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Gewidmet allen Menschen, die
bereit sind ihre wahre Natur zu verwirklichen
und dem Wohle aller Wesen zu dienen.
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Inhaltsverzeichnis
Danksagung........................................................................................6
Vorwort ..............................................................................................7
Vorwort zum ersten Buch ............................................................ 12
Mein Weg zum Zen ....................................................................... 16
Die Geisteshaltung des Zen ......................................................... 21
Erleuchtung und Illusion .............................................................. 37
Nachwort zum ersten Buch.......................................................... 48
Vorwort zum zweiten Buch ......................................................... 54
Verblassende Erfahrung................................................................ 57
Gelebte Achtsamkeit ..................................................................... 62
Die Kunst des Loslassens ............................................................. 76
Zen und Alltag ................................................................................ 79
Der Weg des Bodhisattva ............................................................. 86
Und dann kommt alles anders ..................................................... 98
Nachwort zum zweiten Buch ..................................................... 100
Vorwort zum dritten Buch ......................................................... 106
Die Haltung im Zazen................................................................. 110
Was bringt mir Zen? .................................................................... 131
Den eigenen Weg finden ............................................................ 136
Sich selbst annehmen .................................................................. 152
Die vier edlen Wahrheiten .......................................................... 162
Erleuchtung und Alltag ............................................................... 169
Nachwort zum dritten Buch ...................................................... 173
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Vorwort zum vierten Buch......................................................... 182
Die Wahrheit des Seins ............................................................... 185
Nachwort zum vierten Buch ...................................................... 210
Verbände und Organisationen ................................................... 235
Spirituelle Geschenkidee ............................................................. 238
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Danksagung
Wenn wir tief in die Dinge hineinblicken, können wir das gesam-
te Universum in einem einzigen Regentropfen erkennen. Wie
sollte es da möglich sein, meinen Dank nur wenigen Menschen
zu widmen, die direkt und unmittelbar durch ihr Handeln zum
Entstehen dieses Buches beigetragen haben? Und doch gilt mein
Dank meinen Eltern, meinen Lehrern und allen Menschen, die
mich auf ihre jeweils besondere Art begleitet und geprägt haben.
Mein Dank gilt all den Menschen, die die höchste Wahrheit über
die Jahrhunderte bewahrt und weitergegeben haben. Ich bedan-
ke mich aus tiefsten Herzen bei meiner Lektorin, die sich in Ih-
rer Freizeit die Mühe gemacht hat, meine Bücher zu lesen und
zu korrigieren. Meiner einjährigen Tochter möchte ich dafür
danken, mich, wann immer es notwendig ist, wieder auf den Bo-
den der Tatsachen zurück zu holen. Insbesondere meiner Frau,
die selbst kein Zen praktiziert, gilt mein Dank für ihre Toleranz
und ihr Bodhisattva gleiches Verhalten in den ersten Monaten
als frisch gebackene Eltern, sowie für ihre Unterstützung bei
diesem Buchprojekt.
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Vorwort
Wenn es eine Wahrheit gibt, die für jeden Mensch, egal welchen
Alters, welchen Standes, welcher Nationalität oder welcher Reli-
gion, gilt, dann ist es die Wahrheit, dass wir alle Leiden vermei-
den und Zufriedenheit vermehren wollen. Diese simple Wahr-
heit scheint in unserem System angelegt zu sein und dient einem
guten Zweck. Denn ohne diese innere Sehnsucht, nach Frieden,
Liebe und Freude, gäbe es keine Entwicklung und der Mensch
wäre vermutlich schon lange ausgestorben. Doch was wäre,
wenn wir bereits Frieden, Liebe und Freude sind, dies aber auf
Grund unseres Anhaftens an oberflächlichen Wünschen schlicht
und einfach übersehen? Was wäre, wenn wir auf Grund der
Identifikation mit einer Täuschung, die so perfekt ist, dass sie
niemand als solche erkennt, in eben dieser Täuschung gefangen
sind und aus diesem Grund Leiden erfahren? Schon als Kind
fragte ich laut nach dem Sinn des Lebens, dem Sinn unserer
menschlichen Existenz, erhielt aber keine befriedigende Antwort
von den Erwachsenen. So begann meine Suche nach der Wahr-
heit des Seins, wie ich die eine undefinierbare Wirklichkeit nen-
ne, auf die alle Religionen und spirituellen Wege direkt oder in-
direkt aufmerksam machen. Intuitiv wusste ich bereits als Kind,
dass es einen Weg geben musste, um dauerhafte Zufriedenheit
zu verwirklichen. Unzufriedenheit und Leiden fühlte sich für
mich einfach nicht richtig an. Nicht, dass ich eine schlechte
Kindheit gehabt hätte. Ich darf sogar sagen, dass ich eine schöne
Kindheit hatte. Meine Erziehung würde wohl als antiautoritär
bezeichnet werden können. Strafen wie Stubenarrest oder Fern-
sehverbot gab es nicht. Schlechte Noten in der Schule, wurden
mit Nachsicht bedacht und das gemeinsame Lernen mit Spaß
und Freude verbunden. Selbstverständlich gab es auch unange-
nehme Situationen und Ereignisse. Hänseleien in der Schule, die
Scheidung der Eltern und spätere Erfahrungen mit Drogen ge-
hörten zum Beispiel dazu. Aber alles in allem war meine Kind-
heit durchdrungen von einem Gefühl des geliebt und ange-
nommen seins. Und doch war da immer diese tiefe Sehnsucht
nach der einen entscheidenden Frage: Warum bin ich hier? Und
genau diese Frage war es, die mich leiden ließ. So war es nicht
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verwunderlich, dass ich für allerlei spirituelle, esoterische oder
philosophische Informationen offen war, was meine damaligen
Freunde und Spielkameraden nicht nachvollziehen konnten. So
stieß mich das Leben irgendwann durch „Zufall“ auf ein Buch
über Zen. Heute sage ich, dass es wichtig ist einem bestimmten
Weg zu folgen um sich nicht zu verirren. Doch ab einem be-
stimmten Punkt wird Dir auf jedem spirituellen Weg klar, dass
es immer nur um die eine höchste Wahrheit geht, die das Poten-
zial hat, Dich von allem Leiden zu befreien. Du kannst diese
Wahrheit Gott, Allah oder Buddha-Natur nennen. Die Men-
schen der unterschiedlichen Länder haben dieser Wahrheit Na-
men wie Tao, Shiva, wahres Selbst, großer Geist, kosmische
Ordnung oder universelle Energie gegeben. Doch egal welche
Begriffe wir ihr geben, es war, ist und bleibt immer die nicht de-
finierbare Wahrheit des Seins. In dem vorliegenden Buch findest
Du die Einträge aus vier verschiedenen Tagebüchern, aus über
sechs Jahren der Suche nach dieser Wahrheit und ich freue mich,
dass Du mich auf diese Weise auf meiner Reise begleitest. Zu
Beginn wirst Du vielleicht die schöne Landschaft und bunten
Blumen bewundern und erfreut sein über diesen Anblick. Doch
schon nach den ersten Stationen, wirst Du erkennen, dass es auf
dieser Reise auch weniger schöne Abschnitte gibt und dass diese
Reise ein Wechselspiel der unterschiedlichsten Facetten des Le-
bens zeigt. Manche Teile des Weges wirken vielleicht sogar dun-
kel und bedrohlich und sind schwierig zu passieren. Andere da-
gegen lassen sich mühelos durchschreiten. Doch am Ende dieser
Reise kommt jeder Suchende an einen hohen Aussichtspunkt, an
dem er weit über das Land blicken kann. Er steht an einem Ab-
grund und blickt in die Tiefe hinunter, ohne den Boden sehen
zu können. Die Frage lautet: Bist Du in diesem Moment bereit
zu springen?
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10
Gewidmet all den Menschen,
die den Weg gemeinsam mit mir gegangen
sind, gehen und gehen werden.
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Vorwort zum ersten Buch
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Körper von entscheidender Bedeutung war. So setzte er sich hin
in Zazen unter den Bodhibaum und sagte sich: „Ich werde diese
Haltung nicht eher verlassen, bis ich die Lösung gefunden ha-
be!“ So saß er mehrere Tage und Nächte bis er eines Morgens,
als er am Himmel den Morgenstern sah, die Erfahrung des Er-
wachens machte und ausrief: „Ich habe das Erwachen gemein-
sam mit allen Wesen erlangt!“ In den weiteren 45 Jahren lehrte
er den Weg des Erwachens und die Haltung des Zazen bis zu
seinem Tod. Viele hundert Jahre später war es Bodhidharma, der
den Buddhismus, den wir später als Zen kennen lernen sollten,
von Indien nach China brachte. In China wollte er den Samen
des Buddhas in frische Erde pflanzen. Hier stieß er auf den Tao-
ismus und den Konfuzianismus und verschmolz zu einer neuen
Philosophie, dem Chan. Mehrere hundert Jahre später brachte
Meister Dogen den Chan-Buddhismus, von China nach Japan,
wo es den Namen Zen bekam. Meister Dogen gilt als Gründer
des Zen und prägte die gesamte japanische Gesellschaft. Von
Japan aus war es Taisen Deshimaru, der bereits als kleiner Junge
von Meister Kodo Sawaki im Zen unterrichtet wurde. An sei-
nem Sterbebett sagte Kodo Sawaki zu ihm, er solle den Samen
des Zen nach Europa bringen und ihn dort in neue fruchtbare
Erde pflanzen. Dies tat Deshimaru im Jahr 1967 in Paris, wo das
Zen bis heute lebendig ist, blüht und Früchte trägt. So entstand
die Linie der Patriarchen, die von Meister zu Schüler den Weg
weitergaben. Von Shakyamuni Buddha vor über 2500 Jahren,
über China und Japan nach Europa bis in die heutige Zeit. Auch
wenn Zen ursprünglich aus Indien stammt und sich in Europa
vor allem die japanische Variante durchgesetzt hat, so ist Zen in
der Praxis des Zazen in erster Linie ein Weg zu Dir selbst. Un-
abhängig von Worten, Ritualen oder Zeremonien verweist die
Praxis des Zazen direkt auf Deine wahre Wesensnatur und damit
auf die Quelle aller Phänomene. Zazen ist einfach nur sitzen. Al-
le Energie wird in die Körperhaltung und alle Aufmerksamkeit
auf die Atmung gerichtet. Auf diese Weise kommt unser aufge-
regter Geist allmählich zur Ruhe. Auf einem Zafu (Meditations-
kissen) oder Stuhl sitzend, achtet man auf die wichtigsten Punkte
der Haltung: durch eine leichte Beckenkippung nach vorne, rich-
tet sich unsere Wirbelsäule, etwa ab dem fünften Lendenwirbel
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ganz von allein gerade nach oben aus. Mit einem Gefühl, als
wollten wir mit dem Scheitel in den Himmel drücken, ziehen wir
das Kinn leicht zurück und strecken den Nacken. Dadurch kön-
nen alle Verspannungen im Rücken abfließen und die Schultern
sinken entspannt nach unten. Es wird mit geringstmöglicher An-
spannung der Muskulatur praktiziert. Die Hände ruhen im
Schoß, die linke in der rechten Hand, und Daumen und Zeige-
finger bilden ein Oval. Der leichte Kontakt der Daumenspitzen
ist ein wichtiger Punkt der Haltung. Sind wir zu sehr von den
aufsteigenden Gedanken abgelenkt, drücken die Daumen zu-
sammen und bilden einen Berg. Fangen wir an zu dösen, löst
sich der Kontakt der Daumen und sie bilden ein Tal. Im Zazen
ist die Spannung in der Handhaltung eng mit unserer inneren
Haltung verbunden. Während wir alle Aufmerksamkeit, von Au-
genblick zu Augenblick, auf die Haltung und die Atmung rich-
ten, ziehen die aufsteigenden Gedanken und inneren Phänome-
ne wie Wolken am Himmel vorüber. Weder sollen die Gedanken
unterdrückt noch unterhalten werden. In der Praxis, wie sie
von Meister Deshimaru unterrichtet wurde, sitzen wir einfach
nur Zazen. Die große Kunst im Zazen besteht aber darin nichts
zu tun - also nicht willentlich die Erleuchtung oder ein anderes
Objekt unserer Begierde erreichen zu wollen. Diese Geisteshal-
tung wird im Zen Mushotoku genannt. Das bedeutet ohne Er-
wartung oder Gewinn zu praktizieren. Im Regelfall tun wir die
meisten Dinge im Leben, um etwas zu erhalten oder zu errei-
chen. Im Zazen hindert uns diese alltägliche Geisteshaltung am
Erreichen des Satori - der Erfahrung des Erwachens. Das vor-
liegende Buch beinhaltet die Tagebucheinträge, die ich für mich
selbst während der vergangenen Jahre anfertigte. Weder berufe
ich mich auf Vollständigkeit, noch auf Richtigkeit der von mir
gemachten Einträge. Nie hätte ich geglaubt, dass diese Worte
vielleicht irgendwann jemand lesen würde und ich bin mir der
zum Teil stümperhaften Wortwahl bewusst. Oft waren Sie nach
dem Zazen schnell ins Tagebuch gekritzelt. Lange habe ich ge-
zögert und war sehr unentschlossen dieses Tagebuch zu veröf-
fentlichen. Wenn nun jemand, wie ich selbst zu Beginn meines
Weges, die Worte falsch versteht oder sich aufgrund meiner Ge-
danken falschen Vorstellungen und Illusionen hingibt, wäre das
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ein schrecklicher Irrtum. Doch wenn nur ein Mensch aufgrund
meiner Geschichte versteht, dass es nichts zu verstehen gibt,
dann hätte dieses Buch seine Aufgabe erfüllt. Ich selbst habe
mich zu Anfang viel zu sehr in den Texten verloren und darauf-
hin meine ganz eigenen gedanklichen Konzepte und Illusionen
bezüglich des Erwachens geschaffen. Auch darüber schreibe ich
in diesen Einträgen offen und ehrlich. In der Tat glaubte ich
aufgrund der alten Texte in einer Art Traumwelt zu leben, die
nicht wirklich real war. Im Traum können wir ebenfalls nicht er-
kennen, dass wir träumen. Zwar sind diese Worte gar nicht so
weit von der Wirklichkeit entfernt, aber es ist gleichzeitig völlig
anders, als ich es damals meinte verstanden zu haben. Mein
Hinweis für alle, die mit dem Studium des Zen beginnen, lautet
vor allem, in einer Gruppe zu praktizieren, die von jemandem
geleitet wird, der auf dem Weg weiter ist und helfen kann die ei-
genen Ideen aufzulösen und darüber hinaus zu gehen. Ein
Sesshin ist eine gute Gelegenheit in Kontakt mit anderen Prakti-
zierenden zu kommen und auch im Dokusan, im Zwiegespräch
mit einem Zen-Meister, die eigenen Illusionen zu erhellen. Denn
gerade wenn man meint, dass man selbst etwas verstanden hat,
zeigt das nur, dass man gar nichts verstanden hat. Das Beste wä-
re mit einem Zen-Meister zu sprechen. Dieser kann einem bei
Bedarf helfen die Illusionen zu überwinden und dann irgend-
wann tatsächlich das tiefe Verstehen zu realisieren. Die Hilfe
hinsichtlich der äußeren und inneren Haltung, der richtigen
Höhe des Zafu und des Umgangs mit der Achtsamkeit be-
kommt man in einem Dojo gezeigt. Im Anhang dieses Buches
gibt es weiterführenden Informationen, Adressen im Internet,
Hinweise zu Dachverbänden und vieles mehr. Wer anfängt zu
verstehen, weiß, dass es nichts anderes braucht als Zazen. Dem
ist nichts Eigenes hinzu zu fügen. So bleibt der Weg des Erwa-
chens völlig rein.
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Mein Weg zum Zen
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fühlte ich dennoch tief in mir, dass es nicht das war, wonach
sich mein Herz sehnte. Zum wahren Zen, dem Zazen, kam ich
erst mit 22 Jahren. Ich kann nicht sagen, was mich damals dazu
bewogen hatte, während meiner Ausbildung zum Offset Dru-
cker, das Zendo Köln aufzusuchen. Nachdem ich in den ver-
gangenen Jahren in verschiedenen Medien immer wieder auf
Zen-Mediation, den Weg der Mitte und den Buddhismus im All-
gemeinen gestoßen war, war dies wohl die einzige Schlussfolge-
rung. An meinem ersten Abend lernte ich die richtige Sitzweise
und Atmung, eben das Zazen nach Soto-Tradition kennen:
Shikantaza! Einfach nur sitzen ohne etwas zu verfolgen oder mir
etwas vorzustellen. Einfach nur Sitzen, weiter nichts. Ich tausch-
te meine gesamte Büchersammlung in einem kleinen An- und
Verkauf Geschäft für Esoterik gegen ein Zafu und ein Zabuton
und begann zu praktizieren. Ich holte mir neue Bücher und ver-
schlang diese. Irgendwie glaubte ich durch die Zen Literatur der
Wahrheit näher kommen zu können. Doch es waren nur Buch-
staben und Wörter. Im Nachhinein frage ich mich, wie diese ei-
ne Erfahrung wieder geben sollten, die alles übersteigt? Be-
schreibe einem Blinden die Farben. Beschreibe jemandem die
Erfahrung von Regen der ins Gesicht fällt, der diese Erfahrung
noch nie gemacht hat. Ja, wenn er dann diese Erfahrung macht,
kann er es mit Deinen Worten vergleichen. Er kann die Erfah-
rung einordnen: Aha, das ist also die Erfahrung „Regen auf der
Haut spüren.“ Aber Zen kann niemals durch Worte und Buch-
staben verstanden werden. Sie sind nur der Finger der auf den
Mond zeigt, heißt es im Zen. Das bedeutet, dass der Finger
wichtig ist, um zu wissen, wo der Mond ist und wo man hinse-
hen sollte. Aber der Finger ist eben nicht der Mond und nach-
dem man dem Finger gefolgt ist und den Mond entdeckt hat,
benötigt man den Finger nicht mehr. Nach Beendigung meiner
Ausbildung verschlug es mich zu einer weiteren Ausbildung
nach Aachen, wo ich weiter Zazen in einer Gruppe praktizieren
konnte. Irgendwann in dieser Zeit, ich kann mich nicht mehr
genau erinnern, passierte zum ersten Mal etwas, was ich als einen
minimalen Blick in die Lehre des Zen bezeichnen möchte. Zu
dieser Zeit saß ich regelmäßig, über einen Zeitraum von etwa
acht Wochen, morgens 30 Minuten. Oft auch noch einmal am
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Nachmittag oder am Abend. Im Nachhinein kommt es mir vor
wie ein Traum, der nach seinem Erleben zu verblassen beginnt.
Jetzt erinnere ich mich nur noch an meine Gedanken, die ich
nach dieser Erfahrung hatte. Aber während diesem Erlebnis war
es absolut wirklich und mit meinem Körper fühlbar. Ich las zu
dieser Zeit viele alte Texte von Meister Dogen. Eines Tages, ich
hatte das letzte Zazen morgens um 6:30 Uhr gesessen, fühlte ich
mich plötzlich, naja, einfach klar. Es fällt mir schwer dies im
Nachhinein in Worte zu fassen. Und ich bin mir bewusst, dass
meine Beschreibungen vollkommen unzulänglich sind. Mit ei-
nem Mal verstand ich die alten Texte. Nicht mit dem Kopf, dem
Intellekt, sondern mit meinem ganzen Körper und Wesen. Nicht
mit meinem Verstand oder Denken, sondern ich war und spürte
mehr als meinen Körper und Geist. Ich fühlte alles. Alles Ge-
schaffene und alles Nicht-Geschaffene. Es war eine Einsicht in
die Texte, in alle Beschreibungen des Zen, die ich bis zu diesem
Zeitpunkt gelesen hatte. Natürlich waren verschiedene ge-
schichtliche Umschreibungen auch weiterhin nicht verständlich,
da ich den Kontext nicht verstehen konnte, aber die Essenz der
Texte war klar. Texte von Meister Dogen, die mir bis dahin un-
verständlich und absurd vorkamen, waren mir in diesem Augen-
blick einleuchtend. Diese Wahrnehmung hielt nur wenige Tage
an, in denen sie recht schnell wieder verblasste und schließlich
verschwand. Als ich die Texte nach diesem Erlebnis wieder las,
war es wie vorher und ich konnte es nicht mehr fühlen, noch
mit dem Verstand verstehen. Während dieser Erfahrung spürte
ich, dass mein wahres Selbst schon immer da war, ist und sein
wird. Ich konnte nicht begreifen, warum ich es nicht schon frü-
her gesehen hatte. Ich erinnere mich, dass ich die Erfahrung mit
einem Bild verglichen oder beschrieben habe: Wenn ich ein See
wäre, dachte ich, dann wäre ich das Wasser. Aber ich war nicht
nur das Wasser, ich war ebenso der Raum in der Erde, in dem
sich das Wasser sammeln konnte. Ich war die Quelle aus dem
der See entstand. Ich war die Erde mit Verbindung zu allem was
auf ihr wächst und lebt, entsteht und vergeht. Ich war das Was-
ser, welches sich als Regenwolken sammelt und so wieder zu-
rück zur Erde fällt, im ewigen Kreislauf seit Anbeginn der Zeit.
Es gab keine Trennung! Es war einfach schön dieses Eins sein
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zu spüren. Doch leider traute ich mich damals nicht meine Er-
fahrung mit einer der Leitungen des Dojos zu besprechen. Ich
konnte diese Erfahrung nicht einordnen und hielt sie für wenig
wert. Wohl auch, da die Erfahrung nach wenigen Tagen eher ei-
nem Traum glich, der ebenfalls mit der Zeit verblasst, bis wir
uns nicht mehr daran erinnern können. Wegen eines einzigen
falsch verstandenen Satzes begann ich mich vom wahren Zen zu
trennen. Irgendwo in einem Zen Buch hatte ich gelesen, dass der
Zen Mensch alles so annimmt wie es ist, ohne auszuwählen.
Weder an den Dingen haften, noch zurückweisen! Hätte ich
doch nur mit jemandem über meine Illusion und Täuschung ge-
sprochen. Ich geriet in eine sehr passive, extrem passive Haltung
dem Leben gegenüber. Ich ließ einfach alles geschehen und über
mich ergehen ohne einzugreifen, denn ich wollte ja alles so an-
nehmen wie es ist, ohne Ablehnung noch Anhaftung. Ich beo-
bachtete nur was um mich herum geschah. Dass dieser Satz in
erster Linie auf das Zazen bezogen war, hatte ich damals nicht
verstanden. Wenn ich es nicht mehr aushielt, z. B. bei einem
Streit mit meiner damaligen Partnerin, platzte es jedoch umso
heftiger aus mir heraus. Damals fühlte ich mich oft leer, ohne
Vertrauen und Mut weiter zu praktizieren und blieb mit einem
schlechten Gewissen mir selbst gegenüber zurück. Ich wurde zu
dieser Zeit oft krank, fühlte mich unausgeglichen und absolut
mutlos. Ich dachte, dass es das dann wohl doch nicht sein könn-
te und hörte auf mit Zazen, verbannte mein Zafu und meine
Zen Bücher in eine dunkle Ecke im Schrank und begab mich er-
neut auf die Suche. Hätte ich doch nur mit jemandem, der den
Weg schon länger praktiziert, gesprochen. Ich versuchte es noch
einmal mit positiven Denken, Reiki, Mental-traininig, Geisthei-
lung und schließlich mit Tai Chi, das ich in der Zeit von 2001 bis
2006 über fünf Jahre praktizierte. Ich fand jedoch nicht die Be-
freiung die ich suchte und mir im Zen erhofft hatte. Irgendwo
im Hinterkopf war ich noch immer vom Buddhismus und insbe-
sondere vom Zen überzeugt. Aber ich brauchte einen Zen-
Meister oder Lehrer, der mir half meine Illusionen aufzulösen!
Ein paar Jahre nach meinem ersten Erlebnis gab es einen Um-
stand, der mich erneut dem Zazen näher brachte. Auf der Arbeit
war ich sehr unkonzentriert. Dauernd unterliefen mir Fehler, z.
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B. vergaß ich abends die Fenster oder die Eingangstür zu schlie-
ßen. So überlegte ich, dass ich vielleicht nur um meine Konzent-
ration zu verbessern, wieder anfangen sollte zu meditieren. Also
kramte ich mein Sitzkissen hervor, holte die Bücher aus dem
Schrank und begann wieder mit Zazen. Diesmal aber vollkom-
men ohne Etikette wie Verbeugungen, Gong oder Räucherstäb-
chen. Nur für mich allein. Nach einigen Wochen, denn ich
merkte, dass es mir gut tat, wollte ich es noch einmal richtig ver-
suchen. Ich kam zum Dojo und wurde freundlich, wenn auch
überrascht empfangen. Ich fing wieder an zu viel zu lesen und
mich in eigenen Illusionen, gedanklichen Konzepten und Ideen
was denn nun das große Satori wäre, zu verstricken. Nach eini-
ger Zeit merkte ich, dass meine alten Muster, selbstauferlegten
Dogmen und Vorschriften wieder Einzug hielten. Aus diesem
Grund stiftete ich meine Bücher dem Dojo, um nicht in Versu-
chung zu kommen, mir meine Fragen durch die Texte selbst zu
beantworten und mich an diese zu klammern. Und hier nun be-
ginnt eine Geschichte, mein Tagebuch über alles was ich als An-
fänger und Zen-Schüler erfahren oder glaube erfahren zu haben.
Möge es mir und allen die mit dem Studium des Zen beginnen
ein Hinweis auf Fehler, Irrwege und unnützes begriffliches Den-
ken sein.
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Die Geisteshaltung des Zen
Vor ein paar Wochen war ich auf meinem ersten Sesshin. Dies
ist eine Zeit intensiver Zazen-Praxis, geleitet von einem Zen-
Meister. Die Gemeinschaft, die Aufmerksamkeit bei allen tägli-
chen Handlungen wie Essen, Samu und den Zeremonien war
sehr angenehm gewesen. Es war keine gezwungene, auferlegte
Aufmerksamkeit, sondern entstand intuitiv. Die Schmerzen in
den Beinen wurden mit den Tagen immer unerträglicher, den-
noch saß ich fest und konzentriert. Am zweiten Tag fragte ich
den Zen-Meister beim Mondo, der Frage und Antwort Runde in
der Gemeinschaft, wie ich mit den kleinen, mittelstarken und
großen Schmerzen die ich empfand umgehen sollte. Er antwor-
tete: „Die kleinen Schmerzen… einfach ignorieren. Die mittel-
starken Schmerzen… ebenfalls ignorieren. Bei den großen
Schmerzen musst Du entscheiden, ob diese in Deinem Kopf
sind… und Du diese ebenfalls ignorieren kannst. Wenn die
Schmerzen aber zu stark werden, sollte man lieber die Haltung
auflösen und die Beine ausruhen lassen, ohne die anderen zu
stören. Du kannst auch versuchen Dir vorzustellen, wie Deine
Beine warm werden. Auch das entspannt die Muskeln und lin-
dert den Schmerz.“ Ich fragte völlig verblüfft zurück: „Und das
ist erlaubt?“ und er sagte: „Ja, warum denn nicht?“ Wir saßen
viermal täglich für zweimal 40 Minuten in Zazen. Zwischen den
beiden Zazen gab es Kinhin, die Gehmeditation. Der Rest des
Tages war für Samu, dem Arbeiten mit und in der Gemeinschaft
bestimmt. Sauber machen, aufräumen, in der Küche helfen und
Gemüse schneiden, immerhin waren wir knapp 90 Personen,
dies füllte den Tag auf eine angenehme und stressfreie Weise
aus. Am dritten Tag gab es eine große Ordinationsfeier der neu-
en Mönche und Bodhisattvas und beim Abschlussessen kamen
mir vor Freude fast die Tränen, als ich in die Gesichter derjeni-
gen blickte, mit denen ich während des Sesshins gesprochen
oder gemeinsam Gemüse geschnibbelt hatte. Es war für mich
ein sehr bewegender Moment. Dieses dreitägige Sesshin war mit
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der Taufe meines Patenkindes eines der schönsten und
bewegensten Wochenenden in meinem bisherigen Leben. In den
ersten Tagen nach dem Sesshin war die Aufmerksamkeit in mei-
nen täglichen Handlungen noch immer ungezwungen und intui-
tiv vorhanden. Ähnlich meinem ersten Erlebnis verblasste sie
aber allmählich im Alltag. Ich saß eine Woche vor und nach dem
Sesshin wieder sehr regelmäßig jeden Tag zu Hause Zazen. Ein
kleiner Altar mit Buddhastatue und meine Klangschale machten
mir die morgendliche Zeremonie authentischer. Dann nach ei-
ner Woche war es vorbei. Vorbei ist eigentlich das falsche Wort,
aber der Alltag verdeckte meine Aufmerksamkeit wie die Wol-
ken die Sonne. Ich fing wie damals wieder an, zu viel zu lesen
und zu hinterfragen, mir zu viele Gedanken zu machen und
Dogmen aufzuerlegen wie z. B. jeden Tag zu sitzen. Wenn ich es
nicht tat, hatte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen mir selbst
gegenüber. Ich wollte es schließlich richtig und perfekt machen.
So sitze ich zurzeit wieder nur einmal pro Woche im Dojo und
weiß, dass ich so nichts falsch machen kann bzw. jemanden Fra-
gen kann, wenn ich mich doch mal wieder in meinen eigenen
Illusionen bezüglich des Satori, des Zen und des Erwachens
Buddhas verstricke. Und nun Schluss mit dem Vergangenen. Ab
heute schreibe ich meine Ideen, Illusionen und Gedanken zum
Thema Zen und Buddhismus nieder. Wer weiß, vielleicht nützt
es irgendwann jemandem? Welche Erkenntnisse glaube ich bis
hier her aus dem Zazen gezogen zu haben? Was glaube ich ver-
standen zu haben? Was sind die Ergebnisse meiner bisherigen
Praxis?
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3. Frustration hinsichtlich des Weges entsteht, wenn irgend-
ein Fehler in der Praxis ist. Die Praxis ist Zazen in allen
Handlungen des täglichen Lebens. Der Geist sollte
Mushotoku sein, ohne Ziel, einer Erwartungshaltung oder
Gewinnstreben.
7. Es gibt kein richtig oder falsch, kein nach vorn oder zu-
rück. Nur jetzt und hier immer wieder eine Weggabelung,
immer wieder entscheiden was im Augenblick getan wer-
den muss und es tun.
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Weisheit. Das ist meiner aktuellen Auffassung nach der Weg des
Buddhas.
Heute haben wir im Dojo über die richtige innere Haltung beim
Zazen gesprochen. Eine ganze Zeit lang glaubte ich, man darf
während des Zazen keine Gedanken haben und habe meine Ge-
danken einfach unterdrückt. Nach langem hin und her kam her-
aus, dass es mehr um die Akzeptanz und um das Loslassen geht.
Es geht nicht um ein geistiges Vakuum oder absolute Stille des
Geistes. Immer wieder zur Konzentration und Aufmerksamkeit
auf die Atmung und Haltung zurück kommen, ist die richtige
Geisteshaltung beim Zazen. Ein Gedanken erzeugt den nächsten
Gedanken und dieser wiederum einen weiteren Gedanken, der
wiederum einen weiteren Gedanken erzeugt. Wenn wir das be-
merken, kehren wir einfach zur Aufmerksamkeit auf die Haltung
und Atmung zurück. Wenn wir dösen oder einschlafen und uns
fällt dies auf, ist es genauso. Immer wieder loslassen und zur
Aufmerksamkeit im hier und jetzt zurück kehren. Es gibt zwei
Möglichkeiten auf diese beiden Zustände zu reagieren. Wenn wir
viele Gedanken haben, konzentrieren wir uns auf den Kontakt
der beiden Daumen und auf die lange und tiefe Ausatmung.
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Sind wir schläfrig und dösen, dann konzentrieren wir uns umso
mehr auf die Einatmung und auf den Punkt ganz oben am
Scheitel. Die Geisteshaltung während Zazen bedeutet nicht eine
absolute Stille oder ein Aufhören der Gedanken, sondern das
immer wieder Zurückkehren zum Augenblick, durch die Auf-
merksamkeit auf die Atmung und Haltung. An manchen Tagen
habe ich viele Gedanken, an anderen weniger. Und auch nach
jahrelanger Praxis ist das noch immer so. Es ist weder schlecht
noch gut, wenn viele oder wenige Gedanken da sind. Es geht
darum, die Mitte zu finden. Ich finde es gibt zwei Möglichkeiten
des Denkens. Die eine ist das bewusste Denken, das Nachden-
ken über eine bestimmte Sache. Dies können wir loslassen und
das bewusste Denken stoppen. Die zweite Variante ist der so
genannte innere Dialog. Unser Unterbewusstsein spricht den
ganzen Tag. Gedanken kommen aus dem Unterbewusstsein an
die Oberfläche und wir beobachten, ohne einen Gedanken, der
da kommt, weiter zu denken. Der Gedanke aus dem Unterbe-
wusstsein kommt, wir beobachten ihn und lassen ihn vorüber
ziehen. Das ist glaube ich das „Denken aus dem tiefen Grund
des Nicht-Denkens“ wie es Meister Dogen beschrieben hat.
Immer wieder, auch in den täglichen Handlungen, zur Konzent-
ration und Aufmerksamkeit zurück zu kehren, ohne zu unter-
drücken oder in Wut über sich selbst zu geraten. Vor allem ohne
sich hoch zu schätzen, wenn keine Gedanken da sind oder sich
zu ärgern, wenn einmal viele Gedanken da sind. Dann war heute
beim zweiten Zazen ein Kusen, das von Form und Leerheit oder
anders gesagt von Shiki und Ku handelte. Ich habe nicht ganz
verstanden, was damit wirklich gemeint ist, aber mir kam fol-
gender Gedanke. Wenn alle Gefühle Ku sind, das heißt leer von
einem eigenständigen Sein, ohne Substanz und nur durch wech-
selseitige Abhängigkeit entstehend, wie kann man dann einen
Menschen wirklich lieben? Und wenn wirkliche, unbedingte Lie-
be möglich ist, wie kann sie sich nur auf einen Menschen be-
schränken? Liebe, die sich nur auf einen Menschen bezieht, kann
nicht die wahre Liebe sein. Denn diese Person erfüllt bestimmte
Kriterien oder Ursachen, weshalb ich mich überhaupt verliebe
oder diesen Menschen liebe. Verschwinden diese Ursachen, ver-
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schwindet auch das Gefühl Liebe. Dieser Gedanke raubt der
Liebe all ihre Romantik, nicht wahr?
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Der Wind weht in den
Bäumen als Wind.
Der Mensch lebt in der
Welt als Mensch.
Gleicht das Rauschen der
Blätter nicht
dem Fluss der Gedanken?
Doch im Spüren der
unbewegten Stille hört
der Wind manchmal auf zu wehen.
Der Blick wird frei für einen
strahlend blauen Himmel.
27
Donnerstag, 22. Mai 2008
Oh, jetzt habe ich aber lange nicht mehr geschrieben. Ich bin
gerade zu meinem zweiten Sesshin in der Grube Louise im Wes-
terwald angekommen. Wie wird es wohl werden? Beim ersten
Sesshin im vergangenen Jahr war alles so neu, so aufregend und
einzigartig. Als ich eben ankam, war es, als wäre ich nie weg ge-
wesen. Nun lasse ich mich auf drei Tage Aufmerksamkeit, Acht-
samkeit und Bewusstsein ein. Ich habe mir fest vorgenommen,
mir keinen Zwang aufzuerlegen. Ich lasse die Achtsamkeit ein-
fach intuitiv entstehen.
So, jetzt gehe ich ins Bett. Seit ca. zwei Stunden habe ich Kopf-
schmerzen. Das Essen war richtig gut und die Aufmerksamkeit
beim Essen ist einfach wunderbar. Aber irgendwie ist gar nichts,
wie es im letzten Jahr war. Damit war ja zu rechnen. Ich bin ja
auch nicht mehr der Mensch, der ich letztes Jahr war. Alles ver-
ändert sich unablässig. Noch eine kleine Weisheit zum Thema
Zen:
Wahre Freiheit
ist geistige Freiheit.
Geistige Freiheit ist das
Loslassen
aller Automatismen.
Das Loslassen aller
Automatismen
geschieht in Zazen.
28
Freitag, 23. Mai 2008
Das Sesshin hat begonnen. Die Nacht war schrecklich. Ich habe
seit gestern Nachmittag Kopfschmerzen, konnte nicht einschla-
fen und bin mehrmals die Nacht wach geworden. Seit fünf Uhr
heute Morgen nur noch Dämmerschlaf. Kopfschmerzen waren
nicht weg, aber ich freute mich auf das erste Zazen. Zweimal 40
Minuten vergingen wie im Flug. Kopfschmerzen waren danach
übrigens weg! Es gibt nichts Außergewöhnliches zu berichten.
Oder vielleicht doch? Ich sah auf der Wand vor mir Masken.
Kleine Masken! Manche lachend, manche weinend oder einfach
starr. Hat es was zu bedeuten? Nein, nur Hirngespinste, nicht
von Bedeutung! Schon beim zweiten Zazen taten mir die Knie
weh. Im Gegensatz zu letztem Jahr nehme ich, neben dem Ge-
müse schneiden und dem Samu, an einem Workshop zu den
Klängen im Dojo teil. Leider finde ich es ziemlich langweilig. Es
sei denn, ich mache demnächst eine eigene Zen-Gruppe auf.
Dann müsste ich auch nicht mehr so weit fahren. Auf geht´s
zum dritten Zazen.
Der Einbruch naht! Ich fühle mich nicht besonders. Aber ich
werde nicht lange mitleidig sein. Einfach weiter sitzen in oder
im?? Zazen, wird den Knoten schon öffnen. Ich erinnere mich,
dass ich das im letzten Jahr auch erlebt habe. Ich glaube, es war
am zweiten Tag. Ich erzählte es einer der Zen-Nonnen und sie
sagte zu mir: „Hast Du das heute erst? Bei mir war es schon ges-
tern. Das ist völlig normal!“ Es tat gut zu wissen, dass es allen
hier so geht. Oder zumindest einigen und dass es einfach dazu
gehört. Es ist ein seltsames Gefühl. Ich würde es mit der Situati-
on vergleichen, kurz bevor man sich übergeben muss, wenn man
zu viel getrunken hat. Man weiß, dass es einem danach besser
gehen wird, doch trotzdem zögert man und hat Angst. Es ist ein
Gefühl, als würde etwas zerbrechen oder aufbrechen. Bei mir ist
es zurzeit eine Art geistiges, mentales Übergeben müssen. Aber
wie lautet das Mantra im Hannya Shingyo? Darüber hinaus ge-
29
hen. Mit allen gemeinsam darüber hinaus und noch jenseits des
darüber hinaus. An das Ufer des Satori! Gut ist, dass ich weiß,
dass es mir danach besser gehen wird. Nach dem mentalen Zu-
sammenbruch sitze ich viel ruhiger und entspannter. So war es
zumindest im vergangenen Jahr. Also, einfach weiter machen.
Das wahre Selbst ist Stille, weder getrennt noch verbunden mit
Körper und Geist. Das Ego sind die konditionierten Automa-
tismen, die sich in Form von unbewussten und bewussten Ge-
danken manifestieren. Das Ego zu transformieren heißt nicht es
zu zerstören. Es heißt lediglich darüber hinaus zu gehen und die
Freiheit zu besitzen, Entscheidungen mit dem wahren Selbst,
dem göttlichen Kern in uns zu beschließen. Durch Intuition und
Spontanität, ohne vorheriges Denken. Ich fühlte mich heute
wieder besser als gestern. Das Zazen war gut, auch wenn mir
meine Knieschmerzen allmählich ganz schön zusetzen. Aber die
Gedanken, die ich oben aufgeschrieben habe, bestätigen was ich
gestern schon ahnte. Wenn man über diesem mentalen Zusam-
menbruch hinaus ist, öffnet sich die Wahrnehmung für ein wei-
teres Bewusstsein.
Ich schreibe diesen Eintrag, da ich ihn bezüglich der Bonno, der
Leidenschaften für sehr wichtig halte. Seit mehreren Jahren habe
ich kein Zazen mehr gesessen. Was sind die Bonno, denen man
im Zen nicht folgen sollte? Am besten erzähle ich meine Ge-
schichte: Im September 2008 habe ich mich gemeinsam mit
meiner Frau selbstständig gemacht. Schon lange hatte ich die Vi-
sion eines eigenen kleinen Gesundheitsstudios, in dem die Be-
treuung der Kunden und das familiäre Miteinander im Vorder-
grund stehen sollten. Und jetzt war es soweit. Ich der kleine
Junge vom Land, der in der Schule eher mittelmäßig war, kein
30
Abitur gemacht und in seiner Jugend die ein oder andere be-
wusstseinserweiternde Substanz ausprobiert hatte, sollte Unter-
nehmer werden. Ein großartiges Gefühl! Ich glaubte jetzt „je-
mand“ zu sein! Ich fühlte mich bewundert und geschätzt, be-
wunderte mich selbst und meine eigene „Genialität“, wie ich
meinte. Ich war der, der sich den Schritt in die Selbstständigkeit
mit all den Risiken die dazu gehören getraut hatte. Mehr und
mehr ließ ich den Buddhaweg meinen vermeintlichen Pflichten
als Unternehmer weichen. Ich „musste“ mich ja jetzt ganz drin-
gend um mein Unternehmen kümmern, mit all den Aufgaben
die dazu gehörten. Vor allem das Marketing und die Organisati-
on eines Unternehmens faszinierten mich. Zu Beginn gab mir
das ein unglaublich gutes Gefühl, welches sich mit der Zeit aber
abnutzte. Also tat ich mehr, noch mehr und viel mehr. Ich grün-
dete ein zweites kleines Unternehmen und machte mich als
Mentaltrainer selbstständig. Die Ausbildung war schnell gemacht
und da ich mich früher schon viel mit Entspannungstechniken,
Mentaltraining und der Macht des Unterbewusstseins beschäftigt
hatte, fiel es mir leicht in diese Branche einzusteigen. Ich gab
Seminare zum Thema Lebenserfolg, Ziele erreichen und Zufrie-
denheit. Ich produzierte sogar eigene CDs mit angeleiteten Ent-
spannungstechniken und beschäftigte mich mehr und mehr mit
diesem Thema. Was mir dabei nicht auffiel war, dass ich selbst
im Grunde immer unzufriedener wurde und mich in der Arbeit
selbst völlig vergaß. Erst als ich merkte, dass ich selbst die ersten
Anzeichen eines beginnenden Burnouts besaß, fing ich an, mich
zu fragen, ob das der richtige Weg war. Früher, so erinnerte ich
mich, war mein Hauptziel im Leben gewesen, glücklich zu sein.
