken Eindruck gemacht. Er habe daher in engstem Einvernehmen mit

150
Nr. 89 27. NOVEMBER 1933

Marschall Pilsudski geglaubt, daß Zeitpunkt für Initiative in deutsch-polni-


scher Frage gekommen sei. Gegenwärtige Depression Europas dürfe Mut
zu aktiver Politik nicht beeinträchtigen. Er werde den als richtig erkannten
Weg fortsetzen und sich durch keinerlei Kritik beeinflussen lassen, woher
sie auch komme. Er wisse sehr wohl, daß es Nutznießer der deutsch-polni-
schen Spannung gegeben habe. Besonders dankbar sei er für rückhaltloses
Aufgreifen polnischer Anregungen durch Reichskanzler sowie freundliche
Aufnahme, die Gesandter Lipski auch persönlich gefunden habe.
Bezüglich Wirtschaftsabkommen sei er bemüht, Ausweg aus noch immer
vorhandenen Schwierigkeiten zu finden, die besonders in Schiffahrtsfrage
zwischen beteiligten Ressorts entstanden seien. Die Prüfung dieser kompli-
zierten Frage habe er leider noch nicht abschließen können.
MOLTKE

88
6177/E 463 507-08
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
[BERLIN, den] 27. November [1933]
IV Po. 8632
Ich habe dem polnischen] Gesandten ,) heute um 6 Uhr 30 eine Abschrift
der Erklärung 2 ) gegeben u[nd] die im Erlaß nach Warschau 3 ) niedergeleg-
ten Ausführungen gemacht. Außerdem habe ich ihn gebeten, keine Mittei-
lung darüber an die Presse zu geben. Moltke sei beauftragt, mit dem pol-
nischen] Außenministerium ein Komm[uniqu6] zu verfassen u[nd] zur Ge-
nehmigung hierher mitzuteilen.
v. N[EURATH]
• (1) Lipski.
(2) Dokument Nr. 81, Anlage.
(3) Dokument Nr. 84.

89
9078/E 637 466-68
Autzeichnung des Legationsrats Altenburg
BERLIN, den 27. November 1933
zu IV Chi. 2567 l) II
Herr Klein 2 ) ist der Leiter der STAMAG und steht dem Reichswehrmini-
sterium nahe. In den Kreisen der Industrie, wie z. B. Siemens, war er bisher
anscheinend unbekannt. Er ist durch den Ministerialrat de Grahl vom

(1) IV Chi. 2567: Nicht ermittelt.


(2) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 436.

151
Nr. 89 27. NOVEMBER 1933

Waffenamt im Auswärtigen Amt eingeführt worden und hat hier über eine
Geschäftsreise nach Südchina und über die dort von ihm mit der Regierung
der Provinz Kuangtung angeblich geschlossenen Verträge betreffend Auf-
bau einer Rüstungsindustrie in Canton berichtet. Er ist von hier aus unter
Vorbehalt der Prüfung der politischen Seite seiner Pläne zunächst an die
Deutsche Revisions- und Treuhand AG sowie an das Reichswirtschafts-
ministerium verwiesen worden, um mit diesen Stellen seine Pläne nach der
wirtschaftlichen Seite hin und im Hinblick auf die von ihm nachgesuchte
Reichsausfallbürgschaft für ein Objekt von ca. 7 Millionen RM zu bespre-
chen.
Soweit bekannt, ist der Antrag auf Reichsausfallbürgschaft zunächst auf
die technische Schwierigkeit gestoßen, daß Herr Klein lediglich eine Han-
delsfirma, nicht eine Industriefirma vertritt. Er ist insbesondere vom Reichs-
wirtschaftsministerium (Oberregierungsrat Köhler) dahin beraten worden,
wie er seinen Antrag etwa durch Bildung eines Konsortiums den bestehen-
den Bestimmungen anzupassen habe. Im Auswärtigen Amt hat sich Herr
Klein nicht wieder gemeldet. Nach der politischen Seite unterliegt der Auf-
bau einer Rüstungsindustrie in Südchina durch deutsche Firmen gewissen
Bedenken. Der deutsche Gesandte Herr Trautmann hat wiederholt seine
Ansicht dahin zum Ausdruck gebracht, daß Deutschland sich auf dem Gebiet
der Rüstungsindustrie und der Arsenallieferungen aus dem südchinesischen
Geschäft nach Möglichkeit heraushalten solle,3) und zwar vor allem wegen
des innerpolitischen Gegensatzes zwischen der chinesischen Zentralregie-
rung in Nanking und den nahezu unabhängig gewordenen Provinzialregie-
rungen in Südchina, vor allem in Canton. Wir sollten uns daher wie bisher
hinsichtlich wehrpolitischer Maßnahmen auf die Unterstützung der Nankin-
ger Zentralregierung (deutsche Militärberater, Arsenalprojekte u. ä.) be-
schränken und uns Nanking nicht durch auch wirtschaftlich zu optimistische
Extratouren in Südchina verprellen. Es ist hier allerdings bekannt, daß die
Pläne des Herrn Klein im Reichswehrministerium, namentlich im Waffen-
amt, bisher immer eine starke Förderung erfahren haben.
Im Zusammenhang mit dem Besuch des Herrn Klein in Canton befinden
sich jetzt zwei chinesische Generale aus Canton in Berlin, von ihnen ist der
eine der Direktor des Cantoner Arsenals. Beide wollen angeblich die Waf-
fenfabrikation in Europa im Zusammenhang mit der geplanten Errichtung
eines großen Arsenals bei Canton studieren.4)
Es dürfte sich für eine etwaige Besprechung mit Herrn Keppler empfeh-
len, auf die bestehenden politischen Bedenken im Zusammenhang mit der
soeben auch amtlich bestätigten Meldung von der Unabhängigkeitserklä-
rung der südchinesischen Provinz Fukien hinzuweisen.
Hiermit über Herrn Ministerialdirektor Meyer Herrn Ministerialdirektor
Ritter ergebenst vorgelegt.
I.A.
A[LTENBURG]

(») Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 436.


*(4) Weitere Einzelheiten über die Aktivitäten der chinesischen Generale Wu Yet-chih und
Tang Yen-diun in Berlin sind in einer Aufzeichnung Altenburgs vom 29. Januar 1934
(8580/E 601 963-65) enthalten.

152
Nr. 90 27. NOVEMBER 1933

90
6177/E 463 502-03
Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt

Telegramm

Cito WARSCHAU, den 28. N o v e m b e r 1933 8 Uhr 22


Nr. 76 vom 27. 11. Ankunft: 28. N o v e m b e r 11 Uhr
IV Po. 8594

Empfang bei Marschall Pilsudski hat heute nachmittag stattgefunden. Die


Unterredung, bei der Außenminister Beck zugegen w a r und die etwa 1 1U
Stunde d a u e r t e , trug einen betont freundlichen Charakter, wie ü b e r h a u p t
die für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich schnelle A n b e r a u m u n g des Emp-
fangs als besondere Aufmerksamkeit zu w e r t e n ist.
Der Marschall, der in Unterhaltung gern v o m sachlichen Thema ab-
schweift, um persönliche Erinnerung, meistens militärischer Art, einzu-
flechten, macht einen geistig frischen, körperlich aber über seine J a h r e
hinaus gealterten und fast gebrechlichen Eindruck. Seine Grundeinstellung
zu dem e r ö r t e r t e n Fragenkomplex war gekennzeichnet durch eine immer
wieder zum Ausdruck kommende sympathische A n e r k e n n u n g der Persön-
lichkeit Reichskanzlers, dessen aufrichtigen Friedenswillen er im Laufe
Unterhaltung in einer fast polemisch klingenden, a n H e r r n Beck gerichteten
Bemerkung unterstrich.
Ich b e g a n n die Unterredung mit Übermittlung des Dankes und der Grüße
des Reichskanzlers, die Pilsudski mit sichtlicher Befriedigung entgegennahm.
Nach der weisungsgemäß erfolgten Darlegung über die gewählte Form der
„Erklärung" h a b e ich diese dem Wunsch des Marschalls entsprechend auf
deutsch vorgelesen und durch Erläuterungen in der ihm geläufigeren fran-
zösischen Sprache ergänzt. 1 )
Pilsudski äußerte sich zustimmend zu G r u n d g e d a n k e n des deutschen Vor-
schlags. Er billigte insbesondere, und zwar in der ihm eigenen drastischen
Ausdrucksweise, die W a h l einer neuartigen Formulierung und den ihm be-
sonders sympathischen Verzicht auf die v e r h a ß t e n Paragraphen, ließ a b e r
vorsichtshalber durchblicken, daß manchmal auch althergebrachte Formen
und P a r a g r a p h e n ihren W e r t hätten. Er erklärte, daß er naturgemäß nicht
in der Lage sei, zu Einzelheiten des Entwurfs Stellung zu nehmen, daß er
aber ein Bedenken schon jetzt hervorheben wolle, und zwar die Bezug-
nahme auf d e n Schiedsvertrag von Locarno, der in Polen einen schlechten
Klang habe. Hinsichtlich des weiteren Prozedere setzte der Marschall in
umständlicher Form auseinander, wem alles der Entwurf zur Prüfung und
Begutachtung vorgelegt w e r d e n müsse, und wies wiederholt darauf hin,
daß dieses Verfahren geraume Zeit in Anspruch n e h m e n würde. Im weite-
ren Verlauf der Unterredung unterstrich Pilsudski seinen Wunsch, die
deutsch-polnischen Beziehungen auf eine freund-nachbarliche Basis zu
bringen, betonte aber mit einer Deutlichkeit, wie ich sie bisher von polni-

*(i) Siehe die Dokumente Nr. 81 und 84.

153
Nr. 91 30. NOVEMBER 1933

sehen Politikern kaum gehört habe, daß sich aus der 1000 Jahre alten
Deutschfeindlichkeit des polnischen Volkes große Schwierigkeiten bei der
Durchführung dieser Politik ergeben würden. Diese Politik dürfe infolge-
dessen nicht auf Gefühlsmomente, sondern nur auf Erwägungen der Ver-
nunft aufgebaut werden. Seiner Behauptung, daß die Verhältnisse in
Deutschland ähnlich lägen, widersprach ich und betonte unter Hinweis auf
Vorfälle der letzten Zeit die Notwendigkeit, eine planmäßige Wirkung 2 )
einzuleiten, wie das bereits von seiten Deutschlands z. B. auf dem Gebiet
der Presse in wirksamer Weise geschehen sei. Meine Darlegungen beant-
wortete Pilsudski, indem er seiner grenzenlosen Verachtung für die Presse
Ausdruck verlieh, mit der er nichts zu tun haben wolle, gab aber zu, daß es
nützlich sei, auf politische Organisationen einzuwirken.
Abschließend erwähnte ich den Wunsch Reichskanzlers, auch auf wirt-
schaftlichem Gebiet zu normalen Beziehungen zu gelangen. Pilsudski erwi-
derte, daß seinerzeit nur ein Minister im polnischen Ministerium dem Zoll-
krieg widersprochen habe, während heute sich wohl kaum ein Minister fin-
den würde, der die Fortführung dieses unseligen Krieges gutheiße. Aller-
dings sei Polen, das sich ohne jegliche Reserve durch die Wirtschaftskrise
durchgekämpft habe, darauf angewiesen, einen wirtschaftlich tragbaren
Ausgleich zu suchen.
MOLTKE
*(2) Möglicherweise wurde der Text an dieser Stelle bei der Übermittlung verstümmelt.

91
6064/E 448 656-60
Der Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers an das Auswärtige Amt
Vertraulich BERLIN, den 30. November 1933
Rk. 13 694 II II Balk. 2200 Js.
Auf Grund der mir durch Schreiben des Herrn Staatssekretärs von
Bülow1) übermittelten Aufzeichnung des Herrn Ministerialdirektors
Köpke 2 ) über den Besuch des Herrn von Hohen-Aesten 3 ) beim jugoslawi-
schen Gesandten in Berlin und der der Reichskanzlei zugegangenen Auf-
zeichnung des Legationssekretärs Dr. Budde vom 27. d. Mts.4) über die gleiche
Angelegenheit hat der Herr Reichskanzler die Verhaftung des Herrn von
Hohen-Aesten angeordnet. Herr von Hohen-Aesten ist dem Preußischen
Geheimen Staatspolizeiamt übergeben worden.

(1) Fundort: 9348/E 662 329.


(2) Köpke hatte in dieser Aufzeichnung vom 17. November (6065'H 448 781-82) vermerkt,
der jugoslawische Gesandte Balugdzic habe ihn erneut auf die Angelegenheit der
kroatischen Emigrantenblätter angesprochen und ihn außerdem auf Aktivitäten eines
gewissen Herrn von Hohen-Aesten aufmerksam gemacht.
(3) Siehe Dokument Nr. 15.
(4) Fundort: 6064/E 448 651-52.

154
Nr. 91 30. NOVEMBER 1933

Abschriften der Vernehmungsprotokolle übersende ich mit der Bitte um


vertrauliche Kenntnisnahme.5)
DR. LAMMERS

[Anlage 1]
Abschrift
BERLIN, am 24. November 1933
Es erschien Herr Sergius Wiegand von Hohen-Aesten beim Herrn Reichs-
kanzler.
Der Herr Reichskanzler hielt Herrn von Hohen-Aesten vor, er solle nach
einer Mitteilung des jugoslawischen Gesandten Balugdzic diesen aufge-
sucht und ihm folgendes erklärt haben:
Er sei ein Freund des nationalsozialistischen Abgeordneten Rosenberg
und wolle ihm nahelegen, doch den Versuch, das Verbot der beiden Emi-
grantenblätter Croatiapress und Nezavisna Hrvatska Drzava über das
Auswärtige Amt zu erreichen, aufzugeben. Er - von Hohen-Aesten - sei in
der Lage, die Sache über das Außenpolitische Amt in wenigen Tagen zu er-
ledigen, nur bäte er den Gesandten, ihm für vier namentlich bezeichnete
Herren im Außenpolitischen Amt jugoslawische Dekorationen in Aussicht
zu stellen. Er - Hohen-Aesten - habe zugleich bei ihm - dem jugoslawischen
Gesandten -, ebenso wie vor einiger Zeit bei dem tschechoslowakischen
Gesandten, den Abschluß eines Nichtangriffspaktes angeregt.
Herr von Hohen-Aesten erklärte:
Seit November 1925 war ich Vertrauensmann des ungarischen Gesandten
von Känya. Ich bekleidete diese Stellung bis zum Weggange des Herrn von
Känya aus Berlin 6 ) und bin auch heute noch der Vertrauensmann der unga-
rischen Gesandtschaft in Berlin.7) Infolge dieser Tätigkeit für Ungarn habe
ich seit Jahren persönliche Beziehungen zu verschiedenen Botschaften und
Gesandtschaften in Berlin, u. a. auch zu dem jugoslawischen Gesandten
Balugdzic und dem tschechoslowakischen Gesandten Mastny. Ich besuche
diese beiden Gesandten gelegentlich. Bei dem jugoslawischen und auch bei
dem tschechischen Gesandten war ich in letzter Zeit häufiger. Den jugosla-
wischen Gesandten habe ich in der vorigen Woche einmal aufgesucht, des-
gleichen heute. Mit dem jugoslawischen Gesandten habe ich, als ich
ihn in der vorigen Woche aufsuchte, über die beiden Emigrantenblätter
überhaupt nicht gesprochen, wohl aber mit dem Legationsrat der jugosla-
wischen Gesandtschaft Rasic. Es ist nicht wahr, daß ich dem jugosla-
wischen Gesandten nahegelegt habe, seine Versuche auf ein Verbot
der beiden Emigrantenblätter über das Auswärtige Amt aufzugeben.
Auch habe ich nicht gesagt, daß ich in der Lage sei, die Sache über das

(5) Randvermerk: ,H[err] v[on] Mackensen - Budapest - ist durch anliegenden Brief unter-
richtet. - LS Adolf von Bülow hat gleichfalls Kenntnis. Budde 14. 12."
Der in dem Randvermerk erwähnte Brief trug das Datum vom 7. Dezember (6064/E 448
661-63). Köpke forderte darin Mackensen zu einer Stellungnahme zu Aussagen auf, die
Hohen-Aesten im Laufe der Verhöre gemacht hatte.
(») Känya hatte Berlin im Februar 1933 verlassen.
• (') Randbemerkung: „?"

155
Nr. 91 30. NOVEMBER 1933

Außenpolitische A m t in w e n i g e n Tagen zu erledigen, w e n n der Gesandte


d e m Außenpolitischen A m t für vier H e r r e n dieses Amtes jugoslawische
D e k o r a t i o n e n in Aussicht stelle. Ich k a n n mir nicht erklären, wie der jugo-
slawische G e s a n d t e zu d e r a r t i g e n Behauptungen kommt. Ich bin über diese
B e h a u p t u n g e n ganz bestürzt und möchte bitten, sie durch Gegenüberstellung
meiner Person mit dem jugoslawischen Gesandten aufzuklären.
Im ü b r i g e n b e m e r k e ich, daß ich zu dem Außenpolitischen Amt ü b e r h a u p t
k e i n e Beziehungen habe . Allerdings k e n n e ich den Leiter dieses Amtes,
H e r r n Rosenberg, persönlich und komme mit ihm gelegentlich zusammen.
G e s t e r n h a b e ich ihn bei einem Empfange der lettischen Gesandtschaft ge-
sprochen. V o r h e r h a b e ich ihn fast ein ganzes J a h r lang nicht mehr gesehen.
Es ist nicht richtig, daß ich den Abschluß von Nichtangriffspakten beim
jugoslawischen u n d beim tschechischen Gesandten „angeregt" habe. Aller-
dings h a b e ich mit beiden Gesandten über die Möglichkeit eines Nichtan-
griffspaktes gesprochen, und zwar im Anschluß an die Friedensrede des
H e r r n Reichskanzlers v o m 13. Oktober dieses J a h r e s bzw. die Regierungs-
e r k l ä r u n g v o m 14. O k t o b e r ds. Js. 8 ) Sowohl in der Rede des Reichskanzlers
als auch in der R e g i e r u n g s e r k l ä r u n g w a r die Rede davon, daß Deutschland
bereit sei, mit allen in F r a g e kommenden Mächten Nichtangriffspakte abzu-
schließen. Es lag d a h e r durchaus nahe, daß ich die beiden Gesandten darauf-
hin ansprach, wie sie ü b e r den Abschluß solcher Nichtangriffspakte dächten.
Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben,
gez. SERGIUS WIEGAND VON HOHEN-AESTEN
Verhandelt wie oben,
gez. DR. LAMMERS
Staatssekretär in der Reichskanzlei

(Anlage 2]
Abschrift
BERLIN, den 30. N o v e m b e r 1933

NIEDERSCHRIFT

Auf e r n e u t e V o r l a d u n g erschien Herr Sergius W i e g a n d von Hohen-


A e s t e n h e u t e vormittag (30. 11.) in der Reichskanzlei.
Der H e r r Reichskanzler hielt ihm vor, daß die in der Aufzeichnung des
Ministerialdirektors K ö p k e vom Auswärligen Amt enthaltenen A n g a b e n 9 )
durch d e n jugoslawischen Gesandten persönlich als völlig zutreffend be-
stätigt w o r d e n seien, und machte H e r r n von Hohen-Aesten mit dem Inhalt
d e r ü b e r diesen Besuch des jugoslawischen Gesandten im A u s w ä r t i g e n Amt
gefertigten Aufzeichnung des Legationssekretärs Dr. Budde (persönlichen
Referenten des Ministerialdirektors Köpke) vom 27. N o v e m b e r b e k a n n t .
H e r r v o n H o h e n - A e s t e n b e h a u p t e t e darauf, daß diese Aufzeichnung d e s
A u s w ä r t i g e n Amts nichts anderes als ein gefälschtes Dokument sein k ö n n e .
Er l e u g n e t e nach w i e vor, die ihm zur Last gelegten Äußerungen g e g e n ü b e r
d e m jugoslawischen G e s a n d t e n gemacht zu haben.

(8) Siehe Dokument Nr. 1


• (») Siehe Anm. 2.

156
Nr. 92 30. NOVEMBER 1933

Der Herr Reichskanzler ordnete daraufhin die sofortige Verhaftung des


H e r r n v o n H o h e n - A e s t e n an.
H e r r von H o h e n - A e s t e n wurde im Laufe des V o r m i t t a g s dem G e h e i m e n
Staatspolizeiamt übergeben. 1 0 )
gez. DR. THOMSEN

(10) Am 20. Februar 1934 übersandte Lammers dem Auswärtigen Amt die Abschrift einer
Weisung Hitlers (6064/E 448 685-87), Hohen-Aesten aus der Haft zu entlassen, unter der
Voraussetzung, daß er schriftlich versichere, sieh in Zukunft jeglicher Einmischung in
die Außenpolitik der Reichsregierung zu enthalten.

92
6065/E 448 808-10
Der Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers
an den Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülows)
Rk. 13 282 BERLIN, d e n 30. N o v e m b e r 1933
II Balk. 2212 J s .
Sehr v e r e h r t e r Herr von Bülow!
Im Auftrag des H e r r n Reichskanzlers übersende ich I h n e n anbei Abschrift
eines von mir an d e n Leiter des Außenpolitischen A m t e s der NSDAP ge-
richteten Briefes, zu dem Ihre Schreiben vom 16. d. Mts. - Nr. II Balk. 1995
Js. - 2 ) und 18. d. Mts. 3 ) die Veranlassung gegeben h a b e n .
Die Anlagen Ihres erstbezeichneten Schreibens s e n d e ich wunschgemäß
anbei zurück.
Mit d e n b e s t e n Empfehlungen
Ihr sehr e r g e b e n e r
DR. LAMMERS

[Anlage]
Abschrift
Der Staatssekretär in d e r Reichskanzlei BERLIN, d e n 30. N o v e m b e r 1933
A n den Leiter des Außenpolitischen Amts der NSDAP
Herrn Alfred R o s e n b e r g
Sehr g e e h r t e r Herr Rosenberg!
Durch Herrn S t a a t s s e k r e t ä r von Bülow bin ich unterrichtet ü b e r den
Konflikt w e g e n der Behandlung des ehemaligen jugoslawischen Staatsange-
hörigen Dr. Jelic, der zwischen dem von Ihnen g e l e i t e t e n Außenpolitischen
Amt und dem A u s w ä r t i g e n Amt entstanden ist.

*(i) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 1. 12."


(2) Dokument Nr. 72.
(3) Mit diesem Schreiben hatte Bülow der Reichskanzlei die in Dokument Nr. 91, Anm. 2
zusammengefaßte Aufzeichnung Köpkes vom 17. November übermittelt.

157
Nr. 93 30. NOVEMBER 1933

Im Auftrag des Herrn Reichskanzlers beehre ich mich, Ihnen hierzu folgen-
des mitzuteilen:
Die Politik der Reichsregierung, besonders soweit sie sich auf den Balkan
erstreckt, zielt darauf hin, mit den bestehenden Staaten normale und freund-
schaftliche Beziehungen zu unterhalten, soweit und solange dies unser
eigenes Interesse erfordert, und nichts zu unternehmen oder zu begünstigen,
was als ein aktiver Eingriff in die innere Politik dieser Staaten ausgelegt
werden könnte. Die Tätigkeit des kroatischen Emigranten Dr. Jelic richtet
sich gegen den Bestand des jugoslawischen Staates. Wir haben keinerlei
außenpolitisches Interesse, diese Tätigkeit in irgendeiner Weise zu dulden
oder gar zu fördern.
Der Herr Reichskanzler ist, wie Sie wissen, auch aus weltanschaulichen
Gründen gegen eine Überschätzung des politischen Einflusses von Emi-
granten eingestellt.
Ich darf Sie daher bitten, Ihren Einfluß auf die Ihnen unterstellten Mit-
arbeiter dahin geltend zu machen, daß den vom Auswärtigen Amt beantrag-
ten Maßnahmen gegen die publizistische Tätigkeit des Dr. Jelic kein Wider-
stand entgegengesetzt wird.4)
Mit deutschem Gruß und Hitler-Heil
Ihr sehr ergebener
gez. DR. LAMMERS
(4) Im Auftrage Köpkes unterrichtete Busse am 14. Dezember Heeren über die jüngste Ent-
wicklung des Falles Jelic und übermittelte auch eine Abschrift des Briefes Lammers' an
Rosenberg vom 30. November. Das Auswärtige Amt habe das preußische Innen-
ministerium Ende November erneut zu einem Verbot der kroatischen Blätter aufgefor-
dert, jedoch noch keine Antwort erhalten (6065/E 448 813-14). Am 25. Januar 1934
informierte jedoch die Gestapo das Auswärtige Amt, daß von diesem Tage an die
beiden Kroatenblätter bis auf weiteres verboten seien (6065/E 448 822). Das Auswärtige
Amt setzte die jugoslawische Gesandtschaft in einer Verbalnote vom 7. Februar 1934
von dieser Tatsache in Kenntnis (6065/E 448 826).

93
9119/E641 115-17
Reichswirtschattsminister Schmitt an Reichsbankpräsident Schacht')
Abschrift
Dev. I Nr. 55 471/33 BERLIN, den 30. November 1933
W. 8625
Sehr geehrter Herr Schacht!
In unserer heutigen fernmündlichen Unterhaltung in der Transferfrage, in
der ich eine Besprechung zwischen Ihnen und mir zur Vorbereitung der in
Aussicht genommenen Chefbesprechung 2 ) anregte, habe ich meiner Auf-

(i) Die Vorlage ist eine Durchschrift an Ritter zur Kenntnisnahme (9119/E641 118).
(2) Siehe Dokument Nr. 103.

158
Nr. 93 30. NOVEMBER 1933

fassung dahin Ausdruck gegeben, daß Deutschland den bisherigen Grund-


satz der gleichmäßigen Behandlung aller seiner Gläubiger aufgeben sollte.
Hierzu bemerke ich noch: wir haben stets die These vertreten, daß wir
unsere Verpflichtungen letzten Endes nur in Waren und Dienstleistungen
abdecken können, ein Satz, der in den internationalen Verhandlungen der
letzten Jahre vom Ausland immer mehr anerkannt und insbesondere fast
allgemein für die Behandlung der eigenen Verpflichtungen übernommen
worden ist. Das führt notwendig dazu, bei der Bedienung dieser Verpflich-
tungen diejenigen Gläubigerländer günstiger zu stellen, die die Voraus-
setzungen für eine erhöhte Abnahme deutscher Waren erfüllen. Bei Eintritt
der Transferbeschränkungen haben wir zunächst versucht, die Mittel, die
wir für den Zinsendienst aufbringen können, allen gleichmäßig zukommen
zu lassen. Das vergangene Halbjahr hat gezeigt, daß wir damit praktisch
nicht durchkommen. Es bleibt uns daher nichts anderes übrig, als mit
unserem Grundsatz ernst zu machen und auf dem bisher nur zögernd be-
schrittenen Weg einer unterschiedlichen Behandlung der Gläubigerländer je
nach ihrer Bereitschaft zur Aufnahme deutscher Waren folgerichtig fortzu-
schreiten. Die Vereinigten Staaten von Amerika, mit denen wir eine stark
passive Handelsbilanz haben und die durchaus keine Neigung zeigen, der
deutschen Ware bessere Absatzmöglichkeiten zu geben, können nicht länger
die gleichen Zinsen und Tilgungsleistungen von uns fordern wie unsere
europäischen Gläubigerländer, denen gegenüber wir nicht nur im Handels-
verkehr aktiv sind, sondern bei denen unser Ausfuhrüberschuß durchweg in
mehr oder weniger großem Ausmaß unsere Zins- und Tilgungsverpflich-
tungen übersteigt, die unter das Moratorium und die Stillhaltung fallen.
Sie haben mir erwidert, daß Sie für diese Auffassung durchaus Verständ-
nis haben und daß es Ihnen bei Ihrer Anregung einer Chefbesprechung über
den Fragenkomplex des Moratoriums in erster Linie darauf ankomme, eine
einheitliche Stellungnahme zwischen der Reichsbank und den beteiligten
Reichsstellen herbeizuführen; wenn das Auswärtige Amt meiner Auffassung
beitrete, so wären Sie bereit, ebenfalls auf diesen Boden für die weitere
Behandlung der Transferfrage zu treten. Ich habe mich sofort mit dem Aus-
wärtigen Amt in Verbindung gesetzt und festgestellt, daß man auch dort
einer verschiedenen Behandlung der Gläubigerländer je nach ihrer Bereit-
schaft zur Aufnahme deutscher Waren zustimmt. Unter diesen Umständen
wäre ich für eine Mitteilung darüber dankbar, ob Sie eine Besprechung
zwischen uns zur weiteren Klärung der Fragen noch vor der Chefbespre-
chung beim Herrn Reichskanzler für erforderlich halten.
Um von vornherein Mißverständnisse auszuschließen, möchte ich noch
einmal klarstellen, daß der von mir vertretene Grundsatz dahin führt, die
Länder voll zu bedienen, die uns in ausreichendem Maße mehr Waren
abnehmen als erforderlich ist, um aus den daraus stammenden Devisen-
anfällen unsere laufenden Kapitalverpflichtungen zu erfüllen. Die Mehr-
abnahme müßte so viel Devisenüberschuß erbringen, daß wir in der Lage
bleiben, damit unseren Einfuhrbedarf aus den dritten Ländern zu decken,
mit denen unsere Handelsbilanz passiv ist. Diese Voraussetzungen sind
nach meiner Kenntnis der Dinge heute neben Holland und der Schweiz auch
bei Frankreich und Belgien gegeben, und sie lassen sich bei gutem Willen

159
Nr. 94 30. NOVEMBER 1933

auf der anderen Seite auch bei England schaffen. Mit diesen Ländern müßte
man also versuchen, zu Sonderabkommen zu gelangen, die eine Fortsetzung
des Schuldendienstes mit einer entsprechenden W a r e n a b n a h m e koppeln.
Das gänzliche oder teilweise Moratorium w ü r d e sich unter diesen Um-
ständen künftig in erster Linie gegen die Vereinigten Staaten richten. Die
Frage, ob dabei d e r allgemeine Transfersatz v o n 50 v. H. aufrecht erhalten
und d e r Scrips als technisches Instrument d e s Moratoriums beibehalten
w e r d e n soll, wird m a n s p ä t e r e n Besprechungen überlassen können.
Mit verbindlichen Grüßen
Ihr sehr ergebener
gez. DR. SCHMITT

94
7956/E 574 601-03

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Saarbevollmächtigte von Papen


an den Vortragenden Legationsrat VoigtJ)

31-151/33 BERLIN, d e n 30. N o v e m b e r 1933


Ankunft: 2. Dezember
IIS.G.3116

Die beiliegende Abschrift einer Niederschrift über die erste Sitzung der
Saar-Referenten vom 23. 11. 1933 übersende ich ergebenst zur gefl. Kenntnis.
Im Auftrag
SABATH

[Anlage]
NIEDERSCHRIFT ÜBER DIE ERSTE SITZUNG DER SAAR-REFERENTEN
AM 23. NOVEMBER 1933 VORMITTAGS 11 UHR 30

Vorsitz: Vizekanzler v o n Papen.


Im übrigen anwesend: s[iehe] Anwesenheitsliste. 2 )
Der Vizekanzler erläuterte d e n Kabinettsbeschluß v o m 14. 11. 33.') Es sei

• (l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze]."


*(2) Die Anwesenheitsliste mit 34 Namen ist gefilmt unter 7956/E 574 604-05.
(3) Der erste Absatz dieses Kabinettsbeschlusses lautete: „Der Stellvertreter des Reichs-
kanzlers, Franz von Papen, wird zum Bevollmächtigten des Reichskanzlers in allen das
Saargebiet betreffenden Angelegenheiten bestellt (Saarbevollmächtigter)." Dem Saar-
bevollmächtigten wurde durch den Beschluß in allen das Saargebiet betreffenden Ange-
legenheiten die ausschließliche Entscheidungsbefugnis zuerkannt. Die Sachbearbeiter in
den Reidisministerien und den nachgeordneten Behörden sowie in der preußischen und
in der bayerischen Regierung wurden ihm unterstellt. Das Protokoll der Kabinetts-
sitzung vom 14. November 1933 ist gefilmt unter 3598/D 794 263-71. Siehe auch Serie C,
Bd. 1,2, Dokument Nr. 482.

160
Nr. 94 30. NOVEMBER 1933

Absicht des Reichskanzlers, in den letzten Jahren vor der Entscheidung alle
Kräfte zusammenzufassen, um den Enderfolg zu sichern. Dieser Zweck solle
nicht durch Einrichtung einer neuen Behörde erreicht werden. Die Beamten,
die bisher mit großem Erfolg und mit Hingabe an die Sache in ihren Mini-
sterien gearbeitet hätten, sollten in der gleichen Weise wie bisher ihre
Arbeiten fortführen; nur nebeneinanderherlaufende Arbeiten wären auszu-
schalten und Reibungen auszuschließen, um den Apparat leistungsfähiger zu
gestalten.
Praktisch würde die Arbeit in Zukunft so verlaufen, daß er zunächst ein-
mal über die laufenden Arbeiten unterrichtet würde. In jeder Woche sollten
sodann in Besprechungen mit den Hauptreferenten einzelne größere Pro-
bleme erörtert werden. In wichtigen und entscheidenden Fragen solle in
Zukunft seine Entscheidung eingeholt werden. Bei einer vertrauensvollen
Zusammenarbeit würden sich aus der doppelten Unterstellung der Beamten
keine Schwierigkeiten ergeben.
Eine der Hauptaufgaben würde die sein, die wirtschaftlichen Fragen zu
klären. Er behalte sich vor, jeweils kleinere Ausschüsse zur Behandlung von
Spezialfragen einzusetzen.
Den Vertretern Preußens und Bayerns sprach der Vizekanzler seinen be-
sonderen Dank für ihre Bereitwilligkeit zur Mitarbeit aus, indem er die
wichtigen Funktionen hervorhob, die den Ländern obliegen.
Auf die Aufforderung des Vizekanzlers äußerten sich die Referenten der
einzelnen Ministerien über ihr Arbeitsgebiet und die im Augenblick wich-
tigsten Fragen.
Vortragender Legationsrat Dr. Voigt, Auswärtiges Amt, Staatsrat Mini-
sterialdirektor Neumann, preußisches Staatsininisterium, und Gesandter
Sperr, Reichsvertretung Bayerns, begrüßten die Vereinheitlichung der Saar-
arbeiten in der Hand des Saarbevollmächtigten. Die Vertreter der Länder
wiesen auf die Notwendigkeit einer Berücksichtigung der besonderen Inter-
essen dieser Länder im Saargebiet hin. Staatsrat Spaniol betonte in längeren
Ausführungen, in denen er sich über verschiedene Fragen der Saarpolitik
ausließ, ebenfalls die Notwendigkeit einer zusammenfassenden Aktion.
Weitere allgemeine Zustimmung fand die namentlich vom Vertreter des
Auswärtigen Amts vorgenommene starke Unterstreichung des außenpoli-
tischen Grundcharakters der gesamten Saarfrage sowie die von Staatsrat
Staatssekretär Dr. Landfried (preuß. Finanzministerium) geforderte mög-
lichst einheitliche Bewirtschaftung der für die Saar zur Verfügung stehenden
Gelder des Reichs und der Länder.
Die Vertreter der Ministerien sagten zu, in möglichst kurzer Zeit Angaben
über die in ihrem Haushalt für das Saargebiet ausgeworfenen Mittel schrift-
lich einzureichen.
Abschließend unterstrich der Vizekanzler den außenpolitischen Grund-
charakter der Saarfrage, dem sich die gesamte Arbeit, vor allem die Tätig-
keit in der Presse und in der Propaganda stets anzupassen und unterzu-
ordnen habe.

161

11,1 Bg. 11
Nr. 95 1. DEZEMBER 1933

95
2980/D 580 490-93

Aulzeichnung des Ministerialdirektors Köpke l)


BERLIN, den 1. Dember 1933
AUFZEICHNUNG

Der ungarische Gesandte Herr von Masirevich suchte mich heute auf.
Einleitend teilte er mit, daß er seine Reise nach Budapest verschoben habe.
Er sei daher nicht in der Lage, mir irgendwelche Neuigkeiten aus der
Heimat, nach denen ich ihn fragte, zu berichten. Er habe seine Reise wegen
einer Einladung verschieben müssen, die er von der Gemahlin des ehe-
maligen Kaisers 2 ) erhalten habe, und auch wegen eines für etwa den 8. De-
zember angekündigten Besuchs des Grafen Teleki.
Herr von Masirevich fragte sodann, was es eigentlich mit den angeblichen
deutsch-tschechischen Verhandlungen über einen Nichtangriffspakt für eine
Bewandtnis habe.3) Er habe hierüber nicht nur im hiesigen Diplomatischen
Korps andeutungsweise sprechen gehört,4) sondern auch Berichte seiner
ungarischen Kollegen durch sein Ministerium in Budapest übersandt er-
halten, worin den gleichen Gerüchten Ausdruck gegeben worden sei. Der
Gesandte deutete an, daß es sich hierbei um Berichte der ungarischen
Gesandtschaften bei den Staaten der Kleinen Entente handle. Sein Ministe-
rium habe ihm diese Berichte mit dem Hinzufügen übersandt, daß die
ungarische Regierung durch den Abschluß jedes politischen Vertrages mit
der Kleinen Entente oder einem ihrer Staaten peinlich berührt werden
würde. Gegebenenfalls müsse sich die ungarische Regierung eine Änderung
ihrer Außenpolitik überlegen. Herr von Masirevich erklärte, daß er darauf-
hin nach Hause berichtet habe, bei all diesem Gerede handle es sich ledig-
lich um die Versuche nichtamtlicher und nichtbevollmächtigter Personen.
Herr von Masirevich zeigte sich über das bekannte Treiben des Herrn von
Hohen-Aesten 5 ) in allen Einzelheiten orientiert, nannte sogar dessen
Namen und teilte mir die uns bereits bekannte Verhaftung des Genannten
als letzte Neuigkeit mit. Der Gesandte fügte hinzu, daß er nicht den amt-
lichen Auftrag habe, uns eine Eröffnung der obenerwähnten Art über die
ablehnende Haltung der ungarischen Regierung gegen einen deutsch-
tschechischen Nichtangriffspakt zu machen. Er bat aber, ihm zu bestätigen,
daß seine nach Budapest berichtete Auffassung über die Angelegenheit zu-

*(l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 2. [12.]"


*(2) Zita, Gemahlin Karls I.
(3) Siehe die Dokumente Nr. 68 und 83.
(4) Bülow vermerkte in einer Aufzeichnung vom 24. November (2980/D 580 494): „Der
ungarische Gesandte sagte mir gestern abend, der jugoslawische Gesandte habe ihm ei-
zählt, auch an ihn ebenso wie an den tschechoslowakischen Kollegen [Mastny] sei eine
Persönlichkeit, die Herrn Rosenberg nahestehe und die er nicht genannt hat, heran-
getreten, um ihm einen Nichtangriffspakt mit Deutschland anzubieten. Herr Balugdzic
habe den Antrag nicht ernst genommen."
(5) Siehe Dokument Nr. 91.

162
Nr. 95 1. DEZEMBER 1933

treffend sei. Nachdem ich dies dem Gesandten bestätigt hatte, bat Herr von
Masirevich zu erwägen, ob es sich nicht empfehle, den unterwegs nach
Budapest befindlichen neuen Gesandten von Mackensen zu beauftragen, der
ungarischen Regierung eine entsprechende Erklärung abzugeben. Ich habe
dies als meiner Ansicht nach überflüssig abgelehnt; die ungarische Regie-
rung sei durch die zutreffende Berichterstattung des Gesandten im Bilde. Ein
Anlaß zu irgendeiner feierlichen amtlichen deutschen Erklärung liege daher
nicht vor. Herr von Masirevich insistierte denn auch nicht weiter auf seinem
Wunsche.
Im Anschluß hieran fragte der Gesandte, ob es wahr sei, daß wir bei den
deutsch-polnischen Verhandlungen von den Polen gewisse Zugeständnisse
in der Ukraine einzuhandeln suchten gegen ein entsprechendes Desinter-
essement in Litauen. Ich habe diese Unterstellung kategorisch dementiert
und darauf hingewiesen, daß man zur Zeit von Besprechungen am gemein-
samen Verhandlungstisch, wie sie dem ungarischen Gesandten vorzu-
schweben schienen, überhaupt noch nicht reden könnte. Die deutsch-pol-
nische Verständigung sei aber nichtsdestotrotz anscheinend auf gutem
Wege.
Schließlich brachte Herr von Masirevich das Gespräch auf Österreich und
' fragte mich, ob die Gerüchte über eine Versteifung der deutsch-österreichi-
schen Beziehungen im Zusammenhang mit dem bedauerlichen Grenz-
zwischenfall6) zutreffend seien. Ich habe dem Gesandten erwidert, daß
selbstverständlich durch das schmerzliche Vorkommnis die Stimmung in
Deutschland gegenüber der österreichischen Regierung, die solche Dinge
zu verhindern offensichtlich nicht in der Lage gewesen sei, nicht besser
geworden wäre. Von einer Zuspitzung der Lage brauche man trotzdem nicht
zu sprechen. Wir hätten unsere diplomatischen Schritte vor allem auf die
schleunige und zufriedenstellende Regelung des Falles selbst konzentriert,
die wir nach Lage der Dinge auch zu erreichen hofften. Ich persönlich neigte
der Ansicht zu, daß durch diesen dramatischen Grenzzwischenfall den Macht-
habern in Wien wie auch der gesamten öffentlichen Meinung in Österreich
endlich die Augen darüber aufgegangen seien, wohin eine weitere Ver-
zögerung der Beilegung des Kampfes gegen den Nationalsozialismus führen
müßte. Es sei höchste Zeit, daß sich der Bundeskanzler Dollfuß endlich dar-
über klar werde, welche Ausdehnung und Macht die nationalsozialistische
Bewegung innerhalb Österreichs bereits errungen habe. Die österreichische

• (•) Am 23. November war der deutsche Soldat Schumacher während eines Ausbildungs-
kurses nahe der österreichischen Grenze von österreichischen Grenzwachen erschossen
worden. Am 26. November hatte Rieth, auf persönliche Weisung Hitlers, Dollfuß ge-
fragt, was die österreichische Regierung in der Sache zu tun gedenke (8669/E 606 770).
Am 29. November hatte Rieth deutsehe Forderungen nach einer offiziellen Entschuldi-
gung, Bestrafung der Schuldigen und Wiedergutmachungsleistungen an die Familie
Schumachers erhoben (8669/E 606 794-96). Am 2. Dezember entschuldigte sich die
österreichische Regierung und versicherte, sie habe alle Vorkehrungen getroffen,
„damit die an dem Vorfall beteiligten österreichischen Sicherheitsorgane vom kompe-
tenten österreichischen Gericht zur Verantwortung gezogen werden". Man erwäge auch
die Gewährung einer Unterstützung an die Familie Schumachers (8669/E 606 803-05).
Weitere Dokumente über die Angelegenheit sind gefilmt unter der Seriennummer 8669.
Siehe auch die Anmerkung der Herausgeber nach Dokument Nr. 232, S. 432.

163
Nr. 96 30. NOVEMBER 1933

nationalsozialistische Partei sei eben aus der Regierung nicht mehr fern zu
halten, geschweige denn durch Gewaltmaßnahmen auszuschalten. Ich wies
den Gesandten hierbei nachdrücklich darauf hin, daß diese Entwicklung der
Dinge eine rein innerpolitische österreichische Angelegenheit sei und es
ohne Rücksicht auf das Grenzdrama bei Reit auch bleiben müsse. Der Ge-
sandte pflichtete meinen Ausführungen und Schlußfolgerungen in allem
lebhaft bei und erzählte mir auffallenderweise ganz spontan, daß gerade der
italienische Botschafter Cerruti ihm heute morgen das gleiche gesagt und
sich dahin geäußert habe, er erhoffe von der Ermordung des deutschen
Reichswehrsoldaten eine beruhigende Wirkung hüben wie drüben. Ich habe
mich selbstverständlich darauf beschränkt, von dieser Stellungnahme des
italienischen Botschafters lediglich Kenntnis zu nehmen.7)
KÖPKE

(7) Am 23. Dezember sprach Masirevich erneut im Auswärtigen Amt vor und bat um
Auskünfte zu Pressemeldungen, nach denen die deutsche Regierung mit den Nachbar-
staaten über Nichtangriffspakte Verhandlungen führe. Renthe-Fink gab Masirevich zur
Antwort, daß, obwohl der Reichskanzler in seiner Erklärung vom 14. Oktober und auch
später seine Bereitschaft zum Abschluß kontinentaler Nichtangriffspakte zu erkennen
gegeben habe, bisher kein deutsches Angebot an die Tschechoslowakei und Italien er-
gangen sei (8911/D 621 820-22). über ein deutsches Angebot eines Nichtangriffspakts
an die Tschechoslowakei konnte in den Akten nichts Weiteres ermittelt werden. Siehe
hierzu Namier, Europe in Decay, S. 281, wo folgende Erklärung Benes' in einem Brief
vom 20. April 1944 wiedergegeben ist: „In the autumn of 1933 Hitler sounded me in
Prague as to whether Czechoslovakia would conclude with him a pact of the type
which he subsequently offered to Poland."

96

7960/E 574 746-52

Das Auswärtige Amt an den Stellvertreter des Reichskanzlers


und Saarbevollmächtigten von Papen

Eilt . BERLIN, den 30. November 1933


Abgesandt: 2. Dezember
e. o. II S.G. 3059

In der Anlage übersende ich erg[ebenst] z[ur] gefälligen] vertraulichen


K[enn]t[ni]s Abschrift eines Berichts des Herrn Bischofs von Trier über
seine Verhandlungen in Rom über das Saargebiet.1)
I.A.
KÖPKE

(l) Randvermerk Voigts: „Der Bericht ist dem H[err]n RM mit Privatbrief des H[err]n
v. Bergen zugesandt worden. Der Herr RM hat Übersendung an den H[err]n Vize-
kanzler angeordnet."

164
Nr. 96 30. NOVEMBER 1933

[Anlage]
Abschrift
BERICHT DES BISCHOFS VON TRIER ÜBER SEINE VERHANDLUNGEN
BETR. SAARGEBIET

ROM, d e n 20. November 1933


Prälat Kaas hat mit Brief vom 2. November 1933 mich orientiert über
gewisse B e s t r e b u n g e n Frankreichs, im Saargebiet bereits vor dem J a h r e
1935 Ä n d e r u n g e n mit Bezug auf die Diözesen Trier und Speyer durchzu-
setzen. V o n der deutschen Regierung war mir keinerlei Mitteilung über
diese Dinge zugegangen.
Die Mitteilung des Prälaten Kaas veranlaßte mich, möglichst bald selbst
nach Rom zu reisen, weil die ganze Angelegenheit nicht nur für die Diözesen,
sondern auch für Deutschland selbst von besonderer Bedeutung ist.
Am 18. November, am Tage nach meiner Ankunft, fand vormittags 10 Uhr
eine Besprechung bei Kardinal Pacelli statt, der trotz des Diplomatentages
diese Stunde für eine eingehende Aussprache angesetzt hatte. A n w e s e n d
bei dieser Besprechung w a r außer mir Prälat Dr. Kaas. Einleitend legte ich
den Zweck meines Kommens freimütig dar. Insbesondere setzte ich die
u n g ü n s t i g e n W i r k u n g e n im einzelnen auseinander, die eine auch nur den
äußeren Schein v o n Parteinahme an sich tragende M a ß n a h m e des Heiligen
Stuhles bei den treukatholischen Saarländern h a b e n müßte, die im Papst
und im Bischof v o n Trier, die im J a h r e 1921 und 1923 allen Trennungs-
bestrebungen unerschütterlich widerstanden hätten, auch heute die ent-
scheidenden Rückhalte für ihr Vertrauen und ihre Hoffnung sähen.
Den w e i t e r e n Verlauf der Unterredung skizziere ich in Protokollform:
Der Kardinalstaatssekretär erklärte, daß die k o n s e q u e n t e Einhaltung der
früher v e r t r e t e n e n Auffassung für den Heiligen Stuhl auch im gegenwärti-
gen Zeitpunkt maßgebend sein werde. Die Ernennung eines Apostolischen
Administrators, mit der eine lokale Suspendierung der Jurisdiktion der
Bischöfe v e r b u n d e n sein würde, komme nicht in Frage und sei schon abge-
lehnt worden. Die Entsendung eines Visitators in dieser oder jener Form
sei aber nicht zu u m g e h e n und vom Papst 2 ) schon angeordnet. 3 )
Bischof Bornewasser und Prälat Kaas machten d e m g e g e n ü b e r geltend, daß
auch die Bezeichnung des Vertrauensmannes als Visitator mißverständlich
sein k ö n n e . Jedenfalls k ö n n e es doch kein Visitator im kirchenrechtlichen
Sinne des W o r t e s sein, mit dem Auftrag, die Amtsführung der beiden in
Frage k o m m e n d e n Bischöfe bezüglich ihres saarländischen Anteils nachzu-
prüfen.

*(2) Pius XI.


(3) Bergen hatte in Telegramm Nr. 75 vom 24. Oktober (7960/E 574 714) berichtet, er habe
vertraulich erfahren, daß der französische Botschafter Charles-Roux beim Heiligen
Stuhl die Entsendung eines Apostolischen Administrators für das Saargebiet beantragt
habe. In Telegramm Nr. 86 vom 2. November (7960/E 574 729) hatte Bergen weiter
berichtet, daß der Kardinalstaatssekretär ihn über die französische Demarche informiert
habe. Die Entsendung eines Administrators scheine zwar nicht in Frage zu kommen, er
habe jedoch Pacelli die mögliche Entsendung eines Visitators nicht auszureden ver-
mocht.

165
Nr. 96 30. NOVEMBER 1933

Letzterer Auffassung stimmte der Kardinalstaatssekretär durchaus zu und


erklärte, die Funktion des päpstlichen Vertrauensmannes sei zunächst die,
sich an Ort und Stelle ein Urteil über die verschiedenen Beschwerden zu
bilden und dem Heiligen Stuhl zu berichten. Es sei die Wiederholung der
Mission Testas vom Jahre 19234) unter neuen und veränderten Bedingun-
gen. Der Heilige Stuhl, der in anderen Abstimmungsgebieten kirchliche
Abstimmungskommissare gehabt habe (der jetzige Papst habe selbst eine
solche Mission ausgeübt 5 )), könne im gegenwärtigen Fall sich nicht einfach
negativ verhalten. Im übrigen sei die Mission Testas doch auch für Deutsch-
land eine erwünschte Gelegenheit, etwaige Beschwerden geltend zu machen
und in einwandfreier Weise zur Kenntnis Seiner Heiligkeit zu bringen.
Bischof Bornewasser verfehlte demgegenüber nicht, auf die ganz beson-
dere und wohl mit keinem anderen Abstimmungsgebiet vergleichbare Lage
im Saargebiet hinzuweisen. Dieses Argument beantwortete der Kardinal mit
dem Hinweis auf Ostpreußen, an dessen deutschem Charakter auch gar
kein Zweifel hätte obwalten können und wo der Heilige Stuhl trotzdem
einen Abstimmungskommissar gehabt habe.8) Die letztere Maßnahme sei
eben in keiner Weise als Beeinträchtigung deutscher Interessen zu betrach-
ten.
Angesichts der offenbaren Tatsache, daß die Entsendung Testas bereits
beschlossene und vom Papst angeordnete Sache war, versuchte Bischof
Bornewasser, unterstützt durch Prälat Kaas, dann nochmals, den prononciert
offiziellen Charakter der Inspektionsreise und vor allem ihre Bezeichnung
als Visitation als nicht unbedenklich zu bezeichnen. Die Antwort des Kar-
dinalstaatssekretärs ließ erkennen, daß man für diese deutsche Stellung-
nahme Verständnis hat und daß man bereit ist, den amtlichen Charakter der
Reise möglichst zu mildern, über eine gewisse Grenze hinaus wird man
hierbei jedoch kaum gehen, da man die Frankreich gemachte Zusage nach
außen nicht gänzlich entwerten darf und will.
Auf die Frage des Bischofs, was denn eigentlich französischerseits an
Beschwerden vorgebracht worden sei, ging der Kardinalstaatssekretär be-
greiflicherweise nur mit Zurückhaltung ein. Er erwähnte den vom franzö-
sischen Botschafter geltend gemachten Fall Pfarrer Klee in Bildstock.7) Hier
konnte Bischof Bornewasser an Hand der mitgebrachten Akten den Nach-
weis führen, daß sachlich die beanstandete Predigt keine Überschreitung
der seelsorgerlichen Zuständigkeiten bedeute, daß vielmehr die sich häu-
fenden Maßregelungen saarländischer Arbeiter durch die französische
Grubenverwaltung und der auf sie wegen ihrer deutschen Gesinnung aus-
geübte Gewissensdruck den Pfarrer zu seinen Ausführungen moralisch
geradezu genötigt hätte. Im übrigen könne der Heilige Stuhl die weit-
gehende Objektivität der Trier[er] Bistumsbehörde daraus erkennen, daß

(4) Testa war im Jahre 1923, während der französischen Besetzung des Ruhrgebiets, als
päpstlicher Legat in das Ruhrgebiet entsandt worden.
(5) Während des Abstimmungskampfes in Oberschlesien im Jahre 1920/21.
(') Im Juli 1920 hatten in den ostpreußischen Kreisen Allenstein und Marienwerder Volks-
abstimmungen über die nationale Zugehörigkeit dieser Gebiete stattgefunden.
(?) Dokumente über diese Angelegenheit sind gefilmt unter M 155/M 005 231-38 und
M 157/M 005 309-32.

166
Nr. 96 30. NOVEMBER 1933

trotzdem dem Pfarrer wegen gewisser inopportuner Begleitumstände seiner


Stellungnahme die Mißbilligung ausgesprochen worden sei. Alles das ist
der französischen Grubenverwaltung von der bischöflichen Behörde mitge-
teilt worden.
Bischof Bornewasser unterließ es nicht zu bemerken, daß zwischen der
Bagatellsache Klee-Bildstock und dem weitgehenden französischen Wunsche
ein geradezu groteskes Mißverhältnis besteht.
Dann nannte der Kardinalstaatssekretär ein anderes Motiv der franzö-
sischen Sorgen. Die Propaganda der Nationalsozialisten im Saargebiet, so
behaupteten die Franzosen, habe solche Formen angenommen, daß die Frei-
heit der Abstimmung ernstlich bedroht erscheine.
Im Jahre 1921 und 1923 habe der Heilige Stuhl die Ernennung eines
Apostolischen Administrators abgelehnt.8) Im Gefolge sei dann die von
Stresemann eingeleitete und von anderen fortgesetzte Verständigungs-
politik gekommen, die es Frankreich ermöglicht habe, nicht mehr auf die
Frage zurückzukommen. Jetzt aber - so erkläre die Gegenseite - sei die
Situation von Grund aus geändert. Frankreich habe ein Recht auf unbe-
einflußte Abstimmung und müsse in Durchführung dieses Gedankens auch
darauf halten, daß die Kirche nicht unter dem Druck von Pressionen einer
anderen Regierung eine Haltung einnehme, die mit der korrekten Haltung
gegenüber der gegenwärtigen zu Recht bestehenden Saarregierung nicht
vereinbar sei. Diesen Gedankengängen der Franzosen gegenüber vertrat
Bischof Bornewasser mit Nachdruck, daß die deutsche Einstellung der saar-
ländischen Katholiken so eindeutig sei, daß sie auch ohne jede Einwirkung
deutsch abstimmen würden, obwohl die Kenntnis so vieler schmerzlicher
Dinge, die katholischen Geistlichen, katholischen Beamten, katholischen
Vereinen etc. in den vergangenen Monaten in Deutschland begegnet seien,
viel Erbitterung im Saarland hervorgerufen habe.
Im weiteren Verlauf der Unterhaltung kam die Rede auf einen Vortrag,
den Herr von Papen vor kurzem vor dem Klerus des Saargebietes über das
Konkordat gehalten hat,9) wobei die vielfach mangelnde Konkordatsaus-
führung dem saarländischen Klerus Anlaß zur Kritik geboten habe. In die-
sem Zusammenhang sprach der Kardinalstaatssekretär sich mit Nachdruck
über die in entscheidenden Fragen verzögerte Konkordatsausführung aus
und über den wachsend ungünstigen Eindruck, den diese Tatsache auf den
Papst mache.
Dabei erzählte er, daß in der heutigen Morgenaudienz der Papst unter
Hinweis auf englische Veröffentlichungen gefragt habe, ob Ministerpräsi-
dent Göring tatsächlich die Äußerungen getan habe, die von ihm in auslän-
dischen Zeitungen berichtet würden (Rede in Essen, Rede in Trier 10 ) in
Gegenwart von fast 10 000 Saarländern). Wenn es feststehe, daß solche
Reden mit unbestreitbaren Allgemein-Beleidigungen, auch des katholischen

(8) Dokumente hierzu sind gefilmt unter M 164/M 005 354-64.


(') Ende Oktober hatte Papen vor katholischen Geistliehen des Saargebiets eine Rede
gehalten, die in der Volksstimme vom 15. November 1933 wiedergegeben worden war
(M 163/M005 352).
(10) Ein Bericht der Saarbrücker Zeitung über die Rede Görings am 5. November in Trier
ist gefilmt unter M 162/M 005 348-50.

167
Nr. 96 30. NOVEMBER 1933

Bekenntnisses als solchem, gehalten worden seien, dann werde auch die
Tatsache, daß die deutschen Zeitungen aus Furcht vor Maßregelungen den
wahren Text nicht gebracht hätten, den Papst nicht davon abhalten können,
in entsprechender Weise der katholischen Weltöffentlichkeit gegenüber
die Würde der Kirche und seines hohen Amtes zu wahren. Leider war der
Bischof von Trier, wenn er sich nicht in Widerspruch mit der Wahrheit
setzen wollte, bezüglich der Trierer Rede Görings nicht in der Lage, die
Informationen des Vatikans durch ausländische Quellen als unzutreffend zu
erweisen. Ihm selbst war leider bekannt, welch ungünstigen Eindruck die
genannte Rede in Trier bereits auf die katholischen Saarländer gemacht
hatte.
Um in der Frage der saarländischen Reise des vatikanischen Vertrauens-
mannes sich die Möglichkeit zu sichern, alle Argumente deutscherseits in
einwandfreier Form den vatikanischen Stellen vor der Abreise Testas noch
einmal vor Augen zu führen, schlug Bischof Bornewasser gegen Schluß der
einstündigen Besprechung vor, dem Kardinalstaatssekretär zur Vorlage an
den Papst noch eine schriftliche Fixierung zukommen lassen zu dürfen. Der
Kardinal war gerne damit einverstanden. Diese Niederschrift soll unverzüg-
lich hergestellt und so rechtzeitig übergeben werden, daß sie für die Ertei-
lung der letzten Instruktionen an Testa noch wirksam werden kann. Außer-
dem übergab Bischof Bornewasser dem Kardinal schon sofort eine Reihe von
Akten, die sich auf die Saarfragen bezogen. So vor allem die Unterlagen
Klee-Bildstock,11) Briefwechsel über Religionsunterricht in französischen
Schulen im Saargebiet, Briefwechsel mit Minister Zoricic in Saarbrücken
betr. Gottesdienst am 1. Mai, Treuekundgebung sämtlicher Dechanten des
Saargebiets im Namen des gesamten Klerus etc.
Es darf noch erwähnt werden, daß der Bischof eine gelegentliche noch-
malige Erwähnung des Gedankens einer Apostolischen Administratur be-
nützte, um in freimütiger Weise zu erkennen zu geben, daß die Durchfüh-
rung einer solchen Maßnahme für ihn die Unmöglichkeit bedeutet haben
würde, sein Amt als Bischof von Trier weiterzuführen. Eine Auffassung, in
der der Bischof Sebastian von Speyer mit ihm einig geht.
Beim Herausgehen traf Bischof Bornewasser zufällig mit Prälat Testa
zusammen, der augenscheinlich zum Kardinalstaatssekretär gehen wollte.
Er nahm die Gelegenheit wahr, um ihn an seine früheren Inspektionsreisen
zu erinnern und an die sachliche und unparteiische Art, mit der er seine
damalige ungleich schwierigere Mission durchgeführt habe. Prälat Testa
bat den Bischof, ihm noch vor seiner Abreise nach Deutschland seine Auf-
wartung machen zu dürfen. Diese erfolgte am 19. November. Der münd-
lichen Besprechung mit Herrn Prälat Testa folgte die Vorlage der schrift-
lich fixierten Gedankengänge vom 19. November. Prälat Testa wird den
Bischof von Trier, sobald er ins Saarland kommt, besuchen.
Bischof Bornewasser mußte dann zur festgesetzten Stunde zur Privat-
audienz beim Heiligen Vater. Unterdessen hatte Prälat Kaas Gelegenheit,
mit Monsignore Testa, den er bereits 1923 bei seiner Mission kennengelernt
hatte, eingehender über das Projekt der nunmehrigen Reise zu sprechen.12)
(11) Siehe Anm. 7.
(12) Eine Aufzeichnung Kaas' über diese Unterredung ist gefilmt unter M 165/M 005 374-75.

168
N r . 97 2. DEZEMBER 1933

Er benutzte diese Gelegenheit, um die Bedenken Testas gegen eine zu weit-


gehende und lang dauernde Ausdehnung des Auftrags möglichst zu ver-
stärken. Augenscheinlich wünscht Testa, wie auch früher schon berichtet
wurde, in möglichst geringem Maße engagiert zu werden, und bat Prälat
Kaas, die von ihm dargelegten Gesichtspunkte doch auch beim Kardinal-
staatssekretär vorzutragen.13)
(13) Ein in den Akten der Botschaft beim Heiligen Stuhl befindliches Exemplar des vor-
liegenden Dokuments (M 165/M 005 366-73) enthält am Schluß den Zusatz: „Abschließend
muß betont werden, daß die Dienste des Herrn Prälaten Kaas in dieser für die vater-
ländischen Interessen wichtigen Angelegenheit für den Bischof von Trier und Speyer
sehr wertvoll waren."

97
6693/H 098 944-45
Das Auswärtige Amt an die Botschatt in Tokiol)
BERLIN, den 2. Dezember 1933
e. o. IV Chi. 2616
Im vergangenen Sommer hat sich der Kaufmann Ferdinand Heye 2 )
mehrere Monate in der Mandschurei und in Japan aufgehalten, um teils im
eigenen Interesse, teils im Auftrage des Großindustriellen Staatsrats Thyssen
den mandschurischen Markt zu studieren und mit mandschurischen und japa-
nischen Stellen über die Möglichkeiten eines verstärkten deutsch-mand-
schurischen Warenaustausches zu verhandeln. Nach seiner Rückkehr nach
Deutschland hat Herr Heye hier im November d. J. eine deutsch-mand-
schurische Export- und Import GmbH gegründet, die es sich zur Aufgabe
machen will, den Wert der Einfuhr mandschurischer Sojabohnen durch die
Ausfuhr deutscher Industrieerzeugnisse nach der Mandschurei zu kompen-
sieren. Herr Heye beabsichtigt, jetzt in Begleitung seiner Gattin auf dem
Seewege wieder nach Mandschukuo auszureisen und dort eine Zweigstelle
der hiesigen GmbH zu errichten, die den von ihm beabsichtigten Waren-
austausch in die Wege leiten soll.
Herr Heye begibt sich in ausschließlich privater Eigenschaft nach Mand-
schukuo. Seine Tätigkeit ist rein privatwirtschaftlicher Natur. Ich bitte ihn,
falls er auf der dortigen Dienststelle vorsprechen und die amtliche Beratung
in Anspruch nehmen sollte, in jeder Weise mit Rat und Tat zu unterstützen,
wie dies jedem deutschen Interessenten gegenüber zu erfolgen hat. Falls
besondere Nachrichten oder Mitteilungen erwünscht sind, bitte ich, sich un-
mittelbar mit den Konsulaten in Harbin und Mukden in Verbindung zu
setzen.
I.A.
M[EYER] 30. 11.

(1) Dieser Bericht w u r d e auch der Gesandtschaft in Peping, d e n G e n e r a l k o n s u l a t e n in


Shanghai , Tientsin und Kobe sowie den Konsulaten in H a r b i n , M u k d e n , Dairen, Yoko-
hama und H o n g k o n g übermittelt.
(2) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 50.

169
Nr. 99 5. DEZEMBER 1933

98
8115/E 580 124
Der Botschaiter beim Heiligen Stuhl von Bergen an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 95 vom 3. 12. ROM (VAT.), den 3. Dezember 1933 11 Uhr 45
Ankunft: 3. Dezember 13 Uhr 35
[II Vat. 552] s)
Andeutungen Kardinalstaatssekretärs bei unserer letzten Unterhaltung
lassen erkennen, daß er Ausbleiben jeglicher seit dem 1. v.M. erwarteten
Nachrichten seitens Ministerialdirektors Buttmann als Mangel an Courtoisie
empfindet und dahin deutet, daß entgegen meinen wiederholten Versicherun-
gen Regierung nicht mehr geneigt ist, die Ende Oktober unterbrochenen Ver-
handlungen 2 ) wiederaufzunehmen und auf vielfache Beschwerden Wünsche
Kurie Rücksicht zu nehmen. Die in meinen verschiedenen Meldungen ge-
kennzeichnete schwere Spannung wird hierdurch bedenklich erhöht.
Gestatte mir daher erneut zu bitten, Herrn Buttmann zu irgendeiner Mit-
teilung an Kardinalstaatssekretär zu veranlassen,3) und zwar wenigstens zu
einer freundlich gehaltenen Erklärung bisherigen Schweigens sowie Bereit-
willigkeit, Verhandlungen bald tunlichst selbst fortzuführen.
Darf bemerken, daß Ministerialdirektor Buttmann dem Kardinalstaats-
sekretär als Verhandlungspartner sehr genehm ist.4)
BERGEN 6)
(i) Die Journalnummer befindet sich auf einer anderen Ausfertigung des vorliegenden
Dokuments (8115/E 580 123).
(2) Siehe Dokument Nr. 17, Anm. 3.
(3) Bergen hatte bereits in Telegramm Nr. 299 vom 23. November (8115/E 580 116) berichtet,
Pacelli habe angefragt, wann Buttmann die Verhandlungen wieder aufzunehmen beab-
sichtige.
(4) Randvermerk: „RK vorgelesen, v. N[eurath] 5. [12.]" Randvermerk auf einer anderen
Ausfertigung der Vorlage (3241/D 702 304): „Warum zögert Herr Buttmann? H[inden-
burg] 5. 12."
(•)' Neurath teilte Bergen in Telegramm Nr. 46 vom 6. Dezember (8115/E 580 126) mit:
„Buttmann eintrifft in Rom zweite Hälfte nächster Woche zwecks Rücksprache mit
Kardinalstaatssekretär."
Bergen antwortete in Telegramm Nr. 99 vom 6. Dezember (8115/E 580 127): „Kardinal-
staatssekretär läßt midi wissen, daß bis Ende nächster Woche völlig in Anspruch
genommen, aber vom 18. d M. ab gern zur Verfügung stehe."
Siehe Dokument Nr. 133.

99
3154/D 670 358-59
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 5. Dezember 1933
RM. 1664
Der Herr Reichskanzler empfing heute morgen in meinem Beisein den
englischen Botschafter, der ihm im Auftrag seiner Regierung mitteilte, daß

170
Nr. 100 5. DEZEMBER 1933

die englische Regierung die ihm seinerzeit vom Herrn Reichskanzler mitge-
teilten deutschen Wünsche bezüglich der Verstärkung unserer Verteidi-
gungskraft •) mit Interesse studiert habe. Es wäre aber noch erwünscht, über
einige Fragen Auskunft zu erhalten, erstens, ob die Reichswehr beibehalten
werden solle und wie lange das 300 000-Mann-Heer dienen solle. Der Reichs-
kanzler antwortete darauf, man denke bei uns an eine einjährige Dienstzeit,
natürlich mit entsprechend langdienenden Chargen. Der Botschafter frug
sodann über unsere Wünsche bezüglich Luftrüstung. Hierauf erklärte der
Kanzler, wir dächten etwa an 25 %> der Luftstreitkräfte von Frankreich,
Polen und Tschechoslowakei. Auf die weitere Frage des Botschafters, ob wir
England als hochgerüsteten Staat ansähen, der nach unserem Vorschlag
nicht weiterrüsten sollte, erklärte der Kanzler, daß dies nicht der Fall sei.
Zum Schluß erkundigte sich Sir Phipps noch über unsere Marinepläne,
worauf der Kanzler ihm sagte, bis zum Jahre 1935 beabsichtigten wir ledig-
lich, das uns im VersaiUer Vertrag zugestandene Bauprogramm auszufüh-
ren; was später geschehe, hänge von den bevorstehenden Abmachungen
der anderen Mächte ab.2) Falls diese z. B. die Unterseeboote ganz abschaff-
ten, würden wir auch keine Unterseeboote bauen wollen.
Sir Phipps erkundigte sich sodann noch darüber, ob wir mit den Franzosen
bereits in ein direktes Gespräch gekommen seien, was der Kanzler ver-
neinte, unter Darlegung der durch die schwachen französischen Kabinette
bestehenden Schwierigkeit. Er fügte indessen hinzu, daß es jedenfalls
wesentlich dazu beitragen würde, die in Frankreich zu einer direkten Aus-
sprache mit Deutschland neigenden Kräfte zu stärken, wenn man eng-
lischer- und auch italienischerseits erkennen lassen wollte, daß man dem
von ihm skizzierten Plan der Gestaltung unserer Verteidigungsrüstung
nicht ablehnend gegenüberstehe. Der Kanzler nahm dabei Bezug auf die
Rede von Baldwin.3)
Die Unterhaltung dauerte etwa Dreiviertelstunden. 4 )
v. N[EURATH]
(1) Siehe Dokument Nr. 23.
(2) Siehe auch Dokument Nr. 45.
(3) Rede Baldwins im britischen Unterhaus am 27. November. Siehe ParJiamentary Debafes,
House of Commons, 5. Serie, Bd. 283, Spalten 650-51.
(4) Berichte Phipps' über diese Unterredung sind abgedruckt in Documents on British
Foreign Policy, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 97 und 99.

100
7467/H 179 459-61
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von Bülow
Ganz geheim BERLIN, den 5. Dezember 1933
Im Laufe seines heutigen Besuches kam der französische Botschafter *) auf
seine letzte Unterredung mit dem Herrn Reichskanzler 2 ) und die Frage der

*(i) Francois-Poncet.
(2) Siehe Dokument Nr. 86.

171
Nr. 100 5. DEZEMBER 1933

deutsch-französischen Verhandlungen zu sprechen. Er erwartet in einigen


Tagen eine Antwort aus Paris, die aber seiner Meinung nach im wesent-
lichen aus Rückfragen bestehen werde. Er betonte, daß die Grundfrage, ob
Deutschland eine gewisse Aufrüstung zugestanden werden würde, noch
offen sei und daß er deshalb nur persönliche Anregungen machen wolle.
Um aber künftige Gespräche vorzubereiten, schnitt er, mit der Bitte, seine
Beteiligung an dieser Aussprache streng geheim zu halten, folgende Fragen
an:
Wie groß sei die Zahl der Tanks, Flugzeuge usw., die Deutschland ver-
lange. Der Herr Reichskanzler habe keine Zahl genannt, es liefen aber im
In- und Auslande Zahlen um (er sprach von 400 Flugzeugen und 400 Tanks).
Ich sagte dem Botschafter, wir hätten selbst noch keine Zahl ausgerechnet,
und der Herr Reichskanzler habe diese Frage eigentlich schon beantwortet,
denn er habe ihm gesagt, eine normale Ausstattung des 300 000-Mann-
Heeres nach dem Stande anderer Armeen vorbehaltlich der sogenannten
Angriffswaffen. Sein Militärattache 3) könne ihm ohne weiteres ausrechnen,
wieviel Gewehre, Maschinengewehre, Kanonen usw. das ergebe. Wir
hätten unsererseits die Rechnung noch nicht aufgestellt.
Die zweite Frage war die der Anrechnung bzw. künftigen Gestaltung der
SA, SS und St[ahlhelm]. Der Einbau der SA in den Staat 4 ) habe die Situa-
tion in gewissem Sinne zweifellos erschwert, man sei in Paris sichtlich be-
unruhigt. Man werde fragen, ob Deutschland zu seinen 300 000 Mann künf-
tiger Reichswehr noch 250 000 Mann SA fordere. Schließlich sei die SA
militarisiert, diszipliniert, uniformiert und auch mit allen Ausrüstungsstük-
ken außer eigentlichen Waffen versehen. Ich sagte dem Botschafter, die SA
sei etwa 2 000 000 [Mann] stark, niemand werde aber ernstlich behaupten
können, daß die SA eine Truppe darstelle. Der Botschafter regte dann sei-
nerseits an, ob man die Frage nicht internationalisieren könne, in dem
Sinne, daß man durch zwischenstaatliche Vereinbarungen ein Statut d'asso-
ciations paramilitaires festsetze, wobei genau bestimmt werde, in welchem
Umfange und in welcher Weise Sport, auch Wehrsport getrieben werden
könne. Ich sagte ihm, der Gedanke sei erwägenswert und habe meines
Wissens auch die Konferenz in Genf beschäftigt, ohne daß aber dabei etwas
herausgekommen sei. Im übrigen sei das Bild für uns ein anderes in dieser
Periode der Arbeitslosigkeit und [sie] in normalen Zeiten, deren Rückkehr
wir in absehbarer Zeit erhofften. Als ich ihm vom Reichsminister Röhm
sprach, erwähnte der Botschafter, daß er von diesem eine Einladung zu
nächster Woche erhalten habe, sich jedoch nicht getraut habe, diese anzu-
nehmen, weil zweifellos in Frankreich dadurch unnötige und im Augenblick
unerwünschte Kritik hervorgerufen worden wäre. Er habe aber an sich den
Wunsch, sich mit RM Röhm auszusprechen.5)
*(3) Renondeau.
*(4) Am 1. Dezember war das „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat" ver-
kündet worden, durch das die SA zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts und der
Chef des Stabes der SA (Röhm) zu einem Mitglied der Reichsregierung wurde. Der
Text des Gesetzes ist abgedruckt in Reichsgesetzblatl, 1933, Teil I, S. 1016.
(5) In einem Schreiben vom 13. Dezember (7467/H 179 458) unterrichtete Lammers Bülow:
„Anbei sende ich Ihnen die Aufzeichnung über Ihr Gespräch mit dem französischen
Botschafter vom 5. Dezember d. Js. mit bestem Dank wieder zurück. Der Herr Reiehs-

172
Nr. 101 5. DEZEMBER 1933

Schließlich fragte mich der Botschafter, ob man nicht mit den Ideen etwas
anfangen könne, die früher Rechberg vertreten habe.6) Der Herr Reichskanz-
ler habe ihm bei der letzten Unterredung gesagt, Frankreich habe ja eine
Armee von 600 000 Mann und Deutschland verlange nur eine von 300 000
Mann. Der Gedanke einer Festlegung der Relation zwischen deutscher und
französischer Armee in dem Sinne, daß Frankreich immer einen gewissen
Vorsprung behalte, würde ein wesentliches Element der Sicherheit und der
Beruhigung der französischen öffentlichen Meinung bedeuten. Er betonte
in diesem Zusammenhange, daß er bereits dem Herrn Reichskanzler gesagt
habe, 300 000 Mann seien mehr als die jährlichen Rekrutenjahrgänge in
Frankreich, insbesondere während der jetzt beginnenden schwachen Kriegs-
jahrgänge. Ich habe zu dieser Anregung des Botschafters keine Stellung
genommen.7)
BÜLOW

[Fortsetzung von Anm. 5]


kanzler, der von der Aufzeichnung Kenntnis genommen hat, hat midi beauftragt, Ihnen
mitzuteilen, daß die Behauptung des französischen Botschafters, ,er habe von Herrn
Reiehsminister Röhm eine Einladung erhalten', nicht zutreffe. Der französische Bot-
schafter habe sich vielmehr, wie dem Herrn Reichskanzler bekannt geworden sei, seiner-
seits darum bemüht, eine Einladung von Herrn Reichsminister Röhm zu erhalten. Diese
Einladung sei aber nicht ergangen." Siehe auch Dokument Nr. 220.
(8) Rechberg war als Befürworter einer engen wirtschaftlichen und politischen Zusammen-
arbeit zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien hervorgetreten. Im Februar
1929 hatte er in Unterredungen mit Poincare, Painleve und anderen französischen
Politikern (5721/H 025 333-46) die Bildung einer französisch-deutschen Militärallianz
angeregt. Darüberhinaus hatte er vorgeschlagen, eine aus 500 000 französischen und
300 000 deutsehen Soldaten bestehende Armee aufzustellen, die unter gemeinsamem
deutsch-französischem Oberkommando stehen sollte. Auch die Möglichkeit einer Ein-
beziehung Großbritanniens, Belgiens und Polens in das Bündnis war erwogen worden.
*(') Randvermerke: „Hat dem Herrn RM vorgelegen." - „Der Herr Reichskanzler hat
Kenntnis."

101
7894/E 572 245/1
Autzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von Bülow
BERLIN, den 5. Dezember 1933
II S. G. 3180
Der französische Botschafter berührte im Laufe unserer Unterredung J )
auch die Saarfrage. Er setzte mir sehr eingehend auseinander, daß die fran-
zösische Regierung wahrscheinlich zu schwach sei, um es sich leisten zu
können, über die Anregung des Herrn Reichskanzlers über Verzicht auf
Abstimmung und vorzeitige Rückgabe des Saargebietes verhandeln zu
können.2) Ich wandte ein, daß von vorzeitiger Rückgabe bei uns nicht die

(i) Siehe Dokument Nr. 100.


*(2) In der Aufzeichnung Neuraths über die letzte vorangegangene Unterredung zwischen
dem Reichskanzler und Francois-Poncet am 24. November (siehe Dokument Nr. 86) ist

173
Nr. 102 5. DEZEMBER 1933

Rede sei, sondern lediglich von Vermeidung der Abstimmung und der da-
durch notwendig werdenden Wahlpropaganda. Die Regierungskommission
im Saargebiet sei der Ansicht, die Wahlkampagne habe deutscherseits be-
reits begonnen. Das sei ein Irrtum, sie werde noch ganz anders einsetzen.
Unvermeidlich müsse der Wahlkampf die deutsch-französischen Beziehun-
gen beeinträchtigen, und dies habe der Herr Reichskanzler vermeiden
wollen. Der Botschafter blieb dabei, daß nur eine sehr starke Regierung in
Frankreich sich auf derartige Verhandlungen einlassen könne. Es sei un-
gleich bequemer und jedenfalls sicherer, es beim VersaiUer Vertrag be-
wenden zu lassen, wie auch der Ausgang sei. In einem solchen Falle könne
in Frankreich niemand der Regierung Vorwürfe über ihre Haltung machen.
Ich zog die letztere Behauptung in Zweifel und gab dem Botschafter zu ver-
stehen, daß das Ergebnis der Abstimmung naturgemäß für Frankreich eine
Blamage sein müsse.
gez. BÜLOW
[Fortsetzung von Anm. 1]
diese Anregung Hitlers nicht erwähnt, wohl aber in dem Bericht Francois-Poncets über
die Unterredung, abgedruckt in Documents Diplomatiques Francais, 1. Serie, Bd. V,
Nr. 52. Es heißt dort:
„A propos de la Sarre, Hitler pense que le plebiscite de 1935 donnera 95 °/o des voix
en faveur du retour ä l'AIlemagne. 11 prefererait pourtant que ce plebiscite n'eüt pas
lieu, car, dit-il, on n'empeehera pas que son resultat ne soit interprete en Allemagne
comme une victoire, en France comme une defaite et que les relations des deux pays
n'en soient de nouveau empoisonnees. II souhaiterait au contraire qu'un arrangement
ä l'amiable, intervenant avant le plebiscite, füt en quelque sorte le signe cordial de
l'apaisement des relations franco-allemandes. J'ai Signale au Chancelier les difficultes
d'ordre politique et juridique que souleverait l'eventualite dune renonciation au
plebiscite. Hitler ne s'y arrete pas. Si la France et lAUemagne se mettaient d'accord
sur ce point, dit-il, le monde entier en serait enthante.
Hitler accepterait pour la Sarre la Prolongation d u n regime economique analogue ä
celui qui existe aujourdhui. II accepterait egalement que le bassin minier füt exploite
par des societes franc-aises et allemandes ou par des societes mixtes. II va donc ä ce
sujet plus loin que ses predecesseurs, car c'est lä-dessus quavaient naguere echoue
les conversations engagees."
Siehe auch Francois-Poncet, Souvenirs dune ambassade ä Berlin, S. 168-69. Siehe auch
Dokument Nr. 116 sowie die Ausführungen Hitlers zum Saarproblem am 30. Januar
1934, abgedruckt in Domarus, Hitler Reden, Bd. I, S. 352-62; Auszüge in englischer
Übersetzung in Baynes, The Speeches oi Adoll Hitler, Bd. II, S. 1169-70.

102
8825/E 614 266-69
Konsul Koester (Danzig) an Ministerialdirektor Meyer
DANZIG, den 5. Dezember 1933
Sehr verehrter Herr Ministerialdirektor!
Durch Herrn Senatspräsidenten Rauschning wie auch durch Herrn Gau-
leiter Staatsrat Forster habe ich vertraulich Kenntnis erhalten von einem
Konflikt zwischen diesen beiden Persönlichkeiten, der für die hiesige
Staatsführung verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen könnte. Schon seit

174
Nr. 102 5. DEZEMBER 1933

längerer Zeit war es zwischen dem Senat und der hiesigen Gauleitung zu
Meinungsverschiedenheiten in manchen Fragen gekommen, die jedoch
durch Einlenken von der einen oder anderen Seite haben bereinigt werden
können; es ist jedoch bisher nicht gelungen, eine grundsätzliche Klärung der
Schwierigkeiten herbeizuführen, die sich naturgemäß dadurch ergeben, daß
der Senatspräsident in seiner Eigenschaft als Regierungshaupt die volle
Verantwortung zu tragen hat und andererseits als Parteimitglied durch die
Parteidisziplin an die Anordnungen des Gauleiters als des Vertreters des
Führers gebunden ist. Diese Schwierigkeit ist nunmehr akut geworden bei
dem jetzt unmittelbar vor der gesetzlichen Regelung stehenden Aufbau der
Hauptwirtschaftskammer, zu der der Gauleiter eine schriftliche Anordnung
gegeben hat, mit der sich der Senatspräsident nicht einverstanden erklären
zu können glaubt. Es kommt hinzu, daß auch in anderen, personellen Fragen
der Senatspräsident die zur Durchsetzung der Autorität erforderliche Be-
wegungsfreiheit nicht mehr findet. Er sieht sich deshalb vor den schweren
Entschluß gestellt, sein Amt als Senatspuäsident niederzulegen, ehe sich
etwa dazu von außen her eine Zwangslage ergibt. Der Gauleiter Forster
ist seinerseits, wie er mir ausführte, nicht gewillt, seinen gradlinigen Weg,
der ihn bei dem Aufbau der Partei zum Erfolg geführt hätte, aufzugeben.
Mir scheint tatsächlich eine Lage gegeben zu sein, die sich nicht mehr
durch Kompromisse, zu denen übrigens keiner der beiden Herren bereit ist,
ändern läßt. Ohne Zweifel besteht außenpolitisch grundsätzlich ein aus-
schlaggebendes Interesse daran, daß die Stellung des Senatspräsidenten
autoritär gefestigt dasteht. Dies auch in der Hauptsache deswegen, weil von
polnischer Seite die Stellung des jetzigen Senatspräsidenten insbesondere
in bezug auf mögliche Einmischungen seitens des Gauleiters stark beobach-
tet und bereits häufig in dieser Hinsicht verdächtigt worden ist. Auch im
Hinblick auf die Ratstagung in Genf im Januar n. Js., bei der der Danziger
Pressekonflikt zur Sprache kommen wird, erscheint es dringend geboten,
daß Herr Senatspräsident Rauschning die von ihm ergriffenen Schritte per-
sönlich vor diesem Forum rechtfertigt. Weiterhin schweben bekanntlich die
Danzig-polnischen Wirtschaftsverhandlungen, die durch die letzte polnische
Verordnung über eine Sperre der Danziger Lebensmitteleinfuhr nach Polen
eine starke Verschärfung erfahren haben.1)
Unter Hinweis auf diese Gesichtspunkte habe ich Herrn Senatspräsiden-
ten Rauschning dringend vor Augen gehalten, seine Stellung, so schwer es
ihm auch fallen möge, jetzt nicht aufzugeben. Er hat jedoch erklärt, er könne
eben aus staatspolitischen Notwendigkeiten heraus seine Aufgabe als
Senatspräsident nur dann durchführen, wenn er von ihn bindenden gau-
parteilichen Anordnungen befreit würde; es würde dies also darauf hinaus-
laufen, daß ihm, solange er Senatspräsident ist, die Gauleitung zeitweilig

(i) Während eines Besuchs in Warschau am 11. und 12. Dezember konferierte Rauschning
mit Pilsudski, Beck und anderen polnischen Regierungsvertretern über Wirtschafts-
fragen und allgemeine politische Fragen sowie die Möglichkeit einer Zusammenkunft
zwischen Hitler und Pilsudski. In einer Aufzeichnung ohne Unterschrift vom 14. Dezem-
ber (6601/E 495 072-77) findet sich eine Zusammenfassung der von Rauschning dem
Auswärtigen Amt berichteten Ergebnisse des Besuchs. Siehe auch Rauschning, Die
Revolution des Nihilismus, S. 407-08.

175
Nr. 103 6. DEZEMBER 1933

übertragen würde. Gegen diesen Gedanken hat sich Herr Gauleiter Forster
bisher strikt ablehnend verhalten.
Der einzige, unter diesen Umständen sich bietende Ausweg wäre der, daß
Herr Gauleiter Forster selber die Geschäfte als Senatspräsident übernimmt;
jedoch kann ich aus den angeführten Gründen nicht umhin, den augenblick-
lichen Zeitpunkt für einen derartigen Wechsel für höchst ungeeignet und
nachteilig zu halten. Treiben allerdings die Dinge so weiter, wie sie jetzt
sind, so ist mit schweren Reibungen in dem Funktionieren der Staats-
maschine zu rechnen, da es nicht hat verhindert werden können, daß die
Divergenzen zwischen Senatspräsident und Gauleiter bereits in hiesigen
Kreisen bekannt geworden sind und zu Spaltungen innerhalb der Behörden
des Senats und der Partei zu führen drohen.
Ich muß mich darauf beschränken, ernstlich die Aufmerksamkeit des Aus-
wärtigen Amts auf diese augenblickliche Lage zu lenken.
Mit gehorsamsten Empfehlungen bin ich
Ihr sehr ergebener
KOESTER

103
7188/E 528 294-97
Autzeichnung des Ministerialrats Willuhn (Reichskanzlei)
Rk. 14025
NIEDERSCHRIFT ÜBER DIE CHEFBESPRECHUNG AM 6. DEZEMBER 1933
NACHM. 5 UHR IN DER REICHSKANZLEI

Anwesend die Herren: Reichskanzler Adolf Hitler, Reichsminister des


Auswärtigen Freiherr von Neurath, Reichsminister der Finanzen Graf
Schwerin von Krosigk, Reichswirtschaftsminister Dr. Schmitt, Reichsbank-
präsident Dr. Schacht, Staatssekretär Dr. Lammers. Vom Auswärtigen Amt:
Ministerialdirektor Dr. Ritter, Legationsrat Baer. Vom Reichsfinanzministe-
rium: Ministerialdirigent Dr. Berger. Vom Reichswirtschaftsministerium:
Staatssekretär Feder, Staatssekretär Posse, Ministerialdirektor Sarnow,
Ministerialrat Waldeck, Regierungsrat Dr. Hartenstein. Der Beauftragte für
Wirtschaftsfragen Keppler. Ministerialrat Dr. Killy. Ministerialrat
Dr. Willuhn als Protokollführer.
Gegenstand: Transferfragen.
Der Reichsbankpräsident berichtete über die Devisenlage und das Aus-
maß der Transferierung. Die deutsche Ausfuhr werde zur Hälfte mit In-
landsmark bezahlt. Für die andere Hälfte gingen die Exportdevisen ein.
Daneben liefen die sogenannten Judenexporte, die eine Kapitalflucht der
Juden darstellten. Viele deutsche Juden kauften mit den ihnen zur Ver-
fügung stehenden Geldmitteln Waren auf und führten sie nach dem Aus-
lande aus, ohne die Devisen abzuliefern. Hinsichtlich der Zins- und Schul-
denzahlung müsse man sich darüber klar werden, ob man an dem gegen-

176
Nr. 103 6. DEZEMBER 1933

wärtigen System festhalte und dabei den gegenwärtigen Transfersatz auf-


recht erhalte oder einen niedrigeren nehmen oder ob man zu einem ande-
ren System überzugehen beabsichtige. Die Entscheidung hierüber läge
allein bei Deutschland. Die Reichsbank habe den Kontakt mit den auslän-
dischen Gläubigern aufrecht erhalten. Die Vertreter der Gläubiger der ein-
zelnen Länder seien von der Reichsbank von Zeit zu Zeit nach Berlin einge-
laden worden. Diese hätten zwar keine juristische Legitimation zur Ver-
tretung der Auslandsgläubiger. Es werde jedoch die Fiktion aufrecht erhal-
ten, daß ihnen eine Vertretungsbefugnis zustände. Zur Zeit befänden sie
sich wieder in Berlin. Er suche zu erreichen, daß für die nächsten 6 Monate
wieder ein Beruhigungszustand vorhanden ist. Er werde bei den Verhand-
lungen so vorgehen, daß keine Schwierigkeiten erwachsen. In allen Ländern
hätten die Gläubiger bis vor kurzem stillschweigend den gegenwärtigen
Zustand hingenommen.
Die Sonderabmachungen mit den holländischen und schweizerischen
Gläubigern, auf die Deutschland eingegangen wäre, um dem beabsichtigten
Clearing-Verfahren zu entgehen,1) hätten jedoch in den anderen Ländern
einen stürmischen Unwillen hervorgerufen. Auch in einer Note der eng-
lischen Regierung, die dem Auswärtigen Amt zugeleitet worden sei,2)
würde dieser Unwille zum Ausdruck gebracht. Die Proteste kämen haupt-
sächlich von den Gläubigern Englands und der Vereinigten Staaten von
Amerika. Die Regierungen der beiden Länder billigten diese Protestaktio-
nen stillschweigend. Die Gläubiger dieser Länder fühlten sich benachteiligt.
Er, der Reichsbankpräsident, habe bei den gestrigen Verhandlungen mit
den Gläubigervertretern dieser Länder darauf hingewiesen, daß er nicht die
Verantwortung für die Regelung mit Holland und der Schweiz trüge. Er
habe die beiden Vertreter an den Reichswirtschaftsminister verwiesen, der
mit ihnen auch eine Unterhaltung geführt habe.
Er sei der Meinung, daß die Fühlungnahme mit den Vertretern der Aus-
landsgläubiger in der bisherigen Form aufrecht erhalten werden solle. Die
Abkommen mit Holland und mit der Schweiz trügen der in London aufge-
stellten These Rechnung, daß die Schulden von Land zu Land nur durch
Warenlieferungen abgetragen werden könnten.
Der Reichswirtschaftsminister wies darauf hin, daß für die Reichsregie-
rung nur zwei Betrachtungsmöglichkeiten vorhanden seien: Entweder wür-
den alle Gläubiger mit einer gleichen Quote bedacht werden oder es müßte
eine Bevorzugung der großen Kunden Deutschlands eintreten. In der prak-
tischen Gestaltung ergäben sich jedoch große Schwierigkeiten. Die Abkom-
men mit Holland und der Schweiz machten die Lage der Gläubigervertreter
der einzelnen Länder schwierig. Er halte es für zweckmäßig, mit allen
Gläubigervertretern zu verhandeln und erst dann Sonderzugeständnisse
an einzelne Gläubigerländer zu machen. Auf diese Weise könnte eine Hilfe-
stellung gegen die Gläubiger Hollands und der Schweiz erreicht werden.

*(l) „Vereinbarungen über die Durchführung des deutschen Transfermoratoriums" waren


am 7. Oktober 1933 mit dem Schweizerischen Bundesrat (9638/E 679 846-54) und am
28. Oktober 1933 mit der Niederländischen Regierung (9639/E 679 857-64) getroffen
worden.
(2) Fundort: 7186/E 527 784-85.

177

11,1 Bg. 12
Nr. 104 6. DEZEMBER 1933

Der Reichsminister des Auswärtigen schloß sich dem Vorschlage des


Reichswirtschaftsministers an.
Der Reichskanzler brachte zum Ausdruck, daß Zahlungsmöglichkeiten für
Deutschland überhaupt nicht gegeben sein würden, wenn die Zahlungs-
bilanz zwischen Deutschland und der Schweiz und Deutschland und Holland
nicht so stark passiv zu Lasten der beiden fremden Staaten wäre. Auch er
halte den Vorschlag des Reichswirtschaftsministers für gangbar und emp-
fehle seine Durchführung.
W[ILLUHN]

104
5737/H 028 804-07
Der Botschafter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt
Telegramm
Citissime ROM, (QUIR.), den 7. Dezember 1933 0 Uhr 10
Nr. 272 vom 6. 12. Ankunft: 7. Dezember 2 Uhr 25
II It. 1476
Unterredung mit Mussolini.
1) Nach Bestellung von Grüßen habe ich zunächst kurz Eindrücke in
Deutschland geschildert, worauf er erklärte, daß er von Rocco und Alfieri
im gleichen positiven Sinne unterrichtet worden sei.
2) Ich ausrichtete hierauf persönlichen Auftrag Kanzlers, daß er ihn über
alle Phasen deutsch-französischer Besprechungen auf laufendem halten
werde, gemäß Grundgedanken, daß weder deutsch-französische noch
italienisch-französische Verständigung ohne Unterrichtung des andern oder
gar zu seinem Nachteil erfolgen solle. Gleichzeitig gab ich Mussolini Über-
sicht über Unterhaltung Kanzlers und Außenministers mit dem französischen
Botschafter.1) Mussolini aussprach für Erklärung und Unterrichtung Dank
und volles Einverständnis. Er bemerkte zunächst, er habe zuverlässige
Nachricht, daß Petit Journal Falschmeldungen von Wickham Steed über
Prag nach Paris gelangt seien. Im übrigen meinte er, daß nach eigenen Er-
fahrungen er Aussichten Verständigung mit Frankreich skeptisch beurteilen
müsse. Beweis sei, daß neuerlich Unterhaltungen in Flottenfrage mit fran-
zösischer gänzlich unannehmbarer Zumutung geendet hätten, Italien solle
sich verpflichten, nicht mehr als eine Dunkerque zu bauen.
3) Abrüstungsfrage: Fortschritte seien in diplomatischen Besprechungen
inzwischen nicht erzielt worden, auch nicht mit Sir Eric Drummond, der
noch stark in Völkerbundsideologie befangen. Engländer fingen im übrigen
realpolitischer zu denken an. Er denke sich weiteren Fortgang so, daß nach
Rückkehr Suvichs und Abrüstungssachverständigen aus Berlin 2 ) er deut-

*(i) Francois-Poncet. Siehe Dokument Nr. 86.


(2) Hassell hatte in Telegramm Nr. 267 vom 2. Dezember (8046/E 578 372) berichtet, er habe
im Auftrage Hitlers Suvich eine Einladung nach Berlin überbracht. Suvich habe sich

178
Nr. 104 6. DEZEMBER 1933

sehen Standpunkt Engländern vorlege; wenn mit ihnen grundsätzlich Einig-


keit erzielt, könne man zu vieren weiter sprechen. Rußland und Amerika,
die beide durch japanisches cauchemar bedrückt, würden besser erst in
späterem Stadium zugezogen.
4) Völkerbund: Die deutscherseits an Mussolini abgegebenen Erklärun-
gen 3) interessierten Mussolini besonders, weil mit Großratsbeschluß 4) im
Prinzip übereinstimmend. Italien habe über Reform Völkerbunds ganz be-
stimmte Gedanken, die ausgearbeitet würden, weil man auf Einbringung
von anderer Seite gefaßt sein müßte, was Italien denn Besseres vorgeschla-
gen habe, wenn ihm jetziger Völkerbund nicht gefalle. In diesem Sinne
habe er auch mit Avenol gesprochen, der natürlich brennendes Interesse
habe, Völkerbund zu retten. Mussolini zeigte dann seinen Entwurf zur
Großratserklärung, der zu diesem Punkte ausführlicher war als, veröffent-
lichte Fassung; darin wird dargelegt, daß in Verfassung Völkerbunds
unhistorisches und unnatürliches Prinzip völliger Gleichstellung großer und
kleiner Nationen fallen müsse, daß die Methode des Völkerbunds vom un-
fruchtbaren System des Parlamentarismus zu befreien sei und daß endlich
Ziele genauer und klarer bestimmt und beschränkt werden müßten. Diese
Sätze seien fortgelassen worden, um nicht unnütz von vornherein Sturm
Widerstands zu erregen.
5) Besuch Litwinows: 5 ) Zwischen Rußland und Italien sei politisch nichts
Neues zu vereinbaren gewesen; Besuch habe aber publizierten großen Wert
und werde sich wirtschaftlich nützlich auswirken. Litwinow sei wegen Ent-
wickelung internationaler Lage aufs äußerste besorgt gewesen, da er schwere
Konflikte voraussehe, besonders natürlich im Fernen Osten. Angriff Japans
sei bisher nur vermieden worden, weil zur Zeit Rußland im Fernen Osten
militärisch und besonders in der Luft überlegen sei. Indessen sei sich
Litwinow über auf die Dauer schlechten Chancen kriegerischen Zusammen-
stoßes mit Japan durchaus im klaren. Litwinow fürchte deutsch-polnische
Versöhnung mit territorialer Entschädigung Polens an der Ostgrenze und
deutsch-polnisch-japanische Verschwörung gegen Rußland. In dieser Stim-
mung sei er sehr geneigt, besseres Verhältnis zu Deutschland zu suchen,
worin er ihn bestärkt habe. Ich hinwies auf durchsichtiges Spiel, deutsch-
polnische Verständigung durch leere russische Versprechungen zu stören,
und andeutete, daß französisch-japanische Verschwörung wahrscheinlicher
als deutsch-japanische. Mussolini erwiderte, daß Litwinow demgegenüber
ganz von Furcht vor dem von ihm genannten Dreibund erfüllt. In Abrüstungs-
frage habe Litwinow erklärt, daß er im Interesse Friedens und Abrüstung
an sich gegen deutsche Aufrüstung sei, aber nach Lage der Sache nichts da-

[Fortsetzung von Anm. 2]


bereit erklärt, am 11. Dezember nach Berlin zu kommen; er habe vorgeschlagen, daß
ein Abrüstungs-Sachverständiger ihn „inoffiziell" begleiten solle. Zu Suvichs Besuch
in Deutschland siehe die Dokumente Nr. 120 und 126.
(3) Siehe die Dokumente Nr. 40, 50 und 78.
(4) Der Große Faschistische Rat hatte am 5. Dezember den Beschluß gefaßt, das weitere
Verbleiben Italiens im Völkerbund davon abhängig zu machen, daß eine radikale
Reform seiner Verfassung, seines Arbeitssystems und seiner Zielsetzung durchgeführt
werde.
(5) Der Besuch Litwinows in Rom hatte vom 2. bis 5. Dezember stattgefunden.

179
Nr. 105 7. DEZEMBER 1933

gegen unternehmen werde, da Rußland der Vertrag von Versailles nichts


angehe. Bezüglich europäischen Südostens habe Litwinow gesagt, daß
dortige Völker für das heutige Rußland nicht Slawen, sondern Balkanesen;
der frühere panslawische Traum käme nicht mehr in Frage. Mussolini hin-
zufügte, daß türkische Politik unter Tewfik Rusdidi bedauerliche Wege
gehe; letzter Anlaß dazu sei Angst vor bulgarischen Revisionsansprüchen
auf Thrazien. Er, Mussolini, habe König Boris noch vor einigen Monaten in
langer Unterhaltung dringend geraten, Revisionsgedanken auf zwei Fron-
ten zu beschränken und sich mit Griechenland und der Türkei zu verständi-
gen. Leider vergeblich. Auf der anderen Seite müsse er anerkennen, daß
sich Bulgarien trotz Schwäche seiner Position brav unabhängig halte und
Lockungen der Kleinen Entente widerstehe. Bulgariens Beziehungen zu
Ungarn seien ausgezeichnet, und Italien unterstütze beide Länder nach
Kräften, vor allem Bulgarien in letzter Zeit mit Waffen unter sorgfältiger
Vermeidung von Hirtenberg-Affären.6)
6) Gesamtproblem: Ich fragte Mussolini, ob Donau-Memorandum, dessen
seinerzeitige taktische Bedeutung mir klar, noch aktuell, was er bejahte.
Ich hinzufügte, daß wir bisher nicht geantwortet hätten, aber jederzeit
bereit seien, verbreiterte Anknüpfung an ihm seinerzeit skizzierte fünf
Punkte auf der Basis Memorandums 7) mit Italien zu unterhalten, um ge-
meinsame Linie zu entwickeln. Mussolini erklärte, daß er hiermit durchaus
einverstanden sei. Ich werde über letzten Punkt noch mit Ciancarelli spre-
chen, ebenso wie er in Berlin mit Suvich besprochen werden könnte.
HASSELL
(«) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 81.
(7) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 485.

105
3154/D 671 462-67
Auizeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von Bülow •)
BERLIN, den 7. Dezember 1933
Der französische Botschafter sagte sich heute sehr dringlich bei mir an
unter dem Vorwand, er habe heute Kurierschluß. Tatsächlich kam er, um
mitzuteilen, daß er Weisungen aus Paris erhalten habe, die ihn instand
setzten, die Aussprache mit dem Herrn Reichskanzler fortzusetzen,2) und daß
er hiermit bitte, ihm eine neue Zusammenkunft mit dem Herrn Reichskanz-
ler zu vermitteln.
Der Sinn seiner Weisungen sei, den hergestellten Kontakt nicht abreißen
zu lassen, obwohl die französische Regierung im Augenblick wenig zu
sagen habe. Er werde darlegen müssen, daß seine Regierung durch den
Kampf um das Budget voll in Anspruch genommen sei und erst nach Erledi-

*(i) Randvermerk Neuraths: „RK".


*(2) Siehe Dokument Nr. 86. Die Weisung an Francois-Poncet ist abgedruckt in Documents
Diplomatiques Francais, 1. Serie, Bd. V, Nr. 81.

180
Nr. 105 7. DEZEMBER 1933

gung dieser brennenden Frage sich in der Lage sehen werde, der deutsch-
französischen Aussprache ihre volle Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Die Weisungen, die er erhalten habe, sprächen das Bedauern der fran-
zösischen Regierung aus, daß von Abrüstung nicht mehr die Rede sein
solle, sondern nur von Rüstungsbegrenzungen. Die französische Regierung
fürchte, daß auch eine verhältnismäßig geringe Aufrüstung Deutschlands zu
einem internationalen Rüstungswettlauf mit allen seinen Gefahren führen
werde. Die französische Regierung sei im übrigen noch nicht bereit, einer
deutschen Aufrüstung zuzustimmen, diese Frage müsse offen bleiben, bis
ein klareres Bild von den deutschen Absichten gewonnen worden sei.
Was die Saar anlange, so werde er darauf hinzuweisen haben, daß die
französische Öffentlichkeit und die französische Kammer jedem Verzicht
auf die Abstimmung 3 ) als Aufgabe eines Rechts, das der Saarbevölkerung
vertraglich seit 15 Jahren zugesichert sei, gänzlich ablehnend gegenüber-
stehe. Die französische Regierung, das wolle er mir ganz offen sagen, sei
nicht stark genug, um dieser Auffassung entgegentreten zu können. Das
schließt aber nicht aus, daß zu einem späteren Zeitpunkt eine Aussprache
über Wirtschaftsfragen, über ein Zoll-Ubergangs-Regime und über die Ent-
schädigung für den Grubenbesitz eingeleitet würde.
Er sei ermächtigt oder angewiesen (das ging aus seinen Ausführungen
nicht klar hervor), um eine genauere Präzisierung der deutschen Absichten
auf dem Rüstungsgebiet zu bitten. Seine Fragen würden sich in erster
Linie beziehen auf Zahl und Art der Waffen, die Deutschland verlange.
Ferner auf die SA, ihre künftige Gestaltung und ihr Verhältnis zur Armee
bzw. Veranschlagung ihres militärischen Wertes. Sodann werde er fragen,
ob es in den Absichten des Herrn Reichskanzlers liege, ein festes Verhältnis
der Stärke der deutschen Rüstungen zu denen der benachbarten Länder zu
konstituieren. Er habe errechnet, daß 300 000 Mann ein Viertel der Wehr-
macht von Frankreich, Polen und der Tschechoslowakei (und Belgien?) aus-
mache. Er bezog sich im übrigen auf die Unterredung, die ich vorgestern
mit ihm hatte.4) Schließlich werde er fragen, ob der Herr Reichskanzler die
Möglichkeit sehe, einen allgemeinen Nichtangriffspakt abzuschließen oder
die mit Polen getroffene Vereinbarung über die Nichtanwendung von
Gewalt 5 ) zu verallgemeinern. Er frage sich allerdings, ob diese Möglich-
keiten irgendwie die deutsch-französische Situation verändern würden, da
ja der Locarno-Vertrag, zu dem sich der Herr Reichskanzler ausdrücklich
bekannt habe, ungefähr alles enthielte, was auf diesem Gebiet vereinbart
werden könne.
Ich sagte dem Botschafter, ich wunderte mich sehr, daß seine Regierung
ihr Bedauern aussprechen wolle, daß der Abrüstungsgedanke fallen ge-
lassen werde. Eine allgemeine Abrüstung sei schließlich nicht möglich, wenn
das stärkst gerüstete Land der Welt nicht mit dem guten Beispiel voran-
gehe. Niemals und zu keiner Zeit hätte die französische Regierung uns oder
anderen bekanntgegeben, daß sie zu einem irgendwie beachtlichen Ab-
rüstungsschritt bereit sei, und für uns hätte der Verlauf der Genfer Verhand-

(3) Siehe Dokument Nr. 101 und Anm. 2 dazu


(4) Siehe Dokument Nr. 100.
(5) Siehe Dokument Nr. 69, Anm. 2.

181
Nr. 105 7. DEZEMBER 1933

lungen klar erwiesen, daß ein Abrüstungswille nicht bestehe. Auf dieser
Tatsache fuße der Vorschlag des Herrn Reichskanzlers, es in diesem ersten
Stadium bei einer Begrenzung der Rüstungen bewenden zu lassen.
Der Botschafter widersprach lebhaft, daß Frankreich nicht zur Abrüstung
bereit sei. Er sei allerdings immer schon überzeugt gewesen, daß wir den
englisch-amerikanisch-französischen Vorschlag dieses Herbstes nicht richtig
verstanden hätten. Der Vorschlag laufe doch letzten Endes darauf hinaus,
daß der Herstellung der sogenannten Angriffswaffen sofort ein Ende ge-
macht werde, daß nach vier Jahren ein Drittel, nach 6 Jahren ein weiteres
Drittel und nach acht Jahren das letzte Drittel aller Angriffswaffen abge-
schafft werde.6) Nach diesem Vorschlag würde Deutschland im Laufe der
Jahre die Verteidigungswaffen erhalten und zum Schluß der acht Jahre
dieser Konvention völlig gleich bewaffnet und gleichberechtigt dastehen.
Ich sagte dem Botschafter, trotz meiner genauen Kenntnis der Genfer
Vorgänge sei mir dieser Vorschlag wenigstens in dieser Form völlig neu.
Ich könnte ihm versichern, daß Herr Paul-Boncour weder Herrn von Neu-
rath noch Herrn Nadolny jemals ein Wort von einer etappenweisen Ab-
schaffung aller Angriffswaffen gesagt hätte. Auch die Engländer hätten uns
hiervon nie etwas gesagt. Der Vorschlag, den man uns gemacht habe, sei
ein wesentlich anderer. Zunächst sollten wir zum zweitenmal abrüsten,
indem wir die Reichswehr in eine Miliz umwandelten. Dieser Miliz sollte
aber die Charakteristika einer Miliz, nämlich die Reserven, genommen sein,
denn man habe uns nur die VersaiUer Bewaffnung für den unter den Fah-
nen befindlichen Jahrgang angeboten. In der zweiten vierjährigen Periode
wollten sich nach dem uns bekannten Vorschlag die anderen Mächte die
Abrüstung überlegen. Diese sei aber abhängig gewesen von dem Funktio-
nieren einer internationalen Kontrolle. Jedem Staate hätte es freigestanden,
nach vier Jahren eine Abrüstung erneut abzulehnen mit der Begründung,
daß die Kontrolle seinen Ansprüchen in irgendeinem Punkte nicht genüge.
Das Ausschlaggebende bei der ganzen Konstruktion sei aber das Miß-
trauen gegen Deutschland gewesen. Man habe unverblümt erklärt, daß das-
selbe Deutschland, dem man noch im Mai den MacDonald-Plan angeboten
habe, im Oktober so wenig vertrauenswürdig sei, daß es einer vierjährigen
Probezeit unterworfen werden müsse. Niemand habe uns sagen können,
welche Umstände einen solchen Umschwung der Auffassung rechtfertigen.
Der Botschafter erwiderte sehr lebhaft, die Antwort hierauf könne er mir
ohne weiteres geben. Sämtliche Regierungen der Welt seien in der Zeit
zwischen Mai und Oktober überschüttet worden mit Nachrichten über ein
rasches Fortschreiten der deutschen Aufrüstung. Von überall her kämen
Meldungen, daß bei uns in großen Mengen Munition, Geschütze, Giftgase,
Tanks und Flugzeuge hergestellt würden. Er führte dies des Näheren aus,
und es gab eine scharfe Auseinandersetzung zwischen uns, zumal ich ihm
vorhielt, daß keine Regierung gewagt hätte, uns diese angeblichen Mel-
dungen zur Bestätigung vorzulegen, mit Ausnahme der englischen Regie-
rung,7) der gegenüber wir einmal eine absurde Behauptung der Luftauf-
rüstung richtiggestellt hätten. Wenn fremde Regierungen kommunistischen

*(6) Randbemerkung Neuraths: „??"


(7) Siehe Serie C, Bd. 1, 2, Dokument Nr. 380.

182
Nr. 105 7. DEZEMBER 1933

Agitatoren und deutschen Emigranten ihr Ohr leihen, statt sich an die Tat-
sachen zu halten bzw. mit der deutschen Regierung über die Gründe ihrer
Beunruhigung offen zu sprechen, so liege darin bereits ein unüberwindbares
Hindernis für jede Verständigung. Der Botschafter meinte, eine Einladung
an die Militärattaches, unsere durch Agentenberichte kompromittierten
Fabriken zu besichtigen, würde wesentlich zur Beruhigung beitragen. Ich
lehnte diesen Gedanken sehr entschieden ab.
Im übrigen sagte ich dem Botschafter, ich glaubte nicht, daß er den Herrn
Reichskanzler dahin richtig verstanden habe, daß diesem eine feste Relation
der deutschen Rüstungen mit denen der Nachbarstaaten im Verhältnis eins
zu vier vorschwebe. Allerdings könne ich ihm hierüber nichts Authentisches
sagen. Von militärischer Seite sei mir bekannt, daß man im allgemeinen
auf jeden Kilometer Grenze so und so viel Mann zur Verteidigung veran-
schlage. Die Ziffer, die sich hieraus für Deutschland ergebe, liege etwas
über 300 000. Was seine Idee, zusätzliche Sicherheiten zu schaffen, anlange,
so sei ich etwas skeptisch. Es werde sehr schwer sein, eine Vereinbarung zu
entwerfen, die noch über die sehr weitgehenden Bestimmungen des
Locarnovertrages hinausgingen. Er müsse sich auch vollkommen von dem
früher erörterten Gedanken freimachen, daß Frankreich zusätzliche Sicher-
heiten als Gegenleistung für seine Abrüstung erhalten solle. Im gegen-
wärtigen Stadium der Verhandlungen werde von Frankreich keine Ab-
rüstung verlangt, und damit bereits entfiele jede Berechtigung einer Forde-
rung zusätzlicher Sicherheiten. Damit sei aber nicht gesagt, daß deutscher-
seits friedenssichernde Vereinbarungen irgendwelcher Art grundsätzlich
abgelehnt würden. Im Gegenteil. Die Verquickung des Problems der Sicher-
heit mit dem der Abrüstung könne aber nach unserem Ausscheiden aus der
Genfer Konferenz nicht mehr in dem dort behandelten Sinne fortgeführt
werden.
Zum Schluß kam der Botschafter nochmals (wie vorgestern) auf seine Be-
sorgnisse wegen der Presseindiskretionen über die laufenden diplomati-
schen Besprechungen. Er schlug seinerseits ein Kommunique über seinen
nächsten Empfang beim Herrn Reichskanzler vor, das folgendermaßen
lautet:
„Le Chancelier Hitler a recu, le decembre, lÄmbassadeur de France. La
conversation, faisant suite ä l'entretien du 24 novembre, a eu, comme
celui-ci, un but dinformation mutuelle sur les principales questions ä
l'ordre du jour."
Deutsch: „Der Herr Reichskanzler Hitler empfing am Dezember den fran-
zösischen Botschafter. Die Unterredung setzte die Besprechung vom
24. November fort und hatte ebenso wie die letztere zum Ziel die gegen-
seitige Unterrichtung über die wichtigsten zur Erörterung stehenden Fra-
gen."
Ich sagte dem Botschafter, ich würde seine Anregung weitergeben und
könne ihm im übrigen versichern, daß seitens unserer Presse, die ich ge-
warnt und über den Charakter diplomatischer Aussprachen eingehend auf-
geklärt habe, Indiskretionen nicht vorkommen würden. Es sei an ihm, dafür
zu sorgen, daß nicht wieder in Paris falsche Gerüchte oder verfrühte Ver-
öffentlichungen vorkämen. Der Botschafter klagte darauf über die schlechte

183
Nr. 106 6. DEZEMBER 1933

Gewohnheit des auswärtigen Ausschusses der französischen Kammer, vom


Außenminister fortlaufend über diplomatische Unterredungen unterrichtet
zu werden, und zwar ganz besonders, wenn nicht ausschließlich, über alle
deutsch-französischen Besprechungen.
Beim Abschied sagte der Botschafter noch als seine persönliche Meinung,
die französische öffentliche Meinung befinde sich zur Zeit in einem Zu-
stand der Gärung und der Erregung; man müsse ihr Zeit zur Beruhigung
lassen und dürfe nicht, um im Bilde zu bleiben, das Faß zu früh anstechen.8)
BÜLOW

*(8) Siehe auch Documents Diplomatiques Francais, 1. Serie, Bd. V, Nr. 94.

106
6114/E 454 114-15
Der Landesinspekteur der NSDAP in Österreich Habicht
an Gesandtschattsrat Hülter
Auszug i)
MÜNCHEN, den 6. Dezember 1933
e. o. II Oe. 2093
Sehr geehrter Herr Doktor! . . .
Betr.: Österreich.
Räuschl berichtet über fortschreitende Zersetzung im Lager des Starhem-
bergschen Heimatschutzes. Die Vertreter der vier Gruppen Starhemberg,
Steidle, Fey und Alberti sprechen umschichtig bei ihm vor, jeder versucht,
den anderen auszustechen und als unmöglich hinzustellen, keiner jedoch ist
in der Lage, zu einem entscheidenden Schritt zu kommen. Insgesamt ge-
sehen ein Bild vollkommener Kopflosigkeit und Verwirrung! Einig sind alle
nur in der Wut auf Dollfuß, der sie immer mehr kaltstellt. Dollfuß selbst
hofft noch immer auf Möglichkeit direkten Abkommens mit Berlin und hat
zu diesem Zweck bereits zweimal Mittelsleute zum Führer geschickt. Dieser
hat mir davon wieder berichtet. Volle Übereinstimmung in allen Fragen
festgestellt!
In der Haltung Italiens scheint sich jetzt tatsächlich eine Wandlung zu
vollziehen! Räuschl berichtet über eine Unterredung Morreales, der äußerst
deprimiert gewesen sei und andeutungsweise habe verlauten lassen, daß er
seinem eigenen Wunsch entsprechend in absehbarer Zeit von Wien abge-
zogen würde. Er ist wütend auf Starhemberg und den Heimatschutz, weil
diese sich immer zurückdrängen ließen.

*(l) Hüffer fertigte den vorliegenden Auszug am 7. Dezember an und fügte ihm folgenden
Vermerk (6114/E454 116) bei:
„Anbei wird Auszug eines Briefes von Herrn Habicht vom 6. d. M., betreffend] Öster-
reich, über den Herrn Staatssekretär dem Herrn Reichsminister mit der Bitte um Kennt-
nisnahme gehorsamst vorgelegt. Räuschl ist der Deckname für den österr[eichisdien]
nat[ional]soz[ialistischen] Bundesrat Schattenfroh in Wien. Hüffer."

184
Nr. 107 9. DEZEMBER 1933

Ein zweiter Bericht spricht von einer Unterredung zwischen Biro (s. o.)2)
und Morreale, wobei Morreale sich im obigen Sinne noch viel weitgehender
geäußert habe. Interessant in diesem Zusammenhang, daß ein als schärfster
sachlicher und persönlicher Gegner Morreales bekannter italienischer Jour-
nalist in Wien, der von mir schon seit einem Jahr gegen ihn ausgespielt
wurde und der uns gesinnungsmäßig sehr nahesteht, jetzt plötzlich stark in
den Vordergrund tritt und nun auch ganz offiziell überall da eingeladen
wird (auch von der Regierung!), wo bisher Morreale allein herrschte und
vertrat. - Angeblich geschieht das sogar auf Wunsch des Duce.
Der Besuch Gömbös' bei Dollfuß 3) (dreitägiger Jagdausflug in die Steier-
mark) ist sachlich ergebnislos verlaufen, persönlich zu einer Blamage von
Dollfuß geworden. Gömbös fand überall, wo er ging und stand, ausgestreute
oder angemalte Hakenkreuze, sogar in seinem Bett auf der Jagdhütte fand
er eine schöne Holzschnitzerei dieser Art! Er soll großes Vergnügen daran
gehabt und die Schnitzerei sogar mitgenommen haben.
Ein anderer Bericht erzählt, daß in dem von ihm und Dollfuß begangenen
Jagdrevier von Jägern 8 Tage vorher sogar einige Gemsen und Hirsche
lebend eingefangen worden seien, in deren schönen Winterpelz man Haken-
kreuze eingeschoren und sie danach wieder habe laufen lassen. Ob auch
ein[es] dieser Stücke unter der Jagdbeute war, darüber wurde noch nichts
gemeldet.
Ohne mehr für heute! Mit herzlichsten Grüßen
Ihr
gez. HABICHT

(2) Der H i n w e i s bezieht sieh offenkundig auf eine in v o r l i e g e n d e m Auszug nicht ent-
haltene Passage.
(3) G ö m b ö s u n d d e r ungarische Landwirtschaftsminister Källay w a r e n v o m 28. b i s zum
30. N o v e m b e r Gäste der österreichischen Regierung g e w e s e n . Einzelheiten über diesen
Besuch finden sich im Bericht A 2156 der Gesandtschaft in W i e n v o m 8. Dezember 1933
(8659/E 606 273-76).

