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Metapher, Allegorie, a
Symbol
6. Auflage
f,ffi
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Y3/utill/iltfΡ1 ,/
V8R
VANDENHOECK & RUPRECHT
Gerhard Kurz
Geboren 1945, Studium und Staatsexamen in Heidelberg; wissenschaft-
licher Assistent am Germanistischen Seminar der Universität Düssel-
dorf, 1973 Promotion, 1980 Habilitation. 1980-1984 o. Professor fur deut-
sche Sprache und Literatur an der Universität Amsterdam; seit 1984 lnhalt
Professor fur Neuere deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Lite-
raturwissenschaft an der Universität Gießen.
Veröffentlichungen u. a. : Mittelbarkeit und Vereinigung. Zum Verhältnis a
von Poesie, Reflexion und Revolution bei Hölderlin (1975); Traum- Einleitung 5
Schrecken. Kafkas literarische Existenzanalyse (1980); Macharten. Über
Rhythmus, Reim, Stil und Vieldeutigkeit (1999); Herausgeber: Materia-
Metapher 7
Iien zu Schellings philosophischen Anfängen (1975,mit M.Frank); Düs-
seldorf in der deutschen Geistesgeschichte, 1750-1850 (1984); Derjunge 1. Metaphertheorien . 7
Itufka (1984); Idealismus und Aufklärung (1988, mit Chr. famme); Lite- 2. Bildspender - Bildempfänger 23
rarisches Leben in Oberhessen (1995, mit G.R.Kaiser); Hölderlin und
3. Metaphernfelder . 26
Nürtingen (1994, mit P.Härtling); Hölderlin und die Moderne (1995,
mit V.Lawitschka und J.Wertheimer); Interpretationen. Gedichte von 4. Politische Metaphorik ..... 27
Friedrich Hölderlin (1996); Meditation und Erinnerung in der Frühen
Neuzeit (2000); Friedrich Hölderlin. Gedichte (2003); Goethezeit - Zeit Allegorie 30
für Goethe (2003, mit K. Feilchenfeld, K. Hasenpflug, R. Moering). 30
1. Spiel - Widerspiel
2. Der rhetorische Allegoriebegriff 37
3. Explikative Allegorie - Implikative Allegorie 43
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek 4. Initialer Text - Allegorischer Praetext 44
5. Typologie 46
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
6. Allegorese - Allegorie 48
Deutschen Nationalbibliogralie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 7. Narrative und deskriptive Muster der Allegorie 51
8. Allegorische Gattungsformen . . 55
ISBN 978-3-525 -34032-5
9. Geringschâtzung und Schätzung der Allegorie 56
6. Auflage 2009 10. Personifikation - allegorische Personifikation 60
1 1. Anstöße zur Allegorese 64
KLEINE REIHE V&R 4032
Symbol 70
@2009,7982 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
Intemet: www.v-r.de L. Begriffsgeschichte 70
AÌle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich ge- 2. Goethes Symbolkonzeption 74
schützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf
der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu S 52a UrhG: 5. Hermeneutik des Symbols . 77
Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung 4. Typen des Symbols 85
des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer ent-
sprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. - Printed in Germany.
Anmerkungen 90
Umschlag: Jürgen Kochinke, Holle
Schrift: Concorde regular
Literatur .... 98
Gesamtherstellung: @Hubert & Co, Göttingen
Register..... 110
3
FüT ANITA DE MEIJER-CONCAS UND PIETER DE MEI]ER
Einleitung
a
Metapher, Allegorie und Symbol sind zentrale Begriffe der Literatur-
wissenschaft. Aus historischen und systematischen Gründen ist es
gerechtfertigt, diese Trias zusammen zu behandeln. Zur Bestim-
mung des einen gehörte und gehört der Vergleich mit den beiden an-
deren, so unterschiedlich sie sind: Metapher und Symbol sind Bin-
nenelemente literarischer Texte, die Allegorie dagegen ist auch eine
Gattungsform. Es gibt allegorische Romane, allegorische Gedichte,
allegorische Dramen, ja allegorische Feste. In rhetorischer Tradition
ist die Allegorie aus der Metapher abgeleitet worden. Dies ist auch
heute noch üblich. Hier wird diese Ableitung bestritten. Trotzdem
ist eine systematische Abgrenzung beider Formen unverzichtbar.
Schließlich muß eine Analyse des Symbols auf die Analyse der Me-
tapher zurückgreifen.
Die folgenden Analysen und Begriffsbestimmungen sind Versu-
che, die wissenschaftliche Verwendung dieser drei Begriffe zu klären
und sie voneinander abzugrenzen. Dies geschieht vor allem mittels
exemplarischer Analysen. Die Begriffsbestimmungen gehen kritisch
aus von ihren gängigen wissenschaftlichen Verwendungen. Solche
Begriffe könnten ohne Rel<urs auf ihre Überlieferung und Verwen-
dung beliebig neu und exakt definiert werden. Damit wird aber den
Fragen ausgewichen, auf die sie eine Antwort geben sollen. Ohne
Rekurs auf ihre Überlieferung und Verwendung hâtte eine noch so
Zwischen 1508 und 1513 entstehen exakte Definition keine Erklärungskraft. Begriffsbestimmungen
Raffaels Stanza della Signatura in den müssen Vorwissen in Anspruch nehmen, um z.B. regelhafte Fälle
vatikanischen Gemächern von Papst von Grenzfällen unterscheiden zu können. Um klären zu können,
fulius II. Die hier im Ausschnitt abge- was der Begriff nSymboln bedeutet, muß ich mit ihm schon umge-
bildete Poesia ist an der Decke über
dem Fresko Der Pamass angeordnet. gangen sein.
Philosophia und Theologia als andere Hermeneutische Wissenschaften wie die Literaturwissenschaften
wichtige Bereiche des geistigen Lebens gehen von Traditionen, also auch von subjektiven Erfahrungen aus.
stehen über der Schule uon Athen tnd
Ihre Methoden und Ergebnisse sind deswegen nicht relativ, willkür-
der Disputà, der Disputation über das
Sakrament. lich, gar solipsistisch. Subjektivität ist so subjektiv nicht: Subjekte,
5
die wir sind, können wir doch miteinander reden und einander ver-
stehen. Und subjektives Wissen hat stets mehr Teil am überlieferten
allgemeinen Wissen, als man meint. Der Ausgang einer Theorie von
subjektiver Erfahrung schließt den ständigen Zwang ein, zu begrün-
Metapher
den, zu überzeugen, sich mit anderen, der Forschergemeinschaft, zu
verständigen. Hermeneutische Begriffsbestimmung ist angewiesen
auf die Voraussetzung und die Bildung von Intersubjektivitât.
"Ein Bild hielt uns
gefangen. Und heraus konnten a
Die Bestimmung der drei Begriffe ist strittig, seit über sie nachge- wir nicht, denn es lag in unserer Sprache.n
dacht wird. Dies spricht nicht gegen die Bestimmungsversuche. Be- Wittgenstein
griffe in der Literaturwissenschaft werden von den Entwicklungen
>The act of metaphor then was a thrust at truth and
des literarischen Lebens ständig überholt und Revisionen unterwor-
a lie, depending where you were: inside, safe, or out-
fen. Was als akzidentelles Merkmal galt, kann zum zentralen Merk-
mal der Begriffsbildung aufsteigen. Ebenso erzwingen veränderte side, lost.<
6 7
Wort durch ein fremdes ersetzt (substituiert). Zwischen dem eigent- Versuchen, die Sprache der Poesie als eine Abweichung von der
lichen und dem fremden Wort besteht Ähnlichkeit oder Analogie. Sprache des Alltags zu definieren.
Eine Form der Substitutionstheorie ist daher die Vergleichstheorie. Die Metapher ist bei Aristoteles etwas, das mit einem Wort ge-
Ihr zufolge ist die Metapher ein um die Partikel >wie< verkürzter schieht. Sie ist ein Wort. Aristoteles sieht gänzlich ab vom Kontext
Vergleich. des Wortes. Die Metapher ist eine ,Übertragung eines Nomensu,
Die Interaktionstheorie setzt voraus, daß es fur einen metaphori- das zu einer anderen lexikalischen Stelle gehört. Wie aus seinen Bei-
schen Ausdruck keinen ,eigentlichen, Ausdruck gibt. Der metapho- spielen hervorgeht, versteht Aristoteles unter Nomen nicht nur ein o
rische Ausdruck ist nicht ersetzbar, außer um den Preis eines Ver- Substantiv, sondern alle Wörter, die nominalisierbar sind, also auch
lusts an Bedeutung. Untersucht wird nun Stellung und Funktion ei- Verben und Adjektive.
ner Metapher in einem Kontext, in einer Äußerung. Zwischen der Bei der Metapher wird also ein Wort verwendet, das von anders-
Metapher und ihrem Kontext besteht semantische Inkongruenz. Ein wo kommt. Die Metapher ersetzt das richtige Wort, oder sie füllt
wechselseitiger Interpretationsprozeß muß daher einsetzen (deswe- eine lexikalische Leerstelle aus. Wo ein Wort für eine Sache fehlt,
gen: Interaktion).s Auch der hier vorgetragene Ansatz geht von der springt sie ein. Neuere Beispiele: der Ausdruck Motorhaube war ur-
Interaktionstheorie aus. sprünglich, d.h. um 1900, eine metaphorische Bildung, entstanden
Es ist immer noch lehrreich, von den Bestimmungen der Meta- aus dem Bedürfnis, eine neue Sache bezeichnen zu müssen, ebenso
pher bei Aristoteles auszugehen, die klassisch geworden sind. Denn entstanden in der Computersprache die Ausdrücke Netz, Lesezei-
wenn wir nach einer Erklärung oder Charakterisierung der Meta- chen, patch, chat-room, cookie, Døtenøutobahn, surfen usw.
pher gefragt werden, fällt uns wohl zuerst eine Erklärung ein, die Die Metapher der Übertraguzg offenbart ein topologisches Mo-
mehr oder weniger auf die aristotelische zurückgeht. Auch orientie- dell der Sprache. Diesem Modell zufolge kann fur jedes Wort ein
ren sich die modernen Metapherntheorien, und sei es kritisch, im- Ort angegeben werden, der ihm und nur ihm gehört, eine Sache, die
mer noch am aristotelischen Erklärungsmodell. es und nur es bezeichnet. Ein Wort hat nur einen Ort, daher nur eine
Die Metapher ist nach Aristoteles ein Mittel der alltäglichen Re- Bedeutung. Es gehôrt an diesen Ort, genauer: es gehört diesem Ort
deweise (rRhetoriku, lll,2,6:,,denn alle gebrauchen in der Unterre- (Idion onoma). Noch eindeutiger als Aristoteles hat die spätere Rhe-
dung Metaphern, eigentümliche und allgemein gebräuchliche Aus- torik daraus die Lehre vom verbum proprium, dem ,eigentlichenn
drücke". Übersetzung: F. G. Sieveke), vor allem ein Mittel der poeti- Wort, entwickelt. Die Bedeutung eines Wortes wird dabei identifi-
schen Redeweise. Unter den poetischen Mitteln ist sie >weitaus das ziert mit dem Gegenstand, den es bezeichnet. Es ist gewissermaßen
wichtigste<. Sie setzt die Fähigkeit voraus, >Verwandtes< im Ver- dessen Etikett.
schiedenen erkennen zu können (>Poetikn, Kap.22) und verbindet Die Metapher ist also eine Ortsveränderung eines Nomens. Es
das Verschiedene in einem Akt des >dies ist das< (>Rhetorik", III, 2, wird von einem Ort auf einen anderen übertragen, dem es nicht ge-
10). An einer solchen Formulierung kann die Interaktionstheorie hört, dem es nicht eigen ist. Insofern hat die Metapher eine unei'
ansetzen. gentliche Bedeutung. Das übertragene Nomen bleibt transparent für
Die Rhetorik nach Aristoteles entwickelte die Tendenz, die poeti- seinen ursprünglichen Ort und für das Nomen, das eigentlich an
sche, damit die metaphorische Redeweise aus einer Differenz zur den von der Metapher eingenommenen Platz gehört.
alltäglichen zu erklären. Daraus mußte ein Dilemma entstehen, In diesem topologischen Modell ist der Übertragungsakt ein Akt
denn man konnte ja nicht übersehen, daß auch die alltägliche Rede- des Ersetzens, des Borgens, Entlehnens und Entfremdens, ein Akt
weise voller Metaphern ist. Die metaphorische Redeweise kann der Enteignung. Daher verwundert es nicht, daß die Metapher ge-
dann nicht mehr aus einer Differenz zur alltáglichen erläutert wer- radezu moralisch kritisiert werden konnte. Die Kritik der Metapher,
den. Übrigens entsteht dieses Dilemma grundsätzlich auch bei allen vorgetragen bis ins 20. Jahrhundert hinein, setzte das aristotelisch-
8 9
rhetorische Erklärungsmodell voraus. Nach dieser lftitik ist die Me- sche Übertragung ist dabei die wichtigste. Sein Beispiel: das Alter
tapher keine authentische Bezeichnung, sie ist de-platziert, unernst verhält sich zum Leben wie der Abend zum Tag. Also kann man das
und, weil nicht mehr eindeutig, ungenau und zweideutig. Alter metaphorísch Abend des Lebens nennen. Unschwer spürt
Im Namen einer rationalen Sprachtheorie wurde die Metapher man, daß das begriffslogische Muster der verschiedenen Übertra-
als etwas Überflüssiges verworfen. Nur wenige Beispiele für die Kri- gungstypen nicht befriedigend ist. Wohnungsbaugesellschaften, die
tik der Metapher. S¡rmptomatisch ist Hegels Einwand: nDie Meta- Seniorenheime für den Abend des Lebens anbieten, wollen ja mit
pher aber ist immer eine Unterbrechung des Vorstellungsganges und dieser Formulierung nicht, daß einfach an das Alter (mit seinen Ge- I
eine stete Zerstreuung, da sie Bilder erweckt und zueinanderstellt, brechen) gedacht wird, sondern an ein heiteres, problemloses Alter.
welche nicht unmittelbar zur Sache und Bedeutung gehören und da- Denn diese Bedeutung wird suggeriert durch die Bedeutung des tra-
her ebensosehr auch von derselben fort zu Verwandtem und Fremd- ditionellen Bildfeldes Abend, das Friedliches und Besinnliches ins
artigem herüber ziehenu. Die Metapher hat nach Hegel etwas Gedächtnis rufen soll. Denken wir nur an die Tradition der Abend-
Hochmütiges an sich. Sie entsteht aus dem ,Bedürfnis", sich nicht gedichte in der deutschen Literatur. Um diese suggestive Wirkung
mit dem >Einfachen, Gewohnten, Schlichtenn zufrieden zu geben, der Metapher zu erklären, reicht das Kalkül einer Begriffslogik nicht
sondern sich ,darüberzustellen, um zu Anderem fortzugehen, bei aus.
Verschiedenem zu verweileno.a Metaphern macht Kafka dafür ver- Die aristotelischen Bestimmungen kann man so zusammenfas-
antwortlich, daß sein Schreiben ,hilflosu sei und unicht in sich sen, daß die Metapher eine Störung der sprachlichen Ordnung dar-
selbst [...] wohneu. Er ist verzweifelt darüber, weil er sie vermeiden stellt, daß sie aber in dieser Störung die Erkenntnis einer Verwandt-
möchte, sie aber nicht vermeiden kann.s Rolf Hochhuth erklärt im schaft der Dinge artikuliert.
Vorwort zum 5. Akt des >christlichen Trauerspielsu >Der Stellver- Vor allem wegen einer Grundannahme ist die aristotelische Theo-
treter<<, daß Nachahmung der Wirklichkeit nicht angestrebt wurde: rie nicht haltbar. Sie beruht auf einer unhaltbaren Wortsemantik.6
uAndererseits schien es uns gefährlich, im Drama zu verfahren wie Das Wort ist danach eine Art Etikett. fedes Ding hat einen Namen,
etwa Celan in seinem meisterhaften Poem ,Todesfuge., das die Ver- wie eine Flasche ihr Etikett. Die linguistische und erkenntnistheore-
gasung der ]uden völlig in Metaphem übersetzt hat, wie tische Unangemessenheit dieser Theorie ist schon oft gezeigt wor-
den. Diese Wortsemantik ist eine Abstraktion. Die Bedeutung eines
Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends sprachlichen Ausdrucks existiert nicht unabhåingig von seiner kom-
Wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts munikativen Funktion, seinem nSitz im Lebenn. Die kommunikati-
ve Funktion gehört zur Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks als
Denn so groß auch die Suggestion ist, die von Wort und Klang aus- solcher. Man kann die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks
geht, Metaphern verstecken nun einmal den höllischen Z¡mismus nicht verstehen, ohne seinen Kontext zu verstehen, ebensowenig
dieser Realität, die in sich ja schon maßlos übersteigerte Wirklich- wie man eine Hand schütteln kann, ohne einen Körper zu berühren.
keit ist - so sehr, daß der Eindruck des Unwirklichen, der von ihr Entsprechend den theoretischen Zwängen der Etikettentheorie
ausgeht, schon heute, fünfzehn Jahre nach den Ereignissen, unserer liefert die Metapher keine neue Information. Im besten Fall, wenn
ohnehin starken Neigung entgegenkommt, diese Realität als Legen- sie eine lexikalische Leerstelle ausfüllt, wird sie wie ein normales
de, als apokalyptisches Märchen unglaubhaft zu finden, eine Gefahr, Wort behandelt. Sie verschwindet aber dann als Metapher. (Solche
die durch Verfremdungseffekte noch verståirkt wirdn. Ausdrücke hat die Rhetorik Køtachresen genannt. In der Diskussi-
Nach Aristoteles basiert die Übertragung auf begriffslogisch be- on wird dafür auch der Begriff der Exmetapher verwendet.) Bei Mo-
schreibbaren Beziehungen zwischen Sachverhalten, auf der Bezie- torhaube denken wir ja nicht mehr an eine Kopfbedeckung. Im
hung zwischen Gattung und Art und auf der Analogie. Die analogi- schlechtesten Fall ist die Metapher Dekoration, schlimmer noch:
10 11
ein Etikettenschwindel. Eine Metapher verstehen heißt hier: die stehen, weil Zzaeck ursprünglich Nagel, ffiock in der Zielscheibe
Metapher durch das richtige Wort ersetzen, also Abend des Lebens bedeutete. Aber niemand wird den Gebrauch von Zraeck hier spon-
durch Alter. tan als einen metaphorischen Gebrauch verstehen. Denn die Bedeu-
Es gibt auch heute noch Versuche, dem metaphorischen Sprach- tung eines Wortes wird bestimmt vom Bewußtsein seines Ge-
gebrauch den wörtlichen gegenüberzustellen. Hier wiederholen sich brauchs, das aktuell in einer Sprachgemeinschaft herrscht. Die ety-
die Probleme des aristotelischen Ansatzes. Dabei wird oft überse- mologische Bedeutung ist nicht mehr gegenwärtig.
hen, daß wörtlich ein ebenso schwieriger Begriff ist wie metapho- Wenn die Bedeutung identisch geselzt wird mit der Referenz auf I
risch. Im allgemeinen entspricht wörtlich dem Verwendungsstereo- einen Gegenstand, dann wird die Metapher aufgefaßt als ein Fehler,
t¡rp eines Wortes oder einer Wendung. Darüber hinaus kann wört- als ein Regelverstoß. Die Metapher Der Mond ist eine Zitrone wàre
Iich aber noch mehr bedeuten: Wenn wir einen Ausdruck wörtlich ein Fehler, weil wir wissen, daß der Mond keine Zitrone ist. Nach
verstehen sollen, dann soll nur eine Bedettung gelten. Er soll ein- dieser Erklärungsart fassen wir eine Äußerung zuerst wörtlich auf,
deutig verstanden werden können. Man soll ihn beim Wort nehmen entdecken dabei einen Fehler und versuchen dann, diesen Fehler zu
können. Wenn wir eine Äußerung wörtlich verstehen wollen, gehen korrigieren. Diese Ansicht ist von der Vorstellung geleitet, daß Spra-
wir Wort für Wort vor. Oft identifizieren wir die wörtliche mit der che es ausschließlich mit der Formulierung von Wahrheitsbehaup-
(tatsächlichen oder fiktiven) et¡rmologischen Bedeutung. Wir unter- tungen zu tun habe, d.h. von wörtlich zutreffenden Behauptungen.
stellen dann die Existenz einer ursprünglichen, vor- und außerge- In welche Fallen man läuft, wenn man danach verfahren möchte,
schichtlichen Grundbedeutung.T Dabei privilegieren wir die Bedeu- demonstriert ein kleiner Text von Karl Valentin:
tung, die sich auf den Kontext menschlicher Praxis bezieht, auf den
sinnlich wahrnehmbaren, empirisch nachprüfbaren Kontext. >Weil wir grad vom Aquarium redn, ich hab nämlich früher - nicht im
Frühjahr - füiher in der Sendlinger Straße gewohnt, nicht in de¡ Sendlin-
uWie erfrischt sprang er auf, als sie ihn ansprachen. Die Hand auf dem ger Straße, das wär ja lächerba¡ in der Sendlinger Straße könnte man ja
}ìerzen, sagte er: ulch will ein Hundsfott sein, wenn ich das zulasse.u gar nicht wohnen, weil immer die Straßenbahn durchfährt, in den Häu-
Aber dann nahm er das wörtlich und begann, auf allen Vieren umherzu- sern hab ich gewohnt in der Sendlinger Straße. Nicht in allen Häusern, in
laufenn. (Kafka) einem davon, in dem, das zwischen den anderen so drin steckt, ich weiß
net, ob Sie das Haus kennen. Und da wohn ich, aber nicht im ganzen
Gegen die Lehre vom ursprünglichen, wörtlichen Sinn hat schon Haus, sondern nur im ersten Stock, der ist unterm zweiten Stock und ober
Schleiermacher eingewandt, daß sie von einer nl.ogik des Begriffsn, dem Parterre, so zwischen drin, und da geht in den zweiten Stock eine
nicht von einer ,Logik der Sprachen ausgehe. Schleiermacher weist Stiege nauf, die geht schon wieder runter auch, die Stiege geht nicht nauf,
daraufhin, daß der ,Umkreis< der sogenannten ursprünglichen Be- wir gehn die Stiege nauf, man sagt halt son.e
deutung in Wahrheit nur ein ubesonderer Falln der Bedeutung des
Wortes ist.8 Die wörtliche Bedeutung eines Wortes ist keine ur- Man merkt, es ist kaum möglich, einen Satz nnach der Logik der
sprüngliche, sondern eine spezifische Bedeutung. Um die Metapher Sprachen zu formulieren, der sich an die Vorschrift der Wörtlichkeit
zu erklären, reicht dieser Ansatz in zweierlei Hinsicht nicht aus. hält. Der ikonoklastische Versuch einer metaphernfreien Sprache
Ist die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks identisch mit sei- muß scheitern.
ner et5rmologischen Bedeutung, dann kann man nur aufgrund wort- In dieser Sicht ist die Metapher ein fehlerhafter Ausdruck, und
geschichtlicher Untersuchungen entscheiden, ob eine Metapher vor- richtig ist dann nur die Interpretation dessen, was gemeint ist und
liegt. Dieser Erklärungsart zufolge wäre in dem Satz Mit einer Äufie- was falsch formuliert wurde. Wenn dieses Modell zuträfe, dann
rung zaird ein Zuteck uerfolgt! dasWort Zweck metaphorisch zu ver- könnte man mechanische, rein sprachimmanente Regeln dafür for-
t2 T3
mulieren, wann eine Metapher vorliegt und wann nicht. Aber wört- scheiden darüber vielmehr nach Maßgabe der kommunikativen Si-
lich ist wie metaphorisch keine Eigenschaft eines Wortes oder Sat- tuation und des geltenden Sprachgebrauchs. Wir nehmen metapho-
zes an sich, sondern eine Eigenschaft von Au$erungen. Eine Auße- rische Äußerungen auch nicht zuerst als einen Fehler wahr und voll-
rung ist das in einer bestimmten Situation Gesagte. Wir meinen ziehen dann nachträglich eine Interpretation, die den Fehler korri-
oder aerstehen eínen gesprochenen Satz wörtlich oder metapho- giert. Vielmehr erfahren wir Metaphern als einen außergewöhnli-
risch. Dies hängt vom Kontext oder von der Situation ab, also vom chen Wortgebrauch, als eine Abweichung von der Regel des Ge-
Sprecher, vom Hörer, vom Schreiber, vom Leser, von der Sprechsi- brauchs und zugleich als eine sinnvolle und aufschlußreiche Abwei- o
tuation, vom interessierenden Thema, vom gemeinsam geteilten chung. Bezeichnenderweise negiert die Verneinung einer metapho-
Wissen über die Welt. rischen Äußerung, z.B. Der Mond ist keine Zitrone, nicht die wörtli-
Dieser Einsicht sucht die Interaktionstheorie Rechnung zt tra- che Bedeutung, sondern die intendierte spezifische Bedeutung die-
gen. Sie ist in letzter Zett dezidiert als eine pragmatische Theorie ser Metapher. Eine andere Metapher wird vielleicht für zutreffender
entwickelt worden. Die sprachliche Form wird als Teil und Funktion gehalten. Es wird erst gar nicht unterstellt, die Äußerung Der Mond
einer kommunikativen Situation behandelt. Es gibt keine sprachli- ist eine Zitrone sei wörtlich gemeint. Auch verneinte Metaphern
che Bedeutung an sich, sondern nur in bestimmten Situationen, für bleiben Metaphern.
'W'enn
bestimmte Sprecher und Hörer, für bestimmte Absichten. Wenn wir eine Metapher geäußert wird, sind wir nicht dadurch ver-
uns die Bedeutung eines Wortes klar machen, müssen wir uns seine wirrt, daß sie geäußert wird, sondern allenfalls durch ihre spezifi-
Verwendung klarmachen. So muß die metaphorische Bedeutung sche Bedeutung, die uns im Augenblick nicht klar ist. Sprechend
nicht als Eigenschaft der syntaktisch-semantischen Einheit Satz, und verstehend gehen wir davon aus, daß Worte bewußt und mit
sondern als Eigenschalt einer liulSerung bestimmt werden. Mit einer Sinn gebraucht werden, daß sie Sinn machen.
Äußerung ist eine kommunikative Situation gegeben, nach der erst Wird eine besondere Formulierung gebraucht, dann gehen wir
entschieden werden kann, ob ein Ausdruck metaphorisch gemeint davon aus, daß damit etwas Besonderes gesagt werden soll. Meta-
ist oder nicht. Dies macht es freilich auch so schwierig, Regeln für phern sind nicht falsch, sie sind zu offenkundlg falsch, als daß man
das Bilden und Verstehen von Metaphern anzugeben. auf die ldee käme, sie falsch zu nennen.12 Den Mond eine Zitrone
Je nach Kontext oder Situation kann der Satz Peter ist ein Kind zu nennen, ist offenkundig falsch. Wir kommen aber gar nicht auf
wörtlich gemeint sein, wenn Peter sechs lahre alt ist, oder metapho- die Idee, die Kategorie der Falschheit anzuwenden. Wenn jemand
risch, wenn er dreißig Jahre alt ist. eine Metapher nicht metaphorisch, sondern wörtlich nimmt, wie
Der Satz Die Blumen lachten rvird im Kontext eines Märchens Kinder es oft tun, dann sagen wir vielleicht falsch - aber dieses Ur-
wörtlich verstanden, in alltagspraktischer Situation metaphorisch. teil qualifiziert ein falsches Verständnis der Metapher als Metapher,
Der Satz Peter ist ein Schauspieler kann sowohl wörtlich als auch nicht die Metapher als einen falschen wörtlichen Gebrauch. Falsch
metaphorisch richtig sein. Die wörtliche und die metaphorische Be- und richtig sind Kategorien, die sich z. B. auf interne Elemente von
deutung können sogar zusammen intendieri sein. Dies wird in der Klassifikationssystemen beziehen. Falsch wäre es, ein Schneeglöck-
Rhetorik als Sytlepse bezeichnet.lo chen einen Krokus zu nennen, nicht mehr falsch, weil zu offenkun-
In der Frage schließlich Gehen die Blumen jetzt schlafen? muß dig falsch, es z. B. eine Zipfelmütze zu nennen. Daher erzeugen die
keine Metapher vorliegen, wenn ein Kind eines gewissen Alters sie Ausdrücke Dreieck des Vierecks oder Der Tiger war ein Löwe im
stellt. Das Kind lernt erst noch seine Sprache, es lemt erst noch den Kampf wegen der systematischen Falschheit weniger metaphori-
Anwendungsbereich von schlafen.ll sche Effekte, sondern Nonsens-Effekte.
Man kann also keine allgemeinen, notwendigen Regeln für das In der handlungstheoretischen Semantik im Anschluß an Grice
Identifizieren von Metaphern angeben. Sprecher und Hörer ent- werden Metaphern nach dem Modell indirekter Sprechakte er-
a 15
klärt.15 Nun ist die Unterscheidung zwischen direkten Sprechakten schon vorausgesetztes Verständnis der Metapher.r6 Denn die se-
(>man meint, was man sagt<) und indirekten Sprechakten (,man mantischen Merkmale eines Wortes sind keine statischen Größen.
meint etwas anderes, als man sagt.) so einfach nicht. Indirekt wäre Vielmehr legen Sprecher und Hörer erst fest, welche Merkmale in
in einer bestimmten Situation die Äußerung Die Tür ist auf. Die di- der Äußerung und im Verstehen überhaupt wirksam werden sollen.
rekte Form dafur wäre Schliel3e die Tür! Diese Ansicht unterstellt, Sie können daher auch nur von Fall zu Fall herausgefunden werden.
daß es einen Inhalt (eine Proposition) gibt, der von seinen Formulie- Damit geht aber gerade der erhoffte Gewinn dieses Ansatzes verlo-
rungen unabhängig ist. Er kann direkt und indirekt formuliert wer- ren, mit einer geringen Anzahl von Merkmalen komplexe Bedeutun-
o
den. Gemeint ist jeweils dasselbe. Sprachtheoretisch wird hier noch gen ableiten zu können.
an einer A¡sicht festgehalten, die in der Literaturwissenschaft als Die Metapher läßt sich nicht analytisch durch eine Zerlegung in"
Form-Inhalt-Trennung längst kritisiert wurde. letzte Elemente beschreiben. Sie läßt sich nur hermeneutisch im
Es ist nicht einfach so, daß man bei indirekten Sprechakten etwas Hinblick auf interpretative Kontexte explizieren, ohne daß ein Ende
sagt und etwas anderes meint. Auch hier meint der Sprecher, was er dieses Prozesses wechselseitiger Interpretation definitiv angegeben
sagt. Er meint es nur auf eben diese indirekte Weise. Er meint z.B. werden kijnnte. Freilich geben wir uns aus kommunikationspragma-
die selbstverständliche Notwendigkeit, daß Türen geschlossen sein tischen Gründen mit einem Verständnis zufrieden, das Sinn macht.
sollen. Er will direkt, daß daraus bestimmte Folgerungen gezogeî Oft kommt es einfach nicht darauf an, alle Bedeutungsmõglichkei-
werden sollen. Behandelt man die Metapher als einen indirekten ten einer Metapher zu aktualisieren.
