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KARL BARTH
1
KARL BARTH · DER RÖMERBRIEF
(Zweite Fassung)
1922
KARL BARTH · GESAMTAUSGABE
DER RÖMERBRIEF
( Zweite Fassung )
1922
TV Z
THEOLOGISCHER VERLAG ZÜRICH
-
KARL BARTH
DER RÖMERBRIEF
( Zweite Fassung )
1922
TV Z
THEOLOGISCHER VERLAG ZÜRICH
Gedruckt mit Unterstützung der Evangelischen Kirche in Deutschland
und der Karl Barth - Stiftung.
Die Betreuung des Bandes durch das
Karl Barth - Archiv wurde ermöglicht
vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung
der wissenschaftlichen Forschung.
INHALT
Vorwort IX
Textkritik und Textkonstitution XXXIX
Abkürzungen XLV
1. Kapitel Eingang
1,1-7 Der Verfasser an die Leser 45
1,8-15 Persönliches 54
1,16-17 Die Sache 58
Die Nacht
1,18-21 Ursache 67
1,22–32 Wirkung 75
2. Kapitel Menschengerechtigkeit
2,1-13 Der Richter 83
2,14-29 Das Gericht 96
3. Kapitel Gottesgerechtigkeit
3,1-20 Das Gesetz III
VI
12.-15 . Kapitel Die große Störung
12,1-2 Das Problem der Ethik 571
12,3-8 Die Voraussetzung 592
12,9-15 Positive Möglichkeiten 605
12,16-20 Negative Möglichkeiten 618
12,21–13,7 Die große negative Möglichkeit 637
13,8–14 Die große positive Möglichkeit 657
14,1-15,13 Die Krisis des freien Lebensversuchs 671
Register 715
1. Bibelstellen 717
II . Namen 727
III. Begriffe 735
VII
VORWORT
X
II. Im Dialog
Die Ausgabe von 1922 ist, obwohl der bekannteste, dennoch nicht der
erste Kommentar von Karl Barth , der die Suche nach einer Neuori
entierung markiert. Das Buch ist die in der kurzen Zeitspanne von
etwa elf Monaten verfasste Bearbeitung des 1919 erschienenen ersten
Kommentars (Römerbrief I). Barth zählt eine Reihe von Faktoren auf,
die ihn zu einer grundlegenden Revision gebracht haben: die weiter
gehende Beschäftigung mit Paulus; die Lektüre Overbecks; eine bes
sere Einsicht in die Gedankenwelt Platos und Kants, die er seinem
Bruder Heinrich Barth verdankt, und der Einfluss Kierkegaards und
Dostojewskis. Als vierten Faktor führt er die allzu günstigen Be
sprechungen an, die die erste Kommentierung teilweise gefunden
hatte.
Karl Barth war ein Denker, der sich im Dialog mit anderen ent
wickelte. In seinem Brief an Thurneysen vom 27.10.1920 erzählt er
von einem Besuch Friedrich Gogartens, den er als « hocherfreulich »
empfunden hatte. Dieser Besuch wurde - für Barth selbst überra
schend – sozusagen zum Katalysator der Entscheidung zu einer um
fassenden Neubearbeitung: «Und nun eine seltsame und erschrek
kende Nachricht: Als Gogarten [...] fort war, fing plötzlich der Rö
merbrief an, sich zu häuten, d.h. ich bekam die Erleuchtung, daß er so
wie er jetzt ist, unmöglich einfach abgedruckt werden darf, sondern
an Haupt und Gliedern reformiert werden muß. » Die erste Auflage
kommt ihm jetzt als «schloddrig, überladen, schwammig» vor, und er
befürchtet, dass eine unveränderte Neuauflage «dieses noch viel zu
sehr auf Hurra! gestimmte[n] Buch[es]» «fortgesetzt zu Mißverständ
nissen und Irrungen Anlaß gibt» . Die Wirkung der ersten Fassung,
die Missverständnisse, die sie auslöste, und die Begegnung mit Go
garten haben ihn also zu einer gründlichen Bearbeitung aufgefordert.
Er hat die sich stellenden Probleme teilweise in dem neuen Vorwort
und vor allem mit dem neuen Text selbst zu beantworten versucht. Es
1. Theologische Reaktionen
« Barths Römerbrief schlug gleich bei seinem ersten Erscheinen [ ... ]
wie eine Bombe auf dem Spielplatz der Theologen ein, in seinen Wir
kungen etwa vergleichbar der Antimodernisten -Enzyklika des Pap
7
Vgl. unten S. 571 , Anm.i.
8 Wir haben dabei von der Arbeit des Herausgebers des ersten Römerbrie
fes Hermann Schmidt dankbar Gebrauch gemacht.
XII
stes Pius X. Pascendi vom 7. September 1907.»' Diese berühmt ge
wordene Beschreibung K. Adams wird auch durch andere Quellen
bestätigt. Eine direkte lebhafte Beschreibung der Wirkung des ersten
Römerbriefes liefert etwa K. Müller ( 1863-1935 ), Professor für refor
mierte Theologie in Erlangen: «Selten hat ein Buch in der theologi
schen Studentenschaft so durchschlagend gewirkt, wie die Auslegung
des Römerbriefs [...]. Als es am Schluß des Wintersemesters 1920/21
bekannt wurde, daß Barth am nächsten Tage einige Stunden in mei
nem Hause weilen werde, erschienen nicht weniger als 28 Personen
ohne Einladung, zu einer Zeit, da die Mehrzahl der Studenten bereits
abgereist war. Es gibt eine Barth -Gemeinde unter unserer theologi
schenJugend, insbesondere unter solchen männlichen und weiblichen
Studierenden, die von modernem Geist angehaucht sind und etwas
noch Tieferes suchen. » 10
Jedoch fand nicht jeder Barths Theologie innovativ. Einen auffal
lenden Kontrast zur Schilderung K. Müllers bildet die Kritik an
Barths Theologie, welche Adolf von Harnack bei der Sonderver
sammlung der Freunde der Christlichen Welt in Eisenach am
3.10.1921 ausgesprochen hat. Martin Rade hat Barth in einem Brief
vom 13.10.1921 von Harnacks Kritik berichtet, zu einem Zeitpunkt,
als Barth an seinem « Vorwort zur zweiten Auflage» arbeitete: «Das
Schärfste gegen Dich sagte in der Diskussion Harnack. [...] Er sagte:
ich finde seine [Barths] Ansichten übermütig, widerspruchsvoll, ver
altet und unreif – da sie das nicht sind, werde ich das bei Seite schie
ben». » Obwohl Harnacks Äusserungen nicht ganz deutlich sind, ist
die kritische Distanzierung Barth gegenüber völlig klar."
E. Thurneysens Brief an Fr. Gogarten vom 28.10.1921 wirft ein
Licht auf die Rezeption dieser Kritik: « Ich war gerade mit Karl Barth
· K. Adam, Die Theologie der Krisis, in: Hochland 23/II ( 1925/26), S. 271
286, dort S. 276f.; wieder abgedruckt in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Dog
mengeschichte und Theologie der Gegenwart, Augsburg 1936, S. 319–337, dort
S. 325 .
10 K. Müller, Karl Barth's Römerbrief, in: RKZ, Jg. 71 ( 1921 ), S. 103-105 ,
dort S. 103. Siehe unten S. 21 .
11 K. Barth - M. Rade, Ein Briefwechsel, hrsg. von Chr. Schwöbel, Güters
loh 1981 , S. 161. Dem Protokoll zufolge lautete der Nachsatz Harnacks (S. 162,
Anm. 3 ): «Da sie jedenfalls mehr sind, will ich darüber nicht reden.»
XIII
zusammen in Oberrieden», als ein Brief von Rade kam, «der – um
allem Gerede vorzubeugen - die einigen ohnmächtigen Injurien Har
nacks gegen Barth auf dieser Tagung protokollarisch getreu wieder
gab. Aus Harnack redet offenbar in kräftiger Zusammenfassung das
ganze Empfinden der abtretenden Generation uns gegenüber. Und
weil es immerhin Harnack ist, der sich da zum Sprecher macht, ist
ersichtlich, wie stark angegriffen diese Leute sich fühlen (Ihnen ge
genüber wurde Troeltsch vorgeschickt!), aber auch, dass sie sich aufs
äusserste wehren wollen und werden. » 12
Es waren vor allem die inhaltlichen Missverständnisse und Irrun
gen, die Barth einen Schrecken einjagten.13 In verschiedenen Rezen
sionen und Betrachtungen über die aktuelle religiöse Situation wird
Barth mit dem Römerbrief I zu seinem Entsetzen in eine Reihe mit
Schriftstellern und Erneuerern durchaus anderer Orientierung ge
stellt. In einem Aufsatz von H. Pöhlmann wird Barth in einem Atem
zug mit R. Steiner, O. Spengler und H. Keyserling genannt.14 In
Barths Exemplar der ChW steht neben dieser Zeile ein doppeltes Aus
rufzeichen und neben dem Satz: «Historie gilt ihm [scil. Blüher]
nichts neben Epos und Mythus, vergleiche Steiner, und doch auch
Barth »; «O weh! » 15 R. Planck nennt Steiner, Walther Rathenau,
Spengler und Johannes Müller als Namen von Männern, welche um
die geistige Führung Deutschlands konkurrieren, und fährt fort: Dass
Johannes Müller «endlich in Karl Barth einen ebenbürtigen Wegge
nossen gefunden hat, das gönnen wir ihm, und es freut uns von Her
zen für unser Volk, wenn wieder einmal zwei solche Kerle einig ge
worden sind.» 16 Neben diesem Passus steht in Barths Exemplar: «sic ! »
Brauchte das Verfassen des ersten Römerbriefes von 1919 mit Zwi
schenpausen etwas mehr als zwei Jahre, so ging die Arbeit am zweiten
Römerbrief in schwindelerregender Geschwindigkeit voran . Am
3.8.1921 beschreibt Barth seine Arbeitsweise gegenüber Thurneysen:
«Dieser heiße Sommer wird mir aber unvergeßlich bleiben. Ich
wandle wie betrunken hin und her zwischen Schreibtisch, Eßtisch,
Bett, bei jedem Kilometer schon immer den nächsten im Auge. »31
Inzwischen wird ihm deutlich, dass eine Art Autoritätsglaube in Be
zug auf seinen Namen im Entstehen begriffen ist. Gerade wegen sei
ner wachsenden Unzufriedenheit hinsichtlich des ersten Kommentars
führt dies bei ihm zu Unbehagen. Mehrmals finden wir im Römer
brief seine Selbstkritik. Zum Beispiel in seinem Kommentar zu Röm.
12,3a: « Kaum belehrt, fangen wir schon wieder an, zu belehren. Kaum
desillusioniert über Historismus und Psychologismus, droht uns in
<Bibel>, <lebendiger Gott> und Todesweisheit> schon ein neuer Götze
zu erstehen. » 2 Ein Echo dieses Unbehagens finden wir auch in seinem
« Vorwort», in dem er die Anschuldigung, dass seine Theologie zu
einer «neuen Orthodoxie » zu werden drohe, mit der Aussage zurück
weist: « Nur Vorarbeit ist alles menschliche Werk und ein theologi
sches Buch mehr als jedes andre Werk ! »33
Barth setzt den Ausdruck «neue Orthodoxie » nicht in Anfüh
rungszeichen. Und in der Tat, der Ausdruck scheint sich eher auf eine
Atmosphäre der Barth-Rezeption zu beziehen als auf eine gedruckte
Kritik mit einem genau so formulierten Vorwurf. L. Ragaz, wieder
holte später diese Kritik jedoch wörtlich: «Mit der Zeit wurde die
dialektische Theologie «zu einer neuen Orthodoxie mit all ihrem Zu
behör». Ein klares Beispiel der Reaktion auf den ersten Römerbrief,
welche Barth selbst unter dem Vorwurf einer « neuen Orthodoxie »
zusammenfasste, lässt sich nachlesen bei P. Wernle: «Ich würde dar
über [scil. über die Frage ob wir mit Karl Barths Römerbrief so viel
weiter kommen als mit dem Luthers und Calvins) nicht schreiben,
31 Bw.Th.I, S. 508.
32 Siehe unten S. 593 .
33 Siehe unten S. s .
34 L. Ragaz, Mein Weg, Bd. 2, Zürich 1952, S. 188 .
III
wenn ich nicht beobachten müßte, wie rasch ein neuer Autoritäts
glaube sich um diese neue Auslegung zu bilden scheint».35
Auch ein kritischer Sympathisant wie Emil Brunner deutete auf die
Gefahr eines «Dogmatismus» bei Barth und Thurneysen hin :«Irren
wir uns doch nicht: die Gotteserkenntnis ist unendlich einfach, und
wenn ich schon den ganzen Römerbr[ief], verdaut habe- oder auch
den alten R [ömerbrief] – so bin ich damit der Gotteserkenntnis um
kein Haarbreit näher gerückt, als mit dem Unser Vater , oder Ab
baschrein . Die Gotteserkenntnis ist freilich nicht abhängig von jener
Intensität, die der Pietismus meint, aber noch viel weniger von der
Extensität oder Vollständigkeit der Logik, der Explikation. Die logi
sche Objektivität ist noch viel weiter weg als die pietist[ische] Subjek
tivität. Und alles Sich- oder anderen den Gehalt-Darlegen führt nie
mals an den wahren Gehalt hinan. Alles Ein- für allemal -Sagenwollen
ist intellektualistischer Irrtum , Dogmatismus, Orthodoxie im for
mellen Sinn. Das wisst Ihr ja natürlich alles auch, aber es schien mir,
als ob Ihr über Eurer gegenwärtigen theolog. Arbeit diese theolog.
Gefahr etwas vergessen habt. »36
che Glaube hat seine Eigentümlichkeit darin, daß hier das passiv-aktive Got
teserleben geschichtlich irgendwie bedingt und bestimmt ist durch die inner
halb der menschlichen Sozietät dagewesene Persönlichkeit Jesu .» -S. 208 : «Die
Wirksamkeit der Geschichte auf uns [...] ist dann eben möglich und wirklich
geworden durch eine ganze Ahnenreihe vermittelnder Individuen» . In diese
Ahnenreihe stellt er u . a. Franz von Assisi, Bodelschwingh, J.S. Bach, Mozart,
Beethoven und Goethe. Barths Kritik an der Persönlichkeitskultur beginnt
sich abzuzeichnen in seinem Vortrag Die neue Welt in der Bibel ( 1917),
W.G.Th., S. 18–32 .
55 Vgl. die folgende Aufsätze in Neue Wege, Jg. 13 ( 1919): V. Straßer, Die
Frau, S. 348–361 ; Cl. Ragaz, Die Revolution der Frau, S. 361-372; L. Ragaz,
Von der Schöpfung und Erlösung des Weibes. Eine biblische Betrachtung zur
Frauenbewegung, S. 325-329; Jg. 14 ( 1920): Cl. Ragaz, Kameradschaft,
Freundschaft und Liebe zwischen Mann und Frau, S. 309–324; A. Pfenninger,
Zum Frauenstimmrecht, S. 41-57; Cl. Ragaz, Ein Tag der Niederlagen, S. 78–
83. Siehe auch M. Mattmüller, Leonhard Ragaz und der religiöse Sozialismus.
Eine Biographie, Bd. 2: Die Zeit des ersten Weltkrieges und der Revolutionen,
Zürich 1968, S. 470.
56 Siehe unten S. 13 .
XXV
Namen eines Autors setzt, bei dem jedoch ein solcher Begriff, ein
solcher Ausdruck oder eine solche Aussage nicht zu finden ist. Wie
derum können wir mit einem Beispiel aus dem « Vorwort » zum Rö
merbrief beginnen, wo Barth eine rhetorische Frage stellt, nämlich,
«ob Spengler nicht recht haben könnte, wenn er sagt, dass wir in ein
<eisernes Zeitalter einzutreten im Begriffe seien [ ...] ?»5? Es ist uns
nicht gelungen, den Ausdruck «eisernes Zeitalter» in den Werken von
O. Spengler bis 1921 zu finden und ebenso wenig in den Besprechun
gen über Spengler in «Die Christliche Welt » aus jenen Jahren . In der
freien, produktiven Art, wie Barth sich auf die Texte anderer bezieht,
ist es jedoch wahrscheinlich, dass er auf den Schluss von Spenglers
Aufsatz «Pessimismus ?» anspielt. Vielleicht kannte Barth ihn nicht im
Original, sondern aus einer Besprechung, in der Spenglers eigene For
mulierung: « Härte, römische Härte ist es, was jetzt in der Welt be
ginnt. Für etwas anderes wird bald kein Raum mehr sein. Kunst ja,
aber in Beton und Stahl, Dichtung ja, aber von Männern mit eisernen
Nerven und unerbittlichem Tiefblick »58 bereits in der geläufigen
Wendung vom «eisernen Zeitalter» zusammengefasst worden war.
Das zweite Beispiel stammt aus Barths Kommentar zu Röm. 6,20–
23 : «Ist es mehr als Zufall und Laune, wenn der Mensch im Ja oder im
Nein seine Bestimmung erkennt, als Verbrecher oder als Heiliger sei
nen Weg geht, im Himmel oder in der Hölle sein Schicksal finden will
und wird, und wenn die Guten immer besser, die Schlechten immer
schlechter werden (Harnack ) ?» 59 Auch diese Stelle konnten wir lite
rarisch nicht belegen. Vermutlich spielt Barth mit der aus der Erin
nerung formulierten Sentenz an auf den von ihm in Aarau gehörten
Vortrag Harnacks Was hat die Historie an fester Erkenntnis zur Deu
tung des Weltgeschehen zu bieten 260
57 Siehe unten S. 21 .
58 O. Spengler, Pessimismus?, in: Preußische Jahrbücher. Berliner Monats
schrift für Politik, Geschichte und Literatur, Bd. 184, Berlin 1921 , S. 73–84,
dort S. 84.
59 Siehe unten S. 312, Anm.49.
60
Vortrag aufder Aarauer Studentenkonferenz vom 15.- 17.4.1920, zuerst
veröffentlicht in Aarauer Studentenkonferenz 1920, Basel 1920, S. 47–72; wie
der abgedruckt in: ders., Erforschtes und Erlebtes, Reden und Aufsätze, Neue
Folge, Bd . 4, Gießen 1923 , S. 171-195 .
XXVI
6) Eine eigenständige Gruppe besteht aus Anspielungen auf Äu
Berungen und Personen ohne Namensvermerk. Wir wissen von einem
Fall, in dem Barth im Römerbrief auf eine Anekdote über ein «Ge
spräch» zwischen ihm und Eduard Thurneysen anspielt.61 Weiterhin
führen wir Beispiele an, die alle aus dem « Vorwort » zum Römerbrief
stammen.
Das erste Beispiel ist: «Aber was meine ich, wenn ich die innere
Dialektik der Sache und ihre Erkenntnis im Wortlaut des Textes den
entscheidenden Faktor des Verständnisses und der Erklärung nenne ?
Man sagt mir (ein schweizerischer Rezensent hat dies in besonders
plumper Weise gesagt), damit könne natürlich nur mein System > ge
meint sein.»62 Im Hintergrund steht hier Barths Polemik mit Martin
Werner (1887–1964 ), einem besonders von Albert Schweitzer beein
flussten Vorreiter des schweizerischen Liberalismus, von 1921 bis
1928 Privatdozent für Neues Testament, von 1928 bis 1967 Professor
für Dogmatik in Bern. Die 1921 beginnende Kontroverse zwischen
Barth und Werner entbrannte nur noch heftiger mit den Jahren.63 In
seinem zweiteiligen Artikel Nochmals das Ende der kritisch - histo
rischen Theologie »: Antikritik64 setzt Werner sich mit einem ebenfalls
zweiteiligen Artikel von Emil Brunner Ist die sogen. kritische Theo
logie wirklich kritisch ?65 auseinander. Am Ende seines Artikels
kommt Werner auf Barths Römerbrief I zu sprechen. Als Antwort
auf die Bemerkung, dass der kritischen neutestamentlichen For
schung des Verständnis für die wesentlichen paulinischen Kategorien
abhanden gekommen sei, weil sie in der Konstatierung von Wider
sprüchen im Paulinismus stecken geblieben sei, schreibt Werner: «Ich
glaube [...] den wahren Grund zu sehen, der die moderne neutesta
61 Siehe unten S. 198, Anm.24.
62 Siehe S. 16.
63 Vgl. M. Werner, Das Weltanschauungsproblem bei Karl Barth und Albert
Schweitzer. Eine Auseinandersetzung, Bern 1924, und Barths Antwort Sunt
certi denique fines. Eine Mitteilung, in: ZZ, Jg. 3 ( 1925 ), S. 113-116, wieder
abgedruckt in: V.u.kl.A. 1922–1925 , S. 490-499.
64 M. Werner, Nochmals « das Ende der historisch -kritischen Theologie »:
Antikritik, in : KBRS, Jg . 36 ( 1921 ), S. 146–148.149-151.
65 E. Brunner, Ist die sogen . kritische Theologie wirklich kritisch ?, in:
KBRS, Jg . 36 ( 1921 ), S. 101f.1osf.
66
Werner, a.a.O., S. 15of.
XXVII
mentliche Wissenschaft auf diese Mode verfallen ließ : Es ist wieder
die Kampfstellung gegen die Repristinationstheologie. Sie faſt den
Apostel auch als Systematiker, substituiert ihm aber dabei ihr eigenes
System, ihre eigene Dogmatik. In dem Bestreben, diese Illusion zu
zerstören , ging die Kritik darauf aus, bei Paulus vielmehr bedeutsame
Widersprüche zu entdecken. » Weiter spricht Werner die Vermutung
aus, dass Brunners Artikel «eigentlich nichts anderes ist als eine er
läuternde und erweiternde Paraphrasierung des Vorworts, das Karl
Barth seinem Römerbriefs vorausgeschickt hat [...]. In seinem Rö
merbrief) hat Karl Barth in Wahrheit mit doppeltem Faden gezwirnt.
Auf weite Strecken findet man in diesem Buch echtes paulinisches
Gedankengut mit wunderbar reinem Verständnis und mit faszinie
rendem Feuer dargestellt. Diese Partieen wechseln aber ständig ab
mit anderen, in denen man plötzlich in eine andere Welt versetzt
wird, nämlich in rein Barthsche Geschichtsphilosophie. »67 Es ist
wahrscheinlich, dass Barth für Werners Ausdruck «rein Barthsche
Geschichtsphilosophie» «System» als Äquivalent einsetzte und in
Werners Vorwurf des «doppelten Fadens» eine Kennzeichnung bzw.
Karikatur seiner Dialektik fand und die Kritik an den Repristinati
onstheologen, die dem
68
Apostel «ihr eigenes System » substituieren,
auch auf sich bezog.
67 Werner, a.a.O., S. 150, vgl. S. 147.
68 Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch Barths Bemerkun
gen Brunner gegenüber. Nach der Lektüre der Druckbogen von Römerbrief I
schrieb Brunner am 28.11.1918 : «es ist, zunächst rein objektiv der Absicht
nach, ein Wurf, und nach den üblichen Schablonen ein ganzes «System) – so
wenig es das sein will. » Nach der Lektüre von Brunners «Der Römerbrief» von
Karl Barth. Eine zeitgemäß -unmodeme Paraphrase (KBRS, Jg. 34 ( 1919),
S. 29–32 = Anfänge I, S. 78–87) schrieb Barth am 12.12.1918 : «Du hast gründ
liche und erleuchtende Arbeit getan. Zu einer Anti-Kritik habe ich gar kein
Bedürfnis. Die Sache wird sich auf der von dir gewählten Ebene in der Tat
irgendwie in dieser Gestalt präsentieren. Du hast dich [...] zwischen die theo
logische Brüderschaft und meinen Paulus hineingestellt und versiehst dein
Amt meisterhaft, besser als ich es je gekonnt; ich war ganz erstaunt, wie sich
das, was ich so «objektiv> und <naiv> aus Paulus heraus vor mich hin gehornt
habe, unter deinen Händen alsbald zum wohlgerüsteten kleinen System ge
rundet hat, das der theologischen Sippe einladend und drohend vorgestellt
wird. Eigentlich wollte ich in einem ersten, viel längeren, Vorwort das Gleiche,
habe dann aber darauf verzichtet, vielleicht aus Impotenz, vielleicht aus einem
gewissen Instinkt, daß es damit nicht pressiere.» (K. Barth - E. Brunner, Brief
XXVIII
Barth beginnt seine Polemik mit Werner eigentlich schon früher im
« Vorwort », direkt im Anschluss an das berühmt gewordene herme
neutische Bild, es gelte sich wie Calvin so lange mit dem Text ausein
anderzusetzen, «bis die Mauer zwischen dem 1. und 16. Jahrhundert
transparent wird, bis Paulus dort redet und der Mensch des 16. Jahr
hunderts hier hört»: «Wahrhaftig, wer die Methode Calvins mit dem
nachgerade abgebrauchten Sprüchlein vom Zwang der Inspirations
lehre> meint erledigen zu können, der beweist nur, dass er in dieser
Richtung noch nie wirklich gearbeitet hat.»69 Barths rhetorische Figur
« wer » «der» zielt anscheinend auf die folgende Passage bei Werner:
«Die historisch - kritische Theologie spricht dem Gedanken der Got
tessohnschaft Jesu in seinen urchristlichen Fassungen die objektive
Wahrheit ab und verweist dabei auf dessen <historisch -psychologi
sche Genesis». Aber die Ablehnung ist das Erste und erfolgt unter dem
Zwang der modernen Weltanschauung. Der Hinweis auf die <histo
risch-psychologische Genesis) ist das Zweite und ist niemals gemeint
als Beweis für das Recht der Ablehnung selbst [...] sondern als Ge
genargument wider den alten Inspirations- und Offenbarungsbegriff,
hinter dem sich eine gewisse noch nicht ausgestorbene Theologie bei
der Verteidigung des fraglichen Dogmas als <objektiver Wahrheit» ver
schanzt. »70 Viel später im « Vorwort» greift Barth noch ein weiteres
Stichwort aus Werners Artikel auf: «Dass ich weiß, dass Paulus dies
weiß, das ist mein System ), meine «dogmatische Voraussetzung», mein
wechsel 1916–1966, hrsg. von der Karl Barth , Forschungsstelle an der Uni
versität Göttingen (Leitung E. Busch] (Gesamtausgabe, Abt. II], Zürich 2000 ,
S. 23f. und S. 37f. ) .
69 Siehe unten S. 13 .
70 Werner, a.a.O., S. 147; vgl. Brunner, a.a.O., S. 31 bzw. S. 85f. Vgl. auch
Jülicher, Paulusausleger, Sp. 466f. bzw. S.94: «Barth formuliert seinen Stand
punkt als über dem der historischen Kritik und dem der Inspirationslehre
befindlich, dahin, daß er hindurchzusehen hoffe durch das Historische in den
Geist der Bibel, der der ewige Geist ist. Damit sagt er, daß die anderen vor ihm
nur an das Historische herangelangt seien; er geht nicht dem Historischen
zuwider, aber durch es hindurch zum Geist. Genau der Standpunkt des Ori
genes, nur daß dessen Geist von Barth wiederum für Ungeist erklärt werden
würde, und genau der Standpunkt der Gnostiker, die sich allerdings um das
Historische überhaupt nicht erst kümmerten. » Vgl. eine spätere Wiederholung
dieser Kritik bei A. Schlatter, Karl Barths « Römerbrief»,in: Die Furche, Jg. 12
( 1922), Sp. 228–232, dort Sp. 229 = Anfänge I, S. 142–147, dort S. 143 .
XXIX
< Alexandrinismus, und wie man das immer zu nennen belieben
mag.» ? Werner hatte die Erwartung geäußert: « Und so werden wir ja
denn noch das Aufkommen einer neuen, systematischen Theologie
erleben, die wieder bei der Gelehrtenzunft der alten Alexandriner in
die Schule geht. »>72
Das zweite Beispiel aus Barths « Vorwort» innerhalb dieser Gruppe
bezieht sich auf die folgende Aussage: «Man hat mich einen <abgesag
ten Feind der historischen Kritik» genannt»7. Ein genau so formulier
ter Vorwurf lässt sich nirgends finden. Diese Wendung dürfte wie
derum eine konzentrierte Zusammenfassung der «Stimmung» sein, in
der man von Seiten der herrschenden liberalen Theologie Barths me
thodischen und sachlichen Thesen begegnete. So schreibt W. Köhler
zu Harnacks Vortrag bei der Studentenkonferenz in Aarau ( 1920), das
Thema des Vortrags (« Was hat die Historie an fester Erkenntnis zur
Deutung des Weltgeschehen zu bieten ?» ) beweise, «daß man bei aller
derzeitiger Geringschätzung der Geschichte doch ernstlich hier noch
ein Problem spürt». Harnacks Vortrag sei « in einem (wohl anläßlich
der Debatte?) eingeschobenen Exkurse eine scharfe Absage an die
Geschichtsverächter und Erlebnischristen , und jedermann weiß, wo
diese zu suchen sind. » 74
Auch Jülichers Kritik gibt dieser Stimmung Ausdruck: «So lange es
nicht als genügend gilt, andre Auffassungen, wie die der historischen
Kritik oder der religionswissenschaftlichen Methode, a priori zu ver
werfen , höchstens mitleidig als Vorstufe gelten zu lassen, aber so gut
wie nie dem Leser zur Vergleichung vorzulegen, erst recht nicht ir
gendwo sich auf gründliche Widerlegung ihrer Gedanken und ihrer
wahrscheinlichen Einwendungen einzulassen - so lange wird von ei
ner Überwindung des <Alten, durch diesen Neupauliner nicht die
Rede sein können .» 75
71 Siehe unten S. 18 .
72 Werner, a.a.O. , S. 150.
73 Siehe unten S. 11 .
74 W. Köhler, Von der Aarauer Konferenz 1920, in: Basler Nachrichten,
Jg. 76 ( 1920), Nr. 429 vom 7.10.1920.
75
Jülicher, Paulusausleger, Sp.455 bzw. S. 90. Vgl. gegen Jülicher Friedrich
Gogarten, Vom heiligen Egoismus des Christen. Eine Antwort aufJülichers
Aufsatz: « Ein moderner Paulusausleger», in: ChW, Jg. 34 ( 1920), Sp. 546-550,
dort Sp. 549 = Anfänge I, S.99-105, dort S. 103 .
XXX
Neben Jülicher ist in diesem Zusammenhang auch an Paul Wernle
( 1872-1939) zu denken, der Barth Unverständnis für die Errungen
schaften der wissenschaftlichen Theologie vorwirft. In seiner Rezen
sion zeigt er sich persönlich betroffen durch die Kritik Barths: «Er
redet ja in einem Ausfall auf mich: O diese Theologie der goer Jahre
mit ihren dürftigen Kontrasten !> mit Verachtung von unsrer Arbeit,
weil er es nicht mehr erlebt hat, wie wir damals zuerst um das Ver
ständnis des Gottesreichs und des Geistes, wie es heute alltäglich ist,
kämpfen mußten. »76 Aus einer nicht in Bw.Th.I veröffentlichten
Stelle aus dem Brief Thurneysens an Barth vom 30.9.1921" geht üb
rigens hervor, dass Barth auf den Rat Thurneysens hin einen Satzteil
gestrichen hat?$: « Eine kleine Abschwächung der Polemik gegen den
Polterer Wernle unter dem Punkte «Biblizismus> schiene mir er
ponemos
wünscht, wird aber kaum möglich sein, denn er hat das Unglück, sich
li
unerhört weit heraus- und danebengewagt zu haben in den von dir
tomaron
poress
181.
dort zitierten Sätzen nach seiner bekannten Art. In Wirklichkeit be
entorn
new
clients
php
hande
the
pabrandddeelseuae.osdoyne
deutete s[eine] Exegese seinerzeit gegenüber Vischer, Lietzmann, Jü
licher für uns einen, allerdings sehr relativen , Fortschritt. Aber das
«gemütliche Liegenlassen des Ungemütlichen darf allerdings nicht
ungestraft passieren. Lass vielleicht nur die Suppe des ungezogenen
Kindes, als eigentliche Ohrfeige weg im Interesse der Gesamthaltung
gerade des Vorwortes. »
In demselben Brief nimmt Thurneysen des weiteren dazu Stellung,
dass Barth zunächst auch Ernst Staehelin (Spitzname Hydor) und
Robert Lejeune mit Namen nennen wollte?9: « Ganz bestimmt möchte
ich raten, ja, bitten, S. III Ernst Staehelin und S. IV R. Lejeune weg
zulassen. Und zwar deshalb, weil diesen Beiden durch diese Erwäh
nung an so weithin sichtbarer Stelle viel zu viel Ehre geschieht. Geg
ner von Gewicht sind sie nicht. Eberhard Vischer, ja – der muss blei
ben, er hat es um Overbeck und C.A. Bernoulli und sonstiger
Torheiten willen reichlich verdient.8º Aber Hydor und Lejeune, der
76 Wernle, S. 163. Siehe für das Zitat Römerbrief I, S. 306f.
77 Vgl. Bw.Th.I , S. 523.
78 Siehe unten S. 19, Anm.k.
79 Siehe für Staehelin unten S. 7, Anm . a, und für Lejeune S. 9, Anm.c.
80 E. Vischer hatte in seinem Artikel Overbeck und die Theologen, in :
KBRS, Jg. 35 ( 1920), S. 122–124.125-127, u.a. Barths Overbeck-Interpretation
scharf angegriffen. Zur weiteren Auseinandersetzung zwischen Vischer und
Barth im Jahre 1922, vgl. V.u.kl.A. 1922–1925 , S. 58–64.
XXXI
Dich seinerzeit nur in einer Anmerkung bediente – nein ! Schreib'
doch einfach : der Kreis um Ragaz hat mich mit dem Wort ... Denn
wer ist Lejeune ? Wer ist Ernst St[aehelin] ?» Deutlich auf Anraten
Thurneysens hin sind ihre Namen im Vorwort nicht mehr zu finden .
R. Lejeune war ein religiös-sozialer Theologe und Freund des An
führers dieser Bewegung, L. Ragaz. Anfang der 20er Jahre war er einer
der Co-Redakteure des religiös-sozialen Organs Neue Wege (mit Ra
gaz als Hauptredakteur). Lejeune wird von Barth im Vorwort nun
tatsächlich ohne Namen und Quelle zitiert: «Einer von denen um
Ragaz hat mich mit dem Wort des ältern Blumhardt: «Einfachheit ist
das Kennzeichen des Göttlichen!> erledigen wollen.» 81 Damit bezieht
sich Barth auf eine Anmerkung in R. Lejeunes Vorbemerkung zu
J. Chr. Blumhardt, Das Reichsgebet.82 Lejeune schreibt dort zu Barths
Römerbrief u.a.: « < Einfachheit ist das Zeichen des Göttlichen an
81 Siehe unten S. 9 .
82 Siehe oben S. XXI, Anm.41 .
83 R. Lejeune , a.a.O. , S. 245f., Anm.2 .
KII
sage, bei der zunächst unbestimmt scheint, an welchen Kritiker, an
welche Kritik Barth denkt: « Was nun den Inhalt meiner vorliegenden
Römerbrieferklärung betrifft, so gebe ich zu, dass es mir jetzt wie vor
drei Jahren mehr um das wirkliche als um das sog. ganze Evangelium
zu tun war, weil ich keinen Weg zum ganzen Evangelium sehe als den
über das Erfassen des wirklichen, das sich noch keinem von allen
Seiten zugleich gezeigt hat. Das übliche arbeitslose Reden und Schrei
ben vom ganzen Evangelium , das Glaube, Liebe und Hoffnung, Him
mel, Erde und Hölle in schöner Proportion gleichmäßig umfasst,
Wswim
halte ich für wenig erbaulich.»84 Dies ist vermutlich eine Reaktion auf
den durch P. Wernle gegen Barth erhobenen Vorwurf eines einseitig
«objektiven» Paulinismus.85 Wernle schreibt: «Als die Reformatoren
aus dem Römerbrief ihre zentralen Hauptpunkte herausholten, da
between
waren es die Begriffe Gesetz, Sünde, Evangelium , Gnade, Glaube,
Geist und Fleisch, waren es die Fragen, wie der Christ - auf Grund der
Erlösung durch Christus – den Frieden und Trost und die sittliche
Kraftfindet. Die Theologie des Römerbriefs als Ganzes ist eben Theo
logie vom Glauben und Geist, Theologie vom Menschen ohne Chri
dif
stus und vom Menschen mit Christus, darin hat das reformatorische
"!**
Verständnis des Paulus ganz recht.»86 Und weiter: « Glaube, Liebe,
Hoffnung, Geduld, Frieden, Freude, es sind lauter Worte, die aus
drücken , daß Gott in der Menschenseele wohnen will. Dieser ganzen
Bewegung der Religion hat Barth sich verschlossen durch beständige
Polemik gegen Subjektives und Individuelles, gegen Erlebnis und Er
fahrung» .87
XXXVI
II . Zitate
a) Barths Weise des Zitierens wurde nicht verändert.
b) Die Zitate bzw. Zitatausschnitte in den Herausgeberfußnoten
bieten den unveränderten Text der angegebenen Quelle.
c) Wenn Barth ein Zitat oder eine Anspielung an weiteren Stellen
wiederholt, ist das nur in begründeten Ausnahmefällen vermerkt. Mit
Hilfe des Begriffsregisters lässt sich die erste Stelle finden, an der das
Zitat bzw. die Anspielung erläutert wird.
p.otse
141
it
ܚܢ.ܝܝ
for
ܣܝܫܢܬܥܘܐܬ.܂.܀:ܝܗ
III . Seitenzahlen
ܚܬeaܢܐܠ
Die Seitenzahlen des 2.-13 . Abdrucks sind in dieser Edition zwi
schen senkrechten Strichen in den Text eingefügt. Die Seitenzahlen
des 1. Abdrucks sind auf Grund eines Paginierungsfehlers (der Text
beginnt in diesem Abdruck irrtümlich auf S. s statt auf S. 3) jeweils um
2 Seiten höher. In den Vorworten bieten die mitgeführten Seitenzah
len der früheren Auflagen den mit der 6. Auflage von 1929, der letzten,
zu der Barth ein Vorwort verfasst hat, erreichten Stand.
IV. Bibelstellen
Die Querverweise innerhalb des Römerbriefs und die Verweise auf
andere biblische Bücher setzt Barth in runde Klammern ( ). Hier ist
Barths Gewohnheit zu beachten, die wir übernommen haben, das
einfache f. im Sinne von «der angegebene Vers und die folgenden
Verse » zu setzen, wofür heute meist ff. gebraucht wird. Wo heute f. für
«der genannte und der folgende Vers » steht, setzt Barth beide Vers
zahlen. Bei den Bibelstellen ist weiter zu bedenken, dass Barth sich
häufig auf die Luther-Übersetzung bezieht, und zwar oft auf die
durchgesehene Ausgabe von 1892. Die von Barth nicht angegebenen
Bibelstellen wurden - soweit wir sie erkannt haben - zwischen ecki
gen Klammern [ ] ergänzt.
V. Register
Die Neuausgabe ist mit einem Bibelstellen-, Namen- und Begriffs
register versehen. Damit entfallen die Register, die durch Georg Merz
für den 2. Abdruck des Römerbriefes zusammengestellt und in allen
folgenden Auflagen wieder abgedruckt wurden.
Amsterdam ,
November 2010 Cornelis van der Kooi und Katja Tolstaja
XXXVIII
TEXTKRITIK UND TEXTKONSTITUTION
Das Buch mit dem lapidaren Titel «Der Römerbrief» hat Karl Barth
berühmt gemacht. Und bis heute ist die zweite Fassung des Kom
mentars von 1922 sein berühmtestes Buch. Auf deutsch ist es von 1922
bis 2005 in 16 Auflagen mit insgesamt 47 000 Exemplaren erschienen.
Gesamtübersetzungen liegen vor ins Englische, Französische, Italie
nische, Niederländische, Russische und Spanische und ins Chinesi
sche, Japanische und Koreanische.
Es ist selbstverständlich, dass bei einem solchen «Klassiker», der
inzwischen zum Kanon der Theologiegeschichte gehört, weil er selber
Geschichte und durchaus nicht nur Theologiegeschichte gemacht hat,
der Textkonstitution besondere Aufmerksamkeit zu widmen war.
Auszugehen war dabei von dem 2. Abdruck der vollständig neu be
arbeiteten Ausgabe von 1922, der, insgesamt gezählt, als 3. Auflage
1923 bei Chr. Kaiser in München erschien. Dieser Text der zweiten
Fassung ist immer wieder nachgedruckt worden, und zwar ersichtlich
ohne Änderungen, auch ohne Verbesserung der Satzfehler. Diesen
Text haben Generationen von Leserinnen und Lesern studiert, auf ihn
image
alth
will
and
heronbe
toda
beziehen sich die meisten Untersuchungen. Er war sozusagen als
textus receptus der Edition zugrunde zu legen.
Dazu war aber natürlich sorgfältig als «Urtext» der 1. Abdruck der
Neubearbeitung ( 1922“) zu berücksichtigen, der laut dem Vorwort
zum 2. Abdruck «in allem Wesentlichen » unverändert dem 1923 als
3. Auflage erscheinenden « Neudruck der zweiten [Auflage]» zu
grunde gelegen hat. Immerhin macht Barth selber darauf aufmerksam ,
dass sich für diesen Neudruck sein Freund Lukas Christ «um die sehr
nötige Glättung» seines «Stils an zahlreichen Stellen verdient ge
macht» habe. Die Vermutung, dass Barth mit dieser Bemerkung unter
der sich bildenden Anhängerschaft eine unkritische Bewunderung
seiner schriftstellerischen Gaben habe dämpfen wollen, scheint sich
zu bestätigen, wenn man diese stilistischen Verbesserungen mustert:
in den allermeisten Fällen handelt es sich lediglich um die Versetzung
des Reflexivpronomens, das Barth unmittelbar vor das Verbum zu
setzen pflegte, hinter das Hilfsverb. Außer den stilistischen Glättun
gen solcher Art sind als Veränderungen gegenüber dem Urtext auch
die im 2. Abdruck hinzugefügten Zitate von Anselm, Luther und
XXXIX
Melanchthon zu dokumentieren. Die Corrigenda resp. Addenda sind
zu einem guten Teil, aber nicht vollständig von Barth in seinem Hand
exemplar des 1. Abdrucks notiert. Es scheinen aber keineswegs alle
Veränderungen auf Barths Anweisungen zurückzugehen, sondern
teilweise als Versehen , teilweise auch als vermeintliche Verbesserun
gen des Setzers in den 2. Abdruck gekommen zu sein.
Manche der Zweifelsfälle der Textkonstitution konnten an Hand
des rekonstruierten Druckmanuskripts authentisch entschieden wer
den. Barth hat die Reinschrift des Römerbriefs von 1922 wie schon die
der Fassung von 1919 auf einseitig beschriebenen Bögen im Format
22,5 X 18 cm angefertigt. Nachdem die Bücher gedruckt vorlagen, hat
er die damit für ihn erledigten Manuskript-Blätter halbiert, gelegent
lich auch geviertelt, und die leeren Rückseiten nun im Hochformat
von ca. 18 X 11,25 cm bzw. 11,25 x 9 cm vor allem für Exzerpte zu
seinen Göttinger Vorlesungen benutzt. Auf diese Weise sind - auf 25
verschiedene Konvolute mit Exzerpten zufällig verteilt und überdies
vermischt mit Fragmenten der Reinschrift des Römerbriefs von
1919 - Stücke des Druckmanuskripts des Römerbriefs von 1922 in
erklecklicher Zahl erhalten geblieben: von ursprünglich 735 Manu
skriptseiten 320 vollständige Seiten (obere und untere Seitenhälfte)
und 279 halbe Seiten (obere oder untere Seitenhälfte), dazu, um ganz
genau zu sein, von s Seiten drei Viertel, von 1 Seite ein Viertel und
schließlich von 1 Seite noch ein Streifen von drei Zeilen, der Barth in
einem Band der Werke Zwinglis als Lesezeichen diente.
Im Rahmen der Gesamtausgabe konnte eine vollständige Darstel
lung der Textgenese nicht beabsichtigt sein, die aus dem Druckma
nuskript auch etwa die Änderungen und Erweiterungen in der For
mulierung und die nachträgliche Einfügung von Sätzen und Absätzen
in den Text berücksichtigen müsste. Diese Beobachtungen bieten in
teressante Aufschlüsse, die jedoch gesonderter Untersuchung vorbe
halten bleiben müssen. Die mit Buchstaben bezeichneten Anmerkun
gen des textkritischen Apparats beschränken sich auf die Mitteilung
der Stellen, an denen der gedruckte Text auf Grund eines Lesefehlers
oder einer Unachtsamkeit von dem Manuskripttext abweicht. Gele
gentlich wird auch bei Abweichungen zwischen den ersten beiden
Abdrucken zur Bekräftigung einer Entscheidung über den in den
Text aufzunehmenden Wortlaut auf das Druckmanuskript verwiesen.
XL
Der Vergleich des Druckmanuskripts mit dem 1. Abdruck zeigt,
dass die Setzer im ganzen gute Arbeit geleistet haben, einige Stellen,
wo der kühne Stil Barths sie unsicher gemacht hat, und die gelegent
lichen wohl unvermeidlichen Unaufmerksamkeiten (wie z.B. die Un
terlassung von angezeigten Sperrungen ) abgerechnet.
Der Vergleich zwischen dem 1. und dem 2. Abdruck ergibt ein
anderes Bild. Hinrich Stoevesandt hat dazu anlässlich des von ihm
betreuten 14. Abdrucks (= 15. Auflage), Zürich 1989 - eigentlich eine
Neuausgabe, die auch als erster Druck des Textes in Antiqua -Schrift
eine hier respektvoll zu nennende Wegmarke in der Geschichte des
Römerbriefs darstellt - , schon festgestellt, dass der 2. Abdruck «eine
erhebliche Zahl von Satzfehlern aufweist» l. Der durchgehende Ver
gleich des 1. mit dem 2. Abdruck gibt darüber genaueren Aufschluss.
Er zeigt, dass der Text 1923 nicht nur an den Stellen mit Änderungen
Point
und Einfügungen neu gesetzt worden ist und dass bei dem Neusatz
der 1. Abdruck nicht mit letzter Sorgfalt reproduziert worden ist. An
pulsa
produr
ever
part
parete
verhältnismäßig vielen Stellen sind Sperrungen übergangen worden,
con
primaayoaolfa
nte
side
ilretrede
Hilfe.
so dass manchmal der Sinn der beibehaltenen Sperrungen unklar wird.
Außer eigentlichen Satzfehlern fallen auch manche Abweichungen
auf, die auf Flüchtigkeit oder auch auf allzu mechanische Korrektheit
zurückgehen. So ist z.B. die im 1. Abdruck treu wiedergegebene Cho
ralreminiszenz «Licht vom unerschaffnen Lichte» (s. unten S. 575 ) im
2. Abdruck durch die scheinbar korrektere Form «unerschaffenen »
verwischt worden. Überhaupt haben die für den Satz Verantwortli
chen im 2. Abdruck die von Barth gerne gebrauchte verkürzte En
dung wie in «unsern» oder «höhern» durch die unverkürzte Endung
«unseren», «höheren» ersetzt - doch keineswegs konsequent, und ge
legentlich haben sie auch umgekehrt aus einem «unserer» ein «unsrer»
gemacht. In diesen und vielen ähnlichen Fällen, die den Sinn nicht
tangieren, musste es bei der Schreibweise des 2. Abdrucks bleiben.
Der vollständige Vergleich bestätigt den Eindruck H. Stoevesandts,
dass die Orthographie «große und anscheinend rein zufällige Unre
gelmäßigkeit zeigt»? und dass das gleiche von der Zeichensetzung gilt.
| H. Stoevesandt, Vorbemerkung zum Neudruck, in: K. Barth, Der Rö
merbrief. (Zweite Fassung) 1922, 14. Abdruck (= 15. Auflage) Zürich 1989,
S. Vf., dort S. V.
2 A.a.O., S. VI.
XLI
Dieser Eindruck geht jedoch zu einem nicht geringen Teil auf die
Veränderungen im 2. Abdruck zurück . Zusammengefasst ergeben
sich aus den angedeuteten Befunden für die Textkonstitution und für
den textkritischen Apparat folgende Leitlinien:
1. Auszugehen ist von dem 2. Abdruck. Er ist nicht nur die am
weitesten verbreitete Form des Römerbrieftextes. Er ist auch der
letzte von Barth selber durch eine Reihe von Corrigenda und Ad
denda veränderte und verantwortete Text, für die, wie bemerkt, z.T.
entsprechende Notizen in seinem Handexemplar vorliegen, leider
aber nicht die Korrekturanweisungen selber.
2. In diesem Text waren nach den Regeln der Karl Barth -Gesamt
ausgabe ohne weiteren Vermerk die offensichtlichen Satzfehler und
die eindeutigen grammatisch-syntaktischen Versehen zu korrigieren.
3. Bei den Veränderungen gegenüber dem Druck von 1922 war zu
entscheiden, ob es sich, auch wenn keine entsprechende Notiz vor
liegt, möglicherweise um eine vom Autor veranlasste oder jedenfalls
gebilligte Korrektur handelt, die als solche im Text stehen muss, wäh
rend der Wortlaut des Drucks von 1922 in der Anmerkung erscheint,
oder ob es sich um eines der manchmal sinnstörenden Missverständ
nisse des 2. Abdrucks handelt, das in der Anmerkung als Wortlaut von
1923 zu notieren ist, während im Text der Wortlaut von 1922 steht.
4. In wenigen, aber bemerkenswerten Fällen war in den Text, statt
den gleichlautenden Abdrucken von 1922 und 1923 zu folgen, der
Wortlaut des Druckmanuskripts aufzunehmen und der durch alle
Auflagen von 1922 an reproduzierte fehlerhafte Text in die Anmer
kung zu verweisen - so bei dem « Brudervolk » in der Auslegung von
Römer 4,9 (S. 175 ) und bei der « Todesstrafe » in der Auslegung von
Römer 6,5 (S. 270).
Bei der hier nur durch wenige Beispiele skizzierten Sachlage schien
es im Einklang mit den Regeln der Karl Barth -Gesamtausgabe richtig,
Orthographie und Interpunktion vorsichtig zu vereinheitlichen. Die
Zeichensetzung weist in der Tat, wie es schon H. Stoevesandt be
schrieben hat, ein «hohes Maß an Unregelmäßigkeit, um nicht zu
sagen Zufälligkeit auf»), u. zw. wieder im 2. Abdruck nicht vermin
dert, sondern vermehrt. So kann man die vorliegende Zeichensetzung
3
A.a.O., S. V.
XLII
«schwerlich» «als ein vom Verfasser bewußt eingesetztes Stilmittel
und als deshalb unantastbares Element seines Textes ansehen » 4. Doch
wurde auf eine normalisierende Änderung überall da verzichtet, wo
allenfalls mit der Abweichung von den allgemeinen Regeln oder dem
sonst in Barths Veröffentlichungen zu bemerkenden Usus eine stili
stische oder inhaltliche Absicht verbunden gewesen sein könnte.
Ähnlich zurückhaltend war bei der Rechtschreibung zu verfahren .
Zwar wurden generell die neuen Regeln zur ss- bzw. B-Schreibung
zugrunde gelegt, in allen andern Hinsichten konnte jedoch nur eine
n,sidik
yither
tavi
behutsame Angleichung an die heute geltenden Regeln das Ziel sein.
Die bekannten Eigentümlichkeiten der Texte Barths waren selbstver
ständlich zu respektieren – z.B. die Beibehaltung der Schreibweise
Schleiermachers von «schlechthinig» oder die häufig, aber keineswegs
einheitlich und durchweg geübte Großschreibung etwa von «Alle»
und « Keiner» . Uneinheitlich ist aber ebenfalls – übrigens teilweise
auch schon im Manuskript - die Groß- oder Kleinschreibung auch in
Fällen mit durchaus theologischem Gewicht – so steht das «neue Te
stament» eine Zeile nach dem «Alten Testament» (S. 333 ), der «Heilige
Geist» (S. 405 ) neben dem «heiligen Geist» (S.430). Auch bei an
scheinend weniger gewichtigen Worten folgt manchmal eine Schreib
weise der anderen - so z.B. «wohl berechtigt» nach «wohlberechtigt»
(S. 126f.). Auch hier gilt, dass von einem Versuch der Vereinheitli
chung Abstand zu nehmen war, wo immer in solchen variierenden
Formen möglicherweise eine inhaltliche Nuancierung oder Akzen
tuierung zu suchen ist. Auch wer eine solche dann nicht zu entdecken
vermag, wird «diese Spuren des einstigen Entstehungsprozesses»5
hoffentlich nicht als störend empfinden .
Im Rückblick auf die umrissenen Arbeiten ist für vielfältige Hilfe
zu danken. Man kann sich wohl vorstellen, dass bei den Fragmenten
der Reinschrift Barths die Identifizierung der Stelle des jeweiligen
Textstücks im ganzen Kommentar und dass die anschließende Zusam
menfügung der Stücke in einem Computerfile, das das ursprüngliche
Druckmanuskript, soweit es eben erhalten ist, wieder vor Augen
bringt, ohne kluge und engagierte Hilfe nicht zu leisten gewesen wäre:
4
A.a.O., S. Vf.
5
A.a.O., S. VI .
XLIII
Ich denke dankbar an die Zivildienstleistenden, die sich hier als Helfer
bewährt haben, besonders an Marco Graf und Markus Graf. An dieser
Stelle soll auch Margrit Müller ein herzlicher Dank ausgesprochen
werden, die mit mir in vielen Sitzungen die Reinschrift mit dem ge
druckten Text verglichen hat. Benedikt Bitterli, dessen Einsatz bei der
Digitalisierung des 1. Abdrucks einen pünktlichen Vergleich möglich
gemacht hat, gilt ein besonderer Dank. Weiter verdienen die Zivil
dienstleistenden eine herzliche Erwähnung, die nacheinander an der
Überarbeitung von Text und Anmerkungsapparaten mitgewirkt und
immer wieder auch eigene Vorschläge zur Verbesserung beigetragen
haben: Reto Frey, Lars Peter Cleary und Bastian Thurneysen. Simon
Weinreich hat die Arbeit fast ein Jahr lang zuverlässig begleitet und
sich insbesondere bei der Sichtung der Textvarianten verdient ge
macht. Pfarrer Marcel Wittwer hat in bewährter Weise die Grundlage
für das Begriffsregister gelegt, auf der dann Andreas Betschart und
Pfarrer Jörg-Michael Bohnet noch weitergebaut haben. Pfarrer Boh
net gebührt darüber hinaus ein ganz besonderer Dank für das verläss
liche Mitlesen der Korrekturen und für die freundschaftlich -tatkräf
tige Anteilnahme an vielen einzelnen Problemen und Fragen.
XLIV
ABKÜRZUNGEN
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di
white
Barth, Konfir K. Barth, Konfirmandenunterricht 1909–1921,
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XLVI
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SKS Søren Kierkegaards skrifter, udgivet af Søren
Kierkegaard Forskningscenteret, Kopenhagen
1997ff.
Steinhofer Erklärung der Epistel Pauli an die Römer. Von M.
Friedrich Christoph Steinhofer, weil. Dekan und
Stadtpfarrer in Weinsberg. Mit einem Vorwort
von Dr. J.T. Beck, Professor der Theologie in Tü
bingen, Stuttgart 1851
Stz Stimmen der Zeit. Monatschrift für das Geistes
leben der Gegenwart
ThLZ Theologische Literaturzeitung
V.u.kl.A. 1905 K. Barth , Vorträge und kleinere Arbeiten 1905
1909 1909 , hrsg. in Verbindung mit H. Helms von
H.-A. Drewes und H. Stoevesandt (Gesamtaus
gabe, Abt. III), Zürich 1992
V.u.kl.A. 1909 K. Barth, Vorträge und kleinere Arbeiten 1909–
1914 1914, hrsg. in Verbindung mit H. Helms und
Fr.-W. Marquardt von H.-A. Drewes und H.
Stoevesandt (Gesamtausgabe, Abt. III), Zürich
1993
V.u.kl.A. 1922– K. Barth, Vorträge und kleinere Arbeiten 1922–
1925 1925, hrsg. von H. Finze (Gesamtausgabe,
Abt. III), Zürich 1990
V.u.kl.A. 1925 K. Barth, Vorträge und kleinere Arbeiten 1925
1930 1930, hrsg. von H. Schmidt (Gesamtausgabe,
Abt. III), Zürich 1994
WA M. Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe,
Weimar 1883ff.
WA.B - Briefwechsel
WA.DB - Deutsche Bibel
Wernle P. Wernle, Der Römerbrief in neuer Beleuchtung,
in: KBRS, Jg. 34 ( 1919), S. 163-164.167-169
L
W.G.Th. K. Barth , Das Wort Gottes und die Theologie, Ge
sammelte Vorträge, [ 1. Bd.,] München 1924
Zahn Th. Zahn, Der Brief des Paulus an die Römer
(Kommentar zum Neuen Testament, Bd. VI),
Leipzig 191012
ZNW Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft
und die Kunde des Urchristentums
ZSTh Zeitschrift für systematische Theologie
LI
Der Römerbrief
Vorwort zur ersten Auflage
Paulus hat als Sohn seiner Zeit zu seinen Zeitgenossen geredet. Aber
viel wichtiger als diese Wahrheit ist die andere, dass er als Prophet und
Apostel des Gottesreiches zu allen Menschen aller Zeiten redet. Die
Unterschiede von einst und jetzt, dort und hier, wollen beachtet sein.
Aber der Zweck der Beachtung kann nur die Erkenntnis sein, dass
diese Unterschiede im Wesen der Dinge keine Bedeutung haben. Die
historisch -kritische Methode der Bibelforschung hat ihr Recht: sie
weist hin auf eine Vorbereitung des Verständnisses, die nirgends über
flüssig ist. Aber wenn ich wählen müsste zwischen ihr und der alten
Inspirationslehre, ich würde entschlossen zu der Letzteren greifen: sie
hat das größere, tiefere, wichtigere Recht, weil sie auf die Arbeit des
Verstehens selbst hinweist, ohne die alle Zurüstung wertlos ist. Ich bin
froh, nicht wählen zu müssen zwischen beiden. Aber meine ganze
Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, durch das Historische hin
durchzusehen in den Geist der Bibel, der der ewige Geist ist. Was
einmal ernst gewesen ist, das ist es auch heute noch, und was heute
ernst ist und nicht bloß Zufall und Schrulle, das steht auch in unmit
telbarem Zusammenhang mit dem, was einst ernst gewesen ist. Unsere
Fragen sind, wenn wir uns selber recht verstehen, die Fragen des Pau
lus, und des Paulus Antworten müssen, wenn ihr Licht uns leuchtet,
unsere Antworten sein.
Das Wahre war schon längst gefunden,
Hat edle Geisterschaft verbunden,
Das alte Wahre – faß es an ! "
Geschichtsverständnis ist ein fortgesetztes, immer aufrichtigeres und
eindringenderes Gespräch zwischen der Weisheit von gestern und der
Weisheit von morgen, die eine und dieselbe ist. Ehrerbietig und dank
bar gedenke ich hier meines Vaters, Professor Fritz Barth , dessen
ganzes Lebenswerk eine Betätigung dieser Einsicht gewesen ist.
1
J.W. von Goethe, « Vermächtnis», Anfang der 2. Strophe.
2 Fritz Barth ( 1856–1912), Pfarrer in Reitnau (Aargau, 1879–1886 ), Lehrer
an der Evangelischen Predigerschule Basel ( 1886–1889), 1889 Privatdozent,
3
Das ist sicher, dass allen nach Gerechtigkeit hungernden und dür
stenden (vgl. Mt. 5,6] Zeiten natürlicher war, sich sachlich beteiligt
neben Paulus, statt im gelassenen Abstand des Zuschauers ihm gegen
überzustellen. Vielleicht gehen wir jetzt in eine solche Zeit hinein.
Wenn ich mich darin nicht täusche, dann kann dieses Buch jetzt schon
seinen bestimmt umschränkten Dienst tun. Man wird es ihm anspü
ren, dass es mit Entdeckerfreude geschrieben ist. Die kräftige Stimme
des Paulus |VI| war mir neu, und es ist mir, sie müsste auch manchen
andern neu sein. Aber dass da noch vieles ungehört und unentdeckt
ist, das ist mir am Ende dieser Arbeit ganz klar. Sie will darum nicht
mehr sein als eine Vorarbeit, die um Mitarbeit bittet. Wenn doch recht
viele und Berufenere sich einfinden würden , um daselbst Brunnen zu
graben (vgl. Ps. 84,7 ). Sollte ich mich aber täuschen in der freudigen
Hoffnung auf ein gemeinsames neues Fragen und Forschen nach der
biblischen Botschaft, dann hat dieses Buch Zeit, zu warten . Der
Römerbrief selbst wartet ja auch.
Im Vorwort zur ersten Auflage bezeichnete ich dieses Buch als eine
« Vorarbeit ». Wenn dieser Hinweis ebenso aufmerksam beachtet wor
den ist wie der fast berüchtigt gewordene Schlusssatz («Dieses Buch
kann warten ...» )', so brauche ich mich heute nicht zu rechtfertigen,
wenn ich das Buch in einer neuen Bearbeitung vorlege, bei der von
jener ersten sozusagen kein Stein auf dem andern geblieben ist. Sie hat
ihren «bestimmt umschränkten Dienst», wie ich damals zu hoffen
wagte und doch fast nicht hoffen konnte, getan, Einige auf Paulus und
auf die Bibel überhaupt aufmerksam zu machen, die es vorher so nicht
waren. Sie kann heute mit ihren Vorzügen und Fehlern vom Schau
platz verschwinden. Ich habe die begonnene Arbeit fortgesetzt und
lege hier ein weiteres vorläufiges Resultat vor. Die damals gewonnene
Stellung wurde auf weiter vorwärts liegende Punkte verlegt und da
selbst neu eingerichtet und befestigt. Sie bietet darum einen ganz an
dern Anblick. Für die Kontinuität zwischen hier und dort hat die
Einheit des historischen Gegenstandes und der Sache selbst gesorgt
und wird auch bei den Lesern dafür sorgen, wenn sie sich der Mühe
unterziehen wollen, auch bei dieser zweiten « Vorarbeit » mitzuarbei
ten. Denn Vorarbeit und nur das ist auch diese zweite Auflage, was
aber nicht die Verheißung einer dritten und vor allem und auf keinen
Fall die eines endgültigen Werkes etwa bedeuten soll. Nur Vorarbeit
ist alles menschliche Werk und ein theologisches Buch mehr als jedes
andre Werk ! Ich sage das alles in der Hoffnung, dass diejenigen, die in
meinem Römerbrief das Schreckgespenst einer neuen Orthodoxie
auftauchen sahen, mir nun nicht etwa, in völliger, aber, so wie ich
I Siehe oben S. 4.
2 Siehe oben S. XVIII-XIX.
einen Teil des Publikums kenne, nicht unmöglicher Ver- |VII kennung
der Sachlage, den umgekehrten Vorwurf allzu großer Bewegungsfä
higkeit machen werden.
Erschöpfende Auskunft über das Verhältnis dieser zweiten zur er
sten Auflage muss das Buch selber geben und zwar meistens still
schweigend. Ich verwundere mich, dass die eigentliche Schwäche der
ersten Auflage von der öffentlichen Kritik sozusagen gar nicht gese
hen worden ist, es fällt mir aber gar nicht ein, den Lesern und beson
ders den Rezensenten die Formel für das, was über jene in fast ver
nichtender Weise hätte gesagt werden können und müssen, hier nun
etwa mitzuteilen ". Gesagt sei nur so viel, dass es hauptsächlich vier
Faktoren waren, die bei der nun vollzogenen Weiterbewegung und
Frontverlegung mitwirkten. Erstens und vor allem: die fortgesetzte
Beschäftigung mit Paulus. Sie konnte sich zwar bei meiner Arbeits
weise nur auf einige weitere Bruchstücke der paulinischen Literatur
erstrecken, hat mir aber auf Schritt und Tritt neues Licht für den
Römerbrief gebracht. Zweitens: Overbeck. Auf seine Warnung an
alle Theologen habe ich mit Eduard Thurneysen zusammen andern
* Unmittelbar vor Torschluss kommt mir soeben der Aufsatz von Ph . Bach
mann in der «Neuen kirchl. Zeitschrift» (Oktoberheft 1921 ) zu Gesicht. Hier
sind in sehr schonungsvoller Weise Einwände aufgestellt, die ich als richtig und
wesentlich anerkennen muss. Der Herr Verfasser wird bemerken, dass sie in
der Zwischenzeit auch mich beschäftigt haben.
Jülicher, Paulusausleger, S.94: «Karl Barth ist ein Mann zweier Welten, es
kämpfen zwei Seelen in seiner Brust. Eine, die auch weiß, daß die Auslegung
[...] eine Aufgabe ist, die nur mit allen Hilfsmitteln einer weitverzweigten Wis
senschaft erfüllt werden kann [...] . Und eine, für die das Verstehen eines
Bibelbuches beschränkt ist auf die Bürger der neuen Welt, z. B. Barth ». -
E. Vischer, a.a.O. (s. oben S. 7, Anm. 6), S. 126: «Noch viel besser [...], ja
geradezu meisterhaft versteht jedoch Karl Barth diese wundervolle Theolo
genkunst und ist deshalb mit Recht der Mann des Tages.»
II
Siehe oben S. XX -XXI.
8
stehen werden als viele Theologen-, so ist mir das eine große Freude;
denn ich bin durchaus der Meinung, dass sein Inhalt jedermann an
geht, weil seine Frage jedermanns Frage ist, ich konnte es aber auch im
Gedanken an sie nicht leichter machen, als ich durfte, und einige
fremdsprachliche Zitate, die durch ihre Übersetzung ihre Wucht ver
loren hätten, und gelegentlich einiges theologisch -philosophische
Abrakadabra werden sie freundlich in Kauf nehmen müssen. Wenn
ich nicht sehr irre und hier muss ich Arthur Bonus widerspre
chen " -, haben wir Theologen übrigens das Interesse der «Laien»
dann am meisten, wenn wir uns am wenigsten ausdrücklich und ab
sichtlich an sie wenden, sondern einfach unsrer Sache leben, wie es
jeder ehrliche Handwerker tut. |IX|
“Einer von denen um Ragaz hat mich mit dem Wort des ältern
Blumhardt: « Einfachheit ist das Kennzeichen des Göttlichen ! » erle
digen wollen." Ich antworte darauf, dass es mir gar nicht einfällt, zu
meinen, dass ich «das Göttliche» sage oder schreibe. «Das Göttliche»
steht meines Wissens überhaupt nicht in Büchern. Sollte die Aufgabe
wenigstens für uns, die wir nicht der ältere Blumhardt sind, darin
bestehen, nach dem Göttlichen zu fragen, dann steht die Einfachheit,
mit der dman von Gott ausd die Bibel und noch einiges andre versteht,
mit der Gott selbst sein Wort redet, nicht am Anfang, sondern am
Ende unsrer Wege. Lasst uns in dreißig Jahren weiterreden von der
Einfachheit, heute aber von der Wahrheit! Einfach ist für uns weder
der Römerbrief des Paulus, noch die heutige Lage in der Theologie,
noch die heutige Weltlage, noch die Lage des Menschen Gott gegen
über überhaupt. Wem es in dieser Lage um die Wahrheit zu tun ist, der
muss den Mut aufbringen, zunächst einmal auch nicht einfach sein zu
b Druckmanuskript:«die meisten Theologen».
C-C
Druckmanuskript: «Robert Lejeune» .
d-d Druckmanuskript: «Gott».
12 A. Bonus, Zur religiösen Krise, in: Kunstwart, Jg.34 ( 1920/21 ), S. 354-356.
Bonus nennt von Barths Schriften u.a. den Römerbrief und fährt dann fort,
S. 355f.: «Ich weiß nicht, ob man die Bücher Laien empfehlen kann; Theologen
sollten sie lesen. Vielleicht, daß einem von ihnen die Gabe gegeben ist, die
Sprachen auszulegen , wie Paulus, 1. Korinther 12,10 sagt. Und Barths Sprache
ist sehr theologisch . >>
13 Siehe oben S. XXXII.
9
können. Schwer und kompliziert ist das Leben der Menschen heute in
jeder Beziehung. Für kurzatmige Pseudo-Einfachheiten werden sie
uns zu allerletzt Dank wissen, wenn denn einmal vom Dank der Leute
überhaupt die Rede sein soll. Ich frage mich aber ernstlich, ob der
ganze Schrei nach der « Einfachheit» etwas anderes bedeutet als das an
sich ja sehr verständliche, auch von den meisten Theologen geteilte
Verlangen nach einer direkten , nicht-paradoxen, nicht allein glaub
würdigen Wahrheit. Ich denke an die Erfahrungen , die ich mit einem
doch so ernsthaften und lauteren Mann wie Wernle mache. Sage ich
«schlicht und einfach » etwa: Christus ist auferstanden !, dann klagt er
im Namen des in seinem Heiligsten verletzten modernen Menschen
über große eschatologische Sprüche und über Vergewaltigung der
schweren, schweren Probleme des Denkens. "4 Setze ich mich aber hin,
um dasselbe in der Sprache des Denkens, d. h. aber dialektisch zu
sagen, dann seufzt er auf einmal im Namen der schlichten und einfa
chen Christen über die Wunderlichkeit, Geistreichigkeit und Schwie
rigkeit solcher Lehre." Was soll ich ihm antworten ? Ist es nicht of
fenkundig, dass ich es ihm erst dann recht machen könnte, wenn ich
mich entschließen würde, die gebrochene Linie des Glaubens aufzu
geben und jenes Wohlbekannte, Handliche, Direkte, Nicht-Paradoxe
zu sagen, das nun einmal im Reiche der Wahrheit, dem Reich der ganz
Kindlichen und der ganz Unkindlichen das Dritte, Ausgeschlossene
ist? Gewiss, ich sehne mich auch danach, von dem, worum es im
14 Vgl. z.B. Wernle, S. 169: «Karl Barth ist ja mir gegenüber mit seinem Bi
blizismus im Besitz einer scheinbar beneidenswert sicheren Position. Ueber
alle Anstöße des modernen Bewußtseins geht er glatt hinweg, ja er rechnet es
als ein Manco des Glaubens, solche Anstöße nur zu empfinden. [...] ich wün
sche ihm [scil. Barth] statt Anbeter mehr kritische Leser, die [...] mit den
schweren Problemen, die der Römerbrief unserem Glauben stellt, nicht so
leicht fertig werden wie er.»
1 Vgl. Wernle, S. 168 : «Die Frage ist zuletzt, mit welchem Verständnis des
Römerbriefs uns wirklich gedient ist [...] . Das ist für mich nun keine rein wis
senschaftliche Frage mehr, obschon ich das Denken daraus nicht verbannen
wollte.» Nachdem er Barths Auffassung von dem «objektiven Vorgang unsrer
Erlösung» durch Kreuz und Auferstehung Christi angeführt hat, fährt Wernle
fort: «Ich bekenne ganz ehrlich, daß ich mit meinem einfachen Glauben da
nicht nachkomme und in viel bescheideneren und nüchterneren Worten das
ausdrücken muß, was mir Jesus bedeutet. »
IO
Römerbrief geht, einfach reden zu können. Kommt einmal Einer, der
das kann, dann sei es gleich um mich geschehen; ich beharre nicht auf
meinem Buch und meiner Theologie. Aber bis jetzt habe ich unter den
«einfach» Redenden nur |X| solche getroffen, die einfach von etwas
13
merhin etwas stattlichere Tellsplatte33 ist als die kulturprotestantische
Gewissensreligion. Grundsätzlich genommen bedeutet das doch nur,
dass der Mangel an zähem Verstehen- und Erklärenwollen bei ihnen
etwas besser verdeckt ist. Dem gegenüber meine ich nun, dass jener
erste primitive Umschreibungsversuch und was dazu gehört nur den
Ausgangspunkt bilden dürfte zu einem mit allen Hebeln und Brech
werkzeugen einer ebenso unerbittlichen wie elastischen dialektischen
|XII| Bewegung zu leistenden sachlichen Bearbeiten des Textes. Kri
tischer müssten mir die Historisch -Kritischen sein! Denn wie «das,
was da steht», zu verstehen ist, das ist nicht durch eine gelegentlich
eingestreute, von irgend einem zufälligen Standpunkt des Exegeten
bestimmte Wertung der Wörter und Wortgruppen des Textes auszu
machen , sondern allein durch ein tunlichst lockeres und williges Ein
gehen auf die innere Spannung der vom Text mit mehr oder weniger
Deutlichkeit dargebotenen Begriffe. xpivelv heißt für mich einer hi
storischen Urkunde gegenüber: das Messen aller in ihr enthaltenen
Wörter und Wörtergruppen an der Sache, von der sie, wenn nicht alles
täuscht, offenbar reden, das Zurückbeziehen aller in ihr gegebenen
Antworten auf die ihnen unverkennbar gegenüberstehenden Fragen
und dieser wieder auf die eine alle Fragen in sich enthaltende Kardi
nalfrage, das Deuten alles dessen, was sie sagt, im Lichte dessen, was
allein gesagt werden kann und darum auch tatsächlich allein gesagt
wird. Tunlichst wenig darf übrig bleiben von jenen Blöcken bloß
historischer, bloß gegebener, bloß zufälliger Begrifflichkeiten, tun
lichst weitgehend muss die Beziehung der Wörter auf das Wort in
den Wörtern aufgedeckt werden. Bis zu dem Punkt muss ich als
Verstehender vorstoßen, wo ich nahezu nur noch vor dem Rätsel der
Sache, nahezu nicht mehr vor dem Rätsel der Urkunde als solcher
stehe, wo ich es also nahezu vergesse, dass ich nicht der Autor bin,
wo ich ihn nahezu so gut verstanden habe, dass ich ihn in meinem
Namen reden lassen und selber in seinem Namen reden kann. Ich
weiß, dass diese Sätze mir wieder schwere Rügen eintragen werden,
aber ich kann mir nicht helfen, was nennt man denn « Verstehen » und
«Erklären » - ob sich wohl Lietzmann z. B. diese Frage je überhaupt
33 Die in den See vorspringende Felsenplatte, auf die Tell sprang; vgl. Wil
helm Tell, V.2253f.2259.
14
ernstlich gestellt hat ?34 -, wenn man in dieser Richtung wenigstens
sich Mühe zu geben (mehr kann ich ja auch nicht) kaum die geringste
Anstalt trifft, vielmehr darin, dass man sich hier, bei so viel erstaun
lichem Fleiß in anderer Richtung, keine Mühe gibt, sondern mit dem
Dürftigsten zufrieden ist, den Triumph der wahren Wissenschaftlich
keit sieht ? Oder wissen denn diese von mir wahrhaftig als Historiker
respektierten Gelehrten gar nichts davon, dass es eine Sache, eine
Kardinalfrage, ein Wort in den Wörtern gibt? Dass es Texte gibt, z. B.
die des neuen Testamentes, die zum Reden zu bringen, koste es, was
es wolle, eine letzte und tiefste Kulturangelegenheit, um es einmal so
zu nennen, ist ? Dass ihnen durch die kirchliche Zukunft ihrer Stu
denten wahrhaftig nicht nur eine praktische, sondern eine höchst
sachliche Frage gestellt ist ? Ich weiß, was es heißt, jahraus, jahrein
den Gang auf die Kanzel unternehmen zu müssen, verstehen und
erklären sollend und wollend und doch nicht könnend, weil |XIII
man uns auf der Universität ungefähr nichts als die berühmte « Ehr
furcht vor der Geschichte » 35 beigebracht hatte, die trotz des schönen
Ausdrucks einfach den Verzicht auf jedes ernsthafte ehrfürchtige
Verstehen und Erklären bedeutet ? Meinen die Historiker denn wirk
lich, damit hätten sie ihre Pflicht gegenüber der menschlichen Ge
IS
sellschaft erfüllt, dass sie re bene gesta im fünften Band - Niebergall
das Wort erteilen36 ? Ja wohl, aus der Not meiner Aufgabe als Pfarrer
bin ich dazu gekommen, es mit dem Verstehen- und Erklärenwollen
der Bibel schärfer zu nehmen, aber kann man denn im Lager der
zünftigen Neutestamentler wirklich meinen, dies sei nun eben die
Sache der « praktischen Theologie », wie es Jülicher mir gegenüber
wieder mit der alten unerhörten Sicherheit ausgesprochen hat??? Ich
bin kein «Pneumatiker», wie er mich betitelt hat38. Ich bin kein «ab
gesagter Feind der historischen Kritik» 39. Ich weiß, dass das Problem
nicht einfach ist. Aber erst wenn das Letztere auch von der Gegen
seite eingesehen ist und darum etwas buſfertiger darüber geredet
wird, kann über die mir nicht unbewussten Schwierigkeiten und Ge
fahren dessen, was ich kritische Theologie nenne, und ihre tunliche
Vermeidung eine Verständigung in Aussicht genommen werden.
Vorher nicht .
Aber was meine ich, wenn ich die innere Dialektik der Sache und
ihre Erkenntnis im Wortlaut des Textes den entscheidenden Faktor
des Verständnisses und der Erklärung nenne ? Man sagt mir (ein
schweizerischer Rezensent hat dies in besonders plumper Weise ge
sagt), damit könne natürlich nur mein «System» gemeint sein40. Der
Verdacht, hier werde mehr ein- als ausgelegt, ist ja wirklich das Na
heliegendste, was man über meinen ganzen Versuch sagen kann. Ich
habe dazu folgendes zu bemerken : Wenn ich ein «System» habe, so
g
2. Abdruck ( 1923 '): « ich »
16
besteht es darin, dass ich das, was Kierkegaard den «unendlichen qua
litativen Unterschied» von Zeit und Ewigkeit genannt hat“' , in seiner
negativen und positiven Bedeutung möglichst beharrlich im Auge be
halte. «Gott ist im Himmel und du auf Erden» (vgl. Pred. 5,1 ]. Die
Beziehung dieses Gottes zu diesem Menschen, die Beziehung dieses
Menschen zu diesem Gott ist für mich das Thema der Bibel und die
Summe der Philosophie in Einem. Die Philosophen nennen diese Kri
sis des menschlichen Erkennens den Ursprung “ . Die Bibel sieht an
diesem Kreuzweg Jesus Christus. Trete ich nun an einen Text wie den
Römerbrief heran, so tue ich das unter der vorläufigen Vorausset
zung, dass dem Paulus bei der Bildung seiner Begriffe die ebenso
schlichte wie unermessliche Bedeutung jener Beziehung mindestens
ebenso scharf vor Augen gestanden sei wie mir, wenn ich mich jetzt
des aufmerksamen Nachdenkens" seiner Begriffe befleißige, gerade
wie ein anderer Exeget mit gewissen vorläufigen XIV | Voraussetzun
gen mehr pragmatischer Art, z. B. mit der Annahme, der Römerbrief
sei wirklich von Paulus im 1. Jahrhundert geschrieben, an den Text
herantritt. Ob sich solche Voraussetzungen bewähren, das kann sich
wie alle Voraussetzungen nur im Akt, d. h. in diesem Fall in der ge
nauen Untersuchung und Überlegung des Textes von Vers zu Vers
zeigen, und selbstverständlich kann es sich bei dieser Bewährung im
mer nur um eine relative, mehr oder weniger gewisse Bewährung
handeln, und dieser Regel ist natürlich auch meine Voraussetzung
unterworfen. Setze ich nun vorläufig voraus, Paulus habe im Römer
brief wirklich von Jesus Christus geredet und nicht von irgend etwas
anderem , so ist das zunächst eine Annahme so gut oder so schlecht wie
irgend eine von den vorläufigen Annahmen der Historiker. Die Aus
h Druckmanuskript: « Nach - Denkens».
41 Kierkegaard, Einübung, S. 126 (SKS 12, S. 143 ), s. unten S. 138; vgl. auch
a.a.O., S. 114 (SKS 12, S. 132 ) : «Der einzelne Mensch oder ein einzelner
Mensch zu sein (in gewissem Sinne gleichgültig, ob es ein vornehmer oder
geringer ist), ist der größtmögliche, der unendlich qualitative Abstand vom
Gottsein, und darum das tiefste Inkognito. » Eine Sammlung von Stellen, an
denen der von Barth zitierte Ausdruck in mehreren Abwandlungen vor
kommt, bei E. Brinkschmidt, Sören Kierkegaard und Karl Barth, Neukirchen
Vluyn 1971 , S. 105 .
42 Siehe oben S. IX .
17
legung allein kann darüber entscheiden, ob und wie weit es mir ge
lingt, meine Annahme durchzuführen . Ist sie falsch, hat Paulus wirk
lich von etwas anderem geredet als von der permanenten Krisis von
Zeit und Ewigkeit, nun, dann werde ich mich ja im Verlauf seines
Textes selbst ad absurdum führen . Sollte man mich freilich weiter
fragen, mit welchem Grund ich gerade mit dieser Annahme an den
Römerbrief herantrete, so würde ich mit der Gegenfrage antworten,
ob denn ein ernster Mensch etwa mit einer andern Annahme an einen
nicht zum vornherein keines Ernstes würdigen Text herantreten kön
ne als mit der Annahme, dass – Gott Gott ist ?43 Und sollte man be
harrlich dabei bleiben, darüber zu klagen, wie sehr ich dem Paulus mit
dieser Annahme Gewalt antue, so müsste ich die Gegenklage erheben,
das heiße dem Paulus Gewalt antun, wenn man ihn scheinbar von
Jesus Christus, in Wirklichkeit von einem wahrhaft anthroposophi
schen Chaos von absoluten Relativitäten und relativen Absolutheiten
reden lässt, gerade von dem Chaos, für das er in allen seinen Briefen
nur Ausdrücke des grimmigsten Abscheus übrig gehabt hat. Ich habe,
auch wenn ich durchaus nicht meine, alles befriedigend erklärt zu
haben, keinen Anlass gefunden, von meiner Annahme abzugehen.
Paulus weiß nun einmal etwas von Gott, was wir in der Regel nicht
wissen, aber durchaus auch wissen könnten . Dass ich weiß, dass Pau
lus dies weiß, das ist mein «System», meine «dogmatische Vorausset
zung”, mein «Alexandrinismus»44, und wie man das immer zu nennen
belieben mag. Ich habe gefunden, dass man dabei auch historisch
kritisch betrachtet, verhältnismäßig am besten fährt. Denn die mo
dernen Paulusbilder sind mir und einigen Andern auch historisch
durchaus nicht mehr glaubwürdig. - Die zahlreichen Anspielungen
auf gegenwärtige Erscheinungen und Probleme haben nur die Bedeu
tung von Erläuterungen. Meine Absicht war nicht, dies und das zur
Lage zu sagen, XV/ sondern den Römerbrief zu verstehen und zu
erklären. Es hängt mit meinem Auslegungsgrundsatz zusammen, dass
ich nicht einsehen kann, wieso die zeitgeschichtlichen Parallelen, die
i Druckmanuskript: «müsste».
18
in andern Kommentaren ungefähr alles sind, zu diesem Zweck an sich
lehrreicher sein sollen als die Vorgänge, deren Zeugen wir selber sind.
Und nun hat man diese meine Stellung zum Text Biblizismus ge
nannt, lobend die einen, tadelnd die andern". Ich kann auch dieses
Gleichnis, das nicht ich gemacht, annehmen, unter der Bedingung,
dass man mir erlaubt, es selbst zu deuten. «Es gibt überhaupt keinen
Punkt im Denken des Paulus, der ihm ungemütlich wäre ... kein noch
so bescheidener zeitgeschichtlicher Rest bleibt übrig”, schreibt Wern
le mit einer gewissen Erbitterung und zählt dann auf, was alles als
«ungemütliche Punkte» und «zeitgeschichtliche Reste» hätte «übrig
bleiben» sollen, nämlich: die paulinische «Geringschätzung» des ir
dischen Lebenswerks Jesu, Christus als Gottes Sohn, die Versöhnung
durch das Blut Christi, Christus und Adam, der paulinische Schrift
beweis, der sog. « Taufsakramentalismus», die doppelte Prädestination
und die Stellung des Paulus zur Obrigkeit+6. Man stelle sich nun einen
Römerbriefkommentar vor, in dem diese kleinen acht Punkte uner
klärt, d. h. als «ungemütliche Punkte » erklärt unter einem Ranken
werk von zeitgeschichtlichen Parallelen « übrig bleiben» ! Was soll da
der Name «Kommentar» ? Gegenüber diesem gemütlichen Liegenlas
sen des Ungemütlichen besteht nun also mein Biblizismus darin, dass
ich über diese «Anstöße des modernen Bewußtseins»47 so lange nach
gedacht habe, bis ich z.T. gerade in ihnen die ausgezeichnetsten Ein
sichten zu entdecken meinte, z.T. jedenfalls verhältnismäßig erklä
rend davon reden konnte. Wie weit ich sie richtig erklärt habe, das ist
eine Frage für sich; nach wie vor schwer erklärliche Stellen gibt es auch
für mich im Römerbrief; ich könnte sogar noch weitergehen und
Wernle das Zugeständnis machen, dass meine Rechnung genau ge
nommen in keinem einzigen Vers etwa glatt aufgeht, dass ich (und der
aufmerksame Leser sicher mit mir) überall mehr oder weniger deut
Im Druckmanuskript vor nachträglicher Streichung: «Römerbrief, es sind
hauptsächlich die Stellen, die das persönliche konkrete Verhältnis des Apostels
zu der römischen Gemeinde betreffen, die mir auch diesmal nicht recht leben
dig geworden sind;».
45 Siehe z.B. «tadelnd» Wernle, S. 64.168f. (vgl. oben S. 10, Anm. 14), und
« lobend » Brunner, S. 78–87 .
46 Wernle, S. 169.
47 Wernle, S. 169.
19
lich im Hintergrunde noch einen unverstandenen und unerklärten
« Rest» wittre, der auf Verarbeitung wartet. Aber auf Verarbeitung
wartet, – nicht darauf, dass man ihn «übrig» lässt:" Dass unerklärte
historische Brocken an sich die Siegel der wahren Forschung sein
sollen, das ist's, was mir, dem sog. «Biblizisten» und Alexandriner,
nicht in den Kopf will. Im übrigen verhehle ich nicht, dass ich meine
« biblizistische » Methode, deren Formel einfach lautet: Besinn dich!
auch auf Lao - Tse oder Goethe anwenden würde, wenn es meines Am
tes wäre, Lao - Tse oder Goethe zu erklären, und dass ich andrerseits
bei einigen andern biblischen Schriften XVI etwas Mühe haben wür
de, sie anzuwenden. Genau genommen dürfte der ganze « Biblizis
mus», den man mir nachweisen kann, darin bestehen, dass ich das
Vorurteil habe, die Bibel sei ein gutes Buch und es lohne sich, wenn
man ihre Gedanken mindestens ebenso ernst nimmt wie seine eige
nen .
Druckmanuskript: « nicht».
50 Siehe oben S. XIII.
SI A.a.O. (s. oben S. XIII, Anm. 10), S. 105 : «Freilich kann die rücksichtslose
Entschiedenheit, mit welcher die Relativität aller «vorletzten Dinge, aufge
deckt wird, auch gefährlich wirken [...]. Unter den Thessalonichern begannen
manche cunordentlich > zu wandeln, weil sie den Tag des Herrn bereits gegen
wärtig glaubten. Hat nicht die Verachtung aller Politik, die sich im Verfolg
Barth’scher Gedanken bei unreifen Geistern einstellen kann, etwas von diesem
Zug ? »
52 Vgl. O. Spengler, Pessimismus?, in: Preußische Jahrbücher. Berliner Mo
natsschrift für Politik, Geschichte und Literatur, Bd. 184, Berlin 1921 , S. 73–84,
dort S. 84.
53 A. von Harnack, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott. Eine Mo
nographie zur Geschichte der Grundlegung der katholischen Kirche, Leipzig
1921 .
21
scheinen von Harnacks Buch zu Marcion gestelltS4, Harnack selbst
zu - Thomas Münzer " , und Walther Köhler, wenn ich nicht irre, zu
Kaspar Schwenkfelds6. Vielleicht dürfte bei diesem Anlass die Frage
aufzuwerfen sein, ob dieses bei den theologischen Historikern so be
liebte Austeilen von alten und uralten Ketzerhüten stattfinden dürfte,
bevor sie sich jeweilen unter sich besser geeinigt haben ? Man wird es
mir als dem diesmal Betroffenen zugute halten, wenn ich mich dar
über wundere, wie verschieden die Nominationen der drei Forscher
ausgefallen sind .
Ein Wort noch über eine Einzelheit. Der Übersetzung von niotis
mit « Treue Gottes» ist eine Wichtigkeit beigemessen worden, die sie
für mich jedenfalls nicht hatte. Jülicher hat ja sogar gemeint, um dieser
Sache willen habe ich jene « Entdeckerfreude» empfunden, von der
mein erstes Vorwort etwas' romantisch redete. 57 Vor allem ist nun ein
zugestehen, dass Rudolf Liechtenhan der geistige Vater dieser Neue
rung ist. Er hat mich s.Z. brieflich auf die Möglichkeit dieser Über
setzung aufmerksam gemacht und ist unterdessen auch öffentlich da
für eingetreten. ": Auf den allgemeinen Protest hin habe ich die Zahl
der Stellen, an denen ich diese Übersetzung vorziehe, etwas be
schränkt (in unangenehmer Häufung wird sie ihren Gegnern nur
noch im 3. Kap. begegnen) und kann im übrigen nur beteuern, dass ich
mit ihr lediglich auf das Schillern des Begriffs hinweisen will, was
offenbar durch die gewohnte monotone Wiedergabe mit « Glaube» so
wenig geschieht, wie es geschehen würde, wenn ich das gelegentliche
« Treue » pedantisch verallgemeinern würde. Dass der Begriff tatsäch
lich schillert, wird man mir angesichts von Röm. 3,3 , angesichts der
22
bekannten Variante zu Hab. 2,4 LXX und angesichts der analogen
Situation bei den verwandten Begriffen αγάπη , γνώσις , ελπίς, χάρις ,
SixaloOÚvn , eiońvn u. a. kaum abstreiten wollen oder können.
Eine Literaturbemerkung beizufügen, habe ich diesmal aus ver
schiedenen Gründen unterlassen. Richtig zu stellen ist, dass die in der
ersten Auflage erwähnte Römerbrieferklärung von C. H. Rieger
( 1726–1791) in seinen « Betrachtungen über das N. T. 1828» merk
würdigerweise vom 3. Kap. an wörtlich übereinstimmt mit der 1851
edierten Erklärung von Fr. Chr. Steinhofer ( 1706–1761).Sº Das Plagiat
kann jedenfalls nicht zu Lasten des würdigen Rieger selbst fallen .
Vielleicht vermag ein württembergischer Spezialist Licht in diese
dunkle Sache zu bringen. - Über die textkritischen Anmerkungen, die
Jülicher in seinem Eifer, mich in die sanften Auen der praktischen
Theologie zu verweisen, überhaupt|XVIII weggewünscht hat“, ist zu
sagen , dass ich sie da angebracht habe, wo ich vom Text von Nestle“,
den ich in den Händen der meisten theologischen Leser voraus
setzte", abweichen zu müssen glaubte. In Dinge, die ich notorisch
nicht beherrsche, meine ich nirgends hineingeredet zu haben. Kurz zu
begründen, warum ich an z.T. nicht unwichtigen Stellen anders lese,
konnte ich darum , bereit eines besseren belehrt zu werden, doch nicht
ganz unterlassen .
Gewissen Rezensenten würde ich, wenn ich könnte, dringend na
helegen, zu beachten, dass es diesmal noch gefährlicher ist als das erste
Mal, rasch und sicher irgend etwas Entzücktes oder Unwirsches über
das Buch zu schreiben, würde ihnen raten, zu überlegen, was es be
m
Druckmanuskript: «voraussetze» .
24
Vorwort zur dritten Auflage
haupt nur die wandern, die von ihm angeführten jüdischen, vulgär
christlichen , hellenistischen und sonstigen «Geister». Oder auf wel
che Stelle könnte man etwa den Finger legen mit der Behauptung, dass
da nun ausgerechnet das pneuma Christou zu Worte komme ? Oder
umgekehrt gesagt: Ist der Geist Christi etwa ein Geist, der als kon
kurrierend neben andern Geistern vorgestellt werden kann ? Also,
schließe ich, kann es sich auf keinen Fall darum handeln, den Geist
Christi, die «Sache» in der Weise gegen die Wandern Geister» auszu
142. Vgl. dazu die Korrespondenz zwischen Barth und Bultmann in: K. Barth
R.Bultmann , Briefwechsel 1911-1966, hrsg. von B. Jaspert (Gesamtausgabe,
Abt. V), Zürich 1994’, S. 3–10.
3 A. Schlatter, Karl Barths « Römerbrief», in: Die Furche, Jg. 12 ( 1922),
S. 228–232 = Anfänge I, S. 142–147.
4 Siehe oben S. XXX -XXXI.
s W. Kolfhaus, Was sagt uns Karl Barth, «Der Römerbrief»?, in: RKZ, Jg.72
( 1922), S. 64f.
6
R. Bultmann, a.a.O. (s. oben S. 25 , Anm. 2), Sp. 373 bzw. S. 142.
26
spielen, dass im Namen jenes einige Stellen gelobt, einige andere, wo
Paulus nicht «aus der Sache heraus » rede, abgeschätzt werden. Son
dern darum handelt es sich, zu sehen und deutlich zu machen, wie der
«Geist Christi» die Krisis ist, in der sich das Ganze befindet. Alles ist
litera, Stimme der Wandern» Geister und -ob und inwiefern Alles etwa
auch im Zusammenhang der « Sache», als Stimme des spiritus (Christi)
verstanden werden kann, das ist die Frage, mit der die litera studiert
werden muss. Der Ausleger steht vor dem Entweder – Oder, ob er
sich, selber wissend, um was es geht, in ein Treueverhältnis zu seinem
Autor begeben, ihn mit der Hypothese lesen will, dass auch er, mit
mehr oder weniger Deutlichkeit, bis aufs letzte Wort (denn wo sollte
da die Grenze gezogen werden ? doch nicht durch die Aufdeckung
historischer Abhängigkeitsverhältnisse ?) gewusst habe, um was es
geht. Er wird dann seinen Kommentar nicht über Paulus, sondern,
gewiss oft nicht ohne Seufzen und Kopfschütteln, so gut es geht, bis
aufs letzte Wort mit Paulus schreiben. Das Maß des « Geistes Christi»“,
das er dabei bei Paulus wahrnimmt und anschaulich machen kann in
seiner eigenen Wiedergabe, wird gewiss nicht überall gleich groß sein,
sondern ein «Mehr oder weniger». Er fühlt sich aber verantwortlich
in dieser Sache. Er lässt sich nirgends gänzlich verblüffen durch die
Stimme der Wandern» Geister, die die Dominante des « Geistes Chri
sti» oft fast unhörbar machen will. Er sucht den Mangel an Verständ
nis immer zuerst bei sich selber und nicht bei Paulus. Es lässt ihm
keine Ruhe, zu sehen und zu zeigen, inwiefern paradoxerweise all das
Zerstreute doch im Zusammenhang der einen Sache steht, alle die
« andern » Geister tatsächlich doch dem Pneuma Christou irgendwie
dienstbar sind. Natür -XXI|lich kann der Ausleger auch nicht mit je
ner Hypothese an Paulus herantreten, jenes Vertrauen ihm verwei
gern. Vielleicht weiß er ja selbst nicht oder nicht deutlich genug , um
was es in einer Schrift, wie es der Römerbrief ist, etwa gehen könnte .
Oder vielleicht verzweifelt er an der Aufgabe , im Chorus der «an
dern » Geister , der ihm aus allen Zeilen seines Textes entgegen schallt ,
die Stimme jenes Wissens zu vernehmen . Er wird dann seinen Kom
mentar über Paulus schreiben , mit Paulus höchstens gelegentlich ,
wenn Paulus zufällig etwas sagt, was auch ihm einleuchtet . Ihm wird
a 2. Abdruck ( 1923 '): « Geistes, Christi»». Korrektur nach Druckmanu
skript.
27
sich das Maß des Geistes Christi bei Paulus, wenn er das ihm Ein
leuchtende überhaupt so bezeichnen will, nach dem Schema « Teils –
teils» darstellen. Er steht als unverantwortlicher Zuschauer neben
dem Konglomerat von Geist und Geistern, das für ihn den Text be
deutet. Er kennt jene Unruhe um den Sinn des Textes nicht, weil er
jenes Treueverhältnis zu ihm nicht kennt, weil er, auch wenn er be
dingterweise ein Stück weit mit ihm geht, doch keinenfalls entschlos
sen ist, mit ihm zu stehen und zu fallen. Ich halte es für ausgeschlos
sen, dass man irgend einem Schriftsteller gerecht werden, irgend einen
Schriftsteller wirklich wieder zum Reden bringen kann, wenn man
jene Hypothese nicht wagt, jenes Treueverhältnis zu ihm nicht ein
geht. Reden über jemanden scheint mir hoffnungslos dazu verurteilt,
an ihm vorbei zu reden und sein Grab dichter zu schließen. Ich ver
stehe es, dass in der Verzweiflung je und je auch dieser Weg betreten
werden muss. Es gibt ja wirklich Erscheinungen genug , die uns nur ein
Reden über sie zu gestatten scheinen, wobei es sich freilich immer
noch fragt, ob das Rätselhafte ihrer Rätselhaftigkeit mehr auf ihrer
oder mehr auf unserer, der Betrachter, Seite zu suchen ist. Was ich aber
nicht verstehen kann, das ist die Einladung, die Bultmann an mich
richtet, Feuer und Wasser zu vermengen, mit Paulus zu denken und
zu schreiben , also doch wohl zunächst in der ganzen Fremdsprache
seiner jüdisch -vulgär -christlich -hellenistischen Gedankenwelt, um
dann plötzlich, wenn es mir etwa zu bunt wird – als widerführe mir
etwas besonders Fremdartiges, wo Alles fremdartig ist ! - , « kritisch »
über und gegen Paulus zu reden. Ob Bultmann nicht auch einsieht,
dass dies, nur schon vom Standpunkte der Stilreinheit aus betrachtet,
nicht geht, dass das, von mir aus gesehen, eine Geschmacksverirrung
wäre, ein Rückfall in die Methode der «zeitgeschichtlichen Reste » und
«ungemütlichen Punkte»?? Er deutet an, dass hier bei mir ein «mo
dernes Inspirationsdogma»8 im Hintergrund stehen müsse. Worauf
ich antworte, dass ich die gewisse Analogie meines Verfahrens zur
7 Siehe Wernle, S. 169: «Es gibt überhaupt keinen Punkt im Denken des
Paulus, der ihm ungemütlich wäre [...]. Es bleibt alles in Harmonie zwischen
Paulus und seinem Exegeten, und mit dem Heraushören des ewigen Gottes
worts ist in solchem Maße ernst gemacht, daß kein noch so bescheidener zeit
geschichtlicher Rest übrig bleibt.» Vgl. oben S. 19.
8
R. Bultmann, a.a.O. (s. oben S. 25 , Anm. 2), Sp. 372 bzw. S. 141 .
28
alten Verbalinspirationslehre (auch Schlatter hat sie missbilligend fest
gestellt von der ersten Auflage an nicht in Abrede gestellt habe. Mir
scheint XXII diese Lehre in der Form, wie etwa Calvin sie vorge
tragen hat, mindestens sehr geistreich und erwägenswert. Inwiefern
ich sie mir zu eigen mache, meine ich eben gezeigt zu haben: ich kann
nicht einsehen, wie es einen Weg zum Geist einer (irgend einer!)
Schrift geben soll als den mittelst der hypothetischen Erwartung, dass
ihr Geist gerade durch den Buchstaben zu unserem Geist reden werde.
Die unvermeidliche Kritik des Buchstabens durch den Geist fällt da
mit durchaus nicht dahin. Im Gegenteil: gerade unter der Vorausset
zung jenes Treueverhältnisses zum Texte ergibt sich von selbst die
Notwendigkeit, die im einzelnen Textwort gezogenen Linien still
schweigend oder ausdrücklich zu verlängern oder zu verkürzen, wo
ein Stehenbleiben beim Wortlaut ein offenbares Unterdrücken des
sen, was zu Worte kommen möchte und muss, bedeuten würde. Calvin
hat diese Art Kritik meisterhaft geübt, ohne die Zucht, in die man sich
dabei freilich nehmen muss, zu vernachlässigen. Der Notwendigkeit
dieser Art Kritik habe auch ich mich, wie der aufmerksame Leser
sofort wahrnehmen wird, nicht entzogen, hoffentlich ohne der na
heliegenden Gefahr, die damit verbunden ist, allzu hemmungslos zu
unterliegen. Ich habe sie aber mit Absicht nicht gegen Paulus gerichtet
und gedenke mich nicht dazu verlocken zu lassen. Das pneuma Chris
tou ist kein Standpunkt, auf den man sich stellen kann, um von hier
aus den Paulus oder wen auch immer zu schulmeistern. Es sei uns
genug, uns, nicht ganz von ihm verlassen, trotz der Wandern» Geister
lernendlehrend neben Paulus zu stellen, bereit geistlich Gemeintes
auch geistlich aufzufassen (vgl.1 . Kor 2,13 ], und bereit, zu erkennen,
dass auch unsere eigene Stimme, mit der wir das Vernommene weiter
geben, zunächst ganz und gar die Stimme «anderer» Geister ist. Über
die Relativität aller menschlichen Worte, auch der paulinischen, denke
ich mit Bultmann und allen Verständigen einer Meinung zu sein. Aber
was bedeutet Relativität ? Fragwürdigkeit? Gewiss, aber wie kann ich
die, wenn das nötig ist, besser demonstrieren, als indem ich mich aus
allen Kräften bemühe, ihre Fragwürdigkeit herauszuarbeiten ? Ist
nicht mehr als einem Leser das Problematische des Paulinismus ge
29
rade an meinem Buch klar geworden? Ich habe nichts dagegen ein
zuwenden. Gewiss, wir müssen auch über Paulus hinaussehen lernen .
Aber das erreichen wir nur dadurch, dass wir, jenes Treueverhältnis
eingehend, mit rücksichtslosem Ernst uns bemühen, in ihn hineinzu
sehen .
Im Blick auf den eigentümlichen Inhalt meiner zweiten Römer
brieferklärung möchte ich dem Buch folgendes Geleitwort aus Cal
vins Kommentar zu Hebr. 11,1 auf den Weg geben: «Gnade ist nicht
ohne den Schein eines Widerspruchs. Glaube ist Grundlegung, d. h.
Stütze und Besitz, auf den wir unsern Fuß setzen können. Aber
|XXIII Besitz welcher Dinge ? Nicht vorhandener, die, weit entfernt,
unter unsern Füßen zu sein, vielmehr auch die Fassungskraft unseres
Geistes übersteigen. Ebenso steht es damit, dass der Glaube ein Be
weis der nicht erscheinenden Dinge genannt wird. Denn Beweis be
deutet Aufweis der Dinge in der Erscheinung und kann sich nur auf
das erstrecken, was unseren Sinnen zugänglich ist. So streiten diese
zwei scheinbar gegeneinander und vereinigen sich doch aufs Beste,
wenn es sich um den Glauben handelt. Der Geist Gottes zeigt uns
eben verborgene Dinge, deren Kenntnis unseren Sinnen unzugänglich
ist. Er verheißt uns ewiges Leben, uns, den Toten . Er redet uns von der
seligen Auferstehung, uns, die wir von Verwesung umgeben sind. Ge
rechte werden wir genannt, und in uns wohnt die Sünde. Wir verneh
men, dass wir selig seien; inzwischen werden wir erdrückt vom un
endlichen Elend. Überfluß an allen Gütern wird uns verheißen und
reich sind wir nur an Hunger und Durst. Gott ruft: gleich werde er bei
uns sein, und scheint taub zu sein auf all unser Geschrei. Was würde
aus uns, wenn wir nicht in der Hoffnung stark wären, wenn unser
Herz nicht auf dem durch Gottes Wort und Geist erleuchteten Weg
mitten durch die Finsternis über die Welt hinauseilte ? » t0
IO
J. Calvin, Commentarius in epistolam ad Hebraeos, Calvini.Opera ss
(= CR 83), Braunschweig 1896, col. 143f. H.M. Matter machte in einer Miszelle
Angstvallig vertalen. Ook buiten den bijbel; zelfs bij Calvijn, in: De Schatka
mer. Maandschrift voor den heiligen, Utrecht 1933 , Nr. 10 und 11 vom
3.7.1933, S. 75 , auf einen Fehlerin Barths Übersetzung des ersten Satzes («Nec
vero gratia caret antilogiae species») aufmerksam. Barth habe «gratia» irrtüm
lich als Nominativ statt als Ablativ gedeutet und mit «Gnade» übersetzt. Die
Bedeutung des Satzes sei: «Und doch entbehrt der scheinbare Gegensatz nicht
30
Auch diesmal habe ich für treue Hilfe zu danken: Georg Merz hat
die Korrekturen besorgt und das Register erstellt" und Lukas Christ
in Pratteln hat sich um die sehr nötige Glättung meines Stils an zahl
reichen Stellen verdient gemacht' ?.
Das Bedenken, wie vieles in diesem Buch auf Grund fremder und
gemeinsamer Weiterarbeit verdeutlicht, zurechtgestellt, anders gesagt
werden müsste, hat mich seit der vorhergehenden Auflage nicht ver
lassen, im Gegenteil. Aber mit Flicken mag ich nicht erst anfangen,
und zu einer Umgestaltung an Haupt und Gliedern, wie ich sie 1920
unternehmen konnte, werde ich wohl noch lange keine Zeit finden ,
wie ich auch die überlegene Stelle noch nicht sehe, von der aus die
Sache in entscheidender Weise besser zu machen wäre. Sehe ich sie
einmal, dann wird sich sicher auch die nötige Zeit finden, um ganze
Arbeit zu tun. Vorläufig muss das Buch wieder so ausgehen, wie es ist.
Die Leser, auf die es ankommt, werden es sich ja nicht verdrießen
|XXIV| lassen, an Hand der laufenden theologischen Aussprache, so
weit sie aus größerer oder geringerer Nähe auch die Probleme des
« Römerbriefs » berührt, die bei der Lektüre notwendigen Vorbehalte
und Erweiterungen selber vorzunehmen.
Aus der äußern Geschichte des Buches ist gewiss erwähnenswert,
dass Jülicher es inzwischen in einer zweiten Rezension, sein «letztes
Wort » sagend, als «der Hybris eines Pneumatikers » entsprungen er
klärt hat', während das Organ der holländischen Gereformeerden,
befremdet über all die darin enthaltenen «negaties», «tot groote voor
zichtigkeit» ihm gegenüber ermahnt und von seiner Art erklärt, sie
könne «daarom de onze niet zijn»?. Mehr zu denken gaben mir meh
| A. Jülicher, Barth, Prof. Karl: Der Römerbrief. 2. Auflage in neuer Be
arbeitung, in: ThLZ, Jg. 47 ( 1922), Sp. 537-542. Die Rezension schließt mit den
Worten : «Aber, daß Barths Versuch, den Paulus mit Beschlag zu belegen für
eine Weltanschauung, die schon seinem naiven Schrift- (und dadurch in ge
wissem Sinn doch wieder Buchstaben-) glauben ins Gesicht schlägt, der Hy
bris eines Pneumatikers entspringt und nicht aus nüchterner Wissenschaft, ist
das letzte Wort, das ich über einen Römerbrief Barths sagen werde . »
? Die Worte beziehen sich auf die abweisende Beurteilung von F.W. Gros
heide, Karl Barths verklaring van den Brief aan de Romeinen , in: De Refor
matie. Weekblad tot ontwikkeling van het gereformeerde leven, Jg. 3 ( 1922/23),
32
rere Voten von katholisch -theologischer Seite, bei denen ich teilweise
auf ein sachliches Verständnis dessen, worum es hier geht, und vor
allem auf ein theologisches Diskussionsniveau gestoßen bin, das ich
nicht eben vielen von meinen verehrlichen Rezensenten diesseits des
großen Grabens zuerkennen könnte. Wie soll man diese mir wirklich
unerwartete Begegnung in gewissen gemeinsamen Grundsätzen deu
ten ? Erich Przywara S. J. konstatiert bei unsrer «Schule»(! ) im Gegen
satz zu der Otto-Heilerschen «eine urechte Wiedergeburt des Prote
stantismus», den «Gluthauch alter Reformatorenleidenschaft» . Jo
seph Engert meint und beweist umgekehrt, der Inhalt meines « Rö
merbriefs » lasse sich in allen Hauptpunkten (mit Ausnahme der in
Kap. 9–11 entwickelten Lehre von der Kirche! ) ebenso gut, nur viel
klarer und einfacher in den Sätzen des Thomas, des Tridentinums und
des römischen Katechismus ausdrücken. Beides ist offenbar nicht
ganz dasselbe. Vielleicht müssen sich auch die katholischen Herren
Gesprächspartner erst unter sich verständigen, als was sie uns eigent
Nr. 28 vom 13.4.1923 . Dort heißt es auf S. 221 (in deutscher Übersetzung):
«Unsere Zeit ist eine Zeit [...] von Negationen.» «Aber es läuft falsch, wenn
Barth meint, die Absolutheit Gottes nur dadurch zum Ausdruck bringen zu
können, dass alles andere relativ und zur Negation gemacht wird [...] . Barths
Erklärung des Römerbriefs mahnt uns darum zu großer Vorsicht. Mögen wir
uns daran erfreuen, dass hier nicht der Tod im Topf ist, dass von einem Einge
hen auf den Text, von einem persönlichen Miterleben die Rede ist [...], die Art,
mit der dies geschieht, lässt der Autorität eines über uns stehenden Wortes
Gottes kein Recht widerfahren [...] und kann deshalb nicht die unsere sein.»
3 E. Przywara, Gott in uns oder Gott über uns? (Immanenz und Transzen
denz im heutigen Geistesleben ), in: StZ , Jg.53, 105. Bd. ( 1923 ), S. 343–362, dort
S.5.350.355 ; wieder abgedruckt in: ders., Ringen der Gegenwart, Gesammelte
Aufsätze, 2. Bd., Augsburg 1929, S. 543-578, dort S.553.564.
4 J. Engert, Metaphysik und Historismus im Christentum , in: Hochland,
Jg. 21 ( 1923/24), S. 502-517.638–651 ; dort S. 506 : «Wenn Barth sich einmal die
Mühe neh wollte, zu erforschen, was die Alten mit ihrer Typologie und
dem doppelten Sinn der Schrift sagen wollten (dem sensus historicus und my
sticus, etwa nach Thomas von Aquin, Summa theologica Iqla 10), dann würde
er seine Anschauungen in viel klarerer Form wiederfinden.» – S. 508 : Das von
Barth richtig herausgehobene «absolut Theozentrische des Christentums Pau
li» entspricht dem «Wesen aller katholischen Frömmigkeit», «ausgesprochen
vor allem in der Gnadenlehre», zu der «das einzige authentische Buch» «das
Tridentinum » ist. – S. 5is zu Barths Auslegung von Röm . 12–14:«Ich finde,
daß das alles viel einfacher – in jedem katholischen Katechismus gesagt ist » .
33
lich anreden wollen. Dann werden wir ihnen weitere Antwort nicht
schuldig bleiben. Vorläufig gestehe ich aber offen, dass ich die hier
aufgetauchte Möglichkeit einer nicht nur historischen, sondern sach
lichen Unterhaltung mit den Theologen der alten Kirche als ein gutes
und verheißungsvolles Zeichen für beide Teile aufgefasst habe. Wer
sich, wie «wir» es allerdings möchten, in die Nähe der reformatori
schen Theologie begibt, der wird sich auch der ebendamit sich ein
stellenden Nähe der Voraussetzung jener: der Nähe der mittelalterli
chen Theologie (bei gründlichstem Abscheu vor allen mystizisieren
den, hochkirchlichen und «evangelisch-katholischen» Dilettantis
men) nicht schämen dürfen und – tut es auch nicht.
34
Vorwort zur fünften Auflage
38
nur der Dialektik des Begriffes « Erfolg » zu erinnern, um wenigstens
etwas von diesem Äquivalent alsbald zu Gesicht zu bekommen. Mo
niti discamus!
Das ist's, was ich dem Buche diesmal vorausschicken wollte.
39
Vorwort zur sechsten Auflage
Die mehr als zweieinhalb Jahre, die seit der fünften Auflage ins Land
gegangen sind, haben auch meinen gewissen Abstand von diesem
Buch merklich vergrößert. Nicht, dass ich in Auslegung des Paulus
und der Heiligen Schrift überhaupt heute etwas sachlich Anderes zu
sagen hätte. Der entscheidende sachliche Anstoß, den man an diesem
Buche genommen hat, ist derselbe, zu dem ich mich auch heute be
kennen muss. Solange nicht eingesehen ist, dass er notwendig gegeben
werden muss, dass der Widerspruch dagegen also unangebracht ist,
oder solange ich nicht überführt worden bin, dass ich ihn zu Unrecht
gegeben habe, werde ich ihn wohl weiter geben müssen, und so mag er
denn auch in der ursprünglichen Form, in der er mir einst selber zum
Anstoß wurde, in diesem Buche weiter sichtbar sein. Ich möchte es
aber doch nicht ziehen lassen ohne das ausdrückliche Bekenntnis, dass
ich, wenn ich heute wieder vor der Aufgabe dieses Buches stünde, um
dasselbe zu sagen, alles ganz anders sagen müsste, weil ich unterdessen
gelernt habe, dass Paulus einerseits viel mannigfaltiger, andererseits
aber auch noch viel monotoner redet, als ich ihn damals habe reden
lassen. Vieles wäre kürzer und vieles ausführlicher, vieles vorsichtiger
und umsichtiger, vieles auch entschiedener und eindeutiger zu sagen.
Viel Beiwerk, das durch meine eigene und die allgemeine damalige
Lage bedingt war, wäre wegzuschneiden , und viele Zusammenhänge ,
die mir damals noch nicht bewusst waren, wären sichtbar zu machen .
Den Vorbehalt, der durch die Tatsache gegeben ist, dass ich, seit dieses
Buch geschrieben wurde, sieben Jahre älter geworden und dass un
terdessen unser aller Hefte korrigiert worden sind, wird sich also der
Leser von heute vor Augen halten müssen. Die in der Zeit seit der
fünften Auflage begonnene Veröffentlichung meines Entwurfs zur
Dogmatik' bedeutet für dieses Buch insofern eine Entlastung, als eine
' K. Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, Bd. 1 : Die Lehre vom
Worte Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogmatik, München 1927; Neu
ausgabe, hrsg. von G. Sauter (Gesamtausgabe, Abt. II), Zürich 1982. Zu der in
40
ernsthafte Kritik seines Inhalts sich nun mindestens auch an jene
zweite umfassende Arbeit mit der in ihr angestrebten größeren Breite
und Präzision wird halten müssen. Weiterfragende Leser werden also,
wenn sie nach der Lektüre dieses Buches noch immer Zutrauen zu mir
haben, von jener und von der übrigen anderweitigen Fortsetzung des
hier Begonnenen auch Kenntnis nehmen müssen. In Neuendettelsau
« darf man von Karl Barth sagen, daß er schon leise anfängt, ein Mann
von gestern zu werden» («Freimund» vom 8. November 1928).? Si
cher, sicher! Die Toten reiten schnell und die erfolgreichen (vgl. Vor
wort zur fünften Auflage) Theologen noch schneller. Wie hätte ich
dieses Buch schreiben können, wenn ich darauf nicht theoretisch und
praktisch einigermaßen vorbereitet gewesen wäre, bevor ich ein
«Mann von heute» wurde ? Habe ich dazu die «Zeit» und die «Ge
schichte» so gering geachtet, wie man es mir wenigstens vorgeworfen
42
An die Römer
1. Kapitel
EINGANG
DER VERFASSER AN DIE LESER
1,1-7
SI
berührt, berührt sie sie als ihre Begrenzung, als neue Welt. So ist die
Auferstehung das Ereignis vor den Toren Jerusalems im Jahre 30, so
fern sie dort « eintrat», entdeckt und erkannt wurde. Und sie ist es
auch wieder gar nicht, sofern ihre Notwendigkeit, Erscheinung und
Offenbarung nicht durch jenes Eintreten, Entdecken und Erkennen
bedingt, sondern selbst ihr Bedingendes ist. Sofern Jesus sich offen
bart und entdeckt wird als der Messias, ist er ja schon vor dem Oster
tag «eingesetzt als Sohn Gottes», so gewiss er es auch nach dem Oster
tag ist. – Das ist die Bedeutung Jesu: die Einsetzung des Menschen
sohns als Sohn Gottes. Was er abgesehen von dieser Einsetzung ist, das
ist so wichtig und so unwichtig wie alles Zeitliche, Dingliche und
Menschliche an sich sein kann. «Ob wir auch Christus nach dem Flei
sche gekannt haben, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr.» [2. Kor.
5,16b]. Indem er war, ist er; aber indem er ist, liegt was er war, dahin
ten. Keine Vermählung und Verschmelzung zwischen Gott und
Mensch findet hier statt, kein Aufschwung des Menschen ins göttliche
und keine Ergießung Gottes ins menschliche Wesen ", sondern was
uns in Jesus dem Christus berührt, indem es uns nicht berührt, das ist
das Reich Gottes, des Schöpfers und Erlösers. Es ist aktuell geworden.
Es ist nahe herbeigekommen (3,21f. (vgl. Mt. 4,17 par.]). - DieserJesus
Christus ist « unser Herr ». Durch seine Gegenwart in der Welt und in
unserm Leben sind wir als Menschen aufgehoben und in Gott be
gründet, durch den Blick auf ihn still gestellt und in Bewegung ver
setzt, Wartende und Eilende "9. Weil er als der Herr über Paulus und
den Römern steht, darum ist « Gott» im Römerbriefe kein leeres
Wort. 171
18
Vgl. unten S.406f., Anm .49 und so.
19 Anspielung auf 2. Petr. 3,12: «... dass ihr wartet und eilet zu der Zukunft
des Tages des Herrn ... » Die Wendung «warten und eilen » begegnet bei Barth
häufig. Er assoziiert mit ihr die Quintessenz der eschatologischen Botschaft
von Chr. Blumhardt und gebraucht sie auch selber gern, um die christliche
Haltung angesichts des Eschaton zu charakterisieren. Vgl. Vergangenheit und
Zukunft ( 1919), in: Neuer freier Aargauer, Jg. 14 ( 1919), Nr. 204 und 205 =
Anfänge I, S. 37–49, dort S. 48f.: «Das Einzigartige, wir sagen mit vollem Be
dacht: das Prophetische in Blumhardts Botschaft und Sendung lag darin, wie
sich das Eilen und Warten, das Weltliche und das Göttliche, das Gegenwärtige
und das Kommende in seinem Reden und Tun begegnete, vereinigte, ergänzte,
immer wieder suchte und fand. »
52
Von Jesus Christus « Gnade und Apostelamt» des Paulus. Gnade ist
die unbegreifliche Tatsache, dass Gott an einem Menschen Wohlge
fallen hat und dass ein Mensch sich in Gott freuen kann. Nur wenn sie
als unbegreiflich erkannt wird, ist Gnade Gnade. Eben darum gibt es
Gnade nur im Widerschein der Auferstehung, als Geschenk des Chri
stus, der die Distanz zwischen Gott und Mensch überbrückt, indem
er sie aufreißt. Aber indem Gott den Menschen erkennt von weither
und vom Menschen erkannt wird in seiner unerforschlichen Höhe,
kommt der Mensch zu seinen Mitmenschen unvermeidlich in das
Verhältnis eines «Sendboten». «Ein Zwang ist über mir. Wehe mir,
wenn ich die Heilsbotschaft nicht verkündigte !» ( 1.Kor. 9,16). Nur
um ein Mehr oder Minder kann es sich handeln bei dem Unterschied
zwischen Paulus und andern Christen. Wo die Gnade des Christus ist,
da nimmt der Mensch auch bei der größten Zurückhaltung und Skep
sis Teil an der Verkündigung der Wende aller Zeiten und Dinge, der
Auferstehung. Ihm ist das Dasein der Welt zur Frage geworden, mit
der er ringen, und das Dasein Gottes zur Hoffnung, um die er ringen
muss. Nicht um die Durchsetzung und Verbreitung seiner Überzeu
gung handelt es sich, sondern um die Bezeugung der Treue Gottesa ,
der er in Christus begegnet und der er Gegentreue schuldig geworden
ist, indem er sie erkannt hat. Solche Gegentreue eines Menschen, der
Glaube, der die Gnade annimmt, ist von selbst Aufforderung zum
Gehorsam, die auch an andre Menschen sich richtet. Sie ruft, sie leuch
tet, sie rüttelt auf, sie ist Mission, und außer ihr gibt es keine andre
Mission. Der Name dessen, in dem die zwei Welten sich begegnen und
scheiden, muss zu Ehren gebracht werden. Gnade gibt Vollmacht, es
zu tun, weil Gnade selber Gebrochenheit ist ( 5,2).
Der gleiche Gott, der den Paulus zum Apostel der Völker gemacht
( 1,1 ), hat auch die römischen Christen in Beschlag genommen für sein
nahe herbeigekommenes Reich [Mt. 4,17 par.) . Als die zur Heiligkeit
Berufenen gehören sie nicht mehr sich selbst und nicht mehr der alten
vergehenden Welt, sondern dem, der sie berufen hat. Auch für sie ist
der Menschensohn eingesetzt als Gottessohn durch die Kraft der Auf
f Druckmanuskript: « im ».
20
Vgl. oben S. 22 .
53
erstehung. Auch sie sind jetzt und hier gefangen in der Erkenntnis der
großen Not und Hoffnung, Ausgesonderte und Vereinzelte für Gott
auch sie in ihrer Weise. Auch ihre neue Voraussetzung ist «Gnade und
Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus» . Möch
te diese Voraussetzung immer neu geschehen ! Möchte ihre Ruhe ihre
Unruhe sein und ihre Unruhe ihre Ruhe! Das ist der Anfang und das
Ende und der Inhalt des Römerbriefes. 18|
PERSÖNLICHES
1,8-15
V.8 Vor allem danke ich meinem Gott durch Jesus Christus, denn
von eurem Glauben redet man in der ganzen Welt. Die Auferste
hung hat ihre Kraft bewiesen: auch in Rom sind Christen. Sie sind es
ohne persönliches Zutun des Paulus. Aber wer auch immer ihnen den
Ruf des Christus gebracht haben mag ( 1,6): sie sind berufen. Grund
genug zum Danken: Der Stein ist weggewälzt von des Grabes Türe
(vgl. Mk. 16,4 par.], das Wort läuft, Jesus lebt, er ist auch in der Welt
hauptstadt. Die Christen weit und breit haben gelauscht bei der Nach
richt ( 16,19). Ist's auch nur ein Gleichnis “ , so ist's doch ein Gleichnis .
Nicht für die Frömmigkeit oder andre menschlich anschauliche Vor
züge der römischen Christen dankt Paulus seinem Gott, sondern ein
fach für ihr Dasein als Christen. Besondere Eigenschaften, besondere
Taten sind weniger wichtig als die Tatsache, dass die Fahne aufge
pflanzt, der Name des Herrn genannt und bekannt, das Reich Gottes
erwartet und verkündigt wird. Darin besteht ja der Glaube, die der
Treue Gottes begegnende Gegentreue des Menschen. Wo diese Tat
sache sich findet, da ist die durch die Auferstehung Jesu eingeleitete
Krisis im Gang, da offenbart sich seine Einsetzung als Sohn Gottes
( 1,4), da hat der Knecht des Herrn Grund zum Danken. Und weil die
Türen in Rom dem Herrn offen sind, darum auch ihm, dem Knecht.
21
Vgl. den « Chorus Mysticus» in J.W. von Goethe, Faust II, V.12104f.
( s . Akt, Bergschluchten):
Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis [...] .
54
V.9-10 Ein mehr als zufälliger und äußerlicher Zusammenhang
zwischen Paulus und den römischen Christen besteht längst. Denn
der Gott, welchen ich verehre in meinem Geist dadurch, dass ich die
Heilsbotschaft seines Sohnes verkündige, ist mein Zeuge, wie unab
lässig ich für euch einstehe in meiner Anbetung, nicht ohne das
Verlangen, es möchte mir doch endlich einmal möglich werden,
mit Gottes Willen zu euch zu kommen. Der Sendbote gehört ihnen
(er gehört aber vielen 1,14 !), so gewiss er Gott gehört. Der Geist des
Begnadigten, des Zeugen, den der Eifer um die Ehre seines Herrn
verzehrt ( 1,5 ( vgl. Ps. 69,10; Joh. 2,17]), kann den Geistern derer, die
von derselben Offenbarung und Entdeckung bewegt sind, nicht ferne
und fremd sein. Seine Anbetung ist Arbeit um ihretwillen so gut wie
um seinetwillen . Betet er, so betet er für sie, so gut wie sie, wenn sie im
Ringen nicht nachlassen, auch für ihn beten (15,30). Das Aufmerken
auf die Heilsbotschaft begründet Solidarität auch unter denen, die sich
nie sahen, deren Wege in dieser Welt sich nie berührten. Aus dieser
Gemeinschaft in der Sache darf dann auch der Wunsch aufsteigen nach
persönlicher Begegnung. Die sich in Gott kennen, 9 möchten sich
begreiflicherweise auch von Angesicht kennen lernen, wenn es sein
darf. Aber darf es sein ? Muss es sein ? Nicht durchaus, mit dem Reiche
Gottes hat ja dieser Wunsch direkt nichts zu tun. Gottes Wille muss
vor allem geschehen, vielleicht dass dann die Erfüllung menschlicher
Wünsche hinzugetan wird, vielleicht auch nicht. Was im Zusammen
hang mit dem, was Gott will, sein soll, schickt sich dann auch. Un
terdessen heißt es sich als die Unbekannten gegenseitig das Beste zu
trauen und fernerhin den Willen Gottes zu erkennen suchen. Er wird
erkannt in der aufrichtig zustande gekommenen Übereinstimmung
zwischen der äußerlich und innerlich gegebenen Lage mit der den
Christen ermöglichten Einsicht in das Rechte ( 12,2 ). Dieses Erkennen
des Augenblicks ist der einzige Weg, auf dem die Erfüllung mensch
licher Wünsche denkbar ist .
V.11-12 Ich sehne mich ja danach, euch zu sehen, weil ich euch
etwas mitteilen möchte von der Gnade des Geistes zu eurer Be
stärkung, oder besser: damit es in eurer Mitte zu einer gemeinsa
men Tröstung komme durch den Glauben, dem ihr und ich bei
einander begegnen werden. Jener Wunsch hat seinen Grund. Men
schen, die sich auf Gottes Wegen begegnen, haben einander etwas
55
mitzuteilen. Es kann einer dem andern etwas sein, freilich nicht indem
er ihm etwas sein will, also gerade nicht etwa durch seinen innern
Reichtum, nicht durch das, was er ist, wohl aber durch das, was er
nicht ist, durch seine Armut, durch sein Seufzen und Hoffen , Warten
und Eilen, durch alles das in seinem Wesen , was auf ein anderes hin
weist, das über seinen Horizont und über seine Kraft geht. Ein Apo
stel ist nicht ein positiver, sondern ein negativer Mensch, ein Mensch,
an dem ein solcher Hohlraum sichtbar wird. Damit ist er andern et
was, damit teilt er ihnen Gnade mit, damit bestärkt er sie in der Auf
merksamkeit, im Harren, in der Anbetung. Der Geist gibt Gnade
durch ihn, gerade weil ihm nichts daran liegt, selbst positiv zur Gel
tung zu kommen. Und dabei wird der Mitteilende von selbst zum
Empfangenden, je mehr er mitteilt, der Empfangende zum Mitteilen
den, je mehr er empfängt. Vernünftigerweise fragt man sich unter
Christen nicht: Kommt's von dir oder von mir? Denn es kommt we
der von dir noch von mir, Swir beide sind nichts und haben nichts .
Genug, dass es da ist, über uns, hinter uns, jenseits von unsh: das, was
beide, den Überlegenen und den Anfänger, tröstet in ihrer menschli
chen, äußerlichen und innerlichen Gebrechlichkeit und Anfechtung,
der Glaube, nämlich die Glaubensbotschaft, der Glaubensinhalt, die
Treue Gottes. Das Verlangen nach solch gemeinsamem Anklopfen an
den Türen des Himmelreichs, nach solch gemeinsamer Bewegung
durch den Geist | 10| darf sich wohl in uns regen, so gewiss Gemein
samkeit an sich etwas Leeres und Unwichtiges ist.
vorge
V.13 Ihr sollt aber wissen, Brüder, dass ich mir schon oft
nommen hatte, zu euch zu kommen – wurde aber daran bis jetzt
verhindert -, um auch in eurer Mitte, wie ich es auch unter den
übrigen Heiden getan, Ernte zu halten. Der Wunsch des Paulus,
nach Rom zu reisen, der offenbar einem Wunsch der römischen Chri
sten entgegenkommt, war schon öfters sein Vorsatz . Aber noch ist an
zu vielen Orten der Anfang, den Rom hat, noch nicht gemacht. Da
führte ihn sein Lebenswerk, die Sämannsarbeit auf jungfräulicher
Erde (15,20-22) immer wieder andre Wege. Es blieb aber die Sehn
8-8
1. Abdruck ( 1922°): «wir sind und haben beide nichts» . Korrektur in
Barths Handexemplar. Diese oben in den Text übernommene Korrektur ist im
2. Abdruck ( 19233) unrichtig ausgeführt worden: «wir beide sind und haben
nichts » .
h
1. Abdruck ( 19224) : «jenseits uns » .
S6
sucht und die Absicht, auch dort zu ernten, wo er nicht gesät (vgl. Mt.
25,24.26 par.], auch dort zu arbeiten, wo andre vorgearbeitet. Mit dem
Willen Gottes ( 1,10) konnte es bis jetzt nicht geschehen.
V. 14-15 Griechen und Barbaren, Gebildeten und Einfältigen
bin ich ja mich selbst schuldig und so ist es ganz mein Wunsch, auch
euch in Rom die Heilsbotschaft zu verkündigen. Paulus ist in
Pflicht genommen ( 1,1 ), das bedeutet eine Schranke seiner persönli
chen Wünsche, aber auch eine Möglichkeit ihrer Erfüllung. Landes
grenzen und Kulturschranken werden ihn sicher nicht zurückhalten,
und wenn es denn sein soll, wird er auf dem Geistes- und Religions
jahrmarkt in Rom ebenso ungescheut seines Amtes walten wie unter
den Albernen von Ikonium und Lystra (vgl. Act. 14,1–20]. Letztlich
kann ja auch der Grundsatz, nur da zu reden, wo die Heilsbotschaft
noch nicht gehört ist, kein Gesetz der Meder und Perser (vgl. Dan.
6,9.16] sein; denn wer könnte letztlich sagen, dass er die Heilsbot
schaft schon gehört hat?! Auch die christlichen Römer gehören zu
dem Völkerheer, dem er sich selbst als Gottgeweihter schuldig weiß.
Er wird auch ihnen das Alte als das Neue sagen. Das Bekannte ist ja in
diesem Fall immer und für alle das Nicht-Bekannte, dessen man sich
zu «erinnern» ( 15,15 ) nie genug tun kann. Vorläufig mag der Versuch
gemacht sein, durch ein schriftliches Wort jene Gemeinsamkeit des
Anklopfens und der Bewegung herzustellen.
i Druckmanuskript: «zu» .
57
DIE SACHE
1,16-17
Denn ich schäme mich der Heilsbotschaft nicht. Ist sie doch die
Kraft Gottes zur Errettung für jeden, der glaubt, für den Juden
zuerst und auch für den Griechen. Denn die Gerechtigkeit Gottes
enthüllt sich in ihr: aus Treue dem Glauben, wie geschrieben steht:
Der Gerechte wird leben aus meiner Treue. | 11 |
«Ich schäme mich nicht. » Die Heilsbotschaft braucht den Streit der
Weltreligionen und Weltanschauungen weder aufzusuchen noch zu
fliehen . Sie steht, als Botschaft von der Begrenzung der bekannten
Welt durch eine andere, unbekannte, außer Wettbewerb mit all den
Versuchen , innerhalb der bekannten Welt verhältnismäßig unbekann
te höhere Daseinskreise auch noch zu entdecken und zugänglich zu
machen. Sie ist nicht eine Wahrheit neben andern, sie stellt alle Wahr
heiten in Frage. Sie ist Angel, nicht Türe. Wer sie versteht, der ist,
indem er in dem Streit ums Ganze, um die Existenz versetzt wird,
befreit von allem Streit. Apologetik, Sorge um den Sieg der Heilsbot
schaft, gibt es nicht. Sie ist als Aufhebung und Begründung alles Ge
gebenen der Sieg, der die Welt überwindet (vgl. 1.Joh . 5,4]. Sie braucht
nicht vertreten und getragen zu werden, sie vertritt und trägt die, die
sie hören und verkündigen. Um ihretwillen ist das Kommen des Pau
lus in das von allen Geistern bewegte Rom nicht notwendig, so gewiss
er um ihretwillen getrost und ohne Scham kommen kann und kom
men wird. Wir wären Gott entbehrlich, Gott müsste sich unser schä
men, wenn er nicht Gott wäre – jedenfalls nicht umgekehrt.
Die Heilsbotschaft der Auferstehung ist « Kraft Gottes » . Sie ist sei
ne «virtus» ( Vulgata ), die Enthüllung und Erkenntnis seiner Bedeu
tung, seine betätigte Vorzüglichkeit vor allen Göttern. Sie ist die
Handlung, das Wunder aller Wunder, in dem Gott sich bekannt gibt
als der, der er ist, nämlich als der unbekannte Gott, der in einem Lichte
wohnt, da niemand zukann (vgl. 1.Tim. 6,16), der Heilige, der Schöp
fer und Erlöser. «Was ihr unwissend verehrt habt, das verkündige ich
euch! » (Act. 17,23). Alle Göttlichkeiten, die diesseits der durch die
Auferstehung gezogenen Linie bleiben, die in Tempeln wohnen, wel
che von Händen gemacht sind, und die von Menschenhänden bedient
werden, alle Göttlichkeiten, die «jemandes bedürfen », nämlich des
58
Menschen, der sie zu kennen meint (Act. 17,24–25 ), sind nicht Gott.
Gott ist der unbekannte Gott. Als solcher gibt er allen Leben und
Odem und alles (Act. 17,25b]. Und so ist seine Kraft weder eine Na
turkraft noch eine Seelenkraft, noch irgend eine von den höheren und
höchsten Kräften, von denen wir wissen oder möglicherweise wissen
könnten, weder ihre oberste, noch ihre Summe, noch ihr Born, son
dern die Krisis aller Kräfte, das ganz andere, an dem gemessen sie
etwas sind und nichts, nichts und etwas, ihr erstes Bewegendes und
ihre letzte Ruhe, ihr sie alle aufhebender Ursprung und ihr sie alle
begründendes Ziel. Rein und überlegen steht die Kraft Gottes nicht
neben und nicht (« supranatural») über, sondern jenseits aller bedingt
bedingenden Kräfte, nicht mit ihnen zu verwechseln, nicht an sie an
zureihen, nur | 12| mit äußerster Vorsicht mit ihnen zu vergleichen. Die
Kraft Gottes, die Einsetzung Jesu zum Christus ( 1,4) ist im strengsten
Sinn Voraus-Setzung, frei von allem greifbaren Inhalt. Sie geschieht im
Geiste und will im Geiste erkannt sein. Sie ist selbstgenugsam, unbe
dingt und in sich wahr. Sie ist das schlechthin Neue, das in der Besin
nung des Menschen auf Gott der entscheidende, der wendende Faktor
wird. Eben um das Aussprechen und Vernehmen dieser Botschaft
handelt es sich zwischen Paulus und seinen Hörern und Lesern. Auf
diese Botschaft bezieht sich alle Lehre, alle Moral, aller Kultus der
Christusgemeinde, sofern das alles nur Einschlagstrichter ist, nur
Hohlraum sein will, in dem die Botschaft sich selbst darstellt. Die
Christusgemeinde kennt keine an sich heiligen Worte, Werke und
Dinge, sie kennt nur Worte, Werke und Dinge, die als Negationen auf
den Heiligen hinweisen. Es bezöge sich alles «christliche» Wesen nicht
auf die Heilsbotschaft, es wäre menschliches Beiwerk, gefährlicher
religiöser Rest, bedauerliches Missverständnis, sofern es allenfalls
statt Hohlraum Inhalt, statt konkav konvex, statt negativ positiv, statt
Ausdruck des Entbehrens und der Hoffnung Ausdruck eines Habens
und Seins sein wollte. Wollte es das, würde es aus Christus-tum zum
Christen-tum, zu einem Friedensschluss oder auch nur zu einemmo
dus vivendi mit der diesseits der Auferstehung in sich selbst schwin
genden Weltwirklichkeit, so hätte es mit der Kraft Gottes nichts mehr
zu tun." Das sog. Evangelium stünde in diesem Fall durchaus nicht
12 Vgl. dazu die Charakterisierung der Kirche, wie Barth sie in der Gestalt
59
außer Wettbewerb, sondern im schwersten Gedränge zwischen den
andern Welt-Religionen und Welt-Anschauungen. Denn auf die Be
friedigung religiöser Bedürfnisse, auf die Herstellung wirksamer Il
lusionen über unser Wissen von Gott und besonders über unser Le
ben mit ihm versteht sich die Welt sicher besser als ein sich selbst
missverstehendes Christentum". Es wäre dann aller Anlass da, sich
des « Evangeliums» zu schämen. Paulus aber meint die Kraft des unbe
kannten Gottes: « Was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, was in
keines Menschen Herz gekommen ist» (vgl. 1. Kor. 2,9] . Darum
schämt er sich des Evangeliums nicht.
Die Kraft Gottes ist Kraft «zur Errettung». Der Mensch befindet
sich in dieser Welt im Gefängnis. Tiefere Besinnung wird sich über die
Beschränktheit der Möglichkeiten, die uns jetzt und hier zur Verfü
gung stehen, keiner Unklarheit hingeben. Wir sind aber Gott ferner,
unser Abfall von ihm ist größer ( 1,18; 5,12) und die Konsequenzen
sind immer noch weitgehender ( 1,24; 5,12), als wir uns träumen lassen .
Der Mensch ist sein eigener Herr. Seine Einheit mit Gott ist in einer
Weise zerrissen, die uns die Wiederherstellung nicht einmal mehr vor
stellbar werden lässt. Seine Geschöpflichkeit|13| ist seine Fessel. Seine
Sünde ist seine Schuld. Sein Tod ist sein Schicksal . Seine Welt ist ein
gestaltlos auf- und abwogendes Chaos von natürlichen, seelischen
und einigen andern Kräften. Sein Leben ist ein Schein. Das ist unsre
Lage. « Gibt es einen Gott ? » Eine sehr wohl aufzuwerfende Frage!
Diese Welt in ihrer Einheit mit Gott begreifen zu wollen, ist entweder
sträflicher religiöser Übermut oder letzte Einsicht in das, was jenseits
von Geburt und Tod wahr ist, Einsicht von Gott aus. Der religiöse
Übermut muss verschwinden, wenn die Einsicht von Gott aus Platz
greifen soll. Solange falsche Münzen umlaufen, sind auch die echten
i Druckmanuskript: «den – andern» .
* Druckmanuskript: « Christen - tum ».
Fr. Naumanns verkörpert sah, in Vergangenheit und Zukunft ( 1919), in: Neuer
freier Aargauer, Jg. 14 ( 1919), Nr. 204 und 205 Anfänge I, S. 37–49 , dort
S. 38f.: Es ist « die Kirche, der das Verhältnis der Welt zum Göttlichen eine zum
vorneherein feststehende, geordnete und sich selbst gleich bleibende Bezie
hung ist, die bloß der religiösen Erklärung und Verklärung bedarf. Gott ist, wie
er ist, und die Welt ist, wie sie ist, und dem Menschen bleibt neben seinen
nächsten Pflichten und Sorgen nichts übrig, als – «Religion» zu haben» .
60
verdächtig. Die Heilsbotschaft bietet die Möglichkeit letzter Einsicht.
Aber zu ihrer Verwirklichung muss sie alle vorletzten Einsichten au
Ber Kurs setzen. Sie redet von Gott, wie er ist, sie meint ihn selbst, ihn
allein. Sie redet von dem Schöpfer, der unser Erlöser wird, und von
dem Erlöser, der unser Schöpfer ist. Sie ist im Begriff, uns ganz und
gar umzukehren. Sie kündigt uns Verwandlung unsrer Geschöpflich
keit in Freiheit an, Vergebung unsrer Sünden, Sieg des Lebens über
den Tod, Wiederbringung alles dessen, was verloren ist. Sie ist der
Alarmruf und das Feuerzeichen einer kommenden neuen Welt. Was
heißt das alles ? Wir können es jetzt und hier, gebunden an das Dies
und Das, nicht wissen. Wir können es nur vernehmen, und die Besin
nung auf Gott, die durch die Heilsbotschaft geschaffen wird, ver
nimmt es. Die Welt hört nicht auf, Welt zu sein, und der Mensch bleibt
Mensch, indem er es vernimmt. Ihm bleibt zu tragen die ganze Last
der Sünde und der ganze Fluch des Todes. Keine Selbsttäuschungen
über den Tatbestand unsres Da-Seins und So-Seins! Die Auferstehung,
die unser Ausgang ist, ist auch unsre Schranke. Aber die Schranke ist
auch der Ausgang. Das Nein , das uns entgegentritt, ist das Nein
Gottes. Was uns fehlt, ist auch das, was uns hilft. Was uns begrenzt, das
ist neues Land. Was alle Weltwahrheit aufhebt, das ist auch ihre Be
gründung. Gerade weil Gottes Nein! ganz ist, ist es auch sein Ja ! So
haben wir in der Kraft Gottes den Ausblick, das Tor, die Hoffnung.
Und damit die Richtung des schmalen Wegs auch in dieser Welt, die
Möglichkeit, immer den nächsten kleinsten Schritt in «getroster Ver
zweiflung » (Luther)23 zu gehen. Der Gefangene wird zum Wächter,
der, auf seinen Posten gebannt wie jener in seine Zelle, dem grauenden
Tag entgegensieht. «Hier stehe ich auf meiner Wache und trete auf den
Wall, um auszuspähen, damit ich erfahre, was er mir sage und was er
mir auf meine Klage antworten wird. Da antwortete mir der Herr und
sprach: Schreibe die Offenbarung auf und bringe sie auf eine Tafel,
damit man sie deutlich lesen könne. Noch wartet die 14 Offenbarung
Druckmanuskript: «Nein !» .
29 Bengel, Bd. II, S. 42 (zu Röm. 6,18, im Rückblick auf Röm. 3,22): « Cen
trum Paulinum, FIDES ».
64
Gott als höchste Bejahung des Da-Seins und So-Seins der Welt und
der Menschen, das ist das Unerträgliche, das ist Nicht-Gott, trotz
der höchsten Attribute, mit denen wir es im höchsten Affekt schmük
ken. Der Schrei des Empörers gegen diesen Gott kommt der Wahrheit
näher als die Künste derer, die ihn rechtfertigen wollen. Nur in Er
mangelung eines Bessern, in Ermangelung des Mutes der Verzweif
lung wird der ausgesprochene Atheismus diesseits der Auferstehung
im allgemeinen vermieden. Im Christus aber redet Gott, wie er ist,
und straft den Nicht-Gott dieser Welt Lügen. Er bejaht sich selbst,
indem er uns, wie wir sind, und die Welt, wie sie ist, verneint. Er gibt
sich selbst als Gott zu erkennen , jenseits unsres Abfalls, jenseits der
Zeit, der Dinge und der Menschen, als der Erlöser der Gefangenen
(vgl. Ps. 126,1 ] und gerade damit als der Sinn alles dessen, was ist, als
der Schöpfer. Er bekennt sich zu uns, indem er die Distanzen zwi
schen uns und ihm schafft und wahrt. Er begnadigt uns, indem er
unsre Krisis einleitet, indem er uns ins Gericht bringt. Er verbürgt uns
die Realität unsrer Errettung, indem er im Christus Gott sein und als
Gott anerkannt sein will. Er «rechtfertigt» uns, indem er sich selbst
rechtfertigt.
« Aus Treue » enthüllt sich die Gerechtigkeit Gottes, aus seiner
Treue zu uns. Der wahre Gott hat des Menschen nicht vergessen. Der
Schöpfer hat die Schöpfung nicht aufgegeben. Mag das Geheimnis
«durch Weltalter hindurch verschwiegen» gewesen sein und ver
schwiegen werden ( 16,26), mag immer wieder dem Menschen sein
Nicht-Gott erträglicher sein als der göttliche Widerspruch dagegen ,
mag uns die Enthüllung des Unenthüllbaren das Unmögliche sein, vor
dem nur die Gedankenlosigkeit nicht zurückschreckt", es beharrt
doch die Treue Gottes zum Menschen, es beharrt die tiefste Überein
stimmung dessen, was Gott will, mit dem, was der Mensch, nach
Befreiung von sich selbst sich sehnend, im Verborgenen auch will, es
beharrt die göttliche Antwort, die uns gegeben ist, wenn die letzte
menschliche Frage in uns wach wird. « Wir warten eines neuen Him
mels und einer neuen Erde, in welchen Gerechtigkeit wohnt» (vgl.
2.Petr.3,13] . Dass wir in dieses Warten versetzt sind, daran erkennen
wir Gottes Treue.
n
Druckmanuskript: «des ».
Druckmanuskript: «zurückschrickt» .
65
«Dem Glauben » enthüllt sich, was Gott aus Treue enthüllt. Jenen,
die verzichtet haben auf direkte Mitteilung, wird es mitgeteilt. Zu de
nen, die es mit ihm wagen wollen, redet Gott, wie er ist. Die die Last des
göttlichen Nein auf sich nehmen, werden getragen von dem größeren
göttlichen Ja. Die Mühseligen und Be-|17|ladenen werden erquickt
(vgl. Mt. 11,28]. Die dem Widerspruch nicht ausweichen, sind in Gott
geborgen. Die sich aufrichtig ins Warten versetzen lassen, erkennen
daran, dass sie warten dürfen , sollen und können, Gottes Treue. Die
vor Gott Respekt haben und den Abstand wahren, leben mit Gott.
An ihnen erfüllt sich die Weissagung: Der Gerechte wird leben aus
Treue ! (Hab. 2,4). Der «Gerechte» ist der zum Wächter gewordene
Gefangene, der Hüter an der Schwelle der göttlichen Wirklichkeit.30
Eine andere Gerechtigkeit gibt es nicht als die des Mannes, der sich in
das Gericht Gottes stellt, des Erschrockenen und Hoffenden . Er wird
leben: er hat die Anwartschaft des wirklichen Lebens, indem er die
Nichtigkeit dieses Lebens erkannt hat, und er ist in diesem Leben nie
ohne den Widerschein des wirklichen Lebens, im Vergänglichen nie
ohne den Hinblick auf das Unvergängliche. Die große Unmöglichkeit
hat ihm ja das Ende und das Ziel der kleinen Unmöglichkeiten ange
kündigt. Er wird leben aus der Treue Gottes. Ob man sagt: aus der
Treue Gottes oder: aus dem Glauben des Menschen, es ist dasselbe.
Schon die Überlieferung dieses Prophetenworts weist nach beiden
Richtungen .' Die Treue Gottes ist es, dass er uns als der ganz andere,
als der Heilige mit seinem Nein in so unentrinnbarer Weise entgegen
tritt und nachgeht. Und der Glaube des Menschen ist die Ehrfurcht,
die sich dieses Nein gefallen lässt, der Wille zum Hohlraum , das be
wegte Verharren in der Negation. Wo die Treue Gottes dem Glauben
des Menschen begegnet, da enthüllt sich seine Gerechtigkeit. Da wird
der Gerechte leben .
Das ist die Sache, um die es im Römerbrief geht. |18 |
• Druckmanuskript: «Nein ! ».
30
Vgl. die Charakterisierung Overbecks mit einer Wendung C.A. Bernoullis
(Overbeck, Christentum und Kultur, S. XXXVI [OWN 6/1 , S. 31 ]) als «Wäch
ter an der Schwelle metaphysischer Möglichkeiten»» in Barth, Unerledigte
Anfragen, S. 5 .