107
3154/D 671 581
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 9. Dezember 1933
RM. 1687
Der Reichskanzler empfing gestern den englischen Botschafter,1) der ihm
auf Grund einer aus London empfangenen Instruktion eine Reihe von
Fragen unterbreitete. Von diesen Fragen hat der Reichskanzler zunächst nur
die eine beantwortet, nämlich die, worin die Forderung von 300 000 Mann
als übermäßig hoch und die Forderung an Flugzeugen etc. als ungeheuer-
lich (formidable) bezeichnet wurde. Der Kanzler wies darauf hin, daß der

(1) Berichte Phipps' über diese Unterredung sind abgedruckt in Documenfs on British
Foreign Policy, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 114 und 120.

185
Nr. 108 8. DEZEMBER 1933

MacDonald-Plan,2) auf den in der englischen Instruktion verwiesen ist, von


uns nur als Basis einer Diskussion und unter der Voraussetzung der Abrü-
stung der anderen angenommen worden sei. Das 300 000-Mann-Heer dagegen
gehe davon aus, daß keiner der hochgerüsteten Staaten abrüsten wolle und
daß Deutschland als Mindestmaß für seine Sicherheit etwa ein Viertel der
Heeresstärke seiner Nachbarn beanspruchen müsse. Die übrigen Fragen
versprach der Kanzler zu beantworten, nachdem er eine schriftliche Notiz
darüber in Händen habe. Diese Notiz hat der englische Botschafter gestern
nachmittag geschickt.3) Ihr Inhalt ist von mir zusammen mit General von
Blomberg nochmals mit dem Kanzler durchgesprochen worden, der die
Erwiderung darauf zunächst selbst abfassen will.4)
v. N[EURATH]
• (2) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 90.
(») Dokument Nr. 111.
(*) Dokument Nr. 117.

108
3154/D 671 468
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an den
Reichsminister des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
Sofort BERLIN, den 8. Dezember 1933
Herrn Reichsminister.
Der französische Botschafter rief soeben - 5 Vi Uhr - an. Er hat erfahren,
daß der englische Botschafter J) heute früh auf ganz kurzfristige Anmeldung
hin vom Herrn Reichskanzler empfangen wurde und ein sehr eingehendes
und (wie Francois-Poncet sagte) sehr nützliches Gespräch mit ihm gehabt
habe.2) Er sei, obgleich er sich bereits gestern angemeldet habe, auf näch-
sten Donnerstag 3) vertröstet worden.4) Er habe seiner Regierung gemeldet,
der Herr Reichskanzler könne ihn jetzt nicht empfangen, da (wie ich ihm
gesagt habe) er über das Wochenende Berlin verlasse und dann den Besuch
von Suvich6) erwarte. Seine Regierung werde aber erfahren, daß der Eng-
länder anders und besser behandelt werde, und zum mindesten werde das
das Ansehen des Botschafters in seiner Heimat schädigen. Der Botschafter
war nicht ägriert, aber offensichtlich besorgt und sprach im Scherz davon,
daß er deklassiert und wie eine Nation zweiter Klasse behandelt werde.
Ich habe ihm versprochen, da ich über den Besuch des englischen Botschaf-
ters nicht unterrichtet sei, Sie sofort zu verständigen und ihm noch bis 7 Uhr
irgendeinen Bescheid zu geben.6)
BÜLOW
• (l) Phipps.
(*) Siehe Dokument Nr. 107.
*(') 14. Dezember.
(4) Siehe Dokument Nr. 116.
(5) Siehe Dokument Nr. 126.
(8) Randvermerk: „Dem RK mitgeteilt, v. N[eurath] 8. 12." Für das weitere siehe Doku-
ment Nr. 112.

186
Nr. 110 8. DEZEMBER 1933

109
8825/E614 271
Aufzeichnung des Präsidenten des Senats
der Freien Stadt Danzig Rauschningx)
BERLIN, den 8. Dezember 1933
In der Besprechung mit dem Stellvertreter des Führers, Herrn Reichs-
minister Heß, ist verabredet worden:
1.) Entgegen der kollegialen Verfassung des Senats untersteht die Ge-
samtpolitik des Senats entsprechend dem Führerprinzip dem Senatspräsi-
denten;
2.) der Gauleiter und Faktoren der Partei haben unmittelbares Eingreifen
in Akte der Verwaltung und in einzelne Zweige der Verwaltung zu unter-
lassen;
3.) für die gesamte Innen- und Außenpolitik ist der Senatspräsident dem
Vertreter der Bewegung, Gauleiter Forster, verantwortlich. Bei Meinungs-
verschiedenheiten entscheidet der stellvertretende Führer;
4.) über Maßnahmen, die von Parteiorganisationen veranlaßt werden und
die Befugnisse der Regierung innen- wie außenpolitisch berühren, ist je-
weils das Einvernehmen mit dem Präsidenten des Senats vorher herbeizu-
führen.
RAUSCHNING
(l) In den Akten befindet sich bei der Vorlage folgende Notiz Meyers (8825/E 614 270): „In
der heutigen Besprechung mit dem Stellvertreter des Führers ist die anliegende Ver-
einbarung getroffen worden. Es erscheint demnach nicht mehr nötig, die Angelegenheit
im Kabinett zur Sprache zu bringen; immerhin wäre es empfehlenswert, wenn Herrn
Heß gegenüber die Genugtuung über die Vereinbarung erwähnt werden könnte und
dabei die Hoffnung zum Ausdruck gebracht werden würde, daß keinerlei Reibungen
mehr in Danzig auftreten werden."

110
7725/E 551 037-38
Runderlaß des Auswärtigen AmtsJ)
BERLIN, den 8. Dezember 1933
II Ni. 1071 Ang. II
Die niederländische Regierung ist im Laufe des Sommers d. J. dazu über-
gegangen, gegen die in Holland entstandenen Ortsgruppen der National-
sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei Maßnahmen zu ergreifen, die mehr
und mehr darauf hinauslaufen, jede nationale Betätigung von Reichsdeut-
schen im Rahmen der NSDAP in den Niederlanden zu unterbinden. Auf die

I1) Der Runderlaß wurde sämtlichen Botschaften und Gesandtschaften, mit Ausnahme der
Botschaft beim Heiligen Stuhl und der Gesandtschaft in Den Haag, sowie den Konsu-
laten in Batavia, Kalkutta, Jerusalem, Memel, Montreal, Pretoria und Sydney über-
mittelt.

187
Nr. 111 8. DEZEMBER 1933

wiederholten Vorstellungen des deutschen Gesandten im Haag,2) die sich


gegen diese Maßnahmen wandten, hat der niederländische Außenminister 3 )
am 15. November d. J. an den deutschen Gesandten eine Note gerichtet, in
der die negative Haltung der niederländischen Regierung gegenüber der
Betätigung der NSDAP in Holland grundsätzlich zum Ausdruck gelangt ist.4)
Der deutsche Gesandte ist daraufhin beauftragt worden, den Auffassungen
der niederländischen Regierung in einer Antwortnote entgegenzutreten, in
der der Standpunkt der deutschen Regierung gleichfalls grundsätzlich fest-
gelegt worden ist.5)
Im Hinblick darauf, daß dieser Notenwechsel mit der niederländischen
Regierung für die Frage der Betätigung der NSDAP im Auslande von allge-
meiner Bedeutung ist, wird Abdruck der beiden Noten anbei zur gefälligen
Kenntnis ergebenst übersandt.
Die Tatsache des Notenwechsels selbst sowie die ihm zugrunde liegende
deutsch-holländische Meinungsverschiedenheit bitte ich vertraulich zu be-
handeln.6)
Im Auftrag
KÖPKE
(2) Zech-Burkersroda.
*(3) Graeff.
(4) Fundort: 1584/382 420-28.
(5) Note der deutschen Regierung vom 1. Dezember 1933 (3015/D 560 032-39).
(«) Zur Beilegung der Meinungsverschiedenheit siehe den Runderlaß des Auswärtigen
Amts vom 30. Juni 1934, Serie C, Bd. III, 1, Dokument Nr. 48.

111
3154/D 671 578-80
Der britische Botschafter in Berlin Phipps an den Reichsminister des
Auswärtigen Freiherrn von Neurath
Private BERLIN, December 8th, 1933
My dear Baron von Neurath,
In accordance with the Chancellor's request, I send you, herewith, a
short resume of my verbal communication to him this morning.1)
I shall be grateful if you will regard this as merely a repetition of my
remarks and not as a written communication. I will of course treat the
Chancellor's reply in a similar manner.
Yours very sincerely
ERIC PHIPPS

[Anlage]
2
The Chancellor's proposals ) have two aspects, the first concerned with
the limitation of armaments and the second with the wider field of political
(1) Siehe Dokument Nr. 107.
(2) Siehe Dokument Nr. 23.

188
Nr. 111 8. DEZEMBER 1933

appeasement. I propose to deal first with the second of these aspects, to


which His Majesty's Government attach the greatest importance.
His Majesty's Government fully concur with what would appear to be
the Chancellor's opinion, namely that the achievement of a disarmament
agreement would be immensely facilitated if it were accompanied by
political assurances calculated to improve and consolidate good relations
between Germany and her neighbours.
How this can best be achieved is the question which then arises. We
should be interested to have if possible further details of the precise terms
and form of the non-aggression pact which the Chancellor has in mind.
Members of the League of Nations could not, it is unnecessary to say, enter
into any arrangement which would conflict with their obligations under
the Covenant of the League of Nations. A further point is that we note
that the list of countries with which, according to your report, Germany
would negotiate such non-aggression pacts r does not include all limitrophe
states, but we presume that these would in fact be included.
As regards that part of the Chancellor's proposals which deals with the
technical aspect of armed strength, we desire in the first instance to make
two observations. It would, of course, only be possible to reach a final
conclusion as to the various items and figures after completing consul-
tations between the different Powers in which Germany herseif is taking
part. Secondly, world opinion will compare these proposals with those
contained in the draft Convention, to which Germany in common with other
Powers adhered in principle on its first reading.
In the light of the above reflections you should point out that the pro-
posed increase from 200 000 to so large a figure as 300 000 would be consi-
dered excessive whilst the proposals regarding aircraft and guns also look
very formidable. We should like to receive a clear assurance that the SS
and SA would be absorbed in the new army and would not continue to
exist as supplementary organisations. Finally it would be helpful if the
Chancellor would confirm that the Reichswehr as such will disappear. We
are glad to note that the Chancellor's proposals include the establishment
of general supervision, but it would clearly be helpful to receive an
assurance that such supervision will be of the kind described as periodic
and automatic. Our own observations are not intended to be exhaustive.
Moreover other Governments may have their observations to make or may
require further elucidation.
His Majesty's Government are most anxious to use the present oppor-
tunity in Cooperation with Germany and other states to hammer out
without delay a practical basis for an agreement for the limitation of world
armaments freely entered into by all parties. The enquiries which we are
now addressing through you to the Chancellor will, we hope, be a helpful
contribution towards the attainment of this common aim.3)

*(3) Eine paraphrasierte Fassung dieser Aufzeichnung in der Form eines Aide-memoire
wurde am 9. Dezember vom britischen Botschafter in Washington, Lindsay, im State
Department überreicht. Siehe Foreign Relations oi the United States, 1933, Bd. I,
S. 328-30.

189
Nr. 113 9. DEZEMBER 1933

112
3154/D 671 471-72
Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 9. Dezember 1933
RM. 1688
Ich habe heute den französischen Botschafter zu mir bitten lassen, um ihn
darüber aufzuklären, wie es gekommen ist, daß der englische Botschafter
gestern vom Kanzler empfangen wurde, während der von ihm erbetene
Empfang erst am Donnerstag nächster Woche •) stattfinden soll.2) Der
Grund hierfür war, daß Sir Eric Phipps im Auftrage seiner Regierung eine
sofortige Audienz beim Kanzler erbeten hatte, um, wie er angab, eine
höchst wichtige Erklärung noch gestern mitzuteilen.
Herr Poncet las mir sodann eine Aufzeichnung über diejenigen Punkte
vor, die er nach der letzten Unterredung mit dem Reichskanzler 3 ) als dessen
Ansicht niedergeschrieben hatte. Sie enthält u. a. auch eine Bemerkung
über den eventuellen Wiederbeitritt Deutschlands zum Völkerbund, die
dahin lautet, Deutschland werde dem Völkerbund erst wieder beitreten,
wenn dieser gründlich reformiert sei. Ich habe Herrn Poncet erklärt, diese
Redaktion sei falsch, denn es bestehe bei uns zunächst noch keinerlei Ab-
sicht, dem Völkerbund wieder beizutreten.
Einen weiteren Versuch Herrn Poncets, unsere Zustimmung dazu zu be-
kommen, daß die von uns verlangte Bewaffnung in Etappen zugestanden
würde, habe ich entschieden abgelehnt und erklärt, in welchem Tempo wir
unsere Bewaffnung ausführen könnten und wollten, sei unsere Sache. Wir
verlangten zunächst völlige Gleichberechtigung im Rahmen der von uns
zugestandenen Limitierungen auf Verteidigungswaffen.
Ich nehme an, daß der französische Botschafter seine Zusammenstellung
bei der nächsten Unterredung dem Kanzler vorlegen wird.
v. N[EURATH]
• (l) 14. Dezember.
(2) Siehe hierzu die Dokumente Nr. 107 und 108.
*(») Siehe Dokument Nr. 86.

113
3154/D 671 469
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 9. Dezember 1933
RM. 1690
Zu dem Telegramm des Botschafters Köster aus Paris vom 8. Dezember x)
bemerke ich folgendes:
(1) Köster hatte in seinem Telegramm Nr. 979 vom 8. Dezember (8685/E 607 467) mitgeteilt,
daß das französische Außenministerium deutschen Journalisten Auskunft über die
jüngste Unterredung zwischen Hitler und Francois-Poncet gegeben habe, und zwar in
einer Form, die geeignet sei, den Inhalt der Unterredung in mehreren wichtigen
Punkten zu entstellen.

190
Nr. 114 9. DEZEMBER 1933

1) Die Angabe, daß der Kanzler und ich bei der letzten Unterredung 2 )
die Rückkehr Deutschlands zum Völkerbund im Falle einer Umformung in
Aussicht gestellt hätten, ist nicht zutreffend. Der Reichskanzler hat aller-
dings im Laufe der Unterredung gesagt, daß der jetzige Zustand im Völker-
bund, in welchem die kleinen und kleinsten Staaten ausschlaggebend seien,
während Großmächte, wie Rußland, Amerika, China, fehlten, unmöglich sei
und daß der eventuelle Wiederbeitritt Deutschland zu einer solchen Insti-
tution überhaupt erst in Erwägung gezogen werden könnte, wenn eine
völlige Umänderung der Methoden und der Zusammensetzung erfolgt sei.
2) Von einer unruhigen Stimmung in der Schweiz 3) ist meines Erinnerns
überhaupt nicht gesprochen worden.
3) Richtig ist, daß der Kanzler gesagt hat, gegen ein französisch-eng-
lisches Defensiv-Abkommen würde er keinerlei Einwendungen zu erheben
haben.
4) Die ukrainische Frage ist in der Unterredung überhaupt nicht erwähnt
worden, ebenso ist es unrichtig, daß der Wunsch des Kanzlers für freie
Hand im Osten zum Ausdruck gebracht worden sei.
v. N[EURATH]

(2) Randbemerkung: „Anmerkung: es handelt sich um eine Unterredung mit dem franzö-
sischen Botsch[after] am 7. XII. 1933." Dies ist offenkundig ein Irrtum. Es gibt in den
Akten keinen Anhaltspunkt für eine Unterredung zwischen Hitler, Neurath und
Francois-Poncet, die sich an die in Dokument Nr. 86 wiedergegebene Unterredung
anschließt und der in Dokument Nr. 116 wiedergegebenen vorangeht.
(8) Nach Kösters Bericht (siehe Anm. 1) hatte Hitler angeblich „Bereitschaft ausgesprochen,
mit der Schweiz Nichtangriffspakt wie mit Polen abzuschließen".

114
7960/E 574 754-56
Der Adjutant des Stellvertreters des Reichskanzlers von Tschirschky
und Bögendorft an das Auswärtige AmtJ)
BERLIN, den 9. Dezember 1933
Ankunft: 9. Dezember
II S.G. 3257
In der Anlage übersende ich im Auftrage des Herrn Vizekanzlers zur
Kenntnisnahme des Herrn Reichsministers des Auswärtigen eine kurze
Aktennotiz über die Unterredung des Herrn Vizekanzlers mit dem Herrn
Prälaten Testa.2)
Mit vorzüglicher Hochachtung
Heil Hitler!
VON TSCHIRSCHKY

*(i) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen."


*(2) Bergen hatte in Telegramm Nr. 87 vom 7. November (7960/E 574 730) berichtet, daß
Papst Pius XI. Testa als päpstlichen Visitator für das Saargebiet designiert habe. Siehe
auch Dokument Nr. 96.

191
Nr. 114 9. DEZEMBER 1933

[Anlage]
8. Dezember 1933

BERICHT ÜBER MEINE UNTERREDUNG MIT DEM PRÄLATEN TESTA

Am Donnerstag, dem 7. Dezember, empfing ich in G e g e n w a r t des Bischofs


von Trier 3 ) den in Trier a n w e s e n d e n Sondergesandten des Päpstlichen Stuh-
les, Prälaten Testa.
Der Prälat betonte einleitend, daß seine Reise nicht etwa den Zweck einer
offiziellen Visitation der kirchlichen Zustände des Saargebietes habe, son-
dern daß die Kurie ihn entsandt habe, um auf einer Reise völlig privaten
Charakters persönliche Eindrücke im Saargebiet zu sammeln. Die Eindrücke,
die er in mehrtägigem Aufenthalt in Saarbrücken g e w o n n e n habe, seien
durchaus befriedigend. Es b e s t e h e für ihn nicht der geringste Zweifel, daß
das Saargebiet ein deutsches Land sei, welches, je eher, je lieber, zu dem
Mutterlande h e i m z u k e h r e n wünsche. Der katholische Klerus des Saarge-
bietes teile, wie er festgestellt habe, diese Ansicht vollkommen. (Siehe
auch die schriftliche Erklärung aller D e k a n a t e des Saargebiets.) ü b e r diese
Frage habe im übrigen in Rom niemals Zweifel geherrscht. Meine Frage,
ob die Reise mehr eine Courtoisie gegen die französische Regierung dar-
stelle, bejahte der Prälat. Die französische Regierung h a b e behauptet, daß
der Nationalsozialismus einen unerträglichen Z w a n g selbst auf die Kirche
ausübe. Er habe aber feststellen müssen, daß dies keineswegs der Fall sei.
Ich benutzte d a n n die Gelegenheit, dem Prälate n die Auffassung des
Herrn Reichskanzlers über die unmögliche A r t und W e i s e darzulegen, in der
die Treuhänder-Regierung des V ö l k e r b u n d e s dieses deutsche Gebiet ver-
walte. Zur Illustration dieser grotesken Zustände sagte ich ihm, daß, w e n n
ich beispielsweise h e u t e irgendeine Charge in der SA oder SS bekleiden
würde, man mich bei dem Besuche meiner H e i m a t 4 ) verhaften und nach
den bestehenden Bestimmungen 6 Monate ins Gefängnis werfen müsse.
Bei der Erörterung des g e s a m t e n F r a g e n k o m p l e x e s betonte ich die Mei-
nung, daß alle Regierungen, die den Ausgleich der deutsch-französischen
Gegensätze im Interesse des europäischen Friedens aufrichtig wünschten,
bestrebt sein sollten, auf eine Ä n d e r u n g der unerträglichen Verhältnisse
des Saargebiets zu drängen.
Der Prälat sprach d a n n über Deutschland und meinte, die Verhältnisse
im Saargebiet lägen vollkommen klar, aber er bedaure, daß einzelne Vor-
kommnisse auf dem kulturellen Gebiete in Deutschland geeignet seien, die
Atmosphäre im Saargebiet zu verschlechtern. (Die separatistische Presse
des Saargebiets selbst bestreitet seit einiger Zeit ihre gesamte Propaganda
aus diesem Kapitel.) Ich erwiderte, daß die Reichsregierung aufrichtig be-
strebt sei, die noch nicht mit der Kurie g e r e g e l t e n Fragen im Geiste der
Versöhnung baldigst zu regeln, und stellte in Aussicht, daß der deutsche
Unterhändler 6 ) demnächst zu diesem Zweck nach Rom zurückkehren

*(S) Bornewasser.
(4) Papen hatte durch Heirat eine Besitzung bei Saarlautern erworben
*(5) Buttmann.

192
Nr. 116 11. DEZEMBER 1933

werde.6) Auch in der Frage des Sterilisationsgesetzes werde die Reichs-


regierung auf die weltanschaulichen Bedenken Rücksicht nehmen.
Prälat Testa zeigte sich über diese Erklärungen erfreut und bat nur, daß
wir die Angelegenheiten möglichst noch vor Weihnachten regeln
möchten. Er hat zweifellos Sympathien für Deutschland und das national-
sozialistische Regime. Nachmittags fuhr er zum Besuche des Kardinals von
Köln,7) und im Anschluß wünschte er Essen, wo er während der Ruhr-
besetzung gewohnt hat, einen kurzen Besuch abzustatten. Alsdann begibt
er sich noch für einige Tage ins Saargebiet zurück.
PAPEN

(«) Siehe Dokument Nr. 98 und Anm. 5 dazu


(7) Kardinal Schulte.

115
3086/D 617 041
Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 11. Dezember 1933
e. o. RM. 1700
Der Herr Reichskanzler hat heute erneut darauf hingewiesen, daß im
Verhältnis zu Österreich zunächst die Parteiangelegenheit in Ordnung ge-
bracht werden müsse, ehe irgendwelche Verhandlungen von Regierung zu
Regierung über die Wiederherstellung normaler Beziehungen geführt wer-
den könnten. Ich bitte, diesen Standpunkt bei allen Gesprächen zum Aus-
druck zu bringen.
v. N[EURATH]

116
3154/D 671 473
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 11. Dezember 1933
RM. 1701
Bei dem heutigen Empfang des französischen Botschafters beim Herrn
Reichskanzler hat der Botschafter in der Saarfrage bestätigt, daß die fran-
zösische Regierung nicht geneigt sei, auf die Abstimmung zu verzichten
und in eine vorzeitige Rückkehr des Saargebiets zu Deutschland einzu-
willigen.1) Der Reichskanzler hat dem Botschafter nochmals die Gründe für
seine Anregung einer gütlichen Bereinigung der Saarfrage dargelegt. Als

(1) Siehe Dokument Nr. 101 und Anm. 2 dazu.

193

II,1 Bg. 13
Nr. 117 11. DEZEMBER 1933

der französische Botschafter sodann meinte, man könne aber doch sofort
über die wirtschaftlichen Fragen verhandeln, lehnte der Kanzler dies ab mit
dem Bemerken, daß es dann ruhig bei der Stellungnahme der französischen
Regierung verbleiben könne.
Als der französische Botschafter dann mit Detailfragen in der Abrüstungs-
frage fortfuhr, ist ihm erwidert worden, daß zunächst eine klare Stellung-
nahme seiner Regierung darüber erwartet würde, ob die französische Regie-
rung zur Verständigung mit der deutschen bereit sei. Er wurde außerdem
gebeten, seine Fragen bezüglich der Einzelheiten der Abrüstung und der
Neugestaltung der Armeen und Materialien schriftlich zu präzisieren.2)
v. N[EURATH]

• (2) In Beantwortung dieser Bitte übermittelte Francois-Poncet am 13. Dezember Neurath


ein Aide-memoire (3154/D 671 475-78). Der Text ist abgedruckt in Documents Diploma-
tiques Francais, 1. Serie, Bd. V, Nr. 124; ebenfalls in Documents on British Foreign
Policy, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 143, Anlage 1. Die deutsche Antwort auf das französische
Aide-memoire vom 18. Dezember (7467/H 179 422-29) ist abgedruckt in Documents
Diplomatiques Francais, 1. Serie, Bd. V, Nr. 154.

117
3154/D 671 569-76
Reichskanzler Hitler an den britischen Botschafter in Berlin Phipps
Abschrift
BERLIN, den 11. Dezember 1933
Euere Exzellenz I
Namens der deutschen Reichsregierung beehre ich mich, die mir durch
Euere Exzellenz übermittelten Anfragen der britischen Regierung •) im
folgenden zu beantworten:
I. Die deutsche Reichsregierung ist bereit, Vereinbarungen zu treffen,
die die Ablehnung der Gewalt für die Lösung aller europäischen Fragen
aussprechen und damit der Erhaltung des Weltfriedens dienlich sein kön-
nen. Sie möchte aber angesichts der in der Vergangenheit gemachten Er-
fahrungen vorschlagen, eine Form zu wählen, die es den Regierungen er-
möglicht und erleichtert, sowohl vor ihrem eigenen Gewissen als auch vor
ihren Völkern am ehesten solchen Vorschlägen zuzustimmen. Aus dieser
Erwägung heraus glaubt die deutsche Reichsregierung, daß die allgemeinen
Vereinbarungen über Rüstungsbeschränkung durch ein System gegensei-
tiger und allgemeiner Nichtangriffspakte gekrönt werden sollten, die grund-
sätzlich jeden Appell an die Gewalt zwischen den europäischen Nationen
vertraglich verhindern würden, um damit den Regierungen zwangsläufig
die Pflicht aufzuerlegen, schwierige oder kritische Probleme entweder auf
dem Wege des friedlichen diplomatischen Verkehrs zu lösen oder im Falle

(1) Dokument Nr. 111

194
Nr. 117 11. DEZEMBER 1933

der ersichtlichen Unmöglichkeit oder Unfruchtbarkeit eines solchen Ver-


fahrens ihre Behandlung solange auszusetzen, bis die allgemeine euro-
päische Beruhigung eine leidenschaftslosere Prüfung und Beurteilung zu-
läßt. Dadurch würde ebensosehr der Befürchtung der britischen Regierung
vorgebeugt, daß sich aus solchen Verträgen vielleicht für die einzelnen
Staaten innere Konflikte mit der Völkerbundssatzung ergeben könnten,
wie umgekehrt jede Gewähr für die Aufrechterhaltung des Friedens ge-
geben wäre!
Die deutsche Regierung ist bereit, solche Pakte mit allen Deutschland um-
gebenden Staaten abzuschließen.
II. Die deutsche Regierung ist bereit, zur Durchführung einer wirksamen
Abrüstung bzw. Rüstungsbegrenzung und Rüstungsangleichung mit allen
einzelnen Nationen bzw. deren Regierungen in Verhandlungen über die
verschiedenen Verhandlungsgegenstände und Zahlen einzutreten. Sie be-
absichtigt aber nicht, sich an irgendeiner Konferenz zu beteiligen, ehe nicht
die grundsätzliche Frage der tatsächlichen Gleichberechtigung des Deutschen
Reiches entschieden ist bzw. von den an der Konferenz teilnehmenden Natio-
nen diese Gleichberechtigung anerkannt wird. Denn nur unter dieser Vor-
aussetzung allein kann die deutsche Reichsregierung ihre Teilnahme an
einer Konferenz vor dem deutschen Volke verantworten. Als von vorn-
herein nicht gleichberechtigte Macht würde für Deutschland der praktische
Ablauf einer solchen Konferenz zwangsläufig zu dem uns seit 15 Jahren
bekannten Verfahren und damit zu gleichen Ergebnissen führen. Es wäre
dies aber weder für die Ehre eines großen Volkes erträglich noch der Sache
des Friedens nützlich.
Ohne Zweifel ist die deutsche Reichsregierung dem ersten Konventions-
entwurf des englischen Ministerpräsidenten MacDonald, der die Abrüstung
zur Voraussetzung als Diskussionsbasis hatte, beigetreten. Sie hat aber
diesen Entwurf nicht selbst verlassen, sondern die anderen Mächte haben
sich unter Führung Englands auf einen zweiten Entwurf geeinigt. Dieser
jedoch ist von Deutschland niemals anerkannt worden.
Wenn die deutsche Reichsregierung sich nun erlaubte, einen eigenen Vor-
schlag zu unterbreiten, dann geschah dies nach ebenso verantwortungs-
vollen wie zwingenden Erwägungen. Auf Grund der bisher gemachten Er-
fahrungen glaubt die deutsche Reichsregierung nicht mehr daran, daß die
hochgerüsteten Staaten tatsächlich ernstlich entschlossen sind, abzurüsten.
Verschiedene Äußerungen leitender Staatsmänner haben diese Auffassung
bestätigt. Ohne die vielen Gründe im einzelnen zu untersuchen, wird man
an zwei wesentlichen Tatsachen nicht vorbeisehen können.
1.) Eine Herabsetzung der Rüstungen der anderen europäischen Staaten
ist praktisch nur denkbar, wenn sie von allen Nationen der ganzen Welt
übernommen wird. An die Möglichkeit einer solchen allgemeinen inter-
nationalen Abrüstung glaubt aber heute niemand mehr.
2.) Die Ereignisse der letzten Monate lassen die Wahrscheinlichkeit, in
einigen Ländern eine selbst von den Regierungen ernstlich beabsichtigte
Abrüstung den Parlamenten dieser Staaten mit Erfolg zur Ratifikation vor-
legen zu können, mehr als zweifelhaft erscheinen.
Aus diesem Grunde glaubt die deutsche Reichsregierung nicht mehr län-

195
Nr. 117 11. DEZEMBER 1933

ger einer Illusion nachhängen zu können, die geeignet ist, die Beziehungen
der Völker untereinander eher noch mehr zu verwirren als zu verbessern.
Sie glaubt daher unter Berücksichtigung der konkreten Wirklichkeit fol-
gendes feststellen zu müssen:
a) Deutschland hat als einziger Staat die im Friedensvertrag von Ver-
sailles festgelegte Abrüstungsverpflichtung tatsächlich durchgeführt.
b) Die hochgerüsteten Staaten gedenken nicht abzurüsten oder fühlen
sich hierzu nicht in der Lage.
c) Deutschland hat ein Recht, auf irgendeine Weise seine Gleichberechti-
gung auch in bezug auf seine Sicherheit zu erlangen.
Um einen vollkommenen Zusammenbruch der Abrüstungsidee zu ver-
hindern und einem darnach zwangsläufig einsetzenden uferlosen Wett-
rüsten aller gegen alle vorzubeugen, glaubte daher die deutsche Reichs-
regierung, einen Vorschlag unterbreiten zu sollen:
1.) Deutschland erhält die volle Gleichberechtigung.
2.) Die hochgerüsteten Staaten verpflichten sich untereinander, eine
weitere Erhöhung ihres derzeitigen Rüstungsstandes nicht mehr vorzu-
nehmen.
3.) Deutschland tritt dieser Konvention bei mit der Verpflichtung, aus
freiem Willen von der ihm gegebenen Gleichberechtigung nur einen so
maßvollen tatsächlichen Gebrauch zu machen, daß darin keine offensive
Gefährdung irgendeiner anderen europäischen Macht zu sehen ist.
4.) Alle Staaten anerkennen gewisse Verpflichtungen einer humanen
Kriegführung bzw. einer Vermeidung gewisser Kriegswaffen in ihrer An-
wendung gegen die zivile Bevölkerung.
5.) Alle Staaten übernehmen eine gleichmäßige allgemeine Kontrolle,
die die Einhaltung dieser Verpflichtungen prüfen und gewährleisten soll.
6.) Die europäischen Nationen garantieren sich die unbedingte Aufrecht-
erhaltung des Friedens durch den Abschluß von Nichtangriffspakten, die
nach Ablauf von 10 Jahren erneuert werden sollen.
III. Unter diesen Voraussetzungen ist aber die geforderte Erhöhung der
im MacDonald-Plan angenommenen 200 000 Mann auf 300 000 nicht nur nicht
bedeutend, sondern bringt im Gegenteil für Deutschland eher eine Ver-
schlechterung. Nach dem ersten Konventionsentwurf der britischen Regie-
rung sollte Frankreich auf dem Kontinent genau so wie Deutschland 200 000
Mann zugebilligt erhalten. Da Frankreich ersichtlich nicht gewillt ist, diese
Abrüstung durchzuführen, würde sich das Verhältnis der heutigen deut-
schen Forderungen gegenüber den Effektivbeständen Frankreichs und der
anderen europäischen Armeen sogar verschlechtern. Einer gesamt-französi-
schen Stärke von 651 000 Mann, die durch die mit Frankreich befreundeten
Staaten auf rund 1,2 Millionen erhöht würde, stehen 300 000 Mann in
Deutschland gegenüber.
Dabei sind die 9,6 Millionen Mann ausgebildeter Reserven in diesen
Staaten, denen Deutschland so gut wie überhaupt nidits entgegenzusetzen
hat, eine weitere Sicherheit von schwer zu übertreffendem Ausmaß.
Demgemäß sind auch die Forderungen der waffenmäßigen Gleichstellung
Deutschlands mehr als maßvoll besonders deshalb, weil die deutsche Regie-
rung von sich aus gewillt ist, auf Angriffswaffen, die gegenüber dem gigan-

196
Nr. 117 11. DEZEMBER 1933

tischen französischen Verteidigungssystem vielleicht allein noch als be-


drohlich erscheinen könnten, von vornherein zu verzichten. Deutschland,
das seinerseits vollständig verteidigungslos ist, hat mehr Grund, über die
Angriffswaffen der es umschließenden Staaten zu klagen, als diese Veran-
lassung besitzen, die geforderten Verteidigungswaffen Deutschlands ihrer-
seits als Gefahr hinzustellen. Schärfstens muß die deutsche Regierung jeden
Gedanken an sogenannte „Musterwaffen" ablehnen. Es gibt Waffen, auf die
wir von vornherein verzichten und die wir damit auch nicht bauen werden,
und es gibt Waffen, die zur Verteidigung eines Landes unumgänglich not-
wendig sind, auf die wir deshalb nicht verzichten können und die wir daher
als Normalbewaffnung fordern müssen. Die Grenze der untersten Kaliber-
stärke der Artillerie kann daher zum Beispiel unter keinen Umständen
unter 15 cm liegen.
IV. Die deutsche Reichswehr wird selbstverständlich im neuen Heere auf-
gehen. Ihre Überführung bzw. ihr Umbau kann aber natürlich nicht in einem
Jahre vollzogen sein, sondern wird eine Reihe von Jahren erfordern.
V. Die SA und SS sind keine militärischen Organisationen. Sie sind ein
unzertrennlicher Bestandteil des politischen Systems der nationalsozialisti-
schen Revolution und damit des nationalsozialistischen Staates. Sie um-
fassen rund 2 Vi Millionen Männer vom 18. Lebensjahr bis in das höchste
Alter hinein. Ihre einzige Aufgabe ist, durch diese Organisation der poli-
tischen Massen unseres Volkes eine Wiederkehr der kommunistischen
Gefahr für immer zu verhindern. Ob von diesem System einmal weggegan-
gen werden kann oder wird, hängt ab von dem Bleiben oder der Beseitigung
dieser bolschewistisch-kommunistischen Gefahr. Mit militärischen Dingen
haben diese dem früheren marxistischen Reichsbanner und dem kommuni-
stischen Rotfrontbund gegenüberstehenden nationalsozialistischen Organi-
sationen überhaupt nichts zu tun. Der Versuch, die SA und SS mit dem
Reichsheer in eine militärische Verbindung zu bringen, sie als militärische
Ersatzformation anzusprechen, geht von jenen politischen Kreisen aus, die
in der Beseitigung dieser Schutzeinrichtung des nationalsozialistischen
Staates die Möglichkeit einer neuen Zersetzung des deutschen Volkes und
damit eine neue Förderung kommunistischer Bestrebungen erblicken. So
wenig sich die deutsche Regierung erlauben würde, der englischen Regie-
rung die Auflösung einer bestimmten englischen Partei oder einer beson-
deren Organisationsform einer solchen Partei vorzuschlagen, so sehr muß
die deutsche Regierung jede Zumutung ablehnen, einem solchen Wunsche
in Deutschland nachzukommen. Die deutsche Regierung zieht bei ihrer
Beurteilung der militärischen Kräfte der anderen Staaten keine anderen
Formationen für ihre Forderungen heran als die Heeresorganisation selbst.
Die deutsche Regierung wird auch in der Zukunft den in anderen Staaten
für nötig erachteten politischen, Sport-, vor- oder nachmilitärischen Verbän-
den keine ihr eigenes Verhalten irgendwie bestimmende Bedeutung bei-
legen.
VI. Die deutsche Reichsregierung ist, wie betont, grundsätzlich bereit,
einer internationalen periodisch und automatisch funktionierenden allge-
meinen und gleichen Kontrolle zuzustimmen. Um die betonte Eigenart der
SA und SS als politische Organisationen einer allgemeinen geistigen und kör-

197
Nr. 118 11. DEZEMBER 1933

perlichen Immunisierung gegenüber den Gefahren einer kommunistischen


Zersetzung zu belegen, lehnt sie es nicht ab, bei diesen Kontrollen den
Nachweis für die genaue Einhaltung dieser Erklärung zu erbringen. Ab-
schließend darf ich namens der deutschen Reichsregierung aber noch die
Versicherung anfügen, daß, falls entgegen der Überzeugung der deutschen
Regierung die anderen Nationen trotzdem zu einer vollständigen Abrüstung
sich entschließen sollten, die deutsche Regierung von vorneherein ihre Be-
reitwilligkeit kundgibt, einer solchen Konvention beizutreten und ebenfalls
abzurüsten, wenn nötig, bis zur letzten Kanone und bis zum letzten Maschi-
nengewehr.
Genehmigen Sie, Herr Botschafter, den Ausdruck meiner aufrichtigen
Ergebenheit.2)
gez. ADOLF HITLER
*(2) Ein beigefügter hsdir. Vermerk (3154/D 671 577) lautet: „Ich habe den Bericht des Herrn
RK heute dem englischen] Botschafter ausgehändigt u[nd] noch einige Erläuterungen
dazu gegeben, v. N[eurath] 12. 12." Die von Phipps an das britische Foreign Office
übermittelte englische Übersetzung der Vorlage ist abgedruckt in Documents on British
Foreign Policy, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 132, Anhang.

118
9325/E 661 224-26
Der Botschaiter in Moskau Nadolny an Ministerialdirektor Meyer
Streng persönlich MOSKAU, den 11. Dezember 1933
Lieber Herr Meyer!
Der Erlaß IV Po. 8594/33 vom 5. Dezember •) weist mich an, das Thema
der deutsch-polnischen Beziehungen hier nicht zu vertiefen, insbesondere
den überreichten Erklärungsentwurf 2 ) nicht zu erwähnen. Sollte ich auf
das Thema angesprochen werden, so sei etwa zu sagen, daß es sich bei den
Besprechungen um eine Auswirkung der von dem Herrn Reichskanzler all-
gemein proklamierten Friedenspolitik handele, die wir gegenüber allen
Staaten zu verfolgen wünschten. Konkrete Formen hätten die Besprechun-
gen noch nicht angenommen etc.
Ich halte diese Zurückhaltung für nicht ganz unbedenklich. Das deutsch-
polnische Verhältnis, das von größter Bedeutung für die hiesige Politik ist,
interessiert hier aufs höchste. Es ist daher ein guter Trumpf in unserem
hiesigen Spiel. Halten wir uns entgegen den Verpflichtungen aus dem
Berliner Vertrag zurück, so wird dieses Schweigen bei dem hier herrschen-
den Mißtrauen gegen Deutschland wahrscheinlich falsch ausgelegt werden
und die franco- und polonophilen Tendenzen steigern. Bekomme ich da-
gegen die Ermächtigung, in dem mir geeignet erscheinenden Zeitpunkt die
Sowjetregierung freundschaftlich über den tatsächlichen Stand zu infor-

(1) Fundort: 6177/E 463 504-06.


(2) Siehe die Dokumente Nr. 81, 84, 88 und 90

198
Nr. 119 11. DEZEMBER 1933

mieren, so machen wir damit eine Geste, die uns nichts kostet, hier aber
ihren Eindruck nicht verfehlen wird.
Wir müssen m. E. immer im Auge behalten, daß sowohl die französische
wie die polnische Politik darauf gerichtet sind, Deutschland und die Sowjet-
union möglichst weit zu trennen. Daß zu diesem Behuf Gerüchte und Intri-
gen verwendet werden, die das russische Mißtrauen steigern, wissen wir
aus der Erfahrung des letzten Jahres zur Genüge.
Unsere Zurückhaltung gegenüber der Sowjetregierung wird uns aber
auch aus dem Grunde politisch wenig nutzen, weil ich überzeugt bin, daß
Polen, um seine Freundschaft mit der Sowjetunion zu betonen, seinerseits
die Sowjetregierung in der ihm passenden Darstellung über unsere Schritte
etc. informiert. Besonders dem hiesigen polnischen Gesandten Lukasiewicz
traue ich in der Beziehung allerlei zu.
Ich wäre Ihnen daher sehr dankbar, wenn Sie mir carte blanche ver-
schaffen wollten, bei den Russen den Eindruck zu erwecken, daß wir zu-
nächst einmal in allen Polen betreffenden Fragen ihnen gegenüber mit
offenen Karten spielen.3)
Mit besten Grüßen bin ich
wie stets Ihr
NADOLNY

(3) Randvermerke: „über H[errn] MD Gaus Herrn St.S. zur Entscheidung geh[orsamst]
vorgelegt. Meyer 14. 12."
„Die Angelegenheit] wird mündlich mit H[errn] Nadolny erledigt werden. Es ist nicht
möglich, seinen Wünschen zu entsprechen. Meyer 15. 12."

119
9387/E 664 735-42
Der Botschafter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt
Geheim MOSKAU, den 11. Dezember 1933
D 1449 Ankunft: 14. Dezember
IV Ru. 5467
Inhalt: Gedankengänge zur gegenwärtigen Lage des deutsch-russischen
Wirtschaftsverkehrs.
Die in einigen Kreisen der deutschen Wirtschaft verbreitete Auffassung,
daß der Rückgang der Bestellungen der Sowjetregierung an die deutsche
Industrie vorwiegend auf die seit dem Umsturz in Deutschland entstandene
Erkaltung der gegenseitigen politischen Beziehungen zurückgeführt werden
muß, ist nicht zutreffend. Es kann zwar nicht geleugnet werden, daß gewisse
Erschwerungen, denen sowjetische Wirtschaftsorganisationen und Einzel-
personen in den ersten Monaten nach der Errichtung des nationalsozialisti-
schen Regimes in Deutschland begegnet sind, einen ungünstigen Einfluß auf
die Bestellungspolitik der Sowjetregierung gegenüber Deutschland ausge-
übt haben. Ebenso darf der retardierende Einfluß einzelner maßgebender
jüdischer Sowjetwirtschaftler, die aus persönlichem Ressentiment dem deut-

199
Nr. 119 11. DEZEMBER 1933

sehen Geschäftspartner gegenüber neuerdings Zurückhaltung an den Tag


legen, nicht unterschätzt werden. Nichtsdestoweniger müssen die entschei-
denden Gründe dafür, daß der Umfang der Bestellungen an die deutsche
Industrie in diesem Jahre bis auf ein Minimum von einigen Millionen Mark
monatlich zurückgegangen ist, viel tiefer gesucht werden, nämlich in der
allgemeinen Wirtschaftslage der UdSSR sowie in ihren Beziehungen zu
anderen Ländern.
Was die Beziehungen zu anderen Ländern anbetrifft, so geht die Sowjet-
regierung in ihrer gegenwärtigen Zurückhaltung bei der Erteilung von
Auslandsbestellungen zweifellos auch von der Überlegung aus, daß ihr bei
den kommenden Verhandlungen mit den USA wirtschaftliche Manövrier-
möglichkeiten und Lockmittel zur Verfügung stehen müssen, die nur durch
Aufspeicherung eines gewissen Vorrates von fälligen, aber noch nicht er-
teilten Aufträgen geschaffen werden können.
Der Hauptgrund für die Zurückhaltung ist aber in der inneren wirtschaft-
lichen Lage der UdSSR zu suchen. Sie hat es mit sich gebracht, daß in diesem
Jahre sämtliche Lieferanten der UdSSR von dem Rückgang der Sowjetkäufe
im Auslande empfindlich getroffen worden sind. Die interessierten deut-
schen Wirtschaftskreise müssen sich dabei vor allem darüber klar sein, daß
das Jahr 1931 mit seinem Höhepunkt an russischen Bestellungen eine ein-
malige Erscheinung darstellt, die mit der forcierten Durchführung des ersten
Fünf jahresplanes unmittelbar zusammenhing. Inzwischen hat sich die
Sowjetregierung zu einer erheblichen Einschränkung sowohl der Ziel-
setzung als auch der Tempi der Industrialisierung gezwungen gesehen, da
sie erkannt hat, daß die übersteigerten Anforderungen an die Kräfte des
Volkes zu einer allgemeinen wirtschaftlichen „Überanstrengungskrise" ge-
führt haben, die eine „Atempause" dringend erforderlich machte. Und es
war ferner das Bestreben, den ausländischen Zahlungsverpflichtungen nach-
zukommen, das die Sowjetregierung zu einer generellen Importdrosselung
gezwungen hat. Diese Verpflichtungen waren überaus stark angewachsen
und wurden um so drückender, als infolge der Weltwirtschaftskrise die
Sowjetausfuhr eine starke Schrumpfung erfahren hatte.
Der primäre Grund für den Rückgang der deutschen Ausfuhr in die
UdSSR ist somit die innere wirtschaftliche Lage der UdSSR sowie die Sorge
der Sowjetregierung um die Erhaltung ihrer Zahlungsfähigkeit. Was die
letztere anbetrifft, so erscheint sie auch heute trotz der Aktivität der sowje-
tischen Handelsbilanz noch nicht als ganz behoben. Tritt doch die Sowjet-
regierung allein Deutschland gegenüber mit einem Zahlungsobligo von
rund 700 Millionen RM in das neue Jahr, einem Obligo, für das vorderhand
kein entsprechendes Äquivalent in Gestalt von Exportaussichten gefunden
worden ist. Im Verkehr aller übrigen Länder mit der Sowjetunion aber
macht sich immer stärker und deutlicher die Tendenz bemerkbar, Handels-
abkommen nur auf der Basis von Nettobilanzen abzuschließen. So erscheint
das Bestreben der Sowjetregierung begreiflich, auch hinsichtlich Deutsch-
lands ihre Einkäufe mit dem Umfang ihrer Ausfuhr in Einklang zu bringen.
Es ist also damit zu rechnen, daß die künftigen Absatzmöglichkeiten der
deutschen Industrie nach der UdSSR mit der Schaffung einer gesicherten
und konstanten Ausfuhr von Sowjetprodukten nach Deutschland unzer-

200
Nr. 119 11. DEZEMBER 1933

trennlich verknüpft sind. Die klare Erkenntnis dieser Tatsache und die be-
schleunigte Herbeiführung entsprechender Schlußfolgerungen ist um so
notwendiger, als überdies die in Deutschland auf eine Ausfuhr agrarischer
Produkte gerichteten Bestrebungen immer mehr nach Berücksichtigung drän-
gen und auf diese Weise unser wirtschaftspolitisches Verhältnis zur Sowjet-
union derart aus seinem natürlichen Gleichgewicht gebracht werden kann,
daß der russische Markt für unsere Fertigprodukte in Gestalt hochwertiger
Maschinen endgültig verschlossen bleibt. Daß eine solche Entwicklung von
entscheidender Bedeutung für die gesamte deutsche Schwerindustrie werden
kann, bedarf angesichts der sich fortdauernd steigernden Konkurrenz der
Industrieländer untereinander kaum einer näheren Begründung.
Die gegenwärtige unbefriedigende Lage des deutsch-sowjetischen Han-
delsverkehrs stellt jedoch meiner Ansicht nach darum noch keineswegs eine
chronische und noch weniger eine unheilbare „Erkrankung" dar. Eine Vor-
eingenommenheit gegen uns, die von dauernder Einwirkung auf die Wirt-
schaftsbeziehungen sein könnte, besteht jedenfalls hier einstweilen nicht.
Dies hat mir auch eine Unterhaltung mit dem Außenhandelskommissar der
Sowjetunion, Herrn Rosenholz, gezeigt. Ich habe keinen Grund anzuneh-
men, daß der Volkskommissar mich wissentlich zu täuschen versuchte, als
er erklärte, daß der Sowjetregierung die Absicht einer irgendwie gearteten
Diskriminierung Deutschlands völlig fern liege, daß vielmehr bei Schaffung
der entsprechenden wirtschaftlichen Voraussetzungen, als die er neben der
Steigerung des sowjetischen Exportes nach Deutschland eine Verständigung
über Preise, Kreditfristen und Lieferungsbedingungen bezeichnete, eine
Vertiefung und Entwicklung des deutsch-sowjetischen Wirtschaftsverkehrs
durchaus möglich sei. Wenn der Volkskommissar dabei auf den bevor-
stehenden Ablauf des Abkommens vom 15. Juni 1932J) und die noch aus-
stehende Verständigung über die Lieferungsbedingungen anspielte, so
handelt es sich bei diesen Fragen um weitere Ursachen, die zu der gegen-
wärtigen Stagnation in der Bestellungspolitik geführt haben; denn es liegt
auf der Hand, daß die Sowjetregierung, nachdem sie sich bei Inanspruch-
nahme des Überbrückungskredites 2 ) zu einer Verlängerung des Abkom-
mens vom 15. Juni 1932 bereitfand, nunmehr nicht vor Toresschluß Bestel-
lungen in Deutschland zu Bedingungen erteilen will, die sie - vielleicht mit
Unrecht - künftig zu ihren Gunsten umzugestalten hofft.
Auf dem Gebiete der deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen sind
somit in den nächsten Monaten Entschlüsse zu fassen, die angesichts ihrer
Bedeutung für das weitere Schicksal dieser Beziehungen unverzüglich zur
Diskussion gestellt werden müssen.
Alle vorhandenen Anzeichen lassen darauf schließen, daß die Sowjet-
regierung zwar entschlossen ist, die Industrialisierung des Landes grund-
sätzlich weiter zu verfolgen, daß aber die entsprechenden Maßnahmen im
Rahmen des zweiten Fünfjahresplanes nicht auf die Errichtung neuer schwer-
industrieller Bauten, sondern mehr auf die Vollendung der bereits in Angriff
genommenen Werke und ihre sachgemäße technische Betriebsführung ge-
richtet sein werden. Gleichzeitig soll der Schwerpunkt der industriellen

(1) Fundort: 9387/E 664 576-87.


(2) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 43 und Anm. 7 dazu

201
Nr. 119 11. DEZEMBER 1933

Bautätigkeit auf Gebiete verlegt werden, die bei der Durchführung des ersten
Fünfjahresplanes, der vorwiegend auf den Ausbau der Schwerindustrie ab-
gestellt war, offensichtlich vernachlässigt worden sind, wie die Konsum-
warenindustrie und das Eisenbahnwesen. Die allgemeine Einschränkung
des Industrialisierungsprogramms einerseits und die Tatsache andererseits,
daß die Sowjetregierung inzwischen eine Reihe von Industriezweigen ge-
schaffen hat, deren Erzeugnisse sie bisher aus dem Auslande einführen
mußte, werden zur Folge haben, daß die Ausfuhr von bestimmten Waren-
gattungen, wie Werkzeugmaschinen, Generatoren, Berg- und Hüttenwerks-
maschinen u. a. m., in den nächsten Jahren einen wesentlichen Rückgang
erfahren wird. Dazu kommt, daß gerade auf diesem Gebiet sowohl die
amerikanische Konkurrenz nach der erfolgten Aufnahme der Beziehungen
als auch die englische im Hinblick auf die fortschreitenden Verhandlungen
in London sich zweifellos stärker fühlbar machen werden, als dies bisher
der Fall war. Die deutsche Industrie wird nicht umhin können, sich dieser
Änderung der geschäftlichen Situation anzupassen, indem sie gleichzeitig
ihr Augenmerk auf die neuen Möglichkeiten richtet, die ihr aus der Ver-
lagerung des Schwerpunktes der russischen Wirtschaftspläne auf die Kon-
sumwarenindustrie und das Eisenbahnwesen erwachsen.
Ein weiteres, wichtiges Gebot der Stunde ist ferner die Herbeiführung
der klaren und nüchternen Erkenntnis darüber, daß Deutschland angesichts
der gestiegenen Weltgeltung der Sowjetunion und des erhöhten Konkur-
renzkampfes mit anderen Ländern sich nur dann auf dem Sowjetmarkte
wird behaupten können, wenn es sich schnell auf eine neue Methode des
Wirtschaftsverkehrs mit der Sowjetunion umstellt, und zwar auch auf die
Gefahr hin, daß es dabei - wie schon so oft - zum Schrittmacher für die
anderen Staaten wird. Je eher wir der Tatsache bewußt werden, daß der
Sowjetmarkt heute nicht mehr mit Warenkrediten und Reichsausfallgaran-
tien allein erhalten und neu erobert werden kann, um so besser für uns. Es
ist bereits eine geraume Zeit her, seit der Außenhandelskommissar der
UdSSR den Grundsatz proklamiert hat, daß die Sowjetunion in ihrem wirt-
schaftlichen Entwicklungsstadium aus dem Rahmen des Warenkreditge-
schäftes hinausgewachsen und daher entschlossen sei, höhere Ansprüche
an das Vertrauen derjenigen Länder zu stellen, die in Zukunft Geschäfte mit
ihr machen wollen. Es dürfte daher kein Zweifel darüber bestehen, daß die
Union, nachdem sie im Verlaufe eines für sie in finanzieller Hinsicht be-
sonders schweren Jahres allen ihren Zahlungsverpflichtungen prompt nach-
gekommen ist, jetzt erneut auf die Forderung von Finanzkrediten zurück-
kommen wird. Deutschland wird gut tun, sich mit diesem Gedanken recht-
zeitig vertraut zu machen, und es wird gleichzeitig seiner alten Erfahrung
im Verkehr mit der Sowjetunion gedenken müssen, daß es stets vorteil-
hafter ist, neue Wege als erster und nicht im Schlepptau der anderen zu be-
schreiten. Dabei ist zu bedenken, daß eine deutsche Initiative in dieser
Richtung sich nicht nur wirtschaftlich auf weite Sicht bezahlt machen würde,
sondern daß sie bei entsprechender Handhabung auch unmittelbar zu einer
Entlastung der Beziehungen und ihrer Bereinigung von schwebenden Streit-
fällen, einschließlich der mangelnden Verständigung über die Lieferungs-
bedingungen, führen könnte.

202
Nr. 120 12. DEZEMBER 1933

Ein deutscher Entschluß in der von mir angedeuteten Richtung hätte fer-
ner den Vorteil, daß er die Frage des Sowjetexportes nach Deutschland,
deren Lösung aus deutschen innerwirtschaftlichen Gründen mit erheblichen
Schwierigkeiten verknüpft ist, für eine Weile in den Hintergrund drängen
könnte.
Hiernach möchte ich dem Auswärtigen Amt nahelegen, die vorstehenden
Gedankengänge, zu deren Erläuterung ich während meines bevorstehenden
Aufenthaltes in Berlin zur Verfügung stehen werde,3) unverzüglich zum
Gegenstand von Besprechungen mit den beteiligten Wirtschaftsressorts zu
machen.
NADOLNY
(8) Die Besprechungen Nadolnys in Berlin wurden in einer Aufzeichnung Meyers vom
21. Dezember (6025/H 046 537-38) festgehalten.

120
2784/D 540 467-70

Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von Bülow


BERLIN, den 12. Dezember 1933
Unterstaatssekretär Suvich besuchte heute vormittag den Herrn Reichs-
minister in Begleitung des italienischen Botschafters. Nach den üblichen
Höflichkeiten wurde ich dazu gerufen, und wir besprachen zu viert zunächst
die Abrüstungsfrage. Der Herr Reichsminister entwickelte unseren Stand-
punkt und stellte auch den Stand der Besprechungen mit England und Frank-
reich fest. Herr Suvich erwies sich als gut unterrichtet, er kannte z. B. die
vom Engländer J) kürzlich gestellten Fragen.2) Herr Suvich hatte verschie-
denes einzuwenden. Er erörterte die Frage, ob wir, wenn wir uns mit den
vier Mächten geeinigt hätten, zur Abrüstungskonferenz zurückkehren wür-
den. Als wir dies verneinten, machte er geltend, daß dann die Vereinbarung
der vier Mächte den übrigen Staaten als Ultimatum vorgelegt werden
würde, was unmöglich sei. Wenn wir aber nicht nach Genf zurückkehrten,
so ergebe sich die schwierige Situation, daß an dem eventuellen gemein-
samen Entwurf der vier Mächte kleinere Änderungen vorgenommen wür-
den und daß jede einzelne von diesen mit Deutschland verhandelt werden
müßte. Wir blieben dabei, daß wir nicht nach Genf zurückkehren würden,
und stellten anheim, die Einigung zwischen den vier Mächten auf diplo-
matischem Wege den übrigen Konferenzteilnehmern zur Stellungnahme
vorzulegen und so eine allgemeine Einigung herbeizuführen. Gegen die
Beteiligung an einem gemeinsamen Unterzeichnungsakt selbst in Genf
hätten wir keine grundsätzlichen Bedenken, obwohl auch dies sich ver-
meiden lassen würde. Herr Suvich setzte sich ferner sehr lebhaft dafür ein,
daß wir uns auf bestimmte Etappen der Aufrüstung festlegen sollten, wie

• (l) Phipps.
(2) Siehe Dokument Nr. 111.

203
Nr. 120 12. DEZEMBER 1933

dies im Simon-Plan und im Mussolini-Plan seinerzeit vorgesehen war; er


befürwortete diesen Weg, weil für die Franzosen leichter tragbar, ganz be-
sonders. Wir lehnten diesen Gedanken mit der üblichen Begründung ab und
setzten ihm auseinander, daß wir mit den Genfer Ideengängen abge-
schlossen hätten, daß der Vorschlag des Kanzlers einen ganz neuen Aus-
gangspunkt schaffe und daß wir den Versuch nicht zulassen könnten, für
Frankreich oder andere Staaten günstige Momente aus den früheren Ver-
handlungsstadien in die gegenwärtigen Lösungsversuche hinüberzuretten.
Herr Suvich bestätigte im übrigen, daß die Franzosen bereit gewesen
wären, auf Geschütze über 15,5, auf schwere Tanks und Bombenflugzeuge
zu verzichten. Er suchte auch die Bedeutung der Probezeit herabzumindern.
Der Herr Reichsminister und Herr Suvich kamen zum Schluß überein, daß
weitere Besprechungen über die Abrüstungsfrage nicht notwendig seien
bzw. die Einzelheiten von dem Obersten Bianci mit dem Reichswehrmini-
sterium geklärt werden könnten. Im Rahmen dieses Abrüstungsgespräches
machte der Botschafter Cerruti geltend und Herr Suvich stimmte ihm bei,
daß die Eingliederung der SA in den Staat die Franzosen und auch die Eng-
länder sehr beunruhige. Der Botschafter führte die französischen Argumen-
tationen vor, wonach der SA nur die Gewehre fehlten, so daß wir, wenn
diese beschafft wären, eine Armee von 2 Vi Millionen neben der Reichswehr
hätten, über die Auflösung der Reichswehr in ein 300 000-Mann-Heer wurde
ebenfalls gesprochen. Suvich machte geltend, daß bei 40 Prozent Lang-
dienenden wir einen Bestand von Langdienenden hätten, der sogar größer
sei wie die heutige Reichswehr, und deutete an, daß dies die Engländer be-
unruhige.
Anschließend besprachen wir den Austritt aus dem Völkerbund und
sagten Herrn Suvich, wir sähen voraus, daß die Franzosen und Engländer
im Falle des Zustandekommens einer Abrüstungskonvention einen Druck
zwecks Rückkehr in den Völkerbund auf uns ausüben würden. Wir würden
aber derartige Zumutungen ablehnen. Herr Suvich nahm eine Haltung ein,
die erkennen ließ, daß er nicht abgeneigt wäre, sich einem englisch-fran-
zösischen Druck in dieser Richtung anzuschließen. Er sprach von den italie-
nischen Reformplänen, stellte aber fest, daß solche bisher positiv noch nicht
vorlägen, sondern zunächst nur die negativen Momente der Kritik zusam-
mengestellt worden seien. Ihm persönlich schwebe eine Lösung vor, wonach
die Großmächte zunächst Beschlüsse unter sich einstimmig fassen müßten
und diese dann an den Völkerbundsrat gelangen sollten, der dann mit
Mehrheit zu beschließen haben würde. Wir wiesen auf die technischen und
sonstigen Schwierigkeiten hin, eine Reform des Völkerbundes und eine
Änderung der Völkerbundssatzungen herbeizuführen. Es komme auch nicht
nur darauf an, die Satzungen, die an sich nicht schlecht seien, nur in die
heutige Weltlage nicht hineinpassen, zu reformieren, sondern vor allen
Dingen den Geist und die Technik der Zusammenarbeit im Völkerbund.
Herr Suvich äußerte sich über die Möglichkeiten einer Reform optimistisch
und machte geltend, daß die Einstimmigkeit für eine Völkerbundsreform
unter starkem Druck der Großmächte sehr wohl denkbar sei. Wir sagten
ihm, daß wir uns keine konkreten Vorschläge überlegt hätten, aber jeden-
falls davon ausgingen, daß eine Rückkehr in den heutigen oder nur un-

204
Nr. 121 12. DEZEMBER 1933

wesentlich veränderten Völkerbund für uns gar nicht in Frage komme.


Wenn man aber etwas Neues schaffen wolle, dann müsse man die außerhalb
des Völkerbundes stehenden Großmächte mit einbeziehen. Das Entschei-
dende sei, daß die Beschlußfassung bei den Mächten liege, die tatsächlich
die Verantwortung für die Weltgeschehnisse trügen, und daß diese nicht
durch die vielen kleinen Mächte behindert würden. Uns schwebe deshalb vor,
eine Zusammenarbeit der Großmächte außerhalb des Völkerbundes zu
organisieren, ohne daß wir dabei an einen Vertrag oder an eine konkrete
Einrichtung dächten. Zwischen diesem diplomatisch zusammengehaltenen
Gremium und dem Völkerbund könnten dann wieder Brücken gebaut wer-
den. Als persönlichen Gedanken warf ich auf, daß eventuell eine die Ab-
rüstungskonferenz verlängernde Kommission die Plattform für eine Zu-
sammenarbeit der Großmächte abgeben könne.3) Wir waren beiderseits uns
darüber klar, daß eine solche Entwicklung sich gegen Frankreich und
namentlich gegen Frankreichs Verbündete richte. Ich sagte übrigens Suvich
auch vertraulich, daß ich die Deutsche Liga für Völkerbund ermächtigen
werde, in Amerika, Japan und eventuell sogar in Rußland zu sondieren,
wie man dort über derartige Fragen denke.4) Er war sichtlich angenehm
berührt zu hören, daß es bei uns noch eine Völkerbundsliga gäbe.
Zum Schluß wurde verabredet, die Besprechung morgen nachmittag fort-
zusetzen.5)
BÜLOW
(3) Neurath ordnete in einer Randbemerkung an, der von hier ab folgende Rest des
Absatzes solle in der für Hitler bestimmten Ausfertigung der Vorlage weggelassen
werden.
(4) Siehe auch Dokument Nr. 208.
(8) Siehe Dokument Nr. 126.

121
8115/E 580 168-69
Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath
an die Botschaft beim Heiligen Stuhl
Telegramm
Eilt BERLIN, den 12. Dezember 1933 20 Uhr 05
Nr. 49 zu II Vat. 584 l)
Ref.: VLR Menshausen
Auf Telegramme Nr. 100 vom 7. 12.2) und Nr. 102 vom 11. 12.3)
Reichsregierung hat nach wie vor festen Willen, zu Einigung über schwe-
bende Fragen zu gelangen. Indes kann nach augenblicklicher Lage der Dinge

(i) II Vat. 584: Telegramm Bergens Nr. 102 vom 11. Dezember (8115/E 580 167), in dem die
Erwartung Pacellis zum Ausdruck kam, daß die Reichsregierung nunmehr ohne weite-
ren Aufschub einen mit den erforderlichen Vollmachten für den Abschluß einer ab-
schließenden Vereinbarung ausgestatteten Unterhändler entsende.
(2) Fundort: 8115/E 580 129.
*(3) Siehe Anm. 1.

205
Nr. 122 12. DEZEMBER 1933

nicht damit gerechnet werden, daß die von Ministerialdirektor Buttmann


erneut zu führenden Besprechungen dieses Mal gleich zu abschließenden
Vereinbarungen führen. Zunächst noch klärende Aussprache über einige
wichtige Punkte unter Berücksichtigung Gesamtlage erforderlich.
Streng vertraulich bemerke ich, daß im Hinblick auf bevorstehende
Reichsverfassungsreform ernste Erwägungen schweben, schon in naher Zu-
kunft in Verhandlungen über ein neues Reichskonkordat unter Beseitigung
Länderkonkordate einzutreten. Erst dann werden alle schwebenden Fragen
endgültige und umfassende Regelung finden können.4)
NEURATH
(4) Randvermerk: „Vermerk. Min.Dir. Buttmann hat von mir Durdidruck des Eingangs
erhalten. Auch habe ich ihn über den Inhalt des nebenstehenden Entwurfs informiert,
er ist einverstanden. M[en]sh[ausen] 12. [12.]"

122
6609/E 497 296-97
Der Botschalter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 279 vom 12. 12. MOSKAU, den 12. Dezember 1933 20 Uhr 50
Ankunft: 12. Dezember 21 Uhr 30
IV Ru. 5447
Anschluß [an Telegramm Nr.] 277.1)
Gestriger Besuch bei Litwinow sollte nur offizielle Begrüßung sein, ergab
aber kurze politische Unterhaltung.
Auf meine Glückwünsche wegen Anerkennung durch Amerika und Be-
merkung, daß diese vor allem moralische Wirkung haben werde, erwiderte
Litwinow, er denke, die Sowjetunion werde mit Amerika sehr freundschaft-
liche und enge Beziehungen unterhalten. Meiner darauf folgenden Bemer-
kung, in der Hauptfrage, nämlich dem Fernen Osten, könne Amerika wegen
seiner maritimen Schwäche doch nicht effektiv helfen, mußte er jedoch zu-
stimmen. Im Zusammenhang hiermit bezeichnete er die Lage im Fernen
Osten als ernst und ließ dabei auch eine Bemerkung über anscheinende
deutsche Sympathie für Japan fallen, die ich jedoch überging.
Auf Befragen über Unterhaltung Mussolini 2 ) sagte auch er, neues habe
sich nicht ergeben. In Frage des Völkerbunds habe er nicht erkennen kön-
nen, welche Art von Reformen Mussolini eigentlich wünsche; jedenfalls
werde Italien nicht aus dem Bunde austreten. Er selbst habe Mussolini
lediglich den russischen Standpunkt hinsichtlich des Völkerbunds ent-
wickelt, der sich nicht geändert habe. In Frage Abrüstung habe er ebenfalls
nur russische Forderung auf totale Entwaffnung nochmals dargelegt, hin-

(1) Fundort: 6025/H 046 500.


(2) Litwinow hatte sich vom 2. bis 5. Dezember in Rom aufgehalten. Siehe Dokument Nr. 130.

206
Nr. 123 12. DEZEMBER 1933

sichtlich Deutschland habe er erklärt, daß er Gegner des VersaiUer Frie-


densvertrags sei. Daß er deutsche Aufrüstung als unerwünscht bezeichnet
hatte, verschwieg er natürlich, doch bemerkte er, es handele sich ja gar
nicht um Abrüstung, sondern eigentlich nur noch um Frage der Wiederauf-
rüstung der entwaffneten Staaten.
Er fragte dann nach meinen hiesigen Eindrücken. Ich antwortete, per-
sönlich sei ich sehr nett aufgenommen, über hiesige Einstellung gegenüber
Deutschland hätte ich aber sehr schlechten Eindruck erhalten. Politisch finde
eine starke, meiner Ansicht nach geradezu gefährliche Hetze gegen angeb-
lichen deutschen Imperialismus und böse Absichten Deutschlands gegen die
Sowjetunion sowie propagandistische Einmischung in innerdeutsche Ver-
hältnisse statt, wirtschaftlich sei fast vollkommene Stagnation russischen
Einkaufs eingetreten, und völlig abweisende Haltung der Sowjetregierung
in . . . Dollarfrage 3 ) sei meines Eraditens ungerechtfertigt und bedeute
empfindliche Störung, wobei übertriebene scharfe Sprache in Noten der
Sowjetbotschaft nicht geeignet sei, gütliche Beilegung Zwischenfalls zu er-
leichtern. Litwinow notierte sich alle meine Gravamina und vorbehielt sich
wegen vorgerückter Zeit Antwort für morgen stattfindende weitere Aus-
sprache.4)
NADOLNY
(3) Diese sog. „Dollarfrage" war in den vorangegangenen Wochen zwischen deutschen
und sowjetischen Vertretern in Berlin und in Moskau erörtert worden. Im Rahmen des
sog. Piatakow-Handelsabkommens vom 14. April 1931 (gefilmt unter 9466/E 667 511-14)
waren zwischen deutschen Firmen und sowjetischen Handelsorganisationen Lieferver-
träge auf Dollarbasis abgeschlossen worden. Nach der Abwertung des Dollar bemühten
sich die deutschen Firmen, auf schiedsgerichtlichem Wege die sowjetische Handelsver-
tretung in Berlin zur Zahlung in Gold zu zwingen. Die sowjetische Regierung warnte
die deutsehe Regierung vor einem solchen Voigehen; siehe Telegramm Dirksens Nr. 243
vom Oktober 1933 (9388/E 665 047). Einzelheiten über die weitere Diskussion dieser
Frage sind gefilmt unter den Seriennummern 9292 und 9388. Siehe auch Dokument
Nr. 342.
(4) Siehe Dokument Nr. 127.

123
8930/E 625 993-95
Auizeichnung des Legationssekretärs von Bargen
BERLIN, den 12. Dezember 1933
AUFZEICHNUNG ÜBER DIE JAPANISCHE EINSTELLUNG ZUR RASSENFRAGE l)

Allem Anschein nach durch die Denkschrift des Herrn preußischen Justiz-
ministers 2) zur Strafrechtsreform3) veranlaßt, hat neuerdings unter den
farbigen Völkern eine starke Beunruhigung über unsere Pläne und Absich-
ten in der Rassenfrage um sich gegriffen. Die nachteiligen Auswirkungen

(1) Randvermerk: „Entwurf einer Aufzeichnung f[ür] d[en] Herrn Reichspräsidenten zum
Tokio-Telegramm Nr. 120 vom 8. 12." Für das Telegramm Nr. 120 siehe Anm. 9.
• (2) Kerrl.
(3) Siehe hierzu Dokument Nr. 48.

207
Nr. 123 12. DEZEMBER 1933

zeigten sich unter anderem in Ceylon, Kalkutta, Rio de Janeiro und La Paz.
Ähnliche Erregung ist seit einiger Zeit in Japan zu beobachten. Auch dort
war die öffentliche Meinung stark gegen uns aufgebracht. Nach den Berich-
ten unserer Botschaft erklärte die japanische Presse, daß ein gegen Japaner
gerichtetes Heiratsverbot in Deutschland eine Beleidigung Japans sei. Der
hiesige japanische Botschafter4) ist mehrere Male in der Angelegenheit im
Auswärtigen Amt vorstellig geworden 5 ) und hat in sehr nachdrücklicher
Form darauf aufmerksam gemacht, daß eine diskriminierende Behandlung
der japanischen Staatsangehörigen in Deutschland starke Rückwirkungen
auf die deutsch-japanischen Beziehungen haben würde.
Selbstverständlich ist das Auswärtige Amt bemüht gewesen, allen beun-
ruhigenden Erscheinungen sofort entgegenzutreten. Wir haben dabei auch
dem Vertreter Japans gegenüber betont, daß eine Diskriminierung oder
gar eine Verächtlichmachung fremder Rassen in Deutschland in keiner
Weise beabsichtigt sei. Wir wendeten uns lediglich gegen die Rassenver-
mischung, die auch von anderen Rassen, so auch von den Japanern, be-
kämpft werde. Im übrigen seien diese Fragen noch im Fluß und ihre gesetz-
liche Fixierung im einzelnen noch nicht beschlossen.
Es ist bekannt, daß die farbigen Völker in Rassenfragen außerordentlich
empfindlich sind. Durch die von den Angelsachsen gebrauchte verächtliche
Bezeichnung „coloured people" mißtrauisch gemacht, sind sie geneigt, in
jeder Erwähnung ihrer rassischen Verschiedenheit gegenüber der weißen
Bevölkerung eine Herabsetzung zu erblicken. Es muß daher damit gerechnet
werden, daß, wenn es uns nicht gelingt, das Mißtrauen der farbigen Welt
zu zerstreuen, unsere politischen und kulturellen Beziehungen zu den in
Frage kommenden Ländern sich außerordentlich verschlechtern, daß unser
Handel schweren Schaden erleiden und unsere Auslandsdeutschen in diesen
Ländern möglicherweise ihre Existenz verlieren werden.
Im Hinblick auf diese Erwägungen hat am 21. November d. J. eine Chef-
besprechung über die Rassenfrage stattgefunden.6) Gemäß dem dabei er-
zielten Einvernehmen ist von den beteiligten Ressorts in einer weiteren Be-
sprechung der Text einer Regierungserklärung 7) ausgearbeitet worden, (die
gegenüber der die außenpolitischen Gesichtspunkte stärker berücksichti-
genden Fassung des Auswärtigen Amts allerdings eine Abschwächung im
Sinne des von den inneren Ressorts für tragbar Erachteten bedeutete). 8 )
Diese Erklärung ist von dem Herrn Reichsminister des Innern in einem dem
Vertreter des WTB erteilten Interview am 5. d. M. abgegeben worden. Auf
diese Erklärung bezieht sich das vorliegende Telegramm der Botschaft in
Tokio vom 8. d. M.9)

(«) Nagai.
(5) Aufzeichnung Bülows vom 11. Oktober 1933 (3088/D 623 166); Aufzeichnung Völckers'
vom 20. Oktober (3088/D 623 164).
(•) Eine Aufzeichnung über diese Besprechung konnte nicht ermittelt werden.
(?) Diese Erklärung des Reichsministers des Innern war in einer interministeriellen Be-
sprechung am 29. November ausgearbeitet worden. Der Text ist einer Aufzeichnung
Gaus' vom 30. November (9470/E 668 177-81) als Anlage beigefügt.
(8) Randbemerkung zu der eingeklammerten Satzhälfte: „Von H[errn] Gaus abgeändert."
(9) Telegramm Noebels Nr. 120 vom 8. Dezember (9451/E 666 829) über die ungünstige
japanische Reaktion auf die Erklärung Fricks vom 5. Dezember.

208
Nr. 124 12. DEZEMBER 1933

Anscheinend nehmen die Japaner an dem letzten Absatz der Erklärung


Anstoß, weil sie hinsichtlich der Mischehen keine entgegenkommendere
Stellungnahme enthält.10) über die Aufnahme der Erklärung in der hiesigen
japanischen Botschaft ist bisher nur durch einen Gewährsmann bekannt ge-
worden, daß der japanische Botschafter wenig befriedigt davon gewesen sei,
weil sie zu allgemein sei, daß er aber in Anerkennung der für die deutsche
Regierung bestehenden innerpolitischen Schwierigkeiten die Erklärung
immerhin als den Anfang einer Lösung habe gelten lassen wollen.
v. BARGEN
*(10) Der letzte Absatz der Erklärung Fricks (siehe Anm. 7) lautete: „Es kann nicht wunder-
nehmen, daß bei der großen Bedeutung, die die Rassenfrage für die Zukunft unseres
Volkes hat, und bei der leidenschaftlichen Anteilnahme, die die Bevölkerung diesen
Dingen entgegenbringt, von den verschiedensten Seiten Anregungen und Wünsche
wegen gesetzgeberischer Regelung des gesamten Rassenproblems, unter anderem auch
zur Frage der mischblütigen Ehen, an die Reichsregierung herangetragen werden. Wenn
daraufhin im Auslande alarmierende Gerüchte über die deutsehe Rassengesetzgebung
verbreitet werden, so handelt es sieh um Irrtümer oder absichtliehe Entstellungen. Es
werden dabei bestehende Vorschriften unrichtig ausgelegt oder bloße Anregungen,
vielfach unter Verdrehung ihres wahren Sinnes, als schon vollzogene oder nahe
bevorstehende Tatsachen behandelt." In den Akten des Auswärtigen Amts befindet
sich auch eine offizielle englische Übersetzung dieses Absatzes (M 20/M 000 734).

124
8659/E 606 283-86
Der Gesandte in Wien Rieth an das Auswärtige Amt
Telegramm
Cito WIEN, den 13. [12.] Dezember 1933 24 Uhr
Nr. 80 vom 12. 12. Ankunft: 13. Dezember 3 Uhr
II Oe. 2120
Auf [Telegramm Nr.] 114.1)
Letzte innenpolitische Vorgänge sind im Schriftbericht vom 8. Dezember
A2156 2 ) dargelegt, der gestern dort eingegangen ist. Sachlage seitdem un-
verändert.
Innere Lage zur Zeit äußerst verworren. Dollfuß hat, wie bekannt, vor
einiger Zeit versucht, durch Vermittlung Obmanns der Großdeutschen Foppa
und auf andere Weise geheime Verhandlungen mit den Nationalsozialisten
anzuknüpfen.3) Veranlaßt wurde er hierzu von mit ihm und mit Foppa
befreundetem Staatssekretär Gleißner, der von Aussichtslosigkeit Kampfes
auf längere Sicht gegen Nationalsozialismus überzeugt ist. Außerdem

(1) Weisung Köpkes Nr. 114 vom 11. Dezember (8659'E 606 272), in der die Gesandtschaft in
Wien aufgefordert worden war, über die innenpolitische Lage Österreichs zu berichten,
besonders im Hinblick auf Gerüchte über eine Umbildung des österreichischen Kabinetts
und die kürzlich in Wien von dem österreichischen Gesandten in Rom Rintelen ge-
führten Gespräche.
(2) Fundort: 8659/E 606 273-76. Siehe Dokument Nr. 106, Anm. 3.
(3) Siehe die Dokumente Nr. 20, 35 und 71.

209

11,1 Bg. 14
Nr. 124 12. DEZEMBER 1933

empfand Dollfuß, wie auch Peter mir damals vertraulich mitteilte, italieni-
schen zum Teil durch Heimwehren ausgeübten Druck als unerträglich.
Verhandlungen scheiterten angeblich infolge dort bekannter in München
gestellter Bedingungen. Von vielen Seiten bei Bekanntwerden Verhand-
lungen einsetzende Widerstände inner- und außenpolitischer Art haben
Dollfuß jedenfalls zur Zeit wieder von Gedanken Verständigung mit
Nationalsozialismus abgebracht.
Dollfuß sucht nun Gegengewicht gegen Heimwehren in Gegensatz zwi-
schen diesen und Landbund zu finden, mit dem er wegen erneuten Eintritts
in Regierung verhandelt hat. Dollfuß wurde zu Widerstand gegen Heim-
wehrforderungen auf Errichtung faschistischen Staats und wirksamer Be-
kämpfung Marxismus durch großen Teil der Christlichsozialen, die sogar
mit Gegenkandidatur Enders als Bundeskanzler drohten, gedrängt.
In neuester Zeit haben Italiener und Heimwehren wieder Oberhand ge-
wonnen; dies sowie Scheitern Verhandlungen mit Nationalsozialisten hatte
Verschärfung Kampfes gegen letztere zur Folge, die unter anderem zahl-
reiche neue Verhaftungen, darunter des Wiener Gauleiters Frauenfeld,
oder Deportationen ins Konzentrationslager Woellersdorf, nach sich zog;
Verhandlungen mit Landbund über Regierungseintritt sind auf Januar ver-
schoben.
Im Gegensatz zwischen Landbund und Heimwehren spiegelt sich auch
Kampf um Einflußnahme auf . . . (Gr. verst.) zwischen Frankreich und
Italien wieder, da Landbund milden Kurs gegenüber Sozialdemokratie und
damit Entgegenkommen gegenüber französischen und tschechischen Wün-
schen herbeizuführen sucht. Dollfuß, der niemals klare politische Linie ein-
gehalten hat, sondern lediglich durch jeweils auftauchende Schwierigkeiten
durchzulavieren versucht, benutzt diese Rivalitäten, um Art labilen Gleich-
gewichts dadurch zu erreichen, daß er je nach Sachlage mit der einen oder
der anderen der streitenden Parteien im Regierungslager und auf außen-
politischem Gebiet paktiert. Italienische Beunruhigung über Regierungskurs
gegenüber Nationalsozialisten und Franzosen und Tschechen andererseits
hatte letzthin einsetzende energische italienisch-ungarische Reaktion zur
Folge, die sich einstweilen wieder durchzusetzen scheint. Dollfuß seiner-
seits benutzt diese anscheinend, um neue wirtschaftliche Konzessionen ins-
besondere bezüglich Holzexports von Italien zu erlangen. Diese italienische
Beunruhigung dürfte auch wohl Anlaß zu unerwartetem, bereits etwas
zurückliegenden Erscheinen Rintelens in Wien gegeben haben.4)
Spannungen im Regierungslager und sich daraus ergebende labile, sich
schnell verändernde Lage Regierung hat zweifellos nicht nur bei Dollfuß,
sondern auch bei anderen maßgebenden Personen auf Regierungsseite
Neigung zu Verständigung mit dem Nationalsozialismus gefördert. Bisher
hat jedoch noch stets Befürchtung, daß jede Vereinbarung mit den National-
sozialisten in kurzer Frist deren vollständigen Sieg und infolgedessen Be-
seitigung jetzt maßgebender Personen und Parteien zur Folge haben würde,
sich als stärker erwiesen, als Gegensätze innerhalb Regierungslagers, die
durch diese gemeinsame Furcht letzten Endes immer wieder überbrückt
werden.

(4) Siehe Anm. 1

210
Nr. 125 12. DEZEMBER 1933

Angesichts Verwirrung innerpolitischer Lage läßt sich Prognose für wei-


tere Entwicklung auf kürzere Frist nicht stellen. Aussichten für baldige Ver-
ständigung mit Nationalsozialisten scheinen mir zur Zeit gering zu sein,
sofern derzeitige italienische Haltung keine Änderung erfährt. Auf längere
Sicht hingegen könnte ständiges Anwachsen und Zunehmen Fanatisierung
nationalsozialistischer Bewegung und dadurch unaufhörlicher vermehrter
Druck auf Regierung Sachlage, wenn auch langsam, zu unseren Gunsten
verändern.
Habe hier bisher keine Anzeichen für Nachlassen italienischer Hartnäckig-
keit im Kampf gegen hiesigen Nationalsozialismus beobachtet. Sollte etwa
dort beabsichtigt sein, hierüber mit Suvich zu sprechen,5) wäre wohl zu be-
achten, daß dieser, soweit ich dies von hier zu beurteilen vermag, einer
der Hauptverantwortlichen für scharfe Einstellung italienischer Politik in
Österreich gegen Nationalsozialismus zu sein scheint.
RIETH

(5) Siehe die Dokumente Nr. 120 und 126.

125
6605/E 496 276-92
Der Gesandte in Kowno Zechlin an das Auswärtige Amt *)
A 2315 KOWNO, den 12. Dezember 1933
Ankunft: 16. Dezember
IV Rd. 4803
POLITISCHER BERICHT

Inhalt: Die Beziehungen zwischen Litauen und Polen.


I.
Der litauisch-polnische Gegensatz war von Anfang an die wesentlichste
Grundlage der deutsch-litauischen Beziehungen. Dies entspricht der Logik
der politischen Tatsachen; stellen doch Deutschland und Litauen in gleicher
Weise territoriale Forderungen an Polen, deren Erfüllung für die politische
Zukunft und Stellung der beiden Länder von größter Wichtigkeit ist. Der
Streit um Wilna führte dazu, daß die Beziehungen zwischen Litauen und
Polen schließlich die Form eines latenten Kriegszustandes annahmen, der
jede Normalisierung dieser Beziehungen auszuschließen schien. Deutsch-
lands Forderung auf Rückgabe des Korridors und Litauens Forderung auf
Rückgabe von Wilna bildeten somit die gegebene Basis für eine gemein-
same, in ihren Zielen antipolnische Politik. Der antipolnische Kurs wurde
besonders scharf von der seit 1926 in Litauen regierenden nationalistischen
Tautininkai-Partei gesteuert; für ihre Politik war neben der Wilnafrage im
Gegensatz zu den früher regierenden Parteien vor allem die Sorge maß-
gebend, daß normale Beziehungen mit Polen den jungen litauischen Staat

• (l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 18. 12."

211
Nr. 125 12. DEZEMBER 1933

einer allmählichen Polonisierung und friedlichen Durchdringung von Polen


her aussetzen müßten, zumal das jahrhundertelange Vorwalten polnischer
kultureller Einflüsse ohnehin starke Spuren namentlich in den gebildeten
Kreisen Litauens zurückgelassen hat.
Ein polenfeindliches Litauen ist für Deutschland ein wichtiger Flanken-
schutz Ostpreußens, und außerdem verhindert es das Zustandekommen
eines unter polnischer Führung stehenden Nord-Süd-Blocks von Helsing-
fors bis Bukarest, der sich wie eine Barriere zwischen Rußland und Deutsch-
land gelegt haben würde. Fast dieselben Interessen bezüglich des litauisch-
polnischen Verhältnisses hat die Sowjetunion. Auch die russische Politik
stellte es sich zur Aufgabe, jenen Nord-Süd-Block unter polnischer Führung
zu verhindern und die russische Machtstellung in den Randstaaten und
Finnland durch Sonderabkommen mit jedem dieser Staaten zu befestigen.
Dabei spielte auch für Rußland der litauisch-polnische Gegensatz und die
Aufrechterhaltung der Selbständigkeit Litauens gegenüber Polen die ent-
scheidende Rolle. So konnte angesichts der weitgehenden Gemeinsamkeit
der deutschen und russischen Interessen im Baltikum und angesichts des
Gegensatzes zu Polen, den Deutschland, Rußland und Litauen gemeinsam
hatten, jahrelang die Formulierung zu Recht bestehen, daß die Horizontale
Berlin-Kowno-Moskau die Grundlage sei, auf der sich unsere Ostpolitik zu
bewegen habe.
Aus dieser Sachlage ergibt sich aber auch, daß die Beziehungen der vier
Staaten Deutschland, Rußland, Litauen und Polen untereinander in einer
starken Wechselwirkung stehen und daß namentlich auf Litauen als weit-
aus kleinsten und schwächsten Partner in diesem Kräftespiel Änderungen in
dieser allgemeinen Konstellation stark zurückwirken. Insbesondere ist die
Aufrechterhaltung des litauisch-polnischen Gegensatzes für Litauen nicht
nur davon abhängig, daß die Beziehungen Litauens zu Deutschland und
Rußland gut oder wenigstens normal sind, sondern auch, daß Rußland und
Deutschland in einem Gegensatz zu Polen stehen. Ganz auf eigene Faust
und ohne bei Rußland und Deutschland einen gewissen Rückhalt oder doch
wenigstens die gleiche Einstellung zu finden, kann Litauen eine antipol-
nische Politik nicht treiben. Wir haben immer die Erfahrung gemacht, daß
Schwierigkeiten, die sich auf der Linie Berlin-Kowno-Moskau einstellten,
die Gefahr in sich bargen, Litauen als Staat und politischen Faktor zu
schwächen und auch mehr oder minder auf Litauens Verhältnis zu Polen
einzuwirken.
Die deutsche Politik hat sich in der Vergangenheit bemüht, das deutsch-
litauische Verhältnis freundlich zu gestalten und Litauens Unabhängigkeit
namentlich auf wirtschaftlichem Gebiet zu fördern und das Land so gegen
Polen zu stärken. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir beispielsweise
immer wieder den litauischen Standpunkt in der sogenannten Transitfrage
gegen Polen unterstützt. Wir haben ferner stets den größten Wert auf an-
genehme gegenseitige Beziehungen in militärischer Hinsicht gelegt 2 ) und
schließlich zur Festigung der litauischen Wirtschaft durch ein besonderes
Veterinärabkommen unsere Grenzen für den Viehabsatz Litauens geöffnet.
Die Schwierigkeiten, auf die diese Politik gestoßen ist, sind bekannt.
(2) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 45 und Anm. 4 dazu.

212
Nr. 125 12. DEZEMBER 1933

Unsere Agrarschutzpolitik hat uns gehindert, den litauischen Wünschen


hinsichtlich des Agrarexportes in dem Maße Rechnung zu tragen, wie es
aus außenpolitischen Erwägungen geboten schien. Hier liegt eine wesent-
liche Ursache für die vor etwa 3 Jahren einsetzende Trübung der deutsch-
litauischen Beziehungen; denn kein Argument von unserer Seite ver-
mochte die Litauer davon zu überzeugen, daß wir nicht in der Lage seien,
ihnen durch eine entsprechende agrarpohtische Haltung in wirtschaftlicher
Hinsicht ihre Position zu erleichtern. Eine noch bedeutsamere Rolle spielten
die Memelfragen. Aus dem Konflikt zwischen unserem politischen Interesse
an Litauen einerseits und unseren Pflichten gegenüber dem Memelgebiet
andererseits haben wir immer wieder versucht, im Wege friedlicher Ver-
ständigung mit Litauen herauszukommen. Den Höhepunkt dieser Politik
stellten die Abreden vom Januar 1928 mit dem damaligen Ministerpräsi-
denten Woldemaras dar.3) Auf die Einzelheiten der folgenden Entwicklung,
auf die deutsche und litauische Memelpolitik, braucht hier nicht eingegan-
gen zu werden, über die Rückwirkungen unserer Memelpolitik auf das
litauisch-polnische Verhältnis herrschte jedenfalls damals die Auffassung
vor, daß sich Litauen in der Frage einer etwaigen Verständigung mit Polen
letzten Endes nicht durch unsere mehr oder minder große Nachgiebigkeit in
Memelfragen bestimmen lassen werde. Es bestand die Ansicht, daß, wenn
Polen ein großzügiges Angebot für die Lösung der Wilnafrage Litauen
machen sollte, wir seine Annahme durch Litauen nicht verhindern könnten.
In der Folgezeit wuchs in dem Maße, wie die Memelfragen und unsere
Agrarschutzpolitik unser Verhältnis zu Litauen trübten, in den Kreisen der
innerpolitischen litauischen Opposition, d. h. in der christlich-demokrati-
schen und volkssozialistischen Partei die Geneigtheit, sich mit dem Gedan-
ken eines politischen Ausgleichs mit Polen vertraut zu machen. Derartigen
Gedankengängen gab die Oppositionspresse zuerst nur zögernd Raum, sie
ertönten jedoch stets um so lauter, je gespannter aus diesem oder jenem
Anlaß sich die deutsch-litauischen Beziehungen gestalteten.
In wieweit die litauische Regierung in den Jahren von 1928-1932 im
Ernst einen litauisch-polnischen Ausgleich angestrebt hat, ist schwer zu
sagen. In Erinnerung ist noch die vertrauliche Mitteilung des litauischen
Außenministers Zaunius an den deutschen Gesandten im Juli 1930,4) daß auf
polnische Anregung hin zwischen einem litauischen Delegierten, und zwar
dem Staatsbankgouverneur Stasinskas, und Pilsudski eine Besprechung über
die Wilnafrage und die Aufnahme direkter Beziehungen zwischen Litauen
und Polen in Warschau stattfinden würde. Herr Zaunius erläuterte diese
Tatsache mit dem Hinweis darauf, daß der damalige Staatssekretär des
Auswärtigen Amtes, Herr von Schubert, ihn und den litauischen Gesandten
in Berlin 5 ) wiederholt ermahnt habe, sich nicht allzu negativ Polen gegen-

(3) Diese am 29. Januar 1933 in Berlin unterzeichneten deutsch-litauischen Abkommen ent-
hielten einen Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrag sowie mehrere Vereinbarungen
über Grenzfragen und das Memelgebiet. Siehe S. d. N., Recueil des Traites, Nr. 2008,
2009, 2026, 2042, Bd. LXXXIX, S. 83-126, 309-67 und Bd. XC, S. 233-53.
(4) Dieser Hinweis bezieht sich offenbar auf eine Unterredung zwischen Zaunius und
Moraht am 17. Juli 1930, über die Moraht in Telegramm Nr. 78 vom gleichen Tage
(2945/D 575 198-200) berichtet hatte.
*(*) Sidzikauskas.

213
Nr. 125 12. DEZEMBER 1933

über zu verhalten. So wenig nun zwar dieser Hinweis am Platze war, da


die betreffenden Berliner Ermahnungen offensichtlich nur das taktische Ver-
halten Litauens gegenüber Polen im Auge gehabt hatten, so war es doch
bezeichnend, daß eine Zeit deutsch-litauischer Spannung von Polen zu
einem solchen Versuch benutzt wurde und daß man litauischerseits darauf
einging. Die deutsche Regierung sah in den Besprechungen Pilsudski-
Stasinskas „einen ersten Schritt zu einer polnisch-litauischen Annäherung,
die, wenn sie gelingen sollte, die politischen Verhältnisse im Osten von
Grund aus verändern würde." Der Versuch blieb ohne Ergebnis, weil, wie
es litauischerseits hieß, nur auf dem Wege über eine Regelung der Terri-
torialfragen eine Aufnahme direkter Beziehungen möglich und Pilsudski
hierfür nicht zu haben gewesen sei. übrigens war zu jener Zeit erfreulicher-
weise ein ausgezeichnetes Zusammenwirken der deutsch-russischen Politik
gegenüber Litauen festzustellen, und diese Tatsache dürfte mit dazu bei-
getragen haben, Litauen zu großer Zurückhaltung gegenüber Polen zu ver-
anlassen.
Wenn man von der Memelfrage absieht, so kann man gerechterweise
nicht umhin, festzustellen, daß litauischerseits zu verschiedenen Malen
auch versucht worden ist, ein engeres politisches und militärpolitisches
Verhältnis zwischen Deutschland und Litauen gegen Polen herzustellen,
was dann die litauisch-polnischen Beziehungen endgültig im negativen
Sinne festgelegt haben würde.
Nachdem schon im Sommer 1927 der damalige litauische Kriegsminister
Daukantas, der sich selber bei jeder Gelegenheit als Freund einer deutschen
Orientierung bezeichnete, konkrete Abmachungen zwischen den beiden
Heeresleitungen für den Fall einer kriegerischen Verwicklung mit Polen an-
geregt hatte 6 ) - ein Angebot, das seinerzeit wohl aus allgemeinen militär-
politischen Gründen von uns abgelehnt wurde -,7) schlug der litauische Mili-
tärattache in Berlin 8 ) im Oktober 1932 dem damaligen deutschen Geschäfts-
träger in Kowno erneut vor, Deutschland und Litauen möchten für den
Fall kriegerischer Verwicklungen mit Polen militärische Abmachungen
treffen, Deutschland möchte weiter der litauischen Regierung gewisse Zu-
sicherungen bezüglich Wilnas geben und schließlich in irgendeiner Form
eindeutig von dem Gedanken eines Wiedererwerbs des Memelgebiets
abrücken.9) Der Militärattache ließ deutlich durchblicken, daß das litauische
Kriegsministerium zum Abschluß einer Militärkonvention mit Deutschland
bereit sei.
Wenige Tage darauf machte der Militärattache die gleichen Vorschläge
(«) Derartige Vorschläge hatte Daukantas in Gesprächen mit Moraht und dem Vertreter
des Reichswehrministeriums Klein gemacht; Bericht Morahts Nr. 1902 Ang. 2 vom
25. August 1927 (M 116/M 004 512-15).
*(') Der damalige Leiter des Truppenamts im Reichswehrministerium Blomberg erinnerte
in einem Schreiben an das Auswärtige Amt vom 28. November 1927 (M 116/M 004 532-33)
daran, daß man in der Erwiderung auf den Vorschlag Daukantas' darauf bestanden
habe, daß politische und wirtschaftliche Abmachungen den militärischen vorangehen
sollten. Siehe Serie B, Bd. VII.
*(8) Skirpa.
(») Werkmeister hatte in Telegramm Nr. 245 vom 23. November 1932 (6684/H 096 848-50)
auf eine Aufzeichnung verwiesen, die er über diese Unterredung Meyer eingereicht
habe.

214
Nr. 125 12. DEZEMBER 1933

im Reichswehrministerium. Dieses verhielt sich jedoch ebenso ablehnend


wie gegenüber dem Angebot des Kriegsministers Daukantas und stellte
fest, daß „die Vorschläge weit über das Ziel hinausgingen" und daß aus
diesem Grunde der Militärattache „auf die Realitäten" verwiesen sei, das
hieß in jenem Zusammenhange, die litauische Armee möge in erster Linie
ihren Heeresbedarf in Deutschland decken.
War auch selbstverständlich der litauische Wunsch eines Verzichts auf
das Memelgebiet von uns nicht zu erfüllen, so kann doch nicht geleugnet
werden, daß in diesen Fühlungnahmen von militärischer litauischer Seite
ein positiver Wille zu einer intensiven militärischen Zusammenarbeit mit
uns steckte; gerade das litauische Offizierskorps war und ist eigentlich noch
ziemlich geschlossen bis in die jüngste Zeit der eifrigste Anhänger einer
deutschen Orientierung Litauens und damit zugleich der heftigste Gegner
jeder Annäherungspolitik an Polen. Die Ablehnung jener Fühler durch
Deutschland hatte hier eine gewisse Enttäuschung zur Folge, und es ist
verständlich, wenn der jetzige litauische Kriegsminister 10 ) daraufhin ge-
legentlich erklärte, wir hätten nach seiner Auffassung „kein allzu großes
Interesse an einer intimen Zusammenarbeit mit Litauen." Damit mag es
zusammenhängen, daß zu gleicher Zeit der Gedanke einer Normalisierung
der polnisch-litauischen Beziehungen wieder auflebte, und zwar, was her-
vorgehoben werden muß, nicht nur in den Kreisen der Opposition, sondern
auch in der Regierungspartei. Der ehemalige Außenminister Purickis ver-
öffentlichte im Dezember 1932 in der Zeitschrift Unser Wilna einen Artikel,
der in hiesigen politischen und diplomatischen Kreisen als ein Zeichen für
den kommenden Umschwung in der litauischen Polen-Politik angesehen
wurde. Gleichzeitig setzte eine Art Polen-Psychose ein, die derartigen Um-
fang annahm, daß das litauische Außenministerium sich schließlich genötigt
sah, in dem offiziösen Lietuvos Aidas zu erklären, daß die litauische Wilna-
Politik keine Änderung erfahren habe. Das war auch, da sich zugleich die
Beziehungen zu Deutschland zu bessern schienen, richtig, und als im Früh-
jahr d. J. die lebhaften Erörterungen über den baltischen Staatenbund ein-
setzten, waren es die litauische Haltung und der unveränderte litauisch-
polnische Gegensatz, an dem diese Pläne scheiterten (vgl. Bericht J.
Nr. A 1192 vom 19. April d. J.11)).
II.
Zieht man das Fazit dieser Entwicklung, die hier kurz in Erinnerung
zurückgerufen wurde, so wird man im allgemeinen eine völlige Stagnation
auf dem Gebiet der polnisch-litauischen Beziehungen feststellen müssen,
ebenso wie auch die allgemeine osteuropäische Lage im wesentlichen un-
verändert blieb.
Die politischen Ereignisse des Frühjahrs und Sommers 1933 haben nun
alle Grundfragen der osteuropäischen Politik in Bewegung gebracht. Für
Litauen am wichtigsten waren die Londoner Pakte der Sowjetunion über
die Begriffsbestimmung des Angreifers 12) und in ihnen wiederum die Tat-
sache, daß die Sowjetunion die Okkupation Bessarabiens durch Rumänien

(10) Giedraitis.
(11) Fundort: 6605/E 496 193-207.
(12) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 342, Anm. 4

215
Nr. 125 12. DEZEMBER 1933

zwar nicht rechtlich, aber praktisch anzuerkennen schien. Die Nutzanwen-


dung auf die Wilnafrage liegt auf der Hand; denn wenn die Sowjetunion
sich mit dem faktischen territorialen Besitzstand Rumäniens abfindet, kann
sie kaum Polen gegenüber eine andere Haltung einnehmen. Es kam hinzu
die gleichzeitige Abkühlung der deutsch-russischen Beziehungen, der Aus-
bau der russisch-polnischen Beziehungen und schließlich die Änderung der
deutsch-polnischen Beziehungen, die sich zunächst zwischen Danzig und
Polen, dann zwischen dem Reich und Polen anbahnte. Die Sowjetunion
insbesondere hat der litauischen Republik in der Wilnafrage bisher poli-
tisch und diplomatisch manchen wertvollen Dienst geleistet; eine Schwen-
kung der Sowjetunion auf die polnische Seite würde bedeuten, daß Litauen
alle Hoffnungen auf Wilna fahren lassen müßte. Vielleicht noch gefähr-
licher erscheint den Litauern eine deutsch-polnische Verständigung; die
alte Idee eines Austausches zwischen dem Korridor und Litauen spukt hier
noch immer, und sie betrifft ja nicht nur die Hoffnungen auf Wilna, sondern
Litauen in seinem ganzen heutigen Bestände. Schließlich und endlich ist
auch Warschaus Stellung eine völlig andere geworden; stand es bisher
unter dem politischen Druck der beiden Großmächte im Osten und Westen,
so wird es heute von Moskau und Berlin umworben, und es befindet sich
in einer internationalen Situation wie nie zuvor.
Es ist kein Wunder, daß Litauen unter diesen Umständen die Stützen
seiner bisherigen Politik wanken fühlt und die Gefahr völliger Isolierung
vor sich sieht. Der Ministerpräsident Tubelis hat dem hiesigen englischen
Geschäftsträger,13) wie dieser mir kürzlich erzählte, gesagt, daß Litauen auf
die Unterstützung Rußlands in der Wilnafrage nicht mehr rechnen könnte.
Mein hiesiger russischer Kollege 14) hat mir zwar wiederholt erklärt, daß
sich an der russischen Politik bezüglich Litauens nichts geändert hätte,
und er sagte mir, daß er dies auch dieser Tage dem Staatspräsidenten
Smetona erklärt habe. Aber es ist keine Frage, daß man hier der russischen
Haltung nicht mehr ganz traut.
Dasselbe wird man aber auch von der inneren Einstellung Litauens
gegenüber der deutschen Politik sagen müssen. Bezeichnend ist in diesem
Zusammenhang ein Gespräch, das einer meiner Mitarbeiter kürzlich mit
dem neuernannten Gouverneur des Memelgebiets, Dr. Novakas, hatte. Vor-
weg darf dazu gesagt werden, daß Novakas bisher der eifrigste und ener-
gischste Verfechter einer antipolnischen Politik innerhalb der Tautininkai-
Partei gewesen ist. Novakas berichtete, daß er bei einem kürzlichen Auf-
enthalt in Berlin mit Erstaunen die Bereitwilligkeit Deutschlands bemerkt
habe, anscheinend um jeden Preis zu einer Verständigung mit Polen zu
gelangen. Nur so sei ihm das Abkommen zwischen Danzig und Polen ver-
ständlich, das der polnischen Minderheit in Danzig so weitgehende Rechte
einräume,15) und auch nur so vermöge er die nicht mehr zurückhaltenden,
sondern freundlich-positiven, an Polens Adresse gerichteten Äußerungen
hochstehender deutscher Staatsmänner zu begreifen. (Das Gespräch fand

(13) Preston.
(14) Karski.
(15) Das Abkommen war am 18. September 1933 abgeschlossen worden. Siehe Serie C,
Bd. I, 2, Dokument Nr. 417, Anm. 1.

216
Nr. 125 12. DEZEMBER 1933

vor der Veröffentlichung des Kommuniques vom 15. November statt.16))


Angesichts unseres bisherigen scharfen antipolnischen Kurses müsse ihn
die neue Wendung der deutschen Außenpolitik mit Sorge erfüllen. Immer
wieder hätten die deutschen Vertreter der litauischen Regierung erklärt,
Litauen sei der gegebene Verbündete Deutschlands im Kampfe gegen Polen.
Dieser Gedanke sei ein Glaubenssatz der litauischen Politik geworden.
Heute müsse er leider feststellen, daß wir unsere bisherige Polen-Politik
zugunsten einer Annäherung an Polen aufgegeben hätten. Dies könne für
die litauische Außenpolitik nicht ohne Rückwirkungen bleiben. Er glaube
daher, daß die litauische Regierung angesichts der deutschen Kursschwen-
kung sich mit dem Gedanken befreunden müsse, den latenten Kriegszu-
stand zwischen Litauen und Polen aufzugeben und in irgendeiner Form
normale Beziehungen zu Polen herzustellen. Er sei sich darüber klar, daß
dies schwierig sein werde, denn Litauen müsse darauf achten, bei einer
solchen Aktion keinen Prestigeverlust zu erleiden. Auch müsse darauf
Bedacht genommen werden, daß durch die Aufnahme diplomatischer Be-
ziehungen zwischen beiden Ländern in der Wilnafrage für Litauen kein
fait accompli geschaffen werde. In dieser Beziehung sähe er große Schwie-
rigkeiten; dennoch habe er den Eindruck, daß Litauen angesichts der ver-
änderten deutschen Haltung heute kaum umhin könne, sein Verhältnis zu
Polen zu normalisieren. Er fügte noch hinzu, daß man der litauischen Öffent-
lichkeit eine solche Änderung der Außenpolitik ohne weiteres mit dem Hin-
weis auf die veränderten politischen Verhältnisse in Deutschland, den deut-
schen Drang nach dem Osten und das deutsche Preisgeben des litauischen
Nachbarn durch die neue deutsche Polen-Politik klar machen könne.
Offiziell wird allerdings hinsichtlich der deutsch-polnischen Verständi-
gung Ruhe und Zurückhaltung bewahrt, und ich selbst habe wiederholt in
Gesprächen mit Mitgliedern des litauischen Kabinetts, mit Militärs und
Beamten darauf hingewiesen, daß die Bedeutung des Kommuniques vom
15. November vornehmlich in der erneuten Bekräftigung der friedlichen
Absichten unserer Politik beruht. Aber unverkennbar herrscht hinter der
Fassade doch lebhafte Beunruhigung; mancherlei gesprächsweise Äuße-
rungen von Mitgliedern des Außenministeriums und anderer beamteter
Persönlichkeiten beweisen das. Auch Ministerpräsident Tubelis drückte mir
dieser Tage noch seine Sorge um den Stand der deutsch-russischen Be-
ziehungen aus, die ja für Litauen besonders wichtig seien. Es ist auch be-
zeichnend, wenn das amtliche Organ, der Lietuvos Aidas (vom 28. Novem-
ber) kommentarlos ein Interview des bekannten Prof. Herbaszewski aus
dem Ilustrowany Kuryer Codzienny abdruckt, daß die Litauer nach einem
modus vivendi mit Polen suchten, um den Deutschen auf diese Weise
Schach bieten zu können. Daß die Lietuvos Zinios unter diesen Umständen
trotz der bestehenden Zensur schreiben können, daß die Unterstützung der
litauischen Wilna-These durch die Russen und Deutschen bereits „einer
historischen Vergangenheit" angehöre, nimmt nicht Wunder. Auch erhält
sich hier seit Wochen das Gerücht, daß zwei prominente litauische Persön-
lichkeiten in diesem Sommer wieder bei Pilsudski gewesen seien, in der
Wilnafrage aber von ihm erneut eine schroffe Ablehnung erfahren hätten.

(18) Siehe Dokument Nr. 69, Anm. 2.

217
Nr. 125 12. DEZEMBER 1933

Präsident Smetona, den ich gelegentlich danach fragte, gab dies auch in
gewisser Weise zu, indem er meinte, es könne sich wohl nur um Privat-
personen gehandelt haben. Als ich weiter mit ihm über die Unmöglichkeit
einer litauisch-polnischen Verständigung sprach, räumte er zwar alle
Schwierigkeiten ein, fügte aber doch nachdenklich hinzu: „Ja, wenn von
Polen ein Angebot käme!"
In der Tat liegt hier der Kern des Problems. Denn offensichtlich kann die
Initiative nur von Polen als dem beatus possidens ausgehen; irgend etwas
muß Polen den Litauern bieten. An und für sich läge es nahe, daß Polen die
Gunst des Augenblicks ausnutzt, wo Litauen von Rußland und Deutschland
verlassen und nachgiebiger scheint als jemals früher. Bisher liegen An-
zeichen für eine solche polnische Initiative noch nicht vor; festzustellen ist
nur eine gewisse Belebung der polnisch-litauischen Beziehungen auf dem
Gebiete der persönlichen privaten Fühlungnahme. Hierher gehört, daß der
polnische Journalist Kattelbach, dem gute Beziehungen zu Pilsudski nach-
gesagt werden, sich seit Monaten in Litauen aufhalten darf, was ein abso-
lutes Novum in den polnisch-litauischen Beziehungen ist; ferner ist Profes-
sor Roemer, der aus den letzten Genfer Besprechungen auch in Berlin be-
kannte Rektor der hiesigen Universität, in letzter Zeit mehrfach nach Wilna
gereist; er genießt, obwohl innerlich ebensosehr Pole wie Litauer, das volle
Vertrauen der litauischen Regierung und darf als einer der Hauptpartei-
gänger einer litauisch-polnischen Verständigung gelten.
Daß es jetzt etwa zu einer endgültigen Regelung des polnisch-litauischen
Verhältnisses kommen könnte, ist ausgeschlossen. Dazu ist die ganze Lage
in Osteuropa viel zu sehr in Fluß begriffen, und wenn je, so wird die
litauische Politik in der nädisten Zukunft eine Politik des Lavierens sein.
Auch eine Rückgabe Wilnas erwartet man hier selbstverständlich nicht;
selbst auf kleine territoriale Veränderungen rechnet man zur Zeit kaum.
Aber neben der Aufnahme diplomatischer Beziehungen denkt man an die
Regelung von wirtschaftlichen Fragen wie die des Transits, der Memel-
flößerei und dgl.; auch würde man wohl eine gewisse kulturelle Autonomie
für die Litauer im Wilnagebiet sehr begrüßen. In diesem ganzen Fragen-
komplex gewinnen auch die hier umlaufenden Gerüchte über eine Kabi-
nettsumbildung, über die ich besonders berichtete,17) Bedeutung; denn natür-
lich könnte ein neuer Ministerpräsident oder ein neuer Außenminister
unschwer Wege gehen, die dem jetzigen Kabinett verschlossen sind.
Trotz alledem sind die Schwierigkeiten einer litauisch-polnischen Ver-
ständigung unendlich groß, und Wilna wird noch auf lange den großen
Streitpunkt zwischen beiden Völkern bilden. Aber wenn die Polen jetzt
auch nur die erste Bresche schlagen würden, so würde das von weitreichen-
den Folgen sein; die polnische Aktion im Baltikum würde einen neuen
Auftrieb erhalten, und auch in Litauen würde Polen schnell festen Fuß
fassen, über die schweren Nachteile, die sich daraus für die deutsche Politik
und das deutsche Volk ergeben würden, kann nach allen historischen Er-
fahrungen kein Zweifel bestehen.
Das Generalkonsulat in Memel erhält Abschrift dieses Berichts.
ZECHLIN
(17) Bericht Zechlins Nr. A 2249 vom 30. November 1933 (M 117/M 004 589-92).

218
Nr. 126 13. DEZEMBER 1933"

126
2784/D 540 460-63
Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 13. Dezember 1933
RM. 1722
Der Reichskanzler empfing heute morgen den italienischen Unterstaats-
sekretär Suvich. Die erste halbe Stunde waren die beiden allein, um, wie
der Kanzler sagte, eine Fühlungnahme zwischen den einstigen österreichi-
schen Untertanen herbeizuführen. Bei der darauffolgenden Unterhaltung in
meiner Gegenwart wurde zunächst die Abrüstungsfrage behandelt. Der
Kanzler legte Suvich eingehend unsere bekannten Ansichten und Wünsche
dar. Suvich versuchte, ebenso wie gestern bei mir,1) uns die Notwendigkeit
einer etappenweisen Aufrüstung klar zu machen. Der Kanzler lehnte dies
ab, und zwar, wie er ausdrücklich hervorhob, trotzdem es nicht unsere
Absicht sei und auch außerhalb der gegebenen Möglichkeiten liege, sofort
300 000 Mann aufzustellen und die nötigen Waffen dazu herzustellen. Der
Kanzler betonte in der Unterredung besonders, daß jetzt auch Mussolini
die Ansicht vertrete, daß ein Weiterkommen in der Abrüstungsfrage nicht
möglich sei, weil die hochgerüsteten Staaten nicht abrüsten wollten und
könnten. Suvich kam im Gegensatz zu seiner gestrigen Äußerung bei mir
nicht mehr darauf zu sprechen, daß uns in Genf von französischer Seite
weitgehende Abrüstungszugeständnisse in Aussicht gestellt worden seien.
Er erklärte zum Schluß, nunmehr über unsere Ansichten eingehend infor-
miert zu sein und diese Mussolini berichten zu wollen. Die Unterredung
dauerte von 11 Uhr bis 1/t 2 Uhr.
Um 4 Uhr 30 wurde die Besprechung fortgesetzt, und zwar wurde diesmal
die österreichische Frage zur Diskussion gestellt. Hierbei versuchte der
Kanzler in eingehenden Ausführungen Herrn Suvich klar zu machen, daß
der Anschluß Österreichs für uns keineswegs akut oder auch nur begehrens-
wert sei. Er legte dar, daß uns durch einen solchen Anschluß unerträgliche
finanzielle Belastungen auferlegt würden, da Österreich allein überhaupt
nicht lebensfähig sei und stets ein Zuschußland bleiben werde. Er habe
deshalb von jeher den Standpunkt vertreten, daß Deutschland und Italien
gemeinschaftlich sich Österreichs annehmen müßten, wobei Voraussetzung
sei, daß die Österreicher zunächst ihr Haus im Innern in Ordnung brächten.
Schon aus dem Grunde, weil weder Deutschland noch Italien wünschen
könnten, daß Österreich etwa eine Brücke zwischen Polen, Tschechen und
Jugoslawen bilde, müßten Deutschland und Italien sich über ihre Beziehun-
gen zu Österreich verständigen.
Herr Suvich versuchte den Kanzler zu überzeugen, daß Dollfuß ein durch-
aus deutschgesinnter Mann sei und nichts sehnlicher erstrebe, als sich mit
Deutschland auszusöhnen. Dollfuß habe den Kampf gegen den Marxismus
und das Freimaurertum in sein Regierungsprogramm aufgenommen gehabt.
Allerdings sei dieser Kampf nach österreichischer Art nicht sehr energisch
betrieben worden. Wenn er sich nicht schon längst mit den Nationalsoziali-

(i) Siehe Dokument Nr. 120.

219
Nr. 127 13. DEZEMBER 1933

sten in Österreich ausgesöhnt habe, so sei das auf die Furcht zurückzufüh-
ren, daß der Nationalsozialismus in Österreich unter Führung von Herrn
Habicht den Anschluß an Deutschland auf seine Fahne geschrieben habe.
Unter Hinweis auf seine früheren Ausführungen und indem er das Ver-
halten der Nationalsozialisten in Danzig, nachdem diese zur Macht ge-
kommen,2) als Beispiel heranzog, versuchte der Kanzler Herrn Suvich klar
zu machen, daß nur die Wiederherstellung der Konstitution in Österreich
und die Ausschreibung von Neuwahlen ein richtiges Bild über die tatsäch-
liche Stimmung des Volkes in Österreich geben. Er, der Kanzler, habe sei-
nen Parteigenossen im übrigen schon immer gesagt, daß sie in Österreich
für eine Regierungsbildung alle national und gut gesinnten Kreise heran-
ziehen müßten. Es komme gar nicht darauf an, daß in einem künftigen
Kabinett nur Nationalsozialisten sitzen. Verhandlungen zwischen Herrn
Dollfuß, der so gut wie nichts mehr hinter sich habe, und ihm selbst müsse
er solange ablehnen, bis nicht in Österreich die Verfolgungen der National-
sozialistischen Partei aufhörten und die Verbote der Partei wieder aufgeho-
ben seien. Immerhin sei er der Ansicht, daß Österreich ein zu nichtssagen-
des Objekt sei, um etwa die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien
störend beeinflussen zu dürfen. Dieser Auffassung stimmte Herr Suvich
lebhaft zu und erklärte, daß dies auch Mussolinis Ansicht sei. Der Kanzler
fügte noch hinzu, daß nach seiner Ansicht eine Verständigung über die
Beziehungen von Deutschland und Italien zu Österreich sich unschwer er-
reichen ließe, sobald einmal dort wieder geordnete Verhältnisse und eine
vom Volke gestützte Regierung vorhanden sei.3)
v. N[EURATH]

(2) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 253.


(3) Suvich wurde am 13. Dezember auch von Hindenburg empfangen. Eine Aufzeichnung
über diesen Empfang, der sich auf Formalitäten beschränkte, wurde am gleichen Tage
von Meissner an Neurath übermittelt (2784/D 540 291-93).

127
6609/E 497 298-300
Der Botschalter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 281 vom 13. 12. MOSKAU, den 14. Dezember 1933 3 Uhr 40
Ankunft: 14. Dezember 6 Uhr 45
IV Ru. 5479
Hatte heute 2 Mi stündige weitere Unterredung mit Litwinow,1) die teil-
weise zu sehr scharfen Auseinandersetzungen führte, aber schließlich in
freundlichem Ausgang endete. Litwinow begann Unterhaltung mit Erwide-
rung auf meine vorgestrigen Vorwürfe über Hetze Sowjetpresse gegen
Deutschland. Es käme nicht darauf an, was die Zeitungen schrieben, sondern

(1) Siehe Dokument Nr. 122.

220
Nr. 127 13. DEZEMBER 1933

allein maßgebend seien die Absichten der Regierungen. Sowjetregierung


habe keine schlechten Absichten gegenüber Deutschland, sondern lege Wert
auf gutes Verhältnis zu ihm. Schuld an Verschlechterung Beziehungen liege
allein bei uns. Er aufzählte die einzelnen altbekannten Punkte:
Angebliche Verhandlungen Papens mit Franzosen auf Kosten Sowjet-
rußlands,2) Hitler-Buch, Bestrebungen Rosenbergs etc., wobei er nur das
Hugenberg-Memorandum 3 ) vergaß, worauf ich ihn ironisch aufmerksam
machte. In neuester Zeit habe Deutschland, wie hier bekannt geworden sei,
Fühlung mit Japan aufgenommen, was in Sowjetunion angesichts ihrer
gespannten Beziehungen zu Japan große Beunruhigung hervorrufe. Auch
habe die Sowjetregierung zuverlässige Informationen, daß deutsche Stellen
mit ukrainischen Kontrerevolutionären in Verbindung ständen und Selb-
ständigkeitsbewegung in Ukraine förderten.
Ich zurückwies diese Vorwürfe scharf und machte Litwinow darauf auf-
merksam, daß für die Beziehungen allein Haltung der Regierungen maß-
geblich sein könnte. Reichskanzler habe am 23. März d. J. im Reichstag,
also vor aller Welt die Absicht des neuen Deutschlands verkündet, zur
Sowjetunion freundschaftliche Beziehungen zu pflegen.4) Das allein sei
maßgebend und einen Zweifel hieran ließe ich nicht zu. Wenn die Beziehun-
gen sich verschlechtert hätten, so läge die Schuld allein auf Sowjetseite,
deren Öffentlichkeit in maßloser Weise gegen neues Deutschland aufgehetzt
werde. Was unsere Beziehungen zu Japan angehe, so seien sie nicht von
irgendwelchen feindlichen Absichten gegen Sowjetunion getragen; dies er-
klärte ich ihm hiermit offiziell. Seine angeblichen Informationen müsse ich
als unwahre Verleumdungen zurückweisen. Ich ersuchte ihn, sie mir zu-
gänglich zu machen, damit ich sie prüfen könne. Der erste Schritt zur Wie-
derherstellung guter Beziehungen müsse darin bestehen, daß zunächst ein-
mal in der Öffentlichkeit eine bessere Atmosphäre geschaffen werde. In
Deutschland sei die Presse sehr gemäßigt geworden, dagegen fortfahre
Sowjetpresse in gehässiger Hetze. Den freundlichen Artikel Rosenbergs
im Völkischen Beobachter, also einem offiziösen Organ, habe sie totge-
schwiegen, während alles Ungünstige sorgfältig registriert werde. Litwinow
entgegnete, daß er auf meine entsprechende Bemerkung von vorgestern bei
der Tass bereits die Nichtverbreitung Rosenberg-Artikels beanstandet habe.
Im übrigen nehme er meine Erklärungen zur Kenntnis, aber man könne hier
die Ansicht über feindliche Einstellung maßgebender deutscher Kreise
gegen Sowjetunion nicht ohne weiteres ändern und müsse abwarten, bis
Deutschland durch Taten seine freundschaftliche Gesinnung bewiese. Ich
entgegnete, seine Sprache klinge beinahe wie die französische Forderung
nach Bewährungsfrist, was ich entschieden zurückweisen müsse. Alles in
allem habe mich diese Unterhaltung tief enttäuscht. Ja, die dauernden
grundlosen Hinweise auf unsere bösen Absichten trotz unserer deutlichen
und formellen Erklärung des Gegenteils mache mich sogar stutzig.
Zwar würden die friedlichen Absichten der Sowjetunion immer betont,
gleichzeitig dauere aber die Hetze gegen Deutschland an. Mit Frankreich

(2) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 43 und Anm. 2 dazu


• (3) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 312.
(4) Siehe Dokument Nr. 66 und Anm. 2 dazu.

