?r'rurrto&Timme
Verlas fiir wissenschaftliche Literatur
Umschlagabbildung: Schachspielerim Café Stephaniein Mùnchen, l93l
@ Knorr + HirtUsùddeutsche Zeifuns Photo
ISBN 978-3-86596-521
-9
ISSN 1860-1952
www.frank-timme.de
Dirk WEISSMANNpniversitéParis-Est
Créteil)
,r'erspielter'Poeten?
Diese Beziehung ist zrvangslâufig selektiv und reduzierend; sie beruht auf mehr
oder weniger bewusst getroffenen Entscheidungen und Ausschlùssen,insofern als
keine Art des Ûbersetzens als naturgegebenoder absoiut evident gelten kann. Die
vielfiltigen, permanenten historischen Wandlungen unterworfenen Vorstellungen
und Normen vom Ubersetzen geben davon Zeugnis. Zu den aufschlussreichsten
Parametern der literarischen Ubersetzung gehôrt sicherlich die Gewichtung zvl1-
schen ,Inhalt' und ,Form', wenn man diese Dichotomie hier einmal vorlâufig aner-
kennen môchte.5 Dies gilt insbesonderefùr das Gebiet der Ùbersetzung von Lyrik,
einer Gattung a1so,wo diese beiden sprachlichen Dimensionen eine besonders in-
time Verbindung eingehen.uDa es nahezu unmôglich ist, sowohl alle inhaltlichen
als auch formalen Aspekte eines Gedichts vefeint in der Zielsprache r.viederzuge-
ben, ist der Ûbersetzer prinzipiell dazu gezrvungen,eine Gewichtung vorzunehmen
und Prioritâten zu setzen. Àus verstândiichen Grûnden erhàlt die semantische
Ebene dabei in den allermeistenFâ1lenden Vorzug, wodurch die spezihscheklang-
Lich-râumlicheI{onkretisierung der poetischen Rede tendenziell der semantischen
Bedeutungsebeneuntergeordnet wird.
-:n, indem er sich allein an der klanglichen Oberflâche der Wôrter des zu ùberset-
zrnden en glisch enCe dichr sor ient ier t .
Die Anfang der 1960erJahre von J""0, ;,., dem Titel oberflàchenùberseQnngvorge-
iegte Ubersetzung âus dem Englischen kann als Grenzfall der Gattung bezeichnet
ç'erden. Der unvorbereitete Leser mag sich fragen, ob der Text zu Recht die Be-
zeichnung Ùbersetzung tragen darf, Ausgangtext ist ein berùhmtes Gedicht von
\\rilliam Wordsworth (1770-1850),dessen originaler \ilordaut dem deutschen Text
rorangestellt ist:e
oberl'làchenùbersetqung
my heartleapsup wheni behold
a rainbowin the sky
so was it v'hen my life began
so is it now i am a man
so be it when i shallgrow old
or let me die!
the child is father of the man
and i could wish mv da1,s16 6.
bound each to eachbv naturalpietv
(u'illiam wnrdsu orth)
Eine klassischel{ritik dieser Position liefert Jacques Derridas Studre Iz uoix el lephénamène,
Paris,Pressesuniversitairesde France,1967.
Zut Diskussion Inhalt vs. Form in der LyrikùbersetzungsieheEfim Etkind, Un aft ar cise:
rsai depoétiqaedetradaction
poétique,Latsanne,L'âge d'homme, Lausanne, 1982.
Das Schriftbild mrde von Jandl in den verschiedenenVerôffentlichung teilweiseverândert
1965, anlâsslich der Verôffentlichung in der Londoner Reihe Viters Farum Parls,steht das
Original nach dem deutschenText. Die beiden Teile wutden jedoch immer als eine Einheit
prâsentrert.
