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Einführung in das Gesamtwerk von Johann Sebastian Bach /
Introduction to the complete works of Johann Sebastian Bach
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Internationale Bachakademie Stuttgart


KMD Prof. D Dr. h.c. Helmuth Rilling
Prof. Dr. Ulrich Prinz, Wissenschaftlicher Leiter
Andreas Keller, Intendant
Dr. Andreas Bomba, Projektkoordination, Bookletredakteur

Foto (Helmuth Rilling): A. T. Schaefer


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Internet: http://www.bachakademie.de
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E DITION B ACHAKADEMIE
D IE G ESAMTEINSPIELUNG
ALLER W ERKE
J OHANN S EBASTIAN B ACHS
AUF INSGESAMT 171 CD S

Eine Gemeinschaftsproduktion von

hänssler
C L A S S I C

und der
Internationalen Bachakademie Stuttgart.

Künstlerische Gesamtleitung:
Helmuth Rilling

Das Buch mit ausführlichen Registern zur Edition von Andreas Bomba
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Johann Sebastian Bach,


Ölbild von
Elias Gottlob Haußmann,
1748

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INHALT
VORWORT
von Friedrich Hänssler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Die EDITION BACHAKADEMIE
Gespräch mit Helmuth Rilling, dem künstlerischen Leiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
IDEE UND KONZEPTION
- Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
- Die Kantaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
- Oratorien, Passionen und lateinische Figuralmusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
- Motetten, Lieder und Choräle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
- Orgelmusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
- Musik für Tasteninstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
- Kammermusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
- Orchestermusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
BIOGRAPHISCHE NOTIZEN
- mehrfach auftretende Vokalsolisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
- wichtige Instrumentalsolisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
JOHANN SEBASTIAN BACH
Ausgewählte Daten zu Leben, Werk und Nachwirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
KLEINES LEXIKON
Verzeichnis und Erläuterungen häufig gebrauchter Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
LISTE 1
BWV: welches Stück auf welcher CD? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
LISTE 2
Volume-Nummern: Inhalte der CDs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
LISTE 3
Bachs geistliche Kantaten und ihre liturgische Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

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D IE E DITION B ACHAKADEMIE
Ein Gespräch mit Helmuth Rilling

Sie sind der erste und einzige Dirigent, der alle für Bachs Musik nimmt so ziemlich alles auf, was in der
den gottesdienstlichen Gebrauch bestimmten ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts modern war, aber
Kantaten Johann Sebastian Bachs auf Schallplatte auch, was schon damals manchem als überholt
eingespielt hat. Sie führen diese Werke in vielen erschien. Das sieht man vor allem in Bachs
Ländern in Gesprächskonzerten auf. Sie haben mit Vokalmusik, in den Kantaten, Passionen und vor allem
Ihren Ensembles, der Gächinger Kantorei und dem in der h-Moll-Messe. Da stehen Sätze im strengen
Bach-Collegium Stuttgart, aber auch mit anderen Kontrapunkt, im »stilo antico«, neben modernsten
Chören und mit den besten philharmonischen Konzertformen. Bach scheint sich für alles, was er in
Orchestern der Welt, unlängst den Wiener seinem Leben gehört hat, interessiert zu haben. Seine
Philharmonikern, die Musik Johann Sebastian Musik ist zunächst einmal eine Summe der bis zu
Bachs aufgeführt. Manche nennen Sie deshalb seiner Zeit entstandenen Musik. Und die hat Bach
einen »Bach-Papst« – ein Wort, das Sie gar nicht dann weiterentwickelt.
gerne hören. Dennoch: was bedeuten Johann
Sebastian Bach und seine Musik für Sie? Anders als etwa Schütz vor ihm oder sein
Zeitgenosse Händel war Bach nie im Ausland,
Johann Sebastian Bach ist der bedeutendste Kompo- sozusagen an den »Originalschauplätzen« der
nist der Musikgeschichte. Das hat man zu seiner Zeit aktuellen Musik damals. Wo hat er denn seine
natürlich anders gesehen, da scheint der Musiker, der Kenntnisse eigentlich her?
Interpret Bach im Vordergrund gestanden zu haben.
Aus der heutigen Perspektive erkennen wir aber, daß Bach profitierte von der politischen und kulturellen
sein Komponieren, sein musikalisches Denken eine Kleinteiligkeit Deutschlands damals. Er war in
Art Dreh- und Angelpunkt der Musikgeschichte ist. Lüneburg, in Hamburg und Lübeck bei bekannten

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Organisten, er hat am Hof in Celle moderne Bachs Musik ist ein Gradmesser für Qualität...
französische Musik gehört, in Köthen die neuen
italienischen Formen, weil der Fürst, sein Zu Bachs Zeiten waren Komponisten und
Vorgesetzter, diese eben schätzte. In Dresden und vor Interpreten in der Regel die selben Personen. Erst
allem in Potsdam begegnete er den bekanntesten in unserem Jahrhundert trennen sich diese
böhmischen Musikern, und am preußischen Hof wird Bereiche voneinander. Bach, sagen Sie, war zu
er auch Bekanntschaft mit dem neuen galanten Stil seiner Zeit vor allem als ausübender Musiker
gemacht haben. Bachs Musik verbindet dies alles. Das anerkannt. Was bedeutet Bach denn heute für
neue, das er daraus dann gemacht hat, hat so richtig Interpreten, für ausführende Musiker?
erst nach seinem Tod Staunen und Bewunderung
hervorgerufen, dann aber auf sehr tiefgehende Art Auch da gibt es verschiedene Aspekte. Interessant
und Weise. Mozarts großartige letzte Sinfonie z. B. ist finde ich, daß Bach schon bald nach seinem Tod ein
ohne sein Studium Bachscher Musik nicht denkbar. Lehrmeister, ja eine Art höchster Autorität wurde. Die
Alle, Beethoven, Schumann, Brahms, Reger, die Wiener Klassik studierte Kontrapunkt sozusagen bei
Franzosen, dann Schönberg und die Moderne haben Bach. Mendelssohn z. B., selbst noch Interpret u n d
Bach auf ein Podest gestellt und sich mit seiner Musik Komponist, ebenso. Seine Oratorien wären ohne Bach
auseinandergesetzt. Ich finde gerade diesen Punkt nicht denkbar, und eine seiner wesentlichen
interessant, denn wir, damit meine ich unsere Leistungen besteht ja darin, als Dirigent Bachs Musik
Ensembles, machen ja immer wieder auch andere in den Konzertsälen heimisch gemacht zu haben. Zu
Musik als die Johann Sebastian Bachs – und bei allem, diesem Zweck hat er komponierend in die Matthäus-
was in der »Missa Solemnis«, im »Deutschen Passion eingegriffen, um das Werk dem Publikum
Requiem« oder in der »Psalmensinfonie« von besser vermitteln zu können. Das war, wenn Sie so
Strawinsky, um nur wenige Stücke zu nennen, an wollen, eine komponierte Interpretation. Heute,
eigener Aussage, an eigener Phantasie enthalten ist, denke ich, besteht Bachs Einzigartigkeit für jeden
merkt man, daß auch diese Komponisten beim Musiker darin, daß er von Anbeginn an mit seiner
Erfinden ihrer Musik Bach im Hinterkopf hatten. Musik zu tun hat. Jeder Klavierschüler kennt die
Menuette aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena

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Bach, die Inventionen, jeder Cellist und Geiger wird Jede Kantatenaufführung war ein Experiment...
sich mit den Solosuiten, Sonaten und Partiten
auseinandersetzen – schauen Sie sich an, welche Wie war Ihr Zugang zu Bach? Und würden Sie
Literatur für Probespiele im Orchester verlangt wird! behaupten, Bach wirklich gut zu kennen?
Und wenn sie in einem Konzert, selbst wenn sie gerade
Mozart, Schumann, Brahms oder gar ein modernes Als junger Mensch hatte ich zunächst sehr viel Ehr-
Konzert mit Orchester aufgeführt haben, eine Zugabe furcht vor dieser Musik. Näher bin ich Bach auf der
spielen, also sich noch einmal solistisch darstellen, Orgel gekommen. Ich habe sein gesamtes Werk ge-
spielen sie in den meisten Fällen Bach. Jeder spielt, zum Teil dann auch für die Schallplatte aufge-
Kirchenchor singt Choralsätze von Bach; für viele ist nommen. So viel ich meinen Lehrern hier in Stuttgart
eine Aufführung der Johannes-Passion oder gar der h- verdanke: mir hat sehr die »Außenperspektive« ge-
Moll-Messe ein Höhepunkt im musikalischen Leben. holfen, als ich bei Fernando Germani in Rom studier-
Man kann das vielleicht so formulieren: Bachs Musik te, einem der bekanntesten internationalen Konzert-
ist ein Gradmesser für Qualität. Sie ist künstlerisch organisten damals, der mir den Blick auf die grandi-
unantastbar, jeder bewundert das. Ich glaube: kein ose Brillanz dieser Musik geöffnet hat. In Deutschland
Geiger, der sich über die technische Schwierigkeit war es in den fünfziger Jahren aufgrund verschiede-
einer Paganini-Caprice ärgert, bevor er das Stück ner, starker Traditionen ja verpönt, diesen virtuosen
bravourös beherrscht, würde sich in diesem Maße Bach, jedenfalls im Bereich der Orgelmusik, gleichbe-
über technische Schwierigkeiten einer Bach-Sonate rechtigt neben den »inhaltsschweren« zu stellen, ne-
ärgern. Da steht eine ganz andere Ehrfurcht vor der ben den Kirchenmusiker also, den Komponisten von
technischen Bewältigung. Bachs Musik ist gewiß sehr kunstvollen Choralbearbeitungen. Dann erst habe ich
schwierig, aber sie erfordert zur gleichen Zeit ein mit dem Erarbeiten der Kantaten begonnen – ich war
Höchstmaß an gestalterischer Kunst. Der Bach- ungemein neugierig, in diese oft spröde, sich gar nicht
Interpret findet keinen Raum für persönliche Eitelkeit leicht erschließende Musik einzudringen. Jede Kanta-
– er ist hier, wie bei kaum einem anderen tenaufführung war ein Experiment, was allein damit
Komponisten, Diener der Musik. begann, daß man oft die Aufführungsmaterialien einer
kritischen Durchsicht unterziehen mußte. Die heute

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von allen benutzte Neue Bach-Ausgabe war ja erst in Jahrzehnten auf das Engste zusammenarbeiten würde.
den Anfängen. Jetzt haben wir alle Kantaten aufgeführt Hänssler hat damals ziemlich spontan die Kantaten-
und sogar für die Schallplatte eingespielt, und mein produktion mit unseren Ensembles und unter meiner
Fazit ist: Bach kann man nicht von einem einzelnen Leitung übernommen – als kleine, unabhängige
Werk her ganz erfassen. Wer etwa nur die Matthäus- Firma, und ich glaube, nicht ohne wirtschaftlichen
Passion kennt, kennt nicht Bach. Die Summe dieser Erfolg. Die einzige andere Gesamtaufnahme der
jahrzehntelangen Beschäftigung mit der Orgelmusik, Kantaten, die es bislang neben unserer gibt, ist ja mit
mit den Brandenburgischen Konzerten, den Suiten verschiedenen Dirigenten und Ensembles produziert
und Solokonzerten, mit den vokalen Großwerken und worden. Ich freue mich, die Edition der Bachschen
insbesondere allen Kantaten, diese Summe gibt mir Kantaten nun auf eine Edition aller Bachschen Werke
jetzt den Mut zu sagen: ja, ich kenne Bach ziemlich ausweiten zu können.
gut.
Was ist das Besondere an dieser EDITION? Welche
Und dieser Mut setzt sich nun fort in dieser erneu- Rolle spielt die von Ihnen genannte Internationale
ten Pioniertat, die EDITION BACHAKADEMIE zu wagen? Bachakademie konkret?

Diese Aufnahme des Gesamtwerkes von Johann Sebas- Wir haben 1981 die Internationale Bachakademie
tian Bach ist zuerst eine Idee des Verlegers Friedrich Stuttgart in dem vorhin beschriebenen Geist gegrün-
Hänssler. Er ist im allerbesten Sinne ein Liebhaber det, um das, was wir aus der integralen Beschäftigung
und Kenner der Bachschen Musik, und ich glaube, er mit der Musik Johann Sebastian Bachs erfahren ha-
möchte diese Leidenschaft auch den Menschen mittei- ben, weiterzugeben. Und zwar weltweit, wo immer die
len, die er mit seinen bisherigen Publikationen inte- Leute, und vor allem: junge Leute, begierig waren, et-
ressiert hat – und anderen, die sich dafür interessie- was über Bach zu erfahren. Aus all dem hat sich bei
ren und diese EDITION erwerben werden. Natürlich allen Mitarbeitern und Musikerkollegen eine sehr
hätte Hänssler nie daran gedacht, dieses Projekt ver- spezifische und reiche Erfahrung gebildet. Wir pflegen
wirklichen zu können, wenn er nicht mit uns, der Kontakte zu den führenden Wissenschaftlern, die uns
Internationalen Bachakademie Stuttgart, seit fast zwei in den kniffligen Fragen dieser Edition, vor allem

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denen nach der Echtheit, der Datierung und der Literatur, sehr findig sind, gute andere, auch einmal
Überlieferung, beraten haben. Wir beschäftigen bei plakativere Namen zu finden. Wir haben das durchaus
der Internationalen Bachakademie außerordentlich auch schon überlegt, aber herausgekommen ist im-
kompetente Leute, die ihr Wissen einbringen. Und wir mer das, was ich vorhin sagte. Wir spielen Beethoven,
haben mit dem Bach-Collegium Stuttgart einen Kreis Mendelssohn und Brahms schon stilgerecht und sehr
hervorragender Instrumentalisten, sehr individuelle spezifisch. Aber wir spielen sie in einer ähnlichen
Persönlichkeiten, die Bach in einem bestimmten Kenntnis, in einer ähnlichen Intuition, wie die Kompo-
Geiste musizieren. Das gleiche gilt für die Sängerinnen nisten diese Musik geschrieben haben: nämlich mit
und Sänger: viele von ihnen haben bei uns ihre Bach im Hintergrund. Deshalb ist »Bach-Collegium«
Karriere begonnen. Und schließlich haben wir bei eigentlich ein guter Name, ein Markenname, genauso
unseren Kursen, Akademien, Workshops und wie der Name »Internationale Bachakademie Stutt-
Konzerten während der Musikfeste viele Musiker gart«. Wir haben bei unseren Stuttgarter Abonnement-
kennengelernt, die einfach »zu uns passen«, wie ich konzerten vor zwei Jahren nicht ein einziges Stück von
es mal ausdrücken möchte. Sie alle bilden das Bach gespielt – und dennoch war Bach natürlich im-
Rückgrat der EDITION BACHAKADEMIE. mer dabei. Die EDITION BACHAKADEMIE, um darauf zu-
rückzukommen, ist also eine Werkschau, die nicht
auf den Zufälligkeiten eines Katalogbestandes basiert,
Zeitgemäß, undogmatisch und kompetent sondern in einem einheitlichen künstlerischen Geist
konzipiert ist: nämlich Bach zeitgemäß,
Sie sprechen an dieser Stelle vom Bach-Collegium undogmatisch und kompetent aufzuführen.
Stuttgart: wenn Sie Beethoven, Mendelssohn oder
Brahms spielen, bleiben Sie doch stets bei diesem Ihr Terminkalender ist ordentlich gefüllt, vor allem
Namen »Bach-Collegium«. Finden Sie das nicht mit Konzertverpflichtungen, die Sie immer wieder
unangemessen, ein bißchen phantasielos? auch an das Pult großer Orchester führt. Wien ha-
ben Sie genannt, Sie dirigieren aber auch das Israel
Es gibt in der Tat Kollegen, die mit vergleichbaren Or- Philharmonic und das Cleveland Orchestra, um
chestern musizieren und dann, passend zur gespielten nur die bekanntesten zu nennen. Kann man mit

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solchen Ensembles heute, im Zeitalter der zum Schluß dann Konzerte gegeben. Es gab in dieser
Spezialisten, eigentlich Bach noch spielen? »Gächinger Kantorei«, so war schon damals der Name
des Chores, Leute, die strikt gegen das Fixieren
Wenn ich zu solchen Gastdirigaten eingeladen werde, solcher einmaliger Ereignisse waren. Also nicht
dann steht nicht immer nur Bach auf dem Programm. einmal eine Rundfunkaufnahme. Wir haben ziemlich
Aber natürlich bittet man mich immer wieder, mit sol- heftig diskutiert darüber! So bedenkenswert dieses
chen Orchestern und ihren Chören auch Bach zu mu- Argument der Einmaligkeit von Musik und ihrer
sizieren. Ich gebe zu, hier eine vielleicht unzeitgemä- Interpretation auch ist: ich finde, die technischen
ße Meinung zu vertreten. Bach gehört nicht den Medien haben schon einen Aspekt, den ich einmal
Spezialisten, sondern allen, Musikern wie Zuhörern, »demokratisch« nennen möchte. Sie schaffen einen
die sich mit seiner Musik auseinandersetzen wollen. sehr viel breiteren Zugang zur Musik als das Konzert
Da die großen Klangkörper die wichtigsten Träger mit seinen Ritualen, die nicht jedermann mag. Es muß
unserer Musikkultur sind, in Amerika viel mehr noch aber gelingen, die Spontaneität des Live-Musizierens
als bei uns, wäre es töricht, ihnen dieses Repertoire auch auf den Schallplatten zu erhalten.
vorzuenthalten. »Philharmonisches Orchester« heißt
ja nicht, daß sie diese Musik nicht stilistisch genauso Fragen nach Inhalten und Sinndeutungen
kompetent interpretieren können wie diejenigen, die
nichts anderes machen als Barockmusik. Sie haben jetzt so viel von der eigenen Faszination
über die Musik Bachs gesprochen. Diese Musik
Warum nehmen Sie, als ein Musiker, der diese kommt aus Europa, und sie spiegelt natürlich auch
Konzertatmosphäre liebt und braucht, eigentlich eine gewisse europäische Geisteshaltung. Welchen
Schallplatten auf? Zugang haben eigentlich Menschen in anderen
Kulturkreisen zu dieser Musik?
Ich erinnere mich an die allerersten Anfänge in dem
kleinen Dorf Gächingen auf der Schwäbischen Alb, wo Musik ist in der Tat heute ein internationales Phäno-
ich mich mit meinen Freunden getroffen habe, um men. Durch die Medien erreicht Musik praktisch
Musik zu machen. Wir haben intensiv gearbeitet und jeden Winkel der Erde. Das gilt natürlich auch für die

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sogenannte »E«-Musik, also Musik, die, wie Sie sagen, selbst gehalten werden. Dort werden zunächst techni-
eindeutig aus der europäischen Tradition kommt, ihre sche Dinge erarbeitet. Wir reden auch über Auffüh-
historischen Wurzeln und Bedingungen also hier in rungspraxis um das stilistische Bewußtsein der Stu-
Europa hat. Bei Bach, soweit es jedenfalls das Weiter- denten zu schärfen. Dann aber geht es auch um die
leben seiner Musik betrifft, kann man das fast auf den Verbindung von Musik und Text, um die Funktion der
deutschsprachigen Raum und Umgebung beschrän- Musik, um den Aussagewillen Bachs, der sich in der
ken. Das heißt, es gibt außerhalb Mitteleuropas nur rhetorischen Dimension der Musik äußert, aber seine
wenige Regionen, wo Bachs Musik in einer gewachse- Wurzeln natürlich in den geistigen Strukturen der Le-
nen Tradition steht. Meine überraschende Erfahrung benszeit Bachs hat. Dann ist man immer wieder
ist, daß gerade dort Bachs Musik mit außerordentli- schnell bei den Menschen selbst, weil die Musik
chem Interesse aufgenommen wird. Zunächst haben Bachs existentielle Berührungspunkte anspricht. Ich
wir diese Erfahrung auf Konzertreisen mit unseren En- glaube, daß Bach die Menschen überall deshalb be-
sembles, den Gächingern, dem Bach-Collegium ge- eindruckt, weil sie das Ordnungsprinzip seiner Musik
macht. Das aber sind, wenn man so will, Schaufenster- erkennen. Diese Ordnung engt nicht ein, sondern
aktivitäten, erste Berührungspunkte. Viel interessan- bietet einen Rahmen, in dem größtmögliche Freiheit
ter, tiefergehend waren die Bach-Akademien, zu denen herrscht – das fasziniert über alle Traditionen hinaus.
wir dann eingeladen wurden: in Japan beispielsweise,
in vielen osteuropäischen Staaten, in Südamerika. Das Kunstwerk gibt dem Menschen Anstöße
Dort ging es um intensiveres Kennenlernen oder auch
um Fragen nach Inhalten und Sinndeutungen In Europa steht seit einigen Jahren die Diskussion
über den »Originalklang« und eine »authentische«
Was kann man bei diesen Bach-Akademien Aufführungspraxis im Vordergrund. Wie wird das
erfahren? Sind sie eine Art Workshop? z. B. in Südamerika gesehen?

Das kann man so sagen. Jede Bach-Akademie umfaßt Lassen wir diese europäische Diskussion einmal bei-
eine Reihe von Kursen, die von den uns verbundenen seite. Sie erscheint mir, gerade auch vor den interna-
Musikern, Sängern wie Instrumentalisten, und mir tionalen Erfahrungen, wirklich sekundär. Bachs Mu-

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sik wird überall und unabhängig davon als eine Berei- wollte eine Aktion von solch sozialer Tragweite nun
cherung empfunden. Es ist schwierig, das im einzel- auf den stilistischen Prüfstand stellen? Wenn man
nen zu beschreiben. Überall löst diese Musik einen Musik, und gerade die Musik Johann Sebastian Bachs,
Prozeß des Nachdenkens aus, und einen Prozeß der als Einladung zum Nachdenken begreift, muß man die
persönlichen Betroffenheit. Und das geht weit hinaus Musik in ihrer gesamten künstlerischen und geistigen
über genuin religiöse Inhalte, wie sie eine authentisch Dimension an sich persönlich heranlassen.
verstandene Kantaten- oder Passionsaufführung z. B.
ja auslösen müßte. Denn diese Musik ist genuine Kir- Kehren wir noch einmal zurück zur EDITION BACH-
chenmusik. Es ist, wie ich vorhin schon sagte: wenn AKADEMIE. Sie bezeichnen sich als sehr guten Kenner
man Bachs Musik technisch beherrscht, öffnet sich der Musik Bachs, wollen aber kein Spezialist sein.
zugleich die Tür zu ihrer geistigen Dimension. Und Sie sprechen von »zeitgemäßer Aufführungspra-
das Kunstwerk gibt dem Menschen Anstöße, die ihn xis« und führen Bachs Musik dennoch auf dem
sehr persönlich erreichen. Bach regt an, bewegt, er- herkömmlichen Instrumentarium auf. Können Sie
schüttert. Ich kann da einige Beispiele nennen. Bei vor diesem Hintergrund noch einmal etwas zum
unseren Kursen in Osteuropa früher kam unweiger- Konzept sagen?
lich bei den jungen Menschen, mit denen wir dort zu
tun hatten, die Frage nach der Freiheit auf. In Japan Ich bin generell zunächst kein Gegner einer histori-
interessierte man sich für den historischen Ort der schen Aufführungspraxis. Ich verstehe sehr gut, daß
Bachschen Musik: wir haben dort ganze Gottesdienste mit der Verwendung der sogenannten »alten« Instru-
mit Bachscher Musik rekonstruiert, und die Leute mente auch ein gehöriges Stück Zeitgeist mitschwingt:
fragten uns, ob man an Christus glauben muß, um die die Suche nach dem Authentischen in einer unüber-
Matthäus-Passion zu verstehen. In Venezuela kam es sichtlich werdenden Welt, der Drang einer jüngeren
nach einem Kurs zum Weihnachts-Oratorium zu spon- Generation, etwas anders zu machen, als es die Alten
tan organisierten Aufführungen dieses Stücks im getan haben. Und es ist ja auch sehr viel herausge-
ganzen Land, bei denen, allen stilistischen kommen dabei. In puncto Artikulation, Phrasierung,
Unterweisungen zum Trotz, Hunderte von Kinder aus Rhetorik sind wir durchaus auf dem letzten Stand des
den Slums die Choralmelodien singen durften. Wer Wissens. Es gibt aber für mich keinen Grund, inmitten

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einer modernen Welt mit ihren Konzertsälen, mit CD und Evgeni Koroliov waren mehrfach mit Konzerten zu
und Fernsehen, mit der ganzen Informationstechnik Gast in Stuttgart. Robert Hill hat hier Kurse gegeben,
und den Möglichkeiten zur Mobilität so zu tun, als Jean-Claude Gérard und Ingo Goritzki sind unsere
könne man einen Ausschnitt der alten Welt sozusagen Solisten im Bach-Collegium, ebenso die exzellenten
als Oase der Harmonie herüberretten. Es hat im Nach- Cembalisten Michael Behringer und Boris Kleiner.
kriegsdeutschland übrigens ähnliche Bewegungen ge- Jeffrey Kahane ist der Chef des Los Angeles Chamber
geben. Als wir angefangen haben, Bach sehr emotio- Orchestra, mit ihm arbeiten wir vor allem beim
nell und leidenschaftlich zu spielen, hat die ältere Oregon Bach Festival zusammen. Kay Johannsen ist
Generation, für die Bach der Hort einer Tradition und Kantor an der hiesigen Stiftskirche, die seit
die Kunst der Fuge eine Ikone war, natürlich auch Jahrzehnten ein Zentrum unserer Arbeit in Stuttgart ist
protestiert. Ganz zu schweigen davon, gegen welche und wo wir Bachs Kantatenwerk als Ganzes aufführen
Widerstände wir die Chormusik von Brahms und – ein Organist, dem sicher die Zukunft gehört. Bei den
Mendelssohn durchsetzen mußten, die heute ganz Sängern denke ich an die älteren wie Peter Schreier,
selbstverständlich zum Repertoire gehört. Das natürlich die unvergessene Arleen Augér, bei den
Konzept einer Gesamtschau auf das Werk Bachs kann jüngeren an Christine Schäfer, die früher bei den
nach meiner Auffassung also nur ein undogmatisches Gächingern mitgesungen hat, an Andreas Schmidt,
sein, eines, das sich auf die Musik richtet und eine dessen Stern hier in Stuttgart bei einer
persönliche, deutliche Aussage der Künstler, die diese Sommerakademie aufging, an Ingeborg Danz, Sibylla
Musik spielen. Ich glaube, daß die an der EDITION Rubens, James Taylor, Matthias Goerne, Thomas
BACHAKADEMIE beteiligten Musiker dies gewährleisten. Quasthoff und viele andere. Ich glaube, diese
langjährige künstlerische Verbundenheit ist ein
Können Sie etwas zu einigen Namen sagen? Idealfall für diese EDITION. Und wenn man schon 1985,
nach der Gesamtaufnahme der Kantaten, von einem
Gerne. Mit Robert Levin haben wir schon 1991 im »Meilenstein der Schallplattengeschichte« gesprochen


Mozartjahr zusammengearbeitet, er hat ja damals in hat, dann werden wir diesem jetzt einen weiteren,
unserem Auftrag das Requiem Mozarts neu noch markanteren hinzufügen.
instrumentiert und vollendet. Boris Pergamenschikow

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Wir haben das oben abgedruckte Gespräch zu Der Choral gehört natürlich zum alten Kirchenstil.
Beginn der EDITION BACHAKADEMIE geführt. Jetzt, Bach führt die Tradition Luthers fort. Aber: er erneuert
zweieinhalb Jahre später, ist das Projekt vollendet – auch die Bedeutsamkeit des Chorals für den Gottes-
wie ist Ihre Bilanz? dienst, führt sie in artifizielle Sphären. Es gibt viele
Kantatensätze, in denen Bach den Choral in einer In-
Die Aufgabe, wirklich alle Werke Bachs zu produzieren, strumentalstimme zitiert, mit der Melodie den gesun-
führt natürlich dazu, daß man sich auch mit Stücken genen Text kommentieren will und den Zuhörer über-
beschäftigt, an denen man sonst eher vorbeigeht. Die legen läßt, welche Strophe wohl gemeint sein könnte.
Beschäftigung gerade mit Ihnen schärft den Blick, Martin Petzoldt hat das sehr treffend ein »theologi-
schafft neue Perspektiven. Da sind etwa die Choräle. sches Ratespiel« genannt. Es gibt auch eine Verbin-
Das Phänomen ist bekannt: Bach schafft es in Kantaten dung von Liturgie und Choral, etwa in dem bedeutsa-
und Passionen, vier Stimmen nicht nur satztechnisch, men Kyrie BWV 233a, wo Bach mit dem alten »Kyrie
sondern auch vom Ausdruck, von der Textbeziehung eleison« die deutsche Erbarmensbitte »Christe, du
her zu kleinen Kunstwerken zu gestalten. Die in der Lamm Gottes« kombiniert. Daß Carl Philipp Emanuel
Sammlung Carl Philipp Emanuels enthaltenen Choräle diese Sätze gesammelt und als ideal für das Komposi-
werden nie aufgeführt – in der alphabetischen Ordnung tions- und Kontrapunktstudium bezeichnet hat,
wäre das ja auch ziemlich unsinnig, sie müssen textiert scheint mir diese überzeitliche Bedeutung zu spiegeln.
und sinnvoll aufeinander bezogen werden. Ich finde:
so, wie wir es im »Choralbuch für Johann Sebastian« Sie sind jetzt der einzige Dirigent, der das gesamte
gemacht haben, wird uns ein intimer Blick in Bachs Vokalwerk Johann Sebastian Bachs für die
persönliche Frömmigkeit ermöglicht. Hier erschließt Schallplatte aufgenommen hat. Aber auch die
sich sein Denken zu zentralen Anliegen des christlichen Orchesterwerke sind unter Ihrer Leitung
Glaubens in schlichter, aber eindrucksvoller Weise. eingespielt worden. Wo liegen die Unterschiede
zwischen den beiden musikalischen Bereichen?
Gehört der Bachsche Choralsatz eigentlich zu den
traditionellen Seiten seines Schaffens oder, in Bach hat sich nicht nur für den alten Kirchenmusikstil
seiner Subjektivität, zu den modernen? interessiert, sondern auch für die moderne Musik sei-