31 Vgl. z .B. Kühl, S.44.
66
DIE NACHT
URSACHE
1,18-21
V. 18 Denn es enthüllt sich der Zorn Gottes vom Himmel her über
die ganze Ehrfurchtslosigkeit und Unbotmäßigkeit der Menschen,
die die Wahrheit in den Fesseln ihrer Unbotmäßigkeit gefangen
halten .
Gott ! Wir wissen nicht, was wir damit sagen. Wer glaubt, der weiß,
dass wir es nicht wissen. Wer glaubt, liebt mit Hiob den Gott, der in
seiner unerforschlichen Höhe nur zu fürchten ist, liebt mit Luther den
deus absconditus32. Ihm enthüllt sich die Gerechtigkeit Gottes. Er
wird gerettet, nur er. «Nur der Gefangene wird frei,nur der Arme
wird reich, nur der Schwache stark, nur der Demütige erhöht, nur was
leer ist, wird voll, nur das Nichts wird Etwas » (Luther).13 Über der
Ehrfurchtslosigkeit und Unbotmäßigkeit der Menschen aber enthüllt
sich Gottes Zorn.
Der « Zorn Gottes» ist das Gericht, unter dem wir stehen, sofern wir
den Richter nicht lieben. Das Nein, das uns entgegengestellt ist, sofern
wir es nicht bejahen. Der immer und überall angemeldete Protest ge
gen das Da-Sein und So-Sein der Welt, sofern wir ihn uns nicht zu
eigen machen. Die Problematik des Lebens, sofern wir sie nicht ver
stehen. Unsre Begrenztheit und Vergänglichkeit, sofern sie uns nicht
als Notwendigkeit bewusst ist. Das Gericht, unter dem wir stehen, ist
ja Tatsache, ganz abgesehen von unsrer Stellung dazu. Es ist die für
unser Leben bezeichnendste Tatsache. Ob sie in das Licht der kom
menden Welt und der Errettung, die sie bringt, tritt, das hängt ab von
34 Zahn, S. 87f.: «Denn in allem, worin auch der Fromme nicht einen Beweis
der Schöpfergüte Gottes, sondern eine Hemmung und Schädigung des von vo
Gott geschaffenen Lebens erkennen kann, in der gesamten Hinfälligkeit und
68
diese göttliche Reaktion nicht als Erkenntnis zu eigen machen, daran
verderben müssen. Die ganze Welt ist Gottes Spur; nur freilich, dass
sie, sofern wir statt des Glaubens das Ärgernis wählen, in ihrer ab
soluten Rätselhaftigkeit eine einzige Spur von Gottes Zorn ist. Gottes
Zorn ist die dem Unglauben enthüllte Gerechtigkeit Gottes; denn
Gott lässt seiner nicht spotten (vgl. Gal. 6,7) . Gottes Zorn ist Gottes
Gerechtigkeit außer und ohne Christus.
Was heißt das : außer und ohne Christus ? Gottes Zorn enthüllt sich
« über der ganzen Ehrfurchtslosigkeit und Unbotmäßigkeit des Men
schen . » Das sind die bezeichnenden Merkmale unsres Verhältnisses zu
Gott, wie es sich diesseits der Auferstehung gestaltet. Es ist ehr
furchtslos. Wir meinen zu wissen, was wir sagen, wenn wir « Gott»
sagen. Wir weisen ihm die höchste Stelle in unsrer Welt zu. Wir stellen
ihn damit grundsätzlich auf eine Linie mit uns und mit den Dingen.
Wir meinen, er « bedürfe jemandes» ( vgl. Act. 17,25 ), und wir meinen,
unsre Beziehung zu ihm ordnen zu können, wie wir andre Beziehun
gen (20 ordnen . Wir schieben uns zudringlich in seine Nähe und wir
ziehen ihn unbedenklich in unsre Nähe. Wir erlauben uns, in ein Ge
wohnheitsverhältnis zu ihm zu treten. Wir erlauben uns, mit ihm zu
rechnen, als ob das nichts Besonderes wäre. Wir wagen es, uns als
seine Vertrauten, Gönner, Sachwalter und Unterhändler aufzuspie
len’s . Wir verwechseln die Ewigkeit mit der Zeit. Das ist das Ehr
furchtslose unsres Gottesverhältnisses. Und es ist unbotmäßig. Wir
selber sind heimlich die Herren in diesem Verhältnis. Es handelt sich
uns nicht um Gott, sondern um unsre Bedürfnisse, nach denen sich
Gott zu richten hat. Unser Übermut verlangt zu allem andern auch
noch Erkenntnis und Zugänglichkeit einer Überwelt. Unser Tun ruft
P Druckmanuskript: «der» .
Gebundenheit des kreatürlichen Lebens mit Einschluß des Todesverhängnis
ses soll er eine Reaktion Gottes gegen die menschliche Sünde [...] erkennen. »
Diese Passage ist in Barths Exemplar unterstrichen. Zur irrtümlichen Zu
schreibung des Zitats an Fr. Zündel vgl. Römerbrief I, S. 25 , Anm. 15 ; siehe
auch oben S. XXIII.
35 Von den Theologen als «Unterhändler[n] des Christentums» spricht
Overbeck, Christentum und Kultur, S. 273 (OWN 6/1 , S. 312). In Barths Ex
emplar sind die betreffenden Sätze unterstrichen. Vgl. dazu Barth, Unerledigte
Anfragen, S. 21 .
69
nach tieferer Begründung, nach jenseitiger Belobigung und Beloh
nung. Unsre Lebenslust begehrt nach frommen Stunden, nach Ver
längerungen in die Ewigkeit. Indem wir Gott auf den Weltenthron
setzen, meinen wir uns selbst. Indem wir an ihn glauben », rechtfer
tigen, genießen und verehren wir uns selbst. Unsre Frömmigkeit be
steht darin, dass wir uns selbst und die Welt feierlich bestätigen, dass
wir uns den Widerspruch andächtig ersparen. Sie besteht darin, dass
wir uns unter allen Zeichen der Demut und Ergriffenheit gegen Gott
selbst auflehnen . Wir verwechseln die Zeit mit der Ewigkeit. Das ist
unsre Unbotmäßigkeit. - Und das ist unser Gottesverhältnis außer
und ohne Christus, diesseits der Auferstehung, bevor wir zur Ord
nung gerufen werden: Gott selbst ist als Gott nicht anerkannt und das,
was Gott heißt, ist in Wahrheit der Mensch selbst. Wir dienen dem
Nicht-Gott, indem wir uns selbst leben.
« Die die Wahrheit in Unbotmäßigkeit gefangen halten .» Das
zweitgenannte Merkmal ist zeitlich das erste. Man verliert sich zuerst
an sich selbst und dann an den Nicht-Gott. Man hört zuerst die Ver
heißung: Ihr werdet sein wie Gott! (vgl. Gen. 3,5) und verliert dann
den Sinn für die Ewigkeit. Man überhebt zuerst die Menschen und
verkennt dann die Distanzen Gott gegenüber. Der Nerv des Gottes
verhältnisses außer und ohne Christus ist Sklavenunbotmäßigkeit.
Weil wir von uns selbst denken, was wir nur von Gott denken dürften ,
können wir von Gott nicht höher denken, als wir von uns selbst den
ken. Weil wir uns selbst sind, was uns Gott sein müsste, ist uns Gott
nicht mehr, als wir uns selbst sind. Die heimliche Identifizierung mit
Gott zieht die offene Isolierung ihm gegenüber nach sich. Der kleine
Gott muss des großen Gottes füglich entbehren. Der Mensch hat die
Wahrheit, nämlich Gottes Heiligkeit, eingefangen und eingekapselt,
seinen Maßen angepasst und damit ihres Ernstes und ihrer Tragweite
beraubt, sie gemein, unschädlich und unnütz gemacht, in Unwahrheit
verwandelt. Das wird durch |21 | seine Ehrfurchtslosigkeit ans Licht
gebracht, und seine Ehrfurchtslosigkeit wird nicht verfehlen, ihn in
immer neue Unbotmäßigkeit zu stürzen. Ist der Mensch sich selber
Gott, dann muss der Abgott ins Wesen treten. Und steht der Abgott in
Ehren, dann muss sich der Mensch als der wahre Gott, als der Schöp
9 Druckmanuskript: «den».
70
fer dieses seines Geschöpfes fühlen. - Das ist der Widerstand, der uns
den Blick auf die Ebene neuer Dimension, die unsrer Welt Grenze und
unsre Errettung bedeutet, unmöglich macht. Über diesem Wider
stand kann sich nur Gottes Zorn enthüllen.
V. 19-21 So steht es: Der Gottesgedanke ist ihnen bekannt, Gott
hat ihn ihnen bekannt gemacht. Kann doch seine Unanschaulich
keit von der Erschaffung der Welt her an seinen Werken vernünftig
geschaut werden (und das eben ist seine ewige Kraft und Gott
heit !), so dass sie keine Entschuldigung haben. So steht es: Ihrer
Kenntnis Gottes zum Trotz haben sie ihm nicht als Gott Ehre und
Dank erwiesen , sondern entleert worden ist ihr Denken und ver
finstert ihr unverständiges Herz.
«Der Gottesgedanke ist ihnen bekannt. » Das ist die Tragik in der
Leidensgeschichte der Wahrheit: Sie, die in der Auferstehung auf
brechende Wahrheit der Begrenzung und Aufhebung des Menschen
durch den unbekannten Gott, ist bekannte Wahrheit. Die primitivste
und die fortgeschrittenste Selbstbesinnung des Menschengeistes wer
den sich in « verzweifelnder Demut», in « Selbstironisierung der Ver
nunft» (H. Cohen)36 immer wieder finden in der Einsicht unsrer Be
grenztheit und im Ausblick auf den Begrenzenden, der unsrer Be
grenztheit Aufhebung ist. Wir wissen, dass Gott der ist, den wir nicht
wissen, und dass eben dieses Nicht-Wissen das Problem und der Ur
sprung unsres Wissens ist. Wir wissen, dass Gott die Persönlichkeit
ist, die wir nicht sind, und dass eben dieses unser Nicht-Sein unsre
Persönlichkeit aufhebt und begründet. Dieser Gottesgedanke, die
Einsicht in die absolute Heteronomie, unter der wir stehen, ist auto
nom: Wir widerstehen nicht etwas Fremdem, sondern unserm Eigen
sten, nicht etwas Fernem, sondern dem Nächstliegenden', wenn wir
r
1. Abdruck ( 1922 ): «Nächstliegendsten». Korrektur in Barths Hand
exemplar.
36 H. Cohen, System der Philosophie, Zweiter Teil, Ethik des reinen Willens,
Berlin 1904 , S. 406 ( 19072 = Werke, hrsg. von H. Holzhey, Bd. 7, Hildesheim /
New York 1981 , S.429): «Wir wissen aus der Logik, wie der Begriff des Ab
soluten bei Platon in innerlichstem Zusammenhange mit der Hypothesis ent
standen ist; als Ausdruck verzweifelnder Demut des tiefsten Menschengeistes,
der Selbstironisierung der Vernunft. Da alles Sein auf der Grundlegung des
Denkens beruht, so erhebt sich das tiefsinnige Verlangen nach einem Grunde,
der von dieser Grundlegung unabhängig sei. »
71
ihm widerstehen. Die Erinnerung an ihn begleitet uns als Frage und
Warnung beständig. Er ist der verborgene Abgrund, aber auch die
verborgene Heimat37 am Anfang und Ende aller unsrer Wege. Sind wir
ihm untreu, so sind wir uns selbst untreu .
Denn Gottes « Unanschaulichkeit kann geschaut werden ». Wir ha
ben das vergessen, wir müssen es uns wieder sagen lassen. Es ist nicht
der notwendige Stand der Dinge zwischen Gott und uns, dass uns
unsre Unbescheidenheit, Unbedenklichkeit und 22 Unerschrocken
heit ihm gegenüber so natürlich ist. Platonische Weisheit hat als Ur
sprung alles Gegebenen längst das Nicht-Gegebene erkannt.38 Nüch
ternste Lebensklugheit hat längst festgestellt, dass die Furcht des
Herrn der Anfang der Erkenntnis ist (vgl. Spr. 1,7] . Offene unbestech
liche Augen wie die des Hiobdichters und des Predigers Salomo ha
ben längst im Spiegel der Anschauung ihr Urbild, das Unanschauliche,
die unerforschliche Höhe Gottes wiedergefunden. Immer ist die Rede
des Herrn aus dem Wetter vernehmbar (vgl. Hiob 38,1 ], immer for
dert sie auf zu der Erkenntnis, dass wir unweislich reden, was uns zu
hoch ist und was wir nicht verstehen (vgl. Hiob 42,3], wenn wir als
Gottes Lobredner oder Ankläger mit ihm rechten wie mit unsres
gleichen. Immer liegt die Problematik unsres Da-Seins und So-Seins,
die Eitelkeit, die gänzliche Fragwürdigkeit alles dessen, was ist und
was wir sind, als aufgeschlagenes Lehrbuch vor uns. Was sind denn
Gottes « Werke » in ihrer absoluten Rätselhaftigkeit (zoologischer
Garten ! 39) anderes als lauter Fragen, auf die es keine direkte Antwort
gibt, auf die Gott allein, allein Gott selbst die Antwort ist ? Das gött
liche Nein, das uns in unsre Schranken und damit über unsre Schran
ken hinausweist, kann «von der Erschaffung der Welt her» an seinen
Werken « vernünftig geschaut», bei ruhigem , sachlichem, religiös un
37 Der Begriff «Heimat» begegnet seit 1917/18 als theologisch qualifizierter
Begriff häufig in Barth, Konfirmandenunterricht, siehe Register, S.456.
38 Vgl. H. Cohen, a.a.O. (s. oben Anm. 36), S.97 ( 19072 Werke, Bd . 7,
S. 101 ): «Die Logik vollzieht und begründet die Reinheit im letzten Grunde
durch das Urteil des Ursprungs. Der Ursprung ist der tiefste Ankergrund, den
das reine Denken festlegt. Nichts darf dem reinen Denken als gegeben gelten;
auch das Gegebene muss es sich selbst erzeugen. Auch das Was, als das Etwas,
darf ihm nicht das letzte Wort der begrifflichen Sprache sein. Vor dem Nichts
darf er nicht zurückschrecken . »
39
Vgl. Bw.Th.I, S. 310.474, und Bw.Th.II, S. 88.164.
72
voreingenommenem Betrachten festgestellt und begriffen werden .
Nichts kann hindern, dass der Gottesgedanke uns in die heilsamste
Krisis versetzt, wenn wir es nicht selbst hindern. Wir stehen schon in
ihr, sofern wir nur « vernünftig schauen wollen. Und was « vernünf
tigem Schauen» immer einwandfreie Tatsache war: Gottes Unan
schaulichkeit, das eben ist, in Übereinstimmung mit der Auferste
hungsbotschaft, Gottes «ewige Kraft und Gottheit» . Gerade das. Dass
wir von Gott nichts wissen können, dass wir nicht Gott sind, dass der
Herr zu fürchten ist, das ist seine Vorzüglichkeit vor allen Göttern,
das ist's, was ihn als Gott, als Schöpfer und Erlöser bezeichnet ( 1,16).
Die Schnittlinie von Zeit und Ewigkeit, von gegenwärtiger und zu
künftiger Welt ( 1,4) läuft tatsächlich durch die ganze Geschichte, sie
ist «längst verkündigt» ( 1,2), sie könnte immer gesehen werden . Nicht
unvermeidlich enthüllt sich der Zorn Gottes über den in seinem Ge
richt stehenden Menschen; sie könnten den Richter erkennen und
lieben. «So dass sie keine Entschuldigung haben», wenn sie nicht sehen
und nicht hören; es geschieht mit sehenden Augen und mit hörenden
Ohren (vgl. Mt. 13,13 par.]. Unentschuldbar ist ihre Ehrfurchtslosig
keit, denn die « vernünftig geschauten» Werke Gottes reden von seiner
« ewigen Kraft » und protestieren im voraus gegen den Dienst des be
kannten Nicht-Gottes, durch den Gott den natürlichen, seelischen
und sonstigen Kräften dieser Welt beigesellt wird. ( 23 | Unentschuld
bar ist auch ihre Unbotmäßigkeit, denn die «vernünftig geschauten»
Tatsachen zeugen von der « ewigen Gottheit» Gottes und protestieren
im voraus gegen den religiösen Übermut, der im Taumel seiner Erleb
nisse von Gott redet und sich selbst meint. - Haben wir die Wahrheit
Gottes eingekapselt und damit seinen Zorn herausgefordert, so liegt
das nicht daran, dass wir keine andere Möglichkeit hatten. « Gott ist
nicht ferne von einem jeglichen unter uns, denn in ihm leben, weben
und sind wir» (Act. 17,27-28). Die Lage könnte von ihm aus eine
andere sein .
Aber « ihrer Kenntnis Gottes zum Trotz » : Die Kenntnis Gottes, die
mit dem einfachen Blick auf die Unbegreiflichkeit, Unvollkommen
heit und Unbeträchtlichkeit unsres Lebens gegeben ist, wurde nicht
zur Erkenntnis. Die Unanschaulichkeit Gottes scheint uns unerträg
licher als die doch so fragliche Anschaulichkeit dessen, was wir
«Gott» zu nennen belieben. Aus der ewigen und grundsätzlichen
73
Voraussetzung des Schöpfers wurde ein Ding an sich, über und ne
ben den Dingen, aus der lebendigen Abstraktion von allen Konkret
heiten eine Konkretheit, wenn auch die höchste, unter anderen, aus
dem Geist ein Geist, aus dem Unnahbaren und darum so Nahen der
ewig ungewisse Gegenstand unsrer Erlebnisse. Statt in seinem Lichte
dem ewigen, da «niemand zukann» (vgl. 1.Tim. 6,16] - das Licht zu
sehen (vgl. Ps. 36,10 ), lassen wir ihn ein Licht unter andern sein, wenn
auch das größte, das unsinnliche, übernatürliche, zünden folgerichtig
eigene Lichter an und suchen ebenso folgerichtig auch in den Dingen
ihr eigenes Licht. Wo bleibt die « Ebre », die wir ihm schuldig sind,
wenn Gott uns nicht mehr der Unbekannte, und wo der «Dank», der
ihm gebührt, wenn er uns nicht mehr das ist, das“ wir nicht sind ?
Gegen Zeus, den Nicht-Gott, der an seine Stelle getreten ist, lehnt sich
Prometheus mit Recht auf.41
So ist das Licht in uns Dunkelheit (vgl. Mt. 6,23 par.), der Zorn
Gottes über uns unvermeidlich geworden. « Entleert worden ist ihr
Denken und verfinstert ihr unverständiges Herz . » Nun ist unsre
Schranke bloß unsre Schranke, und Gottes Nein ist und bedeutet
Nein. Sinnlos auf sich selbst gestellt, steht der Mensch den sinnlos
waltenden Weltkräften “? gegenüber. Denn Sinn bekommt unser Le
ben in dieser Welt nur durch seine Beziehung auf den wahren Gott.
Diese Beziehung aber müsste hergestellt werden dadurch, dass unser
Denken und unser Herz (durch « vernünftiges Schauen») gebrochen
wird durch die Erinnerung der Ewigkeit. Eine andere Beziehung zu
dem wahren Gott als die, die auf dem Wege Hiobs zustande kommt,
gibt es nicht. Findet diese Brechung nicht statt, dann ist das Denken
leer, formal, bloß kritisch, unfruchtbar, unfähig, die |24| Fülle der Er
scheinungen zu meistern, das Einzelne im Zusammenhang des Gan
WIRKUNG
1,22-32
V.22 Sie bildeten sich ein, weise zu sein, und wurden zu Narren.
Das Weltbild ohne Paradox und ohne Ewigkeit, das Wissen ohne den
Hintergrund des Nicht-Wissens, die Religion ohne den unbekannten
Gott, die Lebensauffassung ohne die Erinnerung an das uns entge
gengestellte Nein! hat viel für sich. Die Einfachheit, Geradlinigkeit
und Ungehemmtheit vor allem, die verhältnismäßige Sicherheit und
Ausgeglichenheit, die weitgehende Übereinstimmung mit der « Erfah
rung » und mit den Erfordernissen des praktischen Lebens, die wohl
tuende Unklarheit und Dehnbarkeit aller Begriffe und Maßstäbe, der
liberale Ausblick auf unendliche Möglichkeiten, der sich da bietet –
das alles wird diesen Boden immer wieder zutrauenerweckend ma
chen. Man kann sich, nachdem man einmal auf das «vernünftige
Schauen » ( 1,20) verzichtet hat, auf diesem Boden wohl einbilden, wei
43
Anspielung auf den bekannten Grundsatz der Erkenntnistheorie Kants:
« Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind » :
I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 75 , Akademie-Ausgabe, 1. Abt., Bd. 3 ,
Berlin 1904, S. 75 .
75
se zu sein. Die Nacht hat auch ihre Weisheit. Aber die Entleerung des
Denkens und die Verfinsterung des Herzens, die hier eingetreten ist,
ist darum nicht weniger Tatsache. Der Glanz jener ungebrochenen
Weisheit wird den Gang der Dinge nicht aufhalten, der unter Gottes
Zorn unvermeidlich' geworden ist. Denn dass Gott nicht als Gott
erkannt ist, 25 das bedeutet nicht bloß einen innerlichen oder theo
retischen Fehler, sondern eine falsche Grundeinstellung dem Leben
gegenüber. Aus einem leeren Denken und finstern Herzen kommt
notwendig auch ein verkehrtes Handeln. Und je mehr sich der unge
brochene Mensch auf seinen sichern Weg zugute tut, um so sicherer ist
er sein eigener Narr, um so sicherer ist die Moral, die Lebensgestal
tung, die sich auf das Vergessen des Abgrundes, auf das Vergessen der
Heimat gründet, Lüge. Es sollte nicht schwer fallen, das einzusehen.
V.23-24 Und sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergäng
lichen Gottes mit dem Abbild der Gestalt des vergänglichen Men
schen und der Vögel und der Vierfüßler und der Würmer. Darum
hat sie Gott nach den Begierden ihrer Herzen der Unreinheit preis
gegeben, dass ihre Leiber an ihnen selbst entehrt wurden.
* Sie vertauschten die Herrlichkeit des Unvergänglichen mit dem
Abbild des Vergänglichen », d. h. der Sinn für das Spezifische an Gott
geht verloren: der Gedanke an die Gletscherspalte, an die Polarregion,
an die Verwüstungszone, die zu überschreiten ist, wenn der Schritt
vom Vergänglichen zum Unvergänglichen wirklich getan sein soll.
Die Distanz zwischen Gott und dem Menschen hat keine grundsätz
liche, scharfe, säureartig zersetzende, ein für allemal zu beachtende
Bedeutung mehr. Der Unterschied zwischen der Unvergänglichkeit,
Ursprünglichkeit und Überlegenheit Gottes und der Vergänglichkeit,
Relativität und Bedingtheit unsres Daseins und Soseins verwischt sich.
Das Auge, das hier sehen sollte, ist geblendet. Es entsteht in der Mitte
zwischen hier und dort, zwischen uns und dem ganz anderen, der
religiöse Nebel oder Brei, wo unter den verschiedenartigsten, bald
mehr, bald weniger sexuell gefärbten Identifizierungskünsten und
Vermischungsprozessen jetzt die humanen oder animalen Vorgänge
zu Gotteserlebnissen erhoben, jetzt das Sein und Tun Gottes als hu
77
wollte, entstehen nun gerade jene mittelbaren, abgeleiteten, indirek
ten, herrenlosen Gottheiten, Kräfte, Mächte und Gewalten (8,38), die
das Licht des wahren Gottes verfärben und verdunkeln . Nirgends
mehr Mittelbarkeiten als im Reiche der romantischen Unmittelbar
keit (Indien!4s). Und wo immer jene qualifizierte Distanz zwischen
dem Menschen und dem Letzten, der ihn begründet, übersehen und
missachtet wird, da muss sich der Fetischismus einstellen, der an
« Vögeln und Vierfüßlern und Würmern » und zuletzt und zuerst an
der «Gestalt des vergänglichen Menschen » (« Persönlichkeit», «das
Kind», «die Frau » 46) und an dessen geistig-materiellen Schöpfungen,
Bildungen und Darstellungen (Familie, Volk, Staat, Kirche, Heimat
usf.") Gott erlebt – und Gott, der jenseits von allem Dies und Das
wohnt, preisgibt. So wird Nicht-Gott, so werden die Götzen aufge
richtet.
« Darum hat sie Gott preisgegeben ». Jene Vertauschung rächt sich,
sie wird ihre eigene Strafe. Das Vergessen des wahren Gottes ist selbst
schon das Losbrechen seines Zornes gegen die, die ihn vergessen ( 1,18 ).
Das Unternehmen der Aufrichtung des Nicht-Gottes rächt sich da
mit, dass es gelingt. Die vergötterten Natur- und Seelenkräfte sind
nun Götter und beherrschen als Jupiter und Mars, Isis und Osiris,
Kybele und Attis unsre Lebensatmosphäre. Unser Handeln wird nun
bestimmt durch das, was wir ja wollen. Zwangsläufig erreichen wir
das Ziel, das wir uns selbst gesetzt haben: dass alle die von uns in ihrer
Bedeutung verkannten Abbilder und Gleichnisse sich selbst Zweck
und Inhalt und Ende werden. Nun wird der Mensch Knecht und
Spiel-/27| ball der Dinge, all der «Natur» und Kultur», deren Aufhe
bung und Begründung in Gott er übersehen, und ihn schützt nun kein
Höherer vor dem, was er selbst zu seinem Höchsten gemacht hat. Die
Unreinheit seines Gottesverhältnisses stürzt auch sein Leben in Un
reinheit. Hat Gott seine Herrlichkeit verloren, so verliert sie auch der
Mensch. Geschändet ist mit dem Innern auch das Äußere, mit den
78
Seelen die Leiber, denn der Mensch ist Einer. Nun wird die Dinglich
keit die Kreatürlichkeit seines Lebens zu seiner Unehre. Nun wird
Libido47, die Sexualität im engern und weitern Sinn, als Urkraft seines
ganzen Begehrens und Strebens, aufs höchste bedenklich und ver
dächtig. Nun muss er die ganze Schmach des Weltlaufs als Schmach
ertragen, beklagen, verfluchen und in seiner Gottesferne immer aufs
neue erzeugen. Den bekannten Gott dieser Welt wollte er erleben.
Den bekannten Gott erlebt er nun.
V.25-27 Sie haben die Wahrheit Gottes umgetauscht gegen die
Lüge und die geschaffene Welt als heilig und verehrungswürdig
behandelt an Stelle des Schöpfers – welcher ist der Hochgelobte in
Ewigkeit ! Amen. Darum hat sie Gott preisgegeben an schandbare
Leidenschaften : es haben ihre Weiber den natürlichen Geschlechts
verkehr vertauscht mit dem unnatürlichen , und ebenso auch die
Männer haben verlassen den natürlichen Verkehr mit dem Weibe
und sind in ihrem Verlangen nacheinander entbrannt. Mann an
Mann treiben sie Schande und empfangen am eigenen Leibe den zu
erwartenden Lohn ihrer Verirrung.
« Sie haben die Wahrheit umgetauscht gegen die Lüge. » Der Abfall
von Gott, der grundsätzlich eingetretene, wird bald schärfere Formen
annehmen. Das unmittelbare Erleben Gottes in der Kreatur könnte
eine gelegentliche gleichsam spielerische Verwechslung sein, ein mehr
oberflächlicher Irrtum , die Auflösung der Wahrheit Gottes in die Fül
le von allerlei Weltwahrheiten. Aber wenn einmal die Möglichkeit
dazu da ist, so wird die ernsthafte Vertauschung der Wahrheit mit der
Lüge nicht lange auf sich warten lassen. Der kleine Nebel in der Mitte
zwischen Gott und Mensch, wo die Distanzen sich verwischen, wird
zum Wolkenmeer, in dem die Gegenpole als solche unkenntlich wer
den. Der halbbewusste Gegensatz zu dem unbekannten Gott wird
offenkundig. Das geblendete Auge wird krank. Die gelegentlich auf
den Thron erhobenen Mächte und Gewalten leben sich dort ein und
umgeben sich mit dem Strahlenkranz der «ewigen Kraft und Gott
49 Vgl. den Titel von Ch. Darwins Buch On the Origin of Species by Means of
Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle ofLife,
London 1859; in der deutschen Übersetzung, hrsg. von H.G. Bronn, Stuttgart
1860: Über die Entstehung der Arten im Thier- und Pflanzen -Reich durch
natürliche Züchtung oder Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampfe
um's Daseyn.
81
Unmöglichkeit des Menschen als seine wirkliche und endgültige Un
möglichkeit.
V.32 Es sollte nicht schwer fallen, diesen Zusammenhang einzu
sehen, aber sie kennen die Rechtsordnung Gottes, dass, die in sol
cher Richtung treiben, todeswürdig sind, und doch machen sie
nicht nur mit, sondern billigen auch noch diese Richtung. Das ist
die Weisheit der Nacht, die sich selbst zum Narren hält ( 1,22). Narr
heit ist sie, weil sie unerschütterlich festhält an einer Flächenbetrach
tung der menschlichen Dinge, die durch die Tatsachen fortlaufend
widerlegt wird. Sie sieht, wohin der ungebrochene Weg des Menschen
führt, sie ist sich über die Bedeutung seiner Richtung und seines Zieles
nicht im unklaren. Sie kennt die Ursache und sieht die Wirkung, aber
sie wagt es nicht, sich Halt! gebieten zu lassen . Immer begleitet die
befremdliche Klage über die Hinfälligkeit des irdischen Daseins und
die in ihrer Begründung auf diesem Boden ebenso wenig einzusehen
de Anklage gegen die menschliche Sündhaftigkeit den Weg des seinen
Schöpfer vergessenden Menschen; aber das letzte ist doch immer, dass
sie' den Blick auf diesen Boden heften und das darauf gebaute Ganze
bejahen, wollen, fortsetzen , gutheißen und – gegen jeden grundsätz
lichen Protest in Schutz nehmen. Warum ist es so schwer, sich des
Vergessenen zu erinnern, wo doch die Wirkung dieses Vergessens, das
Ende unsrer Nachtwanderung, der Tod, so offenkundig ist? | 30|
» Druckmanuskript: «wir».
82
2. Kapitel
MENSCHENGERECHTIGKEIT
DER RICHTER
2,1-13
Wessen Lage ist es, die als «Enthüllung des Zornes Gottes» ( 1918)
begriffen werden muss ? Wessen Gott ist Nicht-Gott, der bekannte
Gott dieser Welt? Wer ist ehrfurchtslos und unbotmäßig und damit
von Gott preisgegeben? Ist vom Menschen überhaupt, von jedem
Menschen die Rede ? Ist die Schranke, die als solche nicht anerkannt ist
und darum Schranke bleibt, und die diesem Gottesverhältnis ent
sprechende Entleerung und Verfinsterung des Lebens die Vorausset
zung, von der wir alle herkommen ? Oder ist doch nur von bestimm
ten, wenn auch von den meisten Menschen die Rede ? Ist der Zorn
Gottes doch nur eine geschichtlich und seelisch bedingte Möglichkeit
neben andern ? Gibt es in der Nacht des göttlichen Zorns nicht auch
Kämpfer im Heere des Lichts', die als solche nicht mehr im Dunkeln
sind ? Gibt es neben Ehrfurchtslosigkeit und Unbotmäßigkeit nicht
auch eine Gerechtigkeit der Menschen ? Ist nicht viel Ehrfurcht und
Demut denkbar und vorhanden, kraft welcher der Mensch eine hö
here Stufe des Daseins einnimmt, auf welcher stehend er jener allge
meinen Todeswürdigkeit ( 1,32) entnommen ist? Ist nicht auch der
Glaube eine geschichtliche und seelische Wirklichkeit? Wird nicht der
Glaubende in die Lage versetzt sein, sich kraft seines Glaubens dem,
? Der Ausdruck stammt aus dem Roman Helmut Harringa von Hermann
Popert, Dresden 1910 ( 191631 – Seitenzählung jeweils unverändert), S.45 :
«Helmut Harringa [...] hat erkannt, wozu er auf dieser Erde ist. [...] In heiliger
Ergriffenheit hebt er die rechte Hand. [...] Und kein Ohr auf Erden hört es, wie
seine Lippen klar und schlicht den Fahneneid sprechen: «Ich will ein Krieger
sein im Heere des Lichts.»» Wiederholt auf S. 175. Ob Barth den Ausdruck aus
eigener Lektüre des Buches gekannt hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Vgl.
auch Barth, Konfirmandenunterricht, S. 134; ders., Predigten 1920, hrsg. von
H. Schmidt (Gesamtausgabe, Abt. I), Zürich 2005, S. 311 .
83
was uns alle bändigt?, zu entziehen, sich der Last der Gottesfremdheit
dieser Welt zu entledigen, einen dem Gewöhnlichen und Allgemeinen
entgegengesetzten Boden zu gewinnen, von dem aus er ( «Wir aber»)
vielleicht bedauernd und teilnahmsvoll, aber doch grundsätzlich nicht
mehr beteiligt, hinüberblicken kann und darf zu denen, die noch nicht
in seiner Lage sind, die «es» noch nicht begriffen und sich angeeignet
haben ? Sollte nicht durch das Hören der längst verkündigten Heils
botschaft Gottes eine Insel der Seligen3 entstanden sein mitten im
Meer der Unseligkeit ? Gibt nicht die vorstellbare Möglichkeit, dem
unbekannten Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs die Ehre zu geben,
die ebenso vorstellbare Möglichkeit an die Hand, dem lastenden Zor
ne Gottes entronnen zu sein? Eröffnet ( 31 ) nicht der denkbare Aus
nahmefall, dass ein Mensch sich in die göttliche Krisis unsres Da-Seins
und So-Seins aufrichtig hineinstellt und so Gottes Mitkritiker wird,
diesem Menschen den Ausweg aus der Finsternis ? Oder sollte wirk
lich jener Ring von Ursache und Wirkung, Abfall und Sturz unent
rinnbar geschlossen sein, immer und überall bezeichnend für den
Menschen als Menschen, für die Welt als Welt ?
V.1-2 Darum hast du doch keine Entschuldigung, o Mensch,
wer du auch seist, mit deinem Urteil. Denn indem du über den
andern urteilst, verurteilst du dich selbst, treibst du doch, indem
du urteilst, in der gleichen Richtung. Wir wissen aber, dass Gottes
Urteil nach dem Maßstab der Wahrheit erfolgt über alles, was in
jener Richtung treibt.
« Keine Entschuldigung », kein Grund und keine Möglichkeit, sich
auszunehmen ", weder für die Nicht-Wisser des unbekannten Gottes
( 1,18f.) – noch für die Wissenden ! Auch die Wissenden gehören der
Zeit an, auch sie sind Menschen. Keine Menschengerechtigkeit, die
den Menschen dem Zorne Gottes entrückte! Keine dingliche Größe,
keine örtliche Höhe, die ihn vor Gott rechtfertigte! Keine Verfassung
oder Haltung, keine Gesinnung oder Stimmung, kein Einsehen und
a
2. Abdruck ( 1922?): «aufzunehmen» .
2
Vgl. J.W. von Goethe, Epilog zu Schillers «Glocke», V. 31f.:
Und hinter ihm, in wesenlosem Scheine,
Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.
3 Nach Hesiod, Opera et dies, 171 ; vgl. Büchmann, S. 70.
84
Begreifen, das als solches Gott wohlgefällig wäre! Mensch ist Mensch
und ist in der Menschenwelt. « Was vom Fleisch geboren ist, das ist
Fleisch» (Joh. 3,6 ). Alles Ding hat seine Zeit. + Was im Menschen und
durch den Menschen Sein und Gestalt und Ausdehnung gewinnt, das
ist immer, überall und als solches Ehrfurchtslosigkeit und Unbot
mäßigkeit. Menschenreich ist nie Gottesreich. Niemand ist ausge
nommen, niemand entlastet, niemand entschuldigt. Es gibt keine
glücklichen Besitzenden .
" Indem du über den andern urteilst, verurteilst du dich selbst.
Indem du dich auf einen Standpunkt stellst, setzest du dich selbst ins
Unrecht. Indem du «ich» oder « wir » oder « das ist’s! » sagst, vertau
schest du die Herrlichkeit des Unvergänglichen mit dem Abbild des
Vergänglichen ( 1,23). Indem du dem unbekannten Gott die Ehre zu
geben unternimmst, als unternahmest du etwas Mögliches, verkapselst
du die Wahrheit aufs neue. Du nimmst Ehrfurcht und Demut als dein
Gutes in Anspruch – und bist eben damit ehrfurchtslos und unbot
mäßig. Du entledigst dich, unter dem Vorwand deiner Einsichten und
Ausblicke, der Last der Welt – und eben deshalb liegt sie schwerer auf
dir als auf jedem andern. Du trennst dich als Wissender des Geheim
nisses Gottes von deinen Brüdern, vielleicht mit dem besten Willen,
ihnen zu helfen, nachdem du über sie hinausgeschritten bist – und
weißt eben darum von Gottes Geheimnis gar nichts und bist zum
Helfen |32| der Ungeeignetste. Du siehst fremde Torheit ein als fremde
Torheit – und deine eigene Torheit schreit eben darin zum Himmel.
Auch das Neinsagen, die Einsicht in das Paradox des Lebens, die
Beugung unter Gottes Gericht ist's nicht, auch das Warten auf Gott,
auch die « Gebrochenheit», auch die Haltung des «biblischen Men
schen » ist's nicht, sofern sie Haltung, Standpunkt, Methode, System,
Sache sein, sofern der Mensch sich damit von andern Menschen ab
4
Vgl. den Refrain des Chorals «Sollt ich meinem Gott nicht singen» von
P. Gerhardt, GERS ( 1891 ) 3; RG ( 1998) 724; EG 325 : «Alles Ding währt seine
Zeit, Gottes Lieb' in Ewigkeit». Vgl. auch Pred. 3,1 .
Nach dem Rechtsgrundsatz « Beati possidentes», dessen Formulierung auf
ein Fragment aus der « Danaë » des Euripides zurückgeht; vgl.Büchmann, S. 314.
6 Zu den Stichworten « Gebrochenheit » und « Haltung des biblischen Men
schen » vgl. K. Barth, Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke ( 1920),
W.G.Th., S. 70-98, bes. S. 76f.86f. = Anfänge I, S. 49–76 , bes. 55f.64f.
85
heben will. Auch der Glaube, sofern er in irgend einem Sinn mehr als
Hohlraum sein will, ist Unglaube. Denn da ist sie ja wieder, die Skla
venunbotmäßigkeit, die die aufbrechende Wahrheit Gottes, die Un
ruhe aller Unruhen , darniederhalten will. Da ist sie ja wieder, die
Hybris, die Überheblichkeit, die die Distanzb zwischen Gott und
Mensch verkennt und unfehlbar den Nicht-Gott auf den Thron er
heben wird. Da ist sie ja wieder, die Identifizierung des Menschen mit
Gott, die unvermeidlich seine Isolierung ihm gegenüber nach sich
ziehen wird, die Romantik des Unmittelbaren mit ihrem alten Ge
schrei: Hier ist der Tempel des Herrn ! (Jer. 7,4). Eben das, was du jetzt
tust, ist der Widerstand des Menschen, der den Zorn Gottes heraus
fordert. «Indem du über den andern urteilst, verurteilst du dich
selbst. »
« Treibst du doch urteilend in der gleichen Richtung.» Also was von
den Menschen überhaupt zu sagen ist, das ist auch von den Gottes
männern zu sagen. Sie sind als Menschen nicht anders als andre Men
schen ( 1,1 ). Es gibt keine besondere Gottesgeschichte als Partikel, als
Quantität in der allgemeinen Geschichte. Alle Religions- und Kir
chengeschichte spielt sich ganz und gar in der Welt ab. Die sog.
«Heilsgeschichte» aber ist nur die fortlaufende Krisis aller Geschich
te, nicht eine Geschichte in oder neben der Geschichte. Es gibt keine
Heiligen unter Unheiligen. Gerade sofern sie es sein wollten, sind sie
es nicht. Gerade ihre Kritik, ihr Protest, ihre Anklage, sofern sie sie
der Welt entgegenschleudern, statt selber darunter zu stehen, stellt sie
unvermeidlich in die Reihe. Innerweltlich ist diese Anklage, aus der
Not kommt sie, nicht aus der Hilfe, Wort über das Leben ist sie, nicht
das Leben selbst, künstliches Licht in der Nacht, nicht Sonnenaufgang
und Tagesanbruch. Gilt auch von Paulus, dem Propheten und Apostel
des Gottesreiches ! Gilt von Jeremia wie von Luther wie von Kierke
gaard wie von Blumhardt!Gilt auch vom hl. Franziskus, der an « Lie
be», Kindlichkeit und Strenge Jesus weit übertrifft und gerade damit
wesentlich als Ankläger wirkt, um von der vernichtenden Heiligkeit
Tolstois nicht zu reden . Getrieben und treibend schwimmt alles
b
1. Abdruck ( 1922 ): «Distanzen» .
mache deine Anmerkungen alle nutzbar. Neben Franz [v. Assisi) habe ich
2,1-13 auch noch Tolstoj aufmarschieren lassen.»
8
Vgl. M. Luther, Brief an Georg Spenlein, Augustiner in Memmingen, vom
8.4.1516, WA.B 1,35,29: «Christus enim non nisi in peccatoribus habitat.»
9 Unter dieser Bezeichnung wurden in der spätorthodoxen lutherischen
Dogmatik die einzelnen Elemente und Stufen des Gnadenempfangs zusam
mengefasst. In der weiteren Lehrentwicklung erfolgte « insofern eine Akzent
verschiebung, als sich im Pietismus [...] die Neigung verstärkte, die Heilsord
nung als ein zeitliches Nacheinander von verschiedenen Stufen und notwen
digerweise zu durchlaufenden Erlebniszuständen auszugeben» (G. Hornig,
Lehre und Bekenntnis im Protestantismus, in: Handbuch der Dogmen- und
Theologiegeschichte, hrsg. von C. Andresen, Bd. 3 , Göttingen 1984, S. 71-287,
dort S. 85 ). Vgl. auch K. von Hase, Hutterus redivivus oder Dogmatik der
evangelisch -lutherischen Kirche. Ein dogmatisches Repertorium für Studiren
de, Leipzig 1862"º, S. 293-304; Chr.E. Luthardt, Kompendium der Dogmatik,
87
als etwas schon Durchgemachtes hinter sich zu lassen ! Sie werden
doch aus der aufbrechenden Gottesgerechtigkeit der Heilsbotschaft
in keinem Sinn einen Schlupfwinkel für sich, eine Festung gegen andre
machen. Sie wissen, dass Gottes Urteil nach dem Maßstab der Wahr
heit erfolgt. Wer kann da widerstehen, wo der Mensch am Maßstab
der Wahrheit Gottes gemessen wird ? Wie und wann und wo sollte da
nicht alles umfallen ?
V.3-5 Rechnest du etwa, o Mensch, mit deinem Beurteilen und
deinem Selbermitmachen dieser ganzen Richtung, gerade du wer
dest dem Urteil Gottes entgehen? Oder missverstehst du den
Reichtum seiner Güte und sein Ansichhalten und seine Geduld,
merkst nicht, dass die Gottesgüte dich zur Buße treiben will? Dann
häufst du mit deiner Hartnäckigkeit und deinem unbußfertigen
Herzen einen Schatz von Zorn auf den Tag des Zorns und der
Enthüllung des gerechten Gerichtes Gottes.
« Rechnest du etwa, gerade du werdest dem Urteil Gottes entge
hen ?» Das wäre die falsche Rechnung menschlicher Gerechtigkeit.
Eine falsche Buchung gleichsam: was in das Haben Gottes einzutra
gen wäre, trägt sie in ihr eigenes Haben ein. Was ihr von Gott gegeben
ist, das macht sie zu einer (34)menschlichen Möglichkeit und Wirk
lichkeit. Was ihr in Ewigkeit geschenkt ist, das beansprucht sie als
Recht in der Zeit. Sie übersieht, wie wenig das sagen will, in dieser
Welt auf einer höheren Warte zu stehen. Sie übersieht, dass jetzt und
hier eine Frage an sie gerichtet ist, die sie nicht zu beantworten ver
mag. Sie übersieht, dass die Weltgeschichte nicht das Weltgericht istº.
Und indem sie törichterweise nach dem greift, was sichtbar und zeit
lich ist, lässt sie fahren, was unsichtbar und ewig ist (vgl. 2. Kor. 4,18] .
Gerade damit, dass sie sich des Glaubens überhebt, als wäre er Men
schenwerk, steht das Gotteswerk im Glauben still, kommt auch der
Glaube unter das Gesetz der Nichtswürdigkeit und Vergänglichkeit
alles Irdischen. Du wirst dem Urteil Gottes, das nach dem Maßstab
der Wahrheit erfolgt, um so weniger entgehen, je mehr du ihm ent
gehen willst.
Das GERICHT
2,14-29
V. 14–16 Wenn es nun geschieht, dass Heiden, die das Gesetz nicht
haben, in ihrem Naturzustand tun, was das Gesetz fordert, so sind
sie, ohne das Gesetz zu haben, sich selber Gesetz. Solche legen das
vom Gesetz geforderte Werk vor: eingeschrieben in ihren Herzen
(wobei ihr Gewissen und ihre sich untereinander verklagenden
oder auch entschuldigenden Gedanken Zeugen sind) an dem Tage
nämlich, da Gott das Verborgene der Menschen beurteilt (laut mei
ner Heilsbotschaft) durch Christus Jesus.
Eine höchst anstößige, verwunderliche, unanschauliche Mitteilung
aus den Einsichten, die sich ergeben, wenn Gott als der Richter ver
standen ist: Menschen, die keine Offenbarung haben, stehen vor Gott
da als solche, die eine Offenbarung haben, Schlafende als Wachende,
Ungläubige als Gläubige, Ungerechte als Gerechte ! Diese erstaunli
che Tatsache, dieses hölzerne Eisen muss nun der Menschengerech
tigkeit vor Augen gestellt werden.
von anderer Herkunft sein müßte. Ist dieses wem mysteriös, mystisch, und
diese Erzählung eineMythe, ein Phantasma, so nehm'er's so; ich kann's nicht
deutlicher geben, hab' aber daran, was ich die Geburtsstunde meines höhern
Lebens nenne; doch richtiger gesagt: die Todesstunde meines alten Menschen
nach seiner Erkenntnis in göttlichen Dingen, anders gesprochen, wie Stilling
gesprochen von dem Eindruck, den Herder auf ihn gemacht habe: ich empfing
von diesem Buch den Stoß zu einer ewigen Bewegung. »
96
«Heiden ,die das Gesetz nicht haben, tun, was das Gesetz fordert.»
« Das Gesetz» ist die von Gott gegebene, aber eben gegebene und für
einmal abgeschlossene Offenbarung, der von göttlicher Offenbarung
hinterlassene Eindruck in der Zeit, in der Geschichte, im Leben des
Menschen, die heilige Schlacke geschehenen Wunders, der ausge
brannte Krater göttlicher Rede, die ernste Erinnerung an die ehr
fürchtige und demütige Haltung, in die gewisse Menschen dabei ge
zwungen wurden, der leere Kanal, in dem zu anderer Zeit unter an
dern Umständen für andere Menschen das lebendige Wasser des
Glaubens, des vernünftigen Schauens floss, ein Kanal, der gebildet ist
von Begriffen, Anschauungen und Geboten, die alle an jene Haltung
gewisser andrer Menschen erinnern, zu ihrer Aufrechterhaltung auf
fordern. Menschen, «die das Gesetz haben», sind Anwohner dieses
Kanals. Sie haben einen Eindruck von dem wahren, dem unbekannten
Gott: entweder in Form einer überlieferten oder übernommenen Re
ligion oder auch in Form eines eigenen früheren Erlebnisses. Sie haben
darin so oder so den Hinweis auf Gott, auf die Krisis unsres Daseins,
auf die neue Welt, die die Grenze unsrer Welt ist. Eben um dieses
Hinweises willen ist ihnen der Eindruck von Offenbarung immer
noch eindrücklich und bemühen sie sich, ihn sich eindrücklich zu
erhalten. « Heiden, die das Gesetz nicht haben», fehlt irgendwie dieser
Hinweis. Ihr persönliches Leben und ihre geschichtliche Erfahrung
ist ohne Eindruck von Offenbarung und darum kennen sie |41 | auch
die Bemühung nicht, sich diesen Eindruck zu erhalten. Man kann sie
Schlafende nennen, sofern nichts in ihrer Haltung davon zeugt, dass
sie etwa beunruhigt wären durch eigene oder fremde Erinnerung an
das, was wir nicht wissen. Man kann sie Ungläubige nennen, sofern
kein Staunen, kein Respekt vor dem, was über ihnen ist, keine Ge
brochenheit an ihnen sichtbar wird. Man kann sie Ungerechte nen
nen, sofern sie den Lauf der Welt unbedenklich bejahen und unge
hemmt mitmachen. Man kann sie in der Tat in keiner Weise als An
wohner des leeren Offenbarungskanals ansprechen. Aber nun kann es
geschehen, dass Heiden, die das Gesetz nicht haben, « tun, was das
Gesetz fordert». Das Tun des Gesetzes ist ja eben, weil Gott der Rich
ter ist, etwas anderes als das Haben und Hören des Gesetzes (2,13 ).
«Das Gesetz tun» heißt: Offenbarung findet statt, Gott redet, Ehr
furcht und Demut sind selbstverständlich, denn der Mensch steht vor
97
Gott. Da ist Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Aber Offenbarung ist
von Gott. Sie lässt sich nicht nötigen, durchaus dem leeren Kanal zu
folgen. Sie kann ihm folgen, sie kann sich aber auch ein neues Fluss
bett graben. Gebunden an die Eindrücke, die sie etwa sonst und früher
hinterlassen, ist sie nicht. Sie ist frei. Und darum ist es doch ein Irrtum,
die «Heiden» so ohne weiteres Schläfer, Ungläubige und Ungerechte
zu nennen. Auch sie können Gottesfürchtige, von Gott Erwählte
sein - ohne andern als solche kenntlich zu werden. Der Glaube selbst
und als solcher ist immer in Unkenntlichkeit gehüllt. Es gibt in den
«Heiden» eine Beunruhigung, Erschütterung und Ehrfurcht, die von
den Kanalanwohnern nur nicht gesehen und verstanden wird. Gott
aber sieht und versteht sie. Gottesgerechtigkeit hat sich ihnen längst
aufgetan, wo Menschengerechtigkeit sie immer noch misstrauisch von
der Seite ansieht. «In ihrem Naturzustande » tun sie das Gesetz; in
ihrer heitern Kreatürlichkeit und Weltlichkeit, in der schlichten, an
spruchslosen Sachlichkeit ihres Tuns sind sie von Gott erkannt und
erkennen ihn wieder, sind sie nicht ohne Einsicht in die Vergänglich
keit alles Menschlichen, nicht ohne Ausblick auf den silbernen Rand
von Erlösung und Vergebung, der die finstere Wolke unsres Daseins
umgrenzt, nicht ohne Respekt vor dem Nein, das die Geschöpfe vom
Schöpfer scheidet, und vor dem Ja, das sie zu Geschöpfen des Schöp
fers macht. Auch ihr Leben gewiss nur ein Gleichnis, aber vielleicht
ein so vollkommenes Gleichnis, dass es schon darin seine Rechtfer
tigung hat. Welt, die im Argen liegt (vgl. 1.Joh. 5,19), gewiss, aber
vielleicht bereits so zersetzte, aufgelöste, unterhöhlte Welt, dass das
Erbarmen Gottes näher, glaubwürdiger erscheint als mancherorts, wo
das «Reich Gottes» in voller Blüte steht. Letzter bösester Skeptizis
mus (421 vielleicht, gänzliche Unzugänglichkeit für alles «Höhere»,
gänzliche Unfähigkeit, sich noch von irgend etwas imponieren zu
lassen; aber vielleicht gerade darum und darin wirkliche Gebrochen
heit, Sinn für Gott, für Gott selbst. Nörgelnde Unrast vielleicht, alles
bemängelnder Protest und innerer Unfriede; aber gerade darum und
darin der Hinweis auf den Frieden Gottes, welcher höher ist als alle
Vernunft (vgl . Phil. 4,7]. Was fordert denn das Gesetz ? An was will
doch das Gesetz die erinnern, die es haben ? Doch wohl gerade an das,
was uns aus den Weltkindern oft so merkwürdig stark anschaut. Soll
ten sie tatsächlich «das Gesetz tun» ? Sollten sie an der fließenden
98
Quelle stehen ? Warum nicht ? Wer wird dem «Reichtum der Güte
Gottes» (2,4) Schranken ziehen wollen, der selber wirklich weiß von
ihr, der das gänzlich Unverdiente, Unbegreifliche, Unableitbare der
Offenbarung verstanden hat ?
« Sie sind sich selber Gesetz. » Gibt es Menschen, die das Gesetz tun,
ohne es zu haben, so empfangen sie es eben damit, dass sie es tun, so
sind sie sich selber Gesetz geworden. Das lebendige Wasser gräbt sich
auch sein Bett und auch der scheinbare Vorzug der Kanalanwohner
fällt dahin. Ein neues wildes Flussbett wird es sein, ein sehr unge
wohnter, andersartiger Eindruck von Offenbarung, eine befremdli
che Form von Glauben, was da sichtbar wird. Aber wer will da be
streiten, wo nur Gott bestreiten könnte ? Die Religion und das Erleb
nis der Menschen Dostojewskis sind doch wohl an allerlei andre Re
ligionen und Erlebnisse zu wagen! 16 Kein Anlass von Seite derer, die
« das Gesetz haben» (und wenn es « das Evangelium» wäre ! ), solche
Menschen nur als Missionsobjekte zu betrachten, allzu gütig von « re
ligiösen Ansätzen» bei ihnen zu reden, wo vielleicht längst ganz andre
Eindrücke von Gott sind, als wir sie je hatten und haben werden. «Sie
sind sich selber Gesetz. » Auch wenn es auf Religion und Erlebnisse
ankäme - es kommt nicht darauf an-, Gott kann den « Heiden» auch
das geben und gibt es ihnen .
« Solche legen das vom Gesetz geforderte Werk vor, eingeschrieben
in ihre Herzen . » Sie kommen in das Gericht Gottes, sie sind im Ge
richt - und das, was den Menschen vor Gott rechtfertigt, findet sich
bei ihnen. Inwiefern ? Jedes positive « insofern » wäre unzutreffend für
103
von Spuren des lebendigen Gottes , du bemühst dich, sie dir als sol
che deutlich zu erhalten. Du freust dich der Autorität, die das, was du
von Gott weißt, über dich hat und die es dir gibt – im Gegensatz zu
dem Chaos der Meinungen und Maßstäbe da draußen. «Du rühmst
dich Gottes. » Wie solltest du es nicht tun, da du ja tatsächlich einen
Eindruck von ihm, eine Erinnerung an ihn hast, da ja dein Blick un
ablässig und unter Gebet dorthin gerichtet ist, wo in der Tat Gott
stehen müsste – im Gegensatz zu den Zweiflern und Atheisten, die
behaupten, dass dort, wo du hinblickst, ein leerer Fleck sei. «Du
kennst den Willen Gottes. » Du weißt auch das, dass die Erinnerung an
Gott Gehorsam bedeutet, dass von dorther, wo du unablässig hin
blickst, ein Eingriff in dein Leben, ein Angriff auf die Welt ausgehen
müsste, und du weißt, in welcher Richtung das zu geschehen hätte. Du
bist nicht ohne die Unruhe, dass etwas getan werden sollte, und nicht
ohne den Eifer, tatsächlich allerlei zu tun - im Gegensatz zu den
Gedankenlosen, die sich von dumpfer Schicksalsmacht treiben lassen.
«Du hast Einsicht in das, woraufesankommt. » Du hast einen ererbten
und erworbenen Sinn für das Wesentliche, für die historischen und
psychologischen Nuancen, für das Echte, Bezeichnende, Wichtige
und besonders für alles Verdächtige und Gefährliche. Du hast immer
eine geistreiche Anmerkung zu machen, immer ein zutreffendes Ur
teil abzugeben. Du weißt deine Stellung unter trefflicher Begründung
gegen andre abzugrenzen. Du siehst tief, denn du bist tief – im Ge
gensatz zu den tausend Oberflächlichen, den Dilettanten des Le
bens23. – Kurz, du hast viel. Was wolltest du mehr haben ? Was könnte
ein Mensch noch haben, das du nicht hättest ? Groß ist die dir gebo
tene Gelegenheit, groß der Reichtum der Güte Gottes über dir, groß
das Ansichhalten seines Zornes über dir, groß seine Geduld ( 2,4; 3,2;
4,11 ; 9,4-5 ). Groß ist offenbar das, was von dir erwartet wird.
Und nun « traust du dir zu, ein Führer der Blinden zu sein ». Du
fühlst nicht mit Unrecht, dass du eine Mission hast. Du vergleichst
dich und deinen Eindruck von Offenbarung mit den vielen, die sol
22
Möglicherweise Anspielung auf den Titel der Autobiographie des Pastors
und Volksschriftstellers Otto Funcke ( 1836-1910) Fußspuren des lebendigen
Gottes in meinem Lebenswege, 2 Bde., Altenburg 1898/1900.
23 Vermutlich Anspielung auf den Titel von Cl. Viebigs Roman Dilettanten
des Lebens ( 1897).
104
chen Eindruck nicht haben. Du empfindest in diesem Gegensatz deine
Berufung. Du ahnst das Vorhandensein eines göttlichen Planes, einer
Teleologie, in der du eine entscheidende Rolle zu übernehmen hast.
Du übernimmst sie, du hast sie schon übernommen, zuversichtlich
und im Bewusstsein einer heiligen Verpflichtung. Deinen Eindruck
von Offenbarung, den du so ernsthaft und begeistert |47| hast («im
Gesetz die vollkommene Ausprägung der Erkenntnis und der Wahr
heit»), du möchtest ihn auch den andern, den Blinden, den in Fin
sternis Wandelnden, den Unverständigen und Unmündigen vermit
teln, du möchtest ihn fortsetzen, verbreitern, propagieren, auswalzen ,
damit er Besitz möglichst vieler werde. Kraft dessen, was du bist und
was du hast", fühlst du dich gedrängt zum Handeln, eingesetzt als
Gottes Mitarbeiter.
Aber « der du den andern belehrst, dich selbst belehrst du nicht ? »
Mission setzt eine Sendung voraus, Belehrung ein Belehrtsein, Aus
teilen ein Empfangenhaben. Was ist's denn mit dem Haben des Ge
setzes, wenn es nicht getan wird, wenn Gott sich nicht bekennt zu
diesen Habenden ? Mit dem Eindruck von Offenbarung, wenn die
Offenbarung selbst nicht weiter geht ? Mit der Blickrichtung dorthin,
wo Gott stehen würde', wenn er gar nicht mehr dort steht? Was hilft
dir im Gericht dein Wohnen am Kanal, wenn er leer ist ? Und könnte
er nicht leer sein ? Wer bist du denn ? Was hast du denn ? Woher
kommst du denn? Was ergießest du dich denn so nach allen Seiten ?
Was ist's denn mit dem neuen Geist, den du in andern pflanzen willst ?
Auch dein Eindruck von Offenbarung, deine Ergriffenheit, dein Er
lebnis, deine Begeisterung ist Fleisch, ist von dieser Welt. Wird gerade
deine religiöse Weltlichkeit den Zorn Gottes weniger zu fürchten ha
ben als andre ? Ist's nicht Gefangenhaltung der Wahrheit, Vertau
schung des Unvergänglichen mit dem Abbild des Vergänglichen (vgl.
1,18.23] hier wie dort ? Was bist du, wenn Gott selbst nicht für dich
eintritt ? Wenn er das « Werk » nicht findet bei dir, im Verborgenen
deines Herzens: das Gebet des Zöllners (vgl. Lk. 18,13), die Bitte des
verlorenen Sohnes (vgl. Lk. 15,21 ], das Schreien der Witwe vor dem
ungerechten Richter (vgl . Lk. 18,3] ? Dann steht dein Tun da als das,
h-h
I.
Abdruck ( 19222): «was du bist und hast» . Korrektur in Barths Hand
exemplar.
i
Druckmanuskript: «müsste» .
IOS
was es ist: deine Rechtlichkeit als Diebstahl (wer stiehlt nicht ?), deine
Reinheit als Ehebruch (wann wäre Sexualität rein?), deine Frömmig
keit als eitle Anmaßung (denn welcher Fromme träte Gott nicht zu
nahe ?). Oder lohnt es sich etwa, im Gerichte Gottes die Stufen höherer
und niederer Weltlichkeit zu unterscheiden? Fehlt deinem Leben die
Rechtfertigung, die nur Gott selbst ihm geben kann, dann fehlt ihm
jede Rechtfertigung. Hast du nicht mehr aufzuweisen als deinen Ein
druck von Offenbarung, dann hast du gar nichts aufzuweisen. Berufst
du dich nur auf deinen Glauben, so kannst du dich auf gar nichts
berufen. Ist Gott nicht für dich, so ist alles wider dich (vgl. 8,31 ) .
Und noch mehr: «Du rühmst dich des Gesetzes und entehrst Gott
durch die Übertretung des Gesetzes. » Ist Gott nicht für dich, so
kannst du auch nicht für ihn, sondern nur gegen ihn sein. Denn die
Welt ist scharfsichtig. Sie wird deine vermeintliche Überlegenheit
nicht gelten lassen. Sie wird |48 | dich bald als Fleisch von ihrem Fleisch
und Bein von ihrem Bein erkennen (vgl. Gen. 2,23] . Bist du selber
verwerflich, so kannst du auch nicht handeln, wirken, anleiten für
Gott. In ihr Gegenteil verkehrt sich dann die Stellung, die du nicht mit
Unrecht eigentlich einnehmen möchtest. Das Gegenteil von Mission
treibst du, indem du Mission treibst, ohne gesendet zu sein. Denn wo
Gesetz ist, da erwartet die « Welt» nun einmal Tun des Gesetzes; wo
Eindruck von Offenbarung ist, da sucht sie Offenbarung selbst. Sie
glaubt ja mit Langmut immer wieder an den höhern Anspruch, den
die Gotteskinder in ihrer Mitte erheben. Sie wäre für Realitäten
durchaus nicht unempfänglich. Wohl aber ist sie unempfänglich für
Illusionen. Sieht sie sich getäuscht in den Berufenen und Erleuchteten,
merkt sie wieder einmal, dass ihr doch nur potemkinsche Dörfer24
vorgezaubert werden, ist es nichts Anderes, nichts Neues, nichts Be
zwingendes, was ihr in den Gotteskindern entgegentritt, dann wendet
sie sich nach kurzem Staunen von dem befremdlichen Schauspiel
i Druckmanuskript: «arbeiten».
24 Trügerische Vorspiegelungen oder « Luftschlösser»; vgl. Büchmann,
S.657f. Als Fürst Grigori A. Potemkin 1787 die Krim erobert hatte und die
Kaiserin Katharina die Große das neu erworbene Gebiet besuchen wollte,
«suchte er sie durch schnell aufgebaute Dörfer und militärische Schauspiele
über dessen wahren Zustand zu täuschen» .
106
nichtwirklicher Gottesgemeinschaft ab und fühlt sich als « Welt» aufs
neue bestärkt und gerechtfertigt. Mit richtigem Instinkt für die Wahr
heit lässt sie sich nichts vormachen, verwahrt sie sich dagegen, sich zu
dem «Gott» der Frommen bekehren zu lassen. «Gott» ist eben Ideo
logie, wo Menschen den Standpunkt Gottes einnehmen ohne Gott,
wo Gott selber, Gott allein nicht eins und alles ist, sondern Menschen,
wenn auch im feinsten, edelsten Sinn mit Gott etwas sein und etwas
machen wollen. Der Einwand, der Protest gegen «Gott» hat recht,
wo nur leere Kanäle Gottes zu sehen sind. Aber wo bleiben dann die
Mitarbeiter Gottes ? «Um euretwillen wird der Name Gottes gelästert
unter den Heiden» (Jes. 62,5 ). Die Erwählten , die Gotteskinder sind
es, die das Reich Gottes aufhalten! Sollte uns diese Möglichkeit nicht
zu denken geben in jedem Augenblick, wo wir versucht sind, aus der
Prophetie der Wartenden und Eilenden (vgl. 2. Petr. 3,12] eine letzte
höchste Menschengerechtigkeit zu machen? Diese Möglichkeit, die ja
längst und weithin Wirklichkeit ist !
« Wenn du aber ein Übertreter des Gesetzes bist, so wird deine Be
schnittenheit gleich Unbeschnittenheit. » Unvermeidlich bricht dann
der Relativismus herein: Der Eindruck von Offenbarung, den die
Gotteskinder haben, wird zu einem menschlichen, weltlichen Wert
neben andern. Ihr Anspruch auf einen absoluten Vorzug ihrer Stel
lung vor andern ist erledigt. Ihre Religionen, Sittlichkeiten und Welt
anschauungen sind kommende und gehende Größen. Ihre Kirchen
geschichte wird profan, kommt unter das Zeichen: «Der echte Ring
vermutlich ging - verloren! «25 Denn wo Gott den Wert nicht findet,
den er schätzt und entsprechend «bezahlt» (2,6), da können die
menschlichen Vor-49 |zugsstellungen nichts Besonderes bedeuten.
Die Unreinheit und Unheiligkeit, die er «im Verborgenen der Men
schen» findet, entwerten notwendig den Eindruck von Offenbarung,
den Menschen bei sich selbst oder andre bei ihnen vorfinden mögen.
Die Gottesstreiter ohne Gott gleichen dem Wanderer, der beim Weg
weiser stehen bleibt, statt den gewiesenen Weg zu gehen. Sinnlos ist
der Wegweiser geworden, sinnlos ihr Glaube, ihr Beten, ihre biblische
k
1. Abdruck ( 19222): «sein und machen». Korrektur in Barths Handexem
plar.
26
Anspielung auf Zwinglis Interpretation des Satzes «Hoc est corpus
meum » im Abendmahlsstreit; vgl. z.B. dessen Ad Matthaeum Alberum de
coena dominica epistola ( 1524): H. Zwingli, Sämtliche Werke, Bd. 3 (= CR 90),
Leipzig 1914, S. 344, Z. 9 - S. 345 , Z. 3; S. 345 , Z. 22–30: «Nos cardinem huius
rei in brevissima syllaba versari arbitramur: videlicet in hoc verbo «est), cuius
significantia non perpetuo pro cesse, accipitur, sed etiam pro «significare»,»
«Nunc Christi verbum mihi in manum sume Math. 26: Accepit Iesus panem
etc., dicens: Accipite et comedite! Hoc «est corpus meum; Luc. 22: quod pro
vobis traditur. Hic mihi pro «est> <significat, pone: Accipite et comedite! Hoc
<significat corpus meum, quod pro vobis traditur. Tuncnimirum iste erit sen
sus: Accipite et comedite! hoc enim, quod nunc facere iubeo, significabit vobis
aut rememorabit corpus meum, quod iamiam pro vobis traditur. » Mit der
Zusammenstellung weist Barth darauf hin, dass in der liberalen Theologie eine
Sakramentsauffassung vertreten wird, welche der Zwinglis gleicht; vgl. z.B.
P. Wernles Kritik an dem von Barth in Römerbrief I vertretenen « Taufsakra
mentalismus» (Wernle, S. 169).
108
Verborgenen ist, und das ist seine Beschneidung, was am Herzen
geschieht, im Geist, nicht nach dem Buchstaben - dessen Beloh
nung nicht von Menschen, sondern von Gott kommt.
Eine letzte Möglichkeit ist aufgetaucht. Der Ring von Ursache und
Wirkung, Abfall und Sturz ist in der Tat unentrinnbar geschlossen. Es
könnte aber dieser Ring als Ganzes eingeschlossen und getragen sein
von einem unbegreiflichen göttlichen Erbarmen. Menschengerechtig
keit an sich ist Einbildung; es gibt keine Gerechtigkeit in der Welt. Es
könnte aber eine Gerechtigkeit vor Gott und von Gott her geben. Es
gibt keine sichtbaren Kreise von Heiligen, Ausgenommenen, Helden,
Übermenschen ” und Gerechten, gebildet durch den Besitz von Ge
setz, Offenbarungseindruck, Gesinnung, Moral und Sakrament. Es
könnte aber einen neuen Menschen geben, jenseits | so| aller Gegen
sätze, von Gott und nach Gott geschaffen (vgl. Eph. 4,24]. «Unbe
schnittenheit als Beschnittenheit verrechnet ?! » Also Gottlosigkeit
von Gott als Frömmigkeit «bezahlt» mit ewigem Leben ? Ehrfurchts
losigkeit und Unbotmäßigkeit eingetragen in Gottes Bücher als Ehr
furcht und Demut ? Die verlorene Welt in Gottes Gericht freige
sprochen und gerettet ? Also auch aller menschliche Glaube als solcher
von Gott nicht anerkannt, sondern «verschlossen unter den Unglau
ben – auf dass er sich aller erbarme» ( 11,32) ? Ohne alles Verdienst,
ohne alle anschauliche Begründung, ohne alle menschliche Möglich
keit, etwas dafür oder dagegen zu tun ! Ein unfassbares Hereinbrechen
Gottes selbst, des unbekannten Gottes in den uns bekannten Zusam
menhang der Dinge, die unmögliche Möglichkeit der neuen Welt!
Unmöglich bei den Menschen, möglich bei Gott (vgl. Mt. 19,26 par.] !
Gott verrechnet nach seinem Maßstab. Gott führt hier Ungläubige an
das «Ziel des Gesetzes», in das Licht seiner Gemeinschaft, und lässt
dort Gläubige stehen in der Welt, die im Argen liegt (vgl. 1.Joh. 5,19) .
Er geht an allem vorbei, was « bekannterweise», was dinglich und an
schaulich geschieht, und richtet im Verborgenen nach seinem Recht.
Gott ist der Geist, der in den Herzen wohnt oder auch nicht wohnt,
ganz unabhängig von dem, was nach dem Buchstaben menschlicher
28
Vgl. Overbeck, Christentum und Kultur, S. 77 (OWN 6/1 , S. 110): «daß
wir Menschen überhaupt nur vorwärts kommen, indem wir uns von Zeit zu
Zeit in die Luft stellen und daß unser Leben unter Bedingungen verläuft, die
uns nicht gestatten, uns dieses Experiment zu ersparen» . Die Passage ist in
Barths Exemplar unterstrichen, am Rand angestrichen und mit einem Kreuz
markiert. Bei Overbeck ist der Kontext: Das Festhalten an der Bibel ist fatal für
den Glauben. Um von der religiösen Überschätzung der Bibel wegzukommen,
muss die Menschheit sich «in die Luft stellen» (wie beim «Uebergang vom
Alten Testament zum Neuen»). Vgl. auch Barth, Unerledigte Anfragen, S.7.13 .
IIO
3. Kapitel
GOTTESGERECHTIGKEIT
Das GESETZ
3,1-20
Geschichte ist das Spiel der vermeintlichen Vorzüge des Geistes und
der Kraft der einen Menschen vor den andern, der durch die Ideologie
von Recht und Freiheit heuchlerisch verhüllte Kampf ums Dasein, das
Auf- und Abwogen alter und neuer Menschengerechtigkeiten, die
einander gegenseitig an Feierlichkeit und Nichtigkeit überbieten . Das
Gericht Gottes ist das Ende der Geschichte. Ein Tröpfchen Ewigkeit
hat mehr Gewicht als das ganze Meer der der Zeit unterworfenen
Dinge. Am Maßstab Gottes gemessen verlieren die Vorzüge derMen
schen ihre Höhe, ihren Ernst, ihre Tragweite, sie werden verhältnis
mäßig. Auch die höchsten, die geistigsten, die gerechtesten Gegensät
ze unter Menschen erscheinen hier, wie sie sind: in ihrer natürlichen,
innerweltlichen , profanen «materialistischen » Bedeutung. Die Täler
werden erhöht, die Hügel erniedrigt (vgl. Jes. 40,4] . Der «Kampf der
Guten mit den Bösen» ist aus. Die Menschen treten in eine Linie. Ihr
« Verborgenes» (2,16) steht im Gericht vor Gott, aber vor Gott allein .
Aber das Gericht Gottes ist das Ende der Geschichte, nicht der
Anfang einer neuen zweiten Geschichte. Die Geschichte ist erledigt,
sie wird nicht fortgesetzt. Was jenseits des Gerichtes ist, das ist von
dem, was noch diesseits ist, nicht nur relativ, sondern absolut ver
schieden und getrennt. Gott spricht, Gott ist als Richter erkannt. Und
die Veränderung, die da ins Auge gefasst werden muss, wo Gott
spricht und als Richter erkannt ist, ist so radikal, dass gerade sie Zeit
und Ewigkeit, Menschengerechtigkeit und Gottesgerechtigkeit, Dies
seits und Jenseits in unzerreißbarer Weise verbindet. Das Ende ist
auch das Ziel. Der Erlöser ist auch der Schöpfer. Der, der richtet, ist
auch der, der alles zurechtbringt. Die Aufdeckung des Un-Sinns ist
auch die Offenbarung des Sinns. Das Neue ist auch die tiefste Wahr
III
heit des Alten. Die radikalste Erledigung der Geschichte, das Nein,
unter das alles Fleisch kommt, die absolute Krisis, die Gott für die
Welt des Menschen, der Zeit und der Dinge bedeutet, ist auchs 2 der
rote Faden, der sich durch ihr Da-Sein und So-Sein hindurchzieht.
Das Vergängliche ist, als solches erkannt, das Gleichnis des Unver
gänglichen. Die letzte Beugung unter Gottes Zorn ist der Glaube an
seine Gerechtigkeit. Denn als der unbekannte Gott wird Gott erkannt.
Er ist gerade als solcher kein Ding an sich, keine metaphysische We
senheit neben andern Wesenheiten, kein Zweiter, Anderer, Fremder
neben dem, was ohne ihn wäre, sondern der ewige, der reine Ursprung
alles dessen, was ist, als das Nicht-Sein aller Dinge ihr wahres Sein.
Gott ist treu.
So wird auch aller Offenbarungseindruck in der Geschichte, so
wenig sich Menschengerechtigkeit seiner rühmen , so wenig sie daraus
eine Sicherung und Beruhigung entnehmen kann, durch das Gericht
nicht ausgelöscht, nicht vernichtet, sondern bestätigt, bewährt und
bekräftigt. In der radikalen Aufhebung der geschichtlichen und see
lischen Wirklichkeit, in der umfassenden Relativierung ihrer Stufen
und Gegensätze erscheint ihre wahre, ihre ewige Bedeutung.
V.1-4 Was hat denn der Jude noch Besonderes ! Oder was für
einen Wert die Beschneidung? Einen großen in jeder Beziehung.
Vor allem darin, dass ihnen die Kundgebungen Gottes anvertraut
wurden. Denn wie ist's damit? Wenn Einige das Vertrauen ge
täuscht haben, wird etwa ihre Untreue die Treue Gottes aufheben ?
Unmöglich ! Sondern es muss sich zeigen: Gott ist wahr, jeder
Mensch aber ein Lügner, wie geschrieben steht: Damit du Recht
behaltest in deinen Worten und siegest, wo über dich geurteilt
wird !
« Was hat denn der Jude noch Besonderes ?» Gibt es überhaupt, im
Ernst gesprochen, etwas Besonderes, wenn alles unter den Zorn Got
tes gestellt ist, alle Besonderheit als Rettung, Ausnahmebildung und
Beruhigung aufgehoben ist ? Gibt es Höhepunkte in der Geschichte,
die mehr sind als größte Wellen im Strom der Vergänglichkeit, stärkste
Schatten unter andern Schatten ? Besteht eine Beziehung zwischen all
dem, was als Offenbarungseindruck geschichtlich und seelisch wahr
a
1. Abdruck ( 19222): «Unmöglich? ». Korrektur in Barths Handexemplar.
II2
nehmbar wird , und der Offenbarung des unbekannten Gottes selbst ?
Eine Beziehung zwischen dem Harren der als Berufene und Erleuch
tete, als Helden und Propheten, als Menschen guten Willens über die
Bühne dieser Weltzeit Gehenden und dem kommenden Reiche Got
tes, in welchem alles neu wird ? Und es steht hinter dieser Frage die
andere, allgemeine, nach dem Verhältnis dessen, was tatsächlich er
fahrbar geschieht, und dem ewigen Gehalt alles Geschehens, nach
dem Verhältnis des Da-Seins und So-Seins der Dinge zu ihrem wahren
Sein, des Erlebensb zum Erkennen. Oder ist etwa durch den Blick auf
Gott den Richter | 53 | alle Beziehung, alles Verhältnis zwischen hier
und dort geleugnet ? Sollte die Entfernung, die Distanz Gott gegen
über, in die wir uns bei tieferer Besinnung versetzt sehen, eine gänz
liche Ferne zwischen Gott und Welt bedeuten ? « Was für einen Wert
hat die Beschneidung ? »
Wir antworten : «Einen großen in jeder Beziehung. » Unheimlich
groß, unheimlich stark ist Beziehung und Verhältnis zwischen Gott
und Welt, dort und hier . Gerade nachdem erkannt ist, dass die Ver
dinglichung und Vermenschlichung des Göttlichen in einer beson
deren Religionsgeschichte oder Heilsgeschichte keine Beziehung zu
Gott ist, weil Gott als Gott dabei preisgegeben wird, kann nun auch
festgestellt werden, dass alles, was in der bekannten Welt geschieht,
Inhalt und Bedeutung hat von dem unbekannten Gott her, dass aller
Offenbarungseindruck ein Hinweis ist auf Offenbarung selbst, dass
alles Erleben Erkenntnis als seine eigene Krisis in sich trägt und alle
Zeit als ihre eigene Aufhebung Ewigkeit. Gericht ist nicht Vernich
tung, sondern Aufrichtung. Reinigung ist nicht Entleerung, sondern
Erfüllung. Gott hat den Menschen nicht verlassen, sondern Gott ist
treu ( 3,31 ) .
«Ihnen wurden die Kundgebungen Gottes anvertraut.» So zwei
deutig und fragwürdig die Stellung eines Gerechten, eines nach Gott
suchenden und auf Gott wartenden Menschen als Stellung eines Men
schen ist (2,17–25), so klar und notwendig ist sie als Symptom dessen,
was Gott will und tut. Beweis eines göttlichen Zutrauens ist es, dass
solche Menschen mitten in der Welt sind, was sie sind. Sie sind es, weil
das Gottesreich verheißen ist. Indem sie durch eigene oder fremde
b
2. Abdruck ( 1923 }): «Strebens» .
113
«Erlebnisse» gezwungen sind, stillzustehen vor dem, was sie nicht
kennen, sind sie der Beweis, dass dieses Nicht-Gekannte als solches
Gegenstand von Erkenntnis werden könnte. Indem sie sich des Un
möglichen erinnern, sind sie der Beweis, dass eben das Unmögliche:
Gott, im Bereich der Möglichkeit steht, freilich nicht als eine Mög
lichkeit unter andern, sondern, wie gerade an ihnen anschaulich wird,
als die unmögliche Möglichkeit. Die Kundgebungen Gottes, die sie
haben und hüten, sind fassliche Zeugnisse des Unfasslichen: dass es
für diese erlösungsunfähige Welt eine Erlösung gibt. Ob das, was sie
haben und hüten, Mose ist oder Johannes der Täufer, Plato oder der
Sozialismus oder auch einfach die dem schlichten alltäglichen Tun
innewohnende sittliche Vernunft, gleichviel:es ist Berufung, Verhei
Bung, Gleichnisfähigkeit in diesem Haben und Hüten, Angebot und
offene Türe tiefster Erkenntnis. Ihr Anspruch auf eine besondere Stel
lung, ihr Anspruch , besonders gehört zu werden, ist nicht not- | 541
wendig eine Anmaßung, sofern ihnen tatsächlich Kundgebungen
Gottes anvertraut sind.
« Wenn auch einige dies Vertrauen getäuscht haben, wird etwa ihre
Untreue die Treue Gottes aufheben ?» Also verborgen und verschüt
tet ist der wahre Gehalt unsres Lebens, unerkannt der unbekannte
Gott, unfruchtbar die Spuren seiner Treue, unbenützt seine Verhei
Bung und sein Angebot. Aber diese Feststellung mag für den Au
genblick auf sich beruhen . Von Gott aus gesehen ist dieser Vertrau
ensmissbrauch doch nur eine zufällige Wahrheit, die Tat « Einiger»
(und wenn die « Einigen » alle wären! ), keine Widerlegung und kein
Hindernis dessen, das er will und tut. Gottes Treue kann getäuscht,
aber nicht aufgehoben werden. Gottes Angebot kann Undank fin
den, aber es wird nicht zurückgezogen. Gottes Güte wird dem wi
derstrebenden Menschen zum Gericht, aber sie ist darum nicht we
niger Güte. Die ganze Widergöttlichkeit des Geschichtsverlaufs än
dert nichts daran, dass es in diesem Geschichtsverlauf immer und
überall jene Besonderheiten, jene Offenbarungseindrücke, jene Ge
legenheiten und offenen Türen gibt, die, von Gott aus gesehen, zur
Besinnung rufen , zur Erkenntnis leiten könnten. Es bleibt, wo Men
schen sind, die auf Gott harren, eine Sendung, ein character indele
· Druckmanuskript: «was».
114
bilis ', und wenn er vor ihren eigenen und vor aller Augen in tiefste
Unkenntlichkeit gehüllt wäre und wenn die schwersten seelischen
und geschichtlichen Katastrophen darüber gingen. Gott hat sich nie
und nirgends umsonst offenbart. Wo «Gesetz» ist (2,14), und wenn
es noch so ausgebrannte Schlacke wäre, da ist auch ein Wort der
Treue Gottes .
«Es muss sich zeigen: Gott ist wahr, jeder Mensch aber ein Lügner!»
Was vermag denn die Untreue der begnadigten Menschen ? Sie vermag
nur, «die Voraussetzung derganzen christlichen Philosophie» (Calvin)?
zu bewähren : Gott ist wahr;d Gott ist die Antwort, die Hilfe, der
Richter, der Erlöser, nicht der Mensch, weder der östliche noch der
westliche, noch der deutsche Mensch und auch nicht der biblische
Mensch, weder der Fromme noch der Held, noch der Weise, weder
der Wartende noch der Wirkende und auch nicht der Übermensch -
Gott allein, Gott selbst ! Wenn wir es je vergessen sollten, so muss uns
die Unzulänglichkeit aller Offenbarungsträger gegenüber der Offen
barung die Distanz wieder in Erinnerung rufen, uns wieder an den
Anfang, an den Ursprung stellen . Auch der Offenbarungsträger sel
ber lebt davon, dass es in seiner eigenen Unzulänglichkeit an den Tag
tritt: Gott ist Gott! « Ich glaubte, darum redete ich, ich wurde aber tief
erniedrigt», bekennt er (Ps. 116,10-14) und fährt fort: «Ich | ss sprach
in meinem Entsetzen («in meiner Ekstase» LXX):Jeder Mensch ist ein
Lügner! >> Jeder Mensch !! Eben aus der Einsicht in diesen umfassen
den Gegensatz des Menschen zu Gott, aus ihr allein, entspringt Got
teserkenntnis, neue Gottesgemeinschaft neuer Gottesdienst: « Wie soll
ich dem Herrn vergelten alles, was er mir vergilt? Ich will den Kelch
des Heils ergreifen und den Namen des Herrn anrufen. Ich will meine
Gelübde dem Herrn bezahlen vor seinem ganzen Volk . »
«Damit du Recht behaltest in deinen Worten und siegest, wo über
dich geurteilt wird » (Ps. 51,6). Es hat keinen Sinn, im Blick auf das
d
Druckmanuskript: «wahr!» .
Nach der römisch-katholischen Sakramentenlehre prägen Taufe, Fir
mung und Weihesakrament einen «characterem in anima, hoc est signum
quoddam spirituale et indelebile», ein: ein «geistiges und unauslöschliches»
Merkmal (DH 1609).
2 Calvin, col. 48: «Prius membrum [scil. Deum veracem esse) est primarium
axioma totius christianae philosophiae. »
115
immer und überall offenkundige Versagen der Berufenen ihre Beru
fung zu bezweifeln oder gar den, der sie berufen hat, zu kritisieren.
Der Wert der Kundgebungen Gottes ist unabhängig vom Verlauf der
menschlichen Geschichte, ja noch mehr: sie erweisen sich gerade darin
als Kundgebungen Gottes, dass das, was im Geschichtsverlauf als ihre
Wirkung sichtbar wird, zugleich immer auch ein Versagen , eine
Nicht-Wirkung ist. Wo der Mensch in der im sı . Psalm beschriebenen
Lage ist, wo er im Lichte Gottes nichts an sich selber findet als seine
Unreinheit, wo er an kein anderes Opfer mehr zu denken vermag als
an seinen geängsteten Geist, sein geängstetes und zerschlagenes Herz,
da wird Gott als der Sieger triumphierend erkannt. Es beharrt also
über dem Steigen und Fallen der Wellen der Geschichte , der mensch
lichen Untreue zum Trotz, ja in der menschlichen Untreue , die Treue
Gottes. Es beharrt das «Besondere » (3,1 ), das der « Jude» nicht hat,
aber empfangen hat.
V.5-8 Beweist aber unsre Unbotmäßigkeit Gottes Gerechtig
keit, was sollen wir dazu sagen ? Ist dann Gott nicht selbst unbot
mäßig im Verhängen seines Zorns ? (Ich rede nach menschlicher
Logik! ) Unmöglich ! Wie kommt es denn dazu, dass Gott die Welt
richtet?* Wenn ich mich damit rechtfertigen dürfte, dass Gottes
Wahrheit in meiner Lüge groß wurde zu seiner Verherrlichung,
was erklärt dann die Tatsache, dass ich selbst als Sünder gerichtet
bin? Und wahrhaftig, es geht nicht nach dem Wort, das uns einige
Bengel liest wohl mit Recht nicht voivɛī, sondern zpível wie 2,16 ent
sprechend dem xpivouai V.7. «Die Welt richten» im Präsens findet sich auch
1. Kor. 6,2 .
Diese Fragen können auch als Aufzählung von Aspekten der Kritik am
Römerbrief I gelesen werden; vgl. oben S. 8–22.
I 21
matoren, Dichtern und Künstlern auch nur einer, wenn es darauf an
kam, den Menschen gut oder auch nur des Guten fähig genannt ? Ist
etwa die Lehre von der «Erbsünde» nur eine « Lehre» neben andern
und nicht viel mehr (in ihrem grundsätzlichen Sinn! vgl. aber 5,12) die
Lehre, die sich aus jeder ehrlichen Geschichtsbetrachtung ergibt, die
Lehre, auf die sich alle in der Geschichte auftretenden «Lehren» letzt
lich zurückführen lassen ? Kann man denn in dieser Sache «anderer
Ansicht» sein als die Bibel, Augustin und die Reformatoren ? Was
zeigt, was lehrt denn die Geschichte (aktiv und passiv) ?
Die verhältnismäßige Gottähnlichkeit wenigstens einiger gewisser
Menschen ? Nein, sondern: « Es gibt keinen Gerechten, auch nicht ei
nen . »
Druckmanuskript: «nicht».
8 1. Abdruck ( 1922 ): «positiv».
7
Anspielung auf die Weigerung, sich vor dem Hut Geßlers auf der Stange
zu beugen. Vgl. Fr. von Schiller, Wilhelm Tell,3. Aufzug, 3. Szene, V. 1739–
1741 :
Was rechte Leute sind, die machen lieber
Den langen Umweg um den halben Flecken,
Eh sie den Rücken beugten vor dem Hut.
123
ten täuschen zu lassen über die Wahrheit, mit der alle menschliche
Lebensbetrachtung aufhören muss, um mit ihr neu anzufangen. Sie
geben der materialistischen, der profanen, der «skeptischen»8 Weltan
schauung das Recht, das ihr durchaus gehört, und bahnen sich mit
diesem letzten Verzicht den Weg zur Erkenntnis Gottes selbst und
damit des ewigen Sinns der Welt und der Geschichte. 162 | Anders als in
der Negation des Geschöpfes ist die Position des Schöpfers und der
ewige Sinn des Geschöpfes noch nie erkannt worden. Das sagt uns die
Geschichte.
V.19–20 Wir wissen aber: Was das Gesetz da sagt, das spricht es
gerade zu denen, die es mit dem Gesetz halten - damit jeder Mund
gestopft und die ganze Welt vor Gott schuldig werde. Denn es gibt
keine Gerechtigkeit vor ihm auf Grund der Werke des Gesetzes für
alles, was Fleisch heißt. Was durch das Gesetz zustande kommt, das
ist die Erkenntnis der Sünde !
« Was das Gesetz sagt, das spricht es zu denen mit dem Gesetz. » Die
es mit dem Gesetz halten, sind die Idealisten, die Bevorzugten, die ein
Erlebnis Gottes oder doch die Erinnerung eines solchen haben (2,14;
3,2). Kundgebung Gottes, Hinweis auf Gott ist ihr Offenbarungsein
druck , ihre Religion, ihre Frömmigkeit. Sie sind gerichtet, auf Gott
gerichtet - aber eben darum auch von Gott gerichtet. Gerade sie kön
nen die Lage zwischen Gott und Mensch am wenigsten verkennen,
können am wenigsten dem Missverständnis verfallen, als ob einige,
z. B. sie selbst, um ihres seelischen und geschichtlichen Vorsprungs
willen Gott gegenüber gesichert und entschuldigt wären (2,1 ), können
am wenigsten «nach menschlicher Logik» (3,5 ) daran rütteln , dass
Gott Gott ist, können am wenigsten der Spannung, der Beunruhi
gung, dem Unfrieden, der fortgesetzten Unterhöhlung und Infrage
stellung ausweichen, in die der Mensch durch Gott versetzt ist. Ge
rade der Glaube ist ja, wenn er wirklich Glaube an Gott ist, Hohl
raum, Beugung vor dem, was wir nie werden, nie haben, nie tun kön
nen, vor dem, der nie Welt, nie Mensch wird, es wäre denn in der
Aufhebung, in der Erlösung, in der Auferstehung alles dessen, was wir
8
Vgl. Overbeck, Christentum und Kultur, S. 11 («der Skeptizismus als die
einzige Denkart, die sich wirklich» mit der Geschichtsschreibung «verträgt» )
und S. 294–296 (OWN 6/1 , S.43 und S. 333-335 ).
124
jetzt und hier Mensch und Welt heißen. Die Stimme des Gesetzes, der
Religion, der Frömmigkeit haben wir soeben (3,10–18) gehört. Der
leere Kanal redet von dem Wasser, das ihn nicht durchströmt. Der
Wegweiser redet von dem Ziel, das da, wo er steht, nicht ist. Der
Abdruck («die Ausprägung » 2,20) redet von dem Siegelring, der da,
wo der Abdruck ist, nicht ist, sondern nur sein - Negativ hinterlassen
hat. Die Geschichte selbst - und zwar nicht die chronique scandaleuse
des Menschen, sondern die Geschichte der menschlichen Höhepunk
te ist die Anklage gegen die Geschichte.
« Damit jeder Mund gestopft und die ganze Welt vor Gott schuldig
sei. » Der Jude hat ein « Besonderes » (3,1 ). Er kann es wissen, dass wir
von Gott nichts wissen. Er kann Halt machen vor dem, was kein Auge
gesehen, kein Ohr 63| gehört, was in keines Menschen Herz gekom
men ist (vgl. 1. Kor. 2,9] . Er kann Gott fürchten . Religion ist die Mög
lichkeit, dass dem Menschen die letzte Zuversicht außer der auf Gott
selbst, auf Gott allein genommen wird. Frömmigkeit ist die Möglich
keit, dass uns der letzte denk- und vorstellbare Boden auch noch unter
den Füßen weggezogen wird. Das Votum der Geschichte, das gerade
an die gerichtet ist, die es mit der Geschichte halten, kann gerade sie
dahin bringen, dass sie, zum letzten Verzicht genötigt, vor Gott selbst
verstummen. Wenn diese Möglichkeit sich realisiert, wenn die, die es
mit dem Gesetz halten, hören, was das Gesetz sagt, hören, dass Gott
allein recht hat, wenn ihre Religion zur Aufhebung auch ihrer Reli
gion, ihre Frömmigkeit zur restlosen Beugung auch ihrer Frömmig
keit, ihre seelische und geschichtliche Höhe zur Erniedrigung aller
menschlichen Höhe wird, wenn gerade mit ihrem Mund jeder recht
haberische, siegesgewisse, auch noch eine Wahrheit verkünden wol
lende menschliche Mund gestopft, wenn gerade in ihrer an der Spitze
der Welt wandelnden Person die ganze Welt vor Gott schuldig wird –
dann bestätigt, bewährt und bekräftigt sich ihr Besonderes. Dann tritt
der ewige Sinn der Geschichte zutage. Dann behauptet Gott seine
Treue zum Menschen, die sich durch die Untreue des Menschen nicht
irre machen lässt.
« Es gibt keine Gerechtigkeit vor ihm auf Grund der Werke des
Gesetzes für alles, was Fleisch heißt.» « Geh nicht ins Gericht mit dei
nem Knechte, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht» (Ps. 143,2).
« In Wahrheit, ich weiß, wie es steht: Wie sollte der Sterbliche vor dem
125
Herrn gerecht sein ? Wenn er mit ihm ins Gericht gehen wollte, so
könnte er sich nicht stellen, weil er unter tausenden nicht auf eines
seiner Worte zu antworten vermöchte» (Hiob 9,2–3 LXX) . « Längst
verkündigt» ( 1,2) ist also wahrhaftig auch die Verallgemeinerung jener
einzelnen Zeugnisse der Geschichte gegen die Geschichte, die wir uns
in Erinnerung gerufen (3,10–18 ), ausdrücklich ausgesprochen auch
die grundsätzliche Bedeutung, die wir ihnen beigemessen haben. Der
« Lebendige» (Ps. 143 [,2]), der ebenso gut der «Sterbliche» (Hiob 9)
heißen kann, der Mensch zwischen Geburt und Tod, verhaftet in den
Kampf ums Dasein, essend, trinkend, und vor allem schlafend, freiend
und sich freien lassend (vgl. Mt. 24,38 par.], der geschichtliche, der
zeitliche, der fleischliche Mensch, er ist als solcher nicht gerecht vor
Gott. Fleisch heißt radikalste Unzulänglichkeit des Geschöpfs gegen
über dem Schöpfer, Fleisch heißt Unreinheit, Fortschritt im Kreis
herum , Nur-Menschlichkeit. Fleisch heißt unqualifizierte und nach
menschlichem Ermessen unqualifizierbare Weltlichkeit. Für alles, was
Fleisch heißt, gibt es 164| keine Gerechtigkeit vor Gott. Denn die
« Werke des Gesetzes», sofern Gott sie in des Menschen Herz schreibt
(2,15 ), sprechen gegen den fleischlichen Menschen, nicht für ihn. Sie
geben ihm keine Sicherung, keine Beruhigung, keine Entschuldigung.
Sie sind Abbau, nicht Aufbau seiner Gerechtigkeit. Sie sind von uns
aus, innerhalb der fleischlich -menschlichen Sphäre betrachtet, Nega
tion, nicht Position. Sie sind immer nur von Gott aus betrachtet etwas
Wertvolles, Schätzbares, Ausgezeichnetes. Es bleibt dem Menschen ,
den wir kennen, kein Halt, keine Ruhe, keine Festung, auch nicht in
den verborgensten Tiefen und Untiefen seines Wesens, so gewiss Gott
«das Verborgene der Menschen» richtet (2,16), nämlich das am Men
schen, was nur ihm bekannt ist und bekannt sein kann. Es bleibt unter
allen Werken des Menschen nichts übrig, was er zu seinen Gunsten
aufführen könnte, so gewiss Gott und Gott allein einen jeden «bezahlt
nach seinen Werken » (2,6). Was der Mensch für gerecht und würdig
erklärt, das ist als solches Fleisch und vor Gott ungerecht und un
würdig. Was aber Gott für gerecht erklärt und nach seiner Schätzung
«bezahlt», das ist als solches nicht Fleisch, nicht unser Eigenes, nicht
in dieser Welt als Größe und Gewicht geltend zu machen. Gott allein
ist die Antwort auf die Frage, ist die Hilfe aus der Not, die uns durch
Distanz" zwischen Schöpfer und Geschöpf bereitet ist. Wohlberech
h
1. Abdruck ( 1922 °): «durch die Distanz » .
126
tigt ist der Seufzer «Mein Geist ist betrübt in mir, mein Herz in mir
erschüttert. Ich gedachte der alten Tage und sann nach über alle deine
Worte. Ich breitete meine Hände aus nach dir, mein Herz vor dir wie
ein dürres Land» (Ps. 143,4–6). Und wohl berechtigt ist die Klage:
« Wenn er an mir vorübergeht, so sehe ich ihn nicht. Wenn er sich
verwandelt, wer will ihn wieder umkehren heißen? oder wer wird zu
ihm sagen: Was tatest du? Vor ihm werden gebeugt die Gewalten unter
dem Himmel. Wer aber bin ich, dass er mich höre oder meine Worte
vernehme ? Wenn ich auch gerecht bin, so wird er mich doch nicht
hören, sondern nur als den, der mich richtet, kann ich ihn anflehen .
Wenn ich ihn auch anrufe und er hört mich, so kann ich's doch nicht
glauben, dass er meine Stimme gehört hat. Wird er mich nicht aufrei
ben in der Dunkelheit? Vielfach hat er mich ja mit Wunden geschla
gen, wer weiß, warum ? Er lässt mich nicht Atem schöpfen, er erfüllt
mich mit Bitterkeit, er ist stärker als meine Kraft – wer wird seinem
Gericht widerstehen ? Denn wenn ich auch gerecht bin, so erklärt
mich doch mein eigener Mund als gottlos; wenn ich auch tadellos bin,
so erweise ich mich doch als falsch; wenn ich auch fromm bin, so weiß
doch meine Seele nichts davon, außer dass mein Leben dahingerafft
werden wird» (Hiob 9,11-21 LXX). Hier also: in der |6s | Tiefe solchen
Seufzens und Klagens muss Stellung nehmen, wer es mit dem Gesetz
hält, wem es mit Religion und Frömmigkeit ernst ist. Er weiß, dass das
« Werk des Gesetzes», das, was der Mensch wahrhaft in Gott tut, sein
beständiges Gericht ist.
« Was durch das Gesetz zustande kommt, das ist die Erkenntnis der
Sünde. » « Was hat der Jude Besonderes ?» fragten wir ( 3,1 ). Die Ant
wort ist nun gegeben. Er hat ein Besonderes: er hat Gesetz, Offen
barungseindruck, Erlebnis, Religion, Frömmigkeit, Einsicht, Aus
blick, biblische Haltung. Und das Gesetz eben ist es, das die, die das
Gesetz haben, aus aller Sentimentalität und Romantik herausreißen
und vor die offene Kluft zwischen Schöpfer und Geschöpf, Geist und
Fleisch führen müsste. Das Gesetz stellt sie unter Anklage und erklärt
sie vor Gott als Sünder. Das Gesetz nimmt ihnen alles Ihrige und
liefert sie Gott aus auf Gnade oder Ungnade. Geschieht das, hört der
Mensch das Votum des Gesetzes, versteht er also sich selbst in seiner
Besonderheit, in seinem Erlebnis, in seiner Frömmigkeit, dann hört
er letzte Wahrheit, Erlösungswahrheit und Versöhnungswahrheit,
127
Wahrheit von jenseits der Gräber. Im Hinblick auf solches Hören und
Verstehen mögen wir sagen: Es gibt Höhepunkte der Geschichte. Sie
sind dort zu finden, wo die Geschichte über sich selbst hinausweist,
wo in der Geschichte ein Befremden, ein Entsetzen über die Ge
schichte stattfindet. Offenbarungseindruck ist ewige Realität, wo er
als Eindruck nichts, als Hinweis auf Offenbarung alles ist. Das Harren
der Frommen ist im Reiche Gottes, sofern sie wahrhaftig nur Harren
de sind und gerade der Frömmigkeit ihres Harrens vergessen haben..
Es ist ewiger Gehalt in allem Tatsächlichen, sofern alles bloß Tatsäch
liche ein Zeugnis ist seiner radikalen Fragwürdigkeit. Es nimmt alles
Da-Sein und So-Sein Anteil am Sein, sofern sein Nicht-Sein erkannt
ist. Und gerade der Blick auf Gott den Richter zeigt die einzige po
sitive Beziehung zwischen hier und dort, es zeigt sich in der Erkennt
nis der grundsätzlichen Entfernung zwischen Gott und Welt die eine
einzige' mögliche Gegenwart Gottes in der Welt. Denn im Lichte
dieser grundsätzlichen , alles umfassenden Krisis wird Gott als Gott,
in seiner Majestät, verstanden. - Das ist das Besondere des Juden, der
Wert der Beschneidung. Als der unbekannte Gott wird Gott erkannt:
als der, der den Gottlosen gerecht erklärt (4,5 ), der die Toten erweckt
und das Nicht-Seiende als Seiendes anspricht (4,17), als der, an den
man nur ohne Hoffnung auf Hoffnung hin glauben kann (4,18).
Wenn der «Jude» diese besondere Möglichkeit realisiert, wenn er die
Grenze zweier Welten , auf die er gestellt ist, als solche erkennt, dann
mag er sich immerhin seines 66 Besonderen freuen. Aber dieses Re
alisieren und Erkennen liegt selbst schon jenseits der uns bekannten
Möglichkeiten. Es ist das möglich werdende Unmögliche.
i Druckmanuskript: «einzig».
i
2. Abdruck ( 1923 '): « Gottes ist der» .
128
JESUS
3,21-26
129
die Botschaft von der Wendung, vom nahe herbeigekommenen Got
tesreich, vom Ja im Nein, von der Errettung in der Welt, von der
Freisprechung in der Verurteilung, von der Ewigkeit in der Zeit, vom
Leben im Tode sich selbst begründet. « Ich sah einen neuen Himmel
und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde ver
ging» [Apk. 21,1 ]. Gott spricht.
« Abgesehen vom Gesetz ». Dass Gott spricht, dass wir, von ihm
erkannt, uns und die Welt in seinem Lichte sehen, das ist in und neben
allen Religionen, allem Erleben, aller auf Gott gerichteten Haltung
des Menschen etwas Anderes, Eigenes, Besonderes, Neues. Es geht
durch alles Haben, teilweise Haben und Nicht-Haben der Menschen
mitten hindurch. Es ist die Wahrheit aller Religion, aber eben darum
nie identisch mit ihrer Wirklichkeit. Es ist der Sinn aller Religions
und Kirchengeschichte, ja aller Geschichte überhaupt, aber eben dar
um nicht ein Teil, nicht eine Strecke, nicht eine Geschichte in der
Geschichte. (Es ist, sofern auch es eine Geschichte in der Geschichte
hat, der Fragwürdigkeit aller geschichtlichen Dinge nicht entzogen.)
Es ist die Begründung alles dessen, was als Offenbarungseindruck,
Anbetung, Glaube (im weitesten Sinn) geschichtlich und seelisch an
schaulich wird; es fällt aber eben darum nie und nirgends damit zu
sammen. Es wird nicht anschaulich neben andern Anschaulichkeiten;
es wird anschaulich als das Unanschauliche. Die Stimme Gottes, die
seine Kraft ist ( 1,16), ist und bleibt die Stimme Gottes. Wäre und
bliebe sie es nicht, jenseits aller menschlichen Stimmen, so wäre sie
nicht die Kraft Gottes. Gott spricht, wo «Gesetz» ist. Er spricht aber
auch da, wo kein Gesetz » ist. Er spricht auch da, wo « Gesetz» ist,
nicht darum , weil « Gesetz» da ist, sondern, weil er sprechen will. Gott
ist frei.
«Die Gerechtigkeit Gottes». Gott spricht, dass er ist, der er ist. Er
rechtfertigt sich selbst vor sich selbst, indem er sich zum Menschen
und seiner Welt bekennt, indem er nicht aufhört, sich seiner anzuneh
men. Auch Gottes Zorn ist Gottes Gerechtigkeit ( 1,18 ) . Es ist Gottes
Gerechtigkeit, wie sie sich dem Unglauben enthüllt, der das göttliche
Nein als Nein hören muss. Aber indem Gott zürnt über dem Un
glauben, indem der Mensch ratlos anrennt an die ihm durch Gott
gesetzte Schranke, indem er preisgegeben wird an Nicht-Gott, den
Gott dieser Welt ( 1,22f.), ist Gott doch der, der er ist, der Schöpfer der
130
Welt, der Herr aller Dinge, Ja und nicht Nein. Dieses Ja spricht Gott
aus. Er macht seinen Anspruch geltend. Es ist der bleibende, der end
gültige, der letzte, der entscheidende Anspruch, der auf die Welt ge
macht wird. Jenseits der Schranken, vor denen wir stehen, ist immer
er, das ist der Inhalt seines Spruchs. Je mehr |68 | sie uns in ihrer Schärfe
und Unübersteigbarkeit zum Bewusstsein kommen, um so deutlicher
und kraftvoller will Gott mit uns reden von seinem Recht und Reich.
Je mehr alles Menschliche, all unser Eigenes, unser Gutes wie unser
Böses, unser Glaube wie unser Unglaube, durchsichtig werden wie
Glas, um so bestimmter sind wir, wie wir sind, von Gott gesehen und
erkannt, im Bereich seiner Herrschaft, unter der Wirkung seiner
Macht. Gerechtigkeit Gottes ist das Trotzdem !, mit dem Gott sich
erklärt als unser Gott und uns zu sich rechnet, und unbegreiflich,
grundlos, nur in sich selbst, nur in Gott begründet, von allem « Dar
um» rein ist dieses Trotzdem ! Denn Gottes Wille kennt kein «War
um?». Er will, weil er Gott ist. Gerechtigkeit Gottes ist Vergebung,
grundlegende Veränderung des Verhältnisses zwischen Gott und
Mensch, Erklärung, dass die menschliche Ehrfurchtslosigkeit und
Unbotmäßigkeit und die durch sie geschaffene Lage der Welt vor ihm
unbeträchtlich ist und ihn nicht hindert, uns die Seinigen zu nennen,
damit wir die Seinigen seien. Gerechtigkeit Gottes ist "justitia forensis,
justitia aliena'': Derk an nichts als an sein eigenes Recht gebundene
Richter spricht. Und wie er spricht, dass es ist (nicht wie es irgendwie
sonst ist), so ist es. Er spricht uns seine Feinde als seine Freunde an .
« Darum ist das eine hohe Predigt und himmlische Weisheit, daß wir
glauben, unsre Gerechtigkeit, Heil und Trost stehe außer uns, daß wir
vor Gott seien gerecht, angenehm, heilig und weise und ist doch in uns
k- k
1. Abdruck ( 1922²): «justitia forensis: Der». Der Zusatz ist am Rand in
Barths Handexemplar notiert.
10 Kurzformel der reformatorischen Rechtfertigungslehre. Vgl. z. B. Apolo
gia Confessionis Augustanae IV, BSLK 219, 43-48.51f.:« Iustificare vero hoc
loco (Röm . 5,1] forensi consuetudine significat reum absolvere et pronuntiare
iustum, sed propter alienam iustitiam, videlicet Christi, quae aliena iustitia
communicatur nobis per fidem. Itaque cum hoc loco iustitia nostra sit impu
tatio alienae iustitiae, aliter hic de iustitia loquendum est, quam cum in philo
sophia aut in foro quaerimus iustitiam proprii operis [...]. Sed quia iustitia
Christi donatur nobis per fidem, ideo fides est iustitia in nobis imputative» .
131
eitel Sünde, Ungerechtigkeit und Torheit » (Luther)." Gerechtigkeit
Gottes ist Selbstbefreiung der von uns gefangen gehaltenen Wahrheit
( 1,18), ganz abgesehen von allem, was unsrerseits zu dieser Befreiung
tunlich, möglich oder auch nur denkbar ist, also wörtlich und im
strengsten Sinn: Reich, königliche Machtentfaltung Gottes, Wunder,
Auferstehung. Gerechtigkeit Gottes ist der Stand in der Luft, außer
halb aller uns bekannten Standmöglichkeit, dort, wo wir nur noch von
Gott, von Gott selbst, von Gott allein gehalten sind, dort, wo wir auf
Gnade oder Ungnade in seiner Hand sind. - Das ist Gottes Gerech
tigkeit, Gottes und der Menschen positives Verhältnis und «von die
sem Artikel kann man nicht weichen oder nachgeben, es falle Himmel
oder Erde oder was nicht bleiben will» (Luther) ?. Kann man denn
angesichts der beiläufig 150 000 Jahre menschlicher Fragwürdigkeit "}
ein anderes positives Verhältnis, etwa ein direktes, geschichtlich und
seelisch anschauliches Verhältnis überhaupt in Betracht ziehen? Gibt
es auf die Geschichte Asiens, Afrikas und Amerikas, um von Europa
nicht zu reden, eine andre Antwort als Gott selbst, Gott allein, Gottes
Barmherzigkeit ?
Dass Gott gerecht ist, das « ist offenbart». Und das ist 169| unser
Woher ? und unser Dorther!, unser «Jetzt aber», dass diese Antwort:
Gottes Barmherzigkeit triumphiert ! uns gegeben ist, dass dieses po
sitive Verhältnis von Gott und Mensch, das absolut paradoxe, besteht.
Das ist der Inhalt der Heilsbotschaft ( 1,1.16), der hier unter Furcht
und Zittern, aber unter dem Druck unausweichlicher Notwendigkeit
verkündigt wird: das Ewige als Ereignis' . Wir verkündigen die Er
1
1. Abdruck ( 1922–): «das Unbeschreibliche, es ist Ereignis». '4 Korrektur in
Barths Handexemplar .
II
Predigt über Mt. 18,21-35 ( 13.11.1530) in der Fassung der Haus-Postille
nach G. Rörer in: Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften, hrsg. von J.G.
Walch , Bd. 13, Halle 1743, Sp. 2185 ; vgl. Rörers Nachschrift WA 32,162,11-13 .
Barth kannte den Text vielleicht aus Chr.E. Luthardt, Kompendium der Dog
matik, Leipzig 18734, S. 231 (Unterstreichung in seinem Exemplar).
12 Aus Luthers Vorrede zu den Schmalkaldischen Artikeln, BSLK 415,21f.
(dort: « nichts weichen» , «es falle Himmel und Erden» ).
13 Vgl. unten S. 141 , Anm. 23 .
14
Anspielung auf die Verse des « Chorus mysticus» am Schluss von J.W.von
Goethes Faust II, V.12106–12109 ( s . Akt, Bergschluchten):
32
kenntnis des unbekannten Gottes, des Herrn Himmels und der Erde,
der nicht in Tempeln wohnt, die von Händen gemacht sind, der nie
mandes bedarf und der als solcher allen Leben und Atem und alles
gibt. Wir verkündigen, dass alles, was dem Menschen von ihm gege
ben ist, dazu gegeben ist, dass sie ihn suchten, ihn, der nicht ferne ist
einem jeglichen unter uns, ihn, in dem wir leben, weben und sind
jenseits alles dessen, was wir leben, weben und sind, ihn, dessen Art
dem Menschen auch in seiner Entartung treu bleibt. Wir verkündigen,
dass eben darum , weil Gottes Art dem Menschen treu bleibt, die
Gottheit keinem Gebilde menschlicher Kunst und Erfindung gleich
gesetzt werden kann, dass Gott die Zeiten der Unwissenheit überse
hen hat, «jetzt aber» allen Menschen allenthalben ansagen lässt, Buße
zu tun . Wir verkündigen den Anbruch des Tages, an dem Gott die
Menschenwelt richten will in Gerechtigkeit, in seiner Gerechtigkeit
(Act. 17,23–31 ) ! Gottes Gerechtigkeit ist offenbart. Wir können nicht
mehr nicht rechnen mit ihr. Wir können das Gegebene nicht mehr
anders sehen als im Lichte dieses Vorhergegebenen . Wir können nicht
mehr anderswoher kommen als von dieser Voraussetzung her. Wir
können das Nein, unter dem wir stehen, nicht mehr anders hören, als
aus dem göttlichen Ja heraus, die Stimme menschlicher Ehrfurchts
losigkeit und Unbotmäßigkeit nicht mehr anders als getragen von der
tieferen Stimme der göttlichen Vergebung, den Schrei menschlichen
Trotzes nicht mehr anders als übertönt von der ruhigen Harmonie des
göttlichen Trotzdem . Nicht mehr anders ? Gewiss, sofern wir glauben ,
was offenbart ist, nicht mehr anders. Sofern wir glauben, sehen wir
den Menschen aufgehoben von Gott, aber eben darum auch aufge
hoben bei Gott. Wir sehen ihn durch Gott begrenzt, beschränkt, um
zäunt, aber eben dieses Begrenzende ist auch sein eigenes Erstes und
Letztes. Wir sehen ihn gerichtet, aber eben damit auch zurechtge
bracht. Wir sehen Sinn im Un-Sinn der Geschichte . Wir sehen die
Wahrheit ihre Fesseln zerreißen. Wir sehen im Menschen mehr als
« Fleisch». Wir sehen hereinbrechende Errettung. Wir sehen Gottes
beharrende Treue auch im Zusammenbruch der höchsten menschli
Das Unzulängliche,
Hier wird's Ereignis ;
Das Unbeschreibliche,
Hier ist's getan [ ...].
133
chen Erwartungen und Hoffnungen. Von diesem Offenbarten, Er
schienenen, Gezeigten und von uns Ge-170 sehenen kommen wir her.
Von diesem Offenbarten reden wir. Für dieses Offenbarte möchten
wir um Aufmerksamkeit werben, wo Augen und Ohren sind, zu se
hen und zu hören.
Und dieses Offenbarte, Gottes Gerechtigkeit, ist «bezeugt vom
Gesetz und den Propheten ». Es ist «längst verkündigt» ( 1,2). Abraham
sah den Tag, da Gott die Welt richtet in Gerechtigkeit (vgl. Joh. 8,56].
Mose sah ihn. Die Propheten sahen ihn. Hiob und die Psalmsänger
sahen ihn. Wir haben eine Wolke von Zeugen um uns (vgl. Hebr. 12,1],
die alle im Lichte dieses Tages standen ; denn der Sinn jeder Epoche ist
unmittelbar zu Gott's . Gottes Gerechtigkeit ist die Erfüllung aller
Verheißung. Sie ist der Sinn aller Religion. Sie ist die Beantwortung
alles menschlichen Hoffens, Sehnens, Strebens und Harrens, um so
sicherer, je mehr es nichts anderes sein will als eben Hoffen. Sie ist der
ewige Gehalt alles Da-Seins und So-Seins, je deutlicher es unter dem
Gericht, unter dem Nein steht. Sie ist der Sinn aller Geschichte, je
mehr die Geschichte ihre eigene Anklägerin wird. Sie ist die Erlösung
alles Geschaffenen, je bestimmter es, in seiner bloßen Kreatürlichkeit
erkannt, über sich selbst hinausweist. Wo Offenbarungseindruck
ist – und wo wäre solcher Eindruck gar nicht ? -, da ist, und wenn er
verhüllt wäre von Deisidämonie und ehrfürchtigem Unwissen
schlimmster Art, auch der Hinweis auf den unbekannten Gott (Act.
17,22—23 ). Wo und wann hätten es nicht «etliche eurer Dichter» auch
gesagt? (Act. 17,28). Wo Erlebnis ist, da ist auch Zeugnis von mögli
cher Erkenntnis. Kein Neues verkündigen wir, aber die wesentliche
Wahrheit in allem Alten, das Unvergängliche, dessen Gleichnis alles
Vergängliche ist. Dass die Gleichnisse reden, dass die Zeugnisse zei
gen, dass die Augen sehen, was schon vor ihnen steht, und die Ohren
hören, was schon mit ihnen redet, dass in Wahrheit geglaubt wird, was
in der Kirche Gottes immer, überall und von allen geglaubt wurders,
darum handelt es sich .
15 Vgl. L. von Ranke, Weltgeschichte, 9.Theil,2. Abt., Ueber die Epochen der
neueren Geschichte. Vorträge dem Könige Maximilian II. von Bayern gehal
ten, hrsg. von A. Dove, Leipzig 1888, S. 5 : « Ich aber behaupte: jede Epoche ist
unmittelbar zu Gott, und ihr Werth beruht gar nicht auf dem, was aus ihr
hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst, in ihrem eigenen Selbst. »
16 Vincenz von Lerinum, Commonitorium II, PL 50,640: « In ipsa item Ca
134
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich « durch seine Treue in Jesus
Christus». Treue Gottes ist jenes göttliche Beharren, kraft welcher es
an vielen zerstreuten Punkten der Geschichte immer wieder Möglich
keiten, Gelegenheiten, Zeugnisse für die Erkenntnis seiner Gerechtig
keit gibt. Jesus von Nazareth ist unter diesen vielen Punkten derje
nige, an dem" die übrigen in ihrer zusammenhängenden Bedeutung
als Linie, als der eigentliche rote Faden der Geschichte erkannt wer
den. Christus ist der Inhalt dieser Erkenntnis: die Gerechtigkeit Got
tes selbst. Die Treue Gottes, Jesus der Christus, eines muss sich an
dem andern bewähren. – Die Treue Gottes bewährt sich darin, dass
uns in Jesus der Christus 171 begegnet. Wir können darum aller
menschlichen Unzulänglichkeit zum Trotz in den zerstreuten ge
schichtlichen Hinweisen auf Gott wirkliche Möglichkeiten für Gott
sehen, wir können darum in den weltlichen Spuren göttlicher Kund
gebung mehr als weltlichen Zufall finden , wir können uns darum an
unsrer Stelle in der Zeit ewiger Verheißung getrösten, weil und wenn
wir an einer Stelle der Zeit, an einem Punkte der Wirklichkeit durch
leuchteter Zeit, durchleuchteter Wirklichkeit, göttlicher Antwort,
Wahrheit anderer Ordnung begegnen. Der Tag Jesu des Christus ist
der Tag aller Tage. Das offenbare und gesehene Licht dieses einen
Punktes ist das verborgene, das unsichtbare Licht aller Punkte. Ein
malige Erkenntnis der Gerechtigkeit Gottes hier ist «Hoffnung der
Gerechtigkeit» (Gal. 5,5 ) für allemal und überall. Jesus, erkannt als der
Christus, bestätigt, bewährt und bekräftigt alles menschliche Harren.
Er ist die Mitteilung, dass es nicht der Mensch, sondern Gott in seiner
Treue ist, der harrt. Dass wir gerade in Jesus von Nazareth den
Christus gefunden haben, bewährt sich darin , dass alle Kundgebun
gen der Treue Gottes Hinweise und Weissagungen sind auf das, was
uns eben inJesus begegnet ist. Die verborgene Kraft des Gesetzes und
der Propheten ist der Christus, der uns in Jesus begegnet. Der Sinn
aller Religion ist die Erlösung, die Zeitenwende, die Auferstehung,
das Unanschauliche Gottes, das uns eben in Jesus zum Stillstehen
m
1. Abdruck ( 1922°): «an welchem». Korrektur in Barths Handexemplar.
135
zwingt. Der Gehalt alles menschlichen Geschehens ist die Vergebung,
unter der es steht, wie sie eben vonJesus verkündigt, in ihm verkörpert
ist. Dass diese Kraft, dieser Sinn, dieser Gehalt auch anderswo als in
Jesus gefunden werde, das braucht uns niemand vorzuhalten, wir
selbst sind es, die ja gerade das behaupten, gerade wir können es be
haupten. Denn dass Gott allenthalben gefunden wird, dass die
Menschheit vor und nach Jesus von Gott gefunden ist, der Maßstab,
an dem alles Finden Gottes, alles Von -Gott- gefunden -Werden als sol
ches erkennbar wird, die Möglichkeit, dieses Finden und Gefunden
Werden zu begreifen als Wahrheit ewiger Ordnung - das eben wird in
Jesus erkannt und gefunden. Viele wandeln im Lichte der Erlösung,
der Vergebung, der Auferstehung; dass wir sie wandeln sehen, dass wir
Augen dafür haben, das verdanken wir dem Einen . In seinem Lichte
sehen wir das Licht (vgl. Ps. 36,10 ]. - Und dass es der Christus ist, was
wir inJesus gefunden, das bewährt sich darin , dass Jesus das letzte, das
alle andern erklärende und auf den schärfsten Ausdruck bringende
Wort der vom Gesetz und den Propheten bezeugten Treue Gottes ist.
Die Treue Gottes ist sein Hineingehen und Verharren in der tiefsten
menschlichen Fragwürdigkeit und Finsternis. Das Leben Jesu aber ist
der vollkommene Gehor- 72|sam gegen den Willen des treuen Gottes.
Er stellt sich als Sünder zu den Sündern. Er stellt sich selbst gänzlich
unter das Gericht, unter dem die Welt steht. Er stellt sich selbst dort
hin, wo Gott nur noch als Frage nach Gott gegenwärtig sein kann. Er
nimmt Knechtsgestalt an (vgl. Phil. 2,7). Er geht zum Kreuz, in den
Tod. Er ist auf der Höhe, am Ziel seines Weges eine rein negative Grö
Be: keinesfalls Genie, keinesfalls Träger manifester oder okkulter psy
chischer Kräfte, keinesfalls Held, Führer, Dichter oder Denker, und
gerade an dieser Negation («Mein Gott, mein Gott warum hast du
mich verlassen ?» (vgl. Mt. 27,46 par.]), gerade darin, dass er einem
unmöglichen Mehr, einem unanschaulichen Andern opfert alle ge
nialen, psychischen, heldischen, ästhetischen, philosophischen, über
haupt alle denkbaren menschlichen Möglichkeiten, gerade darin ist er
der Erfüller der über sich selbst hinaus weisenden, in Gesetz und Pro
pheten aufs Höchste sich steigernden menschlichen Entwicklungs
möglichkeiten. Darum hat ihn Gott erhöht (vgl. Phil. 2,9), darin wird
er als der Christus erkannt, damit wird er das Licht der letzten Dinge,
das über allen und allem leuchtet. Wir sehen in ihm Gottes Treue wirk
136
lich in der Tiefe der Hölle. Der Messias ist das Ende des Menschen.
Auch da, gerade da ist Gott treu. Der neue Tag der Gerechtigkeit Got
tes will anbrechen mit dem Tag des «aufgehobenen» Menschen.
« Für alle, die glauben ». Das ist das fruchtbare Aber! Das Sehen des
neuen Tages ist und bleibt indirekt, die Offenbarung in Jesus ein pa
radoxes Faktum – so objektiv, so allgemeingültig ihr Inhalt ist. Dass
die Verheißungen der Treue Gottes in Jesus dem Christus erfüllt sind,
dass gerade Jesus der Christus ist, auf den alle Verheißungen hinwei
sen, und dass Jesus gerade darum der Christus ist, weil in ihm die
Treue Gottes in ihrer letzten Verborgenheit, in ihrem tiefsten Geheim
nis erscheint, das alles ist nicht selbstverständlich und wird es nie. Es
ist keine seelische, geschichtliche, kosmische, naturhafte Gegebenheit,
auch nicht eine solche höchsten Ranges. Es wird nicht durch direkte
Einsichtnahme zugänglich: weder durch Erschließungen des Unbe
wussten ' , noch durch mystische Versenkung im Gebet'', noch durch
Entwicklung okkulter Geistesfähigkeiten "9; es wird vielmehr durch
n
1. Abdruck ( 19224): «der» . Korrektur in Barths Handexemplar.
17 Anspielung auf die Rolle des Unbewussten in der damaligen psychoana
lytischen Diskussion, mit der Barth persönlich bekannt wurde durch die Be
gegnungmit Dr. Ewald Jung ( 1879–1943), einem Vetter von Carl Gustav Jung
(s. Bw.Th.1, S. 26f. und S. 38f.). Vgl. zum Verhältnis Barths zur Psychoanalyse
in dieser Zeit W. Schildmann, Karl Barths Träume. Zur verborgenen Psycho
dynamik
18
seines Werkes, Zürich 2006, S.9-15.
Vgl. Heiler, S. 309–317; vgl. auch das Gedicht « Versenkung» von E.Spann
Rheinsch, in: ChW, Jg. 34 ( 1920), Sp. 129 .
19 Dies bezieht sich wohl auf die Anthroposophie R. Steiners ( 1861-1925 ).
Nach Steiner kann jedermann zur Erkenntnis höherer Welten gelangen, wenn
er nur die in ihm angelegten Erkenntniskräfte ausbildet. Methodisch genaue
Anleitung wird ihn von Stufe zu Stufe aufwärts führen . Vgl. R. Steiner, Wie
erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten ?, Berlin 1904. Barth dürfte vor
allem durch die ChW über die Anthroposophie und ihre spiritistischen Züge
unterrichtet gewesen sein; vgl. ChW , Jg.31 ( 1917), Sp.603-607.619–622.634
638 (Fr. Rittelmeyer), Jg. 32 ( 1918), Sp. 18-24.34-36.58-60 (Joh. Müller),
Sp. 195-200.213-219 (Fr. Rittelmeyer), Sp. 455-459 (Chr. Geyer), Jg. 34
( 1920), Sp. 165-170 (W. Bruhn ). Barth kam aber auch durch den neu gewon
nenen Freund G. Merz mit anthroposophischem Gedankengut in Berührung;
vgl. Barths Brief an Thurneysen vom 19.2.1920, Bw.Th.I, S. 367: « Merz ist sehr
gut, kennt den Römerbrief besser als ich. Er kommt von Rittelmeyer und hat
noch einige entsprechende Residuen». Pfarrer Fr. Rittelmeyer ( 1872–1938)
137
alle Versuche in dieser Richtung nur um so unzugänglicher. Es kann
weder überliefert, noch gelehrt, noch erarbeitet werden; wäre es an
ders, so wäre es ja nicht das Allgemeingültige, nicht Gottes Gerech
tigkeit für die Welt, nicht Errettung für alle. Glaube ist die Umkeh
rung, die radikale Neuorientierung des nackt vor Gott stehenden, des
zum Erwerb der einen kostbaren Perle arm gewordenen (vgl. Mt.
13,45-46), des um Jesu willen auch seine Seele verlierenden Menschen
(vgl. Mt. 16,25 par.) . Glaube ist selbst Treue Gottes, immer noch und
immer (73 ) wieder verborgen hinter und über allen menschlichen Be
jahungen, Gesinntheiten, Errungenschaften Gott gegenüber. Glaube
ist darum nie fertig, nie gegeben, nie gesichert, er ist, von der Psy
chologie aus gesehen, immer und immer aufs neue der Sprung ins
Ungewisse, ins Dunkle, in die leere Luft. Fleisch und Blut offenbart
uns das nicht (Mat. 16,17): kein Mensch kann es dem andern, keiner
sich selber sagen. Was ich gestern hörte, muss ich heute neu hören,
werde ich morgen wieder neu hören müssen, und immer ist der Of
fenbarende Jesu Vater im Himmel, nur er. Die Offenbarung in Jesus
ist ja, eben indem sie Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes ist, zu
gleich die denkbar stärkste Verhüllung und Unkenntlichmachung
Gottes. In Jesus wird Gott wahrhaft Geheimnis, macht er sich be
kannt als der Unbekannte, redet er als der ewig Schweigende. In Jesus
erwehrt sich Gott aller zudringlichen Vertraulichkeit, aller religiösen
Unverschämtheit. In Jesus offenbart, wird Gott den Juden ein Ärger
nis und den Griechen eine Torheit (vgl. 1. Kor. 1,23 ]. In Jesus beginnt
die Mitteilung Gottes mit einem Zurückstoßen, mit dem Aufreißen
eines klaffenden Abgrundes, mit der bewussten Darbietung des kräf
tigsten Ärgernisses. «Nimm die Möglichkeit des Ärgernisses weg, wie
man in der Christenheit getan hat, so ist das ganze Christentum di
rekte Mitteilung, und dann ist das ganze Christentum abgeschafft. Es
ist ein leichtes oberflächliches Etwas geworden, das weder tief genug
verwundet noch heilt, die unwahre Erfindung des bloß menschlichen
Mitleids, die den unendlichen qualitativen Unterschied zwischen
Gott und Mensch vergißt» (Kierkegaard ).20 Glaube an Jesus ist das
schloss sich der Anthroposophie an und wurde 1922 zum Mitbegründer der
« Christengemeinschaft».
20
Kierkegaard, Einübung, S. 126 (SKS 12, S. 143 ).
138
radikale Trotzdem , wie auch sein Inhalt, Gottes Gerechtigkeit, radi
kales Trotzdem ist. Glaube an Jesus ist das Unerhörte, des gänzlich
«lieblosen» Gottes Liebe zu empfinden und zu begreifen, den immer
anstößigen und ärgerlichen Willen Gottes zu tun, Gott in seiner gan
zen Unanschaulichkeit und Verborgenheit Gott zu nennen . Glaube an
Jesus ist das Wagnis aller Wagnisse. Dieses Trotzdem , dieses Uner
hörte, dieses Wagnis ist der Weg, den wir zeigen. Wir fordern Glau
ben, nicht mehr und nicht weniger. Wir fordern ihn nicht in unserm
eigenen Namen, sondern im Namen Jesu, in welchem uns selbst diese
Forderung in unentrinnbarer Weise begegnet ist. Wir fordern nicht
Glauben an unsern Glauben; denn wir wissen, dass das an unserm
Glauben, was von uns ist, unglaubwürdig ist. Wir fordern nicht un
sern Glauben von andern Menschen; denn wenn andere glauben wer
den, so werden sie es wie wir selbst auf eigene Gefahr und Verheißung
tun . Wir fordern Glauben an Jesus. Wir fordern ihn von allen, von
allen jetzt und hier, auf der Lebensstufe, auf der sie sich eben befinden .
Es gibt keine menschlichen Voraus -74setzungen (pädagogische, in
tellektuelle, ökonomische, psychologische etwa ), die dem Glauben
vorgängig erfüllt sein müssten. Es gibt keine menschliche Hinzulei
tung, keinen Heilsweg, keine Stufenleiter zum Glauben, die etwa zu
erst zurückgelegt sein müsste. Glaube ist immer das erste, die Voraus
setzung,die Begründung. Man kann als Judeund als Grieche, als Kind
und als Greis, als Gebildeter und als Ungebildeter, als einfacher und
als komplizierter Mensch, man kann im Sturm und in der Stille, man
kann auf allen Stufen aller nur erdenklichen menschlichen Stufenlei
tern glauben. Die Forderung des Glaubens geht durch alle Unter
schiede der Religion, der Moral, der Lebensführung und Lebenser
fahrung, der Einsicht und der sozialen Stellung quer hindurch. Glau
ben ist für alle gleich leicht und gleich schwer. Glauben ist immer das
gleiche Trotzdem , das gleiche Unerhörte, das gleiche Wagnis. Glauben
bedeutet für alle die gleiche Verlegenheit und die gleiche Verheißung.
Glauben ist für alle der gleiche Sprung ins Leere. Er ist allen möglich,
weil er allen gleich unmöglich ist.
V.226–24 Denn es ist kein Unterschied: sie sündigten alle und
entbehren der Herrlichkeit Gottes, gerecht erklärt werden sie ge
schenkweise durch seine Gnade mittelst der Erlösung, die im Chri
stus Jesus ist.
139
«Merke: dies ist das Hauptstück und der Mittelplatz dieser Epistel
und der ganzen Schrift» (Luther).21
« Es ist kein Unterschied ». Die Realität der Gerechtigkeit Gottes
bewährt sich in ihrer Universalität. Es ist kein Zufall, dass gerade
Paulus, der bei Jesus den Mut gewinnt, auf Gnade allein zu vertrauen,
in Jesus auch die göttliche Durchbrechung aller menschlichen Unter
schiede sieht. Er hat dort Mut, weil er hier sieht. Er ist der Prophet des
Gottesreiches, weil er der Apostel der Heiden ist, im Unterschied zu
dem, was später, wo dieser Zusammenhang undeutlich wird, «Missi
on» heißt. Die Mission des Paulus richtet nicht Unterschiede auf,
sondern sie reißt alle Unterschiede ab: Nur indem die Menschen aller
Stufen nebeneinander treten, nur indem auch die, die auf den obersten
Stufen wohnen, nichts anderes wollen denn «als der Menschheit
höchste Kraft mitleidend tragen die Beschwerden der ganzen Zeit
genossenschaft» (S. Preiswerk ) , nur indem die geistlich Reichen ih
res Reichtums nicht gedenken (auch nicht um davon auszuteilen! ),
sondern als die Armen der Armen Brüder werden, nur darin wird
Gott erkannt. Nur in der Tiefe realster Gemeinschaft ist auch die
aufhebende und tragende Barmherzigkeit Gottes wahr. Der betende
Pharisäer (vgl. Lk. 18,11-12] kann wohl Missionar, aber nicht Missio
nar des Gottesreiches werden. Die ungewohnte Ver-175|bindung
(zwischen Mensch und Mensch) ist es, die die ungewohnte, die heil
same Trennung (zwischen Gott und Mensch), in der Gottes Gerech
tigkeit erkannt wird, klarstellen und sicherstellen muss. Es ist ja not
wendig, dass das Paradox absolut, dass der Abgrund zwischen Gott
und Mensch ganz aufgerissen, dass das Ärgernis ganz gegeben, dass
das Christentum ganz als das hingestellt wird, was es ist, als «ein in der
Geschichte alles in Frage stellendes Problem von fundamental rätsel
21
Eberle, S. 83 (in Barths Exemplar unterstrichen): Marginalie Luthers zur
Übersetzung von Röm. 3,23 , WA.DB 7,38f.
22
Aus Strophe s des Chorals «Zerstreut und mannigfach geschieden» von
S. Preiswerk, in: Evangelischer Liederkranz aus älterer und neuerer Zeit, Basel
1844, S. 155f., Nr. 124. Die Strophe lautet:
Laß uns ein Salz der Erde werden,
Und als der Menschheit erste Kraft
Mitleidend tragen die Beschwerden
Der ganzen Zeitgenossenschaft.
140
hafter Natur» (Overbeck )"}. Es könnte aber noch etwas übrig bleiben
von menschlichen Möglichkeiten, das Paradox zu umgehen, etwas
Irreales, Illusionäres, etwas bloß Religiöses, Erlebnishaftes, Morali
sches, Intellektuelles, das nicht die allein gewisse und rettende Barm
herzigkeit Gottes wäre, solange der Wahn eines bevorzugten Seins
und Habens der einen vor den andern nicht ganz abgeschnitten ist. Es
muss also gehört und immer wieder gehört werden: « es ist kein Un
terschied» ! Glaube, Glaube allein ist die Forderung, die an alle gerich
tet ist, ist der Weg, den alle gehen können- und doch nicht können. Es
muss alles Fleisch stillgestellt werden vor der göttlichen Unanschau
lichkeit, damit alles Fleisch den Heiland Gottes sehe (vgl. Lk. 3,6].
« Sie sündigten alle und entbehren der Herrlichkeit Gottes. » In die
ser Einsicht vollzieht sich die Aufhebung aller Unterschiede, die un
gewohnte Verbindung, die die ungewohnte Trennung gewährleisten
muss. Es kann nicht etwas menschlich Positives sein, worin unsre So
lidarität untereinander begründet ist. Denn in allem menschlich Po
sitiven («religiöse Anlage», « sittliches Bewusstsein », «Humanität»)
stecken immer schon die Keime sozialer Zersetzung. Was positiv ist an
diesem Positiven, das ist etwas Differenziertes und Differenzen Be
gründendes. Reale Gemeinschaft zwischen Menschen findet statt im
Negativen, in dem, was ihnen fehlt. Als Brüder erkennen wir uns,
indem wir uns als Sünder erkennen. Festen Boden hat unsre Solidarität
mit den andern dann, wenn wir mit ihnen (oder ohne sie, denn wir
dürfen nicht auf die andern warten! ) über alles, was wir sind und ha
ben, hinausgreifen und uns selbst begreifen in unsrer radikalen Frag
würdigkeit. «Sie entbehren der Herrlichkeit Gottes. » Die Herrlichkeit
Gottes ist Gottes Anschaulichkeit («Gloria divinitas conspicua» , Ben
gel-4). Diese Anschaulichkeit fehlt uns. Das ist's, was uns einigt. Dahin
müssen alle Hohen hinuntersteigen, und selig sind, die schon weit
unten stehen; denn da, wo es an Anschaulichkeit Gottes fehlt, da ent
steht die Glaubensfrage ( « nicht sehen und doch glauben» (vgl. Joh.
23 Overbeck, Christentum und Kultur, S. 7 (OWN 6/1 , S. 39): «In Wahrheit
hat das moderne Bestreben, das Christentum der Geschichte untertan zu ma
chen, nur die Frage aufgeregt, ob es in der Menschengeschichte mehr ist und
sein kann als ein Rätsel, nämlich ein in der Geschichte Alles in Frage stellendes
Problem von fundamental rätselhafter Natur. »
24
Bengel, Bd. I, S. 517 (zu Act. 7,2): «Gloria, divinitas conspicua».
141
20,29 ]). Da wird die Vergebung, die einzige Rettung, die in Betracht
kommt, zu einer sinnvollen Möglichkeit. Mit Pessimismus, Zer
knirschtheit und Sündenjammer, mit der 76 «dicken Schwermut» der
«Prediger des Todes» (Nietzsche)?, mit dem Gegensatz von orienta
lischer Selbstzerfleischung und griechischer Heiterkeit hat diese Er
kenntnis nichts zu tun . Man könnte sie ja ebensowohl als dionysischen
Enthusiasmus auffassen, wenn sie nicht weder dies noch jenes wäre,
wenn ihr Nein nicht das Nein wäre, das sich ebenso gegen die höchste
Lebensverneinung wie gegen die höchste Lebensbejahung wendet,
wenn sie nicht Juden und Griechen unter ein Gericht beugte. Sie ist,
eben als Erkenntnis unsres tiefsten letzten Entbehrens (unsres Ent
behrens in unserm Ja wie in unserm Nein ! ), Erkenntnis der wahren,
der jenseitigen, der ursprünglichen Menschlichkeit. In dieser reinen
Menschlichkeit ist der Mensch in der Hand göttlicher Barmherzigkeit.
« Gerecht erklärt werden sie geschenkweise durch seine Gnade. »
Dass wir real vor Gott stehen, das ist uns dann verbürgt, wenn wir
nichts mehr hören können als das Wort des Richters, mit dem er sich
selbst behauptet und - alle Dinge trägt (Hebr. 1,3), wenn unser Hören
nichts anderes mehr sein kann als Glaubenº an Gott, Glaube, dass er
ist, weil er ist! Solange noch andere Motive wirksam sind als der Glau
be, stehen wir nicht vor Gott. Eben darum mussten wir hinter alle
Unterschiede zwischen uns Menschen zurückgehen . Gott « erklärt» .
Er erklärt seine Gerechtigkeit als die Wahrheit hinter und über aller
Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen. Er erklärt, dass er
sich zu uns bekennt und dass wir zu ihm gehören. Er erklärt, dass wir,
seine Feinde, seine geliebten Kinder sind. Er erklärt seinen Beschluss,
sein Recht aufzurichten in umfassendster Erneuerung des Himmels
0
Druckmanuskript: « Glaube» .
143
Fortsetzung der alten Wirklich ist und bleibt «unsre» Gerechtigkeit
nur als Gottes Gerechtigkeit. Neue Welt ist und bleibt nur die ewige
Welt, in deren Widerschein wir jetzt und hier stehen. Wahrheit ist und
bleibt die uns zugewendete göttliche Barmherzigkeit nur als Wunder
( « senkrecht von oben»); ihre geschichtliche und seelische Seite ist im
mer ihre Unwahrheit. Real vor Gott stehen wir, sofern wir der Rea
lisierung seines Worts im Glauben warten , sofern wir immer wieder
begreifen: diese Erklärung, dass wir vor Gott und von Gott aus ge
recht sind, geschieht « geschenkweise durch seine Gnade», allein
durch seine Gnade. Gnade ist Gottes guter freier Wille, sich unser
anzunehmen, die Notwendigkeit dazu, die von ihm aus, nur von ihm
aus besteht'. Dass Gott denen, die reinen Herzens seiner Herrlichkeit
entbehren, verheißen muss: sie sollen mich schauen von Angesicht zu
Angesicht ! (vgl. Mt. 5,8; Ex. 33,11 ; Dtn. 34,10; 1.Kor. 13,12], dass die
gefangen gehaltene Wahrheit Gottes ihre Fesseln zerreißen muss, dass
Gott uns ohne Anlass unsrerseits seine Treue halten und beweisen
muss nur weil er Gott ist - das ist die Übermacht der Gnade. Gnade
wird keine psychische Kraft in diesem Menschen, keine physische
Kraft in dieser Natur, keine kosmische Kraft in dieser Welt. Sie ist und
bleibt immer Gottes Kraft ( 1,16), Ankündigung des neuen Menschen,
der neuen Natur, der neuen Welt, des Gottesreiches . Sie ist und bleibt
hierseits negativ, unsichtbar, verborgen und wirkt als die Proklama
tion des Vergehens dieser Welt (vgl. 1.Joh .2,17], des Endes aller Dinge
(vgl. 1.Petr. 4,7] erschütternd , beunruhigend, untergrabend auf alles
Hierseitige. Dass sie lauter Ja ist, Rettung, Trost und Aufbau , dass der
innere Mensch im Vergehen des äußeren von Tag zu Tage erneuert
wird (vgl. 2. Kor. 4,16], das ist wahr durch Gottes ( 78| Schöpferwort
am Tag aller Tage, das muss auf Gottes Schöpferwort hin im Blick auf
den in Jesus angekündigten Tag der Erfüllung - geglaubt werden.
Denn durch die Erlösung, die im Christus Jesus ist», ist dieses
Schöpferwort gesprochen. Was ist im Christus Jesus ? Das Entsetzen
erregende, dass in der Geschichte eine Aufhebung dieser Geschichte,
im bekannten Zusammenhang der Dinge eine Zerreißung dieses Zu
4-9
r
1. Abdruck ( 1922°): «ist es als neue, nicht als Fortsetzung der alten Welt ».
S
Druckmanuskript: «dazu besteht».
2. Abdruck ( 19233): «zerreiben».
144
sammenhangs, in der Zeit eine Stillstellung dieser Zeit stattfindet:
« Dein Name werde geheiligt ! Dein Reich komme ! Dein Wille ge
schehe auf Erden wie im Himmel ! » [Mt. 6,9–10 par.] Der Menschen
sohn verkündigt das Sterben dieses Menschen, verkündigt Gott als
den Ersten und Letzten. Und das Echo antwortet, als unzweideutiges
Zeugnis dessen, was da verkündigt wird: «Er predigt gewaltig» (vgl.
Mt. 7,29 par.), «Er ist von Sinnen» (Mk. 3,21 ), «Er verführt das Volk »
[ Joh . 7,12), «Er ist der Zöllner und Sünder Geselle» (vgl. Mt. 11,19
par.] . Eine Möglichkeit unter andern Möglichkeiten ist Jesus von Na
zareth, der «Christus nach dem Fleische» (vgl. 2. Kor. 5,16), aber die
Möglichkeit, die alle Symptome des Unmöglichen an sich trägt. Eine
Geschichte in der Geschichte, dinglich unter Dingen, zeitlich in der
Zeit, menschlich in der Menschheit ist sein Leben, aber Geschichte
voll Sinn, Dinglichkeit voll Hinweis auf Ursprung und Ende, Zeit voll
Erinnerung der Ewigkeit, Menschlichkeit voll redender Gottheit. In
der Weltlichkeit dieses Stückes Welt löst sich (vor sehenden Augen,
vor hörenden Ohren! (vgl. Mt. 13,13 par.]) etwas von dieser Welt, das
gibt der Welt einen neuen Schein, das leuchtet wohl mitten in der
Nacht2 , das ist – Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden
unter den Menschen des Wohlgefallens! [Lk. 2,14) - Gott selber, der
alle Weltlichkeit zu sich ziehen, der einen neuen Himmel und eine
neue Erde schaffen will [vgl. 2. Petr. 3,13]. Wir sehen jetzt das Bild
dieser Welt und ihrer Reiche: groß und hoch und sehr glänzend und
schrecklich anzusehen, aus Gold, Silber, Erz, Eisen und Ton gefügt.
Wir sehen aber auch in der Verborgenheit des Lebens Jesu den Stein
sich lösen , der das Bild an seine Füße trifft und zermalmt sie ohne
Zutun von Menschenhand', und es wird zermalmt das ganze Bild,
verweht vom Wind wie Spreu auf der Sommertenne. «Der Stein aber,
t -t
Druckmanuskript: «lösen ohne Zutun von Menschenhand, der das Bild an
seine Füße trifft und zermalmt sie» .
28
Vgl. die Strophe 4 von M. Luthers Weihnachtschoral «Gelobet seist du,
Jesu Christ » (GERS ( 1891 ) 367; RG ( 1998] 392; EG 23 ):
Das ewig Licht geht da herein,
gibt der Welt ein' neuen Schein;
es leucht' wohl mitten in der Nacht
und uns des Lichtes Kinder macht. Halleluja !
145
der das Bild schlug, ward ein großer Berg, dass er die ganze Welt
füllte » (Dan. 2,27–35). Der Satan ist vom Himmel gefallen wie ein
Blitz (vgl. Lk. 10,18], sein Reich ist aus, das Reich Gottes kommt, so
gewiss seine Vorboten da sind: «Die Blinden sehen, die Lahmen ge
hen, die Aussätzigen werden rein, die Tauben hören, die Toten stehen
auf und den Armen wird die Heilsbotschaft verkündigt und -selig ist,
wer sich nicht an mir ärgert», wer durch die Weltlichkeit dieses Stük
kes Welt, des «Lebens Jesu» hindurch sieht die kommende 179 Erlö
sung, hört das schöpferische Reden Gottes, wer hinfort keines andern
mehr wartet, sondern von dieser Erlösung, von diesem Reden Gottes
alles erwartet (Mt. 11,1-4 (par.]). Selig ist, wer glaubt, was nur ge
glaubt werden , was aber angesichts dessen, was im Christus Jesus ist,
geglaubt werden kann.
V.25-26 Diesen bestimmte Gott zur Versöhnungsdecke durch
seine Treue in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit in der
Vergebung der früher unter seinem Ansichhalten geschehenen
Sünden , zum Erweis seiner Gerechtigkeit im jetzigen Augenblick:
dass er es sei, der gerecht ist und gerecht erklärt den, der in der
Treue, die in Jesus sich bewährt, begründet ist.
