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Christopher Kopper
Vorlesung am 18.10.2021: Die Pläne der Sowjetunion und der KPD/SED für
ein sozialistisches Deutschland
Welche Pläne hatten die sowjetischen und die deutschen Kommunisten für den
Aufbau eines sozialistischen Staats auf deutschem Boden? Gab es zum Aufbau
eines sozialistischen Staats auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone
auch Alternativen?
Mit diesen und anderen Fragen soll sich die heutige Vorlesung beschäftigen.
Wir wissen aus den überlieferten Dokumenten der KPD und der späteren SED,
dass die Führung der KPD im Moskauer Exil 1944 mit Vorbereitungen für die
Zeit nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft begann.
Im Moskauer Exil lebte die Mitglieder des Politbüros der KPD, denen die Flucht
aus dem nationalsozialistischen Deutschland gelungen war. Vier Mitglieder des
KPD-Politbüros (Hugo Eberlein, Leo Flieg, Heinz Neumann und Hermann
Remmele) waren 1937 und 1938 den stalinistischen Massensäuberungen in der
SU zum Opfer gefallen. Nach zuverlässigen Schätzungen fielen mindestens 1
500 deutsche Kommunisten dem entgrenzten Terror des totalitären
stalinistischen Regimes zum Opfer, Ein drittes Politbüromitglied hatte sich nach
seiner Verhaftung in Schweden vom Kommunismus gelöst und trat zur
Sozialdemokratie über – es war Herbert Wehner, der in der bundesdeutschen
SPD eine wichtige Rolle spielen sollte.
Noch in den letzten Tagen des Kriegs brachte die sowjetische Luftwaffe drei
Gruppen mit kommunistischen Funktionären von Moskau nach Deutschland.
Eine dieser drei Gruppen wurde die „Gruppe Ulbricht“ genannt, die unmittelbar
nach der Kapitulation der Wehrmacht Berlin erreichtet. An ihrer Spitze stand
der sächsische Kommunist Walter Ulbricht. In der Hierarchie der KPD stand
Ulbricht hinter dem nominellen Parteivorsitzenden Wilhelm Pieck an zweiter
Stelle. Ulbricht galt schon damals zu Recht als der Mann, der den Parteiapparat
lenkte und die wichtigsten Personalentscheidungen vorbereitete.
Am 11. Juli 1945 trat die Führung der KPD in Berlin zum ersten Mal mit einem
Aufruf an die Öffentlichkeit. Dieser Aufruf enthielt den überraschenden Satz: Es
wäre ein Fehler, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen. In diesem Aufruf
bekannte sich die KPD zur gemeinsamen Verantwortung aller Antifaschisten,
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Der Gedanke einer Vereinigung beider Parteien war auch in Teilen der
Sozialdemokratie populär. Sie bot eine Chance, die unüberwindbare Spaltung
der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik zu überwinden. Allerdings
fürchtete die Mehrheit der ostdeutschen Sozialdemokraten, dass die
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Der Kommunist Wilhelm Pieck und der Sozialdemokrat Otto Grotewohl wurden
zu gleichberechtigen Parteivorsitzenden gewählt. Im Parteivorstand der SED, im
Zentralsekretariat, waren Kommunisten und Sozialdemokraten zahlenmäßig
gleich vertreten.
Die SED trat von Anfang an als eine prosowjetische Partei auf, die keinen
Zweifel an ihrer Loyalität gegenüber der Sowjetischen Militärregierung und der
Sowjetunion ließ. Wirtschaftspolitisch und gesellschaftspolitisch hatte die
sowjet. Besatzungsmacht bis 1946 wichtige Weichen für die schrittweise
Transformation der späteren DDR in eine sozialistische Gesellschaftsordnung
gestellt.
Schon im Sommer und Herbst 1945 wurden die privaten Geschäftsbanken und
Versicherungen verstaatlicht und ihre Aktionäre entschädigungslos enteignet.
