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Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH)

Hörverstehen „Die Kraft der Sprache“ Dezember 2014

Die Kraft der Sprache

Die Streitfrage

Worte beeinflussen tagtäglich, wie wir denken und handeln, was wir wahrnehmen und woran wir uns
erinnern. Darin sind sich Sprachforscher einig. Doch zugleich gibt es seit Jahrzehnten einen Streit.
Einige Sprachforscher sind überzeugt, dass unsere Sprache unser Denken beeinflusst – und dass
Menschen deshalb in unterschiedlichen Sprachen unterschiedlich denken. Andere Sprachforscher
dagegen glauben, dass das Denken von der Sprache relativ unabhängig ist – und dass die Grundregeln
der Sprache allen Menschen angeboren sind. Die Diskussion ist nicht nur für die Sprachwissenschaft
von Bedeutung. Hier geht es um grundlegende Fragen nach dem Wesen des Menschen und seiner
Wahrnehmung. Mittlerweile suchen auch Psychologen und Hirnforscher nach Antworten. Sie finden
immer mehr Hinweise darauf, dass Worte unser Denken und unser Verhalten prägen, und dass wir
tatsächlich schon mit unserer Muttersprache bestimmte Denkmuster entwickeln, die unser Leben
stark beeinflussen. Im Folgenden sollen diese Thesen näher betrachtet werden:

Metaphern und Analogien

Wir alle kennen die Wirkung von Worten: Wenn wir einen Roman lesen oder uns streiten, spüren wir,
wie Sprache uns emotional berührt. Worte können uns zum Beispiel trösten und beruhigen oder uns
sehr verletzen, manche Worte vergessen wir tagelang oder sogar jahrelang nicht.

Mithilfe von Worten können wir aber auch neue komplexe Informationen schneller verstehen und in
unser Wissen einordnen. Worte helfen uns dabei, weil sie Assoziationen hervorrufen. Das gilt vor allem
für Metaphern. Metaphern sind sprachliche Bilder, die eine konkrete Erfahrung auf ein abstraktes
Konzept übertragen und so das Verstehen erleichtern. Tatsächlich zeigt die Lernforschung, dass
Metaphern, aber auch Analogien, es leichter machen, Neues zu lernen. George Lakoff, Professor für
Linguistik an der University of California, Berkeley, ist sogar überzeugt, dass wir schwierige Konzepte
nur mithilfe von Metaphern und Analogien verstehen können.

Sprache und Denken

Viele Wissenschaftler sind überzeugt, dass Worte uns grundsätzlich beim Denken helfen. Zwar sei die
Sprache keine Voraussetzung für das Denken, denn auch Babys können denken, bevor sie sprechen –
doch erst die Sprache ermögliche komplexe Gedanken. Lera Boroditsky, Professorin für Psychologie an
der Stanford University in Kalifornien sagt, dass wir sogar über Dinge sprechen können, die es noch gar
nicht gibt, weil wir mithilfe der Sprache in der Lage sind, Ideen neu zu kombinieren und dadurch zu
ganz neuen Ideen kommen können. Auf ähnliche Weise vergleicht ein anderer Sprachforscher Wörter
mit »Bausteinen« für komplizierte Gedankengänge. Schon kurze Wörter könnten komplexe Ideen
enthalten. Wenn man sie zusammenbaut, kann man über noch komplexere Dinge nachdenken.
Umgekehrt ergibt sich eine interessante Frage: Wenn es bestimmte Wörter nicht gibt, können manche
Gedanken dann vielleicht gar nicht erst entstehen?

Hier stellt sich wieder die Frage, ob das Denken die Sprache bestimmt oder die Sprache das Denken.
Manche Sprachforscher vertreten tatsächlich die These, dass es ausschließlich die Sprache ist, die das
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Denken bestimmt. Die Mehrheit der Sprachwissenschaftler und Psychologen sieht es jedoch
differenzierter. Sie meinen, dass die Sprache das Denken nicht begrenze, allerdings lenke sie das
Denken in bestimmte Richtungen. Die Muttersprache könne unsere Wahrnehmung der Welt
beeinflussen und dadurch würden Sprecher unterschiedlicher Sprachen die Welt auf unterschiedliche
Weise betrachten.

Sprache und Wahrnehmung

Schon etwas so kleines wie der Artikel vor einem Wort (also der, die, das) kann eine große Wirkung
haben. Das grammatische Geschlecht von „Brücke“ z. B. ist im Deutschen feminin (die Brücke), im
Spanischen jedoch maskulin (el puente). Als Wissenschaftler Probanden nach ihren Assoziationen zu
Brücken fragten, nannten deutsche Testpersonen Worte wie elegant, schön und friedvoll, Spanier
hingegen fanden Brücken eher gewaltig und stark. Obwohl das grammatische Geschlecht eigentlich
keine Bedeutung hat, hat es offenbar einen Einfluss darauf, wie wir Dinge wahrnehmen.

