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Adam, Brigitte; Sturm, Gabriele

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Was bedeutet Gentrifizierung und welche Rolle spielt
die Aufwertung städtischer Wohnbedingungen?

Informationen zur Raumentwicklung

Suggested Citation: Adam, Brigitte; Sturm, Gabriele (2014) : Was bedeutet Gentrifizierung
und welche Rolle spielt die Aufwertung städtischer Wohnbedingungen?, Informationen zur
Raumentwicklung, ISSN 0303-2493, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung
(BBSR), Bonn, Iss. 4.2014, pp. 267-276,
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-58299-1 ,
https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/izr/2014/4/Inhalt/DL_Adam_Sturm.pdf

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http://hdl.handle.net/10419/235637

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www.econstor.eu
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 4.2014 267

Was bedeutet Gentrifizierung und Brigitte Adam


Gabriele Sturm
welche Rolle spielt die Aufwertung
städtischer Wohnbedingungen?

links: Zum Wohn- und Arbeitshaus umgebautes Speicherhaus „Siebengebirge“ im Rheinauhafen Köln; rechts: Musterwohnung des
„Erste-Klasse-Wohnens“ im Rheinauhafen Köln Fotos: Brigitte Adam

Aktuelle Relevanz des Begriffs pakter Strukturen, kurzer Wege und einer
Gentrifizierung tragfähigen Daseinsvorsorge auf Quartiers­
ebene.
Eine Reihe deutscher Großstädte hat seit
einigen Jahren wieder Bevölkerungsgewin­ Parallel zur Qualifizierung der Bestände
ne zu verzeichnen. Damit einher geht eine wurde in deutschen Großstädten zusätz­
wachsende Nachfrage nach Wohnraum und licher Wohnraum durch Brachflächen­
in der Folge steigende Mieten und Preise. nutzung geschaffen, denn im Laufe des
Dabei zeigen sich Konzentrationen und Strukturwandels wurden zentral gelegene
eine verstärkte Nachfrage in ganz bestimm­ Industrie-, Bahnhofs- oder Hafengebiete
ten Stadtquartieren (z. B. sehr eindrücklich zur Disposition gestellt. Kommunen haben
bei Kühl et al. 2013). Bei den gewünschten in den letzten Jahren eine Reihe spektaku­
Wohnorten handelt es sich vielfach um in­ lärer Projekte auf diesen Flächen errichtet,
nenstadtnahe Altbauquartiere, die heute die weit über das Ziel hinausgehen, Wohn­
– nachdem sie vormals unsaniert weniger raum bereitzustellen. In der Kombination
zahlungsfähigen Bewohnerinnen und Be­ mit Bürostandorten, Kultureinrichtungen
wohnern zugänglich waren – einen hohen oder Freizeitangeboten, halböffentlichen
Sanierungsstand aufweisen und bei gut bis öffentlichen Wegebeziehungen und ei­
verdienenden Bevölkerungsgruppen sehr ner meist auffälligen Architektur des Areals
Dr. Brigitte Adam
gefragt sind. Innerstädtische Konzentra­ werden Wohnimmobilien im gehobenen
Dr. Gabriele Sturm
tionen der Bevölkerungsentwicklung auf Preissegment angeboten (BMVBS 2011a; Bundesinstitut für Bau-,
Quartiers­ebene können selbst in schrump­ Frank/Greiwe 2012). Stadt- und Raumforschung
fenden Städten beobachtet werden (BBSR im Bundesamt für Bauwesen
i.E.). Die Aufwertung innenstädtischer Ge­ Urbanes Wohnen wird auf Brachflächen und Raumordnung
Deichmanns Aue 31–37
biete als Wohnstandorte ist stadtpolitisches und durch Baulückenschließungen an
53179 Bonn
Ziel (Deutscher Bundestag 2013) und dient zahlungsfähige Nachfrager adressiert – in E-Mail:
vom Prinzip her der Stärkung der Innenent­ wachsenden Städten vermehrt auch an zu­ brigitte.adam@bbr.bund.de
wicklung von Städten, der Schaffung kom­ nächst weniger attraktiven Standorten (z. B. gabriele.sturm@bbr.bund.de
Brigitte Adam, Gabriele Sturm: Was bedeutet Gentrifizierung und welche Rolle spielt
268 die Aufwertung städtischer Wohnbedingungen?

