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kann ›Ritual‹ als Oberbegriff für religiöse Handlungen und ›Ritus‹ als die
besondere Art ihrer Ausführung bezeichnet werden. Die folgenden Ausfüh-
rungen nehmen Überlegungen von Bernd Janowski, Homo ritualis. Opfer
und Kult im alten Israel, BiKi 64 (2009), 134–140 auf und führen sie weiter.
2 Zur neueren Ritualforschung vgl. Claus Ambos / Stephan
das Haben aus dem Verlust und die definierte Identität aus dem
unbestimmten Chaos.«3
Das Opfer ist nur eine, wenn auch bedeutsame kulturelle Aus-
drucksform, die charakteristisch ist für die Religionen des anti-
ken Mittelmeerraums und der vorderorientalischen Antike.4 Das
deutsche Wort »Opfer« ist allerdings ambivalent, weil es sowohl
den Vollzug der Handlung (lat. sacrificium < sacrum facere, »das
Heilige vollziehen«, vgl. engl. / frz. sacrifice) als auch ihr Objekt
(lat. victima, vgl. engl. victim / frz. victime)5 bezeichnen kann.
Auch wenn man diese in manchen Sprachen nicht vorhandene
Unterscheidung beiseite lässt, ist der deutsche Begriff »Opfer«
im Sinn von (rituellem) Vollzug nicht eindeutig, weil er auf lat.
operari (»[mit rituellen Handlungen] beschäftigt sein, handeln«)
zurückgeht und ein Generalbegriff für den Vollzug des Rituals
bzw. dessen Ergebnis ist.
Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich in mehreren
Disziplinen ein lebendiges Interesse am »Opfer« entwickelt, das
vgl. dazu jetzt auch Marcel Hénaff, Der Preis der Wahrheit. Gabe, Geld
und Philosophie, Frankfurt a.M. 2009, 241ff.
4 Vgl. dazu Bernd Janowski / Michael Welker (Hg.), Opfer. Theolo-
gische und kulturelle Kontexte (stw. 1454), Frankfurt a.M. 2000 und Stella
Georgoudi u.a. (éd.), La cusine et l’autel. Les sacrifices en questions dans
les sociétés de la méditerranée ancienne, Turnhout 2005. Zum Opfer und zum
Gottesdienst im Alten Testament vgl. Ira Willi-Plein, Opfer und Kult
im alttestamentlichen Israel. Textbefragungen und Zwischenergebnisse (SBS
153), Stuttgart 1993; Christian A. Eberhart, Studien zur Bedeutung der
Opfer im Alten Testament. Die Signifikanz von Blut- und Verbrennungsriten
im kultischen Rahmen (WMANT 94), Neukirchen-Vluyn 2002; Werner H.
Schmidt, Alttestamentlicher Glaube, Neukirchen-Vluyn 2007, 169ff., ferner
Horst Seebass, Art. Opfer II, TRE 25, 1995, 258–267; Bernd Janowski,
Art. Opfer I, NBL 3, 2001, 36–40.43; Alfred Marx, Art. Opfer II/1, RGG4
6, 2003, 572–576 und aus praktisch-theologischer Sicht Peter Cornehl,
Der Evangelische Gottesdienst – Biblische Kontur und neuzeitliche Wirk-
lichkeit, Bd.1, Stuttgart 2006, 79ff.
5 Vgl. dazu Hildegard Canick-Lindemaier, Opfer. Religionswis-
Auf den ersten Blick bekommt man den Eindruck eines Durch-
einanders von verschiedenen Ritualvorschriften. Sieht man aber
genauer hin, so ergibt sich eine konzentrische Struktur mit V. 24b
als theologischer Sachmitte, wonach der Schwerpunkt auf JHWH
und seiner Reaktion auf das Opfer Israels liegt:
Der Gottesdienst in Israel 5
Mit Alfred Marx lassen sich diesem Text drei für die Theologie
des Opfers wichtige Hinweise entnehmen:
1. Der Altar ist der Ort des Kommens Gottes. Beim Opfer ent-
steht »dieses ganz Erstaunliche und Unerwartete, dass Gott, von
dem es einige Verse vorher hieß, dass er vom Himmel her zu sei-
nem Volke gesprochen hatte, und der so seine Transzendenz be-
kundete, jetzt seine Bereitschaft ankündigt, auf die Erde hinabzu-
steigen, um zu seinem Volk zu kommen, und dies jedes Mal, wenn
es ihn darum bittet, indem es ein Opfer darbringt«10
2. Das Feuer, das vom Opfernden angezündet wird und die
bereitgelegten Opferstücke verzehrt, ist die sichtbare Seite Got-
tes. Was im Opfer geschieht, ist eine rituelle Nachahmung des-
sen, was in der Theophanie am Sinai (Vgl. Ex 19,9) geschieht: »In
demselben Moment, an dem Gott Israel als sein Volk erklärt und
sich ihm in Blitz und Donner offenbart, erklärt er ihm auch seine
Bereitschaft, zu ihm zu kommen, jedesmal wenn es ihn darum
durch ein Opfer bittet.«11
3. Das Opfer ist das Zeichen der Gastfreundschaft gegenüber
Gott. Die Tiere, die ihm als Opfer dargebracht werden, werden
bei außergewöhnlichen Anlässen wie einem Fest (1 Sam 25,2–11
u.a.) oder Gastmahl (Gen 18,1–8 u.a.) geschlachtet und verzehrt.
