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Philippe Wellnitz (Hg.

Das Spiel in der Literatur

?r'rurrto&Timme
Verlas fiir wissenschaftliche Literatur
Umschlagabbildung: Schachspielerim Café Stephaniein Mùnchen, l93l
@ Knorr + HirtUsùddeutsche Zeifuns Photo

Verôffentlicht mit Unterstiitzung der germanistischenForschungsgruppeCREG


(Univ. Paul Valéry Montpellier III / Toulouse II - le Mirail)

ISBN 978-3-86596-521
-9
ISSN 1860-1952

@ Frank & Timme GmbH Verlag fiir wissenschaftliche Literatur


Berlin 2013. Alle Rechtevorbehalten.

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Printed in Germany.
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www.frank-timme.de
Dirk WEISSMANNpniversitéParis-Est
Créteil)

Ûbersetzung als kdtisches Spiel. Zu


Ernst Jandls obe(làcbeniibersetzung

Den Namen des ôsterreichischenDichters ErnstJandl (1925-2000)in einem Band


zum Thema Spiel vorzufinden, rvird kaum einen Leser verwundern, zeichnet sich
dessen \(/erkl doch generell durch ein ironisches und verfremdendes Spielen mit
Sprache(n)aus, u.obei Humor und l{omik einen zentralen Stellenwert einnehmen.2
und Spiel steht es da anders, ist doch die
Mit der Beziehung zwischen [Jbersetqung
Verknùpfung dieser beiden i{onzepte alles andere als ûblich. So wirft die I(onstel-
lation Spiel-Jandl-Ubersetzung sofott Fragen auf: Welcher \X/egkann vom Spielen
zum Ùbersetzen fùhren? Gibt es so etwas wie einen spielerischen Zugang zur
Ubersetzung? Handelt es sich bei der Ubersetzung nicht vielmehr um eine ernst-
hafte Àufgabe ftr Philologen und Fachleute, unvereinbar mit den Experimenten

,r'erspielter'Poeten?

Indem ich Jandl gleichsam als ,translatorladens'darstelle,môchte ich im Folgenden


dic Verbindung von Spiel und Ùberserzungvor allcm in threr kilisrhenDimension
beleuchtet.Mittels einer Anal1'sçr'on Jandls Radikalûbersetzungeines kanonischen
Gedichts der englischenRomantik soll das subversivePotential seinesspielerischen
Zugangs zrrr Ùbersetz,rng herausgearbeitetrverden. Insgesamt soli so gezeigt wer-
den, dass sich bei Jandl hinter der Praxis ,'on Ubersetzung als (scheinbarem) Uik
eine performative Sprachreflexion r.erbirgt, welche traditionelle Auffassungen von
Ubersetzung - speziellder Lyrikùbersetzung - provokativ in Frage stellt.

JandlsWerk lâsstsich in mehrerePhasenmit jerveilseigenenSchreibformenunterteilen.Die


experimcntellsteund sicher auch bekanntestePeriode seinesSchaffensist die seiner,konkre-
ten'Poesie,die man zwischen 1956 und 1976 ansiedelnkann. DiesetTeil des \l'erkes stehtim
Ilfittelpunkt meines Beitrags.
Zur Einfùhrung in JandlsWetk sieheu.a. N{ichaelHammerschmid/Helmut Neund):tger. "run
eitenspracben",Poetologische
Unlersuchangen
Tant Verk Emst Jandl.r,Innsbruck, Studien-Vetlag,
2009, und Anne Uhrmacher, .fpie/anende.rKonischen,Em:t Jandl and die.lprarfu,Tùbingen, Nie-
mever.2007.

e Ftank & Timme Vetlag lùr t'issenschaftliche I-iteratur t19


In seiner letzten, unvollendet gebliebenen Studie, die er dem englischen Dichter-
ÛbersetzerJohn Donne gewidmet hat, entw-irft der franzôsische Ùbersetzungsthe-
oretiker Ântoine Berman (1942-1991) die Grundzùge einer methodisch fundierten
Ûbersetznngskritik.3Dieses Anliegen, das Berman in seinem leider viel zu kurzen
Forscherieben mit viel Energie r.orangetriebenhat, muss noch immer als unabge-
schlossengelten, da die lebhaften Diskussionen zu diesem Thema bis heute zu kei-
nerlei I{onsens bezùglich der I{riterien fùr eine solche l{ritik gefùhrt haben. Ohne
hier im Einzelnen auf die verschiedenen Positionen dieser Debatte eingehen zu
kônneno, môchte ich Anschluss an Berman ein Grundprinzip festhalten, wonach
jede ernstzunehmende Ubersetzungskritik versuchen muss, so objektiv (und u''ohl-
wollend) wie môgJich dte Be{ehangdesZieltextes zu seinem Original zu definieren.