Hauptverkehrsstraßen) oder durch die Aus­ städte die Bevölkerungsverluste der 1980er
nutzung vormals untergenutzter Grund­ Jahre und auch für einen Teil der ostdeut­
stücke. Ob oder ab welcher Größenordnung schen Großstädte die Bevölkerungsverluste
derartige Projekte das Sozialgefüge verän­ der 1990er Jahre wieder ausgeglichen. Die
dern, ist noch nicht abzusehen. vielzitierte Attraktivität großer Städte (BBSR
2012a; Herfert/Osterhage 2012) gründet
Derartige Stadtentwicklungsprozesse wer­ also auf der Entwicklung der Großstädte
den von unterschiedlichen öffentlichen – insbesondere von bekannten (Universi­
Diskursen begleitet. Dort, wo es die großen täts-)Städten. Deren Wiedererstarken ver­
Medienunternehmen gibt, wie in Hamburg, weist auf längerfristig wirkende demogra­
Berlin, München oder Köln, wird das The­ fische und gesellschaftliche Veränderungen
ma häufig unter dem Begriff Gentrifizierung (Deutscher Bundestag 2013), die unterstützt
regelmäßig in Presse, Funk, Fernsehen und werden durch prognostizierte Konzentra­
Internetforen behandelt. Fokussiert werden tionen der Bevölkerungsentwicklung in be­
dabei insbesondere Nutzungsänderungen, stimmten Großstadtregionen (BBSR 2012b).
Missbrauch von Wohnraum und steigen­
de Mieten. Gentrifizierung ist dadurch aus Neue Einwohnerinnen und Einwohner wer­
der stadtsoziologischen und -planerischen den vor allem von Erfolg versprechenden
Fachwelt heraus in den öffentlichen Wort­ Ausbildungs- und Arbeitsmärkten ange­
schatz übergegangen. zogen. Gerade die Bildungswanderungen
junger Erwachsener tragen wesentlich dazu
Politik steuert gegen Fehlentwicklungen, bei, dass vor allem Hochschulstandorte ihre
die aus einer erhöhten Attraktivität vor al­ Bevölkerungszahlen in der Altersklasse zwi­
lem zentraler, innenstädtischer Lagen re­ schen 18 und 24 Jahren steigern können.
sultieren. Politik zielt gleichzeitig auf eine Ein demografischer Effekt verstärkt diese
positive Ausstrahlung, die mit einladend Entwicklung, da derzeit die Bildungswan­
gestaltetem öffentlichem Raum, vielfältigen derungen vor allem von den Kindern der
Konsum- und Kulturangeboten, sinnvoll re­ sogenannten Babyboomer der 1960er Jahre
stauriertem historischem Baubestand und getragen werden. In gewissem Umfang ist
ins Auge fallenden Neubauten verbunden das derzeitig verbreitet zu beobachtende
wird. Während der letzten Jahre wurde dazu Stadtwachstum also ein Bevölkerungsstruk­
auf Programme der Städtebauförderung tureffekt. Unterstützt wird dieser durch
und auf die Förderung überregionaler Zu­ einen weiterhin anhaltenden Trend zu hö­
sammenarbeit (z. B. Netzwerk Innenstadt heren Bildungsabschlüssen, der zu wach­
NRW, Weißbuch Innenstadt) gesetzt. senden Studierendenzahlen pro Jahrgang
führt und dadurch das Volumen der Bil­
Wo liegen die Schnittmengen, wo die Kon­ dungswanderungen erhöht.
fliktlinien zwischen Aufwertungsprozessen
und einer sozial gerechten Stadtentwick­ Weiterhin scheint die Anziehungskraft der
lung? Entlang dieser Fragestellungen wird Städte als Wohn- und Arbeitsstandort Re­
hier im Weiteren das Wohnen in der Stadt in sultat sowohl gewandelter individueller
seinen aktuellen Ausprägungen diskutiert. Präferenzen als auch sich ändernder räum­
licher Standortmuster in der Ökonomie zu
sein. In vielen der wachsenden wissens­
Wohnen in der Innenstadt – aktuelle intensiven Dienstleistungsbereichen sind
Entwicklungstrends mit Jobwechseln häufig auch Arbeitsort­
wechsel verbunden. So ziehen Großstädte
Das Statistische Bundesamt konstatiert seit inzwischen auch vermehrt Berufswanderer
2011 für die Bundesrepublik wieder positive im Alter zwischen 25 und 29 Jahren an. In­
Wanderungssalden. Trotzdem ändert dies nenstädtische Quartiere bieten ihnen mit
kaum etwas am langfristigen Trend einer einem breiten Spektrum ökonomischer,
zurückgehenden Bevölkerung in Deutsch­ sozialer und kultureller Angebote Räume
land. Umso auffallender ist, dass Großstäd­ für postindustrielle Lebensweisen und Ar­
te seit gut einem Jahrzehnt im Unterschied beitsverhältnisse. Nach Jahrzehnten der
zu allen anderen Siedlungsstrukturtypen Stadterneuerung im Bestand und neuen
steigende Bevölkerungszahlen verzeichnen. Stadtquartieren auf Brachflächen gibt es
Damit wurden für viele westdeutsche Groß­ ansprechende Wohnungsqualitäten für un­
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 4.2014 269