Auch für Forscher des Max-Planck-Instituts in Nijmegen sind die Effekte der Muttersprache groß. Sie
lehnen daher die Theorie ab, dass Grammatik angeboren sei und dass alle Sprachen in den
wesentlichen Punkten identisch seien. Gute Beweise gebe es z. B. für den Einfluss der Muttersprache
auf die Farbwahrnehmung. Wenn zwei Personen aus verschiedenen Ländern ein Chagall-Gemälde
betrachten, dann sieht es für jede Person ein bisschen anders aus. Denn verschiedene Sprachen haben
verschiedene Farbskalen. Manche Sprachen unterscheiden nicht einmal zwischen Grün und Blau, wie
das Himba, eine Sprache aus Namibia, andere haben gleich zwei Wörter für Blau. Russen z. B.
unterscheiden zwischen hellen Blautönen (goluboj) und dunklen Blautönen (sinij).

Weitere Experimente ergaben, dass russische Muttersprachler zudem schneller zwischen Blautönen
unterscheiden können als z. B. Amerikaner. Hier zeigt sich deutlich, dass Sprache auch die
Aufmerksamkeit trainiert. Je nach Sprache nehmen wir bestimmte Dinge des Lebens also
unterschiedlich schnell und unterschiedlich bewusst wahr. Andere Studien haben diese Theorie
bestätigt. Nachdem man Probanden in einem Labor die Farbunterscheidungen einer anderen Sprache
beigebracht hatte, nahmen auch diese Testpersonen Unterschiede sofort bewusst wahr und als sie
die Zeitkonzepte einer anderen Sprache erlernten, begannen sie ein anderes Bewusstsein für die Zeit
zu entwickeln. Wer eine neue Sprache lernt, erwirbt also in einem bestimmten Maße auch eine neue
Denkweise und einen neuen Blick auf die Welt.

Wenn Menschen bilingual, also mit zwei Sprachen aufwachsen, hat das einigen Studien zufolge auch
auf ihre Wahrnehmung einen großen Einfluss. »Beide Sprachen beeinflussen, wie man seine Umwelt
wahrnimmt - im ganz normalen Alltag oder wenn man über die Welt nachdenkt«, sagt Lera Boroditsky.
Die Forscherin betrachtet diese Erkenntnis durchaus als Anreiz, mehrere Fremdsprachen zu lernen
oder zumindest mehr über andere Sprachen zu erfahren. Das eröffnet uns die Chance zu erkennen,
dass die Dinge ganz anders sein können, als wir immer glaubten...

(Quelle: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/06/Sprache-Worte-Wahrnehmung)
(6444 Zeichen mit Leerzeichen)

30.08.20 13:11 2 Viel Erfolg!


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Prüfungsnummer: _____ Gesamtpunkte: _______ von 20 Punkten

Bearbeiten Sie die folgenden Fragen und Aufgaben. Beziehen Sie sich in Ihren Antworten
ausschließlich auf die Aussagen des Textes.

1. Unter den Sprachforschern gibt es seit Jahrzehnten einen Streit. Stellen Sie eine der beiden
kontroversen Positionen dar. (Satz) (____ von 2P)

__________________________________________________________________________________

__________________________________________________________________________________

__________________________________________________________________________________

__________________________________________________________________________________.

2. Welche Wirkungen können Wörter auf uns haben, wenn wir lesen oder uns streiten? Nennen Sie
zwei der im Text genannten Beispiele. (Satz) (____ von 2P)

__________________________________________________________________________________

__________________________________________________________________________________.

3. Entscheiden Sie, ob die folgenden Aussagen im Sinne des Textes richtig oder falsch sind. Ergänzen Sie
richtig bzw. falsch im Antwortfeld. (____ von 3P)

richtig / falsch

Mithilfe von Worten, die Assoziationen hervorrufen, können wir neue komplexe
Informationen schneller verstehen.
Metaphern sind Sprachbilder, mit deren Hilfe abstrakte Konzepte verständlich
werden.
Die Lernforschung hält Analogien für keine geeignete Lernhilfe.

George Lakoff ist der Ansicht, dass schwierige Konzepte auch ohne Hilfe von
Metaphern und Analogien zu verstehen sind.

4. Erläutern Sie, warum wir nach Lera Boroditskys Auffassung sogar über Dinge sprechen können, die
gar nicht existieren. (Satz) (____ von 2P)

__________________________________________________________________________________

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__________________________________________________________________________________.

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5. Ergänzen Sie die fehlenden Wörter im folgenden Absatz (____ von 3P)

Hier stellt sich wieder die Frage, ob das Denken die Sprache bestimmt oder die Sprache das Denken.
Manche __________________________ vertreten tatsächlich die ___________________, dass es
ausschließlich die Sprache ist, die das Denken bestimmt. Die Mehrheit der Sprachwissenschaftler und
_______________ sieht es jedoch differenzierter. Sie meinen, dass die Sprache das Denken nicht
__________________.

