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DEUTSCHLAND

Gefahr aus dem Hobbykeller


WAFFEN Es wird immer einfacher, Pistolen und Gewehre mit Anleitungen aus dem Internet und 3-D-Druckern
herzustellen. Auch der Attentäter von Halle baute die meisten Waffen selbst. Held dieser
Szene war ein Mann namens JStark. Der SPIEGEL hat mit ihm gesprochen – kurz vor seinem Tod.

n einem kargen Raum steht ein eine mit Teilen aus dem 3-D-Drucker Mit Waffen aus dem Drucker will
I 3-D-Drucker auf dem Tisch, da-
vor posiert ein Mann im Kampf-
anzug, das Gesicht hinter einer
»Die meisten
Kontroll­
hatte er dabei. Es war sein erklärtes
Ziel, die Zuverlässigkeit dieser Pisto-
len unter Beweis zu stellen und ande-
die Community vor allem die stren-
gen deutschen Gesetze umgehen. In
Deutschland ist genau geregelt, wer
methoden
Sturmhaube, die Augen von einer re zum Nachbau zu motivieren. Schusswaffen erwerben darf: Sport-
verspiegelten Sonnenbrille verbor- sind zum Seit Jahren wächst der kaum zu schützen oder Jäger mit waffenrecht-
gen. In der Hand hält er eine Maschi- Scheitern kontrollierende Markt von selbst ge- licher Erlaubnis. Nur lizenzierte
nenpistole, immer und immer wieder verurteilt.« bauten und gedruckten Waffen, weit- Büchsenmacher und industrielle Her-
tauscht er das Magazin, die Geräu- gehend unter Ausschluss der Öffent- steller dürfen Schusswaffen bauen.
sche vermischen sich mit der Techno- Nic-Jenzen Jones, lichkeit, angeleitet durch Videotuto- Wer sich nicht daran hält, dem drohen
Waffenexperte
musik, mit der das Video unterlegt von Armament rials und akribische Bauanleitungen. bis zu zehn Jahre Haft.
ist. Dann gibt er mehrere Schüsse Research Services Für Sicherheitsbehörden ist das ein Mittlerweile sind es Zehntausende,
ab – die Zuschauenden sollen sehen: Albtraum. Denn die Entwicklung im- die sich in Foren im Internet austau-
Die Waffe aus dem 3-D-Drucker ist mer besserer Werkstoffe und die schen, an Bauplänen arbeiten und
funktionstüchtig. wachsende Vernetzung der Online- Schießübungen mit neuen Waffen-
Für seine Fans ist dieser Mann ein nutzer eröffnen dem Verbrechen typen posten. Die Szene ist inter-
Pionier, ein Innovator – eine Art Elon ständig neue Möglichkeiten. national vernetzt und vielfältig. Die
Musk der Waffennarren. Im Netz tritt Eine Schlüsselfigur dieser Szene Konstrukteure der Waffen wollen das
er unter dem Pseudonym JStark auf, war JStark. Gemeinsam mit einem staatliche Machtmonopol aufbre-
als Anführer der größten 3-D-Waffen- Komplizen hatte er die Maschinen- chen. Waffenbesitz ist für sie ein
Gemeinde. Manche seiner Anhänger pistole aus dem Videoclip entwickelt. Menschenrecht, um sich im Notfall
bezeichnen ihn in internen Chats als Sie soll alles übertreffen, was es bislang gegen wen auch immer mit Gewalt
Vater der Community und als Helden. auf dem Markt der Waffen aus dem verteidigen zu können. Auch gegen
Seine Stimme klingt jung. Er spricht 3-D-Drucker gab, sowohl bei der Ziel- den Staat.
fließend Englisch mit leichtem Ak- genauigkeit als auch bei der Zuver- Doch warum machen sich Men-
zent. JStark gefällt sich in der Rolle lässigkeit. Die Waffe, Kaliber neun schen weltweit die Mühe, Schuss-
eines Vorkämpfers. Ein Phantom, Millimeter, wiegt nur 2,1 Kilogramm. waffen selbst zu Hause zu bauen?
dem es angeblich nur um seine Idea- Es reichen ein paar Klicks im Internet, Gewehre und Pistolen gibt es im
le geht. Ein Mann auf der Seite der um sich die Pläne zu besorgen, ein Überfluss, etwa eine Milliarde sind
Entrechteten, die in der Lage sein günstiger 3-D-Drucker, um sie zu dru- es weltweit, so eine grobe Schätzung
wollen, sich bei Bedarf mit Waffen- cken, und eine Einkaufstour im Bau- der Experten von Small Arms Survey
gewalt gegen den Staat zu wehren. Attentäter von Halle markt oder auf Plattformen wie Ebay, aus Genf.
im Magdeburger
»Selbst wenn es viel Bluvergießen er- Landgericht 2020:
um sie zu vervollständigen. So lässt An vielen Orten ist der Zugang zu
fordern würde, um das Recht zu er- Waffen im Bettkasten sich zu Hause eine Maschinenpistole Schusswaffen allerdings nicht so
halten, Waffen zu tragen, würde ich des Kinderzimmers bauen, die viele Menschen töten kann. leicht. Oder sie sind zu teuer. In bür-
es tun«, sagte er in einem Gespräch gerkriegsgebeutelten Ländern Afri-
mit dem SPIEGEL im vergangenen kas, auf den Philippinen oder in der
Jahr. Inzwischen lebt er nicht mehr. brasilianischen Unterwelt sind impro-
Auch der Attentäter von Halle hat- visiert zusammengeschraubte Schuss-
te sich eine Waffenbauanleitung von waffen aus Metall schon lange ver-
JStark und seinem Komplizen im breitet. Auch in Europa, etwa in Por-
Internet angeschaut. Der Terroran- tugal, werden von Kriminellen häufig
schlag jährt sich am 9. Oktober zum Flinten Marke Eigenbau verwendet.
zweiten Mal. Der Rechtsextremist Andere suchen sich Waffen im
wollte am höchsten jüdischen Feiertag Darknet, zum Beispiel der Rechts-
Jom Kippur eine Synagoge in Halle an extremist, der 2016 im und am Olym-
der Saale stürmen und möglichst vie- pia-Einkaufszentrum in München
le Juden ermorden. Als er an der Tür neun Menschen erschoss und weitere
Ronny Har tmann / dpa