Diese Beziehung ist zrvangslâufig selektiv und reduzierend; sie beruht auf mehr
oder weniger bewusst getroffenen Entscheidungen und Ausschlùssen,insofern als
keine Art des Ûbersetzens als naturgegebenoder absoiut evident gelten kann. Die
vielfiltigen, permanenten historischen Wandlungen unterworfenen Vorstellungen
und Normen vom Ubersetzen geben davon Zeugnis. Zu den aufschlussreichsten
Parametern der literarischen Ubersetzung gehôrt sicherlich die Gewichtung zvl1-
schen ,Inhalt' und ,Form', wenn man diese Dichotomie hier einmal vorlâufig aner-
kennen môchte.5 Dies gilt insbesonderefùr das Gebiet der Ùbersetzung von Lyrik,
einer Gattung a1so,wo diese beiden sprachlichen Dimensionen eine besonders in-
time Verbindung eingehen.uDa es nahezu unmôglich ist, sowohl alle inhaltlichen
als auch formalen Aspekte eines Gedichts vefeint in der Zielsprache r.viederzuge-
ben, ist der Ûbersetzer prinzipiell dazu gezrvungen,eine Gewichtung vorzunehmen
und Prioritâten zu setzen. Àus verstândiichen Grûnden erhàlt die semantische
Ebene dabei in den allermeistenFâ1lenden Vorzug, wodurch die spezihscheklang-
Lich-râumlicheI{onkretisierung der poetischen Rede tendenziell der semantischen
Bedeutungsebeneuntergeordnet wird.

JohnDonne,Paits, Gallimard, 1995.


Antoine Berman, Pour uneciliqae dr tradaclians:
Eine Einfùhrung in klassischeund aktuelle Positionen bietet Radegundis Stolze, Uberrel7angr
thearien,
Eine Einfii brung Tùl:ingen, Narr, 2008.
Die begrifflicheTrennung z*'ischen Inhalt und Form ist hôchst problemarischund u'ird oft
und zu Recht kritisiert.Ich veroende diesenAnsatz hier zu heuristischenZw'ecken,u'obei die
Trennung im Laufe meiner Darstellungpcrformativ aufgehobenwerden soil.
Zur Spezifikder LyrikùbersetzungsieheJeanBoase-Beier,"Poetry", in: Nlona Baker/Gabriela
Saldanha(Hg.), Roatltgde EnEclopaediaof Trans/ationStadi:s.London, Routledge, 2009, S. 194-196.

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-\uch wenn diesesPrimat des ,Sinns' weit verbreitet und nachvollziehbar ist, kann
es keineswegsals selbstverstândLichgelten. Es beruht im Grunde auf einer logo-
zenttischen Sprachauffassung,welche den Sinn als von der Materialitât der \il/ôrter
ablôsbar ansieht.TDiese Auffassung muss - insbesondere im Bereich der Lyrik -
:1s problematisch bezeichnet werden.o\ùi/ieich zeigen môchte, scheint Jandi eben
:jese logozentrische Hierarchie von Inhalt und Form auf den l(opf stellen zu wol-

-:n, indem er sich allein an der klanglichen Oberflâche der Wôrter des zu ùberset-
zrnden en glisch enCe dichr sor ient ier t .

Die Anfang der 1960erJahre von J""0, ;,., dem Titel oberflàchenùberseQnngvorge-
iegte Ubersetzung âus dem Englischen kann als Grenzfall der Gattung bezeichnet
ç'erden. Der unvorbereitete Leser mag sich fragen, ob der Text zu Recht die Be-
zeichnung Ùbersetzung tragen darf, Ausgangtext ist ein berùhmtes Gedicht von
\\rilliam Wordsworth (1770-1850),dessen originaler \ilordaut dem deutschen Text
rorangestellt ist:e

oberl'làchenùbersetqung
my heartleapsup wheni behold
a rainbowin the sky
so was it v'hen my life began
so is it now i am a man
so be it when i shallgrow old
or let me die!
the child is father of the man
and i could wish mv da1,s16 6.
bound each to eachbv naturalpietv
(u'illiam wnrdsu orth)

Eine klassischel{ritik dieser Position liefert Jacques Derridas Studre Iz uoix el lephénamène,
Paris,Pressesuniversitairesde France,1967.
Zut Diskussion Inhalt vs. Form in der LyrikùbersetzungsieheEfim Etkind, Un aft ar cise:
rsai depoétiqaedetradaction
poétique,Latsanne,L'âge d'homme, Lausanne, 1982.
Das Schriftbild mrde von Jandl in den verschiedenenVerôffentlichung teilweiseverândert
1965, anlâsslich der Verôffentlichung in der Londoner Reihe Viters Farum Parls,steht das
Original nach dem deutschenText. Die beiden Teile wutden jedoch immer als eine Einheit
prâsentrert.

O Frank & Timme Verlag fùr wissenschaftliche I-iteratur t21


mâiharrhebzapfen<ibehold
er rennbohr in seeskai
so wâssiehtwenn mai lâuft begehen
so essiehtnaheemmamâhen
so biet wenn ârschelgrollt
ohr leckmit eil
sehtsteildiesfaderrossemàhen
in teigkurt wischmai destobier
baumdeutsche deutschbajonettschura1peiertierrÙ

Beim ersten I(ontakt mit diesem Text bleibt der Leser generell perplex: Ratlosig-
keit, Verstôrung, instinktives Lachen sind hâufige Reaktionen. Die deutschen Verse
wurden im Titel zwar als ,,Ubersetzung" angekùndigt, doch die phonetische Um-
schrift, die als deren Grundprinzip erscheint, wirkt zunâchst einmal a1spure Pro-
vokation.ll Einige l(ommentatoren lehnen es dâher von vornherein ab, den Text
ùberhaupt zls (Jbersetqung
ernst zu nehmen, sondern betrachten ihn ledigLich als
(schlechten) Scherz oder rein formales Experiment.12 Die Beziehung zum Aus-
gangstext erscheint ihnen als zu wenig seriôs,der Umgang mit dem Original als zu
frei, um von einer regeirechtenGedichtùbersetzungzu sprechen.