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ner Zeit. Man sieht das z.B. sehr gut an der Musik für im Bach-Werke-Verzeichnis. Es gibt, im Fall von
Tasteninstrumente. Für die Beschäftigung mit der mo- BWV 30/30a ja tatsächlich den Fall, daß eine
dernen Musik gilt das Gleiche wie bei den Chorälen: ursprünglich »weltliche« Kantate keine BWV-
sie schärft und weitet den Blick auf Bachs Universum. Nummer erhalten hat, obwohl sie komplett und in
Denn man entdeckt, daß die Konzertform auch in den handschriftlicher Partitur vorliegt! Das 19.
Kantaten und Oratorien oft Grundlage der Komposi- Jahrhundert glaubte immer, daß die geistliche Form
tion ist. Dazu gibt es das »populäre« Element der der weltlichen unbedingt vorzuziehen sei. Ist diese
Tanzsätze, deren Bedeutung nicht unterschätzt wer- Ansicht aufrecht zu erhalten?
den darf. Faszinierend fand ich auch die Entwicklung
der Konzertform an sich bei Bach. Er hat das Konzert Nein. Es ist sicher so, daß Bach in seinen »weltlichen«
in Weimar kennengelernt und es sich durch Tran- Stücken offener gegenüber den Konzert- und
skriptionen angeeignet. Er hat hier sicher auch Kon- Suitenformen war als in den Kirchenstücken. Die
zerte komponiert. Wir kennen diese Stücke aber nur Frische und Spontaneität der musikalischen
in Form der später, in Leipzig aufgeführten Cembalo- Erfindung ist hier geradezu stupend, bei der
konzerte. Wir haben ja nun auch die Versuche, die genannten Huldigung »Angenehmes Wiederau« BWV
ursprünglichen Formen für Soloinstrumente wie 30a ebenso wie bei der Köthener Glückwunschkantate
Violine oder Oboe wiederzugewinnen, ebenfalls BWV 173a etwa. Aber: wenn Bach weltliche Musik in
eingespielt. Und ich finde: die Stücke klingen noch den Kirchenstücken wiederverwendet hat, ist dies
virtuoser, zupackender. Vor allem in den langsamen doch ein Zeichen besonderer Wertschätzung! Er hat
Sätzen sind die Melodieinstrumente nun in der Lage, die Konzert- und Tanzsätze ganz bewußt
Bachs melodischen Erfindungsreichtum darzustellen. herangezogen, gerade wegen ihres Affekts. Ich glaube,
Für mich gehört die Möglichkeit, diese Musik in alles das wird nun viel deutlicher. Bach ist ein
mehreren Versionen zu erleben, zum Aufregendsten leidenschaftlicher, emphatischer, vielseitiger und
der EDITION BACHAKADEMIE. vitaler Musiker und nicht nur der Kontrapunktiker,
der uns von Haußmanns berühmtem Bild so streng
Die sogenannten »weltlichen« Kantaten werden entgegenblickt.
immer ein wenig stiefmütterlich behandelt, auch

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Helmuth Rilling Penderecki. Im Bach-Jahr 2000 werden in Stuttgart


vier neue Passionsmusiken uraufgeführt, die Rilling
wurde 1933 in Stuttgart geboren. Als Student interes- und die Internationale Bachakademie bei
sierte Rilling sich zunächst für Musik außerhalb der Komponisten aus vier verschiedenen Kulturkreisen
gängigen Aufführungspraxis. Ältere Musik von Lech- in Auftrag gegeben haben.
ner, Schütz und anderen wurde »ausgegraben«, als er Helmuth Rilling ist kein gewöhnlicher Dirigent. Nie-
sich mit Freunden in einem kleinen Ort namens Gä- mals hat er seine Wurzeln in der Kirchen- und Vokal-
chingen auf der Schwäbischen Alb traf, um zu singen musik verleugnet. Niemals aber macht er auch ein
und mit Instrumenten zu musizieren. Das begann Hehl daraus, daß Musik um der Musik, Betrieb um
1954. Auch für die romantische Musik begeisterte des Betriebs willen nicht seine Sache ist. Im gleichen
sich Rilling schnell – ungeachtet der Gefahr, in den Maße, wie er seine Konzerte und Produktionen akri-
fünfziger Jahren hiermit an Tabus zu rühren. Vor bisch und philologisch genau vorbereitet, geht es ihm
allem aber gehörte die aktuelle Musikproduktion bei seiner Arbeit darum, eine positive Atmosphäre zu
zum Interesse von Rilling und seiner »Gächinger schaffen, in der Musiker unter seiner Anleitung Mu-
Kantorei«; sie erarbeiteten sich schnell ein großes sik und ihre Inhalte für sich selbst und für das Publi-
Repertoire, das dann auch öffentlich zur Aufführung kum entdecken können. »Musikmachen heißt, sich
gebracht wurde. Unüberschaubar die Zahl der Urauf- kennen-, verstehen und friedlich miteinander umge-
führungen jener Zeit, die für den leidenschaftlichen hen zu lernen« lautet sein Credo. Die von Helmuth
Musiker und sein junges, hungriges Ensemble ent- Rilling 1981 gegründete »Internationale Bachakade-
standen. Noch heute reicht Rillings Repertoire von mie Stuttgart« wird deshalb gerne ein »Goethe-Insti-
Monteverdis »Marienvesper« bis in die Moderne. Er tut der Musik« genannt. Nicht kulturelle Belehrung
initiierte zahlreiche Auftragswerke: »Litany« von ist ihr Ziel, sondern Anregung, Einladung zum Nach-
Arvo Pärt, die Vollendung des »Lazarus«-Fragments denken und Verständigung von Menschen verschie-
von Franz Schubert durch Edison Denisov, 1995, das dener Nationalität und Herkunft.
»Requiem der Versöhnung«, ein internationales Ge- Nicht zuletzt deshalb sind Helmuth Rilling zahlreiche
meinschaftswerk von 14 Komponisten, sowie 1998 hochrangige Auszeichnungen zuteil geworden. Beim
das »Credo« des polnischen Komponisten Krzysztof Festakt zum Tag der Deutschen Einheit 1990 in Ber-

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lin dirigierte er auf Bitten des Bundespräsidenten die So dirigierte er als Gast Orchester wie das Israel
Berliner Philharmoniker. 1985 wurde ihm die Ehren- Philharmonic Orchestra, die Sinfonieorchester des
doktorwürde der Evangelisch-theologischen Fakultät Bayerischen, des Mitteldeutschen und des Südwest-
der Universität Tübingen verliehen, 1993 das Rundfunks Stuttgart, die New Yorker Philharmoni-
Bundesverdienstkreuz am Bande, sowie, in Anerken- ker, die Rundfunkorchester in Madrid und
nung seines bisherigen Lebenswerks, 1995 der Warschau, sowie die Wiener Philharmoniker in
Theodor-Heuss-Preis und der UNESCO-Musikpreis. begeistert aufgenommenen Aufführungen von
Helmuth Rilling wird regelmäßig auch ans Pult Bachs »Matthäus-Passion« 1998.
renommierter Sinfonieorchester eingeladen.

Bachs Unterschrift unter dem Prüfungsbericht über Alumnenanwärter. Leipzig, vor dem 18.5.1729

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I DEE UND K ONZEPTION

m Jahre 1802 veröffentlichte Johann Nikolaus For- takte zu den »Zeitzeugen«, wie man heute sagen wür-
I kel die erste Biographie Johann Sebastian Bachs.
Eigentlich hatte sein Interesse nur darin bestanden,
de, aber auch schon jene Distanz, die das historische
Geschehen reflektieren hilft. Daß er sich dazu ver-
»Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und stieg, Bachs Musik als »unschätzbares National-Erb-
Kunstwerke« (so der Titel der Biographie) einige Ge- gut, dem kein anderes Volk etwas entgegen setzen
danken zu äußern und Nachrichten mitzuteilen. »Das kann« zu vereinnahmen, spiegelt die Situation jener
wirksamste Mittel zur lebendigen Erhaltung musikali- Zeit. Bachs Internationalität spricht aus dem univer-
scher Kunstwerke bleibt freylich immer die öffentliche sellen Miteinander aller zu seinen Lebzeiten moder-
Aufführung derselben vor einem zahlreichen Publi- nen Stile und der Integration bereits überkommener
cum« sinnierte er. Dann aber begann die Hoffmeister- Kunst in seiner Musik. Sie spricht nicht weniger aus
und Kühnelsche Musikhandlung in Leipzig fünfzig Jah- der Geschichte ihrer Interpretation. Seit fast zwei
re nach dem Tode Bachs, eine »vollständige und kri- Jahrhunderten, so könnte man sagen, hat Bachs Mu-
tisch=correcte Ausgabe der Seb. Bachischen Werke sik einen Siegeszug rund um die Welt angetreten.
zu veranstalten«. Und so schloß Forkel auf einen Be- Reizte im beginnenden 19. Jahrhundert das Musik-
darf bei den Musikfreunden. Wer die Meisterwerke erlebnis in Kirche und Konzertsaal das Publikum
Bachs gehört hat, »erinnert sich nachher des ange- dazu, spontan die Noten zu erwerben (»ohne viel-
nehmen Eindrucks und kauft sodann das herausge- leicht Gebrauch davon machen zu können«, wie For-
kommene Werk«. Damit meinte er das gedruckte kel spottend bewunderte), so hat am Ende des 20.
Werk, die Noten, denen das Bedürfnis, mehr über die Jahrhunderts die Tonaufzeichnung dem Notenlesen
Person und eben die Musik dieses Johann Sebastian den Rang abgelaufen. Manche glauben sogar, Erwerb
Bach zu erfahren, auf dem Fuße folgte. und Hören von Schallplatten beeinträchtige die Qua-
lität des Live-Erlebnisses und führe zur Verringerung
Ein Glück für uns, daß Forkel, im Sog der Notenpubli- des Konzertangebots insgesamt. Eine Befürchtung, die
kation, sein Vorhaben erweiterte. Er besaß gute Kon- sich seit der Erfindung dieses Mediums zum Glück

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nicht bewahrheitet hat. Aber ganz selbstverständlich druck. Sie wird von hänssler classic weltweit vertrie-
gehört heute die Tonaufzeichnung in Form der CD zu ben; die viersprachigen Booklets möchten möglichst
den Mitteln, Musik erleben und verstehen zu können. viele Menschen einladen, Bachs Musik kennenzuler-
nen, zu genießen und sich von ihr zum Nachdenken
Lebendige und fixierte Musik anregen zu lassen. Denn genau darin besteht die
Arbeit der Internationalen Bachakademie Stuttgart: an
Vieles ist auf der CD anders als im Konzert: perfekter
Bachs Musik lernen, nachdenken über ihre Wurzeln
vielleicht, aber auch jederzeit wiederholbar, und re-
und Wirkungen sowie über die Möglichkeiten, sie zu
duzierbar auf die »schönen Stellen«. Dafür können
interpretieren, und mit ihr über Grenzen und
Künstler, die nur in den großen Musikzentren dieser
Konfessionen, Generationen und Weltanschauungen
Welt auftreten, auf diese Weise in jedes Haus geholt
hinaus Menschen zusammenzuführen.
werden. Kein Zweifel: so notwendig das Konzert ge-
blieben ist, so intensiv haben Rundfunk, Schallplatte
und zuletzt die CD die Demokratisierung, die globale Konzeption und Planung der
Verbreitung und die Freiheit im Umgang mit Musik EDITION BACHAKADEMIE
befördert. Noch immer aber ist, wie zu Forkels Zeiten,
Zunächst waren auf breiter Basis einige grundsätzliche
von jener Musik die Rede, die lebendige Kunst ist. Erst
Fragen zum Werk Bachs und seinen Strukturen zu dis-
nach ihrer Fixierung beginnt sie, Erbe und Verpflich-
kutieren. Dabei ging es zuerst um den Umfang des
tung zu betonen, Zeugnis davon abzulegen, wie der
Bachschen Œuvres an sich. Was nämlich Bach wirk-
Mensch sich seiner Vergangenheit gegenüber verhält
lich komponiert hat, was ihm wissentlich oder unbe-
und verhalten hat. Lebendige und fixierte Musik
wußt unterschoben wurde und was allein die lücken-
werden so zum produktiven Zentrum künstlerischer
hafte Überlieferung an Unsicherheiten hinterließ, wird
Auseinandersetzung. Ihr heute mögliches Miteinander
wohl niemals ganz geklärt werden können. Dies trotz
bietet jeder Generation, jeder geistigen Strömung,
der bewundernswerten Leistung der Bach-Forschung,
jeder kulturellen Tradition neue Ansatzpunkte.
namentlich in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts.
Die EDITION BACHAKADEMIE bringt diese umfassende Verantwortlich für diesen, die Sympathie für den Kom-
Sicht auf das Werk Johann Sebastian Bachs zum Aus- ponisten gleichwohl erhöhenden Zustand ist, daß

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Die Internationale
Bachakademie in Stuttgart

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Bach bei den meisten seiner Stücke an die Nachwelt allein-und ewiggültige Bach-Interpretation kann und
gar nicht gedacht hat und ferner ein Teil seiner Manu- wird es also nie geben.
skripte offensichtlich verschollen ist. Für die Aufnahme
mußten jedoch Entscheidungen getroffen werden. Als Die EDITION BACHAKADEMIE begreift diesen Umstand als
unentbehrliche Grundlage dienten dabei vor allem die Stärke und bietet eine pluralistische Lösung an. Ihre
letzte Auflage des Bach-Werke-Verzeichnisses von Maßstäbe erschöpfen sich nicht mit dem aktuellen
1998 (die »Kleine Ausgabe« des BWV), die Neue Bach- Stand historisierender Authentizität, sondern heißen:
Ausgabe (NBA) sowie die Sachkenntnis und das künstlerische Seriosität und Glaubwürdigkeit, dies
Stilbewußtsein der Interpreten. Sie entschieden in gleichwohl auf der Basis des aktuellen Wissens um hi-
Zweifelsfällen, ob sie umstrittene Stücke spielen oder storische und stilistische Erkenntnisse. Die beteiligten
nicht und begründen ihre Entscheidung jeweils in den Künstler sind in den meisten Fällen der Internationalen
Booklets. Bachakademie Stuttgart verbunden, haben hier
konzertiert, unterrichtet, geforscht und sich darüber
Damit war die Frage nach den ausführenden Musikern miteinander ausgetauscht. Für die Bereiche der Musik
angesprochen. Bachs oft nur ein einziges Mal, nämlich für Tasteninstrumente sowie die Kammermusik haben
beim Anlaß ihrer Entstehung aufgeführte Musik hat, wir uns zudem der konzeptionellen Mitarbeit von in
wie bereits gezeigt, mittlerweile rund zweihundert ihrem Fach höchst angesehenen und kompetenten
Jahre Interpretationsgeschichte hinter sich. Jede Künstlern versichert, Robert Levin etwa, Kay Johannsen
Generation, jede Epoche spielte »ihren« Bach nach und Michael Behringer. Dieses Konzept führt im
jeweils bestem Wissen und Gewissen, nach ihren Einzelfall zu manchen überraschenden und neuartigen
Erkenntnissen, ihrem Vermögen, ihrem Geschmack Ergebnissen. Nie aber stand in Frage, daß nur eine
und ihrem geistigen und ästhetischen Horizont, solche, mit dem Namen Helmuth Rillings verbundene
Maßstäbe, auf die wir heute, weil wir über einen künstlerische Gesamtidee dem Bachschen Werk
anderen Erkenntnisstand verfügen, nicht herabsehen gerecht werden kann.
dürfen. Es ist auch nicht zu vermuten, daß diese,
zeitlich gesehen horizontal und dynamisch sich
entwickelnde Pluralität in Zukunft abreißen wird. Die *

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Ordnung der Werke – gramm zusammenstellen. Von daher verbietet es sich,


Programme der einzelnen CDs etwa die bekannten Zyklen für Cembalo bzw. Klavier in
den Vordergrund zu stellen und alle anderen, die
Unternehmerisches Handeln mag, wie in diesem Fall, frühen, pädagogischen und auch experimentellen,
ehrenwerte und idealistische Motivationen haben, an eher am Rande stehenden Stücke Bachs nach dem in
dem Sie, die Hörer teilhaben sollen. Dennoch ist es für diesem Bereich sehr zufällig sortierten BWV
uns eine Herausforderung, Sie für über 170 Stunden aufzulisten, en suite einzuspielen und in dieser Form
Musik zu begeistern. Die rein quantitative Fülle von zu veröffentlichen. Hier und ebenso im Bereich der
Bachs Musik, die sich hinter den mittlerweile 1126 Orgelmusik waren also sinnvolle Lösungen zu finden.
Nummern des Werkverzeichnisses (ohne Anhänge) ver-
birgt, ist in dieser Beziehung nicht nur beeindruckend. Wir haben uns entschieden, dabei dem Kriterium der
Sie vermag auch einzuschüchtern. Nicht weniger als Datierung, dem Zeitpunkt der Werkentstehung also,
140 CD-Einheiten umfaßt die EDITION, wobei viele den Vorzug zu geben. Auch dieser Weg allerdings
Einheiten mehrere CDs enthalten, z.B. die Matthäus- erweist sich als steinig, insbesondere bei den nur
Passion, die Werke für Violine und Violoncello solo, die abschriftlich überlieferten Werken, da die Forschung
Konzerte, die Kunst der Fuge. Hat Bach vielleicht mehr über die Datierung mancher Stücke mit jeweils guten
geschrieben als Mozart und Beethoven zusammen? Gründen unterschiedliche Meinungen vertritt und zu
keiner Einigung findet, zumal viele Werke wiederum
Dem Verleger stellte sich also zunächst die Aufgabe, in verschiedenen, zeitlich unterschiedliche Stadien
hier mehrere Zugangsmöglichkeiten schaffen: für verratenden Fassungen vorliegen. Welche Fassung
den, der die ganze EDITION BACHAKADEMIE besitzen will wird gewählt? Was ist bloß geringfügige Variante, was
wie für den, der sich nur für Teilbereiche interessiert sind (möglicherweise) Nachlässigkeiten der Kopisten
oder jenen, der nur eine einzelne CD kaufen möchte. und Schreiber, und was dagegen ist veränderter
Marketing und Vertrieb sahen darin ein wohl diffiziles, künstlerischer Wille Bachs? Wie geht man mit
aber lösbares Problem. Wer aber an den Hörer der Fragmenten um? Auch zu solchen Fragen haben die
Einzel-CD denkt, muß auch künstlerisch denken und jeweiligen Interpreten Entscheidungen getroffen und
dem Interessenten auf jeder CD ein interessantes Pro- diese in den Booklets begründet.

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Offen für neue Erkenntnisse und Entdeckungen und Interessenten einige fachwissenschaftliche
Ausdrücke erläutern, ohne die die genannten Texte wie
Aus diesem schmalen Einblick in die Werkstatt der EDI-
auch die Texte der Booklets nicht auskommen werden.
TION BACHAKADEMIE ergab sich die Forderung, bis zur
Produktion der letzten CD Optionen für Experimente,
Alle an der EDITION BACHAKADEMIE Beteiligten haben an
neue Erkenntnisse und Entscheidungen offenzuhalten.
dieser Arbeit profitiert. Der künstlerische Leiter Hel-
Daß ein solches »work in progress« auch durch
muth Rilling, Andreas Keller, der – neben vielen ande-
Krankheit von Künstlern oder andere unvorhersehbare
ren kreativen Tätigkeiten – die Vollständigkeit der
Schwierigkeiten terminlich umdisponiert werden muß-
EDITION überwachte, Ulrich Prinz, dem wir die wissen-
te, wird dadurch ebenfalls verständlich. Mit Ausnahme
schaftliche Beratung und minutiöse Durchsicht vieler
der früher von hänssler classic produzierten Einspie-
Texte verdanken, der Autor dieser Zeilen selbst, dazu
lungen Helmuth Rillings (vor allem Kantaten, Passio-
aus dem Hause Hänssler die Geschäftsführer Fried-
nen und Orchesterwerke) sowie den Einzel-CDs der
rich und Günter Hänssler, Kerstin Hänssler und Mat-
Sonaten für Violine und Cembalo und der Orgel-Trio-
thias Lutzweiler, die Werbung, Pressearbeit, Verkauf
sonaten bietet die EDITION BACHAKADEMIE nämlich nur
und Vertrieb organisieren, sowie Katharina Fritz, die
taufrische und brandaktuelle Produktionen! Das ist ge-
die gesamte technische Produktion auf den Weg
meint, wenn wir weiter oben davon sprachen, daß die-
brachte. Jeder glaubte zuvor, »seinen« Bach zu ken-
se Veröffentlichung den »aktuellen Stand von Konzep-
nen. Wir sind erstaunt über das Neue und Unerhörte,
tion und Planung der EDITION BACHAKADEMIE« wiedergibt.
das sich ständig in dieser Musik entdecken läßt. Wenn
Forkel davon sprach, daß »klassische Kunstwerke
Zum Inhalt dieser Publikation
mehr benutzt werden« sollen, damit »Kunst Kunst
Wir nutzen die vorliegende Publikation, um einiges zu bleiben und nicht immer mehr zu bloß zeitvertreiben-
Bachs Leben und Werk, zum Charakter seiner Kunst und der Tändeley zurück sinken soll«, dann hatte er genau
zum Verständnis seiner Musik anzufügen. Dies umfaßt dies im Sinn. Wir hoffen und freuen uns, daß unser
im wesentlichen Bemerkungen zu einzelnen Kategorien Publikum, die Hörer und Besitzer und »Benutzer« der
seines Schaffens und zur Biographie. Daneben mag das EDITION BACHAKADEMIE, diese Erkenntnis nun mit uns
Verzeichnis häufig verwendeter Begriffe dem Liebhaber teilen können. Wir laden Sie herzlich dazu ein.

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»Jesu Juva«
überschrieb Bach
das Titelblatt
seiner Kantate
»Gott ist mein König«
(BWV 71)

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D IE K ANTATEN

on den im BWV ursprünglich aufgezählten 224 tatenproduktion ist verschollen und allenfalls partiell
V Kantaten Johann Sebastian Bachs müssen vierzehn
als zweifelhaft bzw. unecht angesehen werden. Ihre
rekonstruierbar. Von etlichen Kantaten besitzen wir
noch die Texte, von anderen ist die Musik ganz oder
Komponisten sind zum Teil inzwischen auch bekannt. teilweise in andere Stücke aufgenommen, »parodiert«
Eine Kantate (O Jesu Christ, meins Lebens Licht, worden. Bach selbst bezeichnete seine Kantaten
BWV 118) wurde mittlerweile dem Zyklus der Motet- übrigens als Concerto (da chiesa), Dialogus oder
ten, eine weitere (Gloria in excelsis Deo BWV 191) Motetto, den Titel Cantata verwendete er nur bei
dem Korpus der lateinischen Figuralmusik zugeord- einigen Solokantaten.
net, das Himmelfahrts-Oratorium (BWV 11)
schließlich den Oratorien. Von den verbleibenden Text und musikalische Ausgestaltung der geistlichen
Stücken gehören 192 dem Bereich »Kirchenkanta- Kantaten korrespondieren unmittelbar mit der
ten« zum Gebrauch im Gottesdienst an; die restlichen liturgischen Stellung der Musik rund um Evangelium
sind Gratulations- und Huldigungsmusiken mit geist- und Predigt. Bei den meisten seiner Stellungen
lichen, zumeist aber weltlichen Texten. Ferner gibt es gehörte die Komposition und Aufführung solcher
eine Reihe von Stücken, die aus den verschiedensten Stücke zu Bachs Amtspflichten. Bach führte also
Gründen im BWV »nur« mit a-Nummern erschienen durchaus Werke anderer Komponisten auf. Zumeist
sind. aber stammten die Kantaten aus der eigenen Feder.
Man kann daher sagen, daß seiner Pflichten halber
Schenkt man dem Nekrolog Glauben, der fünf Jahr- Bach das gesamte Berufsleben über mit der Gattung
gänge von Kirchenstücken, auf alle Sonn- und Fest- Kantate zu tun hatte. Daher spiegelt das Gesamtkorpus
tage verzeichnet, umfaßt der erhaltene Bestand Bach- in vorzüglicher Weise nicht nur die Entwicklung der
scher Kantaten wahrscheinlich nur etwa die Hälfte der kompositorischen Kunst Bachs, sondern auch seine
von Bach komponierten Werke dieser Gattung. Mit musikalische Auseinandersetzung mit theologisch-
anderen Worten: ein großer Teil der Bachschen Kan- liturgischen Themen.

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Seine ersten Kantaten schrieb Bach um 1707, also zu daß Bach bestrebt war, Formen der Instrumental-
seiner Mühlhausener Zeit, vielleicht auch schon in musik (Konzert, Suite), um die er sich am Hofe vor
Arnstadt: es sind die BWV-Nummern 150, 131, 4, 106 allem zu kümmern hatte, zu verarbeiten.
und 196. Druck und Verbreitung der Ratswahlkantate
Gott ist mein König (BWV 71) förderten Bachs Be- In Leipzig gehörte die sonn- und festtägliche
kanntheit als Kantatenkomponist in Mitteldeutsch- Aufführung einer Kantate zu Bachs Hauptaufgaben.
land. Alle diese Stücke folgen der hier üblichen Für den ersten, am Trinitatisfest 1723 beginnenden
Konvention, aus Bibelwort und Choral bestehende Jahrgang, schrieb er insgesamt 41 Kantaten neu; an
Texte zu vertonen und verschiedene Formen wie den restlichen Tagen führte er ältere oder aus älteren,
Konzertsatz, Motette, strophische Aria und Choral vor allem Köthener Kantaten parodierte Stücke auf.
aneinanderzureihen. Formal werden diese Kantaten eingerahmt durch
einen Eingangschor (Bibelwort) und einen
Als erste »weltliche« Kantate entstand vermutlich Was Schlußchoral; dazwischen stehen reflektierende oder
mir behagt ist nur die muntre Jagd (BWV 208) 1713 bekräftigende Rezitative und Arien, bisweilen weitere
für den Weißenfelser Hof. Hier setzte Bach erstmals Choralstrophen. In seinem zweiten Jahrgang schrieb
die moderne, der Opera seria entlehnte Form von Bach ausschließlich sogenannte »Choralkantaten«.
Rezitativ und da capo-Arie ein. Als Weimarer Hofkon- Ihnen liegen Kirchenlieder in wörtlicher Übernahme
zertmeister hatte er ab 1714 alle vier Wochen eine oder freier Nachdichtung einzelner Strophen zu
Kantate zu schreiben; von diesen sind zwanzig erhal- Grunde. Bemerkenswert ist hier die Vielfalt der
ten. In diesen Stücken entwickelt Bach vielfältige For- Formen, mit denen Bach die Cantus firmus-
men von Eingangschören und sehr spezielle Aus- Eingangssätze ausarbeitet.
drucksmöglichkeiten der Instrumentation. In Köthen
entstanden vor allem Huldigungskantaten zum In seinem dritten Leipziger Jahr komponierte Bach
Geburtstag des Fürsten und zum Neujahrsfest. Die nur wenig neue Kantaten. Oft führte er fremde Werke
Musik dieser Kantaten ist entweder verschollen oder auf. Die Verluste aus dieser Zeit sind jedoch beträcht-
findet sich parodiert in späteren Kirchenkantaten. lich. Ebenso verschollen ist weitgehend die Produk-
Soweit die Quellenlage es hergibt, läßt sich erkennen, tion des vierten und fünften Jahres. Danach, vor allem

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in jener Zeit, da Bach mit dem Dresdner kurfürst- Ziegler und vor allem von Christian Friedrich Henrici
lichen Hof wohlwollenden Kontakt suchte, entstanden alias Picander.
weltliche Kantaten großen Formates. Ferner sind aus
der Leipziger Zeit Kantaten zu Anlässen wie Ratswech- Die Kantaten in der EDITION BACHAKADEMIE
sel, Trauungen, Trauerfeiern und Orgelweihen sowie
zu Universitätsfeiern, Festakten und Festen in Adels- Die Schallplattenaufnahmen der Bach-Kantaten mit
und Bürgerhäusern überliefert. Viele dieser Musiken Helmuth Rilling und seinen Ensembles seit 1970 war
sind naturgemäß, da für einmaligen Gebrauch ge- ursprünglich nicht systematisch gedacht. Sie begann
schrieben, verschollen. Ein prominentes Beispiel für mit der Einspielung selten aufgeführter Bach-Kanta-
die kunstvolle Umwidmung weltlicher Inhalte auf reli- ten. Erst einige Jahre später fiel der Entschluß, alle
giöse Bedürfnisse bildet hingegen das Weihnachts- Kantaten aufzunehmen. Die Reihenfolge richtete sich
Oratorium, dessen sechs Kantaten ihr musikalisches damals nach Kriterien wie der Verfügbarkeit der Mu-
Material vor allem aus den weltlichen Kantaten Laßt siker sowie den Fortschritten bei der Neuen Bach-
uns sorgen, laßt uns wachen! (BWV 213), Tönet, ihr Ausgabe (NBA), die den Notentext erstmals nach wis-
Pauken! Erschallet, Trompeten! (BWV 214) und senschaftlich-kritischen Gesichtspunkten zur Verfü-
Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen (BWV 215) gung stellte. Gewiß ist es sinnvoll und inhaltlich inte-
beziehen. ressant, die Kantaten nach Zuordnung zum Kirchen-
Das Prinzip, Kantaten nach Jahrgängen zu ord- jahr oder nach der (manchmal nur hypothetischen)
nen, hat auch mit den Textpublikationen zu tun, an die Chronologie der Entstehung zu ordnen.
sich Bach hielt. Solche Texte entstanden entweder
zielgerichtet zum Zweck ihrer Vertonung. Sie konnten In Wolfgang Schmieders BWV sind die Kantaten nicht
aber auch ohne musikalischen Anlaß geschrieben nach einem erkennbaren inhaltlichen Schema geord-
und gedruckt werden, zur privaten Lektüre und An- net, sondern nach der eher zufälligen Reihenfolge
dacht. Bach suchte seine Texte sehr gezielt und selek- ihres Abdrucks in der alten Bach-Gesamtausgabe
tiv aus. Zunächst vertonte er Vorlagen von Erdmann (BGA). Das Bach Compendium (BC) folgt hingegen
Neumeister, Georg Christian Lehms und Salomon der Zuordnung der Kantaten zu den Sonn- und Feier-
Franck. Später griff er auch zu Texten von Mariane von tagen in der Reihenfolge des Kirchenjahres. Da die

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Numerierung des BWV sich auch im Bewußtsein von solisten einen Überblick über die aktuelle Bach-
Musikern, Kennern und Liebhabern durchgesetzt hat, Interpretation und Begegnungen mit wichtigen Bach-
folgt die EDITION BACHAKADEMIE hier dieser Reihenfolge. Interpreten der vergangenen 25 Jahre. Von Ingeborg
(weltliche Kantaten). Dabei werden die Zuordnungen Reichelt und Helen Donath über Arleen Augér bis zu
zu den Motetten (BWV 118) bzw. Oratorien (BWV 11) Christiane Oelze und Christine Schäfer, von Marga
berücksichtigt. Neu eingespielt wurden einige der »a- Hoeffgen über Helen Watts und Julia Hamari bis
Kantaten«, soweit sie erhalten sind und ihre Ingeborg Danz, von Peter Schreier und Kurt Equiluz
Aufführung keinen allzu großen Aufwand an über Adalbert Kraus und Aldo Baldin bis Michael
Hypothesen erfordert. In einzelnen Fällen, in denen Schade und James Taylor, von Dietrich Fischer-Dieskau
Bach die musikalische Substanz komplett in andere, und Wolfgang Schöne über Walter Heldwein und
bereist früher eingespielte Kantaten übernommen hat, Philippe Huttenlocher bis Andreas Schmidt, Matthias
wurde, um Doppelungen zu vermeiden, die Aufnahme Goerne und Thomas Quasthoff sind hier die wichtigsten
auf Einzelsätze beschränkt. und stilbildenden Vokalsolisten zu hören. Gleiches gilt
für Instrumentalsolisten wie Walter Forchert, Albert
Die im Jahre 1984 vollendete Gesamtaufnahme der Boesen und Georg Egger (Violine), Martin Ostertag
Kirchenkantaten spiegelt daher die Entwicklung der (Violoncello), Günter Passin, Hedda Rothweiler und
Bachforschung, die Erkenntnisse im Bereich der Ingo Goritzki (Oboe), Peter-Lukas Graf und Jean-
Interpretation sowie die Fortschritte bei der Claude Gérard (Flöte), Klaus Thunemann und Günter
Aufnahmetechnik seit den siebziger Jahren. Dies Pfitzenmaier (Fagott), Johannes Ritzkowsky und Marie-
betrifft die Besetzungsstärke von Chor und Orchester, Luise Neunecker (Horn), Rob Roy McGregor und die
die Fragen der Continuopraxis, der Phrasierung und Gebrüdern Läubin (Trompete), Martha Schuster, Hans-
Artikulation sowie den Umgang mit natürlichem und Joachim Erhard und Michael Behringer (Cembalo und
künstlichem Hall selbst in einem eher »trockenen« Orgelpositiv).
Raum wie der Stuttgarter Gedächtniskirche, in der alle
Aufnahmen entstanden. Die neugeschriebenen, viersprachigen Booklets
bieten die kompletten Texte, Einführungen in den
Ebenso bieten die Namen der Vokal- und Instrumental- Kontext sowie Hörhilfen für jede einzelne Kantate.