und am Tor gescheitert war, schoss er verletzte. Die Anonymität ist im


auf Menschen, die sich zufällig in der dunklen Teil des Netzes zwar groß,
Nähe aufhielten. Zwei starben, weite- doch ebenso die Gefahr, auf Betrüger
re wurden verletzt. Der Attentäter oder verdeckte Ermittler der Polizei
setzte selbst gebaute Waffen ein, auch hereinzufallen.

40 DER SPIEGEL Nr. 41 / 9.10.2021


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Selbst gebaute Maschinenpistole

Druckempfindliche
Bauteile wie der
Lauf sind aus Metall.
In Onlinegruppen entwickeln Die Waffen bestehen Das hier abgebildete
Zehntausende international zum Großteil aus Modell ist besonders
verbreitet. Weltweit
[M] DER SPIEGEL

vernetzte Bastler immer zuver- Plastik aus dem


lässigere Prototypen und 3-D-Drucker. Selbst wird die Waffe immer
tauschen detaillierte Bauanlei- das Magazin kann häufiger bei Razzien
tungen zu 3-D-Waffen aus. ausgedruckt werden. sichergestellt.

Der große Vorteil des 3-D-Drucks für Waf- Bei der Mischung des Sprengstoffs und der offen rassistisch sind«, sagte JStark. Tatsäch-
fennarren ist, dass sie die Plastikeinzelteile Treibladung für die Munition half ihm sein lich finden sich in den Chats, die Ivan und
schnell und billig Schicht für Schicht drucken abgebrochenes Chemiestudium, abgesehen JStark zur Entwicklung und Verbreitung
und zusammenbauen können. So einfach war davon besaß er keinerlei handwerkliche Vor- ihrer 3-D-Modelle eingerichtet haben, kaum
es noch nie, Schusswaffen herzustellen. Und kenntnisse. Hatte er eine Waffe in der Werk- politische Äußerungen. Die meisten Nach-
das in der Sicherheit und Anonymität der statt des Vaters fertiggestellt, nahm er sie mit richten beziehen sich ausschließlich auf
eigenen vier Wände. in das Haus seiner Mutter, wo er sie im Bett- den Eigenbau von Schusswaffen mit dem
Das war auch das Kalkül des Attentäters kasten seines Kinderzimmers versteckte. So 3-D-Drucker.
von Halle. Nur weil seine Schusswaffen nicht ging es über Jahre. Wer dennoch über Politik reden möchte,
gut funktionierten und ständig Ladehem- Bei der Tat hatte der Mann neben mehr wird ermahnt: »Wir sollten solche Unterhal-
mung hatten, gab es nicht mehr Opfer. Im als 1000 Schuss Munition und rund vier Kilo- tungen hier lieber unterlassen.« Oder: »Leu-
Video, das der Täter im Internet streamte, gramm Sprengstoff sieben selbst gebaute te, keine Politik hier bitte!« Das Halle-Atten-
sieht man, wie er immer wieder auf wehr- Schusswaffen bei sich. Drei dieser Waffen tat habe in der digitalen Waffenbauszene nur
lose Passanten zielt und abdrückt, ohne dass setzte er ein. Kurz bevor er aufbrach, lud für »wenig Diskussion« gesorgt, niemand
sich eine Kugel löst. er seine Anleitungen und 3-D-Modelle ins habe den Täter oder seine Waffenmodelle auf