Die Suche nach dem Sinn des Lebens, die Suche nach der Es-
senz des Lebens und dem Überwinden allen Leidens hatte für
mich oberste Priorität. Jetzt ging es auf einmal nur noch darum
erfolgreich zu sein. Wenn ich das eine tat, war ich mit den Ge-
danken schon beim nächsten und übernächsten Schritt. Ich war
sehr froh, dass ich mich doch noch an meine alten Ideale erin-
nerte und merkte, dass ich diese über Monate vernachlässigt hat-
te. Ein guter Freund schenkte mir eines Tages ein Buch mit dem
Titel „Wege zum Glück“ in dem es, wie sollte es auch anders
sein, einige Texte aus dem Zen gab. Ich fing an es zu lesen und
31
spürte wieder Bodhaishin, den Buddhageist, der nach der Er-
kenntnis sucht. Das Verlangen nach der Wahrheit. Ich begann
wieder regelmäßig zu sitzen und sah in Zazen all meine Bonno,
denen ich in den vergangenen Monaten hinterher gelaufen war,
ohne es zu merken. Nun verstand ich, was die Bonnos waren
und begriff, dass ich meiner Gier und Verblendung, meiner Un-
wissenheit gefolgt war und unersättlich immer mehr und mehr
wollte. Dies alles geschah in der Zeit von Ende 2008 bis Ende
2010. Welch eine verschwendete Zeit bezüglich des
Buddhaweges. Auf der anderen Seite hätte ich ohne diese Erfah-
rung vermutlich nie tief verstanden, was die Bonnos sind und
hätte folglich anderen auch keine Hilfe auf dem Weg sein kön-
nen. Durch meinen Umzug von NRW nach Hessen im Dezem-
ber 2007 verlor ich den Kontakt zum Dojo und die regelmäßige
Zazen Praxis in der Gruppe. Denn leider gab es in meiner Nähe
kein Dojo. Ich hatte zwar vorgehabt, hin und wieder nach Aa-
chen oder Köln zum Dojo zu fahren, doch meine Arbeit und die
beiden Unternehmen verschlangen einfach zu viel Zeit. Ich ver-
nachlässigte meine Familie und Freunde. Die Aspekte Ruhe, Zu-
friedenheit und Entspannung sowie die spirituelle Suche, so
dachte ich in dieser Zeit, haben einfach keinen Platz in meinem
ach so vollen Terminkalender. Von einem Projekt ging es zum
nächsten. Es gab für mich nur noch Arbeit, Arbeit, Arbeit. End-
lich Anfang 2011 fing ich wieder an regelmäßig, wenn auch für
mich allein zu Hause, Zazen zu praktizieren und meine vergan-
genen Monate und Jahre im Spiegel der Achtsamkeit zu beleuch-
ten. Ich hatte nichts erreicht was meine tiefe Sehnsucht nach der
Essenz unserer Existenz näher gebracht hatte, noch hatte ich
den Weg entdeckt, das menschliche Leiden und insbesondere
mein eigenes Leiden zu überwinden. Alles war Illusion, alles wa-
ren Bonnos denen ich bereitwillig und voller Verblendung ge-
folgt war. Heute würde ich sagen, dass die Bonnos das Anhaften
an einem gedanklichen Konstrukt sind, welches man benutzt,
um irgendetwas zu erreichen oder man glaubt, aufgrund dieser
Gedanken etwas erreichen zu müssen. Die Menschen glauben
glücklicher, erfolgreicher oder gesünder zu werden, in dem Sie
bestimmten gedanklichen Vorstellungen hinterher laufen, ohne
zu erkennen, dass sie bereits vollkommen sind und es nichts
32
gibt, das erreicht werden müsste. Zazen hilft diese Bonnos zu
überwinden und das gedankliche Konstrukt zu erkennen, wel-
ches von den meisten Menschen als „Ich“ bezeichnet wird.
Selbst die Erfahrung des Satori kann nach dem Erleben zu Täu-
schung und Illusion führen. Ich nehme an mir selbst wahr, wie
ich versuche eine Erfahrung in ein gedankliches Konstrukt zu
zwängen. Dabei ist das Satori selbst Ku, ohne eigene Substanz.
Entstanden in wechselseitiger Abhängigkeit. Und dennoch bleibt
nichts als darüber hinaus zu gehen. Wenn Zen etwas wirklich
lehrt, ist es das Loslassen, immer wieder loslassen. Und selbst
das Loslassen sollte man loslassen. Es ist die völlige Aufgabe al-
ler Bonnos, aller gedanklichen Illusionen und Täuschungen!
Ich habe schon sehr lange nicht mehr in dieses Büchlein ge-
schrieben und habe die Zazen Praxis stark vernachlässigt. Ab
heute werde ich wieder regelmäßiger sitzen! Heute Morgen saß
ich Zazen und hatte mir am Vortag eine Guen Mai (japanische
Reissuppe) zubereitet. Diese Suppe wird traditionell morgens
nach dem ersten Zazen zum Frühstück in den Klöstern und
während der Sesshins gegessen. Sie besteht im Grunde nur aus
Wasser, Reis, Möhren, Lauch, Kohlrabi und Zwiebeln. Das Be-
sondere ist, dass das Gemüse so geschnitten wird, dass kein
Stück größer ist als ein Reiskorn. Die Suppe köchelt normaler-
weise über die ganze Nacht. Zum Schluss ist es eher eine einzige
dünnflüssige Pampe, die in Geschmack und Konsistenz an
nichts erinnert, außer eben an Guen Mai. Hierdurch aber lässt
sie den Geist beim Essen in Stille und Achtsamkeit verweilen.
Sie schmeckt weder gut, noch schlecht, noch erzeugt sie Verglei-
che mit anderen Gerichten. Der Geist bleibt klar. Bevor ich die-
se Suppe heute Morgen aß, fiel mir ein Satz aus dem Mahlzeiten-
Sutra ein, welches bei jeder Mahlzeit in den Klöstern und auf ei-
nem Sesshin rezitiert wird: „Ich gedenke all derer, die dazu bei-
getragen haben, dass ich diese Nahrung jetzt zu mir nehmen
kann.“ Ich dachte, nun ja, ich habe die Guen Mai zubereitet.
Gemeinsam mit meiner Frau habe ich die Zutaten beim wö-
33
chentlichen Einkauf besorgt. Aber einen Moment, ohne die
Verkäuferin, die die Zutaten in die Regale geräumt hatte, ohne
den Besitzer des Ladens, der diese Produkte im Sortiment hatte,
wäre dies nicht möglich gewesen. Ohne den Transport dieser
Lebensmittel, ohne die Menschen die sie angebaut und geerntet
hatten, ohne die Sonne, den Regen, die Erde etc. hätte ich diese
Suppe nicht essen können. Ohne meine Kunden, die Geld für
meine Dienstleistungen bezahlen und ohne deren Chefs, die ih-
nen wiederum Lohn zahlen, hätte ich die Zutaten gar nicht kau-
fen können. So ging es weiter und weiter bis ich feststellen
musste, dass in der kleinen Schale in meinen Händen das ganze
Universum enthalten war. Eines erzeugte das nächste und so
weiter und so weiter. Dieses Bewusstwerden war kein Verstehen
mit dem Verstand gewesen. Es war ein Fühlen und Verstehen,
mit dem ganzen Sein. Ich war überwältigt und tief berührt. Alles
ist in allem Enthalten. Das ganze Universum in einem einzigen
Regentropfen.
Heute beim Zazen sah ich die Klangschale, die vor mir auf dem
Boden steht und fragte mich, wie ich sie sehen kann und wo das
Bild dieser Klangschale entsteht. Im Grunde war es weniger eine
Frage, sondern vielmehr eine direkte Wahrnehmung. Ich sah die
Klangschale vor mir stehen, aber das Bild der Schale, das ich
sah, war nicht vor mir. War es in meinen Augen? War es in mei-
nem Kopf oder nur ein Bild, dass mein Gehirn aus vielen klei-
nen elektronischen Impulsen zusammensetzte? Die Klangschale
war vor mir und war es dennoch nicht. Das Bild der Klangschale
war gleichzeitig in meinem Kopf, in meinen Augen und vor mir.
Ich erkannte, dass die Klangschale, die ich sah, nicht die Klang-
schale ist, die jemand anderes sieht. Obwohl meine Wahrneh-
mung der Klangschale, einen relativen Teil der Wirklichkeit zeig-
te, so war das Bild, das ich sah, nicht wirklich. Jemand der far-
benblind ist und grün für rot hält, dem kannst Du noch so oft
sagen, wie schön die roten Dächer sind. Er wird sie nicht sehen
können, da in seiner Welt die Dächer grün sind. In dieser Wahr-
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nehmung in Zazen verweilend, begriff ich, dass die gesamte
Welt, die ich sehe, nur ein Bild in meinem Kopf ist. Als Mental-
trainer hatte ich gelernt, dass wir alle uns eine ganz eigene Karte
der Welt in unserem Kopf anlegen. Diese Karte hilft uns im All-
tag zu Recht zu kommen. Aber sie zeigt niemals die objektive
Wirklichkeit. Dass ich die Welt, die Karte der Welt meines Ge-
genübers nicht sehen kann, führt zu vielen Konflikten, Streit
und Täuschung. Ich überlegte weiter. Wenn dies so mit dem Se-
hen ist, dass ich die wirkliche Welt gar nicht objektiv wahrneh-
men kann, da es sich immer nur um ein Bild in meinem Kopf
handelt, welches ich mit meinen Konditionierungen und durch
meine persönlichen Filter wahrnehme, wie steht es dann um
meine anderen Sinne? Und ja, es war genauso! Egal was ich hö-
re, schmecke, rieche und fühle, entsteht als Wahrnehmung, als
Ton, Geschmack, Geruch und Empfindung in meinem Gehirn.
Von der Wahrnehmung der wechselseitigen Abhängigkeit und
Unbeständigkeit meiner fünf Sinne tief beeindruckt, startete ich
in den Tag.
Dadurch dass ich den Zazen Nachmittag jeweils auf den ersten
Sonntag im Monat gelegt habe, muss ich feststellen, dass oft nur
eine kleine Gruppe von Interessenten kommt. Ich selbst kann an
35
manchen Sonntagen selbst nicht, da ich einfach schon etwas an-
deres geplant hatte. Viele Teilnehmer sagten mir, dass sie sonn-
tags etwas mit der Familie machen würden und nur ab und zu
vorbei kommen könnten. Außerdem wurde mir klar, dass es den
Teilnehmern nur wenig bringt, wenn sie einmal im Monat Zazen
sitzen. Durch wunderbare Umstände hat sich mir jetzt die Gele-
genheit geboten, andere Räumlichkeiten in der Woche nutzen zu
können. In meinen eigenen Räumen im Gesundheitsstudio lau-
fen in der Woche abends ja Kurse. Im Juni beim Sesshin werde
ich mit dem Zen Meister sprechen, was er von meiner Idee hält.
Immerhin bin ich weder ordiniert, noch Zen-Mönch, sondern
einfach nur Laie mit wenigen Jahren Erfahrung. Ich bin wirklich
gespannt auf mein drittes Sesshin. Letztes Jahr konnte ich auf-
grund der Hochzeitsvorbereitungen leider nicht fahren. Davor
das Jahr war ich zu verstrickt in meine Arbeit und wollte die Zeit
lieber nutzen, um ein paar Projekte voran zu bringen. Wie wird
mein drittes Sesshin wohl werden? Wie die ersten beiden oder
völlig anders? In jedem Fall wird es mir gut tun, ein wenig Ab-
stand zum beruflichen Alltag zu bekommen und wieder mehr in
den Buddhageist einzutauchen.
36
Erleuchtung und Illusion
Der erste Tag meines dritten Sesshins. Diesmal komme ich für
neun Tage, das Sesshin plus Vorbereitungszeit, um mich der in-
tensiven Zazen Praxis zu widmen. Während der Vorbereitungs-
zeit sitzen wir dreimal täglich für zweimal 40 Minuten Zazen.
Dazwischen gibt es Workshops, Samu, Dokusan und ausruhen.
Gestern angekommen konnte ich mich gleich beim Tische auf-
bauen und vorbereiten nützlich machen. Danach hat´s mich
auch noch für den Service, das sind die Personen, die das Essen
ins Dojo bringen und servieren, erwischt. Im ersten Moment
fand ich das schlecht. Ich hätte ja auch nein sagen können.
Schließlich wollte ich mich doch entspannen und habe gerade
das „bedient werden“ in Achtsamkeit bei meinen vergangenen
Sesshins so genossen. Aber das Servieren ist genauso gut. Es hat
die gleiche Qualität wie das Empfangen. Das Geben ist genauso
wie das (An)nehmen dürfen. Vielleicht ist es sogar eine größere
Herausforderung beim Servieren die Aufmerksamkeit zu halten
oder geschehen zu lassen, als beim Entgegennehmen der Spei-
sen? Ich trage ein Rakusu! Das ist das kleine Mönchsgewand.
Normalerweise tragen es die Mönche bei der Arbeit oder die
Personen, die bereits die Bodhisattva Ordination erhalten haben.
Mir wurde erklärt, dass wer Verantwortung innerhalb des Dojos
übernimmt, ein Rakusu trägt. Warum habe ich nicht ganz ver-
standen. Ist meine Aufmerksamkeit dadurch anders? Hat es Ein-
fluss auf den Empfangenden oder den Gebenden? Wie auch
immer. Ich finde es toll ein Rakusu tragen zu dürfen. Es gibt mir
ein Gefühl der Zugehörigkeit. Aber das ist wahrscheinlich nur
mein Ego-Ich das innerlich ruft: „Juhu, ich trage ein Rakusu!!“
Ich habe, wie ich es schon vor dem Sesshin geplant hatte, an
meinem eigenen Rakusu zu nähen angefangen. Vielleicht werde
ich mich nächstes Jahr ordinieren lassen. Warum, weiß ich noch
nicht genau. Ich denke, es ist einfach der nächste Schritt. Ich
schreibe später weiter, es geht jetzt gleich zum Samutreffen (Ar-
beiten für und in der Gemeinschaft).
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Montag, 30. Mai 2011
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niger nachgibt und ich etwas höher sitze. Den Trick mit der Be-
ckenneigung habe ich dann auch ausprobiert. In der Tat hatte
ich Zeiten, in denen ich keine Schmerzen und keine Gedanken
hatte. War schon heftig irgendwie. Auf einmal waren sie weg!
Sobald mir das aber auffiel und ich dachte „Juhuu, keine
Schmerzen mehr!“, waren Sie natürlich wieder da. Aber das ich
überhaupt schmerz- und gedankenfreie Abschnitte hatte, war
bemerkenswert. Es fühlte sich ganz seltsam an. Ich habe mei-
nem Körper einfach erlaubt sich auszugleichen. Einer der Mön-
che sagte zu mir: „ Du sollst auf dem Kissen nicht starr sitzen.
Du sollst Samba tanzen. Aber nicht zu viel, sonst sitzt du plötz-
lich auf dem Boden neben dem Kissen!“ und eine andere Nonne
sagte zu mir: „Wie hast Du es bloß acht Jahre ausgehalten starr
und unbewegt auf dem Kissen zu sitzen. Du musst echt einen
ganz schönen Ehrgeiz haben. Wenn Du aber jetzt verstanden
hast, dann beginnt für Dich eine richtig spannende Zeit!“. Und
sie hatten beide recht. Die Erlaubnis, dass sich mein Körper be-
wegen darf, die ich ihm jahrelang verweigert hatte, erzeugt ein
richtig gutes Gefühl. Nun, ich war heute beim Dokusan beim
Zen-Meister. Da ich nicht wusste wie gut er Deutsch und wie
gut mein Englisch ist, habe ich mir eine Dolmetscherin mitge-
nommen. Schlussendlich war es aber kein Problem, da mein
Englisch ausreichend war. Meine Frage an ihn war, ob er denkt,
dass ich eine eigene Zen-Gruppe vor Ort leiten könnte. Ich
dachte als Zen-Meister müsste er mich nur anschauen und wüss-
te sofort, ob ich geeignet bin eine Gruppe zu leiten. Immerhin
hatten wir bisher erst einmal im Mondo miteinander gesprochen
und das lag schon viele Jahre zurück. Ich dachte er würde in
meine Augen schauen und etwas Mystisches sagen, statt dessen
sagte er: „Woher soll ich das wissen? Ich kenn Dich doch gar
nicht!“ Meine Verwunderung war mir wohl anzusehen und er
begann mit mir ein ganz normales, stink normales Gespräch wer
ich denn wäre und warum ich eine Gruppe leiten möchte. Meine
Illusion über Zen-Meister bezogen auf irgendwelche besonderen
Fähigkeiten oder gar hellsichtiges Verhalten war damit dahin.
Mehr dazu morgen, ich geh jetzt schlafen!
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Dienstag, 31. Mai 2011
Wow, heute Morgen hatte ich echt einen Durchhänger. Ein ne-
gativer Gedanke erzeugte den nächsten, ein Zweifel führte zu
weiteren Zweifeln, so lange bis ich keinen Sinn mehr in meiner
Praxis sah. Zazen, Sangha, Zen, Erleuchtung, alles war auf ein-
mal ohne Sinn. Hätte das Geld, das ich für dieses Sesshin be-
zahlt habe nicht sinnvoller verwendet werden können? Hätte es
nicht den Hunger eines Menschen stillen oder als Spende für ei-
ne gemeinnützige Organisation verwendet werden können? Ich
habe mich dann über diese Gedanken mit einem der Mönche
ausgetauscht. Er erzählte mir von einem Experiment, ich glaube
in Chicago, bei dem während eines längeren Sesshins die Krimi-
nalitätsrate in der Stadt um mehrere Prozent gesunken war. So
hat das Sesshin und das Zazen jedes Einzelnen letztlich zu mehr
Frieden beigetragen. Aber auch diese Antwort konnte meine
Zweifel nicht ausräumen. Er empfahl mir einfach weiter zu ma-
chen und über den Zweifel hinaus zu gehen. Einfach weiter alle
Energie ins Zazen, in die Haltung zu legen. Das war´s, mehr
nicht!
Er hatte recht! Meine Zweifel von heute Morgen sind wie weg-
gewischt. War das heute Morgen mein mentaler Zusammen-
bruch, den ich bei den vergangenen Sesshins auch erlebt habe?
Gerade eben beim Zazen am Nachmittag konnte ich das Kusen
vom Zen Meister völlig verstehen! Irgendwas Komisches pas-
siert hier gerade! Er sprach in diesem Kusen von verschiedenen
Ebenen des Verständnisses. Die allgemeine Ebene, die relative
Wirklichkeit, ist die Wahrnehmung der meisten Menschen. Die-
se sind in völliger Verwirrung über die Wirklichkeit und glauben
das Unbeständige sei beständig und das Beständige sei unbe-
ständig. Die zweite Ebene oder die letzte, absolute Wahrneh-
mung der Wirklichkeit lässt erkennen, im Licht der Erleuchtung,
dass die Phänomene unbeständig und leer sind. Im Licht erken-
ne ich die Unterschiede, im Dunkeln erkenne ich sie nicht. Er
40
bezog sich damit auf das Sandokai, einen alten Zen Text von
Meister Sekito. Aber aus der Sicht von Ku, aus der tatsächlichen
Wirklichkeit, sind alle Dinge und Phänomene leer und weisen
aus diesem Grund keine Unterschiede auf. Alles ist letztlich wie
die zwei Seiten einer Münze. Zazen führt dazu, beide Seiten
gleichzeitig wahrnehmen zu können und daraus ergibt sich ein
Gefühl von tiefen Frieden, Eins sein und großer Solidarität und
Mitgefühl mit allem was ist. Ich empfinde zurzeit das Eins sein
mit allem. Aus der Sicht von Ku gibt es keine Trennung, kein
Werden und Vergehen. Dieses Empfinden ist mit Worten nicht
zu beschreiben, da es direkte aktuelle Erfahrung ist. Es ist unbe-
schreiblich schön dies mit dem Körper zu erfahren.
Als ich heute Morgen wach wurde, war es noch immer da. Ich
fühle noch immer das Eins sein mit allem. Ein unbeschreibliches
Gefühl der Solidarität und des Mitgefühls durchströmt mich.
Das Erwachen ist das Wahrnehmen dieser Verbundenheit mit
allem. Jetzt weiß ich warum die einzig richtigen Worte, die Bud-
dha bei seinem Erwachen ausrufen konnte die folgenden waren:
„Ich habe das Erwachen mit allen Wesen gemeinsam erfahren.“
Wie könnte es auch anders sein? Das Erwachen ist das Eintau-
chen in Ku und damit das Fühlen mit dem Körper, dass alles
eins ist. Dieses Erwachen kann nicht mit Worten beschrieben
werden. Wie könnte man jemandem der noch nie den Sommer-
regen im Gesicht oder auf der Haut gespürt hat beschreiben, wie
sich das anfühlt? Wie könnte man mit Worten beschreiben, wie
sich ein warmer Wind auf der Haut anfühlt, ohne diese Erfah-
rung völlig zu begrenzen? Doch das Erwachen selbst ist leer,
ohne eigenständige Substanz. Alles ist leer! Aus diesem Grund
muss selbst Buddha oder ein Zen-Meister die Frage, ob er Satori
hat, wahrheitsgemäß mit „Nein“ beantworten. Satori ist nichts,
das man haben oder besitzen kann. Die Erfahrung selbst löst
sich in sich selbst auf. Anders kann ich es nicht beschreiben.
Heute beim Mondo habe ich dem Zen-Meister genau diese Fra-
gen gestellt, da ich meine eigene Antwort bestätigt haben wollte.
41
Auf die Frage zu Buddhas Erwachen sagte er, was ich bereits
oben als Verbundenheit mit allem beschrieben habe. Auf die
zweite Frage, warum ein Zen-Meister wahrheitsgemäß „Nein“
antworten muss wenn man ihn danach fragt, ob er Satori hat,
antworte er in etwa wie folgt: „Wenn jemand behauptet er hätte
Satori, kann es nicht das wahre Satori sein. Durch seine Behaup-
tung zeigt er, dass er am Ego hängt. Er glaubt also noch immer,
dass es eine Person gibt, die Satori haben könnte. Folglich hat er
kein Satori. Wer soll Satori haben, wenn Satori das Auflösen des
Egos beinhaltet?“ Wer die Erfahrung des Satori macht, weiß,
dass es keine Person mehr gibt, die Satori haben könnte oder
diese Erfahrung macht. Das Satori löst sich in sich selbst, in dem
Verstehen von Ku mit dem Körper auf. Es ist ein Paradoxon.
Wer Satori verwirklicht, weiß, dass diese Erfahrung sich in sich
selbst auflöst. Es ist mit Worten nicht zu beschreiben. Als ich
heute beim Mondo diese Fragen stellte, kannte ich die Antwort
schon. Ich tat es aus Solidarität für die anderen und da ich meine
eigenen Antworten bestätigt haben wollte. Das Erwachen Bud-
dhas ist kein absolut glückseeliger Zustand der Ekstase. Es ist
überhaupt kein Zustand, sondern Wahrnehmung der sich stän-
dig wandelnden und in gegenseitiger Abhängigkeit entstehenden
Phänomene. Dies mit dem Körper und dem ganzen Sein zu er-
fahren ist die Erfahrung des Erwachens!
Kann man sagen, dass das Erwachen zur Leerheit, wie die Luft
ist? Sie ist überall zu jederzeit und umgibt uns kaum wahrnehm-
bar. Wir können sie nicht ergreifen, um sie in ein Gefäß zu fül-
len. Man würde sie ihrer natürlichen Eigenschaft der Freiheit
und Grenzenlosigkeit berauben (meinst du das damit?). Ich bin
seit gestern in dieser Wahrnehmung der letzten Wirklichkeit und
bedauere nur, dass ich es nicht mit den anderen teilen kann.
Doch dabei teile ich es ja mit allem was ist, ohne mein Zutun
oder das ich irgendwas machen müsste. Es ist doch schon im-
mer da gewesen, warum konnte ich es so lange nicht wahrneh-
men? Ich bin angekommen. Ich bin am Ziel meiner Reise nach
42
dem Sinn und der Essenz des Lebens angekommen. Ich fühle
Ruhe, Gelassenheit, Verbundenheit mit allen Wesen und Gott.
Ich habe keine Angst mehr. Was könnte ich denn schon verlie-
ren, was könnte ich gewinnen? Alles ist genau richtig! Es gibt
eine Zen-Geschichte, die die Suche nach dem Erwachen ver-
deutlicht. Es gab einmal einen Jäger, der seine Hütte nahe am
Wald hatte. Er hatte von einem prächtigen Tier gehört, das man
Satori nannte. Er wollte dieses Tier erlegen und es besitzen.
Doch immer wenn er es sah und fangen wollte, entwischte es
ihm. Nach mehreren Jahren hatte er seinen Plan schon fast auf-
gegeben, da geschah etwas Besonderes. Er war gerade dabei ei-
nen Baum zu fällen um Feuerholz daraus zu machen und war
völlig eins mit seiner Arbeit. Der Baum fiel und erschlug das au-
ßergewöhnliche Tier. So erlangte der Mann das Satori.
43
einfach von meiner Erfahrung erzählen und ihn fragen wie es
von hier aus weitergeht. Wie lebe ich diese unglaubliche Erfah-
rung im täglichen Leben und wie kann ich sie weiter vertiefen?
Aktuell bin ich wieder ziemlich auf der Ebene der relativen
Wirklichkeit angekommen. Es ist wie ein Traum, der langsam zu
verblassen beginnt. Ich frage mich sogar, ob ich überhaupt etwas
erlebt habe. Oder ob mir mein Verstand einen Streich gespielt
hat. Auf der anderen Seite fühlte sich diese Erfahrung genau so
an, wie es in den alten Zen-Texten beschrieben wird. Wir alle
teilen die Buddhanatur. Denn die Buddhanatur ist die Wahr-
nehmung des eigenen Körpers und der Phänomene in Bezug auf
die Unbeständigkeit und die wechselseitige Abhängigkeit. Schon
seltsam wie heftig, stark und absolut real es sich angefühlt hat
und jetzt nichts mehr!
44
Sonntag, 5. Juni 2011
Ich bin wieder zu Hause, ein großartiges Sesshin ist vorbei! Bei
meinem letzten Gespräch mit dem Zen-Meister erzählte ich ihm,
dass ich diese unglaubliche und unbeschreibliche Erfahrung ge-
macht habe und dass diese nun völlig verschwunden sei. Wie ein
Traum, der verblasst und an den man sich nicht mehr erinnern
kann. Er lächelte und sagte zu mir: „Das ist ganz normal!“. Er
sagte weiter, dass diese Wahrnehmung durch regelmäßiges
Zazen, durch die Sesshins und auch durch die Ordination weiter
vertieft werden könne. Dass die Wahrnehmung allmählich länger
45
anhalten und stärker werden würde. Es tat mir gut zu hören,
dass dem so ist und ich weiß, dass ich meinen Weg gefunden
habe. Ich bin darüber sehr glücklich und werde es teilen. Jetzt
weiß ich, dass ich mich im nächsten Jahr ordinieren lassen wer-
de. Nicht für mich. Nicht um irgendwie voran zu kommen oder
damit ich mehr Verantwortung übernehmen kann. Ich lasse
mich für die anderen ordinieren, um der Sangha zu zeigen, dass
ich den Weg mit ihnen teile. Ich lasse mich für all die Menschen
ordinieren, die noch auf der Suche sind. Um ihnen zu zeigen,
dass es einen Weg aus dem Leiden gibt und um den Weg weiter
fortzuführen. Ich lasse mich ordinieren, um meine Dankbarkeit
und tiefe Hingabe an den Buddhaweg zu zeigen. Zwei Tage nach
dem Sesshin schrieb ich folgenden Text, der meine Erfahrungen
während des Sesshin wiederspiegelt:
Wir alle teilen die Erfahrung der Buddhas und Patriarchen, die
seit Anbeginn der Zeit den Weg weitergaben. Das Erwachen
selbst ist Leer, ohne bleibende Substanz. Es ist weder entstanden
noch vergangen. Das Ego bleibt erhalten und tut es dennoch
nicht. Alle Phänomene entspringen der einen Quelle. Die Leer-
heit allen Seins mit dem Körper zu erfahren, erzeugt das große
Gefühl der Solidarität und des Mitgefühls. Der Charakter des
Menschen ist wie der Charakter des Feuers, das brennt, wie der
des Wassers, das nass macht, wie der des Windes, der kühlt und
wie der der Erde, die trägt. Doch verstehe, dass dies ohne die
anderen Phänomene nicht möglich ist. Ohne Holz könnte das
Feuer nicht brennen. Ohne einen Gegenstand könnte das Was-
ser nicht nass machen, der Wind nicht kühlen und die Erde
nicht tragen. Nichts in der Welt existiert ohne die anderen Phä-
nomene. Das bedeutet Ku, die Leerheit allen Seins. Alle Phäno-
mene folgen dem Prinzip der wechselseitigen Abhängigkeit. So
auch die fünf Sinne des Menschen, seine Gedanken, seine Emo-
tionen, sein Körper, seine Wahrnehmung, sein Bewusstsein, sein
Ego und der gesamte Kosmos. Wer versucht dies nur mit dem
Verstand zu erfassen, selbst wenn dies möglich zu sein scheint,
wird scheitern und den Weg des Buddha niemals erlangen. Die
Erfahrung der Buddhas ist das Fühlen und Verstehen mit dem
46
Körper. Gleichwohl dem Körper und dem Bewusstsein aller
Wesen. Warum sonst waren die einzig richtigen Worte, die Bud-
dha bei seinem Erwachen ausrufen konnte: „ Ich habe das Er-
wachen mit allen Wesen gemeinsam erlangt!“? Nicht allein für
sich, sondern gemeinsam mit allen. Wer zu verstehen beginnt,
weiß, dass sich das Verstehen in sich selbst auflöst. Das Verste-
hen ist das „in-sich-selbst-auflösen“. Das Erwachen selbst ist
leer und ohne Substanz. Es entsteht in wechselseitiger Abhän-
gigkeit. Das große und unübertroffene Mantra beschreibt es auf
direktem Weg. Es bleibt nichts als darüber hinaus zu gehen, mit
allen gemeinsam darüber hinaus und noch jenseits des darüber
hinaus. An das Ufer des Satori. Die Texte der alten Meister sind
keine Poesie. Wer die Erfahrung aller Buddhas teilt, erkennt in
einem Augenblick den wahren Wert der Worte. Er erkennt, dass
die Texte wortwörtlich zu gebrauchen sind. So wie der Finger,
der auf den Mond zeigt, nicht der Mond selbst ist, so zeigt er
doch das zu Erblickende. Wer dies tief realisieren und fühlen
und alles Leiden abschneiden möchte, der praktiziere Zazen im
Sitzen und im Stehen, in allen Tätigkeiten des Alltags. Wisse, was
es heißt, aus dem tiefen Grund des Nicht-Denkens zu denken
und einen Geist zu besitzen der auf nichts verweilt, ohne Ge-
winnstreben noch Erwartung. Wirklich sitzen wenn du sitzt,
wirklich stehen wenn du stehst und wirklich gehen wenn du
gehst ist das wahre Zen. Die Dinge nur tun der Dinge wegen,
ohne Erwartung und ohne Zielstreben. Das sind die beiden gro-
ßen Prinzipien des Zen: Hishiryo und Mushotoku! Erkenne das
Große im Kleinen. Erkenne das Kleine im Großen. Wo ist da
ein Unterschied? Die beiden Ebenen der relativen Wirklichkeit
und der letzten Wirklichkeit durchdringen einander, wie zwei
Farben die gemischt werden. Doch sind die Farben lediglich
Blickwinkel auf ein und dieselbe Wirklichkeit. Erfahre Ku, werde
Ku! Das Ego bleibt erhalten und tut es dennoch nicht. Alle tei-
len dies ohne es zu wissen seit Anbeginn der Zeit und bis ans
Ende aller Zeiten mit allen Wesen. Denn wer Satori realisiert,
erkennt in einem Augenblick, dass es gar nicht anders
möglich ist. Ich teile mit Dir, was nicht zu teilen ist. Da es alles
umfasst, ist es nicht zu teilen. Doch wer versteht, dass es nicht
geteilt werden kann, der fängt an es mit allen Wesen zu teilen.
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Nachwort zum ersten Buch
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mit dem Verstand zu verstehen gibt. Wenn überhaupt ein Ver-
stehen möglich ist, so ist es das Verstehen mit dem ganzen Kör-
per, durch die Erfahrung des Zazen. Zen hat nichts mit einem
Glauben zu tun. Aber um einen Geist zu entwickeln, der hoch
motiviert ist diesen Weg bis zum Ende zu gehen und der bereit
ist, die Ein oder Andere Hürde zu nehmen, braucht es zu Be-
ginn etwas Vertrauen. Ich wünsche allen Anfängern und Ein-
steigern, dass Sie dieses Vertrauen finden. Vielleicht ist mein
Buch ein erster kleiner persönlicher wie authentischer Hinweis
darauf, dass es sich lohnt diesen Weg zu gehen. Die Tagebuch-
einträge aus diesem Buch liegen bereits ein paar Jahre zurück
und aufgrund des positiven Feedbacks, habe ich mich dazu ent-
schlossen auch meine Notizen aus den Monaten nach diesem
Sesshin zu veröffentlichen. Mögen Sie dem ein oder anderen ei-
ne Hilfe auf dem Weg sein. Im meinem zweiten Buch mit dem
Titel: „Auch Buddhas rülpsen und furzen“ geht es darum, wie
man es schafft eine Erfahrung, die so unglaublich ist, dass sie
mit Worten nicht beschrieben werden kann, auch wieder loszu-
lassen. Denn wie lautet die letzte Zeile im Hannya Shingyo:
„Lasst uns gemeinsam darüber hinaus gehen, darüber hinaus
und noch jenseits des Darüber-Hinaus, an das Ufer des Satori!“
Das allein ist das große Geheimnis der Zen-Praxis. Doch solan-
ge Du Dir Illusionen über den Weg machst und Deinen Täu-
schungen folgst, wirst Du an jeder Stelle stehen bleiben und su-
chen. Darüber hinaus zu gehen bedeutet, dass Erlebte restlos zu
überschreiten und nicht den kleinsten Gedanken daran zu ver-
schwenden. Darüber hinaus erfährt der Leser im zweiten Buch,
was es bedeutet sein Leben dem Bodhisattva-Ideal zu widmen.
Um Erleuchtung zu erfahren gibt es bestimmt verschiedene gute
Wege. Ich habe mich für den Weg des Zen entschieden und
werde diesen weiter gehen. Ich wünsche allen, die den Weg mit
mir gemeinsam gehen, dass Sie Dogens Worte tief mit dem
Körper verstehen werden: Zen zu studieren heißt, sich selbst zu
studieren. Sich selbst zu studieren, heißt sich selbst vergessen.
Sich selbst vergessen heißt, eins zu werden mit allem.
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Gewidmet allen Übenden,
die in ihren Täuschungen und
Illusionen gefangen sind.
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Vorwort zum zweiten Buch
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wer all seine Stärken, aber vor allem auch seine Schwächen inte-
griert hat und sich selbst im anderen sieht und wiederspiegelt.
Auch die Buddhas und Zen-Meister rülpsen und furzen, kochen
mit Wasser und müssen von Zeit zu Zeit aufs Klo. Alles ganz
natürlich! Wenn Du zum Normalzustand zurückkehrst, unter-
scheidest Du Dich nicht mehr von anderen Menschen. Du bist
ihnen vielleicht näher als sie selbst und lebst das Nirvana mitten
im Samsara. Es gibt keine Trennung zwischen diesen beiden Be-
griffen oder zwischen Dir und den anderen. Das ist das große
Geheimnis aller Zen-Meister und Patriarchen, das still von Geist
zu Geist weitergegeben wurde. Wenn von Weitergabe gespro-
chen wird, meinen viele es müsste irgendein Ding weitergegeben
worden sein. Aber die Erleuchtung ist nicht etwas, dass erhalten
oder weitergegeben wird. In der Erfahrung des Erwachens gibt
es kein „Ich“. Wer oder was sollte also etwas erhalten oder wei-
tergeben. Wenn aber zwei Menschen die selbe Erfahrung der
Einheit teilen, so wie Buddha und Mahakashyapa bei der ersten
Dharmaübertragung am Geierberg, als Buddha eine Blume dreh-
te, dann ist dies die große Weitergabe, die seit über 2.500 Jahren
von Meister zu Schüler, von Mensch zu Mensch und von Herz
zu Herz weitergegeben wurde. Die große Erkenntnis der Ver-
gänglichkeit, des Leidens und des Nicht-Selbst führt augenblick-
lich zum Erkennen Deiner wahren Natur. Wie aber lebt man
ausgehend von diesem Zustand? Ein alter Zen-Spruch lautet:
„Vor der Erleuchtung Holz hacken und Wasser holen. Nach der
Erleuchtung Holz hacken und Wasser holen.“ Auch die folgen-
de Geschichte macht deutlich wie es nach der Erfahrung, die
nicht mit Worten beschrieben werden kann, im Alltag weiter-
geht:
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Wenn Du wirklich tief verstehst, dass es nichts zu erreichen gibt
und die Frage nach dem Sinn von Zazen sich endlich aufgelöst
hat, dann erst kann Dich die tiefe Wahrheit des Zen, die tiefste
Wahrheit Buddhas erreichen. Aber genau in diesem Moment
gibt es niemanden der diese Wahrheit versteht. Niemanden der
etwas erlangt. Diese Erfahrung wünsche ich allen Wesen aus
tiefstem Herzen. Ich hoffe mit meinen Tagebucheinträgen einen
bescheidenen Beitrag zum Weg beitragen zu können und, dass
Dir meine Fehler und Irrtümer, mein falsches begriffliches Den-
ken und Anhaften am Vergangenen hilft, vom Dharma durch-
drungen zu werden. Denn machen kannst Du nichts. Viele Tex-
te zu lesen und mit dem Verstand verstehen zu wollen führt
Dich in die entgegengesetzte Richtung. Im Grunde ist es nur die
regelmäßige echte Praxis von Zazen, dem Verweilen in Acht-
samkeit, auf dem Kissen als auch in allen Tätigkeiten des Alltags.
Wie aber soll der Weg weitergegeben werden, wenn nicht mit
Worten die motivieren und begeistern? Aber wir dürfen nicht
den Fehler machen, uns an Worte zu klammern und die eigentli-
che Praxis des Sitzens und Stehens vernachlässigen. Schwimmen
lernst Du nicht in einem Buch, sondern durch die tatsächliche
Erfahrung. Auch Radfahren kann Dir niemand mit Worten er-
klären. Du musst Dich selbst auf das Rad setzten und die Erfah-
rung des Gleichgewichts machen. Mit Zen ist es nichts anderes.
Ich wünsche Dir allzeit eine gute und stabile Praxis und einen
Geist der im hohen Maße motiviert ist, das Erwachen gemein-
sam mit allen Wese zu verwirklichen.
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Verblassende Erfahrung
Das letzte Sesshin ist nun schon fast vier Wochen her. Rückbli-
ckend betrachtet gleicht meine Erfahrung einem Traum, der
vollständig verblasst ist und ich frage mich manchmal sogar, ob
ich überhaupt wirklich diese Erfahrung gemacht habe. Da es in
der Erfahrung kein „Ich“ gab, kann ich doch auch keine Erfah-
rung gemacht haben, oder? Ich weiß mit meinem Verstand, was
ich mit den Worten ausdrücken wollte. Aber das körperliche
Fühlen und Verstehen ist vollkommen aufgelöst. Ich weiß, dass
ich nichts weiß! Die Sonne strahlt noch immer hell am blauen
Himmel, aber die dichte Wolkendecke verhindert den Blick da-
rauf. So bleibt mir nur das Spüren der Wärme, dass mir die Ge-
wissheit gibt, dass die Sonne auch weiterhin morgens aufsteigt
und abends untergeht, während sie woanders auf der Welt ihren
Kreis fortsetzt. Wie mit dem Zen-Meister besprochen, begleitet
mich, sozusagen als Mentor, ein erfahrener Mönch beim Start
meiner eigenen Zen-Gruppe vor Ort. Bereits zweimal hat das
Zazen donnerstags abends stattgefunden. Morgen wird er das
erste Mal das Zazen bei mir leiten. Auf diese Weise bekommt
die Gruppe von Anfang an mehr Stabilität. Ich bin sehr froh als
nicht ordinierter Laie, die Praxis des Zazen weitergeben zu kön-
nen und auf diese Weise wenigstens einmal pro Woche in einer
Gruppe praktizieren zu dürfen. Gestern war ich in Frankfurt
beim Zazen. Ich habe mich sehr gefreut als mir eine der Nonnen
Räucherstäbchen, die sie vom Sesshin in Belgien mitgebracht
hatte, zur Einweihung des neuen Dojos übergab. Ihr zeigte ich
auch mein Rakusu, soweit ich es bis jetzt fertig genäht habe.
Und es kam wie es kommen musste. Ich habe die Abstände im
Innenteil falsch zusammen genäht, die Punkte etwas zu lang ge-
zogen und zu weit auseinander genäht. Nun werde ich alles noch
einmal aufmachen und von vorne beginnen. Wie auch beim
Zazen, so geht es hier nicht um ein Ziel wie zum Beispiel das
Rakusu möglichst schnell fertig zu nähen, sondern darum zu nä-
hen. Jeden einzelnen Stich so sauber wie möglich und in voller
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Aufmerksamkeit zu setzen. Na dann mach ich mich heute Vor-
mittag mal daran alles aufzutrennen. Ich freue mich schon auf
morgen Abend.
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Leiden an sich nicht existiert. Nur das Ego kann leiden. Doch
der Bodhisattva weiß, dass es kein eigenständiges Ego gibt. Er
weiß, dass er der größte Verlierer unter dem weiten Himmel ist.
Er hat alles verloren, selbst die Illusion eines Egos mit all seinen
Wünschen, Begierden und Leidenschaften. So überwindet er alle
Leiden und hilft den Menschen, ihre Leiden zu verringern mit
allem ihm dazu verfügbaren Mitteln.
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müsste ich jeden Tag Zazen sitzen und dies zum wichtigsten in
meinem Leben machen? Aber ich merke, wie ich Zazen reduzie-
re und beenge. Ich reduziere Zazen zu einem Mittel, um im
Satori-Bewusstsein bleiben zu können oder hinein zu kommen.