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ORATORIEN, PASSIONEN UND LATEINISCHE FIGURALMUSIK

nter dem Begriff »Oratorium« werden die größer wahrscheinlich hat Bach einzelne Sätze aus der Trau-
U besetzten, umfangreicheren sowie die von Bach
selbst so bezeichneten Werke zusammengefaßt. Dazu
erode BWV 198 verwendet. In einer Handschrift Jo-
hann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bachs über-
zählen das zyklisch angelegte, erstmals an den sechs liefert ist ferner eine Lukas-Passion (BWV 246) eines
Feiertagen der Festzeit 1734/35 gegebene Weih- oder mehrerer anderer Komponisten. Verschiedene
nachts-Oratorium (BWV 248), das zum Osterfest Sätze einer verschollenen Weimarer Passionsmusik –
1725 entstandene Oster-Oratorium (BWV 249) so- dieses wäre dann die fünfte, aufgeführt am Karfreitag
wie das wahrscheinlich zehn Jahre später komponier- 1717 in Gotha – dürften in die zweite Fassung der
te Himmelfahrts-Oratorium (BWV 11). Alle drei Stü- Johannes-Passion eingegangen sein, einem Stück,
cke beziehen bereits die Musik früher komponierter, das wiederum in insgesamt vier verschiedenen
weltlicher Kantaten im Parodieverfahren mit ein. Im Fassungen aufgeführt wurde.
Gegensatz zu den Kantaten besitzt das Oratorium eine
geschlossene Handlung mit dem Evangelistenbericht Der Umstand der Existenz so vieler voneinander ab-
als Kern, weiteren handelnden Personen sowie weichender Versionen spiegelt nicht zuletzt das weit-
verschiedenen, in die Formen von Arie, Arioso und gehende Fehlen einer Ästhetik des vollendeten Mei-
Choral gefaßte reflektierende Ebenen. sterwerks. Gebrauchsmusik, zu der die Kirchenmusik
zählt, unterlag zu Bachs Zeit dem bewußten Wandel
In diesem Sinne sind auch die Passionsvertonungen des kompositorischen Willens. Im günstigsten Fall,
»Oratorien«. Der Nekrolog nennt insgesamt fünf wenn sich Quellen zu allen Versionen erhalten haben,
Passionsmusiken. Erhalten sind nur die beiden nach bietet sich die Möglichkeit, Einblick in Bachs Werk-
den Evangelisten Johannes (BWV 245) und Matthäus statt zu nehmen. Deshalb hat Helmuth Rilling 1996
(BWV 244). Nachweisbar als Textdruck für Karfreitag erstmals die unterschiedlichen Fassungen der Johan-
1731 ist eine Passionsmusik nach Markus (BWV nes-Passion aufgenommen und in einer breit ange-
247). Die Musik an sich ist allerdings verschollen; legten Werkeinführung auf einer dritten CD erläutert.

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Autographe Partitur
der Johannes-Passion
(BWV 245)

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In die EDITION BACHAKADEMIE werden daraus die (BWV 241), die Bearbeitung des Sanctus aus einer
»Normalfassung« sowie die fünf Sätze der Fassung II Messe von Johann Caspar Kerll, ein Suscepit Israel
von 1725 übernommen. (BWV 1082) nach einem Magnificat von Antonio
Caldara sowie die Bearbeitung des Stabat mater von
Das durch den Text Picanders geschlossenere Werk Pergolesi (BWV 1083). Bei diesem Stück aus den
ist zweifellos die doppelchörige Matthäus-Passion, späten Leipziger Jahren ersetzte Bach zudem den
die freilich ebenfalls in verschiedenen Versionen (und lateinischen Text durch eine deutsche Nachdichtung
auch in Teilen für eine Trauermusik 1729 für den des 51. Psalms.
Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen parodiert) von
Bach aufgeführt wurde. Ihre überragende Stellung im Das umgekehrte Verfahren, deutsche Texte durch
Bachschen Œuvre findet Gründe freilich auch in der Kyrie und Gloria der lateinischen Messe zu ersetzen,
Rezeptions- und Wirkungsgeschichte. Die EDITION hatte Bach um 1738 praktiziert, als er für vier solcher
BACHAKADEMIE übernimmt Helmuth Rillings Einspielung Kurzmessen auf Musik seiner Kantaten zurückgriff
der Matthäus-Passion von 1994. (BWV 233-236). Eigenständige Kompositionen sind
die beiden Sanctus-Vertonungen BWV 237 und 238,
Wie sehr Bach an der Entwicklung der Musik seiner vermutlich aus dem ersten Leipziger Amtsjahr. Hier
Zeit interessiert war, zeigt sich nicht nur in der (oft ex- entstand auch, zur Verwendung in einem
perimentellen) Verwendung von modernen französi- Vespergottesdienst, das Magnificat (BWV 243a). Es
schen und italienischen Formen in seiner Musik, son- steht in Es-Dur und enthält vier weihnachtliche
dern auch im Studium durchaus andersartiger, frem- Einlagesätze. Für eine Aufführung in den Jahren
der Werke. So kopierte er fleißig Stücke etwa von Du- 1732/35 änderte Bach die Tonart nach D-Dur, ferner
rante, Caldara, Lotti und sogar Palestrina. Musiziert die Besetzung, und er ließ die Einlagesätze weg. In
wurden diese Werke, zum Teil in Umarbeitungen nach dieser, vom Weihnachtsfest unabhängigen Form wird
dem Geschmack der Zeit und mit Einfügungen, in den das Stück heute üblicherweise musiziert.
Leipziger Gottesdiensten. Hier war es besonders an
hohen Festtagen üblich, auch lateinische Figuralmu- Auch das Hauptwerk unter Bachs lateinischer Figural-
sik aufzuführen. Solche Stücke sind etwa das Sanctus musik, die h-Moll-Messe, geht in ihrem Kern auf das

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Jahr 1733 zurück. Hier komponierte Bach Kyrie und der integralen übergreifenden Absicht Bachs. Die h-
Gloria einer feierlichen Messe, um sich mit ihr um das Moll-Messe (BWV 232) ist nicht zuletzt ein
Amt des Hofcompositeurs beim sächsischen Kompendium der Vokalmusik für Solostimmen und
Kurfürsten zu bewerben. Er verteilte den liturgischen Ensembles aus 200 Jahren Musikgeschichte –
Text auf mehrere Abschnitte, um diese in stilistisch archaische und höchst moderne Elemente finden
und besetzungsmäßig höchst unterschiedlicher und nahtlos zueinander. Dieser Umstand mag sich auch in
vielfältiger Art zu vertonen, zum Teil mit Rückgriffen der über zwei Jahrzehnte währenden
(Parodien) auf früher entstandene Stücke. Gegen Entstehungsgeschichte dieses summum opus
Ende seines Lebens, in den Jahren 1748/49, nahm widerspiegeln.
Bach dann das kühne Unterfangen in Angriff, eine
große »catholische« Messe zu schreiben, oder besser:
zusammenzustellen. Er faßte die genannten Kyrie- und
Gloriasätze, dazu ein 1724 entstandenes Sanctus
samt neukomponiertem Osanna, ein aus Parodien
von Kantatensätzen zusammengestelltes, zweisätziges
Agnus Dei und ein ebenfalls in mehreren Sätzen
neukomponiertes bzw. parodiertes Symbolum
Nicenum (Credo) zu einer Partitur zusammen. Der
Vollständigkeit halber werden auch die Frühfassungen
von zwei Sätzen des Credo in die Edition
aufgenommen.

Dieses Gesamtkonzept wurde von einigen


Bachforschern zwischenzeitlich in Frage gestellt.
Heute jedoch zweifelt, aufgrund der zahllosen inneren
Bezüge und Zusammenhänge und der besseren
Kenntnis von Bachs Handschrift, niemand mehr an

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Der Dirigent
(Stich von Joh. Chr. Weigel)

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Messe h-Moll BWV 232 Magnificat Es-Dur BWV 243a


Sibylla Rubens (Sopran I), Juliane Banse (Sopran II), Sibylla Rubens (Sopran I), Ruth Sandhoff (Sopran II),
Ingeborg Danz (Alt), James Taylor (Tenor) Andreas Ingeborg Danz (Alt), Marcus Ullmann (Tenor), Klaus
Schmidt und Thomas Quasthoff (Baß), GKS & BCS Häger (Baß), GKS & BCS (2000).
(1999).
Matthäus-Passion BWV 244
Lutherische Messen BWV 233-236 Christiane Oelze (Sopran), Ingeborg Danz (Alt),
• Messe F-Dur BWV 233: Donna Brown (Sopran), Michael Schade (Tenor), Matthias Goerne (Baß,
Ingeborg Danz (Alt), Wolfgang Schöne (Baß), GKS, Christus), Thomas Quasthoff (Baß, Arien), GKS & BCS
Franz Liszt-Kammerorchester (1993). (1994).
• Messe A-Dur BWV 234: Christine Schäfer (Sopran),
Ingeborg Danz (Alt), James Taylor (Tenor), Thomas Johannes-Passion BWV 245
Quasthoff (Baß), GKS & BCS (1995). »Normalfassung« sowie die fünf Sätze der Fassung
• Messe g-Moll BWV 235: Ingeborg Danz (Alt), II von 1725.
Christoph Prégardien (Tenor), Thomas Quasthoff Juliane Banse (Sopran), Ingeborg Danz (Alt), Michael
(Baß), GKS & BCS (1992). Schade (Tenor, Evangelist), James Taylor (Tenor,
• Messe G-Dur BWV 236: Ruth Ziesak (Sopran), Arien), Matthias Goerne (Baß, Christus), Andreas
Ingeborg Danz (Alt), Christoph Prégardien (Tenor), Schmidt (Baß, Arien), GKS & BCS (1996).
Michel Brodard (Baß), GKS, Stuttgarter Kammer-
orchester (1992).
Weihnachts-Oratorium BWV 248
Sibylla Rubens (Sopran), Ingeborg Danz (Alt), James
Magnificat BWV 243
Taylor und Marcus Ullmann (Tenor), Hanno Müller-
Christine Schäfer (Sopran I), Ibolya Verebics (Sopran
Brachmann (Baß), GKS & BCS (2000).
II), Ingeborg Danz (Alt), James Taylor (Tenor),
Thomas Quasthoff (Baß), GKS & BCS (1995).

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MOTETTEN, LIEDER UND CHORÄLE

s ist heute weitgehend üblich geworden, Johann gewissermaßen diese überkommene Gattung, deren
E Sebastian Bachs für den liturgischen Zweck
bestimmte Hauptwerke, selbst unter den Vorzeichen
Text in der Regel aus Bibelwort und Choralstrophe
besteht. Bach scheint hier aus dem Vollen seiner
»authentischer« Aufführungspraktiken, außerhalb Besetzungsmöglichkeiten geschöpft zu haben, da ihm
des Gottesdienstes zu musizieren. Um die geistige und für die »Kasualien« der ganze Chor zur Verfügung
religiöse Dimension der Kantaten, Passionen und stand. So erklärt sich die auffällige Zahl von
Oratorien zu erfassen, womöglich auch eines nie im doppelchörigen Motetten, einer Form, die gleichwohl
Zusammenhang erklungenen Werkes wie der h-Moll- der mitteldeutschen Tradition folgt.
Messe, muß man sich jedoch über die funktionale
Stellung der Musik im kirchlichen Kontext im Klaren Ein erhaltener Satz von Streicher- und Bläserstimmen
sein. Diese Zusammenhänge erschließt sehr gut das für BWV 226 deutet darauf hin, daß die Motetten, wie
Korpus der Motetten Johann Sebastian Bachs, auch, es auch Heinrich Schütz im Vorwort zu seiner
wenn es nur gering an Umfang ist und nur für Geistlichen Chor-Musik von 1648 erwähnt, mit
außerordentliche Anlässe, sogenannte »Kasualien« instrumentaler Unterstützung, zumindest mit
geschriebene Werke enthält. Continuobegleitung musiziert wurden. Bachs Motetten
zeichnen sich aus durch klare formale Gliederung,
Es war üblich, in allen Leipziger Hauptgottesdiensten Mehrsätzigkeit (zum Teil, wie bei BWV 227, in
Motetten zu singen, in der Regel als Introitus, als symmetrischer Anlage) sowie sehr starke, den Text
Eingangsstück also. Hierzu stand mit dem von Erhard ausdeutende musikalische Rhetorik. Datiert werden
Bodenschatz gesammelten Florilegium Portense ein die Motetten (mit einer Ausnahme) in die Leipziger
Buch mit Stücken älterer und alter Meister zur Zeit; sicher scheint nur die Entstehung von BWV 226
Verfügung. Bachs eigene Motetten krönen zum 20. Oktober 1729.

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Georg Christian Schemelli,


Musicalisches Gesangbuch,
Leipzig 1736

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Der Choral spielt in Bachs Schaffen eine zentrale Die Breitkopf-Edition enthält, neben einigen
Rolle. Ob als großformatige Bearbeitung oder als Doubletten, alle Choralsätze aus den bekannten
kunstvoll-knappes Vorspiel für Orgel, ob als Werken BWV 1-252, im wesentlichen also den
ausgreifende Cantus firmus-Komposition oder als Kantaten und Passionen. Ob die übrigbleibenden etwa
schlichter Satz in Kantaten und Passionen – in seinen einhundert Choräle Pfade zu den verschollenen
Chorälen, ihrer Harmonik und Stimmführung Kantaten und Passionen Bachs schlagen, kann nur
komprimiert Bach seine Kunst des Ausdrucks und der vermutet werden. Die Anordnung der Choräle in
Textinterpretation. Die schlichteren Choralsätze mit dieser Edition richtete sich alphabetisch nach den
instrumentaler colla parte-Begleitung dienen der gedruckten Textanfängen. Dies sind jedoch nicht
Gliederung größerer Stücke in Sinnabschnitte, ebenso immer die ersten, bekannten Strophen der jeweiligen
inhaltlichen Gewichtungen und schließlich dem Lieder. Daher stellt sich dem Ausführenden heute die
Ausdruck religiöser Kommentare der zuhörenden Aufgabe, dem Notentext bei Bedarf ganze Strophen, in
Gemeinde. Diese sang die Choräle in Bachs Kantaten jedem Fall aber den Text der in der Edition
und Passionen, entgegen durchaus üblichem bezeichneten Strophen zuzuordnen.
Gebrauch, nicht mit. In Erinnerung des bei seinem
Vater genossenen Unterrichts bezeichnete Carl Philipp Der Gattung Geistliches Lied schließlich hat sich Bach
Emanuel Bach die Choralsätze überdies als »beste kaum gewidmet. Gleichwohl gehören die sogenannten
Methode zur Erlernung der Composition quoad Schemelli-Lieder (BWV 439-507) zu den bekannte-
Harmoniam«. Vielleicht zu diesem Zweck redigierte sten Sammlungen seiner Musik. Es handelt sich hier
er, zusammen mit Bachs Schüler Johann Philipp um 69 Lieder und Arien aus dem 1736 gedruckten
Kirnberger, eine vierbändige, 1784-1787 bei Gesangbuch von Georg Christian Schemelli. Das
Breitkopf erscheinende Sammlung von insgesamt 371 Vorwort beschreibt Bachs Verdienst an der
vierstimmigen Choralgesängen Johann Sebastian Veröffentlichung dahingehend, daß die Melodien
Bachs. Dieser Edition vorausgegangen waren zwei theils ganz neu componiret, theils auch von Ihm im
andere von Carl Philipp Emanuel Bach und Friedrich General-Baß verbessert worden seien. Sicher
Wilhelm Birnstiel aus den 1760er Jahren. stammen nur vier Melodien (BWV 452, 478, 500 und
505) von Bach selber.

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Zehn weitere geistliche Lieder, freilich nicht alle aus zuhängen; schließlich der Satz Der Gerechte kömmt
Bachs eigener Feder, finden sich im Clavierbüchlein um, der in einem Passions-Pasticcio von Carl Heinrich
für Anna Magdalena Bach von 1725; dazu tritt hier Graun als Bachsches Stück überliefert ist und von Bach
das studentische Lied So oft ich meine Tobackspfeife selbst auf die Musik einer vermutlich von Antonio Lotti
(BWV 515). Weitere Lieder mit weltlichem Text für stammenden lateinischen Motette parodiert wurde.
vier Sinstimmen und Basso continuo enthält das 1707
für eine Hochzeitsfeier entstandene Quodlibet BWV Unter dem Titel »Ein Choralbuch für Johann
524 (Fragment). Sebastian« wurden erstmals auch alle Choralgesänge
Bachs aufgenommen: natürlich mit der Gächinger
Motetten, Choräle und Lieder in der Kantorei und Musikern des Bach-Collegiums Stuttgart
EDITION BACHAKADEMIE unter Helmuth Rillings Leitung. Der Sinn-
zusammenhänge, aber auch des Hörgewinns halber
Die Aufnahme mit Helmuth Rilling, der Gächinger Kan- werden auf den einzelnen CDs die Choralgesänge mit
torei und dem Bach-Collegium Stuttgart von 1990 er- den passenden Geistlichen Liedern sowie Orgel-
schließt erstmals das gesamte Korpus der zehn Bach- chorälen kombiniert. Die Anordnung der Choräle
Motetten. Neben den bekannten Werken BWV 225-230 folgt nicht der alphabetischen Listung ihrer
sind dies: das von Bach selbst als Motetto bezeichnete Überlieferung, sondern der Art alter Gesangbücher.
Stück O Jesu Christ, meins Lebens Licht (zwei Fas- Der Kreis des Kirchenjahres wird ausgeschritten,
sungen, BWV 118); die im BWV-Anhang unter der danach die Liturgie, der Katechismus und die
Nummer 159 zu findende, wohl zu Unrecht dem Onkel persönliche Lebenshaltung des einzelnen Christen.
Johann Christoph Bach zugeschriebene Motette Ich Für die Entwicklung dieses Konzepts und die
lasse dich nicht, du segnest mich denn aus Johann Textierung des Aufführungsmaterials der Choralsätze
Sebastian Bachs Weimarer Jahren; die Motette Jauch- für den praktischen Gebrauch sorgte Elisabeth Graf.
zet dem Herren alle Welt BWV Anh. 160, in deren er- Eine Druckausgabe im Hänssler-Verlag soll folgen.
stem Satz Bach ein Stück von Telemann bearbeitet, um Die Geistlichen Lieder singen Sibylla Rubens, Stella
diesem »Präludium« gleichsam eine Fuge aus eigener Doufexis, Ingeborg Danz, James Taylor, Christoph
Werkstatt (Parodie aus BWV 28, neu als BWV 231) an- Prégardien und Andreas Schmidt.

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ORGELMUSIK

as Orgelspiel gehörte nicht zu Bachs Leipziger und Kerll. Diese Namen stehen für die unter den
D Amtspflichten. Gleichwohl gefragt war er, wie
zahlreiche Belege beweisen, als Gutachter und Prüfer
geographischen Zuordnungen Nord-, Mittel- und
Süddeutschland systematisierten Schulen, Stilen und
neuer oder renovierter Instrumente. Der Nekrolog Traditionen. Einige der Meister sollte Bach während
(Nachruf) bezeichnet ihn ferner als stärksten Orgel- seiner Lüneburger Lehrjahre bzw. seiner ersten
und Clavierspieler, den man jemals gehabt hat. Anstellungen in Arnstadt und Mühlhausen noch
Spätestens seit dem legendären Wettspiel mit Louis persönlich kennenlernen. Johann Sebastian Bach
Marchand 1717 in Dresden dürfte der Name Bachs in kam mithin schon in früher Jugend mit der
dieser Beziehung in ganz Mitteldeutschland in aller Orgelmusik verschiedenster Provenienz und
Munde gewesen sein. Der Nekrolog wirft aber auch vielfältigster formaler Ausprägung in Verbindung. Dies
einen Blick auf Bachs Kompositionen für die spiegelt sich in seiner Orgelmusik, an der er im
Tasteninstrumente und erhebt deren Vollkommenheit, Prinzip sein ganzes Leben hindurch arbeitete,
in etwas umständlicher Formulierung, über jeden unabhängig von der Ausübung eines Amtes.
Zweifel, ein Urteil, das die Rezeption von Bachs
Orgelwerken nicht unbedingt befördern konnte. Während in den Jahren bis etwa 1717, in denen die
meisten Orgelwerke entstanden, diese formalen
Seinen ersten Instrumentalunterricht erhielt Bach bei Abhängigkeiten noch recht deutlich sind, besitzen die
seinem Bruder Johann Christoph in Ohrdruf. Dieser Leipziger Spätwerke durchweg eigenständigen Cha-
hatte, wie damals üblich, in großen Sammelbänden rakter in einem ähnlichen Sinne wie etwa die
Stücke der bekannten Organisten seiner Zeit Vokalmusik oder die Musik für andere
abgeschrieben: Buxtehude und Bruhns, Böhm und Tasteninstrumente. Sie dienen der Instruktion, bilden
Lübeck, Pachelbel und Buttstedt, Froberger, Fischer Kompendien verschiedenster Art, bieten eine

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Die Erasmus-
Bielfeldt-Orgel
in St. Wilhadi,
Stade (Vol. 101)

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Gesamtschau auf musikalische Ausdrucksmöglich- Zeit bis hin zum Orgel-Büchlein auf, um schließlich
keiten der Zeit, verbinden Altes und Neues, treiben die über die Bearbeitung von Werken anderer
kontrapunktische Kunst in die Regionen absoluter Komponisten bei den großen Stücken der Leipziger
Musik und sind nicht zuletzt Abbild der religiös Zeit anzukommen: den Achtzehn Chorälen, den
geprägten Weltsicht Bachs. Konsequenterweise Triosonaten und dem Dritten Teil der Clavier
beginnt Bach, die zu seiner Zeit in der Regel für Übung. Alle Programme sind in sich, soweit möglich,
Tasteninstrumente allgemein gedachte Musik gezielt wieder nach inneren Zusammenhängen wie z. B.
für Orgel und Cembalo bzw. andere zu trennen. Tonarten und Charakteren geordnet, so daß jede
einzelne CD ein zusammenhängendes, in sich
Die Orgelwerke in der EDITION BACHAKADEMIE geschlossenes Programm bietet.

Problematisch ist die Chronologie der Musik für Ta- Aufgenommen wurde dieser Teil der EDITION
steninstrumente, insbesondere der für Orgel. Die BACHAKADEMIE auf insgesamt zwanzig CDs durch
wenigsten Orgelstücke und -zyklen Bachs wurden zu verschiedene Interpreten an Orgeln ihrer Wahl. Zu
Bachs Lebzeiten gedruckt. Die handschriftliche den Künstlern zählen, neben Kay Johannsen, Wolfgang
Überlieferung durch die Schüler wirft in dieser Zerer aus Hamburg, Bine-Katrine Bryndorf aus
Beziehung mehr Fragen auf als sie beantwortet. Die Kopenhagen, Pieter van Dijk aus Alkmaar, Andrea
Gesamtaufnahme des Bachschen Orgelwerks für die Marcon aus Mailand und Martin Lücker aus Frankfurt
EDITION BACHAKADEMIE versucht dennoch eine am Main.
Gliederung nach stilistisch-chronologischen Gesichts-
punkten. Unter Federführung von KMD Kay
Johannsen, Kantor und Organist an der Stuttgarter
Stiftskirche, wurden insgesamt sechzehn Programme
konzipiert. Sie beginnen mit den Choralvorspielen der
Neumeister-Sammlung, thematisieren die Einflüsse
durch Georg Böhm und Dietrich Buxtehude, greifen
stilistische Tendenzen der Arnstädter und Weimarer

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Clavicimbal (Cembalo),
Kupferstich aus:
»Musicalisches Theatrum«
von Johann Christoph Weigel,
Nürnberg um 1722

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MUSIK FÜR TASTENINSTRUMENTE

eben seinem virtuosen, vollkommenen Spiel den permanenten Wandel des Geschmacks, der Re-
N schätzten Bachs Zeitgenossen Bach vor allem sei-
nen Sachverstand im Instrumentenbau. Bach kannte
zeption und, damit verbunden, des Instrumentenbaus
problemlos mitvollziehen können. Neben den Sonaten
die zu seiner Zeit gebräuchlichen Tasteninstrumente Domenico Scarlattis sind Bachs Präludien und Fugen,
sehr genau und nahm an ihrer Weiterentwicklung leb- Suiten, Concerti und Partiten wohl die einzigen Werke
haften Anteil. Sofern Bachs Musik überhaupt mit kon- des Barockzeitalters, die von den modernen Pianisten
kreter Realisierung rechnet, richtet sie sich also, ne- noch heute im Konzertsaal gespielt werden. Dieser
ben der Orgel, an das ein- und das zweimanualige Spannung zwischen der in der Tradition der Überlie-
Cembalo (einschließlich 16’), das Spinett, das Clavi- ferung stehenden und der wiederbelebten »origina-
chord, das (von Bach mitentwickelte) Lautenklavier len« Spielpraxis setzt sich die EDITION BACHAKADEMIE
und das hochmoderne Fortepiano, das mit einer neu- bewußt aus, indem sie namhafte Cembalisten u n d
en Anschlagsmechanik die Klaviermusik in den fol- Pianisten zur Mitwirkung eingeladen hat.
genden Jahrzehnten revolutionieren sollte. Ein sol-
ches Instrument spielte Bach auf jeden Fall in Pots- In Wolfgang Schmieders Verzeichnis der Werke Jo-
dam. Mit Gottfried Silbermann, dem nicht nur groß- hann Sebastian Bachs machen die rund 225 Stücke
artige Orgeln, sondern auch Hammerklaviere für Tasteninstrumente (außer der Orgel) nur etwa ein
bauenden Meister, verband ihn ein kritisch- Achtel aus. Davon müssen rund dreißig Stücke als
konstruktiver Dialog, und wir wissen, daß Bach mit zweifelhaft oder unecht gelten, weil sie als Werke an-
solchen Instrumenten sogar Handel trieb. derer Komponisten erkannt wurden oder zumindest
ihre Überlieferung nicht bis zurück in die Feder
Überlieferung und Nachleben von Bachs Musik wären Johann Sebastian Bachs verfolgt werden kann. Hinzu
nicht möglich, hätte sie nicht, aufgrund ihrer Qualität, treten stilistische Überlegungen. Ganz genau wird man

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den Umfang des wirklich von Bach stammenden Œuv- schen Suiten für einmanualiges Cembalo (BWV 806-
res auch in diesem Bereich jedoch nie definieren kön- 811) sowie die Chromatische Fantasie und Fuge in d
nen. Davon abgesehen zeugt gerade Bachs Musik für (BWV 903).
Tasteninstrumente von den verschiedensten Entwick-
lungsstufen und Bestrebungen seiner Kunst. Als Gan- 1720 legte Bach für seinen Sohn Wilhelm Friede-
zes gesehen besitzt die Musik den Charakter eines mann, den nachmalig berühmten Pianisten, ein Cla-
Kompendiums. Sie begleitet Bach ein Leben lang, und vier-Büchlein an. Es enthält bereits jene Präludien,
sie gibt Auskunft über den Virtuosen, den Pädagogen die in überarbeiteter Form und mit Fugen versehen
und den Ästhetiker Johann Sebastian Bach. Einzelne 1722 als Das Wohltemperirte Clavier erschienen.
Stücke wie die Chromatische Fantasie und Fuge und Einzigartig an dieser Sammlung ist nicht unbedingt die
der erste Band des Wohltemperierten Klaviers berei- Anlage eines Zyklus von Stücken durch alle Tonarten,
teten schließlich schon zu Bachs Lebzeiten seinen sondern die Fülle an stilistischen Möglichkeiten, die
internationalen Nachruhm vor. Gattung Präludium und Fuge darzustellen. Der soge-
nannte Zweite Band dieses Wohltemperierten Kla-
Eines der ersten überlieferten Werke Bachs fürs Cem- viers entstand um 1739, wurde um 1742 fertiggestellt
balo könnte das berühmte Capriccio sopra la lon- und folgt dem gleichen Prinzip. Jedoch ist er erst im
tananza del fratello dilettissimo (BWV 992) aus der nachhinein mit diesem Titel versehen worden und
Zeit um 1704 sein. Bis 1712/13 entstanden zahlreiche enthält nur partiell neue Kompositionen.
einzelne Stücke: Suiten, Toccaten, Präludien, Fugen
und anderes. Ebenfalls in die Weimarer Zeit gehören Das erwähnte, 1723 abgeschlossene Klavierbüchlein
die französische, italienische und norddeutsche Ein- ist deshalb interessant, weil es nicht nur im Bereich
flüsse bündelnden Toccaten (BWV 910 ff.) sowie die der Beherrschung des Instruments, sondern auch in
deutlich das Studium des italienischen Stils verraten- dem der Komposition didaktische Absichten verfolgt.
den Konzertbearbeitungen (Concerti BWV 972 ff.). Neben den Präludien enthält es (unter den Bezeich-
Um 1717, als Bach (unter unrühmlichen Umständen) nungen Praeambulum und Fantasia) Frühfassungen
den Weimarer Hof verließ und in den Dienst des Für- jener 15 Inventionen und Sinfonien, deren Absicht
sten von Anhalt-Köthen trat, entstanden die Engli- das Vorwort mit Eine cantable Art im Spielen zu er-

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langen und einen starcken Vorschmack von der Der dritte Teil der Clavier Übung (Druck: 1739) ist
Composition zu überkommen beschreibt – Inter- ein Kompendium für die Kunst der Choralbearbei-
pretation und die Erfindung neuer Musik waren bei tung, gehört mithin zu den Orgelwerken, woran man
Bach noch selbstverständlich miteinander verbunden. schon die Vieldeutigkeit der Bezeichnung Clavier als
Synonym für »Tasteninstrument« ablesen kann. Die
1722 und 1725 legt Bach zwei weitere Klavierbüchlein Kunst der Variation über ein Thema, die Bach im
für seine Gemahlin Anna Magdalena an. Das erste Musikalischen Opfer und schließlich der Kunst der
Buch enthält u.a. Frühformen der Französischen Sui- Fuge vollendet, findet einen weiteren Höhepunkt in
ten (BWV 812-817, hier ohne BWV 817), das zweite den sogenannten Goldberg-Variationen, die 1741/42
Buch u.a. Frühformen der Partiten BWV 827 und als vierter Teil (allerdings ungezählt) die Sammlung
830. Sie gingen später in die Sammlung der sechs der Clavier Übung abschließt. So behandelt jede
Partiten (BWV 825-830), die Bach, nachdem sie von dieser Sammlungen umfassend und erschöpfend
1726 an in Einzeldrucken erschienen waren, im Jahre einen anderen formalen Schwerpunkt.
1731 als ersten Teil der Clavier Übung herausgab.
Die Musik für Tasteninstrumente in der
Beinhaltet das Wohltemperierte Klavier sämtliche EDITION BACHAKADEMIE
denkbare Formen von Präludien und Fugen, zeigen
Diesem Befund angemessen wurden unter
die Partiten und Suiten die seinerzeit beliebten
Federführung des Musikwissenschaftlers und
Abfolgen von Tanz- und Galanteriesätzen auf
Pianisten Robert Levin insgesamt sechs verschiedene
gleichem, äußerst kunstfertigem Niveau. Der 1735
Cembalisten und Pianisten mit der Aufnahme dieses
erscheinende zweite Teil der Clavier Übung
Teils der EDITION BACHAKADEMIE betraut.
formuliert diese Kunst noch einmal in einer
ausladenden, prunkvollen Overture nach Robert Levin
Französischer Art (BWV 831) und dehnt sie aus auf spielt auf verschiedenen Instrumenten selbst die
ein für ein Tasteninstrument solo gesetztes Concerto beiden Bände des Wohltemperierten Klavier sowie
nach Italiaenischen Gusto (BWV 971). auf dem Klavier die Englischen Suiten.