« Diesen bestimmte Gott zur Versöhnungsdecke durch seine Treue
in seinem Blut.» Die 9 « Versöhnungsdecke» ist im alttestamentlichen
Kultus die Kapporeth (das Hilasterion LXX ), die goldene Platte, die,
von zwei Engelgestalten (Cherubim ) mit ihren Flügeln überschattet,
den Inhalt der Bundeslade, die Kundgebungen Gottes, zugleich an
zeigt und bedeckt (Ex. 25,17–21). Sie ist der Ort, über dem Gott selbst
wohnt ( 1.Sam. 4,4; 2.Sam. 6,2; Ps. 80,2), der Ort, von wo aus Gott mit
Mose redet (Ex. 25,22; Num. 7,89), vor allem aber der Ort, wo am
großen Versöhnungstag die Versöhnung des Volkes mit seinem Gott
unter Besprengung mit Blut vollzogen wird (Lev. 16,14-15). Gerade
dass sie nur Ort und nicht mehr, aber höchst qualifizierter Ort ist, ist
der überaus treffende Vergleichspunkt mitJesus. Als solcher Ort, über
29 Vgl. zu diesem Abschnitt Barths Brief an Thurneysen vom 3.12.1920,
Bw.Th.I, S. 448: «Die Wendung von Osiander zu Luther macht sich gegenüber
der ersten Auflage geltend wie eine Katastrophe, und ich frage mich oft, wie ich
damals so blind sein konnte, «es» nicht zu sehen. Wenn nur der Spektakel über
die literarische Sensation dieser retractatio die Aufmerksamkeit auf die Sache
nicht übertäuben wird . »
146
dem Gott wohnt, von wo aus er redet, als Ort der Versöhnung istJesus
von Ewigkeit her im Ratschlusse Gottes bestimmt und jetzt, in der
Zeit, vor die Menschen hin, in die Geschichte hineingestellt. Das Le
ben Jesu ist der von Gott zur Versöhnung qualifizierte, der von ihm
zum Zweck der Versöhnung gleichsam unterminierte und geladene
Ort der Geschichte. « Gott war in Christus tätig zur Versöhnung der
Welt mit sich selbst» (2. Kor. 5,19). Das Reich Gottes ist an diesem Ort
nahe herbeigekommen (vgl. Mt. 4,17 par.), so nahe, dass sein Kom
men, seine erlösende Kraft und Bedeutung gerade hier gemerkt, so
nahe, dass gerade hier das Wohnen Gottes bei den Menschenkindern ,
das Reden Gottes mit ihnen, der Wille Gottes, die Welt heimzurufen
in seinen Frieden, unmöglich verkannt werden könnte, so nahe, dass
gerade hier der Glaube sich als gebieterische Notwendigkeit aufdrän
gen müsste. Aber wie die Kapporeth des Alten Bundes das Dasein der
göttlichen Zeugnisse ebensowohl verdeckte als anzeigte, wie sie so
wohl die Verborgenheit als die Gegenwart Gottes verkündigte, so ist
auch das Reich Gottes in Jesus, die Versöhnungstätigkeit Gottes in
ihm, der in ihm angebrochene Tag der Erlösung |80| (3,24) ebensowohl
verhüllt als offenbart. Es ist zu merken, es ist nicht zu verkennen, es
drängt sich auf, dass Jesus der Christus ist, aber in der schärfsten
Paradoxie, es kann nur geglaubt werden. Versöhnung geschieht am
Ort der Versöhnung nur durch Blut, durch die solenne Erinnerung
daran, dass Gott durch Töten lebendig macht. Versöhnung geschieht
auch in Jesus nur «durch Gottes Treue in seinem Blut», d. h. aber in
der Hölle seiner vollkommenen Solidarität mit aller Sünde, aller
Schwachheit, allem Weh des Fleisches, im Geheimnis seiner für uns
rein negativen Größe, im Abblenden und Auslöschen aller Lichter
(Held, Prophet, Wundertäter ), die menschlich leuchten und die, weil
und solange Jesus Mensch unter Menschen war, auch in seinem Leben
leuchteten, im absoluten Ärgernis seines Kreuzestodes. Eben in sei
nem Blut bewährt sich Jesus als der Christus, bewährt er sich als das
erste und letzte Wort der Treue Gottes zum Menschengeschlecht, als
die Eröffnung der unmöglichen Möglichkeit unsrer Errettung, als das
Licht vom unerschaffnen Lichte, als der Ankündiger des Gottesrei
ches. «Blut ist die Grundfarbe im Gemälde des Erlösers» (Ph. Fr.
t
I. Abdruck ( 1922 ): «werden, so» .
147
Hiller)3°, weil in seinem Weg zum Kreuz, im Dahingeben seines Le
bens, in seinem Tod erst der Radikalismus der Erlösung, die er nahe
herbeibringt, die Neuheit der neuen Welt, die er ankündigt, ans Licht
tritt. Ans Licht oder erst recht in den Schatten, wenn wir diesem Ra
dikalismus, wenn wir der Ankündigung dieser Neuheit der Gottes
welt und des innern Menschen nicht gewachsen sind. Denn «dieser
wird gesetzt zu einem Fall und Auferstehen vieler in Israel und zu
einem Zeichen, dem widersprochen wird – und es wird ein Schwert
durch deine Seele dringen -, auf dass vieler Herzen Gedanken offen
bar werden» (Lk. 2,34-35 ). Das Geheimnis der Versöhnung im Blute
Jesu ist und bleibt Gottes Geheimnis und seine Eröffnung, das An
schaulichwerden des Unanschaulichen ist immer wieder Gottes Tat,
Tat seiner Treue oder (was dasselbe ist) Tat des Glaubens. Sofern aber
diese Tat Gottes geschieht, sofern seine Treue beharrt, sofern das
Wagnis des Glaubens gewagt wird, ist uns im Blute Jesu der Anbruch
des neuen Welttages, die Realität der Barmherzigkeit Gottes und uns
rer Errettung, unser kommendes Überkleidetwerden mit der Behau
sung, die nicht von Händen gemacht, die ewig, die im Himmel ist
(2.Kor. 5,1f.), gezeigt, angesagt, verbürgt und gewährleistet. Wir ste
hen dann jetzt und hier schon im Abglanz der kommenden Dinge,
nicht ohne Bedrängnis, aber auch nicht ohne Hoffnung, krank an
Gott, wie wir sind, aber in der Krisis, an Gott zu gesunden. « Darum
müssen wir uns unter dieser Gluckhenne Flügel schmiegen und nicht
in eigenen Glaubens |81|Vermessenheit ausfliegen, der Küchelweih
wird uns sonst geschwinde fressen» (Luther).3 "
« Zum Erweis seiner Gerechtigkeit ». Immer und überall war Ver
gebung der Sünden, immer und überall war über Menschen das Wun
der des Reichtums göttlicher Güte, des Ansichhaltens seines Zornes,
30 Ph.Fr. Hiller, Neues System aller Vorbilder Jesu Christi durch das ganze
alte Testament. Neue verbesserte Auflage, mit einem biographischen Vorwort
von A. Knapp, Ludwigsburg 1858, S. 33 : «So ist nun Blut die Grundfarbe an
dem Gemälde des Erlösers. »
31 Eberle, S. 83 (in Barths Exemplar unterstrichen; Hervorhebung von
Barth): Kirchenpostille 1522. Epistel in der Früh -Christmeß. Tit.3,4-7, WA
10/1,1,125,9–11 . – «Küchelweih» wird der Königsweih als Hühner- und ins
besondere Küken-(« Küchlein» -)Dieb genannt. Luther verwendet ihn noch
gelegentlich als Bild für den Teufel: WA 28,137,30f.; WA 47,539,2f.
148
der göttlichen Geduld (2,4), immer und überall sind Menschen an
Gott krank gewesen und gesund geworden. Durch Jesus aber haben
wir die Augen bekommen, zu sehen, dass es so ist. Gottes Gerechtig
keit hat sich uns in ihm erwiesen, gezeigt. Wir sind durch ihn in den
Stand gesetzt, die Geschichte («die früher geschehenen Sünden») von
Gott aus zu sehen, im Lichte seiner alles aufhebenden Barmherzig
keit. Wir wissen durch ihn, was diese Barmherzigkeit bedeutet: das
Ende und den neuen Anfang aller Dinge. Wir wissen, was sie für uns
bedeutet: dass sie uns zur Buße leiten will (2,4; 6,2f.). Gottes Gerech
tigkeit ist nur durch ihn verständlich und unmissverständlich gewor
den als die tatsächliche Ordnung und Macht über den Menschen und
ihrer Geschichte. Immer und überall sehen wir nun unter der uns in
Jesus gegebenen Voraussetzung nicht nur (mit dem Gesetz 3,20)
Fleisch und Sünde, sondern darüber und dahinter den Richter, der,
indem er verurteilt, freispricht, wo immer er «im Verborgenen der
Menschen» (2,14) die Begründung in seiner Treue, die Begründung im
Glauben findet. Er ist gerecht und er erklärt gerecht, wo der Sprung
ins Leere gewagt ist. Glauben wir an Jesus, so glauben wir an die
Realität und Universalität der Treue Gottes . Glauben wir an Jesus, so
ist uns die Gerechtigkeit und Gerechtsprechung Gottes als die un
mögliche Möglichkeit erwiesen, gezeigt. Von dieser Voraussetzung
aus sehen wir uns selbst, treten wir an die Menschen heran. Von dieser
Voraussetzung aus wagen wir es, an uns selbst und an die Menschen zu
glauben, so gewiss wir es, abgesehen von dieser Voraussetzung, nicht
tun können. Von dieser Voraussetzung aus haben wir den Mut, an alle
(3,22) die Forderung des Glaubens zu richten - des Glaubens eben an
diese Voraussetzung. Weil Gott gerecht ist und gerecht erklärt, haben
wir Frieden mit Gott ( , 1 ).
149
ALLEIN DURCH DEN GLAUBEN
3,27-30
ISO
nur verbesserte Diesseitigkeiten sind, unechte Immanenzen und un
radikale Transzendenzen aller Art, relative Verhältnisse von Gott und
Mensch: Göttlichkeiten, die irgendwie als ein Sein, Haben und Tun
des Menschen auftreten , und Menschlichkeiten, die sich irgendwie als
ein Sein, Haben und Tun Gottes ausgeben. Dieses ganze Zwischen
reich muss sich die Aufdeckung seiner wahren Natur gefallen lassen.
Denn sterben und immer wieder sterben muss um Jesus herum der
Mensch, der nicht unter dem Nein und Ja Gottes steht, der Mensch,
der nicht unterwegs ist von der Versöhnung («durch Blut» 3,25) zur
Erlösung, vom Kreuz zur Auferstehung, also der ungebrochene
Mensch, der Mensch, der das Göttliche, das Eigentliche, das Reale
irgendwie dinglich, zeitlich, menschlich zu sehen, zu wissen, zu ha
ben, zu tun oder es gar zu sein wähnt - uneingedenk, dass er nichts
hat, was er | 83 | nicht empfangen hätte (vgl. 1. Kor. 4,7] und immer neu
empfangen müsste -, der Mensch, der sich immer noch oder schon
wieder drücken will um das Paradox des Glaubens, der Mensch, der
immer noch nicht oder schon nicht mehr alle Gewissheiten, Sicher
heiten, Anschaulichkeiten, Gemütlichkeiten fahren lassen will, um
allein durch Gnade gerettet zu werden, der Mensch, der noch irgend
einen Anlass hätte, sich anders als «aufHoffnung» (4,18; 5,2; 15,17) zu
« rühmen ». Die Möglichkeit, sich vor Gott auf eine nur unter Men
schen beträchtliche Größe oder vor den Menschen auf eine nur vor
Gott bestehende Größe zu berufen, die Möglichkeit, das Große der
Zeit in die Ewigkeit oder das Große der Ewigkeit in die Zeit hinüber
zu projizieren, die Möglichkeit, Größe vor den Menschen als voraus
gegebene Rechtfertigung aus dem menschlichen Zusammenhang in
das göttliche Gericht oder Größe vor Gott als nachträgliche Gerech
tigkeit aus dem göttlichen Gericht in den menschlichen Zusammen
hang hinüberzutragen, diese Möglichkeit ist «ausgeschlossen», abge
hauen ! Die große Unmöglichkeit der Gerechtigkeit Gottes stellt sich
gerade dieser scheinbar so möglichen Möglichkeit einer vorlaufen
den oder nachgehenden Menschengerechtigkeit als absolutes Hin
dernis in den Weg. Unmöglich ist es, Wsich irgend eines Dinges zu
rühmen, das" vorher oder nachher ist, vor oder nach dem Augen
V
W-W
1. Abdruck ( 19224): «oder gar» . Korrektur in Barths Handexemplar.
1. Abdruck ( 19222): «sich irgend etwas zu rühmen, was » . Korrektur in
Barths Handexemplar.
ISI
blick33 (der kein Augenblick in der Zeit ist), da die letzte Posaune
geblasen wird (vgl. 1.Kor. 15,52], da der Mensch in seiner Blöße vor
Gott steht und in seiner Blöße mit der Gerechtigkeit Gottes beklei
det wird. Kein realer Faktor ist, von Jesus aus gesehen, alles mensch
liche Sein, Haben und Tun, das noch nicht unter das göttliche Nein
gebeugt oder nicht mehr in der Erwartung des göttlichen Ja ist. Kein
realer Faktor, weder vor Gott noch vor den Menschen, ist alle Men
schengerechtigkeit, die nicht durch göttliche Verurteilung und gött
lichen Freispruch aufgehört hat, Menschengerechtigkeit zu sein.
« Durch welches Gesetz ? Durch das der Werke ? Nein , aber durch
das Gesetz der Treue Gottes!» Auf welchem Boden ist dieses Unmög
lich ! ausgesprochen und wahr? Unter welcher Ordnung vollzieht sich
dieses Abschneiden aller Menschengerechtigkeit? In welcher Luft
dieses Sterben des Menschen, der noch irgend einen Anlass, sich zu
rühmen , hat oder sucht ? Was ist das für ein «Gesetz», was für eine
Religion, Frömmigkeit oder Moral, was für ein Erlebnis, in dem sich
das ereignet? Wer Gesetz, Religion, Erlebnis sagt, der sagt Erfahren ,
Wissen, Fühlen, Tun , «Werk » des Menschen. Gibt es ein anderes Ge
setz als das « Gesetz der Werke » ? Was wissen wir von den Taten und
Werken Gottes ? Höchstes Missverständnis droht gerade hier: Es (84)
könnte ja das Wissen von den letzten Dingen als Maximalleistung
menschlicher Intelligenz, das Stillwerden vor Gott selbst (wenn z. B.
die Sprüche des Angelus Silesius4 als psychologische Rezepte ge
meint sein oder gelesen werden sollten !) als kühnster Schwung
menschlicher Frömmigkeit, das Stehen im «Augenblick» (der doch
kein Augenblick ist, da man stehen kann) als höchstes extremstes
menschliches Erlebnis, es könnte die « Todesweisheit » (Overbeck)3s
33 Für Barth ist S. Kierkegaards Bestimmung des « Augenblicks» prägend;
vgl. z.B. Der Begriff der Angst, übersetzt von Chr. Schrempf, KGW s , Jena
1912, S. 87 (SKS 4, S. 393 ): « Der Begriff, um den sich im Christentum alles
dreht, das, was alles neu machte, ist die Fülle der Zeit; sie ist aber der Augen
blick als das Ewige, und doch ist dieses Ewige zugleich das Zukünftige und das
Vergangene.»
34 Angelus Silesius, Der Cherubinische Wandersmann, hrsg. von W. Böl
sche, Jena/ Leipzig 1905 .
35 Overbeck, Christentum und Kultur, S. 279 (OWN 6/1 , S. 318): «Das
Christentum will uns Menschen helfen und verdient schon darum unsern Haß
nicht, auch wenn es das Vermögen dazu, uns zu helfen, nicht hätte. Dieses
152
als allerneueste menschliche Lebensweisheit aufgefasst werden ! Es
könnte als Triumph des Pharisäismus der neue Pharisäismus, fürch
terlicher als jeder frühere, auftreten, der es fertig bringt, nicht einmal
«selbstgerecht», sondern zu allem auch noch demütig zu sein! Men
schengerechtigkeit ist ja zu allem fähig, auch zur Selbstaufhebung und
-auslöschung, wenn es sein muss (Buddhismus, Mystik, Pietismus36).
Man hüte sich vor diesem Missverständnis mehr als vor allen andern;
es hat schon so manchen, der unmittelbar vor den Toren der Gerech
tigkeit Gottes stand, im letzten Augenblick noch « ausgeschlossen ».
Denn die Beugung unter das göttliche Nein und die Erwartung des
göttlichen Ja ist wahrlich nicht ein letzter frechster titanischer Schlag
des nach der Immanenz und Transzendenz Gottes lüsternen Men
schen. Auf dem Boden des « Gesetzes der Werke » hört das «Rühmen»
des Menschen nicht auf und fängt die Realität der Gerechtigkeit Got
tes nicht an. Wer sich einmal rühmen, wer einmal als Mensch vor
Menschen und vor Gott recht haben will, der wird sich auch der
tiefsten Versenkung ins Nicht-Ich und Nicht-Sein immer noch rüh
men (womöglich seiner Unsicherheit und Gebrochenheit ! ) und – als
Mensch (nur als Mensch !) recht habend dastehen. Nein, der Boden
des «Gesetzes der Werke » muss uns unter den Füßen zusammenge
brochen sein. Kein «Werk », auch nicht das feinste und geistigste, auch
nicht ein negatives Werk kann mehr in Betracht kommen. Unser Er
lebnis ist das, was nicht unser Erlebnis ist, unsre Religion besteht in
der Aufhebung unsrer Religion, unser Gesetz ist die grundsätzliche
Außerkraftsetzung alles menschlichen Erfahrens, Wissens, Habens
und Tuns. Nichts Menschliches bleibt übrig, was mehr sein wollte als
Hohlraum , Entbehren, Möglichkeit und Hinweis, als unscheinbarste
unter den Erscheinungen dieser Welt, als Staub und Asche vor Gott
Vermögen aber hat es ohne Zweifel nicht, und wäre es auch nur aus dem
Grunde, weil es uns allen Ernstes auf die Letzten Dinge, d. h. über uns selbst
hinaus verweist und damit nur Todesweisheit ist.» In Barths Exemplar ist die
ser Absatz unterstrichen, der zweite Satz ist doppelt angestrichen am Rand mit
einer Rückverweisung: «sic S.66» (OWN 6/1 , S.99). Diesen kritisch gemein
ten Begriff wendet Barth in seiner OverbeckRezeption ins Positive: Barth,
Unerledigte Anfragen, S. 15 .
36 Zu diesen Stichworten wurde Barth vielleicht veranlasst durch Heiler,
S. 284-346, besonders S. 302–317. Siehe auch unten S. 269, Anm . 20.
153
(vgl. Hiob 42,6 ], wie alles, was in der Welt ist. Der Glaube bleibt nur
als Glaube übrig, ohne Selbstwert (auch ohne den Selbstwert der
Selbstverleugnung !), ohne Eigenkraft (auch ohne die Eigenkraft der
Demut! ), ohne eine Größe sein zu wollen, weder vor Gott noch vor
den Menschen. Das ist der Boden, die Ordnung, das Licht, wo der
«Ruhm» aufhört und die reale Gerechtigkeit Gottes anfängt. Also
kein Boden, auf den man sich stellen, keine 185 | Ordnung, die man
befolgen, keine Luft, in der man atmen kann. Vom Menschen aus, von
dem aus gesehen, was sonst Religion, Gesinnung, Gesetz heißt, viel
mehr das Bodenlose, der Anarchismus, der luftleere Raum . Es ist das
« Gesetz der Treue Gottes» oder, was dasselbe ist: «das Gesetz des
Glaubens», der Ort, wo nur noch Gott uns halten kann, der Ort, wo
alles andere außer Gott selbst, Gott allein, außer Betracht fällt, der
Ort, der überhaupt kein Ort ist, sondern nur das Moment der Be
wegung des Menschen durch Gott, den treuen Gott, der der Schöpfer
des Menschen und alles Menschlichen ist und sein Erlöser, wo der
Mensch sich selbst und alles Menschliche ihm hingibt. Und dieser
Moment der Bewegung des Menschen durch Gott ist selbst jenseits
des Menschen, kann in keinem Sinn zum Weg, zur Methode, zum
System werden. Es ruht in Gottes Wohlgefallen, dessen Grund wie
derum nur in Gott selber zu suchen und zu finden ist. Dieses « Gesetz
des Geistes des Lebens» ( 8,2) ist der Standpunkt (der kein Standpunkt
ist ! ), von dem aus wir das «Rühmen» irgend eines Menschen « ausge
schlossen » sehen.
«Denn wir rechnen, dass der Mensch gerecht erklärt wird durch
Treue Gottes, abgesehen von den Werken des Gesetzes. » Der Über
gang vom Standpunkt der Religionen zum «Standpunkt» Jesu bedeu
tet den Übergang von einer altgewohnten zu einer unerhört neuen
«Rechnungs»weise zwischen Gott und den Menschen. Alle Religion
« rechnet» entweder mit Werken des Menschen in der Welt, mit einer
irgendwie anschaulichen Haltung und Handlungsweise des Men
schen, die an sich den Anspruch machen kann, das göttliche Wohl
gefallen zu erregen, der göttlichen « Bezahlung» würdig zu sein (2,6) -
oder aber mit von Gott « bezahlten» Werken der Menschen, mit einer
von Gott ausgehenden Veränderung der Haltung und Handlungs
weise des Menschen , die als solche in der Welt anschaulich und kennt
lich wird. Für alle Religion gibt es, abgesehen von dem «Augenblick» ,
IS4
da der Mensch nackt vor Gott stehend von Gott bekleidet wird, ab
gesehen von dem Moment der Bewegung des Menschen durch Gott,
ein Vorher und Nachher dieses Augenblicks, das diesem an Würde
und Bedeutung gleich oder doch nahe kommt oder doch nicht ganz
inkommensurabel, nicht ganz unvergleichlich ist. Daher in aller Re
ligion die Möglichkeit, sich eines menschlich -göttlichen Seins, Ha
bens und Tuns zu « rühmen ». Daher in aller Religion die Möglichkeit,
das Paradox des Glaubens zu umgehen oder wieder zu umgehen. Vom
« Standpunkt» Jesu aus muss anders «gerechnet» werden : Es gibt
grundsätzlich keine « Werke» des Menschen, die wegen ihrer Bedeu
tung in der Welt das Wohl- 86 gefallen Gottes erregen oder die als Gott
wohlgefällig weltliche Bedeutung beanspruchen könnten. Was in der
Welt geschieht, das ist in Jesus unter das göttliche Nein gebeugt, auf
die Erwartung des göttlichen Ja angewiesen. «Abgesehen» wird ge
rade von jedem Vorher oder Nachher des Augenblicks, da der Mensch
vor Gott steht und von Gott bewegt ist, von jedem Vorher oder Nach
her, das dem Augenblick selbst angemessen oder auch nur vergleich
bar wäre. Ein anderes ist und bleibt das, was Gott ist und tut, ein
anderes das Sein und Tun des Menschen. Unüberschreitbar ist zwi
schen hier und dort die Todeslinie gezogen – die Todeslinie, die frei
lich die Lebenslinie, das Ende, das der Anfang, das Nein, das das Ja ist.
Gott erklärt, Gott spricht, Gott bezahlt, Gottes Wohlgefallen wählt
und wertet. Ja: Schöpferwort ist diese Erklärung, Realität wird gesetzt
durch sein Wort, Wert ist, wo Gott Wert findet. Aber: Gottes Werk
und Tat ist das Geschaffene und darum ein neues Geschaffenes. Gott
gehört, was er bezahlt, und nicht mehr dem Menschen. Vor Gott hat
Wert, was er wertet, und darum gerade nicht in dieser Welt. Seine
Treue wird verherrlicht durch die Gerechterklärung des Menschen,
der neue Mensch steht auf, die neue Welt erscheint, der neue Tag
bricht an in der Kraft der Treue Gottes, aber nicht verherrlicht ist und
wird dieser Mensch in dieser Welt im Lichte dieses Tages. Ja: dieses
Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit und dieses Verwesliche
die Unverweslichkeit (vgl. 1.Kor. 15,53] . Aber: sofern dieses Anzie
hen geschieht durch Gottes Schöpferwort, ist das Sterbliche der Sterb
lichkeit, das Verwesliche der Verweslichkeit, ist die Welt ihrer Zeit
lichkeit, Dinglichkeit und Menschlichkeit entnommen, nicht aber ist
die Sterblichkeit und Verweslichkeit, nicht ist diese Welt dadurch ir
ISS
gendwie erhöht, bestätigt und verklärt. Es ist und bleibt der « Augen
blick» gegenüber allem Vorher und Nachher etwas Eigenes, Anderes,
Fremdes, er pflanzt sich nicht fort im Nachher, so wenig er im Vorher
seine Wurzel hat, er steht in keinem zeitlichen, ursächlichen, logischen
Zusammenhang, er ist immer und überall das schlechthin Neue, er ist
immer das Sein, Haben und Tun des Gottes, der allein Unsterblichkeit
hat (vgl. 1. Tim . 6,16] . Credo, quia absurdum”?! Freigesprochen ist der
Mensch immer nur als vor Gott Verurteilter. Leben kommt immer nur
aus dem Tode, Anfang nur aus dem Ende, Ja nur aus dem Nein. Ge
rechtigkeit durch das Blut Jesu (3,25 ) ist immer Gerechtigkeit, «abge
sehen von den Werken des Gesetzes», abgesehen von allem, was
menschlicherseits (vor Gott und vor den Menschen) als Gerechtigkeit
angesprochen werden könnte, und darum Gerechtigkeit, der sich der
Mensch nie anders als « auf Hoffnung », d. h. aber in Gott «rühmen»
1871 kann. Zwischen uns und Gott steht und wird stehen bis ans Ende
der Tage das Kreuz, einigend, aber auch Distanz schaffend, verhei
Bungsvoll, aber auch warnend. Das Paradox des Glaubens ist nie zu
umgehen und wird nirgends aufgehoben. Sola fide, allein durch den
Glauben38 steht der Mensch vor Gott, ist er von ihm bewegt: Die
Treue Gottes kann, eben weil sie Treue Gottes ist, nur geglaubt wer
den! Mehr wäre weniger. Das ist die neue Rechnung.
V. 29–30 Oder ist Gott nur der Juden Gott? Nicht auch der
Heiden Gott? Wahrlich , auch der Heiden Gott! So gewiss er ein
Gott ist, und der wird gerecht erklären die Beschnittenen aus
Treue und die Unbeschnittenen durch Treue.
« Ist Gott nur der Juden Gott ? Nicht auch der Heiden ? Wahrlich
auch der Heiden ! » Mehr Gewissheit, Sicherheit, Bürgschaft für die
Wahrheit des göttlichen Wortes wäre in der Tat weniger. Menschliche
Anschaulichkeit würde das, was hier zu schauen ist, unanschaulich
159
4. Kapitel
DIE STIMME DER GESCHICHTE
GLAUBE IST WUNDER
3,31-4,8
V. 31 Schaffen wir nun das Gesetz ab durch den Glauben ? Un
möglich ! Wir gerade richten das Gesetz auf.
« Schaffen wir das Gesetz ab durch den Glauben ?» Wie ein alles
Lebendige verschlingendes Gespenst scheint sich die Auferstehung in
die Geschichte, die in Jesus gesetzte Voraussetzung in den Zusam
menhang des Gegebenen, das Paradox des Glaubens in das seelische
Geschehen im Menschen hineinzuschieben. Die Welt verschwindet
vor Gott, die Schöpfung vor der Erlösung, das Erleben vor dem Er
kennen, der Inhalt vor der Form, das Gesetz vor der allein realen und
doch allein dem Glauben anschaulichen Treue des Gesetzgebers. Wie
sollen wir uns dieser Vorstellung und des daran geknüpften Vorwurfs
eines gnostischen Dualismus ' erwehren ? Wir können uns ihrer jeden
falls nicht erwehren, wenn der Radikalismus der hier auftauchenden
Wahrheit nicht ganz radikal verstanden ist. Eine Negation, die als
Negation neben der Position verharrte, wäre keine echte, keine kri
tische Negation; sie müsste alsbald selbst wieder negiert werden. Auf
erstehung als fremde Geschichte neben den andern Geschichten wäre
nicht Auferstehung; denn was sollte dann auferstehen ? Vorausset
zung, die sich nicht bewährte und erfüllte an allem Gegebenen, wäre
nicht letzte Voraussetzung. Und das Paradox, das sich als ein beson
deres Geschehen an das gewohnte seelische Geschehen anschlösse
(wenn auch in überbietender Weise, etwa als « das Dämonische» ),
wäre eben darum nicht Paradox. Das allem Seienden, Bekannten,
Dinglichen, Zeitlichen, Menschlichen gegenüber Andere, von dem
Der Vorwurf eines an die Gnosis erinnernden Dualismus begegnete Barth
mehrmals, vgl. z.B. Jülicher,Paulusausleger, S.95 , und oben S. 15112, Anm..
Vgl. R. Otto, a.a.O. (s. oben S. 47, Anm. 4), S. 15f.140f.161f.
160
wir herkommen, wäre in keiner Beziehung sein ganz Anderes, wenn
es nicht in jeder Beziehung in seiner ursprünglichen , erfüllenden ,
letztlich bejahenden Bedeutung für jenes erkannt wäre. « Schaffen wir
das Gesetz ab durch den Glauben», stellen wir den Glauben als ein
Zweites, Anderes, Verschiedenes neben das Gesetz, statt in das Gesetz
hinein, Christus neben Mose, statt Mose in Christus zu 1910 begreifen ,
sehen wir im Gericht Gottes über alle menschlichen Richtungen nicht
zugleich ihr Richtung Gebendes, in der Aufhebung aller menschli
chen Bewegtheit, Tätigkeit und Sehnsucht durch Gott nicht auch ihr
Aufgehobensein bei Gott, ist also die letzte Frage, die der Glaube
aufwirft, nicht - eben als letzte Frage – zugleich die Antwort auf alle
Fragen, dann ist der Glaube nicht Glaube. Wir hätten dann zu kurz
geschlossen. Wir hätten dann bloß eine Reaktion vollzogen, einem
«Ressentiment» Ausdruck gegeben , eine Kontrastwirkung erreicht,
die selbst wieder der Aufhebung, der dialektischen Bearbeitung, der
Zurückführung auf eine letzte Einheit bedürftig wäre.
Aber so ist es eben nicht gemeint, sondern « wir gerade richten das
Gesetz auf». Wir gerade entheben die Geschichte, das Gegebene, das
seelische Geschehen ihrer Zufälligkeit. Wir gerade verkündigen Gott
als den Herrn Himmels und der Erde, indem wir ihn den unbekannten
Gott nennen (vgl. Act. 17,23], das Schöpfungsgemäße in allem Ge
schaffenen, indem wir die Erlösung predigen, das Sinnvolle alles Er
lebens, indem wir alles Erleben in das Licht des Erkennens rücken, die
ewige Wahrheit des Gesetzes, indem wir das Paradox des Glaubens als
das ewige Nein des Gesetzes aufstellen. Wir gerade verkündigen das
Recht des Individuums, den unendlichen Wert des Einzelnen (Kier
kegaard!)“, indem wir verkündigen, dass seine Seele verloren ist vor
Gott und in Gott, aufgehoben und gerettet in ihm. Wir fordern darum
die Beugung alles menschlichen Seins, Habens und Tuns unter das
göttliche Gericht, wir fordern darum , dass es der göttlichen Recht
a-a
1. Abdruck ( 1922?): «alles Vorher und Nachher» . Korrektur in Barths
Handexemplar.
s Barth gibt der von S. Kierkegaard entwickelten Hermeneutik der Gleich
zeitigkeit einen eschatologischen Sinn; vgl. Kierkegaard, Philosophische Brok
ken, Kapitel IV, «Der gleichzeitige Schüler», Kapitel V, «Der Schüler zweiter
Hand», bzw. S. 51–65.81-100 (SKS 12, S. 258–272.287–306), und Kierkegaard,
Einübung,
6
S. 58–62 (SKS 12, S. 74–78).
Parallelbegriff zum Begriff des Ursprungs, s. oben S. 17.
162
V. 1-2 Was wollen wir nun sagen“ von Abraham, unserm Vor
fahren nach dem Fleische ? Wenn Abraham auf Grund seiner Wer
ke gerecht erklärt wurde, dann gereicht ihm doch das zum Ruhm !
Ja, aber nicht vor Gott !
«Was wollen wir nun sagen von Abraham ?» Wir wählen als Para
digma für den Satz, dass der Glaube der Sinn des Gesetzes ist, eine
möglichst entlegene und möglichst klassische Gestalt aus dem Gebiet
des Gesetzes. Man wird nicht sagen können, dass wir uns die Aufgabe
mit dieser Wahl leicht machen. Der geschichtliche Ort der Abrahams
figur ist ein so ganz anderer als der geschichtliche Ort, an dem wir
stehen, dass es zum vornherein ausgeschlossen ist, etwa auf der Fläche
des historisch - psychologischen Geschehens eine Linie von dort nach
hier zu ziehen. Ist die Gerechtigkeit Gottes in Jesus Auflösung und
nicht Erfüllung des Gesetzes, ist sie bloß eine Neuerung, eine Reak
tion, etwas «Anderes» in der Reihe der Erscheinungen der biblischen
(und außerbiblischen) Religionsgeschichte und nicht der jenseitige
Sinn und Gehalt ihres Ganzen, ist sie Zeit neben andern Zeiten, Ge
schichte neben andern Geschichten, Religion neben andern Religio
nen, dann müsste das, d. h. aber ihre bloß relative, zufällige, einmalige
Bedeutung durch ihre Kontrastierung mit so völlig entlegener Zeit,
Geschichte und Religion an den Tag treten. Ist der rote Faden der
Geschichte, den wir in Jesus zu sehen meinen, nicht ganz rein, ganz
überlegen , ganz streng der des sachlichen Zusammenhangs, der objek
tiven Einheit in allem Einst und Jetzt, Dort und Hier, dann muss erb
uns angesichts der Weite des Gegensatzes, vor dem wir stehen, wenn
wir «Abraham» sagen, unter den Händen zerreißen. Und es müsste
andrerseits gegenüber der Klassizität der Abrahamsgestalt, gegenüber
ihrem zweifellosen Gewicht, Kaliber und Wert, gegenüber der Posi
tivität «unsres Vorfahren nach dem Fleische», der der Besten einer ist
in der Welt des Fleisches, eine bloß relative Negation, (93)Aufhebung
und Entwertung menschlichen Seins, Habens und Tuns, eine bloß
gespenstisch gemeinte Auferstehung, eine bloß skeptisch gemeinte
* cúqnxéval ist wohl trotz seiner guten Bezeugung als glättende Einschal
tung zu streichen.
b
2. Abdruck ( 1923 ' ): «es » .
163
Kritik, eine bloß « fleischliche » Gegensätzlichkeit für alle Einsichtigen
in ihrer Hohlheit und eigenen Fragwürdigkeit an den Tag treten . Jesus
wäre nicht der Christus, wenn Gestalten wie Abraham, Jeremia, So
krates, Grünewald, Luther, Kierkegaard, Dostojewski ihm gegen
über endgültig in historischer Ferne verharrten und nicht vielmehr in
ihm in ihrer wesentlichen Einheit, Gleichzeitigkeit und Zusammen
gehörigkeit verstanden würden , wenn in der in ihm sich ankündigen
den Negation ihre Positionen nur aufgehoben und nicht gleichzeitig
begründet würden. Gerade darum handelt es sich aber. Darin bewährt
sich Jesus als der Christus, dass sein Licht kein anderes ist als das Licht
des Alten Testamentes, das Licht aller Religionsgeschichte und Wahr
heitsgeschichte, das Weihnachtswunder, auf das die ganze Advents
welt der Natur und der Geschichte, der sichtbaren und unsichtbaren
Kreaturen hinblickt als auf die Erfüllung ihres Wartens. «Das Alte
Testament ging Christus nicht nur im gemeinen Sinn voran, sondern
er selbst lebte in ihm oder das Alte Testament war doch das sein prä
historisches Leben unmittelbar begleitende und sozusagen abbilden
de Zeugnis dieses Lebens » (Overbeck ). «Ehedenn Abraham ward ,
bin ich» (vgl. Joh. 8,58]. Das sagen wir von Abraham und haben wir
nun an Abraham zu zeigen.
« Wenn Abraham auf Grund seiner Werke gerecht erklärt wurde,
dann gereicht ihm doch das zum Ruhme!» Offenkundig sind uns
Abrahams « Werke», d. h. die in seinen Worten und Handlungen sich
auswirkende Haltung, Richtung und Gesinnung als die Werke eines
Gerechten . Offenkundig ist uns darin ein kräftiges Emporragen über
die ins Dunkel des Heidentums versunkene Umwelt, eine bewusstere
Religiosität, eine reinere Moral, die heroische Leistung eines heroi
schen Glaubens. Wie haben wir uns dieses Offenkundige zu deuten ?
Wir schließen aus dem Eindruck von « Gerechtigkeit», den wir bei
Abraham und seinesgleichen haben, nicht mit Unrecht auf eine ent
sprechende göttliche Würdigung und Beurteilung. Findet aber eine
solche statt, eine göttliche Gerechterklärung der uns offenkundigen
« Werke » Abrahams, dann stehen wir doch wohl vor einem mensch
· Druckmanuskript: «aus » .
f 2. Abdruck ( 1923²): « es » .
168
des Menschen gegenüber freie und gerade in ihrer Freiheit kräftige,
reale Tat Gottes. Durch das, was er nicht ist, nimmt der Mensch teil an
dem, was Gott ist, in seinem Sterben leuchtet ihm das ewige Licht
Gottes – kräftig, real, aber immer nur in dem, was er nicht ist, immer
nur in seinem Sterben. Sofern sein Glaube menschliche Haltung, Ge
sinnung und Richtung ist, ist er so wenig Gottesgerechtigkeit wie alles
Menschliche. Sofern er Hohlraum, Begrenzung ist, die das Wunder,
das Unmögliche, das Paradox umschließt, ist er, um dieses unan
schaulichen Inhalts willen, von Gott aus qualifiziert als Gottesgerech
tigkeit. Es ist der Todesweg Jesu, der offenbar der Lebensweg Abra
hams ist.
« Abraham dem Wirkenden wird sein Lohn nicht angerechnet.» Der
Begriff « angerechnet» scheidet zwischen der Gottesgerechtigkeit, in
der Abraham als Glaubender steht, und seiner (auch bemerkenswer
ten) Menschengerechtigkeit. Sofern sein Glaube nicht Wunder ist,
sondern erstaunliche Gläubigkeit, irrationaler Heroismus, seelische
Kraftleistung, bedarf er wahrlich der « Anrechnung », des seltsamen
Gnadenaktes, von dem die Genesis berichtet, nicht. Abraham «der
Wirkende» hat seinen Lohn, wenn auch nicht im Buche des Lebens
(vgl. Apk. 20,12], so doch im Buch der Religionsgeschichte, im Buch
der großen Männer und schönen Seelen. Was in dieser Beziehung
Wahres, Gutes und Rühmliches von ihm und seinesgleichen zu sagen
ist, das muss und das mag gesagt werden. Den Lohn menschlicher
Dankbarkeit und Verehrung hat er verdient, nicht aus Gnade, sondern
«nach Schuldigkeit», wie eben unter Menschen dergleichen Lohn ver
dient und mehr oder weniger vollständig im Lauf der Zeiten bezahlt
und in Empfang genommen wird. Die direkte (historisch- psycholo
gische) Würdigung eines Menschen pflegt ja die Frage nach seiner
Gottesgerechtigkeit nicht aufzuwerfen, sie bemüht sich « nach Schul
digkeit» ihm menschengerecht zu werden. Zieht sie « Gott» allenfalls
in Betracht, dann nicht als den Schöpfer, Herrn und Erlöser des Men
schen, der Gnade übt und Gerechtigkeit «anrechnet», sondern als den
an das Wirken des bedeutenden Men- 98 schen als Kontrahent und
Schuldner von Rechts wegen gebundenen obersten Kampfrichter und
8 1. Abdruck ( 1922 ) und 2. Abdruck ( 1923 '): «es» . Korrektur nach Druck
manuskript.
169
Preisverteiler, wobei es auf der Hand liegt, dass dieser «nach Schul
digkeit» Lohn auszahlende «Gott» nicht Gott ist, sondern der Herren
eigener Geist
« Abraham dem Nicht- Wirkenden aber wird sein Glaube als Ge
rechtigkeit angerechnet. » Es gibt also eine andre Art, Menschen zu
würdigen. Sie wird z. B. in der Genesis geübt und bei Dostojewski. Sie
begnügt sich nicht damit, Ehre zu geben, dem Ehre gebührt (vgl. Röm
13,7) . Die Erweisung menschlicher Gerechtigkeit ist nicht ihr drin
gendstes Anliegen. Sie pflegt die letzte Frage nicht nebenbei zu erle
digen oder überhaupt zu vergessen. Sie wirft sie zuerst auf, sie denkt
von ihr aus. Sie denkt nicht nur an die menschlichen Lohnbücher,
sondern daran, dass es auch ein Buch des Lebens (vgl. Apk. 20,12]
gibt, dessen Inhalt uns als das Unanschauliche am Menschen an
schaulich werden könnte. Sie interessiert sich weniger für das, was
dem Menschen zukommt «nach Schuldigkeit», als für das, was ihm
«zugerechnet» ist aus Gnade. Sie kommt weniger leicht in Versu
chung, ihren eigenen Geist zum Weltrichter einzusetzen, weil der
Richter und das Gericht die Voraussetzung ist, von der sie still
schweigend schon herkommt. Sie sieht also das «Wirken » eines Men
schen zum vornherein auf dem Hintergrund seines Nicht-Wirkens,
sein Leben im Licht seines Sterbens, seine allfällige menschliche Grö
Be gemessen an der Majestät Gottes, seine Kreatürlichkeit als Hinweis
auf den Schöpfer, sein Anschauliches als Hohlraum, Sehnsucht, Ent
behren und Hoffnung eines Unanschaulichen. Sie sieht seinen Glau
ben im Lichte des Glaubens. Sie kann sich in ruhiger Dämpfung und
nicht ohne wehmütigen Humor freuen an aller echt menschlichen
Größe, an aller Gläubigkeit, an allem Heroismus, an aller seelischen
Schönheit und geschichtlichen Bedeutung eines Menschen, aber nicht
danach beurteilt sie ihn letztlich, sondern nach seinem Glauben, der
ihr - gegen den Schein (para-dox) – an und in dem allem sichtbar wird,
und meint ihm damit gerechter zu werden als die allzu Gerechten (vgl.
Pred. 7,16] mit ihrem direkten Lob. Sie kann auch in ebenso ruhiger
Dämpfung und nicht ohne ein verzeihendes Lächeln trauern über all
10
Vgl. J.W.von Goethe, Faust I, V.577-579 (Nacht):
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
170
das ebenso echt menschliche Totsein in Sünden, über all das Heidni
sche, Harte, Atheistische, tierisch Versunkene eines Menschen, aber
nicht danach beurteilt sie ihn, sondern auch hier nach seinem Glau
ben, der ihr - gegen den Schein! – an und in dem allem sichtbar ist, und
meint auch darin gerechter zu sein als die allzu Gerechten mit ihrem
direkten Tadel. Sie weiß eben hier wie dort, dass Gottes Lohn bezahlt
wird nach Gottes Wohlgefallen und Wertschätzung (2,6), dass Gott
nicht die Person, nicht die Maske 199 ansieht (2,11 ), sondern das Ver
borgene der Menschen richtet (2,16). Sie sieht den Glauben, weil sie
gläubige Augen hat, weil sie weiß, was Glaube ist: das Unmögliche,
von dem alles Mögliche, das Wunder, von dem alles Seelisch -Ge
schichtliche, das Paradox, von dem alles direkt anschauliche Sein,
Haben und Tun des Menschen umgrenzt, in Frage gestellt und letzt
lich - bejaht und begründet ist. Und weil sie, selbst glaubend, den
Glauben des Menschen sieht, jenseits dessen, was er ist, weil sie das,
was er ist, verstehen möchte aus dem, was er nicht ist, darum sieht sie
seine Gerechtigkeit als « angerechnet», als Gottesgerechtigkeit im
strengsten Sinn, als göttliches Trotzdem (nie als Darum !), als Verge
bung (nie als Bestätigung! ) dessen, was er ist.
« Erglaubtan den, der den Ehrfurchtslosen gerecht erklärt.» Das ist
die unzweideutige Umschreibung des Satzes «Er glaubte Gott» . Das
ist Abrahams Gottesgerechtigkeit. Ob Abraham « Gott hat» ? Nein
niemals, aber Gott hat ihn. Und Gott hat ihn als Nicht-Wirkenden
(4,5 ), «abgesehen von seinen Werken » (3,28 ). Nur in Gott, nicht in
Abraham ist es begründet, dass Gott ihn hat, dass Gott ihn « gerecht
erklärt». Was in Abraham begründet ist, das ist Gottes Zorn. Abraham
ist mit seiner Menschengerechtigkeit und -ungerechtigkeit vor Gott
nur « ehrfurchtslos » ( 1,18), nur unter das Nein gestellt, wie alle an
dern. Dass er zum Bewusstsein dieser Lage erwacht, dass er der Krisis
gewahr wird und sie als göttliche Krisis erkennt, dass er in dieser
Krisis die Furcht des Herrn wählt, dass er das Nein Gottes, weil es das
Nein Gottes ist, als Ja hört und versteht, das ist sein Glaube. Aber
dieser sein Glaube ist selbst schon ein unanschauliches Faktum, ein
Wunder. Zum «Ruhm» kann ihm diese Gerechtigkeit nicht gereichen.
Rühmen kann sich auch diese klassische Gestalt der Wahrheitsge
schichte nur der Gerechtigkeit, die «durch das Blut Jesu » ( 3,25 ) of
fenbart und den Menschen «zugerechnet» wird. Sein Ja, seine Positi
171
vität, ist aus sich selbst, abgesehen von dem großen Nein des Augen
blicks der letzten Posaune (vgl. 1. Kor. 15,52] nicht zu verstehen. Son
dern es ist umgekehrt dies sein Ja, die Gerechtigkeit, deren er sich
rühmen kann und die ihm in der Genesis zugesprochen wird, das
«abbildende Zeugnis» " des Lebens des Christus, der Erweis des Ern
stes, der Reinheit und Überlegenheit jenes Augenblicks gegenüber
allem Vorher und Nachher, der Erweis der Auferstehung. Der Glaube
ist zu allen Zeiten dasselbe Wunder.
V.6–8 Wie auch David den Menschen selig preist, dem Gott Ge
rechtigkeit anrechnet abgesehen von seinen Werken : Selig sind die,
deren Ungesetzlichkeiten vergeben und deren Sünden ver -1100
hüllt werden ! Selig ist der Mann, dem der Herr seine Sünde nicht
anrechnet.
« Wie auch David den Menschen selig preist, dem Gott Gerechtig
keit anrechnet .» Die von der alttestamentlichen Geschichtsschrei
bung gegebenen Lebensbilder finden ihren Kommentar in den Psal
men. Die biblische, die indirekte Weise, den Menschen zu betrachten,
die dort sichtbar wird, kann auch hier nicht verborgen bleiben. Wer
wird selig gesprochen ? Der die Seligkeit, den Himmel hat und in sich
trägt, der sie durch seine Werke verdient hat und in seinen Werken zur
Darstellung bringt? Nein, die Seligkeit, die im Menschen und durch
den Menschen ist, ist auf alle Fälle nicht die Seligkeit, die «David»
meint. Auch «David» sieht den Wert, die Größe, die Seligkeit, das Heil
des Menschen indirekt. Auch er sieht jenseits der Vorzüglichkeit oder
Mangelhaftigkeit des psychologischen Individuums, «abgesehen von
seinen Werken », das Unanschauliche seiner Richtung auf Gott, seiner
Bestimmtheit durch Gott, auch er sieht dort, wo, psychologisch be
trachtet, nur leerer Raum sein kann, die eigentliche Fülle, Kraft und
Bedeutung der Individualität, ihre «angerechnete» Gottesgerechtig
keit. Auch er sieht die Todeslinie als die Lebenslinie. Und diesem
Unanschaulichen, Angerechneten, diesem Leben aus dem Tode des
Menschen gilt seine Seligpreisung .
« Selig sind die, deren Ungesetzlichkeiten vergeben und deren Sün
den verhüllt werden ! Selig ist der Mann, dem der Herr seine Sünde
nicht anrechnet, in dessen Munde kein Betrug ist. Da ich es ver
172
schwieg, wurden meine Gebeine altersschwach von meinem Schreien
den ganzen Tag. Da deine Hand Tag und Nacht schwer auf mir lag,
kam ich ins Elend, dass mir das Rückgrat erstarrte. Da erkannte ich
meine Ungesetzlichkeit, und meine Sünde verhüllte ich nicht. Ich
sprach: Ich will meine Ungesetzlichkeit bei mir selbst dem Herrn
bekennen. Und da vergabst du mir die Ehrfurchtslosigkeit meines
Herzens» (Ps. 32,1-5 LXX ). Man beachte diesen Zusammenhang!
Was ist es mit der Lebendigkeit und Gerechtigkeit des alttestament
lichen Frommen ? Gerade in seiner direkten anschaulichen menschli
chen Wirklichkeit ist er jedenfalls nicht lebendig und gerecht. Die
Einbildung, dass er es sei, ist vielmehr der « Betrug», der aus seinem
Munde verschwinden muss. Er will ja seine Sünde, seine «Ungesetz
lichkeit» (den Kontrast zwischen seiner Frömmigkeit und dem, wo
von seine Frömmigkeit Zeugnis ist), die « Ehrfurchtslosigkeit» seines
Herzens (den unvermeidlichen Götzendienst in allem menschlichen
Gottesdienst) «verschweigen», durch |101|Illusionen sich verhüllen.
Er will sich seine Sünde selbst vergeben in der Vollmacht seines per
sönlichen Erlebens. Er will nicht sterben vor Gott, sondern leben in
seiner eigenen Lebendigkeit. Und eben an diesem Versuch muss er
sterben . Eingekeilt zwischen der Wahrheit Gottes und dem Betrug
seines Herzens muss er in körperlicher Pein schreien den ganzen Tag.
Es schreit sein Eigenes, Persönliches, das unter der harten Faust Got
tes nicht mehr leben, und es schreit seine von Gott geschaffene Seele,
die unter dem Zwang seiner Lüge noch nicht leben kann. Er seufzt in
dem Engpass des verstummten Zacharias (vgl. Lk. 1,22] und des er
blindeten Saulus (vgl. Act. 9,8). Bis er sich Gott gefangen gibt, bis ihm
alles angemaßte Rühmen vergeht, bis er werkennt», dass Gottes Ge
rechtigkeit, die er an sich reißen wollte, für den Menschen das Un
mögliche ist, das unerbittliche Nein gegenüber aller Menschengerech
tigkeit, das unvermeidliche Gericht über allen religiösen Betrug. Die
Todeslinie des Lebens in Gott wird ihm unter Furcht und Zittern (vgl.
Phil. 2,12] anschaulich. Er erkennt. Er verhüllt nicht mehr. Er be
kennt. «Und da vergabst du mir» [vgl. Ps. 32,5 ]. Da antwortet ihm der
Herr aus dem Wetter (vgl. Hiob 38,1 ] . Und diese Antwort ? Ist sie eine
weitere höhere Stufe seines innern Weges ? Nein, sondern der radikale
Abbruch seines Weges, der Anfang des Weges Gottes mit ihm, kein
psychologischer Vorfall, sondern der Augenblick ohne Zeit, der die
173
neue Qualifikation alles Vorher und Nachher in sich schließt. Nicht
als ob es mit dem Leiden und Schreien des Gerechten nun vorbei
wäre ! Es ist aber ans Licht getreten, dass er um Gottes willen leidet
und zu Gott schreit, und um dieser Qualifikation willen ist es das
Leiden und Schreien eines Gerechten. Nicht als ob die Ungesetzlich
keit der Kreatur, die Sündigkeit des Menschen dahin wären! Es ist
aber ans Licht getreten , dass sie vergeben, verhüllt, nicht angerechnet,
von Gott getragen sind aufHoffnung.Es ist auch hier das Wunder, das
als Glaube jenseits der direkten anschaulichen menschlichen Wirk
lichkeit sich geltend macht: Gottes Ja gesprochen in seinem Nein.
Diese Beziehung des Menschen zu Gott kann nicht Gegenstand neuen
Betruges, neuer Illusionen werden. Sie ist in ihrer kritischen Überle
genheit endgültig davor geschützt, vermenschlicht zu werden. Denn
das Leben, das sie schafft, ist Leben durchs Sterben, immer wieder
durchs Sterben. Der von « David » Seliggepriesene ist wahrlich nicht
dieser Mensch, seine Lebendigkeit und Gerechtigkeit nicht das, was
an ihm anschaulich wird, sondern der innere, der unanschauliche
Mensch, der durch Gottes Schöpferwort ins Dasein gerufene Mensch,
der Mensch, der er nicht ist, der im Vergehen dieses Menschen von Tag
zu Tage erneuert wird (vgl. 2. Kor. 4,16]. Das Wunder der Anrechnung
göttlicher Gerechtigkeit, der Nicht-Anrechnung | 102| menschlicher
Ungerechtigkeit, das am Menschen, was nur in der Anschaulichkeit
des Todes anschaulich wird, das Paradox des Glaubens ist es, um des
sen willen dieser Fromme seliggepriesen wird. Was also von Abraham
gilt, das gilt auch von der zeit- und namenlosen Gestalt seines Kom
mentators im 32. Psalm : er lebt von der Auferstehung, er ist ihr Zeuge.
Er ist aus sich selbst, ohne Christus, in seiner Frömmigkeit nicht zu
verstehen. Er ist Abbild des die Zeiten im Längsschnitt aufreißenden
Lebens des Christus.
174
GLAUBE IST ANFANG
4,9-12
o
1. Abdruck ( 19222): «der».
1. Abdruck ( 1922 ) und 2. Abdruck ( 19233): «anschaulichen» . Korrektur
nach Druckmanuskript.
181
gründet ist, wo er noch nicht mehr oder weniger Besitzender im Rei
che der religiösen (oder irgend einer diesseitigen) Wirklichkeit, wo er
ganz und gar auf Gott selbst, auf Gott allein angewiesen ist. Ein fort
gesetztes sich selbst Aufheben und Aufgeben, ein unermüdliches, un
bestechliches Abnehmen-, Verzichten-, Heruntersteigen- und Ster
ben -wollen ist dieses Wandern , ein fortwährend erneutes Ausgehen
von der nackten neutralen Menschlichkeit in ihrer völligen Armut
und Fragwürdigkeit. Direkt von der sündigenden und leidenden
Welt, nicht von einer religiösen Höhe oberhalb der Welt aus wird Gott
gefunden. Echte religiöse Höhe negiert sich selbst, ist restlose Soli
darität mit der Tiefe (3,22-23 ). Echter Glaube ist Abrahams «Glaube
ohne Beschneidung ». Echte Kinder Abrahams sind die, die immer
wieder von Gott aus den Steinen erweckt werden (vgl. Mt. 3,9 par.] .
Wo das vergessen wird, da sind aus den Ersten die Letzten geworden
(vgl. Mt. 19,30 par.]. Und nur die immer wieder die Letzten sind,
werden die Ersten sein.
Wiederum stehen wir also vor der Tatsache, dass die Heilsgeschich
te, «das Gesetz» selbst seinen Helden als eine Frage aufstellt, auf die es
selbst keine Antwort gibt. Die Antwort ist der Christus, die Aufer
stehung. Das göttliche Ja dieses Helden ist anderer Ordnung als alles
menschliche Ja. Es ist nur vom Tode des Menschensohnes aus als Ja zu
begreifen.
р
2. Abdruck ( 19233): «der» .
185
V. 15 Denn das Gesetz, abgesehen vom Glauben, verschafft dem
Menschen nicht die Verheißung, sondern Gottes Zorn . Sofern aber
das Gesetz nicht ausschlaggebend ist, ist es auch des Menschen
Übertretung nicht.
« Das Gesetz verschafft Zorn. » So meinen wir also, dass das Gesetz
an sich, das Gesetz, abgesehen vom Glauben , den Menschen geradezu
hindere, das Reich Gottes zu ererben (1.Kor. 6,9f.; 15,50] ? Ja, gerade
das meinen wir. Gewiss, das Gesetz hat auch abgesehen vom Glauben
seine eigene Positivität. Es kann durchaus auch nicht als Zeugnis, nicht
als Hinweis über sich selbst hinaus aufgefasst werden. Gewiss hat es
als seelisch-geschichtlicher Hergang und Zustand auch seine imma
nente Schwerkraft und Bedeutung. Gewiss leuchtet das menschliche
Erlebnis immer auch in seinem eigenen Lichte. Aber wir sollten uns
nicht täuschen darüber, was es bedeutet, wenn diese innerweltliche
Qualität des Glaubens ausschlaggebend sein sollte. Indem wir von der
Relation der zeitlichen Dinge auf ihren ewigen Ursprung absehen,
rücken wir sie in das Licht der vernichtendsten, der wahrhaft unheil
baren Skepsis. Die Behauptung, dass |112 das Gesetz dem Menschen
die Verheißung verschaffe, scheitert notwendig an der Tatsache der
Inkongruenz alles Anschaulichen gegenüber der Verheißung. An
schaulich ist immer nur das der Verheißung nicht Kongruente, der
geschichtlich-seelische Offenbarungseindruck Gottes in der Welt.
Was aber in der Welt ist, das ist auch der Art der Welt preisgegeben, es
verschafft dem Menschen gerade die Verheißung, die Abrahamskind
schaft, nicht, wohl aber, wenn es denn nicht in seinem Zeugniswert,
sondern in seinem vermeintlichen Realitätswert verstanden sein soll,
Gottes Zorn. Denn es ist eben in seinem vermeintlichen Realitätswert,
in seinem Absolutheitsanspruch, in seiner angemaßten Gottähnlich
keit das, was Gottes Zorn erregen muss: « Ehrfurchtslosigkeit und
Unbotmäßigkeit» ( 1,18). Alle Religion steht, sofern sie diesseitige,
geschichtliche, zeitliche, anschauliche Wirklichkeit ist, unter dieser
Regel: auch die echte, die aufrichtige, die tiefe Religion, auch die Re
ligion Abrahams und der Propheten, auch die Religion des Römer
briefs und selbstverständlich auch die aller Bücher über den Römer
brief. Wer sich unterwindet, das Ewige zeitlich zu erleben, zu denken,
9 Druckmanuskript: «dieses Buchs ».
186
zu besprechen, darzustellen und zu vertreten ' , der sagt Gesetz. Und
wer Gesetz sagt, der sagt auch Übertretung. Wo Händefalten ist und
Gefühl von Gottesnähe, Reden und Schreiben von göttlichen Dingen,
Predigt und Tempelbau und Wirken aus letzten Motiven, höhere Sen
dung und höhere Botschaft, da, gerade da geht es, wenn das Wunder
der Vergebung nicht eintritt, wenn die Furcht des Herrn die Distan
zen nicht sichert (1,22f.), ohne Sünde nicht ab ( 5,20). Denn keine
menschliche Gebärde ist an sich fragwürdiger, bedenklicher, gefähr
licher als eben die religiöse Gebärde. Kein Unternehmen richtet den
Unternehmer schärfer als dieses Unternehmen. Vor Gott des Über
mutes und vor den Menschen sehr mit Recht der Phantasterei ver
dächtig, nach oben wie nach unten von einem Duft höchster Zwei
felhaftigkeit umgeben ist die ganze reiche Erscheinungswelt der Got
tesverehrung, von der plumpsten Deisidämonie bis zum feinsten Spi
ritualismus, von der ehrlichsten Aufgeklärtheit bis zur saftigsten Me
taphysik. Und man täusche sich nur nicht: Von demselben Verdacht
und Duft umgeben ist auch alles, was sich am Gegensatz zu der reli
giösen Erscheinungswelt orientiert: also das religiöse Jasagen sowohl
wie das antireligiöse Neinsagen, das Tempelbauen und das Tempel
stürzen , das anspruchsvolle Reden und das anspruchsvolle Schweigen,
Amazja und Amos (vgl. Am. 7,10-17), Martensen und Kierkegaard ',
also auch der Protest gegen die religiöse Gebärde überhaupt, von
Nietzsche bis hinab in die Niederungen der gewöhnlichen Pfaffen
fresser, also auch die antitheologische Romantik der Ästheten, der
Sozialisten, der Jugendbewegung aller |113| Schattierungen . Jener Ver
dacht wird zur Gewissheit, jener Duft zur göttlichen Zorneswolke,
13 Vgl. die Sätze gegen L. Ragaz aus Barths Brief an Thurneysen vom
6.8.1915 (Bw.Th.I, S. 69f.): « Versteht es sich denn von selbst, daß «wir das
Gottesreich « vertreten » (ein ganz toller Ausdruck! [...]) ? [...] Ist der Glaube [...]
eine selbstverständliche Voraussetzung, über die man einfach hinweghüpft, um
nun das Gottesreich [...] zu vertreten ? »
14 Hans Lassen Martensen ( 1808–1884), Professor für systematische Theo
logie in Kopenhagen, ab 1854 als Nachfolger von Jakob Peter Mynster Bischof
von Seeland. Die Leichenpredigt, die er für seinen Vorgänger hielt, veranlasste
Kierkegaard zu seinem letzten Angriff auf die Kirche, der in seiner im Jahr
1855 in neun Nummern herausgegebenen Zeitschrift «Der Augenblick» gip
felte: Der Augenblick ,übersetzt von Chr. Schrempf, KGW 12, Jena 1909 (SKS
13 , S. 127-418 ).
187
wo immer die religiöse oder antireligiöse Gebärde nicht ausdrücklich
und bewusst über sich selbst hinausweist, sondern, und wäre es als
Glaube, Liebe und Hoffnung, und wäre es als die dionysische Geste
des Antichrist's, sich selbst rechtfertigen will. Was sich nicht aufheben
lassen , sondern sich (als Ja oder Nein ! ) selbst rechtfertigen will, das ist
eben um deswillen gerichtet. Die Immanenzgläubigen hüben und
drüben sollten sich das wohl überlegen. «Das Gesetz verschafft
Zorn. »
« Sofern aber Gesetz nicht ist, ist auch Übertretung nicht.» Es gibt
eine Rechtfertigung der religiösen Gebärde, der echten und der we
niger echten, der tiefsinnigen und der nicht eben tiefsinnigen, der pro
phetischen und der pharisäischen- und damit auch des Kontrastes zur
religiösen Gebärde: die Rechtfertigung allein durch den Glauben.
Durch den Glauben: sofern nämlich das Gesetz, die ganze Anschau
keit des menschlichen Hergangs und Zustands für den Glaube
nicht ausschlaggebend, nicht bezeichnend sein soll, sofern 'der Glau
be sich demütig der Wirklichkeit seiner ganzen seelisch -geschichtli
chen Erscheinungsform, sofern er sich als positive oder negative
menschliche Haltung zugleich seiner reinen Negativität Gott gegen
über bewusst ist, sofern sein Wesen in jener kritischen Linie liegt, die
den Religiosus Luther von dem Religiosus Erasmus, den Antireligio
sus Overbeck von dem Antireligiosus Nietzsche trennen dürfte, so
fern er nichts ist als eben Relation aller menschlichen Inhaltlichkeit zu
ihrem ewigen Ursprung, nichts als Öffnung für das Leben, das aus
dem Tode kommt. Sofern diese unanschauliche Seite des Glaubens
ausschlaggebend ist, ist die «Übertretung, die er nach seiner an
schaulichen Seite immer zugleich bedeutet, nicht ausschlaggebend.
Sofern die religiöse oder antireligiöse Gebärde darin ihr Schwerge
wicht hat, dass sie über sich selbst hinausweist, verliert das Fragwür
dige ihrer Erscheinung sein Gewicht und die absolute Skepsis ihr
Recht. Sofern es aus dem Zwang eines göttlichen Trotzdem !, aus dem
Bewusstsein der Vergebung und ihrer immer neuen Notwendigkeit,
r- r
Druckmanuskript: «er sich demütig der Weltlichkeit ».
15 Vgl. den emphatischen Schluss von Fr. Nietzsche, Ecce homo. Wie man
wird, was man ist, NW, 8. Bd, S. 433 (NWKG , 6. Abt., 3. Bd, Berlin 1969, S. 372,
Z. 31f.): « - Hat man mich verstanden ? - Dionysos gegen den Gekreuzigten ...».
188
aus der Furcht und Demut heraus geschieht, die schlechterdings nichts
mehr mit einem menschlichen Weg, mit einer Methode und Pragmatik
zu tun hat, sofern weder vor Gott noch vor den Menschen eine Recht
fertigung dafür gesucht wird, mag es geschehen, dass Opfer, Gebet
und Predigt, Prophetie, Mystik und Pharisäismus, Theologie, Fröm
migkeit und Kirchlichkeit, Katholizismus und Protestantismus, Rö
merbriefe und andere Bücher samt allen ihren im Grunde nicht so
radikalen Kontrast- und Protesterscheinungen ihr Wesen und Un
wesen ausbreiten und - | 114) allein im Lichte göttlichen Ernstes und
göttlichen Humors – gerechtfertigt sind. Wir müssen uns aber be
wusst sein, dass dieses « sofern», diese Erlaubnis, das Göttliche in das
Gewand des Menschlichen, das Ewige in das Gleichnis des Zeitlichen
zu hüllen, keine mögliche, sondern die unmögliche Möglichkeit ist,
der Augenblick ohne Vorher und Nachher, kein Standpunkt, auf den
unsereins sich stellen, sondern die Entscheidung, die immer wieder
nur in Gott selbst, in Gott allein fallen kann. Wir können uns nie
darauf berufen, dass diese Möglichkeit besteht. Wir können nur unter
Furcht und Zittern (vgl. Phil. 2,12] feststellen , dass sie eintreten kann.
Abgesehen von diesem Glauben unter Furcht und Zittern wird das
Gesetz immer das gewaltige Hindernis sein, das es uns unmöglich
macht, Anwärter des Gottesreiches zu werden.
V.16–17a Darum sagen wir: die Erben sind, was sie sind, durch
den Glauben, so dass es wiederum heißt: aus Gnade, und die Ver
heißung Geltung hat für den ganzen Stamm Abrahams, nicht nur
für den, der durch das Gesetz, sondern auch für den, der durch den
Glauben sein Stamm ist; denn er ist unser aller Vater, wie geschrie
ben steht: Zum Vater vieler Völker habe ich dich gesetzt.
« Darum durch den Glauben ». Wir wissen, was wir sagen. Es be
steht keine andere Möglichkeit als die, eben das zu sagen. Israels Ge
setz, Geschichte und Religion ist die Form, innerhalb derer es ein
Anwärter des himmlischen Erbes sein kann, nicht aber die schöpfe
rische Kraft, durch die es etwa tatsächlich dazu würde. Sofern es Kraft
ist, ist das Gesetz vielmehr Erdkraft, Weltkraft, Gegenkraft, die es
tatsächlich unmöglich macht, mit Abraham Erbe des Gottesreiches zu
sein. Die Gewissheit, Abrahams Kind zu sein, die Realität des Schöp
fungsaktes, durch den aus Steinen Abrahams Kinder werden (vgl. Mt.
3,9 par.), liegt nicht in der möglichen Möglichkeit des Gesetzes, son
dern in der unmöglichen Möglichkeit des Glaubens .
189
« So dass es wiederum heißt: aus Gnade, und die Verheißung Gel
tung hat für den ganzen Stamm Abrahams». Also noch einmal sind
wir bei der Überlegung dessen, was Abraham zum Abraham macht
(4,1 ), über die Grenze des direkt Anschaulichen hinausgedrängt und
auf eine ursprüngliche Beziehung verwiesen , die, indem sie die Seele
Abrahams begründet und die Geschichte Abrahams geschehen lässt,
zugleich jenseits seiner Seele und seiner Geschichte liegt. « Aus Gna
de» ist Abraham Abraham . «Aus Gnade» hat das Gesetz Bedeutung,
die Geschichte einen Sinn, die Religion eine Wahrheit. «Aus Gnade»
heißt aber: im Lichte der Todeslinie, die die absolute Grenze alles
menschlich Anschaulichen ist (und eben als solche von Gott aus | 115 |
die Lebenslinie), das letzte Nein , das allein auch ein Ja enthalten, das
letzte Gericht, das allein auch zur Rechtfertigung werden kann. In
dem diese Beziehung sich enthüllt, erfüllt der historisch -psychologi
sche Rahmen «Abraham» und « Israel» seinen Zweck, wird das Gesetz
« aufgerichtet» (3,31 ). Wir reden von Abraham , und wir müssen von
Christus reden. Wir reden von Abrahams Glauben, und wir müssen
von der in Christus angekündigten universalen Krisis des Diesseitigen
und Jenseitigen reden. Wir reden von Abrahams Kindern, und wir
müssen von allen reden, die, von dieser Krisis betroffen, an der Auf
erstehung des Christus teilnehmen. Sind die Erben, was sie sind, nicht
durch das Gesetz, sondern « durch den Glauben», nicht kraft ge
schichtlich-seelischer Hergänge und Zustände, sondern aus Gnade,
dann ist es klar, dass die Zugehörigkeit zu der Zahl dieser Erben nicht
gebunden sein kann an die Zugehörigkeit zu einem «durch das Gesetz »
konstituierten Abrahamsstamm , zu einem historischen Israel, an die
Teilnahme an einer historisch zu umschreibenden Überlieferung und
Unterweisung, an einer besondern Bewegung oder Sache. Denn bei
solcher Beschränkung der « Erben» wäre ja das Erbe selbst mehr als
zweifelhaft (4,14-15 ). Als Empfänger der Verheißung « durch den
Glauben» steht Abraham selbst außerhalb aller historisch zu um
schreibenden Kreise. So steht auch sein Same, sein Stamm als solcher:
als das Geschlecht der Glaubenden immer außerhalb. Ja, auch die
durch die Überlieferung und Unterweisung des Gesetzes seine Kin
der sind, können mit ihm Anwärter des Messiasreiches und Gesegnete
Gottes werden. Auch innerhalb jener menschlich zu bestimmenden
Kreise kann jene entscheidende ursprüngliche Beziehung stattfinden.
190
Gott ist auch der Juden Gott (3,29). Aber nicht nur der Juden Gott.
Zum Hinweis auf Offenbarung kann die Treue Gottes die Menschen
auch immer in andern historisch-psychologischen Zusammenhängen
führen. Ist der Glaube allein der Schöpfer der Abrahamskindschaft,
dann ist alle Sektiererei, die grobe und die feine, erledigt. Das Wort,
das «aus Gnade» an Abraham gerichtet ist und das «durch den Glau
ben» von Abraham gehört wird, es duldet grundsätzlich keine eso
terische Verengerung, es gilt grundsätzlich jedem, der Menschenant
litz trägt. Es ist der Schnitt, der, senkrecht von oben, durch alle
menschlichen Zusammenhänge hindurchgeht, ihrer aller Begrün
dung, indem er ihrer aller Aufhebung ist: ihr Zusammenhang in Gott.
Legen wir aus oder legen wir ein, wenn wir sagen: Wir richten das
Gesetz auf, das ist der Sinn des Gesetzes, dass Abraham unser aller
Vater ist in Christus ? Was steht geschrieben ? « Zum | 116| Vater vieler
Völker habe ich dich gesetzt» (Gen. 17,5). Ja, der Vater des einen Vol
kes Israel ist Abraham . Aber wir haben gesehen: gerade dieses einen
Volkes Vater in Christus – und darum zugleich der Vater der vielen
Völker. Ist es nicht offenkundig, dass der Rahmen der Geschichte
gesprengt wird in dem Augenblick, wo die Geschichte ihr Geheimnis
enthüllt ? Wir haben keinen Anlass, das Licht der Geschichte zu
scheuen; sie kann nicht anders als zeugen : von dem einen für die vie
len, von der Vergebung für die Sünder. « Da sie das hörten, schwiegen
sie, lobten Gott und sprachen: So hat Gott auch den Heiden Buße
gegeben zum Leben! » (Act. 11,18 ).
4,175–25
V. 17b Abraham ist unser aller Vater (4,16) vor Gott, an den er glaub
te: der die Toten lebendig macht und das Nicht-Seiende anspricht
als Seiendes.
« Vor Gott, an den er glaubte», ist Abraham unser aller Vater. Nie ist
die Geschichte, nie die geschichtliche Persönlichkeit des Menschen
ganz ohne dieses ungeschichtliche Oberlicht: «vor Gott, an den er
191
glaubte». In diesem Oberlicht verliert sich die Vereinzelung des Ein
zelnen, die Vergangenheit des Gewesenen, die Entlegenheit des Fer
nen, die Getrenntheit des Besonderen, die Zufälligkeit des Persönli
chen. In diesem Oberlicht erscheint die Gleichzeitigkeit, die einheit
liche Wichtigkeit und Würde alles Geschehens. In diesem Oberlicht
gesehen redet die Geschichte als überlegene Meisterin mit dem Leben
(«historia vitae magistra»). Um dieses Oberlichts willen, nur um
seinetwillen, lauschen wir der Stimme der Geschichte. «Das Unhi
storische ist einer umhüllenden Atmosphäre ähnlich, in der sich Le
ben allein erzeugt, um mit der Vernichtung dieser Atmosphäre wieder
zu verschwinden. ... Wo finden sich Taten, die der Mensch zu tun
vermöchte, ohne vorher in jene Dunstschicht des Unhistorischen
eingegangen zu sein ? ... Sollte einer imstande sein, diese unhistorische
Atmosphäre, in der jedes große geschichtliche Ereignis entstanden ist,
in zahlreichen Fällen auszuwittern, so vermöchte ein solcher vielleicht
als erkennendes Wesen, sich auf einen überhistorischen Standpunkt
zu erheben, er wäre davon geheilt, die Historie von nun an noch
übermäßig ernst zu nehmen; hätte er doch gelernt, an jedem Men
schen, an jedem | 117| Erlebnis, unter Griechen oder Türken, aus einer
Stunde des ersten oder des neunzehnten Jahrhunderts, die Frage sich
zu beantworten, wie und wozu gelebt wird » (Nietzsche)." Mythisch
oder auch mystisch nennt die Ängstlichkeit des linearen Denkens die
ses Oberlicht der Geschichte, die « unhistorische Atmosphäre» des
Lebens, wir aber möchten gerade auf der kritischen « Linie, die das
Übersehbare, Helle von dem Unaufhellbaren und Dunklen scheidet >>
(Nietzsche) , die ungeschichtliche, d. h. aber ur- geschichtliche Be
dingtheit aller Geschichte, das Licht des Logos aller Geschichte und
alles Lebens erkennen. « Vor Gott, an den er glaubt», ist Abraham
16
Calvin, col. 86: «Historiam esse vitae magistram vere dixerunt ethnici: sed
qualiter ab ipsis traditur, nemo in ea tuto proficiat: sola scriptura sibi iure
vindicat eiusmodi magisterium. »
17 Fr. Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen, Zweites Stück: Vom Nut
zen und Nachtheil der Historie für das Leben, NW, 2. Bd, Leipzig o.J. S. 136–
139 (NWKG, 3. Abt., 1. Bd, Berlin/New York 1973 , S. 248, Z. 32–34, S. 249,
Z.9–11 , S. 250, Z. 11-15 , S. 250, Z. 31 – S. 251 , Z. 2) (NW, S. 138f.; NWKG,
S. 250, Z. 13 : «auszuwittern und nachzuathmen, so»; Z. 31f.: «er wäre selbst
davon
18
geheilt»; S. 251 , Z. 2: «wie und wozu gelebt werde»).
A.a.O., S. 248 , Z. 2f..
192
unser aller Vater. Glaube als absolutes Wunder, als reiner Anfang, als
ursprüngliche Schöpfung, d. h. aber die unbekannte Bezogenheit be
kannter Hergänge und Zustände auf den unbekannten Gott, das ist
das Erkenntnisprinzip und die zeugende Kraft der Gestalt Abrahams,
das Erkenntnisprinzip und die zeugende Kraft der Geschichte ( als
Geschehen und als Gesicht und Bericht vom Geschehenen). Dass
Abraham «unser Vater nach dem Fleische» ist (4,1 ), das bewährt und
erfüllt sich nicht wiederum im Fleische, im Anschaulichen, sondern in
dem Unanschaulichen, dass er unser aller Vater ist vor Gott.
Vor Gott, « der die Toten lebendig macht und das Nicht-Seiende
anspricht als Seiendes ». Dadurch unterscheidet sich der Glaube als
Erkenntnisprinzip und zeugende Kraft der Geschichte von aller Hin
terweltlichkeit des Mythus und der Mystik. Ihm handelt es sich nicht
um eine jener Überhöhungen, Vertiefungen und Bereicherungen des
Diesseits durch das Jenseits einer «innern» !9 oder auch « höhern»
Welt, nicht um eine jener kosmisch-metaphysischen Verdoppelun
gen , Verdrei- oder Versiebenfachungen des gegebenen Bestandes uns
res Lebens und Daseins, sondern um den letzten und einzigartigen ,
weil übergangslosen Kontrast des Lebens zum Tode, des Todes zum
Leben, des Seienden zum Nicht-Seienden, des Nicht-Seienden zum
Seienden. Jenseitiges Leben und Sein ist für ihn das, was vom diessei
tigen Leben und Sein aus nur Tod und Nicht-Sein, und wiederum
diesseitiges Leben und Sein das, was vom jenseitigen Leben und Sein
aus nur Tod und Nicht-Sein heißen kann. Im Oberlicht dieser kriti
schen Linie haben wir die Gestalt Abrahams gesehen. Ein Übergang,
eine Entwicklung, ein Aufstieg oder gar Aufbau von hier nach dort ist
grundsätzlich ausgeschlossen. Denn das hierseitige Anheben solcher
Bewegung kann von « dort» aus nur Tod und Nicht-Sein bedeuten.
Und das dortseitige Endigen solcher Bewegung ist von hier aus ge
S
2. Abdruck ( 1923'): «vor» ,
t
2. Abdruck ( 1923 '), von der Vorlage bei Eberle abweichend : «rechten
wahrhaftigen» .
22
Calvin, col. 84: «Quae circa sunt, omnia Dei promissionibus adversantur.
Immortalitatem pollicetur: nos mortalitate et corruptione circumdamur. Pro
iustis se nos habere pronuntiat: peccatis sumus cooperti. Propositum se ac
benevolum nobis esse testatur: indicia externa iram eius minantur. Quid ergo
agendum ? Nos ac nostra omnia clausis oculis praeterire decet, ne quid nos
impediat, vel remoretur quominus Deum credamus veracem.»
196
Abraham getan hat, derselbe ist gerecht vor Gott; denn er hat einen
solchen Glauben, der Gott seine gebührende Ehre gibt, d.i. er gibt
Gott, was er ihm schuldig und pflichtig ist. ... Denn also sagt der
rechtschaffene Glaube: Mein lieber Gott, ich glaube dir gern alles, was
du sagst. Was sagt aber Gott? Soll hier die Vernunft für sich antworten ,
so sagt sie, es seien nur eitel unmögliche, erlogene, närrische, schwa
che und geringe, ungereimte, ja greuliche, ketzerische und teuflische
Sachen, davon Gott redet. Denn was könnte vor der Vernunft so lä
cherlich, töricht und unmöglich sein wie das, was Gott zu Abraham
sagt ? ... Also sind alle Artikel unsres christlichen Glaubens, so uns
Gott durch sein Wort eröffnet hat, vor der Vernunft stracks unmög
lich, ungereimt, erlogen ... Der Glaube aber ist also geschickt, daß er
der Vernunft den Hals umdreht und erwürgt die Bestie, welche sonst
die ganze Welt samt allen Kreaturen nicht erwürgen können. Wie
aber ? Er hält sich an Gottes Wort, lässet es recht und wahr sein, wenn
es noch so närrisch und unmöglich lautet. Also hat Abraham seine
Vernunft gefangen genommen ... also tun auch alle andern glaubigen
Menschen, so mit dem Abraham in das Dunkel und verborgene Fin
sternis des Glaubens eingehen, erwürgen die Vernunft und sagen: Hö
rest du wohl, Vernunft ? eine tolle blinde Närrin bist du, verstehest
von Gottes Sachen kein Meitlein nicht, drum mache mir nicht viel
Possen mit deinem Widerbellen, sondern halte dein Maul und
schweig! untersteh' dich nicht über Gottes Wort Richterin zu sein,
sondern setze dich, höre, was dir dasselbige sage und glaube ihm! Also
würgen die Glaubigen diese Bestie, welche sonst die ganze Welt nicht
erwürgen kann, und tun damit unserm Herr Gott den allerangenehm
sten Gottesdienst, so ihm immermehr geschehen mag. Gegen diesem
Opfer und Gottesdienst der Glaubigen sind allerlei Opfer und Got
tesdienste, so je gewesen sind bei allen Heiden samt allen Werken aller
Mönche und Werkheiligen auf Erden ein eitel Nichts » (Luther).23
u
1. Abdruck ( 19222): «Einen Vergangenen ».
25 Fr. Nietzsche, a.a.O. (s. oben S. 192, Anm. 17), NW, S. 184-187 (NWKG,
S. 289, Z. 34 - S. 290 , Z. s; S.290, Z. 25-30) (NW, S. 184f., NWKG, S. 290, Z. 3:
«wissens-
26
und bewahrungswürdig» ).
Vgl. S. Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, übersetzt von H. Gott
sched, KGW 8 , Jena 1911 (SKS 11 , S. 113–242) .
201
ches»27 und – Gleiches zu Gleichem. Kein redender Mund der Ver
gangenheit ohne das hörende Ohr der Gegenwart. Das Werk der
Weisheit in der Genesis könnte ja auch rückgängig gemacht, das
Oberlicht, das auf ihr liegt, wieder abgeblendet, das Nacheinander der
Zeiten, das Nebeneinander der Verhältnisse, die Mannigfaltigkeit des
Verschiedenen in den historischen Menschen, die an sich wirkliche
und vielleicht interessante Fülle stummer Gesichte wiederhergestellt,
der Beduinenhäuptling Abraham könnte wieder in unendliche räum
liche und zeitliche Ferne und Fremdartigkeit gerückt werden . Das
Selbstgespräch des Gleichzeitigen bricht dann zunächst ab, weil die
Gegenwart offenbar in der Vergangenheit keine ihrer würdige Part
nerin gefunden hat - oder auch umgekehrt. Warum nicht ? Die bloße
Analyse ist auch ein Weg, wenigstens in Zeiten großer Geistesarmut.
Irgend einmal | 124 wird ja auch sie ihre Grenze erreichen, z. B. fest
stellen müssen, dass Abrahams Persönlichkeit -unhistorisch ist, und
damit steht sie selber wieder vor der gebieterischen Notwendigkeit
der Synthese, von der die Genesis ausgeht. Wir haben letztlich gar
nicht die Möglichkeit, eine andere Art von Historie als die der Gene
sis, eine bloß analytische Historie zu treiben, und besser wäre es,
daran von vornherein zu denken. Wir sind nun einmal in das Selbst
gespräch des Gleichzeitigen in Vergangenheit und Gegenwart verwik
kelt. Die Genesis sagt uns nun einmal von Abraham das, was uns
angeht, auch wenn unser Bewusstsein davon sehr schwach ist, und
was wir werden hören müssen, auch wenn unsere Betrachtungsweise
einer solchen Gestalt eine sehr andere ist als die der Genesis. Denn
«wir glauben an den, der den Herrn Jesus von den Toten erweckte» .
Wir stehen schon in der Problematik, die uns die Genesis als die Pro
blematik des Lebens Abrahams zeigt: auf der Grenze zwischen Tod
und Leben, zwischen dem tiefen Gefallensein des Menschen, das die
Verneinung Gottes bedeutet, und der Gerechtigkeit Gottes, die die
Verneinung des Menschen bedeutet. Wir stehen mit dem Abraham der
Genesis, der noch viel «unhistorischer», ist als die Analytiker sich
träumen lassen, vor der Unmöglichkeit der Erkenntnis, vor der Un
27 Dass nur « Gleiches durch Gleiches erkannt wird», ist die - von Nietzsche
in dem von Barth im vorangehenden Abschnitt zitierten Text als Forderung
wiederholte – Zusammenfassung der Erkenntnistheorie des Empedokles (vgl.
Fragment B 109; Aristoteles, Metaphysik, III 4, 1000b sf.).
202
möglichkeit der Auferstehung, vor der Unmöglichkeit der in Gott
begründeten und von Gott zu erwartenden Einheit von Diesseits und
Jenseits. Wir glauben - und wir wissen, dass wir hinzufügen müssen:
wir wissen von unserm Glauben nur das, dass er immer auch Unglau
be ist. Wir wissen aber auch, dass er als Glaube, als das, was wir nicht
wissen, mit dem Glauben Abrahams die Umkehrung aller Dinge ist,
der Tod unsres Todes, das Nicht-Sein unsres Nicht-Seins (4,17). So
fern wir alle nicht glauben , bleibt auch uns allen unter andern mögli
chen Möglichkeiten die der analytischen Kritik, die sich bewusst an
den Abraham hält, der uns nichts angeht noch angehen kann. Sie zu
verdächtigen oder zurückbinden zu wollen, wird uns nicht einfallen.
Auch sie wird ja schließlich die Krisis, die Krankheit zum Tode, in der
wir uns befinden, nicht aufhalten können, sondern in ihrer Weise be
schleunigen müssen. Sie wird ja schließlich nur bewähren können ,
dass der historische Abraham uns wirklich nichts angeht. Und in dem
Maße, als sie das wirklich tut, eröffnet sie den Ausblick auf den un
historischen Abraham der Genesis, auf die Notwendigkeit der Syn
these, auf die unmögliche Möglichkeit, dass wir es alle auch wagen
dürften, mit unserm Glauben zu rechnen. | 125 |
203
5. Kapitel
DER NAHENDE TAG
S , I - II
205
ihrem Ausgangspunkte. Und dieser Ausgangspunkt bedeutet für uns
das Ende aller Anschaulichkeit und Begreiflichkeit. Nur am Ende des
alten Menschen kann uns der Anfang des neuen anschaulich werden,
nur am Kreuze des Christus der Sinn und die Wirklichkeit seiner
Auferstehung. Wir können nur immer und überall, und immer und
überall aufs Neue – glauben, auch glauben, dass wir glauben. Eine
anschauliche, historisch -psychologische Bestimmung und Abgren
zung der Glaubenden gegenüber den Nicht-Glaubenden ist unmög
lich. Unser aller Hände sind und bleiben - anschaulich – leer. « Wir
sind wie Gräser auf dem äußersten Rande eines steilen Abhanges, auf
einer Höhe, wo nichts mehr wächst. Dort unten in den Tälern reichen
hohe Eichenbäume mit ihren Wurzeln bis tief hinein in die Erde. Wir
aber sind die Schwachen, Kleinen , von der Erde aus kaum Sichtbaren;
wir stehen unbeschützt vor allen Winden und Stürmen, fast wurzel
los, fast verwelkt. Dafür stehen wir früh morgens, wenn die Wipfel
der Eichen noch dunkel sind, schon im Licht; wir sehen das, was noch
niemand sieht; wir sind die ersten, die die Sonne des großen Tages
sehen; wir sind die ersten , die zu Ihm sagen: Wahrlich , Herr, kom
me !>» (Mereschkowski). Also, nämlich allein durch den Glauben, als
die Ersten, die die Ersten |127 |sind, weil die Letzten (vgl.Mt. 19,30
par.], wachsend, indem wir abnehmen (vgl. Joh. 3,30), groß als die
Kleinen, stark in unsrer Schwachheit (vgl. 2. Kor. 12,9), sind wir ge
recht vor Gott: Gott rechtfertigt sich vor uns, aber damit rechtfertigt
er eben auch uns vor ihm. Er nimmt uns gefangen, aber damit macht er
uns frei. Er verneint uns, wie wir sind, und bejaht uns eben damit als
die, die wir nicht sind. Er braucht uns, und er fängt eben damit sein
gutes Werk an in uns (vgl. Phil. 1,6]. Er ergreift Partei für uns, und so
wird seine Sache unsre Sache, sein Recht unser Recht. Er bekennt sich
zu uns. Er ist mit uns. Wir haben die Verheißung unsrer Errettung in
seinem Reiche. Wir sind schon Gottes in Hoffnung. Eben in der Ne
gation des alten bekannten menschlichen Subjekts vollzieht sich also
die Begründung des neuen Subjekts, in dem unanschaulichen Person
Sein Gottes die Konstituierung der menschlichen Persönlichkeit.
4 D. Mereschkowski, Zur Einführung. Bemerkungen über Dostojewski, in:
F.M. Dostojewski, Sämtliche Werke, unter Mitarbeiterschaft von D. Meresch
kowski hrsg. von Moeller van den Bruck, 1. Abt., Bd. IX/ 1 , München 1920
19.-28 . Tsd ., S. XVf.
206
« Wir haben Frieden mit Gott. » Der Mensch, den wir allein kennen,
der Mensch der Ungerechtigkeit, im Frieden mit dem Gott, den wir
nicht kennen, das ist das unerhörte Licht, in das wir durch den Glau
ben treten. Frieden mit Gott heißt Friedensschluss zwischen Mensch
und Gott, herbeigeführt durch eine von Gott ausgehende Verände
rung der menschlichen Haltung, durch Herstellung der normalen Be
ziehung des Geschöpfs zum Schöpfer, durch Begründung der Liebe
zu Gott, die in der Furcht des Herrn ihren Anfang hat (vgl. Spr. 1,7],
d.h. aber der allein möglichen und wahrhaftigen Liebe, die der
Mensch zu Gott haben kann ( 5,5 ). Sofern wir nicht durch den Glau
ben gerecht sind vor Gott, befinden wir uns nämlich im Kriegszu
stand mit ihm: unsre Liebe zu ihm ist dann die die Distanzen verken
nende (zinzendorfisch -romantisch -indische) Gottinnigkeit ohne die
Furcht des Herrn, jene Gottinnigkeit, die in ihrem Wesen Nicht-Gott,
dem Gott dieser Welt (vgl. 2.Kor. 4,4) gilt ( 1,22f.), mit der wir uns
gerade unter den Zorn Gottes, in die Reihe seiner Feinde stellen (5,10 ).
« Friede mit Gott ist das Gegenteil von aller berauschten Sicherheit des
Fleisches» (Calvin ). Friede mit Gott ist die sachgemäße Ordnung der
Beziehung des Menschen (als Menschen!) zu Gott (als Gott! ). Friede
mit Gott ist also mehr als «ein seliges fröhliches Gefühl» (Kühl).
Solche Gefühle können diesen Friedensschluss begleiten oder auch
nicht begleiten, sie konstituieren ihn aber auf alle Fälle nicht. Kon
stituiert wird er durch die Befreiung der gefangen gehaltenen Wahr
heit ( 1,18), durch die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes (3,21 ),
durch den Glauben. Friede mit Gott ist aber auch weniger als « Leben
in der Wirklichkeit Gottes» (Kutter). Kein Einswerden von Gott und
Mensch findet statt, keine Aufhebung der Todeslinie, kein prolepti
sches Ansichreißen der Fülle Gottes, der Errettung und Enderlösung.
s Calvin, col. 89: «Ideo pax erga Deum ebriae carnis securitati opponitur» .
6
Kühl, S. 158 : «Unser Verhältnis zu Gott hat sich völlig neugestaltet: der
alte, unselige Zustand des Mißtrauens und der Feindschaft wider Gott ist ver
schwunden, und ein seliges, fröhliches Gefühl des Friedens im Verkehr mit
Gott hat seinen Einzug in unser Herz gehalten. »
7 H. Kutter, Gerechtigkeit (Römerbrief Kap.I - VIII). Ein altes Wort an die
moderne Christenheit, Berlin 1905 , S. 133: « Der Glaube weiß nichts von einer
religiösen Auffassung der Dinge. Er lebt in der Wirklichkeit Gottes. » In Barths
Exemplar ist der zweite Satz (ausgenommen das erste Wort) blau unterstri
chen, am Rand steht ein großes Fragezeichen.
207
Es bleibt der Streit zwischen Geist und Fleisch, Fleisch und Geist (vgl.
Gal. 5,17] in |128)seiner ganzen Schärfe. Es bleibt der Mensch Mensch
und Gott Gott. Es bleibt die Notwendigkeit des Glaubens. Auch
nicht das Geringste von seinem paradoxen Charakter kann dem Glau
ben abgenommen werden. Auch nicht im Geringsten hört der Mensch
etwa auf, ein Wartender, nur ein Wartender zu sein, ein Hoffender, der
nicht schaut (8,24). Er wird aber durch den Glauben ein nur auf Gott
Wartender, und das eben ist sein Frieden mit Gott. Mitten drin also
zwischen menschlichem Gefühl und göttlicher Wirklichkeit liegt die
Bedeutung und Kraft des Friedenhabens des durch den Glauben Ge
rechten. Wo dann ? Genau dort, wo die Besinnung auf das, was Gott in
Christus ist, nach links und rechts zur kritischen Unterscheidung und
Verbindung wird.
« Durch unsern Herrn Jesus Christus». Es muss dabei bleiben, dass
dieses Friedenhaben allein in Gott begründet und wirklich ist und
nirgends sonst. Gottes Werk an uns ist es, vollzogen durch die An
schauung des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Also nicht
Ergebnis eines seelischen Vorgangs, eines menschlichen Aufschwungs.
Sofern der Glaube das auch ist, ist er nicht Gerechtigkeit vor Gott,
kann er die sachgemäße Ordnung zwischen uns und Gott nicht auf
richten . Kraft seines unanschaulichen, unhistorischen Inhalts, kraft
der Wende vom Leben zum Tode zum Leben in Christus ist der Glau
be die Macht, die uns selbst aufhebt und mit Gott versöhnt.
V. 2 Durch ihn haben wir ja auch im Glauben * den Zugang
erhalten zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der
Hoffnung der Herrlichkeit Gottes.
« Durch ihn haben wir im Glauben den Zugang zu dieser Gnade.»
Der Friede des neuen Menschen mit Gott illustriert sich selbst durch
die problematisch-verheißungsvolle Existenz des Apostels. Er steht in
«dieser Gnade», nämlich in der Gnade, der Apostel des Christus Jesus
Calvin, col. 89: «Sensus enim Pauli est, quamvis nunc in terra peregrinen
tur fideles, fiducia tamen sua coelos transcendere, ut futuram haereditatem
tranquilli in sinu foveant. »
II
Vgl. bei Plato z. B. Theaitetos, 184a 8 – b 2.
210
«es ist» für uns immer in dem liegen muss, was es – nicht ist. Keine
Identifikation des neuen Menschen mit dem alten ohne das Bewusst
sein, dass zwischen hier und dort die ungeheuerliche Prädikation
«ich - glaube» zu vollziehen, das furchtbare Tal des Todes'2 im Glau
ben zu durchschreiten ist. Ja, «wir rühmen uns », wir sind uns eines
letzten Haltes und Trostes und Stolzes bewusst, der uns mit dieser
Hoffnung gegeben ist. Aber dieses Letzte werden wir immer wissen
und bedenken - nie ausspielen, nie geltend machen als unsern Besitz
(2,17.22; 3,27; 4,2), nie ausrufen als unser Erlebnis, als eine mögliche
(historische oder persönliche) Möglichkeit – sind wir doch davor be
wahrt dadurch, dass wir das gar nicht ausrufen können, beruht es doch
auf dem von Gott aus ergehenden Rechtsspruch, der uns groß macht,
indem er uns demütigt (vgl. Ps. 18,36 ], den wir nur vernehmen , nie
nachbuchstabieren können.
V.3-5 Aber nicht nur das - wir rühmen uns auch der Bedräng
nisse, weil wir wissen: die Bedrängnis verschafft Beharrlichkeit, die
Beharrlichkeit aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung,
die Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe
zu Gott ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen
Geist, der uns gegeben ist.
« Wir rühmen uns auch der Bedrängnisse. » Das Bewusstsein von
jenem letzten Halt, Trost und Stolz betätigt und bewährt sich nicht
nur dann, wenn die äußere und innere Lebenslage des Menschen hoff
nungerweckend ist und ihm den Ruhm fast auf die Lippen legen will.
Die Position der «Hoffnung der Herrlichkeit Gottes» ( 5,2) ist eine
Position höherer Ordnung, so gewiss |131|die ihr entsprechende Ne
gation: unser «Entbehren der Herrlichkeit Gottes » (3,23 ) eine Nega
tion höherer Ordnung ist. Dieses Ja sowohl wie jenes Nein sind nicht
gebunden an das Ja und Nein unsrer zufälligen Lebensinhalte. Es
kann sich also nicht etwa darum handeln, dass der Friede des Men
schen mit Gott, die Gnade, in der der Apostel steht, im Spiegel seiner
12 Zur Wendung « Tal des Todes » vgl. Ps. 23,4 (Vg (iuxta Hebr.]) und die Ode
von Fr.G. Klopstock « Frühlingsfeier» (in: Oden, hrsg. von K. L. Schneider,
Stuttgart 2003 , S. 61 ):
Du wirst die Zweifel alle mir enthüllen,
O Du, der mich durch das dunkle Tal
Des Todes führen wird !
2II
äußern und innern Verfassung als « Glück», als Zufriedenheit, als stoi
sche Ataraxie"}, als Optimismus zur Erscheinung kommen müsse, so
wenig die Erkenntnis des göttlichen Zornes und Gerichts mit Pessi
mismus, Weltverneinung und Weltflucht an sich etwas zu schaffen hat.
Das Ja des Glaubens betätigt und bewährt sich als Ja auch im Nein der
zufälligen Lebensinhalte, weil es in Gott begründet ist und in Gott
seinen Inhalt hat, so gewiss auch das Nein des Glaubens Nein ist und
bleibt, auch wo das Leben zufällig Ja sagt, weil auch es aus Gott ist und
Gott meint. Also die «Bedrängnisse, die Notlage des Menschen in
der Welt, das « Verderben des äußern Menschen » (2.Kor. 4,16), das
sich bis auf sein innerstes Wesen und Sein erstreckt, die « Energie des
Todes», die der Apostel an sich erfährt (2.Kor. 4,12), das «Auswendig
Streit, inwendig Furcht», in dem er steht (2. Kor. 7,5 ), und das tatsäch
liche Bedrängt- und Erschüttertsein von dem allem, es bildet keinen
Widerspruch zu dem Frieden Gottes, in dem die durch Glauben Ge
rechten stehen, zu der Liebe zu Gott, die in ihre Herzen ausgegossen
ist ( 5,5), es ist kein pudendum des Glaubens, das etwa einer Theodizee
oder gar einer direkten Beseitigung bedürfte, um dem Glauben wieder
Luft zu verschaffen. Die Theodizee in Betreff des Übels und seine
Beseitigung ist schon gegeben durch das Wort, durch das Gott sich
selbst rechtfertigt, den Glaubenden als gerecht erklärt und zum Erben
seines Reiches (vgl. Jak. 2,5) einsetzt. Auch hier gilt: allein durch den
Glauben, durch den Glauben, der wohl zum Schauen drängt und
führt, der aber nicht auf das Schauen wartet, um auch ohne Schauen
Glaube zu sein (vgl. 2. Kor. 5,7), also Glaube in den Bedrängnissen
und im Bedrängtsein, nicht daneben, nicht erst nach äußerlich oder
innerlich glücklich überwundenen, gedämpften oder doch ertragenen
Bedrängnissen. Es gibt ein Seufzen, Murren und Schwachsein im Frie
den Gottes: «Dieser Text schließt stracks dawider, daß man sich nicht
kehre an solche Schwätzer, die da lauter starke Christen wollen haben
und keine Schwachen dulden, sondern es ist ein ewig Sehnen in ihnen,
und kommen in der Not, schreien: Abba Vater! Das ist ein gering,
schlecht, albern Wort vor der Vernunft. Aber Paulus sagt: Wo das
с
1. Abdruck ( 19222) und 2. Abdruck ( 1923 ?): «von» (vermutlich Versehen
des Setzers, bei Eberle: «vor der Vernunft» ).
13 Die Bezeichnung der Epikureer und Pyrrhoneer für das Ideal der Seelen
ruhe gegenüber Schicksalsschlägen und Außeneinwirkungen, die das Glück
des Weisen (Eudämonie) gefährden.
212
Geschrei gehet, da sind Kinder Gottes ! Und ist nicht not, allezeit stark
sein: dieweil Gott Jesum lässet sinken in alle Not des Kreuzes, so wird
er mit seinen Gliedern auch nicht anders |132 umgehen» (Luther).14 Es
gibt ein Leiden, ein Versinken und Verlorensein, eine Zerrissenheit im
Frieden Gottes: « Abraham schwebt zwischen Himmel und Erde,
ficht mit Gott und zerschneidet sein Herz in zwei Stücke. Ein Wort
sagt: Isaak soll der Same sein, das andre: er soll sterben. Da liegt im
Grunde die Hoffnung, die niemand zuschanden werden läßt, die den
Puff aushält» (Luther)." Im Frieden Gottes hat auch das Platz, was die
religiöse Welt Unglauben nennt, das «Mein Gott, mein Gott, warum
hast du mich verlassen ? » (Ps. 22,2; Mk. 15,34), die Anfechtung des
Todes und der Hölle: « Da soll sich niemand darüber täuschen, dass er
kein Christ, sondern ein Türke und Feind Christi ist, wenn er unan
gefochten sein will» (Luther).16 Geglaubt, geglaubt an die Erlösung
wird nicht in irgend einer Erlöstheit, in irgend einer proleptischen
Sicherheit, Gelassenheit, Harmlosigkeit und Heiterkeit, sondern mit
ten im Gewühl, mitten in der den Menschen bis aufs Innerste berüh
renden Verwirrung der unerlösten Welt. «Es geht in der Hoffnung zu.
Es steht im Werden . Hier gilt es stechen, fechten und schlagen, nicht
zurücklaufen vor den Feinden. Feldflüchtige werden erwürgt » (Lu
ther)." Gottes froh sein da, wo man seiner nicht froh sein kann, das ist
der « Ruhm» des durch den Glauben Gerechten.
« Weil wir wissen: Die Bedrängnis verschafft Beharrlichkeit, die Be
harrlichkeit aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung.» Nicht
213
nur in den Bedrängnissen rühmen wir uns, wir rühmen uns der Be
drängnisse. Wir können das Nein des zufälligen Lebensinhaltes be
jahen, so gewiss wir sehr oft sein Ja verneinen können und müssen .
Wie ist das möglich ? «Weil wir wissen», weil wir so oder so einen
Durchblick haben durch die Wirklichkeiten und Wichtigkeiten des
Augenblicks, weil wir wissen, was in jedem Gegenwärtigen das Ur
sprünglich -Endliche ist. Wissen wir es ? Nein, wir wissen es nicht. Wir
wissen, dass wir es nicht wissen. Aber Gott weiß es. Und sofern wir
glauben, wagen wir es, zu wissen, was Gott weiß. Und so wissen wir
das unmöglich zu Wissende: die Bedeutung und Kraft der Bedrängnis,
in der wir stehen. Todeskraft und Todesbedeutung hat sie zunächst.
Als Hinderung, Zerstörung und Negation unsres Lebens, als das
schreckliche Rätsel unsres Da-Seins und So-Seins, als lastender Fluch
unsrer Kreatürlichkeit, als Kundgebung göttlichen Zornes, als Schik
kung Nicht -Gottes, des Gottes dieser Welt (vgl. 2. Kor. 4,4), scheint
sie uns entgegen zu treten ( 1,18). Wir aber schauen – das Unanschau
liche: in Gottes Zorn Gottes Gerechtigkeit, im Gekreuzigten den
Auferstandenen, im Tode das Leben, im Nein das Ja, 133 ) in der
Schranke den Ausgang, im Gericht den nahenden Tag der Errettung.
Die Negation der Negation im Leiden des Christus ( 5,6), die unsre
Position ist, ändert das Vorzeichen auch unserer Bedrängnis: Das blo
Be Erleiden des Menschen wird zum Handeln Gottes des Schöpfers
und Erlösers, die Lebenshemmung zur Zubereitung für den Sieg des
Lebens, Abreißen zum Aufbau, Enttäuschung und Rückschlag zum
Eilen und Warten auf die Zukunft des Herrn (vgl. 2. Petr. 3,12], der
Gefangene zum Wächter ( 1,16). «Finsternis ist wie das Licht» (Ps.
139,12). Wir verstehen die Problematik des Lebens als solche, wir sind
uns unsrer Begrenztheit und Vergänglichkeit bewusst als einer nicht
zufälligen Notwendigkeit. Wir bejahen das uns in der Tatsache unsrer
Kreatürlichkeit entgegengestellte Nein, wir machen uns «vernünftig
schauend» ( 1,20) den Protest der Schöpfung gegen ihr Da-Sein und
So-Sein (8,19f.) zu eigen, wir anerkennen , dass es ein Gericht ist, unter
dem sie steht, und wir – lieben den Richter eben darum , weil er sich als
Richter nicht als identisch mit dem Gott dieser Welt ( vgl. 2. Kor. 4,4)
erweist, weil er als Richter sich zu erkennen gibt als der uns und
unserm Lebensinhalt gegenüber ganz Andere. Eben insofern wendet
sich aber unsre Bedrängnis, ohne deshalb aufzuhören, Bedrängnis zu
214
sein und von uns als solche empfunden zu werden. Wir werden leiden,
ja nach wie vor leiden, aber nicht mehr die passive, gefährliche, giftige,
zersetzende Bedrängnis und Verlegenheit, die über des Menschen See
le kommt, der seinen Richter nicht liebt (2,9), sondern die schöpferi
sche, fruchtbare, kräftige, verheißungsvolle Bedrängnis und Verle
genheit des Menschen, der sich von Gott aufgehoben, von Gott zu
Boden geworfen und an die Wand gedrückt, von Gott gefangen ge
halten weiß. Die Bedrängnis wird an uns zur Erhärtung, zur « Beharr
lichkeit », die Defensive zur Offensive, die höchste Fragwürdigkeit
unsrer Lage zur Bestätigung und Bestärkung in der Einsicht, dass von
Gott aus alles zum Heil so und nicht anders sein muss ( 8,28). Wir
zweifeln - aber an Gott. Wir stoßen an - aber an Gott. Wir scheitern -
aber an Gott. Auch die Gotteslästerung, bis zu der sich ein Hiob (vgl.
z. B. Hiob 31,35-37] offenbar versteigen kann, ist und bleibt Gottes
lästerung. Der Druck, unter dem wir stehen, erzeugt, indem er als
göttlicher Druck erkannt wird, göttlichen Gegendruck, erzeugt den
Gottestrotz, der dem Tode seine Macht nimmt (vgl. 2.Tim. 1,10), der
die Gewalt des anstürmenden Übels an sich reißt und gegen den Feind
kehrt. Sind wir aber in der Erkenntnis, dass Gott es ist, an dem wir
leiden und zerbrechen, auf Gott geworfen, an Gott gebunden und also
von Gott aufgehoben und getragen, so ist eben diese Tatsache die
«Bewährung» des Glaubens, der alles von Gott und von | 134| Gott
alles erwartet, die Probe auf das Exempel, die Aufforderung zu neuer
und immer neuer Hoffnung an der Pforte, wo man alle Hoffnung
fahren lässt . Ob diese Bewährung zugleich in einer « festen Seelen
stimmung» besteht (Lietzmann )' , ist mehr als fraglich, jedenfalls
nicht notwendig. - Weil wir diesen Weg (der kein Weg ist) wissen, im
Angesicht des Gekreuzigten und Auferstandenen denkend, was der
Mensch nicht denken kann, darum rühmen wir uns der Bedrängnisse.
18 Vgl. die Schlusszeile der Aufschrift auf dem Höllentor bei Dante Alighieri,
La Divina Commedia, Inferno III,9:
Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate!
19 Lietzmann, S. 56: «Wer in Trübsal geduldig ausharrt, wird endlich dóriuos,
ein Mensch von standhaftem Character; aus dieser festen Seelenstimmung er
wächst die zuversichtliche Hoffnung auf Erreichung des Zieles. »
215
«Die Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe
zu Gott ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der
uns gegeben ist. » «Den Menschen kommt immer wieder ein Zappeln
an, wenn er den Streit merkt» (Steinhoferd).20 Kein Zweifel: Indem
wir unsre Beharrlichkeit, Bewährung und Hoffnung nennen und set
zen als menschlich-anschauliche Gegebenheiten, müssen wir sie auch
sofort wieder streichen und preisgeben. Denn auch der beharrliche,
der bewährte, der hoffende Mensch wird sich tatsächlich seiner Be
drängnis nicht rühmen können: ‘was er als Mensch ist und was er als
solcher hat“, das wird, wahrheitsgemäß zu sagen, immer Bedrängtheit
sein. Aber unsere Hoffnung ist Glaubenshoffnung, sie steht und fällt
durchaus nicht mit dem Stehen und Fallen unsres Hoffens. Sie hat, wie
der Glaube, ihren Lebensnerv nicht in einer menschlichen Zuständ
lichkeit, sondern in dem ihr von Gott vorgehaltenen Ziel und damit
gegebenen Inhalt. Hoffnung als Ziel und Inhalt « lässt nicht zuschan
den werden » (Ps. 22,5–6; 25,20), auch wenn alles Hoffnungsvolle zu
schanden wird. Sie beharrt, auch wenn wir nicht beharren. Sie be
währt sich, auch wenn wir uns nicht bewähren. Und darum « rühmen »
wir uns der Hoffnung (5,2): weil sie nicht in einer Tat unsres kreatür
lichen Geistes, sondern in einer Tat des heiligen Geistes begründet ist:
in der Ausgießung der Liebe zu Gott in unsre Herzen durch den uns
gegebenen heiligen Geist. Der « heilige Geist » ist das Werk Gottes im
Glauben, die Schöpfungs- und Erlösungskraft des Himmelreichs, das,
nahe herbei kommend (vgl. Mt. 4,17 par.), im Glauben den Menschen
und seine Welt berührt und wie ein Glas zum Klingen bringt. Er ist das
ewige Ja, das den Inhalt des, zeitlich betrachtet, nur als Negation, nur
als Hohlraum zu beschreibenden Glaubens bildet. Er ist das Wun
derbare, das Anfängliche, das Schöpferische im Glauben, das Gott
Ebenbürtige, um dessenwillen Gott dem Glaubenden Gerechtigkeit
anrechnet (vgl. 4,3] . Er ist das unanschauliche, jenseits aller Konti
nuität mit dem psychologisch anschaulichen menschlichen Subjekt
konstituierte neue Subjekt, das vor Gott stehende und bestehende Ich
d 1. Abdruck ( 1922 ): « Rieger». Korrektur in Barths Handexemplar.
e- e
1. Abdruck ( 19222): «was er als Mensch ist und hat» . Korrektur teilweise
(«und was er hat») am Rand in Barths Handexemplar.
20 Steinhofer, S. 20; vgl. Rieger, S. 171 .
216
des Menschen, das im 11351 «religiösen Erlebnis» immer gemeinte,
immer gesuchte, nie zu findende «wir» des Glaubens, auf das sich die
unbegreiflichen Aussagen beziehen, dass «wir» Frieden mit Gott,
Zugang zu dieser Gnade haben, dass «wir» uns der Hoffnung der
Herrlichkeit Gottes rühmen ( 5,1.2). Er ist darum «gegeben», von
Gott gegeben, also immer allen menschlichen Gegebenheiten voraus
gegeben, von uns aus nur als nicht-gegeben anschaulich und begreif
lich. «Heiliger Geist, wirksamer Grund heiligen Lebens, war von
Natur nicht in uns, nun aber ist durch solchen die Liebe zu Gott in
unsern Herzen» (Hofmann ). Es gibt also ein «ich», ein «wir», ein
«Herz» des Menschen, das Gott zu lieben vermag. In und mit dem
von Gott Gegebenen, das den Menschen aufhebt, um ihn in Gott zu
begründen, ist es Tatsache, unerhörte Tatsache, dass dem Menschen
die «Unanschaulichkeit Gottes» ( 1,20) , die er sich so gerne verbergen
möchte und so merkwürdig leicht verbirgt - offenbar und zur An
schauung Gottes werden, dass er mit Hiob in dem unzweideutigen
Nein, das ihm aus der Problematik seines Da-Seins und So-Seins ent
gegenstarrt, endlich und zuletzt das göttliche Ja erkennen (vgl. Hiob
42,1-6.10-17 ], dass er dem Hinweis der zeigenden Hand des Grüne
waldschen Täufers22 folgen und dem Bilde tiefsten Todesschreckens
die Verheißung radikaler Errettung, höchster Seligkeit, ewigen Le
bens entnehmen kann. Liebe zu Gott ist das Unmögliche, dass das
Geschöpf seinen Schöpfer, der Verurteilte seinen Richter, der Über
wundene, ja Getötete seinen Feind, der Geopferte seinen Opferer
liebt nur darum , weil dieser als das alles und in dem allen - Gott ist
und weil es noch unmöglicher ist, Gott nicht zu lieben. In dieser Tat
sache, die der Mensch nie als «tatsächlich» an sich reißen und in Besitz
nehmen, sondern immer nur, immer aufs Neue nur als « Ausgießung »
von oben in Empfang nehmen kann, in dieser Liebe zu Gott (die doch
Gottes eigenes Werk ist, die nicht wäre, wenn er uns nicht zuerst
geliebt hätte 5,8 ! [ vgl. 1.Joh.4,19]), in dieser Anschauung des Unan
f-f
I. Abdruck ( 19222): «Aussagen, daß [...] rühmen, beziehen» . Korrektur in
Barths Handexemplar .
8 2. Abdruck ( 19233) : « in» .
21
Hofmann, S. 169; Hervorhebung von Barth.
22 Siehe oben S. 180, Anm. 12.
217
schaulichen (die doch nie anders unser ist, als sofern sie nicht «unser»
ist!) liegt der Ankergrund unsrer Hoffnung. Sie ist das Beharrliche in
unsrer Beharrlichkeit, das sich Bewährende in unsrer Bewährung, das
Hoffnungsvolle in unsrer Hoffnung. In ihrer Kraft lässt Hoffnung
nicht zuschanden werden. In ihrer Kraft rühmen wir uns der Hoff
nungund rühmen wir uns der Bedrängnisse. In ihrer Kraft haben wir
Frieden mit Gott und sind wir, was wir nicht sind: neue Menschen.
« Wie sollte uns, nachdem solches uns geschehen und in uns zu Wege
gebracht ist, die Hoffnung auf die Gottesherrlichkeit mit Schanden
bestehen lassen?» (Hofmann).23
V.6 Denn da wir noch schwach waren, starb Christus für uns,
die zeitlich betrachtet noch Ehrfurchtslosen.136|
Der Friede des neuen Menschen mit Gott ( 5,1 ) ist höher als alle
Vernunft (vgl. Phil. 4,7]. So auch seine Liebezu dem Unerforschlichen.
So auch seine in dieser Liebe begründete Hoffnung. So auch sein
Ruhm , ein Hoffender zu sein. Der neue Mensch lebt durch den Glau
ben; denn er lebt vom heiligen Geist. Der heilige Geist ist ihm aber
durch den Glauben gegeben. D.h. aber: er lebt vom Sterben des Chri
stus. Anschaulich wird das Leben des Christus, seine Auferstehung, in
der der Glaube seine Quelle hat (5,10), "in seiner oboedientia passivah24,
in seinem Tod am Kreuz: einzig und allein und ausschließlich in sei
nem Tod am Kreuz. Die Lehre vom munus triplexas ist eine Verdun
kelung und Abschwächung der konzentrierten neutestamentlichen
Auffassung. Es gibt kein zweites oder drittes anderes, das etwa selb
ständig neben diesen einzigen, alleinigen und ausschließlichen Sinn
des Christus treten könnte: weder Jesu Persönlichkeit noch die
23 Hofmann, S. 169: «Wie sollte uns nun, nachdem solches uns geschehen
und in uns zu Wege gebracht ist, die Hoffnung, deren wir uns durch unsern
Herrn Jesum Christum rühmen , die Hoffnung auf die Gottesherrlichkeit mit
Schanden bestehen lassen ? »
24 Als «oboedientia passiva» bezeichnete die altprotestantische Orthodoxie
das stellvertretende Leiden Christi (SchmP, S. 229.236; HPB, S. 358f.370.375 ).
25 Vgl. SchmP, S. 224–226; HPB, S. 356–363 .
218
Christusideea , weder seine Bergpredigt noch seine Krankenheilun
gen, weder sein Gottvertrauen noch seine Bruderliebe , weder sein
Bußruf noch seine Botschaft von der Vergebung, weder sein Kampf
gegen die überlieferte Religion noch seine Aufforderung zur Nach
folge in der Armut, weder die soziale noch die individuelle, weder die
unmittelbare noch die eschatologische Seite seines Evangeliums. Es
leuchtet von dem allen nichts in eigenem Licht. Es leuchtet aber das
alles in dem Licht, das von seinem Tod ausgeht. Keine Zeile der Syn
opse, die allenfalls auch ohne das Kreuz zu verstehen wäre. Das Reich
Gottes ist das Reich, das genau jenseits des Kreuzes anfängt, also
jenseits aller als «Religion» oder «Leben», Konservativismus und Ra
dikalismus, Physik oder Metaphysik, Moral oder Übermoral, Welt
freude oder Weltschmerz, Menschenliebe oder Menschenverachtung,
aktive oder passive Lebensgestaltung, aller als dies und das, so und so
aufzufassenden menschlichen Möglichkeiten. Der Gang Jesu ist we
sentlich ein Vorbeigehen an allen diesen Möglichkeiten, er ist grund
sätzlich in umfassendstem Sinn ein Abgang, eine Abwandlung aller
abgesehen vom Tode möglichen Positionen und Negationen, aller
Thesen und Anti-Thesen, alles Ruhenden und Bewegten, ein grüßen
26 Vgl. D.Fr. Strauß, Das Leben Jesu , kritisch bearbeitet, Bd. 2, Tübingen
1836, S. 734: « Wenn der Idee der Einheit von göttlicher und menschlicher Na
tur Realität zugeschrieben wird, heißt dieß soviel, daß sie einmal in einem
Individuum, wie vorher und hernach nicht mehr, wirklich geworden seinmüs
se ? Das ist ja gar nicht die Art, wie die Idee sich realisirt, in Ein Exemplar ihre
ganze Fülle auszuschütten, und gegen alle andern zu geizen, sondern in einer
Manchfaltigkeit von Exemplaren, die sich gegenseitig ergänzen, im Wechsel
sich setzender und wiederaufhebender Individuen, liebt sie ihren Reichthum
auszubreiten . Und das soll keine wahre Wirklichkeit der Idee sein? die Idee der
Einheit von göttlicher und menschlicher Natur wäre nicht vielmehr in unend
lich höherem Sinn eine reale, wenn ich die ganze Menschheit als ihre Verwirk
lichung begreife, als wenn ich einen einzelnen Menschen als solche ausson
dere?» Vgl. auch A. Schweitzer, Geschichte der Leben - Jesu -Forschung, Tübin
gen 1913?, S. 115f.
27 Vgl. P. Wernle, Einführung in das theologische Studium, Tübingen 1911 ,
S. 175: «Man muß in der paulinischen Apologetik dieselbe Gottesfreudigkeit
und in der paulinischen Kirchenarbeit dieselbe Bruderliebe heraushören, die
Jesus beseligt und angetrieben hat; dann ist der letzte, tiefste Zusammenklang
erfaßt.» S.493 spricht Wernle von der «geistigen Königsherrschaft, die Jesu
Gottesglaube und Bruderliebe in allen Herzen erobern soll».
219
des Abschreiten aller unter dem Gesichtspunkt des Todes in Front
gestellten menschlichen Dinge. Kraft dieses Abgehens, Abwandelns,
Abschreitens leuchtet das LebenJesu, leuchten in seinem Widerschein
auch die menschlichen Dinge: erkannt in ihrer Relativität, aber auch in
ihrem Beziehungsreichtum , erkannt als von Gott geschaffen, aber
auch als Gottes des Erlösers wartend , erkannt als klein und groß,
wichtig und unwichtig, vergänglich und unvergänglich, erkannt in der
kommenden Einheit ihrer Kontraste, ihres Ja und Nein, die keine
andere ist ( 137) als die Einheit des unanschaulichen, nur sub specie
mortis anschaulich werdenden Gottes (3,30). Von dieser Erkenntnis
und durch sie lebt der neue Mensch. Er lebt von dem Leben, das uns
nur als Sterben unseres Lebens anschaulich werden kann. Er lebt,
sofern uns dieses unanschauliche Leben im Sterben des Christus an
schaulich wird, vom Sterben des Christus. Christus ist « für uns ge
storben » . «Für uns», sofern dieses Sterben Erkenntnisprinzip unsres
Sterbens ist, sofern in diesem Sterben der unanschauliche Gott für uns
anschaulich wird, sofern dieses Sterben der Ort ist, wo die Versöh
nung mit Gott stattfindet (3,25; 5,9): wo wir, das vom Schöpfer abge
wandte Geschöpf, ihm liebend wieder zugekehrt werden, sofern in
diesem Sterben das Paradox der Gerechtigkeit Gottes (die Identität
zwischen seiner zürnenden Heiligkeit und seiner freisprechenden
Barmherzigkeit) für uns Wahrheit wird. Es steht also das Faktum, das
den neuen Menschen begründet, allen menschlichen Lebensinhalten
in grundsätzlicher Überlegenheit und Priorität gegenüber. Es war nie
unser Lebensinhalt und es wird es nie werden, weil es in seinem Wesen
die kritische Negation aller Lebensinhalte ist. Auch die höchsten re
ligiösen Erlebnisse u. dergl., die wir an Jesus, auch am gekreuzigten
Jesus machen können, gehören immer noch zu den Dingen, an denen
Jesus vorbeigegangen ist, um zu sterben. Sie dürfen mit jenem den
neuen Menschen begründenden Faktum nie verwechselt werden. Was
Christus getan hat, hat er durchaus ohne uns getan, sofern wir wir
sind. Ebenso wenig hat darum die in den (zeitlich betrachtet! ) dem
Kreuz fernliegenden Zonen und Geschlechtern stattfindende Abwe
senheit religiöser, am Kreuz Jesu gemachter Erfahrungen grundsätz
liche Bedeutung, etwa im Sinn einer Einschränkung jenes « für uns»
auf gewisse geschichtlich zu umgrenzende Bezirke. Die Christus nach
dem Fleische nicht sehen (vgl. 2. Kor. 5,16], in keinerlei Erlebnisver
220
hältnis zu ihm stehen, sind darum nicht weniger mit Gott versöhnt in
ihm als andre. «Er hat, im Geiste hingegangen, auch den Geistern im
Gefängnis gepredigt » ( 1.Petr. 3,19). Unanschaulich, jedem psycho
logisch-historischen Zusammenhang zwischen uns und Jesus gegen
über im Verhältnis des Unmöglichen zum Möglichen, des Todes zum
Leben, des Nicht-Seins zum Sein, als satisfactio vicaria28 steht die in
ihm geschehene Versöhnung neben allem, 'was wir sind, haben und
tun. Er starb für uns, als wir (in dem, was wir sind, haben und tun')
noch schwach, als wir noch Ehrfurchtslose waren , und wie sollte sich
dieses Verhältnis zwischen ihm und uns, zwischen seinem Todesleben
und den fraglichen, immer noch nicht ins Licht des Todes gerückten
Lebensmöglichkeiten, innerhalb derer ( 138) wir (als wir!) uns bewe
gen, etwa grundsätzlich verändern ? Wie sollten wir als die « Leben
den», zeitlich betrachtet, abgesehen vom Glauben, durch den wir sel
ber mit Christus Sterbende werden, nicht immer wieder schwach und
ehrfurchtslos neben , ihm dem Sterbenden , stehen ? Eben dieses Ster
ben mit Christus, kraft dessen wir werden, was wir nicht sind, be
gründet das Leben des neuen Menschen.
V.7-8 Denn kaum dass Einer für einen Gerechten sterben
wird - odermag es denn also Einer wagen, für einen solchen Guten
zu sterben: Gott aber beweist seine Liebe gegen uns damit, dass
Christus für uns starb, da wir noch Sünder waren.
Der neue Mensch lebt nicht von einer anschaulichen direkten Mit
teilung. Er lebt nicht etwa von ihm mitgeteilten Lebenswerten und
also von seiner Fähigkeit, sich solche Lebenswerte mitteilen zu lassen.
Auch dann nicht, wenn diese Mitteilung etwa durch den Vorgang des
Sterbens eines andern oder allenfalls sogar durch den Vorgang des
eigenen Sterbens stattfinden sollte. Solche direkte Mitteilung und sol
che Empfänglichkeit dafür findet ja statt in den seltenen, aber immer
hin möglichen und vorkommenden Fällen, wo ein Mensch für andre
stirbt, eine Mutter an der Geburt ihres Kindes, ein Mann an berufli
cher Überarbeitung, ein Arzt oder Missionar in seinem Dienst, ein
i-i Nicht ausgeführte Verbesserung: in den beiden Sätzen hätte es laut Kor
rektur in Barths Handexemplar jeweils heißen sollen: «was wir sind, was wir
haben und tun » .
30 Calvin, col. 93 : «In hoc enim apparet eius dilectio, quod amore non pro
vocatus sponte nos prior dilexit, ut ait Iohannes. »
223
Es ist die Überlegenheit der im Sterben des Christus eröffneten
Gewissheitsquelle, die Überlegenheit des « durch sein Blut» bezeich
neten Ursprungs göttlicher Mitteilung, die den neuen Menschen, die
seine Liebe zu Gott, seine in dieser Liebe begründete Hoffnung und
seinen Ruhm, ein Hoffender zu sein, charakterisiert. Sofern wir leben
aus dieser Quelle, aus diesem Ursprung, sofern wir es also wagen , zu
glauben, sind wir, was wir nicht sind: neue Menschen, das neue Sub
jekt in Beziehung auf das neue Objekt, die von Gott Geliebten und
darum die Gott Liebenden, die mit Hoffnung Beschenkten und dar
um die Hoffenden, die von Gott Erwählten und darum die sich in
Gott Rühmenden. Wir stehen als neue Menschen wartend und eilend
(vgl. 2.Petr. 3,12) im Lichte jenes « Jetzt aber» (3,21 ) unter der über
hängenden Wand der Krisis des Menschen in Gott, unter jenem « Wo
her?», das die Frage aller Fragen und die Antwort aller Antworten ist.
Wir sind die von Gott als gerecht Erklärten : die, vor deren (erblin
deten ! ) Augen Gott sich selbst als Gott gerechtfertigt, die er für sein
Recht und Reich in Anspruch genommen, die er unter das Trotzdem !
seines Willens, den Menschen zu helfen , unter die Vergebung, unter
den Schirm seines (forensischen) freisprechenden Urteils, die er - ink
die Luft, dorthin, wo er allein halten kann und hält, gestellt hat. Wir
sind versöhnt mit Gott. Wir haben Frieden mit ihm. Unsre Haltung
ihm gegenüber ist Offenheit, Empfänglichkeit, Bereitschaft, Willig
keit geworden. Geliebt von Gott können wir nicht anders als ihn
wieder lieben. Im Morgenrot seiner Herrlichkeit können wir nicht
anders als hoffen . Und als Hoffende können wir nicht anders als uns
rühmen in Gott. «Gott ergreift die Initiative und dreht die von ihm in
Furcht und Feindschaft abgewandte Welt und Menschheit nach sich
um» (Weinel).31 Von « dorther » kommen wir (3,21 ). Wir sind ? Wir
haben ? Wir können ? Wir kommen ? Ja, wohlverstanden (immer wie
der! ) sofern wir – nicht wir sind, sofern wir glauben, sofern durch das
Sterben des Christus quer durch unser Leben die Todeslinie gezogen
ist, die uns in jedem Moment unter Furcht und Zittern (vgl. Phil. 2,12]
k
1. Abdruck ( 1922²): «an». Korrektur in Barths Handexemplar.
31 H. Weinel, Biblische Theologie des Neuen Testaments. Die Religion Jesu
und des Urchristentums, Tübingen 1913 , S. 285 : «[...] abgewandte Mensch
heit, die Welt nach sich um» .
224
bedenken lässt: Ich – doch nun nicht ich ! und unter Anbetung und
Dank: Christus in mir! (vgl. Gal. 2,20]. Ein anderes Sein des neuen
Menschen gibt es nicht als unser Nicht-Sein, so gewiss die Überle
genheit seines Ursprungs darin besteht, dass er Wunder Gottes, An
fang Gottes, Schöpfung Gottes ist im Sterben des Christus. Mit dem
Selbstbewusstsein einer höhern Religions- und Lebensstufe oder mit
enthusiastisch -apokalyptischen Illusionen einer vorweggenommenen
Ein- 141 |heit von Diesseits und Jenseits hat also dieses «Wir sind»
wahrlich nichts zu schaffen . Die Quelle, aus der es fließt, verstopft
zugleich die sämtlichen Illusionsquellen. Sofern wir etwas anderes
sind als « nicht wir», sofern wir nicht glauben, sofern das Sterben des
Christus nicht sein Licht auf unser «Leben» wirft, stehen wir immer
auch innerhalb dieser Welt, außerhalb des Friedens mit Gott, immer
auch unberührt und unbeteiligt neben der vollzogenen Versöhnung.
Und alles, was wir von uns selbst anschauen, wissen und fassen kön
nen, gehört hieher. Keine seelisch-geschichtlich erkennbare Brücke
führt herüber und hinüber von der alten zu der neuen Lebensmög
lichkeit. Sofern wir wir sind, sind und bleiben wir Gottes Feinde, von
Natur geneigt, Gott und unsern Nächsten zu hassen??, in keinem Sinn
Bürger und Erben des Himmelreichs (vgl. Eph. 2,19; Jak. 2,5], son
dern von Haus aus seine Hinderer und Zerstörer. Indem der neue
Mensch in das Licht' des Sterbens Jesu tritt, trete ich, der ich nicht der
neue Mensch bin, unvermeidlich in seinen Schatten. Es ist und bleibt
also die Bestimmung des neuen Subjekts, die Prädikation: Wir sind -
neue Menschen ! immer dialektisch, indirekt, allein durch den Glau
ben begründet: « durch sein Blut » sind wir gerecht erklärt, « als Feinde »
sind wir « mit Gott versöhnt durch den Tod seines Sohnes», und in
keinem Moment darf diese dialektische Voraus-Setzung sich verhär
ten und verholzen zu einer direkten Gegebenheit. Durch den Glauben
aber (allein durch den Glauben: in der Furcht des Herrn und im Lichte
der Auferstehung) gilt und besteht es: wir sind, wir haben, wir kön
nen, wir kommen! Erlösung naht uns: «wir werden errettet werden
vom Zorne», unter dem wir jetzt und hier noch stehen; denn das
Druckmanuskript:« Licht».
32 Vgl. Heidelberger Katechismus, Frage 5 , BSRK 684,2f.
225
Leben, das durch das Sterben des Christus ans Licht gebracht ist (vgl.
2.Tim. 1,10), ist die Errettung derer, die durch dieses Sterben mit Gott
versöhnt sind. Versöhnt sein heißt auf Gott hoffen dürfen . Wie sollten
wir uns dieser Hoffnung nicht rühmen durch unsern Herrn Jesus
Christus ? «Indem wir Gott als unsern Gott preisen, eröffnet sich uns
die Quelle aller nur denk- und wünschbaren Güter. Denn Gott ist
nicht nur das höchste aller Güter, sondern ihr Inbegriff und ihre Voll
zahl. Er wird aber unser Gott durch Christus» (Calvin).33 « Wenn der
Mensch Gott wieder hat, so hat er alle Fülle des Lebens und der Se
ligkeit» (Fr. Barth ).34 Er hat? Ja, er hat. Denn durch das Sterben des
Christus wird die Gegenwart des Menschen voll Zukunft Gottes.
«Spes erit res» : «Dieses Hoffen ist Haben » (Bengel).35 |142|
5,12-21
36
Fragment B 62. – Das Zitat findet sich in dieser Übersetzung bei H. Barth,
Die Seele in der Philosophie Platons, Tübingen 1921 , S. 147.
37 Vg: «ero mors tua o mors»; vgl. den Choral « Jesu, meines Lebens Leben,
Jesu, meines Todes Tod » von E. Chr. Homburg, GERS ( 1891 ) 122; RG ( 1998)
444 ; EG 86.
28
die Kraft der Auferstehung, als unser Lebensinhalt aber (der nicht
unser Lebensinhalt ist ! ): der «wunderliche Krieg» (Luther)38, das Pa
radox, das Ursprüngliche, das Schöpferische des Glaubens. Wo Kraft
( 144| Gottes ist und Glaube, da steht der Mensch als der, der er nicht
ist, als neuer Mensch auf der Schwelle der neuen Welt, der Welt des
Lebens. Indem wir uns darauf besinnen, dass die neue Welt keine
andere sein kann als die in Christus siegreich aufgehobene und umge
kehrte alte Welt, ist schon entschieden, dass uns eben in der unan
schaulichen Pragmatik dieser unsrer alten Welt, wie sie uns in jener
Aufhebung und Umkehrung anschaulich wird, die Pragmatik der
neuen Welt entgegentritt. Sofern wir hindurchschauen durch die an
schaulichen Gegebenheiten der ersten Welt, schauen wir auch hinein
in ihre Voraussetzungen, die, umgekehrt und aufgehoben, die Voraus
setzungen der zweiten Welt sind. In Erinnerung dieses dialektischen
Verhältnisses von «Alt» und «Neu » wenden wir unsre Aufmerksam
keit zunächst dem «Alten» zu, nicht um seinetwillen (denn es besteht
als Altes garnicht für sich, sondern nur in seiner Beziehung zu dem
überlegenen Neuen ), sondern um eben aus ihm das Gesetz des Neuen
abzulesen .
«Der Tod » ist das oberste Gesetz dieser unsrer Welt. Wir wissen
nichts vom Tode, als dass er die Verneinung und das Vergehen, der
Zerstörer und die Zerstörbarkeit, die Kreatürlichkeit und die Natür
lichkeit, der unauflösliche Gegensatz und das unveräußerliche Merk
mal unsres Lebens ist, die Bedrängnis aller Bedrängnisse, in denen wir
stehen, der Inbegriff und die Summe aller Übel, Schrecken und Rätsel
unsres Da-Seins und So-Seins, die Erinnerung daran, dass über dem
Menschen dieser Welt und über dieser Welt des Menschen Zorn hängt.
So sehr ist der Tod oberstes Gesetz dieser Welt, dass auch das, und
gerade auch alles das, was in dieser Welt auf eine Überwindung und
Erneuerung dieser Welt hinweist, nur als Tod erscheinen: dass Moral
nur als Verneinung des Körpers durch den Geist auftreten, Philoso
phie nur im Bilde des sterbenden Sokrates ihren Begriff erkennen ,
geistiges Leben nur als Gegensatz zu natürlicher Lebensbejahung auf
38 M. Luther, «Christ lag in Todesbanden », Strophe 4, RG ( 1998) 464;
EG 101 .
39 Vgl. dazu H. Barth , Das Problem des Ursprungs in der Philosophie Platons,
München 1921 , S. 16f.
229
treten, Fortschritt nur in unruhiger Negation des Gegebenen und Be
stehenden sich vollziehen , alle Flamme (anders als die Flamme des
Herrn Ex. 3,2 ! ) nur brennen kann, indem sie verzehrt. So sehr ist der
Tod oberstes Gesetz dieser Welt, dass auch der Christus nach dem
Fleische nursterben kann, um eingesetzt zu werden zum Sohne Got
tes ( 1,3–4 ), so sehr, dass wir Gott nur dadurch die ihm zukommende
Ehre geben können, dass wir seine Un -Anschaulichkeit, die Furcht
des Herrn Anfang der Erkenntnis sein lassen (vgl. Spr. 1,7]. Wir
möchten uns auflehnen gegen das alles, wenn wir nur könnten. Wir
möchten im Namen des Lebens protestieren gegen den Tod, wenn nur
der Protest des Todes gegen unser Leben nicht so viel älter und ge
wichtiger wäre. Wir möchten uns verwahren gegen den ( 145 ) skepti
schen Verdacht und Vorbehalt, der jedes ungebrochene Ja begleitet,
gegen das fahle Licht einer in tausend vorläufigen Negationen jeden
schöpferischen gesunden, aufbauenden, positiven Schritt des Men
schen gleichzeitig aufhebenden letztenº Negation – wenn es nur nicht
so offenkundig wäre, dass jenes fahle Licht nicht von der Willkür
menschlicher Beleuchter herrührt, sondern ursprünglich, nur von der
Oberflächlichkeit nicht gesehen, auf allem Da-Sein und So-Sein liegt
( 1,1040) und dass es kein lebendiges schöpferisches Tun gibt, das nicht
eben aus dem Leid, aus der Revolution, aus dem Tod geboren wäre.
Wir sind machtlos. Wir sind verloren. Der Tod ist als Gesetz unsres
Lebens immer schon zuerst auf dem Platz. Nur das können wir sagen:
gibt es eine Errettung, so muss es die Errettung vom Tode sein; gibt es
ein Ja , so muss es das Ja sein, das dieses letzte Nein aufhebt; gibt es
einen Ausgang, so muss er dort sein, wo uns diese furchtbare Schranke
entgegensteht; ist Gott Gott, so muss er der siegreiche Feind dieses
«letzten Feindes» ( 1.Kor. 15,26), der Tod des Todes sein. Was ist der
Tod ? Woher der Tod ? Wie kommt er dazu, oberstes Gesetz dieser
Welt zu sein ?
« Die Sünde ». Dem Menschen dieser Welt haben wir uns zunächst
zuzuwenden. Er ist der Mensch der Sünde. Sünde ist die grundsätz
liche Bestimmtheit und Einstellung des uns bekannten Menschen.
Von dem Menschen, der nicht Sünder wäre, können wir nichts wissen.
230
Sünde ist Macht (Königsmacht 5,21 ), die Macht, unter die der Mensch
dieser Welt gestellt ist. Die Sünde des einzelnen Menschen ist die mehr
oder weniger deutliche Veranschaulichung dieser Lage, sie hat ihre
Bedeutung für das Gewicht, mit dem gerade er von dieser Lage be
drückt ist, sie hat aber nicht die Bedeutung einer Veränderung jener
grundsätzlichen Bestimmtheit und Einstellung. Sünde ist Macht in
der Welt, die wir kennen, in der Welt des Menschen, unabhängig da
von, wie sie im einzelnen Menschen dieser Welt zum Ausbruch
kommt. Sünde ist aber darum Macht in der Welt, weil sie eine be
stimmte Beziehung des Menschen zu Gott ist. An Gott gewinnt sie
nicht nur ihre Existenz, sondern auch ihre Existenz als Macht und
Weltmacht. Sünde ist ein Raub an Gott. Anschaulich wird uns dieser
Raub immer als jenes ( 1,18f.) kecke Überschreiten der uns gesetzten
Todeslinie, als jene trunkene Verwischung der Distanzen zwischen
ihm und uns, als jenes Vergessen seiner Unanschaulichkeit, als jene
Vergöttlichung des Menschen und Vermenschlichung Gottes in Form
der Aufrichtung der romantischen Unmittelbarkeit, Nicht-Gottes,
des Gottes dieser Welt (vgl. 2. Kor. 4,4), bei der wir nicht bedenken ,
dass wir sterben müssen (vgl. Ps. 90,12], als «Ehrfurchtslosigkeit und
Unbotmäßigkeit». Es ist also Sünde in diesem anschaulichen ge
schicht- 146|lichen Sinn die Verletzung unsrer jetzt und hier durch
« Tod » charakterisierten Beziehung zu Gott. Es weist aber dieser an
schauliche, geschichtliche Sinn der Sünde zurück auf einen andern,
unanschaulichen und ungeschichtlichen. Sofern nämlich der Tod, der
uns jetzt und hier von Gott abgrenzt, die Begrenzung des Lebens ist,
sofern also Gott selbst nicht Tod, sondern das Leben des kommenden
Tages ist, ist der Zusammenhang offenbar auch der umgekehrte: der
Raub an Gott ist ursprünglich ?, unanschaulich und ungeschichtlich
auch ein Herausfallen des Menschen aus seiner unmittelbaren Einheit
mit Gott, eine angemaßte Selbständigkeit, ein Zerreißen des geistigen
Bandes, das Gott, Welt und Mensch als Schöpfer und Geschöpf zu
sammenhält, ein des Ursprungs vergessendes sich neben und außer
Gott Stellen “ , ein der Schlangenweisheit: «Sollte Gott gesagt haben ?»
р
I. Abdruck ( 19222): «Gott ursprünglich ».
außer seiner eigenen Persönlichkeit und außer der sie tragenden Unmittelbar
keit. Dazu aber ist es nötig, daß ihm der Eindruck der ursprünglichen Welt
wieder werde. Das geschah durch Jesus Christus; erst seit Jesus gibt es eine
wirkliche Rückkehr des Menschen zum unmittelbaren Leben. Das unmittel
bare Leben ist der lebendige Gott, geoffenbart in Jesu Christo. »
233
ihrer Negation, in ihrer Fähigkeit, als das, was sie sind, hinzuweisen
auf das, was sie nicht sind, d. h. aber nur sub specie mortis leuchtet in
ihnen die Herrlichkeit des Schöpfers. Alle Argumente für eine direkte
Rechtfertigung der Dinge dieser Welt sind in den apologetischen Vor
trägen der Freunde Hiobs längst vorgebracht und erledigt. Diese Welt
ist, weil sie unsre Welt ist, die Welt, in der die Sünde Eingang gefunden
hat. Es gibt in dieser Welt, auf dieser Erde und unter diesem Himmel
keine Erlöstheit, kein unmittelbares Leben. Erlöstheit nur durch Er
lösung! Erlösung aber nur mit dem kommenden Tag, da Himmel und
Erde neu werden (vgl. 2.Petr. 3,13].
Denn zweitens: es erhielt « durch die Sünde der Tod » Eingang in die
Welt, der Tod als Krisis. Im doppelten Sinn dieses Wortes: als oberstes
Gesetz dieser Welt und als Hinweis auf einen Gesetzgeber, der als
solcher über seinem Gesetz ist, als Gericht und als Wendung zum
Bessern, als Schranke und als Ausgang, als Ende und als Anfang, als
Nein und als Ja, als Wahrzeichen göttlichen Zornes und als Wahrzei
chen nahender göttlicher Errettung. Auf alle Fälle aber als das göttliche
Halt!, das wir nicht überfahren, als die enge Pforte (vgl . Mt. 7,13-14
par.), die wir nicht umgehen dürfen, als der Punkt, wo es gilt, klug zu
werden (vgl. Ps. 90,12], weil es außer ihm klug zu werden keine andre
Möglichkeit gibt. Durch die Sünde der Tod, denn er ist der Revers der
Sünde. Es ist die ursprüngliche, die unanschauliche Sünde, durch die
der Tod in die Welt kam: Die Verletzung der als Leben charakterisier
ten Beziehung der Menschen zu Gott. Das ist als Schuld : die Sünde, als
Schicksal: der Tod. Als Lebender ohne Teilnahme am Leben selbst
bezeichnet der Mensch sich selbst als 148 sterblich, in seiner Gelöst
heit vom Sein des Ursprungs als nicht-seiend, in seiner wilden Bezie
hungslosigkeit, Absolutheit und Selbständigkeit als relativ. Unver
meidlich ist es, dass seine Beziehung zu Gott nun durch den Tod cha
rakterisiert ist, unvermeidlich, dass das Sein des Menschen sich nun
spaltet und entfaltet zu der ganzen Problematik seines Da-Seins und
So-Seins, dass seine Welt nun auseinanderfällt in die Mannigfaltigkeit
all der durch optimistische oder pessimistische Hintergründe kaum
oder gar nicht zusammengehaltenen Menschlichkeiten , Zeitlichkeiten
und Dinglichkeiten, dass sich seiner Anschauung nun, wie er sich auch
dazu stelle, eine Welt von Nicht-Anschaulichkeit als zweite Welt ge
genüberstellt. Unvermeidlich ist es, dass das «Leben» jetzt durch
234
kreuzt, gestört und schließlich negiert wird in jener Linie von Frag
würdigkeit, Beschränktheit, Leid und schließlich Sterben. Lebt die
Sünde, so lebt in ihr der Tod, so leben wir nicht (7,10). Herrscht die
Sünde, so herrscht sie im Tode ( 5,21 ), so sind auch wir des Todes. Hat
die Sünde zu befehlen , so hat sie auch zu bezahlen , so bezahlt sie mit
Tod (6,23 ). Kein Punkt jener Linie von kraft der Sünde leblosem, star
rem, beziehungslosem Sein, an dem nicht das Gericht, die Begrenztheit
des Menschen, das Ende aller Dinge anschaulich steil in unser «Leben»
hineinragte - aber auch kein Punkt, der nicht eben in seiner Negativität
hinwiese auf das, «da Adam von gefallen » (Luther)" . Keine Relativität,
die nicht in ihrer verloren -unverlierbaren Beziehung zurückwiese auf
das Absolute, von dem sie eigentlich lebt, keine Todeserscheinung, die
nicht eben als solche das Zeugnis wäre unsrer Teilnahme am Leben
Gottes, das Zeugnis der durch die Sünde nicht abgebrochenen Bezie
hung Gottes zu uns. Unvermeidlich wird es nun freilich, dass eben am
Tode (nicht an einem Todes - Erlebnis, sondern am Tode !) die Lebens
frage, die Gottesfrage entsteht; unumgänglich, dass wir um des Lebens
willen bedenken, dass wir sterben müssen (vgl. Ps. 90,12]; unüberseh
bar der aufgehobene Finger, der uns im Kreuze des Christus daran
erinnert, dass die Welt der Sünde nur an der Stelle überschritten wer
den kann, wo sie betreten worden ist. Durch die Sünde also der Tod,
der Tod als Krisis, als Brechung unsres Lebens, der Tod als Erkennt
nisprinzip, der Tod als unsre Not und Hoffnung: der Revers unan
schaulicher Sünde und – der Revers unanschaulicher Gerechtigkeit.
« Durch einen Menschen » das alles ! Wer ist dieser Eine ? Adam ? Ja
Adam als der Eine, der als Täter der unanschaulichen Sünde des Ab
falls von Gott dem Tode Eingang in die Welt gab. Aber - dieser Eine ist
Adam nicht in historischer Beziehungslosigkeit, sondern in seiner un
historischen Beziehung zum Christus. Ohne die Anschauung der un
anschaulichen Gerechtigkeit des im (149 Gehorsam sterbenden Chri
stus – wie kämen wir zu der Anschauung der unanschaulichen Sünde
45 M. Luther, Über das erste Buch Mose. Predigten ( 1527), EA 33,23 ; WA
24,18,26–29: «Denn das ist one zweiffel der hoechste Artickel des glaubens,
darynne wir sprechen: Ich gleube an Gott vater almechtigen, schoepffer hy
mels und der erden, Und wilcher das rechtschaffen gleubt, dem ist schoen
geholffen und ist widder zu recht bracht und dahyn komen, da Adam von
gefallen ist .»
235
des im Ungehorsam lebenden Adam ? Woher wüssten wir, was das
heißt: aus Gott - fallen ? Wie vermöchten wir, den Absturz Adams aus
dem Leben zum Tode auch nur zu denken, wenn uns nicht die Er
höhung des Christus vom Tode zum Leben vor Augen stünde ? Woher
wüssten wir, was das heißt: leben - um zu sterben? Also nicht auf der
Fläche der historisch-psychologischen Erscheinungen existiert Adam
als dieser Eine, sondern als der erste Adam, der das Vorbild des zwei
ten, kommenden ist, als der Schatten, der vom Lichte des zweiten lebt.
Er existiert als das rückwärtige Moment der im Christus siegreich
nach vorwärts gerichteten Bewegung, Drehung und Wendung des
Menschen und seiner Welt vom Fall zur Gerechtigkeit, vom Tode zum
Leben, vom Alten zum Neuen. Er existiert also nicht an sich, nicht als
positive zweite Größe, nicht als eigener Pol in der Bewegung, sondern
nur in seiner Aufhebung. Er ist bejaht, indem er im Christus verneint
ist. Es versteht sich also von selbst, dass er mit dem auferstandenen,
zum Leben Gottes eingesetzten Christus und als dessen Projektion
keine «historische» Gestalt ist. Denn mag es sich mit dem ersten Men
schen verhalten haben, wie es will: die Sünde, die Adam in die Welt
gebracht hat, liegt vor dem Tode, gerade wie die Gerechtigkeit, die
Christus in die Welt gebracht hat, hinter dem Tode liegt. Wir aber
leben mit unserm historischen Erkennen unerbittlich eingeschlossen
hinter dem Tode Adams und vor dem Tode Christi. Was Adam war,
als er noch nicht, und Christus, als er nicht mehr sterblich war, das
Werden des Todes aus dem Leben und das Werden des Lebens aus dem
Tode ist das an sich Unhistorische. Und es versteht sich ferner von
selbst, dass auch der «Eingang» der Sünde in die Welt durch Adam
kein historisch-physischer Vorgang in irgend einem Sinne sein kann.
Die Erbsündenlehre der abendländischen Kirche würde dem Paulus
auf keinen Fall als «ansprechende Hypothese» (Lietzmann)46 erschie
nen sein, sondern als eine von den vielen historistisch -psychologisti
schen Verfälschungen seiner Meinung. Sondern wie die in Christus
der Welt offenbarte Gerechtigkeit (und als ihr Nein, das überhaupt
s
Druckmanuskript: «Sohn».