Ich glaube, dass dies ein fataler Fehler von mir ist!
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Samstag, 06. August 2011
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Gelebte Achtsamkeit
Zurzeit sitze ich jeden Morgen um 5:30 Uhr Zazen. Ich bilde
mir auch ein, dass „es“ wieder passiert. Meine Gedanken verän-
dern sich. Gestern zum Beispiel hatte ich einen sehr schwierigen
Kunden. Im Gespräch nahm ich meine unbewussten negativen
Gedanken war und dann dachte ich „Sie ist ebenfalls Ausdruck
der Leerheit. Sie ist Teil des göttlichen Prinzips. Ihre Art zu sein,
zu denken und zu handeln entstand durch wechselseitige Ab-
hängigkeit!“ und durch diesen Gedanken, war es mir möglich
tief zu verstehen, sie anzunehmen und Mitgefühl mit ihr zu ha-
ben. Auf diese Weise war das Gespräch mit Ihr sehr angenehm
und es freute mich sehr, dass ich ihr weiterhelfen konnte. Ich
glaube, es war der Dalai Lama der gesagt hat: „Du kannst die Tat
verurteilen, aber nicht den Täter.“ So ist selbst ein Mörder ohne
Selbst, ohne ein festes aus sich selbst heraus existierendes Selbst.
Seine Handlungen und Taten sind schlussendlich auch leer! Na-
türlich ist es nicht gut was er tut, aber in Ku löst sich die Tren-
nung auf, man spürt die Einheit von allem und es entsteht ech-
tes Mitgefühl! Wenn wir eine Situation oder einen Menschen der
uns ärgert und stört tiefer wahrnehmen und wirklich hinsehen,
erkennen wir den Buddha in ihm. Die meiste Zeit aber schauen
wir andere Menschen doch nur oberflächlich an. Wir sehen eine
Person und glauben, dieser Mensch hätte sich ausgesucht so zu
sein wie er ist. Wir glauben, wenn er ein schlechter Mensch ist,
wäre das seine bewusste Entscheidung gewesen. Aber wie könn-
te das sein? Von Geburt an sind wir geprägt. Es stimmt, dass
Kinder mit einem bestimmten Temperament auf die Welt kom-
men, aber haben sie sich ihr Temperament etwa ausgesucht?
Haben Sie sich bewusst dazu entschlossen oder sind es vielmehr
die Gene der Eltern, die das Gehirn und damit den gesamten
Hormonhaushalt auf eine bestimmte Art und Weise beeinflus-
sen? Wenn ich eine Entscheidung treffe, dann sind meine ge-
samten Prägungen und alle Konditionierungen, die ich in mei-
nem Leben erfahren habe, an dieser Entscheidung beteiligt. Ich
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kann mich nur für das Gute entscheiden, wenn ich gelernt habe,
was gut ist.
Ich bin aufgeregt wie ein kleines Kind vor einer großen Reise. In
freudiger Erwartung der Dinge, die da kommen. Heute findet
der erste Zazen-Tag in Herborn statt. Unglaublich wie viel Or-
ganisation und Vorbereitung dazu notwendig ist. Ich habe ges-
tern Abend bestimmt drei Stunden Guen Mai, das ist die traditi-
onelle japanische Reissuppe, gekocht und Körbe für heute ge-
packt. Wenn ich es schaffe, schreibe ich heute Abend wie es war!
Habe die ganze Woche regelmäßig und intensiv gesessen, aber
ich merkte wie stark ich an dem Erlebnis vom Sesshin anhafte
und es noch immer tue. Vielleicht stelle ich diese Frage heute
beim Mondo? Wahrscheinlich lautet die Antwort:
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LOSLASSEN
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22. August 2011
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nach oben auf dem Boden ab. Dann führe ich meine Stirn zum
Boden und hebe anschließend die Unterarme mit den Händen
am Kopf vorbei Richtung Himmel, wobei die Ellenbogen am
Boden bleiben. Ursprünglich sollte dies das Berühren der Fuß-
sohlen Buddhas symbolisieren, was ich selbst aber nicht ganz
nachvollziehen kann. Für mich ist Sampai eine Geste mein Ego-
Ich loszulassen und mich der Allmacht Gottes oder buddhistisch
gesprochen der Leerheit anzuvertrauen. Nach dem Motto
„Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe.“ übergebe ich
mich selbst der Leerheit und lasse mein Ego hinter mir, ohne es
zu zerstören. Nun, wie auch immer. Der Mönch aus Frankfurt
hat mir heute ein erstes Feedback zu meinem Buch gegeben. Er
schrieb „Es wäre schön, wenn viele Menschen die mit Zen be-
ginnen dieses Buch lesen würden, da es so ehrlich und persön-
lich geschrieben ist.“ Ich selbst kann zurzeit nicht einmal mehr
meine eigenen Worte verstehen oder besser gesagt fühlen und
bin darüber sehr frustriert. Die Wahrnehmung der letzten Wirk-
lichkeit, die Wahrnehmung der Leerheit und des Verbunden
seins mit allem, ist kein Verstehen mit dem Kopf, kein begriffli-
ches oder intellektuelles Denken. Daher spielt es für den Zen-
Weg keine Rolle ob Du Dich für schlau oder dumm hältst, ob
Du schon viele Texte studiert oder gerade erst mit dem Zen an-
fängst. Vielleicht ist es sogar besser, wenn Du gerade zu Beginn,
so wenig wie möglich gelesen hast oder liest. Mich persönlich
haben die Texte zu Beginn eher verwirrt und unnötige Illusionen
geschaffen. Dazu fällt mir eine Geschichte ein:
Ein junger Mönch kam zum Meister und sagte er wolle Zen ler-
nen. Der Meister sah ihn an und fragte, was er schon über den
Weg wissen würde und der Schüler antwortete begeistert: „Ich
habe alle Bücher über Zen gelesen, die ich auftreiben konnte.
Manche habe ich sogar zweimal gelesen. Darüber hinaus habe
ich mich mit den alten buddhistischen Texten beschäftigt und…
Der Meister schlug die Hände über dem Kopf zusammen und
weinte: „Oh nein, oh nein, oh nein! Dann müssen wir ja ganz
von vorne anfangen und diesen ganzen Mist zunächst aus Dei-
nem Kopf bekommen!“
66
Auch wenn ich schon zu Beginn diese Geschichte gelesen habe,
hat mich das leider nicht daran gehindert viele Texte zu lesen.
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Zen kein Ver-
ständnis durch Worte und Buchstaben ist, sondern nur eigene
reine Erfahrung durch die Praxis von Zazen. Ich wünsche allen,
die dieses Tagebuch irgendwann einmal lesen und den Weg ge-
hen, dass Sie aus meinen Fehlern lernen und die Texte völlig ig-
norieren oder sich von einem Zen-Meister entsprechende Litera-
tur empfehlen lassen. Alles andere ist pure Zeitverschwendung.
Sehe ich das richtig, dass das Sitzen ohne Erwartung mit einem
Geist der mushotoku ist, zu einer ähnlichen Zermürbung des
Egodenkens führt, wie bei Rinzai das Koan? Irgendwann bricht
das Konzept „Ich“ aufgrund der Zweifel über die Sinnhaftigkeit
zusammen und wir können endlich wirklich in der tiefe loslas-
sen? Sehe ich das richtig, dass der Bodhisattva auf seine Erlö-
sung/Nirvana verzichtet, da er sich nicht zurückgezogen wie ein
Einsiedler verhält, sondern aufgrund seines großen Mitgefühls
mit den Wesen in den Alltag zurückkehrt, in dem die teilweise
Verschmelzung mit dem Ego und die Anhaftung fortbesteht?
Sehe ich das richtig, dass die körperliche Wahrnehmung und das
Fühlen des Satori, der letzten Wirklichkeit eine Art chemische
und hormonelle Reaktion in unserem Gehirn ist, welche zwar als
Normalzustand bezeichnet werden könnte, jedoch aufgrund un-
serer Lebensweise, unserer Anhaftung und unseres Alltags über-
lagert wird vom Glauben an ein beständiges aus sich selbst her-
aus existierendes „Ich“?
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bist!“ Ich merke, dass ich heute ganz schön im Schreibdrang bin.
Habe eine Woche nicht gesessen, da ich das Gefühl hatte wieder
dogmatisch zu werden. Gestern Abend war dann Zen in der
Gruppe in Herborn und auch wenn wir nur zu dritt waren, war
es ein schöner Abend. Ein wichtiger Gedanken ging mir gerade
durch den Kopf und ich hielt es für wichtig diesen aufzuschrei-
ben:
68
schaften wie zum Beispiel der Familie muss es, Erleuchtung hin
oder her, zwangsläufig zu Konflikten kommen. Die Frage ist
nicht, wie verhindere ich durch das Erwachen allen Ärger und
alle Konflikte, sondern wie gehe ich mit ihnen um. So kann ein
spiritueller Freund Dein Partner sein, der, obwohl er selbst nicht
praktiziert, Dir als Spiegel Deines eigenen begrenzten Geistes
dienen kann.
Bin seit einer Woche krank, schlafe viel und lasse meinen Kör-
per ausruhen. So finde ich Zeit mir die Gespräche mit dem Zen-
Meister aus der Grube Louise, der während des letzten Sesshins
einen Workshop zum Thema „Narganjuna und der Weg der
Mitte“ gehalten hat, auf CD anzuhören. Im Grunde geht es
doch immer um das Eine: Loslassen und wieder Loslassen!
Dennoch habe ich durch das Hören der Gespräche verschiedene
Aspekte von Nargajunas Lehre gehört und finde diese sehr inte-
ressant. Gerade in Bezug zu meiner Erfahrung auf diesem
Sesshin. Er sagt zum Beispiel, dass Nargajuna mit keinem seiner
Sätze eine neue Idee schafft. Vielmehr zertrümmert er jegliche
gedankliche Vorstellung. Folgende Punkte finde ich besonders
interessant:
1. Der Sohn ist die Ursache des Vaters, denn ohne den
Sohn, gäbe es ja auch keinen Vater. Die Bezeichnung Va-
ter entsteht erst mit der Geburt des Sohnes. Gleichzeitig
ist der Vater aber die Ursache des Sohnes. Folglich ist der
Sohn eigentlich der Vater, also die Ursache, der Bezeich-
nung des Vaters. Nargajuna will hiermit das Anhaften an
Ursachen und dem Begriff der Bedingungen zerstören.
Buddha lehrte das Gesetz von Ursache und Wirkung. Da
aber keine Ursache aus sich selbst heraus entsteht, gibt es
keine Ursachen. Denn jede Ursache ist lediglich die Wir-
kung vorangegangener anderer Ursachen, die wieder an-
dere Ursachen hatten. Schlussendlich könnte man sogar
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sagen, dass die Ursache, die Ursache der Ursache ist, oh-
ne dass es jemals einen Anfang gab.
70
mit dem Erlebten. Das Erleben von Bewusstsein beinhaltet die
Vorstellung der Dualität, einer Trennung zwischen Subjekt und
Objekt.
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sagen, dass bereits hier durch Gefühle bestimmte Verhaltenswei-
sen und Muster entstehen und daraus resultierend ein Verlangen.
Bezogen auf unser Leben entscheiden unsere unbewussten Ge-
danken und Gefühle über unser Verhalten.
Geburt: Durch die Geburt beginnt der Kreislauf von neuem und
wir erleben Alter, Krankheit und Tod. Auf einer subtileren Ebe-
ne erleben wir den ständigen Wandel der Unbeständigkeit. Alles
verändert sich und ist der Vergänglichkeit unterworfen. Die Ge-
burt ist die Ursache für ->
Stell Dir vor wie der Buddha in Zazen saß und eine Antwort auf
die oben genannte Frage suchte. Was ist die Ursache von Alter
und Tod? Die Geburt ist die Ursache von Alter und Tod. Was
aber ist die Ursache der Geburt? Und so weiter und so weiter.
Aus meiner Sicht heraus bezeichnet Geburt ein Werden im
ständigen Wandel der Unbeständigkeit. Das bedeutet, dass wir in
jedem Augenblick neu geboren werden, aufgrund der inneren
und äußeren Einflüsse, in jedem Augenblick ein anderer Mensch
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sind, bezogen auf unsere Gedanken, Gefühle, Wahrnehmung
und Bewusstsein. Und selbst unser Körper ist dem ständigen
Wandel in Form des Gasaustauschs in der Lunge, der Zirkulati-
on unseres Blutes und dem Absterben von Hautschuppen un-
terworfen. Im Zen wird, im Gegensatz zum allgemeinen Bud-
dhismus, aber auf die direkte Erfahrung der Leerheit hin gewie-
sen und nicht auf die Spekulation eines Lebens nach dem Tod
oder einer Wiedergeburt. Hier und jetzt sollen wir die Wahrheit
verwirklichen. Alle spekulativen Überlegungen und jede Form
des begrifflichen Denkens muss zwangsläufig zu Verwirrung
und Leiden führen. Aus Sicht der relativen Wirklichkeit geht es
doch bei der Verkettung um folgendes: Wahrnehmung über die
Sinnesorgane löst, die seit unserer Zeugung entstandenen ge-
danklichen Verhaltensmuster, und damit eine ganze Flut von
Gefühlen und Handlungen aus, von denen wir die wenigsten
wirklich bewusst tun. Jemand äußert uns gegenüber Kritik und
völlig automatisch fühlen wir uns angegriffen, mit den dazu ge-
hörigen Gefühlen und Verhaltensweisen. Was aber wäre, wenn
wir diese Kette unterbrechen könnten und die Kritik zunächst
im Licht der Weisheit betrachten würden? Vielleicht erkennen
wir dann den eigentlichen Grund hinter der Kritik oder sind
sehr dankbar, weil wir etwas dazu lernen können. Unser Verhal-
ten muss nicht zwangsläufig von unserem Ego-Ich gestaltet
werden, sondern kann mit Weisheit und Achtsamkeit unser Lei-
den auf der relativen Ebene des Verstehens minimieren.
Schlussendlich gesehen gibt es zwar die gedankliche oder ge-
fühlsmäßige automatische Reaktion auf die Kritik, aber es gibt
im Grunde niemanden der diese Reaktion hat. Das illusionäre
„ich“ entsteht lediglich durch einen Gedanken wie zum Beispiel
„Ich werde angegriffen und kritisiert.“ In Wahrheit gibt es da
niemanden der kritisiert wird. Das ist lediglich ein Gedanke der
genauso von alleine entsteht und vergeht wie alles andere auch.
Das Resultat dieser Einstellung ist pure Gelassenheit im Augen-
blick.
73
ist der Rhein!“ Doch in Wahrheit gibt es da keinen Rhein.
Denn der Rhein den wir gerade noch gesehen haben, ist
im nächsten Moment schon fort. Das Phänomen Rhein
ist in Wahrheit ständig in Bewegung. So ist unser mensch-
liches Bewusstsein und unser Ego ebenfalls nur ein flie-
ßender Prozess aus Gedanken, Wahrnehmungen, Gefüh-
len etc. und ständig in Bewegung. Es gibt nichts das man
festhalten könnte!
74
Donnerstag, 08. September 2011
Eine große Frage hinsichtlich des Zen bleibt nach wie vor unbe-
antwortet. Wie lebe ich aufgrund der Erfahrung von Ku und
Shiki? Was denke ich persönlich bezüglich des Weges im Alltag?
Wie möchte ich meinen Tag organisieren, um einen aufmerksa-
men Geist zu bewahren und im Mushotoku-Geist zu handeln?
Den Geist des morgendlichen Zazen in den täglichen Handlun-
gen bewahren. Eines nach dem anderen machen. Wie heißt es in
einer Zen-Geschichte: Der Schüler fragt: „Was ist die Essenz
des Zen?“ und der Meister fragt zurück: „Hast Du heute schon
gegessen?“ „Ja!“ „Dann geh Deine Schale spülen“ sagt der Meis-
ter. Und ich denke das ist es! Eines nach dem anderen tun. Jedes
folgt auf das voran gegangen. Wenn die Achtsamkeit bewahrt
bleibt, fließt eine Handlung des Alltags in die Nächste. Die Ge-
schichte lässt sich allerdings auch noch anderes interpretieren.
Da die alten Zen-Meister nie Worte wie Erleuchtung, Satori,
Buddha-Natur oder ähnliche spirituell angehauchte Worte ver-
wendet haben, nutzten Sie dafür Begriffe des alltäglichen Le-
bens. Ein Wort wie Satori oder Erleuchtung erschafft bei einem
Schüler sofort eine ganze Welt von Vorstellungen, Konzepten
und Ideen. Aus diesem Grund haben die alten Meister nie solche
Worte verwendet, sondern den Schülern mit Worten aus dem
alltäglichen Gebrauch auf den Grad seines Erwachens hin ge-
prüft. Die meisten Koan sollten unter diesem Aspekt gesehen
werden, um sie zu lösen. In einem Koan, den hauptsächlich im
Rinzai-Zen verwendeten paradoxen Rätseln, geht es immer um
die Wahrnehmung der phänomenalen und wesenhaften Wirk-
lichkeit. Mit dem Satz „Hast Du heute schon gegessen?“ könnte
der Meister also auch gefragt haben, ob der Schüler schon die
Erleuchtung gekostet hat. „Dann geh Deine Schale spülen!“
würde dann bedeuten, das Erlebte ganz loszulassen. Und genau
das hat der Meister zu mir auf dem Frühjahrslager auch gesagt!
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Die Kunst des Loslassens
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kleine Punkte mit Nadel und Faden steche, entsteht auf der an-
deren Seite eine saubere Linie aus kurzen Strichen. Es gibt keine
Trennung zwischen Vorderseite und Rückseite, obwohl beide
anders aussehen und sich unterscheiden, sind sie trotzdem eins.
Dies gilt genauso für Ku und Shiki. Es besteht keine Trennung
zwischen der Leerheit und den Phänomenen. Beides ist nicht
nur gleichzeitig da, sondern ist ein und das Selbe. Ohne die Vor-
derseite des Rakusu, gäbe es keine Rückseite. Wenn Du irgend-
wann einmal Dein eigenes Rakusu nähen solltest, bitte ich Dich
schon jetzt, auf diesen Punkt zu achten. Für mich war es ein be-
sonderes Erlebnis. Nicht nur bezogen auf die oben gemachten
Angaben. Es gab noch viele andere Parallelen zur Lehre. Viel-
leicht ist das der Grund warum jeder sein Rakusu selbst nähen
sollte. Es ist ein Teil des Weges, bezogen auf die Reihenfolge der
einzelnen Arbeitsschritte und nicht einfach nur Tradition. Es
lehrt Dich sehr viel über den Zen-Weg.
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und Jetzt widmen. Was ich seit dem erkannt oder glaube erkannt
zu haben:
78
Zen und Alltag
Bis vor zwei Tagen habe ich lediglich donnerstags in der Gruppe
Zazen gesessen. Irgendwie fehlte es mir an Motivation morgens
um 5 Uhr aufzustehen um 40 Minuten zu praktizieren. Mein All-
tag war dementsprechend chaotisch, lethargisch und unharmo-
nisch. Bereits am ersten Tag der wieder gewonnenen Motivation
und dem morgendlichen Zazen fühlte ich mich rund und war im
Alltag deutlich ausgeglichener. Im E-Mail Austausch mit zwei
Nonnen aus Solingen und Trier, habe ich einen Satz im Kopf
behalten: Der Alltag kann ebenfalls ein Sesshin sein. Manchmal
schwer, manchmal leicht, manchmal freudig, dann wieder de-
primierend. Wie also kann ich meinen Alltag wie ein Sesshin
praktizieren? Aufgefallen ist mir zunächst einmal, dass fernsehen
und unaufmerksame Handlungen, gerade beim Essen und die
täglichen Kleinigkeiten meinen Geist trüben und verwirren. Was
also schließe ich daraus und worauf sollte ich mehr achten? Wo
kann ich gelebte Achtsamkeit praktizieren? Ob es möglich ist
den Zen-Geist, also das Hishiryo-Bewusstein und Mushotoku
im normalen Alltag zu leben? Bei einem Taisho auf CD, habe
ich gestern gehört, dass das Leben im Samsara, ohne Anhaftung,
Nirvana bedeutet. Es gibt dem Werde-Kreislauf der 12 wechsel-
seitigen Ursachen eine andere Dynamik, wenn wir uns an den
Gelübden des Bodhisattva orientieren. Dies sollte das einzige
Motiv sein zu praktizieren und gibt dem Leben einen völlig neu-
en, tieferen Sinn. „So zahlreich die Wesen auch sind, ich gelobe
Sie alle zu befreien.“ Ist das erste Gelübde des Bodhisattva.
Doch wie kann dies im Alltag gelebt werden? Die meisten Men-
schen jammern lieber, als dass sie einen Weg wie dem des Zen
folgen. Auch das Zuhören, gerade beim Jammern der Menschen
in meiner Umgebung, ist das Praktizieren dieses Gelübdes.
Doch wie kann ich es schaffen, dass ich zuhöre, ohne dabei das
Gefühl zu haben, dass es für mich anstrengend und Energierau-
bend ist? Mein Meister würde mir vermutlich antworten, durch
einen Geist der Hishiryo und Mushotoku ist. Wenn ich mit mei-
79
nem Geist beim Zuhören schon woanders bin, wird´s anstren-
gend. Völlig präsent zu sein und Aufmerksamkeit praktizieren,
lächeln, reden lassen, ohne zu missionieren oder zwanghaft hel-
fen zu wollen, könnte eine Möglichkeit sein. Wenn es mir mög-
lich wäre den Menschen ohne Beurteilung zuzuhören, wie ich es
beim Zazen mit meinen eigenen Gedanken mache, könnte das
vielleicht die Lösung sein.
80
Freitag, 16. Dezember 2011
Heute habe ich ein Kusen von meinem Meister gehört, bei dem
es um die Schule des Nordens und des Südens, zu Zeiten Meis-
ter Sekitos ging. Die eine Schule hat ein graduelles, die andere
ein plötzliches Zen unterwiesen. Meister Sekito schreibt im
Sandokai: „Auf dem Weg Buddhas gibt es weder Schule des
Nordens, noch Schule des Südens!“ Das ist das „Kai“ von San
Do Kai. Die Bezeichnung Sandokai bedeutet übersetzt so viel
wie „Durchdringung von Essenz und Erscheinung“ bezogen auf
die relative und letzte Wirklichkeit oder die Wahrnehmung der
phänomenalen und wesenhaften Welt. Beide Schulen zu verei-
nen ist der rechte Weg. Beide Ansichten durchdringen einander
und beeinflussen sich gegenseitig! Graduell meint ein Schrittwei-
ses beseitigen der Bonno, der Leidensursachen und gedanklichen
Vorstellungen. „Plötzlich“ meint die Erfahrung, die ich beim
letzten Sesshin im Frühjahr machen durfte. Durch die Erfahrung
der intuitiven Wesensschau können alle Bonno gleichzeitig los-
gelassen werden. Dies entspricht auch meiner Erfahrung, wäh-
rend dem Erlebnis. Aber: Wenn diese Erfahrung nicht durch das
weitere Bemühen, also die Praxis der schrittweisen Beseitigung
der Bonno im Alltag durch Zazen weiter vertieft wird, bleibt es
nur ein intellektuelles Verständnis. Dies führt wiederum zu An-
haftung und Leiden. Ich nehme an mir selbst wahr, wie schwer
es mir fällt diese mickrige Erfahrung loszulassen. Ich möchte
dieser Erfahrung wieder machen, möchte sie täglich aktualisie-
ren. Doch zurzeit sitze ich zwar täglich, aber nichts passiert. Wa-
rum fällt es so schwer loszulassen, obwohl man bereits völlig
losgelassen hat? Aus dem oben genannten Grund habe ich für
die erste Hälfte des kommenden Jahres regelmäßige Zen-
Veranstaltungen geplant. Im Januar geht’s zum Sesshin in die
Grube Louise, im Februar organisiere ich einen Zazen-Tag vor
Ort und Ende Februar gibt es ein Nähwochenende in Solingen.
Im März bin ich dann für sieben Tage in Solingen zum
Bodhisattva-Workshop mit anschließender Ordination.
81
Donnerstag, 12. Januar 2012
Mein erstes Winterlager. Ich freue mich schon sehr drauf! Mein
größter Fehler besteht in meinen Erwartungen, die, wie soll es
anderes sein, auch nur aus Konzepten und Vorstellungen beste-
hen. Ständig vergleiche ich mein Jetzt mit einer Erfahrung, die
schon so viele Monate zurück liegt. In Wahrheit gibt und gab es
nie eine Vergangenheit oder eine Zukunft. Was wir Vergangen-
heit oder Zukunft nennen, sind lediglich Gedanken und Vorstel-
lungen in unserem Kopf. Wenn Du mir nicht glaubst, dann zei-
ge mir jetzt die Vergangenheit. Zeigst Du mir ein vertrocknetes
Blatt und sagst mir, dass es einmal grün war, bestätigst Du damit
nur was ich eben geschrieben habe. Das Blatt ist jetzt in diesem
Augenblick vertrocknet, die Behauptung es war einmal Grün ist
nur eine gedankliche Vorstellung in Deinem Kopf. Wir können
Zeit empfinden, da wir den Augenblick jetzt mit Erfahrungen
aus der unmittelbaren Vergangenheit vergleichen. Wenn ich jetzt
hier am Computer sitze und tippe, gerade eben aber noch in der
Küche war, dann ist das in der Küche-gewesen-zu-sein nur noch
eine Erinnerung und nicht Wirklich. Im Vergleich dieser beiden
Wirklichkeiten aber entsteht das Gefühl von Vergangenheit und
Gegenwart. Aber: Es gibt immer nur den Augenblick jetzt als
wirklich realen Moment. In der Erfahrung der Einheit gibt es
dieses Zeitempfinden nicht mehr. Alles ist ein ewig andauerndes
Jetzt.
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ersten Tag saß ich noch recht gut. Doch schon am zweiten Tag
hatte ich heftige Schmerzen in den Beinen. Nachdem ich beim
Kyosaku-Workshop auf einem sehr weichen Kissen saß, machte
ich mein Kissen auch etwas weicher, indem ich einen Teil des
Kapok rausnahm: Fehler Nr. 1! Denn jetzt war mein Kissen zu
niedrig und da ich Pfeiler war, das sind die Personen die etwas
früher als die anderen im Dojo sitzen und die anderen sozusagen
begrüßen, wollte ich mich nicht bewegen und habe die Schmer-
zen einfach durchgesessen: Fehler Nr. 2! Anstatt den Einsteigern
als Vorbild zu dienen und die Haltung aufzulösen, wenn es eben
nicht mehr geht und ich mich mehr auf den Schmerz als auf das
Zazen konzentriere, blieb ich in meiner Haltung bis mir vor
Schmerzen schlecht wurde. Eine der Nonnen sagte zu mir, als
ich ihr davon erzählte: „Thorsten, hör endlich auf zu kämpfen!“
Wie gesagt zeigte sich in keinster Weise diese unglaubliche
Wahrnehmung vom Frühjahrslager. Es kann also nicht darum
gehen möglichst lange Schmerzen auszuhalten, weil dann ir-
gendwelche Endorphine das Gehirn überfluten. Es muss etwas
anderes sein! Im Dokusan mit dem Zen-Meister bestätigte er
meine Vermutung, dass ein Bodhisattva auf das Nirvana verzich-
tet, weil er sich immer wieder mit vollem Elan ins Samsara wirft.
Das bedeutet, er bleibt nicht im „Nirvana-Zustand“ des Eins-
seins, um den Wesen im Alltag zu helfen ebenfalls diesen Weg
gehen zu können. Er praktiziert mitten im Alltag das große Los-
lassen. Ganz ehrlich, wenn alle Menschen Bodhisattvas werden
würden und keiner im leidfreien Zustand bleibt, welchen Sinn
hat der Weg dann? Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich
während meiner Erfahrung so voller Mitgefühl und Freude war,
dass ich dachte, ich möchte die ganze Welt umarmen. Aber diese
Wahrnehmung war genauso unbeständig wie alle Phänomene.
Alles was einen Anfang hat, muss zwangsläufig auch ein Ende
haben. Aber was bleibt, wenn Du hinter die Unbeständigkeit
blickst? Wer ist der Beobachter Deiner Gedanken und Gefühle
während des Zazen? Wer oder was beobachtet das Bewusstsein?
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Donnerstag, 09. Februar 2012
84
bote übergeben nach denen man sich gefälligst zu richten hatte.
Nach wie vor stören mich diese neuen „Regeln“! Plötzlich geht
es nicht mehr um das Erwachen und um das Mitgefühl mit allen
Wesen, sondern um Gehorsam und Gebote! Das ist nicht mein
Weg! Selbstverständlich sind die Gebote Ausdruck des Erwa-
chens. Doch in diesem Sinne gibt es beim Gebot „Nicht steh-
len“ kein Subjekt und kein Objekt. Wer soll wem was gestohlen
haben, wenn es keine Trennung gibt? Ich gebe dem Zen-Meister
Recht, wir hätten fragen müssen und uns allen fehlte in diesem
Augenblick Achtsamkeit und Weitsicht. Auch weil mir am
nächsten Tag jemand sagte, dass er trockener Alkoholiker ist.
Ups! Aber sind für begangene Fehler, deren wir uns nicht be-
wusst waren, ja sogar nicht bewusst sein konnten, wirklich ver-
antwortlich? Wie hoch ist der Grad unserer Verantwortung
überhaupt wenn, wie es im Reuevers lautet: „Alles schlechte
Karma, also Handlung im Ursache-Wirkungsprinzip, das auf-
grund der wechselseitigen Wirkung ohne Anfang ist, bereue ich
jetzt.“ Wir sind nur das Produkt wechselseitiger Einflüsse ver-
schiedenster Faktoren. Die Ursache der Ursache und die Ursa-
che dieser Ursache führen niemals zu der einen ersten Ursache.
Es gab nie einen Anfang wie es auch im Hannya Shingyo heißt.
Oder fängt unsere Verantwortung in dem Augenblick an, indem
wir uns darüber bewusst werden, dass es keine Trennung gibt
oder wir die Gebote empfangen? Fragen über Fragen die ich
beim Bodhisattva-Workshop im März im Mondo oder Dokusan
stellen kann. Und wie wäre es damit: Ich finde meine eigenen
Antworten. Nicht „Was ist richtig und was falsch?“ Sondern
„Was ist für mich richtig und was ist falsch?“ Führt der Zen-
Weg mich am Ende zu der Erkenntnis, dass niemand besser als
ich über mich selbst und meine falschen Konzepte Bescheid
wissen kann? Bedeutet es ein unabhängiger Mensch zu sein, sich
sein eigenes Urteil zu bilden? Weisen einen die Zen-Meister di-
rekt oder indirekt immer wieder ab und zu einem selbst zurück
um uns zu zeigen, dass die tiefe Wahrheit nur in uns selbst ent-
deckt werden kann?
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Der Weg des Bodhisattva
Es ist Abend und ich schreibe schon zum zweiten Mal ins Tage-
buch. Ab heute starte ich damit, mich schriftlich mit der Ordina-
tionszeremonie auseinander zu setzen, wie es im Arbeitsbuch
beschrieben ist. Um ehrlich zu sein kommt mir das Arbeitsbuch
vor wie Seminarunterlagen und die ganze Ordination verliert ir-
gendwie an Spiritualität. Aber es ist ein neuer erster Schritt auf
einer ganz besonderen Reise. Einer Reise zu mir selbst. Einer
Reise zu der Person, die ich war und der Person, die ich sein
möchte. Spielt es eine Rolle welcher Meister mich ordiniert? Im
Grunde geht es doch darum einem Weg zu folgen und nicht ei-
nem Meister. Folgen wir nicht schlussendlich alle der einen sel-
ben Sache? Die Frage bei welchem Meister ich mich ordinieren
lassen sollte, beschäftigte mich sehr. Zu viele Gedanken erschaf-
fen zu viele Probleme. Einfach nur Zazen sitzen und aus dem
Bauch entscheiden.
86
ren Folgen beeinflussen. Die meisten Taten aus Gier, Hass und
Verblendung hatten im Grunde Folgen für mich und mein
Karma. Daran werde ich in Zukunft arbeiten. Die Situationen in
denen ich wirkliches Leid verursacht habe, würden beim nach-
träglichen Versuch dieses zu verringern, nur alte Wunden aufrei-
ßen. In der Tat denke ich, in meinem Leben, anderen Menschen
wenig Leid zugefügt zu haben. Hänseleien in der Schule, das
Knacken eines Kaugummiautomaten, die ein oder andere Lüge.
Viele Dinge tat ich in der Kindheit ohne die Folgen zu beachten
oder zu kennen. Die meisten geschahen aus zu wenig Weitsicht
und lassen sich nicht in die Kategorie Anhaften, Ablehnen und
Unwissenheit einordnen. Bei den Taten, bei denen ich mir wäh-
rend oder nach der Tat bewusst wurde, dass es nicht richtig war,
habe ich mich direkt entschuldigt, bereut und damit war es für
mich erledigt. Ich stelle fest, dass ich verzweifelt versuche mir
Taten, Worte oder Gedanken zu vergegenwärtigen, bei denen
ich bewusst oder unbewusst Leid verursacht habe. Aber im
Großen und Ganzen habe ich bisher ein Leben geführt, in dem
ich vermieden habe, anderen Menschen Leid anzutun. Das sollte
mich zufrieden stimmen, aber irgendwie bleibt ein fahler Nach-
geschmack. All das hat meiner Meinung nach recht wenig mit
Zen zu tun, oder doch? Müssen wir zunächst mit unserer Ver-
gangenheit abschießen, sozusagen aufräumen, bevor es weiter
gehen kann? Karma bearbeiten, auflösen oder uns dessen be-
wusst werden? Der nächste Arbeitsschritt bezieht sich darauf,
wie ich meine Praxis nach dem Ablegen der Gelübde gestalten
werde. Und dann soll man überlegen, wie man nach dem Able-
gen der Gelübde die Beziehung zur Sangha und zum Meister ge-
stalten möchte. Ganz ehrlich wird mir das alles etwas zu blöd.
Für mich persönlich stellt sich die Frage, wofür die Ordination
gut ist und ob diese ganzen Fragen nicht irgendwie aufgesetzt
sind. Fragen über Fragen! Vielleicht sollte ich wirklich anfangen
mir selbst zu vertrauen und anstatt einem äußeren Meister mei-
nem eigenen inneren Meister folgen?
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Montag, 13. Februar 2012
Nun gut, der nächste Schritt ist das Empfangen der Gebote. Ich
soll mir überlegen, welches Schlechte ich nicht mehr tun werde,
welches Gute ich tun werde und wem ich in Zukunft Gutes tun
möchte. Dies bezieht sich auf die drei reinen Gebote: Hört auf
Schlechtes zu tun, tut nur Gutes, tut Gutes für die anderen. Da-
zu kommen noch die zehn großen Gebote, die den christlichen
Geboten recht ähnlich sind. Die Gebote lauten:
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7. Nicht geizig sein. („Dai shichi fu ken hozai kai“). Es gibt
nichts, mit dem man geizen kann. Ein Satz, ein Vers, alle
Erscheinungsformen, eine Existenz, ein Erwachen – alle
sind die Buddhas und die Patriarchen.
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nauso zum Zen-Weg, wie die Erfahrung der Erleuchtung. Viel-
leicht ist das Letztere sogar nur Teil des Ersteren? Zurzeit lese
ich ein Buch mit dem Titel „Nach der Erleuchtung Wäsche wa-
schen und Kartoffeln schälen“ von Jack Kornfield, in dem es
um die Erfahrungen von Mystikern verschiedener Traditionen
nach ihrem Erwachen geht. Viele berichten nach Ihrem ersten
Erwachen von Zeiten der Reinigen und Integration der gemach-
ten Erfahrungen. Manch einer spricht auch von Depressionen,
bezogen auf das Ausrichten auf ein Ideal, dass niemals dauerhaft
sein kann und uns eher entmenschlicht, als uns zum wahren Er-
wachen zu führen. Sobald wir uns an einem gedanklichen Kon-
strukt wie „so muss ich sein“ festhalten, haben wir bereits den
Weg des Buddhas völlig verfehlt. Wir sind so wie wir sind voll-
kommen. Sonst wären wir anders! Aber dies in jedem Augen-
blick mit all unseren vermeintlichen Fehlern zu realisieren, ist
sehr schwer. Wir vergleichen uns mit anderen Menschen und
mit einer besseren Version von uns selbst, die es so nie gegeben
hat und geben wird. Wenn wir zu uns selbst erwachen und auf-
hören mit diesem Beurteilen und Vergleichen können wir wahr-
lich sagen, dass wir Schüler des Zen sind. Aber zurück zu den
Geboten im Zen. In der Erfahrung des „ewigen Augenblicks“,
aus der Sicht von Ku, sind all diese Gebote unwichtig. Aber ich
glaube verstanden zu haben, dass sie meinen Alltag harmonisie-
ren können. In der Erfahrung von Ku fällt es mir nicht schwer
mich selbst nicht zu bewundern bzw. zu erhöhen und andere
herabzusetzen. Doch im Alltag, aus der Sicht der relativen Wirk-
lichkeit nehme ich die Unterschiede wahr, die dazu führen, dass
ich mich von denen trenne, die mir einfach nicht in den Kram
passen. Nun gut! Nicht kritisieren wird ein Gebot sein, dass ich
mit der nötigen Achtsamkeit wohl verbal einhalten kann. Ge-
danklich ist es wie mit dem „sich selbst nicht erhöhen und ande-
re nicht herab setzen“. In der tiefen Erfahrung von Ku, der
Nicht-Getrenntheit, würde ich nicht auf die Idee kommen ande-
re zu kritisieren. Niemand hat sich selbst gemacht. Wer bin ich
also, dass ich jemanden kritisieren könnte? Sie alle sind Buddha-
Natur und sind nun einmal so wie sie sind. Ich kritisiere ja auch
nicht das Wetter, wenn es mal nicht so ist wie ich es als richtig
empfinde oder gerade gern hätte. Ich kritisiere auch keinen
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Baum, wenn er schief wächst oder eine Blume, wenn sie ihre
Farbe verliert. Warum also kritisiere ich andere Menschen? Zum
Teil weil sie nur reden um zu reden und um sich von sich selbst
abzulenken. Bedeutet im edlen achtfachen Pfad die rechte Rede
nicht auch das Unterlassen von Geschwätz? Wie kann ich ver-
hindern mich selbst zu bewundern und andere herab zu setzen
und Mitgefühl praktizieren? Ganz einfach! Indem ich in jedem
die Buddha-Natur entdecke und wahrnehmen lerne. Ich denke
um die anderen Gebote einzuhalten ist Achtsamkeit im Innen
und Außen von Bedeutung. Aber auch das Kennen der Gebote.
Dazu könnte ich die Gebote auf ein Transparent schreiben und
es irgendwo sichtbar aufhängen. Auch am Abend vorm zu Bett
gehen, könnte ich mir die Gebote im Hinblick auf den vergan-
genen Tag vergegenwärtigen. Aber irgendwie werde ich das Ge-
fühl nicht los, mich mitten in einem religiösen Konzept zu be-
finden. Ob alle Zen-Gruppen und Zen-Wege nach dieser syste-
matischen Vorgehensweise arbeiten? Irgendwie fehlt mir die in-
dividuelle Freiheit. Da fällt mir eine Zen-Geschichte ein:
Einmal saß ein weiser Zen-Mönch vor seiner Hütte in Zazen als
eine Frau aus dem Wald gelaufen kam und schrie: „Bitte helft
mir. Ein böser Mann verfolgt mich und will mich umbringen.
Versteckt mich in eurer Hütte.“ Der Mönch winkte sie in seine
Hütte und sie versteckte sich. Kurz danach kam ein Mann aus
dem Wald gelaufen, der wirklich sehr böse aussah. Er fragte mit
wilden Blick: „Hast Du hier eine Frau gesehen?“ Der Mönch
war nun in einer wirklichen schlechten Situation. Er hatte gelobt
niemals zu lügen oder die Unwahrheit zu sagen. Er hatte aber
auch gelobt allen Wesen zu helfen. Er sagte: „Ja, das habe ich.
Sie ist hier vorne in den Wald gerannt!“ Und der Mann lief in
den Wald.
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meiner Meinung nach, ein dem Zen-Weg zuwider laufendes Sys-
tem an vorgefertigten Aussagen. Für den Anfänger bestimmt
sinnvoll. Für alle die Leitlinien in ihrem Leben suchen auch.
Aber wer den Zen-Weg wirklich in der Tiefe verwirklichen
möchte, der sollte sich auf sich selbst verlassen können und
nicht blind irgendwelchen Geboten folgen. Nun, der letzte Ar-
beitsschritt besteht darin, sich mit dem eigentlichen Gelübde des
Bodhisattva auseinander zu setzen. Um den Geist des Erwa-
chens wach zu halten, werde ich regelmäßig Zazen praktizieren
und zwar im Sitzen, wie auch im Alltag. Zu Hause werde ich so
oft es geht morgens oder abends praktizieren. Um die Gelübde
zu behalten, könnte ich sie täglich rezitieren. Was die Gebote
angeht, so könnte ich mich abends selbst prüfen, welche Gebote
mir schwer fallen und welche leichter. Aber ist das notwendig?
Damit ich mit Freude praktizieren kann, ist eine funktionierende
Sangha vor Ort und der Kontakt zu anderen Sanghas wichtig.
Außerdem würde es mir vermutlich helfen wieder in die Erfah-
rung von Ku einzutauchen. Um andere für die Praxis zu begeis-
tern ist es förderlich, über Presse und Medien vor Ort Präsenz
zu zeigen. Ich glaube auch dieses Buch kann einem Anfänger
viele Fehler und Irrwege ersparen. Ich möchte ein glückliches
und erfülltes Leben führen und diese Lebensweise mit anderen
teilen. Ich glaube, dass Zen viele Antworten auf die Probleme
unserer aktuellen Zeit bieten kann. Diesen Weg möchte ich ge-
meinsam mit allen Wesen gehen. Mich mit der Sangha zu har-
monisieren ist vor allem auf den großen Sesshins möglich. Die
gemeinsame Praxis von dort aus in die Welt zu tragen, sehe ich
als den Sinn meines Lebens an. Anderen den Weg zugänglich zu
machen ist ein Punkt dabei. Manchmal habe ich eher das Gefühl
zu wenig zu tun. Dann nehme ich wieder wahr, wie andere mei-
ne Hilfe nicht verstehen oder nicht annehmen können. Ich
möchte bezogen auf den Weg ein guter Lehrer werden. Viel-
leicht möchte ich mit 50 oder 60 selbst Mönch werden und die
Dharma-Übertragung erhalten um andere auf ihrem Weg zu be-
gleiten? Und doch ergeben sich am Ende des Arbeitsbuches vie-
le Fragen für mich:
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1. Was bedeutet es den Weg Buddhas ganz zu verwirkli-
chen? Es ist doch schon alles vorhanden.