Das Kapital und die Konten der enteigneten Geschäftsbanken wurden auf die
staatlichen Landesbanken überführt, die in allen 5 Ländern der SBZ gegründet
wurden. Auch in ganz Berlin wurden die Geschäftsbanken verstaatlicht und in
den Berliner Stadtkontor überführt.
gesellschaft. Viele der sog. Neubauern wirtschafteten auf ihren 6-8 ha großen
Höfen unter wirtschaftlich prekären Bedingungen. Ihnen fehlten oft Geräte,
Maschinen, Zugtiere und ausreichende Gebäude. Die Gründung von staatlichen
Maschinen-Ausleih-Stationen konnte das Problem der schlechten
Maschinenausstattung mangels ausreichender Maschinenparks lediglich
mildern. Ca. 1/5 aller Neubauern gab ihre Bauernstellen bis Anfang der 1950er
Jahre wieder auf.
Die SED ging im Sommer 1946 dazu über, auch wichtige Teile der im deutschen
Besitz verbliebenen Industrie zu verstaatlichen. In Sachsen stimmten im Herbst
1946 78% in einem formell freien Referendum für einen Gesetzesentwurf der
SED zur „Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher“. Die Einstufung ihrer
Eigentümer, ihrer Vorstände und Aufsichtsräte als „Kriegs- und Naziverbrecher“
war jedoch nur ein Vorwand für die Absicht, weite Teile der Industrie und des
Bergbaus zu verstaatlichen. In vielen Fällen reichte die nominelle NSDAP-
Mitgliedschaft des Eigentümers oder eines der Vorstände aus. Allein in Sachsen
wurden 1 800 Betriebe und damit mehr als ein Drittel aller Betriebe enteignet.
Obwohl die Abstimmung frei war, war es den Kritikern der entschädigungslosen
Enteignung in der CDU und der liberalen LDP kaum möglich, den
Gesetzesentwurf öffentlich zu kritisieren. In den übrigen Ländern der SBZ
wurden gleichlautende Gesetze ohne eine Volksabstimmung durch die
Landtage verabschiedet. Der Grund: Vor allem in Mecklenburg-Vorpommern,
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Insgesamt wurden ca. 100 000 Personen vom Geheimdienst der Sowjetischen
Besatzungsmacht interniert. Ein Drittel von ihnen starb in den
Internierungslagern an Hunger und an Krankheiten. Die hohen Todeszahlen
waren nicht das Ergebnis einer gezielten Tötungsstrategie des sowjetischen
Staatssicherheitsdienstes MWD (Abkürzung für: Ministerium für Innere
Angelegenheiten). Die Internierten starben im Wesentlichen deshalb, weil sie
der MWD völlig vernachlässigte. Im Unterschied zu den Lagern in der
Sowjetunion mussten die internierten Nazis keine Zwangsarbeit leisten – und
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Für die verstaatlichten Betrieben galt bei der Entnazifizierung das Gleiche wir
für die staatliche Verwaltung: Das frühere Führungspersonal, vor allem
kaufmännische und juristische Fachkräfte, wurde mehrheitlich aus den
Führungspositionen entfernt. Sie wurden durch soziale Aufsteiger mit SED-
Parteibuch ersetzt. In nicht wenigen Fällen wurden Arbeiter zu Betriebs-
direktoren ernannt. Bei ingenieurwissenschaftlichen und naturwissen-
schaftlichen Führungskräften war der Anteil der Entlassungen geringer.
Im Sommer und Herbst 1946 fanden in der SBZ die ersten und letzten halbwegs
freien Wahlen zu den Landtagen und zu den kommunalen Parlamenten statt.
Die SED erzielte in mehreren Ländern, in Brandenburg und Sachsen-Anhalt,
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nicht die absolute Mehrheit. Die Konkurrenten der SED, die CDU und die LDP,
konnten jedoch nicht gegen die SED Regierungen bilden.