Beim ersten I(ontakt mit diesem Text bleibt der Leser generell perplex: Ratlosig-
keit, Verstôrung, instinktives Lachen sind hâufige Reaktionen. Die deutschen Verse
wurden im Titel zwar als ,,Ubersetzung" angekùndigt, doch die phonetische Um-
schrift, die als deren Grundprinzip erscheint, wirkt zunâchst einmal a1spure Pro-
vokation.ll Einige l(ommentatoren lehnen es dâher von vornherein ab, den Text
ùberhaupt zls (Jbersetqung
ernst zu nehmen, sondern betrachten ihn ledigLich als
(schlechten) Scherz oder rein formales Experiment.12 Die Beziehung zum Aus-
gangstext erscheint ihnen als zu wenig seriôs,der Umgang mit dem Original als zu
frei, um von einer regeirechtenGedichtùbersetzungzu sprechen.
Eine Reihe von Indizien scheint in der Tat darauf hinzudeuten, dass der Zieltext
eine gewisse Autonomie fùr sich beansprucht. So ist obetflàcbeniiberset<ltng
hier noch
keine Gattungsbezeichnung,kein Begriff fùr ein besdmmtes Ùbersetzungsverfâh-
ren, sondern scheint zunâchst die Funktion eines Gedicht-Tite/sinne zu haben. Der
Unterschied gegenùber den anderen vonJandi publizierten Ùbetsetrongen liegt auf
der Hand:13Jandl hat diesen speziellen Text in sein dichterisches Werkla und die
tu
Erswerôffentlichung in Gùnter Bruno Fuchs (Hg.), Die fuIenengeige,
Zellgenissische
Noflrenruer:e,
Mùnchen, Hanser, 1964.Nach AussagevonJandl hat er seit 1957 an dem Text gearbeitet
(sieheAnmerkung 17),was bedeutet,dassdie Erprobung dieserTechnik mit seinenÂnfângen
auf dem Gebiet der experimentellenPoesiezusammenfillt.
11
Das Provozierendedes Textes wird noch durch die konsequenteVerwendung der I{lein-
schreibung verstârkt; diese fùhrt was zu einer Auflôsung der Hierarchisierungen im Schriftbild
sowie zu einer Denaturierung des englischen Originals, in dem die Gro8schreibung eine nicht
geringe Rolle spielt.
12
'- ^'
IJrese vosrtron wlrd u. a. vertreten von Nlichael Schreiber, Ubu:etTangand BearbeitangZar Dijfe-
renTiemngtrndAbgrenqangdes Uberxtqangsbegifs,Tûbingen, Niemel,er, 1993, S. 143, und Franz
I{. Stanzel, ,,Zur poetischen lfieden'erwertung von Texten, Found poems, metatranslations,
Oberfiâchenùbersetzung", in: Renate Haas/Chrisrine I{.lein-Braley (Hg.), Literatur in Kantext,
Sankt Augustin, Richarz, 1985,S. 39-50,hier S. 47.
'' J andl hat in klassischerForm Ubersetzungenvon R. Cteeley,G. Stein,W. H. Auden und an-
1ll
deren verôffentlicht. Siehe die BibLiographie in Ernst Jandl,Text&I{ritik Heft 129, NIûnchen,
1996.
Jandl zudem einmal erklârt, sein Ansatz biete ihm ,,die MôgLichkeit, ohne Aus_
gangsideezu dichten"15,u'odurch das englischeoriginal implizit auf die Rolle eines
vorwands zum eigenen Dichten reduzien wird. Im ùbrigen wurde oberflàchenùber-
ret<angstets unter dem Namen Ernst Jandls verôffentlicht; der Dichter des engli-
schen Originals erscheint dabei lediglich in Klammern.