46 Lietzmann, S. 59: «Die Erbsündenlehre der abendländischen Kirche wür
de vermutlich dem Pls als ansprechende Hypothese erschienen sein: sie baut
sich exegetisch auf der altlat. Uebersetzung in quo omnes peccaverunt auf».
236
nur vernehmbar wird, indem es im Ja überwunden ist), so ist auch die
in Adam in die Welt eingezogene Sünde die zeitlose, die transzenden
tale Disposition der Menschenwelt, ihre Beziehung zu Gott nach de
ren dem Neuen noch ab-, dem Alten noch zugewandten Seite. Mit
dem ersten Menschen, der sich in dieser Welt vorfand, und mit der
Welt, in der sich der erste Mensch vorfand, erwies sich diese Dispo
sition als wirksam. Sie ist der überzeitliche Fall aller Menschen aus
ihrer Einheit mit Gott durch ein | 150| « Gefangennehmen der Wahr
heit in Ehrfurchtslosigkeit und Unbotmäßigkeit» ( 1918), das seine
Erklärung findet (und nicht findet) in der göttlichen Prädestination
des Menschen zur Verwerfung, die seiner ewigen Erwählung in Chri
stus folgt wie der Schatten dem Licht, der Fall, der also in dem Vorfall
des Fehltrittes Adams wohl seine erste Wirkung, aber nicht seine Ur
sache hat. Und die altreformierte These lässt sich durchaus hören und
vertreten, dass auch diese Prädestination zur Verwerfung als « supra
lapsarisch », dem « historischen» Sündenfall vorausgehend, zu begrei
fen sei.47 Nur sofern Adam zuerst tat, was wir alle tun, mag der Schat
ten, der auf uns allen liegt, seinen Namen tragen und durch ihn ge
kennzeichnet sein. Adam , der erste, d. h. der psychische, der irdische,
der geschichtliche Mensch ist das, was überwunden werden muss48
( 1.Kor. 15,45f.).
« Und wie also der Tod Durchgang fand zu allen Menschen, als zu
solchen, die alle sündigten ---- » . Wir treten aus dem unhistorischen
Hintergrund unsrer alten Welt in ihren hellen Vordergrund und sehen
anschaulich bestätigt, was sich aus ihrer unanschaulichen, via crucis
eingesehenen Pragmatik notwendig ergeben muss: Wir sehen alle
Menschen tun, was Adam tat, und danach alle leiden, was Adam litt.
Wir sehen alle Menschen sündigen und danach alle sterben. Wir sehen
alle Gott nehmen, was sein ist, und danach alle zuschanden werden.
t
Druckmanuskript: « eingegangene».
u
1. Abdruck ( 19222): « wird aber» .
238
Das Gesetz ist, im Gegensatz zur Sünde, eine anschauliche, eine
geschichtliche Größe ( 2,14-16 ). Es ist die im Menschen und unter den
Menschen sich ereignende Erinnerung an die – verlorene – Unmittel
barkeit zu Gott. Es ist die Norm göttlicher Wahrheit und göttlichen
Willens, wie sie für das Bewusstsein oder auch Unbewusstsein ' des
Menschen vorhanden sein kann. Es ist das Licht göttlicher Gegenwart
und Offenbarung, gebrochen und gefärbt im Prisma jenes zeitlichen
Nacheinander und dinglichen Nebeneinander, das für die Welt des
Menschen bezeichnend ist. Wo Gesetz ist, da entsteht Menschenge
rechtigkeit, göttliches Erwählt- und Beauftragtsein, auf Gott gerich
tete Haltung (2,3-5.12-13; 3,2) - und wohl dem, der weiß, dass er
darin keine Entschuldigung, keinen Schlupfwinkel hat (2,1–2). Denn
wo Gesetz, wo Religion ist, da entsteht - Menschenungerechtigkeit ",
da steht der Mensch als Mensch da in seiner Blöße, in seiner Unzu
länglichkeit, in seiner Fleischlichkeit, als Hindernis Gottes, als Objekt
des göttlichen Zornes, gerade sofern er weiß, was das Gesetz fordert,
sofern es ihm ernst ist damit, sofern er sein « Hörer» ist (3,14–20; 4, 15a);
da eben findet ja, wenn nicht alle Zeichen trügen, der freche Griff nach
dem Baum der Erkenntnis statt und das Nicht-Bedenken, dass wir
sterben müssen (vgl. Ps. 90,12], sofern wir uns nämlich täuschen über
die Unmöglichkeit, dem Sinn des «Gesetzes » gerecht zu werden, -
und wehe dem Gottesmann, der sich hierüber täuschte, der es etwa
vergäße, dass gerade er sich in einer ganz besonderen Gefahrenzone
befindet (2,17f.). Wo Gesetz ist, da ist auch Übertretung (4,15b), da
wird Sünde « angerechnet» ,, d. h.aber: da wird, weil da sehende Augen
sind, die Finsternis, in der wir stehen, zur Plage; da | 152| bricht, weil da
entzündliches Material ist, der schwelende Brand aus; da wird, weil da
Erkenntnis der Sünde ist, die Sünde zur persönlichen (bewusst oder
unbewusst zu tragenden) Schuld , Last und Verantwortlichkeit; da
wird die Sünde, indem sie einen Hebel, ein Betriebskapital findet
(7,8.11 ), aktionsfähig, sie tritt in Kraft, sie wird zum höchst anschau
lichen, höchst geschichtlichen Ereignis. Gerade der Mensch, der das
Gesetz hat, der erweckte, der begeisterte, der wartende, der auf Gott
gerichtete, der religiöse Mensch ist der Sünder im anschaulichsten
V
Druckmanuskript: «Unterbewusstsein».
w Druckmanuskript: «entsteht auch Menschenungerechtigkeit».
239
Sinn des Wortes (7.7f.14f.). An den religiös Interessierten, nicht an der
Masse der Gleichgültigen, an den Pfarrern und ihren Freunden , nicht
an den Schiebern und Zuhältern, an der Kirche, nicht am Kino, an der
theologischen Fakultät, nicht an der Gottlosigkeit der Mediziner, an
den Religiös-Sozialen und Aktivisten, nicht an den Kapitalisten und
Militaristen, an Büchern wie diesem Buch, nicht an der Unterhal
tungsliteratur der Weltkinder kommt der Schaden Josephs (vgl. Am.
6,6] zum Ausbruch. So wird das Volk Israel an seinem Gesetz, an
seiner besondern Erwähltheit und Berufenheit zuschanden , ein Ver
gehen und Erleiden, das den Moabitern und Philistern offenbar er
spartblieb . So ist auch der Vorfall im Leben Adams, in dem die Sünde
Eingang in die Welt fand, nur dadurch möglich geworden , dass auch er
ein Gesetz, die Warnung vor dem Baum der Erkenntnis (vgl. Gen.
2,17], hatte. Er wird zum Sünder als Opfer seines besonderen Got
tesverhältnisses. Sollte es eine Zeit, einen Ort in der Geschichte oder
in einer Lebensgeschichte geben, wo gar kein Gesetz ist ? Schematisch
angenommen, es lasse sich ein solcher gesetzloser Zustand historisch
oder biographisch fixieren, und ebenso schematisch angenommen, es
dürfte die Zeit «von Adam bis Mose», d. h. zwischen dem Gesetz, das
Adam für sich und Mose zuhanden Israels empfing, als solcher gesetz
loser Zustand angesprochen werden, so wäre zu sagen: « Wo kein Ge
setz ist, da wird Sünde nicht angerechnet.» Da sind blinde Augen und
darum auch keine Finsternis . Nasses Holz und darum auch kein
Brand. Kein Hebel, kein Kapital und darum auch kein Betrieb. Da
breitet sich das menschliche Wesen wie das Treiben einer Kinderstube
aus unter dem schweigenden Ernst und Humor Gottes. Es darf da in
seiner ganzen Unmöglichkeit irgendwie sein, wie es ist. Es ist weder
zu verteidigen noch anzuklagen. Es ist von den vorletzten Dingen, die
gegen die « angerechnete», die ausbrechende, die bewusst oder unbe
wusst persönlich gewordene Sünde zu bemerken sind, hier nichts zu
bemerken. «Abgesehen vom Gesetz ist die Sünde tot» (7,8 ). Das
Wort, das auf diese schlafenden Sünder passte, wäre nur das letzte
Wort: - Vergebung. Aber eben: auf dieses Wort warten auch diese
schlafenden Sünder.|153 |Denn eine Ausnahme von der Regel, dass die
Sünde in der Welt ist – wie Rousseau'sche Empfindsamkeit, sich
49
Vgl. hierzu Barths spätere Darstellung Rousseaus in: Die protestantische
240
wohl einbilden möchte - ۔, bilden auch diese kanadischen Schläferso
nicht. Beweis: « Trotzdem übte der Tod Königsgewalt auch von Adam
bis Mose. » Man hat nichts davon gehört, dass das Weltgesetz des To
des über diesen Gesetzlosen, wenn es je solche gab, etwa außer Kraft
gewesen wäre. Dieselbe Natürlichkeit und Kreatürlichkeit, dieselben
Gebundenheiten und Bedrängnisse, dieselben Rätsel von Geboren
werden und Sterben, in denen wir Wachenden die Strafe einer Sünde
ahnen, die größer ist als unsre Sünden, hält offenbar auch sie um
schlossen. Es weist offenbar diese auch sie umfassende allgemeine
Herrschaft des Todes zurück auf das Vorhandensein – unanschauli
cher Sünde, auf einen geschehenen Fall, der mit den sich ereignenden
und als Sünde zu beklagenden Vorfällen des geschichtlichen Lebens
nicht identisch ist. Es gibt offenbar – der hippokratische Zugs! im
Angesicht auch jener Schläfer beweist es - einen letzten jenseitigen
Ursprung auch ihrer Träume: da sind auch sie von Gott ernst genom
men, da tragen auch sie an der Entfremdung des Menschen vom gött
lichen Leben als an einer Schuld und Verantwortlichkeit, da stehen
auch sie unter Gottes, wenngleich verhülltem, Zorn. Da verschafft
Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zürich
19946, S. 196: «Die zwei Dimensionen der Rousseauschen Anthropologie ent
stehen eben doch nur so, daß zwischen dem Menschen in der Natur und dem
Menschen in der Gesellschaft unterschieden wird. In dem Übergang von je
nem zu diesem besteht nach Rousseau das, was man vielleicht den Sündenfall
nennen könnte.»
so Auf eine Bitte von E.Cl. Hoskyns, dem Übersetzer des Römerbriefs ins
Englische, um eine Erklärung dieses Ausdrucks schrieb Barth in einem Brief
vom 18.9.1932 (KBA 9232.268): « Kanadische Schläfer, ist eine auch im Deut
schen nicht sehr deutliche Anspielung auf ein Gedicht von R. [richtig: J.G.]
Seume, das anfängt mit den Worten :
Ein Kanadier, der noch Europens
Übertünchte Höflichkeit nicht kannte ...
eine Verherrlichung des unzivilisierten Menschen im Geiste von Rousseau.
Das hat gewiß auch mancher deutsche Leser nicht verstanden, denn von
« Schlaf> ist in jenem Gedicht nicht die Rede. - Ich rate, das Wort <kanadische in
der Übersetzung durch «naive> zu übersetzen; denn das ist's, was ich mit der
Anspielung sagen wollte.» Vgl. J.G. Seume, Der Wilde, Werke, hrsg. von J.
Drews u.a., Bd. 2 (Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 86), Frankfurt a.M.
1993 , S. 478-481 und S. 826f.
s ! Kennzeichen des nahenden Todes auf einem Menschenantlitz, wie sie
Hippokrates in seinem Prognostikon beschreibt; vgl. Büchmann, S. 314f.
241
ihnen die Unähnlichkeit ihrer Übertretung mit dem «Muster der
Übertretung Adams» und Israels doch keine Ruhe, keine Entschul
digung. Da sind auch sie, ihrer, geschichtlich betrachtet, offenkundi
gen Unbelehrtheit und Unschuld zum Trotz, in der Krisis von Er
wählung und Verwerfung, Rechtfertigung und Verdammnis. Nur re
lativ ist da der Unterschied ihrer Lage gegenüber denen, die unter das
Gesetz gestellt in ihrer Sünden Maienblüte sterben müssen. «Denn
bei Gott ist kein Ansehen der Person. Die fern vom Gesetz sündigten,
werden auch fern vom Gesetz sterben. Und die im Angesicht des
Gesetzes sündigten, werden durch das Gesetz gerichtet werden»
(2,11-12). Die in Adam in die Welt «eingezogene»* Sünde ist also, und
das ist zu unterstreichen, Macht, Übermacht, abgesehen von dem tat
sächlichen Sündigen Adams und seiner ihm mehr oder weniger ähn
lich gestellten Nachfolger. Die anschauliche Königsherrschaft des To
des weist zurück auf die unanschauliche Königsherrschaft der Sünde,
auch da, wo die Sünde nicht einzelnes anschauliches Ereignis gewor
den sein sollte. Ein König wird nicht gewählt von seinen Untertanen,
und sie haben keine Möglichkeit, sich einzeln darüber zu entscheiden,
ob sie seine Untertanen sein wollen. Er besteigt als Erbe den Thron
und herrscht «von Gottes Gnaden» 53 oder auch Ungnaden. Nur
Revolution und Sturz der Dynastie, nur Umkehrung der transzen
dentalen Voraussetzung kann eine Veränderung der all- 154|gemeinen
und notwendigen Abhängigkeit bringen. Als Wirkung dieser Königs
macht ist also auch das Eingehen der Sünde in die Welt in Adam zu
verstehen .
«Dieser ist das Vorbild des Kommenden », nämlich als Sünder in
diesem unanschaulichen ungeschichtlichen Vollsinn des Wortes. Die
* Druckmanuskript: « «eingegangene»>.
52
Anklang an W. Shakespeare, Hamlet, Prinz von Dänemark, übersetzt von
A.W.von Schlegel, 1. Akt, s . Szene (Der Geist von Hamlets Vater: «So ward ich
[...] in meiner Sünden Blüte hingerafft» .). Vgl. Büchmann, S. 271 ; die ältere
Auflage (Berlin 197232, S. 437) notiert, dass die Wendung gewöhnlich in der
Fassung « in meiner Sünden Maien-Blüte » zitiert wurde.
53 Zu Herkunft und Verbreitung dieser Formel, deren sich Bischöfe, Päpste
und schon seit dem 6. Jahrhundert auch weltliche Herrscher zur Bezeichnung
ihrer Würdestellung bedienten, vgl. Büchmann, S. 58.
242
Beschattung, in der er steht, ist Zeugnis von dem Lichte des Christus.
Wir sähen sie nicht, wenn dieses nicht wäre. Und an ihr ist zu ermes
sen, von welcher Art und Bedeutung dieses ist. Die unanschauliche
Pragmatik dieser alten Welt ist - mit umgekehrtem Vorzeichen - die
der kommenden neuen Welt. «Das Geheimnis Adams ist das Geheim
nis des Messias» (rabbinisch).54 Es ist das Geheimnis des unheilbar
von Gott abgefallenen und unverlierbar an Gott gebundenen Men
schen, das sich in der Zweiheit von Adam und Christus verhüllt, um
sich in ihrer Einheit zu enthüllen. Hart auf der Grenze stehen sie
beide, auf der Grenze zwischen Sünde und Gerechtigkeit, Tod und
Leben, nach rückwärts jener, nach vorwärts gerichtet dieser: unver
einbar getrennt durch den sachlichen Kontrast dessen, was sich in
ihnen gegenübertritt, aber unzertrennbar vereint durch den gemein
samen Ursprung der Kontraste in der göttlichen Prädestination zur
Erwählung oder Verwerfung, unzertrennbar vereint dadurch , dass
Sünde und Tod des einen und Gerechtigkeit und Leben des andern das
Ganze des Menschenlebens und der Menschheit in allen Dimensionen
umspannt und bezeichnet, unzertrennbar vereint dadurch, dass im
mer des einen Ja des andern' Nein, des einen Nein des andern Ja ist.
Vorbild ( Typus), Frage, Weissagung ist der eine, Urbild, Antwort,
Erfüllung der andere, so gewiss ( 5,15-17) die Bewegung, in der sie sich
zur Zweiheit entfalten, echte Bewegung ist, so gewiss Gerechtigkeit
und Leben in Gott der Sünde und dem Tode ursprünglich und endlich
in schlechthiniger Überlegenheit gegenüberstehen, so gewiss die
scheinbare Polarität der Kontraste im Lichte des kritischen Augen
blicks ( «da ein Tod den andern fraß » Luther)" gesehen und aufge
hoben ist: Von Adam zu Christus – der Weg Gottes am Menschen und
unter den Menschen. Davon ist nun weiter zu reden.
у
2. Abdruck ( 19233): «einen».
54 Zitiert nach A. Tholuck, Auslegung des Briefes Pauli an die Römer nebst
fortlaufenden Auszügen aus den exegetischen Schriften der Kirchenväter und
Reformatoren, Berlin 1831 ), S. 193 : « In dem Buche Tseror Hamor, Abschnitt
Bereschith, heißt es: ni'w 710 817 27X 710 «das Geheimniß Adams ist das Ge
heimniß des Messias.»» Der Verfasser der zitierten Auslegung des Pentateuchs
ist Rabbi Avraham ben Yaaqov Saba. Bei Tholuck folgen weitere rabbinische
Belegstellen.
ss M. Luther, «Christ lag in Todesbanden », Strophe 4, RG ( 1998 ) 464;
EG 101 .
243
V.15-17 Aber da ist nicht Gleichgewicht, so dass man sagen könn
te: Wie der Fall, so auch die Begnadung. Denn wenn durch den Fall
des Einen die Vielen starben, so hat um so gewisser die Gnade
Gottes und die Gabe in der Gnade, die der eine Mensch Jesus Chri
stus hatte, die Vielen mit Reichtum überschüttet.
Und da ist nicht Gleichgewicht, so dass man sagen könnte: Wie das
durch den einen Sünder in die Welt Gekommene, so das Geschenk,
das durch den einen Gerechten den Menschen gegeben ist. (Denn 1551
darin ist das Verhältnis allerdings parallel: das Gericht wurde, bei
einem Menschen einsetzend, zum Todesurteil, die Begnadung aber,
bei vieler Menschen Fall einsetzend, zur Gerechtsprechung.) Denn
(und das ist die Aufhebung der Parallele) wenn im Fall des Einen und
durch diesen Einen der Tod zur Königsherrschaft gelangte, so wer
den um so gewisser die, welche die Fülle der Gnade und die Gabe
der Gerechtigkeit empfangen, selber Könige werden im Leben
durch den Einen: Jesus Christus.
Hauptgedanke ist das diakritische, «das von aller Logik verlassene»
(Jülicher )s“: «um so gewisser», «um wie viel mehr», «wie noch ganz
anders » (5,15.17; vgl. 9.10). Der Dualismus von Adam und Christus,
alter und neuer Welt ist kein metaphysischer, sondern ein dialekti
scher. Er besteht nur, indem er sich selbst aufhebt. Er ist durchaus der
Dualismus einer Bewegung, einer Er-Kenntnis, eines Weges von hier
nach dort. Die ganze Situation wäre falsch verstanden, wenn etwa die
Vorstellung einer im Gleichgewicht schaukelnden oder wie die zwei
Gläser einer Sanduhr nach Belieben umzukehrenden Zweiheit ent
stünde. Die lebendige Wirklichkeit der beiden Gegensätze ist die
Notwendigkeit, mit der sie auf Gott als auf ihren Ursprung und ihr
Ziel hinweisen. Diese göttliche Notwendigkeit drängt aber von
Schuld und Schicksal zu Versöhnung und Erlösung. Denn die Krisis
von Tod und Auferstehung, die Krisis des Glaubens ist die Wende
vom göttlichen Nein zum göttlichen Ja und nie zugleich auch das
Umgekehrte. Also: dass die unanschauliche Pragmatik der neuen
Welt zwar in ihrer Form dieselbe ist wie die der alten, in ihrer Bedeu
z
2. Abdruck ( 19233): « Standuhr» .
244
tung und Kraft aber nicht dieselbe, sondern die schlechthin überle
gene, die gerade umgekehrte, das ist nun noch zu überlegen und aus
zusprechen.
Erste Erwägung ( 5,15). Wir fassen noch einmal die Ursachen, die
Dominanten ins Auge, die hier die alte als alte, vergehende, dort die
neue als neue, kommende Welt bestimmen. Sie heißen hier «Fall», dort
« Begnadung ». Es handelt sich also nach links und nach rechts um die
Beziehung des Menschen zu Gott. Unanschaulich in ihm, in ihm
selbst, in ihm allein begründet ist es, dass in dem einen Adam der
Mensch dasteht als Gefallener, in dem einen Jesus Christus als Be
gnadeter. Das ist ihr Gemeinsames; insofern scheint zwischen Fall
und Begnadung Gleichgewicht zu bestehen. Aber gerade in diesem
Gemeinsamen zeigt sich auch der Unterschied . - Denn wie erscheint
die Beziehung des Menschen zu Gott in Adam ? Offenbar, dies liegt
schon in dem Worte « Fall », ist hier Gott der vom Menschen Verlas
sene, der Leidende, der Negierte, der Beraubte. Das ist ja das Wesen
der Sünde, dass hier |156 Gott geraubt wird, was sein ist, und dass
durch solchen Raub, weil er an Gott geschieht, eine gottähnliche
Macht neben Gott in der Welt entsteht ( 5,12 ). Es ist Sünde ein unan
schaulich negatives Geschehen an Gott und in Gott. Dem entspricht
dann, dass « durch den Fall des Einen die Vielen starben », d. h. dass die
Beziehung zu Gott in der Welt Adams auch den Menschen in ihrer
Negativität zum Bewusstsein kommen muss. In dem einen Menschen
Adam wird das Unanschauliche anschaulich, dass Gott Nein zu uns
sagt. Gott erscheint nun seinerseits als Angreifer, der uns aus dem
Paradies vertreibt, als Räuber, der uns unser Leben nimmt. «Sicut
homo peccando rapit, quod Dei est, ita Deus puniendo aufert, quod
hominis est» ( Anselm ).aa 57 Die sündige, die gefallene Welt ist als sol
aa Das Anselm-Zitat ist ein Zusatz im 2. Abdruck ( 1923 ') gegenüber dem i .
Abdruck ( 19222). In Barths Handexemplar verweist eine Notiz am Rand dar
auf: «Anselm S. 25 ». Worauf sich die Seitenangabe bezieht, ist nicht geklärt.
57 Anselm von Canterbury, Cur deus homo ?, Lib. I, cap.14, Opera omnia,
ed. Fr.S. Schmitt, Vol. II, Rom 1940, S. 72, Z. 8–14: «Aut enim peccator sponte
solvit quod debet, aut deus ab invito accipit. Nam aut homo debitam subiec
tionem deo sive non peccando sive quod peccat solvendo, voluntate spontanea
exhibet, aut deus eum invitum sibi torquendo subicit et sic se dominum eius
esse ostendit, quod ipse homo voluntate fateri recusat. In quo considerandum
245
che die Welt des Todes, die von einer ungelösten letzten Frage um
zäunte Welt, die Welt, in der auch der Ausgang nur in der Schranke,
auch die Erkenntnis nur im Nicht-Wissen, auch die Hoffnung nur in
der Verzweiflung zu finden ist. In Erwartung letzten Gerichtes, letz
ter Aufhebung das alles und doch, sofern in Erwartung, auch schon in
furchtbarer Gegenwart. – Dem gegenüber die Beziehung des Men
schen zu Gott in Christus. Ob wir sie als « Gerechtigkeit» bezeichnen
( 1,14; 3,21 ) oder als «Gehorsam» ( 5,19) oder als «Begnadung», offen
bar ist es, dass es sich hier um die « Gnade Gottes» handelt, um ««Gottes
Gabe in der Gnade, die der eine Mensch Jesus Christus hatte», um die
unanschauliche Positivität jener Beziehung, um Gottes Handeln ,
Wirken und Tun, um seine Aktivität dem Menschen und seiner Welt
gegenüber. Er lässt sich den Raub dessen, was ihm gehört, nicht ge
fallen. Er erhebt Anspruch auf den Menschen. Ihm ist der Mensch
auch in seinem Fall nicht verloren. Er ist barmherzig und wunderbar
Er ist der Gott, der begnadet, der gibt. Dem entspricht dann wieder
um, dass « die Gnade Gottes die Vielen mit Reichtum überschüttet
hat», d. h. dass die Beziehung zu Gott auch dem Menschen in der Welt
des Christus als eine positive zum Bewusstsein kommt. Da erscheint
Gott als der Schöpfer und Erlöser, als der Geber des Lebens und aller
guten Gaben (vgl. Jak. 1,17 ]. In dem einen Jesus Christus wird das
Unanschauliche anschaulich, dass Gott nicht aufhört, ja zu uns zu
sagen. Die Welt, der Gott sich aktiv, positiv zuwendet, ist als solche
die Welt des Lebens, die Welt, in der nichts Beschränktes, Vergängli
ches, Kleines nur als das besteht, was es ist, sondern immer auch als
das, was es bedeutet, immer auch in seiner Beziehung auf Ursprung
und Ziel, auf Sinn und letzte Wirklichkeit seines Da-Seins und So
Seins, die Welt, in der jede Frage schona 157 voll Antwort ist, die
Welt, in der ewiger Gehalt auch in zeitlicher Erscheinung, letzter Frie
de auch über vorletztem Tun, göttlicher Glanz auch auf menschlichem
Wesen leuchtet, die Welt, wie sie sich vor dem neuen, auf ihrer
Schwelle stehenden Menschen unbeschreiblich hoffnungsvoll aus
quia, sicut homo peccando rapit, quod Dei est, ita Deus puniendo aufert, quod
hominis est. »
246
breitet. Wiederum in Hoffnung letzter Einheit, letzter Klarheit und
Ruhe in Gott das alles, und wiederum , sofern in Hoffnung, doch auch
schon in seliger Gegenwart (5,11 ). - So also steht die dialektische
Waage zwischen Fall und Begnadung, und kraft welcher Logik sollte
die Möglichkeit nicht offen und sogar sehr naheliegend sein, die
scheinbare Symmetrie dieser Kontraste aufzuheben und den Schritt
vorwärts («um so gewisser») als den wahren Sinn dieser Kontraste zu
erkennen und – zu tun ?
Zweite Erwägung ( 5,16–17 ). Wir wenden uns zu den Wirkungen,
den Tendenzen, durch die hier die alte als alte, dort die neue als neue
Welt charakterisiert ist: zu dem, was « durch den einen Sünder», und
zu dem, was als « Geschenk » Gottes in die Welt gekommen ist. Wie
derum gleichmäßig nach links und nach rechts wird das menschliche
Wesen durch Fall und Begnadung je in einer ganz bestimmten Weise
disponiert. Unter einem von demselben richtenden und gnädigen
Gott ausgehenden Urteil, unter einer bestimmten unanschaulichen
Rechtsordnung und ihren Folgen steht der Mensch nach dieser und
nach jener Seite, gleichviel ob er hier vertreten ist durch den einen
Adam, dort durch die unübersehbare Menge der gleich ihm gefallenen
Menschen, gleichviel ob das Urteil hier Todesurteil, dort Freispre
chung ist. « Das Gericht wurde bei einem Menschen einsetzend zum
Todesurteil, die Begnadung aber, bei vieler Menschen Fall einsetzend,
zur Gerechtsprechung.» In diesem unanschaulichen Woher ? ihrer ver
schiedenen Bestimmtheit sind sich alte und neue Welt also gleich. Sie
sind alt oder neu in Beziehung auf Gott, an ihm scheiden sie sich wie
die Quellen an der Wasserscheide der Alpen, wie der Strom sich schei
det am Pfeiler der Brücke. In dieser Brechung an dem, der erwählt und
verwirft, liegt ihre Gleichheit ( 5,16). Aber eben: Er erwählt und ver
wirft, d. h. aber sie sind sich ungleich, sobald wir darauf achten, was
dieses Urteil hier und dort für den Menschen bedeutet ( 5,17). – Es
bedeutet einerseits das, was « durch den einen Sünder» in die Welt
gekommen ist, dass « durch diesen Einen der Tod zur Königsherrschaft
gelangte». Als Leidender, als Negierter, als Beraubter erscheint also
hier der Mensch. D.h. er erscheint in seiner Fesselung an eine eherne
Kette, die beim ersten 1581 Menschen einsetzend durchläuft bis zum
letzten; er ist bestimmt durch ein anschauliches Vorher und Nachher,
das als Ganzes (Kausalität) eben jenes Todesverhängnis bedeutet, das
247
für seine Welt charakteristisch ist. Physisch -psychisches Verhängnis,
mechanische Notwendigkeit («Ananke»)58 bannt ihn in den Kreis
sinnlosen Werdens und Vergehens, unbegründeter Sicherheit und
haltloser Enttäuschung, fragwürdiger Jugendlichkeit und unverkenn
barer Senilität, optimistischer und pessimistischer Kurzschlüsse. Er
kann nicht leben, weil er nicht wollen kann. Er kann nicht wollen, weil
ernicht frei ist. Er ist nicht frei, weil er keinen freien Zweck hat. Er hat
keinen freien Zweck, weil er sterblich, nur sterblich ist. Ist dieses
Todesurteil auch in keinem zeitlichen Moment schon an uns vollzo
gen, so ist es doch über uns ausgesprochen, als Damoklesschwert in
jedem zeitlichen Moment über uns aufgehängt. – Es bedeutet andrer
seits das, was als « Geschenk » Gottes durch den einen Gerechten in die
Welt gekommen ist, nicht weniger als « die Fülle der Gnade », « die
Gabe der Gerechtigkeit », die von Menschen « empfangen » werden
kann, so dass sie selber « Könige sein werden im Leben». Neu ge
schaffen, ins wirkliche Leben versetzt ist der Mensch durch den Chri
stustod (6,4-5). Revolution gegen das im Tode anschaulich werdende
unanschauliche Weltgesetz der Sünde, Rehabilitation des Menschen,
grundsätzliche Befreiung von der Gewalt, die alle Wesen bindet, be
deutet die göttliche Rechtsordnung, unter die wir in Christus gestellt
sind. Nicht mehr und nicht weniger als die Welt ist das Erbe, das dem
Abraham und seinen Nachfahren im Glauben verheißen ist (4,13 ).
Der Mensch soll nicht in den Ketten des Kosmos, sondern der Kos
mos soll, selber befreit, zu seinen Füßen liegen. Der Mensch soll, im
Tode des Christus zum Knecht aller Dinge geworden, ein Herr aller
Dinge sein .“ Aufgehoben ist seine kausale Fesselung, die ihn zum
58
Vgl. Römerbrief I, S. 191 : Anspielung auf C. Spitteler, Olympischer Früh
ling, 2 Bde., Jena 1914. In dieser mythischen Ballade fungiert «Ananke» als
Weltenherr, der dem Übermut der Götter Halt gebietet (Bd. 2, S. 237ff.) und
den Aufruhr der Geschöpfe niederschlägt (Bd. 2, S. 280):
Also verendete der Weltenfreiheitskrieg,
Da das Geschöpf des Schöpfers Mörderburg erstieg.
Von neuem knirscht das Weltall in Anankes Zangen,
und Kora schmachtet noch, in Kirkes Haft gefangen.
59 Vgl. M. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen ( 1520), WA
7,21,1-4: «Eyn Christen mensch ist eyn freyer herr ueber alle ding und nie
mandt unterthan. Eyn Christen mensch ist eyn dienstpar knecht aller ding und
yderman unterthan.»
248
bloßen Glied einer Reihe macht. Sondern als einzelner ist er durch die
(«bei vielerMenschen Fall einsetzende» ) Begnadung in Christus unter
das Gesetz der Freiheit (vgl. Jak. 1,25 ; 2,12] gestellt, das als seine ab
solut neue, unableitbare Bestimmung identisch ist mit dem für das
Reich Gottes charakteristischen Gesetz des Lebens ( 5,18). Denn in
Gott begründet, steht er frei über der Sünde, frei darum auch über
dem der Sünde folgenden Tode. Er hat in seiner Unsterblichkeit sei
nen freien Lebenszweck gefunden und in seinem freien Zweck die
Freiheit des Willens, dem nun, ob er siegt oder unterliegt, alles Ver
gängliche zum Gleichnis des Unvergänglichen werden mag. Er hat
mit seinem freien Willen sich selbst gefunden und in sich selbst das
königliche, das unermesslich und unbedingt hohe und würdige, das
lebenswerte, das ewige Leben. [ 159 Dass diese die Fülle der Gnade
« empfangenden » Menschen Könige erst « sein werden », erinnert uns
freilich sofort (2,13 ; 3,30; 5,20) daran, dass die Identifikation des alten
mit dem neuen Menschen in jedem zeitlichen Moment erst zu voll
ziehen, dass auch jenes freisprechende Urteil über uns erst verkündigt
ist, dass ihm in der Zeit keine, gar keine dinglich-gegebene Erlöstheit
entsprechen kann. Auf der Schwelle steht der Mensch auch in dieser
Hinsicht: auf der Schwelle des Reiches Gottes, das ein Reich der Frei
en, der Befreiten ist. Aber er steht auf dieser Schwelle, hoffend und,
weil hoffend, nie ganz ohne vorlaufende Gegenwart dessen, was er
hofft. – Und wiederum mag der Stand der dialektischen Waage zwi
schen «Gericht» und Begnadung selber die Antwort geben, ob wir mit
Recht («um so gewisser» ) aus der Pragmatik der alten die überlegene,
die siegreiche, die ganz andere, die unendlich bedeutendere und kräf
tigere Pragmatik der neuen Welt erschlossen haben.
V. 18-19 In diesem Sinn also ist es gemeint: Wie es durch den Fall
des Einen für alle Menschen zum Todesurteil kam, so auch durch
die in dem Einen eröffnete Gerechtsprechung für alle Menschen
zur Rechtfertigung, die das Leben ist. Denn wie durch den Unge
horsam des einen Menschen die Vielen als Sünder hingestellt wur
den, so werden auch durch den Gehorsam des Einen die Vielen als
Gerechte hingestellt werden .
Nachdem wir uns ( 5,13-14) deutlich gemacht, dass die Sünde als
Dominante des «alten» Weltzusammenhangs ein Faktor von ebenso
ursprünglich -unanschaulich -objektivem Charakter ist wie die ihr ge
249
genüberstehende Gerechtigkeit, nachdem wir uns aber weiter versi
chert (5,15-17) haben, dassac der so aufgedeckte Weltkonflikt nur er
scheinen kann, um als Bewegung vom Abfall zur Versöhnung, von der
Gefangenschaft zur Erlösung, vom Tode zum Leben wieder zu ver
schwinden , sind wir in der Lage, die zu Anfang ( 5,12 ) unternommene
Gegenüberstellung ohne Gefahr von Missverständnis zu vollziehen .
Es ist Adam das alte Subjekt, das Ich dieses Menschen in dieserWelt.
Dieses Ich ist gefallen, es hat an sich gerissen, was Gottes ist, um in
eigener Herrlichkeit zu leben. Keine einzelne geschichtliche Tat ist
das, sondern die immer schon vorausgesetzte, die unvermeidliche, die
letztlich aus dem Geheimnis der göttlichen Verwerfung, des göttli
chen Missfallens hervorgehende Bestimmtheit aller menschlichen Ge
schichte. Unmittelbar mit diesem Fall » ist auch das « Todesurteil>
gegeben « für alle Menschen »: die Natürlichkeit und Kreatürlichkeit,
die Vergänglichkeit, Unzulänglichkeit und Bedrängtheit des Men
schen, als des Menschen dieser Welt, ( 160| als sein Fluch und als sein
Schicksal (5,18).Denn ( 5,19) « durch den Ungehorsam des einen Men
schen wurden die Vielen als Sünder hingestellt». Es ist ja eben nicht
bloß eine individuelle Verfassung Adams, die durch seine Tat beleuch
tet wird, sondern in und mit diesem Individuum die Verfassung, in der
sich dasad Individuum, alle Individuen («die Vielen» ) befinden. Als
Sünder sind sie « hingestellt», beleuchtet, aufgedeckt für sehende Au
gen. Es gibt keinen Menschen, der nicht von Haus aus, als Mensch, als
der, der er ist, «in Adam» wäre: das alte, das gefallene Subjekt und
darum und als solches unter das Todesurteil, unter den Gesichtspunkt
der Negation, unter den Zorn Gottes gestellt. Dies ist die alte Welt, aus
der wir – immer wieder – herkommen.
Es ist aber Christus das neue Subjekt, das Ich der kommenden Welt.
Dieses Ich ist Träger, Empfänger und Offenbarer göttlicher «Gerecht
sprechung», göttlicher Erwählung: «Dies ist mein lieber Sohn, an dem
ich Wohlgefallen habe! » (vgl. Mt. 3,17 par.). Unanschaulich, unge
schichtlich, nicht-gegeben ist auch diese Qualifikation des Menschen,
die Einsetzung des aus Davids Stamm Geborenen zum Sohne Gottes
durch die Kraft der Auferstehung ( 1,3-4). Fleisch und Blut kann das
ac
ad
1. Abdruck ( 1922°): «versichert ( 5,15-17), daß » .
2. Abdruck ( 19233): «das».
250
nicht offenbaren (vgl. Mt. 16,17]. Aus dem Geheimnis der göttlichen
Prädestination geht auch hier das Erkennen und das Erkannte hervor
und wird zur neuen , zur siegreich überlegenen Bestimmtheit aller
menschlichen Geschichte. Unmittelbar mit dieser Gerechtsprechung
in Christus ist aber auch gesetzt « für alle Menschen » die « Rechtfer
tigung, die das Leben ist», die grundsätzliche Negation aller Negation,
der Tod des Todes, die Zerreißung aller Schranken, das Durchbrechen
aller Bande“, die Überkleidung des Menschen mit der «Behausung die
vom Himmel ist» (2. Kor. 5,2). Unmittelbar mit dieser Gerechtspre
chung ist für alle Menschen der Tod verschlungen in den Sieg ( 1.Kor.
15,54), das Sterbliche verschlungen vom Leben (2.Kor. 5,4). «Chri
stus, auferweckt von den Toten, stirbt nicht mehr, der Tod herrscht
nicht mehr über ihn» (6,9). Unmittelbar mit dieser Gerechtsprechung
ist das neue, das ewige Subjekt aller Menschen geschaffen ( 5,18). Denn
( 5,19) « durch den Gehorsam des Einen werden die Vielen als Gerechte
hingestellt werden ». Wieder ist nicht bloß ein Individuum, eine Per
sönlichkeit, ein Einzelner beleuchtet durch das, was in des einen Jesus
Leben und Sterben als Gehorsamstat angeschaut und gewertet wer
den möchte, sondern das Individuum, die Persönlichkeit, der Einzel
ne ist es, was hier entdeckt ist; «hingestellt», beleuchtet und aufge
deckt werden hier, für sehende Augen, in dem einen «die vielen» In
dividuen: du und ich, | 161 | als Gerechte vor Gott, als von Gott Ange
schaute und Erkannte, als in Gott Begründete, als von Gott zu sich
Gerechnete. Es gibt keinen Menschen, der nicht im Lichte dieser Ge
horsamstat « in Christus» wäre: das neue, das mit Gerechtigkeit be
kleidete Subjekt und darum und als solches unter die Freisprechung
und göttliche Bejahung gestellt. Freilich: «sie werden als Gerechte
hingestellt werden » (2,13 ; 3,30; 5,17) - damit wir nicht vergessen, dass
du und ich als die, die wir sind, immer nur in Hoffnung dieser unsrer
positiven Beziehung zu Gott gedenken können. Wir stehen auf der
Schwelle, aber wir stehen auf der Schwelle. Dies ist die neue Welt, der
wir - immer wieder - entgegengehen.
V.20–21 Das Gesetz aber ist zwischen hineingekommen, damit
der Fall zum Überfließen komme. Wo aber die Sünde überfloss, da
60
Vgl. den Choral «О Durchbrecher aller Bande» von G. Arnold, GERS
( 1891 ), 297; GERS ( 1952) 306; EG 388 .
251
überströmte die Gnade, damit, wie die Sünde königlich herrschte
im Tode, so auch die Gnade Königsgewalt übe durch Gerechtigkeit
zum ewigen Leben durch Jesus Christus unsern Herrn.
« Das Gesetz ist zwischen hineingekommen, damit der Fall zum
Überfließen komme. » Im Blick auf 5,18-19 ist auch hier (wie 5,13-14
im Blick auf 5,12) eine Unterstreichung zu vollziehen. Sie betrifft
noch einmal den schon als «Fall» und «Ungehorsam» vertieften und
verdeutlichten Begriff der Sünde und geschieht im Interesse eines
letzten Hinweise auf die überragende Bedeutsamkeit der gegenüber
stehenden Begriffe «Gerechtsprechung und Gehorsam ». Und wie
derum ist es der Begriff des Gesetzes, der zu dieser Unterstreichung
dienen muss. Fanden wir dort, dass die unanschauliche Sünde sich als
Macht (im Tode) auch da geltend macht, wo kein Gesetz ist, so wird
hier zu zeigen sein, dass sie gerade da, wo Gesetz ist, als Sünde an
schaulich wird. Weit entfernt davon, etwa tatsächlich zwischen die
zwei großen Weltbestimmtheiten «Fall» und «Gerechtsprechung”,
«Ungehorsam» und « Gehorsam » als dritte Möglichkeit hineinzutre
ten, kann das Gesetz als anschauliche geschichtliche Größe nur die
Stelle, den Ort bezeichnen, wo der Gegensatz der zwei Welten dem
Menschen zum Bewusstsein kommen, wo die Notwendigkeit des Um
schlags von hier nach dort zur Erkenntnis werden muss. In ihrem
großen, objektiven Zusammenhang, in ihrer unanschaulichen, in Got
tes Willen und Walten begründeten Pragmatik haben wir die neue
Welt der alten siegreich gegenübertreten sehen. Haben wir dabei nicht
doch etwas vergessen, übersehen, unterdrückt ? Hat die Beziehung
des Menschen zu Gott, in der wir «in Adam» oder «in Christus» sind,
nicht auch ihre subjektive menschliche Seite? Besteht neben den un
anschaulichen Möglichkeiten des «alten» und neuen » ( 162| Menschen
nicht auch die anschauliche Möglichkeit, ein – religiöser Mensch zu
sein ? Ist nicht zwischen Adam und Christus als der dritte - Mose
( 5,13-14) samt seinem Bruder Aaron, der Prophet und der Priester,
der glaubende, hoffende und liebende Mensch, der Gottesfürchtige,
der Gottgeweihte, der Gottbegeisterte, der Erweckte , der Wartende,
der Eilende ( vgl. 2.Petr. 3,12], der Horchende und Sehende, der Be
reite und Tätige, der den Sprung in die Luft Wagende oder doch der im
Kleinen Getreue (vgl. Lk. 16,10), der Denkende oder auch der Han
delnde oder auch der Betende, kurz: die Religion in Geschichte und
252
Gegenwartół? Sollte nicht, wo Religion ist, die Schwelle, auf der der
neue Mensch steht, anschaulich überschritten, die dialektische Waage
von Sünde und Gerechtigkeit anschaulich ersetzt sein durch gesunde,
kräftige Gottmenschlichkeit und Menschgöttlichkeit, anschaulich ge
geben (schlicht und einfach ) ein Stück oder doch Stücklein neue Welt?
Wir nehmen diese Frage ganz ernst. Jawohl, die Gottesbeziehung hat
auch ihre subjektive, menschliche, geschichtliche Seite. Es ist eine
nicht genug zu beachtende Tatsache, dass es religiöse Menschen gibt,
dass die religiöse Haltung, das religiöse Denken, das religiös motivier
te Handeln unter tausend verschiedenen (und in wie viel anziehenden,
ernsthaften, ehrfurchterregenden, starken!) Formen immer wieder
geschichtliche Wirklichkeit wird. Wir mögen relative Kritik üben an
den mannigfachena Erscheinungen des religiösen Gebietes und wer
den doch auch immer wieder mit relativer Anerkennung davor still
stehen müssen. Einwänden, die sich etwa nur auf ihre zufällige Form
und Beschaffenheit beziehen, wird die Religion immer gewachsen
sein. Denn unter allen menschlichen Möglichkeiten ist gerade sie die
tiefsinnigste, die reinste, die lebenskräftigste und wandlungsfähigste.
Religion ist die menschliche Möglichkeit, von Gottes Offenbarung
einen Eindruck zu empfangen und aufrecht zu erhalten, die Drehung,
Wendung und Bewegung vom alten zum neuen Menschen abzubil
den, nachzuerleben, auszugestalten in den anschaulichen Formen
menschlichen Bewusstseins und menschlicher Schöpfungen, einsam
oder gemeinsam eine dem Wege Gottes am Menschen entsprechende,
ihn vorbereitende, begleitende oder ihm nachträglich folgende Hal
tung einzunehmen und bewusst oder unbewusst zur Darstellung zu
bringen. Als solche menschliche Möglichkeit ist « das Gesetz zwischen
hineingekommen ». Es ist eine zweideutige Größe, schwebend zwi
schen Himmel und Erde, schillernd zwischen höchster Verheißung
und höchster Fragwürdigkeit der Erfüllung. Es scheint als Möglich
keit, seinem Anspruch, seinem behaupteten, gemeinten und gesuch
ten Inhalt nach neue Welt, Gottesbesitz und Gottesgegenwart, Ge
ae
1. Abdruck ( 1922 ): «mannigfaltigen ».
61
Anspielung auf das in Tübingen 1909–1913 in erster Auflage erschienene
Handwörterbuch Die Religion in Geschichte und Gegenwart.
253
rechtigkeit und Leben zu sein. « Ihr | 163 | habt das Gesetz empfangen
durch der Engel Geschäfte» (Act. 7,53). «Das Gesetz ist heilig und
seine Forderung ist heilig und gerecht und gut > (7,12). Es hat also
offenbar auch das Gesetz seinen unanschaulichen Grund und Sinn in
Gott, dem wir nicht genug nachfragen können (3,31 ), und hierin fin
det alle Anerkennung, Vertretung und Verteidigung der Religion ihr
relatives Recht. Es ist aber offenbar als menschliche Möglichkeit, als
geschichtliche Erscheinung und Wirklichkeit, seiner tatsächlich rest
losen Verflochtenheit in die Welt des Menschen, seiner jenen behaup
teten Inhalt völlig verhüllenden psychischen, intellektuellen, morali
schen, soziologischen Form nach alte Welt, es steht im Schatten der
Sünde und des Todes. Es wird die göttliche Möglichkeit der Religion
offenbar nie und nirgends menschliche Möglichkeit. Und hierin mag
alle Kritik der Religion ihr relatives Recht finden. Jawohl, die Got
tesbeziehung hat notwendigerweise ihre subjektive Seite, aber diese
subjektive Seite ist als solche eben notwendigerweise unter dem Ge
setz des Todes. Aus diesem Zwielicht gibt es offenbar kein Entrinnen,
weder für Aaron noch für Mose, weder für das minderwertigste noch
für das höchststehende religiöse Erlebnis. Ungeschützt gegen das
Missverständnis, es handle sich um eine neue Variante dieser mensch
lichen Möglichkeit (die doch eben keine ist! ), ist auch der historische
Jesus «geboren vom Weibe und unter das Gesetz getan» (Gal. 4,4), ist
auch das paradoxe Faktum des paulinischen Apostolates, ist auch un
ser «Wir haben Frieden mit Gott» ( 5,1 ). In diesem Zwielicht findet
auch alle Polemik der Religionen untereinander und nicht zuletzt die
(eo ipso religiöse ! ) Polemik gegen die Religion überhaupt statt. Wel
che Beteuerung, dass es bei «uns», dass es da und da «nicht so ge
meint» sei, vermöchte es, gerade unsere Religion, gerade diese oder
jene geschichtliche religiöse Erscheinung (und wäre es die der raffi
niertesten Skepsis des außerordentlichsten religiös-unreligiösen Au
Renseiters6?! ) diesem Zwielicht, diesem Missverständnis, zu entrük
ken, ihre grundsätzliche Überlegenheit und Andersartigkeit sicher zu
stellen ? Wir verzichten auf solche Beteuerung. Die Religion, die wir
an uns selbst und an Anderen allein kennen, ist die Religion als
menschliche Möglichkeit des höchst problematischen Versuchs, den
62
Vgl. oben S. 124, Anm. 8 .
254
Vogel im Fluge abzubilden“3. Religion muss in jedem anschaulichen,
fasslichen und geschichtlichen Sinn als Erscheinung innerhalb der
Welt des Menschen (die die Welt der Sünde und des Todes ist) aufge
fasst und – preisgegeben werden. Alle Beachtung und Bewunderung,
die der Religion innerhalb dieser Welt zukommt, darf uns nicht hin
dern an der Einsicht, dass jeder Absolutheits-, jeder Transzendenz-,
jeder Unmittelbarkeitsanspruch der Religion nichtig ist. In irgend ei
ner | 164 Verlängerung der Natur zur Über- oder Hinternatur (Meta
Physik64), in irgend einer der Zwischenreichsregionen des Sinnlich
Hintersinnlichen, irgendwo im Bezirke Nicht-Gottes, des Gottes die
ser Welt (vgl. 2. Kor. 4,4] (der auch «Leben», «Wirklichkeit», «Reich
Gottes » , « Jenseits usw. heißen kann) bleiben auch ihre kühnsten
Intentionen *f, ihre tiefsten Erlebnisse, ihre himmelstürmendsten Pro
gramme stecken. – Positiv ist von der Religion offenbar nur das zu
sagen, dass in ihr, als in der tiefsinnigsten, reinsten und - zähesten
menschlichen Möglichkeit die Welt des Menschen ihren Gipfel (ihren
Gipfel!) erreicht, erreichen muss . «Das Gesetz ist zwischen hinein
gekommen, damit der Fall zum Überfließen komme. » So wirkt die
unanschauliche Möglichkeit der Religion als anschauliche menschli
che Möglichkeit. So muss sie wirken, damit der «Fall» des Menschen
anschaulich werde, damit an seiner Anschaulichkeit die Notwendig
keit des Umschlags zur «Gerechtsprechung» zur Erkenntnis werde.
af Druckmanuskript: «Intuitionen» .
ag Druckmanuskript: «So» .
65
Aussage des Bruders von Staretz Sossima, Markel, in Dostojewskis Ro
man Die Brüder Karamasoff, 6. Buch, Kap. II, Sämtliche Werke, 1. Abt.,
Bd. IX/ 1 , München 1908, S. 581 ; vgl. auch E. Thurneysen, Dostojewski, Mün
chen 1921 , S. 63 .
66 Eberle, S. 97 (in Barths Exemplar unterstrichen): Viel fast nützlicher
Punkt ausgezogen aus etlichen Predigten D. M. Luthers ( 1537), 12. Alius Ser
mo. Christus pro nobis Inimicis Mortuus est. Rom: 5 ( 1537), WA 45,401,30f.
256
schaulich: dass vor ihm kein Fleisch gerecht ist (vgl. 3,20). Da eben
kann und muss die Krisis des Menschen an Gott, die Krankheit zum
Tode ausbrechen.
« Wo aber die Sünde überfloss, da überströmte die Gnade. » Es
braucht also die Aufhebung auch der letzten Gegebenheit, die Kata
strophe auch nochah gerade der religiösen Menschenmöglichkeit, da
mit der Umschlag von Gottes Nein zu Gottes Ja sich vollziehen, da
mit Gnade Gnade sein kann. Aber indem diese Aufhebung und Ka
tastrophe sich ereignet, indem der letzte Versuch, etwa nach Auflö
sung aller sonstigen Kurzschlüsse jene Drehung, Wendung und Be
wegung von Adam zu Christus zum Gegenstand einer positiven oder
negativen Methode zu machen, in seiner Bedeutungslosigkeit erkannt
ist, indem der Knecht Gottes - preisgegeben sich selbst preisgibt, voll
zieht sich jener Umschlag. Und darin liegt das Recht des vom Gesetz,
von der Religion angemeldeten Anspruchs. Was kann Heilvolleres
geschehen, als dass die Krankheit zum Tode ausbricht und wo sollte
sie ausbrechen als da, wo das Gesetz zwischen hineingekommen ist:
wo der Mensch in seiner ganzen Fragwürdigkeit nicht mehr Gottes
nicht gedenken kann und wo eben darin seine ganze Fragwürdigkeit
zum Vorschein kommt? « Wenn er sein Leben zum Schuldopfer ge
geben hat, so wird er Samen haben und in die Länge leben, und des
Herrn vornehmen wird durch seine Hand fortgehen. Darum, dass
seine Seele gearbeitet hat, wird er seine Lust sehen und die Fülle ha
ben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte,
Viele gerecht machen; denn er trägt ihre Sünde» ( Jes. 53,10–11). Hier
ist die Aufhebung und Katastrophe, die den Saulus zum Paulus macht
und die ihm zugleich das Recht gibt, ja die Pflicht auferlegt, auch als
Paulus ein rechter - Saulus zu sein. Denn was er als Paulus ist, das ist er
als der, der er nicht ist, das ist das « Überströmen der Gnade, das in
jedem zeitlichen Augenblick ohne das « Überfließen » der Sünde in der
Religion nicht geschehen kann. Man soll der zweideutigen geschicht
lichen Wirklichkeit der Religion nicht entrinnen wollen - und es ist
auch gesorgt dafür, dass man ihr nicht entrinnt. Gnade ist Gnade da,
wo die religiöse Möglichkeit, ganz ernst genommen, in voller Kraft
57
und Entfaltung stehend -geopfert ist. Nur da! Wir werden es uns aber
verbieten, von diesem Nur da! aus auch nur weiter zu denken, ge
schweige denn zu reden ! Wohl denen, ( 166) die in überlegen ausge
glichener Humanität vom Übermut und von der Tragik der Religion
nichts zu wissen und denen die Illusionen und Desillusionen Israels
erspart zu sein scheinen. Ihnen, in pharisäische Gedankengänge zu
rückbiegend, ein: «Wäre Christus in Athen geboren, so wäre keine
Bürgschaft für ein so königliches Herrschen der Gnade gegeben»
(Zahn)67 nachzurufen, werden wir uns wohl hüten.
Denn dazu muss die Sünde « überfließen » und die Gnade «über
strömen», « damit, wie die Sünde königlich herrschte im Tode, so auch
die Gnade Königsgewalt übe durch Gerechtigkeit zum ewigen Le
ben». Gottes Reich, Gottes Herrschafts- und Machtbezirk ist die neue
Welt, auf deren Schwelle wir als neue Menschen stehen. Er selbst, er
allein ist's, der hier will und wählt, schafft und erlöst. Es geht um die
Echtheit der Bewegung von Adam zu Christus, wenn wir, Gleiches zu
Gleichem stellend, auch die religiöse Möglichkeit als letzte und höch
ste auf den Generalnenner «Königsherrschaft der Sünde im Tode »
bringen, um dann allem Gleichen das ganz und gar Ungleiche der
Gnade zu konfrontieren, welche « Königsgewalt übt durch Gerech
tigkeit zum ewigen Leben durch Jesus Christus unsern Herrn ». Gna
de ist nicht Gnade, wenn der Begnadete nicht der Gerichtete ist. Ge
rechtigkeit ist nicht Gerechtigkeit, wenn sie nicht dem Sünder ange
rechnet ist. Leben ist nicht Leben, wenn es nicht Leben aus dem Tode
ist. Gott ist nicht Gott, wenn sein Anfang nicht das Ende des Men
schen ist. Dass die alte Welt ein so vollständig, so lückenlos in sich
geschlossener Kreis ist, aus dem es kein Entrinnen gibt, darin erken
nen wir - im Lichte der Auferstehung Jesu von den Toten - die Be
deutung und Kraft des nahenden Tages: des Tages des neuen Men
schen und der neuen Welt. ( 167|
67 Zahn, S. 292.
258
6. Kapitel
DIE GNADE
6,1-11
V. 1 Was sollen wir nun weiter sagen ? «Lasst uns in der Sünde ver
weilen, damit die Gnade um so größer werde! » ? Unmöglich !
« Was sollen wir nun weiter sagen ?» In engster dialektischer Bezie
hung zueinander sehen wir Adam und Christus, alte und neue Welt,
Königsmacht der Sünde und Königsmacht der Gnade, scheinbar ge
genseitig durcheinander bedingt und aufeinander angewiesen, gegen
seitig sich garantierend und legitimierend. Mit allem Nachdruck haben
wir (besonders 5,15-17) behauptet, dass diese Beziehung eine echt dia
lektische ist, d. h. dass sie in der Aufhebung des ersten Gliedes durch
das zweite besteht, dass also die Reihe nicht umkehrbar ist. Aber viel
leicht haben wir das doch erst behauptet? Alles hängt davon ab, dass
wir diesen Sieg, diesen Umschlag ohne Rückschlagmöglichkeit, diese
schlechthinige Wendung als Notwendigkeit erweisen können. Wir
wagten als stärksten Hinweis auf den ewigen Augenblick der Erkennt
nis, da in Gottes unanschaulichem Ratschluss der Schlüssel sich dreht,
die Türe sich öffnet, der Schritt über die Schwelle geschieht, den ge
fährlichen Satz: « Wo der Fall überfloss, da überströmte die Gnade»
( 5,20). Wir wagten es, den Gipfel der Sünde und den Triumph der
Gnade, Saulus und Paulus in ihrem Zusammenhang zu begreifen. Wir
mussten es wagen, denn « Christus wird wohl nicht darum verschwie
gen werden dürfen, weil er vielen zum Stein des Anstoßes und Fels des
Ärgernisses wird; denn in der gleichen Eigenschaft, in der er den Un
gläubigen zum Verderben wird, wird er den Frommen zur Auferste
hung» (Calvin).' Es könnte aber verkannt werden, dass jener Satz tat
! Calvin, col. 103 : «Pergendum est tamen, nec Christus ideo supprimendus
quia multis sit in lapidem offensionis et petram scandali. Qua enim ratione
impiis cedet in ruinam , piis vicissim in resurrectionem erit. »
259
sächlich ein gefährlicher, ein zweideutiger Satz ist, dass sein Inhalt
eben nur als Hinweis auf den ewigen Augenblick der Erkenntnis Got
tes, nicht aber in physisch -metaphysischem Sinn, nicht als Beschrei
bung eines Vorgangs auf der Ebene der historisch-psychologischen
Wirklichkeit Wahrheit ist. Es ließe sich ja eine Fortsetzung jenes Satzes
denken, ( 168 | die etwa so lauten würde: In ewiger Spannung, Polarität
oder Antinomie stehen sich Fall und Gnade gegenüber. Ja und Nein
sind in sich gleich notwendig, gleich wertvoll und gleich göttlich.
Gleich lebendig lebt der Mensch in beiden. Nein muss sich inJa und Ja
muss sich immer wieder in Nein verwandeln , weil es sonst stürbe.
Alles ist negativ und alles ist positiv zu werten und was solchea Ge
meinverständlichkeiten mehr sind. Wollen wir etwa das sagen ?
Also: «Lasst uns in der Sünde verweilen, damit die Gnade um so
größer werde! » ? Der kontinuierliche Zusammenhang von Sünde und
Gnade, Saulus und Paulus ist der actus purus eines unanschaulichen
Geschehens in Gott. Die Einheit des göttlichen Willens spaltet sich
zur Zweiheit, um sich in der Überwindung dieser Zweiheit um so
siegreicher als Einheit zu erweisen . Dieses unanschauliche Geschehen
in Gott kann verwechselt werden mit der anschaulichen Reihe see
lisch-geschichtlicher Zustände, in denen es im Leben des Menschen
zur Erscheinung kommt. Es kann m. a. W. das anschauliche Neben
einander und Nacheinander der jene Wendung in Gott im Leben des
Menschen anzeigenden Zustände metaphysisch zurückprojiziert
werden in den Willen Gottes selbst. Die Folge wird offenbar die sein,
dass der Mensch sich nicht mehr auf den unbekannten Gott selbst als
auf seinen ewigen Ursprung verwiesen, wohl aber sich selbst, den be
kannten Menschen, die Kontinuität seiner eigenen niedern und hö
hern Zustände, transzendent bestätigt und begründet sieht. Mit der
Verewigung des zeitlichen Vorgangs ist offenbar die Beunruhigung
ausgeschaltet, die jenes unanschauliche Geschehen in Gott (als Dro
hung und Verheißung) für den zeitlichen Vorgang als solchen bedeu
tet; an ihre Stelle ist die Friedhofsruhe der immanenten Spannung,
Polarität, Allogenität oder Antinomie eines höhern und niederernb
Zustandes, also zweier kausal miteinander verknüpfter anschaulich
a
1. Abdruck ( 1922°): «dgl.».
b Druckmanuskript: « niedern».
260
menschlicher Möglichkeiten getreten. Wenn Gnade nach Analogie
menschlicher Zustände auf Sünde folgt, so kann offenbar auch umge
kehrt Sünde auf Gnade folgen, die dann ihrerseits wieder Gnade zur
Folge hat“. Das bedeutet aber die Einladung, in der Sünde zu «ver
weilen », mit ihr, die, von Gott aus gesehen, gegenüber der Gnade als
das ewig Gewesene, Ausgeschlossene, Aufgehobene nur auftauchen
dürfte, um zu verschwinden, zu rechnen als mit einem positiven Fak
tor, sie zu benützen als Mittel, Weg und Sprungbrett zur Gnade
(«damit die Gnade um so größer werde»), wie eben eine menschliche
Möglichkeit Mittel, Weg und Sprungbrett sein kann zu einer andern
menschlichen Möglichkeit. Es ist dieselbe «menschliche Logik», die
sich schon | 169| einmal (3,3-s ) mit ihrem « Lasset uns Böses tun, damit
Gutes daraus werde ! » zu Worte gemeldet hat, die auch hier den Men
schen mit der Bedingtheit seiner Kontraste zum Gott erhebt (als ob
der Mensch in der Lage wäre, durch sein Tun innerhalb der Bedingt
heit seines Wesens die Wendung vom Bösen zum Guten, von der
Sünde zur Gnade zu vollziehen ! ) und Gott in der freien Bewegung
seines Willens zum Menschen erniedrigt (als ob der Gott, der launen
haft zwischen Gut und Böse, Sünde und Gnade hin- und her
schwankt, Gott wäre und nicht vielmehr Nicht-Gott, der Gott dieser
Welt (vgl. 2. Kor. 4,4), das Spiegelbild des mit sich selbst uneinigen
Menschen ! ).
Ein « Unmöglich !» setzen wir hier wie dort dieser menschlichen
Logik entgegen. Unmöglich ist es, den unerhörten, den unanschauli
chen Moment, da Sünde und Gnade sich in Gott das Gleichgewicht
halten, gleich stark und gleich berechtigt sich gegenüberstehen, in die
menschliche Wirklichkeit eines seelisch-geschichtlichen Nach- und
Nebeneinander, in menschlich gewusste und gewollte Anschaulich
keit zu übertragen. Unmöglich ist es, die Sünde als Ursache der Gnade
zu bejahen, anzuerkennen , zu feiern, als ob Sünde und Gnade, Gnade
und Sünde sich wirklich folgen würden. Unmöglich ist es, dem Men
schen in frommer Zudringlichkeit die Souveränität Gottes und Gott
in frommer Ergebung die Ohnmacht des Menschen zuzuschreiben.
Unmöglich ist das unter Berufung auf den Ratschluss Gottes getrie
C - C
1. Abdruck ( 1922²): «um dann ihrerseits wieder von Gnade gefolgt zu
werden» .
261
bene pseudo-dialektische Spiel mit der ewigen Spannung, Polarität
und Antinomie, in der sich der Mensch angeblich befinden soll. Diese
Unmöglichkeit ist die Kraft der Auferstehung. Von ihr ist nun zu
reden .
V.2 Die wir der Sünde starben – wie werden wir noch in ihr
leben können ?
Sünde ist als anschauliches Ereignis gerade jene Verwechslung von
Mensch und Gott, jene Vergöttlichung des Menschen oder Ver
menschlichung Gottes, durch die der Mensch sich selbst rechtferti
gen, bestätigen und bestärken möchte. Sofern sich unser menschliches
Wissen und Wollen auf der niedersten wie auf der höchsten Stufe der
uns gegebenen Möglichkeiten fortwährend und notwendig in diesem
Ereignis verdichtet, sind wir als Menschen fortwährend und notwen
dig Sünder. Fortwährend und notwendig darum , weil unser mensch
liches Wissen und Wollen (im ganzen Umkreis seiner Möglichkeiten)
nicht anders kann als in seiner Bedingtheit, Zufälligkeit und Zersplit
terung Zeugnis ablegen von der unanschaulichen Sünde des Abfalls,
von der unser Dasein als Menschen, als diese Menschen, die wir sind,
bestimmt ist. «In der Sünde leben», das heißt also: bestimmt durch
jene unanschauliche Notwendigkeit wissentlich und 170 willentlich
jene Vergöttlichung des Menschen und Vermenschlichung Gottes
vollziehen und betreiben .
Gnade nun ist die aus keinerlei Kontinuität (außer der des Willens
Gottes selbst, Gottes allein ! ) zu begreifende Tatsache der Vergebung:
Dieser gefallene und, soweit das Auge reicht, Gott verkennende
Mensch ist von Gott erkannt als sein Kind, ist der Gegenstand gött
licher Barmherzigkeit, göttlichen Wohlgefallens, göttlicher Liebe.
Das ist der tödliche Angriff auf diesen «in der Sünde lebenden» Men
schen, der radikale Zweifel an seiner unanschaulichen Bestimmung
und anschaulichen Bestimmtheit durch die Sünde. «Gnade ist wider
die Sünde und frißt sie auf » (Luther)', nämlich die Sünde des Abfalls,
die in der in der Religion gipfelnden Sünde des Anthropomorphismus
anschaulich zum Ausbruch kommt. Gnade greift die Sünde in ihrer
262
Wurzel an. Sie stellt uns selbst, als diese Menschen, die wir sind, in
Frage. Sie nimmt uns als solchen den Atem, sie ignoriert uns als solche,
sie redet uns an als die, die wir nicht sind, als neue Menschen. Gott
weiß nicht mehr, was wir sonst sind ! Stehen wir in der Gnade, so heißt
das, dass wir von Gott erkannt sind als Nicht-Sünder. Sünde als die
notwendige Bestimmung unseres Wissens und Wollens ist für uns als
die, die wir, von Gott erkannt, sind, ein Gewesenes, ein Überwun
denes, ein Erledigtes geworden. « Wir starben der Sünde.» Wir wach
sen nicht mehr aus dieser Wurzel, wir atmen nicht mehr in dieser Luft,
wir unterstehen nicht mehr dieser Macht. «Wie werden wir noch in ihr
leben können ? » Wie werden wir weiter leben als die, die wir sind, von
denen Gott nichts weiß ? Was wird aus der anschaulichen Bestimmt
heit unsres Wissens und Wollens ? Wie soll unser Dasein als Menschen
der Schauplatz anschaulicher Sünde sein ? Ja wie ? Gerade die Gege
benheit, die Notwendigkeit, die Voraussetzung der Sünde ist pro
blematisch geworden, unser Sein in das Licht seines überlegenen
Nicht-Seins gerückt. Ein unerhörtes und unanschauliches, ein Futu
rum aeternum unseres Daseins, das Futurum der uns nicht-gegebenen
Möglichkeit Gottes, schiebt sich überragend mächtig an Stelle der
Totalität dessen, was wir als menschenmöglich wussten und wollten,
wissen und wollen, wissen und wollen werden. Das ist Gnade.
Gnade und Sünde sind also von Haus aus inkommensurable Grö
Ben. Sie können weder als zwei Stationen eines Weges, noch als zwei
Glieder einer Kausalreihe, noch als zwei Brennpunkte einer Ellipse,
noch als zwei Griffe einer Methode, noch als zwei Prädikate eines
Subjekts nebeneinander stehen. Sie sind, mathematisch gesprochen,
nicht nur Punkte auf verschiedenen Ebenen, sondern Punkte in ver
schiedenen Räumen, von denen der zweite den 1171 | ersten aus
schließt. Schon die Frage nach einem « Verhältnis » beider, nach einer
Möglichkeit, von hier nach dort zu gelangen, ist ausgeschlossen. Sün
de verhält sich zu Gnade wie möglich zu unmöglich. Gnade, die die
Sünde als Möglichkeit neben sich hat, ist nicht Gnade. Der Begnadigte
weiß die Sünde nicht, und er will sie nicht. Der Begnadigte ist nicht der
Sünder. Zwischen beiden ist ein Vergehen und Neuwerden des Men
schen. «Die Rechtfertigung ist die Gottestat, die als solche den Men
schen nicht läßt, wie er ist, sondern völlig umgestaltet» (Fr. Barth).?
} Fr. Barth , Der Briefan die Römer, Ungedrucktes Kollegmanuskript vom
Winter 1890/91 (im KBA), Bogen 57,3 .
263
V.3-5 Oder merket ihr nicht, dass wir als auf den Christus Jesus
Getaufte auf seinen Tod getauft wurden? Wir wurden nun begra
ben mit ihm durch die Todestaufe, damit, wie Christus von den
Toten erweckt wurde durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir
in Lebensneuheit wandeln sollten. Denn sofern wir ihm verwandt
sind im Gleichnis seines Todes, nämlich in unserm Tode, werden wir
es auch in der Auferstehung sein.
« Wir als aufden ChristusJesus Getaufte». Wir stellen an die Spitze
unsrer Überlegungen die Erinnerung an das den anschaulich -zeitli
chen Anfang unserer Erkenntnis Gottes bildende «Zeichen» (4,11 )
der Taufe. Also die Erinnerung an ein Faktum aus der Erscheinungs
welt der Religion. Warum nicht ? Auch die Sünde, um die es sich hier
handelt, ist ja das anschauliche Faktum der wissentlichen und willent
lichen Verunehrung Gottes . Und als Faktum in der Erscheinungswelt
ist ja auch die «Erlösung in Christus Jesus» (3,24) aufgetreten. Ihre
Historizität ist («für alle, die glauben» 3,22a! ) der Hinweis auf die
Existentialität ihres ewigen Gehaltes. «Zeichen» in diesem Sinn ist
auch die Taufe gerade in ihrer paradoxen Einmaligkeit. Dass das Zei
chen Zeichen ist und nicht mehr als das, das wissen wir, aber warum
sollte es uns nichts zu zeigen haben ? «Die Zeichen sind nur dann leer
und wirkungslos, wenn unsre eigene Undankbarkeit und Bosheit der
Energie der göttlichen Wahrheit in den Weg tritt» (Calvin)“, d. h. wenn
wir sie ihrer Wahrheit dadurch berauben, dass wir sie mit einer ding
lichen Gegebenheit irgendwelcher Art identifizieren: sei es dadurch,
dass wir sie zu einer inhaltleeren (Pietät ist kein Inhalt ! ) «kirchlichen
Handlung» s verflüchtigen, sei es, dass wir sie in einem allfällig an den
Zeichen zu machenden religiösen Erlebnis ( « Tauferlebnis» ) suchen,
4 Calvin, col. 106: «Nunquam enim nuda inaniaque habemus symbola, nisi
ubi divinae beneficentiae energiam nostra ingratitudo ac malignitas impedit.»
Vgl. W. Thümmel, Art. «Handlungen, kirchliche», in: RGG' II, Sp. 1840–
1843, bes. Sp. 1841 : Kirchliche Handlungen sind «die durch ein äußerliches
Tun zum Ausdruck gebrachten Gebetswünsche, die in bestimmter Weise zu
einem
6
besonderen Zweck über und von Menschen an Gott gerichtet werden» .
Vgl. Kühl, S. 203 : «Es drängt ihn, in der Antwort auf den in V. 1 formulier
ten Einwurf das Tauferlebnis der Christen sofort so zu beschreiben, daß daraus
ihre Befähigung und Verpflichtung zu einem neuen sittlichen Wandel ersicht
lich wird. » S. 204: «wir sind durch ein Erlebnis oder: in einem Erlebnis, das
264
sei es, dass wir dem Zeichen eine direkte mystisch -magische Mittei
lungskraft zuschreiben oder es in mehr rationaler Weise als eine der
tiefen Sinngebungen ( «Symbole»?), vom christlichen Mythus im Cha
os des Lebens aufgerichtet, werten und schätzen. Als das auf Gottes
jenseitige Sinngebung des Lebens zeigende und sie bezeugende, (172|
als das sein Wort (und nicht nur den christlichen Mythus) verkündi
gende Zeichen ist die Taufe, was sie ist: Wahrheitsträger, Heiligtum,
Sakrament. Sie bedeutet nicht nur, sondern sie ist in ihrer Bedeutsam
keit, als Hinweis auf das Jenseits ihrer Dinglichkeit, Vermittlung neu
er Schöpfung, ewiged Realität, nicht Gnade, aber durchaus Gnaden
mittel®. Wie die auf Gott gerichtete Frage immer auch Gottes Antwort,
wie des Menschen Glaube Gottes Treue unanschaulich umschließt, so
auch das Menschenwerk der Taufe das durch sie verkündigte Tun
Gottes am Menschen. Bedeutet und ist sie uns das, warum soll sie
nicht die Festung sein, von der wir in der Welt des Zeitlichen und
Dinglichen zunächst ausgehen ? - Auch dass sie als «Initiationsritus»9
keine originale Schöpfung des Christentums, sondern «hellenistisches
Gut» tº ist, beweist nur, was wir immer sagen und auch hier sagen
wollen: Es hat seinen guten Grund, dass die Heilsbotschaft von Chri
stus nicht unter Proklamation neuer Riten, Dogmen und Institutio
d Druckmanuskript: « ewiger ».
seinem Tode vergleichbar ist, mit ihm zusammengewachsen ». Beide Sätze sind
in Barths Exemplar unterstrichen. Vgl. auch den Exkurs «Das Tauferlebnis»,
S. 212-216.
7 Vgl. z.B. Kühl, S. 213 : die Taufe dürfe «im Sinne des Paulus nur als sym
bolische Handlung verstanden werden»; Lietzmann, S. 62: «als wir mit unserm
ganzen Leibe [...] im Wasser verschwanden, sind wir symbolisch (durch Er
tränken) getötet [...] : aber nicht bloss «symbolisch», sondern tatsächlich ist da
bei der stellvertretende Tod Christi auf unsern Leib übergegangen»; Jülicher,
Paulusausleger, S. 35 : «Was uns heute bloß Sinnbild ist, vermischt sich dem
Orientalen mit der Wirklichkeit» .
8 Vgl. E. Troeltsch, Art. «Gnadenmittel», in: RGG ' II, Sp. 1475f., nach dem
für «den heutigen Glauben» Gnadenmittel «alles» ist, «was der religiösen An
regung und Erbauung dienen kann» (Sp. 1476). Möglicherweise hat Barth diese
Umdeutung der alten Lehre von den media salutis (vgl. SchmP, S. 319–393)
hier im Blick.
9 Vgl. den Exkurs bei Lietzmann, S.63f.
1Ο
Lietzmann, S. 64.
265
nen, sondern auf der ganzen Linie unbefangen unter Entlehnung be
kannten «religiösen» Gutes auftritt. Die Botschaft von dem unbe
kannten Gott kann es sich leisten, den bekannten Göttern Mithras,
Isis und Kybele auf ihrem Felde " , auf dem Felde der religiösen Phä
nomene keine Konkurrenz zu machen. Ihre grundsätzliche Überle
genheit gegenüber der zwischenweltlichen Magie, die dort den ur
sprünglichen, den eigentlich gemeinten Sinn der religiösen Zeichen
sprache verdunkelt, gibt ihr die Möglichkeit, die Mysterienreligionen
besser zu verstehen, als sie sich selbst verstehen " , gibt ihr die Freiheit,
unbekümmert um das Bedenkliche auf den Sinn im Unsinn zurück
zugreifen , gibt ihr die Berechtigung, das jüdische und das heidnische
«Zeugnis» für die Offenbarung (3,21 ) als solches auf- und anzuneh
men. Wobei wir uns bewusst sind (4,16), dass es Gnade ist, wenn dem
Unsinn tatsächlich Sinn innewohnt, dass allein durch den Glauben (in
Erinnerung, dass es keine direkte Mitteilung Gottes gibt!) diese Auf
und Annahme des Sinns im Unsinn der religiösen Erscheinungswelt
möglich ist und dass diese doppelte Bestimmung die notwendige
Schranke und immanente Kritik unsrer Berufung auf dieses «Zei
chen » und «Zeugnis» ist.
«Merkt ihr nicht, dass wir auf seinen Tod getauft wurden ?» Von
einem Sterben redet das Zeichen der Taufe zu denen, die merken kön
nen. Getauftwerden heißt Eingetauchtwerden, Verschwinden im
fremden Element, Verhülltwerden von der reinigenden Flut. Der die
ses Wasser verlässt, ist nicht der, der es betreten hat. Einer ist gestor
ben, ein andrer ist geboren. Mit dem einen, der gestorben ist, ist der
Getaufte nicht mehr identisch. Denn Zeugnis ist uns die Taufe vom
Tode des Christus, in welchem ( 173 | der rücksichtslose, der radikale
Anspruch Gottes auf den Menschen triumphierte. Wer auf den Na
men des Christus getauft ist, der ist einbezogen in dieses Ereignis,
verschwunden und verloren in diesen Tod, verschlungen und bedeckt
von diesem Anspruch Gottes. Und damit ist er von der Insolenz und
Illusion menschlicher Gottähnlichkeit absolut abgeschnürt und abge
schnitten; denn was soll davon übrig bleiben angesichts des Kreuzes ?
II
Vgl. Lietzmann, ebd .
12 Schleiermachers Bestimmung der Aufgabe des Verstehens: Fr. Schleier
macher, Hermeneutik, neu hrsg. von H. Kimmerle (AAH, Jg. 1959, 2. Abh.),
Heidelberg 1974 , S. 50.56.83.87.108.138 .
266
Er hat seine Identität mit dem Menschen, der die Sünde weiß und will,
eingebüßt. Er ist der Macht der Sünde, der Bestimmtheit durch sie
ledig; denn er ist als der Mensch, über den die Sünde Macht haben, den
sie bestimmen kann, gestorben (6,2.7). Denn der Christustod hebt den
Abfall auf. Er schafft den Hohlraum, in dem die usurpierte Selbstän
digkeit des Menschen nicht mehr gedeiht. Er greift die unanschauliche
Wurzel der anschaulichen Sünde an. Er macht Adam, den Menschen
Nicht-Gottes, zu einer gewesenen, zu einer vergangenen Größe. Jen
seits dieses Todes lebt darum auch der Mensch, der in der Sünde weiter
leben will (6,2), der Mensch, der sein will wie Gott, nicht mehr. Der
Anspruch, den Gott hier auf den Menschen erhebt, hebt diesen Men
schen auf. «Himmelstürmender Idealismus» (H. Holtzmann )" ist
darum nicht der Sinn dieser Einsicht, weil ihr Ergebnis gerade das
Ende aller idealistischen Himmelstürmerei ist. Und «reiner harter
Doktrinarismus» (Wernle)"4 ist darum nicht ihr Charakter, weil sie als
Appell an den Gott, der die Toten lebendig macht (4,17b), gar nicht
Doktrin und darum auch nicht «rein» und «hart» werden kann, weil
sie sich in der vollen Blöße eines einmaligen Paradoxons selbst dem
wohlfeilen Widerspruch jedes Doktrinärs preisgibt, weil ihr Inhalt:
der Gedanke der göttlichen Kraft in der menschlichen Schwachheit
(vgl. 2. Kor. 12,9] grundsätzlich (im Gegensatz zu jeder Doktrin) nur
immer neu zu denken ist, als wäre er noch nie gedacht. « Theologie des
13
H.J. Holtzmann, Lehrbuch der Neutestamentlichen Theologie, hrsg. von
A. Jülicher und W. Bauer (Sammlung theologischer Lehrbücher), Bd. 2, Tü
bingen 19112, S. 164: «Mit der Einwohnung seines Geistes beginnt für sie (scil.
die ersten Christen ] eine neue Beschaffenheit des Lebens [...], welche Rm 6,5
analog ist derjenigen des auferstandenen Herrn [...] . Der himmelstürmende
Idealismus dieser Lehre, wozu doch dem Apostel selbst die Wirklichkeit um
ihn und selbst in ihm scharfe Contraste bot, zeigt eben nur wieder, wie maß
gebend für ihn die eigene Erfahrung gewesen ist und welch einen, bis in die
tiefsten Wurzeln des geistig-sinnlichen Daseins reichenden und niemals ganz
ausgeheilten, Bruch diese Erfahrung in sich schloß .>>
14 P. Wernle, Der Christ und die Sünde bei Paulus, Freiburg i.B./Leipzig
1897, S. 105 : «In Wahrheit liefert aber Röm 6 nur den Beweis, dass den Apostel
alle Erfahrungen in seinen Gemeinden nichts lehrten, wenn es galt, einen Ein
wand abzuschlagen, der sich gegen seine Theorie erhob. Es ist der reine harte
Doktrinarismus, wohlverständlich durch seine Zukunftsbegeisterung, aber
doktrinär in jedem Fall. Paulus will das Problem der Sünde im Christenleben
nicht sehen, also ist es nicht da. »
267
absoluten Moments» ( Troeltsch )? " Gerade das ist gemeint! Das Ab
solute existentiell gedacht, Erkenntnis der positivsten und exklusiv
sten Existentialität der göttlichen Gnade: gerade darum geht es im
Taufakt. «Eure Taufe ist nichts anderes denn ein Würgen der Gnade
oder ein gnädiges Würgen, dadurch die Sünde in euch ersäuft wird,
damit ihr unter der Gnade bleibet und nicht durch die Sünde unter
Gottes Zorn verderbet. Denn so du dich taufen läßt, so gibst du dich
unter das gnädige Ersäufen und barmherzige Töten deines lieben
Gottes und sprichst: ersäufe und würge mich, lieber Herr; denn ich
will nunfort gerne mit deinem Sohn der Sünde gestorben sein» (Lu
ther). Dieser Tod ist die Gnade.
« Wir wurden mit ihm begraben durch die Todestaufe, damit, wie
Christus von den | 1741 Toten erweckt wurde durch die Herrlichkeit des
Vaters, so auch wir in Lebensneuheit wandeln sollten .» Warum ist
dieser Tod die Gnade? Weil er «der Tod des Todes, die Sünde der
Sünde, das Gift des Giftes, die Gefangenschaft der Gefangenschaft
ist» (Luther).'? Weil die Gefährdung, Unterhöhlung und Zersetzung,
die von ihm ausgeht, das Tun Gottes ist. Weil die Kräftigkeit seiner
Negation urkräftigste Position ist. Weil er als letztes Wort über diesen
Menschen zugleich Angel, Schwelle, Übergang und Wende ist zum
neuen Menschen. Weil der Getaufte (nicht identisch mit dem einen,
der gestorben) identisch ist mit dem andern , der geboren ist. Tod ist
nicht Gnade, solange er eine bloß relative Negation ist, solange der
Angriff auf diesen Menschen stecken bleibt in bloßer Kritik, Oppo
sition und Revolution gegen diese und jene Gegebenheit, solange die
relativen Menschenmöglichkeiten etwa bloß vermehrt werden durch
270
die Drohung und Verheißung, die unzeitlich - unanschaulich jenseits
aller zeitlich-anschaulichen Ereignisse «meines» Lebens steht – jen
seits aller, weil und sofern Welt Welt, Zeit Zeit und Mensch Mensch ist.
Dieses ewige Futurum meines « Wandelns in Lebensneuheit», das als
die inkommensurable Todeskraft der Auferstehung in radikaler Ex
klusivität in mein «Weiterleben in der Sünde» hineinragt, ist gleich
zeitig der Sinn und die Kritik meines zeitlichen Seins, Denkens und
Wollens. Sofern das Unmögliche möglich wird, dass ich «mit Christus
begraben», als der, der ich nicht bin, jenen Sinn und jene Kritik mir zu
eigen mache (im Gegensatz zu allem , was ich bin ! ), bin ich in der Tat
«der Sünde gestorben» (6,2 ); denn in der unanschaulichen Lebens
neuheit, in der der neue Mensch zur Ehre Gottes wandelt, hat die
Sünde so wenig Raum, Licht und Luft wie der Tod in der in Jesu
Erweckung von den Toten sich manifestierenden unanschaulichen
Herrlichkeit des Vaters. Ob wir es wagen dürfen und tatsächlich wa
gen ( 5,1 ; 6,11 ), mit dieser unmöglichen Möglichkeit des neuen Men
schen zu rechnen, diese Frage wird uns immer wieder brennen. Dass
diese unmögliche Möglichkeit die mögliche Möglichkeit der Sünde
ausschließt, das kann keine Frage sein .
«Denn sofern wir ihm verwandt sind im 176 Gleichnis seines To
des, werden wir es auch in der Auferstehung sein . » Anschaulich, zeit
lich verstanden « verwandt » mit Christus sind wir, sofern unser Da
sein als ein Dasein in der Bedrängnis offenbar ohne unser Zutun ein
Gleichnis, ein Analogon seines Todes ist (8,17; Gal. 6,17; 2. Kor. 4,10;
Phil. 3,10; Kol. 1,24). Sein Tod aber ist der Anlass für den Menschen,
sich selbst in Gott zu verstehen: nämlich sein Wachstum in seinem
Abnehmen (vgl. Joh. 3,30 ), seine Kraft in seiner Schwachheit (vgl.
2. Kor. 12,9), sein Leben in seinem Sterben (2. Kor. 4,16f.). Eben als
diese Schwelle vom Gericht zum Richter, von der Bedrängnis zu dem,
der frei ist und frei macht, von der Not zur Hoffnung ( 5,3f.), als diese
Gelegenheit, uns selbst in Gott zu erkennen (was aber mit keinem
allfälligen «Erlebnis» identisch ist!), ist uns der Tod Christi bedeut
sam. Eben darum ist uns das Zeichen der Taufe Erinnerung unsrer
unanschaulichen Gemeinschaft mit Gott (6,3 ) . Eine andre Verwandt
schaft des Christen mit Christus, eine andere Nachfolge Christi als
die, die im Tragen seines Kreuzes besteht (vgl. Mt. 16,24 par.), eine
irgendwie positive, vom Menschen erst zu erwerbende oder zu erle
271
bende Jesusmäßigkeit?? (etwa in Gottvertrauen, Bruderliebe, Freiheit,
Kindlich- oder Menschlichkeit) gibt es auf dem Feld der seelisch
geschichtlichen Wirklichkeit nicht. Unsere anschauliche Verwandt
schaft mit ihm (die uns im Spiegel seines Kreuzestodes als solche er
kennbar wird) ist an sich mit der Verfassung und Lage des Menschen
in der Welt gegeben, ist an sich identisch mit der Tatsache der unheil
baren Problematik des menschlichen Daseins überhaupt. Wir stehen
(aber wer stünde nicht mit uns ?) auf der Schwelle der engen Pforte
(vgl. Mt. 7,13-14 par.] der Einsicht, dass, der uns richtet, gnädig, dass
der Heilige barmherzig ist. Wir blicken (aber wer blickte nicht mit
uns ?) aus von unsrer Christusverwandtschaft in Vergänglichkeit, Un
ehre und Schwachheit nach unsrer andern, nach unsrer unanschauli
chen Christusverwandtschaft in Unvergänglichkeit, Herrlichkeit und
Kraft (vgl. 1. Kor. 15,42-43 ]. Was wir von hier aus einsehen (wiederum
als Futurum aeternum! ), das, und nicht etwa die diese Einsicht allfällig
begleitenden Erlebnisse, Gesinnungen u. dergl., ist das positiv Jesus
gemäße des in der Zeit lebenden Menschen. Es ist in keiner Weise mit
andern möglichen Gemäßheiten zu vergleichen oder gegen sie aus
zuspielen. Es wird keine menschliche Eigenschaft oder Betätigung. Es
gewinnt nie und nirgends historisch-psychologische Breite. Kein
Mensch ist direkt darauf anzusprechen. Positiv jesusgemäß ist unser
mit Christus in Gott verborgenes Leben (vgl. Kol. 3,3], welches jetzt
und hier nur als ewiges Futurum «unser» Leben ist, – und nichts sonst.
Aber das genügt. Die Gnade Gottes genügt (2. Kor. 12,9). Sie ist die
Gottestat, durch welche der neue Mensch wird und ist. 1177| Und
dieser neue Mensch ist als solcher der Sünde ledig. Die Negativität
unsres sehr wenig jesusgemäßen alten Menschendaseins aber ist in
Hoffnung voll von der heimlichen Positivität der Auferstehung.
V.6–7 Das erkennen wir: unser alter Mensch wurde mit Christus
gekreuzigt, damit der Leib der Sünde aufgehoben werde, so dass
wir der Sünde nicht mehr dienen müssen. Denn der Gestorbene ist
von der Sünde freigesprochen.
22
Vgl. zu diesem Begriff Barth in seinem Unterricht 1910–1911, Konfir
mandenunterricht, S.69: « Gott hat nicht mit dem Abschluß der Bibel das Buch
d. Offenbarung zugeklappt. Sie geht weiter. Alles, was jesusmäßig ist am Men
schen, kann uns Offenbarung, Mitteilung Gottes werden. Menschen, Dichter,
Kunst, Natur, starke Eindrücke .»
272
« Das erkennen wir . » Indem wir das Zeichen der Taufe verstehen,
verstehen wir uns selbst, wissen wir, was Gott von uns weiß: «Er
weiß, was für ein Gemächte wir sind; er gedenket daran, dass wir
Staub sind» (Ps. 103,14). Gerade in der Hinfälligkeit, in der Relativi
tät, in der durchdringenden Krisis, in der wir uns selbst vorfinden, im
Gleichnis des Kreuzestodes Christi erkennen wir unsere Verwandt
schaft mit ihm (6,3-5 ). Und diese Einsicht wird zur Aussicht. Der
Ansatz zu einer Psychologie der Gnade (die sich aber jedes unnützen,
d.h. jedes direkt und nicht dialektisch gemeinten Wortes enthalten
wird ) ist mit der Erkenntnis dieser Verwandtschaft gegeben – als das
Nicht-Gegebene gegenüber dem Bestand der menschlichen Psyche,
das sich als Aufhebung aller Psychologie der Sünde wirksam erweisen
muss. Sofern wir uns selbst als Verwandte des Christus (in seinem
Todesweg) erkennen, schauen wir das Unanschauliche: das Erbarmen
Gottes, uns selbst als seine Kinder, das Zurückbleiben, das Vergehen,
das Nicht-Sein unsrer Bestimmtheit durch die Sünde, die überlegene
Kräftigkeit des neuen Menschen.
« Unser alter Mensch » ist «der gefallene Adam, wie er wieder er
scheint in jedem menschlichen Ich, das zur Welt kommt unter der
Herrschaft der durch die erste Sünde entschiedenen Macht der Eigen
liebe» (Godet) }. Wir sehen ihn, wir rechnen mit ihm, so gewiss wir
mit der Welt der Zeit, der Dinge und des Menschen, so gewiss wir mit
der ganzen Summe der gegebenen Lebensinhalte fortwährend rech
nen. In dieser Welt ist kein andrer Mensch als eben dieser alte Mensch.
Jede direkte Aussage, jedes Seins- oder Werturteil über den Menschen
bezieht sich ohne weiteres und ausschließlich auf diesen Menschen.
Das Subjekt Ich ist (sofern es nicht grundsätzlich aufgehoben ist
durch das «Nicht ich, sondern Christus lebt in mir» (vgl. Gal. 2,20])
bei allen möglichen Prädikaten, die ihm gegeben, bei allen Hemmun
gen, Veredlungen, Vertiefungen und Überhöhungen, die ihm zuteil
werden können, immer dieser Mensch. Aber dieses Bekenntnis zu
meiner totalen Identität mit diesem Menschen weist zurück auf einen
Standort außerhalb dieser totalen Identität, von dem aus ich mich
f Druckmanuskript: « voraus-gesetzt» .
24 Schlatter, S. 127: «Nachdem Jesus zu uns gekommen und für uns aufer
standen ist, sind Menschen wie wir alt geworden, veraltet und überholt» .
25 Barth bezieht sich anscheinend auf W. Gemoll, Griechisch -deutsches
Schul- und Handwörterbuch , Wien / Leipzig 1908, S. 726.
275
Menschen. Darum und darin bin ich ja der alte Mensch, weil und
sofern ich im Leibe lebe, unabgrenzbar und unauflöslich mit ihm eins
bin. Das Sterben des alten Menschen, die Aufhebung meiner Identität
mit ihm bedeutet also die Aufhebung meiner Einheit mit diesem
Leibe%. Ich bin als neuer Mensch nicht mehr der in diesem Leibe Le
bende, der zeitlich-dinglich-menschlich bestimmt Daseiende. In der
Krisis des Christustodes wird die Totalität meiner Leiblichkeit, mei
nes Da-Seins und So-Seins als solche in Frage gestellt, um , also «auf
gehoben», in Beziehung gesetzt zu werden zu dem unanschaulichen
neuen Menschen, mit dem ich, mit Christus gekreuzigt, identisch bin.
Sie wartet des Leibes, der als Körper, Leben, Sinnlichkeit, Person,
Individuum, Sklave der Gottesgerechtigkeit der Leib des neuen Men
schen ist. Sie wartet der Auferstehung.
«So dass wir der Sünde nicht mehr dienen müssen». Die mit der
Kreuzigung des alten Menschen (dem Sinne nach auch hier als Futu
rum resurrectionis) angekündigte, unsichtbar in unseren Gesichts
kreis getretene Aufhebung dieses Leibes schließt|180 in sich, dass die
Macht der Sünde beseitigt ist. Bin ich nicht identisch mit dem alten
Menschen, der mit diesem Leib unabgrenzbar und unauflöslich eins
ist, so muss ich der Sünde nicht mehr dienen . Ihr Lebenselement ist
dahin. Sie wird zum Fisch, der aufs Trockene gesetzt ist. Sie wird im
Zusammenhang des neuen Akkords zum falschen Nebenton. Ich (als
der, der ich nicht bin) bin in Freiheit gesetzt. Die Sünde hat über den
neuen Menschen keine Macht. Darum nicht, weil sein « Leib » anderer
Ordnung ist. In der Erwartung der Auferstehung, im Hinblick auf
meine Identität mit dem neuen Menschen jenseits des Christustodes
muss, kann, darf und will ich nicht Sünder sein.
«Denn der Gestorbene ist freigesprochen von der Sünde. » Gnade ist
also nicht eine menschliche Möglichkeit des Menschen, neben der
dann andre Möglichkeiten, z. B. die der Sünde, auch noch Raum hät
ten. Gnade ist die göttliche Möglichkeit des Menschen, die ihn als
solche seiner eigenen Möglichkeit“ beraubt. Gnade ist die Beziehung
des anschaulichen Menschen auf seine unanschauliche, in Gott be
gründete Persönlichkeit, welche sich zu jenem verhält wie der Tod
277
euch selbst als Tote für die Sünde, als Lebendige aber für Gott in
Christus Jesus.
« Wenn wir aber mit Christus starben, so glauben wir: wir werden
auch mit ihm leben . » Es liegt im Wesen der Sache, dass der Beweis der
(6,1 ) behaupteten Unmöglichkeit, in der Sünde zu « verweilen », vor
wiegend durch die kräftige Negation zu erbringen ist, die das durch
die Taufek bezeichnete «Sterben mit Christus», jenseits dessen wir als
Begnadigte stehen, für den Menschen der Sünde bedeutet. Gekreu
zigt, gestorben, begraben bin ich als Sünder, sofern ich in Christus
identisch bin mit dem X, das jenseits dieser Aufhebung des uns be
kannten Menschen steht. Es bleibt uns nur noch übrig (in Unter
streichung des bereits 6,4 Gesagten) vorsichtig, aber nachdrücklich
darauf hinzuweisen, dass die eigentümliche Wucht dieses Nein aus
einem Ja stammt, das in sich die Verneinung alles Ja und Nein, alles
Diesseits undm Jenseits, alles «Sowohl – als auch», aller Dualitäten,
Spannungen, Polaritäten, Allogenitäten und Antinomien ist, dass es
also einepositive Unmöglichkeit ist, die im Bisherigen, öfters als bloße
Negation verhüllt, der Möglichkeit der Sünde entgegengetreten ist. –
« Wenn wir mit Christus starben, so glauben wir» . Glaube ist das erste
und letzte, das einzige und entscheidende Material jener Psychologie
der Gnade, die das Nicht-Gegebene des Seins des Menschen in Gott
als gegeben festzustellen sich getraut. Glaube ist der unvergleichliche,
der unwiderrufliche, der nicht rückgängig zu machende Schritt über
die Grenze vom alten zum neuen Menschen, von der alten zur neuen
Welt. Glaube ist gerade in der vollen Paradoxie seines Begriffs als
menschlicher Hohlraum, nein göttlicher Inhalt, als menschliches Ver
stummen, Nicht-Wissen und Warten, nein als göttliche Rede, Weis
heit und Tat, als letzte menschliche, nein erste göttliche Möglichkeit
die Wende, die Drehung, die Umkehr, in der die Gleichgewichtslage,
in der sich Ja und Nein, Gnade und Sünde, ( 182| Gutes und Böses im
Menschen befinden , gestört und aufgehoben wird. Sind wir mit Chri
stus gestorben, ist uns sein Kreuz Gelegenheit, die Problematik unsres
Daseins in ihrer göttlichen, über sich selbst hinausweisenden Not
k
į Druckmanuskript: « Erweis » .
1
2. Abdruck ( 1923 '): « Tiefe ».
Druckmanuskript: «nun».
m Druckmanuskript : «und».
278
wendigkeit zu begreifen, im Ende des Menschen den Anfang Gottes,
im Wetter des göttlichen Zornes das Licht der göttlichen Liebe zu
erkennen, so sind wir eben insofern auch Glaubende: Das Ur-Datum
des Seins des Menschen in Gott tritt ein, der unvergleichliche Schritt
geschieht, die Umkehr, die sich nicht rückgängig machen lässt, ja die
auch jedes Rückwärtsschauen ausschließt, vollzieht sich. - Denn
«was» glauben wir, sofern der Glaube im Licht des absoluten Mo
ments, im Licht des Kreuzes Christi Glaube nicht nur scheint, son
dern ist, nicht nur Hohlraum, sondern Inhalt, nicht nur menschlicher
Glaube, sondern göttliche Treue ist ? Wir glauben, dass Christus an
unsrer Stelle gestorben ist und darum wir mit ihm. Wir glauben unsre
Identität mit dem jenseits des Kreuzestodes erscheinenden, unan
schaulichen neuen Menschen. Wir glauben unsre eigene in der To
deserkenntnis, in der Auferstehung, in Gott begründete ewige Exi
stenz. Wir glauben: «Wir werden auch mit ihm leben.» Wir glauben
also – an uns selbst als an das unanschauliche Subjekt des Futurum
resurrectionis. Dieser Glaube, mit aller gebührenden Zurückhaltung,
mit allen Vorbehalten, Frage- und Ausrufzeichen als «unser» Glaube
gesetzt, ist die genau außerhalb des Randes der gewöhnlichen, der
möglichen Psychologie bestehende positive Unmöglichkeit, mit der
Sünde als einer Möglichkeit neben der Gnade zu rechnen. «Glaubst
du, so hast du! »26 Glauben wir, so sind wir von der Sünde abgedreht.
« Wir wissen nämlich: Christus von den Toten auferweckt, stirbt
nicht mehr; der Tod herrscht nicht mehr über ihn. » Glaube ist das
Wagnis, zu wissen, was Gott weiß, und darum – nicht zu wissen, was
Gott nicht mehr weiß. Die Möglichkeit dieses Wagnisses liegt darin,
dass es als menschliche Möglichkeit überhaupt nicht in Betracht
kommt, dass es die Infragestellung aller menschlichen Möglichkeiten
zur Voraussetzung hat, dass es die Möglichkeit ist, die der Mensch
nach Erschöpfung aller seiner eigenen Möglichkeiten in Gott, in Gott
selbst, in Gott allein hat. Glauben heißt Halt machen, Schweigen,
Anbeten - Nicht-Wissen. Der qualitative Unterschied von Gott und
Mensch wird unverkennbar, der Widerspruch Gottes zu der Welt der
282
zweideutig statt, sofern das «Christentum» eine Größe in der Ge
schichte, in der Zeit, in der Welt geworden ist, sofern es dank des
Verrates der Theologen ) auf weiteste Strecken jedes Bewusstsein da
von verloren hat, dass seine Wahrheit nicht nur jenseits des Nein, jen
seits des Todes, jenseits der Menschen zu suchen ist, sondern jenseits
der Möglichkeit, Ja und Nein, Leben und Tod, Gott und Mensch über
haupt zu kontrastieren, so oder so kontinuierlich aneinanderzureihen
und gegeneinander auszuspielen. Denn dies besagt der Begriff der
« Auferstehung von den Toten » : « Was suchet ihr den Lebendigen unter
den Toten ? » [Lk. 24,5), die Wahrheit Gottes auf der Ebene, in dem
Raum, wo geschichtliche Größen wie «das Christentum» auf- und
niedersteigen , werden und vergehen, ihre Möglichkeiten und ihre
Schranken haben ? Der Begriff der Auferstehung entsteht am Begriff
des Todes, d. h. aber am Begriff des Endes aller geschichtlichen Dinge
als solcher. Der leiblich auferstandene Christus steht immer wieder
gegenüber dem leiblich gekreuzigten Christus und nirgends sonst.
«Lebendig gemacht nach dem Geiste», offenbart und angeschaut als
der neue Mensch unter dem neuen Himmel auf der neuen Erde ist er
immer wieder, sofern er «getötet ist nach dem Fleische» ( 1.Petr. 3,18),
d.h. sofern er alle anschaulichen, menschlichen, geschichtlichen Mög
lichkeiten (und wäre es die des erstaunlichsten hyperphysischen Da
seins !) eben als solche (als anschauliche, menschliche, geschichtliche
Möglichkeiten !) preisgegeben und hinter sich gelassen hat, um zu ster
ben. Ist er aber der Auferstandene als der Gekreuzigte, der unan
schauliche neue Mensch in Gott als das Ende des alten Menschen in
dieser Welt, so hat er als solcher die Relativität der geschichtlichen
Dinge, ihre grundsätzliche Bedrohtheit durch die Zeit, so hat er den
Tod hinter sich. « Von den Toten auferweckt, stirbt er nicht mehr.»
Gerade weil und indem seine Auferstehung das «unhistorische» Er
eignis xat’ šçox»v ist, «herrscht der Tod nicht mehr über ihn». Dieses
• Druckmanuskript: «des».
31 Vgl. Overbeck, Christentum und Kultur, S. 235f. (in Barths Exemplar
unterstrichen und am Rand angestrichen) (OWN 6/1 , S. 275 ): « Theologen sind
nun einmal dank dem Ungeschick ihrer Gebärden überharten Urteilen beson
ders ausgesetzt. Sie sind meist ausgezeichnete Verräter der Sache, die sie ver
treten, doch werden sie von dieser Sache vielleicht noch besser selbst verraten. »
283
Leben ist unauflöslich , es ist unwiderruflich Leben, es ist das Leben
Gottes”, es ist das von Gott erkannte Leben des Menschen. - Glau
bend wagenwir es also, uns diese Erkenntnis des Menschen von Gott
aus zu eigen zu machen, dieses Leben, das Auferstehungsleben Jesu zu
wissen als unser Leben: «Wir werden mit ihm leben ! » (6,8). Es ist klar,
dass die «Wir », die dieses Leben «unser» Leben nennen, nicht wir sind,
dass dieses Wissen immer nur als Wissen von unserem Tode anschau
lich werden kann, dass der Glaube, der dieses Leben weiß, nur als
unser Sterben mit Christus, als ehrfürchtiges, demütiges, liebendes
Nicht-Wissen Ereignis wird. Sofern er es wird, sofern mit dem unan
schaulichen, 186 unmöglichen Erkenntnisobjekt, das uns in der An
schaulichkeit des Todesweges Jesu entgegentritt, ein ebenso unan
schauliches unmögliches Erkenntnissubjekt (jenseits der Linie, die
Tod und Leben scheidet und verbindet) gesetzt ist, sofern das Futurum
resurrectionis : «wir werden leben» als die Kehrseite des Christustodes
die Voraussetzung eines neuen «Wir » ist, sind wir neue Menschen und
sind wir in der positiven Unmöglichkeit , das Leben, in dem die Sünde
eine Möglichkeit ist, wiederum zu leben.
«Denn sein Sterben war Sterben für die Sünde: ein für allemal. Sein
Leben aber ist Leben für Gott. » Die Aufhebung der menschlichen
Möglichkeiten im Tode Christi ist als solche die Aufhebung der Mög
lichkeit der Sünde. Eben darum muss der Sinn des Lebens Jesu ein
Sterben sein, weil die ganze diesseits des Todes liegende menschliche
Möglichkeit als solche die Möglichkeit der Sünde ist. Das Leben in der
Welt der Zeit, der Dinge und des Menschen ist als solches das Leben in
der unanschaulichen Gottesferne des Abfalls und in der nur allzu
anschaulichen Gottesnähe des Anthropomorphismus. Keine Un
zweideutigkeit, keine Reinheit, keine Sündlosigkeit, keine Gerechtig
keit, die vor Gott gilt (vgl. 1,17; 3,21 ; 10,3] in diesem Leben ! Der Sinn,
р
1. Abdruck ( 1922?): «Gottes» .
32 Vgl. den Choral « Jesus Christus herrscht als König» von Ph.Fr. Hiller,
GERS ( 1891 ) 142, Strophe 2 (mit etwas abweichendem Wortlaut: RG ( 1998]
492, Strophe 3; EG 123, Strophe 3 ):
[...] Christi Thron ist unumstößlich,
Christi Leben unauflöslich,
Christi Reich ein ewig Reich.
284
das Letzte, das Leben in diesem Leben ist immer die Sünde. Und nun
starb Christus. Der Sinn, das Letzte, der Tod in diesem Tod ist Gott:
Gott als die jenseits des Todes dieses Lebens liegende und darum nur
im Gleichnis des Todes zu veranschaulichende neue (unmögliche)
Möglichkeit des Menschen. Eben weil diese neue Möglichkeit des
Menschen seine reale Gottesnähe, seine Sündlosigkeit, seine Gerech
tigkeit ist, kann sie nur im Gleichnis des Todes, in der prinzipiellen
Negation aller seiner alten Lebensmöglichkeiten veranschaulicht
werden. Sofern sie aber im Tode Christi tatsächlich veranschaulicht
wird, sofern Christus tatsächlich in seinem Tode als der in Gott le
bende Mensch an meiner Stelle steht, sofern ich tatsächlich «glau
bend» (6,8 ) an seinem Tode teilnehme, um mit ihm zu leben, ist ein
grundsätzlich Anderer «ein für allemal» in meinen Gesichtskreis ge
treten. Dieser Andere als das Gegenüber, mit dem ich unanschaulich
eins bin, so gewiss ich anschaulich eins bin mit dem sterbenden Chri
stus, dieser Auferstandene, dieser dem Leben in der Sünde Gestor
bene, dieser in Gott Lebende ist der Mensch, das Individuum, die
Seele und der Leib - er steht an meiner Stelle, er ist ich . Und darum ,
weil der Tod Christi das Ende des Lebens ist, das noch sterben kann
und sterben muss, der Triumph grundsätzlicher Sündlosigkeit über
die Möglichkeit der Sünde, die Verkündigung: Dir sind deine Sünden
vergeben! (vgl. Mt. 9,5 par.], darum , weil Christus ( 187| nicht mehr
stirbt, weil die Reihenfolge Tod und Auferstehung nicht umkehrbar
ist - darum auch nicht die Reihenfolge Sünde und Gnade, darum bin
ich, in Christus für Gott lebend, als solcher der der Sünde Gestorbene.
Ich kann nicht Sünder und Begnadigter sein. Ich kann nur in der
Umkehr (in der nicht umzukehrenden Umkehr! ) von der Sünde zur
Gnade stehen.
« So rechnet auch ihr euch selbst als Totefür die Sünde, als Lebendige
aber für Gott in Christus Jesus.» Der Erweis des Erweises, die Ent
scheidung über unsre Einsicht in die erwiesene Sachlage, liegt in der
Frage, ob das Wagnis des Glaubens gewagt ist. Glauben heißt sehen,
was Gott sieht, wissen, was Gott weiß, rechnen, wie Gott rechnet.
Gott « rechnet » (3,28; 4,3) mit dem Menschen, der für die Sünde ge
storben ist und für ihn lebt (6,10). Die Offenbarung und Anschauung
dieses neuen Menschen, des Menschen des göttlichen Wohlgefallens
(vgl. Lk. 2,14), ist die Auferstehung Jesu Christi von den Toten .Die
285
Kraft der Auferstehung aber ist die Erkenntnis dieses neuen Men
schen, in der wir Gott erkennen , ja vielmehr von ihm erkannt werden
(Gal. 4,9; 1. Kor. 8,2–3; 13,12). Die Gnade ist die Kraft der Auferste
hung. Ganz von selbst wird hier der Indikativ zum Imperativ, der
doch nichts anderes bedeuten kann als die Wirklichkeit der Wahrheit,
das esse im nosse, die Realität des Erkannten, des Erkennenden und
der Erkenntnis. Die positive Unmöglichkeit, ein Sünder und ein Be
gnadigter zu sein, besteht - so lass sie bestehen! Die Vergebung der
Sünde gilt – so lass sie gelten! «Du bist mit Christus der Sünde ge
storben, so sei ihr nun auch tot! Du bist mit Christus auferstanden ins
Leben für Gott, so lebe ihm nun ! Du bist in die Freiheit gesetzt, so sei
nun frei!» (Schlatter).33 « Werde, was du schon bist in Christus! » (Go
det).34 Die Kraft der Auferstehung ist der Schlüssel, ist die aufgehende
Türe, ist der Schritt über die Schwelle. Gnade ist die Störung und
Aufhebung des Gleichgewichts. Die unmögliche Möglichkeit ist da,
die Wirklichkeit «unseres » Lebens (immer wieder! ) Lüge zu heißen
und uns nach der Wirklichkeit unsres Lebens in Gott (immer wie
der! ) – auszustrecken! Wir ( als die, die wir nicht sind, als das Subjekt
des Futurum resurrectionis) können die Frage nach dem , was Gott -
nicht mehr weiß, nicht aufwerfen . ( 188 |
6 , 12-23
r
Druckmanuskript: «aus» .
S
2. Abdruck ( 1923 '): « erzeugte ».
35 Das grundlegende Prinzip der Ethik Immanuel Kants: «Handle so, daß
die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen
Gesetzgebung gelten könne. » I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 54,
Akademie-Ausgabe, 1. Abt., Bd. 5 , Berlin 1908 , S. 30; vgl . Grundlegung zur
Metaphysik der Sitten , BA sıf.76.81f ., Akademie-Ausgabe, 1. Abt., Bd. 4, Ber
lin 1903, S. 421.434.436f.
287
dieser Mensch ist ja existentiell, von Haus aus der Mensch, den Gott
will und der aus Gott lebt. Als dieser Begnadigte kann ich die Forde
rung hören und verstehen: nämlich als die Erinnerung an meinen ei
genen Ursprung, als die Bejahung meiner eigenen Existenz, als gleich
bedeutend mit der Einsicht: Ich (nicht ich ! ) bin. Ich, als dieser Be
gnadigte, bin als solcher durch diese Forderung geschaffen, belebt,
| 1891 geweckt und beunruhigt, das Subjekt, der Träger, die Waffe des
Angriffs auf die Welt des Menschen, auf den Menschen dieser Welt
auf- mich selbst, des Angriffs, der in dieser Forderung zum Ausdruck'
kommt. Mir als diesem Begnadigten ist die Sünde das absolut Pro
blematische, nicht nur relativ, nicht nur als eine fatale Möglichkeit im
Gegensatz zu andern bessern Möglichkeiten, sondern als Möglichkeit
überhaupt, als die Bestimmung und Macht, die hinter und über allen,
den schlechten und den bessern menschlichen Möglichkeiten steht,
als die Herrschaft, die scheinbar mit der Tatsache meines « sterblichen
Leibes» (mit dem ich unauflöslich und unabgrenzbar eins bin) gegeben
und über mich eingesetzt ist. Ich, als Begnadigter, kann diese Herr
schaft nicht anerkennen, nicht gelten lassen, nicht mit ihr rechnen. Ich
kann gerade ihrem Anspruch, eine Gegebenheit, eine Voraussetzung
zu sein, nur mit absoluter Skepsis gegenüberstehen. Ich sehe die Sünde
wohl, aber ich kann sie (gerade sie, die Notwendigkeit aller mensch
lichen Möglichkeiten! ) nur als Unmöglichkeit sehen. In diesem sterb
lichen Leib wohnte sie, wohnt sie und wird sie wohnen, sofern Zeit
Zeit, Mensch Mensch und Welt Welt ist, sofern der Tod nicht ver
schlungen ist in den Sieg und das Sterbliche nicht verschlungen vom
Leben (vgl. 1.Kor. 15,54], sofern ich (diesseits des Christustodes,
nicht-identisch mit dem neuen Menschen, nicht begnadigt, ungebro
chen) bin - der ich bin, sofern ich, den linken Fuß noch im Grabe, das
gemeine Individuum bin in seiner grotesken Zufälligkeit und Sonder
barkeit, begrenzt von den grauenhaften Vorgängen des Geborenwer
dens und Sterbens, bis zur Identität verflochten, ja eins mit der kon
tingenten Dinglichkeit des rätselvollsten Kosmos. Dieser Leib kann
nicht ein natürlicher, ein reiner Leib, ein Leib ohne Sünde sein. Wäre er
es, so hätte das Sterbliche angezogen die Unsterblichkeit, das Verwes
t
Druckmanuskript:« Ausbruch».
u
Druckmanuskript: «und».
288
liche die Unverweslichkeit (vgl. 1.Kor. 15,53]. Hat dieser Leib noch
nicht angezogen Unsterblichkeit und Unverweslichkeit, so charakte
risiert er sich damit selbst als Leib der Sünde, aber dieses Charakteri
siertsein kann uns nicht zum Anlass werden, in einem Dualismus von
Gnade und Sünde, in einem Gegenüber von Ja und Nein zu verharren.
Denn gerade dieses Charakterisiertsein des Leibes als sterblich und
sündig ist mit der « Kreuzigung des alten Menschen » (6,6) aufgehoben,
in Frage gestellt, angegriffen, aufgerollt, «so dass wir der Sünde nicht
mehr dienen müssen». Der «alte Mensch», der Mensch der menschli
chen Möglichkeiten, ist das mit dem als sterblich und sündig charak
terisierten Leibe unauflöslich, unabgrenzbar' eine Ich. Aber was für
ihn gilt, gilt nicht für mich, den Begnadigten, den mit Christus Ge
storbenen . Ich kann als solcher das Herrschen der in meinem sterbli
chen Leibe wohnenden Sünde nicht anerkennen, auch nicht ihr | 1901
Herrschen im Bereich dieses meines sterblichen Leibes, sein Charak
terisiertsein durch sie. Sie ist auch dort bedroht, in Frage gestellt,
grundsätzlich entthront, indem, so gewiss Christus in der Kreuzigung
des alten Menschen meine Hoffnung ist, auch mein Leib an der Hoff
nung der Unsterblichkeit und Sündlosigkeit des neuen Menschen teil
nimmt. Er ist mit mir, der ich bin, in Beziehung gesetzt zu mir, der ich
nicht bin. Er ist mit mir nicht unumstrittene Domäne und Aktions
basis der Sünde, sondern Kriegsschauplatz, auf dem die Sünde um ihre
Herrschaft streiten muss. Und der Streiter gegen die Sünde, der, der
ihre Herrschaft auch über meinen sterblichen Leib, auch über die Ver
hältnisse, auch über die Geschichte, auch über das ganze Reich der
endlichen Zwecke36, auch über das Äußere meiner Existenz (ja gerade
über das Äußere; denn was kann, existentiell betrachtet, «draußen»
sein, was nicht auch «drinnen» wäre37?) nicht anerkennen, nicht recht
289
fertigen, nicht zugeben kann, dieser Streiter bin ich, ich der Begnadigte,
der neue Mensch. Ich bin der Skeptiker, ich bin der Revolutionär ge
genüber dieser Herrschaft. Ich kann also nicht gleichzeitig Zuschauer,
nicht Neutraler sein zwischen Gnade und Sünde; ich kann die Sünde
nicht als Möglichkeit sehen neben der Gnade, sondern nur als die (die
menschliche!) Möglichkeit, die durch die Unmöglichkeit der Gnade
selber Unmöglichkeit wird. Erklärlich ist es, dass die Sünde als die
menschliche Möglichkeit da ist, soweit das Auge reicht; aber nicht
erklärlich wäre es, wenn ich mit dieser Möglichkeit als mit meiner
Möglichkeit rechnete. Erklärlich ist es, dass die Sünde in meinem
sterblichen Leibe wohnt; aber nicht erklärlich wäre es, wenn ich mit
ihr einen Kompromiss, einen Ausgleich, einen modus vivendi fände.
Erklärlich ist es, dass die « Begierden» meines sterblichen Leibes Rea
litäten sind; als die Charakteristika, als die Ausbrüche, als die Gewal
ten seiner Sterblichkeit und Sündigkeit. Sie alle: mein Hunger und
mein Schlafbedürfnis, meine Sexualität und mein Selbstbehauptungs
trieb, mein Temperament und meine Originalität, die Gefräßigkeit
meines Wissensdranges, das Spiel meines Kunsttriebes, das blinde
Stürmen meiner Willenskraft und zuletzt und zuoberst doch wohl
auch mein «religiöses Bedürfnis » samt den dem allem entsprechenden
makrokosmischen, gesellschaftlichen « Begierden », sie alle kennzeich
nen sich selbst durch ihre Verwurzelung in der ganzen Zeitlichkeit,
Dinglichkeit und Zufälligkeit, durch ihre restlose Komplikation in die
Verweslichkeit meines Leibes, meines kosmischen Daseins als die Vi
talität meiner – Sterblichkeit und Sündigkeit, als das Leben, das als
sündig schon dem Tode preisgegeben ist. Die Realität dieses Lebens
der Begierden ist nur zu erklärlich. Aber nicht erklärlich wäre es, wenn
ich als der 1911 Begnadete dieser Charakterisierung meiner selbst
zustimmte, wenn ich ihr « gehorchen », wenn ich die Relativität dieser
Realität verkennen und ihr eine transzendente Realität zuschreiben,
wenn ich sie metaphysisch (als ein Zweites, Gegebenes) hypostasieren,
w Druckmanuskript: « Begnadigte ».
291
des Begnadigten. Sie ist existentiell nicht meine Möglichkeit. Du bist
kein Gefangener! Deine Glieder sind nicht dazu bestimmt und fähig,
den Turm von Babel (vgl. Gen. 11,1–9 ] zu bauen! Stelle" sie nicht der
Sünde zur Verfügung! Stelle dich selbst (du, der Begnadigte, dich, den
Unerlösten, du, der neue Mensch, dich, den alten Menschen mit allen
Gliedern seines Leibes !) Gott zur Verfügung. Du bist (existentiell)
Gottes! «Soll es denn möglich sein, oft bis in den Tod hinein mit
seinem ganzen Wesen mehr oder weniger ( 1921 rebellisch gegen Gott
zu sein, mit der Hand etwa, die Gott gegeben, Gott gleichsam in das
Angesicht zu schlagen, und doch auf Christum hoffen zu wollen ?» ( J.
Chr. Blumhardt).9 Diese in der Tat, so weit das Auge reicht, beste
hende Möglichkeit wird als solche untergraben, unterhöhlt, ins Wan
ken gebracht durch das unanschauliche Begnadetsein des Menschen.
Hier entsteht im Berg dieser Möglichkeit ein Loch, ein Hohlraum ,
hier setzt als Möglichkeit anderer Ordnung die Kraft des Gehorsams
ein, die jene zum Einsturz bringt. Die dritte Möglichkeit aber: «ab
wechselnd als Söldner der Sünde gegen Gott und als Söldner Gottes
gegen die Sünde anzukämpfen oder gar im Bereich des leiblichen Le
bens der Sünde, im Bereich des geistlichen Lebens Gott dienen zu
wollen» (Zahn)40, sie ist die ausgeschlossene Möglichkeit. Aus dem
Tode seid ihr zum Leben gekommen. Zwischen Tod und Leben ist
keine dritte Möglichkeit. In diesem Kriege gibt es keine Überläufer,
keine Vermittler und keine Neutralen. Wo Berg ist, da ist nicht Höhle,
und wo Höhle ist, da ist nicht Berg.
und so auch eure Glieder Gott als Waffen der Gerechtigkeit!»
« ...
« Hic Rhodus, hic salta ! »41 Das heißt existentiell Gott zur Verfügung
у I.
Abdruck ( 19222): «Stell» .
295
Leben gekommenen Menschen (vgl. 1.Joh.3,14), Kraft des Menschen,
der sich selbst wiedergefunden, indem er sich an Gott selbst, an Gott
allein - verloren hat.
V. 15-16 Was folgt nun daraus? «Lasst uns sündigen, weil wir
nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade stehen ! » ? Un
möglich ! Wisst ihr nicht, dass, wem ihr euch selbst als Knechte
zum Gehorsam anbietet, dessen Knechte seid ihr dann auch und
müsst ihm gehorchen : entweder Knechte der Sünde zum Tode oder
Knechte des Gehorsams gegen Gott zur Gerechtigkeit? |1951
« Lasst uns sündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz, sondern un
ter der Gnade stehen !» ? Sollte etwa Gnade in irgend einem Sinn Frei
heit zum Sündigen bedeuten ? Sollte die Einsicht in die Un-Anschau
lichkeit, die Un-Möglichkeit, die Un-Wirklichkeit des Lebens des
Menschen in Gott die Folge haben können, dass der Mensch, resi
gniert oder selig lächelnd im Bewusstsein, dass der Kampf der Reli
gion gegen die Sünde doch zu keinem Ziel führen könne, dem an
schaulichen, dem möglichen, dem wirklichen Leben seinen eigenen,
durch die Sünde bestimmten Lauf lässt ? Sollte Begnadetsein ein Be
ruhigtsein gegenüber den Begierden des sterblichen Leibes, gegen
über den Gewalten, die diese unerlöste Welt beherrschen, bedeuten ?
Die Möglichkeit, das Da-Sein und So-Sein dieses Leibes und dieser
Welt (etwa unter Berufung auf die Schöpfung !) als auch von Gott
gewollt oder doch zugelassen zu verstehen und darum im Hinblick
auf die Erlösung, die jetzt und hier doch nicht Ereignis wird, Frieden
oder doch Waffenstillstand mit ihm zu schließen? Sollte der «Begna
digte» der sein, der, im Gegensatz zu dem aufgeregten, unterwühlten,
im Kampf mit der Sünde sich fast verzehrenden, verzweifelnden Ge
setzesmenschen den befriedigenden Ausgleich des ruhigen Bürgers
und Weltmanns, die skeptisch-überlegene und doch human liebens
würdige Balance des klugen Humanisten oder die mehr oder weniger
betrübte oder heitere Zentralschau des Mystikers4s als das gute Teil
45 Anspielung auf die Gedankenwelt Fr.Chr. Oetingers, insbesondere des
sen Schrift: Anmerkungen 1. von der Central- Schau oder Erkenntnis, wie die
Engel erkennen, 2. von ihrem Unterschied von den Gesichten und Offenba
rungen Gottes in den äußern Kräften der Seele ( 1734), in: ders., Sämmtliche
Schriften, hrsg. von K.Chr.E. Ehmann, II. Abth., Bd. s , Stuttgart 1863 , S. 285
298; vgl. auch Römerbrief I, S. 407f., Anm. 23, und S. 460, Anm. 32, und unten
S. 396, Anm. 32 .
296
zwischen Gott und Welt, Jenseits und Diesseits, Enderlösung und
gefallener Schöpfung gewählt hat ? Sollte unsre umfassende Vernei
nung des sündebeherrschten Da-Seins und So-Seins im Ergebnis einer
ebenso umfassenden Bejahung gleichkommen, der jene, praktisch be
deutungslos als «die andere Seite», als die andere mögliche Beleuch
tung des Lebens irgendwie friedlich gegenüberstehen würde ? - Dieser
Deutung wäre offenbar dann nicht zu wehren, wenn « Gnade» etwa
selbst nur eine neue Erscheinungsform des Gesetzes, eine neue, ex
tremste, steilste menschliche Möglichkeit, nämlich die antinomisti
sche, die mystische, die quietistische, die Möglichkeit der Passivität
und des « Wartens», also gegenüber den übrigen mehr positiven eine
mehr negative Möglichkeit sein sollte. Ist Gnade eine menschliche
Möglichkeit, dann ist es offenbar normal, dass gewisse andere
menschliche Möglichkeiten im Frieden, im Ausgleich mit ihr ihren
Lauf nehmen. Dann bedeutet offenbar «Gnade» im verschiedensten
Sinn die Freiheit zum Sündigen. - Wer, im Unterschied zu Paulus und
den Reformatoren auch « Gnade » nur unter dem Gesichtspunkt des
Gesetzes, auch Gott nur unter dem Gesichtspunkt menschlicher Re
ligion und Moral, menschlichen Tuns oder Nicht- Tuns zu sehen ver
mag,|196 wer nicht im Stande ist, die Kategorie des Unmöglichen, das
bei Gott möglich ist (vgl. Mt. 19,26 par.), ruhig und bestimmt ins Auge
zu fassen, den Gedanken der Ewigkeit zu denken, der wird immer
wieder Gnade mit dieser letzten, der relativ negativen Menschenmög
lichkeit verwechseln, um dann, ob er sie wählt oder verwirft, ob er
begeistert darauf hereinfällt oder mit billiger Polemik dagegen an
stürmt, ein Meer von Verwirrung anzurichten. Denn wenn das «Gna
de» ist, dass der Mensch nichts tun kann noch soll, weil Gott alles tut,
dann bleibt offenbar nur übrig: entweder mit der kaum zu verhehlen
den Genugtuung des Weltkindes ob solcher Kunde dieses «Nichts
tun » zu wählen (mit der Folge, dass der Mensch, der « Leib der Sünde»
erst recht auf den Thron erhoben wird) oder mit dem finstern Ernst
des religiösen Moralisten dieses «Nichts tun» zu verwerfen (mit der
Folge, dass der Mensch im Kampf gegen die Sünde fernerhin «tut»,
was er « tun » kann, endigend mit dem « Überfließen der Sünde» 5,20)
oder aber (und das wird die sichere Mitte und das häufigste sein)
zwischen Wählen und Verwerfen, zwischen «Quietismus » und « Ak
tivismus» mit halbem Wissen und Gewissen hin- und herzuschwan
297
ken (mit dem Erfolg, dass die Sünde abwechselnd und miteinander im
gewöhnlichen und im religiösen Übermut des Menschen ihre Tri
umphe feiert). Was so gedeutet (zu) werden , was, ob angenommen
oder abgelehnt, als menschliche Möglichkeit diese menschenmögli
chen Folgen zu haben pflegt, ist jedenfalls nicht das, was wir als Gnade
verkündigen. Wir sagen: Unmöglich ist das Gnade !
« Unmöglich ! Wisst ihr nicht, dass, wem ihr euch selbst als Knechte
zum Gehorsam anbietet, dessen Knechte seid ihr dann auch und müsst
ihm gehorchen ? » Gnade heißt weder, dass der Mensch etwas tun kön
ne und solle, noch dass er nichts tun könne und solle. Gnade heißt,
dass Gott etwas tut. Gnade heißt nicht, dass Gott «alles», sondern dass
er etwas ganz Bestimmtes tut, nicht im Allgemeinen, nicht da und
dort, sondern am Menschen. Gnade heißt, dass Gott dem Menschen
seine Sünde vergibt. Gnade ist das Selbstbewusstsein des neuen Men
schen. Gnade ist die beantwortete Frage unserer Existenz. Erst wenn
diese Einsicht, geschärft und gegen allen Pantheismus gesichert durch
die Erinnerung an die kritische Bedeutung des Kreuzes Christi,
grundsätzlich unverworren mit der Frage, was wir tun oder nicht tun
können und sollen, feststeht, kann über Gnade und Sünde sachgemäß
geredet werden. Gnade ist das Reich, die Herrschaft, die Macht und
Gewalt Gottes über den Menschen. Sie ist der grundsätzliche Wider
spruch gegen die Bestimmung durch die Sünde, der alle unsre mensch
lichen Möglich - 197|keiten, von der ersten bis zu der letzten, unterlie
gen. Sie steht eben als dieser Widerspruch selber grundsätzlich jenseits
aller menschlichen Möglichkeiten, sie ist aber, eben als dieser Wider
spruch zugleich ihre neue Bestimmtheit, ihre Krisis, ihre Bedeutung,
ihre Verlegenheit, ihr Angreifer und, sofern es Gott ist, der hier seinen
Widerspruch erhebt, ihre Verheißung und Hoffnung. Sie kann als
Gottes Macht und Gewalt über den Menschen nie und nirgends iden
tisch sein mit dem Tun oder Nicht- Tun dieses Menschen; sie ist aber
die (unanschauliche) Wahrheit dieses Menschen, die (unmögliche)
wahre Möglichkeit seines Tuns oder Nicht- Tuns, sein (als sein Nicht
Sein zu bestimmendes) wahres Sein. Gnade haben heißt diesen Wi
derspruch in sich haben, nicht als «etwas», was wir in uns selbst hät
ten, sondern als das, was Gott selbst in uns hat: den Widerspruch
gegen den Menschen der Sünde, d. h. aber, weil wir keinen andern
Menschen kennen, gegen den Menschen als solchen, gegen uns
298
selbst. Gnade haben heißt schlechterdings nicht: selber dies und das
sein oder nicht sein, dies und das tun oder lassen. Gnade haben heißt:
dem Widerspruch Gottes gegen alles, was wir selber sind oder nicht
sind, tuna oder lassen, existentiell zur Verfügung stehen, sich diesem
Widerspruch «zum Gehorsam anbieten», sein « Knecht» sein. Solches
Gnadehaben geschieht als die unmögliche Möglichkeit Gottes jenseits
aller unsrer eigenen Möglichkeiten. Es ist die Freiheit, die Gott sich in
uns nimmt. Er nimmt sie sich aber, und er nimmt sie sich in uns. Wir
sind die Begnadigten. Unser von der Gnade angegriffenes Selbst kann
sich nicht nur diesem Angriff nicht entziehen, es kann auch nicht als
Zuschauer neben diesem Angriff verharren, abwartend, wie er etwa
endigen möchte, es muss - selber zum Angreifer werden, indem es als
Angegriffener stirbt (gekreuzigt wird 6,6), um, aus dem Tode des gött
lichen Widerspruches zum Leben gekommen, seine Einheit mit dem
göttlichen Widersprecher zu entdecken. Denn das ist ja der Inhalt des
göttlichen Widerspruchs, dass wir - nicht wir sind, dass das neue, das
von Gott geschaffene und erlöste Individuum sich ankündigt als die
nicht-gegebene Wahrheit unsres individuellen Da-Seins und So-Seins,
vor der seine gegebene Wahrheit zur Unwahrheit wird. Wir sind an
gegriffen - von unsrer Existenz in Gott her. Darum : «dessen Knechte
seid ihr dann auch » . Ihr seid es, existentiell, ihr könnt nichts anderes
daneben sein. Ihr seid Knechte (Sklaven), ihr seid existentiell zum
Gehorchen da. Ihr seid Knechte Gottes, d. h. ihr seid existentiell da,
um dem göttlichen Nein, das in euch selbst, gegen euch selbst, gegen
die Sünde sich erhoben hat, zu gehorchen. Ihr seid existentiell nicht in
der Lage, zur Sünde Ja zu sagen. ( 198 |
Ihr seid Knechte, «entweder Knechte der Sünde zum Tode oder des
Gehorsams zur Gerechtigkeit ». Dass es sich beim Sündigen wie beim
Begnadigtsein um ein existentielles Verhältnis, um ein Sklave-Sein
handelt und dass darum eines das andere und beide einen Mittelzu
stand ausschließen, dass beide nur in dem unanschaulichen Augen
blick, da wir selbst von unsrer Existenz in Gott her angegriffen wer
den, da wir aus der Hand des einen Herrn in die des andern über
gehen, nebeneinander stehen können , das ist hier einzusehen. Eine
299
Bestimmung dessen, was nur eindeutig bestimmt sein kann, nämlich
eben unsrer Existenz, eine Bestimmung des einen unteilbaren Men
schen, und zwar eine Bestimmung seiner Totalität, eine Bestimmung,
die, indem sie jenseits aller seiner Möglichkeiten liegt, sie alle umfasst,
eine «Knechtschaft» im strengsten Sinn des Wortes ist also Sünde so
wohl wie Gnade. Eben darum können sie sich nur als Entweder -
300
dem Gesetz, sondern unter der Gnade» stehen, darum gibt es keine
Freiheit zu sündigen, darum stehen wir vor dem Entweder - Oder
ohne Brücken .
V. 17-19 Gott sei Dank, ihr waret Knechte der Sünde, wurdet
aber von Herzen gehorsam auf Grund des Eindrucks der Lehre,
unter den ihr gekommen seid. Frei geworden von der Sünde seid
ihr aber Knechte der Gerechtigkeit geworden . Ich redemenschen
mäßig mit Rücksicht auf die Schwachheit eures Fleisches ! Denn
wie ihr eure Glieder als Werkzeuge der Unreinheit und Ungesetz
lichkeit zur Verfügung stelltet, um die Ungesetzlichkeit zu schaf
fen , so stellt eure Glieder jetzt als Werkzeuge der Gerechtigkeit zur
Verfügung, um Heiligung zu schaffen .
« Gott sei Dank, ihr waret Knechte der Sünde, wurdet aber von
Herzen gehorsam .» Unter Appell an die letzte Instanz, unter der
selbstverständlichen Reserve, die gegenüber den menschlichen Mög
lichkeiten als solchen mit diesem « Gott sei Dank» geboten, aber auch
mit der ganzen Freiheit, von den menschlichen Möglichkeiten mög
licherweise absehen zu können, die mit diesem « Gott sei Dank!» ge
geben ist, mag und muss nun der entscheidende Offensivstoß gewagt
werden, der Vorstoß, der Ausbruch und Einbruch , durch den die
sachliche Mitteilung zur Predigt, zum Kerygma, zur Verkündigung
wird, d. h. zu dem Unternehmen, bestimmte Menschen, in diesem Fall
die römischen Christen », anzureden als solche, die unter der Gnade
stehen, bei denen also die Kraft des Gehorsams als gegeben voraus
gesetzt und an die darum in sinnreicher Weise die Aufforderung ge
richtet werden kann, die Überwindung der Sünde durch die Gnade in
Erkenntnis zu betätigen und in der Tat zu erkennen. Mit « Gott sei
Dank! » mag und muss es gewagt werden, diese bestimmten Menschen
zu behaften dabei, dass ihr Fall nicht der der Sündenknechtschaft,
sondern der der Gottesknechtschaft ist, dass für sie die Sündenknecht
schaft das existentiell Ausgeschlossene, Aufgehobene und Erledigte
ist, dass für sie der anschauliche ( nur zu anschauliche !) Dienst der
Sünde ihre Vergangenheit, der unanschauliche Gehorsam gegen die
Gnade ihre Gegenwart und Zukunft ist. « Ihr waret Knechte der Sün
de, ihr wurdet aber gehorsam! » Und das «von Herzen» ! Es handelt
sich also bei dieser direkten Anrede ganz bewusst um das anders als in
Form einer kühnen Prolepse 200 gar nicht auszuführende Unterneh
301
men, die «Herzen» dieser und jener Menschen zu erkennen, wie Gott
sie erkennt (2,16), den Aufruf zur Buße und die Verkündigung der
Vergebung an sie zu richten, als ob es Gottes Wort an sie wäre, sie als
existentiell Begnadigte einfach in Anspruch zu nehmen, sie zu Gott zu
rechnen , sie in die Kraft der Auferstehung einzubeziehen und im
Blick auf den für sie Gekreuzigten ihre Gehorsamskraft zu – glauben.
Dieses Unternehmen muss gewagt werden. Denn wie sollte von Gna
de, vom Reiche Gottes geredet werden können, ohne dass es dem
Menschen, an den diese Rede sich richtet, gesagt wird, dass er gemeint
ist, dass er begnadigt ist, dass er diesem Reiche untersteht ? Wie sollte
Gnade anders als die Gotteswahrheit aller Menschen erwiesen wer
den als durch ihre mit einem mehr als verwegenen Trotzdem ! gewagte
Beziehung auf diesen und jenen, auf den und den bestimmten Men
schen; durch den Erweis, der sich existentiell gerade an ihm, an ihm
selbst vollzieht ? Und wie sollte Gnade als der Sieg der unanschauli
chen Gehorsamskraft über die Sünde geglaubt werden, wenn sie nicht
mit festem Griff über die anschauliche Sündenknechtschaft des ein
zelnen ( jedes einzelnen! ) Menschen hinaus für ihn vorausgeglaubt, in
ihn hinein geglaubt wird ? Eben darin beweist, bewährt und betätigt
sich Gnade, dass sie es wagt ( «Vergib uns unsre Schulden, wie auch wir
vergeben unsern Schuldigern !» (vgl. Mt. 6,12 par.]), ein «von Herzen»
Begnadigtsein vorauszusetzen, nicht zu schauen und doch zu glauben
(vgl. Joh. 20,29] . Eben darin unterscheidet sich ein Apostel von einem
Religionsmann, dass er es wagt, ohne nach Gnadenerlebnissen Aus
schau zu halten, zu glauben, dass es Menschen gibt, die Gnade haben.
«Auf Grund des Eindrucks der Lehre, unter den ihr gekommen
seid ». Warum gerade diese Menschen ? Das bedeutet keinen Aus
schluss anderer. Mit dem Wagnis der grundsätzlich gleichen Prolepse
tritt der Apostel auch an den «Juden» und an den «Heiden» heran.
Etwas anderes als dankbar an den (unbekannten! ) Gott appellieren,
der die Menschen gefunden hat, bevor sie ihn suchten, und an den sie
nur zu erinnern sind (vgl. Act. 17,22–28], kann der Missionar so wenig
wie der Korrespondent der «schon» Bekehrten in Rom und dieser so
wenig wie jener. Aber warum sollte das anschauliche Gnadenerlebnis
der «Christen» nicht eine Ermutigung, ja Aufforderung sein, mit Gott
sei Dank! gerade sie als Begnadigte anzureden ? Der « Eindruck der
Lehre, unter den ihr gekommen seid», ist (wie 6,3 die Taufe) ein «Zei
302
chen» auf der Ebene, wo das «Christentum» neben anderen Religio
nen und nicht ohne mannigfache Berührung mit ihnen menschlich
anschauliche Gestalt annimmt als 201| Erlebnis, als Institution, als
Dogma, als Kultus, als eine in verschiedenen « Typen » auftretende re
ligiöse Verkündigung. Zu diesen « Typen » gehört die paulinische wie
die vielleicht etwas andersartige Lehre, die für das römische «Chri
stentum » « typisch » geworden ist. Die Andersartigkeit hat keine prin
zipielle Wichtigkeit. Als Zeichen, das zeigen und zeugen, an das man
diese «Christen » erinnern kann, nimmt Paulus auch ihr « Typisches»
in Anspruch. Er denkt nicht fehlzugreifen, wenn er sie unter Berufung
auf dieses Typische, Zufällige, Anschauliche an das Urbildliche, Exi
stentielle, Unanschauliche erinnert, dass Gott sie gefunden, dass sie
Vergebung haben, dass sie Begnadigte sind, an den neuen Menschen in
Christus, an die Kraft der Auferstehung, die die Kraft des Gehorsams
ist. Wobei es sich von selbst versteht, dass diese Erinnerung eben nur
Erinnerung ist, während die Realität des Begnadigtseins, an die hier
erinnert wird, von Gott kommt, dessen dankbare Anrufung darum
dieser Erinnerung wahrhaftig nicht nur äußerlich vorangeht.
« Frei geworden von der Sünde, seid ihr Knechte der Gerechtigkeit
geworden .» Das ist das Begnadigtsein, auf das Paulus die römischen
Christen anspricht: der Riss, die Beunruhigung, die Unmöglichkeit
eines Ausgleichs ist da für sie; der Angriff auf ihr Dasein von ihrer
Existenz (in Gott) her ist geschehen, ihr Sklavenverhältnis zur Sünde
ist gelöst und Sklaven der Gerechtigkeit sind sie geworden. Die Kraft
der Auferstehung, die Erkenntnis des Gottes, der die Toten lebendig
macht (vgl. 4,17], hat sie umgekehrt – hat sie umgekehrt, ihr eigenster
persönlichster Schritt, kein mechanisches Geschehen an ihnen war
diese Umkehrung, in der Kraft der Auferstehung haben sie, sie selbst
ihn getan. Und unzweideutig, unwiderruflich , unumkehrbar ist dieses
Geschehen. Gerechtigkeit ist nicht eine Möglichkeit des begnadigten
Menschen, sondern seine Notwendigkeit. Nicht eine veränderliche
Gesinnung, sondern der unveränderliche Sinn seines Lebens. Nicht
eine Stimmung mit höhern oder niedern Wärme- und Kraftgraden,
sondern die Bestimmung, unter der er steht. Nicht ein Eigenes des
Menschen, sondern sein Zueigensein. In Gottes Wohlgefallen und nir
ac Druckmanuskript: « der » .
303
gends sonst ist die Freiheit des Menschen begründet. Aber diese Frei
heit ist die Freiheit des göttlichen Willens im Menschen und keine
andre Freiheit. Frei in Gott seid ihr gefangen in ihm ! Dies ist der
kategorische Imperativ der Gnade, des existentiellen zu-Gott-Gehö
rens, in dessen Erkenntnis die Zweiheit des alten und neuen Menschen
entsteht, um sofort in der Einheit des neuen Menschen aufgehoben zu
werden. Ihr steht unter diesem Imperativ.
« Ich rede menschenmäßig mit Rücksicht auf 202 die Schwachheit
eures Fleisches.» Ich sage: ihr steht, ihr seid : hier frei, dort Knechte.
Das ist «menschenmäßig» geredet. Wir wissen, dass solche direkten,
dialektisch ungebrochenen Aussagen über das in Frage stehende un
anschauliche Existentialverhältnis des Menschen notwendig etwas
aussagen , was gerade nicht ausgesagt werden kann. Wir wissen, dass
wir uns, indem wir solche Aussagen wagen, in das gewisse Zwielicht
der religiösen, der romantischen Redeweise begeben, in der «Sünde»
und «Gnade» oder « Glaube» ad und « Unglaube » als Gegebenheiten
auftreten, die der Mensch «hat» oder «nicht hat», und wo der Mensch
dies und das «ist» oder «nicht ist». Wir wissen, dass die Umkehr vom
Tode zum Leben in der Kraft der Auferstehung, die Freiheit von der
Sünde und die Knechtschaft der Gerechtigkeit von keinem bestimm
ten, mit diesem oder jenem Namen zu benennenden Menschen aus
zusagen ist, dass die Namen, von deren Trägern das auszusagen wäre,
nurae geschrieben stehen im Buche des Lebens (vgl. Apk. 20,12], dass
es aber in Sachen der Gnade kein anschauliches Sein und Nicht-Sein,
Haben und Nicht-Haben dieser und jener Menschen (z. B. der Kin
der, der Sozialisten, des russischen oder des deutschen Volkes –
Dostojewski ! Kutter!46) gibt. Wir wagen trotzdem solche Aussage.
ad Druckmanuskript: « Gnade », «Glaube»».
ae
Druckmanuskript: «zwar» .
46 Dassdas russischeVolk -imZusammenhang mitdemNamen Dostojewski
in dieser Reihe figuriert, dürfte auf eine Anregung E. Thurneysens zurück
gehen; vgl. dessen Brief an Barth, Bw.Th.I, S. 48of. (die dem Brief vom 29.3.1921
angefügte Passage stammt aus einem Brief vom 5.4.1921 ): «Beiliegend meine
Bemerkungen zu Manuskript und Korrekturen von Röm. 6 und 7. [...]Lies
übrigens einmal in den politischen Schriften Dostojewskis, wie da Christus
eingebettet ist in Erwägungen zur russischen Machtpolitik und daran ange
knüpfte chiliastische Erwartungen, die alle politischen Möglichkeiten über
304
Wir – leisten uns diesen Schein eines romantischen Psychologismus,
weil es für die göttliche Unmittelbarkeit der Vergebung kein anderes
Wort gibt als das Gleichnis einer solchen menschlichen Unmittelbar
keit, weil das indirekte Reden ohne Anwendung von «Sein» und
« Haben» der «Schwachheit des Fleisches», dem erst zu öffnenden
Ohr des Menschen notwendig als eine Verdunkelung und Abschwä
chung der Vergebung erscheinen müsste, weil es sich darum handelt,
auch die letzte Mauer von Zuschauerhaftigkeit, die das Verständnis
für die Revolutionierung des Menschen von Gott her hindern könnte,
auch den letzten Schein, als ob der Mensch Gott «objektiv» verstehen
könnte, zu zerstören, und weil der Nachweis, dass «ihr» die Sünde
nicht wissen und nicht wollen könnt, seinen springenden Punkt in der
Einsicht hat, dass Gott euch, euch selbst, gerade euch vergeben hat.
Wir meinen also zu wissen, was wir tun, wenn wir solche direkte
Anrede (das ebenso unvermeidlich wie bedenklich Bezeichnende aller
Predigt!) wagen, und daraufhin - wagen wir es, als die Gebrochenen
ungebrochen zu reden. Aber die Erinnerung, dass wir damit «men
schenmäßig», im Gleichnis reden, dass, was im Glauben gesagt wird,
im Glauben gehört werden, dass Gnade als Gnade, d. h. als die an
schaulich nicht-gegebene Begründung des Menschen in Gott verkün
digt und aufgenommen werden muss, diese Erinnerung darf gerade
hier nicht fehlen. ( 203 |
Und dieser aufgehobene Finger ist nun erst recht zu beachten beim
folgenden: « Wie ihr eure Glieder als Werkzeuge der Unreinheit und
Ungesetzlichkeit zur Verfügung stelltet, um die Ungesetzlichkeit zu
schaffen, so stellt eure Glieder jetzt der Gerechtigkeit zur Verfügung,
um Heiligung zu schaffen .» Ihr steht unter dem Imperativ der Gnade.
Unter dem Imperativ der Gnade! Gnade ist die Aufhebung der in
eurem sterblichen Leibe wohnenden Sünde. Ihr stehen die Glieder des
Menschen zur Verfügung, nicht der Sünde. Sieaf ist die Bestimmung
af
2. Abdruck ( 19233): «Sie» .
steigen, die also nur unter Wiederkunft» verstanden werden können, ohne daß
diese aber verkündigt würde. Bei Dostojewski findet sich ähnlich wie bei Kutter
ein Drang nach etwas Realem , ein Griff über alle Fernen hinweg, der mir in
seinerTendenz ungleich viel verständlicher und lieber ist als etwa die Klugheiten
der Neuen Weges.» Die Erwähnung des deutschen Volkes zusammen mit dem
Namen Kutter enthält eine Anspielung auf H. Kutter, Reden an die deutsche
Nation, Jena 1916 (vgl. dazu Thurneysens Brief vom 4.7.1916, Bw.Th.1, S. 146).
305
des sterblichen Menschen, nicht die Sünde. In ihr ergreift Gott Partei
für den Menschen, nicht in der Sünde. Gnade bedeutet, dass Gott die
Existenz des Menschen in ihrer Totalität zu sich rechnet und in An
spruch nimmt. Gnade ist die Gewalt Gottes über den einen und un
teilbaren Menschen. Gnade ist die Wahrheit des Individuums in der
vollen Breite seines Da-Seins und So-Seins, gerade weil und indem sie
seine radikale Krisis ist. Gnade kann sich nicht beruhigen, nicht still
stehen, sie kann nicht schweigen und verzichten - auch nicht vor der
ehernen Schranke, die das Unanschauliche vom Anschaulichen, das
Unendliche vom Endlichen trennt. Sie kann nicht das anschauliche
Leben der Sünde überlassen, um sich mit einem Wandern», « jenseiti
gen», unanschaulichen Leben der Gerechtigkeit zufrieden zu geben.