Gott werden die Opfergaben nicht in rohem Zustand vorgelegt,
(Hg.), Opfer (s. Anm. 4), 133, vgl. ders., Art. Opfer (s. Anm. 4), 574.
11 Ders., Opferlogik, 133.
6 Bernd Janowski
sondern sie werden für ein Mahl zubereitet, d.h. enthäutet, gebra-
ten und gekocht (Lev 1,5–9; 2,13 u.a.) oder – beim vegetabilischen
Opfer – gemahlen, gebacken undgekeltert. »Wenn also Gott an-
lässlich eines Opfers kommt, so um die Gastfreundschaft seines
Volkes anzunehmen.«12
Für das Verständnis des Opfers im alten Israel erweist sich das
Altargesetz somit als grundlegend: Wenn Gott anlässlich eines Op-
fers kommt, dann nicht in Feindseligkeit, so dass man ihn – wie
immer wieder behauptet wird – gnädig stimmen müsste, sondern
um die Gastfreundschaft seines Volkes anzunehmen und um es zu
segnen (Ex 20,24b). Im Opfer erweist sich JHWH nicht als der zor-
nige, sondern als der segnende – und wie die priesterliche Sühne-
theologie pointiert: als der vergebende – Gott.13 »Jede Opfertheo-
rie, die nicht im Segen das zentrale Anliegen des Opfers sieht, muss
als unbiblisch eingeschätzt werden.«14
12 AaO., 136.
13 Vgl. dazu unten 2.3.2.
14 Marx, Opferlogik (s. Anm. 10), 138. Ganz analog sieht Cornehl,
Gottesdienst (s. Anm. 4), 79ff. die Bedeutung des alttestamentlichen Got-
tesdienstes in der »Begegnung mit Gott in konkreten Lebenszusammenhän-
gen«.
15 Vgl. dazu Willi-Plein, Opfer (s. Anm. 4), 25ff.71ff.
Der Gottesdienst in Israel 7
den darüber hinaus die Tieropfer nach Anlass und Zweck genau
klassifiziert: Brandopfer, Heilsmahlopfer, Sündopfer und Schuld-
opfer.16 Während das Brandopfertier durch einen Schnitt in die
Halsschlagader getötet (»geschächtet«), zerteilt und vollstän-
dig verbrannt wurde (Lev 1; 6,2–6, ältere Belege in Ri 6,26 u.a.),
wurde das Heilsmahlopfer, für das ein Blutsprengungsritus cha-
rakteristisch ist, ursprünglich nach dem Brandopfer dargebracht
(Ex 20,24 u.a.) und erst später mit dem Schlachtopfer verbunden
(Lev 3, vgl. 7,11ff). Beim Sündopfer (Lev 4,1–5,13, vgl. 6,18ff) und
beim Schuldopfer (Lev 5,14ff, vgl. 7,1ff) hatte das Blut eine zen-
trale, weil sühnende Funktion.17
Das Zentrum des Tieropfers ist die rituelle Schlachtung und
Verbrennung. Sie weist nach der »Hinzubringung« des fehlerlo-
sen Opfertiers (vgl. Lev 1,2f; 3,1 u.a.) im wesentlichen die Ele-
mente Fesselung (vgl. Gen 22,9) und Schlachten des Tiers, Blut-
sprengung (an den Altar bzw. den Vorhang des Allerheiligsten),
Zerteilen mit den Einzelelementen Herausnehmen der Einge-
weide und Herauslösen der Schenkel sowie vollständige Verbren-
nung der Opferteile mit Ausnahme der Haut auf. Die nicht dar-
gebrachten Opferstücke dienten dem Unterhalt der Priester, die
oft in den Genuss der besonders geschätzten rechten Keule kamen
(Lev 7,32ff; 9,21; 10,14 u.a.).
Als Opfertiere wurden weder Gazelle, Esel, Pferd, Kamel,
Schwein (?) und Hund noch Wildtiere, sondern ausnahmslos
Haus- und Arbeitstiere wie Rinder, Ziegen und Schafe verwendet,
die für die bäuerliche Existenz von elementarer Bedeutung waren.
