Sie sind auf Seite 1von 5

Philosophia perennis

Der Begriff Philosophia perennis (lateinisch; „immerwährende bzw. ewige Philosophie“) oder
Philosophia perennis et universalis steht für die Vorstellung, der zufolge sich bestimmte philosophische
Einsichten über Zeiten und Kulturen hinweg erhalten (perennieren). Dazu sollen Aussagen (etwa in Form
von Prinzipien) zählen, die ewige, unveränderliche und universal gültige Wahrheiten über die Wirklichkeit,
speziell den Menschen, die Natur und den Geist (bzw. Gott) ausdrücken. Vertreter der Philosophia perennis
halten solche Aussagen prinzipiell für möglich und versuchen teilweise selbst, diese zeitgemäß zu
formulieren. Die Grundannahme der Philosophia perennis ist, dass die Wahrheit selbst ewig und
unwandelbar ist, da das Gegenteil undenkbar ist: „Wenn es keine (ewige) Wahrheit gibt, ist es (ewig) wahr,
dass es keine (ewige) Wahrheit gibt.“[1] Unterschiede zwischen verschiedenen Richtungen gibt es in der
Ansicht, auf welchem Weg man diese Wahrheiten erhalten kann. In der modernen
Philosophiegeschichtsschreibung wird der Terminus meist nur noch bei einigen Neuthomisten und
christlichen Philosophen verwendet, ist sonst aber größtenteils in die Kritik geraten.

Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Philosophia perennis zwischen Philosophie, Religion und Mystik
Kritik
Literatur
Weblinks
Einzelnachweise

Geschichte
Den Begriff prägte der italienische Bischof Augustinus Steuchus, Vertreter eines christlichen Platonismus,
mit seinem Buch De perenni philosophia libri X (Lyon, 1540): „So wie es einen Ursprung aller Dinge gibt,
so muss es auch immer und bei allen Menschen eine und dieselbe Wissenschaft von diesem Ursprung
gegeben haben: Das sagen uns die Vernunft und die Urkunden vieler Völker und Lehren“.[2] Nach Steuco
wurde die Philosophie von Gott bereits Adam in vollkommener Gestalt anvertraut und wurde seitdem –
nicht ohne Verluste – durch die Jahrhunderte tradiert. Steuco schreibt damit ein typisches Renaissance-
Motiv fort, das wir etwa in Marsilio Ficinos Prisca theologia, welche eine Allbeseelung sowie die
Einflussnahme des Menschen in das von Gott gelenkte Geschehen lehrte,[3][4] und bei Giovanni Pico della
Mirandola finden.[5]

Die heutige Bedeutung des Begriffes wurde besonders von Leibniz geprägt. Leibniz beklagt die
Engstirnigkeit derer, die „Anhänger nur der heutigen Philosophie“ sind: Auch bei den Alten sei unter dem
„Schmutz“ oftmals „Gold“ verborgen.[6] Zu allen Zeiten hatten die Völker nach Leibniz eine gewisse
Ahnung von den ewigen und universalen Geist- und Naturgesetzen, wie er selbst in seiner
Auseinandersetzung mit der chinesischen Philosophie des Konfuzianismus zu zeigen versuchte. Leibniz
identifiziert dieses Wissen mit der Natürlichen Theologie im scholastischen Sinne, d. h. den durch die
Vernunft erkennbaren Grundlagen des christlichen Glaubens: Gott und die Seelen sind also seine primären
Gegenstände.[7] Leibniz verbindet die Renaissance-Idee einer Philosophia perennis mit dem Gedanken
eines philosophischen Fortschritts:[8] Wichtig war ihm, den von den Alten schon gewussten Wahrheiten
einen zeitgemäßen Ausdruck zu geben.

Als Natürliche Theologie wird die Philosophia perennis auch in der Neuscholastik der katholischen Kirche
im späten 19. und 20. Jahrhundert verstanden. Für sie waren die „ewigen Grundwahrheiten“ schon in der
Synthese der platonischen und aristotelischen Philosophie, der christlichen Offenbarungslehre sowie der
Lehre vom Logos durch Thomas von Aquin vollständig beschrieben.