Sprechakt, dann fällt man in den Fehler der Substitutionstheorie zu- Die Änderung des alten Erklärungsmodells reagiert natürlich
rück. Man unterstellt, daß das, was die Metapher indirekt sagt, auch auch auf die Entwicklung der literarischen Praxis. Die literarische
direkt zu sagen wäre. Indirekte Sprechakte sind aber nicht übersetz- Formulierung von Metaphern emanzipierte sich in der Tradition
bar in direkte, ohne daß auch eine wesentliche Inhaltsbedeutung von den aristotelischen Regeln - sofern man unterstellt, daß sie sich
verloren ginge. je ganz an sie gehalten hat.17 In der mittelalterlichen Literatur war
Aus heuristischen Gründen ist es natürlich oft nützlich zu sagen, der Ifteis der zulässigen Metaphern noch eher begrenzt.In der Lite-
eine notwendige - keine hinreichende - Bedingung der Metapher ratur der Moderne kann potentiell jedes Paar benachbarter Wörter
sei, daß sie wörtlich genommen falsch ist. Aber dies ist, wie schon als eine Metapher angesehen werden.
gezeigt, keine notwendige Regel.la Kein Mensch ist eine Inset (John Normalerweise verändem wir beim Sprechen und Verstehen
Donne, nDevotionso (1624), XII: >No man is an island, entire of it- ständig die Bedeutung der Wörter. Sprachliche Artikulation ist im-
selfn.) ist wörtlich richtig und kann als Metapher verstanden wer- mer Veränderung und Synthesis von Sinn, wobei, wie Wilhelm von
den, genauer: wird als eine Metapher verstanden, weil der Ausdruck Humboldt formuliert, die >Synthesis etwas schafft, das in keinem
wörtlich zu offenkundlg richtig ist. Der Satz Warschau ist eine kalte der verbundenen Teile für sich liegto.l8 Die Metapher wäre dann
Stødt war während des Ausnahmezustands im Winter 1982/83 so- nur eine besonders auffallende Form der Bedeutungsveränderung
wohl wörtlich als auch metaphorisch richtig, wenn man an das Kli- und Bedeutungserweiterung, die wir - sprechend und verstehend,
ma - und an das politische Klima denkt, das damals in Warschau mehr oder weniger stark, mehr oder weniger bewußt - stândig ver-
herrschte. wirklichen. Ständig artikulieren wir Neues mit Hilfe alter Bedeutun-
Die sprachtheoretischen Voraussetzungen des aristotelischen An- gen. Insofern verfahren wir sprechend und verstehend immer meta-
satzes liegen auch noch den Versuchen zugrunde, die die Funktion phorisch. Die Metapher ist keine Abweichung vom normalen
von Metaphem mit Hilfe von Merkmalanalysen erklären.1s Solchen Sprachgebrauch, sie ist normaler Sprachgebrauch. Genauer: Sie ist
Analysen kann man nachweisen, daß sie keine Entdeckungsproze- eine Abweichung vom normalen Sprachgebrauch im normalen
duren sind, sondern bestenfalls Rechtfertigungsprozeduren für ein Sprachgebrauch. Sie ist eine exzeptionelle Verwendung eines Wor-
16 t7
tes, von Sätzen, in einem gegebenen Kontext, in einer gegebenen Si- len Bedeutung bevrußt - und zugleich deren Transformation in eine
tuation. Eine Metapher kennt man nicht, wie man die Regel des Ge- neue, metaphorische Bedeutung, die durch den Kontext oder die Si-
brauchs eines Wortes in der Sprachgemeinschafi kennt. Eine Meta- tuation erzwungen wird. Die metaphorische Bedeutung wird dabei
pher kann man nur verstehen. Sie ist okkasionell, nicht usuell. Stets nicht einfach aus der wörtlichen Bedeutung abgeleitet, sondern sie
muß man den ganzen Sprechakt vor Augen haben, um eine Äuße- wird erzeugt aus dem Verstândnis der ganzen Situation, des ganzen
rung als metaphorische verstehen zu können. Bei der Metapher Kontextes. Dieser bestimmt, welche Bedeutungsmöglichkeiten ver-
wird gegen die Regel des Gebrauchs eines Wortes verstoßen, aber wirklicht werden, welche Merkmale in den Vordergrund, welche in a
diese Regel (noch) nicht verändert. Die Metapher bricht punktuell den Hintergrund treten. Die metaphorische Bedeutung ist daher
eine Konvention. Die Metapher ist eine Abweichung - nicht vom mehr ein Akt als ein Resultat, eine konstruktive Bedeutungserzeu-
wörtlichen Gebrauch im vorhin skizzierten Sinne, sondern vom do- gung, die sich irgendwie durch eine dominante Bedeutung vollzieht,
minanten, prototypischen Gebrauch eines Wortes, der Standardbe- eine Bewegung von ... zu, z.B. in dem Vers Kunzes die Erzeugung
deutung (mit den nahe liegenden, typischen Gebrauchsbeispielen). einer metaphorischen Bedeutung eines reglosen Fisches im Hinblick
Der dominante Gebrauch fåillt uns zuerst ein, an ihm orientieren wir auf die Stadt: >Stadt, fisch reglosu (,Dezemberu). Ist diese Bewußt-
uns unwillkürlich. Er gilt als - freilich nicht rigide festgelegte - seinslage nicht gegeben, dann liegt auch keine Metapher vor. Es
Norm. Gâbe es ihn nicht, so könnte man auch die Metapher nicht wird nicht mehr der Vorgang der Bedeutungserzeugung aus einem
als eine Sprachfigur identifizieren. voraus- und zugrundeliegenden Wort/Wortkomplex wahrgenom-
Da wir nicht an einer homogenen Sprache, sondern an vielen sich men.
überlagernden Sprachen partizipieren (Dialekt, Gruppensprachen, Auch in den Fällen, wo auch das wörtliche Verständnis einer me-
Fachsprachen usw.), muß der dominante Gebrauch nicht für alle taphorischen Äußerung Sinn macht (Kein Mensch ist eine Insel,
derselbe sein. Der eine versteht noch etwas metaphorisch, was für Warschau ist eine kalte Stadt), muß die Bewußtseinslage einer dop-
den anderen längst ein Fachausdruck ist. So enthält z.B. die Auße- pelten Bedeutung vorliegen, wenn wir sinnvoll von einer Metapher
rung Der Gletscher ernährt den FIufi für einen Hydrologen keine reden wollen. Wir sind uns, wenn wir solche Äußerungen metapho-
Metapher. risch verstehen, der normalen Bedeutung von z. B. kalt bewußt und
Beim metaphorischen Gebrauch wird nicht einfach ein Wort an- zugleich einer neuen, ín d,er kalt die politischen Verhältnisse cha-
ders verwendet. Es ist charakteristisch für die Metapher, daß dem rakterisieren soll. Wir sind uns eines Übertragungsaktes bewußt.
Hörer/Leser eine dominante Bedeutung als Ausgangsbedeutung ge- Wir aktualisieren bei der Metapher - auf der Suche nach ihrem
genwärtig sein muß, sonst handelt es sich nicht um eine Metapher, Sinn - wenigstens zeitweise alle möglichen Bedeutungen und Kon-
sondern um eine Polysemie, bei der ein Wort einmal dies und ein- notationen der beteiligten Wörter und Wortverbindungen, ihre af-
mal etwas anderes bedeutet. Es muß bewußt sein, daß der metapho- fektiven Besetzungen. Wenn sich die Metapher durch häufigen Ge-
rische Gebrauch eine Ableitung vom Standardgebrauch ist. Dieser brauch stabilisiert und lexikalisiert, d.h. in den usuellen'Wortschatz
Standardgebrauch bleibt bestehen, er wird sogar an der Abweichung aufgenommen wird, dann wird sie unabhängig vom dominanten
intensiv und oft überhaupt erst bewußt. \Mortgebrauch. Im selben Maße löst sich ihr metaphorischer Effekt
In einer wichtigen älteren Abhandlung hat Stählin festgestellt, auf.. Motorhaube z.B. ist keine Metapher mehr, ebensowenig Wol-
daß bei der Metapher eine Bewufitseinslage der doppelten Bedeu- kenkratzer, Speichem, Flufibett, Tischbeín, VerkehrsflulS oder
tung gegebenist.le Wenn wir einen Ausdruck metaphorisch meinen, Zweck. Besonders bei Kompositionsmetaphem wie Motorhaube,
dann intendieren wir eine Bedeutung, die durch die Standardbedeu- Verkehrsflufi, Botenstoffe (?), Datenautobahn (?) gibt es viele lexi-
tung hindurch entstehen soll, ohne diese aufzuheben. Dies will der kalisierte Metaphern. Man sieht, daß man Metaphern nicht be-
Ausdruck ndoppelte Bedeutungn besagen. Wir sind uns der norma- schreiben kann, ohne sich am Bewußtsein der Sprecher von ihrer
18 19
Sprache zu orientieren. Man muß den Standpunkt der Sprechenden Es läßt sich keine Regel aqgeben, nach der sich die metaphorische
einnehmen, um etwas als eine Metapher identifizieren zu können. Bedeutung notwendig bildet. Wir haben es nicht völlig in unserer
In dem Maße, in dem die Metapher lexikalisiert wird, wird ihre Be- Gewalt, eine metaphorische Bedeutung planmäßig und zielsicher zu
deutung kontextunabhängiger. Am Ende dieses Prozesses stehen bilden und anderen diesem Plan gemäß mitzuteilen. Mit Recht hat
dann ein erweiterter Anwendungsbereich oder verschiedene neben- Weinrich darauf hingewiesen, daß die Metapher ein >ich weiß nicht
einander bestehende Verwendungen eines Wortes. wieo an Bedeutung enthalte. Dennoch machen Metaphern ja Sinn
Lexikalisierte Metaphem können freilich wieder re-metaphori- und werden verstanden. (Nach Kant charakterisiert eben dieser a
siert werden, ebenso kann die metaphorische Bedeutung wieder wie Sachverhalt die Produkte eines Genies.) Das sich aus der interaktio-
eine wörtliche behandelt (>reifiziertu) werden. Kalauer leben von nellen Bedeutungserzeugung ergebende Verständnis der Metapher
dieser Möglichkeit, aber auch andere Formen: tief Luft holen (be- ist meist abgesichert durch kulturelle Bildtraditionen und textuelle
Iiebte art des selbstmords 1983) (Volker Erhardt). Von Heine Strukturen, die als metaphorische Pràzedenzen und Anschlußstel-
stammt der Ausspruch: Diese Satire wrire nicht so bissig geutorden, len fungieren.2o
wenn der Dichter mehr zu bei$en gehabt hötte. Nun wird seit Aristoteles als Regel der Bedeutungserzeugung die
Im alltäglichen wie im literarischen Sprachgebrauch findet eine Analogie oder die Ähnlichkeit angegeben. Gewiß gibt es einen Me-
stete Wechselwirkung zwischen kreativen, konventionalisierten und taphernt5rp, für den dies zutrifft. So kann man sich erklären, wie der
lexikalisierten Metaphern statt. Metaphem werden kreiert, manch- Name Maas für ein Steuerungsinstrument des Computers aus einer
mal zu einem ganzen Metaphernfeld entwickelt, manchmal wörtlich metaphorischen Bildung hervorging. Doch wenn wir Metaphern bil-
genommen, durch einen festlegenden Gebrauch lexikalisiert, oder den, dann suchen wir meist nicht zuerst nach Ähnlichkeiten zwi-
manchmal ganz einfach vergessen. Dieses Sprachbewußtsein hat schen zwei Dingen, um sie dann sprachlich abzubilden. Metaphern
natürlich keine scharfen Grenzen. Für das durchschnittliche drängen sich ja eher auf, sie 'kommen.. Die Metapher bildet weni-
Sprachbewußtsein liegt vielleicht schon keine Metapher mehr vor, ger eine Ähnlichkeit ab, sie erzeugt sie vielmehr fär den Hörer oder
wo das an Traditionen orientierte wissenschaftliche und literarische Leser. Was wäre z. B. eine solche vorher bestehende Ahnlichkeit in
Sprachbewußtsein noch eine wahrnimmt. Diesem Sprachbewußt- Heines Bemerkung, jemand habe ein Witwenkassengesicht oder die
sein gemäß kônnte man Grade des metaphorischen Effektes unter- ganze ausgekochte GestøIt glich einem Freitisch für Theologen? Es
scheiden, aber auch wieder mit unscharfen Grenzen: ist s¡mptomatisch für die Mängel der Vergleichstheorie, daß als Bei-
spiele meist Metaphern herangezogen werden, deren metaphori-
1. Die ,lebendige., kreative Metapher. Sie wirkt neu und überra- scher Effekt sich schon längst aufgelöst hat. So muß immer wieder
schend. Achilles dazu herhalten, mit einem Löwen verglichen zu werden.
2. Die konventionalisierte Metapher, d. h. eine Metapher, die nicht
Ohnehin ist Ähnlichkeit ein vager Begriff. (Das macht ihn so
mehr neu, aber auch noch nicht lexikalisiert ist. Sie wirkt oft kli praktisch.) Ähnlich sind Dinge nur in bestimmten Hinsichten, unter
scheehaft.
bestimmten Perspektiven. In irgendeiner Hinsicht kann alles allem
Die Sonne lacht wàre eine konventionalisierte Metapher, die Sonne ähnlich sein. Daher ist die Metapher auch kein ,verkürzter Yer-
grinst wohl eine kreative Metapher. Ein Beispiel fi.ir die Konventio- gleichu (Quintilian, >Institutio oratoria( (Ausbildung des Redners),
nalisierung einer Metapher war in den 70er Jahren die Verwendung 8,6,8 und nach ihm viele). Dies liegt nicht nur daran, daß bei der
des Wortes Landschaft ín Parteienlandschaft, Kulturlandschaft, Metapher die Vergleichspartikel ,wie, fehlt und daß beim Vergleich
Wirtschaftslandschaft usw., ein aktuelles Beispiel ist die Verwen- jedes Wort usuell gebraucht ist. Vergleich und Metapher erzeugen
dung von Netz, z.B. inVemetzung der Forschung oder Netzzaerk der vielmehr verschiedene Sinnerwartungen. Mit der Aussage Mein Ge-
Glo b ali s i er un gs kritiker. dicht ist mein Messer (Titel einer Anthologie) wird eine Aussage
20 2t
über das Subjekt ,Mein Gedicht. gemacht. Die Metapher können gentliche< Bedeutungen reduzierbaren Metapherntyp gäbe.23 Auch
wir erläutern, indem wir z.B. Umschreibungen, Vergleiche bilden, in wissenschaftlichen Theorien, so antimetaphorisch sie sich geben,
die aber nie an den Punkt kommen, wo alles gesagt ist. Die Meta- spielen Metaphern eine theoriekonstitutive Rolle.2a Auch die
pher setzt einen nicht ganz festgelegten Spielraum an Bedeutungen nachte Wahrheit ist schließlich eine Metapher. FeId, Atom, Welle,
frei. Sie gibt viel zu denken, ohne doch unverbindlich zu sein. Trtigheit, Kraft, Widerstand usw. sind natürlich längst terminologi-
Mit der Aussage Mein Gedicht ist wie mein Messer dagegen wird sierte Ausdrücke, sie leiten gleichwohl als residuale Hintergrundme-
eine andere Sinnerwartung erzeug!. Wir warten auf eine Vergleichs- taphorik die Theoriebildung. Wie notwendig und verführerisch sol-
a
hinsicht, auf das tertium comparationis, z.B. auf ein ,denn es wirkt che Metaphorik für die Theoriebildung sein kann, belegt die aktuelle
einschneidendu! Man merkt aber an diesem Beispiel, daß die Cha- neurowissenschaftliche Diskussion. Da ist die Rede vom Fernseher
rakterisierung der Metapher als verkürzter Vergleich sich in den ei- unseres Bewusstseins, von Neuronen-Imperien, Zell-Republiken,
genen Schwanz beißt, denn eine Charakterisierung des Vergleichs vom wimmelnden Ameisenheer uon zigmillionen Zellen. Moleküle
selbst muß wieder zu Metaphern greifen. Der Vergleich beruht hier docken an, Neuronen feuem, Zellen kommunizieren. Auch Meta-
auf einer Metapher, nicht die Metapher auf einem Vergleich.2l So phemtheorien kommen nicht ohne Metaphern aus. Der Akt der
auch in Kafkas bösem Vergleich: Heute lag eine abgeschlachtete Metapher wird gefaßt als ein Akt d,er Übertragung, d,er hojektíon,
Stopfgans draulSen in der Schüssel, anzusehen zaie eine tote Tante. des mapping (Abbildung, Kartierung), der Verschmelzung.
Die Vergleichspartikel >wie< kann viele Bedeutungen haben. Sie Die Integration eines theoretischen Modells in eine geltende Hin-
kann auf ein tertium comparationis abzielen, aber auch, wie hier, tergrundmetaphorik verleiht dem Modell Evidenz. So beruht das li-
auf einen metaphorischen Vergleich. Metaphorische Vergleiche, teraturwissenschaftliche Paar Inhalt - Form auf der Hintergrundme-
d.h. als Vergleiche formulierte Metaphern mit taphorik des Gefäßes. Diese Metaphorik kann, wie man weiß, eröff-
'wie. und 'als ob,,
sind charakteristisch für romantische Lyrik.22 nend und verstellend wirken. Metaphem fungieren als handlungs-
An den Beispielen von Heine wird auch deutlich, daß Metaphern und erkenntnisorientierende Modelle. Sie haben die Macht, neue
nicht durch Formulierungen ersetzt werden können, die sagen, was Wirklichkeiten zu schaffen und unser Begriffssystem zu verän-
eigentlich gemeint ist. Natürlich umschreiben wir oft Metaphern - dern.25
die Bedeutungsfülle der Metapher verlangt geradent nach
Umschreibungen -, aber wir umschreiben sie nicht, um damit die ei
gentliche Bedeutung anzugeben. Umschreibungen, in denen selbst- 2. Bildspender - Bildempfänger
verständlich dann auch Analogien, Vergleiche, Ersetzungen verwen-
det werden, sind bestenfalls Mittel der Erläuterung einer Metapher, Die Metapher artikuliert nicht eine Ähnlichkeit, sie sagt vielmehr
nicht, oder in der Regel nicht, deren semantische Basis. Eine Meta- >dies ist dasu.26 Gleichzeitig sind wir uns bewußt: >dies ist das
pher erläutern kann man so schlecht wie den Witz eines Witzes. nichtu.27 In jedem lebendigen metaphorischen Gebrauch ist ein Ne-
Schlagende Beispiele für die semantische Unhintergehbarkeit gationselement enthalten. Die metaphorische Außerung basiert auf
von Metaphern sind jene, die wir für akustische und visuelle Phäno- einer prädikativen Grundstruktur.28 Syntaktisch deutlich ist diese
mene, überhaupt für Erfahrungen von Synästhesie verwenden müs- Struktur im Typ Mein Gedicht ist mein Messer. Aber auch attributi-
sen. Wir sprechen vonztarmen oder kalten oder satten Farben, von ven Metaphern: Schutarze Milch der Frühe (Celan), Kompositions-
hell¿n oder dunklen Tönen, wir trinken trockenen oder schweren metaphern: Wahllokomotiae, Waldsterben, Appositionsmetaphern:
Wein. Wie könnten diese Phänomene anders bezeichnet werden? Und dein Schuteigen, ein Stein (Bobrowski) und Genitivmetaphern:
Es ist etwas irrefuhrend, solche Metaphern >absolute Metaphernu Mehr noch als der Zahn der Zeit nagt am KöIner Dom der Zahn der
zu nennen, denn diese Redeweise setzt voraus, daß es einen auf ,ei- Chemie (Frankfurter Rundschau, 4.7.1.980) Iiegt eine Prädikations-
22 23
struktur zugrunde: ein Element wird auf ein anderes prädikativ be- Aspekten tu wie in nichtmetaphorischer Prädikation,
zogen. Im Anschluß an Weinrich ist es üblich geworden, diese Ele-
"rk"n "),
sondern zu sehen, wahrzunehmen, uorzustellen, zu erleben.3l Vieles
mente Bildspender wd Bildempfönger z1r nenîeî.2e Alternative ist dabei deutlich, vieles verschwommen, unbewusst, angedeutet.
Begriffspaare sind Bildsphâre - Sachsphäre, Vehikel - Tenor, source Diese Amalgamierung unterscheidet die Metapher von anderen Fâl-
domain - target domain, Herkunftsbereich - Zielbereich. Trotz ter- len semantischer Inkongruenz. In Er hat mir einen ärgerlichen Brief
minologischer Bedenken gegen >Bild< und gegen die Suggestion ei- geschrieben wird, ärgerlicher Brief wohl nicht als eine Metapher,
ner starren, einseitigen Beziehung nehme ich das Begriffspaar Blld- sondern als eine Metonymie aktualisiert: der Schreiber ist ärgerlich.
o
spender - Bíldempfdnger auf,weil es sich eingebürgert hat. Der Bild- Freilich kommt es zu wechselseitiger semantischer Organisation
spender ist das metaphorische Element. Er fungiert als ein prädikati- auch in nichtmetaphorischer Prädikation. Sage ich: Til ist ein lunge,
ves Schema für das Subjekt der metaphorischen Äußerung. Gerade dann betone ich bestimmte relevante Aspekte des Prädikats, je
weil die metaphorische Prädikation meist nicht ohne weiteres Sinn nachdem, ob ich sagen will: ,Til ist kein Mädchen<, >Til ist wild,, >Til
macht wie nichtmetaphorische Prädikationen, aktualisieren wir auf ist kein Baby mehr, oder >kein Erwachsener<. Sage ich Til ist ein
der Suche nach Sinn nicht nur die lexikalischen Bedeutungen des Igel, d,ann wird auf der Suche nach Sinn eine semantische Interakti-
Ausdrucks, sondem auch einen diffusen, daher suggestiven Kom- on im Hinblick auf das Igelhafte von Til vollzogen. Hier wird nach
plex von implizierten Vorstellungen, Ansichten, Wertungen und af- August Wilhelm Schlegels glücklicher Formulierung eine uGleich-
fektiven Besetzungen. Metaphern setzen Gefühle frei, sie lassen da- heit angedeutet..32 Angedeutet heißt: eine Gleichheit wird behaup-
her den Bildempfänger unter der Perspektive des Bildspenders ,erle- tet, zugleich aber auch ihre Nichtgeltung. Im Unterschied zur nicht-
ben,. metaphorischen Prädikation ist es für die Metapher wesentlich, daß
In moderner Lyrik, etwa bei Paul Celan, werden Metaphern so semantische Inkongruenzen nicht getilgt werden, sondem gegen-
eingesetzt, daß der Bildempfänger nicht mehr einfach angebbar ist. wärtig bleiben. Im Kontinuum der Prädikation A ist B stellen die Ka-
Die metaphorische Qualität schlägt dann um in eine nichtmetapho- tegorisierung des Begriffs und die Metapher die Endpunkte dar.
rische, in eine Art neuer >Dinglichkeit<. Wegen dieser simultanen Geltung und Nichtgeltung einer Gleich-
Max Black hat vorgeschlagen, die Übertragung dieses schemati- heit sagen wir oft: dies ist eine Metapher, mit dem Ton: dies ist zur
schen, implikativen Komplexes auf den Bildempfänger (metapho- eine Metapher. Der oszillierende, schweifende, etwas unbestimmte
risch) eine uProjektion< zu nennen.3o Bestimmte Aspekte des Bild- Charakter der metaphorischen Bedeutung ist ein Resultat der Ver-
empfängers werden dabei herausgehoben, andere verdeckt. Der Ter- stehensbewegung, die sie in Gang setzt: die Prädikatikon trilft zu,
minus unterschlägt freilich den wesentlichen Anteil an Gefühlsüber- sie trifft nicht zu, und sie soll doch zutreffen.
tragungen. Dabei wird ein Prozeß wechselseitiger Akzentuierung Die Metapher identifiziert die Bedeutung zweier Ausdrücke, z. B.
von Bildspender und Bildempfänger vollzogen. Pascal, >Pensées< Fisch und Stadt, sie widersteht aber auch dieser Identifizíerung -
(1670): >L'homme n'est qu'un roseau, le plus faible de la nature; und sie bedarf einer ldentifizierungskraft, die diesen Widerstand
mais c'est un roseau pensant.( (Der Mensch ist nur ein Schilfrohr, überwindet. Nelson Goodman hat diesen Sachverhalt in der Bemer-
das schwächste der Natur; aber er ist ein denkendes Schilfrohr.) Der kung zusammengefaßt: >Die Metapher ist eine Affaire zwischen ei-
Bildspender stellt den Menschen in seiner Schwäche, seiner Zer- nem Prädikat mit Vergangenheit und einem Objekt, das sich unter
brechlichkeit, seinem Schwanken vor. Von den vielen möglichen Protest hingibt.nss
Merkmalen des Bildspenders werden gerade diese Merkmale durch Diese Simultanität der Geltung und Nichtgeltung der metaphori-
die semantische Interaktion mit dem Bildempfänger und den Kon- schen Prädikation hat dazu geführt, daß die Metapher ein >Bild< ge-
text aktualisiert. nannt worden ist.54 Die Metapher >stellt vor Augen<, sagte Aristote-
Es geht dabei nicht darum, den Bildempfänger unter bestimmten les. Bei der Metapher assoziieren wir jedoch nicht notwendig ein vi-
24 25
suelles Bild,3s oft besteht ihre Wirkung vor allem darin, eine affekti- che militärisches, organologisches, sportliches, technisches Vokabu-
ve Einstellung zu etzeugeî. Ein Beispiel dafi.ir ist Heines Metapher 1ar.
vom Witwenkassengesicht oder die klischeehafte Metapher, jemand
sei ein hohes Tier, bei der als affektive Einstellung eine Mischung
aus Unterwürfigkeit und Verachtung hervorgerufen wird. 4. Politische Metaþhorik
Bei Schimpfwörtern scheint es nur auf diese affektive Einstellung
anzukommen. Die Metapher redet nicht über Gefuhle, Eindrücke Die aktuelle politische Diskussion um die Forschung an embryona-
o
oder Gedanken, sie verkörpert sie, sie will sie erleben lassen - so len Stammzellen greift immer wieder auf bestimmte Metaphernfel-
schwer es auch ist, solche Formulierungen theoretisch zu rechtferti- der zurück: Dämme und Wassermassen, das offene und geschlos-
gen. Die oft beschworene Bildhaftigkeit und Anschaulichkeit der sene Haus, der Weg. Türen oder Fenster zu dieser Forschung sollen
Metapher ist ein Ausdruck dafär, daß die Metapher uns zwingt, uns geschlossen oder geöffnet, Dämme gegen bedrohlíche Wasserfluten
auf die Bedeutung der kontextuell beteiligten Ausdrücke rückzube- errichtet werden, der Einstieg zu dieser Forschung dürfe nicht be-
sinnen. Wir aktualisieren die Bedeutung der beteiligten Wörter, um hindert werden, man bewege sich in einem Labyrinth. uDie Bilder-
herauszufinden, welche mögliche Bedeutung die Metapher hat. Wir freudigkeit und das Beschreiben von Wassermassen und bedrohten
aktualisieren die Konnotationen der beteiligten Wörter. Wir imagi- Heimstätten zeigeî, wie schwer es fällt, die biologische Revolution
nieren mögliche Situationen, Gegenstände oder Personen aus unse- in Begriffe zu fassen, und welche existentielle Verunsicherung die
rer Erfahrung. Wir erzeugen eine Bedeutung und sind auf diese Be- ständig voranschreitende biomedizinische Forschung verursacht.u
deutungserzeugung konzentriert. Dies heißt: vor Augen<. (Franldurter Allgemeine Zeittng, 3L. L. 2002)
"stellt
Metaphern eröffnen bestimmte Perspektiven, sie geben etwas zu
sehen als etwas, sie rufen Affekte hervor. Sie bilden dadurch Einstel-
3. Metaphernfelder lungen und leiten Handeln. Je stärker, desto mehr geht das meta-
phorische
'als ob, über in eine ldentifizierung. Daher kann und
Metaphern haben gerade wegen ihrer expressiven Bedeutung eine muß z. B. eine Kritik politischer Rhetorik und politischen Handelns
wichtige textkonstitutive und textstrukturierende Funktion. Ihre auch als eine Kritik der zugrundeliegenden Metaphorik durchge-
komprimierte Bedeutung verlangt geradezu danach, fortgesponnen führt werden. Politische Metaphorik läßt sich z. B. danach befragen,
oder aufgenommen zu werden.36 Fortgesponnene, variierte, kon- welches Modell sie vom Staat entwirft, ein autoritäres oder ein de-
trastierte oder sonst aufeinander abgestimmte Metaphern bilden mokratisches, wieviel Freiheit sie dem Menschen einräumt, welche
Textknoten und Textklammem. Sie weisen vor oder zurück und ver- Einstellungen gegenüber dem Anderen, dem Fremden erzeugt wer-
binden sich mit anderen, benachbarten Textelementen. Sie meta- den, ob sie Konfliktangst ausdrückt oder nicht. Es kann dabei nicht
phorisieren diese (vgl. S.31f.). Der Metaphorisierungsprozeß kann darum gehen, Metaphern zu verbannen, sondem darum, aufzuklä-
ein ganzes WortfeldsT umfassen und bildet, in analoger Terminolo- ren, welche Metaphem welche Wirkung haben können und müs-
gie, ein Metaphernfeld. Solche Metaphernfelder fungieren in Texten sen.
als immanente Deutungs- und Charakterisierungsperspektiven. Bei- Nachdenklich stimmt es, daß die politische Rhetorik von der An-
spiele wären das verbreitete Metaphernfeld der Münze (2.B. nNa- tike bis heute immer wieder auf dieselben basalen Metaphern zu-
than der'Weisen, III,6: ,... als ob / die Wahrheit Münze wäre!<) rückgreift:3e Organismus, Familie, Schiff .Die Metaphorik des Schif-
oder das geologische Metaphernfeld in der Lyrik Celans.38 ¡e nach fes wird gerne in Krisenzeiten berufen, denn sie beschwört Ord-
der Herkunft der Bildspender können bestimmte Metaphernfelder nung, Autoritât und Einheit gegen die Gefahr des Untergangs: u)ir
unterschieden werden. Besonders produktiv sind in der Alltagsspra- sitzen alle in einem Boot.Wer sich nicht an diese Ordnung mit ihren
26 27
festen Positionen und Hierarchien von oben nach unten hält, der ge- schaft Korruption und Unordnung vorzuwerfen. Krankheitsmeta-
fährdei alle. Die Schiffsmetaphorik entwirft den Staat als eine hier- phorik impliziert unnachsichtige, radikale Einstellungen: eine
archische Ordnung, in der jedem ein fester Platz zugewiesen ist.ao Krankheit muß streng auskuriert werden, notfalls muß amputiert
Entscheidungen durch Diskussion und Konsens werden eher ausge- werden. Diese Metaphorik beschwört Ängste, die vehemente Ab-
schlossen. Mit Døs Boot ist aoll und dem Metaphernleld, d,er Flut wehr mobilisieren. Totalitäre Bewegungen, rechte wie linke, sind in
(2.8. Auskinderschwemme, Auskinderüberschwemmung, Asylan- decouvrierender Weise bereit, Krankheitsmetaphem zu gebrauchen.
tenflut) wurde und wird in der Auseinandersetzung über die Ein- In dêr antisemitischen Rhetorik, kulminierend im Nationalsozialis- o
wanderung eine Position des Abschottens bezogen.al mus, werden Juden identifiziert als Pest, Cholera, Krebs, Syphilis,
Freiheit in Grenzen räumt dem Einzelnen das Metaphernfeld der Rattentuberkulose, Geschwür. Der |ude soll nicht mit Krebsge'
Familie ein. (Vater Staat, Väter des Grundgesetzes.) Es hat deutlich schwür verglichen, sondem genau so erlebt werden. Wer einen
paternalistische Implikationen und verlangt vom Bürger vor allem Menschen als Krebsgeschwür beschreibt, stiftet zur Gewalt gegen
Vertrauen, weniger mündige Kritik und Mitbestimmung. diesen Menschen an. Unbarmherzig muß das Geschwür ausge-
Außerordentlich produktiv ist das biologische Metaphernfeld, schnitten werden. Das heißt zuletzt Krematorium.a3
man denke nur an die Exmetaphern Entwicklung, Erziehung an die Auch die Metapher des Parasitenaa stiftet zur Gewalt an. Sie soll
metaphorische Verwendung von Wurzel, Keim, Samen, Wachstum ausschließen, abstoßen, abwehren, wie es bezeichnend heißt. Hier
(die blühenden Landschøftez in Ostdeutschland!), Lebensalter, Ta- verbindet sich die Krankheitsmetaphorik mit der militärischen: die
ges- und lahreszeiten. Aus diesem Feld stammt die Metapher vom gesunden Abwehrkräfte des Körpers sollen gegen den Feind mobili-
Staat als Organismus, als Körper (vgl. die Exmetapher Hauptstadt). siert werden.as Eine politische Kultur erkennt man auch und gerade
Die politischen Implikationen der Organismusmetaphorik sind ent- an ihren Metaphern.
nehmbar der berühmten Fabel von Menenius Agrippa über den Ma-
gen und die Glieder, von der Livius berichtet (Livius II, 32,9-12).