In besonderen Armutsfällen konnten auch Haus- und Turteltau-
ben geopfert werden. Das Opfertier musste makellos, männlich
16 Vgl. dazu Thomas Hieke, Der Kult ist für den Menschen da. Auf
und mindestens sieben Tage alt sein (Lev 1,3; Dtn 15,21 u.a.). Was
als »Makel« galt, war im sog. Heiligkeitsgesetz geregelt:
Ein blindes, lahmes, verstümmeltes, verunstaltetes, räudiges oder grindiges
Tier dürft ihr nicht zu JHWH bringen. Von solchen Tieren dürft ihr keins
JHWH auf den Altar legen. (Lev 22,22)
II. Unheilsankündigung
27 So werde ich euch in die Verbannung
führen, Deportation Israels
über Damaskus hinaus,
hat JHWH gesprochen, Botenspruchformel
Gott der Heerscharen ist sein Name.
Mit dem Begriff der Inszenierung ist das Moment des Geformten
und Festgelegten, also ein Handeln gemeint, das sich »nicht an der
Erreichung bestimmter Zwecke, sondern am ›Wie‹ der Ausfüh-
rung, am Stil«30 orientiert.
28 Jan Assmann, Der zweidimensionale Mensch: das Fest als Medium
des kollektiven Gedächtnisses, in: ders. (Hg.), Das Fest und das Heilige.
Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt, Gütersloh 1991, 13–30, hier 13,
vgl. dazu bereits Bernd Janowski / Erich Zenger, Jenseits des Alttags.
Fest und Opfer als religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt im alten Israel,
in: Bernd Janowski, Die Welt als Schöpfung. Beiträge zur Theologie des
Alten Testaments 4, Neukirchen-Vluyn 2008, 39–78.
29 Assmann, aaO., 15.
30 Ders., ebd.
31 Zu diesem Ausdruck s. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis.
mentlicher Glaube (s. Anm. 4), 175ff.; Eckart Otto, Art. Feste / Feiern II,
RGG4 3 (2000) 87–89; Ilse Müllner / Peter Dschulnigg, Jüdische und
christliche Feste (NEB.Themen 9), Würzburg 2002, 7ff. und Alfred Marx,
Feste und Wallfahrten im antiken Israel, in: Fritz Lienhard (Hg.), Feste in
Bibel und kirchlicher Praxis, Berlin 2010, 11–23.
Der Gottesdienst in Israel 13
(NEB.AT 15), Würzburg 1986, 116ff.; Jan Christian Gertz, Die Passa-
Massot-Ordnung im deuteronomistischen Festkalender, in: Timo Veijola
(Hg.), Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen (SFEG 62), Hel-
sinki / Göttingen 1996, 56–80 u.a.
14 Bernd Janowski
Chronologischer Rahmen
8 Sechs Tage lang sollst du ungesäuertes Brot essen, und am siebten Tag ist
eine Festversammlung für JHWH, deinen Gott; da sollst du keine Arbeit
tun.
Dass etwas glückt und man sich gemeinsam über dieses Glück
freuen kann, ist nicht selbstverständlich.38 Wenn es aber eintrifft,
ist Dankbarkeit die angemessene Haltung gegenüber Glück. Die
Freude, die das Deuteronomium verlangt (»du sollst fröhlich
sein …«)39, ist Ausdruck solcher Dankbarkeit, und zwar für den
von JHWH geschenkten Segen. Dieser Dank für den erfahrenen
Segen unterscheidet das deuteronomische Festverständnis von
der priesterlichen Kulttheologie, die mit ihrer rituellen Konsti-
tuierung der Gegenwelt zur Welt der Unreinheit und Verfehlung
anderen Parametern folgt.
kapporæt, die auf dem Zeugnis ist, damit er nicht stirbt. 14 Und er nimmt
vom Blut des Stiers und sprengt (es) mit seinem Finger vorn auf die kapporæt
ostwärts.46 Und vor die kapporæt sprengt er siebenmal vom Blut mit seinem
Finger. 15 Und er schlachtet den Sündopferbock, der für das Volk ist. Und
er bringt sein Blut hinter den Vorhang und verfährt mit seinem Blut, wie
er mit dem Blut des Stiers verfahren ist. Und er sprengt es auf die kapporæt
und vor die kapporæt. 16 Und er schafft dem Heiligtum Sühne wegen der
Unreinheiten der Israeliten und wegen ihrer Übertretungen hinsichtlich al-
ler ihrer Sünden. Und so verfährt er mit dem Begegnungszelt, das bei ihnen
wohnt inmitten ihrer Unreinheit. 17 Und niemand soll im Begegnungszelt
sein, wenn er hineingeht, um Sühne im Heiligtum zu schaffen, bis er heraus
kommt. Und er schafft Sühne für sich und sein Haus und für die ganze Ver-
sammlung Israels.
46 Wörtlich: »auf die Vorderseite der kapporæt nach Osten/ostwärts«, d.h.
Land‹ (’æræsz g ezerah Lev 16,22a) auf der anderen Seite. Alle zwischen die-
sen beiden extremen Punkten liegenden Orte werden im Lauf des Rituals
berührt«48.
tische Ritualkultur möglich?, in: Lienhard (Hg.), Feste (s. Anm. 32), 43–60.
Der Gottesdienst in Israel 21