2. Sollten wir uns mit den Texten der alten Meister ausei-
nander setzen und diese studieren? Wozu?
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Das selbstlose Handeln und geben ohne Erwartung ist die
innere Haltung des Mushotoku.
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6. Weisheit bedeutet: Erkennen der Einheit im Getrennten.
Sie führt zur Wahrnehmung der letzten Wirklichkeit, in
der alle Gegensätze aufgehoben sind und unser dualisti-
sches Denken verschwindet. Erst aus dieser Weisheit her-
aus ist echtes Mitgefühl möglich. Weisheit kann aber
nicht erzwungen werden oder erzeugt werden. Sie zeigt
sich durch die regelmäßige Praxis auf dem Kissen und im
Alltag von allein und wir können Sie nur zulassen.
95
zu beobachten. Dies führt dazu, dass man ein bewusstes
Leben führen kann und gerade negative Phänomene in
sich selbst schon beim Entstehen in eine positive Rich-
tung zu lenken vermag.
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Zazen macht, dass wirklich nichts bringt, solange bringt euch
Zazen echt nichts!“ Also freue ich mich nun auf eine Praxiswo-
che des völligen Loslassens. Unbewusst, automatisch und völlig
natürlich. Ohne tun! Ich glaube, wenn wir uns beim Zazen ein-
fach nur völlig auf die Atmung konzentrieren und aller Energie
in die beste Haltung legen, dann geschieht loslassen ganz von
allein, unbewusst und natürlich. Zu glauben, wir müssten ir-
gendwas tun, das unser Zazen noch besser machen könnte,
führt zum Zweifel. Und dieser Zweifel hindert uns am Erwa-
chen. Es ist und bleibt die völlige Hingabe an Zazen, das völlige
aufgeben aller Ziele, Konzepte und Vorstellungen und das Ab-
schneiden aller Illusionen, unbewusst und natürlich. Wenn wir
uns trauen, und sei es nur für einen Augenblick, uns in die Tiefe
von Zazen zu stürzen oder in den reißenden Fluss des Samadhi
zu springen, kann es passieren, dass wir durch die völlige Aufga-
be alles erhalten. In diesem Sinne. Ich geh jetzt schlafen. Wird
bestimmt eine anstrengende Woche!
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Und dann kommt alles anders
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mäßige echte Praxis nicht viel wichtiger? Ok, ich trage mich in
die Linie der Weitergabe ein. Doch was genau gebe ich da wei-
ter? Wenn Zazen wirklich das Tor zu grenzenloser Freude ist,
warum fühle ich diese dann nicht wenn ich sitze? Für heute lau-
tet meine Entscheidung, dass ich in den nächsten Tagen regel-
mäßig Zazen praktizieren werde. Das heißt mindestens drei Mal
täglich für zweimal vierzig Minuten. Am Mittwoch gebe ich
dann dem Zen-Meister in Solingen Bescheid, ob ich am Sonntag
zur Zeremonie komme. Wenn es nur darum geht, das Rakusu
signieren zu lassen und dann zu tragen, spielt es keine Rolle wer
und wo dies gemacht wird. Doch um diese Entscheidung zu
treffen, müsste ich von der Richtigkeit der Weitergabe des We-
ges überzeugt sein und das bin ich zurzeit nicht. Vielleicht ist
mein aktueller Zweifel aber auch die beste Grundlage um die
Zuflucht zu nehmen? Habe ich vielleicht Angst vor einer Ent-
scheidung, die ich später bereuen würde? Doch selbst wenn ich
feststellen sollte, dass „Zen die größte Lüge aller Zeiten ist“ wie
Kodo Sawaki sagt, könnte ich mein Kissen und das Rakusu ein-
fach weg werfen und fertig. Oder? Ich habe doch schon einmal
die Wahrheit erfahren. Warum komme ich nicht wieder in das
Gefühl, dass dies mein Weg ist? Woher kommen diese Zweifel?
99
Nachwort zum zweiten Buch
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chen, das Gute vom Schlechten. Wie wir damit dauerhaft umge-
hen können beschreibe ich auf sehr persönliche Weise in mei-
nem dritten und letzten Tagebuch. Es sind seit den Tagebuch-
einträgen aus dem vorliegenden Buch schon wieder viele Mona-
te vergangen. Vollkommen authentisch und ungeschönt be-
schreibe ich darin die für mich wichtigsten Punkte der Praxis des
Zen. Der Titel meines letzten Tagebuchs „Sitzen ist für´n
Arsch“ bezieht sich auf den Aspekt, dass wir Zazen mitten im
Alltag leben müssen und wahrhaft und dauerhaft zu erwachen.
Wenn wir den Geist des Zazen nicht in den Alltag integrieren
und eine Trennung zwischen Alltag und Praxis schaffen wird
unser Zen mit der Zeit sehr frustrierend. Man könnte einen sol-
chen reinen Sitz-Dogmatismus auch als totes Zen bezeichnen.
Aber der Zen-Weg muss lebendig, mitten im Alltag praktiziert
werden, sonst verliert er all seine Kraft und verkommt zu einer
stillen Praxis, in der wir nach einer Erleuchtung gieren, die sich
so niemals im Alltag realisieren lassen wird. Nicht dass die Praxis
des Sitzens unwichtig wäre. Ich bin sogar davon überzeugt, dass
eine tägliche Sitz-Praxis von entscheidender Bedeutung ist. Aber
vor allem geht es um die Achtsamkeit mitten im Alltag. Ich
wünsche Dir von Herzen alles Gute auf Deinem Weg.
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Gewidmet meinen beiden
„Zen-Meistern“: meiner lieben Frau
und meiner einjährigen Tochter.
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Vorwort zum dritten Buch
Du magst auf Grund des Titels „Sitzen ist für´n Arsch“ denken,
ich hätte mich vom Zen-Weg getrennt. Das viele Sitzen mit ge-
kreuzten Beinen soll schlussendlich für nichts gut gewesen sein?
Nein, so ist es nicht! Aber so lange Du glaubst, dass Dir persön-
lich das Sitzen mit gekreuzten Beinen einen wie auch immer ge-
arteten Nutzen bringt oder gar die große Erleuchtung, bist Du
vom wahren Weg weiter entfernt, als der Himmel von der Erde.
Was ich sagen möchte ist: „Sitzen ist für´n Arsch und stehen für
die Füße!“ Wenn Du Zen auf das Sitzen mit gekreuzten Beinen
in einem Dojo reduzierst, ist es völlig umsonst. Ein Zen-Weg
der nicht mitten im Alltag praktiziert wird, ist ein toter Weg.
Stehst Du aber auf Deinen eigenen Füßen mitten im Alltag, bist
Dir Deiner selbst völlig bewusst und achtsam auf die Phänome-
ne in Deinem Inneren wie auch im Äußeren, dann ist dies ein
sehr lebendiger und aktiver Zen-Weg. Es gibt Phasen des Rück-
zugs, Zeiten in denen Du Dich intensiver der Praxis im Hier und
Jetzt widmen kannst. Aber wenn Du es nicht schaffst diese
Geisteshaltung in Deinen Alltag zu integrieren und in jedem
Moment das tiefe Loslassen zu praktizieren, wirst Du Dich in
Deinen eigenen Illusionen verlieren. Nach meinen ersten beiden
Büchern „Auf der Suche nach Erleuchtung“ und „Auch Bud-
dhas rülpsen und furzen“ ist mein drittes Buch vermutlich das
provokanteste, denn es reduziert Zen auf seine für mich wesent-
lichen Aspekte. Schluss mit all den Zeremonien, den Ritualen
und dogmatischen sowie dualistisch-religiösen Glaubensvorstel-
lungen. Wo soll Zen Dich hinführen? Achtung, allein schon die-
se Frage führt Dich auf Glatteis. Du fängst an über eine Zukunft
nachzudenken, die es gar nicht gibt. Was Du als Zukunft oder
Vergangenheit bezeichnest sind nur Gedanken in Deinem Kopf.
Es gibt nur ein ewig andauerndes Jetzt. So kann auch das Erwa-
chen nur in diesem Augenblick, im Hier und Jetzt erfahren wer-
den. Jedoch gibt es in der Erfahrung niemanden mehr der er-
fährt, keinen Gegenstand der Erfahrung. Es gibt nur Sein. Nicht
mehr und nicht weniger. Und trotz ihrer Wichtigkeit ist die Er-
fahrung des Satori schlussendlich völlig nebensächlich. Im vor-
liegenden Buch beschreibe ich welche Punkte für mich persön-
106
lich auf dem Weg wichtig sind und waren. Dieses Buch ersetzt
aber weder die regelmäßige Praxis, noch die Teilnahme an
Sesshins oder die Begegnung mit einem wirklich erwachten
Meister. Wenn Du verstehst, dass Leerheit oder Buddha-Natur
lediglich Bezeichnungen für den einen Geist, für die eine
unaussagbare Wirklichkeit sind, gibt es nichts mehr, dass Dir
Angst machen kann. Wie es im Hannya Shingyo lautet: „Dank
dieser Weisheit haben Bodhisattvas einen Geist, der durch nichts
gehindert wird. Ohne Hindernis gibt es keine Furcht. Jenseits
aller Täuschungen realisieren sie das Nirvana.“ Ich bitte Dich
aus tiefstem Herzen zu verstehen, dass es absolut nichts zu er-
reichen gibt was nicht jetzt schon da ist. Du bist schon voll-
kommen. Du bist schon immer das was Du zu erlangen suchst.
Warum sehen es die Menschen nicht? Alle Phänomene sind leer
von einem eigenen, aus sich selbst heraus existierenden Sein
oder einer aus sich selbst heraus existierenden Bedeutung. Wie
viele Ursachen haben dazu beigetragen, dass Du jetzt dieses
Buch in Händen hältst? Jede einzelne dieser Ursachen war be-
dingt durch eine Vielzahl anderer Ursachen, die wiederum be-
dingt waren. Das ist das große Weltgesetzt, das der Buddha und
alle spirituellen Meister nach ihm erkannt haben. Nichts existiert
aus sich selbst heraus. Entfernst Du auch nur ein Staubkorn aus
dem Universum, würde alles in sich zusammen brechen. Wenn
aber alles die Wirkung und gleichzeitig die Ursache von allem
anderen ist, wer bist dann Du? Unser Charakter und unsere Per-
sönlichkeit, also unser Ego, setzen sich lediglich aus unterschied-
lichen Anteilen zusammen, wie ein Auto das sich aus Reifen,
Karosserie, Motor und Scheiben zusammensetzt. Deine Gedan-
ken, Deine Gefühle, Dein Körper, Deine Wahrnehmung und
auch Dein Bewusstsein, die sogenannten fünf Skandhas, wirken
auf die gleiche Weise. Alles ist leer! Was der Buddha Wiederge-
burt nannte entsteht in jedem Augenblick neu. Du wirst in je-
dem Augenblick neu geboren, entstehst neu aus einer Vielzahl
äußerer und innerer Faktoren. „Du wirst je nach Deinem Karma
in einer der sechs Welten wiedergeboren.“ heißt es im buddhisti-
schen Glauben. Damit sind aber keine fremden Welten jenseits
der unsrigen gemeint, sondern Dein Leben hier und jetzt in die-
sem Augenblick. Diese sogenannten Welten sind die Welt der
107
Höllenwesen, bezogen auf alle negativen Gefühle wie zum Bei-
spiel Wut, Hass und Zorn, die Dich erfassen und mitreißen. Die
Welt der hungrigen Geister, stellt eine Geburt oder besser ein
Entstehen einer Welt von Gier und Anhaftung da. Dabei spielt
es keine Rolle ob es um materielle oder spirituelle Dinge wie
zum Beispiel das Sotori geht. Die Tierwelt, ist die Welt der tieri-
schen Instinkte von denen wir getrieben werden. Wenn diese
Instinkte Überhand nehmen und wir zum Beispiel unkontrolliert
sexuelle Beziehungen führen, bedeutet das eine Wiedergeburt in
der Tierwelt. Die Menschenwelt, mit all ihren kleinen und gro-
ßen Sorgen, die allesamt auf der Anhaftung an ein Ego beruhen,
ist die Welt in der wir wohl die meiste Zeit „geboren“ werden.
Die Welt der kämpfenden Titanen ist eine Welt des ewigen
Kämpfens und Streitens. Es ist die Welt eines starken Egos, das
sich ständig behaupten muss und damit Leid für sich und andere
erzeugt. Die Welt der Götter bezeichnet die Wiedergeburt eines
Seins, dem alle Wünsche erfüllt werden. Es ist eine Welt von
Schönheit und Seligkeit. Wir vergessen aber leicht, dass auch
diese Welt vergänglich ist und somit über kurz oder lang Leiden
erzeugen wird. So bezeichnete das Wort Wiedergeburt, in der
Lehre des Buddhas keine Seelenwanderung. Ich bin davon über-
zeugt, dass dies ein großes Missverständnis ist. Wer oder was soll
denn Wiedergeboren werden, wenn es nie eine substanzhabende
Person, die aus sich selbst heraus existierend gab? Alles ist ewi-
ger Wandel innerhalb einer Unbeständigkeit, die unser Leben
lebenswert macht. Gäbe es diesen Wandel nicht, wäre die ganze
Welt wie eingefroren und statisch. Es gäbe keine Veränderung
und damit auch keine Befreiung vom Leiden. Leiden meint, dass
wir uns gegen diese natürliche Ordnung stellen. Immer wenn wir
leiden wissen wir, dass wir nicht im Einklang handeln und nicht
in der Verbundenheit verweilen. Wir können dann den Augen-
blick nutzen, um zu uns selbst zurück zu kommen. Und wenn
uns der Verstand eine Million Mal von uns selbst ablenkt, dann
kehren wir eine Million und einmal zu uns zurück. Ein anderer
zentraler Begriff des Buddhismus ist der des Karma. Im Bud-
dhismus sagt man, dass unser schlechtes Karma eine schlechte
Wiedergeburt verursacht. Was bedeutet das nun im Hinblick auf
die Leerheit allen Seins und das oben angeführte Verständnis der
108
Wiedergeburt? Alle unsere Handlungen sind Auswirkungen ver-
gangener Ursachen und gleichzeitig die Ursache für neue Hand-
lungen. Ganz einfach gesagt wenn ich heute Abend zu viel Al-
kohol trinke, werde ich morgen früh Kopfschmerzen haben.
Wenn ich mir dem Entstehen eines negativen Gefühls wie Wut
oder Hass nicht schon im ersten Augenblick bewusst bin und
das Gefühl loslasse, wird dieses Gefühl Überhand gewinnen und
schwer zu kontrollieren sein. Ich erlebe eine Wiedergeburt in der
Welt der Höllenwesen. Mein Karma besteht aus Gedanken,
Handlungen und gesprochenen Worten und wird zu Ursachen
von positiven oder negativen Erfahrungen. Es ist meine Wahr-
nehmung der Welt die ich verändern kann. Nicht die Welt an
sich! Gleichzeitig erbe ich aber auch das Karma meiner Eltern
oder wenn man so will, das der ganzen Menschheit. Im Zen sagt
man, dass nur unser Karma nach dem Tod weiterbesteht. Das
bedeutet, dass unsere Handlungen Einfluss auf die ganze Welt
haben können. Es gibt karmische Handlungen die nur geringe
Auswirkungen haben und es gibt karmische Handlungen, die
sehr große Auswirkungen haben. Aber immer, wirklich immer
stellt unser Karma eine Ursache da und wird eine Wirkung nach
sich ziehen. Ob diese gering oder sehr stark ist, richtet sich nach
dem Karma und der jeweiligen Situation. Mit diesen kurzen Aus-
führungen möchte ich die eine oder andere Unsicherheit bei den
Lesern, bezogen auf die buddhistische Terminologie wie ich sie
persönlich verstehe, auflösen. Auf den einen oder anderen Be-
griff werde ich innerhalb der einzelnen Tagebucheinträge noch
genauer eingehen. Und jetzt solltest Du dieses ganze begriffliche
Denken vergessen. Welchen Namen Du den einzelnen Prinzi-
pien auch geben möchtest, ändert nicht das Prinzip. Welche Be-
deutung Du dem Dharma geben möchtest, es ändert nichts am
Dharma. Lass alles begriffliche Denken hinter Dir und erkenne
Dein wahres Wesen in diesem Augenblick. Ich wünsche allen
Wesen tiefen Frieden und bin dankbar, dass ich mit meinen Bü-
chern einen bescheidenen Beitrag zum Bestehen des Weges leis-
ten kann. Mögen alle Menschen das Erwachen verwirklichen
und sich in allen anderen Phänomenen wiederspiegeln.
109
Die Haltung im Zazen
110
Sonntag, 20. Mai 2012
1. Dein Zafu sollte so hoch sein, dass Deine Knie gut den
Boden drücken können und Dein Becken ohne Hilfe der
Muskulatur nach vorne kippt. Wenn Du richtig gut sitzt,
also die richtige Höhe gefunden hast, kannst Du Bauch-
und Rückenmuskulatur einmal völlig entspannen, ohne
dass Dein Rücken rund wird oder in sich zusammen
sackt. Auf diese Weise nehmen die Körperempfindungen
beim Zazen allmählich ab. Es entstehen im Gehirn keine
Reize aufgrund von Muskelkontraktionen. Du sitzt voll-
kommen aufrecht, die Energie- und Blutversorgung funk-
tioniert optimal, ohne dass Du irgendwo Muskeln an-
spannen müsstest. Zu Beginn kann man beim einatmen
das Becken leicht nach vorne, beim ausatmen leicht zu-
rück kippen lassen. Doch im Grunde sollte der Körper in
völliger Ruhe mit geringstmöglicher Muskelspannung sit-
zen. Denn der Reiz den ein angespannter Muskel an das
Gehirn sendet, löst Wahrnehmung aus. Dies führt zu Ge-
danken, zu Gefühlen und zur Anhaftung und Ablehnung.
111
fixieren die Augen nichts. Der Blick wird ohne zu schie-
len leicht verschwommen und weit. So kann auch der
Kontakt der Augen mit der Umwelt keine Reize auslösen
und führt gleichzeitig dazu, tiefer in das Samadhi einzu-
tauchen.
112
hinaus wichtig, diese innere Haltung, dieses Bewusstsein auch im
Alltag beizubehalten. Ein Zen das nur auf dem Kissen geübt
wird, ist völlig wertlos und treibt Dich nur in die Flucht vor der
Welt. Wir dürfen Zazen und Alltag oder besser gesagt Spirituel-
les und Profanes nicht voneinander trennen. Es geht vielmehr
darum, das Leiden für sich und andere zu verringern. Spaß am
Leben haben und auch am Zazen ist sehr wichtig. Fühl Dich
einfach gut! Aber, und der folgende Satz ist sehr wichtig, wir
dürfen auf keinem Fall einem Ideal hinterherjagen, dass nicht
nur nicht erreicht werden kann, sondern dass uns zu einem
schlechten Gewissen führt, wenn wir es nicht erreichen. Auf die
Aussage des Schülers: „Ich wäre so gerne wie Du!“ sagte ein
Zen-Meister einmal: „Du wirst niemals so sein wie ich. Du
kannst gar nicht so sein wie ich! Du musst werden wie Du. Erst
dann kannst Du so sein wie ich.“
Ein paar Punkte, die wie ich glaube wichtig sind, um das Erwa-
chen, die Wahrnehmung der Leerheit, die Ebene der letzten
Wirklichkeit zu realisieren:
113
3. Man kann nichts erzwingen. Loslassen funktioniert nur
unbewusst. Ich kann nicht willentlich und bewusst loslas-
sen, denn das würde festhalten und Anhaften am Loslas-
sen bedeuten.
Wow, zurzeit bin ich etwas neben der Spur. Liegt es an der Ge-
burt meiner ersten Tochter auf die wir seit sieben Tagen warten?
Oder ist es vielmehr der E-Mail Kontakt mit dem Zen-Meister
aus Hamburg, dessen Buch mich in den letzten Wochen be-
schäftigt? Das Buch verlässt traditionelle Wege und geht ganz
neue Pfade, zum Beispiel aus dem Mentaltraining und NLP. Das
verunsichert mich etwas. Doch die Frage ist, warum? Will ich
am Altbekannten festhalten? Warum mache ich eigentlich Zen?
Wollte ich nicht einen Weg finden dauerhafte Zufriedenheit zu
finden? Warum sollte dann eine Mischung aus verschiedenen
Techniken nicht zum Erfolg führen? Doch zurück zu dem Zen-
Meister aus Hamburg. Wir hatten jetzt ein paar Mal E-Mail
Kontakt und die letzte E-Mail war wirklich großartig. Ich glaube
er will mir helfen meine Erfahrung der Leerheit loszulassen und
bat mich folgende Fragen zu beantworten:
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Ich kann es nicht erklären, aber die Fragen treffen voll ins
Schwarze! Er rät mir mit der traditionellen Koan- und Achtsam-
keitstechnik die oben genannten Fragen zu bearbeiten und auf
meine Angst zu achten. Ja, es ist Angst die mich am Loslassen
hindert. Doch Angst wovor? Allein gestern im Auto, als ich
mich mit der Frage nach der Bedeutung von Zen beschäftigte,
ist etwas passiert. Zunächst war ich perplex und traurig darüber,
dass ich diese Frage nicht beantworten konnte. Tja, welche Be-
deutung hat Zen für mich? Und dann auf der Autofahrt erkann-
te ich, dass die Bedeutung die ich Zen und allem drum herum
gebe, lediglich ein gedankliches Konstrukt ist und nichts mit der
Wirklichkeit zu tun hat. Das wiederum löste in mir ein Gefühl
aus, als wollte ich loslachen. Das wovon ich mir Hilfe verspro-
chen hatte, ist lediglich mein eigenes gedankliches Konzept.
Verdammt, wie abgefahren ist das denn?
Darüber hinaus hat mir der Zen-Meister noch zwei Punkte ge-
nannt, die ich recht interessant finde:
115
tuelle Situation überschreiten kann, werde ich ihm einen kleinen
Vertrauensvorschuss geben und loslassen!
Habe gerade gesessen mit der Frage nach der persönlichen Be-
deutung von Zen für mich! Ich kann es schlecht in Worte fas-
sen. Es ist auch nichts besonderes, aber in der Tat ist jegliche
Bedeutung, die ich Zen gebe ein gedankliches Konstrukt. Zen ist
einfach Zen! Zen ist Sitzen! Zen ist grenzenlos! Alles an Bedeu-
tung was ich hinzufüge ist eine „Verschmutzung“ und unnötig.
Dokan, der Ring des Weges, bedeutet sitzen von Satori zu
Satori. Aber ich möchte anfangen, die ganzen Begriffe zu dezi-
mieren und Zen ohne Tam-Tam zu praktizieren. Einfach nur
sitzen!
Welche Bedeutung hat Zen für mich? Ich gebe ihm die Bedeu-
tung eines Weges um glücklich zu werden. Mein Glaube war/ist,
dass mich regelmäßiges Zazen glücklich macht. Dass das Einhal-
ten der traditionellen Regeln und Vorgaben mich irgendwann
völlig vom Leiden befreit. Aber während ich die oben geschrie-
benen Worte ein zweites Mal lese, werde ich mir des Irrsinns
dieser Worte bewusst. Wie soll das stille sitzen auf einem Kissen
einen Menschen glücklicher machen? Gehört da nicht noch
mehr zu? Und überhaupt, sind es nicht vielmehr meine Erwar-
tungen die mich leiden lassen? Und schon bin ich wieder in die
Falle mit der Idealisierung getappt. Solange jemand glaubt, dass
er persönlich durch irgendeine Methode oder Technik glücklich
wird, ist das eine Illusion. Die Identifikation mit unserem Ego,
also den fünf Skandhas, ist es, die uns leiden lässt. Wenn wir die
Illusion eines aus sich selbst existierenden Egos nicht in der Tie-
fe durchschauen und fühlen, werden unsere Verwirrung, unsere
Unwissenheit und damit unser Leiden zunehmen. Aber das sind
116
nur Worte und gedankliche Konzepte. Am besten ein jeder er-
fährt es selbst. Welche Bedeutung hat die Leerheit für mich? Ich
gebe der Leerheit die Bedeutung, dass nichts aus sich selbst her-
aus existiert und folglich kein eigenes unabhängiges Selbst, keine
unabhängige Existenz möglich ist. Die tiefe Erfahrung der Leer-
heit ist völlige Wunschlosigkeit, ohne das geringste wollen. Los-
lassen von allem! Befreiung von allem! Scheiß auf Zen und auf
Leerheit und befreie Dich von Deinen ganzen vorgefertigten
Meinungen. Was wäre, wenn glücklich sein unsere wahre Natur
wäre und all die Wünsche die wir haben, Gier und Hass, sowie
unsere Unwissenheit legen sich wie ein dicker Mantel über unse-
re wahre Natur der Zufriedenheit? Ich habe erkannt, dass alle
Bedeutungen die ich habe und alle Vorstellungen, die ich mir
über eine bestimmte Sache einschließlich mir selbst mache,
schlussendlich nur leere gedankliche Konzepte sind - Hilfsmittel
um mich in dieser Welt zurecht zu finden. Schlussendlich aber
existiert nur reines Sein in sich ständig wandelnder, wechselseiti-
ger Abhängigkeit. Es gibt nichts woran man festhalten kann.
Nicht einmal Zen, die Lehre oder die Leerheit. Alles loslassen
und leben! Was wäre wenn ich meine persönliche Bedeutung
über Zen und Leerheit völlig aufgeben müsste? Ich weiß, dass es
die einzige Konsequenz ist, aber ich merke wie ich innerlich
festhalte. Also, wovor habe ich so große Angst? Es gibt nichts
zu erreichen und nichts zu erhalten: Mushotoku!
Alle Wesen befreien. Das ist das erste Gelübde des Bodhisattva.
Bezogen auf die Gelübde des Bodhisattva frage ich mich, ob je-
des Gelübde durch die Erfahrung des Erwachens nicht bereits
verwirklicht wird:
117
3. Alle Dharmas zu studieren, bedeutet sich selbst zu stu-
dieren.
Ich habe schon eine ganze Zeit nicht mehr geschrieben. Das lag
zum einen daran, dass sich seit der Geburt meiner Tochter we-
nig Zeit für Zazen findet und ich nur donnerstags und samstags
in der Gruppe sitze. Zum anderen können Worte niemals die
letzte Wahrheit beschreiben. Wozu also meine Gedanken auf-
schreiben? Eine ganze Zeit lang war ich im Kontakt mit dem
Zen-Meister aus Hamburg, bis ich an einem Punkt erkannte,
dass sein Weg nicht der meine ist und seine Anschauung zum
Weg nicht meinem Verständnis entspricht. Dennoch bin ich ihm
sehr dankbar, denn er hat mir geholfen meine eigenen Illusionen
zu durchschauen und meine Erfahrung vom Sesshin loszulassen.
Bin ich so von meinem Ego gefangen, dass ich mir einbilde ich
könnte zwischen falschem und richtigem Zen-Weg unterschei-
den? Ja, das bin ich wohl. Ich bin soweit, eigene Entscheidungen
zu treffen und zu prüfen, was für mich richtig ist. Wie sagte
schon Buddha: „Richtet Euch nicht nach anderen, sondern nach
Euren eigenen Erfahrungen." Mein Weg die Illusionen und Täu-
schungen zu durchschauen, ist absichtsloses verweilen im Au-
genblick. Nicht nur im sitzen, sondern in allen Tätigkeiten des
Alltags. Unser Verstand mag daran zweifeln, dass dieses Zazen,
dieses Verweilen ohne etwas verstehen zu wollen, dazu führen
kann, alles zu verstehen. Aber so ist es! Ein Zen-Meister sagte
einmal: „Ergründe es nicht, lerne es nicht, benenn es nicht und
alles wird sich finden!“ Die Erfahrung des Satori oder Kensho
ist kein anhaltender Zustand. Wir gehen von Erleuchtung zu Er-
leuchtung und von Täuschung zu Täuschung. Wenn man ver-
standen hat, dass dies so ist und die Buddhas Satori aus ihren
Illusionen machen, ist man selbst nicht nur Teil dieses Buddha-
Wesens. Man selbst ist dieses Buddha-Wesen. Wie die Welle die
erkennt, dass sie das Meer ist. Nicht das man es vorher nicht
schon immer gewesen wäre, aber die Wahrnehmung und Be-
wusstheit der eigenen Buddha-Natur ist einfach unbeschreiblich.
Ich glaube, dass größte Glück auf Erden ist mitten in der Unzu-
118
friedenheit, mitten im Leiden die Zufriedenheit zu verwirkli-
chen. Wer könnte zufrieden oder unzufrieden sein, wenn es in
Wahrheit keine Person, kein Ego gibt? Im Zen gehen wir gera-
dewegs mitten durch die Hölle, wenn wir durch die Hölle gehen
und geradewegs mitten durch den Himmel, wenn wir durch den
Himmel gehen. Wir bleiben nicht stehen, sind wie ein Fluss. Was
meine ich damit? Wir sind das Produkt aller anderen Phänomene
im ganzen Universum. Unser Körper gehört nicht uns, dennoch
haben wir die Verantwortung für ihn. Unsere Gedanken, Gefüh-
le und Wahrnehmung sind nicht wir, trotzdem tragen wir Ver-
antwortung für unser Handeln mit dem Geist und Körper. Und
selbst unser Bewusstsein ist abhängig von den inneren und äuße-
ren Phänomenen. Wie können wir glauben, wir wären es, die ir-
gendetwas erreichen müssten? Unsere Aufgabe ist es unser Le-
ben vollständig zu leben! Gerade das Leiden, die Unzufrieden-
heit, führt uns zu uns selbst zurück. Ist das verrückt? Ja vermut-
lich! Für die meisten Menschen, die angetrieben sind von ihren
Wünschen, Hoffnungen und Illusionen ist es das bestimmt.
Doch wenn wir wahrhaft loslassen, ich meine wirklich loslassen,
was könnte es dann noch für Probleme geben? Aber dieses Los-
lassen von dem ich spreche können wir nicht tun und, und das
ist vielleicht viel entscheidender, können nicht wir selbst tun.
Wer tut es dann? Selbst wenn wir Satori erreichen und halten
könnten, würde spätestens der Tod es uns wieder nehmen und
wir kehren ganz natürlich in den Kosmos zurück. Doch wenn
wir noch einen Sinn suchen, den wir unserem Leben geben kön-
nen, bleibt nur den anderen Wesen zu helfen. Auf jede erdenkli-
che Art und Weise. Ein Wort oder eine Geste können großes
bewirken. Das ist der Weg des Bodhisattva. Nicht nötig aber
immerhin eine Möglichkeit unserem Leben einen Sinn zu geben.
Wenn wir selbst frei sind und damit das Leiden losgelassen ha-
ben, können wir anderen wirklich helfen. Solange wir auf einen
Gewinn aus sind, werden wir selbst über kurz oder lang leiden
und Leiden schaffen. Sobald wir Leiden in uns wahrnehmen,
wissen wir, dass wir uns dem Fluss des Lebens entgegengestellt
haben. Eines ist klar, unser Karma wird erst mit unserem Tode
aufhören und selbst dann schafft unser Karma bezogen auf un-
sere Handlungen auch über unseren Tod hinaus Früchte im
119
Fortbestehen der Welt. Ein Kind, ein Buch, eine Tat, das alles ist
fortbestehendes Karma. Selbst mein Meister schreibt in seinem
Buch, dass er manchmal ungeduldig ist und sich in seiner Ruhe
von anderen Menschen gestört fühlt. Solange wir Leben wird
uns unser Karma beeinflussen. Das Schöne ist, dass dieser Um-
stand völlig in Ordnung ist wenn wir uns mit unserem Karma
aussöhnen. Wenn wir aufhören einem Ideal von uns selbst hin-
terherzulaufen und stattdessen ganze wir selbst sind in diesem
Augenblick, Hier und Jetzt, sind wir wahrlich Schüler des Zen.
Wenn wir endlich akzeptieren können, dass wir so wie wir sind
genau richtig sind, können wir aufhören dem Wunsch hinterher
zu rennen, anderes sein zu wollen. Wie herrlich ist diese Freiheit!
Wie grenzenlos die Freude über das Leiden, die Vergänglichkeit
und das Leben an sich. Lass los und fühl Dich glücklich, lass los
und fühl Dich unzufrieden. Einfach nur das! Wie wunderbar.
120
Anfang, denn all unseren Handlungen gingen Ursachen voraus.
Vielleicht bringen wir ein Kind in diese Welt, vielleicht gründen
wir ein Dojo oder erbauen ein Kloster. Vielleicht bringen wir
den Weg von Indien nach China oder von Japan nach Europa.
Das ist Karma, das so stark ist, dass es unseren Tod überlebt.
Aber jede unserer Handlungen ist gleichzeitig Wirkung und Ur-
sache. Und auch die eben genannten Dinge werden irgendwann
vergehen. Wenn wir uns mit der Vergänglichkeit aussöhnen,
wenn wir unser vergängliches und in wechselseitiger Abhängig-
keit entstehendes Leben von Grund auf akzeptieren, sind wir
wahrlich erleuchtet. Doch solange wir am Ego hängen, in der
Bedeutung des damit identifiziert seins, sind wir gefangen im
Samsara und können keinen Frieden finden. Viele Geisteskrank-
heiten, Depression und Psychosen entstehen aufgrund der Iden-
tifikation mit unserem denkenden Verstand. Das ist es, was der
Buddha entdeckt hat. Unser Leben hat so viel Sinn, wie wir ihm
geben. Wir sind völlig frei in dieser Bedeutung. Welche Bedeu-
tung gibst Du ihm? Solange wir leben, wird es auch ein Ego ge-
ben. Sonst würden wir ja wie gehirnlose Zombies durch die Ge-
gend wandern. Solange wir leben, werden wir Leiden erfahren,
wenn wir gegen den Fluss des Lebens ankämpfen und uns ihm
in den Weg stellen. Jeder Augenblick ist, so wie er ist, völlig per-
fekt und vollkommen. Sonst wäre er anders! Die Illusion, die
Geisteskrankheit des Menschen und seine Verblendung ist, dass
er glaubt die Dinge regeln zu müssen. Aber das ist nicht so! Die
meisten Dinge ergeben sich von allein wie das Wetter, die Jah-
reszeiten und unser Herzschlag. Was brauchen wir denn wirklich
im Leben? Nahrung und Luft zum atmen, Kleidung damit wir
im Winter nicht erfrieren, ein Dach über dem Kopf und Men-
schen die wir Familie nennen. Wenn wir in unserem Gegenüber
den Buddha erkennen, damit meine ich diesen allumfassenden
Geist der Leerheit oder das Gesetz des Kosmos, können wir ihn
völlig so akzeptieren wie er ist. Kein Problem! Dass bedeutet
wiederum nicht, dass wir jedem Menschen der uns unangenehm
oder suspekt ist um den Hals fallen oder überhaupt in Kontakt
mit ihm treten müssen, wenn wir bemerken, dass uns das nicht
gut tut. Unsere Aufgabe ist es auch, auf uns selbst zu achten und
Verantwortung für uns selbst zu übernehmen. Es ist alles gut, so
121
wie es ist. Spiritualität ist nur ein Teil unseres Lebens. Nur wenn
wir alle unsere Anteile integrieren und umarmen, kann wahrer
Frieden entstehen. Es mag sein, dass es für Menschen, die in ei-
nem Tempel oder Kloster leben, in erster Linie ihre Spiritualität
ist, die Ihr Leben lebenswert macht. Für alle die mitten im Alltag
den spirituellen Weg des Zen gehen wollen, ist es wichtig, die
einzelnen Lebensbereiche in Balance zu bringen.
122
liebten Anteile in den Arm zu nehmen und anzuerken-
nen.
4. Aber der eine Schlüssel, der mir nun bewusst wurde, ist
die Identifikation mit unseren Gedanken insbesondere
der negativen Gedanken aufzugeben. Wenn Dich der
Verstand dazu verführen möchte in Schwermut zu ver-
sinken, einen anderen Menschen gedanklich schlecht zu
machen oder Dir selbst Schuldgefühle einzureden, dann
ist Aufmerksamkeit gefragt. Durch die tägliche Praxis des
Zazen, kannst Du dann in den Augenblick zurück kom-
men. In das Gewahr sein des Hier und Jetzt und die
Aufmerksamkeit vom denkenden Verstand abziehen.
Wenn wir etwas tun, dann jetzt und hier für den Augenblick.
Selbst das Tun für andere ist ohne Mushotoku eine Ursache für
Leiden, wenn wir Dank dafür erwarten. Mushotoku und
Hishiryo lassen sich nur tief verwirklichen, wenn wir auf Grund
der Erfahrung der Leerheit aufhören an unserem Ego, an un-
serm vermeintlichen „Ich“ zu haften. Natürlich haben wir ein
Ego und ein persönliches Karma. Wir handeln, wie nur wir han-
deln können. Wir tun die Dinge, die nur wir so und auf diese Art
und Weise tun können. Aber dieses Ego ist leer. Es ist leer von
aus sich selbst heraus existierendem Sein. Es ist nicht substanz-
haft, sondern entsteht durch wechselseitige Abhängigkeit. Das
war´s! Der Zen-Weg endet nicht mit der Erleuchtung. Er fängt
mit der Erleuchtung an und wir gehen ihn mit unseren eigenen
Füßen. Doch ohne die Erfahrung von Kensho oder Satori oder
welchen Begriff Du dieser Erfahrung auch immer geben magst,
können wir den Weg niemals tief verstehen und meine Worte
sind nicht mehr als ein Konzept. Übrigens für mich persönlich
gilt das genauso. Ich kann zwar viel über die Erfahrung schrei-
ben und einige Zen-Begriffe aus meiner einseitigen Sicht ein we-
nig erklären, aber in diesem Augenblick bin ich nicht in der ei-
gentlichen Erfahrung, der Wirklichkeit. Es ist ein kommen und
gehen, aber niemals ein statisches Anhalten. Wie auch? Die wei-
tere Praxis, das Sitzen in Zazen, ist lediglich ein Ausdruck der
Dankbarkeit und lehrt uns Achtsamkeit, Demut und Loslassen.
Immer wieder loslassen. Und selbst das Loslassen los lassen.
123
Aber wie schon an anderer Stelle gesagt, kannst Du das nicht
tun! Du kannst es nur begünstigen und es dann geschehen las-
sen. Sei in jedem Augenblick, nicht nur auf dem Sitzkissen, Dei-
ner Selbst völlig gewahr und achtsam für die inneren Phänome-
ne. Vergewaltige Deinen Körper nicht auf dem Kissen, sondern
betrachte ihn wie einen Tempel. Er ist Ausdruck des einen gro-
ßen Geistes, der Buddha-Natur und verdient, dass Du sorgsam
und achtsam mit ihm umgehst. Und das bezieht sich ebenso auf
Deinen Geist. Das Ego aufzugeben bedeutet nicht es zu zerstö-
ren oder zu verachten. Unser denkender Verstand ist ein wun-
dervolles Werkzeug. Aber er sollte nicht die Kontrolle über un-
ser Leben haben. Du bist voll und ganz Mensch und gleichzeitig
verkörperst Du die eine große Wahrheit, mit jeder einzelnen
Zelle Deines Seins.
124
Samstag, 06. Oktober 2012
Ja, meine Knie tun weh. Aber ich sitze tatsächlich ohne Erwar-
tungen. Nur sitzen mehr nicht. Mal kommen Gedanken, mal
sind sie ruhiger bis hin zur Stille. Mein Blick ist schon etwas ver-
klärt und ich fühl mich soweit gut. Im zweiten Kusen vom Zen-
Meister ging es um Dogens Aussage bezogen auf die Frage, was
er denn von China mitgebracht habe: „Die Augen waagerecht,
die Nase senkrecht.“ war die Antwort Dogens. Er interpretierte
diese Aussage wie folgt: Die Senkrechte symbolisiert die Weis-
heit, die Tiefe des Erwachens. Die Waagerechte die Verbunden-
heit und Solidarität mit allen Wesen, Mitgefühl. Er sprach von
Empathie und dass, wenn wir uns an die Stelle oder in eine lei-
dende Person hineinversetzen können, wir allein durch diesen
Kontakt dem anderen helfen. Die die leiden sind oft allein in ih-
rem Leid und der Kontakt kann helfen. Aber er sagte auch, dass
wir innerhalb dieses Kontaktes zum Beispiel bei einer sterben-
den Person so wie Buddha auf die drei Dharma-Siegel hinweisen
können, so dass dieser Mensch in diesem Leben Nirvana inmit-
ten des Samsara realisieren kann. Diese drei Siegel sind: Dukkha,
Anicca und Anitta oder die Wahrheit vom Leiden, der Vergäng-
lichkeit und des Nicht-Selbst. Auch wenn ich die Interpretation
des Zen-Meisters für richtig halte, möchte ich an dieser Stelle
gerne meine eigene Interpretation der Situation schildern:
125
den. Aber ein Buch mit nur einer Seite auf der die Abbildung
einer Person in der Zazen-Haltung zu sehen ist, würde sich ver-
mutlich keiner großen Beliebtheit erfreuen.
Das Loslassen fällt mir mal leichter mal schwerer. Und beim
heutigen Mondo war es ganz schwer! Durch die Schablonen
meines eingeschränkten Geistes, sah ich die Antworten des Zen-
Meisters auf die Mondo-Fragen ganz falsch. Es ging um die
Buddhas vor Buddha und das Verständnis des buddhistischen
Universums. Ein Schüler fragte, was die Buddhas vor Buddha
bedeuten würden? Ich hätte vermutlich geantwortet, dass jeder
dieser Buddhas eine dem Menschen innewohnende Fähigkeit
wie zum Beispiel Mitgefühl repräsentiert. Aber die Antwort des
Zen-Meisters war so absurd und verlief sich in Spekulationen
über das buddhistische Universum, dass ich dachte ich trau mei-
nen Ohren nicht. Aber damit nicht genug. Danach haben wir
uns über Gott und den Teufel, über Dämonen, böse Geister und
Mara unterhalten. Dann über Zeremonien um böse Geister zu
vertreiben und wie gut diese Zeremonien für Verstorbene und
Kranke wären. Ich merkte wie ich mich mehr und mehr von
dem Gesagten trennte, da mein Verständnis der Lehre eine völ-
lig andere ist. Zuerst dachte ich meinen Ohren nicht zu trauen.