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Autograph:
»Das Wohltemperierte Clavier«,
Titelseite (BWV 846-869)

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Edward Aldwell Peter Watchorn


Der New Yorker Pianist und Bach-Spezialist hat Der in Cambridge/Mass. lebende Schüler Isolde
ebenfalls auf dem Klavier die Französischen Suiten Ahlgrimms spielt die Toccaten sowie die
aufgenommen. Konzerttranskriptionen.

Robert Hill
*
kümmerte sich um das Frühwerk. Er hat seine
insgesamt neun CDs im wesentlichen chronologisch
und nach weiteren stilistischen, biographischen und
Die Clavier Büchlein
instrumententechnischen Kriterien sortiert. Seine
Auswahl an Instrumenten (verschiedene Cembali,
In den drei Clavier-Büchlen (1720, 1722, 1725) gibt
Clavichord, Lautenklavier) entspricht dem Reichtum,
Bach wertvolle Einblicke in seine Unterrichtspraxis
mit dem die Bachzeit diese Musik zu spielen pflegte.
und läßt den Hörer bis in liebevollste Details teilhaben
Außerdem hat Robert Hill Die Kunst der Fuge
aufgenommen. am Musizieren im Hause Bach. Deshalb wurden alle
drei Sammlungen als unverzichtbare Quelle und
Ausdruck Bachscher Musik in die EDITION
Trevor Pinnock BACHAKADEMIE aufgenommen. Übernommen haben
spielt den ersten Teil der Clavier Übung (Partiten diese Aufgabe Mario Videla, Michael Behringer
BWV 825-830). und Joseph Payne.

Evgeni Koroliov
spielt die Goldberg-Variationen, den zweiten Teil der
Clavier Übung mit der Chromatischen Fantasie BWV
903 sowie die Inventionen und Sinfonien.

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Autograph:
»Sonate II a-Moll
für Violine solo«
(BWV 1003)

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KAMMERMUSIK

erkwürdig indifferent nennt der Nekrolog als letz- Singulär, wenn auch nicht ohne Vorbild, sind die Stü-
M te Nummer endlich eine Menge anderer Instru-
mentalsachen, von allerley Art, und für allerley In-
cke für Soloinstrumente senza basso. Die vor 1720
entstandenen Suiten für Violoncello solo (BWV 1007-
strumente unter Bachs ungedruckter Hinterlassen- 1012), die Sonaten und Partiten für Violine solo, die
schaft. Glaubt man dieser Feststellung, dürfte die Ver- im Autograph von 1720 vorliegen (BWV 1001-1006)
lustrate bei der Instrumentalmusik, gemessen an der sowie die vermutlich in die Köthener Jahre zu
Zahl der Kantaten und der Musik für Tasteninstrumen- datierende Sonate a-Moll für Traversflöte solo (BWV
te, recht hoch sein. Dies betrifft die Orchestermusik 1013). Einige Sätze der Stücke für Violine und
ebenso wie die Kammermusik, wobei diese Unterschei- Violoncello hat Bach für andere Besetzungen
dung sich vor allem auf die Zahl der beteiligten Musiker (Tasteninstrument, Laute, auch für Kantatensätze)
zu beziehen hat. Andererseits enthalten etwa die Kanta- umgearbeitet. Das Korpus der Stücke für Violine solo
ten eine große Menge an kammermusikalischen Sät- ist bemerkenswert geteilt in Stücke älteren (Partiten)
zen, z. B. für Stimme, ein oder zwei Soloinstrumente und neueren Formtyps (Sonaten). Vermutet werden
und Continuo, daß man Bach ein lebenslanges Interes- hinter einigen Sätzen ferner theologische Programme;
se an dieser Art zu komponieren unterstellen darf. Das so scheint die Fuge aus BWV 1005 deutlich an den
Gleiche gilt für seine Kunst, Choralvorspiele und -bear- Choral Komm Heiliger Geist, Herre Gott angelehnt.
beitungen für Orgel zu schreiben. Bei den Triosonaten
für Orgel handelt es sich um geradezu klassische Kam- Die Werke für ein Soloinstrument und Generalbaß
mermusik, nur, daß sie in ihrer Konzentration auf ei- stammen, mit Ausnahme der um 1714/17 in Weimar
nen Spieler und ein Instrument mit besonderen Fähig- entstandenen Fuge g-Moll (BWV 1026) aus der Leip-
keiten des Instruments rechnet und die Kunstfertigkeit ziger Zeit: die Violinsonaten G-Dur und e-Moll (BWV
vor allem des Interpreten auf eine harte Probe stellt. 1021 und 1023) sowie die Flötensonaten e-Moll und

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E-Dur (BWV 1034 und 1035). Von diesem Typ gibt es und Allegro in Es-Dur BWV 998 (zwischen 1735 und
auch Triosonaten, etwa für Traversflöte, Violine resp. 1745) wird von Bach selbst alternativ pour la Luth ò
zwei Traversflöten und Basso continuo (BWV 1038 Cembal zugewiesen; auch einige Werke für
und 1039). Tasteninstrumente können, wie es in der EDITION
BACHAKADEMIE auch geschehen wird, auf dem
Es verwundert nicht, daß der stilistische Wandel jener Lautenklavier zur Geltung gebracht werden (z. B. BWV
Jahre weg vom bezifferten Generalbaß hin zum ausge- 823, 907, 908 und 921). Bearbeitungen von Werken
schriebenen, »obligaten« Cembalopart auch Bach für andere Instrumente sind die Fuge in g-Moll BWV
interessiert hat. In diese Kategorie gehören die in den 1000, nach dem 2. Satz von BWV 1001, die Suite in E-
Jahren 1717/1723 entstehenden Violinsonaten (BWV Dur BWV 1006a, vielleicht auch das Präludium in c-
1014-1019) sowie die von der Forschung sehr Moll BWV 999, das dem gleichen Stück aus dem
unterschiedlich datierten Sonaten für Viola da gamba Wohltemperierten Klavier ähnelt. Hingegen ist das
(BWV 1027-1029) und für Flöte (BWV 1030-1033). Trio in A-Dur für Violine und obligates Cembalo (BWV
Deutlich wird der Wandel vor allem dort, wo Bach 1025) die Bearbeitung einer Lautensonate von Silvius
Sätze einer herkömmlichen Generalbaßsonate in Leopold Weiß, dem berühmtesten Lautenisten seiner
Sätze mit obligatem Cembalo umwandelt; so werden Zeit, der mindestens einmal, im Jahre 1739, im Hause
die vier Sätze von BWV 1039 später zu den vier Sätzen Bachs zu Gast war. Alle anderen Kompositionen,
der Gambensonate BWV 1027. beginnend bei der Weimarer Suite in e-Moll (BWV
995) sind Originalwerke für ein Instrument, das in
Recht unterschiedlich verhält es sich mit den sieben jenen Jahren seine große Zeit bereits hinter sich hatte.
erhaltenen Originalkompositionen für die Laute.
Wenn Lautenisten heute die Schwierigkeiten, fast Die Frucht des Aufenthaltes am preußischen Hof 1747
Unspielbarkeit dieser Stücke auf ihrem Instrument ist ein Musicalisches Opfer (BWV 1079). Bach
beklagen, hängt dies auch mit der Herkunft bzw. der improvisierte dort über das vom König Friedrich II.
ungewissen Bestimmung dieser Stücke zusammen. gestellte Thema nach allen Regeln der Kunst, nahm
Auch hier war die EDITION BACHAKADEMIE bemüht, Licht sich, zurück in Leipzig, dasselbe noch einmal vor und
ins Dunkel zu bringen. Zumindest Präludium, Fuge sandte das Ergebnis in Form einer Sammlung von zwei

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Ricercari, einer Triosonate, verschiedenen Kanons Die Sonaten mit Continuo bzw. obligatem Cembalo
und Fugen allerunterthänigst gewidmet zurück nach wurden für die EDITION BACHAKADEMIE aufgenommen von
Potsdam. Die Phantasie, Rätselhaftigkeit und Musikern aus dem Umkreis des Bach-Collegium Stuttgart
Kunstfertigkeit der Musik Bachs über das königliche wie Jean-Claude Gérard (Flöte), Walter Forchert und
Thema erreichen in diesem Stück ihren Gipfel; selbst Georg Egger (Violine), Sergio Azzolini (Fagott) und
die altertümliche Bezeichnung Ricercar für ein Boris Kleiner (Cembalo und Hammerflügel); ferner
kontrapunktisches Stück deutet Bach als Akrostichon wirken mit Dmitri Sitkovetsky (Violine) und Robert Hill
für Regis Iussu Cantio Et Reliqua Canonica Arte (Cembalo) sowie Hille Perl (Viola da gamba) und
Resoluta, »Das auf Befehl des Königs ausgearbeitete Michael Behringer (Cembalo).
Thema und das übrige nach kanonischer Kunst
ausgestellt«. Bachs Musik für die Laute wird von Oliver Holzenburg
gespielt.
Die Kammermusik in der EDITION BACHAKADEMIE Die Aufnahme des Musikalischen Opfers sowie der
verschiedenen Kanons entstand mit Musikern aus
Die Interpreten der Stücke »senza Basso« innerhalb dem Umkreis des Freiburger Barockorchesters: Karl
der EDITION BACHAKADEMIE sind Dmitri Sitkovetsky Kaiser (Traversflöte), Gottfried von der Goltz
(Violine), Boris Pergamenschikow (Violoncello) und (Violine), Ekkehard Weber (Viola da gamba) und
Jean-Claude Gérard (Flöte). Michael Behringer (Cembalo und Hammerflügel).

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Die Titelseite des Erstdrucks »Musicalisches Opfer« (BWV 1079)

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ORCHESTERMUSIK

er Begriff Orchester meint für die Bachzeit eher 1719 kennengelernt, als er sich in Berlin aufhielt, um
D ein größeres Instrumentalensemble, nicht etwa
eines jener philharmonischen Orchester, wie sie sich
ein neues Cembalo zu kaufen. Es ist nicht bekannt, ob
der Markgraf die ihm zugesandten Noten jemals zur
im 19. Jahrhundert entwickelten. Gleichwohl haben Aufführung bringen ließ oder sie überhaupt zur
auch diese Orchester zur Rezeption Bachscher Musik Kenntnis nahm; Bach jedenfalls erhielt noch nicht ein-
bis auf den heutigen Tag wichtige Dienste geleistet. mal ein Honorar. Frühformen einzelner Konzerte rei-
Bach schrieb seine Musik für die »Orchester« seiner chen zurück in die Weimarer Zeit (BWV 1046a zu-
Zeit in jenen Jahren, als er mit solchen Ensembles zu sammen mit BWV 208, 1712/13). Die Sammlung die-
tun hatte: ab 1717 in Köthen und dann in Leipzig, wo ser Konzerte (BWV 1046-1051) zeigt einmal mehr
er von 1729 bis 1737 und dann noch einmal ab 1739 Bachs Neigung zum Experimentieren und zum enzy-
für zwei Jahre die Leitung des von Telemann klopädischen Denken.
gegründeten Collegium musicum innehatte. Im
Gegensatz zur besoldeten fürstlichen Kapelle war Alle sechs Stücke huldigen äußerlich der modernen
dieses ein »bürgerliches«, mit Stadtpfeifern, italienischen Konzertform oder dem Typus Concerto
Kunstgeigern, Alumnen, Studenten und Dilettanten grosso, wobei dem ersten Konzert noch ein rondoar-
besetztes Orchester. tiger Menuettsatz angehängt ist und dem dritten Kon-
zert ein ausgeschriebenes Andante fehlt. In jedem der
In Köthen entstand die Sammlung von sechs Concerts Konzerte erprobt Bach jedoch eine andere Instrumen-
avec plusieurs instruments, besser bekannt unter talbesetzung und erreicht geradezu bizarre Dimensio-
dem Namen Brandenburgische Konzerte nach ihrem nen, wenn er (im zweiten) für Trompete, Blockflöte,
Widmungsträger, dem Markgrafen Christian von Bran- Oboe und Violine schreibt oder im sechsten nur
denburg. Ihn hatte Bach zwischen Juni 1718 und Mai für tiefe Streicher (je zwei Violen, Violen da gamba,

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Johann Gottfried Walther,


»Musicalisches Lexicon«.
Leipzig 1732, Frontispiz,
Kupferstich von
Johann Christoph Dehné.

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Violoncello und Violone) und Continuo-Cembalo. Das am ehesten den Charakter mehrfach verwendeter Ge-
erste der Brandenburgischen Konzerte ist solistisch brauchsmusik tragen. Bach schrieb Instrumentalkon-
mit zwei Hörnern, drei Oboen, Fagott und Violino pic- zerte für eine (BWV 1041, 1042) oder zwei Violinen
colo besetzt, das dritte ist ein Gruppenkonzert für je (BWV 1043), für Traversflöte, Violine und Cembalo
drei Violinen, Violen und Violoncelli, das vierte für (BWV 1044) sowie für ein Cembalo (BWV 1052-
Violine und zwei Blockflöten. Das fünfte Konzert 1058) oder mehrere Cembali (BWV 1060-1065).
schließlich stellt neben Traversflöte und Violine vor Diese gewann er in den 1730er Jahren durch
allem das konzertierende Cembalo in den Vorder- Umarbeitung und Transposition für diese Besetzung
grund – es dürfte das erste »Klavierkonzert« der aus früheren eigenen Kompositionen, etwa Konzerten
Musikgeschichte sein. für Oboe d’amore (BWV 1055) oder Violine (BWV
1054 aus 1042, 1057 aus 1049 und 1058 aus 1041).
Für die ebenso bekannten vier Orchestersuiten (BWV
1066-1069) weisen die Originalquellen dagegen nach Bildet das 5. Brandenburgische Konzert gleichsam
Leipzig. Eine Entstehung bereits in Köthen läßt sich den Anstoß, sich mit der Gattung »Musik für obligates
weder beweisen noch widerlegen. Die Suiten orientie- Tasteninstrument und Instrumente« zu beschäftigen,
ren sich eher nach der französischen Mode, stilisierte können Bachs Cembalokonzerte als Prototyp des
Tanzsätze miteinander zu verbinden; ausführlicher Klavierkonzerts gelten, wie es über seine Söhne in die
Ouvertüren hinzuzufügen entspricht auch dem Verfah- Wiener Klassik tradiert wurde. Jedenfalls beginnt mit
ren, das Bach bei ähnlichen Werken für Tasteninstru- diesen Werken das Konzertrepertoire moderner
mente praktizierte. Die früheste der Suiten (BWV Pianisten und noch heute die Gleichberechtigung der
1066) dürfte um 1725 entstanden sein, die späteste – »historischen« und der »philharmonischen«
und damit Bachs spätestes Orchesterwerk überhaupt Aufführungspraxis.
– ist die virtuos die Traversflöte einsetzende h-Moll-
Suite (BWV 1067) um 1739. Bereits vorhandene Konzerte oder Konzertsätze ver-
wendete Bach auch als Instrumentalstücke in Kanta-
Schließlich gehören in diese Gattung die Solokonzer- ten, z. B. den ersten Satz des 3. Brandenburgischen
te, die, unbeschadet ihrer musikalischen Substanz, Konzertes als Sinfonia der Kantate Ich liebe den

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Höchsten von ganzem Gemüte (BWV 174). In einige dem Kammerorchester des Oregon Bach Festival be-
Konzertsätzen baute er sogar Chorsätze ein. So ist der reits in den Jahren 1994 bzw. 1991 aufgenommen hat.
Eröffnungschor der Kantate Unser Mund sei voll La- Hauptsolist der im Jahre 1999 neu aufgenommenen
chens (BWV 110) in den ersten Satz der Orchester- Cembalokonzerte ist Robert Levin, dazu kommen
suite D-Dur (BWV 1069) eingefügt. Jeffrey Kahane, Mario Videla, Michael Behringer und
Boris Kleiner. Die Violinkonzerte werden von
Die Orchestermusik in der EDITION BACHAKADEMIE Christoph Poppen und Isabelle Faust gespielt, die
»wiedergewonnenen« Violinkonzerte mit Isabelle
In die EDITION BACHAKADEMIE wurden die Einspielungen Faust als Hauptsolistin, die ebenfalls Frühformen
der Brandenburgischen Konzerte (Vol. 126) und der anbietenden Oboenkonzerte von Ingo Goritzki.
Suiten (Vol. 132) integriert, die Helmuth Rilling mit

Autographes Titelblatt der »Brandenburgischen Konzerte«, (BWV 1046-1051)

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BIOGRAPHISCHE NOTIZEN
- mehrfach auftretende Vokalsolisten -

JULIANE BANSE (Sopran) INGEBORG DANZ (Alt)


h-Moll-Messe; Weltliche Kantaten BWV 201,
Johannes-Passion. 213-215, Quodlibet; h-Moll-
erhielt bereits mit fünf Jahren Vio- Messe; Lateinische Kirchen-
linunterricht. Ballettausbildung musik; Magnificat; Matthäus-
an der Oper Zürich. Seit ihrem Passion; Johannes-Passion;
15. Lebensjahr Gesangsunter- Weihnachts-Oratorium; Choral-
richt. Studierte später bei Brigitte Faßbaender und buch; Huldigungskantaten; Magnificat Es-Dur.
Daphne Evangelatos. Sie gewann einige Preise, zuletzt stammt aus Witten an der Ruhr, studierte in Detmold,
1993 den Grand Prix Franz Schubert in Wien. absolvierte Meisterkurse u.a. bei Elisabeth
Operndebut 1989 als Pamina in der Zauberflöten- Schwarzkopf. Seit 1984 regelmäßige Zusammenarbeit
Inszenierung Harry Kupfers in Berlin. Engagements mit der Liedbegleiterin Almut Eckels zusammen. Seit
u.a. in Brüssel (Pamina und Despina), Salzburg 1987 Gastspiele an verschiedenen Opernhäusern,
(Sophie), Glyndebourne (Zerline), Wien (Zdenka, Schwerpunkt jedoch Lied und Gesang.
Pamina, Su-sanna, Sophie, Marzelline), Köln Konzerttourneen in verschiedene Länder Europas,
(Musette), Berlin (Massenet: Manon), Zürich nach Israel, Japan, Süd- und Nordamerika. Auftritte
(Holliger: Schneewittchen UA) und München bei vielen namhaften Musikfestivals (Ludwigsburg,
(Pamina). Als Konzertsängerin enge Zusammenarbeit Schwetzingen, Ansbach, Tanglewood, Salzburg,
mit Dirigenten wie Claudio Abbado, Pierre Boulez, Stuttgart). Umfangreiches Repertoire im Oratorien-,
Riccardo Chailly, Carlo Maria Giulini, Lorin Maazel, Konzert- und Liedbereich. Seit 1989 gehört sie zum
André Previn, Simon Rattle und Helmuth Rilling. Ihre Solistenstamm der Internationalen Bachakademie, hat
besondere Liebe gilt dem Liedgesang. hier bereits Gesangs- und Interpretationskurse

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gegeben und mit Helmuth Rilling und seinen KLAUS HÄGER (Baß)
Ensembles zahlreiche Konzerttourneen in alle Welt Weltliche Kantaten
unternommen. BWV 173a, 207.
studierte in Köln und Freiburg bei
MATTHIAS GOERNE (Baß) Franz Müller-Heuser, Ingeborg
Weltliche Kantaten Most und Jürgen Glauß. Meister-
BWV 201, 208; kurse bei Sena Jurinac, Ernst
Matthäus-Passion; Haefliger und Dietrich Fischer-Dieskau. Preisträger
Johannes-Passion (Christus). beim Mirjam-Helin-Gesangswettbewerb Helsinki 1989,
1967 in Weimar geboren, Mozartwettbewerb Venedig-Prag-Wien, Bundeswettbe-
studierte bei Franz-J. Beyer in werb Gesang Berlin 1990, Oberdörffer-Preis Hamburg
Leipzig, später bei Dietrich Fischer-Dieskau und 1992. Gastierte bei Festivals in Salzburg, Schwetzin-
Elisabeth Schwarzkopf. Bereits 1985 sang er unter gen, Ludwigsburg, Schleswig-Holstein, Ansbach. Zu-
Kurt Masur die Matthäus-Passion. Regelmäßige sammenarbeit mit Dirigenten wie Daniel Barenboim,
Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Claudio Abbado, Pierre Boulez, Kent Nagano, Gerd Albrecht, Michael
Vladimir Ashkenazy, Riccardo Chailly, Bernard Haitink Gielen, René Jacobs, Philippe Herreweghe, Helmuth
und Helmuth Rilling. Liederabende in London (alle Rilling. Ab 1991 Ensemblemitglied Staatsoper
drei Schubert-Zyklen), Amsterdam, Paris, Prag, Wien Hamburg, seit 1997/98 Staatsoper Berlin.
und den großen Zentren Nord- und Südamerikas.
Dabei begleiten ihn Pianisten wie Alfred Brendel, DIETRICH HENSCHEL (Baß)
Graham Johnson und Andreas Haefliger. Weltliche Kantaten
Bühnenrepertoire: Marcello (»La Bohème«), BWV 201, 203, 215.
Wolfram (»Tannhäuser«), Papageno (»Die wurde 1967 in Berlin geboren.
Zauberflöte« – Debüt 1997 unter Christoph von Studium bei Hanno Blaschke in
Dohnányi in Salzburg), verschiedene Rollen in München und in Dietrich Fischer-
zeitgenössischen Opern. Dieskaus Meisterklasse in Berlin.
Preise bei nationalen Wettbewer-

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ben und beim Internationalen Hugo-Wolf-Wettbe- der ihn bis heute betreut. Zu Gast in den großen
werb. 1990 Debüt bei der Münchner Biennale, von Konzertsälen Europas, Japans und der USA zusammen
1993 bis 1995 Ensemblemitglied des Opernhauses in mit Dirigenten wie Marcus Creed, Heinz Holliger,
Kiel. Seither an Bühnen u.a. in Berlin und Lyon. Er Donald C. Runnicles, Bruno Weil, Frans Brüggen,
singt große und wichtige Rollen seines Fachs: Papage- Herbert Blomstedt, Philippe Herreweghe, Sir Neville
no, Graf in »Figaros Hochzeit«, aber auch Rollen wie Marriner, Michael Gielen sowie, im Jahr 2000, mit
»Pelléas« (Debussy), »Prinz von Homburg« (Henze) Kurt Masur, Helmuth Rilling, Peter Schreier und Eiji
und Opern wie »Doktor Faust« (Busoni), »Die Kö- Oué.
nigskinder« (Humperdinck) oder »Der Ring des
Polykrates« (Korngold). Klavierpartner seiner zahl- Regelmäßig Gast internationaler Festspiele wie
reichen Liederabende, die er auch bei Festivals wie Schleswig-Holstein und Salzburg, bei Orchestern wie
der Schubertiade in Wien gibt, sind Fritz Schwingham- Concertgebouw Orchestra Amsterdam, Berliner
mer, Helmut Deutsch und Irwin Gage. Gastspiele bei Philharmoniker, New York Philharmonic, Freiburger
nahezu allen deutschen Rundfunkorchestern, bei den Barockorchster und Concerto Köln. Liederabende
Wiener Philharmonikern, dem Orchestre National de u.a. in Berlin, Hamburg, Paris und Tokio. Opern: u.a.
France und sang unter Leitung von Dirigenten wie Basel, Lausanne, Madrid, Paris, 1999 erstmals an der
Kent Nagano, Philippe Herreweghe, Christian Münchner Staatsoper unter Zubin Mehta. 1996 Debüt
Thielemann, Peter Eötvös und Helmuth Rilling. unter René Jacobs an der Berliner Staatsoper »Unter
den Linden«, deren Ensemble er seit 1998 angehört.
Höhepunkt der Saison 99/00: Uraufführung von Elliot
HANNO MÜLLER-BRACHMANN (Baß) Carters Oper »What next« (Harry or Larry) in Berlin
Weihnachts-Oratorium unter Daniel Barenboim, mit diesem Dirigenten auch
studierte in Freiburg bei Prof. In- Debüts in der Chicago Symphony Hall und in der New
geborg Most. Besuch der Berliner Yorker Carnegie Hall.
Liedklasse von Dietrich Fischer-
Dieskau. Wesentliche Impulse
verdankt er Prof. Rudolf Piernay,

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CHRISTIANE OELZE (Sopran) CHRISTOPH PRÉGARDIEN (Tenor)


Kirchenmusik; Lateinische Kirchenmusik;
»Tilge, Höchster« BWV 1083; Choralbuch;
Matthäus-Passion; Geistliche Vokalmusik.
Huldigungskantaten geboren in Limburg. Mitglied der
BWV 30a, 36b, 140: Geistliche Domsingknaben. Studierte bei
Vokalmusik. Martin Gründler und Karlheinz
wurde in Köln geboren. Studium bei Klesie Kelly und Jarius in Frankfurt, Carla Castellani in Mailand und
Erna Westenberger. Preisträgerin beim Hugo Wolf- Alois Treml in Stuttgart. Liedgesang bei Hartmut Höll.
Wettbewerb 1987 und beim Deutschen Hochschul- Regelmäßige Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Ric-
wettbewerb für Lied-Duo 1988. Danach Einladungen cardo Chailly, John Eliot Gardiner, Nikolaus Harnon-
zu renommierten Festivals nach Schleswig-Holstein, court, Phlippe Herreweghe, Ton Koopman und Neville
Feldkirch und Berlin sowie Tourneen durch Europa, Marriner. Repertoire: Oratorien und Passionen vom
USA und Japan. Ihr Repertoire reicht von der 17. bis 20. Jahrhundert. Liederabende in Paris,
Barockmusik bis ins 20. Jahrhundert. Regelmäßige London, Brüssel, Berlin, Amsterdam, Salzburg, Wien,
Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Pierre Boulez, Barcelona, Genf, Italien, Japan und Nordamerika.
Nikolaus Harnoncourt, Kurt Masur, Sir Neville Umfangreiche Diskographie. Opernpartien: Tamino,
Marriner, Riccardo Muti, Roger Norrington und Almaviva, Fenton, Ulisse, Don Ottavio.
Helmuth Rilling. Ab 1990/91 debütierte sie an den
Opernhäusern bzw. bei den Festspielen Ottawa, THOMAS QUASTHOFF (Baß)
Salzburg, Zürich, Leipzig, Glyndebourne, Lyon und Weltliche Kantaten
London. Zahlreiche CD-Produktionen mit Liedern BWV 211, 212; 70: h-Moll-Messe;
(Vertonungen von Goethe-Gedichten), Werken von Lateinische Kirchenmusik;
Mozart, Bach, Webern, Hindemith und anderen. 1997 Magnificat; Matthäus-Passion.
sang sie in Salzburg in Mo-zarts Mitridate, in Paris die ist einer der gefragtesten Lied-
Marzelline, das Ännchen in London sowie unter Seiji und Oratoriensänger unserer
Ozawa in Japan und USA. Zeit. Seit dem 16. Lebensjahr Privatstudien bei

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Charlotte Lehmann und Carol Richardson in gart. Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Heinrich
Hannover. Jurastudium, Tätigkeit als Rundfunk- Schiff, Ton Koopman, Philippe Herreweghe, René
sprecher. Zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1. Jacobs, Hartmut Haenchen und Vladimir Ashkenazy.
Preis beim ARD-Wettbewerb 1988, Schostakowitsch- Zahlreiche Konzerte und CD-Aufnahmen mit Helmuth
Preis Moskau 1996. Konzerte und Liederabende in Rilling Opernpartie: Pamina an der Staatsoper
Amsterdam, Berlin, Bordeaux, Brüssel, Budapest, Stuttgart, Marzelline.
Dresden, Leipzig, Madrid, München, Paris, Rom,
Sevilla, Straßburg und Wien. Umfangreiche MICHAEL SCHADE (Tenor)
Diskographie. Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Sir Matthäus-Passion;
Colin Davis, Georges Prêtre u.a. Zahlreiche Konzerte Johannes-Passion
mit Helmuth Rilling, u.a. USA- und Japan-Debüt 1995. (Evangelist)
Der deutsch-kanadische Tenor ist
SYBILLA RUBENS (Sopran) innerhalb kurzer Zeit zu einem
Weltliche Kantaten der meistgefragten Sänger der
BWV 201, 202, 204, 205, 208 jungen Generation geworden und gastierte bereits an
210, 213-215, Quodlibet, der Wiener Staatsoper, an der Met, der San Francisco
h-Moll-Messe; Opera, der Nederlandse Opera, der Canadian Opera
Weihnachts-Oratorium; Company, der Hamburger Oper und bei den Salzbur-
Choralbuch; ger Festspielen. In Wien sang er u.a. in der Zauberflö-
Clavier Büchlein 1725; Magnificat Es-Dur te, Arabella, Il Barbiere di Siviglia, Die Meistersinger
Studium in Trossingen, Frankfurt am Main und Basel. von Nürnberg, Der fliegende Holländer. 1996 Debüt
Meisterkurse u.a. bei Edith Mathis und Irvin Gage. Ihr er an der Los Angeles Opera; 1997 Opéra de Bastille,
Repertoire reicht von Bach bis in die Moderne. Kon- Salzburger Festspiele; 1999 Lyric Opera of Chicago.
zerte und Festivals im In- und Ausland: u.a. Amster- Als Konzertsänger Engagements beim Philadelphia
dam, Berlin, Frankfurt, Zürich, Würzburg, in Italien, Orchestra mit Helmuth Rilling, mit Nikolaus Harnon-
Frankreich, England, Polen, Skandinavien, Schleswig- court im Wiener Musikverein, beim Los Angeles Phil-
Holstein-Musikfestival Europäisches Musikfest Stutt- harmonic Orchestra unter Esa-Pekka Salonen, unter

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Carlo Maria Giulini in Wien, Auftritte in Florenz, Min- ANDREAS SCHMIDT (Baß)
nesota sowie mit John Eliot Gardiner in London, New Weltliche Kantaten
York und Salzburg. Liederabende u.a. in Stuttgart, BWV 205, 213, 214, Quodlibet;
Toronto und Paris. h-Moll-Messe;
Johannes-Passion; Choralbuch;
CHRISTINE SCHÄFER (Sopran) Huldigungskantaten
Weltliche Kantaten BWV 30a, 36c; 140: Geistliche
BWV 206, 207a, 211, 212; Vokalmusik.
Lateinische Kirchenmusik; wurde in Düsseldorf geboren. Studierte zunächst Kla-
Magnificat. vier, Orgel und Dirigieren, dann Gesang bei Ingeborg
Studium in Berlin bei Ingrid Figur, Reichert in Düsseldorf und Dietrich Fischer-Dieskau in
Aribert Reimann und Dietrich Berlin. 1983 gewann er den Deutschen Musikwettbe-
Fischer-Dieskau. Zusammenarbeit mit Claudio werb und wurde bereits 1984 festes Ensemblemitglied
Abbado, Michael Gielen, Reinhard Goebel, Uwe der Deutschen Oper Berlin. Gastverpflichtungen an
Gronostay, Leopold Hager, Nikolaus Harnoncourt, führende Opernhäuser in der ganzen Welt, 1991 erst-
Charles Mackerras, Seiji Ozawa, Simon Rattle, Helmuth mals an die Metropolitan Opera New York, wo er seit-
Rilling u.a. Auftritte in vielen europäischen Ländern, dem in zahlreichen Partien zu hören war. Konzerte und
Israel und den USA. Opernpartien: »Lulu« bei den Schallplattenaufnahmen mit führenden amerikani-
Salzburger Festspielen 1995, »Agathe« in Berlin, schen und europäischen Orchestern. Bayreuth-Debüt
»Pamina« in Brüssel, »Sophie« (Rosenkavalier) in San 1997 (Beckmesser, Amfortas). Neben seinen Verpflich-
Francisco; ferner Engagements in Glyndebourne, tungen als Opern- und Konzertsänger hat sich Andreas
Amsterdam, München u.a. Aufnahmen mit Werken u.a. Schmidt als einer der wenigen Sänger seiner Genera-
von Reimann, Viktor Ullmann, Schumann, Schubert, tion auch als Liedsänger einen Namen machen können.
Bach, Berg, Debussy. Aufsehenerregende Seine Lied-CD’s erhielten teilweise nationale und inter-
Videoproduktion mit Schönbergs »Pierrot Lunaire« nationale Preise. Ausgedehnte Konzert- und Lie-
(Ltg. Pierre Boulez). derabend-Tourneen in 17 europäische Länder sowie
nach Nord- und Südamerika, Kanada, Japan und Israel.