221
Nr. 128 14. DEZEMBER 1933

und Polen werde intim verhandelt. Die deutschen Offiziere seien aus der
Sowjetunion entfernt, dafür kämen polnische und französische Militärs ins
Land. Polen und Frankreich aber seien Nachbarn von Deutschland. Das gebe
Anlaß zum Nachdenken, und ich müßte, wenn ich nun nach Berlin käme,
doch die Aufmerksamkeit meiner Regierung hierauf richten. Außerdem
würde ich, wenn sich Ton Sowjetpresse nicht entschieden ändere, veran-
lassen, daß deutsche Presse ihre bisherige Zurückhaltung gegen Sowjet-
union aufgebe und denselben Ton anschlage wie die hiesige Presse; dies
möchte ich hiermit ausdrücklich gesagt haben. Hierauf einlenkte Litwinow:
es sei durchaus nicht seine Absicht, mich zu entmutigen und unsere Bezie-
hungen noch zu verschlechtern. Er erklärte mir hiermit nochmals offiziell,
daß die Sowjetunion großen Wert auf gute Beziehungen zu Deutschland
lege und keine feindlichen Absichten hege. Immer wieder erwiderte ich, ich
nehme mit Genugtuung diese Erklärung zur Kenntnis und könne für
Deutschland das gleiche erklären. Wenn aber beiderseitig gute Absichten
beständen, müsse auch die Öffentlichkeit entsprechend beeinflußt werden,
und man dürfe sich nicht auf böswillige Informationen berufen, die der
andere nicht kenne. Wir übereinkamen darauf schließlich, unseren Regie-
rungen vorzuschlagen, auf die Presse beruhigend einzuwirken, und sich in
Zukunft im Geiste Berliner Vertrags offen auszusprechen, wenn bei einem
oder dem anderen Informationen vorliegen, die auf angeblich böse Absich-
ten des einen Teils gegen den anderen schließen lassen.
Ich habe dann Litwinow noch auf Stagnation in den Bestellungen und
intransigente Haltung Sowjetregierung in der Dollarfrage5) hingewiesen,
wobei ich Bedeutung großer Bestellungen stark unterstrich. Litwinow ver-
sprach, sich für diese Fragen, deren Einzelheiten er nicht kenne, zu inter-
essieren.6)
NADOLNY
(5) Siehe Dokument Nr. 122, Anm. 3.
(•) Nadolny erörterte den Stand der deutsch-sowjetischen Beziehungen einige Tage später
in Berlin mit Neurath und Bülow. Er führte auch Gespräche mit Blomberg und Reichenau,
in denen Übereinstimmung darüber herrschte, daß der bisherige deutsche Standpunkt
hinsichtlich militärischer Beziehungen zur Sowjetunion beibehalten werden solle. Siehe
Aufzeichnung Meyers vom 21. Dezember (6025/H 046 537-38).

128
6144/E 459 599
Der Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers an den Reichsminister
des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
Rk. 14 233 BERLIN, den 14. Dezember 1933
II Ts. 1669
Der Reichskanzler, der von dem Bericht des deutschen Gesandten in
Prag J ) vom 30. November d. J. (dortige Nummer II Ts. 15912)) über die

• (l) Koch.
(2) Fundort: 9542/E 672 368-71.

222
Nr. 129 14. DEZEMBER 1933

Verfolgung des Sudetendeutschtums, den Sie, Herr Reichsminister, ihm im


Original zugeleitet hatten, Kenntnis genommen hat, hat mich beauftragt,
Sie zu bitten, die erforderlichen Anweisungen zu erteilen, damit innerhalb
Ihres Geschäftsbereichs alles geschieht, um unter Wahrung der aus außen-
politischen Gründen gebotenen Vorsicht der Notlage der Sudetendeutschen
Nationalsozialistischen Partei im allgemeinen und der unter Anklage oder
Verfolgung stehenden Mitglieder im besonderen abzuhelfen. Der Herr
Reichskanzler bringt dem Schicksal der sudetendeutschen Volksgenossen
seine wärmste Anteilnahme entgegen. Er wünscht, daß auch Herr Reichs-
minister Heß als sein Stellvertreter in der Parteileitung und der Herr
Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda,3) denen von hier aus
Abschriften des Berichtes der Gesandtschaft in Prag zugegangen sind, bei
der Beratung der erforderlichen Maßnahmen zugezogen werden, damit eine
Zusammenarbeit aller sachlich beteiligten Stellen gewährleistet ist.
über das Veranlaßte, besonders über die Aussichten und die Durchführ-
barkeit einer wirksamen Hilfsaktion für das nationalsozialistische Sudeten-
deutschtum, wünscht der Herr Reichskanzler unterrichtet zu werden.4)
gez. DR. LAMMERS
• (3) Goebbels.
(4) Siehe Dokument Nr. 132.

129
9572/E 674 633-40
Der Gesandte in Budapest von Mackensen an das Auswärtige Amt
A Nr. 251 P. 24 BUDAPEST, den 14. Dezember 1933
Ankunft: 18. Dezember
VI A. 2907
Im Anschluß an das Telegramm Nr. 63 vom 14. d. M.1)
POLITISCHER BERICHT

Inhalt: Ministerpräsident Gömbös zur Minderheitenfrage.


Ministerpräsident Gömbös hat mich gestern mittag zum Antrittsbesuch
empfangen. Er begrüßte mich mit warmer Herzlichkeit und betonte, er
werde mir stets mit jenem rückhaltlosen Vertrauen begegnen, wie es unter
alten Offizieren üblich sei. Er sei entschlossen, sich jederzeit mit mir über
alle uns berührenden Fragen in vollster Offenheit auszusprechen.
Ich darf darauf verzichten, auf die längeren persönlichen Bemerkungen
einzugehen, zu denen ihm u. a. die Beziehungen meines Vaters zu Ungarn
Veranlassung gaben, über seine kurzen Äußerungen zur allgemeinen
politischen Lage werde ich in anderem Zusammenhange berichten.2)

(i) Fundort: 9582/E 675 082.


(2) Ein solcher Bericht konnte nicht ermittelt werden.

223
Nr. 129 14. DEZEMBER 1933

Der Ministerpräsident legte, wie ich bereits telegrafisch gemeldet habe,


das Schwergewicht bei dieser ersten Begegnung auf die Minderheitenfrage.
Unvermittelt schnitt er sie an, nachdem er noch einmal auf die Notwendig-
keit eines ungezwungenen Meinungsaustauschs gerade über heikle Fragen
hingewiesen hatte.
In Kürze zusammengefaßt, entwickelte der Ministerpräsident, der sich
3
/4 Stunden nur mit dieser Frage befaßte, etwa folgende Gedankengänge:
Die Basis seiner Außenpolitik sei ein wahrhaft freundschaftliches Ver-
hältnis zum Deutschen Reiche. Bei Ausbau und Vertiefung dieses Freund-
schaftsverhältnisses trete noch immer störend die Minderheitenfrage da-
zwischen. Wie er seinerzeit schon dem Herrn Reichskanzler 3 ) und später
dem Herrn Vizekanzler 4 ) gegenüber betont habe, sei sie für ihn - und das
möchte er auch mir gegenüber mit aller Deutlichkeit hervorheben - eine
rein ungarische, niemals eine deutsch-ungarische Frage. Sie berühre das
Verhältnis Ungarns zu seinen eigenen Staatsbürgern, ein Verhältnis, in das
sich kein souveräner Staat von irgendeiner dritten Seite hineinreden lassen
könnte. Diese Bemerkung veranlaßte mich dazu, in ebenso freundlicher wie
bestimmter Form festzustellen, daß er und nicht ich die Initiative zu diesem
Gespräch ergriffen habe. Mir würde es ferngelegen haben - zumal bei einem
Antrittsbesuch -, ihn auf dieses Thema anzusprechen, da ich als Vertreter
einer Regierung vor ihm stünde, die nicht daran denke, durch eine Ein-
mischung in interne ungarische Verhältnisse ihre Beziehungen zu Ungarn
zu belasten. Ich könne jedoch die Offenheit, mit der er das Thema anschnei-
de, gerade im Hinblick auf diese Beziehungen, nur ehrlich begrüßen, denn
ich müsse ihm darin beistimmen, daß die Frage noch immer eine Belastung
unseres Verhältnisses darstelle, wenn auch weniger zwischen den Regie-
rungen als zwischen den Völkern.
Der Ministerpräsident griff das auf und hob hervor, daß ja „unsere ge-
meinsamen Freunde in Paris, Prag usw." ein lebhaftes Interesse hätten,
diese Wunde offen zu halten. Im Grunde handele es sich doch, so fuhr
Herr Gömbös fort, um eine Bagatelle.5) Demgegenüber hob ich hervor, daß
die Unruhe, die die Frage in die deutsch-ungarischen Beziehungen bisher
fortgesetzt hineingetragen habe, mir gerade das Gegenteil zu beweisen
schiene.6) Der Ministerpräsident hielt dem entgegen, daß nach seiner An-
sicht die ganze Minderheitsfrage künstlich aufgebauscht und die Schöpfung
einiger weniger Persönlichkeiten sei, die durch eine Betätigung auf diesem
erst in der Nachkriegszeit erschlossenen Gebiete zu einer politischen Be-
deutung gelangen wollten.7) Er zitierte deutsche Pressestimmen und Äuße-
rungen deutscher Reisender, Wandervögel usw., die hier Reden in pan-
germanistischem Geiste geführt und dadurch in der Bevölkerung lebhafte
Unruhe hervorgerufen hätten. Das sei ein gefährliches Spiel. Er wider-
sprach jedoch nicht, als ich ihm erwiderte, daß es sich dabei doch niemals
um irgendwie bekanntere deutsche Zeitungen, sondern höchstens um Win-

(3) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 329.


• (4) Papen. - Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 440, Anm. 3.
(5) Randbemerkung „?"
*(<) Randbemerkung: , 1 "
*(') Randbemerkung ,?"

224
Nr. 129 14. DEZEMBER 1933

kelblättchen gehandelt habe, die in Deutschland niemand beachte, und um


unverantwortliche Redereien von Privatpersonen, die gerade im Interesse
der berechtigten Forderungen der Minderheit in Berlin auf das schärfste
mißbilligt würden, aber schließlich doch schwer ganz zu verhindern wären.
Exzellenz Gömbös kam alsdann nochmals auf die mir gewidmeten freund-
lichen Begrüßungsworte zurück und sagte, er halte den jetzigen Zeitpunkt
für sehr günstig, die Frage zu einer grundsätzlichen Bereinigung zu führen
und damit für die Dauer aus dem Fragenkomplex der deutsch-ungarischen
Beziehungen auszuschalten. Ich erwiderte ihm, daß er mit diesem Bestreben
den Wünschen und Gedanken des Herrn Reichskanzlers durchaus entgegen-
komme.
Er habe sich entschlossen, so fuhr der Ministerpräsident fort, an den
Herrn Reichskanzler demnächst einen eingehenden, durch statistisches
Material belegten Brief zu schreiben.8) Er habe seine Referenten beauftragt,
diesen Brief so zu entwerfen, als ob er zu seiner - des Ministerpräsidenten -
eigenen und erschöpfenden objektiven Informierung über das Minderhei-
tenproblem bestimmt sei. Leider sei ja ein schon vor Jahren eingeleiteter
Gedankenaustausch zwischen unseren beiden Regierungen über diese
p
rage nicht vorangekommen.
Für Ungarn, so erklärte Herr Gömbös weiter, sei das Problem insofern
von ganz besonderer Bedeutung, als es unmittelbar die Revisionsfrage
berühre. Die deutschstämmigen Minderheiten in den abgetrennten Gebieten
nähmen in der Frage der Rückkehr zu ihrem ungarischen Vaterlande zum
Teil eine höchst bedenkliche Stellung ein. Ich erwiderte ihm, daß nun, wo
er das Thema einmal angeschnitten habe und mit solcher Gründlichkeit be-
handele, ich auch meinerseits ganz offen reden wolle. Er betone mit vollem
Recht den starken inneren Zusammenhang zwischen den ungarischen
Revisionsbestrebungen und der Minderheitenfrage. Gerade weil ich diesen
Zusammenhang absolut bejahe, fehle mir aber der Schlüssel zu dem Ver-
ständnis für die Logik des Verhaltens der ungarischen Regierung. Meines
Erachtens hätte doch die Erkenntnis dieses Zusammenhanges die Ungarn
dahin führen müssen, von der Stunde des Diktates von Trianon an alles zu
tun, um für die im Lande verbliebenen Minderheiten ein Paradies und
damit für die abgetrennten Teile den stärksten Anreiz zu schaffen, sich in
die alten Verhältnisse zurückzusehnen. In Wirklichkeit aber kämen aus
den Reihen der bei Ungarn verbliebenen Minderheiten so lebhafte Klagen,
daß sich, wie ich hörte, die Minderheiten in den abgetrennten Gebietsteilen
vielfach in einer ungleich besseren und gefestigteren Lage fühlten. Herr
Gömbös erwiderte darauf ohne Zögern, dieser Gedankengang sei durchaus
logisch. Der Schlüssel läge jedoch darin, daß die deutschen Minderheiten
hier in Rumpfungarn in Wirklichkeit bereits in einem Paradiese lebten! 8 )
Wenn ich einige Zeit im Lande gewesen sein würde und mir mit eigenen
Augen ein Bild gemacht hätte, würde ich das ohne weiteres zugeben müssen.
Er würde es begrüßen, wenn ich mich über diese Frage auch mit seinem
Minderheitenreferenten persönlich unterhielte. Im übrigen dächten die
Minderheiten selbst nicht daran, so unvernünftige Forderungen zu stellen,

(8) Siehe Dokument Nr. 252.


(») Randbemerkung: .111"

225

11,1 Bg. 15
Nr. 129 14. DEZEMBER 1933

wie sie von einzelnen Hetzern im Lande oder gar von außen her erhoben
würden. Da sei z. B. die Forderung auf Umwandlung von Schulen in den
Typus A, d. h. in den Typus mit rein deutschem Unterricht. Der Einführung
eines solchen Typus' werde er sich aber stets widersetzen, u[nd] zw[ar] im
Interesse der Minderheiten selbst; denn es sei ausgeschlossen, auf diese
Weise ungarische Staatsbürger heranzuziehen, die späterhin auch gehobene
oder gar leitende Stellen einnehmen könnten. Denn dafür werde es ihnen
immer an der erforderlichen Kenntnis der ungarischen Sprache und unga-
rischen Wesens fehlen. Sie würden schon Schwierigkeiten haben, in die
ungarischen Mittel- und höheren Schulen überzugehen. Als ich daraufhin
die Frage der Umwandlung von C- in B-Schulen 10) berührte, bemerkte der
Ministerpräsident - und das scheint mir eine für etwa sich anschließende
Erörterungen sehr bedeutsame Äußerung zu sein -, das sei ganz etwas ande-
res. Dafür sei er stets zu haben. Er wisse aber, daß dieser Typus B von den
Minderheiten selbst nicht gewünscht werde, u[nd] zw[ar] selbst da nicht,
wo an sich die Voraussetzungen dafür gegeben wären. Er könne mir Dörfer
mit deutschstämmiger Bevölkerung vorführen, wo niemals ein derartiger
Wunsch geäußert worden sei. Ich erwiderte ihm, daß nach meiner, freilich
noch nicht auf eigener Anschauung, aber doch auf verbürgtem Material
beruhenden Kenntnis der Dinge die Sache etwas anders liege. So entsänne
ich mich z. B., daß die ungarische Regierung vor einigen Jahren, zu
Bethlenscher Zeit, einmal die Umwandlung einer ganzen Reihe von C-
Schulen in B-Schulen zugesagt hätte. Soweit ich wisse, habe es sich damals
um 45 gehandelt. Tatsächlich sei aber nur ein verschwindender Teil umge-
wandelt worden. Herr Gömbös erwiderte darauf nur, daß ihm das nicht
bekannt sei.11) Im übrigen werde er ja dafür sorgen, daß sein Brief an den
Herrn Reichskanzler hinsichtlich der tatsächlichen Verhältnisse volle Klar-
heit schaffe.
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß der Ministerpräsident im Zu-
sammenhange mit den Äußerungen über die Behandlung der Minderheiten-
frage durch einzelne Persönlichkeiten auch die Person Bleyers 12) streifte
und insbesondere seine taktische Geschicklichkeit und die Zweckmäßigkeit
der Art seines Vorgehens in Zweifel zog. Demgegenüber habe ich festge-
stellt, daß die gesamte mir zu Gesicht gekommene ungarische Presse, ein-
schließlich der Blätter, die in starker Opposition zu Bleyer gestanden hät-
ten, bei seinem Tode eines einmütig anerkannt hätte, nämlich, daß er ein
durchaus treuer ungarischer Staatsbürger gewesen sei und keine dem

(10) Die ungarische Regierung hatte, in Ausfüllung ihrer unter dem Vertrag von Trianon
hinsichtlich des Minderheitenschutzes übernommenen Verpflichtungen, im Jahre 1923
die Einrichtung von drei verschiedenen Grundschultypen in Gebieten mit nationalen
Minderheiten angeordnet. In den Schulen des sog. Typs A war Ungarisch Pflichtfach,
alle anderen Fächer wurden in der Sprache der jeweiligen Minderheit unterrichtet. In
den Schulen des Typs B wurde der Unterricht in Lesen, Schreiben und Rechnen in
beiden Sprachen, in Geschichte, Erdkunde und Staatsbürgerkunde auf ungarisch und in
allen übrigen Fächern in der Sprache der Minderheit abgehalten. In den Schulen des
Typs C war die Sprache der Minderheit Pflichtfach, Lesen und Schreiben wurden in
beiden Sprachen und alle anderen Fächer auf ungarisch unterrichtet
(ii) Randbemerkung: „I"
(12) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 400.

226
Nr. 130 15. DEZEMBER 1933

Bestand des ungarischen Staates abträgliche Politik, sondern nur kulturelle


Ziele verfolgt habe.
Der Ministerpräsident schloß die Unterhaltung, so weit sie die Minder-
heitenfrage betraf, mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß man auf dem von
ihm beabsichtigten Wege vorwärts kommen werde. Ohne daß er es klar
aussprach, hatte ich den Eindruck, daß er sich die weitere Entwicklung etwa
in einer Aufnahme der seinerzeit beabsichtigten, aber nicht zur Durch-
führung gelangten Gespräche Solf-Teleki13) denkt. Erst die Kenntnis des
angekündigten Briefes wird uns gestatten, über unser weiteres Verhalten
schlüssig zu werden.
Meinerseits habe ich am Schluß der Unterhaltung noch einmal festgestellt,
daß die Initiative zu ihr nicht von mir ausgegangen sei.14)
gez. v. MACKENSEN

(13) In einem Briefwechsel, der im Mai und Juni 1932 zwischen Solf und Teleki geführt
worden war, waren Gespräche zwischen deutsehen und ungarischen Privatpersonen
über Angelegenheiten gemeinsamen Interesses beider Länder in Aussicht genommen
worden. Abschriften dieser Briefe wurden einer Weisung des Auswärtigen Amts an
die Gesandtschaft in Budapest vom 8. Juni 1932 (M 76/M 002 911-16) beigefügt.
(14) Randvermerk: ,H[errn] Roediger Abtlg. VI. Könnten H[err] Hüffer und ich uns über
die angeschnittenen Fragen Anfang Januar mit Ihnen unterhalten? Renthe-Fink 23. 12."

130
6697/H 105 158-60
Der Botschafter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt
I 1765 III ROM, den 15. Dezember 1933
Ankunft: 18. Dezember
IV Ru. 5528
Im Anschluß an den Bericht vom 6. d. M. - 11765II.1)
POLITISCHER BERICHT

Inhalt: Nachklänge zum Litwinow-Besuch.


Zum Litwinowbesuch in Rom ist auf Grund weiterer Informationen aus
guter Quelle, die mir eigene Unterhaltungen mit dem Sowjetbotschafter
Potemkin bestätigt haben, noch folgendes nachzutragen:
Der Besuch hat hier keinen sonderlichen Eindruck hinterlassen. Litwinow
hat sich anscheinend bei den Besprechungen mit Mussolini stark zurück-
gehalten. Hinsichtlich der Besserung des deutsch-russischen Verhältnisses,
die Mussolini als dringend wünschenswert bezeichnet hat, scheint Litwinow
sich darauf beschränkt zu haben zu erklären, niemand bedauere es mehr
als Rußland, daß die in einem Jahrzehnt bewährte Rapallo-Politik sich fest-

(1) In diesem Bericht (6697'H 105 139-49) hatte Hassell den Verlauf des Besuchs Litwinows
in Rom vom 2. bis 5. Dezember geschildert.

227
Nr. 130 15. DEZEMBER 1933

gefahren habe und Rußland an die Seite des ihm innerlich fremden kapitali-
stischen Frankreich gedrängt worden sei. Es werde Deutschlands Sache sein,
die Initiative zu ergreifen, um das deutsch-russische Verhältnis wieder
wärmer zu gestalten, Rußland werde solche ausgestreckte Hand nicht zu-
rückweisen. Vorläufig müsse man aber der deutschen Ostpolitik mit dem
stärksten Mißtrauen begegnen, da zahlreiche Anzeichen dafür sprächen,
daß Deutschland nach Herbeiführung einer Verständigung mit Polen im
Falle eines russisch-japanischen Krieges Rußland angreifen werde. Von
dieser Sorge habe sich Litwinow nicht abbringen lassen. Es wird hier auch
darauf hingewiesen, daß der russische Pressedienst am Vorabend des Be-
suchs Litwinows in Rom neue Enthüllungen über angebliche deutsche
Annektionspläne im Osten (Ukraine usw.) gebracht habe, die fraglos be-
stellte Arbeit gewesen seien, (übrigens sind diese Sensationsmeldungen
auch von der italienischen Presse abgedruckt worden.) Man hat hier stark
den Eindruck gewonnen, daß Rußland sich vor Deutschland fürchtet und des-
halb im Grunde einer Verständigung nicht abgeneigt wäre. Die Behandlung
der Judenfrage in Deutschland spielt, wie man hier annimmt, bei der
Animosität der maßgebenden russischen Kreise gegen Deutschland nur
eine untergeordnete Rolle; insbesondere sei der allen Ressentiments un-
zugängliche Litwinow viel zu sehr Realpolitiker, als daß er sich von der-
gleichen Motiven auf die Dauer maßgebend beeinflussen lasse.2)
Bei weitem im Vordergrund steht für die russische Außenpolitik gegen-
wärtig offenbar die Entwicklung der Dinge im Fernen Osten, die, wie man
hier festgestellt hat, Litwinow mit der größten Sorge erfüllt. Er hat Musso-
lini erklärt, daß Japan es offensichtlich auf eine kriegerische Auseinander-
setzung ankommen lassen wolle. Rußland werde diese allein auszufechten
haben, da mit einem bewaffneten Eingreifen Amerikas nicht zu rechnen sei.
Aus dieser, fast zu einer Art Psychose gesteigerten Besorgnis der Russen
erklärt man sich hier auch die starke Zurückhaltung Litwinows gegenüber
den brennenden Fragen der europäischen Politik. Rußland verfolge, wie
man hier annimmt, in Europa im Augenblick kein anderes Ziel als die
Sicherstellung seiner Westfront, um sein ganzes Augenmerk auf die Gefahr
im Osten richten zu können. Daher seien Völkerbunds- und Abrüstungs-
frage für die russische Politik Probleme der zweiten Linie. So sei es auch
ganz falsch, den Besuch des russischen Außenministers in Rom mit neuen
europäischen Kombinationen mit Einschluß Rußlands in Zusammenhang zu
bringen. Wie Mussolini keine Erweiterung des Viererpakts wünsche, die
dem Vertrag seine Eigenart nehmen würde, so lehne auch Litwinow der-
gleichen Möglichkeiten - zur Zeit wenigstens - entschieden ab. Rußland
wünsche Frieden und Sicherheit im Westen, aber keine weiteren politischen
Bindungen in Europa und behandle daher auch die Frage des Eintritts in
den Völkerbund als völlig akademisch.
Der Gesamteindruck, den der Besuch hinterlassen hat, bleibt der eines
unverbindlichen und von keinen unmittelbaren praktischen Folgen be-
gleiteten Meinungsaustausches zwischen den leitenden Staatsmännern. Ob
es Mussolini gelungen ist, Litwinow vor zu enger Verbindung mit der

(2) Randbemerkung Neuraths: «Das Gegenteil hat L[itwinow] mir selbst zugegeben."

228
Nr. 131 16. DEZEMBER 1933

Kleinen Entente wirksam zu w a r n e n und ihn zu bewegen, auf Tewfik


Ruschdi Bei entsprechend einzuwirken, ist heute noch nicht zu beurteilen.
Als stimmungsmäßiges Plus bleibt lediglich die G e n u g t u u n g darüber b e -
stehen, daß Litwinow nicht über Paris, sondern über Rom heimgereist ist.
HASSELL

131
2945/D 575 893-94

Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath

BERLIN, den 16. Dezember 1933


RM. 1737

Der polnische Gesandte suchte mich heute auf, um einige Vorfragen über
u n s e r e n Erklärungsentwurf 1 ) zu stellen. Er sagte: die von uns vorgeschla-
gene Form h a b e in Warschau zunächst etwas Erstaunen hervorgerufen, bei
Marschall Pilsudski jedoch, der ein Gegner aller P a r a g r a p h e n sei, freudige
Zustimmung gefunden. Prinzipielle Einwendungen gegen die Form h a b e
man in Warschau nicht zu machen.
Der in der Erklärung zitierte Locarno-Schiedsvertrag mit Polen e r w ä h n e
bei verschiedenen Gelegenheiten den Völkerbund, insbesondere sei in
einem Fall der Völkerbundsrat als Instanz vorgesehen. Die polnische Regie-
rung möchte gerne wissen, wie wir uns dies in Zukunft dächten, nachdem
wir aus dem Völkerbund ausgetreten seien. Herr von Lipski ließ dabei ein-
fließen, daß man in Warschau die Kellogg-Pakt-Idee bevorzuge.
Im Abschnitt IV der Erklärung sei sodann die Rede von einem even-
tuellen Schiedsverfahren, falls sich eine Einigung auf diplomatischem W e g e
nicht erzielen lasse. Die polnische Regierung w ü r d e gerne erfahren, w i e
das gemeint sei.
Ich h a b e Herrn von Lipski gebeten, sich mit H e r r n Min.Dir. Gaus zur
Beantwortung dieser Frage in Verbindung zu setzen, und ihm dann nur
noch gesagt, daß wir es begrüßen würden, w e n n die Prüfung der polnischen
Regierung mit tunlichster Beschleunigung geführt w e r d e n könnte. 2 )
v. N[EURATH]

(1) Siehe D o k u m e n t Nr. 81, A n l a g e .


(2) Gaus v e r m e r k t e in einer Aufzeichnung vom 20. Dezember (2945/D 575 895), er h a b e mit
Lipski d e n in der V o r l a g e angesprochenen Punkt diskutiert. Lipski habe ihn a u ß e r d e m
gefragt, welche Bedeutung d e m Sehlußabsatz des deutsehen Entwurfs zukomme, w o v o n
einer Bindung der beiden Regierungen für einen Zeitraum v o n . m i n d e s t e n s " zehn
J a h r e n die Rede sei. Er, G a u s , habe Lipski zu v e r s t e h e n gegeben, . d a ß meiner Ansicht
nach die Reichsregierung w o h l geneigt sein werde, an d e n beiden von ihm e r w ä h n t e n
Stellen u n s e r e r E r k l ä r u n g die Fassung etwas zu ä n d e r n . So k ö n n e m a n unter Um-
s t ä n d e n die Bezugnahme auf den deutsch-polnischen Schiedsvertrag vielleicht ganz
fortlassen u n d k ö n n e auch das W o r t .mindestens' durch eine a n d e r e Fassung e r s e t z e n " .

229
Nr. 132 17. DEZEMBER 1933

132
9556/E 672 734-40
Der Gesandte in Prag Koch an das Auswärtige Amt
Eilt sehr PRAG, den 17. Dezember 1933
A III 2 f. Ankunft: 19. Dezember
II Ts. 1705
Auf anderweitigen Erlaß Nr. 101 vom 16. Dezember.1)
POLITISCHER BERICHT
Inh[alt]: Hilfsaktion für die sudetendeutschen Nationalsozialisten.
I. Der Gedanke, wie man vom Reich aus der Notlage, in der sich die
sudetendeutschen Nationalsozialisten befinden, einigermaßen abhelfen
könne, beschäftigt die Gesandtschaft unausgesetzt und ist von ihr auch zum
Gegenstand des Meinungsaustausches mit dem in voriger Woche verstor-
benen Führer Knirsch gemacht worden. Die Schwierigkeiten und Gefahren -
Gefahren für die, denen man helfen willl - sind aber so ungeheuer, daß
jeder Schritt mit äußerster Behutsamkeit getan werden muß. Das Elend, in
dem die sudetendeutschen Nationalsozialisten jetzt sitzen, ist zu einem sehr
beträchtlichen Teil auf unbedachte Sympathiebeweise unvorsichtiger und
ahnungsloser Leute im Reich, auf Briefschreibereien, Sendung von Propa-
gandamaterial, Solidaritätserklärungen über die Grenze zurückzuführen.
Wohl hat der Herr Reichskanzler dem Führer Knirsch, wie dieser mir sagte,
das weise Wort auf den Weg mitgegeben: Die Sudetendeutschen sollten
ihre eigene Politik machen, das Reich könne ihnen auf lange Zeit hinaus
nicht helfen. Wäre dieser Ausspruch mit dem nötigen Nachdruck von den
hiesigen Führern in der Partei bis unten durchgegeben worden, so wäre
manches anders gekommen. Nun gilt es wenigstens, das Übel nicht noch zu
verschlimmern und aus den Fehlern, die andere in bester Absicht gemacht
haben, zu lernen. Ich bitte daher die folgenden Gesichtspunkte an die Spitze
meines Berichts stellen zu dürfen.
1.) Eine Hilfsaktion kann im Augenblick nur finanzieller Natur sein.
Alles andere wäre ein wahrer Bärendienst für die Betroffenen. Aber auch
die finanzielle Hilfe müßte mit vollkommen abgeblendeten Lichtern fahren.
Wenn die Tschechen und die feindlich gesinnten Sudetendeutschen das
geringste davon erfahren, schlägt die Aktion zum schweren Nachteil der
hiesigen Nationalsozialisten aus. In den nächsten Monaten muß mit der
gerichtlichen Aburteilung von etwa 300 sudetendeutschen Nationalsozia-
listen gerechnet werden. Wenn irgendwie ruchbar wird, daß aus Deutsch-
land Unterstützungen hereinfließen, haben die Staatsanwälte gewonnenes
Spiel. Der Beweis der Zusammenarbeit mit der NSDAP im Reich gilt dann
vor den Gerichten als erbracht. Er wird zu der weiteren Unterstellung füh-
ren, daß schon bisher die ganze Bewegung mit Geldern aus dem Reich
finanziert worden ist, und die Strafen, die erkannt werden, werden um
vieles härter ausfallen.
2.) Die Tschechen sind schon hellhörig gemacht: Während die Gesandt-

(l) Fundort: 9542/E 672 367.

230
Nr. 132 17. DEZEMBER 1933

schaft erst heute Nachricht über die in Berlin bestehenden Absichten erhält,
brachte der Vecer bereits in seiner Ausgabe vom 12. d. M. eine ausführliche
Nachricht über eine in Deutschland geplante Hilfsaktion zugunsten der auf-
gelösten Nationalsozialistischen Partei in der Tschechoslowakei.
3.) Die Aktion wird schon deswegen sehr schwer durchzuführen sein,
weil die Partei völlig atomisiert ist. Die Führer sind entweder tot (Knirsch)
oder flüchtig (Krebs) oder im Gefängnis (Jung, Kasper usw.). Die Presse ist
restlos unterdrückt. Die Parteimitglieder haben sich in allen Winkeln ver-
krochen. Das Treibholz, das sich um die Partei angelegt hatte, ist bereits
nach verschiedenen Richtungen (Heimatfront, Landbundjugend, Kamerad-
schaftspartei) abgeschwommen. Dazu sitzen überall Verräter, die Konjunk-
turpolitik treiben; keiner traut dem andern. Knirsch hat uns vor seinem
Tode vier Männer genannt, die er als die Liquidatoren der Partei und als
treu und zuverlässig bezeichnete; ich füge ihre Namen auf einem beson-
deren Bogen bei.2) Ihre Benennung ist angeblich noch auf einen Parteivor-
standsbeschluß zurückzuführen. Die Gesandtschaft kennt sie nicht genauer.
Will man die Hilfsaktion durchführen, so muß man ihnen unbegrenztes
Vertrauen schenken und das nötige Geld unter Verzicht auf jede Rech-
nungslegung in ihre Hände legen. Aber wer kann wissen, ob nicht die
Häscher schon hinter ihnen her sind? Unter scharfer Bewachung stehen sie
sicher schon; die ihnen anvertrauten Summen können jeden Augenblick
verloren sein.
4.) Eine weitere sehr ernste Verschärfung bilden die strengen Devisen-
bestimmungen. Alles Geld, dessen inländische Herkunft nicht zweifelsfrei
nachzuweisen ist, verfällt, auch wenn es lediglich zu humanitären Zwecken
bestimmt ist, der Beschlagnahme. Hereinkommen wird das Geld kaum auf
andere Weise können als mit dem Kurier. Die verhängnisvollen Folgen, die
sich daraus möglicherweise für die Gesandtschaft ergeben, liegen auf der
Hand, müssen aber getragen werden.
5.) Im übrigen müßte sich die Hilfsaktion zwischen der Partei und den
Vertrauensleuten abspielen. Sobald irgendwo die Beteiligung einer offiziel-
len Stelle des Reichs durchscheinen würde, wäre die unzulässige Ein-
mischung in innerpolitische Verhältnisse gegeben und die tschechische
Regierung hätte einen vorzüglichen Rechtstitel, sich nunmehr ganz und
offen auf die Seite der Emigranten zu schlagen. Eine Mitwirkung der Ge-
sandtschaft, abgesehen von der Vermittlung des Geldes, käme kaum in
Frage. Wohl aber stelle ich zur Erwägung, ihr eine Summe (3000 RM) für
die Linderung von Notfällen, die zu ihrer Kenntnis kommen und denen sie
jetzt in Ermangelung von Mitteln machtlos gegenüber steht, an die Hand
zu geben; an eine „Anweisung" an die Vertrauensleute oder gar an irgend-
einen regelmäßigen „Rechtshilfeverkehr" mit diesen kann nicht gedacht
werden.
6.) Es ist wohl selbstverständlich, daß die gleiche Hilfe, die den Sudeten-
deutschen geleistet wird, auch den wegen ihrer nationalsozialistischen
Gesinnung verfolgten Reichsdeutschen geboten werden muß. Hier könnte

'(2) Nicht ermittelt. Am Rande der Vorlage sind in der Handschrift Hüffers folgende Namen
aufgeführt: .Abgeordneter Sims [Simm], R(edits]a[nwalt| Kreißl, Redakt[eur) Karg
(Dux), Verbandsdir[ektor) Bachmann (Dux)."

231
Nr. 132 17. DEZEMBER 1933

die Gesandtschaft, da es sich um ihre Schutzbefohlenen handelt, tätig wer-


den, sofern ihr Mittel zur Verfügung stehen (Punkt 5).3)
IL Die Anregungen, die ich für die Art und den Umfang der Hilfsaktion
im Augenblick geben kann, sind nur provisorisch. Eine vorgängige Einver-
nahme mit einem der Vertrauensleute ist dazu notwendig, die nur unter
Vorsichtsmaßregeln am dritten Orte durch ein Mitglied der Gesandtschaft
vorgenommen werden kann. Sie wird im Laufe der Woche erfolgen.
1.) Der dringendste Punkt, in dem geholfen werden muß, scheint mir der
folgende zu sein, wobei ich bemerke, daß ich darüber keinerlei Unterlagen
habe. Möglicherweise ist die Sache den Parteiinstanzen längst und besser
bekannt als mir. Als die Partei seinerzeit die Kaution für Krebs (200 000 Kc.)
aufbrachte und ihre Zeitung, den Duxer Tag, ausbauen mußte, nahm sie in
der sicheren Voraussetzung, das Geld von der Parteileitung im Reiche
wiederzubekommen, 600 000 Kc. aus der Kasse der nationalsozialistischen
Gewerkschaft. Wenn dieses Manko nicht alsbald gedeckt wird, besteht die
große Gefahr, daß die verantwortlichen Gewerkschaftsleiter, insbesondere
der in Haft befindliche Abgeordnete Kasper, vor dem Strafrichter wegen
dieses Deliktes zur Rechenschaft gezogen werden. Das würde den ganzen
Prozeß von der politischen Ebene herab auf das Niveau des gemeinen Straf-
verfahrens ziehen, ganz abgesehen von der Wirkung auf die geschädigten
Arbeiter. Die Gewerkschaft ist von der Regierung aufgelöst worden; aber
es scheint, daß der Fehlbetrag noch nicht entdeckt worden ist, so daß eine
Reparatur noch möglich ist. Stimmen diese meine Angaben, wofür ich keine
Sicherheit erbringen kann und worüber ich einen Vertrauensmann befragen
lassen werde, so wäre hier wirksame Hilfe am Platze. Kostenpunkt:
75 000 RM.
2.) Die nächste Frage ist, was für die in Haft befindlichen Parteimitglie-
der getan werden kann. Hier ergibt sich zunächst eine große Schwierigkeit:
Keine Stelle außer der tschechoslowakischen Regierung weiß, wer wegen
politischer Delikte in Haft sitzt und wo er sitzt. Die Partei hat keine Unter-
lagen mehr; selbst die Mitgliederverzeichnisse sind ihr weggenommen
worden. Man kann also nur in den Fällen helfen, von denen die Vertrauens-
leute zufällig Kenntnis haben. In erster Reihe stehen dabei natürlich die
5 Parteifunktionäre, die in Untersuchungshaft in Pankras sind. Darüber-
hinaus sollen aber noch viele Hunderte sich in Haft befinden, und zwar in
allen Teilen des Landes; mehr wie ein Bruchteil von ihnen wird kaum aus-
findig zu machen sein, zumal der schriftliche Weg der Erkundung wegen
Aufhebung des Briefgeheimnisses fast ungangbar ist.
a) Eine persönliche Erleichterung der Haft ist nach den Gefängnisvor-
schriften nicht angängig. Ein paar Zigaretten und etwas Schokolade jede
Woche, das ist alles, was zugelassen wird. Die Gesandtschaft hat in dieser
Beziehung schon bisher für die Parteifunktionäre gesorgt; die Kosten sind
unwesentlich.
b) Viel beschäftigt die Verhafteten der Gedanke, wie sie die Kosten der
Verteidigung aufbringen sollen. Die Rechnungen der Rechtsanwälte haben

(3) Köpke informierte Koch in Telegramm Nr. 104 vom 19. Dezember (9556/E 672 747), daß
der Gesandtschaft in Prag für die in Punkt 5 und 6 der Vorlage vorgeschlagenen Zwecke
10 000 RM zur freien Verfügung überwiesen würden. Siehe auch Dokument Nr. 137.

232
Nr. 133 DEZEMBER 1933

hier viel weiteren Spielraum als im Reich, was sich natürlich nur nach oben
auswirkt. Ein paar tausend Kc. für eine Verteidigung sind hier bald aufge-
laufen. Ich würde es für eine große Wohltat halten, wenn man die einge-
kerkerten Parteigenossen über diesen Kummer hinaushöbe, indem man
ihnen die Übernahme der Verteidigungskosten durch eine dritte Stelle in
Aussicht stellte. In vielen Fällen macht man erst hierdurch die Annahme
eines Verteidigers möglich, wobei natürlich zur Zeit ein Kostenvorschuß,
der Rest erst nach Beendigung des Prozesses zu leisten wäre. Ich möchte die
entstehenden Ausgaben nicht unterschätzen-, 15 000 RM könnten immerhin
zusammenkommen.
c) Am schwersten lastet auf den Verhafteten die Sorge, was aus ihren
Familien werden soll. Die gleiche Sorge haben alle, die bisher von der
Partei besoldet wurden. Auch die Frau des verstorbenen Parteiführers
Knirsch ist vis-ä-vis de rien, und mindestens ein Teil der obengenannten
Vertrauensleute dürfte auch ohne alle Subsistenzmittel sein. Hier müßte
geholfen werden. Die drei in Haft befindlichen Abgeordneten haben bisher
ihre Diäten gehabt; vom 1. Januar an werden ihre Familien in größte Not
kommen. Die sonstigen Fälle sind von hier aus nicht zu überblicken; aber
an die Vertrauensleute werden sicher genügend Fälle herangebracht wer-
den. Vielleicht gibt man ihnen zunächst einmal zur Stillung der bittersten
Not versuchsweise monatlich 5000 RM, bis die Vertrauensleute einige Er-
fahrung haben. An irgendwelche Abrechnung ist natürlich bei der ständigen
Gefahr der Haussuchung nicht zu denken.
Auf diese Vorschläge muß ich mich heute beschränken. Ich glaube nicht,
daß es möglich sein wird, über diesen Kreis hinauszugehen und die Not im
Lande draußen, wo Nationalsozialisten gemaßregelt worden sind und ihren
Arbeitsplatz verloren haben, in den Kreis der Hilfsaktion zu ziehen. Man
muß immer bedenken, die sudetendeutsche DNSAP ist heute kein exakter
Begriff mehr; niemand weiß sicher, wer dazu gehört. Auch ist an eine Ge-
heimhaltung solcher Hilfeleistung bei Leuten, die mit Sozialdemokraten und
Kommunisten Wand an Wand wohnen, gar nicht zu denken. Wird aber die
Unterstützung aus dem Reich bekannt, so wird der Betreffende verhaftet
und nach dem Republikschutzgesetz verfolgt, kommt also in noch größere
Not. So wird Wohltat Plage.
gez. DR. KOCH

133
8115/E 580 217-25
Aulzeichnung ohne Unterschriftl)
II Vat. 22
Am 18. Dezember 1933 wurde ich vormittags 10 Uhr vom Kardinalstaats-
sekretär empfangen und hatte eine Unterredung, die bis 11.45 Uhr dauerte.
*(l) Diese undatierte Aufzeichnung wurde mit Begleitschreiben vom 9. Januar 1934
(8115/E 580 212) von Buttmann an Neurath übermittelt. Das Begleitschreiben sowie die
Vorlage und die Dokumente Nr. 135 und 136 tragen die Journalnummer II Vat. 22.

233
Nr. 133 DEZEMBER 1933

Vom Herrn Botschafter beim Heiligen Stuhl war ich darauf aufmerksam
gemacht worden, daß im Vatikan darüber starke Verstimmung herrsche, daß
das mir am 29. Oktober überreichte Protokoll 2 ) noch nicht unterzeichnet
und eine Antwort an den Heiligen Stuhl nicht erfolgt sei.3) Ich eröffnete
daher die Unterredung damit, daß ich erklärte, ich bäte den Herrn Kardinal,
meinen heutigen Besuch nicht als eine Fortsetzung der Besprechungen vom
Oktober zu betrachten, sondern lediglich als den Ausdruck meines Willens,
die durch unser Schweigen etwa entstandenen Befürchtungen zu zerstreuen,
als beabsichtige die Reichsregierung, die Beantwortung der an sie gerichte-
ten Fragen zu unterlassen. Freilich sei der Führer der Meinung, daß die
Fragen der Auslegung und des Vollzugs des Reichskonkordats am besten
im Zusammenhang mit den ohnehin in nächster Zeit bevorstehenden Ver-
handlungen über ein neues Reichskonkordat beantwortet würden.
Pacelli: Ich habe Ihr Schweigen nicht als Mangel an Courtoisie empfun-
den, aber ich freue mich doch sehr, daß Sie persönlich hierhergekommen
sind, um die Verzögerung einer Antwort zu erklären. Der Heilige Vater 4 )
ist über die Lage in Deutschland sehr beunruhigt. Er hat mir heute morgen,
nachdem er längere Zeit über die Klagen aus Deutschland kein Wort ge-
äußert hat, gesagt, er müsse in seiner Weihnachtsallokution unbedingt auf
Deutschland zu sprechen kommen, zumal es die erste öffentliche Rede des
Papstes seit dem Abschluß des Reichskonkordats ist. Wenn ich, fuhr Pacelli
fort, Seiner Heiligkeit nur irgend etwas Erfreuliches vorlegen könnte, so
glaube ich, daß die Stimmung des Papstes dadurch verbessert würde.
Meine Antwort: Wäre der unglückselige Wahlaufruf der bayerischen
Bischöfe 5) anders ausgefallen oder überhaupt unterblieben, so wären wir
heute zweifellos weiter. Die Stimmung des Herrn Reichskanzlers hat durch
diese Verlautbarungen eine starke Trübung erfahren. Ich persönlich war
peinlich überrascht von den Wendungen, die die bayerischen Bischöfe ge-
brauchten.
Pacelli: Die bayerischen Bischöfe sind in einer außerordentlich heiklen
Lage. In Bayern wird so viel über den mangelhaften Vollzug des Konkor-
dats geklagt, und man macht in weiten Kreisen den Bischöfen den Vorwurf,
sie nähmen alles schweigend hin.
Meine Antwort: Kein Wahlaufruf wäre besser gewesen als dieser. Der
von Herrn Erzbischof Gröber vorgelegte Entwurf enthält nichts von der
Unterscheidung zwischen der Volksabstimmung und der Reichstagswahl.
Gerade diese Unterscheidung aber, die fast einer Empfehlung, die Reichstags-
liste abzulehnen, gleichkommt, hat beim Führer das stärkste Befremden
erregt. Das Wahlergebnis des 12. November aber hat die Autorität der
Bischöfe gewiß nicht gestärkt; denn das Wahlergebnis, auch in den über-
wiegend katholischen Gegenden übertraf selbst unsere kühnsten Erwar-

(2) Siehe Dokument Nr. 17, Anm. 3.


(3) Siehe Dokument Nr. 98.
• (4) Pius XI.
*(5) Eine ungefilmte Abschrift des Aufrufs befindet sich in den Akten der Abteilung II,
Vatikan Politik 2 Nr. 1: Abschluß von Konkordaten mit Deutschland und deutschen
Ländern (außer Preußen), Bd. 12. Eine französische Übersetzung ist abgedruckt in
D'Harcourt, Catholiques d'Allemagne, S. 183-84.

234
Nr. 133 DEZEMBER 1933

tungen. Deutschland ist heute vollkommen nationalsozialistisch. Lediglich


die kommunistischen Verbrecher halten sich abseits. Daß da Erzbischof
Bertram und die bayerischen Bischöfe mit ihren Vorbehalten nicht beson-
ders glücklich wirken, brauche ich Euerer Eminenz nicht zu versichern.
Pacelli: Sie glauben nicht, wie die Bischöfe mit Klagen bestürmt werden
und wie der Heilige Vater bekümmert über die Entwicklung in Deutschland
ist.
Meine Antwort: Wenn hierunter die Entwicklung außerhalb der katho-
lischen Kirche verstanden wird, so sehe ich für die Kirche keine augen-
blickliche Gefahr in dieser Entwicklung. In der achristlichen Bewegung
sammeln sich alle diejenigen, die bewußt mit dem Christentum brechen
wollen. Und auch innerhalb der protestantischen Kirche zeigen sich keine
Erscheinungen, die die römische Kirche beunruhigen könnten.
Pacelli: Wir fürchten sehr, daß eine deutsche Religion aufkommen könnte.
Meine Antwort: Die katholische Kirche ist eine Kirche der Autorität.
Wenn diese Autorität nicht in Widerspruch mit der von allen Deutschen
aufs höchste verehrten Autorität der Staatsführung kommt, so ist keine
Bedrohung der Kirche zu fürchten.
Pacelli: Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf eine merkwürdige Tatsache
lenken: Sie kennen die Note, die ich im Auftrag des Papstes an den Herrn
bayerischen Gesandten beim Heiligen Stuhl gerichtet habe.6) Die Note ist
nunmehr beantwortet worden, und in dieser Antwort wird bestritten, daß
ein Verbot, den Aufruf der bayerischen Bischöfe zur Wahl von den Kanzeln
zu verlesen, von der bayerischen Regierung erlassen worden sei.7) Ich habe
aber hier einen Durchschlag des am 11. November an den bayerischen
Episkopat ergangenen Verbotes, das die gleiche Unterschrift wie die Ant-
wortnote trägt, nämlich die des Herrn bayerischen Ministerpräsidenten. 8 )
Meine Antwort: Ich werde mit dem Herrn bayerischen Ministerpräsiden-
ten über diese Angelegenheit sprechen. Ich kenne ihn als einen Mann, der
durchaus zu dem steht, was er getan hat. - Pacelli zeigte mir den Durch-
schlag der bayerischen Verfügung vom 11. November.
Pacelli: Ich bedauere außerordentlich, daß die Ausführung des Arti-
kel 31, nämlich die Herstellung der Liste der zugelassenen Organisationen,
sich solange hinauszögert. Ich habe geglaubt, daß diese Liste sehr viel
schneller fertig würde.
Meine Antwort: Es hat sich bei der Ausführung des Abs. 3 von Artikel 31
die außerordentliche Schwierigkeit gezeigt, den Geist des Mißtrauens zu
überwinden. An der Spitze der Vereine stehen vielfach noch heute die

(•) Schreiben Pacellis vom 25. November an Ritter zu Groenesteyn (6153/E 460 949-54). Eine
Abschrift der Note war vom Kardinalstaatssekretär am 26. November Bergen zugestellt
worden, der sie am 4. Dezember dem Auswärtigen Amt übermittelt hatte (6153/E 460
947-48).
(?) Eine Abschrift der bayerischen Antwortnote vom 14. Dezember wurde am 21. Dezember
von Bergen dem Auswärtigen Amt übermittelt (6153/E 460 977-85).
(8) In seiner Antwort vom 19. Dezember (6153/E 460 989-94) auf die bayerische Note vom
14. Dezember zitierte Pacelli den Wortlaut der Weisung des bayerischen Minister-
präsidenten Siebert an die Polizeidirektion in München.

235
Nr. 133 DEZEMBER 1933

gleichen Männer, die jahrzehntelang Präsides waren und die unsere Be-
wegung 13 Jahre lang stark bekämpft haben. Das Reich hat heute noch
nicht die Polizeihoheit wie bei den Ländern, und die Oberpräsidenten er-
klären, die Verantwortung für die öffentliche Ruhe und Ordnung nicht
übernehmen zu können, wenn unter dem Namen der katholischen Vereine
der politische Katholizismus von den gleichen Führern weiterorganisiert
wird. Ich halte es im Interesse der katholischen Kirche selbst für besser,
wenn Sie hier eine Erneuerung der Führung veranlassen wollten und die
von Erzbischof Gröber m. E. begrüßte Vereinheitlichung des katholischen
Vereinslebens nach vier bis fünf großen Gruppen durchführen würden.
Pacelli erklärte, eine Antwort auf diese Anregung sich vorbehalten zu
müssen.
Pacelli: Eine weitere unangenehme Angelegenheit ist die Veröffentli-
chung von Aufsätzen über das Konkordat in der deutschen Monatsschrift
Die Tat.
Meine Antwort: Ich kenne diese Aufsätze. Ich habe ein Verbot der Zeit-
schrift erwogen,9) es aber bei einer bloßen Verwarnung bewenden lassen,
weil die Zeitschrift, die in der Ära Schleicher in Deutschland eine große
Rolle spielte, seit der Machtergreifung des Führers an Bedeutung außer-
ordentlich verloren hat und durch ein Verbot für sie nur Reklame gemacht
würde. Artikel in Zeitungen und Zeitschriften sollten weder auf Ihrer noch
auf unserer Seite in ihrer Bedeutung überschätzt werden, seien es deutsche
oder italienische oder Organe eines anderen Landes.
Pacelli: Gestatten Sie mir eine Frage, die nicht eigentlich die Reichs-
regierung betrifft, noch anzuschneiden: die Wahl des Berliner Domkapitels
ist auf den Bischof Dr. Bares von Hildesheim gefallen, und der Heilige Stuhl
wäre mit Bares einverstanden. Wir haben erfahren, daß Preußen Einwen-
dungen zu erheben beabsichtigen soll. Solche Einwendungen sind nicht er-
hoben worden; und da die Wahl bereits am 28. Oktober erfolgte und die
Vorschlagsliste am gleichen Tage zur Kenntnis der preußischen Regierung
gebracht worden ist, so ist die 20tägige Frist verflossen, und die Bulle
könnte veröffentlicht werden. Wir wollen aber, da wir auf die guten Bezie-
hungen zur deutschen Reichsregierung größten Wert legen, die Ernennung
nicht vollziehen, bevor nicht eine zustimmende Äußerung der preußischen
Regierung erfolgt ist. Wenn wir dem Heiligen Vater vor der endgültigen
Fertigstellung seiner Weihnachtsansprache wenigstens bei diesem Punkte
die Beruhigung eines reibungslosen Verlaufs verschaffen könnten, so
wäre damit schon etwas gewonnen. Außerdem habe ich in einer Note 10)
darauf hingewiesen, daß ein Priester zur Privatdozentur nicht zugelassen

(8) In einer Aufzeichnung vom 1. Dezember (8115/E 580 118-21) hatte Menshausen auf zwei
von Martin Goetz verfaßte und in Die Tat erschienene Artikel über das Reichskonkordat
aufmerksam gemacht. Menshausen wies darauf hin, daß ein Verbot bestehe, das Kon-
kordat in die öffentliche Diskussion zu ziehen, und forderte die Presseabteilung auf,
im Benehmen mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda
gegen die Zeitschrift die erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen.
(10) Randbemerkung: .II Vat. 589". Dieser Hinweis bezieht sieh auf eine von Bergen am
11. Dezember dem Auswärtigen Amt übermittelte Note Pacellis vom 4. Dezember
(6153/E 460 960-65).

236
Nr. 133 DEZEMBER 1933

wurde, weil er die vorgeschriebenen SA- oder Arbeitsdienste nicht ver-


richtet hatte.
Meine Antwort: Die Ableistung des SA-Dienstes bezweckt die körperliche
Ertüchtigung des jungen Mannes, und ich weiß nicht, ob es für einen
katholischen Priester von Vorteil ist, wenn er von dieser ausgenommen
wird. Die Arbeitsdienstleistung aber hat eine außerordentliche soziale Be-
deutung. Sie nähert die Volksklassen am besten einander an, und auch
hier sollte der werdende Priester nicht ausgenommen werden.
Pacelli: Der Priester darf aber mit dem Wehrsport nichts zu tun haben.
Meine Antwort: Es ist wiederholt öffentlich festgestellt worden, daß die
SA keinen Wehrsport treibt, sondern nur Geländeübungen und sonst kör-
perliche Ausbildung anstrebt.
Pacelli: Aus einzelnen Arbeitsdienstlagern, keineswegs aus allen, sind
uns Klagen zu Ohren gekommen über die dort herrschenden sittlichen
Zustände.
Meine Antwort: Es kann sich hier nur um ganz vereinzelte Ausnahmen
handeln, denn ich weiß aus eigener Beobachtung, daß die nationalsozia-
listische Jugend in bezug auf alle Genüsse sehr strengen Anschauungen
huldigt, und kann nicht zugeben, daß in den Arbeitsdienstlagern Zustände
herrschen, die für einen jungen Priester anstößig wären.
Pacelli: Vieles, was für einen anderen jungen Mann erlaubt ist, ist für
den werdenden Priester durchaus verboten. Wir machen aus dem jungen
Mann einen durch und durch asketischen, ganz in seiner heiligen Aufgabe
aufgehenden Menschen und brauchen zu diesem Zweck eine Schulung, die
den Jüngling von allen anderen als den theologischen Einflüssen fernhält.
Im Reichskonkordat sind außer den dort in Artikel 14 genannten Verpflich-
tungen keine weiteren vorgesehen.
Meine Antwort: Die für alle geltenden staatlichen Gesetze müssen aller-
dings auch für die deutschen Priester der katholischen Kirche gelten.
Pacelli: Wir sind auch darüber erstaunt, daß der sogenannte Arier-Para-
graph auf einige Lehrer der katholischen Theologie Anwendung gefunden
hat.
Meine Antwort: Ich hoffe, daß es sich hier doch nur um ganz vereinzelte
Ausnahmen handelt, aber ich möchte dringend bitten, diese Ausnahmefälle
nicht zum Gegenstand von Verhandlungen zwischen der Reichsregierung
und dem Heiligen Stuhl zu machen. Die Reichsregierung muß ihre Gesetze
gegenüber den Staatsbeamten aller Gruppen gleichmäßig anwenden.
Pacelli: Auch hier ist der Wortlaut des Reichskonkordats zu beachten.
Im Reichskonkordat steht nichts von einem Arier-Paragraphen.
Meine Antwort: Im Reichskonkordat kann unmöglich alles vorgesehen
sein. Dafür haben wir in Artikel 33 die Möglichkeit, von Fall zu Fall eine
Verständigung anzustreben. Diese jetzt zu erreichen, ist der Zweck meines
diesmaligen Besuches.
Pacelli: Ich habe von Ihnen heute manches gehört, was ich dem Heiligen
Vater gerne berichten werde. Aber es ist notwendig, daß Sie mir eine Note

237
Nr. 133 DEZEMBER 1933

übergeben, die ich dem Papst vorzeigen kann. In dieser Note wären fol-
gende Punkte zu behandeln:
1. Die Auslegung verschiedener Konkordatsbestimmungen, um die der
Heilige Stuhl gebeten hat, wird in den demnächst zu beginnenden Verhand-
lungen gegeben.
2. Die Reichsregierung erkennt im Falle der Reichsreform die interimi-
stischen finanziellen Verpflichtungen aus den Länderkonkordaten an.
3. In der Berliner Bischofswahl werden die bestehenden Hindernisse
noch vor Weihnachten beseitigt.
4. Die Beurlaubungen und Entlassungen geistlicher Lehrer werden
zurückgenommen.
5. Die Theologie-Studenten werden vom SA- und Arbeitsdienst befreit.
Ich erklärte mich bereit, mit der Reichsregierung in fernmündliche Ver-
bindung zu treten und am nächsten Vormittag dem Kardinalstaatssekretär
Antwort zukommen zu lassen.11)
Pacelli machte mich dann noch auf ein in Deutschland vor kurzem er-
schienenes Buch aufmerksam, von dessen Verfasser er aber nur den Vor-
namen Erich wußte. Dessen Titel sei: Deutsche Geschichte nationalsozia-
listisch gesehen.12) Der Verfasser behaupte im Vorwort, das Buch sei nach
den Grundsätzen des Reichsinnenministers Dr. Frick geschrieben, obwohl es
eine private Arbeit darstelle. Dieses Buch sei vielleicht vom Standpunkt des
evangelischen Bundes aus begreiflich, für die Katholiken schlechthin belei-
digend.
Ich erklärte, das Buch nicht zu kennen, und bat, aus solchen privaten
Äußerungen keine Staatsaktion zu machen. Wenn der Reichsinnenminister
Frick seine Ansichten kundzutun wünsche, so ständen ihm genug Möglich-
keiten offen.
Pacelli bat mich, dem Herrn Reichskanzler und dem Herrn Reichsinnen-
minister seine besten Grüße zu übermitteln, und verabschiedete mich mit
freundlichen Worten.
Kurz nach meinem Eintreffen in der Botschaft kam Prälat Kaas mit dem
Auftrag von Pacelli: in unserer Note solle der Punkt wegen der interi-
mistischen Verpflichtungen aus den Länderkonkordaten so gefaßt werden,
daß nicht nur die finanziellen, sondern auch die übrigen Verpflichtungen
erfüllt werden sollten. Ich erklärte Herrn Kaas, daß ich bereits mit Herrn
Staatssekretär Pfundtner gesprochen hätte, daß ich aber gerne am Abend
nochmals auf diese Sache zurückkommen würde. Allerdings könnte ich seine
Bitte nur so auffassen, daß die Reichsregierung eine förmliche Anerkennung
zur Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen in der Interimszeit nicht aus-
spreche, sondern diese Frage offen lasse und das finanzielle Gebiet beson-
ders hervorhebe.13) Kaas erklärte sich damit einverstanden.

(11) Siehe Dokument Nr. 134.


(12) Vermutlich bezieht sieh dieser Hinweis auf Erich Czech-Jochberg, Deutsche Geschichte
nationalsozialistisch gesehen (Leipzig 1933).
*(13) Randbemerkung: ,?"

238
Nr 134 18. DEZEMBER 1933

134
6159/E 461 249-50
Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Menshausen
[BERLIN, den] 18. Dezember [1933]
Ankunft: 22. Dezember
zu II Vat. 526 J)

S t a a t s s e k r e t ä r Pfundtner (RM des Innern) ist v o n dem Herrn Reichskanz-


ler a n g e w i e s e n worden, die heutigen teleph[onischen] Anfragen des
Min.Direktor Buttmann a u s Rom 2 ) noch heute abend im Sinne der Anlage,
die ich soeben v o n dem Sachbearbeiter im Reichsmimsterium des Innern
e r h a l t e n habe, zu beantworten.
Hiermit H e r r n Min.Dir. Köpke gehorsamst vorgelegt. 3 )
MENSHAUSEN

[Anlage]

STELLUNGNAHME DES HERRN REICHSKANZLERS zu DEN ANFRAGEN


DES MINISTERIALDIREKTORS DR. BUTTMANN

1) Es besteht kein Bedenken, der Kurie gegenüber zu erklären, daß über


die v o n ihr gewünschten Erläuterungen zu bestimmten Punkten des Kon-
k o r d a t s demnächst mündliche Verhandlungen gepflogen werden.
2) Zur Frage d e r Bischofswahl in Berlin 4 ) hat d e r Reichskanzler keine
Bedenken gegen d e n Bischof Bares/Hildesheim, w e n n eine Einigung mit
Preußen erzielt wird. 5 )
3) In d e r Frage d e r Religionslehrer teilt der Herr Reichskanzler d e n ab-
l e h n e n d e n Standpunkt d e s Herrn Reichsinnenministers. 6 )
4) V o n der Teilnahme der katholisch-theologischen Studenten im SA-
und Arbeitsdienst k a n n nach Ansicht des Kanzlers unbedenklich abgesehen
werden. V o n d e r Bereitwilligkeit, im Samariterdienst tätig zu sein, wird
Kenntnis genommen.
5) Zur Frage der finanziellen Leistungen hat d e r Herr Reichskanzler etwa
folgende Formulierung gutgeheißen:
„Im Prinzip besteht Bereitwilligkeit, bei b e v o r s t e h e n d e r Auflösung der
Länder bis zum Abschluß eines Reichskonkordats nach Möglichkeit die
finanziellen Verpflichtungen aus den v o n der Kurie mit d e n Ländern ge-
schlossenen Konkordaten weiter zu erfüllen. Das soll aber kein Präjudiz
sein für d a s k o m m e n d e Reichskonkordat" (insbesondere soll darin keiner-
lei Bindung, auch nicht in der Richtung d e s Abschlusses eines solchen
Reichskonkordats erblickt werden).

(1) II Vat. 526: Siehe Dokument Nr. 85, Anm. 1.


(2) Siehe Dokument Nr. 133.
*(3) Auf der Vorlage befindet sich die Paraphe Neuraths vom 19. Dezember.
(4) Siehe Dokument Nr. 85.
(5) Siehe Dokument Nr. 135.
• («) Frick.

239
Nr. 135 19. DEZEMBER 1933

135

8115/E 580 226-27

Ministerialdirektor Buttmann (Reichsministerium des Innern)


an Kardinalstaatssekretär Pacelli')

[BERLIN,] den 19. Dezember 1933


II Vat. 22

Euere Eminenz, Hochverehrter Herr Kardinalstaatssekretär!


Hierdurch beehre ich mich, Euerer Eminenz bezüglich der in der gestrigen
Unterredung besprochenen Punkte 2) folgendes zu erklären:
1. Die Reichsregierung beabsichtigt, über die vom Heiligen Stuhl ge-
wünschten Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen des Reichskonkor-
dats vom 20. Juli d. J. sowie über Fragen, die sich aus dem Vollzug des
Konkordats ergeben haben, demnächst in mündliche Verhandlungen ein-
zutreten.
2. Die Angelegenheit der Besetzung des Bischofsstuhles von Berlin ist
gestern dadurch erledigt worden, daß die preußische Staatsregierung be-
schlossen hat, keinerlei Einwendungen gegen Herrn Bischof Dr. Bares von
Hildesheim zu erheben.
3. Die Reichsregierung erklärt sich bereit, hinsichtlich der katholischen
Theologiestudierenden von einer Verpflichtung zur Beteiligung am SA- und
Arbeitsdienst abzusehen. Die Reichsregierung nimmt gerne davon Kenntnis,
daß die Theologiestudierenden im Samariterdienst ausgebildet werden
sollen.
4. Die Reichsregierung erklärt sich bereit, bei der im Zuge der bevor-
stehenden Reichsreform erfolgenden Auflösung der Länder in der Zwischen-
zeit für die Dauer der Verhandlungen über ein neues Reichskonkordat nach
Möglichkeit die aus den von der Kurie mit einzelnen Ländern abgeschlosse-
nen Konkordaten sich ergebenden Verpflichtungen, vorab auf finanziellem
Gebiet, weiter zu erfüllen, ohne damit bereits jetzt eine Verpflichtung zur
endgültigen unveränderten Übernahme dieser Leistungen eingehen zu
wollen.
Ich benütze die Gelegenheit, um Euerer Eminenz meine ausgezeichnete
Hochachtung zu versichern und zeichne als
Euerer Eminenz sehr ergebener

(1) Die Vorlage trägt keine Unterschrift. Sie wurde von Buttmann mit Begleitschreiben
vom 9. Januar 1934 (8115/E 580 212) an Neurath übermittelt.
(2) Siehe die Dokumente Nr. 133 und 134.

240
Nr. 136 DEZEMBER 1933

136
8115/E 580 213-16
Auizeichnung ohne Unterschritt')
II Vat. 22
Am 19. Dezember 1933 überreichte ich dem Kardinalstaatssekretär um
11.30 Uhr die von mir im Einvernehmen mit Herrn Staatssekretär Pfundtner
und dem Herrn Botschafter beim Heiligen Stuhl fertiggestellte Note.2)
Pacelli las sie in meiner Gegenwart langsam laut vor. Wie zu erwarten
war, verstand er Punkt 4 der Note nicht sofort. Ich mußte mit einigen Er-
läuterungen, teils deutsch, teils italienisch, nachhelfen. Das erste, was er
hierüber zur Sprache brachte, war: Ich nehme doch an, daß das Reich das
alte Konkordat vom 20. Juli, das wir erst abgeschlossen haben, auch nach
der Durchführung der Reichsreform anerkennen wird. Die Wendung von
einem neuen Reichskonkordat beunruhigt mich.
Meine Antwort: Die Bestimmungen der Länderkonkordate werden in das
Reichskonkordat einzuarbeiten sein, und damit werden die meisten Artikel
eine neue Textfassung erfahren müssen. So wird ein neues Reichskonkordat
Zustandekommen.
Pacelli: Das bezieht sich aber doch nur auf die Bestimmungen, die in den
Länderkonkordaten enthalten sind.
Meine Antwort: Der Sinn der Reichsreform ist die Vereinheitlichung des
Rechtes in ganz Deutschland. Es wird dann keine überwiegend katholischen
und keine überwiegend protestantischen Länder mehr geben. Infolgedessen
entsteht für das Reich eine neue Auffassung. Doch ist das nur meine persön-
liche Meinung. In dieser Note soll lediglich die Regelung der Interimszeit
ausgesprochen sein.
Die Einschränkung „nach Möglichkeit" beunruhigte Pacelli ebenfalls.
Ich wies darauf hin, daß er bei der gestrigen Unterredung nur von den
finanziellen Verpflichtungen gesprochen habe und daß ich infolgedessen mit
Berlin nur hierüber Verständigung erreicht hätte. Ich mußte daher, weil ich
hier die Verantwortung selber übernehmen mußte, die Fassung so vor-
sichtig wie möglich wählen, übrigens könnte ich mir nicht denken, daß
die Verpflichtungen auf anderem als dem finanziellen Gebiet Konflikte mit
sich brächten.
Nach langem Hin und Her verließ Pacelli diesen Punkt und vermißte die
Beantwortung der Frage wegen der Beurlaubung und Entlassung von
Beamten.8)
Ich erklärte ihm hier auftragsgemäß, daß die Reichsregierung eine Unter-
scheidung von Beamten, die katholische Theologen seien, und anderen
Beamten nicht machen könne.
Pacelli erklärte darauf, daß die katholischen Fakultäten doch eigentlich

(1) Dieses undatierte Memorandum wurde mit Begleitschreiben vom 9. Januar (8115/E 580
212) von Buttmann an Neurath übermittelt.
(2) Dokument Nr. 135.
(3) Siehe Dokument Nr. 133.

241

11,1 Bg. 16
Nr. 136 DEZEMBER 1933

an der Stelle der tridentinischen Seminarien seien, die Consalvi auf dem
Wiener Kongreß zugestanden erhalten hätte. Daher seien diese katholi-
schen theologischen Fakultäten nicht nur staatliche Anstalten, sondern auch
solche der Kirche. Der Heilige Stuhl lege Wert darauf, daß solche Abbe-
rufungen wenigstens nicht ohne Einvernehmen mit dem Bischof erfolgen
sollten.
Meine Antwort: Ich werde diese Angelegenheit dem Führer vortragen,
glaube aber persönlich, daß es möglich sein wird, im Einvernehmen mit dem
Bischof Beurlaubungen und Entlassungen vorzunehmen in all den Fällen,
wo bei der Berufung ins Amt das Ordinariat beteiligt ist.
Pacelli gab sich einstweilen mit dieser Zusage zufrieden und erkundigte
sich dann sehr lebhaft nach dem Beginn der neuen Verhandlungen.
Ich erklärte ihm, daß ich in Berlin noch viel andere Arbeit zu tun hätte,
aber hoffte, im Februar zu eingehenden Verhandlungen mich freimachen zu
können.
Pacelli kam dann ziemlich unvermittelt auf die Gefahr eines Kultur-
kampfes in Deutschland zu sprechen. Er erklärte, es gebe Leute, die es für
die Kirche gar nicht für ein großes Unglück hielten, wenn ihr eine Kampf-
zeit in Deutschland auferlegt würde. Aber es wäre doch für die ganze
Menschheit ein großes Unglück.
Ich machte den Kardinal darauf aufmerksam, daß eine solche Konflikts-
zeit für die Kirche in gar keiner Beziehung wünschenswert sei. Denn die
Anhänglichkeit und treue Ergebenheit auch der katholischen Teile Deutsch-
lands an Adolf Hitler, wie sie sich am 12. November in so glänzender
Weise geoffenbart habe, müsse doch der katholischen Kirche zeigen, daß
in dem schweren Gewissenskonflikt für die katholischen Deutschen die
Treue zu ihrem Vaterland ausschlaggebende Bedeutung besäße. Ich hoffte
sehr, daß die kirchlichen Kreise, die sich von einer Märtyrer-Stellung der
Kirche auf die Dauer Gutes versprächen, in ihrer Zuversicht etwas er-
schüttert würden. Wenn Pacelli von der Stimmung des Papstes 4) spreche,
so müsse ich darauf aufmerksam machen, daß in Deutschland viele Kreise,
auch gerade solche, auf deren Urteil der Führer größten Wert lege, zwar
den konfessionellen Frieden durchaus wollten, aber den politischen Katho-
lizismus immer noch sehr fürchteten, der unter gar keinen Umständen
wieder aufkommen dürfe.
Pacelli kam dann auf die Jugendorganisationen zurück und versprach
mir, dem Papst den Vorschlag eines freiwilligen Verzichts auf die katholi-
schen Sonderorganisationen der Jugendlichen vorzutragen. Allerdings sei
der Papst gerade auf diese Jugendorganisationen besonders stolz.
Ich wandte ein, daß die Jugendorganisationen leicht zu einem katholi-
schen Ghetto werden würden, zumal die Überführung der evangelischen
Jugendorganisationen in die Hitlerjugend unmittelbar bevorstehe. Der
katholische junge Deutsche dürfe sich unter keinen Umständen als einen
Deutschen minderen Ranges ansehen lernen, und das sei im praktischen
Leben doch kaum zu vermeiden.
Pacelli bat mich, ihm den Entwurf der Liste der katholischen Vereine zu

• (4) Pius XI

242
I
Nr. 137 19. DEZEMBER 1933

übersenden, was ich ihm zusagte.5) Er wollte sich die Vereinheitlichung des
katholischen Vereinslebens reiflich überlegen.
Zum Schluß sprach Pacelli mit großer Wärme von dem religiösen Emp-
finden des Herrn Reichspräsidenten und beauftragte mich, dem Herrn
Reichspräsidenten, dem Herrn Reichskanzler und den Herren Reichsministern
Dr. Frick und Freiherrn von Neurath seine besten Wünsche zum Weih-
nachtsfest und zum Jahreswechsel zu übermitteln.

(5) In den Akten der Botschaft beim Heiligen Stuhl befindet sich eine .Liste der katho-
lischen Gesellschaften und Organisationen, die unter den Schutz des Artikels 31 des
Reichskonkordats fallen" (M 132/M 004 894-963). Sie trägt die Randbemerkung: .Wurde
mir in Berlin übergeben. B[ergen] 10. 4." Das Datum der Absendung der Liste an
Pacelli ließ sich nicht ermitteln.

137
9542/E 672 363-66

Aufzeichnung des Gesandtschaftsrats Hüffer


Abschrift
Geheim BERLIN, den 19. Dezember 1933
AUFZEICHNUNG

Am 19. Dezember 1933 hat im Auswärtigen Amt eine Ressortbesprechung


über die Möglichkeiten einer Hilfsaktion für die von den tschechischen
Behörden verfolgten sudetendeutschen Nationalsozialisten stattgefunden.1 )
An der Besprechung nahmen unter Vorsitz von Ministerialdirektor Köpke
teil:
Vom Auswärtigen Amt: Vortr. Leg. Rat von Renthe-Fink, Gesandtschafts-
rat Hüffer, Gesandtschaftsrat von Wühlisch, Legationsrat Erbprinz zu
Waldeck, Leg. Sekr. Dr. Schumburg; von der Gesandtschaft in Prag: Leg.
Sekr. Freiherr von Bibra; vom Reichsministerium des Innern: Ministerialrat
Ruppert; vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda:
Ministerialrat Demann.
Eine eingehende Erörterung des gesamten Fragenkomplexes ergab Über-
einstimmung in folgenden Punkten:
[L] Da es sich um tschechische Staatsangehörige handelt, die nach tsche-
chischer Auffassung sich staatsfeindlich betätigt haben, darf die deutsche

(i) Siehe hierzu Dokument Nr. 132.


Nach Auskunft eines Schreibens vom 19. Dezember, mit dem das Auswärtige Amt die
Reichskanzlei über die bei der Ressortbesprechung gefaßten Beschlüsse unterrichtete
(9556/E 672 742-44), war die Sitzung auf .die Anregung des Reichskanzlers, eine sofortige
Hilfsaktion für die sudetendeutschen Nationalsozialisten einzuleiten", einberufen
worden.

243
Nr. 137 19. DEZEMBER 1933

Regierung in keiner Weise fördernd oder begünstigend in Erscheinung


treten. Eine Anregung, die beabsichtigte Hilfsaktion über karitative
Organisationen, wie das Rote Kreuz, oder über den VDA laufen zu lassen
und auf diese Weise dem möglichen Zugriff der tschechischen Behörden zu
entziehen, ist praktisch nicht durchführbar. Das tschechische Rote Kreuz
würde eine Hilfeleistung zudem wahrscheinlich ablehnen; aber selbst wenn
sich eine Aktion in Form der Häftlingsfürsorge zunächst bewerkstelligen
ließe, würden die tschechischen Behörden die wahre Absicht sehr bald
merken und die Unterstützung inhaftierter Nationalsozialisten oder ihrer
Angehörigen zu verhindern wissen. Der VDA, dessen Tätigkeit in der
Tschechoslowakei behördlich überwacht wird, könnte seinem festgesetzten
Aufgabenkreis nach nur kulturelle Organisationen betreuen; auf diesem
Wege aber läßt sich eine direkte Hilfeleistung für die einzelnen Partei-
genossen, auf die es ankommt, nicht durchführen.
II. Die Hilfsaktion muß auf alle Fälle geheim und ohne erkennbare Mit-
wirkung deutscher amtlicher oder Parteistellen durchgeführt werden. Dabei
scheidet auch die sudetendeutsche Parteiorganisation, soweit sie überhaupt
noch besteht, aus, zumal da auch aus personellen Gründen die nötige
Geheimhaltung nicht gewährleistet wäre.
III. Es müssen vielmehr von der deutschen Gesandtschaft in Prag für den
beabsichtigten Zweck Vertrauensleute, die absolut zuverlässig sind, heran-
gezogen werden. Die Unterstützungsgelder, die ausnahmsweise und unter
Zurückstellung aller Bedenken durch den diplomatischen Kurier der Ge-
sandtschaft zu leiten sind, müssen von den Vertrauensleuten in eigener
Verantwortung ohne schriftliche Anweisungen oder Belege verwaltet wer-
den. Bei der Auswahl dieser Vertrauensmänner ist äußerst vorsichtig zu
verfahren; dabei ist der Kameradschaftsbund 2 ) von vornherein als unzuver-
lässig auszuschließen.
IV. Zur sofortigen Linderung dringendster Notfälle werden der Gesandt-
schaft noch heute einmalig 10 000 RM zur freien Verfügung überwiesen.
Für die Finanzen des Hilfskomitees (Organisation der Vertrauensleute)
wird vorläufig auf ein halbes Jahr ein monatlicher Mindestbetrag von
5000 RM in Anschlag gebracht, mit dessen Erhöhung jedoch gerechnet wer-
den muß.
V. Das Auswärtige Amt wird weiter Mittel im Betrage bis zu 30 000 RM
bereitstellen, um die Finanzierung der Verteidigung der gegen die sudeten-
deutschen oder reichsdeutschen Nationalsozialisten in der Tschechoslowakei
angestrengten politischen Prozesse zu bestreiten und die Verteidigungs-
maßnahmen zu ermöglichen.
Da die finanziellen Anforderungen der Hilfsaktion die Kräfte des Aus-
wärtigen Amts übersteigen werden, soll hierfür ein Sonderfonds vom
Finanzministerium angefordert werden, der zentral vom AA zu verwalten
ist.
VI. Das Reichspropagandaministerium ist um beschleunigte Mitteilung
über die Möglichkeit der Bereitstellung der in dem Bericht der Gesandt-
schaft unter 11,1 3) vorgeschlagenen 75 000 RM für die aus der Kasse der
(2) Siehe Dokument Nr. 51.
(3) Siehe Dokument Nr. 132.

244
Nr. 138 19. DEZEMBER 1933

nationalsozialistischen Gewerkschaft entnommenen Summen gebeten wor-


den.
VII. Um der Gefahr des weiteren Anwachsens der Zahl der Inhaftierten
vorzubeugen, übernimmt es Erbprinz zu Waldeck, dafür zu sorgen, daß an
sämtliche deutschen Parteistellen die strikte Anweisung erlassen wird, kein
irgendwie belastendes Material, insbesondere keine Propagandaschriften
mehr an sudetendeutsche Parteigenossen zu versenden.
VIII. Der Erfolg der ganzen Aktion hängt von ihrer strikten Geheim-
haltung ab. Es ist aufs peinlichste zu vermeiden, mehr Stellen als unbedingt
erforderlich mit der Angelegenheit zu befassen. Nach Übersendung des
streng vertraulichen Berichts der Gesandtschaft in Prag vom 17. d. M. und
dieser Aufzeichnung soll auch ein weiterer Schriftverkehr über diese Ange-
legenheit zwischen den beteiligten Ministerien nach Möglichkeit vermieden
werden.4)
gez. HÜFFER

(4) In einem Erlaß des Auswärtigen Amts vom 19. Dezember (9542/E 672 360-61), dem eine
Abschrift der Vorlage beigefügt war, wurde die Gesandtschaft in Prag angewiesen,
alles Notwendige für einen raschen Beginn der Hilfsaktion zu unternehmen.

138
8933/E 626 724-25

Der Botschafter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt


Telegramm
Nr. 122 vom 19. 12. TOKIO, den 20. Dezember 1933 13 Uhr 50
Ankunft: 20. Dezember 9 Uhr 35
IV Ja. 1253
Mein gestriger Antrittsbesuch bei Hirota verlief in sachlicher Beziehung
freundschaftlich und in persönlicher Beziehung sehr herzlich, im einzelnen
ausführte Hirota folgendes:
1. Er ansehe die außenpolitische Lage Japans als gesichert und nicht be-
unruhigend, insofern diese mit entgegengesetzter Tendenz öffentlicher Mei-
nung zu kämpfen, sei er bemüht, beruhigend zu wirken.
2. Hauptaufgabe japanischer Politik sei die Entwicklung Mandschukuo.
Er aufforderte mich, Reise dorthin zu unternehmen; ich zusagte dankend,
indem ich auf das Interesse deutscher Wirtschaftskreise an Entwicklung der
Mandschurei hinwies.1) Hirota erwiderte, daß sich deutscher Wirtschaft
dort noch größere Möglichkeiten böten.

(1) Randbemerkung auf einer anderen Ausfertigung (8933/E 626 726-27) des vorliegenden
Dokuments: .Abt. IV. Eine Reise Dirksens nach der Mandschurei kommt doch wohl
nicht in Frage?!! BJülow] 21. 12." Eine entsprechende Weisung wurde der Botschaft
in Tokio mit Telegramm Nr. 104 vom 21. Dezember (8933/E 626 729-30) übermittelt.

245
Nr. 139 20. DEZEMBER 1933

3. über japanisch-russische Beziehungen äußerte sich Hirota sehr ruhig.


Sie seien normale; Grund zu Besorgnis bestehe trotz gestern veröffent-
lichter Protestnote Sowjet-Generalkonsuls in Harbin 2 ) nicht, heftige Sprache
russischer Presse gegen Japan während der letzten Monate sei auf taktische
Gründe und die schwebenden Verhandlungen mit Amerika zurückzuführen.
Die russischen Hoffnungen auf Amerika seien zweifellos übertrieben,
Amerika werde Rußland nicht einmal bedeutende Kredithilfe geben. Auf
meinen Hinweis auf angeblich schwebende Verhandlungen über Gewäh-
rung Kredits von hundert Millionen Dollar erwiderte Hirota, Japan sei von
amerikanischer Regierung über Umfang und Bedeutung Verhandlungen
mit Sowjetunion eingehend unterrichtet worden. Es kämen höchstens
Kredite zum Ankauf Baumwolle in Frage.
4. Beziehungen Japans zu Vereinigten Staaten seien durchaus befriedi-
gend. Er nahm Bezug auf dort wohl bekannte Äußerungen Botschafters
Debuchi über amerikanische Eindrücke.
5. Hirota bezeichnete Lage in China als so verworren, daß die japanische
Politik nur in völligem Abwarten bestehen könne. Südchina sei durch
Bewegung in Fukien völlig von Nanking gelöst. Lage Nordchina sei dank
japanischer Einflußsphäre ruhiger und gesichert. Boykott gegen Japan sei
sowohl in Nord- wie Südchina bedeutungslos.
DIRKSEN
• (2) Slawadski.

139
K 1052/K 269 351-54

Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Fuehr


BERLIN, den 20. Dezember 1933
zu III A. 3968 J)
AUFZEICHNUNG BETR. DIE ANTIDEUTSCHE HETZE IN NEW YORK

Bei der antideutschen Hetze in New York gehen, von den gleichen
jüdischen Drahtziehern veranlaßt, seit Mitte Oktober zwei verschieden-

(1) III A. 3968: Brief Werner Haags, Adjutant des Landesführers der Freunde des Neuen
Deutschland in New York, vom 4. Dezember an eine nicht ermittelte Person in Deutsch-
land (K 1052/K 269 345). In dem Brief wurde die antideutsche Bewegung in den USA
und der von amerikanischen Juden propagierte Boykott deutscher Waren erörtert. Ihm
war ein Flugblatt des Daily Worker beigefügt, das die Überschrift trug: .Secret Nazi
Plots in US" (K 1052/K 269 346-48) und in dem Haag selbst angegriffen wurde. Haag
beklagte sich über die mangelhafte Unterstützung, die das Generalkonsulat in New York
deutschen Staatsbürgern in den USA zukommen lasse, und bat seinen Briefpartner,
die Angelegenheit Neurath zur Kenntnis zu bringen. Der Brief Haags wurde am
18. Dezember im Büro des Reichsministers registriert und weist Unterstreichungen von
Neuraths Grünstift auf. In einem Vermerk, der am gleichen Tage zusammen mit Haags

246
Nr. 139 20. DEZEMBER 1933

artige Verfahren nebeneinander her. Einerseits schwebt ein von dem Bun-
desstaatsanwalt in New York eingeleitetes Verfahren gegen Heinz
Spanknöbel wegen des Vergehens, sich im Auftrage einer fremden Regie-
rung in den Vereinigten Staaten ohne vorherige Anmeldung beim Staats-
departement betätigt zu haben.2) Andererseits betreibt der New Yorker
Kongreßabgeordnete Samuel Dickstein in seiner Eigenschaft als Vorsitzen-
der des Ausschusses für Einwanderungssachen ein Verfahren, das die unter
falschen Angaben in die Vereinigten Staaten zugelassenen „Nazi-Agenten"
ermitteln und ihre Deportation herbeiführen soll. In beiden Verfahren, bei
denen die Stimmungsmache in der Presse die Hauptrolle spielt, wird von
den Anklägern behauptet, daß die Tätigkeit der Nazi-Agenten in Amerika
auf Unterminierung der amerikanischen Institutionen und letzten Endes
auf Beseitigung der Verfassung abziele.
In dem kriminellen Verfahren gegen Spanknöbel hat die Anklage-Jury
am 10. v. M. gegen den Genannten, der Amerika bereits heimlich verlassen
hatte, formell Anklage erhoben, und es ist nach Ansicht des Generalkonsu-
lats nicht ausgeschlossen, daß es zu seiner Verurteilung in contumaciam
kommen wird. Inzwischen wird das Untersuchungsverfahren gegen die
nächsten Mitarbeiter Spanknöbels und Mitglieder des „Bundes der Freunde
des Neuen Deutschlands" wegen Verdachtes der Beihilfe (conspiracy) mit
der Absicht fortgesetzt, auch sie irgendwie zu inkriminieren. Das Ende
dieses Verfahrens, das auch auf den zufällig Anfang v. J. nach New York
eingereisten Weinhändler Georg Schmitt, der einen schriftlichen Auftrag
der Bundesleitung des Stahlhelms bei sich führte, ausgedehnt worden ist,
ist noch nicht abzusehen. Nach der letzten darüber vorliegenden Meldung
der Botschaft vom 1. d.M.3) hatte der Untersuchungsrichter den Reichs-
angehörigen Roll, der sich weigerte, der Anklage-Jury das Verzeichnis der
in New York lebenden Mitglieder der NSDAP vorzulegen, wegen „contempt
of court" mit Haft bestraft, bei der Roell von Mitgefangenen mißhandelt
wurde.
Der Dickstein-Ausschuß ist erstmalig am 16. v.M. in Washington zusam-
mengetreten, hat sich aber am nächsten Tage bis zum 4. d. M. vertagt, weil
von einigen Zeugen mit der Begründung, daß der Ausschuß der verfassungs-
mäßigen Grundlage entbehre, die Aussage verweigert wurde. Das erste Ziel
der Untersuchung bestand darin, einen von dem Kommunistenblatt Daily
Worker faksimiliert veröffentlichten Brief mit der Unterschrift von
Spanknöbels Adjutanten Werner Haag - cf. Anlage zum Eing[ang] -,4) den
der Genannte von Anfang an als Fälschung bezeichnet hatte, durch kommu-
nistische Zeugen als echt zu erweisen. Dieser Beweis ist nach einem Schrift-
bericht der Botschaft vom 28. v. M.5) völlig mißlungen. Die Botschaft nahm

[Fortsetzung von Anm. 1]


Brief der Abteilung III übersandt wurde, fragte Neurath an: .Zur antideutschen Hetze
in New York. Wie steht die Sache?" (K 1052/K 269 349-50). Der Brief Haags, der Ver-
merk Neuraths und die vorliegende Aufzeichnung wurden am 21. Dezember dem
Büro des Reichsministers wiedervorgelegt.
(2) Siehe Dokument Nr. 5.
(3) Telegramm Luthers Nr. 655 vom 1. Dezember (K 1052/K 269 327-23).
(4) Siehe Anm. 1.
(5) Fundort: K 1052/K 269 340-42.

247
Nr. 139 20. DEZEMBER 1933

aus diesen und anderen Gründen an, daß das Verfahren nicht fortgesetzt
werden würde. Tatsächlich liegt auch keine Meldung über die Wiederauf-
nahme am 4. d. M. vor. Aus Pressemeldungen über neuerliche Hetzreden
Dicksteins - am 18. d.M. behauptete er, in den letzten 11 Monaten seien
60 000 Hitler-Agenten nach Amerika gekommen - muß durchaus damit
gerechnet werden, daß er bei Beginn der Kongreßtagung Anfang Januar
die Einsetzung eines Ausschusses zur Untersuchung der Nazi-Propaganda
mit den verfassungsmäßigen Befugnissen erreichen und daß alsdann die
ganze Angelegenheit neu aufgerollt werden wird.
Was die in dem Eingang enthaltene Klage über mangelhafte Unter-
stützung des Herrn Haag seitens des deutschen Generalkonsulats angeht,
so wird sie von Abt[eilun]g III für völlig unberechtigt gehalten. Angesichts
der politischen Natur der beiden gegen Haag und Genossen eingeleiteten
Verfahren muß sich Generalkonsul Borchers zweifellos nach außen erheb-
liche Reserve auferlegen. Im übrigen aber steht er, wie sich aus den Akten
ergibt, mit den Beteiligten nicht nur persönlich in engster Fühlung, sondern
läßt sie auch durch den Vertrauensanwalt des Generalkonsulats, dem für
die fraglichen Zwecke ein größeres Honorar überwiesen worden ist, sach-
gemäß beraten, überdies steht Kapitän Mensing vom Norddeutschen Lloyd,
der bei seinem kürzlichen Aufenthalt in Berlin mit der Parteileitung einge-
hend Fühlung genommen hat 6 ) und mit dem im Auswärtigen Amt das
amerikanische Vorgehen gegen die Parteigenossen wiederholt eingehend
durchgesprochen worden ist, seit seiner kürzlichen Rückkehr nach New
York als Mittelsmann zwischen den Angeschuldigten und dem Generalkon-
sulat zur Verfügung. Außerdem befindet sich Generalkonsul Borchers in
dieser Angelegenheit in fortgesetzter engster Fühlung mit der Botschaft in
Washington. Herr Botschafter Luther hatte bereits am 17. v. M. den ganzen
Fragenkomplex zum Gegenstand einer energischen Demarche bei dem
stellvertretenden Staatssekretär Phillips gemacht und Einstellung der frag-
lichen Verfahren mit der Begründung verlangt, daß sie offenbar lediglich
in verhetzerischer Absicht geführt würden und ihr enger Zusammenhang
mit kommunistischen Treibereien durch die Vorkommnisse im Dickstein-
Ausschuß bereits klar erwiesen sei.7) Am 1. ds. Mts. hat der Herr Botschafter
erneut bei Herrn Phillips in Verbindung mit der Verhaftung Roells nach-
drücklichst Beschwerde erhoben und die Fortsetzung der Vernehmungen in
New York, die zu neun Zehnteln lediglich politischer Natur seien, als un-
tragbar bezeichnet.8) über ein Eingreifen der Bundesregierung, das nach
Lage der Dinge äußerst schwierig sein dürfte, liegen bisher Nachrichten
nicht vor.
Wiewohl ein Ende der fraglichen Hetze, hinter der der stärkste jüdische
Propaganda-Apparat der Welt steht, zunächst kaum zu erwarten ist, besteht
doch volle Gewähr dafür, daß die direkten Opfer dieser Hetze in weit-
gehendster Weise die Unterstützung der zuständigen Auslandsvertretungen
erhalten.
FUEHR

(«) Siehe Dokument Nr. 5.


*(7) Telegramm Luthers Nr. 634 vom 17. November (K 1052/K 269 311)
• (8) Telegramm Luthers Nr. 655, siehe Anm. 3.

248
Nr. 140 20. DEZEMBER 1933

140
8773/E 611372-78
Das Auswärtige Amt an das Reichsministerium des Innern1)
BERLIN, d e n 20. Dezember 1933
e. o. VI A. 2909
Ich beehre mich, anliegende Niederschrift über die Besprechung d e s
interministeriellen Ausschusses für Volkstums- u n d Minderheitenfragen
mit V e r t r e t e r n des Volksdeutschen Rates v o m 14. Dezember d. J. zur ge-
fälligen Kenntnis zu übersenden. 2 )
Im Auftrage
ROEDIGER

[Anlage]
BERLIN, d e n 14. Dezember 1933
zu V I A. 2909
BESPRECHUNG ZWISCHEN DEM INTERMINISTERIELLEN AUSSCHUSS FÜR VOLKSTUMS-
UND MINDERHEITENFRAGEN UND VERTRETERN DES „VOLKSDEUTSCHEN RATS"
AM 14. DEZEMBER 1933 VORM. 11 UHR IM AUSWÄRTIGEN AMT
Vorsitzender: Ges[andter] Stieve. Teilnehmer die in anliegender An-
wesenheitsliste 3) verzeichneten Herren.
Dr. Steinadler erklärte einleitend, daß zwei Grundsätze bei der Schaffung
des Volksdeutschen Rats maßgebend gewesen seien: 1) die Notwendigkeit
einer einheitlichen autoritativen Führung in allen Volksdeutschen Fragen,
2) die Eingliederung d e r Volksdeutschen Politik in die gesamtdeutsche
Politik in der gebührenden Ranghöhe. Im Gegensatz zu dem konservativen
oder liberalen Staat betrachte der nationalsozialistische Staat in der Haupt-
sache nicht d e n „Staatsbürger", sondern den „Volksgenossen" als Objekt
seiner Fürsorge. Damit seien die auslandsdeutschen Volksgenossen ein d e n
Reichsdeutschen gleichberechtigter Faktor der deutschen Politik geworden.
Dieser G e d a n k e liege d e r Betrauung des Stellvertreters d e s Führers mit der
Obhut für die auslandsdeutsche Arbeit zugrunde.
Bei der Auswahl d e r Mitglieder des Volksdeutschen Rats seien folgende
Gesichtspunkte maßgebend gewesen: N u r Persönlichkeiten, die 1) seit
langer Zeit in d e r Volksdeutschen Arbeit tätig g e w e s e n sind, 2) zueinander
in einem V e r t r a u e n s v e r h ä l t n i s stehen und die 3) k e i n e n amtlichen Charak-
ter tragen noch an hervorstehender Stelle in der NSDAP tätig gewesen sind,
seien als Mitglieder d e s Rats in Betracht gekommen.
Den interessierten Ministerien sei vom Stellvertreter des Führers mit-
geteilt worden, daß alle nichtamtlichen, in Volksdeutschen Fragen tätigen
Organisationen Herrn Rudolf H e ß und dem Volksdeutschen Rat unterstellt

(l) Dieses Schreiben wurde auch dem Reichsfinanzministerium, dem Reichsministerium für
Volksaufklärung und Propaganda, dem Reichswirtschaftsministerium, dem preußischen
Ministerpräsidium, dem preußischen Ministerium des Innern, dem preußischen Ministe-
rium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, dem preußischen Finanzministerium
sowie den Herren Müller-Boedner vom Stabsamt des Reichsbauernführers und Stein-
adler vom Volksdeutschen Rat zugestellt.
*(2) Siehe hierzu Dokument Nr. 60.
(3) Fundort: 8773/E 611 379-80.

249
Nr. 140 20. DEZEMBER 1933

seien. Demnach dürften in Volksdeutschen Fragen die Gaue der NSDAP,


die Hitlerjugend, die Studentenschaften usw. keine selbständige Arbeit
mehr leisten; die Grenzlandämter sollten sofort aufgehoben werden. Die
Zusammenarbeit des Volksdeutschen Rats mit einzelnen Organisationen
werde durch den Stellvertreter des Führers geregelt werden.
Von verschiedenen Ressortvertretern wurde betont, daß innerhalb der
Ministerien im Hinblick auf die namentlich in finanziellen Fragen nicht
immer fruchtbare Zusammenarbeit der zahlreichen Volksdeutschen Ver-
bände stets der Wunsch nach einer einheitlichen Zusammenfassung dieser
Verbände bestanden habe.
Was die Zusammenarbeit des Volksdeutschen Rats mit dem interministe-
riellen Ausschuß betrifft, so bestand Einvernehmen aller Sitzungsteilnehmer
darüber, daß sie nicht durch grundsätzliche Erörterungen zu bestimmen sei,
sondern sich durch die Praxis gestalten solle.
Herr Hasselblatt bemerkte, daß der Rat wie einst das parlamentarische
„Gesamtdeutsche Gremium" zwei sich überschneidende Aufgaben habe:
1) Eine Kuppel über den einzelnen Volksdeutschen Verbänden zu bilden,
2) eine Stelle zu sein, an die sich alle Auslandsdeutschen um Rat und Unter-
stützung wenden könnten. Leider arbeiteten augenblicklich viele Auslands-
deutsche unabhängig voneinander und ohne System mit den verschieden-
sten Stellen im Reich, deren jede den Hang habe, ihre ausschließliche
Zuständigkeit für auslandsdeutsche Fragen zu begründen. Hierin liege eine
Gefahr für eine sachgemäße Betreuung des Auslandsdeutschtums.
Herr Steinadler unterstrich diese Ausführungen. Parallel mit der Macht-
ergreifung der NSDAP im Reich habe sich in zahlreichen auslandsdeutschen
Gebieten eine Spannung zwischen einer an die Führung strebenden Gene-
ration und der alten Führung entwickelt, die bei dem Mangel an Erfahrung
mancher der jungen Elemente und bei der gefährdeten Lage der deutschen
Volksgruppen inmitten fremder Völker verhängnisvoll werden könne.
Es müsse daher rücksichtslos die Disziplin innerhalb der deutschen Volks-
gruppen wiederhergestellt werden. Grundsätzlich dürfe mit dem Auslands-
deutschtum von den einzelnen Organisationen im Reich nur über die ge-
gebene Zentralstelle verhandelt werden. Ein Beispiel für die Gefahren der
Disziplinlosigkeit sei der Fall Hasslinger in Jugoslawien. 4 ) Rudolf Heß
habe bereits seinem klaren Willen Ausdruck gegeben, in solchen Fällen
rücksichtslos durchzugreifen. Dr. Steinadler bat, daß die zuständigen Be-
hörden die Bestrebungen des Rats zur Disziplinierung des Auslandsdeutsch-
tums und die Bemühungen zu einer Zentralisierung und Vereinheitlichung
der Arbeit unterstützen möchten. Diese Ausführungen fanden allgemeine
Billigung.
Es wurde sodann in eine Erörterung verschiedener aktueller Einzelfragen
eingetreten. Zunächst der Frage des Verhältnisses des Volksdeutschen Rats
(4) Hasslinger hatte in Jugoslawien innerhalb der deutschen Minderheitengruppe eine
jungdeutsche Bewegung gegründet, die sich in Gegensatz zu der anerkannten Führung
der Minderheit stellte. Die deutsche Gesandtschaft in Belgrad mißtraute Hasslinger und
argwöhnte, daß er von der jugoslawischen Regierung zu dem Zwecke benutzt werde,
den Minderheitenführer Stefan Kraft auszusehalten und seine Stelle mit einer geneh-
meren Persönlichkeit zu besetzen. Siehe die Berichte der Gesandtschaft in Belgrad vom
12. Oktober (M 21/M 000 737-39) und vom 24. November 1933 (M 21 IM 000 753-67).

250
Nr. 140 20. DEZEMBER 1933

zu einer Reihe von Organisationen, und zwar zu dem „Bund Deutscher


Osten", dem „Bund für Volkstum und Heimat", dem „VDA" und „BdA".
Auf verschiedene an ihn gerichtete Fragen erklärte Herr Steinadler, daß
der „Bund Deutscher Osten", dessen Tätigkeit an den Reichsgrenzen auf-
höre, dem Rat unterstellt sei. Das Aufgabengebiet des „Bundes für Volks-
tum und Heimat" greife über das Volksdeutsche Arbeitsgebiet hinaus; inso-
weit es aber innerhalb dieses Gebietes liege, unterstehe der Bund gleich-
falls dem Rat.
Auch der „VDA" sei dem Rat unterstellt. Der „VDA" solle auch weiterhin
Staats- und parteifrei bleiben, um nach wie vor gewisse Aufgaben unbe-
lastet erfüllen zu können.
Was den „BdA" anbelange, so halte ihn der Volksdeutsche Rat für ent-
behrlich. Die Willkommenstätigkeit des „BdA" werde unter Betreuung
durch das Propagandaministerium fortgesetzt werden. Im übrigen werde der
Bund unter geändertem Namen als „Bund der ehemals im Ausland an-
sässigen Reichsdeutschen" in Zukunft nur in seiner ursprünglichen Form
als Interessenvertretung für geschädigte Auslandsdeutsche fortbestehen,
ohne sich hinfort organisatorisch in den Kolonien der Reichsdeutschen im
Ausland zu betätigen. Diese letztere Tätigkeit werde auf den Gau „Aus-
land" der NSDAP in Hamburg, der in Volksdeutschen Fragen dem Volks-
deutschen Rat unterstehe, übergehen. Die Schaffung eines Referats „Ver-
eine" bei dem Gau „Ausland" sei bereits angebahnt. Eine entsprechende
Verordnung des Stellvertreters des Führers werde in den nächsten Tagen
erlassen werden.
Herr Steinadler bemerkte, daß zwischen der Hitlerjugend und dem
„VDA" eine Vereinbarung geplant sei, die eine selbständige Betätigung
der Hitlerjugend in Volksdeutschen Fragen ausschließe. Das Auslandsamt
der Hitlerjugend sei nur für den Verkehr mit der fremdstämmigen Jugend
des Auslandes zuständig, über eine Abmachung über das Verhältnis zwi-
schen der „VDA"-Jugend und der Hitlerjugend im Reich werde noch ver-
handelt.
Herr Tietje meinte, daß in der Ausgestaltung der Hitlerjugend von der
Volksdeutschen Arbeit im Ausland unter Umständen gewisse Gefahren
liegen könnten, insofern als die im Ausland lebende Volksdeutsche Jugend
bei mangelnder Fühlung mit der Reichsführung der Jugend im Reich leicht zu
Unüberlegtheiten veranlaßt werden könnte. Diese Gefahr könne möglicher-
weise durch die Aufnahme eines Mitgliedes der Reichsführung der deut-
schen Jugend in den Volksdeutschen Rat gemindert werden.
Herr Steinadler bemerkte, daß die Zusammensetzung des Rates endgültig
sei und überdies der Rat nach außen hin nicht in Erscheinung treten solle.
Auf einen Hinweis des Herrn Tietje, daß die Zusammensetzung des Rates
leider bereits in einigen westdeutschen Zeitungen veröffentlicht worden
sei, wurde beschlossen, der Sache nachzugehen.
Herr Böhme teilte mit, daß eine Gruppe Volksdeutscher Eltern in Brasilien
unter Berufung auf eine von ihnen als unzulässig erachtete Ingerenz des
Gaus „Ausland" der NSDAP in auslandsdeutsche Schulen ihre Kinder vom
Besuch dieser Schulen fernhielten (Säo-Paulo-Fall), und fragte, ob nicht eine
Einflußnahme auf den Gau möglich sei, um ihn zu einer Revision seiner

251
Nr. 141 20. DEZEMBER 1933

Haltung zu veranlassen. Herr Steinadler erklärte, der Sache nachgehen zu


wollen.
Die Herren Bourwieg und Stahn wiesen darauf hin, daß es notwendig sei,
die Einwanderung junger Volksdeutscher aus den östlichen Nachbarstaaten
des Reichs zu unterbinden. Zugleich müsse eine allgemeine Aufklärung dar-
über erfolgen, daß eine solche Abwanderung vom Volksdeutschen Stand-
punkt aus schädlich sei. Die Zuwanderer müßten wieder in ihre Heimat ab-
geschoben werden. Sie dürften jedenfalls nicht zur SA oder SS zugelassen
werden, über diese Punkte bestand allgemeines Einvernehmen aller
Sitzungsteilnehmer. Herr Pechel erklärte, daß der Rat die deutsche Presse
entsprechend verständigen werde.
Der Volksdeutsche Rat wurde auf das Nebeneinanderarbeiten des „Zen-
tralkomitees der Deutschen aus Rußland" und der in der letzten Zeit wie-
der tätig gewordenen „Arbeitsgemeinschaft der Deutschen aus Rußland und
Polen" hingewiesen. Es erscheine überflüssig, daß neuerdings wieder zwei
Zeitschriften über den gleichen Fragenkomplex erscheinen.
Von Seiten des Auswärtigen Amts wurde darauf hingewiesen, daß ver-
schiedene deutsche Volksgruppen im Ausland nachteilige Rückwirkungen
auf ihre an sich schon gefährdeten Lebensmöglichkeiten durch die geplante
Rassegesetzgebung im Reich befürchteten. Das Auswärtige] Amt bat daher,
bei den Vorbesprechungen über Gesetzentwürfe, in denen Rassefragen
irgendwie eine Rolle spielten, einen Vertreter des Amtes sowie des Volks-
deutschen Rats hinzuzuziehen. Die Vertreter des Volksdeutschen Rates
stimmten dem zu. Herr Hasselblatt bemerkte zugleich, daß man für die Ver-
gangenheit die Auslandsdeutschen vielleicht mit Hinweisen auf die bis-
herige Entwicklung beruhigen könne (z. B. Schaffung eines eigenen däni-
schen Jugendverbandes neben der Hitlerjugend in Südschleswig).
Herr Tietje regte an, daß gegebenenfalls eine Beruhigung der Volks-
deutschen im Ausland durch eine Erklärung des vom Führer mit der
authentischen Auslegung des Parteiprogramms der NSDAP betrauten
Staatssekretärs Feder herbeigeführt werden könne.
Die nächste gemeinsame Sitzung soll auf Anregung entweder eines Mit-
gliedes des interministeriellen Ausschusses oder des Volksdeutschen Rates
erfolgen, sobald geeigneter Verhandlungsstoff vorliegt.
Schluß der Sitzung um 12 Uhr 40.

141
3154/D 671 551-53
Der britische Botschalter in Berlin Phipps an Reichskanzler Hitler1)
BERLIN, den 20. Dezember 1933
Your Excellency!
His Majesty's Government in the United Kingdom are giving their

*(i) Randvermerk: „Sofort Übersetzung. Vom englischen] Botschafter übergeben,


v. NJeurath) 21. 12."
In den Akten befindet sieh eine deutsche .vorläufige Übersetzung im Auszug" mit
hsdir. Randbemerkungen Neuraths (3154/D 671 566-68).

252
Nr. 141 20. DEZEMBER 1933

earnest consideration to the communication which you were so good as to


address to me on the l l t h December.2)
2. I have now been instructed by His Majesty's Principal Secretary of
State for Foreign Affairs 3) to seek elucidation of certain points which arise
out of Your Excellency's communication and to draw the attention of the
German Government to certain considerations. In so doing I am directed
to make it clear that His Majesty's Government in the United Kingdom
must not be understood to be expressing at this moment any opinion on
the German Government's proposals as a whole. They feel, however, that,
in order to secure the best prospect of ultimate agreement, it is important
that the following matters should be noted and, where necessary, elucida-
ted.
3. (1) His Majesty's Government gather from the German text that:
a) The proposed non-aggression pacts cover all questions political,
territorial and economic - arising between Germany and the European
nations particularly all States surrounding Germany.
b) Such pacts would not be inconsistent with the obligations of Members
under the Covenant of the League of Nations.4)
(2) His Majesty's Government understand, moreover, that the Chancellor
has re-affirmed the whole of Germany's obligations under the Treaties of
Locarno.
(3) His Majesty's Government refute categorically the Chancellor's asser-
tion that other Powers under the leadership of Britain abandoned the British
Draft Convention for a second draft. The action of His Majesty's Govern-
ment and the nature of the suggestions made in October have been fully
explained in public on several occasions, more particularly in the Secre-
tary of State's speech in the House of Connnons on the 13th November.5)
(4) As regards the three propositions a), b) and c) of the Declaration in
Part II of the Chancellor's communication, His Majesty's Government do
not dispute c), but cannot agree to the implication of a) und b). They
would further remind the German Government that all countries represen-
ted at the Disarmament Conference accepted as a basis the British Draft
Convention with its large measure of disarmament and all those countries
except Germany are ready to resume discussions at Geneva in January. 6 )
(5) His Majesty's Government take note of the German Government's
proposal that all States should accept „an equal general supervision which
shall examine and guarantee the observance" of the engagements entered
into. This supervision the German Government describe as „an inter-
national, general and identical System functioning periodically and auto-
matically".
(6) His Majesty's Government cannot accept the arguments on which

(2) D o k u m e n t Nr. 117.


• (3) Simon.
(4) R a n d b e m e r k u n g N e u r a t h s auf der in Anm. 1 e r w ä h n t e n Ü b e r s e t z u n g : „Durchmarsch-
recht, Sanktionen."
(5) Siehe Parfi'amenfary Debates, House of Commons, 5. Serie, Bd. 281, Spalten 579-701.
(«) R a n d b e m e r k u n g N e u r a t h s auf der in Anm. 1 e r w ä h n t e n Ü b e r s e t z u n g : „Das k ö n n e n wir
dann abwarten."

253
Nr. 142 21. DEZEMBER 1933

the German Government base their claim for 300 000 men involving in its
turn a correspondingly large total of arms. Apart from technical questions,
so large a figure will be universally regarded as a most formidable increase
and produce disastrous effects 7) on the mind of Europe.8)
(7) His Majesty's Government take note of the German Government's
renunciation from the outset of any offensive weapons which in the view
of the latter might appear to threaten their neighbours. The German
Government demand only „normal armaments" for defence, but these are
to include 155 millimetre guns. His Majesty's Government would wish to
be informed what are the categories of weapons included in the definition
„normal armaments" and what are the quantities. Would, for example, such
armaments include tanks and military aircraft, and, if so, in what quantities
and of what categories?
(8) His Majesty's Government understand that the Reichswehr will be
absorbed in the new army over a period of four or five years. They would
be glad to know how the peace Organisation of the German army under
Herr Hitlers proposal would compare with the three cavalry divisions and
seven infantry divisions of the existing Reichswehr.
(9) His Majesty's Government note that the German Government are
prepared to assure by a System of international, periodic and automatic
supervision that the SA and SS have no connection whatever with military
matters and assume that a similar assurance will be provided in respect
of the new Labour Corps, of which no mention is made.
I avail myself of this opportunity to renew to Your Excellency the
assurance of my highest considerations.
ERIC PHIPPS
(') Randbemerkung Neuraths auf der in Anm. 1 erwähnten Übersetzung: „Bis jetzt nicht."
(8) In einer Notiz vom 22. Dezember (3154/D 671 548-49) vermerkte Frohwein, daß ein
Beamter der britischen Botschaft im Auftrag des Botschafters einen Nachtrag zu dem
Schreiben an Hitler vom 20. Dezember überbracht habe. Der Beamte habe erklärt, daß
die drei letzten Sätze zu Punkt 6 des Schreibens bei der telefonischen Übermittlung vom
Foreign Office an die britische Botschaft in Berlin aus Versehen weggelassen worden
seien. Die fehlenden Sätze lauteten:
„In the British draft Convention parity between Germany and the metropolitan forces
of France was proposed at 200 000 men. Parity on this basis seems to His Majesty's
Government to be the proper comparison. In any case the total Frendi strength quoted
in the German memorandum appears to be greatly in excess of the strength of the
Frendi metropolitan army, as given in the League of Nations Year Book."

142
9762/E 685 823-25
Aufzeichnung des Ministerialdirektors Meyer
BERLIN, den 21. Dezember 1933
IV Rd. 4918
AUFZEICHNUNG
Ich habe heute den litauischen Gesandten empfangen und ihm auftrags-
gemäß die nachstehende Eröffnung gemacht:

254
Nr. 142 21. DEZEMBER 1933

Vor zwei Tagen hätte ich ihm auf die Maßnahme der litauischen Regie-
rung gegenüber den reichsdeutschen Beamten des Memelgebiets mitge-
teilt,1) daß diese Maßnahme eine Verletzung des Memelstatuts 2 ) und des
Berliner Protokolls 3) sowie ein Bruch der Zusicherungen von Herrn Zaunius
an Herrn Zechlin sei 4 ) und im Gegensatz zu den Mitteilungen von Herrn
Novakas an Herrn Toepke stehe.5) Die deutsche Regierung betrachte sie
als einen bewußt unfreundlichen politischen Akt. Ich hätte präzisiert, daß
diese Maßnahme nicht ohne Folgen auf das deutsch-litauische Verhältnis
bleiben kann und diese Folgen sich auch wirtschaftlich auswirken würden.
Inzwischen seien zwei Tage vergangen, ohne daß die litauische Regierung
sich geäußert hätte. Auf die Demarche des deutschen Gesandten in Kowno,
Herrn Dr. Zechlin, habe Herr Zaunius u. a. geantwortet, daß die Maßnahme
der litauischen Regierung weitgehend von innerpolitischen Momenten be-
dingt gewesen sei.6) Die deutsche Regierung sei über diese Eröffnung im
höchsten Grade befremdet, denn innerpolitische Rücksichtnahmen fänden
ihre Grenze an internationalen Verträgen und getroffenen Abmachungen.
Ich sei beauftragt ihm mitzuteilen, daß die deutsche Regierung sich ent-
sprechend der Haltung der litauischen Regierung orientieren werde. In
wirtschaftlicher Hinsicht werde das Butterkontingent von 2090 t vom
1. Januar d. J. ab auf 600 t herabgesetzt werden. Die Einführung des Butter-
monopols stelle es Deutschland frei zu kaufen, wo es ihm beliebe, und
Deutschland werde selbstverständlich von den Staaten kaufen, die sich ihm
freundlich gegenüber stellten. Es sei ferner selbstverständlich, daß die vor
einigen Wochen in Aussicht gestellte Abnahme von 6[000]-7000 Schweinen
nicht mehr stattfinden könne, da die Voraussetzung dieser Zusage hin-
fällig geworden sei. Ich hätte bei den Verhandlungen klar betont, daß die
Abnahme der Schweine in der Erwartung und Voraussetzung erfolgt sei,
daß die deutsch-litauischen Beziehungen freundschaftlich blieben und durch
keinerlei Zwischenfälle gestört würden. Aus dem Buttermonopol ergäbe
sich ferner, daß die Butter aus dem kleinen Grenzverkehr ausscheiden
müsse, über Eier und Käse habe ich nicht gesprochen. Der Stand der

(1) Meyer vermerkte in einer Aufzeichnung vom 19. Dezember (9798/E 687 589-90), er habe
an diesem Tage Saulys gegenüber gegen eine Anordnung der litauischen Regierung
vom 18. Dezember protestiert, mit der 108 deutsche Beamte und Lehrer im Memelgebiet
ihres Postens enthoben worden waren. Er habe Saulys erklärt, daß diese Maßnahme
nicht ohne Folgen für das deutsch-litauische Verhältnis bleiben könne und daß diese
Folgen sich auch auf wirtschaftlichem Gebiet auswirken würden.
(2) Memelkonvention und Memelstatut vom 8. Mai 1924, abgedruckt in S.d.N., Recueil des
Traites, Nr. 736, Bd. XXIX, S. 85-115.
(3) Siehe Dokument Nr. 125, Anm. 3.
*(4) Zechlin hatte in Telegramm Nr. 65 vom 13. September 1933 (9005/E 631 163-64) berichtet,
Zaunius habe ihm versichert, daß es die feste Absieht der litauischen Regierung sei, bei
der Anwendung des litauischen Gerichtsverfassungsgesetzes mit seinen Vorschriften
über die Nationalität der Gerichtsbeamten (siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 405,
Anm. 5) Auseinandersetzungen mit der deutschen Regierung zu vermeiden.
(5) Generalkonsul Toepke hatte in Telegramm Nr. 96 vom 18. Dezember (9798/E 687 425-26)
berichtet, Novakas habe ihm, trotz einer bei seinem Amtsantritt gegebenen entsprechen-
den Zusage, vor Erlaß der Anordnung vom 18. Dezember über die Entlassung deutscher
Beamter und Lehrer im Memelgebiet keine Gelegenheit zu einer Aussprache gegeben.
(•) Zechlin hatte in Telegramm Nr. 93 vom 19. Dezember (9798/E 687 579-80) über seine am
gleichen Tage unternommene Demarche berichtet.