Die Glieder rebellieren gegen den Magen, weil dieser ihrer Meinung
nach ein gefräßiger Faulenzer ist. Sie müssen aber einsehen, daß sie
ohne den Magen verloren sind. Mit dieser Fabel verhindert Menen-
ius Agrippa einen Aufstand gegen den römischen Senat. (Vgl.
Brechts Bearbeitung von Shakespeares >Coriol¿n,., L, L). Fraglos
tendiert die Organismusmetaphorik dazu, menschliche Freiheit zu
begrenzen, wenn nicht zu negieren. Politische Verhältnisse und poli-
tisches Handeln werden dargestellt als determinierte, unabänderli-
che Naturprozesse.
Typisch für die Epoche des aufgeklärten Absolutismus ist die Me-
taphorik vom Staat als Maschine, als mechanisches Râderwerk, als
Uhr.a2 Dagegen konnte nun organische Metaphorik eine absolutis-
muskritische Bedeutung des Lebendigen und Freien entfalten, z.B.
in Hölderlins Gedicht ,Die Eichbäumeu.
Eine Variante der Organismusmetaphorik ist die Krankheitsmeta-
phorik. Der Terminus Krlse entstammt dieser Metaphorik. Krank-
heitsmetaphern sind immer schon benutzt worden, um einer Gesell-
28 29
chen, ein ganzes, unsäglich veränderliches, flüchtiges Schwingenge-
flecht - aber ein lesbares - vor mich hinzuweben. Nur daß ich ab-
glitt, um mich stets von neuem bei den andern zurückzufinden. Hier
stand mir nichts mehr bevor, nichts sprach zu mir.
Allegorie Kaum war ich denen im Osten gefolgt, wie sie, im Fluge gegen ei
nen letzten Schimmer, ein paar tiefschwarzer, scharfer Schwingen,
sich in die Feme verloren und wiederkehrten, so hätte ich ihren Zug
Deux erreurs: 1. prendre tout littéralement; o
schon nicht mehr beschreiben können. So ganz ergriff er mich, daß
2. prendre tout spirituellement.
ich mir selber, schwarz vom Erlittenen, eine lautlose Flügelschar,
Pascal
aus der Ferne zurückkam. Links hatte noch alles sich zu enträtseln,
Im Auslegen seid frisch und munter!
und mein Geschick hing an jedem Wink, rechts war es schon vorzei-
legt ihr's nicht aus, so legt was unter.
ten gewesen, und ein einziges stilles Winken. Lange dauerte dieses
Goethe
Widerspiel, bis ich selbst nur noch die Schwelle war, über der die
unnennbaren Boten schwarz und weiß in den Lüften tauschten."
Dieser Text steht unter dem Titel >Möwen< in Walter Benjamins
>Städtebilder<. Er ist L929 entstanden. Ihn als eine Reiseimpression
1. Spiel - Widerspiel in der Tradition literarischer ,Reisebilder. zu verstehen, ist möglich
und legitim. Ein solches Verständnis entspricht dem Titel >Möwen<,
>Abends, das Herz bleischwer, voller Beklemmung, auf Deck. Lange der im Zusammenhang dieser ,Bilder< Impressionen von einer See-
verfolge ich das Spiel der Möwen. Immer sitzt eine auf dem höch- reise erwarten läßt. Für den historisch und literarisch bewußten Le-
sten Mast und beschreibt die Pendelbewegungen mit, die er stoßwei- ser freilich enthält dieser Text Hinweise auf noch eine andere Be-
se in den Himmel zeichnet. Aber es ist nie auf lange Zeit ein und die- deutung.l Diese wird nicht explizit angegeben, sondern nahegelegt.
selbe. Eine andere kommt, mit zwei Flügelschlägen hat sie die Sie soll vom Leser aus dem Text erschlossen werden. Verfolgt man
erste, - ich weiß es nicht: erbeten oder verjagt. Bis mit einem Male diese Hinweise, so findet man, daß die Metaphern des Textes eine
die Spitze leer bleibt. Aber die Möwen haben nicht aufgehört, dem kohärente Zweitbedeutung erzeugen: die linken Möwen hören nicht
Schiffe zu folgen. Unübersehbar wie immer, beschreiben sie ihre auf, ,eine ununterbrochene, unabsehbare Folge von Zeichen, ein
Kreise. Etwas anderes ist es, was eine Ordnung in sie hineinbringt. ganzes, unsäglich veränderliches, flüchtiges Schwingengeflecht -
Die Sonne ist längst untergegangen, im Osten ist es sehr dunkel. aber ein lesbares - vor mich hinzuweben.u Mit dem gewebten, les-
Das Schiff fährt südwåirts. Einige Helle ist im Westen geblieben. Was baren Schwingengeflecht der Vögel wird eines der wichtigsten
sich nun an den Vögeln vollzog - oder an mir? -, das geschah kraft sprachlichen und literarischen Metaphernfelder zitiert, das des Tex-
des Platzes, den ich so beherrschend, so einsam in der Mitte des tes. Denn die Bedeutung des Wortes Text war ursprünglich eine me-
Achterdecks mir aus Schwermütigkeit gewählt hatte. Mit einem taphorische, lat. textus bedeutet Gewebe, Geflecht.2 Benjamin reak-
Male gab es zwei Möwenvölker, eines die östlichen, eines die westli- tualisiert diese Metapher, indem er die ursprüngliche Übertragung
chen, linke und rechte, so ganz verschieden, daß der Name Möwen umkehrt und nun den sprachlichen Text als Bildspender ftir das
von ihnen abfiel. Die linken Vögel behielten gegen den Grund des Schwingengeflecht nimmt. Zu diesem ganzen Bildfeld gehören auch
erstorbenen Himmels etwas von ihrer Helle, blitzten mit jeder Wen- die ,Winken, die zu nenträtseln< sind, die >Folge von Zeichen<, die
dung auf und unter, vertrugen oder mieden sich und schienen nicht >Boten<, die über der Schwelle ntauschten". Die ,geflügelten Bo-
aufzuhören, eine ununterbrochene, unabsehbare Folge von Zei- ten< sind seit alters Wesen, die etwas mitteilen. Engel oder der Göt-
30 3l
terbote Hermes sind geflügelt. Die Angabe, daß die Möwen die Pen- Position eines Linksintellektuellen gegenüber dem linken und rech-
delbewegungen des Mastes rmitbeschreibsn., die dieser in den Him- ten politischen Lager.
mel >zeichnet(, gehört ebenfalls, über ,schreiben, und >zeichnen<, Indem wir diesen Text mit der methodischen Vermutung interpre-
in dieses Metaphernfeld. Im Hinblick darauf ist auch die Angabe, tiert haben, daß er eine doppelte Bedeutung hat, haben wir ihn als
die linken Vögel blitzten mit ,jeder Wendung< auf, doppeldeutig. einen allegoriscñen Text interpretiert.
Der Ausdruck bedeutet ja auch eine sprachliche Wendung. Aus- Ein allegorischer Text erlaubt zugleich zwei Deutungen und zwar
drücklich heißt es schließlich, daß mit den Möwen etwas gesagt zwei systematisch an allen releuante;n Textelementen durchgeführte
o
wird: nnichts sprach zu mir<. Damit wird aber auch der Leser aufge- Deutungen. In der exegetischen Tradition werden diese beiden Be-
fordert, das Dargestellte als etwas zu entziffern, das noch eine ver- deutungen als wörtliche (sensus litteralis, historia, verbum) und als,
steckte Bedeutung hat. im engeren Sinn,allegorische Bedeutung (sensus allegoricus, sensus
So ergreift das Metaphernfeld des >Textes< andere Segmente die- translatus) bezeichnet. Der Begriff >wörtliche Bedeutung, meint die
ses Textes und verbindet sich mit Nachbarmetaphern. Ein Beispiel Bedeutung, die ohne weiteres, ohne weiteres Nachdenken verstan-
auch für die textkonstitutive Wirkung von Metaphernfeldern (vgl. den wird. Die wörtliche Bedeutung scheint daher eine von interpre-
oben S.26f.). tativen Akten unabhängige, festgelegte Bedeutung zu sein und wird
Diese Metaphorik fordert auf, das ,Spielu und ,Widerspielu der meist auch so mißverstanden (vgl. auch S. 12f.). In Wahrheit haben
Möwen wie einen Text zu lesen, der noch etwas anderes sagt. Einen wir den Eindruck einer unabhängigen Bedeutung, weil ein interpre-
deutlichen Wink zu diesem Gesagten enthält der Satz: ,Mit einem tativer Akt schon stattgefunden hat, aber so in die Verstehenserwar-
Male gab es zwei Möwenvölker, eines die östlichen, eines die westli- tung eingepaßt ist, daß er nicht als ein solcher erscheint. Es gibt
chen, linke und rechte, so ganz verschieden, daß der Name Möwen keine vom Verstehen unabhängige Bedeutung. Der Unterschied von
von ihnen abfielu. Die Opposition östlich-westlich, linke-rechte ist wörtlicher und allegorischer Bedeutung ist also nicht einer zwischen
so auffallend, daß man als Leser nicht umhinkommt, an die politi- uninterpretierter und interpretierter Bedeutung, sondern der zwi-
sche Bedeutung von links und rechts, östlich und westlich zu den- schen interpretierter Bedeutung, die als solche nicht mehr, und in-
ken. Mit diesen \Mörtem werden elementare Markierungen des zeit- terpretierter Bedeutung, die als interpretierte bewußt ist. Die >wört-
genössischen politischen Weltbildes angegeben. liche< Bedeutung von Benjamins Prosastück ist ja außerordentlich
Die zweite Bedeutung dieses Textes ist daher eine politische. Zu komplex, sie steckt voll Metaphern, mythologischen Anspielungen
dieser leitet auch das Wort >Möwenvölker< über. Daß es um politische und orakulösen Wendungen.
>Völker< geht, wird bestätigt durch den Nebensatz: ndaß der Name Gegenüber modernen Handbüchern hat die antike und mittelal-
Möwen von ihnen abfielu. Es geht jetzt um zwei politische Lager. terliche Lehre dieser hermeneutischen Einsicht Rechnung getragen
Ist diese politische Geographie einmal erschlossen, entdeckt man und z. B. drei Möglichkeiten einer wôrtlichen Textbedeutung unter-
noch eine weitere politische Bedeutung. Seit der Jahrhundertwende schieden: eine Geschichte, die erdichtet ist (fabula) oder geschehen
werden Intellektuelle mit dem Stereotyp >schwankendu oder ,pen- ist (historia) oder geschehen könnte (argumentum).5 In diesem Zu-
delnd< belegt. Dieses Stereotyp wird zitiert in den ,Pendelbewegun- sammenhang fâ111 oft der Begriff der >expositio<.4 Er bedeutet Dar-
gen< des Mastes. Das Schiff mit dem pendelnden, ,schreibend<- stellung, Einführung und akzentuiert die wörtliche Bedeutung als
,zeichnenden< Mast ist die Position des einsamen, schwermütigen eine Initialbedeutung. Im folgenden nenne ich diese Bedeutung die
Betrachters und Deuters. Auch Einsamkeit und Schwermut sind ste- initiale, um die Mißverständnisse des Ausdrucks >wörtlich< z:u veÍ-
reotype Attribute des Intellektuellen. meiden.
Die politische Aussage dieses Textes låißt sich nun zusammenfas- Die Allegorie ist also ein Text mit zwei Bedeutungen, eine An-
send wiedergeben. Er handelt von der unsicheren und ungewissen ders-Rede. Etymologisch läßt sich der Ausdruck erläutern als: an-
32 33
ders als offen oder öffentlich sprechen (gr.: allos + agoreuein, unge- der zweite, impliziie wird als ein allgemein gewußter und vertrauter
fâhr: anders als auf dem Marktplatz, der Agora reden). Treffend ist vorausgesetzt. Sonst wäre auch die allegorische Botschaft nicht zu
auch die Definition, die Vossius in seiner Rhetorik gebraucht: die Al- erschließen.
legorie ist ein >diversiloquiumu,s eine Verschiedenrede. Oft wird sie Die allegorische Struktur wird hier also konstruiert mittels se-
auch als alieniloquium, als Andersrede erläutert. fohann fakob Bod- mantischer Ambigùitaten Sie bedient sich Polysemiez. Diese Am-
mer definiert übereinstimmend: >Die Allegorie ist demnach eine biguitäten bestehen nicht zwischen einer wörtlichen oder metapho-
doppelsinnige Schreibart, welche auf einmal zween Sinne mit sich rischen Bedeutung. ,östlich< und ,westlichn, >links" und >rechtsu
o
führet, einer ist geheim, verborgen, allegorisch, der andere ist bloß sind in der einen wie in der anderen Bedeutung nichtmetaphorisch
äußerlich und historisch. Für beyde muß der Allegorist auf einmal verwendet. Allenfalls die politische Verwendung von >Pendeln< ist
besorgt seyn, wenn er in einem fehlt, ist das gantze Werck verdor- eine metaphorische. Wie wörtlich und metaphorisch ist Ambiguität
ben.o6 auch keine Eigenschaft der Sprache an sich, sondern abhängig von
Bodmers Definition enthält den Begriff der Allegorie im weiteren der hermeneutischen Erwartung, mit der wir einen Text verstehen.
und im engeren Sinn: als Name der uSchreibartu und als ein EIe- Wenn wir einen Text auf eine Allegorie hin verstehen, dann imagi
ment dieser >Schreibartn. Diese Terminologie leistet dem verbreite- nieren wir Situationen, in denen z.B. wie hier Schlüsselelemente
ten Mißverständnis Vorschub, in der Allegorie komme es nur auf die des Textes einmal die und dann auch noch eine andere Bedeutung
zweite, die allegorische Bedeutung an. Demgegenüber muß man haben.
festhalten, daß der Allegorist >für beyde< besorgt ist, für die explizite Die Beziehung zwischen den beiden Bedeutungszusammenhän-
initiale und für die implizite allegorische Bedeutung. In der Meta- gen in der Allegorie entspricht auch nicht der metaphorischen zwi-
sprache der Interpretation wird die hermeneutische Beziehung zwi- schen Bildspender und Bildempfänger. Der Unterschied zwischen
schen diesen beiden Bedeutungen traditionell mit den Formeln Metapher und Allegorie ist aufschlußreich.7 Bei Metaphem sind
>dies ist< oder udies bedeutetn ausgedrückt: die Möwenvölker be- wörtliche und metaphorische Elemente syntaktisch miteinander
deuten oder sind die politischen Lager. In der Formel ,dies bedeu- verknüpft. Bildspender und Bildempfänger sollen metaphorisch
tet< wird die Eigenständigkeit der initialen Bedeutung stärker ge- identifiziert werden. Würde zwischen dem 'linken Möwenvolk,
wahrt als in der Formel udies istu. Diese tendiert dazu, die initiale und den politisch Linken eine metaphorische Identifikation herge-
Bedeutung durch die allegorische Bedeutung zu ersetzen. Wie Ben- stellt, dann würde die Prädikationsanweisung etwa lauten: stelle dir
jamins Beispiel aber schon zeigt, gibt es subtile Übergangsformen die Linken als ein Möwenvolk vor. Den Linken würde damit etwas
der Beziehung zwischen initialer Bedeutung und allegorischer Be- Möwenhaftes zugesprochen. Die Bedeutung von Benjamins Text
deutung; die initiale Bedeutung wird als eigenständige aufgebaut geht jedoch in solchen möglichen metaphorischen Identifizierungen
und in die allegorische aufgelöst, ohne indes ihre (relative) Eigen- nicht auf. Die Verstehensaufforderung lautet eher: Verstehe die lin-
ständigkeit ganz atfzugeben. Dies macht gerade den ästhetischen ken und rechten Möwenvölker und die Situation des Betrachters
Reiz dieser Allegorie aus. auf dem Schiff als indirekte Darstellung der politischen Situation
Die Allegoriesignale >links< und ,rechts<, >östlich< und >west- des Betrachters und seiner Zeit. Die allegorische wird nicht als eine
lichu, das >Pendelnu ließen aus dem ,Spiel< der Möwen ein politi- mit der initialen Bedeutung identische, sondem als eine zweite, eine
sches >Widerspieln erschließen. Diese Wörter fungieren als Über- zusätzliche Bedeutung rekonstruiert. Rekonstruiert, weil die zweite
gänge und Scharniere zwischen den beiden Bedeutungen. Sie kön- aus der ersten konstruiert wird. Die erste geht - normalerweise -
nen als Teile von zwei Verwendungskontexten aufgefaßt werden, der zweiten zeitlich voraus. Bei dieser Rekonstruktion werden die
vom Kontext allegorischen Schlüsselwörter stillschweigend zu einem mehr oder
'Möwen um ein Schiff, und dem zeitgenössischen po-
litischen Kontext. Der erste, explizite Kontext ist ein individueller, weniger kohärenten Bedeutungszusammenhang ergänzt. Beide Be-
34 35
deutungszusammenhänge bleiben, bei allen übergängen und Inter- 2. Der rhetorische Allegoriebegriff
ferenzen, doch voneinander abhebbar. Bei der Metapher liegt eine
Bedeutungsverschmelzung vor, bei der Allegorie eher ein Bedeu- Als locus classicus der rhetorischen Definition der Allegorie kann
tungssprung. Ein metaphorischer Ausdruck ist - normalerweise - Quintilians Definition, >Institutio oratoria< (Ausbildung des Red-
nicht erst sinnvoll als ein wörtlicher verständlich. Die Metapher ist ners), VIII, 6, 44 ge'iten:1o
metaphorisch eindeutig, wobei die zugrundeliegenden wörtlichen
Bedeutungen mitaktualisiert und mitgewußt werden (vgl. oben >A).LqyoEa, quam inversionem interpretantur, aut aliud verbis aliud sensu
a
S. 18f.). Die zugrundeliegende wörtliche Bedeutung hat nicht den ostendit, aut etiam interim contrarium. prius fit genus plerumque conti-
Status einer anderen Bedeutung. Die Allegorie hingegen ist zwei- nuatis translationibus, ut
deutig, sie hat eine und noch eine andere Bedeutung.
O navis, referent in mare te novi fluctus: o quid agis? fortiter accipe
Benjamins Beispiel ergibt noch ein weiteres Differenzierungs-
portum,
merkmal gegenüber der Metapher. Damit überhaupt zwei koh¿irente
Bedeutungszusammenhänge für sich entstehen können, muß die Al- totusque ille Horati locus, quo navem pro re publica, fluctus et tempesta-
legorie einen ganzen Text oder eine ganze Rede ausmachen, minde- tes pro bellis civilibus, portum pro pace atque concordia dicit.u
stens ein Segment eines Textes, dem eine relative Eigenbedeutung
zugesprochen werden kann.8 Die Eigenbedeutung beruht auf einer (Die Allegorie, die man im Lateinischen als inversio [Umkehrung]
abgrenzbaren, erzählten Handlung oder, wie in Benjamins Reise- bezeichnet, stellt einen Wortlaut dar, der entweder einen anderen
,Bild., auf einer abgrenzbaren, beschriebenen Szenerie oder Situati- oder gar zuweilen den entgegengesetzten Sinn hat. Die erstere Art
on. (Zu weiteren Differenzierungen vgl. unten S.51ff.) Die Abheb- erfolgt meist in durchgeführten Metaphern, so etwa uSchiff, dich
barkeit von initialer und allegorischer Deutung oder Lesart macht, treibt die FIut wieder ins Meer zurück! Weh, was tust du nur jetztl
daß Benjamins Prosastück (wenigstens vorläufig) als ein Prosastück Tapfer dem Hafen zuu und die ganze Stelle bei Horaz, an der er
über Möwen zu verstehen ist. Das nHohelied< ist auch sinnvoll und Schiff für das Gemeinwesen, Fluten und Stürme für Bürgerkriege,
bezaubernd als eine Liebesdichtung verständlich. (Daß es so früh in Hafen für Frieden und Eintracht sagt. Übersetzung: H. Rahn)
den Kanon der Bibel aufgenommen wurde, bezeugt eine trühe jüdi- Quintilians Formulierung ist nicht ganzklar, Rahns Übersetzung
sche allegorische Praxis.e) Die ,Brüder Karamasowu von Dostojew- nicht minder. Als Grundstruktur der Definition läßt sich herausle-
ski (1880) handeln nach realistischer Lesart von einem Verbrechen, sen: Allegoria... ostendit... aliud verbis aliud sensu. Die Allegorie
in allegorischer Lesart vom Prozeß des Gewissens. Die vier Brüder sagt (stellt dar, drückt aus, zeigt) etwas durch ,Worten, etwas ande-
sind Kräfte in diesem Prozeß. Anna Seghers' Roman oüberfahrt. res durch den uSinnu. Die Unterscheidung verbis - sensu entspricht
Eine Liebesgeschichte( (1971) ist verstehbar als eine Liebesge- der Unterscheidung wörtlich - nichtwörtlich, ausdrtcklich - unaus-
schichte, dann auch als eine politische Allegorie, als die Allegorie drücklich. Die Allegorie ist Quintilian zufolge wie die Metapher, die
vom Aufbau des Sozialismus in der DDR. >Animal Farm< (1945) Synekdoche und die Metonymie ein Tropus (VIII, 6, l.: ,Tropos est
von George Orwell ist lesbar als eine bittere Tiergeschichte und verbi vel sermonis a propria significatione in aliam cum virtute mu-
dann auch als eine böse satirische Allegorie auf die russische Okto- tatio": der Tropus ist die kunstvolle Wendung der eigentlichen Be-
berrevolution und den Stalinismus, auf jede Revolution überhaupt. deutung eines Wortes oder einer Rede in eine andere). Mit einem
Tropus wird etwas gesagt und etwas anderes gemeint. Die Allegorie
sagt etwas direkt und etwas anderes indirekt. Dieses gibt sie zu ver-
stehen. Sie ist also ein indirekter Sprechakt. Etwas anderes wird zu
verstehen gegeben, dadurch, dal3 dieses gesagt wird. Es wird etwas
36 37
gesagt und durch dieses Gesagte etwas anderes (als das, was das Ge- die Allegorie aus der Metapher und diese aus einer Trennung von
sagte meint) gemeint. sagen und meinen zu erklären. ,Continuatis translationibus": die
Quintilians Formel, bis heute unkritisch wiederholt,ll stellt das Allegorie besteht aus fortgesetzten und durchgeführten Metaphern.
Verhältnis der beiden Bedeutungen in der Allegorie nicht angemes- Sein Beispiel ist die Allegorie vom Staatsschiff.
sen dar. Dies liegt sowohl an der Bedeutungstheorie der Rhetorik Eine kanoniscligewordene Formel. Quintilian kennt freilich auch
(vgl. S. 11) als auch an einer strikten Trennung von Sagen und Mei- Allegorien ohne Metaphern (VIII, 6, 46). Als Beispiel fährt er einen
nen. Es gibt jedoch kein Sagen ohne Meinen. Es gibt keinen Satz Text an, der keine doppelte Bedeutung habe. Der Name einer Figur
a
ohne illokutionäre Kraft. \Morte können nicht geäußert werden steht als Deckname für eine reale Person. Diese allegorische Form
ohne irgendeine kommunikative Absicht. Die Allegorie sagt sehr ist wichtig für die Schlüsselliteratur.la Neuere Beispiele sind: Klaus
wohl, was sie meint - sie sagt es eben direkt und indirekt. Sie meint, Manns >Mephisto. Roman einer Karriere <, t933-L936 in der Emi-
was sie sagt (verbis), und sie meint damit und dadurch noch etwas gration geschrieben. Die Frage, ob mit der Hauptfigur Hendrik Höf-
anderes (sensu), auf das es vor allem ankommen kann. Der Autor ei- gen der Schauspieler Gustav Gründgens gemeint sei oder nicht, hat
ner Allegorie will das Gesagte so verstanden wissen, daß es verstan- lange die Gerichte beschäftigt. Schlüsselcharakter haben auch
den wird und noch etwas anderes mitverstanden wird. Brechts Schauspiel "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui<
Zur Allegorie gehört fär Quintilian auch die lronie, bei der das (1941) und Koeppens Roman uDas Treibhaus< (1955), in dessen
Gegenteil dessen, was gesagt wird, gemeint ist (vgl. auch VIII, 6, 54). Hauptfiguren man Adenauer und den SPD-Vorsitzenden Schuma-
Auch hier muß das Verhältnis von sagen und meinen genauer be- cher erkennen kann. Günter Grass' nTreffen in Telgteu (1979) ist
stimmt werden.l2 Die Ironie ist ein indirekter Sprechakt, bei dem auch eine ironische Schlüsselerzählung von denGruppe 47u. Sol-
mit den beni.itzten Ausdri.icken das Gegenteil von dem gemeint che Verschlüsselungen können freilich verschiedene Funktionen ha-
wird, was man mit ihnen normalerweise meint. Durch den indirek- ben, sie können verfremden und dadurch bloßstellen (wie bei
ten Sprechakt wird eine bestimmte Haltung mit zu verstehen gege- Brecht), sie können tarnen, sie können aber auch, wie bei Grass,
ben. Wenn jemand bei naßkaltem Wetter sagt: >Feines Wetter Mann und Koeppen, mit der Möglichkeit einer Schlüsselbedeutung
heute!<, dann folgern wir stillschweigend, daß es einen Grund ha- spielen. Dies verleiht dem Text Applikationsmöglichkeiten, ohne
ben muß, warum er dies so und nicht anders sagt. Ein möglicher ihn festzulegen.
Grund könnte sein, daß der Sprecher Gelassenheit, Überlegenheit Die Ableitung der Allegorie aus der Metapher entspricht der rhe-
demonstrieren oder die Stimmung heben möchte. torischen Substitutionstheorie (vgl. oben S. 7 f.). Schon in dieser war
Quintilian rechnet auch Redewendungen wie oauf den Leib rük- die Metapher eigentlich als eine Wortallegorie definiert worden: sie
ken<, Beispiele und das Rätsel (>aenigmao: gemeint ist vor allem die meint etwas anderes, als sie eigentlich sagt. Noch im 18. Jahrhundert
obskure, undeutbare Allegorie) zur Allegorie. Weder metaphorische hat man infolgedessen Allegorie und Metapher auch synonym ge-
Redewendungen noch Beispiele würden wir zur Allegorie rechnen, brauchen können.