6. Welche Assoziationen hatten deutsche Sprecher, als sie nach dem Begriff „Brücke“ befragt wurden
und wie antworteten spanische Testpersonen auf die Frage? Ergänzen Sie die Tabelle. (____ von 3,75P)

Deutsche Sprecher Spanische Sprecher

die Brücke (f) - el puente (m)

7. Ergänzen Sie die freien Felder des Beispiels zur Farbwahrnehmung bei Sprechern unterschiedlicher
Muttersprachen. (____ von 2,25P)

8. Welche Aussage entspricht dem Text? Kreuzen Sie an. (____ von 2P)

I . Wenn man eine neue Sprache lernt,


a) entwickelt man für bestimmte Dinge ein anderes Bewusstsein.
b) nimmt man Dinge des Lebens generell schneller wahr.
c) verändert sich aber das eigene Denken nicht.

II. Studien über bilinguale Sprecher haben ergeben, dass


a) beide Sprachen die Umwelt beeinflussen.
b) die Wahrnehmung des Alltags durch die Sprachen beeinflusst wird.
c) nur die Muttersprache einen Einfluss auf unser Denken hat.
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Erwartungshorizont

1. Unter den Sprachforschern gibt es seit Jahrzehnten einen Streit. Stellen Sie eine der beiden
kontroversen Positionen dar. (Satz) 2

(Die einen sind überzeugt,) dass unsere Sprache unser Denken beeinflusst (1)– und dass Menschen
deshalb in unterschiedlichen Sprachen unterschiedlich denken.(1)/
(Die anderen dagegen glauben,) dass das Denken von der Sprache weitgehend unabhängig ist (1) –
und dass die Grundregeln der Sprache allen Menschen angeboren sind. (1)

2. Welche Wirkungen können Wörter auf uns haben, wenn wir lesen oder uns streiten? Nennen Sie
zwei der im Text genannten Beispiele. (Satz) 2

Worte können uns emotional berühren (1)ist kein Beispiel, würde ich aber anerkennen/zum Beispiel trösten (1/
beruhigen (1/ uns sehr verletzen (1/ manche Worte vergessen wir (tage- oder sogar jahrelang (1))
nicht.

3 Entscheiden Sie, ob die folgenden Aussagen im Sinne des Textes richtig oder falsch sind. Ergänzen Sie
richtig bzw. falsch im Antwortfeld. 3/0

richtig / falsch

Mithilfe von Worten, die Assoziationen hervorrufen, können wir neue komplexe richtig
Informationen schneller verstehen.
Metaphern sind Sprachbilder, mit deren Hilfe abstrakte Konzepte verständlich richtig
werden.
Die Lernforschung hält Analogien für keine geeignete Lernhilfe. falsch

George Lakoff ist der Ansicht, dass schwierige Konzepte auch ohne Hilfe von falsch
Metaphern und Analogien zu verstehen sind.

4. Erläutern Sie, warum wir nach Lera Boroditskys Auffassung sogar über Dinge sprechen können, die
gar nicht existieren. (Satz) 2...
weil wir mithilfe der Sprache Ideen neu kombinieren (1) und dadurch zu neuen Ideen kommen
können« (1)

5. Führen Sie den folgenden Satz im Sinne des Textes fort: 4 * 0,75 3
Hier stellt sich wieder die Frage, ob das Denken die Sprache bestimmt oder die Sprache das Denken.
Manche Sprachforscher vertreten tatsächlich die These, dass es ausschließlich die Sprache ist, die das
Denken bestimmt. Die Mehrheit der Sprachwissenschaftler und Psychologen sieht es jedoch
differenzierter. Sie meinen, dass die Sprache das Denken nicht begrenze.

30.08.20 13:11 5 Viel Erfolg!


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Hörverstehen „Die Kraft der Sprache“ Dezember 2014

6. Ordnen Sie die im Text genannten Assoziationen, die deutsche und spanische Sprecher hatten, als
sie nach dem Begriff „Brücke“ befragt wurden. (5x0,75P) 3,75P

Deutsche Sprecher Spanische Sprecher

elegant gewaltig

schön stark
die Brücke (f) - el puente (m)
friedvoll/friedlich

7. Ergänzen Sie die freien Felder des Beispiels zur Farbwahrnehmung bei Sprechern unterschiedlicher
Muttersprachen. 3 * 0,75 (Änderung im Schema nicht möglich) 2,25 P

8. Welche Aussage entspricht dem Text? Kreuzen Sie an. 2/0

I . Wenn man eine neue Sprache lernt,


a) entwickelt man für bestimmte Dinge ein anderes Bewusstsein.

II. Studien über bilinguale Sprecher haben ergeben, dass


b) die Wahrnehmung des Alltags durch die Sprachen beeinflusst wird.

30.08.20 13:11 6 Viel Erfolg!

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