255
Nr. 143 21. DEZEMBER 1933

deutsch-litauischen Beziehungen hänge lediglich von der litauischen Regie-


rung ab; sollte sich die Haltung der litauischen Regierung ändern, so ergebe
sich hoffentlich die Möglichkeit, eventuell eine stärkere Buttereinfuhr zu
genehmigen.
Herr Saulys frug zunächst, ob ich ihm diese Eröffnung auch schriftlich
geben wollte. Ich erwiderte ihm, dazu liege kein Anlaß vor. Er kam dann
auf den kleinen Grenzverkehr zu sprechen und führte aus, daß eine ein-
seitige Abänderung dieser vertraglichen Regelung nicht möglich sei. Ich
entgegnete ihm, daß es sich nicht um eine einseitige Vertragsänderung
handele, sondern um eine Regelung, die infolge der Einführung des Mono-
pols gleichmäßig für sämtliche Staaten Geltung haben werde. Herr Saulys
betonte, daß die Maßnahme der deutschen Regierung eine Ingerenz in
innerlitauische Angelegenheiten darstelle insofern, als Deutschland durch
außenpolitische Maßnahmen Einfluß auf innerlitauische Verwaltungsmaß-
nahmen nehmen wollte. Ich erwiderte ihm demgegenüber, es liege uns
nichts ferner als eine Ingerenz in innerlitauische Angelegenheiten. Für uns
handele es sich lediglich um eine Verletzung des Memelstatuts. Die
litauische Regierung sei oft genug darauf hingewiesen worden, daß sie zu
einer einseitigen Interpretation des Memelstatuts im litauischen Sinne
nicht befugt sei. Die Diskussion über die Rechtslage wurde nicht vertieft.
Auf eine Frage von Herrn Saulys, ob Herr Zechlin die gleiche Demarche
in Kowno machen würde, habe ich zustimmend geantwortet. 7 )
gez. MEYER
(?) Zechlin wurde am 21. Dezember angewiesen (9798/E 687 591-95), zur Übergabe eines
formellen Protestes um einen Empfang bei dem litauischen Staatspräsidenten Smetona
nachzusuchen

143
6114/E 454 125-32
Der Gesandte in Wien Rieth an den Staatssekretär des Auswärtigen Amts
von Bülow
WIEN, den 21. Dezember 1933
II Oe. 2243
Lieber Herr von Bülow!
Im Nachgang zu meinem Drahtbericht Nr. 80 vom 12. Dezember 1933 *)
über die innerpolitische Lage in Österreich möchte ich Sie über einige Vor-
gänge informieren, die die zur Zeit hier, wie ich mehrfach berichtete, sehr
labile und sich schnell verändernde Sachlage wiederum verschoben haben.
Herr Dollfuß hat durch Vermittlung des jungen Fürsten Schönburg-
Hartenstein, des reichsdeutschen, meist in Österreich wohnenden national-
sozialistischen Sohnes des hiesigen Heeresministers plötzlich den hiesigen
Vertreter des Herrn Habicht, Schattenfroh, zu sich gebeten, um die ins

(i) Dokument Nr. 124.

256
Nr. 143 21. DEZEMBER 1933

Stocken geratenen Besprechungen über eine mögliche Verständigung mit


den Nationalsozialisten wieder in Gang zu bringen. Gleichzeitig hat er
durch Staatssekretär Gleißner den Obmann der Großdeutschen, Foppa,
wissen lassen, daß er die vor einiger Zeit unterbrochenen Besprechungen2)
wieder fortzusetzen wünsche. Den Anlaß zu diesem unvermuteten Stim-
mungsumschwung hat meines Erachtens zweifellos der Besuch Suvichs in
Berlin 3 ) gegeben. Die Einladung an Schattenfroh, mit dem Dollfuß bisher
noch nicht verhandelt hatte, erfolgte unmittelbar, nachdem die hiesige Presse
mitgeteilt hatte, daß Suvich in Berlin über österreichische Angelegenheiten
verhandle und daß er mit Herrn Habicht zusammen gewesen sei.
Herr Schattenfroh ist im Anschluß an die Unterredung mit Herrn Dollfuß
und mit dessen Zustimmung nach der Schweiz gereist, um dort Herrn
Habicht Bericht zu erstatten und Richtlinien für die weitere Behandlung
der Angelegenheit zu erhalten.
Wie Ihnen bekannt sein dürfte, hat Herr Dollfuß vor einiger Zeit den
Abbruch der damals begonnenen Besprechungen damit begründet, daß er
auf den Wunsch des Herrn Habicht, mit diesem unmittelbar zu verhandeln,
nicht eingehen könne,4) und es verlautete auch aus seiner Umgebung, daß
u. a. die wenn auch nicht geforderte, jedoch angeblich beabsichtigte Ein-
bürgerung des Herrn Habicht in Österreich und seine Ernennung zum
Vizekanzler völlig unannehmbar sei. Die von den maßgebenden Regie-
rungsstellen ausgehende Hetze gegen Herrn Habicht wurde daraufhin mit
erneutem Eifer fortgesetzt.
Herr Dollfuß, der sich schon mehrfach mit mir in privater Form über
seine Absicht unterhalten hatte, allmählich zu einer Verständigung mit
den hiesigen Nationalsozialisten zu gelangen und auch schon in vorsichti-
ger Form einzelne Modalitäten derselben zur Sprache gebracht hatte, hat
dieses Thema vorigen Montag 5 ) kurz nach seiner Zusammenkunft mit
Herrn Schattenfroh erneut bei mir angeschnitten. Ich konnte insofern eine
Wendung seiner bisherigen Anschauung feststellen, als er sich nun damit
abgefunden zu haben scheint, nachdem er mehrere vergebliche Versuche
gemacht hatte, durch Mittelspersonen mit maßgebenden Nationalsozialisten
in Berlin in Verbindung zu treten, mit Herrn Habicht zu verhandeln. Er
meinte, es wäre dies vielleicht in der Form möglich, daß Herr Habicht im
Auftrage des Herrn Reichskanzlers mit ihm in Verbindung trete. Dem
jungen Fürsten Schönburg gegenüber hat er sogar die Anregung geäußert,
Herr Habicht solle ganz geheim nach Österreich kommen und dort mit ihm
zusammentreffen.
Mir gegenüber äußerte Herr Dollfuß lächelnd, Herr Habicht wolle sogar
österreichischer Vizekanzler werden, ohne jedoch hierzu eine Ansicht zu
äußern; ich habe jedoch nicht den Eindruck, daß er sich bereits mit diesem
Gedanken abgefunden hat.
Ein anderer Punkt, den Herr Dollfuß mir auseinandersetzte, ist, daß s. E.
eine Verständigung nicht mit der hiesigen nationalsozialistischen Partei

(2) Siehe die Dokumente Nr. 20, 35 und 71.


(») Siehe die Dokumente Nr. 120 und 126.
(4) Siehe Dokument Nr. 71.
• (5) 18. Dezember.

257

11,1 Bg. 17
Nr. 143 21. DEZEMBER 1933

als solcher erfolgen sollte. Er meinte, daß diese entweder unter einem
anderen Namen auftreten oder in einem größeren Gremium, z. B. der
Nationalen Front oder etwas Ähnlichem, aufgehen solle, deren Tragpfeiler
sie natürlich sein würde, der sich aber noch andere nationale Gruppen wie
die Großdeutschen, der Steirische Heimatschutz und die zahlreichen sonsti-
gen nationalgesinnten Elemente in Österreich anschließen würden. 6 ) Er
habe zum Teil schon, um dies vorzubereiten, seinerseits die Vaterländische
Front gebildet mit der Absicht, allmählich nicht nur die sozialdemokratische
Partei, sondern auch die Regierungsparteien aufzulösen oder miteinander
zu verschmelzen.
Ich glaube, daß dieser schon mehrfach von Herrn Dollfuß geäußerte Ge-
danke einerseits auf der Erwägung beruht, sowohl innerhalb wie außer-
halb Österreichs den Eindruck einer Kapitulation vor den Nationalsoziali-
sten einigermaßen abzuschwächen und seinen eigenen Rückzug, über dessen
Auswirkungen inner- und außenpolitischer Art er sich offenbar den Kopf
zerbricht, zu maskieren und andererseits bei etwa stattfindenden Wahlen
die bisherigen Parteien in den Hintergrund treten zu lassen und ein System
vorzubereiten, das sich nach seiner Auffassung mit dem in Deutschland und
Italien herrschenden vergleichen ließe.
Ein weiterer Punkt, der Herrn Dollfuß offenbar Sorge bereitet und über
den er sich schon mehrfach geäußert hat, ist die Rückwirkung einer Aus-
söhnung mit dem Nationalsozialismus auf die außenpolitische Lage Öster-
reichs und auf seine eigene Stellung in den für ihn wichtigeren europäi-
schen Hauptstädten. Er fürchtet, daß seine „Popularität" in anderen Län-
dern, auf die er sehr stolz ist, durch eine solche Aussöhnung leiden oder
verschwinden würde, und er möchte auch offenbar vermeiden, durch eine
weithin sichtbare Schwenkung in seiner außenpolitischen Linie gewisser
Vorteile wirtschaftlicher und anderer Art verlustig zu werden, die der
Kampf der letzten Monate ihm in anderen Ländern eingebracht hatte.
Um einer Beunruhigung oder Aufregung in solchen Ländern, wie z. B.
in Frankreich oder der Tschechoslowakei durch eine Teilnahme der Natio-
nalsozialisten an der Macht in Österreich vorzubeugen, möchte Herr Doll-
fuß, wie er mir auseinandersetzte, nicht ein Abkommen mit den National-
sozialisten schließen, das dann in einem Zuge ausgeführt würde, sondern er
denkt sich, ohne dies bisher noch im einzelnen zu präzisieren, eine suk-
zessive Evolution dergestalt, daß auf beiden Seiten allmählich die Kampf-
maßnahmen abgebaut würden und daß dann die zu vereinbarende Regelung
Schritt für Schritt in gewissen Abschnitten und mit zeitlichen Abständen
voneinander durchgeführt würde. Er meinte, nach außen hin dürfe die
Schwenkung Österreichs in die deutsche Richtung nicht den Anschein eines
aggressiven Charakters gegenüber anderen Mächten erwecken.
Diese Beweggründe hat mir Herr Dollfuß zwar nicht so, wie ich sie dar-
lege, angegeben, sondern ich folgere sie aus seinen mir teils bekannten,
teils neuerdings auseinandergesetzten Gedankengängen. Die von ihm
angegebene, ein wenig naive Begründung für seinen Wunsch einer lang-
samen Evolution lautet dahin, daß Österreich seine derzeitige günstige

*(«) Randbemerkung: „?"

258
Nr. 143 21. DEZEMBER 1933

außenpolitische Situation weit wirksamer zugunsten Deutschlands, im


Falle es sich außenpolitisch mit diesem verbände, ausnutzen könne, wenn
diese Situation nicht durch die eintretende Wendung gefährdet werde.
Schließlich erwähnte Herr Dollfuß mir gegenüber noch, daß er bisher den
Kampf gegen die Sozialdemokratie nicht habe wagen können, weil er
fürchten müsse, bei der erwarteten Gegenwehr gleichzeitig von den Natio-
nalsozialisten angegriffen zu werden (eine Befürchtung, die m. W. nicht
unbegründet ist). Ich glaubte, aus seinen vorsichtigen Redewendungen
schließen zu müssen, daß er diesen, den italienischen Wünschen entspre-
chenden Kampf gegen den Marxismus, dessen wesentlichster Punkt die
durch einen Handstreich auszuführende Entfernung der Sozialdemokraten
aus dem Wiener Ratshaus bildet, schon während der von ihm geschilderten
Periode der „Evolution" seiner Beziehungen zu dem Nationalsozialismus
führen möchte. Hierin liegt natürlich eine Gefahr, auf die ich auch Herrn
Schattenfroh, bevor er nach der Schweiz reiste, aufmerksam machte, daß
Herr Dollfuß, bevor er noch mit den Nationalsozialisten vollkommen einig
ist und bevor etwa zu treffende Vereinbarungen durchgeführt worden sind,
diese Art Waffenstillstand benutzen möchte, um sich des anderen Gegners,
der Marxisten, entledigen zu können, um dann bei den weiteren Aktionen
gegenüber den Nationalsozialisten diesen gegenüber stärker zu sein als
zuvor. Es ist dies eine Frage der Taktik, die m. E. wichtig ist.
Andererseits scheint mir der Grundgedanke, daß eine Verständigung
mit den hiesigen Nationalsozialisten und eine Beteiligung derselben an der
Macht in einer Weise durchgeführt werden sollte, die nach Möglichkeit
Beunruhigungen oder gar Erschütterungen in Europa vermeidet, immerhin
erwägenswert zu sein, da ja auch wir wohl schließlich durch die Beendigung
des Konfliktes mit Österreich eine Entlastung und nicht eine Mehrbelastung
unserer Außenpolitik herbeizuführen ein Interesse hätten.
Ich bemerke ganz allgemein zu dieser und anderen Unterhaltungen mit
Herrn Dollfuß über das innerpolitische Problem, daß ich dieses Thema von
mir aus niemals anschneide. Wenn Herr Dollfuß midi darauf anredet, so
beschränke ich mich unter Hinweis darauf, daß ich seine Mitteilungen nur
privatim entgegennehmen könne, meist auf den Versuch, in vorsichtiger
Weise durch Zwischenfragen oder Bemerkungen seine Gedankengänge in
eine mir zweckmäßig scheinende Richtung zu lenken. Ich habe eine Anzahl
anderer Kanäle, durch die ich in indirekter Weise Herrn Dollfuß und die
für uns zur Zeit wichtigeren Persönlichkeiten allmählich in die Richtung
einer Verständigung mit den Nationalsozialisten lenken kann.
Offiziell halte ich stets an dem von mir seit Monaten eingenommenen
Standpunkt fest, daß an eine Bereinigung der Situation zwischen Deutsch-
land und Österreich erst herangetreten werden könne, wenn eine Ver-
ständigung mit dem hiesigen Nationalsozialismus erzielt worden sei.
Im übrigen stehe ich in ständiger Fühlungsnahme mit Herrn Schattenfroh,
der die Münchner Landesleitung informiert. Ob eine fortlaufende Unter-
haltung zwischen Herrn Dollfuß und Herrn Schattenfroh zur Klärung der
beiderseitigen Auffassungen über die innerpolitische Entwicklung herbeizu-
führen sein wird, ist noch nicht abzusehen. Es stehen dem schon technische
Schwierigkeiten entgegen, weil Herr Schattenfroh unter enger Uber-

259
Nr. 143 21. DEZEMBER 1933

wachung der Heimwehr steht, die jeden Verständigungsversuch sabotiert.


Vermittlungsversuche von Privaten, wie der letzthin vom Prinzen Max
Hohenlohe unternommene,7) haben bisher oft mehr geschadet als genützt.
Andererseits war Herr Schattenfroh der Meinung, daß Herr Habicht, wenn
er, wie Dollfuß es anregte, zu einer Besprechung nach Österreich käme
und wenn dies wie anzunehmen nicht geheim bliebe, in eine recht unbe-
queme Lage geraten könnte.
Generalsekretär Peter, der sich seit langem bemüht, trotz starker Gegen-
strömungen im Außenministerium den Gedanken einer Verständigung mit
uns und mit den hiesigen Nationalsozialisten zu fördern, und mit dem ich
schon häufig vertrauliche und private Unterhaltungen über dieses Thema
hatte, entwickelte mir gegenüber vorgestern ähnliche Gedankengänge wie
Herr Dollfuß. Er erzählte auch, der Reichsinnenminister, Herr Frick, habe
letzthin Herrn Tauschitz kommen lassen und ihm als Bedingungen für eine
Verständigung mit den Nationalsozialisten die völlige Betätigungsfreiheit
für die Partei und baldige Neuwahlen in Österreich angegeben. 8 ) Herr
Peter war hierüber etwas erschrocken, weil er aus den verschiedenen
privaten Fühlungnahmen der letzten Zeit den Eindruck gewonnen hatte,
daß, wenigstens in München, die Frage der Neuwahlen zwar nicht aufge-
geben, zur Zeit aber nicht mehr, wie dies früher der Fall war, in den
Vordergrund geschoben worden sei. Er sagte, wenn dies erneut der Fall
sein sollte, würde es ein starkes Hindernis bilden, weil die ganze Politik
des Herrn Dollfuß seit Monaten darauf gerichtet sei, den Parlamentarismus
und die Parteien allmählich zu beseitigen, und weil Neuwahlen im ent-
gegengesetzten Sinne wirken würden. Er fürchte, daß auch der Kampf
gegen den Marxismus sehr erschwert würde, wenn diese in Wahlen, wie er
meinte, etwa 35 Prozent aller Stimmen errungen haben würden (bei der
letzten Wahl 42 Prozent). Ich habe dieser Auffassung nicht zugestimmt.
Herr Peter sagte mir auch, zum ersten Mal in ganz positiver Form, daß
die Italiener jetzt auf eine Verständigung mit dem Nationalsozialismus in
Österreich hinarbeiteten. Er kündigte mir an, was zwei Tage später in der
hiesigen Presse mitgeteilt wurde, daß Suvich etwa um den 10. Januar her-
um nach Wien zu kommen beabsichtige. Er sagte, Suvich werde zwar nicht
als Vermittler in dem deutsch-österreichischen Konflikt auftreten, er beab-
sichtige jedoch bei seinem Wiener Besuch die in Deutschland gesammelten
Eindrücke zu verwerten, um dann hier zu untersuchen, ob und in welcher
Weise eine Einigung möglich sein würde.
Ich teile Ihnen das Vorstehende mit, um Sie zu informieren, ohne daraus
schon irgendwelche Schlüsse für die Weiterentwicklung ziehen zu wollen.

(') Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 497, Anm. 1.


*(8) Randbemerkung: „?!" - Eine Aufzeichnung von deutscher Seite über die Unterredung
zwischen Frick und Tauschitz konnte nicht ermittelt werden. Nach der amtlichen öster-
reichischen Publikation über den deutsch-österreichischen Konflikt fand die Unterredung
am 15. Dezember 1933 statt. Frick habe Tauschitz bei dieser Gelegenheit erklärt, die
deutschen Nationalsozialisten betrachteten das Verbot der österreichischen National-
sozialistischen Partei als unerträglich und der Kampf werde kompromißlos zu Ende
gekämpft werden. Abschließend habe Frick den österreichischen Gesandten aufge-
fordert, sich mit Habicht in Verbindung zu setzen. Siehe Beiträge zur Vorgeschichte und
Geschichte der Julirevolte, S. 49.

260
Nr. 144 22. DEZEMBER 1933

Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Situationen hier kaleidoskopartig wech-
seln und Prognosen daher nicht zu stellen sind. Es unterliegt aber keinem
Zweifel, wie ich dies schon bei meiner letzten Anwesenheit in Berlin vor-
ausgesagt hatte, daß ein Wechsel in der italienischen Einstellung gegen-
über dem Nationalsozialismus in Österreich einen tiefgreifenden und
schnellen Wechsel auch in der hiesigen innerpolitischen Lage zwangsläufig
zur Folge haben würde. Aus obigem werden Sie ersehen, daß die bloße Tat-
sache von Besprechungen zwischen uns und den Italienern über die öster-
reichische Frage die sofortige Wiederaufnahme der Sondierungen des Herrn
Dollfuß zur Folge gehabt hat, schon weil dieser fürchtet, bei einer Verstän-
digung zwischen Italien und uns ausgeschaltet zu werden. Die nach wie vor
bei ihm bestehende Furcht vor Rintelen spielt hierbei auch eine erhebliche
Rolle. Daß diese nicht unbegründet ist, geht schon aus dem Rat hervor, den
Rintelen bei seinem letzten Aufenthalt in Wien Herrn Schattenfroh gegeben
hat. Er meinte, die Nationalsozialisten sollten zuerst in ein Kabinett Doll-
fuß eintreten, in dem er ein Portefeuille übernehmen würde; nachher würde
er dann an Stelle Dollfuß' Bundeskanzler werden.
Sobald hier etwas über Besprechungen mit den Nationalsozialisten oder
Verständigungsmöglichkeiten durchsickert oder auch nur geargwöhnt wird,
setzt sofort ein wahres Trommelfeuer aller derjenigen ein, die aus per-
sonellen, aus inner- oder außenpolitischen Gründen die Verständigung
hintertreiben wollen. Audi aus diesem Grund ist es sehr wichtig, daß alle
mit den Nationalsozialisten stattfindenden Besprechungen streng geheim
gehalten werden. Herr Schattenfroh wird auch Herrn Habicht bitten, den
Inhalt seiner letzten Besprechung mit Herrn Dollfuß soweit wie nur irgend
möglich vertraulich zu behandeln.
Mit den besten Grüßen bin ich
Ihr stets ergebener
K. RIETH

144
3086/D 617 066-67
Der Landesinspekteur der NSDAP in Österreich Habicht
an den Botschafter in Rom von Hassell
Abschrift
BERLIN, den 22. Dezember 1933
Betr.: Ihr Schreiben vom 15. 12. 33.1)
Sehr verehrter Herr von Hassell,
ich bestätige mit bestem Dank Ihr obiges Schreiben und habe inzwischen

(1) Fundort: 5266/E 322 489-91. Hassell hatte in diesem Schreiben Habicht über Gespräche
unterrichtet, die er mit Rintelen und Pflügl geführt hatte.

261
Nr. 144 22. DEZEMBER 1933

von Herrn Staatssekretär von Pflügl bereits persönlich Bericht bekommen


über seine Unterredung mit Ihnen und über das Ergebnis seiner Bespre-
chungen in Rom. Er ist inzwischen nach Wien weitergereist und wird vor-
aussichtlich Ende Januar oder anfangs Februar noch einmal nach Rom
kommen.
Ich habe in Berlin Gelegenheit gehabt, im Hause des Ministerpräsidenten
Göring mit Suvich zusammenzukommen,2) und habe aus der kurzen Unter-
redung mit diesem, besonders aber aus den Mitteilungen des Ministerpräsi-
denten Göring und des Reichskanzlers über ihre Unterredungen mit Suvich
feststellen können, daß dieser und damit wohl auch sein Chef Mussolini
über die tatsächliche Lage in Österreich vollkommen falsch orientiert sind
und ganz offensichtlich ihre Kenntnisse über diese in der denkbar einseitig-
sten Weise aus Wien beziehen. Da in Rom nach diesen Feststellungen
scheinbar die ganz primitive Auffassung herrscht, daß die totale oder teil-
weise Machtergreifung der NSDAP in Österreich gleichbedeutend sei mit
der sofortigen Vollziehung des Anschlusses, während Dollfuß und seine
Gefolgschaft mit lOOprozentiger Garantie gegen diese seien, und da man
ferner in Dollfuß den absolut zuverlässigen Freund Italiens zu erblicken
scheint, in der österreichischen NSDAP und besonders in mir persönlich
aber einen Feind Italiens, habe ich dem Ministerpräsidenten Göring den
Vorschlag gemacht, von mir aus einmal eine Garnitur von Reden, Aufsätzen
und Erklärungen der heute in Österreich führenden Männer zusammen-
stellen zu lassen, aus denen klar und eindeutig hervorgeht:
1) daß ihre Anschlußgegnerschaft erst datiert seit dem Augenblick, da
ihre innerpolitische Machtstellung durch die NSDAP ernstlich bedroht
wurde, und
2) daß wir bis zu gleichfalls diesem Zeitpunkt unter dem Gesichtspunkt
der Südtiroler Frage von denselben Leuten wegen unserer italienfreund-
lichen Politik aufs heftigste angegriffen und beschimpft wurden.
Ich hoffe, diese Zusammenstellung so rechtzeitig fertigzubringen, daß sie
Herrn Suvich vor seinem Wiener Besuch zugestellt werden kann. Vielleicht
gehen dann den Herren in Rom endlich einmal die Augen auf! Mündlich
ist ihm in Berlin in dieser Richtung schon genug gesagt worden! Er war
sehr erstaunt, Dinge und Zusammenhänge zu erfahren, von denen er bisher
keine blasse Ahnung hatte.
Mit vielen Grüßen und den besten Wünschen für das Weihnachtsfest
und das neue Jahr,3)
Heil Hitlerl
Ihr sehr ergebener
gez. HABICHT

*(2) Siehe Dokument Nr. 145, Anm. 3


(3) Siehe Dokument Nr. 153.

262
Nr. 145 22. DEZEMBER 1933

145
2784/D 540 296-99

Der Botschafter in Rom von Hassell an Ministerialdirektor Köpke


ROM, den 22. Dezember 1933
Lieber Köpke,
vielleicht interessiert es Sie - und ebenso Neurath und Bülow -, wenn
ich Ihnen kurz die Eindrücke schildere, mit denen Suvich hierher zurück-
gekehrt ist,1) d. h. soweit es möglich ist, auf Grund einer Unterhaltung mit
Herrn Suvich selbst und einer Reihe indirekter Informationen darüber ein
Urteil zu gewinnen. In persönlicher Hinsicht scheint Herr Suvich restlos
zufrieden, ja begeistert zu sein; er spricht überall mit Freude und Dankbar-
keit von dem großartigen Empfang, der ihm bereitet worden ist, und von
dem Interessanten, das er gesehen hat. Auch eine Reihe von Persönlich-
keiten, die er noch nicht kannte, vor allem der Reichskanzler selbst sowie
Herr Heß haben ihm großen Eindruck gemacht. Er war außerordentlich
angetan von der langen Unterhaltung mit dem Führer, und ebenso sprach
er mit großer Sympathie von seinem Stellvertreter. Auch hat ihm der Tag
in der Schorfheide2) sehr gut gefallen.3)
Was die sachliche Seite angeht, so ist er sich natürlich darüber im klaren,
daß es sich nur um eine Orientierung über den deutschen Standpunkt in den
schwebenden Fragen gehandelt hat, nicht aber um irgendwelche Verein-
barungen oder auch nur um ein Vorwärtstreiben der Probleme. Die Quint-
essenz seines Eindrucks von der deutschen Haltung in den großen poli-
tischen Fragen ist offenbar die, daß er unsern Standpunkt „molto rigido"
findet. In diesem Sinne hat er nach meinen Informationen auch Mussolini
Bericht erstattet. Wie es scheint, hat er angenommen, wir würden ihm
sowohl in der Abrüstungsfrage wie mit Bezug auf den Völkerbund zu
erkennen geben, daß wir mit uns reden lassen würden, und er ist über-
rascht gewesen, weil er auf eine große Hartnäckigkeit beim Festhalten der
deutschen Grundforderungen stieß.4) Das gilt sowohl von unsern Ansprü-
chen auf dem Gebiete der Abrüstung als auch in bezug auf die Möglichkeit,
uns wieder für den Völkerbund zurückzugewinnen. Einen besonderen
Schrecken scheinen Suvich die SA und SS eingejagt zu haben, die man ihm
vielleicht etwas unnötig reichlich vorgeführt hat, besonders in München.5)
Diese Leute haben ihm an und für sich einen ganz glänzenden Eindruck
gemacht, und er war der Bewunderung für ihre Strammheit und Disziplin
voll. Aber er hat sich, wie er mir in vorsichtiger und anderen in deutlicher

(1) Zu Suvichs Besprechungen in Berlin siehe die Dokumente Nr. 120 und 126.
(2) In der nordöstlich von Berlin gelegenen Schorfheide hatte Göring ein Jagdhaus.
(3) Aus einem Runderlaß des Auswärtigen Amts vom 18. Dezember (8046/E 578 373-84) geht
hervor, daß Suvich mit Göring bei einem Essen zusammengetroffen war, das Göring
ihm zu Ehren am 13. Dezember abends gegeben hatte, und daß er am 14. Dezember
Görings Gast in der Sehorfheide war; am 16. Dezember hatte Suvich in München Heß auf-
gesucht. Aufzeichnungen über diese Unterredungen konnten nicht ermittelt werden.
(4) Randbemerkung Neuraths: „Das hat er und Aloisi schon in Genf immer versucht."
• (*) Randbemerkung Neuraths: „!"

263
Nr. 145 22. DEZEMBER 1933

Form gesagt hat, der Überzeugung nicht verschließen können, daß es sich
dabei um eine ausgezeichnete Truppe handle, der zu der Qualität als
Soldaten nur die Waffen fehlten. Ich bin dieser Ansicht natürlich entgegen-
getreten, aber ich glaube ohne großen Erfolg. Suvich wird also dem eng-
lich-französischen Argument, daß es sich bei den SA und SS um eine Miliz
handle, schwerlich mit großer Energie entgegentreten. Alles in allem ist
Suvich daher ziemlich pessimistisch hinsichtlich der Aussichten für eine
Verständigung mit Frankreich und England zurückgekehrt. Die für die
europäische Lage augenblicklich charakteristische Ratlosigkeit hat sich also
durch den Suvichschen Patrouillenritt nach Berlin nicht vermindert. Ich halte
das durchaus für kein Unglück, weil es nach den Vorgängen des letzten
Jahrzehnts unbedingt nötig ist, der anderen Seite das Gefühl einzuflößen,
daß wir bei unseren Mindestforderungen festzustehen gesonnen sind. Wenn
wir nach dem krisenartigen Augenblick des Austritts aus dem Völkerbund
danach in eine Periode eingetreten sind, in der die Verbesserung unserer
Lage, und übrigens auch der italienischen Lage, durch diesen Schritt augen-
scheinlich wurde, so ist nicht zu verkennen, daß sich nunmehr die Schwie-
rigkeiten und Gefahren wieder auf allen Seiten auftürmen.6) Für diese Lage
ist ein gewisses deutsch-italienisches Vertrauensverhältnis, welches nicht
mit Übereinstimmung der Ansichten identisch zu sein braucht und identisch
sein kann, ganz besonders wichtig, und ich hoffe, daß hierzu der Besuch des
Herrn Suvich in Berlin jedenfalls beigetragen hat. Das gilt auch besonders
von der österreichischen Frage, in der er, so weit ich feststellen kann,
Mussolini über die Berliner Ansichten richtig informiert hat. Die Art, wie
er seine demnächstige Mission in Wien anfaßt, wird auch von unserm
Standpunkt aus nicht unwichtig sein. Hierüber schreibe ich besonders an
Neurath.7)
Um Ihnen eine besondere Freude zu machen, möchte ich noch mein Be-
dauern ausdrücken, daß das Donauproblem, auf das ich in meinem Tele-
gramm Nr. 272 vom 6. d. M.8) und in dem Bericht vom 15. d. M. - I 1817 -•)
hingewiesen hatte, nicht berührt worden ist. Ich selbst habe es gestern
Suvich gegenüber im Sinne meiner Besprechung mit Ritter 10) angeschnitten
und werde demnächst Gelegenheit finden, etwas eingehender darüber mit
Ciancarelli zu sprechen. Ich halte das für um so nötiger, als in Paris zwi-
schen Italienern und Franzosen auf der Basis des italienischen Memoran-
dums Unterhaltungen stattgefunden haben.
Mit herzlichen Wünschen für Sie zum Fest und neuen Jahre
immer Ihr
HASSELL

(8) Randbemerkung Neuraths: „Das ist zutreffend."


(?) Siehe Dokument Nr. 153, Anm. 2.
(8) Dokument Nr. 104.
(») Fundort: 8737/E 610 119-23.
(10) Siehe Dokument Nr. 67, Anm. 8.

264
Nr. 146 23. DEZEMBER 1933

146
7186/E 527 842-43
Der britische Botschafter in Berlin Phipps an den Reichsminister
des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
No. 421 BERLIN, den 23. Dezember 1933
426/48/33 W. 9191
Your Excellency,
I have the honour, under instructions from His Majesty's Principal
Secretary of State for Foreign Affairs,1) to make the following communica-
tion.
2. His Majesty's Government in the United Kingdom have learned with
surprise and regret of the unilateral decision taken by the Reichsbank on
December 18th to reduce during the next six months transfers in respect
of the Service of German loans other than the Dawes and Young Loans. His
Majesty's Government regard it as an essential principle that if any tem-
porary modifications in loan contracts to the detriment of creditors are
required in present circumstances, they should be discussed and agreed
upon between debtors and creditors. Failure to observe this principle must
tend further to undermine the credit of Germany as a whole and will make
it increasingly difficult to maintain international credit Operations on
which the financing of commerce largely depends. In particular the recent
decision ignores first the protest of the representatives of the creditors
against the principle that payment in Reichsmarks satisfies a debt in
foreign currency, and secondly their considered view that no sufficient
case had been made out for making any change in existing arrangements
to the detriment of creditors during the next six months.
3. This decision moreover considerably extends the scope of the Scrip
System and of the differentiation against British creditors in the administra-
tion of this System and therefore reinforces the strong objections to such
differentiation which were referred to in my note of November 8th.2) The
German Government's reply of December 7th 3 ) to this note is at present
receiving consideration, and a further communication on this subject will
be addressed to Your Excellency as soon as possible. At the moment His
Majesty's Government confine themselves to stating that they cannot
regard this reply as providing any sufficient answer to the objections of
principle set forth in my note, and they feel bound to enter an immediate
and energetic protest against the further reduction of transfers which the
Reichsbank have seen fit to make in disregard of the views of British
creditors.
I avail myself of this opportunity to renew to Your Excellency the
assurance of my highest consideration.
ERIC PHIPPS

• (l) Simon.
(2) Fundort: 7186/E 527 784-85.
(3) Fundort: 7186/E 527 819-25.

265
Nr. 147 25. DEZEMBER 1933

147
6615/E 498 989-90

Ministerialdirektor Köpke an die Botschalt in Moskau l)


Telegramm
Nr. 276 vom 25. 12. BERLIN, den 25. Dezember 1933
zu IV Ru. 5640 2)
Ref.: GR Kühlborn i.V.3)
Auf Telegramm Nr. 289 vom 23. Dezember.4)
Nachdem Litwinow gewisse Verhandlungen mit Frankreich zugegeben
hat, bestehen keine Bedenken, ihn direkt darauf zu stellen. Dies könnte in
der Weise geschehen, daß ihm unter Hinweis auf die mit Botschafter
Nadolny getroffene und hier gebilligte Abrede, sich von Informationen
über angebliche Absichten des anderen Teiles gegenseitig zu verständi-
gen,5) mitgeteilt wird, wir hätten Nachrichten darüber erhalten, daß er mit
Frankreich über einen Bündnisvertrag verhandele. Sollte er irgendwelche
Verhandlungen zugeben, die als gegen uns gerichtet anzusehen sind oder in
ihren Folgen gegen uns gerichtet sein können, so wäre er darauf hinzu-
weisen, daß dies die Reichsregierung nicht gleichgültig lassen könne; sie
befolge bisher keinerlei Politik, die irgendwie gegen die Sowjetunion ge-
richtet sei oder den Abmachungen des Berliner Vertrags') nicht entspreche.
Wenn aber die Sowjetregierung diese Linie verlasse, so könnten wir nicht
umhin uns zu überlegen, welche Folgerungen wir daraus zu ziehen hätten.
Zum mindesten hätten wir nach der Unterhaltung, die Herr Litwinow mit
Botschafter Nadolny gehabt habe, erwartet, daß er vor Eingehen auf
irgendwelche, das Verhältnis zu uns berührende Verhandlungen dessen
Rückkehr abwarten würde, und wir möchten empfehlen, dies noch jetzt zu
tun.
Ob Sie in vorstehend angegebener Weise an Litwinow herantreten oder
ob dies bis nach Rückkehr des Botschafters Zeit hat, wird Ihrem Ermessen
überlassen.
Drahtbericht.7)
gez. KÖPKE

*(l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 1. 1."


(2) IV Ru. 5640: Telegramm Twardowskis Nr. 289 vom 23. Dezember (6615/E 498 987-88)
Siehe Anm. 4.
(3) Nach einem von Kühlborn abgezeichneten Randvermerk wurde der Text der Vorlage
zwischen Nadolny, der sieh zu der Zeit in Berlin aufhielt, und Köpke abgestimmt.
(4) Twardowski hatte in den Telegrammen Nr. 287 vom 22. Dezember (6615/E 498 978) und
Nr. 289 vom 23. Dezember (siehe Anm. 2) berichtet, unter welchen Umständen ihm
Informationen über angebliche Verhandlungen zwischen Frankreich und der Sowjetunion
zugegangen waren. Weitere Einzelheiten hierzu finden sich in der als Dokument Nr. 148
gedruckten Aufzeichnung Twardowskis vom 26. Dezember.
(«) Siehe Dokument Nr. 127.
*(«) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 29 mit Anm. 9 und Dokument Nr. 212.
(7) Siehe Dokument Nr. 150.

266
Nr. 148 26. DEZEMBER 1933

148

6615/E 498 981-86

Autzeichnung des Botschattsrats von Twardowski (Moskau)l)


Geheim MOSKAU, den 26. Dezember 1933
A2848 z u I V R u . 5619 2)
AKTENNOTIZ

Inhalt: Angebliches französisches Angebot an die Sowjetunion auf Ab-


schluß eines Regionalpaktes.

Wie bereits anderweitig gemeldet,3) hat mich ein Deutschland wohlge-


sonnener amerikanischer Journalist in der Nacht vom 21. zum 22. Dezem-
ber darüber unterrichtet, daß er aus absolut einwandfreier Quelle erfahren
habe, daß Frankreich in den letzten Tagen der Sowjetunion ein Angebot
gemacht habe auf Abschluß eines Paktes über gegenseitige Unterstützung
für den Fall, daß das europäische Gebiet eines der beiden Partner von
einer dritten Macht angegriffen würde. Der französische Vorschlag sehe die
Definition des Angreifers gemäß den durch die Sowjetunion abgeschlosse-
nen Londoner Protokollen 4 ) vor. In der Sowjetunion, die früher jeder Bin-
dung an eine europäische Mächtegruppierung abgeneigt gewesen sei, be-
stehe neuerdings unter dem Eindruck der Entwicklung der Dinge im Fernen
Osten eine starke Strömung, auf den französischen Vorschlag einzugehen.
Er habe diese seine Information als Pressemeldung an seine Zeitung geben
wollen, da sie nach seiner Meinung eine politische Sensation ersten Ranges
darstelle. Die russische Zensur habe sein Telegramm zunächst als völligen
Unsinn bezeichnet, als er aber sich mit der Abweisung nicht abgefunden
habe, sei ihm nach Rückfrage der Zensurstelle bei der vorgesetzten Behörde
schließlich mitgeteilt worden, seine Meldung sei verfrüht und der gegen-
wärtige Zeitpunkt sei nicht geeignet, um der Öffentlichkeit hiervon Mit-
teilung zu machen.
Der amerikanische Journalist, der mit dem neuen amerikanischen Bot-
schafter gut befreundet ist, hat mir diese Mitteilung gemacht, nachdem er
Herrn Bullitt auf die Bahn begleitet hatte. Ich halte es also nicht für aus-
geschlossen, daß diese Information von Herrn Bullitt selbst stammt.5)

(i) Die Vorlage befindet sich in den Akten des Auswärtigen Amts. Sie enthält keine An-
gabe über den Zeitpunkt ihres Eintreffens in Berlin, wo sie am 30. Dezember 1933 von
Hey abgezeichnet wurde. Der Entwurf der Botschaft in Moskau (M 150/M 005 186-93)
war ursprünglich in der Form eines Politischen Berichts an das Auswärtige Amt abge-
faßt worden.
(2) IV Ru. 5619: Telegramm Twardowskis Nr. 287 vom 22. Dezember (6615/E 498 978). Siehe
Dokument Nr. 147, Anm. 4.
• (3) Siehe Anm. 2.
(4) Londoner Konvention ü b e r die Definition des Angreifers vom 3. Juli 1933, abgedruckt
in S. d. N., Recueil des Traitis, Nr. 3391, Bd. CXLVII, S. 67-77. Siehe Serie C, Bd. I, 2,
D o k u m e n t Nr. 342 u n d A n m . 4 dazu.
(5) Siehe hierzu Foreign Relations ol the United States, 1933, Bd. II, S. 830-40.

267
Nr. 148 26. DEZEMBER 1933

Am 22. Dezember hatte ich Gelegenheit, mit einem hiesigen Diplomaten,


der mit uns eng befreundet ist, über das französische Angebot an die
Sowjetunion zu sprechen. Dieser Diplomat war von meinen Mitteilungen
aufs höchste betroffen, hielt die Informationen aber für durchaus möglich
und sagte mir zu, midi alsbald zu informieren, sobald er näheres gehört
habe. Er sprach Litwinow am 23. und kam unmittelbar nach der Unter-
redung zu mir. Nach seiner Schilderung hat Litwinow, als er ihm mitteilte,
daß er sowohl aus Paris als auch aus Warschau Informationen erhalten
hätte, Frankreich habe der Sowjetunion einen Pakt über assistance mutu-
elle vorgeschlagen, sich außerordentlich nervös benommen und unter vielen
Worten den Versuch gemacht, einer direkten Beantwortung der Frage
auszuweichen. Litwinow habe bemerkt, daß die assistance mutuelle eine
alte, längst bekannte französische Idee sei, die im Rahmen der Abrüstungs-
konferenz und der Sicherheitsfrage immer wieder behandelt worden sei.
Als mein Gewährsmann sich mit dieser Antwort nicht zufrieden gab, son-
dern präzise Fragen stellte, habe Litwinow sichtlich gereizt höchst unklar
davon gesprochen, daß man versuchen müsse, eine Contre-Partie gegen
Locarno für den Osten zu schaffen, und habe sich schließlich in Andeutun-
gen darüber ergangen, daß es sich bei dem französischen Vorschlage um
einen Regionalpakt handele, und zwar im Rahmen des Völkerbundes. Als
der Diplomat dann darauf verwies, daß ein solcher Regionalpakt für den
Osten also voraussichtlich wohl Polen, die Kleine Entente und die Sowjet-
union unter französischer Führung umfasse und daß dies die Einkreisung
Deutschlands bedeute, habe Litwinow nur mit den Achseln gezuckt und sich
hierüber nicht weiter geäußert. Abschließend habe Litwinow gesagt, daß
der Widerstand der leitenden Kreise in der Sowjetunion gegen das fran-
zösische Projekt von Tag zu Tag schwächer werde.
Nach diesen beiden Informationen ist die Wahrscheinlichkeit, daß von
französischer Seite an die Sowjetunion ein Angebot gemacht worden ist,
das irgendwie auf ein Defensivbündnis hinausläuft, sehr groß. Ist diese
Voraussetzung richtig, ergibt sich folgende Lage:
Die Außenpolitik der Sowjetunion wird völlig beherrscht von der Furcht
vor Komplikationen im Fernen Osten. Es gibt hier sehr einflußreiche Kreise,
die der Auffassung sind, daß eine deutsch-japanische politische Annäherung
sich rasch entwickle und daß Deutschland die Gelegenheit einer Bindung
der sowjetischen Machtmittel im Fernen Osten dazu benutzen würde, um
auf Kosten der Sowjetunion seine eigenen territorialen Revisionswünsche
zu regeln. Das Mißtrauen gegenüber Deutschland ist groß und wird von
bestimmten Kreisen auf jede Weise geschürt.
Ein Regionalpakt für den Osten Europas unter französischer Führung
würde voraussichtlich außer der Sowjetunion Polen und die Kleine Entente
umfassen. Inwieweit dieser Pakt noch nach Norden auf die Randstaaten
und nach Südosten auf die Türkei ausgedehnt werden könnte oder würde,
ist zur Zeit von hier aus nicht zu beurteilen. Jedenfalls dürfte aber der
französische Vorschlag an die Sowjetunion in irgendeiner Form auf eine
Einkreisung und möglichste Isolierung Deutschlands hinauslaufen.
Bei der Frage, ob man dem französischen Angebot folgen soll oder nicht,

268
Nr. 148 26. DEZEMBER 1933

dürften für die Sowjetunion folgende Überlegungen in erster Linie mit-


sprechen:
Die Sowjetunion ist sehr ruhebedürftig, um den inneren Neubau durch-
führen zu können. Sie steht daher allem, was Unruhe und Konflikte in der
Welt hervorrufen kann, insbesondere der deutschen Revisionspolitik, zur
Zeit innerlich ablehnend gegenüber. Die Sowjetunion ist territorial ge-
sättigt und ist daher konsequenterweise im Laufe der letzten Zeit zu einem
Verfechter des Status quo geworden, womit in der Grundlinie eine gewisse
Parallelität mit der französischen Außenpolitik eingetreten ist. In ihrem
Ruhebedürfnis hat die Sowjetunion bisher ängstlich jede Bindung an eine
europäische Gruppierung vermieden und als ihr oberstes außenpolitisches
Gesetz den Grundsatz der freien Hand proklamiert.
Ein Eingehen auf die französischen Vorschläge würde die Sowjetunion
mit einem Schlage von ihren europäischen und wahrscheinlich auch von
einem großen Teil ihrer asiatischen Sorgen befreien. Sie würde vollbe-
rechtigtes Mitglied des mächtigsten europäischen Konzerns, ein verlocken-
der Gedanke für die Sowjetdiplomatie, die 14 Jahre lang das bittere Los
des Paria ertragen mußte.
Geopfert werden müßte die bisher ängstlich gehütete Freiheit. Da eine
Bindung die Sowjetunion unter Umständen in Konsequenzen verstricken
könnte, an denen sie kein Interesse hat, wird letzten Endes ein Eingehen
auf die französischen Absichten nur erfolgen, wenn ein anderer Ausweg
mit ähnlichen Sicherheitsgarantien sich nicht bietet. Mit anderen Worten:
die Frage, ob die Sowjetunion auf das französische Angebot eingeht oder
nicht, wird im hohen Maße durch die Politik entschieden werden, die
Deutschland jetzt gegenüber der Sowjetunion einschlägt. Entschließen wir
uns dazu, den Russen ein Angebot zu machen, das ihrem Sicherheits- und
Ruhebedürfnis Rechnung trägt und das alte Vertrauensverhältnis zwischen
den Rapallo-Mächten wiederherstellt, so scheint mir die Wahrscheinlich-
keit dafür zu sprechen, daß man das französische Angebot fallen läßt. Sind
wir dagegen nicht in der Lage oder nicht gewillt, das russische Mißtrauen
durch energische Maßnahmen zu beseitigen, so scheint mir ein Abgleiten
der russischen Politik ins französische Fahrwasser in gefährliche Nähe
gerückt.
Wenn tatsächlich ein französisches Angebot vorliegt, hat dieses die
Sowjetunion diplomatisch uns gegenüber in eine sehr günstige Lage ge-
bracht. Eine russische Initiative, um die deutsch-sowjetischen Beziehungen
wieder in Ordnung zu bringen, ist dann nicht mehr zu erwarten. Vielmehr
wird die russische Taktik darin bestehen, über das französische Angebot
ernstlich zu verhandeln, aber eine Entscheidung solange hinauszuschieben,
bis sie glaubt, Klarheit darüber gewonnen zu haben, ob von deutscher
Seite ernste Vorschläge zu erwarten sind.
gez. VON TWARDOWSKI

269
Nr. 149 27. DEZEMBER 1933

149
8115/E 580 177-78
Der Botschalter beim Heiligen Stuhl von Bergen an das Auswärtige Amt')
Telegramm
Nr. 114 vom 27. 12. ROM (Vat.), den 27. Dezember 1933 20 Uhr 35
Ankunft: 27. Dezember 23 Uhr
II Vat. 617
Im Anschluß an Tel[egramm] Nr. 113 vom 27. [12.]2)
Anknüpfend an Neujahrswünsche für ganzes deutsches Volk sagte Seine
Heiligkeit 3 ) nach einer Pause Überlegung mit verhaltener Erregung, ihm
zugingen aus allen Ständen und Orten Deutschlands dauernd Briefe mit
bitteren Klagen über die dortigen Zustände. Ich antwortete mit dem Be-
merken, Zweck der schwebenden Verhandlungen wäre ja, entstandene
Schwierigkeiten zu beheben, und angesichts des guten Willens beider Par-
teien könne ein befriedigendes Ergebnis erhofft werden. Der Papst, der
Erwiderungen nicht liebt und meine späteren Einwürfe mit sichtlich zu-
nehmendem Unbehagen vorbeigehen ließ, antwortete kurz, er bezweifle
nicht im geringsten loyalen Willen Regierung; dieses alles dauere aber
bereits allzulange und fuhr fort: Die ständig zunehmenden Klagen be-
reiteten ihm tiefen Schmerz, einige Nachrichten erfüllten ihn mit beson-
derer Sorge, so z.B. diejenigen über die Jugenderziehung; er verstehe, daß
der Staat die Jugend zu tüchtigen Bürgern heranbilden wolle, das sei sein
gutes Recht, aber auf kirchliche katholische Jugenderziehung könne er, der
Papst, nicht verzichten und - jedes Wort stark betonend - „werde er auch
nicht verzichten". - Die Versuchung, alle diese Dinge in der Weihnachts-
ansprache zu erwähnen, wäre stark gewesen; er hätte aber davon abge-
sehen und nur - durch die Verhältnisse gezwungen - auf das antipathische
Sterilisationsgesetz 4 ) hingewiesen. Er beklage, daß ein Volk wie das
deutsche zu derartigen Anordnungen wie dem Sterilisationsgesetz griffe; er
kenne die von mir und auch von anderer Seite vorgebrachten Argumente;
er studiere alle diese Fragen sehr genau; aber er und das Ausland ver-
ständen nicht die Überspannung der deutschen Maßnahmen, die weit über
die Grenze natürlicher Abwehr gingen. Warum in allem dies ungeheuer
schnelle Tempo und gerade bei einem sonst so objektiven und ruhigen
Volk? Der Papst schloß mit nochmaligen wärmsten Wünschen für ganz
Deutschland; er hoffe trotz allem auf ein gutes Ende, und er würde dafür
beten.
Äußerungen des Papstes dürften die Gedanken wiedergeben, die er ur-
sprünglich in die Weihnachtsansprache an die Kardinäle legen wollte,
aber auf unsere Einwirkung hin hat fallen lassen.
Dem Zeremoniell entsprechend begab ich mich nach der Audienz zum
(1) Die Vorlage ist nicht unterzeichnet.
(2) Nicht ermittelt.
• (3) Papst Pius XI.
(4) „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933, Reichsgesetzblatt,
1933, Teil I, S. 529-31.

270
Nr. 150 27. DEZEMBER 1933

Kardinalstaatssekretär, 5 ) sagte ihm kurz Inhalt der Äußerungen Seiner


Heiligkeit und bemerkte, es wäre nicht möglich, mit dem Papste und
Souverän zu debattieren; Kardinal und ich würden noch Gelegenheit haben,
uns über die verschiedenen Fragen zu unterhalten. Auf den österreichischen
Hirtenbrief 6 ) übergehend betonte ich, daß die unerhörte Einmischung des
österreichischen Episkopats in innerdeutsche Verhältnisse und deutsche
bzw. deutsch-vatikanische Angelegenheiten höchst peinlichen Eindruck
machen müsse und sehr befremdlich wäre; Kardinal anhörte meine längeren
kritischen Bemerkungen ohne Stellungnahme, äußerte mehrmals, er könne
nur wiederholen, daß er von dem Hirtenbrief vorher nicht das geringste
gewußt hätte.

*(5) Pacelli.
(6) Die österreichischen Bischöfe hatten am 22. Dezember einen Hirtenbrief verlesen lassen,
in dem sie sich gegen die Nationalsozialisten aussprachen und die Bemühungen Dollfuß'
um die Schaffung eines katholischen Staatswesens würdigten. Sie verurteilten auch den
nationalsozialistischen Standpunkt in Rassen- und Sterilisationsfragen.

150
6615/E 498 999-9002
Botschaitsrat von Twardowski (Moskau) an das Auswärtige Amt
Telegramm
Cito MOSKAU, den 27. Dezember 1933 22 Uhr 47
Geheim Ankunft: 28. Dezember 3 Uhr
Nr. 291 vom 27. 12. IV Ru. 5648
[Im] Anschluß [an Telegramm Nr.] 289.1) Auf [Telegramm Nr.] 276.2)
Daß ein französisches Angebot, zum mindesten französische Anregung an
die Sowjetunion ergangen ist, dürfte nach den Ausführungen Litwinows
gegenüber meinem Gewährsmann kaum noch zu bezweifeln sein. Damit
würden sich in außenpolitischer Lage der Sowjetunion folgende grund-
legende Änderungen vollziehen:
a) Angebot gleichberechtigter Partnerschaft durch mächtigsten europäi-
schen Konzern an die Sowjetunion (damit rückt russisches Interesse für
Deutschland in den Hintergrund).
b) Die Sowjetunion wird ihrer Besorgnis um Westgrenze enthoben 3 )
und kann ihre ganze Kraft auf Regelung fernöstlicher Frage konzentrieren.
c) Gefahr Zusammenstoßes im Fernen Osten wird auf ein Minimum
reduziert,4) da Japan damit rechnen müßte, daß im Kriegsfall die Sowjet-
union zum mindesten indirekt diplomatische und wirtschaftliche Hilfe neuen
Verbündeten erhält.

(i) Siehe Dokument Nr. 147, Anm. 4.


(2) Dokument Nr. 147.
(3) Randbemerkung: „Wenn Polen dabei."
• (4) Randbemerkung: „?"

271
Nr. 150 27. DEZEMBER 1933

Dies sind Gesichtspunkte, die bei gegenwärtiger Lage der Sowjetunion


und ihrem daraus resultierenden Ruhebedürfnis die Beschlüsse der
Sowjetregierung im positiven Sinne entscheidend beeinflussen können. Für
Ablehnung französischen Angebots spricht prinzipielle Erwägung, daß die
Sowjetunion durch dessen Annahme von bisherigem Grundsatz ihrer
Außenpolitik, sich nicht an eine europäische Gruppierung zu binden, ab-
gehen würde, ein Opfer, das man hier sicher nur mit Widerwillen und nur
dann bringen würde, wenn sich ein anderer ebenso vorteilhafter Ausweg
nicht ergibt.
Da das sowjetische Ruhe- und Sicherheitsbedürfnis Zusammengehen mit
unserer Revisionspolitik problematisch macht, sind die Voraussetzungen
für Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Sowjetunion in der
großeuropäischen Politik zur Zeit nicht vorhanden. Infolgedessen sehe
ich gegenwärtiges Ziel unserer Rußlandpolitik zunächst darin, einen offenen
Abmarsch der Sowjetunion in das französische Lager zu verhindern. Das
Mißtrauen in die Zuverlässigkeit Deutschlands ist hier in allen maßgeben-
den Kreisen, insbesondere beim Außenkommissar sehr groß. Diese Tat-
sache, so unberechtigt sie auch ist, darf nicht unterschätzt werden. Das
übelwollende Mißtrauen maßgebender Sowjetkreise gegen Deutschland
äußert sich u. a. in fortdauernder Hetze in Presse und Radio. Der Versuch,
dieses Mißtrauen lediglich durch offene Aussprache beseitigen zu wollen,
wird sehr viel Zeit in Anspruch nehmen und hätte zur Voraussetzung, daß
wir die Russen über unsere politischen Absichten, insbesondere Abrüstungs-
frage, unser Verhältnis zu Frankreich, Polen usw. weitgehend und offen
informieren. Unsere bisherige Zurückhaltung in dieser Hinsicht öffnet
Intrigen der anderen Seite Tor und Tür. Liegt tatsächlich ein französisches
Angebot vor, so ist von russischer Seite meines Erachtens eine auf die Ver-
besserung der deutsdi-sowjetisdien Beziehungen gerichtete Initiative nicht
mehr zu erwarten. Die russische Taktik würde vielmehr darauf hinauslau-
fen, das französische Projekt weder abzulehnen noch anzunehmen, aber
ernsthaft darüber zu verhandeln, um Zeit zu gewinnen. Ergreifen wir in der
Zwischenzeit die Initiative und machen den Russen Vorschläge, die auf eine
Wiederherstellung des gegenseitigen Vertrauens gerichtet sind und dem
russischen Bedürfnis, den Rücken im Kriegsfall mit Japan frei zu haben,
Rechnung tragen, so wird die Sowjetregierung mit großer Wahrscheinlich-
keit der Bindung an den französischen Konzern die Aufrechterhaltung ihrer
Handlungsfreiheit vorziehen. Bleiben wir dagegen auch nach dem franzö-
sischen Angebot auf unserem bisherigen Standpunkt stehen, daß Russen
keinen Grund hätten, an unserer Loyalität zu zweifeln und daß daher deut-
scherseits ein entsprechendes Angebot nicht in Frage komme, so besteht
die Gefahr, daß Litwinow die sowjetische Außenpolitik weiter in franzö-
sisches Fahrwasser steuert. Daher sehen die hiesigen deutschfreundlichen
Kreise der Rückkehr des deutschen Botschafters aus Berlin diesmal mit
besonderer Spannung entgegen.5)
Bei dieser Beurteilung der Lage kann ich mir von einer Demarche durch
(5) Nadolny, der zwecks Übersiedlung seiner Familie nach Moskau nach Deutschland
gereist war, kehrte am 2. Januar 1934 in die sowjetische Hauptstadt zurück. Siehe
Nadolny, Mein Beitrag, S. 149.

272
Nr. 151 27. DEZEMBER 1933

mich im Rahmen dortiger Weisung eine erfolgreiche Beeinflussung der


Litwinow-Politik nicht versprechen. Im Gegenteil, eine solche Demarche
könnte die Situation für Botschafter Nadolny unter Umständen sogar er-
schweren. Da ich auch nicht annehme, daß Litwinow mich weitergehend in-
formieren würde als meinen Gewährsmann, werde ich Demarche nur aus-
führen, falls ich nochmalige ausdrückliche Weisung hierzu erhalte.6)
TWARDOWSKI
(6) Randvermerk: „Anderweitig berichtet. St[ediow] 3. 1." Weisungen des Auswärtigen
Amts an die Botschaft in Moskau konnten nicht ermittelt werden, doch scheint Nadolny
mündliche Instruktionen aus Berlin mitgebracht zu haben. Das Telegramm Nr. 320 vom
30. Dezember an die Botschaft in Rom (6615/E 499 018) enthält den Hinweis: „Botschafter
Nadolny, der zu Neujahr nach Moskau zurückkehrt, hat Weisung, unverzüglich Schritte
zur Aufklärung der Lage zu unternehmen." Siehe Dokument Nr. 163.

151
9037/E 633 057-63
Das Reichsbank-Direktorium an Reichswirlschaltsminister Schmitt*)
Abschrift
Nr. II a 32940 BERLIN, den 27. Dezember 1933
W. 9305
Betr.: Transfer-Sonderverträge mit der Schweiz und Holland.2)
Da in diesen Tagen von der Reichsregierung die Entscheidung darüber
zu treffen ist, ob die mit Ende dieses Jahres ablaufenden Transfersonder-
verträge mit der Schweiz und mit Holland erneuert werden sollen, möch-
ten wir es nicht unterlassen, unsere wiederholt geäußerten Bedenken gegen
das System der Sonderverträge, das mit großer Wahrscheinlichkeit zu
einer völligen Beseitigung des nach Erklärung des Transfermoratoriums zu-
nächst mit gutem Erfolge aufgebauten Scripverfahrens führt, nochmals dar-
zulegen.
Der Gedanke des Scripverfahrens beruht im wesentlichen darauf, daß
der deutsche Zahlungsdienst gegenüber dem Auslande praktisch aufrecht-
erhalten wurde und die einzelnen Schuldner nicht in Zahlungsverzug
kamen. Diese Tatsache ist ja auch vom Auslande wiederholt anerkannt
worden. Die Kritik an den deutschen Maßnahmen hat eigentlich erst nach
Abschluß der von dem Prinzip der gleichmäßigen Gläubigerbehandlung
abweichenden Verträge mit der Schweiz und mit Holland eingesetzt. Wir
wollen zunächst nicht in Erörterungen eintreten, ob der Grundsatz der
Gleichmäßigkeit tatsächlich durch diese Verträge berührt worden ist, und
unterstellen, daß die für den Volltransfer zusätzlich erforderlichen Devisen
wirklich durch zusätzlichen Export nach diesen Ländern aufgebracht wor-

(1) Die Vorlage wurde dem Auswärtigen Amt zur Kenntnisnahme übersandt und trägt den
Vermerk: „Sofort abtragen!"
(2) Siehe Dokument Nr. 103 und Anm. 1 dazu.

273

11,1 Bg. 18
Nr. 151 27. DEZEMBER 1933

den sind. Dies ist aber für die Meinungsbildung in den Gläubigerländern
nicht ausschlaggebend. Die Meinung über die deutsche Haltung entsteht
weniger in den Kreisen der Regierungen oder der gut unterrichteten Ban-
ken usw., obwohl auch dort ernste Zweifel an der aufrichtigen Durchführung
der von Holland und der Schweiz übernommenen zusätzlichen Einfuhrver-
pflichtungen geäußert worden sind, sondern durch die Stimmen der in
ihren Rechten sich getäuscht fühlenden Gläubiger, d. h. der einzelnen Be-
sitzer von Kupons und Dividendenscheinen usw. In diesen Kreisen ist die
ganz primitive Anschauung entscheidend, daß der schweizerische und der
holländische Gläubiger besser gestellt sind als die übrigen; so dürfte sich
die abfällige Kritik in der ausländischen Presse gebildet haben. Wir glau-
ben nicht zu übertreiben, daß infolge der erwähnten Sonderverträge die
deutsche Schuldnermoral in der Welt als erschüttert angesehen wird; dies
umsomehr, nachdem der Bartransfer ab 1. Januar 1934 auf 30°/o herab-
gesetzt worden ist und dadurch sich die Spanne gegenüber dem bisherigen
Zustande noch erweitert hat. Es ist eine Lage geschaffen, die künftige Ver-
handlungen mit dem Auslande auf dem Gebiete der Schuldentilgung außer-
ordentlich erschwert.
Die Sonderverträge sind aber nach unserem Dafürhalten auch nicht
einmal vorteilhaft für Deutschland gewesen. Auch wir haben nicht den
Eindruck, daß die mit diesen Vertragsländern vereinbarten zusätzlichen
Exportmengen tatsächlich in voller Höhe Deutschland zugute gekommen
sind. Vor allem ist aber der grundsätzliche Unterschied zwischen derartigen
zusätzlichen und dem mit Hilfe des Scripverfahrens erreichten Export her-
vorzuheben. Der sogenannte zusätzliche Export nach der Schweiz und
Holland trägt in keiner Weise zu einer Erhöhung der Devisenbestände der
Reichsbank bei, da bekanntlich diese Länder Zusatzexporte nur in Höhe
der einzulösenden Scripbeträge von Deutschland aufnehmen. Der Gegen-
wert dieser Exporte kommt zwar in Valuten herein, bereichert aber nicht
unseren Devisenbestand, da die Exporterlöse voll für die Auffüllung der
Transferquote verwendet werden. Die zusätzlich exportierten Waren wer-
den also gewissermaßen an Zahlungs Statt hingegeben.
Ganz anders ist es bei dem Scripverfahren. Hier wird die Ersparnis an
Devisen, die dadurch erzielt wird, daß die Scrips nur mit 50 °/o vom Aus-
lande zurückgekauft werden - eine Ersparnis, die also gleich 25 °/o des
Zinsscheinbetrages ist -, in die Hand eines deutschen Exporteurs gelegt als
Ausgangspunkt für ein zusätzliches Exportgeschäft, dessen voller Fakturen-
erlös in die Devisenbestände der Reichsbank fließt und zu deren Erhöhung
beiträgt, lediglich gekürzt um den zum Scriperwerb benötigten Devisenbe-
trag. Während also in den Fällen der Sonderabkommen eine Devisenver-
mehrung für die Reichsbank, wie wiederholt bemerkt sei, in keiner Weise
eintritt, ergibt sich bei Anwendung des Scripverfahrens eine Erhöhung des
Devisenbestandes der Reichsbank, die ein Mehrfaches von den zum Erwerb
der Scrips aufgewendeten Valutenbeträge ausmacht. Hierin liegt für die Be-
trachtungsweise der Reichsbank der entscheidende Punkt. Es kann gar
keinem Zweifel unterliegen, daß ein Abgehen vom Scripverfahren die Aus-
sichten auf eine echte Anreicherung unserer Devisenbestände in höchstem
Maße in Frage stellt.

274
Nr. 151 27. DEZEMBER 1933

Aber auch volkswirtschaftlich gesehen scheint uns die bei den Sonder-
verträgen vorgesehene Massenausfuhr von Stapelerzeugnissen wie Kohle
und Roggen weniger wichtig als eine Stützung unserer weitverzweigten
Exportindustrie und der in ihrer Existenz äußerst bedrohten zahlreichen
Außenhandelsfirmen der Hansestädte. Mit dem Untergang jeder dieser
Firmen gehen volkswirtschaftlich wie völkisch wertvolle Verbindungen
wohl endgültig für Deutschland verloren. Ist Deutschland erst einmal mit
seinen Industrieerzeugnissen, wie Maschinen, Textilien, Kleineisen usw.,
durch Amerika, England, Japan von den Absatzgebieten verdrängt, so sind
diese Märkte schwer wieder zurückzuerobern. Auch die Belange der
Arbeitsbeschaffung dürften mehr für eine Begünstigung der unter wesent-
licher Beteiligung der menschlichen Arbeitskraft erstellten Qualitätspro-
dukte sprechen.
Die Drohung der Schweiz, zu Zwangsmaßnahmen Deutschland gegenüber
zu schreiten, wenn ihr die erlangten Sondervorteile nicht fernerhin gewährt
werden, möchten wir nicht so ernsthaft nehmen. Diesen Drohungen der
Schweiz stehen heute ähnliche Äußerungen anderer Länder gegenüber.
Wie wir aus wiederholten Besprechungen - vor allem mit den englischen
und amerikanischen Gläubigern - feststellen konnten, besteht durchaus die
Gefahr, daß im Falle einer Verlängerung der Verträge bei der englisch-
amerikanischen Gläubigergruppe Zwangsmaßnahmen gleicher Art unter
Umständen auch unter Einbeziehung der Tilgungsquoten und fälliger An-
leihen in Gang gebracht werden. Die fordernde Haltung, die Amerika in
der Behandlung der Großschiffahrtsbonds eingenommen hat, zeigt zur Ge-
nüge die dort vorhandene, zu Gewaltakten neigende Stimmung. Anderer-
seits haben uns England und auch Amerika wiederholt wissen lassen, daß
sie volles Verständnis - hierbei kann man wohl von den tendenziösen Ver-
öffentlichungen ihrer Presse absehen - für die Notwendigkeit hätten, daß
die Devisenreserven der Reichsbank gestärkt werden müßten, nicht zuletzt
deswegen, damit Deutschland wieder mehr als bisher als Käufer im inter-
nationalen Handelsverkehr auftreten könnte. Weiterhin hat man uns be-
deutet, daß die Kürzung der zu transferierenden Barquote, ja vielleicht
sogar ein stärkeres Disagio beim Rückkauf von Scrips hingenommen wer-
den würde, wenn nur der von vornherein, und zwar zunächst auch von
Holland und der Schweiz mit aufgestellte Grundsatz einer einheitlichen
Behandlung der Gläubiger wieder hergestellt würde.
Einen Ausweg aus dieser schwierigen Lage können wir nur in einer
Lösung der Sonderverträge erblicken. Die Reichsbank möchte daher in
Würdigung aller für und gegen den Abschluß oder die Erneuerung von
Sonderabkommen sprechenden Momente dringend davor warnen, solche
Abkommen zu schließen oder über eine knapp zu bemessende Abiaufzeit
hinaus fortzusetzen, da sonst die Gefahr einer Lahmlegung unserer Export-
tätigkeit überhaupt heraufbeschworen wird und die völlige Einstellung des
Transfers in absehbarer Zeit unvermeidlich ist. Es ist natürlich nicht zu über-
sehen, daß gerade die Schweiz und Holland stark passiv sind im Handel mit
Deutschland, d. h. verhältnismäßig viele deutsche Waren abnehmen. Ver-
glichen mit dem Gesamtaußenhandelsvolumen Deutschlands jedoch
schrumpft die Bedeutung ihrer Sonderstellung stark zusammen.

275
Nr. 152 28. DEZEMBER 1933

Da der Herr Reichswirtschaftsminister den hier Anfang Dezember ange-


hörten ausländischen Gläubigervertretern in bestimmte Aussicht gestellt
hat, sie vor Ingangbringung neuer Verträge oder Verlängerung des hollän-
dischen oder des schweizerischen Vertrages zu hören, sich also eine er-
neute Befragung der Gläubigervertreter notwendig ergibt, würden wir es
für richtig halten, wenn insbesondere der angelsächsischen Gruppe mit aller
Offenheit die deutsche Situation klargelegt und kein Hehl daraus gemacht
würde, daß nur die lückenlose Wiederherstellung des Devisen schaffenden
Scripverfahrens einen Transfer ermöglicht, der, wie wir hoffen, dann nicht
in dauernd absteigender Linie zu sehen sei. Der schon jetzt von der ge-
nannten Gruppe auf die Schweiz, um die es sich ja ganz vornehmlich han-
delt, ausgehende Druck würde sich dann wohl automatisch verstärken, und
es sollte nach unserem Dafürhalten gelingen, dieses Land zu einem Verzicht
auf den Sondervertrag zu bringen, ohne daß sich daraus handelspolitische
oder sonstige Nachteile für die deutschen Beziehungen zur Schweiz erge-
ben.3)
REICHSBANK-DIREKTORIUM
(3) In dem Entwurf eines Antwortschreibens an das Reichsbankdirektorium, das dem Aus-
wärtigen Amt abschriftlich übermittelt wurde (9037/E 633 064-70), wandte sich der Reichs-
wirtschaftsminister gegen die Unterbrechung der Verhandlungen über eine Verlänge-
rung der Transfer-Sonderverträge mit der Schweiz und Holland und schlug vor, den
gesamten Fragenkomplex der Transfervereinbarungen zum Gegenstand einer Bespre-
chung zwischen Vertretern der Regierung und Vertretern des Reichsbankdirektoriums
zu machen.

152
8115/E 580 183-86
Der Botschafter beim Heiligen Stuhl von Bergen an den Reichsminister
des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
ROM, den 28. Dezember 1933
II Vat. 21
Lieber Neurath!
Mit Bericht Nr. 264 vom 23. Oktober d. J. habe ich Abschrift eines um-
fangreichen Promemoria des Kardinalstaatssekretärs mit seinen Beschwer-
den über Nichtausführung und Verletzungen des Reichskonkordats einge-
reicht,1) das wunschgemäß unmittelbar an Herrn Buttmann bei seiner An-
kunft in Rom weiterging. Ich vermied es mit voller Absicht, zum schul-
meisterlichen und mit allerlei Drohungen versehenen Promemoria Stellung
zu nehmen, weil dasselbe als Material für die damaligen Verhandlungen
gedacht war und das Minimum des nach längerem Ringen zusammenge-
drückten vatikanischen Offensivplanes (scharfe Protestnote des Kardinal-
staatssekretärs und darauf folgende öffentliche Kundgebung des Papstes 2 ))
(1) Bergen hatte mit seinem Bericht Nr. 264 vom 23. Oktober (8115/E 580 114) den Text des
Promemorias Pacellis übermittelt, das als Anlage zu Dokument Nr. 17 abgedruckt ist.
• (2) Pius XI.

276
Nr. 152 28. DEZEMBER 1933

darstellte. Ich habe aber nicht unterlassen, dem Kardinalstaatssekretär


persönlich zu sagen, daß ich das Promemoria reichlich scharf und schroff
fände. In den letzten Wochen wuchs, wie Ihnen bekannt, die Spannung hier
zu einer äußerst bedenklichen Stärke an; alle Welt erwartete eine sehr
scharfe Kundgebung des Papstes gegen uns in der Weihnachtsallokution
(einen Reflex dieser Annahme möchte ich in einzelnen Ausführungen des
letzten Hirtenbriefes des österreichischen Episkopates 3 ) sehen), und es ist
uns mit der größten Mühe und unter Anwendung aller zur Verfügung
stehenden diplomatischen Mittel gelungen, die in Schriftsätzen bereits
niedergelegten herben Gedanken stückweise abzubauen. Sofern sich nicht
etwas Unerwartetes ereignet, können wir mit einigen Wochen relativ ge-
haltener Ruhe rechnen - der Kardinalstaatssekretär erwartet Herrn Butt-
mann Ende Januar oder Anfang Februar zur Weiterführung der Verhand-
lungen -, und ich möchte empfehlen, nunmehr aus der Defensive heraus-
zutreten und eine längere Abwehrnote an den Kardinalstaatssekretär zu
veranlassen. Ich habe einen ähnlichen Vorschlag in einem meiner letzten
Berichte 4 ) mit der Begründung gemacht, daß Kardinal Pacelli ein Freund
von Schriftstücken wäre und eine schriftliche Beantwortung seiner Noten
gern sähe. Ich habe indes für die Anregung noch einen anderen zwingen-
deren Grund: Die sehr gefeilte und abgewogene Fassung der letzten Noten
des Kardinalstaatssekretärs läßt den Nebengedanken erkennen, sie even-
tuell in einem Weißbuch zu veröffentlichen. Auf eine derartige Eventual-
absidit weist auch der reichlich gesalzene Schlußpassus des Promemoria
vom 19. Oktober d. J.: „Wenn nicht in kurzer Frist die überzeugende Sprache
der Tatsachen die katholische Welt darüber aufzuklären imstande sein
sollte, daß den berechtigten Forderungen der katholischen Kirche Genüge
geschehen ist, so wird der Heilige Stuhl nicht umhin können, in der ihm
geeignet erscheinenden Weise bekanntzugeben, was er im Interesse des
Friedens, der Gerechtigkeit und Freiheit getan hat, und klarzustellen, daß
die trotz all seiner Bemühungen noch nicht beseitigten Verstöße gegen die
Gerechtigkeit und gegen die Freiheit der Kirche und ihrer Bekenner in
Deutschland nicht hoffen können, durch ein beschönigendes Schweigen der
obersten kirchlichen Stelle der verdienten Beurteilung entzogen zu wer-
den." - Ich halte einen Konflikt mit der Kurie über kurz oder lang für
durchaus nicht ausgeschlossen; in diesem Falle würde die Kurie die ver-
schiedenen uns seit Juli d. J. zugeleiteten Schriftsätze (Promemoria, Noten)
veröffentlichen, und diesem Anklagematerial stünde unsererseits nichts ent-
gegen; unser Schweigen würde von der „Weltmeinung" mit Freuden als
Schuldbekenntnis gedeutet werden, und auch eine dann ad hoc zusammen-
gestellte Rechtfertigung könnte einen derartigen uns unbequemen und ab-
träglichen Eindruck nicht mehr beseitigen. Dahingegen wäre es nützlich, daß
eine deutsche entschieden gehaltene und eventuell unbequeme Note hem-
mend auf den Entschluß der Kurie zur Herausgabe eines Weißbuches wirkt.
In der Anlage gestatte ich mir, die Skizze einer Note zu übersenden, die
ich im Auftrage der Reichsregierung möglichst bald an den Kardinalstaats-

(3) Siehe Dokument Nr. 149, Anm. 6.


(4) Bericht Bergens Nr. 345 vom 22. Dezember (8115/E 580 180)

277
Nr. 153 28. DEZEMBER 1933

Sekretär zu richten hätte;5) für die weitere Ausgestaltung, Bearbeitung und


Fassung haben Sie ja gute Federn zur Verfügung; einige Schriftstücke, die
ich in letzter Zeit las, waren ausgezeichnet redigiert.
Mit besten Grüßen
Ihr aufrichtiger
BERGEN
(») Fundort: 8115/E 580 187-95. Siehe Dokument Nr. 177.

153
3086/D 617 062-65
Der Botschafter in Rom von Hassell an den Landesinspekteur der NSDAP
in Österreich Habicht
ROM, den 28. Dezember 1933
Sehr verehrter Herr Habicht,
für Ihr freundliches Schreiben vom 22. d. M.,1) das mich sehr interessiert
hat, danke ich Ihnen bestens. Ich habe inzwischen über eine weitere, recht
interessante Unterhaltung mit Herrn Rintelen an Baron Neurath persönlich
berichtet.2) Ferner hatte ich Gelegenheit, mit Herrn Suvich über seine
Berliner Eindrücke in der österreichischen Frage zu sprechen. Ich glaube,
daß er, den Auffassungen seines Chefs3) entsprechend, heute auch vom
italienischen Standpunkt aus die Beilegung des Konflikts zwischen dem
Reich und Österreich für wünschenswert hält und in diesem Sinne, frei-
lich immer von der Basis der italienischen Gesichtspunkte aus, in Wien
seine Unterhaltungen führen wird. Gehemmt wird er einmal durch ge-
wisse, aus der österreichisch-ungarischen Zeit bei dem Triestiner vorhan-
dene Komplexe, andererseits, wie Sie mit Recht sagen, durch die aus Wien
systematisch nach Rom geleiteten falschen Nachrichten über die wirkliche
Lage in Österreich. Schon in meinem letzten Brief an Sie 4 ) habe ich auf
eine bestimmte Persönlichkeit in Wien dabei hingewiesen und erwähnt, daß
ich deren Brunnenvergiftung entgegengetreten bin. Diese Nachrichten be-
ziehen sich vor allen Dingen auf die Machtverhältnisse, d. h. auf die Frage,
welche Stärke der Nationalsozialismus in Österreich hat und bei freien
Neuwahlen erreichen würde, und wie groß andererseits die Gefolgschaft
des Herrn Dollfuß ist. Ein anderer Punkt, mit dem hier gearbeitet wird, ist
stets der Hinweis auf die terroristischen Methoden der Nationalsozialisten
in Österreich (Bombenattentate usw., Drohungen gegen die Persönlich-
keiten auf der anderen Seite für den Fall einer nationalsozialistischen

(i) Dokument Nr. 144.


(2) Hassell hatte in einem Sehreiben an Neurath vom 21. Dezember (6114/E 454 133-38)
berichtet, Rintelen habe in dringlicher Form ein persönliches Treffen zwischen Hitler
und Dollfuß vorgeschlagen.
*(S) Mussolini.
(4) Siehe Dokument Nr. 144, Anm. 1.

278
Nr. 153 28. DEZEMBER 1933

Machtergreifung) und auf die Rundfunkpropaganda vom Reiche aus gegen


Österreich und in Österreich. Mit diesem Argument wird stets die Meinung
verteidigt, daß unter den heutigen Verhältnissen keine österreichische
Regierung, die sich nicht von vornherein selbst aufgeben wollte, freie
Neuwahlen ausschreiben könnte.
Wenn Sie nach den Unterhaltungen mit Suvich in Berlin den Eindruck
gewonnen haben, es herrsche hier die ganz primitive Auffassung, daß die
totale oder teilweise Machtergreifung der NSDAP in Österreich gleichbe-
deutend mit der sofortigen Vollziehung des Anschlusses sei, während
Dollfuß und seine Gefolgschaft mit lOOprozentiger Garantie gegen den
Anschluß seien, so glaube ich, daß das doch nicht ganz der wirklichen Ein-
stellung hier entspricht. Es mag sein, daß man gelegentlich aus bestimmten
Gründen den Eindruck zu erwecken sucht, als dächte man so. Die wirkliche
Grundauffassung hier ist die (wenn man sie auch nicht immer ausspricht),
daß der Anschluß auf die Dauer unvermeidlich ist, daß man aber den An-
schluß in der heutigen politischen Lage unter keinen Umständen haben
will. Hieraus ergeben sich zwei politische Folgerungen: 1) den Anschluß
oder eine ihm gleichbedeutende Regelung für den Augenblick unbedingt zu
verhindern und überhaupt so lange wie möglich hinauszuschieben, 2) für
den Fall eines Anschlusses oder überhaupt eines engeren deutsch-österrei-
chischen Verhältnisses Vorsorge gegen die gefürchtete übermächtige
deutsche Expansion nach Südosten zu treffen. - Was man für den Fall einer
ganzen oder teilweisen Machtergreifung der Nationalsozialisten in Öster-
reich besorgt, ist weniger eine sofortige Vollziehung des Anschlusses als
das Eintreten eines Zustandes, der praktisch auf etwas Ähnliches heraus-
kommt. Im Rahmen dieser Gesamteinstellung ist man hier natürlich auch
keineswegs von der lOOprozentigen Sicherheit des Herrn Dollfuß und seiner
Leute gegen den Anschluß überzeugt, eben, weil man diesen im Grunde für
unvermeidlich hält. Auch bezüglich der Freundschaft des Herrn Dollfuß zu
Italien denkt man hier nüchtern und realpolitisch, und ebensowenig glaube
ich, daß man die österreichischen Nationalsozialisten für ausgesprochene
Feinde Italiens hält, überhaupt handelt es sich bei der ganzen Sache hier
m. E. weniger um falsche oder richtige Vorstellungen über freundliche oder
feindliche Empfindungen der einzelnen Beteiligten gegenüber Italien und
gegenüber dem Anschluß als um die Richtung eines politischen Willens,
welcher von gewissen, oben angedeuteten tatsächlichen Voraussetzungen
ausgeht und von diesen aus operiert. Das Entscheidende ist für uns also
m. E. nicht, daß man hier die Augen vor bestimmten Dingen verschlösse
oder gewisse Vorgänge und Menschen falsch sähe, vielmehr scheint es mir
darauf anzukommen, den italienischen politischen Willen richtig zu erken-
nen, als Faktor in die Politik einzustellen und ihn nach Möglichkeit für uns
nutzbar zu machen.5)
gez. HASSELL
(5) Hassell übermittelte Neurath am 28. Dezember Abschriften der Vorlage und des als
Dokument Nr. 144 gedruckten Briefs Habichts vom 22. Dezember. In seinem Begleit-
schreiben (3086/D 617 061) bat Hassell den Reichsminister, beide Schriftstücke nur zur
persönlichen Unterrichtung zu verwerten und davon nicht Habicht gegenüber Gebrauch
zu machen. Abschließend bemerkte Hassell: „Ich habe in meinem Brief versucht, Herrn
Habicht von m. E. unwesentlichen Dingen auf die Hauptsache zu lenken."

279
Nr. 154 28. DEZEMBER 1933

154
6692/H 098 716-20
Der Botschafter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt
Telegramm
Geheim TOKIO, den 29. Dezember 1933 1 Uhr 50
Nr. 127 vom 28. 12. Ankunft: 29. Dezember 0 Uhr 40
IV Ja.1296
Für Reichsminister persönlich.
1.) Hirota, dem ich gestern nach Überreichung Beglaubigungsschreibens
offiziellen Besuch machte, unterstrich besonders freundlichen Charakter
meines Empfangs beim Kaiser,1) der auch in Wortlaut seiner Rede zum
Ausdruck gekommen sei. Er wiederholte Wunsch noch weiteren Ausbaues
beiderseitiger Beziehungen und meinte, geeignetstes Mittel hierzu würde
baldige Informationsreise von mir nach der Mandschurei sein. Dort solle ich
die für Deutschland gegebenen umfassenden Möglichkeiten wirtschaftlicher
Betätigung in Besprechungen mit lokalen Stellen prüfen.
Abgesehen von wirtschaftlicher Möglichkeit würde solche Reise in Japan
lebhafteste Sympathien für Deutschland schaffen, ohne uns in irgendeiner
Weise, auch China gegenüber, festzulegen.2) Noch kein Botschafter habe die
Mandschurei besucht; 3 ) meine Reise werde daher vollen politischen Effekt
haben.4) Es sei eine nie wiederkehrende Gelegenheit, die wir im Interesse
des Ausbaues deutsch-japanischer Beziehungen ausnutzen sollten, über
kurz oder lang würden und müßten andere Staaten die Mandschurei aner-
kennen. Französisches Interesse bekunde sich schon durch dauernde ernste
Verhandlungen mit französischen Wirtschaftskreisen.
2.) Zweifellos ist, daß Hirota durch Vorschlag der Mandschurei-Reise
Reichsregierung allmählich an Anerkennung der Mandschurei heranführen
will.5) Ebenso sicher ist aber, daß ablehnende oder hinzögernde Haltung
unsererseits zu diesem Vorschlag unsere Hoffnungen auf politische An-
näherung an Japan und Ausnutzung erheblicher und dauernder wirtschaft-
licher Möglichkeit in der Mandschurei zunichte machen würde.6) Bei Ver-
zögerung würde auch Gefahr bestehen, daß uns andere Mächte zuvor-
kommen.7) Die von Hirota erwähnten französischen Verhandlungen ver-
raten ernstes Interesse Frankreichs. England hat durch Herauslösung Kon-
sulatsbezirks Mandschurei aus Chinadienst erhebliche Schritte in Richtung
auf praktische Anerkennung getan. Hiesigen Pressemeldungen zufolge
sollen auch in Amerika Strömungen für Anerkennung bestehen. Anderer-
seits kann davon ausgegangen werden, daß Japan mandschurisches Ge-

*(l) Hirohito.
(2) Randbemerkung: „?" - Diese und die folgenden Randbemerkungen tragen Köpkes
Handschrift.
(3) Randbemerkung: „Also!"
(4) Randbemerkung: „Und Rußland? Und China?"
(3) Randbemerkung: „I"
(8) Randbemerkung: „Wieso?"
(7) Randbemerkung: „Wir sollten im Osten möglichst zurückhaltend bleiben."

280
Nr. 155 29. DEZEMBER 1933

schaff uns als politisch im Fernen Osten am wenigsten interessierter Macht


lieber als rivalisierenden anderen Ländern zukommen lassen würde.8)
3.) Informationsreise nach der Mandschurei würde a) erhebliche politische
Vorteile gegenüber Japan bringen, b) uns in keiner Weise definitiv binden,
c) öffentliche Weltmeinung an Gedanke späterer Anerkennung gewöhnen.
Wir kommen durch Hirotas Vorschlag auch faktisch insofern in günstige
Lage, als ich mir auf Grund Informationsreise Bild von Umfang der uns
einzuräumenden wirtschaftlichen Vorteile machen und spätere japanische
Anregung wegen Anerkennung von Umfang Bestellungen abhängig machen
könnte. Rücksicht auf China sollte umso weniger ausschlaggebend sein, als
dies uns kürzlich durch Engagement emigrierter sozialdemokratischer
Funktionäre brüskiert hat.')
4.) Da ich nach ausdrücklicher Weisung Reichskanzlers ermächtigt bin,
bei Bemühungen um Ausbau und Vertiefung deutsch-japanischer Beziehun-
gen Bereitwilligkeit zu Verhandlungen über Anerkennung Mandschurei
auszusprechen, möchte ich annehmen, daß keine Bedenken bestehen, der
nochmaligen nachdrücklichen, mit freundschaftlichem Ernst vorgetragenen
Aufforderung Hirotas zu entsprechen. Erbitte daher drahtlich Genehmigung
zu Mandschureireise, die ich zweite Hälfte Januar in Begleitung Wirtschafts-
referenten Botschaft10) ausführen würde.11)
DIRKSEN
(8) Randbemerkung: „? Das ist sicher nicht in dieser Allgemeinheit richtig."
(») Randbemerkung: „?" - Siehe Dokument Nr. 198.
• (10) Knoll.
(11) Randbemerkung: „Ich würde nach wie vor zu Zurückhaltung raten."
Notiz auf einem angehefteten Zettel: „Für Kotze. Ich halte es für geboten, daß die
Weisung an H[err]n v[on] Dirksen die Unterschrift des H(err]n RM trägt. Bitte holen
Sie dessen Einverständnis mit der Absendung des anliegenden] Telegramms ein, wenn
Sie es nicht RM am 1. [1.] persönlich vorlegen wollen. Bis zum 1. oder 2. Januar hat
es Zeit mit der Absendung. Köpke 30. 12. 33."
Siehe Dokument Nr. 158.

155
9018/E631914
Das Auswärtige Amt an die Gesandtschaft in Riga
BERLIN, den 14. Dezember 1933
Abgesandt: 29. Dezember
zu IV Rd. 4581 »)
Auf den Bericht vom 1. Dezember - A 1749.2)
Die Anregung von Herrn Munters bitte ich nicht weiter zu verfolgen.
Ein Empfang von Herrn Kreewinsch mit nachfolgendem politischen Kommu-
li) IV Rd. 4581: Bericht Martius' Nr. A 1749 vom 1. Dezember. Siehe Anm. 2.
(2) Bericht Martius' über eine Unterredung mit dem Generalsekretär des lettischen Außen-
ministeriums Munters vom 30. November (9018/E 631 907-13). Gegenstand des Ge-
sprächs war die Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen

281
Nr. 156 30. DEZEMBER 1933

nique kann nicht in Frage kommen. Bei einem vor einiger Zeit erfolgten
Empfang des litauischen Gesandten 3 ) durch den Herrn Reichskanzler ist
eine derartige politische Aktion ebenfalls abgelehnt worden.4) Einerseits
liegt zu einer solchen demonstrativen Handlung keine Veranlassung vor
und andererseits würden wir die gesamte Aktion mit Polen außerordentlich
entwerten. Gegen den Gedanken des Abschlusses eines eventuellen
Schiedsgerichtsvertrages bestehen hier keine prinzipiellen Bedenken. Hier-
bei würde aber eine Diskussion über Abreden betreffend Nichtangriffsver-
pfliditungen, Definition des Angreifers überhaupt nicht in Frage kommen
können.5)
Im Auftrag
f. R. gez. WINDECKER

[Fortsetzung von Anm. 2]


Lettland und Deutschland gewesen. Munters hatte u. a. vorgeschlagen, daß Hitler den
lettischen Gesandten Kreewinsch empfangen solle und daß anschließend ein ähnliches
Kommunique wie nach dem Empfang des polnischen Gesandten Lipski (siehe Dokument
Nr. 69 und Anm. 2 dazu) veröffentlicht werde. Der Berieht Martius' trägt den Rand-
vermerk: „Die Letten haben GrößenwahnI (Empfang v[on) Kreewinsch durch RK,
Kommunique!) Martius hätte den Munters gleich dämpfen sollen. Wir können unsere
Aktion mit Polen, die noch nicht einmal ausgelaufen ist, dadurch nur entwerten, daß
wir sie verallgemeinern. B[ülow] 5. 12."
• (3) Saulys.
(4) Nicht ermittelt.
(5) In Telegramm Nr. 2 vom 6. Januar 1934 (6604/E 495 739) übermittelte das Auswärtige
Amt der Gesandtschaft in Riga die weitere Weisung: „Bitte Gedanken Abschlusses
eines Schiedsgerichtsvertrags im Augenblick nicht weiter verfolgen."

156
6114/E 454 139-42
Aufzeichnung des Gesandtschaftsrats Hülter
BERLIN, den 30. Dezember 1933
e. o. II Oe. 2251
Nach den Andeutungen, die der österreichische Gesandte mir gestern
machte, will er anscheinend dem Herrn Reichsminister gegenüber im Auf-
trage seiner Regierung generell den deutsch-österreichischen Konflikt zur
Sprache bringen, wobei der Wunsch von Dollfuß ausschlaggebend sein
dürfte, noch vor der Ankunft Suvichs in Wien (9. Januar) zu einer Ver-
ständigung mit der deutschen Regierung zu gelangen.
Inzwischen sind, wie mir Herr Habicht heute mitteilte, seine in den letz-
ten Tagen auf direkten Wunsch von Dollfuß durch Vermittlung des Wiener
nationalsozialistischen Bundesrats Schattenfroh wieder aufgenommenen
Verhandlungen') so weit gediehen, daß er sich auf Einladung von Herrn
Dollfuß schon in Kürze zu einer mündlichen Aussprache mit ihm nach Öster-
reich begeben will.

(i) Siehe Dokument Nr. 143

282
Nr. 156 30. DEZEMBER 1933

Von dem österreichischen Gesandten werden dem Herrn Reichsminister


gegenüber möglicherweise folgende Punkte zur Sprache gebracht werden.
1.) Direkte Verhandlungen Dollfuß - Reichsregierung zwecks Beilegung
des Konflikts.
Demgegenüber ist festzuhalten, daß der Reichskanzler direkte Verhand-
lungen ablehnt und Dollfuß noch kürzlich an Habicht verwiesen hat,2) da
zunächst das innerpolitische Verhältnis der österreichischen Regierung zur
österreichischen Nationalsozialistischen Partei geregelt werden müsse. Ob
dem auch Gesandten Rieth gegenüber zum Ausdruck gebrachten Wunsch
von Dollfuß, Habicht mit ihm „im Auftrage des Reichskanzlers" verhandeln
zu lassen, Rechnung getragen werden kann, wird wohl nur vom Reichs-
kanzler persönlich entschieden werden können.3)
Im übrigen kann dem österreichischen Gesandten erklärt werden, daß
nach Bereinigung des Verhältnisses zum österreichischen Nationalsozialis-
mus automatisch auch eine Bereinigung des Verhältnisses zum Deutschen
Reich eintrete.
2.) Ablehnung der Persönlichkeit Habichts.
Die Hetze in der österreichischen Presse gegen Habicht ist in den letzten
Tagen verstärkt; sie steht im Gegensatz zu den jetzigen direkten Verhand-
lungen von Dollfuß mit ihm. Auch der österreichische Geschäftsträger, der
mich vorgestern aufsuchte, erklärte wieder mit größter Bestimmtheit,
Habicht als Reichsdeutscher sei für die österreichische Regierung untragbar.
Demgegenüber könnte, wenn überhaupt dieser Punkt gesprächsweise mit
Tauschitz vertieft werden soll, darauf hingewiesen werden, daß Habicht der
offizielle Leiter der österreichischen Nationalsozialistischen Partei und Ver-
trauensmann des Kanzlers sei, daß zudem eine Einbürgerung Habichts
unter Aufgabe seines Reichstagsmandales ohne weiteres möglich wäre. Im
übrigen habe Österreich ja stets und noch bis in die Gegenwart eine große
Zahl Reichsdeutscher unter seinen Staatsmännern gezählt, z.B. Graf Beust;
auch Rintelen war noch gebürtiger Reichsdeutscher.
3.) Wahrung der außenpolitischen Stellung von Dollfuß.
Dollfuß legt, wie auch aus seinem letzten Gespräch mit Rieth 4 ) ersichtlich,
größten Wert darauf, die für ihn zur Zeit günstige außenpolitische Situation
nicht durch den Eindruck einer Kapitulation vor dem Nationalsozialismus
in das Gegenteil zu verkehren. Bei diesem Punkt wird sich Dollfuß darüber
klar werden müssen, daß die Sympathien des uns feindlichen Auslandes
nicht seiner Person, sondern ihm als Träger des Kampfes gegen den Na-
tionalsozialismus gelten. Immerhin kann eine Form gefunden werden, die
seine Kapitulierung vor dem Nationalsozialismus nach außenhin ver-
schleiert, z. B. durch den auch schon von Habicht angeregten modus proce-
dendi, demzufolge der vaterländischen Front von Dollfuß eine nationale
Front von Habicht (Nationalsozialisten, Großdeutsche, Steierische Heim-
wehr) als Partner gegenübertritt. In diesem Fall würde Dollfuß freie Hand
in der Auswahl der Persönlichkeiten haben, die er selbst in seiner Gruppe
in die Regierung einbeziehen will. Im übrigen steht die Wahrung der Unab-
(2) Siehe die Dokumente Nr. 35 und 115.
(3) Siehe Dokument Nr. 143.
(4) Siehe Dokument Nr. 143.

283
Nr. 157 30. DEZEMBER 1933

hängigkeit und der Selbständigkeit des österreichischen Staates aus außen-


politischen Gründen auch für Landesinspekteur Habicht durchaus fest.
4.) Ein weiterer Punkt, der Herrn Dollfuß sehr am Herzen liegt, ist die
Vermeidung von Neuwahlen.
Herr Dollfuß scheint beunruhigt zu sein durch die Forderung der baldigen
Vornahme von Neuwahlen, die kürzlich Reichsminister Frick gegenüber
dem Gesandten Tauschitz erhoben hat.5) Auch hier ließe sich unschwer eine
Verständigung finden, da Herr Habicht die Vornahme von Neuwahlen
zwar in seinem Programm hat, aber bereit ist, sich über den Zeitpunkt bzw.
die Hinausschiebung der Wahlen mit Herrn Dollfuß zu verständigen.
HÜFFER

(5) Siehe Dokument Nr. 143 und Anm. 8 dazu.

157
8580/E 601 954-58
Der Gesandte in Peping Trautmann an das Auswärtige Amt
Nr. 879 PEPING, den 30. Dezember 1933
IV Chi. 164
Inhalt: Deutsche Militärberater in Nanking.1)
Als ich das Telegramm Nr. 87 über die Reise des Generals von Seeckt
nach China 2) erhielt, hatte ich gerade mit General Wetzell und auch mit
dessen Adjutanten, Herrn von Busekist, eine längere Unterredung über die
weiteren Pläne der Herren gehabt.
Der Adjutant hatte mir mitgeteilt, daß schon seit längerer Zeit eine Ani-
mosität der Kreise um den Vizekriegsminister Chen Yi gegen General
Wetzell bestehe, weil General Wetzell mit dem früheren Finanzminister
T. V. Soong zusammen gewisse größere Heereslieferungen direkt verein-
bart habe und den korrupten chinesischen Generalen infolgedessen die Ver-
dienstmöglichkeit genommen worden wäre.
Wie ich von verschiedenen anderen Seiten im Laufe der letzten Monate
gehört habe, hat diese Opposition der chinesischen Generale offenbar auch
noch andere Gründe. Danach habe sich General Wetzell „durch sein kurz
angebundenes Wesen und durch die Schroffheit, mit der er versuchte, seine
Ziele zu erreichen", die chinesischen Generale mehr und mehr entfremdet.
In der Tat wird es wohl so gewesen sein, daß General Wetzell, dem es nur
auf die Sache ankam, immer wieder rücksichtslos den Finger in die offenen
Wunden der korrupten diinesischen Armee gelegt hat, und das können die
Chinesen nicht vertragen. Ich hatte den Eindruck, daß General Wetzell
schon während des japanischen Vormarsches nach Peping geschickt worden
war, um ihn loszuwerden. Als er am Ende des Sommers aus dem Kommu-
li) Randbemerkung: „Reichswehrminister, v. N[eurath] 24. 1."
(2) Telegramm des Auswärtigen Amts vom 20. Dezember (8580/E 601 947).

284
Nr. 157 30. DEZEMBER 1933

nisten-Feldzug von Nanchang zurückkehrte, war er ganz verärgert, weil


Chiang Kai-shek keinen von seinen Ratschlägen befolgt hatte, die haupt-
sächlich dahin gingen, eine Offensive gegen die Kommunisten zu unter-
nehmen. Außerdem hat der Marschall immer wieder die von Wetzell
organisierten Lehrbrigaden zerrissen und auf den verschiedenen Kriegs-
schauplätzen verwendet, obwohl sie den Kernpunkt für den Aufbau des
chinesischen Heeres bilden sollten. So hat sich wohl bei General Wetzell
allmählich die Überzeugung herausgebildet, daß seine Tätigkeit hier letz-
ten Endes nutzlos war. Er selbst hat aber nicht die persönlichen Folgerun-
gen aus diesem Verhältnis gezogen, obwohl es in Nanking ganz deutlich
zu sehen war, daß er auch bei seinen eigenen deutschen Untergebenen an
Prestige dadurch verloren hatte, daß seine Stellung und sein Einfluß im Ab-
nehmen begriffen war.
Es rächt sich immer, wenn ein solches Verhältnis längere Zeit dauert.
Seine chinesischen Gegner gingen deshalb allmählich offener gegen ihn vor
und richteten ihre Angriffe zunächst gegen sein Büro.
Nachdem man bereits mehrfach die Entlassung seines Adjutanten ver-
langt hatte, wurde dieser eines Tages ohne jeden Grund der Spionage zu
Gunsten der Japaner bezichtigt. Diese Beschuldigung wurde zwar sofort
aufgeklärt und zurückgewiesen, trotzdem stellten die chinesischen Generale
ein Ultimatum auf Weggang des Herrn von Busekist. Der Adjutant hatte
die Situation wahrscheinlich besser erkannt als General Wetzell selbst und
hatte diesem gesagt, daß der Angriff gegen ihn gerichtet sei und daß er
sofort sein Amt zur Verfügung stellen sollte, wenn die Chinesen nicht die
Anschuldigungen formell zurücknähmen. Dies hat General Wetzell nicht
getan, der den Ernst des Angriffs offenbar unterschätzte.
Als ich mit Wetzell sprach, sagte er mir, daß er ein Telegramm von
General von Seeckt erhalten habe, worin dieser anfrage, ob Wetzell ge-
neigt wäre, unter ihm zu arbeiten, falls er (Seeckt) nach China käme. Er
habe dieses Telegramm kurzweg mit „nein" beantwortet und würde sofort
weggehen, falls Herr von Seeckt käme. Er hat es offenbar Herrn von
Seeckt, den „er nach China gebracht habe", sehr verdacht, „daß er seine
Denkschrift an Chiang Kai-shek 3) richtete, ohne ihn zu fragen, obwohl er
in den paar Wochen seines hiesigen Aufenthalts nur einen sehr oberfläch-
lichen Eindruck von den hiesigen Verhältnissen bekommen habe".
Im ganzen habe ich bisher strikt Abstand davon genommen, midi in die
Angelegenheiten der Militärberater einzumischen; ich bitte aber diesmal
um die Erlaubnis, zu den bevorstehenden Veränderungen kurz Stellung
nehmen zu dürfen. Ich habe eine Zeitlang die Befürchtung gehabt, daß der
Kurs Chiang Kai-sheks auf allmähliche Versöhnung mit den Japanern auch
den allmählichen Abbau unserer Berater mit sich bringen würde und daß
dann alle Arbeit, die bisher geleistet worden ist, umsonst gewesen wäre.
Von einem der Militärberater höre ich, daß das Kriegsministerium (wohl
auf Betreiben der Chen Yi-Clique und des im Ministerium tätigen Obersten
Fremery, der zugleich Schneider-Creusot und Skoda vertritt) die deutschen
Berater allmählich aus der Artillerie herausdrängen will. Nun bin ich ange-

(3) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 412 und Anm. 7 dazu

285
Nr. 158 1. JANUAR 1934

nehm enttäuscht zu hören, daß Chiang Kai-shek beabsichtigt, wiederum


drei deutsche Generale einzustellen. Herr von Seeckt wird zweifellos in der
Lage sein, das Corps der deutschen Berater wieder energischer zusammen-
zufassen, als General Wetzell dies in der letzten Zeit tun konnte, weil sein
Stern schon im Verblühen [sie] war; dies wird ein Vorteil seines Kommens
sein.
Dagegen bin ich über die außenpolitische Wirkung des Kommens von
Herrn von Seeckt etwas beunruhigt. Die Japaner haben sich an unsere Be-
rater gewöhnt. Wie sie aber reagieren werden, wenn Herr von Seeckt, über
dessen erste Chinareise sie ja bereits damals Erkundigungen im Aus-
wärtigen Amt eingezogen haben, die Leitung der deutschen Berater in Nan-
king - wenn auch nur einige Monate - übernimmt, läßt sich nicht ohne
weiteres übersehen. Vielleicht ist dies ein überspannen des Bogens (wobei
ich auf die allerdings anders gelagerte Mission Liman Sanders in Konstan-
tinopel 4 ) hinweisen darf). Ich glaube daher, daß es gut wäre, falls das Aus-
wärtige Amt eine Einwirkung auf die Entschlüsse des Herrn von Seeckt zu
nehmen beabsichtigt, auch die Meinung des Botschafters in Japan 5 ) hier-
über einzuholen und gegebenenfalls dem Kommen des Generals von Seeckt
eine Form zu geben, die ihn nach außen hin nicht als neuen Generalberater
der chinesischen Regierung erscheinen läßt.6)
Die Botschaft in Tokio erhält auf sicherem Wege Abschrift dieses Berichts.
TRAUTMANN
(4) Im Jahre 1913.
*(5) Dirksen.
(•) Randbemerkung auf einer anderen Ausfertigung (8580/E 601 958-AB) des vorliegenden
Dokuments: „Das war von Anfang an beabsichtigt. Es müßte nur H[errn] v. Seeckt von
höchster Stelle nochmals und dringlichst eingeschärft werden. A[ltenburg] 24. 1."

158
6692/H 098 724-25
Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath
• an die Botschatt in Tokio
Telegramm
Eilt BERLIN,den 1. Januar 1934 14 Uhr 20
Nr. 1 zu IV Ja. 1296 ^ I
I. Dortiger Drahtbericht Nr. 127 vom 29.2) vermag die im Drahterlaß
Nr. 104 vom 21. Dezember dargelegten diesseitigen Bedenken gegen Ihre
Informationsreise nach Mandschurei 3 ) nicht zu entkräften. In Frage An-
erkennung Mandschurei ist trotz unseres Verständnisses für japanische

*(1) IV Ja. 1296: Telegramm Dirksens Nr. 127 vom 28. Dezember 1933, gedruckt als Doku-
ment Nr. 154.
• (2) Siehe Anm. 1.
(3) Siehe Dokument Nr. 138, Anm. 1.

286
Nr. 159 1. JANUAR 1934

Politik nach wie vor aus gesamtpolitischen Gründen Zurückhaltimg ge-


boten. Demgegenüber besteht Gefahr, daß Ihre Reise unsere künftige
Stellungnahme präjudiziell beeinflußt, zum mindesten aber andere Mächte
in die Lage versetzt, uns Schwierigkeiten zu bereiten.
Ausführlicher Schrifterlaß zum übrigen Inhalt dortigen Telegramms
folgt.4)
II. Um Ihre persönlichen Beziehungen zu Hirota nicht zu gefährden, stelle
ich anheim, Aufschub der Reise damit zu begründen, daß Aufgabe des
Kennenlernens Ihres unmittelbaren Arbeitsgebiets Japan Sie zunächst voll-
auf in Anspruch nähme. Sie hätten aber Absicht, demnächst dortigen Wirt-
schaftsreferenten 5 ) zum Studium der wirtschaftlichen Verhältnisse nach
Mandschurei zu entsenden.
NEURATH
(4) Dokument Nr. 198.
(5) Knoll. Siehe Dokument Nr. 236.

159
3154/D 671 338
Autzeichnung ohne Unterschrittx)
den 1. Januar 1934
BERLIN,
RM. 4
Der französische Botschafter2) übergab heute nachmittag um 5 Uhr dem
Herrn Reichskanzler in meinem Beisein das anliegende Aide-memoire.3)
Der Botschafter wies dabei darauf hin, daß die französische Regierung
besonderen Wert auf den Punkt lege, worin sie ihre Bereitwilligkeit zur
Fortsetzung direkter Besprechungen erklärt. Im übrigen führte der Bot-
schafter aus, daß eine Kontroverse bestehe über die Höhe der von uns
geforderten Truppenzahl (300 000) sowie über die Anrechnung der SA, SS
und der Schutzpolizei. Endlich wies er darauf hin, daß die französische
Regierung im Gegensatz zu unserer Auffassung der Ansicht sei, daß man
sehr wohl über die Abrüstung zu einer Verständigung kommen könne. Sie
habe bereits in Genf weitgehende Zugeständnisse gemacht, die aber von
uns nicht verstanden worden seien. Der Botschafter erläuterte diese Zuge-
ständnisse, wobei er hinzufügte, daß damit ja unsere volle Gleichberechti-
gung und Gleichheit am Ende der zweiten Periode erreicht werde. Der
Kanzler beschränkte sich darauf, nochmals seine Absicht, mit Frankreich zu
einer völligen Verständigung zu kommen, dem Botschafter klarzumachen.
Eine schriftliche Antwort soll nächste Woche folgen.4)

(1) Randvermerk: „Vom H|er]rn RM diktiert. Ko[tze] 2. 1."


*(2) Francois-Poncet.
*(S) Fundort: 3154/D 671 344-53. Der französische Text des Aide-memoires ist abgedruckt
in Documents Dlplomatiques Francais, 1. Serie, Bd. V, Nr. 182; ebenso in Documenta
on British Foreign Policy, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 160, Anhang. Eine englische Über-
setzung findet sich in Cmd. 4512, Mise. Nr. 3 (1934), S. 3-8.
(4) Siehe Dokument Nr. 194 und Anm. 1 dazu.

287
Nr. 161 1. JANUAR 1934

160
3086/D 617 072
Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 1. Januar 1934
RM. 3
Der österreichische Gesandte suchte mich heute auf und teilte mir im
Auftrage seiner Regierung J) folgendes mit:
Dem Bundeskanzler Dollfuß liege die Beilegung des deutsch-österreichi-
schen Konflikts sehr am Herzen. Da ihm die Einstellung der Reichsregie-
rung bekannt sei, daß zunächst die Frage parteimäßig geklärt sein müsse,
so habe er sich trotz schwerster Bedenken entschlossen, mit Herrn Habicht
direkt zu verhandeln, allerdings unter der Voraussetzung, daß Herr Habicht
den Wunsch dazu habe und daß die Verhandlungen mit Wissen, Willen
und Ermächtigung des Reichskanzlers von seiten des Herrn Habicht geführt
würden.
Ich habe Herrn Tauschitz erklärt, daß ich ihm an sich schon jetzt sagen
könne, daß die obengenannten Voraussetzungen vorhanden seien. Ich
würde jedoch den Reichskanzler nochmals ausdrücklich danach fragen und
ihm weitere Mitteilung zugehen lassen.2)
v. N[EURATH]
(1) Die Weisungen der österreichischen Regierung an Tauschitz vom 27. Dezember 1933
sind gedruckt in Beiträge zur Vorgeschichte und Geschichte der Julirevolte, S. 49-50.
(2) Randbemerkung: „Der RK hat sieh mit obigen Voraussetzungen u. mit der Aufnahme
der Verhandlungen einverstanden erklärt, v. N[eurath] 1. 1."
Nach der österreichischen Darstellung in Beiträge zur Vorgeschichte und Geschichte der
Julirevolte, S. 50, teilte Neurath in der Unterredung vom 1. Januar 1934 Tauschitz mit,
„der Reichskanzler habe sich in der österreichischen Frage sämtliche Entscheidungen
vorbehalten und stehe auf dem Standpunkt, daß er sich zwar als Reichskanzler nicht
selbst in diese Angelegenheiten einmengen und sie führen könne, daß er aber seinen
Parteigenossen Habicht hiermit betraut habe, der nach wie vor in der österreichischen
Frage sein absoluter Vertrauensmann sei".

161
1904/428 718-22
Autzeichnung ohne UnterschrittJ)
A 26 MOSKAU, den 1. Januar 1934
NOTIZ

Anläßlich des Neujahrsempfanges auf der italienischen Botschaft hatte


ich Gelegenheit, mit Litwinow über seine Rede vom 29. Dezember 2 ) zu
sprechen. Auf einige einleitende Worte von mir äußerte sich der Volks-

(1) Die Aufzeichnung wurde vermutlich von Twardowski angefertigt.


(2) Auszüge der Rede Litwinows vor dem Zentralexekutivkomitee am 29. Dezember 1933
sind abgedruckt in Soviet Documents on Foreign Policy, Bd. III, S. 48-61.

288
Nr. 161 1. J A N U A R 1934

kommissar etwa folgendermaßen: Er halte es immer für besser, in der Poli-


tik einmal mit größter Offenheit zu sagen, wie die Dinge wirklich ständen,
als immer um die Dinge herumzureden. Er nähme an, daß seine Rede den
deutschen leitenden Kreisen die Augen darüber geöffnet hätte, daß die
Sowjetunion nicht gewillt sei, sich alles gefallen zu lassen, und er erwarte
darauf eine günstige Reaktion für das deutsch-sowjetische Verhältnis. Ich
erwiderte, die Vorwürfe, die er Deutschland mache, seien lächerlich, und die
Verdachtsmomente seien in Hunderten von Gesprächen aufgeklärt worden.
Aber die Sowjetunion wolle anscheinend den amtlichen Versicherungen
und den amtlichen Verlautbarungen keinen Wert beimessen und halte sich
für ihre politischen Zwecke lieber an nicht offizielle Quellen. Hierauf ent-
gegnete Herr Litwinow, er habe sich kürzlich lange und ausführlich mit
Herrn Botschafter Nadolny unterhalten,3) und gerade diese Unterhaltung
habe ihm bewiesen, daß es einmal nötig sei, mit uns in der Öffentlichkeit
sehr offen zu sprechen, weil alles andere ja nicht fruchte. Herr Nadolny
habe die Behauptung aufgestellt, die Sowjetunion sei schuld an der Ver-
schlechterung der gegenseitigen Beziehungen. Auf diese Behauptung habe
er jetzt öffentlich Antwort gegeben. Als ich darauf erwiderte, der Herr Bot-
schafter habe mit ihm doch gerade, um die Atmosphäre zu klären, eine sehr
offene und große politische Aussprache gehabt, erwiderte Herr Litwinow,
man habe eben leider hauptsächlich über törichte Presseartikel und sonstige
Kleinigkeiten gesprochen und nicht über die großen Dinge der Politik. Als
Herr Litwinow dann fortfuhr, ob ich glaube, daß seine Rede in dem ge-
wünschten Sinne zur Verbesserung der deutsch-sowjetischen Beziehungen
wirken würde, habe ich geantwortet, daß ich das nicht glauben könne, daß
die Rede in Berlin einen sehr schlechten Eindruck machen und die Situation
erschweren werde, daß ich aber im übrigen ihm vorschlage, mit seiner
Erörterung über die Rede zu warten bis zu der morgigen Rückkehr des
Herrn Botschafters. Durch das Hinzutreten des französischen Botschafters,4)
der Litwinow mit beiden Händen begrüßte und ihm viele Schmeicheleien
über seine Rede sagte, wurde die Unterredung beendigt.
Kurz darauf habe ich mich längere Zeit mit Karl Radek, der als außen-
politischer Vertrauensmann des ZK in der Redaktion der Iswestija sitzt,
über die Situation, die durch die Rede Litwinows geschaffen sei, unter-
halten. Ich machte Radek bittere Vorwürfe besonders über den Ton der
Rede, worauf Radek ohne weiteres zugab, daß der Ton vielleicht unnötig
scharf gewesen sei, daß aber der Zweck der Rede in einer Bereinigung der
Atmosphäre liege. Ich bezweifelte dies und wies darauf hin, daß die Rede
vermuten lasse, daß die Sowjetpolitik vollständig ins französische Fahr-
wasser hinübergeglitten sei. Das sei eine Sprache, die auf eine Annäherung
auf den Völkerbund oder sogar an die französischen Pakt-Ideen schließen
ließe. Radek erwiderte, die Sowjetpolitik habe bewiesen, daß sie nicht die
Absicht habe, für andere Länder Kastanien aus dem Feuer zu holen. Das
habe er auch neulich erst dem französischen Botschafter gesagt, als dieser
ihm derartige Gedankengänge entwickelt habe. Er habe dem französischen

(3) Siehe D o k u m e n t Nr. 127.


• (4) A l p h a n d .

289

II.1 Bg. 19
Nr. 161 1. JANUAR 1934

Botschafter schließlich gesagt: Wir machen nur eine Politik, die unseren
Interessen dient. Als dieser darauf erwidert habe, vielleicht laufen unsere
und Ihre Interessen parallel, habe er entgegnet, vielleicht später einmal,
aber jetzt noch nicht.
Radek sagte dann mit größter Offenheit, alles hänge von der weiteren
Entwicklung im Fernen Osten ab. Daß Deutschland zur Zeit keine kriege-
rischen Abenteuer gegen die Sowjetunion suche, sei selbstverständlich.
Wenn aber die Sowjetunion in einem schweren Kampf mit Japan stände,
sei die Wahrscheinlichkeit groß, daß Deutschland die Gelegenheit benutzen
werde, um über Polen herzufallen, und wenn es Polen geschlagen habe, den
polnischen Nationalstolz dadurch beruhigen werde, daß es Polen anbiete,
sich an der Ukraine für den Korridor schadlos zu halten. Dagegen müsse die
Sowjetunion Vorkehrungen treffen. Als ich entgegnete, daß doch Frank-
reich existiere, das kaum einen Angriff auf Polen zulassen werde, und daß
er doch zugeben müsse, daß Deutschland einem Zweifrontenkrieg nicht
gewachsen sei, entgegnete Radek, daß der Sinn der russischen Politik darin
liege, zu verhindern, daß Deutschland eine günstige Gelegenheit benutzen
könne, um mit Polen das oben angedeutete Tauschgeschäft zu machen. Ich
legte daraufhin in längeren Ausführungen dar, daß solche phantastischen
Ideen wie seine nichts mehr mit Politik zu tun hätten, das seien hysterische
Angstgebilde, denen jede Realität fehle, und darüber könne man schließlich
nicht ernsthaft sprechen. Radek entgegnete darauf, daß wir doch offen
sprechen sollten: auch in der Sowjetunion wisse man ganz genau, wie man
politische Ideen lanciere. Solange man zu schwach sei, um offiziell etwas zu
fordern oder durchzusetzen, solange benutze man das Mittel der Presse,
der Broschüren, Bücher und Aufklärungsreden unoffizieller Leute, um das
eigene Volk und wohlwollende Kreise des Auslandes mit gewissen Ge-
dankengängen vertraut zu machen. Es sei ein nicht aus der Welt zu
schaffendes Faktum, daß das Buch des Reichskanzlers Mein Kampt den
Kreuzzug gegen die Sowjetunion predige. Natürlich sei dieses Buch zu einer
Zeit geschrieben, als der RK noch Oppositionsführer war. Aber jetzt sei er
Reichskanzler, und in der Neuauflage seines Buches sei das Kapitel 14 5)
keineswegs geändert worden. Also unter der Autorität des Reichskanzlers
würden Ideen propagiert, die das Sowjetfeindlichste darstellten, was ge-
schrieben sei. Demgegenüber spielten irgendwelche offiziellen Erklärungen
von der Reichstagstribüne oder von Diplomaten überhaupt keine Rolle.
Was Diplomaten sagten und was man von der Reichstagstribüne verkünde,
seien Dinge, die für die Tagespolitik gelten. Aber was in Büchern ge-
schrieben sei, daß seien die Ideen, nach denen sich die Politik auf lange
Sicht orientieren solle, und wir kämen nicht um das Faktum herum, daß der
Reichskanzler, wie die Neuauflage seines Buches beweise, nach wie vor den
Kreuzzug gegen die Sowjetunion predige. Daher das Mißtrauen in den
hiesigen leitenden politischen Kreisen, über dessen Größe und Tiefe wir
uns keine Illusionen machen sollten, und daher die Politik der Sowjet-
union, die auf Frieden und auf Sicherung ihres Besitzstandes ausgehe.

(5) Das Kapitel 14 trug die Überschrift „Ostorientierung oder Ostpolitik" und behandelte
die deutsche Politik gegenüber der Sowjetunion.

290
Nr. 162 4. JANUAR 1934

Da Radek alle großen außenpolitischen Leitartikel der Iswestija selbst


schreibt und da er in außenpolitischen Dingen in der Partei eine große
Rolle spielt, glaube ich, daß diese seine Gedankengänge von großer Be-
deutung sind.
Hiermit Herrn Botschafter vorgelegt.

162
6692/H 098 767-70
Der Botschalter in Tokio von Dirksen an den Staatssekretär
des Auswärtigen Amts von Bülow
Vertraulich TOKIO, den 4. Januar 1934
Eigenhändige Maschinenschrift IV Ja. 161
Lieber Bülow.
Ich hätte nicht gedacht, daß ich die Last der Entfernung Berlin-Tokio
schon so bald so schwer spüren würde. Das Telegramm Nr. 1 vom 1. d.M.
von Herrn von Neurath') hat in mir den Wunsch nach einem schnellen
Gedankenaustausch besonders brennend werden lassen; und es ist schwer
für mich, noch drei Wochen warten zu müssen, bis der in Aussicht gestellte
schriftliche Erlaß 2) mir Klarheit über die Beweggründe gibt, die zu der Ab-
lehnung von Hirotas Vorschlag einer Informationsreise von mir nach der
Mandschurei geführt haben. So komme ich mir vollkommen „abgehängt"
vor, da ich trotz allen Grübelns mir diese Beweggründe nicht rekonstruieren
kann. Vor dem ersten Telegramm Nr. 104 vom 21. 12.,3) das nach der ersten
Anregung Hirotas zur Zurückhaltung aufforderte, nahm ich an, da es von
Köpke gezeichnet war, daß ihm, ebenso wie den jüngeren Herren der Ab-
teilung, die mir für meine hiesige Mission erteilten Weisungen nicht be-
kannt gewesen seien. Diese Vermutung wird nun durch das Tel[egramm]
Nr. 1 vom 1. 1. zunichte gemacht. Während ich hierher geschickt worden
bin, um über wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeiten für uns in der
Mandschurei und über ev[entuelle] Anerkennung zu verhandeln, stehe ich
nun vor der Tatsache, daß nicht einmal eine Informationsreise von mir, die
mir vom Außenminister nachdrücklich angeboten worden ist, für ratsam
gehalten wird. Aus der außenpolitischen Gesamtlage kann ich mir keine
Beweggründe herleiten, die uns zu einer so weitgehenden Rücksichtnahme
auf dritte Mächte bestimmen könnten; und daß wir seit meiner Abreise
einen grundsätzlichen Wechsel unserer Politik gegenüber Japan vorge-
nommen hätten, kann ich auch nicht annehmen - das hätte doch wenigstens
im Telegramm drin gestanden.
Ich will Sie nicht mit den verschiedenen Hypothesen langweilen, die ich
mir für die Beweggründe Ihres Telegramms vom 1. 1. zurechtgelegt habe,

(1) Dokument Nr. 158.