Beispiele sind Anwendungsfälle einer Regel. Diese Ansicht mißversteht nicht nur die Metapher, sondern auch
Das Rätsel, jetzt als Gattung genommen, kann eine allegorische die Doppelbedeutung der Allegorie. Gewiß kann einer Allegorie
Struktur haben, muß es aber nicht. Eine Rätselallegorie wâre z.B.: eine Metapher zugrundeliegen, wie z.B. die des Staatsschiffes. Die
>Es sind zweiunddreißig Gesellchen, in einem warmen Ställchen, Allegorie kann aus einer Metapher entwickelt sein. Aber die narrati-
sind lustig und munter, gehn rauf und gehn runtero.l5 Oder Bruegels ve oder deskriptive Durchführung einer Metapher hebt die Qualität
Bild >Die Sprichwörteru (1559), eine geistliche Allegorie mittels al- der metaphorischen Identifizierung auf und entwickelt zwei (relativ)
legorischer Sprichwörter. eigenständige Bedeutungszusammenhänge. Die Allegorie ist doppel-
Quintilians Zuordnungen folgen konsequent aus seinem Ansatz, deutig, die Metapher nicht. An anderer Stelle trägt Quintilian dieser
38 39
Einsicht Rechnung und erläutert die Allegorie als eine Gedankenfi_ jüdischer und christlicher Religion. In der Rhetorik wird dieses Ver-
gur (figura sententiarum, die u. a. durch die Wahrung des >wörtli_ fahren Emphas¿ genannt. Eine absichtlich unauffällige Angabe ent-
chen< Sinns charakterisiert ist [X, 2, 46]). håilt mehr Bedeutung, als es den Anschein hat.
In seinem kritischen Kommentar zu Dumarsais, >Les Tropes< Die hermeneutische Beziehung zwischen der initialen und der al-
von 1818 hat Fontanier diesen Unterschied in aller wünschenswer_ legorischen Bedeutung kann als eine systematisch durchgeführte
ten Deutlichkeit formuliert. Fontanier geht von der Vergleichstheo_ Anspielung expliziert werden.17 Anspielungen bedienen sich analo-
rie aus und nennt den Vergleich bei der Metapher >transformativ< ger Verweisungen oder indirekter (nicht durch Satzzeichen markier-
o
und ,identifikativ<, den Vergleich bei der Allegorie nassimilativ<. ter) Zitate. Die Kenntnis des Bezugstextes oder Bezugsereignisses
Die Metapher verschmilzt zwei Bedeutungen zu einer, die Allegorie wird bei dem Adressaten unterstellt. Meist kommen beide Verfahren
hält sie nebeneinander. 1s kombiniert vor. Aus zitierten Elementen einer erzählten oder ge-
Wegen ihrer Verkennung der allegorischen Struktur liegt einer der schehenen Geschichte kann dann diese als allegorischer Bezugsrah-
Gründe ftir die moderne Mißachtung der Allegorie in der Rhetorik men rekonstruiert werden. Eine Rekonstruktion nach einer Analo-
selbst. Sie tendiert dazu, der Allegorie die eindimensionale Verwei_ gie liegt etwa in >Animal Farm( vor, aber auch hier wird das Mittel
sung eines >diesbedeutet nur das< zuzuschreiben. indirekter Zilierung benutzt. Als ein solches indirektes ZitaT hngie-
Die Diskussion von Benjamins prosastück hat ein zentrales Kon- ren in Benjamins Prosastück die Vokabeln ulinkso und orechtsn;
struktionselement der Allegorie aufgedeckt, die Ambiguität, das >östlichu und ,westlich<. Damit werden Schlüsselwörter des zeitge-
Spiel mit verschiedenen Verwendungskontexten eines Wortes. Sig_ nössischen politischen Diskurses zitiert. Schon Schleiermacher hat
mund Freud hat dieser Technik eine noch immer unübertroffene die Allegorie als eine systematische Anspielung einer Geschichte auf
Untersuchung gewidmet in >Der Witz und seine Beziehung zum eine andere definiert.18 Und Dumarsais definiert in seiner Abhand-
Unbewußten<. Er definiert Ambiguität >als ein mehrfacher Deutung lung ,Les Tropesu von 1818: ,L'allégorie présente un sens et en fait
fähiges Wort, welches dem Hörer gestattet, den übergang von einem entendre un autre. C'est ce qui arrive aussi dans les allusionsu.le
Gedanken zu einem anderen zu finden.u16 Freud charakterisiert die Anspielung als eine nindirekte Darstel-
Polysemie ist nicht das einzige Mittel altegorischer Ambiguität. In lungo2o und differenziert sie nach verschiedenen Formen, die deut-
Spensers >The Faerie Queeneu (1590-1596) leitet ein etSrmologi_ Iich auf die Rhetorik im allgemeinen und die Metapher und die Alle-
sches Wortspiel von Irrtum (error, die tat. Wurzel bedeutet: wan_ gorie im besonderen zurückgehen. Eine Form ist z.B. die >Darstel-
dern), heilsgeschichtlicher Reise und Wanderung von der initialen lung durchs Gegenteiln - Quintilians ,Ironien.
zur allegorischen Bedeutung über. In Kafl<as >Das Urteil< (191J)
Quintilian hat die Anspielung unter dem Titel ,per suspicionemo
ruft am Ende die Bedienerin angesichts des die Treppe hinunterei_ behandelt (VI, 3, 88 und IX, 2,65). Dies bedeutet etwa: durch Ver-
lenden Georg >|esus!< Es ist ein Ausruf der Verrrunderung und des dacht, Argwohn. Die Anspielung rechnet mit dem und provoziert
Erschreckens. Bei solchen Ausrufen kommt es nicht darauf an, was den Argwohn, den Verdacht auf Hintergedanken.
ausgerufen wird, sondern daß ausgerufen wird. Es kommt auf den Allegorische Anspielungen, indirekte Sprechakte überhaupt, set-
spezifischen Äußerungsakt als solchen an und dessen spezifische In- zen besondere pragmatische Kommunikationsbedingungen voraus.
tonation. Richtet man die Aufmerksamkeit jedoch auf das, was ge_ Als direkt-indirekter Sprechakt verlangt auch die Allegorie ein stabi-
sagt wird, dann kann die Äußerung verstanden werden als eine les und von Autor und Leser gemeinsam geteiltes oder erinnerbares
Identifizierung Georgs mit |esus. Diese Möglichkeit, der in dieser stillschweigendes Wissen. Dieses muß ersetzen, was explizit nicht
Geschichte korrespondierende Elemente zugeordnet werden kön_ angegeben wird. Unser kulturelles Bewußtsein besteht wesentlich
nen, leitet über zu einem religiösen Bedeutungszusammenhang. aus solchem vertrauten, voraussetzbaren Wissen. Die Kohäsion von
Demzufolge ist die Erzâhlung auch lesbar als Allegorie des Dramas Kulturen und gesellschaftlichen Gruppen kann geradezu charakteri-
40 4L
-
siert werden durch das Maß und die Selbstverständlichkeit indirek- geweihten zu gehören. Die Allegorie gewährt Möglichkeiten der
ten Kommunizierens. Selbstbestätigung, indem man sich den wenigen Auserwählten zu-
Der Modus der allegorischen Rede enthält eine Anweisung, wie gehörig weiß.
sie zu verstehen sei. Der Verfasser einer Allegorie muß davon ausge-
hen können, daß diese Anweisung verstanden wird. Die weite Ver-
breitung allegorischer Werke im Mittelalter z. B. deutet auf die Exi- 3. Explikative Allegorie - lmplikative Allegorie
stenz eines in seinen kulturellen Standards homogenen Fublikums
o
hin, das allegorische Literatur schätzte und verstand.
Quintilian unterscheidet eine reine Allegorie (tota allegoria) von ei-
Diese pragmatischen, nicht expliziten Bedingungen indirekter ner gemischten Allegorie (permixta allegoria). In der reinen Allego-
Kommunikation erklären ein wichtiges Motiv allegorischer Rede: rie wird die allegorische Bedeutung implizit zu verstehen gegeben,
der Ausschluß unerwünschter Leser. Das >Anders-als-öffentlich- in der gemischten Allegorie wird explizit angegeben, was die allego-
Sprechen< der Allegorie kommt im folgenden Zitat aus einem Brief rische Bedeutung ist. Um die hermeneutische Struktur dieser beiden
Ciceros zum Ausdruck: Formen deutlicher zu exponieren, nenne ich diese Formen die im-
,De re [publica] breviter ad te scribam; iam enim charta ipsa ne ptikatiae Allegorie und die explikatiue Allegorie.22 Das folgende
nos prodat pertimesco, itaque posthac, si erunt mihi plura ad te scri- Kirchenlied ist eine explikative Allegorie:
benda, ú.).qyopwt( obscurabo.< (>Epistulae ad Atticum<, 11,20,3.
Über die Politik will ich Dir nur kurz schreiben. Ich fürchte nämlich, Es kommt ein Schiff geladen
sogar das Papier könnte uns verraten. Deshalb werde ich in Zu- Bis an sein'höchsten Bord
kunft, wenn ich Dir ausftihrlicher schreiben will, meine Ausführun- Es trägt Gotts Sohn voll Gnaden
gen in Allegorien verbergen.) Des Vaters ewigs Wort.
Diese Redestrategie kann ein Mittel sein, sich gegen Macht zu
schützen, sie kann aber auch eingesetzt werden, um Wissen - und Das Schiffgeht still im Triebe
auch Macht selbst - als Geheimnis zu schützen. Der erste Sinn ist Es trägt eine theure Last,
dann fur das exoterische Publikum bestimmt, für diejenigen, wie es Das Segel ist die Liebe
in Markus 4,L1 heißt, die ,draußeno sind, der zweite Sinn für das Der heilge Geist der Mast.
esoterische der Wissenden und Eingeweihten. Die doppelte Rede
der Allegorie wird z.B. mythologisch und theologisch motiviert Der Anker haft auf Erden,
von der Überzeugung, daß das Höchste nur indirekt artikuliert Da ist das Schiff an Land
werden kann. Die direkte Rede würde eine Profanierung, ein Ver- Das Wort tut Fleisch uns werden,
Iust des Numinosen bedeuten. Andererseits ist das Mysterium des Der Sohn ist uns gesandt.
Höchsten auch nur so verständlich und mitteilbar zu machen. So
1...1
haben es z.B. die frühchristlichen Theologen Origenes und Cle-
mens von Alexandrien postuliert.2l Vor einem anderen bewußt- Zugrunde liegt die Ankunft eines Schiffes als Metapher ftir die Ge-
seinsgeschichtlichen Hintergrund heißt es in Friedrich Schlegels burt Christi. Immanente Elemente der Metapher werden zu einer
,Gespräch über die Poesie< von 1.800: >Das Höchste kann man, Allegorie extrapoliert. Elemente des Schiffes werden auf Elemente
eben weil es unaussprechlich ist, nur allegorisch sagenn. Natürlich der Geburts- und Verheißungsgeschichte Christi bezogen mit der
übt diese Trennung von wenigen Eingeweihten und den vielen Formel >ist<. Explizit wird angegeben, was der allegorische sensus
Ausgeschlossenen einen Anreiz aus zu verstehen, d.h. zu den Ein- ist. In Nestroys Posse Zerrissene" heißt es (I, 5):
"Der
42 43
>Langweile heißt die enorm horrible Göttin, die gerade die Rei- tungszusammenhänge voraus, sie stiftet umgekehrt auch Erinne-
chen zu ihrem Priestertum verdammt, Palais heißt ihr Tempel, Salon rungsräume. Sie konstituiert Geschichtsbewußtsein, Bewußtsein
ihr Opferaltar, das laute Gamezen und unterdrückte Gähnen ganzer von Kontinuitäten, indem sie Altes als Neues erzählt und Neues als
Gesellschaften ist der Choral und die stille Andacht, mit der man sie Altes. Zu Recht hat daher Murrin auf die >memorial role< der Alle-
verehrt<. gorie in der abendlãndischen Kultur hingewiesen.26 Allegorien stüt-
Bei der explikativen Allegorie entfaltet das ndies ist das<, mit dem zen das Gedächtnis. Nicht zufällig werden allegorische Formen ein-
Aristoteles die Identifikationskraft der Metapher bezeichnet, keine gesetzt, um Werte und Ordnungen zu konservieren, wo deren Ver- t
(oder kaum eine) metaphorische Qualität. Es liegt ein explizites bindlichkeit problematisch zu werden droht.21 Der vorausliegende
Substitutionsverhältnis vor, das die jeweiligen Elemente aufeinander Praetext wird freilich nicht als ein vergangener, abgetaner behan-
bezieht, indem es sie auseinanderhält. >For the suggestiveness and delt, sondern als einer, der bedeutsam ist, mit dem man sich ausein-
intensity of ambiguous metaphorical language allegory substitutes a andersetzen muß, als etwas, das uns noch angeht. Als der Praetext
sort of figurative geometry. o23 gilt vom Mittelalter bis in die ironisch gebrochenen Allegorien der
Natùrlich kommen auch Übergänge zwischen der implikativen Moderne die Bibel als das autoritative und heilige Buch. Ein ande-
und der explikativen Allegorie vor. In Spensers >The Faerie rer, wiewohl auch schon christlich reinterpretierter Praetext war
Queene< ist die implizite allegorische Bedeutung die Heilsge- Vergils ,Aeneisu, etwa für Dantes >Göttliche Komödien.
schichte. Die Bibel wird aber auch ausdrücklich erwähnt. In Lang- Gilt für den initialen Text stets ¿lz kanonischer Praetext, dann
lands ,Piers Plowmano (um 1570-1J90) wird passagenweise aus ihr wird die Allegorie ontologisch definiert. Dies gilt im Falle der Bibel,
direkt zitiert. Eine Übergangsform liegt auch voE wenn in Dantes aber auch in vielen marxistischen Literaturanalysen, in denen als
>Göttlicher Komödieu (um 1307-132I) Yergil und Beatrice dem Praetext die Warenverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft fun-
Dichter die allegorische Bedeutung dessen erklären, was er sieht. gieren. Die Unterscheidung eines ontologischen Allegoriebegriffs
von einem hermeneutischen, so wie er hier versucht wird, ist außer-
ordentlich wichtig. Sie erklärt vieie Mißverständnisse und Fehlurtei-
4. lnitialer Text - Allegorischer PraeteK le. Ontologisch verfährt weitgehend die mittelalterliche Allegorie.
Es gibt aber auch hier nichtontologische, z. B. politische Allegorien.
Quilligan2a nennt die allegorische Bedeutung den praetext und die Ontologisch ist auch die Allegoriekonzeption \Malter Benjamins.2s
initiale den Text. Praetext, weil dieser Bedeutungszusammenhang Der Praetext jeder Allegorie ist für ihn die Leidensgeschichte und
vorausgesetzt wird und zeitlich meist vorausgeht. praetext sind nicht Todesverfallenheit des Menschen. Der Streit um Symbol und Allego-
nur Texte, sondern auch Ereignisse und Situationen. Diese >Textn rie rührt daher, daß auf beiden Seiten ontologische Konzeptionen
zu nennen, ist so abwegig nicht, da wir sie vor allem als sprachlich vorherrschen. Bei Goethe bedeutet (jedenfalls in einflußreich ge-
vermittelte kennen. Nicht zufällig ist ein altes Grundmodell der alle- wordenen Bestimmungen) jedes Symbol stets eine Lebenstotalität.
gorischen Interpretation, an das sich auch Benjamin hält, das Mo- Eine hermeneutisch orientierte Allegoriekonzeption kann traditio-
dell von der Welt als Buch.2s Das Sichtbare ist lesbar wie Buchsta- nelle Bestimmungen der Allegorie kritisch aufnehmen, ohne sich
ben mit einer unsichtbaren Bedeutung. Gott wird im Mittelalter ge- auf eine ontologische Bedeutung festzulegen.
dacht als Autor des Buches der Welt. Der Text legt den Praetext aus, er kommentiert ihn, indem er ihn
Der Praetext ist die vorausgehende und vorausgesetzte Bedeu- indirekt darstellt, und das heißt auch, indem er ihn vergegenwärtigt
tung, das schon Gesagte, Bekannte, das Gewußte und Erinnerbare. und wiederholt. Darin liegt die überragende Funktion christlicher
Der Text wird gesagt. Durch diese immanente Temporalität der alle- Allegorien: sie wiederholen und vergegenwärtigen die Botschaft der
gorischen Struktur setzt die Allegorie nicht nur erinnerbare Bedeu- Heilsgeschichte, gerade in Formen und Geschichten, in der sie nicht
44 45
vermutet wird. Im Falle autoritativer Praetexte bestätigt der Text Christus ist umbra: Schatten. Christus ist das klare Bild,, imago, die
den Praetext. In der Satire und der Parodie, Gattungen, die sich der Wahrheit, ueritas. Er ist das >Neueu, das ,Wahre< gegenüber dem
allegorischen Struktur bedienen können, wird der Praetext verwor- Alten und Vorläufigen. Man bezeichnet terminologisch Christus als
fen oder verspottet, so in Orwells satirischer Allegorie >Animal Antitypus, ðer þpus oder die figura erlullt sich in ihm oder praefi-
Farmu. guriert ihn.32 So ist Adam der Typus Christi, Eva der þpas der Kir-
Insofern kann man die Allegorie dem epideiktischen Genre zu- che. Der Terminus þpologie ist neueren Datums und wohl zuerst
rechnen. Sie wendet sich an ein >Anderes<. Sie preist, etwa die Bot- im 18. fahrhundert gebraucht worden. Die Erforschung der typolo- a
schaft der Bibel, oder sie setzt herab. Lange war das ,Andere<, auf gischen Literatur ist vor allem Friedrich Ohly und seiner Schule zu
das die Allegorie weist, ausschließlich Gott. Ihm galt die >höhersin- verdanken.s3
nige außlegungn der Allegorie, wie es in Fischarts >Geschichtsklitte- Die patristische exegetische Theorie unterschied zwischen der ¿l-
rung< (1590) heißt.2e Daher trägt sie auch zur Erbauung des Glau- legoria ín factis, damit ist die typologische Allegorie gemeint, und
bens bei: die Allegorie erbaut den Glauben (>allegoria fidem aedifi- der allegorta in aerbis, damit ist die Allegorie der Poeten gemeint.
cat<, Gregor der Große3o). Nicht zufällig wird die Metapher der Er- Hier ändert sich die Bedeutung, in der allegoria ín factis bleibt sie
bauung auch auf die Auslegung selbst angewendet: das Gebäude der erhalten. Überblickt man die - durchaus nicht einheitlichen - Be-
Auslegung ist eine verbreitete exegetische Metapher.sl stimmungen, dann kann man diese Unterscheidung reformulieren.
Die Allegorie hat daher auch eine didaktische Funktion. Sie ver- Die allegoria in factis bezieht zwei Ereignisse (,factisu) der Heilsge-
mittelt Wissen und Einsicht. Von Anfang an begleitet die Allegorie schichte aufeinander. Text (Typus) und Praetext (Antitypus) stehen
der didaktische Topos, daß gerade die Schwierigkeit des Verständ- in einem typologischen Verhältnis zueinander. Sie stehen in einem
nisses schließlich einen Lustgewinn verschaffe. Diese Schwierigkeit von Gott gewollten Erfüllungsverhältnis. Die allegoria ín aerbis ent-
verbürgt den Wahrheitswert der,{,llegorie. spricht der Metapher. Bildspender und Bildempfänger stehen nicht
in einem notwendigen Verhältnis, sondern werden aufeinander be-
zogen kraft der Imagination.
5. Typologie Ein oft angeführtes Beispiel für die allegoria in factís ist Galater
4,2L-3I. Augustin (>de trinitate<, 15, 9) deutet diese Stelle so: der
Praetext und Text können in einem Verhältnis der Erfüllung zuein- Sohn, den Abraham von einer Magd hat, bedeutet das Alte Testa-
ander stehen. Der Praetext erftillt den Text, zwischen beiden ment, der Sohn, den Abraham von einer Freien hat, bedeutet das
herrscht daher zeitliche Kontinuität. So erftillt das Neue Testament Neue Testament.
nach christlicher Lehre das Alte Testament. Aus der Perspektive des Typologie ist nicht auf die Bibel beschrânkt. So wurde in der Re-
Textes liegt der Praetext in der Zukunft, aus der Perspektive des naissance synkretistisch Antikes auf Christliches bezogen, etwa Or-
Gläubigen wird der Praetext, die Botschalt des Neuen Testaments, pheus auf Christus.3a In der oGöttlichen Komödie< deutet Dante
vorausgesetzt. Die Deutung geschieht aus dem Wissen um den prae- Cato als figura Christi. Beatrice fungiert als eine historische Figur
text: Christus. Dieses Verhältnis der Erfüllung wird theologisch Ty- und als eine figura Christi.3s
pologie genannt. Typologisches gab es freilich auch schon in antiker und gibt es in
Die Formel fur dieses Erftillungsverhältnis lieferte Matthäus 5, 17: außerchristlicher Literatur.s6 Vergil hat Aeneas konzipiert als figura
>Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erftillenn (,non von Augustus. Gottfried von Straßburg preist Isolde als uneue
veni solvere, sed adimplereu). Erfüllung findet die Verheißung des Sonneu gegenüber Helena (>Tristan<, v. 8280). In neuerer Zeithat
Alten Testaments in Christus. Er steigert und überbietet, was vor Hölderlin geschichtsphilosophisch seine Zeit als Erfullung der grie-
ihm war. Ein erhellender patristischer Ausdruck für die Zeit vor chischen Antike gefeiert. (,Brot und Weinu, v. 149ff.: >Was der Al-
46 47
ten Gesang von I(indern Gottes geweissagt, / Siehe! Wir sind es, als Textform ist von der Allegorese als Interpretationsform nicht zu
wir; Frucht von Hesperien ists! / Wunderbar und genau ists als an trennen. Die Allegorie ist die Anweisung eines Textes zu seiner alle-
Menschen erftillet<). Auch Herder und Hamann haben die Typolo- gorischen Deutung.
gie als geschichtskonstitutive Figur behandelt. Wichtig ftir die Herausbildung der allegorischen Praxis war die
Die Typologie bietet sich an, Herrschaft nachträglich zu legitimie- Praxis der Deutung von Träumen und Visionen. Für das Geschichts-
ren. Diese wird dann als zwangsläufige, vorgesehene Erfüllung der verständnis des Mittelalters höchst folgenreich war der Traum Ne-
Geschichte ausgegeben. So haben die französischen Revolutionäre bukadnezars von den vier Weltreichen aus dem Buch Daniel (Da- a
von 1789ihre Tat als Überbietung und Erfüllung der römischen res niel 2, 1ff.). Der Traumerzählung folgt die Deutung. Träume und Vi-
publica verstanden. Die deutsche Reichsgründung von 1871 wurde sionen sind mit der Allegorie aufs engste verbunden.ss nThe Pil-
als Antitypus des Staufferreiches gefeiert, und das sogenannte grim's Progresso (1678-1684) von John Bunyan beginnt mit den
nDritte Reichn feierte sich als das oNeue Reich". Sätzen: >As I walked through the wilderness of this world, I lighted
on a certain place [...] and laid me down in that place to sleep; and
as I slept, I dreamed a dreamu.
6. Allegorese - Allegorie Der >Roman de la Rosen von Guillaume de Lorris (um 1250) be-
ginnt:
Bevor es die Allegorie als literarische Form gab, gab es die Allego-
rese als hermeneutische Methode, die allegorische Auslegung von >Maintes genz dient que en songes
Texten.37 Ein entscheidendes Motiv der Entstehung der Allegorese N'a se fables non e mençonges;
war die Apologie. Die homerische Dichtung wurde auf diese Weise Mais ì'en puet teus songes songier
verteidigt gegen den Vorwurf einer skandalösen Göttergeschichte, Qui net sont mie mencongiern.
die Bibel gegenüber dem Vorwurf, Absurditäten zu enthalten. Die
Allegorese rechtfertigte die Texte, indem sie darlegte, daß mit ihnen (Viele Leute sagen, daß sich nur Geschwätz und Lügen in den Träu-
etwas ganz anderes gemeint ist. Ähnlich wurden später die Dichtun- men finden, und doch kann man Träume träumen, die keineswegs
gen Ovids als moralische Allegorien ausgelegt. Das Motiv der Ret- lügnerisch sind, die sich im Gegenteil als sehr wahr enthüllen. Über-
tung und Verteidigung durch die Allegorese kann sich mit anderem setzung: G. Ineichen) Der Rosenroman beginnt nun als Traumer-
verbinden: die Allegorese macht einen Text bedeutsam, sie gibt ihm zählung, in der die >>ganze Liebeskunstn aufgezeichnet wird. Der Le-
eine zusätzliche Tiefendimension. Sie kann einen Text dadurch auf- ser muß das Traumgeschehen auf die verborgene Wahrheit hin ver-
werten oder retten und sie kann einen bedrängenden und bedrohli- stehen. In einer Traumstimmung beginnt auch Dantes Jenseitswan-
chen Text dadurch entmächtigen und abwehren. derung. Er befindet sich in einem wilden Wald:
Der erste terminus technicus dafür ist das griechisch e Wort hypo-
noia (unovotø), das bedeutet: Untersinn, Hintersinn, Verdacht. ,Wie ich hineinkam, kann ich kaum berichten:
Homers Helden wurden etwa als Naturelemente interpretiert (2. B. So war ich schwer vom Schlaf zu jener Stunde,
Achill als Sonne, Helena als Erde; der Kampf um Troja als Kampf Da ich den wahren Weg verlassen hatte.<
der Elemente) oder als moralische und kosmologische Iftäfte. In der (,Göttliche I(omödien, Inferno, I, v. 10ff. Übersetzung: H. Gmelin)
Spätantike wird dann hyponoia mit dem rhetorischen Begriff d,er al-
legoria identifiziert. Hermeneutisch leuchtet diese Begriffsge- Traumallegorien sind ebenfalls Alain de Lilles (Alanus ab Insulis)
schichte unmittelbar ein (gegen eine hartnäckige Trennung von rhe- ,De planctu naturae< (Über die I(age der Natura, um 1170), Lang-
torischer Allegorie und hermeneutischer Allegorese): die Allegorie lands >The Vision of William concerning Piers the Plowmanu (um
48 49
1370-1390) und Chaucers >The House of Fameo (um 14gJ). Die be_ Z Narrative und deskriptive Muster der Allegorie
rühmte >Ständebaum-Allegorie, in Grimmelshausens )Simplicissi_
mus Teutsch( (1668) entwirft in einer allegorischen Traumvision Die allegorische Literatur des Mittelalters vereinigt die exegetischen
das Bild einer verheerenden ständischen Kriegsgesellschaft (I.Buch, und rhetorische,n Ursprünge der Allegorie. |auss hat z.B. zeigen
Kap.15-18). Träumen kommt auch in Kafkas Werk eine Schlüsselbe_ können, wie die allegorische Dichtung in romanischer Volkssprache
deutung zu, so im nschloß< (1922) und im ,prozeß< (1914); ,Die aus der Ablösung von der Bibelexegese entstand. Analoge Forschun-
Verwandlung < (1912) spielt mit der Traumerwartung des Lesers. gen liegen für die deutsche Literatur vor.a2 Große Bedeutung für die O
Natürlich ist auch Freud nicht zu vergessen. Seine >Traumdeu- Ausbildung der epischen Allegorie kommt der "Psychomachian
tung< (1900) deutet den Traum nach dem Muster derAllegorese. Im (,Seelenkampfu) des Prudentius zu (405).43 In einem inneren
Traum äußern sich zwei Reden: eine manifeste (der >Trauminhalt<) Kampf (bellum intestinum) kämpfen Personifikationen von christli-
und eine latente (der >Traumgedanken). chen Tugenden und heidnischen Lastern gegeneinander. Zugleich
Zwei Zentren spätantiker Gelehrsamkeit kultivierten die allego_ geht es in diesem Kampf um den Kampf der Kinder Gottes gegen ih-
retische Praxis. Die Schule von Alexandria räumte dem Ausleger re Widersacher. Die oPsychomachian wurde zum Vorbild für die
größere Freiheit ein, die Schule von Antiochia betonte mehr die in_ epische Verwendung allegorischer Personifikationen.44 So steht die
itiale Bedeutung. Diese beiden Auslegungstendenzen bestimmten Minneallegorie des Rosenromans in der Tradition der ,Psychoma-
die exegetische Theorie und praxis des Mittelalters. Diese war kei- chian, ebenso Edmund Spensers ,The Faerie Queene<. Die Figuren
neswegs einheitlich, es gab keine verbindliche Schulmeinung. Nicht personifizieren Tugenden und Laster und bedeuten allegorisch den
alles konnte und sollte auch allegorisch verstanden werden. In der Kampf um die richtige theologische Wahrheit. Dazu kommen politi-
Bibelallegorese sollte der wörtliche Sinn bewahrt werden. Nicht ein- sche allegorische Bedeutungen.
heitlich war auch die berühmte Lehre vom vierfachen Schriftsinn.ie Der innere Kampf ist (neben dem Traum) ein konstitutives Mu-
Neben dem historischen, d. h. wörtlichen Sinn wurden drei allegori- ster der Allegorie. Noch Kafl<as ,Beschreibung eines lfumpfes< (1.