Die Philosophia perennis zwischen Philosophie, Religion und


Mystik
Für viele christliche Philosophen war und ist die Philosophia perennis aber eher ein allgemeiner
thematischer Rahmen.[9] Seit dem 19. Jahrhundert versuchte man des Öfteren auch in der Anthropologie
und vergleichenden Religionswissenschaft Gemeinsamkeiten zwischen Kulturen und Religionen zu
entdecken und allgemeine Grundannahmen zu rekonstruieren. Nach Hans Meyer (1884–1966)[10] soll die
Philosophia perennis durch ein organisches Wachstum in einem gesellschaftlichen und intellektuellen
Diskurs entwickelt werden. Für Aldous Huxley ist die Philosophia perennis die „konvergierende religiöse
Weisheit aller Kulturen“[11].

Interesse an esoterischem Wissen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts trug dazu bei, dass einige
populäre Autoren „Philosophia perennis“ im Sinne einer irgendwie esoterischen oder mystischen Weisheit
verstanden.[12] Vertreter einer Philosophia perennis rezipieren teilweise traditionelle Lehren wie etwa die
Emanationslehre. Dies findet sich etwa bei einigen rationalistischen Autoren, darunter auch Leibniz.
Zahlreiche moderne philosophische Ausrichtungen und Vorannahmen, etwa in empiristischen Strömungen,
scheinen solchen Theorien zu widersprechen. Auch der bloße Versuch, „ewige Wahrheiten“ über die
kulturellen und zeitlichen Unterschiede der religiösen und philosophischen Traditionen hinweg zu
ermitteln, wird häufig kritisch gesehen. Vertreter der Philosophia perennis wie etwa Johannes Baptist Lotz
und Walter Brugger halten u. a. dagegen, dass eine Bestreitung ewiger Wahrheiten zu einem Relativismus
oder Subjektivismus führe, was keine plausible Position sein könne.

Der US-amerikanische Autor Ken Wilber hat „die sieben wichtigsten Übereinstimmungen der
immerwährenden Philosophie aller Zeiten, der allermeisten Kulturen, spirituellen Lehren, Philosophen und
Länder“, folgendermaßen zusammengefasst[13]:

1. Der spirituelle GEIST (Gott, die höchste Wirklichkeit, die absolute Seinsheit, die Quelle, das
Eine, Brahman, Dharmakaya, Kether, Dao, Allah, Shiva, Jahweh, Aton, Manitu …) existiert.
2. GEIST muss innen gesucht werden.
3. Die meisten von uns erkennen diesen GEIST nicht, weil sie in einer Welt der Sünde,
Trennung und Dualität leben, in einem Zustand der Gefallenheit und Illusion.
4. Es gibt einen Ausweg aus Sünde und Illusion, einen Pfad zur Befreiung.
5. Wenn wir diesem Pfad bis ans Ende folgen, finden wir Wiedergeburt oder Erleuchtung, eine
direkte Erfahrung des inneren GEISTES, eine letzte Befreiung.
6. Diese letzte Befreiung bedeutet das Ende von Sünde und Leiden.
7. Sie mündet in mitfühlendes und erbarmendes Handeln für alle Lebewesen.