Gerade das nicht.af Das wäre ja der Dualismus Gnade und Sünde, in
dessen Aufhebung gerade Gnade sich als Gnade erweisen muss. Ge
rade das anschauliche Leben greift die Gnade an, fordert seine Über
gabe an die Gerechtigkeit. Gerade die « Glieder» des Menschen müs
sen der Gerechtigkeit zur Verfügung stehen. Denn dass dieses Sterb
liche anziehe die Unsterblichkeit» (vgl. 1. Kor. 15,53], gerade das ist
doch der Inhalt, die Aussage des Futurum resurrectionis des begna
digten Menschen. Gnade, der die sündige Bestimmtheit unsres kon
kreten Lebensinhalts als Gegebenheit gegenüberstände, wäre nicht
Gnade. Kein beruhigender Verweis auf ein besseres Jenseits kann die
Inanspruchnahme, den Angriff, die Krisis aufhalten, der unser dies
seitiges Leben, das Leben der «Glieder», unser Leben in der Welt der
Zeit, der Dinge und der Menschen ausgesetzt ist wenn Gott uns
gnädig ist. Denn wenn Gott uns gnädig ist, dann heißt das doch, dass
unser Diesseits als solches in Frage gestellt wird durch jenes bessere
Jenseits, durch seine offenkundige Abwesenheit sowohl wie durch
sein offenkundiges Herannahen, Anklopfen und Hereinstürmen.
Und ebenso kann keine fatalistische Diskreditierung des schlimmen
Diesseits uns Ruhe verschaffen vor jener Krisis – wenn Gott uns gnä
dig ist. Denn wenn Gott|204 uns gnädig ist, dann heißt das doch, dass
wir uns in dieses Schlimme des Diesseits nicht mehr finden, nicht
mehr ergeben können, sondern in grundsätzlichen Widerspruch dazu
gesetzt sind, dass uns gerade seine bloße Diesseitigkeit, seine reine
ag Druckmanuskript: «nicht! » .
306
Negativität zur bewussten Not, aber auch zur Verheißung, zur Er
kenntnis unsres Entbehrens, aber auch unsrer Hoffnung wird. Dass
Gott uns gnädig ist, das heißt doch, dass das « Jenseits» sich bezieht auf
unser Diesseits und unser Diesseits bezogen ist auf das «Jenseits» und
dass uns damit verwehrt ist, eine Absperrung des einen gegen das
andere anzuerkennen. Gnade, die unanschauliche Wahrheit, kann gar
nicht anders als ausgreifen, mit der Möglichkeit des Unmöglichen
ausgreifen nach dem bis ans Ende der Tage von der Sünde bestimmten
Sein und Geschehen, Wollen und Vollbringen der Anschaulichkeit.
Gnade will sich durchaus mit Augen sehen, mit Ohren hören, mit
Händen greifen lassen, sie will sich offenbaren und sie will angeschaut
werden. Offenbarung und Anschauung der unanschaulichen Gnade
Gottes (historisch am Rande des Unhistorischen und unhistorisch am
Rande des Historischen) ist ja die Auferstehung Christi von den To
ten (6,9). Und ich bin ja als neuer Mensch nicht nur der, der ich nicht
bin, sondern ich bin auch der, der ich nicht bin ( 5,1.9–11). Gnade
heißt: Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel! (vgl. Mt. 6,10).
Und so kann denn Gnade als Existentialverhältnis des Menschen zu
Gott gar nicht anders als aus dem die göttliche Wahrheit über diesen
Menschen aussagenden Indikativ ausbrechen in den die göttliche
Wirklichkeit von diesem Menschen fordernden Imperativ: Wollet
jetzt, was Gott will, nachdem ihr es bis jetzt nicht gewollt habt ! Die
net jetzt der Gerechtigkeit mit derselben Anschaulichkeit, in dersel
ben Greifbarkeit, mit denselben «Gliedern », mit denen ihr bis jetzt
der «Unreinheit und Gesetzlosigkeit» gedient habt! Schaffet jetzt
«Heiligung» mit denselben Mitteln und Werkzeugen, mit denen ihr
bis jetzt « Gesetzlosigkeit» geschaffen habt ! Preiset jetzt Gott an eu
rem Leibe, in denselben Lebensbedingungen, Funktionen und Ver
hältnissen, in denen ihr ihm bis jetzt Schande gemacht habt ! Ein an
deres Sein, Haben und Tun ist von euch gefordert, von euch selbst,
gerade von euch ! Als ob «Heiligung» eine menschliche Möglichkeit
wäre ! Als ob die Sünde nicht wohnte in dem sterblichen Leibe, mit
dem ihr unauflöslich und unabgrenzbar eins seid. Als ob Zeit nicht
Zeit, Mensch nicht Mensch, Dinglichkeit nicht Dinglichkeit wäre ! Als
ob ihr auch den linken Fuß schon nicht mehr im Grabe hättet ! Als ob
das Leiblicheah schon verschlungen wäre vom Leben und der Tod in
ah Druckmanuskript: «Sterbliche» .
307
den Sieg! (vgl. 2. Kor. 5,4; 1. Kor. 15,54]. Als ob ihr die Menschen
wäret, an die diese Forderung, (205 ) die absolute, gerichtet werden
kann. Die Möglichkeit, dass dieser Forderung Genüge geleistet wer
den, dass Gottes Wille auf Erden geschehen kann an Menschen und
durch Menschen, die Möglichkeit also, dass ein geheiligtes Men
schenleben als solches geschichtlich und anschaulich wird, dass das
Unendliche das Endlichefasst, diese Möglichkeit kann nicht nur nicht
bestritten, sondern sie muss vom Standpunkt der Gnade aus als die
endlich und zuletzt einzige Möglichkeit behauptet, ihr Eintreten mit
geradezu stürmischer Ungeduld, Sehnsucht und Beflissenheit erwar
tet werden. Könnten wir es aushalten ohne sie, besäßen wir die Mä
Bigung, uns mit weniger zufrieden zu geben und in einem Ausgleich
zwischen dieser und anderen Möglichkeiten zu leben, könnten wir die
Unruhe der von Natur christlichen (gotischen !) Seele47 wieder los
werden, streckte sich also nicht alles in uns aus nach der Möglichkeit
eines für Gottes Gerechtigkeit geheiligten, bereiten, offenen , ihr
gleichsam parallelen Lebens und das im Sinn einer Veranschaulichung
dieser Parallele an unseren «Gliedern», an unserm sterblichen Leibe,
dann wäre Gnade nicht Gnade. Denn so gewiss das Futurum resur
rectionis des begnadigten Menschen mit seinem Prädikat « Leben»
den ganzen Menschen betrifft, sein himmlisches und sein irdisches
« Teil», den neuen Menschen («die Seele») und den « aufgehobenen >>
Leib des alten gekreuzigten Menschen, so gewiss dieses Prädikat nicht
futurisch im gewöhnlichen Sinn gemeint ist (als ob man eventuell auf
309
gende und hemmende «Als ob» dieses Imperativsus, das daran erin
nert, dass die Kraft, ihm zu gehorchen, die Kraft Gottes ist, überhört
wird, dann sind wir mitten in den Prolepsen des religiösen Moralis
mus, mitten in den wildesten Illusionen der Romantik, mitten in den
süßlichsten Vertauschungen und Vermengungen der Gottesgerechtig
keit mit allerlei Menschengerechtigkeiten, der Erlösung mit allerlei
Erlöstheiten, des ewigen Lebens mit dem Leben, das wir allenfalls –
erleben können . Dass das nicht bedacht sein könnte ( nicht bedacht,
«dass wir sterben müssen! » (vgl. Ps. 90,12] – aber wann und wo und
von wem ist das zu Ende bedacht ?), das ist die Zweideutigkeit, von der
alles Reden über die Gnade bedrückt ist, solange und sofern es eben
ein Reden über die Gnade ist. Müssen wir über die Gnade reden,
unterwinden wir uns aus einem mehr oder weniger glaubwürdigen
Grunde, das zu tun , dann müssen wir offenbar (wissend, was wir tun!)
«menschenmäßig» reden, müssen die Gnade auch ihr letztes, ihr aus
brechendes und übergreifendes Wort, das Wort von der Heiligung
unsres sterblichen Leibes zum Werkzeug der Gerechtigkeit ausspre
chen lassen, auf die Gefahr hin, dass es auf unsern Lippen eine Bana
lität oder eine Phantasterei ist. Denn eben dieses auf unsern Lippen
unmögliche Wort ist als solches die Verunmöglichung der Sünde,
Gottes Gerechtigkeit als Gericht, Gottes Vergebung als Macht, Gottes
Wort als Schöpfung.
V.20–23 Denn als ihr Knechte der Sünde waret, da waret ihr ja
frei von der Gerechtigkeit. Was für eine Ernte hattet ihr damals ?
Dinge, vor denen euch jetzt ekelt; denn ihr Ziel ist der Tod. Jetzt
aber, frei geworden von der Sünde und Knechte Gottes (207) ge
worden, habt ihr eure Ernte in dem, was zur Heiligung führt, als
Ziel aber ewiges Leben. Denn der Sold der Sünde ist der Tod, die
Begnadigungai Gottes aber ewiges Leben in Christus Jesus unserm
Herrn.
Gnade ist Krisis vom Tode zum Leben. Darum ist Gnade gegen
über der Sünde die absolute Forderung und die absolute Gehorsams
aj 1. Abdruck ( 1922 °): « Begnadung» .
48
Anspielung auf H. Vaihinger, Die Philosophie des Als Ob. System der
theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund
eines idealistischen Positivismus, Berlin 1911 .
310
kraft miteinander. Darum ist keine Spannung, keine Polarität möglich
zwischen Gnade und Sünde, kein Ausgleich, kein Gleichgewicht, kei
ne Zwischenlösungen. Darum können «wir» als Begnadigte nicht zu
sehen, nicht abwägen, nicht Gnade als eine Möglichkeit oder Not
wendigkeit in Betracht ziehen und zu ihrem Recht kommen lassen
und Sünde als eine andre. Darum ist die Heilsbotschaft von Christus
die Beunruhigung, die Erschütterung, der alles in Frage stellende An
griff schlechthin . Darum gibt es nichts Sinnloseres als den Versuch ,
eine Religion aus ihr zu machen, d. h. eine menschliche Möglichkeit
oder Notwendigkeit, neben der es andere gibt. Dieser Versuch , be
wusster als je zuvor unternommen von der protestantischen Theo
logie seit Schleiermacher, ist der Verrat an Christus. Der Begnadigte
ist als solcher unbedingt Partei. Er ist in den Kampf auf Leben und
Tod verwickelt, in dem es keinen Frieden, kein Interim, keine Ver
ständigung gibt.
In der Dämmerung einer gewissen Indifferenz und Neutralität
scheint der Mensch seinen Weg zu gehen, tätig und leidend, lebend
und gelebt, säend und erntend. Was ist's mit dieser « Erte » ? Was ist
der Ertrag seines Ganges ? Was bedeuten die Erlebnisse, Eigenschaften
und Gewohnheiten, die Worte, Taten und Werke, in denen er sich
selbst, gegenständlich geworden, wiedererkennt ? Was bedeuten die
Bewegungen, Verhältnisse und Ordnungen seiner Geschichte, und
wohin führt ihr «Fortschritt», ihre « Entwicklung» ? Was ist das
«Ziel», das Telos, der Zweck der Zwecke in der unendlichen Fülle
dessen, was er erstrebt und mehr oder weniger erreicht? Weiß er es ?
Kann er es wissen ? Unentwirrbar, bis zur Identität ineinander und
miteinander und durcheinander aufgewachsen sind offenbar bei sei
ner Ernte Unkraut und Weizen (vgl . Mt. 13,24-30], das, was «Unge
setzlichkeit», und das, was «Heiligung » schafft (6,19). Wer will rich
ten oder welche objektive Norm soll entscheiden darüber, ob dies
oder jenes, was der Mensch mit den « Gliedern» seines sterblichen
Leibes vollbringt, dieses oder jenes Erzeugnis des endlichen kreatür
lichen Geistes, diese oder jene Einstellung zu den verschiedenen Mög
lichkeiten gegebener Lebensinhalte, diese oder jene Seelenverfassung
oder diese oder jene geschichtliche Welle dahin oder dorthin gehört ?
Kann nicht alles, was der Mensch denkt, sagt, tut und erzeugt, kann
nicht die ( 208 ) ganze Ernte dahin oder dorthin gehören ? Gibt es eine
311
anschauliche «Gesetzlosigkeit», die etwa ganz unmöglich als «Heili
gung», und gibt es eine anschauliche «Heiligung», die etwa ganz un
möglich als «Gesetzlosigkeit» gedeutet werden könnte? Wir besitzen
offenbar den Kodex nicht, an Hand dessen die Geheimschrift des
menschlichen Lebensinhaltes eindeutig zu entziffern wäre. Wir haben
offenbar kein Wissen von der Ernte, die Gott der Herr bei Anlass
unsrer Lebensernte in seine, die ewigen Scheunen bringt (vgl. Mt.
13,30] . Und wissen wir nicht, was wir ernten, wie sollten wir dann
wissen, was wir säen ? Übersehen wir nicht, was unsere Erzeugungen
bedeuten, wie wollenak wir dann sehen, was unsre Existenz bedeutet ?
Kennen wir unser Ziel nicht, wie sollten wir dann unsern Anfang
kennen ? Ist es mehr als Zufall und Laune, wennal der Mensch im Ja
oder im Nein seine Bestimmung erkennt, als Verbrecher oder als Hei
liger seinen Weg geht, im Himmel oder in der Hölle sein Schicksal
finden will und wird und wenn die «Guten immer besser, die Schlech
ten immer schlechter werden» ? (Harnack)*9. Was heißt gut? Was heißt
schlecht? Hier, in dieser Dämmerung ist offenbar das rechtmäßige
Reich jener Spannungen, Polaritäten, Allogenitäten und Dualitäten,
hier ist offenbar der Ort, wo sich Ja und Nein gleich notwendig, gleich
wertvoll, gleich göttlich gegenüberstehen (wobei über die Notwen
digkeit, den Wert und die Göttlichkeit des Ja und des Nein keine allzu
großen Illusionen bestehen können ! ). Hier wird das Finden eines
Ausgleichs, einer Gleichgewichtslage, einer Verständigung, eines rei
bungslosen Schaukelspiels hin und her der Weisheit höchster Schluss
sein.
ak Druckmanuskript: «sollen» .
al Druckmanuskript: <ob».
49 Vermutlich eine Anspielung auf A. von Harnack, Was hat die Historie an
fester Erkenntnis zur Deutung des Weltgeschehen zu bieten ?, a.a.O. (s. oben
S. 15, Anm. 35 ), S. 179f.: «Ein Erdbeben, eine Hungersnot, ein Krieg usw. hat
gewiß in gewissen Grundzügen für alle ein und dieselbe Wirkung; aber dane
ben treten hier in den einzelnen Individuen ganz verschiedene Folgen auf: der
eine läßt sich entmutigen und verzweifelt, der andere aber schafft aus der Not
einen Chor von Tugenden; der eine wird selbstisch und feige, der andere op
ferfreudig und mutig. So war es in den Tagen Fichtes und Schleiermachers, so in
dem Weltkriege, den wir erlebt, und so ist es immer. » Barth hat der wohl aus
derErinnerung an den in Aarau gehörten Vortrag formulierten Sentenz erst
nachträglich (in der Fahnenkorrektur?) den Namen Harnack beigefügt.
312
Gottes Gerechtigkeit in Jesus Christus aber ist der Blitzam der Er
kenntnis, der in diese Dämmerung einschlägt und daselbst die Exi
stenz des Menschen in Brand setzt. Die Offenbarung und Anschau
ung (des unbekannten Gottes), in der der Mensch sich selbst erkennt
als erkannt, als gezeugt von dem, der er, der Mensch, nicht ist, von
dem zu ihm keine Kontinuität, kein Zusammenhang, kein Weg und
keine Brücke führt, den er nur als seinen Schöpfer, nur als seinen
reinen Ursprung begreifen kann und der, indem er sich offenbart und
anschauen lässt als unser Vater, selber das Unmögliche möglich
macht. Diese Offenbarung und Anschauung ist die Gnade. Begnadigt
weiß der Mensch, wer er ist: der « Knecht der Sünde », der Schuldige
und das Opfer des Abfalls vom lebendigen Gott, « frei von der Ge
rechtigkeit», unbehelligt durch das Wort der Vergebung und des Ge
richts, das – war er. « Frei von der Sünde», der « Knecht Gottes», das –
ist er. Begnadigt ist der Mensch existentiell umgekehrt, bewegt, hin
weggerückt von hier nach dort: ein Abgrund trennt dieses «war» von
(209) jenem «ist» , « Tod » steht über diesem «war», « Leben» über jenem
«ist»; denn nicht weniger als der Schritt vom Tode zum Leben, nicht
weniger als Leben, das aus dem Tode kommt, ist der Inhalt der Of
fenbarung und Anschauung Gottes. Begnadigt wissen wir, was wir
säen, sehen wir, was unsre Existenz bedeutet, kennen wir unsern An
fang. Dann aber auch unsre Ernte, die Bedeutung unsrer Erzeugun
gen, das Ziel, das Telos unsrer Lebensinhalte. Der Blitz, der unsre
Existenz in Brand steckt, wird nicht säumen, auch unser Sein, Wissen,
Denken , Reden, Wollen und Vollbringen , unser seelisches und ge
schichtliches Da-Sein und So-Sein, unsre erstrebten und erreichten
Zwecke zu beleuchten, um dann auch sie – vielleicht unversehrt zu
lassen, vielleicht zu schmelzen und zu läutern, vielleicht zu verkohlen,
vielleicht in andere Substanzen umzusetzen, vielleicht ganz und gar
(und doch nicht ganz ! Non omnis moriarso ! ) zu verzehren und zu
vernichten , jedenfalls sie einer auf Grund und Boden gehenden Prü
fung zu unterziehen auf ihr Verhältnis zu jenem «war» und « ist» uns
rer Existenz , auf ihre Stellung diesseits oder jenseits des durch die
am
2. Abdruck ( 19233 ) : « Besitz » .
313
Offenbarung und Anschauung Gottes aufgerissenen Abgrunds, auf
ihren Lebens- und (oder! ) Todesgehalt. Denn daran scheidet sich uns
re «Ernte», scheiden sich Unkraut und Weizen (vgl. Mt. 13,30), darin
offenbart sich der Zweck in den Zwecken, das ist die Deutung der
Runensprache des menschlichen Lebensinhaltes, dass alles je nach sei
ner Bestimmtheit durch das, was wir «waren» und «sind», durch uns
re existentiell erledigte Sündenknechtschaft oder durch unsre existen
tiell hergestellte Gottesknechtschaft entweder unter dem Telos des
Todes oder unter dem Telos des Lebens steht, aber nie beides zugleich,
so gewiss Tod und Leben nie zugleich sind, wobei wir uns erinnern,
dass der Begriff des Todes immer wieder an dem zu gewinnen ist, was
wir «Leben» heißen, und der Begriff des Lebens immer wieder an
dem, was wir « Tod » heißen. Von diesem Telos – Tod oder Leben! –
aus, dessen ursprüngliche Bedeutung der Inhalt der Offenbarung und
Anschauung Gottes ist, bestimmt sich nun eindeutig, was «Gesetz
losigkeit» und was «Heiligung » ist. Jawohl, es gibt eine ganz und gar
eindeutige « Gesetzlosigkeit», es gibt ein Schlechtes, das der Mensch
nicht denken, nicht wollen, nicht tun soll. Es gibt « Dinge, vor denen
euch jetzt ekelt », Möglichkeiten, die im Lichte jenes die ganze zeitli
che Lage erhellenden Augenblicks qualifiziert sind als schlechthin
ausgeschlossen und verboten. Warum verboten ? Weil « ihr Ziel der
Tod » ist, weil sie nur aus der « Vitalität der Sterblichkeit» stammen,
weil sie, nur Tod verbreitend, nur dem Tode geweiht sein, weil sie in
dem verzehrenden Feuer des im Begriff des Todes erkannten Lebens
210 nicht bestehen können. Das Kriterium ist eindeutig für den, der
es besitzt: «Der Sold der Sünde ist der Tod ». Und so gibt es nun auch
eine ganz und gar eindeutige «Heiligung”, es gibt eine « Ernte zur
Heiligung », es gibt Möglichkeiten menschlichen Seins, Habens und
Tuns, die in der Erkenntnis Gottes qualifiziert sind als schlechthin
notwendig und geboten. Es gibt ein Gutes, das der Mensch denken,
wollen und tun soll. Und zwar darum , weil das so bestimmte Da-Sein
und So-Sein des Menschen, weil diese Zwecke, Werke, Verhältnisse
und Bewegungen ihren Anfangs- und Endpunkt im Leben haben und
diesen ihren Anfangs- und Endpunkt auch in der «Mitte», in der vom
Tode beherrschten Welt der Zeit, der Dinge und des Menschen nicht
ganz verbergen können, weil sie in dem verzehrenden Feuer des als
Leben begriffenen Todes bestehen können - vielleicht verwandelt,
314
vielleicht verkohlt, vielleicht geläutert – vielleicht unversehrt gelassen
werden, aber jedenfalls bestehen können. Eindeutig ist auch dieses
Kriterium , wenn es – vorhanden ist. «Die Begnadung Gottes ist ewiges
Leben in Christus Jesus unserm Herrn . »
So wenig Tod und Leben zugleich, nebeneinander oder als Glieder
einer Reihe hintereinander sein können, so wenig Sünde und Gnade.
Über den Abgrund, der hier aufgerissen ist, führt keine Brücke. Die
Klarheit, die hier geschaffen ist, duldet keine Vermischung. Quer hin
durch durch die Risse von « Gut» und «Böse», « Wert » und «Unwert»,
« heilig» und «unheilig», die in der Dämmerungswelt des unbegna
deten Menschen - keine Klarheit, keine Scheidung zu schaffen ver
mögen , geht als Orientierung neuer Ordnung, als das eindeutige Kri
terium dieser Abgrund. Sein Vorhandensein wird den Versuch einer
Ethik, einer Tafel der sündigen und gerechten, verbotenen und ge
bo en (weil toten oder lebendigen) Lebenszwecke immer wieder
zur unerbittlich notwendigen Aufgabe machen , um eine Ethik, die
mehr als Versuch sein solltean, immer wieder ebenso unerbittlich zu
verunmöglichen. Denn die Erkenntnis Gottes, in der sich jene Ori
entierung vollzieht, in der jenes eindeutige Kriterium des Sündigen
und des Gerechten erzeugt wird, schafft immer wieder menschliche
Erkenntnis, indem sie menschliche Erkenntnis aufhebt. Dass wir die
Möglichkeit des Unmöglichen begreifen und ergreifen als unsre ei
gene Aufgabe, das ist die Kraft des Gehorsams, in der wir stehen, weil
sie die Kraft der Auferstehung ist. (211)
an Druckmanuskript: «wollte».
315
7. Kapitel
DIE FREIHEIT
7,1-6
Gnade ist Gehorsam. Was das bedeutet, sagt der Begriff der Aufer
stehung. Es bedeutet ein Sein, Haben und Tun des Menschen, das sich
zu seinem bisherigen, das sich zu jedem möglichen Sein, Haben und
Tun verhält wie das Leben zum Tode. Unser Dasein tritt in das Licht
eines schneidenden und schon entschiedenen Entweder - Oder! Es
tritt in den Bereich seiner letzten, nein seiner unmöglichen Möglich
keit. Gnade ist die Beziehung Gottes zum Menschen, Gottes, der
schon gesiegt hat, indem er als Kämpfer auftritt, Gottes, der uns kei
nen Mittelweg offen und der seiner nicht spotten lässt (vgl. Gal. 6,7],
Gottes, der ein verzehrendes Feuer ( vgl. Hebr. 12,29) und der uns
keine Antwort schuldig ist, Gottes, der Ja und Amen sagt, wo wir nur
noch unser «Als ob», unser Ja und Nein stammeln können. Diese
Beziehung bedeutet, dass ein gerechtfertigter und erlöster, ein guter
und lebendiger Mensch, der neue Mensch der neuen Welt in Jesus
Christus Einlass fordernd an der Pforte meines Daseins erschienen
ist – wobei alle jene Attribute das besagen, was ich nie war, nicht bin
und nie sein werde ! -, und das mit dem begründeten Anspruch, keine
historische Größe, kein metaphysisches Gespenst, kein Anderer,
Zweiter neben mir zu sein, sondern - ich selbst, mein unanschauliches
existentielles Ich, ich, der ich in Gott bin, und darum keinen Augen
blick auf mich «warten» zu können. Dem ganzen unausweichlichen
Ernst, der ganzen Dringlichkeit, der ganzen Vehemenz und Rasanz
dieser Verheißung, dieser Forderung, dieses Anspruchs ausgesetzt
sein, das heißt begnadigt sein, das heißt die Christusbotschaft gehört
haben, das heißt allenfalls ein « Christ» sein. Dass diese Begnadung
sich vollzieht in der unanschaulichen unerhörten Freiheit Gottes, dass
sie immer wieder nur als Wunder, als Anfang, als Schöpfung anzu
316
schauen und zu begreifen , zu finden und zu suchen ist, das haben wir
«historisch» am Beispiel Abrahams erläutert (4. Kap.). Wir haben es
nun grundsätzlich festzustellen in der im bisherigen (2,1-13.14-29;
3,1–20.27–30.31; 4,9–12; 13–17; 5,13.20; 6,14.15 ) ausgiebig (212 ) vor
bereiteten Auseinandersetzung mit der tatsächlich letzten, der religi
ösen Menschenmöglichkeit.Dass sie eine Menschenmöglichkeit und
als solche eine begrenzte Möglichkeit ist, der die Freiheit Gottes, den
Menschen zu begnadigen, in sich bewährt und gesichert, gegenüber
steht, das ist nun zunächst zu zeigen .
V. 1 Oder merkt ihr nicht, Brüder - ich rede ja zu solchen, die das
Gesetz kennen - dass das Gesetz Herr ist über den Menschen,
solange er lebt?
« Brüder - ich rede zu solchen, die das Gesetz kennen. » Die römi
schen Christen kennen die religiöse Möglichkeit. Paulus kennt sie
auch. Wer sollte sie nicht kennen ? Auf irgend einer Stufe, in irgend
einem Grad macht jedermann Gebrauch von ihr. Ein bald dichterer,
bald dünnerer Rauchschleier von Religion liegt über allem mensch
lichen Geschehen. So gewiss der unbekannte Gott der Gott der Juden
und der Heiden ist. So gewiss die unvermeidliche Erinnerung des
Menschen an seine verlorene Unmittelbarkeit zu Gott immer auch
seelisch-geschichtliches Ereignis wird. So gewiss die unanschauliche,
nicht-gegebene Einheit des Menschen mit Gott immer und überall in
den Gegebenheiten der Ehrfurcht, der Liebe, der Begeisterung des
Menschen gegenüber dem, was über ihm ist, ihre - Negative hinter
lässt. So gewiss auch Gnade nicht ohne Gnadenerlebnis, nicht ohne
um dieses Erlebnis sich kristallisierende Religion, Moral, Kirchlich
keit und Dogmatik ist. Wir «hören», wir «glauben», wir gehorchen,
wir bekennen, wir beten, wir reden und schreiben, hier mehr positiv,
dort mehr negativ (und beides nicht ohne Leidenschaft!), wir heißen
und sind dies und das, wir haben einen mehr oder weniger bestimmten
Standplatz auf demJahrmarkt der Religionen, Weltanschauungen und
Sittlichkeiten.. Wir können wohl durch immer erneuten Stellungs
wechsel denen, die sehen können, andeuten, dass es sich nicht um dies
und das handelt, dass dieser Standpunkt kein Standpunkt ist, wir kön
nen aber nicht verhindern, dass unser Fuß in jedem einzelnen Augen
blick die Erde berührt, wir können als die, die wir sind, als Menschen,
die in der Welt leben, der religiösen Möglichkeit nicht entronnen sein
317
wollen. Als solche uns (vermeintlich! ) «in die Luft» zu stellen, wäre
ein wenig umsichtiges und aussichtsreiches Unternehmen. Denn wir
können wohl von einem Zimmer ins andere, aber nicht aus dem Haus
ins Freie stürmen. Wir können aber einsehen, dass auch diese letzte
unentrinnbare Möglichkeit, auch in ihren kühnsten, schärfsten, stärk
sten, «unmöglichsten» Varianten eine menschliche Möglichkeit, dass
sie als solche eine begrenzte Möglichkeit und dass sie, 213| eben als
begrenzte Möglichkeit, nicht nur von besonderer Gefährlichkeit, son
dern auch von besonderer Verheißung umgeben ist, indem sie als sol
che hinweist auf ein Begrenzendes neuer höherer Ordnung. Wir kön
nen uns klar machen, dass die Freiheit, in der wir begnadigt sind,
genau jenseits der in der Religion kulminierenden Humanität stattfin
det, nicht als weitere Möglichkeit also, sondern als die Unmöglichkeit,
die nur in Gott Möglichkeit ist, aber eben darum dann auch unberührt
und unbeeinträchtigt von der Zweideutigkeit gerade jener letzten
menschlichen Möglichkeit. «Der Sold der Sünde ist der Tod, die Be
gnadigung Gottes aber ist ewiges Leben in Christus Jesus unserm
Herrn (6,23 ).
Seht ihr das ein ? Oder merkt ihr nicht, dass das Gesetz Herr ist
über den Menschen, solange er lebt? » Dass «das Gesetz Herr ist über
den Menschen», bedeutet, dass der Mensch der ganzen innerhalb der
religiösen Möglichkeit bestehenden Problematik ganz ausgeliefert ist.
Er muss als religiöser Mensch schillern wie ein Öltropfen auf dem
Wasser. Er muss in jedem Augenblick am Höchsten stehen und am
Tiefsten fallen, Mose und Aaron sein, Paulus und Saulus, Gottbe
geisterter und Dunkelmann, Prophet und Pharisäer, Priester und
Pfaffe, höchster Hinweis auf die Positivität des Göttlichen innerhalb
der menschlichen Realität und stärkste Entfaltung der menschlichen
Negativität gegenüber der Realität des Göttlichen. Er ist immer bei
des, das Erste, indem er auch das Zweite ist. Gerade innerhalb der
religiösen Möglichkeit kommt « Gehorsam » , kommt «Auferste
hung», kommt « Gott» nicht in Betracht; denn washier allenfalls unter
diesem Namen in Betracht kommen könnte, das ist immer nur ein
Etwas im Gegensatz zu einem andern Etwas, ein Pol im Gegensatz zu
a
b
1. Abdruck ( 1922²): «Begnadung».
с
1. Abdruck ( 1922°): «im » .
Druckmanuskript: «stärkster» .
318
einem Gegenpol, eine Größe neben andern Größen, ein Ja im Ver
hältnis zu einem Nein, nicht aber das Entweder, das das Oder schon
aufgehoben hat, nicht das Ja, das jenseits von Ja und Nein liegt, nicht
die Kraft der Umkehr vom Tode zum Leben. Gerade die religiöse
Möglichkeit ist unter allen Möglichkeiten innerhalb der Humanität
die bezeichnendste für den Dualismus von Jenseits und Diesseits,
Voraussetzung und Akt, Bestimmung und Sein, Wahrheit und Wirk
lichkeit, die dieses «Innerhalb» unvermeidlich beherrscht. Gerade
hier « überfließt» die Sünde (5,20). Denn der Gott, der noch Etwas ist
im Gegensatz zu einem Andern, Pol gegen Gegenpol, Ja gegen Nein,
der Gott, der nicht der ganz und gar Freie, Alleinige, Überlegene,
Siegreiche ist, ist Nicht-Gott, der Gott dieser Welt (vgl. 2. Kor. 4,4].
«Unter Gesetz stehen heißt unter Sünde stehen» (Kühl). ' Und der
Mensch steht unter Gesetz, «solange er lebt», solange und sofern ( 214)
sein Da-Sein und So-Sein als dieser Mensch in dieser Welt, einge
schlossen von dieser Geburt und von diesem Tod, sein «Leben» ist.
Mit diesemd Leben steht und fällt die Herrschaft des Gesetzes . Die
Grenze der Religion und der unvermeidlichen Problematik, in die
gerade sie den Menschen stürzt, ist also identisch mit der Grenze des
Menschenmöglichen überhaupt. Sofern ich keine andere Wahl habe,
als mich innerhalb der Grenzen des Menschenmöglichen zu bewegen,
habe ich auch keine andere Wahl, als irgendwie ein religiöser Mensch
zu scheinen und zu sein: im besten Fall Franziskus, auf alle Fälle auch
« Groſinquisitor» , in der Absicht vielleicht Blumhardt, in der Wir
kung sicher auch «Brand»3 – und wie sollte ich mich (mich !) vertei
digen gegen die sehr berechtigte Vermutung, ich könnte das Zweite
mehr sein als das Erste ? «Merkt ihr nicht», dass gerade in dieser Um
d Druckmanuskript: « diesem » .
1
Kühl, S. 222: «Und aus der kausalen Verbindung der beiden Hälften des
V. [6,] 14 ergab sich der andere Satz: «Unter Gesetz stehen, heißt: <unter Sünde
stehen ». »
2 Vgl. die Erzählung «Der Großinquisitor» in F.M. Dostojewskis Roman
Die Brüder Karamasoff, s . Buch, Kap. V.
3 Titelgestalt des u.a. unter dem Einfluss Kierkegaardscher Schriften ver
fassten 1866 erschienenen Dramas Brand von H. Ibsen ( 1828–1906), in dem
der Pfarrer Brand an seinem religiös-ethischen Rigorismus scheitert.
319
grenztheit der religiösen Möglichkeit mit ihrem Ja und Nein die Ge
währ liegt für die Überlegenheit des Ja ', das nicht mir gilt, nicht dem
Menschen, «solange er lebt», sondern dem neuen Menschen, der aus
dem Tode zum Leben gekommen ist ?
V.2-4 Die verheiratete Frau ist freilich an den Mann zu dessen
Lebzeiten gebunden durch das Gesetz. Wenn aber der Mann stirbt,
so ist sie außer Bereich des Gesetzes, das sie an die Seite des Mannes
bindet, gekommen. Zu Lebzeiten des Mannes wird sie also zur Ehe
brecherin, wenn sie einem andern Mann zu eigen wird. Wenn aber
der Mann stirbt, so ist sie frei von jenem Gesetz, so dass sie keine
Ehebrecherin ist, wenn sie einem andern Mann zu eigen wird. So
seid auch ihr, meine Brüder, vom Tod weggerafft aus dem Leben,
das durch das Gesetz beherrscht ist, nämlich mit dem getöteten Leib
des Christus, um so einem Andern zu eigen zu werden: dem von
den Toten Erweckten, damit wir eine Ernte würden für Gott.
Ein Gleichnis soll den diakritischen Sinn jenes «solange er lebt> (7,1 )
beleuchten . Es bedeutet: Ja, solange er lebt, aber nur solange er lebt!
Im Begriff des Todes, der dieses Leben bezeichnet und begrenzt, liegt
die Entscheidung über das Sein oder Nicht-Sein dessen, was in jenem
Leben «ist» . Als noch nicht Gestorbener qualifiziert der Mann seine
Frau als ihm verpflichtete und an ihn gebundene Ehefrau und im Fall
ihrer Zuwendung zu einem andern Mann als untreu, als Ehebrecherin .
Als Gestorbener aber hat der Mann seine Frau freigegeben : sie ist kraft
seines Todes nicht mehr seine Ehefrau und im Fall ihrer Zuwendung
zu einem andern Mann nicht untreu, nicht Ehebrecherin. Also: Auch
in der sittlich-rechtlichen Ordnung des Eheverhältnisses ist der
Mensch an (215 ) eine bestimmte Möglichkeit gebunden, gebunden
durch das Leben des ihn Bindenden, eines Kontrahenten , seines Gat
ten. Gelöst von der Bindung an diese bestimmte Möglichkeit wird er
auch dort durch den Tod, nämlich durch den Tod des Gatten. Ohneh
diesen Tod hat er innerhalb der bestehenden Ordnung keine andere
Wahl als eben diese Möglichkeit mit allem, was dazu gehört. Durch
jenen Tod bekommt er innerhalb derselben bestehenden Ordnung die
e
f
1. Abdruck ( 1922²): « Ja».
1. Abdruck ( 1922 ): «seines» .
8
h
2. Abdruck ( 1923 '): «es».
2. Abdruck ( 1923 '): «Ohne ».
320
Freiheit, eine andere Möglichkeit zu wählen. Im Begriff des Todes
liegt also auch hier der Begriff einer radikalen Veränderung, Wendung
und Umkehr, eines Wechsels aller Prädikate. Soweit das Gleichnis.
Höret die Deutung:
«So seid auch ihr vom Tod weggerafft dem Gesetz mit dem Leib des
Christus.» Ihr seid's, ihr Begnadigten, die ihr durch den Begriff des
Todes beschränkt und befreit seid! Ihr seid der Mensch, der, «solange
er lebt», aber auch nur, «solange er lebt», vom Gesetz bestimmt ist. Ihr
seid begrenzt, gebunden, eingeschlossen durch die Problematik der
Religion, unentrinnbar verpflichtet, euch in sie zu finden (wie die
Frau dem Manne verpflichtet ist ohne seinen Tod !), sofern ihr inner
halb der notwendigen Ordnung des Verhältnisses von Gott und
Mensch seid, die ihr seid, und die Möglichkeit habt, die ihr als Men
schen haben könnt (unter ihnen als letzte die religiöse ), sofern ihr, als
Menschen unter Sünde stehend, auch unter Gesetz stehen müsst. Ihr
seid aber (wie die Frau ihrer Verpflichtung gegenüber dem Manne
ledig wird durch seinen Tod !) entschränkt, befreit, aufgeschlossen für
die ewige existentielle Einheit, Wesentlichkeit, Klarheit und Fülle der
Möglichkeit Gottes jenseits der religiösen Problematik, sofern ihr in
nerhalb derselben notwendigen Ordnung des Verhältnisses von Gott
und Mensch nicht seid, die ihr seid, sofern ihr, unter Gnade stehend,
auch nicht unter Gesetz stehen müsst. Seid ihr – beides: begrenzt und
entschränkt, gebunden und befreit, eingeschlossen und aufgeschlos
senk ? Seid ihr verändert, gewendet und umgekehrt im Begriffe des
Todes ? In Christus begnadigt seid ihr's. Denn Christus begreifend
seid ihr in seinem Tod begriffen, «vom Tod weggerafft» mit seinem
menschlichen Leibe. Auf Golgatha wird mit allen menschlichen Mög
lichkeiten auch die religiöse Gott geopfert und preisgegeben. Der
«unter das Gesetz getane» (Gal. 4,4), der mit allen Ernsten und From
men Israels die Bußtaufe des Johannes auf sich nehmende Christus
(vgl. Mt. 3,13-17 par.] : der Prophet, der Weise, der Lehrer, der Men
schenfreund, der Messiaskönig stirbt, auf dass der Sohn Gottes lebe.
Golgatha ist das Ende des Gesetzes, die Grenze der Religion. Im ge
töteten Gesetzeschristus hat die letzte, höchste Menschenmög
i Druckmanuskript: «Möglichkeiten».
i
k
1. Abdruck (19224): «Wesentlichheit ».
1. Abdruck ( 1922²): «abgeschlossen». Korrektur in Barths Handexemplar.
321
lich - 216 |keit: die Möglichkeit, ein gläubiger, ein frommer, ein be
geisterter, ein betender Mensch zu sein, ihre Erfüllung gefunden
durch ihre gänzliche - Erledigung, dadurch, dass auch dieser Mensch,
abgesehen von allem, was er list und was er hat' und tut, Gott selbst,
Gott allein die Ehre gibt. Mit diesem menschlichen «Leib des Chri
stus» sind aber auch wir dem Gesetz getötet, vom Tod aus dem Leben
hinweggerafft, das durch das Gesetz beherrscht ist. Vom Kreuz aus
gesehen, ist die Religion als seelisch-geschichtliche Gegebenheit, als
so oder so bestimmtes anschauliches Verhalten des Menschen, «aus
der Mitte gerückt» (Kol. 2,14). Nicht als « religiöser» Mensch steht der
Mensch vor Gott, so wenig wie in irgend einer anderen menschlichen
Eigenschaft, sondern in der göttlichen Eigenschaft, in der Christus vor
Gott stand in der Stunde, da sein «religiöses Bewusstsein» das Be
wusstsein seiner Gottverlassenheitm war (vgl. Mt. 27,46 par.) . Von
dorther, von dem am getöteten Leibe des Christus anschaulich wer
denden Nicht-Sein des Menschen (gerade des religiösen Menschen ! )
her die Versöhnung, die Vergebung, die Rechtfertigung, die Erlösung.
Aus dem Tode das Leben; und was Tod heißt, sagt dieser Tod. Also:
mit dem menschlich «lebenden» Leib des Christus, mit dem «Christus
nach dem Fleische» (vgl. 2. Kor. 5,16 ) sind wir, solange wir leben ( 7,1),
sofern wir sind, was wir sind, unter das Gesetz getan, in die Proble
matik der Religion, in das verheißungsvoll-gefährliche Spiel ihres Ja
und Nein, in die ganze Zweideutigkeit frommen Erlebens und from
mer Geschichte verflochten und können so wenig etwas anderes zu
finden erwarten , als die Ehefrau zu Lebzeiten ihres Mannes einem
andern Mann gehören kann. Aber: mit dem « getöteten » Leib des
Christus sind wir, sofern «wir», von dieser Tötung aus gesehen, nicht
mehr leben, sondern sind, was wir nicht sind, dem Gesetz, der religi
ösen Möglichkeit und Notwendigkeit mit allen andern menschlichen
Möglichkeiten und Notwendigkeiten entrafft und entrückt und sind
insofern tatsächlich entschränkt, befreit und aufgeschlossen für jenes
Andere, das nicht Zweideutigkeit ist, so gewiss die Witwe Gewordene
von Rechts wegen einem andern Manne gehören darf.
1-1
1. Abdruck ( 1922°): «ist, hat» . Korrektur (Zusatz nur: «was er») am Rand
in Barths Handexemplar.
" Druckmanuskript: « Gottverlassenheit » .
322
« Um so einem Andern zu eigen zu werden: dem von den Toten
Erweckten, damit wir eine Ernte würden für Gott». Das ist der An
dere gegenüber dem den Gipfel menschlicher Möglichkeiten bilden
den «lebenden» Leibe des Christus: der Auferstandene von den To
ten. Und das ist das Andere, für das wir entschränkt, befreit und
aufgeschlossen sind jenseits des im Christus erfüllten , weil erledigten
religiösen Menschenwerks: die Kraft seines Gehorsams, die die Kraft
seiner Auferstehung ist. An dieser Grenzbereinigung zunächst muss
uns die Freiheit (217| Gottes anschaulich werden, in der unsere Be
gnadigung" sich begründet: daran, dass Religion und Gnade sich ge
genüberstehen wie Tod und Leben. Nicht als religiöse Menschen wer
den wir jenem unerhörten Imperativ gehorsam , « frei von der Sünde»
und «Knechte Gottes», haben wir in unserem Denken, Wollen und
Tun unsere «Ernte zur Heiligung» (6,22), die Ernte, die Gott in seine
Scheunen sammelt (vgl. Mt. 13,30), sondern als die Begnadigten, als
die, die in dem Frieden stehen, der höher ist als alle Vernunft (vgl. Phil.
4,7], als die aus dem Tode zum Leben Gekommenen (vgl. 1. Joh.3,14) .
Und nun wagt es Paulus, die, die mit ihm «das Gesetz kennen» (7,1 ),
nur zu gut kennen, mit «meine Brüder » anzureden als solche, denen
jenseits der Grenze der bekannten religiösen Möglichkeit auch diese
unanschauliche Begründung in Gott in der Wende vom gekreuzigten
zum auferstandenen Christus – nicht unbekannt ist !
V.5-6 Denn als wir im Fleische waren, da war in unsern Glie
dern die Energie der mit dem Gesetz gegebenen Sündenleiden
schaften tätig - auf eine Ernte für den Tod. Jetzt aber kamen wir,
gestorben dem, was uns gefangen hielt, außer Bereich des Gesetzes,
so dass wir nun Knechte sind im neuen Sinn des Geistes, nicht im
alten Sinn des Buchstabens.
Abgesehen von der in der Freiheit Gottes begründeten Begnadi
gung ist jene « Ernte für Gott» (6,22; 7,4), jenes als «geheiligt» qua
lifizierte Denken, Wollen und Tun des Menschen nicht möglich. Der
Mensch als solcher, auch der religiöse Mensch ist « im Fleische», d. h.
sein Denken, Wollen und Tun ist unqualifiziert weltlich oder vielmehr
höchst qualifiziert unheilig und sündig, Gott ab- und dem Tode zu
n
1. Abdruck ( 19222): «Begnadung».
o
1. Abdruck ( 1922°): « Begnadung .
323
gewandt, und das um so mehr, je lebhafter er dabei allenfalls den
Traum seiner Gottähnlichkeit träumt. Der Mensch als solcher, der
geradlinige, ungebrochene, zweibeinige, der durch keinen Kampf mit
dem Ärgernis lahm oder Krüppel oder einäugig gewordene Mensch
(vgl. Mt. 18,8–9 par.) ist der existentiell gottlose Mensch. Seine Ener
gie ist « die Energie der Sündenleidenschaften », jener «Begierden des
sterblichen Leibes » (6,12), in deren Skala die höhere von der niedrigen
Leidenschaft, also z. B. die religiöse Erregung vom Schlafbedürfnis
nur durch Gradunterschiede getrennt ist. Grundsätzlich misslich und
verdächtig ist - das letzte Wort: Vergebung vorbehalten - das erotische
wie das politische, das moralische wie das ästhetische Pathos; unge
knicktes, eindeutiges Pathos ist als solches das, was nicht sein dürfte .
Und wie die « Sündenleidenschaften » von Haus aus die « Vitalität der
Sterblichkeit» sind, so ist mit dem Antrieb, mit dem Dampf, mit der
Energie, die ihnen innewohnt, - das letzte Wort: Auferstehung vor
behalten - keine andere ( 218 | Tätigkeit zu entfalten als die, die letztlich
« auf eine Ernte für den Tod » hinzielt, auf Zwecke, Ziele und Erzeu
gungen , die nur in der Zeit und gar nicht in der Ewigkeit Ausdehnung
gewinnen können, die in der hereinbrechenden Krisis vom Leben
zum Tod, der alle Dinge als solche unterworfen sind, nicht bestehen
können.
«Das Gesetz» aber wirkt in der Welt des Fleisches diesem ganzen
Ablauf gegenüber nicht hemmend, sondern fördernd. Es ist der Gipfel
der Humanität - im bedrohlichen Doppelsinn dieses Wortes. Nach
dem über den Sinn und die Richtung dieses Ablaufs grundsätzlich
entschieden ist, taucht auch noch die religiöse Möglichkeit auf: als
eine Kontrastmöglichkeit gegenüber den «Leidenschaften», gewiss,
aber doch nur innerhalb der auch sie umfassenden Klammer «Sünde» .
Feuerbach4 bekommt in verschärftem Sinn Recht: Mit der religiösen
Möglichkeit, ja noch mehr: gerade durch sie sind die Sündenleiden
schaften gegeben, geweckt, in Kraft gesetzt, sie ist, zuletzt und zu
höchst aufbrechend, die geheime Möglichkeit der Möglichkeiten. Am
Gesetz wird der Mensch zum Sünder (7,7-13). Denn alles menschli
4 Vgl. etwa die Formel, mit der Barth 1922 in einem Kurzreferat «Feuer
bach» den Hauptgedanken Ludwig Feuerbachs zusammenfasst (V.u.kl.A.
1922–1925, S.6-13 , dort S. 7): «Religion ist der Akt der Verabsolutierung des
menschlichen Wesens, seiner Anlagen, Nöte, Wünsche und Hoffnungen ».
324
che Pathos lebt irgendwie und zuletzt von dem Pathos des « Eritis
sicut Deus! » (vgl. Gen. 3,5], das gerade in der religiösen Möglichkeit
zum bewussten anschaulichen Erlebnis und Ereignis wird. Oder gibt
es eine stärkere Bejahung jeglicher Leidenschaft als die Leidenschaft,
die Prometheus als das Feuer des Zeus an sich reißt ? Ist es nicht of
fenkundig, dass dieses gestohlene Feuer keineswegs das verzehrende
Feuer Gottes (vgl. Hebr. 12,29] ist, sondern nur der Herd einer be
stimmten Art von Rauch, der sich neben vielen andern Rauch-,
Dampf- und Qualmschwaden über die Ebene der Humanität aus
breitet, intensiver und farbiger vielleicht als jene, aber nicht ganz und
gar anders: keineswegs etwa der Schritt vom Leben zum Tode, der den
endlichen Leidenschaften ein Ende setzte, sondern vielmehr die sie
alle mit dem Pathos der Unendlichkeit krönende und verklärende
Leidenschaft des Endlichen schlechthin, durch die jene ihre tiefste
Begründung und ihre höchste Weihe empfangen ? Wird doch gerade
am «religiösen Bewusstsein » des Menschen nicht sowohl ein Denken,
Wollen und Tun Gottes, als vielmehr ein, wenn auch seltsames, groß
artiges und bedeutsames, so doch keineswegs unentbehrliches,
schlechthin notwendiges, zwingend objektives Denken, Wollen und
Tun des Menschen anschaulich : er kann sich ja « religiös verhalten»
oder auch nicht, und wenn er es tut, so hat er sich etwas zugute getan;
so wird er gerade hier gerechtfertigt, bestärkt und bestätigt - in sich
selber, unterstützt in seinen – eigenen Anliegen, Fähigkeiten und Be
strebungen. Erweist es sich doch immer wieder, dass gerade die reli
giöse Möglichkeit, weit entfernt davon, den Menschen etwa (219| exi
stentiell aufzuheben, aufzurollen, an die Wand zu pressen , zu über
winden und zu verwandeln , vielmehr, in gewisser vorsichtiger Dosie
rung realisiert, als ungefährliche Kontrastwirkung, als natürliche Ab
wechslung, als erprobtes Mittel zur Aufrechterhaltung wünschens
wertester Illusionen der Energie des existentiell gottlosen Menschen
geradezu zugute kommt. Daher denn auch die relativ auffällig reiche
«Ernte für den Tod » gerade auf dem Gebiete dieser Möglichkeit. Oder
welches menschliche Pathos hätte schon in seiner äußern Entfaltung
mehr Ähnlichkeit mit dem Tode, welches wäre kurzlebiger als das
religiöse ? Welches andre Gebiet hätte solche Gräberfelder aufzuwei
325
sen wie etwa die Geschichte der christlichen Apologetik, Dogmatik,
Ethik oder Soziallehres ? Die Einsicht ist nicht zu unterdrücken: ge
rade «das Gesetz verschafft Zorn» (4,15 ), und gerade an dieser Ein
sicht kann und muss die Grenze der Religion klar werden.
« Jetzt aber kamen wir außer Bereich des Gesetzes. » Eine Beschrei
bung des « Tauferlebnisses » (Kühl)" ? Gerade das nicht! Sondern wie
derum wagen wir es (wiederum , wie 6,19, wissend, was wir wagen ,
aber gezwungen , es zu wagen !), unter Durchbrechung der von uns
selbst anerkannten und bezeichneten Schranke (7,1 ) von uns zu sagen ,
was niemand von sich sagen kann : wir stehen jenseits der letzten , der
religiösen Menschenmöglichkeit. Nicht ein Erlebnis, nicht eine
menschliche Haltung , Verfassung und Betätigung ist es, dass «wir»
unter der Gnade stehen (6,14). Unbeeinträchtigt durch die Relativität
unsrer menschlichen religiösen Erlebnisse und Geschichten , unver
flochten mit ihren inneren Widersprüchen, ungetrübt und unbetrübt
durch ihre zweideutige Verwandtschaft mit den « Sündenleidenschaf
ten» sind wir, was wir sind als die, die wir nicht sind, nicht in unsrer
eigenen Freiheit, sondern in der Freiheit Gottes: im Lichte des ewigen
Augenblicks der Erkenntnis , der Auferstehung, Gottes , in welchem
dieser Himmel sich spaltet (vgl. Mt. 3,16 par.], um den Blick freizu
geben auf das, was nicht der Mensch , sondern Gott im Menschen will,
denkt und tut. Noch im Schatten des Gesetzes blicken wir schon im
Lichte (im Licht vom ungeschaffnen Lichte !) dieses «Jetzt aber ! » (3,21 )
auf das Gesetz und seine Dialektik zurück als auf ein Abgetanes. Noch
bewegt , geschüttelt und hin- und hergeschlagen von den Peripetien
des religiösen Erlebens (die wir wahrhaftig auch ein wenig kennen )
greifen wir schon aus nach dem ruhigen unbewegten Ort, wo das
schwingende Perpendikel aufliegt. Noch verwirrt und verwickelt in
das Geflechte religiösen Geschehens , in dem alles (alles ! ) menschlich
ist, stehen wir schon in der Urgeschichte und Endgeschichte , wo alle
« Urgeschichte » mit dem Begriff «Endgeschichte», den Barth hier einführt, vgl.
Barth, Unerledigte Anfragen, S. s : «Zwei Punkte, die beide zugleich Ausgangs
und Endpunkte sind, bestimmen und charakterisieren nach Overbeck das Da
sein des Menschen und der Menschheit. Mit dem Begriff der «Urgeschichte
oder Entstehungsgeschichte bezeichnet er den einen, mit dem Begriff des To
des den andern. Von der überzeitlichen, unerforschlichen, unvergleichlichen
Urgeschichte [...] kommen wir her. Dem einzigen unausdenkbar bedeutenden
Moment des Todes, in dem unser Leben in dieselbe Sphäre des Unbekannten
tritt, [...] gehen wir entgegen» .
8
Möglicherweise im Kontrast zu Nietzsche, Zarathustra, Zarathustra's
Vorrede 3, NW , S. 16 (NWKG, S. 11 , Z. sf.16f.), formuliert: «Ich liebe die
grossen Verachtenden , weil sie die grossen Verehrenden sind und Pfeile der
Sehnsucht nach dem andern Ufer. [...] Ich liebe Den, welcher seine Tugend
liebt: denn Tugend ist Wille zum Untergang und ein Pfeil der Sehnsucht. »
327
1. Kor. 9,16), wo nichts mehr anschaulich ist als – das Unanschauliche.
Wir sagen es als die Gefangenen und doch Freien, als die Blinden und
doch Sehenden, als die Sterbenden, und siehe, wir leben (vgl. 2. Kor.
6,9]. Nicht wir sagen es: Christus ist des Gesetzes Ende (vgl. 10,4 ), die
Grenze der Religion.
« Gestorben dem , was uns gefangen hielt» . Die Grenze der Religion
ist die Todeslinie, welche scheidet zwischen dem, was bei den Men
schen, und dem, was bei Gott möglich ist (vgl. Mt. 19,26 par.), zwi
schen Fleisch und Geist, zwischen Zeit und Ewigkeit. Soweit dieses
scharfe Schwert durchhaut, soweit das Kreuz in seiner Kraft und Be
deutung als Zeichen des Gerichts und der Gnade seinen Schatten
wirft, soweit sind wir «außer Bereich des Gesetzes». Was uns gefangen
hielt, war die reine und gerade darum die unreine, die ungebrochene
und gerade darum gebrechliche, die geradlinige und gerade darum
verkrümmte, die unverfroren und unverwüstlich (wenn auch viel
leicht in tiefster oder auch tätigster Frömmigkeit) dem Memento mori !
ausweichende Menschlichkeit. Auf ihrem Boden wächst als letzte
Möglichkeit die Religion. Wer wird diese Menschlichkeit je los ? Ist es
nicht offenkundig, dass die letzte, tiefste, eigentlichste seelisch -ge
schichtliche Gegebenheit immer und überall, auch in den 221 from
men Menschen, gerade in ihnen, dieses Unverfrorene, Unverwüstli
che, Bourgeoise ist, das – nicht sterben will ? Genug, dass es sterben
muss, dass wir in Gott seiner los und ledig sind. Genug, dass wir es
immer und überall begrenzt und zwar radikal begrenzt und in Frage
gestellt sehen, dass unsre tatsächliche Lage in der Welt der Zeit, der
Dinge und des Menschen jenen Schatten, der von Hiob bis Dosto
jewski keinem Einsichtigen verborgen war, auf dieses Unverwüstliche
wirft, ob wir es zugeben oder nicht. Erkennen wir in diesem unsrem
Beschattetsein unsre Verwandtschaft mit Christus (6,5 ), so wissen wir
(als die Unwissenden ! ), was wir tun, wenn wir sagen, dass wir außer
Bereich des Gesetzes sind. Wir mögen dann, wie es sich gehört, auch
unter dem Gesetz stehen - und stehen doch noch viel mehr unter der
Gnade. Wir sind dann « fromm » – als wären wir's nicht (vgl. 1. Kor.
12,29–31). Wir leben – an unsern Erlebnissen vorbei oder doch durch
sie hindurch. Wir sind dann in der Lage, über uns selbst und über das,
was aus uns, in uns und durch uns selbst ist, immer auch ein wenig
hinwegzusehen, immer ein wenig zu lächeln und zu trauern. Viel
328
leicht, dass unsre Religiosität dann etwas davon verrät, wie grundsätz
lich unwichtig, unbetont, unfeierlich, grenzbewusst sie ist, vielleicht
auch nicht. Sie wird aber (gesehen oder nicht gesehen) darin zu sehen
sein, dass sie sich selbst als solche nicht tragisch nimmt, dass sie als
solche nicht triumphieren und nicht einmal Recht haben will, dass sie
immer über sich selbst hinausweist auf das, was gemeint ist, wo immer
Menschen «unter dem Gesetz» stehen. Sie wird wesentlich bestehen
im Gehen jenes durch alles Weissagen, Zungenreden, Geheimnisse
wissen, Glaubenhaben, Leibverbrennenlassen, Gut den Armen geben
usf. quer hindurchführenden , merkwürdigerweise fast nur in Nega
tionen zu beschreibenden «unbegreiflichen Weges » ( 1.Kor. 12,31 [;
13,1–7]) der Liebe. Des Weges ? Nein, keines Weges. Nicht zu sehen,
nicht in Erwägung zu ziehen, nicht zu betreten, nur zu gehen . Inso
fern: ja, des Weges! Es ist jener Schatten, der vom Kreuz her auf alle
« gesunde» Menschlichkeit fällt, der unanschaulich wirksam den
Raum schafft, wo diese Erschütterung, Lockerung und Lösung an der
zähesten Stelle der Humanität sich ereignen und wo die Möglichkeit
Gottes, der Geist, die Ewigkeit in unseren Gesichtskreis treten kann.
«Gestorben dem, was uns gefangen hielt», dem Fleische, mag es uns
unanschaulich anschaulich werden, dass es die sichere, die unzwei
deutige, die siegreiche Freiheit Gottes ist, was uns hält und bewegt
und führt, und dass der auch die höchsten Berge der Menschlichkeit
bedeckenden Sündflut ein: Bis hieher und nicht weiter!' geboten ist.
«So dass wir nun Knechte sind im neuen 222 Sinn des Geistes, nicht
im alten Sinn des Buchstabens». Heiligt euch (vgl. z.B. Lev. 20,7; Jos.
3,5 ; 1.Sam. 16,5] ! Seid Knechte Gottes ! So lautet der Imperativ der
Gnade (6,22). « Im alten Sinn des Buchstabens» würde das die religiöse
Menschenmöglichkeit in irgend einer neuen, verfeinerten, zugespitz
ten Form, eine neue «Frömmigkeit» bedeuten. «Im neuen Sinn des
Geistes» bedeutet es - und das war hier zu zeigen - die Möglichkeit,
die genau jenseits der Grenze aller alten und neuen religiösen Men
schenmöglichkeit anfängt, von Gott her anfängt. Wir haben es ver
sucht, die Begrenztheit der Religion zu begreifen. Eine negative
Wahrheit ? Ja, ihre positive Seite ist die, dass der Geist selbst für uns
eintritt mit unausgesprochenen Seufzern (8,26).
9 Vgl. Hiob 38,11 und Fr. von Schiller, Die Räuber ( 1781 ), 2. Akt, 1. Szene
( Büchmann, S. 21.310) .
329
DER SINN DER RELIGION
7, 7-13
V.7a Was wollen wir nun damit sagen ? Dass das Gesetz selbst die
Sünde sei? Unmöglich !
Die Frage liegt nahe, was denn nun der Sinn, das Wesen , die öko
nomische Bedeutung jener letzten höchsten Menschenmöglichkeit
sei, die uns als « Gesetz», als Religion auf der Schwelle, an der Wende
zweier Welten, aber - diesseits des Abgrunds, der den sündigen vom
begnadeten Menschen scheidet, begegnet. Unmittelbar gegenüber
stehen sich offenbar: das erste Unanschauliche, die Begnadung, in der
die Freiheit Gottes den Menschen ergreift, die gerade als dieses Er
griffensein innerhalb der menschlichen, seelisch - geschichtlichen Ge
gebenheiten nur Vakuum , nur Hohlraum, nur Offenheit sein kann
und eben insofern jenseits des Abgrunds steht - und das letzte An
schauliche, das Gesetz, die Religion, scheinbar dieselbe Beziehung
desselben Menschen zu demselben Objekt, nur dass sie als eine so
oder so bestimmte Haltung des Menschen in der Welt eine Gegeben
heit unter andern, eine Setzung und eben insofern nicht Voraus-Set
zung ist, sondern sich diesseits des Abgrundes befindet. Kein allmäh
licher Übergang, kein stufenmäßiger" Aufstieg, keine Entwicklung
etwa ist der Schritt über diese Grenze, sondern ein jäher Abbruch
hier, ein unvermittelter Anfang eines ganz andern dort: denn was als
Gnadenerlebnis allenfalls in kontinuierlicher Fortsetzung anderer re
ligiöser Erlebnisse namhaft gemacht werden könnte, das steht als sol
ches noch diesseits. Gnade selbst ist das Gegenüberstehende, und zur
Gnade führen keine Brücken . Vielmehr | 223 | mit einem messerschar
fen: «Gerade das nicht! » tritt die Gnade dem Gesetz, die erste göttli
che der letzten menschlichen Möglichkeit, der «Dienst im neuen Sinn
des Geistes» dem «Dienst im alten Sinn des Buchstabens» (7,6) auf der
ganzen Linie entgegen. Was bedeutet bei jener Nähe diese Ferne, bei
jener Parallelität dieser unendliche Abstand, bei jener Verwandtschaft
diese Feindschaft? Als was haben wir die Beziehung des Menschen zu
Gott aufzufassen, die Religion, der der Mensch, «solange er lebt»,
9 Druckmanuskript: «begnadigten» .
r
? 1. Abdruck ( 19222): « stufenweiser». Korrektur in Barths Handexemplar.
330
nicht entrinnt (7,1 ), wenn sie durch diese radikale Negation von der
Beziehung Gottes zum Menschen geschieden ist ?
« Das Gesetz Sünde?» Der Satz scheint sich aufzudrängen, und wir
selbst mussten ihn des öftern beinahe streifen, nachdem wir immer
wieder (4,15; 5,20; 6,14-15 ; 7,5 ) gesehen, in welchem Doppelsinn das
Gesetz den Gipfel der menschlichen Möglichkeiten bildet. Warum
nicht das Naheliegendste aussprechen, etwa mit der zwar etwas ver
blüffenden, aber immerhin einleuchtenden These, dass gerade die
Religion, die kühne Überheblichkeit des Menschen, der sich nach
Gott ausstreckt, selber der Raub an Gott und damit jener Abfall von
Gott sei, der den unheimlichen Hintergrund unseres ganzen Daseins
bildet? Warum nun kein Ausbruch antireligiöser Polemik mit dem
Zweck, eine andere, bessere menschliche Möglichkeit irgendwo
oberhalb jenes Gipfels aufzuzeigen ? Warum nicht mit Marcion fort
schreiten zur Proklamierung eines neuen Gottes im Gegensatz zu
dem alten des Gesetzes " , oder mit Lhotzky zu einer recht hand
greiflichen Ausspielung von «Reich Gottes» gegen « Religion » " , oder
mit Johannes Müller zur Aufweisung eines Weges aus der Mittelbar
keit zurück in das Land der zwar verlorenen, aber immerhin hier
und jetzt wieder auffindbaren Unmittelbarkeit" , oder mit Ragaz zur
S
2. Abdruck ( 19223): «oder» .
10 Siehe oben S. 21 .
" Heinrich Lhotzky ( 1859–1930 ), aus herrnhuttischer Tradition stammend,
beeinflusst von J.Chr. Blumhardt , zuerst Pfarrer, dann Mitarbeiter Johannes
Müllers in Mainberg, seit 1904 freier Schriftsteller. «Seine starke schriftstelle
rische Begabung verleitete ihn zu überspitzten Formulierungen : er stellte <Re
ligion» in Gegensatz zum <Reich Gottes » und nannte Jesus den unreligiösesten
Menschen, der je über die Erde gegangen sei» (Chr. Geyer, Art. « Lhotzky ,
Heinrich », in: RGG? III, Sp. 1606). Unter seinen Veröffentlichungen findet
sich eine Nacherzählung der Apostelgeschichte mit dem Titel Religion oder
Reich Gottes. Eine Geschichte ( 1904), Leipzig 19124. Dem Buch liegt unaus
gesprochen Fr. Zündels Aus der Apostelzeit, Zürich 1886, zugrunde.
12
Vgl. z.B. J. Müller, Glauben und Wissen, in: ders.: Von den Quellen des
Lebens. Sieben Aufsätze, München 1919' , S. 105-157, dort S. 109: « Dann ist
Glauben nach Vermögen und Vorgang zweifellos das Ergebnis unmittelbaren
Innewerdens, Wissen dagegen mittelbaren Kennenlernens. Glauben ent
springt einem Erlebnis, das uns im Innersten berührt. Wir glauben an das,
wovon ein tiefer Eindruck in uns lebt.» Der Schlusspassus des Aufsatzes
331
Aufforderung, aus der hoffnungslos gewordenen Kirche und Theo
logie in die bessere Welt der Laien überzusiedeln " , oder mit man
chen Seiten der 1. Auflage dieses Buches im Anschluss an Beck und
altwürttembergischen Naturalismus zur Behauptung eines organisch
wachsenden göttlichen Seins und Habens im Menschen im Gegen
satz zu der Leerheit der idealistischen Forderung“, oder doch mit
der «gesunden» Mystik aller Zeiten zur Aufrichtung einer der Reli
gion parallel laufenden geheimen und wahren Überreligion ? Ant
wort: « Unmöglich !» Der Radikalismus aller dieser Versuche ist nur
scheinbar: « nondum considerasti', quanti ponderis sit peccatum» !
t
1.
Abdruck ( 1922²): « Tu non cogitasti» . Korrektur in Barths Handexem
plar.
(S. 157, unter der Kapitelüberschrift «Der Weg zum Glauben») lautet: «[...]
umkehren und die Unmittelbarkeit des geistigen Lebens suchen, das ist der
Weg zu den Quellen der Kraft. Die Unmittelbarkeit ist die reine Empfänglich
keit, das Organ des eigentlichen Lebens, weil sie uns zu ursprünglicher Emp
findung und damit ganz von selbst zu wahrhaftiger Erkenntnis führt.» Johan
nes Müller ( 1864-1949), Herausgeber der «Blätter zur Pflege persönlichen
Lebens» ( 1914–1941: « Grüne Blätter»), stiftete im Schloss Mainberg, später im
Schloss Elmau zwischen Garmisch und Mittenwald eine « Freistätte persönli
chen Lebens » .
13 L. Ragaz hatte im Sommer 1921 seine Professur für systematische und
praktischeTheologie in Zürich wegen innerer Entfremdung von der akade
mischen Theologie und der Kirche niedergelegt. Er erklärte seinen Schritt in
dem Aufsatz Warum ich meine Professur aufgegeben habe ?, in: Neue Wege,
Jg. Is ( 1921 ), S. 283–293, dort S. 285 : «Nun bin ich immer mehr in dem Glau
ben erschüttert worden, daß die heutige Kirche noch ein Gefäß der Wahrheit
Gottes sein könne. Auch glaube ich nicht, daß irgend eine Reformation sie
dazu zu machen vermöchte, abgesehen davon, daß für eine solche nur sehr
geringe Aussichten bestehen. Daher kann ich gegenwärtig nach langem inne
rem Kampfe den Wert der Kirche und des Pfarramtes nur für so sehr relativ
halten, daß mir für diesen Zweig meiner Arbeit immer mehr die nötige Ueber
zeugungsgrundlage und Begeisterung fehlt. Mögen die Kirchenformen auch
noch für lange hinaus bestehen und in gewissem Sinne notwendig sein, so ist
doch meine starke Empfindung, daß die kommende religiöse Erneuerung auf
ihrer wesentlichen Linie nicht nur über sie hinaus, sondern auch an ihnen
vorbei führe. » – S. 286: «Die Leser der Neuen Wege wissen seit langem, daß ich
«unkirchlich» bin, das heißt, daß ich von den Kirchen als solchen, zum min
desten von den heutigen Kirchen, wenig erwarte, sondern meine Hoffnung auf
das gestellt habe, was größer ist als die Kirche, das Reich Gottes. » Vgl. auch
L.Ragaz,
14
Mein Weg, Bd. 2, Zürich 1952, S. 111-123 .
Vgl. Römerbrief I, v.a. S. 274.281.285.296.298f.302ff.
332
(Anselm )." Die Sünde, der faule Baum (vgl. Mt. 7,17 par.) ist nicht
eine Möglichkeit unter andern, also auch nicht identisch mit der re
ligiösen Möglichkeit, also auch nicht etwa dadurch zu umgehen, dass
diese umgangen oder überboten wird, selbst wenn das möglich wäre.
Sie ist die Möglichkeit aller (224) menschlichen Möglichkeiten als sol
cher und so auch die Gnade, der gute Baum, nicht eine Möglichkeit
oberhalb oder neben oder innerhalb der religiösen Möglichkeit, son
dern die jenseits aller menschlichen Möglichkeiten bestehende gött
liche Möglichkeit des Menschen. Wer, in der richtigen Einsicht, dass
der Gipfel der von der Sünde beherrschten Menschlichkeit das Ge
setz ist, das Gesetz mit der Sünde zusammenwirft, auf Grund dieses
Kurzschlusses in gröberer oder feinerer Weise zur Abrogation des
Gesetzes schreitet und ein Leben dieses Menschen in dieser Welt
ohne Gesetz (und darum vermeintlich ohne Sünde! ) postuliert, wer
aus nur zu begründetem Ressentiment gegen das Religiös-Mensch
liche mit Marcion das Alte Testament ablehnt' (vergessend, dass er in
Konsequenz desselben Ressentiments durchaus auch das neue, und
zwar in seiner Totalität, ablehnen müsste!), zeigt damit nur, dass er
dem Gesetz noch nicht wirklich kritisch gegenübersteht. Denn die
wahre Krisis, in der sich die Religion befindet, besteht darin, dass sie
vom Menschen nicht nur nicht abgeschüttelt werden kann, «solange
er lebt», sondern auch nicht abgeschüttelt werden soll, gerade weil sie
für den Menschen als Menschen (für diesen Menschen ! ) so bezeich
nend ist, gerade weil in ihr die menschlichen Möglichkeiten begrenzt
sind durch die göttliche und weil wir, im Bewusstsein, dass hier Gott
nicht ist, dass wir aber auch keinen Schritt weiter gehen können, bei
dieser menschlichen Möglichkeit Halt machen und verharren müs
sen, damit uns jenseits der Grenze, die durch sie bezeichnet ist, Gott
begegne. Vollzieht sich der Umschlag von Gottes Nein zu Gottes Ja
gerade in der Aufhebung dieser letzten Gegebenheit, so kann es sich
15 Anselm von Canterbury, Cur deus homo ?, Lib. I, cap. 21 , Opera omnia,
ed. Fr. S. Schmitt, Vol. II, Rom 1940, S. 88 , Z. 18 .
16
Vgl. Harnack, Marcion, z.B. S. 27f.: «Der Ausgangspunkt der Kritik
M [arcion ]s an der Überlieferung [...] war in dem paulinischen Gegensatz von
Gesetz und Evangelium , übelwollender [...] Strafgerechtigkeit einerseits und
barmherziger Liebe andrerseits gegeben . Sie hatte «die Preisgabe des AT zur
unerbittlichen Folge ».
33
für uns nicht darum handeln, dieser letzten Gegebenheit ausweichen,
sie als solche beseitigen und durch eine andre ersetzen zu wollen. Das
Gesetz ist nicht identisch mit der Sünde. Und seine "ganz oder teil
weise vollzogene Abrogation" ist nicht der Schritt vom Reich der
Sünde zum Reiche der Gnade.
V.7b Aber ich hätte von der Sünde keine Erfahrung, wenn ich
sie nicht durch das Gesetz hätte. Denn ich wüsste ja nichts von
Begierde, wenn nicht das Gesetz gesprochen hätte: Du sollst nicht
begehren!
« Ich hätte von der Sünde keine Erfahrung, wenn ich sie nicht durch
das Gesetz hätte. » Was ist die Religion, wenn sie, obwohl als höchste
Stufe innerhalb des Reiches der Sünde erscheinend, nicht etwa mit der
Sünde identisch ist ? Offenbar die Möglichkeit, mit der alle mensch
lichen Möglichkeiten in das Licht einer durchgreifenden Krisis treten,
mit der die Sünde anschaulich und erfahrbar wird. Kraft seiner Be
rufenheit und Erwähltheit, kraft des (bewussten oder unbewussten)
Hergangs und Zustands seiner Beziehung zu Gott, kraft des Aktes der
Erinnerung |225| an eine verlorene Unmittelbarkeit ist der Mensch ein
Sünder und nicht sonst. Abgesehen von der religiösen Möglichkeit,
als Kreatur unter Kreaturen, ist der Mensch allein im Geheimnis Got
tes ein Sünder, unanschaulich, ungeschichtlich. Gott weiß, was gut
und böse ist. Der Mensch aber ist auf dieses Böse nicht anzusprechen .
Es liegt weder als Schuld noch als Schicksal auf ihm. Er sieht das
Schwert des Gerichts nicht, das gegen ihn gerichtet ist, und es ist
unmöglich, ihm dieses fatale Sehen beizubringen, aufzudrängen. Ge
rade wie er, wenn zum zweiten Mal, von der entgegengesetzten Seite,
von der erneuerten Schöpfung aus, abgesehen wird von der religiösen
Möglichkeit, ein Gerechter ist allein vor Gott, unanschaulich und un
geschichtlich auch hier, nicht darauf anzusprechen, nicht in der Lage,
sich dessen zu rühmen. In der Mitte zwischen diesen beiden Unan
schaulichkeiten liegt die Anschaulichkeit des Gesetzes, der Religion:
Unter den übrigen Bewusstseins- (oder Unterbewusstseins-)Inhalten
findet sich der Eindruck von Offenbarung, das Wissen von Gut und
u -u
1. Abdruck ( 1922²): «ganze oder teilweise Abrogation». Barth hatte in
seinem Handexemplar als Korrektur notiert: «ganz oder teilweise vollzogene
Abrogation» . Diese Korrektur ist im 2. Abdruck ( 1923 ') unvollständig unter
Auslassung des «vollzogene» durchgeführt worden .
334
Böse (vgl. Gen. 3,5 ), die irgendwie bestimmte Erkenntnis, dass er zu
Gott gehört, die Erinnerung an seinen ewigen Ursprung, in welchem
er erwählt ist zur Seligkeit oder zur Verdammnis. Eine Ausnahme von
der Allgemeinheit dieses höchsten Bewusstseins wurde 5,13-14 ange
nommen, aber doch wohl nur theoretisch. Es kommt aber hier wenig
darauf an, ob es solche Ausnahmen gibt. Wir fragen nach dem Sinn
dieses besonderen letzten Bewusstseinsinhaltes und sehen jedenfalls
sofort das Eine, dass er allen übrigen gegenüber im Verhältnis eines
wenn auch relativen, so doch bestimmten und scharfen Gegensatzes
steht. Der Gedanke an ein Numen irgendwelcher Art wirkt aufscheu
chend, beunruhigend, störend auf alle andern Gedanken. Sofern ein
Gott ist für den Menschen, ist der Mensch selber mehr oder weniger
deutlich und energisch in Frage gestellt. Eine mehr oder weniger
schwer zu überbrückende Spalte öffnet sich zwischen seinem Sein
und einem diesem entgegengesetzten bedrohlichen Nicht-Sein, zwi
schen Wirklichkeit und Wahrheit. Ein mehr oder weniger kräftiger
Zweifel erhebt sich, ob das Mögliche nicht das Unmögliche, das Sei
ende nicht das Nichtseinsollende sein könnte. Etwas von dieser Krisis
ist der Sinn aller Religion, und je stärker diese Krisis sich geltend
macht, desto deutlicher ist es, dass wir es bei dem betreffenden Phä
nomen tatsächlich mit bewusster oder unbewusster Religion zu tun
haben. In der Schärfe des prophetischen Angriffs auf den Menschen,
die im israelitischen Gesetz » erreicht ist, scheint darum das religiöse
Phänomen, entwicklungsgeschichtlich betrachtet, seine höchste und
reinste Stufe erreicht zu haben. Was bedeutet aber diese Krisis ? In der
Tat ist nun zu sagen, dass der Sklavenaufstand des Menschen gegen
Gott gerade im religiösen Vorgang anschaulich (226 ) zum Ausdruck
kommt: Der Mensch hat «die Wahrheit in Unbotmäßigkeit gefangen
genommen » (vgl. 1,18], er hat sich an sich selbst verloren, er hat
das Eritis sicut Deus! (vgl. Gen. 3,5) gehört und hören wollen, er ist
sich selbst, was Gott ihm sein müsste. Er verwechselt die Zeit mit der
Ewigkeit. Und darum auch die Ewigkeit mit der Zeit. Er wagt, was er
nicht wagen dürfte: er greift hinaus über die ihm gesetzte Todeslinie
nach dem unsterblichen unbekannten Gott, raubt ihm, was sein ist,
schiebt sich in seine Nähe und Gott in seine eigene Nähe. Er bezieht
V
336
zur Seligkeit oder zur Verdammnis wird «durch das Gesetz» zur see
lisch-geschichtlichen Gegebenheit. «Die Sünde überfließt» (5,20).(227|
« Ich wüsste ja nichts von Begierde, wenn nicht das Gesetz ge
sprochen hätte: Du sollst nicht begehren!» Dass meine Vitalität sünd
haft ist, mein Begehren als solches ein Aufzuhebendes, das versteht
sich wahrhaftig nicht von selbst, das ist eine Qualifizierung meines
Da-Seins und So-Seins, zu der, abgesehen von der religiösen Mög
lichkeit, kein Grund vorhanden ist. Die Sinne sträuben sich mit Recht
(und sofern wir an das denken, was das Absehen von der religiösen
Möglichkeit ursprünglich-endlich bedeutet, immer auch mit einem
letzten Recht! ) gegen ihre Disqualifizierung, gegen ihre Verdächti
gung und Verurteilung als Sinnlichkeit, gegen die Diskreditierung der
«bloßen» Natur. Warum sollte Natürlichkeit böse sein ? « Ich wüsste
nichts von Begierde» («abgesehen vom Gesetz ist die Sünde tot» 7,8),
wenn ich mich nicht fatalerweise als religiöser Mensch mit meiner
ganzen Natürlichkeit aus dem Schattendasein einer qualitätslosen
Weltlichkeit, welche im Ernst und Humor des mir verborgenen Got
tes ihre Rechtfertigung hatte, allzu unvorsichtig hinausgewagt hätte in
das höchst qualifizierende Licht meiner göttlichen Möglichkeit. Mei
ne Begierde, meine Vitalität, so wie ich sie jetzt und hier kenne, kann
sich aber nicht dagegen wehren, in dieses Licht zu kommen. Die
wenngleich verhüllte Problematik des Daseins dieses Menschen in
dieser Welt, oder anders ausgedrückt: das wenngleich verhüllte Pro
blem, das das Dasein Gottes für diesen Menschen in dieser Welt be
deutet, sorgt dafür, dass Religion so oder so über mich kommt wie ein
gewappneter Mann (vgl. Spr. 6,11 ; 24,34): ich muss tun, was ich nicht
tun kann noch darf: ich muss Gottes Ewigkeit in der schlechthin un
zulänglichen und unwürdigen Form eines «religiösen Verhältnisses »
beziehen auf meine Zeitlichkeit, meine Zeitlichkeit auf Gottes Ewig
keit. Mit der sozusagen notwendigen Realisierung dieser Möglichkeit
ist aber «das Gesetz» in mein Leben eingetreten, d. h. aber eine wenn
auch nicht absolute, so doch ungeheure Negation, eine wenn auch
mittelbare, so doch intensive Beleuchtung, eine wenn auch nicht letz
te, so doch ganz energische Infragestellung meiner «Begierden», mei
ner Vitalität. Ein relativ sehr radikaler (in der Form der prophetischen
Vgl. Harnack, Marcion, S. 158-160 («Der Erlösergott als der fremde und
als der obere Gott»).
343
aus einer göttlichen Voraus-Setzung zu einer menschlichen Setzung
und kann als Setzung der göttlichen Voraus-Setzung auf alle andern
menschlichen Setzungen nur zersetzend wirken. Die ungeheuerliche
Möglichkeit am Rande der menschlichen Möglichkeiten: das Wissen
des Menschen um sein Nicht-Wissen von Gott, um seine Andersheit,
um seine Kreatürlichkeit im Gegensatz zum Kreator, die ungeheu
erliche Möglichkeit der Adorationsgeste gegenüber dem Unbekann
ten, sie wirft auf alle andern menschlichen Möglichkeiten das fatale
Licht der - Unmöglichkeit. Wenn das der Mensch ist, der das tun
kann, tun muss, wenn der 233| Mensch sich auf dem Wege befindet, an
dessen Ende (was nur die religiöse Schwachbrüstigkeit nicht einsieht !)
die doppelte Prädestination geglaubt und verkündigt werden muss
was ist dann der Mensch ?! « Da trat die Sünde ins Leben. » Unwider
ruflich vorbei ist nun der Augenblick der ewigen Schöpfung, unrett
bar dahin die Reinheit, Heiterkeit und Friedlichkeit jenes Lebens, in
dem Gott als Gott und der Mensch als Mensch nicht zwei, sondern
eins sind, unvermeidlich eingetreten ist nun jenes Zweiheitsleben, in
dem Gott als der übermächtige Widerpart des Menschen, der Mensch
als der ohnmächtige Widerpart Gottes, Gott den Menschen und der
Mensch Gott beschränkend, in Frage stellend und kompromittierend
sich gegenüberstehen. «Ich aber starb.» Urgeschichtliche (nicht zeit
liche) Vergangenheit natürlich auch dieses «ich starb»: den Übergang
von der Ewigkeit in die Zeit bezeichnet dieses Sterben. Mittelbar ist
nun alles geworden. Gegenüber dem unauflöslichen Kontrast des Le
bens Gottes und darum unter dem unvermeidlichen Stempel des To
des steht nun unser Leben in seiner ganzen Breite. Kritische Negation
ist nun die immer wieder sich verschließende, immer neu aufzubre
chende enge Pforte (vgl. Mt. 7,13-14 par.], unter der sich der Ausblick
vom Endlichen auf das Unendliche allein auftut. Bedenken, dass wir
sterben müssen (vgl. Ps. 90,12), ist nun der Punkt, wo es gilt, entweder
klug zu werden oder (und diesmal in sehr ungutem Sinn ! ) unklug zu
bleiben. Denn rücksichtslos stellt sich nun im Tode, im Kontrast des
Anschaulichen und Unanschaulichen, im Bilde der Zeit, die immer
nur Vergangenheit und Zukunft, nie Gegenwart, im Bilde der Natur,
die immer nur Kosmos, nie Schöpfung, im Bilde der Geschichte, die
immer nur Historie, nie Geschehen ist, rücksichtslos stellt sich nun im
Nein die Jafrage, die Lebensfrage, die Gottesfrage. Die Welt, von der
344
wir allein wissen, ist die Welt der Zeit, des Menschen und der Dinge.
Die letzte Erfahrung, die wir inab dieser Welt gewinnen können, und
das Apriori aller Erfahrung, treffen sich in dem Satze: «Ich aber
starb .» Und es ist der religiöse Mensch als solcher, in dem sich die
letzte Erfahrung und das Apriori aller Erfahrung treffen . «Da sprach
ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich habe den König, den Herrn Ze
baoth gesehen mit meinen Augen! » ( Jes. 6,5 ). Und vor diesem Sehen
und Vergehen gibt es kein Ausweichen.
« Und es fand sich, dass die auf Leben hinzielende Forderung, ge
rade sie, mir zum Tode gereichte. Denn die Sünde gewann einen Hebel
durch die Forderung, betrog mich und tötete mich durch dieselbe. » Die
volle Paradoxie des Sündenfalls liegt darin, dass die Möglichkeit,
durch die die Sünde 1234 das unmittelbare Leben zerstört hat, gerade
in dem besteht, was uns innerhalb des durch die Sünde beherrschten
mittelbaren Lebens die höchste, die dringendste Notwendigkeit ist: in
der Berührung der Todeslinie, in dem Griff nach der Erkenntnis des
Guten und Bösen, im Auftauchen des Gegensatzes zwischen Gott als
Gott und dem Menschen als Menschen.
Was zielt denn für uns, innerhalb der Welt, der Zeit, der Dinge und
des Menschen auf das « Leben», eben auf das verlorene und wieder
zugewinnende unmittelbare Leben in Gott hin, wenn nicht die « For
derung », das Gesetz, die religiöse Möglichkeit, der Vollzug der kri
tischen Negation, das «Bedenken, dass wir sterben müssen » (vgl. Ps.
90,12] ? Welchen andern Weg zur Anschaulichkeit des Unanschauli
chen können wir denn als Menschen, denen, « vernünftig schauend»,
der «Gottesgedanke bekannt» ist ( 1,20), gehen, als den schmalen Weg
der « Todesweisheit» ? Wohin wollten und könnten wir uns denn stel
len (jetzt und hier, wo wir schlechterdings irgendwo stehen müssen ! )
als – knapp diesseits der Linie, «da Adam von gefallen» (Luther) ?, da
wir nicht mehr jenseits stehen können - im besten, kühnsten Fall
dorthin, wo mit dem «historischen Jesus» Abraham und Hiob und
alle Propheten und Apostel stehen: an den äußersten Rand der
menschlichen Möglichkeiten, dort, wo der Mensch am ausgespro
ab Druckmanuskript: «von».
22 Siehe oben S. 235 , Anm . 45 .
345
chensten Mensch, von aller Unmittelbarkeit wahrhaftig am weitesten
entfernt, mit der ganzen Fragwürdigkeit seiner Existenz als Mensch
am schwersten belastet ist ? Was anders können wir denn ehrlicher
weise sein als eben – religiöse Menschen, büßend in Staub und Asche
(vgl. Hiob 42,6], ringend danach, dass wir selig werden unter Furcht
und Zittern (vgl. Phil. 2,12], und wahrlich, wenn mit einer Geste, dann
mit der des Adoranten ?! Die Forderung, die uns dazu nötigt, zielt auf
das Leben hin, wir wissen es nur zu gut, wir können jetzt und hier
nichts anderes wissen. Sollten wir uns etwa scheuen, die Konsequen
zen ziehend, wirklich an den äußersten Rand auch des Randes der
religiösen Möglichkeit zu treten, sollte uns die Unerbittlichkeit Cal
vins, der dialektische Mut Kierkegaards, die Ehrfurcht Overbecks,
der Ewigkeitshunger Dostojewskis, die Hoffnung Blumhardts allzu
groß und gefährlich erscheinen, wohl, so mögen wir uns mit schwä
cheren und schlechteren religiösen Möglichkeiten, etwa mit irgend
einem Rationalismus oder Pietismus begnügen und werden doch
nicht verhindern können, dass auch sie die auf den äußersten Rand
unerbittlich hinweisende Konsequenz in sich tragen und eines Tages
gebären könnten. Und wenn Adam, leichter zufrieden mit den andern
tiefer liegenden Möglichkeiten, je vergessen sollte, wie es um den
Menschen steht und was ihm allein übrig bleibt, so ist gesorgt dafür,
dass er durch Eva, die 235| die Unmittelbarkeit minder leicht entbehrt
als er, immer wieder an jene höchste Mittelbarkeitac erinnert wird. –
Aber, und das eben ist die tragische Paradoxie: Was wir jetzt und hier,
in der seelisch-geschichtlichen Wirklichkeit dieses Menschen in dieser
Welt als Akt der Hinwendung zu der Fremde, die doch unsre Heimat
ist, am wenigsten unterlassen können, das gerade ist als Akt, als Set
zung, der stärkste Verrat an der Voraussetzung, das gerade ist als
höchste Mittelbarkeit der Ausdruck unsrer gründlichsten Entfernung
vom Unmittelbaren, das gerade ist als Gipfel der menschlichen Mög
lichkeiten der Ausbruch, die Katastrophe der menschlichen Unmög
lichkeit Gott gegenüber, das gerade ist's, was, von Gott aus gesehen,
hätte unterlassen werden müssen. Denn «die Forderung, gerade sie,
gereichte mir zum Tode». Gerade das Notwendigwerden der religi
ösen Möglichkeit, der Griff nach dem Baum in der Mitte, das Wissen
ac
Druckmanuskript: «höchste - Mittelbarkeit».
346
Wollen von Gut und Böse (vgl. Gen. 3,5 ), Leben und Tod, Gott und
Mensch ist ja die der seelisch - geschichtlichen Wirklichkeit dieses
Menschen in dieser Welt vorausgehende und darum innerhalb dieser
Wirklichkeit nicht umzukehrende Wendung, durch die der Mensch
als böse, als sterblich, als – Mensch qualifiziert, durch die er in den
Kontrast des Relativen zum Absoluten gestürzt und verkettet wird ,
durch die er im besten Fall vor jenes Nein gestellt ist, in dem allein das
Ja verborgen ist. Der Sinn der Religion ist der Tod. Des zum Gleichnis
die Tatsache, dass es um alle relative Harmlosigkeit, Naivität und in
nere Ruhe des Menschen getan ist, wenn diese Möglichkeit für ihn
akut wird. Religion ist alles andre als Harmonie mit sich selbst oder
gar noch mit dem Unendlichen²3. Hier ist kein Raum für noble Ge
fühle und edle Menschlichkeit. Das mögen arglose Mitteleuropäer
und Westler meinen, solange sie's können. Hier ist der Abgrund, hier
ist das Grauen. Hier werden Dämonen gesehen (Iwan Karamasoff-4
und Luther !? ). Hier ist der altböse Feind26 unheimlich nahe. Dass
348
gen uns abschneiden! Möchte sie den Rand jenes Lochs in der Mitte
des Wagenrades, von dem schon Lao - Tse wusste”, recht scharf be
zeichnen. Denn die Antwort ist das, was den Inhalt jenes Kreises
bildet, den zu umschreiben der Sinn der Frage ist, die eben darum in
keinem Moment aufhören darf, Frage zu sein. «Das Gesetz ist heilig. »
Die Religion ist so wenig die Sünde wie irgend eine andere mensch
liche Möglichkeit, weil Sünde viel mehr ist als eine Möglichkeit. Im
Gegenteil: Religion markiert den Punkt, wo alle menschlichen Mög
lichkeiten in das Licht der göttlichen treten . Sie vertritt das Göttliche,
sie ist seine Delegation, sein Abdruck, sein Negativ – außerhalb des
Göttlichen selbst. Innerhalb der Humanität ist zweifellos die Religion
das Heilige, das vom Menschlichen weg und auf das Göttliche hin
weist, das Gerechte, das Korrelat, die Parallele, das Gleichnis des gött
lichen Willens, das Gute, der Hergang und Zustand, der, wenn einer,
als Mittelbarkeit Zeuge der verlorenen Unmittelbarkeit ist. Ihr um
ihrer bewusst oder unbewusst empfundenen Zweideutigkeit und Ge
fährlichkeit willen ausweichen zu wollen, führt ent- 1237| weder zu
rück zu andern tiefer liegenden menschlichen Möglichkeiten, viel
leicht zu der ethischen, logischen oder ästhetischen, vielleicht auch
noch tiefer – oder aber seitwärts zu alten oder neuen religiösen Vari
anten, die, wenn der Variator etwa nicht grundsätzlich wissen sollte
um die Beschränktheit des religiösen Vorgangs an sich, sicher schlech
te Varianten sein werden. Ein menschliches Vorwärts !, jenseits der
religiösen Möglichkeit gibt es nicht. Sie ist das letzte menschenmög
liche Vorwärts! indem sie innerhalb der Humanität und außerhalb des
Göttlichen auf das Außerhalb der Humanität, das das göttliche In
nerhalb ist, hinweist. Darum : Möchten wir nur «eifern » nach den be
sten Gaben – innerhalb der religiösen Möglichkeit, außerhalb der
Herrschaft der Liebe, die « nicht eifert» ! ( 1. Kor. 12,31 ; 14,1 ; vgl. 13,4).
Möchten wir nur religiöse Menschen sein, Adoranten, Wartende und
Eilende (vgl. 2. Petr. 3,12] aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüt und
aus allen unsern Kräften (vgl. Mt. 22,37 par.]!Und Religion zu wek
ken, wachzuhalten und zu pflegen, vor allem aber zu reformieren,
27 Lao-tszes Buch vom höchsten Wesen und vom höchsten Gut (Tao- te
king), übers. von J. Grill, Tübingen 1910, S. 80: «Dreißig Speichen kommen in
Einer Nabe zusammen; aber nur dadurch, daß diese ein leeres Innere hat, wird
es möglich, den Wagen zu gebrauchen.»
49
nein immer wieder zu revolutionieren, ist eine Aufgabe, die wahrlich ,
wenn irgend eine innerhalb der Humanität, des Schweißes der Edlen
wert28 ist.
Aber - je mehr, je konsequentere Religion, um so tiefer der Todes
schatten, der sich auf den Menschen legt. Wohl begreiflich, dass sich
die meisten sträuben, an den äußersten Rand dieser Möglichkeit zu
treten, wo menschlich gesehen, nur noch die Frage als Frage übrig
bleibt, wo alles, aber auch alles, was weiter zurückliegt, in das Licht
dieser Frage gerückt wird. Wohl begreiflich die unzähligen Versuche
zwischen dem Seelenschlaf des Weltmenschen und der konsequenten
Religion des heiligen, gerechten und guten Gesetzes, irgend eine Zwi
schenlösung zu finden. Wohl begreiflich die Frage: « Ist mir das Gute
zum Tode geworden ?», die, inhaltlich zusammenfallend mit der Frage,
ob das Gesetz selbst die Sünde sei (7,7), von der wir ausgingen, zu
rückführen würde zu irgend einem jener Versuche, dem Zwielicht und
der Gefahr der Religion zu entgehen. Wir fühlen doch die Spannung,
die Beunruhigung, die Unmöglichkeit der Lage, in die wir gerade als
religiöse Menschen versetzt sind. Was uns in solche Ferne von allen
Fleischtöpfen Ägyptens (vgl. Ex. 16,3), so tief in die Wüste führt, was
uns so aufhebt und zu Boden wirft, so exzentrisch und seltsam, so sehr
zu Einsiedlern und Fremdlingen macht, was mit dem Tode so große
Ähnlichkeit hat, das kann ja nicht das Gute sein, nicht wahr ? Sollte
Gott so hart sein ? Wie naheliegend, wie einladend und einfach sind
doch dem gegenüber alle jene halb oder ganz antinomistischen Lö
sungen, die alle irgendwie auf den Versuch hinauslaufen, den Men
schen von ( 238 ) dem bittern fürchterlichen Ernst der Religion zu be
freien, auf die Einladung, er möge sich doch nicht so quälen, auf das
Angebot, ihm im Gegensatz zu den Todesschatten des Gottesgesetzes
(in denen tatsächlich gerade die großen Verkündiger der alleinselig
machenden Gnade ihr Leben in der Welt zubrachten) eine beschei
den-heitere Erlöstheit jenseits der Gefahrenzone anzuweisen. Ist die
Versuchung nicht allzu groß, die Religion ihres Dynamits zu entladen ,
sie etwas leichter zu nehmen, als man streng genommen dürfte, und
sich dadurch dem Fluch und Elend der Mittelbarkeit, der nur mensch
28 Wendung aus der Ode «Der Zürchersee» von Fr. G. Klopstock; vgl. Büch
mann, S. 105 .
350
lichen Möglichkeit, der Relativität und Andersheit und Diesseitigkeit
unseres Daseins, die auf niemandem mehr lasten als auf dem religiösen
Menschen, einigermaßen zu entziehen?
« Unmöglich !» antworten wir. Wir müssen, koste es, was es wolle,
bei der Stange bleiben. Wir müssen den Kelch leeren bis auf die Hefe
(vgl. Ps. 75,9]. Das Gute ist darum nicht weniger das Gute, weil es
nicht das Einfache, nicht das Naheliegende, nicht das direkt Annehm
bare ist, weil es uns zweifellos an die Pforte des Todes führt. Wir
müssen die volle Paradoxie der menschlichen Lebenslage auf uns neh
men. Sie besteht darin, dass wir, wenn wir überhaupt zum Bewusst
sein unser selbst und unsrer Situation in der Welt kommen, durch die
heilige Forderung Gottes, die uns in der erkannten Problematik uns
rer Existenz begegnet, von Schritt zu Schritt weitergeführt werden bis
zu der letzten Möglichkeit, in der wir sehend, vergehend, flehend,
schreiend aus tiefer Not?, die Arme ausbreiten nach dem großen Un
bekannten, nach dem Ja, das unanschaulich dem Nein, in dem wir
gefangen sind, gegenübersteht - und dass wir dann erkennen müssen,
dass uns auch solches Sehenae, Vergehen, Flehen und Schreien nicht
rechtfertigt, nicht erlöst, nicht rettet, dass wir gerade damit nur be
stätigt und besiegelt haben, dass wir - Menschen sind. Gehorchen
muss ich der Begierde, die über allen Begierden ist, der Begierde der
verlorenen Lebensunmittelbarkeit, und indem ich ihr gehorche, qua
lifiziert diese Begierde alle Begierden und nicht zuletzt sich selbst als
Sünde; indem ich «weiß durch das Gesetz, wie ich mit Gott dran bin,
so stehe ich alle Wege in Furcht, Fragen und Ängsten, ja lasse mich
durch ein rauschend Blatt erschrecken , fürchte einen Donnerschlag,
muß alle Zeit sorgen, Gott komme mit einer Keule hinter mir her und
schlage mich an Kopf» (Luther ) . Alles muss ich, auf die Gefahr hin,
mich sonst selbst als Feigling und Schwächling verachten zu müssen,
dran wagen, dran geben, dran opfern, um das Eine, das « Sein wie
ae
2. Abdruck ( 19233): «Sehnen».
29 Vgl. M. Luthers Choral «Aus tiefer Not schrei ich zu dir», GERS ( 1891 )
214; RG ( 1998 ) 83 ; EG 144.
30 Eberle, S. 114 (in Barths Exemplar unterstrichen): Predigt am Tage der
Reinigung Mariä (2.2.1526) [über Lk. 2,22–32], WA 20,245,24-28 (bei Eberle:
«Furcht, Sorgen und Aengsten», entsprechend WA, Z. 26: «sorg»).
Gott» (vgl. Gen. 3,5 ), den ewigen Augenblick der Schöpfung, die
Mitte, auf die ja doch alle meine Möglichkeiten hinzielen, zu erreichen
und zu erlangen, und wenn ich alles gewagt, alles ( 239) gegeben, alles
geopfert habe, muss ich mit leeren Händen dastehen, Staub und Asche
( vgl. Hiob 42,6], ferner und fremder dem Einen als je. Wissen wir
jetzt, jetzt endlich, was die Sünde ist, wie wenig wir in der Lage sind,
ihr zu entrinnen ? So grundsätzlich ist sie die Möglichkeit aller
menschlichen Möglichkeiten, dass wir uns gerade durch den Versuch,
ihr zu entrinnen (denn das ist die Religion), in Sündenschuld verstrik
ken, ins Todesschicksal stürzen. «Die Sünde bereitet mir, damit sie als
Sünde sich offenbare, durch das Gute den Tod .»> Durch das Gute !
Durch das Notwendige! Durch das Unvermeidliche ! Durch das, wo
nach wir, wenn wir endlich ehrlich geworden, greifen als nach dem
rettenden Strohhalm ! Durch die Möglichkeit, die uns, wenn wir sie
zuerst entdecken, aufgeht wie ein Licht in dunkler Nacht! Durch das
Reinste, Hoffnungsvollste, Erhabenste, was wir innerhalb der Hu
manität kennen ! Was ist der Erotiker, der Alkoholiker, der Intellek
tualist, der Mammonist, der Gewaltpolitiker, was ist das Heer der
Alltagsphilister neben dem glaubenden, dem betenden Sünder? Er,
nicht jene, hört und vernimmt das vernichtende Halt !, das Gott dem
Menschen gebietet. Er, nicht jene, stirbt den Tod, der das letzte Wort
über diesen Menschen in dieser Welt ist. « Fürwahr, Er trug unsre
Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen» (Jes. 53,4). Er ist der
Sünder, und keine menschliche, sondern die göttliche Möglichkeit ist
eingetreten, wenn er zugleich der Schuldlose, der Begnadigte ist, der
das Heil und das Leben verkündigt, wenn «unsre Strafe auf ihm liegt,
auf dass wir Frieden hätten » (Jes. 53,5 ). Wissen wir jetzt, was die
Sünde ist ? Und was der Sinn der Religion ? «Damit die Sünde sich als
das unbegreiflich Sündige erweise durch die Forderung.» Das ist der
Sinn der Religion, dass sich in der Tatsächlichkeit (7,7b) und Unver
meidlichkeit (7,8-11 ) dieser höchsten Menschenmöglichkeit die
Macht der Sünde als die Macht erweise, die den in sich geschlossenen
Ring der Menschlichkeit beherrscht, die aber selber durch die Freiheit
Gottes, Gottes selbst, Gottes allein, begrenzt ist. Nur durch sie! Das
ist der Sinn des Gesetzes, dass es uns die Augen schärfen muss dafür,
dass jene Freiheit vom Gesetze, jener « Dienst im neuen Sinn des
Geistes », nach welchem wir über die Grenze der Religion hinweg
352
bereits ausschauten (7,6), auf alle Fälle das bei den Menschen Un
mögliche sein (vgl. Mt. 19,26 par.] muss. 240
Und sie wird sich wohl hüten, solche Unbekehrte etwa eines Bessern
belehren zu wollen. Die Wirklichkeit der Religion ist Kampf und
Ärgernis, Sünde und Tod, Teufel und Hölle. Sie führt den Menschen
durchaus nicht heraus aus der Problematik von Schuld und Schicksal,
sondern erst recht in sie hinein. Sie bringt ihm keine Lösung seiner
Lebensfrage, sie macht ihn vielmehr sich selbst zum schlechthin un
lösbaren Rätsel. Sie ist weder seine Erlösung noch deren Entdeckung,
sie ist vielmehr die Entdeckung seiner Unerlöstheit. Sie will weder
genossen noch gefeiert, sondern als hartes Joch, da es nicht abgewor
33 Letzte Strophe des Sonetts «Reden über die Religion» ( 1800) von Fried
rich Schlegel zitiert bei W. Dilthey, Leben Schleiermachers, Bd. I ,Berlin 1870 ,
S. 430; ders., Gesammelte Schriften, 13. Bd., 1. Halbbd ., Göttingen 1991 (un
veränderter Nachdruck der 3. Auflage ), S. 44s ; Kritische Friedrich -Schlegel
Ausgabe , s . Bd., 1. Abt., hrsg. von H. Eichner , München / Paderborn /Wien /
Zürich 1962, S. 301f.
354
fen werden kann, getragen sein. Religion kann man niemandem wün
schen oder anpreisen oder zur Annahme empfehlen: Sie ist ein Un
glück , das mit fataler Notwendigkeit über gewisse Menschen herein
bricht und von ihnen auch auf andre kommt. Sie ist das Unglück,
unter dessen Druck Johannes der Täufer in die Wüste geht, um die
Buße und das Gericht zu predigen, unter dessen Druck ein solch er
schütternder langgezogener Seufzer wie der zweite Korintherbrief zu
Papier kommt, unter dessen unheimlichem Druck eine Physiognomie
wie die Calvins so wird, wie sie zuletzt gewesen ist34. Sie ist das Un
glück, unter dem aber wahrscheinlich heimlich jeder zu seufzen hat,
der Mensch heißt.
V. 14-17 Erste Feststellung: Denn ich weiß zwar wohl", dass das
Gesetz aus dem Geiste kommt - ich aber bin im Fleische, verkauft
an die Sünde. Denn was ich vollbringe, das erkenne ich nicht; denn
nicht was ich will, tue ich, sondern was ich hasse, das tue ich. Sofern
ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu , dass
es recht sei: aber dann bin nicht ich es, der jenes vollbringt, sondern
die in mir ansässige Sünde.
* Ich lese olda uèv, weil ich mit Hofmann) und Zahn36 eine Berufung auf
den christlichen Konsensus der Leser (oïdauev), obwohl er sachlich nicht aus
geschlossen sein kann (denn der Abschnitt ist kein biographisches Intermez
zo !), in diesem Zusammenhang für unwahrscheinlich halte. Das gegenüber
stehende ływ dè (statt des von den Gegnern der Lesart oīda uèv, z. B. von Kühls?,
erwarteten eiui dė) erklärt sich, wenn genügend beachtet wird, wie im folgen
den das èyó des Gottgeweihten seinem Wissen, Wollen, Tun und Vollbringen
als die problematische Größe gegenübersteht. Bei Annahme dieser Lesart ist
also gerade nicht oáquivós elu zu betonen (gegen Beck38).
355
« Ich weiß, dass das Gesetz aus dem Geiste kommt. » Dieses Wissen
ist das erste im Wesen des religiösen Menschen. Er steht unter dem
bezwingenden Eindruck des Geistes, (242) welcher darum bezwin
gend ist, weil der Geist das Woher ? ist, das dem unausweichlichen
Wohin ? des Todes unmittelbar gegenübersteht. Er steht in der Not
und Hoffnung eines Kampfes, dem er darum nicht entgehen kann,
weil es der Kampf um seine eigene Existenz ist. Er steht vor einem
Anspruch, dem er genügen muss, koste es, was es wolle, weil alles
Ungenügende seines Da-Seins und So-Seins auf die Notwendigkeit
und Berechtigung dieses Anspruchs hinweist. Er ist gefragt und sollte
antworten. Ihm ist gerufen und er sollte gehorchen. Die Existenz
Gottes ragt wie die alle Aussicht versperrende Feuermauer eines wid
rigen Nachbars, wie eine feindliche Festung, wie eine geballte Faust
mitten in sein Leben hinein: er muss sich damit auseinandersetzen, er
muss dazu Stellung nehmen, er muss damit leben. Paulus weiß, was er
sagt, wenn er sich anderwärts einen « Gefangenen » und «Gebunde
nen» nennt (Eph. 3,1; 4,1 ; 2.Tim . 1,8; Phlm. 1.9). « Herr, du hast mich
überredet, und ich habe mich überreden lassen; du bist mir zu stark
gewesen und hast gewonnen» (Jer. 20,7).
« Ich aber bin im Fleische, verkauft an die Sünde. » Sofort muss sich
ja die Frage erheben: Wer aber bin ich, wenn Gott ist? Besteht jene
meine Beziehung zu ihm, bin ich sein Gefangener und Gebundener,
wer bin dann ich, der Mensch ? Und sofort ergibt sich erfahrungs
mäßig die Einsicht, dass in meinem Dasein als Mensch, als der, der ich
bin, jenes Bezwingende, Unausweichliche, Notwendige, das aus dem
Geiste kommende Gesetz, gar keinen Raum hat. Was wäre das für ein
Dasein, das fähig wäre, diesen Eindruck in sich aufzunehmen, an die
ser Not und Hoffnung sich zu orientieren, diesem Anspruch Genüge
zu leisten ? Jedenfalls nicht das meinige, nicht das menschliche, das ich
kenne. Wie soll ich antworten, wenn ich das gefragt bin ? Wie soll ich
gehorchen, wenn ich von dorther gerufen bin? «Ich bin im Fleische.»
Fleisch wird nie Geist; es wäre denn in der Auferstehung des Flei
sches . « Ich bin verkauft an die Sünde. » Dieser Handel kann nicht
rückgängig gemacht werden; es wäre denn in der Vergebung der Sün
den. Ich bin Mensch: keine religiöse Erregung und Begeisterung kann
af
2. Abdruck ( 1923 '): « niedrigen» .
356
mich täuschen darüber, was das bedeutet; nur ein neuer Mensch, die
Überwindung des Menschen, das ewige Leben könnte mich von der
Verlegenheit meines Menschseins befreien. Was soll mir der Geist ?
Was soll mir das aus ihm kommende Gesetz ? Was soll mir meine
« Frömmigkeit »? Was soll mir Gottes Überreden und Überwältigen?
Ist es nicht offenkundig, dass keine Kraft da ist zum Gebären (vgl.
2.Kön. 19,3; Jes. 37,3 ] ? «Herr, gehe hinaus von mir; denn ich bin ein
sündiger Mensch ! » (Lk. 5,8). Gott und der Mensch, der ich bin, das
geht nicht zusammen. (243|
«Denn was ich vollbringe, das erkenne ich nicht; denn nicht, was ich
will, tue ich, sondern was ich hasse, das tue ich . » Das ist doch klar:
Wenn etwa das Gesetz, asmein religiöses Sein und Haben“, selbst der
Geist wäre, wenn etwa «Anschauung und Gefühl des Universums»39,
«Sinn und Geschmack fürs Unendliche» (Schleiermacher)*° im Ernst
als mögliche Möglichkeiten ins Auge gefasst werden dürften, wenn es
etwa sein sollte, dass Gott und der Mensch, der ich bin, doch irgend
wie zusammengehen sollten , dann müsste ich in der Lage sein, mich
selbst, d. h. aber mein Vollbringen, meine Worte, Taten und Werke,
mein tatsächliches Leben von da aus zu erkennen, zu verstehen, es
ganz oder doch teilweise oder doch mindestens in gewissen hoff
nungsvollen Anfängen in seiner Kontinuität und Konformität mit
dem Geist, als Antwort auf jene Frage, als Gehorsam gegen jene For
derung, als neue gottgeweihteah Wirklichkeit neben der übrigen zu
bezeichnen und zu begreifen. Ich kann natürlich naiv und anmaßend
genug sein, gelegentlich zu meinen und zu behaupten, ich sei in dieser
Lage - es ist doch gesorgt dafür, dass ich das nie allzu sicher meinen
und allzu lange behaupten werde. Denn so einleuchtend und klar mir
die Forderung ist, dass der Wille Gottes geschehen muss in meinem
Leben und dass seine Gebote nicht schwer sind (vgl. 1. Joh. 5,3), so
ag-28 1. Abdruck ( 1922°): «das was ich religiös bin und habe». Korrektur in
Barths Handexemplar.
ah Druckmanuskript: «gottgewirkte».
ai
I. Abdruck ( 1922²): «wahrhaftig, was» .
41 Die Wendung «mit Gedanken, Worten und Werken » geht auf das « Con
fiteor » der Messe zurück. Sie war Barth auch geläufig durch die von ihm in
Safenwil benutzte Liturgie. Gebete für die evangelisch -reformierte Kirche des
Kantons Bern. Probedruck, Bern 1909, S. 20, wo es im ersten der « Sonntags
gebete» heißt: « Wir arme Sünder bekennen vor dir, unserm Herrn und Gott,
daß wir leider viel gesündigt haben, von Jugend auf bis auf diese gegenwärtige
Stunde, mit bösen Gedanken, Worten und Werken » .
358
nicht, und was ich hasse, das tue ich. Wer aber bin ich, der zwischen
diesem Wollen und Nicht- Tun, Hassen und Doch - Tun hin- und her
gerissen in der Mitte steht ?
« Sofern ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz
zu, dass es recht sei.» « Was ich hasse, das tue ich», sagten wir eben. So
scheint doch ein Punkt der Übereinstimmung gegeben zwischen mir
und dem, was aus dem Geiste unfasslich, unnahbar, unübertragbar zu
mir kommt: mein Hass, mein Protest gegen mein tatsächliches Leben,
die Unruhe, mit der ich meinen eigenen Gang durch die Zeit begleite,
mein Nicht-Wollen dessen, was ich tue. Bin ich nicht wenigstens kraft
dieser Negation in Harmonie mit mir selber? Bin ich nicht wenigstens
insofern ein Täter des Gesetzes, als ich von meiner eigenen Sündigkeit
ein tiefes Bewusstsein und gegen sie einen kräftigen Widerwillen ha
be ? Darf ich mich nicht wenigstens damit beruhigen, dass ich ja -
unruhig bin? «Wenn du den Streit des Geistes mit dem Fleisch in dir
befindest und tust oft, was du nicht willst, so ist es eine Anzeige deines
gläubigen Herzens. Solange nun dieser Streit im Menschen währet,
solange herrscht die Sünde nicht in ihm. Und weil der Mensch wider
die Sünde streitet und nicht darein willigt, so wird ihm diese Sünde
nicht zugerechnet » (Joh. Arnd).^ Gefährliche Sätze! Wer kennte die
sen Schlupfwinkel der pietistischen Dialektik nicht und wer nicht die
gewisse milde Abendröte von Beschwichtigung , Resignation und
Kompromiss, die sich leise, leise nach allerlei Gewissensstürmen ge
rade im Blick auf das Stattfinden solchen Streites einzustellen pflegt?
«Aber dann bin nicht ich es, derjenes vollbringt, sondern die in mir
ansässige Sünde. » Was bedeutet denn das, dass ich mein eigenes Tun
hasse und gegen mich selbst protestiere? Offenbar nur, dass ich selbst
42 J. Arnd, Sechs Bücher vom wahren Christenthum : nebst dessen Paradies
Gärtlein , 1. Buch, 16. Kapitel, Schaffhausen 18604, S. 128 : « Wenn du den Streit
des Geistes wider das Fleisch in dir befi est, und thust oft, was du nicht willst,
wie Paulus spricht: so ist es eine Anzeige eines gläubigen Herzens, daß der
Glaube und Geist wider das Fleisch kämpfen. » S. 129: «So lange nun dieser
Streit im Menschen währet, so lange herrschet die Sünde nicht im Menschen.
Denn wider welchen man immer streitet, der kann nicht herrschen. » «Und
weil der Mensch wider die Sünde streitet, und nicht darein williget, so wird ihm
die Sünde nicht zugerechnet, wie Paulus, Röm. 8,1 . spricht: Es ist nichts Ver
dammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch,
sondern nach dem Geist leben, das ist, die das Fleisch nicht herrschen lassen. »
359
den Graben aufreiße zwischen mir und – mir. Sollte etwa das ein
aussichtsreiches Beginnen sein ? Sollte damit die Antwort auf die Fra
ge: wer bin ich , wenn Gott ist ? leichter geworden sein ? Ich, «der jenes
vollbringt» und dessen Tun Ich (das andre Ich ! ) mit grimmigem Miss
vergnügen zusehe, ist offenbar nicht das ich, das angesichts/245| jener
Frage bestehen kann. Sollte es das andre Ich sein, der Grimmige, der
Missvergnügte, der ewig Protestierende ? Aber wer ist dieses andre
Ich? Sollte dieser ohnmächtige Zuschauer, dieser arme Heimatlose,
der nur nicht-wollen und mit Kopfschütteln begleiten kann, was jener
tut, und zwar tatsächlich, und zwar an seiner eigenen Stelle tut, sollte
der gegenüber jener Frage leistungsfähig sein? Sollte das meine Recht
fertigung sein, dass ich gar nicht tue, was ich tue, dass ich gar nicht
Herr im eigenen Hause bin, dass ein anderer unter meinem Protest
dort schaltet und waltet, denkt, redet, handelt und fühlt, dass ich nur
den Platz und den Namen hergebe für Vollbringungen, mit denen ich
gar nichts zu schaffen habe ? Was bedeutet denn diese Rechtfertigung,
diese meine Übereinstimmung mit dem Gesetze anderes als mein ei
genes Urteil über mich selbst, dass die Sünde in mir ansässig ist ? Sollte
ich etwa mit dieser Selbstverurteilung festen Grund unter die Füße
bekommen haben ? Wer sagt mir, ob jenes Ich, das tut, wie ihm gelü
stet, und jenes andre Ich, das nicht will, was jenes tut, nicht im tiefsten
Grunde doch identisch sind ? Ob nicht am Ende all mein grimmiges
Ausschlagen gegen mich selbst eine Münchhausiade43 ist, die sich
durchaus innerhalb der vier Wände des einen Sündenhauses «Ich»
abspielt? Von dem Ich, das wirklich jenseits der in mir wohnenden
Sünde existierte, redet die Wirklichkeit der Religion wahrlich nie und
nirgends. Sie redet nur von der Zwiespältigkeit, mit der ich beständig
vollbringe, was ich nicht will, und nicht will, was ich vollbringe. Sie
redet nur davon, dass des Menschen Leben nicht im Einklang steht
mit seinem Wissen. Sie redet nur von einer Realität: von der Realität
der Sünde.
43 Barth dürfte hier an die bekannteste unter den auf deutsch von G.A.
Bürger veröffentlichten phantastischen Geschichten von K.Fr.H. Freiherrn
von Münchhausen ( 1720-1797) denken, in der er erzählt, wie er, in einen
Sumpf geraten, sich am eigenen Schopf herausgezogen habe.
360
V. 18–20 Zweite Feststellung: Denn ich weiß, dass das Gute nicht
in mir, nämlich in meinem Fleische wohnt. Denn das Wollen ge
lingt mir, das Vollbringen des Rechten aber nicht. Denn nicht das
Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse, das ich nicht will, das
treibe ich. Sofern ich aber das tue, was ich nicht will, bin nicht ich
es, der jenes vollbringt, sondern die in mir wohnende Sünde.
« Ich weiß, dass das Gute nicht in mir, nämlich in meinem Fleische
wohnt.» Dieses Wissen ist das Zweite im Wesen des religiösen Men
schen, in und mit jenem Ersten sofort gegeben. « Das Gute ist nicht in
mir. » Wir stoßen hier noch einmal auf das « Besondere » der Offen
barungsträger (3,1-20 ), dass sie als solche eben das wissen können und
sollen. Gerade sie! Auch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus
nicht ohne Einweihung des Menschen in dieses unheimliche Geheim
nis! Weil sie die Offenbarung aller Offenbarungen ist, gerade sie nicht!
«Der (246) liebe Paulus wollte gerne nicht in Sünden sein und muß
darin sein; ich und andere mehr sind auch dazu geneigt, daß wir der
Sünde gerne ohn' wären, aber es will nicht sein, wir dämpfen wohl
dran, in Sünde sind wir gefallen, stehen wieder auf, martern und bleu
en uns damit Tag und Nacht ohne Unterlaß: aber dieweil wir in diesem
Fleische stecken, diesen stinkenden Sack am Halse tragen, wird's
nicht gar aus sein, werden’s nicht gar täuben, wir mögen wohl dran
arbeiten, daß wir's täuben, aber der alte Adam will sein Leben auch
haben, bis er in die Grube kommt. In Summa: Das Reich Gottes ist ein
sonderlich Reich, kein Heiliger wird hier anders müssen sagen denn: 0
allmächtiger Gott, ich bekenne mich einen armen Sünder, rechne du
der alten Schuld nicht! ... Der istkein Christ, derkeine Sünde hat noch
fühlt; findest du aber einen solchen, der ist ein Widerchrist, kein wah
rer Christ. Also liegt Christi Reich in Sünden drinnen, da steckt's, da
er's hingelegt hat in dem Hause David» (Luther).44 Kein einschrän
kendes «Ich aber» (7,14) tritt also hier dem, was der religiöse Mensch
von sich weiß, entgegen. Denn das «nämlich in meinem Fleische» ist
keine Einschränkung, sondern eine Verschärfung der Anklage, die er,
gerade er, gegen sich selbst erheben muss. Ich bin Fleisch ! Das ist die
44 Eberle, S. 116f. (in Barths Exemplar unterstrichen oder angestrichen; Her
vorhebungen von Barth): Predigt am Tage Johannis des Täufers (24.6.1525 )
[über Lk. 1,67–79), WA 17 /1,297,15–25; 298,12-15 (Eberle: «das Reich Gottes
ist ein sonderlich Reich», WA: «das reych Christi ist eyn sundlich reych » ).
361
Meinung. Wir erinnern uns, was «Fleisch» bedeutet (3,20): unquali
fizierte und (vom Menschen, gerade vom religiösen Menschen aus
betrachtet) endgültig unqualifizierbare Weltlichkeit. Fleisch heißt be
ziehungslose Relativität, Nichtigkeit, Nonsens. Das bin ich! Nicht
der Geldmensch, der Genussmensch, der Gewaltmensch muss das
von sich sagen (wie sollte er auch ? wie könnte er auch ? Was er von sich
selbst weiß , mag ein Lichtstrahl sein von dem göttlichen Erbarmen,
das größer ist als Gottes Zorn! ), sondern der Gottgeweihte, der Mann
mit dem wirklichen, dem ernsten, dem echten religiösen Erlebnis, der
Prophet, der Apostel, der Reformator, dem die Einheit von Gottes
Heiligkeit und Barmherzigkeit zur persönlichsten, zur Existenzfrage
geworden ist. « Was nennst du mich gut? Niemand ist gut, außer Ei
nem: Gott» (Mk. 10,18). Und das sagtJesus.Also nicht etwa auf allzu
schnell pessimistischer Betrachtungsweise beruhte die Einsicht, auf
die wir (7,14) von unserm Wissen vom Geist ausgehend sofort stießen:
dass Gott und der Mensch, der ich bin, nicht zusammengehen. Son
dern was wir dort erfahrungsmäßig feststellten, das entspricht der
Logik der Sache. Mit dem Wissen von Gott ist dieses Wissen vom
Menschen gesetzt und kein anderes.
«Denn das Wollen gelingt mir, das Vollbringen des Rechten aber
nicht. Denn nicht247| das Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse,
das ich nicht will, das treibe ich. An das Gute, das nicht in mir ist,
erinnert mich mein Wollen, aber auch nur mein Wollen – das ja mit
meinem Wissen von der Göttlichkeit des Gesetzes (7,14) eins ist; denn
ohne das Göttliche zu wollen, kann ich es auch nicht wissen. «Das
Wollen gelingt mir. » Aber was heißt Wollen ? Doch wohl Streben,
Begehren, Verlangen, Fragen, Suchen, Bitten, Anklopfen. Letzte ver
heißungsvollste Worte aller Seelsorge und Predigt, atemlos wiederholt
und überboten in immer neuen Steigerungen, Variationen und Ver
stärkungen von allen Wahrheitszeugen aller Zeiten, vielleicht gerade
darum so atemlos, weil ihr Sinn so erschreckend einfach ist und weil es
so erschreckend deutlich ist, dass dieses Einfache innerhalb der reli
giösen Wirklichkeit tatsächlich das letzte Wort ist. Verfängt dieses
nicht, was verfängt dann ? Nun, es verfängt zweifellos. Die Parole:
Suchet Gott!4 wird immer wieder aufmerksame Ohren finden , gerade
45 Vgl. den Titel des Predigtbandes: K. Barth / E. Thurneysen, Suchet Gott, so
werdet ihr leben !, Bern 1917, nach Am. 5,4-6 .
362
weil sie das Letzte ist, was Menschenohren eben noch zu hören ver
mögen, und sicher war und ist die Zahl aufrichtig Wollender, aufrich
tiger Gottsucher unendlich viel größer, als es bei oberflächlicher Be
trachtung erscheinen möchte. Wer darf denn wem das ehrliche Wollen
absprechen ? Vielleicht bin auch ich ein Gottsucher. «Das Wollen ge
lingt mir. » Es kann ja sein. Aber der religiöse Schlupfwinkel, in den
ich mich mit dieser Feststellung vielleicht flüchten möchte, ist so un
genügend wie der andere, über dem geschrieben steht, dass ich «nicht
will, dasaj ich tue» (7,16). Denn wie dort auf das Nicht- Tun, so käme
hier für das Sein des Guten in mir, dessen ich mich so gern versichern
würde, alles auf das Tun anak, auf das « Vollbringen des Rechten». Und
nun kann kein Zweifel bestehen, dass auch das ehrlichste, tiefste,
gründlichste Wollen durchaus nicht mit dem « Vollbringen des Rech
ten» gekrönt zu werden pflegt. Wir denken noch einmal an die Grä
berfelder der christlichen Kirchen- und Geistesgeschichte46, in der es
wahrhaftig an jenem ehrlichen Wollen nicht gefehlt hat. Durch was
unterscheidet sich etwa das « Tun » des Jeremia vom « Tun » der ihm
gegenüberstehenden falschen Propheten? Das in Konstantin gipfeln
de « Gelingen» des antiken Christentums (worüber nicht-theologisch
interessierte Historiker zu vernehmen! ) von dem gleichzeitigen «Ge
lingen» des Mithras- und Kybeletums ? Das «Gelingen» der Refor
matoren in Wittenberg, Zürich und Genf vom «Gelingen » der Päpste
in Rom oder der höchst religiösen Turmbauer von Babel (vgl. Gen.
11,1–9] ? Das « Vollbringen » inniger Frömmigkeit in den viel bewun
derten Augen der Sixtinischen Madonna47 von dem « Vollbringen » un
erhörter Bigotterie, das aus / 248) den Augen der Madonnen El Grecos48
redet? Sind nicht alle menschlichen Vollbringungen als solche Stufen
an einer Leiter, Gleichnisse eines ganz andern Vollbringens im besten
Fall sie alle ? Ist es nicht deutlich, dass die Aufrichtigkeit, der es der
aj 1. Abdruck ( 1922°): «was » .
ak
2. Abdruck ( 1923 '): « Tun an» .
46 Siehe oben S. 326.
47 Altarbild des Raffael für die Kirche San Sisto in Piacenza , heute in der
Dresdne
48
r Gemäldegalerie Alte Meister.
Vgl. z. B. die Madonna Caritatis (Illescas, Hospital de la Caridad) oder die
Verkündigung ( Toledo (Ohio), Museum of Art) in: J. Gudiol, Doménikos
Theotokópoulos El Greco 1541-1614, Genf 1973 , S. 193.217f.
363
Herr gelingen lässt (vgl. Spr. 2,7), nicht ganz dasselbe ist, wie das
ehrliche Wollen, das wir – wollen können und dessen wir uns gele
gentlich trösten möchten, und dass wir von dem Weg, der von diesem
ehrlichen Wollen zu dem Gelingen führt, das der Herr gelingen lässt,
nichts wissen, als dass er eine abbrechende, immer und immer wieder
abbrechende und nie ihr Ziel erreichende Linie ist ? « Denn nicht das
Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse, das ich nicht will, das
treibe ich. » Das diel Antwort, die sich der religiöse Mensch, gerade er,
geben muss auf die Frage, was ihm denn etwa gelinge außer seinem
Wollen . Also auch hier: Nein, ich kann auch mein Wollen des Guten
nicht mit dem Guten verwechseln. Denn das Gute hat die Eigenschaft,
dass es beharrlich nach Realität verlangt, dass es nicht nur gewollt,
sondern vollbracht und getan sein will. Ich tue es aber nicht, ich treibe
allerlei Böses, das ich nicht will. Und noch einmal muss ich fragen:
Wer bin ich, der unerträglicherweise beidesam zugleich sein muss: der
Wollende und der Nicht - Vollbringende, der auch durch sein aufrich
tigstes Wollen nur daran erinnert werden kann, dass das Gute – nicht
in ihm ist.
« Sofern ich aber das tue, was ich nicht will, bin nicht ich es, der jenes
vollbringt, sondern die in mir wohnende Sünde. » Also von meinem
Wollen aus gesehen: kein « Vollbringen des Rechten» ( 7,186–19). Dar
um zurück zum entscheidenden Gesichtspunkt: was wird getan ? Ant
wort: «Ich tue, was ich nicht will.» Keine Rede also davon, dass mein
ehrliches Wollen des Guten mich etwa rechtfertigte, so wenig wie
mein ehrliches Nicht- Wollen des Bösen (7,16-17 ). Sondern bestätigt
hat sich in zweiter Lesung mein eigenes Urteil über mich selbst: Nicht
ich bin es, der vollbringt. Ausgeschaltet und an die Wand gedrückt
muss ich dem zusehen, was in meinem Hause tatsächlich vollbracht
wird. Was bedeutet die Berufung auf meinen guten Willen anderes als
das Zugeständnis, dass – die Sünde in mir wohnt ? Sie tut. Sie voll
bringt. Ihr gelingt es. Das ist aber wiederum keine Entlastung für
mich, sondern eben mein selbstgesprochenes Urteil. Denn mit wel
chen Gründen sollte ich die Nicht- Identität des Ich, das vollbringt,
und des Ich, das nicht will, was jenes vollbringt, behaupten ? Die
al
1. Abdruck ( 1922²): «Das ist die».
am
1. Abdruck ( 19222): « beide» .
364
Wirklichkeit, auch die Wirklichkeit der Religion kennt nur Einen
Menschen, und der bin Ich, kein anderer. Und dieser Eine wohnt
offenbar wollend und nicht- vollbringend, nicht-wollend und voll
(249|bringend in den vier Wänden des Sündenhauses. Seine Sünde ist
zusammengefasst die Tatsache, von der die Wirklichkeit religiösen
Erlebens Kunde gibt.
V.21-23 Ergebnis: Ich finde also, dass das Gesetz darin seine
Wirklichkeit hat, dass mir, indem ich das Rechte tun will, das
Schlechte gelingt. Denn ich freue mich am Gesetze Gottes als in
nerlicher Mensch, sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern
im Kriege liegen mit dem Gesetz meiner Vernunft und mich ge
fangen nehmen unter das Gesetz der Sünde in meinen Gliedern.
« Ich finde also, dass das Gesetz darin seine Wirklichkeit hat, dass
mir, indem ich das Rechte tun will, das Schlechte gelingt.» Ein religi
öser Mensch sein heißt ein zerrissener, ein unharmonischer, ein un
friedlicher Mensch sein. Einig mit sich selbst könnte nur der sein, in
dem die große Frage seiner Einheit mit Gott noch nicht erwacht ist.
Wir alle verraten in unserm ganzen Tun und Gebarenan deutlich ge
nug, dass wir keineswegs mit uns selbst einig sind, und damit, wie sehr
wir beunruhigt sind durch Gott. Wohl denen, die das allenfalls ein
fältigen Herzens leugnen können. Möge es ihnen gelingen, sich vor
dem Erwachen jener Frage noch lange zu bewahren! Die Wirklichkeit
der Religion besteht darin , dass gegenüber dem, was ich will und nicht
vollbringe, vollbringe und nicht will, mein Ich, das Subjekt aller dieser
Prädikate, zu einer ganz und gar fraglichen Größe wird, zu einem X,
das nicht leben und nicht sterben kann. Kraft des Gesetzes, durch
welches ich Gott erkenne, will ich «das Rechte tun» . Und kraft des
Gesetzes, durch welches ich von Gott erkannt bin, «gelingt mir das
Schlechte» . Höchste Möglichkeit wird mir zur höchsten Verlegen
heit, höchste Verheißung zur höchsten Not, höchste Gabe zur höch
sten Bedrohung. Sollte man es glauben, dass Schleiermacher am Tage,
da er seine Reden über die Religion vollendet, «in einer Anwandlung
von Vaterfreude und Furcht vor dem Tode » finden kann, «daß es doch
schade wäre, wenn ich diese Nacht stürbe»49!? Als ob Sterben nicht
an
Druckmanuskript: «Gehaben».
49 Brief an Henriette Herz vom 14.4.1799, in: Aus Schleiermachers Leben. In
365
etwas sehr Naheliegendes wäre, nachdem man so eindringlich und
schön – über die Religion geredet hat! Sollte man es glauben, dass man
im Stande sein kann, den arglosen, im Grunde doch von Herzen nur
nach Ruhe verlangenden Menschen Religion zu empfehlen: als etwas
nicht nur Erträgliches, sondern Begrüßenswertes, Interessantes, Be
reicherndes! Religion als wertvolle Kulturergänzung oder auch als
Kulturersatz den mit der eigenen inneren Problematik aller Kultur
und Unkultur wahrhaftig gerade genug Beschäftigten aufzudrängen!
Religion triumphierend in Beziehung zu setzen zu Wissenschaft,
Kunst, Moral, Sozialismus' , 1250| Jugend, Volkstum , Staat, als ob es
nicht aus tausend Erfahrungen gewiss wäre, dass, wo immer das ver
hängnisvolle «Religion und ... » ernsthafte Gestalt gewinnt, kein Gras
mehr wächst! Und sollte man es glauben, dass die seltsamen Führer,
die das alles verkündigen, darin ihre Rechtfertigung haben, dass Mil
lionen und Millionen durchaus gerade so und nicht anders geführt
sein wollen, gerade nach der religiösen Möglichkeit greifen als nach
der Begründung oder doch Verbesserung oder doch tröstlichen Weihe
ihrer übrigen Möglichkeiten, gerade durch das Pathos der Unendlich
keit beflügelt sehen möchten ihr eigenes und sonstiges Pathos, gerade
damit sich etwas zugute zu tun hoffen, dass sie zu allem andern auch
noch fromm werden ! Aber die befremdliche Tatsächlichkeit dieses
Geschehens ändert nichts daran, dass sie alle, Führer und Geführte,
durch solches Tun den Ast ansägen, auf dem sie sitzen, das Haus
anzünden, in dem sie schlafen möchten, das Schiff anbohren, in dem
sie über dem Abgrund fahren. Wem an seiner persönlichen Ruhe, am
Briefen, Bd. 1 , hrsg. von L. Jonas und W. Dilthey, Berlin 1860º = Berlin/New
York 1974 ,S. 218 (Kritische Gesamtausgabe, s . Abt., Bd. 3 : Briefwechsel 1799–
1800, hrsg. von A. Arndt und W. Virmond, Berlin /New York 1992, S. 90,
Z. 26–32): « Wie es mir gestern Abend gegangen ist, ich alter Narr. Voll der
Religion habe ich mich schlafen gelegt und mich anderthalb Stunden im Bett
herumgetrieben ohne Schlaf. Es war nicht Erhitzung vom Arbeiten, denn das
war sehr langsam, ruhig und leicht gegangen; es war eine Anwandlung von
Vaterfreuden und Furcht vor dem Tode. Sehen Sie, zum erstenmale ist es mir
mit einer gewissen Lebhaftigkeit aufgefallen, daß es doch schade wäre, wenn
ich diese Nacht stürbe. »
so
Vgl. über das Thema «Religion und Sozialismus» z. B. Barths Vorträge
Jesus Christus und die soziale Bewegung ( 1911 ), V.u.kl.A. 1909–1914, S. 380–
417, und Evangelium und Sozialismus ( 1914), a.a.O., S. 729-733.
366
schönen Gleichmaß der Humanität, an der Stetigkeit menschlicher
Kultur (oder auch Unkultur) ehrlich gelegen ist, der wird sich mit
Lessing, Lichtenberg, Kant, Goethe, solange er irgend kann, gegen das
Hereinstürmen der Religion in seine Kreise zu verwahren suchen." Er
wird warnend seine Stimme erheben gegen die allzu Unumsichtigen,
die aus ästhetischen, historischen, sentimentalen oder politischen
Gründen die Deiche durchstechen und der Flut, die sie zuerst hin
wegspülen wird , einen Durchgang zu den Hütten und Palästen der
Menschen schaffen . Er wird damit auf alle Fälle mehr Einsicht und
Sachlichkeitverraten als jene angeblichenVirtuosen der Frömmigkeits2
(in Wahrheit ihre blutigsten Dilettanten ! ), die nicht wissend, was sie
tun, mit ihrer romantischen Freude an der Religion Geistern rufen,
die sie nicht beschwören werden . Er wird aber keinen Erfolg haben
mit seinem Bemühen; denn die religiöse Möglichkeit sitzt tiefer im
Menschen, als dass er davon lassen könnte, und die Kultur des mo
dernen Abendlandes ist wahrlich nicht die Potenz, ihn vor jener Mög
lichkeit zu beschützen. Mag er, der Wächter an der Pforte der Hu
manität, sich nur hüten, dass er nicht etwa in elfter Stunde selber noch
einen kleinen Frieden mit dem mit Recht gefürchteten Gegner schlie
Ben muss ! S4 Denn Religion ist der Gegner, der als treuester Freund
SI Vgl. Overbeck, Christentum und Kultur, S. 135 (OWN 6/1 ,S. 170).
52 Der Ausdruck « Virtuosen (der Religion)» spielt eine große Rolle in
Schleiermachers Reden, vgl. S. 190, Z. 15 ; S. 258, Z. 22f.; S. 270, Z. 18f.; S. 278,
Z. 25 ; S. 279, Z. 1.9; S. 282, Z. 29f.; S. 285 , Z. 11.27; S. 286, Z. 25 (Originalaus
gabe, S. 3.158.184.203–205.213.219f.222).
53 Möglicherweise denkt Barth hier neben Schleiermacher (siehe oben S. 367,
Anm. 52) an P. Natorp. Bei der Zusendung des 7. Kapitels an Thurneysen
schreibt er am 23.5.1921 , Bw.Th.1, S. 491f.: « Wie zu erwarten war, ist die ganze
Polemik gegen den Pietismus, die uns vor 3-4 Jahren so wichtig war, ver
schwunden, obwohl der Abschnitt bei den Rezensenten eine besonders gute
Note erhalten hatte, und die Mündung des Geschützes weist nun, steiler ge
richtet, auf einen ganz andern (Schleiermacher !] hin, der mir, sicher nicht ohne
höhere Zulassung, eben jetzt in die Hände geraten ist. Sogar was er nächtli
cherweise an seine Henriette geschrieben, als er über Religion fertig geredet,
wird ans Licht gezogen. Aber auch den bekehrten Natorp und andere Jahr
hundertgenossen sieht man im Hintergrund über die Bühne schreiten.»
54 Vgl. Overbeck, Christentum und Kultur, S. 299 (OWN 6/1 , S. 338): « Wir
Menschen wissen von einander nur als Gliedern einer Gesellschaft. In einer
solchen sind wir uns aber selbst nur denkbar als sterblich. Wir müssen als
367
verkappte Gegner des Menschen, des Griechen undao des Barbaren
( vgl. 1,14), die Krisis der Kultur und der Unkultur. Sie ist der gefähr
lichste Gegner, den der Mensch diesseits des Todes (abgesehen von
Gott) hat. Denn sie ist die menschliche Möglichkeit, zu gedenken,
dass wir sterben müssen (vgl. Ps. 90,12], die Möglichkeit Gottes zu
gedenken. Sie ist innerhalb der Welt der Zeit, der Dinge und des Men
schen der Ort, wo 1251 die Frage: Wer bist denn du ? in unerträglicher
Weise zum Ausdruckap kommt. «Das Gesetz Gottes wird dem Men
schen zur Verdammnis; denn in dem Maß, als sie unter dem Gesetz
sind, sind sie Knechte der Sünde und so des Todes schuldig» (Calvin )."SS
«Denn ich freue mich am Gesetze Gottes als innerlicher Mensch,
sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern im Kriege liegen mit
dem Gesetz meiner Vernunft und mich gefangen nehmen unter das
Gesetz der Sünde in meinen Gliedern .» Religion ist ausbrechender
Dualismus. Wer diesen Tatbestand durch monistisch klingende Flos
keln verhüllt, der ist «ihr ausgezeichneter Verräter » (Overbeck)s“ und
tut auch der Welt, der er damit zu Gefallen sein will, den denkbar
schlechtesten Dienst. Denn das Geheimnis, das er zuzudecken sich
ao
2. Abdruck ( 1923 '): «und» .
ap Druckmanuskript: «Ausbruch » .
Individuen einander Platz machen und dazu, zur Erfüllung dieses Schicksals
kann uns Tod mit seinen Waffen – Krankheit und dem Rest – helfen . Diese
Einsicht muß genügen, um uns ihm zu unterwerfen, und hat das Wort der
Religion nur irgend welche Wahrheit, daß Gott nichts über uns verhängt, das
über unser Vermögen geht, so kann uns auch das Können zu diesem Müssen
nicht fehlen . Das Sicherste bleibt, daß wir darüber, was wir zum Tode sagen,
nicht gefragt werden. Meint daher die Religion mit jenem Worte, daß uns
unbenommen ist, den Tod nur als unseren Begleiter zur endgültigen Ruhe uns
gefallen zu lassen, so entfällt auf jeden Fall für uns jeder Grund dazu, mit ihr zu
streiten. Ein Friedensschluß indessen, der uns von selbst bedenken läßt, ob wir
Menschen nicht weit genug sind, um mit dem Tode auch allein, ohne Religion,
fertig zu werden, dem wir unbedingt auf Gnade und Ungnade preisgegeben
sind.» In Barths Exemplar ist dieser Absatz teilweise unterstrichen. Zu Over
beck als « Wächter » vgl . oben S. 66, Anm. 30.
ss Calvin, col. 137: «quod lex Dei homines condemnat, id fit quia, quantisper
sub legis obligatione manent, peccati servitute premuntur: atque ita rei sunt
mortis » .
56
Vgl. Overbeck, Christentum und Kultur, S. 236 (OWN 6/1 , S.275 ), s.
oben S. 283, Anm. 31 .
368
bemüht, lässt sich nicht zudecken, und die mit Blumen umwundene
Dynamitpatrone wird eines Tages doch losgehen. Religion heißt Spal
tung des Menschen in zwei Teile: hier der « Geist» des innerlichen
Menschen, der sich am Gesetze Gottes erfreut (bin ich etwa identisch
mit diesem «Geist», bin ich etwa bloß «innerlich» ? Wer wagt es, das zu
behaupten ?), dort die « Natur» meiner Glieder, in der ein ganz anderes
Gesetz, eine ganz andere Möglichkeit, ein ganz anderes Stück Vitalität
sich zu Worte meldet, im Krieg liegt, Nein sagt zu dem «Gesetz der
Vernunft » und seinem Ja. Hier, in dieser auftauchenden Opposition,
in diesem Zweiten, in diesem Prinzip der Andersheit, verleiblicht in
meiner von der Seele geschiedenen Leiblichkeit, offenbar das Gesetz
aller Gesetze, die Möglichkeit aller Möglichkeiten: die Sünde, die
mich gefangen nimmt. (Bin ich nun etwa identisch mit dieser sünde
beherrschten «Natur» ? Wer wagte es, das zu behaupten ?) Innerlich
keit und Äußerlichkeit, Jenseits und Diesseits, Idealität und Mate
rialität kann man ja das Gegensatzpaar auch nennen. Aber wohin
gehörst denn duaq ? Wer bist denn du ? «Geist» oder «Natur» ? Du
kannst den «Geist» nicht verleugnen und nur «Natur» sein wollen;
denn das ist ja dein eigentümliches Wissen als religiöser Mensch (du
weißt von Gott!), dass Natur durchaus Geist sein will. Du kannst aber
auch die «Natur» nicht verleugnen und nur «Geist» sein wollen; denn
wiederum weißt du als religiöser Mensch nur zu gut (du weißt von
Gott!), dass Geist gerade und durchaus Natur sein will. So bin ich
beides ! möchtest du antworten , « Geist» und «Natur», Geistnatur,
Naturgeist vielleicht --! Versuch es mit solchen frechen Antizipatio
nen, und du wirst bald sehen, dass, was eins sein will, sich eben darum
durchaus nicht bloß nebeneinanderstellen, amalgamieren und ver
mählen lässt, sondern je toller du es treibst mit deinen 25 2 Ineinsset
zungen des Widerstrebenden, um so sicherer und schärfer folgt das
Auseinanderbrechen. Sondern hin- und hergehetzt bist du immer das
Eine oder das Andere und doch nie das Eine oder Andere ganz! Jetzt
das Eine, das durch das Andre, jetzt das Andre, das durch das Eine
ausgeschlossen ist – und doch nicht endgültig, nicht tödlich ausge
schlossen, sondern immer so, dass auch seine gründlichste Austrei
bung die schwache, aber aussichtsreiche Möglichkeit einer ebenso
gründlichen Wiederkehr offen lässt.
aq Druckmanuskript: « du » .
369
V.24-25a Ich unglückseliger Mensch ! Wer wird mich heraus
reißen aus diesem Leibe des Todes ? - Gott sei Dank durch Jesus
Christus unsern Herrn !
Wir stehen wieder dort, von wo wir am Anfang des Kapitels aus
gingen: Der religiöse Mensch ist «der Mensch, solange er lebt» (7,1 ):
dieser Mensch in dieser Welt, der menschenmögliche Mensch, den wir
allein kennen. Der Mensch, der nie sein soll, was er ist, und nie ist, was
er sein soll. Der Mensch, der in seinem sterblichen Leibe (vgl. 6,12;
8,11 ), mit dem er unzerreißbar und unabgrenzbar eins ist, die Erin
nerung mit sich herumträgt, dass er (kein anderer, er !) des Todes ist.
Wohin können uns alle Feststellungen über die Wirklichkeit der Re
ligion führen als zu dem gründlichsten Zweifel an der Möglichkeit
dieses Menschen ? Er kann ja wirklich nicht leben und nicht sterben!
Er hängt ja wirklich, gerade mit seiner Frömmigkeit, zwischen Him
mel und Erde ! Aber was hilft mir der gründlichste Zweifel an der
Möglichkeit dieses Menschen, wenn ich nun einmal dieser Mensch
bin, wenn alle psychischen Verrenkungen und alle dialektischen Um
kehrungen mir nicht hinweghelfen über die brutale Gegebenheit die
ses «Ich bin », wenn ich, gerade durch die religiöse Möglichkeit sehend
gemacht, keine andere Möglichkeit sehe als die Möglichkeit, dieser
Mensch zu sein ! « Ich unglückseliger Mensch! » Wissen wir jetzt, jetzt
endlich, was der Mensch ist? Und was die Wirklichkeit der Religion ?
Und wie weit weg von der Wirklichkeit der Religion jene Trium
phatorenstimmung, die an der Wiege dessen stand, was die Wortfüh
rer des 19. Jahrhunderts Religion zu nennen beliebten? Die Wirklich
keit der Religion ist das Entsetzen des Menschen vor sich selbst. –
Jesus Christus aber ist der neue Mensch jenseits des menschenmögli
chen Menschen, jenseits vor allem des frommen Menschen. Er ist die
Aufhebung dieses Menschen in seiner Totalität. Er ist der Mensch, der
aus dem Tode zum Leben gekommen ist (vgl. 1.Joh. 3,14]. Er ist
nicht ich, mein existentielles Ich, ich, der ich in Gott, in der Freiheit
Gottes bin. Gott sei Dank: durch Jesus Christus unseren Herrn bin
ich nicht der unglückselige Mensch, der ich bin.
V.25b Also so steht's: Ich als derselbe eine Mensch diene mit 253
der Vernunft dem Gesetze Gottes, mit dem Fleische aber dem Ge
setz der Sünde.
370
Der unglückselige Mensch, der ich bin . Wir müssen dem ganzen
Gewicht dieses « Ich bin» standhalten. Man wirft dieses Gewicht nicht
ab. Wahrhaftig nicht seine Geschichte «vor seiner Bekehrung» hat
Paulus hier erzählt. Was heißt «vor», wenn es sich bei der Bekehrung
um die Aufhebung diesesar Menschen in seiner Totalität handelt? Son
dern festgestellt hat Paulus, kongenial verstanden von den Reforma
toren, nicht verstanden von der mit pietistischer Brille lesenden neu
ern Theologie, sein Sein in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Die Wirklichkeit seines Seins «vor» und « nach » Damaskus ist diese
Wirklichkeit. Derselbe eine Mensch kraft des Gesetzes Gottes ge
spalten in zwei, die kraft des Gesetzes Gottes nicht zwei sein können.
Gestürzt in einen Dualismus, der seine eigene Widerlegung ist. Zer
schellt an Gott, ohne doch Gottes vergessen zu können. Wissen wir
jetzt, was die Freiheit Gottes, was seine Gnade ist ! ? | 2541
ar Druckmanuskript: « dieses» .