sche Bedeutungen (auch sensus mysticus oder figuratus oder spiri_ Fassung um 1904/06) und >Das Urteil< (1913) liegt dieses Muster
tualis) unterschieden: eine im engeren Sinn allegorische (oft a:uch zugrunde. Weitere und oft zusammen vorkommende l<onstitutive
typologische genannt), bezogen auf die typologische Erfüllung; eine Muster sind mit dem Kampf verwandt, wie das Streitgespräch, die
moralische, bezogen auf das Handeln des Christen; eine anagogi_ Reise, die Pilgerfahrt,as die fagd, die Suche, z.B. die Suche (la que-
sche, bezogen auf das |enseits. Die einzelnen Abgrenzungen bereite_ ste, the quest) in der mittelalterlichen Artus-Epik, in Faulkners
ten Schwierigkeiten. Die moralischen und anagogischen Bedeutun_ >Light in August< (1932), in Hemingways ,The OId Man and the
gen können ja als Varianten der typologischen angesehen werden. Sea< (1952), in Melvilles ,Moby Dick. (1851). Eines der am mei-
Dante verwendet in seinem Brief an Can Grande, in dem er die alle_ sten übersetzten Werke der Weltliteratur, John Bunyans ,The Pil-
gorische Struktur der >Göttlichen Komödieo kommentiert, folgen- grim's Progressn, ist eine erbauliche Pilgerfahrtallegorie. Das Reise-
des Beispiel.ao Der Auszug der l(inder Israel aus Ägypten (2. Mose muster liegt zugrunde >The Faerie Queene( von Spenser, Baltasar
14,211., Psalm 114) ist vierfach auslegbar: der historische Auszug ist Graciáns,El Criticonn (1651-i657), Grimmelshausens nSimplicis-
auch der historische Sinn; allegorisch/typologisch bedeutet er: unse- simus Teutsch. (1668), Melvilles >Billy Budd< (erschienen 1924),
re Erlösung durch Christus; moralisch: die Abkehr der Seele von der aber auch Swifts ,Gulliver's Travels( (1726), einer satirischen Alle-
Sünde; anagogisch: den Weg der Seele in die ewige Freiheit. Ob gorie, und Kafkas ,Der Verschollene< mit der Reise von der alten in
übrigens die >Göttliche l(omödie< tatsächlich nach dem vierfachen die neue \Melt: einer Lebensallegorie. Ein eindrucksvolles Beispiel
Schriftsinn zu lesen sei, ist bis heute umstritten.al für die allegorische Bedeutung, die das Reisemuster entfalten kann,
ist Bernward Vespers Romanessay ,Die Reiseu (1977). Eine indivi-
50 51
duelle Geschichte ist lesbar als Allegorie der Bundesrepublik, ihrer uOft wenn ich Kteider mit vielfachen Falten, Rüschen und Behängen
Bedingungen und Probleme. Noch den Entdeckungsreisen sehe, die über schönen Körper schön sich legen, dann denke ich, daß sie
Jules
Vernes und den Reisen in den Weltraum in der science fictiona6 eig_ nicht lange so erhalten bleiben, sondern Falten bekommen, nicht mehr
net allegorische Qualität, gewollt oder nicht. Das Genre des Western gerade zu glätten, Staub bekommen, de¡ dick in der Verzierung, nicht
mit seinem Aufbruch nach dem Westen, dem Kampf zwischen Gu_ mehr zu entfernen ist, und daß niemand so traurig und lächerlich sich
ten und Bösen kann sich ebenfalls der Faszination dieses Musters wird machen wollen, täglich das gleiche kostbare Kleid früh anzulegen
nicht entziehen. Science fiction und.Western, verwandt schon durch und abends auszuziehen. a
das gemeinsame Merkmal der überschreitung einer Grenze _ sei es Doch sehe ich Mädchen, die wohl schön sind und vielfache reizende
der zwischen Kultur und Wildnis, sei es der zwischen Erde und Muskeln und Knöchelchen und gespannte Haut und Massen dünner Haa-
Weltraum -, sind schlagende Belege für die Existenz moderner, po_ re zeigen, und doch tagtäglich in diesem einen natürlichen Maskenanzug
pulärer allegorischer Formen. zu den vorläufern der science fiction erscheinen, immer das gleiche Gesicht in die gleichen Handflächen legen
gehören überdies so allegorische Gattungen wie der conte philoso- und von ihrem Spiegel widerscheinen lassen.
phique des 17. und 18. |ahrhunderts und die Traumentrückung. Nur manchmal am Abend, wenn sie spät von einem Feste kommen,
In derTradition satirischerVerfremdungkann das Leben auf einem scheint es ihnen im Spiegel abgenützt, gedunsen, verstaubt, von allen
fremden Planeten oder in der Zukunft allegorisch das Leben der schon gesehn und kaum mehr tragbar.<
Erdgesellschaft bedeuten. So bedeuten die zutraulichen >Eloi< und
die mörderischen,Morlocksn in H.G.Wells, pessimistischer Utopie Baudelaires Prosagedicht ol-e vieux saltimbanqueo (Der alte Gauk-
>The Time Machineu (1895) allegorisch-prospektiv die Aufspaltung
ler) variiert das Modell in den Jahrmarkt: die Welt als lahrmarkt.
der Erdgesellschaft in die Klassen der Besitzenden und Besitzlosen. Vereinfachend lassen sich nun zwei Formen literarischer Allego-
Die Handlungsmuster Suche, pilgerfahrt, Reise, Kampf, rien unterscheiden: die naftatiae und die deskriptiue Allegorie.ae
|agd bie_
ten sich immer wieder an als elementare Mittel einer Allegorie des Selbstverständlich gibt es Übergänge. Grenzfälle sind die Regel'
Lebenslaufs. Das Handlungsmuster der Reise verleiht auch dem Bil_ Narrative Allegorien sind etwa allegorische Erzählungen und Ro-
dungsroman allegorische eualitäten, z.B. dem Ende von Goethes mane. Sie haben eine betonte Handlungsstruktur. Reise, Pilgerfahrt,
,Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden< (1g21l Suche, Jagd sind Muster der narrativen Allegorie. Zur narrativen Al-
1829), in dem die überfahrt nach Amerika auch eine Reise in den legorie kann auch das dramatische Modell des Kampfes gerechnet
Tod bedeutet. So gewinnt auch Bölls Erzählung >Der Zug war werden. Eine deskriptive Allegorie - die natürlich auch narrative
pünktlichn (i949) eine allegorische Dimension. Diese Muster müs_ Elemente enthält - liegt vor, wenn eine Situation, ein Raum, eine
sen keine Allegoriesignale sein, sie sind es freilich in einem hohen Landschaft,so ein Gebäude beschrieben wird. Häufig ist die deskrip-
Maß. Ebenfalls sehr wirkungsmächtig ist das Muster des Theaters. tive Allegorie eine explikative Allegorie. Explizit wird angegeben,
Es stellt das Leben als eine gute oder schlechte Aufführung vor und was die allegorische Bedeutung ist. Eine implikative deskriptive Al-
kann Gott als Regisseur und Zuschauer deuten. Im Barock verbin_ legorie ist Benjamins >Möwen< oder Baudelaires Gedicht >Le Cy-
det es sich mit dem Motiv der vanitas (,Eitelkeit,) der Welt.47 Ka-fka gnen (Der Schwan). Das Bild des durstgequälten Schwans in der
hat seine Geschichten und Romane als narratives Theater insze_ Großstadt ist verstehbar als ein Bild künstlerischer Existenz in der
niert. Die Theaterallegorie bedeutet maskenhaftes, verfehltes, nichti_ Moderne. Wichtige Muster der deskriptiven Allegorie sind der
ges Leben.as Ein schönes Beispiel ist das prosastück nKleider<. Der Traum, die Vision und der meist abgegrenzte Raum. Ein solcher
Körper selbst ist eine Maske, eine traurige und lächerliche Erkennt- Raum ist der locus amoenus und der Garten, etwa im Rosenroman.
nis. Der Text geht über von einer implikativen zu einer explikativen Die Gartenszenerie zitiert den biblischen Paradiesgarten.sl Zur de-
Allegorie: skriptiven Allegorie gehören auch die Ding-,Zeit- und Zahlenalle-
52 53
gorien,s2 die allegorischen Deutungen von pflanzen und Tieren, 8. Allegorische Cattungsformen
z. B. im >Physiologusn (>Der Naturkundigen, um 200). Hier werden
Eigenheite' eines Tieres angegeben, die dann geistlich ausgelegt Allegorische Formen und Strukturen können in allen literarischen
werden, oft mit der expliziten Formel: das bedeutet (Ahd.: ,daz be_ Gattungen aufgeno-mmen werden und diese spezifizieren oder gar
zeichenet<). definieren. Es gibt keine Gattungsbeschränkungen für Allegorien.
Allegorische Strukturen enthalten z.B. das Sprichwort (>Der Iftug
>Vom Pelil<an. Der selige David sagt in seinem psalter: Ich bin gleich geht so lange zum Brunnen, bis er brichtn), das Rätsel (vgl. oben
ei_ o
nem Pelikan in der Wüste. Der physiologus hat von dem peiikan gesagt, S.38), Satire und Parodie, sei es eines literarischen Textes, sei es ei-
er gehe völlig auf in der Liebe zu seinen Kindern. Wenn er die
Jungen her-
nes sozialen Verhaltens.sa Hier wird der Praetext verworfen oder
vorgebracht hat, dann picken diese, sobald sie nur ein wenig zunehmen, ironisiert. Orwells oAnimal Farmn ist eine satirische Allegorie und
ihren Eltern ins Gesicht. Die Eltern aber hacken zurück und töten sie. verwendet entsprechend der aesopischen Fabeltradition Tierfiguren.
Nachherjedoch tut es ihnen leid. Drei Tage lang trauern sie dann um die Eine Mischung von allegorischer Parodie und Satire findet sich in
Iünder, die sie getötet haben. Nach dem dritten Tag aber geht ihre Mutter Swifts, Gulliver's Travelso.
hin und reißt sich selber die Flanke auf, und ih¡ Blut tropft auf die toten Die Fabel, zumal die aesopische Tierfabel, kann ebenfalls allego-
Leiber der )ungen und erweckt sie. rische Strukturen enthalten.ss Das mittelalterliche Tierepos (nlsen-
So auch spricht unser Herr im Buche des propheten
fesaia: Ich habe grimus<, um 1150; >Reinhart Fuchso, um 1190; oReinke de Voso,
Iünder aufgezogen und erhöht, und sie sind von mir abgefallen. Der Mei_ gedruckt 1450) mit seiner satirischen Intention allegorisiert kritisch
ster hat uns hervorgebracht, und wir haben ihn geschlagen. Wir haben ge_ gesellschaftliche Zustände.56 Allegorische Zige hat die europäische
dient der Schöpfung wider den Schöpfer. Er aber kam zur Erhöhung des Pastoraldichtung. Allegorisch l<önnen das biblische Gleichnis und
Kreuzes, und aus seiner geöffneten Seite troff Blut und Wasse¡ zu Heil die biblische Parabel angelegt sein.sT Im Gleichnis wird eine typi-
und eigenem Leben: das Blut darum, daß gesagt ist: Er nahm den Kelch sche, vertraute Geschichte erzählt, meist im Präsens. Die Parabel be-
und dankte; das Wasser aber um der Taufe willen zur Buße.< (überset_ nutzt eine erfundene, besondere Geschichte, meist im Imperfekt er-
zung: O. Seel) zählt, z.B. die Parabel vom verlorenen Sohn.
Für die Gleichnisstruktur ist das Gleichnis vom Sämann (Markus
Naturwissenschaft und geistliche Allegorese bilden hier Teile eines 4, 5-S) aufschlußreich. Es beginnt mit dem Gleichnissignal: >Höret
einheitlichen Erkenntnisinteresses. Nur altmählich lösen sie sich zu!<(3) Dann wird die Geschichte vom Sämann erzáhlt. Anschlie-
voneinander, um erst im 17. und 18. fahrhundert endgültig auseinan_ ßend macht der Satz >Wer Ohren hat, zu hören, der höre:<(9) auf
derzutreten. eine Gleichnisbedeutung aufmerl<sam. Die absichtlich überflüssige
Ein Beispiel für die literarische Entfaltung der allegoretischen und absurde Aufforderung provoziert Aufmerksamkeit fur eine tie-
Praxis des Mittelalters ist die deskriptive Allegorie der Minnegrotte fere Bedeutung. Nach einer allgemein geltenden kommunikativen
in Gottfried von Straßburgs >Tristan< (um 1200).si Die Eigenschaf_ Maxime folgern wir, daß dies nicht so gesagt worden wäre, es sei
ten der in einer amoenen Landschaft riegenden Minnegrotte werden denn, damit wird etwas Besonderes gemeint. Die tiefere Bedeutung
im Hinblick auf Eigenschaften der Minne explizit angegeben (v. ist fur die Eingeweihten, für die ndraußenu ist das Gleichnis be-
L6679ff.). Auf die Beschreibung folgt eine moralische, dann eine ty_ stimmt (11; mit Gleichnis wird hier das griechische parabole ubet-
pologische Auslegung. Gottfried verwendet auch Kleiderallegorien, setzt). Danach (13ff.) wird das Gleichnis ausgelegt. Diese Allegorese
Kampfallegorien und Naturallegorien. ist dem Schema der Traum- und Visionsdeutung verpflichtet.
Auch das Drama bildet allegorische Formen aus. Das mittelalter-
liche geistliche Spiel (Osterspiel, Fronleichnamsspiel, Passionsspiel)
54 55
verweist allegorisch-liturgisch auf die Heilsgeschichte.ss In Calde_ gedacht nach dem Modell organischer Einheiten. Die Allegorie er-
rón findet das spanische Fronleichnam sspiel (auto sacramental) sei- schien dagegen als mechanisch, starr, leblos, ofrostign (Hegel). Als
nen Höhepunkt. Allegorischen Wesens sind auch Brechts >Aufstieg Gegenbegriff erhält das Symbol seine terminologische Fixierung.6s
und Fall der Stadt Mahagonnyn (1930), eine Allegorie der bürgerli_ Diese setzt sich freiliçh erst Ende des 19. )ahrhunderts ganz durch.
chen Gesellschaft, und >Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui< In der l{assik und Romantik ist im Einzelfall oft schwer auszuma-
(1e41). chen, ob der Begriff Symbol als Gegenbegriff verwendet wird oder
Eine in ihrer Wirkung nicht zu überschätzende Gattung, in der als Synonym ftir Allegorie. Auch wurde eine verkürzte Form der Al- I
bis heute Allegorese angewandt wird, ist - neben der geistlichen Li_ legorie diskutiert: unter Allegorie wurde vornehmlich die Personifi-
teratur überhaupt - die predigt. Konstitutiv für sie ist die Lektüre kation eines Abstrakten begriffen. Ebenso wie die mittelalterliche
des biblischen Textes und danach die meist allegoretisch verfahren- Allegorie - jedenfalls die theologische - ontologisch festgelegt war,
de Auslegung. wurde jetzt auch das Symbol ontologisch festgelegt. Es bedeutet das
In der Epoche vom 15. bis zum 18. Jahrhundert bildet sich die Allgemeine, Ubergreifende, das Un-endliche, d.h. Überindividuelte.
Emblematik aus, eine allegorische Form und zugreich ein Arsenal ar- Goethes Distinktionen in den nMaximen und Reflexionenn, mit de-
legorischer Denkbilder. Der alte deutsche Name für Emblem, >Ge_ nen er deutlich einen Sprachgebrauch durchsetzen will, der keines-
mälpoesieu (Holtzwart), charakterisiert das Emblem treffend als ein wegs so klar abgegrenzt war, erhielten seitdem eine autoritative Be-
synthetisches Kunstwerl<. Es verbindet ein Bild (pictura) mit einer deutung. Immerhin ist anzumerl<en, daß er hier Allegorie und Sym-
Überschrift (inscriptio, Lemma) und einer oft epigrammatischen bol als gleichberechtigte Formen, besser: Erl<enntnishandlungen, be-
Auslegung (subscriptio).5e Das - oft unterschiedlich gewichtete _ schreibt:
Verhältnis von Bild und Auslegung entspricht dem sezsus duplex
der Allegorie. Die verbindung von bildender und sprachlicher I(unst nDie Allegorie verwandelt die Erscheinung in einen Begriff, den Begriff in
erlaubt es streng genommen nicht, von literarischen Emblemen zu ein Bild, doch so, daß der Begriff im Bilde immer noch begrenzt und voll-
reden.60 Dieser Sprachgebrauch hat sich freilich eingebürgeri.61 Der ständig zu halten und zu haben und an demselben auszusprechen sei.n
Begriff wird z.B. gebraucht, um die relative Eigenständigkeit und oDie Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild,
emblematische Archivierung eines allegorischen Details oder den in und so, daß die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar
barocker Lyrik nicht seltenen emblematischen Aufbau zu betonen. bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich
Die emblematischen Enzyklopädien der frühen Neuzeit hatten bliebe.o
eine bestimmte Funktion: sie dienten der Bildung der ,memorian, großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Be-
"Es ist ein
der Erinnerung. Nach der rhetorischen Gedächtnislehre fungieren sondere sucht oder im Besondern das Allgemeine schaut. Aus jener Art
allegorische Bilder als Merl<bilder.62 entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des All-
gemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie, sie
spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf
9. Ceringschätzung und Schätzung derAllegorie hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das
Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät.<
seit der Klassil< galt die Allegorie als eine ästhetisch minderwertige
Form. Gegenüber dem Postulat eines ästhetisch autonomen, intran_ Die Goethesche Unterscheidung von Allegorie und Symbol als zwei
sitiven l(unstwerl<s wurde die Allegorie als eine heteronome, subal- Weisen von Wirklichl<eitserkenntnis ist ein repräsentatives Beispiel
terne Zweckform verworfen: sie hat ihren Zweck nicht in sich, son_ für die zeitgenössische Wirklichkeitsdeutung charakterisierenden
dern außer sich. Die innere Zweckmäßigkeit des I(unstwerks wurde -
Oppositionen lebendig - erstarrt, anschaulich unanschaulich,
56 57
konkret - abstrakt, unaussprechlich - aussprechlich, Vernunft - Obwohl Ernst |ünger nachträglich eine allegorische politische
Verstand, Idee - Begriff, organisch - mechanisch, natürlich _ künst_
Bedeutung bestritt, wurde sein Roman oAuf den Marmorklippenn
lich. (1959) von zeitgenössischen Lesern als eine Allegorie der Greuel
Trotz des theoretischen Verdil<ts ging die literarische allegorische des Nationalsozialismus und,der Inneren Emigration verstanden.
Praxis in Fortsetzung alter und mit der Entwicklung neuer Formen
Nach 1945 sind exemplarisch zu nennen: Max Frischs ,Homo fa-
weiter. |a, Goethe selbst, dem Hebbel sogar einen Hang zum Allego-
ber" (1957): Walter Faber deutet die Wirklichkeit allegorisch, dem
risieren vorwerfen konnte, hat mit >Faust< ein Werk geschaffen, das
Roman liegt das Reisemuster zugrunde; Wolfgang Koeppens >Das
mit allegorischen Formen und Traditionen nur so spielt.6a Die Ro- Treibhausu (1955), auch eine Allegorie der Anfänge der Bundesre-
mantik schätzte die Allegorie auch theoretisch. Allegorisieren publik; Heinrich Bölls Erzählung >Die schwarzen Schafen (1951),
konnte mit Poetisieren überhaupt gleichgesetzt werden. ]ean paul,
eine Allegorie künstlerischer Existenz. Allegorische Formen finden
dessen allegorische Kunst Walter Benjamin rühmte, hat z.B. mit
sich in seinem Roman oBillard um halbzehn< (1959), bei Günter
>Des Luftschiffers Giannozzos Seebuch< (1801) eine bezaubernde
Grass in >Die Blechtrommel< (1959) und vor allem in ,Das Treffen
Allegorie der Vergänglichkeit geschafÏen. Im 19. Jahrhundert wur- in Telgte< (197Ð.67 Auch die Literatur des sogenannten ,Sozialisti-
den allegorische Formen selbstverständlich verwendet.6s
schen Realismus< hat allegorische Züge, der geheime Praetext ist
Marx und Freud bedienen sich in analytischer Absicht der allego_ der Aufbau der DDR.68 Um noch ein modernes Beispiel anzufüh-
retischen Technik, um die Warenverhältnisse oder die geheime Ar-
ren: Thomas Pynchons >Gravity's Rainbow< (1973).
beit der Seele aufzudecken. Auch die Literatur des 20. ]ahrhunderts
Diese Allegorien sind freilich vielfach ästhetisch gebrochen, sie
bricht nicht mit der allegorischen Tradition, im Gegenteil. Thomas haben mehr Anspielungs- als Bestätigungscharakter. Sie verfahren
Mann, Hofmannsthal, Wedekind setzen allegorische Formen ein. zunehmend kritisch, satirisch, subversiv, selbstironisch. Es gibt
Thomas Manns ,Mario und der Zaubererr, (1950) und >Doktor keine Sicherheit der Bedeutungen, sondern Unsicherheiten. Selbst
Faustus< (1947) beispielsweise sind lesbar u.a. als Allegorien der
mit der Form der Allegorie wird gespielt, es entstehen keine durch-
Heraufl<unft des Faschismus und Nationalsozialismus, >Der Zau- gefuhrten Allegorien, sondern'Allegorisierungen,.6e
berberg" (L924) kann als eine Allegorie des Lebens wie der Vorge- In der Neuzeit wird Wirklichkeit immer mehr als eine in sich viel-
schichte des Krieges gelesen werden. I(afkas Werk ist ein großes Bei-
deutige, unübersichtliche und widersprüchliche Wirklichkeit erfah-
spiel allegorischer I(unst. Seine Geschichten und Romane sind Alle-
ren, nicht mehr als Realisierung sinnhafter Modelle. In dem Maße,
gorien religiöser Dramen, menschlicher Existenz und des eigenen
in dem diese Modelle ihre Kraft als Organisation der Wirklichkeits-
Schreibens zugleich. Den allegorischen Mustern der Reise (>Der erfahrung zu verlieren scheinen, wird die Allegorie als literarische
Verscholleneu, nDas Schloßo), des Kampfes (2.8. ,Beschreibung ei_
Form problematisch. Aber sie verschwindet nicht. Vielmehr entwik-
nes Kampfes<, ,Der Prozeß,,, >>Das Urteil<), des Theaters (2. B. >Ein
kelt sich eine produktive Spannung zwischen allegorischer Allge-
Hungerkünstlern), des Traums (2.B. >Die Verwandlung<) kommt meinheit und realistischer Vieldeutigkeit und Einzigartigkeit. Der
eine konstitutive Rolle zu. Brechts Dramen >Aufstieg und Fall der
Realismus, so wie er seit dem 18. jahrhundert ausgebildet wurde,
Stadt Mahagonny<, >Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui< wur,
konzipiert Figuren und ihre Handlungen mehr als unvergleichliche,
den schon erwähnt. Zeiten d,er Diktatur sind auch Zeiten tarnender
einzigartige. Hingegen ist die allegorische Figur nicht als eine einzig-
allegorischer Literatur und allegoretischer Lektürehaltungen. Aus
artige konzipiert. Sie muß noch mindestens eine andere Figur,
d,er Zeif des sogenannten >Dritten Reiches< sind zu erwähnen bedeuten. Sie muß exemplarische Qualitä-
manchmal
Horst Langes ,Schwarze Weiden (1937), Reinhold Schneiders nl,as 'jedermann,
ten besitzen und ist daher notwendig schematisch entworfen. Wo es
Casas vor Karl V.n (193S), Marie Luise Kaschnitz, uElissan im Realismus zu Typisierungen kommt, wird damit vor allem auf ge-
(193D.66
sellschaftliche Bedingungen und Abläufe abgezielt. Die Typisierung
58 59
einer Figur soll diese durchsichtig auf ihr gesellschaftliches wesen blematischen eine wichtige Funktion als Erinnerungsstützen. Sie er-
machen und nicht die Gesellschaft als ihr Anderes darstellen. innern an die Qualitäten, die zt einem Begriff gehören. Die ikonolo-
Gleichwohl kann es gerade wegen solcher Typisierungen auch zu al_ gische Bedeutung dieser Tradition hat Ernst GombrichT2 dargestellt.
legorischen Bedeutungsräumen kommen. Personifikation allegorisch zu nennen, ist unter zwei Voraussetzun-
In der Moderne geht die realistische und die allegorische Technil< gen verständlich. Die erste ist eine platonische Voraussetzung, daß
eine sperrige Verbindung ein. Aber schon Grimmelshausens ,Sim_
plicissimus Teutsch< ist durch eine solche sperrige Verbindung cha-
nämlich zwischen Geistigem und Sinnlichem, Idee und Gestalt, Ab- -
stral<tem und Konkretem Welten liegen. ]ede Darstellung a
'sinnliche.
ral<terisiert, gleichbedeutend mit der ambivalenten Botschaft, der eines ,unsichtbaren, Geistigen enthält daher ein ,allos,. Liegt aber
Welt abzusagen und die Welt zu bejahen. Die (unintendierte?) Beja_ nicht die Bedeutung eines Wortes, einer Statue, eines Bildes quer zu
hung der Welt macht überhaupt erklärlich, daß der Roman als ein solchen Unterscheidungen?73 Es geht auch nicht um die Überset-
abenteuerhaftes |ugendbuch rezipiert werden konnte. Realistische zung eines Abstrakten in ein I(onkretes. Um eine Statue als Personi-
und allegorische Technik schließen sich keineswegs aus. fikation der Gerechtigkeit zu verstehen, müssen sehr wohl >ab-
Als Gegenreaktion gegen (vermeintliches) symbolisches Sub_ strakte< Gedanl<en gefaßt werden. Die ,konl<rete( Darstellung ist
stanzdenken ist in den letzten drei Jahrzehnten die Allegorie gerade_ sehr >abstrakt. gehalten, sehr allgemein. Ohnehin werden 'abstrakt,,
zu zum geheimen Paradigma literaturwissenschaftlicher Analyse ,sinnlich, oder in diesen Zusammenhän-
'konkret,, 'anschaulich,
avanciert. Dieser methodischen Aufwertung voraus ging die (wis_ gen meist sehr unreflektiert verwendet. Ist
'Liebe. z.B. abstrakt,
senschaftliche) Wiederentdeckung und,Rehabilitierung, der Allego_ konkret, anschaulich, unanschaulich ?
rie in den Untersuchungen von Benjamin, Lewis, |auss und Gada_ Die zweite Voraussetzung ist die rhetorische Metapherntheorie.
mer.70 Im Strukturalismus und poststrukturalismus wird Literatur Danach ist eine Idee, nicht mit dem ,eigentlichen, Namen, sondern
als reflexive Allegorie des Schreibens und Lesens definiert. Auch anders, z. B. durch Statuen ausgedrückt, eine allegorisch dargestellte
hier wird der Allegoriebegriff ontologisch konzipiert, z.B. in paul de Idee. Aber dies charal<terisiert die Darstellungs- und Rezeptionswei-
Mans >Allegories of Readingo.tl Aus Rousseaus zweitem Vorwort se solcher offensichtlich nicht.
zur ,Nouvelle Héloise< entwickelt de Man den Begriff einer Allego- 'Allegorien,
Eine weitere Voraussetzung für diesen Sprachgebrauch ist die Be-
rie, deren Praetext die Unlesbarkeit des Textes bedeutet. deutung von Allegorie als aenigma, als schwer verständliche, rätsel-
hafte Bedeutung. Aber dies ist aktuell vom Bewußtsein des Betrach-
ters abhängig.
Diesem Sprachgebrauch entsprechend lautete die übliche Hand-
10. Person ifi kation - allegorische person ifi kation buchdefinition, bei einer Allegorie werde etwas Abstraktes verbild-
Iicht. Diese Definition trägt aber nicht nur nicht der literarischen Al-
Seit dem 18. Jahrhundert verstand und versteht man unter Allegorie legorie Rechnung, sie verwischt (unter anderem) auch die Unter-
vorzugsweise die Personifik ation, z.B. die Gerechtigkeit, dargestellt schiede zwischen einer Personifikation und einer Personifil<ation
als Frau mit dem Attribut der Waage und der Binde vor den Augen. (oder einer Figur) mit zusätzlicher allegorischer Bedeutung. Eine
In der Kunstwissenschaft ist dieser Sprachgebrauch terminologisch Personifikation ist noch keine allegorische Gestalt; sie ist es erst
fixiert. Synonym konnten die Begriffe ,s¡rmbolische Figurn und ,al_ dann, wenn eine Differenz von Gestalt und Bedeutung auch für sie
legorische Personn gebraucht werden, im 1g. Jahrhundert poetische konstitutiv ist.7a
,Maschinen<. nSymbolische Figur< ist abgeleitet von den >Icones Allerdings fällt die Abgrenzung nicht leicht, können literarische
symbolicaen des 17. |ahrhunderts, Anthologien solcher symbolischer Personifikationen als Allegoriesignale verstanden werden. Diese
Figuren. Diese ikonologischen Formen hatten übrigens wie die em_ Differenzierung ist auch in der Kunstwissenschaft sinnvoll, um Per-
60 61
sonifikationen z.B. von den allegorischen Strukturen der niederlän_ sonifikatorische Werke. In politischer Dichtung ist die Personifikati-
dischen Genrebilder des 17. Jahrhunderts abzugrenzen. on eines der am häufigsten benutzten Mittel, jüngst wieder in der Li-
In der Rhetorik wird die literarische personifikation unter den Ti_ teratur zur deutschen Wende von 1989. Brecht dichtet 1920:
telnfictio perconae oder prosopopoeia behandelt: Bei der personifi_
kation wird Unbelebtes in Belebtes, Nichtpersonenhaftes in perso_ nDeutschland, du Blondes, Bleiches
nenhaftes transformiert. Das Nomen wird Eigenname, verliert aber Wildwolkiges mit sanfter Stirnl
nicht seine lexikalische Bedeutung. Die der personifikation eigen- Was ging vor in deinen lautlosen Himmeln?u o
tümliche Ambivalenz von Fiktionsbewußtsein und Realitätsein-
druck machte für viele Epochen, zumal für das 1g. Jahrhundert, ihre Und Norman Mailer beendet oThe Armies of the Night< (1968) mit
Faszination aus.7s der Personifikation Ameril<as: "She is America, once a beauty of
Man l<ann formulieren, daß (viele) personifikationen auf dem magnificence unparalleled, now a beauty with a leprous skinn. Per-
Wörtlichnehmen metaphorischer Bedeutung beruhen. Der Satz Ein sonifikationen sind schtießlich wichtige Mittel in Erbauungs- und
Gerücht ging durch die Stadt ist eine metaphorische Äußerung. Unterweisungsbüchern, in Märchen und Comics, in der Reklame'
Wird das Prädikat wörtlich verstanden und durch weitere Hand_ Solche Personifikationen haben keine allegorische Bedeutung.
lungsverben fortgesetzt, dann erhält das Subjekt die Rolle eines Ak_ Sie personifizieren nur, nicht mehr. Abgrenzungen zur allegorischen
teurs. So entwickelt Vergil eine personifikation des Gerüchts aus ei_ Personifikation sind jedoch nicht strikt anzugeben. Sie hängen ab
ner solchen metaphorischen Verwendung: von relativen hermeneutischen Voraussetzungen. Eine allegorische
Personifikation liegt - mit aller Vorsicht gesagt - dann vor, wenn
,Nachrede wandert sogleich durch Libyens prächtige Städte, das Bewußtsein einer Person abhebbar ist vom Bewußtsein, daß
Fama, welcher kein anderes Untier an Schnelligkeit gleichkommt: diese Person auch eine Personifikation darstellt, oder wenn die Per-
Schwatzend Bewegung belebt sie: die Ikäfte wachsen im Fortschritt. sonifikation rezeptionsästhetisch noch eine zweite Bedeutungsdi-
I(ein ist sie anfangs aus Furcht; gleich erhebt sie sich drauf in die Lùfte, mension erhält. Diese Einschätzungen hängen - wie z-B. in der
Eilt mit Füßen auf Erden und birgt das Haupt in den Wolken<. ,Psychomachiao, wo zu einer moralischen eine heilsgeschichtliche
(,Aeneisn, IV, 173ff. Übersetzung: L. Winter) Bedeutung tritt - vom kulturellen Wissen ab. Die Statue der Gerech-
tigkeit z. B. ist keine allegorische Personifikation. Sie bedeutet ein-
Erst der weitere Kontext kann jedoch klären, ob eine personifikati_ fach Gerechtigkeit, nicht sich selbst als weibliche Gestalt. Für je-
on vorliegt. Anders als im Deutschen kann im Englischen, Französi_ manden, der diese Bedeutung nicht kennt, kann sie freilich die Ei-
schen und Niederländischen eine personifikation durch Groß_ genbedeutung Gestalt, haben. Aber er wird sofort fragen:
'weibliche
schreibung des Substantivs markiert werden.76 Was bedeutet sie? Ein Beispiel für eine literarische allegorische Per-
Die Personifikation ist ein wichtiges Element schon der antil<en son ist et\¡ia der Archivar Lindhorst in E. T. A. Hoffmanns >Der
Dichtung.TT Dort kommt sie auch einer Deifil<ation gleich. Die per- goldne Topf< (1814), eine allegorische Personifikation der Poesie,
sonifikation soll dem Personifizierten überzeugungskraft geben, soll oder l(afl<as ,Elf Söhnen, die elf seiner Geschichten darstellen, oder
ihm die Unbezweifelbarkeit eines Lebendigen verleihen.T8 Für die der Radfahrer in Thomas Manns Erzählung nDer Weg zum Fried-
abendländische Überlieferung so folgenreiche Werke wie Boethius, hof. (i900), in der es um eine Auseinandersetzung zwischen einem
>De Consolatione Philosophiaen (Vom Trost der philosophie, um alten und einem jungen Mann geht, der kurz "das Lebenn genannt
523),Marlianus Capellas >De Nuptiis Mercurii et philologiae" (Von wird. Solche Fälle berühren sich freilich schon mit symbolischen
der Hochzeit Merkurs mit der philologie, um 420) und >Laus Stulti- Verkörperungen (vgl. S. 88).
tiae< (Lob der Torheit, 1509) des Erasmus von Rotterdam sind per- Die Mummenschanz in Goethes >Faust< (v. 5065ff.) ist ein alle-
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statue wird nicht mit einer Fackel, sondem mit einem Schwert aus- Schauen,
gestattet. Man hat darin einen Irrtum Kafl<as gesehen. Es ist aber ein Tun mir nichts zuleide,
beabsichtigter Fehler: die Statue mit dem Schwert zitiert den Para- Während ich mich durch sie durch bemühe.
diesengel mit dem Schwert und ist daher ein Allegoriesignal.