Dadurch wird klar, dassJandl keineswegsdas Ethos eines dem original verpfLich-
teten oder unteru'orfenen, gewissenhaftenUbersetzers annimmt, sondern die eige-
ne schôpferische Rolle in den vordergrund stellt. Doch auch wenn Jandls obejlci-
cbenilbersetqang
fùr sich den Anspruch erhebt, auf ihre Art ein originai zu sein, muss
man einràumen, dass der Text nur in der Gegenùberstellungmit dem original von
wordsworth funktioniert. ohne den englischen Text wùrde die \x/irkung der deut-
schen verse verschwinden oder sich zumindest erheblich verândern. Zudem be-
steht oberflàcbenùbersetTang
kiat aus zwei Teilen in zwei verschiedenen Sprachen, die
durch ein und denselbenTitel miteinander verbunden sind und sich somit in einer
At Dialog befinden.'o Auch wenn die Bezeichnung ,Ubersetzung' nicht unproble-
matisch ist, ist es doch unbestreitbar, dass der deutsche Text eine unauflôsbare Be-
ziehung zum englischenGedicht unterhâlt.
Anlâsslich einer Lesung hatJandl imJahr 1982 sein Vorgehen nâher beschrieben:
,,Da ist mir also der Einfall gekommen, man kônnte einmal versuchen, ein engLi-
sches Gedicht [...] nicht in seiner Bedeutung zu ùbersetzen, sondern den Vedauf
der I(lânge, den I{langverlauf des Gedichtes nun môglichst annâhernd durch deut-
sche \ilôrter wiedergeben."lTDie I{onzentration auf die Lautform der \ilôrter unter
Abkehr von der Bedeutungsebeneist durchaus rypisch ftr einen Dichter, der sich
der Tradition des Dadaismus verpflichtet fùhlte und det Bewegung der l(onkreten
Poesie angehôrte, welche beide intensiv mit der Lâutstruktur von Sprache experi-
mentiert haben. Bestâtigt wird hier au8erdem
Jandls bekanntlich enge Affinitât zur
Fasst man diese Aussagen und Beobachtungen zusâmmen, kônnte man sagen,dass
Jandls Vorgehen im Bereich der Lyrik kônnte gleichsam als eine I{ritik der thdarieda
lens ava.ntla lettre gelesen v'erden. So verweigert er sich tesoiut einer Reduktion
von Texten auf ein au8ersprachLichesSubsttat und wendet sich demonstrativ der
sprachlichen Oberflâche zu. Er stellt sich gegen eine Ausklammerung der Materiali-
tât von Sprache im Ubersetzungsprozessund fùhrt zwei ungewôhnliche Trennun-
gen durch: Jandl trennt einerseits die graphisch-phonetische Reprâsentatronvom
Begriff, indem er die Bedeutungsebenebewusst bei Seite lâsst, und befreit darùber
hinaus deren lautliche Umsetzung von der slntaktischen Ebene, insofern als er
nicht \X/ort fùr Wort verfihrt, sondern die englischen Wortgrenzen frei verschiebt
und die Lautkette jeder Zeil,e vôllig bedeutungs- und funktionsfrei als Ganzes be-
trachtet. Am Ende sind Original und Ùbersetzung nur noch durch den von Jandl
'" \riele l{ommentatoren nehmen dieseVenvandtschaftzum Vorwand. sich nicht nàher auf
einen solchen,Nonsens'einzulasscn.
" E. Jandl, ap.cit. (Anm. 17).
'" Eine kurze BeschreibungdiesesÀnsatzesfindet man bei À,IyriamSalama,Carr,"Interprctive
Approach", in: Mona Baker/Gabriela Saldanha (Hg.), Routlegde
Enryilopaediaof Tmnslation.9tud
ies,London, Routledge,2009, S. 145-147.
" B e s l i m m t e V e r f e c h te r d ie se r P.r ch tu n g wie z.B.Je a n Del sl ehabensi eaufdreschri fthche
Ubersetzungauszudehnenversucht.