371
8. Kapitel
DER GEIST
DIE ENTSCHEIDUNG
8 , 1-10
V. 1-2 Jetzt also: kein Todesurteil über die, die im Christus Jesus
sind! Denn das Gesetz des Geistes des Lebens, das im Christus Jesus
offenbart ist, hat dich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und
des Todes.
« Kein Todesurteil über die im Christus Jesus. » Wovon haben wir
geredet ? Von der Religion als Menschenmöglichkeit oder – von der
Freiheit, die wir jenseits aller Menschenmöglichkeiten in Gott haben?
Von der Sünde oder – von der Gerechtigkeit? Vom Tode oder – vom
Leben ? Wer ist denn der Mensch, der zu vernehmen vermag, was wir
eben vernahmen von der Grenze, vom Sinn, von der Wirklichkeit der
Religion ? Woher kommt er ? Woher sieht er ? Woher weiß er? Wer sagt
ihm das alles ? Wer sagt ihm, dass er der Mensch ist ? Wir haben,
schon indem wir diese Frage aufwerfen (und sie besteht, bevor wir sie
aufwerfen !), den Zitterrochen des Sokrates berührt und seinen Schlag
empfangen' : dass der Mensch der Mensch ist, dieses seltsam Demü
tigende kann er sich offenbar nicht selbst sagen, sondern das muss ihm
gesagt sein, geantwortet sein, bevor er gerufen hat. Das ist offenbar
nicht von ihm gesucht, erdacht, gewollt und erarbeitet; denn das ist ja
nach seinem Inhalt die Voraussetzung alles seines Suchens, Denkens,
Wollens und Arbeitens. Der Ort, von dem aus der ganze geschlossene
Kreis als solcher zu sehen ist, kann selber nicht innerhalb des Kreises
liegen. Die Möglichkeit, das Menschenmögliche als solches in seiner
Beschränkung zu erfassen, ist offenbar – und wenn wir uns von Kant
' Die Metapher stammtaus Platons Dialog Menon, 80a 4–8 . Menon ver
gleicht die Wirkung, die von den Reden des Sokrates ausgeht, mit den elek
trischen Schlägen eines Zitterrochens. Barth hat die Metapher bereits 1919
verwendet in Bezug auf 1. Kor. 15 : Bw.Th.1, S. 350 (Brief vom 11.11.1919).
372
jeden Blick über das Beschränkende hinaus verbieten ließen, ja gerade
dann ! - eine ganz unerhört neue Möglichkeit. Der Mann, der sich
selbst schließlich nicht nur zu kritisieren, nicht nur zu missbilligen
und zu bedauern, sondern in seiner Totalität in Frage zu stellen im
stande ist, der Mann, der sich vor sich selbst entsetzta (7,24), dieser
Mann bin jedenfalls – nicht ich! Fragen wir aber weiter: Wer dann?
Was dann ?, so müssen wir uns klar machen, dass schon |255 mit dieser
Frage, selbst im Munde eines Müßiggängers und Spielers, ein radikal,
unwiderruflich und unumkehrbar Anderes in unsern Gesichtskreis
getreten ist. Wer und was immer «dann» sein möge: Es ist ein Jenseits
der Grenze unsres Menschenlebens, es ist eine Umkehrung seines
Sinnes, es ist seine verwandelte, totaliter aliter bestimmte Wirklich
keit; denn es ist in dieser unsrer eigenen Frage!) ein fremdes und doch
bekanntes, bekanntes und doch fremdes Auge, das uns schaut im
Diesseits, im unumgekehrten Sinn, in der unverwandelten Wirklich
keit unsres Lebens, in unsrer schlechthinigen Sündigkeit und Sterb
lichkeit. Mit der Frage nach dem Woher ? unsres durch die Einsicht
unsrer schlechthinigen Sündigkeit und Sterblichkeit charakterisierten
Wissens um uns selbst stoßen wir unmittelbar auf die Existentialität
des diesem Menschen gegenüberstehenden neuen Menschen. Er ist.
Diese Entscheidung ist, nicht in der Zeit, aber in der Ewigkeit, die der
Zeit Beschränkung ist, gefallen. Mag sie außerhalb jener Frage, mit der
wir den Zitterrochen , die die Zeit beschränkende Ewigkeit (nur als
solche ! ) berühren, tausendmal aufs neue gesucht werden, so ist sie
doch in und mit jener Frage ein für allemal gefunden und gegeben.
a Druckmanuskript: «ent-setzt».
b
с
2. Abdruck ( 1923 '): «ist».
2. Abdruck ( 1923 '): « umgekehrten ». Korrektur nach Druckmanuskript
und 1. Abdruck ( 1922²).
2
373
Jene Frage istd diese Antwort. Der Geist ist. Er ist das Ja, das (als sein
Nein!) jenes Wissen des Menschen von sich selbst aus sich entlässt! Er
ist - als dieses Nein - die Grenze, der Sinn, die Wirklichkeit des Men
schenlebens. Er ist also - als Ja - das Jenseits dieser Grenze, die Um
kehrung dieses Sinns, die neue Wirklichkeit. Das Wissen des Men
schen um sich selbst bezogen auf seinen Ursprung, in das Licht seines
Ursprungs gestellt, die in jenem Wissen vollzogene Relativierung aller
menschlichen Möglichkeiten, begriffen in ihrer eigenen Relativität
gegenüber dem Absoluten, das solcher Relativierung Möglichkeit ist,
der «unglückselige Mensch» (7,24), der ich bin, von oben, von außen
(und doch von mir selbst!) gesehen, erkannt in seiner schlechthinigen
Überragtheit durch einen ganz anderen Menschen, der ich nicht bin
(und paradoxerweise doch von mir selbst erkannt! ) - das ist's ! Also
bezogen, begriffen, gesehen und erkannt trifft uns das Todesurteil, in
dessen Schatten der religiöse Mensch, gerade er , sich und alles Fleisch
vorfindet, nicht. Denn also bezogen, begriffen, gesehen und erkannt
vernehmen wir das schnelle Brausen vom Himmel wie von einem
gewaltigen Wind, der das ganze Haus erfüllt (Act. 2,2), sehen wir die
heilige Stadt, das neue Jerusalem , von Gott aus dem Himmel herab
fahren (Apk. 21,2), sind wir «im Christus Jesus». Das heißt «im Chri
stus Jesus» sein: unsere Einbeziehung in die in Jesus als dem Christus
sich offenbarende Aufhebung dieses Menschen, in der er als neuer
Mensch begründet wird. Dieser neue (256 Mensch ist aus dem Tode
zum Leben gekommen (vgl. 1.Joh. 3,14] . Nehmen wir teil an seiner
Begründung, so trifft uns das Todesurteil, das jenen trifft, nicht mehr;
denn es ist schon vollstreckt.
«Denn das Gesetz des Geistes des Lebens im ChristusJesushat dich
freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. » Es gibt eine
Möglichkeit über allen Möglichkeiten, die eben darum nicht eine
Möglichkeit neben andern ist, sondern wie die Sünde, und indem sie
als Negation der Sünde an ihre Stelle tritt, der Generalnenner aller
andern Möglichkeiten. Es gibt ein ein für allemal Gegebenes, so sehr
einmal, dass es nur als das keinmal Gegebene am Rande alles Gege
benen erscheinen kann. Es gibt ein höchstes Gesetz, mit dem als der
d
2. Abdruck ( 19233): «ist».
e
2. Abdruck ( 19233 ) : « eine» .
374
Verfassung alle Gesetze stehen und fallen. Diese Möglichkeit, dieses
Gegebene, dieses Gesetz ist der Geist. Und der Geist ist das Neue, das
Existentielle, das Einmalige und Universale des im Christus offen
barten Lebens.
Wir reden vom Geist. Aberf kann man denn das ? Nein, das kann
man nicht; denn wir haben wohl viele Worte für die vielen Möglich
keiten, aber kein einziges Wort für diese, für die unmögliche Möglich
keit unsres Lebens. Warum schweigen wir denn nicht von ihm ? Wir
müssen auch von ihm schweigen; aber kompromittiert wird er durch
unser Schweigen sowohl wie durch unser Reden. Gedient ist ihm
durch Schweigen an sich so wenig wie durch Reden. Und es bleibt
dabei, dass er das Wort ist, das in unserem Reden wie in unserem
Schweigen verkündigt werden will. Nichtreden- und Nichtschwei
genkönnen, Reden- und Schweigenmüssen - wir sind dem Geist ge
genüber in einem letzten Gedränge, wie wir uns auch wenden und
drehen mögen, und einen eindeutigen Ausgang aus diesem Gedränge
gibt es nicht. Mögen wir zusehen, dass unser Reden zu seiner Zeit
geschehe und unser Schweigen zu seiner Zeit (vgl. Pred. 3,7), um zu
gleich einzusehen, dass, wenn wir das Rechte treffen, nicht wir es sind,
die das Rechte getroffen haben (nicht wir als religiöse Redner oder
Schweiger! ), dass der Geist selber dann geredet oder geschwiegen hat.
Wir haben den Geist. Wer auf die Existentialität des Geistes ge
stoßen ist, der ist eben damit auf seine eigene Existenz in Gott ge
stoßen. Wir können, wir wollen nicht leugnen, nicht verbergen, nicht
verundeutlichen , dass wir das Brausen vom Himmel gehört (vgl. Act.
2,2], das neue Jerusalem gesehen (vgl. Apk. 21,2], die ewige Entschei
dung gefunden haben, dass wir «im Christus Jesus» sind. Aber was
heißt «gesehen», «gehört», «sind» ? Was heißt «wir haben» ? Ob wir
das «wir » oder das «haben» betonen, wir bewegen uns damit, gerade
damit|257 typisch auf dem Gebiet der Religion. Wir meinen nicht den
Geist, sofern wir ihn mit « wir» und mit «haben» in Verbindung brin
gen . Und müssen es doch, weil wir nicht anders dürfen und auch nicht
anders – können. Sagen wir es nicht, so denken wir es doch, denken
wir es nicht, so fühlen wir es doch: wir haben den Geist. Das Unzu
h Druckmanuskript: « gegenüberzutreten ».
i Druckmanuskript: « nicht».
} Der Begriff «actus purus » (bzw. « purissimus») als Bezeichnung der Wirk
lichkeit Gottes ist Gemeingut der scholastischen und der reformiert-ortho
doxen Theologie; siehe z. B. Thomas von Aquino, Summa Theologiae, I q.3 a.2
c.: «Deus est purus actus, non habens aliquid de potentialitate»; HPB 43.54.
376
rerseits das Paradoxon entsprechen, dass wir uns unterwinden, mit
ihm zu rechnen, als wäre er Etwas neben Anderem, als wäre er Ur
sache, dass wir also auf ihn warten, um ihn bitten, eigenes, eigenartig
bestimmtes Tun ihm zutrauen, seinem Walten stille halten“, Sorge tra
gen, ihn nicht zu betrüben (vgl . Eph. 4,30), ihn anbeten als dritte
Person der Gottheit. Mag solche Haltung in jedem einzelnen Augen
blick darin bestehen müssen, sich selbst aufzuheben, wir können und
dürfen uns doch der Notwendigkeit (258| nicht entziehen, in jedem
einzelnen Augenblick eine der höchst existentiellen Tatsache des
Geistes irgendwie entsprechenwollende Haltung einzunehmen. Mö
gen wir's wissen, dass keine menschliche Haltung dem Geist tatsäch
lich entspricht, vielleicht dass gerade dann der Geist uns entspricht,
für uns einsteht, uns als die nicht zu Rechtfertigenden rechtfertigt.
Lieber als die Sünde gegen den heiligen Geist (vgl. Mt. 12,31 par.]
wählen wir noch einmal das nicht zu rechtfertigende religiöse Tun .
Der Geist redet, handelt, wirkt. Du weißt nicht, was das heißt ? Ja
und ich weiß nicht, was ich damit sage. Aber er hat schon geredet,
gehandelt, gewirkt, so gewiss er der Gesamtheit dessen, was ich sagen
und du hören kannst, gegenübergetreten (und wäre es nur in unsrer
gemeinsamen Frage gegenübergetreten !) ist als das radikal Andere. Du
stehst mit mir vor vollendeten Tatsachen. Nur um ihre Deutung, nicht
um ihre Realität kann sich unsre Verlegenheit bemühen. Der Geist «hat
dich freigemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes ». Dich, exi
stentiell dich! Die im Christus Jesus geschehene Wendung, Drehung,
Umkehrung ist die deinige. Die in ihm gegebene Möglichkeit ist deine
Möglichkeit. Das in ihm erschienene Leben (vgl. 1.Joh. 1,2] ist dein
Leben. Das Gebiet deines Redens, Handelns, Wirkens ist umgeben von
dem eines unübersehbar und unvergleichlich Andern. Relativ, bezo
gen auf das Gesetz aller Gesetze, ist das von dir selbst als das Gesetz
deiner Sünde und deines Todes eingesehene Gottesgebot. Du sün
digst - an der Gerechtigkeit dieses Andern. Du stirbst - am Leben
dieses Andern . Dein Nein ist Nein nur am Ja dieses Andern. Wo
bleibt deine Sünde, wo bleibt dein Tod, wo bleibt dein Nein, wenn dir
im Christus Jesus ihre Relativität diesem Andern, diesem ganz und gar
377
Andern Gottes gegenüber offenbar wird ? Kein Relativum bleibt, das
nicht zur Bezogenheit, kein Konkretes, das nicht zum Hinweis, keine
Gegebenheit, die nicht zum Gleichnis würde. Du bist frei – in der
Erkenntnis deiner Gefangenschaft. Du bist gerecht - in der Erkenntnis
deiner Sünde. Du lebst – in der Erkenntnis deines Todes. Der Geist
macht dich frei, gerecht, lebendig. Denn der Geist ist die Erkenntnis.
Der Geist ist das ewig Gefundene, ohne das wir, unter das Gesetz der
Sünde und des Todes getan, wie wir sind, nicht suchen würden . «Mit
dem lebendigen Feuer schreibt er das Gesetz Gottes in unser Herz»
und ist eben darum nicht Lehre, sondern Leben, nicht Wort, sondern
6
das Wesen, nicht Zeichen, sondern die Fülle selbst» (Luther).
V. 3-4 Denn es geschah das dem Gesetz Unmögliche, das, wozu
es sich als zu schwach erwies wegen des Widerstandes des Fleisches:
Gott sandte seinen eigenen Sohn, im Gleichnis des sündebe
herrschten Fleisches und der Vernichtung der Sünde wegen, und
sprach so (259| der Sünde das Todesurteil mitten im Fleische, damit
die Gerechtigkeit des Gesetzes erfüllt werde an uns, die wir nicht
nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geiste.
« Es geschah das dem Gesetz Unmögliche, das, wozu es sich als
schwach erwies wegen des Fleisches. » Was ist dem Gesetz unmöglich?
Wir hören es nachher: der Sünde das Todesurteil zu sprechen. Oder wie
wir eben gehört haben: den Menschen in Freiheit zu setzen, ihn auf
ewigen Grund zu stellen, das über ihn ausgesprochene Todesurteil auf
zuheben. Alle Religion kann nichts daran ändern, dass das Tun dieses
Menschen in dieser Welt ohne Gott getan ist. Sie kann die Gottlosigkeit
nur aufdecken in ihrer vollen Blüte. Denn Religion ist als ein bestimm
s Vgl. B. Pascal, Pensées ( 1670), Fragment 751 (Ph. Sellier) (919 [L. Lafuma),
553 [L. Brunschvicg]), in : Pensées, opuscules et lettres, hrsg. von Ph. Sellier
(Bibliothèque du XVIIe siècle 2), Paris 2010, S. 604: «Console-toi, tu ne me
chercherais pas si tu ne m'avais trouvé.» Vgl. Bernhard von Clairvaux, De
diligendo Deo, VII, PL 182, 987C: «nemo te quaerere valet, nisi qui prius
invenerit» .
6
Eberle, S. 122 (in Barths Exemplar unterstrichen): Vom Mißbrauch der
Messe ( 1521 ), WA 8,539,27f.; 540,1-3 (entsprechend, orthographisch moder
nisiert, bei Eberle): «Denn das lebendige wort Christi, wenn mans prediget,
gibt den geyst, welcher mit dem lebendigen fewr schreybt das gesetz gotts ynn
unßer hertz». «Alſo ist das gesetz Christi nicht lere, ſonder leben, nicht wortt,
Bonder das weßen, nicht tzeychen, Bondern die fulle selbs.»
378
tes Sein, Haben und Tun des Menschen Fleisch. Sie nimmt Teil an der
Verworrenheit und wesentlichen Weltlichkeit alles Menschlichen. Sie
ist seine höchste Spitze, seine Vollendung, aber nicht seine Überwin
dung, nicht seine Erneuerung. Auch nicht als urchristliche Religion.
Auch nicht als Religion des Jesaja oder der Reformatoren. Kein Zufall
der Geruch des Todes zum Tode (vgl. 2. Kor. 2,16 ), der gerade von den
(wirklichen !) Gipfeln der Religion scheinbar unvermeidlich auszuge
hen pflegt: die plattfreisinnige Bürgerlichkeit, die etwa Zwingli, der
giftige Überpietismus, den Kierkegaard, die hysterische Zerrissenheit,
die Dostojewski, die allzu große Gemütlichkeit, die Blumhardt, Vater
und Sohn, offenkundig um sich verbreitet haben. Wehe, wenn von den
Gipfeln der Religion allenfalls nur Religion ausgeht! Sie befreit nicht,
sie nimmt gefangen, schlimmer als irgend etwas anderes gefangen neh
men kann. Fleisch ist Fleisch. Was im Fleische geschieht, was vom
Menschen aus in der Richtung auf Gott hin unternommen wird, das ist
als solches «schwach» . Religionsgeschichte, Kirchengeschichte ist
«schwach» im absoluten Sinn. Sie ist es kraft des unendlichen qualita
tiven Unterschieds von Gott und Mensch. Sie ist als menschliche, ganz
und gar menschliche Geschichte Fleisch. Sie ist Fleisch, auch wenn sie
sich selbst drapiert als « Heilsgeschichte» . Und alles Fleisch ist wie
Gras. Das Gras ist verdorrt und die Blume ist abgefallen. Aber das
Wort unsres Gottes bleibt ewiglich (vgl. Jes. 40,6-8 ).
« Gott sandte seinen eigenen Sohn. » Das ist das Wort Gottes. « Got
tes eigener Sohn» ist Jesus Christus. Um die göttliche Einmaligkeit
und Existentialität handelt es sich. Ihre Verkündigung ist das befrei
ende Wort, das die Religion nicht findet. Ihr Verkündiger ist «Gottes
eigener Sohn» . Jesus, das ist Gottes Existentialität, beleuchtet durch
seine Einmaligkeit. Darum Durchkreuzung alles Rationalismus durch
das Skandalon der geschichtlichen Offenbarung des Christus. Gott ist
nicht «notwendige Vernunft- 260 wahrheit» ?. Seine Ewigkeit ist nicht
die ungefährliche, unparadoxe, direkt zu bejahende Stetigkeit allge
7 G.E. Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft ( 1777), Werke
und Briefe, hrsg. von W. Barner u.a., Bd. 8 (Bibliothek deutscher Klassiker,
Bd. 45), Frankfurt a.M. 1989, S. 441 : «Wenn keine historische Wahrheit de
monstrieret werden kann: so kann auch nichts durch historische Wahrheiten
demonstrieret werden. Das ist: zufällige Geschichtswahrheiten können der
Beweis von notwendigen Vernunftswahrheiten nie werden . »
379
meiner Ideen (Gottesidee, Christusidee, Mittleridee' u. dergl.). Und
seine Allmacht ist nicht die Notwendigkeit einer logisch -mathema
tischen Funktion. Sondern Gott ist Persönlichkeit, der Einmalige, der
Einige, der Einzigartige und als solcher der Ewige und Allmächtige,
nichts sonst. Des zum Erweis Jesus, der menschliche, der geschicht
liche Jesus. Aber Jesus ist der Christus. Das ist Gottes Einmaligkeit,
beleuchtet durch seine Existentialität. Darum allem gläubigen und
ungläubigen Historismus und Psychologismus zum Trotz das Skan
dalon einer ewigen Offenbarung in Jesus, einer Offenbarung dessen,
was wahrlich auch schon Abraham und Plato sahen. Gott ist keine
« zufällige Geschichtswahrheit », sein Tun entzieht sich mit einem
schroffen Niemals ! und Immer ! allem Mythologisieren und Prag
matisieren, allem Geschichtenerzählen. Gottes Liebe durchschlägt
gerade in Jesus alle historisch-psychologischen Indirektheiten, Mit
telbarkeiten, alles Gebundensein an Dies und Das, Hier und Dort. Als
der Ewige und Allmächtige ist er der Einmalige und Einzige, nichts!
sonst. Des zum Erweis Jesus der Christus, der ewige Christus. Dort
wo die Wege sich kreuzen, steht Gottes eigener Sohn, nirgends sonst.
Gott sendet ihn: aus dem Reich der ewigen, der nicht gefallenen, der
uns unbekannten Welt des Anfangs und des Endes, also (wahrhaftig,
nun soll kein Orthodoxer zustimmend frohlocken !) « gezeugt, nicht
geschaffen »' (im Gegensatz zu allem, was wir als Kreatur kennen),
also «geboren aus Maria der Jungfrau » 10 (als Protest gegen die ange
maßte Ewigkeit des uns bekannten Systems von Menschheit, Natur
und Geschichte), also «wahrer Gott und wahrer Mensch »" (als Do
kument der ursprünglichen, verlorenen, nicht zu verlierenden Einheit
von Gott und Mensch). Gott sendet ihn: in diese unsre zeitliche, ge
fallene, nur zu bekannte Welt, in dieses letztlich nur nach biologischen
i Druckmanuskript: «Einzige».
*1 Druckmanuskript: «nicht».
Druckmanuskript: «nicht». Im Druckmanuskript von fremder Hand in
« nichts » verändert.
8
Diese Redeweise geht vielleicht zurück auf D.Fr. Strauß, Das Leben Jesu,
kritisch bearbeitet, Bd. 2, Tübingen 1836, s. oben S. 219, Anm. 26.
9 Symbolum Nicaeno-Constantinopolitanum, DH 150: «genitum, non fac
tum » .
10
II
Symbolum Apostolicum, DH 30: «natus ex Maria virgine».
Symbolum Chalcedonense, DS 301 : «deum vere et hominem vere».
380
Kategorien zu deutende System, das wir die Natur, in dieses letztlich
nur unter ökonomisch -materialistischen Gesichtspunkten verständ
liche System, das wir die Geschichte heißen, in diese Menschheit, in
dieses Fleisch also . Jawohl: das Wort ward Fleisch, «sündebeherrsch
tes Fleisch » sogar, wie wir nachher hören. Gott sendet ihn : Nicht um
hier irgend etwas zu verändern, nicht um das Fleisch durch Moral zu
verbessern, durch Kunst zu verklären, durch Wissenschaft zu ratio
nalisieren, durch die Fata Morgana der Religion zu überhöhen, son
dern um des Fleisches Auferstehung zu verkündigen, den neuenMen
schen, in dem Gott sich erkennt als in seinem Ebenbild und der in
Gott als in seinem Urbild sich selber erkennt; die neue Welt, in der
Gott nicht erst zu siegen braucht, weil er schon gesiegt hat" , in (261|
der er nicht Etwas neben Anderem ist, sondern Alles in Allem (vgl.
1.Kor. 15,28]; die neue Schöpfung, in der Schöpfer und Geschöpf
nicht zwei, sondern eins sind . - Daran mögen wir uns beständig prü
fen, ob wir von der Sendung des Sohnes Gottes recht reden: wenn
nicht jeder möglichen menschlichen Betrachtungsweise an einem be
stimmten Punkt ihr spezielles echtes und kräftiges Ärgernis geboten
ist, dann haben wir sicher von etwas anderem geredet.
Denn Gott sandte seinen Sohn « der Sünde wegen ». Darum muss
das Wort Gottes, wenn es recht geredet wird, allen andern Worten
immer mindestens um eine Pferdelänge voraus sein, darum ist die
Sendung des Gottessohnes nur in kräftigsten Negationen zu um
schreiben, nur als Paradoxon zu verkündigen, nur als das absurdum,
das als solches das credibile " ist, zu begreifen , weil sie die göttliche
Reaktion gegen die Sünde ist. Das Ärgernis, das sie uns gibt, ist der
Reflex des Ärgernisses, das wir für Gott sind. Sie ist die Umkehrung
dessen, was wir als Menschheit, Natur und Geschichte kennen, darum
innerhalb jedes vorstellbaren Systems nur als Verneinung seines Aus
gangspunktes zu begreifen . Sie ist die göttliche Antwort auf die durch
12
Vgl. H. Barth, Gotteserkenntnis ( 1919), in: Vorträge an der Aarauer Stu
dentenkonferenz 1919, Basel 1919, S. 35-79, dort S. 79 = Anfänge I, S.255: «In
königlicher Souveränität, in unvergleichbarer Freiheit tritt das Göttliche auf in
der Menschheit, als ein Zeugnis, das der Anerkennung nicht bedarf, als eine
Wahrheit, die unbekümmert um alles Geschehen zu Recht besteht, als eine
Sache, die nicht einmal zu siegen nötig hat, weil sie schon gesiegt hat.»
13 Siehe oben S. 156.
381
die Herrschaft der Sünde bedingte letzte und unauflösliche Frage die
ses Menschen in dieser Welt, darum diesem Menschen in dieser Welt
nie in seinen eigenen Antworten, auch nicht in seinen als vorletzte,
auflösliche Fragen verkleideten Antworten, sondern wirklich nur in
seiner letzten unauflöslichen Frage gegeben. Sie ist die Gerechtigkeit
Gottes selbst, Gottes allein, die als solche der letzten möglichen Be
stimmung des Menschen, seiner wesentlichen Sündigkeit, siegreich
überlegen gegenübertritt, darum selber keine menschliche Bestimmt
heit, Gerechtigkeit, Größe, mkein in irgend eine menschliche Rech
nung einzustellender Faktor, kein in irgend ein menschlich in sich
gerundetes Bild passendes Datum” – von uns aus gesehen vielmehr
immer nur als das Überzählige, Zweifelhafte, Problematische am
Rand, an der Peripherie alles rational oder pragmatisch Möglichen
festzustellen : als das Nicht-Feststellbare.
Denn Gott sandte seinen Sohn im Gleichnis « des sündebeherrsch
ten Fleisches ». Also nicht als unmittelbare Mitteilung und Setzung
paradiesischer Unschuld, paradiesischen Lebens erfolgt diese Sen
dung. Sie kann nicht. Sie darf nicht. Sie erfolgt ja «der Sünde wegen» .
Erfolgte sie unmittelbar, in direkter Feststellbarkeit ihrer Göttlich
keit, so wäre sie nicht, was sie ist: göttliche Umkehrung, Antwort,
Gerechtigkeit, sie wäre dann nicht das dem ganzen menschlichen Be
reich gegenüberstehende und ihn aufhebende Andere Gottes, sondern
innerhalb dieses Bereiches ein Zweites neben einem Ersten, eine von
den die rohe nüchterne Wirklichkeit (262| dieses Bereiches schaum
kronenartig überhöhenden Ideologien und Illusionen. In Wahrheit ist
sie so sehr das Andere gegenüber diesem Bereich, dass sie in ihm nur
ohne alle Andersheit, nicht als ein Zweites, nicht in Form einer Über
höhung der übrigen Erscheinungen dieses Bereichs auftreten kann.
Sie ist gegenüber der Wirklichkeit und ihren sämtlichen möglichen
Überhöhungen die schlechthin überlegene Wahrheit und eben darum ,
und das ist die «göttliche Hinterlist» (Kierkegaard )' , keine als solche
m-m
Druckmanuskript: «kein in irgend einemenschliche Rechnung einzustel
lender Faktor, kein in irgend ein menschlich in sich gerundetes Bild sich ein
fügender Sektor». I. Abdruck ( 1922²): « [...] einzustellender Faktor, [...] sich
einfügender Faktor» . Korrektur in Barths Handexemplar. Diese oben in den
Text übernommene Korrektur ist im 2. Abdruck (1923 ) unrichtig ausgeführt
worden: «kein in irgendeine menschliche Rechnung passendes Datum , kein in
irgendein menschlich in sich gerundetes Bild sich einfügender Faktor».
14 Kierkegaard, Abschließende Nachschrift, S. 317 (SKS 7, S. 223).
382
unmittelbar anzusprechende besondere Wirklichkeit. Ist sie eine sol
che, dann nur durch Offenbarung Gottes als solche kenntlich, nicht
sonst. Hüten wir uns also vor «der undialektisch faselnden Klimax des
Pfarrergeschreis: in dem Grade war Christus Gott, dass man es sofort
und direkt sehen konnte » ' , vor dieser Blasphemie, bei der man «ohne
Furcht und Zittern vor der Gottheit, ohne den Todeskampf, der die
Geburt des Glaubens ist, ohne das Schauern, das bei der Anbetung das
erste ist, ohne den Schrecken vor der Möglichkeit des Ärgernisses das
sogleich direkt zu wissen bekommt, was nicht direkt gewußt werden
kann» to, «anstatt zu sagen: er war wahrer Gott und darum in dem
Grade Gott, daß er in der Unkenntlichkeit war» (Kierkegaard) ' 7. Kei
ne Sendung des Sohnes Gottes anders als «im Gleichnis des sünde
beherrschten Fleisches», in der Knechtsgestalt, in der Unkenntlich
keit, im Inkognito: Jesus Christus war kein «solch öffentlich ernster
Mann, beinahe so ernst wie der Pfarrer » ( Kierkegaard ) , gerade das
nicht! – Im Gleichnis des sündebeherrschten Fleisches offenbart sich
seine wahre Gottheit sowohl wie seine wahre Menschheit, d. h. aber
SO, dass es dem Beschauer immer freisteht, beides auch als besondere
Kräftigkeit seines Gottesbewusstseins" , als religiös-sittlichen Hero
ismus (und das ist's offenbar, was bei jenem Pfarrergeschrei zum Lobe
Jesu gemeint ist ! ) oder auch als Mythologie antiker Volksreligionen,
Is Kierkegaard, Einübung, S. 115 (SKS 12, S. 133 ).
16
Kierkegaard, Einübung, S. 121f. (SKS 12, S. 139): « Wenn man sich nur die
Mühe macht so in direkter derber Gemütlichkeit zu ihm zu sagen <sag mir nun
einmal im Ernst), so bekommt man ohne Furcht und Zittern [...] vor der Mög
lichkeit des Ärgernisses, man bekommt das sogleich direkt zu wissen, was
nicht direkt gewusst werden kann».
17 Kierkegaard, Einübung, S. 115 (SKS 12, S. 133 ); erste Hervorhebung von
Barth .
18
Vgl. Kierkegaard, Einübung, S. 121 (SKS 12, S. 139): «Der Juden ein Är
gernis, Griechen eine Torheit war, das Mysterium, durch das alles offenbar
wurde, aber im Mysterium: den macht man menschlich zu solch einem öffent
lich ernsten Manne, beinahe ebenso ernst wie der Pfarrer.»
19 Die «Kräftigkeit des Gottesbewußtseins» Jesu ist der Schlüsselbegriff der
Christologie von Schleiermachers Glaubenslehre; s. Der christliche Glaube,
Bd. 2, S 94,2, S. 54, Z. 23f.26 – S.55 , Z. 2: «Für diese eigenthümliche Würde
Christi aber ist [...] der Ausdrukk unseres Sazes der einzig angemessene, indem
Christo ein schlechthin kräftiges Gottesbewußtsein zuschreiben, und ihm ein
Sein Gottes beilegen, ganz eines und dasselbe ist. »
383
wenn nicht als akute Paranoia2° aufzufassen. So auch seine Sündlosig
keit: sie ist in ihrer Offenbarung in Jesu Tun und Lassen wahrlich
ebenso leicht und ebenso handgreiflich wie bei uns (leichter als bei
allen Bessern, Gediegeneren, Frömmeren unter uns ! ) zu bestreiten,
entgegen ihrer heimlichen Behauptung durch den in diesem Tun und
Lassen redenden Gott, und sie ist tatsächlich von Jesu unbefangenen
Zeitgenossen (die noch nicht wussten, was wir zu wissen - meinen!)
aufs unzweideutigste bestritten worden ( vgl. z.B. Mt. 11,19; Joh.
9,24 ). So auch seine Wunderkraft: sie ist allen psychologischen, hi
storischen, medizinischen, geheimwissenschaftlichen Deutungsver
suchen durchaus preisgegeben. So auch sein Bußruf: es besteht keine
Unmöglichkeit, die Bergpredigt moralisch, idealistisch, religiös
romantisch, religiös-sozial zu halten und zu hören wie so | 263 | manche
andre Feld-, Wald- und Wiesenpredigt. So auch sein Sendungsbe
wusstsein, sein seelisches Verhältnis zu Gott, seine Reichsbotschaft:
warum soll dazu nicht jüdische Eschatologie den Schlüssel bieten,
warum nicht Psychoanalyse, warum nicht historischer Materialis
mus ? So auch sein Todam Kreuz: man kann ja sagen, was dieJuden auf
Golgatha sagten (vgl. Mt. 27,38-43 par.); man kann ja feststellen , dass
hier ein Schwärmer in Verzweiflung gestorben ist; man kann sich ja
dem Stachel dieses Ereignisses dadurch entziehen, dass man auf seine
religionsgeschichtlichen Parallelen verweist. So auch seine Auferste
hung: was sollte die gläubigen und ungläubigen Theologen hindern,
sie in edlem Wettstreit nach Analogie anderer, ihrem Geiste mehr oder
weniger plausibel scheinender Vorgänge zu deuten ? was den Kenner
höherer Welten ” , ihr Geheimnis als erwünschtes Wasser auf seine
Mühle zu leiten ? Und was D. Fr. Strauß, sie als «welthistorischen
Humbug» zu erklären ? 2 – Welche geschichtliche Erscheinung stünde
20 Mit dem von dem Zürcher Schriftsteller J. Kreyenbühl (Jesus und die
Psychiatrie, in: Aargauer Tagblatt, 67.Jg., Nr. 243 vom 7.9.1913, S. 1f.) vorge
tragenen Gedanken, Jesus müsse, falls überhaupt eine historischen Gestalt,
nach dem Jesusbild der Evangelien psychisch abnormal gewesen sein, hatte
sich Barth 1913 in einem Gegenartikel auseinandergesetzt: Noch einmal:Jesus
und die Psychiatrie, V.u.kl.A. 1909–1914, S. 563-971 .
21 Siehe oben S. 137, Anm. 19.
22 D.Fr. Strauß, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniß ( 1872), Ge
sammelte Schriften, Bd. 6, Bonn 1877, S. 47: «Historisch genommen, d. h. die
384
so wehrlos da gegenüber jedem klugen oder törichten Einfall, jeder
Deutung und Missdeutung, jedem Gebrauch und Missbrauch, welche
so unansehnlich, so zweideutig, so missverständlich wie die ge
schichtliche Erscheinung von Gottes eigenem Sohn? Kein Punkt in
seinem uns bekannten Leben, wo es anders stünde. Kein Punkt, wo es
etwa ausgeschlossen wäre, Ärgernis zu nehmen, wohl aber hundert
Punkte, wo es fast unvermeidlich ist, das zu tun, hundert Punkte, wo
die rührende Naivität moderner Theologie nur ausplaudern kann das
Missliche, das bitter Selbstverständliche, dass «wir hier anders emp
finden als Jesus », «Sündenbeherrschtes Fleisch»: Menschlichkeit,
Weltlichkeit, Geschichtlichkeit, Natürlichkeit, in allen Farben schil
lernde Fraglichkeit, Tummelplatz für die erhabensten wie für die ab
surdesten Betrachtungsmöglichkeiten, mit allerlei Steinen, an denen
schließlich jede in ihrer speziellen Weise zu Falle kommt - das ist das
« Leben Jesu», mehr als irgend ein anderes Leben. Und es muss das
sein. Blasphemie ist nicht das Ärgernis, das wir alle an Jesus nehmen,
der eine hier, der andere dort, wohl aber die Meinung, ohne Ärgernis
zu nehmen, mit ihm auskommen, von ihm reden und hören zu kön
nen .
386
o q rakeinem menschlich positiven Prädikate zu verherrlichen . Er ist
der, der die Blase end - 265|gültig aufgestochen hat. «Er hat Sünde mit
Sünde verdammt, Tod mit Tod verjagt, Gesetz mit Gesetz überwun
den. Wie das ? Er ward ein Sünder am Kreuz, mit dem Titel, mitten
unter den Buben, als ein Erzbösewicht, leidet das Gericht und Strafe,
die ein Sünder leiden soll» (Luther).23
Eben diese so bestimmte Sendung des Sohnes Gottes hat nun aber
zum Zweck und hat schon erreicht den Zweck, dass die Gerechtig
keit des Gesetzes erfüllt werde an uns, die wir nicht nach dem Fleische
wandeln , sondern nach dem Geist » . Sofern wir im Sohne Gottes uns
selbst wiedererkennen und also in ihm aufgehoben sehen unser
Fleisch, gerichtet unsre Sünde, sehen wir das ewig Entschiedene, das
ewig Gefundene: die Existentialität des neuen, in Gott lebenden Men
schen. Wir sind ja dann in der unerhörten Lage, uns selbst in Frage zu
stellen und eben mit dieser Frage (die offenbar eine an uns gerichtete
Frage eines andern ist! ) auf ewigen Grund zu stoßen. Wir sind ja dann
mit Christus bezogen, begriffen und erkannt von Gott, wir haben ja
dann die Möglichkeit über allen Möglichkeiten, die unmögliche Mög
lichkeit, « nach dem Geiste» zu wandeln . Nicht mehr «nach dem Flei
sche» ? Gewiss, wir haben und behalten auch diese Möglichkeit, aber
was will das heißen, wenn nun eben diese auf der Hand liegende Mög
lichkeit als solche zur Relativität, zum Gleichnis herabgedrückt, nein
erhöht wird ? Unser «Wandel », unser letztes zentrales Bestimmtwer
den, unser qualifiziertes Dasein und Sosein geschieht kraft der Er
kenntnis des Sohnes Gottes «nach dem Geiste» . Der Sohn Gottes, der
Herr, in dem wir uns selbst wiedererkennen als seine Verwandten im
Gleichnis seines Todes (nämlich in unserm Tode 6,5 ) er ist ja die
Wendung, die Umkehrung, die Entscheidung, der göttliche Sieg, er ist
ja das ganz und gar Andre Gottes, er ist ja der Geist (2. Kor. 3,17). Wie
sollten wir den Geist nicht haben, wie sollten wir nicht versetzt sein in
das Reich dieses geliebten Sohnes Gottes (Kol. 1,13 ), in das Jenseits
der Grenze unsres Menschenlebens, in die Umkehrung seines Sinnes,
0-0
Druckmanuskript: «keinen menschlich positiven Prädikaten» .
23 Eberle, S. 122 (in Barths Exemplar unterstrichen ):Evangelium am Sonn
tag Trinitatis. Joh. 3,1-15 (Crucigers Sommerpostille), WA 21,549,22–25
(Eberle: « Titel, mitten»; WA: «titel: mitten»).
387
in seine verwandelte neu gewordene Wirklichkeit, sofern wir in die in
seiner Sendung gestellte letzte unauflösliche Frage und eben damit in
ihre Beantwortung hineingerissen sind? Und wie sollte unser «Wan
deln im Geiste», das in solch unübersehbarer, unaufhaltsamer und
unwiderruflicher Wendung sich ereignet, unserm vor dieser Wendung
sich abspielenden Leben im Fleische nicht schlechthin überlegen sein ?
Wie sollte das Fleisch, in Christus herausgestellt in seiner Gleichnis
haftigkeit, in seiner vergänglichen Gegebenheit und in seiner unver
gänglichen Hoffnung, nun noch als eigene Potenz seinen Weg gehen
und nicht|266 vielmehr (in Hoffnung) teilnehmen an dem Weg des im
Geiste frei gewordenen Menschen ? «Es vergehe diese Welt und es
komme dein Reich! »24 Das ist die Wahrheit, unter der wir, nein, unter
der Menschheit, Natur und Geschichte stehen kraft der Sendung des
Gottessohnes. Und eben das ist die « Erfüllung der Gerechtigkeit des
Gesetzes an uns», die Lösung des innerhalb der religiösen Möglich
keit unlösbar gestellten Problems der Freiheit, die Aufhebung des
Todesurteils über den Menschen, das auch die höchste Religion nur –
bekräftigen kann . Das in Christus (an Christus!) vollzogene Gericht
über die Sünde ist die Offenbarung der in der Religion immer gesuch
ten, nie erreichten Gottesgerechtigkeit ( 5,16.18).
V.5-9 Denn die im Fleische Seienden haben den Sinn des Flei
sches, die aber im Geiste Seienden den Sinn des Geistes. Denn der
Sinn des Fleisches ist der Tod, der Sinn des Geistes aber Leben und
Frieden - darum , weil der Sinn des Fleisches Gott feindselig ist;
unterordnet er sich doch dem Gesetze Gottes nicht, denn er kann
es nicht. Also können die im Fleische Seienden Gott nicht gefallen.
Euer Sein aber ist nicht im Fleisch, sondern im Geiste, sofern der
Geist Gottes wohnt in euch. Sofern aber einer den Geist des Chri
stus nicht hat, der ist nicht sein.
Geist ist die ewige Entscheidung, in Gott gefallen für den Men
schen, im Menschen gefallen für Gott. Denn Geist heißt Christus
gehören, in seiner Frage und darum in seiner Antwort, in seinem Nein
und darum in seinem Ja, in seiner Sünde und darum in seiner Gerech
tigkeit, in seinem Tod und darum in seinem Leben stehen. Geist ist
24
Vgl. Mt. 6,10 par. und Didache 10,6: 'E2JÉTW XÁQLs xai napendétw Ó
κόσμος ούτος..
388
darum existentielle Sinn-Gebung, Sinn-Setzung, Sinn -Schöpfung.
Sinn tritt ins Sein, und Sein wird Sinn. Geist hat also nichts neben sich,
nichts gegen sich. Geist ist Kampf, Übermacht, Sieg und Diktatur in
Einem, nie, gar nie etwa zugleich Ruhe, Gleichgewicht, Ausgleich,
Toleranz. Geist heißt Entweder – Oder, aber ein schon vorwegge
nommenes Entweder gegenüber einem schon erledigten Oder. Geist
heißt Erwählt- und eben darum in keinem Sinn Verworfensein. Geist
kennt als andre Möglichkeit nur die ausgeschlossene, die überwun
dene, die nicht mehr bestehende Möglichkeit.
Diese nicht mehr bestehende Möglichkeit ist das Sein des Men
schen im Fleische. Fleisch ist die zeitliche Entscheidung, in Gott ge
fallen gegen den Menschen, im Menschen gefallen gegen Gott. Fleisch
im Gegensatz zum Geist ist uns darum nur bekannt als «sündenbe
herrschtes Fleisch» (8,3 ). Fleisch heißt fern von Christus sein, ohne
Frage und darum auch ohne Antwort. Alles soeben vom Geiste Ge
sagte gilt mit umgekehrtem Vorzeichen auch vom Fleische. Fleisch ist
Sinn-Losigkeit. Un-Sinn ist hier ins Sein getreten, und Sein ist |267 |
Unsinn: die Feindseligkeit gegen Gott, die Sünde, der Sinn, der sich
auch dem Gesetze Gottes nicht unterordnet, nicht unterordnen kann,
sondern im Gegenteil in der Religion als der Unsinn dieses Seins zum
Ausbruch kommt. Und wie der Sinn des Geistes das Sein des Lebens
und Friedens ist, so der Sinn des Fleisches das Sein des Todes. Auch
Fleisch heißt schon entschiedenes Entweder - Oder, demgegenüber
alle scheinbar zuwiderlaufenden Gesinntheiten, Gerichtetheiten, Be
wegtheiten nur Spielerei sind. Die Welt (die moralische, die christliche
Welt!) « wundert und klagt darob, dass die Leute so böse sind, weiß
aber nicht, wie es zugeht. Das Wasserlein sieht sie wohl fließen und
allenthalben Früchte und Blätter des bösen Baumes ausschlagen: aber
wo die Quelle herkommt und wo die Wurzel steckt?, das weiß sie
nicht; fährt darnach zu und will der Sachen raten, Bosheit steuern und
die Leute fromm machen mit Gesetzen und Treiben der Strafe : aber
wenn sie gleich lang wehrt, so ist doch damit nichts geholfen. Dem
Wässerlein mag sie wehren, aber damit ist dem Hauptquell unge
wehrt; die Sprößlein mögen sich lassen wegschneiden, aber damit ist
р
Abdruck ( 19224) und 2. Abdruck ( 1923 ') irrtümlich: «steht». Korrektur
I.
nach dem Druckmanuskript und nach dem Text bei Eberle und in der WA .
389
der Wurzel nichts genommen. Nun ist's verloren, es tut's nicht, so
man lang außen wehrt, bessert und heilt und inwendig doch bleibt
Stamm, Wurzel und Quell des Bösen: es muß vor allen Dingen der
Quell gestopft und dem Baum die Wurzel genommen sein; sonst
bricht und reißt es aus an zehn Orten, wo du einem stopfst und
wehrst. Aus dem Grund muß es geheilt sein: sonst magst du ewig
daran verstreichen und verschmieren mit Schweten und Pflaster, es
eitert und schwürt doch immer wieder fort und wird nur ärger» (Lu
ther)."25
Zwischen Geist und Fleisch uns selbst zu entscheiden, das Eine zu
verwerfen und das Andere zu wählen, dazu haben wir keine Möglich
keit. Die «im Geiste» sind, sind nicht Einige, nicht Viele, nicht Diese
und Jene, und die « im Fleische» sind, auch nicht. Wer vermöchte sein
Sein «im Fleische» zu erkennen , der nicht «im Geiste» wäre, und wer
dürfte sein Sein «im Geiste» erkennen, ohne gerade damit zu betäti
gen, dass er« im Fleische» ist? In der Zeit entschieden ist, dass wir alle
im Fleische sind, in der Ewigkeit entschieden ist, dass wir alle im
Geiste sind. Im Fleisch sind wir verworfen , im Geist sind wir erwählt.
In der Welt der Zeit, der Dinge und des Menschen sind wir gerichtet,
im Reiche Gottes sind wir gerechtfertigt. Hier sind wir des Todes, dort
sind wir im Leben. Beide Entscheidungen, Verwerfung und Erwäh
lung, Gericht und Gerechtigkeit, Tod und Leben als Brennpunkte
einer Ellipse, die immer näher zusammenrücken , bis sie als Mittel
punkt eines Kreises eins werden, also die Einheit dieser beiden Ent
scheidungen, aber (und das ist mathe- 268|matisch nicht darzustellen)
nicht als die Einheit eines Gleichgewichts, sondern als die Einheit
eines unendlichen Übergewichts, als die Einheit der die Zeit in sich
verschlingenden Ewigkeit, als die Einheit des unendlichen Sieges des
Geistes über das Fleisch , als die Einheit des zurückgelegten Weges von
hier nach dort, der absolute Moment also, der Blitz der Erkenntnis,
der Blitz der Auferstehung, der Blitz Gottes, der «blitzend aus dem
Oberhalb des Himmels leuchtet über dem Unterhalb des Himmels>>
(Lk. 17,24) und also diese Einheit zeigt, - das ist Jesus Christus, «des
Menschen Sohn an seinem Tage»!
390
V. 10 Sofern aber Christus in euch ist, ist der Leib tot wegen der
gerichteten Sünde, der Geist aber Leben wegen der aufgerichteten
Gerechtigkeit.
« Christus in euch ». Das ist die Bedingung der Freiheit, die wir
jenseits des Gesetzes haben, die Lösung des in der Religion unerträg
lich scharf gestellten Lebensrätsels. Nie als erst zu erfüllende, erst
herzustellende, nie als subjektive, immer als objektive, schon erfüllte,
schon hergestellte Bedingung ist dieses « Christus in euch » zu ver
stehen. Der Mensch bekommt Anlass und nimmt Anlass, die Augen
aufzuschlagen und sich selbst, seine existentielle Freiheit einzusehen
bedingt durch diese Bedingung: Christus. Er schafft aber diese Bedin
gung nicht, weder durch eine logische Funktion, noch durch ein äs
thetisches Urteil, noch durch ein ethisches Wollen , noch durch ein
religiöses Erleben.26 Sie geht allen derartigen Akten grundsätzlich
voraus, und sie ist grundsätzlich immer auch die Negation aller der
artiger Akte. Sie ist schon geschaffen durch Gottes Treue (3,21 ), näm
lich in der Sendung seines Sohnes (8,3 ). Der Treue Gottes gehorsam
werden ( 1,5 ) heißt sich beugen unter die abgesehen von unsrer Beu
gung, abgesehen von unsrem Gehorsam gegebene Bedingung unsrer
Freiheit. «Christus in uns» ist unsre göttliche Voraussetzung, von
welchen menschlichen Akten sie immer gefolgt oder nicht gefolgt sein
mag, so gewiss auch das Wohnen der Sünde in uns (7,17.20) unsre
widergöttliche Voraussetzung ist, abgesehen von den auch ihr folgen
den oder nicht folgenden menschlichen Akten. «Christus in uns» ist
das an uns gerichtete Wort Gottes. Gottes Frage an uns und als Gottes
Frage Gottes Antwort. Er ist die Frage und Antwort, die sich, als der
alles Da-Sein und So-Sein kritisch charakterisierende Weg vom Leben
zum Tode, vom Tode zum Leben, « vernünftigem Schauen » immer
und überall zugänglich ( 1,20) offenbart', 'd.h. sich in sprechender
9-9 1. Abdruck ( 1922 *) <die, als [...] zugänglich ( 1,20) sich offenbart». Kor
rektur in Barths Handexemplar.
392
dazu, zu seufzen ? Das Leben des Geistes, es leuchtet auf in eben dem
Lichte, in welchem der Tod des Leibes sichtbar wird . Wegen der in
Christus gerichteten Sünde dieser Tod und darum : wegen der in Chri
stus aufgerichteten Gerechtigkeit dieses Leben. Beides miteinander,
eines am andern erkennbar und messbar, aber das zweite vermöge
seiner unendlichen qualitativen Überlegenheit die Aufhebung des er
sten, das ist die Freiheit des Menschen in Jesus Christus. Die Wahrheit
ist, sie ist nicht umsonst so bitter. Der Geist ist, wir seufzen nicht
umsonst nach Erlösung aus diesem Leibe des Todes (7,24]. Christus ist
auferstanden , es hat seinen Grund, dass durch seinen Tod alles Nicht
Existentielle in den Tod gegeben ist. (270|
Die WAHRHEIT
8,11-27
V. 11 Sofern aber der Geist dessen, der Jesusvon den Toten erweck
te, wohnt in euch, wird der, der den Christus Jesus von den Toten
erweckte, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen sei
nes in euch wohnenden Geistes* .
«Der Geist wohnt in euch . » Der Geist ist die Wahrheit. Wohnt er in
uns, dann wohnt in uns die Bitterkeit und Süßigkeit, die Not und
* Ichlese διά το ενοικούν αυτού πνεύμα . Über die überlieferungsgeschicht
lichen Systeme, auf Grund deren diese Lesart von Zahn behauptet-8, von Lietz
mann bestritten wird29, habe ich kein Urteil, halte es aber sachlich für unwahr
scheinlich, dass Paulus von den unmittelbar vorausgehenden und inhaltlich
mit dem, was er als Grundder leiblichen Auferstehung nennen will, aufs engste
Zusammenhängenden Akkusativen διά αμαρτίαν und διά δικαιοσύνην (V. το)
plötzlich zu dem Genitiv dià toŨ avevmatos übergegangen sein sollte, mit dem
übrigens eine Nuance von psychisch-physischer Mechanik in die Aussage über
den Geist käme, die einem spätern Theologen eher als dem Paulus zuzutrauen
ist.
28 Zahn , S. 391 .
29 Lietzmann , S. 77.
393
Hoffnung, die Verlegenheit und Verheißung, die die Wahrheit über
den Menschen bringt. Es gibt keine objektive Betrachtung der Wahr
heit. Sie ist die Objektivität, die uns betrachtet, bevor wir irgend etwas
betrachtet haben. Sie ist die primäre Objektivität der Begründung des
betrachtenden Subjekts. Und so gibt es auch keine Subjektivierung
der Wahrheit. Sie ist das Subjektive, das allem Ich, Du und Er in der
unheimlichsten und erlösendsten Weise gegenübersteht, von dem es
als von seiner immanenten kritischen Aufhebung auf allen seinen
Wegen objektiv begleitet ist. Die Wahrheit lässt nicht mit sich spaßen,
und die Wahrheit ist das Ende aller Tragik. Die Wahrheit ist viel zu
heiter und zu herrlich, als dass wir unser Leben je rechtfertigen, je
zum Augenblicke sagen könnten: Verweile doch, du bist so schön ! 30
Und die Wahrheit ist viel zu ernst und schrecklich, als dass wir es uns
leisten könnten, etwa zu verzweifeln und uns das Leben zu nehmen.
Der Platos «Phädon» las und sich danach ins Meer stürzte} ", hatte den
Sinn der Unsterblichkeit ebenso wenig begriffen wie die vielen, die es
ertrugen , ihn zu lesen, ohne sich ins Meer zu stürzen ! Wir können die
Wahrheit nicht fragen: Warum bist du die Wahrheit ? Denn sie hat uns
bereits gefragt: Wer bist denn du ? und hat mit der Frage schon die
unendlich inhaltsreiche Antwort gegeben: du bist der Mensch, dieser
Mensch in dieser Welt, und du bist Gottes, Gottes des Schöpfers und
Erlösers. Und auf dem Boden dieser bereits gestellten Frage und be
reits gegebenen Antwort und nirgends sonst spielt sich unser Fragen
und Antworten ab. Mit der Wahrheit können wir schlechterdings
nichts anfangen, weil sie selbst unser Anfang ist. Wir müssen uns
damit abfinden , sie | 271 | die Wahrheit sein zu lassen und also mit ihr zu
leben, unter ihrem vernichtenden Angriff und unter ihrem unendli
chen Segen. Ps. 139,1-12 . Denn «Christus in uns» als Gericht und
Gerechtigkeit (8,10) ist die Wahrheit, ist der Geist, der in uns wohnt.
Und vor Christus gibt es keine Flucht, kein Verstecken.
30 J.W. von Goethe, Faust 1, V. 1699f. (Studierzimmer).
31 Diese Überlieferung von einem sonst unbekannten Kleombrotos von
Ambrakia ist in der Antike vielfach bezeugt, zuerst im Epigramm 23 des Kal
limachos. Dort ist allerdings nur von einer «hohen Mauer» die Rede, von der,
nicht vom Meer, in das Kleombrotos sich gestürzt habe. Eine Version mit dem
Sturz ins Meer findet sich bei Cicero, Tusculaneae Disputationes, I, 84. Auch
Augustinus kennt die Überlieferung und referiert sie missbilligend: De civitate
Dei, I, 22 .
394
«Der Geist dessen, der Jesusvon den Toten erweckte , ist der Geist,
der in euch wohnt. Wer es mit der Wahrheit zu tun bekommt, der
bekommt es mit Gott zu tun, mit dem unbekannten, dem verborge
nen, dem heiligen Gott, der in einem Lichte wohnt, da niemand zu
kann (vgl. 1. Tim . 6,16 ). Sein Leben ist über Leben und Tod. Seine
Güte ist über Gut und Böse. Sein Ja ist über Ja und Nein . Sein Jenseits
ist über Jenseits und Diesseits (4,17). Darum steht die Wahrheit nicht
mit uns und fällt nicht mit uns, lebt nicht mit uns und stirbt nicht mit
uns, hat nicht Recht, wenn wir Recht haben, und wird nicht Irrtum,
wenn wir uns irren, triumphiert nicht in unseren Triumphen und un
terliegt nicht in unsern Niederlagen. Darum lebt sie so gewaltig ihr
eigenes Leben. Darum ist sie der Tod, der auch die Wiege überschattet,
und das Leben, das auch über den Gräbern atmet. Darum ist sie die
Verdammung auch eines Franz von Assisi und die Freisprechung auch
eines Cesare Borgia. Darum stößt sie die Gewaltigen vom Stuhl und
erhöht die Niedrigen (vgl. Lk. 1,52]. Darum kann sie allem mensch
lichen Ja zum Nein und allem menschlichen Nein zum Ja werden.
Darum ist sie da, ob wir gen Himmel fahren oder uns in die Hölle
betten (vgl. Ps. 139,8]. Und eben in dieser ihrer unendlichen Überle
genheit gegenüber allem Unsrigen ist sie unsre Hoffnung, unsre nicht
zu brechende Beziehung zu Gott, unser unsterbliches Teil.
Aber es gibt keine ruhende Hoffnung, keine stillstehende Bezie
hung zu Gott, kein unsterbliches Teil des Menschen. Sondern der,
der den Christus Jesus von den Toten erweckte, der wird auch eure
sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnenden
Geistes. » «Der Leib tot wegen der Sünde, der Geist lebendig wegen
der Gerechtigkeit» (8,10) – dieser Kontrast kann als solcher im Lichte
der Auferstehung, in der Erkenntnis Gottes nur auftauchen, um in
demselben Lichte derselben Erkenntnis überwunden und aufgehoben
zu werden. Indem der Lichtkegel des Scheinwerfers auf dieses gegen
überstehende «Objekt» fällt, fällt auch schon der wohlgezielte ver
nichtende Schuss, und um das Objekt, um das Zweite, Andere, Ge
genüberstehende ist es geschehen. Derselbe Gott, der den Christus
Jesus von den Toten erweckt und der das Unendliche in seiner Über
legenheit über das Endliche offenbart, wird auch eure sterblichen Lei
ber lebendig machen. Nur im Gleichnis lässt sich ja das End- 1272 | liche
dem Unendlichen gegenüberstellen als ein Zweites, Anderes, nur im
395
Gleichnis der Tod unseres Leibes dem Leben des Geistes Gottes in
uns. In unanschaulicher Wirklichkeit steht das Endliche dem Unend
lichen nicht gegenüber, sondern es ist in jenem schlechthin aufgeho
ben, aber auch begründet, und zwar so, dass eben seine Aufhebung
seine Begründung ist. So ist in unanschaulicher Wirklichkeit unser
Leib kein Zweites, kein Anderes neben dem in uns wohnenden Geiste
Gottes, sondern es ist der Geist der schlechthinige restlose Tod des
Leibes, aber eben als solcher auch sein schlechthiniges restloses Le
ben. In unanschaulicher Wirklichkeit: Deshalb (und das unterschei
det die Botschaft von der Auferstehung radikal von allem Pantheis
mus, Spiritualismus und Materialismus) kann die Aussage von der
Auferweckung unsres Leibes nicht anders als in dem Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft negierenden und also umfassenden Futurum
resurrectionis erfolgen : « Er wird lebendig machen ! ». Deshalb ist aller
Enthusiasmus, der den Anschein erwecken könnte, als handle es sich
um die Behauptung einer durch eine bestimmte psychische Ein
stellung zu gewinnenden «höhern» Anschauung ( Intuition ), von
dieser Aussage tunlichst fernzuhalten. Je kaltblütiger davon ge
redet wird, um so besser: der bei dieser Aussage fast unvermeidlich
ausströmende psychische Dampf wirkt gerade noch verdunkelnd ge
nug. Deshalb sind vor allem die von Oetinger32 bis zu Beck " , von
32 Barths Verhältnis zum Württemberger Theologen und Theosophen
Friedrich Christoph Oetinger ( 1702–1782) hat sich im Laufe der Jahre gewan
delt von Bewunderung zu einer kritischen Haltung. Barths Brief an Thurn
eysen vom 21.5.1919 dokumentiert seine erste Begegnung mit Oetinger
(Bw.Th.I, S. 327): «Ich habe mir Ehmanns Leben und Briefe Oetingers> anti
quarisch erstanden und lese das Buch mit höchster Befriedigung. Welche Um
sicht in jeder Beziehung! Welch ein Reichtum an Lichtern! Welche Voraus
nahmen und z.T. bereits Überholungen unserer Weisheiten ! [...] Daß man uns
Theologie studieren ließ, ohne uns auf solche Dynamiker aufmerksam zu ma
chen ! » Nach Barths Selbstzeugnis von 1927 bestand die Wendung vom 1. zum
2. Römerbrief u.a. gerade in der Abwendung «von der altwürttembergischen
und sonstwie spekulativen Theologie» (Autobiographische Skizze im Fakul
tätsalbum der Ev. -Theol. Fakultät Münster (1927), in: K. Barth – R. Bultmann,
Briefwechsel 1911-1966, hrsg. von B. Jaspert (Gesamtausgabe, Abt. V ], Zürich
1994?, S. 290—300, dort S. 298, vgl. S. 297).
33 Auch in seiner späteren Darstellung kritisiert Barth diesen Punkt bei
J.T. Beck (1804-1878): Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre
Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zürich 1994 , S. 569.
396
Rothe34 bis zu Steiner) (und schüchtern auch in der ersten Auflage
dieses Buches36 ! ) gewagten Versuche, durch naturphilosophische
Spekulation zu einer anschaulich wirklichen Geistleiblichkeit vor
zudringen, als irreführend abzulehnen: sie verfälschen, entleeren und
entwerten den Inhalt der Aussage, um die es hier geht. Nur unter
Berufung auf die grundsätzlich als unanschaulich begriffene Göttlich
keit Gottes, nur als die Verkündigung des absoluten Wunders darf
und muss sie gewagt werden. Sie ist die in sich selbst glaubwürdige
Aussage, die eben darum durch alle (von heimlichem Unglauben ver
anlassten !) Bemühungen, sie erst glaubwürdig zu machen , als un
glaubwürdig diskreditiert wird. - Der Leib ist die Totalität meines
Seins im Fleische, in der Welt der Zeit, der Dinge und des Menschen,
die Totalität meines Seins als Ich, als dieser Mensch in dieser Welt im
vollen Umfang der mir jetzt und hier gegebenen und irgendwie als
gegeben vorstellbaren Möglichkeiten. Erkenntnis Gottes qualifiziert
diesen meinen Leib als sterblich schlechthin. Die Beziehung des Sub
jekts auf seinen Ursprung bedeutet, dass alle seine Prädikate aufge
hoben sind, auch das seiner Identität mit sich selber'. Keine Substanz,
keine, auch keine allerletzte, allertiefste und allerfeinste Gegebenheit,
die etwa der Gewalt dieser (273 Negation widerstehen könnte.
Gleichnis, nur Gleichnis dieser Negation ist ja auch das natürliche
Sterben und alle dieses Sterben vorbereitenden und begleitenden re
lativ negativen Lebensakte «äußerlicher» und «innerlicher» Art, alle
sus 1. Abdruck ( 1922 ): «bedeutet die Aufhebung aller seiner Prädikate bis
und mit dem seiner Identität mit sich selber».
u
2. Abdruck ( 1923 '); «vereint» .
2.
Abdruck ( 19233): «Umwege». Der 1. Abdruck ( 1922 ) entspricht dem
Druckmanuskript.
400
Höhe und Niedrigkeit, gegenüber aller Stärke und Schwäche, gegen
über allem Rechthaben und Unrechthaben dieses Menschen in dieser
" Welt sich immer wieder Lösendes", Davoneilendes, ein aus unend
licher Ferne über ihn Trauerndes und Lächelndes und aus unendlicher
Nähe ihn Tröstendes und ihm Befehlendes, ein immer wieder An
klagendes, aber auch Verzeihendes, ein Tötendes, aber auch Erwek
kendes ist unanschaulich da und redet und behauptet sich: das, was
Dostojewskis fragwürdigste Gestalten in der Tiefe ihres Sumpfes des
Herrn gedenken lässt, der einmal auch zu ihnen, den Säufern, den
Willensschwachen, den Schamlosen sagen wird: «Schweine seid ihr,
Ebenbilder des Viehes, aber kommt auch ihr zu mir! »38 – und das, was
Luther, den Gottesmann, unerbaulicherweise sterben lässt mit dem
Wort, dass wir Bettler sind und dass das wahr ist39. Keinen Zustand
meinen wir, wenn wir das umschreiben, keinen höchsten Standort, auf
dem etwa dieser oder jener Mensch stünde, keine selige Erlöstheit in
irgend einer Ecke unsrer Unerlöstheit, keine milde Abendröte, die in
irgend einer Stunde unseres Lebenstages nach beendigtem Ge
1276 witter etwa anbrechen würde, sondern die Orientierung, die dem
Menschen durch Gott selbst, durch Gott allein gegeben ist, die Ver
legenheit, die Bedrohung, die Verheißung, die Unsicherheit und letzte
Sicherheit, die als Widerschein vom ungeschaffenen Lichte alles Ge
V-V
1. Abdruck ( 19222): « Welt immer wieder sich Lösendes». Korrektur in
Barths Handexemplar.
38 F.M. Dostojewski, Schuld und Sühne, Teil I, Kap. 2; Barth zitiert nach der
Übersetzung von H. Röhl, Leipzig 1912, S. 37. Vgl. auch E. Thurneysen,
Dostojewski, München 1921 , S. 41f.: « Warum wird ausgerechnet von dem ewig
betrunkenen Vater jener Dirne in einer Kellerkneipe die Vergebung des jüng
sten Tages in den ekstatischen Worten verkündigt: «Mitleid aber mit uns wird
der haben, der mit allen Mitleid hat, und der alles und alle verstanden hat; Er,
der einzige, er ist auch der Richter. Er wird an jenem Tage zu uns sprechen:
Kommet auch ihr – wird er sagen – kommt, ihr Betrunkenen, kommt, ihr
Schwächlinge, kommt, ihr Sündiger! Und wir alle werden hervortreten, ohne
uns zu schämen, und werden dastehen. Er aber wird sagen: Ihr Schweine! Ihr
Ebenbilder des Tieres ! Ihr viehischen Gesichter, ihr – kommt auch ihr! »»
Thurneysen zitiert nach der Übersetzung von E.K. Rahsin: Sämtliche Werke,
Abt. 1 , Bd. 1 , München 1920, S. 36f.
39 Letzte Aufzeichnung Luthersvom 16. Februar 1546 (WA.TR 5,318,2f.;
vgl. WA 48,241 ): «Wir sind Bettler: hoc est verum .»
401
schaffene von allen Seiten umgibt, sein Ende, aber auch seinen Anfang
ankündigend, das unendlich beunruhigende, unendlich beruhigende,
aus jeder friedlichen oder unfriedlichen Höhle uns alsbald wieder her
austreibende Verbot, an unsre Erlöstheit oder Unerlöstheit zu glau
ben, weil wir nur an unsre Erlösung glauben können: der Friede Got
tes, welcher höher ist als alle Vernunft (vgl. Phil. 4,7].
«Denn sofern ihr nach dem Fleische lebt, geht ihr dem Sterben,
sofern ihr aber durch den Geist den Betrieb des Leibes sterben lasst,
dem Leben entgegen . » Alle Entfaltungen der menschlichen Vitalität,
von den niedrigsten bis zu den höchsten , alle Aktualisierungen
menschlicher Möglichkeiten, der Möglichkeiten, Ja !, sowohl, wie der
Möglichkeiten, Nein! zu sagen, alles, was Leben, Bios ist «nach dem
Fleische», das steht als solches im Schatten des Todes. Es beginnt zu
sterben, indem es geboren ist; es ist aufgehoben, indem es gesetzt
wird, es ist gerichtet, indem es das Richtige ist. Es ist in der Zeit, es hat
darum seine Zukunft, aber eben darum schon jetzt seine Vergangen
heit. Tot ist das Wort, indem es gesprochen und geschrieben ist. Tot
die Natur, indem sie aus dem Nicht-Sein ins Da-Sein und So-Sein
tritt. Tot die Geschichte, indem geschieht, was doch wahrlich und
offenkundig nicht geschehen kann. Tot und erledigt die Bewegung,
die zur « Bewegung»40 wird . Tot und erledigt die Persönlichkeit im
Augenblick, da sie sich selbst als solche weiß, von andern als solche
gewusst ist. Mögen wir, müssen wir, können wir «leben» nach dem
Fleisch, heute und alle Tage, so können wir doch nicht mehr verges
sen, dass wir mit diesem Leben ahnungslose Reiter auf dem Boden
seet sind, dass dieses Leben dem Sterben entgegengeht. Mag das Vol
le, Gesunde, Geradlinige, Kräftige, Abgerundete "im positiven oder
negativen" Sinn, auf das unsre Vitalität, unser Eros in seinen nieder
sten und höchsten Komponenten tendiert, uns erlaubt, ja geboten
sein, mag seine immanente Berechtigung (die freilich begrenzt sein
W-W
Druckmanuskript: « in positivem oder negativem » .
40
Anspielung auf die verschiedene Bewegungen, die in den ersten Jahrzehn
ten des 20. Jahrhunderts sich im gesellschaftlichen Leben profilierten ; vgl. z.B.
zur «Jugendbewegung» unten S. 551 , Anm. 16, zur «Frauenbewegung» oben
S. 15070, Anm ..
41
Anspielung auf Gustav Schwabs Ballade « Der Reiter und der Bodensee»
( 1826); vgl. Büchmann, S. 78 .
402
könnte durch eine entsprechende Nicht-Berechtigung!) der Dampf
und die Elektrizität sein, mit der wir letztlich alles tun, was wir tun,
vom Atmen bis zum Beten, wir können doch nicht übersehen die
Hand, die gegenüber dem Allem erhoben ist, den letzten umfassenden
Vorbehalt, der nicht nur unser verbotenes, sondern erst recht unser
erlaubtes, ja gebotenes Tun begleitet. Wir können nicht übersehen,
dass, wenn sich unter all dem, was wir tun, allenfalls eine « Frucht des
( 277| Geistes» (Gal. 5,22), eine «Frucht des Lichtes» (Eph. 5,9), eine
von Gott gerechtfertigte Tat wirklich findet, das absolute Wunder
geschehen ist. Nur im reinen Willen Gottes selbst kann die Ethik ihre
Begründung suchen, nie und nimmer in jenem immanenten Recht
dessen, was wir kraft unserer Vitalität, und wäre es unsre höchste
Vitalität, ohnehin wollen, und darum ihre Entfaltung nur in einer
umfassenden Kritik dessen, was Individuum und Sozietät getan ha
ben, tun und tun werden, nie und nimmer aber in dessen Rechtferti
gung und Bestätigung oder auch Bekämpfung und Widerlegung.
Denn « die Unerforschlichkeit der Idee der Freiheit schneidet aller
positiven Darstellung gänzlich den Weg ab» (Kant)42. Wobei wohl zu
beachten ist, dass jene Hand wirklich gegenüber der ganzen Summe
menschlicher Möglichkeiten erhoben ist, dass es der Geist ist, durch
den wir den «Betrieb», die Geschäfte, Praktiken und Betätigungen des
« Leibes» müssen «sterben lassen» . Dass es sich also nicht etwa darum
handeln kann, an Stelle der üblichen, allzu positiven Ethik eine ne
gative Ethik, eine Ethik der Weltflucht, der Indifferenz, der Askese ,
der Revolution, des «Wartens » oder auch eine Ethik vermeintlich
wieder zu erlangender Paradiesesunschuld zu setzen obwohl als -
GERS
ab
(1891 ) - in Barths Handexemplar.
I. Abdruck ( 1922°): « teilhaftig, das» . Korrektur in Barths Handexemplar.
411
Nein zu sagen (das er doch mit seinem Protestieren und Rebellieren
nur bejahen kann!). Sich selber als Gottes Kind ! Denn was ist ge
schehen ? In, mit und unters diesem Hören und Sehen ist offenbar das
Schreien: Abba! Vater !, und wenn der Mensch den Namen Gottes
noch nie gehört hätte und wenn er ihn gleichzeitig lästern würde. In,
mit und unter diesem Entsetzen des Menschen vor sich selbst ist of
fenbar der neue Mensch, der Mensch einer neuen Welt geboren, (284
die Theodizee vollzogen, neben der jede andre nur Spott und Hohn
ist, hat Gott sich selbst vor uns gerechtfertigt und damit uns vor ihm.
Redend mit dieser Stimme und leuchtend in diesem Licht hat Gott das
Einmalige, Existentielle getan, hat den Menschen angenommen als
sein Kind.
Und sofern nun Gott dieses einmalige Existentielle getan hat, « sind
wir auch Erben, Erben Gottes und Miterben des Christus», Erben der
Verheißung wie Abraham (4,13), also Erben der von Gott gut gemach
ten und gesegneten Welt, des durch die Sünde unanschaulich, unbe
schreiblich, unwirklich, unmöglich gewordenen ewigen Lebens, des
Seins, Habens und Tuns Gottes selbst. Wir sind, im Fleische lebend,
Anwärter und Hoffende der Auferstehung, der neu prädizierten
Leiblichkeit, und was wir jetzt und hier leben, das spielt sich ab im
Widerschein dieser Hoffnung, es ist ihr Abdruck und Zeugnis, es ist
bezogen und gezielt auf sie, es ist, abgesehen von allen uns vorstell
baren Veränderungen seiner anschaulichen Gegebenheit, qualifiziert
durch diese seine unanschauliche, nicht-gegebene Bestimmung. Denn
sind wir mit Christus Söhne Gottes, so sind wir auch Erben mit ihm,
Erben des Gottes, der jenseits von Ja und Nein, Gut und Böse, Leben
und Tod ist – als Sieger, weil er Gott ist. An seiner Seite, in seinem
Siege stehen wir als seine Kinder, als die, die wir nicht sind. Unser Sein
als die, die wir jetzt und hier sind, aber ist das Hinblicken auf diese
unsre ewige Herrlichkeit.
Haben wir schon zu viel gesagt? Ja, und auch zu wenig! Wie sollten
wir nicht immer zu viel sagen, wenn wir von unsrer Hoffnung, und zu
wenig, wenn wir von ihrer Erfüllung reden ? Die Wahrheit ist das, was
Gott getan hat, tut und tun wird, nicht das, was wir darüber sagen !
56
Anspielung auf die Formel der lutherischen Abendmahlslehre, vgl. For
mula Concordiae. Solida Decleratio, VII 35 , BSLK 983,15f.
412
Wir erinnern uns also: Wir sind «Erben» Gottes, «so gewiss wir mit
leiden, um auch mitverherrlicht zu werden ». Das ist Gottes Tun: das
Kreuz, das Leiden. Nicht die größere oder kleinere Summe mehr oder
weniger geduldig und tapfer zu ertragenden Leidens, als ob etwa das
Leiden an sich oder das Ertragen an sich uns der ewigen Herrlichkeit
teilhaftig machte! « Mitleiden » heißt mit Christus leiden, heißt mit
ihm vor Gott stehen, wie Jeremia und Hiob vor Gott standen: Gott
schauend im Wetter, Gott erkennend als das Licht in der Finsternis,
Gott liebend, da sie nur seine harte Hand fühlten. Nur kräftige Erin
nerung kann uns das sein, was wir etwa persönlich ertragen (auch
dann, wenn wir es etwa um einer guten Sache, z. B. um des Christen
tums willen zu ertragen hätten; denn keine « gute Sache» ist direkt
Gottes Sache ! ), Erinnerung an die Himmel (285 ) und Erde umspan
nenden «Leiden der Zeit des Jetzt» (8,18). Das Leben des Menschen in
dieser Zeit, die nicht Ewigkeit ist und doch Ewigkeit ungeboren in
sich trägt, es ist vom Leiden überschattet wie von einem dunklen
Mantel, wie von einem gezückten Schwert, wie von einer überhän
genden Wand. Fragwürdig ist unser «Leben» als solches. Unaufheb
bar ist diese seine Fragwürdigkeit, weil konstitutiv für seinen Begriff
als endlich -menschliches Leben. Und Abschattung nur dieser unsrer
wesenhaften Endlichkeit ist alles das, was wir als zeitliche Beschränkt
heit unsrer Existenz, als Enge und Dumpfheit unsrer Naturgrundla
gen, als großen und kleinen Schmerz, als Erdenrest «zu tragen pein
lich» s7, zu erfahren bekommen. Dass wir bald da, bald dort auf diese
unsre letzte Schranke stoßen, das ist das Leid in unsern mannigfachen
Leiden. Sollte es uns verborgen sein, dass hier die Frage Gottes an den
Menschen gerichtet, die Antwort Gottes für uns bereit ist? Im Geiste
kann es uns nicht verborgen sein. Im Geiste können wir wissen um
den im Leiden sich ankündigenden Sinn unsres Lebens. Im Geiste
kann das Leiden, das wissend ertragene Leiden zum Schritt in die
Herrlichkeit Gottes werden. Dieses Nicht-Verborgensein, dieses
Wissen von Gottad im Leiden ist Gottes Tat an uns . Sie als solche
begreifen und also die Wahrheit Wahrheit sein lassen, das ist der Be
ad
1. Abdruck ( 19222): « Wissen Gottes» . Korrektur in Barths Handexemplar.
57 J.W. von Goethe, Faust II, V. 11954f. (5. Akt, Bergschluchten ).
413
weis des Geistes und der Kraft (vgl. 1. Kor. 2,4] dafür, dass wir Kinder
Gottes und als solche Erben seiner Herrlichkeit sind.
V. 18-25 Denn ich rechne, dass die Leiden der Zeit des Jetzt nicht
ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die sich an uns of
fenbaren wird. Denn die Aufmerksamkeit des Geschaffenen wartet
auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn der Leerheit wurde
das Geschaffene unterworfen nicht mit seinem eigenen Willen ,
sondern durch den Unterwerfer, auf Hoffnung, weil auch es, das
Geschaffene, befreit werden wird von der Knechtschaft der Ver
weslichkeit zur Freiheit in der Herrlichkeit der Kinder Gottes.
Denn wir wissen , dass alles Geschaffene einstimmig seufzt und ge
meinsam in Wehen liegt bis auf das Jetzt hin. Und nicht nur es, nein
auch wir, die wir die Erstlinge des Geistes besitzen, auch wir seuf
zen bei uns selbst in Erwartung unsrer Sohnschaft: der Erlösung
unsres Leibes. Denn durch Hoffnung sind wir gerettet. Sichtbare
Hoffnung ist aber nicht Hoffnung. Denn was Einer sieht - was
braucht er das noch zu erharren?* Sofern wir aber hoffen auf das,
was wir nicht sehen, warten wir mit Beharrlichkeit.[286|
« Ich rechne, dass die Leiden der Zeit des Jetzt nicht ins Gewicht
fallen gegenüber der Herrlichkeit, die sich an uns offenbaren wird . »
«Nun hebt er an und tröstet die Christen in solchen Leiden und redet
als Einer, der es erfahren und der Sache ganz gewiß ist, und dazu auf
solche Weise, als sähe er dies Leben blinzlich oder durch ein gemalt
Fenster, jenes aber mit klaren Augen. Siehe nur wie er den Rücken
gegen die Welt kehrt und wendet das Angesicht in die zukünftige
Offenbarung, als sähe er auf Erden nirgend kein Unglück noch Jam
mer, sondern nur eitel Freude. Aus allen Leiden auf Erden macht er
ein Tröpflein und kleines Fünklein, aber aus jener Herrlichkeit, der
wir hoffen sollen, ein unendliches Meer und großes Feuer» (Lu
ther). S9 – Wir haben uns Rechenschaft zu geben über den Sinn dieser
* Ich folge V. 24 Lietzmannså und lese: ô yào BRénet tis, ti vai ÚnouÉVEL;
Durch die auf den ersten Blick befremdliche Lesart werden die letzten Worte
von V.25 erklärlich .
58
Lietzmann, S. 82.
59 Eberle, S. 131 (in Barths Exemplar unterstrichen): Predigt über Röm .8,18–
414
wahrhaft ungeheuerlichen Betrachtungsweise der menschlichen Din
ge. Um irgend eine überschwengliche Vertiefung oder Überhöhung
der gewöhnlichen Betrachtungsweise, um irgend eine immanente
Ignorierung, Abschwächung oder tröstliche Deutung des Leidens
(etwa durch den Hinweis auf eine das «diesseitige» Leiden ausglei
chende bzw. aufwiegende «jenseitige» Harmonie) kann es sich hier
jedenfalls nicht handeln. Sie scheitert notorisch an jedem Zahnweh,
geschweige denn an jedem ernsthaften Ausblick auf das, was als Ge
burt, Krankheit und Tod, als Hunger und Krieg, als Menschen- und
Völkerschicksal in jedem Augenblick in der ganzen Breite menschli
chen Geschehens brutale eherne Wirklichkeit ist. Denn hinter jedem
kleinsten Weh und erst recht hinter den großen Qualen unsres Lebens
steht brennend die Problematik seiner Endlichkeit . Wie sollenae wir
ihr begegnen? Kurzschlüssig und lügnerisch ist jeder Trost, jede Ant
wort, die wir zu geben versuchen, denn wir sind es, dieaf von jener
Problematik herkommen und die ihr nicht entrinnen werden, auch
nicht durch den Gedanken an eine unendliche göttliche Harmonie
jenseits unsrer Welt. Denn Unendlichkeit, die wir uns allenfalls zu
erdenken vermögen, ist gemessen an unsrer Endlichkeit und also sel
ber nur unendliche - Endlichkeit. Die Harmonie, die wir postulieren,
ist relativ zu unsrer Disharmonie, ist die Fata Morgana unsrer Wü
stenwanderung. Und der Gott, den wir Vergeltung und Ausgleich
üben lassen in einem «bessern» Jenseits, ist Nicht-Gott, der Gott die
ser Welt, geschaffen nach des Menschen Bild und so auch des Men
schen Kritik, ja Leugnung nicht entzogen, wenn ihm etwa ein Iwan
Karamasoff begegnen sollte “ . Die Problematik unserer Endlichkeit
aber schreit nach einer nicht relativen, sondern absoluten, unser Den
ken übersteigenden Lösung, sie schreit nach dem wirklichen, dem
unbekannten Gotte, nach seinem Troste, dem - 287 gegenüber die Lei
ae Druckmanuskript: «wollen » .
af
1. Abdruck ( 19222): «sind diejenigen, die» . Korrektur in Barths Hand
exemplar: «sind die, die».
415
den dieser Zeit darum «nicht ins Gewicht fallen», weil sein Trost das
allem Hier inkommensurabel gegenüberstehende Dort ist. Trost fin
den muss also damit anfangen, dass wir einsehen: wir haben keinen
Trost, und Trost geben damit, dass wir bekennen: wir sind allzumal
leidige Tröster ( vgl. Hiob 16,2].« Darum muß der heilige Geist hier
Schulmeister sein und solchen Trost ins Herz senden» (Luther).“ Der
Trost kommt mit der Einschaltung einer unerhört neuen Rechnungs
weise unserm Leben gegenüber. Wir erinnern uns aus früheren (3,28;
4,3) Anwendungen dieses seltsam kalten Ausdrucks, dass damit kei
nesfalls eine Betrachtung gemeint sein kann, die sich etwa kontinu
ierlich an die Reihe der verschiedenen menschlichen Betrachtungs
weisen anschließen würde. Dieses Rechnen ist vielmehr das Rechnen
mit dem Fazit aller menschlichen Betrachtungsweisen und das Ein
stellen dieses Fazits in eine Rechnung, die nur Gott selbst, Gott allein
aufstellt. Es ist die Betrachtung sub specie aeterni63, das Schauen von
Gott aus, das sich nie als menschliche Tat, sondern, weil es die Tat des
Glaubens ist, nur als Tat Gottes beschreiben lässt. Denn sofern wir mit
Gott zu rechnen, von Gott aus zu schauen unternehmen, kommen wir
nie und nimmer zum Ergebnis des Paulus, sondern unerbittlich im
mer wieder zu den Ergebnissen Hiobs, bevor Gott im Wetter mit ihm
geredet (vgl. Hiob 38–40). Sage ich also «Ich rechne mit Gott», so ist in
dieser Formel der absolute Sprung verborgen, so ist die nicht zu for
mulierende Wahrheit dieser Formel darin zu suchen, dass vielmehr
Gott mit mir rechnet. Das ist aber Ereignis, sofern wir (nicht wir!) die
Wahrheit Wahrheit sein lassen, sofern wir (nicht wir! ) den Beweis des
Geistes und der Kraft (vgl. 1. Kor. 2,4) leisten, die Tat Gottes, die Frage
und Antwort des Kreuzes als solche begreifen (8,17b). Wir sehen dann
die Zeit, in der wir leben, charakterisiert, als «die Zeit des Jetzt», d. h.
als das Meer der gegebenen Wirklichkeit, das die submarine Insel des
« Jetzt», der göttlichen Offenbarung, der Wahrheit vollständig über
61 Eberle, S. 133 (in Barths Exemplar unterstrichen): Predigt über Röm .8,18–
22 (20.6.1535 ), WA 41,306,16f.
62 Die Formel «sub specie aeterni» oder «aeternitatis» geht zurück auf Spi
noza ( Ethica 2,44, Cor. 2; 5,22,29), findet sich öfters bei Kierkegaard (z. B.
Kierkegaard, Abschließende Nachschrift, S. 168.268 [SKS 7, S. 81.176); Kier
kegaard, Einübung, S. 110 [SKS 12, S. 128]) und dann auch in Barths Frühwerk
(z .B.Römerbrief I, S.68 ) .
416
flutet, unter dessen anschaulicher Oberfläche sie aber nichtsdesto
weniger vollständig intakt vorhanden ist. Denn die Wahrheit ist das
Jetzt (3,21 ), der Augenblick außer aller Zeit, in dem der Mensch nackt
vor Gott steht, der Punkt, der kein Punkt neben andern ist, von dem
wir herkommen, Jesus Christus der Gekreuzigte und Auferstandene.
Was vor und nach diesem Augenblick aller Augenblicke ist, was die
sen Punkt, der selber keine Ausdehnung hat, als Fläche umgibt, das ist
die Zeit. An diesem Jetzt, an der Ewigkeit entsteht als ihre Negation
die Zeit, die immer schon gewesene Vergangenheit und die immer erst
kommende Zukunft. Die «Zeit des Jetzt» nennen wir sie nach dem,
was sie verhüllt afund worauf sie hinweist, woran sie * gemessen ist
und ohne 288 das sie nicht wäre. Dass dem so ist, dass die Zeit, in der
wir leben, die Ewigkeit in sich verbirgt, aber auch bewahrt, von ihr
schweigt, aber eben damit auch von ihr redet, das erkennen wir, sofern
wir kraft der Tat Gottes an uns, kraft der Frage und Antwort des
Kreuzes herkommen von der absoluten Gegenwart des Jetzt, sofern
hier offenbar Gott mit uns rechnet und uns eben damit in den Stand
setzt, mit ihm zu rechnen. Im Schatten des nicht angebrochenen, aber
unendlich nahen Tages Jesu Christi sehen wir unsern Lebenstag sich
abspielen, im Schatten des Jetzt die Zeit sich abrollen, im Schatten
Gottes die menschlichen Dinge ihren Lauf nehmen, sofern wir «ge
trieben vom Geist» ( 8,14) schreien müssen Abba! Vater ! (8,15 ) und
also uns legitimieren, nein legitimiert sind als Kinder Gottes (8,16)
und also als Erben seiner Herrlichkeit (8,17). – Und nun noch einmal:
Wie steht es in diesem Zusammenhang mit dem für unser Leben in der
Zeit so bezeichnenden unübersehbaren und unabsehbaren Leiden ?
Offenbar nicht so, dass es etwa als Störung oder gar Verhinderung
unsres inah jenem Jetzt eröffneten Zugangs zu der Herrlichkeit Gottes
«ins Gewicht fallen könnte. Darum nicht, weil ja in diesem Jetzt, im
Geiste, in Jesus Christus gerade es, das Leiden, das wissende Leiden
zur Pforte der Erkenntnis und der Erlösung wird. Wo rechnet denn
Gott mit uns, wo rechtfertigt er sich vor uns, wo lehrt uns sein Geist
ag-agI. Abdruck ( 19222): «und auf was sie hinweist, an dem sie». Korrektur
(ohne
ah
Hervorhebung des «worauf») in Barths Handexemplar.
1. Abdruck ( 19224) und 2. Abdruck ( 1923 '): «zu» . Korrektur nach Druck
manuskript.
417
Abba! Vater! schreien, wo wird es klar, dass die Zeit die Negation der
Ewigkeit ist, wo stößt der Mensch auf die ihm gesetzte Schranke und
damit auf den ihm gegebenen Ausgang, wo wird der Beweis des
Geistes und der Kraft (vgl. 1. Kor. 2,4) geleistet, wenn nicht eben in
der Tat Gottes, durch die er uns zu Mitleidenden, d. h. aber zu « Ver
wandten» des Christus (6,5 ) macht und also uns einbezieht in die
unanschauliche Freiheit und Herrlichkeit des neuen Menschen ? Dar
um fallen die Leiden der Zeit des Jetzt nicht ins Gewicht, weil sie in
Jesus Christus schon ins Gewicht gefallen sind, weil sie nicht nur
bezeichnend sind für unser Leben in der Zeit, sondern eben damit
bezeichnend für das dieses Leben begrenzende, nein, in sich aufhe
bende ewige Leben, weil die Zeit, in der wir leben und leiden, die Zeit
des Jetzt ist, die Zeit der eben im Leiden sich an uns offenbarenden
Herrlichkeit. So sehr offenbart sich die Herrlichkeit Gottes gerade im
Geheimnis des Leidens und nur dort, dass wir, weit entfernt davon,
das Leiden um Gottes willen nicht sehen wollen zu können, es um
Gottes willen durchaus gerade sehen müssen, sehen als den Schritt, die
Bewegung, die Wendung vom Tode zum Leben, sehen als den Ort, wo
Christus zu sehen ist. Am Leiden vorbeisehen hieße an Christus vor
Wohl- oder Schlecht-Ergehen, [...] er hofft von sich nichts mehr und will in
allen Dingen bis auf diesen hoffnungslosen Grund sehen.»
418
mea» !64 «So du willst Miterbe sein des Herrn Jesu Christi und sein
Bruder sein und ihm gleichwerden und nicht mitleiden, so wird er
dich gewißlich am Jüngsten Tag für keinen Bruder und Miterben an
erkennen, sondern wird dich fragen, wo du deine Dornenkrone,
Kreuz, Nägel und Geißel habest, ob du auch der ganzen Welt ein
Greuel gewesen seist, wie er selbst und alle seine Glieder gewesen sind
von Anfang der Welt her. Wo du dann solches nicht beweisen kannst,
so wird er dich auch nicht für seinen Bruder haben können» (Luther).6s
« Die alten Denker suchten mit allen Kräften das Glück und die Wahr
heit – und nie soll einer finden, was er suchen muß, lautet der böse
Grundsatz der Natur. Wer aber Unwahrheit in allem sucht und dem
Unglücke sich freiwillig gesellt, dem wird vielleicht ein anderes Wun
der als Enttäuschung bereitet: etwas Unaussprechbares, von dem
Glück und Wahrheit nur götzenhafte Nachtbilder sind, naht sich ihm,
die Erde verliert ihre Schwere, die Ereignisse und Mächte der Erde
werden traumhaft, wie an Sommerabenden breitet sich Verklärung
um ihn aus. Dem Schauenden ist, als ob er gerade zu wachen anfinge
und als ob nur noch die Wolken eines verschwebenden Traumes um
ihn her spielten. Auch diese werden einst verweht sein: dann ist es
Tag» (Nietzsche).66 Blind und stumm und gerade darum sehend und
redend, fraglos und antwortlos und gerade damit fragend und ant
wortend, leidend und gerade darin triumphierend erkennen und lie
ben die Kinder Gottes ihren Vater; denn seine «Herrlichkeit wird sich
an ihnen offenbaren ». Sie wird – das ist ihre große Not. Sie wird – das
ist ihre unendlich größere Hoffnung. Das Futurum resurrectionis er
innert uns auch hier, dass wir bei dem Allem von Gott und nicht von
einer menschlichen Möglichkeit geredet haben.
64 Nach dem Anfang der Strophe 6 des Kreuzeshymnus « Vexilla Regis prod
eunt» des Venantius Fortunatus (um 535 bis vor 610), Vesperhymnus der Pas
sionszeit in der römisch-katholischen Kirche: « O crux , ave, spes unica » .
6s Eberle, S. 132 (in Barths Exemplar unterstrichen): Predigt über Röm .8,18–
22 (20.6.1535 ), WA 41,304,13–20 (Eberle [und WA ): « So du willst ein Miterbe
sein des Herrn Jesu Christi und nicht mit leiden und Sein Bruder sein und Ihm
nicht gleich werden ». – «Miterben erkennen». — « Wo du denn». – « für seinen
Bruder halten können» ).
66 Fr. Nietzsche, a.a.O. (s . oben S. 418, Anm. 63 ), NW, S. 280 (NWKG,
S. 371, Z. 16–28) (NW und NWKG, Z. 20: «Wunder der Enttäuschung»; NW:
«Nachtbilder», NWKG, Z. 22 entsprechend dem Erstdruck : «Nachbilder»).
419
«Denn die Aufmerksamkeit des Geschaffenen wartet auf die Of
fenbarung der Söhne (290 |Gottes. » Dass die Zeit, in der wir leben, die
Zeit des göttlichen Jetzt ist, dass sie eine ewige Zukunft ungeboren
und doch lebendig in ihrem Schoße trägt, das ist die Wahrheit, von der
alles Zeitliche, alles Geschaffene, alle Dinge Zeugnis ablegen. Wohin
mag denn der Mensch in seiner unausrottbaren Beunruhigung über
das, was er ist, in seiner unstillbaren Sehnsucht nach dem, was er nicht
ist, seine Augen richten, ohne dass ihm andre Augen entgegenblick
ten, die in derselben Beunruhigung und Sehnsucht, ja noch mehr, mit
einer Frage, die sich direkt an ihn wendeta , auf ihn gerichtet sind ?
Dass er mit seinem Leiden in einer leidenden Welt ist, darüber kann er
sich ja keinen Augenblick im Ernste täuschen. Leidet er selbst daran,
dass einer unanschaulichen Innenwelt, die er mindestens als Problem
in sich trägt, die harte Gegenständlichkeit, Fremdheit und Anders
artigkeit, das Auseinander, Nebeneinander und Gegeneinander einer
nur zu anschaulichen Außenwelt rätselhaft, übermächtig, drohend,
feindselig gegenübersteht, so kann er sich auf die Länge kaum ganz
verbergen, dass auch da draußen keineswegs das unmittelbare Leben
ist, sondern ein Kosmos von Gegebenheiten, Mittelbarkeiten, Be
grenztheiten und Fragwürdigkeiten. Ist es nicht offenkundig: je pro
blematischer der Mensch sich selbst wird, je härter er aufstößt auf das
Leiden als auf die Grundtatsache seines Lebenstages, je schwerer es
ihm unter dem zähen Einfluss des Christentums gemacht wird, wider
den Stachel zu löcken (vgl. Act. 26,14] und etwa zu vergessen, dass er
der Mensch ist und in welchem Schatten er steht, desto aufmerksamer
wird er auf den ihn umgebenden Kosmos, desto stärker fühlt er sich
mit ihm solidarisch, desto stürmischer drängt er sich vor, seine Ge
heimnisse zu wissen. Woher nur dieses seltsame Verlangen des mo
dernen Menschen nach Erfahrung von den Gletschern (an deren
Grenze noch Goethe Halt machte®7! ), von der Wüste, vom Nordpol,
ai-ai
1. Abdruck ( 19222): «die direkt an ihn sich wendet». Korrektur in Barths
Handexemplar.
422
Sehnsucht, die «Leerheit», die uns aus allem Geschaffenen anschaut,
ist wahrlich nicht dieser oder jener Schmerz oder Greuel oder Schön
heitsfehler und auch nicht die Summe des direkt Bedenklichen , das
ihm etwa anhaftet, sondern seine bloße Geschaffenheit als solche, sein
offenkundiges Entbehren des unmittelbaren Lebens, seine unstillbare
Hoffnung auf Auferstehung. Denn wie sollte das ewige Widerspiel
von Kraft und Stoff?", Werden und Vergehen, Organisation und De
komposition, Lebensdurst und Sterbensnotwendigkeit, wie sollte die
« Knechtschaft der Verweslichkeit », in der sich von der Mikrobe bis
zum Saurier und bis zum theologischen Schulhaupt alles Geschaffene
befindet, alles, was wir als Leben kennen oder in Analogie zu dem ,
was wir als Leben kennen ) als solches vorzustellen vermögen, wie
sollte das unmittelbares, wirkliches, ewiges Leben sein ? Woher nur
der traurige Mut, den der Mensch (besonders der westliche Mensch)
immer wieder findet, in ruchlosem Optimismus nicht zu sehen die
Leerheit, die Abwesenheit des Schöpfungslebens, die doch wahrlich
aus der Schönheit (z. B. eines menschlichen Leibes) ebenso wie aus
der Hässlichkeit, aus der Erhabenheit (z. B. der Berge) ebenso wie aus
der Erbärmlichkeit, aus dem Licht (z. B. des Mondes oder eines neuen
Buches) ebenso wie aus der Finsternis alles Geschaffenen spricht,
sprechen würde, wenn wir nicht so taub wären ! Verlieren müssen wir
die Ehrfurcht vor dem Pseudo-Leben, das wir zu begreifen vermögen,
diese Ehrfurcht, mit der wir dem göttlichen Geheimnis des Kosmos
gerade nicht gerecht werden. Wiederfinden müssen wir jenes «ver
nünftige Schauen», das im Kosmos der Unanschaulichkeit Gottes ge
wahr wird ( 1,20), jenes heilsame Erschrecken vor dem Geschaffenen,
nicht vor seinen Schrecklichkeiten , sondern (durch diese aufgeweckt
aus unsern optimistischen Träumereien !) angesichts seiner Schreck
lichkeiten und Liebenswürdigkeiten vor seiner bloßen Geschaffen
beit, die der Spiegel unsrer eigenen Geschaffenheit ist. Denn jenseits
jenes ewigen Widerspiels, das das Merkmal der Geschöpflichkeit ist,
ist (als Frage! ) die Schöpfung in der Schöpfung, Gott im Kosmos.
Wird er dort nicht gefunden, (293 | so wird er gar nicht gefunden, so
71 Der Ausdruck « Kraft und Stoff » ist vermutlich eine Erinnerung an Lud
wig Büchners weithin beachtete Abhandlung Kraft und Stoff. Empirisch -na
turphilosophische Studien. In allgemein - verständlicher Darstellung ( 1. Auflage
Frankfurt a.M. 1855 , 21. Auflage Leipzig 1904).
423
wird morgen, wenn der Rausch der «Lebensbejahung» aus irgend
einem wahrscheinlich nur zu triftigen Grund verflogen ist, « Lebens
verneinung» sich einstellen und von einer an sich bösen Welt, von
einer «nach eigenem Willen» oder auch nach dem eines Demiurgen
« leeren» Schöpfung zu klagen beginnen: Pessimismus als unvermeid
liches Gegenstück zu jenem Optimismusaj. Die «Leerheit» des Ge
schaffenen ist nicht sein eigener Wille, sie ist keine Gegebenheit erster
Ordnung, sie ist, ob sie nun von den Optimisten übersehen oder von
den Pessimisten entdeckt und sofort missdeutet wird, kein wirklich
Letztes. Sondern ihr ist das Geschaffene « unterworfen durch den Un
terwerfer » und darum « auf Hoffnung ». Der « Unterwerfer » ist Gott.
In ihm sind verborgen und dem Menschen nur zu offenbar: Leben
und Tod, Licht und Finsternis, Gut und Böse, Aufstieg und Nieder
gang , Idealität und Materialität, Innen und Außen. An ihm spalten
sich die Gegensätze, die jener Leerheit Wesen und Merkmal sind, seine
Tat, seine Frage, aber auch seine Antwort ist das Leiden, unter das jetzt
mit dem Menschen alles Geschaffene gestellt ist. Und eben darum
«auf Hoffnung» gestellt ist. Jenseits von Optimismus und Pessimis
mus, dort wo die « Leerheit » des Kosmos in ihrem Ursprung, als der
unanschauliche Abfall des Geschöpfs vom Schöpfer begriffen wird,
dort ist auch Hoffnung, Hoffnung auf die durch Kreuz und Aufer
stehung des Christus wieder hergestellte unanschauliche Einheit von
Schöpfer und Geschöpf. Die Erkenntnis der lückenlosen Knecht
schaft ist auch die Erkenntnis der Freiheit, das Entsetzen vor der Ver
weslichkeit ist auch die Hoffnung der Unverweslichkeit, das letzte
Halt ! ist auch das erste Vorwärts! – in Christus nämlich, im Geiste,
weil Gott Gott ist, weil die Wahrheit Schritt, Bewegung und Wendung
ist vom Tode zum Leben. Die Freiheit in der Herrlichkeit, auf die der
neue Mensch, Gottes Kind, der, der ich nicht bin, wartet, seufzend
und doch selig, sie ist das Verheißene, an dem auch der Leib, auch der
Mensch, der ich bin, mit seiner Welt teilnimmt. Denn eine gesegnete
Welt, die Welt der Schöpfung und ihres Lebens ist ja das Erbe, das mir,
dem Kinde Gottes verheißen ist. Ist der Mensch frei, dann ist auch die
Welt frei. Ist der Mensch eins mit sich selber, weil eins mit Gott, dann
72 Fr. Nietzsche, a.a.O. (s. oben S. 418, Anm. 63 ), NW, S. 286 (NWKG,
S. 376, Z. 15–22): «Das sind jene wahrhaften Menschen, jene Nicht-mehr
Thiere, die Philosophen, Künstler und Heiligen; bei ihrem Erscheinen und
durch ihr Erscheinen macht die Natur, die nie springt, ihren einzigen Sprung
und zwar einen Freudesprung, denn sie fühlt sich zum ersten Mal (NWKG
entsprechend dem Erstdruck : Male) am Ziele, dort nämlich, wo sie begreift,
daß sie verlernen müsse, Ziele zu haben und daß sie das Spiel des Lebens und
Werdens zu hoch gespielt habe.»
73 Nietzsche, Zarathustra, Von der schenkenden Tugend 2, NW, S. 114
(NWKG , S. 97, Z. 3-5 ): « Wahrlich, eine Stätte der Genesung soll noch die Erde
werden! Und schon liegt ein neuer Geruch um sie, ein Heil bringender, - und
eine neue Hoffnung! »
425
(und von dem , was nicht geschaffen, nicht in der Zeit ist, haben wir
kein Wissen ! ), sein ewiges Sein als ewige Zukunft ungeboren in sich
trägt, gebären möchte und - in der Zeit nie gebären wird. Wir wissen
die Universalität, die Einstimmigkeit, die Gemeinsamkeit dieser hoff
nungsvollen Not und dieser notvollen Hoffnung. Echte Spekulation
wird dieses Wissen begründen, formulieren, vertiefen , nie und nim
mer aber von ihm zu einem andern «höhern» Wissen fortschreiten.
Denn sie wird bedenken, dass das wirklich höhere Wissen, das Wissen
um die nicht seufzende, nicht in Wehen liegende, weil nicht kreatür
liche Kreatur das Wissen Gottes ist. Gott aber ist im Himmel und du
auf Erden (vgl. Pred. 5,1 ] ! Und gerade das Nicht-Wissen dessen, was
Gott weiß, ist das Wissen von Gott, der Trost, das Licht, die Kraft, das
Wissen der Ewigkeit, mit dem wir in der Zeit sind. «Auf das Jetzt hin»
seufzt ja die Kreatur, die in Christus offenbare Wahrheit meint sie und
deutet so offenen Ohren diese Zeit als «die Zeit des Jetzt», als die Zeit
der Ewigkeit. Ist es denn etwa schon gehört, das Seufzen der Kreatur,
das uns alles sagt, was wir zu hören brauchen, wenn wir hören kön
nen ? Das uns Christus verkündigt, wenn Christus in uns ist! Ist nicht
dieses Geheimnis geheimnisvoller als alle Geheimnisse? «Keine Ver
nunft noch menschliche Weisheit, sie sei so hoch sie wolle, kann sol
ches denken und glauben... Das (295 ) heißen recht apostolische und
geistliche Augen, die solches Alles in den Kreaturen sehen » (Luther).74
«Wir wissen» was wollen wir denn mehr wissen ?
<
Und nicht nur das Geschaffene, nein auch wir, die wir die Erstlin
ge des Geistes besitzen, auch wir seufzen bei uns selbst in Erwartung
unsrer Sohnschaft: der Erlösung unsres Leibes. » Wir kehren aus den
weiten Kreisen unsrer Welt, des Geschaffenen, Zeitlichen, Leiblichen
zurück in ihren engsten, vom Objekt zum betrachtenden Subjekt,
sofern es sich selber anschauliches Objekt ist, zu uns selbst also, zu
diesem Menschen, wie er leibt und lebt in dieser Welt, und die Augen,
die uns im Spiegel fragend anschauen, sind unsre eigenen, alles und so
zuletzt sich selbst als Objekt anschauenden Augen . Wer ist dieser
Mensch ? Wer bin ich ? – Der Besitzer der «Erstlinge des Geistes»,
427
leibliche Mensch, der Mensch, den wir allein kennen. Geist ? Was heißt
Geist ? Was wir als Geist kennen, pflegt auf alle Fälle nie und nirgends
anders aufzutreten, denn als Nebel über einem Sumpfgelände. Woher
der Nebel ? Was bleibt beharrlich, wenn der Nebel sich verzieht ? Wir
brauchen nicht zu antworten . Also unanschaulich herkommend
vom Geiste Gottes geht der Mensch anschaulich ganz und gar hinein
in eine unendliche Zweideutigkeit. In dieser Zweideutigkeit sind wir,
nirgends sonst, und auf weite Strecken ist sie ganz und gar eindeutig!
Was also sind wir, sofern wir so ehrlich sind, das alles zuzugeben ?
Seufzende offenbar auch wir «Besitzer der Erstlinge des Geistes», wir
so gut wie die seufzende Kreatur um uns her, seufzend in derselben
« Leerheit », d. h. in denselben Kontrasten von Leben und Tod, Licht
und Finsternis, Schönheit und Gemeinheit, in denen wir auch sie seuf
zen hören, in Wehen liegend wie sie, eine ewige Zukunft in uns tra
gend, von der wir wissen, dass sie nie eine Zeit war noch sein wird ,
Gefangene Gottes wie sie und darum wie sie - Hoffende! «Auch wir
seufzen bei uns selbst in Erwartung unserer Sohnschaft. » In Erwar
tung! Der Geist bezeugt uns, dass wir Gottes Kinder sind [8,16]. Ge
boren ist der neue Mensch, der die Welt seines Vaters ererben wird.
Aber dieser neue Mensch bin nicht ich, er ist nicht dieser Mensch, der
Mensch dieses Leibes in dieser Zeit. Dieses Menschen letzte Möglich
keit ist das Seufzen, die Erwartung der Sohnschaft. Sobnschaft selbst
ist die «Erlösung des Leibes», der Vollzug der Identität zwischen
Christus und mir, an die wir jetzt und hier nur glauben können, die
Auferstehung der Toten, die « Offenbarung» der Söhne Gottes, auf die
alles Geschaffene wartet, bei der auch kein Härlein auf unserm Haup
te (vgl. Mt. 10,30 par.] unerlöst zurückbleiben kann. Verlaufen und
versickert der ganze Ozean von Wirklichkeit, der jetzt und hier die
Insel der Wahrheit überspült und umgibt und nur noch Wahrheit ist:
die Wahrheit der Wirklichkeit! Ewigkeit die ganze Zeit, von den ur
ältesten Tagen bis auf die fernste Zukunft! Kein Innen, das nicht au
Ben, kein Außen das nicht innen wäre.76 Kein anderer, sondern ich,
kein Teil bloß, sondern ich in meiner Totalität erlöst, verwandelt, ge
reinigt, neu, vor Gott, bei Gott, in Gott, göttlichen Wesens und gött
lichen Lebens teilhaftig - das ist Sohnschaft. Diesseits der Auferste
428
hung aber ist Religion das letzte (297 Wort, und wir erinnern uns, was
das heißen will. Daher die Beunruhigung und Sehnsucht, die uns
wahrhaftig aus unsern eigenen Augen am stärksten anschaut; auch wir
stehen unter dem Kreuze, auch wir können nicht anders als bezeugen,
dass unsre Zeit die Zeit des Jetzt, der Ewigkeit ist, dass vor, hinter und
über unserm Lebenstage der Tag Jesu Christi ist, der kein Tag ist,
sondern der Tag aller Tage. « Kein Wunder also, daß wir von tiefer
Beunruhigung umgetrieben sind. Und nicht nur um ein Wünschen
handelt es sich da, sondern um ein sehnsüchtiges Schreien: denn wo
man das Elend als solches empfindet, da muss man schreien» (Cal
vin ). So werden wir uns selbst - und das ist die göttliche Rechtfer
tigung der religiösen Möglichkeit – zum Zeugnis. Wir können wissen,
dass auch wir selbst letztlich Seufzende sind und nichts als das, und
wir können uns zeigen und bezeugen lassen, was gerade das zu be
deuten hat. Es bedeutet, dass Gott unser Vater ist.
Sollte es uns etwa zu wenig sein, vom Seufzen zu wissen, vom
Seufzen der Kreatur und von unserm eigenen Seufzen ? Sollten wir
doch nach mehr, nach Höherem und Besserem verlangen, am Kreuz
vorbei, vorbei an den Leiden der Zeit ? Dann würden wir vorbeigehen
an der Auferstehung, vorbei an dem Jetzt, das dieser Zeit Geheimnis
ist, vorbei an Gott ! « Denn durch Hoffnung seid ihr gerettet. Sichtbare
Hoffnung ist aber nicht Hoffnung. Denn was einer sieht - was braucht
er das noch zu erharren ? Sofern wir aber hoffen auf das, was wir nicht
sehen, warten mir mit Beharrlichkeit. » Ja so hart und heilig und ge
waltig ist die Wahrheit, so sehr ist sie unsre Errettung, so sehr ist sie
Gott selbst, Gott füruns, dass sie als Sieg, als Erfüllung, als Gegenwart
in keinem Fall anders für uns zu haben ist denn « durch Hoffnung».
Wie könnte sie die Wahrheit sein, wenn wir, wie wir sind, direkte
Einsicht von ihr nehmen könnten ? Wie könnte sie Gott sein, wenn sie
uns je eine Möglichkeit unter andern werden könnte ? Wie könnte sie
unsre Errettung sein, wenn sie nicht in jedem Augenblick der Zeit der
übermächtige Zwang wäre, den Sprung in die Ewigkeit zu wagen: den
Gedanken Gottes selbst zu denken, frei zu denken, neu zu denken,
77 Calvin, col. 154: «Nam quia nondum plenitudine donati sumus, non mi
rum est inquietudine nos moveri. [...] Nec desiderium modo nominat, sed
gemitum : quia ubi sensus miseriae, illic et gemitus. »
429
ganz zu denken? «Durch Hoffnung », indem in Jesus Christus das
ganz und gar Andere, das Unbekannte, das Unzugängliche, die « ewi
ge Kraft und Gottheit» ( 1,20) Gottes in unsere Welt hineingetreten ist,
sind wir gerettet. Wie könnten wir etwas anderesak wollen, als dass
diese rettende Hoffnung sich immer wieder im Kreuz als Hoffnung
abgrenze und beweise gegenüber allem andern, das in der Welt ist.
Wüssten wir etwas anderes von |298 Gott als das Seufzen der Kreatur
und unser eigenes Seufzen, wüssten wir JesusChristus anders denn als
den Gekreuzigten (vgl. 1. Kor. 2,2), wüssten wir den heiligen Geist
anders denn als den Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt
[8,11), wäre das Inkognito gebrochen, in dem das Heil zu uns gekom
men ist, kommt und kommen wird, es wäre nicht das Heil! «Sichtbare
Hoffnung ist nicht Hoffnung.» Direkte Mitteilung von Gott ist keine
Mitteilung von Gott. Christentum , das nicht ganz und gar und restlos
Eschatologie ist, hat mit Christus ganz und gar und restlos nichts zu
tun.78 Geist, der nicht in jedem Augenblick der Zeit aufs neue Leben
aus dem Tode ist, ist auf alle Fälle nicht der heilige Geist. «Denn was
sichtbar ist, das ist zeitlich» (2. Kor. 4,18). Was nicht Hoffnung ist, das
ist Klotz, Block, Fessel, schwer und eckig wie das Wort «Wirklich
keit». Es befreit nicht, sondern es nimmt gefangen . Es ist nicht Gnade,
sondern Gericht und Verderben. Es ist nicht göttliche Führung, son
dern Schicksal. Es ist nicht Gott, sondern ein Spiegelbild des unerlö
sten Menschen. Und wenn es ein noch so stattlicher Aufbau sozialen
Fortschritts, und wenn es eine noch so ansehnliche Blase christlicher
Erlöstheit wäre ! Erlösung ist das Unanschauliche, Unzugänglicheal,
Unmögliche, das als Hoffnung uns begegnet. Können wir etwas An
deres, Besseres sein wollen als Hoffende oder etwas anderes daneben ?
Beharren, das ist doch (jeder Bauer, jedes alte Mütterchen, aber auch
jeder wirklich tätige oder wirklich leidende Mensch weiß das, ganz
ak
al
2. Abdruck ( 19233): «anders».
1. Abdruck ( 1922²): «Unzulängliche» (vgl. oben S. 132, Anm. 14). Korrek
tur in Barths Handexemplar.
431
ten reden anders denn in Negationen des Ersten ? Aber gemeint war,
wir wiederholen es nochmals, immer das Zweite: «Der Geist selbst ist
Zeuge unserm Geiste, dass wir Kinder Gottes sind» (8,16). Abdruck
und Siegel nur des Geistes ist auch das Seufzen der Kreatur und unser
eigenes Seufzen, Widerhall nur des göttlichen Wortes unser Schreien:
Abba! Vater! Der Geist handelt in eigener Sache und geht seinen ei
genen Weg. Nicht wir haben ihn, sondern er hat unsan ,
Er ist zuerst da, er «kommt unsrer Schwachheit zuvor» . Er ist der
creator spiritus . Denn «Schwachheit, Fleisch und nicht Geist,
menschlich und nicht göttlich, sündig und nicht gerecht ist auch unser
Seufzen. Ist es vor Gott erhört und angenommen, dann vor Gott und
nur vor ihm. Schwachheit ist auch unser Warten, und wenn es noch so
geduldig, noch so gläubig wäre. Es kann immer auch ein Warten in der
Hölle sein, ein unbestimmtes, aussichtsloses, tatenloses, charakterloses,
wertloses Warten, ein Warten auf Nichts und darum ein Warten ohne
Erfüllung, und niemand bürgt uns dafür, dass unser Warten nicht die
ser Artist. Niemand außer Gott! Dass der Geist uns zuvorkommt, dass
die Wahrheit in sich selber Wahrheit ist, das ist die Kraft in unsrer
Schwachheit (vgl. 2. Kor. 12,9]. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass
wir auch mit der schärfsten Negation dieser Kraft nicht habhaft wer
den können. Auch der «negative Weg » der Mystik& ist ein Holzweg,
wie alle «Wege» Holzwege sind. Weg ist nur der Weg; aber das ist
Christus (vgl. Joh. 14,6 ]. 300
«Denn was wir beten sollen nach Gebühr, wissen wir nicht.» Ver
stehen wir, was das heißen will am Ende dieses Abschnitts des Rö
an
2. Abdruck ( 1923 '): «er hat uns» .
79 Vgl. den Hrabanus Maurus (um 776-856 ) zugeschriebenen Pfingsthym
nus « Veni Creator Spiritus».
80 Die via negativa, die apophatische oder negative Theologie, geht aus vom
Unvermögen, Gott adäquat in Sprache auszudrücken . Apophatische Tradition
ist oft, wenn nicht immer, verbunden mit einem mystischen Ansatz, mit dem
Nachdruck auf einer spontanen oder kultivierten individuellen Erfahrung der
göttlichen Realität jenseits der empirischen Wahrnehmung. Das Thema muss
in den Kreisen um Barth zur Zeit seiner Arbeit am zweiten Römerbrief dis
kutiert worden sein, u.a. in Verbindung mit Gogartens Vortrag aufder Aarauer
Studentenkonferenz am 20. April 1921 : Mystik und Offenbarung, in: Fr. Go
garten, Die religiöse Entscheidung, Jena 1921 , S. 54-74.
432
merbriefs? Hat Paulus etwa nicht gebetet, indem er diese Worte
schrieb ? Nicht recht gebetet? Sind sie etwa etwas anderes als ein ein
ziges Gebet, und wo ist tiefer, kühner, selbstloser gebetet worden als
hier? Und indem Paulus diese Worte schreibt, weiß er, dass er nicht
weiß, was er beten soll nach Gebühr ! Warum weiß er nicht ? Offenbar
darum , weil auch das Gebet keineswegs «das Wunder der Wunder » ist,
«das sich täglich in der Seele des Frommen vollzieht»81, weil «das
Streben nach Befestigung, Stärkung und Steigerung des eigenen Le
bens das Motiv alles Betens » 82 ist und sein Wesen der « Verkehr des
Frommen mit dem persönlich gedachten und als gegenwärtig erlebten
Gott» (Fr. Heiler)®, weil auch das tiefste, heroischste, gewaltigste
Beten (wahrhaftig auch das der Propheten, Apostel und Reformato
ren84, um von den Künsten der Xosakaffernes und Kekchiindianer86
gar nicht zu reden !) nur Eines anschaulich zu machen vermag: wie
wenig auch der betende Mensch über das Eigene, Gedachte und Er
lebte hinauskommt, wie sehr auch er, ja gerade er restlos und durch
und durch Mensch ist und nichts sonst, wie sehr auch die kühnsten
Sprünge und Brückenschläge der sog. « Frömmigkeit » sich durchaus
innerhalb dieser Welt abspielen und mit einem Verkehr des Menschen
mit dem nicht gedachten, nicht erlebten, sondern lebendigen Gott an
sich nichts, gar nichts zu tun haben, weil auch das Gebet, gerade das
Gebet, gegenständlich betrachtet und verherrlicht, nur eine Bestäti
gung des Einwandes ist, den Feuerbach mit menschlich vollem Recht
gegen die Religion überhaupt erhoben hat®7. « Wir wissen nicht!» Jen
seits von diesemº «Wir nicht» (das mit der Versenkungstechnik der
ao
433
östlichen und westlichen «Gebetsvirtuosen »88 nichts zu schaffen hat,
als dass es den schärfsten Protest gegen dieses Meer von Unfug bildet)
liegt die Realität des Umgangs des Menschen mit Gott.
Denn der Geist selbst tritt übermächtig für uns ein mit unausge
sprochenen Seufzern .» Wir warten, aber dass wir auf Gott warten, das
allein macht uns allenfalls zu nicht umsonst Wartenden . Wir schauen
aus, aber dass wir zuerst angeschaut sind, das unterscheidet uns von
solchen, die ins Leere schauen. Wir reden, aber dass aus unserm Reden
das redet, was wir aus Gründen nicht reden, das unterscheidet unser
Reden vom leeren Geschwätz. Und so beten wir, aber dass der Geist
selbst für uns eintritt mit Seufzern, die auf unsern Lippen unausge
sprochen bleiben, weil sie, in unsre Sprache übersetzt, Jubellieder sein
( 301 ) müssten, deren wir nicht fähig sind, das unterscheidet unser Be
ten, unser Seufzen von dem Seufzen, das nur Schwachheit ist und
nichts sonst. Nicht dass wir eine hohe, höhere, ganz hohe Stufe des
Betens erreichen, ist wichtig; denn auch diese Leiter steht mit allen
vermeintlichen Himmelsleitern im Bezirke Nicht-Gottes, des Gottes
dieser Welt [vgl. 2. Kor. 4,4]. Aber dass ein Anderer, der Ewige, der
« zweite Mensch vom Himmel » ( 1.Kor. 15,47) übermächtig dasteht an
unsrer Stelle vor Gott, das ist die Rechtfertigung unsres Betens, die
Realität unsrer Gemeinschaft mit Gott.
« Der aber die Herzen erforscht, weiß den Sinn des Geistes, dass er
nach Gottes Weise für die Heiligen eintritt. » Wir werden es unter
wegsap lassen, Gott zu erforschen , aber er erforscht uns. Unser Sinn ist
ap
1. Abdruck ( 1922°): « unterwege» . Vielleicht fürchtete der Lektor oder der
Korrektor, der Ausdruck sei in der Form « unterwege lassen» missverständli
cher als in der « unterwegs lassen» (= unterlassen, beiseite lassen).
88
Vgl. Heiler, S. 310 (in Barths Exemplar unterstrichen): Es «besteht im
wesentlichen kein Unterschied zwischen den Gebetsstufen der neuplatoni
schen, sûfistischen, hinduistischen und christlichen Mystiker; ihr psycholo
gischer Grundcharakter deckt sich sogar mit den Versenkungsstufen des Yoga
und Buddhismus » . - S. 240: Paulus «war ein Virtuose des fürbittenden Betens »
(angestrichen). – S. 367: Luther und Calvin « Virtuosen des Fürbittegebets»
(angestrichen). – Zu den « Gebetsvirtuosen» vgl. auch Th. Haering, Der christ
liche Glaube ( Dogmatik ), Stuttgart 1906, S. 349: «Das echte Gebet [...] stellt
sich nie und nirgends in den Dienst eines «geistlichen Glücksrittertums» (Herr
mann); dadurch entweiht es die Frömmigkeit solcher Gebetsvirtuosen in ihren
Lebenswurzeln und schädigt wie fast nichts sonst das Zutrauen zur Frömmig
keit in andern » .
434
nie der rechte, Gott aber kennt den Sinn des Geistes in uns, und dieser
Sinn ist, weil Gott ihn kennt und weil er des Geistes Sinn ist, der
rechte. Menschlicherweise kann niemand und nichts für uns eintreten;
auf uns selber stehen wir ganz allein89 und sind verloren, aber nach
Gottes Weise tritt der Geist für uns ein und wir sind gerettet. Sünder
sind wir und Sünder bleiben wir ohne dieses «Eintreten» des Geistes,
aber Heilige nennt uns Gott, zu Heiligen schafft er uns aus dem
Nichts dessen, was wir waren, sind und sein werden: zu seinen Hei
ligen, seinen Ausgesonderten, seinen Werkzeugen kraft jenes Eintre
tens. Der aber für uns eintritt, ist der Geist, die Wahrheit, die Hoff
nung, Jesus Christus.
DIE LIEBE
8,28–39
V.28–30 Wir wissen aber: denen, die Gott lieben, lässt er Alles zum
Guten zusammenwirken, denen, die nach seinem Beschluss dazu
Berufene sind. Denn die er erkannte, die bestimmte er auch dazu,
gleichgestaltet zu werden dem Bilde seines Sohnes (damit dieser der
Erstgeborene sei unter vielen Brüdern ! ). Die er aber dazu bestimm
te, die berief er auch. Und die er berief, die erklärte er auch gerecht.
Die er aber gerecht erklärte, die machte er auch der Herrlichkeit
teilhaftig.
« Wir wissen . » Keine göttliche Gegebenheit, keine Anschaulichkeit,
keine Gegenständlichkeit! Gäbe es sie, Gott wäre nicht Gott! Kein
Hinübergreifen des Menschen findet statt in jenes Reich und kein
Hineinragen jenes Reiches in diese Welt. Wir sind die Menschen, für
die Gott endgültig und auf der ganzen Linie dessen, was wir wissen,
der Andere, der Fremde ist. Und unsre Welt ist die Welt, innerhalb
89 Vgl. aus der ersten Strophe des «Reiterliedes» von Fr. Schiller (auch in:
Wallenstein. Ein dramatisches Gedicht. Wallensteins Lager, V. 1055f. [ 11. Auf
tritt]) :
Da tritt kein anderer für ihn ein,
Auf sich selber steht er da ganz allein.
435
derer Gott endgültig und im ganzen Umkreis – 1302| außerhalb ist.
« Nach ewigen, ehernen, großen Gesetzen müssen wir alle unsres Da
seins Kreise vollenden .» 90 Nur vom Seufzen der Kreatur und von
seinem eigenen Seufzen weiß dieser Mensch in dieser Welt (8,22–23 ),
kann er wenigstens wissen ( 1,19-20), sofern ihm die «Leerheit» seines
Daseins (8,20), die Dialektik der Gegensätze, die Relativität und das
Heimweh alles nur Gegebenen, nur Anschaulichen, nur Gegenständ
lichen nicht etwa entgehen sollte. Für die heilsame Öffnung unsrer
Augen sorgt das Leiden und, unmittelbar an das Grenzdatum des
Leidens anknüpfend, in ihrem Wesen als Deutung dieses Datums die
ihres Namens würdige Philosophie. Also, nicht-wissend um Gott und
sein Reich, wissend um das Seufzen alles Geschaffenen, gehen wir
einig mit jeder ehrlich profanen, nicht einig mit den Halbheiten theo
logischer Natur- und Geschichtsbetrachtung. Denn gerade jenes
Nicht-Wissen und dieses Wissen sind der Stahl und der Kiesel, aus
denen, sofern sie im Geist, in der Wahrheit zusammentreffen , als Neu
es und Drittes das Feuer des nicht-wissenden Wissens von Gott und
des wissenden Nicht-Wissens von der Leerheit unsres Daseins, das
Feuer der Liebe zu Gott, weil er Gott ist ( 5,5 ), aufspringt, während das
theologische, scheinbare Wissen von Gott und scheinbare Nicht
Wissen von der Leerheit unsres Daseins sich weder im Geist und in
der Wahrheit (vgl. Joh. 4,24) treffen , noch weniger Feuer und noch
weniger das Feuer der Liebe zu Gott entzünden können.
«Denen die Gott lieben ». Liebe zu Gott ist nicht diese oder jene
Möglichkeit menschlicher Haltung. Sie kann in unsren Ohren sein,
wenn wir das Seufzen der Kreatur vernehmen, und auf unsern Lippen,
wenn wir selbst seufzen. Sie kann in unserm Beten sein, aber auch in
unserm Nichtbetenkönnen. Sie kann in unsrer Religion sein, aber
auch in unsrer Gleichgültigkeit, in unsrer Abneigung, in unsrem
Kampf gegen sie. Sie kann auf dem Grunde unsrer größten Leiden
schaft wohnen oder auf dem unsrer größten Gelassenheit. Und sie ist
doch nie weder dieses noch jenes, sondern der Sinn und die Kraft, die
sowohl diese wie jene Möglichkeit menschlicher Haltung von Gott
aus und in Beziehung auf Gott bekommen kann. Liebe zu Gott ist die
tiefste Sachlichkeit gegenüber der Problematik unsres Lebens. Wenn
aq-a9 Das Melanchthon-Zitat ist ein Zusatz im 2. Abdruck ( 1923 ') gegenüber
dem 1. Abdruck ( 1922°). In Barths Handexemplar verweist eine Notiz darauf:
«Mel. Loci S. 120» .
91 Die Loci commun unes Philipp Melanchthons in ihrer Urgestalt nach G.L.
Plitt, hrsg. von Th. Kolde, Leipzig 1900), S. 120 (= CR 21,123).
437
etwa auftreten mag, sind wesentlich - so gewiss im Hiobbuche nicht
eben die vortrefflichen Reden der Freunde wesentlich sind -, sondern
die Antwort Gottes, die da gehört wird, die Gegenwart Christi und
die Ausgießung des Heiligen Geistes, die da stattfindet, der «unbe
greifliche Weg » ( 1.Kor. 12,31 ) Gottes zum Menschen, des Menschen
zu Gott, der da eröffnet und betreten ist, die Notwendigkeit und
Freiheit, mit der da der Mensch in Berührung kommt, und die exi
stentielle Begründung seiner Persönlichkeit, die ihm da widerfährt,
der Sinn aller menschlichen Möglichkeiten, der sich ihm da offenbart
als ewiger Sinn; jenseits dessen , was « aufgehoben » wird, wenn das
Kind zum Mann wird, wenn wir, statt im dunkeln Spiegel, schauen
von Angesicht zu Angesicht, wenn wir, statt « stückweise » zu erken
nen, erkennen, wie wir erkannt sind ( 1.Kor. 13,8–12). Die Liebe zu
Gott – Agape: von allem, auch von allem religiösen Eros geschieden
durch das blitzende Schwert des Todes und der Ewigkeit, das verkün
digt, dass hier der neue Mensch, der weder freit noch sich freien lässt
(vgl. Mt. 22,30 par.), vor dem Gott steht, mit dem, im 304 Unter
schied zu Baal und seinesgleichen, keinerlei Minne zu treiben ist – ist
die Liebe, die «nimmer aufhört» ( 1.Kor. 13,8), mit Glaube und Hoff
nung das, was bleibt, und zugleich das Größte unter diesen», weil sie
als das existentielle Geschehen im Glauben und in der Hoffnung (als
die « Energiewerdung» des Glaubens Gal. 5,6) ganz und gar nur als
Gottes Werk, als der «unbegreifliche Weg » verstanden werden kann
( 1.Kor. 13,13 (vgl. 1. Kor. 12,31 ]): a « Carni contraria voluptate spon
sus sponsam suam afficit Christus, nempe post amplexus, amplexus
ar 92
vero ipsi mors et infernus sunt» (Luther).ar
Denen « lässt er Alles zum Guten zusammenwirken . » Liebe zu Gott
ist eine Demut, die so sehr Selbstbewusstsein ist, so sehr weiß, was sie
will, dass sie gewisse Fragen nicht mehr stellt, gewisse Ansprüche
nicht mehr erhebt. Sie ist eine Sehnsucht, so groß, dass sie schon Er
füllung geschmeckt hat und gerade darum nicht mehr zu beruhigen,
ar-ar Das Luther-Zitat ist ein Zusatz im 2. Abdruck (1923 ) gegenüber dem
1. Abdruck ( 1922°). In Barths Handexemplar verweist eine Notiz darauf:
« E.A. XIV, 243 » .
441
Wissen. Diese also sind die Gott Liebenden , die von Gott selbst, von
Gott allein dazu berufen sind. Wie sollten sie Gott Liebende sein,
wenn wir befriedigendere, beruhigendere Antwort geben könnten ?
«Denn die er erkannte, die bestimmte er auch dazu, gleichgestaltet
zu werden dem Bild |307| seines Sohnes (damit dieser der Erstgeborene
sei unter vielen Brüdern !). Die er aber dazu bestimmte, die berief er
auch. » Berufene werden die genannt, die Gott lieben, Berufene offen
bar im Gegensatz zu Unberufenen, die Gott zu lieben meinen oder
vorgeben und doch nicht lieben. Die Berufung, sie allein, ist das, was
den Propheten unterscheidet von den falschen Propheten, Paulus von
den sieben Söhnen des Skeuas (Act. 19[, 13-16]). Die Gott lieben, wer
den sich nie dagegen verwahren , dass sie mit allen solchen eitlen Thyr
susträgern °4 ganz und gar in der Reihe gehen, bis zur Ununterscheid
barkeit ihnen ähnlich sind. Sie werden sich nicht wundern, wenn sie
mit jenen verwechselt werden, und sie werden Gott die Ehre geben,
wenn man sie nicht mit jenen verwechselt. Sie werden sich auch auf
ihre Berufung nicht berufen, bedenkend, dass nur die Berufung selbst,
nie und nimmer aber eine Berufung auf die Berufung sie legitimieren
kann. Sie werden sich nicht weigern, sich aus aller Ruhe und Sicher
heit aufstören zu lassen durch die Erinnerung, dass sie nicht mehr und
nicht weniger als Berufene sind. Dass die Liebe zu Gott ausgegossen
ist in ihre Herzen durch den heiligen Geist (vgl. 5,5], das wird für sie
nie selbstverständlich, nie schon geschehen, nie erledigt sein. «Ich
werde sein, der ich sein werde ! » (Ex. 3,13-15 ), der Unbekannte, der
Unanschauliche, der Ewige ist ihr Berufer, und gerade als solchen
lieben sie ihn. Im Augenblick, wo sie Gott anders, in einem direkten
Verhältnis, als Besitzende, Genießende, Gesicherte lieben würden ,
wäre Gott nicht mehr Gott und ihre Berufung nicht mehr Berufung.
Denn die sind Berufene, die von Gott dazu bestimmt sind, « gleich
gestaltet zu werden dem Bild seines Sohnes». Das «Bild», dem sie
« gleichgestaltet» werden, ist der Tod Jesu (Phil. 3,10). Unter diesem
Bilde, unter diesem Inkognito, unter dem Transparent dieses das Le
ben Jesu charakterisierenden und beherrschenden Vorgangs ist ja der
Sohn Gottes in die Welt gekommen ( 5,6; 6,5 ; 8,3). Und dazu sind die
bestimmt, die Gott lieben: Zeugen zu sein des Todesweges Jesu und
94 Der Thyrsusstab ist das Emblem des Dionysos und der Mänaden.
442
also Zeugen seiner Auferstehung (vgl. Act. 1,22]. Schwerste letzte Be
drängnis ist ihr Lebensweg, wie er sich auch gestalten möge: die Be
drängnis derer, die zwischen dem unbekannten Gott und der nur zu
bekannten Welt nicht mehr ein noch aus wissen. In dieser Bedrängnis
Gott lieben, die Bedrängnis Jesu in Gethsemane und Golgatha veran
schaulichen und verkündigen, den « unbegreiflichen Weg » ( 1. Kor.
12,31), der mit der Taufe am Jordan und mit den Versuchungen be
ginnt und mit dem Kreuz endigt, mitgehen und also Botschafter sein
an Christi Statt, also das Wort der Versöhnung wehrlos, in letzter
Sachlichkeit als Gericht über sich selbst aufgerichtet sein (308 ) lassen
(2. Kor. 5,19-20 ) – das heißt Gott lieben. Aber sofort ist klar: wo diese
Bestimmung sich erfüllt an einem Menschen, wo es Ereignis wird,
dass ein Mensch wie Hiob oder Paulus den Tod Jesu verkündigt, wo es
möglich wird, dass ein Mensch seiner Bedrängnisse sich rühmt als
seiner Ehre und seines Heils ( 5,3 ), dass ein Mensch zum leuchtenden
Licht wird in seiner Not, trotz seiner Not, wegen seiner Not (2. Kor.
1,3-11 ) - das ist Gottes Werk an ihm und durch ihn. Keine Askese,
kein Martyrium, keine Todesweisheit, kein « Freitod», keinerlei
selbsterwählte endliche Negation schafft die göttliche, die unendliche
Negation, die im Kreuze Christi leuchtet. Kein Todeserlebnis kann
Ersatz sein für den Tod, der zuat dem Berufenen und durch den Be
rufenen redet vom lebendigen Gott, keine «Nachfolge Christi» etwa
macht, als menschliches Unternehmen unternommen, den Menschen
zu einem der vielen Brüder des erstgeborenen Gottessohnes. Sondern
göttliche, unanschauliche, ewige Bestimmung, «Getriebensein vom
Geist» (8,14) schafft solche Gottessohnschaft des Menschen, solche
Bedeutsamkeit seines anschaulichen Daseins, solche Orientierung sei
nes Denkens, Redens und Tuns. Gott gehört das Feuer, das solches
Licht anzündet, und Gott also auch sein Leuchten. Denn wenn Be
drängnis nicht nur Bedrängnis, Tod nicht nur Tod, Nein nicht nur
Nein, Nicht-Wissen nicht nur Nicht-Wissen ist, wie es im «Bilde
seines Sohnes» eben nicht nur das, sondern vielmehr die Umkehrung
von dem allen ist, dann ist Gott, der Schöpfer und Erlöser zur Stelle
mit seinem Wort als das sehende Auge und als die gesehene Sonne,
dann hat er entschieden und nicht der Mensch. In solcher Bestim
at
2. Abdruck ( 1923 '): «zu».
443
mung also, die jedem Augenblick unsrer Zeit vorausgeht, und darum
in solch indirekter, gebrochener Beziehung zu Gott liegt die Legiti
mität und Autorität der Berufung derer, die Gott lieben. Bestimmt
von Gott aber sind sie darum , weil sie von Gott erkannt sind. «Sofern
jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt» ( 1. Kor. 8,3 ). Wir stehen
vor dem Geheimnis der Prädestination des Menschen zur Seligkeit.
Augustin und die Reformatoren haben es mythologisierend im Sche
ma von Ursache und Wirkung dargestellt und damit seiner eigentli
chen Tragweite beraubt. Denn dass Gott den Menschen erkennt und
dass in solcher Erkenntnis Gottes selbst, Gottes allein die Liebe des
Menschen zu Gott, seine Bestimmung zu Gottes Sohn und in dieser
Bestimmung seine Berufung zum Zeugen der Auferstehung Ereignis
ist, das bedeutet nicht, dass solche Liebe als ein Sein, Haben und Tun
des Menschen in der Zeit durch eine am Anfang (d. h. aber in! ) der
Zeitreihe befindliche göttliche Ursache gewirkt sei, sondern dass sol
che Liebe zu Gott in keinem Augenblick der Zeit- 1309| reihe als ein
Sein, Haben und Tun des Menschen auftreten und angesprochen wer
den kann, sondern über aller Zeit und also in jedem Augenblick in
Gott selbst ihren Ursprung hat, in Gott selbst gesucht und gefunden
werden muss . Ein Gott Liebender kann sich nie fragen: Bin ich’s ?, den
kann man nicht fragen: Bist du's ? Sinnreich ist die Frage: Bin ich's ?
immer nur in der Meinung, in der sie die Jünger beim Abendmahl
aussprachen (vgl. Mt. 26,22 par.] . Es kennt der Herr die Seinen .' Er
kennt sie, die Gefangenen als frei, die Sünder als gerecht, die Ver
dammten als selig, die Toten als lebendig, wie auch er der Richter ist,
wie der Mensch auch nur an ihm gesündigt hat und sündigen kann.
Die Wahrheit der Liebe des Menschen zu Gott ist in Gott und nicht im
Menschen: in Gott ist sie begründet, in Gott ist sie verwirklicht, Gott
sieht sie und Gott belohnt sie, Gott weiß sie und in Gott, nur in Gott
ist sie existentiell. Und diese Erkenntnis Gottes findet ewig, unan
schaulich, vor, über und nach aller Zeit statt und ist also nie eins mit
einer Erkenntnis des Menschen in der Zeit, sondern aller menschli
chen Erkenntnis Krisis, Voraus-Setzung und Aufhebung: « Sofern je
mand meint etwas erkannt zu haben, der hat noch nicht erkannt nach
Gebühr» ( 1.Kor. 8,3 ). Denn was Einer erkannt hat, was ihm also
95 Vgl. den Anfang des Chorals von Ph. Spitta nach 2.Tim. 2,19, EG 358.
444
«sichtbar ist, das ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, das ist ewig»
(2. Kor. 4,18). Das ist Geist, das ist Wahrheit! Und das also ist die
Ruhe, die Sicherheit derer, die Gott lieben, dass in der Ewigkeit, im
Geist, in der Wahrheit die Entscheidung liegt über ihre Bestimmung
und Berufung. Ihre Unruhe vor Gott ist ihre Ruhe, ihre Unsicherheit
vor Gott ihre Sicherheit, Furcht und Zittern (vgl. Phil. 2,12] vor Gott
der Hebel ihres eigenen Seins, Habens und Tuns. Gerichtet sind sie
gerecht, blind sind sie sehend, getötet sind sie lebendig und also, nie
und nimmer aber in einem direkten Verhältnis von Ursache und Wir
kung, immer und immer wieder auf Gott angewiesen, sind sie in jedem
Augenblick der Zeit, was sie sind.
Und nun meinen wir zu wissen, was wir sagen, wenn wir sagen:
«Die er berief, die erklärte er auch gerecht; die er abergerecht erklärte,
die machte er auch der Herrlichkeit teilhaftig. » Ist die Berufung des
Menschen zur Liebe zu Gott gesichert, gesichert im Geist, in der
Wahrheit, in Gott selbst, dann auch seine unanschauliche, reine, von
Gott ihm aus Barmherzigkeit zugesprochene Gerechtigkeit und Eig
nung zum Bürger des Himmelreichs, die Tatsache, dass Gott ihn, den
Sünder zu sich rechnet. Denn an dem von ihm berufenen, bestimmten,
erkannten Menschen, in der Verborgenheit seines Seins, Habens und
Tuns (2,16), findet Gott, was ihm wohlgefällt, weil es das Neue ( 310|
ist, das er selbst schafft zu des Menschen Erlösung. Der zur Liebe zu
Gott Berufene ist unanschaulich der neue Mensch, der Gott recht ist.
Der zureichende Grund, weshalb ihm Gott «Alles zum Guten zusam
menwirken lässt», weshalb ihm die eine Wahrheit als ewige Hoffnung,
aber existentiell als seine Hoffnung begegnen kann, ist gegeben. Ewige
Zukunft wird als solche auch schon menschliche Vergangenheit, Ge
genwart und Zukunft. Agape «trägt Alles, glaubt Alles, hofft Alles,
beharrt in Allem» ( 1. Kor. 13,7). Agape ist existentieller Sinn für Gott,
existentiell, weil sie Gottes eigener Sinn ist, weil sie Geist ist, der auch
die Tiefen Gottes erforscht ( 1.Kor. 2,10). Aber Agape ist und bleibt
«der unbegreifliche Weg » ( vgl. 1. Kor. 12,31], der nur durch Gott,
nicht durch das Erlebnis , nicht durch den Beweis , nicht durch die
intensive Behauptung Gottes, sondern durch Gott begreiflich wird.
V. 31-32 Was sollen wir nun dazu sagen ? Ist Gott für uns, wer ist
wider uns? Der seinen eigenen Sohn nicht schonte, sondern hat ihn
für uns alle dahingegeben, wie sollte er uns nicht auch mit ihm in
Allem Gnade geben ?
445
«Was sollen wir nun dazu sagen ?» – zur Erklärung, Deutung, Er
gänzung etwa dessen, was Gott selbst denen sagt, die ihn lieben, was
nur Gott selbst sagen kann dort, wo er gesucht sein will und sich
finden lässt ? Ist nicht alles von uns dazu Gesagte als solches ein Dar
über-, ein Daranvorbei-, ein Dagegengesagtes ? Gleich verdunkelnd
wie das menschliche Reden über das, was die Liebe weiß, wirkt nur
das menschliche - Schweigen davon. Im Unrecht sind wir also, ob wir
etwas «dazu sagen» oder ob wir's verschweigen. Wir können aber
auch in Beidem im Recht sein, wenn Gott uns Recht gibt.
« Ist Gott für uns, wer ist wider uns?» «Si Deus pro nobis, quis
contra nos ? Wenn wir das Pronomen nos und nobis wohl könnten
deklinieren und verstehen, so würden wir das Nomen Deus auch
wohl konjugieren und aus dem Nomen ein Verbum machen, daß es
hieße: Deus, dixit et dictum est; da würde die Präposition contra zu
allen Schanden werden und endlich ein infra nos daraus werden, wie
doch geschehen wird und muß. Amen» (Luther).96 « Gott für uns», das
ist's, was denen gesagt ist, die Gott lieben. « Gott für uns», das bedeu
tet aber das Unerhörte, dass das Reich der Gegensätze hinter uns liegt,
dass die Zweiheit, in der wir jetzt und hier und zu aller Zeit alles sehen:
von Gott aus die Welt, von der Welt aus Gott im Finstern, überwun
den ist. Diese Zweiheit ist ja die Zweiheit des seine Andersheit und
Eigenheit Gott gegenüber wissenden und wollenden, des von Gott
gelösten, in die Rela-1311 | tivität gestürzten und endlich und zuletzt
auch noch religiösen Menschen. Er hat «die Wahrheit gefangen ge
au Druckmanuskript: «Er».
447
übrig bleibt, da wird er uns wahrhafter lebendiger Gott, da erscheint
uns die Hoffnung seiner Herrlichkeit, da steht Gott - Gott, den wir
nie anders kennen, als gegenüber uns, gegen uns – für uns. Christus
dahin - 312 gegeben, Christus, der uns alles nimmt außer Gott in sei
ner Existentialität, das ist – wir müssen es wagen, diese uneinnehm
bare Position zu stürmen, denn sie ist schon gefallen! - « Gott füruns»
(8,31 ), wir an Gottes Seite! Der dahingegebene Christus ist der Geist,
die Wahrheit, der nicht ruhende Arm Gottes. Leiden wir mit ihm, wie
sollten wir nicht auch mit ihm verherrlicht werden (8,17) ? Sterben wir
mit ihm, wie sollten wir nicht auch mit ihm leben (6,8) ? Hat uns Gott
mit ihm dahingegeben unter das Gericht, das über allem ist, wie sollte
er uns nicht auch mit ihm in allem Gnade geben, alles uns zum Guten
zusammenwirken lassen (8,28) ? « In Allem Gnade ! » Wir können nicht
reden, aber auch nicht nicht reden von der Morgenröte97, die wir ge
sehen haben.
V.33-39 Wer mag Anklage erheben gegen die Auserwählten
Gottes? Etwa Gott - der uns gerecht erklärt? Wer mag verurteilen ?
Etwa der Christus Jesus - der Gestorbene, vielmehr der Auferstan
dene, der zur Rechten Gottes ist, der sogar für uns eintritt ? Wer
mag uns scheiden von der Liebe des Christus? Etwa Bedrängnis?
Verlegenheit? Verfolgung ? Hunger? Entblößung? Gefahr ?
Schwert? (Es geht uns ja wie geschrieben steht: Um deinetwillen
sind wir in den Tod gegeben den ganzen Tag, wie Schlachtschafe
sind wir geachtet (Ps. 44,23 ) – aber in dem allem sind wir ja siegreich
durch den, der uns geliebt hat ! Denn ich weiß, dass weder Tod noch
Leben , weder Engel noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch
Zukünftiges, weder Mächte der Höhe noch solche der Tiefe noch
448
irgend ein anderes Geschaffenes uns scheiden kann von der Liebe
Gottes in Christus Jesus unserm Herrn.
Kann die hier gestürmte Position « Gott für uns » behauptet wer
den? Nein, sie muss alsbald wieder preisgegeben werden; denn wir
wissen, dass sie Gottes eigene Position ist, in der wir in Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft nichts zu suchen haben. Anklage ist ja er
hoben, zu jeder Zeit, in jeder Beziehung, gegen jeden Menschen. Der
Mensch Gott gegenüber, wie sollte er je und irgendwie etwas Anderes
sein als der Angeklagte ? Verurteilt sind wir, indem wir an Jesus Chri
stus gemessen, mit ihm «dahingegeben» sind. Öffnet sich diese Türe,
treten wir in dieses Licht, wer sollte dann gerechtfertigt sein? Und
geschieden sind wir, von der Liebe des Christus; als etwas inkom
mensurabel Minderwertiges erscheint das Fünklein unsrer Liebe ge
genüber dem, was als Liebe zu Gott in seinem Tod erscheint, wenn
dem Göttlichen, dem Herrlichen, dem ewig Zukünftigen, wasav wir an
ihm schauen, glauben, erfahren, die Bedrängnis des Lebens, das wir zu
leben haben, in ihrer brutalen Tatsächlichkeit gegenübertritt. «In dem
Allem sind ( 313 ) wir siegreich ! » Wir ? Etwa «wir» ? Etwa wir, die so
und so Gläubigen, Bekehrten, Tätigen, Überzeugten, Begeisterten ,
Orientierten ? Seien wir doch ehrlich, nüchtern und sachlich! Sagen
wir's doch nicht zu schnell, nicht zu laut, nicht zu sicher, auch dann
nicht, wenn wir's nicht bloß nachsagen, sondern auf Grund eigenen
Schauens etwa sagen können. Der Unterschied ist so groß nicht zwi
schen dem auf Grund fremden und dem auf Grund eigenen Erlebens
Gesagten. Es könnte sogar - horribile dictu – awdas Erste wahrer ge
sagt sein als das Zweite ! aw Aber unendlich ist der Unterschied zwi
schen dem ewigen Augenblick, in dem die Position «Gott für uns »
gestürmt ist, und allem Vorher und Nachher, in dem wir immer noch
oder schon lange wieder draußen stehen und uns eines Sieges rühmen,
der für uns, soweit das Auge reicht, Niederlage bedeutet.