In Benjamins >Möweno z.B. ist die indirekte Zitierung von Wenn sie wollten, könnten sie mich überrennen,
Schlüsselelementen des Praetextes eine implizite textinterne Auffor- Doch sie werden nicht dran denken,
derung. Da sie a
Nach den Lehren der Patristik stellen dies auch semantisch Quasi
,arme< Elemente wie Zahlen, Eigennamen und technische Bezeich- Gar kein Denken kennen.
nungen dar. Heilige Zahlen sind z.B. 3 (Trinität),4 (Tages- und Jah- Außerdem sind sie nicht abzulenken.
reszeiten, Elemente), 7 (Kreatur: 3 + 4), 10 (Wissen von Gott und
der SchöpfunÐ, a0 Ø x 10, Jesus fastete 40 Tage). Und so geh' ich iautlos durch die Herde
1..I.3. Traditionelle Gattungsmerkmale der Allegorie. Dominanz Auf dem Gras, daran sie kauen,
einer Handlungsstruktur; narrative und deskriptive Muster der Rei- Eilig,
se, der Pilgerfahrt, der Suche, der |agd, des Kampfes, des Traums, Weil ich
des Theaters; entlegene und befremdliche Orte; episodische, para- Plötzlich bange werde,
taktische, losere Struktur der Narration (daher haben Allegorien Daß sie meine schwache Position durchschauen.
Schwierigkeiten mit ihrem Ende) - loser, weil durch den Bezug auf
den Praetext die einzelnen Elemente des Textes ein relatives Eigen- Zu diesem pragmatischen Typ kann man auch die Typologie rech-
gewicht erhalten; mittlere, eher lakonische Stillage.si Solche Merl<- nen. Sie geht aus von einem heilsgeschichtlichen Wissen, das in
male zwingen den Leser zu einer mehr anaþischen Einstellung auf Christus zentriert ist und alle Vorgeschichte auf ihn bezieht.
den Text. Man muß, wie es oft heißt, ,nachsinnenn. 2. Bei Allegorien mit impliziten und pragmatischen Allegorieauf-
1.2. Pragmatische (und textinteme) Aufforderungen. Der Autor forderungen werden mögliche alternative Interpretationen ausge-
erzählI eine Geschichte oder beschreibt eine Szene, von der er auf- schlossen. Es wird z.B. unterstellt, daß bei impliziten Aufforderun-
grund des vorausgesetzten gemeinsamen Wissens mit dem Leser er- gen und Absurditäten kein Versehen, kein Irrtum vorliegt, sondern
warten kann, daß sie von ihm auf einen anderen, kulturell dominan- daß das, was dasteht, auch so und nicht anders intendiert wurde.
ten Bezugsrahmen bezogen wird. Dieser wird dadurch indirekt mit- Dem Text wird Sinn unterstellt. Diese Voraussetzung hat besonders
erzàhIt. So drängte es sich für die zeitgenössischen Leser geradezu Augustin betont: wenn wir etwas nicht verstehen und verwirrt sind,
auf, >La Pesten (Die Pest, 1947) von Albert Camus auf die Invasion dann liegt dies nicht am Text, sondern an uns. Wir haben (noch)
der Deutschen zu beziehen, die Geschichte der ,Animal Farmo auf nicht richtig verstanden.s2 Eine allgemeine hermeneutische Ma-
den Stalinismus, Werner Fincl<s Gedicht, in der Nazizeit vorgetra- ximel Dabei werden Annahmen über Wissen und Absichten des Au-
gen in der ,Katakomben, auf Fincks Situation als überwachter I(a- tors gemacht. Die Aufforderung ,,Wer Ohren hat, zu hören, der hö-
barettist: re!n wird nicht als eine tautologische, daher überflüssige Aufforde-
rung abgetan, sondern es wird nach der allen kommunikativen Al<-
Gang durch die Kuhherde ten zugrundeliegenden Sinnvermutung gefolgert, daß er dies nicht
Nächtlich auf der dunklen Weide gesagt hätte, wenn er damit nicht etwas Besonderes gemeint hätte.
Grasen viele große l(ühe, So ist es aufgrund der I(enntnis der Person Werner Fincks und sei-
Kauen, ner politischen und künstlerischen Anschauungen - und auch der
66 67
Ästhetik des Kabaretts - unmöglich anzunehmen, daß er in der Na- Wohl gibt es zwischen ,dies bedeutet auch, und ,dies bedeutet
zizeit ein Gedicht über den Gang durch eine Kuhherde vorträgt, nur. eine Skala des allegorischen Verweisungsverhältnisses, wie es
ohne damit eine allegorische, politische Bedeutung zu intendieren. eine Skala allegorischer Formen gibt. Im Leserbewußtsein ist gleich-
Er muß, schließen wir, eine allegorische Bedeutung (mit)gemeint wohl nicht ein Distanzbewußtsein von Text und Praetext die Regel,
haben, wenn er in dieser Situation so etwas sagt. sondern ein Interferenzbewußtsein. Treffend hat man Text und
So sehr auch die kommunikative Situation ein allegorisches Ver- Praetext mit den zwei Stimmen in einer kontrapunktischen Musik
ständnis fordert, so wenig freilich ist dieses garantiert. verglichen.sa Text und Praetext überlagern und durchkreuzen sich. a
5. Die allegorische Bedeutung wird durch analogische und identi- Sie illuminieren sich dabei wechselseitig. Der Text lenkt und kon-
fikatorische Reflexionen aus dem Text rekonstruiert. Im allgemeinen zentriert die Aufmerksamkeit a'uf Zuge des Praetextes, die sonst
werden dabei zwei Regeln beachtet. nicht aufgefallen wären. Er modelliert das Verständnis, die Bewer-
(a) Wir rekonstruieren vertikale l(orrespondenzen der releuanten tung und affektive Einstellung auf den Praetext. Er deutet ihn und
Handlungen und Akteure. Das Schwein mit dem historisch-politi- deutet ihn daher auch neu. Umgekehrt erhält der Text durch den
schen Namen Napoleon in >Animal Farm< steht z. B. für Stalin. Die Praetext eine perspektivische Tiefendimension. Die narrative Form
Korrespondenz darf aber nicht bis ins kleinste Detail durchgefuhrt der Allegorie als prekäres Gleichgewicht von realistischer Darstel-
werden. Dies würde das narrative Eigengewicht des Textes aufhe- lung und Abstraktion, Erzählung und heuristischem Modell trifft
ben. sehr gut eine Bemerkung von Sulzer, wonach die Allegorie die Sa-
(b) Wir rekonstruieren eine horizontale Analogie der releuanten che nstärker und nachdrücklichern sagt und ihr ein "größeres
Beziehungen zwischen den releuanten Handlungen und Akteuren. Lichto gibt. Sie hat bisweilen eine nbeynahe beweisende Kraftn.85
Die Geschichte der ,Animal Farmu verläuft analog zur Geschichte Als literarische Allegorie soll also eine intendierte Allegorie gel-
der Sowjetunion. ten. Der nicht zu Ende kommende Streit aber, ob etwas als allego-
Textuelle und pragmatische (und textinterne) Aufforderungen risch intendiert war oder nicht, hat seinen sachlichen Grund- Inso-
l<önnen unterschieden werden, kommen aber wohl meist zusammen fern jede Interpretation danach fragt, was in dem, was gesagt wurde,
vor. Der 2. und der 3. Schritt werden normalerweise nicht vollzogen, wirklich gesagt wurde, erhält sie eine Tendenz zur Allegorese. Der
wenn explizite textinterne Aufforderungen gegeben sind. ständige Verdacht ungesagter Hintergedanken provoziert Allegore-
Es ist nicht zutreffend, daß, wie nicht selten behauptet wird, der sen. Es ist sinnvoll, die Intention des Autors als Ititerium allegori-
Text sich auflöst, wenn der Praetext erst einmal verstanden ist. Dies scher Deutung anzuwenden, hermeneutisch aber auch legitim, >die
hieße: nur die allegorische Bedeutung zählt. So verwarf Karl Philipp allegorische Bedeutung auch als Möglichkeit< (Schelling) zu unter-
Moritz die Allegorie, weil ihre eigentliche Bedeutung ,außero der stellen. Die latente Möglichkeit allegorischer Lel<türe hängt damit
des Textes liege. Die Interpretationsanweisung der allegorischen Re- zusammen, daß wir, wenn wir verstehen, unter anderem in Analo-
de heißt aber eher: verstehe mich und verstehe durch mich auch gien verstehen und ein literarisches Werk auf die Lebenswelt appli-
noch etwas anderes. Die Allegorie verlangt keine reduktionistische, zieren.86 Jedes Verstehen enthält dieses Moment der Applikation
sondern eine komplexe Deutung. Die Untersuchung der Metaphorik auf die Lebenswelt, die deswegen auch die Bedeutung eines Praetex-
des allegorischen Schriftsinns durch Spitz zeigt zwar eine Ablösbar- tes erhalten kann.
keit der beiden Bedeutungen, aber auch, metaphorisch, ihren quasi-
organischen Zusammenhang. Traditionelle metaphorische Paare für
das Verhältnis von Text und allegorischem Praetext sind u.a.
Körper - Seele, Rinde - Mark, Nuß - Kern, Spelze - Korn, Wabe -
Honig, Wolke - Wasser.83
68 69
Ein zusätzlicher Grund für die Symbolkritik liegt in dem Um-
stand, daß im allgemeinen moderqen Sprachgebrauch der Terminus
usymboln uneinheitlich verwendet wird. Er kann ein arbiträres,
konventionelles Zeichen, aber auch das Gegenteil, ein durch Analo-
Symbol gie oder durch einen Sachzusammenhang motiviertes Zeichen be-
deuten.
Die Ausdrücke literarisches Symbol, Verkehrssymbol, logisches a
uWie wir uns durch gewisse Erscheinungen auch zu
Symbol, symbolische Handlung bedeuten jeweils etwas anderes.
Hinzudenkungen, nicht bloß zu gewissen Sensatio-
Ein logisches Symbol, z.B. für nicht: -r, ist ein arbiträr festge-
nen genöthigt fuhlen - zu einem bestimmten Sup-
setztes Zeícinen. Die meisten Verkehrssymbole sind dies ebenfalls
plement und Replement von Gedanken .. ."
(2.B. die Ampelfarben rot, grün, gelb); manche sind durch eine Art
Novalis
Analogiebeziehung motiviert, z.B. ein Vorfahrtszeichen. Verkehrs-
symbole haben eine Signalfunktion, d.h. sie enthalten eine be-
,Jede Handlung ist außer ihrer ursprünglichen und
stimmte Handlungsaufforderung. Unter einer symbolischen Hand-
natürlichen materiellen und mechanischen Be-
lung wird im Unterschied zu einer pragmatisch-instrumentellen eine
zeichnung noch mancherlei formeller, figürlicher,
Handlung verstanden, mit der etwas zu verstehen gegeben wird,
tropischer und fupischer Bedeutung f?ihig. . .u
oder eine Handlung, die im Unterschied zu einer realen eine Stell-
Hamann
vertreter- oder gar Ersatzfunktion hat. Beide Bedeutungen sind
aufeinander beziehbar. Mit einer stellvertretenden Handlung kann
ich zu verstehen geben, welche eigentliche Handlung ich im Sinn
1. Begriffsgesch¡chte habe, ohne sie schon auszuführen. Vor allem in heiklen Situationen
wird mit symbolischen Handlungen kommuniziert, etwa bei dem
In der literaturwissenschaftlichen Diskussion seit den 60er lahren Versuch, einen Kontakt herzustellen. Eine freundliche Geste z.B.
herrschte eine auffallende Zurückhaltung gegenüber dem Begriff kann zu einer freundschaftlichen Beziehung auffordern. Der andere
des Symbols, gaîz im Unterschied zu anderen Disziplinen wie Psy- kann auf die Geste positiv reagieren oder nicht, ohne dies erklären
choanalyse, Theologie, Ethnologie, Lernpsychologie, Politologie zu müssen. S¡rmbolische Handlungen sind probate Mittel von Staa-
und Soziologie. Dort gewann der Symbolbegriff eine immer wichti- ten, ihre Macht zu demonstrieren. Ein Manöver, dicht an einer
gere Bedeutung. Ein nur zu verständliches Motiv dieser Zurückhal- Grenze abgehalten, ist eine solche s¡rmbolische Handlung. Man gibt
tung war und ist der Überdruß am zuvor inflationären und ideolo- damit zu verstehen, was man tun könnte, ohne dies schon zu tun'
gisch aufgeladenen Gebrauch des Symbolbegriffs. Wie so oft war ein Man könnte einmarschieren und besetzen. Die Kraft der symboli-
Begriff nicht aufgegeben worden, weil er widerlegt, sondern weil schen Bedeutung liegt darin, daß das Bild dessen, was die reale
man seiner überdrüssig wurde. So wollte Wolfgang Kayser in seinem Handlung ist, evoziert wird. Der Konflikt z. B. zwischen den Vere!
,Sprachlichen Kunstwerk< das unichtssagende Wort Symbol(e)< nigten Staaten und Iran 1979 erhielt seine volle Schärfe durch die Be-
vermeiden.l Es gab Vorschläge, in der Literaturwissenschaft den setzung der amerikanischen Botschaft, d.h. der Stellvertretung der
Symbolbegriff ganz fallen zu lassen und dafür die Begriffe >Meta- Vereinigten Staaten. Diese Besetzung wurde als eine symbolische
pheru oder uAllegorieu einzusetzen.2 Neben dieser Tendenz fand Besetzung der Vereinigten Staaten selbst aufgefaßt, und zwar von
und findet sich natürlich weiterhin die von der goethezeitlichen beiden Seiten.
Konzeption inspirierte Verwendung, etwa bei Emrich.3 Unweigerlich, wie instrumentell auch immer wir handeln, han-
70 7l
Y'
deln wir auch symbolisch. Alles, was wir tun, drückt auch aus. Wir hung motivierten Bedeutung fest.e Das literarisch Symbolisierte
können nicht nichts zu verstehen geben. Wir können nicht nichts wird dabei gesucht in lebensweltlichen und psychischen Bedeutsam-
als ein mögliches Symbol erfahren. Zur anthropologischen Ausstat- keiten, in einem möglichen Sinn menschlichen Seins. An diesen Be-
tung des Menschen gehört ein universelles Symbolbewußtsein.4 Als griffsgebrauch, der auch dem alltagssprachlichen entspricht, werde
erwachsen gilt, wer nicht mehr sich, sondern sich s¡rmbolisch zeigt.5 ich anknüpfen.
-
Mittels des Symbolbewußtseins kann die unübersichtliche Empirie Der heterogene Gebrauch von Symbol geht bis ins 18. |ahrhun-
übersichtlich und geordnet werden. Handlungen und Gegenstände dert zurück. Am Ende dieses |ahrhunderts protestierte Kant dage- o
können erfahren werden als Verdichtungen6 von unüberschauba- gen, daß logische Zeichen S¡rmbole genannt werden:
ren, komplexen Zusammenhängen. Ein zerfetztes Stück Tuch kann
,Es ist ein von den neueren Logikern zwar angenommener, aber sinnver-
ein nationales Symbol werden. Die twin towers in New York wur-
kehrender, unrechter Gebrauch des Wortes symbolisch, wenn man es der
den von den Terroristen als Symbol des Westens ausgesucht. Im ak-
intuitiven Vorstellungsart entgegensetzt; denn die symbolische ist nur eine
tuellen Streit um die öffentliche Präsenz des >islamischen< Kopf-
Art der intuitiven.u (>Iftitik der Urteilskrafto, $ 59)10
tuchs in Frankreich und Deutschland wird ein Streit um ein religiö-
ses Symbol ausgetragen. Es geht um die Rolle der Religion in der Die intuitive Vorstellungsart beruht auch für Kant auf einer analo-
Gesellschaft, um das Verhältnis von Religion und Staat. Politische gen Re{lexion.
Herrschaft beruht wesentlich auf symbolischen Ordnungen und Die schwierige Begriffsbestimmung von S5¡mbol läßt sich auf
Handlungen, die Vertrauen und Kontinuitàt,Zugehöigkeit und Ab- seine komplizierte Etymologie zurûckführen.1l Das griechische
grenzung, Anerkennung und Geringschätzung, Nähe und Distanz Substantiv symbolon ist abgeleitet vom Verbum symballein, das zu-
bestätigen. Für und durch das öffentliche Medium Fernsehen wird sammenbringen, zusammenwerfen, zusammenstellen, auch versam-
Politik in einem hohen Maße symbolisch inszeniert. Die Tagesschau meln und vergleichen bedeutet. Daraus entwickelten sich Homony-
des Fernsehens informiert z.B. nicht nur, sie symbolisiert, worauf menreihen mit den Bedeutungen: Parole, Erkennungsmarke (2.8.
Pross hinweist,T als öffentliches Medium auch die Bedeutung des- Hälfte eines Rings), Ausweis, Vertrag. In diesen Bedeutungen ist ein
sen, worüber sie informiert, und sie symbolisiert durch vertraute Verabredungsmoment enthalten. Eine andere Reihe betont den
Sprecher und festgelegte Zeiten und Szenerien Kontinuität, Dauer Charakter des Indizes und des Rätselhaften. Symbole konnten Ga-
im Wechsel. ben zu einer gemeinschaftlichen Mahlzeit sein, das Symbol konnte
Rechts - Iinks, oben - unten, hell - dunkel, innen - außen, kalt - schließlich eine Mahlzeit selbst sein. In der Allegorese der Stoa wird
warm sind elementare symbolische Orientierungen.8 folgenreich das S¡mbolische mit dem Allegorischen gleichgesetzt,
Symbolische Handlungen und symbolisches Verständnis von das Symbol bedeutet nun vor allem ein rätselhaftes, ominöses Zei-
Handlungen und Dingen beruhen vor allem auf der Herstellung von chen, dessen Bedeutung erraten und erschlossen werden muß.
analogischen und synekdochischen Beziehungen. Etwas wird ein Auffallend ist das semantische Merkmal des empirischen Ele-
Symbol, weil es in Analogie zu oder als Teil von einem Ganzen auf- ments. Im Unterschied dazu bedeuten die heute konkurrierenden
gefaßt wird. Man könnte sogar die þpologische Denkform (vgl. Begriffe Allegorie und Metapher Sprachfiguren. Der griechische
S.46ff^) auf die Hermeneutik symbolischer Handlungen anwenden: Symbolbegriff umfaßt also schon die drei Merkmale, die in späteren
so wie der (analoge) Typus seine Bedeutung durch den größeren An- S¡rmboltheorien immer wieder begegnen: Symbol als Zeichen, S¡rm-
titypus erhält, so erhält eine s¡mbolische Handlung ihre Bedeutung bol als Empirisches, das als Empirisches eine Bedeutung trägt, und
durch das, was sie als eigentliche und größere Handlung evoziert. Symbol als Zusammenhang.r2
Der vorherrschende Gebrauch von literarisches Symbol hält an In der mittelalterlichen Bibelexegese kann symbolun als Syno-
diesem Merkmal einer durch analoge oder synekdochische Bezie- nym sowohl für die allegoria ín uerbis als auch für die allegoria ín
72 73
factis gebraucht werden. Das symbolum kann schließlich auch den der Stadt Frankfurt im Ubergang zu éiner kapitalorientierten Markt-
Zusammenhang des Diesseits und des Jenseits, den einzelnen Glau- gesellschaft steht. Aus dem patriarchalischen Zustand wird ein Wa-
bensartikel, das Glaubensbekenntnis und die einzelnen Teile der Bi- ren- und Marktplatz. An Schiller schreibt er am 16.8. 1797:
bel bezeichnen, die collatio.ls In der Folge kann SSrmbol auch syno-
nym mit Emblem verwendet werden. Wörterbücher um 1800 ver- Raum meines großvâterlichen Hauses, Hofes und Gartens,
"[...] den [...]
zeichnen als Bedeutungen von S5rmbol: Sinnbitd, Wahlspruch, der aus dem beschränktesten, patriarchalischen Zustande, in welchem ein
Glaubensbekenntnis. alter Schultheiß von Frankfurt lebte, durch klug unternehmende Men- o
In der Ausbildung der protestantischen Abendmahlslehre spielte schen zum nützlichsten Waren- und Marktplatz verändert wurde. Die An-
der S¡rmbolbegriff eine wesentliche Rolle. Das Sakrament, dessen stalt ging durch sonderbare Zufälle bei dem Bombardement zugrunde
urspri.ingliche Bedeutung als Eid, Verpflichtung ja der des S¡rmbols und ist jetzt, größtenteils als Schutthaufen, noch immer das Doppelte des-
verwandt ist, wird als ein Symbol aufgefaßt. In der ns5rmbolischen sen wert, \¡¡as vor 11 Jahren von den gegenwärtigen Besitzem an die Mei-
Handlungo des Abendmahls, schreibt der junge Hegel, ,soll das Es- nigen bezahlt worden. Insofem sich nun denken läßt, daß das Ganze wie-
sen und Trinken - und das Gefühl des Einsseins in |esu Geist zu- der von einem neuen Untemehmer gekauft und hergestellt werde, so sehn
sammenfließen..l4 Der Streit zwischen Luther und Zwingli ging be- Sie leicht, daß es in mehr als Einem Sinne, als Symbol vieler tausend än-
kanntlich darum, ob das os5rmbolum< (Zwingli) >das ist mein Leibn dern Fälle, in dieser gewerbreichen Stadt, besonders vor meinem An-
(hoc est corpus meum, L.Kor. 11,24) nur >tropice<, d. h. metapho- schauen, dastehen muß.u
risch (Zwingli), oder als eine Realpräsenz Christi (Luther) zu verste-
hen sei.is Hier wie dort ist das symbolum ein dingliches Element, Diese symbolische Beziehung kann mit der rhetorischen Figur der
eíî signum uisibile. Bei Luther wie bei Zwingli sollen die symbola Synekdoche erläutert werden: ein Teil steht für ein Ganzes. Die Syn-
einen Zusammenhang stiften, die Gemeinde der Gläubigen. ekdoche ist auch die Basis von Coleridges Symbolbegriff von 1816,
in der angelsächsischen Tradition ähnlich einflußreich wie der Goe-
thes in der deutschen:
2. Coethes Symbolkonzeption
,[...] Now an Allegory is but a translation of abstract notions into a pictu-
Vermutlich ist der Symbolbegriff Goethes im Umkreis des lutheri- re language which is itself nothing but an abstraction from objects of the
schen Symbolverständnisses entstanden.l6 Denn dem Moment der senses; [. ..] On the other hand a Symbol [. . .] is characterized by a translu-
realen Vergegenwärtigung kommt in Goethes Symbolkonzeption cence of the Special in the Individual or of the General in the Special or
eine entscheidende Bedeutung zu. of the Universal in the General. Above all by the translucence of the Eter-
Goethes S5rmbolkonzeption kann kurz zusammengefaßt wer- nal through and in the Temporal. It always partakes of the Reality which
den.v Zwei Bedingungen muß das S¡mbol fur Goethe erfüllen: An- it renders intelligible; and while it enunciates the whole, abides itself also
schaulichkeit und eine repräsentative Bedeutung. Repräsentation a living part in that Unity, of which it is the representative.o
18
74 75
Frankfurts insgesamt. An der Analogie schätzt Goethe die Möglich- Goethe noch überindividueller Zusammenhang, eine Totalität¡.22
keit an deutender Mitteilung und die Formulierungen Goethes wie >lebendig-augenblickliche Offenba-
"vielfache Deutungn (,über
Kunst und Altertum<, 1-822): rung des Unerforschlichenn (rMaximen und Reflexionenn) leisteten
allerdings dieser Ontologisierung Vorschub.
,Mitteilung durch Analogien halt' ich für so nützlich als angenehm: der
analoge Fall will sich nicht aufdringen, nichts beweisen; er stellt sich ei-
nem anderen entgegen, ohne sich mit ihm zu verbinden. Mehrere analoge 3. Hermeneutik des Symbols I
Fälle vereinigen sich nicht zu geschlossenen Reihen, sie sind wie gute Ge-
sellschaft, die immer mehr anregt als gibt.n (>Maximen und Reflexionenu, Eine texthermeneutische Theorie des SSrmbols muß diese Ontologi-
L823-1829). sierung kritisieren, kann aber das synekdochisch-analogische Mo-
dell übernehmen, in Übereinstimmung mit dem vorherrschenden
Die Verbindung von Synekdoche und Analogie kann daher als Sprachgebrauch in der Literaturwissenschaft. Die folgenden Überle-
die Grundfigur des klassischen Symbolbegriffs angesehen werden. gungen sind daher eine Re-Interpretation der traditionellen Begriffs-
Der Anschauungswert, den Goethe dem S5rmbol zuerkennt, ist bestimmungen im Licht neuer methodologischer Fragestellungen
kritisiert worden.2o Damit werde die Reflexionsleistung verkannt, und Bedürfnisse.
die dem s¡,.rnbolischen Verständnis notwendig innewohnt. Markt- Diese Re-Interpretation kann ausgehen von der primären Refe-
und kapitalwirtschaftliche Strukturen seien nicht mehr anschaubar. renz arf. Empirie, sei es ein Gegenstand, sei es eine Handlung.2s
Sie setzten eine theoretische Einsicht voraus. Diese Kritik trifft nicht Ohne methodologische Not sollte grundsätzlich an einem überlie-
alle Überlegungen Goethes zur Hermeneutik des Symbols. An- ferten terminologisierten Sprachgebrauch festgehalten werden.2a
schaulichkeit betont die empirische Dignität des S5rmbols2l und Dies ist nicht nur eine Frage der Nomenklatur. Literaturwissen-
schließt eine Reflexionsleistung beim symbolischen Verstehen kei- schaftliche Kategorien sind hermeneutische Begriffe, d.h. sie kontu-
nes\Megs aus. Bezeichnenderweise sagt Goethe mehrmals, daß die rieren und konstituieren überkommene Probleme und Fragen. Eine
Bedeutung uns erst >spät< aufgehe. Dies trägt dem hermeneutischen Umänderung von Sprachgebräuchen ist definitorisch ad libitum
Sachverhalt Rechnung, daß der Teil nicht ohne das Ganze und das möglich. Sie löst aber dann nicht das anstehende Problem. Es geht
Ganze nicht ohne den Teil zu verstehen ist. Man muß schon immer hier also um die Klärung und Präzisierung eines Sprachgebrauchs.
mehr wissen, um etwas als Teil eines Ganzen verstehen zu können. Dadurch kann das S¡..rnbol von der Metapher unterschieden wer-
Freilich hängt mit dem Postulat der Anschauung zusammen, daß den. Bei Metaphern ist unsere Aufmerksamkeit mehr auf Wörter ge-
Goethe vorzugsweise Beispiele aus der bildenden Kunst, nicht aus richtet, auf semantische Verträglichkeiten und Unverträglichkeiten
der Literatur anführt. Ganz in Entsprechung zum Platonismus der sprachlicher Elemente. Bei Symbolen ist unsere Aufmerksamkeit
klassischen Ästhetik, die am Sehen, nicht am Sprechen orientiert auf die dargestellte Empirie gerichtet. Beim S¡mbol wird daher auch
ist. Von Herders ,Viertes Wäldchen< (1769) und I(Ph.Moritz, die wörtliche Bedeutung gewahrt, die Referenz des Wortes. Bei der
,Über die bildende [!] Nachahmung des Schönen* (1788) bis zu He- Metapher wird sie okkasionell ausgedehnt. Bei Metaphern aktuali-
gels Ästhetik ist das geheime Modell klassischer Ästhetik die plastik, sieren wir ein Sprachbewußtsein, bei S5,'rnbolen ein Gegenstandsbe-
die menschliche Gestalt. Ihr eignet innere Vieldeutigkeit par excel- wußtsein.
lence, hier kommt das Sinnliche der Idee entgegen. Mit diesem (graduellen) Unterschied von Metapher und Symbol
Weniger Goethe als diejenigen, die sich auf ihn beriefen, haben läßt sich die Beobachtung erklären, daß Texte mit einem hohen An-
das SSrmbol ontologisch fixiert: das S¡..rnbol bedeutet das Unendli- teil an Metaphern die Möglichkeit von Symbolen zurûckdrängen.
che, gar das rational Unzugängliche (das Un-endliche bedeutet bei Umgekehrt gilt dasselbe. Das Vorkommen literarischer S1'rnbole ist an
76
minimale beschreibende, besprechende oder erzählende Einheiten war; und was ihr nicht leicht begegnete, sie verunstaltete das Papier zu-
gebunden, an Formen dargestellter Empirie. Der Roman, seit dem letzt mit einem Tintenfleck, der sie ärgerlich machte und nur größer wur-
L8. Jahrhundert gattungstheoretisch bestimmt als welthaltige Erzah- de, indem sie ihn wegwischen wollte.