***
Hat man einmal diese singulâre Beziehung von Ausgângs- und Zieltext bestimmt,
mùssre sich der Erfolg des Ubersetzungsprozesses
an der kJangLichen
Aquivalenz
von Ausgangs- und Zieltext messen lassen. Unter diesem Gesichtspunkt scheint
das Resultat in der Tat ùberzeugend, da Jandl es trotz der Grenzen des deutschen
Lautsystems schafft, einen verblùffenden Eindruck von Gleichklang zu erzeugen,
wobei er gleichzeitig das Nfetrum des englischen Originals grôBtenteils respektiert.
Letztlich vedeitet das Experiment tendenziell zur Schaffung einer Art deutsch-
englischenMischidioms, durch das erst eine maximale Homophonie môglich wùr-
de. Dabei ùberrascht jedoch, dass der Autor beim mùndlichen Vortrag selbst nicht
in diese Richtung geht. In der oben zitierten Lesung erkennt man in seiner Vor-
tragsweisevielmehr einen Hang zur Trennungder deutschen Wôrter voneinander
sowie die Bemùhung, die standardsprachlicheAussprache zu verwenden, wodurch
die klangLiche Ubereinstimmung zwischen den beiden Texten nicht ihre maximale
Stârke erreicht. Dabei muss man bedenken, dass die Lesung vor einem Publikum
bundesdeutscherGymnasiastenerfolgte, was den Verzicht Jandls auf eine zu stârke
dialektale Einfârbung erklâren kônnte. Jedoch darf man auch vermuten, dass der
Dichter die Illusion des Gleichklangs nicht ins Extreme treibt, um seine Zuhôrer
auch auf andere, nicht nur rein klanglichen Aspekte seinesTextes aufmerksam zu
machen,
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Abb. 1: Ob€dlàcb6nûb€.setzufs 6iner Pô3iôse ars Jôhn Gay's Begqâ/s Opêft.
Aufg egèbènêr EnM ud éo3 deô 60èr J .h.en. gê.i r u dês Aui or s ,
23
Àbgebrldet in Prafle.Maga{n desÔsteneichischen
Literatu:'archius,\(r'ien,
Zsolnav, 1/1998.
Auf diese Weise relatir.iert sich die Vorstellung, es handele sich um einen sinnfreien
experimentell-formalisrischen Text; eine erstaunliche inhaltliche I{ohârenz wird
sichtbar, wodurch der Text eine neue Lesbarkeit erhâlt. Viel deutlicher erkennt
man nun verschiedene grammatikalische Strukturen, interne Verweise und be-
stimmte Wortfelder v'ie z. B. Heimat, Natur, menschlicher I{ôrper, I{ùche, sowie
zahireiche militârische und kriegerischeI{onnotationen.
NIit seiner scheinbar freien Verknùpfung von Ideen, Sâtzen und Begriffen ohne
stringente Ordnung entspricht Jandls Text sicherLichgewissen l(lischees und Vor-
urteilen, die allgemein mit experimenteller zeitgenôssischerDichtung in Verbin-
dung gebracht wefden. Versucht man das Gedicht iedoch unter dem Gesichts-
punkt der Bedeutung zu lesen (rvas durch die Ubersetzung in eine andere Fremd-
sprache erleichtert wird), wird darin sogar eine narrative Dimension sichtbar. Ein-
deutig erkennt man zwei Personen, I(urt und Emma, die offensichtlich anztgliche
Handlungen in einem sexueli stafk aufgeladenen Dekor I'ollziehen. Psychoanall'-
tisch versierte Literaturwissenschaftlermûssten ihre Freude ân diesem Text haben:
Es wimmelt r-on phallschen objekten und vaginalen Symbolen; der FrùhLing wird
erwâhnt, also die Jahreszeit,wo die Triebe ûberall in der Natur zu neuem Leben
erwachen; Nahrung wird erotisiert und man flndet zudem auch gewisse skatologi-
sche Aspekte.