Eine Reihe von Indizien scheint in der Tat darauf hinzudeuten, dass der Zieltext
eine gewisse Autonomie fùr sich beansprucht. So ist obetflàcbeniiberset<ltng
hier noch
keine Gattungsbezeichnung,kein Begriff fùr ein besdmmtes Ùbersetzungsverfâh-
ren, sondern scheint zunâchst die Funktion eines Gedicht-Tite/sinne zu haben. Der
Unterschied gegenùber den anderen vonJandi publizierten Ùbetsetrongen liegt auf
der Hand:13Jandl hat diesen speziellen Text in sein dichterisches Werkla und die

tu
Erswerôffentlichung in Gùnter Bruno Fuchs (Hg.), Die fuIenengeige,
Zellgenissische
Noflrenruer:e,
Mùnchen, Hanser, 1964.Nach AussagevonJandl hat er seit 1957 an dem Text gearbeitet
(sieheAnmerkung 17),was bedeutet,dassdie Erprobung dieserTechnik mit seinenÂnfângen
auf dem Gebiet der experimentellenPoesiezusammenfillt.
11
Das Provozierendedes Textes wird noch durch die konsequenteVerwendung der I{lein-
schreibung verstârkt; diese fùhrt was zu einer Auflôsung der Hierarchisierungen im Schriftbild
sowie zu einer Denaturierung des englischen Originals, in dem die Gro8schreibung eine nicht
geringe Rolle spielt.
12
'- ^'
IJrese vosrtron wlrd u. a. vertreten von Nlichael Schreiber, Ubu:etTangand BearbeitangZar Dijfe-
renTiemngtrndAbgrenqangdes Uberxtqangsbegifs,Tûbingen, Niemel,er, 1993, S. 143, und Franz
I{. Stanzel, ,,Zur poetischen lfieden'erwertung von Texten, Found poems, metatranslations,
Oberfiâchenùbersetzung", in: Renate Haas/Chrisrine I{.lein-Braley (Hg.), Literatur in Kantext,
Sankt Augustin, Richarz, 1985,S. 39-50,hier S. 47.
'' J andl hat in klassischerForm Ubersetzungenvon R. Cteeley,G. Stein,W. H. Auden und an-
1ll

deren verôffentlicht. Siehe die BibLiographie in Ernst Jandl,Text&I{ritik Heft 129, NIûnchen,
1996.

t22 @ Frank & Timme Verlag fùr uisscnschafdiche Literatur


Progtamme seiner Lesungen aufgenommen und scheint somit fùr ihn den Rang
eines genuinen Gedichts zu beanspruchen. Gegenùber einem Germanisten hatte

Jandl zudem einmal erklârt, sein Ansatz biete ihm ,,die MôgLichkeit, ohne Aus_
gangsideezu dichten"15,u'odurch das englischeoriginal implizit auf die Rolle eines
vorwands zum eigenen Dichten reduzien wird. Im ùbrigen wurde oberflàchenùber-
ret<angstets unter dem Namen Ernst Jandls verôffentlicht; der Dichter des engli-
schen Originals erscheint dabei lediglich in Klammern.

Dadurch wird klar, dassJandl keineswegsdas Ethos eines dem original verpfLich-
teten oder unteru'orfenen, gewissenhaftenUbersetzers annimmt, sondern die eige-
ne schôpferische Rolle in den vordergrund stellt. Doch auch wenn Jandls obejlci-
cbenilbersetqang
fùr sich den Anspruch erhebt, auf ihre Art ein originai zu sein, muss
man einràumen, dass der Text nur in der Gegenùberstellungmit dem original von
wordsworth funktioniert. ohne den englischen Text wùrde die \x/irkung der deut-
schen verse verschwinden oder sich zumindest erheblich verândern. Zudem be-
steht oberflàcbenùbersetTang
kiat aus zwei Teilen in zwei verschiedenen Sprachen, die
durch ein und denselbenTitel miteinander verbunden sind und sich somit in einer
At Dialog befinden.'o Auch wenn die Bezeichnung ,Ubersetzung' nicht unproble-
matisch ist, ist es doch unbestreitbar, dass der deutsche Text eine unauflôsbare Be-
ziehung zum englischenGedicht unterhâlt.

Anlâsslich einer Lesung hatJandl imJahr 1982 sein Vorgehen nâher beschrieben:
,,Da ist mir also der Einfall gekommen, man kônnte einmal versuchen, ein engLi-
sches Gedicht [...] nicht in seiner Bedeutung zu ùbersetzen, sondern den Vedauf
der I(lânge, den I{langverlauf des Gedichtes nun môglichst annâhernd durch deut-
sche \ilôrter wiedergeben."lTDie I{onzentration auf die Lautform der \ilôrter unter
Abkehr von der Bedeutungsebeneist durchaus rypisch ftr einen Dichter, der sich
der Tradition des Dadaismus verpflichtet fùhlte und det Bewegung der l(onkreten
Poesie angehôrte, welche beide intensiv mit der Lâutstruktur von Sprache experi-
mentiert haben. Bestâtigt wird hier au8erdem
Jandls bekanntlich enge Affinitât zur

Det Text erscheintu.a.im Gedichtband ryrubblasen,Neuwied/Berlin, Luchterhand, 196g.


meansof writing poetrv without initial ideas",ziriert nach Leonard Forster,Tbepoet's
',4
Tongax,Maltilingaisn in Literature,Cambridge, CUp, 1970, S. 91.
Diesesvorgehen ist keine Einzelfall im werkJandls, der mehrete zweisprachigeGedichte
r-erôffentlichthat,unteranderemindenBânden diebearbeitungdernijtry(g7g)tnddergelbe
hund (1980).
ziaert nach E. Jandl,,hihling:haft(Aufzeichnuns einet Lesung in weilheim 19g2), Mûnchen,
Hetbiq, 2008.