Iung, bietet sich denn auch vorzugsweise s¡rmbolischen Lektüren an. Eduard scherzte darüber, und weil noch Platz war, fugte er eine zweite
Gedichte, die als Beispiele für þischen S¡rmbolismus genannt Nachschrift hinzu: der Freund solle aus diesen Zeichen die Ungeduld se-
werden, wie C.F.Meyers >Der Römische Brunnen< oder,Im Spät- hen, womit er erwartet werde, und nach der Eile, womit der Brief ge-
herbstu, Mörikes ,Auf eine Lampe< oder Robert Frosts >Stopping schrieben, die Eilfertigkeit seiner Reise einrichten.u
a
by woods on a snowy eveningn, enthalten Apostrophierungen von
Empirie, die derart symbolfähig wird. Lyrische Qualitäten basieren Dies ist eine Passage aus Goethes Roman >Die Wahlverwandtschaf-
meist au-f metaphorischen Strukturen, auf Rhythmisierung und Ku- ten< (1809). Wenn Charlotte ihr PS mit einer >Art von Hast
mulation von Sinn. Aber Gedichte enthalten, wie virtuell auch im- schreibt, die ihr sonst nicht gewöhnlich warn, dann schließen wir
mer, stets auch narrative Elemente, eine Abfolge von Sinn mit er- auf eine Unruhe in ihr, auf eine verborgene Ungeduld, den Haupt-
zählenden und apostrophierenden Elementen, die eine selbstver- mann zu sehen. Wir deuten den Tintenfleck als >Zeichen<, wie
ständliche Empiriesphäre evozieren. fe länger Gedichte sind, desto Eduard ja sagt, als Anzeichen und Dokument dieser Hast. Solches
stärker wird diese narrative Struktur, desto stärker auch die Mög- Verstehen bewegt sich im Rahmen des pragmatischen Verstehens.
lichkeit von Symbolen. Eine gattungsspezifische Differenzierung des Das symbolische Verstehen setzt dieses pragmatische Verstehen
Vorkommens literarischer Symbolik ist daher möglich. Im Drama voraus. Symbolische Verstehensprozeduren wenden wir dann an,
und im Film tritt dazu die Möglichkeit, alles Sichtbare s¡rmbolisch wenn wir den Eindruck haben, daß mit der pragmatischen Bedeu-
zu verwenden. So stellt das Requisit des roten Mondes in Brechts tung noch nicht alles erfaßt ist, wenn sich noch eine zusätzliche Be-
>Trommeln in der Nacht< (L922) ein S¡rmbol der ambivalenten Hal- deutung aufdrängt. Manchmal interpretieren wir ein Textelement
tung der Hauptfigur zwischen revolutionärer Aktion und erotischem auch s¡rmbolisch, weil es pragmatisch keinen Sinn macht und gerade
Akt dar, die leere Straße im Western >High Noon< (1952) die Ver- deswegen symbolische Deutungen provoziert.
lassenheit des Helden. Wie verfahren wir nun, wenn wir ein Textele- Die Trennung von pragmatischem und symbolischem Verstehen
ment s¡rmbolisch verstehen? hat allerdings nur heuristischen Wert. Unvermeidlich sind beide
Um dieses Verfahren zu klären, unterscheide ich pragmatisches Prozeduren in der Lebenswelt ineinander verflochten. Die Möglich-
und, symbolisches Verstehen 25 Pragmatisches Verstehen ist eine ele- keit s¡rmbolischer Bedeutung ist allgegenwärtig. Stets sagen wir
mentare Form des Verstehens in der Alltagswelt. Wir wenden dabei mehr, als wir pragmatisch-zweckorientiert wollen.
Prozeduren an, die sich z.B. von Fragen nach Gründen und Moti- Eduards Wort von ,diesen Zeichenu leitet von einer pragmati-
ven, nach instrumentellen Mittel-Zweck-Relationen, nach empiri- schen zu einer symbolischen Deutung über. Diese uZeichenn haben
schen Gegebenheiten leiten lassen. Solche Prozeduren konstituie- noch einen Sinn, der sich gewissermaßen als ein objektiver Sinn jen-
ren Zusammenhänge von Handlungen und Ereignissen. seits der subjektiven Intentionen von Eduard und Charlotte zltver-
stehen gibt. Mit ,was ihr nicht leicht begegnete< wird ja vom Erzäh-
uEduard versicherte seine Gattin auf die anmutigste Weise der lebhafte. ler der Tintenfleck kommentiert, mit dem Charlotte das Papier ver-
sten Dankbarkeit. Er eilte mit freiem, frohem Gemüt, seinem Freunde unstaltet. Über diesen Sinn verfi.igen die Figuren nicht - er >begeg-
Vorschläge schriftlich zu tun. Charlotte mußte in einer Nachschrift ihren net. ihnen vielmehr. Diesen ,begegnenden, Charakter behält ihre
Beifall eigenhändig hinzufugen, ihre freundschaftlichen Bitten mit den Bedeutung auch dann, interpretiert man die Befleckung als eine
seinen vereinigen. Sie schrieb mit gewandter Feder gefällig und verbind- Fehlleistung Charlottes: er verrät unbe$/ußte Erwartungen, Wün-
lich, aber doch mit einer A¡t von Hast, die ihr sonst nicht gewöhnlich sche und Befürchtungen.
78 79
Als ein indirektes ZifatlàßI der Tintenfleck, der größer'¡¡ird, als deutsamkeit.26 Der Fleck ist Symbol einer Schuld. Man könnte
Charlotte ihn wegwischen will, an Befleckung denken, an die uralte schon dem Sprachgebrauch nach nicht sagen: die Schuld ist Symbol
Symbolik von Schuld und Sühne, die in unserem kulturellen Ge- eines Flecks oder der Fleck ist S¡rmbol eines Papiers. Die Sinnbezie-
dächtnis aufbewahrt ist. Wir folgern daher aus diesem ominösen hung von (empirischem) Symbol und (psychisch-moralischem)
,rZeichen<, daß das, was geschieht und noch geschehen wird, etwas S¡rmbolisiertem ist nicht umkehrbar und veränderbar.
mit Schuld und Sühne zu tun haben könnte. Dieser Übergang von Das Beispiel zeíg!lerner, wie der symbolischen Deutung die Ten-
>Tintenflecko zu einem >Fleck< in moralischer Bedeutung markiert denz innewohnt, das Symbol aus dem Erzählkontinuum herauszu- a
den Übergang vom pragmatischen zum symbolischen Verstehen. lösen und einer diachronen Reihe zuzuordnen, die den Text durch-
Der Tinten->Fleck< ist ein SSrmbol für Schuld. Diese Deutung muß quert. Wir ziehen andere Texte heran, in denen dieses Symbol des
sich natürlich in einer kohåirenten Deutung des ganzen Romans be- Flecks auch vorkommt, z. B. in Shakespeares ,Macbetho (V 5) und
währen. Im Hinblick auf diese kommt Charlottes Handlung noch in Goethes nlphigenie auf Tauris" (IV 4,5).
eine weitere (ebenfalls nicht intendierte) s¡rmbolische Bedeutung zu: Das Symbol hält eine Balance zwischen seiner Bindung an das
der Versuch, den Fleck wegzuwischen, macht ihn nur noch größer. pragmatische Kontinuum und einer relativen Eigenständigkeit.
Am beiläufigen Beispiel zeigt sich, daß die Menschen nicht Herr ih- Diese Bindung macht, daß das Symbol seine Bedeutung kundgibt in
rer Handlungen sind. Der ganze Roman wird zeigen, r¡¡ie kalkulier- Form einer Manifestation. Da es ein immanentes Element des prag-
tes Beherrschenwollen der Natur umschlägt in katastrophales Be- matischen Kontinuums ist, hat es den Charakter eines Indizes. Ein
herrschtwerden. Indiz ist ein Zeichen, das (für den Rezipienten) in einer dynami-
Symbolisch gedeutet verstehen wir den Fleck dann nicht mehr nur schen und notwendigen Beziehung mit seinem Bezeichneten steht.
als Resultat einer unbeabsichtigten oder beabsichtigten Handlung. Rauch ist ein Indiz für Feuer. Der Fleck ist ein Indiz für Charlottes
Wir schreiben ihm darüber hinaus eine implizite Deutungs-, Cha- inneren Zustand und eine metaphorische Charakterisierung dessen,
rakterisierungs- oder Kommentierungsfunktion zu. Wir stellen dabei was geschieht. Daher kann man das S¡rmbol formal definieren als
Analogiebeziehungen und Identifikationen her. Man könnte etwa ein Textelement, d,as zugleich eine indizierende und eine metaphori-
die Deutungsaufforderung übersetzen als: Stelle dir die Geschichte sche Bedeutung hat. Die metaphorische Bedeutung hebt die indizie-
der nWahlverwandtschaften< als die Geschichte einer moralischen rende Bedeutung nicht auf.
Befleckung vor. Wenn wir so verfahren, behandeln wir das Symbol Diese Position des Symbols in einer Geschichte unterscheidet es
nach dem Modell der Metapher. Aber, um es zu wiederholen, das von der Allegorie. Das SSrmbol ist ein immanentes Element einer
Symbol spielt nicht mit der wörtlichen Bedeutung wie die Metapher. Geschichte. Zwischen S¡rmbol und Symbolisiertem herrscht eine
Um eine terminologische Unterscheidung der neueren Erzähl- notwendige Kontiguität, beide gehören demselben Geschehenszu-
theorie aufzunehmen: ein Element d,er Geschichte (die histoíre, der sammenhang an, demselben raum-zeitlichen Erfahrungsfeld. Die
Handlungszusammenhang) wird, symbolisch gedeutet, ein Element Allegorie dagegen, d,as diuersiloquium oder alieníIoquium, eruàhlt
d,es Diskurses (der discours, die immanenten Deutungsanweisun- oder setzt zwei Bedeutungszusammenhänge, die diskontinuierlich
gen), ohne aufzuhören, ein Element d,er Geschichtø zu sein. (Diese miteinander verbunden sind. (Die Typologie bildet eine Ausnahme,
Terminologie wird nota bene nicht einheitlich definiert und hat auch hier gibt es eine Kontinuität im Sinn einer Erfüllung und Überbie-
nur heuristischen Wert.) tung, vgl. S.46f.). Zwischen beiden Bedeutungszusammenhängen
Das Beispiel demonstriert auch, was durch eine Analyse literatur- muß über-setzt werden. Natürlich kommen daher auch im Text der
wissenschaftlicher Symboldeutungen allgemein belegt werden kann: Allegorie Symbole vor.
das Symbolisierte ist selbst kein pragmatisch-empirisches Element, Die Frage, was uns dazu bringt, etwas als ein Symbol zu verste-
sondern stets eine lebensweltliche, psychische und moralische Be- hen, läßt sich noch differenzierter beantworten. Zum Verständnis
80 81
dessen, was ein literarischer Text ist, gehört unter anderem das Ler- Andere Techniken, mit denen eine s¡rmbolische Deutung provo-
nen dessen, was eine s¡rmbolische Bedeutung tragen könnte - und ziert wird, sind: eine prominente thematische Stellung, z.B. d,er zer-
manchmal noch nicht einmal hat. Der Reiz mancher Texte beruht brochene Krug in Kleists ,Der zerbrochne Krug<; parallele Anord-
gerade darauf, daß man oft Symbole vermuten muß, ohne sie deuten nungen, z. B. der schrvarze Panther in Dürrenmatts "Der Besuch der
zu können. alten Dameu, Frau Brückers Pulloverstricken in Uwe Timms No-
Symbolische Deutung beruht nun auf Grundmaximen literari- velle >Die Entdeckung der Currywurst< (1995), überhaupt Paralleli-
scher Hermeneutik, daß nämlich alle Elemente eines Textes thema- sierungen von Naturvorglingen und Handlungen; Angabe und Beto-
o
tisch kohârent sind, daß sie alle Teile eines zugrundeliegenden, regu- nung von Ereignissen und Situationen, die nicht durch die Hand-
lativen thematischen Prinzips sind, daß sie alle, auch das beiläufig- lung motiviert sind. In Kafkas uProzeßu wird in einer dramatischen
ste, bedeutungsvoll sein können und daß mit dem, was in und mit Szene nach seiner ,Verhaftung( erwähnt, daß Josef K. auf einem
dem literarischen Text gesagt wird, stets auch etwas über die \Melt Tisch eine Kerze,Zindhölzchen, ein Buch und ein Nadelkissen ver-
des Menschen, die condition humaine gesagt wird. (Diese letzte Ma- schiebt. Diese Details erscheinen akzidentell und werden über ihre
xime gilt nicht uneingeschränkt, manchmal will ein Text z. B. nur be- Nennung hinaus nicht weiter thematisiert. Aber gerade dies zieht
lustigen). Solche Maximen provozieren eine Attitüde s¡mbolischer die Aufmerksamkeit auf sie. In einer solchen dramatischen Szene
Deutungen. Im Einzelnen lassen sich besondere Verfahren der Pro- hat alles einen Sinn, daher fällt das vermeintlich Akzidentelle be-
vokation von Symboldeutungen unterscheiden.2T sonders auf. Der Leser soll denn auch einen besonderen Sinn - eine
Zwei wichtige Techniken, mit denen traditionell symbolische Todes- und Parzensymbolik - in dieser Angabe entdecken.
Deutungen provoziert werden, sind die Wíederholung und die Antí- Oft treten diese Techniken zusammen auf, etwa Parallelisierung
these. Díese Techniken bewirken eine Zäsur im linearen Erzählver- mit Wiederholungen.
lauf und heben die betroffenen Elemente hervor. Sie geben ihnen Solche Techniken sind textinterne Aufforderungen zu symboli-
eine Tiefendimension. schen Deutungen. Mit textextemen (meist mit textinternen kombi-
Die Wiederholung eines Elements in verschiedenen Phasen des nierten) Aufforderungen haben wir es zu tun, wenn ein Textelement
Erzählverlaufs verleiht diesem Element eine supplementäre eigene kulturell überlieferte Bedeutungen zitiert, wie der Fleck in den
Bedeutung, die für sich zu stehen scheint.2s So s5rmbolisiert die re- uWahlverwandtschaftenn. Meist befragen wir dann die Tradition,
kurrente Erwähnung der Hand und von Händen in Lessings nEmi- wenn der Kontext uns nicht weiterzuhelfen scheint.
lia Galottin, in Goethes ,Die Leiden des jungen Werthers" und Bei textinternen Aufforderungen ist es in der Regel nun nicht so,
>Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand< das Problem der daß das profilierte Element an sich schon eine Bedeutungsfülle mit
Vermittlung von Selbst und Welt. sich bringt. Es bringt eher zu wenig mit. Mit diesen Techniken wird
Antithetische Konfigurationen, wie z. B. die gute und böse Schwe- ein Element formal profiliert, ohne daß zugleich auch seine spezifi-
ster im Märchen, die dunkle und helle Frau in vielen Romanen des sche Symbolbedeutung mitgegeben wird. Wir fragen uns 2.8., war
1.9.]ahrhunderts (Eichendorff, >Ahnung und Gegenwart<; Keller, um so viele Worte, um bloß dies zu sagen? Gerade wegen dieser In-
nDer grüne Heinrich<; Madame de Staël, >Corinnen; Hawthorne, kongruenz von formaler Profilierung und Eigenbedeutung fordert es
Deutung heraus. Wir fühlen uns genötigt, es mit Bedeutungen aufzu-
"The Marble Faun<; Cooper,
>The Last of the Mohicans<; Collins,
>The Woman in White<) oder Paul Celans ndein goldenes Haar füllen, etwas hinzudenken, zu usupplierenu, wie Novalis sagt.2e Der
Margarete / dein aschenes Haar Sulamithu aus der nTodesfugeu, künstlich herbeigeführte Bedeutungsmangel ftillt sich auf durch Be-
verfestigen Charaktere zu þpen und fordern dazu auf, sie als Sym- deutungen aus dem Kontext und aus kulturellem Wissen. Auf diese
bole elementarer, gewissermaßen unreduzierbarer Orientierungen hermeneutische Voraussetzung poetischer Verfahren hat schon
zu verstehen: gut - böse, Leben - Tod, außen - innen. Schiller in einem Brief an Goethe aufmerksam gemacht (7.9.1797):
82 83
>Ist der Gegenstand als Individuum leer und mithin in poetischer 4. Typen des Symbols
Hinsicht gehaltlos, so wird sich das ldeen-Vermögen daran versu-
chen und ihn von seiner symbolischen Seite fassen, und so eine Vorausgesetzt, man hält am Zeichenbegriff fest - seine Problematik
Sprache ftir die Menschheit [d.h. das Menschliche] daraus ma- liegt in der Tendenz, Bedeutung auf die Stellvertretung von gemein-
chen.u ten Gegenständen zu reduzieren -, dann ist die Unterscheidungvon
Zur literarischen Symbolik zählt auch die Lautsymbolik. >Der Symbol und Symbolisiertem nicht gleichzusetzen mit der zwischen
Mond, dies Wort so ahnungsreich, so treffend, weil es rund und signifiant und signifié, der internen Struktur des sprachlichen Zei-
a
weich", dichtet Wilhelm Busch. Seine Ironie deutet schon an, daß chens, oder mit Zeichen und bezeichnetem Gegenstand, dem Refe-
es sich so einfach nicht verhält. Auch Lautsymbole werden als moti- renten. Das Symbol bezeichnet nicht und benennt nicht. Daher ist
vierte Zeichen erklârt: der phonetischen Gestalt eines Wortes wer- das S¡rmbol auch nicht als eine Polysemie zu erläutern. Es gibt viel-
den zusätzliche - nichtarbiträre, mimetische - Bedeutungen zuge- mehr zu denken. Die Bedeutung sprachlicher ZeicÞ'en kenne ich,
schrieben, z.B. s - dunkel, tief; i - hell, hoch, oder eben das Runde ich habe sie gelernt, die Bedeutung von Symbolen muß ich deuten.
und Weiche. Aber diese Symbolik wird in starkem Maße mutter- Erst durch ihre Deutung werden Gegenstände und Ereignisse zu
sprachlich bestimmt und gilt nicht universell.so (Warum hieße sonst Symbolen. Díe symbolische Bedeutung ist die symbolische Deu-
die Tiefe nTiefe<?) Die latente Möglichkeit von Lautsymbolik geht tung.31
freilich aus einem Beispiel hervor, das von Emst Gombrich stammt: Das S¡rmbol ist kein semiotisches, es ist ein hermeneutisches Phä-
Gesetzt, man hätte das Paar ping : pong und müßte es dem Paar Ele- nomen. Bei sprachlichen Zeichen deute ich nicht den signifiant, um
fant : Maus zuordnen, dann wäre das Resultat ziemlich klar. Ähn- den signifié zu verstehen. Ein signifiant existiert nicht außerhalb sei-
lich ist es mit der Lautmalerei (Onomatopoesie) bestellt. Auch diese ner Relation zum signifié und umgekehrt. Zwischen signifié und si-
mimetische Bedeutung gilt nicht universell, sondern ist mutter- gnifiant herrscht eine sowohl arbiträre als auch notwendige Relati-
sprachlich konventionalisiert. Im Deutschen l<räht der Hahn kikeri on, zwischen Symbol und Symbolisiertem herrscht die durch den
ki, im Niederländischen kukeleku (sprich: kükelekü), im Amerika- Textzusammenhang zu bestätigende Möglichkeit.
nischen cock-a-doodle-doo, im Französischen kokeriko. Deutsche Diese Möglichkeit ist keine beliebige. Sie muß im Rahmen einer
Hunde machen wau-wau, französiche gnaf-gnaf, englische arf-arf. kohärenten Deutung des ganzen Textes begründbar sein. Dabei wird
Der Rh¡hmus ist zwar gleich, die phonetische Struktur aber ver- die Bedeutungssupplierung durch den Textzusammenhang selbst
schieden. motiviert. Drei Grundtypent2 der Motivierung können dabei von-
Als Symbole können auch Namen eingesetzt werden. Dann sind einander abgegrenzt werden: d,er synekdochische Typ, der metony-
sie nicht bloß als Etiketten, sondern )sprechend<, d. h. als deutende mische Typ und der metaphorische Typ. Übergänge sind auch hier
und charakterisierende Ausdrücke zu verstehen. Der Name wird die Regel, denn damit werden Orientierungen und nicht Gleichset-
Teil des semantischen Feldes, das nomen wird omen. Der Name To- zung behauptet. Gemäß rhetorischer Lehre umfaßt die Synekdoche
nio Kröger in der gleichnamigen Novelle faßt die für Thomas Mann die Beziehungen Teil - Ganzes, Ganzes - Teil, Art - Gattung. Der
so wichtige Entgegensetzung und Verbindung von Süden und Nor- ldassische Symbolbegriff orientiert sich vor allem an der Synekdo-
den, Künstlertum und Bürgerlichkeit zusammen. Wenn Hermann che: ein exemplarisches Teil, wie das großväterliche Haus Goethes,
Hesse den Helden von >Unterm Rad. (1906) Hans Giebenrath vertritt das Ganze. Ein neueres Beispiel ist der Euro. Die Metonymie
nennt, so deutet er durch die Assonanz an, daß dieser Giebenrath (wörtlich: Umbenennung) umfaßt z. B. die Beziehungen Ursache -
tatsächlich unters Rad kommt. Während allegorische Namen sich Wirkung, Behälter - Inhalt, Autor - Werk, Ort - Akteure, überhaupt
auf den vorausliegenden Praetext beziehen, erhalten symbolische Raum- und Zeitzusammenhänge. Es handelt sich um eine Metony-
Namen ihre Bedeutung im Erfahrungsraum des Textes. mie, wenn man sagt: man liest Goethe (statt: Goethes Werk) oder:
84 85
Den Høag widerspricht Washington (statt: die niederländische Re- die Rose, die Lilie, der Dorn, das Lamm, der Adler, die Schlange, die
gierung widerspricht der amerikanischen Regierung), oder im Re- Farben grau, grün, schwarz, rot gelten.
staurant: Tisch drei hat noch zu zahlen. Es macht freilich einen Un- Aus der spezifischen Verbindung von Indiz und Metapher läßt
terschied, ob man sagt: man liest Goethe, oder: man liest Goethes sich auch die textkompositorische Funktion von SSrmbolen ableiten.
Werk. In der meton¡mischen Formulierung denken wir nicht nur an Das Symbol zeigt zukünftige Bedeutungsmôglichkeiten an, es ver-
das Werk, sondern auch an seine Beziehung zum Autor, an dessen bindet Milieu und Charakte¡ Raum und Geschichte, es bildet über-
I(unstauffassung, an die Bedeutung seines Lebens usw. greifende Textstrukturen.
a
Metonymie und Synekdoche beziehen sich auf faktische Zusam-
menhänge, auf Kontiguitäten, die Metapher nicht. Meton¡rmien be- ,Nun, da bin ich doch neugierig, was du wählen wirst.<
tonen eher einen Zusammenhang, Synekdochen eher eine spezifi- nNur solche, denen du selber zustimmst. Und nun laß uns an-
sche Qualität. MetonSrmien und Synekdochen kürzen Kompliziertes fangen. Hier ist Vergißmeinnicht, aber kein Mäuseohr-Vergiß-
ab. Sie werden verwendet, um erste Orientierungen zu geben.s5 meinnicht, will sagen kein falsches, sondern ein echtes. Zuge-
Oft werden synekdochische und metonymische Beziehungen standen?<
nicht mehr als solche realisiert. Im politischen Sprachgebraucl:', z.B. ,]a. u
Den Haag widerspricht Washington, handelt es sich schon um kon- ,Und das hier ist Ehrenpreis, eine feine, kleine Blume. Die
ventionalisierte Wendungen. Bei Is/ díe Post schon da? denken wir wirst du doch auch wohl gelten lassen? Da frag ich gar nicht erst.
nicht mehr an eine Institution. Die Kontiguitäten, auf denen Synek- Und diese große rotbraune, das ist Teufels-Abbiß und eigens für
dochen und Metonymien beruhen, machen den Indizcharakter des dich gewachsen. Ja, Iache nur. Und das hiern, und sie bückte sich
Symbols aus. nach ein paar gelben Blumenköpfchen, die gerade vor ihr auf der
S¡rmbolen des metaphorischen Typs liegt auch eine solche indi- Sandstelle blühten, ,das sind Immortellen.u
zielle Kontiguität zugrunde, aber sie erscheint indirekter, kontin- nlmmortellen<, sagte Botho. ,Die sind ja die Passion der alten
gent, offener, sie erscheint mehr als eine (vom Erzähler, einer Per- Frau Nimptsch. Natürlich, die nehmen wi¡ die dürfen nicht feh-
son) gesetzte Kontiguität. Natürlich sind strenggenommen auch die len. Und nun binde nur das Sträußchen zusammen.(
Synekdoche und die Metonymie poetisch gesetzte Kontiguitäten, >Gut. Aber womit? V/ir wollen es lassen, bis wir eine Binse
aber diese Setzung wird nicht als eine solche dargestellt, sondern als finden.n
Realität fingiert. ,Nein, so lange will ich nicht warten. Und ein Binsenhalm ist
Die jeweiligen Kontiguitätsbeziehungen von Synekdoche, Meto- mir auch nicht gut genug, ist zu dick und grob. Ich will was Fei-
nymie und Metapher steuern nun die Bedeutungskonstruktion von nes. Weißt du, Lene, du hast so schönes langes Haar; reiß eins
Symbol und S¡rmbolisiertem. Die spezifische Bedeutung ist das Er- aus und flicht den Strauß damit zusammen.<
gebnis einer Deutung, die sich metaphorischer Prozeduren bedient. ,rNein<, sagte sie bestimmt.
Daher gehen auch synekdochisch und metonymisch motivierte nicht? Warum nein?<
"Nein? Warum
Symbole tendenziell in das metaphorische Symbol über. Diese Diffe- ,Weil das Sprichwort sagt: ,Haar bindet,. Und wenn ich es um
renzierung nach drei Typen ist nicht rigide durchzuführen. So reali- den Strauß binde, so bist du mitgebunden.o
sieren alle drei Typen, unterschiedlich akzentuiert, die Verbindung ,Ach, das ist Aberglauben. Das sagt Frau Dörr.<
von Indiz und Metapher. nNein, die alte Frau sagt es. Und was die mir von Jugend aufge-
\Mie bei der Metapher gibt es Grade ,lebendiger< und konventio- sagt hat, auch wenn es wie Aberglauben aussah, das war immer
nalisierter SSrmbole. Als konventionalisierte, d.h. kulturell überlie- richtig.n
ferte Symbole können z. B. die Kerze, die Seifenblase, der Schlüssel, >Nun meinetwegen. Ich streite nicht. Aber ich will kein ander
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I
Band um den Strauß, als ein Haar von dir. Und du wirst doch für bietet allerdings schon die gesamte Gattung der Schauerliteratur.
nicht so eigensinnig sein und mirs abschlagen.< Verfallene, unheimliche nächtliche Räume, Gänge, Keller und Sze-
Sie sah ihn an, zog ein Haar aus ihrem Scheitel und wand es nerien fungieren als Symbole von unbewußten Ängsten und
um den Strauß. Dann sagte sie: >Du hast es gewollt. Hier nimm schrecklichen Bedeutungen. Venedig, die schöne, morbide Stadt ist
es. Nun bist du gebunden.n ein rekurrentes Todess5rmbol in der modernen Literatur (vgl. z.B.
Er versuchte zu lachen, aber der Ernst, mit dem sie das Ge- Thomas Mann ,Der Tod in Venedig",l9l2), ebenso der Winter als
-
spräch geführt und die letzten Worte gesprochen hatte, war doch Symbol von Erstarrung und Tod. Wie an Kafkas Roman >Das
a
nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben. Schloß< denken, ohne an den alles bedeckenden Schnee denken?