Ohne die Analyse an dieser Stelle zu yertiefen, kann man festhalten, dass die vom
Oberflâchen'erfahren Jandls erzeugte Provokation durch diese herausgearbeitete
Sinnebene noch verstârkt wird. Sicherlich wâre es vetfehlt, u'ollte man Jandls aber-
mit denselben N{itteln und demseiben Anspruch interpretieren wie
J/àchenùbersetTazg
das Odginal von Wordsworth, indem man versucht eine perfekte Sinnkohàrenz zu
erzerrgen.'uGleichzeitig scheint mir aber eindeutig enviesen, dass Jandis Ùberset-
***
Versucht man, den von der Ubersetz.,ng vermittelten Inhalt zu umrei8en, so kann
m^n, trotz der zahlreichen morphoiogischen und syntaktischen Idiosynkrasien,
recht eindeutig feststelien, dass dieser sich in radikalet Oppositionzum Original be-
findet. Im Gegensatz zu seiner klanglichen Mimikry steht Jandls Text inhaltlich
gesehen dem Gedicht von \flordsworth diametral entgegen: Dort wo Wordsworth
mit dem Bild des Regenbogensdie Bestândigkeitdes menschlichen !ilesen in seiner
Individuaiitât und Sensibilitàt evozrert, sexualisiert und militarisiert Jandl die kom-
plette Szene.Jandl holt das Gedicht aus seiner romântischen Erhabenheit und sti-
listischen Hôhe in die Welt der elementarenTriebe und deren Befriedigung herun-
ter.27Afl die Stelle des Sublimen bei \ù(/ordsworrhtrirt in der Ûbersetzuns das Gro-
teske.
Fast kônnte man meinen, der Titel des Gedichts hâtte uns in die Irre gefùhrt. Die
Ubersetz.rngbleibt ganz und gar nicht an der Oberflâche, sondern scheint vielmehr
den semantischen (Ab)Grund der deutschen Sprache zu sondieren. Dies wird be-
sonders in der ietzten Zeile deutlich: ,,baum deutsche deutsch bajonett schur alp
eiertier." Denn rein klanglich betrachtet stelit das Wort ,deutsch' nicht die ideale
Lôsung zur klanglichen Nachahmung von ,,bound each to each" dar. Die \Wahl
von ,,baum esche zu esche", um nur diesen einen, persônlichen Vorschlag zu. m -
chen, hàtte den von Jandl selbst definierten I(riterien besser entsprochen.2sHier
scheint der Dichter in gewisser Weise seine eigenen Regeln missachtet zu haben,
offenbar mit dem Ziel, zweimal das Wort ,deutsch' in der Ubersetzùng zr verwen-
den. Es kann sich dabei kaum um einen Zufall handeln,zamal das foigende Wort
,Bajonett' einem gemeinsamen Wortfeld angehôrt, das man mit dem Oberbegnff
,Deutschland im IGieg' versehen kônnte. Das Vorgehen erinnert insgesamt stark
solche Position ist sicherLichnicht weniger problematisch als die Abqualifizierung des Textes
als blo8et Scherz.
tt
Die direkte und ungeschminkte Thematisierung von I(ôrperlichkeit und Sexualitât ist em
durchgângigesMetkmal von Jandls Lyrik wie auch allgemein der ôsterreichischen Nachkriegs-
Avantgârde.
'8 Hier wùrde die ôsterreichischeBetonung von ,deutsch'wiederum die lautlicheÂhnlichkeit
verstârkenkônnen, wasJandl jedoch in besagterLesung nicht macht.