O frank & Timme Verlag fùt wissenschaftllchc I-iteratur 123


Musik. Dartber hinaus bezieht sich Jandl in der bereits zitterten Lcsung auf die
englische Tradition des nansense
rdÆÉ,r8,
deren deutsche Àusprâgung man bei Dich-
tern wie Christian N{orgenstern (1871-1914) und Robert Gernhardt (1937-2006)
wiederfinden kann. Im Hinblick auf sein Ubersetzrrngsverfahrenerklârt Jandl wei-
ter, dass selbst eine Ubersetrung, die die Bedeurungsebenebevorzugt, sich immer
nur ân das Original annâhern kônne und rechtfertigt sein Vorgehen: ,,Auch eine
solche Àrt Ubersetzung hâlt sich ja immer auf eine gewisse Distanz r.'om Originai
und kommt dem Original nie wirklich ganz gleich."'o

Fasst man diese Aussagen und Beobachtungen zusâmmen, kônnte man sagen,dass

Jandl eine ùbersetzerische Position einnimmt, die diametral einer prominenten


Theorie der Translationswissenschaftentgegengesetztist. Unter der Bezeichnung
théarieinteQrétatiueoàer théaie dn senshatdie so genannte Pariser Schule20ein Modell
zur Dolmetscherausbildung'' vorgelegt, deren zentrales Prinzip die,,Entsprachli-
chung" (déuerbalisatian)
des Textes ist. Angewandt auf die schrifùche Ûbersetzung
entmaterialisiert dieser ,interpretierende' Ânsatz sozusagen den Text, abstrahiert
von jeglicher sprachlicher Form, um ihn von der reinen Inhaltsebene her in der
Zielsprachewieder zu rekonstruiercn.

Jandls Vorgehen im Bereich der Lyrik kônnte gleichsam als eine I{ritik der thdarieda
lens ava.ntla lettre gelesen v'erden. So verweigert er sich tesoiut einer Reduktion
von Texten auf ein au8ersprachLichesSubsttat und wendet sich demonstrativ der
sprachlichen Oberflâche zu. Er stellt sich gegen eine Ausklammerung der Materiali-
tât von Sprache im Ubersetzungsprozessund fùhrt zwei ungewôhnliche Trennun-
gen durch: Jandl trennt einerseits die graphisch-phonetische Reprâsentatronvom
Begriff, indem er die Bedeutungsebenebewusst bei Seite lâsst, und befreit darùber
hinaus deren lautliche Umsetzung von der slntaktischen Ebene, insofern als er
nicht \X/ort fùr Wort verfihrt, sondern die englischen Wortgrenzen frei verschiebt
und die Lautkette jeder Zeil,e vôllig bedeutungs- und funktionsfrei als Ganzes be-
trachtet. Am Ende sind Original und Ùbersetzung nur noch durch den von Jandl

'" \riele l{ommentatoren nehmen dieseVenvandtschaftzum Vorwand. sich nicht nàher auf
einen solchen,Nonsens'einzulasscn.
" E. Jandl, ap.cit. (Anm. 17).
'" Eine kurze BeschreibungdiesesÀnsatzesfindet man bei À,IyriamSalama,Carr,"Interprctive
Approach", in: Mona Baker/Gabriela Saldanha (Hg.), Routlegde
Enryilopaediaof Tmnslation.9tud
ies,London, Routledge,2009, S. 145-147.
" B e s l i m m t e V e r f e c h te r d ie se r P.r ch tu n g wie z.B.Je a n Del sl ehabensi eaufdreschri fthche
Ubersetzungauszudehnenversucht.

124 er Frank &'1-imme Verlag tùr rvissenschaftliche I-iteratur


zitierten ,,I{langverlauf' miteinander verbunden, die er auf Versebene betrachtet
und mit dem Rohmaterial seiner eigenen Sprache nachzubilden versucht. Die
Trennung von Idang und Sinn, eines der Grundprinzipien der Konkreten Poesie,
wird so konsequent aufden Prozessder Ubersetzung angewandt.

***
Hat man einmal diese singulâre Beziehung von Ausgângs- und Zieltext bestimmt,
mùssre sich der Erfolg des Ubersetzungsprozesses
an der kJangLichen
Aquivalenz
von Ausgangs- und Zieltext messen lassen. Unter diesem Gesichtspunkt scheint
das Resultat in der Tat ùberzeugend, da Jandl es trotz der Grenzen des deutschen
Lautsystems schafft, einen verblùffenden Eindruck von Gleichklang zu erzeugen,
wobei er gleichzeitig das Nfetrum des englischen Originals grôBtenteils respektiert.