Auch wenn es nur Begriffe für bestimmte Prinzipien waren, zum
Beispiel Mara als das Prinzip des „In Versuchung führen“ oder
Kannon als das Prinzip des großen Mitgefühls. Aber in den
Mondo-Gesprächen wurden diese Begriffe auf sehr personali-
sierte Weise dargestellt, so als würde es eine Person geben. Als
die Frage gestellt wurde, ob man im Zen auch beten darf, war´s
bei mir ganz vorbei. Wenn wir unser wahres Wesen erkennen, so
dachte ich, ist beten nicht mehr notwendig. Beten ist für mich
eine Technik wie mentales Training, es arbeitet mit unserem Un-
terbewusstsein. Aber der Zen-Meister sagte, dass man im Zen
anstatt zu Gott zu Kannon beten könne und das war zu viel für
mich. Warum hat er die Fragende nicht auf ihr wahres Wesen
hingewiesen? Ich finde Beten bedeutet den Augenblick, wie er
126
sich jetzt gerade zeigt, nicht zu akzeptieren. Man will es anders
als es ist und damit fängt doch das ganze Leiden erst an. Dabei
findet eine Befreiung erst statt, wenn wir uns voll und ganz hin-
einwerfen ins Leiden auch wenn es schwer fällt. Nun, das nur
meine beschränkten persönlichen Ansichten. Jetzt wo ich diese
Zeilen niederschreibe und mir Gedanken über das Gesagte ma-
che, fällt es mir leichter meine beschränkte Sicht loszulassen.
Hier meine Erklärung warum der Zen-Meister auf jede Frage die
ihm gestellt wurde auf eine sehr auf den Fragensteller eingehen-
de Antwort reagiert hat:
Jetzt könnte ich laut über mich selbst und meine Anhaftung la-
chen. Sein Geist ist wahrlich wie der weite Himmel, sein empa-
thisches Wesen so voller Mitgefühl, dass es sich bei jedem Fra-
gensteller auf dessen „Ebene“ einlässt und ihm in seinen Worten
antwortet. Und wer hat an seiner Sicht der Dinge festgehalten
und war innerlich ganz aus dem Häuschen? Der lieber Herr
Schäffer! Aber wenn ein Meister auf Fragen der Schüler immer
auf deren Ebene antwortet, wie soll der Schüler dann die Reali-
sation der Leerheit und damit das Ende allen Leids erfahren?
Doch im Grunde hat der Zen-Meister genau das getan, was den
wahren Buddha-Geist ausmacht. Doch dadurch entstehen so
viele Missverständnisse. Trotzdem sollte ich mich der Frage
widmen, warum ich so sehr an dem von mir als richtig erkann-
tem festgehalten habe? Ein Meister darf sich Meister nennen,
weil er aufgehört hat, an persönlichem Verstehen festhalten zu
müssen. Er gibt jedem Schüler, seinem Fortschritt und seiner
Frage entsprechend Antwort, ohne missionieren zu müssen.
Fragt jemand ob er zu Gott beten darf, sagt er nicht: „Nein, im
Zen wird nicht zu Gott gebetet!“ Er unterstützt seine Schüler
ihrem jeweiligen Grad des Erwachens entsprechend in Ihrer
Entwicklung und hat kein Problem damit, den Rest der Leerheit
oder Gott selbst zu überlassen.
127
Samstag, 13. Oktober 2012
Wow, nur einen Tag Sesshin ist echt etwas für Masochisten! In
der Tat braucht es ein bis zwei Tage um in einen Bewusstseins-
zustand zu kommen, indem etwas aufbricht und man über sich
selbst hinaus gehen kann. Vielleicht ist es das letzte Klammern
am Ego, bevor man wirklich loslassen kann. Aber bis zu diesem
Punkt zu kommen und dann nicht weiterzumachen ist die Hölle.
Also: kein Tages-Sesshin mehr, sonder mindestens drei Tage
oder direkt neun Tage Frühjahrslager. Wie auch immer. Gestern
hatte ich einen Vortrag zum Thema „Zen – die Kunst des Los-
lassens“ in dem mir einmal mehr klar wurde, dass man über Zen
wirklich nur schwer sprechen kann. Schon gar nicht zu einer
Gruppe von Menschen, die noch nie Zazen praktiziert haben.
Im Nachhinein denke ich, dass ich mit den Teilnehmern einfach
nur hätte sitzen sollen. Die gemeinsame Praxis geht über jegliche
Beschreibung mit Worten hinaus. Doch nach dem wir zu Beginn
viel spekulativ über Zen, die Leerheit und das Ego gesprochen
haben, entschied ich mich mit den Teilnehmern einfach zu sit-
zen. Und danach waren alle wie verwandelt, offener, redseliger
und der Abend wurde noch richtig schön. Die Atmosphäre im
Raum hatte sich um 180 Grad gewandelt und mir wurden ver-
schiedene Punkte bewusst, die man sehr wohl über Zen sagen
kann. Ob sie jemand der noch nie praktiziert hat versteht, das
steht auf einem anderen Blatt. Zwei Punkte des Zazen lassen
sich auf unseren Alltag übertragen, sodass unser Alltag leichter
und weniger kompliziert wird. Mushotoku und Hishiryo!
Warum wird die Leerheit von so vielen falsch oder gar nicht ver-
standen? Warum konnte Sie in der Geschichte des Buddhismus
zu so vielen Missverständnissen führen? Alle Phänomene, also
alles Seiende und Nicht-Seiende ist leer. Nicht im Sinne von
nicht da, sondern im Sinne von leer von einem aus sich selbst
heraus existierenden Wesenskern. Am Beispiel eines Blatt Pa-
piers: Das Blatt existiert nicht. Es besteht nur aus Holzfasern
128
und einer Art Bindemittel oder Leim. Aber in Wirklichkeit ent-
stehen die Fasern und der Leim auch nicht ohne andere Ursa-
chen. Ohne den Baum und damit ohne Sonne, Wind und Regen,
ohne die Fabrik und damit die Arbeiter und Gründer, ohne mich
als Betrachter und so weiter gibt es also kein Papier. Papier kann
unmöglich aus sich selbst heraus existieren und da es viele Fak-
toren für seine, nennen wir es Existenz braucht, die wiederum
nur Ursachen von Ursachen von Ursachen sind, existiert in ei-
nem Blatt Papier im Grunde das ganze Universum. Wenn das
Blatt verschwindet, bleibt das Universum bestehen. Aber wenn
das Universum verschwindet, verschwindet auch das Blatt. Es
hat keine Eigenexistenz. Ohne die Sonne und den Regen hätte
der Baum nicht wachsen können. Man könnte schlussendlich
sagen Gott, als das personifizierte Prinzip der Leerheit, ist die
Ursache von allem. Statt Gott könnten wir also auch Leerheit,
Buddha-Natur oder eben Ku sagen. Nicht Leerheit als Ding,
sondern Leerheit als Vorgang, als Prozess ohne Anfang und En-
de. Ohne Geburt und Tod. Und wir sind ein Teil davon, un-
trennbar darin verwoben. Wow, soviel Text nur um ein Wort
wie Leerheit zu erklären. Und selbst jetzt wird es für jemanden
der die Erfahrung der Leerheit noch nicht gemacht hat, schwer
sein, tief zu verstehen. Denn alles ist leer. Also auch das, was ich
für mich, für mein Ego halte. Jede meiner so selbstständigen und
selbst bestimmten Entscheidungen beruht auf Ursachen und
Faktoren, die nicht fassbar sind. Und selbst wenn ich mich nicht
entscheide, ist dieses tun des nicht-tun, doch ebenfalls ursächlich
bedingt. Wenn keine meiner Entscheidungen eine aus sich selbst
heraus existierende Grundlage hat, wer oder was entscheidet
dann? Was würde das für den Alltag bedeutet? Von dem einen
Standpunkt aus betrachtet spielt nichts wirklich eine Rolle und
es ist völlig sinnlos, wenn wir von persönlichem Gewinn für uns
sprechen. Vom anderen Standpunkt aus betrachtet, darf ich un-
beschwert und frei auf der großen Wiese mit den anderen Bud-
dhas spielen. Und damit meine ich alle Wesen, ob Sie nun wis-
sen dass sie Buddhas sind oder nicht. Wenn wir als Kinder spie-
len, dann tun wir das ohne Sinn oder weil wir etwas dafür erhal-
ten. Wir spielen einfach im Augenblick, sind völlig vertieft im
Hier und Jetzt und unserem Spiel. Wir geben uns völlig dem
129
Augenblick hin und erwarten gar nichts. So könnte das Leben
sein! So ist es! Lebe den Alltag so wie ein Kind spielt. Bist Du
mit Deinen Nerven am Ende? Warum? Du spielst nur mit den
anderen Buddhas, egal ob erwacht oder nicht, auf der riesigen
Wiese der Leerheit. Was kann Dir schon passieren? Du verlierst
Deinen Job, Deine Wohnung, Dein Haus? Wer oder was verliert
da etwas? Was ist am Ende? Am Ende muss alles aufgegeben
und losgelassen werden. So einfach. Aber gleichzeitig kannst du
etwas bewirken während Deiner Zeit hier auf Erden. Dein Han-
deln kann anderen Menschen in ihrem Leiden helfen. Das eigene
Erwachen beinhaltet das Mitgefühl und die Solidarität mit allen
Wesen. Das Erwachen mit seiner Euphorie und Freude vergeht,
aber die Sicht der Dinge bleibt. Im Grunde kann jeder nur das
Angebot zum Zazen schaffen oder eine Gruppe durch seine re-
gelmäßige Teilnahme unterstützen und in jedem einzelnen Au-
genblick, in seinem Rahmen helfen. Zuhören, trösten, Anteil
nehmen kann bei denen die leiden bereits viel bewirken. Es ist
nicht nötig gleich riesige Hilfsprojekte zu starten. Jeder tut in
seinem Rahmen das, was er tun kann. Der eine hilft durch eine
Spende, der andere durch den Kontakt mit den Menschen. Wie-
der ein anderer durch seine Kunstwerke oder seine berufliche
Dienstleistung. Es kommt weniger darauf an was Du tust, son-
dern wie Du es tust. Wenn Du unabhängig von Deinem kondi-
tionierten Verstand, Dein wahres Selbst, Deine göttliche Beru-
fung und Deine Lebensaufgabe gefunden hast, dann lebst Du
ein Leben in völliger Selbstlosigkeit. Selbstlosigkeit bezogen auf
das Loslassen des Egos, Deines soziales Selbst oder Deines den-
kenden Verstandes.
130
Was bringt mir Zen?
131
um jemanden vor Gefahr zu schützen oder ähnliches. Dann lü-
gen wir mit einer Geisteshaltung die mushotoku ist und um dem
anderen zu nutzen. So müssen wir uns in jedem Augenblick
selbst beobachten und von Situation zu Situation entscheiden.
Anstatt an die Gebote, sollten wir uns vielleicht eher am edlen
achtfachen Pfad orientieren. Hier lautet einer der Pfade: rechte
Rede! Und das lässt Spielraum für eigene bewusste und ethische
Entscheidungen. Um aber nochmals auf den Anfang zurück zu
kommen. Schlussendlich bedeutet die Frage „Was bringt mir
Zen?“ doch eher ein „Was nimmt mir Zen?“ Es gibt kein „mir“
dem es etwas bringen könnte. Das ist das große Geheimnis.
Doch wohl jeder kommt zum Zen und will etwas: Bessere Ge-
sundheit, den Sinn des Lebens entdecken, den Grund des Da-
seins spüren, mehr Ruhe, mehr Gelassenheit und und und… al-
les Wünsche eines „Ichs“, eines Egos, das es nicht gibt bzw. das
nicht aus sich selbst heraus existiert, bei dem es sich um eine Il-
lusion handelt und das lediglich aus einem Zusammenspiel des
gesamten Universums besteht. Das ist Buddha-Natur: Existenz
ohne Eigenexistenz. So wie der Regenbogen existiert, doch im
Grunde nur ein Zusammenspiel aus Regen und Licht ist. Wenn
wir ihn ergreifen wollen, ist dies nicht möglich. Wie das Ergrei-
fen unseres Geistes nicht möglich ist. Trotzdem können wir den
Regenbogen sehen. Er ist da und ist nicht da. Existenz ohne Ei-
genexistenz. Während Zazen können wir die fünf Skandhas, also
Körper, Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen und Bewusstsein,
im Licht unserer Konzentration beobachten und sehen, dass
obwohl wir nichts machen, sich alles im ständigen Wandel be-
findet. Alles hat Buddha-Natur, da alle Phänomene dieses Prin-
zip aufweisen. Das Prinzip leer zu sein von einem aus sich selbst
heraus existierenden Wesenskerns. Um das bei sich selbst zu
entdecken, ist Achtsamkeit und ein Beobachten der fünf
Skandas notwendig. Gerade im Alltag verlieren wir uns schnell
in unseren gedanklichen Vorstellungen über uns selbst und die
Wirklichkeit wie wir meinen, dass Sie sein sollte. Täglich Zazen
sitzen ist bestimmt eine gute Voraussetzung. Aber nicht egois-
tisch und um irgendetwas für sich selbst zu erreichen. Nur als
Beobachter des Beobachters. Darüber hinaus darf unser Zen
nicht dogmatisch werden und andere Anteile unseres Lebens wie
132
Familie, Beruf, Freizeit und Finanzielles ausschließen. Schaffe
keine Trennung, wo in Wahrheit keine ist. Zen ist nicht nur das
Benutzen der Klobürste, wie ein Zen-Meister einmal sagte, son-
dern genauso das Bezahlen Deiner Rechnungen, das Spielen mit
Deinen Kindern, das motivierte Arbeiten an einem wichtigen
Projekt in Deiner Firma und das Zusammensein mit Deinem
Partner. Solange Du mit den von Dir als richtig erkannten, ethi-
schen Grundsätzen übereinstimmst, Deinem denkenden Ver-
stand die Aufmerksamkeit genommen hast und in Harmonie mit
Dir selbst bist, lebst Du Zen.
Alles worüber ich hier schreibe, ist „mein“ Zen. Es gab Dogens
Zen, Deshimarus Zen, Kodo Sawakis Zen und das Zen Deines
Meisters. Zen ist grenzenlos, warum dann nicht auch individuell?
Es gibt hartes und weiches Zen, mit religiös-buddhistischem
Schlag und ohne. Wie könnte Zen statisch und fest sein, wenn es
sich über die Jahre immer weiter entwickelt hat? Es gibt keine
feste Form für das Wasser, es sei denn es ist gefroren. Zen aber
muss fließend, individuell und lebendig sein. Bis auf Zazen ist
alles andere Tam-Tam drum herum völlig individuell. Von Schu-
le zu Schule, von Schüler zu Schüler, von Meister zu Meister un-
terschiedlich und leer. Ich bin kein Meister. Nicht einmal ordi-
nierter Mönch. Welchen Unterschied würde das machen? Kei-
nen! Ich möchte die Herkunft des traditionellen japanischen Zen
nicht abwerten und ich empfinde tiefen Respekt und Dankbar-
keit für alle, die den Weg seit Anbeginn mit uns geteilt haben,
aber ich habe für mich entschieden ein Zen zu lehren, dass sich
von diesen Traditionen lösen kann, ohne den Kontakt zu verlie-
ren. Das bedeutet, dass ich mich auf die wesentlichen Dinge
konzentrieren möchte. Warum sitzen wir in Europa zum Bei-
spiel im Kimono? Warum rezitieren wir einen so wichtigen Text
wie das Hannya Shingyo auf einer Sprache, die selbst in Japan
nicht mehr gesprochen wird? Ich halte das Schlagen des Holzes
und die Verwendung von Klangschalen für wichtig, da durch
eine regelmäßige Konditionierung der Einzelne schneller in eine
133
tiefere Konzentration kommt. Auch die Verwendung von Räu-
cherstäbchen sowie ein immer gleicher einheitlicher Ablauf tra-
gen dazu bei. Dies lässt sich am Beispiel des Pawlowischen Ex-
perimentes gut erklären. Der russische Forscher Pawlow fand
heraus, dass wenn man vor der Fütterung eines Hundes über ei-
nige Wochen eine Glocke läutet, nach wenigen Wochen ein au-
tomatischer, durch das Tonsignal ausgelöster Reflex für den
Speichelfluss entstand. Er schloss daraus, dass auch beim Men-
schen Töne, Gerüche oder Bilder bestimmte programmierte Re-
aktion hervorrufen könnten. In der Psychologie spricht man von
klassischer Konditionierung. Auf diese Weise profitiert jeder
Einzelne von dem ritualisierten Ablauf und der Atmosphäre, die
in der Gruppe gemeinsam geschaffen wird und kann sich nach
einiger Zeit leichter und schneller fallen lassen.
Für mich haben sich zwei Dinge im Zen als wesentlich wichtig
herauskristallisiert: Hishiryo und Mushotoku! Um diese beiden
Begriffe dreht sich alles. Um diese Worte aber selbst tief zu ver-
stehen, mit dem Körper und nicht mit dem Verstand, benötigt
man die Erfahrung der Leerheit, Kensho oder Satori. Welchen
Namen man der Erfahrung auch immer geben mag. Hishiryo
bedeutet „nicht beurteilender Geist“ und bezieht sich auf unsere
alltägliche Geisteshaltung und die innere Haltung beim Zazen
insbesondere. Unser Geist teilt die Dinge ständig in gut und
schlecht, richtig und falsch, Leben und Tod, Illusion und Er-
leuchtung, Samsara und Nirvana. In der tiefen Wahrheit ist aber
alles eins und so ist das Beurteilen ein „Trennung schaffen“ wo
keine Trennung ist. „Trennung“ bezogen auf richtig und falsch,
aber auch Trennung von uns und dem göttlichen Sein. Wir kön-
nen Hishiryo aber nicht erzwingen. Natürlich müssen wir zwi-
schen Nahrung und Gift unterscheiden und bei einer Ampel
zwischen Rot und Grün. Im Alltag bedeutet Hishiryo nicht an
der Dualität zu haften und in den Gegensätzen die Einheit zu
erkennen. Selbst in der tiefen Erfahrung während Zazen sehe
ich die Unterschiede. Aber im selben Moment sehe und fühle
134
ich die Einheit ohne ein „Ich“ das sagen könnte, dass es etwas
fühlt. Es fühlt die tiefe Wahrheit der Nicht-Trennung durch die
Leerheit. Selbst „Es“ ist schon ein Wort zu viel. Wie bei allem
was wir im Zen angeblich loslassen müssen, geht es auch hier
um ein loslassen der Anhaftung. Auf diese Weise werden beide
Standpunkte, der der relativen Wirklichkeit und der der letzten
Wirklichkeit oder unserer phänomenalen und wesenhaften Exis-
tenz, überschritten und transzendiert. Konkret bedeutet das für
Zazen, dass wir üben die aufsteigenden Gedanken, sowie innere
und äußere Phänomene nicht zu beurteilen. Ein Gedanke
kommt, ein Gedanke geht. Mehr nicht. Aus der Sicht von Ku
sind die Unterschiede einfach weniger hart bzw. fließen die Ge-
gensätze ineinander. Die Unterschiede werden wie die zwei Sei-
ten eines Blattes Papier: ohne die Rückseite kann es keine Vor-
derseite geben. Es ist völlig unmöglich, dass es hell ohne dunkel,
schön ohne hässlich, Leben ohne Tod und Nirvana ohne
Samsara gibt. Das ist die eine tiefe Wahrheit.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole. Der Begriff
„Mushotoku“ bezeichnet eine Geisteshaltung, die nicht nach ei-
nem Gewinn für einen selbst strebt. Wenn wir durch die Erfah-
rung der Leerheit erkennen, dass es da kein eigenständiges, aus
sich selbst heraus existierendes Ego gibt, fällt uns diese Geistes-
haltung bedeutend leichter. Denn im Regelfall ist es so, dass
wenn wir etwas für jemand anderen tun auch entsprechenden
Dank erwarten. Oder es nur tun, um uns selbst besser zu fühlen.
Purer Egoismus! Die tägliche Praxis hilft uns, die Achtsamkeit
im Alltag zu bewahren, sodass wir erkennen können, sobald sich
egoistische Züge melden. Zurzeit sitze ich sehr wenig. Aufgrund
von Krankheit und morgendlicher Unlust, habe ich seit zwei
Wochen kein Zazen mehr gesessen.
135
Den eigenen Weg finden
Immer wieder komme ich an einen Punkt, an dem ich mit der
traditionellen Variante im Kimono und mit Gesten und Gong zu
sitzen hadere. Allerdings sitze ich zurzeit sehr wenig und habe
seit gut zwei Wochen auf Grund einer Erkältung unserer Toch-
ter gar nicht mehr gesessen. Seit zwei Tagen klingelt der Wecker
morgens um fünf Uhr und ich stelle ihn weiter, weil ich einfach
zu müde bin. Vielleicht sollte ich später ins Bett gehen um mei-
nen Schlafrhythmus zu ändern und morgens um fünf Uhr nicht
in einer Tiefschlafphase zu stecken. Denn heute Nacht um drei
Uhr war ich hellwach und hätte aufstehen können. Wie möchte
ich in Zukunft meine Praxis gestalten? Wie kann ich die Men-
schen erreichen? In den letzten Monaten hatte ich viele Gäste in
der Zen-Gruppe. Leider waren viele von dem rituellen Ablauf
und den Zeremonien abgeschreckt. Ich finde es sehr schade und
es tut mir im Herzen weh, wenn jemand nicht wieder kommt,
weil er den traditionellen Sinn dieser Gesten nicht versteht. Aber
sind diese Dinge wirklich so wichtig? Bodhidharma saß angeb-
lich neun Jahre allein vor einer Wand, bevor sein erster Schüler
kam und anstatt vor Freude in die Hände zu klatschen hat er ihn
abgelehnt, sodass dieser sich der Legende nach zunächst einen
Arm abgehackt hat um seinen Willen unter Beweis zu stellen.
Wie könnte also mein Angebot aussehen, sodass die Menschen
den tiefen Wert der Praxis erkennen?
In letzter Zeit las ich viele Bücher, die das Zen weniger verherr-
lichen, den Bezug zu anderen Religionen herstellten, die Schwä-
chen der Meister aufzeigten und so gar nicht in mein bisheriges
„Beuteschema“ an Büchern passte. Diese Lektüre brachte mich
zu Beginn recht durcheinander, sodass ich starke Zweifel gegen-
über der traditionellen Praxis an sich hatte, dem Weg und auch
136
dem Sinn des Lebens gegenüber. Heute hatte „ich“ ein Mini-
Satori ohne Klimbim und Euphorie. Worum geht es im Zen?
Worum geht es im Leben allgemein? Was ist der Sinn des Le-
bens? Die Antwort lautet:
Wie ich lebe! Wie gehe ich mit Freude und Leid um? Buddha hat
nicht einen Weg gefunden das Leid aufzulösen oder zu beseiti-
gen, sonders es zu transzendieren. Die Wahrnehmung des Leids
ändert sich, nicht das Leid an sich. Es gibt in Wahrheit kein Lei-
den. Nur unsere Wahrnehmung erzeugt, unser Beurteilen und
wollen erzeugt Leid. In jedem Augenblick vollständig leben, oh-
ne mit vergangenem zu vergleichen bedeutet, alles so anzuneh-
men wie es gerade kommt, ohne zu jammern. Aber auch das
Jammern annehmen, wenn es gerade da ist. Ich merke gerade
einmal mehr, dass was ich heute erfahren habe, wieder einmal
nur schwer in Worte fassen kann. Obwohl es nichts Besonderes
war. Was ist der Sinn des Lebens? Alles was außerhalb von mir
selbst liegt ist im Wandel. Daher kann es nicht als Sinn des Le-
bens dienen. Denn wenn es vergeht, durch Tod, Veränderung
etc. wäre der Sinn auch verschwunden. Also kann zum Beispiel
meine Tochter oder meine Frau nicht der Sinn meines Lebens
sein. Genau so wenig irgendwelche spirituellen oder materiellen
Dinge. Der Sinn des Lebens muss etwas unbedingtes sein, aus
sich selbst heraus entstehend und ohne Anfang und Ende. Doch
auch ich selbst bin dem ewigen Wandel und damit Vergänglich-
keit unterworfen. So kann auch ich nicht der Sinn meines Le-
bens sein. Aber jeden Moment so zu leben wie er gerade kommt,
verursacht durch die Leerheit, ist immer möglich. Deshalb kann
niemand eine eindeutige Antwort auf die Frage „Was ist Zen?“
geben. Zen ist die formlose Lebendigkeit jeden Augenblick im
individuellen Leben eines jeden Menschen. Und dazu gehört je-
der Bereich des Lebens. Unsere spirituelle Praxis darf sich nicht
nur auf dem Kissen abspielen, wo wir Weihrauchschwenkend
vor uns hin meditieren. Wenn unsere Praxis keinen Anteil an
unserem gesamten Leben hat, ist sie tatsächlich für´n Arsch!
Achte darauf Deine Lebensbereiche in Balance zu bringen. Was
sind Deine Lebensbereiche? In meinem Leben sind dies Familie,
Freunde, Beruf, Finanzen, Hobbies und natürlich auch gelebte
137
Spiritualität. Darüber hinaus lassen sich bestimmt noch feinere
und individuell verschiedene Bereiche finden. Wenn aber einer
dieser Bereiche mehr Energie bekommt als andere, wird sich
Dein Leben weniger harmonisch anfühlen. Unsere Aufgabe als
Mensch sollte sein, die eigenen Lebensbereiche in Balance zu
bringen,ohne Trennungen zu schaffen. Gerade für einen aktiven
Zen-Weg, der mitten im Alltag praktiziert wird, ist dies entschei-
dend.
Kann es sein, dass ich jahrelang dem falschen Weg gefolgt bin?
Ich meine das nicht im Sinne von falsch und richtig, sondern
dass ich mir Vorstellungen bezüglich des Weges gemacht habe,
die so nicht existieren. Schlussendlich hat die bisher kennenge-
lernte Praxis mich doch an diesen Punkt jetzt und hier gebracht.
Und auch wenn wir am Ende die Fackel mit der wir das Feuer
entzündet haben selbst in die Flammen werfen, war die Fackel
selbst notwendig. Ich glaube so ist es mit Zen auch. Ab einem
gewissen Grad muss man auf eigenen Beinen stehen. Für den
einen kommt diese Zeit früher, für den anderen später und für
wieder andere leider nie. Wer sich abhängig von einer Lehre
oder einem Meister macht, hat das Grundprinzip Buddhas Lehre
nicht verstanden. Buddha sagte "Richtet Euch nicht nach ande-
ren, sondern nach Euren eigenen Erfahrungen." Er sagte nicht:
„Glaubt nur mir, vergesst alle anderen Meinungen und akzep-
tiert nur was ich Euch sage!“ So werde ich mir in Zukunft Ge-
danken machen müssen, auf welche Art ich Zen anbieten möch-
te. Klar ist, dass ich ein Zen weitergeben möchte, das die traditi-
onellen Anteile mit unserer westlichen Lebensweise verknüpft.
Der Zen-Buddhismus hat sich im Laufe der Jahre immer wieder
an Menschen und Formen angepasst. Als er von Indien nach
China gebracht wurde, hat er sich dort mit dem bestehenden
Taoismus und Konfuzianismus verbunden. Daraus resultierte
der Weg des Chan, indem die Erfahrung der Natur und des ewi-
gen Tao stärker betont wurde. Tao wird als Gesetzt oder auch
Weg übersetzt und lässt sich, meiner Meinung nach, mit dem
138
Begriff der Leerheit gleich setzen. Als dass Chan dann von Chi-
na nach Japan gelangte, verschmolz es hier mit dem vorherr-
schenden Shintoismus. Aus dieser Zeit stammen viele der Ze-
remonien und Rituale, die ein wesentlicher Bestandteil des Shin-
toismus sind. So ist Zen immer schon flexibel und fließend ge-
wesen. So möchte ich ein Zen lehren, dass den Menschen hilft,
ihr wahres Wesen zu entdecken und gleichzeitig einen Weg ver-
mitteln, der mitten im Alltag praktiziert werden kann.
139
Montag, 19. November 2012
140
brauchst nicht mehr zu tun, als Deiner Praxis des stillen Verwei-
lens auf dem Kissen, als auch im Alltag treu zu bleiben.
141
ein Fehler meine Tagebücher zu veröffentlichen. Auf der ande-
ren Seite gibt es so viele undurchsichtige Zen-Literatur in den
Regalen, die meiner Meinung nach oft zu Missverständnissen
führt, dass ich meine Bücher veröffentlichen muss.
Nun möchte ich einmal mehr festhalten, was ich glaube, das für
das Erwachen und den Zen-Weg wichtig ist:
142
3. Hingabe an den Weg bedeutet, trotz des größten Zweifels
zu praktizieren. Der Zweifel ist enorm wichtig. Er hilft
auch die letzten Anhaftungen zum Bespiel an Zen loszu-
lassen.
Es ist vielmehr so, als würden wir einen Samen einpflanzen. Ei-
ne wichtige Grundlage ist ein guter Nährboden und das wir den
Samen tief genug eingraben. Aber auch nicht zu tief. Unsere
Aufgabe ist dafür zu sorgen, dass der Boden gut ist, dass die Er-
de locker, aber nicht zu locker ist. Das der Samen genug Wasser,
aber nicht zu viel Wasser, genug Sonne, aber nicht zu viel Sonne
bekommt. Und selbst wenn wir alles ganz genau nach Vorgabe
gemacht haben, können wir das eigentliche Wunder, nämlich wie
aus dem Samen eine wunderschöne Blume wird, nicht beeinflus-
sen. Es liegt außerhalb unseres Einflussbereiches, wie viel Zeit
der Samen braucht bis er keimt, an welchen Stellen die Blume
Blüten und Knospen trägt. Wie viele Blätter sie haben wird und
so weiter. Das eigentliche Wunder geschieht ganz von allein.
Wichtig sind nur unsere Hingabe und unsere Pflege, unser Be-
mühen nach besten Wissen und Gewissen eine gute Grundlage
für die Blume des Erwachens zu schaffen. Ein guter Meister
sollte seinen Schüler daher immer wieder motivieren, ohne ein
zu viel oder zu wenig. Ein guter Meister sollte ihn aber auch
immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück holen, wenn
sein Schüler unter der Decke schwebt. So ist der mittlere Weg.
Zurzeit glaube ich, dass das große Erwachen zwar eine Erfah-
rung ist, die zumindest auf der Ebene der relativen Wirklichkeit
auch wieder vergeht, aber dass das Wahrnehmen der eigenen
143
Wesensnatur, das Spielen und Baden im großen Geist oder Bud-
dha-Wesen immer da ist. Die Phänomene und Formen wandeln
sich, aber ihr Wesen, ihre Essenz bleibt immer gleich. Bestän-
digkeit in der Unbeständigkeit. So wie jede Welle auf dem Meer
ganz unterschiedlich aussieht, aber ihr Wesen trotzdem das Meer
selbst ist. Aber nicht das Du jetzt meinst „Prima, es gibt nichts
zu tun! Alles ist bereits da, wofür also die Schinderei mit der
Praxis und dem Zazen!“ Das wäre als würde man den Samen der
Blume nur auf den harten Boden legen und warten, dass etwas
passiert. Ohne unsere tägliche rechte Praxis, also Zazen im Ste-
hen, liegen und sitzen in allen Handlungen des Tages und der
Nacht, kann der Samen des Erwachens nicht keimen. Aber das
Keimen und erblühen kann man nicht machen, sondern nur zu-
lassen. Man kann nur mit aller Liebe und Hingabe die besten
Grundlagen schaffen, damit das Wunder geschehen kann. Und
danach? Nichts und danach! Wir fließen einfach mit dem Tao
der Leerheit, dem Leben an sich mit. Erleben uns erwachsen
und unabhängig von unseren Gefühlen, Gedanken und konditi-
onierten Konzepten. Nicht, dass diese nicht mehr da wären,
aber wir spielen mit ihnen. Wir erkennen ihre Illusion. Wir leben
frei das Nirvana inmitten des Samsara. Leben die tiefe Freude
inmitten der Turbulenzen und des ewigen Wandels dieser Welt.
Wir haben gelernt und verinnerlicht, dass ein Eingreifen in den
Fluss des Tao Leiden erzeugt und ein Mitfließen nicht nur mehr
Energie bringt, sondern die pure Lebensfreude beinhaltet.
Punkt!
144
Die höchste Wahrheit
bleibt unausgesprochen,
die letzte Wirklichkeit
ist ungebrochen.
Verwirkliche das reine Gehen
wenn Du gehst,
sei das reine Stehen
wenn Du stehst.
Lass Dich im Sitzen
sinken ins Nichts,
lass Dich nicht blenden
angesichts des Lichts.
Du brauchst nichts zu tun,
lass es Dich finden.
Versteh diese Worte, aber lass Dich
nicht binden.
Sei frei im Fluss der
Unbeständigkeit,
sei der Buddha, der Du
bist seit ewiger Zeit.
145
Samstag, 24. November 2012
146
Montag, 26. November 2012
147
Dienstag, 27. November 2012
Der Weg liegt unter Deinen Füßen und nicht unter denen eines
anderen. Niemand kann Dir Deinen Weg mit Worten erklären,
geschweige denn ihn für Dich gehen. Aber wie gibt man etwas
weiter ohne Worte zu benutzen? Wie erreicht man die Men-
schen? Wie motiviert man sie? Erleuchtung ist möglich, auch
wenn man nur wenig über sie aussagen kann. Vielleicht kann
man über diesen besonderen Bewusstseinszustand auch über-
haupt nicht sprechen, ohne die Menschen, die es noch nicht er-
fahren haben zu verwirren. Und ja, es mag sein, dass es Men-
schen gibt, die dauerhaft in diesem Zustand verweilen, weil sie
sich in irgendeine Höhle im Himalaya zurück ziehen und dort
von morgens bis abends nur sitzen. Aber das kann es nicht sein,
oder? Erleuchtung ist, meiner bescheidenen Meinung nach, ein
Bewusstseinszustand, eine andere Wahrnehmung ein und der-
selben Wirklichkeit. Alles Bedingte, und dieser Zustand ist be-
dingt durch Zazen, ist vergänglich und gehört zur Welt der rela-
tiven Wirklichkeit. Selbst wenn wir durch diese Erfahrung einen
Blick auf die letzte Wirklichkeit werfen können. Das heißt die
Erfahrung der Erleuchtung ist genauso Samsara, wie alle ande-
ren Formen in der phänomenalen Welt. Aus der Sicht von Ku,
aus dem Blickwinkel der wesenhaften Welt, dem allem zu Grun-
de liegenden Wesenskern, Leerheit, großem Geist, Tao, Gott
etc. ist alles eins und es gibt keine Trennung. So gibt es sowohl
Vielheit als auch Einheit in ein und demselben Augenblick.
Doch nur eine dieser Betrachtungsweisen für sich zu nehmen ist
falsch. Es ist immer, wirklich immer beides gleichzeitig da. So
wie die Vorderseite nur mit der Rückseite und die Oberfläche
des Meeres nur durch die Tiefe existieren kann. Im Grunde
muss aber gesagt werden, dass die Erfahrung des Erwachens
meist überschätzt wird. Die Erfahrung an sich ist unbeschreib-
lich und ihr Ausdruck ist reinste Freude und Glückseligkeit.
Aber es ist, zumindest meiner Erfahrung und dem ein oder an-
deren Bericht, den ich darüber lesen durfte, kein bleibender Zu-
stand. Wie auch? Alles ist im stetigen Wandel und bleibender
Veränderung. Wie könnte da eine Erfahrung oder ein Zustand
wie das Hishiryo-Bewusstsein anhaltend und dauerhaft sein? Die
148
höchste Wahrheit ist dauerhaft und beständig, denn ihr Wesen
liegt in der Unbeständigkeit. Durch die Erfahrung und die Gna-
de des Erwachens verändert sich aber unsere Sichtweise der
Welt. Wir erkennen, dass nur durch ein eigenes selbstloses Han-
deln zum Wohle aller Wesen, wir selbst Frieden und Freiheit er-
fahren können. Und in dem Begriff „alle Wesen“ sind wir selbst
selbstverständlich eingeschlossen. Die moderne Hirnforschung
und das mentale Training bestätigen dies. Hier wird vom „Ge-
setz der Resonanz“ gesprochen oder wie der Volksmund sagt:
„Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus.“ Die drei
Gebote buddhistischen Verhaltens lauten: Hör auf Schlechtes zu
tun. Tu nur Gutes. Tu Gutes für die Anderen. Es geht mir per-
sönlich nicht mehr darum die Erfahrung des Erwachens zu wie-
derholen oder tiefere Ebenen dieser Erfahrung kennenzulernen.
Dies kommt zur richtigen Zeit und bei richtiger Praxis irgend-
wann ganz von allein. Wir können es nicht beeinflussen. Aber
mein Verhalten im Alltag, dass den Wesen hilft und mich gleich-
zeitig glücklicher macht, das kann ich in jedem Augenblick be-
einflussen. Ich kann darauf achten, dass mich mein denkender
Verstand nicht an der Nase herum führt und mir ein X für ein U
verkauft. Die Welt ist wie sie ist. Was ich daraus mache und wie
ich die Welt sehe, liegt in meiner eigenen Verantwortung. Ich
kann eine Situation als Problem oder als Herausforderung sehen.
Beides ist richtig.
Seit der Geburt meiner Tochter habe ich nur sehr selten zu Hau-
se praktiziert. Nach wie vor glaube ich, dass die tägliche Praxis
sehr wichtig ist. Und das nicht nur vor einer Erleuchtung, son-
dern umso mehr danach. Beim Zazen am vergangenen Don-
nerstag in der Gruppe ging mir die Geschichte mit dem Mönch,
der durch Zazen Buddha werden wollte durch den Kopf und ich
frage mich, warum nicht aus einem Spiegel ein Spiegel gemacht
wurde. Warum wurde ein Ziegel poliert um daraus einen Spiegel
zu machen? Hier das sehr berühmte Mondo von Baso und
Nangaku:
149
Eines Tages praktizierte Baso Zazen, irgendwo vor dem Dojo.
Nangaku ging vorbei, sah ihn und fragte: „Hey, du übst immer
noch Zazen? Sag mir, hast du ein Ziel, wenn du Zazen übst? Hat
deine Praxis ein Ziel?“ Baso sagte: „Ja, Buddha zu werden.“
Nangaku sagte nichts, aber er sah einen Ziegel in der Nähe sei-
ner Füße liegen. Er nahm ihn und begann ihn an einem großen,
glatten Stein zu reiben. Er polierte den Ziegel. „Meister, was tut
ihr?“ fragte Baso. „Ich mache einen Spiegel.“ Er starrte seinen
Meister an und sagte: „Wie könnt ihr aus einem Ziegel durch po-
lieren einen Spiegel machen?“„Und du?“ antwortete Nangaku,
„Wie kannst du durch Zazen Buddha werden?“
150
Sonntag, 09. Dezember 2012
Dies ist definitiv mein letztes Tagebuch über meinen Weg und
Zen. Kein Wort und keine Beschreibung der letzten Wirklichkeit
können Dir helfen es besser zu verstehen. Denn es gibt kein
Verstehen. Gehen muss den Weg jeder für sich allein. Nur unter
seinen eigenen Füßen spürt jeder einzelne den Boden. Seine ei-
genen Hände öffnen und alles loszulassen ermöglicht es jedem
einzelnen alles zu empfangen. Was war das Ziel Buddhas als er
seinen Palast verließ? Er wollte einen Weg finden Alter, Krank-
heit und Tod zu überwinden. Was nicht geboren wird, kann
auch nicht sterben. Da es nie ein aus sich selbst heraus existie-
rendes beständiges Ego gab, ist dieses auch nie geboren worden.
Es entsteht lediglich durch die Verkettung von Ursache und
Wirkung unendlich vieler anderer Faktoren. Das war die tiefe
Wahrheit, das große Weltgesetz welches der Buddha entdeckt
hatte. Nichts entsteht aus sich selbst heraus und dadurch gibt es
in Wahrheit kein Werden und kein Vergehen. Es gibt kein „ich“
das sterben könnte, denn es wurde nie ein „ich“ geboren. Das
„ich“ oder das illusionäre Selbstbild entsteht erst in der Kind-
heit. In Wahrheit gibt es nur sich ständig verändernde Gedan-
ken, Gefühle und Wahrnehmung. Aber es gibt niemanden der
diese Gedanken, Gefühle oder Wahrnehmungen hat.
151
Sich selbst annehmen
In einem Zen-Text von Huang-Po heißt es: „Zu sagen das die
Lehre nicht gepredigt werden kann, heißt sie zu predigen.“ So
sind auch meine Bücher und Worte nur ein Hilfsmittel, dem An-
fänger zu sagen, dass es einen Weg gibt. Meine Worte können
aber niemals der Weg sein. Jeder der einmal über das Prinzip der
Leerheit, Unbeständigkeit und in diesem Sinne entstehendes
Leiden gelesen hat, sollte alle seine Bemühungen danach nur
noch auf Zazen richten. Wenn ich das Worte Zazen benutze,
meine ich damit nicht nur das Sitzen auf einem Kissen, sondern
das Verweilen in Achtsamkeit im alltäglichen Leben. Das Sitzen
ist lediglich eine Vorbereitung dafür. „Zen ist ganz einfach. Du
musst nur vom beurteilenden Geist ablassen.“ heißt es im
Shinjinmei. Vom Beurteilen ablassen bedeutet einen Geist zu
besitzen, der durch nichts gestört wird. Das Hishiryo-
Bewusstsein, der nicht beurteilende Geist wird in Zazen erfah-
ren. Aber: Wenn Zazen eine Praxis auf dem Kissen bleibt,
kannst Du es auch gleich bleiben lassen. Sitzen ist für´n Arsch
und stehen für die Füße! Lass einfach alles Nachdenken über
Zen oder den Sinn des Lebens weg, alle Begriffe, alle Konzepte
und gedanklichen Krücken, an die wir uns so gerne klammern
und Dein wahres Wesen wird für Dich erkennbar. Stell Dir vor
Du wolltest das verschmutzte Wasser in einem Glas durch um-
rühren klar werden lassen. Du rührst und rührst und das Wasser
wird und wird nicht klarer. Dann lässt Du es stehen. Einfach nur
stehen lassen. Nach ein paar Tagen haben sich die schwereren
Schmutzpartikel am Boden abgesetzt und das Wasser ist klar.