***
Der zuletzt zitierte letzte Vers aus obetf/àcheniiberset4ang
hat einige I{ommentatoren
dazu veranlasst,aus dem TextJandls eine direkte I{ritik an der romantischen Lite-
ratur und Philosophie als Volwegnahme von Nationalismus, Chauvinismus oder
sogar Nazismus herauszulesen.to
Dieser Ânsatz, auf den hier nicht nâher erngegan-
gen werden kann, geht sichedich zu u'eit, insofern er den Sinnanspruch und die
I{ohârenzerwartung an den Text ùberzieht. Darùber hinaus muss man sich auch
fragen, wârum ein ôsterreichischeLyriker und Gymnasiallehrer fùr Englisch, der
eine tiefe Bewunderung fùr die englischeDichtung hegte, ausgerechnetein Gedicht
von \fordsworth benutzten sollte, um die eigene,deutsch-ôsterreichischeTradition
zu kritisieren? Es muss daran erinnert werden, dass es in Jandls Werk genug Bei-
spiele gibt, wo anhand r.on Pastichen und Parodien deutscher kanonischer Texte
die LiterarischeTradirion kritisiert wird. Warum hâtte er den Umu,'eg ùber eine an-
dere Nationalliteratur und deren Ubersetzung wâhien soilen, nur um ein erneutes
Mal die (deutsche)Romantik zu dekonstr-uieren?
te
Es handelt sich hier bekanntlichum einen Text ohne Vokale, wo das I{onsonantenmaterial
des \forts ,Schùtzengraben'aufr-irtuoseWeise variiert wird. Das Gedicht erschien1966 im
Band laut and laise.
tu
So W'ickham, op.cit., und N{ichael Hammerschmid, ,,Ûbersetzung als Verhaltensu,eise", in :
N{artin A. Harnz (Hg.), Von Gliitk sichanTustecken,
Mdglirhkelnnand Nsiken in Lihersct<ililgspra
rffien, Braumùller, 2005, S. ,+7-64.
ryrs,
)l F
Lr,
^i ofstef_ aD. ûr.- 1.1b.
Dabei stellt er die Hierarchie nicht einfach auf den I(opf.33 Sein Text ist weder rein
oberflâchlich noch eine diskursiv elaborierte Kritik, sondern befragt das komplexe
Verhâltnis von Inhalt und Form, ohne beides eindeutig zu rrennen, wobei er in fne
die gângige Unterscheidung von Inhalt und Form als unhaltbar erscheinen lâsst.
Mit den Mitteln des grotesken Humors zerstôrtJândl so die sprachphilosophischen
Halbwahrheiten vieler Leser und Ubersetzer. Und auf dem Weg eines Spiels mit
der Ubersetzung schafft er es, eine im Grunde sehr etnsthafte I*itik performativ
darzusteilen.Die ganze Komplexitât der Sprache an der oberflâche scheinbar ein-
Jandls Ansatz ist kein isolierter Fail. Vielmehr kônnte man sagen, dass seine Hinter-
fragung des Primats der Semanrik in gewisser \X/eise Schule gemachi hat, da einige
Ubersetzer sich von seinem Verfahren haben inspirieren lassen.35
Doch versuchen
die meisten Ûbersetzer, die die Ûberzeugungen Jandls tei-len, eher eine Art Mittel-
weg zwischen abstrakter Bedeutung und sprachlicher Form zu beschreiten, und
somit alien Aspekten der poetischen Sprache zu ihrem Recht zu verhelfen. Jandls
Ansatz situiet sich m. E. auf einer anderen Ebene, da sich seine Ûbersetzung nicht
nur auf einen konkreten Text bezieht, sondern dariiber hinaus performativ im
Ubersezen eine Ûberlegung ùber die Methode der Ubersetzung vollzieht. Das Er-
gebnis will nicht als mustergùhige Ubersetz..,ng oder Modell auftreten, sondern das
Publikum letztlich zum Nachdenken ûber seine Auffassung von Sprache und
ûbersetz.,ng anregen.
3*
Cf. das Vorwort von Wendelin Schmidt-Dengler in: Hammerschmid/Neundling er, 0p.cit.,5.7
tt
Siehe hierzu meine Beitrag,Jandl et la traduction homophonique", im Druck.