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Autor(en): Wüstemann, G.
Objekttyp: Article
Heft 24: SIA 67. Generalversammlung in Winterthur vom 23. - 25. Juni 1961
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1. Das Hochwasser des Rio Negro
in Uruguay, April 1959
Im April 1959 brachte der Rio Bild 3. Der Rio Negro zwischen Rincon del Bonete und Rincon de Baygorria. 1:450 000
Negro in Uruguay eine Hochwasser-
führung, die alles überstieg, was bis
dahin beobachtet werden war. Dieses Ereignis ist deshalb in- Von den rd. 2,5 Millionen Einwohnern leben rund ein
teressant, weil es erlaubte, die auf Grund einer 23jährigen Drittel in der Hauptstadt Montevideo, die bei weitem die
Beobachtungsreihe erfolgte Schätzung des grössten Hoch- grösste Stadt des Landes ist. Uruguay lebt hauptsächlich von
Wassers zu überprüfen. Diese Schätzung war auf Grund einer der Zucht von Rindern und Schafen, deren Fleisch, Felle und
Wahrscheinlichkeitsbetrachtung vorgenommen worden. Das Wolle den Hauptexport darstellen. Die Tiere sind das ganze
Hochwasser von 1959 zeigte, wie gefährlich es ist, von einer Jahr im Freien auf den ausgedehnten Weiden, wo das Gras
kurzen Beobachtungsperiode auf das ganze Leben eines zum Teil sehr mager wächst. Uruguay wird die südamerika-
Flusses schliessen zu wollen, insbesondere, wenn dabei die nische Schweiz genannt, weil es eine demokratische Staats-
Grundursache des Zuflusses, der Regen, unberücksichtigt form besitzt und den höchsten Lebensstandard des südameri-
bleibt. kanischen Kontinents aufweist.
Uruguay ist mit einer Oberfläche von 187 000 km2 die ı
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a Das Hochwasser des Rio Negro in Uruguay. April 1959 m D D W* -l]- Projekfierte Kraftwerke
b Der Bruch der Staumauer von Malpasset. Dezember 1959 ---- -- Einıugsgebiele
c Der Bruch des Erdclanıınes Oros im Staate Ceara. Nord- Bild 2. Uel;ıeı'sichIiskarte von Uruguay mit den Einzugsgebieten
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cl Das Erdbeben in Chile, Mai 1960 Rio Negro. I\'Iasstal.¬› 1:5 000 (100
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Bild 7. Mittlere barometrische Druckverteilung für die unge- fiíií- warmrrfini
störte stabile Wetterlage iın Januar. für denjenigen Teil Süd- 128- lsobare des Druckes 1028 mb
amerikas, der südlich des 20. Breitegrades liegt
Bild 8. Barometrische Druckverteilung am 16. April 1959. An
diesem Tage hatte der Sturmwirbel, von Nord-Argentinien her-
grössten Durchflüsse während 23 Jahren zeichnete man eine kommend, das Zentrum von Uruguay erreicht
Frequenzkurve [1]. Dann extrapolierte man diese Kurve auf Fahrplan des Sturmwirbels:
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logarithmischem Papier geradlinig und nahm den geschätz-
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ten Wert mit einer wahrscheinlichen Erwartung von 1 mal b 14. April 12.00 ll d 15. April 18.00 h g 17. April 18.00 h
alle 1000 Jahre als massgebendes Hochwasser für die Pro-
jektierung der Hochwasserentlastung. Dies ergab 9000 m3/s
als grösste zu erwartende Spitze (sie wurde nachträglich lung entsteht, oder durch Kontakt mit anderen kälteren
auf 10 500 m3/s erhöht). Für die Basis der zugehörigen Gang- Luftmassen. Die folgenden Angaben verdankt der Verfasser
linie wurden 40 Tage angenommen (Bild 5). Einer solchen Dr. H. K. Müller, Leiter der Flugwetterwarte München-
Ganglinie wäre Bonete auch wirklich gewachsen gewesen. Riehm, der bis August 1959 beratender UNO-Experte beim
Das Hochwasser vom April 1959 brachte jedoch eine Servicio Meteorologie del Uruguay war.
fast doppelt so grosse Spitze von 16 800 m3/s (Bild 10), das Die nördliche Halbkugel der Erde mit ihren grossen
ist dreimal so viel wie das je gemessene höchste Rheinhoch- Landmassen kennt ungefähr dreissig typische Wettersitua-
wasser in Basel, sowie das ungeheuere Zuflussvolumen von
14 km3, innerhalb von 14 Tagen, für ein Einzugsgebiet von
38000 km2, was ungefähr demjenigen des Rheins in Basel
entspricht. Die Schätzung hat sich als unrichtig erwiesen.