terschiedlichste Lebensentwürfe. Parallel gen betont, auf soziale Mischung und offe­
dazu hat mit den Arbeitsmarktreformen ne Zugänglichkeiten in den Stadtquartieren
infolge der 2002 veröffentlichten Vorschläge hinzuwirken. Neuere Studien analysieren
der Kommission „Moderne Dienstleistun­ allerdings gegenteilige Effekte: Es werden
gen am Arbeitsmarkt“ die Zahl der befris­ Homogenisierungsprozesse beobachtet.
teten Arbeitsverhältnisse in Deutschland Zahlungsfähige Haushalte der Mittelschicht
deutlich zugenommen. Die damit einherge­ und speziell auch wieder Familienhaus­
hende Stellensuche bedeutet wiederum für halte orientieren ihre Nachfrage auf ganz
viele einen Umzug in die mehr Angebote bestimmte innenstädtische Quartiere. In
bereithaltende Großstadt, während Eigen­ einem Projekt des Instituts für Landes-
tumsbildung und Fixierung einer dauerhaf­ und Stadtentwicklungsforschung (Kühl et
ten Wohnsituation im Umland der Städte al. 2013) wurden in einer Untersuchung
offenbar schwieriger werden (z. B. Läpple zu Wanderungen in Stadtregionen in den
2005). So hat sich während des vergangenen Großstädten klare Konzentrationsmuster
Jahrzehnts der Wanderungssaldo der 25- gefunden: Es werden jeweils nur kleine
bis 29-Jährigen in west- und ostdeutschen Ausschnitte des Stadtgebiets nachgefragt,
Städten auf einem in früheren Jahrzehnten während große Bereiche der Stadt aus der
unbekannten positiven Niveau stabilisiert. Wohnungssuche von vornherein ausge­
klammert bleiben. Schnell zieht dort die
Die vermehrt in die größeren Städte ein­ Häufung der gruppenspezifischen Nach­
gewanderten jungen Erwachsenen ziehen frage ergänzende Nutzungsangebote nach
also im Unterschied zu früher nicht mehr sich in Form von z. B. Cafés, Restaurants,
nach Ausbildung oder Studium aus den Bioläden oder Einrichtungen für Kinder.
Großstädten zurück in eine weniger städ­ Susanne Frank konstatiert in ihren Untersu­
tisch geprägte Heimat, sondern suchen chungen (2011a,b; 2014), dass sich die neu­
ihren Wohnstandort auch weiterhin bevor­ en „Urbaniten“ keineswegs zu Trägern und
zugt in städtischen Quartieren, die ihrem Motoren einer erwünschten offenen Stadt­
Lebensstil am meisten entsprechen. Das gesellschaft mauserten. Vielmehr trügen sie
sind mehrheitlich innenstädtische bzw. in­ elementare Funktionen und Charakteristika
nenstadtnahe Wohngebiete. Die Analysen suburbanen Lebens in die Städte hinein,
kleinräumig vorliegender Städtestatistiken bildeten immer mehr Mittelstandsinseln,
im Kooperationsprojekt „Innerstädtische die sich gegen die Umgebung abgrenzten
Raumbeobachtung – IRB“ weisen für Stadt­ und ihre Bewohnerschaft gegen status­
teile der Inneren Stadt (laut IRB-Lagetypik: niedrige oder gar bildungsfernere städti­
City, Cityrand und Innenstadtrand) eine sche Bevölkerungsgruppen abschirmten.
typisch urbane Bewohnerstruktur nach: Deshalb spricht Frank im Zusammenhang
Überdurchschnittlich häufig leben in den mit solchen Familien-Wohnquartieren auch
zentralen Stadtgebieten junge Erwachse­ von Gentrifizierung bzw. von innerer Subur­
ne, Einwohner mit Zweitwohnsitzen und banisierung. Als These steht im Raum, dass
Einpersonenhaushalte, aber auch Allein­ die Wohnbevölkerung eine Art kon­trollierte
erziehende, Migrantinnen und Migranten Urbanität sucht, die Konflikte einer ansons­
sowie SGB-II-abhängige Haushalte (Güleş/ ten mit Urbanität einhergehenden gesell­
Sturm 2014). Diese verschiedenen Haus­ schaftlichen Mischung sowie Nutzungsmi­
haltsgruppen sind – aus zeitlichen oder schung am liebsten ausspart.
ökonomischen Gründen – auf kurze Wege
angewiesen oder bevorzugen sie zumin­ Gerd Kuhn weist im Zusammenhang mit
dest. Die Fluktuation in diesen Gebieten ist seiner Betrachtung der Reurbanisierungs­
hoch. Rein statistisch wechselt sich nach debatte auf die von Immobiliengesellschaf­
Daten der IRB die Innenstadtbevölkerung ten „bevorzugte städtebauliche Planfigur
deutscher Großstädte alle fünf bis acht des Wohnhofs“ (2012: 335) hin. Damit ent­
Jahre aus. Insofern stehen Innenstädte im­ standen während der vergangenen Jahre
mer auch für „urbanen Wandel“, gehört zur „eine Vielzahl abgeschirmter und sozial oft­
Stadtentwicklung selbstverständlich auch mals homogener Wohnprojekte mit einem
ein Auf und Ab von Stadtteilen. hohen Maß individueller Freiheit“ (ebd.).
Als Implantate in einer sowohl baulich als
Aus Sicht einer sozial gerechten Stadtent­ auch in der Zusammensetzung der Bewoh­
wicklung werden nach wie vor Bestrebun­ nerschaft deutlich unterschiedenen Umge­
Brigitte Adam, Gabriele Sturm: Was bedeutet Gentrifizierung und welche Rolle spielt
270 die Aufwertung städtischer Wohnbedingungen?