Ermittlungsakten, die dem SPIEGEL vor- Internet. dem Schirm gehabt, sagte JStark. Seine Hal-
liegen, zeigen, wie akribisch der Mörder die »Er hat seine Munition mit irgendeiner tung fasste er in diesem Satz zusammen:
Tat vorbereitete und welche Schlupflöcher er seltsamen, schwachen Treibladung aus- »Auch wenn durch selbst gebaute Waffen
nutzte, um in der Werkstatt seines Vaters gestattet«, sagte JStark dem SPIEGEL über Menschen zu Schaden kommen: Besser alle,
jahrelang ein Sprengstoff- und Schusswaffen- die Produkte des Attentäters von Halle. auch Kriminelle und Gangster, dürfen Waffen
arsenal aufzubauen – unter dem Radar der »Das mag jetzt schrecklich klingen, aber besitzen als keiner.«
Sicherheitsbehörden. Lange vor seiner Tat hätte er mit uns zusammengearbeitet, hät- Die Community der beiden ist mit mehr
begann er, sich hochzurüsten, aus Hass auf ten seine Waffen immerhin halbwegs gut als 10 000 Mitgliedern wohl die bekannteste
Migranten, Juden und den deutschen Staat, funktioniert«, pflichtete ihm sein Mitstrei- und größte der Szene. Auch in anderen Netz-
der angeblich alles kontrolliere – auch wer ter Ivan bei. werken findet man Schrauber, die gern an
Pistolen und Gewehre besitzen darf. Die Bau- Die beiden Waffenentwickler hatten sich Pistolen und Gewehren basteln und das in
anleitungen entwickelte der Attentäter größ- zu einem Interview bereit erklärt unter der Staaten wie den USA oft legal dürfen. Oder
tenteils selbst. Zusätzlich nutzte er Vorlagen Bedingung, anonym zu bleiben. Ein persön- Extremisten, die versuchen, unter dem Radar
populärer Modelle, deren Konstruktionsplä- liches Treffen lehnten sie ab, weshalb das Ge- der Sicherheitsbehörden illegal an Waffen für
ne im Internet frei zugänglich sind. spräch über Skype geführt wurde. Sonst sei Anschläge zu kommen.
Was der Täter für seine Mordinstrumente die Gefahr zu groß, dass ihnen Strafverfolger Im Internet kann man in den USA bereits
brauchte, kaufte er sich legal im Internet und auf die Spur kämen. »Das wäre extrem ris- gedruckte Bastelsets kaufen, die sich leicht
in Baumärkten, darunter Chemikalien für die kant«, sagte JStark. montieren lassen. In Waffenforen und auf Te-
Bomben und die Munition sowie das Material Der Blick der beiden auf die Morde von legram bieten Käufer fertig gebaute Schuss-
für die Schusswaffen. Für rund 100 Euro er- Halle war ein kühler, technischer. Sie be- waffen des besonders beliebten Modells von
warb er einen 3-D-Drucker aus China, um teuerten, Extremisten seien bei ihnen nicht JStark an, das bei Razzien weltweit immer
eine Plastikmaschinenpistole herzustellen. gern gesehen. »Wir werfen Leute raus, die häufiger sichergestellt wird – gerade in Län-