Neuere Untersuchungen, die sich auf langjährige Beobach- a
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fielen auf einen undurchlässigen Boden, der ausserdem durch
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dei Bonete bei der Eiııweilıuııg im .Inlıro 1948 Uel*›crl`luI1ı.ıııg. 27.April 1959 (fI<`oiı;ıEl Diurit'ı. Moııtevideo)
(Foto El Dia. l\/It'›nievirlerı)
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Im Juni folgte eine Trockenperiode. Man schloss die Es handelte sich nun vorerst darum, eine Annahme zu
Damm-Schützen vollständig, wodurch das Flussbett trocken- treffen für einen möglichen Höchstregen, den sog. Berech-
gelegt wurde. Dies erlaubte, die Wirkungen des Hochwas- nungsregen, im Einzugsgebiet von Bonete. Die exakte Me-
sers einzusehen. Der Damm hat sich gut gehalten. Der thode erfordert eingehende Studien. Derartige Untersuchun-
Wehrrücken wies nur lokale Anfressungen auf. Im Tosbett, gen müssen im Teamwork zwischen dem Meteorologen, dem
unterhalb des Wehres, wurden allerdings Kolke von bis 6 m Hydrologen und dem Bauingenieur erfolgen. Es müssen
Tiefe im Fels des Flussbettes festgestellt (Bild 14). unter anderem Messungen des Feuchtigkeitsgehaltes und der
Der an das Wehr anschliessende linksufrige überspülte Temperaturdifferenzen der angesogenen Luftmassen, für
Mauerteil hat weder im Beton, noch in den Fundamenten extreme Wetterlagen vorliegen. Durch den Vergleich mit
Schaden genommen. Die Zentrale und die Nebenbauten den entsprechenden physikalisch möglichen Grenzwerten
wurden aber stark beschädigt, und es brauchte rund ein können daraus Vergrösserungsfaktoren abgeleitet werden.
Jahr, bis man das Werk wieder in Betrieb nehmen konnte. Solch-e Studien erfordern 1 bis 2 Jahre. Man musste daher
Zwei Generatoren wurden getrocknet, die andern beiden im Fall Bonete aus zeitlichen Gründen vorerst eine gröbere
neu gewickelt. Durch Stromausfall entstand ein Schaden Schätzung vornehmen. Bis zum Vorliegen der meteorolo-
von einer Mio Schweizer Franken pro Monat. gischen Studien nahm man den um 30 % vergrösserten Regen
Trotz des Ueberlaufs wirkte der Stausee Bonete gegen vom April als Berechnungsregen an. Dies führte zu einer
die von oben kommenden Wassermassen als Puffer, indeın möglichen Niederschlagsmenge von 24 km3, was bei einem
er die einlaufende Spitze von 16 800 m3/s auf 9500 m3/s Abflusskoeffizienten von 80 % einen möglichen extremen Zu-
dämpfte (Bild 10). Dieser hohe Ausfluss erzeugte aber im fluss in den See Bonete von 19 km3 ergibt. Man verteilte den
Unterwasser dennoch eine ausgesprochene Hochwasserwelle. Berechnungsregen auf 10, bzw. 7 Tage und erhielt Zufluss-
Paso de los Toros kam vollkommen unter Wasser. Das 90 km Spitzen zwischen 22 000 und 28 000 m3/s (Bild 5).
unterhalb von Bonete liegende Kraftwerk Rincón de Bay- Nebenbei sei bemerkt, dass in Furnas, Brasilien, der
gorria, welches heute im Betrieb steht, war damals noch im Katastrophenregen des Rio de la Plata direkt übernommen
Bau [2] (siehe SBZ 1959, H. 11, S. 154, Bild 2). Bei diesem wurde, transponiert wie man sagt, um die Leistungsfähigkeit
Laufwerk von 100 000 kW Ausb.auleistung waren die schwei- der Hochwasserentlastungsanlagen gegenüber einer solchen
zerischen Ingenieurbüros Gebrüder' Gruner, Basel, und Wettersituation zu überprüfen. Dabei soll sich ergeben haben,
H. W. -Schuler, E. Brauchli, Zürich, als Berater mit der Ober- dass die projektierten Anlagen auch solchen extremen Regen
bauleitung betraut worden. Am 13. April wurden die Bau- gewachsen sind. An den bestehenden Anlagen des Rio Negro,
gruben geflutet. Beim Durchgang des Wellenkamms er- Uruguay, sind folgende Anpassungen erforderlich, damit sie
reichte der »Fluss-Spiegel einen Stand von 20 m über dem einer solchen Hochwassersituation gewachsen sind:
Mittelwasser (Bild 15). Das Werk hat praktisch keinen 1. In Bonete ist der Damm um 2,60 m zu erhöhen, damit ein
Schaden gelitten. Im Bauprogramm gingen nur 30 Tage Zwischenspeicher von 10 km3 für Hochwasser entsteht, also
verloren. Die Welle bewegte sich sodann mit einer Ge- doppelt so viel wie im jetzigen Zustand.