• (2) Dokument Nr. 198.
(3) Siehe Dokument Nr. 138, Anm. 1.

291
Nr. 162 4. JANUAR 1934

und mit deren Widerlegung; ich will auch nicht die Gründe im Zusammen-
hang aufführen, die für die Beibehaltung der mir in Berlin erteilten Wei-
sungen sprechen. Das alles kann ich fundiert erst tun, wenn der in Aussicht
gestellte Erlaß da ist. Ich möchte heute nur einige grundlegende Gedanken-
gänge hervorheben, die mich hier geleitet haben und noch leiten:
Als ich mich von Ihnen verabschiedete, formulierten Sie meine hiesige
Aufgabe, einen Ausbau unserer Beziehungen zu Japan und eine Aus-
nutzung der uns in der Mandschurei sich bietenden wirtschaftlichen Mög-
lichkeiten durch ev[entuelle] Anerkennung der Mandschurei herbeizufüh-
ren, mit den Worten: wir wollen möglichst eine halbe Stunde vor den ande-
ren anerkennen. Mir leuchtete dieser Gesichtspunkt vollkommen ein, da
wir in der Tat kein Interesse daran hatten, vorzuprellen und die Risiken,
die mit jedem politischen Entschluß verbunden sind, vorzeitig auf uns zu
nehmen.
Das war also der eine Gesichtspunkt, der mich bei Hirotas Angebot einer
Informationsreise nach der Mandschurei leitete; der andere war der, daß
wir auch nicht zu spät kommen dürften. Denn nur dann hat unsere Gabe
der Anerkennung Wert, wenn sie als erste dargebracht wird. Und darüber
hinaus: die Anerkennung ist die einzige Gabe, die wir Japan zu bieten
haben; das einzige Mittel, mit dem wir einen Ausbau unserer Beziehungen
zu Japan erreichen können; wahrscheinlich auch das einzige Mittel, mit
dem wir das starke und tief sitzende Ressentiment der Japaner wegen der
Rassenfrage beseitigen können. Die Rassenfrage würde bestimmt wieder
hochkommen und vergiftend wirken, wenn wir uns in der Mandschurei-
Frage dauernd zurückhalten oder zu spät kommen.
Die Haltung der anderen Mächte in der Mandschurei-Frage ist aber
keineswegs so, daß wir uns dauernd passiv verhalten könnten. Die Mand-
schurei ist der große Knochen, von dem alle bei Tage züchtig wegsehen;
von dem sie alle aber nachts nur zu gern knabbern möchten. So wenigstens
hat mir ein neutraler Kollege die Lage geschildert; und so sehe ich sie auch.
Unter diesen Umständen schien es mir als das einzig Richtige und Ge-
gebene zu sein, die mir angebotene Informationsreise auszuführen. Sie war
gleichsam wie eine Vormerkung im Grundbuch; der Anspruch auf die Gel-
tendmachung eines Rechts war eingetragen und gesichert, ohne daß das
Recht selbst mit seinen Verpflichtungen ausgeübt zu werden brauchte.
Meine Reise hätte ein gewisses Aufsehen erregt; sie hätte in Japan positive
und günstige Wirkungen ausgelöst; man hätte in China und bei den West-
mächten die Ohren gespitzt; aber wir hätten uns nicht gebunden. Die Bin-
dung hätten wir davon abhängig machen können, was uns in der Mand-
schurei geboten worden wäre; und von der Abwägung dessen, was wir in
China vielleicht - vorübergehend - eingebüßt hätten.
Jedenfalls hoffe ich, daß eines nicht der Fall ist: daß bei der Erwägung
der Frage juristische Bedenken gegen die „Anerkennung" als solche auf-
getaucht sind. Es wird sich, wenn es soweit ist, bestimmt eine Form finden
lassen, die allen juristischen Bedenken Rechnung trägt und doch den vollen
wirtschaftlichen und politischen Effekt hat. Sie können sich auch in dieser
Beziehung ganz auf midi verlassen; ich werde sehr vorsichtig sein. Wie
überhaupt eine aktive Politik und ihre Ausübung durch den Botschafter in

292
Nr. 162 4. JANUAR 1934

so weit entfernten Ländern nur möglich ist, wenn dem Betreffenden zwar
ein festes Ziel gesetzt ist, in dem Erreichen dieses Zieles aber Freiheit ge-
lassen ist. Das Schwierige und Deprimierende bei meiner jetzigen Lage ist,
daß ich nicht einmal mehr weiß, ob das mir gezeigte Ziel noch dasselbe ist.
Sie können sich denken, wie stark es auf mich wirken muß, daß ich die
ganzen Grundlagen erschüttert sehe, auf denen meine hiesige Mission be-
ruhte.
Um eines möchte ich Herrn von Neurath und Sie bitten: lassen Sie sich
nicht von den „Chinesen" unter den Ostasiaten zu sehr beeindrucken.
Sowohl im Amt wiegen die Chinakenner vor, wie auch unter den Inter-
essenten die Chinaleute die lautere Stimme haben. Japan, das für uns
ungleich größere politische und wirtschaftliche Möglichkeiten hat, ist wenig
vertreten und kommt nicht genug zu Wort; vielleicht hören Sie Erdmanns-
dorff einmal, noch vor seinem Dienstantritt.4) Meine Meinung gründet sich
nicht auf japanischen Ressortfanatismus, sondern auch auf meine Beobach-
tungen und Gespräche jetzt bei der Ausreise in Hongkong und Shanghai.
Ich bin nun in einer sehr schwierigen Lage, mit der prohibitiven Wei-
sung des Telegramms des AA. Ich werde versuchen, mit der mir dort ge-
botenen Möglichkeit der Reise eines Botschaftsmitgliedes nach der Mand-
schurei Hirota gegenüber zu operieren. Geht er darauf ein - eingehen wird
er schon darauf, es fragt sich nur, ob die Wirkung einer „Vormerkung ins
Grundbuch" damit erzielt wird -, so hätte ich Zeit gewonnen, könnte den
Erlaß abwarten, zu ihm Stellung nehmen, die Ergebnisse der Reise des Bot-
schaftsmitgliedes nach der Mandschurei verwerten und auf Grund dieser
Argumente hoffen, die mir unbekannten Hindernisse, die der Ausführung
der mir in Berlin erteilten Weisungen im Wege stehen, aus dem Wege zu
räumen. Das eine muß jedenfalls im Auge behalten werden: wenn wir
unsere Beziehungen zu Japan aktivieren wollen, politisch oder auch nur
wirtschaftlich, so ist die Mandschurei-Frage der gegebene Weg hierzu; und
zwar der auf lange Zeit hinaus einzige gegebene Weg. Wir haben Japan
gegenüber immer nur in langen Intervallen Möglichkeiten der Gestaltung
unserer Beziehungen gehabt, und die sind dann auf viele Jahre hinaus
bestimmend gewesen. Ebenso wie unsere Teilnahme an der Sdiimonoseki-
Demardie 5) auf Jahrzehnte hinaus auf unsere Beziehungen eingewirkt hat,
wird auch unsere aktive oder passive Einstellung zur Mandschurei-Frage
auf lange Zeit hinaus bestimmend für das deutsch-japanische Verhältnis
bleiben.
Mit vielen Grüßen bin ich wie stets
Ihr getreuer
DIRKSEN

(4) Erdmannsdorff war von der Botschaft in Tokio abberufen und zum stellvertretenden
Leiter der Abteilung IV (Ferner Osten) im Auswärtigen Amt ernannt worden.
(5) Im April 1895 hatte Deutschland sich mit Frankreich und Rußland zusammengeschlossen,
um Japan zur Aufgabe der Liaotung-Halbinsel zu zwingen, die durch den Vertrag von
Sdiimonoseki von China an Japan abgetreten worden war.

293
Nr. 163 4. JANUAR 1934

163
2860/D 562 646-50
Der Botschaiter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt
Telegramm
Ganz geheim den 5. Januar 1934 4 Uhr 14
MOSKAU,
Nr. 3 vom 4. 1. Ankunft: 5. Januar 7 Uhr 45
[IV Ru. 46] J)
Hatte gestern zweistündiges Gespräch mit Litwinow, das im Gegensatz
zu früherer Unterhaltung 2 ) sehr unbefriedigend verlief und - ebenso be-
reits wie seine große Rede 3) - bei mir sofort Eindruck erweckte, daß in-
zwischen Mißstimmung gegen uns irgendeinen neuen Auftrieb erhalten
hat. Litwinow zeigte sich äußerst reserviert und zum Teil direkt unfreund-
lich. Wir sprachen zuerst über Rede, wobei ich Litwinow ernste Vorhal-
tungen über seinen Ton gegenüber Deutschland machte. Die von uns in
bester Absicht begonnene offene diplomatische Aussprache über Ver-
besserung deutsch-russischer Beziehungen sei von ihm vor Forum der
Öffentlichkeit gebracht und dadurch torpediert. Bezeichnung Deutschlands
als Weltstörenfried und Gleichstellung mit Japan bedeute Provozierung der
Reichsregierung und Desavouierung meiner früheren Unterhaltung. Es
scheine, daß er eine öffentliche Polemik mit uns beabsichtige, denn er
hätte sich doch nicht denken können, daß seine Behauptungen unwider-
sprochen bleiben.
Erwiderte, er habe keine Polemik herausfordern wollen, auch mich nicht
desavouieren; er habe es aber für notwendig gehalten, bei Gelegenheit
seines Rechenschaftsberichts über die außenpolitische Lage die Dinge so
darzustellen, wie sie sind, im Interesse deutsch-russischer Beziehungen
deutschem Volke Augen darüber zu öffnen, wohin sie trieben.
Ich zurückwies dies und widerlegte die Ausführungen der Rede, so daß
er schließlich keine Erwiderung darauf fand.
Sodann erklärte ich, daß ich nun noch im Moment Berliner Vertrag,
politische Lage und weitere Entwicklung deutsch-russischer Beziehungen
mit ihm besprechen wolle. Ich informierte ihn kurz über unsere Absichten
in Abrüstungsfrage sowie gegenüber dem Völkerbund und erklärte ihm,
daß sich Inhalt unserer Besprechungen mit Polen auf veröffentlichte Dekla-
ration beschränke und daß keinerlei antirussische Absichten vorlägen. Mit
Japan schwebten keinerlei Verhandlungen. Deutsche Politik aufweise dem-
nach keine feindselige Tendenz gegen die Sowjetunion, und Mißtrauen der
Sowjetregierung sei völlig unberechtigt. Ich erwartete daher auch, daß er
die Schärfen seiner Rede in irgendeiner Weise wieder zurückziehe.
Litwinow erwiderte, er würde sich freuen, wenn er nach Besserung deutsch-
russischer Beziehungen anders sprechen könne. Einstweilen könne er

(1) Die Journalnummer wurde einer anderen Ausfertigung des vorliegenden Dokuments
(6609/E 497 329-33) entnommen.
(2) Gemeint ist die Unterredung vom 13. Dezember 1933; siehe Dokument Nr. 127.
(3) Gemeint ist die Rede Litwinows vom 29. Dezember 1933; siehe Dokument Nr. 161,
Anm. 2.

294
Nr. 163 4. JANUAR 1934

nichts zurücknehmen. Im übrigen dankte er für meine Darlegungen und


bereiterklärte sich auch, mich, wenn irgend etwas Positives vorliegen
würde, zu informieren. Auf mein Ersuchen, mich über die gegenwärtigen
außenpolitischen Absichten der Sowjetregierung zu unterrichten, ent-
gegnete er, hierzu läge keine Veranlassung vor; auch Reichsregierung habe
es häufig nicht für notwendig gehalten, die Sowjetregierung über ihre
Absichten zu informieren.
Ich stellte hierauf einzelne Fragen, und zwar über die in der Rede zum
Ausdruck gekommene neue Haltung der Sowjetregierung zum Völkerbund
und über das nach Pressenachricht erfolgte französische Angebot eines
Defensivbündnisses. Litwinow erklärte hierauf, Völkerbund sei in letzter
Zeit - er ließ durchblicken nach Ausscheiden Japans und Deutschlands -
nützliches Instrument für Aufrechterhaltung Friedens geworden und zeige
keine aggressive Tendenz mehr gegen Sowjetunion. Infolgedessen stehe
Sowjetregierung ihm heute wohlwollend gegenüber. Eintritt Sowjetunion
werde nicht mehr grundsätzlich abgelehnt, es sei aber darüber bisher noch
nicht verhandelt worden. Bei französischem Angebot handelte es sich ledig-
lich um bekannten französischen Vorschlag einer assistance, der mir ja
aus Genf bekannt sei. Auf meine Bemerkung, französischer Vorschlag habe
universellen europäischen Pakt vorgesehen und sei, wie er wisse, infolge
verschiedenartiger Widerstände längst abgetan, Abschluß mit Frankreich
allein oder seiner Gruppe aber würde direktes Bündnis nach Muster alter
zaristischer Politik mit Spitze gegen Deutschland sein, erwiderte Litwinow,
wenn nicht alle europäischen Staaten an solchem Pakt sich beteiligen woll-
ten, müsse man sehen, wer mitmache. Sowjetregierung habe Eindruck ge-
wonnen, daß Frankreich, Polen und Kleine Entente sich aufrichtig um Er-
haltung Friedens bemühten; da Sowjetunion größtes Interesse an Auf-
rechterhaltung Friedens habe, habe sie sich dieser Gruppe genähert und
sei geneigt, diejenigen ihrer Maßnahmen zu unterstützen, die Aufrechter-
haltung Friedens dienten. Bei Politik zaristischer Allianzen sei man dadurch
noch lange nicht angelangt.
Ich erwiderte hierauf, französische Gruppe sei offensichtlich gegen
Deutschland gebildet und Teilnahme der Sowjetregierung an ihr würde
zweifellos dem Berliner Vertrag widersprechen. Dabei hinzufügte ich, um
ihm auf den Zahn zu fühlen, wenn die Sowjetunion sich trotz Berliner
Vertrags von uns bedroht fühlte, so sollte er mir doch erklären, was sie
von Deutschland fordern [sie]. Ob er vielleicht an eine Erweiterung des Ver-
trags oder dergleichen denke? Litwinow antwortete, die Sowjetunion wolle
keine neuen Verträge mit uns; deutsch-russisches Verhältnis könne nur
verbessert werden, wenn Deutschland das unterlasse, was es jetzt tue.
Hierauf folgten wieder die sattsam bekannten Ausführungen gegen Rosen-
berg und gegen Neuauflagen Buchs Mein Kampt sowie über Unterstützung
ukrainischer Separatisten und Weißgardisten. Solange derartige Dinge be-
ständen, könne die Sowjetunion nicht an die Aufrichtigkeit Deutschlands
glauben. Er verfüge über genügend Material, das beweise, daß Deutschland
keineswegs Ukraine und Kreuzzugpläne aufgegeben habe. Auf meine Ant-
wort, daß solches Material offensichtlich von Mächten lanciert werde, die
Interesse daran hätten, Deutschland und Sowjetunion zu trennen, und daß

295
Nr. 164 5. JANUAR 1934

ich ihn ersuche, dieses Material mir endlich zugänglich zu machen, ent-
gegnete er, daß zweifellos Intrigen mitspielten, andererseits sei Material
so vielseitig und so übereinstimmend, daß gewisse Informationen ernst
genommen werden müßten. Er könne es nicht zeigen, da es zum großen
Teil sehr vertraulich sei und er seine Quelle nicht preisgeben wolle. Ich
abbrach Gespräch mit der Feststellung, daß ich von seinem Verlauf sehr
unbefriedigt und beunruhigt sei; Litwinows intransigente Haltung müsse
zu Konsequenzen führen, die nicht im Interesse der Beziehungen beider
Länder lägen. Hierauf zuckte er die Achseln.
Ausführungen Litwinows erweisen, daß augenscheinlich in allerletzter
Zeit neue französische Anregung wegen assistance ergangen ist und daß
man damit umgeht - vielleicht unter Benutzung des Rahmens der Ab-
rüstungskonferenz -, die Nichtangriffspakte durch Verträge über assistance
zu erweitern. Zum mindesten ist Litwinow augenscheinlich entschlossen,
auf die Anregung einzugehen. Allerdings lassen Ausführungen seiner Rede
und die mir gegenüber gemachten Bemerkungen über Zulässigkeit fried-
licher Revision darauf schließen, daß er wohl Sicherung russischer West-
grenze erreichen, aber sich nicht für alle französischen Interessen ein-
spannen lassen möchte. Sowjetunion ist aber heute zweifellos an Auf-
rechterhaltung des Status quo in Europa interessiert („Revision . . .
(Gr. verst.) Krieg") und Gegner deutscher Aufrüstung. Der Abschluß eines
Paktes der genannten Art wird daher sicher bedeuten, daß sie in allen uns
interessierenden Fragen der französischen Gruppe zuzuzählen sein wird.
Ich werde schon in den nächsten Tagen noch andere maßgebende russi-
sche Politiker sprechen und eventuell über ihre Einstellung berichten. Ob
und was etwa unsererseits gegenüber im Gange befindlicher französisch-
russischer Aktion zu unternehmen wäre, abhängt davon . . . (Gr.verst.) uns
daran liegt zu verhindern, daß Sowjetrußland ausgesprochen auf die Seite
Frankreichs und seiner Anhänger tritt. Legen wir Wert hierauf, so wird
schleunigst versucht werden müssen, der Litwinow-Argumentation gegen
uns den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auch wären Rom und London
zu veranlassen, der durch das russisch-französische Zusammenspiel drohen-
den Gruppierung Europas nach Kräften entgegen zu wirken.
Erbitte baldige Mitteilung dortiger Auffassung.4)
NADOLNY
(4) Randvermerke: „Was geschieht? H[indenburg] 6. 1." „Erledigt), v. N[eurath] 10. 1."

164
7467/H 179 701-05
Der Botschafter in Rom von Hassel} an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 4 vom 5. 1. ROM (QLTR.), den 5. Januar 1934 23 Uhr 29
Ankunft: 6. Januar 2 Uhr 45
II Abr. 57
Im Auftrage Mussolinis informierte mich heute Suvich über Inhalt und

296
Nr. 164 5. JANUAR 1934

Verlauf Unterredungen mit Simon.1) Nach meinen gestrigen Unterhaltungen


sowohl mit Mussolini als mit Simon, sowie anderen Informationen, möchte
ich die von Suvich gegebene Darstellung im wesentlichen als zutreffend
ansehen:
Beide Teile seien bei den Besprechungen davon ausgegangen, daß neu
formulierte Vorschläge von englischer oder italienischer Seite im Augen-
blick noch nicht am Platze. Es habe sich lediglich darum gehandelt, sich
gegenseitig über Standpunkt zu unterrichten; italienischerseits ferner
darum, Engländer gegenüber französischer Hysterie möglichst stark zu
machen.
I. Abrüstungsfrage. Einigkeit habe zwischen beiden darüber geherrscht,
daß eine Verständigung unbedingt notwendig sei und alles versucht wer-
den müßte, sie zu erreichen, aber auf einer realen Basis mit ganz klaren
Bedingungen und Formulierungen. Italiener hätten Simon nicht im Sinne
eines Vorschlags, sondern lediglich zur praktischen Erleichterung seines
Vortrags in London einige Richtlinien italienischen Standpunkts schriftlich
fixiert,2) die indessen, um deren Charakter zu wahren, niemand sonst aus-
gehändigt werden sollten. Dasselbe gelte von den weiter unten erörterten
Völkerbundsfragen: Italiener gingen darin davon aus, daß sie nicht an
Möglichkeit einer wirklich durchgreifenden Abrüstung glaubten, so sehr
sie auch selbst ihrerseits dazu bereit seien. Wenn keine solche Abrüstung
stattfinde, müsse der Grundsatz der Gleichberechtigung auf Deutschland
praktisch angewendet werden, und zwar vor allem dem deutschen Wunsch
gemäß auf dem Gebiet der Verteidigungswaffen. Auf der anderen Seite
müsse für die öffentliche Meinung der Welt im Sinne Abrüstung etwas ge-
schehen. Hier bestehe Möglichkeit, über das, was Deutschland selbst in der
Hinsicht fordere, hinauszugehen, zum Beispiel Abschaffung der Bomben-
flugzeuge und anderer schwerer Waffen. Wenn so immerhin eine be-
grenzte Abrüstung erreicht würde, müsse auch Deutschland dem in seinen
Forderungen Rechnung tragen und eine Art Gegenleistung gewähren.
Wenn nämlich die übrigen Vertragsparteien den guten Willen und Glauben
Deutschlands ausdrücklich anerkennten und die Gleichberechtigung prak-
tisch verwirklichten, so könne für Deutschland in dem einen oder anderen
Punkt entgegenkommender Beistand bezüglich der Effektiven in Frage
kommen. Denn zur praktischen Verwirklichung einer Verständigung seien
maßvolle deutsche Forderungen nötig, damit Italien das deutsche Prinzip
wirksam verteidigen könne.
Simon habe zu alledem keine positive Stellung genommen, sondern alles
dem Kabinett vorbehalten. Indessen sei so viel zu erkennen, daß Engländer
in der Diagnose der Lage heute im Gegensatz zum 14. Oktober 3 ) mit Italien
übereinstimmte und begriff, daß französischer Standpunkt, Deutschland
dürfe nicht aufrüsten, unannehmbar. Indessen würden Engländer natürlich

(i) Simon hatte sich am 3. und 4. Januar zu Besprechungen mit der italienischen Regierung
in Rom aufgehalten. Zwei Aufzeichnungen Simons über Unterredungen mit Mussolini
sind abgedruckt in Documents on British Foreign Policy. 2. Serie, Bd. VI, Nr 161 und 164.
(2) Siehe Documents on British Foreign Policy, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 161, Anhang.
(8) Der Hinweis bezieht sich auf die Rede Simons vor dem Büro der Abrüstungskonferenz
am 14. Oktober 1933. Siehe Dokument Nr. 19 und Anm. 6 dazu.

297
Nr. 164 5. JANUAR 1934

versuchen, Frankreich möglichst entgegenzukommen, so vielleicht bezüg-


lich Übergangszeit. Mir gegenüber hinwies Simon bei deutlicher Ablehnung
eben erwähnten französischen Standpunktes gleichzeitig auf starke Oppo-
sition in England, die englischem Kabinett alles, was nach Aufrüstung aus-
sähe, unmöglich machen wolle. Nach Angabe Suvichs sind Ziffern, Kaliber
usw. nicht erörtert worden, auch nicht im Sinne Zurückgreifens auf Mac-
Donaldplan.
IL Italiener und Engländer seien darüber einig, daß Abrüstungsfrage
zeitlich vor Völkerbundsfrage Priorität haben müsse. Ohne befriedigende
Lösung Abrüstungsfrage sei erfolgreiche Diskussion Völkerbundsreform
nicht zu denken, zumal Italien großen Wert darauf legen müsse, daß
Deutschland bei Erörterung Reform mitwirke. Daher sei man bezüglich
Völkerbund bei Unterredungen noch vager gewesen als hinsichtlich Ab-
rüstungsfrage. Italiener hätten mündlich und schriftlich nur drei Grund-
prinzipien verfochten, denen gegenüber sich Sir John Simon gleichmäßig
zurückgehalten habe:
1.) Trennung Völkerbunds von Friedensverträgen. Hier sei indes zu be-
achten, daß man im Hinblick auf Mandatsfrage dabei vorsichtig sein müßte.
2.) Reform der Organisation durch Einführung einer einstimmig ent-
scheidenden verantwortlichen Direktion der Großmächte, natürlich, wenn
möglich, auch der jetzt abseits stehenden. Frage Polen sei dabei nicht er-
örtert worden; Polen käme an sich nicht in Betracht, sei aber vielleicht unter
dem Gesichtspunkt Trennung von Kleiner Entente zu erwägen, worüber
sich Italien indessen immer erst mit Deutschland verständigen würde.
3.) Ausscheiden der Sanktionen aus den Satzungen; von Völkerbund
durchgeführte effektive Sanktionen seien Unsinn, Völkerbundssanktionen
könnten nur moralische sein. Jetzige Sanktionen seien also ganz zu be-
seitigen oder durch anderes System zu ersetzen. - Simon betonte mir
gegenüber immer wieder sehr starke Notwendigkeit Verständigung bei
offenbarer Sorge vor schweren und kriegerischen Verwicklungen. Ich habe
ihn darauf hingewiesen, daß, wenn er Verständigung wünsche, Aufgabe
klar sei, nämlich Einwirkung in Paris, endlich hysterische Furcht fahren
zu lassen und an die immer wieder wiederholten feierlichen Versicherun-
gen Kanzlers zu glauben. Simon, der, wie mir schien, Außenpolitik Deutsch-
lands erheblich positiver gegenüberstand als bei letztem Besuch in Rom an-
läßlich Viererpakts,4) zustimmte dem im Prinzip, war aber sehr skeptisch
bezüglich Möglichkeiten, Franzosen zu überzeugen. Im übrigen ist er, wie
gegenüber mir so auch Italienern gegenüber, offenbar über Allgemeinheiten
nicht weit hinausgegangen. Bei Mussolini gewann ich wiederum den Ein-
druck starker Sorge wegen Gesamtlage Politik und lebhafter Skepsis be-
züglich Aussicht, Franzosen zum Einlenken zu bewegen. Letztere haben
kürzlich Frage Flottenverständigung mit Italien wieder stärker betrieben,
nach Angabe Mussolinis aber nichts Positives zu bieten gewußt.
Anheimstelle Weisung für Anfang nächster Woche angesetzte Be-
sprechung mit Mussolini.5)
HASSELL
(4) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 102.
(5) Siehe Dokument Nr. 172.

298
Nr. 165 7. JANUAR 1934

165
9292/E 659 792-96
Aufzeichnung ohne UnterschrittJ)
BERLIN, d e n 7. J a n u a r 1934
zu IV Ru. 46 2 )
AUFZEICHNUNG ZUM BERICHT DER BOTSCHAFT MOSKAU ÜBER DIE UNTERREDUNG
BOTSCHAFTER NADOLNY-VOLKSKOMMISSAR LITWINOW VOM 4. JANUAR 1934 3 )

I.
Die intransigente Haltung Litwinows, seine ausdrückliche Ablehnung,
d e n Botschafter über die gegenwärtigen außenpolitischen Absichten d e r
Sowjet-Regierung zu unterrichten, w i e seine übrigen v o n Mißtrauen gegen
die Politik d e r Reichsregierung getragenen Ausführungen, besonders über
seine A n n ä h e r u n g a n die französische Gruppe, lassen k a u m noch e i n e n
Zweifel, d a ß die Sowjet-Regierung einen der „Rapallo-Politik" entgegenge-
setzten Frontwechsel ihrer Außenpolitik vollzieht oder bereits vollzogen
hat u n d in allen u n s interessierenden Fragen auf d e r Seite d e r franzö-
sischen G r u p p e zu finden sein wird. Die Sowjet-Regierung h a t damit d e n
Berliner V e r t r a g 4 ) in seiner praktischen Bedeutung ausgeschaltet, wodurch
für u n s d a s Problem der deutsch-sowjetischen Beziehungen in seiner
Gesamtheit aufgerollt wird.
U n t e r diesen Umständen müßte es als ein Nachlaufen hinter der Sowjet-
Regierung erscheinen, w e n n unsererseits jetzt d e r Versuch u n t e r n o m m e n
würde, d e n politischen Gedankenaustausch mit d e r Sowjet-Regierung in
M o s k a u oder Berlin fortzusetzen. Ebensowenig k a n n zur Zeit die Initiative
eines Angebotes unsererseits in Betracht gezogen werden. Der Ernst d e r
Lage, d i e aus dem V e r h a l t e n der Sowjet-Regierung entstanden ist, macht es
aber notwendig, deren Haltung, wie sie v o n Litwinow in seinem Gespräch
mit d e m Botschafter u n d vorher in seiner Rede v o m 29. Dezember 5 ) z u m
Ausdruck gebracht wurde, v o n seiten d e r Reichsregierung festzulegen sowie
zu einigen Punkten seiner Ausführungen, w e n n sie auch bereits v o m Bot-
schafter Nadolny erwidert wurden, Stellung zu nehmen. Es empfiehlt sich,
daß d e r Herr Reichsminister zu diesem Zweck d e n Sowjetbotschafter kom-
men läßt.
II.
H e r r n Chintschuk k ö n n t e zunächst d a s Erstaunen ausgesprochen werden,
daß d i e Sowjet-Regierung auf d e n v o n Botschafter N a d o l n y bereits v o r
Weihnachten gemachten Vorschlag einer grundlegenden politischen Aus-
sprache im Sinne d e s Berliner Vertrags nicht eingegangen ist und damit die
G r u n d l a g e n dieses V e r t r a g e s verlassen hat. Die G r u n d l a g e n d e s Berliner
V e r t r a g e s seien aber nicht n u r formal verletzt, sondern die Ausführungen

(1) Die Aufzeichnung wurde vermutlich von Meyer angefertigt.


(2) IV Ru. 46: Dokument Nr. 163.
(3) Gemeint ist offenkundig die Unterredung vom 3. Januar, über die Nadolny in Tele
gramm Nr. 3 vom 4. Januar berichtet hatte. Siehe Dokument Nr. 163.
(4) Siehe Dokument Nr. 66 und Anm. 4 dazu.
• (5) Siehe Dokument Nr. 161, Anm. 2.

299
Nr. 165 7. JANUAR 1934

Litwinows lassen erkennen, daß die Politik der Sowjet-Regierung sich


grundsätzlich von den Voraussetzungen des Berliner Vertrages entfernt
hat. Wenn Litwinow behauptet, daß die Sowjet-Regierung häufig über die
Absichten der deutschen Politik nicht informiert worden sei, so ist das nicht
richtig. Es dürfte sich nicht empfehlen, im Gespräch mit dem Botschafter
jetzt schon auf Folgerungen einzugehen, die die Reichsregierung aus der
Nichtbeachtung des Berliner Vertrages sowjetischerseits ziehen könnte.
Mit allem Nachdruck wäre es zurückzuweisen, daß Litwinow wie auch
andere leitende Sowjet-Persönlichkeiten immer wieder in provozierender
Weise die friedliche Tendenz der deutschen Politik in Zweifel ziehen und
vor der Welt verdächtigen. Es müsse weiter außerordentlich befremden,
wenn der Volkskommissar die unfreundliche Darstellung der deutsch-
sowjetischen Beziehungen in seiner Rede gegenüber dem Botschafter mit
der Absicht begründet, „dem deutschen Volk die Augen öffnen zu wollen".
Unbegründet ist auch die immer wiederkehrende Behauptung einer von
Deutschland ausgehenden antisowjetischen Tätigkeit, die sich auf die Los-
reißung der Ukraine und des russischen Fernen Ostens u. ä. beziehen soll.
Sollten in nichtamtlichen Kreisen solche Tendenzen bestehen, was die
Sowjet-Regierung vermeintlich glaubwürdigen Quellen entnehmen zu kön-
nen glaubt, so würden solche Bestrebungen weder die Zustimmung noch
die Unterstützung der Reichsregierung finden.
Dem Sowjet-Botschafter gegenüber wäre offen zu lassen, wie sich die
Reichsregierung die weitere Gestaltung ihres Verhältnisses zur Sowjet-
Union denkt.
III.
Litwinow läßt die Wünsche, die er in Bezug auf die Politik der Reichs-
regierung hegt und deren Erfüllung die Besserung der deutsch-sowjetischen
Beziehungen herbeiführen könnte, zwar nicht klar erkennen, sie lassen sich
aber zusammenfassen in dem Gedanken: Befreiung von dem Alpdruck der
vermeintlichen Ziele der deutschen Ostpolitik und dadurch Wiederher-
stellung des Vertrauens. Bereits einleitend wurde festgestellt, daß gegen-
wärtig eine entgegenkommende Initiative deutscherseits nicht in Frage
kommen kann. Indessen wäre zu erwägen, ob die von Litwinow ange-
deutete antisowjetische Tätigkeit nichtamtlicher deutscher Kreise, soweit
sie in der Tat betrieben wird, der amtlichen Politik förderlich oder abträg-
lich ist.
IV.
Die Wandlung der Sowjet-Politik zwingt zur Überprüfung der Politik der
Reidisregierung gegenüber dem Problem der deutsch-sowjetischen Bezie-
hungen. Dieses kann nicht gesondert, sondern nur im Rahmen der Gesamt-
außenpolitik des Reidies gelöst werden. Auf Grund der zu treffenden Ent-
scheidung, die der Botschafter in Moskau erbittet, wäre er mit Weisung zu
versehen.
Die Niditbeachtung des Berliner Vertrages durdi die Sowjet-Regierung,
die einem Bruch nahekommt, wirft die Frage auf, ob deutscherseits der
Vertrag zum nächsten Termin zu kündigen wäre. Im gegenwärtigen Stadium
ist hierzu nicht zu raten, da dieser Schritt die Brücken zu früh abbrechen
würde. Ein anderer Gedanke wäre, dem endgültigen Zusammenschluß der

300
Nr. 166 8. JANUAR 1934

Sowjet-Union mit der französischen Gruppe durch das Angebot eines


Paktes zuvorzukommen suchen, der die Grenzen und das Territorium der
Union gegen irgendwelche Aspirationen von deutscher Seite garantiert und
dagegen die Union aus dem neuen politischen System löst. Diese Möglich-
keit dürfte durch die Entwicklung der Gesamtlage überholt sein. Zu er-
wägen wäre vielleicht auch die Einschaltung Deutschlands in das östliche
Sicherungssystem, worauf Litwinows Bemerkung gegenüber dem Botschaf-
ter zu der Frage eines Paktes der assistance hindeuten könnte.
Als praktisches Ergebnis der Überlegungen, das der Weisung an die
Botschaft Moskau zugrunde gelegt werden könnte, dürfte sich zunächst
vorschlagen lassen: Zurückhaltung in politischen Fragen, ohne ein even-
tuelles sowjetisches Entgegenkommen abzulehnen. Eingehende Beobach-
tung der Entwickelung der außenpolitischen Lage der Union und ihrer Be-
ziehungen zu den übrigen Mächten. Die wirtschaftlichen und kulturellen
Beziehungen sind nach Möglichkeit aufrecht zu erhalten und zu fördern, da
sie bei dem gespannten politischen Verhältnis an Bedeutung als Verbin-
dungsglied gewinnen. In den militärischen Beziehungen erscheint Zurück-
haltung am Platze, ohne Mißtrauen zu erkennen zu geben. Das Ziel der ab-
wartenden und beobachtenden Haltung ist die Vorbereitung einer end-
gültigen Klärung der deutsch-sowjetischen Beziehungen.
V.
Die Botschaften in London und Rom wären anzuweisen, ihrerseits nach
Möglichkeit die weitere Entwickelung der sowjetisch-französischen Annähe-
rung zu stören.
Dem Herrn Reichsminister über den Herrn stellvertretenden Staats-
sekretär 6 ) gehorsamst vorgelegt.

*(«) Köpke.

166
3086/D 617 102-04
Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats von Renthe-Fink
BERLIN, den 8. Januar 1934
e. o. II Oe. 41
1.) Verabredungsgemäß sollte sich Herr Habicht heute mittag mit Flug-
zeug nach Wien begeben, um sich dort mit Herrn Dollfuß zu treffen • .)
2.) Gegen 10 Uhr telefonierte aber plötzlich der österreichische Ge-
sandte 2 ) persönlich folgendes: Mit Rücksicht auf die in den letzten Tagen
zutagegetretene ungemein verschärfte Lage in Wien, hervorgerufen durch
die aktivistische Tätigkeit der nationalsozialistischen Parteianhänger in
Wien (Sprengstoffanschlage und dgl.), die eine große Erbitterung in der

(l) Siehe Dokument Nr. 160


• (2) Tauschitz.

301
Nr. 166 8. JANUAR 1934

österreichischen Bevölkerung hervorgerufen hätten, hielte es der Bundes-


kanzler für zweckmäßig, die für heute angesetzte Besprechung mit Herrn
Habicht abzusagen.
Ich habe daraufhin sofort mit der Landesleitung Österreich in München
telefoniert. Als midi dann Herr Habicht anrufen ließ, habe ich die Mit-
teilung des österreichischen Gesandten wiederholt - mit der Bemerkung,
daß damit die geplante Reise also erledigt sei.
Herr Rieth, den ich gleichfalls benachrichtigte, deutete an, daß sich die
Heimwehren (Starhemberg), die in die von Dollfuß geplante Kombination
mit einbezogen werden sollten, gestern abend quergelegt hätten, nachdem
die Reise von Herrn Habicht offenbar bekannt geworden war. Dabei hätten
wohl auch italienische Einflüsse mitgespielt; trotz der für die Absage ge-
gebenen Begründung schiene Dollfuß selbst nach wie vor eine Verständi-
gung mit Habicht zu wünschen und habe die Zusammenkunft nur bis nach
dem Besuch von Suvich aufgeschoben.
3.) Inzwischen wurde ich erneut aus München angerufen. Prinz Waldeck
ließ mir mitteilen, daß Habicht die Reise noch nicht definitiv aufgegeben
habe, sondern sich überlegen wollte, ob es nicht doch zweckmäßig sei,
die Reise nach Wien anzutreten. Ich wurde gebeten, zunächst der öster-
reichischen Gesandtschaft nicht zu sagen, daß es gelungen wäre, Herrn
Habicht zu verständigen, und weitere Mitteilung abzuwarten.
Da eine Reise nach Wien, trotz der erfolgten Absage, ernste Bedenken
haben müßte, habe ich den stellv. Staatssekretär sofort benachrichtigt und
nach Rücksprache mit ihm den Stabsleiter der Landesleitung Österreich 3 )
auf die Komplikationen hingewiesen, die sich ergeben könnten, und drin-
gend gewarnt. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht ginge,
den Österreichern gegenüber zu behaupten, daß Herr Habicht nicht mehr
rechtzeitig hätte verständigt werden können. Wir hielten die Reise untei
den jetzigen Umständen nicht für opportun und ausführbar, und sollte Herr
Habicht trotzdem seine Reise nach Wien antreten, so würde er dies auf
eigene Kappe tun und müßte nach unserer Ansicht jedenfalls vorher die
Instruktionen des Führers einholen.
Der Stabsleiter versprach sein Möglichstes zu tun, um Herrn Habicht, der
nicht direkt erreicht werden könnte, zu verständigen.
Ich bekam aber eine halbe Stunde später, um zwölf, ein Telefonat vom
Flugplatz München, daß Herr Habicht nicht erreicht werden könnte. Er
hätte sich heute morgen zu früher Stunde nach Schleißheim begeben, um
der Geheimhaltung wegen von dort abzufliegen. Dies sei wahrscheinlich
erfolgt.
4.) Es blieb mir unter diesen Umständen nichts anderes übrig, als den
österreichischen Gesandten zu verständigen, daß Herr Habicht nach Mit-
teilungen aus München bei der Kürze der Zeit und angesichts des Abfluges
aus Schleißheim nicht rechtzeitig hätte benachrichtigt werden können und
daher vermutlich abgeflogen sei. Die gleiche Mitteilung machte ich Herrn
Rieth, damit für den Empfang auf dem Flugplatz Aspern Vorsorge ge-
troffen würde.

• (3) Weydenhammer

302
Nr. 167 9. JANUAR 1934

5.) Als sich herausstellte, daß Herr Habicht die Absicht hatte, trotz der
Absage seine Reise anzutreten, habe ich mich mit Oberleutnant Brückner,
dem Adjutanten des Führers, den ich auf dem laufenden gehalten hatte, in
Verbindung gesetzt. Er hat daraufhin dem Führer Vortrag gehalten. Auf
Anordnung desselben ist versucht worden, das Flugzeug radiotelegrafisch
zu erreichen, Herrn Habicht von der Absage gewissermaßen offiziell zu be-
nachrichtigen und ihn aufzufordern umzukehren.
Nach Rücksprache mit Oberleutnant Brückner habe ich Herrn Rieth von
der Maßnahme des Führers verständigt, damit er, falls die radiotelegra-
fische Weisung das Flugzeug nicht erreichen sollte, Herrn Habicht bei sei
ner Ankunft Mitteilung machen kann.4)
v- RENTHE-FINK
*(4) Randvermerke: „RM zur g[e)f[ä]l[ligen] K[enn]tnis. 1. Anscheinend hat der radio-
telegraphische Rückkehrbefehl des H[err]n RK H[err]n Habicht noch vor der Landung
rechtzeitig erreicht. 2. Botschaft Rom ist von der Verschiebung der Zusammenkunft
gleichfalls unterrichtet worden. Köpke 8. 1." „Hat dem Herrn RM vorgelegen."

167
3086/D 617 079-80
Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats von Renthe-Fink
BERLIN, den 9. Januar 1934
e. o. II Oe. 80
Herr Habicht hat mich heute morgen zusammen mit Erbprinz Waldeck
aufgesucht. Er hat kurz vor der Landung in Wien vom Reichskanzler den
Befehl erhalten, umzukehren. 1 )
Wie menschlich verständlich, war er vom Ausgang der Sache aufs
äußerste erregt und tief enttäuscht. Er vertrat die Ansidit, daß, wenn er
hätte landen können, es ihm geglückt wäre, trotz aller Widerstände bis
zu Dollfuß vorzudringen. Bei der durch die Heimwehren bedrohten Position
des Bundeskanzlers, der gewissermaßen jetzt der Gefangene der Heim-
wehren sei, wäre Dollfuß wahrscheinlich ein derartiger Schritt vielleicht
sogar willkommen gewesen. Jedenfalls war Herr Habicht überzeugt davon,
daß er bestimmt zu einer Einigung mit Dollfuß gelangt sein würde.
Daß der Versuch, die Einigung gewissermaßen zu erzwingen, ernste
Risiken einschloß und zu erheblichen Komplikationen oder zu einer Ge-
fährdung des großen Zieles hätte führen können, schien Herr Habicht nicht
zu sehen.2)
Ich habe ihm gesagt, daß, nachdem das Auswärtige Amt amtlich befaßt
worden sei, wir die Pflicht gehabt hätten, den Reichskanzler in einer so
wichtigen Angelegenheit auf dem laufenden zu halten. Wir hätten dies

(i) Siehe Dokument Nr. 166.


(2) Randbemerkung Neuraths: „Wohl aber der RK, der erklärte, die Zurückberufung
H[abiditjs sei absolut erforderlich gewesen."

303
Nr. 168 9. JANUAR 1934

nicht erst getan, als Herr Habicht trotz der A b s a g e abflog, s o n d e r n den
Reichskanzler schon informiert, als wir die österreichische A b s a g e erfuhren.
Nach den Bemerkungen, die Herr Habicht machte, m ü s s e n wir, wenn
seine Pläne genehmigt werden, mit einer Verschärfung des Kampfes gegen
Dollfuß rechnen und mit einer zunehmenden Aktivität der Nationalsozia-
listen in Österreich.
Den Reichskanzler hatte Herr Habicht allerdings noch nicht gesprochen;
die Zusammenkunft sollte erst heute mittag erfolgen. 3 )
v. RENTHE-FINK

(3) Randvermerk: „Herr H[abicht] hat heute naehmfittag] auf Weisung des RK bei mir an-
gefragt, ob ich etwas dagegen einzuwenden hätte, wenn Waldeck nach Wien fahre, um
sich zu informieren u. mit einzelnen Leuten der Partei Fühlung zu nehmen. Ich habe
der Reise zugestimmt, v. N[eurath] 10. 1."
In Telegramm Nr. 6 vom 10. Januar (6114/E 454 176) teilte Köpke der Gesandtschaft in
Wien mit, daß am 11. Januar vormittags Prinz Waldeck in der österreichischen Haupt-
stadt eintreffen werde. Auf einer im Auswärtigen Amt abgelegten Ausfertigung des
Telegramms notierte Köpke den Inhalt eines Telefongesprächs mit Waldeck, in dem
dieser erklärt habe, Hitler habe seiner Reise zugestimmt, sofern Neurath keine Be-
denken habe. Er, Köpke, habe Waldeck wissen lassen, daß Neurath „sich keinen
großen Erfolg erhoffe, aber von sich aus nichts einzuwenden habe, wenn der Reichs-
kanzler der Sache im Prinzip zustimme".

168
6177/E 463 522, 528-29
Aulzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 9. J a n u a r 1934
RM. 30
Der polnische Gesandte hat mich heute aufgesucht und hat mir den an-
liegenden polnischen Entwurf für eine Erklärung für die Regelung der
deutsch-polnischen Beziehungen übergeben. Der Gesandte hat d a b e i darauf
hingewiesen, daß die polnische Regierung sich bemüht h a b e , u n s e r e m Ent-
wurf so n a h e als möglich zu kommen. Er habe die Vollmacht zur Zeichnung
und sei jederzeit dazu bereit.
Ich erklärte Herrn von Lipski, ich müßte natürlich den polnischen Entwurf
zunächst durchsehen, ehe ich zu ihm Stellung n e h m e n könnte, w ü r d e ihm
aber so bald wie möglich Mitteilung darüber z u k o m m e n lassen, ob und
welche Wünsche wir etwa noch zu äußern hätten.
Herr von Lipski bat schließlich noch, es möchte die v o n ihm angefertigte
deutsche Übersetzung des polnischen Entwurfs auf ihre Richtigkeit nach-
geprüft werden. 1 )
gez. FRHR. v. NEURATH

Ich bitte die Prüfung tunlichst zu beschleunigen.


gez. FRHR. v. NEURATH

*(l) Randvermerk: „St.S., Dir. V, Dir. IV mit der Bitte um Prüfung der Übersetzung."

304
Nr. 168 9. JANUAR 1934

[Anlage]
Abschrift
Unverbindliche Übersetzung 2)
ERKLÄRUNG

Die deutsche Regierung und die polnische Regierung halten den Zeit-
punkt für gekommen, um durch eine unmittelbare Verständigung von Staat
zu Staat eine neue Phase in den politischen Beziehungen zwischen Deutsch-
land und Polen einzuleiten. Sie haben sich deshalb entschlossen, durch die
gegenwärtige Erklärung die Grundlage für die künftige Gestaltung dieser
Beziehungen festzulegen.
Beide Regierungen gehen dabei von der Tatsache aus, daß die Aufrecht-
erhaltung und Sicherung eines dauernden Friedens zwischen ihren Län-
dern eine wesentliche Voraussetzung für den allgemeinen Frieden in Eu-
ropa ist. Indem sie anerkennen, daß durch diese Erklärung keine von den
Verpflichtungen, die sich für jeden der beiden Teile aus den von ihm ab-
geschlossenen Abkommen ergeben, geändert oder eingeschränkt werden
kann und daß diese Erklärung sich auf solche Fragen nicht erstreckt, welche
nach internationalem Recht zur ausschließlichen Zuständigkeit der Staaten
gehören, sind beide Regierungen entschlossen, ihre gegenseitigen Beziehun-
gen auf den im Pakt von Paris vom 27. August 1928 enthaltenen Grund-
sätzen zu stützen, und wollen deshalb, insoweit das Verhältnis zwischen
Polen und Deutschland in Betracht kommt, die Anwendung dieser Grund-
sätze genauer bestimmen.
Beide Regierungen erklären ihre Absicht, in Fragen, welcher Art sie
auch sein mögen und die ihre gegenseitigen Beziehungen betreffen, sich
unmittelbar zu verständigen. Sollten etwa Streitfragen zwischen ihnen ent-
stehen und sollte sich deren Bereinigung durch unmittelbare Verhandlungen
nicht erreichen lassen, so werden sie eine Lösung durch andere friedliche
Mittel, wie insbesondere das Schiedsgerichts- und Vergleichsverfahren
auf Grund gegenseitigen Einvernehmens für jeden besonderen Fall suchen.
Unter keinen Umständen werden sie jedoch zum Zweck der Austragung
solcher Streitfragen zur Anwendung von Gewalt schreiten.
Die durch diese Grundsätze geschaffene Friedensgarantie wird den bei-
den Regierungen die große Aufgabe erleichtern, die Probleme politischer,
wirtschaftlicher und kultureller Art auf einem gerechten und billigen Aus-
gleich der beiderseitigen Interessen beruhende Lösung zu finden [sie].
Beide Regierungen sind der Überzeugung, daß sie auf diese Weise die
Beziehungen zwischen ihren Ländern fruchtbar entwickeln und zur Begrün-
dung eines gutnachbarlichen Verhältnisses führen werden, das nicht nur
ihren beiden Ländern, sondern auch den übrigen Völkern Europas zum
Segen gereicht.
Die gegenwärtige Erklärung bleibt in Kraft bis zu ihrer Kündigung durch
einen der vertragschließenden Teile, was jedoch nicht vor einem Zeit-

*(2) Der polnische Text ist gefilmt unter 6177/E 463 523-24. In der Vorlage wurden Uber-
setzungsvarianten vermerkt, die hier nicht berücksichtigt worden sind.

305

II,1 Bg. 20
Nr. 169 9. JANUAR 1934

punkt von 10 Jahren erfolgen darf. Die Anmeldung der Kündigung soll
6 Monate im voraus erfolgen.
Die Erklärung wird ratifiziert werden, und die Ratifikationsurkunden
sollen sobald als möglich in Warschau ausgetauscht werden.
Ausgefertigt in doppelter Urschrift in deutscher und polnischer Sprache.
BERLIN, den . . .
Für die deutsche Regierung: Für die polnische Regierung:

169
2945/D 575 902-03
Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 9. Januar 1934
RM. 31
Bei seinem heutigen Besuch erklärte mir der polnische Gesandte J) be-
züglich der in der Presse enthaltenen Nachrichten über polnisch-russische
Verhandlungen zwecks Garantierung der Unabhängigkeit der Randstaa-
ten 2 ) folgendes:
Die polnische Regierung habe seit Bestehen der Randstaaten entscheiden-
den Wert darauf gelegt, die Unabhängigkeit dieser Staaten zu erhalten.
Sie sei über diesen Punkt wiederholt mit der russischen Regierung in Kon-
flikt gekommen, und die Diskussion darüber sei eigentlich nie abgerissen
und habe sich bis in die letzten Wochen erstreckt. Es sei jedoch völlig un-
richtig, daß von russischer Seite der Abschluß eines regelrechten Paktes
zur Garantierung der Unabhängigkeit der Randstaaten vorgeschlagen wor-
den sei. Auf einen solchen Pakt würde die polnische Regierung auch nicht
eingehen. Der Gesandte versicherte im übrigen, daß seine Regierung, falls
russischerseits der Abschluß eines solchen Garantiepakts vorgeschlagen
worden wäre und man polnischerseits darauf hätte eingehen wollen, auf
alle Fälle vorher die deutsche Regierung davon in Kenntnis gesetzt haben
würde.
übergehend zu dem in der englischen Presse enthaltenen Gerücht, wo-
nach bei den deutsch-polnischen Verhandlungen über den Abschluß der
„No-force-declaration" von deutscher Seite Vorschläge wegen Ausdehnung
der deutschen Einflußsphäre auf die Randstaaten gemacht worden seien,
sagte der Gesandte: Die polnische Regierung habe dieses Gerücht sofort
energisch dementiert, da sie darin die Absicht einer Brunnenvergiftung
erblickt habe. Man müsse überhaupt damit rechnen, daß von verschiedenen
Seiten Giftpfeile gegen die deutsch-polnischen Verständigungsabsichten
abgeschossen würden.
v. N[EURATH]

• (1) Lipski.
(*) Siehe auch Dokument Nr. 187.

306
Nr. 170 9. JANUAR 1934

170
7956/E 574 608-12
Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Saarbevollmächtigte von Papen
an den Reichsminister des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 9. Januar 1934
Ankunft: 10. Januar
II S.G. 164
Lieber Neurath!
Anliegend ein Bericht über meine Unterredung mit dem Präsidenten
Knox. Ich würde es für zweckmäßig halten, wenn wir in der im Bericht an-
geschnittenen Angelegenheit (Vermögen der Gewerkschaften) eine dilato-
rische Antwort erteilen würden. Knox wünscht augenscheinlich lediglich
ein korrektes formelles Eingehen auf die Frage, aber nicht mehr.1)
Mit Bezug auf die Bildung des Dreier-Komitees in Genf2) würde ich emp-
fehlen, mit befreundeten Stellen dahin Fühlung zu nehmen, daß möglichst
zwei neutrale Persönlichkeiten hineingewählt werden. Am besten wäre das
vielleicht unmittelbar mit den Italienern zu besprechen.
Mit bestem Gruß
Ihr
PAPEN

[Anlage]
BERICHT ÜBER MEINE UNTERREDUNG MIT DEM PRÄSIDENTEN DER SAARREGIERUNG,
HERRN KNOX, AM 3. 1. 1934

Herr Knox hatte mich fragen lassen, ob ich bereit sei, eine Einladung zu
ihm anzunehmen, worauf er mich nach erfolgter Zusage allein zu einem
Abendessen bat, in dessen Verlauf wir alle Deutschland und das Saargebiet
betreffenden Fragen durchgesprochen haben.
Die außerordentlich gespannte Lage zwischen der derzeitigen Saarregie-
rung und der Bevölkerung, die durch die vielfachen Notverordnungen 3 ) des
Herrn Knox entstanden ist, versuchte er durch die Notwendigkeit zu er-
klären, eine autoritäre Regierung aufrecht erhalten zu müssen, die keiner-
lei Einmischung, weder von deutscher noch von anderer Seite, dulden
könne. Er sei selbst überzeugt, daß dieses „despotische System", wie er es
nannte, nicht lange andauern könne und daß die Ausschaltung jeglicher
Mitwirkung der Bevölkerung an den Geschicken des Landes ein Zustand

(i) Randbemerkungen: „Kann das nicht geschehen? v. N[eurath] 10. 1."


„[An] St.S., Dir. II, II S.G. mit Hinweis auf die Bemerkung des Herrn RM: .Kann
das nicht geschehen?' Büro RM bittet um Beteiligung. Ko[tze] 10. 1."
(2) Siehe Dokument Nr. 185.
(3) Als Maßnahme gegen drohende Unruhen hatte die Regierungskommission für das
Saargebiet am 28. November eine Reihe von Verordnungen erlassen, die bestimmte
Formen politischer Betätigung einschränken sollten. So wurde u. a. das Tragen von
Parteiuniformen und Parteiabzeichen untersagt, einige Zeitungen wurden verboten, und
den politischen Organisationen des Landes wurde auferlegt, Beschlüssen landfremder
Parteien nicht Folge zu leisten.

307
Nr. 170 9. JANUAR 1934

sei, der baldigst beendigt werden müsse. Er werde deshalb von Seiten der
Saarregierung auf das dringendste gegen jede Verschiebung des Ab-
stimmungstermins 4) votieren, und er sei vor allem der Ansicht, daß die
Beibehaltung des Status quo nach der Abstimmung eine Unmöglichkeit sei -
eben weil man ein Land nur eine gewisse beschränkte Zeit diktatorisch
regieren und verwalten könne.
Bezüglich der Abstimmung über das Schicksal des Saargebietes befinde er
sich, wie er mir vertraulich erklärte, in völliger Übereinstimmung mit dem
Herrn Reichskanzler dahingehend, daß man sowohl die territoriale wie die
wirtschaftlichen Fragen der Volksabstimmung unterbreiten müsse. Er sei
aber der Ansicht, daß eine Abstimmung überhaupt nur möglich sei nach
einer vorher erfolgten Einigung über diese Fragen. Im anderen Falle würde
sie Mord und Totschlag bedeuten und keinen Fortschritt in der Befriedung
Europas bringen.
Er wisse, daß seine Notverordnungen scharf kritisiert würden. Das sei das
gute propagandistische Recht Deutschlands. Aber er habe es unangenehm
empfunden, daß der Landesrat 5 ) seine Eingabe an den Völkerbund sehr stark
nach der persönlichen Seite abgefaßt hätte und diese persönlichen Ankla-
gen der Öffentlichkeit übergeben habe.6) Ich erwiderte Herrn Knox, daß das
nur eine berechtigte Abwehr gegen die Unterdrückungspolitik der Regie-
rungskommission sei und daß wir uns vorbehalten würden, jede Aktion der
Regierungskommission einer strengen Kritik in der Öffentlichkeit zu unter-
ziehen. Auf Grund des Berichtes des Landesrats sei er, Knox, nun gezwun-
gen, das bei dem Kreisleiter von Neunkirchen, Roth, gefundene Material in
einer Denkschrift an den Völkerbund zu verwerten. Aus diesem Material
gehe einwandfrei hervor, daß - entgegen den Zusicherungen des Herrn
Spaniol und der parteiamtlichen deutschen Stellen - im Saargebiet eine ge-
heime SA gebildet und organisiert werde. Desgleichen müsse er darauf
aufmerksam machen, daß die nach Deutschland in den freiwilligen Arbeits-
dienst entsandten jungen Saarländer eine militärische Kraft von 7-8000
Mann ausmachten, die eine ständige Bedrohung für die Aufrechterhaltung
von Ruhe und Ordnung bedeuteten. (Knox bezieht sich hier ebenfalls auf
Material von Roth.)
Selbstverständlich habe ich versucht, alle diese Ausführungen zu wider-
legen und nach Möglichkeiten abzuschwächen, und hoffe, daß es mir ge-
lungen ist, seine Eingabe an den Völkerbund in wesentlichen Punkten zu
mildern. Herr Knox erklärte wiederholt, daß er keinesfalls wünsche, Schwie-
rigkeiten mit der Reichsregierung zu bekommen, aber er bäte, daß die an

*(4) Nach den Bestimmungen des VersaiUer Vertrages hatte nach dem 10. Januar 1935 im
Saargebiet eine Volksabstimmung über die endgültige Zugehörigkeit des Saarlandes
stattzufinden.
(5) Die gewählte Versammlung von 30 saarländischen Volksvertretern, die ausschließlich
beratende Funktion besaß.
*(•) Dieser Hinweis bezieht sieh auf eine Petition an den Völkerbund, in der die Abgeord-
neten der Deutsehen Front im saarländischen Landesrat die Haltung und Handlungs-
weise der Regierungskommission für das Saargebiet und ihres Präsidenten scharf
kritisierten. Die Petition trug das Datum vom 18. Dezember 1933 und war dem Völker-
bund am 5. Januar 1934 zusammen mit einer Erklärung Knox zugestellt worden. Siehe
S. d. N., Journal Oiliciel, März 1934, S 302-11.

308
Nr. 170 9. JANUAR 1934

die Reichsregierung gesandten Noten eine Erledigung fänden. Hierbei be-


zog er sich besonders auf einen Notenwechsel über das beschlagnahmte
Vermögen saarländischer Gewerkschaften 7 ) und meinte ironisch, man
könne doch einen Notenwechsel so führen, daß es mehrere Jahre dauere,
aber man müsse ihn wenigstens in die Lage versetzen, eine dilatorische
Antwort der Reichsregierung vorweisen zu können.
Bezüglich Genf teilte er mir mit, daß die Saarregierung die Ernennung
eines dreiköpfigen Komitees unter der Führung eines Italieners vorschlagen
werde. Dieses Komitee soll die Aufgabe haben, der Mai-Versammlung
einen Bericht über die für die Abstimmung zu ergreifenden Maßnahmen
zu erstatten. Der italienische Vorsitz werde, so glaubte er, die deutsche
Regierung befriedigen. Da dieses Komitee zweifellos in erster Linie die
Saarregierung um Vorschläge ersuchen werde, so werde er Gelegenheit
haben, seine Auffassung über die Abstimmung dort zur Kenntnis zu brin-
gen.
In der langen Diskussion über die Bedeutung der Saarfrage für die ge-
samte Entwicklung der europäischen Lage, insoweit sie durch das deutsch-
französische Verhältnis beeinflußt werde, kam immer wieder die Befürch-
tung zum Ausdruck: „Wird nicht bei einer vollkommenen deutsch-franzö-
sischen Aussöhnung England die Kosten tragen?" Ich versuchte natürlich,
dem Präsidenten das Gegenteil zu beweisen, aber ich habe den Eindruck,
daß in dieser Frage die ganze Stellungnahme Englands zum deutsch-franzö-
sischen Problem begraben liegt und daß wir eine günstigere Stellungnahme
des Präsidenten Knox in Saarangelegenheiten auch erst dann erreichen
werden, wenn es uns gelingt, die englische Regierung davon zu überzeu-
gen, daß die deutsch-französische Verständigung zu einem wesentlichen
Bestandteil der englischen Politik gemacht werden müsse.
Im übrigen habe ich mit dem Präsidenten verabredet, daß ich von mir aus
alles hintan halten würde, was die friedliche Entwicklung an der Saar von
deutscher Seite aus stören könnte. Die Reichsregierung gebe sich aber der
bestimmten Erwartung hin, daß die ewigen Unterdrückungen ein Ende
haben müßten.
Ich beabsichtige, die vertrauliche Fühlungnahme mit dem Präsidenten
Knox von Zeit zu Zeit fortzusetzen, damit wir über die Ansichten der Saar-
regierung und ihr Vorgehen in Genf möglichst unterrichtet sind.
Betreffend die Schulfrage8) und die Wiederaufrollung des Prozesses
gegen Herrn Röchling9) meinte der Präsident, daß er die ganze von der

(7) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 452.


*(8) Nach § 14 der im VersaiUer Vertrag festgelegten Bestimmungen über die Abtretung
und Ausbeutung der Gruben im Saargebiet hatte der französische Staat das Recht, als
Nebenanlagen der Gruben Volksschulen und technische Schulen für das Personal und
die Kinder des Personals zu unterhalten und Unterricht in französischer Sprache nach
französischen Lehrplänen und mit französischen Lehrern zu erteilen. Die sich aus dieser
Bestimmung ergebende Situation führte zu zahllosen Protesten der Saarbevölkerung und
der deutschen Regierung. Es hieß, daß auf die Bergleute Drude ausgeübt werde, damit
sie ihre Kinder in die französischen Schulen schickten.
(8) Dieser Hinweis bezieht sich vermutlich auf die Tatsache, daß Hermann Röchling und
sein Bruder nach dem Ersten Weltkrieg wegen angebliehen Diebstahls und Plünderei
von einem französischen Militärgericht verurteilt worden waren.

309
Nr. 171 9. JANUAR 1934

französischen Grubenverwaltung betriebene Politik im höchsten Maße un-


geschickt fände. Er habe seinem französischen Kollegen 10) schon längst ge-
raten, den gesamten französischen Schulbetrieb einstellen zu lassen, weil
er damit der deutschen Propaganda fortlaufend Material liefere. Die Fran-
zosen schienen aber das nicht einsehen zu wollen. Seine eigene Stellung-
nahme in dieser Angelegenheit schien mir indifferent.
PAPEN
• (10) Morize.

171
6609/E 497 341-70
Der Botschafter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt
Geheim MOSKAU, den 9. Januar 1934
A 90 Ankunft: 12. Januar
IV Ru. 166
POLITISCHER BERICHT
Inhalt: Die Gestaltung der deutsch-russischen Beziehungen.
Als ich in Berlin meine Instruktion für den hiesigen Posten') in Empfang
nahm, wußte ich, daß zwischen Deutschland und Sowjetrußland heute ein
Berg von Voreingenommenheit und Mißtrauen liegt, dessen Abtragung bis
auf das Niveau guter, den Richtlinien der Instruktion und den beiderseiti-
gen realen Interessen entsprechender Beziehungen sehr schwer sein würde.
Aber ich dachte, mit der Zeit die Schwierigkeiten zu überwinden und doch
erreichen zu können, daß uns Rußland in seiner traditionellen Bedeutung,
nämlich als ein großes wirtschaftliches und kulturelles Betätigungsgebiet
und als ein positiver Faktor unserer Außenpolitik erhalten bleibt. Wie ich
unser Verhältnis zu Sowjetrußland noch unter den heutigen LJmständen der
Spannung ansah, das habe ich in der anliegenden Aufzeichnung darzustel-
len versucht. Zudem hat mein Vorgänger auf dem hiesigen Posten zwar
den Schlußbericht seiner hiesigen Tätigkeit mit dem Satz beendet: „Das
Rapallo-Kapitel ist abgeschlossen." 2 ) Aber er hat dabei zugleich gesagt:
„Die Sowjetregierung wird eine einseitige und vertragsmäßige Bindung
gegenüber dem französisch-polnischen Block vermeiden und über kurz oder
lang einen verstandesgemäßen Ausgleich mit Deutschland anstreben. Die
Anzeichen zeigen sich schon jetzt. Es wird das nächste Ziel unserer Ruß-
landpolitik sein müssen, diese verstandesmäßige Bereinigung durchzu-
führen". Auch dies hat mich in meinem Vorsatz bestärkt.
Nun, ich muß sagen, daß ich hier die Stimmung gegenüber Deutschland
viel schlechter vorgefunden habe und daß die Abwendung von uns und die
Einschwenkung in die französische Front viel weiter gediehen ist, als ich

(1) Siehe Dokument Nr. 66.


(2) Dieser Satz findet sich in Dirksens Bericht Nr. A 2400 vom 30. Oktober 1933 (9339/E 661
809-22) am Schluß des mit „Außenpolitik" übersdiriebenen Abschnitts.

310
Nr. 171 9. JANUAR 1934

dachte. Konnte meine erste Unterhaltung mit Litwinow 3 ) noch einen ver-
hältnismäßig günstigen Eindruck erwecken, so hat seine kurz darauf ge-
haltene Rede 4 ) sowie die Unterhaltung, die ich nach meiner Rückkehr von
Berlin mit ihm hatte,5) klar gezeigt, daß mindestens beim Außenkommissar
die Würfel über dem Entschluß des Übertritts zur französischen Gruppe
schon so gut wie gefallen sind.
Es fragt sich, ob es möglich ist, doch noch eine Änderung dieser Einstel-
lung im Sinne der mir erteilten Instruktion zu erreichen.
Litwinow hat seine Geneigtheit, mit der französischen Gruppe zusammen-
zugehen, damit begründet, daß diese Gruppe absolute Anhängerin des
Friedens sei;6) die Sowjetregierung aber müsse jetzt angesichts der Span-
nung im Fernen Osten vor allem darauf Bedacht nehmen, den Frieden zu
erhalten. Zwar sei die französische Gruppe zugleich antirevisionistisch,
während die Sowjetregierung die Friedensverträge für ungerecht halte und
für eine friedliche Revision eintrete. Indessen könne bei der heutigen
Geistesverfassung Deutschlands Revision auch Krieg bedeuten. Denn es
sei sicher, daß das heutige Deutschland darauf ausgehe, die Revision mit
militärischen Mitteln vorzunehmen, und die Friedenserklärungen des
Kanzlers dienten nur dazu, um zunächst wieder eine hinreichende deutsche
Rüstung zu schaffen und dann die deutschen Wünsche mit den Waffen zur
Geltung zu bringen. Diese Methode habe Adolf Hitler ausdrücklich in sei-
nem Buch Mein Kampi als sein Programm verkündet, und es spreche nichts
dafür, daß die Tendenz dieses Buches, das noch heute in immer neuer
Auflage millionenweise verbreitet werde, aufgegeben sei. überdies solle
die Revision augenscheinlich auf Kosten Rußlands gehen oder Rußland
solle auf andere Weise ein Opfer des von Hitler betriebenen deutschen
Militarismus werden. Der Leiter des Außenpolitischen Amtes der National-
sozialistischen Partei, Alfred Rosenberg, habe wiederholt über die Absicht
eines deutsch-polnischen Geschäftes auf Erwerb der Ukraine durch Polen
gegen Rückgabe des Korridors an Deutschland oder einer sonstigen Ab-
trennung der Ukraine von Sowjetrußland gesprochen und stehe mit
ukrainischen Separatisten im Verkehr. Hitler selbst aber habe das ganze
14. Kapitel seines Buches Mein Kampi dem Gedanken des sowjetrussischen
Zusammenbruchs und der Benutzung dieses Zusammenbruchs für deutsche
koloniale Zwecke gewidmet. Es sei darum durchaus zu befürchten, daß
Deutschland einen russisch-japanischen Konflikt zur Verwirklichung dieser
Pläne benutze, und die in Deutschland neuerdings zum Ausdruck gekom-
menen Sympathien für Japan sprächen dafür, daß dies auch beabsichtigt
werde. Die Sowjetunion müsse unter diesen Umständen die Gruppe Frank-
reichs und seiner Anhänger unterstützen, da diese den Frieden wolle und
Deutschland in Schach halte.
Das ist - ich lasse die sonst noch immer wieder vorgebrachten Beispiele

• (3) Siehe die Dokumente Nr. 122 und 127.


(4) Siehe Dokument Nr. 161, Anm. 2.
(5) Siehe Dokument Nr. 163.
(8) An dieser und anderen Stellen wurde die Vorlage durch Brand beschädigt. Fehlende
Wörter wurden nach einer in den Akten der Botschaft in Moskau befindlichen Durch-
schrift (1909/429 863-92) ergänzt.

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für den bösen Willen Deutschlands gegenüber Sowjetrußland, wie z. B. die


Papenschen Verhandlungen mit Herriot,7) das Hugenbergsche Memoran-
dum 8 ) u. a. m., beiseite - der wesentlichste Inhalt der Litwinowschen Argu-
mentation, mit der er in seiner Rede vor dem Zentral-Exekutiv-Komitee und
mir gegenüber die sowjetfeindliche Tendenz des heutigen Deutschland und
die Notwendigkeit, sich dieser Tendenz zu erwehren, dargelegt hat. Daß
er damit bei der Sowjetregierung und beim Politbüro sowie beim Zentral-
Exekutiv-Komitee und in ganz Sowjetrußland eine gute Resonanz gefun-
den hat, darf uns nicht wundern. Die japanische Gefahr wird hier aufs
äußerste gefürchtet. Ich verweise hinsichtlich der militärischen Lage auf
die mit gleichem Kurier abgehenden Berichte des hiesigen Militärattaches
Oberst Hartmann vom 10. d. Mts. - 1/34 Beilage I und II.9) Hinsichtlich der
politischen Situation im Fernen Osten aber schreibt mir Konsul Kastner
aus Wladiwostok unterm 26. Dezember:
„Mein allgemeiner Eindruck von der Lage ist der, daß es hier zu einem
Krieg kommen muß, sowohl wegen der tiefliegenden prinzipiellen Inter-
essengegensätze wie des gehäuften und sich ständig neu ansammelnden
aktuellen Konfliktsstoffs. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß die
Annäherung zwischen der Sowjetunion und Amerika keine Entspannung
der fernöstlichen Lage gebracht, sondern die aktuelle Kriegsgefahr wo-
möglich noch gesteigert hat. Wenn es gleichwohl vorläufig noch zu keinem
Krieg kommt, so liegt der Grund meines Erachtens darin, daß in Japan
diejenigen Kreise, die einen Krieg mit Amerika und der Sowjetunion
als eine unausweichliche Notwendigkeit ansehen, noch nicht lOOprozentig
an der Macht sind. Daneben mag mitspielen, daß die Japaner sich in der
Mandschurei und Mongolei noch keine genügend sichere und starke
Etappenbasis geschaffen haben."
Natürlich geben andererseits die Sowjets sich die größte Mühe, dem
Kriege auszuweichen. Die Erinnerung an die umwälzenden Folgen des
ersten japanischen Krieges läßt sie, die ohnehin jede Erschütterung von
außen her möglichst vermeiden müssen, von einem Zusammenstoß im Osten
ein großes Risiko für ihre Herrschaft erwarten. Da fällt es nicht schwer,
auch die alte Angst vor einer Intervention des Westens wieder anzu-
fachen und unter den heutigen Umständen den Deutschen als den Träger
einer solchen Intervention hinzustellen. Wir müssen bedenken, daß die
dynamische Tendenz unserer Politik nach Osten den östlichen Völkern
ohnehin immer bewußt ist. So sehr diese Völker seit Jahrhunderten unsere
Arbeit in ihrem Gebiet gewohnt sind, immer besteht bei ihnen zugleich
eine gewisse Abwehr gegen den deutschen „Drang nach dem Osten". Auch
im Panslawismus lag nicht nur Aggressivität und unberechtigter Deutschen-
haß, sondern schließlich doch auch ein Quentchen verständlicher Gegenwehr.
Heute nun hat sich speziell in Sowjetrußland die Furcht vor dem deutschen
Drang nach Osten bis zum Alpdruck gesteigert. Eine solche Furcht mag
kaum glaublich erscheinen. Sie wäre uns allenfalls bei Polen noch ver-
ständlich, bei Rußland dagegen, das nicht unser Nachbar ist und dessen
(7) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 43 und Anm. 2 dazu
(8) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 312.
(») Fundort: 5892/E 432 936-75.

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Bedrohung uns durchaus fernliegt, ist sie uns unverständlich. Und doch
ist sie tatsächlich vorhanden. Wenn die sowjetrussische Presse und die
Staatsmänner Moskaus von der Bedrohung durch den deutschen Imperialis-
mus reden, so ist das nicht nur eine vom bösen Willen gegen den national-
sozialistischen und antikommunistischen Staat diktierte Verdächtigung,
sondern es handelt sich um eine tatsächlich vorhandene Furcht vor uns.
In Rom hat man, wie ich einem Telegramm unseres Botschafters von Hassell
entnehme,10) den Eindruck, daß bei der uns gegenüber herrschenden Stim-
mung diese Furcht sogar an erster Stelle steht und daß ihr gegenüber die
Regime- und die Judenfrage nur eine untergeordnete Rolle spielen. Man ist
dort der Ansicht, daß der allen Ressentiments unzugängliche Litwinow viel
zu sehr Realpolitiker ist, als daß er sich von dergleichen Motiven auf die
Dauer maßgebend beeinflussen lasse, und man glaubt, daß man in Moskau im
Grunde einer Verständigung nicht abgeneigt wäre.
Diese Ansicht kann ich indessen, wenigstens soweit gerade Litwinow in
Frage kommt, nicht teilen. Ich glaube, daß wohl auch bei Litwinow die
Furcht vor einer Ausnutzung der Schwierigkeiten im Fernen Osten durch
uns eine gewisse Rolle spielt. Allerdings ist es vielleicht mehr die Furcht,
daß bei einer solchen Komplikation Rußland allgemein als gutes Objekt für
einen Ausgleich territorialer Ungerechtigkeiten und eine Befriedigung
territorialer Wünsche dienen könnte, als gerade die, daß wir aggressiv
werden; denn er kennt zweifellos die europäischen Machtverhältnisse
genügend, um zu wissen, daß eine solche deutsche Aktion nicht ohne wei-
teres durchführbar ist. Aber in erster Linie dient ihm diese Furcht, das
möchte ich bestimmt annehmen, nur als Aushängeschild und als Mittel zur
Beeinflussung seiner Genossen und der Öffentlichkeit, und das wesent-
lichste Motiv seiner Einstellung ist gerade ein starkes Ressentiment gegen-
über Berlin. Es ist ein Ressentiment gegenüber dem Deutschland, das bisher
allen Anstürmen des Kommunismus widerstanden hat; es ist ein - wahr-
scheinlich aus Haß und Furcht zusammengesetztes - Ressentiment gegen-
über dem Hitlerismus, der dem Kommunismus in Deutschland den Kampf
auf Tod und Leben angesagt, die Juden - Litwinow ist bekanntlich Herr
Wallach aus Bialystok - in Acht und Bann getan hat und von Tag zu Tag
an Boden gewinnt; und es ist - last not least - ein Ressentiment gegenüber
der wenig aufmerksamen Behandlung, die er, Litwinow, in letzter Zeit in
Berlin genossen hat.11) Man muß sich erinnern, daß, seit Litwinow Außen-
minister ist, jedesmal eine Annäherung Moskaus an unsere Gegner er-
folgt ist, wenn es uns schlecht ging und der Ring um uns sich wieder schloß.
Und der Anfang der jetzigen Schwenkung datiert von Genf her, von dem
Zeitpunkt, da die nationalsozialistische Regierung die ganze Abrüstungs-
konferenz gegen sich hatte. Daß aber einem Litwinow, der vom Präsidenten
der Vereinigten Staaten 12 ) und von Mussolini eingeladen war, die Be-

(10) Siehe Dokument Nr. 130.


(11) Litwinow hatte seine Rückreise aus den Vereinigten Staaten am 7. Dezember 1933 in
Berlin unterbrochen. Er war am Morgen von Tippeiskirch auf dem Bahnhof begrüßt und
später am gleichen Tage von diesem wieder verabschiedet worden. Dokumente zu
diesem Berlin-Aufenthalt Litwinows sind gefilmt unter der Seriennummer 6025.
• (12) Roosevelt.

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grüßung lediglich durch einen Legationsrat in Berlin und die kühle Über-
lassung der Initiative zu einer etwaigen politischen Aussprache stark
gegen die Eitelkeit gegangen ist, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden.
Wieweit bei den anderen maßgebenden Sowjetleuten, insbesondere bei
den Mitgliedern des Politbüros, das schließlich doch auch in der Außen-
politik die Entscheidung über alle bestimmenden Akte und über die ein-
zuhaltende Gesamtlinie hat, Furcht vor einer deutschen Aktion oder
Ressentiments uns gegenüber das Wort haben, ist schwer zu sagen. Es
scheint, daß es verschiedene Arten der Dosierung gibt, daß dabei aber im
allgemeinen das Bedauern über das Zerwürfnis mit Deutschland und die
Lust, sich zu verständigen, vorherrscht, besonders seitdem ich ziemlich
deutlich habe durchblicken lassen, daß man uns durch eine Sprache, wie
Litwinow sie führe und in der Öffentlichkeit führen lasse, geradezu in die
uns unterstellte Politik hineintreibe und daß man sich dann über die Folgen
nicht wundern dürfe. Jedenfalls höre ich, daß man das Gefühl habe, Litwi-
now sei in seiner Sprache zu weit gegangen, und es ist mir in den letzten
Tagen von anderen Persönlichkeiten, die nicht ohne Bedeutung sind -
allerdings noch nicht von Mitgliedern des Politbüros, die ich noch nicht
habe sprechen können -, versichert worden, daß noch nichts Entscheidendes
vor sich gegangen sei, daß die Sowjetunion sich nur im Notfalle an die
andere Seite vertraglich binden werde und daß wir unsere Sache hier noch
nicht verloren zu geben brauchten.
Welche Taktik wir in dieser Lage einzuschlagen haben, das hängt, wie
ich schon in meinem Telegramm über die Unterhaltung mit Litwinow aus-
führte,13) meiner Ansicht nach davon ab, welche Bedeutung wir der Ab-
schwenkung Rußlands ins französische Lager beimessen und was uns ihre
Verhinderung wert ist. Was die Bedeutung der Abschwenkung anbetrifft, so
bin ich zwar überzeugt, daß die Bäume des Litwinowschen Ressentiments
nicht gleich in den Himmel wachsen werden, d. h. daß man hier vorerst
eine Bindung an die französische Gruppe, die eine Verpflichtung hinsichtlich
der Friedensverträge in sich schlösse, nach Möglichkeit vermeiden wird.
Aber wer weiß, wohin der schlaue Herr Wallach seine Leute mit der Zeit
führt. Andererseits wird es sich nicht vermeiden lassen, daß die Freund-
schaft mit Frankreich sich auch in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht
zu unserem Schaden auswirkt, und damit stände unsere hiesige Arbeit
der letzten zehn Jahre und unsere gesamte Position auf dem hiesigen
großen Arbeitsfeld, das uns von der Natur und Geschichte zugedacht ist, auf
dem Spiel. Ich brauche daher nicht zu sagen, daß ich meinerseits dafür bin,
die Absichten des Herrn Litwinow nach Möglichkeit zu durchkreuzen und
Sowjetrußland uns nicht entgleiten zu lassen. Die in meiner anliegenden
Aufzeichnung dargelegten Gesichtspunkte über die Zweckmäßigkeit eines
guten deutsch-russischen Verhältnisses halte ich auch in der vorliegenden
Situation für maßgebend.
Was aber wäre zu tun? - Meiner Ansicht nach muß man sehen, Herrn
Litwinow den Wind aus den Segeln [zu] nehmen, die er zu seiner Fahrt
benutzt, und denen, die hier der Ansicht sind, er sei zu weit gegangen,

(IS) Siehe Dokument Nr. 163.

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Oberwasser gegen ihn zu verschaffen. Das heißt zum ersten, die Sowjet-
regierung muß über unsere imperialistischen Absichten im Osten und in
Sonderheit über die Absicht, etwaige Schwierigkeiten mit Japan zu An-
griffen auf russisches Gebiet zu benutzen oder gar die Japaner gegen
Sowjetrußland zu unterstützen, in überzeugender Weise beruhigt werden.
Wie dies geschehen könnte, wäre nach der dortigen grundsätzlichen Stel-
lungnahme zu entscheiden. In Frage käme m. E. eine die Vorurteile gegen
das Buch Mein Kampf und gegen das Wirken Rosenbergs ausräumende und
die Grundsätze der Reichstagsrede vom 23. März v. Js. bekräftigende sowie
direkt jede Absicht einer Ausnutzung sowjetrussischer Schwierigkeiten von
uns weisende Auslassung des Herrn Reichskanzlers, vielleicht aber auch
eine speziell auf die Lage im Fernen Osten zugeschnittene diplomatische
Zusicherung.
Zum zweiten wäre bis auf weiteres jedes augenfällige Sympathisieren
mit den Japanern zu unterlassen. Was wir zu wählen haben, wenn es sich
um einen Vergleich der realen Vorteile guter Beziehungen zu Sowjetruß-
land oder zu Japan handelt, darüber braucht doch wohl kein Wort ver-
loren zu werden.
Zum dritten wäre meines Erachtens jede Feindseligkeit gegen das
sowjetische Regime in der deutschen Presse nach Möglichkeit zu unter-
drücken. Die deutsche Presse hat bisher dem bolschewistischen Schmerz
über den Verlust Deutschlands ziemlich viel Verständnis entgegenge-
bracht. Sie sollte dies auch weiter tun. Sie sollte auch mit ihrer Kritik an
den Zuständen in Sowjetrußland zurückhalten - „Brüder in Not" 14 ) z. B. ist
nach der letzten guten Ernte als allgemeine und gar gegen bolschewisti-
sche Mißwirtschaft gerichtete Aktion überhaupt nicht mehr am Platz und
sollte schleunigst ihre Reklame einstellen -, und sie sollte möglichst den
Grundsatz vertreten, daß man jedem Land sein eigenes Wesen lassen und
sich in seine Verhältnisse nicht einmischen soll. Vor allem aber ist es
schädlich, wenn bei uns amtliche Beziehungen, und zwar auch parteiamt-
licher Stellen, zu weißgardistischen Emigrantenkreisen erkennbar werden.
Nationalismus ist stärker als Internationalismus, und die Idee des Natio-
nalismus marschiert heute von selbst; ihre Erfolge sind ihre beste und
unwiderstehlichste Propaganda. Am zweckmäßigsten wäre es, in unserer
Öffentlichkeit immer wieder zu betonen, daß wir nicht daran denken, einen
anderen Staat in seinem Regime zu beeinflussen.
Schließlich kommen als Ergänzung und Bekräftigung unseres politischen
Willens noch Maßnahmen auf wirtschaftlichem Gebiet in Frage, und zwar
solche, die eine Intensivierung des deutsch-russischen Wirtschaftsverkehrs
mit sich bringen und die insbesondere als eine Dokumentierung unseres
Vertrauens der Sowjetregierung gegenüber gelten können.
Auf die Zweckmäßigkeit, Herrn Litwinow, wenn er wieder durch Berlin
kommt und die Verhältnisse mit Moskau sich nicht etwa noch mehr ver-
schlechtern, etwas ehrenvoller zu behandeln und großpolitischer zu nehmen,
brauche ich wohl nicht näher einzugehen. War Paris eine Messe wert,

(14) Eine vom Volksbund für das Deutschtum im Ausland gestartete Aktion zugunsten not-
leidender Deutscher in der Sowjetunion. Siehe auch Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 404

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so ist für Sowjetrußland eine nette Behandlung von Herrn Litwinow schließ-
lich kein zu hoher Preis.
Ich möchte annehmen, daß es uns bei einem sofortigen energischen Vor-
gehen in dieser Richtung doch noch gelingen könnte, die auf die Einreihung
Sowjetrußlands in den französischen Ring gerichteten Absichten Litwinows
zu durchkreuzen. Sowjetrußland ist heute international nicht mehr der
Paria, dem wir 1923 in Rapallo die Hand reichten und den wir die ganzen
Jahre hindurch zwar gern für die Absatzbedürfnisse unserer Wirtschaft be-
nutzten, aber im Salon der großen Politik nicht für voll nahmen. Es ist
heute, kommunistisches Regime hin oder her, wieder ein Großfaktor der
allgemeinen Politik geworden, und man kann, was ihm auch an Schwierig-
keiten bevorstehen könnte, nicht damit rechnen, daß es diese Bedeutung
bald wieder verliert. Die Überwindung seiner Abneigung gegen die Teil-
nahme an einer Staatengemeinschaft kann seine Bedeutung sogar noch er-
höhen. Unter diesen Umständen müssen wir alles tun, um seinen Übergang
auf die andere Seite zu verhindern.
NADOLNY

(Anlage]
AUFZEICHNUNG
Geheim
UNSER VERHÄLTNIS ZU SOWJETRUSSLAND

Die deutsche Politik ist in ihrer Auswirkung nach Westen und Osten
seit jeher auf den Leitsatz eingestellt: Im Westen Statik, im Osten Dyna-
mik. Im Westen Beschränkung auf die Erreichung unserer nationalen Eini-
gung und Herbeiführung stabiler Verhältnisse gegenüber den europäischen
Altstaaten, nach Osten dagegen Dynamik im Sinne einer Ausdehnung
unseres Einflusses in die Weiten des osteuropäischen und asiatischen
Territoriums. Dieser Leitsatz hat bis heute auch unsere Politik gegenüber
Rußland bestimmt. Angesichts der großen, insbesondere wirtschaftlichen
und kulturellen Mission, die uns nach unserer Ansicht im Osten obliegt,
haben wir besonders zu Rußland, dem Hauptrepräsentanten des Ostens,
immer nach Möglichkeit gute Beziehungen unterhalten. Und der Umstand,
daß uns außerdem Rußland im Laufe der Jahrhunderte mehrfach als ein
lebenswichtiger Rückhalt gegenüber westlichen Bedrohungen gedient hat,
ließ die guten Beziehungen noch als notwendiger erscheinen. Das bekannte
Wort, daß wir den Draht nach Rußland nicht abreißen lassen dürfen, ist ein
Ausdruck dieser Notwendigkeit.
Auch der Nationalsozialismus vertritt den Grundsatz der Notwendigkeit
einer dynamischen Politik im Osten. Bei ihm hat jedoch, entsprechend seiner
Einstellung gegenüber dem heutigen kommunistischen Sowjetregime, die
Idee der Dynamik, soweit es auf Sowjetrußland ankommt, den Charakter
eines sehr entsdiiedenen politischen Vorsatzes angenommen. Adolf Hitler
in seinem Buch Mein Kampt und Alfred Rosenberg in seinen Reden und
Schriften wünschen und erwarten den Zusammenbruch des kommunisti-
schen Regimes und empfehlen ihm gegenüber eine Politik, die sich auf die
Katastrophe einstellt und bei diesem Anlaß nach Möglichkeit territoriale,

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wirtschaftliche und kulturelle Vorteile zu erreichen sucht; Rosenberg hat


dabei noch speziell auf die Möglichkeit einer Ausnutzung ukrainischer
Selbständigkeitsbestrebungen hingewiesen. Die Ansicht dieser beiden
Männer hat sich natürlich in weitem Umfang den deutschen Volkskreisen
mitgeteilt, und so hat sich, obgleich der Reichskanzler Hitler am 23. März
v. J. vor dem Reichstag unser Verhältnis zu Rußland neuerdings dahin
festgelegt hat, daß wir mit der Sowjetunion gute Beziehungen im Sinne
der mit ihr abgeschlossenen Verträge halten wollen und daß die Ver-
schiedenheit der Regierungssysteme diesen Beziehungen nicht entgegen-
stehen soll, in Deutschland gegenwärtig eine starke Strömung herausge-
bildet, die den Zusammenbruch der Union wünscht und sich der Unter-
haltung guter Beziehungen mit ihr entgegenstellt. Im Augenblick sympathi-
siert sie mit Japan, da man von diesem den Anstoß zum bolschewistischen
Zusammenbruch erwartet.
In der Tat ist die Lage zwischen Rußland und Japan im Fernen Osten
sehr gespannt, und ein baldiger Zusammenstoß liegt im Bereich der Mög-
lichkeit. Die Japaner sind nämlich heute vielleicht noch in der Lage, sich
durch Wegnahme des russischen Küstengebiets von der russischen Flankie-
rung zu befreien und den Besitz der Mandschurei zu sichern; auch die Ver-
ständigung der Sowjetunion mit Amerika könnte bei der gegenwärtigen
maritimen Schwäche Amerikas diese Entscheidung schwerlich abwenden.
Mit der Zeit aber werden sich die Verhältnisse sicherlich zugunsten Ruß-
lands wenden; ja, die Japaner können dann sogar Gefahr laufen, die Mand-
schurei wieder einmal aufgeben zu müssen. Es spricht also vieles dafür,
daß sie bald losschlagen. Und zweifellos kann die Sowjetunion dann in
ernste Schwierigkeiten geraten.
Haben wir nun tatsächlich ein Interesse daran, derartige Schwierigkeiten
Sowjetrußlands zu begrüßen, eventuell im Sinne der Herbeiführung einer
Katastrophe zu fördern und in der genannten Weise auszunutzen? - Haben
wir überhaupt ein Interesse daran, den Zusammenbruch Sowjetrußlands
zu wünschen?
Bei der Untersuchung dieser Fragen müssen wir, wie bei allen Fragen
unserer Außenpolitik, in erster Linie von den Zielen ausgehen, die sich für
uns aus der durch den Weltkrieg entstandenen Lage ergeben haben. Diese
Ziele lassen sich etwa folgendermaßen formulieren:
1. Ein Deutschland von der Maas bis an die Memel, von der Etsdi bis
an den Belt,
2. ein Mitteleuropa unter Deutschlands Führung und
3. eine Welt, in der Deutschland eine gleichberechtigte Großmacht ist.
Diese Zielsetzung besagt hinsichtlich des Ostens, daß wohl Polen und
vielleicht auch noch Litauen Objekte unserer nationalen und mitteleuro-
päischen Ansprüche sein können, daß aber die Sowjetunion außerhalb
dieser Ansprüche liegt. Denn sie hat weder Territorium im Besitz, auf das
wir einen nationalen Anspruch erheben, noch gehört sie zu Mitteleuropa,
noch macht sie uns unsere Geltung als gleichberechtigte Großmacht streitig.
Allerdings wird die Sowjetunion mit unseren nationalen Ansprüchen in-
sofern in Verbindung gebracht, als der Gedanke geäußert worden ist, Polen
könnte sich seinen Ausgang zum Meere im Süden schaffen und uns den

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Korridor gegen eine polnische Ausdehnung in Richtung der Ukraine wieder-


geben. Es ist aber wohl kaum notwendig, die Ungereimtheit derartiger
Kombinationen darzutun. Polen denkt nicht daran, den Ausgang zur Ost-
see gutwillig aufzugeben, und wenn überhaupt der Gedanke eines Aus-
tausches außerdeutschen Gebietes gegen den Korridor in Frage kommt, so
böte sich hierfür anderweitig durchaus hinreichende und viel zweck-
mäßigere Gelegenheit. Eine deutsche Kooperation mit Polen, um unsere
nationalen Gebietsansprüche im Osten auf Kosten Rußlands zu verwirkli-
chen, ist also eine Schimäre. Audi die andere Möglichkeit, einen derartigen
Anspruch auf Kosten der Sowjetunion zu verwirklichen, nämlich der Ge-
danke, Polen in einen Krieg mit der Union zu verflechten und bei der Ge-
legenheit den Korridor gegen den polnischen Willen zurückzunehmen,
kann nicht Gegenstand einer mit dieser Zielsetzung betriebenen oder gar
öffentlich verkündeten Politik sein. Derartige Möglichkeiten können sich
vielleicht einmal aus einer entstehenden Situation ergeben, und wir wer-
den dann den Moment in unserem Interesse auszunutzen haben. Der heuti-
gen Lage nach aber ist wohl Polen ein Gegenstand unserer Ansprüche,
Rußland dagegen nicht. Und da Rußland im Rücken von Polen liegt, so
haben wir kein anderes Interesse als das, daß die beiden Staaten nicht zu-
sammengehen und daß Polen keine Anlehnung an Rußland als Stärkung
uns gegenüber benutzen kann. Dieses Interesse aber gebietet, daß wir uns
möglichst mit beiden Staaten gut stellen und einen Gegensatz zwischen
ihnen nähren, vor allem aber mit Rußland gut stehen und nicht gar als die
Inspiratoren aggressiver Pläne gegen die Sowjetunion erscheinen.
Vom Standpunkt unserer außenpolitischen Ziele haben wir somit nur das
Interesse, uns mit Sowjetrußland gut zu stellen. Wie steht es aber mit
unserem sonstigen Interesse an ihm? Und wie steht es, wenn ohnehin ein
Zusammenbruch des Sowjetstaates zu erwarten steht?
Das heutige Rußland ist für uns in dreierlei Hinsicht von Interesse:
Erstens großpolitisch, zweitens als wirtschaftliches und kulturelles Betäti-
gungsfeld und drittens als kommunistischer Staat und Sitz der 3. Inter-
nationale.
Großpolitisch hat die Sowjetunion für uns nach dem Kriege durch den
Rapallo-Vertrag fast ein Jahrzehnt lang wieder die alte Bedeutung eines
Rückhalts gegenüber den Westmächten gehabt. Als ultimum refugium
gegenüber westmächtlichen Pressionen stand der Verzweiflungssprung
in die Arme Sowjetrußlands im Hintergrunde. Diese Bedeutung Rußlands
ist freilich mit der Änderung unsers Regimes, vor allem auch mit dem Ein-
tritt der Sowjetunion in den allgemeinen Rahmen der europäischen und
der Weltpolitik verschwunden. Heute ist Sowjetrußland für uns großpoli-
tisch eine Großmacht wie die anderen. Ihr Wert ist auf der einen Seite
dadurch gemindert, daß seine Regierung doch noch nicht ganz als salon-
fähig gilt und daß man ihr, insbesondere für den Fall eines Krieges, keine
Stabilität zutraut, andererseits ist sie geopolitisdi, wegen ihrer Größe
und Volkszahl und infolge ihrer geschickten Außenpolitik doch ein politi-
scher Faktor ersten Ranges. Für uns ist es jedenfalls nützlicher, Sowjet-
rußland als Freund auf unserer Seite denn als Gegenspieler auf der Gegen-
seite zu wissen.

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über die große Bedeutung, die das sowjetrussische Gebiet für uns als wirt-
schaftliches und kulturelles Betätigungsfeld hat, braucht, da es sich um
allgemein bekannte Dinge handelt, nicht viel gesagt zu werden. Es sei
jedoch daran erinnert, daß wir auf diesem Feld einen großen, auf alter
Tradition beruhenden Vorsprung vor allen anderen Mächten haben. Die
Betätigung auf russischem Gebiet ist von uns in Jahrhunderten geübt wor-
den, das russische wirtschaftliche und kulturelle Leben ist sozusagen von
deutscher Arbeit durchsetzt. Gerade in dieser Durchsetzung beruht ja
hauptsächlich die Dynamik unserer östlichen Außenpolitik, soweit der
russische Osten in Betracht kommt. Als traditionelles wirtschaftliches und
kulturelles Kraftfeld im Ausland aber kann uns Rußland noch für eine
lange Zukunft dienen. Es in seinem Gesamtbestande zu erhalten, daran
haben wir darum ein sehr wesentliches Interesse. Wird es geteilt, so wer-
den andere in diesem oder jenem Teil uns wegen der natürlichen oder
politischen besonderen Verhältnisse den Rang ablaufen; in Gesamtruß-
land dagegen können wir, wenn wir richtig vorgehen, stets an erster Stelle
sein. - Es kann sich fragen, ob bei dem heutigen bolschewistischen System
dieses Betätigungsfeld noch lohnend ist oder bleiben wird. Ein Urteil
darüber ist sicherlich nur mit Vorsicht abzugeben. Jedenfalls dürften aber
zunächst einmal diejenigen, die in der russischen Autarkiebestrebung eine
Gefahr für unsere Betätigung erblicken, nicht recht haben. Eine vollkom-
mene Autarkie gibt es nirgends, und Rußland wird sicherlich für seine
Wirtschaft immer noch so viel Ergänzung vom Ausland brauchen, daß unser
Absatz dahin unter diesem Bestreben nicht zu leiden braucht. Ob aber sonst
in der sowjetrussischen wirtschaftlichen Entwicklung eine gute oder schlechte
Aussicht für unsere Betätigung liegt, das wird davon abhängen, ob diese
Entwicklung aufwärts zu einer höheren wirtschaftlichen Stufe oder ab-
wärts zum Zusammenbruch der Wirtschaft führt. Geht sie trotz den Schwie-
rigkeiten, die jetzt zweifellos in Sowjetrußland bestehen, schließlich doch
aufwärts, so wird auch die Betätigungsmöglichkeit sich erhöhen, geht sie
abwärts, so muß auch die Bedeutung des Gebietes für unsere Betätigung
abnehmen; und zwar so lange, bis - mit oder ohne Katastrophe - das
jetzige System einem neuen Platz macht. Denn die Entwicklung eines Vol-
kes von 160 Millionen kann nicht auf die Dauer zum Stillstand gebracht
werden.
Eine Einrichtung des bolschewistischen Systems gibt unseren wirtschaft-
lichen Beziehungen zur Sowjetunion ein besonderes Gepräge und hat sich
vielfach als ein erschwerender Faktor erwiesen. Das ist das aus der staats-
kapitalistischen Planwirtschaft des Sowjetsystems folgende Außenhandels-
monopol. Die Sowjetregierung hat, indem sie den gesamten Import und
Export Rußlands in ihrer Hand vereinigte und alle damit zusammenhän-
genden Transaktionen durch ihre im Ausland stationierten Handelsver-
tretungen vornehmen läßt, gegenüber allen auf dem Grundsatz des privaten
Handels fußenden Staaten eine sehr starke handelspolitische und sogar all-
gemeinpolitische Waffe in die Hand bekommen. Nicht nur, daß die nach
vielen Hunderten zählenden Mitglieder ihrer Handelsvertretungen einen
starken Faktor der Beeinflussung im Auslande bilden können und daß
die Vornahme aller mit dem Geschäft zusammenhängenden Transaktionen

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durch sie der Sowjetregierung auch den größten Teil der mit dem Handel
verbundenen Nebenspesen zufließen läßt; die Sowjetregierung ist dadurch,
daß sie ihre Bestellungen bald in diesem, bald in jenem Lande machen und
die Lieferanten einen gegen den anderen ausspielen kann, jederzeit in der
Lage, diese oder jene wirtschaftliche oder politische Situation zu ihrem
Vorteil oder zum Nachteil eines anderen Staates auszunutzen. Leider
bieten einstweilen weder unsere Handelseinrichtungen noch die mit der
Sowjetunion abgeschlossenen Verträge eine Handhabe, um diesem übel-
stand entgegenzutreten und eine Gleichheit der Positionen herzustellen.
Es wird aber unser Bestreben sein müssen, eine Änderung dieses Verhält-
nisses herbeizuführen, die unseren Interessen in besserer Weise Rechnung
trägt, als dies bisher der Fall war.
Der Charakter der Sowjetunion als kommunistischer Staat und Sitz und
Repräsentant der 3. Internationale ist zweifellos für die deutsch-russischen
Beziehungen eine schwere Belastung. Die Tatsache des kommunistischen
Regimes allein brauchte die Beziehungen noch nicht zu stören. Jeder Staat
hat das Recht, dieses oder jenes Regime zu besitzen. Die Frage aber, ob
die zeitweilige Einführung des kommunistischen Systems für die Entwick-
lung Rußlands zweckmäßig oder unzweckmäßig war, kann heute wohl nodi
nicht beantwortet werden. Vielleicht boten Gleichmachung nach unten und
kollektivistisches System in der Tat die beste Möglichkeit, um die uner-
meßliche graue Masse des russischen Volkes aus der Starre der Stagnation
in die Bewegung des Fortschritts zu einer höheren Entwicklungsstufe zu
versetzen. Der russische Bauer, der früher nur mit den primitivsten Mitteln
arbeitete, ist jetzt immerhin mit der Technik zusammengekommen, und
hiervon wird sicherlich eine gewisse wirtschaftlich und kulturell moderni-
sierende Wirkung und eine Steigerung der Konsumansprüche zurückblei-
ben, mag das Experiment zunächst so oder so ausgehen. - Auch die Mos-
kauer Judenherrschaft brauchte uns an sich nicht zu stören. Gäbe es einen
vollkommen jüdischen Staat, so würden wir auch mit diesem Beziehungen
haben, und jedes Land hat schließlich die Juden, die es verdient. Schlimm
ist jedoch, das Moskau zugleich der Sitz der 3. Internationale ist, daß die
Machthaber der Sowjetunion zugleich die Leiter dieser Internationale sind
und daß diese vor allem darauf ausgeht, durch eine in allen Ländern ausge-
übte kommunistische Propaganda die Weltrevolution zu entfachen. Deutsch-
land als Herz Europas und Hauptträger des sozialen Gedankens aber ist
seit jeher das wichtigste Objekt der bolschewistischen Wünsche gewesen,
und seit den Fehlschlägen der bolschewistischen Generalanstürme von 1918
und 1923 setzte die 3. Internationale noch ihren besonderen Ehrgeiz darein,
gerade in diesem Land die kommunistische Herrschaft aufzurichten.
Nun ist der Traum der 3. Internationale und damit der Sowjetregierung,
in Deutschland die kommunistische Revolution herbeizuführen, durch den
Nationalsozialismus zunichte gemacht worden. Die russische offizielle
Regierungs- und Parteipresse und mit ihr die Presse des ganzen Landes
zieht darum in heftigster Weise gegen den deutschen „Faschismus" zu
Felde, und die Volksstimmung wird systematisch gegen Deutschland auf-
gebracht. Dabei ist es augenscheinlich nicht nur Ärger über die Vernichtung
des deutschen Kommunismus, was die Mißstimmung nährt. Die Sowjet-

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leute sehen zweifellos, daß die Idee des Nationalismus heute stärker ist
als die des Internationalismus, daß der Nationalismus unaufhaltsam vor-
wärts dringt, in einem Lande nach dem anderen die - durch die außen-
politischen Rücksichten Sowjetrußlands ohnehin geschwächte - Arbeit der
marxistischen Internationale lahmlegt und vielleicht sogar vor den Toren
Sowjetrußlands selbst nicht halt macht. Es ist daher zugleich die Angst um
den eigenen russischen Besitzstand, die bei der Schmähung des deutschen
„Faschismus" in der Sowjetpresse mitspricht, und wenn Anzeichen bemerk-
bar geworden sind, daß man in Moskau damit umgeht, Antifaschistenpro-
zesse zu konstruieren, so ist dabei aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur
Retorsionsabsicht, sondern auch wirkliche Besorgnis im Spiel.
Dieser Umstand ist ohne Zweifel geeignet, eine sehr störende Bedeutung
für das deutsch-russische Verhältnis zu haben. Wohl sehen wir, daß der
russische Kommunismus sich mit dem italienischen Faschismus abgefunden
hat. Mit der Türkei unterhält die Sowjetunion sogar die freundschaft-
lichsten Beziehungen, obgleich dort der Kommunismus in keiner Weise
geduldet, vielmehr auf das strengste geahndet wird. Reale politische Inter-
essen können also bei ihr sogar vor der Idee der Weltrevolution durchaus
den Vorrang haben. Indessen hat Deutschland für die Verwirklichung der
Weltrevolution eine viel größere Bedeutung als Italien und die Türkei.
Audi ist der deutsche Nationalismus den Sowjetleuten durch die Be-
handlung der Juden in Deutschland sehr viel verhaßter als der italienische
und türkische. Immerhin ist zu bedenken, daß heute in der Frage des
Austrags zwischen Nationalismus und Marxismus das Gesetz des Handelns
sich mehr in unserer Hand befindet als in der Moskaus. Es müßte daher
vielleicht doch gelingen, die beiden Staaten zu einer gegenseitigen Respek-
tierung ihres Regimes zu bringen und derart auch diese Gesinnung in den
Beziehungen zwischen Sowjetrußland und uns zu überwinden.
Was schließlich die Sympathie deutscher Kreise für Japan anbetrifft, so
läßt sie sich augenscheinlich nicht von der Betrachtung unseres realen
Interesses an diesem Staat, sondern lediglich von einer gewissen Freude
daran leiten, daß die Japaner gleich uns dem Völkerbund den Rücken ge-
kehrt haben und daß sie vielleicht den Bolschewiken auf den Pelz rücken
werden. Denn was kann uns Japan sein? Nichts anderes als ein sehr un-
bequemer, uns überall unterbietender Konkurrent auf dem Weltmarkt. Die
Segnungen aber, die ihm unsere militärische und kulturelle Erziehung ge-
bracht hat, sind uns von ihm im Weltkriege schlecht gelohnt worden.
Aber wie nun, wenn die Sowjetunion ohnehin der Katastrophe und dem
Zerfall entgegengeht? - Wir wissen, daß viele an einen solchen Ausgang
des bolschewistischen Systems in Rußland glauben, ja ihn seit Jahren er-
warten; Adolf Hitler hat in seinem Buch Mein Kampt sogar bestimmt damit
gerechnet. In der Tat bedeutet der Umstand, daß die Sowjetherrschaft sich
seit sechzehn Jahren über Wasser hält, noch nicht, daß sie ihre Tauglich-
keit und Beständigkeit erwiesen hat. Die unermeßliche Größe und die
reichen natürlichen Hilfsquellen des Landes im Verein mit der Bedürfnis-
losigkeit und Leidensfähigkeit des russischen Volkes bringen es mit sich,
daß das Land sehr lange von der Substanz zehren kann, ohne in Erschöp-
fung zu verfallen. Allerdings scheint der Moment nicht mehr fern zu sein,

321

11,1 Bg. 21
Nr. 171 9. JANUAR 1934

wo es sich erweisen muß, ob es bei der neuen Betriebsweise möglich ist,


die zum Leben des Volkes und zur Ausgleichung der Zahlungsbilanz not-
wendigen Überschüsse zu erzielen, oder ob es tatsächlich zu einem wirt-
schaftlichen Zusammenbruch mit allen seinen Folgen kommen muß. Der
Wirtschaftsverlauf des letzten Jahres erweckt den Eindruck, daß gewisse
vernünftige Reformen die Wirtschaft sehr gestärkt haben und daß diese,
wenn nicht Erschütterungen von außen auftreten, lebensfähig ist. Aber mit
Bestimmtheit läßt sich nichts darüber sagen. Auch brauchte ein Mißerfolg
des Systems noch nicht zu bedeuten, daß die jetzigen Machthaber ihr
Feld räumen müßten. Stalin ist zwar nicht so elastisch wie Lenin, der ohne
weiteres zum Rückzug blies und die NEP einführte, als er sah, daß der
Bogen überspannt war. Aber auch er hat die ärgsten Konsequenzen der
kommunistischen Wirtschaft immer noch zu vermeiden gewußt. So sind z. B.
auch jetzt in der ländlichen Zwangswirtschaft gewisse Lockerungen zu ver-
zeichnen, indem den Kolchosbauern die praktische Möglichkeit gegeben
wird, ihre Gemüsegärten zu bebauen und eigenes Hausvieh zu halten. Und
für die städtischen Arbeiter sucht man jetzt einen eigenwirtschaftlichen
Kleingartenbetrieb nach deutschem Muster einzuführen. Auf den wirtschaft-
lichen Zusammenbruch und ein Abtreten der Machthaber aus diesem
Grunde ist also nicht ohne weiteres zu rechnen.
Audi den nationalen Selbständigkeitsbestrebungen einzelner Teilrepu-
bliken der Sowjetunion, insbesondere der separatistischen Bewegung in der
Ukraine, auf die man bei uns zu rechnen scheint, sollte keine entscheidende
Bedeutung für die Dauer des Sowjetregimes beigemessen werden. Schluß-
folgerungen von dem eigenstaatlichen Gefühl Polens und der Randstaaten
auf die Ukraine, deren Aufstand allein imstande wäre, die Union bis in
ihre Fugen zu erschüttern, lassen sich nicht ohne weiteres ziehen. Die
Ukrainer haben bei aller Eigenart doch mehr russisches Gefühl, als man
denkt, wie überhaupt durch das ganze gewaltige Gebiet vom Pripet bis
zum Pazifik ein gesamtrussisches Gefühl viel stärker strömt, als man im
allgemeinen voraussetzt.
Nun könnte vielleicht ein Anstoß von außen, eben gerade ein unglück-
licher oder überhaupt ein Krieg im Fernen Osten - so wie es 1905 der Fall
war - der Unzufriedenheit im Lande, die natürlich in großem Umfang be-
steht, die erforderliche Aktionskraft und Führung verleihen und das heutige
Regime - wahrscheinlich dann unter einem Judenpogrom, wie er noch nie
erlebt worden ist - zu Fall bringen. Und dabei könnten vielleicht auch zen-
trifugale Kräfte in den einzelnen nationalen Unterbezirken, insbesondere
in der Ukraine, so die Oberhand bekommen, daß eine Zerreißung des Ge-
samtstaates vor sich geht. Zweifellos ist das möglich. Und die Sowjetmacht-
haber sehen heute darin auch die größte Gefahr, die ihnen droht. Sollte
sie wirklich eintreten, so wird es Sache unserer Politik sein, für uns die
besten Konsequenzen aus der Lage zu ziehen. Aber es ist ebenso gut
möglich, daß die Sowjetherrschaft sogar einen solchen Stoß ungefährdet
übersteht; denn die Leiter wissen, worum es geht, und werden aus der
Vergangenheit, die sie damals selbst herbeigeführt haben, gelernt haben.
Sie können eine deutsche Politik, die sich erkennbar auf eine solche Mög-
lichkeit einstellt, unschwer als gegen den Bestand des russischen Reiches

322
Nr. 172 10. JANUAR 1934

und russischen Volkes und nicht gegen die Sowjetherrschaft gerichtet hin-
stellen, zumal die russische Volksstimmung von ihnen die ganze Zeit über
auf die Furcht vor einer Intervention des Westens gedrillt worden ist und
Erinnerungen an den Deutschen als Gegner vom Weltkriege her leicht
wieder lebendig werden können. So wäre es auch von diesem Gesichts-
punkt aus verfehlt, den Zusammenbruch der Sowjetunion als einen unsere
Politik bestimmenden Faktor unserm Kalkül zugrunde zu legen. Wir haben
kein reales Interesse an ihm, und es ist einstweilen kein Umstand vorhan-
den, der uns nötigt, mit ihm zu rechnen.
So kommt man hinsichtlich unseres Verhältnisses zu Sowjetrußland zu
folgenden Schlüssen:
1. Wir haben nach wie vor ein Interesse daran, uns Sowjetrußland in
seiner Gesamtheit als großpolitischen Rückhalt und als wirtschaftliches und
kulturelles Betätigungsgebiet zu erhalten.
2. Die Verschiedenheit der Regierungssysteme braucht die Betätigung
dieses Interesses nicht zu hindern. Es ist nur darauf zu achten, daß die
Verschiedenheit vom andern Teil respektiert wird und daß, soweit sich
aus ihr Unstimmigkeiten im Verkehr zwischen den beiden Ländern er-
geben, diese eine zweckentsprechende Regelung erfahren.
3. über die Dauer und Standhaftigkeit des Sowjetregimes läßt sich ein
Urteil nicht abgeben. Die Mehrheit der sachverständigen Beurteiler hält es
unter der Voraussetzung des Eintritts einiger praktischer Änderungen und
der Erhaltung des Friedens für dauerhaft. Infolgedessen kann auch die
Möglichkeit eines Sturzes der Sowjetregierung oder die eines System-
wechsels in der Sowjetunion nicht als ein unser Verhältnis bestimmender
Faktor in Rechnung gestellt werden, und dieses Verhältnis darf darunter
nicht leiden.15)
(15) Eine bei der Vorlage befindliche Notiz Tippelskirehs (6609/E 497 371) lautet: „Der Herr
RM hat den Eingang und den Erlaß vom 17. I. im Durchschlag Herrn Reichsmin[ister]
Genferal] Oberst von Blomberg zur Kenntnis gebracht." Die Weisung vom 17. Januar
ist Dokument Nr. 190.

172
7467/H 179 709-11
Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath
an die Botschaft in Rom
Telegramm
Sofort BERLIN, den 10. Januar 1934 20 Uhr 25
Nr. 11 zu II Abr. 57 *) Ang. IV
Auf Drahtbericht Nr. 4.
In Ihrer bevorstehenden Unterredung mit Mussolini bitte ich unseren
Dank und unsere Genugtuung zum Ausdruck zu bringen, daß er, wie aus
den Mitteilungen Suvichs hervorgeht, in den Unterredungen mit Simon

*(i) II Abr. 57: Telegramm Hasseils Nr. 4 vom 5. Januar, gedruckt als Dokument Nr. 164.

323
Nr. 173 10. JANUAR 1934

weitgehend die deutschen Interessen in der Abrüstungsfrage zur Geltung


gebracht und sich für eine den deutschen Wünschen entgegenkommende
Regelung eingesetzt hat. über die Haltung, die wir gegenüber dem franzö-
sischen Aide-memoire vom 1. d. M.2) einnehmen werden, bitte ich Mussolini
zu seiner persönlichen und ganz vertraulichen Information folgendes mit-
zuteilen: Wir seien auch nach näherer Prüfung der Auffassung, daß der in
dem französischen Aide-memoire enthaltene Vorschlag zur Lösung der
Abrüstungsfrage in den für uns wesentlichen Punkten wieder auf das Pro-
gramm vom 14. Oktober hinauslaufe, das wir ablehnen mußten, weil es
die wirkliche Abrüstung hinausschob und die Diskriminierung Deutsch-
lands um mehrere Jahre verlängerte. Einziger neuer Punkt sei Verminde-
rung der großen Militärluftflotte um 50 Prozent. Diese Maßnahme, die
schon in ihrem Abrüstungswert problematisch sei, würde aber, wenn
Deutschland keine Militärflugzeuge erhalten solle, für uns nichts an un-
möglichem Zustand völliger Wehrlosigkeit in der Luft ändern. Der Vor-
schlag des französischen Aide-memoires enthalte im übrigen eine Reihe
von Unklarheiten, so daß wir voraussichtlich zunächst einige Rückfragen
stellen würden. So sei z. B. nicht zu ersehen, bis zu welcher Höchstzahl
französische Personalbestände herabgesetzt werden sollten und welche
Beschränkungen Frankreich hinsichtlich seiner Überseetruppen übernehmen
wolle. Ferner sei nicht angegeben, ob und in welcher Frist das abzu-
schaffende Material der Land- und Luftstreitkräfte zerstört oder ob eine
andere Art der Beseitigung vorgesehen werden soll.
über eine etwaige Stellungnahme Mussolinis zu Ihren Ausführungen
bitte ich zu berichten, jedoch sich auf eine Verhandlung nicht einzulassen.3)
NEURATH
(2) Siehe Dokument Nr. 159 und Anm. 3 dazu.
(S) Siehe Dokument Nr. 178.

173
6609/E 497 393-96
Der Botschafter fn Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt
A 76 MOSKAU, den 10. Januar 1934
Ankunft: 12. Januar
IV Ru. 167
Im Anschluß an den Bericht vom 9. d. Mts. - Tgb. Nr. A 90.•)
Inhalt: Die Gestaltung unseres Verhältnisses zu Sowjetrußland.
Karl Radek nahm dieser Tage Gelegenheit, sich einem unserer Journa-
listen gegenüber eingehend über das deutsch-sowjetrussische Verhältnis
zu äußern. Er führte dabei folgendes aus:

(i) Dokument Nr. 171.

324
Nr. 173 10. JANUAR 1934

„Glauben Sie nicht, daß bereits etwas entschieden wäre. Wenn Alphand
erzählt, daß Paul-Boncour hierher käme, so müssen Sie doch wissen, daß die
Diplomaten nicht immer die Wahrheit sprechen. Wir können Komintern-
politik treiben. Das gefällt Euch nicht. Aber wir treiben jetzt Staatspolitik
und müssen mit demjenigen halten, der heute den Frieden zu erhalten
trachtet. Wir werden nichts tun, was uns für [länge]re2) Zeit festlegen
könnte. Nichts wird geschehen, was [un]s für immer die Wege zu einer
Politik mit Deutschland verbauen würde. Die Gefahren im Fernen Osten
sind sehr groß. Aber sobald es sich herausstellen wird, daß sich dort der
Krieg vermeiden läßt, was ich selbst glaube, werden sich neue Möglich-
keiten für uns in Europa mit Deutschland ergeben. In der Zwischenzeit muß
versucht werden, Gemeinsamkeiten zu finden. Es wäre nicht richtig anzu-
nehmen, daß der deutsche Botschafter von Litwinow eine Absage erhalten
habe. Sie wissen doch, was Litwinow vorstellt, über ihm steht ein harter
und mit festem Willen ausgerüsteter, vorsichtiger und mißtrauischer Mann.
Stalin weiß nicht, woran er mit Deutschland ist. Er ist unsicher. Das konnte
nicht anders sein, - wir konnten den Nazi nicht anders als mit Mißtrauen
begegnen. Wir wissen aber, daß Versailles nicht mehr existiert. Sie müssen
uns nicht für so dumm halten, daß wir dem Rad der Weltgeschichte in die
Speichen fallen. Wir wissen etwas von den deutschen Rüstungsmöglich-
keiten. In drei Monaten habt Ihr eine viel modernere Luftflotte als die
Franzosen. Wir kennen die Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie.
Wenn wir Staatspolitik betreiben, müssen wir dagegen sein, daß Versailles
auf unsere Kosten revidiert wird. Wir wissen aber auch, daß Napoleon
erst Preußen geschlagen hat und dann gegen Rußland marschiert ist.
Mit größter Sorge erfüllen uns die Machinationen der Nazi im Baltikum.
Ich habe die Dokumente gelesen, die von der estnischen und lettischen
Polizei gefunden sind. Es sind höchst kompromittierende Papiere, die bei
dem Herrn zur Mühlen aufgefunden wurden. Ich weiß, was er bedeutet,
ebenso wie ich seine Frau, die kommunistische Schriftstellerin Hermynia
zur Mühlen kenne.3) Wir wünschen eine Neutralisierung der baltischen
Staaten durch einen internationalen [Pak]t. Das wäre eine Gelegenheit, mit
Deutschland zusammenzu[arb]eiten. So etwas ist ohne Deutschland nicht zu
machen. [Die von] der Entente geschaffenen Randstaaten, die die Auf-
g a b e hab]en, sich als Cordon oder Place d'armes gegen uns auszuwirken,
sind heute der für uns wichtigste Schutzwall gegen den Westen.
Meine Liebe zu Polen ist gewiß nicht größer als zum nationalsozialisti-

*(2) Die Vorlage wurde durch Brand beschädigt. Fehlende Wörter wurden sinngemäß in
eckigen Klammern ergänzt.
(3) Nach einer Mitteilung des Auswärtigen Amts an Nadolny vom 29. Januar (6609/E 497
400-01) waren die bei Durchsuchungen der Häuser der Brüder Arved und Viktor von zur
Mühlen in Riga und Tallinn beschlagnahmten Dokumente „politisch in keiner Weise
kompromittierend. Sie enthalten ausschließlich Korrespondenzen über den Zusammen-
schluß der Mitglieder der Baltischen Brüderschaft auf kulturellem Gebiete". Es wurde
weiter ausgeführt, daß die von Radek erwähnte Hermynia von zur Mühlen eine öster-
reichische Staatsangehörige sei und jetzt in Österreich lebe. Sie sei früher mit Viktor
von zur Mühlen verheiratet gewesen, die Ehe sei aber vor dem Ersten Weltkrieg ge-
schieden worden. Nadolny wurde angewiesen, Radek diese Information bei Gelegen-
heit zukommen zu lassen.