Jedoch muss mân hier einige Einschrânkungenmachen: Die kJangiicheÛberein-


stimmung scheint nur dann maximal zu sein, wenn mân den englischen Text mit
ôsterreichischem Akzent liest. Zudem mùsste der deutsche Text im Grunde so
vorgetragen werden, dass man die Wôrter auf eine fùr das Deutsche vôllig unge-
wôhnliche Weise miteinander verbindet und die Vokale nach dem Modetl des Ôs-
tcrreichischenmoduLiert.2'

Letztlich vedeitet das Experiment tendenziell zur Schaffung einer Art deutsch-
englischenMischidioms, durch das erst eine maximale Homophonie môglich wùr-
de. Dabei ùberrascht jedoch, dass der Autor beim mùndlichen Vortrag selbst nicht
in diese Richtung geht. In der oben zitierten Lesung erkennt man in seiner Vor-
tragsweisevielmehr einen Hang zur Trennungder deutschen Wôrter voneinander
sowie die Bemùhung, die standardsprachlicheAussprache zu verwenden, wodurch
die klangLiche Ubereinstimmung zwischen den beiden Texten nicht ihre maximale
Stârke erreicht. Dabei muss man bedenken, dass die Lesung vor einem Publikum
bundesdeutscherGymnasiastenerfolgte, was den Verzicht Jandls auf eine zu stârke
dialektale Einfârbung erklâren kônnte. Jedoch darf man auch vermuten, dass der
Dichter die Illusion des Gleichklangs nicht ins Extreme treibt, um seine Zuhôrer
auch auf andere, nicht nur rein klanglichen Aspekte seinesTextes aufmerksam zu
machen,

" Auch wenn der ôsterreichischeDialekt die Idangpalettedes Hochdeutschenmodifiziert, et-


laubt das deutscheLautmaterialprinzipiell nicht eine identischeI(/iedetsabeder Phoneme der
englischenSprache.

€l Fraok & Timme \rcrlâg fiir sissenschâfrliche Literatur 125


In der Tat scheint die \X/ortwahl Jandls im Deutschen ùber das I?iterium der
klangLichenUbereinstimmung hinaus auch nach anderen Gesichtspunkten zu er-
folgen. N{anche vom Dichter gewâhiten $fôrter 1,,Arschel", ,,Bier" oder ,,Bajo-
nett') stechen besonders aus dem Text hervor, wobei man sich fragen muss, ob
das Auftauchen dieser Wôrter allein dem kiangiichen Zufall geschuldet sein kann.
Denn das Kriterium der lautlichen Ubereinstimmung gestattet grundsâtzlich eine
gro8e Freiheit in der \X/ortwah1,\À'obei meist mehreren Varianten in Frage kommen

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Abb. 1: Ob€dlàcb6nûb€.setzufs 6iner Pô3iôse ars Jôhn Gay's Begqâ/s Opêft.
Aufg egèbènêr EnM ud éo3 deô 60èr J .h.en. gê.i r u dês Aui or s ,

Das Faksimile einer anderen OberflâchenùbersetzungJandls aus derselben Perio-


de23lâsst die Vorgehensv'eisedes Autors erkennen: Am Anfang notiert er fùr jedes
Wort des Originals mehrere klangLichmôgliche Lôsungen. Die Gesamtheit von x

23
Àbgebrldet in Prafle.Maga{n desÔsteneichischen
Literatu:'archius,\(r'ien,
Zsolnav, 1/1998.

1.26 O Ftank & Timmc \rcrleg ftr u'issenschaftlichc Lirerarur


Varianten pro \ù(/ort- im Faksimile sind es 5 - edaubt eine schier unendliche Zahl
von Kombinationsmôglichkeiten (nach der Gleichung 'ù7ortzahl hoch x) auf der
Ebene des gesâmten Gedichts. Idanglich sind sich diese potenriellen Ûbersetzun-
gen sehr âhnlich, semantischjedoch sind sie naturgemâBâu8erst verschieden.Jandl
erklârt hierzu: ,,Naniriich hatte ich [...] verschiedenen Steilen verschiedene
^r
Wôrter zur $7ahl und da kam dann auch mit ins Spiel das Zusammenpassendieser
Wôrter, also nicht nur unbedingt die môglichst genâue [und] enge Wiedergabe des
Klanges, sondern auch eine gewissesZusammenpassenan gewissenStellen."2a
***
Diese AussageJandls, die meines \)Tissensnach bisher nicht in den Analysen von
aberflàchenùbenetqangbericksichtigt
wurde, ist âu8erst aufschlussreich,stellt sie doch
! J!!

die Reduktion der Ubersetzung auf rein oberflâchliche I{langeffekte grundsâtzlich


in Frage. So scheinendie semantischenAspekte trotz allem eine nicht unerhebliche
Rolle in seinem Procedere zu spielen. Spricht Jandl auch nicht von so etwas wie
etner Bedeutungsâquivalenz
zwischen Original und Ubersetzung, scheint er doch I(a-
tegorien wie Kohârenz und Sinn auf sein Vorgehen anzuwenden. In dieselbeRich-
tung geht die Beobachtung, dass der Oberflâchenùbersetzer darauf abzuzielen
scheint, trotz rudimentârer Morphosyntax verstândliche syntaktischeStrukturen zu
kreieren: Subjekt, Verb und Objekt sind dutchaus auszumachen;Prâpositionen und
I{onjunktionen besitzen eine erkennbare Funktion usw. Und das obwohl er bei der
Anwendung des alleinigen Klangkritetiums im Grunde jede beLiebigeWottart mtt
jeder anderen \ilortart in beliebiger Abfolge miteinander hâtte kombinieren kôn-