Nr. 41 / 9.10.2021 DER SPIEGEL 41


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Digitale Waffen- Stütz-


schmiede elemente
werden
entfernt …
Wie ein 3-D-Drucker
Waffenteile aus einer
Computervorlage
umsetzt

… und Hohlräu-
me ausgebohrt.
Der Bauplan 1 2 3
wird eingelesen. Ein Draht aus Kunst- Die bewegliche Düse und Dem Druck folgt die Nachbearbeitung
stoff wird in der Heizdüse die Grundplatte bauen das per Hand. Ergänzt durch handels-
geschmolzen und auf der Werkstück schichtweise übliche Metallteile entsteht aus den
S Grafik Grundplatte aufgetragen. nach Plan auf. Einzelteilen eine Waffe.

dern, in denen strenge Waffengesetze Kunststoff herzustellen. Das einzige Wie aus einem vertraulichen Ver-
herrschen. Element aus Metall war der Schlag-
»Selbst wenn merk des Bundeskriminalamts her-
Im Mai 2021 nahm die Polizei in bolzen, der auf die Patrone schlägt, es viel Blut- vorgeht, erreichte deutsche Fahnder
Keighley, West Yorkshire, vier mut- um sie abzufeuern. Das erledigte vergießen im Dezember vergangenen Jahres
maßliche britische Rechtsextremisten ein gewöhnlicher Nagel. Sicherheits- eine Nachricht aus England. Ein bri-
in Gewahrsam. Sie sollen nicht nur behörden weltweit waren alarmiert. erfordern tischer Finanzdienstleister lieferte
terroristische Propaganda verbreitet Seitdem hat sich viel verändert. würde, um einen Hinweis auf einen Mann aus
und Waffenbaupläne geteilt, sondern Schlechte Liberator-Konstruktionen das Recht zu Deutschland, der womöglich daran
auch eine 3-D-Druckwerkstatt betrie- konnten noch explodieren und die beteiligt war, 3-D-Schusswaffen
ben haben. Hand und Augen des Schützen ver- erhalten, herzustellen und zu verbreiten. Die
Im September 2020 löste die spani- letzen. Doch in den vergangenen acht Waffen zu Spuren führten die Ermittler zu Jacob
sche Polizei auf Teneriffa eine illegale Jahren arbeitete die Szene unentwegt D., einem 28-Jährigen aus Hannover.
3-D-Waffendruckwerkstatt auf und an neuen, stabileren Modellen. »Für
tragen, würde Beteiligte Kriminalisten beschrei-
verhaftete einen 55-jährigen Mann, bei manche komplexere Metall-Kunst- ich es tun.« ben D. als Sonderling, der vor zwei
dem sie NS-Memorabilia und Chemi- stoff-Hybride braucht man etwas Jacob D., Jahren seinen türkischen Vor- und
kalien zur Herstellung von Sprengstoff mehr Geschick, aber auch das wird Waffenbastler Zunamen hatte ändern lassen. Im
fand. Die Beamten stießen auf 19 ge- mit jedem Jahr einfacher«, sagt Jen- Sommer vergangenen Jahres zog er
druckte Pistolenrahmen, 9 Magazine zen-Jones. von Hannover in eine kleine Woh-
und 2 Schalldämpfer. Auch in den USA Von JStark wird es keine neuen nung im saarländischen Völklingen.