bung würden solche Brachenbebauungen Die stadtsoziologische Betrachtung


und Lückenschlüsse selten als Beitrag zur von Gentrifizierung
Durchmischung im Wohngebiet wahrge­
nommen, sondern eher als Fremdkörper. Aus stadtplanerischer Sicht trägt der Zu­
Peter Marcuse hatte derartige Einsprengsel zug in die Städte grundsätzlich dazu bei,
bereits als „urbane Zitadellen“ bezeichnet die Stadtentwicklung planerischen Idealen
(2002, zit. nach Kuhn 2012: 336). von Kompaktheit, Mischung und kurzen
In der Diskussion um Reurbanisierung, Wegen näherzubringen. Endlich, nach Jahr­
Gentrifizierung und neue Stadtmilieus gibt zehnten der Suburbanisierung, scheint die
es sehr unterschiedliche Einschätzungen: lang ersehnte Phase der Reurbanisierung
Während die einen die Position vertreten, Realität zu werden. Schon seit einigen Jah­
dass solche Projekte mit ihrem Weg der ren hatte die Stadtforschung immer wie­
Inwertsetzung städtischen Lebens über­ der Indizien für ein Umschwenken gefun­
haupt erst wieder zu einer Normalisierung den. So kon­statierten bereits 1987 Harmut
der sozialräumlichen Mischungsverhält­ Häußermann und Walter Siebel die Renais­
nisse beitragen, weisen die anderen darauf sance der Innenstädte und 1992 sprach
hin, dass – beispielsweise auf der empiri­ Stefan Krämer von „Anzeichen …, daß auch
schen Basis des Sozioökonomischen Panels die Phase einer dominierenden Suburbani­
(SOEP) – zumindest für westdeutsche Städte sierung beendet ist, und durch eine neue
während der vergangenen zehn Jahre eine Phase abgelöst wird, in der die selektive
überdurchschnittliche Erhöhung des Haus­ Zuwanderung aus dem Umland in die Städ­
haltsäquivalenzeinkommens bei gleichblei­ te (wieder) an Bedeutung gewinnt“ (1992:
bender Armutsquote festzustellen ist (Goe­ 129). Krämer wies gleichzeitig darauf hin,
bel/Gornig 2014). Das heißt, dass der Anteil dass „ein spezifischer Teil dieser Zuwande­
einkommensstarker Haushalte und damit rung … unter dem … Begriff Gentrifizie­
die Einkommenspolarisierung in westdeut­ rung diskutiert wird“ (ebd.). Ist Gentrifizie­
schen Großstädten während der letzten rung der Wermutstropfen von Aufwertung
Jahre zugenommen haben. Inwiefern die und Reurbanisierung?
empirisch noch kaum zu fassenden Reurba­
nisierungswanderungen dazu beigetragen In der öffentlichen Diskussion wird der
haben bzw. beitragen, muss noch erforscht Begriff Gentrifizierung nun verbreitet als
werden. Kampfbegriff verwendet, während er in den
Sozialwissenschaften seit rund 50 Jahren
Essenzielles stadtpolitisches Ziel ist es, einer einer Klassifikation von unterschiedlichen
Suburbanisierung von Familienhaushalten sozialräumlichen Prozessen dient. Die His­
ins Umland der großen Städte entgegenzu­ torie des Begriffs, nicht des Phänomens
wirken. Dies ist bis heute auf allen Ebenen an sich, begann in Großbritannien mit der
anerkannt. Stattdessen sollen Städte (wie­ Beschreibung von Umwandlungs- und Ver­
der) attraktive Wohnstandorte sein. Durch drängungsprozessen in Londoner Stadttei­
Städtebauförderung wurde diese Zielset­ len. In der deutschen Stadtforschung wurde
zung auf den Bestand konzentriert und kon­ Gentrifizierung zu einem stadtsoziologi­
zeptionell unterstützt; durch Forschungs­ schen Lehrbuchbegriff, der ähnliche Phäno­
projekte sollte die Realisierung strategisch mene in deutschen Städten charakterisiert
untermauert werden, indem nach Potenzia­ (Dangschat 1988, Blasius/Dangschat 1990,
len und Lösungswegen gesucht wurde (vgl. Friedrichs/Kecskes 1996). Es verbindet sich
dazu u. a. BMVBS/BBSR 2007). Die Subur­ damit die Vorstellung von Vertreibung, Spe­
banisierung scheint ihren Höhepunkt hinter kulation und sozialer Polarisierung. Die
sich gelassen zu haben, was aus der Sicht Forschungsarbeiten seit Mitte der 1980er
einer nachhaltigen und aus der einer sozial Jahre tragen zur genaueren Beschreibung
gemischten Stadtentwicklung grundsätzlich und Problematisierung der Gentrifizierung
zu begrüßen ist. Gleichwohl – darauf deuten und ablaufender Gentrifizierungsprozes­
die zitierten Analysen – gibt es Anzeichen, se bei. In einem Überblicksartikel für die
dass Reurbanisierung – ob gesteuert oder APuZ formuliert Ingrid Breckner (2010: 27)
ungesteuert – nicht ohne Konfliktpotenzia­ als aktuelle Definition: „In der sozialwissen­
le verläuft, wenn man die Lupe auf die Ent­ schaftlichen Fachwelt versteht man unter
wicklung einzelner Quartiere oder Stadtteile Gentrifizierung eine allmählich, durch Er­
richtet. neuerungsmaßnahmen und/oder Eigen­
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 4.2014 271