325
Nr. 174 10. JANUAR 1934

sehen Deutschland. Es gibt bei uns keine gegen Deutschland eingestellte


Gruppe.
Die Situation kann sich ändern, sobald eine Entspannung im Fernen
Osten eintritt. In der Zwischenzeit sollen wir suchen, was wir gemeinsam
machen können."
Dabei versicherte er wiederholt, daß nichts entschieden sei und nichts
Endgültiges entschieden werden würde. Sodann führte er noch folgendes
aus:
„Wir wollen nicht nur taktisch, sondern strategisch keinen Krieg. Wir
wollen die Atempause verlängern, weil wir daran glauben, daß die Technik
in 10 Jahren spätestens so gewaltige Fortschritte gemacht hat, daß es bei-
spielsweise keine Entfernungen mehr gibt. In sieben Stunden wird man im
Stratosphärenflug nach Amerika fliegen können. Dann beweisen sich alle
bisherigen Kriegsmittel und Sicherungen als lächerlich. Dann müssen poli-
tische Möglichkeiten gefunden werden, die eine friedliche Beilegung der
bestehenden Konflikte ermöglichen. Die Grenzziehung im kleinen Europa
wird dann erst recht sinnlos geworden sein."
Man sieht deutlich, daß die Ausführungen an meine Unterhaltung mit
Litwinow 4 ) anknüpfen, und erhält wohl auch aus ihnen den Eindruck, daß
man hier das Gefühl hat, Litwinow sei in seiner negativen Haltung zu weit
gegangen. Ich kann daher nur wiederholen, daß wir m. E. diesen Umstand
alsbald ausnutzen sollten.
NADOLNY
(4) Siehe Dokument Nr. 163.

174
6692/H 098 726-27
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an den
Botschaiter in Tokio von Dirksen
den 10. Januar 1934
BERLIN,
Abgesandt: 11. Januar
Lieber Dirksen I
Später als sonst vom Weihnachtsurlaub zurückgekehrt, fand ich gestern
Ihren freundlichen Brief vom 18. Dezember vor.1) Vielen Dank dafür. Ihre
Reiseeindrücke haben mich sehr interessiert.2)
Beim Durchlesen der alten Telegramme fiel mir besonders Ihr Vorschlag
auf, die Mandschurei zu besuchen. Einen derartigen demonstrativen Akt,
der Rußland beunruhigen und China verstimmen müßte, halte ich für un-
möglich. Auch haben Sie den Herrn Reichskanzler offenbar mißverstanden.

(l) Fundort: 6692/H 098 711-15.


(*) Von hier ab wurden die folgenden drei Absätze des Briefes vor der Absendung ver-
schlüsselt.

326
Nr. 175 11. JANUAR 1934

Er hat Ihnen keine konkrete Weisung oder eine allgemeine Ermächtigung


gegeben, sondern nur Richtung und Grenzen gewiesen.3)
Unsere Annäherung an Japan darf auf lange Zeit weder zu einer nach
außen erkennbaren Gemeinsamkeit der Politik noch zu irgendwelchen
bündnisartigen Abmachungen führen. Litwinow behauptet nicht mit Un-
recht, wenn auch mit unwahren Unterstellungen, daß Deutschland und
Japan als die unruhigen Elemente angesehen werden, gegen die sich die
übrige Welt in Gruppen zusammenschließt. Eine zeitweise Isolierung zu
einem können wir vertragen, nicht aber eine Isolierung zu zweien, mit
Japan zusammen. Japan wird seine Expansionspolitik noch lange fortsetzen.
Wir dürfen uns nicht dem aussetzen, mit Recht oder Unrecht der Konnivenz
oder gar Unterstützung des japanischen Vorgehens beschuldigt zu werden.
Erregung und Mißtrauen gegen Japan kann ohnehin leicht die Stimmung
gegen Deutschland versteifen. Es darf nicht dahin kommen, daß Maßnahmen
gegen Japan getroffen oder erwogen werden, die auch gegen uns anwend-
bar sind.
Unsichtbare Annäherung und gemäßigte Freundschaftskundgebungen so
viel Ihnen nötig erscheint, aber keine Aufstellung von Parallelen und keine
Kompromittierung durch Japan.
Mit den besten Grüßen und Wünschen, besonders für Ihr neues Jahr auf
neuem Posten, stets Ihr
B[ÜLOW]
(S) Siehe Dokument Nr. 267.

175
2980/D 580 495-97
Autzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von BülowJ)
BERLIN, den 11. Januar 1934
[II Ung. 35] 2)
Der ungarische Gesandte 3) besuchte midi heute und stellte in der üb-
lichen Weise Fragen nach dem Stand der Abrüstungsverhandlungen, der
Lage an der Saar und in Memel sowie nach den russisch-polnischen Balti-
kumvorschlägen.4)
Danach brachte er zur Sprache, daß sich der Ring um Ungarn immer enger
schließe und daß Ungarn zwar eine wertvolle politische Anlehnung in
seiner Freundschaft mit Deutschland besitze, daß dies aber, da konkrete
Abmachungen nicht vorlägen, von gewissen ungarischen Politikern und
Parteien nicht genügend gewürdigt würde. Durch eine Konkretisierung der

*(l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 11. 1."


(2) Die Journalnummer wurde einer anderen Ausfertigung des vorliegenden Dokuments
(6146/E 460 165-67) entnommen.
*(8) Masirevich.
(4) Siehe Dokument Nr. 187.

327
Nr. 175 11. JANUAR 1934

Beziehungen würde es der ungarischen Regierung leichter gemacht, auf die


Verläßlichkeit und Kontinuität der deutschen Unterstützung hinweisen zu
können. Ihm schwebe eine mündliche Abrede oder ein geheimer Noten-
wechsel vor, der zwei Punkte umfasse, nämlich die deutsch-ungarischen
Wirtschaftsbeziehungen und eine Art Konsultativpakt in bezug auf die
Kleine Entente und die beiderseitige Politik gegenüber dieser und ihrer
einzelnen Mitglieder. Er gab ziemlich unverblümt zu verstehen, daß die
ungarische Regierung durch die Vereinbarung einer gegenseitigen Konsul-
tation Sicherheit dagegen gewinnen wolle, daß Deutschland der Kleinen
Entente oder einzelnen ihrer Mitglieder Vorteile gewähre, die Ungarn ab-
träglich wären, oder Schritte unternehme, die als ein Im-Stich-lassen
Ungarns ausgewertet werden könnten. Vorstehende Gedanken habe er bei
seinem letzten Besuch in Budapest mit Känya besprochen und dessen all-
gemeine Zustimmung gefunden. Er habe keinen ausdrücklichen Auftrag
seiner Regierung, Verhandlungen mit uns einzuleiten, sei aber ermächtigt,
diese Gedanken hier vorzutragen. Er hinterließ mir die anliegende Auf-
zeichnung und bat, nicht sofort Stellung zu nehmen, sondern die Sache zu
überlegen und ihm spätestens in 14 Tagen, wenn sein übernächster Kurier
gehe, einen Bescheid zu geben. Er werde vorläufig nicht über unser Ge-
spräch nach Hause berichten.
Während seiner Ausführungen unterbrach ich den Gesandten, um fest-
zustellen, ob er an eine öffentlich bekanntzugebende Vereinbarung irgend-
welcher Art denke, was er verneinte. Bei dieser Gelegenheit sagte ich ihm,
um uns herum würden jetzt dauernd Pakte abgeschlossen bzw. versucht,
die auf eine gewisse Gruppenbildung hinausliefen. Wir hätten nicht die
Absicht, diese Mode mitzumachen, sondern würden, da wir von derartigen
Pakten nicht viel hielten, ruhig abwarten, bis diese Paktumanie (sein Aus-
druck) verflogen sei und die jetzt eventuell zustande kommenden Verein-
barungen anderer Staatengruppen durch Zeitablauf in der üblichen Weise
Wert und Bedeutung verloren hätten.
Mein Eindruck ist, daß der ungarische Gesandte, vielleicht auch die un-
garische Regierung, sich wegen der Aktivität der Kleinen Entente beun-
ruhigt und sicher gehen will, daß wir nicht mit der Kleinen Entente oder
einzelnen ihrer Mitglieder wirtschaftlich oder politisch anbandeln.
BÜLOW

[Anlage]
Abschrift
Gelegentlich einer unserer letzten Unterredungen sagten Sie mir, daß
Deutschland derzeit zwar keine aktive territoriale Revisionspolitik be-
treiben wird, indes die ungarische Revisionspolitik moralisch unterstützen
will.5) - Ich habe dies meiner Regierung berichtet und wurde nunmehr
beauftragt mitzuteilen, daß die ungarische Regierung dankbar ist für diese
in Aussicht gestellte moralische Unterstützung. - Auch meine Regierung
ist der Ansicht, daß zwischen der deutschen und ungarischen Revisions-
politik kein Junktim aufgestellt werden kann; Ungarn hat 2/s seines

(5) Eine Aufzeichnung über diese Unterredung konnte nicht ermittelt werden

328
Nr. 176 11. JANUAR 1934

Gebietes verloren, während die Verluste Deutschlands, obzwar schwer,


ihm die Lebensmöglichkeiten nicht genommen haben. Immerhin ist es nicht
ausgeschlossen, daß die Zurückstellung des Revisionspunktes in der Politik
Deutschlands gewissen deutschfeindlichen Kreisen Ungarns als Vorwand
für die Behauptung dienen wird, daß Deutschland die Revisionsfront
im Stich gelassen habe. Diese Kreise würden hierin eine Rechtfertigung
ihrer antideutschen Einstellung erblicken. Die ungarische Regierung ist
selbstverständlich nicht dieser Ansicht, denn sie ist sich dessen bewußt,
daß die deutsch-ungarische Kollaboration auf anderen Fragen beruht, in der
Vergangenheit auf der Reparationsfrage und heute auf der Abrüstungs-
frage.
Wir erachten es für dringlich, das gegenseitige wirtschaftliche Verhältnis
zu regeln und die diesbezüglichen Besprechungen ehetunlichst zu beginnen.
Es läge auch im Interesse des guten deutsch-ungarischen Verhältnisses und
würde dasselbe fördern, wenn die politischen Fragen betreffend das Ver-
hältnis Deutschlands und Ungarns zur Kleinen Entente und insbesondere
zur Tschechoslowakei gründlich durchbesprochen und in Einklang gebracht
werden könnten.
Nach Ansicht der ungarischen Regierung wären dies die Hauptthemen,
welche als nützliche Grundlage dienen könnten für eine deutsch-ungarische
Zusammenarbeit. 6 )

(«) Köpke übersandte Abschriften der Vorlage mit folgendem Vermerk (6146/E 460 171) an
Renthe-Fink, Hüffer und Heinburg: „Ich halte die Zumutung - gelinde gesagt - [für]
naivl Ein Konsultativpakt wegen der Politik der Kleinen Entente wäre ein einseitiges
Vergnügen - und zwar lediglich auf ungarischer Seite! Noch dazu solch' Verlangen,
ehe die Minderheitenbeschwerden auch nur Aussicht auf befriedigende Regelung bieten.
Ich würde gerne auf Grund der Aktenlage (soweit II in Betracht kommt) die Sache mit
Ihnen gemeinsam besprechen und Ihre Ansicht hören. (Die Ablehnung ist recht unbe-
quem!)." Am 11. Januar wurde auf Weisung Köpkes eine Abschrift der Aufzeichnung
über Bülows Unterhaltung mit Masirevich an Mackensen in Budapest übermittelt
(6146/E 460 168). Für das Weitere siehe Dokument Nr. 192.

176
6609/E 497 336-38
Der Botschafter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt
Telegramm
Geheim MOSKAU, den 11. Januar 1934 21 Uhr 56
Nr. 5 vom 11. 1. Ankunft: 12. Januar 2 Uhr 05
IV Ru. 146
Hatte gestern einstündige Unterredung mit Kriegskommissar Woro-
schilow, bei dem ich mich angemeldet hatte. Unterhaltung wurde in sehr
offenem, ausgesprochen freundschaftlichem Ton geführt. Woroschilow
brachte sogleich Gespräch auf Sympathien und gute Beziehungen, die
zwischen Japan und Deutschland beständen und naturgemäß in Sowjet-

329
Nr. 176 11. JANUAR 1934

union angesichts der Lage im Fernen Osten große Besorgnis auslösten. Als
Beweis für regierungsseitig geförderte pro-j apanische Propaganda in
Deutschland anführte er Radiovortrag hohen preußischen Beamten, der in
gestriger Iswestija wiedergegeben war.1) Ich erwiderte, daß dies lediglich
Reaktion auf Rede Litwinows 2 ) darstelle, die uns mit Japaner auf gleiche
Linie als Friedensstörer stelle. Wenn leitende Staatsmänner der Sowjet-
union fortführen, in diesem Sinne zu sprechen, würde das Echo aus Deutsch-
land noch ganz anders werden. Ich darlegte ihm kurz Absichten deutscher
Regierung, hinwies vor allem auf deutschen Willen, Politik Berliner Ver-
trags fortzuführen und bei möglichst guten politischen Beziehungen zum
Nutzen beider Länder intensiv deutsch-russischen Handelsaustausch zu
fördern. Feindliche Absichten gegen Sowjetunion lägen uns fern. Woro-
schilow begrüßte diese Einstellung, die ganz seinen Ansichten entspräche,
konnte sich dann aber nicht enthalten, auch wieder auf bekanntes störendes
Moment hinzuweisen, mit dem Litwinow augenscheinlich sehr stark ope-
riert. Besonders lange verweilte er bei Hitlers Mein Kampf, wobei er
schließlich sagte, daß zwei Worte des Kanzlers in Öffentlichkeit genügen
würden, um Eindruck . . . (fehlt offenbar etwas), daß sowjetfeindliche Ten-
denz Buches noch heute Gültigkeit haben soll. Selbstverständlich habe ich
erneut unsere Gegenargumente vorgebracht, doch zurück kam er immer
wieder darauf.
Woroschilow unterstrich auch mehrfach, daß Rote Armee mit großer Ge-
nugtuung an Zusammenarbeit mit Reichswehr zurückdenke; er hoffe, daß
auch in dieser Beziehung altes gutes Verhältnis wieder hergestellt werde.
Ich entgegnete, daß auch bei Reichswehr gleicher Wunsch bestehe, wie ich
noch kürzlich durch Gespräch mit Reichswehrminister 3 ) hätte feststellen
können. Wir müßten aber offen erklären, daß, nachdem uns von Roter
Armee sozusagen Stuhl vor die Tür gesetzt sei, wir Reserve beobachten
und abwarten, bis Rote Armee Initiative zur Wiederaufnahme Beziehungen
ergreift. Dies machte Woroschilow sehr nachdenklich, und er antwortete
nichts.
Allgemeiner Eindruck der Unterhaltung: Woroschilow, der zu engsten
Kreisen um Stalin gehört und einer der einflußreichsten Persönlichkeiten
Sowjetunion darstellt, ist im Grunde für beste deutsch-russische Beziehun-
gen. Ich gewann auch unzweideutigen Eindruck, daß bei ihm persönlich der
Wille und Wunsch vorhanden ist, in dieser Richtung zu wirken. Litwinows
Argumentation über Möglichkeiten feindlicher Absichten Deutschlands hat
aber zweifellos auch auf ihn starken Eindruck gemacht, zum mindesten fehlt
ihm das Argument, um erfolgreich dagegen auftreten zu können. Besonders
für ihn würde daher eine deutsche Initiative zur Entkräftung Litwinows
Argument große Stütze.
NADOLNY

(1) Der Hinweis bezieht sich auf einen Rundfunkvortrag, den der Ministerialrat Halens-
leben vom preußischen Kultusministerium am 10. Januar gehalten hatte, über die Be-
handlung dieses Vortrags in der sowjetischen Presse berichtete die Botschaft in Moskau
im Bericht Nr. A 80 vom 10. Januar (M 151/M 005 196-204).
'(2) Siehe Dokument Nr. 161, Anm. 2.
• (") Blomberg.

330
Nr. 177 11. JANUAR 1934

177
8115/E 580 201-10
Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath
an den Botschafter beim Heiligen Stuhl von Bergen
Sofort BERLIN,den 11. Januar 1934
Abgesandt: 12. Januar
zu II Vat. 21 •)
Lieber Bergen!
Vielen Dank für Ihren ausführlichen Brief vom 28. v. M.2) Mit Ihrem Vor-
schlag, auf die verschiedenen Memoranden und Noten, die Ihnen der Kar-
dinalstaatssekretär im Zusammenhang mit der Ausführung des Reichs-
konkordats hat zugehen lassen, zunächst eine allgemein gehaltene Erwide-
rung zu erteilen, bin ich sehr einverstanden. Ihren Entwurf haben wir unter
Beibehaltung des Gedankenganges stellenweise etwas abgeändert, gekürzt
oder ergänzt. So haben wir bei Erwähnung des Artikel 323) auch einen
Passus über den österreichischen Weihnachtshirtenbrief 4 ) angefügt.
In der Anlage übersende ich Ihnen die neue Fassung des Memorandums
und wäre dankbar, wenn Sie das Schriftstück, von dem ich dem Reichskanz-
ler und Herrn Buttmann Kenntnis gegeben habe, dem Kardinalstaatssekretär
im Namen der Reichsregierung baldigst aushändigen und mir die Übergabe
freundlichst auf telegraphischem Wege mitteilen würden.8)
Im übrigen werde ich die Konkordatsfrage nach wie vor persönlich im
Auge behalten und insbesondere darauf hinwirken, daß Ministerialdirektor
Buttmann Anfang Februar die seinerzeit von ihm schriftlich in Aussicht ge-
stellten Verhandlungen 6 ) aufnimmt sowie daß möglichst schon zuvor die
eine oder andere Einzelnote des Vatikans schriftlich beantwortet werden
kann.
Mit besten Grüßen
Ihr
v. N[EURATH]

[Anlage]
MEMORANDUM

Die deutsche Regierung hat die verschiedenen ihr vom Heiligen Stuhl
übermittelten Memoranden und Noten, die sich mit der Durchführung des
Reichskonkordats befassen, einer eingehenden Behandlung unterzogen. Sie
ist von Anfang an der Auffassung gewesen, daß sich der zur Erörterung

*(l) II Vat. 21: Schreiben Bergens an Neurath vom 28. Dezember 1933, gedruckt als Doku-
ment Nr. 152.
• (2) Siehe Anm. 1.
(S) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 371.
(4) Siehe Dokument Nr. 149, Anm. 6.
(») Bergen berichtete in Telegramm Nr. 2 vom 15. Januar 1934 (8115/E 580 231), er habe
an diesem Tage Pacelli das Memorandum ohne weitere Diskussion ausgehändigt.
(") Siehe die Dokumente Nr. 135 und 239.

331
Nr. 177 11. JANUAR 1934

gebrachte Fragenkomplex durch eine den freundschaftlichen Beziehungen


zwischen dem Reich und dem Heiligen Stuhl entsprechenden, vertrauens-
vollen mündlichen Gedankenaustausch leichter bereinigen läßt als durch
einen langwierigen Wechsel von Schriftstücken oder durch öffentliche Dis-
kussionen. Die Reichsregierung möchte daher die Behandlung der Einzel-
fragen auch weiterhin den mündlichen Verhandlungen vorbehalten, wie sie
von dem deutschen Bevollmächtigten, Ministerialdirektor Buttmann, noch
unter dem 18. und 19. Dezember v.J. zugesagt worden sind.7) Sie glaubt
indes, diesen künftigen Besprechungen einige Bemerkungen allgemeinen
Charakters voraufgehen lassen zu sollen, zu denen ihr insbesondere das
Promemoria Seiner Eminenz des Herrn Kardinalstaatssekretärs vom 19.
Oktober v. J.8) und die darin in ungewöhnlich scharfer Form erhobenen
Vorwürfe Anlaß geben.
Zu den großen Zielen, die sich der deutsche Nationalsozialismus gesetzt
hat und denen er von Anbeginn mit unerschütterlicher Zähigkeit und nicht
wankender Zuversicht entgegenstrebte, gehören die Einigung des ganzen
deutschen Volks und die Vernichtung des Kommunismus in Deutschland.
Der Kampf gegen den Kommunismus ist vom Nationalsozialismus bereits
zu einer Zeit aufgenommen worden, in der die Schar seiner Anhänger noch
gering war und die ihm fehlenden Machtmittel durch den vollen Einsatz der
Person ausgeglichen werden mußten. Die Blutopfer zeigen die durch-
kämpften Wege, und die Gefallenen sind leuchtende Vorbilder vaterländi-
scher Hingabe. Zur Regierung gelangt, hat der Nationalsozialismus den
Kommunismus zu Boden geworfen, hierdurch Deutschland vor dem Unter-
gang gerettet und die Kirche vor Angriffen geschützt, die sie in anderen
Ländern hat erdulden müssen. Der Kampf gegen den Kommunismus in
Deutschland und seine Begleiterscheinungen wird mit aller Kraft und Ent-
schiedenheit bis zur völligen Vernichtung weitergeführt werden. Die deut-
sche Regierung würde es mit lebhafter Freude begrüßen, wenn auch die
Institutionen der Kirche mit ihren großen moralischen Machtmitteln in er-
höhtem Maße, etwa durch Verstärkung der inneren Mission, den Staat in
diesem Ringen gegen einen gemeinsamen Feind unterstützen wollte.
Das Promemoria vom 19. Oktober spricht von „offenbaren Eigenmächtig-
keiten und Gewalttätigkeiten, durch die in Deutschland und besonders in
gewissen Gebieten konkordatlich geschützte und unveräußerliche Freiheits-
rechte des katholischen Bekenntnisses unterdrückt werden und ein Zustand
geschaffen wird, der von den Erfahrungen des beklagenswerten Kultur-
kampfes früherer Zeiten sich nur durch seine größere Härte und Willkür
unterscheidet". Der deutschen Regierung liegt nichts ferner als kulturkämp-
ferische Absichten irgendwelcher Art. Auch außerhalb der vertragsmäßig
gezogenen Grenzen darf sich die Kirche in Deutschland weitgehender, durch
die staatliche Macht geschützter Freiheiten und Rechte erfreuen. Der Herr
Reichskanzler hat in seiner programmatischen Rede vom 23. März v. J.')

(') Siehe die Dokumente Nr. 133 und 136


(8) Siehe Dokument Nr. 17, Anlage.
*(«) Der Text der Rede Hitlers ist abgedruckt in Domarus, Hitler Reden, Bd. I, S. 229-37.
ebenso in Dokumente der Deutschen Politik, Bd. I, S. 41-54. Auszüge in englischer
Übersetzung finden sich in Baynes, The Speeches oi Adolt Hitler, Bd. I, S 370-72.

332
Nr. 177 11. J A N U A R 1934

erklärt, daß die nationale Regierung in den beiden christlichen Konfessionen


die wichtigsten Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums, im Christentum
die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens
unseres Volkes sehe und daß sie den größten Wert darauf lege, die freund-
schaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhl weiter zu pflegen und auszu-
gestalten. Im Sinne dieser Erklärungen hat die Reichsregierung dem Heili-
gen Stuhl die Aufnahme von Unterhandlungen zum Zwecke des Abschlusses
eines - bisher von keiner deutschen Regierung gewagten - Reichskonkor-
dates vorgeschlagen. Sie hat in dem Wunsch, die vertrauensvollen Beziehun-
gen zwischen dem Reich und dem Heiligen Stuhl zu vertiefen und einen
friedlichen Ausgleich herbeizuführen, in das Konkordat auch Fragen einbe-
zogen, die sich vom Staat einseitig auf dem Wege der Gesetzgebung hätten
regeln lassen. Der Herr Reichskanzler hat bereits lange vor der Übernahme
der Macht und von dann ab mit der ganzen Autorität der vom Volk ge-
stützten Regierung den aufrichtigen Wunsch und Willen zu erkennen ge-
geben, die Rechte der christlidien Kirchen zu achten und zu schützen, mit
ihnen in Frieden zu leben und in Eintracht zu gemeinsamer Arbeit zu wirken.
Er hat dem deutschen Episkopat die Hand entgegengestreckt und dabei mit
dem Blick auf die Zukunft Deutschlands die Gedanken an die Vergangenheit
zurückgestellt, in der die nationalsozialistische Bewegung auch von katholi-
scher geistlicher Seite auf das heftigste bekämpft wurde. Der Widerhall
dieses Rufes zum Frieden und zur Zusammenarbeit ist indes bisher nicht
überall so stark und rückhaltlos gewesen, wie erwartet werden durfte.
Manche bischöflichen Kundgebungen wurden mit allerlei Vorbehalten be-
lastet, manche kirchlichen Würdenträger lassen eine unberechtigte kritische
Einstellung erkennen, viele jüngere Geistliche, insbesondere in Süddeutsch-
land, machen aus ihrer Abneigung gegen das neue Reich keinen Hehl. Der
Nationalsozialismus erstrebt nicht die Schöpfung einer neuen Glaubens-
bewegung. Er läßt den christlichen Kirchen volle Freiheit, gewährt ihnen den
Schutz des Staates und weiß sich frei von konfessionellen Voreingenommen-
heiten. Es ist daher abwegig, wenn in dem Promemoria vom 19. Oktober
beanstandet wird „die entschädigungslose Entlassung zahlloser katholi-
scher Beamter, Angestellten und Gewerkschaftssekretäre, lediglich wegen
ihrer früheren aktiven Zugehörigkeit zu politischen Parteien, in denen der
deutsche Katholizismus nicht mit Unrecht für lange Zeit die traditionelle
Vertretung seiner religiösen Interessen sehen mußte". Der Nationalsozia-
lismus wünscht vielmehr die Wiederherstellung des Beamtentums nach dem
bewährten alten preußischen und deutschen Vorbilde, unter dessen Herr-
schaft die Beamtenschaft sich durch Einigkeit und Freiheit von konfessio-
nellen Bedenken auszeichnete und lediglich nach Leistung und Charakter
gewertet wurde.
Auf dem Wege zur geistigen und seelischen Einigung des deutschen
Volkes muß die nationale Bewegung nicht nur die tiefe Kluft überbrücken,
die marxistische Irrlehren und Verhetzungen durch das Volk gerissen
hatten, sondern auch den konfessionellen Spaltungen abhelfen, die sich
zum Schaden des Volksganzen immer mehr weiteten. Zur Verbreitung
dieser Spaltung trugen erheblich gewisse politische Geistliche bei, die sich
unter Mißbrauch ihrer doppelten Machtstellung betätigten und in staat-

333
Nr. 177 11. JANUAR 1934

liehe Angelegenheiten in einer Weise einmischten, die starke Wider-


sprüche und Reaktionen hervorrufen mußte. Es ist vorgekommen, daß
katholische Geistliche, die zugleich Parlamentsmitglieder waren, unab-
lässig in den Gang der verschiedenen Ressorts eingriffen und sogar die
Behandlung der Personalien entscheidend beeinflussen wollten. Eine solche
Ingerenz der politischen Geistlichen hat sich auf den mannigfachsten Ge-
bieten bemerkbar gemacht. Sie hat zur Identifizierung des Zentrums mit
der deutschen katholischen Geistlichkeit beigetragen und letztere mit dem
Vorwurf unzulässiger politischer Betätigung belastet. Um die daraus ent-
standenen Hemmungen und Reibungen im Interesse einer klaren Tren-
nung von Geistlichen und Politikern zu beseitigen, mußte die Regierung
entscheidenden Wert darauf legen, daß die Geistlichkeit den politischen
Kämpfen entzogen werde. Hierin liegt nicht, wie hauptsächlich jüngere
Geistliche behaupten, eine Herabsetzung in den Stand eines Bürgers zwei-
ter Klasse. Die Loslösung vom politischen Tageskampf gibt den Geistlichen
vielmehr erst die Möglichkeit, sich unbelastet den hohen Aufgaben ihres
Berufs zu widmen. In diesem Sinne hat die Reichsregierung die Verein-
barung des Art. 32 des Reichskonkordats vorgeschlagen. Sie würde es mit
Genugtuung erkennen, wenn der Heilige Stuhl die danach von ihm zu er-
lassenden Bestimmungen öffentlich zur allgemeinen Kenntnis bringen
lassen wollte, durch die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitglied-
schaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausge-
schlossen werden sollte. Dies erscheint um so mehr erforderlich, als der
Weihnachtshirtenbrief des österreichischen Episkopats, der eine allgemeine
Kampfansage an den Nationalsozialismus und eine unbefugte Kritik an
innerdeutschen Verhältnissen enthält, in der öffentlichen Meinung Deutsch-
lands vielfach als eine Umgehung des Art. 32 gedeutet wird, die auf ein
Einvernehmen des deutschen mit dem österreichischen Episkopat schließen
lasse.
Das Promemoria vom 19. Oktober hebt hervor, daß der Heilige Stuhl
den Wunsch der Reichsregierung auf baldige Ratifizierung des Reichskon-
kordats trotz schwerer Bedenken erfüllt habe. Die Reichsregierung erkennt
gern die freundliche Haltung an, die der Heilige Stuhl bei Aufnahme und
Durchführung der Verhandlungen über das Reichskonkordat beobachtet
hat; sie gedenkt mit besonderem Dank des großen Entgegenkommens
Seiner Eminenz des Herrn Kardinalstaatssekretärs, das wesentlich zu dem
schnellen Abschluß der Verhandlungen beigetragen hat. Die Reichsregie-
rung ist sich aber auf der anderen Seite bewußt, in der Erwartung einer
weiteren Festigung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem
Reich und dem Heiligen Stuhl sowie einer Befriedung auf konfessionel-
lem Gebiet, den Wünschen des Heiligen Stuhls weitgehend Rechnung ge-
tragen und dabei auch Wünsche verwirklicht zu haben, die alle bisherigen
Regierungen nicht zu erfüllen vermochten. Sie ist gewillt, die anerkannten
und eingeräumten Rechte nach wie vor zu respektieren und die von ihr
eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Dies gilt auch hinsichtlich des
Art. 27 des Reichskonkordats. In dieser Beziehung darf darauf hingewiesen
werden, daß die Einrichtung einer exemten Seelsorge, die in erster Linie
den religiösen Interessen der katholischen Mitglieder der Wehrmacht

334
Nr. 178 11. JANUAR 1934

dient, bisher nur an den von katholischer geistlicher Seite bereiteten


Schwierigkeiten sowie an den weitgehenden, vom Heiligen Stuhl auf
anderen Gebieten erhobenen Forderungen gescheitert ist.
Gerade das weite Ausmaß der von der Reichsregierung im Konkordat
gemachten Zugeständnisse ist es gewesen, das zu den Schwierigkeiten ge-
führt hat, von denen in den Schriftstücken des Staatssekretariats Seiner
Heiligkeit mehrfach die Rede ist. So würde ohne die weite Spannung des
Art. 31 nicht der Versuch gemacht worden sein, eine alle Voraussicht und
alles vernünftige Maß übersteigende Zahl katholischer Vereine zu katalo-
gisieren und neu zu beleben, die mit dem Grundgedanken des Art. 31
nicht in Einklang gebracht werden können. Welches andere Land besitzt
und konserviert eine derartig bunte Masse von konfessionell abgestimm-
ten Vereinen?
Der in der Geschichte einzig dastehende disziplinierte Verlauf der
nationalen Revolution in Deutschland läßt das Ausland nur zu leicht ihre
große Tiefe und Breite übersehen. Die Ziele des Nationalsozialismus sind
weit gesteckt; seine gewaltigen Aufgaben von säkularer Bedeutung für
Deutschland und den allgemeinen Frieden lassen sich nur in zähem Ringen
und längerem Zeitablauf verwirklichen. Daß bei diesem ungeheuren Neu-
bau gerade im ersten Stadium Steine von den Gerüsten gefallen sind und
Vorübergehende verletzt haben, war unvermeidlich. Die Geschädigten sind
zu beklagen; es wird versucht, ihre Wunden zu heilen. Aber der Blick muß
sich über diese gewiß bedauerlichen Einzelfälle hinweg auf die Zukunft
richten. Das gleiche gilt nach der Absicht der Reichsregierung für das
Konkordat und dessen Ausführung, der sie stets vollste Aufmerksamkeit
und ernste Beachtung schenken wird.

178
7467/H 179 788-92
Der Botschafter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 12 vom 11.1. ROM, den 12. Januar 1934 2 Uhr 30
Ankunft: 12. Januar 5 Uhr 40
II Abr. 111
Unterredung mit Mussolini.
Habe Mussolini zunächst dortiges Telegramm Nr. 11 vom 10. Januar 1 )
mit Ausnahme des letzten Satzes zur Kenntnis gebracht. Er verhielt sich
aufmerksam und zustimmend und bemerkte, daß daraus nicht mit Sicherheit
hervorgehe, ob wir auf Basis französischen Memorandums verhandeln oder
Rückfrage stellen wollten. Er selbst habe Simon in klarer und unmißver-
ständlicher Weise gesagt, daß die Welt seines Erachtens zwischen einer ille-

(1) Dokument Nr. 172.

335
i
Nr. 178 11. JANUAR 1934

galen Aufrüstung Deutschlands und Annahme der deutschen Vorschläge zu


wählen habe; illegale Aufrüstung sei nur durch Krieg zu verhindern, der
von niemand ernstlich in Betracht gezogen werden könnte. Einer illegalen
Aufrüstung sei aber Annahme Hitlerscher Vorschläge unbedingt vorzu-
ziehen. Er könne daher Simon nur dringend raten, daß England sich auf die-
sen Boden stellt; dabei habe er ihm angekündigt, daß er sofort nach Eingang
der englischen Antwort das Simon übergebene Dokument über Abrüstung 2 )
ebenso wie das über Völkerbundsreform 3) veröffentlichen werde, um öffent-
licher Weltmeinung Urteil zu überlassen. Ferner habe er Simon gesagt, daß
einzige Möglichkeit Vorwärtskommens Vertrauen zu Hitlers politischer Hal-
tung sei. Simon habe erwidert, daß dieses heute auch in England vorhanden
sei, freilich nicht im gleichen Grad zu anderen führenden Persönlichkeiten
des Nationalsozialismus. Er, Mussolini, sei dem entgegengetreten unter Hin-
weis auf absolute Unterordnung aller unter Hitler. Deutscher Vorschlag sei
für übrige Mächte nicht zu verachten, nämlich im Falle Zubilligung 300 000-
Mann-Heeres mit kurzer Dienstzeit und erforderlicher Bewaffnung Abschaf-
fung der Reichswehr, die Gegenseite bisher immer als gefährliches Instru-
ment hingestellt habe; ferner Annahme Kontrolle und endlich Wiedereintritt
in den Völkerbund. Ich machte auf Grund der Mitteilungen Suvichs 4) An-
deutungen in Richtung auf gewisse sofortige Abrüstungsmaßnahmen hochge-
rüsteter Staaten, die angeblich nach italienischer Auffassung eine Modifika-
tion der deutschen Ansprüche bedingen würden. Er erwiderte, daß diese
Frage späterer Erörterung vorbehalten bleibe, wenn zunächst einmal grund-
sätzliche Annahme deutscher Vorschläge unter Abschaffung der Reichswehr,
Annahme Kontrolle und späterer Wiedereintritt Völkerbund feststände. Auf
Bemerkung meinerseits bezüglich SA und SS erklärte er, daß, wenn sich
Kontrolle auf diese erstrecke, Frankreich voraussichtlich auf die Dauer keine
Schwierigkeiten machen würde. Konvention solle seines Erachtens bis 1940
dauern. Französischer Botschafter5) habe ihn gefragt, warum er keine Etap-
pen vorsehe, worauf er geantwortet habe, daß Festsetzung Etappen ganz
überflüssig, da Umwandlung der Reichswehr in kurzdienendes Heer ohnehin
Jahre dauern würde. Weiteres Vorgehen denke er sich so, daß auch zunächst
noch bilaterale Unterhaltungen fortgesetzt und alsdann Beschluß der vier
Mächte herbeigeführt werde, welcher dann der Abrüstungskonferenz vor-
zulegen sein würde. Bevorstehende Sitzung werde lediglich weitere Ver-
tagung beschließen können. Er möchte uns dringend raten, französisches
Memorandum durch Rückfragen zu beantworten und nicht auf seiner Basis
sachlich zu diskutieren, sondern zunächst Ergebnis englisch-italienischer
Fühlungsnahme abzuwarten.
Bezüglich Völkerbunds bestätigte er Suvichs Mitteilungen und meinte
auf entsprechende Frage von mir, daß anstelle abzuschaffender Sanktionen
nichts treten könne, was mit ihnen Ähnlichkeit habe, auch keine wirtschaft-

(2) S i e h e D o k u m e n t Nr. 164 u n d Anm. 2 dazu. Das am 31. J a n u a r veröffentlichte italienische


M e m o r a n d u m wich an einigen Stellen v o n der Simon ü b e r g e b e n e n Textfassung ab.
S i e h e Cmd. 4512, Mise. Nr. 3 (1934), S. 15-20.
(3) Siehe Documenfs on British Foreign Policy, 2 Serie, Bd. VI, Nr. 164, A n h a n g .
(4) Siehe D o k u m e n t Nr. 164.
*(5) Pineton d e C h a m b r u n .

336
Nr. 178 11. JANUAR 1934

liehen Sanktionen, sondern nur solche moralischer Art. Deutschlands


Wiedereintritt nach erfolgter Reform halte er für unbedingt nötig. Wieder-
eintritt sei dann erstens unbedenklich, wenn Gleichberechtigung vorher
durchgesetzt, zweitens aber im deutschen Interesse erforderlich, weil
anderenfalls Rußland eintreten und zusammen mit Frankreich Völkerbund
zum Instrument antideutscher Politik machen werde. Russische Politik
sähe er seit Litwinows Besuch6) mit größten Bedenken an. Er habe Litwi-
now hier klarzumachen gesucht, daß antideutsche Politik Rußland ins Fahr-
wasser Frankreichs und Kleiner Entente und damit in schwerste Verwick-
lungen in Europa führen könnte. Litwinow habe geantwortet, daß Ent-
wicklung nicht Rußlands Schuld, sondern Deutschlands unter Hinweis auf
Hugenberg-Memorandum, 7 ) Rosenbergsche Ukraine-Pläne, Rosenbergsche
Verhandlungen mit Japanern in Berlin 8 ) und deutsch-polnische Bespre-
chungen. Hauptgrund für Rußland sei freilich nach Mussolinis Ansicht Zer-
schlagung Kommunismus in Deutschland, wonach die Sowjets nunmehr in
Nationalsozialismus gefährlichsten Feind erblickten. Deutsche Haltung
gegenüber Rußland sei ihm nur verständlich, wenn wir die Sicherheit
hätten, daß Japan Rußland baldigst angreifen wolle; gewiß sei Lage im
Osten sehr gespannt, aber erwähnte Sicherheit trotzdem nicht gegeben.
Ich entgegentrat Darstellung deutscher Rußlandpolitik und meinte im
übrigen, daß im Augenblick unsererseits schwerlich etwas geschehen
könnte, um russische Politik zu drehen, die sich entschieden zu haben
schiene; jedenfalls würde ich eine Politik des Nachlaufens für sehr falsch
halten; Sowjetleuten gegenüber sei anderer Ton am Platze. Letzterem zu-
stimmte Mussolini und meinte, daß Chance einer Änderung russischer
Politik noch nicht endgültig verloren. Was unsere Besprechungen mit
Polen angehe, so werde jetzt das doppelzüngige Verhalten Polens in Ge-
stalt der russisch-polnischen Angebote an die baltischen Staaten 9 ) offenbar,
die von Litauen begeistert angenommen seien, während Lettland und Est-
land schwach und schwankend und nur Finnland wirklich ablehnend sei.
Russische Politik stehe auch hinter türkischer Machination im Südosten,
die Bulgarien in üble Lage gebracht hätte. Er habe Bulgarien vergeblich
immer wieder geraten, sich mit Griechenland und der Türkei zu verständi-
gen. Jetzt sei Bulgarien schwer zu helfen; im Grunde habe es sich keinen
Freund in der Welt zu schaffen gewußt, nicht einmal italienische Freund-
schaft habe es gepflegt. Ich äußerte Ansicht, daß man sich durch Ratten-
könig der Pakte nicht graulich machen lassen dürfe; es sei natürlich, daß
auf Erwachen Revisionsstimmung in den letzten Jahren jetzt Reaktion
folge, weil beati possidentes angesichts Erstarkung Deutschlands Angst
bekamen; es ankomme darauf, mit guten Nerven diese jetzt begonnene
Periode geängstigter Reaktion zu überwinden. Diesem Gedankengang zu-
stimmte er und hinwies auf seine Politik gegenüber Rumänien, dessen
Anregungen, Freundschaftsvertrag zu verlängern oder wenigstens nach Ab-
lauf sofort wieder Kontakt zu nehmen, er kühl abgelehnt hätte. Auf eine

(8) Siehe Dokument Nr. 130 und Anm. 1 dazu.


(7) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 312.
(8) Siehe Dokument Nr. 127.
(9) Siehe die Dokumente Nr. 169 und 187.

337

IM Bg. 22
Nr. 179 12. JANUAR 1934

Andeutung meinerseits bezüglich Fortführung italienischer Politik auf


Boden Donaumemorandums 10 ) und eventuell deutsch-italienischer Ver-
ständigung auf dessen Basis erklärte er, daß es in der Tat wichtig sein
werde, Ungarn und Bulgarien Rücken zu stärken, indessen müsse zunächst
Entscheidung Bulgariens abgewartet werden.
HASSELL
(10) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 485, Anm. 6.

179
6114/E 454 179-80
Botschaftsrat Prinz zu Erbach-Schönberg (Wien) an das Auswärtige Amt
Telegramm
Cito WIEN, den 12. Januar 1934 21 Uhr 40
Nr. 3 vom 12. 1. Ankunft: 12. Januar 23 Uhr 30
II Oe. 123
Auf Drahterlaß Nr. 6 vom 10. Januar. 1 )
Erbprinz Waldeck programmäßig eingetroffen und heute 17 Uhr 10 über
Prag nach Berlin abgereist. Er hatte im Laufe des gestrigen Tages Bespre-
chungen mit Schattenfroh und Frauenfeld. Am späteren Abend begab er
sich auf Wunsch Frauenfelds in dessen Wohnung, wo sich außerdem
Schattenfroh und Heimwehrführer Alberti mit Adjutant Flohr zu vorher
von diesem angesetzten Verhandlungen einfanden. Polizei, die anschei-
nend Verhandlungsabsicht Albertis in Erfahrung gebracht hatte, erschien
bald nach seinem Eintreffen mit zahlreichen Kriminalbeamten in Zivil unter
Führung Polizeivizepräsidenten Skubl in der Wohnung Frauenfelds. Skubl
gilt als Vertrauensmann Feys, dem heute nacht Geschäfte Sicherheitsmini-
sters wieder übertragen waren. Alle Anwesenden, auch Erbprinz Waldeck,
wurden perlustriert und längere Zeit festgehalten, während telefonische
Weisungen von zuständigen Regierungsstellen eingeholt wurden.2)
Bald nachdem mich Waldeck telefonisch hiervon benachrichtigt hatte,
rief mich Gesandter Hornbostl an, um mir den Vorfall mitzuteilen und
seine weitere Behandlung zu besprechen. Hornbostl nahm sogleich Stand-
punkt ein, daß Waldeck als Fremder von Distinktion zu behandeln sei,
und schlug vor, daß er sich alsbald in unauffälliger Begleitung eines hohen
Polizeibeamten zur Gesandtschaft zurückbegebe und baldmöglichst nach
Deutschland zurückkehre. Ich nahm diesen Vorschlag unter der Bedingung
an, daß Waldecks Hiersein nicht bekannt werde und kein neuer Zwischen-
fall geschaffen werden dürfe.

(1) Siehe Dokument Nr. 167, Anm. 3.


(2) Randbemerkung: „Mir von Prinz Waldeck heute mündlich erläutert. D[er] H|err) RM ist
informiert. H[üffer] 13. 1."

338
Nr. 180 12. JANUAR 1934

Prinz Waldeck blieb demgemäß bis zu seiner Abreise in der Gesandt-


schaft.
Verhaftung Schattenfrohs und Frauenfelds erfolgte offenbar zum Zweck,
ihre Verhandlungen, die, wie ich höre, Regierung äußerst peinlich, mit
Alberti zu unterbinden. Infolgedessen dürften Agenten Himmler-Kar-
winsky betreffende Repressalien nicht ohne weiteres anwendbar sein.3)
ERBACH

(3) Dieser Hinweis bezieht sich offenbar auf eine Mitteilung, die Himmler zwei Wochen
zuvor dem österreichischen Staatssekretär für das Sidierheitswesen Karwinsky gemacht
hatte. Himmler hatte darin angekündigt, daß weitere Verhaftungen nationalsozialisti-
scher Gauleiter in Österreich mit der Verhaftung von 500 Österreichern in Deutschland
beantwortet werden würden. Siehe hierzu die Aufzeichnung Hüffers vom 13. Januar
(8663/E 606 482-83). Siehe auch Dokument Nr. 184.

180
9556/E 672 754-59; 761
Aufzeichnung des Gesandtschaltsrats HülterJ)
Geheim BERLIN, den 12. Januar 1934
e.o. I I Ts. 75
AUFZEICHNUNG

Bei meinem Prager Besuch sind u. a. folgende Fragen eingehend be-


sprochen worden:
1.) Sudetendeutsche Hilfsaktion.2)
Die Lage unter den Sudetendeutschen hat sich gerade während meiner
Anwesenheit in Prag noch erheblich verschlimmert. Einerseits ließ die
tschechische Regierung nunmehr auch der sudetendeutschen Heimatfront
Henleins gegenüber die letzten Rücksichten fallen, verbot alle Versamm-
lungen und verhaftete den Sekretär und die übrigen engeren Mitarbeiter
Henleins. Gegen die Nationalsozialisten wurde der Kampf gleichfalls noch
verschärft und sämtliche als solche bekannten Nationalsozialisten in Dux
und Bodenbach unter Polizeiaufsicht mit dreimal täglicher Meldung ge-
stellt. Es ist deshalb für die Gesandtschaft außerordentlich schwierig,
überhaupt mit maßgebenden Persönlichkeiten der Partei in Fühlung zu tre-
ten. Der provisorische Parteivorstand befindet sich zur Zeit noch auf
freiem Fuß, ist aber anscheinend der tschechischen Regierung schon be-
kannt, so daß die einzelnen Herren scharf überwacht werden. Nur mit
vielen Vorsichtsmaßnahmen gelang es, mit einem maßgebenden Mitgliede
des provisorischen Parteivorstandes, der s. Z. auch mit dem Herrn Reichs-
kanzler die sudetendeutsche Hilfsaktion besprochen hatte, in Fühlung zu
kommen und mit ihm die einschlägigen Fragen zu besprechen.

*(i) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 13. [1.]"


(2) Siehe Dokument Nr. 137.

339
Nr. 180 12. JANUAR 1934

Es ergab sich dabei zunächst, daß die Partei dringend bittet, keine neu-
trale Mittelsperson in diese Hilfsaktion einzuschalten, da an sich schon
jeder, der mit dieser Aktion befaßt würde, sofortiger Verhaftung ausge-
setzt sei. Die Partei begrüße selbstverständlich aufs dankbarste die von
dem Herrn Reichskanzler gewünschte Aktion und erblicke in ihr eine
moralische Unterstützung, die für die ganze Partei von größter Bedeutung
sei.
Im einzelnen wurde folgendes vereinbart:
Zunächst erhielt der betr. Herr 8036 Kc als persönliche Spende des Herrn
Reichskanzlers für die Gattin des verstorbenen Abgeordneten Knirsch
sowie 30 000 Kc als Januarrate für die Unterstützung notleidender Mit-
glieder und Familien der Partei. Des weiteren wurde ihm mitgeteilt, daß
die vorgeschlagenen Subventionsbeträge in Höhe von 50 000 Kc für Frau
Knirsch, die für die nächsten Monate laufende Unterstützung von je
30 000 Kc sowie die Verteidigungskosten für die politischen Prozesse in
der vorgeschlagenen Höhe von 180 000 Kc bewilligt würden. Ebenfalls
wird auch die verfallene Kaution für Herrn Krebs, die z. T. aus der Ge-
werkschaftskasse, z. T. aus den Sparbüchern von Arbeitern und anderer
Mitglieder der Partei erhoben worden ist, in Höhe von 200 000 Kc vom
Reiche zurückvergütet. Dagegen wird der Betrag von 500 000 Kc, der an-
geblich aus der Gewerkschaftskasse in Aussig entnommen worden ist,3)
noch näher zu überprüfen sein. Der betr. Herr versprach, bei einem von
ihm geplanten Besuch in der nächsten Woche in Berlin die dafür notwendi-
gen Unterlagen mitzubringen und darüber auch dem Herrn Reichskanzler
erneut zu berichten.
Wegen der Auszahlung der noch nicht übergebenen Summen wurden
die näheren Einzelheiten verabredet. Bis auf die noch offenstehende
Summe von 500 000 Kc, mit der die Gesandtschaft besser nicht befaßt
wird, sollen die Gelder mit Kurier, möglichst in Noten von 5000 Kc in bar
an die Gesandtschaft gesandt und von ihr je nach Möglichkeit in größeren
oder kleineren Summen den in Frage kommenden Stellen zugeführt wer-
den. Die für die Verteidigung ausgeworfene Summe soll einem Mitgliede
des provisorischen nationalsozialistischen Parteivorstandes, der als Son-
derreferent die Rechtsangelegenheiten bearbeitet, übergeben werden. Für
den Fall, daß die in Frage kommenden Persönlichkeiten inzwischen ver-
haftet werden, sind der Gesandtschaft Ersatzpersonen genannt worden.
Im übrigen verweise ich wegen der Hilfsaktion auf den hier abschrift-
lich beigefügten Passus aus einem Schreiben des Führers der Sudeten-
deutschen, Knirsch, an den Abgeordneten Krebs,4) das er wenige Tage vor
seinem Tode als eine Art politisches Testament verfaßt hat.
2.) Verfügung des Stellvertreters des Führers, Reichsministers Heß, be-
treffend die Sudetendeutschen.
Von dieser hier beigefügten Verfügung, die mit Herrn Reichsminister
Heß in München am 4. noch mündlich vom Referenten besprochen wurde,
ist dem geschäftsführenden Vorsitzenden der Nationalsozialistischen Partei

(S) Siehe Dokument Nr. 132.


(4) Nicht gedruckt. Fundort: 9556/E 672 760

340
Nr. 180 12. JANUAR 1934

unter der Hand Kenntnis gegeben worden. Er begrüßte die Verfügung auf
das lebhafteste und dankbarste und versprach sich von ihr eine wesentliche
Erleichterung für die Partei. Mit Exz. Koch ist vereinbart worden, daß er
die Verfügung nach Erscheinen inoffiziell Herrn Benes mitteilt und daran
die Erwartung knüpft, daß von tschechischer Seite nunmehr auch ein Ent-
gegenkommen hinsichtlich der Emigranten und der Frage der Rechtspre-
chung tschechischer Gerichte gegen die Nationalsozialisten erwartet wer-
den müsse.
3.) Emigrantenfrage.
a) Wenn auch das Prager Straßenbild nach meinen Beobachtungen von
den Emigranten und ihrer politischen Propaganda, insbesondere bei den
Zeitungsständen und Buchhandlungen, in größerem Umfange beherrscht
wird, so ist doch nach Ansicht der Gesandtschaft ein entschiedenes Ab-
ebben der Wirkung auf das Ausland festzustellen. Es geht den Greuel-
propagandisten allmählich das Gift aus, und es mehren sich die Stimmen,
die eine Anerkennung der vom Nationalsozialismus in Deutschland ge-
leisteten positiven Aufbauarbeit bringen. Die Vermeidung der von den
Emigranten häufig in der tschechoslowakischen Presse geforderten schrift-
lichen Auseinandersetzung der Gesandtschaft mit ihnen über die Greuel-
meldungen hat sich durchaus als richtig erwiesen. Im übrigen hatten die
wiederholten Interventionen und Beschwerden der Gesandtschaft bei der
tschechischen Regierung über die Tätigkeit der Emigranten bisher trotz
aller Zusicherungen nicht zu einem durchschlagenden Erfolg führen können,
weil die Emigranten der lebhaftesten Unterstützung durch die der Regie-
rung angehörende deutsche und tschechische Sozialdemokratische Partei
sicher waren.
b) Der wirtschaftliche Boykott gegen deutsche Waren dauert dagegen in
unverminderter Stärke an und wird ganz zweifellos durch die Tendenz der
Regierung gestützt, die Ein- und Ausfuhr aus und nach Deutschland zu
nivellieren.
4.) Deutsch-tschechische Wirtschaftspolitik.
Die zweifellos von der tschechischen Regierung bewußt und absichtlich
betriebenen Maßnahmen zum Abbau des großen deutschen Handelsakti-
vums mit der Tschechoslowakei haben in den letzten 2 Jahren zu einem
vollen Erfolge geführt. Während im Jahre 1931 noch der deutsche Handel
mit der Tschechoslowakei mit 1 1U Milliarde Tschechenkronen aktiv war,
ist er bereits in den letzten Monaten passiv geworden. Nach Ansicht der
Gesandtschaft und der hier beigefügten Aufzeichnung des Handels-
attaches 5) dürften nunmehr ernste Vorstellungen bei der tschechischen
Regierung erforderlich sein.
Abteilung W. erhält Kenntnis zwecks weiterer Veranlassung.
5.) Angebliche Putschpläne im sudetendeutschen Raum.
Ein Mitglied des interimistischen Vorstandes der Nationalsozialistischen
Partei ließ mir in Prag mitteilen, daß in den Parteizellen im nordböhmi-

(5) Fundort: 9556/E 672 763-66.

341
Nr. 180 12. JANUAR 1934

sehen Gebiet neuerdings für eine Putschaktion geworben werde. Viele


junge Hitzköpfe erklärten sich mit Freuden bereit, sich an einem solchen
Unternehmen zu beteiligen. Es sei bereits eine ganze Organisation ent-
standen. Es heiße allgemein, der Gedanke für die Aktion nehme im Reichs-
wehrgruppenkommando 4 in Dresden seinen Ursprung. Dort rechne man
mit einem Putsch tschechischer Faszisten nach Art des Brünner Kasernen-
sturms 6) für Ende Februar, Anfang März. Die Verwirrung, die das Unter-
nehmen stiften würde, solle gleichzeitig zu einem deutschen Putsch im
sudetendeutschen Gebiet ausgenutzt werden.
Der Vertrauensmann bat, daß unsererseits baldmöglichst die nötigen
Schritte eingeleitet würden, um die Sache beim Reichswehrgruppenkom-
mando, falls sie von dort wirklich ihren Ausgang nimmt, abzublasen. Der
Vertrauensmann erklärte die ganze Bewegung für eine völlig aussichtslose
Sache und die Anhänger des Gedankens für „verantwortungslose Wirr-
köpfe".
Der deutsche Militärattache in Prag 7 ), mit dem ich die Angelegenheit
besprochen habe, wird in den nächsten Tagen in Dresden persönlich diesen
Gerüchten nachgehen. Es dürfte aber trotzdem wünschenswert sein, wenn
auch von hier aus das Reichswehrministerium durch den Herrn Minister
über die Angelegenheit informiert wird. Eine entsprechende Notiz des
Herrn Reichsministers für den Reichswehrminister 8) wird beigefügt.8)
Abteilung I und VI erhalten von den Punkten 1 und 2, Referat D von
Punkt 3, Abt. W. von Punkt 3 und 4 Kenntnis.
Desgleichen werde ich auf Weisung des Herrn Staatssekretärs Reichs-
minister Heß über meine Prager Reise, insbesondere zu Punkt 1-3, münd-
lich informieren.
HÜFFER

[Anlage)
BERLIN, den Januar 1934
Unter Bezugnahme auf meine Verfügung vom [Datum der Verfügung
wegen der Kontrollstellen] 10) verfüge ich hiermit nachstehendes:
1.) Ich verbiete grundsätzlich Verhandlungen oder Besprechungen von
Parteistellen oder Parteimitgliedern mit sudetendeutschen Persönlichkei-

ts) Am 23. Januar 1933 hatte eine Gruppe mutmaßlicher Parteigänger der tschechischen
Faschistenbewegung des Generals Gajda versucht, die Kaserne eines tschechoslowa-
kischen Infanterieregiments in Brunn zu besetzen.
(7) Falkenhorst.
*(8) Blomberg.
(») Fundort: 9556/E 672 762.
(10) Der eingeklammerte Satzteil wurde einer anderen Ausfertigung des vorliegenden
Dokuments (9556/E 672 772) entnommen. Der Hinweis bezieht sich auf eine Verfügung
Heß' vom 7. Dezember 1933 (9151/E 643 937), in der es hieß, es habe wegen der großen
Zuwanderung deutscher Volksgenossen aus der Tschechoslowakei „sich die Errichtung
von Kontrollstellen als unbedingt notwendig erwiesen, um Staat wie Partei vor un-
liebsamen Überraschungen zu schützen". Nach der Verfügung hatten sich alle aus der
Tschechoslowakei nach Deutschland geflüchteten Parteigenossen bei Kontrollstellen in
Dresden oder Passau zur Entgegennahme von Ausweispapieren zu melden, die zur
Beantragung von Beihilfen durch Staat oder Partei berechtigten.

342
Nr. 181 13. JANUAR 1934

ten ohne vorhergehende Fühlungnahme mit den Kontrollstellen in Dresden


und Passau.
2.) Ich verbiete jede Grenzlandkundgebung, Versammlung oder Demon-
stration, betreffend sudetendeutsche Fragen, durch Verbände oder Orga-
nisationen ohne ausdrückliche Genehmigung der zuständigen Instanzen.
3.) Ich verbiete die Versendung von nationalsozialistischem Propaganda-,
Presse- und Werbematerial usw. nach der Tschechoslowakei.
4.) Ich verbiete jede politische Betätigung von Mitgliedern und Orga-
nisationen der Partei über die tschechische Grenze.
5.) Ich weise nochmals auf die Verbote einer Aufnahme der Sudeten-
deutschen in SA, SS, St[ahlhelm] und HJ sowie Arbeitsdienstlager nach-
drücklichst hin.
gez. HESS

181
6609/E 497 404-05
Der Botschalter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt
Telegramm
Geheim den 13. Januar 1934 23 Uhr
MOSKAU,
Nr. 7 vom 13. 1. Ankunft: 14. Januar 4 Uhr 30
IV Ru. 198
Bei gesellschaftlichem Zusammentreffen hatte Twardowski zweistündi-
ges sehr freundschaftliches und offenes Gespräch mit Generalstabschef der
Roten Armee Jegorow. Jegorow betonte stark freundschaftliche Gefühle
der Roten Armee zu Reichswehr und Wunsch, altes Verhältnis wieder-
herzustellen. Leider werde durch die deutsche Politik Verwirklichung die-
ses Wunsches zur Zeit beeinträchtigt. Er äußerte, daß er von Politik nichts
verstehe, anführte dann jedoch auch seinerseits die aus Litwinows Argu-
mentation bekannten deutschen Handlungen, die Mißtrauen Sowjetunion
erweckt hätten. Twardowski widerlegte dies natürlich entsprechend.
Als Twardowski Ursachen näher beleuchtete, die tatsächlich zu Ent-
fremdung zwischen Roter Armee und Reichswehr geführt haben, erwiderte
Jegorow, daß Auflösung der Stationen l) nur die Folge veränderter poli-
tischer Lage sei und daß Kommandierung russischer Offiziere zu Kursen
im Sommer unterblieb, weil man in der Sowjetunion Eindruck gehabt habe,
daß Sowjetbürger damals in Deutschland grundlos belästigt, geprügelt, in
die Gefängnisse gesperrt etc. wurden, und fürchtete, daß dies auch Offi-
zieren widerfahren könnte, was unbedingt zu schwerem Konflikt hätte
führen müssen. Diesen aber wollte man vermeiden. Verletzende Absicht
bei Absage habe jedenfalls nicht vorgelegen, es sei ihm auch nicht be-
kannt, daß Militärattache 2 ) in ungeheuerlicher Form Absage vorgebracht
habe. Er versicherte, daß dazu kein Auftrag gegeben sei.

(l) Siehe Dokument Nr. 47 und Anm. 3 dazu


• (2) Lewitschew.

343
Nr. 182 13. JANUAR 1934

Auf die Bemerkung Twardowskis, wir hätten auch Nachricht erhalten,


daß die Rote Armee französischem Generalstab Informationen über Reichs-
wehr habe zukommen lassen, reagierte Jegorow mit überzeugender Em-
pörung: so etwas könne nicht ohne sein Wissen geschehen, und er werde
seine Hand nie für derartig unehrliche und gegen militärische Ehre gehende
Machinationen bieten.
Jegorow verweilte dann noch lange und lobt dabei Kurse, die er bei der
Reichswehr durchgemacht habe, wobei er seinen Sympathien für die
Reichswehr, die trotz der ungenügenden Ausrüstung beste Armee der Welt
sei, unverhohlenen Ausdruck gab. Er wiederholte nochmals: Ändern Sie
Ihre Politik und alles wird wieder gut werden.
Wenn auch Jegorow unpolitische Persönlichkeit ist, so sind die Äuße-
rungen Chefs Generalstabs doch charakteristisch für Stimmung in Roter
Armee, in der vorläufig noch die Sympathien für Deutschland stark vor-
herrschen, wenngleidi auch hier mit der Zeit andere Einflüsse die Ober-
hand gewinnen können.3)
NADOLNY
(») Siehe Dokument Nr. 191.

182
9564/E 673 225-26
Der Reichsminisler des Auswärtigen Freiherr von Neurath
an den ungarischen Außenminister Kdnya
Abschrift
BERLIN, den 13. Januar 1934
II Ung. 41
Sehr verehrte Exzellenz!
Bei den Besprechungen mit dem Herrn Reichskanzler im Juni 1933s)
hatte der königlich ungarische Herr Ministerpräsident 2 ) eine Vertiefung
der deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen angeregt. Seitdem haben
mehrfach vorbereitende Besprechungen darüber stattgefunden, wie dieses
Ziel erreicht werden kann.3) Nachdem inzwischen in Deutschland ferner
auf einigen Warengebieten die innerwirtschaftlichen Voraussetzungen
geschaffen worden sind, die eine Verwirklichung des von den beiden
Regierungen angestrebten Zieles ermöglichen, hat die Reichsregierung
sich, wie Herr v. Mackensen Euerer Exzellenz inzwischen mitgeteilt hat,
nunmehr bereit erklärt, offizielle Verhandlungen mit der königlich unga-
rischen Regierung aufzunehmen.4)

(1) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokumente Nr. 324 und 329.


*(2) Gömbös.
(3) Die letzte dieser Besprechungen hatte am 11. Dezember 1933 streng vertraulich zwi-
schen Ritter und Winehkler stattgefunden (9580/E 674 988-92).
(<) Ritter hatte in Telegramm Nr. 1 vom 4. Januar (9580/E 675 011-12) Mackensen ange-
wiesen, er solle Känya mitteilen, daß die Reichsregierung vorschlage, am 16. Januar
in Budapest offiziell in Wirtschaftsverhandlungen einzutreten.

344
Nr. 183 15. JANUAR 1934

Die Reichsregierung wird sich bei den Verhandlungen von dem Ziele
leiten lassen, Ungarn eine den besonderen ungarischen Bedürfnissen
Rechnung tragende Stellung auf dem deutschen Markte einzuräumen. Sie
rechnet darauf, daß dann auch auf ungarischer Seite die Hindernisse aus
dem Wege geräumt werden, die zur Zeit der deutschen Einfuhr nach
Ungarn entgegenstehen. Ich hoffe, daß es auf diese Weise möglich sein
wird, nicht nur den in der letzten Zeit leider eingetretenen Rückgang im
beiderseitigen Warenverkehr aufzuhalten, sondern unter Anlehnung an
die Produktionsverhältnisse der beiden Länder eine wesentliche Belebung
des gegenseitigen Absatzes herbeizuführen.
Die Reichsregierung hat durch die Wahl des Ministerialdirigenten Herrn
Geheimrat Waldeck zum Führer der deutschen Delegation bekunden wollen,
daß sie die Verhandlungen mit dem festen Willen zu einem baldigen
positiven Abschluß zu führen beabsichtigt.
Ich wäre Euerer Exzellenz dankbar, wenn Sie Herrn Geheimrat Waldeck,
der Ihnen dieses Schreiben persönlich überbringt, und die deutsche Dele-
gation freundlich aufnehmen und auch Ihrerseits den Verhandlungen Ihre
besondere Aufmerksamkeit widmen würden.
Ich benutze auch diesen Anlaß, um Ihnen, sehr verehrte Exzellenz, den
Ausdruck meiner ausgezeichnetsten Hochachtung zu erneuern.
gez. FRHR. v. NEURATH

183
6692/H 098 739-49
Der Botschalter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt
Sofort TOKIO, den 15. Januar 1934
Geheim Ankunft: 7. Februar
Nr. 179 IV Ja. 152
Mit Beziehung auf den anderweitigen Bericht vom 8. Januar d. Js.1)
POLITISCHER BERICHT

Inhalt: Die Ausrufung Mandschukuos zum Kaiserreich. Die Frage der An-
erkennung Mandschukuos durch die Mächte. Rückwirkungen auf
die deutsch-japanischen Beziehungen.
I. Die Errichtung des Kaiserreichs Mandschukuo.
II. Die Anerkennung der Mandschurei.
III. Deutschlands Haltung gegenüber der Mandschurei.
IV. Schlußbemerkung.
I. Die Errichtung des Kaiserreichs Mandschukuo.
Der dünne Schleier, der bis vor kurzem über den Absichten der japa-
nischen Regierung hinsichtlich Mandschukuos lag, ist jetzt hinweggezogen

(i) Telegramm Dirksens Nr. 3 vom 8. Januar 1934 (8933/E 626 740)

345
Nr. 183 15. JANUAR 1934

worden. Die Presse schreibt ganz offen über die am 1. März bevorstehende
Ausrufung des Regenten Pu Yi zum Kaiser von Mandschukuo. Darüber
hinaus hat das Außenministerium eine offizielle Verlautbarung über diese
Frage für die Presse bekanntgegeben. Das Außenministerium führt vier
Gründe an, die für die Unterstützung der Pläne Mandschukuos durch die
japanische Regierung maßgebend sind: 1.) die Bewegung in der Mand-
schurei zugunsten der Ausrufung Mandschukuos zum Kaiserreich ent-
spräche dem göttlichen Willen; 2.) diese Bewegung liefere einen neuen
Beweis für die Unabhängigkeit Mandschukuos; 3.) die Errichtung des
Kaiserreichs würde ein Beweis dafür sein, daß Mandschukuo endgültig ein
Mitglied der Gemeinschaft der Nationen geworden ist, und sie würde be-
weisen, daß Japan nicht, wie es mit Korea geschehen sei, Mandschukuo
jemals annektieren würde; 4.) mit der endgültigen Feststellung der Souve-
ränität Mandschukuos und der erblichen Kontinuität der Herrscher von
Mandschukuo würde das Bestehen von Mandschukuo erneut international
anerkannt sein.
Diese Verlautbarung kennzeichnet die leitenden Beweggründe Japans
gegenüber Mandschukuo mit einer Deutlichkeit, die einen Kommentar
beinahe überflüssig macht. Die wesentlichsten Gesichtspunkte sind:
1.) Die Feststellung der Tatsache, daß Japan die Mandschurei nicht
annektieren will. Diese Tatsache bedeutet einen Sieg der gemäßigten
Partei in Japan, insbesondere also Hirotas, gegenüber den radikalen
Annexionisten, also insbesondere gewissen Kreisen der Armee. Die mir
mitgeteilte Version, daß die Armee denn auch die Schaffung eines Kaiser-
reichs keineswegs mit besonderer Begeisterung begrüßt, verdient daher
Glauben.
2.) Das Bestreben der japanischen Regierung, dem neuen Staat durch
Ausrufung der Monarchie zwischenstaatliche Geltung zu verschaffen, ins-
besondere also seine Anerkennung durch die Mächte durchzusetzen. Dieses
Bestreben muß ganz besonders bei den gemäßigten Kreisen, insbesondere
bei Hirota, vorwalten, da die Anerkennung durch die Mächte den nationa-
listischen und annexionistischen Elementen gegenüber den Beweis für die
Richtigkeit der eingeschlagenen Politik liefern würde.
3.) Als ein nicht in der Öffentlichkeit bekanntgegebener Beweggrund
kommen außenpolitische Erwägungen gegenüber China und der Sowjet-
Union hinzu. Man hofft, daß ein Kaiserreich Mandschurei eine verstärkte
Anziehungskraft gegenüber Nord-China und der Mongolei ausüben und
damit die entfernteren Ziele japanischer Politik der Verwirklichung näher
bringen wird. Die japanischen Erwägungen hinsichtlich des Verhältnisses
zur Sowjet-Union sind in dem Bericht vom 9. Januar d. J. - J. Nr. 53 - 2 ) kurz

*(*) Randbemerkung: „Das heißt doch gerade gegen unsere Unterstützung dieser Politik.
A[ltenburg]."
Dirksen hatte in seinem Bericht Nr. 53 vom 9. Januar (M 144/M 005 068-72) eine Über-
setzung der Neujahrsrede übermittelt, die Hirota vor der Presse abgegeben hatte, und
diese Rede kommentiert. Hinsichtlich der Sowjetunion habe Hirota ausgeführt:
„In seinen Beziehungen zur Sowjetunion wird Japan sieh bemühen, die Hemmnisse,
die einem Abkommen über die nordmandschurische Eisenbahn entgegenstehen, zu be-
seitigen, und seine guten Dienste zur Verfügung stellen. Japan wird sich bemühen, eine

346
Nr. 183 15. JANUAR 1934

dargestellt worden: Die Errichtung des Kaiserreichs würde der smoke


screen, die Nebelwand, sein, hinter der die von Hirota angestrebte Be-
reinigung des Verhältnisses zur Sowjet-Union leichter ins Werk gesetzt
werden könnte.
II. Die Anerkennung der Mandschurei.
Es bedarf keiner großen Prophetengabe, um vorherzusagen, daß die An-
erkennung der Mandschurei durch die Mächte von Hirota mit großem
Nachdruck in Angriff genommen werden wird. Das geht aus der ganzen

[Fortsetzung von Anm. 2)


Dreierkommission - Japan, Mandschukuo und Sowjetunion - zur Bereinigung der
Grenzfragen zu schaffen, und vorschlagen, daß die russische Truppenkonzentration an
der Grenze beseitigt wird und die Fischerei-, Öl-, Kohlen- und Forstrechte Japans auf
russischem Gebiet neu bestätigt werden.
Wenn die Sowjetunion auf Japans Vorschläge nicht eingeht und wenn sie fortfährt, an
der mandschurischen Grenze Truppen zu konzentrieren, und schließlich zum Angriff
schreitet, so wird Japan ohne Zögern alle erforderlichen Schritte zu seiner Selbstver-
teidigung ergreifen. Auf jeden Fall aber wird Japan nichts tun, was die Sowjetunion
zum Kampf herausfordern könnte."
Dirksen lieferte zu diesem Teil der Rede Hirotas sowie einem anderen über China
folgenden Kommentar:
„Von großem Interesse ist die Behandlung der Sowjetunion. Die Veröffentlichung der
japanischen Dokumente durch Tass, die unfreundlichen Reden der Sowjetpolitiker aus
der letzten Zeit und die Verhaftungen in der Bahnzone werden übergangen, die guten
Dienste Japans in der Bahnfrage erneut angeboten, die Verminderung des Sowjet-
grenzschutzes wiederum angedeutet und von einer erneuten .Bestätigung', nicht etwa
einer .Erweiterung' der japanischen Rechte auf Sowjetgebiet und in Sowjetgewässern
gesprochen. Der Außenminister wünscht offenbar eine Bereinigung der japanisch-
russischen Beziehungen, nicht zuletzt wohl deshalb, weil ihr gegenwärtiger Stand allzu
leicht dem kriegsfreudigen Teil der Generalität Vorschub leisten könnte.
In diesem Zusammenhang ist von Interesse, daß eine Meldung der Asahi aus Hsinking
vom 6. d. M. eine Umstellung der Politik Mandschukuos gegenüber der Sowjetunion
anläßlich der geplanten Ausrufung der Monarchie Pu Yis voraussieht. Die Meldung
deutet an, daß Mandschukuo als Gegenleistung für eine Zurückziehung der Grenz-
verstärkungen der Sowjetunion den Abschluß eines mandschurisch-russischen Nicht-
angriffspaktes vorschlagen wird. Japanische Blätter hatten schon einige Tage zuvor
angedeutet, daß .grundlegende Sehritte zur Besserung des japanisch-russischen Ver-
hältnisses' bevorstünden. Ein solcher Vorschlag von japanisch-mandschurischer Seite
würde einen Sieg der Sowjetdiplomatie darstellen, die bisher einen Nichtangriffspakt
von Japan nur nach Lösung aller schwebenden Streitfragen hätte erreichen können.
Er würde beweisen, daß die japanische Politik der Sowjetunion gegenüber unter dem
Druck der russischen Truppenkonzentration nachgegeben hat.
Die sehr negative Haltung China gegenüber steht im Zusammenhang mit dem .großen
Unternehmen, das Mandschukuo für den 1. März plant'. In Mandschukuo wird am
1. März die Verfassung ausgerufen werden, und diese Verfassung wird eine monarchi-
sche sein. Die Mandschudynastie wird nominell wieder über einen Teil Chinas
herrschen und von dort aus voraussichtlich starke Anziehungskraft auf andere Teile
des Reichs der Mitte, namentlich die Mongolei und Nordchina, ausstrahlen. Auf japa-
nischer Seite rechnet man mit einem Zusammenbruch der Nanking-Regierung, haupt-
sächlich aus Gründen der Finanzpolitik, und mit einer Loslösung Nordchinas unter
Huang Fu. Dieser würde eine Anlehnung an die Mandschumonarchie brauchen, und
Japan könnte seine Chinapolitik ohne Sehwertstreich zur Durchführung bringen.
Auf der anderen Seite würde die Wiederherstellung der Mandschudynastie unter
japanischer Schutzherrschaft den .Gesichtsverlust', den der Rückzug vor der Sowjet-
union in sich schließt, aufheben. Und schließlich redinet man damit, daß die Ausrufung
der Monarchie in Mandschukuo eine neue internationale Lage schaffen würde, die die
Frage der formellen Anerkennung Mandschukuos wieder akut werden läßt."

347
Nr. 183 15. JANUAR 1934

taktischen Stellung hervor, in der Hirota sich befindet: Ins Amt berufen,
weil er bei der Militärpartei Vertrauen genoß, ist er bestrebt, eine fried-
liche Politik durchzuführen, die für Japan gefährlichen internationalen
Reibungsflächen zu beseitigen und den Einfluß der Kriegstreiber zurück-
zudrängen. Die positiven Ergebnisse, die er bisher aufzuweisen hatte,
sind gering. Es heißt, daß sein Einfluß bei den Militärs bereits nachgelassen
hätte. Die jetzt bevorstehende Aktion in der Mandschurei ist die Ausfüh-
rung seines ersten großen politischen Planes; von hier aus möchte er die
Beziehungen zu China und Rußland regeln. Es muß daher Hirotas Be-
streben sein, die Richtigkeit seiner Aktion gegenüber seinen Kritikern in
Japan selbst zu reditfertigen, indem er die Anerkennung der Mandschurei
herbeiführt.
Wenn es noch eines Beweises für die Richtigkeit dieser Schlußfolgerun-
gen bedürfte, so ist er durch Hirotas eigene Worte gegeben: Die Entwick-
lung der Mandschurei sei die widitigste politische Aufgabe Japans, oder,
wie er es in einem Aufsatz, über den ich gesondert berichte,3) formuliert
hat: Japan wird seine Beziehungen zu den Großmächten, an denen es am
meisten interessiert ist (USA, China, Sowjet-Union, England) gleich-
schalten mit seiner Mandschurei-Politik. Die Haltung gegenüber der Mand-
schurei wird also gewissermaßen das Thermometer sein, an dem Japan
die Temperatur seiner Beziehungen zu dritten Mächten abliest. Im Hin-
blick auf die Langfristigkeit der Aufgabe Japans werden die Beziehungen
Japans zu dritten Mächten durch deren Einstellung gegenüber der Mand-
schurei in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht dauernd beeinflußt
werden.
III. Deutschlands Haltung gegenüber der Mandschurei.
Daß diese allgemeinen Ausführungen auch auf das Verhältnis Deutsch-
lands zu Japan angewendet werden müssen, daß Deutschlands Haltung
gegenüber der Mandschurei die deutsch-japanischen Beziehungen dauernd
maßgebend beeinflussen muß, das hat schon die Entwicklung in den
wenigen Wochen seit meiner Amtsübernahme bewiesen. Die bei der
ersten Unterhaltung 4 ) angedeutete und bei der zweiten 6 ) mit voller Unter-
streichung der politisdien Tragweite ausgesprochene Einladung Hirotas
an mich zu einer Mandschurei-Reise ist der deutliche Hinweis darauf, daß
Japan die Gestaltung seines Verhältnisses auch zu Deutschland von dessen
positiver Einstellung zur Mandschurei abhängig machen will.
Ein Entschluß über die gegenüber Mandschukuo zu befolgende Politik
ist für Deutschland noch viel brennender als für die anderen Großmächte.
Die Anerkennung der Mandschurei ist für Deutschland der einzige Trumpf,
den es gegenüber Japan zur Erzielung politischer oder wirtschaftlicher
Vorteile ausspielen kann.9) Die anderen beteiligten Mächte - USA, Ruß-
land, China, England, selbst Frankreich - haben infolge ihrer größeren,

(») Nicht ermittelt.


(4) Siehe Dokument Nr. 138.
(5) Siehe Dokument Nr. 154.
(«) Randbemerkungen: „Was ist die Gegenleistung?? B(ülow]." „Ich habe D[irksen) gesagt,
er solle fragen, was man uns für die Anerkennung bezahle. N(eurath]."

348
Nr. 183 15. JANUAR 1934

durch geopolitisdie oder machtpolitische Gründe bedingten Schwerkraft,


auch abgesehen von der Mandschurei-Politik, noch andere dauernde Mög-
lichkeiten, Japan durch politische Gaben für ihre Zwecke nutzbar zu
machen. Deutschland hat nur die Anerkennung der Mandschurei.
Daraus folgt, daß Deutschland für die Anerkennung der Mandschurei von
Japan nur dann Gegenleistungen erhält, wenn diese Karte rechtzeitig
ausgespielt wird - also bevor die anderen Mächte die Mandschurei aner-
kannt haben. Nur dann hat die deutsche Anerkennung für Japan Wert,
wenn sie als erste erfolgt. Es wird vielleicht durch Deutschlands gebotene
Rücksichtnahme auf dritte Mächte erwünscht sein, die Anerkennung der
Mandschurei nicht unnötig früh auszusprechen, wohl aber, wie es mir
gegenüber im Auswärtigen Amt formuliert worden ist, „möglichst eine
halbe Stunde vor den anderen".
Dieser Augenblick ist jetzt gekommen. Es mag dahingestellt sein, wann
der genaue Augenblick der Anerkennung zu fixieren ist, ob vor der Grün-
dung des Kaiserreichs in Mandschukuo, ob kurz nachher. Wichtig ist, daß
der prinzipielle Entschluß zur Anerkennung von Deutschland jetzt gefaßt
werden muß. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß die anderen Mächte,
vor die Tatsache der Gründung des Kaiserreichs gestellt und dem japa-
nischen Druck ausgesetzt, über kurz oder lang zur Anerkennung schreiten
werden. Es ist mir bekannt geworden, daß der hiesige französische Bot-
schafter7) sehr reges Interresse an dieser Frage nimmt; die englische
Regierung hat die Mandschurei - wie ich bereits anderweit berichtet habe 8)
- aus dem Chinadienst herausgenommen und der hiesigen Botschaft unter-
stellt. Der hiesige belgische Botschafter9) hat sich vor einigen Tagen, wie
er einem Botschaftsmitglied mitteilte, in einem Bericht sehr nachdrücklich
bei seiner Regierung für die Anerkennung eingesetzt.
Wenn ich mir die schädlichen Rückwirkungen vergegenwärtige, die
durch die Anerkennung der Mandschurei gegen Gewährung wirtschaftlicher
Vorteile für Deutschland in seinem Verhältnis zu dritten Staaten er-
wachsen können, so gelange ich zu folgendem Ergebnis: Von Frankreich,
England oder den Vereinigten Staaten werden keine begründeten Ein-
wendungen erhoben werden können. Der Behauptung, wir seien noch an
die Völkerbundsratsbeschlüsse des letzten Jahres gebunden, weil der
Austritt Deutschlands erst in zwei Jahren wirksam werde, könnte man -
wenn man sie nicht überhaupt als allzu formalistisch zurückweisen will -
durch entsprechende Formulierung der Anerkennung begegnen. Wenn
einzelne Staaten, wie Frankreich, diesen Anlaß benutzen werden, um eine
spätere deutsch-japanische Kriegsgefahr an die Wand zu malen, so wird
zu berücksichtigen sein, daß in diesem Fall die Böswilligkeit als eine vor-
handene Größe angesehen werden und in Kauf genommen werden muß.
Solche Böswilligkeit kann am wenigsten durch Verzicht auf die Aus-
nutzung der wenigen außenpolitischen und wirtschaftspolitischen Möglich-
keiten aus dem Weg geräumt werden, die wir gegenwärtig besitzen. Im

*(7) Wilden.
(8) Siehe Dokument Nr. 154.
*(») Guillaume.

349
Nr. 183 15. JANUAR 1934

Gegenteil. Außerdem würden wir uns der Einrede bedienen können, daß
die Anerkennung der Mandschurei hauptsächlich aus Gesichtspunkten der
Wirtschaftspolitik und Ausfuhrförderung erfolgt sei.
Der Sowjet-Union gegenüber jetzt besonders zartfühlend zu sein - in
einem Augenblick, wo laut heutigen Pressenachrichten die Sowjetpresse
den politischen, gegen Deutschland gerichteten Charakter der an Rußland
gegebenen französischen Kredite betont und die Äußerung Litwinows er-
wähnt, die deutsch-sowjetischen Beziehungen hätten sich bis zur Unkennt-
lichkeit verändert -, haben wir keinen Grund. Wir wollen weiterhin gute
und normale Beziehungen zur Sowjet-Union unterhalten. Daß sie immer
mehr in das Lager unserer politischen Gegner abmarschiert, ist nicht
unsere Schuld. Ihr nachzulaufen oder durch Wohlverhalten ihre Gunst
wiederzugewinnen trachten, wäre verkehrt. Auf die Moskauer Mentalität
wirkt am stärksten die Sprache der harten Wirklichkeit. Sieht die Sowjet-
Union, daß Deutsdiland auch noch andere wirtschaftliche und vielleicht
auch politische Möglichkeiten offenstehen, die ihr unbequem sind, so
wird sie am ehesten einlenken.
Bleibt China und die Angst vor dem Boykott. Ich glaube nicht, daß die
Rücksichten auf die politische Bedeutung Chinas für uns noch als Gegen-
argument gegen die Anerkennung der Mandschurei eine Rolle spielen.
Jetzt, wo die Macht der Tatsachen den wertvollsten und gesündesten Teil
Chinas - die Mandschurei - für lange Dauer aus dem staatlichen Verband
Chinas herausgelöst hat, wo Nord-China sich ausgesprochen an Japan
anzulehnen beginnt, wo Chiang Kai-shek innerlich Japan zuneigt und der
Süden Chinas eine Beute von ehrgeizigen und selbstsüchtigen Politikern
und Generälen und der Kommunisten geworden ist, fallen solche Bedenken
fort. Daß nicht einmal dieses Rumpf-China es für nötig hält, Brüskierungen
Deutschlands zu vermeiden, wie es das Engagement höchst zweifelhafter
politischer SPD-Emigranten darstellt, sollte uns zu denken geben.
Ob eine Anerkennung der Mandschurei durch Deutschland überhaupt
eine Boykottbewegung auslösen würde, ist sehr zweifelhaft. Daß eine
solche Boykott-Parole sich allgemein Geltung verschaffen oder dauernd
halten werde, ist noch zweifelhafter. Der gegen Japan verhängte soge-
nannte Boykott besteht in Nord-China nicht mehr, in Süd-China nur in
abgeschwächtem Umfang. Er wird zudem erfolgreich umgangen.
Wenn man wirklich eine Frage von der Bedeutung der ferneren Gestal-
tung der deutsch-japanischen Beziehungen von rein merkantilen Erwä-
gungen abhängig machen will, so wird man bei einer Prüfung der wirt-
schaftlichen Interessen schon zu dem Ergebnis kommen, daß auch jetzt
schon die Wirtschaftsbeziehungen zu Japan für uns wertvoller sind als die
zu China. In den ersten 9 Monaten des Jahres 1933 hat der Wirtschafts-
verkehr mit Japan für Deutschland einen Aktiv-Saldo von 45 Millionen
Mark, der mit China einen Passiv-Saldo von 64 Millionen Mark ergeben;
also fast 10% der Gesamtaktivität unserer Handelsbilanz von 476 Millio-
nen Mark stammt aus dem Japan-Geschäft.10) Ich bin mir bewußt, daß die
Frage viel komplizierter liegt, als es in diesen Ziffern zum Ausdruck

(10) Randbemerkung: „Aber Konkurrenz auf fast allen Märkten! A(ltenburg]."

350
Nr. 183 15. JANUAR 1934

kommt; daß insbesondere die Passivität unseres Handels mit China gerade
auf unsere Passivität bezüglich der hier noch zu China gerechneten Mand-
schurei zurückzuführen ist. Aber die von mir vertretene stärkere wirt-
schaftliche Interessenahme Deutschlands an der Mandschurei durch Ver-
gebung von Aufträgen nach Deutschland als Gegenleistung für die Aner-
kennung der Mandschurei hat ja auch gerade die Beseitigung dieses
Passivsaldos zum Ziel. Indem ich mir eingehendere Ausführungen über
diesen Fragenkomplex vorbehalte, kommt es mir hier nur auf die Hervor-
hebung der Tatsache an, daß auch im Fall eines chinesischen Boykotts, rein
merkantil gesehen, die Beziehungen zu Japan und Mandschurei für uns
die wertvolleren sind.11)
Wenn demnach dauernde schädliche Rückwirkungen auf Deutschlands
gesamtpolitische Lage von einer Anerkennung der Mandschurei gegen wirt-
schaftliche Gegenleistungen nicht zu befürchten sind,12) so sind auf der
anderen Seite große ausgestaltungsfähige und weitreichende Vorteile zu
ersehen. Das nahe, sozusagen taktische Ziel der Anbahnung einer positiven
Politik gegenüber Japan und der in unserer wirtschaftlichen Lage doppelt
erwünschten Steigerung unserer Ausfuhrmöglichkeiten ist vielleicht noch
nicht einmal ausschlaggebend. Von mindestens gleicher Bedeutung sind die
strategischen Möglichkeiten, die sich uns eröffnen. Nach unserer welt-
politischen Lage müssen wir mit solchen Staaten zusammengehen, die -
wie wir - mit dem System der gegenwärtigen Machtverteilung unzufrieden
sind. Dieser Gedanke lag der Rapallo-Politik und der Konzeption des
Grafen Brockdorff-Rantzau von der „deutsch-russischen Schicksalsgemein-
schaft" zugrunde. Nachdem nun die Voraussetzungen für die Rapallo-
Politik infolge der Haltung der Sowjet-Union weggefallen sind, wird
Deutschland einen ähnlichen Erfolg durch eine Annäherung an Japan er-
reichen können - ohne die politischen Belastungen der kommunistischen
Machenschaften 13) auf sich nehmen zu müssen.
Vielmehr ist das heutige Japan dem Deutschland der nationalen Revo-
lution in seiner geistigen Gesamthaltung ähnlich; es fühlt sich ferner ver-
einsamt, eingekreist, in seinem Lebensraum bedroht wie Deutschland. Der
beiderseitige Austritt aus dem Völkerbund, die beiderseitige Forderung
nach Gleichberechtigung schafft eine gemeinsame politische Linie, die
unsere Stellung auf dem Gebiet der großen internationalen Fragen wert-
voll verstärken kann. Es ist in Japan eine solche Fülle von Sympathie und
Verständnis für Deutschland und ein so intensiver Wunsch nach Annähe-
rung vorhanden, daß die Außerachtlassung dieser kaum jemals wieder-
kehrenden Konstellation nicht zu verantworten sein würde.
Alle diese Gründe haben ein um so größeres Gewicht, als eine politische
Bindung oder Kompromittierung Deutschlands nicht in Kauf genommen zu
werden braucht. Erforderlich ist nur die baldige Anerkennung der Mand-
schurei, wofür wir wesentliche wirtschaftliche Vorteile durchsetzen können,
wenn sie rechtzeitig vorgenommen wird. Die weitere Ausgestaltung des

*(H) Randbemerkung: „?"


• (12) Randbemerkung: „?"
(13) Randbemerkung: „Aber die des japanischen] Militärs und die des japanischen] Han-
delswettbewerbs gegen alle Industriestaaten. A(ltenburg)."

351
Nr. 183 15. JANUAR 1934

deutsch-japanischen Verhältnisses ist elastisch und in unseren freien


Willen gestellt. Wir können sie von der weiteren Entwicklung der poli-
tischen Gesamtlage abhängig machen.
Die einzige Vorbedingung, um uns diese Möglichkeiten zu sichern, ist,
daß wir jetzt handeln.14)
IV. Schlußbemerkung.
Ich bin mir bewußt, daß die unter III entwickelten außenpolitischen
Gesichtspunkte von der Reichsregierung geteilt werden. Sie sind mir im
wesentlichen von dem Herrn Reichskanzler für meine hiesige Tätigkeit
mitgegeben worden. Der Herr Reichskanzler hat midi auch wiederholt
ermächtigt, mich auf Verhandlungen mit der japanischen Regierung wegen
Anerkennung der Mandschurei gegen Gewährung wirtschaftlicher Vorteile
einzulassen. Diese Weisung ist auch jetzt noch in Kraft, da sie in dem
dortigen Telegramm Nr. 1 vom 1. Januar 15 ) nicht aufgehoben worden ist.
Ich habe mich aber für verpflichtet gehalten, den gesamten Fragenkom-
plex in großen Zügen hier noch einmal darzustellen, weil ich aus den
dortigen Telegrammen Nr. 1 vom 1. Januar d. Js. und Nr. 104 vom
21. Dezember v. Js.16) eine Zurückhaltung entnehme, die ich mit den all-
gemeinen politischen, mir vom Herrn Reichskanzler erteilten und dann im
Auswärtigen Amt durchgesprochenen Richtlinien nicht in Einklang zu
bringen vermag.
Für die Erreichung der mir hier gestellten Aufgabe hätte es kaum eine
glücklichere Einleitung geben können als die nachdrückliche, politisch
unterbaute Aufforderung Hirotas an mich. Als besonderer Glückszufall bei
der Haltung Hirotas, die der sonstigen Zurückhaltung der Japaner wider-
spricht, kamen noch meine persönlichen freundschaftlichen Beziehungen
zum Außenminister hinzu. Es wurde mir so die Möglichkeit gegeben, ohne
eine Bindung unsererseits in der Anerkennungsfrage, mir ein Bild von den
wirtschaftlichen Möglichkeiten der Mandschurei zu machen und danach
unsere Forderungen einzurichten. Wir hätten unser Interesse gezeigt, eine
Geste gegenüber Japan gemacht und gewissermaßen eine Vormerkung im
Grundbuch eingetragen erhalten, ohne daß wir bar zu werden brauchten.
Auch das außenpolitische Aufsehen, das die Anerkennung später vielleicht
hervorgerufen hätte, wäre vorweggenommen worden und hätte sich an der
als harmlose wirtsdiaftliche Information darzustellenden Reise verpufft.
Nunmehr - da die Ausrufung der Monarchie bevorsteht und die allge-
meinen Anerkennungstendenzen entsprechend zugenommen haben - sind
einige der sibyllinischen Bücher nutzlos verbrannt. Und wir werden für die
übrig gebliebenen denselben Preis zu zahlen haben. .
Inwiefern die in dem dortigen Erlaß erwähnten außenpolitischen Hem-
mungsmomente bestehen, vermag ich nicht zu übersehen. Aus der allge-
meinen politischen Lage vermag ich sie nicht herzuleiten.
Ich hätte es vorgezogen, diesen Bericht erst zu schreiben, nachdem der

(14) Randbemerkung Bülows: „Und unsere einzige Trumpfkarte sofort ausspielen!"


(16) Dokument Nr. 158.
(i«) Siehe Dokument Nr. 138, Anm. 1.

352
Nr. 184 16. JANUAR 1934

im dortigen Telegramm vom 1. d. Mts. angekündigte Schrifterlaß17) hier


eingegangen war. Da ich aber bis heute auf meine telegraphische Bitte,
mir das Abgangsdatum dieses Schrifterlasses drahtlich hierher mitzutei-
len,18) noch keine Antwort erhalten habe, muß ich davon ausgehen, daß
sich die Absendung des Erlasses bis jetzt verzögert hat. Bei dieser Sachlage
konnte ich es aber, angesichts der Dringlichkeit der Lage, nicht verant-
worten, noch länger zu warten. Der Erlaß könnte, selbst wenn er in diesen
Tagen abginge, frühestens Anfang Februar hier eintreffen. Mein Antwort-
bericht wäre erst Ende Februar dort eingegangen.
DIRKSEN

(17) Siehe Dokument Nr. 198.


(18) Dirksen hatte diese Bitte in seinem Telegramm Nr. 1 vom 3. Januar 1934 (6692/H 098
728) geäußert.

184
3086/D 617 114-15
Auizeichnung des Gesandtschaltsrats Hüfferl)
Sofort BERLIN, den 16. Januar 1934
II Oe. 146
AUFZEICHNUNG

Ministerialrat Diels rief mich heute nachmittag an, um mir mitzuteilen,


daß er eine Weisung der Landesleitung Österreich der NSDAP im Auftrag
des Reichskanzlers bekommen habe, derzufolge er bis zum 20. d. M. eine
Liste sämtlicher in Preußen wohnhafter österreichischer Staatsangehöriger
mit Angabe ihres Geburtsortes und -datums, ihrer Beschäftigung, ihres
deutschen Besitzes und ihrer Parteizugehörigkeit dem Kanzler einzu-
reichen habe. Bei der Kürze der Zeit und der großen Zahl von Österrei-
chern in Preußen könne er das nur durch Plakatierung bzw. öffentliche
Bekanntmachung und Aufrufe erreichen.2)
Ich habe auf diese Nachricht hin mich mit Landesinspekteur Habicht in
München in Verbindung gesetzt. Wie mir Herr Habicht mitteilte, handelt
es sich hier um die Vorbereitung einer etwaigen Repressalie wegen der
Verhaftung des nationalsozialistischen österreichischen Gauleiters Frauen-
feld, der vor kurzem erst gegen in Deutschland verhaftete Österreicher aus-
getauscht worden war, jetzt aber erneut von den österreichischen Behörden
festgenommen und anscheinend in ein Konzentrationslager gebracht wor-

*(1) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 17. [1.]"


(2) In einer Aufzeichnung vom 17. Januar (8663'E 606 483-84) vermerkte Renthe-Fink, er
habe vom Reichsministerium des Innern auf Anfrage erfahren, daß „Besprechungen des
Reichskanzlers mit der Landesleitung Österreich in der Tat stattgefunden haben, daß
aber der Reichskanzler sich wohl nicht so bestimmt ausgedrückt habe, wie nach den
Erklärungen der Landesleitung Österreich anzunehmen war".

353

11,1 Bg. 23
Nr. 184 16. JANUAR 1934

den ist.3) Landesinspekteur Habicht hat gestern mit dem Herrn Reichs-
kanzler persönlich vereinbart, daß bis zum 20. Januar im ganzen deutschen
Reich die durch Herrn Diels erwähnte Liste fertiggestellt werden solle,
um aus ihr dann eine Auswahl von etwa auszuweisenden oder zu ver-
haftenden Österreichern zu treffen. Herr Himmler, der s. Z. den Austausch
Frauenfeld/Alvensleben 4 ) durchgeführt und damals schon die österr[eichi-
sche] Regierung darauf aufmerksam gemacht hatte, daß im Falle einer
etwaigen Wiederverhaftung Frauenfelds 500 Österreicher in Deutschland
verhaftet werden würden,5) hat gestern abend nochmals mit dem öster-
reichischen] Staatssekretär für das Sicherheitswesen telefoniert und ihn
auf die Konsequenzen der erneuten Verhaftung Frauenfelds hingewiesen.
Er fand jedoch bei Herrn Karwinsky keinerlei Entgegenkommen und hat
daher für alle nichtpreußischen Länder Deutschlands den gleichen Auftrag
wie Herr Diels bekommen.
Man hofft nun in der Partei, schon durch die Androhung der Maßnahme
gegen die Österreicher Wien zur Freilassung Frauenfelds bewegen zu
können.
Ab heute abend erfolgen bis zum 20. Januar dreimal täglich im Rundfunk
sowie als Auflagenachricht in allen deutschen Zeitungen Aufforderungen
an die Österreicher im Reich, sich sofort bei den zuständigen Polizeistellen
zu melden. Auf den zu erwartenden Protestschritt des österreichischen
Gesandten 6 ) bat Herr Habicht, lediglich zu antworten, daß es sich hierbei
um eine interne fremdenpolizeiliche Maßnahme handle, die sich als not-
wendig erwiesen habe.7)
HÜFFER

(3) Siehe Dokument Nr. 179.


(4) Die Gesandtschaft in Wien hatte in Telegramm Nr. 85 vom 12. Dezember 1933 (8848/
E 615 310-11) über den Austausch der Gauleiter Frauenfeld und Leopold sowie Alvens-
lebens gegen drei österreichische Staatsangehörige berichtet.
(5) Siehe Dokument Nr. 179 und Anm. 3 dazu.
• («) Tauschitz.
(7) Bei der Vorlage befindet sich in den Akten eine „Bemerkung" Renthe-Finks (3086/D 617
116-17), in der dieser darstellte, daß der geplante Zensus der Österreicher in Deutsch-
land zunächst als eine versteckte Drohung gedacht sei, der die Erwartung zugrunde
läge, daß es nicht notwendig sein werde, wirklich zu Repressalien zu sehreiten. Renthe-
Fink führte weiter aus: „Zweifellos hängt die weitere Entwicklung von der Haltung der
österreichischen Regierung und, wenn Repressalien erfolgen sollten, von dem Umfang
derselben und ihrer Begründung ab. Immerhin muß man sich vergegenwärtigen, daß
jetzt leicht eine Bahn beschritten werden kann, die geeignet ist, uns von unserer bis-
herigen politischen Linie abzubringen, und die offizielle Politik des Reiches in den
inneren Kampf in Österreich hineinzuziehen". Unter Hinweis auf die im Auslande zu
erwartende Reaktion und die Möglichkeit, daß die österreichische Regierung ihrerseits
Repressalien gegen deutsche Staatsangehörige einleiten könnte, schloß Renthe-Fink:
„Wenn die bisherige politische Linie eingehalten werden soll, erscheint mir daher bei
den geplanten Maßnahmen große Vorsicht am Platze."
Vom 17. Januar an wurden alle österreichischen Staatsangehörigen im Deutschen Reich
öffentlich aufgefordert, sieh bei der Polizei zu melden und die in der Vorlage genannten
Auskünfte zu geben. Siehe auch Dokument Nr. 188, Anm. 3.

354
Nr. 185 16. JANUAR 1934

185
7894/E 572 282-83
Konsul Krauel (Genf) an das Auswärtige Amt
Telegramm
Cito den 16. Januar 1934 18 Uhr 30
GENF,
Nr. 4 vom 16. 1. Ankunft: 16. Januar 19 Uhr 30
II S.G. 274
Heute empfing mich Aloisi in Anwesenheit von Biancheri, um mich über
beabsichtigte Maßnahmen des Rats in der Saarfrage zu unterrichten. Aloisi
legt zunächst Wert darauf festzustellen, daß sein Vorschlag in gestriger
Ratssitzung zur Absendung eines Telegramms an Deutschland lediglich in
der Absicht gemacht worden sei, eine beschleunigte Klärung Lage herbei-
zuführen und jede Vertagung (Verschiebung) in Tätigkeit Rats zu ver-
meiden,1) da er aus Mitteilungen des deutschen Botschafters in Rom 2 )
wüßte, daß Deutschland Beschleunigung Vorbereitung Abstimmungsmaß-
nahmen wünsche. Sodann mitteilte Aloisi, daß er Rat Bildung eines Dreier-
komitees zur Vorbereitung Abstimmungsmaßnahmen erwägen 3 ) werde,
daß er als Präsident zum Beispiel auch Möglichkeit habe, deutsche Sach-
verständige über beabsichtigte Maßnahmen zu befragen. Um eine der-
artige deutsche Mitarbeit zu erleichtern, würde er nicht Genf, sondern
Rom als Arbeitssitz des Komitees vorschlagen. Aloisi bat mich, ihn bald-
möglichst darüber zu informieren, ob eine derartige Prozedur die Zustim-
mung und Mitarbeit Deutschlands finden würde.4) Auf die Frage Aloisis
nach dem Inhalt der deutschen Antwort auf das gestrige Schreiben des
Generalsekretärs bezüglich der Teilnahme Deutschlands an den Ratsver-
handlungen über die Saarfrage 5) habe ich geantwortet, daß sie vermutlich
völlig negativ ausfallen und spätestens morgen früh überreicht werden
würde.6)
Auf meine Frage, ob Rat auf dieser Tagung lediglich Bildung des Rats-
komitees vornehmen oder nicht z. B. auch schon jetzt Termin Saarabstim-

(1) In einer Aufzeichnung vom 15. Januar (7894/E 572 268) hatte Voigt vermerkt, er habe
aus Genf die telefonische Mitteilung erhalten, daß der Völkerbundsrat beschlossen
habe, der deutschen Regierung auf telegraphischem Wege eine Einladung zur Teilnahme
an den Beratungen des Rats über die Vorbereitung der Volksabstimmung im Saargebiet
zu übermitteln. Er, Voigt, habe daraufhin Bülow und Neurath Vortrag gehalten, und es
sei entschieden worden, daß die Einladung „mit Rücksieht auf unsere allgemeine Hal-
tung gegenüber dem Völkerbund" abzulehnen sei.
*(2) Hassell.
*(S) Dieses Wort wurde bei der Übermittlung verstümmelt und handschriftlich in der Vor-
lage nachgetragen.
*(4) Bülow teilte dem Konsulat in Genf in Telegramm Nr. 9 vom 17. Januar (7894/E 572 284)
mit, daß gegen Aloisis Pläne hinsichtlich Einsetzung, Kompetenzen und Arbeitsweise
eines Dreierkomitees keine Bedenken bestünden. Das praktische Ziel müsse allerdings
sein, möglichst rasch konkrete Abstimmungsvorbereitungen in Gang zu setzen.
'(») Schreiben Avenols an Neurath vom 15. Januar (7894/E 572 279-81).
(•) Neurath antwortete Avenol in einem Brief vom 16. Januar, in dem „aus grundsätzlichen
Erwägungen" eine deutsche Teilnahme an den Beratungen des Völkerbundsrats abge-
lehnt wurde. Siehe S. d. N., Journal Olliciel, Februar 1934, Teil I, S. 166.

355
Nr. 186 16. JANUAR 1934

mung festlegen wolle, antwortete Aloisi, daß diese Anregung bisher noch
nicht diskutiert sei. Hier anwesende Vertreter deutscher Saarfront haben
mir daraufhin mitgeteilt, daß sie bei ihrem morgigen Empfang bei Aloisi
Festsetzung Abstimmungstermins verlangen wollen, die auch Knox für
notwendig hält.
Zur Weiterbehandlung der Abrüstungsfragen äußerte sich Aloisi dahin,
daß Henderson, falls sein Gesundheitszustand Reise nach Genf überhaupt
ermögliche, lediglich Sitzung des beschränkten Abrüstungskomitees
(Bureau restreint) anberaumt werde, das die Vertagung sowohl des Büros
wie natürlich erst recht der Generalkommission beschließen werde, über
das Datum der Verschiebung sei noch nichts bekannt. Private Unterredun-
gen über Abrüstung würden voraussichtlich stattfinden, sobald Simon nach
Genf käme.
KRAUEL

186
6177/E 463 533-37
Aufzeichnung des Ministerialdirektors Gaus
BERLIN, den 16. Januar 1934
Auftragsgemäß habe ich heute mit dem polnischen Gesandten den Gegen-
entwurf seiner Regierung für die in Aussicht genommene deutsch-polnische
Erklärung l) besprochen, um möglichst genau festzustellen, welche Motive
den in Warschau vorgenommenen Änderungen des Textes zugrundeliegen.
Herr Lipski und ich haben bei Beginn der Besprechung festgestellt, daß
diese rein informatorischen Charakter habe und nur den Zweck verfolge,
der Reichsregierung Klarheit über den Sinn der polnischen Änderungsvor-
schläge zu verschaffen.
1.) Zu dem polnischen Zusatz in Absatz 2 der Erklärung, wonach durch
diese „keine von den Verpflichtungen, die sich für jeden der beiden Teile
aus den von ihm abgeschlossenen Abkommen ergeben, geändert oder
eingeschränkt werden kann", sagte Herr Lipski, wie zu erwarten, zu-
nächst nur, daß nach Ansicht seiner Regierung die Zugehörigkeit zum
Völkerbund, die ja auch für Deutschland noch zwei Jahre zu Recht be-
stehe, eine solche Reserve notwendig mache, da sonst die beiden Staaten
in Konflikt mit den bekannten Verpflichtungen aus Artikel 16 der Völker-
bundssatzung geraten könnten. Er fügte aber auf die erste Andeutung
meinerseits wegen der sonstigen besonderen vertraglichen Bindungen
Polens auf diesem Gebiet sofort hinzu, daß bei der Reserve natürlich auch
an die Verträge Polens mit Frankreich 2 ) und Rumänien 3 ) gedacht sei.
Diese Verträge seien ja dem Völkerbund notifiziert und ihrem Wortlaut

(l) Siehe Dokument Nr. 168.


*(2) Siehe Dokument Nr. 81 und Anm. 2 dazu.
*(3) „Convention d'alliance defensive" zwischen Frankreich und Rumänien vom 3. März 1921
abgedruckt in S. d. N., Recueil des Traites, Nr. 175, Bd. VII, S. 77-83.

356
Nr. 186 16. JANUAR 1934

nach bekannt. Andere Verträge dieser Art habe Polen nicht abgeschlossen.
Ich habe darauf erwidert, daß durch diese Reserve doch eine ernste Frage
aufgeworfen werde. Meiner Ansicht nach sei es, rein juristisch gesehen,
bei der von uns vorgeschlagenen Fassung, die ja gerade die üblichen
Vertragsschemata habe vermeiden wollen, nicht notwendig, einen beson-
deren Vorbehalt wegen anderweitiger vertraglicher Bindungen der beiden
Staaten zu machen. Die Erklärung bezwecke nach deutscher Absicht die
uneingeschränkte Sicherung des Friedens zwischen Deutschland und Polen;
mit dieser Absicht könnten sonstige Verträge doch nicht im Widerspruch
stehen. Wenn Polen jetzt gleichwohl einen derartigen Vorbehalt fordere,
so könnte das politisch so aufgefaßt werden, als ob man von Deutschland
eine ausdrückliche Anerkennung der polnischen Bündnisverträge zu erhal-
ten wünschte, überdies könne der Zusatz bei strikter Interpretation sogar
so verstanden werden, als ob nach polnischer Auffassung überhaupt an
keinem der bestehenden Verträge jemals etwas geändert werden dürfe,
was dann ja auf eine nochmalige Anerkennung von Versailles hinaus-
laufen würde. Herr Lipski betonte zu dem letzten Punkt ohne Zögern und
mit aller Deutlichkeit, daß seine Regierung mit dem Zusatz eine noch-
malige Anerkennung von Versailles ganz zweifellos nicht bezwecke. Da-
gegen sei er überzeugt, daß man in Warschau darauf bestehen werde, die
polnischen Verpflichtungen gegenüber Völkerbund, Frankreich und Rumä-
nien außer Zweifel zu stellen und durch eine ausdrückliche Reserve zu
decken. Als ich weiter darauf insistierte, daß mir das eine sehr mißliche
Belastung der ganzen deutsch-polnischen Erklärung zu sein scheine, meinte
er, man könne vielleicht eine etwas elegantere Fassung finden, die gleich-
zeitig - wie der entsprechende Satz in der Präambel des polnisch-russi-
schen Nichtangriffspaktes 4 ) - zum Ausdruck bringe, daß die anderweitigen
Vertragsverpflichtungen friedlichen und keinen aggressiven Charakter
hätten.
2.) Bei der Erörterung des zweiten polnischen Zusatzes, wonach unter die
Erklärung solche Fragen fallen sollen, „welche nach internationalem Recht
zur ausschließlichen Zuständigkeit der Staaten gehören", antwortete Herr
Lipski auf meine Frage nach dem Grunde dieser Änderung nur, daß eine
solche Bestimmung doch üblich sei; sie finde sich in den meisten derartigen
Verträgen und entspreche dem Artikel 15 Absatz 8 der Völkerbunds-
satzung. Ich konnte Herrn Lipski aber auf eine Reihe von Verträgen ohne
diesen Zusatz, insbesondere auf den Schiedsvertrag von Locarno,5) hin-
weisen, und fügte hinzu, daß ich mir meinerseits keine Kategorie von
Fragen vorstellen könne, die im Verhältnis zwischen Deutschland und
Polen eine solche Klausel notwendig machten. Dabei habe ich aber ab-
sichtlich davon abgesehen, meinerseits auf die Minderheitsfragen anzu-
spielen, um die polnische Regierung zu zwingen, daß sie von sich aus einen
plausiblen Grund für die Klausel angibt. Herr Lipski fand einen solchen
Grund nicht und sagte schließlich, daß er sich in Warschau erkundigen
werde. Ich habe auch zu diesem Punkte darauf hingewiesen, wie bedauer-
*(4) Nichtangriffspakt zwischen Polen und der Sowjetunion vom 25. Juli 1932, abgedruckt in
S. d. N., flecueif des Trailes, Nr. 3124, Bd. CXXXVI, S. 41-53.
*(5) Siehe Dokument Nr. 81 und Anm. 4 dazu.

357
Nr. 186 16. JANUAR 1934

lieh es sei, wenn die von dem Herrn Reichskanzler so großzügig gedachte
Abmachung in ihrem politischen Effekt durch allerlei unübersichtliche
juristische Klauseln und Vorbehalte beeinträchtigt würde.
3.) Bei der Besprechung der dritten polnischen Änderung, die die
Außerkraftsetzung des deutsch-polnischen Schiedsvertrags von Locarno zur
Folge haben würde, tat Herr Lipski zunächst so, als ob das nicht die
Absicht der polnischen Regierung gewesen sei. Als ich ihm an der Hand
des von Polen vorgeschlagenen Wortlauts nachwies, daß dieser gar nicht
anders verstanden werden könne als im Sinne einer gewollten Lossagung
von der allgemeinen Bindung des Schiedsvertrags, meinte er, es würde ja
tatsächlich dem Grundgedanken der Erklärung, insbesondere dem Gedan-
ken der Regelung aller Streitfragen von Staat zu Staat, besser entsprechen,
die Austragung von Streitfragen durch Vergleichs- oder Schiedsverfahren
nur von Fall zu Fall, nicht aber allgemein, zu vereinbaren. Ich habe dem-
gegenüber folgendes ausgeführt: Einmal werde durch die Aufhebung des
deutsch-polnischen Schiedsvertrags das viel weiter reichende politische
Problem der Geltung der gesamten Locarno-Verträge aufgeworfen. Es sei
nicht zu vergessen, daß im Schlußprotokoll von Locarno festgestellt werde,
daß sich alle auf der Konferenz ausgearbeiteten Verträge aufeinander be-
zögen. Davon abgesehen, sei aber doch wohl zu bedenken, daß die Beseiti-
gung der allgemeinen Verpflichtung zur Austragung von Konflikten auf
schiedlichem Wege und ihre Ersetzung durch eine erst von Fall zu Fall
zu treffende Vereinbarung eher einen Rückschritt als einen Fortschritt in
der Sicherung der friedlichen Beziehungen darstelle. Das werde angesichts
der fortschreitenden Entwicklung des Schiedswesens sicherlich Aufsehen er-
regen. Jedenfalls sei es schon aus technischen Gründen erforderlich, daß
in diesem Punkte über die Absichten der beiden Regierungen volle Klar-
heit geschaffen werde. Die Schwierigkeit, die sich daraus ergebe, daß der
deutsch-polnische Schiedsvertrag an einzelnen Punkten auf den Völker-
bund verweise, könne nach unserm Austritt, falls die beiden Regierungen
den Schiedsvertrag aufrechterhalten wollten, leicht durch eine gering-
fügige Korrektur des ursprünglichen Vertragstexts in Ordnung gebracht
werden. Herr Lipski wurde bei der Besprechung dieser Frage sehr nach-
denklich und sagte mir schließlich, daß er, offen gestanden, nicht wisse,
wie man hierüber in Warschau denke, er gebe zu, daß in dieser Beziehung
völlige Klarheit geschaffen werden müsse, und wolle sich bei seiner
Regierung erkundigen.
4.) Als ich Herrn Lipski auf die sonstigen, an unserm Texte vorgenom-
menen Änderungen redaktioneller Natur hinwies und ihn nach dem Grunde
fragte, antwortete er nur ganz allgemein, daß seine Regierung doch fast
unseren ganzen Wortlaut akzeptiert habe und daß es schließlich nicht
wundernehmen könne, wenn sie an einigen Stellen eine eigene Redaktion
in Vorschlag bringe.
Hiermit dem Herrn Staatssekretär und dem Herrn Reichsminister vor-
zulegen.6)
gez. GAUS

(6) Siehe Dokument Nr. 203.

358
Nr. 187 16. JANUAR 1934

187
6604/E 495 887-90

Der Botschafter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt


A 141 MOSKAU, den 16. Januar 1934
IV Rd. 341
Im Anschluß an den Bericht Tgb. Nr. [A 91] vom 10. Januar d. Js.1)
Inhalt: Unterredung mit Litwinow über die russisch-polnische Politik
gegenüber den Randstaaten.2)
Bei einer Unterredung am 15. d. Mts. sprach ich Litwinow auf die Nach-
richten über die russisch-polnische Deklaration, betreffend Garantierung
der Unabhängigkeit der baltischen Staaten, an. Litwinow führte daraufhin
etwa folgendes aus: Die ausländische Presse, insbesondere die deutsche,
habe ganz falsche oder übertriebene Nachrichten über seine Absichten ge-
bracht. Sie habe dabei von einer französischen Initiative zur Einkreisung
Deutschlands mit Hilfe der Sowjetunion gesprochen und schließlich sogar
einen „Fehlschlag seiner Politik" festgestellt. Alles dies sei barer Unsinn.
Der wahre Sachverhalt sei etwa folgender:
Bekanntlich sei die russische Politik in den Randstaaten stets darauf
gerichtet gewesen, die polnischen Versuche, eine Art Hegemonie über
diese Staaten zu erringen und sie zu einem Blocke zusammenzuschweißen,
zu durchkreuzen. Nachdem sich neuerdings die russisch-polnischen Bezie-
hungen so erfreulich gebessert hätten, sei man daran gegangen, das Ver-
hältnis zwischen beiden Ländern auch in dieser Hinsicht zu bereinigen.
Infolgedessen habe er dem polnischen Gesandten 3 ) vorgeschlagen, daß
die Sowjetregierung und die polnische Regierung übereinkommen sollten,
daß sie die Unabhängigkeit der baltischen Staaten achten würden. Die pol-
nische Regierung sei auf diesen Vorschlag eingegangen, und man habe die
Regierungen der baltischen Staaten entsprechend verständigt. Hierauf
habe Litauen erklärt, daß es diese Maßnahme sehr begrüße, Lettland und
Estland seien im Prinzip ebenfalls nicht dagegen gewesen, nur Finnland
habe erklärt, daß es eine solche Maßnahme nicht für notwendig halte, da
es seine Unabhängigkeit nicht bedroht fühle. Die französische Regierung
sei weder von der Sowjetregierung noch, wie er festgestellt habe, von der
polnischen Regierung vorher benachrichtigt worden, den französischen
Botschafter4) habe er erst in diesen Tagen unterrichtet. Dies sei alles,
was tatsächlich geschehen sei.
Auf diesen reichlich naiven Erklärungsversuch des russischen Außen-
kommissars erwiderte ich, aus seinen Mitteilungen könnte ich also zu

(1) Fundort: 6603/E 495 171-74.


• (2) Die Vorlage wurde durch Brand beschädigt. Fehlende Silben und Wörter wurden nach
einer in den Akten bei der Vorlage befindlichen und besser erhaltenen Ausfertigung
des Dokuments ergänzt.
*(') Lukasiewicz.
• (4) Alphand.

359
Nr. 187 16. JANUAR 1934

meiner großen Befriedigung entnehmen, daß die russisch-polnische Dekla-


ration lediglich als Bereinigung des russisch-polnischen Verhältnisses
gedacht sei und keineswegs eine Spitze gegen Deutschland habe, und
dementsprechend meiner Regierung berichten. Hierauf erwiderte Litwinow,
dem meine Antwort sichtlich unangenehm war: Wenn auch die polnisch-
russische Deklaration nicht gegen Deutschland gerichtet gewesen sei, so
wolle er mir doch nicht verhehlen, daß die unklare Politik Deutschlands
gegenüber der Sowjetunion und gegenüber den baltischen Staaten, ins-
besondere die neuerlich hervorgetretenen Expansionsbestrebungen deut-
scher Kreise in diesen Ländern,5) für die Sowjetregierung auch ein be-
stimmendes Motiv gewesen sei. Ob dieses Motiv auch bei der polnischen
Regierung mitgespielt hätte, könne er mir nicht sagen; er möchte es aber
annehmen.
Ich habe daraufhin ausgeführt, daß ich es für richtiger gefunden hätte,
wenn die Sowjetregierung in Berlin oder mit mir Fühlung genommen
hätte, falls sie in den Randstaaten ihre Interessen durch unsere Politik
bedroht gefühlt hätte. Der Berliner Vertrag sähe eine solche Fühlungnahme
ausdrücklich vor.6) Er könne sich nicht wundern, wenn unter diesen Um-
ständen die deutsche Presse gegen das polnisch-russische Projekt Stellung
genommen hätte, und es sei lediglich seine Schuld, wenn ein falscher
Eindruck entstanden sei.
Hierauf entgegnete Litwinow, daß zu einer vorherigen Fühlungnahme
ein Anlaß nicht vorgelegen habe, und erging sich dann wieder in miß-
trauischen Äußerungen über die deutsche Politik. Auf dieses Thema folgte
ich ihm aber nicht, sondern ich schnitt diesen Teil der Unterhaltung mit
den Worten ab, daß wir uns über das deutsch-sowjetische Verhältnis vor
einigen Tagen wohl genügend ausgesprochen hätten.7)
Die Ausführungen Litwinows lassen deutlich erkennen, daß er im Sinne
hatte, durch eine gemeinsame russisch-polnische Erklärung über die Garan-
tierung der Unabhängigkeit der baltischen Staaten mit deren Zustimmung
zum mindesten den moralischen Eindruck eines Ostblocks gegen Deutsch-
land zu schaffen. Die reservierte Haltung der baltischen Staaten gegenüber
der offenbar schlecht vorbereiteten und überstürzt durchgeführten Aktion
Polens und der Sowjetunion hat jedoch seine Absicht einstweilen paraly-
siert. Es scheint, daß dieser Mißerfolg hier als solcher empfunden wird, und
eine Folge davon scheint auch zu sein, daß die Dinge betreffs Deutschlands
etwas ruhiger beurteilt werden. (Vergleiche hierzu besonders die Äuße-
rungen Woroschilows, Jenukidses und Jegorows. 8 ))
NADOLNY

'(5) Randbemerkung Neuraths: „?"