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JAMES TAYLOR (Tenor) derabende in fast allen europäischen Ländern sowie in


Weltliche Kantaten den USA und Israel. Zusammenarbeit mit Dirigenten
BWV 201, 208, 211; wie Sylvain Cambreling, Leopold Hager, Helmuth Ril-
h-Moll-Messe; ling und Peter Schreier sowie mit Orchestern in Salz-
Lateinische Kirchenmusik; burg, Washington und der Staatskapelle Dresden, dem
Magnificat; Johannes-Passion; Gewandhausorchester Leipzig sowie den Münchner
Choralbuch. Philharmonikern. Besondere Projekte: Eröffnungs-
1966 in Dallas, Texas, geboren. Studium bei Arden konzert des Leipziger Bachfestes sowie die offizielle
Hopkin. 1991 Bachelor of Music Education. Fulbright- Bach-Präsentation auf der EXPO 2000 in Hannover.
Stipendium an der Musikhochschule München bei
Adalbert Kraus und Daphne Evangelatos. 1992 bis MICHAEL VOLLE (Baß)
1994 Mitglied des Opernstudios. Engagements in Brüs- Weltliche Kantaten
sel, Boston, Stuttgart, München und Köln. Konzerte u.a. (BWV 206, 207a).
mit RIAS-Kammerchor, Internationale Bachakademie Geistliche Vokalmusik.
Stuttgart, Wiener Philharmoniker, Cleveland Symphony Geboren in Freudenstadt. Studium
Orchestra. Liederabende mit Donald Sulzen. bei Josef Metternich und Rudolf
Piernay. Preisträgr von Wettbewer-
MARCUS ULLMANN (Tenor) ben, u.a. »300 Jahre Oper Hannover«, VDMK Berlin und
Weltliche Kantaten CIEM Genf. 1990 Engagement am Nationaltheater
(BWV 213, 214, Quodlibet), Mannheim, Partien: Guglielmo, Papageno, Malatesta,
Huldigungskantaten Heerrufer, Wolfram von Eschenbach. Gastspiele u.a. in
(BWV 30a, 36c, 36b, 134a); Bonn, Leipzig, Hannover, Wiesbaden, Ludwigsburger
Magnificat Es-Dur. Schloßfestspiele. Seit 1994 Ensemblemitglied der Oper
war Mitglied des Dresdner Kreuz- Bonn. Projekte im In- und Ausland u.a. Carmina burana
chores, studierte bei Hartmut Zabel und Margaret mit Israel Philharmonic unter Zubin Mehta, Brittens
Trappe-Weil und besuchte außerdem die Liedklasse »War Requiem« mit dem BBC Symphony Orchestra,
Dietrich Fischer-Dieskaus in Berlin. Tritt an zahlrei- Beethovens 9. Sinfonie in Paris unter Charles Dutoit.
chen Opernhäusern auf, gibt Konzerte und Lie-
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BIOGRAPHISCHE NOTIZEN
- Instrumentalsolisten -

EDWARD ALDWELL (Klavier) MICHAEL BEHRINGER


Französische Suiten (Cembalo)
stammt aus Portland/Oregon. Er »Amore Traditore«.
studierte an der Juilliard School Sonaten für Viola da
of Music in New York. Dort Gamba und Cembalo.
gewann er den Marie-Dring- Konzerte für drei und vier
Preis, der es ihm ermöglichte, Cembali. Musikalisches Opfer.
zwei Jahre lang intensiv und ausschließlich die Musik Clavier Büchlein Anna Magdalena Bach 1725.
Johann Sebastian Bachs zu studieren. Er lehrt seit 25 studierte zunächst in Freiburg Kirchenmusik, danach
Jahren am Curtis Institute und am Mannes College of in Wien und Amsterdam Orgel und Cembalo. Seine
Music. Sein Unterricht basiert auf der Analyse als Hilfe Beschäftigung mit der Historischen Aufführingspraxis
zur Aufführung; er gab und gibt in den USA und im und dem Continuo-Spiel führte ihn als Gast zu
Ausland Meisterkurse und Gesprächskonzerte mit der zahlreichen Ensembles wie dem Freiburger
Klaviermusik Bachs im Mittelpunkt. Die führende Barockorchester, Musica Antiqua Köln, Hesperion XX
amerikanische Presse ist begeistert von ihm und oder dem Balthasar-Neumann-Ensemble. Er trat mit
beschreibt sein Spiel als »klar, visionär, ekstatisch« Solisten wie Jordi Savall, Reinhard Goebel, Han Tol auf
und lobt seine Kunst, »Gelehrsamkeit in leiden- und war an zahlreichen CD-Produktionen beteiligt.
schaftliches Musizieren umzuwandeln«. Mit Helmuth Rilling und seinen Ensembles dauert
seine Zusammenarbeit inzwischen mehr als 20 Jahre.
Michael Behringer unterrichtet an der Freiburger
Hochschule für Musik Cembalo und Continuo-Spiel.
Im Rahmen der EDITION BACHAKADEMIE wirkt er als

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Continuospieler u.a. in den Einspielungen zahlreicher BINE-KATRINE BRYNDORF


geistlicher und weltlicher Kantaten, der Passionen, (Orgel)
der h-Moll-Messe sowie des »Choralbuch für Johann Weimar, Köthen & Leipzig.
Sebastian« mit. Hier ist er auch als Cembalo- und Leipziger Choräle.
Orgelbegleiter in den Schemelli-Liedern zu hören. Einflüsse aus Cantata,
Ferner wirkte er mit bei Robert Hills Einspielung der Concerto und Kammermusik
Kunst der Fuge. stammt aus Helsingør/Dänemark.
Sie studierte Orgel bei Michael Radulescu, Daniel Roth
und William Porter und gewann mehrere internationa-
DANIEL BLUMENTHAL (Klavier) le Orgel- und Kammermusikwettbewerbe. Von 1991
Kammermusik für Flöte bis 1995 besaß sie einen Lehrauftrag an der Musik-
begann seine Ausbildung in Paris und studierte später hochschule in Wien, seit 1994 unterrichtet sie an Kö-
u.a. an der Juilliard School of Music und bei Benjamin niglich Dänischen Musikakademie. Sie gibt vielbeach-
Kaplan in London. Zu Beginn der achtziger Jahre nahm tete Konzerte in vielen Ländern Europas und verfaßte
er an verschiedenen Wettbewerben teil (Sydney, Genf, Vorträge und Aufsätze zu verschiedenen Themen,
Bozen) und am Concours Reine Elisabeth in Brüssel, insbesondere dem Werk Johann Sebastian Bachs.
wo er heute als Juror tätig ist. In Brüssel unterrichtet er
am Flämischen Konservatorium. Er spielt als Solist mit MURIEL CANTOREGGI (Violine)
verschiedenen Orchestern und ist vor allem als Wiedergewonnen Violinkon-
Kammermusikpartner gefragt; u.a. wirkte er mit bei zerte
der posthumen Uraufführung des Trio von Claude 1971 in Frankreich geboren,
Debussy. Seine Diskographie umfaßt bislang über 70 studierte am Conservatoire
CDs. Supérieur de Musique in Paris bei
Régis Pasquier, anschließend bei
Wiktor Liberman und Christoph Poppen. 1993 war die
Geigerin Preisträgerin des Internationalen Wettbe-
werbs »Marguerite Long – Jacques Thibaud« in Paris.

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Von 1994 – 1996 spielte sie im European Union Youth Kammermusikalische Zusammenarbeit verbindet ihn
Orchestra als Konzertmeisterin unter Leitung von mit Künstlern wie Maurice André, Eduard Brunner,
Carlo Maria Giulini, Vladimir Ashkenazy und Bernard Heinz Holliger, Edith Mathis, Sabine und Wolfgang
Haitink. Seit 1995 ist Muriel Cantoreggi Meyer, Aurèle Nicolet, Jean-Pierre Rampal, Tabea
Konzertmeisterin des Münchener Kammerorchesters. Zimmermann und anderen. Der Geiger unterrichtet
Neben regelmäßigen solistischen Auftritten widmet sie am Konservatorium Claudio Monteverdi, war Dozent
sich vor allem der Kammermusik. Sie ist Mitglied des bei zahlreichen Bachakademien unter Leitung von
Matisse-Ensembles und des 1999 gegründeten Végh- Prof. Helmuth Rilling und ist Konzertmeister des
Ensembles. Sie gastierte in England beim International Bach-Collegium Stuttgart.
Musicians Seminar Prussia-Cove und dem City of
London-Festival sowie in der Schweiz beim Davoser ISABELLE FAUST (Violine)
Festival Young Artists in Concert. Violinkonzerte.
Tripelkonzert BWV 1044
GEORG EGGER (Violine) erhielt mit fünf Jahren ihren
Sonaten für Violine und Basso ersten Geigenunterricht. Zu ihren
continuo Lehrern zählten Denes Zsigmondy
wurde in Bozen geboren und stu- und Christoph Poppen. Schon
dierte bei Prof. Giannino Carpi früh errang sie Preise bei Jugend musiziert und 1987,
am Musikkonservatorium Claudio 15-jährig, den 1. Preis beim Internationalen Leopold
Monteverdi. Bei Sandor Végh in Mozart Wettbewerb in Augsburg. 1990 wurde ihr der
Düsseldorf legte er das Konzertdiplom ab und be- Kulturpreis Premio Quadrivio der Stadt Rovigo für
suchte Meistekurse bei Saschko Gawriloff, Wolfgang herausragende musikalische Leistungen verliehen,
Schneiderhan und Henryk Szeryng. Von 1974 bis und 1993 gewann sie als erste Deutsche den Premio
1986 war er erster Konzertmeister beim Württember- Paganini in Genua. Sie konzertierte mit zahlreichen
gischen Kammerorchester Heilbronn. Mit diesem namhaften Orchestern und Dirigenten, wie z.B. mit
unternahm er, auch als Solist, zahlreiche Konzertrei- den Hamburger Philharmonikern unter Sir Yehudi
sen durch Europa, nach Kanada und in die USA. Menuhin. Konzertreisen führten sie ins europäische

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Ausland sowie nach den USA und Japan. Neben ihrer JEAN-CLAUDE GÉRARD (Flöte)
solistischen Tätigkeit widmet sich Isabelle Faust Kammermusik für Flöte.
intensiv der Kammermusik und ist regelmäßig Gast Tripelkonzert BWV 1044
bei vielen internationalen Musikfestspielen. Zu ihren stammt aus Angers (Frankreich).
Kammermusikpartnern gehören Ewa Kupiec – mit der Er studierte bei Gaston Brunelle in
zusammen sie ihre erste CD mit Werken von Bartók Paris und gewann 1962 am
eingespielt hat –, Natalia Gutman, Boris Perga- Conservatoire einen ersten Preis.
menschikow, um nur einige zu nennen. Isabelle Faust 1972 ging er als Soloflötist in das Orchester der
spielt die Dornröschen-Stradivari aus dem Jahre Hamburgischen Staatsoper. 1987 wurde er Professor an
1704, eine Leihgabe der L-Bank Baden-Württemberg. der Musikhochschule Stuttgart. Seit 1984 spielt er im
Bach-Collegium Stuttgart und spielte die Flöte u.a. in den
WALTER FORCHERT (Violine) Einspielungen der beiden Passionen, des Weihnachts-
Kammermusik für Flöte Oratoriums sowie der h-Moll-Messe. Außerdem ist er
wurde 1944 in Wunsiedel geboren. Im Alter von 23 Flötist des »Ensemble Villa Musica«. Seine
Jahren wurde er Konzertmeister des Sinfonischen umfangreiche Diskographie umfaßt Solo- und
Orchesters Berlin, zwei Jahre später Konzertmeister der Kammermusikliteratur vom Barock bis in die Moderne.
Bamberger Symphoniker, mit denen er zuletzt das
Violinkonzert von Max Reger aufgenommen hat. Seit GERHARD GNANN (Orgel)
1992 ist er Professor an der Frankfurter Musik- Ein Choralbuch
hochschule. Er unterrichtet ebenfalls im Rahmen von für Johann Sebastian
Bach-Worshops der Internationalen Bachakademie stammt aus Oberschwaben und
Stuttgart. Als Konzertmeister des Bach-Collegium bekam bereits während der Schul-
Stuttgart unternahm er zahllose Tourneen in In- und zeit Orgelunterricht bei Heinrich
Ausland und wirkte bereits mit bei der Hamm in Weingarten. 1981 nahm
Gesamtaufnahme der Geistlichen Kantaten. er das Studium an der Freiburger Musikhochschule
auf, Orgel bei Ludwig Doerr und Cembalo bei Stanislav
Heller. 1986 setzte er seine Studien bei Ton Koopman

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und Ewald Kooiman am Sweelinck-Konservatorium in hochschule Würzburg. Ebenfalls einen hervorragen-


Amsterdam fort, anschließend vervollständigte er seine den Ruf als Solistin wie als Ensemblespielerin genießt
Ausbildung bei Guy Bovet an der Musikakademie in Petra Müllejans, die zudem an den Musikhochschu-
Basel. 1990 wurde er Stipendiat des Deutschen Akade- len in Weimar und Freiburg unterrichtet.
mischen Austauschdienstes. Er gewann Preise bei
internationalen Wettbewerben wie dem Bachwettbe- INGO GORITZKI (Oboe)
werb des Flandern-Festivals (1988), dem Schweizer Wiedergewonnene
Orgelwettbewerb (1992) sowie, im darauffolgenden Oboenkonzerte
Jahr, den Großen Preis »Dom zu Speyer«. Schon wäh- studierte Flöte, Oboe und Klavier
rend seiner Studienzeit bekleidete er eine Kirchenmu- in Freiburg, Detmold und Paris.
sikstelle in Freiburg. 1994 wurde er Bezirkskantor der 1967 erhielt er ein erstes
Erzdiözese Freiburg mit Dienstsitz im Münstertal. 1996 Engagement beim Basler
übernahm er einen Lehrauftrag für Orgel an der Sinfonieorchester, dem sich weitere Jahre beim Radio-
Musikhochschule in Trossingen, 1997 wurde er zum Sinfonieorchester Frankfurt anschlossen. 1976
Professor an den Fachbereich Musik der Johannes- übernahm er an der Musikhochschule Hannover eine
Gutenberg-Universität Mainz berufen. Professur für Oboe, 1989 ging er in der selben
Funktion nach Stuttgart. Als erfolgreicher Solist ist er
GOTTFRIED VON DER GOLTZ und mit zahlreichen Orchestern im In- und Ausland
PETRA MÜLLEJANS (Violine) aufgetreten; Kammermusik spielt er vor allem in den
Musikalisches Opfer Ensembles »Villa Musica« und »Stuttgarter
sind Konzertmeister des international renommierten Bläserakademie«. Er ist seit langen Jahren Mitglied im
Freiburger Barockorchesters und des FBO-Consort. Bach-Collegium Stuttgart, wirkte mit bei den
Gottfried von der Goltz wurde an der New Yorker Einspielungen der geistlichen und weltlichen Kantaten
Juilliard School of Music ausgebildet und zählt, nach sowie der Messen und oratorischen Werke. Er gibt
einer Tätigkeit beim NDR-Sinfonieorchester Hamburg seine Erfahrungen auch bei Veranstaltungen der
heute zu den exponiertesten Virtuosen auf der Ba- Internationalen Bachakademie Stuttgart in aller Welt
rockvioline. Seit 1997 ist er Professor an der Musik- an junge Musiker weiter.

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ROBERT HILL OLIVER HOLZENBURG (Laute)


(Tasteninstrumente) Lautenwerke
Cembalomusik geboren in Hannover, begann
des jungen Bach. Concerto, schon früh mit dem Gitarrenspiel
Fantasia & Fuge. Bach als und erhielt seine erste musikali-
Lehrer. Musik für das sche Ausbildung bei Joël Betton
Lautenklavier. Original und an der Musikakademie Kassel.
Bearbeitung. Sonaten für Violine und Cembalo. Besonders interessierte ihn schon damals die frühere,
Kunst der Fuge ursprünglich für Laute komponierte Musik. Studium
ist seit 1990 Professor für historische der Geschichte, Philosophie und Musikwissenschaft
Tasteninstrumente und Aufführungspraxis an der in Göttingen, Wien und Basel. Studium der Laute bei
Musikhochschule Freiburg. Er studierte bei Gustav Toyohiko Satoh am Royal Conservatory in Den Haag
Leonhardt und promovierte mit einer Arbeit über J. S. und bei Hopkinson Smith an der Schola Cantorum Ba-
Bachs frühe Musik für Tasteninstrumente. Er siliensis. Oliver Holzenburg ist bekannt als Solist so-
beschäftigt sich mit dem Repertoire für die wohl auf historischen als auch auf modernen Zupfin-
verschiedensten Tasteninstrumente von 1600 bis strumenten. Konzerte in fast allen Ländern Europas.
1900, hat zahlreiche Schallplatten aufgenommen und Kursleitungen und Auftritte bei verschiedenen Musik-
dirigiert ferner das Barockensemble »L’Ottocento«. festivals. Rundfunk- und Fernsehaufnahmen. Neben
Als Musiker legt er besonderen Wert auf eine seiner künstlerischen Arbeit setzt sich Oliver Holzen-
möglichst kreative Wiederbelebung der alten burg besonders ein für Aufgaben, die sich mit der Ver-
Musizierpraxis. mittlung von Musik beschäftigen. So ist er Vizepräsi-
dent des Musikpädagogischen Verbandes der Zentral-
schweiz, Vorstandsmitglied der Deutschen Lautenge-
sellschaft, Herausgeber eines Lexikons zur zeitgenös-
sischen Lautenmusik und leitet die Internationale
Frühjahrs-Akademie für Musik im Stift Geras in Öster-
reich.

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KAY JOHANNSEN (Orgel) aber auch die Improvisation, die sich aus seiner
Neumeister-Choräle. starken Bindung zur Liturgie entwickelt hat. Für die
Der junge Bach – ein Virtuose. EDITION BACHAKADEMIE stellte er die Programme der 16
Meisterwerke der Weimarer CDs mit dem gesamten Orgelwerk Bachs zusammen.
Zeit. Sechs Sonaten.
Clavier Übung dritter Teil. JEFFREY KAHANE (Cembalo)
studierte in Freiburg und Boston Brandenburgische Konzerte.
Kirchenmusik, Orgel und Dirigieren bei Hans Musch, Konzerte für zwei Cembali
Ludwig Doerr, William Porter und Hans-Michael Beu- ist als Pianist und Dirigent ein ger-
erle. 1988 gewann er einen ersten Preis beim Deut- ne gesehener Partner bei Orche-
schen Musikwettbewerb; er war Stipendiat der Stu- stern wie New York und Los Ange-
dienstiftung des deutschen Volkes und der Bruno Wal- les Philharmonic, dem Philadel-
ter Memorial Foundation. Seit 1991 hat er einen Lehr- phia Orchestra, Chicago und San Francisco Symphony,
auftrag an der Musikhochschule Karlsruhe inne; seit der Academy of St. Martin-in-the-fields sowie beim Is-
1994 ist er Organist und Kantor an der Stuttgarter rael Philharmonic Orchestra. Er studierte in San Fran-
Stiftskirche, der evangelischen Hauptkirche der Lan- cisco bei Howard Weisel und Jakob Gimpel, gewann
deshauptstadt Baden-Württembergs. Hier spielte er eine Medaille beim Van Cliburn-Wettbewerb 1981 so-
1997 in einem Konzertzyklus das gesamte Orgelwerk wie, neben anderen Auszeichnungen, den ersten Preis
Johann Sebastian Bachs. 1998 wurde ihm der Titel des Rubinstein-Wettbewerbes 1983. Im gleichen Jahr
»Kirchenmusikdirektor« verliehen. Als Continuospie- debütierte er in der New Yorker Carnegie Hall; seit her
ler arbeitet er regelmäßig mit den Berliner Philhar- gibt er Recitals in den großen amerikanischen Musik-
monikern und den Berliner Barock-Solisten zusam- zentren und bei Festivals wie dem Oregon Bach Festi-
men. Für die Auswahl seiner Programme kann Jo- val, Mostly Mozart und den Londoner Proms. Zu Jef-
hannsen auf ein weitgespanntes Repertoire zurück- frey Kahanes Kammermusikpartnern gehören Künstler
greifen. Schwerpunkte sind neben den Werken Jo- wie Yo-Yo Ma. Zu seinen CD-Aufnahmen zählen auch
hann Sebastian Bachs die Literatur des 19. (mit einer Einspielungen von Werken des 20. Jahrhunderts von
Vorliebe für Liszt und Reger) und 20. Jahrhunderts, Paul Schoenfield, George Gershwin, Richard Strauss

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und Leonard Bernstein. Er ist Musikdirektor der Santa (Orgel), Yuri Cholopov und T. Baranova (Musikwis-
Rosa Symphony und des Los Angeles Chamber senschaft). In Basel bei Daniel Chorzempa (Orgel), in
Orchestra. Mit Helmuth Rilling verbindet ihn eine Paris bei I. Wjunski (Cembalo). Lebt seit 1990 im
langjährige Zusammenarbeit, die auch zu Westen. Stipendiat der Stiftung Akademie Schloß
Konzertreisen nach Europa führte. Solitude in Stuttgart. Mitglied des Bach-Collegiums
Stuttgart und anderer Ensembles. Konzerte und
KARL KAISER (Flöte) Aufnahmen vor allem als Continuospieler in Europa,
Musikalisches Opfer USA, Südamerika und Israel.
studierte an den Hochschulen in Köln und München
Flöte und Musikwissenschaft. Als ausgeweisener EVGENI KOROLIOV (Klavier)
Experte für die frühe Musik für Traversflöte ist er Inventionen und Sinfonien.
Mitglied der Ensembles Camerata Köln, La Stagione Clavier Übung zweiter Teil.
Frankfurts sowie des Freiburger Barockorchesters. Goldberg-Variationen
Auch mit anderen Ensembles wie Musica Antiqua Köln stammt aus Moskau und studierte
arbeitet er zusammen. Er unterrichtet an den bei Anna Artobolewskaja,
Hochschulen Freiburg und Frankfurt. Heinrich Neuhaus, Maria Judina
und Lew Oborin. 1968 gewann er den Internationalen
BORIS KLEINER (Cembalo) Bach-Preis Leipzig, 1977 den Clara Haskil-Preis; 1978
Kammermusik für die Flöte. wurde er an die Musikhochschule Hamburg berufen.
Sonaten für Violine und Bereits als Siebzehnjähriger spielte er das gesamte
Basso continuo. Konzerte für Wohltemperierte Klavier von Johann Sebastian Bach.
drei und vier Cembali Bachs Werke stehen heute noch regelmäßig auf
geboren in Minsk, ab dem 6. Le- seinen Konzertprogrammen.
bensjahr umfassende Musikaus-
bildung an einer Förderschule für musikalisch Begab-
te: Klavier, Gesang, Geige, Dirigieren, Musiktheorie
und Komposition. In Moskau Studium bei L. Roizman

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ROBERT LEVIN MARTIN LÜCKER (Orgel)


(Tasteninstrumente) Eine Weimarer Tonleiter.
Englische Suiten. Leipziger Spätwerke
Wohltemperiertes 1953 in Pr. Oldendorf / Nord-
Klavier Teile I und II. rhein Westfalen geboren. War be-
Cembalokonzerte. reits im Alter von elf Jahren Orga-
studierte bei Louis Martin, Stefan nist in seiner Heimatstadt. Stu-
Wolpe und Nadja Boulanger. Auf Einladung von Rudolf dierte seit dem 17. Lebensjahr Kirchenmusik in Han-
Serkin leitete er die Abteilung für Musiktheorie des nover, Wien, Paris, Amsterdam und Boston; seine Leh-
Curtis-Institute of Music in Philadelphia. 1989 wurde rer waren u.a. Karl-Heinz Kämmerling, Volker Gwin-
er an die Musikhochschule Freiburg berufen, 1993 ner, Anton Heiller, Gustav Leonhardt und Mireille La-
wechselte er an die Harvard University (USA). Als gacé. Preise gewann er u.a. bei Wettbewerben in
Solist genießt er internationale Anerkennung und tritt Brügge und Nürnberg sowie beim ARD-Wettbewerb in
in ganz Europa, Nordamerika, Australien und Asien München. Ab 1976 studierte er Dirigieren in Detmold
auf, sowohl mit Spezialisten für historische und war danach an der Westfälischen Landeskirchen-
Aufführungspraxis wie John Eliot Gardiner oder musikschule tätig sowie als Korrepetitor und Kapell-
Christopher Hogwood wie auch mit Dirigenten wie meister in Detmold und Frankfurt. Im Alter von 29
Claudio Abbado, Simon Rattle oder Bernard Haitink. Jahren übernahm er die Kantorenstelle an der evange-
Kadenzen in Klavierkonzerten werden von ihm lischen Hauptkirche, der St. Katharinenkirche in
grundsätzlich, sowohl im Konzert als auch bei Frankfurt am Main. Seitdem hat Martin Lücker wichti-
Schallplatteneinspielungen, der alten Praxis ge Akzente im Musikleben der Stadt gesetzt. Neben
entsprechend, improvisiert. Im Mozartjahr 1991 Verpflichtungen als Organist im In- und Ausland be-
erarbeitete er im Auftrag der Internationalen treut er in Frankfurt eine Konzertreihe (in der er be-
Bachakademie Stuttgart eine Neuinstrumentierung reits zweimal das gesamte Orgelwerk Bachs spielte),
und Vollendung des Requiem von Wolfgang Amadeus nimmt regelmäßig für Rundfunk und Schallplatte auf
Mozart. und lehrt seit 1988 an der Frankfurter Musikhoch-
schule. Seit 1998 bekleidet er hier eine Professur für