tümerwechsel entstehende Dominanz ein­ somit nicht eindimensional, sondern auf


kommensstarker Haushalte in attraktiven der Grundlage verschiedener, parallel lau­
urbanen Wohnlagen zu Lasten von weniger fender Prozesse.
verdienenden Bevölkerungsgruppen.“
Gentrifizierung erscheint heute als kom­
Das deskriptive Grundmodell für Gentri­ plexer und mehrdimensionaler, zeitweise
fizierungsprozesse stammt aus der Chi­ konflikthaft verlaufender Modernisierungs­
cagoer Tradition der Humanökologie der prozess. Er geht mit einem allgemeinen Se­
1920er Jahre. Deren Systematisierung von gregationsprozess einher, bei dem sich un­
stadträumlichen Prozessen umfasste unter ter anderem die ökonomische und soziale
anderem das Bild des „Invasions-Sukzessi­ Ungleichheit einer Stadtgesellschaft auch
ons-Zyklus“: Dabei können sowohl status­ räumlich abbildet. In der Folge verteilen
niedrige, z. B. ethnische Minoritäten, als sich Bevölkerungsgruppen mit einer be­
auch statushöhere Bevölkerungsgruppen in sonderen Kennzeichnung (ökonomisches
ein Wohngebiet einziehen und im Laufe ei­ Potenzial, ethnische oder religiöse Zuge­
ner überschaubaren Zeitspanne zur Mehr­ hörigkeit, sozio-kulturelle Vorlieben) frei­
heit werden. Bei der zweiten Variante, die willig oder unfreiwillig unterschiedlich auf
meist mit der Erneuerung („revitalization“) die Wohnstandorte einer Stadt. Es scheint,
eines Wohngebietes einhergeht, wurde zwi­ als ob der Begriff heute weniger denn je
schen „incumbent upgrading“ (Erneuerung ein ausschließlich städtisches Phänomen
durch bereits ansässige Privateigentümer) abbilde. Vielmehr kennzeichnet er gesamt­
und „gentrification“ (Eindringen einer sta­ gesellschaftliche Veränderungen. Die zu
tushöheren Bevölkerungsgruppe) unter­ beobachtenden Charakteristika von Gentri­
schieden. Für Letztere formulierte unter fizierung verändern sich nicht nur in ihrem
anderen Jürgen Friedrichs ein häufig zitier­ Erscheinungsbild, sondern verlangen auch
tes 4-Phasen-Modell: nach einer Neubewertung. Deshalb stellt
• Pioniere ziehen in freie (bzw. frei wer­ sich die Frage nach Konfliktlinien zwischen
dende) preisgünstige Wohnungen eines Aufwertungsprozessen und einer sozial ge­
innenstädtischen bzw. innenstadtnahen rechten Stadtentwicklung und damit die
Wohngebiets mit unsanierter Wohnbe­ nach Steuerungsbedarf und planerischer
bauung aus den Jahrzehnten vor dem Behandlung neu.
1. Weltkrieg;
• verstärkter Zuzug von Pionieren und
Aufwertung als städtebauliche
Gentrifiern führt zu Nachfragedruck;
Notwendigkeit
• ursprünglich ansässige Haushalte wie
erste Pioniere wandern verstärkt auf­ Erwünschte Aufwertungsprozesse wurden
grund der gestiegenen Mieten ab; in vielen Fällen öffentlich gefördert, vor
• es ziehen fast ausschließlich Gentrifier allem, wenn die Bedingungen zur Anwen­
mit vergleichsweise höheren Einkom­ dung des Besonderen Städtebaurechts vor­
men zu und der größte Teil der einkom­ liegen. Losgelöst vom öffentlichen Interes­
mensschwächeren Haushalte wandert se oder von der Behebung städtebaulicher
ab (dazu Dangschat 1988; Blasius/Dang­ Missstände können Aufwertungen auch
schat 1990; Friedrichs 1998). selbst initiiert worden sein, z. B. wenn in
Zeiten niedriger Kreditzinsen und der Er­
In dieser idealtypischen sequenziellen Form wartung einer hohen Nachfrage „luxussa­
sind Gentrifizierungsprozesse in deutschen niert“ wurde.
Städten nicht häufiger zu beobachten als
z. B. die Aufeinanderfolge verschiedener Pi­ Die Aufwertung ist unabdingbares Element
oniergruppen, ohne dass signifikante Auf­ städtebaulicher Bestandspolitik. Schließ­
wertungsprozesse in Gang gesetzt würden, lich wurden städtebauliche Missstände als
oder auch eine Gentrifizierung der Gentri­ mitverantwortlich für die selektive Stadt­
fizierung, wenn in einem Quartier die seit flucht betrachtet. Tatsächlich ist heute
20 bis 30 Jahren ansässigen, im Prinzip gut Wohnraum dort teuer und gefragt, wo vor
situierten Mittelschichthaushalte durch 40 Jahren die drei „A-Gruppen“ dominier­
Spitzenverdienerhaushalte verdrängt wer­ ten: Alte, Arme, Ausländer. Dabei muss be­
den. Der städtische Wandel vollzieht sich rücksichtigt werden, dass in der Hochpha­
Brigitte Adam, Gabriele Sturm: Was bedeutet Gentrifizierung und welche Rolle spielt
272 die Aufwertung städtischer Wohnbedingungen?