Das gleiche macht Zazen. Nichts tun, damit sich aller Dreck am
Boden absetzen kann. Nicht das Dein wahres Wesen, das klare
Wasser, nicht schon vorher da gewesen wäre, aber Dein begriff-
liches Denken überdeckt seine Wahrnehmung. So bleibt es Dir
verborgen und die Suche danach lässt Dich leiden. Selbst Dich
umzudrehen ist schon zu viel getan. Blick einfach in Dich hin-
ein. Es ist da, jetzt in diesem Augenblick. Wenn Du Dich
152
schlecht fühlst. Ja, sogar wenn Du Dich richtig mies fühlst ist es
da. Es ist nicht an einem besonderen Zustand gebunden. Nicht
abhängig von Gefühlen oder Gedanken. Gleichsam ist es Ge-
fühle, Gedanken und Bewusstsein. Aber auch die im Feuer
schmelzende Schneeflocke und der Hundehaufen draußen auf
der Straße. Steht´s gegenwärtig und immer offensichtlich für
denjenigen, der mit dem Herzen sieht. Das Einzige was wir ler-
nen und praktizieren müssen, wenn wir den Weg verwirklichen
wollen, ist die Identifikation mit unserem Verstand aufzugeben.
Ich wiederhole noch einmal, dass unser Verstand und unser lo-
gisches Denken ein wundervolles Werkzeug sind und ich danke
Gott dafür, dass wir dieses Werkzeug haben. Aber wenn wir nur
noch von unserem Verstand beherrscht werden, wenn wir glau-
ben wir seien dieser Verstand mit all seinen Meinungen, Beurtei-
lungen und konditionierten Verhaltensmustern, dann wird das
Leben kompliziert und mühsam.
153
Donnerstag, 13. Dezember 2012
Macht Zen glücklich? Was bedeutet Glück und glücklich sein für
Dich? Für meinen denkenden Verstand ist es ein Zustand vorü-
bergehender Energie. Wir fühlen uns richtig gut, voller Kraft,
Gesundheit und Aktivität. Wir fühlen uns wach, ausgeglichen, in
Balance, zufrieden, in Frieden mit uns und der Welt. Und das
alles soll Zen leisten können? Den Wunsch aufzugeben, ein wie
auch immer geartetes dauerhaftes Glück zu finden, ist Glück!
Die Freiheit und der innere Frieden, der damit verbunden ist,
nicht von einer der oben gemachten Aussagen abhängig zu sein
ist Glück. Du kannst in Deinem Leben machen was Du willst.
Ein wenig Sport, Hobbies nachgehen, Zeit mit der Familie ver-
bringen, arbeiten, Dich schlecht fühlen oder sogar depressiv
sein. Solange Du im Hier und Jetzt bist, Deine Achtsamkeit für
den Augenblick pflegst und in allem den ewigen Wandel, die
Unbeständigkeit und Leerheit erkennst, ist alles gut. Wenn Du
Dich nicht mit Deinem Verstand identifizierst, dann können Dir
selbst die schlimmsten negativen Gedanken nichts anhaben.
Denn Du erkennst, dass es eben nur Gedanken sind. In einem
Text eines Zen-Meisters steht: „Stirb bevor Du stirbst und sei
ganz tot. Und dann geh raus ins Leben und tu was Dir gefällt.
Alles ist gut!“ Diese Aussage bezieht sich aber vor allem auf das
Erwachen. Um die Zufriedenheit in einem ganz normalen Alltag
zu begünstigen, sind die Balance und die Integration all Deiner
Persönlichkeitsanteile wichtig. Die erworbene Achtsamkeit und
Konzentration sollte sich auch auf unterdrückte Gefühle und
Konflikte beziehen. Hör auf die unliebsamen Dinge zu verdrän-
gen. Die Aufgabe des Shikantaza ist es, Dein Unterbewusstsein
endlich von all den verdrängen Schatten und nicht geliebten An-
teilen zu befreien. Alles was Du verdrängst, wie Konflikte, Ge-
fühle, Vorstellungen und Ideen, manifestiert sich trotzdem in
Deinem Alltag. Vielleicht auf andere Weise, aber es wird da sein.
Lass alles los und werde endlich wirklich frei und unabhängig.
Die Erfahrung der Leerheit kann Dir helfen, Deine größten
schwarzen Schatten, all Deine Leichen im Keller und all Deine
vermeintlich negativen Anteile in den Arm zu nehmen und
schätzen zu lernen. Sie sind nicht Du, aber ein Teil der Wirk-
154
lichkeit! Ein Verdrängen dieser Anteile geschieht oft unbewusst
und manchem hilft irgendwann nur noch die Psychotherapie.
Akzeptiere Dich ganz mit all Deinen positiven, aber vor allem
auch mit Deinen negativen Seiten. Sie gehören zu Dir. Auch sie
sind Ausdruck der einen tiefen Wirklichkeit, die wir im Zen
Leerheit nennen. Sei ein ganzer Mensch und lebe alle Deine An-
teile vollständig in Übereinstimmung mit den von Dir als richtig
erkannten ethischen Grundsätzen. Selbstakzeptanz bedeutet,
dass wir uns selbst lieben und dafür sorgen, dass es uns gut geht.
Wenn wir nicht die Verantwortung für uns und unser Leiden
übernehmen, wer sollte es sonst tun?
„Ich habe Satori und bin erleuchtet!“ Wer so etwas von sich be-
hauptet, hat nicht verstanden was Erleuchtung bedeutet. Aber
von vorne. Ich dachte ich mache meine eigenen Erfahrungen
und fahre einmal zu einem Zen-Wochenende eines unorthodo-
xen Zen-Meisters. Ich kann alles im Internet veröffentlichte nur
bestätigen. Als der Meister sich vor seinem Vortrag ein Glas
Wasser eingießen wollte, verschüttete er alles auf seine Klamot-
ten und hatte nasse Socken. Er sagte mehr oder weniger im
Spaß: „Der Schüler, der mir diese Flasche hier her gestellt hat,
sollte geköpft werden!“ Selbstverständlich kamen seine "Diener"
sofort herbei geeilt und brachten ihm frische Socken. Er zog die
nassen Socken aus und warf sie „seinen Hunden“ auf den Bo-
den, die sie dann auch gleich einsammelten. Ich dachte ich sehe
nicht richtig. Aber von vorne: Schon bei der Einführung wurden
mir seine bzw. "die Bücher des Meisters" sowie seine gemalten
Kunstwerke nahegelegt. Und das nicht nur einmal beiläufig,
sondern wie ich fand recht gezielt. Kunst hin oder her, aber ist
ein Sesshin der richtige Ort um Bilder zu einem durchschnittli-
chen Preis von 1.600 Euro zu verkaufen, weil darauf die etwas
befremdliche "erwachte Dimension eines der bedeutendsten spi-
rituellen Meister der Gegenwart" zu finden ist? Ich denke: Nein!
Nun gut, der Meister erschien dann tatsächlich auch nur für sei-
nen kurzen Vortrag und nahm auf seinem Couchgarnitur-
155
Einsitzer Platz. Während des Zazen war allerdings weit und breit
nichts von seiner Heiligkeit zu sehen. Vielleicht hat er noch ge-
schlafen als das Sesshin gegen 14 Uhr losging? Ich versuch´s
kurz zu machen: Sein Vortrag, eine Ansammlung von Koans
und Geschichten aus dem Zen und der christlichen Mystik, war
gespickt mit einer Herablassung der Soto-Tradition und dem ti-
betischen Buddhismus gegenüber. Als "Special effect" schlug er
in seinem Vortrag zwischendurch mit einem Stock auf den Me-
tallrahmen seines Gongs um uns, durch diesen plötzlichen
Schock, aus unserem gewohnten Gedankenketten zu befreien.
Alles in allem habe ich großes Mitgefühl mit allen Menschen, die
es nicht besser wissen können und einem Meister folgen, der die
persönlichen Inhalte der Dokusan-Gespräche danach für seinen
nächsten Vortrag am Abend nutzt und sie regelrecht ins Lächer-
liche zieht. Hätte nie gedacht, das so viele Menschen auf so et-
was reinfallen. Aber man muss schon großes Glück haben, um
in der heutigen Zeit einem wahren Meister zu begegnen. Ach ja,
während seines Vortrags hielt er noch Kinder-Mal-Schablonen
hoch und riet uns seinen Vortrag nicht durch unsere vorgefertig-
ten Meinungen und Schablonen zu hören. Also, Kopf und ge-
sunden Menschenverstand ausschalten und nur ihm folgen. Au-
weia, Auweia! ABER: Das ist lediglich die Beurteilung meines
Ego-Verstandes. Jeder soll sich ein eigenes Bild machen und wer
sich bei diesem Meister gut aufgehoben fühlt, dem wünsche ich
alles erdenklich Gute für seinen Weg zur "großen Dimension
des göttlichen Seins.“ Auf meine Dokusan-Frage, ob das ganze
Getue von ihm und die auf seinen Büchern gebräuchliche Be-
zeichnung „einer der bedeutendsten spirituellen Meister der Ge-
genwart“ nur eine Art Marketing sei, um Menschen für den Weg
zu begeistern sagte er übrigens: „Ja, so könnte man das bezeich-
nen!“ Nach dem Motto „Von irgendetwas muss ich ja auch le-
ben.“ Nun, was durfte ich über mich an diesem Tag lernen? Ich
habe meinen Weg gefunden. Ich weiß nun welchem Weg ich
folgen werde. Bevor ich für mich aber eine Entscheidung, wie
zum Beispiel die Bodhisattva-Ordination im nächsten Jahr tref-
fen konnte, musste ich mir vermutlich zuerst auch andere „Meis-
ter“ und andere Möglichkeiten den Weg zu gehen ansehen. Aber
ich habe meinen Meister und meinen Weg bereits gefunden ge-
156
habt. Ich bin davon überzeugt, wichtiger als in sich selbst ist es,
im anderen den Buddha zu erkennen.
1. Wahrheit
2. Einfachheit
157
3. Freiheit
Strebe nach wahrer Freiheit und Echtheit. Gebe dir und an-
deren den nötigen Raum zur Entfaltung und ein Klima der
Offenheit und Weite. Erkenne, dass Anhaften Leiden bringt
und suche nach der Ursache deines Leidens in deinem eige-
nen Geist.
4. Gleichheit
5. Mut
6. Verstehen
158
7. Mitgefühl
8. Offenheit
9. Praxis
159
also ein Schüler bei der Auswahl seines Meisters achten? Gerade
Menschen mit einem mangelnden Selbstwertgefühl suchen im
Zen doch auch Führung und Anleitung. Jemanden der ihnen
sagt wo es lang geht. Sobald dies ein Meister vorgibt zu wissen,
ist Vorsicht geboten. Der Zen-Mönch aus Frankfurt sagte ein-
mal zu mir: „Wenn Dir ein Zen-Meister sagt, er sei erleuchtet
oder erwacht, dann verbeuge Dich tief vor ihm, lächle und dann
sieh zu, dass Du so schnell wie möglich da weg kommst!“ Auf
folgende Punkte sollte man also achten:
3. Sind die Schüler dem Meister hörig? Hat man das Gefühl
die Schüler konzentrieren sich mehr auf die Wünsche des
Meisters, als auf sich selbst?
Ein Meister sollte niemals etwas von Dir verlangen oder Dir sei-
ne Meinung aufdrücken wollen. Viel zu oft wurde das Loslassen
des Egos für finanziellen und sexuellen Missbrauch benutzt und
die Schüler oder Schülerinnen waren dem Meister völlig hörig.
Wenn Zen oder andere spirituelle Wege überhaupt ein Ziel ha-
ben, ist es den Menschen zur Unabhängigkeit und Selbstständig-
keit zum Wohle aller Wesen zu erziehen. Alle Abhängigkeit von
160
anderen Meinungen, Ansichten und Ideen gilt es zu entlarven
und ein freier selbstständiger Mensch zu werden. Gerade in der
Erkenntnis der wechselseitigen Abhängigkeit erkennen wir unse-
re Unabhängigkeit von äußeren und inneren, zum Teil blind
übernommenen Konzepten.
161
Die vier edlen Wahrheiten
Um dieses Buch über meine Erfahrung und den Weg des Zen
abzurunden, möchte ich an dieser Stelle auf verschiedene Punkte
der allgemeinen buddhistischen Lehre eingehen. Die erste Pre-
digt Buddhas beinhaltet im Grunde seine gesamte weitere Lehre.
Ich gehe hier kurz auf die vier edlen Wahrheiten ein, wie sie
meinem aktuellen Verständnis entsprechen:
162
2. Die Wahrheit von der Ursache des Leidens: Buddha
nannte uns drei Gifte, die die Ursache des Leidens aus-
machen. Dies sind Gier, Hass und Verblendung und be-
zeichnen unser Anhaften und unsere Begierden, unser
Ablehnen und unser zurückweisen sowie die Unwissen-
heit in Bezug auf das nicht Erkennen und nicht wahrha-
ben wollen der Wirklichkeit wie sie ist. Unwissenheit über
unser wahres Wesen, über die vier edlen Wahrheiten und
über den Weg der zur Befreiung führt. Im Zen wird auf
diese Aussage im Shinjinmei eingegangen wo es heißt:
„Es ist nicht schwer, den Weg zu durchdringen, doch
man muss frei sein von Liebe und Hass, von Neigung
und Abneigung. Es genügt, frei zu sein von Liebe und
Hass, damit die Einsicht sich zeigt, unvermittelt klar, wie
das Licht des Tages in einer Höhle.“ Frei zu sein von un-
serem ständig kritisierenden und beurteilendem Geist be-
deutet, Gier und Hass zu überwinden. Doch ist dies in
der Tiefe nur möglich, wenn wir vorher unsere Unwis-
senheit bezogen auf unser wahres Wesen überwunden
haben. Dies wiederum ist nur durch die Erfahrung des
Erwachens möglich.
163
gibt es keinen Zweifel! Aber schlussendlich muss jeder für
sich selbst diese Erfahrung machen. Reden lässt sich da-
rüber nicht.
Es gibt über den achtfachen Pfad bereits mehr als genug Litera-
tur und auch im Internet findet man viele Informationen. Wich-
tig ist die Anwendung und nicht das theoretische Wissen, dass
wir über den Pfad haben. Im Zen wird vor allem auf die letzten
beiden Punkte Wert gelegt, denn während Zazen ergeben sich
die ersten Punkte ganz von allein. Hier nun meine kurze und
persönliche Erklärung zu den einzelnen Pfaden. Ich möchte be-
tonen, dass es nur meine Sicht wiederspiegelt und es zu den ein-
zelnen Punkten bestimmt weitere Erklärungsmöglichkeiten gibt:
Die Sicht aus Ku mit der Sicht aus Shiki verbinden, die gleichzei-
tige Sicht der phänomenalen aber auch wesenhaften Wirklichkeit
in der es keine Trennung und kein aus sich selbst entstehendes
Ego gibt, ist die rechte Sicht. Wenn wir die Leerheit allen seins,
bezogen auf Eigenexistenz und Bedeutung erkennen, dann ist
das die rechte Sicht. In diesem Fall bedeutet die rechte Sicht,
dass wir über die Wahrnehmung der Welt entscheiden und diese
verändern können. Die rechte Sicht bedeutet aber auch, hinter
die Fassade zu blicken und tiefer zu sehen als es die meisten
164
Menschen tun. Wenn wir mit einem Blick die möglichen Ursa-
chen für das schlechte Verhalten eines Menschen sehen, können
wir ihn so sein lassen wie er ist und akzeptieren ihn in seiner
Welt.
Die rechte Rede ist eng verbunden mit dem rechten Denken.
Wenn jemand etwas Negatives über sich selbst sagt, wie zum
Beispiel: „Ich bin nichts wert und werde es niemals zu etwas
bringen!“, dann hat dieser Mensch diesen Satz meist schon etli-
che Male vorher gedacht und im Geist zu sich selbst gesagt.
Vielleicht hat er diesen Satz auch zu oft von seinen Eltern hören
müssen. Rechte Rede bezieht sich aber auch noch auf einen an-
deren, den Geboten im Christentum sehr ähnlichen Aspekt:
Nicht lügen! Nicht lügen um sich selbst hervor zu heben oder
um anderen zu schaden. Kein Reden nur des Redens wegen,
kein nutzlosen Gespräche führen. Aber den anderen nutzen, in-
dem wir ihnen helfen. Damit sind wir schon beim nächsten
Punkt.
165
erlaubt. Das rechte Handeln bezieht sich aber genauso auch auf
das Handeln uns selbst gegenüber. Wie gehen wir mit uns und
unserem Körper um? Die Selbstverantwortung steht an erster
Stelle. Danach kommt die Verantwortung für alle anderen We-
sen. Beim Start eines Flugzeugs wird immer erklärt, dass wir uns
bei einem eventuellen Absturz die Sauerstoffmaske zuerst anzie-
hen sollen und uns erst danach um unser Kind oder den Nach-
barn kümmern sollen. Ohne selbst schwimmen gelernt zu ha-
ben, können wir keinen Ertrinkenden retten oder jemandem das
Schwimmen beibringen. Im Grunde geht es bei dem von Bud-
dha aufgestellten Pfaden um Bewusstseinsarbeit. Tu die Dinge
wirklich bewusst und achte darauf wie Du es tust.
Bezieht sich vor allem auf unseren Beruf und unser Verhalten
im Alltag. Wenn wir zum Beispiel Waffen verkaufen, Tiere
schlachten oder Menschen ausbeuten ist dies nicht die rechte
Lebensweise. Unser Verhalten im Alltag muss sich an ethischen,
selbst erkannten Richtlinien orientieren. Gleichzeitig bezieht sich
die rechte Lebensweise darauf alle Persönlichkeitsanteile und
Lebensbereiche zu harmonisieren und miteinander in Einklang
zu bringen. Die rechte Lebensweise beinhaltet für mich persön-
lich auch, die mir zur Verfügung stehenden Talente und Fähig-
keiten zu nutzen, um mir selbst und anderen Menschen zu hel-
fen das Leiden zu verringern. Ein weiser Mann sagte einmal:
„Wir brauchen in dieser Welt keine Buddhisten. Wir brauchen
Buddhas!“
166
die Teilnahme an Sesshins und im Gespräch mit anderen zum
Ausdruck.
167
im Alltag. Wenn ich auf dem Kissen sitze, bedeutet die rechte
Versenkung für mich ganz einfach nur zu sitzen. Völlig im Au-
genblick aufzugehen. Es gibt nichts zu erreichen, wenn wir ganz
tief in uns selbst versunken sind und einfach nur da sind. Wir
sind ganz gegenwärtig und präsent im Augenblick, da uns die
Gedanken des Verstandes nicht stören und die Pausen zwischen
zwei Gedanken irgendwann größer und größer werden. Wäh-
rend dem Zazen gibt es nichts zu tun, als ganz gegenwärtig im
Augenblick zu verweilen und uns an der Freude und Glückselig-
keit unseres wahren Wesens zu erfreuen.
168
Erleuchtung und Alltag
Das Erwachen ist nicht das Ende aller Dinge. Viel wichtiger als
das Erwachen ist Dein Handeln in der Welt zum Wohle aller
Wesen, Dich selbst eingeschlossen. Ohne die nötige Kraft und
Energie kannst Du niemandem helfen. Ohne selbst schwimmen
zu können, kannst Du einem Ertrinkenden nicht retten. Aber
statt dem Erwachen hinterher zu rennen, sollten wir unser Ver-
halten im Alltag bewusst in eine befreiende Richtung führen.
Das bedeutet das Erwachen im Alltag zu realisieren. Wenn wir
durch Gedanken, Taten und unsere Sprache das Leiden der An-
deren lindern, lindert sich auch unser eigenes Leiden. Ich bitte
Dich, der Du den Weg bereit bist zu gehen, lass ab vom begriff-
lichen Denken und übe mehr als das Du Dich den Worten hin-
gibst. Handel im Alltag zum Wohle der Anderen und Du wirst
merken, dass sich dies auch auf Dein eigenes Leben auswirkt.
Aber vermeide es zu missionieren und achte auch auf Dein eige-
nes Wohlbefinden. Lass Dich von keinen falschen Meistern
blenden und finde Deinen eigenen Weg. Erleuchtung ist kein
Glaube, sondern muss zu Deiner persönlichen Erfahrung wer-
den. Hilf den Wesen dabei ganz zu werden. Hilf dort, wo Du
helfen kannst. Du brauchst nicht gleich ein Waisenhaus in Tan-
sania zu bauen. Schau Dich um, direkt vor Deiner Tür gibt es
genügend Bedarf an Hilfe. Ich wünsche Dir, dass Du den Wert
von Buddha, Dharma und Sangha erkennst. Buddha bezieht sich
nicht auf die Person Shakyamuni, sondern auf den einen großen
Buddha-Geist, die unfassbare Leerheit, die Buddha-Natur, Gott
oder welchem Namen man ihm geben möchte. Dharma bezieht
sich auf die Lehre des Buddha Shakyamuni und auf die von ihm
erkannten Gesetzmäßigkeiten des Universums. Und Sangha auf
die Gemeinschaft der Praktizierenden, die gemeinsam den Weg
des Erwachens, der Liebe und des Mitgefühls gehen. Ich wün-
sche Dir, dass Du durch die Erfahrung der Leerheit verstehen
lernst und dass Du erkennst, dass Du so wie Du bist, völlig in
Ordnung bist. Ich glaube einer der wichtigen Punkte im Zen ist
169
Eigenliebe oder Akzeptanz uns selbst gegenüber. Wir müssen
die völlige Verantwortung für unser Leben übernehmen. Auch
wenn wir nicht die Gedanken, die Gefühle oder gar dieser Kör-
per sind, haben wir die Verantwortung für unsere Gedanken,
Gefühle und diesen Körper. Alles was Du bist, bist Du nicht aus
Dir selbst heraus. Alles was Du lernen durftest oder nicht lernen
konntest, geschah ohne Dein direktes Zutun. Wenn Du das ver-
standen hast, kannst Du Dich erstmals so annehmen wie Du bist
und dann in der Freiheit des Erkennens Dich selbst neu erfin-
den. Du bist frei, der Mensch zu sein, der Du sein möchtest.
Nichts fesselt Dich, Dein Geist ist ohne Hindernis. Die Lehre
des Zen befreit Dich zunächst von Deiner Vorstellung eines aus
sich selbst heraus existierenden Egos. Du lernst Mitgefühl und
Weisheit sowie die ethischen Grundlagen des Menschseins ken-
nen. Nachdem die Illusion Deiner Persönlichkeit und Deines
Selbstverständnisses aufgelöst und die Täuschung erkannt wur-
de, baut Zen Dich von Grund auf neu auf. Sei der Mensch, der
Du sein möchtest. Akzeptiere Dich so wie Du bist. Sei Dir Dei-
ner Stärken bewusst, nimm aber auch Deine Schwächen an und
verwandel Sie im Licht der Weisheit. Gib Deinem Leben Deinen
ganz individuellen und persönlichen Ausdruck und nimm das
Geschenk das Dir übergeben wurde an. Alles wird leichter,
wenn wir gelernt haben uns selbst zu lieben und auch unsere
Schattenseiten völlig zu integrieren. Eigenliebe oder Selbstliebe
erlaubt es Dir, auch allen anderen Wesen Mitgefühl und Liebe
zu schenken, sodass auch Sie eines Tages frei werden von Ihren
konditionierten Verhaltensweisen, durch die sie leiden. Vielleicht
gibt es Anteile in Dir, die besser durch eine Therapie angenom-
men werden können. Zen ist kein Allheilsweg. Aber durch das
stille Sitzen in Versenkung geschieht das Zulassen und Loslassen
all Deiner verdrängten Anteile ganz von allein. Es gibt nichts zu
tun als in Dich hinein zu lauschen und Deiner Seele zu zuhören.
Die letzten beiden wichtigen Punkte auf die ich an dieser Stelle
aufmerksam machen möchte sind das Vergeben können und die
Dankbarkeit. Wenn Du Groll oder Zorn gegen einen anderen
Menschen richtest, wird dieser Groll zwangläufig auch Einfluss
auf Dich haben. Vielleicht wird er sich in Krankheiten ausdrü-
cken oder Dich auf andere Art leiden lassen. Aus diesem Grund
170
sollten wir Vergebung üben. Niemand hat sich selbst gemacht
und wenn Du die Leerheit tief verstanden und verinnerlicht hast,
kannst Du niemandem wirklich böse sein. Das bezieht sich
selbstverständlich auch auf Deine eigenen Fehler und Schwä-
chen. Das Vergeben fällt Dir leicht, wenn Du lernst im Gegen-
über die Buddha-Natur wahrzunehmen. Vergib Deinen Eltern
für Ihre Fehler. Vergib denen, die Dir weh getan haben und
mach Dich frei von diesem Leiden. Vergeben bedeutet etwas
hergeben, etwas verschenken und somit Loslassen. Vergeben
und Loslassen was Dir angetan wurde bedeutet nicht zwangsläu-
fig die Handlung des Anderen zu entschuldigen, sondern selbst
loslassen um frei zu werden von diesem inneren Leiden. Aus
diesem Loslassen heraus entsteht Dankbarkeit und Mitgefühl für
alle Wesen. Es gibt so vieles wofür wir Dankbarkeit empfinden
dürfen. Die Gesten des Gassho und des Sampai, der Verbeu-
gung und der Niederwerfung sind Ausdruck unserer Demut und
Dankbarkeit der Welt gegenüber. Es hat nichts damit zu tun,
dass wir uns vor einer Statue oder einem Meister in Demut
üben. Beide repräsentieren das Prinzip, über das ich in diesem
Buch versucht habe zu schreiben. Buddha erkannte das Gesetz
des wechselseitigen Entstehens aller Phänomene, sowohl des
Leidens als auch der Freude. Das bedeutet, dass wenn wir unse-
ren Geist darauf fokussieren das Schlechte zu unterlassen, nur
noch das Gute zu tun und Gutes für die anderen zu tun, werden
wir selbst die Früchte unseres Handelns ernten. Willst Du in der
Welt das Gute sehen, dann triff die Entscheidung Gutes sehen
zu wollen. Durch das Training der Achtsamkeit kann Dir be-
wusst werden, wie oft Du negative und täuschende Gedanken in
Dir trägst. Vor allem die ganz leisen und stillen Gedanken len-
ken Deine Sicht der Welt und damit Dein Handeln. Die Dinge
haben nur so viel Bedeutung, wie Du ihnen gibst. Aber die Be-
deutung, die wir den Dingen geben, ist abhängig von unseren
seit frühster Kindheit angehäuften Konditionierungen oder
buddhistisch gesprochen unseres Karmas. Alle Phänomene las-
sen sich von mindestens zwei Seiten aus betrachten. Auf Grund
der Leerheit aller Phänomene bestimmt Deine bewusste Ent-
scheidung, von welcher Seite aus Du es sehen möchtest. Die tie-
fe Erfahrung der Leerheit, des göttlichen Kerns in uns allen
171
vergeht, aber Deine Wahrnehmung und Sichtweise der Welt
wird völlig auf den Kopf gestellt. Auch wenn die eigene Erfah-
rung so viel mehr bedeutet als Buchstaben und Wörter auf Pa-
pier, so hoffe ich doch, dass Dir mancher Punkt das Zen betref-
fend durch das vorliegende Buch klarer geworden ist und Du
anfängst der Buddha zu sein, der Du schon immer warst. Schen-
ke der Welt Deine Energie, Deine Kraft und Dein Mitgefühl im
Wissen, dass es nichts zu erreichen gibt. Sei Du der Buddha!
172
Nachwort zum dritten Buch
Zu Beginn habe ich lediglich für mich selbst ein Tagebuch ge-
führt um vermeintlich wichtige Erkenntnisse, wie ich damals
fand, niederzuschreiben und festzuhalten. Auf der einen Seite
sollten mich meine Einträge immer wieder an die wichtigsten
Punkte erinnern und mich ermahnen auf dem Weg zu bleiben,
auf der anderen Seite dachte ich, so meinem Ziel schneller näher
zu kommen. Aber was war mein Ziel vor so vielen Jahren? Ich
denke, ich wollte was alle Menschen wollen: glücklich sein! Un-
ser ganzes Leben dreht sich darum. Manch einer glaubt durch
materiellen Reichtum glücklich zu werden. Vor allem diejenigen,
die diesen Reichtum nicht haben. Frage einmal einen totkranken
Millionär ob er mit all seinem Besitz glücklich ist. Manch einer
glaubt, dass der richtige Ehepartner und eine Familie einen
glücklich machen. Aber frage einmal eine Familie die am Exis-
tenzminimum lebt, ob sie glücklich ist. Wir erkennen schnell,
dass alles relativ ist und immer auch auf unseren Blickwinkel an-
kommt. Dann gibt es diejenigen, die auf der Suche nach der
großen Erleuchtung sind. Menschen die erkannt haben, dass die
relative Wirklichkeit niemals zufriedenstellend sein kann. Nicht
dass es nicht schöne Momente und gute Zeiten gibt, aber die
Erkenntnis, dass alles auch wieder vergeht, bringt diese Men-
schen dazu nach spirituellen Wegen zu suchen. So machte sich
auch Buddha einst auf den Weg. Als sich Buddha vor 2.500 Jah-
ren auf die Suche begab, war sein Ziel nicht glücklicher zu wer-
den. Er wollte das Geheimnis um Leben und Tod ergründen. Er
wollte das Geheimnis unserer menschlichen Existenz erfahren
und verstehen, warum es Alter, Krankheit, Leiden und Tod gibt
und wie man diese überwinden könne. Er erkannte während sei-
ner Meditation, dass die Wahrnehmung wir seien, getrennt vom
Universum und unser Sein würde mit der Geburt beginnen und
mit dem Tod enden grundlegend falsch war. Er erkannte, dass
unser wahres Sein bereits ungeboren und unsterblich ist. Er er-
kannte, dass unser wahres Sein der anfanglose und ewige Wan-
del ist. Auf diese Weise transzendierte er die Frage nach dem
Sinn des Lebens und seine Suche war beendet. Dass sich sein
173
Weg so schnell verbreitete, lag bestimmt zum einen daran, dass
er ein Königssohn war und zum anderen daran, dass er die übli-
chen religiösen Verhaltensweisen seiner Zeit, wie zum Beispiel
das Kastensystem, in seiner Lehre völlig revolutionierte. Er pre-
digte einen, für damalige Verhältnisse, völlig neuen und einzigar-
tigen Weg, der die religiösen Verhaltensweisen und deren Anhä-
nger seiner Zeit stark provozierte. Er ging unbeirrbar seinen ei-
genen Weg, denn er war, durch seine eigene körperliche Erfah-
rung des Erwachens, tief davon überzeugt. Er lebte seine Beru-
fung und fand seine Lebensaufgabe. Zunächst schwamm er al-
lein gegen einen Strom von Meinungen, Philosophien und
Sichtweisen. Nach und nach schlossen sich ihm immer mehr
Menschen an, sodass der Buddhismus aufgrund seiner Vielfäl-
tigkeit und Anpassungsfähigkeit zu einer der Weltreligionen
wurde. Auf Grund seines großen Mitgefühls predigte er aber
nicht nur die eine, von ihm selbst erfahrene Wahrheit, sondern
einen allen zugänglichen Weg der Ethik und des Mitgefühls. Sei-
ne eigentliche Lehre bestand aber in nichts anderem als still eine
Blume zwischen seinen Fingern zu drehen. Diese Geschichte
dürfte den meisten Zen-Interessierten bekannt sein. Buddha
versammelte viele Schüler um sich und alle dachten jetzt kommt
wieder eine seiner wunderbaren Predigten. Nach einiger Zeit des
Schweigens nahm er eine Blume und dreht sie schweigend zwi-
schen seinen Fingern. Nur Mahakashyapa lächelte und Buddha
sagte: „Ich habe das kostbare Auge des wahren Dharma, den
wunderbaren Geist des Nirvana, die wahre Form der Nicht-
Form, das geheimnisvolle Dharma-Tor. Es hängt nicht von
Buchstaben ab, sondern wird auf besondere Weise außerhalb
aller Lehren übermittelt. Jetzt vertraue ich es dem Mahakashyapa
an." Das war die erste Dharma-Übertragung in der Geschichte
des Zen. Buddha sagte nicht: „Studiert nur meine Lehren!“,
sondern er sprach davon, dass es nicht von Buchstaben abhängt
und in allem entdeckt werden kann, wie zum Beispiel in einer
Blume. Doch die Gier des Menschen ist unersättlich und so su-
chen wir im Außen anstatt in uns selbst ein Licht zu entzünden.
Ich wünsche allen Wesen tiefen Frieden und das Vertrauen auf
die Wahrheit, welchen Namen man ihr auch immer geben mag.
Sucht nicht in den Büchern und alten Schriften, sondern vertraut
174
auf Euch selbst und Eurer Erfahrung. Wenn Du einem wahren
Meister begegnest und ihm oder ihr folgen willst, höre auf Dein
Bauchgefühl und vertraue auf Deine Erfahrung. Folge nicht
blind irgendwelchen Meinungen und werde hellhörig wenn je-
mand von sich selbst behauptet er sei erleuchtet. Erleuchtung
bedeutet das tiefe verstehen, dass es da kein „Ich“ gibt das er-
leuchtet sein kann. Jemand der von sich selbst so etwas behaup-
tet, hängt noch ziemlich stark am eigenen Ego. Der Weg des
Zen ist schlussendlich immer ein Weg zu Dir selbst und zu Dei-
nem wahren Wesenskern. Aber gleichzeitig dürfen die menschli-
chen Bedürfnisse nicht vernachlässigst werden. Wenn ein Weg
Dich ganz und heil machen soll, darf dieser Weg nie einseitig
ausgerichtet sein. Ich habe in meinen Einträgen oft von zwei
Wahrnehmungen gesprochen. Die Wahrnehmung der relativen
Wirklichkeit ist die Wahrnehmung der meisten Menschen. Wir
erleben uns als getrennt von den anderen, vom Universum und
von Gott. Wir erleben uns als sterblich, verwundbar und lei-
dend. Die zweite Wahrnehmung ist die der höchsten Wahrheit.
Hier erleben wir unser Verbundensein mit allem durch das gött-
liche Prinzip der Leerheit. Wir erkennen, dass alles eine Verket-
tung, ein riesiges Netz aus Ursachen und Wirkungen ist. Wir er-
kennen, dass wir nicht geboren sind und folglich auch nicht
sterben werden. Aus diesem Blickwinkel kann man nicht einmal
genau sagen, ob ein Körper geboren wurde. Ab welchem Mo-
ment spricht man von einer Geburt? Ab dem Moment wo die
Eizelle befruchtet wird? Oder ist das nur die Wirkung des Ge-
schlechtsaktes? Oder sprechen wir ab dem Moment von neuem
Leben, wenn das Kind tatsächlich im Kreissaal geboren wird?
Erzählen Sie das mal einer Mutter im siebten Monat! Also wann
genau findet die Geburt, als Entstehung neuen Lebens wirklich
statt? Es gibt keinen fest zu bestimmenden Zeitpunkt. Alles ist
eine Verkettung von Ursachen. Der Schlüssel liegt aber darin,
dass beide Wahrnehmungen gleichberechtig sind. Weder ist das
eine richtig und das andere falsch. Noch darf von einer niederen
und einer höheren Wahrheit gesprochen werden. Beide Wahr-
heiten sind zu überschreiten und gleichzeitig aus einem darüber
liegenden Blickwinkel zu betrachten. Wer anfängt seine mensch-
lichen Bedürfnisse aufgrund seiner spirituellen Praxis zu unter-
175
drücken oder gar Konflikten aus dem Weg zu gehen, wird über
kurz oder lang auf dem Weg stolpern. Das Leben macht uns
ganz von allein immer wieder auf die wichtigsten Punkte des
Weges aufmerksam. Wir brauchen dazu nichts zu tun. Wir soll-
ten nur aufmerksam genug sein es zu merken. Sobald wir leiden,
wissen wir, dass wir uns dem Leben in den Weg gestellt haben,
anstatt mit ihm im Fluss zu sein. Dann wird es Zeit unsere An-
haftungen loszulassen, sich der Gesetze des Universums bewusst
zu werden und einfach mit ihm zu fließen. Unbewusstes Loslas-
sen ist das große Zauberwort. Ich wünsche Dir auf Deinem Weg
steht´s großes Vertrauen in die Praxis, einen einfühlsamen und
echten Lehrer sowie die nötige Geduld, die für jeden spirituellen
Weg unabdingbar ist. Mein eigener Weg geht weiter, im Alltag
wie auch auf dem Sitzkissen. Auch ich nehme nach wie vor im
Alltag Unzufriedenheit wahr, sehe das Leiden der Menschen und
Tiere in dieser Welt und manchmal fühle ich mich zu klein um
Hilfe leisten zu können. Aber jeder hilft auf seine eigene Art und
Weise. Der Herr beim Finanzamt, genauso wie der Handwerker.
Der Großunternehmer, der vielen Menschen Arbeit gibt genau
wie der Bettler, der Dir die Möglichkeit gibt Großmut und Frei-
giebigkeit zu üben. Jeder hat auf seine besondere Weise Anteil.
Wichtig ist vor allem kein Leiden zu erzeugen durch das Festhal-
ten an alten Verhaltensweisen oder an unserem Ego-Denken.
Manchmal ist das Leben leicht, manchmal etwas schwerer. Aber
das ist nur unser beurteilendes Bewusstsein und nicht mehr als
ein Gedanke. Die Dinge so annehmen zu können wie sie sind
und dann geeignete Mittel finden zum Wohle aller Wesen zu
handeln, das ist der Weg des Bodhisattva. Das ist der Weg des
Zen. Das ist der Weg den ich gehen möchte. Nun mag der ein
oder andere Leser vielleicht glauben ich hätte Zen oder gar das
Leben verstanden. Vielleicht sogar die große Erleuchtung er-
langt. Dem ist nicht so. Ich bin nur Mensch unter Menschen.
Ich habe, wie alle Menschen, meine ganz eigenen Probleme und
Schwierigkeiten im Leben und bin überzeugt davon, dass es im
Zen nicht darum geht diese Schwierigkeiten irgendwann völlig
hinter sich zu lassen und verklärt lächelnd durch die Weltge-
schichte zu wandern. Es geht vielmehr darum, wie ich mit diesen
Schwierigkeiten von Augenblick zu Augenblick umgehe.
176
Manchmal bin ich jähzornig und wütend. Ein anderes Mal sehr
gelassen und ruhig. Es ist wie die Metapher mit dem Himmel
und den Wolken. Mal sind viele Wolken vorhanden, mal weni-
ger. An dem einen Tag ein heftiges Gewitter. An dem anderen
Tag Sonnenschein. Den Himmel stört das nicht! Gerade die Ge-
burt unseres ersten Kindes und die Monate danach haben mir
gezeigt, wie wenig Wert eine Erfahrung der Leerheit hat, wenn
man nicht lernt diese Erfahrung in den Alltag zu integrieren. Der
Mangel an Schlaf und das Geschrei dieses kleinen Wesens haben
mich so manches Mal an meine Grenzen geführt und darüber
hinaus. Oft war ich nervlich am Ende und meine Hilflosigkeit
diesem kleinen Geschöpf gegenüber wandelte sich in Wut und
Verbitterung auf mich selbst. Wie bewunderte ich meine Frau,
die einem Bodhisattva gleich, fast immer die Ruhe selbst blieb.
Vielleicht ist das Erkennen der Tatsache, dass wir ewig dazu ler-
nen und immer wieder über die Wunder des Lebens staunen
können, die eigentliche Erleuchtung. Zu wissen, dass man nicht
alles weiß und ein ewiger Schüler bleibt, führt zu einer großen
Dankbarkeit und Demut dem Leben und der Leerheit gegen-
über. Der Weg endet nicht mit der Erfahrung der Erleuchtung
oder des Erwachens. Er beginnt aber auch nicht in diesem Mo-
ment. Der Weg hat keinen Anfang und kein Ende. Wir gehen
ihn ein Stück mit und geben ihn an die nachfolgende Generation
durch unsere eigene Praxis weiter. Zu wissen, dass es nichts zu
erlangen oder zu erwarten gibt, macht unser Leben frei. Gleich-
zeitig sind wir aber für unser Handeln und unser daraus resultie-
rendes Karma verantwortlich. Ich wünsche allen Wesen tiefen
Frieden, Liebe und Mitgefühl für die, die noch in ihren Täu-
schungen und Illusionen gefangen sind. Mögen alle Wesen an
allen Orten gemeinsam mit mir das große Erwachen erlangen.
Gassho!
177
178
179
180
Gewidmet allen Menschen,
die bereit sind, den Weg bis ans Ende
zu gehen ohne stehen zu bleiben.
181
Vorwort zum vierten Buch
182
dass er schon immer der formlose Raum unbegrenzten Friedens
ist. Doch bis wir soweit sind, ist es manchmal ein steiniger Weg.
So sehr sind wir an das Spiel der Gedanken und Gefühle in die-
sem Körper gewöhnt, dass wir die Illusion mit der Wahrheit
verwechseln. Wir glauben, wir hätten so viel in das Wissen, dass
wir haben und in die Fähigkeiten, die wir besitzen, investiert,
dass es dem Verstand schwer fällt, dieses Körper-Geist-System
völlig aufzugeben und die Identifikation wirklich loszulassen.