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Orgelspiel. Das von Martin Lücker initiierte und im funk, Fernsehen und die Schallplatte. Seine letzte
Musikverlag C.F. Peters herausgegebene »Frankfurter Solo-CD »The Heritage of Frescobaldi« erhielt u.a.
Orgelbuch« erhielt 1994 den Musikeditionspreis des den Deutschen Schallplatten-Preis und den »Diapa-
Deutschen Musikverleger-Verbandes. son d’Or«. 1983 gründete er die Gruppe »Sonatori de
la Gioiosa Marca«, die er bis 1997 leitete. Ferner
ANDREA MARCON (Orgel) wirkte er als Herausgeber von Musik Girolamo Fres-
Ohrdruf, Lüneburg, Arnstadt. cobaldis und von Claudio Merulos »Il primo libro die
Neue Ideen in Weimar. Ricercari«. Seit 1997 unterrichtet Andrea Marcon an
Blütezeit in Weimar der Schola Cantorum Basiliensis. 1998/99 ist er Gast-
zählt zu den herausragenden professor am Sweelinck-Konservatorium Amsterdam
Interpreten früher italienischer und am Salem College / North Carolina – USA.
Musik. Er stammt aus Treviso, Schließlich leitet er das Venezianische Barockorches-
studierte bei Vanni Ussardi und, an der Schola Canto- ter, mit dem er im September 1998 die moderne Erst-
rum Basiliensis, bei Jean-Claude Zehnder, Hans-Mar- aufführung der Oper Orione von Francesco Cavalli
tin Linde, Jordi Savall und Jesper Christensen. Inter- realisierte.
pretationskurse belegte er ferner bei Künstlern wie
Luigi Fernando Tagliavini, Ton Koopman und Harald JOSEPH PAYNE
Vogel. 1986 gewann er den Paul Hofhaimer-Wettbe- (Tasteninstrumente)
werb in Innsbruck und, nach weiteren Preisen, 1995 Clavier Büchlein für
den Bach-Händel-Wettbewerb in Brügge. Seit 15 Jah- Wilhelm Friedemann Bach
ren gehört Andrea Marcon zu den gefragtesten Künst- wurde in der Mongolei geboren
lern bei renommierten Konzertreihen und Festivals in und ist Britisch-Schweizer Ab-
ganz Europa. Interpretationsseminare und -kurse gab stammung. Seine grundlegende
er bereits in Toulouse, Hamburg, Göteborg, Karlsruhe Musikausbildung erhielt er als Chorknabe an einer
und Kopenhagen. Er war Mitglied der Jury bei Wettbe- Kathedrale in England, in der Schweiz und in den
werben in Nürnberg, Alkmaar und Toulouse. Zu sei- Vereinigten Staaten. Er studierte an dem Trinity
nen Tätigkeiten gehören auch Aufnahmen für Rund- College und der The Hartt School. Zu seinen

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wichtigsten Lehrern zählen u. a. Noretta Conci, BORIS PERGAMENSCHIKOW


Raymond Hanson, Fernando Valenti und Clarence (Violoncello)
Watters. Er war einer der letzten und auch jüngsten Suiten für Violoncello solo
Schüler, die Wanda Landowska jemals angenommen stammt aus Leningrad (St. Peters-
hat. Bei ihr studierte er, mit einigen Unterbrechungen, burg), wo er auch studierte. 1974
während der zwei letzten Jahre ihres Lebens. gewann er den ersten Preis und
die Goldmedaille beim 5. Tschai-
Sein Debüt als Cembalist gab Payne 1959 in der kowsky-Wettbewerb in Moskau. Nach seiner Emigra-
Carnegie Recital Hall in New York. Daraufhin arbeitete tion 1977 intensivierte er seine Konzerttätigkeit in der
er zusammen mit einigen der legendären Pioniere der ganzen Welt. Er spielt mit den führenden Orchestern
Aufführung von Alter Musik. Er gab Konzerte und Kammermusikpartnern in allen wichtigen
zusammen mit Josef Marx, Luigi Silva und Jon Wunner Musikmetropolen, von Berlin bis Tokyo, Paris bis New
Konzerte und spielte das Continui-Cembalo bei der York und Salzburg bis Jerusalem. Die »New York
ersten Amerika-Tournee von Joan Sutherland. Payne Times« beschrieb sein Spiel als »technisch, klanglich,
war viele Jahre Musik-Professor an verschiedenen musikalisch und interpretatorisch auf einem Niveau,
berühmten Universitäten Amerikas und erhielt das nur von ganz wenigen Cellisten erreicht wird«.
zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem vom
Peabody-Mason Fund und der Lowell Foundation der HILLE PERL (Viola da Gamba)
Harvard-Universität, erhalten. 1965 verlegte Payne, Sonaten für Viola da
der britischer Staatsbürger ist, seinen Wohnsitz nach Gamba und Cembalo
Boston, wo er Musikdirektor an der Emmanuel erlernte, angeregt durch ein
Church wurde sowie Mitglied des Lehrkörpers der Konzert Wieland Kuijkens, schon
Bostoner Universität. Wenig später nahm er als in früher Jugend alle Instrumente
Musikdirektor und Produzent eine Tätigkeit im der Gambenfamilie. Sie studierte
Rundfunk auf. dann bei Pere Ros und Ingrid Stampa in Hamburg und
Bremen. Aufsehen erregte ihre CD-Einspielung mit
Werken des französischen Komponisten Sainte-

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Colombe. Sie spielt in zahlreichen renommierten Alte- Komposition Lebendigkeit verleiht, wie unprätentiös
Musik-Ensembles wie dem Amsterdamer und dem und doch Autorität bezeugend ein Musiker auf dem
Freiburger Barockorchester und unter Dirigenten wie Podium seine Kunst erarbeiten kann.«
Thomas Hengelbrock und Jordi Savall. Musik ist für
die Gambistin nicht nur Beruf, »sie ist vor allem CHRISTOPH POPPEN (Violine)
Berufung, Lebenselixier, Hobby und das einzigste, was Violinkonzerte
ich jemals machen wollte«. übernahm im September 1995
die künstlerische Leitung des
TREVOR PINNOCK (Cembalo) traditionsreichen Münchner
Sechs Partiten Kammerorchesters. Zuvor war er
erhielt seine erste musikalische Primarius des 1978 gegründeten
Ausbildung im Chor von Canter- Cherubini-Quartetts, mit dem er bereits 1981 den
bury Cathedral, studierte danach Grand Prix beim wichtigsten Streichquartett-
am Royal College of Music und Wettbewerb in Evian gewann. Mit diesem Quartett
gründete 1973 das heute weltweit entstanden zahlreiche, preisgekrönte CDs. 1988
renommierte Orchester »The English Concert«. Der übernahm Poppen einen Lehrauftrag an der
»virtuoseste Cembalist unter den Dirigenten«, wie ihn Musikhochschule Detmold; seit 1994 ist er Professor
eine Fachzeitschrift einmal nannte, dirigiert für Violine und zugleich Rektor der Musikhochschule
mittlerweile auch Orchester wie San Francisco und »Hanns Eisler« in Berlin. Durch Musik Botschaften zu
Boston Symphony; das Repertoire umfaßt Messen und vermitteln, die sich mit Worten nicht mehr greifen
Oratorien des 18. und 19. Jahrhunderts. Mittlerweile lassen, durch Musik Gefühle zu wecken und diese ins
hat er sich auch der Oper zugewandt; u.a. dirigierte er Bewußtsein zu bringen – dies sind wichtige Ziele in
»Giulio Cesare« an der New Yorker Met. Als Cembalist Christoph Poppens Arbeit als Lehrer, Künstler und
überzeugt er, wie einst die Londoner Times schrieb, Dirigent.
auch diejenigen, »die das Cembalo nicht ausstehen
können«. Er zeige, »welche Farbenvielfalt ein
Cembalo abzugeben vermag, wie Artikulation einer

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DMITRY SITKOVETSKY Raas. Preise gewann er bei renommierten Wettbewer-


(Violine) ben in Deventer und Innsbruck. Zur Zeit ist er Orga-
Sonaten und Partiten für nist an der Lutherischen Kirche in Alkmaar und Titu-
Violine solo. Sonaten für Violine larorganist an der Ronde Lutherse Kerk Amsterdam.
und Cembalo Am dortigen Konservatorium unterrichtet er Orgel
stammt aus Moskau, studierte am und Methodik. Seit 1995 ist er Professor für Orgel und
dortigen Konservatorium und Improvisation an der Hamburger Musikhochschule
setzte er seine Studien im Jahre 1977 an der Juilliard und leitet dort eine internationale Orgelklasse.
School of Music fort; 1979 gewann er in Wien den Gastprofessuren und Lehraufträge führten ihn nach
Kreisler-Wettbewerb. Sein Repertoire umfaßt mehr als Antwerpen, Helsinki, St. Ptersburg und Toulouse.
40 Konzerte, die er mit den namhaftesten Orchestern Konzerte gibt Peter van Dijk in ganz Europa. Er hat an
und Dirigenten regelmäßig aufführt; er ist ferner ein verschiedenen historischen Orgeln CDs eingespielt
gefragter Kammermusikpartner. Als Dirigent leitete er und außerdem verschiedene Publikationen vorgelegt:
so bekannte Orchester wie die Academy of St. Martin- über die Musik Matthias Weckmanns, Jan Pieterszoon
in-the-Fields, das Rundfunkorchester Leipzig und das Sweelincks und Johann Sebastian Bach sowie über die
BBC Philharmonic Orchestra. Er ist Gründer und Haltung beim Spielen auf historischen Orgeln.
musikalischer Direktor des New European String
Chamber Orchestra. MARIO VIDELA
(Tasteninstrumente)
PIETER VAN DIJK (Orgel) Konzerte für drei und vier
Transkriptionen – Concerti und Cembali. Clavier Büchlein
Trios für Anna Magdalena Bach 1722
wurde 1958 geboren und studier- wurde in Salta (Argentinien)
te an der Musikhochschule Arn- geboren. Er studierte Orgel und
heim Orgel, Klavier und Kirchen- Chorleitung an der Kunstakademie der Universität La
musik. Außerdem hatte er Unter- Plata und führte später sein Studium der Alten Musik
richt bei Gustav Leonhardt, Marie-Claire Alain und Jan bei Fritz Neumeyer, Hans-Martin Linde und Ferdinand

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Conrad in Deutschland fort. Er hat sich auf das Spiel PETER WATCHORN (Cembalo)
alter Tasteninstrumente – Orgel, Regal, Cembalo, Toccaten. Concerti
Clavichord, Virginal und Spinett – spezialisiert und stammt aus Australien und
sich auch als Continuospieler profiliert. Zu Beginn der widmet sich seit 1974 dem
siebziger Jahre nahm er am Bach-Festival Karl Cembalo. 1985 gewann er im
Richters in Buenos Aires teil. 1982 und 1985 schloß Rahmen des Boston Early Music
er sich dem Bach-Collegium Stuttgart an. Ebenfalls Festival den Edwin Bodky Award
unter Leitung Helmuth Rillings unterrichtete er bei für seine Interpretationen der Musik Johann Sebastian
Bach-Workshops in verschiedenen Ländern Süd- Bachs. Danach setzte er seine Studien bei Isolde
amerikas. Mario Videla gibt eine Lehrsammlung für Ahlgrimm in Wien fort. Er musiziert mit zahlreichen
die Alte Musik heraus. 1983 gründete er die renommierten Alte-Musik-Ensembles und gründete
Bachakademie Buenos Aires, die nach ganz 1995 »The Boston Bach Ensemble«. Neben seiner
Südamerika ausstrahlt. Er leitet auch das Interpretentätigkeit hat sich Peter Watchorn auch
Musikfestival Buenos Aires. Seit 1997 gestaltet er einen Namen als Cembalo-Bauer gemacht. In
jeden Sonntag in Radio Clásica / Buenos Aires ein Verbindung mit den Werkstätten von A.R. McAllister in
vielgehörtes Programm mit Bach-Kantaten. Als Melbourne und Frank Hubbard in Waltham / Mass.
Interpret hat er, außer Werken Bachs, das gesamte entstanden Instrumente nach französischen,
Werk für Tasteninstrumente von Domenico Zipoli flämischen und italienischen Vorbildern. 1995
eingespielt. Er ist Professor am städtischen promovierte er in Boston mit einer Arbeit über Bachs
Konservatorium von Buenos Aires sowie an der Englische Suiten Schließlich unterrichtet er am
Kunsthochschule General Roca in Rio Negro. Baroque Performance Institute des Oberlin-
Conservatory, Ohio, und an Harvard University’s
Mather House.

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EKKEHARD WEBER WOLFGANG ZERER (Orgel)


(Viola da Gamba) Einflüsse von Böhm und
Sonaten für Violine und Buxtehude.
Basso continuo. Orgelbüchlein
Musikalisches Opfer Jahrgang 1961, stammt aus
prägte nach seinem Studium bei Passau. Ersten Orgelunterricht
Prof. Konrad Lechner in Freiburg erhielt er beim Passauer
als Solist wie auch im Ensemble einen eigenen, Domorganisten Walther R. Schuster. 1980 begann er
unverwechselbaren Stil auf der Gambe aus. Seit 1974 sein Studium an der Hochschule für Musik und
unterrichtet er als Nachfolger Lechners an der darstellende Kunst in Wien: Orgel bei Michael
Freiburger Musikhochschule. Seine Individualität in Radulescu, Dirigieren bei Karl Österreicher, später
technischer wie klanglich-ästhetischer Hinsicht Cembalo bei Gordon Murray sowie Kirchenmusik.
kommt jedoch nicht nur seinen Studenten zugute, Außerdem absolvierte er ein zweijähriges Cembalo-
sondern auch einem weiten Kreis von Gamben- studium bei Ton Koopman in Amsterdam und ein
liebhabern, die sein Können nicht zuletzt in Kirchnmusik-Studium in Stuttgart u.a. bei Ludger
zahlreichen Rundfunk- und CD-Aufnahmen erleben. Lohmann. Wolfgang Zerer war Preisträger bei
Weber ist im Berich Barockoper, Oratorium und mehreren Wettbewerben, u.a. 1982 in Brügge und
Kantate auch ein gesuchter Kammermusik- und 1983 in Innsbruck. Nach Lehrtätigkeiten an den
Continuopartner, nicht zuletzt im Bach-Collegium Musikhochschulen in Stuttgart und Wien wurde er
Stuttgart. Er gastiert und unterrichtet regelmäßig bei 1989 Professor für Orgel an der Hochschule für
wichtigen Festivals für Alte Musik. Er ist Gambist des Musik und Theater in Hamburg. Als Gastdozent ist er
Trio Basiliensis und leitet das von ihm mit ehemaligen außerdem am Konservatorium in Groningen tätig.
Mitgliedern seiner Freiburger Klasse gegründeten Konzerte und Kurse führten in die meisten Länder
Ensembles La Gamba, welches sich der Consortmusik Europas, die USA und nach Japan.
aus Renaissance und Frühbarock annimmt und
gelegentlich auch um anderen Instrumente und
Sänger erweitert wird.

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JOHANN SEBASTIAN BACH


Ausgewählte Daten zu Leben, Werk und Nachwirken

1685 – Am 21. März Geburt in Eisenach als Sohn ei- 1702 – Vergebliche Bewerbung um die Organisten-
ner weitverzweigten Thüringer Musikerfami- stelle an St. Jakobi in Sangerhausen
lie. Am 23. März Taufe in der St. Georgenki-
rche. Bis 1695 Besuch der Lateinschule in 1703 – Von März bis September Hofmusiker des
Eisenach. Herzogs Johann Ernst von Sachsen-Weimar.
Im Juli begutachtet Bach die Orgel der Neuen
1696 – Bis 1700, nach Tod der Eltern, Besuch des Kirche zu Arnstadt, wo er am 9. August zum
Lyceums in Ohrdruf. Bei seinem älteren Bru- Organisten bestellt wird.
der Johann Christoph erhält er vermutlich
ersten Unterricht auf Tasteninstrumenten. 1705 – Im Oktober reist Bach nach Lübeck, um dort
den Organisten an St. Marien, Dietrich
1700 – Bis 1702 Mettenschüler am Michaeliskloster Buxtehude, zu hören. Er dehnt den
in Lüneburg. Bach singt im Chor der Schule Aufenthalt auf drei Monate aus. Dies und
und lernt die Musik Georg Böhms, Organist einige Vorwürfe, darunter der, er begleite
an St. Johannis kennen. Mehrmals reist er den Gemeindegesang zu kompliziert
nach Hamburg, um den virtuosen Organisten (Arnstädter Choräle), führen zu
Johann Adam Reinken zu hören. Vielleicht Spannungen mit dem Konsistorium.
besucht Bach auch die von Reinhard Keiser
geleitete Oper. Ferner hat Bach Gelegenheit, 1707 – Am 15. Juni Anstellung als Organist an Divi
das Orchester des Hofes zu Celle zu hören, an Blasii zu Mühlhausen. Im Oktober heiratet
dem die moderne Musik französischer Bach seine Cousine Maria Barbara. Erste
Herkunft gepflegt wird. Kantatenkompositionen.

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Johann Sebastian Bach als


Weimarer Konzertmeister
Ölgemälde vermutlich von
Johann Ernst Rentsch d.Ä.
um 1715

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1708 – Im Juni Berufung zum Organisten und 1717 – Bachs Name erscheint erstmals im Druck. Jo-
Kammermusiker der Herzöge Wilhelm Ernst hann Mattheson nennt ihn (Das Beschützte
und Ernst August nach Weimar. Bis 1714 Orchestre) den »berühmten Organisten zu
entstehen hier viele der Orgelwerke. Bach Weimar« und rühmt seine Kompositionen.
lernt die Konzerte italienischer Art kennen. Am 5. August Berufung zum Hofkapellmeister
des Fürsten Leopold zu Anhalt-Köthen. Die
1710 – Am 22. November Geburt des Sohnes Entlassung aus dem Dienst in Weimar ist mit
Wilhelm Friedemann. einer vierwöchigen Haftstrafe (November)
verbunden. Im Herbst war Bach in Dresden
1713 – Im Dezember Bewerbung um die Nachfolge dem berühmten französischen Musiker Louis
Friedrich Wilhelm Zachows (Lehrer Marchand begegnet; Bachs Kunst soll Mar-
Händels) als Organist der Liebfrauenkirche chand bewogen haben, überstürzt abzurei-
zu Halle. sen. 16. Dezember: Orgelprüfung in der
Leipziger Paulinerkirche.
1714 – Bach zieht die Hallenser Bewerbung zurück.
Am 2. März Ernennung zum Konzertmeister 1720 – Anlage des Clavierbüchlein für den neunjäh-
in Weimar mit der Verpflichtung, alle vier Wo- rigen Sohn Wilhelm Friedemann. Im Juli Tod
chen eine Kantate zu schreiben. Am 8. März der Gemahlin Maria Barbara. Im November
Geburt des Sohnes Carl Philipp Emanuel. Bewerbung um die Organistenstelle zu St. Ja-
kobi, Hamburg (viermanualige Arp-Schnit-
1715 – Am 11. Mai Geburt des Sohnes Johann ger-Orgel). Reinschrift der Sonaten und Par-
Gottfried Bernhard. Am 1. August stirbt titen (Sei solo a Violino senza Baßo accom-
Herzog Johann Ernst. pagnato) für Violine solo (BWV 1001-1006).

1716 – Orgelprüfung an der Augustinerkirche in Erfurt 1721 – 24. März: Widmung der Brandenburgischen
und der Liebfrauenkirche in Halle. Die Auffüh- Konzerte. Am 3. Dezember Heirat mit Anna
rungsserie von Kantaten in Weimar bricht ab. Magdalena Wilcke. Nach der Heirat des

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Die Thomasschulordnung 1723. Titelblatt mit Stich von Johann Gottfried Krüger d. Ä.

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Fürsten mit der Prinzessin von Anhalt- Hauptgottesdienste, Vespern, Trauungen und
Bernburg geht die Bedeutung der Musik am Beerdigungen (gegen zusätzliche
Köthener Hof zurück. Bezahlung). Bach beginnt eine Reihe von
Kantatenkompositionen (insgesamt fünf
1722 – Bach legt das erste Clavier-Büchlein für Anna Jahrgänge, davon drei erhalten). Zusätzlich
Magdalena an. Das Wohltemperierte Klavier ist Bach Universitätsmusikdirektor. Zum
entsteht. Im Dezember Bewerbung um das Wechsel der Ratsmitglieder am 30. August
Amt des Thomaskantors in Leipzig. In Köthen wird Bachs Kantate BWV 119 aufgeführt. Im
waren entstanden u.a. die vier Orchestersuiten November Orgelgutachten und -einweihung
(Ouvertüren, BWV 1066-1069), die in Störmthal.
Violinkonzerte (BWV 1041-1043).
1724 – Am 7. April Aufführung der Johannes-
1723 – Aufführung der Probekantaten BWV 22 und Passion (BWV 245). Am 1. Sonntag nach
23 in Leipzig. Amtsantritt am 16. Mai, eine Trinitatis beginnt der zweite Kantatenjahrgang
Woche später Übersiedlung, am 30. Mai erste (Choralkantaten). Im Juni Orgelprüfung und
Kantatenaufführung in St. Nikolai (BWV 75). -einweihung in Gera.
Der Director Chori Musices Lipsiensis u.
Cantor zu S. Thomae ist der leitende 1725 – Anlage des zweiten Clavier-Büchlein für
Musiker der Stadt, verantwortlich für die Anna Magdalena Bach. Mit der Kantate BWV
Musik in den Kirchen St. Thomae, St. Nicolai, 249a zum Geburtstag des Herzogs Christian
St. Matthaei (»Neue Kirche«) und St. Petri, von Sachsen-Weißenfels setzt die
sowie für die Ausbildung der Schüler des Zusammenarbeit mit dem Dichter Christian
Thomasschul-Alumnats. Neben den Knaben Friedrich Henrici, genannt Picander ein.
verfügt der Kantor über acht städtische Auseinandersetzung über die Rolle Bachs im
Berufsmusiker sowie Studenten der Universitätsgottesdienst. Im September gibt
Universität. Seine Pflichten bestehen in der Bach zwei Konzerte an der Silbermann-Orgel
Gestaltung der sonn- und festtäglichen der Sophienkirche in Dresden.

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Bachs Eingabe an den Rat der Stadt Leipzig vom


23. August 1730

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1726 – Der dritte Kantatenjahrgang wird unterbro- nimmt Bach das 1702 von Telemann gegrün-
chen; von Februar bis September führt Bach dete »Collegium musicum«, eine Vereinigung
Stücke des Vetters Johann Ludwig auf, am von Berufsmusikern und Studenten der Uni-
Karfreitag die Markus-Passion Reinhard versität. Mit der Kantate BWV 174 zum Pfingst-
Keisers. Zur Michaelismesse veröffentlicht fest endet die regelmäßige Kantatenproduk-
Bach erstmals ein Werk im Druck: die Partita tion. Im Juni lädt Bach (erfolglos) Händel nach
B-Dur (BWV 825). Weitere fünf Partiten Leipzig ein. Im Oktober stirbt Johann Heinrich
werden bis 1731 gedruckt (als Sammelband Ernesti, Rektor der Thomasschule; Aufführung
Clavier Übung Teil I 1731 veröffentlicht). der Motette BWV 226. Bach vertreibt nun auch
Musikalien anderer Komponisten.
1727 – Am 11. April vermutlich erste Aufführung der
Matthäus-Passion (BWV 244b). Am 17. Ok- 1730 – Am Karfreitag wahrscheinlich Aufführung der
tober Aufführung der Trauerode (BWV 198) Lukas-Passion (BWV 246). 23. August:
zum Tode der Kurfürstin Christiane Eingabe an den Rat der Stadt wegen des
Eberhardine auf einen Text von Johann Niedergangs der Kirchenmusik (Kurtzer,
Christoph Gottsched. iedoch höchstnöthiger Entwurff einer
wohlbestallten Kirchen Music). Am 28.
1728 – Im September Streit mit der Kirchenbehörde Oktober Brief an den Jugendfreund Georg
um die Kompetenz, die Lieder des Erdmann in Danzig, in dem Bach seinen
Gottesdienstes aussuchen zu dürfen. Weggang aus Leipzig erwägt.

1729 – Im Februar wird Bach zum Hofkapellmeister 1731 – Am Karfreitag Aufführung der Markus-
zu Sachsen-Weißenfels ernannt. Am 24. März Passion (BWV 247). Veröffentlichung der
Reise nach Köthen, um die Trauermusik für Clavier Übung Teil I. Im September sieht
den verstorbenen Fürsten Leopold, seinen ehe- Bach in Dresden die Uraufführung der Oper
maligen Dienstherren, zu leiten. Zweite Auffüh- Cleofide von Johann Adolf Hasse. Konzerte in
rung der Matthäus-Passion. Im April über- der Sophienkirche.

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Das Caféhaus von Gottfried Zimmermann


in der Leipziger Katharinenstraße.

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1732 – Am 21. Juni Geburt des Sohnes Johann Chris- 1735 – Zur Ostermesse erscheint die Clavier Übung
toph Friedrich. Im September Orgelprüfung (Teil II) im Druck. Aufführung des Himmel-
und -einweihung der Orgel in der Kasseler fahrts-Oratoriums (BWV 11). Gutachten der
Martinskirche. neuen Orgel in der Marienkirche zu
Mühlhausen. Am 5. September Geburt des
1733 – Vom 1. Februar bis 2. Juli Landestrauer um Sohnes Johann Christian.
den verstorbenen Kurfürsten Friedrich
August I. Zur Aufhebung erklingt wahr- 1736 – Am Karfreitag Wiederaufführung der revidier-
scheinlich das umgearbeitete Magnificat ten Matthäus-Passion. Druck des Schemel-
(BWV 243). Am 23. Juni wird Wilhelm Frie- li-Gesangbuches. Im Juli beginnt der Streit
demann Organist an der Dresdner Sophien- um die Frage, wer die Chorpräfekten, Bachs
kirche. Im Juli bewirbt sich Bach, mit Einsen- Gehilfen im Kantorendienst, aussuchen darf;
dung der Stimmen von Kyrie und Gloria der am 19. November wird Bach zum
späteren h-Moll-Messe, beim neuen Kurfür- kurfürstlich-sächsischen Hofkomponisten
sten Friedrich August II. um den Titel eines ernannt. Am 1. Dezember Orgelkonzert in
Hofcompositeurs. Die großen Gratulations- der Dresdner Frauenkirche.
und Huldigungskantaten an die Mitglieder
des sächsischen Königshauses entstehen. 1737 – Im Frühjahr Rücktritt von der Leitung des
Collegium musicum. Arbeit am II. Teil des
1734 – Im November Amtseinführung von Thomas- Wohltemperierten Klavier sowie des III.
schulrektor Johann August Ernesti. Mit ihm Teils der Clavier Übung (erscheint zur Mi-
wird Bach aus Anlaß der Ernennung von chaelismesse 1739). Bachs Neffe Johann Eli-
Chorpräfekten in heftigen Streit geraten. Zum as wird Privat-Sekretär und Hauslehrer der
Weihnachtsfest entsteht, unter Verwendung Kinder; er entwirft Bachs Korrespondenz, der
von Musik der Huldigungskantaten des Vor- die Forschung wesentliche Einblicke in Bachs
jahres, das Weihnachts-Oratorium (BWV Tätigkeit in jener Zeit verdankt. Johann
248). Adolph Scheibe veröffentlicht in der Zeit-

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Clavierübung IV
(Goldberg-Variationen)
BWV 988

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schrift Der Critische Musicus Kritik an Bachs nach Berlin, um seinen Sohn Carl Philipp
Kompositionsweise, die durch ein schwül- Emanuel zu besuchen. Die Goldberg-
stiges und verworrenes Wesen das Natürli- Variationen (Clavier Übung Teil IV)
che entzöge und ihre Schönheit durch allzu erscheinen im Herbst.
grosse Kunst verdunkelt. Eine öffentliche
Verteidigung Bachs geschieht durch J. A. 1742 – Am 30. August wird für den Gutsherrn Carl
Birnbaum. Der Streit schwelt bis 1745. Heinrich von Dieskau in Kleinzschocher die
sogenannte Bauernkantate (BWV 212)
1738 – Johann Friedrich Agricola und Johann Phi- aufgeführt. Frühfassung der Kunst der Fuge
lipp Kirnberger (1739) werden Schüler (BWV 1080).
Bachs (bis 1741). Bach beschäftigt sich in-
tensiv mit liturgischer Figuralmusik in lateini- 1743 – Im Dezember Orgelprüfung in der Johannis-
scher Sprache. Carl Philipp Emanuel wird kirche zu Leipzig.
Cembalist des preußischen Kronprinzen und
nachmaligen Königs Friedrich II. 1746 – Im September gemeinsam mit Gottfried Sil-
bermann Orgelprüfung in der Wenzelskirche
1739 – Im September wird der Druck der Clavier zu Naumburg. Das erste der beiden bekann-
Übung (Teil III) veröffentlicht. Bach über- ten Bildnisse Bachs von Elias Gottlieb Hauß-
nimmt erneut (bis 1741) das Collegium mu- mann entsteht (im Besitz der Thomasschule);
sicum. Im September spielt Bach auf der das zweite Bild von 1748 besitzt heute William
Trost-Orgel der Schloßkirche zu Altenburg. Er H. Scheide. Druck der »Schübler«-Choräle.
beginnt mit der Revision von Choralvorspielen
der Weimarer Zeit (Leipziger Choräle). 1747 – Im Mai Besuch am Hofe Friedrichs II. in Pots-
dam; das Musicalische Opfer (BWV 1079),
1741 – Am 30. Mai stirbt der Besitzer des Caféhauses die »Elaboration des königlich Preußischen
Zimmermann, der Heimat und Spielstätte des Fugenthemas« erscheint zur Michaelismesse
Collegium musicum. Im August reist Bach (September) im Druck. Im Juni tritt Bach in

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die von Lorenz Mizler gegründete »Corres- Taylor. Im Mai wird Johann Gottfried Müthel
pondierende Societät der musicalischen letzter Schüler Bachs. 22. Juli letztes Abend-
Wissenschaften« ein; sein Probestück sind die mahl. Am 28. Juli stirbt Bach an den Folgen
Kanonischen Veränderungen (BWV 769). eines Schlaganfalls. Zwei oder drei Tage spä-
ter wird er auf dem Johannis-Friedhof bestat-
1748 – Im August beginnt Bach, die Missa von 1733, tet. Bach hinterläßt ein umfängliches Vermö-
ein Sanctus von 1724 sowie weitere neu- gen, darunter an Instrumenten: fünf Cembali,
komponierte oder parodierte Sätze zu einer zwei Lautenclaviere, zehn Streichinstrumen-
einheitlichen Partitur (h-Moll-Messe) zu- te, eine Laute und ein Spinett.
sammenzufassen. Bach leidet unter zuneh-
mender Verschlechterung des Sehvermögens. 1754 – Carl Philipp Emanuel Bach und Johann Fried-
rich Agricola veröffentlichen in L. Mizlers
1749 – Am 6. Mai verkauft Bach ein Fortepiano aus Musikalischer Bibliothek den Nekrolog auf
der Werkstatt Silbermanns nach Polen. Am 8. Johann Sebastian Bach, eine Art erster
Juni legt Johann Gottlob Harrer vor dem Rat Biographie. Darin ein Verzeichnis gedruckter
die Kantoratsprobe für Bachs Nachfolge ab; und ungedruckter Werke.
man rechnete wohl allenthalben mit Bachs
Ableben. Letzte mit Sicherheit datierbare 1774 – und Anfang 1775 schreibt Carl Philipp
Kantatenaufführung am 25. August (Wieder- Emanuel an Johann Nikolaus Forkel
aufführung von BWV 29). Im Oktober entste- Ergänzungen und Berichtigungen zum
hen die letzten Schriftzeugnisse von Bachs Nekrolog.
Hand. Gegen Ende des Jahres wird die
Drucklegung der Kunst der Fuge abge- 1782 – In Wien fertigt Wolfgang Amadeus Mozart aus
schlossen. der Sammlung des Barons Gottfried van
Swieten eine Collection von den Bachischen
1750 – Ende März und Anfang April Augenoperatio- fugen an.
nen durch den englischen Okulisten John

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1786 – Aufführung des Credo der h-Moll-Messe die Berliner Singakademie. Es folgen Auffüh-
durch Carl Philipp Emanuel in Hamburg. rungen auch in Frankfurt, Breslau und Kassel.