se der Suburbanisierung die Belastung der Verdrängung und Segregation


Städte durch innerstädtische Industrie und durch Aufwertung?
fehlende Verkehrsberuhigung weitaus stär­
ker war als heute. Außerdem war ein Groß­ Unabhängig von öffentlicher Steuerung
teil der Altbaubestände in der Raumauftei­ werden Aufwertungsprozesse immer dann
lung nicht mehr zeitgemäß, unsaniert und beschleunigt und durch private Investiti­
ohne moderne Sanitäreinrichtungen. Auf­ onen gestärkt, wenn es bei angespannten
wertung stand somit nicht nur im Zeichen Wohnungsmärkten eine hohe und zah­
einer Attraktivierung oder Verbesserung lungskräftige Nachfrage nach Wohnraum
städtischer Wohnmöglichkeiten. Häufig gibt. Negative Formen nehmen Aufwer­
ging es schlicht um die Schaffung gesunder tungsprozesse an, wenn sie Spekulatio­
Wohnverhältnisse. nen Vorschub leisten und über steigende
Preise angestammte Bewohnerinnen und
In der Städtebauförderung war die Aufwer­ Bewohner vertreiben. Darüber hinausge­
tung des Bestandes als behutsame Stadter­ hend kann die fortwährende Steigerung des
neuerung eine Lehre aus den Fehlern, die Preisniveaus zu Wohnquartieren führen,
aus Flächensanierungen resultierten (Zöpel in denen ergänzende Nutzungen wie zum
2011). Behutsame Stadterneuerung enthielt Beispiel kleine Einzelhandelsgeschäfte oder
eine starke soziale Komponente inklusive Handwerksbetriebe in der Konkurrenz öko­
Beteiligung der Betroffenen. Aufwertung nomisch schwächer und dadurch verdrängt
wurde somit auch zum Bestandteil des werden. Hinzu kommt das Paradoxon, dass
Stadtumbaus. Im Rahmen öffentlich geför­ die Neubewohnerinnen und -bewohner
derter Sanierungsmaßnahmen besteht da­ ursprünglich gemischte Quartiere als ange­
bei zumindest theoretisch die Möglichkeit, sagten neuen Wohnstandort suchten und
dass die Kommunen bestimmte Grenzen suchen, sich dann aber durch die Mischung
der Mietpreissteigerung an die Vergabe von gestört fühlen.
Fördergeldern knüpfen. Die Funktionsfä­
higkeit der Städte erfordert heute Städte­ Gentrifizierung ist immer nur für einige
bauförderung mit unterschiedlichen Hand­ wenige Stadtquartiere einer Großstadt fest­
lungsschwerpunkten, die die verschiedenen zustellen (vgl. u. a. Falk 1994; Brake/Her­
Programme der Städtebauförderung doku­ fert 2012: 413). Je nachdem, wie weit der
mentieren (BMVBS 2011b). Städtebauför­ Begriff gefasst wird, gibt es solche Quartie­
derung – und damit Bestandsqualifizierung re in wachsenden wie in schrumpfenden
und Aufwertung – gelten als zentrale Säulen Städten. Der Prozess wird dadurch in Gang
der Nationalen Stadtentwicklungspolitik. gesetzt, dass i.d.R. junge, gut ausgebilde­
te „Kreative“ mit neuen Vorstellungen von
Kommunen setzen auf urbanen Wandel. Wohnstil und Wohnumgebung günstigen
Dabei führt jede notwendige Erneuerung Wohnraum in einem Wohngebiet mit Ge­
des Bestands (energetisch, städtebaulich, staltungsmöglichkeiten suchen. Wenn die
nutzungsbedingt) zur Verbesserung der daraus folgende Veränderung eines Quar­
Wohnlage und zwangsläufig auch zu wei­ tiers eine Atmosphäre hergestellt hat, die
terreichenden Veränderungen. Sofern dies auch über die Quartiersgrenzen hinaus für
in Gebieten mit unterdurchschnittlichen Andere wahrnehmbar wird und attraktiv
Miet- bzw. Immobilienpreisen stattfindet, erscheint, können vergleichsweise typische
bieten diese nicht nur einen besonderen Quartiere für Studierende, für junge Mittel­
Anreiz für Investitionstätigkeiten, sondern schichtsfamilien, für Medienleute etc. ent­
ziehen vor allem Quartiersfremde an. Die stehen.
erwünschte Aufwertung einzelner Stadtteile
geht so mit sozioökonomischen wie kultu­ Innerhalb einer großen Großstadt wech­
rellen Umwertungen einher. All das führt selt mit den nachwachsenden Generati­
nicht zwangsläufig zu Gentrifizierung, kann onen häufig auch der jeweils begehrteste
diese aber initiieren. Ort (Beispiel Berlin in Holm 2011). Bereits
gentrifizierte Stadtquartiere bleiben zwar
in gewissem Sinne attraktiv, ziehen aber
zunehmend seltener die auf Veränderung
ausgerichteten jungen Milieus. Stattdessen
kaufen z. B. in Berlin, das seit ein paar Jah­
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 4.2014 273