und in Australien, wo in manchen Bun- Modelle mehr geben. Einige Monate Neuer Name, neue Stadt – was D. zu
destaaten bereits der Besitz von 3-D- nach dem Gespräch mit dem SPIEGEL seinem Neustart bewog, bleibt unklar.
Druckdaten zum Waffenbau unter ist er plötzlich abgetaucht. In den Wie ein »Einsiedler« habe D. im Saar-
Strafe steht, fand man in den vergan- einschlägigen Foren spekuliert die land gelebt, allein und abgeschieden,
genen Jahren mehrmals Waffen des Szene, was mit ihrem Helden passiert sagt ein Beamter. Nach monatelangen
neuen Modells von JStark. ist. Letzte Spuren seiner Onlineakti- Ermittlungen schlugen die Behörden
»In den vergangenen zwei, drei Jah- vitäten fanden sich im April dieses Ende Juni zu. Ein Spezialeinsatzkom-
ren hat die Entwicklung von Schuss- Jahres. Seine Profile in sozialen mando stürmte seine Wohnung. Bei
waffen mithilfe des 3-D-Drucks enor- Netzwerken, Messengern und Foren der Durchsuchung fanden die Ermitt-
me Sprünge gemacht«, sagt Nic Jen- sind mittlerweile gelöscht. Wurde ihm ler einen 3-D-Drucker, mehrere Han-
zen-Jones von Armament Research die Sache zu heiß? Recherchen des Szeneheld D.
dys, Festplatten und einen Laptop,
Services, einer privaten Organisation SPIEGEL offenbaren das Schicksal des alias JStark 2020: aber keine Waffen. Jacob D. blieb auf
aus Australien, die weltweit Daten zu Waffennarren – und dass die Polizei Gelebt wie freiem Fuß.
Waffen sammelt und analysiert. »Die JStark schon lange auf den Fersen war. ein Einsiedler Zwei Tage nach der Polizeiaktion
neuesten Hybridmodelle aus Metall fanden Verwandte seinen Leichnam
und Plastik sind deutlich leistungsfähi- in einem Auto vor der elterlichen
ger als die Schusswaffen, die der Halle- Wohnung in Hannover. Fremdver-
Täter benutzte.« Sogar gezogene Läu- schulden und Suizid konnte die
fe, die die Zielgenauigkeit einer Waffe Rechtsmedizin ausschließen. Eine
erhöhen, lassen sich mittlerweile mit- eindeutige Todesursache ergab die
hilfe elektrochemischer Verfahren re- Obduktion nicht. Ermittler fürchten
lativ einfach herstellen. nun, Jacob D. könnte für die Netz-
Seit etwa 2013 hat Jenzen-Jones krieger zum Märtyrer werden. Die
die Szene im Blick. Damals stieß der Todesumstände könnten Verschwö-
US-amerikanische Jurastudent Cody rungsmythen befeuern, sagt ein Er-
Wilson eine Entwicklung an, die Waf- mittler. Dabei sei Jacob D. ohne Zwei-
fengegner bis heute beunruhigt. Der fel eines natürlichen Todes gestorben.
von ihm entwickelte Liberator leitete Seit Geburt habe D. an einer Herz-
eine neue Ära der Selbstbauwaffen schwäche gelitten, die zum Tod ge-
ein. Erstmals war es möglich, ohne führt haben könnte. »Vielleicht war
Expertise und hohe Kosten mit einem die Aufregung einfach zu viel«, meint
3-D-Drucker eine Schusswaffe aus der Beamte.