Anfang 1948 kam es innerhalb der CDU zu einem Bruch über die Mitarbeit im
antifaschistisch-demokratischen Block. Der CDU-Vorsitzende in der SBZ war der
christliche Gewerkschafter und entschiedene NS-Gegner Jakob Kaiser. Kaiser
gehörte zum linken Flügel seiner Partei und sich für einen demokratischen
Sozialismus auf christlicher Grundlage aus. Weil er ein weiteres Nachgeben
gegenüber der SED ablehnte, wurden Kaiser und mehrere seiner Mitstreiter
von der Sowjetischen Militäradministration zum Rücktritt gezwungen. Sie
mussten die SBZ wegen der Gefahr der Verhaftung verlassen. Auf Kaiser folgte
der neue CDU-Vorsitzende Otto Nuschke, der wie Kaiser in der Weimarer
Republik der Zentrumspartei angehört hatte. Nuschke war gegenüber der SED
jedoch deutlich nachgiebiger.
neuer Parteien. Diese Parteien wurden in Wahrheit von Kommunisten und von
prokommunistischen Sympathisanten geführt: Die Demokratische Bauernpartei
Deutschlands (DBD) und die Nationaldemokratische Partei Deutschlands
(NDPD).
Die DBD sollte die damals noch selbstständigen Bauern für den Sozialismus
gewinnen. Die NDPD war als Auffangbecken für ehemalige Mitläufer der NSDAP
und für ehemalige Berufssoldaten der Wehrmacht gedacht. In diesen Parteien
gab es keine Opposition gegen den Machtanspruch der SED.
1948 war ein Schlüsseljahr in der Entwicklung der SBZ. Der Kalte Krieg
verschärft sich im Juni 1948 mit der Währungsreform in den Westzonen und
der sowjetischen Blockade gegen die Westsektoren von Berlin. Die SED erhält
aus dem Kreml folgende Weisung. Aufgrund der verschärften politischen
Systemkonfrontation soll sie mit der Umwandlung in eine zentralistisch
geführte Kaderpartei nach dem Vorbild der sowjetischen KPdSU beginnen.
Im September 1948 begann der Umbau er SED von einer noch relativ
pluralistischen Massenpartei in eine Partei, die Abweichungen von der
Parteilinie mit dem Ausschluss bestrafte. Die bestehende Parität zwischen
Kommunisten und Sozialdemokraten in den Gremien der SED wurde
aufgehoben. Zahlreiche Sozialdemokraten verloren ihre Positionen. Mehrere
Tausend Sozialdemokraten in der SBZ wurden von der Sowjetischen
Besatzungsmacht verhaftet. Im Parteivorstand der SED blieben nur noch jene
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Im Herbst 1948 wurde die sowjetische KPdSU zum Vorbild für die SED erklärt.
Die SED schnitt ihren sozialdemokratischen Traditionsstrang ab und erklärte
Lenin und Stalin zu den maßgeblichen Theoretikern der Partei. Nach dem
Grundsatz des Demokratischen Zentralismus erfolgte die Willensbildung in der
SED jetzt von oben nach unten. Die Anpassung an das sowjetische Vorbild
schlug sich auch in den Bezeichnungen der Parteiorgane nieder. Aus dem
Parteivorstand wurde das Zentralkomitee der SED. Der engere Parteivorstand,
das Kleine Sekretariat, hieß jetzt Politbüro.
1948 und 1949 wurde das sogenannte Nomenklaturprinzip für die Besetzung
von Führungspositionen in der staatlichen Verwaltung und in den volkseigenen
Unternehmen eingeführt. Je nach der Bedeutung der Position mussten die
Personalvorschläge für die Besetzung von Führungspositionen von den
Landesvorständen der SED, vom Zentralkomitee oder vom Politbüro bestätigt
werden. Personalentscheidungen bei Führungskräften konnten nicht ohne die
Konsultierung des Parteiapparats der SED und erst recht nicht gegen ihn
getroffen werden.
Sofern dies mit dem Funktionieren der Institutionen vereinbar war, wurden
ehemalige Nationalsozialisten durch politisch unbelastetes Personal ersetzt.
Die zweite Phase von Herbst 1948 bis 1952 gilt in der historischen Forschung
als der Beginn des Aufbaus des Sozialismus. In dieser Zeit wurden die
Vorbereitungen für die Gründung eines sozialistischen Staates auf deutschem
Boden getroffen. Wegen der Zuspitzung des Kalten Kriegs ließ die SU die
Vorbereitungen für die Gründung eines sozialistischen Staates auf dem Gebiet
ihrer Besatzungszone beschleunigen. Das alternative Ziel eines neutralen
Deutschlands unter gemeinsamer Aufsicht der alliierten Siegermächte war ab
Herbst 1948 nicht mehr realistisch.