schwindigkeit von rund 2 km/h den Rio Negro hinunter 2. In Bonete ist ein Zusatzw-ehr erforderlich, und zwar dort,
(Bild 10). wo die Entlastungsbresche gesprengt wurde. Das bestehende
In ganz Uruguay mussten 40000 Personen evakuiert Dammwehr und das Zusatzwehr müssen bei einem Ueber-
werden. Ungefähr 1% des Viehbestandes ist verloren gegan- stau von 4,50 m zusammen 10 000 mi*/s entlasten können.
gen, weil die Tiere im hochgehenden Wasser einfach apa- 3. Die Zentrale Bonete ist gegen höhere Unterwasserstände
thisch stehengeblieben sind. zu schützen, damit sie nicht überflutet wird.
Im Anschluss an dieses Hochwasser wurden die folgen- 4. In Baygorria wurde in einem Seitendamm die Möglichkeit
den Massnahmen als notwendig erkannt: eines Notwehres geschaffen. Dieser Damm wurde als sog.
Fuse-Plug ausgebildet, der im Notfall gesprengt wird.
In erster Linie musste das in Zukunft zu erwartende
Dadurch wird die im Projekt vorgesehene Entlastungsmög-
grösste Hochwasser neu geschätzt werden. Man bediente
lichkeit von 9000 auf 12 000 ml*/s erhöht.
sich dabei der Methode von Shermann [1], [3], der sog. Unit
5. Ausserdem ist die Schaffung eines Hochwasser-Warm
Hydrographs (Bild 5). Diese besteht bekanntlich darin, für
dienstes erforderlich, beruhend auf den Niederschlagsmes-
isolierte eintägige Regen die dazugehörigen Abflüsse zu
messen. Für einen bekannten mehrtägigen Regen kann sungen im Einzugsgebiet. Diesem soll die Aufgabe zufallen,
Anweisungen für die Bedienung der Wehranlagen von Bonete
dann umgekehrt auf den dazugehörigen Abfluss geschlossen
werden, durch Anwendung des Superpositionsgesetzes auf und Baygorria zu geben, damit diese bei zukünftigen Hoch-
die Teilregen der einzelnen Tage. Auch dies ist nur eine wassern in jeder Phase in richtiger Voraussicht der sich
Näherungsmethode, aber sie ist logischer, denn sie geht auf auf deın Weg befindenden Wassermassen bedient werden.
die Grundursache des Abflusses zurück, nämlich den Regen. Gleichzeitig sollen den unten liegenden Gebieten Flutwar-
nungen abgegeben werden.
Das Katastrophenhochwasser des,Rio Negro hat gezeigt,
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dass bei Schätzungen des grösstmöglichen Hochwassers eines
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Bild 15. Die i'ıli›erl`luiele Bnııslfrlle des I{raft\vı"~ı°|u'~s Iliııcoıı (lc So1sı.de†°egge-r, A.: Die Elcktrizil;ütswirtsclınl`t von Uı'ııgıuıy. <-:Wasscr-
und Flnergiewirtsclıttfls 1959, Nr. jl)'2_ IL
läaygorria am 25. April 1959. I)er Rio Negro fiihrt unge|`iilır
1.1500 rnil/s. Der Wzıssı~ı's]nıiı~gı-~l slclıi 28 ın iilwı' dem Noı'ı'ıınlsl:;ınıl M03,/f'1'_._L..' Dıe llocliwasscrkatasiroμlıe in Urlıguay. <-:Neue Zürcher
Zoıt1uı)1g››, 3. .Iunı 1950, Nr. 1725.
442 Schweiz. Btıuzeilung - 79. ..l.fıhı'gaıng Hell 24 - 15. Juni 1961 =+~rr-