Keine Angst, das Ego stirbt nicht wirklich. Was stirbt ist die
Identifikation mit einer Täuschung, die wir nie waren. Und doch
ist es so, dass nur wessen Sehnsucht nach Freiheit so groß ist,
dass er bereit ist auf dem Kissen zu sterben, die höchste Wahr-
heit verwirklichen und den grenzenlosen Frieden, der wir schon
immer sind, realisieren kann. Du, der Du dieses Buch in Händen
hältst, trägst eine große Verantwortung. Denn auch wenn wir
nicht dieser Körper, diese Gedanken und Gefühle sind, tragen
wir die höchste Verantwortung für uns und die Menschen in un-
serer Umgebung. Zu dieser Verantwortung erzieht uns der Zen-
Weg. Der Verstand wird durch den Zen-Weg und die Praxis des
Zazen zunächst durchschaut und seine Täuschungen erhellt. Alle
Illusionen und falschen Identifikationen werden restlos zerstört
und verlieren ihre scheinbare Macht. Gleichzeitig werden dem
Verstand die grundlegenden menschlichen Tugenden und eine
im hohen Maße ethische Haltung allen Wesen gegenüber beige-
bracht. Dazu dienen unter anderem die Rituale, die Gelübde des
Bodhisattva und die Rezitationen zur Widmung der Praxis. Erst
wenn die Identifikation mit der Illusion „ich“ ganz durchschaut
wurde, erkennt der Mensch seine eigene Heiligkeit, sein ureige-
nes Wesen, dessen Ausdruck Frieden, Liebe und stille Freude ist,
und erschafft sich von Grund auf neu. Er kehrt zurück in die
Welt der Illusion, um denen zu helfen, die sich noch auf der Su-
che befinden. Aber auch um allen anderen Wesen zu helfen, ihr
Leiden zu lindern. Das ist der aktive Zen-Weg, wie ich ihn unter
anderem durch die Praxis mit meinem Lehrer, Zen-Meister Ro-
land Yuno Rech, kennen gelernt habe. Ich wünsche Dir von
Herzen, diesen letzten Schritt zu gehen. Mir ist bewusst, wie
schwierig es ist, die Anhaftung an den Verstand restlos loszulas-
sen. Immerhin hat er uns, wie ein guter Freund über all die Jahre
183
begleitet und beschützt. Wir sind so intim und eng miteinander
verbunden, dass wir einfach vergessen haben, dass er nicht wir
sind. Ohne diese Intimität und Nähe, hätte es nie zu einer solch
starken Identifikation kommen können. Doch wer den Zen-Weg
wirklich bis zum Ende gehen möchte und das höchste Ziel des
menschlichen Daseins verwirklichen will, dem bleibt nichts an-
deres übrig, als vollkommen loszulassen. Es ist wie in dem fol-
genden Koan:
Meister Sekisô sagte: „Wie willst du von der Spitze einer hundert
Fuß hohen Stange vorwärts gehen?“ Ein anderer berühmter
Meister sagte: „Auch wenn einer sitzend auf einem hundert Fuß
hohen Mast Erleuchtung erfahren hat, ist es noch nicht die voll-
ständige Sache. Er muss von der Spitze des Mastes vorwärtsge-
hen und seinen ganzen Körper in den zehn Richtungen des
Weltalls deutlich zeigen."
184
Die Wahrheit des Seins
185
Sie wieder ganz still und wir saßen zusammen für einige Minuten
wieder in Stille und sahen uns nur an. Dann fragte Sie mich:
„Machen wir gerade irgendwas?“ und schlagartig war die letzte
Illusion zerbrochen, da mir bewusst wurde, dass es gerade des-
halb geschah, weil wir nichts machten. So einfach, so simpel und
doch so schwer zu verstehen. Wir machten nichts, sondern wa-
ren einfach nur völlig präsent im Augenblick. Weder beobachte-
te ich meine Atmung, noch meine Körperhaltung. Ich rezitierte
auch kein Mantra oder das Koan „Mu“. Ich war einfach da! Mit
„ich“ meine ich mein wahres Selbst, die Buddha-Natur, die
Leerheit, Gott, alles was existiert, das Nicht-Getrennte. Nicht,
dass es einen Zustand gab, der ohne Leid war. In der Leerheit,
die ich selbst bin, gibt und gab es niemals Leiden. Nur ewigen
Frieden ohne Anfang und Ende, sowie ein solch tiefes, aber sehr
feines Gefühl von Liebe, dass einem das, was wir als Mensch un-
ter Liebe verstehen, als grob und ungeschliffen vorkommt. Seit
diesem ewigen Jetzt ist meine Suche völlig beendet, denn ich ha-
be verstanden, dass ich in Wahrheit diese Liebe und diese Leer-
heit bin, das dies mein wahres Wesen, mein wirkliches Selbst ist.
Und dieses Selbst findet in meiner Person Ausdruck und die
Möglichkeit die Erfahrung des Mensch-Seins zu machen mit all
den weniger schönen, aber vor allem mit all den wunderbaren
Eindrücken, die wir nur als Mensch machen können. Das Ge-
nießen eines Sonnenuntergangs, der Geschmack von frischen
Erdbeeren, das Gefühl einer Umarmung, der Genuss von gutem
Wein oder einem tollen Essen mit Freunden. All diese Erfah-
rungen sind begrenzt, haben einen Anfang und ein Ende. Aber
das was ich wirklich bin ist unbegrenzt. Kennt kein Leiden, kein
Alter, Krankheit oder Tod. Mein wahres Selbst kennt kein Wer-
den und Vergehen, denn es ist immer gegenwärtig. Ich muss
nichts tun um das wahrzunehmen, was mit Worten nicht ausge-
rückt werden kann. Mit „Nichts-tun“ meine ich tatsächlich
nichts tun. Der Glaube, ich müsste eine bestimmte Haltung ein-
nehmen, zu irgendwelchen spirituellen Lehrern reisen oder ir-
gendeiner Praxis oder einem Weg folgen, sind nur Gedanken des
Verstandes. Diese Gedanken sind aber nicht mein wahres Selbst!
Setz Dich einfach bequem hin und komm zur Ruhe. Sei ganz im
186
Augenblick und präsent im gegenwärtigen Gewahrsein des Hier
und Jetzt. Beantworte Dir selbst folgende Fragen:
187
sere Gedanken, unsere Gefühle, unsere Wahrnehmung, unser
Bewusstsein und unseren Körper. Das habe ich lange Zeit nicht
verstanden bzw. vergessen gehabt. Wenn Du in einem Buch
liest, dass das Erwachen bedeutet, ewigen Frieden und Glückse-
ligkeit verwirklicht zu haben, bezieht sich das nicht auf den
Menschen, der es erfahren hat. Es bezieht sich nicht auf die Illu-
sion einer Person. Es bezieht sich auf das wahre Selbst. Das Er-
wachen zu Deiner wahren Natur, die Du in der tiefen Wahrheit
bist, bedeutet, über Dein persönliches „Ich“ hinauszuwachsen.
Dein kleines Ego hat Probleme, leidet, hat Schmerzen, kennt Si-
tuationen der Unzufriedenheit, und das wird auch nach dem
Erwachen so sein. Der be- und verurteilende Verstand, wird
immer wieder versuchen, Dich zu verführen, damit Du Dich
wieder mit mit ihm identifizierst. Aber Du bist nicht dieses klei-
ne Ego mit all seinen Versuchen, Dich durch Gedanken und
Gefühle von Dir selbst abzulenken. Du bist die Einheit. Du bist
die eine tiefe Wahrheit des Seins! Im Grunde kann man in die-
sem Zusammenhang aber nicht mehr von einem „Du“ spre-
chen. Versuchsweise benutze ich weiterhin diesen irreführenden
Begriff. Alle Probleme die Du hast, sind nur Gedanken denen
Deine Aufmerksamkeit gefolgt ist. Wenn Du mitten in der Er-
fahrung der Leerheit bist und das kleine illusionäre Ego erzeugt
den Gedanken: „Die Erfahrung müsste doch tiefer sein.“ oder
„Im Alltag kann ich das aber so nicht erfahren“ und Du folgst
diesen Gedanken und hältst sie für Dich, dann verlierst Du den
Kontakt zu Deinem wahren Selbst und wirst wiedergeboren in
der Welt als Mensch. Das ist auch vollkommen in Ordnung, so-
lange Du Dir dieser Tatsache bewusst bist. Du kannst jederzeit
mit diesem wahren Selbst in Berührung kommen, wenn Du
achtsam und präsent im Hier und Jetzt bist. Du kannst jederzeit
mit diesem wahren Selbst in Berührung kommen, da Du nie da-
von getrennt bist. Die Trennung war lediglich eine Illusion. Im
Kontakt mit Deinem Partner, im Kontakt mit Deinen Kindern,
mit anderen Menschen, mit einem Baum, mit einem Hundehau-
fen, beim Schreiben eines Buches, beim Autofahren, beim Sehen
eines Regenbogens, beim Betreten eines Bordells und sogar auf
dem Klo, kannst Du die Wahrheit entdecken. Ist das nicht ein-
fach wunderbar? Und Du musst dazu nichts tun! Weder nach
188
Indien fahren noch einen Guru oder Zen-Meister besuchen. So-
lange Du aber nicht verstanden hast, wie das „Nicht tun“ geht,
benötigst Du die Führung eines anderen Menschen, der Dir
hilft, Dir selbst die richtigen Fragen zu stellen und Dich davor
bewahrt „Nicht tun“ mit „Nichts tun“ zu verwechseln. Dieser
Mensch stellt aber lediglich einen Spiegel für Deine illusionären
Neurosen da und stößt Dich immer wieder auf Dich selbst zu-
rück. Niemand kann Dir Deine Fragen beantworten. Nicht die-
ses Buch, kein Zen-Meister oder irgendein spiritueller Lehrer.
Aber diese Menschen können Dir helfen, die richtigen Fragen zu
finden, die Du Dir selbst beantworten musst. Ich wünsche dir
von Herzen, die tiefe Erfahrung der Einheit zu machen und
gleichzeitig, dass Du die Verantwortung für Dich niemals ver-
gisst. Jedoch ist selbst diese Verantwortung, die Du glaubst für
Dich zu haben, eine Illusion und ein Konzept Deines denken-
den Verstandes. Wenn es nie einen jemand gegeben hat, wer
sollte dann was für eine Verantwortung für wen übernehmen?
189
wie vor dem Erwachen, ist er sich dieses Gefängnisses und sei-
ner eigenen Gefangenschaft nicht bewusst. Die Erfahrung, der
mein Verstand in diesen Büchern den Namen „Erwachen“ ge-
geben hat, und mir ist bewusst, dass dies nur ein Wort ist, das
keine Bedeutung aus sich selbst heraus hat, ist also nur die Er-
fahrung, dass es so etwas wie ein „Ich“ nicht gibt. Die Person,
das illusionäre Konzept einer Person die ich glaube zu sein, löst
sich in dem Erfahren der letzten Wirklichkeit, die unsere wahre
Natur oder unser wahres Wesen, ist einfach auf. Wenn ich das
Wort Erleuchtung oder Erwachen benutze, bedeutet das für
meinen Verstand aber auch, das leben aus unserem wahren
Selbst heraus. Der Weg, vom ersten Erwachen bis zur vollstän-
digen Erleuchtung, ist ein Weg des Auflösens falscher Ansich-
ten, falscher Glaubenssätze und konditionierter Verhaltenswei-
sen, die uns daran hindern, Augenblick für Augenblick völlig
spontan aus dem Sein heraus zu leben. Unsere wahre Natur oder
unser natürlicher Zustand beurteilt nicht, kennt kein vergehen,
kein wollen, kein haben, kein müssen und kein sollen. Mit der
rechten Sicht und der rechten Identifikation ist sein Ausdruck
tiefer Frieden, Glück, Vollkommenheit und Freude. Wir müssen
etwas tun um uns schlecht zu fühlen. Zum Beispiel müssen wir
uns mit dem Verstand identifizieren, begehren, anhaften und
haben wollen. Unser natürlicher Zustand ist Ruhe und Entspan-
nung, denn wir müssen etwas tun um nicht entspannt zu sein:
wir müssen uns anspannen. Selbst wenn wir das manchmal gar
nicht bewusst mitbekommen. Loslassen bewirkt Entspannung,
Ruhe, Frieden und Wohlbefinden. Erleuchtung bedeutet, nicht
länger mit dem Ego-Verstand identifiziert sein zu müssen und
stattdessen unserem wahres Selbst, in Form von spontanem
Handeln aus dem Bauch heraus, mit Liebe und Intuition, voll zu
vertrauen. Wie es im Christentum heißt: Nicht mein Wille ge-
schehe, sondern der Deine! Aus dieser geistigen Haltung, die un-
ser natürlichster Ausdruck ist, entsteht Frieden im Herzen und
im Geist. Unbegrenzter Frieden, wahre Stille und unermessliche
Freiheit. Freiheit nicht nur von materiellen oder spirituellen
Dingen wie zum Beispiel der Erleuchtung, sondern Freiheit von
der Illusion unseres kleinen Ego-Verstandes. Das ist, was alle
spirituellen Wege lehren. Du findest dieses Prinzip, wenn auch
190
mit anderen Worten beschrieben, sowohl im Christentum, im
Islam, im Hinduismus, im Sufismus als auch in der modernen
Hirnforschung.
191
zu tun hat. Denn es ist nicht so, dass ich diesen Frieden habe.
Ich bin dieser Frieden!
192
zusammen setzt: Körper, Gedanken, Gefühle, Wahrnehmung
und Bewusstsein, also das, was sich der erst genannten bewusst
ist. Außerhalb dieser fünf Faktoren können wir kein „Ich“ fin-
den. Da diese fünf Elemente aber vergänglich und im ständigen
Wandel sind, können sie nicht unser wirkliches Selbst sein.
Denn irgendwas oder irgendwer nimmt diese Vorgänge wahr
und kann in der Meditation beobachten, wie sie ganz ohne eine
aktive Entscheidung entstehen, sich wandeln und vergehen. Wir
sollten unsere Aufmerksamkeit auf das richten, was immer da
ist. Auf das, was wir schon immer waren. Nur dürfen wir nicht
den Fehler machen zu glauben, wir könnten es definieren und
beschreiben. Unsere wahre Natur hat keine Form, keine Farbe,
keinen Ton, keinen Geruch und keinen Geschmack. Die Men-
schen der unterschiedlichen Länder und spirituellen Wege haben
viele Namen gefunden um es zu beschreiben: Leerheit, Gott,
Buddhawesen, Shiva, Tao, Allah, Geliebter, wahres Selbst, kos-
mische Ordnung, um nur einige wenige zu nennen. Schlussend-
lich aber lässt es sich nicht in Worten ausdrücken. Wir können
nur still werden und voller Dankbarkeit, Demut und tiefer Liebe
in ihm verweilen. Aber selbst das ist im Grunde nicht korrekt
formuliert. Denn es gibt nicht einen „Jemanden“ der in irgend-
etwas verweilt. Wir sind bereits das, ob wir es wollen oder nicht.
Wir können nicht in diesem Raum eintreten, da wir selbst der
Raum sind! In diesem Raum gibt es kein Alter, keine Krankheit
und keinen Tod. Es ist aus menschlicher Sicht, der Standpunkt
der letzten Wirklichkeit, das, was hinter all dem Trubel in der
Welt steht. Es ist weniger eine Frage wohin wir schauen müssen,
als vielmehr die Frage von wo aus wir in Wahrheit schon immer
geschaut haben.
193
wirklichen. Das, worin die Menschen einen persönlichen Sinn
des Lebens sehen, sind lediglich gedankliche Vorstellungen und
konditionierte Ideen aus der Vergangenheit. Die wunderbare
Antwort und das Heilmittel für alles lautet: Es gab nie ein „Ich“,
das geboren wurde und nie ein „Ich“, das sterben wird. Die Illu-
sion eines „Jemanden“ mit all seinen Wünschen, Zielen und
Vorstellungen, ist die Quelle allen Leidens. Das nannte Buddha
„Unwissenheit“, also das Unwissen darüber, wer oder was ich
bin. Nicht, dass es keine Wahrnehmung von Gefühlen, Gedan-
ken und Bewusstsein im Geist eines Menschen gibt, der die
Wahrheit erfahren hat, aber die Identifikation verliert ihre Macht
über ihn. Das intuitive Wissen um unsere wahre Natur, unseren
wahren Wesenskern oder die Leerheit, reicht aus, um die ver-
meintliche Trennung zu durchschauen. Findet danach aber wie-
der Identifikation statt, fallen wir sogleich zurück und werden
„in dieser Welt“ wiedergeboren. Wie es im Shinjimei heißt:
„Doch entsteht im Geist eine Eigentümlichkeit auch nur so win-
zig wie ein Staubteilchen: Sogleich trennt unendliche Entfernung
Himmel und Erde. Wenn wir das Satori hier und jetzt verwirkli-
chen, darf keine Vorstellung von richtig oder falsch in unseren
Geist mehr eindringen. Der Kampf in unserem Bewusstsein
zwischen richtig und falsch führt zur Krankheit des Geistes. Ge-
lingt es uns nicht, in die Quelle der Dinge einzudringen, wird
sich unser Geist vergeblich erschöpfen.“ Wenn ich schreibe „fal-
len wir sogleich zurück…“ dann meine ich das, was nicht mit
Worten ausgedrückt, nicht beschrieben werden kann, sich nicht
definieren lässt, keine Form, keinen Geruch, kein Empfinden,
keine Wahrnehmung und kein Bewusstsein darüber hat. Ich
meine unser wahres Selbst.
194
ner indischen Lehre die übersetzt „Nicht-zwei“ bedeutet zum
Beispiel, stellt sich der Praktizierende in der Meditation nur die
einfache Frage: Wer bin ich? Diese Frage hat das Potenzial, auf
direktem Weg, zum Erwachen zu führen und beinhaltet in sich
selbst bereits die Antwort. Wenn ich über ein „Ich“ reflektieren
kann, dann kann ich nicht gleichzeitig dieses „Ich“ sein. Wenn
ich die vorüber ziehenden Gedanken beobachten kann, kann ich
nicht diese Gedanken sein. In diesem Fall bin ich also der Be-
obachter der Gedanken. Aber kann der Beobachter beobachtet
werden? Wenn ja, ist der Beobachter noch immer Teil des Ego-
Verstandes. Aber an einem undefinierbaren Punkt kann der Be-
obachter nicht mehr beobachtet werden. Es ist wie mit dem
Messer, das viele verschiedene Gemüsesorten schneiden kann,
aber niemals sich selbst. Oder wie mit der Waage, die viele un-
terschiedliche Objekte wiegen kann, aber niemals sich selbst
wiegen kann. Auch die Augen, die alle möglichen Dinge sehen,
können sich selbst nur in einem Spiegel erkennen. Dieser Spiegel
ist die stille Meditation und Achtsamkeit. In dieser Erfahrung
löst sich das „Ich“ völlig in der Leerheit des Seins auf. Nur ein
intuitives „Ich bin“ ohne weitere Vorstellungen von „Ich bin
dies oder das!“ Nur das „Ich bin“ oder „Sein neben dem nichts
anderes existiert“ bleibt übrig. Wahnsinn, das ist der totale
Wahnsinn. Und kaum ein Mensch durchschaut diese Illusion.
Was ist das Resultat dieser Erkenntnis für „mein“ Leben und
„meine“ Sicht der Welt? In dem Augenblick, wenn sich die Er-
kenntnis offenbart, ist da nur Frieden, Freude und Glückselig-
keit. Dies ist der Ausdruck des wahren Selbst im Ego-Verstand.
Wenn wir erkennen, dass es keine aus sich selbst heraus existie-
rende Person gibt und keine Entscheidungsfreiheit im her-
kömmlichen Sinne, dann basiert alles was wir getan haben, tun
und tun werden, auf dem Prinzip der wechselseitigen Abhängig-
keit. Wir können die in der Bibel genannte Ursünde, auf der alle
anderen Sünden und alles Leiden aufbaut, einfach fallen lassen.
Die Ursünde ist die Geschichte von Adam und Eva im Paradies,
die vom Baum der Erkenntnis, also von der Frucht des beurtei-
lenden und unterscheidenden Verstandes, gegessen haben. Es
gibt niemanden der Schuld an seinen Handlungen oder ver-
meintlichen Fehlentscheidungen hat. Ob etwas richtig oder
195
falsch ist, entscheidet unser konditionierter Verstand. Und selbst
wenn wir einen Fehler begangen haben, beruht unsere Entschei-
dung auf Ursachen, für die wir nicht verantwortlich sind. Nie-
mals verantwortlich sein können. Solange wir glauben, dass wir
als Person einen freien Willen und eine freie Entscheidungsmög-
lichkeit haben, müssen wir uns zwangsläufig für die Fehler, für
die uns der beurteilende Verstand verantwortlich macht, schul-
dig fühlen. Aber, und das ist die höchste Weisheit und die frohe
Botschaft, Du hast noch nie einen Gedanken gedacht oder eine
Entscheidung getroffen. Denn jede Deiner Entscheidungen ba-
sierte auf Ursachen, die wiederum auf Ursachen beruhen. Ver-
folgst Du die Ursachen für eine vermeintlich falsche Entschei-
dung zurück, wirst Du sehen, dass Du nirgendwo ankommen
kannst. Das ist die wahre Freiheit.
196
Mittwoch, 17. April 2013
Stell Dir vor unser „Ich“ ist nur ein Gedanke. Sozusagen ein,
wenn nicht sogar der, fehlerhafte Glaubenssatz schlechthin. In
der Psychologie und im mentalen Training wird gelehrt, dass ein
negativer Glaubenssatz, wie zum Beispiel „Ich bin nicht gut ge-
nug.“ oder „Das schaffe ich nicht.“, das gesamtes Denken, Han-
deln und Tun eines Menschen beeinflusst. Wenn der Glaubens-
satz „Ich bin ein Jemand!“ nun grundlegend falsch wäre, aber da
alle (fast alle) ihn für wahr halten, niemand auf die Idee kommt
ihn zu hinterfragen, was wäre dann? Die meisten Menschen sind
doch eher an Fragen interessiert wie „Was bringt mir das?“,
„Was habe ich davon?“ oder „Was muss ich tun, um glücklich
zu sein?“ Niemand hinterfragt das „Ich“ um das sich all diese
Fragen drehen. Die wenigsten Stellen sich die Frage nach dem
„Wer bin ich?“
197
bestimmt, für das er kämpfen und einstehen muss. Was für eine
große Täuschung. Wir sind nicht getrennt von der Einheit und
wir waren es nie. Wir sind die Einheit. Ohne ein davor und da-
nach. Ohne ein „Ich bin dies oder das.“ Wir sind einfach nur die
eine große Leerheit, die Wahrheit, Gott, Allah, Buddha, Shiva,
Tao, das Leben, das Bewusstsein, das Universum, die wahre Na-
tur…
198
Zustand nichts Besonderes sei. Wir sind! Aber wir sind nicht
dies oder das. Wir sind einfach nur. Das ist die eine tiefe Wahr-
heit. Identifikation führt zu Leiden. Loslassen führt zur Befrei-
ung.
Zeit und Raum existieren nur als Illusion und Vorstellung in un-
serem Kopf. Es handelt sich um ein gedankliches Konzept, das
nicht der Wahrheit entspricht. Zeit und Raum sind lediglich Er-
innerungen und Vorstellungen, bezogen auf Vergangenheit und
Zukunft, und somit ebenfalls wieder nur Gedanken oder Emp-
findungen bezogen auf Geschehenes im Gehirn. Es gibt nur ein
ewig andauerndes hier und jetzt. Alles was ich zum Beispiel als
Bewegung wahrnehme, hat zu tun mit meiner Erinnerung von
„gerade eben noch“. Stell Dir vor, der Mensch hätte keinen Ver-
stand als Werkzeug zur Erinnerung. Alles wäre immer nur ein
Standbild. Selbstverständlich wären wir dann nicht lebensfähig.
Wir könnten nichts lernen, uns nicht weiter entwickeln und
niemals erwachen. Wir benötigen also den Ego-Verstand, genau
wie das Leiden, um zu erwachen. Worauf ich hinaus will: Der
Verstand ist ein wundervolles Werkzeug. Er ist so komplex und
hat eine solche Macht, die den meisten Menschen nicht einmal
auf der relativen Ebene der Wirklichkeit bewusst ist. Wichtig
aber ist, aus dem Gefängnis des Verstandes zu entkommen. Sich
nicht mehr von diesem Verstand versklaven zu lassen, sondern
ihn vielmehr als effektives und machtvolles Werkzeug zu nutzen.
Aber zurück zum Thema: Zeit und Bewegungen. Bewege ich
zum Beispiel meine Hand von rechts nach links, so ist links jetzt
in diesem Augenblick und nur durch das bewusst sein, dass sie
gerade eben noch rechts war, nehme ich Bewegung wahr. Die
Erinnerung von „rechts“ erzeugt die Wahrnehmung von Bewe-
gung. Zeit und Raum sind also nur eine Vorstellung und Idee im
menschlichen Bewusstsein. Doch wen interessiert das? All diese
Hilfsmittel zur Erklärung der tiefen Wirklichkeit und höchsten
Wahrheit sind lediglich Krücken und der Finger der auf den
Mond zeigt. Wenn das wahre Selbst geschaut wurde, können sie
199
alle vergessen werden. Es ist, wie Buddha es erklärte, ein Floß
mit dem man über den Fluss kommt. Am anderen Ufer benötigt
man es nicht mehr und es wäre unsinnig, es weiter mit sich rum
zu tragen.
200
1. Meditiere über die Vergänglichkeit. Die Wahrheit ist, das
wir nur sein können, was immer da ist.
201
eine Entscheidung zu treffen, als keine Entscheidung zu treffen.
„Mir“ ist jetzt bewusst geworden, dass das Abwägen, beurteilen
und verwerfen, das ständige Grübeln ob ich mich ordinieren las-
se oder nicht, lediglich mein Ego-Verstand war, der mich von
meinem wahren Selbst abgelenkt hat. So mache ich mich jetzt
also an den Brief:
Lieber Roland,
vor zwei Jahren, beim Frühjahrlager 2011 hier in der Grube Louise,
sagte ich zu Dir im Dokusan, dass ich die Erfahrung aller Buddhas
gemacht hätte. Das war eine Lüge!
Es gab niemanden, der eine Erfahrung gemacht hat. Es hat noch nie
einen „Jemand“ gegeben, der die Erfahrung des Erwachens gemacht
hat. Alles was nach dieser Erfahrung gesagt werden kann, ist nur ein
weiterer Gedanke. Alles was ich glaubte zu verstehen und in Worte
fassen zu können, war nur ein weiterer Trick des Ego-Verstands.
Der Grund, warum ich vor so vielen Jahren mit Zen anfing war, dass
ich einen Weg gesucht habe, dauerhafte Zufriedenheit und Glück zu
finden. Doch solange man von einem persönlichen Standpunkt aus
nach einem dauerhaften Frieden sucht, kann dieser Frieden niemals
gefunden werden. Der Verstand ist niemals zufrieden und will immer
noch mehr. Wenn wir aber die Idee, in der Lage zu sein, dauerhaften
Frieden machen zu können, fallen lassen, dann taucht dieser leise in-
nere Frieden ganz von allein auf. Wenn die Identifikation mit dem
Ego-Verstand aufgegeben wird und man das Ergreifen und Zurück-
weisen, wie Wolken am Himmel, einfach vorüberziehen lässt, kann
202
der immerwährende Frieden in unserer wahren Natur gefunden wer-
den. Nicht notwendig irgendetwas zu tun! Niemand da, der etwas tun
könnte.
Doch wenn der Ego-Verstand an dieser Idee festhält und wir uns
wieder mit ihm identifizieren, führt dies auf direktem Weg in die
Unzufriedenheit und Depression. Das Ego will jemand sein, etwas
erreichen und das Leben kontrollieren. Nach wie vor finde ich es
schwer, dies ganz zu verhindern. Aber sobald ich Leiden und Unzu-
friedenheit wahrnehme, ist das für mich ein Zeichen im selben Au-
genblick loszulassen.
Auf der einen Seite erkenne ich meine Verantwortung für „mich“,
„meine“ Familie und auch für die Menschen, die mich um Hilfe bit-
ten. Auf der anderen Seite, entstehen alle Dinge ganz von allein auf
Grund ihrer Leerheit. Und alles geschieht, ohne ein „Ich“ das irgend-
etwas tun muss.
Gassho,
Thorsten
203
Donnerstag, 02. Mai 2013
204
den, können wir noch immer dem ein oder anderen Wunsch
hinterherlaufen. Nur so zum Spaß.
Ich bin auf meinem vierten Sesshin in der Grube Louise ange-
kommen. So viele Eindrücke und Erkenntnisse der vergangenen
Monate und Jahre. Mal schauen wie es wird. Am Ende dieses
neuntätigen Lagers werde ich mich ordinieren lassen. Auf Grund
der Arbeiten in der Küche, für die ich mich gemeldet habe, wer-
de ich vermutlich wenig Zeit haben zu schreiben. Mal sehen!
205
Sonntag, 12. Mai 2013
Am dritten Tag sagte mir ein Teilnehmer, dass mich mein Leh-
rer im Dokusan sprechen wolle, da ich mich ja ordinieren lassen
möchte. So meldete ich mich an und ging am Abend zum
Dokusan, in seinen Raum. Traditionell machte ich Sampai, ließ
mich im Fersensitz vor ihm nieder und sah ihm direkt in die Au-
gen. Ich sagte nichts! Ich sah ihn nur an und die Atmosphäre im
Raum lud sich spürbar auf. Nach einigen Minuten fragte mein
Lehrer verwundert, ob ich keine Frage hätte und ich verneinte.
Ich sagte ihm, dass ich nur gekommen sei, weil er nach einem
Gespräch wegen der bevorstehenden Ordination verlangt hatte.
Darauf sagte er zu mir, dass er meinen Brief gelesen hat und
fragte mich, ob ich auf die Ordination gut vorbereitet wäre. Ich
antwortete lächelnd mit einem „Ja!“ und er entließ mich freudig
aus dem Dokusan. Der Rest des Sesshins verlief ohne nennens-
werte Zwischenfälle, auf eine sehr harmonische und angenehme
Weise. Und heute war es dann endlich so weit. Die Zeremonie
verging wie im Rausch, begleitet von lauten Trommeln und Re-
zitationen. Dann bekam ich das Rakusu und meinen
Bodhisattvanamen überreicht. In vielen spirituellen Wegen erhält
der Schüler vom Lehrer einen neuen Namen. Dieser Namen
verweist im Zen auf eine besondere Qualität des Schülers, die er
entweder noch entwickeln sollte oder die er bereits hat und die
ihm helfen wird, die vollständige Erleuchtung zu verwirklichen.
Während wir uns tief in die Augen sahen und mein Lehrer mir
die Tasche mit dem Rakusu übergab, sagte er: „Auf das Rakusu
habe ich den Namen Heisan - Berg des Friedens - kalligraphiert
und in die Tasche das Zeichen für Dharma!“ Ich war tief be-
rührt bei diesen Worten und empfand ein unbeschreibliches Ge-
fühl von Dankbarkeit, Liebe und Hingabe.
206
Donnerstag, 23. Mai 2013
Wer bist Du? Eines ist sicher: Du bist! Aber Du bist nicht, was
Du beobachten kannst, wie zum Beispiel die vorüberziehenden
Gedanken und Gefühle während der stillen Meditation. Die ein-
fache Antwort lautet, dass wir nicht wissen können wer bzw.
was wir sind. So wie sich ein Messer nicht selbst schneiden kann.
Alles was ich wahrnehmen und beobachten kann, wie zum Bei-
spiel Trauer, Wut, Freude, Ruhe, Zufriedenheit etc. bin nicht
ich, da ich all diese Gefühlszustände in mir beobachten kann.
Ich bin also das, indem all diese Manifestationen stattfinden.
Wenn wir bis zu diesem Punkt vorgestoßen sind, wird das Leben
einfach und unkompliziert. Wir müssen nichts Besonderes tun
um uns gut zu fühlen. Wir können alle Versuche, so etwas wie
Erleuchtung finden zu wollen oder erlangen zu müssen, fallen
lassen. Selbst Alter, Krankheit und Tod machen uns keine Sor-
gen mehr und die Suche hat endlich ein Ende. Das war, was
Meister Dogen verwirklicht hatte, als er die Worte „Körper und
Geist fallen lassen“ von seinem Meister hörte.
207
wahre Selbst, unsere wahre Natur sein. Eine Identifikation wür-
de bedeuten, dass man noch immer glaubt, dass es da „Jeman-
den“ gibt, der sich mit dem wahren Selbst identifizieren muss.
Lediglich die falsche Sichtweise und illusionäre Identifikation
aufgeben. Das war´s! Lediglich die Anhaftung an den Verstand
fallen lassen und zum Gewahrsein des Augenblicks zu erwachen,
führt zur Auflösung des Karmas oder anders ausgedrückt, zur
Auflösung der Muster, Prägungen, Konditionierungen, Ideen
und Vorstellungen, die uns im Kreislauf und der Identifikation
mit einer Illusion gefangen halten. Sobald Du den Glauben an
einen freien Willen bzw. die Illusion eines unabhängigen „Ich“,
das Entscheidungen treffen könnte, restlos aufgegeben hast, ist
alles was Du spontan tust, immer richtig. Wenn Du es aus Mit-
gefühl und Liebe, spontan aus dem Augenblick heraus und
durch Intuition oder Bauchgefühl tust, kann es niemals falsch
sein. Selbst wenn „mich“ diese Entscheidung das Leben kostet.
Durch diese Erkenntnis lösen sich alle Leiden und Schwierigkei-
ten auf. Zum Beispiel bin ich zurzeit stark erkältet. Auf der rela-
tiven Ebene der Wirklichkeit mache ich mir Gedanken darüber,
was mir mein Körper sagen möchte. Vom Blickwinkel der
höchsten Wirklichkeit aus betrachtet, passiert nichts bzw. ge-
schieht Augenblick zu Augenblick nichts Besonderes. Doch
vom persönlichen Ego-Verstand aus gesehen, habe „ich“ in der
Vergangenheit „falsche“ Entscheidungen getroffen, die dazu ge-
führt haben, dass „ich“ jetzt leide. In dieser Idee inbegriffen sind
Schuldgefühle, Versagen, nicht gut genug sein, meinen eigenen
Anforderungen nicht gerecht werden zu können usw. Alle Ideen
und gedanklichen Konzepte einer Identifikation mit der Illusion
„Ich“, die dafür sorgen, dass Leiden geschieht. Leiden entsteht
auf Grund der der Illusion eines „Jemanden“ der verantwortlich
ist. Diese Idee ist eine der letzten Hürden zur Befreiung. Im sel-
ben Augenblick, wo ich diese Zeilen schreibe, rebelliert selbst-
verständlich mein Verstand und sagt, dass menschliche Ethik
und Verantwortung doch wichtig sind. Selbstverständlich! Aber
Verantwortung geschieht genau wie alles andere auch. Die Din-
ge geschehen von Augenblick zu Augenblick. Die unermessliche
Freude über die Befreiung und das damit verbundene Gefühl
der Solidarität mit allem was ist, führt ganz von allein zu einem
208
ethischen Verhalten gegenüber der Umwelt und einem tiefen
Mitgefühl mit allen Wesen. Lass den Verstand also ruhig rebel-
lieren.
209
Nachwort zum vierten Buch
Nun, das war´s. Ich weiß wirklich nicht, was ich noch sagen soll.
Die Wahrheit des Seins ist genauso banal wie komplex. Sie um-
fasst alle Gegensätze und schließt alles, wirklich alles, in sich ein.
Im Grunde gibt es nichts mehr zu tun. Alles geschieht von Au-
genblick zu Augenblick, aus einer Verkettung von Ursachen, die
ihrerseits aus einer Vielzahl anderer Ursachen entstehen. Das
Leben entfaltet sich Stück für Stück. Ich glaubte mich selbst lan-
ge auf der Suche nach der Wahrheit, doch erkannte nicht, dass
ich selbst diese Wahrheit bin. Alle Techniken und Strategien, die,
vom Standpunkt der Person aus gesehen, für Wohlbefinden und
Zufriedenheit sorgen sollen, haben mich über kurz oder lang
enttäuscht. Im wahrsten Sinne des Wortes, ent-täuscht, also die
Täuschung entfernt. Vom Standpunkt der Person oder des Egos
aus gesehen, kann es niemals dauerhafte Zufriedenheit geben.
Die Welt und alle Phänomene sind vergänglich. Das ist, was
Buddha in seiner ersten edlen Wahrheit ausgesagt hat. Alles be-
dingte Dasein ist über kurz oder lang leidvoll. Aber, und das war
die Wahrheit, zu der er erwacht war, es gibt einen Weg zu dau-
erhaftem Frieden, allumfassender Liebe und stiller Freude. Dies
ist kein Glaube oder eine Vorstellung des Geistes, sondern er-
fahrbare Wirklichkeit. Doch wir müssen bereit sein, die Identifi-
kation mit dem Ego aufzugeben und das Ego sterben zu lassen.
Erst dann können wir wiedergeboren werden als Nichts, das sich
in allem ausdrückt und wiederspiegelt. Bis dahin sind der Kesa-
Vers und die Gelübde des Bodhisatta in Verbindung mit der
Praxis des Zazen, eine sinnvolle Unterstützung, um Deinen Fo-
kus an jedem Tag auf das höchste Ziel des menschlichen Da-
seins auszurichten. Am Ende dieses Nachwortes findest Du je-
weils eine deutsche Version dieser Texte, wie ich sie selbst ver-
wende. Ach ja, solltest Du jetzt glauben ich wäre erleuchtet oder
ein „Erwachter“, dann möchte ich Dich bitten, dieses Buch
noch einmal von vorne zu lesen. Denn es gab noch nie jeman-
den, der die Erfahrung der Erleuchtung gemacht hat. Solange
jemand glaubt, dass er oder sie etwas erlangen oder erreichen
kann, ist er oder sie so weit von der Wahrheit entfernt, wie der
210
Himmel von der Erde. Ich komme noch einmal auf das Vorwort
dieses Buches zurück. Erinnerst Du Dich? Zu Beginn der Reise
zu Dir selbst, wirst Du vielleicht die schöne Landschaft und
bunten Blumen bewundern und erfreut sein über diesen An-
blick. Doch schon nach den ersten Stationen, wirst Du erken-
nen, dass es auf dieser Reise auch weniger schöne Abschnitte
gibt und dass diese Reise ein Wechselspiel der unterschiedlichs-
ten Facetten des Lebens zeigt. Manche Teile des Weges wirken
vielleicht sogar dunkel und bedrohlich und sind schwierig zu
passieren. Andere dagegen lassen sich mühelos durchschreiten.
Doch am Ende dieser Reise kommt jeder Suchende an einen
hohen Aussichtspunkt, an dem er weit über das Land blicken
kann. Er steht an einem Abgrund und blickt in die Tiefe hinun-
ter, ohne den Boden sehen zu können. Die Frage lautet: Bist Du
in diesem Moment bereit zu springen?
211
Der Kesa-Vers
212
Gelübde des Bodhisattva
213
Texte der alten Meister
214
lass sie zur Ruhe kommen. Hör' auf alles mit deinen Gedanken und
Meinungen abzuwägen. Versuche auch nicht einen Buddha aus dir
zu machen, gib dich nicht ab mit "Sitzen" oder "Liegen". Breite eine
dicke Sitzmatte aus. Darauf lege dein Sitzkissen. Sitze entweder im
halben Lotussitz oder im vollen Lotussitz. Beim vollen Lotussitz
lege den rechten Fuß auf den linken Oberschenkel und dann den
linken Fuß auf den rechten Oberschenkel. Beim halben Lotussitz
lege einfach den linken Fuß auf den rechten Oberschenkel. Trage
dein Gewand locker und ordentlich. Lege die rechte Hand auf den
linken Fuß und die linke Hand auf die rechte Hand. Die Spitzen der
beiden Daumen sind gegeneinander gestützt?. Sitze gerade, in der
richtigen Haltung. Sitze nicht nach links oder rechts gekrümmt,
vornüber gebeugt oder zurückgelehnt. Ohren und Schultern sollten
in einer Linie sein, während die Nase in einer Linie mit dem Nabel
ist. Die Zunge sollte am Gaumen anliegen. Halte Lippen und Zähne
geschlossen und die Augen stets geöffnet. Atme leise durch die
Nase. Ist der Körper auf diese Weise eingestimmt, dann atme ein-
mal tief durch den Mund aus. Schwinge deinen Oberkörper erst
nach links und rechts. Dann sitze reglos wie ein mächtiger Berg in
Konzentration und denke auf dem Grund des Nicht-Denkens. Wie
denkt man auf dem Grund des Nicht-Denkens? Es ist die Loslö-
sung vom Denken (Undenken). Dies macht die Kunst des Zazen
aus. Zazen ist keine Meditationstechnik - es ist das Dharmator gro-
ßer Zufrieden- und Gelassenheit. Es ist das übende Erweisen des
endlosen Dharmaweges. Hier verwirklicht sich das offenbare Ge-
heimnis, es gibt kein Netz mehr, in dem du dich verfangen könntest.
Wenn du dir dies zu Eigen gemacht hast, bist du wie ein Drache, der
zurück ins Wasser taucht, du bist wie ein Tiger, der durch die Berge
streift. Die wahre Lehre verwirklicht sich von selbst, und deine Mü-
digkeit und Zerstreutheit werden sich auflösen. Wenn du aus Zazen
aufstehst, bewege deinen Körper erst langsam, und richte dich dann
in Ruhe auf. Tue es nicht Hals über Kopf. Siehe, dass all die, die
über das Gewöhnliche wie das Ungewöhnliche hinausgehen und im
Sitzen wie im Stehen sterben, sich dieser einen Kraft überlassen.
Das gilt auch für den Finger und den Mast, die Nadel und den
Schlegel, mit denen das Rad der Lehre gedreht wurde. Der Erweis,
der mit dem Wedel und der Faust, dem Stock und dem Schrei erb-
racht wurde, lässt sich durch Gedanken und Urteile nicht verstehen.
215
Wie sollte ihn je einer erkennen, der sich mit übendem Erweisen um
das Erlangen übernatürlicher Kräfte bemüht? Dein Handeln muss
sich von Klang und Gestalt lösen, es muss sich auf die Ordnung
gründen, die vor intellektuellem Sehen und Verstehen liegt. Mache
dir keine Gedanken darüber, ob du mehr weißt als die anderen oder
nicht. Glaube nicht, dass der Kluge besser ist als der Dumme. Gib'
dich einfach hin an die Übung: Das ist es, was Beschreiten des We-
ges genannt wird. Nichts könnte das übende Erweisen beflecken -
sich nach dem Weg zu richten bedeutet, den Alltag zu leben. In
dieser wie in allen anderen Welten, in Indien wie in China, wird das
Buddhasiegel auf gleiche Weise bewahrt, und der Wind der Wahr-
heit weht frei und ungehindert. Gib' dich einfach hin an das Sitzen,
geh' auf im unbeweglichen Zustand des Zazen. Auch wenn es tau-
send Wege mit zehntausend Unterschieden gibt, beschreite den
einen Weg, indem du einfach nur Zen übst. Welchen Sinn hat es,
das Sitzkissen bei dir Zuhause zu verlassen, um in der Fremde um-
herzuirren? Ein falscher Schritt, und du wirst den Boden unter dei-
nen Füßen verlieren. Als Mensch geboren, hast du die seltene Gele-
genheit den Weg zu gehen - verschwende deine Zeit nicht! Dem
Buddhaweg in diesem Leben begegnet - wie könntest du die Gele-
genheit ungenutzt lassen und fliegenden Funken nachblicken? Dein
Leben ist wie das Tau am Gras. Das Schicksal schlägt zu wie ein
Blitz. Dein Körper hat keinen Bestand, in einem Augenblick musst
du ihn aufgeben. Ich hoffe, dass du, der du die Lehre so gelernt hast
wie ein Blinder, der an einem Elefanten tastet, nicht in Angst und
Schrecken versetzt wirst, wenn du dem wirklichen Drachen begeg-
nest. Übe den direkten Weg der Wahrheit mit Leib und Seele, res-
pektiere den Müßiggänger, der jenseits jedes Lernens ist. Teile die
Weisheit mit Buddhas und Buddhas, erbe das Samadhi von Patriar-
chen und Patriarchen. Auf diese Weise geübt - auf diese Weise ver-
wirklicht. Die Schatzkammer öffnet sich von selbst - es liegt an dir,
sie auszuschöpfen.