Der Französische Soziologe Frédéric Lenoir greift in seinem Buch Die Seele der Welt: Von der Weisheit der
Religionen die Idee auf und bindet sie in eine Geschichte von sieben Weisen ein, die zum Überleben der
Menschheit sieben Grundsätze einer perennialen Philosophie oder Spiritualität zusammentragen.[14]
Kritik
Die These eines Fortbestehens desselben Gehalts über Zeiten, Paradigmen, Kulturen hinweg wird heute
zumeist als hermeneutisch und historisch unhaltbar angesehen. Diese Auffassung war geschichtlich
allerdings wirkmächtig und ist insofern – also als ein historisches Konstrukt – für die meisten Historiker ein
wohlumgrenzter Forschungsgegenstand. In der Sache wird zumeist problematisch gefunden, dass für einige
Befürworter einer Philosophia perennis Kriterien wie Alter und Kohärenz philosophischer Gehalte das
Kriterium der Wohlbegründetheit ausstechen.[15] Zudem sind auch bestimmte inhaltliche Vorgaben heute
weitgehend unplausibel oder zumindest hoch kontrovers, darunter teleologische Rahmenthesen und die
Strukturiertheit der Wirklichkeit an sich in einer Ordnung entsprechend der aristotelischen Metaphysik.
Bereits Nicolai Hartmann hatte aus ähnlichen Gründen den Akzent nicht auf Gehalte, sondern Probleme
gelegt. Die Wende von neuscholastischen Engführungen zu einer zeitgemäßen Adaption des
Problembezugs bringt beispielsweise Gottlieb Söhngen (der Lehrer Joseph Ratzingers und seinerzeit
maßgebliche Autorität in der katholischen philosophisch-theologischen Grundlegung) so zum Ausdruck:

„Soll die Rede von einer Philosophia perennis besagen, ein bestimmter ‚Status‘ in
der Philosophiegeschichte sei zu verewigen, z. B. die aristotelische Gedankenwelt
des Thomas von Aquin, so wird philosophische Arbeit zum Ausgraben an
Gräberpyramiden einer Gräberstadt und zu einer Art Grabmalpflege und
Ahnengedächtnis. Das Ideal einer Philosophia perennis behält aber seinen rechten
Sinn als regulative Idee, nicht als konstitutives Prinzip […]. Dem, der
Philosophiegeschichte problemgeschichtlich zu lesen versteht, verbirgt sich in den
sich wandelnden Problemstellungen und Problemlösungen nicht ihr dauernder
Gehalt; aber dies Bleibende ist ein Ewiges, das sich in einer nie abreißenden
geschichtlichen Entwicklung und einer Fülle sich auseinandersetzender und sich
begegnender Problem- und Denkergestalten auszeitigt“[16].

Literatur
Paul Häberlin: Philosophia Perennis. Eine Zusammenfassung. Berlin-Göttingen-Heidelberg
1952.
Jürgen Mittelstraß: Art. Philosophia Perennis. In: Enzyklopädie Philosophie und
Wissenschaftstheorie, Bd. 3, S. 130.
Fritz Joachim von Rintelen (Hrsg.): Philosophia perennis: Abhandlungen zu ihrer
Vergangenheit und Gegenwart. Festgabe Josef Geyser zum 60. Geburtstag. Josef Habbel
Verlag, Regensburg 1930.
Wilhelm Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer
Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankfurt am Main 1998.
Helmut Schneider: Art. Philosophia Perennis, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie,
B. 7, S. 898ff.

Weblinks
Leroy E. Loemker: Perennial Philosophy (http://xtf.lib.virginia.edu/xtf/view?docId=DicHist/uv
aBook/tei/DicHist3.xml;chunk.id=dv3-56;toc.depth=1;toc.id=dv3-56;brand=default), in:
Dictionary of the History of Ideas
W. T. S. Thackara: The Perennial Philosophy (http://www.theosophy-nw.org/theosnw/world/g
eneral/ge-wtst.htm) (engl.)