1789 – Mozart wohnt in Leipzig einer Übungsstunde 1835 – Am 12. Februar erste Gesamtaufführung der
des Thomanerchores unter Leitung von h-Moll-Messe durch die Singakademie unter
Johann Friedrich Doles (Thomaskantor von Carl Friedrich Rungenhagen in Berlin.
1756 – 1789) bei und hört die Motette Singet
dem Herrn ein neues Lied. Doles berichtet, 1840 – Felix Mendelssohn gibt in der Leipziger
Mozart habe begeistert ausgerufen, man Thomaskirche ein Orgelkonzert mit Werken
müsse ein ganzes Orchester dazu schreiben. Bachs zugunsten des von Eduard Bendemann
entworfenen Bach-Denkmals, das am 23.
1794 – Die Berliner Singakademie nimmt die April 1843 eingeweiht wird und noch heute
Motette Singet dem Herrn ein neues Lied vor der Thomaskirche steht.
als erstes Stück Bachs in ihr Repertoire auf.
1850 – Am 15. Dezember in Leipzig Gründung der
1801 – Bis 1803 erscheinen bei Hoffmeister & Deutschen Bach-Gesellschaft mit dem
Kühnel in Leipzig sämtliche Klavierwerke Zweck, die Werke Johann Sebastian Bachs
Bachs im Druck. vollständig und unter wissenschaftlichen
Gesichtspunkten im Druck herauszugeben.
1802 – Die erste Bach-Biographie erscheint: Johann Federführend ist Philipp Spitta.
Nikolaus Forkel, Über Johann Sebastian Bachs
Leben, Kunst und Kunstwerke. Der Verlag 1894 – Exhumierung von Bachs Skelett und
Breitkopf & Härtel gibt die Motetten heraus. Überführung in die Johanniskirche. Von hier
aus 1949 Überführung in die Thomaskirche.
1829 – Am 11. März Wiederaufführung der Mat-
thäus-Passion in einer Bearbeitung und unter 1900 – Nach Erscheinen des letzten Bandes der Bach-
Leitung Felix Mendelssohn Bartholdys durch Gesamtausgabe (Register und Geschichte der

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Bachgesellschaft) löst sich die Bach- Richard Wagners ausgehend, die Musik
Gesellschaft auf. Zugleich wird die Neue Bachs aus den vertonten Texten heraus unter
Bachgesellschaft gegründet, jetzt mit dem rhetorischen, dichterischen und ton-
Ziel, Bachs Musik in Deutschland durch malerischen Gesichtspunkten erklärt.
praktische Ausgaben, Veranstaltung von Bach-
festen und Errichtung eines Bach-Museums in 1906 – Die Neue Bachgesellschaft e.V. erwirbt das
Eisenach zu verbreiten. (vermeintliche) Geburtshaus Bachs,
Frauenplan 21 in Eisenach.
1901 – Erstes Bachfest der Neuen Bachgesellschaft
in Berlin. 1927 – Erstaufführung der Kunst der Fuge (in der
Bearbeitung Wolfgang Graesers) in der
1904 – Erscheinungsbeginn der Bach-Jahrbücher. Leipziger Thomaskirche.
Mit wenigen, kriegsbedingten Unterbrechun-
gen erscheint diese für die Bachforschung 1931 – Am 5. April (Ostersonntag) wird erstmals im
wichtige Publikation bis heute. Rundfunk (Mitteldeutsche Rundfunk-A.-G.)
eine Bach-Kantate direkt übertragen. Es ist
1905 – Die in Paris lebende Pianistin Wanda Land- der Auftakt des ehrgeizigen Projekts, alle
owska (1879 – 1959), die bereits zwei Jahre Kantaten Bachs mit dem Leipziger Thoma-
zuvor erstmals Bachs Musik öffentlich auf ei- nerchor unter Karl Straubes Leitung im
nem Cembalo vorgetragen hat, schreibt ihr Rundfunk zu senden (bis 1937). Zahlreiche
epochemachendes Buch Bach et ses inter- ausländische Sender schließen sich den
prètes: sur l’interprétation des œuvres de Übertragungen an. Noch heute haben viele
clavecin de J.S. Bach. Das Buch J. S. Bach – Radiostationen regelmäßig Bach-Kantaten
le musicien-poète von Albert Schweitzer er- im Programm.
scheint in Paris mit einem Vorwort von Char-
les-Marie Widor (deutsch 1908). Erstmals 1950 – Das Thematisch-systematische Verzeichnis
wird hier, wenn auch von der Ästhetik der musikalischen Werke von Johann Sebas-

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tian Bach (BWV) von Wolfgang Schmieder beiten zur Chronologie der Leipziger Vokal-
erscheint (revidierte Neuauflagen 1990, werke (Dürr) und der Werke Johann Sebas-
1998). Bei der Verleihung des Bach-Preises tian Bachs (v. Dadelsen) überhaupt vor.
der Stadt Hamburg hält Paul Hindemith seine
berühmte Rede Johann Sebastian Bach: Ein 1970 – Gründung des Oregon Bach Festivals durch
verpflichtendes Erbe. Er plädiert darin für Helmuth Rilling und Royce Saltzman – bis
eine authentische Darstellung und Wiederher- heute das bedeutendste Bach-Festival auf
stellung der damaligen Aufführungsbedingun- dem amerikanischen Kontinent.
gen der Musik. In seiner ebenso berühmten
Replik Bach gegen seine Liebhaber vertei- 1975 – Bedeutendster Bach-Quellenfund seit Jahr-
digt wendet sich Theodor W. Adorno (1955) zehnten: Das Handexemplar Bachs vom Ori-
zwar in gleicher Weise gegen das »aufgeblähte ginaldruck der Goldberg-Variationen (BWV
Bachbild der Spätromantik«, betont jedoch 988) wird aufgefunden. Auf der letzten Seite
die Zeitgebundenheit jeder Auseinanderset- hat Bach eigenhändig vierzehn Kanons über
zung mit Musik: »Die authentischen Werke die ersten acht Fundamentalnoten der den
entfalten ihren Wahrheitsgehalt ... in der Zeit«. Variationen zugrundeliegenden Aria notiert
(BWV 1087). Der vorletzte dieser Kanons
1951 – Die Einrichtung des Johann-Sebastian-Bach- (BWV 1087, 13) ist eine Frühfassung von
Instituts Göttingen und des Bach-Archivs dem auf dem Bach-Bild E.G. Haußmanns zu
Leipzig sind Voraussetzung für die Neue Aus- sehenden (BWV 1076).
gabe sämtlicher Werke Bachs (NBA). Sie er-
scheint als gemeinsame Edition im Bärenrei- 1981 – Gründung der Internationalen Bachakade-
ter-Verlag Kassel u.a. und im VEB Deutscher mie Stuttgart.
Verlag für Musik Leipzig.
1985 – Die ersten Bände des Bach Compendium.
1957 – Alfred Dürr und (im folgenden Jahr Georg Analytisch-bibliographisches Repertorium
von Dadelsen) legen die grundlegenden Ar- der Werke Johann Sebastian Bachs von

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Hans-Joachim Schulze und Christoph Wolff der Yale University, New Haven (Neumeister
erscheinen. Zugleich wird die erste und bis – Sammlung, BWV 1090-1095, 1097-1120).
heute einzige Schallplatten-Gesamteinspie-
lung der Kirchenkantaten Bachs durch Hel- 2000 – Zum 250. Todestag Johann Sebastian Bachs
muth Rilling und seine Ensembles nach vier- erscheint die EDITION BACHAKADEMIE, die erste
zehnjähriger Produktionszeit vollendet und vollständige Gesamtaufnahme der Werke
im Hänssler-Verlag veröffentlicht. Auffinden Bachs auf CD, als Gemeinschaftsproduktion
einer Handschrift mit 31 Choralbearbeitun- von hänssler classic und der Internationalen
gen, vermutlich aus Bachs Arnstädter Zeit, in Bachakademie Stuttgart unter der künstleri-
schen Gesamtleitung von Helmuth Rilling.

Bachs Wappen an der Tür der Georgenkirche Eisenach, Johann Sebastian Bachs Taufkirche

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VERZEICHNIS UND ERLÄUTERUNGEN


HÄUFIG GEBRAUCHTER BEGRIFFE

Alla breve ter seiner Herkunftsbezeichnung international


Bezeichnung für einen 2/2- oder 4/2-Takt, in dem die gesellschaftsfähig wurde. Seit etwa 1650 eröffnet die
halbe Note Zählzeit bzw. Metrum des Schlages ist. Vor- Allemande die beliebten (Instrumental-) → Suiten.
gezeichnet wird (durchstrichener Halbkreis) oder 2. Dieser häufige Gebrauch verleitet die Komponisten,
Der Begriff »alla breve« kommt aus der Terminologie zahlreiche formale Varianten auszuprobieren.
der älteren Musik und bezog sich auf den Schlag nach Grundsätzlich hat die Allemande zwei Teile, die beide
der sog. »Brevis«-Note und entsprach somit einem jeweils wiederholt werden. Im 18. Jahrhundert, also
Denken in größeren Einheiten. Im 17., 18. und vor al- besonders zu Bachs Lebenszeit, wird aus der
lem 19. Jahrhundert wird diese Taktart daher gerne Allemande ein in Harmonik und Melodiebildung
für bewußt in einem archaischen Stil gehaltene Stücke komplexeres Gebilde. Bachs Französische Suiten
verwendet, bei Bach z.B. für »Kyrie II« und »Credo« BWV 812 – 817 werden jeweils von einer Allemande
aus der h-Moll-Messe. »Allabreve« tritt auch in der In- eingeleitet; in den Englischen Suiten BWV 806 – 811
strumentalmusik auf, etwa als Bezeichnung für das geht der Allemande ein → Präludium voraus, in den
Orgelstück BWV 589 und in den fugierten Mittelteilen → Partiten BWV 825 – 830 ein jeweils
der Eingangssätze der → Ouvertüren. unterschiedlich bezeichnetes Vorspiel. Der »Deutsche
Tanz«, wie er später etwa von Mozart und Schubert
Allemande komponiert wird, greift eine andere Tradition auf und
(frz. danse allemande = Deutscher Tanz). Gehört von hat mit der Allemande nichts mehr zu tun.
etwa 1600 bis 1750 zu den beliebtesten Tanztypen in
der Musik. Die Allemande ist ein geradtaktiger (4/4- Arie
Takt) Schreittanz, der im 16. Jahrhundert in Deutsch- Musikstück für Solostimme(n) mit instrumentaler Be-
land als »Dantz« bezeichnet wurde und von daher un- gleitung in Oper, → Oratorium, → Passion und →

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Kantate. Die Herkunft des Begriffs ist undeutlich: »air, ne Melodie nicht einem Choral entnommen, sondern
aire« (altfranzösisch) = Art und Weise, »aria« (italie- eigens komponiert hatte. Ferner gibt es die gegen die
nisch) = Atmosphäre, Luft. Die Arie ist ein in sich ge- eigentliche Begriffsverwendung nur instrumental aus-
schlossenes Stück. Gegliedert wird es auf verschiede- geführte Aria. Besonders in Variationenwerken wird
ne Art und Weise. Die im Barock am häufigsten ver- das Thema, das in verschiedenen Abschnitten und
wendete Form ist die dreiteilige »Da Capo-Arie« (»da nach allen erdenklichen Formen musikalischer
capo« = italienisch »vom Kopf an«). Hier folgt auf ei- Kunstfertigkeit variiert wird, als »Aria« bezeichnet, so
nen musikalisch abgeschlossenen Teil (A) ein (Mittel-) in Bachs Goldberg-Variationen BWV 988. Über die
Teil (B). Diesem Teil liegt ein anderer Text zugrunde, ersten acht → Fundamentalnoten dieser Aria der
steht oft auch in einer anderen, verwandten Tonart, Goldberg-Variationen schreibt Bach in sein Hand-
und erklingt bei Bach häufig auch mit verringerter in- exemplar zusätzlich vierzehn → Kanons. Schließlich
strumentaler Begleitung. Nach dem Ende des Teiles B findet sich der Begriff als Bezeichnung ausgeprägt me-
wird A wiederholt; in Partitur und Stimmen in der Re- lodischer Sätze bei Bach auch in instrumentalen →
gel jedoch nicht mehr ausgeschrieben. Die Anweisung Suiten, etwa in den Französischen Suiten für Cemba-
»Da capo al Fine« oder »dal Segno« genügte dem Mu- lo BWV 813 (Nr. 4) und 815 (Nr. 5). Berühmt ist das
siker als Hinweis darauf, vom Anfang oder vom Zei- »Air« der Orchestersuite D-Dur BWV 1068 (Nr. 2).
chen (Segno) aus bis zum angegebenen Ende (Fine)
des Teiles A die Musik zu wiederholen. Der »Da Capo« Bach-Jahrbuch → NBG
wiederholte Teil gab zudem dem Sänger Gelegenheit
für improvisierte Verzierungen. Basso continuo
Eine andere Form der Arie ist die strophische (ital. = kontinuierlicher, ununterbrochener Baß). Be-
Arie. Hier werden mehrere Strophen, etwa eines Ge- zeichnung für die instrumentale Baßstimme, die dem
dichtes, nacheinander zur gleichen Musik vorgetra- barocken Tonsatz sein Fundament verleiht. Notiert
gen. »Aria« nennt Bach auch den choralartigen wird dieser Baß stets als mit Ziffern versehene Stim-
Schlußsatz der Motette »Komm, Jesu, komm« BWV me. Diese Ziffern deuten, nach einer Definition von
229, vielleicht, weil er die von den drei Chorstimmen Johann Mattheson (1735), den vollstimmigen Zu-
Alt, Tenor und Baß begleitete, vom Sopran vorgetrage- sammenklang an, »nach deren Vorschrifft volle Griffe

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Organist,
Kupferstich aus:
»Musicalisches Theatrum«
von Johann Christoph Weigel
Nürnberg um 1722

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auf dem Clavier (oder einem anderen Instrument) ge- Kompositionstechnik wird der musikalische Barock
machet werden, damit dieselbe dem übrigen Concert auch »Generalbaß-Zeitalter« genannt. Manchen Theo-
in genauer Einigkeit, zur Unterstützung und Beglei- retikern erscheint diese auf dem Baß sich gründende
tung dienen.« Gemeint ist damit, daß das zum mehr- Technik auch als Abbild einer streng hierarchisch ge-
stimmigen Spiel fähige → Klavier, also ein Tastenin- gliederten Weltordnung. Es gibt Beispiele in der Mu-
strument wie Cembalo oder Orgel, die meist von ei- sik Bachs, wo der gänzliche und auffallend unge-
nem Melodieinstrument wie Cello, Kontrabaß (Violo- wöhnliche Verzicht auf die Baßstimme (z.B. in der
ne) oder Fagott gespielte Baßlinie mit Akkorden er- Arie »Aus Liebe will mein Heiland sterben« in der
weitert und den gesamten Satz harmonisch auffüllt. Matthäus-Passion BWV 244 Nr. 49) mit einer bewußt
Statt dem Tasteninstrument können auch Lauten- theologischen Aussage begründet wird, etwa, daß
instrumente (Laute, Theorbe, Chitarrone) diese Ak- Bach hier die das Stück umgebende Realität des Pas-
kord-Funktion erfüllen. Erhalten diese Instrumente sions-Berichts verläßt. Oder: Wenn der Heiland stirbt,
nicht mehr bloße Ziffern zur Ausführung, sondern ei- fehlt das Fundament des Glaubens. Andere Formen
nen auskomponierten Satz, spricht man von einer → neben dem Generalbaß sind polyphone (mehrstimmi-
obligaten Partie. Der kundige Spieler konnte und ge) Kompositionstechniken, in denen alle Stimmen,
kann aus der Baßnote und den Ziffern die vom Kom- horizontal übereinandergeschichtet, gleichberechtigt
ponisten beabsichtigte harmonische Struktur erken- sind. Regeln für den Generalbaß hat Bach in seinem
nen und improvisierend umsetzen, da die Ziffern ClavierBüchlein für Anna Magdalena Bach von 1725
Intervalle bezeichnen (4 = Quarte, 6 = Sext usw.). notiert. Gleichwohl sind die Erkenntnisse über die
Dabei bleibt es seinem stilistischen Empfinden und Ausführung des bezifferten »basso continuo«, die
seiner Phantasie überlassen, ob er die bloßen Akkor- Continuopraxis, besonders seit dem Aufkommen der
de mit Hilfe von zusätzlichen Noten miteinander ver- sog. »historischen Aufführungspraxis« und des an ihr
bindet. Dadurch kann ein Spieler, bei Vokalmusik, ge- geschärften Stilbewußtseins, einer Entwicklung unter-
sungene Texte und Affekte (wie z.B. Trauer oder Freu- worfen. Diese betrifft Fragen wie die instrumentale
de) vorbereiten, unterstreichen und ausdeuten. Besetzung, ob z.B. bei den geistlichen Kantaten Bachs
Wegen dieser grundsätzlichen, auf dem »basso conti- eine Orgel oder ein Cembalo oder gar beide Instru-
nuo« (auch »Generalbaß« genannt) beruhenden mente mitgewirkt haben. Oder die Art des Spiels: ob

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die Töne der Baßstimme bzw. der Orgel über ihre Aufführung der Bachschen Musik. Das BWV sortiert
ganze angegebene Dauer ausgehalten oder nur kurz die Kompositionen nicht nach dem Datum ihrer Ent-
angespielt werden sollen. stehung, sondern nach Werkgruppen, deren Ordnung
sich wiederum zum Teil nach der zufälligen Ordnung
Bourrée der seit 1850 erscheinenden Bach-Gesamtausgabe
(vielleicht von frz. bourrer = schlagen). Stark rhyth- richtet. Das BWV beginnt mit der Vokalmusik (Geistli-
misch betonter Tanz aus Frankreich. Hat, nach Johann che, Weltliche → Kantaten, → Motetten, Lateinische
Mattheson (Das Neu=Eröffnete Orchestre, 1713), → Figuralmusik ( → Messen, Messensätze, → Magni-
»ordentlich einen Vierviertel Tact und deren 4. in der ficat), → Passionen und → Oratorien, vierstimmige
ersten, und 4. in der andern und letzten Reprise, → Choräle und Lieder) und gruppiert anschließend
dafern sie zum Tantzen destiniret, sonst nimmt man die Instrumentalmusik in die Werkbereiche Orgel,
sich liberté. Sie haben übrigens ein dactylisches Klavier und Laute, → Kammermusik, Orchesterwerke,
Metrum, so daß gemeiniglich auf ein Viertel zwey → Kanons, Musikalisches Opfer und Kunst der Fuge.
Achtel folgen und der Anfang mit dem letzten Viertel In drei Anhängen verzeichnet das BWV Fragmente und
des Auffschlages gemacht wird«. (→ Suite) verschollene Werke, Werke zweifelhafter Echtheit so-
wie Bach fälschlich zugeschriebene Werke fremder
BWV Komponisten. Aufgrund der Ergebnisse der Bachfor-
Abkürzung für Bach-Werke-Verzeichnis. Das BWV schung kommt es vor, daß Werke aus dem »regulä-
wurde angelegt von Wolfgang Schmieder und 1950 als ren« Teil dem Anhang zugewiesen werden müssen
»Thematisch-systematisches Verzeichnis der musika- oder auch den umgekehrten Weg gehen.
lischen Werke Johann Sebastian Bachs« herausgege-
ben (2. Auflage 1990; Kleine, nochmals überarbeitete Cantus firmus
Ausgabe 1998). Zu Bachs Zeit legten Komponisten (lat.: = feststehender Gesang). Die einem mehrstim-
noch keine eigenen Werkverzeichnisse an. Wie das migen Satz zugrunde liegende Melodie. Diese kann
von Ludwig Ritter von Köchel herausgegebene eine frei erfundene Melodie sein; in der Regel handelt
Verzeichnis der Werke Wolfgang Amadeus Mozarts ist es sich bei Bach jedoch um die Melodie eines → Cho-
das BWV Verständigungsgrundlage für Forschung und rals. Cantus firmus ist in besonders kunstvollen Sätzen

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das musikalische Element, das dem Hörer erkennbar in der mehrstimmigen Musik des Mittelalters auf und
bleibt, gleichsam als Norm vorgegeben wird. So etwa wurde seit der Renaissance zu höchster Blüte entwi-
in den Choralvorspielen oder -bearbeitungen für die ckelt. Sie ist eine über die bloße Kompositionstechnik
Orgel oder in den Choralkantaten ( → Kantaten) hinausreichende Möglichkeit, verschiedenste, auch
Bachs. Hier tragen die Instrumental- und Vokalstim- außermusikalische Inhalte miteinander zu
men vielfach frei erfundenes oder aus Motiven des kombinieren und dadurch assoziativ einen höheren
Cantus firmus entwickeltes Material vor, bis der Can- Grad an Ausdruck einerseits, Verständnis andererseits
tus firmus in »reiner Form« Ursprung und Zielpunkt zu erreichen.
der Musik zu erkennen gibt. Besonders kunstvoll ge-
lingt Bach dies etwa im Eingangschor der Matthäus- Canzone
Passion, wo er in den (in e-moll stehenden) Klage-Di- (lat. cantio – Gesang, franz. – Chanson). Musikali-
alog der beiden Chöre die vom Sopran vorgetragene, sche Gattung. Durch Übertragung von Vokalstücken
in Dur stehende Choralmelodie »O Lamm Gottes un- auf Instrumente wird aus dem Gesangsstück seit etwa
schuldig« einbaut und damit eine theologisch ausge- 1500 eigenständige Instrumentalmusik. Hier kann
richtete Verbindung verschiedener Textelemente er- der Begriff sehr unterschiedliche Inhalte bezeichnen,
reicht. In der Kantate BWV 19 »Es erhub sich ein z.B. ein weniger anspruchsvolles, weniger kunstferti-
Streit« läßt Bach zur Arie Nr. 5 »Bleibt, ihr Engel, ges Stück, ein mehrchöriges Bläserstück (bei Gabrie-
bleibt bei mir«, vorgetragen vom Tenorsolisten, Strei- li) oder ein kontrapunktisches, mehrsätziges Werk in
chern und → Basso continuo, die Trompete ab- Richtung einer → Sonate. Michael Praetorius findet
schnittsweise die Choralmelodie »Herzlich lieb hab 1619 die Unterscheidung, »daß die Sonaten gar gravi-
ich dich, o Herr« blasen. Diese rein instrumentale tetisch und prächtig uff Motetten Art gesetzt seynd, die
Verwendung des Cantus firmus erlaubt dem Hörer, Canzonen aber mit vilen schwartzen Notten frisch, fröh-
hier den Text der dritten Strophe dieses Liedes zu as- lich und geschwinde hindurch passieren«. Die Musik
soziieren: »Ach Herr, laß dein lieb Engelein«, einen für Tasteninstrumente kennt die Canzone über den
Text, den er als Schlußchoral der zwei Jahre zuvor ge- Kompositionsstil hinaus als eigenständige Gattung.
schriebenen Johannes-Passion wiedererkannte. Die Anfang des 17. Jahrhunderts ist Canzone gleichbedeu-
äußerst vielseitige Cantus firmus-Technik kam bereits tend mit → Fuge. Von hier aus konzentriert sich die

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Canzone auf die Orgel und wird ein fester Begriff für Chitarrone
liturgische Instrumentalmusik (vor allem in den »Fio- (ital., Vergrößerung von Chitarra = Gitarre). Größtes
ri musicali« Girolamo Frescobaldis), die verschiede- Instrument der Lautenfamilie, Baßlaute. Der Chitarro-
ne Abschnitte miteinander verbindet oder auch ne ist zusätzlich mit Bordunsaiten bespannt, die in
kontrastiert. Bachs Canzone D-Dur für Orgel BWV 588 einen zusätzlichen Wirbelkasten münden. Sie können
ist in zwei Teile gegliedert. Wesentlichen Einfluß hat nur gezupft, nicht gegriffen werden. Sie schwingen
die Canzone alten Stils – Bach besaß eine Abschrift beim Spiel mit und erweitern den Klang dynamisch.
der »Fiori Musicali« – auf viele Fugen des Wohltem- Seiner Klangfülle gerade in den tiefen Bereichen
perierten Klavier. wegen wird der Chitarrone in der älteren Musik gerne
als Instrument für den → Basso continuo eingesetzt.
Capriccio
(ital. = Laune, Einfall). Bezeichnung für ein Musik- Choral
stück, das ohne strenge formale Vorgaben einer Lau- (lat. choralis = zum Chor gehörig). Einerseits Begriff
ne, einem spontanen Einfall folgt. Seit dem 17. Jahr- für einstimmige, unbegleitete, liturgische Gesänge der
hundert eine Domäne der Instrumentalmusik. In der katholischen Kirche in lateinischer Sprache. Anderer-
älteren Musik für Tasteninstrumente werden solche seits das evangelische Kirchenlied, einstimmig oder
Einfälle in Form von Variationen verarbeitet, oft mit mehrstimmig gesungen, in jedem Fall aber in der
lautmalerischen oder anderen Affekten. In dieser Tra- Volkssprache und in der Regel auch instrumental be-
dition steht das kuriose »Capriccio B sopra la lonta- gleitet. Teil des protestantischen Gottesdienstes. Ur-
nanza del fratello dilettissimo« von Johann Sebastian sprünglich auf die Gruppe der Sänger bezogen, über-
Bach (BWV 992). Es beschreibt in sechs Abschnitten trug sich der Begriff auf das, was diese Sänger sangen.
eine Art Dialog über die Abreise des geliebten Choralvorspiele und -bearbeitungen für die Orgel,
Bruders: Schmeichelungen und Warnungen, ihn von aber auch die kunstvollen mehrstimmigen Choralsät-
der Reise abzuhalten, Lamento darüber, daß alles ze von → Kantaten, → Passionen und → Oratorien so-
nichts geholfen hat, sowie Trauer über den Abschied, wie die Verwendung von Choralmelodien in der →
die sich mit dem Horn des Postillons ankündigt und Cantus firmus-Technik unterstreichen die Bedeutung
sich in einer höchst originellen Fuge vollzieht. der spezifischen liturgischen Rolle des Kirchenliedes,

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das in Deutschland den Gemeinden schon früh in den Courante zum festen Bestandteil der Tänze am franzö-
jeweiligen Gesangbüchern zugänglich gemacht wurde. sischen Hof und damit auch zur → Suite.