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Die digitalen Waffenbauer machen weiter –


auch ohne JStark. Aber die Munition bleibt
eine Herausforderung für die Community in
Deutschland. Ohne Sprengstofferlaubnis
kommt sie nicht an das Pulver. Die Lösung der
illegalen Waffenbauer: selber mischen. Was
simpel klingt, war bislang immer das größte
Problem. »Die Abbrandgeschwindigkeit des
Treibladungspulvers muss genau auf die
Patronen-Waffen-Kombination abgestimmt
sein«, sagt Waffenexperte Niels Heinrich. Der
Kriminaloberrat unterrichtet unter anderem
Waffen- und Sprengstoffrecht an polizeilichen
Hochschulen. »Selbst gemischte Treibladungs-
mittel funktionieren in der Regel nicht. Ent-
steht zu viel Druck, kann dieser die Waffe
sprengen.« Im schlimmsten Fall würden die
Bastler erblinden und Finger verlieren.
Auch dafür scheinen die illegalen Waffen-
bauer inzwischen ein Schlupfloch gefunden zu
haben. Sie machen sich zunutze, dass Munition
für spezielles pulverbetriebenes Werkzeug frei
käuflich ist. Bricht man die Hülsen vorsichtig
auf und füllt das Pulver in bereits abgeschos-
sene Hülsen, lässt sich neue Munition herstel-
len. Risikofrei ist das zwar nicht, doch glaubt
man den Waffenbastlern, lassen sich so relativ
zuverlässige Ergebnisse erzielen.
Die Sicherheitsbehörden scheinen macht-
los gegen die Szene. Zwar gehört Deutschland
zu den Staaten mit den strengsten Waffen-
gesetzen, trotzdem finden sich immer wieder
Lücken. »In dem Moment, in dem ein poten-
zielles Tatmittel verboten wird, weichen Täter
aus und nehmen ein anderes«, sagt Heinrich.
Pessimistisch ist er trotzdem nicht: »Wir
haben ausgesprochen strenge Gesetze, und
wenn man bedenkt, mit welch einem Auf-
wand der Attentäter von Halle versucht hat,
sich Waffen zu basteln, und mit welch schlech-
tem Ergebnis, dann ist das ein Zeichen, dass
wir eigentlich ganz gut liegen.«
Jenzen-Jones hält dagegen: »Die meisten
Kontrollmethoden sind zum Scheitern ver-
urteilt.« Zahlreiche Komponenten wie Rohre,
die hohem Druck standhalten, würden für
Jetzt
im Handel
viele legale Zwecke genutzt. Wie könne man
das also verbieten? Für ihn ist klar: »Wenn
Menschen unbedingt eine Schusswaffe haben
Zufriedener
wollen und es legal nicht schaffen, werden sie
sich illegal eine bauen, egal ob aus Metall oder
Plastik.«
arbeiten
Das Bundesinnenministerium hat nicht
mal Zahlen zu Waffen aus 3-D-Druckern, teilt
es auf Anfrage mit. Auch eine Verschärfung
Homeoffice gestalten
der Waffengesetze sei nicht geplant, sagt eine
Sprecherin: »Die Bundesregierung sieht
Veränderungen meistern
keinen Bedarf, das Waffenrecht anzupassen,
da ausreichende rechtliche Regelungen be- Blockaden überwinden
stehen.«
Den einstigen Gefährten von JStark sind Konflikte lösen
Waffengesetze ohnehin egal, und sie beschrän-
ken sich längst nicht mehr auf die Entwicklung Sinn finden
und den Bau von 3-D-Pistolen und passender
Munition: Sie basteln an Raketenwerfern und Stärken erkennen
experimentieren mit bewaffneten Drohnen.
Maik Baumgärtner, Alexander Epp,
Roman Höfner, Roman Lehberger n

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