216
Herz des Sutras der Höchsten Weisheit
von Nagarjuna
Der Boddhisattva des großen Mitgefühls übt sich tief und gründlich in der
höchsten Weisheit und versteht so, dass der Körper sowie alle Erschei-
nungen leer sind und durch diese Erkenntnis befreit er sich von allem
Leiden. Sariputra, die Erscheinungen sind nicht verschieden von Leerheit,
und Leerheit ist nicht verschieden von den Erscheinungen. Die Erschei-
nungen sind Leerheit und Leerheit ist Erscheinung, und auch Empfin-
dung, Wahrnehmung, Denken und Bewusstsein sind Erscheinungen.
Sariputra, alles Dasein ist seinem Wesen nach leer, es gibt in ihm weder
Geburt noch Vergehen, weder Reinheit noch Beschmutzung, weder
Zunahme noch Abnahme. Daher gibt es in der Leerheit keine Form und
keine Erscheinungen, nicht Augen, noch Ohren, noch Nase, Zunge,
Körper oder Bewusstsein, keine Farben, keine Töne, keine Gerüche,
keinen Geschmack, nichts zu tasten, kein Denken. Dort gibt es weder
Wissen noch Unwissenheit, weder Illusion noch Auslöschung der Illusion,
kein Altern, kein Tod, noch die Beseitigung von Altern und Tod, keine
Ursache des Leidens, keine Auslöschung des Leidens, es gibt dort weder
Erkenntnis noch Gewinn, noch Nicht-Gewinn. Dank dieser Weisheit, die
über all dies hinausführt, gibt es für den Bodhisattva weder Angst noch
Furcht. Alle Illusionen und jegliches Haften und Festhalten sind beseitigt,
und er kann das höchste Ziel des Lebens, das Nirvana, erreichen. Alle
Buddhas der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erlangen durch diese
Lehre das Verständnis der höchsten Weisheit, das höchste Satori. Man
muss daher verstehen, dass diese Weisheit die große universale Lehre ist,
die große, glänzende, höchste und unübertreffliche aller Lehren, die
unvergleichliche Lehre, die alles Leiden beendet, denn in der echten
Wahrheit gibt es keinen Zweifel. Und deshalb besagt die Lehre von der
Höchsten Weisheit: “Lasst uns darüber hinaus gehen, alle gemeinsam,
darüber hinaus und noch jenseits des Darüber-Hinaus, an das Ufer des
Satori.”
217
Vereinigung von Essens und Erscheinung
von Meister Sekito
Der Geist des großen Weisen aus Indien wurde direkt von Westen
nach Osten übermittelt. Menschen unterscheiden zwischen Dum-
men und Klugen, doch auf dem wahren Weg gibt es keine Patriar-
chen des Südens oder des Nordens. Die Quelle der Lehre ist rein
und ohne Makel. Bäche die sich verzweigen, fließen in der Dunkel-
heit. An einer Idee zu haften ist Täuschung. Die Wahrheit zu erken-
nen ist auch nicht immer Erleuchtung. Die Sinne und ihre Objekte
sind eng miteinander verbunden und gleichzeitig voneinander unab-
hängig. Doch trotz ihrer unendlichen Verbundenheit haben sie alle
ihren eigenen Ort. Dinge unterscheiden sich in Wesen und Form.
Im Geschmack, Klang und Gefühl manifestieren sich gut und
schlecht. Im Dunkeln sind hochwertig und minderwertig nicht zu
unterscheiden. Im Hellen wird der Gegensatz von rein und unrein
deutlich. Die vier Elemente kehren zu ihrer Natur zurück, wie ein
Kind zu seiner Mutter. Feuer erhitzt, Wind bewegt, Wasser nässt,
Erde ist fest. Für die Augen gibt es Farbe und Form. Für die Ohren
gibt es Klang. Für die Nase gibt es Geruch. Für die Zunge gibt es
Geschmack. Jedes Phänomen entspringt der Wurzel, so wie Zweige
und Blätter aus dem Stamm sprießen. Wurzel und Baumspitze keh-
ren zu ihrer ursprünglichen Natur zurück. Hohe und niedrige Worte
sind unterschiedlich. In der Helligkeit da ist tiefste Dunkelheit, hafte
nicht an der Dunkelheit. In der Dunkelheit da ist Helligkeit, aber
suche nicht nach der Helligkeit. Dunkelheit und Helligkeit wechseln
einander ab, wie beim Gehen der vordere und hintere Fuß. Jedes
Phänomen hat seinen Wert. Ihr solltet darauf achten, wie die Wahr-
heit zum Ausdruck gelangt. Das Relative passt zum Absoluten wie
ein Deckel zu seinem Behälter. Das Absolute und das Relative ent-
sprechen einander wie zwei Pfeile, die sich im Flug begegnen. Hörst
Du die Worte, solltest Du die Quelle der Lehre verstehen. Entwickle
keine eigenen Maßstäbe. Erkennst du den Weg nicht mit deinen
Augen, wie sollten dann deine Füsse um ihn wissen? In der Übung
fortschreiten, ist weder fern noch nah. Im Zustand der Täuschung
bist du Berge und Flüsse davon entfernt. Ich fordere alle Sucher der
Wahrheit ehrerbietig auf: Vergeudet eure Tage und Nächte nicht.
218
Gedichte über den Glauben an den Geist
von Meister Sosan
Es ist nicht schwer, den Weg zu durchdringen, doch man muss frei
sein von Liebe und Haß, von Neigung und Abneigung. Es genügt,
frei zu sein von Liebe und Haß, damit die Einsicht sich zeigt, un-
vermittelt klar, wie das Licht des Tages in einer Höhle. Doch ent-
steht im Geist eine Eigentümlichkeit auch nur so winzig wie ein
Staubteilchen: Sogleich trennt unendliche Entfernung Himmel und
Erde. Wenn wir das Satori hier und jetzt verwirklichen, darf keine
Vorstellung von richtig oder falsch in unseren Geist mehr eindrin-
gen. Der Kampf in unserem Bewusstsein zwischen richtig und
falsch führt zur Krankheit des Geistes. Gelingt es uns nicht, in die
Quelle der Dinge einzudringen, wird sich unser Geist vergeblich
erschöpfen. Der Weg ist rund, friedlich und breit, wie der unendli-
che Kosmos, vollkommen, ohne die geringste Vorstellung von Be-
harren oder Zerbrechen. Wahrlich, so wir ergreifen oder zurückwei-
sen wollen, sind wir nicht frei. Lauft nicht den Erscheinungsformen
nach, und verweilt auch nicht in der Leerheit. Wenn unser Geist
Ruhe findet, verschwindet er von selbst. Halten wir alle Bewegung
an, so wird unser Geist ruhig, und diese Ruhe bewirkt wieder Bewe-
gung. Wenn wir an den beiden äußeren Enden bleiben, wie können
wir dann das Ganze verstehen? Konzentriert man sich nicht auf das
Ursprüngliche, gehen die Vorzüge der beiden äußeren Enden verlo-
ren. Wenn wir nur die Existenz anerkennen, fallen wir in diese Exis-
tenz. Wenn wir nur Ku folgen, wenden wir uns gegen Ku. Selbst
wenn unsere Worte genau und unsere Gedanken richtig sind, ent-
sprechen sie doch nicht der Wahrheit. Wenn wir Sprache und Den-
ken aufgeben, können wir über alles hinausgehen. Wer Sprache und
Denken nicht zurücklassen kann, wie kann der den Weg verstehen?
Wenn wir zum Urgrund zurückkehren, berühren wir das Wesen der
Dinge. Folgen wir dem Widerschein, verlieren wir das Ursprüngli-
che. Wenn wir in alle Richtungen erleuchtet sind, und sei es nur für
einen einzigen Augenblick, wäre das mehr wert als das gewöhnliche
Ku. Die Veränderung des gewöhnlichen ku geht einher mit dem
Auftreten der Illusionen. Ihr braucht die Wahrheit nicht zu suchen,
wenn ihr nur keinen vorgefassten Urteilen und Meinungen anhängt.
Verharrt nicht in den beiden Vorurteilen, und sucht nicht den Dua-
219
lismus. Bleibt uns die geringste Vorstellung von richtig und falsch,
wird unser Geist in der Verwirrung zugrunde gehen. Kein Irrtum,
kein Dharma. Kein Dharma, kein Geist. Das Subjekt verschwindet,
wenn es dem Objekt folgt. Das Objekt versinkt, wenn es dem Sub-
jekt folgt. Das Objekt verwirklicht sich als wahres Objekt durch
seine Abhängigkeit vom Subjekt. Das Subjekt verwirklicht sich als
wahres Subjekt durch seine Abhängigkeit vom Objekt. Wollt ihr
Subjekt und Objekt verstehen, müsst ihr begreifen, daß beide letzt-
endlich Ku sind. Ein Ku, das mit dem einem und mit dem anderen
identisch ist, schließt alle Erscheinungsformen in sich ein. Unter-
scheidet nicht zwischen dem Feinen und dem Groben. Es gibt keine
Seite, auf die man sich schlagen kann. Der große Weg ist in seinem
Wesen großmütig. Er ist weder schwierig noch leicht. Eigenes Den-
ken führt zum Zweifel. Schnelles Streben bewirkt Stockung. Wenn
wir an unserem kleinlichen Geist haften und alles Maß verlieren,
werden wir auf dem Weg des Irrtum verschlagen. Wenn wir ihn
freimütig ausdrücken, sind wir natürlich. In unserem Körper gibt es
keinen Ort, zu dem man gehen oder verweilen könnte. Der Natur
vertrauend können wir in Harmonie mit dem Weg sein. Kenhen
widersetzt sich der Wahrheit, Konchin entflieht ihr. Ein schwacher
Geist ist zerstört. Wozu also parteiisch sein? Wollen wir das einzige
und höchste Gefährt nehmen, dürfen wir die sechs Befleckungen
nicht hassen. Wenn wir die sechs Befleckungen nicht hassen, kön-
nen wir den Zustand des wahren Buddha erreichen. Der Weise ist
nichthandelnd, der Törichte liebt und haftet. Im Dharma gibt es
keine Unterscheidungen, doch der Unwissende bindet sich selbst.
Sich des Geistes mit dem Geist zu bedienen, bedeutet das große
Verwirrung oder Harmonie? Im Zweifel erheben sich Kenhen und
Konchin. Im Satori-Bewusstsein gibt es weder Liebe noch Haß. In
Hinsicht auf die zwei Seiten aller Dinge, wollen wir viel zu viel be-
denken. Wie ein Traum, ein Schatten, eine Blume der Leerheit ist
unser Leben. Warum sollten wir leiden um uns diese Trugbildes zu
bemächtigen? Gewinn und Verlust, richtig und falsch, ich bitte euch
lasst ab davon. Wenn unsere Augen nicht schlafen, lösen sich alle
Träume auf. Ist der Geist nicht den Unterscheidungen unterworfen,
werden alle Daseinsformen des Kosmos Einheit. Verwirklicht unser
Körper in tiefer Weise die Einheit, können wir augenblicklich alle
Verkettungen abschneiden. Betrachten wir alle Daseinsformen mit
220
Gleichmut, kehren wir zurück zu unserer ursprünglichen Natur.
Ergründen wir dies aufmerksam, können wir nichts vergleichen.
Halten wir die Bewegung an, gibt es keine Bewegung mehr. Bewe-
gen wir das Ruhende gibt es kein Ruhendes mehr. Da die Zwei
nicht möglich ist, ist es auch die Eins nicht. Letztendlich und im
Grunde gibt es weder Vorschrift noch Regeln. Ist der Geist mit dem
Geist im Einklang, verschwinden die Samen und die Spuren der
Handlungen. Wenn es den Argwohn des Fuchses nicht mehr gibt,
lösen sich die Leidenschaften restlos auf, und plötzlich erscheint der
Glaube. Da alles unbeständig ist, bleibt keinerlei Spur zurück. Sein
eigene Inneres mit dem Licht der Leerheit zu beleuchten, macht den
Gebrauch des Denkens überflüssig. Es ist sehr schwierig über
Hishiryo Erwägungen anzustellen. In der kosmischen Welt der
Wirklichkeit so wie sie ist, gibt es weder Wesenheit des Ego noch
sonstige Unterschiede. Wenn ihr die Eins verstehen wollt, ist dies
nur in der Nicht-Zwei möglich. Da dies Nicht-Zwei ist, sind alle
Dinge ähnlich, gleich, und dulden alle Widersprüche. Der Unterwei-
sung durch die Quelle gehen alle Weisen der Menschheit entgegen.
Die Quelle des Ursprungs ist jenseits von Raum und Zeit. Ein Au-
genblick des Bewusstseins wird zu zehntausend Jahren. Weder Da-
sein noch Nicht-Dasein überall vor unseren Augen. Das Kleinste ist
identisch mit dem Größten. Wir müssen alle Grenzen zwischen den
verschiedenen Orten auslöschen. Das Größte ist gleich dem Kleins-
ten. Wir können die Grenzen der Orte nicht sehen. Das Dasein
selbst ist das Nicht-Dasein. Das Nicht-Dasein selbst ist das Dasein.
Wenn dies nicht so ist, dürft ihr es nicht nur beschützen. Das Eine
selbst ist alle Dinge, und alle Dinge selbst sind das Eins.
Wenn dies so ist, wozu sich noch Gedanken machen über das
Nicht-Endliche? Der Geist des Glaubens ist Nicht-Zwei, Nicht-
Zwei ist der Geist des Glaubens. Schließlich werden die Techniken
der Sprache restlos zerbrechen, und Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft werden nicht mehr begrenzt sei.
221
Das Samadhi des kostbaren Spiegels
von Meister Tozan
So ist das Dharma, das Buddha und die Patriarchen vertraut weiter-
gegeben haben. Nun habt ihr es, also beschützt es gut. Wie eine
schneegefüllte Schale, wie ein im Mondlicht verborgener Reiher. Sie
sind ähnlich, doch nicht identisch. Einander nahe erscheinen ihre
Unterschiede. Der Sinn liegt nicht in den Worten, doch der ent-
scheidende Moment lässt ihn erscheinen. Wenn ihr ihnen folgt, seid
ihr in die Falle getappt; wenn ihr sie nicht beachtet, stürzt ihr in den
Zweifel. Worte zurückzuweisen oder sich an sie zu klammern, sind
Irrtümer, denn es ist wie ein großes Feuer: nützlich, aber gefährlich.
Es auf literarische Weise zu beschreiben, bedeutet, es mit Schmutz
zu beflecken. Im Dunkel der Nacht ist dies völlig klar; bei Tageslicht
ist es verborgen. Es ist das Gesetz, das alles regiert; gebraucht es,
um alle Leiden zu entwurzeln. Obwohl es nicht erzeugt ist, ist es
nicht jenseits der Worte. Es ist wie vor dem kostbaren Spiegel:
Form und Spiegelbild betrachten einander. Ihr seid nicht es, doch es
ist ihr. Wie ein Neugeborenes hat es die fünf Sinnesorgane. Kein
Gehen, kein Kommen; kein Erscheinen, kein Verweilen; "Ba-
ba,wawa."- Bedeutet dies etwas oder nicht? Letztlich sagt es nichts,
denn seine Worte sind noch nicht richtig. Wenn man das Trigramm
des Feuers verdoppelt, interagieren die inneren und die äußeren
Linien. Aufeinander gelegt werden sie drei, verwandelt werden sie
fünf. Wie der Geschmack der Pflanze der fünf Geschmäcke oder
wie die fünf Zweige des Vajrazepters. Harmonisch im Zentrum
vereint, kommen Trommel und Gesang zugleich an. Die Quelle
durchdringen und auf dem Weg gehen, die Landschaft umarmen
und den Weg wertschätzen. Respektiert dies und vernachlässigt es
nicht. Natürlich und subtil ist es weder Verblendung noch Erwa-
chen. Unter den Ursachen und Bedingungen, der Zeit und den Jah-
reszeiten ist es heiter und leuchtet. Es ist so rein, dass es dort
durchdringt, wo es keinen Raum gibt, es ist so weit, dass es jede
Dimension übersteigt. Wenn ihr euch davon um Haaresbreite ent-
fernt, seid ihr nicht mehr in Harmonie. Jetzt gibt es das Plötzliche
und das Allmähliche, in denen die Unterweisungen und Ansätze
erscheinen. Wenn sie sich unterscheiden, besitzt jedes seine Nor-
222
men. Aber ob diese Unterweisungen und Ansätze gemeistert werden
oder nicht, verläuft die Wirklichkeit unablässig. Außen - Ruhe, innen
- Aufregung. Das ist wie ein gefesseltes Pferd oder eine versteckte
Ratte. Die Weisen von früher haben mit ihnen Mitleid gehabt und
ihnen das Dharma gegeben. Von ihren irrigen Sichtweisen geleitet,
hielten sie schwarz für weiß. Wenn diese irrigen Sichtweisen aufhö-
ren, realisieren sie den Geist, der sich auf natürliche Weise harmoni-
siert. Wenn ihr dem alten Weg folgen wollt, dann, so bitte ich euch,
beachtet die Weisen von früher. Derjenige, der an dem Punkt ist,
den Weg Buddhas zu realisieren, hat den Baum während zehn Kal-
pas kontempliert. Es ist wie die Verletzung des Tigers oder wie das
Hinken des Pferdes. Weil einigen etwas fehlt, suchen sie den kostba-
ren Sitz und die geschmückten Gewänder. Weil andere eine weite
Sicht haben, realisieren sie, dass sie wie der braune und der weiße
Ochse sind. Aufgrund seiner großen Geschicklichkeit traf Hiei die
Scheibe aus hundert Metern. Doch wenn die Pfeile sich mitten im
Flug treffen, wie kann das eine Frage der Geschicklichkeit sein?
Der Mann aus Holz beginnt zu singen, die Frau aus Stein erhebt
sich und tanzt. Das wird weder durch die Empfindungen noch
durch das Bewusstsein erreicht. Wie könnte es die Unterscheidun-
gen betreffen? Die Minister dienen dem Herrscher, die Kinder ge-
horchen ihren Eltern. Nicht zu gehorchen, widerspricht der Kin-
despflicht, nicht zu folgen, bedeutet, kein wirklicher Minister zu
sein. Verbergt eure Praxis, handelt unauffällig, erscheint dumm und
beschränkt. Einfach so weitermachen wird Meister unter Meistern
sein genannt.
223
Das Lied vom Erwachen
von Meister Yoka-Daishi
224
sein. Das geheimnisvolle Handeln der sechs Sinne ist Ku und
gleichzeitig nicht Ku. Der leuchtende Schein einer Perle gehört der
Welt der Täuschungen und doch gehört er ihr nicht an. Die fünf
Arten der Sicht reinigend kann man die fünf Kräfte erlangen. Nur
durch die Praxis kann man dies verstehen. Es ist kaum vorstellbar!
Es ist nicht schwer, den Mond in einem Spiegel zu sehen. Aber
unmöglich kann der Mond im fließenden Wasser festgehalten wer-
den. Wir gehen immer allein, wir gehen immer allein. Auf dem Weg
des Nirvana spielen nur die Erfüllten miteinander. Die Melodie
seines Lebens ist klassisch, sein Geist ist rein und sein Gang von
natürlichem Adel. Seine Wangen sind eingefallen, seine Kiefer stark,
niemand beachtet ihn. Der Sohn von Cakya ist als Armer bekannt.
In Wirklichkeit ist seine Erscheinung arm, doch sein Geist kennt
keine Armut. Er ist arm, so ist er gewöhnlich in Lumpen gekleidet.
Doch besitzt er den Weg und bewahrt diesen unermesslichen Schatz
auf dem Grund seines Geistes. Und dieser unermessliche Schatz ist
nie erschöpft, auch wenn man davon Gebrauch macht. So kann er
alle davon genießen lassen, bei jeder Gelegenheit, ohne Sparsamkeit,
ewig. Die drei Körper und die vier Weisheiten kommen in seinem
Körper zur Erfüllung. Die acht Einsichten und die sechs übernatür-
lichen Kräfte sind in seinem Geist eingraviert. Der Erhabene hat das
ganze Verstehen in einem einzigen Mal. Der Mittelmässige oder
Minderwertige kann wohl viel hören, glaubt aber wenig und hat
keine tiefe Wahrheit. Entledige dich selbst der Lumpen, die diesen
Schatz verbergen. Vor den Anderen, gib nicht an mit deiner Fröm-
migkeit. Nimm Kritik an und ertrage die Verleumdungen der an-
dern. Am Ende erschöpfen sie sich selbst im Versuch, den Himmel
mit einer Fackel in Brand zu stecken. Sie zu hören ist wie süßen
Nektar trinken. Er schmilzt sofort und verschwindet im Geheimnis.
Wenn du begreifst, dass die üble Rede Wohltat wird, dann wird sie
für dich ein Meister des Weges. Wenn du durch die Kritik nicht
jenseits von Freund oder Feind erwachst, wie kannst du dann die
grenzenlosen Kräfte des Mitgefühls und der Beharrlichkeit erlan-
gen? Den Ursprung, das Prinzip vollkommen verstehend kannst du
es vollkommen lehren. Zazen und Weisheit verschmelzen miteinan-
der ohne nur auf Ku zu verweilen. Nicht nur ich habe nun die Klar-
sicht. Die Buddhas, so zahlreich wie die Sandkörner des Ganges,
sind alle von der gleichen Essenz. Die Doktrin der Nicht-Angst ist
225
gleich dem Brüllen des Löwen: es zerschmettert das Gehirn der
hundert Tiere, die es hören. Der Elefant verliert trotz aller Kraft
seine Würde. Einzig der Himmelsdrache vernimmt diese Stimme
mit Zufriedenheit. Ich habe Ozeane und Seen überquert, ich bin
über Berge und Flüsse gegangen, ich habe die Meister aufgesucht,
ich habe die Wege gesucht, ich habe Zazen geübt. Und seit ich den
Weg zum Berg Sokei gefunden habe weiß ich, dass Geburt und Tod
dasselbe sind. Auch Gehen ist Zen, auch Sitzen ist Zen. Ob man
spricht oder schweigt, ob man sich bewegt oder ruhig bleibt, der
Körper verweilt immer im Frieden. Selbst vor dem gezückten
Schwert bleibt der Geist ruhig. Selbst vor dem Gift bleibt der Geist
unberührt. Mein Meister ist dem Buddha Nento begegnet und er ist,
vor langer Zeit, Non-Niku Sen geworden. Viele Male müssen wir
leben und viele Male sterben. Leben und Tod folgen unablässig
aufeinander in Ewigkeit. Aufgrund der unmittelbaren Verwirkli-
chung der Nicht-Geburt besteht nicht mehr die Notwendigkeit, sich
zu freuen oder zu sorgen über Ehren oder Ungnade. Sich tief in die
Berge zurückziehen, in einer kleinen Einsiedelei leben, unter einer
großen Pinie sitzen, ruhig und gelassen, Zazen üben, heiter und
glücklich in der Wohnstatt des Einsiedlermönchs, schlichtes und
zufriedenes Leben, wahrhaftige Schönheit. Wenn ihr erwacht und
versteht, dann bedarf es keiner vergeblichen Mühen mehr: nichts
gehört zur Unbeständigkeit der Erscheinungen. Die zielorientierte
Gabe kann das Glück verleihen, im Himmel wiedergeboren zu wer-
den, jedoch ist das als würde man einen Pfeil in den Himmel schie-
ßen. Sobald die Kraft des Pfeils erschöpft ist, fällt er auf den Boden,
und dies ist Ursache für ungutes Karma in der Zukunft. Es ist ganz
anders als das Stehen unter der Pforte von Muijiso, durch die man
augenblicklich in die Buddhadimension eintritt. Nur die ursprüngli-
che Wurzel erfassen, sich nicht um die Zweige kümmern, dies ist
wie das Einfangen des Mondes in einem reinen Juwel. Ich kenne
nun diesen Schatz der wahren Freiheit, unerschöpflich nicht nur für
mich sondern auch für die Andern. Der Mond leuchtet auf dem
Wasser des Flusses, der Wind bewegt die Pinien: frischer und reiner
Schatten einer langen Nacht. Was ist die Ursache? Der Schatz der
Vorschriften von Buddha ist auf dem Grund unseres Geistes ein-
graviert. Nebel und Morgentau, Regen und Dunst sind das Kesa,
das unseren Körper bekleidet. Die Mönchsschale um den Drachen
226
zu rufen und der Stab um den Tiger fernzuhalten. Die Metallringe
oben auf dem Stab klirren hell und klar. Schale und Stab sollten
nicht bloß in ihrer materiellen Form betrachtet werden. Sie bedeu-
ten, dass man innig der Spur des Buddha folgt und symbolisieren
seinen kostbaren Stab. Nicht die Wahrheit suchen, nicht die Täu-
schungen abschneiden. Denn ich verstehe klar, dass diese beiden
Elemente Ku sind, ohne Form. Nicht-Form ist weder Ku noch
Nicht-Ku, es ist die wahre Form des Buddha. Der Spiegel des Geis-
tes ist rein, nichts verdunkelt ihn; durch seine Reinheit und Klarheit
wiederspiegelt er das ganze Universum. Das Abbild tausender von
Erscheinungen erscheint in diesem Spiegel, dieses vollkommene
Juwel hat weder Außen noch Innen. Die wahre Freiheit von Ku
vertreibt die Beziehung von Ursache und Wirkung, und so ist alles
in völliger Verwirrung und Unordnung und bringt schreckliche Ka-
tastrophe. Die Existenzen aufgeben und nur Ku, die Leerheit be-
wahren ist ebenfalls eine schlimme Krankheit. Es ist als würde man
ins Feuer springen, um nicht ins Wasser zu fallen. Die Täuschungen
aufgeben und nur die Wahrheit behalten ist Diskrimination, künstli-
ches Gebilde und Nachahmung. Ein Mensch, der dies nicht beach-
tet und nur der Praxis folgt ist gleich dem, der einen Dieb zu seinem
Sohn macht. Wir vergeuden den Schatz des Dharma und verlieren
dessen Wohltaten. Die Ursache dafür ist dieses mentale Bewusst-
sein, deshalb löst die Zenschule dieses Mentale auf. Unmittelbar ins
Satori der Nicht-Geburt eintreten, dies ist die Kraft der wahren
Weisheit. Der aufrechte Mensch ergreift das Schwert der Weisheit.
Scharfe Klinge der Weisheit, eine Flamme, so stark wie ein Diamant.
Dieses Schwert kann den Geist aller falschen Gedanken und Auf-
fassungen zerstören, doch es kann ebenfalls unerwartet alle Dämo-
nen schlagen. Die Buddhalehre ist wie die Stimme des Donners, das
donnernde Gesetz, der Trommelwirbel. Es breitet eine Wolke des
Mitgefühls aus und verströmt honigsüßen Nektar. Die Spuren des
Drachens und des Elefanten breiten sich unbeschränkt überall aus,
so dass alle Menschen – auch jene, die ein dogmatisches oder litera-
risches Satori erlangt haben – erwachen und durch diese Lehre zum
wahren Satori kommen. Auf den Gletschern des Himalaya wächst
nur reines, unvermischtes Gras. Es schenkt ausschließlich die Es-
senz des Geschmacks. Und diesen Geschmack bewahre ich für
immer. Eine einzige Natur beinhaltet alle Naturen, eine einzige
227
Existenz schließt alle Existenzen in ihrer Gesamtheit ein. Ein einzi-
ger Mond wiederspiegelt sich in allen Wassern, alle Spiegelungen des
Mondes im Wasser kommen von einem einzigen Mond. Der spiri-
tuelle Körper Dharma Kaya aller Buddhas geht in meine Natur ein.
Meine Natur harmonisiert sich mit dem Geist des Tathagata. Eine
Weisheit enthält alle Weisheiten. Es gibt weder Form noch Bewusst-
sein noch Handlung noch Karma. Während einem einzigen Augen-
blick entstehen 80'000 Pforten, während einem einzigen Augenblick
geht die Ewigkeit zu Ende. Die Masse sind kein Maß. Wie ist man in
Einklang mit unserer wahren Natur? Nicht kritisieren, nicht loben.
Unser Körper ist wie der Himmel. Beide sind grenzenlos. Wenn du
dich nicht von der Stelle rührst bleibst du ruhig. Wenn du nach
Kenntnis suchst merkst du, dass du weder verstehen noch erwerben
noch verwerfen kannst. Was du nicht erlangen kannst wirst du un-
bewusst erlangen. Wenn du schweigst, redest du; wenn du redest,
schweigst du. Wenn die große Pforte der Gabe offen steht, ist nichts
mehr ausweglos. Auf die Frage welcher Religion ich angehöre ant-
worte ich: die Kraft von Maka Hannya. Was ist gut, was ist schlecht?
Die Menschen können es nicht wissen. Was geht in die richtige
Richtung, was geht gegen den Strom? Selbst der Himmel kann es
nicht messen. Ich habe lange praktiziert und studiert. Dies sind we-
der leere Worte noch Lügen. Hier hisse ich das Banner des Gesetzes
und errichte die wahre Religion. Buddhas wahrhaftige und heilige
Nachfolgelinie geht weiter durch den Mönch vom Berg Sokei.
Mahakashyapa hat als Erster die Lampe, die Fackel weitergegeben,
dann zählte die Geschichte achtundzwanzig Generationen unter
dem Himmel Indiens. Über die Ozeane hinweg hat das Zen dieses
Land erreicht, Bodhidharma war der Gründer. Sechs Generationen
großer Meister folgten ihm und übermittelten die Robe. Zahlreiche
werden nun in der Zukunft den Zenweg erhalten. Die Wahrheit des
Zen braucht nicht verteidigt zu werden. Zudem ist auch der
Ursprund der Täuschungen Ku. Aber Existenz oder Nicht-Existenz,
wenn diese beiden Standpunkte aufgegeben sind, dann wird Nicht-
Ku zu Ku. Die zwanzig Pforten von Ku haben keine Existenz. Die
einzigartige Natur der Tathagatas ist von Ursprung her dieselbe für
alle Daseinsformen. Der Geist ist die Wurzel, das Dharma ist der
Staub. Beide sind wie der Wiederschein im Spiegel. Ist dieser Staub
weggewischt, so strahlt das Licht. Geist und Dharma sind ganz ver-
228
schwunden und unsere Natur ist authentisch. Ach ! Diese Zeit ist
geprägt von der Degeneration des Dharma, die Menschen sind nicht
sehr glücklich ; sie sind schwer zu leiten, weit von der Weisheit, von
der Heiligkeit entfernt und versinken in falschen Auffassungen. Die
Dämonen sind mächtig, das Dharma ist schwach und unheilstiften-
der Hass breitet sich aus. Sie haben die Möglichkeit, die Lehre von
der Pforte der wahren Buddhadoktrin zu hören, leider verwerfen sie
die Lehre, zerbrechen sie in tausend Stücke wie einen Ziegel und
können die ursprüngliche Form nicht wiederfinden. Die Handlung
kommt vom Geist, die Leiden kommen vom Körper, deshalb solltet
ihr den andern gegenüber keinen Groll hegen. Willst du kein endlo-
ses Karma auf dich ziehen, dann kritisiere nicht das Rad der Lehre.
Im Sandelholzwald wächst kein anderer Baum. Nur die Löwen ver-
weilen in diesem dichten, stillen Wald. Und überall in diesem ruhi-
gen Wald vergnügen sich die Löwen sorglos. Alle Tiere der Erde
und alle Vögel des Himmels sind geflohen, nur die Löwenjungen
folgen den Löwen. Schon als Dreijährige sind sie fähig zu brüllen.
Und selbst wenn die Schakale diese Löwen, die Dharmakönige
nachahmen wollten, könnten sie die hunderttausend Dämonen nicht
daran hindern, ihren Mund frei zu öffnen. Die wahrhaftige Lehre
kann nicht durch den menschlichen Verstand erfasst werden. Aber
wenn ihr Zweifel habt, wenn ihr nicht versteht, dann ist es euch
durchaus möglich, mit mir darüber zu sprechen. Dies ist nicht eine
Meinung, die auf meinem Dogmatismus beruht. Bloß ist zu befürch-
ten, dass unsere Praxis zu den zwei Extremen der Verneinung und
der Behauptung hin degeneriert. Das Negative ist nicht negativ (nein
ist nicht nein), das Positive ist nicht positiv (ja ist nicht ja). Wenn wir
uns in diesem Punkt irren, sei es um ein Haar, dann entfernen wir
uns meilenweit. Wenn es ja ist, kann selbst die Drachentochter
plötzlich Buddha werden, wenn es nein ist, kann selbst der Mönch
Zensho lebendigen Leibes in die Hölle stürzen. Was mich betrifft,
so habe ich seit meiner Jugendzeit Kenntnisse angesammelt, ich
habe die Texte mit ihren Kommentaren sowie die Sutren studiert.
Ich habe über Namen und Formen nachgedacht, doch habe ich in
diesem Studium keine Ruhe gefunden, denn gewiss ist dies so ver-
geblich als wollte man in den Ozean gehen, um seine Sandkörner zu
zählen. Der Buddha hat es mir vorgeworfen, zu Recht, denn wozu
soll es gut sein, die Schätze der andern zu zählen? Nun sehe ich
229
wohl, dass ich Wandermönch bis heute jahrelang vergeblich prakti-
zierend auf Irrwegen war. Da ich von nicht sehr leuchtender Natur
bin, habe ich mich geirrt und habe nicht verstanden. So hatte ich
keinen Zugang zur wahren Buddhalehre. Der Hinayana gibt sich
ganz dem Weg hin, doch fehlt ihm die universelle Liebe. Intelligenz
und Wissen mangeln an tiefer Weisheit. Dumm und kindisch sind
jene, die eine falsche Wirklichkeit in ihrer leeren Faust oder auf ih-
ren Fingerspitzen erschaffen. Sie erreichen nichts indem sie den auf
den Mond zeigenden Finger für den Mond halten. Sie vermischen
und verwechseln absichtlich die objektive und die subjektive Welt.
Der Mensch, der alle Aspekte umfasst ist Buddha. Er kann wahrhaft
Avalokitesvara genannt werden. Wenn die Erleuchtung verwirklicht
ist wird das ursprüngliche Karma zu Ku. Ansonsten müssten wir
unsere Schulden begleichen. Wir haben Hunger, und doch essen wir
nicht einmal an einer Königstafel. Wenn wir krank sind, dem König
der Ärzte begegnen und doch seine Arznei nicht nehmen, wie wol-
len wir dann geheilt werden? In der Welt des Begehrens müssen wir
durch die Kraft der Weisheit Zen praktizieren. Wenn der Lotus im
Feuer erblüht kann er niemals zerstört werden. Yuse missachtete
eine der wichtigsten Vorschriften, doch erlangte er dann das Satori
der Nicht-Geburt und im selben Augenblick wurde er Buddha, und
nun existiert er. Die Lehre, gleich dem Brüllen des Löwen ist ohne
Furcht. Jämmerlich, diese dummen und wirren Geister! Sie verste-
hen, dass die Missachtung der Vorschriften für die Erleuchtung ein
Hindernis ist, aber sie können das Geheimnis der Essenz der
Buddhalehre nicht erkennen. Zwei Mönche hatten das Keuschheits-
gebot verletzt und ein Verbrechen begangen. Haris Unterweisung
vergrößerte noch ihr schlechtes Gewissen. Doch der große Yuima
wischte ihre Zweifel augenblicklich aus, so schnell wie Schnee und
Eis in der Sonne schmelzen. Die wunderbaren Wirkungen der ge-
heimnisvollen Kraft der Erleuchtung sind so unzählig wie die Sand-
körner im Ganges. Weshalb sollen wir die Mühe scheuen, ihm die
vier Gaben dar zu bringen; zehntausend Goldstücke sind wertlos
dagegen. Und würden wir auch unsere Knochen zu Pulver zermah-
len oder unseren Körper in Stücke schneiden, es wäre doch nicht
genug, um ihm zu danken. Ein einziges Wort ist jenseits von zehn
Milliarden Worten. Er ist der Dharmakönig, er ist der Erhabenste.
Alle Buddhas, so zahlreich wie die Sandkörner im Ganges, zeugen
230
davon. Ich weiß nun was dieses Juwel ist, und all jene, die es ver-
trauensvoll empfangen können Dharmakönige werden. Es gibt
nichts zu finden in der Welt des Satori, es gibt weder Mensch noch
Buddha. Sogar die unzähligen Kosmoswelten sind Wasserblasen im
Ozean. Alle Weisen und Ehrwürdigen sind wie Himmelsblitze. Mö-
ge ein großer Metallring über meinem Kopf in Drehung kommen,
die vollkommene Klarheit bleibt. Möge die Sonne erkalten oder der
Mond warm werden, mögen die Dämonen zahlreich sein, die wahre
Doktrin bleibt unzerstörbar. Die Karosse des Elefanten rückt lang-
sam auf dem Weg voran, wie könnte die Fangschrecke seinen Rä-
dern den Durchgang verweigern? Der große Elefant spielt nicht auf
dem Pfad der kleinen Kaninchen, ein großes Satori geht über die
kleinen Ehren hinaus. Beurteile die Immensität des blauen Himmels
nicht indem du durch einen Strohhalm schaust. Wenn du das Er-
kennen noch nicht hast, dann werde ich es dir jetzt tiefer bestätigen.
231
Glossar
Bodhisattva (Skrt.) verkörpern bestimmte menschliche Eigen-
schaften wie Mitgefühl oder Weisheit. Im Zen bedeutet die Or-
dination zum Bodhisattva sich für den Zen-Weg zu entscheiden
Deshimaru (jap.) Taisen, Schüler von Kodo Sawaki der das Zen
von Japan nach Europa gebracht hat
Dogen (jap.) japanischer Meister, der das Zen von China nach
Japan brachte und als Gründer der Soto-Schule in Japan gilt
Kyosaku langer flacher Stock, der durch einen Schlag auf die
Schulter bestimmte Nervenpunkte stimuliert, wird auf Bitte des
Übenden hin zum Aufwecken benutzt
232
Kesa (jap.) das Gewand der Mönche und Patriarchen, das bei
der Ordination übergeben wird
233
Seiza (jap.) Sitzhaltung, bei der man kniend auf den Fersen sitzt
und den Rücken gerade aufgerichtet hält (Fersensitz), leichtere
Variante zum Lotus-Sitz
Zabuton (jap.) Sitzmatte die meist mit Kapok gefüllt ist, auf der
Zazen geübt wird
Zendo (jap.) eine große Halle oder ein Raum, in dem Zazen ge-
übt wird (s.a. Dojo)
234
Verbände und Organisationen
Der AZI gehören weltweit mehr als 200 Dojos und Zazengruppen an;
vor allem in Europa. Sie folgen der Praxis und Tradition der Soto–
Schule. Die Hauptpraxis dieser Schule ist das Zazen, eine Meditation,
die in den Dojos (den Meditationshallen) praktiziert wird. Von Beginn
an hat die AZI die Organisation von zahlreichen Sesshins (Tage inten-
siver Praxis) und anderen, mit der Praxis verbundenen Veranstaltungen
ermöglicht, sowie das traditionelle Ango (Sommerlager), das alle bud-
dhistischen Gemeinschaften jedes Jahr durchführen.
Heute vereinigt die AZI den größeren Teil der verschiedenen Sanghas
(Gruppen von Praktizierenden), die sich um die Nachfolger von Meis-
ter Deshimaru gebildet haben. Diese praktizieren weiter gemeinsam im
Tempel von La Gendronnière und halten einen Geist der Konzentrati-
on und der Koordination wach, um die verschie-denen Sanghas mitei-
nander in Einklang zu bringen und die Mittel zu fördern, die der Sache
und den Zielen der Vereinigung entsprechen.
235
Die Buddhistische Zen-Vereinigung Europas (ABZE)
wurde von den Schülerinnen und Schülern des Meisters Roland Yuno
Rech im Juli 2007 gegründet.
Ihr Hauptziel ist es, die Praxis des Soto-Zen-Buddhismus, der seit
Buddha Shakyamuni durch Meister wie Bodhidharma, Tosan, Dôgen,
Keizan, Kodo Sawaki, Taïsen Deshimaru, Niwa Renpo, Yuno Rech
und seine Schülerinnen und Schüler übermittelt wurde, im Geist der
dieser Schule eigenen Weitergabe von Person zu Person zu organisie-
ren und zu verbreiten.
Sie verpflichten sich, Buddha, seine Lehre und die Gemeinschaft der-
jenigen, die diese Lehre praktizieren, zu respektieren.
Sie geloben, allen Wesen zu helfen, sich zu erwecken, indem sie ihnen
helfen, ihre Leid verursachenden Anhaftungen zu lösen, die Lehren
Buddhas und der Meister der Weitergabe des Soto-Zen zu studieren
und zu praktizieren und sich schließlich zur tiefen Dimension des We-
ges zum Wohle aller Wesen zu erwecken.
236
Die Zen-Vereinigung Deutschland e.V.
Die Zen-Vereinigung Deutschland e.V. wurde 1983 gegründet, um
Mitgliedern und Interessenten die Übung und Vertiefung der Zen-
Praxis zu ermöglichen; diese Zen-Praxis steht in der überlieferten Tra-
dition des Sôtô-Zen von Dôgen-Zenji, das durch Meister Deshimaru
nach Europa gebracht wurde und durch den authentischen, bestätigten
Zen-Meister L. Tenryû Tenbreul weitergegeben wird.
Die Deutsche Buddhistische Union e.V. (Kurz DBU) ist ein Dachver-
band von Buddhisten in Deutschland. Die DBU wurde 1955 gegründet
und hat 59 Mitgliedsgruppen (Stand 11.2009).
237
Spirituelle Geschenkidee
98 Seiten, Taschenbuch
ISBN 978-3-8442-6054-0
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238
Das kleine Buch der
großen Erleuchtung
98 Seiten, Taschenbuch
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239