Clavichord → Klavier Da Capo → Arie

Colla parte Fantasie


(ital. = »mit der Hauptstimme«). Spielanweisung für (griech. Phantasia = Vorstellung, Erscheinung). Mu-
Instrumentalstimmen, andere, meist vokale Stimmen sikalische Gattung. Jedes Musikstück beruht auf einer
mitzuspielen. Bach setzt diese Technik z.B. bei seinen musikalischen Erfindung. Jedes Musikstück ist zu-
Motetten voraus, die nicht a cappella (ohne instru- nächst also eine Fantasie; in der älteren Musik seit
mentale Begleitung), sondern eben mit Instrumenten dem 16. Jahrhundert steht dieser Begriff daher gleich-
»colla parte« aufgeführt wurden. Dieselbe Technik berechtigt neben anderen wie etwa → Präludium, →
gilt auch für die Ausführung der Choralsätze in → Ricercar oder → Toccata. Je mehr die Tonkunst von
Kantaten, → Passionen und → Oratorien. Etwaige den Komponisten fordert, ihre Einfälle formal zu bän-
zusätzliche Instrumente, die nicht die Vokalstimmen digen, desto mehr wird die Fantasie zum Begriff für
stützen, spielen eine → obligate Partie. Stücke, die sich einer festgefügten Form entziehen. Zu
beobachten ist das ausgiebig an den Fantasien Johann
Concerto → Konzert Sebastian Bachs für Tasteninstrumente. Die Chroma-
tische Fantasie BWV 903 trägt das Wesen der ihr ei-
Continuopraxis → Basso continuo genen Phantasie, das extreme Ausnutzen der Tonalität
und Harmonik, bereits im Titel. Die Fantasie g-moll
Courante BWV 542 für Orgel vereinigt in kleinteiliger Art und
(von frz. courir = laufen). Französischer Tanz mit Weise rezitativische Elemente mit kontrapunktischen;
schnellen und zahlreichen Bewegungen im Dreiertakt andere Fantasien, z.B. BWV 562 und BWV 906,
(3/2, 6/4, 3/4, 3/8). Häufig wird die Note auf der er- verarbeiten auf höchst unterschiedliche Weise ein
sten Zählzeit punktiert, was zusätzlich zur rhythmi- oder mehrere musikalische Motive.
schen Belebung hilft. Im 17. Jahrhundert gehört die

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Figuralmusik es die zweite Stimme im Abstand einer Quinte über-


(lat. musica figuralis, musica figurata, musica figura- nimmt, während die erste Stimme das sogenannte
tiva). Ein sehr vielfältiger, bereits im Mittelalter ge- »Kontrasubjekt« dagegenspielt. (Setzt die zweite Stim-
bräuchlicher Begriff. Allgemein wird mit Figuralmusik me in der gleichen Tonhöhe wie die erste ein, spricht
die kunstvoll ausgestaltete, mehrstimmige Vokal- und man von einem → Kanon). Die Anzahl der Stimmen
Instrumentalmusik bezeichnet, im Gegensatz zum kann theoretisch unendlich sein, beträgt in der Regel
einstimmigen Gesang des gregorianischen → Chorals. aber vier oder fünf. Doppel-, Tripel- und Quadrupelfu-
Lateinische Figuralmusik bezieht sich auf die verwen- gen sind Fugen mit zwei, drei oder vier Themen; die
dete Sprache. Latein war bis zur Reformation die letzte Fuge der Kunst der Fuge, in der Bach alle denk-
verbindliche Sprache der Kirche. In dieser Sprache ist baren Formen dieser Kompositionsweise ausprobiert,
der Text der → Messe mit den als »Ordinarium« ist eine solche Tripelfuge (»a tre soggetti«); beim Ein-
bezeichneten Teilen Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und satz des letzten Themas auf die Namenstöne B-A-C-H
Agnus Dei abgefaßt (von Bach vertont in der hat Bach die Komposition abgebrochen, was zu zahl-
h-Moll-Messe). Ebenfalls zum Korpus von Bachs reichen Spekulationen Anlaß gegeben und Die Kunst
lateinischer Figuralmusik gehört das → Magnificat. der Fuge, deren einzelne Fugen Bach übrigens »Con-
trapunctus« nennt, mit einer mystischen Aura umge-
Fortepiano → Klavier ben hat. Kleine Fugen nennt man »Fughette«, nur an-
satzweise im Fugenstil ausgeführte Passagen »Fugato«.
Fuge
(lat. fuga = Flucht). Kompositionsweise. Die Fuge ist Fundamentalnoten
fast zum Synonym für den → Kontrapunkt bzw. den (lat. fundamentum = Grund). Die Barockmusik spie-
Kontrapunktischen Stil geworden, der im Prinzip be- gelt die Weltanschauung ihres historischen Zeitalters.
sagt, daß Musik aus einer Vielzahl von einzelnen, selb- Diese Welt ist demnach hierarchisch gegliedert und fin-
ständigen Stimmen (Melodien) besteht, deren Zu- det, noch vor der Kunst, ihren vorzüglichen Ausdruck
sammenklang dann Harmonien und Klänge ergeben. in der politischen und religiösen Ordnung. Wie diese
Die Fuge ist davon ein Sonderfall. Sie hat ein Thema, braucht Barockmusik ein Fundament, das die anson-
das zunächst von einer Stimme vorgestellt wird, bevor sten in horizontalen Ebenen verlaufenden Einzelstim-

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Autograph:
»Die Kunst
der Fuge«
(BWV 1080) mit
Schlußvermerk
Carl Philipp
Emanuel Bachs

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men vertikal stützt und mit Akkorden klanglich auffüllt. Gavotte


Fundamentalnoten sind die Baßtöne des musikali- Nach den Bewohnern von Gap (Ort in den französi-
schen Satzes im Barock. Sie werden gespielt von tiefen schen Alpen) benannter Tanz im 2/2- oder 4/4-Takt,
Streich- (Violoncello, Violone oder Kontrabaß) oder beginnt in der Regel auftaktig mit zwei Vierteln. Die
Blasinstrumenten (Fagott). Die Bezifferung über die- Gavotte wird im 17. Jahrhundert gelegentlich zwi-
sen Noten gibt an, wie der Spieler des dazukommen- schen die Standardsätze der → Suite eingeschoben; in
den, mehrstimmig spielenden Instruments (Tastenin- Bachs Suiten erhält sie noch größeres Gewicht.
strument, Instrument der Lautenfamilie) diese Noten
mit Akkorden ergänzen soll ( → Basso continuo). Gebrauchsmusik
Der Begriff kommt eigentlich erst im 20. Jahrhundert
Galanteriesätze auf. Mit ihm wird Musik bezeichnet, die sich auf eine
(Von span. gala = Hoftracht). Der galante Stil be- bestimmte Funktion beschränkt und einen praktischen
zeichnet alles, was im 17. Jahrhundert in Europa die Zweck erfüllen soll. In diesem Sinne ist Gebrauchsmu-
am beherrschenden französischen Hof Ludwigs XIV. sik z.B. eher pädagogisch als ästhetisch wertvolle Mu-
gepflegten Bräuche nachzuahmen suchte. Dazu sik für Amateure. Durch diese auch soziologischen As-
gehörte auch jene Tonkunst, die eher dem Ohr der pekte umfassende Deutung hat der Begriff von Ge-
Liebhaber schmeicheln als das intellektuelle Interesse brauchsmusik einen minderwertigen Beigeschmack
der Theoretiker erfreuen wollte. Als galante Musik bekommen. Im Blick auf Bach und seine Zeit meint
bzw. einzelne Sätze in Musikstücken könnte man der Begriff wertfrei Musik, die tatsächlich einem be-
daher leicht spielbare, melodiöse, harmonisch stimmten, heute noch nachvollziehbaren Zweck die-
einfache Stücke bezeichnen. Der Begriff ist freilich nen soll. In diesem Sinne sind die Kantaten, Choralbe-
undeutlich; in der Regel bringt man die Musik von arbeitungen und Orchesterkonzerte, im Gegensatz
Bachs Söhnen in ihren Zusammenhang, wohl auch, etwa zur Die Kunst der Fuge, Gebrauchsmusik.
um sie gegen das raffiniert-gestrenge Spätwerk des
Vaters, als Ausdruck einer neuen Zeit abzusetzen. Gigue
(von engl. jig), Tanz keltischen Ursprungs aus Eng-
land. Jigs gehören auf den Britischen Inseln noch heu-

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te zum Folklore-Repertoire; den fröhlichen, ausgelas- und sind nach aufsteigender technischer Schwierig-
senen Tanz gibt es in einer Zweier- und Dreiertakt- keit angeordnet. Zum einen betrachtet sie Bach als
Version. Giguen sind bei Bach meist die Schlußsätze Lehrstücke, wie er im Vorwort des Autographs von
der → Suiten und → Partiten. Er schreibt sie im 6/8 1723 schreibt: »Auffrichtige Anleitung, wormit denen
oder 12/8 Takt, mit zu jeweils Dreien gebundenen Liebhabern des Clavires, besonders aber denen Lehr-
Achteln. Charakteristisch ist hier die Zweiteiligkeit der begierigen, eine deütliche Art gezeiget wird, nicht al-
Stücke; zu Beginn des zweiten Teils wird das Thema leine mit 2 Stimmen reine spielen zu lernen, sondern
des ersten Teils gespiegelt; typisch für Bachs Giguen auch bey weiteren progreßen, mit dreyen obligaten
ist die kontrapunktische Kompositionsform. Partien richtig und wohl zu verfahren, anbey auch zu-
gleich gute inventiones nicht alleine zu bekommen,
Hammerflügel → Klavier sondern auch selbige wohl durchzuführen...« Zum
anderen bilden diese Inventionen auch ein Kompen-
Invention dium der Kunst, zu zwei Stimmen zu komponieren; es
(lat. inventio, ital. invenzione = Erfindung). Bezeich- finden sich Kanons, Fugen, mehr oder weniger kom-
net sowohl einen neuartigen Kompositionstyp, als plizierte Durchführungen eines oder mehrerer The-
auch, in Richtung → Fantasie, einen bestimmten Kom- men sowie sonatenähnliche Stücke. Auch im Wohl-
positionseinfall. Der Begriff erscheint in Musikdru- temperierten Klavier finden sich Präludien im Stil
cken erstmals in den »Livres des inventions musica- zweistimmiger Inventionen.
les« von Clément Janequin 1555. Im italienischen Ba-
rock überwiegt die Verwendung des Begriffs für die Kammermusik
neuartige Komposition. Noch Antonio Vivaldi nennt (ital. »musica da camera«). In der Regel Musik für
die Sammlung von Konzerten, die die berühmten wenige, solistisch besetzte Instrumente vom Solo bis
»Vier Jahreszeiten« enthält, »Il cimento dell’ armonia zum Nonett mit Streich- und Blasinstrumenten mit
e dell’invenzione«. Johann Sebastian Bachs 15 Inven- oder ohne Klavier. Bachs Kammermusik entstand vor
tionen für Tasteninstrument BWV 772 ff. erscheinen allem für die Bedürfnisse des höfischen, aber auch
erstmals im Clavier-Büchlein für Wilhelm Friede- des privaten Musizierens, weshalb die meisten Stücke
mann Bach; hier heißen sie noch »Praeambulum« aus der Weimarer und Köthener Zeit stammen. Hier-

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hin gehören die Solostücke für Violine und Violoncel- tuelle Spielerei. Auf dem berühmten Porträt Elias
lo, die Lautenwerke, die Sonaten für Violine, Flöte und Gottlieb Haußmanns hält Bach ein Blatt Papier in der
Viola da Gamba mit → Basso continuo oder → obli- Hand mit dem »Canon triplex à 6 Voc:«. Dies ist
gatem Cembalo sowie anderen Instrumenten. Bachs zugleich der dreizehnte einer Serie von insgesamt 14
berühmtestes kammermusikalisches Werk dürften die Kanons »über die ersten acht Fundamentalnoten« der
für mehrere Instrumente vorgesehenen Abschnitte den Goldberg-Variationen zugrunde liegenden →
aus dem Musikalischen Opfer BWV 1079 sein. Aria abgebildet sind.

Kanon Kantate
Musikalische Technik und Form (griech. für Maß, Re- Musikstück für Singstimme(n) und instrumentale Be-
gel). Der Kanon ist die am strengsten organisierte gleitung (lat. »cantare« = singen). Es umfaßt mehre-
Form des → Kontrapunkts. Ein Kanon liegt vor, wenn re Abschnitte, vor allem → Rezitative und → Arien.
bei mehrstimmiger Musik eine Stimme von anderen, Der Begriff kommt in Italien zu Beginn des 17. Jahr-
von der gleichen Tonstufe aus beginnenden Stimmen hunderts auf; seine Verwendung folgt bis ins 19. Jahr-
wiederholt wird und alle Stimmen, nur um jeweils hundert hinein der vielfältigen Entwicklung der ur-
eine Phase verschoben, zusammen erklingen. Kompli- sprünglichen musikalischen Form. Eine dieser Ent-
zierte Formen ergeben sich, wenn die Notenwerte ei- wicklungen führt zur geistlichen Kantate der Bach-
ner Stimme gegenüber der anderen vergrößert oder Zeit. Wesentlich für diese Form sind: eine vokal und
verkleinert werden, wenn die wiederholenden die ur- instrumental gemischte Besetzung, mehrere Sätze, die
sprüngliche Stimme um eine horizontale oder vertika- sich in Takt, Tonart, Charakter und meist auch in der
le Achse spiegeln oder in umgekehrter Form erklin- Besetzung unterscheiden, sowie ein geistlicher Text,
gen. Kanons vielfältigster Art spielen bei Bach in der der sich in der Regel aus Bibelwort, → Choral und
Kunst der Fuge und vor allem im Musikalischen Op- freier Dichtung zusammensetzt. Dieser Text ist be-
fer eine wesentliche Rolle. Die Aufzeichnung einer trachtender Natur und enthält, anders als die Oper
einzelnen Stimme, z.B. in studentische Stammbücher, oder das → Oratorium, keine Handlung. Musiziert
mit der Aufforderung an den Leser, daraus fertige Ka- wurde die Kantate im protestantischen Gottesdienst
nons zu entwickeln, diente zur Bach-Zeit als intellek- vor und/oder nach der Predigt. Damit trat sie an die

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Stelle des bis dahin gebräuchlichen »Geistlichen Kon- de dieser Instrumente bestehen im wesentlichen in
zerts«; in dieser Tradition bezeichnete Bach seine der Anschlagstechnik, dem Tasten- und Tonumfang
Kantaten, wenn überhaupt, als Concerto, Dialogus sowie dem dynamischen Vermögen. Bei Cembalo und
oder Motetto. Die weltliche Kantate unterscheidet sich Clavichord werden die Saiten angerissen, indem die
von der geistlichen Kantate nur durch den nicht-geist- der Saite – es können auch mehrere Saiten pro Ton
lichen Text, den Entstehungsanlaß und den Auffüh- sein – zugeordnete Taste gedrückt und dadurch eine
rungsort. Meist handelt es sich um eine Huldigungs- Mechanik in Gang gesetzt wird, die wiederum die sog.
musik oder ein Stück, das im privaten oder öffent- »Kiele« die Saiten anreißen läßt. Das Cembalo (Her-
lichen bürgerlichen Leben erklang. Mehr zu Bachs leitung des Namens über Clavicymbal, Clavicembalo)
Kantatenschaffen s. Kapitel »Die Kantaten«. ist das größte Instrument dieser Familie. Es kann
mehrere Manuale (Klaviaturen) und damit mehrere
Klavier Saitensätze umfassen, um damit verschiedene dynami-
(von lat. clavis = Schlüssel). Der Begriff übertrug sich sche Stufen realisieren zu können. Außerdem gibt es
auf das Tasteninstrument, weil die Tasten der Orgel im hier die Möglichkeit, mit Hilfe verschiedener »Züge«
Mittelalter als »claves« bezeichnet wurden. Im 16. klangverändernde und -dämpfende Mechanismen zu
Jahrhundert sind, wie auch heute noch im französi- bedienen. Der Name »Flügel« (auch: »Kielflügel«)
schen Sprachgebrauch, mit »Clavier« die Manuale rührt von der langen, flügelähnlichen, durch die
und Pedale der Orgel gemeint, also ganze Tastaturen. Längsbespannung verursachten Form her. Clavichord,
In Deutschland bezeichnete man mit dem Begriff Cla- Clavicimbel, Virginal und Spinett sind dagegen quer
vier im 18. Jahrhundert, also zu Bachs Zeit, das Clavi- bespannt und kommen deshalb mit einem kleineren
chord. Der Name für das Cembalo war hingegen »Flü- Umfang aus, bei natürlich auch reduzierter Dynamik,
gel«. Als man um 1700 begann, dieses mit Saiten be- was diese Instrumente zum Gebrauch beim häus-
spannte und mit Hilfe von Tasten bediente Instrument lichen Musizieren bestimmt. Das Lautenclavier bzw.
mit einer völlig neuen Mechanik auszustatten, die es Lautenwerk ist ein mit Darmsaiten bespanntes Cemba-
erlaubte, verschiedene dynamische Stufen bruchlos lo; für dieses Instrument hat Johann Sebastian Bach
zu realisieren, sprach man von einem »Gravecembalo einige seiner Werke geschrieben, die heute von den
col Piano e Forte« (Cristofori, 1709). Die Unterschie- Lautenisten gespielt werden. Die Erfindung der Ham-

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mermechanik zu Beginn des 18. Jahrhunderts revolu- Kompositionstechnik überhaupt. Besondere Formen
tionierte das Tasteninstrument und führte letztlich kontrapunktischer Kompositionen sind → Fuge und
dazu, daß Klaviermusik, auch die von Bach eigentlich → Kanon.
für die intimer klingenden Instrumente seiner Zeit ge-
schriebenen Werke, heute in großen Konzertsälen Konzert (Concerto)
aufgeführt werden können. Beim Hammerklavier Musikalische Gattung, Ensembleform und auch Be-
oder Hammerflügel (die Begriffe »Fortepiano«, auch zeichnung für eine musikalische Veranstaltung. Unter-
»Pianoforte« signalisieren die Fähigkeit, auf diesem schiedliche Bedeutungen des Begriffs fließen zusam-
Instrument laut und leise zugleich spielen zu können) men. Zunächst bedeutete das Wort »Zusammen-
wird durch den Tastendruck ein Mechanismus in klang«, dann aber auch »Wettstreit«. Um 1700 wird
Gang gesetzt, der die Saiten anschlägt. Mit Hilfe ver- daraus ein Musikstück mit kleinteiliger Motivik, ver-
schiedener Pedale kann der Nachklang gedämpft oder schiedenen Abschnitten und sich verändernder Funk-
verlängert werden. Zugleich mit der Zunahme der tion des instrumentalen Basses. Das »Geistliche Kon-
Lautstärke wurden von den Interpreten Bachscher zert«, etwa von Heinrich Schütz, ist eine vom → Bas-
Musik auch diese dynamischen Nuancierungsmög- so continuo begleitete → Motette. In dieser Tradition
lichkeiten eingesetzt, was immer wieder Kontroversen bezeichnet Johann Sebastian Bach seine geistlichen
über das stilistisch »richtige« Spiel hervorruft. Jedoch Kantaten häufig als »Concerto« (Kirchenkonzert, Con-
besaß bereits Bach, der solchen instrumententechni- certo da chiesa). Im Bereich der Instrumentalmusik
schen Neuerungen stets aufgeschlossen gegenüber- wird Concerto zu einem Stück, in dem ein kleiner Teil
stand, selbst einen solchen Hammerflügel. des Ensembles sich aus dem Gesamtensemble heraus-
löst und in dieser Form Partien spielt, bevor das Ge-
Kontrapunkt samtensemble sie wieder integriert (»Concerto gros-
(lat. punctus contra punctum = Note gegen Note) Be- so«). In diesem Zusammenhang spricht man auch
zeichnung für die Technik der Komposition, die meh- von »Concertisten« (Solisten) und »Ripienisten«
rere selbständige Stimmen unter Beachtung bestimm- (restliche Musiker). Noch beliebter und bis heute den
ter Grundbedingungen zu einem Ganzen zusammen- »klassischen« Konzert-Typ verkörpernd ist das na-
fügt. Der Kontrapunkt ist die älteste mehrstimmige mentlich von Antonio Vivaldi entwickelte Solo-Kon-

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zert, in dem ein einzelnes Instrument dem → Tutti ent- zu vertonenden Texten gegenüber. Anders als
gegentritt. Zu Bachs Zeit war das die modernste musi- Zeitgenossen und Vorbilder wie Telemann und Keiser
kalische Form überhaupt; Bach lernte sie am Weima- griff er zum Beispiel, bei der Komposition der
rer Hof kennen und schrieb hier nicht nur selbst Vio- Johannes-Passion, nicht auf das beliebte Libretto des
lin- und Cembalokonzerte (auch in Besetzung für Hamburger Ratsherren Barthold Hinrich Brockes
Oboe solo), sondern transkribierte Konzerte italieni- zurück, sondern übernahm aus diesem Text lediglich
scher und anderer Herkunft für Orgel oder Cembalo Ariosi und Arien, um dafür am unverfälschten
solo. Die Sammlung der sechs Brandenburgischen Wortlaut des Evangeliums und der Choraltexte
Konzerte beinhaltet sechs verschiedene Formen mit festzuhalten und so eine bestimmte, mehrschichtige
zum Teil äußerst experimentellem Charakter. Kombination von Texten zu erhalten. Auch seine
Kantatentexte wählte Bach bewußt aus. Es wird
Kurzmesse → Messe vermutet, daß er seinen Choralkantatenjahrgang nicht
vollendete, weil er glaubte, nicht die passenden Texte
Lautenklavier → Klavier zur Verfügung zu haben. Daß für die vokale
Kirchenmusik zur Bach-Zeit nicht nur Bibelwort und
Libretto Choralstrophen verwendet wurden, sondern auch
(ital. = Büchlein). Textbuch für musikalische oder freie Dichtung, ist ein Verdienst Erdmann Neumeisters
musikalisch-szenische Werke. Im heutigen (1671 – 1756). Der Hamburger Pastor dichtete Texte
Sprachgebrauch meint der Begriff auch die textliche für insgesamt fünf Jahrgänge Kantaten, d.h. Kantaten
Vorlage für Oratorien und Kantaten. Die Qualität eines für alle Sonn- und Feiertage des Kirchenjahres
Libretto wird nicht in erster Linie nach rein (Fünffache Kirchen-Andachten, Leipzig 1717). Die
literarischen Gesichtspunkten bemessen, sondern Art dieser Texte gebot den Komponisten, die aus der
nach seiner Eignung zur Vertonung. Bei Bachs Oper bekannten Formen von → Rezitativ und → Arie
Kantaten und Oratorien hat es sich eingebürgert, eher in die Kantaten zu integrieren. Die Bildhaftigkeit,
von »Texten« als von Libretti zu sprechen. Gleichwohl Assoziationsebenen und Aussagekraft der
spiegelt Bachs Schaffen auf diesem Gebiet eine Kantatentexte für den zeitgenössischen Hörer ist noch
durchaus kritische und bewußte Haltung Bachs den wenig erforscht.

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Liturgie Menuett
(griech. leiton ergon = Werk für das Volk). Feier der (von frz. menu pas = kleiner, zierlicher Schritt, viel-
Hl. Messe, Form und Ordnung des Gottesdienstes. Die leicht auch amener = anführen). Bezeichnung für ei-
Gottesdienste, für die Bach in seinen kirchenmusika- nen französischen Tanz. Um 1650 soll er am Hofe
lischen Ämtern die Musik zu schreiben und aufzufüh- Ludwigs XIV. eingeführt und von Jean-Baptiste Lully
ren hatte, richteten ihren Ablauf nach sogenannten musikalisch ausgeformt worden sein. Das Menuett mit
»Agenden«. Das war in Arnstadt die 1675 erlassene seinem charakteristischen Dreiertakt wurde zum be-
»Agende Schwartzburgica«. Diese fand auch in Mühl- liebtesten Tanz an europäischen Höfen, später auch
hausen Anwendung, zugleich mit der zuletzt 1691 bürgerlicher Kreise, bis es vom Wiener Walzer abge-
überarbeiteten kurfürstlich-sächsische Agenda, die löst wurde. Noch die Wiener Klassiker aber schrieben
auf die 1539 erlassene, sogenannte »Herzog August- Menuette. Nach Johann Mattheson ist das Menuett ein
Agenda« und damit unmittelbar in die Lutherzeit zu- Tanz von »mäßiger Lustigkeit«. Zur Bach-Zeit gehörte
rückreicht. Auf welche Weise beide Gottesdienstord- das Menuett zum (wenn auch nicht festen) Bestand
nungen nebeneinander gebraucht werden konnten, der → Suite; wenn es aufgenommen wurde, hatte es
ist nicht mehr eindeutig festzustellen. In Weimar galt seinen Platz in der Regel an vorletzter Stelle zwischen
die vom dortigen Fürsten 1707 überarbeitete Kirchen- Sarabande und Gigue bzw. Gavotte, → so in BWV 809,
ordnung, in Leipzig wiederum die kurfürstlich-säch- 812 – 814, 1007, 1008 sowie in den → Ouvertüren
sische Agenda. für Orchester außer BWV 1068. Johann Gottfried
Walther schrieb 1732 über das Menuett, seine Melo-
Magnificat die habe »ordentlich 2 Repetitiones [Wiederholun-
Lobgesang der Maria, überliefert bei Lukas 1, 46 ff. gen], deren jede zweymahl gespielt wird; jede Reprise
Dieser Gesang gehört zu den ältesten und meistver- aber 4 oder 8 Tacte, oder doch wenigstens bey
tonten Teilen der im Vespergottesdienst gefeierten gemachter Exception (da sie anders zum Tantzen
Liturgie. An besonders hohen Festtagen wurde er in nicht unbrauchbar seyn soll) keinen ungeraden
den Leipziger Kirchen in lateinischer Sprache numerum der Tacte«. Diesem Menuett aus zwei
gesungen; Bachs Komposition des Magnificat zählt jeweils wiederholten Teilen wird oft ein zweites
zum Korpus der lateinischen → Figuralmusik. Menuett angehängt, nach dem das erste, jedoch ohne

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Wiederholungen, noch einmal gespielt wird. Das Kirche hatte. »Kyrie« und »Gloria« hingegen hatten
zweite Menuett hat dann die Form eines Trio. auch in der protestantischen Liturgie ihren Platz
(»Missa brevis«, Kurzmesse). Von Bach sind vier
Messe solcher Kurzmessen bekannt. Die Musik für die
(lat. »Missa«, abgeleitet vom abschließenden Gruß- einzelnen Abschnitte dieser Stücke entnahm Bach
wort des katholischen Gottesdienstes »Ite, missa est« älteren Kantatenkompositionen ( → Parodie).
= »Gehet hin, ihr seid entlassen«). Zunächst Begriff
für den katholischen Hauptgottesdienst, in dem die Motette
Vergegenwärtigung des Opfertodes Christi im Opfer- (Altfranzösisch »motet«, lat. »Motetus«). Musikali-
mahl gefeiert wird. Die Messe enthält, neben Lesun- sche Gattung. Bereits im Mittelalter eine Bezeichnung
gen, der Predigt und der Kommunion, unterschiedli- für mehrstimmige Vokalmusik. Motetus hieß
che Gebete, Bekenntnisse und Anrufungen. Diese glie- ursprünglich die Singstimme in einem vokal-
dern sich in das »Ordinarium« und das »Proprium«. instrumentalen gemischten Satz. Die Geschichte der
Die mit dem Begriff Proprium bezeichneten Teile sind Motette ist umfassender Bestandteil der Geschichte
von Tag zu Tag verschieden und richten sich nach den der abendländischen Musik überhaupt und,
jeweiligen besonderen Anliegen. Die Ordinariumsteile zusammen mit der → Messe, wesentlicher Teil der
bleiben dagegen stets gleich. Es sind: Kyrie (Bitte um Geschichte der Kirchenmusik Die Entwicklung und
Erbarmen), Gloria (Lobpreis Gottes), Credo formale Erscheinungsweise der Motette ist
(Glaubensbekenntnis), Sanctus (Heilig-Ruf) und entsprechend vielfältig. Zu Bachs Zeit verstand man
Agnus Dei (Bitte um Erbarmen und Frieden). Die unter Motette kirchliche → Gebrauchsmusik für
Messe als musikalischer Begriff bezeichnet die mehrere Stimmen auf einen Text aus der Bibel, die an
Vertonung dieser fünf Ordinariumsteile in kunstvoller, festgelegten Stellen im Gottesdienst oder zu anderen
über den bloßen Gebrauch hinausgehender, zumeist Gelegenheiten des kirchlichen Lebens mit → Basso
mehrstimmiger Vertonung. Bachs h-Moll-Messe folgt continuo und/oder → colla parte geführten
diesem Muster, obwohl er als Protestant keinerlei Instrumentalstimmen vorgetragen wurde.
praktische Verwendung für das Credo mit dem
Bekenntnis zum Glauben an die römisch-katholische

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NBA Wissenschaftliches Publikationsorgan der NBG ist das


Abkürzung für die »Neue Ausgabe sämtlicher Werke Bach-Jahrbuch.
Johann Sebastian Bachs«, kurz: Neue Bach-Ausgabe,
herausgegeben vom Johann-Sebastian-Bach-Institut Nekrolog
Göttingen und vom Bach-Archiv Leipzig. Erscheint seit (griech.) Nachruf auf einen Verstorbenen. Den
1953. In der ersten, nach 1850 erscheinenden Bach- Nekrolog auf Johann Sebastian Bach verfaßten sein
Gesamtausgabe (BGA) waren die noch nicht sehr um- Sohn Carl Philipp Emanuel sowie sein Schüler Johann
fänglichen kritischen Berichte im Rahmen eines Vor- Friedrich Agricola. Der Nachruf wurde1754 im letzten
worts erschienen. In diesen kritischen Berichten wer- erschienenen Band der von Lorenz Christoph Mizler
den z.B. verschiedene Lesarten verschiedener Quel- in Leipzig herausgegebenen Zeitschrift »Musikalische
len, Besonderheiten, Varianten usw. verzeichnet. Die Bibliothek, oder Gründliche Nachricht nebst unpar-
Entdeckung und Bewertung neuer Quellen, die frucht- theyischem Urtheil von alten und neuen musikali-
bare Forschung zu Person und Werk Johann Sebastian schen Schriften und Büchern« gedruckt. Er ist die
Bachs, die aufführungspraktischen Bedürfnisse und wohl wichtigste Quelle über Bachs Leben und auch
Erfahrungen von Musikern legten einhundert Jahre Vorlage für die Bach-Biographie Forkels von 1802
nach Beginn der ersten Ausgabe eine Neuedition der (Gedruckt in: Bach-Dokumente Bd III, Kassel u.a.
Werke nahe. Die Kritischen Berichte erscheinen dabei 1972, S. 80 ff.).
als gesonderte Publikationen.
Obligat
NBG (lat. obligatus = verbindlich, unerläßlich). Zunächst
Abkürzung für Neue Bachgesellschaft e.V. Gegründet wird mit dem Begriff eine sich streng nach den
1900, nachdem der Zweck der 1850 gegründeten kontrapunktischen Regeln richtende Satztechnik be-
Bach-Gesellschaft, die Bach-Gesamtausgabe, erfüllt zeichnet. Bach hat seine 15 Sinfonien (BWV 787 ff.)
war. Die NBG setzte sich zum Ziel, Bachs gesamtes »tribus vocibus obligatis« benannt, weil er hier drei
Werk nunmehr zu popularisieren. Zu diesem Zweck selbständige Stimmen durchführt. Schon zu Bachs
wird noch heute jährlich an wechselnden Orten das Zeit ist eine obligate Partie jedoch eine Partie für Tas-
»Bachfest der Neuen Bachgesellschaft« veranstaltet. teninstrumente, die nicht mehr, in Manier der Praxis

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des → Basso continuo die → Fundamentalnoten mit Vordergrund standen. Im 18. Jahrhundert wurde diese
Ziffern bezeichnet und diese zur Ausführung der Im- Oper durch eine meist dreisätzige → Ouvertüre er-
provisationskunst des Spielers überläßt, sondern Note öffnet. Besonders die abwechselnde Form von Rezita-
für Note auskomponiert ist. Beide Formen existieren tiv und Arie mit ihren Funktionen Handlung und Refle-
nebeneinander: die Sonaten BWV 1014 – 1019 etwa xion übte auf Johann Sebastian Bach, der zumindest in
sind Sonaten für Violine und obligates Cembalo, die Dresden die Oper besucht hatte, und seine Kantaten
Sonate BWV 1021 für dieselbe Besetzung eine für das- und Passionen großen Einfluß aus.
selbe Soloinstrument und Basso continuo. Als obligat
wird ferner eine Stimme bezeichnet, die z.B. in einem Oratorium
Kantatensatz, anstatt den Chor zu verstärken, eine ei- Musikalische Gattung. Der Begriff bezeichnet ur-
gene Partie zugewiesen bekommt, so das Horn II im sprünglich ein Bethaus. Er wurde zu Beginn des 17.
Schlußchoral der Kantate BWV 1 »Wie schön leuchtet Jahrhunderts in Rom auf die in diesem vorgetragene
der Morgenstern«. Musik übertragen. Im Unterschied zur → Kantate war
das Oratorium nie eine streng liturgische Form. Es
Opera seria konnte also auch außerhalb des Gottesdienstes musi-
(ital. = ernste Oper). Gattung der Oper, die im 17. und ziert werden. Es besteht, wie die Kantate, aus → Rezi-
18. Jahrhundert, im Unterschied zur Opera buffa, an- tativen und → Arien. Später, vor allem in der entwi-
tike, mythologische oder historische Stoffe behandelt. ckelten Form des 18. und 19. Jahrhunderts, treten
Formal besteht die Opera seria aus einzelnen Szenen, Chöre, Choräle und Instrumentalstücke hinzu. Ein
die wiederum → Rezitative und → Arien umfassen. In weiterer wesentlicher Unterschied zur Kantate besteht
den Rezitativen wird die Handlung vorangebracht, die in der Handlung, die das Oratorium beinhaltet. Auch
streng in → Da capo-Form gehaltenen Arien beleuch- wenn es, wie die Kantate, den Hörenden zur Besin-
ten das Innenleben, die Gefühle und Empfindung der nung und Reflexion anregen soll, werden hier meist
jeweils singenden Person. Diese Distanz zum tatsäch- Personen, Geschichten und Geschehnisse aus dem Al-
lichen Leben verlieh diesen Opern eine etwas unwirk- ten oder Neuen Testament exemplarisch dargestellt.