,Es wird kühln, sagte er nach einer Weile. >Der Wirt hatte Regen und Herbst sind beliebte S¡rmbole für Melancholie und Ein-
recht, dir |ackett und Plaid nachzubringen. Komm, laß uns auf- samkeit.3s Metonymisch motiviert ist auch die symbolische Bedeu-
brechen.< tung der Pappeln- und Platanengruppe am Rand des Teichs in den
,Wahlverwandtschaftenu. Unter diesen Bäumen, die Eduard an
Diese thematisch profilierte Passage entstammt Fontanes Roman dem Tag pflanzle, an dem Ottilie geboren wurde, bittet er Ottilie, die
>Irrungen Wirrungenn (11. Kap.). Die Namen ,Immortellenn und Seine zu werden. Unter ihnen wird Ottilie mit dem toten Kind lan-
uVergißmeinnichtn sind nicht bloß als Etiketten, sondern ,spre- den. Die Bäume sind also verbunden mit Geburt und Tod, Wechsel
chend,, d. h. symbolisch zu verstehen. Sie reden von Nichtvergessen, und Dauer - mit einem Wort: mit Schicksal.
von Bestand, aber auch von Abschied und Tod. Botho besteht dar- Da es für die symbolische Bedeutung keine syntaktisch zwingen-
auf, daß Lene den Strauß mit einem ihrer Haare bindet. Der Strauß de und ausschließliche Bindung an ein bestimmtes Textelement gibt,
wird von beiden als Symbol ihrer Verbindung aufgefaßt. Dies ist ein dasvon ihr gedeutet und charakterisiert wird,56 haben Symbole die
Beispiel für ein Symbol des metaphorischen Typs. Die Metapher Tendenz, sich auf die erzählte Situation als Ganzes zu beziehen, auf
wird ja auch realisiert: ,Nun bist du gebundenn, sagt Lene. Um ein den zugrundeliegenden thematischen Zusammenhang als ganzen.
metaphorisches Symbol handelt es sich auch im Flecks¡rmbol aus Wegen dieser Ungesichertheit führen symbolische Deutungen zu
den >Wahlverwandtschaftenn oder im Pulloverstricken in Timms elementaren und allgemeinen Bedeutungsstrukturen, auf lebensge-
>Die Entdeckung der Currywursto. Das Stricken symbolisiert das schichtlich elementare Paradigmen des Verhältnisses des Menschen
Erzählen selbst. zu sich und zur Welt, auf das Leben überhaupt.
Ein Symbol d,es synekdochischen þps ist Margarete mit ihrem Seine implizite, unterschwellige, gewissermaßen naturwüchsige
goldenen Haar aus Celans >Todesfugeo. Sie ,verkörpert< oder mani- Art des Bedeutens läßt das Symbol als besonders eindringlich, aber
festiert das ,Deutsche,. Ebenso manifestiert die zusammengewür- immer auch als etwas Ominöses erfahren, als eine unverfügbare,
felte Schiffsbesatzung in Melvilles >Moby Dick< (1851) die mensch- schicksalhafte Bedeutung. Sie den Akteuren, wie der
'begegnet<
liche Gesellschaft. Sie ist gesetzt als ein repräsentativer Teil von ihr. Fleck Charlotte >begegnete<. Symbole können daher eingesetzt
In moderner Literatur l<ommt es zu einer auffallend betonten werden, um Schicksal zu suggerieren, wo selbständiges Handeln
Verwendung des metonymiscfr motivierten Symbols.sa doch möglich wäre. Hier kann der mögliche Ansatz einer ldeologie-
Raum und Zeit symbolisieren psychische Situationen, die sich in kritik der Verwendung von Symbolen liegen.
ihnen ereignen. So erscheinen denn auch psychische Situationen
unter dem Eindruck von Raum und Zeit. Meton¡rmisch motivierte
Symbole tendieren dazu, den Menschen als abhângig von seiner
Umwelt erscheinen zu lassen. Und: die Grenze von äußerer Welt
und innerlichem Zustand erscheint als aufgehoben. Ein Beispiel da-
88 89
17 Zu einem Beispiel für diese Emanzipation von den aristotelischen Vor-
aussetzungen auf der Basis einer Privilegierung des ingeniums vgl. Breiten-
bürger, 197 5 ; vgl. auch Wessel, 1984.
18 W. von Humboldt, Werke, hg. von A. Flitner u. K. Giel, Bd.III, Darm-
Anmerkungen stadt 3 1963, 473. Als neuere Untersuchung vgl. Engelkamp/Merdian, L973.
19 Vgl. Stählin,1914.
20 Vgl. Keller-Bauer, 1985.
21. Vgl. schon Aristoteles, Rhetorik lIl, 4, L: >Es ist aber auch der Ver- -
gleich eine Metapher; denn der Unterschied zwischen beiden ist gering.n
o
Metapher 22 Vgl. Hillmann,l9Tl.
23 Vgl. Neumann, 1970; Blumenberg, 1960; zur Kritik dieses Metaphem-
verständnisses vgl. Derrida, 1971.
1 Vgl. die voluminösen Bibliographien von Shibles, 1977;van Noppen, 24 Vgl. Nieraað,, 1977, 80ff.; Hesse, 1966; Blumenberg, 1960, l97l;
1985; 1991. Schöffel, 1987; Jakob, 1991; Buchholz, 1992; Bödeker,2002.
2 Die einschlägigen Stellen finden sich in der Poetik, Kap.2l und 22, 25 Ygl. Lakofï/fohnson, 1980; 1999. Metaphern werden hier ontologisie-
und in de¡ Rhetorik, lll,2,2-5; L0-ll. Zur Geschichte der Metapherntheo- rend als Denkkonzepte, nicht als sprachliche Ausdrücke behandelt. Zwi-
rien im Ausgang von Aristoteles vgl. Krewitt, 1971; Ricæur, L975;Kurz/Pel,- schen Exmetaphern und Metaphern kann daher nicht mehr unterschieden
stet, 1976, 7ff.; Nieraad, 1977; Menninghaus, 1988; Weimar, 1990; Eggs, werden. Zur Kritik an diesem Ansatz vgl. auch Coenen, 2002, 5.21411.; lerner
2001, verteidigt hervorragend das aristotelische Modell. Blumenberg, 1.979.
5 Wichtige Vertreter der Interaktionstheorie sind Stählin, 1914; Bear- 26 Aristoteles, Rhetorik [ll, 2, I0.
dsley, 1962; Black, 1962 und 21993; Weinrich, 1963,1967 und 1977,337ff.; 27 Nowottny, 21965, 153, spricht von einer >yes/no relationship< der
Ricæur, 1975. Neuere Beiträge zur Metaphemtheorie: Lakoff{ohnson, 1980; Metapher.
Miall, 1982; RuZiðka, 1985; Paprotté/Dirven, 1985; Eco, 1985, 153ff.; Schöf- 28 Vgl. Weinrich, 1963, 337.
fel, 1987; Burkhardt, 1987; Abraham, 1987; Lakoff, 1982 580ff.; van Nop- 29 Vgl. Weinrich, 1963, 327. Die Terminologie geht zurück auf Jost Trier.
pen, 1988; Fogelin, 1988; Birus/Fuchs, 1989; Lakoff/Turner, 1989; Moran,
30 Black, 2L995,281., und schon 1962. Zur Kritik am Projektionsmodell
1989/90; Henn-Memmesheimer, 1991; Strub, 1991; Liebert, 1992; Ortony, vgl. schon Bühler 21965, 348 f.
21993; Pielenz, L993; Amtzen/Hundsnurscher, 1993;
Keller, 1995, 160ff.; 3I Zum Begriff der Vorstellung vgl. L.Wittgenstein, Schriften, 8d.5,
Danneberg u.a., 1995; Haverkamp, 21996; Baldaug 1997; Lakoff/Johnson,
Frankfurt 1970,411tr.: das Vorstellen ist ein >schöpferischer Akt<, die Vor-
1999; Beckmann,200I; Bödeker, 2002; Coenen,2002, eine Verteidigung des
stellung ist kein Bild, dennoch gibt es einen Zusammenhang mit einem Bild.
Analogiemodells; Drewer, 2003.
32 A.W.Schlegel, Kritische Schriften und Briefe. Hg. v. E.Lohner,Bd.2,
4 G. W. F. Hegel, Ästhetik, hg. v. F. Bassenge, Bd. I, Frankfurt 1955, 595. Stuttgart 1963,250.
5 F.Kafka. Tagebücher 1910-1923, hg. von M.Brod, F¡ankfurt 1964, 33 Goodman,2tg95,lg.
550. Vgl. auch Müller-Richter/Lacarti, 1998.
6 Vgl. Ricoeur, 7975,64.
34 Zum Gebrauch des Wortes oBildn (gr.: eikon) für Metapher vgl. Ari
stoteles, Rhetorik 3,10,3;3,
11, 10; vor ihm Plato, Symposion 215 A. u.ö.
7 Vgl. Kainz, 1969. Zur poetologischen Geschichte vgl. Furbank, 1970; Asmuth, 1991; Kurz,
8 Schleiermach er, t Lg7 4, 58. L992.
9 Karl Valentin, Sturzflüge im Zuschauerraum, München 7960,23. 55 Es ist noch nicht genau geklärt, ob und inwieweit bildhafte Vorstellun-
10 Vgl. Riffatene, 1979. gen beim Verstehen von Metaphem eine Rolle spielen. Vgl. Paivo/Walsh, in:
11 Vgl. Wunderlich, 21991, 116. In der Psycholinguistik ist es umstritten, Ortony, 1993, 307 -328; Lakotr,zlgg\, 444ff.
von welchem Alter an Kjnder bewußt Metaphern verwenden. Vgl. Helmer, 56 Vgl. als besonderes Beispiel die surrealistische Metaphernpraxis, vgl.
197 2; Augst/ Kaul/Künkler, 198 1. Riffaterre, 1969; Dubois, 1975; Hedges, 1983.
12 Vgl. Cavell, 21976,19. 37 Zum Begriff des Wortfelds vgl. Trier, 1972; zum Begriff des Meta-
13 Vgl. Grice, L975/1979; Searle unterscheidet entsprechend bei der Me- phernfelds vgl. auch Liebert, 1992,8311.
tapher eine >Satzbedeutungn von einer oÄußerungsbedeutung<, in: Ortony, 38 Vgl. Weinrich, I97 6, S. 27 6-290 ; Schellenberger, I 988.
21993,
85-tt1. Vgl. dagegen Fish, 1978; allgemein v. Polenz,21988,298ff. 39 Vgl. Demandt,1978; Peil, 1983; Euchner u.a., 1993. Zu aktuellen Bei-
14 Vgl. Cohen, 1976.253. spielen Küster, 1983.
15 Vgl. z.B. Abraham, 1975. 40 Demandt, 1978, 190ff.; Meichsner, 1983; Münkler, 1994. Auffallend
16 Vgl. Hörmann,2|g78; zur ausfuhrlichen Kritik vgl. KurzlPelster, 1976, die Metaphorik des Hauses in der Europa-Diskussion, vgl. Bachem/Battke,
64tr. 1989.
90 91
41 Hönigsperger, 1991. Eine Fundgrube politischer Metaphorik: G.Stöt- et les lui fait voir I'un hors de l'autre, l'un à côté de I'autre. La métaphore [...]
zellM.Wengeler, 1995. ne présente [. ..] qu'un seul sens, le sens figuré; et l'allégorie [.. .] présente né-
42 Vgl. Stollberg-Rilinger, 1986; allgemein vgl. fakob, 1991. cessairement d'un bout à l'autre un double sens absolu, un sens littéral et un
45 Vgl. Sontag, 2003. Sie gibt auch Beispiele fur die Krankheitsmetapho- sens figuré.u
rik im Stalinismus. 16 Freud,1970,53.
44 Vgl. Bein, 1965. 17 Zw Theone der Anspielung vgl. Svensson, 1977; Neumann, 1980;
45 Zur militärischen Metaphorik vgl. Küster, 1979. \Milss, 1989.
18 Schleiermachet, 2 197 4, 84.
19 Dumarsais/Fontanier, 1818, 1, 188.
20 Freud, 1970, passim.
o
Allegorie 21 Vgl. Origenes, De principiis, IV 5, 15. oEs gibt Dinge, deren Bedeu-
tung im eigentlichen Sinn mit Worten menschlicher Sprache überhaupt nicht
1 Vgl. dazu die vorzügliche Analyse von H.Weinrich, 7976,32\ff.Wein- ausgedrückt werden kannn; Clemens, Stromates, Y, 4,2L,4:,Alle Barbaren
rich liest den Text insgesamt als eine Metapher und kommt zu folgender Defi- und Hellenen also, um es kurz zu sagen, welche theologisiert haben, haben
nition: >Eine Metapher ist ein Text in einer konterdeterminierenden Situati- die Urgründe der Dinge mit Verborgenheit überdeckt und die Wahrheit durch
on. (341). Diese Definition ist zu unspezifisch, nicht zufällig gerät sie in die Rätsel und Sinnbilder, Allegorien und Metaphern und auf anderen Wegen
Nähe des rhetorischen Allegoriebegriffs. dieser Art überliefert. <
2 Für die texttheoretischen Konsequenzen dieser Metaphorik vgl. Kurz, 22 Die Anregung zu dieser Terminologie verdanke ich Renate Böschen-
1977.
stein.
3 Vgl. z.B: Ad C. Herennium de ratione dicendi, ed. H.Caplan, London 23 Fletcher,196Z 180.
L954,1,8,13. Diese Unterscheidung findet sich häufig, vgl. Hollander, 1969, 24 Q.uilligan,2tgg2.
257. 25 Ygl. jetzt auch Blumenberg, 31993.
4 Vgl. Ad C. Herennium, ebd.: old quod in negotiorum expositione posi- 26 Murrin, 1,969,75tr.; vgl. auch Wenzel, 1995,450ff.
tum est tres habet partes: fabulam, historiam, argumentum<; informativ zur 27 YgL zlm Spätmittelalter Cramer, in: Haug, 1979,265-276; zum Fol-
Lehre vom sensus litteralis: Nemetz, 1959. genden insgesamt Haug 1979; Drügh, 2000; Stntbel,2002.
5 Gerhardi foannis Vossii Commentariorum Rhetoricum, 5. Aufl. Mar- 28 Benjamin, 1928.
burg 1681, lib.IV, cap XI: de allegoria. 29 f. Fischart, Geschichtsklitterung, hg. v. U. Nyssen, Düsseldorf L963,25.
6 f.|.Bodmer, Critische Betrachtungen über die poetischen Gemälde 30 Gregor der Große, In evangelio, PL76,Sp.l302 A.
der Dichter (1741), zit. nach Sørensen, 1972,24. 31 Vgl. Spitz, 1972,205tr.; Brinkmann, 1980,230ff.
7 Koppe, 1977,124ff.; Michel, 1987. 32 Zu diesen Begriffen vgl. Grant, 1967, bes. 137 f.
IZt den minimalen narrativen oder deskriptiven Bedingungen der Alle- 53 Aus der reichen Sekundåirliteratur nenne ich nur Auerbach, 19i9,
21964;
gorie vgl. auch Scholes/I(ellog, 1966, 105 ff.; Pfeiffer, 1977 ; Erzgräber, 1978. Goppelt, 1939; Hanson, 1959; Lubac, 1959-1964; Chydenius, 1960;
9 Zur jüdischen Allegoristik vgl. Heinemann, 1936; Bonsirven, 1938. Preus, 1969; Fromm/Harms/Ruberg, 1975; Strubel, 1975; Meier, 1976; Ohly,
10 Quintilian, L975,237. Zu dieser Definition und ihrer Vorgeschichte J.977; 1995; Haug, 1979; Whitman, 1987; Delorme, 1987; Harms/Specken-
vgl. auch Hahn, 1962 59ff. Es kommt in der Folge dann auch zu Differenzie- bach, 1992; Freytag, 1992; Spitz, L996.
rungen über Quintilian hinaus. Vossius z.B. diskutiert auch die Bedeutung 34 Vgl. Munin, 1969; Allen, 1970.
der MetonS.rnie und Synekdoche fur die allegorische Kontinuation. 35 Vgl. Pépin, 197O,3111.; Hollander, 1969.
11 Vgl. z.B. Lausberg, 101990, S423; Fletcher, 1967,2;Yia,1970,20: die 36 Vgl. Miner, 1977;Bonn, 1988.
Allegorie >sagt nicht, was sie meint, und meint nicht, was sie sagt<. 57 Vgl. Art.: Allegorese, in: Realleikon fùr Antike u. Christentum, Bd. l,
12 Vgl. Booth, 2 197 5 ; ¡app, 1983 ; v. Polenz, 2t988, ¡ 14 ff. l94l/50. Sp.285-298; Art.: Exegese, ebd., Bd.6, 1964/66, Sp.Ll74-t2tt;
13 Vgl. Koppe, 1977,L32; Gabriel, 1995. Buffière, 1956; Blank, 1970,711.; Pépin, 1976; Mazzeo, 1978; Greenblatt,
14 Vgl. Kanzog,2003; Seiler, 1983,206tr. 1981; Bloomfield, 1981; Simonetti, 1985; Klauck, 21986,s2ff.; pépin, 1987;
15 Dumarsais/Fontanier, IBI8, 2, 1791.: >L'allé,gorie est sans doute, Bruns, 1 988 ; Freytag, L992; Horn/Walter, 1.997.
comme la métaphore, une sorte de comparaison abregée et tacite, qui se fait 38 Vgl. Spaering,1976; Haubrichs, in: Haug, 1979; Dinzelbacher, 1981.
dans I'esprit. Mais dans la métaphore, la comparaison est transformative, 59 Als Standardwerk gilt Lubac, 1959-1964; vgl. auch Wehrli, 1984,
identificative; elle voit les deux objets, les deux termes, comme n'en faisant 236ff.
qu'un seul, et elle les confond l'un dans l'autre. Dans l'allégorie au contraire, Als Beispiel vgl. etwa Thomas von Aquin, Summa theologia, qu. 1, art. 10.
la comparaison est purement assimilative, et, quoiqu'elle n'énonce qu'un seul 40 Vgl. Dante Alighieri, Le Opere Minori. Firenze 1930,746-778.
objet, qu'un seul terme, elle en fait voir à I'esprit deux distincts, deux divers, 41 Vgl. Hollander, 1969; Pépin,1970.
92 93
42 Vgl. fauss, 1960 und 1977,15411.; Ernst, 1975; Freytag, 1982; Glier, Wagner, 1989; Schade u. a., 1994. Auch hier umfaßt der Begriff der Allegorie
1984. die Personifikation.
43 Dazuvgl Herzog, 1966, und Lewis, 1977 (zuerst 1936). 79 F.Bacon, The Wisedome of the Ancients, London 1619 (Nachdruck:
44 Vgl. auch Murrin, 1980. Amsterdam 1968), Preface: oI am enclined to imagine, that under some of
45 Vgl. Chew, 1962; Harms, 1970; Leeman, 1979; Geisenhanslüke,2003. the ancient fictions lay couched certaine mysteries and Allegories, even from
46 Vgl. Nicolson, 1960. their first intention. And I am perswaded (whether ravished with the reveren-
47 Vgl. Curtius, 1r1993, 148ff.; Bamer, L970,86tr.; zur literarischen Pra- ce of Antiquity, or because in some Fables I find such singular proportion be-
xis im 17. und 18. fahrhundert allgemein: Alt, 1995. tweene the similitude and the thing signified; and such apt and clear coheren-
48 Vgl. Kurz, 1980. ce in the very stxucture of them, and propriety of names wherewith the per-
sons or actors in then are inscribed and intitled) that no man can constantly
o
49 Ygl. Erzgràber, 1978.
50 Vgl. Piehler, 1971. deny, but this sense was in the Authors intent and meaning when they first in-
51 Vgl. Grimm, 1977 ; Garber, 1974. vented then, and that they purposely shadowed it in this sort [...]. There is an-
52 Ygl. z.B. die exemplarischen Untersuchungen von Meier, 1972 für die other Argument (and that no small one either) to proone that these fables
Edelsteinallegorie, und Meyer, 1975; Wehrli, 1984, 214ff.; Meyer/Suntrup, containe certaine hidden and innolued meanings, seeing some of them are
1987. obserued to be so absurd and foolish in the very relation, that they shew, and
53 Vgl. Ernst, 1976. as it were proclaime a parable afar off: for such tales as are probable, they
54 Vgl. Honig, 1966, 158ff.; Leyburn, 1956; Hutcheon, 1981. may seeme, to be inuented for delight, and imitation of History. And as for
55 Vgl. Grubmiller, 1977. such as no man would so much as imagin or relate, they seem to be sought
56 Vgl.Wehrli, 1,969,113-126. out for other ends". Vgl. zum Folgenden auch Todorov, 1978.
57 Vgl. Hamisc]n, 1982; Klauck, 21986; Delorme, 1987; Weder, 41990; 80 Vgl. Pépin, 1957.
Zymne4 1991; Elm, 2\991; Hamisch, 31995. ll
8 1 Vgl. Clifford, L97 4, und 22 1.; Fletcher, L967, 107, 150, L7 L, 220 u. ö.
58 Vgl. Neumeister und Helmich in: Haug, 1979; Warning, 1974; Hardis- 82 Vgl. Augustin, De Genesi ad litteram 11, 1,2: >An dem Gesagten selbst
on, 1965. aber zu zweifeln, wäre nicht richtig, denn das wird verbürgt durch den Glau-
59 Vgl. Henkel/Schöne, 1976. ben an den Erzåihler und das Versprechen seines Auslegers<. Contra Faustum
60 Vgl. Sulzer, 1992 ; Scholz, 2002, Hatms / P eil, 2002. Manichaeum 11, 15: >Wenn wir durch einen Widerspruch verwirrt sind,
61 Vgl. Penkert, 1978; Daly, 1979; Höpel, 1987. dann irrt sich nicht der Autor, sondem wir haben nicht verstanden, oder die
62 Vgl. Yates, 1978. Übersetzung ist falschn.
63 Vgl. die Anthologie von Sørensen, 7972; Sørensen, 1963; Todorov, 83 Vgl. Spitz, 1972.
1977. 84 Vgl. Frye, 196 4, 93 ; Hermerén, 19 69, 120, vgl auch Honig, 1959, 129.
64 Vgl. Schlaffer, 1981. Auch Schlaffers Allegoriebegriff ist ontologisch 85 f. G. Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste, Leipzig 1773, 1.
konzipiert: die Allegorie bedeutet per se die V/are. Theil,59.
65 Vgl. Sengle, 1971; Stadler,1980. 86 Vgl. Hirsch,1994.
66 vgl. Schäfer, 3 1983, 25 11.
67 Vgl. Ter-Nedden, 1976, dessen Kritik ich allerdings nicht teile.
68 Vgl. Greine¡ 1974.
69 Vgl. Reiss, 1970; fur romantische Beispiele vgl. Knaue¡ 1995. Symbol
70 Vgl. Benjamin, 1928; Lewis, 1956; Gadamer, 1958 und 1960, s1986;
fauss, 1960; aber auch Frye,1957; Honig, 1958. 1 W.Kayser. Das sprachliche Kunstwerk, Bem/München 7t96t,3t6.
71 de Man, L979 (vgI. dazu meine Rez. in: Arbitrium, 1985); vgl. Culler, Vgl. auch K. Hamburger, Die Logik der Dichtung, Stuttgart 51977; das l(apitel
1976. ,Zum S]¡mbolproblem der Dichtungu ist in dieser Auflage wegen der oPro-
72 Vgl. Gornbrich, 197 2. blematik des S¡rmbolbegriffs< (Vorwort) gestrichen worden.
73 Ygl. dazu die vorzügliche Untersuchung von Boehm, 1978, und Her- 2 Vgl. Weinrich, 1967: Koppe, 1977; Fletche¡ 51982. Die Kehrseite ist
merén, 1969. der Symbolbegriff Sperbers, 1974, der Symbol als Generalbegriff verwendet.
74 Vgl. fauss, 1960,185; Meier, 1976, 58ff. Ebenso Hoffmann, 1978, und Link, 1975. Links S5rmbolbegriff umfaßt Allego-
75 Vgl. Bioomfield, 1963; Valesio, 1969; Pianezzola,1980; Ituapp, 1985. rie und Emblem und geht von der Austauschbarkeit des sprachlichen und
76 Ygl.z.B. Nies, 1977. pictoralen Zeichens aus. Zur systematischen Differenzierung von Slrmbol
77 Vgl. Reinhardt, 1966. und Allegorie vgl. auch Lohmeier, L996, 32211.
78 Vgl. Killy, 1972,94tr., der im übrigen zwischen Allegorie und Personi- 3 Ygl. z. B. Emrich, 1975.
fikation nicht trennt. Vgl. als instruktive Beispiele über die Literatur hinaus: 4 Vgl. Cassirer, 1923-1929. Der Mangel von Cassirers epochalem Werk
94 95
liegt darin, daß er die Sprache auf derselben Ebene behandelt wie z. B. Kunst 24 Im Anschluß an Peirce hat fakobson z. B. SSrmbol als konventionelles
und Religionssysteme. Zeichen definiert.
5 Vgl. Pross,1974. 25 Vgl. auch Culler, 1975.
6 Vgl. Edelmann,2lgg0,5fi. Vgl. auch Pross, 1981; Hunt, 1989; Wame- 26 Vgl. beispielhaJt Tindall, 1955.
ken, 1990, Kurz,20O4. 27 Ygl.Elga11979; für die SSrmbolik des Films vgl. die hervorragende Un-
7 Vgl. Pross, L974, zur Kollektivsymbolik vgl. Link/Wülfing, 1984; dies., tersuchung von Lohmeier, 1996.
1991. 28 Vgl. Tindall, 1955, 2fi ff.
8 Vgl. Cohen, 1974; Needham, 1973; vgl. auch Geerts, 198j: Oelkers/ 29 Novalis, Schriften. 2. Arnlage hg. v. R.Samuel, 8d.3, 459. Der Begriff
Wegenast, 1991; Michel, 1997; Habermas, 1999. des Supplierens oder des Supplements ist auch für Goethe wichtig. Vgl. z. B. a
9 Die terminologische Differenzierung von arbiträren und motivierten >Betrachtungen über Farbenlehre und Farbenbehandlung der Altenn in der
Zeichen geht auf F. de Saussures uCours de linguistique generaleu (1916) zu- ,Farbenlehreu: uledes gute Buch, und besonders die der Alten, versteht und
rück. Vgl. die (schlechte) deutsche Übersetzung: Grundfragen der allgemei- genießt niemand, als wer sie supplieren kann.u Das Konzept des Supple-
nen Sprachwissenschaft, Berlin 2 1967, 79 tr. ments eines Mangels zu einem Ganzen läßt sich zurückverfolgen auf Plato,
10 Mit "neueren Logikem" meint Kant die Philosophen Leibniz, Wolff Symposion 191 d 3-5: >feder von uns ist demnach nur eine Halbmarke
und Lambert. Sie gebrauchten Symbol im Sinne eines arbit¡ären Zeichens. (Syrnbol) von einem Menschen [. . .]. Daher sucht denn jeder beständig seine
11 Vgl. Müri, 1951, auch in: Ders., L976.l-44. andere Hälfte (Symbol).. Im hermeneutisch fundierten Poststrukturalismus
12 Vgl. auchfapp, 1980, 195ff. ist der Begriffwichtig geworden. Vgl. Frank, 1977, LL91.
15 Vgl. Ladne¡ 1979;Zambon,1980; Chydenius, 1975. 30 Vgl. Ertel, 1.969; Genette, 1976; Hörmann,2t9lZ,ZZgff.
14 Hegels theologische Jugendschriften, hg. ,r. H. Nohl, Tübingen 31 Diese Kantische These (vgl. Kritik der Urteilskraft, S49, wo Kant die
L907, 300. Der Kontext ist abendmahlskritisch. >ästhetische Ideen bestimmt als eine imaginative Vorstellung, die ,viel zu
15 Vgl. Locher, 1972; Bosshard, 1978. Die jeweiligen Positionen sind na- denkenu veranlaßt) hat für die Symboltheorie Paul Riceu¡ besonders unter-
türlich differenzierter. Vgl. auch Hörisch, 1992. strichen, vgl. Ricæur, 1969,26511.; 1975,142-L61. Lexika zur S¡,nnbolik sind
16 Vgl. Looff, 1955, 195f. Der im >Werther< vorkommende Ausdruck daher nur heuristisch nützlich, vgl. z.B. Cirlot, 1962; Lurker, s1991; de Cha-
uheilige Zeichenu bezieht sich auf die signa sacra der Sakramente. Vgl. auch peaurouge, a2oo1; schmidt, t1995.
die religiöse Symbolbedeutung im Brief an Frau v. Stein über die Brockenbe- 32 Vgl. Brou'ne, 1971.
steigung vom 10./LL.12.1777: >Sie wissen, wie symbolisch mein Dasein ist.<
33 Vgl. Ruwet, 1975; Berg, 1978; Lakoff/fohnson, 1980, 55ff.; Drux,
Freilich ist auch an naturmystische und freimaurerische Tradition zu denken, 1988; Groddeck, 1995, 205ff.; Burkhardt, 1996; Barcelona, 2000; Fritz,
vgl. z.B. Zimmermann, 1969, und an die Lehre des signum naturale, des na- 2005. Ruwet macht zu Recht darauf aufmerksam, daß Synekdoche und Me-
türlichen Zeichens, vgl. Brunemeier, L983, 12ff. Auch Herders Symbolbegriff tonymie ein Ùbertragungsmoment realisieren, d. h. zur Metapher hin tendie-
ist theologisch inspiriert. Zu diesem Zusammenhang vgl. Kemper, 1981. ren können.
17 Der Einfachheit halber sei auf die Zusammenstellung wichtiger Stellen
34 Vgl. Hoffmann, 1978.
bei Sørensen, 1972, verwiesen. Zur Analyse vgl. Rupprecht, 1965; Brednow
55 Aufschlußreich für die meton¡rmische Symbolik des Wetters ist Delius,
1966; Todorov, 1977, 17911; Sørensen, 1977.
r97t
18 S.T.Coleridge, The Statesman's Manual, in: The Collected Works
36 Vgl. Koppe, 1977,133.
Bd. 6, hg. v. K. Cobum, Princeton 1972, 28ff. Die Geringschätzung der Alle-
gorie hinderte aber auch Coleridge nicht, allegorisierende Werke zu verfas-
sen, z.B. ,Kubla Khann und uThe Rime of the Ancient Mariner<.
L9 Zum Hintergrund vgl. Abrams, 1971;Adams, 1983.
20 Schlaffer,1981, 18ff.
21 Goethe kennt freilich auch die Bedeutung von S5.nnbol als konventio-
nelles Zeichen. Und in der Lehre von den Urphänomenen, z.B. von der Ur-
pflanze (>symbolische Pflanze<), entspricht das Symbol dem Typ. Zur Bedeu-
tung der Symbolkonzeption Goethes für die Kunstwissenschaften vgl. Jesing-
hausen-Lauste¡ 1985; allgemein: Pochat, 1985; Wappenschmidt, 1984.
22 Titzmann,L978.
23 Todoro¿ 1978,14tr. beschreibt das Symbol daher als ein
"propositio-
nales< sekundäres Zeichen. Der Terminus der Proposition ist aber zu unge-
klãrt, um ihn übernehmen zu können, Vgl. auch Eco, 1985, 193ff.; Burk-
hardt, 1996.
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