(•) Siehe Dokument Nr. 66, Anm. 4.
(7) Siehe Dokument Nr. 163.
(8) Siehe die Dokumente Nr. 176 und 181

360
Nr. 188 17. JANUAR 1934

188
3086/D 617 118-23
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
den 17. Januar 1934
BERLIN,
RM. 65
Der österreichische Gesandte hat mich heute aufgesucht und im Namen
seiner Regierung die in der anliegenden Notiz enthaltenen Punkte be-
schwerdeführend vorgebracht. Ich habe Herrn Tauschitz dazu folgendes
bemerkt: Ehe ich auf die einzelnen Punkte seiner Beschwerde eingehe,
müsse ich ihm erklären, daß das Verhalten des Bundeskanzlers Dollfuß
bei der auf seine Anregungen von uns unterstützten und gebilligten
Aktion zu einer persönlichen Aussprache mit Herrn Habicht 1 ) in mir den
Glauben an die Zuverlässigkeit des Herrn Dollfuß aufs äußerste erschüttert
habe. Die von Herrn Dollfuß angegebenen Gründe für seinen Rückzug im
letzten Augenblick, nämlich das Zunehmen der sogenannten Terrorakte,
seien so fadenscheinig und unglaubhaft, daß ich aus diesem Grunde den
Erbprinzen Waldeck beauftragt habe, an Ort und Stelle sich über die
wahren Gründe zu informieren. Zu diesem Zweck habe der Erbprinz
Waldeck die Fühlung mit Herrn Frauenfeld und Herrn Leopold aufge-
nommen. Daraus eine Konspiration gegen den österreichischen Staat zu
machen, sei absurd. Geradezu lächerlich sei die Beschwerde darüber, daß
der Erbprinz Waldeck eine Photographie des Herrn Habicht und ihm aus-
gestellten sauf conduite bei sich gehabt habe.2)
Was die Behauptung anlange, daß die Spreng- und Propagandamateria-
lien, die in Österreich zur Verwendung kommen, aus Deutschland stamm-
ten und auf Grund von genauen Instruktionen von den österreichischen
Nationalsozialisten verwendet würden, so könne ich ihm darauf nur er-
widern, daß diese Angelegenheit zunächst durch die zuständige Behörde
geprüft werde.
Die Behauptung, daß der sogenannten österreichischen Legion eine be-
sondere Rolle im Kampfe gegen die österreichische Bundesregierung zuge-
wiesen sei, sei aus der Luft gegriffen und durch keinerlei Beweise ge-
stützt. Falsch sei, daß diese Leute, die über die Grenze gelaufen seien und
die wir ernähren müßten, gut bewaffnet und militärisch ausgebildet seien.
Was die Drohungen anlange, daß die österreichische Regierung sich an
den Völkerbund wenden wolle, so könnte ich dazu nur bemerken, daß ein
solches Vorgehen geeignet wäre, jede Verständnismöglichkeit zwischen
der deutschen Regierung und der österreichischen Bundesregierung über-
haupt auszuschließen. Endlich müßte ich auch mein Bedauern darüber zum
Ausdruck bringen, daß die österreichische Regierung es für notwendig be-
funden habe, von der dem Gesandten aufgetragenen Demarche bei mir
die europäischen Großmächte zu informieren. Auch dieser Umstand sei nicht

(i) Siehe die Dokumente Nr. 156, 160 und 166.


(2) Tauschitz hatte diese Beschwerde in einer Unterredung mit Renthe-Fink am 15. Januar
(6114/E 454 181-83) vorgebracht. Diese Demarche hatte der österreichische Gesandte
offenkundig auf telefonische Weisungen seiner Regierung vom 13. Januar hin unter-
nommen. Siehe Betträge zur Vorgeschichte und Geschichte der Julirevolte, S. 52-53.

361
Nr. 188 17. JANUAR 1934

geeignet, die zukünftige Beilegung des deutsch-österreichischen Zwistes zu


erleichtern.
Die Bitte des Gesandten Tauschitz, durch unmittelbare Verhandlungen
von Regierung zu Regierung eine Erledigung des Zwistes herbeizuführen,
habe ich unter Hinweis auf die soeben mit Herrn Dollfuß und seiner Unzu-
verlässigkeit gemachten Erfahrungen abgelehnt.3)
v. N[EURATH]

[Anlage]
Abschrift
Gesandtschaft der Republik Österreich BERLIN, den 17. Jänner 1934
NOTIZ

Die der Bundesregierung seit Anfang des Monates und insbesondere in


den letzten Tagen zugegangenen verläßlichen Informationen stimmen darin
überein, daß die Anhängerschaft der nationalsozialistischen Bewegung in
Österreich, Weisungen ihrer Gesinnungsgenossen im deutschen Reiche
folgend, ihre gegen das Regime Dollfuß gerichtete terroristische Tätigkeit
in nächster Zeit bis zum Äußersten zu steigern beabsichtigt. Die sehr er-
hebliche Zunahme ihrer Aktivität seit 1. 1. d. J. hat die Bundesregierung
bekanntlich bereits zur Ergreifung schärferer Abwehrmaßnahmen veran-
laßt. Wenn überhaupt noch ein Zweifel daran bestehen könnte, daß der
in Österreich entwickelte NS-Terror durch von gewissen Parteikreisen von
Deutschland ausgehende Parolen und sich bis ins Einzelne erstreckende
Weisungen geführt wird, so haben die den deutschen Ursprung einwand-
frei bloßlegenden umfangreichen Sendungen von Spreng- und Propaganda-
materialien, deren Weg nach und durch Österreich, von der Einmündung
der Antiesen in den Inn, über Wels nach Wien, in dem polizeilichen
Material, das ich mir bei meiner Vorsprache am Donnerstag, dem 11. ds.
[Mts.], seiner Exzellenz zu übergeben erlaubt habe,4) nachgewiesen werden
konnte, wie auch die behördlich aufgedeckte unmittelbare Fühlungnahme
des Legationsrates Erbprinzen von Waldeck und Pyrmont mit österreichi-
schen Führern der nationalsozialistischen Bewegung in der Nacht vom
11. auf den 12. Jänner d. J. in der Wohnung des Gauleiters Frauenfeld,5)
auch den letzten Zweifel zerstreuen müssen.
Die österreichische Regierung nimmt begründet an, daß auch der An-
wesenheit von namhaften Kontingenten der sogenannten „österreichischen
Legion", deren Aufteilung vor langer Zeit seitens der deutschen Regierung
auf - der österreichischen Grenze entrückte - Arbeitslager im nördlichen

(8) In einer weiteren Aufzeichnung vom gleichen Tage (3086/D 617 141) vermerkte Neurath,
Tauschitz habe in der Unterredung auch die angeordnete Meldepflicht für österreichische
Staatsangehörige in Deutschland (siehe Dokument Nr. 184) zur Sprache gebracht und
dagegen protestiert. Er, Neurath, habe Tauschitz gesagt, diese Anordnung sei bereits
wieder rüdegängig gemacht worden.
*(4) Tauschitz hatte Neurath am 11. Januar aufgesucht, um unter Hinweis auf die jüngsten
Terrorakte österreichischer Nationalsozialisten die Absage des Treffens Dollfuß' mit
Habicht mitzuteilen (3086/D 617 082-101). Bei dieser Gelegenheit hatte Tauschitz auch das
in der Vorlage angesprochene Beweismaterial übergeben.
(5) Siehe Dokument Nr. 179.

362
Nr. 188 17. JANUAR 1934

Deutschland versprochen worden war,6) nahe der österreichischen Grenze


(z. B. in Freilassing) - entgegen allen Versprechungen - eine besondere
Rolle im Kampfe gegen die österreichische Bundesregierung zugewiesen
sein muß. Der von amtlicher deutscher Seite behaupteten Harmlosigkeit
der „österreichischen Legion" stehen osterreichischerseits Erhebungen
gegenüber, die ergaben, daß Teile der „österreichischen Legion" gut be-
waffnet und militärisch ausgebildet sind. Ich darf mir vorbehalten, den dies-
bezüglichen amtlichen Nachweis, der sich am Wege [sie] nach Berlin befin-
det, später vorzulegen.
Es ist Euer Exzellenz nicht unbekannt, daß die österreichische Bundes-
regierung bisher alle möglichen Versuche unternommen hat, um den Kon-
flikt unmittelbar von Regierung zu Regierung zu bereinigen. Diese Haltung
der Bundesregierung hat aber wider Erwarten nicht nur kein Verständnis
bei den in Betracht kommenden nationalsozialistischen Kreisen gefunden,
sondern sie wurde von diesen vielmehr zur Verschärfung des Kampfes aus-
genützt. Von dieser Erwägung ausgehend und mit Rücksicht auf die in den
jüngsten Tagen geschaffene Sachlage kann die Bundesregierung, obgleich
sie sich immer bewußt war und immer bewußt sein wird, daß es sich bei
dem Konflikt um eine Angelegenheit zwischen den beiden deutschen Staa-
ten handle, diesen Weg nicht weitergehen, sondern muß, will sie ihrer Pflicht
gegenüber der vaterlandstreuen österreichischen Bevölkerung nachkommen,
nunmehr ernstlich in Erwägung ziehen, sich an den Völkerbund zu wenden,
wenn der von reichsdeutschen nationalsozialistischen Faktoren größtenteils
im Wege österreichischer] Anhänger der nat[ional]soz[ialistischen] Bewe-
gung mit reichsdeutschen Spreng- und Propagandamitteln geführte Kampf
gegen Österreich einschließlich der Verhetzungskampagne durch Rundfunk,
Gründung und Förderung des „Kampfringes der Österreicher" in Deutschland
und durch die Presse, insbesondere durch den eigens organisierten, von
Unwahrheiten und Beschimpfungen der Bundesregierung strotzenden
„österreichischen Pressedienst" in München nicht binnen allerkürzester
Frist sein Ende findet und dafür seitens der deutschen Reichsregierung
eine sichere Gewähr geboten wird.
Indem ich mir erlaube, mich des Auftrages meiner Regierung zu ent-
ledigen und Euer Exzellenz das Vorstehende unter Zurverfügungstellung
sämtlicher Unterlagen 7 ) zur Kenntnis zu bringen, darf ich Euer Exzellenz
um eine umgehende Erklärung der Reichsregierung ersuchen.8)
Ich habe schließlich noch den Auftrag, Euer Exzellenz mitzuteilen, daß
meine Regierung von diesem mir aufgetragenen Schritt die europäischen
Großmächte informieren wird.9)

(6) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 427 und Anm. 2 dazu.
(7) Fundort: 3086/D 617 124-40.
(8) Siehe die Anmerkung der Herausgeber nach Dokument Nr. 232, S. 432.
(») In einem Runderlaß vom 19. Januar (8662 E 606 367-70) informierte Bülow die Bot-
schaften in Rom (Nr. 18), Paris (Nr. 38) und London (Nr. 18) sowie die Gesandtschaften
in Prag (Nr. 6), Budapest (Nr. 7) und Belgrad (Nr. 4) über die österreichische Note und
die Antwort Neuraths an Tauschitz. Die Botschaften in Rom, Paris und London wurden
angewiesen, den zuständigen Regierungsstellen mitzuteilen, „daß Deutschland entgegen
verbreiteten Gerüchten nach wie vor Absicht gewaltsamer Einmischung oder irgendeiner
Verletzung vertraglicher Bindungen vollkommen fern liegt".

363
Nr. 189 17. JANUAR 1934

189
9606/E 677 694-95

Aufzeichnung des Ministerialrats Thomsen (Reichskanzlei)


BERLIN,den 17. Januar 1934
zu Rk. 421 J )
VERMERK

In der Chefbesprechung2) wurde das Maß des handelspolitischen Ent-


gegenkommens behandelt, das wir bereit sind, Ungarn aus außenpoliti-
schen Gründen zu gewähren. Folgender Tatbestand lag zugrunde:
1.) Im Briefwechsel vom vorigen Sommer 3 ) hat der Herr Reichskanzler
dem ungarischen Ministerpräsidenten Zusagen über die Berücksichtigung
ungarischer Wünsche auf handelspolitischem Gebiet gemacht.
2.) Die italienische Regierung ist, wie uns genau bekannt ist, bemüht,
eine italienisch-österreichisch-ungarische Zollunion zustandezubringen.
Wir haben ein Interesse daran, uns eine starke politische Stellung in
Ungarn zu schaffen, um diesen Bestrebungen begegnen zu können.
Mit den gewöhnlichen Methoden der bisherigen Handelsvertragsver-
handlungen ist dies nicht möglich, da alle Zugeständnisse, die wir Ungarn
machen würden, auf Grund der Meistbegünstigung von den anderen Ver-
tragsstaaten in Anspruch genommen würden. Es kommt daher lediglich
eine einseitige Zollermäßigung in verschleierter Form für Ungarn in Be-
tracht, d. h. es müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um die im
Ausfuhrhandel von Ungarn nach Deutschland anfallenden Zollbeträge in
einem gewissen Umfange zu erstatten. Für die Reichsfinanzverwaltung
entsteht dadurch etatsrechtlich gesehen kein Einnahmeausfall, sondern
eine neue Ausgabe, die der Geheimhaltung wegen auf verschiedene Fonds
zu verteilen ist.
Ein Präjudiz für künftige Handelsvertragsverhandlungen wird durch
diese Bevorzugung Ungarns nicht vermieden werden können. Da wir aber
gewillt sind, zu einem völlig neuen handelspolitischen System überzu-
gehen, muß dieses Präjudiz mit in Kauf genommen werden. Außerdem wird
diese zum ersten Mal angewandte verschleierte Präferenz künftig nicht
grundsätzlich, sondern nur nach Lage des Einzelfalls angewendet werden.
Als Ergebnis der Aussprache wurde beschlossen, daß die deutsche Dele-
gation, die sich bereits in Budapest befindet, ermächtigt wird, bei der
Führung der Verhandlungen zunächst für ein Jahr über einen Betrag bis
zu 15 Millionen RM zu verfügen. Dieser Betrag ist aus der unserer Dele-

(1) Rk. 421: Einladungsschreiben zu d e r in der V o r l a g e a u s z u g s w e i s e w i e d e r g e g e b e n e n


Chefbesprechung (9606/E 677 692-93).
(2) In den A k t e n befindet sich e i n e im A u s w ä r t i g e n Amt gefertigte Aufzeichnung o h n e
Unterschrift (9580/E 674 995-96), in der die in der Chefbesprechung e r ö r t e r t e n Finanz-
fragen ausführlicher b e h a n d e l t w e r d e n . A n d e r Besprechung n a h m e n N e u r a t h , Schwerin-
Krosigk, Schmitt und m e h r e r e h o h e Beamte der beteiligten M i n i s t e r i e n teil.
*(') Gemeint ist der Briefwechsel zwischen Hitler und G ö m b ö s im April 1933. S i e h e Serie C,
Bd. I, 1, D o k u m e n t e Nr. 179 u n d 195.

364
Nr. 190 17. JANUAR 1934

gation ubergebenen ungarischen Wunschliste errechnet worden und stellt


das Maximum dar.
Herrn Ministerialrat Dr. Willuhn ergebenst zur Kenntnisnahme.
TH[OMSEN]

190
6609/E 497 372-77

Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath


an die Botschait in Moskau
Eilt BERLIN, den 17. Januar 1934
zu IV
Auf den Bericht vom 9. d. M. Ru. 166 •)
Die Haltung der deutschen Regierung Rußland gegenüber hat sich in
letzter Zeit in keiner Weise geändert, sie ist auf allen Gebieten, wirtschaft-
lich, politisch und militärisch, zu freundschaftlichen Beziehungen bereit.
Es hängt demgemäß nur von den Russen ab, ob und in welchem Umfange
das frühere freundschaftliche Verhältnis zu Deutschland wieder hergestellt
werden kann. Konkrete Angebote und Vorschläge unsererseits kommen in
dieser Beziehung zur Zeit nicht in Frage.
Wenn man sich die neue Politik der Sowjetunion klarmacht, so ergibt
sich, daß sie in erster Linie durch zwei Momente bestimmt wird:
1. durch die Sorge um die Erhaltung des Friedens um jeden Preis,
2. durch das Ressentiment gegen die Vernichtung des Kommunismus in
Deutschland und gegen alle sich daraus ergebenden Folgeerscheinungen.
Eine Friedensbedrohung sieht die Sowjetunion im Osten durch Japan
und im Westen durch Deutschland. Die Japaner haben ihre Machtsphäre
bis zu den transbaikalischen Gouvernements über die gesamte Mandschurei,
die innere Mongolei und Jehol ausgedehnt. Die Sowjetunion hat in diesen
Gebieten alle politischen und militärischen Positionen räumen müssen,
und auch die ostchinesische Bahn wird mit oder ohne Verkauf kampflos
den Japanern anheimfallen. Der letzte wichtige russische Stützpunkt ist
Wladiwostok. Der Wunsch der Japaner, auch diesen Platz und die russi-
sche Stellung östlich des Baikalsees der Sowjetunion zu entreißen, ist be-
greiflich. Sie würden dadurch jede Bedrohung in der Luft oder durch
U-Boote unterbinden und ihre kontinentale Position in der Mandschurei
und Mongolei sichern. Die Entscheidung der Frage, ob es zu einer krie-
gerischen Verwicklung mit Japan im Frühjahr 1934 kommen wird, wird in
Tokio von militärischen und politischen Gesichtspunkten abhängig gemacht
werden. Politisch werden die Japaner internationale Verwicklungen mit
anderen Staaten im Falle eines Angriffs aus Wladiwostok oder Tschita
kaum zu befürchten haben, auch nicht von seiten Amerikas. Es bleibt mit-

*(l) IV Ru. 166: Berieht Nadolnys vom 9. Januar, gedruckt als Dokument Nr. 171

365
Nr. 190 17. JANUAR 1934

hin nur die Frage des militärischen Risikos, insbesondere in der Luft. Die
starke Vermehrung der Luftstreitkräfte in Wladiwostok birgt Gefahren
für die Städte der japanischen Insel. Auch die sonstigen russischen Vor-
kehrungen im Raum östlich des Baikalsees würden den Kampf für die
Japaner außerordentlich schwierig gestalten.
Gleichwohl ist die Lage im Osten gefahrdrohend. Das veranlaßt die
Sowjetregierung zu dem Versuch, den Frieden im Westen mit allen Mitteln
zu sichern. Jede Möglichkeit einer Erschütterung in Europa begegnet des-
halb ihrem Widerstand. Jede Veränderung des Kräfteverhältnisses, wie sie
in einer deutschen Aufrüstung liegen würde, stößt auf ihren Widerspruch.
Die Sowjetunion sucht sich den Mächten zu nähern, die den Status quo
in allen Punkten zu erhalten wünschen, d. h. Frankreich, Polen und der
Kleinen Entente. Denn in jeder Revision des VersaiUer Vertrages, in jeder
Erstarkung Deutschlands sieht sie ein Gefahrenmoment für den Frieden,
der sich indirekt gegen die Sowjetunion auswirken könnte. Zu diesem
Zweck verbreitet sie Behauptungen über die angeblidien Absichten
Deutschlands, nach dem Osten vorzustoßen und die Revision der Verträge
auf Kosten der Sowjetunion vorzunehmen. In den gleichen Zusammen-
hang gehören die russischen Versuche, zusammen mit Polen eine Front des
Baltikums gegen Deutschland herzustellen.
Durch die Vernichtung des Kommunismus in Deutschland hat die dritte
Internationale einen tödlichen Schlag erhalten. Der deutsche Kommunismus
war immer das Paradepferd von Moskau. Deutschland diente als zuver-
lässigstes Verbindungsglied zwischen Moskau und den übrigen Ländern.
Der deutsche Kommunismus ist tot. Die Verbindungen, die über Deutsch-
land gegangen sind, sind zerrissen. Die Vernichtung des Kommunismus in
Deutschland hat allen Ländern, in denen der Kommunismus noch besteht,
gezeigt, daß er bei tatkräftigem Zupacken zu überwinden ist, und hat so die
Idee zerstört, daß die Gefahr des Bolschewismus unüberwindlich sei. Die
Vernichtung des Kommunismus in Deutschland durch die nationalsoziali-
stische Bewegung hat ähnliche Bewegungen in anderen Ländern, z. B. in
den Rand- und nordischen Staaten gefördert und auch dort die Möglichkeit
der Entfaltung kommunistischer Ideen und Pläne weitgehend eingeengt.
Zu dieser allgemeinen politischen Einstellung der Sowjetunion und der
dritten Internationale zu der deutschen Regierung kommt noch der per-
sönliche Haß und das Ressentiment von Personen wie Litwinow und ande-
ren maßgebenden Mitgliedern der Sowjetunion.
Wenn man diese Gesichtspunkte der Beurteilung der Politik gegenüber
Rußland zugrunde legt, so ergibt sich, daß jetzt eine kühle, ruhige Reserve
die einzig mögliche Haltung gegenüber der Sowjetunion ist. Es genügt,
daß der Herr Reichskanzler in seiner Reichstagsrede 2) und in seinen Be-
sprechungen mit dem russischen Botschafter ebenso wie ich in meiner
Rede von Genf3) und in zahlreichen Besprechungen mit Chintschuk und
Litwinow klar zum Ausdruck gebracht haben, daß die deutsche Politik

(2) Am 23. März 1933. Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 104 und Anm. 4 dazu.
(3) Dieser Hinweis bezieht sich offenbar auf eine außenpolitische Erklärung, die Neurath
am 15. September vor Vertretern der ausländischen Presse abgegeben hatte. Die Er-
klärung ist gedruckt in Schwendemann, Abrüstung und Sicherheit, Bd. II, S. 440-50.

366
Nr. 191 17. JANUAR 1934

gegenüber der Sowjetunion sich nicht ändern werde und daß wir dabei
die Haltlosigkeit der russischen Insinuationen betont haben. Der Grad der
freundschaftlichen Beziehungen hängt demnach lediglich von den Staats-
männern der Sowjetunion ab. Alle Momente, die Litwinow anführt, sind
nichts als Vorwände; denn Litwinow kennt genau die Richtlinien der
deutschen Politik und weiß auch, daß die deutsch-polnischen Besprechungen
keinerlei Spitze gegen Rußland haben. Unter diesen Umständen verspreche
ich mir auch nichts von neuerlichen besonderen Erklärungen gegenüber den
Russen. Sie werden - wie immer sie auch lauten mögen - als ungenügend
und zweideutig hingestellt werden. Die Haltung der Russen würde hier-
durch nicht geändert werden. Ich kann auch nicht anerkennen, daß Herr
Litwinow in Berlin nicht genügend geehrt worden sei. Alles, was wie
Nachlaufen aussehen könnte, würde sich in der heutigen Zeit nur zu unse-
ren Ungunsten auswirken.
Ich bitte deshalb, zunächst keine Initiative in Gesprächen mit maßgeben-
den Persönlichkeiten über das deutsch-russische Verhältnis zu ergreifen,
sondern in kühler, selbstsicherer Reserve die weitere Entwicklung abzu-
warten. Die große Bedeutung Rußlands für Deutschland auf politischem,
wirtschaftlichem und militärischem Gebiet wird von uns in keiner Weise
unterschätzt, und es besteht nicht im entferntesten die Absicht, uns von uns
aus gegen Moskau einzustellen. Aber es hat keinen Zweck, von vornherein
nutzlose Versuche zu machen, um die Haltung der maßgebenden Staats-
männer der Sowjetunion zu ändern.4)
[NEURATH] 5)

(4) Siehe Dokument Nr. 171, Anm. 15.


*(5) Die Vorlage wurde von Meyer und Bülow abgezeichnet und trägt den Vermerk: ,I[n)
Reinschrift] N[ame] d(es] H[errn] R|eiehs]M[inisters]."

191
9493/E 668 266-71
Militärattache Hartmann (Moskau) an das Auswärtige AmtJ)
Marinebericht Nr. 3/34 MOSKAU, den 17. Januar 1934
Ankunft: 19. Januar
II M. 96
Im Anschluß an die Unterredung des Herrn Botschafters mit dem Volks-
kommissar Woroschilow vom 10. 1. 34 (Bericht der Botschaft vom 11. 1. 34
Nr. 52)) und des Herrn Botschaftsrats3) mit dem Chef des Stabes der Roten
Armee Jegorow vom 12. 1. 34 (Telegramm der Botschaft vom 13. 1. 34

*(i) Eine zweite Ausfertigung des vorliegenden Dokuments wurde gleichzeitig dem Reichs-
wehrministerium übermittelt. Siehe Anm. 8.
(2) Dokument Nr. 176.
*(3) Twardowski.

367
Nr. 191 17. JANUAR 1934

Nr. 74)) ist über die Einstellung hoher russischer Offiziere zur deutsch-russi-
schen militärpolitischen Lage folgendes zu berichten:
Am 13. 1. 34 fand für den scheidenden hiesigen italienischen Militär-
attache de Ferrari ein von der Roten Armee veranstaltetes Abschiedsessen
statt. An diesem Abend wurden wir deutschen Offiziere - ganz außerhalb
des Rahmens dieses Festes - in auffälliger Weise bevorzugt, was um so
mehr hervortrat, als bei den sonstigen zahlreichen gesellschaftlichen
Zusammentreffen uns gegenüber von den Kommandeuren der Roten Armee
eine im Vergleich zu früher fühlbare Zurückhaltung beobachtet wird.
Jegorow zog mich zweimal in lange Gespräche, in denen [er]5) sich in
soldatisch offener Weise und mit nachdrücklichem Ernst voll Hochachtung,
Anerkennung und Freundschaft für Deutschland und die Reichswehr aus-
sprach. Er lasse an der Treue seiner Überzeugung nicht rütteln. Leider
sei gegenwärtig die Lage etwas getrübt, was nicht der Sowjetunion zur
Last falle. Er hoffe, daß diese Periode überwunden werde. Sein Vertrauen
sei besonders befestigt worden durch seine persönlichen Eindrücke an-
läßlich seiner Studien in Deutschland und durch seine Unterredungen mit
maßgeblichen Führern des Reichsheeres; dabei gedachte er besonders des
längeren der Generale von Hammerstein, Adam, von Leeb, von Brauchitsch,
Halm. Er bedauerte, daß die ihm bekannten Personen zum Teil ausge-
schieden, zum Teil in anderen Stellungen verwendet sind. Die an die
Stellen des Chefs HL und TA getretenen Generale 6) seien ihm leider per-
sönlich nicht bekannt; er würde sie gerne jederzeit kennen lernen, um sich
offen mit ihnen auszusprechen.
Damit war ein sehr verständlicher Wunsch in prägnanter Form ausge-
sprochen. Urn Jegorow auf den Zahn zu fühlen, inwieweit seine Anregung
über das Konventionelle hinausging, sagte ich ihm, [er] brauche doch nur
den Wunsch zu äußern, in Berlin mit den bezeichneten Führern bekannt
zu werden. Jegorow ließ aber erkennen, daß er dabei einen Besuch von
deutscher Seite in Moskau im Auge habe.
An der Aufrichtigkeit Jegorows hinsichtlich seiner Deutschfreundlichkeit
besteht keinerlei Zweifel. Der von ihm geäußerte Wunsch, bei dem er in
seinen Gesprächen längere Zeit verweilte, ist keine Redensart, er ist auch
mehr als eine Sondierung; mir erscheint er geradezu als inoffizielle Auf-
forderung, wobei er die Initiative zur Verwirklichung allerdings der deut-
schen Seite zuschiebt. Letzteres aus den bekannten - auch für ihn binden-
den - offiziellen Gedankengängen von Regierung und Partei heraus, daß
Deutschland der „abgeirrte" Teil sei und daher ihm die erste positive
Geste einer Wiederannäherung zufällt. So sehr ich unter den klaren Ver-
hältnissen von früher für eine baldige Verwirklichung der Anregung ein-
getreten wäre, so glaube ich, dies im Augenblick noch nicht tun zu kön-
nen. Eine Reise des neuen Herrn Chefs TA nach hier, früher geradezu

(4) Dokument Nr. 181.


'(5) Die Vorlage wurde durch Brand beschädigt. Fehlende Wörter wurden in eckigen
Klammern sinngemäß ergänzt bzw. angezeigt.
(6) Am 3. Januar 1934 war in Berlin bekanntgegeben worden, daß Hammerstein-Equord
als Chef der Heeresleitung von Fritsch abgelöst wurde. Am 1. Oktober 1933 war Bede
als Nachfolger Adams Chef des Truppenamts geworden.

368
Nr. 191 17. JANUAR 1934

traditioneller Brauch, ist eine so starke militärpolitische Geste, daß ihr auch
der entsprechende Untergrund in der allgemeinen politischen Situation
nicht fehlen darf, im Gegenteil, er muß vorher vorhanden sein. Das ist zur
Zeit nicht der Fall. Immerhin halte ich die Anregung Jegorows für sehr
beachtlich und erfreulich, zumal sie sicherlich nicht ohne Billigung des
Volkskommissars 7 ) eigenmächtig erfolgt ist; man wird vielleicht [spä]ter
daran anknüpfen können. Auch dann wird man aber m. E. vorher [erst]
einmal bei den Russen sondieren müssen, wie sich die oberste [politische
und militärische Leitung zu einem deutschen Besuchsan[gebot] stellt, um
das Risiko einer ausweichenden russischen Antwort [künft]ig auszu-
schließen.
Die am gleichen Tage mit dem Oberbefehlshaber des Moskauer [Militär-
bezirks Kork, dem Chef der Roten Flotte Orlow, mit [dem] politisch als
Sprachrohr nicht unwichtigen Reiterführer Budjonni u. a. geführten Ge-
spräche verliefen gleichfalls sehr [vertrau] lieh. Kork ist mit allerhand
militärischen Einzelheiten heraus [gerück] t, über die an anderer Stelle
(Beilage I des Berichts 2/34 an [Ministe]ramt8)) gemeldet wird. Orlow hat
mit besonderer Anerkennung und Dankbarkeit seiner aufschlußreichen
Eindrücke bei dem Besuch der neuesten deutschen Kriegsschiffe im Dienst
und im Bau gedacht.
Mit ganz besonderer Herzlichkeit gedachte Jegorow auch der deutschen
Offiziere Paulus und Reinhardt, auch Brennecke, die er unbegrenzt ver-
ehrt.8) „Wenn die deutsche Armee einmal keinen Raum mehr für P[aulus]
und Reinhardt] hat," sagte Jegorow, „nehmen wir sie mit offenen Armen
auf; es sind unersetzliche Lehrkräfte, die wir besonders brauchen können."
Alles in allem lag uns an diesem Abend wieder einmal - wie für Augen-
blicke aus der Ferne gezeigt - das ideelle und politische Gut vor Augen,
das Deutschland in der Roten Armee noch besitzt, in der Armee, die es
auch im Trommelfeuer antideutscher politischer Propaganda noch nicht so
leicht vergißt, daß Deutschland als erster Staat die Sowjetunion anerkannte
und ihr bei der inneren Ausgestaltung der Roten Armee der ausschlag-
gebende Berater war. Man kann aus dieser Einstellung Folgerungen ziehen,
aber nicht darauf bauen, daß sie etwa für alle Zeiten auch dann ein unver-
änderliches Gedankengut bleiben müßte, wenn die Außenpolitik beider
Staaten auseinanderführt. (Gleichlautend an Ministeramt.) 10)
Es bestätigt sich, daß der Oberbefehl über die russischen Seestreitkräfte
im Fernen Osten in den Händen des früheren langjährigen Chefs der Ost-
seeflotte Wiktorow liegt. Ihm unterstehen sowohl der Flottenstützpunkt
Wladiwostok nebst den [dort] stationierten Seestreitkräften wie die Amur-
Flottille. Wie aus Kreisen des Kriegskommissariats geäußert wird, gilt
Wiktorow als der tüchtigste Seebefehlshaber; als solchem sei ihm augen-

"(7) Litwinow.
(8) Fundort der Anlage I: M 152/M 005 214-20. Der erste Teil des Berichts Nr. 2/34 vom
17. Januar (M 152/M 005 207-13) ist identisch mit dem ersten Teil der Vorlage.
(9) Der spätere Feldmarschall Paulus sowie Reinhardt und Brennecke waren im Auftrag des
Reichswehrministeriums von 1930 bis 1933 als militärische Berater in der Sowjetunion
tätig gewesen.
(10) Siehe Anm. 8.

369

11,1 Bg. 24
Nr. 192 18. JANUAR 1934

blicklich die schwierigste Aufgabe anvertraut worden. Seine Kenntnisse als


U-Boot-Spezialist werden besonders hervorgehoben.
Aus den Nachrichten aus dem Fernen Osten ist von besonderem mari-
timem Interesse, daß die Schaffung eines Hafens in der Nagajewa-Bucht
an der Nordküste des Ochotskischen Meeres neuerdings geplant ist. Die
Bucht liegt im Inneren der Tauiskaja-Bucht (L. 150° O, Br. 59° N) und gilt
als der bestgeschützte Platz in diesem Gebiet, der Raum für Schiffe jeder
Größe bietet. Der Bau soll im Jahre 1934 begonnen werden. Weitere Nach-
richten über Wladiwostok und dem Fernen Osten siehe Anlage I.11)
[Wie] aus einem Gespräch mit dem Stellvertreter des Chefs der Marine-
[leit]ung, Admiral Ludri, hervorgeht, beschäftigt sich die sowjetrussische
Marine augenblicklich mit der Frage der Torpedo-Aus[rüstu]ng der neuen
Unterseeboote. Es scheint, daß die Unterseeboote [. . .]-Torpedos bekom-
men sollen. Admiral Ludri erwähnte italienische] Torpedos und fragte, ob
eine Torpedogeschwindigkeit von 50 sm [. . .] 000 m Schußweite für möglich
gehalten werde. Da die Firma [White]head,12) soweit hier bekannt, tat-
sächlich Torpedos mit derartigen [Eigen] schaffen anbietet, kann der Schluß
gezogen werden, daß die [Verwendung italienischer Torpedoausrüstungen
von der sowjetrussifschen] Marine zur Zeit erwogen wird.
Hinsichtlich der zweckmäßigsten Größe von Unterseebooten ist in Krei-
sen des Kriegskommissariats die Auffassung zu hören, daß für Operationen
in größeren Seegebieten, wie dem Stillen Ozean, ein Deplacement von
1000 t am besten sei. Man hegt Zweifel, ob ein Deplacement von 600 t
dort ausreichend sei. Es wurde hierzu unsererseits auf die deutschen
Kriegserfahrungen mit U 53 und anderen Booten hingewiesen, die ge-
zeigt hätten, daß Boote mittlerer Größe auch auf größtem Seeraum zu er-
folgreichster Kriegführung geeignet seien.
Es ist beabsichtigt, daß Kapitänleutnant von Baumbach in der nächsten
Zeit eine mehrtägige Informationsreise nach Leningrad macht.
HARTMANN 13)

(11) Gemeint ist offenbar die Anlage I zum Bericht Nr. 2/34 vom 17. Januar. Siehe Anm. 8.
(12) Siehe Serie D, Bd. IV, Dokument Nr. 414, Anm 2, S. 468.
*(1S) Randvermerk: „Gelesen. Nadolny."

192
2980/D 580 498-99
Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 18. Januar 1934
e.o. RM. 73
Heute morgen suchte mich der ungarische Gesandte auf. Er brachte einen
langen Bogen mit Fragen aller Art, von denen ich nur die wichtigsten
nachstehend wiedergebe. Zunächst begann er damit, daß die Kreise in
Ungarn, die eine Änderung der deutschfreundlichen Politik der ungarischen

370
Nr. 192 18. JANUAR 1934

Regierung forderten, diese Forderungen damit begründeten, daß Deutsch-


land auf jede Revisionspolitik verzichtet habe. Um diesen Angriffen ent-
gegentreten zu können, möchte die ungarische Regierung wissen, ob wir
in Zukunft noch bereit seien, die ungarischen Revisionswünsche zu unter-
stützen. Ich erwiderte Herrn von Masirevich, die gleiche Frage habe er
bereits vor einiger Zeit an den Staatssekretär von Bülow gerichtet,1) und
ich könne ihm ebenso wie dieser nur antworten, daß wir die ungarischen
Revisionswünsche nach wie vor moralisch zu unterstützen bereit seien.
Sodann fragte der Gesandte, ob wir außer mit den Polen noch mit anderen
Staaten der Kleinen Entente in Verhandlungen wegen Abschluß von
Nichtangriffspakten stehen. Ich verneinte dies und sagte Herrn von
Masirevich, daß außer der ihm bekannten generellen Erklärung des Herrn
Reichskanzlers, daß Deutschland bereit sei, mit allen seinen Nachbarstaaten
Nichtangriffspakte zu schließen,2) keine positiven Fortschritte in dieser
Frage gemacht worden seien.
Der Gesandte frug sodann, ob wir bereit wären, die Beziehungen zu
Ungarn durch einen besonderen Vertrag zu regeln. Ich erklärte ihm, ich
sei kein Freund von überflüssigen Pakten. Die Beziehungen Deutschlands
zu Ungarn seien von jeher freundschaftlich gewesen und würden nur von
Zeit zu Zeit getrübt durch das Verhalten der Ungarn zu den deutschen
Minoritäten. Ich könnte mir nicht vorstellen, daß durch eine schriftliche
Versicherung des gegenseitigen Wohlwollens dieses fester begründet
würde als durch die bewährte tatsächliche Freundschaft. Herr von Masi-
revich griff sodann die Frage der deutschen Minderheiten auf und er-
wähnte einen in Aussicht stehenden Brief des Ministers Gömbös an den
Herrn Reichskanzler über diese Frage.3) Ich sagte dem Gesandten, unsere
Stellung zu der Frage der deutschen Minderheiten in Ungarn sei so oft
von allen maßgebenden Stellen präzisiert und der ungarischen Regierung
erklärt worden, daß ich sie nicht zu wiederholen brauchte. Ich bedauerte es,
daß die ungarische Regierung noch nicht Mittel und Wege gefunden hätte,
durch entsprechende Verordnungen die deutschen Minderheiten in Ungarn
zufriedenzustellen.
Herr von Masirevich frug dann noch über unser Verhältnis zu Rußland,
über unsere Ansicht zu dem geplanten Balkan-Pakt, über unsere Stellung
zu Genf, über den Stand der Beziehungen zu Österreich, über unsere Ver-
handlungen mit Polen, über den Randstaaten-Pakt,4) über den Inhalt
unseres Memorandums in der Abrüstungsfrage.5) Auf alle diese Fragen
erteilte ich die bekannten Antworten.
v. N[EURATH]

(i) Siehe Dokument Nr. 175, Anlage.


(2) Siehe Dokument Nr. 1.
(3) Dokument Nr. 252.
(4) Siehe Dokument Nr. 187.
(5) Siehe Dokument Nr. 194, Anm. 1.

371
Nr. 193 19. JANUAR 1934

193
2368/D 494 037-38

Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath

BERLIN, den 19. Januar 1934


RM. 80

Der Herr Reichskanzler empfing heute nachmittag auf sein dringendes


Verlangen den englischen Botschafter. Dieser führte unter Übergabe einer
Notiz J) aus, daß die englische Regierung über das Verhalten der deutschen
amtlichen Stellen in der Transferfrage aufs schwerste besorgt sei, insbe-
sondere über die den englischen Gläubigern zuteil gewordene Diskrimi-
nierung. Der englische Botschafter führte ferner aus, daß seine Regierung
einen sehr ungünstigen Einfluß auf die Beziehungen der beiden Länder
befürchte, wenn das jetzige Verfahren der Reichsbank nicht abgeändert
werde.
Der Herr Reichskanzler erwiderte dem Botschafter, er könne sich denken,
daß wir nur durch die äußerste Not gezwungen zu der Herabsetzung der
Transferquote geschritten seien. Wenn die englische Regierung verlange,
daß wir die mit der Schweiz und mit Holland getroffenen Abkommen 2 )
aufgeben, so könne er dem Botschafter heute schon sagen, daß wir späte-
stens in zwei Monaten bei völliger Erschöpfung unserer Mittel überhaupt
nicht mehr in der Lage sein würden, einen Pfennig zu transferieren. Nur
durch größere Exportmöglichkeiten könnten wir die Bezahlung unserer
Schulden und unserer Zinsverpflichtungen einhalten. Wenn allerseits ein
reines Clearing-Verfahren eingeführt würde, so würde dadurch die deut-
sche Zahlungsfähigkeit sofort beendigt werden. Der englische Botschafter
bat schließlich, man möchte wenigstens den sämtlichen Gläubigern Gele-
genheit geben, die Lage gemeinsam hier zu erörtern. Der Kanzler erwi-
derte darauf, dies sei seines Wissens geplant und lediglich durch die in
der Zwischenzeit aufgenommenen Verhandlungen zwischen dem Präsiden-
ten der englischen Notenbank 3 ) und dem Präsidenten Schacht etwas ver-
schoben worden.4)
Der Herr Reichskanzler ist mit mir der Ansicht, daß es sich bei dem Vor-
gehen der Engländer nicht nur um ein Erpressungsmanöver zugunsten der
englischen Gläubiger handelt, sondern auch um durch die uns erwachsen-
den Schwierigkeiten allgemein auch in der Abrüstungsfrage auf uns zu
drücken.5)
v. N[EURATH]

(i) Dokument Nr. 197, Anlage.


(2) Siehe Dokument Nr. 151.
*(8) Norman.
(4) Siehe Dokument Nr. 204.
(5) Nach einem Bericht Botsdiafter Phipps' über die Unterredung mit Hitler wurde bei
dieser Gelegenheit auch die Abrüstungsfrage erörtert. Siehe Documents on British
Foreign Policy, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 190.

372
Nr. 195 19. JANUAR 1934

194
3154/D 670 565
Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 19. Januar 1934
RM. 81
Ich habe heute um 5 Uhr dem französischen Botschafter unser Memo-
randum J) in zwei Exemplaren übergeben. Ich machte den Botschafter dar-
auf aufmerksam, daß unser Memorandum ebenso wie das französische
Aide-memoire in höflicher Form gehalten sei und die Türe für weitere
Diskussionen offen lasse. Der Botschafter kam sodann auf die Rede des
Ministerpräsidenten Chautemps von gestern im Senat 2 ) zu sprechen und
meinte, die deutsche Presse habe diese Rede falsch verstanden, sie sei aus
den innerpolitischen Schwierigkeiten zu erklären. Ich sagte Herrn Poncet,
die Rede des Herrn Chautemps beweise die Richtigkeit unserer Auf-
fassung, daß nämlich keine französische Regierung in der Lage sei, Ab-
rüstungsmaßnahmen durchzusetzen, und insofern hoffte ich, daß vielleicht
auch in Frankreich allmählich für unsere Auffassung der Lage ein besseres
Verständnis erwachsen werde. Der Botschafter, dem die Rede Chautemps'
im jetzigen Augenblick offenbar nicht sehr bequem war, bat schließlich,
ich möchte an den maßgebenden Stellen doch für ein richtiges Verständnis
dieser Rede Sorge tragen.
v. N[EURATH]
*(l) Mit diesem Memorandum (7467/H 179 843-58) beantwortete die Reichsregierung das
Aide-memoire der französischen Regierung vom 1. Januar (siehe Dokument Nr. 159 und
Anm. 3 dazu). Das Memorandum ist abgedruckt in Dokumente der Deutschen Politik,
Bd. II, S. 99-108. Eine französische Übersetzung mit einem Kommentar Francois-Poncets
ist abgedruckt in Documenfs Dipiomatiques Francais, 1. Serie, Bd. V, Nr. 245 und 260.
Eine englische Übersetzung findet sich in Documenfs on British Foreign Policy, 2. Serie,
Bd. VI, Nr. 193, Anhang.
(2) Siehe Journal Otliciel de la Ripublique Francaise: Debats Parlementaires, Senat, 1934,
Nr. 9, S. 63-65.

195
3154/D 670 566
Auizeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 19. Januar 1934
RM. 83
Ich habe heute um 6 Uhr dem englischen Botschafter') die Antwort 2 ) auf
seine Note vom 20. Dezember 3 ) gleichzeitig mit einer Abschrift des dem
französischen Botschafter4) ausgehändigten Memorandums 5 ) übergeben.
Die Verspätung dieser Antwort habe ich mit der Notwendigkeit erklärt,
*(l) Phipps.
(2) Fundort: 7467/H 179 870-75. Siehe auch Documenfs on British Foreign Policy, 2. Serie,
Bd. VI, Nr. 191.
(3) Dokument Nr. 141.
"(4) Francois-Poncet.
(5) Siehe Dokument Nr. 194, Anm. 1.

373
Nr. 197 19. JANUAR 1934

sie in Einklang mit den durch das französische Aide-memoire 6 ) notwendig


gewordenen deutschen Ausführungen zu bringen.
v. N[EURATH]
*(«) Siehe Dokument Nr. 159, Anm. 3.

196
2368/D 494 039-40
Autzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN,den 19. Januar 1934
RM. 84
Unter Bezugnahme auf die Unterredung des englischen Botschafters mit
dem Herrn Reichskanzler und mir l) über die Transferfrage vom heutigen
Tage habe ich Sir Eric Phipps noch folgendes gesagt: In der von der eng-
lischen Regierung jetzt abgelehnten Regelung zwischen dem Präsidenten
der Bank von England 2) und dem Reichsbankpräsidenten 3) sei vorgesehen
gewesen, daß die englischen Gläubiger durch die Bank von England sofort
mit 90°/o ihrer Zinsansprüche befriedigt worden wären.4) Es würde also
danach nicht nur keine Diskriminierung zwischen den schweizerischen und
holländischen Gläubigern mehr bestanden haben, sondern im Gegenteil
eine Besserstellung der englischen Gläubiger. Durch die Verpflichtung der
Reichsbank, die Vorschüsse der Bank von England innerhalb von 2 bis
3 Jahren zurückzuzahlen, würde auch für diese letztere keinerlei Verlust
entstanden sein. Ich könne also in dem Vorgehen der englischen Regierung
lediglich den Versuch erblicken, uns neue Schwierigkeiten zu schaffen und
für andere schwebende Fragen einen Druck auf uns auszuüben. Ich habe
aber Sir Eric Phipps gleichzeitig keinen Zweifel darüber gelassen, daß wir
uns durch diese Methode in keiner Weise einschüchtern lassen, und ihm
nebenbei auch nochmals erklärt, daß wir spätestens in zwei Monaten kei-
nen Pfennig mehr transferieren würden, falls die englische Regierung auf
der Kündigung des Schweizer- und Holländer-Abkommens bestehen bleibe.
v. N[EURATH]

(i) Siehe Dokument Nr. 193.


*(2) Norman.
• (3) Sehacht.
(4) Siehe Dokument Nr. 204, Anlage.

197
7186/E 527 906-09
Autzeichnung des Ministerialdirektors Ritter
BERLIN, den 19. Januar 1934
W. 445
AKTENVERMERK
Der Herr Reichsaußenminister teilte mir über die heutige Unterredung

374
Nr. 197 19. JANUAR 1934

des englischen Botschafters mit dem Herrn Reichskanzler,1) an der er teil-


genommen hat, folgendes mit:
Der englische Botschafter legte mündlich den Inhalt der anliegenden
Notiz dar, die der englische Botschafter nachher nicht als offizielles Schrift-
stück, sondern nur als Unterlage für seine mündlichen Darlegungen hinter-
ließ. Der Herr Reichskanzler habe dem englischen Botschafter darauf ge-
antwortet, die englische Regierung sollte überzeugt sein, daß es für die
deutsche Regierung höchst mißlich sei, daß Deutschland als Schuldnerland
nicht voll transferieren könne. Wenn die englische Regierung aber auf der
einen Seite die angedrohten Maßnahmen ergreife und auf der anderen
Seite Deutschland hindere, durch zweckentsprechende Abkommen mit
anderen Ländern sich möglichst viel Devisen zu schaffen, so würde sehr
schnell, vielleicht schon innerhalb weniger Monate, der Zustand eintreten,
daß überhaupt nichts mehr transferiert werden könne.
In der anschließenden Besprechung zwischen dem Herrn Reichskanzler
und Herrn Reichsaußenminister waren die beiden Herren sich darüber
einig, daß die deutsche Regierung sich durch diesen erneuten Schritt der
englischen Regierung nicht beeinflussen lassen solle. Natürlich müßte man
die englischen Gläubiger jetzt kommen lassen und alles tun, um diesen
die Situation Deutschlands als Schuldnerland klarzumachen. Der Herr
Reichskanzler und Herr Reichsaußenminister waren der Meinung, daß
dieser neue englische Druck nicht allein auf die Transferfrage zurückzufüh-
ren sei, sondern auf die gesamten politischen Zusammenhänge. Offenbar
wolle die englische Regierung durch einen Druck auf diesem Gebiet uns
auch in anderen Fragen nachgiebiger machen.
Ich habe den Inhalt der englischen Aufzeichnung und des Obenstehenden
Herrn Reichsbankpräsidenten Schacht telefonisch mitgeteilt. Herr Schacht
sagte, er stimme der Auffassung des Herrn Reichskanzlers voll zu.
Bezüglich der Zuziehung der englischen Gläubiger zu der Sitzung am
22. d. M. sagte Herr Schacht, die Engländer seien eingeladen, sie hätten
bisher nicht abgesagt, daher könne davon ausgegangen werden, daß sie
am 22. Januar hier eintreffen. Jedenfalls bestehe für uns kein Anlaß, in
dieser Frage jetzt etwas Neues zu unternehmen. Die holländischen Gläu-
bigervertreter hätten heute abgesagt.
Bezüglich der Antwort der englischen Noten 2 ) waren der Herr Reichs-
außenminister und Herr Reichsbankpräsident Schacht der Auffassung, daß
die beabsichtigte Antwort alsbald überreicht werden solle. Ich sagte Herrn
Schacht, ich hätte in dem Entwurf Vocke nur noch die kleinen Änderungs-
vorschläge von Berger eingearbeitet. Außerdem schlüge ich noch vor, daß
das gedruckte Rundschreiben der Reichsbank beigefügt werde.3) Herr
Reichsbankpräsident Schacht war damit einverstanden.
Vorzulegen dem Herrn Staatssekretär, der Abteilung VI, Herrn Ulrich,
Herrn Baer.
R[ITTER]

• (i) Siehe Dokument Nr. 193.


(2) Die Antwort ist Dokument Nr. 200.
(3) Siehe Dokument Nr. 200, Anm. 1.

375
Nr. 198 19. JANUAR 1934

[Anlage]
The two features which have aroused public opinion in England are
first that British creditors have been the victims of discrimination in
favour of creditors in other countries, and secondly that the Reichsbank
has taken unilateral decisions which the British creditors do not regard
as justified by the facts and which in any case ought only to be decided by
agreement between the parties. The impression that the British creditors
have been unfairly treated has aroused intense resentment in England.
The question was discussed informally between Dr. Schacht and the
British Central Bank authorities at Basle, and it is understood that some
Suggestion was made that the Bank of England should step in to tide over
the difficulty.4) But a Solution on these lines is not practical politics and
cannot be entertained by His Majesty's Government.
Unless a satisfactory Solution can be found His Mayesty's Government
will be reluctantly obliged, despite the grave effects, to take appropriate
measures, for example to consider the institution of a Clearing arrange-
ment, in defence of British interests.
His Majesty's Government therefore earnestly trust that the proposal
made in Sir Eric Phipps' note of December 30th 5 ) will be accepted. If,
however, this proposal gives rise to difficulties the question should be
settled by negotiation with the representatives of the British creditors, and
they hope that instructions accordingly will be given to the German
authorities concerned.

(4) Siehe Dokument Nr. 204.


(5) Fundort: 7186/E 527 847-51.

198
6692/H 098 731-35
Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath
an die Botschatt in Tokio
Sofort BERLIN, den 18. Januar 1934
Geheim Abgesandt: 19. Januar
zu IV Ja. 1296 J) Ang. II;
IV Ja. 4 2 )
Im Anschluß an anderweite Weisung vom 1. d. M.3)
In Ergänzung der drahtlich erteilten Weisung möchte ich nochmals nach-
stehende Gesichtspunkte hervorheben:

(1) IV. Ja. 1296: Dokumente Nr. 154 und 158.


(2) IV Ja. 4: Telegramm Dirksens Nr. 1 vom 3. Januar 1934 (6692/H 098 728). Siehe Doku-
ment Nr. 183, Anm. 18.
(3) Dokument Nr. 158.

376
Nr. 198 19. JANUAR 1934

Die Frage der Anerkennung von Mandschukuo ist eine Frage, die nicht
nur die japanisch-deutschen Beziehungen berührt, sondern in den Rahmen
der allgemeinen Politik sowie der gesamten Ostasien-Politik im besonde-
ren eingegliedert werden muß.
Was die japanisch-deutschen Beziehungen anbelangt, so ist die even-
tuelle Bereitwilligkeit der deutschen Regierung, sich in Verhandlungen
über eine Anerkennung von Mandschukuo einzulassen, das stärkste
Aktivum, das Deutschland Japan gegenüber zur Verfügung steht. Es ist
aber auch politisch wohl das einzige zugkräftige Aktivum, und es ist des-
halb selbstverständlich, daß dieses Aktivum von unserer Seite gar nicht
hoch genug in die Rechnung eingesetzt werden kann. Daß die Japaner mit
allen verfügbaren Mitteln darauf hinarbeiten, irgendeine Großmacht zur
Anerkennung von Mandschukuo zu veranlassen oder sie zu bewegen,
wenigstens Schritte in dieser Richtung zu unternehmen, ist selbstverständ-
lich. Für die japanische Politik ist die Herbeiführung der Anerkennung von
Mandschukuo eine ihrer Hauptaufgaben. Diese Betriebsamkeit der Japa-
ner, die zur Zeit stark auf Deutschland abgestellt ist, darf uns aber nicht
davon abbringen, die Angelegenheit - und zwar nicht nur die Wahl des
Zeitpunktes für Verhandlungen über eine etwaige Anerkennung, sondern
auch alle in dieser Richtung gehenden vorbereitenden Schritte - als eine
Frage zu betrachten, die ausschließlich vom Standpunkt unserer Interessen
beurteilt und behandelt werden muß. Hiernach ist der Augenblick für
irgendeinen Schritt, der in Richtung der bevorstehenden Anerkennung ge-
deutet werden könnte, noch nicht gekommen, ganz abgesehen davon, daß
keinerlei äquivalente japanische Gegenleistung politischer oder wirtschaft-
licher Natur für Deutschland sichtbar ist. Die angelsächsischen Mächte, auch
die Vereinigten Staaten von Amerika, befleißigen sich der gleichen Zurück-
haltung. Den dortseits erwähnten Pressemeldungen, nach denen in Ame-
rika Strömungen für die Anerkennung von Mandschukuo bestehen sollen,
kann keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden, von einer
Schwenkung der amerikanischen Politik in dieser Hinsicht ist nichts be-
kannt; ebensowenig kann die Änderung der Zuständigkeit des englischen
Konsulats in Mandschukuo als Anhalt dafür angesehen werden, daß Eng-
land bereits auf dem Wege zu einer praktischen Anerkennung von Mand-
schukuo wäre. Deutsche Schritte in der Richtung einer Anerkennung von
Mandschukuo würden sich, auch ohne daß man sich dieserhalb auf unsere
Mitwirkung bei den Völkerbundsbeschlüssen des vorigen Jahres zu be-
rufen brauchte,4) in unseren Beziehungen zu England und Amerika sehr
nachteilig auswirken.
Auch die Beziehungen zu China erfordern in der Frage der Mandschurei
größte Zurückhaltung. Die dortige Annahme, daß China sich eine Brüskie-
rung Deutschlands habe zuschulden kommen lassen, ist nicht zutreffend.
Die im vergangenen Sommer von dem früheren Finanzminister 5 ) vorbe-
reiteten Anstellungen sozialdemokratischer Funktionäre sind von der

(4) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 28.


(5) T. V. Soong. - Akten betr. Verhandlungen über die Beschäftigung deutscher Fachleute
in China sind gefilmt unter der Seriennummer 8794

377
Nr. 199 19. JANUAR 1934

chinesischen Regierung auf die deutschen Vorstellungen hin in den wesent-


lichsten Fällen rückgängig gemacht und für die Zukunft völlig befriedi-
gende Zusicherungen abgegeben worden. Schließlich erfordert unser Ver-
hältnis zu Rußland gerade im gegenwärtigen Augenblick, wie nicht näher
ausgeführt zu werden braucht, größte Rücksichtnahme und verbietet jede
einseitige politische Parteinahme für Japan.
Die vorstehend gekennzeichneten Richtlinien lassen Ihre Reise nach
Mandschukuo zur Zeit nicht zweckmäßig erscheinen! sie könnte nur als
eine ostentative Geste gegenüber Japan und als vorbereitende Handlung
für eine baldige Anerkennung Mandschukuos gedeutet werden. Beides ist
unerwünscht. Hierzu steht in keiner Weise in Widerspruch, daß, wie der
Herr Reichskanzler Ihnen mitgeteilt hat, die Frage der Anerkennung von
Mandschukuo ein Trumpf in dem politischen Spiele sein soll, den zu gege-
bener Zeit auszuspielen wir bereit sind.
v. N[EURATH]

199
8580/E 601 953

Der Botschafter in Tokio von Dirksen an das Auswärtige Amt

Telegramm

Geheim TOKIO, den 19. Januar 1934 18 Uhr 15


Nr. 11 vom 19. 1. Ankunft: 19. Januar 12 Uhr 55
IV Chi. 137
Für Herrn Reichsminister persönlich.
Im Anschluß an Bericht Gesandtschaft Peping vom 30. 12. Nr. 879.1)

Erneute Chinareise Generals v. Seeckt würde Erregung über Tätigkeit


deutschen Instrukteurs in China hier erneut entfachen und schwere Bela-
stung deutsch-japanischen Verhältnisses bilden. Bitte daher Herrn Reichs-
kanzler, Blomberg veranlassen, Seeckts Reise zu verhindern; Reichswehr-
minister war hierzu in Unterhaltung mit mir im Oktober bereit.2)
DIRKSEN

(1) Dokument Nr. 157.


(2) Randvermerke: „H[err] St[aats)s[ekretär] bittet um Beteiligung bei der Weiterverfolgung
d[er] Angel[egenheit], Ko[rdt]."
„St[aats]s[ekretärJ. Ich halte die Befürchtung für übertrieben, v. N[eurath] 20. 1."

378
Nr. 200 19. JANUAR 1934

200
9119/E 641 236-37; 240-46
Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath
an den britischen Botschafter in Berlin Phipps
Sofort BERLIN,den 19. Januar 1934
zu W. 401 1 ); 402 2)
Herr Botschafter,
auf Euer Exzellenz Noten vom 23. und 30. Dezember 1933 - Nr. 4213) und
Nr. 4274) - beehre ich mich folgendes zu erwidern:
Die deutsche Regierung bedauert lebhaft, daß sich die Transfermöglich-
keiten für die Auslandsverpflichtungen der deutschen Wirtschaft neuer-
dings weiter ungünstig gestaltet haben. Diese erhöhten Schwierigkeiten
sind eine Folge der ungenügenden Entwicklung der deutschen Ausfuhr,
deren Grundbedingungen zu ändern nicht in der Macht der deutschen Re-
gierung liegt.
Die deutsche Regierung ist mit der kgl. britischen Regierung der Auf-
fassung, daß es bei Schwierigkeiten in der Durchführung des Schulden-
dienstes die beste Methode ist, daß sich Schuldner und Gläubiger zusam-
mensetzen, um die Sachlage gemeinsam zu beraten. Es muß jedoch darauf
hingewiesen werden, daß die deutsche Regierung (abgesehen von Einzel-
fällen wie Dawes- und Young-Anleihe, die hier nicht in Betracht kommen)
und ebenso die Reichsbank nicht Schuldner sind und daß die deutschen
privaten Schuldner selbst ihren Verpflichtungen ohne Verzug nachgekom-
men sind. Es liegt bei dem Transferproblem nicht ein Schuldnerverzug vor,
sondern eine volkswirtschaftliche Lage, in der die deutsche Regierung und
die Reichsbank sich darauf beschränken müssen, im Interesse der Gläubi-
ger und Schuldner geregelte Verhältnisse möglichst aufrecht zu erhalten.
In diesem Bestreben haben die deutschen Stellen nicht nur erst jetzt,
sondern schon seit dem Krisensommer 1931 den Weg gewählt, gemein-
same Besprechungen mit den Gläubigern herbeizuführen. Der Geist ver-
trauensvoller Zusammenarbeit in dieser Richtung kann nicht besser be-
zeugt werden als durch die Erklärung, die der Stillhalte-Gläubigerausschuß
im Jahre 1932 spontan abgegeben hat dahin, daß „die deutschen Schuldner
die Rückzahlung in gutem Glauben beabsichtigen. Dies ist bewiesen durch
den Umfang der Rückzahlungen, die bereits geleistet worden sind . . .
Deutschland ist in der Zahlung mit Gold bereits so weit gegangen, wie
seine Gläubiger irgend verlangen können". Auch unmittelbar bevor das
deutsche Reichsgesetz über „Zahlungsverbindlichkeiten gegenüber dem
Ausland" vom 9. Juni 1933 5) erlassen wurde, hat die Reichsbank Veran-
lassung genommen, sich mit den ausländischen Banken- und Kapitalver-

(i) W. 401: Schreiben des Reichsbankdirektoriums an das Auswärtige Amt vom 13. Januar
1934 (9119/E 641 226-27).
(2) W . 402: Schreiben d e s Reiehsministers d e r F i n a n z e n an d a s A u s w ä r t i g e A m t v o m
15. J a n u a r (9119/E 641 234-35).
(3) D o k u m e n t N r . 146.
(4) F u n d o r t : 7186/E 527 847-51.
(5) Siehe ReichsgesetzWaff, 1933, Teil I, S. 349-50.

379
Nr. 200 19. JANUAR 1934

tretern zu besprechen. Das Ergebnis der Diskussion war eine allgemeine


Übereinstimmung darüber, daß die der Reichsbank noch zur Verfügung
stehenden freien Gold- und Devisenreserven einen solchen Tiefstand er-
reicht haben, daß bei weiterem Rückgang die volle Funktion der Reichs-
bank als zentrales Notenbankinstitut beeinträchtigt werden müßte. Es sei
daher wünschenswert, diese Reserven schrittweise zu erhöhen, um dadurch
die Reichsbank zu unterstützen in ihren erfolgreichen Bemühungen, die
Stabilität der deutschen Währung fortzuführen. An dieser Auffassung hat
sich auch in den Besprechungen, die die Reichsbank im Dezember 1933
erneut mit den Vertretern der ausländischen Gläubigerinteressen geführt
hat, nichts geändert. Es ist bekannt, daß auch die besonders geeignete
Gelegenheit, die die Londoner Weltwirtschaftskonferenz für eine inter-
nationale Änderung der Ausfuhr- und Transferbedingungen für die Schuld-
nerländer geboten hätte, ohne Verschulden Deutschlands versäumt worden
ist. Die deutsche Regierung macht ferner darauf aufmerksam, daß die Ent-
wertung und schwankende Grundlage einer Reihe ausländischer Währun-
gen in erheblichem Umfange dazu beigetragen haben und noch beitragen,
die Wiederkehr normaler Handelsverhältnisse und die Besserung der
deutschen Transferlage zu verzögern.
In diesem Zusammenhang und im Hinblick auf die grundsätzlichen Vor-
stellungen in der Einleitung der Note der kgl. britischen Regierung wünscht
die deutsche Regierung daran zu erinnern, daß die deutsche Auslandsver-
schuldung ein Sonderproblem darstellt, welches mit der Auslandsverschul-
dung anderer Länder nicht verglichen werden kann. Die Auslandsverschul-
dung anderer Länder ist ein normales Ergebnis der Weltwirtschaftsentwick-
lung. Die deutsche Auslandsverschuldung aber hat außerdem zu einem
sehr erheblichen Teil ihren Ursprung in den vorausgegangenen politischen
Verhältnissen. Der sogenannte Layton-Bericht des Jahres 19316) hat
ziffernmäßig belegt, daß von der deutschen privaten Auslandsverschuldung
mehr als die Hälfte auf Kredite entfällt, deren Devisen-Gegenwert zur
Erfüllung politischer Schulden gedient hat.
Es muß leider damit gerechnet werden, daß die anormalen Verhältnisse
bezüglich der Transfermöglichkeiten noch längere Zeit andauern werden;
jedenfalls solange, bis wieder stabile nationale Währungen und normale
internationale Kreditbeziehungen hergestellt sein werden. Der jetzt neu
getroffenen Regelung für den kurzen Zeitraum von 6 Monaten kommt
daher eine entscheidende Bedeutung nicht zu. Sollte sich im Verlauf dieser
6 Monate ergeben, daß die Reichsbank bei der Schätzung des kommenden
Devisenanfalls zu vorsichtig gewesen ist, so bleibt der Weg für eine er-
höhte Transferquote nach Ablauf dieser 6 Monate offen. Keinesfalls kann
die deutsche Regierung auf eine pflichtgemäße Wahrung der für Deutsch-
land lebenswichtigen Währungsinteressen verzichten. Sie kann sich diese
Verantwortung nicht abnehmen lassen von Vertretern der ausländischen

(*) Gemeint ist der Bericht des Beratenden Sonderausschusses der Vertreter der Noten-
banken der Gläubigerländer und Deutschlands, der im Dezember 1931 in Basel zusam-
mengetreten war. Der Bericht ist abgedruckt in Cmd. 3995, Germany No. 1: Report of
the Special Advisory Committee Convened Under the Agreement With Germany
Concluded at The Hague on January 20, 1930 (1932).

380
Nr. 200 19. JANUAR 1934

Gläubiger, die nicht in der Lage sind, für die von ihnen vertretenen Rat-
schläge verantwortlich einzustehen.
Was die angebliche Diskriminierung durch die mit der Schweiz und
Holland getroffenen Transfer-Sonderabkommen anlangt, so erkennt die
deutsche Regierung an, daß sich für die einzelnen Gläubiger, je nachdem
ihre Länder ein Sonderabkommen abgeschlossen haben oder nicht, eine
unterschiedliche Befriedigung ergibt. Unter dem Gesichtspunkt der Lei-
stungen Deutschlands wird indessen dadurch der Grundsatz der Gleich-
mäßigkeit insofern nicht berührt, als ein Mehr in der Transferierung einem
Land gegenüber nur dann und insoweit zugestanden wird, als dieses Land
seinerseits Deutschland gegenüber gleichwertige zusätzliche Leistungen
übernimmt. Der erwähnte Unterschied kann also nicht Deutschland zur Last
gelegt werden. Die deutsche Regierung ist selbstverständlich bereit, auch
mit anderen Ländern Regelungen zu treffen, die den beiderseitigen Wirt-
schafts- und Finanzbeziehungen einen Fortschritt bringen und den toten
Punkt überwinden helfen.
Insbesondere hat sich Deutschland den Vorschlägen bezüglich solcher
Transfer-Sonderabkommen deshalb nicht entziehen zu dürfen geglaubt,
weil diese Sonderabkommen eine weitere Ausdehnung des Systems des
sogenannten Clearings verhüten, welches als neueste Bedrohung über dem
gesamten Welthandel liegt. Die Ausdehnung des Clearing-Systems würde
eine der bedenklichsten und rücksichtslosesten Formen des Wirtschafts-
kampfes darstellen und die Wiederherstellung des Welthandelsverkehrs
auf lange Zeit unterbinden. Das von der kgl. britischen Regierung so sehr
betonte und in den Vordergrund gestellte Prinzip der Gleichstellung aller
Gläubiger würde auf jeden Fall durch ein einseitiges Clearing oder andere
Zwangsmaßnahmen ähnlicher Art am meisten leiden. Denn die Länder mit
einer gegenüber Deutschland aktiven Handelsbilanz würden dann sofort
oder binnen kurzer Zeit überhaupt nichts mehr transferiert erhalten kön-
nen.
In der Tendenz, bei allen ihren Schritten nach Möglichkeit den Weg
internationaler Besprechungen und Verständigung offenzuhalten, hat die
deutsche Regierung sich in den Dezember-Besprechungen mit den Gläu-
bigervertretern bereit erklärt, vor dem Abschluß neuer Transfer-Sonder-
abkommen den Gläubigervertretern Gelegenheit zur Stellungnahme zu
geben. Im Einverständnis mit der deutschen Regierung hat deshalb die
Reichsbank die Gläubigervertreter zu einer Besprechung auf den 22. Januar
1934 nach Berlin eingeladen, bei der die Vertreter der Reichsregierung
geeignete sachliche Mitteilungen über den Inhalt solcher von ausländischer
Seite neu beantragter Abkommen machen und die Gläubigervertreter
Gelegenheit haben werden, sich dazu zu äußern. Die in der Note der kgl.
britischen Regierung enthaltene Forderung, daß die deutsche Regierung et-
waigen Einwendungen der Gläubigervertreter gegen solche Abkommen un-
ter allen Umständen Rechnung tragen soll, kann die deutsche Regierung nicht
annehmen. Die deutsche Regierung kann sich die Verantwortung für die
Wahrung lebenswichtiger Interessen des Staates nicht von privaten aus-
ländischen Persönlichkeiten abnehmen lassen, auch wenn der Einsicht und
Objektivität dieser Persönlichkeiten alle Anerkennung zu zollen ist. Ich

381
Nr. 201 19. JANUAR 1934

kann nicht annehmen, daß die kgl. britische Regierung in einem ähnlichen
Falle ihre Verantwortung als Regierung privaten ausländischen Persönlich-
keiten übertragen würde.
Um der kgl. britischen Regierung die Möglichkeit zu geben, sich ein
eigenes Urteil über die deutsche Devisenlage in der letzten Vergangenheit
und der nächsten Zukunft zu bilden, beehre ich mich das Memorandum hier
beizufügen, das die Reichsbank an die beteiligten Stellen versandt hat.7)
Ich benutze auch diesen Anlaß, um Euer Exzellenz den Ausdruck meiner
ausgezeichnetsten Hochachtung zu erneuern.
gez. FRHR. v. NEURATH
(7) Fundort: 7186/E 527 922-29.

201
9119/E 641 258-59
Der Botschafter in Washington Luther an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 21 vom 19. 1. WASHINGTON, den 19. Januar 1934 21 Uhr 59
Ankunft: 20. Januar 7 Uhr 30
W. 462
[Im] Anschluß [an Telegramm Nr.] 19.1)
Phillips bat mich heute zu sich und vorlas Text, den er mir schließlich
als Aide-memoire übergab,2) der sich nach seiner Angabe inhaltlich im
wesentlichen deckt mit amtlichem Schritt, den Dodd wohl in Notenform
heute in Berlin betreffs angeblicher Diskriminierung amerikanischer Bonds-
gläubiger machen würde.3) Phillips erläuterte Zweck Mitteilung auch an
mich dahin, daß Präsident, der ihn gestern wegen der Angelegenheit habe
kommen lassen, Eindruck von besonderer Bedeutung Schrittes hervorrufen
wolle und, falls Phillips nicht erfolgreich, auch bereit sei, mir seine Auf-
fassung persönlich zu sagen. Ich erwiderte, daß ich Empfang durch den
Präsidenten in der Angelegenheit dankbar begrüßen würde. Ob Ein-
ladung erfolgt, wird abzuwarten sein, da das Ganze möglicherweise mehr
zu Unterstreichung Bedeutung bestimmt.
Unterredung bestätigte mir grundsätzliche Bedeutung, welche amerika-
nische Regierung Angelegenheit beimißt, und besonders auch Eindruck über
Roosevelts Gesamteinstellung uns gegenüber. Phillips bemerkte zu meiner
privaten Information, Absatz Aide-memoires, welcher Möglichkeit Ver-
geltungsmaßnahmen an die Wand male, sei von Präsident entworfen.
Habe unser Gegenargument ausführlich lebhaft dargelegt, besonders be-
tonend, daß Diskriminierung gar nicht bestehe.

*(l) Telegramm Luthers Nr. 19 vom 18. Januar 1934 (9119/E 641 257).
(2) Eine Aufzeichnung Phillips' über die Unterredung und der Text des Aide-memoires sind
abgedruckt in Foreign Relations ol the United States, 1934, Bd. II, S. 338-40.
(3) Siehe Dokument Nr. 202.

382
Nr. 202 20. JANUAR 1934

Befürworte Auffassung, daß amerikanische Schritte betreffs Transfer-


problems, über technische und währungspolitische Seite hinausgehend,
wenigstens soweit Vereinigte Staaten als Hauptgläubigerland in Frage
kommen, auch unter dem Gesichtspunkt unserer allgemeinen wirtschafts-
politischen und außenpolitischen Beziehungen zu diesen behandelt werden
möchten. Erbitte Weisung, ob ich nach Schrifterlaß4) bestehende grund-
sätzliche Bereitschaft unsererseits, entsprechend Verabredungen wie mit
Holland und der Schweiz, wenn auch mit anderen Modalitäten, gegenüber
anderen Staaten eintreten zu lassen, gegebenenfalls auch formell gegen-
über amerikanischer Regierung erklären kann. Wäre dankbar, wenn in
dieser oder anderer Hinsicht in die Lage versetzt würde, amerikanischer
Regierung oder eventuell Präsidenten Wege anzudeuten, die ernsten wirt-
schaftlichen Konflikt nach unserer Auffassung ausschließen würden.5)
Hinweise in diesem Zusammenhang auf entgegenkommende Haltung
Englands, Frankreichs und anderer Staaten, insbesondere bei Alkohol-
frage,6) und auf offensichtlich große wirtschaftspolitische Aktivität Ruß-
lands.
LUTHER
(4) Randbemerkung: „Nach welchem? R[itter]."
(6) Mit Telegramm Nr. 19 vom 22. Januar (9119/E 641 262-65) wurde Luther von Bülow
informiert, daß die Lage bis zur Beendigung der auf den 25. Januar verschobenen
Tagung der Gläubigervertreter noch unklar bleibe und daß es daher nicht zweckmäßig
sei, der amerikanischen Regierung offiziell Transferabreden wie mit der Schweiz und
Holland anzubieten.
(8) Dieser Hinweis bezieht sich auf laufende Verhandlungen über die Einfuhr deutscher
Weine und Spirituosen in die USA im Rahmen der amerikanischen Kontingentierungen.

202
8597/E 603 625-26
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von Bülow:)
BERLIN, den 20. Januar 1934
W. 480
Der amerikanische Botschafter ersuchte mich heute an Stelle des Reichs-
ministers, der verhindert war, ihn zu empfangen. Er überbrachte die an-
liegende Note,2) die uns bereits durch das Telegramm aus Washington
Nr. 213) angekündigt war. Er verzichtete darauf, sie vorzulesen oder zu er-
läutern, beschränkte sich vielmehr auf den Hinweis, daß seine Vorstellun-
gen einen anderen Charakter und ein anderes Ziel hätten als die Aus-

(1) Bülow ließ diese Aufzeichnung Neurath und Ritter zugehen. Sie wurde von beiden
abgezeichnet.
(2) Ein Bericht Dodds über die Unterredung ist abgedruckt in Foreign Relations of the
United States, 1934, Bd. II, S. 342-44. Der Wortlaut der von ihm überreichten Note war
mit dem des Luther in Washington ausgehändigten Aide-memoires (siehe Dokument
Nr. 201, Anm. 2) identisch. Die Note ist gefilmt unter 8597/E 603 619-24.
(3) Dokument Nr. 201.

383
Nr. 203 22. JANUAR 1934

führungen, die er kürzlich gegenüber Herrn Ministerialdirektor Köpke ge-


macht habe. Er sprach von der Notwendigkeit, die Gläubiger anzuhören
und mit ihnen zu beraten, von der Gefährlichkeit aller Maßnahmen, die den
Welthandel einschränkten, und schloß mit der Hoffnung, daß die Bespre-
chungen mit den Gläubigern Anfang nächster Woche zu einer befriedigen-
den Lösung führen würden. Ferner erwähnte der Botschafter, daß er ver-
suchen wolle, den Herrn Reichsbankpräsidenten heute nachmittag in der
gleichen Angelegenheit zu sprechen. Auf jeden Fall werde er einen Ab-
druck der Note ihm noch heute zugehen lassen, so daß wir es nicht nötig
hätten, Herrn Schacht von uns aus zu unterrichten. 4 )
Ich sagte dem Botschafter, sein Besuch sei uns bereits durch Herrn
Luther angekündigt,5) und wir kennten den Inhalt der Note. Wir hätten
bereits ähnliche Auseinandersetzungen mit der englischen Regierung ge-
habt und hätten dem englischen Botschafter6) gestern abend eine Note
überreicht.7) Ich wiederholte einige grundsätzliche Ausführungen dieser
Note und überließ ihm einen Abdruck nebst der Anlage zu seiner persön-
lichen Information.
BÜLOW
(4) Eine Unterredung zwischen Dodd und Schacht fand am 22. Januar 1934 statt. Berichte
Dodds hierüber sind abgedruckt in Foreign Relations ot the United States, 1934, Bd. II,
S. 342-45. Siehe auch den Brief Schachts an Dodd vom 22. Januar, Dokument Nr. 205.
(5) Siehe Dokument Nr. 201.
*(8) Phipps.
(?) Dokument Nr. 200.

203
8834/E 614 688-93
Aulzeichnung des Ministerialdirektors Gaus
BERLIN, den 22. Januar 1934
Der polnische Gesandte sagte sich am Sonnabend, dem 20. d. Mts., bei mir
dringend zu einer Fortsetzung unserer Besprechung vom 16. d. Mts.1) an.
Er erzählte, daß er Sonnabend morgen von Warschau zurückgekehrt sei,
wo er die von mir gestellten Fragen in seinem Ministerium und vor allem
mit dem Marschall Pilsudski besprochen habe. Er sei jetzt in der Lage, die
Fragen zu beantworten, und hoffe, daß es schnell zu einer Einigung zwi-
schen den beiden Regierungen kommen werde.
Was die Frage der früheren Verträge betreffe, so habe es sich bei seinen
Besprechungen in Warschau bestätigt, daß man dort eine Klausel für uner-
läßlich halte, die die Verpflichtungen Polens gegenüber dem Völkerbund,
Frankreich und Rumänien außer Zweifel stelle. Man wünsche nicht, daß
dies in einer Form geschehe, die auf eine ausdrückliche Anerkennung der
polnischen Bündnisverpflichtungen seitens Deutschlands hinauslaufe, und
sei auch bereit, zum Ausdruck zu bringen, daß die bestehenden Verpflich-

(i) Siehe Dokument Nr. 186.

384
Nr. 203 22. J A N U A R 1934

tungen Polens keinen aggressiven Charakter mit Bezug auf Deutschland


hätten. Herr Lipski hatte hierfür bereits eine polnische Formel mitgebracht.
Diese Formel entsprach in ihrem ersten Teile dem Absatz aus der Präambel
des polnisch-russischen Nichtangriffspakts, wo festgestellt wird, daß „keine
der von jedem der beiden Teile bis zur Gegenwart übernommenen Ver-
pflichtungen die friedliche Entwicklung ihrer gegenseitigen Beziehungen
hindert und dem vorliegenden Vertrage widerspricht". Dazu kam dann
noch ein Zusatz, des Inhalts, daß die früheren Verpflichtungen durch die
neue Erklärung nicht berührt werden sollten. Da in dieser Formel ganz
allgemein von den früher eingegangenen Verpflichtungen gesprochen
wurde und da das auch deri VersaiUer Vertrag mitumfaßt haben würde,
habe ich in der Unterhaltung versucht, den neuen polnischen Vorschlag,
ohne ihn anzunehmen, gleich in unserm Sinne umzugestalten. Nach länge-
rem Hin und Her kamen wir dabei zu folgender Redaktion des polnischen
Vorschlags:
„Sie stellen fest, daß die von ihnen bisher schon nach anderer Seite hin
übernommenen internationalen Verpflichtungen die friedliche Entwicklung
ihrer gegenseitigen Beziehungen nicht hindern, der jetzigen Erklärung
nicht widersprechen und durch diese Erklärung nicht berührt werden."
Diese Formel enthält keinen Verzicht auf die Revision von Versailles
mehr. Sie reserviert andererseits die polnischen Bündnisverpflichtungen,
stellt dabei aber fest, daß diese Verpflichtungen keinen aggressiven
Charakter mit Bezug auf Deutschland haben.
Bei der Erörterung des zweiten polnischen Vorschlags, wonach die Er-
klärung sich nicht auf die zur ausschließlichen Zuständigkeit der Staaten
gehörenden Fragen erstrecken sollte, beantwortete Herr Lipski meine
frühere Frage dahin, daß man damit nur die Einmischung in innere Ange-
legenheiten des Landes ausschließen wolle. In Polen hätten sich, wie er
behauptete, z. B. im letzten Jahr hier und da Bestrebungen geltend ge-
macht, der Behandlung der Juden in Deutschland entgegenzutreten. Das
habe die Regierung selbstverständlich abgelehnt. Es sei gut, in der Erklä-
rung derartige Möglichkeiten ausdrücklich auszuschließen. Ich nahm Herrn
Lipski beim Wort und sagte ihm, wenn die polnische Regierung nichts
anderes bezwecke, dann solle sie doch ihren Vorschlag auch dement-
sprechend formulieren, damit die Öffentlichkeit sehe, was gemeint sei.
Er erklärte daraufhin, man werde sich in Warschau mit folgender Fassung
zufriedengeben:
„Sie stellen fest, daß diese Erklärung sich nicht auf solche Fragen er-
streckt, die nach internationalem Recht ausschließlich als innere Ange-
legenheiten eines der beiden Staaten anzusehen sind."
Diese Formel hat gegenüber der alten Formel den Vorteil, daß sie die
Minderheitenfrage nicht mehr von einer eventuellen diplomatischen Be-
sprechung zwischen Deutschland und Polen ausschließt. Denn die Minder-
heitenfragen sind zweifellos keine Fragen, die nach internationalem Recht
ausschließlich als innere Angelegenheiten eines Landes angesehen werden
könnten.
Zu der dritten Frage, nämlich der Frage des deutsch-polnischen Schieds-
vertrags von Locarno, erklärte Herr Lipski, daß der Marschall Pilsudski

385

11,1 Bg. 25
Nr. 203 22. JANUAR 1934

durchaus nicht die Absicht habe, bei dieser Gelegenheit den Schiedsvertrag
förmlich aufzuheben, daß es ihm vielmehr nur darauf ankomme, zum Aus-
druck zu bringen, daß etwaige Streitfragen möglichst ohne Anrufung inter-
nationaler Instanzen unmittelbar geregelt werden sollten. Ich erwiderte
ihm, daß der polnische Vorschlag in diesem Punkt seinem Wortlaut nach
weiter gehe. Wir müßten nicht nur genau wissen, wie der Vorschlag ge-
meint sei, sondern er müsse auch dementsprechend formuliert werden. Als
ich ihm das ganze Problem noch einmal auseinandersetzte, wie schon bei
der Unterhaltung am 16. d. Mts., wurde er unsicher und bat mich, die
Besprechungen hierüber am Montag fortzusetzen. Er habe zu seiner juri-
stischen Unterstützung den Professor Makowski aus Warschau mitgebracht
und würde es gern sehen, wenn dieser am Montag an der Unterhaltung
teilnehmen könne.
Die beiden Herren erschienen heute, Montag, und setzten mir noch ein-
mal auseinander, daß es dem Marschall Pilsudski allein darauf ankomme,
alle Möglichkeiten der friedlichen Bereinigung auszuschöpfen, bevor man
sich an internationale Instanzen, wie Schiedsgericht und Haager Gerichts-
hof, wende. Ich erwiderte darauf, daß, soweit ich übersehen könne, die
deutsche Regierung sachlich gegen diesen Standpunkt wohl nichts einzu-
wenden haben werde, daß es aber nötig sei, den polnischen Vorschlag
anders zu fassen. Die beiden Herren ventilierten zunächst die Möglichkeit,
in einer besonderen Note oder in einem Aktenvermerk festzustellen, daß
der Schiedsvertrag von Locarno durch die Erklärung nicht berührt werden
solle. Da ich einwandte, daß die Erläuterung der Erklärung durch ein be-
sonderes Instrument doch wenig erwünscht sei, fingen sie an, ihre ur-
sprüngliche Fassung gemeinsam mit mir umzuredigieren, wobei wir zu
folgender Redaktion kamen:
„Beide Regierungen erklären ihre Absicht, sich in den ihre gegenseitigen
Beziehungen betreffenden Fragen, welcher Art sie auch sein mögen, un-
mittelbar zu verständigen. Sollten etwa Streitfragen zwischen ihnen ent-
stehen und sollte sich deren Bereinigung durch unmittelbare Verhandlun-
gen nicht erreichen lassen, so werden sie in jedem besonderen Falle auf
Grund gegenseitigen Einvernehmens eine Lösung durch andere friedliche
Mittel suchen, unbeschadet der Möglichkeit, nötigenfalls diejenigen Ver-
fahrensarten zur Anwendung zu bringen, die in den zwischen ihnen in
Kraft befindlichen anderweitigen Abkommen vorgesehen sind. Unter kei-
nen Umständen werden sie jedoch zum Zweck der Austragung solcher
Streitfragen zur Anwendung von Gewalt schreiten."
Wir sind dann auch den übrigen Teil der Erklärung noch einmal durch-
gegangen, um redaktionelle Unstimmigkeiten, die durch die polnische Neu-
fassung entstanden waren, auszugleichen. Besondere Schwierigkeiten haben
sich dabei nicht ergeben.
Die ganze Erklärung würde auf Grund der Besprechungen die aus der
Anlage ersichtliche Fassung 2) erhalten. Ich habe aber beim Abschluß der

(2) Fundort: 8834/E 614 685-87. Die von Gaus handschriftlich ergänzte Fassung stimmt mit der
endgültigen Fassung (siehe Dokument Nr. 219) überein und ist von folgender Notiz
(8834/E 614 684) begleitet: „Der RK ist mit dem neuen Entwurf der Erklärung einver-
standen, v. N[eurath] 22. 1."

386
Nr. 204 22. JANUAR 1934

Besprechung noch einmal ausdrücklich festgestellt, daß es sich bei dieser


neuen Fassung um einen polnischen Vorschlag handele und daß die Stel-
lungnahme der deutschen Regierung dazu noch als völlig offen angesehen
werden müsse. Herr Lipski stimmte dem zu und gab nur zu erkennen, daß
er es begrüßen würde, wenn die Entscheidung der Reichsregierung mög-
lichst bald getroffen werden könnte.
GAUS

204
9119/E 641 282-89
Reichsbankpräsident Schacht an den Reichsminister des Auswärtigen
Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 22. Januar 1934
W. 549
Sehr geehrter Herr Minister!
In der Anlage beehre ich mich einen kurzen Bericht über den Ablauf der
Verhandlungen mit der Bank von England zu überreichen. Ich bin der
Meinung, daß wir eine öffentliche Erörterung mit Rücksicht auf die Bank
von England vermeiden sollten, sofern sie nicht von England provoziert
wird. Dagegen scheint mir für die diplomatischen Besprechungen mit Eng-
land der Ablauf sehr zu unseren Gunsten ausgewertet werden zu können.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr sehr ergebener
DR. HJALMAR SCHACHT

, [Anlage]
Am Montag, dem 8. Januar 1934, nachmittags suchte mich Governor
Norman in meinem Zimmer in der Bank für Internationalen Zahlungsaus-
gleich in Basel auf. Im Laufe einer Erörterung unserer Transfer-Schwierig-
keiten stellte ich die Frage, ob er einen Ausweg wisse. Norman bejahte
darauf und machte mir den Vorschlag, daß die Bank von England von sich
aus ein Angebot an alle Inhaber deutscher Anleihen machen werde, die
auf Sterling lauteten und an der Londoner Börse offiziell notiert würden,
dahingehend, daß er bereit sei, auf 2 Jahre, nämlich vom 1. Februar 1934
bis 1. Februar 1936 die Coupons dieser Anleihen zu 90 %> aufzukaufen. Ich
erklärte darauf, das sei ein sehr großzügiger und vernünftiger Vorschlag,
ich könne diesen aber nicht etwa als Kredit akzeptieren und könne seine
Anregung auch ferner nur diskutieren, wenn gleichzeitig damit der Weg zu
Verhandlungen mit den langfristigen deutschen Auslandsgläubigern ge-
bahnt würde, die eine Konvertierung unserer Auslandsschulden auf einen
niedrigeren Zinsfuß ermöglichten. Norman erklärte sich bereit, hierauf
ebenfalls hinzuwirken, und verlangte von mir lediglich eine moralische Zu-
sage, die Bank von England im Laufe der Zeit, wobei möglicherweise eine
lange Frist in Frage käme, für die ausgelegten Beträge zu entschädigen,
wobei Zinsen nicht in Anrechnung kommen sollten. Ich erklärte nun, daß

387
Nr. 204 22. JANUAR 1934

ich mich erst äußern könnte, wenn ich mich an maßgeblicher Stelle zu
Hause eines grundsätzlichen Einverständnisses zu weiteren Verhandlungen
auf der angegebenen Basis vergewissert hätte. Wir vereinbarten, daß ich
Norman ein Telegramm schicken würde, sobald dieses Einverständnis vor-
läge, und daß er dann einen Herrn zur weiteren Verhandlung nach Berlin
senden würde.
Am Mittwoch, dem 10. Januar 1934, berichtete ich dem Herrn Reichs-
kanzler über diese Angelegenheit, der mir das Einverständnis zu weiteren
Verhandlungen gab. Daraufhin besuchte mich am Sonntag, den 14. und
Montag, den 15. Januar Herr Siepmann, die rechte Hand des Governors
Norman.
Herr Siepmann legte mir im Original die Protokollnotiz über eine
Sitzung des Finanzausschusses des Verwaltungsrats der Bank von England
vor, die am Donnerstag, dem 11. Januar, stattgefunden hatte. Der Inhalt
dieser Protokollnotiz ergab, daß Governor Norman dem Finanzausschuß
den Plan vorgelegt hatte. Er hatte als die Absichten, die er mit diesem Plan
verfolgte, drei Ziele angegeben:
1. Die Gefahren eines drohenden Clearings zwischen Deutschland und
England zu vermeiden;
2. Zeit zu gewinnen für die Beruhigung der Gemüter und für eine leiden-
schaftslose Erörterung der Lage;
3. die Einrichtung von bevollmächtigten Vertretungen durch die Anleihe-
gläubiger zum Zwecke der Unterhandlung mit Deutschland.
Des weiteren war die Durchführung des Planes davon abhängig gemacht,
daß Anleihen, deren Schuldner in Zahlungsverzug gegenüber der Konver-
sionskasse seien, vom Ankauf ausgeschlossen bleiben sollten und daß
ferner das Abkommen nur solange gelten sollte, als die Transferierung auf
die bevorzugten Anleihen (Dawes, Young etc.) bestehen bliebe. Ferner war
die Einverständniserklärung des englischen Schatzministers') vorbehalten.
Es war schließlich von Governor Norman auseinandergesetzt worden, daß
alles in allem nur ein Betrag von 500 000 £ jährlich für eine solche Aktion
der Bank von England in Frage käme, und von 700 000 £ jährlich, wenn
auch der 30%ige Transfer unterbliebe. Das Finanzkomitee der Bank von
England hat die vorgeschlagene Transaktion gebilligt.
Meine Unterhaltungen mit Herrn Siepmann, die in Gegenwart des Herrn
Reichsbank-Vizepräsidenten Dreyse geführt wurden, erstreckten sich ein-
mal auf die gewünschte moralische Zusage, die von mir abzugeben war,
und zweitens auf die Einzelheiten der technischen Durchführung. Wir ver-
abredeten, daß ich einen Brief über die technische Durchführung im Entwurf
einsenden solle, daß er am Donnerstag, den 18. Januar morgens in der
Bank von England einträfe, da an diesem Tage das Finanzkomitee wieder
tagen würde. Den Entwurf der moralischen Zusage setzten wir gemein-
schaftlich in englischer Sprache laut Anlage [Anhang] 1 auf. Ich fügte hinzu,
daß ich ihm im Laufe des Dienstag, den 16. Januar, telephonieren würde,
wenn die deutsche maßgebliche Stelle mich ermächtigen würde, die mora-
lische Zusage zu unterschreiben.

*(i) Chamberlain.

388
Nr. 204 22. JANUAR 1934

Schon am Montag, dem 15. Januar, morgens unterrichtete ich den Herrn
Reichswirtschaftsminister 2 ) und den Herrn Reichsfinanzminister,3) die mir
ihr Einverständnis zu der Aktion erklärten. Daraufhin telephonierte ich
Herrn Siepmann am Dienstag vormittag entsprechend und unterrichtete
ferner den Herrn Reichsaußenminister über die ganze Angelegenheit, der
das ganze Vorgehen ebenfalls billigte.
Am Freitag, dem 19. Januar, nachmittags rief Herr Siepmann von London
an und teilte mir mit, daß das Resultat der weiteren Besprechungen in
London ein so ungünstiges gewesen sei, daß er es mir am Telephon nicht
mitteilen könne. Er werde am Sonnabend, dem 20. Januar, nachmittags mit
Flugzeug zur mündlichen Unterredung in Berlin eintreffen und beabsichtige
am selben Abend wieder zurück zu reisen.
Heute nachmittag fand dieser zweite Besuch statt, und Herr Siepmann
erklärte mir die näheren Umstände der Ablehnung. Der Schatzminister sei
persönlich günstig eingestellt gewesen, aber die anderen Ressorts hätten
energisch opponiert. Er übergab mir die in der Anlage [Anhang] 2 abschrift-
lich beigefügte Antwort des Governors Norman, aus der hervorgeht, daß das
Schwergewicht in den Worten „political difficulties" liegt. Als die beiden
Gründe hierfür entnahm ich aus den Mitteilungen Siepmanns, 1. daß der
Widerstand im Parlament befürchtet würde angesichts der derzeitigen
feindlichen Stimmung des Parlaments gegen Deutschland und 2. den Um-
stand, daß die britische Regierung in der Zwischenzeit mit den anderen ein-
schlägigen Regierungen über die ganze Angelegenheit in wiederholten
Meinungsaustausch getreten sei. Siepmann bestätigte mir, daß die Schwe-
den in London seien und daß heute auch Herr Studri in London erwartet
werde.
Ich unterrichtete Herrn Siepmann davon, daß der englische Botschafter4)
mit seiner Note den Herrn Reichskanzler von den Baseler Besprechungen
informiert hätte,5) worüber Herr Siepmann sehr erstaunt war, da Norman
ausdrücklich vollste Diskretion über die ganze Angelegenheit zugesagt
worden war.6) Siepmann sagte ferner, daß die Bank von England diesen
Ausgang sehr bedauere. Ich habe Herrn Siepmann erwidert, daß auch ich
das Nichtzustandekommen des Vorschlages lebhaft bedauere, daß ich die
Bemühungen der Bank von England dankbar anerkennte und daß sich in
meinen Beziehungen zu Governor Norman durch dieses Vorkommnis nichts
ändern würde. Als das bedauerlichste Ergebnis der ganzen Angelegenheit
müsse ich jedoch den Eindruck feststellen, den die politische Ablehnung
eines wirtschaftlich vernünftigen Vorschlages gemacht habe, der vielleicht
die ganze Atmosphäre gereinigt haben würde.
Ich habe Herrn Siepmann zugesagt, daß ich meinerseits alles tun würde,
*(2) Schmitt.
*(3) Sehwerin-Krosigk.
*(4) Phipps.
(5) Dokument Nr. 197.
(') Randbemerkungen: „H[err] Baer. Darauf ist also Rücksicht zu nehmen bei etwaiger
Mitteilung englischer Noten an Schweiz und Holland. R[itter] 23. 1."
„Ja, in Memorandum, das der britische] Botsehafter dem Herrn Reichskanzler hinter-
ließ, ist sogar schriftlich die ablehnende Haltung der englischen Regierung zu dem Plane
ausgesprochen. B[aer] 24. 1."

389
Nr. 204 22. JANUAR 1934

um eine öffentliche Diskussion dieses ganzen Zwischenspiels von unserer


Seite aus zu vermeiden, worauf Herr Siepmann entgegnete, daß das
selbstverständlich auch der Wunsch der Bank von England sei; nachdem
aber die Angelegenheit in der Londoner Treasury bekannt sei, könne er
nicht garantieren, daß sich nicht demnächst Andeutungen in der Londoner
Presse finden würden.
DR. HJALMAR SCHACHT

[Anhang 1]
Draft
Der Präsident des Reichsbankdirektoriums BERLIN, January 15, 1934
Dear Mr. Governor,
I appreciate and welcome the arrangement by which the Bank of England
propose, for a maximum period of 2 years, to buy the maturing coupons
of German long-term Sterling loans issued and officially quoted in London.
The objectives of this arrangement have my complete approval and I
should gladly co-operate in attaining them. Their importance justifies me,
after consultation, where consultation is due, in giving you this my
assurance that the Reichsbank will use its best endeavours to see to it
that the Sterling amounts expended for the purchase of the coupons are,
in due course, made good to the Bank of England. For my part, I should
look forward to being able to fulfil this engagement all the sooner if it
were possible to arrive at a definitive arrangement with our creditors for
relieving the transfer position of Germany.
Your proposal should, I believe, overcome immediate difficulties and
give time for their further consideration. But it should also serve to avoid
the association of financial questions with commercial restrictions that can
have no other effect than to hamper international trade.
Believe me, dear Mr. Governor,
Yours sincerely

[Anhang 2]
Abschrift
Bank of England 18th January 1934
Personal
Dear Mr. President,
The proposals recently discussed between us have been submitted to my
Authorities v/ho see grave political difficulties.
In view of the discussions at present taking place between our two
Governments it is not possible for me to pursue the proposed arrangement
further at this stage. When our two Governments' discussions are ended
I will consider whether, having regard to the conclusions then reached,
any alternative arrangement with similar objects might be desirable and
possible.
I am,
Yours sincerely
gez. M. NORMAN

390
Nr. 205 22. JANUAR 1934

205
7188/E 528 326-27

Reichsbankpräsident Schacht an den amerikanischen


Botschafter in Berlin Doddx)
Abschrift
BERLIN, den 22. Januar 1934
Rk. 858
Sehr geehrter Herr Botschafter!
Im Verlaufe der heutigen Unterredung anläßlich Ihres gütigen Besuches 2 )
kamen wir auf die beiden Auswege zu sprechen, die in der Lage seien, die
Transferschwierigkeiten herabzumindern. Der eine Ausweg ist eine Er-
leichterung des deutschen Exports, der zweite Ausweg ist eine Erleichte-
rung der deutschen Schuldverpflichtungen. Bei dem letzteren Punkt braucht
nicht etwa an eine Herabminderung des Kapitalbetrages gedacht zu wer-
den als vielmehr an eine Anpassung der allzu hohen Zinsen an das der-
zeitige Zinsniveau. Es ist meines Erachtens nicht erträglich, daß die meisten
Anleihen noch zwischen 6 und 7 °/o zahlen, während seit dem Entstehen
dieser Schulden das Zinsniveau ganz außerordentlich zurückgegangen ist.
Als man seinerzeit die Schulden zu diesen hohen Zinsen einging, konnte
man mit Recht hoffen, daß die wirtschaftliche Entwicklung zu einer Bele-
bung des Welthandels führen und damit die natürliche Möglichkeit einer
Konvertierung im Laufe einiger Jahre gegeben sein würde.
Deutschland ist nach wie vor bereit, seine Schuldverpflichtungen anzu-
erkennen und abzutragen, und es wird seine Schuldverträge niemals ein-
seitig abändern. Die Tatsache, daß Deutschland nicht genug fremde Valuten
einnimmt und infolgedessen den Transfer nicht voll leisten kann, berechtigt
niemanden, die Behauptung aufzustellen, daß Deutschland einseitig vorzu-
gehen wünscht. Die Bereitwilligkeit Deutschlands, mit seinen Gläubigern
zu verhandeln, scheitert indessen leider bisher daran, daß eine juristisch
verhandlungsfähige Gegenpartie fehlt. Es gibt zur Zeit kein Komitee, wel-
ches die Gläubiger in Verhandlungen rechtmäßig und bindend vertreten
könnte. Es würde die ruhige Abwicklung der derzeitigen Transferschwierig-
keiten außerordentlich fördern können, wenn ein Gläubiger-Komitee ein-
gesetzt werden könnte, das Abmachungen mit uns treffen könnte, wodurch
alle Gläubiger gebunden würden.
Mit ausgezeichneter Hochachtung bin ich, sehr geehrter Herr Botschafter,
Ihr ganz ergebenster
gez. DR. HJALMAR SCHACHT

*(l) Die Vorlage wurde den Akten der Reichskanzlei entnommen. Sie wurde mit einem
Begleitschreiben Schachts vom 22. Januar 1934 (7188/E 528 325) an Lammers zu dessen
Kenntnisnahme übersandt. Das Begleitschreiben trägt den Vermerk: „Der Herr Reichs-
kanzler hat Kenntnis."
(2) Berichte Dodds über die Unterredung sind abgedruckt in Foreign Relations of the
United States, 1934, Bd. II, S. 342-45. Eine Aufzeichnung Ritters über Mitteilungen
Schachts über die Unterredung ist gefilmt unter 9509/E 670 151-52.

391
Nr. 206 22. JANUAR 1934

206
9119/E 641 269-70
Der Botschafter in Washington Luther an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 28 vom 22. 1. WASHINGTON, den 22. Januar 1934 23 Uhr 14
Ankunft: 23. Januar 8 Uhr 40
W. 536
[Im] Anschluß [an Telegramm Nr.] 27.])
I. Besprechungen mit Präsidenten unter Anwesenheit Phillips. Auch
Präsident konnte sachlich unseren bekannten Gesichtspunkten nichts ent-
gegen halten, auch nichts meiner Bemerkung, was Deutschland wohl für
Gründe haben könnte, Amerikaner und andere Großnationen zugunsten
von Schweizern, Holländern zu benachteiligen. Ich hinwies, gleichgültig
wie man zu Entwertung beider großer Währungen sachlich stehe, daß
Deutschlands Export dadurch schwer geschädigt und daß jetzt auch Be-
strebungen im Gange, um Deutschland aus russischem Markt zu verdrän-
gen, wobei Hoffnung Ausdruck gab, daß Vereinigte Staaten von Amerika
sich daran nicht beteiligen. Meines Erachtens müßte gerade von Roosevelts
allgemeiner Politik aus jeder Schritt Deutschlands zur Erhaltung und Aus-
bau Exports begrüßt werden. Auf Roosevelts Einwurf, statt Geldtransfer
könne Eigentum übertragen werden, und seine Bemerkung, er habe dies
schon Schacht gesagt, verwies ich ausführlich auf Ausnutzbarkeit Sperr-
mark und ähnliches und darlegte Bedeutung Bond- und Scrips-Verfahren.
Meinen Hinweis, daß Sonderverträge mit der Schweiz und Holland neue
Exportgeschäfte bedeuten, beantwortete Roosevelt, man dürfe Transfer-
Frage damit nicht vermischen. Zur Verstärkung deutschen Exports sei
Amerika auch bereit und (zu Phillips sprechend) zu Verhandlungen dar-
über. Roosevelt war unterrichtet über Handelsbilanzlage, nannte als Bei-
spiel Spielwaren, betonte seine allgemeine Theorie Ausgleichs zwischen
Import und Export in Anwendung auf Deutschland. Als ich Alkohol-Frage 2)
anschnitt, sprach er von Agrar-Produkten, hinzufügend, Verhandlungsziel
müsse sein, daß amerikanischer Export zwar auch etwas erhöht würde,
deutscher Export indessen erheblich stärker; er aufzeichnete graphische
Darstellung, in der deutscher Export um Mehrfaches des amerikanischen er-
höht wurde. Sein Idealziel sei Weltwirtschaft mit ausgeglichenem Waren-
austausch ohne Goldausgleich. Gespräch ausklang mit diesen Ideen. Roose-
velt festhielt vorher an Forderung gleicher Transferbehandlung, mir aber
nur erwidernd, daß meine Gegendarlegungen amerikanischem Publikum
nicht begreifbar gemacht werden könnten. Großes Gewicht legte er auch
auf formale Zustimmung Gläubigerkomitees.
II. Spätere Aussprache mit Phillips über ohne mein Wissen vor Unter-
redung ausgegebenes Pressekommunique führte im Endergebnis zu nach-

*(1) Telegramm Luthers Nr. 27 vom 22. Januar 1934 (9119/E 641 268).
(2) Siehe Dokument Nr. 201, Anm. 6.

392
Nr. 207 22. JANUAR 1934

stehender Ergänzung: In addition the President told the Ambassador of his


desire that commercial relations be stimulated as between the United
States and Germany,3) was Präsident darüber hinausgehend gesagt habe,
sei nur nach innen und für Verhandlungen bestimmt. Ich hinwies Phillips
auf Ungewöhnlichkeit erster Bekanntgabe, die er als routinemäßig zu er-
klären versuchte.
III. Erbitte Weisung, ob und wie auf durch Roosevelt angedeutetem
Wege vorangeschritten werden kann.4) An Hartnäckigkeit amerikanischer
Regierung bezüglich angeblicher Diskriminierung ist nicht zu zweifeln.
LUTHER

(') Der Text des Kommuniques ist abgedruckt in Foreign Relations oi the United States,
1934, Bd. II, S. 342.
(4) Siehe Dokument Nr. 284.

207
7892/E 571 864-67
Der Botschafter in London von Hoesch an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 13 vom 22. 1. den 23. Januar 1934 1 Uhr 38
LONDON,
Ankunft: 23. Januar 6 Uhr 15
II S.G. 416
Ich wahrnahm Gelegenheit meines heutigen Besuchs bei Sir John Simon,
um ihm unter Hinweis auf gewisse Abirrungen der hiesigen öffentlichen
Meinung die Wahrheit über die Saarfrage darzulegen.
Dabei ausging ich von Kampf Wilsons und Lloyd Georges gegen die
französischen Annektierungswünsche im Jahr 1919, schilderte die bisher
niemals erschütterte Überzeugung Englands, daß das Saargebiet deutsch
sei und wieder an Deutschland zurückfallen müsse, und ausdrückte mein
Befremden, daß auf Grund der innerdeutschen Entwicklung Teile englischer
öffentlicher Meinung jetzt Neigung zeigten, das bedeutsame außenpoli-
tische Problem der Zukunft des Saargebiets durch Hereintragung inner-
politischer Sympathien und Antipathien zu verwirren. Ich darlegte ihm
ferner den Werdegang der französischen Stellungnahme zum Saarproblem
vom kalten Annexionswunsch über die Idee der Festsetzung im Saargebiet
im Wege der Umgehung der Verträge bis zum späteren Zurücktreten des
Annexionsgedankens unter der Einwirkung Briands und der Linksmehr-
heit. Schließlich erklärte ich ihm Bildung der deutschen Front und suchte
ihm begreiflich zu machen, daß eine Bevölkerung, die um ihre Zukunft
ringt, selbstverständlich Stellung nehmen müsse gegen das Treiben von
verräterischen Emigranten und Separatisten, die in antideutschem Sinne
innerhalb und außerhalb Saargebiets wirkten und von deren Sachkenntnis
das Auftreten des Max Braun in Genf ein anschauliches Bild geliefert habe.
Sir John erklärte zunächst, daß er von Braun in Genf um eine Unter-
redung angegangen worden sei, ihm aber eine solche nicht gewährt habe.

393
Nr. 207 22. JANUAR 1934

Er betonte dann, er habe auch mit Knox Saarfrage absichtlich nicht im ein-
zelnen erörtert, da er Eigenschaft von Knox als internationalem Beamten
in jeder Weise zu respektieren wünschte. Anschließend machte er dann
noch einige Ausführungen über Knox, die darlegen sollten, daß der Vor-
sitzende Reparationskommission') lediglich im Auge habe, eine freie
Abstimmung sicherzustellen, und daß er in keiner Weise parteiisch sei. Ich
antwortete mit dem Bemerken, Knox ignoriere offenbar die innerdeutsche
Entwicklung, die sich mit Naturnotwendigkeit auf das Saargebiet ausbrei-
ten müsse, und nachjage einer bedenklichen Illusion, wenn er glaube,
neben dem nationalsozialistischen großen Deutschen Reich eine Art demo-
kratischen Anhängsels künstlich aufrechterhalten zu sollen.
Minister zeigte gewisses Verständnis. Er äußerte, daß britische öffent-
liche Meinung in der Tat von jeher vor Idee zurückgeschreckt sei, es könne
im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ein neues Elsaß-
Lothringen geschaffen werden. Er äußerte aber immer wieder Bedauern
darüber, daß im Saargebiet eine so starke nationalsozialistische Agitation
eingesetzt habe, wo das Gebiet doch tatsächlich deutsch sei und doch auch
ohne Agitation sicher deutsch stimmen würde. Ich trat seinen Beschwerden
mit Hinweis auf das freie Schalten der Verräter im Saargebiet nachdrück-
lich entgegen. Aus den weiteren Ausführungen Ministers hervorging Sorge,
die ihm die Perspektive eines monatelangen Ringens um das Saarproblem
macht. Nach einigem Zögern kam er deshalb mit einer von ihm als rein
persönlich bezeichneten Anregung heraus, ob nicht noch ein Versuch ge-
macht werden sollte, durch eine deutsch-französische Verständigung über
Rückgliederung Saargebiets an Deutschland und Entrichtung Rückkaufs-
preises für Minen Volksabstimmung überflüssig zu machen. Ich darlegte
den bekannten, von Reichskanzler unternommenen einschlägigen Versuch
und seine Zurückweisung durch Frankreich, mit der wir uns hätten abfin-
den müssen.2) Ich betonte außerdem, daß mir nach der ganzen Sachlage in
Frankreich, der Schwäche der gegenwärtigen französischen Regierung und
der Gefährlichkeit der innerfranzösischen Opposition es überaus zweifel-
haft erscheine, ob die französische Regierung, auch wenn sie es wollte, eine
abstimmungslose Rückgliederung Saargebiets selbst unter gleichzeitiger
Verständigungsgrundlage über Minenrückkauf würde durchführen können.
Sir John ließ aber nicht locker, sondern bemerkte, gerade die Schwäche
der französischen Regierung gebe England und gegebenenfalls auch Italien
die Möglichkeit starker Einflußnahme. Er könne sich deshalb vorstellen,
daß deutsche Regierung der englischen Regierung einen Verständigungs-
weg betreffend Regelung der Frage des Minenrückkaufs übermitteln würde,
auf Grund dessen England dann evtl. zusammen mit Italien bei Frankreich
im Sinne einer Gesamtregelung ohne Plebiszit intervenieren könnte. Hart-
näckigkeit Simons veranlaßte mich zu Gegenfrage, ob er etwa franzö-
sischerseits Grund zur Annahme erhalten habe, daß ein solches Procedere
Erfolgsaussichten haben würde, was Minister unter Betonung, es handele
sich nur um eine persönliche, vom Kabinett noch nicht gebilligte Eingebung
(i) Dieses Wort wurde vermutlich bei der Übermittlung verstümmelt und muß richtig
heißen: „Regierungskommission".
(2) Siehe Dokument Nr. 101.

394
Nr. 208 23. JANUAR 1934

des Augenblicks, klar ableugnete. Ich unterließ natürlich nicht zu erklären,


es könne für Deutschland jedenfalls nicht in Frage kommen, um die Preis-
gabe der Volksabstimmung zu barmen und auf diese Weise Eindruck zu
erwecken, als fürchteten wir uns vor einer solchen, wo doch im Gegenteil
deren Ausfall zugunsten Deutschlands außer jedem Zweifel stehe.
Ich glaube nicht, daß eine Beantwortung dieser vorläufig nur privaten
Anregung Sir Johns unbedingt notwendig ist, wenn eine solche uns gegen-
wärtig unbequem sein sollte. Unbehaglich erscheint mir neben allen son-
stigen Erwägungen insbesondere auch die Zumutung, jetzt Vorschläge über
den Minenrückkauf vorzubringen, da solche Vorschläge im Falle des doch
wahrscheinlichen Scheiterns einer Aktion der von Simon vorgeschlagenen
Art für später prajudizierend wirken und jedenfalls den Franzosen einen
Angriffspunkt zu Stellung weitergehender Forderungen bieten könnte.3)
HOESCH

(3) Randbemerkungen Neuraths: „Ganz richtig."


,M[it] V[erlaub] kann ein Eingehen auf Simons Anregung nicht in Frage kommen, da
der Vorsehlag von englischer] Seite jedenfalls abgelehnt wird. v. N[eurath] 23. 1."

208
3147/D 665 678-80
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von BülowJ)
BERLIN, den 23. Januar 1934
[Vbd. 210]2)
Der italienische Botschafter3) besuchte mich heute und trug das abschrift-
lich beigefügte vertrauliche Aide-memoire über die Reform des Völker-
bundes 4) wörtlich vor. Zu seiner Erläuterung bemerkte er lediglich, daß die
italienischen Ausführungen vorläufige Erwägungen darstellten, über die
man mit uns einen Gedankenaustausch pflegen wolle, und nicht bereits ein
fertiges Programm. Der Botschafter deutete nicht an, daß auch andere
Regierungen in dem gleichen Sinne befaßt worden seien.
Ich erinnerte den Botschafter an das, was der Herr Reichsminister und
ich ihm anläßlich des Besuches von Suvich5) über unsere Einstellung zum
Völkerbund gesagt hätten. Die Lage sei für uns dieselbe, denn wir hätten
keinen Anlaß gehabt, uns in der Zwischenzeit mit der Völkerbundsreform
zu befassen, obwohl wir naturgemäß alles verfolgten, was diesbezüglich
veröffentlicht werde. Durch die italienischen Darlegungen würden wir nun-
mehr veranlaßt werden, dem Problem näherzutreten. Da wir uns aber nicht

*(i) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 23. [1.]"


(2) Die Journalnummer wurde einer anderen Ausfertigung des Dokuments (M 148/M 005
175-77) entnommen.
*(3) Cerruti.
(4) Der Vorlage beigefügt waren der Text des Aide-memoires in französischer Sprache
(3147/D 665 681-89) und eine deutsehe Übersetzung (3147/D 665 696-705).
(5) Siehe die Dokumente Nr. 120 und 126.

395
Nr. 208 23. JANUAR 1934

mehr als Mitglied des Völkerbundes betrachteten und nicht die Absicht
hätten, binnen kurzem in den Völkerbund zurückzukehren, sei unser Aus-
gangspunkt ein anderer als der der italienischen Regierung, deren Erwä-
gungen von ihrer Mitgliedschaft im Völkerbund abgeleitet würden. Wir fühl-
ten eine gewisse Solidarität mit den anderen Nicht-Mitgliederstaaten des
Völkerbundes, Amerika, Rußland und Japan, ohne hieraus die Konsequenz
einer Fühlungnahme mit diesen Staaten gezogen zu haben oder für die
nächste Zeit zu beabsichtigen. Die wichtigste Reform des Völkerbundes sei
zweifellos die Herstellung seiner Universalität. Ich glaubte nicht, daß sich
diese durch die Maßnahmen verwirklichen lassen werde, die italienischer-
seits zur Diskussion gestellt würden. Es sei z. B. richtig, daß der Artikel
16,6) wie die Italiener darlegten, für manche Staaten nicht anwendbar sei
und deshalb die Aktionsfähigkeit und das Prestige des Völkerbundes ver-
ringere. Ähnlidies gelte aber auch für die Artikel 13 7) und 15 8). Die einzige
gemeinsame Basis der Zusammenarbeit der Großmächte im Sinne der Frie-
denserhaltung sei bisher der Kellogg-Pakt gewesen.9) Amerika, Rußland und
vielleicht auch Japan seien anscheinend bereit, über den Kellogg-Pakt in
gewissen Punkten hinauszugehen, aber schwerlich so weit, wie es die
heutige Völkerbundssatzung von den Mitgliedern fordere. Die ergebnis-
losen Verhandlungen über eine Angleichung der Völkerbundssatzung an
den Kellogg-Pakt illustrierten zur Genüge die bestehenden Schwierigkeiten
und vorhandenen Gegensätze. Unser Ausgangspunkt sei bisher gewesen,
eine Basis oder ein System zu finden, das die Zusammenarbeit aller Groß-
mächte zur Erhaltung des Friedens usw. ermögliche. Wir würden versuchen,
diese Linie mit dem von der italienischen Regierung vorgeschlagenen Wege
in Verbindung zu bringen, und würden zu gegebener Zeit dem Botschafter
unsere Stellungnahme zu den italienischen Gedankengängen mitteilen.
Allerdings würden wir voraussichtlich genötigt sein, einzelne Punkte in
Verhandlungen mit ihm weiter zu klären, ehe wir zu einer abschließenden
Stellungnahme gelangen könnten.
Der Botschafter erklärte sich hiermit einverstanden und wies seinerseits
lediglich darauf hin, daß anscheinend Rußland neuerdings eine starke Nei-
gung zeige, in den Völkerbund einzutreten.
Ich sagte dem Botschafter meinerseits, daß gewisse Bestimmungen der
heutigen Völkerbundssatzung für Rußland voraussichtlich unannehmbar
sein würden und ebenfalls für Amerika, obwohl auch dort eine gewisse,
wenn auch sehr viel geringere Neigung zu bestehen scheine, in ein engeres
Verhältnis zum Völkerbund zu treten oder eine Form der Zusammenarbeit
mit dem Völkerbund zu finden. Uns komme es in erster Linie darauf an,
eine Zusammenarbeit aller Großmächte zu ermöglichen, ob diese dazu Mit-
glieder eines reformierten Völkerbundes würden oder nur mit ihm zusam-
menarbeiteten, sei wohl Nebensache.

(6) Der Artikel 16 der Satzung des Völkerbundes befaßte sich mit Sanktionen.
(7) Der Artikel 13 der Satzung des Völkerbundes sah die schiedsgerichtliche Klärung von
Streitfragen zwischen Mitgliedstaaten des Völkerbundes vor.
(8) Der Artikel 15 der Satzung des Völkerbundes behandelte die Regelung der nicht unter
Artikel 13 fallenden Streitfragen.
(«) Siehe Foreign Relations ol the United States, 1928, Bd I, S. 153.

396
Nr. 209 23. JANUAR 1934

Dem widersprach der Botschafter, indem er geltend machte, es sei im


höchsten Maße erwünscht, daß alle Großmächte in gleicher Form im
Völkerbunde zusammenarbeiteten.
Zum Schluß sprachen wir noch kurz über das Völkerbundssekretariat
und frühere Erwägungen zu dessen Reform und namentlich zur Ausschal-
tung der englisch-französischen Vorherrschaft. Ich erwähnte in diesem Zu-
sammenhange den früher mit Paolucci 10 ) erörterten Vorschlag, ständige
Vertreter der Hauptmächte zur Kontrolle des Völkerbundssekretariats nach
Genf zu entsenden.
BÜLOW

(10) Gemeint ist möglicherweise Paulucci di Calboli, ehemaliger stellvertretender General-


sekretär des Völkerbundes.