Aber ebenso wenig kann der Sturm auf diese Position etwa aufge
geben werden. Die Gottesliebe derer, die von Gott selbst dazu beru
fen, bestimmt und erkannt sind (8,29-30 ), ist ja dem gegen diesen
Menschen in dieser Welt ergrimmten Richter in den Arm gefallen. Der
av
1. Abdruck ( 19222) : «das » .
aw - aw
1. Abdruck ( 1922²): «das erstere wahrer gesagt sein als das letztere ! » .
Korrektur in Barths Handexemplar.
449
neue Mensch, der ich nicht bin, Christus hat ja seinen Fuß dorthin
gesetzt, wo ich nicht stehen kann. Ihm ist ja gesagt, was ich nicht sagen
kann. Er ist ja der Gestorbene nicht nur, sondern – die Umkehrung
aller Dinge vollzieht sich - der Auferstandene und steht als solcher für
mich ein, steht an meiner Stelle zur Rechten Gottes. Er vernimmt ja,
dass ich der Sünder gerecht bin, dass meine Gefangenschaft meine
Freiheit, höchste Todesnot der Sieg des Lebens ist. Ich weiß, dass von
der Liebe Gottes in Jesus Christus (von der ich nichts weiß) niemand
und nichts mich scheiden kann. Als ungeheure, sagen wir als unend
liche Endlichkeiten, Gegebenheiten, Geschaffenheiten stehen sich
dort auch die letzten, die unvermeidlichenax Kontraste von Wissen
und Nicht-Wissen, Tod und Leben, göttlicher und menschlicher We
senheit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf der einen, Fu
turum aeternum auf der andern Seite, Anschaulichkeit hier und Un
anschaulichkeit dort, Relativität und Absolutheit, Erde und Himmel
gegenüber: als negierte Negationen, als aufgehobene Setzungenay,
friedlich, versöhnt, erlöst, aufgelöst in ihrer Gegensätzlichkeit, eins in
Gott. Denn die Liebe Gottes in Jesus Christus ist die Einheit der Liebe
Gottes zum Menschen mit der Liebe des Menschen zu Gott. In ihr
triumphiert unsre Liebe. In ihr ist der Punkt erreicht, wo die unvoll
ziehbare Identität vollzogen ist. Aber sofort kehren wir um in der
Einsicht, dass wir diese Identität in keinem Sinn vollziehen oder als
vollziehbar auch nur denken können. Es genüge uns, zu wissen, dass
wir von dorther kommen, dorthin gehen. (314)
ax
1. Abdruck ( 1922–): «unvermeidlichsten» .
ay 1. Abdruck ( 19224): «Satzungen». Korrektur in Barths Handexemplar.
450
9. Kapitel
DIE NOT DER KIRCHE
SOLIDARITÄT
9,1-5
V. 1-5 Wahrheit rede ich in Christus, ich heuchle nicht, und mein
Gewissen bezeugt es mir im Heiligen Geiste: ich habe einen großen
Kummer und ein unablässiges Weh in meinem Herzen. Denn ich
wünschte selber verflucht zu sein von Christus weg an die Stelle
meiner Brüder, meiner Verwandten nach dem Fleisch - welche sind
Israeliten, welche die Sohnschaft haben und die Herrlichkeit und
die Bündnisse und die Gesetzgebung und den Gottesdienst und die
Verheißungen, welche die Väter haben und aus deren Mitte der
Christus stammt nach dem Fleische, welche den über Allem herr
schenden Gott haben * – hochgelobtin Ewigkeit, Amen ! 315 |
Gott, die reine Grenze und der reine Anfang alles dessen, was wir
sind, haben und tun, in unendlichem qualitativem Unterschied dem
Menschen und allem Menschlichen gegenüberstehend, nie und nim
mer identisch mit dem, was wir Gott nennen, als Gott erleben, ahnen
452
aUnd das ist das Evangelium, die Heilsbotschaft von Jesus Christus:
Dass dieser verborgene Gott, der Lebendige, sich als solcher offen
bart", dass das Unmögliche als solches aufblitzt über dem scheinbar
unendlichen Reich des Möglichen, das Unanschauliche über dem An
schaulichen, das Jenseits über dem Diesseits, nicht als ein Anderes,
Zweites, Abgesondertes, sondern als seine jetzt und hier verhüllte
4. Meinerseits möchte ich die, wie aus Wetstein ersichtlich " , schon vor 200
Jahren bekannte Konjektur óv ó ÉTÌ TÁVtwv jeós aufrechterhalten." ? Die Wor
te treten dann parallel neben die durch οίτινες , ών ή, ών οι, εξ ών eingeleiteten
Aussagen von 4-sa. Doxologisch sind nur die appositionell schließenden Wor
te kůhoyntog usw. Ich denke mir den heutigen Text durch einen leichten
Schreibfehler, vielleicht unter Einfluss von 2. Kor. 11,31 entstanden. - Begrün
dung: In der Aufzählung der Prärogative Israels, wie sie der überlieferte Text
bietet, fehlt gerade das entscheidende und zusammenfassende: der Besitz des
höchsten Gottes. Die vorgeschlagene Konjektur füllt diese seltsame Lücke.
Jülicher hat dagegen unter Berufung auf 3,29 Einspruch erhoben ." Er scheint
mir zu übersehen, dass die These: Gott der Gott der Juden und Heiden! dort
(und für Paulus überhaupt) das Ergebnis eines dialektischen Vorstoßes ist,
nicht aber eine direkt zu erkennende dogmatische Position, von der er etwa
selbstverständlich ein für allemal ausginge. Handelt es sich für ihn um die
religiös-kirchliche Gegebenheit, und das ist 9,5 der Fall, dann ist ihm Gott
durchaus der Gott, den Israel hat. Dass es auch hier nicht dabei bleibt, dafür ist
gesorgt. Darum billigt er 2,17 dem Juden das xavxãoqu ¿v Jem widerspruchslos
zu; denn er sieht das Vorrecht, das die Juden in ihrem Verhältnis zu Gott haben,
durch die Problematik, von der es umgeben ist, nicht einfach aufgehoben (3,1 ),
gerade wie der Ausblick auf Gottes Universalität nicht verhindert, dass Eph.
2,12, also mindestens in der Nähe des Paulus, die der nohteia toữ ʼlogana
Fremden άθεοι εν τω κόσμω genannt werden. Wire die Berufung Julichers
(und Lietzmanns'4) auf 3,29 richtig, so hätte Paulus, mehr oder weniger genau
genommen, auch die viodeoia (wegen 8,14), die vouodegia (wegen 2,14-15 ), die
dóba (wegen 3,32), die łnayyeliai und die natégɛs (wegen 4,16) nicht als Prä
rogative Israels namhaft machen dürfen. Das Verhältnis ist grundsätzlich über
all das gleiche: versteht man diese Begriffe nicht in ihrem eigentümlichen Glei
ten, in ihrer dialektischen Bewegung, so versteht man sie gar nicht.
a-a
1. Abdruck ( 1922²): «Und daß dieser Verborgene sich als solcher offen
bart». Korrektur am Rand in Barths Handexemplar mit der nicht ausgeführten
Hervorhebung: «Und das ist das Evangelium ». Vgl. S. 454, Anm. b.
11. A.a.O. (s. oben Anm. 2), p. 64.
I2
Vgl. Römerbrief I, S. 357, Anm. * .
13 Jülicher, Paulusausleger, S.92 .
14 Lietzmann, S. 86.
453
Wahrheit, als der Ursprung, (316) auf den alles bezogen ist, als die
Aufhebung aller Relativität und darum als die Wirklichkeit aller re
lativen Wirklichkeiten, dass Gottes Reich, Unvermeidlichkeit, Exi
stentialität, Sieg und Herrlichkeit dem Menschen trotz, nein, wegen
der Zeitlichkeit, Endlichkeit und Vergänglichkeit seines Lebens nicht
verborgen bleiben kann, dass die Erkenntnis dieses Gottes, der Glau
be an ihn, der in der Liebe Energie wird (vgl. Gal. 5,6 ), die in keinem
Augenblick schon realisierte, in jedem Augenblick realisierbare, in
jedem Augenblick neu zu realisierende Möglichkeit ist, die dem Men
schen geboten ist: die Möglichkeit zu sein, was er in Gott ist: Gottes
Kind - und also als dieser Mensch in dieser Welt ein dem Gericht
Unterworfener, ein auf Gerechtigkeit Merkender, ein auf Erlösung
Wartender und aus Gnade schon Befreiterb.
Und nun steht gegenüber der Heilsbotschaft von Jesus Christus -
Israel, die Kirche, die Welt der Religion, wie sie in der Geschichte, und,
fügen wir gleich hinzu: wie sie in der Geschichte am reinsten, kräftig
sten, ihrem Wesen angemessensten in die Erscheinung tritt; denn wir
reden nicht von der entarteten , sondern von der vollkommenen, von
der idealen Kirche. Steht gegenüber? Steht hier Standpunkt gegen
Standpunkt ? Kann und will hier jemand recht haben gegen jemand,
der unrecht hat ?
Ja, zweifellos. Dem Evangelium steht die Kirche gegenüber als die
Verkörperung der letzten menschlichen Möglichkeit diesseits der un
un
möglichen Möglichkeit Gottes. Hier klafft der Abgrund wie nirgends
sonst. Hier kommt die Krankheit des Menschen an Gott zum Aus
bruch. Denn die Kirche ist der Ort, wo diesseits des Abgrundes, der
den Menschen von Gott trennt, Offenbarung soeben aus Ewigkeit zur
Zeitlichkeit , soeben etwas Gegebenes , Gewohntes , Selbstverständli
ches geworden ist, der himmlische Blitz zu einem irdischen Dauer
brenner , das Entbehren und Entdecken zum Besitzen und Genießen ,
die göttliche Ruhe zur menschlichen Unruhe und die göttliche Un
ruhe zur menschlichen Ruhe, das « Jenseits » zu einem zweiten meta
physischen Etwas gegenüber dem « Diesseits » und gerade damit zu
b
1. Abdruck ( 1922²): « Befreiter - das ist das Evangelium , die Heilsbotschaft
von Jesus Christus . » Korrektur in Barths Handexemplar. Vgl. S. 453, Anm. a.
с
Druckmanuskript: « am angemessensten».
454
einer bloßen Verlängerung des d Diesseits. Kirche ist der Ort, wod
man von Gott allerlei weiß und hat und dementsprechend auch nicht
weiß und nicht hat, wo er aus dem unbekannten Anfang und Ende
irgendwie in die bekannte Mitte gerückt scheint, wo man nicht mehr
jeden Augenblick das Sterben bedenken muss, um klug zu werden
(vgl. Ps. 90,12], sondern Glaube, Liebe und Hoffnung (vgl. 1. Kor.
13,13] höchst direkt hat, Gottes Kind höchst direkt ist, auf Gottes
Reich höchst direkt wartet und hinarbeitet – als wären das alles Dinge,
die man sein, die man haben , erwarten und erarbeiten kann. Kirche
ist der mehr oder weniger umfassende und energische Versuch , das
Göttliche zu vermenschlichen, 13171 zu verzeitlichen, zu verdingli
chen, zu verweltlichen , zu einem praktischen Etwas zu machen, und
das alles zum Wohl der Menschen, die nicht ohne Gott, aber auch
nicht mit dem lebendigen Gott leben können (siehe «Großinquisi
tor >>'S!), alles in allem: der Versuch , den unbegreiflichen und doch so
unvermeidlichen Weg (vgl. 1. Kor. 12,31] begreiflich zu machen. Wo
bei der katholischen Kirche entschieden besseres Gelingen beschie
den ist, während der Protestantismus verhältnismäßig mehr zu leiden
hat unter der Tatsache, dass, was der Mensch als Kirchenmensch so
gerne möchte, letztlich nicht gelingen kann. Es ist klar, dass der Ge
gensatz von Evangelium und Kirche grundsätzlich und auf der ganzen
Linie unendlich ist'. Also: Jawohl, hier steht Standpunkt gegen Stand
punkt. Jawohl, hier hat jemand recht und jemand unrecht. Das Evan
gelium ist die Aufhebung der Kirche, wie die Kirche die Aufhebung
des Evangeliums ist.
Aber wer steht sich hier gegenüber? Gott und der Mensch ! Nicht
Menschen und Menschen ! Also nicht Saulus -Paulus und - die andern
Pharisäer! Nicht der Verkündiger des Evangeliums und der Kirchen
mann: Dieser Gegensatz ist nicht unendlich, sondern höchst endlich.
Es gibt im Munde von Menschen keine reine, keine unkirchliche Ver
d-d
e-e
1. Abdruck ( 19222): «Diesseits, wo». Korrektur in Barths Handexemplar.
1. Abdruck ( 19224): «die man sein, haben» . Korrektur in Barths Hand
exemplar.
1. Abdruck ( 1922 ): «Linie ein unendlicher ist» . Korrektur in Barths
Handexemplar.
is Siehe oben S. 319, Anm . 2 .
455
kündigung des Evangeliums. Der Verkündiger des Evangeliums ist als
solcher immer auch Kirchenmann , mitleidend unter der Not und mit
schuldig an der Schuld der Kirche. Das göttliche Inkognito bleibt bei
aller Klarheit und Eindeutigkeit des Evangeliums streng gewahrt. An
ders als im Gleichnis menschlichen Denkens, Tuns, Habens und -
Rechthabens kann keiner von Gott reden, und wenn er in feurigen
Zungen redete. Wir können es auch nicht anders. Kirchlich ist jeder
menschliche Apparat zur Herstellung, Aufrechterhaltung und Ord
nung der Beziehung zu Gott. Auch wir wollen ja den «unbegreifli
chen Weg » (vgl. 1. Kor. 12,31 ] begreiflich machen, begreiflich als den
unbegreiflichen freilich, aber wann hätte es je ein Kirchenmann anders
gemeint? Wird das Unvergängliche nicht gesehen im Gleichnis des
Vergänglichen, so haben auch wir der Kirche gedient und nicht das
Evangelium verkündigt, und wer außer Gott könnte uns schützen
gegen diese höchste Wahrscheinlichkeit ? Gleichnis der unverbrüch
lichen Einheit der Wahrheit ist die fatale klappernde Systematik, in der
das Reden von Gott gerade dann auftreten muss, wenn es gründlich
und nicht zuchtlos sein will. Gleichnis der ewig begründenden Per
sönlichkeit Gottes ist die ärgerniserregende Tatsache, dass niemand
ernsthaft von Gott reden kann, ohne gleichzeitig in stärkster Weise
sich selbst mitzuteilen und durchzusetzen. Gleichnis dessen, dass der
Geist das absolute Wunder ist, ist das Paradox, dieses letzte verzwei
felte menschliche Redewerkzeug. Gleichnis des stürmischen direkten
| 318) Anspruchs, den der Gedanke der Ewigkeit an uns erhebt, ist die
peinliche, die fast unerträgliche Einseitigkeit und Ausschließlichkeit,
die nur der vermeiden kann, der - von etwas Anderem redet. Welcher
Verkündiger des Evangeliums vermöchte es zu verhindern, dass « de
nen draußen alles durch Gleichnisse widerfährt » ( vgl. Mk. 4,11 ], dass
sie in allem, was er sagt, nur eine fabelhafts neue und fremdartige
Rechthaberei erblicken, von der sie sich nicht aus dem Sattel werfen
lassen, sondern der gegenüber sie mit mehr oder weniger Beharrungs
kraft, Leidenschaft und Geschick ihre eigene bekannte Rechthaberei
verteidigen wollen, gerechtfertigt und gerettet und dem Gewicht alles
dessen, was jener gesagt, dadurch entzogen, dass abermals und aber
mals nur ein Mensch zu Menschen gesprochen, dass auch dieses Ge
8 2.
Abdruck (1923}) « fabelhafte» .
456
spräch innerhalb der Kirche sich abgespielt hat, wo bekanntlich nichts
existentiell ernst genommen wird, weil es, innerhalb der Kirche ge
sagt, tatsächlich nicht existentiell ernst ist! Wer verhindert dieses Är
gernis , diesen Misserfolg des Evangeliums ? Niemand ! Wir könnten
zur Ehre Gottes die tollsten Sprünge machen und schließlich auf den
Händen gehen ( 1. Kor. 13,1f.!), und es würde auch das kirchlich und
nicht-existentiell verstanden werden . Wer lehrt uns, unkirchlich und
existentiell von Gott reden ? Niemand ! Gott allein . Aber wenn er es
tut, so bleibt er im Inkognito . Wir bekommen keine Gelegenheit ,
recht zu haben gegen Andere , die im Gegensatz zu uns unrecht hätten .
Gottes Standpunkt wird gewahrt gegenüber unser aller Standpunk
ten. Er hat recht und wir alle Unrecht .
Was folgt daraus ? Etwa dass wir Gott vergessen, unser Werkzeug
beiseite legen und der Kirche, d. h. den Menschen dienen sollen, als ob
es kein Evangelium gäbe ? Nein, sondern dass wir, Gottes gedenkend,
unser Werkzeug brauchend, das Evangelium verkündigend, gerade
weil die Kirche durch das Reich Gottes gerichtet ist, auch diese In
direktheit uns gefallen lassen: dass wir uns im vollen brennenden Be
wusstsein des unendlichen Gegensatzes zwischen Evangelium und
Kirche der Kirche gegenüber nicht desinteressieren, nicht desolida
risieren , sondern uns zu ihr stellen und bekennen, mitbeteiligt, mit
verantwortlich, mithaftbar für das, was der Kirche fehlt und fehlen
muss. « Wahrheit rede ich in Christus, ich heuchleh nicht und mein
Gewissen bezeugt es mir im Heiligen Geiste: ich habe einen großen
Kummer und ein unablässiges Weh in meinem Herzen . » Das ist die
Stellung zur Kirche, wie sie sich vom Evangelium aus ergibt. Wer das
Evangelium hört und verkündigt, der steht nicht neben der Kirche,
weder verständnislos ablehnend noch verständnisvoll sympathisie
rend; sondern wirklich persönlich, beteiligt in der (319 Kirche. Als
Wissender selbstverständlich und darum als Leidender und in keinem
Sinn als Triumphierender. Er weiß, um was es geht in der Kirche. Er
nimmt sie ernst, bitter ernst. Er hat den billigen Trost nicht, dass sie ein
menschliches Gebilde sei, das möglicherweise auch nicht da sein
könnte, und dass das Pfarramt ein Beruf wie andere sei. Er weiß, dass
geglaubt, gepredigt, erklärt, gerufen, gebetet sein muss; er weiß, dass
h Druckmanuskript: « lüge».
457
es nicht anders sein kann, als dass die Krankheit des Menschen an Gott
gerade an dieser Stelle in immer neuen Formen immer wieder zum
Ausbruch kommt; er weiß die Unvermeidlichkeit der religiös-kirch
lichen Möglichkeit. Er weiß, dass ein unkirchliches Verhältnis des
Menschen zu Gott jetzt und hier so wenig stattfindet wie paradiesi
sche Unschuld überhaupt. Er trägt seinen Talar ohne Seitenblick auf
die vermeintlich glücklicheren und besseren « Laien». Er weiß aber
auch die Unmöglichkeit des religiös-kirchlichen Unternehmens. Er
weiß, dass es scheitern muss, weil es das an sich Unausführbare ist. Er
sieht, wie die Fragwürdigkeit dieses Unternehmens beständig wächst:
nicht etwa mit der Schwäche, nicht mit der Einflusslosigkeit, nicht mit
der Weltfremdheit der Kirche, sondern umgekehrt mit der Kühnheit
und Kraft ihrer so beglückenden, so überaus praktischen Illusionen,
mit der Größe der Erfolge, die ihr immer wieder beschieden sind, mit
der Gewandtheit, mit der sie sich in die Welt und ihre Wandlungen zu
schicken weiß. Er sieht, dass gerade dort, wo die Kirche als Dienst von
Menschen an Menschen ihren Zweck erreicht, der Zweck Gottes ver
fehlt ist und das Gericht vor der Türe steht. Trauernd, bedenklich,
fragend, erschrocken steht er also in der Kirche, je mehr sie Kirche ist.
Aber in der Kirche steht er, nicht als Zuschauer daneben. Seine Mög
lichkeit ist ja durchaus die der Kirche und ihre Unmöglichkeit seine
eigene. Ihre Verlegenheit ist also seine Verlegenheit und ihre Not seine
Not. Er ist solidarisch mit ihr gerade in dem, was ja überhaupt Soli
darität und Gemeinschaft unter Menschen begründet, im Entbehren
der Herrlichkeit Gottes (3,23) .
Eine Grenze kann diese Solidarität und Gemeinschaft, menschlich
betrachtet, sachgemäß nicht haben. « Ich wünschte selber verflucht zu
sein von Christus weg an die Stelle meiner Brüder, meiner Verwand
ten nach dem Fleisch . » Besser keine Gnade, keine Freiheit, kein Geist,
kein Erwarten des kommenden Tages als Gnade, Freiheit, Geist und
Erwartung als Zuschauer, als Unbeteiligter, als Nicht-Leidender,
Nicht -Verlegener, Nicht- Trauernder, als Flüchtling und Separierter.
Nur das nicht ! Die paradoxe Stellung, in der Paulus die Pharisäer
aufrichtig, ohne irgend eine Herablassung, ohne irgend 1320 einen
esoterischen Vorbehalt seine « Brüder » nennt, wo er die Tatsache, dass
er mit ihnen «verwandt ist nach dem Fleisch», ganz und gar ernst
nimmt, wo er sich, wissend um ihr Nicht-Wissen, aber auch um sein
458
eigenes Nicht-Wissen mit ihnen beugt unter das erdrückende göttli
che Inkognito, das der Kirche Charakteristikum ist, diese Stellung
muss bezogen werden, auf die Gefahr hin, dass er seine Seele nicht
rettet, dass er sich selber in jedem Augenblick untreu erscheinen und
von den andern Unaufrichtigkeit und Opportunismus vorwerfen las
sen muss. Ein verlorener Posten ? Jawohl ein verlorener Posten, der
aber als solcher gehalten werden muss. Die Posten, die der Mensch als
Mensch behauptet, sind alle verlorene Posten. Das muss klar werden;
und das wird klar, wenn in der Kirche das Evangelium verkündigt
wird, wenn in der Solidarität des Propheten mit dem Priester das
Unmögliche möglich und das Mögliche unmöglich wird. Darum er
klärt sich der prophetische Mensch mit dem priesterlichen solidarisch,
weil er weiß, dass es sich darum handelt, einer Frage ins Gesicht zu
sehen, auf die nur Gott die Antwort geben kann, nicht aber darum ,
diese Frage wieder in eine neue Menschensprache zu übersetzen, also
nicht etwa darum , der alten Kirche eine neue Aufgabe oder der alten
Aufgabe eine neue Kirche zu verschaffen. Er weiß, dass eine Siede
lung oder eine Volkshochschule" auch eine Kirche ist. Er weiß, dass
nur die Gesundung an Gott dem Kranken Hilfe bringen kann, nicht
aber ein noch so radikaler Wechsel des – Krankenbetts oder Spitals. Er
weiß, dass Gegensatz und Streit zwischen diesen und jenen Personen
den unendlichen Gegensatz zwischen Evangelium und Kirche gele
gentlich veranschaulichen muss (und deshalb durchaus nicht etwa
grundsätzlich zu vermeiden ist! ), nicht aber ihn zum Austrag bringen
kann. Er wird also Diesen und Jenen, die den Gedanken der Ewigkeit
allzu sehr zu denken vergessen zu haben scheinen, gelegentlich mit
letztem Ernst entgegentreten, um sie zur Sache zu rufen, aber nicht
ohne letzten Humor auch das, parabolischerweise nur, gänzlich ohne
16
Vgl. Fr. Beckmann H. Schultz, Art. «Siedlungswesen», in: RGG’ V,
Sp. 483-485, und zur christlichen Siedlungsgemeinschaft Habertshof bei
Schlüchtern, an die Barth wohl besonders denkt, G. Späth, Art. «Neuwerk»,
RGG ’ IV, Sp . 523 .
11 Vgl. C. Hagener, Art. « Volksbildungswesen », in: RGG; VI, Sp. 1441
1447, dort Sp. 1444: «Nach 1918 hat die aus dem Felde heimkehrende Front
generation eine Theorie des freien Vb.swesens> entwickelt. Leitbilder der Ju
gendbewegung und sozialrevolutionäre Vorstellungen wecken die Überzeu
gung, mankönne durch pädagogische Reformen das Volksleben «total erneu
erny, » Zu dieser neuen Volksbildungsbewegung gehörte die Gründung von
Abend- und Heimvolkshochschulen.
459
den Wahn, als gehe er etwa neue Wege's, ganz ohne Neigung, sich etwa
grundsätzlich in die Stellung eines Kirchenverächters oder gar Kir
chenfeindes drängen zu lassen, und wenn die Einladung, diese Kon
sequenz zu ziehen, noch so dringend und deutlich an ihn erginge;
denn die Konsequenz, aus Kirche oder Pfarramt auszutreten', ist
noch weniger sinnreich als die Konsequenz, sich das Leben zu neh
men. Er wird angesichts der unvermeidlichen Katastrophe, in der sich
die Kirche befindet, kein Rettungsboot besteigen, sondern, bedankt
oder nicht bedankt, an seinem Posten im Kesselraum oder auf der
Kommandobrücke bleiben . Er wird keinen Standpunkt beziehen
ohne die heimliche Absicht, ihn möglichst rasch wieder zu räumen ,
wenn der ( 321 | taktische Zweck (denn darum bloß kann es sich han
deln!) erreicht ist. Er wird nie aufbauen, ohne zugleich Zurüstungen
zum Abbau zu treffen. Er wird immer bereit sein, alles zu tun gegen
die gefährliche Stabilität seines eigenen Wortes und für die Freiheit des
Gotteswortes . Er wird über nichts so tödlich erschrecken, wie dar
über, dass der unendliche Streit des Evangeliums gegen die Kirche
immer wieder zu einem Streit der «wir» gegen die «sie» zu werden
droht, und wenn die «wir» die Trefflichsten wären und wenn sie das
beste Recht auf ihrer Seite hätten. Er wird vielmehr alle solche Zusam
menrottungen alsbald unter Feuer nehmen und zu zersprengen su
chen. Er wird nach jedem kräftigen polemischen Ausfall gegen die
Kirche alsbald selber wieder dorthin zurückkehren , wo dieser Mensch
in dieser Welt gerade als religiös-kirchlicher Mensch « verflucht» ist
«von Christus weg”, um in der Hoffnung auf Gottes Gnade allein
selig zu sein. Denn dass Gott allein die Ehre gebührt, das allein kann
18
Anspielung auf die von L. Ragaz u.a. herausgegebene Monatsschrift der
schweizerischen Religiös-Sozialen «Neue Wege». In Römerbrief I hatte Barth
häufig ohne Namensnennung gegen Ragaz polemisiert; siehe dort S.662 im
Namenregister. Ragaz empfand den ganzen Römerbrief I als im wesentlichen
gegen sich gerichtet; vgl. M. Mattmüller, Leonhard Ragaz und der religiöse
Sozialismus. Eine Biographie, Bd. 2: Die Zeit des Ersten Weltkriegs und der
Revolutionen, Zürich 1968 , S. 251f., und den Brief von Ragaz an M. Gerber
vom 17.1.1919, in: Leonhard Ragaz in seinen Briefen, Bd. 2: 1914–1932, hrsg .
von Chr. Ragaz, M. Mattmüller und A. Rich, Zürich 1982, S. 175 ; vgl. auch
Bw.Th.I, S. 362 und S. 369. In der neuen Bearbeitung setzt sich die Polemik
fort; s. unten S. 571 , Anm. I , und S. 586, Anm. 16.
19 Siehe oben S. 332, Anm. 13 .
460
doch der Sinn aller « antikirchlichen » Polemik sein, nicht aber das,
dass etwa der Polemiker als Besserwisser und Besserkönner sich selbst
rechtfertige und rette. Er wird also, indem er seine Stimme laut erhebt,
um sich selber und damit die Kirche an die Ewigkeit zu erinnern, in
jedem Augenblick der Zeit lieber mit der Kirche (und so z. B. auch mit
der Theologie) in der Hölle sein, als mit den Pietisten niederer oder
höherer Ordnunga, älterer oder modernerer Observanz in einem
Himmel – den es nicht gibt. Das fasse, wer es fassen kann (vgl. Mt.
19,12] : Christus ist dort, wo man untröstlich weiß, dass man verbannt
ist von Christus weg, nicht aber, nie aber dort, wo man gegen die
Bedrängnis dieses Wissens sich gesichert weiß.
Oder nehmen wir etwa die Kirche zu ernst, zu wichtig, tun wir ihr
zu viel Ehre an, wenn wir uns gerade an ihr den unendlichen Gegen
satz von Gott und Mensch veranschaulichen, den endlichen Gegen
satz zwischen ihr und «uns» darum grundsätzlich in Abrede stellen
und uns, indem wir ihre Schicksalsfrage aufwerfen, mit ihr solidarisch
erklären ? Warum nicht vornehmer Abschluss mit Römer 8, als ob die
Kirche gar kein ernstes, gar kein sachliches, sondern nur ein histori
sches, nur ein zufälliges Problem wäre ? Darum nicht, weil es uns viel
zu sehr beunruhigt, dass ausgerechnet die Tatsache Israel, die Tatsache
Kirche selber die Frage ist, auf welche die Antwort von Römer 3-8
gemünzt ist, dass gerade von dieser Gegebenheit aus der Anblick auf
das Nicht-Gegebene, gerade von dieser Menschlichkeit aus der Aus
blick auf Gott sich auftut. Es ist sentimentale liberale Selbsttäuschung,
zu meinen, dass etwa von Natur und Geschichte, von Kunst, Moral,
Wissenschaft oder sogar Religion aus direkte Wege zu der unmögli
chen Möglichkeit Gottes führen . Direkte | 322) Wege zur Kirche, zu
Kirchen und Kirchlein aller Art, jawohl, die Erfahrungen etwa des
sog. religiösen Sozialismus bieten dafür ein lehrreiches Paradigma. "
Aber immer erst, wenn die Sackgasse der kirchlichen Menschlichkeit
wieder einmal glücklich zu Ende gegangen ist, pflegt sich die Frage
nach Gott mit wirklichem Ernst und Radikalismus einzustellen. Was
vorher etwa passiert in der Richtung auf Gott, das sind harmlose Il
lusionen. Scharf geschossen wird erst dann, wenn die Einsicht da ist,
24 Der Ausdruck spielt an auf Zinzendorf und auf seiner pietistischen Fröm
migkeit verwandte Kreise; vgl. H. Schneider, Art. «Blut. IV/2. Christi Blut in
evangelischer Theologie und Frömmigkeit », in: TRE 6, S. 740-742.
463
« Welche den über Allem herrschenden Gott haben - hoch gelobt in
Ewigkeit!» Also auch « Gott » hat Israel, hat die Kirche ? Wir können
nicht nein sagen; wie könnten wir's ? Wir sagen also Ja. Aber in dem Ja
liegt die Frage, die wir an die Kirche richten, indem wir sie an uns
selbst richten. Wir sagen Ja ,sofern « Gott» etwa das sein sollte, was mit
allen Menschen auch wir als Gott kennen, nennen und anbeten. So
fern aber «Gott» Gott sein sollte, «der über allem herrschende Gott»,
schlummert in unserm Ja die Frage, die Klage, die Anklage, dass die
Kirche Gott nicht hat. Als Einwand Gottes selbst erhoben dürfte der
« antikirchliche» Einwand, dass der Kanal leer ist, dass das « Haben »
von Sohnschaft, 1324| Herrlichkeit, Bündnissen, Gesetzgebung, Got
tesdienst, Verheißungen, Vätern, Christus nach dem Fleische, das
«Haben» Gottes, dessen sich die Kirche nicht mit Unrecht rühmt,
kein existentielles Haben ist, nicht so leicht zu überhören sein. Wenn
dieser Löwe brüllt, wer sollte sich nicht fürchten ? (vgl. Am. 3,8]. Gott
als Gott ist nicht « auch schon dagewesen ». Gott als Gott ist das Neue.
In Gott als Gott hört die Solidarität zwischen Paulus und den Phari
säern auf, und der Protest und Kontrast fängt an. Von Gott als Gott
aus gesehen, ist die Kirche heute schon aus. «Hört ihr das Zeichen ?»25
464
tiefer als alle ihre noch so große, so und so bedingte, zu erklärende und
allenfalls zu behebende Entartung. Handelte es sich bloß um ihre
menschlichen Fehler, um ihre Entartung, so wäre die Leidenschaft,
mit der Propheten, Apostel und Reformatoren das Evangelium gegen
die Kirche geltend gemacht haben, in ihrem feurigen Kern unver
ständlich. Unverständlich wäre es, warum sie sich nicht ohne weiteres
der geduldigen kirchlichen Reformarbeit zuwendeten oder aber,
wenn ihnen solche aussichtslos erschien, resolut zum Bau einer neuen
besseren Kirche schritten. Warum haben sich Paulus sowohl wie Lu
ther aufs Äußerste dagegen gewehrt, gerade im letztern Sinn neue
Wege zu gehen, und nur gezwungen sich endlich doch dazu ent
schlossen ? Warum haben immer nur die kleineren, nervöseren Geister,
die religiösen Hysteriker in ihrer gerechten Aufregung über das Pfaf
fen- und Schriftgelehrtentum , über die Weltförmigkeit, die politische
und kulturelle Rückständigkeit, die religiöse Korruption, über die
Unbewegtheit und Unlebendigkeit, die Schwachheit und Heuchelei
der Kirche und nicht ohne Genugtuung über ihre eigene tragische
Gebärde rasch nach dieser ultima ratio aller wirklichen Propheten
1325 gegriffen ? Warum nur macht alle solche direkte Antikirchlichkeit
selbst gegenüber der entartetsten Kirche einen so seltsam misslichen,
hohlen, haltlosen, einen so wenig überzeugenden Eindruck ? Warum
hat aber auch jene geduldige Reformarbeit auf diesem Gebiet von den
Tagen des Josia (vgl. 2.Kön 23,1-25 ] bis auf diesen Tag noch nie einen
irgendwie ernst zu nehmenden Erfolg erzielt ? Warum die scheinbar
zwischen diesen beiden so unergiebigen und auch wieder so unver
meidlichen Möglichkeiten unentschieden die Mitte haltende trauern
de Solidaritätserklärung des Paulus mit Israel ? Darum , weil Paulus
und mit ihm jede wirklich radikale Verkündigung des Evangeliums
nie aus dem Auge verlieren darf, dass es sich in der Kirche als in der
organisierten Religion, abgesehen von ihrer Vollkommenheit oder
Unvollkommenheit, jedenfalls um die Beziehung des Menschen zu
Gott handelt und dass die eigentliche Not dieses menschlichen Un
ternehmens darin besteht, dass das Wort Gottes, in dem sich diese
Beziehung betätigen' müsste, kein menschliches, kein zufälliges, kein
i -i
1. Abdruck ( 1922²): «dem diese Beziehung sich betätigen» . Korrektur in
Barths Handexemplar .
465
hinfälliges, sondern eben Gottes ewiges und absolutes Wort ist. Kenn
te er es anders, kennte er dieses unerhörte Thema der Kirche als ein
Relativum, als ein Ding unter Dingen, als eine geschichtlich-psycho
logische Größe neben andern, als ein Quantum , das ab- oder zuneh
men kann, als eine Gegebenheit, bei der Menschen oder andere ge
schaffene Wesen etwas davon- oder dazutun können, dann würde
auch er mit den vielen darüber klagen, «dass Gottes Wort hinfällig
geworden», und darüber nachdenken, wie ihm etwa geholfen werden
könnte. Er würde dann die menschliche Entartung verantwortlich
machen für die nicht zu verkennenden Anzeichen der offenbar chro
nischen Erkrankung der Kirche und würde zu ihrer Behebung die gut
scheinenden mehr oder weniger entschiedenen menschlichen Schritte
tun . Aber das ist ihm nun eben verboten durch die unauflösliche Pa
radoxie der Wahrheit. Das Thema der Kirche ist eben wirklich das
Wort Gottes, das Wort des Endes und des Anfangs, des Schöpfers und
Erlösers, des Gerichts und der Gerechtigkeit – aber das Wort Gottes
gehört von Menschenohren und ausgesprochen von Menschenlippen;
denn die Kirche ist die immer wieder entstehende Gemeinschaft der
Gottes Wort hörenden und aussprechenden Menschen . Und eben das
aus dieser Lage sich Ergebende: dass Menschenohren und Menschen
lippen notwendig und immer wieder und zwar unendlich versagen
müssen gegenüber dem nicht- versagenden Gotteswort, dass der
Mensch immer wieder hören und aussprechen muss, was wahr ist bei
Gott, und dass es alsbald nicht mehr wahr ist, indem er es hört und
ausspricht, dass also das Thema der Kirche so wahr ist, dass es als
Thema der 326 Kirche nie wahr sein kann - es geschehe denn das
Wunder! -, das ist ihre eigentliche Not. Sie ist gerichtet durch das, was
sie aufrichtet. Sie zerbricht an dem, worauf sie gegründet ist. Sie stirbt
an dem, wovon sie lebt. Denn das ist das selige und schreckliche The
ma der Kirche, das ist das Wort Gottes, in welchem die Beziehung von
Gott und Mensch sich betätigt: dass Gott wahr ist, jeder Mensch aber
ein Lügner ( 3,4). Und an diesem Thema spaltet sich die Kirche immer
wieder in die Kirche Esaus, in der das Wunder nicht geschieht und in
der darum alles Hören und Reden von Gott nur offenbaren kann, dass
jeder Mensch ein Lügner ist, und in die Kirche Jakobs, in der das
Wunder geschieht, dass über der Lüge des Menschen die Wahrheit
Gottes sichtbar wird. Selbstverständlich stehen sich diese zwei Kir
466
chen nie und nirgends als zwei gegenüber. Es ist die Kirche Esaus
grundsätzlich die allein mögliche, anschauliche und bekannte Kirche,
Jerusalem , Rom, Wittenberg, Genf und alle andern vergangenen und
künftigen heiligen Orte restlos umfassend, und in ihr können Fehler
und Entartungen Platz greifen, Reformationen und Separationen
stattfinden . Und es ist die Kirche Jakobs ebenso grundsätzlich die un
mögliche, unanschauliche, unbekannte Kirche, die Kirche ohne Aus
dehnung noch Beschränkung, ohne Ort noch Namen, ohneGeschich
te, ohne Mitgliedschaft noch Ausschluss dieser oder jener, und in ihr
ist Gottes freie Gnade, Berufung und Wahl Eins und Alles, Anfang und
Ende zugleich. Wir reden von der Kirche Esaus, weil wir von ihr allein
reden können. Aber wir können nicht von ihr reden, ohne sogleich die
Tatsache zu bedenken, dass ihr Thema die Kirche Jakobs ist. Esau lebt
in seiner ganzen Fragwürdigkeit von Jakob; er ist nur darum und in
sofern Esau, als er nicht Jakob ist. Und weil wir um diese Tatsache
nicht herumkommen, wird uns die Frage der allfälligen Entartung der
Esaukirche und ihrer möglichen Behebung grundsätzlich sekundär,
können wir uns nicht entschließen, darüber außer im Zusammenhang
mit ihrer eigentlichen Not (der Not ihrer Art, nicht ihrer Unart) auch
nur ein Wort zu verlieren. Dass Gott Gott ist, der Gott Jakobs, daran
krankt die Kirche. « Großen Schmerz und unablässiges Weh » (9,2)
kann uns nichts Anderes bereiten als die bergeschwere Frage, ob das
Thema der Kirche für uns wirklich bloß die Aufdeckung dermensch
lichen Lüge oder vielleicht auch für uns die Offenbarung der Wahrheit
Gottes bedeute, ob uns die KircheJakobs verloren sei oder ob auch wir
in dieser unmöglichen, unanschaulichen, unbekannten Kirche irgend
wie seien. Was bleibt uns übrig, als diese Frage ihr Werk an uns tun zu
lassen und «auf das Wunder zu warten», wie die sagen, die keine Hoff
nung haben, zu lauschen auf das Evangelium und zu stammeln von
ihm, das die Kirche | 3271 Jakobs ewig begründet? Was bleibt uns übrig,
als die Not der Kirche, der Esaukirche, die wir allein kennen, ganz
ernst zu nehmen und darum mit Gott, dem Gott Jakobs zu ringen: Ich
lasse dich nicht, du segnest mich denn! [Gen. 32,27] .
V.6b - 9 Denn nicht weil sie alle aus Israel stammen, sind sie Is
rael; und nicht weil sie Abrahams Stamm sind, sind sie alle Kinder
468
Beharren beim Stand der Dinge und das Reformieren oder Neuanfan
gen immer wieder gleich aussichtslos macht.
« Es soll in Isaak dein Stamm seinen Namen tragen ! (Gen. 21,12),
d. h. nicht die Kinder des Fleisches als solche sind Kinder Gottes, son
dern die Kinder der Verheißung werden als Stamm gerechnet.» Die
Gesamtheit derer, die «aus Israel stammen», die wiederum nur die
Repräsentanten aller derer sind, die betende Hände zu Gott erheben,
sie stehen also unter der Krisis jener Doppelheit der Kirche, anders
ausgedrückt: jener Doppelheit der Prädestination. Es besteht für sie
die ewige, in Gott allein beruhende und bewegliche doppelte Mög
lichkeit, dass sie als «aus Israel Stammende» erwählt oder verworfen,
als Kinder des Fleisches Hausgenossen oder Fremde (vgl. Eph. 2,19),
mit dem Wort Gottes in den Ohren und auf den Lippen KircheJakobs
oder Kirche Esaus sein können. In Christus wird es offenbar, dass
diese Möglichkeit in Gott sich wendet: Zur Erwählung und Hausge
nossenschaft des Menschen, zur Aufrichtung der Kirche Jakobs. In
Christus kommt also die Krisis zum Ausbruch. Tiefste Begründung
widerfährt hier dem Menschen, sofern ihm der ewige Augenblick der
Offenbarung Blitzesklarheit bringt über seine wesenhafte Verwur
zelung in dem, der er nicht ist, in Gott – aber auch tiefste Erschütte
rung, sofern in demselben ewigen Augenblick die Einsicht ihn über
fällt, dass in Gott allein, allein in dem, der er nicht ist, sein Grund war,
ist und sein wird. Besonderen , nicht begreiflichen , geschichtlich und
psychologisch nicht bedingten und nicht zu erklärenden Standes sind
ja die, die den Namen des Abrahamsstammes nicht nur tragen, son
dern sind, was der Name bezeichnet. Unbedingt, weil nur durch Gott
bedingt, als Isaak, als « Kinder der Verheißung », im Licht des Futurum
aeternum, in der Kraft der neuen Rechnung Gottes mit den Menschen
( 3,28; 4,3 ; 6,11 ; 8,18 ) sind sie, was sie sind, also nicht sonst, nicht etwa
kraft ihrer noch so trefflichen Eigenschaften und Leistungen als « Kin
der des Fleisches», nicht kraft irgend eines Dinges, und wenn es das
feinste und geistigste wäre, das in dieser Welt war, ist oder sein wird,
sondern vielmehr gerade in allen ihren Eigenschaften aufgehoben und
in Frage gestellt. Ist das nicht Not, wenn die Kirche, durch ihr eigenes
Thema immer wieder auf ihr Nicht-Sein verwiesen, sich selbst in ih
rem Sein immer wieder nur angreifen , nur preisgeben, nur opfern
kann ? Diese Not, wer trägt sie, wer bewegt sie, wer ist ihr gewachsen ?
469
Dass sie der Erkenntnis dieser ihrer eigentlichen Not bald im zähen
Verteidigen alter ehrwürdiger Vätersitte und Tradition, bald im Eifer
ihrer Galvanisierungsversuche und Neugründungen ausweicht, da
von lebt|329| die Kirche. Und dieses ihr Nicht-Sterben -Wollen ist ihre
wahre Tragik .
«Denn ein Verheißungswort ist das Wort: Zu der Zeit werde ich
kommen und Sara wird einen Sohn haben!» (Gen. 18,10). Erfüllung
dessen, was dem Menschen verheißen ist, ist die in der Wirklichkeit
dieser Welt aufbrechende und triumphierende Wahrheit Gottes selbst,
Gottes allein. Verheißung ist der Verweis darauf, d. h. aber auf das
Wunder, auf den Geist, auf das Unmögliche, auf die Erlösung. In der
Form dieses Verweises tritt die Möglichkeit seiner Erwählung an den
Menschen heran, ausschließlich in dieser und nie in einer anderen
Form. Er muss glauben, er muss wagen und kein Pfand wird ihm
geliehen?', es wäre denn der Geist, der Glaube, das Wagnis selber.
« Isaak » heißt «Man lacht». Worüber ? Und wie? Skeptisch über die
unmögliche Möglichkeit oder enthusiastisch über die mögliche Un
möglichkeit? Der Schritt vom einen zum andern ist nicht so groß, wie
die meinen, die die wirkliche Skepsis und den wirklichen Enthusias
mus nicht kennen. Die Kirche darf sich nicht verbergen, dass ihr The
ma sie hinausdrängt auf diese schmalste Felsenkante. Sie darf es nicht
einmal anders wollen, als dass das geschieht. Denn irgendwie erfüllte
Verheißung wäre Verlust der Erfüllung dessen, was dem Menschen
sicherlich' verheißen ist. Sichtbare Hoffnung wäre nicht Hoffnung
(8,24). Direkte Gegenwart der Wahrheit wäre nicht Gegenwart der
Wahrheit. Die Kirche, die es wagt, Gottes Wort mit Menschenohren
zu hören, mit Menschenlippen auszusprechen, lebt von der Verhei
Bung. Aber an der Verheißung muss ja der Mensch und alles Mensch
liche sterben, um Gott zu leben. Die Kirche darf sich diesem Sterben
nicht entziehen, gerade sie nicht. Gerade die sterbende Kirche lebt
Druckmanuskript:«wirklich» .
26
Vgl. aus der letzten Strophe von Fr. Schillers Gedicht « Sehnsucht»:
Du mußt glauben, du mußt wagen,
denn die Götter leihn kein Pfand;
nur ein Wunder kann dich tragen
in das schöne Wunderland.
470
wirklich von der Verheißung, im Schein der jenseits von Leben und
Tod ewig kommenden Erfüllung. Jede irgendwie triumphierende,
« lebendige» Kirche aber ist als solche die Kirche, die den Namen hat,
dass sie lebe, und siehe, sie ist tot (vgl. Apk. 3,1 ). Aber dass das so ist,
dass die Kirche, die wie alles Menschliche nach diesseitiger Erfüllung
drängt, die durchaus triumphieren und leben möchte, nur von der
Verheißung lebt und also immer nur abnehmen kann, damit Er wach
se (vgl. Joh. 3,30), das ist, wir sagen es nochmals: Not, die nicht ernst
genug genommen werden kann. Denn die Quelle dieser Not ist auch
die Quelle der Hoffnung, nur sie. Weil die Kirche diese ihre wirkliche
Not nicht sieht, darum hat sie auch keine wirkliche Hoffnung. Sie will
nicht glauben, ohne zu sehen (vgl. Joh. 20,29]; darum sieht sie auch
nur, was man sehen kann, ohne zu glauben.
V. 10–13 Aber nicht nur hier war es so, sondern auch als 1330 |
Rebekka, von einem Manne, unserm Vater Isaak, schwanger war:
denn als sie (die Zwillinge) noch nicht geboren waren und also auch
noch nichts Gutes oder Schlechtes getan hatten, wurde ihr (damit
die auf Erwählung beruhende Bestimmung durch Gott in Geltung
bleibe, bei der nicht die Werke, sondern der Berufende den Aus
schlag gibt!) gesagt: «Der Größere wird dem Kleineren dienen ! »
Wie denn über dieses Ausschlaggebende geschrieben steht: «Den
Jakob liebte ich, den Esau aber hasste ich ! »
Innerhalb des Abrahamsstammes die ungeborenen Zwillingssöhne
eines Mannes und einer Frau ! Wenn es auch von ihnen, schon von
ihnen heißt: «Der Größere wird dem Kleineren dienen ! » (Gen. 25,23 ),
so wird darin offenbar noch deutlicher, wie die Kirche sich spaltet an
ihrem eigenen Thema, und was das für ein Thema ist. Wer oder was
außer Gott selbst, Gott allein kann hier, wo aller menschliche Unter
schied verhüllt ist von der an die grundsätzliche Unanschaulichkeit
Gottes erinnernden Verborgenheit des Mutterleibes, für den einen
oder gegen den andern sprechen ? Warum Jakob und nicht Esau ? Kei
ner hatte vor dem andern etwas voraus in der Berufenheit, rechtmä
Bige Söhne Isaaks und Enkel Abrahams waren sie beide, und beide
hatten « nichts Gutes oder Schlechtes getan» . Und doch läuft die uner
bittliche, die kritische Linie quer hindurch durch den gemeinsam ge
zeugten und empfangenen, durch den noch ungetrennten Stamm, Er
wählung hier und Verwerfung dort, Kirche Gottes hier und Men
471
schenkirche dort, Wahrheit als Gericht hier und Wahrheit als Gerech
tigkeit dort bedeutend. Warum , warum ? möchten wir immer wieder
fragen.
Antwort: «Damit die auf Erwählung beruhende Bestimmung
durch Gott in Geltung bleibe, bei der nicht die Werke, sondern der
Berufende den Ausschlag gibt.» Also darum , weil Abrahams Stamm
sich nun einmal mit Gott eingelassen hat, weil Gott Gott ist und weil
Gott sich darin immer wieder als Gott erweist, dass er, er selbst, er
allein , wählt und verwirft, aufrichtet und stürzt, lebendig macht und
tötet (vgl. 1.Sam. 2,6]. Wie anders sollte er sich denn diesem Menschen
in dieser Welt mit seinem immer wieder in die Gegebenheit versin
kenden Sinn als Gott, als der Herr über Leben und Tod erweisen ? Wie
anders denn in dieser seiner königlichen, an kein Eigenes, Selbstän
diges, Relatives des Menschen gebundenen, durch keinerlei Gegen
überstehendes, Anderes, Zweites bedingten Freiheit sollte uns denn
der Gott, der eben in seiner Unanschaulichkeit, eben als der Unbe
kannte für uns Gott ist, anschaulich und bekannt werden ? Wie anders
könnte denn das Thema der Kirche durchgeführt werden als 1331|
dadurch, dass es der Kirche selbst, der Kirche zuerst immer aufs neue
zur Krisis wird ? Abrahams Stamm selbst, der von Gott bedrängte,
kann nichts anderes wünschen noch wollen, als dass «die auf Erwäh
lung beruhende Bestimmung durch Gott in Geltung bleibe», dass
Gott recht bekomme und recht behalte in seiner schrankenlosen Frei
heit. Ihn lobpreist mit dem Jubel der Erwählten auch das Zähneknir
schen der Verworfenen. Denn « nicht eine quantitative Begrenzung,
sondern eine qualitative Beschreibung des göttlichen Tuns ist ge
meint» (Kühl)27 mit der unumgänglichen Lehre von der ewigen dop
pelten Prädestination. Kein menschliches Sein, Haben und Tun, kein
« Werk » ist ja als solches bevorzugt oder zurückgesetzt, niemand darf
sich in der Zeit ewiger Erwähltheit getrösten, und niemand muss sich
in der Zeit ewiger Verworfenheit bewusst sein, sondern wie der zeit
liche Mensch ewig begründet ist, wie in dieser Begründung «der Be
rufende den Ausschlag gibt», wie sein Gott wirklich Gott ist, das
bezeichnet diese Lehre:" paradox, missverständlich zum Zweck des
m Der den Sinn eher störende Doppelpunkt ist, wie das Druckmanuskript
zeigt, vermutlich vom Lektor hinzugefügt worden.
27 Kühl, S. 322.
472
Verständnisses, mit dem Kontrast des Wählens und Verwerfens. Das
sucht ja Abrahams Stamm. Das meint ja auch die Kirche. « Gott hilft
28
dirnichtumdeinetwillen, sondern umseinerselbstwillen» (Schlatter).”
Hilft er dir anders, so hilft er dir gar nicht, so ist es gar nicht Gott, der
dir hilft. Seine Sache führt Gott in der Kirche, und weil sie seine Sache
ist, kann sie nicht untergehen.?' Aber eben darum sollte von der
«Sach', an der wir stehn », nur mit größter Vorsicht gesungen werden ;
denn indem Gott seine Sache führt, schlägt er uns unsere Sache (als
unsere!) auf alle Fälle aus den Händen, lässt das Wunder geschehen
oder nicht geschehen, bestätigt sein Israel (als das seine!) und lehnt ab,
was nur diesen Namen trägt, führt zum Licht ein Volk, das ihm dient,
und hüllt in Finsternis ein anderes, das ihm nur zu dienen meint, gibt
das Erbe seinen Kindern und nimmt es den ihm Fremden, segnet die
von ihm Berufenen mit seiner Gegenwart und straft die von ihm Un
berufenen durch seine Abwesenheit, macht menschlich Erste zu sei
nen Letzten und menschlich Letzte zu seinen Ersten (vgl. Mt. 19,30;
20,16 par.) - und immer so, dass Er Gott ist, der Unbekannte, und sein
das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit (vgl. Mt. 6,13) .
« Den Jakob liebte ich, den Esau aber hasste ich. » Wir wiederholen,
dass dies (Mal. 1,2–3) eine Beschreibung des Verhaltens Gottes, der
Qualität des göttlichen Tuns ist: frei, königlich, souverän, unbedingt,
grundlos ist Gott und nur so als Gott zu begreifen und zu verehren.
Weil nur durch sein Erwählen und Verwerfen, Lieben und Hassen,
Lebendigmachen und Töten (vgl. 1.Sam. 2,6] Gott diesem Menschen
in dieser Welt als Gott begreiflich und ver - 33 2 |ehrungswürdig wer
den kann - darum die Not der Kirche, darum Gottes Offenbarung im
Paradoxon, dass Ewigkeit Zeit und doch nicht Zeit wird, im Rätsel
bild und Gleichnis des geliebten Jakob und des gehassten Esau, im
Geheimnis der ewigen doppelten Prädestination. Eben darum ist sie
9,14-29
V. 14-18 Was wollen wir nun dazu sagen? Ist da nicht eine Unbot
mäßigkeit auf Seiten Gottes? Unmöglich ! Denn dem Mose sagt er :
Ich werde mich dessen erbarmen , dessen ich mich erbarme, und mit
dem Mitleid haben, mit dem ich Mitleid habe. Also so steht's: Nicht
auf den wollenden noch laufenden Menschen kommt es an, son
dern auf den sich erbarmenden Gott. Denn die Schrift sagt dem
Pharao: Dazu habe ich dich aufgestellt, dass ich an dir meine Kraft
erweise und dass verkündigt werde mein Name auf der ganzen
Erde. Also so steht's: wessen er will, dessen erbarmt er sich, und wen
er will, den verstockt er.
«Ist da nicht eine Unbotmäßigkeit auf Seiten Gottes ?» «Den Jakob
liebte ich, den Esau aber hasste ich. » Eine furchtbare Wahrheit, um so
furchtbarer, wenn sie uns hier in einer Form entgegentritt, die sich
auch von dem letzten Rest psychologistischer Eindeutigkeit frei hält !
Wer ist der Gott, der so redet, in dessen Hände zu fallen so schrecklich
ist (vgl. Hebr. 10,31 ], der mit den Seinen so umgeht, solche Not ihnen
bereitet? Der Gott, der so sehr der Gott ist, der Wunder tut (vgl. Ps.
77,15 ], dass er anders denn im Wunder der Offenbarung, in der Wende
von der Verwerfung zur Erwählung nie und nirgends als Gott erkannt
und geglaubt werden kann ? Der Gott, der sich immer finden lässt und
gerade darum immer gesucht sein will ? Der Gott, der in alle Ewigkeit
der Gott Jakobs ist, und gerade darum zu jeder Zeit der Gott Esaus ?
Der Gott, der viel zu sehr die Wahrheit selber ist, als dass dieser
Mensch in dieser Welt « Gewissheit» von ihm haben könnte ? Wer
schauderte hier nicht zurück : «Est enim praedestinatio Dei vere la
byrinthus, unde hominis ingenium nullo modo se explicare queat»
(Calvin).30 Ist es nicht offenkundig, dass dieser Gedanke, den keine
ihres Namens werte Kirche zu denken unterlassen darf, der Angriff
auf die Grundlage jeder Kirche ist ? Dass alle unsre religiös-sittlichen
Begrifflichkeiten angesichts der Realität dieses Gottes gegeneinander
fallen wie auf die Spitze gestellte Kegel, wie die Häuser und Bäume auf
einem futuristischen Bilde ? Sind sie nicht allzu begreiflich, alle jene
30 Calvin, col. 180.
475
Einwendungen, die die religiös-kirchliche Eilfertigkeit und Kurzat
migkeit zu allen Zeiten im Namen des höchst bedrohten Menschen
gegen die Prädestinationslehre erhoben hat ? Ist es nicht unvermeid
lich, dass auch vom höchsten , kühnsten Gipfel menschlichen Glau
bens immer und immer wieder jene tolle Frage (3,5) aufsteigt, ob
dieser Gott nicht selber «unbotmäßig» sei: ein launischer, tückischer
Dämon, der uns zum Narren | 334 hält, ein Aufrührer gegen die Norm
der Gerechtigkeit, der doch auch er unterstellt sein müsste ? Gibt es
etwas Empörenderes für den Menschen als das majestätische Geheim
nis dieses Unerforschlichen, Unzugänglichen, Unberührbaren , dieses
allein Freien und selbst Mächtigen? Möchten wir nicht alle unwill
kürlich schreien , dass dieser nicht Gott sein kann, nicht Gott sein
darf? Das ist sicher, dass die Not der Kirche noch nicht gesehen ist
Mund also auch noch nicht sich wenden" kann, solange die Möglichkeit
solcher Frage, Klage und Anklage ihr nicht in ihrer ganzen Bedroh
lichkeit zum Bewusstsein gekommen ist. Diesseits der in dieser Mög
lichkeit sich ankündigenden Katastrophe alles dessen, was der
Mensch von Gott denken und für ihn tun kann, gibt es keine Erkennt
nis Gottes, keinen Trost und keine Hilfe. Der Gott, gegen den dieser
Schrei sich nicht erhöbe, wäre nicht Gott. Wogegen die Verkündigung
der Heilsbotschaft von Christus im alten und im neuen Testament
daran ihr Merkmal hat, dass sie, im Unterschied zu andern, billiger zu
habenden und glatter eingehenden Botschaften, eben diesen Wider
spruch herausfordert. Wenn es Ernst gilt, dann wird das Skandalon
der Prädestination verkündigt und vernommen, dann redet der Gott
Esaus. Das sind Dinge, die Nietzsche in seiner wilden Auflehnung
gegenGott besser gewusst zu haben scheint als die unbedachtedirekte
Gläubigkeit derer, die es wagen, ihn deshalb zu verdammen. Also:
«Den Jakob liebte ich, den Esau aber hasste ich. » «Es verhält sich aber
mit dergleichen Stellen wie mit der Wolkensäule, die sich zwischen das
Heer der Ägypter und das Heer Israels stellte und gegen die Ägypter
eine finstere Wolke war, gegen Israel aber Licht machte. So haben
diese Sprüche zwei Seiten: gegen die Gläubigen, die Gott in seiner
Liebe trauen, haben sie einen lieblichen sanften Sinn; denen aber, die
476
lieber mit ihren Werken aufkommen möchten, stehen sie freilich als
eine finstere Wolke da. So viel einen diese Sprüche noch hart dünken,
so viel steckt er noch in seiner eigenen Gerechtigkeit; so friedlich man
aber damit auskommen mag, so weit ruhet das Herz ganz in der Gna
de» (Steinhofer).3 " Denn « unmöglich » ist jener Widerspruch, so nahe
er liegen, so sehr er der Ausdruck tiefer Einsicht in die wahre Lage sein
mag. Er kann sich nur dazu erheben, um alsbald in sich selbst zusam
menzubrechen und durch sein Auftauchen und Verschwinden klar zu
machen, dass Gott ist, der er ist: der Gott Esaus, weil er der Gott
Jakobs; der Notschaffende, weil er der Hilfebringende; der Verwer
fende, weil er der Erwählende ist. Jene Krisis darf aber eben darum
nicht umgangen und darum auch das Ärgernis der zweiseitigen Wol
kensäule nicht weggewünscht werden. Von dem Durchhalten in die
ser Krisis ist nun zu reden.335|
« Ichº werde mich dessen erbarmen , dessen ich mich erbarme, und
mit dem Mitleid haben, mit dem ich Mitleid habe! Also nicht auf den
wollenden noch laufenden Menschen kommt es an, sondern auf den
sich erbarmenden Gott!» Gott «unbotmäßig» ? Nein, aber Gott seine
eigene Norm! Gottes Gerechtigkeit eine ewige Gerechtigkeit (vgl. Ps.
119,142 ] ! Gottes Liebe unendlich, nicht endlich ! Darum handelt es
sich. Eben der Gott, für den menschliche Begrifflichkeit schließlich
nur noch die Bezeichnung «Despot» übrig haben dürfte, gegen dessen
Herrschaft sich der Mensch nur empören kann, den der Mensch um
keinen Preis Gott nennen möchte, ist eben Gott. Dass er vom Men
schen als «Despot» (Lk. 2,29; Act. 4,24 usf.) gerade als' der unendlich
liebende Vater, als Gott Esaus gerade als Gottº Jakobs begriffen und
wieder geliebt wird, das ist Gotteserkenntnis in Christus, und es gibt
keinen Weg zur Gotteserkenntnis, der etwa an der Klippe jenes Wi
derspruchs vorbeiführte. Der Gott, den wir in Gestalt einer dem
o
477
menschlichen Begreifen kongruenten Größe, in Gestalt einer Ursache
in einer Reihe, in Gestalt einer Partei unter Parteien zu erkennen ver
möchten, ist nicht der Ursprung, nicht der Absolute, nicht der Ewige,
nicht der Persönliche - er ist Nicht -Gott, oder aber er ist Bild und
Gleichnis, das, indem es uns unvermeidlich dorthin leitet, wo jener
Widerspruch auftauchen muss, über sich selbst hinausweist, sich
selbst aufhebt, zur Ehre Gottes selbst, Gottes allein. Gottes Wille ist
nicht die Anwendung und Betätigung einer oberhalb Gottes stehen
den Güte, sondern selber die Quelle und Setzung der Güte und alles
Guten. Als gut kann er nur verstanden werden, indem er als Gottes
Wille verstanden wird. «Deo satis superque est sua unius auctoritas, ut
nullius patrocinio indigeat». Darum : «Faciam quod facturus sum.»
Und: «haec Deo libertas eripitur, ubi externis causis alligatur eius
electio» (Calvin).32 Was macht denn Mose zum Mose, zum Träger und
Verkündiger der göttlichen Bundesgnade und Heilsbotschaft ? «Wor
an soll es wahrhaftig erkannt werden, dass ich Gnade gefunden habe
bei dir, ich und dein Volk , wenn nicht daran, dass du mit mir ziehst ? »
Antwort: « Ich werde vor dir herziehen in meiner Herrlichkeit und
werde mit meinem Namen: Der Herr! vor dir her mich hören lassen
und werde mich dessen erbarmen, dessen ich mich erbarme, und mit
dem Mitleid haben, mit dem ich Mitleid habe». Und wir bedenken die
Fortsetzung der Stelle: «Du kannst mein Angesicht nicht sehen. Denn
kein Mensch wird leben, der mein Angesicht sieht» (Ex. 33,16-20
LXX ). So also wird Mose zum Mose. Gottes Gerechtigkeit ist Gottes
Gerechtigkeit, in keinem Sinn die Gerechtigkeit des «wollenden oder
1336| laufenden » Menschen. Nichts wird diesem Menschen gegeben,
was ihm etwa nach menschlichem Recht ohnehin zukäme, sondern
aus Erbarmen und Mitleid gibt ihm Gott, was er ihm gibt. Und das
ist's, was dieses ihm widerfahrende Erbarmen echt und dieses Mitleid
kräftig macht: anbetungswürdig als Grund unsrer Hoffnung, dass es
ganz und gar Gottes, d. h. aber das schlechthin freie, unbedingte, in
sich selbst beruhende und bewegte Erbarmen und Mitleid ist. Von
einem andern Gott als diesem, dem - direkt und linear verstanden -
nur als der Gott Esaus verständlichen, dem als der GottJakobs nur im
absoluten Wunder sich offenbarenden , sollte auch die Kirche, in ihrer
Not ihre Hoffnung erkennend, nichts wissen wollen.
32 Calvin, col . 181f.
478
«Dazu habe ich dich aufgestellt, dass ich an dir meine Kraft erweise
und dass verkündigt werde mein Name auf der ganzen Erde. Also
wessen er will, dessen erbarmt er sich, und wen er will, den verstockt
er. » Gott «unbotmäßig» ? fragen wir noch einmal und antworten noch
einmal: Nein, wie sollte er, sofern wir sein Tun nicht an unsern Ord
nungen und Erwartungen messen (sondern umgekehrt!), sofern wir
uns bescheiden bei der Einsicht, dass er seiner eigenen, unserm Be
trachten schlechthin unanschaulichen Pragmatik folgt. Wie kommen
wir zu dieser Einsicht ? Indem wir uns klar machen, dass wir nicht
einmal diese tolle, ihr Ziel gänzlich verfehlende Frage aufwerfen , gar
nicht in die Lage kommen könnten, angesichts der Anschaulichkeit
des Gottes Esaus protestierend und hilferufend nach der Offenbarung
des Gottes Jakobs auszuschauen, wenn uns nicht jenseits dessen, was
wir jetzt und hier allein als Gott anzuschauen vermögen, das ur
sprüngliche Licht des Schöpfers und Erlösers siegreich leuchtete. Er
innert uns aber gerade die Tatsache unsres Protestes gegen unsre di
rekt doch unmöglich zu leugnende Verwerfung an das eigene, nur
indirekt einzusehende Recht, nach dem sich das Handeln Gottes rich
tet, dann mag es uns vielleicht zum Gebot werden, ihn auch in seiner
Anschaulichkeit als Gott Esaus , als Notbereitenden, als Verwerfen
den anbetend zu verehren, die Hand zu ergreifen und fest zu halten,
die uns schlägt, um deswillen, was dieser harte Gott noch viel mehr,
noch ganz anders ist: der Gott Jakobs, der Hilfe Schaffende, der Er
wählende. Wie wollten wir denn den Gott Jakobs anders begreifen,
als indem wir uns beugen vor dem Gott Esaus, wie unsre Erwählung
anders als in ihrer Umkehrung: in unsrer Verwerfung ? Gott schauen
kann auch Mose nur in der Felskluft stehend, wenn jener vorüber
gegangen ist, von hinten (Ex. 33,21-23 ). Ihn anders schauen wäre für
uns gleichbedeutend mit sterben. Was die triumphierende Kirche
« Gott» nannte, das ist ( 337| nie wirklich Gott gewesen. Mit dem le
bendigen Gott hat es die Kirche zu tun, die in der Not ist und die weiß,
dass sie es ist, die sich in der ganzen Breite ihrer geschichtlichen Er
scheinung von Gott verworfen weiß und sich nur daran klammert',
" Druckmanuskript: «wir».
S
Druckmanuskript: « Felskluft».
t- t
1. Abdruck ( 1922²): «und nur daran sich klammert» . Korrektur in Barths
Handexemplar.
479
dass dieser furchtbare Gott dennoch Gott ist: derselbe Gott, der noch
viel mehr, noch ganz anders erwählen kann und erwählen will. Von
Gott «aufgestellt» ist nicht nur Mose in der Unanschaulichkeit seines
Amtes als Gottesmann, sondern auch Pharao in der ganzen Anschau
lichkeit seiner Funktion als Moses Gegenspieler. Gott nimmt ihm mit
dieser seiner Prädestination zur Verstockung nicht das Geringste von
dem, was ihm nach menschlichem Recht zukommt. Es hat, mensch
lich betrachtet, Mose vor Pharao nichts irgendwie Entscheidendes
voraus. Unter derselben harten Hand stehen offenbar Beide, wie
schon Jakob und Esau unter derselben harten Hand standen. Mose
könnte allenfalls auch Pharao sein, Pharao auch Mose. Eher noch dass
man das Bild Esau - Pharaos menschlich einfacher und befriedigender
nennen möchte als das Jakob-Moses. Denn sofern wir von Mose dem
Erwählten reden, reden wir nicht von dem anschaulichen Mose, des
sen Gegenspieler der anschauliche Pharao ist und vor dessen mensch
licher Fragwürdigkeit, Erfolglosigkeit und bitterem Ende die Ver
stockung und Gegenwehr Pharaos noch eine gewisse tragische Größe
voraushat. Unanschaulich, paradox steht ihm Pharao der Verworfene
gegenüber, unanschaulich, paradox ist der Unterschied der beiden
«Persönlichkeiten». Im strengsten Sinne gilt das « ineffabile est indi
viduum »33. Keinerlei seelische Schichtung und Differenzierung ist hier
gemeint; völlig ins Leere greift die bekannte, allzu bekannte Einsicht,
dass zwei ( warum nicht drei oder mehr ?) Seelen - ach ! - in des Men
schen Brust wohnen34. Denn die Qualität, um die es hier geht, ist
psychologisch gänzlich unqualifizierbar, kann daher nicht als Quali
tät dieses oder jenes psychologischen Subjektes festgestellt werden.
Anstößig, widersinnig, unbegründbar im extremsten Sinn ist die Prä
dikation « erwählt» für Mose, « verworfen » für Pharao. Allein in Got
33 Der Satz tauchtso, möglicherweise als eine säkularisierte Form des alten
«Deus est ineffabilis» (vgl. z.B. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia, I, 26),
erst im 18. Jahrhundert auf (vgl. Goethes Brief an Lavater «etwa vom
20.9.1780» [Goethes Werke. Weimarer Ausgabe, IV. Abth., 4. Bd., Weimar
1889, S. 300]); vgl. L. Oeing -Hanhoff, Art. «Individuum, Individualität, II.
Hoch- und Spätscholastik», Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.
1.4,
Basel 1976, Sp. 304–310, dort Sp. 309; T. Borsche, Art. «Individuum, Indivi
dualität, III. Neuzeit», a.a.O., Sp. 310–323, dort Sp. 312.
34 Vgl. J.W. von Goethe, Faust I, V.1112 ( Vor dem Tor).
480
tes Freiheit und durch das Wunder seiner Offenbarung geschieht es,
dass der Eine als Erwählter, der Andere als Verworfener dazu dienen
muss, «dass ich an dir meine Kraft (meine virtus, meine betätigte Vor
züglichkeitvorallen Göttern 1,16) erweise und dass verkündigt werde
mein Name auf der ganzen Erde» (Ex. 9,16). Diese Abzweckung der
Verwerfung Pharaos könnte doch wahrhaftig ebenso gut die der Er
wählung Moses sein und ist es ! Knechte und nicht Herren sind beide,
Knechte des Willens Gottes, der hier in Gottes Ja, dort in seinem Nein,
hier im Erbarmen, dort in der Verstockung seine unanschauliche
Herrlichkeit bewährt und beweist, den Einen und den Andern , den
Guten und den Bösen (338 ) braucht. Der « verstockte » Mensch ist der
anschauliche Mensch, der als solcher in seiner grundsätzlichen Got
tesferne Buße weder kennt noch tun kann. Wer von uns weiß denn
etwa, was Buße ist, geschweige denn, dass er Buße getan hätte ? Das ist
unsre Verstockung. Der Mensch, dessen sich Gott" erbarmt, ist der
unanschauliche Mensch in seiner durch das Wunder vollzogenen Ein
heit mit Gott, der in der Buße, die Gottes Werk ist, Neugeborene. Wer
sollte von diesem Werk Gottes ausgeschlossen sein ? Das ist das Er
barmen, unter dem wir stehen. Wie könnte Gott jetzt und hier anders
mit uns reden als in der rücksichtslosen Aufdeckung dieses Kon
trastes ? Und wie könnte dieser unübersehbare Kontrast anders be
gründet sein als in dem Einen Gott, in dem auch seine Aufhebung
verborgen ist? Gott will. Gott erbarmt sich und verstockt, Er! Dieser
Er ist die Not der Kirche, deren Menschenwerk nie Sein Werk sein
kann, aber auch ihre Hoffnung jenseits der Not, so gewiss die Beu
gung vor diesem Er das Ende des Menschenwerks ist. Wollte die Kir
che nicht durchaus Mose sein (und welche Kirche, welches Kirchlein
wollte das nicht ?), wüsste und bedächte sie, dass sie Pharao, Kirche
Esaus ist, so wäre damit Raum geschaffen für das absolute Wunder,
dass sie gerade darum, gerade in ihrer Beugung vor Ihm Mose, Kirche
Jakobs sein könnte.
V. 19–21 Eine Episode: Du wirst mir sagen: «Was hat er in diesem
Fall zu tadeln ? Denn wer sollte seinem Willen widerstehen ? » O
Mensch ! Jawohl, wer bist du, der du Gott widersprechen willst?
u Druckmanuskript: «und».
V
w
Druckmanuskript: «und » .
1. Abdruck ( 1922²): «Gott sich». Korrektur in Barths Handexemplar.
481
Wird etwa das Werk zum Meister sagen: Warum hast du mich ge
rade so gemacht? Oder hat nicht der Töpfer Macht über den Ton,
aus demselben Teig das eine Gefäß für die Zierde, das andere für den
Schmutz herzustellen?
« Was hat er in diesem Fall zu tadeln ? Denn wer sollte seinem Willen
widerstehen ? » Wir kennen diese Einrede (3,8; 6,1.15 ): Gegenüber
Gottes Sieg und Triumph sei weder dieses noch jenes Tun des Men
schen eine Förderung oder ein Hindernis. Aus Gottes Freiheit und
Alleinmacht folge also die Unverantwortlichkeit des Menschen, aus
der Universalität seiner die Sünde überwindenden Gnade die Mög
lichkeit, das Gute und das Böse zu tun. Sie taucht mit unfehlbarer
Sicherheit überall da auf, wo mit dem Denken des Gedankens Gottes
oder der Ewigkeit ernst gemacht wird. Furcht und Zittern ( vgl. Phil.
2,12] sind wohl am Platz, wo sie auftaucht. Im Blick auf Gott nämlich,
im Blick auf den feurigen Busch (vgl. Ex. 3,2–4 ], in dessen Nähe wir
uns dann offenbar befinden . Der Blick auf die Menschen aber dürfte
die Kirche nicht hindern, jenen Gedanken im Ernst zu denken, auf die
Gefahr hin, dass Irrsinn, (339| Sittenlosigkeit, Verbrechen und Selbst
mord plötzlich in den Bereich der Möglichkeit derer treten , die es
wagen ihn mitzudenken, auf die Gefahr hin, dass die Kirche ihr ei
genes Dasein als gesellschafts- und welterhaltender Faktor aufs Spiel
setzt. All das Unerhörte, das an diesen Grenzen evangelischer Ver
kündigung eintreten kann und gerade auf ihren Höhepunkten tat
sächlich eingetreten ist, spricht nicht sowohl gegen die Wahrheit als
gegen den Menschen, der die Wahrheit nicht zu ertragen vermag.
Selbstverständlich nicht etwa nur gegen diesen und jenen Menschen,
der kraft seiner Stärke oder Schwäche diese Unerträglichkeit der
Wahrheit besonders deutlich am eigenen Leibe erfahren und darstel
len muss (also z. B. nicht nur gegen Nietzsche!), sondern gegen diesen
und jenen und gegen alle Menschen, gegen die Gesellschaft und Welt,
deren Ordnungen alsbald aus den Fugen zu kommen scheinen, wenn
ihnen die Ordnung Gottes einmal zu nahe kommt. Der Ausgang von
Dostojewskis «Idiot», das Ende eines Hölderlin oder Nietzsche, die
unvermeidlichen Katastrophen alles Täufertums (Muck-Lamberty!)",
der Wüste» aufgetreten, «um das Volk zu reinerer und gesunderer Lebensweise
zu führen, ihm den Umgang mit der Natur der Heimat in Spiel und Tanz
liebzumachen, in der Abkehr von allem unnötigen Luxus und Tand innere
Befriedigung zu suchen und ihm zu sagen, daß es sich durch gegenseitige Ach
tung und Liebe in den Zeiten schwerer Not aufrichten soll». Barth spielt hier
konkret an auf das Auseinanderfallen der Bewegung, nachdem Vorwürfe der
Unsittlichkeit sich bestätigt hatten. Rade berichtete: «Das Reich Muck -Lam
bertys liegt in Trümmern. Der Apostel der Enthaltsamkeit hat für sich selber
versagt. Die neue Schar> ist von ihrem Führer verraten» (ChW, Jg. 35 (1921),
Sp. 165 [in Barths Exemplar angestrichen]). Vgl. auch W. Stählin, Via vitae,
Kassel 1968, S. 179.
483
Opfer, die der indirekte Weg der Wahrheit immer wieder fordert,
nicht beruhigen, fühlen wir uns dringend veranlasst, auch bei unserm
ernsthaftesten Denken des Gedankens Gottes auf alle Geradlinigkeit
und Ungebrochenheit Verzicht zu leisten. Es muss aber grundsätzlich
dabei bleiben, dass jene Einrede die Wahrheit nicht trifft und darum
abzu - 340 weisen ist. Diese Abweisung ist nun noch einmal (3,5f.; 6,1f.
15f.) durchzuführen .
« O Mensch ! Jawohl, wer bist du, der du Gott widersprechen
willst? » O Mensch ! Damit ist ja bereits alles gesagt, was gegen diese
Einrede zu sagen ist. Sie übersieht den unendlichen qualitativen Un
terschied zwischen Gott und Mensch. Sie rechnet zwischen Gott und
Mensch wie zwischen Ding und Ding. Sie redet von einem Gott, dem
sich der Mensch als widersprechender Partner, wenn auch alsbald
erliegend, immerhin zunächst gegenüberstellt. Sie erlaubt sich, den
Menschen mit seinem Tun als ein Zweites gegenüber dem Willen Got
tes, als ein mit jenem in derselben Kausalreihe stehendes Glied, wenn
auch ganz oder fast ganz als Wirkung zu betrachten . Das ist Verkehrt
heit. Des Menschen Tun steht dem Willen Gottes weder als Ursache
noch als Wirkung gegenüber. Es besteht überhaupt keine direkte, an
schauliche Beziehung zwischen seiner Verantwortlichkeit und Gottes
Freiheit, sondern allein die indirekte, unableitbare, unvollziehbare
von Zeit und Ewigkeit, Geschöpf und Schöpfer. Es ist die Freiheit
Gottes also gegenüber dem Menschen weder ein von außen stoßender
Mechanismus noch sein eigenes schöpferisches Leben ( 1. Auflage die
ses Buches ! 36), sondern sie ist sein reiner Ursprung, das Licht, in des
sen Anwesenheit oder Abwesenheit sein Auge hell oder dunkel ist,
das Unendliche, an dessen doppelter Dimension gemessen er groß
oder klein ist, der Spruch des Richters, durch den er steht oder fällt.
Der Mensch kann in der Tat die Freiheit Gottes weder mehren noch
mindern, weder fördern noch hemmen. Aber so wenig kommt das in
Betracht, dass gerade die Indirektheit der Beziehung zwischen seiner
y Druckmanuskript: «irdische».
36 Römerbrief I, S. 380: « Wann wirst du aufhören, dir deinen Gott als blind
wirkenden Fremdkörper gegenüberzustellen ? Wann wirst du begreifen, daß
Gottes Wille kein Warum ? kennt, weil er kein von außen stoßender Mecha
nismus, sondern dein eigenes schöpferisches Leben ist?»
484
eigenen Freiheit und der Freiheit Gottes die relative Notwendigkeit,
den relativen Ernst, die relative Ordnung jener begründet und garan
tiert. Gerade das Wissen von Gottes Freiheit, Macht und Gnade wird
also den Menschen nicht aus seiner Bahn werfen, weil es unauflöslich
eins ist mit dem Wissen, dass er der Mensch und nicht Gott ist. Gerade
der Mensch, der Gott als Gott respektiert, wird zu jener Einrede kei
nen Anlass haben, er wird die Aufhebung seiner Verantwortlichkeit
weder fürchten noch wünschen; er wird nicht irrsinnig, nicht sittenlos,
nicht Verbrecher, nicht Selbstmörder. Wird er es doch, so errichtet er
mit dergleichen wahrhaftig kein «Sakrament» (Blüher)" , wohl aber
(Dostojewskis Raskolnikoff38!) ein warnendes Denkmal des letzten
Missverständnisses, dem die Forderung, Gott über alle Dinge zu
fürchten und zu lieben " , gerade als letzte Wahrheit ausgesetzt ist, der
Tatsache, wie sehr uns der Respekt vor Gott eine alles umstürzende
Neuigkeit ist, wie wenig wir in der Lage sind, mit Christus (341 | auch
nur eine Stunde wachend (vgl. Mt. 26,40 par.], die Paradoxie unsrer
Lebenslage zu ertragen, ohne durch allerhand Titanismen unser
Gleichgewichtsbedürfnis zu befriedigen! Gerade der Mensch, der be
greift, dass Gott die Not der Seinigen ist, weiß, dass er auf alle Fälle, in
seiner Moral und Unmoral, tadelnswert ist und dem Willen Gottes
widersteht (9,19), dass es für ihn kein Gleichgewicht gibt und dass er
weder in seiner Moral noch in seiner Unmoral einen Anlass finden
kann, Gott zu widersprechen, vor ihm recht haben zu wollen und sich
37 Barth besaß von H. Blüher die Schrift Der Charakter der Jugendbewe
gung, Lauenburg 1921. Hier findet sich auf S.60 die Anzeige eines andern
Titels von Blüher: Empedokles oder das Sakrament des freien Todes mit dem
Vermerk: «Als Manuskript gedruckt. Erscheint nicht im Buchhandel und wird
nicht neugedruckt.»
38
Anspielung auf die Hauptfigur in Dostojewskis Roman Verbrechen und
Strafe, wohl veranlasst durch die Darstellung von E. Thurneysen in seiner
Schrift Dostojewski, München 1921. Raskolnikoff wird dort als Beispiel des
prometheischen Menschen angeführt, der an der Problematik des Lebens
scheitert. Vgl. S. 14: «Leben - ist in Gott. In ihm liegen die Ursprünge. Er ist der
Schöpfer. Der Mensch aber ist nicht Gott. Oder doch ?! --An die Vermessen
heit dieser Frage rührt Raskolnikoff. Das ist der Kern seiner Problematik. »
Siehe auch oben S. 232, Anm. 43 .
39 Vgl. M. Luther, Der kleine Katechismus, Erklärung des ersten Gebotes:
« Wir sollen Gott über alle Ding fürchten, lieben und vertrauen», BSLK
507,42f.
485
so jener Not zu entziehen. Er wird sich jener Not vielmehr stellen und
gerade darin wird sein eigenes relatives Verantwortlichkeitsbewusst
sein begründet sein. «Nicht dazu also sind diese Dinge gesagt, damit
wir den heiligen Geist, der uns sein Fünklein gegeben, durch unsre
Hartnäckigkeit oder Trägheit matt setzen, sondern damit wir einse
hen, dass, was wir haben, aus ihm ist, und lernen, alles bei ihm zu
suchen, von ihm zu erhoffen, ihm wieder zu weihen, mit Furcht und
Zittern unserm Heil nachzugehen » (Calvin ).40
« Wird etwa das Werk zum Meister sagen: Warum hast du mich
gerade so gemacht? Oder hat nicht der Töpfer Macht über den Ton,
aus demselben Teig das eine Gefäß für die Zierde, das andere für den
Schmutz herzustellen ?» So steht der Mensch Gott gegenüber, fahren
wir nun fort und treiben das Problem mit dem bekannten propheti
schen Gleichnis aufdie Spitze (Jes. 29,16; 45,9; 64,7; Sap. 15,7): wie das
Werk dem Meister, wie der Ton dem Töpfer. Wer wagt es, hier noch
von zwei Partnern, von zwei Gliedern einer Reihe zu reden ? Hier der
Handwerker mit seiner Absicht, dort das Material, das ihr dienen
muss, und das Werk, das ihr Ergebnis ist. Von hier nach dort, vom
Töpfer zum Ton , vom Meister zum Werk führt keine Brücke, keine
Kontinuität. Inkommensurabel, in unendlichem qualitativem Unter
schied, in schlechthin indirekter unanschaulicher Beziehung (oder
doch im Gleichnis solcher! ) stehen sich hier und dort gegenüber.
Denn ?was sich auch immer über? die Beschaffenheit des Materials,
über den Bedarf, die Laune, das Können und Gelingen des Arbeiters
oder über den notwendigen Gang des Arbeitsprozesses im Ganzen:
von Aufgabe zu Aufgabe, von Zweck zu Zweck (so in der 1. Auflage
dieses Buchest!!) sagen lässt zur Erklärung der Tatsache, dass dasselbe
Z-Z
1. Abdruck ( 1922²): «was immer sich über». Umstellung «sich immer» in
Barths Handexemplar notiert.
40 Calvin, col. 182: «Non ergo haec dicuntur quo spiritum Dei nobis igni
culos instillantem nostra vel pervicacia vel ignavia praefocemus : sed ut intel
ligamus, ab ipso esse quidquid habemus: ideoque et ab ipso discamus petere
omnia, et sperare, et accepta referre, cum timore et tremore saluti nostrae
incumbentes . »
41 Römerbrief I, S. 382f.: «Der in einer bestimmten Weise charakterisierte
Augenblick des Künstlers, in welchem die Entscheidung zwischen einer voll
kommenen und einer unvollkommenen Möglichkeit fällt, ist nur ein Aufblit
486
Material aus derselben Hand als Blumenvase oder als Nachttopf her
vorgehen kann, es bleibt – schlechthin jenseits der an Hand solcher
Erwägungen aufstellbaren Kausalreihen – die Freiheit des Arbeiters,
jetzt dies, jetzt das zu beabsichtigen, es fehlt, jedenfalls vom Material
und vom Ergebnis aus gesehen, seinen Absichten jedes Warum ? So der
| 342| Mensch und Gott. Als Ursprung, nicht als Ursache steht Gott
dem Menschen gegenüber. Ist der Mensch gerecht, so ist er's vor Gott.
Sündigt er, so sündigt er an ihm. Lebt er, so lebt er in der Teilnahme am
Leben Gottes, und stirbt er, so stirbt er, weil der Mensch an Gott
sterben muss . Immer ist er in seinem Da-Sein und So-Sein nicht etwa
nur bedingt, sondern samt allem, was ihn bedingt und bedingen kann
(und wenn es «Gott» hieße), geschaffen . Das Gleichnis von Meister
und Werk, Töpfer und Ton reicht selbstverständlich nicht aus, um
dieses « geschaffen » darzustellen. Es zeigt aber darauf hin. Der
Mensch steht Gott gegenüber als das Gegebene dem Nicht-Gegebe
nen, als das Sein dem Nicht-Sein. Jedes Geltendmachen seines ei
genen Rechtes, seiner eigenen Freiheit kann das Problem des Ur
sprungs, des Rechtes und der Freiheit Gottes, das Problem des An
fangs und des Endes, der Schöpfung und der Erlösung nur hinaus
schieben. Der Gedanke der Prädestination bedeutet den grundsätz
lichen Verzicht auf dieses Hinausschieben. Dieser Verzicht muss statt
finden, wenn Gott gegenüber dem Sein, Haben und Tun des Men
schen als Gott erkannt werden soll. Gott muss als Gott Jakobs und
Esaus begriffen werden. Andernfalls würde es nicht klar, dass er, zu
jeder Zeit der Gott Esaus, in Ewigkeit der Gott Jakobs ist. Der Ge
danke der eigenen Verantwortlichkeit des Menschen aber, dessen Be
seitigung jene Einrede (9,19) fürchtet oder wünscht, wie sollte er kräf
tiger zu seinem Recht kommen als in der Erkenntnis der schlechthi
nigen Relativität (Bezogenheit!) des Menschen Gott gegenüber ?
aa 1. Abdruck ( 19224): « Jede Geltendmachung».
zen in einer Reihe von Erleuchtungen, die dahin tendiert, die unvollkom
meneren immer mehr durch die vollkommeneren Möglichkeiten zu verdrän
gen. Und ebenso ist die Arbeitsstunde des Handwerkers, in der sein Tun einem
<ehrenvollen, oder < ehrlosen, Gefäß gelten kann, das Glied eines Ganges von
Aufgabe zu Aufgabe, von Zweck zu Zweck, in dem er im Ganzen sicher die
Absicht und denWillen hat, von den niederen Aufgaben und Zwecken zu den
höheren fortzuschreiten . »
487
V.22–23 Wir kehren zum Hauptthema zurück : Wenn nun aber
Gott mit großer Geduld die dem Verderben geweihten Gefäße des
Zorns erträgt - mit dem Willen, seinen Zorn zu erweisen und seine
Kraft zu offenbaren und um den Reichtum seiner Herrlichkeit zu
offenbaren an den Gefäßen des Erbarmens, die er zur Herrlichkeit
bereitet hat ?
Warum ist Gott der Gott Esaus und Jakobs, der Zürnende und der
Erbarmer? Wir wissen, dass wir kindisch und mythologisierend fra
gen; denn in Gott ist kein «und», keine Zweiheit, sondern lauter Auf
hebung des Ersten durch das Zweite. Gott ist der Eine, der Gott Ja
kobs in Ewigkeit, der sich als Gott dem Menschen offenbart. Wir
können aber begreifen, dass wir Gott nicht anders als in der Zweiheit
begreifen können, in der dialektischen Zweiheit, in der eins zwei wer
den muss, damit zwei wahrhaft eins sei. - Sofern sich Gott dem Men
schen offenbart, diesem Menschen in dieser Welt, muss er ihm gegen
überstehen als der, der ihm zürnt, der unwiderstehlich seine Kraft an
ihm offenbart, d. h .unvermeidlich |343| und unerbittlich ihm beweist,
dass er mit keinem von den Göttern, die der Mensch anbetet, und
wenn es der höchste Gott wäre, identisch ist. Und sofern der Mensch
die Offenbarung Gottes empfängt, kann er nichts anderes sein als das
«Gefäß des Zorns», unfähig, Gott auch nur zu denken, ihm zu ge
horchen , etwas anderes zustande zu bringen als Kompromittierungen
Gottes, etwas anderes zu erfahren, als dass er an Gott sterben muss.
Haben etwa gerade die wirklichen Gottesmänner als Menschen, in
ihrer Kreatürlichkeit etwas anderes getan oder erfahren ? Waren sie
nicht gerade insofern Gottesmänner, als sie wussten : dies Gefäß ist
dem Verderben geweiht, dieser Mensch als solcher ist kein Gerechter
und hat sein Leben verwirkt (Ex. 4,24–26!!), diese Welt vergeht (vgl.
1. Kor. 7,31 ; 1. Joh. 2,17] ? Haben wir etwa eine andere Hoffnung als
das Wissen von unsrer Not, dass wir als Menschen immer nur das
Negativ der göttlichen Offenbarung haben und selber seinab können,
dass wir als Menschen immer nur den harten Gott Esaus kennen wer
den ? - Sofern es aber Gott ist, der sich dem Menschen offenbart, steht
er ihm, seine ganze Kreatürlichkeit mit dem Trotzdem ! des Schöpfers,
seine ganze Sündigkeit mit dem Trotzdem ! der Vergebung bedeckend
ab
1. Abdruck ( 1922²): «und sein» . Korrektur in Barths Handexemplar.
488
(man erinnere sich der Kapporeth 3,25 ), gegenüber als der Erbarmer
und offenbart ihm und an ihm den Reichtum seiner Herrlichkeit, die
unendlich überlegene und siegreiche Wahrheit, dass er sein Erlöser ist.
Und sofern der Mensch Gottes Offenbarung empfängt, ist er das
« Gefäß des Erbarmens»; das absolute Wunder geschieht, dass seine
Augen aufgetan werden (vgl. Gen. 3,5-7 ], dass er in der Buße steht und
neue Kreatur schon ist, dass er, in der Härte Gottes seine Liebe er
kennend, Gott wieder liebt und also die Heilsbotschaft vernimmt als
frohe Botschaft, trotz, nein wegen des schlechthinigen grenzenlosen
Ärgernisses, das sie ihm bietet, dass er mit Gott, dem Gott Esaus
gerungen und also sich bewährt hat als Jakob, als Israel[vgl. Gen.
32,25-29]. Gott, der dem Jakob, dem Mose, dem Elia solche Not be
reitet, dass es wahrlich nicht übersehen werden kann, wie ihre Ge
genspieler Esau, Pharao, Ahab menschlich das bessere Teil erwählten,
dieser Gott ist der Schild und der sehr große Lohn (vgl. Gen. 15,1 ] der
Seinigen in Ewigkeit. - Und wenn nun der Gang der Offenbarung
dieses einen Gottes immer wieder der wäre von der Zeit zur Ewigkeit,
von der Verwerfung zur Erwählung, von Esau zu Jakob, von Pharao
zu Mose ? Wenn nun das Dasein der « Gefäße des Zornes» (die wir in
der Zeit alle sind! ) ein göttliches Ertragen und Ansichhalten wäre
(3,26), der Schleier der großen Geduld Gottes (2,4), hinter dem das
Dasein der «Gefäße des Erbarmens» (die wir in der Ewigkeit alle
sind ! ) nur verborgen, aber nicht verloren ist ? Wenn nun der Mensch
Esau, der dem Verderben geweihte (zu dem auch der Mensch Jakob
gehört!), immer nur stellvertretend (344l den Zorn Gottes zu tragen
hätte, damit dem Menschen Jakob, dem zur Herrlichkeit bereiteten
(zu dem auch der Mensch Esau gehört! ), der Zugang eröffnet werde
zu der in Zorn verhüllten und aus Zorn sich enthüllenden Gerechtig
keit Gottes ? Unbegreiflich und schrecklich dieser allen kontinuierli
chen « Gang» der Geschichte durchkreuzende und aufhebende
« Gang» der Offenbarung! Unbegreiflich und schrecklich diese Ver
borgenheit des wahren Sinnes hinter dem Dasein! Unbegreiflich und
alles Denken übersteigend dieses Hervorbrechen der Gerechtigkeit
Gottes quer hindurch durch alle Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit
der Menschen ! Aber wenn es doch so wäre ? Wenn dieser « Gang» der
Offenbarung der Wille Gottes an uns wäre ? Wo bliebe dann unsere
kindische, unsre unvermeidlich mythologisierende Frage, warum
Gott die Zweiheit will ?
489
V.24-29 Als solche hat er auch uns berufen, nicht nur aus den
Juden, sondern auch aus den Heiden. Wie er auch im Hosea sagt:
Ich will, was nicht mein Volk war, berufen zu meinem Volk und die
Ungeliebte zur Geliebten . Und es soll geschehen, dass sie an dem
Ort, wo ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk !, Söhne des
lebendigen Gottes genannt werden . Jesaja aber schreit über Israel:
Wenn die Zahl der Söhne Israels wäre wie der Sand des Meeres -
nur ein Rest wird gerettet werden ! Denn eine Beschneidung und
Verkürzung des Verheißungswortes wird der Herr eintreten lassen
auf der Erde ! Und wie Jesaja schon vorher gesagt hat: Wenn der
Herr Zebaoth uns nicht einen Samen übrig gelassen hätte, wie
Sodom wären wir geworden und Gomorrha würden wir gleich
sein.
Wenn – sagten wir eben. Wir meinen aber nicht « Wenn », sondern:
Es ist so. Denn eben dieser Gang der Offenbarung geschieht ja, eben
das, dass wir in der Zeit « Gefäße des Zorns», in Ewigkeit aber und
darum noch viel mehr, noch ganz anders « Gefäße des Erbarmens»
sind, entscheidet sich ja in Christus. Wunderbar gerettet jenseits uns
res ganzen anschaulichen Seins sind wir als die von ihm Berufenen .
Wir sind, das absolute Wunder ereignet sich: die Kirche Jakobs, die
Gemeinde der Erwählten. Wer «wir» ? Nicht diese und jene, keine
quantitativ feststellbare Ansammlung, kein numerus clausus“ , über
haupt kein numerus, kein greifbares geschichtliches Israel als solches.
Dass Gott es ist, der hier liebt, erwählt und sich erbarmt, das bedingt
die unanschauliche Aufhebung aller anschaulichen Scheidungen, die
unter Menschen stattfinden können und müssen. Nur die Kirche
Esaus braucht immer wieder die Zäune, die Israel von Edom, die die
Juden von den Heiden, die Gläubigen von den Ungläubigen sondern.
Bricht im ewigen Augenblick die Kirche (345 | Jakobs an in Christus,
dann werden die Zäune niedergerissen (vgl. Eph. 2,14]. Dann tritt der
Heide Esau in Gottes Dienst und wird der göttlichen Verheißung
teilhaftig und mit ihm die Heere der Draußenstehenden. Denn das
Draußen wird nuna Drinnen, die Ferne zur Nähe, das Nicht-Ge
ac
Druckmanuskript: «zum».
42
Anspielung auf die reformierte Lehre von der Prädestination einer fest
gelegten Anzahl von Erwählten; vgl. Heppe, S. 140.
490
liebtsein zum Geliebtsein, der Ort der Verstoßung zum Ort der An
nahme, wenn Gott es ist, der liebt, wählt und sich erbarmt (Hos. 2,25 ;
2,1 ). Dann «schreit» aber auch Jesaja der sichern, besitzes- und ge
wissheitsfrohen Kirche das Geheimnis der doppelten Prädestination
entgegen, mitad derganzen «Lieblosigkeit », die da am Platze ist, wo es
ganzen «Lieblosigkeit»,
sich um die Liebe Gottes handelt, als Gerichtswort, atals Verheißungs
wort – were will in Jes. 10,22–23 trennen zwischen beiden ? - dass der
Jude Jakob nicht als solcher der Knecht Gottes ist. Denn wenn Gott
liebt, wählt und sich erbarmt, welches Drinnen wäre dann sicher da
vor, draußen zu sein? Welche Verheißung wäre dann nicht in Gefahr,
automatisch beschnitten und verkürzt zu werden entsprechend der
Wahrheit dessen, der sie gegeben? Welche Quantität menschlich Ge
rechter schmölze dann nicht zusammen zu dem unanschaulichen un
greifbaren «Rest» und «Samen» der vor Gott Gerechten ? Welches
Jerusalem wäre dann bewahrt vor der Möglichkeit, morgen schon,
heute schon ein Sodom und Gomorrha zu sein - es wäre denn, dass
des richtenden Gottes Gnade es davor bewahrte ( Jes. 1,9) ?
Also auf des Messers Schneide, also am Rande des Abgrunds befin
det sich die Kirche Esaus, unsere, die bekannte Kirche, gerade weil die
Kirche Jakobs ihr Zion, ihr Ziel , ihre Verheißung ist. Gerade weil sie
es mit dem lebendigen Gott zu tun hat. Gerade weil sie sein Volk ist.
Unmöglich jede Sicherheit außer der, die Gott in sich selber hat. Un
sicher jedes Wissen außer dem, das Gottes eigenes Wissen und unser
Nicht-Wissen ist. Unbekannt Gott selber außer der Kunde, die er
selber - als der Unbekannte - uns in Christus gibt. Dies ist die Not der
Kirche . 13461
ad
1. Abdruck ( 1922 ): «entgegen - mit».
ac - ae
1. Abdruck ( 1922°): «als Verheißungswort? wer» .
491
10. Kapitel
DIE SCHULD DER KIRCHE
9,30-10,3
V.30–32a Was wollen wir nun sagen? Heiden, die der Gerechtigkeit
nicht nachjagten, haben die Gerechtigkeit ergriffen, nämlich die
Gerechtigkeit, die aus der Treue Gottes kommt. Israel aber, das
einem Gesetz der Gerechtigkeit nachjagte, hat ein solches Gesetz
nicht erreicht. Weshalb nicht? Weil dieses Jagen nicht aus dem Glau
ben, sondern aus den Werken kommt.
« Was wollen wir nun sagen ?» Sachlicherweise mussten wir, im Ge
gensatz zu den üblichen schnellen und direkten Anklagen gegen die
Kirche bisher einfach von ihrer Not reden, von der Not, die ihr durch
ihr eigenes Thema, durch ihre Gabe und Aufgabe: die Erkenntnis
Gottes bereitet wird, von der Not, von der darum , mag er sich zur
Kirche stellen, wie er will, im Blick auf Gott niemand sich ausnehmen ,
der niemand als einem Schaden anderer Leute bedauernd oder be
schwerdeführend gegenüberstehen kann, weil sie die Not ist, die der
Mensch in seinem Verhältnis zu Gott überhaupt, der religiöse Mensch
als solcher zu tragen hat. Die in der Kirche zum Bewusstsein ihrer
selbst kommende und also in die Erscheinung tretende religiöse
Menschheit leidet darunter, dass Gott Gott ist nicht dies und nicht
das, nicht hier und nicht dort, nichts mehr und nichts weniger, son
dern allem zeitlichen, dinglichen, so oder so bestimmten Sein gegen
über (und doch nie als ein Zweites ihm gegenüber!) das Nicht-Sein,
der Ursprung, der Schöpfer aller Dinge, der sichtbaren und der un
sichtbaren ' . Aber wie sollte dieses Gottsein Gottes dem Menschen
Not bereiten anders denn durch menschliche Schuld ? Wir erinnern
uns daran, dass unsre Geschöpflichkeit unser Fluch ist durch die Kraft
der Sünde (7,7-13), nicht sonst. Ist es einmal begriffen in seiner ganzen
1
Vgl. das Symbolum Nicaeno -Constantinopolitanum , 1. Artikel, DH 150.
492
Tragweite, dass es der Kirche immer und überall an Gott gefehlt hat,
fehlt und fehlen wird, dann darf, kann und muss davon auch geredet
werden als von einem Fehler der Kirche. Könnten wir davon lassen,
hier Anklage zu erheben, Schuld, Sünde, Fehler als solche festzustel
len und 347 zu benennen, so hätten wir diese Not wahrlich noch
nicht als Not erkannt; denn eine Not, die nur Schicksal wäre und
keine Anklage zuließe, wäre keine erkannte, keine brennende Not.
Und könnten wir hier Anklage gegen Gott erheben, so wäre das wie
derum nur ein Anzeichen davon, dass wir die Lage noch nicht über
blickt, noch nicht eingesehen haben, was es bedeutet, dass der Real
grund dieser Not zusammenfällt mit ihrem Erkenntnisgrund. Es be
deutet, dass der hier notwendig Anzuklagende der Mensch ist. Würde
er Gott nicht erkennen, er wäre gar nicht in der Lage, seine Not als
solche zu erkennen. Dass er an Gott gemessen ist, sich gemessen weiß,
das ist des Menschen Elend. Es besteht aber dieses Elend selbst wie
derum in nichts anderem als in der Bedrängnis, der Not, der Krisis, in
der sich seine Erkenntnis Gottes befindet, und von der Schuld an
dieser Krisis kann er sich nicht freisprechen; denn so gewiss sie in der
Freiheit Gottes begründet ist, so gewiss vollzieht sie sich fortwährend
in seiner eigenen Freiheit, unter seiner eigenen Verantwortlichkeit. Es
lässt sich zeigen, dass er in der Erkenntnis Gottes nicht nur ein Lei
dender, ein Kranker, sondern ein Fehlender, ein Sünder ist.
«Heiden, die der Gerechtigkeit nicht nachjagten, haben die Ge
rechtigkeit ergriffen, nämlich die Gerechtigkeit, die aus der Treue
Gottes kommt. » Das ist das Erste, worin diese Krisis in die Erschei
nung tritt. Die Erkennenden haben neben sich die Nicht-Erkennen
den, die Kinder Gottes die Weltleute, die Heiligen die Unheiligen. Die
Kirche, heiße sie, wie sie wolle, hat neben sich die Heiden, die Frem
den, die Nicht- Verstehenden, die Unbeteiligten, die der Gerechtigkeit
nicht Nachjagenden. Schon dieses Nebeneinander ist für feineres
Empfinden eine beunruhigende, vielleicht in seiner stillen Beredsam
keit unerträgliche Tatsache. Wie kommt es nur, dass die Heiden es
fertig bringen, im Angesicht der Kirche Heiden zu sein und zu blei
ben, unbeirrt zu verharren in ihrer Apathie gegenüber dem von der
Kirche bewahrten Heiligtum ? Wie steht es mit einem Heiligtum,
wenn es auf die Dauer durchaus das besondere Heiligtum dieser und
jener bleibt, universalen Respekt aber nicht findet ? Wie steht es mit
493
dem «Worte Gottes» in unserem Munde, wenn wir uns eingestehen
müssen, dass von den «Andern» niemand viel gegen, aber auch nie
mand viel für das hat, was wir da vorbringen ? Wie steht es mit der
Kirche, wenn sie, im Schatten tolerant gewordener Zeiten von keiner
Feindseligkeit bedroht, ihr Sonderleben ungestört, aber auch wenig
aussichtsreich leben darf und endlich wohl gar in die Lage kommt,
allerhand Kampf- und Tummelplätze selber aufzusuchen, nach einer
kleinen Verfolgung beinahe sehnsüchtig auszuschauen, damit 1348
doch jenes drückende Nebeneinander endlich aufhöre ? Und ist nicht
die Kirche seit den Tagen der Apologeten grundsätzlich mehr oder
weniger immer in dieser Lage? Schärfere Augen haben aber vom Kir
chenfenster aus immer noch mehr als das gesehen. Sie haben – wenn
sie scharf genug waren, um zu sehen, was man nur indirekt sehen
kann - gesehen, dass die Kirche ihr Sonderdasein und Sonderwesen
damit nicht retten kann, dass sie die Welt wegen sündiger Verstockt
heit in Anklagezustand versetzt und mit Nadelstichen und Keulen
schlägen gegen sie vorgeht. Sie haben mit Entsetzen das gesehen, was
2,14-29 ausführlich beschrieben ist: « Heiden, die das Gesetz nicht
haben, tun in ihrem Naturzustand, was das Gesetz fordert. » Sie jagen
der Gerechtigkeit darum nicht nach, weil sie sie schon ergriffen ha
ben. Sie lassen sich darum nicht belehren, weil sie schon belehrt sind.
Sie haben darum kein religiöses Interesse, weil sich Gott längst für sie
interessiert hat. Sie stehen unserm «Wort Gottes » so teilnahmslos ge
genüber, weil sie es längst ohne uns gehört haben, weil sie es längst
selber verkündigen. Die Weltkinder, die Unheiligen, die Ungläubigen
in ihrem ganzen nackten Jammer, vielleicht auch in ihrer ganzen freien
Heiterkeit keine Objekte unsrer Predigt und Seelsorge, unsrer Evan
gelisation, Mission, Apologetik und Rettungstätigkeit, keine Objekte
unsrer « Liebe», weil gesucht und gefunden von Gottes Erbarmen,
längst bevor wir aufstanden, uns ihrer zu erbarmen, schon im Lichte
der Gerechtigkeit Gottes stehend, schon der Vergebung teilhaftig,
schon teilnehmend an der Kraft der Auferstehung und an der Kraft
des Gehorsams, schon erschrocken vor der Ewigkeit und schon hof
fend auf sie, schon existentiell auf Gott geworfen ! Selbstverständlich,
dass diese Möglichkeit vom Standpunkt der Menschengerechtigkeit
aus immer mit vielen anschaulichen Argumenten bestritten werden
kann. Wer wollte denn übersehen, wie sehr die Heiden anschauli
494
cherweise wirklich arme Heiden’ sind ? Um die nur indirekt, nur mit
Heilandsaugen einzusehende, um die unmögliche, unanschauliche,
unerhörte Möglichkeit Gottes handelt es sich ja, um seine Gerechtig
keit, die nicht bedingt ist durch irgend eine menschliche Gegentreue,
sondern die allein aus Gottes eigener Treue kommt, um Gottes neue
Schöpfung, nicht um eine Folge von Ursache und Wirkung, kurz um
die Wahrheit Gottes in Jesus Christus. Aber wie könnte die Kirche
gerade diese als solche ganz und gar in Abrede stellen oder ihre An
erkennung vom Eintreten dieser oder jener Möglichkeit menschlicher
anschaulicher Gerechtigkeit abhängig machen, und wenn ihre Argu
mente gegen das existentielle Gerettetsein der Heiden noch so zahl
reich und schlagkräftig wären ? Wie könnte gerade die Kirche, die
Gott ihren Gott nennt, verkennen, |349| dass Gott Gott ist? Wie könn
te sie ganz und gar bestreiten , dass er der Gott der Juden und der
Heiden ist (3,30) ? Wird nicht Israels eigener Stammvater Abraham als
der Unbeschnittene selig gepriesen ? (4,9). Anerkennt es das aber,
rechnet es auch nur mit der Möglichkeit, dass salus auch extra eccle
siam’ sein, dass Esau auch Jakob der Erwählte sein könnte, wo bleibt
dann das Rückgrat, die Zuversicht der Kirche zu ihrer eigenen Sen
dung ? Ist es nicht offenkundig, dass die römische Kirche mit ihrem
bekannten Ansprucht nur in Wahrung berechtigter Interessen jeder
Kirche handelt ? Was wird aus Israels Jagen nach der Gerechtigkeit ,
aus seinem Eifer um Gott, wenn es sich eingestehen muss, dass gerade
die « Anderen , die nicht Mitjagenden und Miteifernden schon am
Ziele sind ? Kann die Kirche den Vorwurf verkennen, der darin liegt,
dass Gott neben ihr und ohne sie und immer schon vor ihr das getan
hat, was zu tun ihre Gabe und Aufgabe, ihre Daseinsberechtigung
ausmacht , und wie stellt sie sich zu diesem Vorwurf ?
495
Und wenn nun scharfe Augen noch mehr sehen würden als das ?
Wenn nun zu sagen wäre: « Israel aber, das einem Gesetz der Gerech
tigkeit nachjagte, hat ein solches Gesetz nicht erreicht? » Und wenn
nun Jakob der Erwählte auch Esau sein könnte, der Gotteskämpfer
einfach einer von den vielen menschlichen Kämpfern, Läufern, Trei
bern und Rednern, denen es nicht gelingt, weil es ihnen nicht gelingen
kann, weil der Mensch der Mensch ist ? Wiederum eine Möglichkeit,
gegen die anschaulicherweise alles das mit Recht eingewendet werden
kann, was vom Standpunkt der Menschengerechtigkeit aus über den
Ernst, den Tiefsinn und die Erfolge gerade des kirchlichen Tuns zwei
fellos zu sagen ist. Aber eine Möglichkeit, die zu bedenken gerade die
Kirche, wiederum gerade die Kirche, nicht abweisen kann. Sie lebt ja
als Kirche von der Erinnerung an den unendlichen qualitativen Un
terschied Gottes gegenüber dem Menschen. Sie bewahrt ja diese Erin
nerung in ihrem Gesetze. Sie muss daher wissen, dass der Mensch der
Gerechtigkeit Gottes nicht «nachjagen , dass er mit keinem Mittel die
Gegenwart und Wirklichkeit Gottes bedingen, herbeizwingen, be
haupten, geltend machen und zeigen, dass das göttliche Warum ? der
Vergebung nur in einem göttlichen, aber in keinem menschlichen Dar
um ! seine Beantwortung finden kann. Sie weiß das im Grunde auch.
Sie muss aber noch mehr wissen: sie muss wissen, dass sie auch dem
Glauben , dem unanschaulichen , selbst nur durch die Treue Gottes
bestehenden Verhältnis des Menschen (der nicht dieser Mensch ist!)
zu Gott (den wir nicht kennen!) nicht «nachjagen » kann, dass ihr also
die Flucht vom Objektiven ins Subjektive, vom « Gottesdienst» ( 3501
zur « Pflege der Frömmigkeit», von der Gerechtigkeit zum « Gesetz
der Gerechtigkeit» nichts hilft, weil sie auch da das, was sie eigentlich
sucht, nicht findet. « Nachjagen» kann sie freilich dem Menschenwerk
des Gesetzes, der Religion. Sie kann das Erlebnis pflegen durch ethi
sche, logische, ästhetische Mittel, mehr kann sie nicht tun. Aber das
Erlebnis Gottes ist nicht der Glaube, nicht die Gerechtigkeit, Gegen
wart und Wirklichkeit Gottes, nicht das göttliche Darum , sondern
unsere menschliche und als solche sehr fragwürdige Beziehung zu
Gott. Das Gesetz ist nicht die Offenbarung selbst, sondern ihr sehr
weltlich bedingter negativer Eindruck . Die Kirche kann (und soll!)
wohl den Wasserlauf hüten, durch den der heilige Strom rauschen
mag, wenn Gottes Stunde da ist. Ihn herbeizwingen kann sie und soll
496
sie nicht. Sie soll nicht vergessen, dass sie es nicht kann. Es könnte
dieses Nicht-Vergessen, diese offene Wunde ihr bestes Teil sein. Re
ligion ist nicht Reich Gottes, und wenn es die Reichsgottesreligion der
Blumhardt-Epigonen wäre, sondern Menschenwerk. Vielleicht weiß
das die Kirche nicht, dass es ein solches «Gesetz der Gerechtigkeit»a
nicht gibt, dass sie einem Phantom nachjagt. Jedenfalls vergisst sie es
alle Augenblicke wieder. Jedenfalls haben wir alle ausnahmslos die
größte Mühe, uns auch nur einen Augenblick lang klar zu machen,
dass es das nicht gibt. Das «Gesetz der Gerechtigkeit», das jenes Phan
tomes, dem alle Kirchen und Kirchlein nachjagen, Wirklichkeit ist, ist
offenbar jenes « Gesetz des Glaubens», das alles Rühmen ausschließt
(3,27). Redet aber die Kirche vom Glauben, so meint sie damit offen
kundig ein zeitausfüllendes Etwas, das dieser Mensch in dieser Welt
«haben», das so und so erstrebt und erreicht, da und dort aufgewiesen
werden kann. Wie sollte aber dieses Menschenwerk der Glaube sein,
der vor Gott gerecht macht, und nicht vielmehr die mit diesem Prä
dikat des Glaubens versehene höchste Religion, die aber als solche,
d.h. mit diesem Anspruch auftretend, ein Phantom ist ? Mag es eine
höchste Religion, eine höchste Spitze alles Menschenwerks in Bezie
hung auf Gott geben. Warum soll es nicht? Wir würden sie in der
Religion der Psalmsänger und Propheten Israels suchen, die als Reli
gion auch von der Religion Jesu, sofern man von einer solchen reden
kann, nicht überholt worden ist, geschweige denn von der christlichen
Religionsgeschichte. Aber sei dem, wie ihm wolle: eine der Offenba
rung adäquate, eine der Gerechtigkeit Gottes kongruente Religion,
ein « Gesetz der Gerechtigkeit» erreicht der Mensch nicht, es wäre
denn im Wunder des absoluten Moments. Und der Glaube ist Wunder,
oder er ist nicht Glaube. Gottes Wort, gehört von Menschenohren,
verkündigt von Menschenlippen, ist Gottes Wort nur, wenn das Wun
der ge- 351 |schieht; sonst ist es Menschenwort wie ein anderes. Die
Kirche ist KircheJakobs, nur wenn das Wunder geschieht; sonst ist sie
Kirche Esaus und nur das. Das Wunder aber lässt sich nicht erstreben,
erreichen, aufweisen, es ist das in jedem Augenblick unvorhergese
hene, neue, göttliche Geschehen unter den Menschen.
a- a
Druckmanuskript: «ein solches Gesetz, ein «Gesetz der Gerechtigkeit»».
497
« Weshalb nicht? » möchten wir fragen. Weshalb lässt sich das Wun
der, der Glaube, den die Kirche doch offenbar meint, nicht erjagen ?
Weshalb ist das, was die Kirche erjagt, immer ein Phantom ? Antwort:
« Weil dieses Jagen nicht aus dem Glauben, sondern aus den Werken
kommt. » Zum Glauben kommt man nur « aus dem Glauben und
durch den Glauben . Glauben heißt Gott über alle Dinge fürchten und
lieben, so, wie er ist, und nicht so, wie wir ihn fassen können. Glauben
heißt sich beugen unter das Gericht, das die allgemeine Lage zwischen
Gott und Mensch unweigerlich bedeutet. Dieses Gericht besteht aber
eben darin, dass wir Gott nicht fassen, nicht erjagen können, dass er
für uns der schlechthin Andere, Fremde, Unbekannte, Unnahbare ist
und bleibt. Aus dem Glauben kann also jenes « Nachjagen » nicht
kommen, und darum kann es auch sein Ziel, den Glauben, nicht er
reichen. Das «Nachjagen» der Kirche kommt «aus den Werken ». Die
« Werke» sind die Beziehungen des Menschen zu einem ihm fasslichen
Gott, der nicht notwendig der Gott ist, der Wunder tut. Die « Werke »
sind die Verfassung des Menschen, in der er das Gericht der allge
meinen Lage zwischen Gott und Mensch nicht oder was auf dasselbe
herauskommt, nicht lückenlos anerkennt. Durch die Lücken des Ge
richts meint er der Gerechtigkeit Gottes, dem Glauben, dem Wunder
nachjagen, es erstreben, erreichen , aufweisen zu können. Das ist's,
was nicht gelingen kann. Die Kirche könnte den Glauben ergreifen,
wenn sie mit dem Glauben, mit dem Glauben an den unbekannten,
den lebendigen Gott anfangen wollte. Sie könnte im Gericht Gerech
tigkeit erlangen, wenn sie sich lückenlos vor dem Gericht beugen
würde. Sie müsste nicht sterben, wenn sie nicht so zähe um ihr Leben
kämpfen würde. Sie würde Gottes Wort hören und verkündigen,
wenn sie sich ohne die Prätention, durch Gottes Wort selber groß zu
sein, ohne die Besorgnis: Was wird daraus ? nur um die Wahrheit dieses
Wortes kümmern würde. Sie könnte die Stätte der Erkenntnis sein,
wenn sie eine Stätte der Anbetung sein wollte gerade vor dem unbe
greiflichen Gott, vor dem kein Fleisch gerecht ist (vgl. 3,20] . Eine
Kirche demütig genug, die Gemeinschaft der Heiligen' wieder zu ver
stehen als die Solidarität der auf Vergebung angewiesenen Sünder und
darum zu lassen von allen krampfhaften Gemeinschaftsbegründun
b
I. Abdruck ( 1922°): « aus» .
6 Mit dem Titel von J.W. von Goethes Gedicht « Grenzen der Menschheit»
umschreibt Barth hier die Intention von Kants Vernunftkritik, z. B. in Die
Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft.
7 Mitglieder des «Spartakasbundes», einer linksradikalen Vereinigung in
Deutschland; unter Führung von KarlLiebknecht und Rosa Luxemburg 1917
entstanden, war sie 1918/1919 führend bei der Vereinigung verschiedener
linksradikaler Gruppen zur Kommunistischen Partei Deutschlands.
8 Siehe oben S. 197; vgl. weiter In Epistolam S. Pauli ad Galatas Commen
tarius ( 1535 ), WA 40/I, 204,23-27; Operationes in Psalmos (1919–1921), WA
5,45,30–34 ; 176,28f.; 507,7f.; Das Magnificat verdeutscht und ausgelegt ( 1521 ),
WA 7,551,20 .
199
chen Gefahr. Sie übt das Fasten derer nicht, die den Bräutigam nicht
haben (vgl. Mt. 9,15 par.), sondern sie sucht und weiß sich über die
erschreckende Leerheit der Kirchengeschichte durchaus zu trösten
durch allerlei romantische Sentimentalitäten. Sie will nicht Fremdling
sein in der Welt. Sie kann nicht warten auf die Stadt, die einen Grund
hat [Hebr. 11,10 ]. Sie kann nicht Halt machen in jener Urstellung des
Christentums vor der Auferstehung, bei den Leiden des verworfenen
Christus, denn sie hat große Eile, sie ist hungrig und durstig nach
Positivitäten und Hochzeitsfreuden . Sie will sich trotz aller Nieder
lagen nicht aus den verlorenen Außenwerken in das Zentrum der Fe
stung zurückziehen, sondern vorwärtsdringen - wohin ? Jedenfalls
vorwärts in der Richtung auf den Menschen, der sich die Beugung vor
dem Gericht ersparen möchte, auf das direkt Festzustellende, An
schauliche, Begreifliche, Unmittelbare, Handliche. Der Glaube nach
Hebr. 11 scheint ihr zu unmenschlich, zu lieblos, zu gefährlich, zu
unpsychologisch, zu unpraktisch. Die frohe Botschaft soll durchaus
eine direkte, womöglich eine vergnügte Botschaft sein und «positiv>
durchaus etwas, was auch ohne den Glauben, auch | 353 ) ohne Gott so
heißen mag. Und indem sie gegenüber der unmöglichen Möglichkeit,
ihrem eigenen Thema getreu zu bleiben (und wenn sie darüber zu
grunde ginge), die mögliche Möglichkeit wählt, den Menschen (den
religiösen Menschen natürlich!) zu ihrem Thema zu machen, begibt
sie sich in Gefahr und kommt darin um (vgl. Sir. 3,27]. Denn der
Mensch kann dem Fluche seiner bloßen Kreatürlichkeit nicht entge
hen, auch der religiöse Mensch nicht, auch nicht der Mensch der
höchsten Religion. Wie sollte Israel, sofern es ihm um dieses endliche
Ziel zu tun ist, an Gott nicht zuschanden werden ? Wie sollte es, so
bald auf Existentialität alles ankommt, nicht erreicht und überholt
werden von den ersten besten « Heiden», nicht selber offenkundig mit
leeren Händen dastehen ? Wie sollte die Kirche sich auch nur den
Dank der Menschen verdienen, denen sie so viele Konzessionen macht
und die doch im Grunde von ihr etwas ganz anderes erwarten ? Das
Phantom, dem sie nachjagt, erreicht sie nicht, und über dem Nachja
gen entgeht ihr das Reale, das sie ergreifen konnte . So leidet die Kir
che nicht nur daran, dass sie Esau und nicht Jakob ist, sondern sie ist
soo
selber schuld daran. Wer hätte diese Schuld nicht auf sich, wer könnte
sie abwerfen, der den Versuch der Kirche selber ernstlich versucht hat,
der es weiß, dass er unter allen Umständen versucht werden muss, und
der auch das weiß, dass es bei den Menschen unmöglich ist, ihn anders
zu versuchen ? Und wer, der sie auf sich hat, wüsste es anders, als dass
sie Schuld, wirkliche Schuld ist ? Denn Schuld liegt vor, wenn das, was
bei Gott möglich ist, bei den Menschen unmöglich ist (vgl. Mt. 19,26
par.). Er wird sie tragen als die eine einzige Schuld des Menschen , die
darin zum Ausbruch kommt, dass er, gerade wenn er es wagt, auf Gott
zu hören , von Gott zu reden, nicht wagt, Gott die Ehre zu geben.
V. 326–33 Sie rannten an am Stein des Anstoßes von dem ge
schrieben steht: Siehe, ich setze in Zion einen Stein des Anstoßes
und Felsen des Ärgernisses, und nur wer an ihn glaubt, wird nicht
zuschanden werden.
Der Stein des Anstoßes und Fels des Ärgernisses, der doch zugleich
der kostbare zu Zion gelegte Eckstein ist (denn durch Kombination
von Jes. 8,14 und Jes. 28,16 ist dieses treffliche Bibelzitat entstanden),
ist Jesus Christus. In ihm offenbart sich Gott rücksichtslos als der
verborgene, durchaus nur indirekt zu erkennende Gott. Hier verhüllt
er sich endgültig, um nur dem Glauben offenbar zu sein. Hier ver
kündigt Gott seine unendliche Liebe, indem er in schneidendster Un
zweideutigkeit seine Freiheit, das Wunder, sein Reich verkündigen
lässt. Wer aus der Wahrheit ist, der hört hier seine Stimme (vgl. Joh.
18,37]. Aber wer ist aus der Wahrheit ? Wer sieht Gott, wie er ist ? Wer
hat nicht tausend Vorwände, um ihm vielmehr auszuweichen ? Wir
ertragen | 354| die Wahrheit nicht. Es wäre selbst das Wunder, wenn wir
sie ertrügen, und durch das Wunder würde sie uns dann erretten aus
der Not unsrer Kreatürlichkeit. Kann das nicht geschehen, weil wir
für das Wunder der Wahrheit nicht offen , nicht bereit sind, dann wird
sie uns ohne Wunder, einfach durch ihre immanente Logik zum Ge
richt. Der Mensch muss dann im vollen Laufe seiner Jagd nach dem
endlichen Ziel, das er Glaube, Gerechtigkeit, Liebe, Gott nennt, daran
zuschanden werden, dass Gott mitten in dieses Zion, in diesen irdi
schen Himmel hinein die Tatsache gestellt hat, dass er der Ewige ist,
der sich aus Gnade dort finden lässt, wo er als der Ewige gesucht wird.
Nur wer glaubt, wird an diesem Anstoß und Ärgernis nicht zuschan
den. Wer nicht glaubt, sondern «jagt> (9,31 ), der erntet hier notwendig
SOI
taube Nüsse. Er rennt an wie einer, der in eine Sackgasse rennt. Die
Krisis der Erkenntnis, die Katastrophe der Religion bricht aus. Die
Entblößung und Beschämung, die mit einem undurchführbaren Un
ternehmen notwendig verbunden ist, tritt unaufhaltsam ein. Die Kir
che Esaus ist und bleibt, was sie ist, und muss Christus, der doch ihre
einzige Hoffnung ist, ans Kreuz schlagen. Es kann ja nicht anders
sein, wenn der Mensch die Ordnung, dass Gott uns erwählt und nicht
wir ihn (vgl.Joh . 15,16), nicht freudig anerkennen , sondern umkehren
will. Alle noch so offenkundigen menschlichen Fehler und Gebrechen
der Kirche, ihre Oberflächlichkeit und ihre Schwerfälligkeit, ihre
Weltseligkeit und ihre Weltfremdheit, ihre unnütze Demut und ihr
ebenso unnützer Hochmut, ihr unangebrachter technischer Eifer in
Dingen, für die es sich nicht lohnt, einen Finger zu rühren, und ihre
ebenso unangebrachte ratlose Gelassenheit in Fragen, bei denen es um
Sein oder Nicht-Sein geht, das alles und alles andere, was man gegen
sie einwenden kann , würde sie nicht verurteilen , wenn sie sich nicht
selbst verurteilte dadurch, dass sie das Gericht nicht annimmt, das vor
allen Fehlern und Gebrechen über den Menschen als Menschen ge
sprochen ist. Käme sie selbst beständig aus diesem Gericht heraus,
hätte sie ihre Rechtfertigung darin, dass sie von keiner andern Recht
fertigung weiß als von der in diesem Gericht zu erlangenden, glaubte
sie also an den Stein des Anstoßes und Ärgernisses, statt Anstoß und
Ärgernis daran zu nehmen, sie könnte mit ihren Fehlern und Gebre
chen (und eines Tages dann sicher auch ohne einige davon) die Kirche
Gottes sein. Der triumphierenden Kirche aber, der zeitgemäßen ", der
volkstümlichen, der modernen, der alle Bedürfnisse des Menschen
(außer dem einen ! ) befriedigenden, der trotz aller Blamagen immer
wieder selbstbewussten, immer wieder quecksilbrigen, immer wieder
einen Ausweg suchenden und findenden Kirche, der Kirche des
« kirchlichen Lebens» kann und 355 wird es nicht gelingen, und wenn
sie in aufrichtigstem Eifer alles täte, um von jenen Fehlern und Ge
brechen frei zu werden. Sie wird mit oder ohne Fehler nie und nimmer
die Kirche Gottes sein, weil sie nicht weiß, was Buße ist.
• Druckmanuskript: «zeitgemäßen».
502
V.1-3 Brüder, die Sehnsucht und das Gebet meines Herzens ist
auf ihre Errettung gerichtet. Denn ich bezeuge ihnen, dass sie den
Eifer für Gott haben, aber ohne Erkenntnis. Denn sie verkannten
die Gerechtigkeit Gottes, strebten danach, ihre eigene aufzurich
ten und unterwarfen sich so der Gerechtigkeit Gottes nicht.
« Die Sehnsucht und das Gebet meines Herzens ist auf ihre Erret
tung gerichtet.» Der Vorwurf der Un- oder Antikirchlichkeit, mit
dem Feststellungen, wie die eben gemachten, beantwortet zu werden
pflegen, lässt uns ganz kühl, und so leicht werden wir es weder uns
selbst noch den Andern machen, dass wir der an jenen Vorwurf ge
knüpften Einladung, die so charakterisierte Kirche zu verlassen, etwa
Folge leisten werden. Wir denken gar nicht daran. Wir reden von uns
selbst, indem wir von der Kirche reden. Wir haben mit uns selbst
geredet, bevor wir zu den Anderen redeten, und wir werden wieder
mit uns selbst reden. Wir sind vielleicht kirchlicher als die Kirchli
chen. Freilich: « Vere verbum Dei, si venit, venit contra sensum et
votum nostrum . Non sinit stare sensum nostrum , etiam in iis, quae
sunt sanctissima, sed destruit ac eradicat ac dissipat omnia» (Luther )."
Aber dass dem so ist und dass gerade die Kirche davon immer am
schwersten betroffen sein wird, daran ist der unschuldig, der das Wort
Gottes in der Kirche gegenüber der Kirche geltend zu machen hat; er
ist ja, indem er das tut, selber der Schwerstbetroffene! In Sachen Got
tes ist es ganz unmöglich, dass Partei gegen Partei, Person gegen Per
son steht, kritisierend und recht habend die eine, kritisiert und un
recht habend die andere. In Sachen Gottes kann angreifend und ange
griffen immer nur einer für den andern eintreten. Mit angreifend und
mit angegriffen sind hier alle, denen es mit dem immer wieder unaus
weichlich gestellten Problem der Kirche ernst ist.
« Ich bezeuge ihnen , dass sie den Eifer fürGott haben. Wir können
zweitens auch den Vorwurf gelassen ablehnen, als ob wir der Gesin
nung und den Leistungen der Kirche nicht gerecht würden . Wir sind
durchaus in der Lage, ihr historisch und psychologisch völlig gerecht
zu werden. Wir würden uns anheischig machen, sie vor einem
II
Luthers Vorlesung über den Römerbrief 1515/1516, hrsg. von J. Ficker,
Die Scholien (Anfänge reformatorischer Bibelauslegung, 1. Bd. [ Teil 2]), Leip
zig 1908, S. 249, Z. 7-10 (WA 56,423,19–22 ).
503
menschlichen Forum mindestens ebenso gut zu verteidigen wie ihre
beredtesten Anwälte. Wir anerkennen ihren « Eifer für Gott» ein für
allemal. Es kann sich aber in Sachen Gottes überhaupt nicht darum
handeln, Komplimente auszutauschen .(356 )Es kann sich fürunsnicht
darum handeln, das Rennen, das Flachrennen nach dem « Gesetz der
Gerechtigkeit» (9,31 ) mit schnelleren Pferden, mit einer noch größe
ren Frömmigkeit, mit noch tieferen Erlebnissen , mit noch mehr Gott
vertrauen und Bruderliebe fortzusetzen. Nicht um den blöden Streit,
wer wohl mehr «habe», ob der oder dieser oder gar jener, kann es sich
handeln, nicht darum , einander an Intensität, Innerlichkeit, Frieden,
Begeisterung, Liebe, Hoffnung zu übertreffen. Es handelt sich viel
mehr darum , dieses Wettrennen abzubrechen in der Erkenntnis, dass
es ganz unnütz ist, in der Erkenntnis, dass menschliche Frömmigkeit,
und wenn sie qualitativ in der feinsten Feinkultur und quantitativ in
wahren Babelstürmen aufträte, vor Gott keinen entscheidenden Wert
hat, in der Erkenntnis, dass der Schauplatz, wo Gott und der Mensch
sich begegnen, um sich zu scheiden, sich scheiden, um sich zu begeg
nen, keine Arena ist, in dder sich Menschen untereinander mit Lor
beeren schmücken oder sich Lorbeeren verweigernd können, in der
Erkenntnis, dass wir alle nur Gott fürchten , lieben und anbeten
können.
«Aber ohne Erkenntnis » eifern sie für Gott. Eben der Mangel an
dieser Erkenntnis ist die Schuld der Kirche. Immer wieder und über
all ! Denn wer «hat» sie etwa? Wem entgeht sie nicht immer wieder ?
Wer rennt nicht immer wieder mit das fatale Flachrennen ? Was soll die
ganze Folge religiöser Explosionen, eine lauter als die andere, die wir
seit 1918 schaudernd erleben " ? Was soll dieses Buch, sofern es in
diesem Chaos offenbar nolens volens mitkonkurriert ? Was soll die
ganze Geschichte etwa der Theologie bis auf diesen Tag, dieser spre
chende Ausschnitt aus dem allgemeinen Kampf ums Dasein, in wel
chem jeweilen die mit den jüngeren, schärfern Zähnen und Hörnern
bewaffneten Tiere den ältern, schwächern den Garaus machen , bis die
d-d
1. Abdruck (1922 ): «der Menschen untereinander sich mit Lorbeeren
schmücken oder Lorbeeren sich verweigern ». Korrektur in Barths Hand
exemplar.
12 D.h. Pferderennen auf ebener Bahn ohne Hindernisse.
13 Vgl. z.B. oben S. 269, Anm. 19; S. 482f., Anm. 35; unten S. 642, Anm. 70.
504
Reihe an sie selber kommt ? Was hat diese Szenenfolge für einen Sinn ?
Aber wer merkt es etwa, dass sie keinen Sinn hat ? Wir vergessen es alle
immer wieder. Und eben dieses Vergessen ist die Schuld der Kirche,
und wo immer dieses Vergessen stattfindet, da möge man sich demütig
eingestehen, dass man sich trotz alles Protestes eben in dieser schul
digen Kirche befindet.
«Sie verkannten die Gerechtigkeit Gottes, strebten danach, ihre ei
gene aufzurichten und unterwarfen sich so der Gerechtigkeit Gottes
nicht.» Eifer für Gott mit Erkenntnis wäre die Unterwerfung unter
die Gerechtigkeit Gottes, Gottes selbst, Gottes allein, die Beugung
vor dem Geheimnis der göttlichen Prädestination und die Liebe zu
dem in diesem Geheimnis thronenden Gott, weil er allein wahrer Gott
ist. Denn die Gerechtigkeit Gottes ist die Freiheit Gottes, 1357| sich
selber Norm zu sein, seine Freiheit, selbst und allein der Berufende zu
sein, auf den es ankommt (9,12), also den Jakob zu lieben und den
Esau zu hassen (9,13 ), also wessen er will, sich zu erbarmen, und wen
er will, zu verstocken (9,18), seine Freiheit, selbst und allein Gott zu
sein, gestern, heute und morgen mit derselben unbedingten Souve
ränität. Erkenntnis Gottes nun wäre die nie zu unterlassende, nie
schon erledigte, in keinem Sinne jemals hinter uns liegende Anerken
nung dieser Souveränität Gottes, sie wäre das unablässig geübte kri
tische Unterscheiden zwischen der Gerechtigkeit Gottes und allen
(allen ! ) Menschengerechtigkeiten . Sie wäre die unerbittlich immer zu
vollziehende Überordnung der Wichtigkeit Gottes gegenüber allem,
was uns (und wenn es im Gedanken an Gott wäre ! ) wichtig ist: Sie
wäre das wissende und willige Erleiden des absoluten Angriffs auf den
Menschen, der von der Gerechtigkeit Gottes ausgeht. Aus dieser Er
kenntnis möchte dann möglicherweise der Eifer für Gott hervorge
hen, der die Beteiligung an jenem Flachrennen nicht notwendig in sich
schließt und eben damit sich selbst richtet. Aber wer «hat», wer be
tätigt diese Erkenntnis ? Wem ist sie nicht zu wunderbar und zu hoch
(vgl. Ps. 139,6] ? Wer hält es aus in diesem Licht und in dieser Luft ?
Wer fürchtete nicht, da möchte «Alles aufhören » ? Wer setzte nicht an
die Stelle dieser unnahbaren Gottesgerechtigkeit eine (vielleicht,
wahrscheinlich, sicher sehr feine, sehr hohe, sehr wertvolle) eigene
Gerechtigkeit, « mit Hilfe Gottes», « im Vertrauen auf Gott» usf. einen
Plan, ein Programm, eine Methode, eine Sache, eine neue Sprache, eine
sos
Bewegung, ein Ding, das uns weniger zu schaffen und mehr zu tun,
weniger zu denken und mehr zu reden, weniger zu erleiden und mehr
zu unternehmen gibt als jene Gottesgerechtigkeit ? Ein Ding, bei dem
der Mensch (vor allem der religiöse Mensch) in seiner Taten-, Rede
und Unternehmungslust, in seiner unstillbaren Reform- und Revo
lutionsfreudigkeit besser auf seine Rechnung kommt, weil er darüber
des Gerichts, unter dem er steht, vergessen kann, als wenn ihm, außer
Gott über alles zu fürchten und zu lieben – nichts übrig bleibt. Wann
wäre die Kirche nicht in Versuchung gewesen, der Gerechtigkeit Got
tes eine solche menschliche eigene Gerechtigkeit zu substituieren ?
Wann hätte sie dieser Versuchung widerstanden? Wann wäre sie etwas
Anderes gewesen als das, was die römische Kirche nur vollkommener
ist als alle übrigen: die Organisation zur Wahrung der berechtigten
Interessen des Menschen gegenüber Gott, der mehr oder weniger ge
schickte Versuch , die Wahrheit der göttlichen Prädestination zu ver
heimlichen und zu unterdrücken ? Wann hätte sie je den Mut gehabt,
alle Bindungen, mit denen sie sich selbst an die Bedürfnisse, Wünsche
und Strebungen (358) dieses Menschen in dieser Welt gebunden, zu
zerreißen und sich ganz auf Gott zu stellen? Kann sie das überhaupt?
Kann sie sich auch nur denken, dass sie es könnte ? Kann sie es aber
nicht, gerade das, was sie offenbar nach ihrem eigensten Programm
tun müsste, nicht - bricht ihre Erkenntnis Gottes immer wieder in
dieser Krisis zusammen, dass sich der Mensch als Mensch Gott als
Gott zu erkennen scheut und weigert, wie darf sie sich dann wundern
über die Anklage, die wahrlich nicht von Menschen gegen sie -
erhoben ist ? Wie darf sie sich dann der Notwendigkeit entziehen,
diese Anklage selber gegen sich selbst zu erheben ?
e- e
1. Abdruck ( 1922²): «daß der Mensch als Mensch Gott als Gott zu erken
nen sich scheut» . Korrektur in Barths Handexemplar.
506
Das LICHT IN DER FINSTERNIS
10,4-21
Ist die Not der Kirche die Schuld der Kirche und besteht die Schuld
der Kirche, wie wir eben sahen, gerade darin, dass sie ihre Not', die
Not, die ihr durch ihre Gabe und Aufgabe, durch ihr Thema bereitet
wird, nicht anerkennen, sondern ihr, d. h. aber Gott, ausweichen will,
so bedeutet das, dass es auch anders sein könnte, dass der Möglichkeit,
Gott als Gott nicht anzuerkennen, sondern ihm gerade als Gott aus
zuweichen, eine andre Möglichkeit gegenübersteht und dass die Kir
che nicht auf eine blinde fatale Notwendigkeit rekurrieren kann, son
dern sich selbst dafür haftbar machen muss, wenn sie diese andere
Möglichkeit nicht ergreift. Das Licht scheint in der Finsternis (Joh.
1,5 ] . Wir müssen uns das deutlich machen, nicht nur damit uns die Not
der Kirche ganz unzweideutig und brennend als ihre Schuld bewusst
werde, sondern auch damit uns eben an diesem Punkt der Zusam
menhang zwischen der Not und der Hoffnung der Kirche vor Augen
trete. Die unmögliche Möglichkeit Gottes, sie liegt im Bereich ihrer
Möglichkeiten, und das ewige Licht, das Licht vom ungeschaffenen
Lichte, es leuchtet ihr. Ob sie Augen hat zu sehen, das, nur das ist die
Frage.
V.4-5 Denn das Ziel des Gesetzes ist Christus, zur Gerechtigkeit
für jeden, der glaubt. Denn Mose beschreibt die Gerechtigkeit, die
aus dem Gesetz kommt, mit den Worten : Der Mensch, der dies tut,
wird durch sie leben ! *
«Das Ziel des Gesetzes ist Christus zur Gerechtigkeitfürjeden, der
glaubt.» Es gibt nur (359| eine Wahrheit, nur eine Freiheit Gottes, zu
erwählen oder zu verwerfen , nur eine Gerechtigkeit Gottes. Ob sie
* Ich lese in V. s , indem ich mich den Erwägungen von Zahn' und Kühl's
anschliebe : γράφει την δικαιοσύνην την εκ νόμου ότι ο ποιήσας αυτά άνθρωπος
ζήσεται εν αυτη ..
f
2. Abdruck ( 19233): «Not».
14 Zahn, S. 476, Anm. 66.
is Kühl, S. 353 .
507
uns begegnet als die «Gerechtigkeit, die aus der Treue Gottes kommt>>
und im Glauben begriffen, bejaht und angeeignet wird ( 1,17), oder ob
sie uns begegnet als die « Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt»,
d.h. als die dem menschlichen Tun gesetzte Norm, als das Ziel, auf das
und durch das es gerichtet ist, sie ist eine und dieselbe. Unanschauli
cherweise ist sie die erstes, anschaulicherweise immer die zweiteh.
Eine andere Gerechtigkeit kann auch aus dem Gesetz nicht kommen,
als eben die Gerechtigkeit Gottes, und kommt sie aus dem Gesetz, so
ist sie die Gerechtigkeit, die aus der Treue Gottes kommt. Denn der
Sinn, die Meinung, das «Ziel des Gesetzes» ist die Gerechtigkeit Got
tes. Nicht umsonst jagt ja die Kirche, die das Gesetz treibt und treiben
muss, einem «Gesetz der Gerechtigkeit », einer Reichgottesreligion
nach (9,31 ). Das Ziel, von dem alle menschliche Religion Zeugnis gibt
(3,21 ), ist Christus. Und Christus ist das Ziel der menschlichen Be
dürfnisse, Wünsche und Strebungen, deren Pflege und Befriedigung
die Kirche angeblich ihre ganze liebevolle Aufmerksamkeit zuwen
det. Täte sie es doch nur! Sähe sie doch ein, was es bedeutet, das
«Gesetz der Gerechtigkeit» zu treiben, Religion als Hinweis und
Zeugnis zu wecken und zu erhalten, dem eigentlichen, dem wirkli
chen, dem alle vorletzten Anliegen in sich aufhebenden letzten Anlie
gen des Menschen gerecht zu werden ! Im Verlauf ihres eigenen Pro
grammes müsste die Kirche auf die Wahrheit, Freiheit und Gerechtig
keit Gottes stoßen. Ist einmal – und das ist in Israel, in der Kirche der
Fall – die mögliche Möglichkeit des religiösen Menschen, der Anbe
tung «Gottes», der Beziehung von Zeit und Ewigkeit aufgetaucht und
in Betracht gezogen, dann eben damit auch, als Grenzfall, als An
schauung jenseits der Anschaulichkeit, als Voraussetzung und Blick
punkt, die unmögliche Möglichkeit des Menschen des Glaubens. Eine
wirklich ernste Frömmigkeit, eine wirklich ernste Menschengerech
tigkeit, eine wirklich ernste Kirche kann (wie im Buch der Psalmen auf
jeder Seite zu sehen! ) gar nicht stehen bleiben bei sich selber; sie weist
notwendig über sich selbst hinaus; sie weiß, dass sie nicht mehr sein
kann als menschlicher Eindruck , Mittelstation, Wegweisung, Erin
nerung, Negation. Sie entzündet (nochmals sofern sie ernst ist, sofern
8
I. Abdruck ( 19222): « erstere » .
h
1. Abdruck ( 1922²): «letztere». Korrektur in Barths Handexemplar.
508
sie weiß um sich selber! ) notwendig selber das Dynamit, das die Pa
gode, jede Pagode, die möglicherweise um sie herum entstanden sein
oder noch entstehen könnte, in die Luft sprengt. Wird das Gesetz
ernst genommen, dann hört aller Friede, alle Ruhe, alle Sicherheit, die
nicht Friede, Ruhe und Sicherheit im ewigen Augen -1360|blick der
Offenbarung Gottes wären, auf. Es hört auf alles « Jagen » nach der
Gerechtigkeit, das etwas anderes wäre als die Frage nach der Erkennt
nis ( 10,2). Es hört auf alles Aufrichtenwollen einer «eigenen Gerech
tigkeit» ( 10,3). Es hört auf, und wir wissen, dass wir damit sagen : das
Wunder geschieht, die keinen Augenblick in der Zeit ausfüllende exi
stentielle Beziehung des Menschen zu Gott wird Ereignis, der Glaube
glaubt, Gott redet. Das ist ernste Frömmigkeit, ernste Kirche! Aber
das liegt ( als unmögliche Möglichkeit! ) im Bereich menschlicher
Möglichkeit, wo immer Kirche ist, wo immer die vorletzte, die reli
giöse Möglichkeit in Betracht gezogen ist. Auch die Kirche Esaus, die
einzige, die wir kennen, lebt ja von der Möglichkeit der Kirche Jakobs.
«Der Mensch, der dies tut, wird durch sie leben !» Mit diesen Wor
ten beschreibt Mose (Lev. 18,5) die « Gerechtigkeit, die aus dem Ge
setz kommt». Mose weiß, was er sagt. Mose ist auf keinen Fall bloß der
Vertreter des Gesetzes, das nur Menschenwerk und nichts als das be
deutet, auf keinen Fall bloß der Typus des sich selbst nicht verstehen
den Kirchenmanns, auf keinen Fall bloß der uneinsichtig selbstbe
wusste Repräsentant der höchsten Religion. Mag er das alles auch
sein. Welcher Prophet, welcher Apostel, welcher Reformator wäre das
nicht auch ? Er ist aber als Prophet, als Apostel, als Reformator, als
Mose mehr als das. Er legt den Finger darauf, dass das Gesetz getan
werden muss, damit der Mensch durch die Gerechtigkeit, die aus dem
Gesetz kommt, lebe. «Nicht die Hörer des Gesetzes sind gerecht vor
Gott, sondern die Täter werden gerecht erklärt werden» (2,13 ). Das ist
Moses Meinung von der Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt.
Was heißt aber ein « Täter des Gesetzes » sein ? Wir erinnern uns, dass
das heißt: sich beugen vor dem, der das Gesetz gegeben, von dem wir
es empfangen, begreifen, dass nur durch göttliche Nähe und Erwäh
lung Menschengerechtigkeit entstehen kann, entstehen, um immer
wieder zu zeugen von der Majestät göttlicher Nähe und Erwählung.
i
2. Abdruck ( 19233): «selbst verstehenden» .
509
Also alle (alle ! ) Menschengerechtigkeit dem ausliefern, dem sie ge
hört, und ihm (nur ihm! ) die Ehre geben. Nur wo das Gesetz getan
(aber eben getan !) wird, wo also die unmögliche Möglichkeit des
Wunders, der Existentialität, des Glaubens, Gottes als solche ( also
nicht zeitausfüllend, nicht auf der Fläche der seelischen, geschichtli
chen Dinge, nicht Anlass zu menschlichem Ruhm gebend (3,27f. !))
möglich wird, da wird der Mensch durch sie leben, sagt Mose, und es
kann nicht fehlen , dass auch er durch Anwendung des Futurum ae
ternum ausdrücklich darauf aufmerksam macht, dass er mit der Ver
heißung und mit der Bedingung, an die er jene (361| knüpft, keine
direkte, keine anschauliche, sondern die messianische, die eschatolo
gische Möglichkeit meint. So also müsste eine ernste Kirche ihre ei
gene Gabe und Aufgabe: die «Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz
kommt», auffassen, so dass es in energisch vollzogenem dialektischem
Griff alsbald klar würde, dass das Ziel des Gesetzes Christus ist, dass
aus dem Gesetz selbst keine Gerechtigkeit kommt, wohl aber aus dem
Tun dessen, was das Gesetz fordert, also aus Christus, in dem der
Mensch, der «jagende» Mensch aufgehoben und bei Gott aufgehoben
wird, also aus Gottes Treue. Zweifellos, dass die Kirche bei dieser
Auffassung ihres Programmes ihrer tiefsten Not mit Entsetzen ins
Auge blicken müsste; denn es ist schrecklich, in die Hände des leben
digen Gottes zu fallen (Hebr. 10,31). Aber ihre Schuld könnte dann
von ihr genommen sein. Und über ihrer Not würde sie dann ihre
Hoffnung leuchten sehen. Sofern die Kirche die Möglichkeit hat, ihr
Programm so aufzufassen, scheint das Licht in der Finsternis (vgl. Joh.