ren zu den begehrtesten Metropolen Euro­ sparnis keine Begründung für die Bevorzu­
pas zählt, ausländische (bzw. auswärtige) gung der Suburbia ist. Aus Sicht einer so­
Privatpersonen wie auch Großinvestoren zialen Stadtentwicklung muss städtisches
Wohnungen genau in solch bekannt gewor­ Wohnen deshalb für all die zugänglich sein,
denen Lagen. Das trägt zum einen dazu bei, die zentrale Wohnstandorte nachfragen.
dass im Fall von „Ferienwohnungen“ der Le­
bensalltag der dauerhaft im Quartier Woh­ Problematisch wird Gentrifizierung, wenn
nenden ausgedünnt, das Quartier weniger zu wenig akzeptable Ausweichquartiere
lebendig wird, oder im einem anderen Fall für einkommensschwache Haushalte zur
das Mietniveau steigt. Auf jeden Fall wird Verfügung stehen und diese nicht nur ih­
der Wohnungsmarkt aufgrund der erhöhten ren bekannten Sozialraum verlassen müs­
Nachfrage enger. Einkommensschwache sen, sondern auch räumlich an den Rand
Bevölkerungsgruppen wie Handwerksbe­ der Stadt(-gesellschaft) gedrängt werden
triebe im Hinterhof oder die alternative – bis hin zum Risiko der Wohnungs- oder
Kunstszene können sich das Quartier nicht Obdachlosigkeit. Begehrte Wohnquartie­
mehr leisten und verbliebene Alteigentü­ re sind oft durch eine extreme Steigerung
mer können häufig den Ansprüchen an das von Miet- und Immobilienpreisen gekenn­
Gestaltungsniveau und Erscheinungsbild zeichnet. Problematisch ist auch die mit
ihrer Immobilie nicht genügen, wofür sie Gentrifizierung verknüpfte Segregation,
Missbilligung bis hin zu Beschwerden der wenn bestimmte Adressen mit einer deutli­
neuen Nachbarschaft ernten. chen Verminderung von Chancen bzw. mit
sehr unterschiedlich verteilten gesellschaft­
Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass lichen Privilegien einhergehen (Branding
ein Ausufern von Gentrifizierungs- und von Adressen z. B. durch Geomarketing-
Segregationsprozessen hin zu sozial ho­ Firmen). Dann bedeuten negativ bewertete
mogenen Quartieren unter der Bedingung Wohnquartiere zugleich Ausgrenzung und
äußerst angespannter Wohnungsmärkte Diskriminierung.
in wachsenden Großstädten dadurch ge­
bremst wird, dass auch einkommensstär­ Entsprechend wird Gentrifizierung derzeit
kere Gruppen in ihrer Wahlfreiheit einge­ in einigen wenigen deutschen Großstäd­
schränkt sind. Deswegen müssten auch ten ausschließlich negativ konnotiert. Tat­
sie in eher gemischten Quartieren wohnen sächlich haben Finanzkrise und Immobi­
(Seidel-Schulze 2013). Speziell für das Bei­ lienboom Spekulationen und Verdrängung
spiel München würde dieser Zusammen­ Vorschub geleistet. Medien greifen dies
hang bedeuten, dass die Erfolge (niedrige teils verallgemeinernd, teils auch differen­
residenzielle Segregation) des Wohnungs­ zierend auf. Eine negative Aufladung des
bauprogramms „München Modell“ (Süd­ Begriffs Gentrifizierung kann allerdings mit
deutsche Zeitung, 17.05.2010) durch den einer strukturkonservativen Komponen­
angespannten Wohnungsmarkt zumindest te verknüpft sein: Stadt darf und soll sich
„unterstützt“ würden. nicht verändern; alles soll so bleiben, wie
es ist. Dabei übersehen diejenigen, die die­
se Position vertreten, dass Stadt nie bleibt
Bewertungsansätze wie sie ist, und dass sie selbst Stadt bereits
verändert haben, häufig auch als Pioniere
Veränderungen in der Erwerbstätigkeits­ eines Gentrifizierungsprozesses.
struktur wie in der Struktur der Privathaus­
halte erfordern für immer mehr Haushalte Jenseits dieser Problematisierung bestimm­
eine vielfältige und gute wohnortnahe Ver­ ter Ausprägungen von Gentrifizierung darf
sorgungsinfrastruktur. Städtisches Wohnen nicht ignoriert werden, welcher Fortschritt
kann nicht nur bequemer und abwechs­ mit der Aufwertung städtischer Strukturen
lungsreicher sein als das Leben im Umland. im Laufe von mehr als 40 Jahren Städte­
Für viele Bevölkerungsgruppen ist das Le­ bauförderung erzielt wurde. Städte sind
ben außerhalb von Dichte und Mischung vielerorts zu qualitätsvollen Wohn- und
gar nicht zu organisieren. Zudem haben Lebensstandorten entwickelt worden. Das
sich die Preise in manchem städtischen heute viel bemühte Leitbild der „Europä­
Umland inzwischen denen in der Kernstadt ischen Stadt“ ist dadurch überhaupt erst
angeglichen, so dass langfristige Kostener­ denkbar geworden. Städtebauliche Miss­
Brigitte Adam, Gabriele Sturm: Was bedeutet Gentrifizierung und welche Rolle spielt
274 die Aufwertung städtischer Wohnbedingungen?