Ânlâsslich einer Prâsentationvon J""; ;.", vor einem franzôsischen Publikum25


hatte ich einmal das Experiment gewâgt, Jandls deutsche Ùbersetzung des engli-
schen Wordsworth-Gedichts meinerseitsins Franzôsischezu ùbertragen, damit die
des Deutschen nicht mâchtigen Zuhôrer ùber den reinen I{lang hinaus eine gewis-
se Vorstellung vom !ilortiaut von Jandls Text bekommen. Dieses âu8erst unortho-
doxe Vorgehen, das darauf abzielte, die klangliche Textoberflâche wieder neu mit
lnhah zu fùIlen, fùhrte zu einem verblùffenden und sehr aufschlussreichenErqeb-

landl. op.a7.(Anmerkung 15).


Siehemeinen Aufsatz ,,Une relation intertextuelleprovocante : la ttaduction "de sutface" d'un
poème de rùTordsworthpar l'écrivain autrichien ErnstJandl", in : Cl. Fabre et a\j, Iz relation2,
Paris,Michel Houdiard, 2011,,5. 128-138.

O Frank & Timme Verlag fùr u'isscnschaftliche Lirerarur 127


nis: Die von Jandls singulârem Votgehen geschaffene Umkehrung der Hietarchie
von Inhalt und Form \Àrurdeerneut umgedreht, das Primat der Lautebene ver-
schwand fùr den franzôsischen Leser vollkommen hinter der semantisch-
grammatikaiischen Lesart. Anders ausgedrùckt: Die Sinnebene, die zuvor vom
Idang ùberdeckt wurde, trat nun in den Vordergrunci.

Auf diese Weise relatir.iert sich die Vorstellung, es handele sich um einen sinnfreien
experimentell-formalisrischen Text; eine erstaunliche inhaltliche I{ohârenz wird
sichtbar, wodurch der Text eine neue Lesbarkeit erhâlt. Viel deutlicher erkennt
man nun verschiedene grammatikalische Strukturen, interne Verweise und be-
stimmte Wortfelder v'ie z. B. Heimat, Natur, menschlicher I{ôrper, I{ùche, sowie
zahireiche militârische und kriegerischeI{onnotationen.

NIit seiner scheinbar freien Verknùpfung von Ideen, Sâtzen und Begriffen ohne
stringente Ordnung entspricht Jandls Text sicherLichgewissen l(lischees und Vor-
urteilen, die allgemein mit experimenteller zeitgenôssischerDichtung in Verbin-
dung gebracht wefden. Versucht man das Gedicht iedoch unter dem Gesichts-
punkt der Bedeutung zu lesen (rvas durch die Ubersetzung in eine andere Fremd-
sprache erleichtert wird), wird darin sogar eine narrative Dimension sichtbar. Ein-
deutig erkennt man zwei Personen, I(urt und Emma, die offensichtlich anztgliche
Handlungen in einem sexueli stafk aufgeladenen Dekor I'ollziehen. Psychoanall'-
tisch versierte Literaturwissenschaftlermûssten ihre Freude ân diesem Text haben:
Es wimmelt r-on phallschen objekten und vaginalen Symbolen; der FrùhLing wird
erwâhnt, also die Jahreszeit,wo die Triebe ûberall in der Natur zu neuem Leben
erwachen; Nahrung wird erotisiert und man flndet zudem auch gewisse skatologi-
sche Aspekte.

Ohne die Analyse an dieser Stelle zu yertiefen, kann man festhalten, dass die vom
Oberflâchen'erfahren Jandls erzeugte Provokation durch diese herausgearbeitete
Sinnebene noch verstârkt wird. Sicherlich wâre es vetfehlt, u'ollte man Jandls aber-
mit denselben N{itteln und demseiben Anspruch interpretieren wie
J/àchenùbersetTazg
das Odginal von Wordsworth, indem man versucht eine perfekte Sinnkohàrenz zu
erzerrgen.'uGleichzeitig scheint mir aber eindeutig enviesen, dass Jandis Ùberset-

'Z6ChristopherJ. Wickham. ,,Vom \{'ert der Worte: Zu ErnstJandls oberl'làtlnnùberceQungi'. Cer-


ùIonatsrhiJt, 57-3,2007 , S. 365-370, versucht so, dem Text einc perfekte
manisch-rontattiscbe
Kohârenz zu vedeihen,in dem er darin eine dreischrittigeProgressionerkennenmôchte. Eine

128 O f'rank &'I'imme Verlag fùr uissenschaftlichc I-itctatur


zuflg alles andere als rein homophon und semantischneutral ist. Denn obwohl der
Text sich zunàchst als oberflâchliches I{langspiel ausgtbt, enrhâh er einen konkre-
ten Inhalt, der im Grund noch nicht einmal verborgen, sondern recht manifest ist.