Einzelnachweise
1. lateinisch: "Si veritas non est, verum est, veritatem non esse." (Bonaventura: Das
Sechstagewerk = Collationes in hexaemeron: lateinisch und deutsch. Hrsg.: Wilhelm
Nyssen. Nr. 4,1. Kösel, München 1979, ISBN 978-3-534-26977-8.)
2. „Ut unum est omnium rerum principium, sic unam atque eandem de eo scientiam semper
apud omnes fuisse ratio multarumque gentium ac literarum monimenta testantur“: Agostino
Steuco, De perenni philosophia libri X, Lyon 1540, 1.
3. Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Zum Magie-Begriff in der Renaissance-Medizin und -
Pharmazie. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil (Hrsg.): Humanismus und Medizin. Acta
humaniora, Weinheim 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der
Kommission für Humanismusforschung. Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 99–116, hier: S.
100 f.
4. Charles B. Schmitt: Prisca theologia e philosophia perennis: due temi del rinascimento
italiano e la loro fortuna. In: Atti del V Convegno Internationale del Centro di Studi
Umanistici. Il Pensiero italiano del Rinascimento e il Tempo nostro. Florenz 1968, S. 211–
236.
5. Charles B. Schmitt, “Perennial philosophy. From Agostino Steuco to Leibniz”. Journal of the
history of ideas 27 (1966), 505–532.
6. G. W. Leibniz, Brief an Des Bosses, 24. Dez. 1707 (Gerhardt II, 344).
7. Rita Widmaier, „Leibniz’ natürliche Theologie und eine ‚gewisse‘ Philosophia perennis“;
dies., „Natürliche Theologie und Philosophia perennis. Leibniz’ Interpretation der alten und
modernen chinesischen Philosophie in der Abhandlung Niccolò Longobardis S.J.“. In:
Wenchao Li, „Für unser Glück oder das Glück anderer“. Vorträge des X. Internationalen
Leibniz-Kongresses Hannover, 18.-23. Juli 2016, 6 Bde., Hildesheim 2016 /17, Bd. II, 581–
596 / VI, 781–806.
8. Herman Jan de Vleeschauwer, „Perennis quaedam philosophia. Exégèse et antécédents
d’un texte leibnizien“, in: Akten des Internationalen Leibniz-Kongresses, Hannover, 14. - 19.
November 1966, Bd. 1, Metaphysik – Monadenlehre, Wiesbaden 1968 (Studia Leibnitiana
Supplementa), 102–122.
9. Nicolai Hartmann, Der philosophische Gedanke und seine Geschichte
10. Hans Meyer, Das Wesen der Philosophie, 1936
11. Aldous Huxley, The perennial Philosophy, 1945, dt. Die ewige Philosophie, München: Serie
Piper 1987.
12. So etwa Ken Wilber, Das Wahre, Schöne, Gute S. 54ff.
13. Ken Wilber: Mut und Gnade, S. 101
14. Frédéric Lenoir: Die Seele der Welt: von der Weisheit der Religionen. Deutscher
Taschenbuch Verl., München 2014, ISBN 978-3-423-26012-1.
15. So etwa Heinrich M. Schmidinger: Philosophia perennis. In: Lexikon für Theologie und
Kirche. 4. Auflage. Band 8. Herder, Freiburg im Breisgau, Sp. 248 f.
16. . Gottlieb Söhngen: Philosophische Einübung in die Theologie. Erkennen – Wissen –
Glauben. Alber, Freiburg/München, 2. Aufl. 1964 (1. A. 1955), S. 40f. Ebenso ders.: Die
Einheit in der Theologie: gesammelte Abhandlungen, Aufsätze, Vorträge. Zink, München,
12. Aufl. 1952

Abgerufen von „https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Philosophia_perennis&oldid=218274594“

Diese Seite wurde zuletzt am 17. Dezember 2021 um 17:52 Uhr bearbeitet.

Der Text ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; Informationen zu den Urhebern
und zum Lizenzstatus eingebundener Mediendateien (etwa Bilder oder Videos) können im Regelfall durch Anklicken
dieser abgerufen werden. Möglicherweise unterliegen die Inhalte jeweils zusätzlichen Bedingungen. Durch die
Nutzung dieser Website erklären Sie sich mit den Nutzungsbedingungen und der Datenschutzrichtlinie
einverstanden.
Wikipedia® ist eine eingetragene Marke der Wikimedia Foundation Inc.

Das könnte Ihnen auch gefallen