stände sind heute nicht mehr ausschlagge­ zit darauf ausgerichtet werden, verschiede­
bend für ein Verlassen der Stadt. Umgekehrt ne Gebäudetypen und Wohnungsangebo­
darf heute nicht der Tatbestand hoher At­ te bereitzustellen (Adam/Sturm 2012: 99).
traktivität und hoher Preise eine neue Form Eine besondere Herausforderung stellt sich
segregierter und segregierender Randwan­ für die Kommunen bei der Organisation der
derung erzwingen. Partzipationsmöglichkeiten. Während sich
die einen „ihrer Anforderungen an die Leis­
Politik und Verwaltung sind dem Wohler­ tungen ihrer Stadt ziemlich bewusst“ sind
gehen der gesamten Stadtbevölkerung ver­ und diese auch artikulieren können (Brake/
pflichtet. Insofern können zwar nicht alle Herfert 2012: 414), müssen andere emanzi­
Stadtbewohnerinnen und -bewohner am piert und zur Beteiligung befähigt werden.
gewünschten Idealwohnstandort leben,
sollten aber weiterhin Wahlmöglichkeiten Konfliktpotenziale im Spannungsfeld zwi­
haben und nicht gezwungen sein, „schlech­ schen Aufwertung und Gentrifizierung er­
te Adressen“ als ihre Adresse zu akzeptieren halten aktuell weiteren Zündstoff: Die so­
oder die Stadt zu verlassen. Kommunaler zialräumlichen Spreizungen in den Städten
Handlungsspielraum ist diesbezüglich ge­ dürften sich auf noch ungewohnte Weise
geben, wenn es eine genügend große An­ mit infrastrukturell notwendigem Erneu­
zahl von Wohnungen im Eigentum der öf­ erungsbedarf verknüpfen. Insbesondere
fentlichen Hand bzw. mit Belegungsrechten die energetische Nachrüstung von Ge­
gibt. Über Sozialwohnungsbau hinaus sind bäuden und Wohnquartieren im Bestand
spezifische Flächenpolitiken oder Beteili­ wird deutlichen finanziellen Mehraufwand
gungsverfahren kreativ einzusetzen, führen erfordern, der sich auch im Mietpreisge­
allerdings nicht immer zum gewünschten füge niederschlagen wird. Je nachdem, in
Erfolg. Weitere Instrumente liegen in der welcher räumlichen Struktur (wer saniert
Mietpreisbremse, Milieuschutzsatzungen wo in welchem Ausmaß) und über welche
oder bei der Bauleitplanung, wenn es um Zeitspanne dieser zukünftige Stadtumbau
die Wiedernutzung städtischer Brachen stattfinden wird, sind sozialräumliche Aus­
geht. Hierzu gibt es Beispiele wie das der wirkungen ausdrücklich mitzudenken.
Stadt Karlsruhe, wenn Neubaugebiete expli­

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