***
Versucht man, den von der Ubersetz.,ng vermittelten Inhalt zu umrei8en, so kann
m^n, trotz der zahlreichen morphoiogischen und syntaktischen Idiosynkrasien,
recht eindeutig feststelien, dass dieser sich in radikalet Oppositionzum Original be-
findet. Im Gegensatz zu seiner klanglichen Mimikry steht Jandls Text inhaltlich
gesehen dem Gedicht von \flordsworth diametral entgegen: Dort wo Wordsworth
mit dem Bild des Regenbogensdie Bestândigkeitdes menschlichen !ilesen in seiner
Individuaiitât und Sensibilitàt evozrert, sexualisiert und militarisiert Jandl die kom-
plette Szene.Jandl holt das Gedicht aus seiner romântischen Erhabenheit und sti-
listischen Hôhe in die Welt der elementarenTriebe und deren Befriedigung herun-
ter.27Afl die Stelle des Sublimen bei \ù(/ordsworrhtrirt in der Ûbersetzuns das Gro-
teske.

Fast kônnte man meinen, der Titel des Gedichts hâtte uns in die Irre gefùhrt. Die
Ubersetz.rngbleibt ganz und gar nicht an der Oberflâche, sondern scheint vielmehr
den semantischen (Ab)Grund der deutschen Sprache zu sondieren. Dies wird be-
sonders in der ietzten Zeile deutlich: ,,baum deutsche deutsch bajonett schur alp
eiertier." Denn rein klanglich betrachtet stelit das Wort ,deutsch' nicht die ideale
Lôsung zur klanglichen Nachahmung von ,,bound each to each" dar. Die \Wahl
von ,,baum esche zu esche", um nur diesen einen, persônlichen Vorschlag zu. m -
chen, hàtte den von Jandl selbst definierten I(riterien besser entsprochen.2sHier
scheint der Dichter in gewisser Weise seine eigenen Regeln missachtet zu haben,
offenbar mit dem Ziel, zweimal das Wort ,deutsch' in der Ubersetzùng zr verwen-
den. Es kann sich dabei kaum um einen Zufall handeln,zamal das foigende Wort
,Bajonett' einem gemeinsamen Wortfeld angehôrt, das man mit dem Oberbegnff
,Deutschland im IGieg' versehen kônnte. Das Vorgehen erinnert insgesamt stark

solche Position ist sicherLichnicht weniger problematisch als die Abqualifizierung des Textes
als blo8et Scherz.
tt
Die direkte und ungeschminkte Thematisierung von I(ôrperlichkeit und Sexualitât ist em
durchgângigesMetkmal von Jandls Lyrik wie auch allgemein der ôsterreichischen Nachkriegs-
Avantgârde.
'8 Hier wùrde die ôsterreichischeBetonung von ,deutsch'wiederum die lautlicheÂhnlichkeit
verstârkenkônnen, wasJandl jedoch in besagterLesung nicht macht.

O Frank & Timmc Vedag fùr wissenschaftLche Literatur 129


afl rcht(gn/r?e, eines der bekanntesten Gedichte Jandl, das unter dem Deckmantel
eines an den Lettrismus erinnernden Lautspiels mit den l{onsonanten eine direkte
Verbindung zwischen Sprache und Gewalt schafft. Die deutsche Sprache wird da-
bei gleichsam zur \X/affein einem I(ampf zwischen dem Sprachmaterial.

***
Der zuletzt zitierte letzte Vers aus obetf/àcheniiberset4ang
hat einige I{ommentatoren
dazu veranlasst,aus dem TextJandls eine direkte I{ritik an der romantischen Lite-
ratur und Philosophie als Volwegnahme von Nationalismus, Chauvinismus oder
sogar Nazismus herauszulesen.to
Dieser Ânsatz, auf den hier nicht nâher erngegan-
gen werden kann, geht sichedich zu u'eit, insofern er den Sinnanspruch und die
I{ohârenzerwartung an den Text ùberzieht. Darùber hinaus muss man sich auch
fragen, wârum ein ôsterreichischeLyriker und Gymnasiallehrer fùr Englisch, der
eine tiefe Bewunderung fùr die englischeDichtung hegte, ausgerechnetein Gedicht
von \fordsworth benutzten sollte, um die eigene,deutsch-ôsterreichischeTradition
zu kritisieren? Es muss daran erinnert werden, dass es in Jandls Werk genug Bei-
spiele gibt, wo anhand r.on Pastichen und Parodien deutscher kanonischer Texte
die LiterarischeTradirion kritisiert wird. Warum hâtte er den Umu,'eg ùber eine an-
dere Nationalliteratur und deren Ubersetzung wâhien soilen, nur um ein erneutes
Mal die (deutsche)Romantik zu dekonstr-uieren?

Auch wenn der Versuch, aus oberflàcbenilbersetTung


eine I{ritik âm romântischen Er-
be herauszulesen,insofern einleuchtet als dieser Ànsatz hervorragend in den I{on-
text einer ikonoldastischen Epoche passt, wo Jandl als einer von zahlreichen litera-
rischen Sprachkritiker und -erneuerer auftrar,rr so darf man nicht die I(omik und
den Humor des Textes unter den Tisch fallen iassen.Jandl ist kein plakativ politi-
scher Dichter; das luswolle und doppelbôdige Spiel mit der Sprache zâhlt bei ihm
stets mindestens genauso viel wie der kritische Impetus. Zum Abschluss wollen wir
deshalb vorschlagen,Jandl beim Wort zu nehmen und seinen Text trotz allem als

te
Es handelt sich hier bekanntlichum einen Text ohne Vokale, wo das I{onsonantenmaterial
des \forts ,Schùtzengraben'aufr-irtuoseWeise variiert wird. Das Gedicht erschien1966 im
Band laut and laise.
tu
So W'ickham, op.cit., und N{ichael Hammerschmid, ,,Ûbersetzung als Verhaltensu,eise", in :
N{artin A. Harnz (Hg.), Von Gliitk sichanTustecken,
Mdglirhkelnnand Nsiken in Lihersct<ililgspra
rffien, Braumùller, 2005, S. ,+7-64.
ryrs,
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Lr,
^i ofstef_ aD. ûr.- 1.1b.