209
5552/E 393 431-33
Aufzeichnung des Ministerialdirektors Meyer
BERLIN, den 23. Januar 1934
AUFZEICHNUNG

Herr von Moltke hat dieser Tage den Grafen Szembek weisungsgemäß
darauf angesprochen, daß die deutschen Vertreter der IG über die Verhält-
nisse ihrer Gesellschaften in Oberschlesien mit den zuständigen polnischen
Stellen sprechen möchten.1) Er hat dabei darauf hingewiesen, daß die
Polen die Vertreter der IG hätten wissen lassen, daß sie mit einem
„Deutschen" vor Beendigung des gegen zwei deutsche Direktoren einge-
leiteten Strafverfahrens nicht sprechen wollten.2) Graf Szembek hat dem
Standpunkt des Herrn von Moltke weitgehendes Verständnis entgegen-
gebracht und zugesagt, daß er sich sofort mit den zuständigen Stellen in
Verbindung setzen wolle. Wie Herr von Moltke mitteilt, ist trotz Erinne-
rung bisher noch keinerlei Antwort erteilt worden. Aus Andeutungen von
Herrn Lipski ist aber zu entnehmen, daß die Antwort negativ sein wird.
Ich darf vorschlagen, gelegentlich des bevorstehenden Gespräches im
Anschluß an die damalige Erörterung mit Herrn Lipski über die Verhält-
nisse in Oberschlesien 3 ) ganz allgemein dem polnischen Gesandten gegen-
über die Erwartung auszusprechen, daß die oberschlesische Angelegenheit
bald in zufriedenstellender Weise geregelt werde.4) Vielleicht empfiehlt es

(1) Die in der Vorlage erwähnte Weisung war in einem Schreiben Meyers an Moltke vom
14. Januar (5552/E 393 436-39) enthalten. Meyer hatte Moltke gebeten, auf telefoni-
schem Wege über das Ergebnis seiner Unterredungen mit Szembek zu berichten.
(2) Siehe Dokument Nr. 41, Anm. 6.
'(3) Der Hinweis bezieht sich vermutlieh auf die in Dokument Nr. 52 wiedergegebene Unter-
redung.
(4) Hschr. Randbemerkung: „Ist geschehen. Der Gesandte erwiderte, er habe in Warschau
bereits in diesem Sinne gesprochen. Man wolle dort aber nicht mit einzelnen Inter-

397
Nr. 210 23. JANUAR 1934

sich, hierbei die in Warschau erfolgte Demarche nicht zu erwähnen und auf
Einzelheiten wie die Andeutung einer Verkaufsmöglichkeit noch nicht ein-
zugehen.5)
MEYER

[Fortsetzung von Anm. 4)


essentengruppen .verhandeln', solange das gerichtliche Verfahren nicht durchgeführt
sei. - Ich habe den Eindruck, daß die Polen es darauf anlegen, die IG auszuhungern, um
das Unternehmen dann möglichst billig in polnische Hände zu spielen. — Im übrigen ver-
sprach Lipski, meinen Wunsch nochmals in Warschau zu unterstützen, v. N[eurath] 23. 1."
• (5) Nach einer Aufzeichnung Meyers vom 21. November 1933 (5552/E 393 482-83) war an
diesem Tage in einer Besprechung über die Frage des Andienungsrechts eine angeb-
liche Äußerung Reidiswirtsdiaftsministers Schmitt bekanntgeworden, derzufolge die
Reichsregierung sich in der „Frage des Verkaufs der ostoberschlesisdien Position"
neuerdings für den Verkauf entschieden habe. Meyer war dieser Ansicht entgegen-
getreten. Die Angelegenheit war Neurath unterbreitet worden, der erklärt hatte, von
einer Änderung der bisherigen Politik könne keine Rede sein: „Es wurde lediglieh
gesagt, daß man die ostoberschlesisdien Gruben eventuell auch als Handelsobjekt im
Zuge der deutsch-polnischen Verhandlungen verwerten könne."

210
6609/E 497 465-70

Der Botschafter in Moskau Nadolny an den Staatssekretär des


Auswärtigen Amts von Bülow
MOSKAU, den 23. Januar 1934 •)
IV Ru. 799
Lieber Bülow!
Auf meinen Bericht vom 9. d. M.2) über die Gestaltung unseres Verhält-
nisses zu Sowjetrußland liegt mir nunmehr die Antwort des Amtes IV Ru.
166 vom 17. Januar 3 ) vor. Bei der großen Bedeutung dieses Erlasses nicht
nur für unser künftiges Verhältnis zur Sowjetunion, sondern wohl auch für
unsere außenpolitische Lage überhaupt wäre es vielleicht meine Pflicht,
dazu offiziell Stellung zu nehmen. Aber ich möchte begreiflicherweise im
Interesse der Sache nicht, daß sich die Korrespondenz zu einer Kontroverse
gestaltet, und so erlaube ich mir, Ihnen unter Bezugnahme auf unsere letzte
Unterhaltung persönlich zu schreiben und Sie zu bitten, eine nochmalige
eingehende Überlegung der Frage zu veranlassen.
Die Schlußfolgerungen des Erlasses bedeuten, das werden Sie mir zu-
geben, nichts anderes als Resignation. Denn „kühle Reserve" als positive
Taktik kann man doch nur dem gegenüber beobachten, an dessen guter
Beziehung einem nichts liegt oder von dem man denkt, daß er doch nichts

(i) Ein Ankunftsdatum ist auf der Vorlage nicht ersichtlich. Sie wurde am 26. Januar von
Bülow abgezeichnet.
(2) Dokument Nr. 171.
(3) Dokument Nr. 190.

398
Nr. 210 23. JANUAR 1934

gegen einen unternimmt oder daß er einem doch wieder kommen muß. Daß
aber all dieses bei Sowjetrußland nicht zutrifft, darüber sind wir uns doch
wohl einig. Das geht auch aus dem Erlaß selbst hervor, der ja überhaupt in
der Beurteilung der Ursachen, der Bedeutung und der Folgen der deutsch-
russischen Entfremdung völlig mit den Darlegungen meines Berichts über-
einstimmt. Wenn der Erlaß trotzdem zu der Schlußfolgerung kommt, daß
keinerlei Initiative entwickelt werden soll, um der sichtbar vor sich gehen-
den Entwicklung der russischen Abschwenkung ins gegnerische Lager ent-
gegenzuwirken, so bedeutet das einfach, daß man die Flinte ins Korn wirft.
In der Tat bringt der Erlaß ja auch ziemlich deutlich zum Ausdruck, daß
man in Berlin der Ansicht ist, jede Initiative sei nutzlos, und es würde nur
der Eindruck entstehen, daß wir den Sowjetleuten nachlaufen.
Nun liegt aber gerade hierin, nämlich in unserer beiderseitigen Auffas-
sung über die hiesige gegenwärtige Situation, augenscheinlich ein grund-
legender Unterschied vor: Das Amt ist anscheinend der Meinung, die
Sowjetregierung habe bereits mehr oder minder für Frankreich optiert, die
Würfel seien schon gefallen; daher wäre jeder weitere Schritt von deut-
scher Seite doch vergeblich, müßte uns sogar als ein Nachlaufen schaden.
Ich dagegen bin auf Grund meiner hiesigen Eindrücke folgender Ansicht:
Litwinow ist zwar für seine Person so gut wie entschlossen, den französi-
schen Kurs zu steuern, auch wenn dies zu einer Entfremdung mit Deutsch-
land führt; aber Litwinow ist nicht der allein Ausschlaggebende. Die aus-
wärtige Politik der Sowjetunion in ihren Grundlinien wird von Stalin und
dem Politbüro festgelegt, zu dem Litwinow nicht gehört; und in diesem hat
heute immer noch die Richtlinie Geltung: „Keine Bindung an irgendeine
europäische Gruppierung, die die Sowjetunion gegen ihren Willen in die
europäischen Konflikte hineinziehen könnte." Von dieser Politik der freien
Hand gegenüber Europa wird das Politbüro sich nur entschließen abzu-
gehen, wenn es überzeugt ist, daß wirklich von Deutschland Gefahr droht
und daß ihr gegenüber keine andere Möglichkeit vorhanden ist, als mit
unseren Gegnern zusammenzugehen. Litwinows Arbeit ist infolgedessen
jetzt darauf gerichtet, dem Politbüro den Beweis zu erbringen, daß die
undurchsichtige Haltung Deutschlands in der Tat gefährlich ist und daß
man, um ihr zu begegnen, sich mit denjenigen europäischen Mächten ver-
ständigen oder sogar verbünden muß, die gewillt sind, Deutschland in
Schach zu halten - also der Gruppe Frankreichs. Und wenn wir uns nicht
rühren, so wird er es auch fertigbekommen, das Politbüro dazu zu bringen,
zumal Stalin und die anderen Mitglieder des Politbüros das Ausland aus
eigener Anschauung nur wenig kennen und unter den heutigen deutschen
Verhältnissen das Ressentiment gegen uns natürlich stark ins Gewicht fällt.
Andererseits haben mich gerade die letzten Unterhaltungen hier mehr
und mehr davon überzeugt, daß wir durchaus noch nicht die Segel zu
streichen braudien. Unsere Freunde - ich denke besonders an die Rote
Armee und ihren Chef, den mächtigen Woroschilow, aber auch an viele
andere - sind trotz aller Unbequemlichkeit des deutschen Regimes durch-
aus bereit, für gute deutsch-russische Beziehungen zu arbeiten, wenn wir
ihnen überzeugendes Material an die Hand geben, um Litwinows Argu-
mente zu entkräften. Diese Leute warten darauf, daß wir auf Litwinows

399
Nr. 210 23. JANUAR 1934

Rede in einer Form reagieren, die unseren guten Willen zu einer Zusam-
menarbeit klar zum Ausdruck bringt. Die Reichskanzlerrede vom 23. März
v. J.4) zieht in dieser Beziehung nicht mehr, denn es handelt sich darum,
eine gerade jetzt hochgekommene Stimmung herabzudämpfen, und das
kann man nicht mit einer Bezugnahme machen. Gerade jetzt, wo der erste
verunglückte Anlauf in der Baltenpaktfrage Litwinow hier anscheinend
geschadet hat und Stimmen laut werden, er sei auch in seiner Rede gegen-
über Deutschland6) zu weit gegangen (vgl. die neuerliche gemäßigte
Sprache Kaganowitschs auf dem Moskauer Parteitag 6 )), würde eine demon-
strative deutsche Erklärung voraussichtlich auf die Litwinowsche Hetze
wie ein kalter Wasserstrahl wirken.
Ich kann in einer solchen Erklärung auch kein großes Risiko für uns
sehen, insbesondere kein Nachlaufen. Sie kann als Antwort auf Litwinows
Rede erfolgen, die eine Zurückweisung doch reichlich verdient hat. In ihr
könnte mit den ganzen fadenscheinigen Argumenten Litwinows ein für
allemal aufgeräumt und das Verhältnis zwischen den beiden Staaten erneut
dahin klargestellt werden, daß wir ebenso wie die russische Seite zur
Wiederherstellung des Verhältnisses von Rapallo durchaus bereit sind und
daß wir nichts anderes wollen als eine gegenseitige Respektierung des
Systems. Wir wollten uns nicht in das sowjetische einmischen, auch uns
nicht einmal ein Urteil darüber erlauben, ob es für Rußland nützlich ist
oder nicht, wir verlangten aber von russischer Seite gegenüber unseren
inneren Verhältnissen dasselbe.7) Aus dem Echo und der Aufnahme einer sol-
chen Erwiderung in der Sowjetunion werden wir zum mindesten volle Klar-
heit gewinnen, wo die Sowjetunion politisch tatsächlich heute steht. Ist die
Aufnahme günstig, so wird sich auch die Stimmung uns gegenüber hier
wieder beruhigen, und wir werden erreichen, daß Rußland zum wenigsten
neutral bleibt. Ist die Aufnahme ungünstig, so können wir öffentlich fest-
stellen, daß die Schuld nicht an uns liegt, was mir im Hinblick auf Italien,
England und die USA nicht ohne Bedeutung zu sein scheint, und wir kön-
nen dann unsere Politik entsprechend einstellen.
Ich schätze den positiven Nutzen eines guten deutsch-russischen Ver-
hältnisses für unsere derzeitigen politischen Interessen sicherlich nicht
höher ein als Sie. Eine Einreihung der Sowjetunion in die gegnerische Front
wäre aber für unsere außenpolitische Bilanz zweifellos ein großer Debet-
posten. Überdies haben wir hier große und für unsere Zukunft wichtige
wirtschaftliche und kulturelle Positionen zu verteidigen. Wir kennen aber
den Osten zu gut, um nicht zu wissen, daß hier, besonders unter einer
Diktatur, sehr viel von den politischen Beziehungen abhängt. Sind diese
schlecht, so sind Rückschläge in wirtschaftlicher und kulturpolitischer Hin-
sicht, speziell auch bezüglich des hiesigen Deutschtums, unvermeidlich. Es
sind hier jetzt Riesenenergien eines jungen Volkes in Bewegung. Noch sind

'(4) Siehe Serie C, Bd. I, 1, Dokument Nr. 104, Anm. 4.


(5) Siehe Dokument Nr. 161 und Anm. 2 dazu.
(6) Auszüge der Rede, die Kaganowitsdi am 17. Januar auf der Parteikonferenz des Bezirks
Moskau gehalten hatte, wurden dem Auswärtigen Amt in Twardowskis Bericht Nr.
A 171 vom 24. Januar (6025'H 046 676-78) übermittelt.
(7) Randbemerkung Neuraths: „Das haben wir doch schon oft erklärt."

400
Nr. 211 24. JANUAR 1934

wir wirtschaftlich und kulturell unbestritten in der Führung. Wenn wir


jetzt resigniert den Dingen ihren Lauf lassen, so können wir bei der
schnellen Entwicklung sehr bald durch andere verdrängt werden, und dann
wird es sehr mühsam und teuer sein, die verlorene Position wieder zu
erobern. Die Verantwortung für eine solche Entwicklung können wir,
glaube ich, nicht übernehmen.
So bitte ich Sie nochmals, die in meinem Bericht vom 9. Januar gegebe-
nen Anregungen einer erneuten Prüfung zu unterziehen und auf eine
Stellungnahme hinzuwirken, die alles tut, um unsere hiesigen Interessen
nicht preiszugeben.
Mit bestem Gruß stets Ihr
NADOLNY

211
6177/E 463 554
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow an die Botschaften
in Rom und Moskau
Telegramm
1) Rom, Nr. 22 [BERLIN,] den 24. Januar 1934 9 Uhr 20
2) Moskau, Nr. 13 IV Po. 545 Angabe I
[Im Anschluß an] Schrifterlaß vom 5. Dezember - IV Po. 8594.•)
Verhandlungen mit polnischer Regierung über Erklärung betreffend Ge-
waltverzicht stehen vor Abschluß. Unterzeichnung wird voraussichtlich
Freitag 2 ) erfolgen. Wortlaut der Erklärung wird alsbald veröffentlicht
werden.
Erklärung hat gegenüber unserm Entwurf sachlich bemerkenswerte Än-
derung nur insofern erfahren, als auf polnischen Wunsch Klausel be-
treffend die von beiden Ländern schon früher mit dritten Ländern abge-
schlossenen Verträge aufgenommen worden ist.
Bitte, dortige Regierung (zu 1, Rom:) alsbald, (zu 2, Moskau:) am Don-
nerstag nachmittag, (zu 1 und 2:) vertraulich informieren. Dabei wäre zu
betonen, daß die Verhandlungen auf der Linie geführt und beendet worden
sind, die schon im Kommunique vom 15. November über Besuch polnischen
Gesandten 3 ) beim Herrn Reichskanzler 4 ) festgelegt war. Erklärung sei
ihrem Inhalt nach nichts anderes als ausdrückliche Bestätigung der Grund-

(i) In diesem Erlaß (6177/E 463 504-06) hatte das Auswärtige Amt die Botschaften in London,
Paris, Rom und Moskau sowie die Gesandtschaft in Kowno über die im Hinblick auf
eine gemeinsame Erklärung mit Polen geführten Verhandlungen unterrichtet.
(2) 26. Januar.
• (3) Lipski.
(4) Siehe Dokument Nr. 69, Anm. 2.

401

II,1 Bg. 26
Nr. 212 24. JANUAR 1934

sätze des Kellogg-Pakts für das Verhältnis zwischen Deutschland und


Polen.5)
B[ÜLOW] 6)

(5) Hassell beriohtete in Telegramm Nr. 25 vom 25. Januar (6177/E 463 570), Suvich habe
die Erklärung als „sehr erfreuliche Tatsache" bezeichnet, die „nach polnisch-russischen
Versuchen, Baltikum-Pakt zustandezubringen, besonders bemerkenswert" sei.
Nadolny berichtete in Telegramm Nr. 19 vom 26. Januar (6177/E 463 571), er habe
weisungsgemäß Krestinski informiert. Krestinski „entgegennahm Mitteilung dankend
und hinzufügte, sie seien bereits von Polen informiert".
*(6) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 24. [1.]"

212
2368/D 494 043-44
Auszeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, den 24. Januar 1934
RM. 104
Der englische Botschafter, der mich heute abend dringend um eine Unter-
redung bat, sagte, er sei von seiner Regierung beauftragt, nochmals zu be-
tonen, welch großen Wert die englische Regierung auf ein Entgegenkom-
men in der Transfer-Frage lege und welchen ungünstigen Einfluß auf die
deutsch-englischen Beziehungen der Fortbestand der Diskriminierung haben
müsse. Die englische Regierung sei bereit, nach der Aussprache zwischen
den Gläubigern und uns ev[entuell] ein deutsch-englisches Abkommen
über die Transfer-Frage in Erwägung zu ziehen, und würde die Entsendung
eines Sachverständigen zu diesem Zweck begrüßen.
Ich erwiderte Sir Eric Phipps, daß der Kanzler und ich ihm eingehend
unsere Lage geschildert hätten. Es sei mir unverständlich, daß die englische
Regierung nicht begreifen wolle, daß wir nicht zur gleichen Zeit auf unse-
ren Ausfuhrüberschuß verzichten und außerdem unsere Schulden bezahlen
könnten. Der Stand unserer Goldreserven sei der englischen Regierung
genau bekannt. Wenn der Export aufhöre, könne sie sich an den Fingern
abzählen, wielange das Gold reiche, um überhaupt noch etwas zu bezahlen.
Wir seien aber nicht gewillt, uns bis auf den letzten Pfennig zu entblößen.
Wenn die englische Regierung sich jetzt zum Abschluß eines englisch-
deutschen Abkommens über die Transfer-Frage bereit erkläre, so begreife
ich nicht, weshalb sie das zwischen dem Governor der Bank von England ])
und Dr. Schacht verabredete Abkommen abgelehnt habe.2) Die englische
Regierung solle mir sagen, welche Vorschläge sie selbst zu machen hätte,
um die Erfüllung unserer Schuldenzahlungen ohne Export zu ermöglichen.
Ich gestehe offen, daß ich das Verhalten der englischen Regierung in dieser
Frage absolut nicht verstehe.
v. N[EURATH]

*(l) Norman.
(2) Siehe Dokument Nr. 204.

402
Nr. 213 24. JANUAR 1934

213
3086/D 617 149-51
Auszeichnung des Gesandtschaftsrats Hüfferl)
Geheim BERLIN, den 24. Januar 1934
II Oe. 236
AUFZEICHNUNG

Der Besuch von Suvich in Wien 2 ) hat nach den hier vorliegenden Mel-
dungen keine nennenswerte Stärkung der Stellung des Bundeskanzlers
Dollfuß gebracht. Es liegen im Gegenteil ernst zu nehmende Nachrichten
vor, daß auf italienischer Seite im Einvernehmen mit den Heimwehren der
Gedanke ventiliert wird, ob nicht Fey als Bundeskanzler vorzuziehen sei.
Anscheinend hat das Intrigenspiel um diesen Gedanken schon lebhafte
Formen angenommen. Jedenfalls sind am letzten Tage des Aufenthalts von
Suvich in Wien die durch Dollfuß zunächst unterbrochenen Verbindungen
zur Landesleitung Österreich von den verschiedensten Seiten neu geknüpft
worden.
Zunächst hat Fürst Starhemberg durch den Vertreter des verhafteten
Bundesrats Schattenfroh Verhandlungen mit der Landesleitung Österreich
aufgenommen, und zwar in demselben Moment, in dem er seinen wichtig-
sten Unterführer, den Grafen Alberti, wegen der Verhandlungen mit den
Nationalsozialisten ins Konzentrationslager gebracht hat.3) Starhemberg
hat dabei zu verstehen gegeben, daß er selber für sich den Bundespräsi-
denten beanspruche, während Habicht das Bundeskanzleramt übernehmen
könne. Es würde ihm (Starhemberg) jedoch lieb sein, wenn Dollfuß noch
einen Ministerposten erhalte I
Ebenso hat der Vorsitzende des Landbundes, der ehemalige Vizekanz-
ler Winkler, gestern durch zwei Abgesandte dem Landesinspekteur Habicht
mitteilen lassen, daß er bereit sei, den Gedanken einer Einigung zwischen
Dollfuß und den Nationalsozialisten im jetzigen Kabinett energisch zu ver-
treten und auf Wunsch von Habicht zu diesem Zwecke die bisherigen Ver-
treter des Landbundes (Minister Kerber und Staatssekretär Glas) zurück-
zuziehen und im Einvernehmen mit ihm durch aktivere Persönlichkeiten zu
ersetzen. Als Bedingung hat Winkler lediglich die von Habicht bereits
akzeptierte Bitte gestellt, den Landbund auch unter dem nationalsozialisti-
schen Regime (in einer ähnlichen Funktion wie bei dem Deutschen Reichs-
landbund) am Leben zu lassen.
Schließlich hat heute Bundeskanzler Dollfuß selbst durch den christlich-
sozialen Bauernführer von Vorarlberg, Tirol und Salzburg, den Abgeordne-
ten Gebhardt, dem Landesinspekteur Habicht mitteilen lassen, daß er be-
reit sei, auf der Basis der von Habicht s. Zt. vorgeschlagenen Bedingungen
in Verhandlungen über eine Regierungsbildung einzutreten, Gebhardt trifft

*(l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 24. [1.]"


(2) Suvich hatte sich vom 18. bis zum 20. Januar in Wien aufgehalten. Rieth hatte in
Telegramm Nr. 5 vom 22. Januar (3086/D 617 143-45) über den Besuch berichtet.
(3) Siehe Dokument Nr. 179.

403
Nr. 214 24. JANUAR 1934

am Freitag 4 ) zu näheren Besprechungen in München ein. Nach einer Mittei-


lung von Gebhardt an Habicht hat ersterer dem Bundeskanzler offen er-
klärt, daß die Lage der Bauern in den westlichen Bundesländern so ver-
zweifelt sei, daß, wenn nicht sofort der Kampf mit dem Deutschen Reiche
eingestellt würde, sie sich genötigt sähen, dem Gedanken einer Selb-
ständigmachung der drei Bundesländer Vorarlberg, Tirol und Salzburg
ernstlich näherzutreten.
HÜFFER
*(4) 26. Januar.

214
8921/E 623 519-21
Aufzeichnung ohne Unterschritt •)
BERLIN,den 24. Januar 1934
zu IV Rd. 4252)
AUFZEICHNUNG

1) Sämtliche Memelkonflikte haben ihre Ursache darin, daß die litauische


Regierung glaubt, zu der ihr genehmen Interpretation des Memelstatuts
befugt zu sein und entsprechend zu handeln. Es ist der litauischen Regie-
rung stets mitgeteilt worden, daß unabhängig davon, ob Deutschland
Signatarmacht der Konvention 3 ) ist oder nicht, nicht anerkannt werden
könnte, daß Litauen arbiter in re sua sei und nach Gutdünken vorginge.
Die deutsch-litauischen Beziehungen würden immer von dem Verhalten
der litauischen Regierung im Memelgebiet maßgeblich bestimmt sein. Aus
diesem Grunde ist deutscherseits angeregt worden, in Fällen von Mei-
nungsverschiedenheiten sich gütlich zu einigen, aber kein fait accompli zu
schaffen. Dieser Grundsatz ist auch im Berliner Vertrag") niedergelegt
worden und besonders im Briefwechsel Meyer/Zaunius vom 11. August
1933.5)
2) Deutschland verlangt nur die Einhaltung der Autonomie, lehnt aber
die willkürliche Handhabung der Bestimmungen durch Litauen ab.
3) Die litauische Regierung ist jetzt zu einer weitgehenden Entgermani-
sierungspolitik im Memelgebiet geschritten, trotz des Einspruchs der deut-
schen Regierung, insbesondere widersprechen nach deutscher Auffassung

(1) Aus der als Dokument Nr. 215 gedruckten Aufzeichnung Bülows vom 24. Januar geht
hervor, daß die Vorlage dem Staatssekretär von der Abteilung IV unterbreitet wurde.
Nach der Eintragung in das Journal wurde die Vorlage von Meyer entworfen.
• (2) IV Rd. 425: Note Saulys' an Neurath (8921/E 623 513-18), die der Gesandte am
24. Januar Bülow übergab. Siehe Dokument Nr. 215.
(3) Siehe Dokument Nr. 142, Anm. 2. Signatarmächte der Memelkonvention waren Groß-
britannien, Frankreich, Italien, Japan und Litauen, nicht aber Deutschland.
(4) Siehe Dokument Nr. 125, Anm. 3.
(5) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 405 und die Anlagen 1 und 2 dazu.

404
Nr. 214 24. JANUAR 1934

dem Memelstatut geplante Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes,


das Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern im Memelgebiet, Gesetz
über die Beschäftigung von Reichsdeutschen im Memelgebiet, Handhabung
der Sprachenfrage usw.
4) Die litauische Regierung hat gewisse Bestimmungen des Gerichtsver-
fassungsgesetzes trotz des Widerspruchs durchgeführt,6) 103 deutsche
Beamte im Memelgebiet, trotzdem sie nach dem Statut verbriefte Rechte
auf ihre Dienststellung haben, entlassen. Die Gegenargumente der Litauer,
daß Beamte fremder Staatsangehörigkeit im Memelgebiet nicht tätig sein
könnten, widerlegt [sie] sich damit,
a) daß genaue Bestimmungen im Statut bestehen,
b) daß die Beamten zum großen Teil den Antrag auf Einbürgerung ge-
stellt hätten, dem von der litauischen Seite nicht entsprochen worden sei
(Oberstaatsanwalt Schwientek).
Wenn die litauische Regierung den gegenteiligen Standpunkt einnehme,
so könne sie sich ja mit Deutschland verständigen, deutscherseits würde
niemals ein illoyales Verhalten gegenüber dem litauischen Staat gebilligt
werden, aber das einseitige Hinauswerfen sei untragbar.
5) Das gleiche gilt für die willkürliche Verweigerung von Aufenthalts-
genehmigung und Arbeitsgenehmigung (176 Verweigerungen). Diese ent-
sprechen nicht den Bestimmungen des Statuts und des Handelsvertrages.
6) Die von dem Gouverneur 7 ) angemaßten Befugnisse: Beamtenent-
lassungen, Verweigerung von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen
stehen nach deutscher Seite ihm überhaupt nicht zu, sondern gehören zur
Kompetenz des Direktoriums.
7) Starke Unterbindung der Pressefreiheit (Bestrafung des Memeler
Damp/boof-Redakteurs wegen Verbreitung der Weihnachtsbotsohaft Heß'),
Verbot der Versammlungsfreiheit, rigorose Handhabung des Kriegszu-
standes nur gegenüber den Deutschen, nicht gegenüber den Litauern, denen
hemmungslose Propaganda gegen das Direktorium gestattet ist.
8) Deutscherseits wird immer wieder versudit, zu einer Einigung zu
kommen, vor allem durch größeres wirtschaftliches Entgegenkommen. Nach
den Gewaltmaßnahmen wurde das Butterkontingent auf 600 Tonnen herab-
gesetzt, wozu wir infolge des Buttermonopols in der Lage sind, und
Schweineabnahme abgelehnt.
Ich darf vorschlagen, dem litauischen Gesandten in sehr ernster Weise
Vorhaltungen zu machen und im Hinblick auf die beginnende Ausweisung
der deutschen Beamten anzudrohen, daß das bisherige Butterkontingent
von 600 Tonnen zunächst noch auf 300 Tonnen heruntergesetzt werden würde
und sich die deutsche Regierung weitere Maßnahmen vorbehalte. Im Auf-
trage des Ministers haben Herr Zechlin sowie ich den Ausdruck gebraucht,
daß die deutsche Regierung sich entsprechend der litauischen Haltung
orientieren werde.8)

(6) Siehe Dokument Nr. 142 und Anm. 4 dazu.


*(7) Novakas.
(8) Siehe Dokument Nr. 142. Die Formulierung findet sich auch in einer Weisung des
Auswärtigen Amts an Zechlin vom 21. Dezember, siehe Dokument Nr. 142, Anm. 7.

405
Nr. 215 24. JANUAR 1934

215
3015/D 596 292-93
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von Bülowx)
BERLIN, den 24. Januar 1934
Der litauische Gesandte, den der Herr Reichsminister nicht empfangen
konnte, besuchte mich heute und überbrachte eine Note,2) in der mit lan-
gen juristischen Ausführungen gegen die wirtschaftlichen Maßnahmen
Deutschlands gegen Litauen 3 ) Einspruch erhoben wird.
Ich sagte dem Gesandten, ich könnte natürlich nicht die Note, die ich
kurz überflog, sofort beantworten. Zu gegebener Zeit würden wir ihm eine
schriftliche Antwort zuteil werden lassen. Aber schon jetzt könnte ich ihm
sagen, daß die litauische Regierung durchaus recht habe, wenn sie in ihrer
Note unterstelle, daß unsere Zwangsmaßnahmen auf unsere Mißbilligung
der litauischen Politik im Memelland zurückzuführen seien. In Anlehnung
der mir von Abteilung IV vorgelegten Aufzeichnung über unsere Beschwer-
den 4 ) setzte ich ihm auseinander, daß wir uns eine derartige Brüskierung
niemals gefallen lassen könnten und daß wir, statt auf die litauischen
Bitten einzugehen, wahrscheinlich unsere Zwangsmaßnahmen verschärfen
würden.
Der litauische Gesandte versuchte, die litauischen Maßnahmen als juri-
stisch berechtigt hinzustellen und uns gewissermaßen auf den Klageweg zu
verweisen. Ich lehnte diesen Gedankengang ab und stellte die allgemeinen
politischen Gesichtspunkte in den Vordergrund. Dabei bekannte ich mich
als warmen Anhänger einer deutsch-litauischen Freundschaft, die allerdings
nur auf einer Basis, wie sie im vorigen Sommer bei den Verhandlungen
Meyer-Zaunius 5 ) entworfen worden seien, denkbar wäre. Der litauische
Gesandte gab vor, über unsere einzelnen Beschwerdepunkte nicht genü-
gend und jedenfalls nicht amtlich unterrichtet zu sein, und erbot sich, ohne
Auftrag seiner Regierung rein persönlich und unverbindlich die einzelnen
Punkte mit Herrn Ministerialdirektor Meyer durchzusprechen. Ich nahm
dieses Anerbieten an. In diesem persönlichen und vertraulichen Abschnitt
des Gespräches führte auch der Gesandte aus, daß die Besorgnis, welche
das Buch Mein Kampt, die Aktivität von Herrn Rosenberg und die Rede
von Reichsminister Röhm6) sowie Presse- und andere Kundgebungen
verursacht hätten, sehr viel dazu beitrügen, den litauischen Kurs im Memel-
land zu verschärfen, u. a. auch deshalb, weil die deutsche Bevölkerung im

*(l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Koftze] 24. [1.]"


(2) Fundort: 8921/E 623 513-18.
(3) Siehe Dokument Nr. 142.
(4) Dokument Nr. 214.
(5) Siehe Serie C, Bd. I, 2, Dokument Nr. 405.
*(e) Dieser Hinweis bezieht sich offenbar auf eine Rede, die Röhm am 7. Dezember 1933 vor
dem diplomatischen Korps und der ausländischen Presse gehalten hatte und in der er
die Ziele des Nationalsozialismus erläutert hatte. Der Text der Rede ist abgedruckt in
der Deufschen Af/gemeinen Zeitung vom 8. Dezember 1933 (Morgenausgabe), S. 1. Der
Hauptinhalt der Rede ist in englischer Übersetzung wiedergegeben in Bulletin oi
International News, Bd. 10, S. 408.

406
Nr. 216 24. JANUAR 1934

Memelgebiet durch derartige Kundgebungen aufgereizt sei. Ich erwiderte


das übliche und bestritt insbesondere, daß Deutschland irgendwelche Ab-
sichten gegen Bestand oder Souveränität von Litauen oder andere baltische
Staaten habe.
Der Gesandte fragte mich zum Schluß noch nach dem Stande der Ab-
rüstungsfrage und zu meinem Erstaunen auch nach unseren kolonialen
Zielen und Absichten. Ich unterrichtete ihn über Zweck und Inhalt unseres
Abrüstungsmemorandums 7 ) und sagte ihm, daß wir zur Zeit keine kolonia-
len Ziele verfolgten, einmal, weil die Finanz- und Währungslage zu un-
günstig seien, und vor allen Dingen aber, weil wir ein mindestens zehn-
jähriges innerdeutsches Siedlungsprojekt durchzuführen beabsichtigen, das
durch Aufstellung außereuropäischer Siedlungsziele nur ungünstig beein-
flußt werden könnte.8)
BÜLOW
(7) Siehe Dokument Nr. 194 und Anm. 1 dazu.
(8) In einer Antwort des Auswärtigen Amts auf die Note Saulys' vom 14. Februar
(8921/E 623 535-40) wurden die litauischen Proteste zurückgewiesen.

216
2980/D 580 500-02
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von Bülow J)
BERLIN, den 24. Januar 1934
Der ungarische Gesandte 2 ) besuchte mich heute auf meine Veranlassung.
Ich beantwortete ihm die Fragen, die er mir am 11. Januar gestellt hatte,3)
bzw. nahm ich Stellung zu seinem Vorschlag einer deutsch-ungarischen
Abmachung über die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen und die gegen-
seitige Verständigung über die Politik gegenüber der Kleinen Entente. Die
wirtschaftlichen Fragen haben wir in dem ersten Teil der Unterredung nur
ganz flüchtig gestreift, zum Ende der Unterredung verlas er mir aber die
Aufzeichnung, die er heute Herrn Geheimrat Ulrich übergeben hat,4) in der
die Enttäuschung der Ungarn über die deutschen Angebote zum Ausdruck
kommt.
Ich sagte dem Gesandten, ich hätte seinen Vorschlag von neulich ein-
gehend überlegt, dem Herrn Reichsminister vorgetragen und auch mit ande-
ren Herren im Hause besprochen. Ich könnte mir nicht vorstellen, wie wir
durch Abmachungen der vorgeschlagenen Art den jetzigen Zustand ver-
trauensvoller Aussprache und des Austausches von Informationen ver-
bessern könnten. Eine vertragliche Bindung komme praktisch nicht in
Frage. Ein offener Vertrag würde beide Länder Verdächtigungen aus-
setzen, und ein geheimer Vertrag würde mit der Zeit doch bekannt werden.

*(l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 25. [1.]"


• (2) Masirevich.
(8) Siehe Dokument Nr. 175.
(4) Fundort: 9580/E 674 978-79.

407
Nr. 216 24. JANUAR 1934

Außerdem liege der Vertragsabschluß ganz außerhalb unserer politischen


Gepflogenheiten. Wir schlössen zweiseitige Abkommen nur mit unseren
Gegnern, um gewisse Streitpunkte vorübergehend oder dauernd aus der
Welt zu schaffen. Mit den befreundeten Staaten hätten wir keinerlei Ab-
machungen. Weder mit Ungarn noch mit Österreich hätten wir z. B. einen
Schiedsvertrag. In der Zeit, in der wir noch mit Österreich befreundet ge-
wesen wären, hätten wir keinerlei Vereinbarungen gehabt und auch mit
Italien keine getroffen, seitdem sich unser Verhältnis enger gestaltet habe.
Es bleibe also nur die Möglichkeit eines Gentlemen's Agreement über Art
und Umfang des beiderseitigen Gedankenaustausches. Ich könne mir eine
Besserung des bestehenden Zustandes dadurch nicht versprechen, sei aber
bereit, Gegenvorschläge zu prüfen. Was schließlich die Kleine Entente an-
lange, so sei unsere Einstellung zu dieser sehr verschieden von der unga-
rischen. Uns interessiere die Kleine Entente als solche politisch nicht, es sei
denn als Anhängsel von Frankreich oder einzeln genommen im Rahmen der
militärischen Abmachungen mit Polen usw. Wir lehnten es auch ab, die
Kleine Entente als Einheit zu betrachten. Wir bewerteten die drei Staaten
auch ganz verschieden. Die Tschechoslowakei sei zwischen uns, Ungarn
und Österreich eingekeilt und sei für uns von besonderer Bedeutung, wäh-
rend wir die beiden anderen Staaten als Balkanstaaten betrachteten. Da wir
aber grundsätzlich uns nicht in die politischen Verhältnisse der Balkanlän-
der einmischten, sei unser politisches Interesse an Rumänien und Jugo-
slawien beschränkt. Wirtschaftlich sei es anders, wir beobachteten mit Inter-
esse und oft mit Mißtrauen, welche wirtschaftlichen Pläne die Kleine En-
tente oder einzelne ihrer Mitglieder verfolgten.
Der Gesandte gab sich mit diesem Bescheid zufrieden und sagte, er werde
meine Ausführungen nach Budapest berichten. Sie ergänzten und erläuter-
ten das, was ihm der Herr Reichsminister vor einigen Tagen bereits ge-
sagt habe 5) und was er bereits seiner Regierung meldete.
Ich brachte meinerseits anschließend den Bericht aus Budapest vom
17. Januar über die Sorgen Känyas wegen der Auswirkungen der öster-
reichischen Frage 6 ) zur Sprache und setzte dem Gesandten auseinander,
daß Känya sich ganz unnötige Sorge mache und offenbar falsche Infor-
mationen, vielleicht sogar aus Berlin, aber nicht aus amtlicher Quelle, er-
halten habe. Von einem deutsch-italienischen Gegensatz in der österreichi-
schen Frage, der anläßlich des Besuches von Suvich7) verschärft worden
sei, könne keine Rede sein. Die Beziehungen zwischen beiden Regierungen
seien nach wie vor vertrauensvolle und enge. Auch hätten wir nichts über
eine italienisch-französische Annäherung feststellen können, was uns An-
laß zu irgendeiner Beunruhigung gebe. Was schließlich die Vorstellungen
anlange, daß wir eine Annäherung an Polen und an Frankreich suchten, um
freie Hand in Österreich zu erhalten, sei diese Behauptung ganz absurd.
Wir suchten mit Frankreich keine Annäherung, sondern nur eine Ver-
ständigung über das Abrüstungsproblem. Mit Polen sei es anders, hier
suchten wir eine Art politischen Waffenstillstandes zu schließen. Beide
(5) Siehe Dokument Nr. 192.
(8) Fundort: 8737/D 610 128-32.
(7) Siehe Dokument Nr. 126.

408
Nr. 217 25. JANUAR 1934

Bestrebungen dienten aber dem einen Zweck, die deutsche Wehrfreiheit


wiederherzustellen, die überhaupt den Mittelpunkt und das Hauptziel
unserer Außenpolitik darstelle.
Der Gesandte versprach, im Sinne meiner Ausführungen nach Budapest
zu berichten, und erwähnte, die Behauptung, daß wir mit Polen und Frank-
reich verhandelten, um freiere Hand gegenüber Österreich zu erhalten, sei
ihm auch im hiesigen diplomatischen Korps begegnet.
Ich informierte den Gesandten auch kurz über den gegenwärtigen Stand
der österreichischen Dinge, über den abgesagten Besuch Habichts in Wien 8 )
und die österreichische Note mit der Drohung einer Demarche beim Völ-
kerbund,9) von der er bereits Kenntnis hatte.
BÜLOW
(8) Siehe Dokument Nr. 166.
(8) Siehe Dokument Nr. 188.

217
5552/E 393 426-27
Aufzeichnung des Ministerialdirektors MeyerJ)
BERLIN, den 25. Januar 1934
AUFZEICHNUNG
Herr Lipski suchte mich heute im Anschluß an den Besuch bei dem Herrn
Reichskanzler 2 ) auf. Er berichtete zunächst über die Unterredung, von der
er sehr befriedigt war, und führte u. a. aus, daß der Herr Reichskanzler
auch dem Wunsche Ausdruck gegeben habe, die beiden Nationen möchten
sich nicht als Erbfeinde gegenüberstellen, sondern in allen Fragen, auch
den Minderheitsfragen, zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit kom-
men.
Ich knüpfte an diese Mitteilung an und erkundigte mich unter Bezug-
nahme auf das Gespräch von Herrn Lipski mit Herrn von Neurath über
die IG,3) was er eigentlich mit seiner Äußerung gemeint habe, daß die pol-
nische Regierung während des schwebenden Verfahrens gegen die zwei
Direktoren nicht mit „einzelnen Interessengruppen" verhandeln wolle.
Ich führte aus, soweit mir bekannt, schwebe lediglich ein Haftbefehl gegen
Herrn Tomalla und Herrn Rohde; gegen diesen Haftbefehl sei Beschwerde
erhoben worden, über die noch gar nicht entschieden worden sei; irgend-
ein Strafverfahren sei überhaupt nicht eingeleitet, und man wisse gar nicht,
was eigentlich vorliege.4) Selbst wenn einige Direktoren sich etwas hätten
zuschulden kommen lassen, so sei das kein Grund für die polnische Regie-
rung, überhaupt Unterredungen mit den Besitzern eines großen Industrie-

*(l) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 27. II.]"


(2) Eine Aufzeichnung über die Unterredung zwischen Hitler und Lipski konnte nicht
ermittelt werden.
(3) Siehe Dokument Nr. 209, Anm. 4.
(4) Siehe Dokument Nr. 41 und Anm. 6 dazu.

409
Nr. 218 25. JANUAR 1934

konzerns abzulehnen. Herr Lipski erwiderte sehr wenig und erwähnte nur,
daß die Werke sehr große Schulden hätten und schlecht bewirtschaftet
worden seien. Ich replizierte, daß daran wohl auch die allgemeine Wirt-
schaftslage schuld sei, und betonte, es sei untragbar, daß man über den
Kopf der Besitzer hinweg einige Direktoren einsetze, die nach Gutdünken
Entlassungen vornähmen und schalteten und walteten, wie es ihnen be-
liebe. Soviel ich wüßte, wäre der Spiritus rector ein Herr Rajchmann, und
ich möchte anregen, daß das polnische Auswärtige Amt sich in diese Sache
einschalte und mit den maßgebenden Leuten der IG alsbald Verhandlungen
in Warschau aufgenommen würden.
MEYER

218
6177/E 463 556-57
Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath
an die Botschaft in London •)
Telegramm
Sofort BERLIN, den 25. Januar 1934
Nr. 26 Abgesandt: 26. Januar 11 Uhr 25
IV Po. 603 Angabe I
Im Anschluß an Schrifterlaß vom 5. Dezember.2)
Verhandlungen mit Polen über Unterzeichnung gemeinsamer Erklärung
sind abgeschlossen. Unterzeichnung erfolgt Freitag,3) Veröffentlichung
Wortlauts Sonnabend morgen.
Bitte bei dortigen Gesprächen weitgehende politische Bedeutung der
Vereinbarung für Sicherung europäischen Friedens betonen. Französische
und auch englische Regierung sind seit Jahren bei verschiedensten Gelegen-
heiten mit Bestreben hervorgetreten, durch besondere Abmachungen Be-
friedung deutsch-polnischer Beziehungen herbeizuführen und dadurch ge-
fährlichste Konfliktsmöglichkeit aus europäischer Politik auszuschalten. Ich
erinnere insbesondere an Pläne mehrjährigen Gottesfriedens oder poli-
tischen Waffenstillstandes.4) Reichsregierung hat jetzt das Problem aus
eigener Initiative in großzügiger und vorbehaltloser Weise gelöst. Binden-
der Verzicht auf Gewaltanwendung jeder Art ist die stärkste Garantie, die
auf vertraglichem Gebiet überhaupt denkbar ist. Auch Frankreich muß
seine Sicherheitsforderungen, was Deutschland anlangt, jetzt als voll er-
füllt ansehen. Ein besonders hoch zu bewertendes Entgegenkommen
Deutschlands liegt darin, daß in die Erklärung eine Reserve hinsichtlich der
von jedem der beiden Teile schon mit dritten Staaten abgeschlossenen

*(i) Das vorliegende Telegramm wurde ebenfalls, als Nr. 51, an die Botschaft in Paris über-
mittelt.
(2) Siehe D o k u m e n t Nr. 211, Anm. 1.
(3) 26. J a n u a r .
(4) Siehe Serie C, Bd. I, 1, D o k u m e n t Nr. 115 u n d A n m . 6 dazu.

410
Nr. 219 26. JANUAR 1934

Verträge aufgenommen ist. Da Polen die bekannten Bündnisverträge mit


Frankreich und Rumänien abgeschlossen hat, während ähnliche Verträge
Deutschlands nicht bestehen, geht der Gewaltverzicht Deutschlands weiter
als derjenige Polens. Wir sind zu Erwartung berechtigt, daß die Verein-
barung im Ausland als vollgültiger Beweis deutschen Friedenswillens be-
wertet wird und daß angesichts zehnjähriger Geltungsdauer nun endlich
auch die Behauptung verstummt, als komme es deutscher Regierung mit
ihren Friedensbeteuerungen nur darauf an, für die nächsten Jahre Atem-
pause zu gewinnen.5)
v. N[EURATH]
(5) Hoesch berichtete in Telegramm Nr. 18 vom 27. Januar (6177/E 463 576), er habe
Vansittart über die deutsch-polnische Erklärung informiert. Vansittart habe „volles
Verständnis" gezeigt und den Einfluß der Erklärung auf die allgemeine Sicherheits-
frage „und insbesondere auf französische Sieherheits-Forderungen" anerkannt.

219
6177/E 463 567
Gemeinsame Erklärung der Deutschen Regierung und
der Polnischen RegierungJ)
BERLIN, den 26. Januar 1934
ERKLÄRUNG
Die deutsche Regierung und die polnische Regierung halten den Zeit-
punkt für gekommen, um durch eine unmittelbare Verständigung von
Staat zu Staat eine neue Phase in den politischen Beziehungen zwischen
Deutschland und Polen einzuleiten. Sie haben sich deshalb entschlossen,
durch die gegenwärtige Erklärung die Grundlage für die künftige Ge-
staltung dieser Beziehungen festzulegen.
Beide Regierungen gehen von der Tatsache aus, daß die Aufrechterhal-
tung und Sicherung eines dauernden Friedens zwischen ihren Ländern eine
wesentliche Voraussetzung für den allgemeinen Frieden in Europa ist. Sie
sind deshalb entschlossen, ihre gegenseitigen Beziehungen auf die im Pakt
von Paris vom 27. August 1928 enthaltenen Grundsätze zu stützen, und
wollen, insoweit das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen in Be-
tracht kommt, die Anwendung dieser Grundsätze genauer bestimmen.
Dabei stellt jede der beiden Regierungen fest, daß die von ihr bisher
schon nach anderer Seite hin übernommenen internationalen Verpflichtun-
gen die friedliche Entwicklung ihrer gegenseitigen Beziehungen nicht hin-
dern, der jetzigen Erklärung nicht widersprechen und durch diese Erklärung
nicht berührt werden. Sie stellen ferner fest, daß diese Erklärung sich nicht
auf solche Fragen erstreckt, die nach internationalem Recht ausschließlich
als innere Angelegenheiten eines der beiden Staaten anzusehen sind.

(1) Der deutsche und polnische Text der Erklärung sind gedruckt in fleichsgesefzbiaft, 1934,
Teil II, S. 118-19. Eine englische Übersetzung findet sich in British and Foreign State
Papers, Bd. CXXXVII, 1934, S. 495-96.

411
Nr. 220 26. JANUAR 1934

Beide Regierungen erklären ihre Absicht, sich in den ihre gegenseitigen


Beziehungen betreffenden Fragen, welcher Art sie auch sein mögen, un-
mittelbar zu verständigen. Sollten etwa Streitfragen zwischen ihnen ent-
stehen und sollte sich deren Bereinigung durch unmittelbare Verhand-
lungen nicht erreichen lassen, so werden sie in jedem besonderen Falle
auf Grund gegenseitigen Einvernehmens eine Lösung durch andere fried-
liche Mittel suchen, unbeschadet der Möglichkeit, nötigenfalls diejenigen
Verfahrensarten zur Anwendung zu bringen, die in den zwischen ihnen in
Kraft befindlichen anderweitigen Abkommen für solchen Fall vorgesehen
sind. Unter keinen Umständen werden sie jedoch zum Zweck der Aus-
tragung solcher Streitfragen zur Anwendung von Gewalt schreiten.
Die durch diese Grundsätze geschaffene Friedensgarantie wird den bei-
den Regierungen die große Aufgabe erleichtern, für Probleme politischer,
wirtschaftlicher und kultureller Art Lösungen zu finden, die auf einem ge-
rechten und billigen Ausgleich der beiderseitigen Interessen beruhen.
Beide Regierungen sind der Überzeugung, daß sich auf diese Weise die
Beziehungen zwischen ihren Ländern fruchtbar entwickeln und zur Begrün-
dung eines gutnachbarlichen Verhältnisses führen werden, das nicht nur
ihren beiden Ländern, sondern auch den übrigen Völkern Europas zum
Segen gereicht.
Die gegenwärtige Erklärung soll ratifiziert und die Ratifikationsurkun-
den sollen so bald als möglich in Warschau ausgetauscht werden. Die Er-
klärung gilt für einen Zeitraum von 10 Jahren, gerechnet vom Tage des
Austausches der Ratifikationsurkunden an. Falls sie nicht von einer der
beiden Regierungen 6 Monate vor Ablauf dieses Zeitraums gekündigt wird,
bleibt sie auch weiterhin in Kraft, kann jedoch alsdann von jeder Regierung
jederzeit mit einer Frist von 6 Monaten gekündigt werden.
Ausgefertigt in doppelter Urschrift in deutscher und polnischer Sprache.
Für die deutsche Regierung: Für die polnische Regierung:
FREIHERR VON NEURATH JÖZEF LIPSKI

220
8592/E 603 496
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts von Bülow
BERLIN, den 26. Januar 1934
Reichsminister Röhm erzählte mir gestern abend, der argentinische Ge-
sandte *) habe ihn zu einem Diner eingeladen, an dem auch Francois-
Poncet teilnehmen werde. Ich habe Herrn Röhm sehr zugeredet, der Ein-
ladung Folge zu leisten, denn es sei für ihn und Francois-Poncet ange-
nehmer, wenn sie sich zum ersten Mal auf neutralem Boden begegneten.2)
BÜLOW 3)

• (1) Labougle.
(2) Siehe auch die Dokumente Nr. 100 und 305. Siehe auch Serie C, Bd. III, 1, Dokumente
Nr. 64, 97, 110 und 129.
*(3) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 26. [1.)"

412
Nr. 222 26. JANUAR 1934

221
3015/D598 310
Auizeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
BERLIN, d e n 26. J a n u a r 1934
RM. 116
H e u t e m o r g e n besuchte mich H e r r Rauschning. Im Laufe der längeren
U n t e r h a l t u n g ü b e r die Danziger Verhältnisse und seine Politik g e g e n ü b e r
Polen teilte er mir mit, daß die Danziger Finanzverhältnisse k a t a s t r o p h a l
g e w o r d e n seien. Das zu deckende Defizit, für das er die Unterstützung des
Reichs nachsuchen müsse, belaufe sich auf 70 Millionen Mark, bei Berück-
sichtigung der verschiedenen W ü n s c h e der Parteiinstanzen sogar auf 105
Millionen Mark. Er bat um die Unterstützung des A u s w ä r t i g e n Amts bei
der Reichsbank (wegen der Transferfrage) und beim Finanzministerium.
Ich s a g t e H e r r n Rauschning zu, seinem Wunsche zu entsprechen, jedoch
nur für d e n unbedingt n o t w e n d i g e n Betrag. Die Ausführung kostspieliger
Bauten w i e T h e a t e r etc. sei bei der gespannten Finanzlage des Reichs auf
keinen Fall zu rechtfertigen.
v. N[EURATH]

222
7894/E 572 319-21
Ministerialdirektor Köpke an das Konsulat in Geni
Telegramm
Eilt BERLIN, den 26. Januar 1934 20 Uhr 25
Nr. 14 zu II S.G. 444 Ang. I x )
Ref.: VLR Dr. Voigt
Auf Bericht Nr. 64 v o m 22. 1.
Ratsbeschluß 21. J a n u a r 2 ) ist v o n unserem Standpunkt namentlich inso-
fern unerfreulich, als er H a n d h a b e bietet, daß Beurteilung tatsächlicher

(1) II S.G. 444 Ang. I: Bericht Kraueis Nr. 64 vom 22. Januar (7894/E 572 316-18), der eine
Einsehätzung der Haltung der Mitglieder des neuernannten Dreierkomitees enthielt.
*(2) Am 21. Januar hatte der Völkerbundsrat nach einer Diskussion über die Saarfrage ein
sog. Dreierkomitee eingesetzt, dem die Vertreter Italiens (Aloisi), Argentiniens
(Cantilo) und Spaniens (Madariaga) angehörten. Dieses Komitee erhielt den Auftrag,
dem Völkerbundsrat in seiner für den Mai 1934 vorgesehenen Sitzung einen Bericht
über die Vorbereitung der Volksabstimmung vorzulegen. Aloisi führte in dem Dreier-
komitee den Vorsitz.
In einem Runderlaß des Auswärtigen Amts an die wichtigsten europäischen Vertretun-
gen vom 29. Januar (7894/E 572 303-12) nahm Bülow zu diesen Beschlüssen des Völker-
bundsrats Stellung und konstatierte, daß während einer Geheimsitzung des Rats be-
trächtliche Meinungsverschiedenheiten unter seinen Mitgliedern zum Vorschein gekom-
men seien. Paul-Boncour habe versucht, mit Unterstützung der tschechoslowakischen,
portugiesischen und spanischen Ratsmitglieder (Benes, Vasconcellos und Madariaga)
und gegen den Widerstand Aloisis und Simons eine allgemeine Debatte über die Lage
im Saargebiet zu eröffnen, nachdem Knox behauptet habe, daß wegen des Terrors der
deutschen Saarfront eine unbeeinflußte Abstimmung unter den gegenwärtigen Verhält-
nissen nicht möglich sei.

413
Nr. 223 26. JANUAR 1934

Lage ganz oder überwiegend Regierungskommission oder sogar Knox


allein zufällt. Von allem anderen abgesehen kann dies, da Knox seine
Informationen vorzugsweise von französischen Beamten, neuerdings wohl
auch von verschiedenen in politische Polizei eingestellten Emigranten be-
zieht, deutschen Beamten gegenüber aber äußerstes Mißtrauen bekundet,
praktisch dazu führen, daß letzten Endes antideutsche Elemente, wenn
nicht gar Franzosen auf diesem Umweg Sachdarstellung und damit spätere
Ratsbeschlüsse weitgehend beeinflussen. Dieser Gefahr könnte am wirk-
samsten dadurch vorgebeugt werden, daß Komitee sich durch Beobachtung
an Ort und Stelle eigenes Urteil verschafft. Vorbereitende Studien im Saar-
gebiet selbst könnten auch in anderer Beziehung, z. B. wegen technischer
und organisatorischer Fragen, nur vorteilhaft sein und Arbeiten erleichtern
und beschleunigen.
Prüfung an Ort und Stelle wäre kein Novum. Bekanntlich hat Vatikan
französisches Drängen, Saargebiet von Bistümern Trier und Speyer ab-
zutrennen, zum Anlaß genommen, Prälaten Testa ins Saargebiet zu ent-
senden, um sich zunächst eigenes Urteil über Lage zu verschaffen.3) Testa
hat in längerem Aufenthalt guten Einblick gewonnen, seine Beurteilung,
soweit uns bekannt, weicht von der des Präsidenten Knox erheblich ab.
Italiener hätten vielleicht in Rom Gelegenheit, Testa selbst zu befragen.
Bitte auf diese Gesichtspunkte hinweisen und betonen, daß Reise Komi-
tees ins Saargebiet zweckmäßig möglichst früh erfolgen sollte.
Botschaften Paris, London und Rom werden verständigt.4)
KÖPKE 5)

(3) Siehe Dokument Nr. 96.


(4) Die Unterrichtung dieser Vertretungen erfolgte durch Erlaß II S.G. 444 Ang. II vom
27. Januar (7894/E 572 322).
*(») Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen. Ko[tze] 27. [1.]"

223
7894/E 572 323-29

Runderlaß des Auswärtigen Amtsx)


Eilt BERLIN, den 26. Januar 1934
e.o. II S.G. 480
In der Anlage übersende ich ergebenst zur gefälligen vertraulichen
Kenntnis Abschrift einer Notiz von Kommerzienrat Dr. Röchling über seine
Besprechungen in Genf über die Saarfrage.
I.A.
V[OIGT]

(i) Der vorliegende Erlaß wurde an die Botschaften in Paris, London, Rom und Madrid,
an die Gesandtschaften in Bern, Brüssel, Den Haag, Warschau, Kopenhagen und Lissa-
bon sowie an das Konsulat in Genf übermittelt.

414
Nr. 223 26. JANUAR 1934

[Anlage]
NOTIZ ÜBER DEN GENFER AUFENTHALT VOM 16. BIS 19. JANUAR EINSCHL.

V o n den Unterhaltungen mit d e n H e r r e n des Sekretariats w a r die wich-


tigste, die ich mit H e r r n W a l t e r s in Gegenwart des H e r r n Freudenberger
hatte. W i r legten ihm unsere W ü n s c h e bezügl. der Festlegung des Termins
der Volksabstimmung bereits in dieser Ratstagung mit der Begründung
dar, daß damit einer höchst überflüssigen Agitation der Separatisten der
Boden entzogen würde, da der Völkerbundsrat ja doch keinesfalls gegen
den VersaiUer Vertrag handeln könne, der in dieser Hinsicht vollkommen
eindeutig sei, wonach die Volksabstimmung am 10. oder 11. J a n u a r 1935
stattfinden müsse. Er erwiderte, daß die Bestimmungen des V e r t r a g e s be-
stimmt eingehalten würden, daß er aber nicht wisse, ob es möglich sei, eine
Festlegung des Termines bereits in der Januar-Ratstagung herbeizuführen.
W i r wiesen ihn d a n n noch besonders darauf hin, daß die Versuche des
Herrn Knox, fremde Polizeikräfte heranzuziehen, von seiner vollkommen
falschen Einschätzung der Lage im Saargebiet herrührten. Er möge sich bei
Herrn Rosting erkundigen, ob H e r r Knox nicht schon vor etwa Jahresfrist
nachgefragt habe, ob er nicht französisches Militär ins Saargebiet herein-
ziehen könne, da ein Generalstreik der Bergleute bevorstehe. Ich hätte
Herrn Rosting damals gesagt, daß Knox sich da falsch h a b e informieren
lassen, denn weder w ü r d e die französische Regierung den A n t r a g der
Generaldirektion der Saargruben, die Löhne herabzusetzen, billigen, noch
würde bei einer Billigung durch Herrn Daladier, dem damals die Gruben
unterstanden, ein Generalstreik entstehen. So dumm w ä r e n die Bergleute
nicht, sie würde n d a n n vielmehr passiven Widerstand (Ca' Canny-System)
ausüben, so daß, w e n n eine Gewalttat d a n n begangen w e r d e n müßte, sie
dann von der französischen Grubendirektion durch A u s s p e r r u n g erfolgen
müsse. Herr Daladier habe d a n n auch selber die Herabsetzung der Löhne
abgelehnt. So falsch wie damals beurteile Herr Knox auch jetzt die Lage.
Im Saargebiet sei alles ruhig, mit A u s n a h m e der Regierungskommission.
So hätte die Regierungskommission jetzt den Gymnasiasten von Neun-
kirchen den Deutschen Gruß untersagt. M a n könnte den J u n g e n s kein
größeres V e r g n ü g e n machen als mit einem solchen Verbot, denn es w ü r d e
ihnen bestimmt einen Riesenspaß machen, dies dadurch zu umgehen, daß
sie die Hand einfach andersherum drehten. W e n n die Regierungskommis-
sion d a n n das Verbot weiter auch auf diese Handhaltung ausdehnte, d a n n
w ü r d e der Spaß weitergehen. W a l t e r s sagte, es w ä r e alles sehr erfreulich,
wenn bei derartigen Angelegenheiten Humor dabei w ä r e , so lange w ä r e
nichts gefährlich.
Am Tage vorher hatten wir eine Besprechung bei Baron Aloisi. Ich w a r
zuerst allein dort, die drei a n d e r e n H e r r e n Staatsrat Spaniol, Levacher und
Freudenberger k a m e n etwas später. Ich bedankte mich sehr dafür, daß er
uns h a b e empfangen wollen, und b e d a u e r t e nur, daß ich Herrn Spaniol
nicht mehr erreicht hätte, da es mir ganz besonders darauf a n g e k o m m e n
sei, ihn vorzustellen, da es mir wichtig sei, daß er selber die Überzeugung
gewinne, daß dieser ein netter junger Mann sei, der durchaus in der Lage
w ä r e und die nötige Energie besitze, um Ordnung innerhalb der NSDAP

415
Nr. 223 26. JANUAR 1934

zu halten. Aloisi war äußerst liebenswürdig, hörte meinen Wunsch, daß


bereits in der jetzigen Ratstagung der Termin für die Volksabstimmung
festgelegt werden möchte, an und sagte, er wolle sehen, ob dies schon
möglich sei. Immerhin sei er nicht allein dafür maßgebend. Inzwisdien
kamen die anderen Herren, und er unterhielt sich mit Herrn Spaniol, wobei
ich den Dolmetscher machte. Er frug ihn, wie stark die NSDAP sei, Herr
Spaniol gab 40 000 Mitglieder an, da nach dem Willen des Führers die Zahl
nicht über 6 Prozent der Bevölkerung hinausgehen solle, um eine Auslese
darzustellen. Aloisi frug dann noch, aus welchen Bevölkerungsteilen die
Partei zusammengesetzt sei, worauf Spaniol angab, daß sie aus allen Be-
völkerungskreisen zusammengesetzt sei. Aloisi frug dann, wie es mit der
katholischen Partei, deren Größe usw. bestellt sei. Herr Levacher gab ihm
dann eingehende Auskunft darüber und über die freiwillige Auflösung
zugunsten der Deutschen Front.2) Wir wiesen dann darauf hin, daß die
Deutsche Front heute schon 90 Prozent der Bevölkerung umfasse, daß die
sozialistische Partei heute keine Bedeutung mehr habe und daß sehr viele
von den Kommunisten zur Deutschen Front übergetreten seien und daß wir
die feste Überzeugung hätten, daß wir in dem Jahre, das noch bis zur Ab-
stimmung vor uns liege, auf 90 Prozent der Bevölkerung für die Abstim-
mung kämen, denn etwas, das so das ganze Volk umfasse wie die Deut-
sche Front, die lediglich die Rückkehr zum Reiche wolle, habe eine unge-
heure Anziehungskraft. Um so mehr als doch ein großer Teil der Kommu-
nisten nur infolge der Hoffnungslosigkeit, daß die wirtschaftlichen und
politischen Fragen von den bestehenden Parteien nicht gelöst werden
könnten, Kommunisten geworden wären. Die Entwicklung im Reiche aber
beweise besser als alles andere, daß der von Adolf Hitler beschrittene Weg
erfolgreich sei, und das verfehle bestimmt nicht die Wirkung auf unsere
Leute, die alles andere, nur keine verbohrten Kommunisten seien. Aloisi
sagte, dann, wenn wir eine solche Abstimmung erzielten, werde alles ein-
fach sein, andernfalls nicht.
Wir unterhielten uns dann noch darüber, daß Herr Aloisi meinte, wir
könnten ja jetzt schon ruhig anfangen zu arbeiten, denn die Abstimmung
finde statt. Wir wiesen ihn darauf hin, daß eine große Arbeit noch zu ver-
richten sei, denn die Vorbereitung der Volksabstimmung und die Aufstel-
lung der Abstimmungslisten, besonders aber die Auffindung der Ab-
stimmungsberechtigten, von denen etwa 50 000 im Reich und nach An-
gaben der Franzosen etwa 10 000 in Frankreich und einige Tausend in
Amerika lebten, erfordere sehr viel Zeit. An die Abstimmungslisten könn-
ten wir aber nicht heran, solange diese Dokumente versiegelt und unter
dem Schutze des Völkerbundes lägen. Er interessierte sich sehr dafür und
sagte, er hoffe, in dieser Hinsicht helfen zu können. Er sagte noch im Laufe
der Unterhaltung, daß er unsere Situation aus ihren eigenen Erfahrungen
sehr gut verstehe, daß die Emigranten, die Juden und die Logen unsere
größten Feinde seien, die alles daran setzten, um Schwierigkeiten zu be-

(2) Die Führer des Zentrums im Saargebiet hatten im Oktober 1933, nach Besprechungen
mit Spaniol, den Beschluß gefaßt, ihre Partei aufzulösen und in die Deutsche Front
einzugliedern.

416 ,
Nr. 223 26. JANUAR 1934

reiten. Zum Schluß sagte er mir noch, er habe ein Telegramm von zu Hause
erhalten, daß er uns empfangen möge.
Wir hatten dann noch eine Besprechung mit dem portugiesischen Rats-
vertreter mit einem unaussprechlichen Namen.3) Herr Freudenberger und
ich waren dort. Wir legten ihm die beiden wichtigsten Punkte, Abstim-
mungstermin und Nichtheranziehung fremder Polizeikräfte dar. Er sagte
nur Unverbindliches.
Bezügl. der Unterhaltung mit Aloisi ist noch nachzuholen, daß er wegen
der fremden Polizeikräfte sagte, die Angelegenheit sei ungeheuer schwie-
rig, da der Völkerbund nun einmal die employes im Saargebiet habe und
infolgedessen auch auf sie hören müsse. Aber Frankreich habe auf die
Heranziehung französischer Kontingente verzichtet, England und Italien
würden ablehnen. Infolgedessen käme höchstens eine entferntere Macht
wie Spanien in Frage, worauf wir darauf hinwiesen, daß mit fremden Poli-
zeikräften, die kein Deutsch könnten, doch nichts anzufangen sei, wenn z. B.
in Mailand oder besser noch in Turin Polizeikräfte eingesetzt würden, die
zwar ausgezeichnet Deutsch, aber kein Italienisch könnten, so könne doch
nichts Vernünftiges dabei herauskommen, worauf Aloisi sagte, daß diese
Angelegenheit äußerst schwierig sei.
Wir hatten dann noch eine Besprechung mit dem Präsidenten des Rates,
dem polnischen Außenminister Oberst Beck, in Gegenwart eines polni-
schen Sekretärs, der viele Jahre an der polnischen Delegation, die in Genf
ihren ständigen Sitz hatte, gewesen war und der ständige, sehr intime Be-
ziehungen mit allerhand Damen des Sekretariats hatte. Wir hatten uns
durch Vermittlung der Danziger an Herrn Oberst Beck gewandt, da wir
selbst nicht die Absicht hatten hinzugehen, es war uns aber gesteckt wor-
den, wir möchten doch kommen. Oberst Beck war ziemlich verschlossen.
Wir legten ihm dar, daß wir durch unsere Denkschriften an den Völker-
bundsrat versucht hätten, unsere Lage zu schildern, daß wir aber fürchteten,
daß sie das Schicksal derartiger Denkschriften, besonders so umfangreicher,
teilten, daß sie nicht gelesen würden, worauf der kleine Pole sehr ver-
gnügt grinste.
Wir haben dann dem Oberst Beck zunächst die Frage des Abstimmungs-
termins vorgetragen, worauf er erwiderte, daß der Rat sich unter allen
Umständen an die Bestimmungen des VersaiUer Vertrages halten werde
und daß man zwar Propaganda nicht hindern könne, daß sie aber keine
Bedeutung habe. Wir trugen ihm dann unsere Schmerzen wegen der frem-
den Polizei vor und der Regierungskommission, die als 4/s Fremdländer
unser Volk nicht verstehe und daher zu falschen Maßnahmen dränge. Wir
hätten ja selbst Erfahrung darin, daß es uns nicht gelungen sei, die Polen
richtig zu behandeln, und infolgedessen verständen wir die Lage der Re-
gierungskommission schon, könnten aber selber sehr wenig dabei helfen.
Er hat zu dieser Frage nichts Wesentliches gesagt. Ich habe überhaupt nicht
den Eindruck, daß wir bei diesen Unterhaltungen, die deutsch geführt wur-
den und bei der Herr Freudenberger zugegen war, uns näher gekommen
wären.

(3) Vasconcellos.

417

II.l Bg. 27
Nr. 223 26. JANUAR 1934

Das spanische Ratsmitglied Madariaga hat uns versetzt. Wir waren be-
stellt, sein Sekretariat behauptete, uns nach dem Hotel Beausejour tele-
phoniert zu haben, man habe auch dort seine Abbestellung entgegenge-
nommen. Es war entweder ungewolltes oder gewolltes romanisches Durch-
einander. Man schlug uns dann aber noch eine Besprechung für den
nächsten Tag vor, die aber nicht mehr zustande gekommen ist.
Der Engländer Mr. Eden und der Australier Mr. Bruce waren nicht zu
erreichen.
Am Nachmittag vor unserer Abreise hatten wir auf 3 Uhr die inter-
nationale Presse ins Hotel eingeladen. Um V2 3 [Uhr] waren Herr Max
Braun und Herr Petri im Hotel, wir nahmen an, daß sie die Frechheit hät-
ten, bei uns zugegen zu sein, aber sie waren anscheinend bei Herrn
Rosting, der bei uns im Hotel mit seiner Frau wohnte. Es waren einige
dreißig Vertreter von allen Nationen da, mit Ausnahme der Franzosen.
Wir hatten unsere Darlegungen in deutsch, französisch und englisch zur
Verfügung. Ich habe den Inhalt deutsch vorgetragen und hinzugesetzt, daß
ich nachher in französisch und wenn gewünscht auch in englisch übersetzen
würde. Aber als ich nach Beendigung meines deutschen Vortrages die
deutschen Darlegungen verteilte und gleichzeitig die französischen und
englischen ausgab, da verschwanden sie alle eiligst, nachdem wir auch die
allerletzten Exemplare losgeworden waren. Sogar das eine Exemplar, das
wir für uns zurückbehalten hatten, mußten wir noch hergeben, allerdings
gegen das bei Journalisten etwas zweifelhafte Versprechen, daß wir es
wiederbekämen. Max Braun hat, wie wir gehört haben, einen Korrespon-
denten hingeschickt, der ihm seinen Genfer Pressedienst besorgt. Es sind
mehrere Fragen an uns gestellt worden, insbesondere die, wie wir auf die
500 000 Abstimmungsberechtigten kämen. Braun redet ja bekanntlich
immer nur von 220-250 000. Die Berechnung ergibt sich folgendermaßen:
etwa 800 000 Bewohner des Saargebiets, davon ab etwa 7 0 - 8 0 000, viel-
leicht auch mehr Zugewanderte, bleiben 720 000, davon 63 % nach unseren
Erfahrungen über 20 Jahre alte, dazu 50 000 Abstimmungsberechtigte im
Reich und 10 000 in Frankreich. Es werden also jedenfalls um die 500 000
sein.
Dann wurde die Frage an uns gestellt von einem sehr alten Bekannten,
dem Vertreter des Neuen Rotterdam'sehen Kurant, wie die Sicherstellung
stattfinden könne, daß nach der Rückgliederung nicht ein Kesseltreiben
gegen die Leute stattfinde, die nicht dauernd auf unserer Seite gestanden
hätten. Ich erwiderte ihm, daß wir alten Kämpfer die Garantie dafür über-
nehmen würden, daß nur 20 bis 30 der Führer aus dem Saargebiet ver-
schwinden müßten, daß dagegen all den Verführten nichts passieren würde,
falls sie nicht neuen Verschuldungen nach der Rückgliederung anheimfielen.
Es ist selbstverständlich, daß diese Frage die wichtigste politische Frage
ist, die mit der Rückgliederung zusammenhängt. Herr Morize war von An-
fang an da und ständig auf dem Weg zur französischen Delegation im
Hotel des Bergues. Herr Knox, Herr Zoricic und Herr Kossmann kamen
später.
H. RÖCHLING

418
, Nr. 224 26. JANUAR 1934

224
7467/H 179 907-10
Der Botschaiter in Rom von Hassell an das Auswärtige Amt
I 97 ROM, den 26. Januar 1934
Ankunft: 29. Januar
II Abr. 277
Mit Bezug auf das Telegramm Nr. 27 vom 25. d. M.1)
POLITISCHER BERICHT
Betr.: Italien und die Abrüstungsfrage.
Meinen gestrigen Drahtbericht über die Erklärungen Suvichs zur Ab-
rüstungsfrage möchte ich auf Grund anderer Informationen aus guter, zum
Teil ebenfalls amtlicher Quelle in einigen Punkten ergänzen:
übereinstimmend wird im Außenministerium erklärt, daß eine englische
Stellungnahme zu dem italienischen 2 ) und deutschen 3 ) Memorandum noch
nicht vorliege und auch in allernächster Zeit nicht zu erwarten sei. Es er-
scheine auch zweifelhaft, ob die für die nächste Woche angekündigten Er-
klärungen Sir John Simons im Unterhaus sich meritorisch mit dem Ab-
rüstungsproblem beschäftigen würden. Wahrscheinlich werde Simon ledig-
lich den britischen Standpunkt zum Ausdruck bringen, daß man zunächst den
Abschluß des deutsch-französischen Meinungsaustauschs abwarten müsse.
Jedenfalls rechnet man hier gemäß der mit Sir John Simon bei dessen
Besuch in Rom getroffenen Vereinbarung 4 ) bestimmt damit, daß Italien
von den englischen Vorschlägen zur Uberbrückung der deutsch-französi-
schen Gegensätze zuerst Kenntnis und wohl auch Gelegenheit zur Stellung-
nahme erhalten werde.
Im Augenblick sieht man allerdings auch hier vorläufig keine Möglich-
keiten für einen Ausgleich der französischen und der deutschen Auffassung,
die sich einstweilen noch diametral gegenüberständen. Immerhin wird es
als ein Fortschritt betrachtet, daß das deutsche Memorandum in der Form
entgegenkommend gehalten ist und Verhandlungsmöglichkeiten offen läßt.
Man möchte in erster Linie Zeit gewinnen, um eine weitere Verschärfung
der Lage zu vermeiden. Eine englisch-italienische Vermittlungsaktion wird
nach wie vor ins Auge gefaßt, sie soll aber dem englischen Standpunkt
entsprechend erst einsetzen, wenn jede Aussicht für eine unmittelbare Ver-
ständigung zwischen Berlin und Paris verschwunden ist. Vorläufig hält man
diesen Zeitpunkt noch nicht für gekommen. Die Absicht der Regierung,
die Sir John Simon seinerzeit ubergebenen Vorschläge Mussolinis zur
Abrüstungsfrage und zur Völkerbundsreform zu veröffentlichen, ist, wie
gemeldet, auf Wunsch der englischen Regierung einstweilen zurückgestellt
worden.5)
Bemerkenswert erscheint es, daß von italienischer Seite nach wie vor
bei fast jeder Besprechung über die Abrüstungsfrage darauf hingewiesen

(1) Fundort: 7467/H 179 891.


(2) S i e h e D o k u m e n t N r . 178 u n d A n m . 2 dazu.
(3) S i e h e D o k u m e n t N r . 195.
(4) S i e h e D o k u m e n t N r . 164.
(5) S i e h e hierzu Documents on British Foreign Policy, 2. Serie, Bd. V I , N r . 161 u n d 164

419
Nr. 224 26. JANUAR 1934

wird, daß der Schlüssel zur Lösung des Problems in Moskau liege. Sollte
es Frankreich gelingen, Rußland zum Abschluß einer politischen Verein-
barung zu bewegen, wobei es ganz gleich sei, ob es sich um ein Bündnis,
eine Militärkonvention, einen „Pacte d'assistance mutuelle" oder derglei-
chen handele, so sei mit Bestimmtheit damit zu rechnen, daß Frankreich
eine immer unnachgiebigere, unter Umständen sogar drohende Haltung
einnehmen werde.6) Falls es andererseits gelingen sollte, Rußland in letzter
Stunde zum Einlenken zu bringen und davon abzuhalten, sich gänzlich in
die Arme Frankreichs zu werfen, so würde diese Wendung, wie man hier
bestimmt annimmt, sich in Paris sehr bald, und zwar vor allem auf dem
Gebiete der Abrüstungsfrage, bemerkbar machen. Dabei wird betont, daß
der jetzige Augenblick für den Versuch, das Verhältnis zwischen Deutsch-
land und Rußland wieder zu bessern, deshalb nicht schlecht gewählt sei,
weil sich in Moskau gegenwärtig nach dem mißglückten Vorstoß im
Baltikum 7 ) eine gewisse Ernüchterung bemerkbar mache. Wenn es Deutsch-
land heute gelänge, die immer noch starke Nervosität der Moskauer Regie-
rung wegen der angeblichen deutschen Expansionsbestrebungen im Nord-
westen und Süden Rußlands zu beschwichtigen, so sei es auch jetzt noch
möglich, die zerrissenen Fäden zwischen Berlin und Moskau wieder zu
knüpfen. Falls in dieser Hinsicht in nächster Zeit nichts geschehe, werde
Frankreich allerdings, wie man hier fürchte, bald gewonnenes Spiel haben.
Gesprächsweise wurde von amtlicher Seite in diesem Zusammenhang hin-
zugefügt, daß man nach den hier vorliegenden Eindrücken in Berlin die
weitere Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen keineswegs pessi-
mistisch zu beurteilen scheine, indem man eine dauernde Abkehr Rußlands
von Deutschland im Hinblick auf die Bedeutung des Reichs als wichtigen
russischen Absatzgebiets und die nach wie vor vertrauensvollen Beziehun-
gen zwischen Reichswehr und Roter Armee für ausgeschlossen halte. Ob
dieser Optimismus berechtigt sei, werde hier bezweifelt. U. a. werde der
weitere Verlauf der Abrüstungsverhandlungen einen guten Prüfstein dafür
abgeben, inwieweit die deutsche Politik die Haltung Rußlands richtig ein-
geschätzt habe.
Ich gebe diese, von unterrichteter und besonders wohlgesinnter Seite
kommende Darstellung lediglich zur Information wieder, da sie erneut er-
kennen lasse, für wie entscheidend wichtig man es hier an maßgebender
Stelle für alle gegenwärtig schwebenden Fragen der großen Politik ansieht,
die deutsch-russische Spannung zu beseitigen.
Die Haltung der Presse zur Abrüstungsfrage entspricht mit wenigen Aus-
nahmen im großen und ganzen dem deutschen Standpunkt. Die deutsche
Antwort auf das französische Memorandum 8) fand nach Form und Inhalt
allgemeine Billigung, wobei die Haltung Frankreichs, das offensichtlich an
seinem am 14. Oktober v. J. bekanntgegebenen Standpunkt festhalten
wolle, einer scharfen Kritik unterzogen wird. Giornale d'ltalia vom 21. d. M.

(8) Die vorstehenden beiden Sätze wurden von Bülow am Rand mit Rotstift angestrichen.
Bülow machte Neurath auf der ersten Seite der Vorlage auf diesen Passus besonders
aufmerksam.
(7) Siehe die Dokumente Nr. 169 und 187.
(8) Siehe Dokument Nr. 194, Anm. 1.

420
Nr. 225 26. JANUAR 1934

faßte in einem sehr bemerkenswerten Artikel Gaydas seine Ansicht dahin


zusammen, daß ohne eine befriedigende Lösung der Gleichberechtigungs-
frage keine europäische Zusammenarbeit möglich sei. Ähnlich Popolo
d'Italia vom 25. d. M., der unter der Überschrift „LÄntitesi dei Reno"
betont, daß Italien und England auf Grund des Locarno-Pakts berufen und
verpflichtet seien, auf einen Ausgleich zwischen Deutschland und Frank-
reich hinzuwirken. Ehe sich nidvt die nächstbeteiligten Großmächte ver-
ständigt hätten, müsse Genf im Hintergrund bleiben.
Einige Ausschnitte sind beigefügt.9)
HASSELL
(») Fundort: 7467/H 179 910/2-10/6.

225
8048/E 578 517-20
Der Botschafter in Rom von Hassell an das Auswärtige AmtJ)
I 102 ROM, den 26. Januar 1934
Ankunft: 29. Januar
II It. 133
Mit Bezug auf das Telegramm Nr. 26 vom 25. d. M.2)
POLITISCHER BERICHT
Betr.: Besuch Suvichs in Wien.
Wie in dem obenbezeichneten Telegramm berichtet, hat Herr Suvich mir
über seine Wiener Eindrücke ausführlich Aufschluß gegeben. In seinen Mit-
teilungen, die sich zum großen Teil mit den Beobachtungen unseres Ge-
sandten in Wien 3 ) decken, ist das Wichtigste, was über Verlauf und Be-
deutung des Besuchs zu sagen wäre, wiedergegeben. Die ergänzende Be-
richterstattung kann sich daher auf wenige Punkte beschränken, die für
die Beurteilung des Besuchs noch von Interesse sind.
über den Kampf zwischen Regierung und Nationalsozialismus hat sich
Herr Suvich einem seiner Mitarbeiter gegenüber dahin geäußert, er habe
aus seinen Unterredungen mit führenden Männern Österreichs den Ein-
druck gewonnen, daß die Regierung sich dem Ansturm des Nationalsozialis-
mus gegenüber in der Tat in bedrängter Lage befände, aber fest ent-
schlossen sei, sich mit allen Mitteln zu wehren. Nach seinen Eindrücken
habe weder die Regierung noch der Nationalsozialismus eine absolute
Mehrheit hinter sich, sondern zwischen beiden stehe die große, politisch
wenig interessierte Masse der Bevölkerung, die heute noch unentschlossen
sei, auf welche Seite sie sich schlagen solle. Um ihre Gewinnung gehe der
Kampf, der von nationalsozialistischer Seite mit Putschdrohungen und
anderen Einschüchterungsversuchen, von seiten der Regierung im Zeichen
des Unabhängigkeitsgedankens und des in sicherer Aussicht stehenden

*(i) Die Vorlage wurde von Neurath abgezeichnet und trägt den Randvermerk: „Der Herr
Reichskanzler hat Kenntnis. L[ammers] 1. 2."
(2) Fundort: 3086/D 617 153-54.
*(3) Rieth. - Siehe Dokument Nr. 213, Anm. 2.

421
Nr. 225 26. JANUAR 1934

Beistandes der Großmächte geführt werde. Der Kampf habe in der letzten
Zeit Formen angenommen, die eine gütliche Verständigung in absehbarer
Zeit als ausgeschlossen erscheinen lassen. In den Kreisen der Regierung
herrsche angesichts der kritisch gewordenen Lage begreifliche Erregung
und Nervosität, die insbesondere auch bei Herrn Dollfuß zum Ausdruck
komme, über die weitgehende Unterstützung, die der österreichische
Nationalsozialismus ständig aus dem Reiche erhalte und ohne die nach
österreichischer Ansicht der Bewegung längst der Boden entzogen wäre,
habe sich Herr Dollfuß mit großer Bitterkeit geäußert und dabei auf das der
Regierung zur Verfügung stehende, umfangreiche Beweismaterial hinge-
wiesen, das über die Mitwirkung deutscher nationalsozialistischer Organi-
sationen an den Terrorarbeiten keinen Zweifel lasse. Herr Suvich zeigte
mir einen ganzen Pack von Fotografien usw., die die deutsche Herkunft be-
legen sollten. Diese Eingriffe empfinde man in Wien um so schmerzlicher,
als sowohl Dollfuß wie auch seine nächsten Mitarbeiter, nicht zum wenig-
sten Fürst Starhemberg, ihm gegenüber immer wieder ihre deutsche Ge-
sinnung betont hätten, in der sie sich auch durch die Kampfstellung, in die
sie dem Reich gegenüber gedrängt worden seien, nicht beirren lassen
würden.
Suvich sieht, wie er auch mir gegenüber erklärte, die einzige Möglich-
keit, zu einer Entspannung zu kommen, in einer Kampfpause auf beiden
Seiten, während deren die Gemüter sich vielleicht beruhigen und für einen
Ausgleich reif gemacht werden könnten. Dabei rechnet man anscheinend mit
einer allmählichen Umbildung des österreichischen Nationalsozialismus, der
nach der Wiener Darstellung in wesentlichen Grundfragen weniger radikal
orientiert sei als die deutsche Bewegung und der leichter zu lenken sein
werde, wenn erst einmal die unausgesetzte moralische und effektive Förde-
rung der Bewegung aus dem Reich ein Ende erreicht habe. Mit welchen
Mitteln man zu diesem Ziele gelangen will, darüber scheint sich allerdings
auch Herr Suvich noch kein rechtes Bild gemacht zu haben. Er hat mir
gegenüber zwar erklärt, er hoffe, daß die österreichische Regierung keinen
Schritt beim Völkerbund unternehmen werde, da er wenig erfolgverspre-
chend und wenig angebracht sei, doch bin ich nicht sicher, ob diese Hoff-
nung ganz echt ist. Sicherlich wünscht man hier derartige folgenschwere
Schritte, wie es die Anrufung des Völkerbundes wäre, nach Möglichkeit
vermieden zu sehen, würde sie aber in dem Bestreben, die österreichische
Unabhängigkeit mit allen Mitteln zu sichern, als ultima ratio voraussicht-
lich nicht mißbilligen. Ob die Wiener Regierung die uns angekündigte und
inzwischen erfolgte Verständigung der Großmächte4) über ihre Absicht,
sich äußerstenfalls an den Völkerbund zu wenden, ganz aus eigenem An-
triebe und ohne Befragung befreundeter Regierungen unternommen hat,
bleibt gleichfalls hingestellt. Jedenfalls müssen wir uns darüber klar sein,
*(l) Die Nachricht von der österreichischen Demarche in Berlin am 17. Januar (siehe Doku-
ment Nr. 188) war zu dieser Zeit noch nicht öffentlich bekanntgegeben worden. Um den
22. Januar waren jedoch in der internationalen Presse Berichte aufgetaucht, nach
denen die österreichische Regierung Vertreter der Großmächte von ihrem Schritt unter-
richtet habe und eine Anrufung des Völkerbunds erwäge. Siehe Foreign Relations o! the
United States, 1934, Bd. II, S. 8-9; Documents on British Foreign Policy, 2. Serie, Bd. VI,
Nr. 201.

422
Nr. 226 27. JANUAR 1934

daß, falls Österreich den Plan, seine Beschwerden auf internationalem


Gebiet, sei es durch die Erwirkung einer Botschafter-Demarche in Berlin,
sei es in Genf, auszutragen, ausführen sollte, Italien nicht im Hintergrunde
bleiben würde. Die kühle Aufnahme aber, die die österreichische Ankündi-
gung eines Schritts beim Völkerbund offensichtlich in London findet, hat
zweifellos auch auf die Haltung Italiens zurückgewirkt.
Zu dem Ergebnis der Besprechungen auf wirtschaftlichem Gebiet ist
nichts von Bedeutung nachzutragen. Auch nach Informationen aus anderen
Quellen ist es bei der Wiener Zukunft 5 ) lediglich bei einem „tour d'hori-
zon" über im Vordergrund stehende beide Länder vorwiegend interessie-
rende Wirtschaftsfragen gekommen, ohne daß irgendwelche Beschlüsse
gefaßt worden wären. Dies gilt insbesondere auch von der Frage einer
österreichischen Freizone in Triest, die, wie mir versichert wird, noch lange
nicht zur Entscheidung reif ist. Der Gegenstand der Besprechungen auf wirt-
schaftlichem Gebiet scheint übrigens in dem amtlichen Wiener Kommunique
über den Verlauf des Besuchs erschöpfend wiedergegeben zu sein.
Die Presse hat sich im wesentlichen auf eine ausführliche Wiedergabe der
äußeren Gestaltung des Besuchs und Meldungen ihrer Wiener Korrespon-
denten beschränkt. Dagegen brachte die Turiner Stampa vom 23. d. M.
einen stark polemisch gehaltenen Artikel, in dem unter der Überschrift
„Per l'indipendenza politica ed economica dellÄustria, Difesa integrale"
ein scharfer Angriff gegen das neue Deutschland gerichtet wird, das mit
seinen Ausschreitungen gegen das schwache Österreich seine eigenen Inter-
essen schädige. Die Wiener Zusammenkunft sei eine bewußte Kundgebung
für die österreichische Unabhängigkeit. Das Blatt scheut sich sogar nicht,
Frankreich für den Kampf um die österreichische Unabhängigkeit auf den
Plan zu rufen, wobei angedeutet wird, daß das italienische Projekt für eine
internationale Zusammenarbeit im Donaubecken die beste Grundlage für
ein Zusammengehen im Interesse Österreichs bilde.
Einige Zeitungsausschnitte sind beigefügt.6)
HASSELL
*(5) Wahrscheinlich muß es richtig heißen: „Zusammenkunft".
(«) Fundort: 8048/E 578 521-28.

226
6177/E 463 577-78
Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 7 vom 27. 1. den 27. Januar 1934 22 Uhr 45
WARSCHAU,
Ankunft: 28. Januar 2 Uhr 45
IV Po.683
Außenminister Beck, der mich heute zu sich bat, äußerte sich dankbar
und mit lebhafter Befriedigung über Zustandekommen deutsch-polnischer
Vereinbarung. Die Bedeutung dieses Ereignisses, das man wohl als histo-
risch bezeichnen könnte, sei für ihn und ganz besonders für den Marschall
Pilsudski noch erhöht worden durch die Worte, die der Herr Reichskanzler

423
Nr. 227 28. JANUAR 1934

an den polnischen Gesandten l) gerichtet habe.2) Der Eindruck in polnischer


Öffentlichkeit sei außerordentlich und stärker, als er erwartet habe. So
habe zum Beispiel Bekanntgabe in größtem Konzertsaal Warschaus lebhaf-
ten Applaus Publikums hervorgerufen, und selbst in der Provinz hat Zei-
tungsauflage verdreifacht werden müssen. Es zeige sich, daß nach Fehl-
schlag von internationalen Konferenzen und Pakten eine mutige und von
Führerwillen zeugende Politik starke Wirkung ausübe, insbesondere wenn
sie allgemein vorhandenem Friedensbedürfnis Rechnung trage. Hierin liege
Ansporn für Weiterverfolgung dieser Linie.
Die Oppositionsparteien hätten sich noch nicht geäußert. Er fürchte sie
auch nicht und werde in der nächsten Woche Gelegenheit nehmen, seine
Politik vor dem Sejm zu vertreten.
Die Aufnahme in der Weltöffentlichkeit sei, soweit ihm bisher Nach-
richten vorliegen, durchweg günstig. Insbesondere begrüße er das diesbe-
zügliche Havas-Kommunique, daß ihm Anlaß gegeben habe, den polni-
schen Botschafter in Paris 3 ) zu beauftragen, der französischen Regierung
Dank auszusprechen.
MOLTKE
• (i) Lipski.
(2) Siehe Dokument Nr. 217.
*(3) Chlapowski.

227
6025/H 046 685-86
Der Botschafter in Moskau Nadolny an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 21 vom 28. 1. MOSKAU, den 29. Januar 1934 3 Uhr
Ankunft: 29. Januar 5 Uhr 40
IV Ru. 439
In großem Rechenschaftsbericht vor Parteikongreß behandelte Stalin ein-
gehend Verhältnis der Sowjetunion zu anderen Staaten.1) Inhalt ist, wie
ich höre, ausführlich durch Tass verbreitet, annehme, daß er morgen dort
vorliegt, und darf mich wegen der Länge Ausführungen einstweilen darauf
beziehen.2)
Für die Frage Verhältnisses Rußlands zu Deutschland und sein Ab-
schwenken in französische Front ist m. E. folgendes in Betracht zu ziehen:
1.) Beziehungen zu dem Völkerbund werden überhaupt nicht erwähnt
(bemerke hierbei, daß Litwinow gestern dem italienischen Botschafter3)
erklärt hat, die Sowjetunion sei bisher nicht Kandidat für den Eintritt).
2.) Deutschland wird nicht, wie in Rede Litwinows,4) zusammen mit
Japan behandelt.
(1) Die Rede Stalins vom 26. Januar 1934 ist in Auszügen abgedruckt in Soviet Documents
on Foreign Policy, Bd. III, S. 65-72.
(2) In seinem Bericht Nr. A 241 vom 30. Januar (6025/H 046 734-49) ging Nadolny ausführ-
licher auf die Rede Stalins ein.
• (3) Attolico.
(4) Vom 29. Dezember 1933. Siehe Dokument Nr. 161 und Anm. 2 dazu.

424
Nr. 228 30. JANUAR 1934

3.) Annäherung an Polen und Frankreich wird als im Interesse Erhal-


tung Friedens erfolgter Umschwung von schlechten zu besseren Beziehun-
gen dargestellt, der hervorgerufen ist durch wachsende und darum anderen
Staaten wertvollere Macht der Sowjetunion (man rechnet nur mit Starkem)
und durch gewisse Änderungen der Politik in Deutschland, die ein An-
wachsen revanchistischer und imperialistischer Stimmung aufweist. Dabei
wird jedoch klar zum Ausdruck gebracht, daß es sich lediglich um eine
Annäherung handelt, bei der zu überwindende Wechselfälle nicht ausge-
schlossen sind, nicht dagegen um eine bereits vollzogene Bindung.
4.) Es wird erneut ausdrücklich erklärt, daß das deutsche Regime kein
Grund zu einer anderen Einstellung Rußlands sei. Diese von dem Partei-
führer vor dem Kongreß abgegebene Erklärung dürfte nunmehr als maß-
gebende Richtlinie zu bewerten sein.
Im Vergleich zu Rede Litwinows auffällt in Ausführungen Stalins ruhiger
Ton und reine Sachlichkeit, die sich auf Feststellung der Lage und der in
Deutschland bestehenden politischen Tendenzen beschränkt, ohne, wie
Litwinow, direkt von bereits feststehenden aggressiven deutschen Plänen
zu sprechen. Äußerung, daß Beziehungen zu Deutschland lediglich auf
dessen veränderter Politik beruhen, bedeutet nach meiner Ansicht eine aus
dem Mund Stalins erfolgte Bestätigung der mir gegenüber verschiedentlich
zum Ausdruck gebrachten Erwartung, daß Deutschland durch eine Erklä-
rung von maßgebender Seite zu russischen Befürchtungen Stellung nimmt.
Nachdem die vier maßgebendsten Männer der Sowjetunion (Molotow,5)
Litwinow, Kaganowitsch 6 ) und Stalin) sich öffentlich derart über Verhält-
nisse zu uns geäußert haben, kann m. E. in der Tat nicht mehr daran vor-
übergegangen werden, ohne daß ein Schweigen als Bestätigung der russi-
schen Auffassung gedeutet wird und den francophilon Tendenzen entschei-
denden Auftrieb gibt. Die im Ton gemäßigten Ausführungen Stalins dürften
auch eine Beantwortung eher verdienen als die Ausfälle Litwinows.
NADOLNY
(5) Die Rede Molotows vor dem Zentral-Exekutiv-Komitee am 28. Dezember 1933 ist in
Auszügen abgedruckt in Sovief Documenfs on Foreign Policy, Bd. III, S. 46-48.
(«) Siehe Dokument Nr. 210 und Anm. 6 dazu.

228
3154/D 670 675-76
Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath
den 30. Januar 1934
BERLIN,
RM. 128
Der Herr Reichskanzler empfing gestern den englischen Botschafter, der
ihm zunächst im Auftrage seiner Regierung die Glückwünsche zum Ab-
schluß der deutsch-polnischen Verständigung J ) aussprach.
Sodann überreichte Sir Eric Phipps ein Memorandum, in welchem die
englische Regierung ihre Auffassung zur Abrüstungsfrage sowie ihre Vor-

(l) Dokument Nr. 219

425
Nr. 229 31. JANUAR 1934

schlage für eine Konvention niedergelegt hat.2) Der englische Botschafter


erklärte dabei: seine Regierung habe davon abgesehen, nochmals auf die
deutsch-englische Kontroverse bezüglich einer angeblich veränderten Stel-
lung in der Rede Sir John Simons vom 14. Oktober v. J. gegenüber dem
ursprünglichen MacDonald-Plan zurückzukommen.3) Sie halte die Fort-
setzung der Unterhaltung darüber nicht für wichtig und nicht für ange-
messen. Der Botschafter bat ferner um Geheimhaltung des Inhalts des
Memorandums, bis dieses von der englischen Regierung selbst veröffent-
licht werde.4)
In seiner Erwiderung erklärte der Kanzler lediglich, er werde das Memo-
randum eingehend studieren und später darauf zurückkommen. Ich selbst
sagte dem Botschafter, daß ich auf die Kontroverse über die veränderte
Haltung der englischen Regierung, wie sie in der Rede Sir John Simons
vom 14. Oktober v. J. nach unserer Auffassung zutage getreten sei, vorerst
nicht weiter eingehen wolle, daß ich mir aber vorbehalten müsse, gegebe-
nenfalls darauf zurückzukommen.
v. N[EURATH]
(2) Das Memorandum ist abgedruckt in Documenfs on British Foreign Policy, 2. Serie,
Bd. VI, Nr. 206.
(3) Siehe Dokument Nr. 19, Anm. 6.
(4) Das britische Memorandum wurde am 31. Januar 1934 veröffentlicht als Cmd. 4498,
Mise. Nr. 2 (1934).

[ANMERKUNG DER HERAUSGEBER: Am 30. Januar 1934 gab Hitler vor dem
Reichstag eine Regierungserklärung ab, die am 31. Januar in voller Länge
im Völkischen Beobachter abgedruckt wurde. Auszüge sind gedruckt in
Domarus, Hitler Reden, Bd. I, S. 352-62. Eine englische Übersetzung wich-
tiger Teile der Rede findet sich in Baynes, The Speeches of Adolf Hitler,
Bd. II, S. 1151-71.]

229
6115/E454 802
Botschaftsrat Prinz zu Erbach-Schönberg (Wien) an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 8 vom 31. 1. WIEN, den 31. Januar 1934 14 Uhr 20
Ankunft: 31. Januar 17 Uhr
II Oe. 290
Militärattache meldet:
„Im Laufe einer gestern gehabten Unterredung mit einer infolge ihrer
Stellung in nationalsozialistischer Parteiorganisation wohlunterrichteten
Person 1 ) habe sichere begründete Überzeugung gewonnen, daß österrei-
(1) In seinem Bericht Nr. 364 vom 7. November 1934 (5705/E 414 428-30) kam Muff auf die
Angelegenheit zurück und identifizierte seinen Gewährsmann als den Major des
österreichischen Heeres Selinger.

426
Nr. 230 31. JANUAR 1934

chische SA-Leitung von ihrem Obergruppenführer 2 ) Resdmy aus München


bestimmten Befehl erhalten hat, alle Vorbereitungen zum Losschlagen am
15. März zu treffen, österreichische Legion soll dazu nach Österreich ein-
brechen. Dieser Befehl wie überhaupt Absicht zur Herbeiführung gewalt-
samer Entscheidung soll vor politischer Leitung Partei sowohl in München
wie in Österreich streng geheim gehalten werden, damit sie nicht von
diesen Seiten verhindert werden können. Es besteht sonst Gefahr, daß
österreichische Legion im Reich festgehalten werde. Mein Gewährsmann
will wissen, daß zwischen Reschny und Habicht schwerer Konflikt ausge-
brochen sei und jener daher hinter Rücken dieses seinen Entschluß gefaßt
und Befehle hierzu ausgegeben habe, um ihn vor eine vollendete Tat zu
stellen.
Habe aus besorgtem Ernst, in dem mir diese Mitteilungen gemacht wur-
den, festen Eindruck gewonnen, daß es sich hier nicht um leeres Gerede,
sondern um Tatsachen handele, die schleuniges Eingreifen seitens oberster
Führung in Deutschland notwendig machen, um im Interesse der Außen-
politik des Reichs wie hiesiger Lage nicht wieder gut zu machendes Unheil
zu verhindern." s)
Bitte Gesandten Rieth informieren.
ERBACH
(2) Dieses Wort war bei der Übermittlung verstümmelt worden und wurde in der Vorlage
mit Bleistift eingefügt.
(3) Köpke informierte in einem Telegramm vom 1. Februar (6115/E 454 804-05) die Botschaf-
ten in London, Paris und Rom sowie die Gesandtschaften in Prag, Budapest und Bel-
grad vom Inhalt der Vorlage und wies sie an, allen Gerüchten über einen bevorstehen-
den Putsch mit Nachdruck entgegenzutreten, da sie völlig aus der Luft gegriffen seien.
Auf dem Arbeitsexemplar dieser Weisung vermerkte Köpke, er habe sich in der Ange-
legenheit mit Habicht in Verbindung gesetzt. Dieser werde seinerseits den Reichs-
kanzler informieren, „der dem Herrn Reichsminister gegenüber das Gerücht bereits von
sich aus als Erfindung bezeichnete".

230
5752/H 037 616
Der Gesandte in Warschau von Moltke an das Auswärtige Amt
Telegramm
Nr. 10 vom 31. 1. WARSCHAU, den 31. Januar 1934 16 Uhr 10
Ankunft: 31. Januar 18 Uhr
IV Po. 784
Außenminister Beck brachte mir gegenüber heute zum Ausdruck, daß die
gestrige Rede des Reichskanzlers J ) hier einen starken Eindruck gemacht
und in allen Kreisen eine außerordentlich günstige Aufnahme gefunden
habe. Er beabsichtige, am kommenden Montag 2 ) im Sejm über die aus-
wärtige Politik Polens zu sprechen, und freue sich, hierbei Gelegenheit zu

(1) Siehe die Anmerkung der Herausgeber nach Dokument Nr. 228, S. 426.
(2) 5. Februar. Siehe Dokumente Nr. 244 und Anm. 2 dazu.

427
Nr. 231 31. JANUAR 1934

haben, d e m Reichskanzler zu antworten, um zu zeigen, daß auch d i e pol-


nische Regierung sich v o n dem gleichen Verständigungswillen leiten lasse.
MOLTKE

231
9119/E 641 395-97
Ministerialdirektor Ritter an die Botschait in LondonJ)
Telegramm
Sofort BERLIN, d e n 31. J a n u a r 1934 23 Uhr
Nr. 35 zu W . 771 2 )
Mit englischen u n d amerikanischen Gläubigervertretern ist h e u t e Eini-
gung erzielt worden. 3 ) Englische Gläubiger h a b e n das mit u n s v e r e i n b a r t e

*(i) Randvermerk: „Hat dem Herrn RM vorgelegen."


(2) W. 771: Nicht ermittelt.
*(3) Am 31. Januar 1934 veröffentlichte die Reichsbank in deutscher und in englischer
Sprache eine Erklärung zu der erzielten Vereinbarung. Der Wortlaut der Erklärung
wurde mit Begleitschreiben vom 1. Februar dem Auswärtigen Amt übermittelt (9119/
E 641 411-14). Die Erklärung lautete:
„Zwischen Vertretern der deutschen Regierung und Beauftragten der amerikanischen
und englischen Gläubiger haben Besprechungen stattgefunden, die in erster Linie den
Inhalt der Transfer-Sonderabkommen zum Gegenstand hatten, die zwischen der
deutschen Regierung einerseits und der schweizerischen und holländischen Regierung
andererseits abgeschlossen werden sollen. Im Laufe dieser Erörterungen erwies es sich
als wünschenswert, das Problem der deutschen Auslandsverschuldung unter allge-
meineren Gesichtspunkten zu besprechen. An diesem Teil der Verhandlungen haben
auch Vertreter der Reichsbank teilgenommen.
Hierbei ergab sieh allseitiges Einverständnis 'darüber, daß die endgültige Lösung der
Außenverschuldung Deutschlands abhängig ist von einer Zunahme des Welthandels und
seiner entsprechenden Verteilung sowie darüber, daß nur eine loyale Zusammen-
arbeit zwischen Deutschland und seinen Gläubigern die Voraussetzungen schaffen kann
für eine Uberbrüdcung der gegenwärtigen Transferschwierigkeiten und für die Auf-
stellung eines Schuldenzahlungsplans, der gleicherweise den Realitäten, wie sie in der
Lage Deutschlands gegeben sind, und den vertraglichen und moralischen Rechten der
Gläubiger Rechnung trägt.
Es herrsehte ferner Übereinstimmung darüber, daß es vom Standpunkt einer ruhigen
Entwicklung höchst unerwünscht ist, das Problem des Schuldendienstes in kurzen
Zwischenräumen immer wieder neu zur Diskussion zu stellen, und es wurde deshalb
der Vorschlag gemacht, in der ersten Hälfte des April eine Zusammenkunft von Ver-
tretern aller lang- und mittelfristigen Gläubiger Deutschlands einzuberufen, mit dem
Ziele, eine Grundlage für die Handhabung des deutschen Schuldendienstes zu schaffen,
die geeignet ist, die Schwächen des gegenwärtigen Systems zu beseitigen und gleich-
zeitig die Basis für eine Dauerregelung abzugeben.
Dabei wurde anerkannt, daß es aus praktischen Gründen im Interesse der Gläubiger
liegen könnte, gewisse Opfer zu bringen, wenn dies nötig erscheinen sollte und dazu
dienen würde, den Ungewißheiten und Zufälligkeiten der gegenwärtigen Lage ein
Ende zu setzen.
Hinsichtlich des Inhalts der Abkommen mit der Schweiz und den Niederlanden nahm
die deutsche Regierung Kenntnis von der Auffassung der Gläubiger; hatte jedoch ihrer-
seits gewisse praktische Gründe, die gegen eine sofortige Beendigung dieser Abkommen
sprachen. Die deutsche Regierung wünschte deshalb diese Vereinbarungen bis zum
30. Juni 1934 fortzusetzen, wobei festgestellt wurde, daß die für April in Aussieht ge-
nommenen Verhandlungen sich auf der Basis der Gleichbehandlung aller Gläubiger und

428
Nr. 231 31. JANUAR 1934

Kommunique 4) heute abend bereits an dortige Presse gegeben. Ich nehme


daher an, daß es bereits in dortiger Morgenpresse stehen wird.
Die den englischen Gläubigern darin zugesagte Einlösung der Scrips zu
67 Prozent bedeutet, daß sie praktisch das Gleiche erhalten wie in der
vorigen Sechs-Monats-Periode.
Aus Äußerungen der hiesigen englischen Gläubigervertreter haben wir
entnommen, daß sie in ständiger Fühlung mit englischer Regierung gestan-
den haben und insbesondere, daß sie im letzten Stadium, bevor sie dem
Kommunique endgültig zustimmten, sich der Zustimmung der englischen
Regierung vergewisserten. Wir nehmen daher an, daß von der englischen
Regierung im Hinblick auf diese Einigung über eine provisorische Zwi-
schenlösung jetzt keine weiteren Schwierigkeiten gemacht werden. Es wäre
sehr erwünscht, wenn Sie dies bald gesprächsweise feststellen würden.
Dabei wäre eventuell darauf hinzuweisen, daß die englische Regierung
schriftlich und mündlich wiederholt betont hat, daß die beste Methode die
direkte Verständigung mit den privaten Gläubigervertretern sei und daß
sie uns daher den Rat gegeben hat, uns mit diesen zu verständigen. Wir
hätten diesen Rat befolgt, und die privaten Gläubigervertreter hätten gegen
die Erneuerung der schweizerischen und holländischen Sonderabkommen
für die gegenwärtige Sechs-Monats-Periode keinen Einspruch erhoben.
Nach den erwähnten Ratschlägen müsse nunmehr auch die englische Regie-
rung diese provisorische Zwischenregelung anerkennen.
Sie können im übrigen dabei hervorheben, daß die Besprechungen hier

[Fortsetzung von Anm. 3]


der Beseitigung von Sonderabmachungen bewegen sollen. Das Reichswirtschafts-
ministerium hat die Reichsbank davon verständigt, daß dies die Auffassung der Regie-
rung ist. Es ist dabei von der Annahme ausgegangen, daß keine Regierung irgend-
eines Landes, dessen Staatsangehörige hinsichtlieh ihrer Gläubigerinteressen Vorteile
aus diesem Vertrage haben, auf Grund der Transferschwierigkeiten Maßnahmen gegen
Deutsdiland treffen wird.
Um ein solches Übereinkommen zu erleichtern und um für die Dauer des laufenden
Halbjahres die Ungleichheit, die sonst zwischen der Befriedigung der schweizerischen
und holländischen Besitzer deutscher Bonds und der anderen Nationalitäten bestehen
würde, auf ein Minimum zurückzuführen, ist die Golddiskontbank bereit, eine feste
Verpflichtung einzugehen, die Scrips, die die Konversionskasse in Anrechnung auf
Zinsen ausgibt, die während des laufenden Semesters fällig werden und nicht unter
die genannten beiden Sonderabkommen fallen, zu 67 °/o (anstatt bisher 50 °/o) zu kaufen.
Die Zustimmung der Reichsbank zu dieser Regelung bedeutet nicht etwa eine Änderung
ihrer Schätzung vom Ende Dezember über die mutmaßliche Devisenentwicklung, sondern
soll - was ausdrücklich betont wird - ihre Bereitwilligkeit erkennen lassen, bis zu
einem gewissen Grade eine Mehrbeanspruchung ihrer Goldreserve in Kauf zu nehmen,
wenn sie damit die baldige konstruktive Regelung des ganzen Schuldenproblems be-
schleunigen kann."
(4) Das Kommunique enthielt folgenden Passus:
„The German Government advanced certain practical reasons for not bringing the
Swiss and Dutdi arrangements to an end forthwith and asked the creditors to tolerate
the continuance of these arrangements until June 30, 1934 at the latest, undertaking
that before this date effective Steps would be taken to bring about their termination.
The German Government also undertook that no such Agreements would be entered
into with other countries. The German Government gives this undertaking on the
expectation that on the April meeting an agreement with the creditors will be reaehed
to the end outlined above". Siehe hierzu den Aktenvermerk Ritters vom 1. Februar
1934, gefilmt unter 9119/E 641 403-04.

429
Nr. 232 31. JANUAR 1934

von beiden Seiten in sehr freundschaftlichem Geist und mit vollem Ver-
ständnis für die Schwierigkeiten und Notwendigkeiten der Gegenseite ge-
führt worden sind. Wir könnten daher hoffen, daß die für April in Aussicht
genommenen allgemeinen und viel weiter gehenden Verhandlungen in dem
gleichen Geiste geführt und zu einer allseits befriedigenden Regelung
führen werden. 5 )
RITTER
(5) Mit Telegramm Nr. 31 vom 31. Januar (9119/E 641 399-400) wurde die Botschaft in
Washington in ähnlicher Weise über die erzielte Vereinbarung unterrichtet. Ein Bericht
Dodds über die Vereinbarung und eine Aufzeichnung Hulls über eine diesbezügliche
Unterredung mit Luther sind abgedruckt in Foreign Relations oi the United States, 1934,
Bd. H, S. 346-47.

232
8125/E 581 789-92
Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath
an die Botschalt beim Heiligen Stuhl
BERLIN, den 31. Januar 1934
II Vat. 92
Auf die Berichte Nr. 25 •) und Nr. 272) vom 22. und 23. Januar 1934.
Im Einvernehmen mit dem Reichsministerium des Innern bitte ich, dem
Kardinalstaatssekretär wegen der zweideutigen politischen Haltung eines
Teils der katholischen Geistlichkeit in Deutschland eine Note folgenden
Inhalts zu übermitteln:
Bereits im Oktober v[origen] J[ahres] hat die Reichsregierung in den
Besprechungen, die der Bevollmächtigte, Herr Ministerialdirektor Dr. Butt-
mann, mit Euerer Eminenz über die Ausführung des Reichskonkordats
führte,3) auf die ernsten Mißstände hinweisen lassen, die sich aus der teils
offen ablehnenden, teils zweideutigen Haltung einer Reihe katholischer
Geistlicher in Deutschland gegenüber dem nationalsozialistischen Staat er-
geben haben. An Hand eines umfangreichen Tatsachenmaterials wurden
dem Heiligen Stuhl zahlreiche Vorfälle - vorwiegend aus Bayern - zur
Kenntnis gebracht, die nicht nur als Verletzungen deutscher Rechtsbestim-
mungen anzusehen sind, sondern auch im offenkundigen Widerspruch zu
dem mit Artikel 32 des Reichskonkordats verfolgten Zweck der Entpoliti-
sierung der Geistlichkeit in Deutschland stehen.
Die Zahl derartiger Vorfälle hat sich seitdem in den verschiedensten
Gegenden Deutschlands nicht etwa vermindert, sondern eher vermehrt. Als
Beleg werden in der Anlage 4 ) zunächst nur einige besonders schwerwie-

(1) In Bericht Nr. 25 vom 22. Januar (8115/E 580 258-59) hatte Bergen vorgeschlagen, im
Vatikan eine Note in der Art der in der Vorlage enthaltenen zu überreichen.
(2) Bergens Berieht Nr. 27 vom 23. Januar (8115/E 580 260-61) enthielt weitere Anregungen
für die im Vatikan zu überreichende Note.
(3) Siehe Dokument Nr. 17, Anm. 3.
(4) Fundort: 8125/E 581 793-95.

430
Nr. 232 31. JANUAR 1934

gende Fälle, über die das Württembergische Staatsministerium berichtet


hat, dem Heiligen Stuhl zur Kenntnis gebracht. Weiteres Material wird
Herr Ministerialdirektor Buttmann bei seinen demnächstigen Besprechun-
gen in Rom zur Verfügung stellen.
Das Verhalten dieser Geistlichen und die sich daraus als notwendig er-
gebenden polizeilichen und gerichtlichen Maßnahmen bringen nicht nur Un-
ruhe und Verwirrung in die Bevölkerung, sondern sind letzten Endes auch
in bedenklich zunehmendem Maße geeignet, das Ansehen des Klerus selbst
in den Augen der Gläubigen zu schädigen und zu untergraben. Wenn die
nationalsozialistische Bewegung von der Kanzel als Teufelswerk bezeich-
net wird, wenn von einem Pfarrer in Württemberg für sechs in Köln hinge-
richtete Kommunisten, zu denen auch nicht die geringste Beziehung per-
sönlicher oder örtlicher Natur besteht, eine Messe angekündigt und
gelesen wird, wenn diese Hinrichtung vor Schulkindern in der Christenlehre
zum Gegenstand politischer Erörterungen gemacht wird, wenn ferner natio-
nalsozialistische Bräuche, wie beispielsweise der deutsche Gruß, von geist-
lichen Religionslehrern, wie dies nachweislich verschiedentlich geschehen
ist, den Schülern verboten oder vor ihnen verächtlich gemacht wird, so liegt
darin nichts anderes als eine Auflehnung gegen den Staat und eine Auffor-
derung zur Mißachtung rechtmäßiger Anordnungen der weltlichen Obrig-
keit.
Die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und
Ordnung und die Wahrung der staatlichen Autorität erheischen in solchen
Fällen ein energisches Einschreiten der staatlichen Organe. Die Inhaft-
nahme von Geistlichen hat sich schon deshalb des öfteren als notwendig
erwiesen, um sie vor der Empörung der Bevölkerung zu schützen. Gegen
die Unbotmäßigkeit oder auch nur zweideutige Haltung von Geistlichen
gegenüber der weltlichen Obrigkeit und ihren Anordnungen muß mit um so
größerem Nachdruck vorgegangen werden, als gerade die mit der Aus-
übung des geistlichen Amtes verbundenen volkserzieherischen Aufgaben
ein besonders hohes Verantwortungsgefühl auch gegenüber den staatlichen
Behörden erfordern. Es ist daher um so mehr zu bedauern, daß die Maß-
nahmen, die aus den dargelegten Gründen gegen katholische Geistliche
staatlicherseits ergriffen werden mußten, in der katholischen Presse des
Auslandes, ja selbst in dem Heiligen Stuhl nahestehenden Organen viel-
fach in zumindest zweideutiger Form als allgemeine Unterdrückung und
Drangsalierung der katholischen Kirche, ihrer Geistlichen und der katho-
lischen Bevölkerung im heutigen Deutschland dargestellt werden. Beson-
ders befremdend wirkte die Tatsache, daß noch kürzlich der Osservatoro
Romano6) eine Falschmeldung der den Zentrumskreisen nahestehenden
Saarbrücker Landeszeitung über die angebliche Verhängung des Interdikts
über die Stadt Traunstein wegen der Verhaftung des Pfarrers Stelzle vor-
behaltlos wiedergegeben und dadurch auch seinerseits zu einer Irreführung
der öffentlichen Meinung in der katholischen Welt über die Zustände in
Deutschland beigetragen hat.

(5) Ausgabe vom 25. Januar 1934. Der entsprechende Artikel ist gefilmt unter M 130/M 004
887.

431
Nr. 232 31. JANUAR 1934

Es besteht kein Zweifel darüber, daß ein großer Teil der unerfreulichen
Zwischenfälle und die daraus hie und da zwischen der Geistlichkeit und
den weltlichen Behörden entstandenen Spannungen hätten vermieden wer-
den können, wenn unmittelbar nach der bekannten Verfügung des Herrn
Reichskanzlers vom 8. Juli 19336) kirchlicherseits entsprechende einheit-
liche Verhaltungsmaßregeln an den Klerus ergangen wären, die ihm auch
die dem nationalsozialistischen Staat gebührende Achtung zur Pflicht ge-
macht hätten. Das Schweigen der höheren kirchlichen Instanzen hat viel-
fach den Eindruck der Zustimmung zu dem widersätzlichen Verhalten der
ihnen nachgeordneten Geistlichkeit erweckt und mußte deshalb diese in
ihrer ablehnenden Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat
bestärken.
Die Reichsregierung darf daher der Erwartung Ausdruck geben, daß der
Heilige Stuhl den deutschen Episkopat veranlassen wird, entsprechende
zweckdienliche und einheitliche Erlasse an den deutschen Klerus zu ver-
öffentlichen.
über die Ausführung des Erlasses 7 ) bitte ich telegrafisch zu berichten.
NEURATH

*(6) Der Text der Verfügung ist abgedruckt in Domarus, Hitler Reden, Bd. I, S. 288. Siehe
auch Foreign Relations oi the Uniled States, 1933, Bd. II, S. 298-99.
(7) Bergen berichtete in Telegramm Nr. 10 vom 3. Februar (8115/E 580 276), er habe die
Note am Abend dieses Tages Pacelli übergeben.

[ANMERKUNG DER HERAUSGEBER: Die deutsche Regierung antwortete auf die


österreichische Note vom 17. Januar 1934 (siehe Dokument Nr. 188) mit
einer Note vom 31. Januar (8663/E 606 491-508), die am Abend des
1. Februar von Neurath dem österreichischen Gesandten Tauschitz über-
geben wurde. Die Antwortnote wurde in der deutschen Presse veröffent-
licht, mit Ausnahme zweier Anlagen, in denen auf einige Anschuldigungen
hinsichtlich der Unterstützung des österreichischen Nationalsozialismus
durch deutsche Stellen eingegangen wurde. Eine englische Übersetzung des
von der deutschen Nachrichtenagentur veröffentlichten Textes wurde von
Botschafter Phipps am 7. Februar dem britischen Foreign Office übersandt
und ist abgedruckt in Documents on British Foreign Policy, 2. Serie, Bd. VI,
Anlage zu Nr. 259.
Ein Entwurf der deutschen Antwortnote war dem Reichskanzler auf
seinen Wunsch hin vom Auswärtigen Amt vorgelegt worden und wurde
am Mittag des 1. Februar mit Randkorrekturen und der Paraphe Hitlers
zurückgesandt (3086/D 617 160-68). Ein Vergleich mit dem endgültigen Text
zeigt, daß nicht alle Änderungswünsche Hitlers Berücksichtigung fanden.
Am Schluß des Entwurfs hatte Hitler vermerkt: „Es wäre zweckmäßig,
anzufragen, was die österreichische Regierung im Falle Schumacher unter-
nommen hat" (siehe Dokument Nr. 95, Anm. 6). Eine entsprechende Anfrage
war zunächst als letzter Absatz in den Text der Note aufgenommen wor-
den, wurde aber in der endgültigen Fassung weggelassen. Eine Aufzeich-
nung Neuraths über seine Unterredung mit dem österreichischen Gesandten
bei der Übergabe der Note konnte nicht ermittelt werden.]

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