130 C frank & Timme Verlag fùr wissenschafdichc I-irerarur


Ûbersetzung bzw. Meta-Ûber:eI<ang
zu lesen. Auf dieser Metaebene, so meine ich,
situiert sich sein kritischer Ansatz.
XTT

Hinter der vorgespieltenNaivitât von Jandls spielerischemAnsatz verbirgt sich der


ironisch-maliziôsen Blick eines experimenteilen Lvrikers auf den Vorgang des
Ubersetzensund gàngige Ube.setrungsprakdken. Jandl, so meine These, reagiert
damit auch auf die auch unter Ùbersetzern r-erbreiteteHierarchisierung von Inhalt
und Form, wobei das Primat der Bedeutung (im Sinne eines ùbersprachlichen In-
halts) zu einer latenten vernachlâssigung der formellen und materiellen Aspekte
des Textes fùhrt, die fùr einen sprachexperimentellenDichter wie Jandl gerade so
zentral sind.

Der Titel oberJlàcbenùberstt<rndt


kann so als eine Art polemische Stellungnahme ge-
lesen werden: Es geht im Grunde darum, all denen, welche die Materialitât des
Textes als reine Oberflâche betrachten, durch die Einschmuggelung expliziter In-
halte in den Zieltext, z't zeigen, welch ungeheure Kraft dieses Material entfalten
kann. Indem er die Logik einer Sprachauffassung,in der Inhalt und Form geûennr
sind, konsequent zu Ende denkt, zeigt Jandl, dass Form in \fi/irklichkeit immer
schon Inhalt erzeugt und Inhalt nicht von seiner materiellen Form zu trennen ist.

Dabei stellt er die Hierarchie nicht einfach auf den I(opf.33 Sein Text ist weder rein
oberflâchlich noch eine diskursiv elaborierte Kritik, sondern befragt das komplexe
Verhâltnis von Inhalt und Form, ohne beides eindeutig zu rrennen, wobei er in fne
die gângige Unterscheidung von Inhalt und Form als unhaltbar erscheinen lâsst.
Mit den Mitteln des grotesken Humors zerstôrtJândl so die sprachphilosophischen
Halbwahrheiten vieler Leser und Ubersetzer. Und auf dem Weg eines Spiels mit
der Ubersetzung schafft er es, eine im Grunde sehr etnsthafte I*itik performativ
darzusteilen.Die ganze Komplexitât der Sprache an der oberflâche scheinbar ein-

Der Begrtff obef/àcbeniibersetqtnglàsstauch ân Chomskys zur selben Zeit entwickelte Generati-


ve Gtammatik denken (sein Wetk Slntaclit Snactareswrde 1957 vetôffentlicht), wo der Begriff
strfacestmcture(auf deutsch: Obe(Lihensnuktaf eine wichtige Rolle spielt. Hat sich
Jandls r.iel-
leicht auch dutch chomskys berùhmtes Begriffspaar von sayt'ace vs, dee structareamegen lzs-
sen, so wâre es sicherlich verfehlt, bei ihm eine Anwendung der Theorien oder Begtiffe
Chomskys zu suchen.
Cf. Hans-Jost Frey, ,,Das Zu'ischen-Wissen" , in : ZaisrbendenZeilen,S. 7-8, 1996.

@ Frank & Timmc Verlaq fùr u'issenschaftLicheI-ireratur 131


facher Formen zu verstecken: Das wâre im Grunde eine recht brauchbare Definiti-
on vonJandls Poetik insgesamt.ia

Jandls Ansatz ist kein isolierter Fail. Vielmehr kônnte man sagen, dass seine Hinter-
fragung des Primats der Semanrik in gewisser \X/eise Schule gemachi hat, da einige
Ubersetzer sich von seinem Verfahren haben inspirieren lassen.35
Doch versuchen
die meisten Ûbersetzer, die die Ûberzeugungen Jandls tei-len, eher eine Art Mittel-
weg zwischen abstrakter Bedeutung und sprachlicher Form zu beschreiten, und
somit alien Aspekten der poetischen Sprache zu ihrem Recht zu verhelfen. Jandls
Ansatz situiet sich m. E. auf einer anderen Ebene, da sich seine Ûbersetzung nicht
nur auf einen konkreten Text bezieht, sondern dariiber hinaus performativ im
Ubersezen eine Ûberlegung ùber die Methode der Ubersetzung vollzieht. Das Er-
gebnis will nicht als mustergùhige Ubersetz..,ng oder Modell auftreten, sondern das
Publikum letztlich zum Nachdenken ûber seine Auffassung von Sprache und
ûbersetz.,ng anregen.

3*
Cf. das Vorwort von Wendelin Schmidt-Dengler in: Hammerschmid/Neundling er, 0p.cit.,5.7
tt
Siehe hierzu meine Beitrag,Jandl et la traduction homophonique", im Druck.

1.32 O Frank & Timme Verlae fùr wissenschafdiche Literarur

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