1,5 ) .
V.6-8 Die Gerechtigkeit, die aus der Treue Gottes kommt, aber
spricht so: Sage nicht in deinem Herzen: « Wer wird in den Himmel
hinaufsteigen ?» (nämlich um Christus herunterzuholen !), oder:
«Wer wird in den Abgrund hinabsteigen ? » (nämlich um Christus
von den Toten heraufzuholen !) sondern was spricht sie? «Nahe ist
dir das Wort, in deinem Munde und in deinem Herzen! » (nämlich
das Wort von der Treue Gottes, das wir verkündigen !) (Dtn. 30,12
14).
« Die Gerechtigkeit, die aus der Treue Gottes kommt», verkündigt,
wie wir gesehen, als « Ziel des Gesetzes» durchaus auch Mose. Scheut
und weigert sich die Kirche, Gott die Ehre zu geben, so darf und kann
SIO
sie sich nicht darauf berufen, dass der Mensch nur der Mensch sei und
nur menschliche Möglichkeiten habe. Die Botschaft von Gott, dem
Unbekannten, dem Schöpfer und Alleingewaltigen ist ihr, ist dem
Menschen nicht fremd. Sie ist das Fremde, das ihm gerade, als Grenze
der Menschheit, nicht fremd sein kann. Geht der Mensch seinen ei
genen Weg nur wirklich zu Ende, dann steht er vor Gott. Dann steht
aber mit ihm die Kirche vor jener ihrer anderen Möglichkeit. An je
nem Punkt, wo die Kirche vor Gott treten, sich selbst ganz ernst
nehmen könnte, würde das Flachrennen nach dem « Gesetz der Ge
rechtigkeit» (9,31 ), das erkenntnislose Eifern für Gott ( 10,2), das Stre
ben nach der Errichtung einer eigenen anschaulichen Gerechtigkeit
( 10,3 ) in der Tat aufhören und die Kirche würde, was der Mensch
eigentlich bei ihr sucht und von ihr erwartet: die Stätte der fruchtba
ren, der verheißungsvollen Buße und nichts sonst. Zu jenem Punkt
vorstoßend, würde ihr das krampfhafte Bemühen gerade verleidet,
ab - 362wechselnd in den Himmel» und in den Abgrund » zu fahren,
das « Allerhöchste » und « Allertiefste » zu sein, es zu haben , zu sagen,
es darstellen, zeigen, austeilen zu wollen, also Gottes Werk selber zu
vollbringen, die Inkarnation der Gottheit und die Auferstehung der
Menschheit jetzt durch die Dynamik und Dämonie ihres Wortes, jetzt
durch ästhetische Raffinierung ihres Kultus, jetzt durch Popularisie
rung ihrer Sprache, jetzt durch Verdoppelung und Verdreifachung,
durch Steigerung der Intensität und Verbreiterung der Basis ihres
amtlichen Betriebs, jetzt durch eiliges Eingehen auf allerlei sehr frag
würdige « Laienwünsche», jetzt durch theologische und jetzt durch
demagogische Kunst und jetzt durch Anpassung an die kommenden
und gehenden romantischen, liberalen, nationalen und sozialistischen
Zeitgeister - in Szene zu setzen! denn darum handelt es sich. Sie wüss
te dann, dass man Christus nicht in Szene setzen, weder « herab- »
noch « heraufholen » kann, dass er in keinem Sinn der erhöhte, der
verklärte, der ideale, sondern der neue Mensch ist, dass Weihnachten
darum nicht das Fest der wohlbekannten Mutter und des wohlbe
kannten Kindleins ist, die wir so lieben, Karfreitag kein Anlass, uns
mit unsern Leiden noch mehr zu beschäftigen, als wir es ohnehin tun,
Ostern keine Darstellung des Sieges unsres Lebens, unsrer Aspiratio
I.
Abdruck ( 1922°): «sein, zu haben» . Korrektur in Barths Handexemplar.
SHI
nen (z. B. des Sozialismus oder der Auferstehung Deutschlands!),
Himmelfahrt kein Symbol unsres gen Himmel fahrenden Idealismus,
dass das Feuer der Pfingsten nichts zu tun hat mit den von uns arran
gierten Feuersprüngen, und wenn sie noch so begeistert und echt wä
ren. Die Kirche inbegriffen jedes mögliche Kirchlein, das ums Leben
gern nicht Kirche wäre) wäre dann der Ort, wo im Unterschied zu
allerlei andern Orten die angemessene (und nie ausgemessene !) Di
stanz gegenüber dem Allerhöchsten und Allertiefsten wahrgenom
men, geschaffen und gewahrt wird, damit es endlich selbst zu Worte
gelangen könne, der Ort, wo man nicht erst mit oder ohne Weihrauch
zu « schweigen » braucht, weil das Schweigen vor Gott der Sinn des
Schweigens und des (lauten !) Redens ist, das sich daselbst ereignet, der
Ort, wo der Mensch die frohe Botschaft, das positive Wort Gottes
vernimmt, gerade weil er hier im Gegensatz zu allen gut gemeinten
Sentimentalitäten und Moralitäten) das höchst negative Wort vom
Kreuz und nur das zu vernehmen bekommt. Es sei ausdrücklich ge
sagt, dass mit dem « in den Abgrund fahren »-Wollen, das nicht sein
soll, auch der naheliegende Versuch gemeint ist, dieses der Kirche
schließlich allein verbleibende negative «Wort vom Kreuz» mit einer
menschlichen Positivität zu umkleiden: Sei es dadurch, dass man statt
des ge-1363 |wohnten christlichen Idealismus nun diese Botschaft vom
Halt! und vom Abbau mit Plerophorie, Überzeugung und Kunst vor
zutragen beginnt. Sei es dadurch, dass man diese radikale Negation
alles Menschlichen, den « Abgrund », der sich hier öffnet, zu einem
neuen , höchst eigenartigen und geistreich wirkenden theologischen
Gesichtspunkt macht. Sei es dadurch, dass man sie als Methode der
Heilsgewinnung predigt und damit doch wieder zu einer menschlich
möglichen Position und Haltung, zu einer – Moral macht ! So dass nun
etwa im Gegensatz zu der sonst geübten Betriebsamkeit der Kirche in
einer künstlichen Passivität, statt in der gewohnten extensiven Pro
paganda in einem vermeintlich intensiven, bedeutungsschweren, in
Wirklichkeit höchst fragwürdigen, weil höchst absichtlichen, höchst
gemachten – « Warten », Nicht-Redenk, Nichts - Treiben das Heil ge
sucht würde. Auch das kommt nicht in Betracht!
k
2. Abdruck ( 19233): «Nicht-Regen».
512
« Nahe ist dir das Wort in deinem Munde und in deinem Herzen,
nämlich das Wort von Gottes Treue, das wir verkündigen .» Das be
deutet in erster Linie: Es bedarf keiner Machenschaften, keiner Ver
renkungen, keiner Künste, keiner positiven und keiner negativen. Es
bedarf nur eines: des Blickes in die Nähe, d. h. in die Not und Ver
heißung des Lebens, wie sie in jedem Wort deines Mundes, in jeder
Regung deines Herzens zum Ausdruck kommen. Du stehst, einfach
dadurch , dass du Mensch bist, an jener Grenze der Menschheit, in
jener Problematik, auf die «das Wort von der Treue Gottes, das wir
verkündigen», die einzige Antwort ist. Schlichteste, nüchternste, il
lusionsloseste, weltlich- kritische Einsicht in das Dasein und Sosein
von Welt und Leben ist die einzige Voraussetzung, die erfüllt sein
muss, damit wir auch unsrerseits dem « Worte » nahekommen. Eine
Kirche, die aus allen ihren heiligen Höhen und Tiefen , aus allen Be
zirken ihrer kirchlichen Möglichkeiten extensiver und intensiver Art
zurückkehren wollte zum Leben, zum Menschen, zur Lage, zurück
aus allen Fernen in die «Nähe», um Aug in Auge der Problematik des
Daseins gegenüber zu sein: sie bekäme endlich ihre wirkliche Auf
gabe, Not und Verantwortung zu Gesichte, zu Gesichte damit aber
auch Den, der sie ihr bereitet, um ihr darin nahe zu sein. Wir wieder
holen, dass wir mit dieser resignierenden und sich konzentrierenden,
mit dieser streng sachlichen, mehr als « reformierten » Kirche die Kir
che Jakobs meinen, die Kirche des Wunders und des Glaubens, die
unmögliche Möglichkeit, die «Kirche der Wüste» 16, die nie als solche
neben andern in Erscheinung treten , die also nicht Gegenstand einer
neuen Bewegung, Schule oder Gründung werden kann, weil sie über
all und sofort, in dieser und in jener und in jeder möglichen Kirche, die
|364)etwa sich selbst ernst zu nehmen gedächte, in Erscheinung treten
könnte und wollte. Der Rückzug auf die innere Linie, der hier zu
bewerkstelligen wäre, ist also selbst kein zu planendes, einmal zu be
16 Wohl nach dem Ausdruck «Église du désert», der Bezeichnung für den
französischen Protestantismus, als nach der Aufhebung des Edikts von Nantes
( 1685 ) die protestantischen Geistlichen mehr als hundert Jahre nur noch im
Verborgenen und unter größter Gefahr Gottesdienste halten konnten. Vgl. Th .
Schott, Die Kirche der Wüste. 1715 bis 1785. Das Wiederaufleben des franzö
sischen Protestantismus im achtzehnten Jahrhundert (Schriften des Vereins für
Reformationsgeschichte, Bd. 43/44), Halle 1893 .
513
ginnendes und einmal zu beendigendes taktisches Manöver, sondern
der strategische Sinn, den die Manöver der Kirche bekommen, haben
und behalten müssten. Heute noch könnte er, ohne irgendwelche
Vorbereitung, Begründung, programmatische Klärung und prakti
sche Überlegung dasein, um morgen aufs Neue zu geschehen als der
Schritt aus der Hoffnung in die Not, aus der Not in die Hoffnung;
denn er ist der ewige Schritt, die neue Qualifizierung und Orientie
rung aller menschlichen Schritte, der Schritt, der von allen möglichen
menschlichen Schritten begleitet oder auch nicht begleitet sein kann,
der Schritt, derjeden menschlichen Schritt veranlassen oder auch ver
hindern kann. Er ist gegenüber allen Möglichkeiten immer die ganz
andere und eben darum die immer und überall offene Möglichkeit
und selber die Möglichkeit, offen – für Gott, wie er ist, für den leben
digen, den unbekannten Gott offen zu sein. Wo sie eingeschaltet sein
sollte, da wäre hinter, über und in der Kirche Esaus (und wenn sie die
verrottetste Pfaffenkirche wäre ! ) die Kirche Jakobs. Denn noch ein
mal: « Nahe ist dir das Wort !» sagt die Gerechtigkeit Gottes (Dtn .
30,14). Bereit liegt es, ernst genommen zu werden, bereit, sich geltend
zu machen, bereit, uns aufs Schwerste zu bedrängen und aufs Höchste
zu befreien, bereit, von uns gehört und gesprochen zu werden – das
Wort, das, weil es das Wort des Christus ist, doch nie ausgehört, nie
ausgesprochen sein wird. Wir selbst warten darauf, es zu hören und Zu
sprechen. Viel zu schwer ist die Problematik unsres Daseins, als dass
wir nicht warten würden auf die Posaune der letzten Frage und Ant
wort jenseits – aber weil wirklich jenseits, gerade in den Geräuschen
der vorletzten Fragen und Antworten . Viel zu gewichtig, viel zu be
deutungsvoll, viel zu transzendent ist aber auch das die Kirche kon
stituierende « Wort Gottes» (wenngleich gehört von Menschenohren ,
verkündigt von Menschenlippen !), als dass es ertrüge, anders denn als
Posaune der letzten Frage und Antwort verwaltet zu werden. Nahe ist
uns das Wort, bereit liegt das Dynamit, wo wir auch hinblicken . Ge
schieht nun trotzdem nichts oder geschieht immer wieder etwas an
deres, wagen wir es nicht, nichts mehr zu wagen als das Kleinste, das
das Größte ist, ziehen wir immer wieder dem einen Tag in den Vor
höfen des Herrn tausend andre vor (vgl. Ps. 84,11 ], wollen unsere
Hände nie leer werden, um endlich zu fassen, was nur leere Hände
fassen können, haben wir immer schon den Wind in den Segeln und
514
das Steuer in der Hand, bevor wir wissen, wohin die ( 365 | Reise gehen
soll, ist der Turmbau immer schon im Gang und der Krieg schon
erklärt, bevor wir die Kosten überschlagen und unsre Truppen gezählt
haben (vgl. Lk. 14,28–32] – so sollen wir jedenfalls nicht sagen , dass
wir etwas Unmögliches unterlassen haben, denn eben dieses Unmög
liche ist uns als solches nahe, bereitliegend, möglich, drängt sich uns
selbst auf, will hereinbrechen, ist schon da: möglicher als alles, was wir
für möglich halten: das Licht scheint in der Finsternis (Joh. 1,5 ].
V.9–11 Denn wenn du mit deinem Munde Jesus als den Herrn
bekennst und glaubst in deinem Herzen, dass Gott ihn von den
Toten erweckte, so wirst du gerettet werden. Denn der Glaube des
Herzens führt zur Gerechtigkeit, das Bekenntnis des Mundes zur
Errettung. Sagt doch die Schrift: Jeder, der an ihn glaubt, wird
nicht zuschanden werden ! (Jes. 28,16).
«Der Mensch, der dies tut, wird durch sie leben! » sagt Mose von
der Gerechtigkeit ( 10,5). Wir bestimmen nun deutlicher, was mit die
sem « Tun » gemeint ist. Wieder und wieder taucht als Verheißung jenes
Futurum aeternum auf: «... so wirst du gerettet werden !» «... der wird
nicht zuschanden werden !» Und: «... dann wird sie die Kirche Jakobs
werden! » könnten wir fortfahren . Was ist die von der Kirche zu er
füllende Bedingung, was ist das « Tun » des Gesetzes, das dieser Ver
heißung entspricht ? Antwort: « Wenn du Jesusals den Herrn bekennst
und glaubst, dass Gott ihn von den Toten erweckte », so wirst du ge
rettet werden. Und: « Jeder, der an ihn glaubt», wird nicht zuschanden
werden. Also Jesus der Herr und die Auferstehung und der Glaube,
das ist die Bedingung. Keine andere, als die schon Mose stellte. Nichts
anderes als die von uns immer als gefordert gewusste, immer wieder
abgelehnte Unterwerfung unter die Gerechtigkeit Gottes ( 10,3 ). Kein
anderes Wort als eben das, das Israel in seinem Herzen und auf seinen
Lippen findet, unendlich bereit, unendlich nahe, wenn es weiß, was es
bedeutet, Israel zu heißen, wenn die Kirche sich selbst ernst nimmt
( 10,6–8). Unanschaulich gegenüber dem Ort, wo die Kirche steht mit
ihrer Möglichkeit - als die Möglichkeit aller Möglichkeiten ohne
Möglichkeit, als der Abgrund, in den niemand springen kann und in
den wir doch alle springen müssen: diese drei, der Herr, die Aufer
stehung, der Glaube. Es bezeichnet «der Herr» den unbedingten im
peratorischen Anspruch, «die Auferstehung» die schlechthinige
SIS
Fremdheit, «der Glaube» die freie Initiative des absoluten Moments
der Gerechtigkeit Gottes. Dass es aber Jesus ist, der in seiner histori
schen Einmaligkeit, Zufälligkeit und Zeitlichkeit (8,4) als der Herr, als
der Auferstandene, als der zu Glaubende (366) zu bekennen und zu
glauben ist, das bezeichnet die Existentialität dieses Moments im Ge
gensatz zu aller bloßen Idealität. Darum auch: «Der Glaube des Her
zens führt zur Gerechtigkeit, das Bekenntnis des Mundes zur Erret
tung. » Nicht die Reihenfolge von « Herz- und «Mund» ist dabei wich
tig und nicht einmal das, dass es gerade das Herz und der Mund sind
(denn es könnten durchaus auch die Füße, die Hände, die Augen, die
Ohren genannt sein), wohl aber der durch die Nennung dieser
menschlichen Organe erreichte Hinweis auf das kontingente Dasein
und Sosein des Menschen mit seiner ganzen Problematik und auf die
der Kontingenz dieses Daseins und Soseins entsprechende und ant
wortende Existentialität der Wendung und Entscheidung, die sich an
Jesus und eben darum im Bereich, wenn auch als Grenzfall, mensch
licher Möglichkeit vollzieht. Der Mensch, der dies tut, der bekennt
und glaubt, er – wir haben die schlechthinige Unanschaulichkeit und
Unerhörtheit dieses Tuns über der Betonung seiner Existentialität
nicht vergessen ! – wird durch Gerechtigkeit leben. Durch die «Ge
rechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt» [ 10,5] ? Ja, denn mit der Be
tonung der ExistentialitätJesu, des ihn bekennenden Mundes, des ihm
glaubenden Herzens sagten wir einerseits unweigerlich « Gesetz», Re
ligion, Geschichte, Psyche. Wir betonten aber die Existentialität Jesu
als des Herrn, als des Auferstandenen, als des zu Glaubenden und
sagten damit, dass die Gerechtigkeit, indem sie kommt, indem das
Unmögliche möglich wird, nicht aus dem Gesetz, sondern aus der
Treue Gottes kommt. Das also die Bedingung, die jener Verheißung
entspricht, wirklich entspricht dem Futurum aeternum jener Verhei
Bung. Und wir behaupten und meinen es zeigen zu können, dass diese
der unanschaulichen Verheißung genau entsprechende Bedingung der
Kirche weder unbekannt noch unerfüllbar sein kann.
V. 12-15 Denn da ist kein Unterschied zwischen Jude und Grie
che: Derselbe Herr ist über Allen , reich für Alle, die ihn anrufen .
Denn jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird gerettet
werden. Wie könnten sie ihn nun anrufen , wenn sie nicht an ihn
glauben würden ? Wie könnten sie aber glauben, wenn sie nicht
516
gehört hätten ? Wie könnten sie aber hören ohne Verkündiger?
Wie könnte man aber verkündigen, ohne gesendet zu sein ? Wie
geschrieben steht: Wie rechtzeitig nahen die Füße derer, die gute
Botschaft bringen !
Anschaulich als der Unanschauliche, bekannt als der Unbekannte,
ihre letzte Frage und Antwort aussprechend, so steht der aufer
1367| standene Herr allen ihn Anrufenden gegenüber. Er ist nicht ein
Religionsstifter und Kirchengründer neben andern und gegen andre..
Er ist, weil er die Gerechtigkeit Gottes in ihrer imperatorischen Ge
walt, in ihrer Fremdheit und Freiheit selbst ist, der Schlüssel, der alle
Schlösser öffnet, die Welle, die durch alle Stockwerke des Gebäudes
hindurchläuft, der Blickpunkt aller Bilder. Das Leben in seiner gan
zen Breite, Tiefe und Höhe weist hin auf die noch ganz anders ganze
Breite, Tiefe und Höhe der Errettung und Erfüllung, die in Jesu Auf
erstehung sich ankündigt. Er ist darum auch das Ziel aller Gesetze und
Religionen. Gesetz und Religion ist ja überall da, wo dieser im wi
derspruchsvollen Geschehen des Lebens liegende Hinweis in Frage
steht, wo sein Vorhandensein auch nur geahnt, seine Deutung auch
nur gesucht wird. Und wo geschähe das nicht ? Wo aber gäbe es ein
solches Ahnen und Deutenwollen, in dem nicht potentiell die « An
rufung» Gottes läge, und eben darum Anrufung des Namens des
Herrn, der Gott als Gott offenbar macht? Gäbe es ein Bewusstsein des
den Menschen bedrängenden Todesverhängnisses ohne das (unbe
greifliche!) Bewusstsein der (unmöglichen ! ) Auferstehungsmöglich
keit ? Gäbe es die Universalität der Not, wäre sie als solche erkennbar
und benennbar ohne die Universalität des Heils, dessen Abschattung
sie ist ? So gäbe es auch keine «Gesetze», keine Religionen, so gäbe es
auch nicht das in ihnen sich manifestierende Fragen nach dem höchst
verborgenen Sinn des Lebens ohne die Anrufung des Herrn, der in
höchster Verborgenheit die Beantwortung dieses Fragens ist. Gott hat
geantwortet, ehe sie riefen, und eben darum , einzig darum riefen sie.
Weil sie an Gott genesen sollen, sind sie an Gott krank. Das ist der
Sinn der Lage zwischen Gott und Mensch, wie sie in Jesus offenbar
geworden ist, der «der Herr» dieser Lage ist kraft seiner Auferstehung,
der es offenbar macht in der Not unsres Daseins, in unserm Seufzen,
Fragen, Suchen und Schreien, dass der Reichtum göttlicher Errettung
und Genesung die verborgene Wurzel dieser Not und dieses Seufzens
517
ist. Das ist die Lage: « Da ist kein Unterschied zwischen Jude und
Grieche. Derselbe Herr ist über Allen , reich für Alle, die ihn anrufen.
Denn jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird gerettet
werden » (Joel 3,5 ). « Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden
werden» ( 10,11 ). Was aber bedeutet das alles im Blick auf die Kirche,
auf jede Kirche. Bedeutet es nicht: Jede Kirche, die sich selbst ernst
nimmt, wird die Kirche Jakobs werden? Ist's, zu Israel gesagt, ein
Gerichtswort oder ein Verheißungswort, dieses « Jeder », dieses: «Es
ist 368 kein Unterschied zwischen Jude und Grieche» ? Es ist auf alle
Fälle der ausdrücklichste, der dem Paulus wichtigste Kommentar zu
den Begriffen « Glaube» und «Gerechtigkeit»; denn es bezeichnet, ob
es der Kirche lieb oder leid sei, dieses « Jeder», dieses «kein Unter
schied » die schrankenlose Freiheit Gottes, wie sie der Sinn des für
jene Begriffe entscheidenden Kreuzestodes des Christus ist. Diesen
Herrn gilt es anzurufen, der «Herr ist über alle, reich für alle, die ihn
anrufen», ohne Unterschied von Jude und Grieche, der, indem er den
Juden rechtfertigt, sich selbst rechtfertigt und also, sich selbst recht
fertigend und dem Juden nicht verpflichtet, auch den Griechen recht
fertigen kann, der allen Menschen gegenüber Gott ist. So ist Gott in
Jesus offenbar als der Herr. Ist die Kirche klug, dann wird ihr das lieb
sein; denn wenn es so ist, dann ist sie jedenfalls von diesem Herrn
nicht ausgeschlossen, wenn sie ihn anruft, weil er der Herr über alle
ist; ist sie klug, so wird sie ihn, werde daraus, was da wolle, anrufen .
Ist sie töricht, dann wird es ihr leid sein, dass Gott so offenbar ist in
Jesus; denn wenn es so ist, so ist sie nicht ohne weiteres einge
schlossen, auch nicht um ihrer Anrufung willen; ist sie töricht, so
wird sie es aus Furcht vor diesem harten Herrn unterlassen, ihn an
zurufen. Aber sei dem, wie ihm wolle: Dieser Herr wird, wie er ist,
« angerufen ». Angerufen heißt existentiell bekannt, geglaubt, ge
fürchtet, geliebt. Es sind Menschen, die warten in Unterwerfung un
ter die Gerechtigkeit Gottes auf das ewige Leben (10,5 ), auf die ewige
Errettung ( 10,9.13 ), auf das ewige Nichtzuschandenwerden ( 10,11 ).
Sind sie in der Kirche, sind sie außer der Kirche, sind sie eine eigene
neue Kirche ? Die Frage ist - und gerade das ist für die Kirche das
Beunruhigende – belanglos. Wir reden nicht von den paar bekehrten
«Heiden» in Rom, Korinth und Ephesus. Nur Zeichen sind sie für
eine ganz andere Umkehrung. Wir reden auch nicht von den edlen
518
Heiden wie Seneka u.a." , nicht von frommen Weltkindern, nicht von
unbewusst christlichen Atheisten 8 u. dergl.; Zeichen nur sind auch
sie uns für das Licht, in dem in Christus alle – abgesehen von aller
Menschengerechtigkeit – stehen . Wir reden nicht von einer Größe,
mit der die Kirche doch konkurrieren, an der sie sich messen und die
sie an sich selbst messen könnte. Wir reden vom Reiche Gottes. Die
gläubigen Heiden , von denen wir sagen, dass sie den Herrn anrufen,
sind ganz und gar eine eschatologische, eine nicht aus einer Zahl von
psychologischen Individuen zusammengesetzte, sondern die Totali
tät der psychologischen Individuen - abgesehen von ihrer Zugehö
rigkeit zur Kirche - potentiell umfassende Größe. Es kennt der Herr
die Seinen (vgl. 2.Tim . 2,19] und -es sind Menschen, die den Sinn für
die Realität dieser Ordnung, 1369| dass der Herr die Seinen kennt,
haben und sich vor ihm beugen, denen die Erfüllung dieser Bedin
gung nicht unmöglich ist. Diese Menschen (wer gehört dazu ? wer
gehört nicht dazu ?) stellen wir der Kirche gegenüber. Es kann auch
der Kirche nicht unmöglich sein, diese Bedingung zu erfüllen, jener
Ordnung sich zu beugen , ohne etwas davon noch dazu zu tun, ohne
das Geheimnis der Prädestination durch eine menschliche «Heils
ordnung» zu ergänzen und -aufzuheben, sich aufrichtig und immer
wieder in die Reihe der Nachkommen des unbeschnittenen Abraham
(4,9—12) zu stellen, stark genug zu sein, um sich ihrer Schwäche vor
Gott bewusst zu werden.
526
11. Kapitel
DIE HOFFNUNG DER KIRCHE
DIE EINHEIT GOTTES
II , I - 10
V. 1-2a Nun sage ich: Sollte Gott sein Volk verstoßen haben ? Un
möglich ! Denn auch ich bin ein Israelit, aus Abrahams Stamm, aus
dem Geschlechte Benjamin . Gott hat sein Volk, das er erkannte,
nicht verstoßen.
« Sollte Gott sein Volk verstoßen haben ?» «Das Licht scheint in der
Finsternis» [Joh. 1,5 ]. Wie soll die zweite Hälfte des johanneischen
Wortes lauten ? «Die Finsternis hat es nicht begriffen » ? oder nach
neuerer besserer Deutung: «Die Finsternis hat es nicht überwältigt» ?'
Näherliegende scheint doch, auf die Sache gesehen, immer wieder das
Ersteb zu sein. Müssen wir nicht stehen bleiben bei jenem starren
Nein !, das in der Tat, soweit das Auge reicht, das letzte Wort des
Menschen ist ? Bei jenem Atheismus der Kirche, der sich, sobald sie
unausweichbar vor der Entscheidung für oder gegen ihr eigenes The
ma steht, als ihr eigentliches Wesen enthüllt? Bei jenem Satanismus des
Großinquisitors, der Gott kennt, aber – aus Menschenliebe – nicht
kennen und darum lieber Christus töten als dem Wort von der Frei
heit Gottes seinen Lauf lassen will ?? Hat Gott selbst seine Arme um
a
a 1. Abdruck ( 1922°): «Naheliegender» .
b
1. Abdruck ( 1922²): «Erstere» .
s Barth dachte wohl vor allem an die von Kierkegaard in Der Augenblick an
dem « offiziellen Christentum» geübte Kritik. Barth besaß die Schrift in der
Übersetzung von Chr. Schrempf, KGW 12, Jena 1909 (SKS 13, S. 127-418 ).
Viele Unterstreichungen belegen seine Lektüre.
6
Vgl. Barths Brief an Thurneysen vom 3.8.1921 , Bw.Th.I, S. 508 : «Beachte
übrigens das kleine Denkmal (in ernstem Sinn), das Kutter bekommt und zwar
[...] in einem Atem mit Elia. » Vgl. z. B. H. Kutter, Sie müssen! Ein offenes Wort
532
können gerade als solche nicht stark genug unterstrichen, nicht offen
genug aufgenommen werden. Handelt es sich um Gott (und in der
Kirche handelt es sich jedenfalls um Gott), dann heißt das, dass es bei
jeder Einzelheit ums Ganze geht, dann ist auch die stärkste « Über
treibung» einer Einzelheit nicht stark genug, um an die Problematik
des Ganzen zu erinnern, und keine wehleidige Verwahrung, es möch
te die Kirche neben diesem und jenem Baalsmäßigen doch auch aller
lei von Jahwe haben, kann dann der Wucht des so geführten Indizi
enbeweises widerstehen, darf dann eine Schutzwehr sein gegen die
Notwendigkeit, Buße zu tun. Also hier gilt nicht Geduld, sondern
prophetische Ungeduld, nicht beschaulicher Humor, sondern unge
hemmte Offensive, nicht historische Gerechtigkeit, sondern bis auf
den Sattelknopf durchhauende? Wahrheitsliebe, die auch dem Vor
wurf der Ungerechtigkeit gegen diesen und jenen braven Mann (we
der die Baalspriester in Israel noch die dänischen und schweizerischen
Pfarrer waren ja alle so schlimm! ) jedenfalls nicht aus dem Wege geht.
« Ich habe mir erhalten siebentausend Mann, die ihre Kniee nicht
beugten vor der Baalschande » ( 1.Kön. 19,18). Das ist die andere Seite,
die Elia nicht sieht. Aber wie sollte er sie auch sehen, und wenn er
noch so feine Augen für kirchengeschichtliche Feinheiten hätte? Ist es
doch wirklich nicht eine verborgene Unterströmung etwa, sondern
die andere, 1380 die ganz andere Seite der Kirchengeschichte, die hier
durch das Gotteswort enthüllt wird . Die Siebentausend sind, so pa
radox und textwidrig das klingen mag, keine 7000 , keine Quantität
(kein «nicht ganz geringer Teil des Volkes», Jülicher®), keine Minori
tätsgemeinde von Stillen im Lande, die Elia etwa da und dort hätte
antreffen, als solche erkennen und namhaft machen können. Er hat
ganz recht mit seinem «Ich bin allein übrig»; der Prophet als solcher
an die christliche Gesellschaft, Jena 1910 9. Tsd ., z.B.S.75 : «Ja, es gibt keine
größere Gefahr für unsere Zwerghaftigkeit als den lebendigen Gott, kein grö
Beres Unglück für unsere Eitelkeit als Ihn; der gewaltsamste Revolutionär ist
der lebendige Gott, der rücksichtsloseste Umstürzler ist Er.» « Wie Spreu wird
er die feigen Verlegenheiten und Bedenklichkeiten unseres Christentums aus
einander fegen » .
? Vgl. aus L. Uhlands Gedicht «Schwäbische Kunde» :
Er schwingt es [scil. das Schwert] auf des Reiters Kopf,
8
Haut durch bis auf den Sattelknopf.
Jülicher, Römerbrief, S. 68 .
533
ist immer schlechthin allein und einzigartig, und weder zu vermehren
noch zu vermindern ist das Quantum seiner einsamen Seele. Nicht als
7000 psychologische Individuen, sondern unmittelbar, als ganze sie
bentausend in überwältigender Menge unanschaulich eintretend für
den einsamen Elia, als nur siebentausend in ihrer verschwindenden
Minderzahl unanschaulich eintretend für die Gesamtheit des Volkes
Israel, in ihrer Qualität als Objekte der Erwählung mitten in der Ver
werfung, als die unsichtbare Kirche Jakobsmitten in der Kirche Esaus
so stehen die Siebentausend der Aufrechten vor Gott selbst, vor Gott
allein, sein Volk, das er nicht verstoßen hat. Also dass Gottes Erkennen
der Seinigen nicht aufhört (nicht dass da auch Etliche sind, die ihn
etwa kennen! ), dass Gottes Gnade unendlich ist (nicht dass da 7000
Begnadigte sind ! ), dass Gottes Einheit triumphiert in der unabseh
baren Problematik der Kirchengeschichte (nicht dass da so und so
viele sind, die zu einem gewissen Frieden mit sich selbst kommen!),
das sagt das Gotteswort. Es redet vom Wunder, es redet von der Er
wählung, es redet von Gott, also nicht von Assisi oder Boll, nicht von
einer Oase in der Wüste (was übrigens auch das Assisi des Franz und
das Boll Blumhardts in ihrem fruchtbaren Augenblick am allerwenig
sten waren ! ). Denn diese Wüste hat keine Oasen. Gewiss wird die
unanschauliche Qualität der Erwählung anschaulich da und dort, an
diesem und jenem, aber eben in ihrer Unanschaulichkeit, selber als
Wunder und Offenbarung. Submarin ist die Insel der Wahrheit, wie
wir früher (8,18) feststellten. Ich, ich habe mir erhalten siebentausend
Mann ! Hier will Gott allein recht haben und retten. Er hat aber recht,
er rettet aber. Elia ist nicht allein, und nicht verstoßen istganz Israel:
weil Gott hier eintritt, gerade hier, wo alle menschliche Hoffnung ein
Ende hat, weil Gott in seinem Zorn nur gewartet hat auf das Schreien
des Einsamen in Israel, um ihm und ganz Israel zu beweisen, dass er
der Barmherzige ist.
«So ist nun auch in der Zeit des Jetzt ein Rest vorhanden durch die
Wahl der Gnade. Weil aber durch Gnade, darum nicht durch Werke,
sonst wäre ja Gnade nicht Gnade. » (381|Das Verhältnis der Kirche zu
ihrem Thema ist das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit, Mensch und
Gott. Damit ist sie, ist jede Kirche erledigt. Aber vielleicht auch ge
534
rechtfertigt. Vielleicht: wenn nämlich dieses Verhältnis in seiner rich
tenden , ein für allemal erledigenden Bedeutung selber zum Gottes
wort wird; wenn der Mensch in gründlichster Demütigung seiner
Ohnmacht und seines Zerschellens an der Macht Gottes gewahr
wird - wenn also der Schleier der Zeit zerreißt im ewigen Augenblick
der Offenbarung, wenn Christus der Herr zum Menschen sich neigt" .
Dass das geschieht, geschehen ist, geschehen wird, dass dieses Ge
schehen die – Wahrheit ist, das ist's, was wir als Heilsbotschaft ver
kündigen. Und sofern das geschieht, ist Elia nicht einsam, ist die Kir
che (die ganze Kirche, jede Kirche!) nicht verstoßen. « In der Zeit des
Jetzt» ist mitten in der Kirche Esaus die Kirche Jakobs schon da: in
sehenden Augen, in hörenden Ohren, in aufmerkenden Herzen, in
jener Liebe zu Gott, ausgegossen in die Herzen durch den heiligen
Geist ( 5,5 ), in Worten, die mehr sind als Worte, in der Bereitschaft
Vieler, dem Willen Gottes zu gehorchen. Wer sind diese Vielen ? Wie
derum keine zählbaren 7000 , sondern ein, wenn als Quantität ange
sprochener, alsbald verschwindender, alsbald überhaupt nicht in Be
tracht kommender «Rest» . Wieder kann man auf der aus dem Meer
auftauchenden Insel der Wahrheit - ertrinken , denn sobald einer täp
pischen Fußes sie betreten will, bedeckt sie sich aufs Neue mit der
verhüllenden Flut. Wieder ist es die « Wahl der Gnade», die alle Men
schen angeht und auf die Keiner ein Recht hat, welche sich hier ma
nifestiert, nicht aber wird hier dieser oder jener so und so heißende
Mensch gerechtfertigt. Wieder stehen diese und jene Menschen, an
denen Gottes Gedanken (über Alle ! ) etwa sichtbar werden, durch
Gnade allein da als das, was sie sind, und durch Gnade allein mögen
sie sichtbar werden in dieser ihrer göttlichen Qualität, und Gnade
allein (Gnade für Alle ! ) ist's, was an ihnen durch Gnade sichtbar wer
den kann. Wieder ist also dieser Rest gerade nicht dort zu suchen, wo
eine direkte Betrachtung der menschlichen Dinge Emporstiege, Hö
hepunkte, Gnadenzeiten, Durchbrüche, Erweckungen , Reformatio
nen und dergleichen, d. h. aber – «Werke» zu konstatieren unter
nimmt. «Sonst wäre ja Gnade nicht Gnade.» Mag er auch dort zu
finden sein; dann aber jedenfalls auch dort nur, sofern Gott sich auch
IO
Vgl. den Choral von N. Kaiser: « Wenn Christus, der Herr, zum Menschen
sich neigt» (GERS (1891 ] 251 ).
535
auf solchen Höhenkurven menschlich-religiöser Entwicklung finden
lassen kann, sofern auch dort «Gehorsam» ( 10,16) stattfindet. Aber
gerade darum nicht nur dort, zum Ärgernis aller geradlinigen Betrach
tung sicher nicht nur dort (wird er dort gesucht, sogar sicher gerade
dort nicht!), sondern ebenso sehr, ja vielleicht erst recht und noch
ganz anders in 1382 den Tiefenkurven, wo von « Werken », wie die
Kirchenhistoriker sie lieben, gar nicht die Rede sein kann, wo es of
fenkundig ist, dass alle und jede Zeit ganz und gar « Zwischenzeit» ist,
wo nur Gott für Gott die Augen öffnen, wo nur Gott in dermensch
lichen Armseligkeit und Verlorenheit sich selbst wiederfinden und
erkennen kann. Das Erkennen Gottes selber entscheidet, gleichviel ob
die Kurve der Kirchengeschichte nach oben oder unten weist, gleich
viel ob wilde Alemannen oder domestizierte Fromme des 19. Jahr
hunderts sein Objekt sind. Weil Gott sein Volk erkannte ( 11,2), darum
hat er es nicht verstoßen. Aus Gnade erwählt ist der Mensch, das ist
die demütigende und gerade insofern rechtfertigende und rettende
Botschaft vom «vorhandenen Rest», dessen Licht «jetzt» inmitten der
Not und Schuld der Kirche aufleuchtet. Dass Gott sich selber « jetzt>>
rechtfertigt, seine eigene Einheit «jetzt» beweist, das allein kann die
Hoffnung der Kirche sein. Das aber ist ihre Hoffnung, so gewiss Gott
«jetzt» in Christus sich offenbart als der, der unsre Not ist und an dem
wir schuldig geworden sind.
V. 7-10 Wie steht es nun? Was Israel sucht, das erlangte es nicht;
die Auserwählten aber erlangten es. Die übrigen aber wurden "
verstockt, wie geschrieben steht: Gott gab ihnen einen Geist des
Tiefschlafs, Augen zum Nicht-Sehen und Ohren zum Nicht
Hören bis auf den heutigen Tag. Und David spricht: Ihr Tisch
möge ihnen zur Schlinge und zur Falle und zum Ärgernis und zur
Strafe werden ! Finster mögen ihre Augen sein zum Nicht-Sehen,
und ihren Rücken mögest du beugen ein für allemal !
Wir machen , um unzweideutig zu demonstrieren, dass wir Gott
meinen, wenn wir von der Hoffnung der Kirche reden, noch einmal
Halt bei Gottes Nein über die Kirche. Nur im Ringen mit diesem
8 1. Abdruck ( 1922?) und 2. Abdruck ( 1923 ): «erlangen» . Korrektur in
Barths Handexemplar im 2. Abdruck nicht ausgeführt.
h
1. Abdruck ( 19222) und 2. Abdruck ( 1923 ): «werden». Korrektur in
Barths Handexemplar im 2. Abdruck nicht ausgeführt.
536
Nein kann ja die Kirche Jakobs erscheinen, kann die Hoffnung rein,
echt und real sein. Dieses Nein besteht in der nochmals (9,31) fest
zustellenden Tatsache, dass « Israel nicht erlangte, was es sucht». Es
erlangt es nicht und es wird es nicht erlangen. Wir wissen, was es
sucht: jene eigene Gerechtigkeit unter bewusster Eskamotierung der
göttlichen ( 10,3), jene Rechtfertigung und Rettung des Menschen
durch die Inthronisierung des frommen Menschen. Wo wäre die Kir
che, die nicht nach kurzem zauderndem Bedenken immer wieder das
suchte? Wer, der weiß, wie Kirche zustande kommt, könnte sich selbst
von der Schuld dieses Suchens freisprechen ? Also die Hoffnung, dieses
zu erlangen, kann sich nicht erfüllen. Alle Hoffnungen dieser Art
werden immer wieder scheitern an ihrer eigenen Unmöglichkeit, an
der Unmöglichkeit Gottes. Aber meint die Kirche bei diesem Suchen
nicht etwas 383 ganz Anderes, etwas, an das sie sich nicht heranwagt,
weil der Mensch als Mensch das gar nicht suchen kann und weil sie
sich, wenn sie sich daran heranwagte, ihre eigene völlige Fragwürdig
keit eingestehen müsste ? Ist es nicht so, dass nicht das Suchen selbst
hier schuldhaft ist im Gegenteil: Suchet Ihn, so werdet ihr leben ! (vgl.
Am. 5,4.6 ]" ), sondern das Vergessen, dass der Mensch hier nicht su
chen kann, die Überhebung, mit der er meint suchen zu können, ohne
schon gefunden zu haben, die Unbedachtheit, mit der er das schon
Gefundene preisgibt, um dann sicher umsonst zu suchen ?
An der Grenze der menschlichen Möglichkeit, die mit der Kirche
zusammenfällt, steht der nichtvergessende, der sich nicht-überhe
bende, der nicht-unbedachte Mensch, der sich unter das Gericht Got
tes gebeugt und so Gerechtigkeit erlangt hat: Gerechtigkeit Gottes.
« Die Auserwählten haben es erlangt», das, was die Kirche bei ihrem
Suchen eigentlich meint. Wir haben uns eingeschärft, dass diese « Aus
erwählten » nicht diese und jene sind, nicht da und dort, nicht so und
so heißen. Aus Gnade sind sie, was sie sind. Sie sind nicht nachzu
weisen. Sie sind nicht aufs Programm zu nehmen. Man kann nichts
mit ihnen anfangen, nicht mit ihnen rechnen. Sie werden keine Kir
chenlichter werden. Sie werden keine Schule machen. Sie werden kei
ne «Anregungen» geben, es wäre denn den Anstoß zum ewigen Leben"?
II
Vgl. auch den auf diese Verse anspielenden Titel des Predigtbandes von
Barth und Thurneysen Suchet Gott, so werdet ihr leben !, Bern 1917.
12 Siehe oben S. 95f., Anm . Is .
537
und auch diesen nur in Form des Ärgernisses. Sie sind hier und sie sind
dort, nur sicher nie da, wo Da! gerufen wird. Sie tragen diesen und
jenen Namen, nur sicher nie den, auf den sie angeredet werden. Sie
sind bekannt als die Unbekannten (vgl. 2. Kor. 6,9]. Sie tauchen auf,
um wieder zu verschwinden. Ihre Auserwähltheit und ihr «Erlangen»
gewinnt keine historische Breite, weder in erbaulichen Lebensge
schichten noch in gesegneten Einflüssen auf die Kirchengeschichte.
Was an ihnen etwa historische Breite gewinnt, ist sicher nicht ihre
Erwähltheit und ihr Erlangen. Also auch in ihnen, in diesen Trägern
ihrer eigenen Hoffnung, kann die Kirche nur die grenzenlose Freiheit
und Verborgenheit Gottes erkennen und nur in dieser Freiheit und
Verborgenheit seine Gnade und nur in seiner Gnade ihre eigene Hoff
nung. Auch an ihnen kann sie immer nur lernen: « Was Israel sucht, das
erlangt es nicht.»
« Die Übrigen aber wurden verstockt. » Das Licht scheint in der
Finsternis (Joh. 1,5] - nicht überwältigt! aber in der Finsternis! Hoff
nungslosigkeit ist Hoffnungslosigkeit. Der tote Punkt ist der tote
Punkt. Keine Kontinuität zwischen der Seele des Einen und des An
dern, zwischen den Trägern der Hoffnung und denen, zu denen sie
getragen wird, keine Übertragung, keine Ansteckung, kein « Einfluss »
von jenen auf diese. Nur in Gott ist der Zusammen-384|hang. Nur
von Gott werden auch diese erlangen, was sie, wenn sie es nicht von
Gott erlangen, vergeblich suchen. Nur Hinweis auf Gott, aber nicht
göttlicher Anfang, göttlicher Same, Zellkern oder dergleichen etwa
können die Erwählten für die Andern sein (das Reich Gottes nur
anzukündigen, nicht aufzurichten, hat auch der synoptische Jesus sei
ne Jünger ausgesandt Mt. 10,7!), sind sie doch selber immer wieder in
der einen großen, der einzigen, der (Mt. 10,28 ausdrücklich als solche
bezeichneten) tödlichen Gefahr, Gottes uneingedenk zu sein, und
darum , sofern sie nicht Hinweisende sind, ganz und gar zu diesen
Andern gehörig und mit ihnen «verstockt», gegen die göttliche Mög
lichkeit hermetisch abgeschlossen. Es bleibt dabei, und so muss die
Kirche ihre Hoffnung begreifen lernen, dass, wenn Gott nicht das
Wunder tut (und eben das Wunder Gottes ist es, was sich in den Aus
erwählten meldet ! ), keine Hoffnung vorhanden ist. Es bleibt dann bei
der einzigen anschaulichen Wahrheit, die, sofern die Kirche dabei ver
harrt, anschauliche Wahrheit zu verkündigen, über jede Kirchentüre,
538
über jedes Predigtmanuskript, auf die erste Seite jedes religiösen Bu
ches geschrieben werden müsste: «Die Übrigen wurden verstockt.»
Die «Übrigen » sind so wenig eine Quantität wie die « Auserwählten » .
Alle sind die « Übrigen », sofern Gott nicht durch Gott erkannt wird.
Denn Gott will durch Gott erkannt sein: darum das Erscheinen der
Auserwählten , darum auch der Ausschluss der «Übrigen », zu denen
alsbald auch die Auserwählten gehören, sofern ihr Dasein nicht mehr
das bedeutet.
Es bleibt dann bei der ganzen Not der Kirche Esaus, dass sie von
Gott mit « Tiefschlaf», mit «nicht-sehenden Augen» und « nicht-hören
den Ohren » geschlagen ist, dass von Gott aus ihr « Tisch », ihr ganzes
Tun, «zur Schlinge und zur Falle und zum Ärgernis und zur Strafe »
werden muss, dass Gott « ihren Rücken beugt» unter das nicht als
Rechtfertigung und Errettung begriffene und doch nicht zu vermei
dende Gericht. Dieser Gott also , der so unbarmherzig Nein sagt, in
dem er seine Barmherzigkeit offenbart, der so unerbittlich aus
schließt, indem er allen sich zuwendet, der so verborgen bleibt, ja erst
recht als der verborgene Gott sich kundgibt, indem er seinen Namen
nennt - er ist die Hoffnung der Kirche: seine Einheit, seine Identität,
seine Gnade und seine Wahrheit. So und nicht anders ist er unser Vater
in Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Woher soll
der Kirche so viel Hoffnung kommen, um auf diesen Gott ihre Hoff
nung zu setzen ?|3851
II , 11-24
V. 11 Nun sage ich: Sind sie dazu angerannt, damit sie fallen soll
ten ? Unmöglich ! Sondern durch ihren Fall geschieht die Rettung
der Heiden -
um auch sie selbst eifersüchtig zu machen.
« Sind sie dazu angerannt, damit sie fallen sollten ? Unmöglich !» Der
Kirche, jeder Kirche gegenüber sehen wir die «Heiden», die « An
dern» stehen - Kirche ihrerseits ziemlich sicher, aber nehmen wir sie
einmal in ihrer relativen Unkirchlichkeit gegenüber der uns zunächst
539
liegenden Kirche als die Nichtmithörenden und Nichtmitredenden,
als die unbeteiligten Zuschauer und Zeugen des kirchlichen Versuchs,
des kirchlichen Misslingens. Sie sehen auf alle Fälle - die Welt, bzw.
eine Kirche hat es an der andern von jeher gesehen, auch wenn sie dazu
geschwiegen hat -, dass da ein Misslingen stattfindet, ein Straucheln,
ein «Anrennen » an ein unsichtbares Hindernis . Sind wir selber auch
nur einigermaßen gesunde, romantisch unangekränkelte «Heiden»,
so werden wir etwa einer katholischen Messe kaum anders beiwohnen
können als mit der Grundempfindung, dass es so nicht geht, wenn wir
es nicht mit dem Heidelberger Katechismus sogar noch kräftiger aus
drücken wollen ." Sind wir selber irgendwo «drinnen» (und wir sind
es alle! ), so wollen wir uns darüber klar sein, dass die jeweils, von uns
aus gesehen, Draußenstehenden, uns gegenüber nicht besser daran
sind. Die jeweiligen «Heiden» sind eben immer in der glücklichen
Lage, festzustellen, dass ihnen die Kirche nicht imponiert, nicht den
Eindruck einer wesentlichen Unternehmung macht, vielleicht ehr
würdig, aber jedenfalls nicht glaubwürdig erscheint. Dass es sich in
der jeweiligen Kirche um das Wort Gottes handle, das hören sie zwar
behaupten, sie sehen es aber nicht beweisen'. Die draußen haben als
solche eine feine Witterung für die Not und Schuld der Kirche, für das
göttliche Nein, das ihr entgegengestellt ist. Sie sehen den Stachel, wi
der den die da drinnen nicht löcken können (vgl. Act. 9,5 ; 26,14] . Was
von Gott aus gegen die Kirche zu sagen ist, das wird tatsächlich, mit
Verstand oder Unverstand, immer auch von der « Welt » aus gegen sie
gesagt. Aber eben darum kann das, was von der Welt gegen die Kirche
gesagt wird, immer nur im Sinne dessen aufgefasst werden, was von
Gott aus gegen sie zu sagen ist, nicht anders. Also nicht so, als ob etwa
die Ohnmacht , die Verlegenheit, die tiefe Unglaubwürdigkeit , in der
sich die Not und Schuld der Kirche der Welt gegenüber immer wieder
manifestieren wird , eine letzte , eine metaphysische Wirklichkeit wäre .
Nicht erledigt, nicht überwunden ist die Kirche , sie ist nicht aus, und
wenn die « Heiden » (386)noch zehnmal deutlicher an ihr sehen wür
i I.
Abdruck ( 1922²): «bewiesen» .
13 Heidelberger Katechismus, Frage 80, BSRK 704,30–32: «Unnd ist also die
Meß im grund nichts anderst, denn ein verleugnung des einigen opffers und
leidens Jesu Christi, und eine vermaledeyte Abgötterey.»
540
den, was sie sehen. So wenig die Welt selbst in ihrer Not und Schuld
von Gott fallen gelassen ist, so wenig ihr fragwürdiger Gipfel, die
Kirche. « Welt» und «Kirche» sind ja, was sie sind, nur in Relation
zueinander. Wie sollte da von absoluter Ausschließlichkeit der einen
gegenüber der andern die Rede sein können ? Absolut ist ihrer beider
Gegensatz zu Gott. Von Gott aus gesehen ist es allerdings «aus» mit
der Kirche, aber ebenso sehr mit der Welt: «aus» mit Israel und mit
den Heiden. Also: Unmöglich dazu sind sie angerannt (am Stein des
Anstoßes und Fels des Ärgernisses 9,33 ), damit sie fallen sollten.
« Sondern durch ihren Fallgeschiehtdie Rettung der Heiden .» Not
und Schuld der Kirche ist ein Moment jenes unanschaulichen «Gan
ges» Gottes 'von der Verwerfung zur Erwählung', vom Nein zum Ja,
von Esau zu Jakob, von Pharao zu Mose, kin dem er seine souveräne
Freiheit betätigt, in dem er sich selbst kundgibt, in dem er die Ver
söhnung der Welt vollzieht (9,22–23 ), eben darum aber keine letzte
Gegebenheit, kein metaphysisches Zweites neben seiner Gerechtig
keit und Herrlichkeit, sondern nur die in der Zeit seine ewige Gerech
tigkeit und Herrlichkeit, seinen Willen, allen zu helfen, die Hoffnung
der Kirche bedeckende Zorneswolke. «Sein Zorn währt einen Augen
blick und lebenslang seine Gnade; den Abend lang währet das Wei
nen, aber des Morgens ist Freude» (Ps. 30,6). Verwerfung gibt es nur
als Schatten des Lichtes der Erwählung. Gottes Nein ist nur die die
sem Menschen in dieser Welt unvermeidlich zugekehrte Kehrseite
von Gottes Ja. Esau ist Esau nur, sofern er nicht Jakob ist. Pharaos
unanschauliche Verstockung dient zum Erweis derselben Gotteskraft
wie Moses unanschauliches Berufensein. Stellvertretend' muss der
Mensch, der die Offenbarung Gottes empfängt, mit der ganzen Not
und Schuld, die das mit sich bringt, einstehen für den Menschen, der
die Offenbarung Gottes empfängt und darin seine Hoffnung hat. Der
Erste“ ist aber Israel, ist die Kirche. In ihrem Versagen , in ihrer Ka
tastrophe wird der Zweite" geboren. « Durch ihren Fall geschieht die
1 1. Abdruck ( 1922 ): «von der Erwählung zur Verwerfung».
k-k
1. Abdruck ( 19222): «in welchem [...] in welchem [...] in welchem». Kor
rektur in Barths Handexemplar.
1
2. Abdruck ( 19233): « Selbstvertretend ».
n
1. Abdruck ( 1922²): «Erstere». Korrektur in Barths Handexemplar.
1. Abdruck ( 19222): «Letztere». Korrektur in Barths Handexemplar.
541
Rettung der Heiden.» «Wo die Sünde zum Überfließen kam , da über
strömte die Gnade» ( 5,20). Erwählung ist die unerhörterweise mög
liche und wirkliche Errettung des Menschen aus dem unvermeidli
chen Los der Verwerfung. Nur in der Umkehrung seines Nein kann
Gottes Ja bestehen. Jakob ist Jakob, weil er nicht Esau ist. Und keine
Berufung Moses, die nicht die Berufung eines unheilbar verstockten
Pharao wäre. So geschieht durch das Fallen der Kirche die Rettung der
Heiden. Aber wie geschieht sie? In der Bewährung der göttlichen
Gnade über aller menschlichen 1387| Ungerechtigkeit. Ihr (der Ge
rechtigkeit Gottes) steht die gen Himmel schreiende Menschenunge
rechtigkeit der Heiden weniger im Wege als die Menschengerechtig
keit der Kirche. Dieser relative (und negative) Gegensatz zur Kirche
also ist das fruchtbare Moment des Heidentums. So sind die Heiden
nur gerechtfertigt gegenüber der Kirche und nicht anders. Indem Gott
sich der Kirche gegenüber immer wieder als der Alleinmächtige be
weisen will, indem das Menschenwerk der Kirche immer wieder an
Gott zerschellen muss, wendet sich das Blatt zugunsten derer drau
Ben; indem die Kirche Christus kreuzigt, kommt das Heil zu den
Heiden.
« Um auch sie selbst eifersüchtig zu machen » (9,19). Der beschrie
bene Zusammenhang lässt den Gedanken an einen metaphysischen
Gegensatz zwischen psychologischen Individuen «draußen» und
«drinnen» nur aufkommen, um ihn alsbald wieder verschwinden zu
lassen. Objekte, Träger, Werkzeuge des einen göttlichen Tuns sind sie
beide. Als göttliche Möglichkeit ist die Erwählung immer auch die
Möglichkeit der Verworfenen. Gottes Ja leuchtet hinüber auch in die
letzte Tiefe seines Nein, gerade weil dieses so radikal, weil es das
göttliche Nein ist. Erinnerung an den Gott Jakobs ist die provozie
rende Bevorzugung Jakobs auch für Esau. Und an dem göttlichen
Ursprung der Berufung Moses hat auch Pharao in seiner Verstockung
Anteil – und wäre es nur durch «Eifersucht», durch die tiefe Beun
ruhigung, die das Dasein der Erwählten , d. h. aber die Demonstration
der göttlichen Freiheit und Gnadenwahl für die Verworfenen not
wendig bedeutet. Eben diese Eifersucht, diese Beunruhigung ist -
menschlich geredet – die Hoffnung der Kirche, das letzte Wort, mit
dem sich das, was mit dem nicht-erwählten Menschen geschehen wird
und zu geschehen hat, in subjektiven Kategorien beschreiben lässt.
542
Dazu ist die Kirche «angerannt» – dazu ihr Misslingen, ihre Unglaub
würdigkeit, der unfreiwillige Humor, mit dem sie umgeben ist, dazu
der tief verborgene Schaden Josephs (vgl. Am. 6,6] - damit sie die in
dem allem sich offenbarende Freiheit Gottes aufs Neue erkenne, da
mit sie der heilsamen, fruchtbaren, verheißungsvollen Eifersucht und
Unruhe aufs Neue teilhaftig werde, damit sie für Gott aufs Neue –
offen werde. Ist diese Erkenntnis, diese Unruhe, diese Offenheit aufs
Neue da, dann hat die Not und Schuld der Kirche ihr Ziel und damit
ihr Ende, ihre Erfüllung - in Gott – erreicht.
V. 12-15 Ist aber ihr Fall Reichtum für die Welt und ihre Ent
leertheit Reichtum für die Heiden, um wie viel mehr ihre Erfül
lung! Zu euch Heiden sage ich das ! Gerade sofern ich Heiden
apostel bin, suche ich die Ehre meines Amtes darin, die 1388 ) von
meinem Fleisch eifersüchtig zu machen und Einige von ihnen zu
retten. Denn ist ihre Wegwerfung Versöhnung der Welt, was ist
dann ihre Aufnahme anderes als Leben aus dem Tode ?
« Ist aber ihr Fall Reichtumfür die Welt und ihre Entleertheit Reich
tum für die Heiden , um wie viel mehr dann ihre Erfüllung?» An der
Wirklichkeit Gottes anrennen, an Gott zuschanden werden, an Gott
sterben müssen, das ist ein hoffnungsvolles Geschehen. Wem das wi
derfährt, der kann wohl gefallen sein, aber nur gefallen, um an eben
dem Hindernis, an dem er zu Fall gekommen, sich wieder aufzurich
ten – nicht endgültig, nicht in einem metaphysischen, starren, abso
luten, über die Zeitgrenze etwa hinausgreifenden Sinne gefallen. An
Gott zu Falle kommen, das bedeutet, weil Gott Gott ist, um der Frei
heit Gottes willen die Möglichkeit, wieder aufzustehen. Damit also
haben die, die von außen das Versagen, die «Entleertheit» der Kirche
feststellen, zu rechnen. Dieses Ende ist kein Ende. «Reichtum für die
Welt» , «Reichtum für die Heiden» ist die Not und Schuld der Kirche,
jenes Versagen, jene « Entleertheit » Israels, wie sie sich in der Kreu
zigung Christi offenbart, wie sie der Welt ja nur im Lichte des Kreuzes
Christi offenbar sein kann. Denn in dieser Katastrophe, im Sehen
dieser Katastrophe offenbart Gott, dass er sich seiner Freiheit, seiner
Unanschaulichkeit, seiner « ewigen Kraft und Gottheit» ( 1,20) nicht
begeben hat, dass er selber, er allein Gott sein will über allen Men
schenwerken. Wo sich das zeigt, wo das gesehen wird, drinnen oder
draußen, da findet dann eben in solchem Zeigen und Sehen Erwäh
543
lung statt, Kundgebung des auferstandenen Herrn, der «reich ist für
alle, die ihn anrufen » ( 10,12), da gibt er den Demütigen Gnade (vgl.
1. Petr. 5,5 ; Jak. 4,6]. Unanschaulich jenseits des Kreuzes ist ja (gezeigt
von Gott, gesehen mit von Gott sehend gemachten Augen ! ) die Auf
erstehung. Da hat sich Gott bewiesen und bewährt, da hat sich Gott in
Erinnerung gerufen als der Ursprung aller Dinge, als der Schöpfer und
Erlöser, da hat Gott, indem er an der Fülle des menschlichen Besitzes
den Fall, das Minus, den Hohlraum , das Versagen, die Entleertheit, die
Unanschaulichkeit erscheinen lässt, die Fülle seines Besitzes erschei
nen lassen. Die Fülle seines Besitzes! Seine Gerechtigkeit also, sein
Plus, seinen Reichtum, seine Barmherzigkeit, seine Anschaulichkeit.
Der Hohlraum an der Fülle des menschlichen Besitzes hat ein Ende,
wie diese Fülle selbst ein Ende hat. Gottes Fülle aber, das Plus, das für
jenes Minus eintritt, hat kein Ende. Das Ende der Kirche ist der Ar
fang der Fülle Gottes, die nicht nur unendlich, sondern ewig ist und
also nicht nur die 1389| Begrenzung, sondern die Aufhebung des ihr
gegenüberstehenden Endlichen, in der es also keine Erwählten und
Verworfenen , Heiden und Juden, Draußenstehende und Drinnen
stehende gibt, weil in ihr Alle Einer sind in Christus Jesus (vgl. Gal.
3,28]. Ist die negative Bedeutung des Endes der Kirche (die Bedeu
tung des Kreuzes Christi ! ) die Tat der Selbstbefreiung Gottes aus allen
menschlichen Schranken, die Möglichkeit und Wirklichkeit der Gna
denwahl Gottes und der Versöhnung des Menschen mit ihm, das Auf
blitzen des ewigen Augenblicks in der Zeit, so ist ihre positive Bedeu
tung (die Bedeutung der Auferstehung Christi! ) das ewige Licht
selbst, die Ewigkeit, die ganz und gar keine Zeit mehr neben sich hat,
das Leben des Auferstandenen , die geschehende und geschehene Er
lösung, die Verunmöglichung der Verwerfung durch die Erwählung.
Dass die letzten Dinge in Frage kommen (AufhebungdesTodes 11,15;
1.Kor. 15,26 ! ), wenn das Ende der Kirche in Frage kommt, dass, wo
«Entleertheit» (heilsame Entleertheit!) festzustellen ist, « Erfüllung»
(noch ganz anders heilsame Erfüllung!) vor der Türe steht, dessen
mögen sich also die Zuschauer der Kirche und ihres Misslingens be
wusst sein. Dass die Kirche aus ist, das dürfte nur unter Furcht und
Zittern, das dürfte besser gar nicht festzustellen sein, denn wer ertrüge
es, zu wissen, was dann ist ?
544
«Zu euch Heiden sage ich das. Gerade sofern ich Heidenapostel bin ,
sehe ich die Ehre meines Amtes darin, die von meinem Fleisch eifer
süchtig zu machen und Einige von ihnen zu retten . » Die «draußen»,
gerade sie, müssen das alles hören und bedenken . Sie sind gerechtfer
tigt durch die Not und Schuld der Kirche. Der Augenblick der Ver
werfung jener drinnen ist der Augenblick ihrer eigenen Erwählung.
Was Israel richtet, die Alleinherrlichkeit Gottes, das rettet sie – sie in
der ganzen, fast keinen Augenblick zu rechtfertigenden oder zu be
schönigenden Blöße ihrer fast unqualifizierten Weltlichkeit, sie in ih
rer ganzen, zu keinerlei ernsthaftem Anspruch berechtigten und hof
fentlich auch keinen solchen erhebenden menschlichen Schwachheit.
Ihr Apostel ist Paulus, gerade an sie sieht er das Evangelium gerichtet,
weil ihm ihre Blöße und Schwachheit ein Gleichnis ist für jedeº
Nacktheit und Armut des vor Gott stehenden und von Gott gerecht
fertigten Menschen im Gegensatz zu dem andern Menschen, der ge
rade in der gesunden Fülle seiner eigenen Gerechtigkeit jedenfalls
nicht vor Gott steht, nicht zu rechtfertigen ist. Aber eben das hält
Paulus auch bei Israel fest, führt ihn immer wieder zu Israel zurück ,
nötigt ihn, wie es Lukas sicher zutreffend beschreibt, mit seiner Ver
kündigung immer bei Israel einzusetzen'4. 1390 Denn die Blöße, Pin
der sich der «Heide»P befindet und die im Kontrast zu der Fülle Israels
seine Offenheit für Gott bedeutet, sie kann doch eben darum nichts
anderes bedeuten als die Lage, in der sich der Mensch überhaupt, also
auch Israel, Gott gegenüber befindet, den Punkt, wo jenseits seiner
eigenen Gerechtigkeit, die sein Gericht ist, auch für Israel das gött
liche Trotzdem ! der Vergebung in Betracht kommt. Und umgekehrt:
Dass die Vergebung der jenseitige Sinn der menschlichen Blöße der
Weltkinder ist, woher sollte das zu wissen sein, wenn nicht gerade
von dorther, wo in der Erschöpfung der letzten, höchsten, der reli
giösen Möglichkeit des Menschen der Sinn seiner und jedes Men
schen Lage in Gott erkannt ist: anderswoher als von der kapitulie
0
1. Abdruck ( 1922²): «jene» .
P-P 1. Abdruck ( 19222): «in der der Heide, sich». Korrektur in Barths Hand
exemplar.
14 Vgl. K. Barth, Die Missionsthätigkeit des Paulus nach der Darstellung der
Apostelgeschichte, in: V.u.kl.A.1905-1909, S. 148–243 , bes. S. 186–192 .
545
renden Kirche aus ist der Welt die Vergebung tatsächlich noch nie
verkündigt worden . Ist also einerseits die Welt der Spiegel, in dem die
Kirche, demütigender- und verheißungsvollerweise, sich selbst er
kennen muss, so ist die Kirche andrerseits der Spiegel, ohne den die
Welt sich selbst nicht in ihrer Beziehung zu Gott erkennen würde.
Wobei wiederum daran erinnert sei, dass « Kirche» und « Welt» hier
nicht als historische, sondern als dialektische Größen zu verstehen
sind. Wie durch eine eiserne Klammer sind Kirche und Welt zu
sammengehalten durch den unendlichen qualitativen Unterschied
von Gott und Mensch, die dort des Menschen Verwerfung, hier seine
Erwählung bedeutet, der aber ein Auseinanderfallen der Menschen in
die zwei entsprechenden Gruppen schlechthin unmöglich macht.
Müssen es sich die einen gefallen lassen, durch die andern beunruhigt,
« eifersüchtig gemacht zu werden , so dürfen diese Andern ihre An
dersheit nur in dem erkennen , was auch jene rechtfertigt, was nicht
säumen wird, alsbald auch « Einige» von Jenen zu « retten » , heraus
zureißen aus ihrer Verstockung, zum Zeichen, dass Errettung und
nicht Verderben auch ihrer aller ewige Zukunft ist. Der «Heiden
apostel» wäre nicht der Gesandte Jesu Christi, wenn er sich nicht
ebenso sehr an den Heiden im Juden wenden würde wie an den Hei
den im Heiden. Und der Heide wäre nicht der Erwählte Gottes,
wenn er etwa dabei beharren wollte, dass der Jude als solcher der
Verworfene, dass die Kirche erledigt sei.
« Denn ist ihre Wegwerfung Versöhnung der Welt, was ist dann ihre
Aufnahme anderes als Leben aus dem Tode ?» Die «Wegwerfung » der
Kirche besteht in der Tatsache, dass der in der Kirche unternommene
letzte, höchste Versuch des Menschen, der Versuch, Gottes Wort zu
hören und zu reden, als titanisch gerichtet und unmöglich ist, dass
gerade er den Menschen belastet, wie ihn kein anderer Versuch bela
sten kann. Beweis: die Kirche hat Christus gekreuzigt. Sie sucht Gott
und 391 verwirft ihn, wenn er ihr begegnet, denn sie vermag ihn nicht
zu fassen. In der Erkenntnis dieser Katastrophe vollzieht sich die
« Versöhnung der Welt » mit Gott. Wo das geschehen" ist, dass in der
Kirche der alte Mensch auf dem Gipfel seiner Möglichkeiten zum
9
1. Abdruck ( 1922–): «Letztern». Korrektur in Barths Handexemplar.
' Druckmanuskript: «gesehen».
546
Sünder wird an Gott und an Gott sterben muss, da wird der neue
Mensch geboren, der «Frieden mit Gott» hat ( 5,1 ). «Als Feinde sind
wir versöhnt worden mit Gott durch das Blut seines Sohnes» ( 5,9).
Wo anders sollte dieses « als Feinde» und dieses « versöhnt» gesehen
werden als im Zusammenbruch der Kirche ? Wo anders ist Paulus
selbst auf die Schwelle der neuen Welt getreten als 'in der sich längs
schnittartig durch sein zeitliches Leben hinziehenden Erledigung des
Pharisäismus ? Gerade die zusammenbrechende Kirche, gerade der
sich selbst erledigende Pharisäismus hat aber, eben in dieser unter
strichenen Eigenschaft, eine letzte Daseinsberechtigung. An diesem
Juden ist der Heide, an dieser Kirche ist die Welt durchaus interessiert.
Die Menschheit ist darauf angewiesen, dass es immer wieder eine Stel
le gibt, wo die letzten Konsequenzen der ihr gegebenen Möglichkei
ten gezogen werden, um in ihrer offenbaren Unmöglichkeit die Kon
sequenz der Möglichkeit Gottes erscheinen zu lassen. Und nun wis
sen wir, dass «Wegwerfung» kein letztes Wort ist, wie für den ganzen
menschlichen Lebensversuch nicht, so auch nicht für den in der Kir
che unternommenen. Wie ja auch die Worte « Versöhnung» und «Frie
de mit Gott» in ihrer ganzen Unerhörtheit noch keine letzten Worte
sind. Jenseits der «Wegwerfung» wartet die « Aufnahme», die Aufnah
me der menschlichen Unmöglichkeiten in die Möglichkeit Gottes, die
Einheit von Ursprung und Gegebenheit, das Anziehen der Unver
weslichkeit durch das Verwesliche (vgl. 1. Kor. 15,53], die Verewigung
der Zeit, der neue Himmel und die neue Erde (vgl. 2.Petr. 3,13]. Das
alles wartet auch auf die - kirchliche Unmöglichkeit. Und wird es
nirgends so deutlich wie gerade an der Kirche, was «Wegwerfung» ist,
so kann auch, was es ist um die « Aufnahme» dieses Menschen in dieser
Welt in die Einheit mit Gott, nirgends so deutlich werden wie eben an
der Kirche: Wenn der Mensch in Wahrheit und realiter Gottes Wort
hört und redet, wenn das Evangelium (aber wirklich das Evangelium ,
nicht irgend ein Christentum !) gepredigt wird in der ganzen Welt (vgl.
Mt. 26,13 par.], wenn das Programm der Kirche ausgeführt wird als
das Programm Gottes, dann – aber was sagen wir «dann» ? dann ist
keine Zeit und alle Zeit !– dort also sagen wir, um das zeitliche Miss
S-S
1. Abdruck ( 1922²): «in der längsschnittartig durch sein zeitliches Leben
sich hinziehenden » . Korrektur in Barths Handexemplar.
547
verständnis der eschatologischen Möglichkeit, um die es hier geht, zu
durchkreuzen - dort, wo die in der Kirche verkörperte Menschen
möglichkeit zusammenfällt mit dem, was diese bedeutet und meint:
mit der Möglichkeit (392| Gottes selbst, Gottes allein , dort ist, was
mehr ist als Versöhnung, als Friede mit Gott, dort ist « Leben aus dem
Tode ». Mit andern Worten : 'Das Nichtwegwerfen, sondern die Auf
nahme der Kirche, die Realisierung der Kirche Jakobs ist identisch
mit dem Anbruch des Tages Jesu Christi, identisch mit dem Erschei
nen der Herrlichkeit Gottes, deren wir uns jetzt in Hoffnung - aber
nur in Hoffnung - rühmen ( 5,2 ), identisch mit der in Gott erlösten
Welt. Wo also Hoffnung ist, da ist - und das eben ist «euch Heiden»,
euch Zuschauern da draußen, so sehr ihr als solche (gerade sofern ihr
als solche!) gerechtfertigt seid, zu sagen - Hoffnung auch für die Kir
che, gerade für die Kirche, da ist alle Hoffnung als solche Hoffnung
für die Kirche, weil in der Hoffnung für die Kirche alle Hoffnung
beschlossen liegt. Wenn irgendwo, dann muss sich an diesem Punkt,
wo die Krankheit der Welt zum Ausbruch kommt, die Wendung zur
Gesundung vollziehen. Worauf warten wir? Wir warten darauf, das
Wort Gottes existentiell zu hören, existentiell zu reden. Wenn also
irgend ein Geschehen allgemein-menschliche Aufmerksamkeit ver
dient (und tatsächlich trotz allem immer wieder auf sich zieht! ), dann
ist es das, das sich innerhalb der Mauern abspielt, wo Gottes Wort zu
hören und zu reden immer wieder, und immer wieder vergeblich,
unternommen wird .
V. 16–18 Ist aber der Anbruch heilig, so ist es auch der Teig. Und
ist die Wurzel heilig, so sind es auch die Zweige. Sind aber einige
von den Zweigen ausgebrochen worden, du aber bist als wilder
Ölbaumzweig an ihre Stelle eingepfropft und teilhaftig worden der
fetten Wurzel des echten Ölbaumes, so überhebe dich nicht über
die Zweige! Aber auch wenn du dich überhebst, so trägst du doch
nicht die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.
« Ist aber der Anbruch heilig, so ist es auch der Teig. Und ist die
Wurzel heilig, so sind es auch die Zweige.» Der heilige « Anbruch », die
heilige « Wurzel » ist die letzte, die eschatologische Möglichkeit, "die
t-t
1. Abdruck ( 1922²): «Die Nicht-Wegwerfung, sondern Aufnahme». Kor
rektur in Barths Handexemplar.
548
das Thema und als solches das Gericht und die Verheißung der Kir
che ist. An ihr entsteht die Kirche und muss sie immer wieder ent
stehen. An ihr wird sie und muss sie immer wieder zuschanden wer
den. An ihr wird sie, hoffend, wo nichts zu hoffen ist (4,18), nicht
zuschanden werden (5,5 ; 9,33; 10,11 ). Man lasse sich durch die Gleich
nisse von Anbruch und Teig, Wurzel und Zweigen nicht zu der An
nahme verleiten, als ob hier etwa von einem «organischen», konti
nuierlichen, immanenten Verhältnis der Kirche zu ihrem Ursprung
und Ende die Rede sei. Mag sein, dass Paulus bei den Worten « An
bruch » und « Wurzel» an die Erzväter denkt, mag sein an die Auser
wählten aus|393 Israel ( 11,9), aber auch dann an diese geschichtlichen
Figuren nur als an die Träger jener eschatologischen Möglichkeit, auf
keinen Fall aber an eine ober- oder unterirdische geschichtliche Tra
dition, an einen irgendwie innerweltlichen Zusammenhang. Denn aus
aller anschaulichen Analogie herausfallend ist die Heiligkeit des Ur
sprungs und Endes, die Teilnahme der Mitte an dieser Heiligkeit, der
Zusammenhang also zwischen der Kirche Esaus, die wir kennen, und
der Kirche Jakobs, die wir nicht kennen. Die Heiligkeit Gottes in
strengster Transzendenz und Wunderbarkeit, die Heiligkeit des Got
tes, der in einem Lichte wohnt, da niemand zu kann [1.Tim. 6,16], ist
die Hoffnung der Kirche. Sie ist aber ihre Hoffnung, haben wir eben
( 11,13-15 ) gehört, weil die Größe der Not und Schuld der Menschheit
gerade an der Stelle « Kirche» nur noch als Frage, der diese Antwort
entspricht, aufgefasst werden kann. Und diese Hoffnung heiligt die
Kirche in ihrer ganzen Unheiligkeit und wird sie immer wieder hei
ligen.
« Sind aber einige von den Zweigen ausgebrochen worden, du aber
bist als wilder Ölbaumzweig an ihre Stelle eingepfropft und teilhaftig
worden derfetten Wurzel des echten Ölbaumes, so überhebe dich nicht
über die Zweige!» « Paulus ist eben ein Stadtkind - Jesus aber war vom
Lande » ( Lietzmann)." Nein, wahrhaftig nicht darum leistet sich Pau
lus dieses gärtnerisch unmögliche Gleichnis, sondern weil das Unbe
greifliche, um das es hier geht, jedes mögliche Gleichnis ausschließt.
u- u
1. Abdruck ( 1922°): «welche das Thema und welche als solches» . Korrek
tur in Barths Handexemplar.
Is Lietzmann, S. 99f.
549
Die Zweige des edlen Ölbaumes ausgeschnitten: die Verwerfung der
Kirche. Der wilde Ölbaumzweig an Stelle jener dem edlen Baum auf
gepfropft: die Erwählung derer draußen. Es ist eines so ungeheuerlich
wie das andere. Aber gerade darum handelt es sich: Gott lässt sich
nicht finden , von denen , die ihn suchen , lässt sich finden von denen ,
die ihn nicht suchen ( 10,20), nur weil er Gott ist, weil er an Beiden als
Gott sich erweisen will. Er ist die heilige Wurzel des Baumes, aus dem
ausgeschnitten auch das Edelreis nicht mehr wachsen kann, auf den
aufgepfropft auch der Wildling Leben und Nahrung hat. Nicht so
also, als ob etwa der Wildling vor dem Edelreis, der Heide vor dem
Juden, der draußen vor dem drinnen an sich einen Vorzug hätte. Der
Hochmut, mit dem die draußen in ihrer vermeintlichen Frei- und
Wildgewachsenheit auf die in der Kirche heruntersehen möchten, ist
immer noch unmöglicher als der umgekehrte. Ist die Blöße jener vor
Gott nicht schlechter, so ist sie doch jedenfalls vor ihm auch nicht
besser als die an sich immerhin respektable Menschengerechtigkeit
derer da drinnen . Denn wohlverstanden : In der Nacktheit, in der der
Mensch Gott angenehm ist, in ( 394) der Kindlichkeit oder Jämmer
lichkeit, in der er in der Lage ist, vor Gott gerechtfertigt und gerettet
zu werden, steht er nur vor Gott, von Gottes Gnaden, nicht etwa um
seiner «heidnischen», unkirchlichen, weltkindlichen Eigenschaften
willen. Nur Gleichnis dieser Gott angenehmen Blöße ist ihre Blöße !
Weder irgend eine ursprüngliche Natürlichkeit tut es, noch proleta
rische Schlichtheit und Geradlinigkeit, noch das viel bewunderte oder
viel postulierte «untheologische» Denken und Reden des religiösen
« Laien», noch irgend eine andre Schwachbewusstheit, Unter- oder
Unbewusstheit – so wenig die kirchliche Bewusstheit es tut. Was sich
im Menschen abspielt von den Exerzitien im Benediktinerkloster bis
zum Weltanschauungszirkel des sozialdemokratischen Volkshauses,
das sind alles Stufen an einer Leiter. Der Armut im Geiste aber, der
absoluten Unkirchlichkeit, die Jesus selig gepriesen hat (vgl. Mt. 5,3]
und die den Heiden vor Gott gerecht macht, hat sich noch keiner
rühmen können, weil sie als solche – noch nie da gewesen ist. Dass die
göttliche Möglichkeit der Vergebung für ihn besteht - während sie
V
w
1. Abdruck ( 1922 ): « derjenigen ». Korrektur in Barths Handexemplar.
х
1. Abdruck ( 19222): «derjenigen». Korrektur in Barths Handexemplar.
1. Abdruck ( 1922°): «gepriesen und».
550
offenbar für den da drinnen nicht besteht - das wird auch der da
draußen nur als Wunder anbeten, nicht aber als sein Vorrecht, als sei
nen Vorsprung geltend machen können .
« Aber auch wenn du dich überhebst, so trägst du doch nicht die
Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich. » Will sagen: Wenn du es denn,
lieber Heide, Zuschauer, Ästhet, Freideutscher 6 Sozialist, Natur
freund '? oder was immer du dich zu sein rühmst, nicht lassen kannst,
dich im Bewusstsein deines autochthonen und « autonomen » Gottes
verhältnisses, oder wie du das nennen magst, über die Kirche zu er
heben - und du kannst es wahrscheinlich nicht lassen, weil du selber
längst wieder in einer kleinen Kirche bist! – so ändert das nicht das
Geringste daran, dass du -im glücklichsten Fall – von der Möglichkeit
lebst, die die Kirche unmöglich macht, dass du – im glücklichsten
Fall – dort recht hast, wo sie unrecht hat, dass du – noch einmal: im
glücklichsten Fall ! – in dem Ja stehst, das der Kirche zum Nein wer
den muss. Du lebst also von dem, was jenseits deiner Möglichkeit und
ihrer Unmöglichkeit, jenseits deines Rechts und ihres Unrechts, jen
seits deines Ja und ihres Nein steht. «Die Wurzel trägt dich » . Grö
Benwahn, zu meinen, es könnte auch umgekehrt sein, du mit deiner
Echtheit, Reinheit, Ehrlichkeit, Laienhaftigkeit etwa könntest selber
die Wurzel, die Quelle des Göttlichen sein ! Die Kirche mit ihrer Not
und Schuld magst du scheinbar eine Weile los werden, das aber, was
die Kirche bedrängt und richtet, wirst auch du nicht los. Was du bist,
bist du nur, sofern dasselbe Etwas dich "jetzt befreit – von deiner
Überhebung!|395) Wer sich dieser Befreiung überhebt?, der ist eben
damit mit der Kirche in gleicher Not und Schuld; er ist nicht mehr
Y-Y 1. Abdruck ( 1922 ): «jenseits von deinem Recht und ihrem Unrecht, jen
seits
Z-Z
von deinem Ja und ihrem Nein». Korrektur in Barths Handexemplar.
1. Abdruck ( 19222): «jetzt befreit – wenn es so ist! Wer sich dieses Etwas
überhebt». Korrektur in Barths Handexemplar.
16 Gemeint sind die Anhänger der sich seit dem Fest auf dem Hohen Meiß
ner am 12./13.10.1913 «Freideutsche Jugend» nennenden Jugendbewegung.
Vgl. W. Uhsadel, Art. «Jugendbewegung I. Geschichte und Bedeutung”, in:
RGG’ III, Sp. 1013-1018, bes. Sp. 1015 ; H. Blüher, Der Charakter der Jugend
bewegung, Lauenburg 1921 , S. 40–43.
17
1905 wurden in Zürich, Luzern, Bern und Davos die ersten Ortsgruppen
der « Naturfreunde Schweiz» gegründet.
551
draußen, sondern längst ebenso sehr oder noch viel schlimmer drin
nen, ein abgehauener Zweig - es könnte auch abgehauene Wildlinge
geben ! - wie jene, über die er sich überheben wollte.
V. 19–22 Davon ist nun noch zu reden: Du wirst nun sagen: Die
Zweige wurden ausgebrochen, damit ich eingepfropft würde! Sehr
wohl ! Wegen des Unglaubens wurden sie ausgebrochen, du aber
stehst, wo du stehst, wegen des Glaubens. Versteige dich nicht in
deinem Sinn, sondern fürchte dich ! Denn wenn Gott die natürli
chen Zweige nicht schonte, so wird er auch deiner nicht schonen.
Schau du an die Güte und Strenge Gottes: über den Gefallenen die
Strenge, über dir aber die Güte Gottes - wenn du nämlich bei dieser
Güte bleibst, sonst wirst auch du ausgeschnitten.
«Die Zweige wurden ausgebrochen, damit ich eingepfropft würde !»
Das ist nun freilich die triumphierende Behauptung, mit der die Er
wählten da draußen » jeweilen der « Kirche » gegenüber auf den Plan
zu treten pflegen. Muss es sein ? Könnte es nicht auch anders sein ? Es
muss offenbar sein: Heute, heute und von uns, von uns ist Gott und
sein Reich oder «das Leben» oder «die Entscheidung» gesehen, er
fasst, verstanden, erlebt, erfahren, bezeugt, betätigt, verbreitet. Ver
lassen die alten Wege, zerbrochen die alten Tafeln, überwunden die
«Männer von gestern», gestürzt die Götzen von «vor dem großen
Ereignis» ! Und nun kommt - unser Tag. Usf.
«Sehr wohl! » ist dazu zu sagen. Wer wollte die Möglichkeit solcher
Rede grundsätzlich bestreiten ? So hat die Parole noch immer gelautet,
wenn der göttliche Zugwind hier eine Türe öffnete, dort eine andere
zuschlug, wenn die göttliche Freiheit hier die Menschen befreite, dort
sie bedrängte, hier ein Gefäß zur Zierde und dort eins für den Schmutz
schuf, hier Licht und dort Schatten verbreitete. Und Gleichnis we
sentlicher Wahrheit wenigstens war dann solches Reden, solche Stim
mung, soweit es überhaupt einen Sinn hatte und nicht bloßes Miss
verständnis war zum vornherein. Als Lobpreis Gottes, warum sollte
es nicht angestimmt werden von den Erwählten da draußen: das Lied
von der Zeit, in der es eine Lust sei zu leben18 ?
18
Anspielung auf U. von Huttens Ausruf: «O seculum! O literae! Iuvat
vivere» («O Jahrhundert! O Wissenschaften! Es ist eine Lust zu leben») (vgl.
Büchmann, S.91 ).
552
Aber: « Wegen des Unglaubens wurden sie ausgebrochen, du aber
stehst, wo du stehst, wegen des Glaubens.» Das ist das Kriterium der
Erwählten, das jedenfalls zur Vorsicht mahnt. Es ist gefährlich, seine
eigene Stellung im Reich Gottes zu erwägen . Es ist gefährlich, sich
396 selbst als Figur in einer Heilsgeschichte zu sehen und mit andern
zu vergleichen! Es ist gefährlich, es allzu gut zu wissen, wer und was
man ist. Besser wir überließen es ganz und gar Gott, das von uns zu
wissen. Denn in seinem Wissen liegt ja doch die Entscheidung dar
über, ob das alles wahr oder im selben Augenblick Lüge und Einbil
dung ist. Der Grund der Erwählung ist der Glaube. Der Grund der
Verwerfung ist der Unglaube. Aber wer ist etwa gläubig ? Wer etwa
nicht ungläubig ? Unanschaulich, ungreifbar, ungewiss für uns ist
Glaube und Unglaube in Gott selbst begründet. Die Wurzel, die Wur
zel tut es. Und was sollte etwa (der Wurzel gegenüber! ) der Wildling
vor dem abgehauenen Edelreis voraushaben ?
Also: « Versteige dich nicht in deinem Sinn, sondern fürchte dich !»
«Der Ton der absoluten Heilsgewißheit von 8,28f. klingt hier nicht
gerade nach» (Jülicher)." Doch, durchaus ! Denn was dort gesagt ist,
ist gesagt von «denen, die Gott lieben», und die Liebe zu Gott ent
springt immer wieder der Furcht Gottes, von der wir hier neuerdings
hören, dass sie, gerade und durchaus sie, der Anfang der Erkenntnis ist
(vgl. Spr. 1,7]. Glaube ist kein Ding (wie etwa «Frömmigkeit»), dessen
man sich rühmen, das man Gott und den Menschen darwägen und
gegen sie ausspielen, auf Grund dessen man sich versteigen könnte.
Glaube entspringt unter Furcht und Zittern (vgl. Phil. 2,12] der Er
kenntnis, dass Gott Gott ist. Was nicht dort entspringt, das ist nicht
Glaube, sondern Unglaube und begründet Verwerfung. «Heilsge
wissheit» (wenn denn dieses fragliche Wort gebraucht sein soll) ist
jedenfalls nicht eine Eigenschaft, die von irgend jemand irgendwoher
gegen (oder auch für !) eine Kirche ins Feld geführt werden könnte. Es
gibt kein furchtbareres Missverständnis der Reformatoren! Gott ent
scheidet, und wie seine Güte, so ist auch seine Strenge (als seine Güte,
als seine Strenge ! ) alle Morgen neu (vgl. Klagel. 3,23 ) . Die schau an !
aa
Druckmanuskript: « ist » .
E
20 8
Steinhofer, S. 77; vgl. Rieger, S.211 (bei beiden: « etwas empfängt»).
Das Ziel
11,25-36
V.25-27 Denn ich möchte, Brüder, dass ihr an diesem Geheimnis
nicht vorübergeht und euch in euren zufälligen Gedanken darüber
bewegt: Verstockung kam teilweiseab über Israel bis auf den Ein
tritt der Erfüllung für die Heiden. Und unter diesen Umständen
wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht: Kommen
wird der Erlöser aus* Zion und wird wegtun die Ehr-1398|furchts
losigkeiten von Jakob, und das wird der Bund mit ihm sein, der von
mir aus geschlossen wird: dass ich wegnehmen werde ihre Sünden.
« Ich möchte, dass ihr an diesem Geheimnis nicht vorübergeht und
euch in euren zufälligen Gedanken darüber bewegt. » Hoffen heißt:
* Paulus zitiert V. 26 Jes . 59,20 nach LXX aber mit der auffallenden Verän
derung èx statt évexev Elúv. Ob bei diesem łu nicht, wie schon Beza vermutete,
eine Abbreviatur oder ein Versehen eines Abschreibers vorliegt , möchte ich
trotz seiner sicheren Bezeugung und trotz des stillen Einverständnisses, mit
dem, soweit ich sehe, alle Kommentare über diesen Anstoß hinweggehen, min
destens in Frage stellen.22 «Aptius ad propositum quadrabat loquutio, qua
utitur propheta», bemerkt Calvin mit Recht.2} Ist das éx paulinisch, und ich
möchte die Konjektur Bezas vorläufig nicht en , so muss ihm jedenfalls, wie
unten versucht, bei der Erklärung Rechnung getragen werden.
ab
1. Abdruck ( 1922°): « Teilweise Verstockung kam». Korrektur in Barths
Handexemplar.
21 Th. von Beza, Jesu Christi domini nostri Novum Testamentum , sive No
vum Foedus. Cujus Graeco contextui respondent interpretationes duae, una
vetus, altera Theodori Bezae ( 1598 ), Cambridge 1642, S. 440: «Ex Zion [...]
pro quo Graeca editio recte habet évexa E [táv]: ac fortassis librariorum culpa
ex ένεκα factum est εκ. »
22
Lietzmann, S. 101 ; Kühl, S. 393 ; Zahn, S. 525 , Anm. 70, z. B. erwähnen
Bezas Konjekturerwägung nicht. Barth spielt vermutlich auch auf die zu sei
nen Exegetica gehörende Auslegung von L.I. Rückert an: Commentar über
den Brief Paulian die Römer, 2. Bd., Leipzig 1839?, S. 151 : «Die Vermuthun
gen von Vitringa, daß auch in der LXX ursprünglich èx 2. gestanden, von Beza,
Est, Koppe, daß čx nur durch Abkürzung aus švɛxev hervor gegangen, erman
geln aller Begründung.>>
23 Calvin , col. 227.
555
den Blick fest auf die hoffnungslose Wirklichkeit gerichtet, wissen um
ihre Relativität, wissen um das Ziel, das ihr jenseitiger Sinn ist und
dem sie unanschaulich zustrebt. Diese hoffnungslose Wirklichkeit in
ihrer verborgenen Doppelsinnigkeit, in ihrer nur durch das indirekte
Wissen der Hoffnung zu sprengenden Verschlossenheit und Unbe
greiflichkeit ist das Geheimnis » (Mysterium). «Geheimnis» dürfte in
der Sprache des Paulus das sein, was wir das Paradox nennen. Ge
heimnis ist das Dasein des Menschen der Sünde, der den Anbruch des
Tages Jesu Christi verhindert (2.Thess. 2,7). Geheimnis ist die stören
de Ungleichzeitigkeit der Lebenden und der schon Entschlafenen der
Auferstehung gegenüber ( 1. Kor. 15,51 ). Geheimnis ist das zunächst
durchaus fragwürdige Einswerden von Mann und Weib in der Ehe
(Eph. 5,32). Geheimnis ist vor allem das Evangelium selbst als Men
schenwort, aus dem das Gotteswort erst hervorbrechen möchte.
«Quoties desperationem nobis iniicit longior mora, occurrit mysterii
nomen» (Calvin).24 So ist nun auch die Lage zwischen Gott und
Mensch, wie sie sich unter dem Gesichtspunkt der Kirche gestaltet,
« Geheimnis » . Ein unerträgliches Rätsel ist uns damit aufgegeben, dass
wir direkt immer nur von der Not und Schuld Israels, von der Kirche
Esaus wissen und wissen werden , dass statt der Offenbarung, die die
Kirche vollziehen, aja die sie seina möchte, vielmehr gerade in der
Kirche durchaus immer und überall Verhüllung stattfindet und dass es
andrerseits Offenbarung und Erwählung gibt, die glatt an der Kirche,
immer wieder an jeder Kirche, vorbeigeht. Dieses Geheimnis muss
vor allem als solches verstanden werden; man soll nicht daran vor
übergehen, nicht verkennen, addass uns hier ein von Gott aufgegebe
nes Rätsel im Wegead steht, angesichts dessen notwendig Gott selbst
auf den Plan gerufen werden muss, angesichts dessen «getroste Ver
zweiflung » 25 und «Wir heißen euch hoffen ! » 26 die letzten menschli
ac - ac
1. Abdruck ( 19222): «ja sein».
ad -ad
I. Abdruck ( 1922°): «dass hier ein von Gott aufgegebenes Rätsel uns im
Wege ».
556
chen Worte sind, dem gegenüber aber « zufällige Gedanken», Einstel
lungen, wie man sie den zufälligen, durch das Dies und Das des zeit
lichen Geschehens aufgegebenen Rätseln gegenüber zu beziehen
pflegt, nicht am Platze sind. « Zufällige Gedanken» gegenüber der Not
und Schuld der Kirche sind alle die ungeduldigen, nur subjektiv zu
erklärenden, rechthaberischen Aufgeregtheiten, Gereiztheiten, Ent
täuschtheiten, Wehleidigkeiten, Anmaßlichkeiten und Mär -1399|ty
rerhaftigkeiten, die sich aus mangelnder Einsicht in die letzte Pro
blematik der Lage hier zu ergeben pflegen. Es gilt zu bedenken, dass
der Gegensatz von Kirche und Reich Gottes unendlich ist (9,6). Kein
Mensch kann innerhalb dieses Gegensatzes auf der rechthabenden
Seite stehen. Keiner darf anders als in Furcht und Zittern (vgl. Phil.
2,12] an den denken, der hier recht hat. Keiner ist kompetent, an der
unrechthabenden menschlichen Seite zu verzweifeln, ohne vor allem
an sich selbst zu verzweifeln. Keiner hat die Erlaubnis, nicht mehr an
die Kirche zu glauben; es wäre denn, er hörte gleichzeitig einmal auf,
sich selbst zu rechtfertigen. Keiner ist in der Lage, hier – nicht zu
hoffen. Wir stehen vor dem Geheimnis Gottes, wenn wir vor dem
Geheimnis der Kirche stehen. Eben darum ist Hoffnung am Platze
und nichts sonst.
« Verstockung kam teilweiseaf über Israel bis auf den Eintritt der
Erfüllung für die Heiden . » Die Katastrophe der Kirche bietet uns ein
Bild, aus dem wir Gott an keinem Punkte wegdenken können. « Von
ihm und durch ihn und zu ihm ist alles» ( 11,36). Er ist der, der die
a%Aufgabe, die die Kirche sich stelltag, zu einer unvermeidlich zu stel
lenden macht. Er ist die große Unmöglichkeit, die sich ihrer Lösung
entgegenstellt. Er ist es, an dem der Mensch gerade hier schuldig wird.
Er ist es, der hier den Menschen wie mit einer eisernen Klammer
festhält von allen Seiten, der sich ihm gerade darin zu erkennen gibt als
der eine Gott, als das Jenseits seiner Not und Schuld, als das Ziel seiner
Hoffnung. Derselbe Gott, der den Saul erwählt, verwirft denselben
Saul, um David zu erwählen. Warum ? Weil er Gott ist. «Meine Seele ist
still zu Gott, der mir hilft .» (Ps. 62,2] Eben dieses unerhörte Tun ist
ae
af
1. Abdruck ( 19222): «ein unendlicher» .
I. Abdruck ( 19222): « Teilweise Verstockung kam » .
ag-ag Nicht ausgeführte Korrektur in Barths Handexemplar: «Aufgabe, die sich
die Kirche stellt» .
557
göttliches, Stille gebietendes Tun, angesichts dessen man hoffen kann,
hoffen muss. Wäre es weniger unerhört, so wäre es nicht göttliches
Tun , so bliebe dem Menschen etwas anderes übrig, als still zu sein und
zu hoffen (vgl. Jes. 30,15 ) . Verhüllt und verborgen hat sich Gott vor
den Augen Israels, unkenntlich und unmöglich hat er sich ihm ge
macht. Der Mensch als Mensch kann Gott nicht erkennen. Mit se
henden Augen sollen sie nicht sehen, mit hörenden Ohren nicht hören.
Umsonst all ihr Wollen, Suchen, Nachdenken und Eifern. Der ent
scheidende Punkt wird verfehlt, muss verfehlt werden. Zur Bube
kommt es nicht, kann es, darf es nicht kommen um der echten Buße
willen, «und ob sie wohl fast nach ihr schnappen wie ein Hund nach
der Fliege, so entwischt sie ihnen doch» (Luther)". Das ist «Verstok
kung und das ist die Lage der Kirche Esaus. Aber eben weil die
Bedrängnis Israels durch seinen Gott so groß, weil sie unendlich ist,
hat sie ein wirkliches Jenseits, ein wirkliches Ende in Gott |400 selber,
der das Jenseits alles Diesseits, das Ende auch der Unendlichkeit ist.
Eben weil die « Verstockung» von Gott kommt, bestehtah sie erstens
nur «teilweise», nur relativ; es stehen der Totalität der Verworfenen
beständig gegenüber die unanschaulichen «Siebentausend» ( 11,4) der
Erwählten, der in der Bedrängnis schon Getrösteten, aus der Be
drängnis schon Geretteten; es wird die himmelhohe Mauer, die den
Menschen immer und überall von Gott scheidet, durchsichtig (näm
lich wenn das Wunder geschieht, und also nimmer und nirgends !): es
kennt der Herr die Seinen (vgl. 2.Tim. 2,19]. Und es ist zweitens diese
« Verstockung nicht mehr als eine zeitliche Bestimmung des Men
schen. Ewigkeit als Grenzwert der Zeit ist offenbar ihr Ende, Ewig
keit als Ursprung der Zeit ihr Ziel. Ende und Ziel der « Verstockung »
ist die eschatologische Möglichkeit des «Eintritts der Erfüllung für die
Heiden» ( 11,12.13 ). Dieser Gottesmöglichkeit muss offenbar «vor
an»gehen die Erschöpfung der menschlichen Möglichkeit, dem Ge
borenwerden des neuen Menschen das Sterben des alten, dem An
bruch der Erlösung die Katastrophe der Kirche. Im Lichte der Herr
lichkeit Gottes und des Lammes sollen ja die Heiden wandeln, die
ah
I. Abdruck ( 19222): « ist» . Korrektur in Barths Handexemplar.
27 Eberle , S. 143 (in Barths Exemplar unterstrichen): Kirchenpostille 1522 .
Epistel am S. Johannes- Tage.Sir. 15,1-6, WA 10/1,1,295,6f.
558
gerettet sind in jenem Jerusalem , in demai kein Tempel sein wird (Apk.
21,22-24). Wissend um dieses Ziel und Ende gilt es, den Blick auf die
hoffnungslose Wirklichkeit der Verstockung Israels zu richten , gilt es,
still zu sein und zu hoffen .
« Unter diesen Umständen wird ganz Israel gerettet werden . » Die
Errettung der Verlorenen , die Rechtfertigung der nicht zu Rechtfer
tigenden, die Auferstehung der Toten muss genau von dorther kom
men , woher ihre Katastrophe gekommen ist. Die Kirche ist die Ver
körperung des Menschen, der die Offenbarung Gottes empfängt. Die
ser ist als solcher verloren, im Unrecht, tot. Das ist der Schaden Jo
sephs (vgl. Am. 6,6], der in der Kirche zum Ausbruch kommt. Ret
tung, Rechtfertigung und Auferstehung ist nur davon zu erwarten,
dass durch die Offenbarung Gottes an den Menschen der neue
Mensch geschaffen wird, der unanschaulich für jenen eintritt, sein
Sinn, sein Ziel, seine Erfüllung ist, wie jener in seiner unabsehbaren
Verstockung auch für ihn eintritt, seinen Platz in dieser Welt wenig
stens bezeichnet und offen hält, ihn freilich auch fortwährend kom
promittiert, für ihn leidet und auf ihn wartet: er, «das Vorbild des
Kommenden» ( 3,14). Dieser kommende neue Mensch, durch Gottes
Offenbarung gerettet, gerechtfertigt und lebendig gemacht, ist mit
den Erwählten aus Israel die in Christus erwählte Heidenschaft. Wir
bedenken auch hier, dass damit keine historische Größe, keine Sum
me von psychologischen Individuen , von bewussten oder unbewuss
ten «Heidenchristen» ge-401 meint ist. Nur demonstrativen Sinn hat
in diesem Zusammenhang das Dasein etwaiger « Heidenchristen » .
Sondern die Armut, die Blöße, die Blindheit, die Hoffnungslosigkeit
der Heiden, sofern sie im Gegensatz zu der Fülle, Gesundheit, Sattheit
und Gewissheit Israels den Menschen bedeutet, der in Christus aus
Gnade erwählt ist, ist gemeint. Deutlicher kann der neue Mensch,
« Jakob », der Erwählte doch wohl nicht als der von Gott geschaffene
Mensch bezeichnet werden als durch diese seine ausdrückliche Kon
trastierung zu seinem älteren Bruder, dem als Mensch Gottes Wort
hörenden und redenden « Esau» . Deutlicher kann es nicht gesagt wer
den, dass der als Mensch Gott Erwählende weichen muss dem von
Gott erwählten Menschen. Und das eben muss gesagt und gehört
ai
1. Abdruck ( 19222): «welchem» . Korrektur in Barths Handexemplar.
559
werden, das eben ist der Sinn der doppelten Prädestination , die Eröff
nung des « Geheimnisses» Gottes, das Ziel seiner immer wieder ge
wahrten Freiheit. Wird das gesagt und gehört, vollzieht sich also die
Offenbarung Gottes an den Menschen, so tritt eben damit die un
mögliche, die eschatologische Möglichkeit ein, dass der Mensch, der
sie empfängt und der als solcher nur weichen, nur abnehmen, nur
vergehen kann, gerettet, gerechtfertigt und auferweckt ist: gerettet als
der Verlorene, gerechtfertigt als der nicht zu Rechtfertigende, aufer
weckt von den Toten - die unmögliche in Christus in den Bereich der
Möglichkeit tretende Begebenheit, dass Gott sich nicht nur in seinem
Zorn , sondern noch ganz anders in seinem Erbarmen als Gott beweist
und bewährt. Unter andern Umständen, durch irgendwelche direkte,
geschichtlich oder psychologisch sich begebende Rettungen, Recht
fertigungen und Auferstehungen ist dem Menschen auf dem Gipfel
seiner Möglichkeiten, dem Menschen, der sich unterwindet, Gottes
Wort zu hören und zu reden, nicht zu helfen . Unter diesenajUmstän
den, im Futurum resurrectionis, in der Anschauung der unanschau
lichen Existentialität Gottes wird er gerettet werden. Und das gilt
dann ganz Israel, der ganzen Kirche, jeder Kirche, Vorbild des Kom
menden ist sie dann, erfüllte Weissagung, vom lebendigen Wasser der
Offenbarung durchrauschter Kanal. «Nur wo Gräber sind, sind Auf
erstehungen» (Nietzsche)28 – aber wo immer Gräber sind, da sind
Auferstehungen. Wo die Kirche (nicht kraft eines Menschenvotums,
sondern kraft göttlichen Urteils !) aus ist, da fängt sie an. Wo sie ganz
ins Unrecht gesetzt ist, da beginnt ihr Recht. Wo jede Kirche (von
Gott aus!) erledigt ist, da ist keine erledigt, da ist jede Kirche Hinweis,
Schwelle, Pfeil vom andern Ufer, Zeugnis der Hoffnung, Botschafter
an Christi Statt (vgl. 2. Kor. 5,20), eine Hütte Gottes bei den Men
schen (vgl. Apk. 21,3]. Wo die Heiden die Kirche missioniert haben
mit der Bot-402| schaft von Gottes Freiheit und Erbarmen, mit der
ganzen Demütigung und Verheißung, die diese Botschaft mit sich
bringt, da magdann die Stunde der Mission der Kirche an die Heiden
I.
Abdruck ( 19222): « diesen ».
28 Schlusszeilen aus « Das Grablied» in Nietzsches Zarathustra, NW, S. 164
(NWKG, S. 141 , Z. 12f.): « Ja, noch bist du mir aller Gräber Zertrümmerer:
Heil dir, mein Wille! Und nur wo Gräber sind, giebt es Auferstehungen.»
560
in der Tat geschlagen haben und kann nicht eilig, nicht eifrig, nicht
freudig genug ergriffen werden, wie an Paulus selber zu sehen ist. Die
gebeugte Kirche darf und soll erhobenen Hauptes ihr Thema aufneh
men. Die verlorene Kirche wird die Trägerin der Botschaft von der
Errettung sein. Die erschrockene Kirche mag und muss reden von
dem Gott, mit dem man über Mauern springt (vgl. 2.Sam. 22,30; Ps.
18,30]. Die ihrer Grenzen unerbittlich bewusste Kirche mag sich un
erschrocken und unermüdlich wagen an ihre erschütternd grenzen
lose Aufgabe. Die Weissagung des zweiten Jesaja von dem Knechte
Gottes, auf den die Völker hören sollen (vgl. Jes. 49,1 ), sie geht dann,
sie geht dort in Erfüllung. Wo das Wort vom Kreuz erkannt ist und gilt
als die Unmöglichkeit Gottes, die sich allem Fleisch in den Weg stellt,
da ist erkannt und da gilt: Christus ist auferstanden ! als die Möglich
keit Gottes im Geist und in der Wahrheit (vgl. Joh. 4,24).
« Kommen wird der Erlöser aus Zion und wird wegtun die Ehr
furchtslosigkeiten von Jakob. Und das wird der Bund mit ihnen sein,
der von mir aus geschlossen wird : Dass ich wegnehmen werde ihre
Sünden .» (Jes. 59,20; 27,9). Wir unterstreichen mit diesen Reminis
zenzen aus der Eschatologie des alten Testamentes, dass es die göttli
che Möglichkeit ist, die wir als Schlüssel des « Geheimnisses», als Ziel
der dunklen Entwicklungen der Kirchengeschichte, in denen wir uns
befinden, betrachtet wissen wollen. Von letzten Dingen, von der Er
scheinung der Parusie Jesu Christi selbst haben wir geredet. Er ist die
« Erfüllung für die Heiden», das Wunder des göttlichen Ja, gesprochen
zu der unerlösten Menschheit. Er ist der Erlöser. Er ist das existentiell
vor Gott stehende, aus zweien eins gewordene Individuum, in dem
die Verwerfung überwunden und verschlungen ist durch die Erwäh
lung. « Aus Zion» kommt er, von oben, aus dem unanschaulichen
Grund der Kirche, aus dem auch ihre Verwerfung kam, aus der Herr
lichkeit des Thrones Gottes, königliche Würde und königliche Macht
mit ihm, und Schöpfung bedeutet sein Erscheinen, das zu keiner Zeit
stattfindet, weil es aller Zeit Geheimnis, Aufhebung, Grundlegung
und Ewigkeit ist. Und darum ist auch sein Werk das Unerhörte: das
«Abtun der Ehrfurchtslosigkeiten von Jakob», das Abstreifen der
Hüllen all des Unvermeidlichen, Beschränkten, Verkehrten, Esau
mäßigen, von dem jetzt und hier die unanschauliche Kirche Jakobs
bedeckt ist, das Schließen des neuen Bundes, der von Gott selbst, 403
561
von Gott allein ausgeht, und der besteht in der « Wegnahme», in einem
Fortraffen , Löschen, Tilgen, Vernichten der Sünden und der Sünde, in
der Rückkehr des Menschen in die ihm jetzt und hier gänzlich ver
lorene Einheit mit Gott. Wir stehen wieder an der Grenze des Sag
baren und brechen ab . Eben diese Grenze ist das Ende der « Verstok
kung», das Ziel der unbegreiflichen Wege Gottes.
V. 28–32 Auf die Heilsbotschaft gesehen sind sie freilich Feinde
um euretwillen, auf die Erwählung gesehen aber Geliebte Gottes
um der Väter willen. Denn unwiderruflich sind die Gnadenerweise
und ist die Berufung Gottes. Denn wie ihr einst Gott ungehorsam
waret, jetzt aber Erbarmen fandet durch ihren Ungehorsam, so
wurden jetzt auch sie ungehorsam durch das euch widerfahrene
Erbarmen, damit auch sie jetzt * Erbarmen fänden. Denn ver
schlossen hat Gott alle unter den Ungehorsam , damit er sich aller
erbarme.
« Aufdie Heilsbotschaft gesehen Feinde um euretwillen, aufdie Er
wählung gesehen Geliebte Gottes um der Väter willen . Wir versu
chen es nun, den Inhalt dieser drei Kapitel auf den schärfsten Aus
druck zu bringen. « Kirche» ist ein zweideutiges Faktum , haben wir
gesehen. Die ganze Zweideutigkeit der menschlichen Natur und Kul
tur kommt in ihr zum Ausdruck. – akSofern sich unter dem Gesichts
punkt menschlicher Pragmatik gegenüberstehenak hier die Heilsbot
schaft von Christus als das Eine, dort das Menschenwerk der Kirche
als das Andere, ist zweifellos die Kirche der Ort, wo die Feindschaft
des Menschen gegen Gott offenkundig wird, wo seine Gleichgültig
keit, sein Missverständnis, sein Widerstand ihre sublimste und auch
wieder ihre naivste Form gewinnen, wo der tote Punkt zwischen zwei
* Für die Streichung des zweiten vữv in V. 31 kann ich nicht mehr eintre
ten.29 Es gehört zu der fast unerträglichen eschatologischen Spannung in dieser
Stelle, dass da, wo man nach dem roté von V. 30 vielleicht ein tóte erwartet,
dieses überraschende vữv eintritt.
ak-ak
1. Abdruck ( 1922°): «Sofern unter dem Gesichtspunkt menschlicher Prag
matik sich gegenüberstehen » . Korrektur in Barths Handexemplar.
29 Vgl. Römerbrief I, S.455 , Anm. *: «Das zweite vūv in V. 31 ist ein sinn
störender Schreibfehler» .
562
Welten sichtbar wird, an dem es auch für den gewaltigsten Ansturm
gegenüberstehender, noch so groß gedachter Gotteskräfte kein Vor
wärts mehr geben kann. Der von der Kirche erstrebte und erreichte
fromme und als solcher gerechtfertigte Mensch mit seinem Wissen,
Tun und Beten scheint irgendwie das letzte unüberwindlich starke
Hindernis diesseits der Barrikade. Alles, was der Mensch überhaupt
unternimmt, um sich Gottes zu erwehren, erscheint gesammelt,
wuchtig konzentriert, bis auf die Zähne bewaffnet in diesem Men
schen. Darum die « Tempelreinigung» 30! Eben darum muss angesichts
dieses Menschen der Gedanke an einen direkten Weg zwischen Gott
404 und Mensch als aussichtslos endgültig aufgegeben werden. Eben
darum erscheint aber auch gerade angesichts dieses Menschen die
Möglichkeit des indirekten Weges, der Vergebung, des Erbarmens
Gottes. Bote dieses indirekten Weges, Zeuge der Vergebung, Gefäß
des Erbarmens (9,23] ist diesem Menschen gegenüber immer der an
dereal Mensch, der Draußenstehende, der Weltmensch, der Heide: in
der ganzen Anschaulichkeit seiner Bedürftigkeit, seines Preisgege
benseins, seiner Wehrlosigkeit. An ihm erscheint die Beseitigung jenes
Hindernisses. An ihm wird es klar, wie Gott und Mensch zueinander
stehen. An ihm verherrlicht sich Gottes forensische Gerechtigkeit.
Weil Gott es darauf abgesehen hat, an diesem anderen Menschen seine
Ehre und sein Erbarmen klar zu machen («um euretwillen » ), muss
dieser Mensch, der das Ziel und Ergebnis der Kirche ist, als « Feind »
der Heilsbotschaft diesseits der Grenze stehen. Die Sünde muss über
fließen, damit die Gnade überströmen kann ( 5,20). Aber wo wäre die
Heidenschaft, die in dieser « Feindschaft», in diesem Überfließen der
Sünde», in der ganzen Verlorenheit dieser Situation mit Israel nicht
solidarisch eins wäre ? – amSofern aber unter dem Gesichtspunkt der
göttlichen unanschaulichen Pragmatik die Heilsbotschaft von Chri
stus und die Kirche als unwürdige Trägerin des göttlichen Wortes sich
gar nichtam als zwei gegenüberstehen können, weil jene doch nichts
al
1. Abdruck ( 19222): « andere ».
am -am Nichtausgeführte Korrektur in Barths Handexemplar: «Sofern sich aber
[...] Wortes gar nicht» .
30 Vgl. Mt. 21,12–13 ; Mk. 11,15-17; Lk. 19,45-46; Joh. 2,14-16. In der von
Barth benutzten Luther-Bibel von 1892 ist die Perikope mit « Reinigung des
Tempels» bzw. « Jesus reinigt den Tempel» überschrieben.
563
anderes ist als die Offenbarung, die Erwählung aus Gnade allein, die
gerade die Feinde Gottes angeht (5,10), sofern eben der nicht zu recht
fertigende, nicht zu rettende Mensch die göttliche Verheißung hat,
sofern er in seinem ganzen Ungehorsam zum vornherein unter dem
Erbarmen Gottes steht und seiner Ehre dienen muss («um der Väter
willen», um Abrahams des Heiden Glauben willen), sind offenbar
auch die drinnen, ja gerade sie, die «Geliebten Gottes». Geopfert und
preisgegeben ist ja dann in der Kirche der fromme Mensch in seiner
gefährlichen gottwidrigen Eigengröße. Raum ist dann geschaffen in
der Kirche für die forensische Gerechtigkeit der Heiden. Gemein
schaft der Vergebung Suchenden und darum Heiligen, der Verlorenen
und darum Geretteten , der Sterbenden und darum Lebenden ist ja
dann die Kirche. Gesammelt und konzentriert erscheint ja dann in der
Not und Schuld dieses Menschen, des wissenden, tätigen, betenden
Menschen der Kirche die Hoffnung des Menschen überhaupt, die
unerhörte Rechtfertigung und Rettung alles dessen, was der Mensch,
nicht-wissend, was er tut, unternimmt und vollendet. Er selber, der
fromme Mensch ist dann der – Heide: am Ende jeden direkten Weges
zu Gott angelangt der Bote des indirekten, als Zeuge der Katastrophe
menschlicher Gerechtigkeit der Zeuge der Auferstehung, als Gefäß
1405 des Zornes das Gefäß des Erbarmens (9,22–23 ]! Und wo wäre ein
Israel, das nicht wirklich mit der Heidenschaft in dieser seligen Lage
wäre ? Wenn Israel es wagen würde, sich auf den Boden der Erwählung
seiner Väter zu stellen, wenn die Kirche es wagen würde, allein durch
den Glauben Abrahams bewegt und gehalten, zu opfern, herzugeben,
herabzusteigen, demütig, sachlich, ernst zu werden, wie groß könnte
sie von einem Augenblick zum andern dastehen, groß, weil nicht
mehr groß, groß allein durch Gottes Erbarmen !
« Unwiderruflich sind die Gnadenerweise und ist die Berufung Got
tes. » « Wird etwa ihre Untreue die Treue Gottes aufheben ? » (3,3 ).
« Gottes Wort ist nicht hinfällig» (9,6). «Gott hat sein Volk nicht ver
stoßen » ( 11,2 ). Wahrer als das Recht, in dem sich die draußen gegen
über denen drinnen befinden, wahrer als das Unrecht, in das sich die
drinnen denen draußen gegenüber setzen, wahrer als die ganze an
schauliche Pragmatik, die sich aus diesem Gegensatz von Kirche und
Welt zu ergeben scheint, ist immer wieder das Thema der Kirche: die
göttliche, die unanschauliche Pragmatik, dass er, er selbst, er allein es
564
ist, der Recht und Unrecht gibt und nimmt, das Thema von der Frei
heit Gottes, die das Gericht, aber auch die Aufrichtung der Kirche,
ihre furchtbare Reinigung, aber auch ihre Erfüllung bedeutet. Die
Wahrheit in jenen Wahrheiten ist Gott, nichts sonst. Seine Gnadener
weise, seine Berufung werden durch die Verwerfung seiner Erwählten
nur bestätigt, wie sie sich fort und fort nicht anders bestätigen können
und werden als durch die Erwählung der Verworfenen, denn Beides
ist unanschaulich eins und dasselbe in Gott. Unveräußerlich bleibt das
Anliegen der Menschheit, das in jeder Kirche seinen Ausdruck sucht,
und wenn, wie es tatsächlich der Fall ist, alle Kirchen diesem Anliegen
gegenüber versagen sollten. Unwiderruflich die Sendung, die überall
da stattfindet, wo Menschen dieses Anliegen zum Bewusstsein
kommt, und wenn, wie es wiederum tatsächlich der Fall ist, jeder
Mensch mit diesem Bewusstseinan in die Katastrophe alles Menschen
tums hineingerissen würde. Unverschlossen die Möglichkeit, die sich
öffnet, wo immer der Mensch seine Not als von Gott bereitet und
seine Schuld als Schuld an Gott erkennt, und wenn er – wir alle wissen
es nicht anders! - darüber hinaus keine Hoffnung hätte.
« Wie ihr einst Gott ungehorsam waret, jetzt aber Erbarmen fandet
durch ihren Ungehorsam , so wurden auch sie jetzt ungehorsam durch
das euch widerfahrene Erbarmen, damit auch sie jetzt Erbarmen fän
den . » « Er redet aber von dem 406 wunderlichen Regiment Gottes in
seiner Kirche, daß die, so den Namen und Ruhm des Volkes Gottes
und der Kirche (als das Volk Israel) haben, um ihres Unglaubens wil
len verworfen werden, die andern aber, die zuvor nicht Gottes Volk
und unter dem Ungehorsam gewesen, nun sie das Evangelium anneh
men und an Christum glauben, vor Gott die rechte Kirche und selig
werden» (Luther)." ' Ja, «wunderlich», paradox und unerhört ist die
Art und Weise, in der sich das Regiment Gottes in seiner Kirche aus
wirkt. Finsternis, Verwerfung, Esaumäßigkeit, « Ungehorsam » ist der
Generalnenner, über dem sich zunächst alles Menschliche als solches
an
1. Abdruck ( 19222): «Bewußtwerden».
36 Eberle, S. 208: Vorrede auf die Epistel S. Pauli an die Römer, Luther,
WA.DB 7,27,24f. (vgl. 26,15f.).
569
vergelten müsste ? » (wahrscheinlich Hiob 41,2, dort vom Leviathan
Krokodil gesagt! ). Direkte Erkenntnis dieses Gottes ? Nein ! Mitwir
kung bei seinen Beschlüssen ? Nein ! Möglichkeit, ihn zu fassen, zu
binden, zu verpflichten, in ein reziprokes Verhältnis zu ihm zu treten ?
Nein! Keine « Föderaltheologie» 37! Er ist Gott, er selbst, er allein. Das
ist das Ja des Römerbriefes.
«Denn von ihm und durch ihn und zu ihm ist alles. Sein ist die
Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. » Mark Aurel hat in seinen Selbst
gesprächen fast wörtlich dasselbe gesagt. In einem Selenehymnus und
sogar auf einem Zauberring wurden diese Formeln wiedergefunden .
Philo und andern waren sie nicht unbekannt.38 Warum nur hat die
hellenistische Mystik , die bekanntlich wie das Spätjudentum ungefähr
alles auch wusste, das nicht lauter, deutlicher, erschreckender und
verheißender zu sagen gewusst? Warum nur erscheint die Entlehnung,
die Paulus hier vornimmt, sogar auf der Fläche der geschichtlichen
Dinge so sehr viel origineller als das Original? Aber sei dem, wie ihm
wolle, wie könnte Paulus diese Kapitel bedeutungsvoller schließen, als
indem er hörbar, drohend und Hoffnung erweckend das sagt, was -
die andern auch wissen39 ? |410||
4 Vgl. Müller, Streiflicht, S. 273 : «Sie [Barth und Thurneysen) treten durch
aus als Wissende, als Glaubende, als Bejahende, als Ergriffene auf. Darum ist
die Frage unentrinnbar: «Wovon seid ihr ergriffen, wie ist das neue Leben be
schaffen, davon ihr redet? Worin besteht denn nun eigentlich der Unterschied
zwischen dem Menschen, der durch das große Nein hindurchgegangen ist, und
dem Diesseitsmenschen ? Ißt und trinkt, redet und handelt ein solcher Mensch
anders als ein an die Schädelwelt verkaufter ? Wie verkehrt ein solcher Erlöster
mit seinem Feinde, wie reagiert er auf das Böse, wie erledigt er seine Geschäfte,
wie steht er zum Staat, wie treibt er Politik [...] ?»»
576
noch so transzendent gebärdete. Wer nicht in der Lage ist, etwas « ge
gen» andere zu sagen, ohne gleichzeitig sich selbst zu erledigen, der
schweige in der Gemeinde (vgl. 1. Kor. 14,28]. Innerhalb der ethischen
Problematik sind viele Worte zu wenig besser als ein einziges zu viel.
Das entscheidende Wort kann hier immer nur der Aufweis des tat
sächlichen Bestehens dieser Problematik (in Allem und für Alle ! ) sein .
Das entscheidende Wort muss das radikale Wort sein, und radikal ist
nur das Wort, das (scheinbar «theoretisch», in Wirklichkeit eminent
und allein « praktisch » '), alle (vermeintlichen!) Mittelglieder über
springend, direkt auf das Erbarmen Gottes verweist als auf den einzig
zureichenden Grund und Zielpunkt der Problematik unsres Lebens,
das Wort, das gerade in seinem Radikalismus selber das Wort des Er
barmens, das verstehende, das das Einzelne, Nächste, Konkrete in
seinem Da-Sein und So-Sein und eben darin das Universale, das Exi
stentielle, das nie und nirgends Konkrete, das Wesentliche verstehen
de Wort ist. «Ermahnung» ist nie nur Forderung, «Ermahnung» ist
Geltendmachen der Gnade als Forderung, Geltenlassen dessen, was
ist, wie es ist, um deswillen, was es nicht ist. Gnade heißt: nicht rich
ten, weil schon gerichtet ist. Gnade heißt: Selbstverständlichkeit des
schlechten Gewissens mitten in den Verrichtungen der schlechten
Welt, aber gerade in dieser Selbstverständlichkeit des schlechten Ge
wissens die unerhört neue Möglichkeit eines (nie und nirgends « gu
ten» ! ) getrösteten Gewissens. « Ermahnen» heißt also als Geltendma
chen" der Gnade (mit Luther und Dostojewski gegen den Franzis
kanismus und Tolstoi) das Vorausgegebene sehen, aufdecken, an
sprechen im Gegebenen, nie und in keinem Sinne als ein Abgeson
dertes, an und für sich daneben oder darüber Existierendes. «In medio
inimicorum regnum Christi est, ut Psalmus dicit» (Luther).' Ermah
h
1. Abdruck ( 19222): «Geltendmachung». Korrektur in Barths Hand
exemplar.
s Müller, Streiflicht, S. 277: Man findet «bei Barth alle Bedenken, die gegen
seine Art vorgebracht werden können, theoretisch irgendwie berührt ». Aber es
hat für ihn «kein praktisches Gewicht».
6 M. Luther, Brief an Georg Spenlein, Augustiner in Memmingen, vom
8.4.1916, WA.B 1,36,53f.; vgl. auch Luthers Brief an Michael Dressel, Augu
stinerprior in Neustadt a.d. Orla, vom 23.6.1916, WA.B 1,47,27–31, in dem er
sich ebenfalls auf Ps. 109,2 Vg bezieht.
577
nen kann man also nur von dort aus, wo Pharisäer und Zöllner ( vgl.
Lk. 18,9–14) ganz und gar in einer Reihe stehen, wo von Seiten des
sen, der sich unterwindet, Ermahner zu sein, keinerlei Scheidung der
Schafe von den Böcken (vgl. Mt. 25,31-46] stattgefunden hat oder
beabsichtigt ist, wo seinerseits gar keine Anmaßung etwa eines sog.
« Christusimpulses»? und also gar kein moralisches Ressentiment ge
gen (415 ) einen Tirpitze z. B. oder gegen einen Bethmann-Hollweg
oder auch gegen einen Lenin' vorliegt, wohl aber die Einsicht, dass
i
I.
Abdruck ( 1922²): «seitens». Korrektur in Barths Handexemplar.
Den Ausdruck « Christusimpuls» hat Barth wiederum bei Müller gefun
den. Müller schreibt im Rückblick auf die neue Offenheit zwischen deutschen
und schweizerischen Religiös-Sozialen im Frühjahr 1919, Streiflicht, S. 274:
«Es war wirklich ein ganz merkwürdiges Aufgeschlossensein, wir empfanden
es als das Abfallen alter, wohl jahrhundertealter Hemmungen. Es war eine tiefe
Sehnsucht nach tätiger Hingabe an den Christusimpuls erwacht, man fühlte
eine neue und tiefe Verantwortung für die Weltgestaltung.» Vgl. S. 277: « Barth
besinne sich doch, ob von seinen Anregungen allein irgend ein Tun, eine Aus
wirkung des Christusimpulses ausgehen könnte, worauf in unserer Lage ein
fach alles ankommt, jedenfalls dann, wenn wir wirklich die Wahrheit Christi
der Welt und besonders auch den wirtschaftlichen Nöten der Gegenwart ge
genüber geltend machen wollen. »
8
Vgl. oben S. 37, Anm. 2.
9 Theobald von Bethmann Hollweg ( 1856–1921 ), Reichskanzler 1909–
1917. Vgl. Barths Brief an Thurneysen vom 18.8.1921 , Bw.Th.I, S. sulf.: «Ich
habe dieser Tage als passende Speise die Lebenserinnerungen von Tirpitz ( Er
innerungen, Leipzig 1920') zu mir genommen, wo das Pendel menschlicher
Unbedenklichkeit nun gerade nach der andern Seite ausschlägt als bei unsern
Gönnern Ragaz, Alfred Dedo etc. Aber wo und wie man in die in sich sehr
klaren Gedankengänge Tirpitzens mit moralischen Argumenten dreinfahren
und Halt! gebieten könnte, das ist wirklich nicht einzusehen. Man kann nur die
Tragik konstatieren, die darin liegt, daß dieser titanische Gedankengang
schließlich zusammenbrechen mußte an dem zähen Widerstand, den ihm
die - Moral in Person des auf beiden Seiten hinkenden Herrn Bethmann Holl
weg entgegensetzte. Figuren auf einem ganz andern Schachbrett offenbar bei
de. Röm. 9-11 ist wahrscheinlich noch viel unheimlicher wahr, als es bei allem
Geschreibe darüber je darzulegen ist. »
10 Zu Barths eingehenden Beschäftigung mit Lenin und der russischen
Oktober-Revolution vgl. z.B. Barths Brief an Thurneysen vom 13.4.1920,
Bw.Th.I, S. 324: «Dazu eine Serie von Bolschewiki-Abenden im Arbeiter
verein mit Betrachtungen über die Lenin'schen Vorder- und Hintergrün
578
die in die Augen springende Problematik solcher Gestalten ganz und
gar ihre Parallele hat in der aus Gründen in den Ausmaßen etwas
bescheidener geratenen eigenen Lebensproblematik, dass sie nur
Schattenbild ist einer noch ganz andern Problematik , vor deren Un
heimlichkeit jeder Mensch nur verstummen kann. Ermahnung ist also
überall da nicht möglich, wo der Ermahner einen Programmentwurf
und eine entsprechende Anklageschrift schon in der Tasche hat. Un
verkennbar verrät sich alles vermeintliche Ethos, das von den Höhen
der Menschheit herunter predigt, an dem gänzlich mangelnden, ob
wohl heiß erstrebten absoluten Ton seines Auftretens, an der sich
überschlagenden, heiser krächzenden , wenig imponierenden Stimme,
die nur von dem Titanismus des bösen und des guten Menschen und
von dem Gericht, unter dem aller Titanismus steht, immer neues
Zeugnis ablegen kann. Ermahnung ist nur da möglich, wo des Men
schen Recht darauf begründet ist, dass er - unrecht hat, also nur «auf
Grund der Erbarmungen Gottes. »
« Eure Leiber zur Verfügung zu stellen », dazu ermahne ich euch.
Wir erinnern uns, an entscheidender Stelle (6,13.19 ) gesehen zu haben,
dass Gnade als Kraft der Auferstehung uns nichts anderes übrig lässt,
als mit unsern «Gliedern» Gehorsam zu leisten, sie dem gegen uns
selbst erhobenen göttlichen Widerspruch «zur Verfügung zu stellen» .
Durchaus gerade der «Leib», die «Glieder» sind beansprucht. Denn
der Mensch selbst, der anschauliche, der geschichtliche Mensch, den
wir allein kennen, ist eben der Leib. Ihm widerfährt nun «auf Grund
der Erbarmungen Gottes» die ganze Infragestellung und Beschlag
nahme durch den neuen Menschen in Christus. Gerade diese Begrün
dung und Richtung der ethischen Aufgabe, gerade ihre unaufhebbare
Jenseitigkeit ist es, die ihr Ernst und Kraft verleiht. Es bleibt vor ihr
dem Menschen keine Rückzugsmöglichkeit. Ein bloß innerlicher,
bloß seelischer, bloß gedanklicher Gehorsam etwa ist ausgeschlossen.
Denn «Innerlichkeit», «Seele», «Denken» ist angesichts dieser Fra
gestellung entweder (von unten gesehen) eine von den höheren Funk
2. Abdruck ( 1923 ?): «und des guten Menschen» . Der 1. Abdruck ( 19222)
entspricht dem Druckmanuskript.
de.» Barths Manuskripte dazu werden in den Vorträgen und kleineren Arbei
ten 1914–1921 in der Abt. III der Gesamtausgabe veröffentlicht.
579
tionen des «Leibes», was eine ernsthafte Abgrenzung von den «nie
deren» Funktionen kdieses Leibes und ihr Zurückbleiben in Unge
horsamk unmöglich macht, oder aber (von oben gesehen) nichts an
deres als der neue Mensch in Christus, von dem eben die große Stö
rung ausgeht, der sich der alte Mensch des «Leibes» nicht entziehen
kann. Also gerade im Blick auf die Gnade, auf die « Erbarmungen
Gottes», die kein Mensch verdient hat noch verdienen kann, auf die
Krisis vom Tode zum Leben, (416 die jedes Menschen alleinige Hoff
nung ist, bekommt die göttliche Relation, in der er sich befindet, ihre
Gehorsam fordernde und erzwingende Absolutheit, das Ethos die!
eschatologische Spannung, ohne die es nicht Ethos ist. Gnade heißt
göttliche Unduldsamkeit, Ungenügsamkeit, Unersättlichkeit. Gnade
heißt, dass weniger als alles nicht angenommen wird. Gnade ist der
Feind jedes, auch des unentbehrlichsten Interims. Gnade ist die Axt
an der Wurzel des guten Gewissens, dessen sich der Bürger in Amt,
Beruf und Politik so gerne erfreuen möchte, und das ihm die men
schenfreundliche Weichheit des modernen Luthertums" immer wie
der zu verschaffen weiß. Kein tolleres Missverständnis als das, zu
hoffen oder zu befürchten , Gnade könnte ein Ruhebett für « Theo
retiker » und Mystiker werden (6,15-16). Kein hinterlistigerer Vertei
digungsversuch des mit Recht um seine Existenz besorgten (morali
schen ! ) Menschen als der, angeblich um jenes lutherische Missver
ständnis zu vermeiden, Ethik auf innerweltliche Zweckbegriffe statt
auf den Begriff der kritischen Negation aller Zwecke, auf Güter und
Ideale statt auf die Vergebung der Sünde zu begründen . Keine törich
tere Maßregel allzu sprungbereiter, allzu sehr nach Ethik schreiender
Neubekehrter als die, die Gnade zu verdächtigen, aus Begnadigung
k-k
1. Abdruck ( 19222): «dieses Leibes, ein Zurückbleiben der Letzteren in
Ungehorsam».
1
1. Abdruck ( 1922²): «diejenige» . Korrektur in Barths Handexemplar.
" Möglicherweise ein Echo auf Müller, Streiflicht, S. 281 : Barth «umgibt die
reformierte Welt. Seine Freunde sind religiös-sozial. [...] Wir aber sind Lu
theraner, uns ist von Jugend auf die Welt, wie sie ist, als gottgewollte und
unabänderliche Ordnung dargestellt worden. Bei uns hat die dumpfe und das
ganze Leben praktisch beherrschende Ergebung in den gegenwärtigen Welt
zustand nur ein ganz ungenügendes und praktisch nahezu bedeutungsloses
Gegenwicht gefunden: die tatenlose Hoffnung auf eine bessere Welt.>>
580
und Betätigung des Menschen zwei getrennte Funktionen zu machen
und jenseits der Gnade zu sog. « Lebensversuchen » überzugehen. Si
cherer als so kann man nicht dafür sorgen, dass der «Leib» wieder
eigenen Rechtes wird. Eine andere, eine wirkliche und wirklich ethi
sche Beunruhigung des Menschen außer der durch Gnade gibt es
nicht, und nur dadurch, dass der Gesichtspunkt der Gnade durch alle
Instanzen hindurch festgehalten wird, kann der absolute Angriff auf
den Menschen, der der Sinn aller Ethik ist, gewährleistet werden .
« Als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer: eure sachge
mäße Gottesverehrung. » Welches kann bei der allgemeinen Lage zwi
schen Gott und Mensch der Sinn des eben geschilderten primären
ethischen Handelns, einer «sachgemäßen Gottesverehrung » sein? Er
wurde früher (6,19.22) bezeichnet als «Heiligung» . Dieser Begriff ist
nun näher zu deuten. Etwas heiligen heißt es für Gott aussondern,
bereitstellen, es ihm darbringen und anbieten, wie es schärfer in dem
Begriff Opfer bezeichnet ist. Die auf Grund der Erbarmungen Gottes
an den Menschen gerichtete Ermahnung lautet dahin , seinen Leib,
d. h. aber sein sinnlich - anschaulich - geschichtliches Dasein als «Op
fer» zur Verfügung zu stellen. Opfer bedeutet Preisgabe, Verzicht
leistung des Menschen zugunsten der Gottheit, bedingungslos ge
machtes Geschenk. Ist er selber Gegenstand (4171 dieser Preisgabe,
Verzichtleistung und Schenkung, so kann sein Opfer nichts anderes
sein als die rücksichtslose Anerkennung jener Infragestellung und
Beschlagnahme, die ihm von Seiten" des unerforschlichen Gottes wi
derfährt; das Opfer, das er durch die immer zu erneuernde, nie erle
digte Rückkehr zu Gottes Erbarmen und Freiheit zu bringen hat, das
Opfer, dessen Härte und Größe wir uns am besten am Gedanken der
doppelten Prädestination, wie wir ihn Kap. 9–11 kennen gelernt ha
ben, klar machen. Es führt uns also die « Ermahnung» in primärer
Handlung auf den zurück, in dessen Namen allein ermahnt werden
kann. Das Problem der «Ethik» ist identisch mit dem der «Dogmatik»:
Soli Deo gloria! Alles sekundäre ethische Handeln aber, von dem
nachher einiges zu sagen ist, muss sich an dieses primäre anschließen,
aus ihm hervorgehen, aus dem Zusammenhang mit ihm seinen Cha
rakter als «lebendig, heilig, Gott wohlgefällig», als – gut, d. h. als unter
m
I.
Abdruck ( 1922 ): «seitens» . Korrektur in Barths Handexemplar.
581
--
dem Telos des Lebens stehend (6,23) empfangen. Wobei folgendes
wohl zu beachten ist: Ein Opfer ist nicht etwa eine menschliche
Handlung, in der sich der Wille Gottes vollstreckte in dem Sinn, dass
der Opfernde durch sein Handeln ein Organ Gottes!? würde. Ein
Opfer ist vielmehr eine Demonstration zur Ehre Gottes, von Gott
gefordert (denn Gott will geehrt sein), aber an sich eine menschliche
Handlung so gut oder so schlecht wie irgend eine andere. Gott bleibt
allein Gott auch dem größten Opfer gegenüber, und sein Wille geht
nach wie vor seinen eigenen Weg. Nur ein Kind könnte meinen, ein
Maifeierumzug sei die Arbeiterbewegung, für die er doch nur demon
strieren kann, was einen klassenbewussten Arbeiter nicht hindern
wird, seine Teilnahme an solcher Demonstration als höchst geboten
anzusehen. Also: Notwendige und geforderte Demonstration, aber
auch nur das, ist alles Ethos, auch das primäre Ethos der gebrochenen
Linie, der gebeugten Anbetung des erbarmenden Gottes. Es gibt kei
nen «Lebensversuch», und wenn sein Ethos von noch so hoher Qua
lität wäre, bei dem etwa ein Einswerden des Willens Gottes mit dem
Menschenwillen oder umgekehrt ein Aufgehen "des zweiten im er
sten, ein Erfülltwerden des ersten durch den zweiten“ stattfände. An
lass ist alles menschliche Handeln oder Nicht-Handeln, um auf das
allein wirklich dieses Namens werte göttliche Handeln hinzuweisen .
Eiserne Regel auch für die Ethik: kein Zusammenfallen von Akt und
Voraussetzung! Wo das Reich Gottes im «organischen Wachsen » 013
oder ehrlicher, aber noch anmaßender gesagt: im «Bau» gesehen wird,
da ist’s nicht das Reich Gottes, sondern der Turm zu Babel. Es gibt nur
den großen allgemeinen «Lebensversuch», an dem wir unter Furcht
und Zittern (vgl. Phil. 2,12] alle in unsrer Weise laborieren, bei dem
n- n
1. Abdruck ( 19222): «des letztern im erstern, [...] des erstern durch den
letztern». Korrektur in Barths Handexemplar.
0
Druckmanuskript: «in «organischem Wachsen »» .
I2
Gegen Römerbrief I, S. 468 (zu Röm. 12,1 ): « Vernünftig, d. h. logisch und
sachlich Gott gegenüber werden wir erst, wenn wir [...] das Organ, durch das
die Welt auf mich und ich auf die Welt wirke, zu einem göttlichen Organ
werden lassen. »
13 Vgl. Römerbrief I, S.485 (zu 12,11 ), wo sich zwar nicht wörtlich die Wen
dung «organisches Wachsen » findet, aber doch die Rede ist von «Hingabe an
das stille Wachstum des Gottesreiches » .
582
sich aber der Wille Gottes (418 ) und der des Menschen nie auch nur
auf Haaresbreite berühren oder decken. Die Reinheit des Ethos selber
fordert es (wir meinen uns auch darin mit Kant durchaus zu begeg
nen! ), dass auch hier keine Vermengungen von Himmel und Erde
stattfinden . Denn die Reinheit des Ethos hängt an seinem Ursprung,
sein Ursprung aber muss dadurch gesichert werden , dass wir trotz
alles romantischen Drängens dabei verharren, Gott Gott und Mensch
Mensch zu nennen. Die dadurch bedingte Bremsung, Enttäuschung
und Entmutigung des Menschen kann nur vom Guten sein. Möge
dieser Mensch an seiner «Entmutigung» begreifen lernen, worum es
geht, wenn sich das ethische Problem meldet!, wenn er es etwa vor
her noch nicht gewusst haben sollte. Es gibt innerhalb des großen
allgemeinen «Lebensversuchs» nur die Möglichkeit, Demonstratio
nen durchzuführen : Handlungen, die als bedeutungsvolle Hinweise
und Zeugnisse zur Ehre Gottes bestimmt sind. Ob sie der Ehre Gottes
tatsächlich dienen, das ist, weil sie seiner Ehre dienen sollen, ganz und
gar ihm zu überlassen. Er nimmt an und verwirft. «Er wird einen
jeden bezahlen nach seinen Werken » (2,6) nach seiner Wahl und Schät
zung. Zu diesen Demonstrationen zur Ehre Gottes gehören außer
dem primären ethischen Handeln alle aus ihm fließenden, sich daran'
anschließenden sekundären Handlungen. Und eben darin besteht die
Legitimität des Anschlusses der letzteren an das erste', ihre Qualifi
kation als «gut» also, dass sie die Preisgabe des Menschen, seiner
Macht und seines Rechtes und also das Erbarmen und die Freiheit
Gottes verkündigen, dass sie lauter Rekurse sind auf das göttliche
Wählen oder Verwerfen und auch als solche nicht mehr als Gleich
nisse und Zeugnisse sein wollen und wiederum in ihrer Bedeutung
auch als solche jederzeit dem göttlichen Wohlgefallen anheimgestellt
sind. Denn immer wieder (von unten gesehen: in unendlicher Reihe,
von oben gesehen: ein für allemal) ist nur das das «lebendige, heilige,
Gott wohlgefällige Opfer», das nicht mehr als Opfer, nicht mehr als
Demonstration sein will, und das nicht einmal durch solches Nicht
mehr - sein -Wollen die Freiheit Gottes antastet. Was da genannt mag
р
9-9
I. Abdruck ( 19224): «und des». Korrektur in Barths Handexemplar.
r
I. Abdruck ( 19224): «wenn das ethische Problem sich meldet».
S
1. Abdruck ( 1922²): «daran sich». Korrektur in Barths Handexemplar.
1. Abdruck ( 1922²): « erstere » .
583
werden an Pflichten , Tugenden und Gütern, es liegt auf dieses Messers
Schneide, es hängt an diesem Faden, ob der Mensch, der sie übt und
pflegt, bereit ist, wirklich zu opfern, d. h. aber nur zu opfern, nur zu
demonstrieren und eben damit Gott die Ehre zu geben. Denn was
darüber ist, das ist vom Übel [Mt. 5,37], und wenn es die Heiligkeit
und Reinheit einer Märtyrerjungfrau wäre. Wer hier Gott für einen zu
harten Herrn hält, als dass er ihm diese «sachgemäße Gottesvereh
rung » darbringen möchte, der kehre um, denn er hat zu viele Güter
(vgl. Mt. 19,22 par.] ! |4191
Und daraus ergibt sich nun von selbst, warum und inwiefern das
auf Grund der Erbarmungen Gottes geforderte Ethos auf die große
Störung des Menschen (jedes Menschen !) hinauslaufen muss. Ich er
mahne euch, « euch nicht zufügen in die Gestalt dieser Welt, wohl aber
in ihre Verwandlung ». Vom Sinn der sekundären, die gebrochene Li
nie veranschaulichenden ethischen Handlungen ist hier offenbar die
Rede. 'Wogegen sollen sie demonstrieren und wofür ?' Damit, dass sie
grundsätzlich Handlungen des geopferten, also des nicht-siegreichen,
nicht-triumphierenden, nicht-rechthabenden Menschen sind (was
übrigens nicht verhindert, dass sie die Form von Sieg, Triumph und
Recht durchaus haben können! ), ist alles gesagt. Die « Welt», von der
hier die Rede ist, ist diese Welt, dieser «Äon», die Welt der Zeit, der
Dinge und des Menschen, die uns allein bekannte und allein vorstell
bare Welt, in der wir leben, die Welt, in der wir mit dem «Leibe» (zu
dem selbstverständlich auch ein allfälliger Astralleib ' gehören würde)
unabtrennbar und unabgrenzbar eins sind, in der also der Mensch
("samt allen seinen möglichen und denkbaren zwischenweltlichen
Verlängerungen “) der Mensch ist und bleibt. Diese Welt hat eine
« Gestalt», ein Schema, ein Grundgesetz. Es besteht in dem allgemei
nen Drang zum (geschaffenen !) Licht, zum Leben, zur Fülle, zur Zeu
t-t
1. Abdruck ( 1922²): «Gegen was sollen sie demonstrieren und für was ?» .
Korrektur in Barths Handexemplar.
u-u
1. Abdruck ( 19222): «aller seiner möglichen und [...] Verlängerungen un
beschadet! » . Korrektur in Barths Handexemplar.
14 Nach der Lehre der Anthroposophie ist jeder physische Leib von einem
Ätherleib und einem Astralleib umgeben und ist dieser letzte offen für Ein
wirkungen aus der geistigen Welt; vgl. K. Baral, Art. «Anthroposophie», in:
RGG+ 1 , Sp. 529f.
584
gung und also zum Gezeugten, zum - Geschöpf. In dem Drang nach
Genuss, Besitz, Erfolg, Wissen, Macht und Recht, nach einer als er
strebbar und erreichbar vorgestellten Vollkommenheit, nach - dem
Werk also, sofern der Mensch, der Geniale (genialis heißt laut Wör
terbuch «hochzeitlich», genius noch deutlicher geradezu « das liebe
Ich» ! ' s) das geheimnisvolle Zentrum dieses Kosmos sein soll'. Viel
leicht verfehlen wir uns am wenigsten, wenn wir die « Gestalt dieser
Welt » inhaltlich bestimmen als das «Schema des Eros» . Diese «Ge
stalt» der Welt tragen wir alle in allen unsern Handlungen alle Tage bis
an der Welt Ende. Nur keine Illusionen, als ob es etwa ethische Hand
lungen gäbe, die ohne diese Gestalt, die unbekleidet, d. h. nicht «ero
tisch » als Liebe, Redlichkeit, Reinheit, Tapferkeit u. dergl. auftreten
würden. So wenig es ein reines Denken gibt als Akt, so wenig ein
reines Wollen . So gewiss jeder Denkakt als solcher Wähnen ist, so
gewiss ist jeder Willensakt als solcher Libido, Begierde. Aber auch
keine Unterschätzung unserer Lage darf stattfinden. Gibt es keinen,
der die Gestalt dieser Welt nicht trüge, so gibt es auch keinen, der sie
trägt, ohne im primären ethischen Handeln des Opfers eben darum
bereits begriffen zu sein. Denn «die Gestalt dieser Welt vergeht»
( 1.Kor. 7,31 ). Das Ziel jenes allgemeinen Lebensdranges ist sein Ende.
Der Zeugung (420 unmittelbar gegenüber steht der Tod. Was ge
schaffen ist, ob Geschöpf oder Werk, ist für die Zeit geschaffen. Wenn
Geschöpf oder Werk in ihrer höchsten Schönheit zu uns reden (Mo
zart !), dann, gerade dann ist's tiefste Wehmut, die da redet. Wer wüsste
das nicht? Wer wüsste nicht, dass unser « Leib » der «Leib des Todes »
ist (7,24) und dass in Wahrheit kein anderes Handeln uns übrig bleibt
als das Abstellen seines « Betriebes » ( 8,13) ? Wer hätte nicht die Erin
nerung, dass dieses Handeln geboten ist, und wer wäre nicht, indem er
sich erinnert, schon in diesem Handeln begriffen ? Wer wäre also nicht
existentiell ein schon Geopferter? Wir brauchen bloß zu dem, was uns
als tiefste Problematik und darum als tiefste Wahrheit bedrängt, eben
so existentiell Ja zu sagen, wie wir existentiell davon bedrängt sind
" Druckmanuskript: « sollte» .
Is Barth bezieht sich anscheinend auf Stowassers Lateinisch - Deutsches Schul
und Handwörterbuch, umgearbeitet von M. Petschenig, Wien/ Leipzig 19164,
S. 346: «So wird der Genius in gewissen Phrasen Stellvertreter des eigenen Ich».
585
(und wen wüssten wir, der hier nicht Ja sagt? – Es kennt der Herr die
Seinen! ), so gehorchen wir der «Ermahnung», so beginnt das sekun
däre ethische Handeln unmittelbar mit diesem primären, so geschieht
es, dass wir uns «in die Gestalt dieser Welt nicht fügen, wohl aber in
ihre Verwandlung ». Wo Eigenart, Eigenwille, Eigenmacht, Eigenrecht
des Menschen zusammenbricht, wo er der Geopferte ist und nichts
sonst (was vielleicht in einem Moment höchster Lebensbejahung und
-entfaltung der Fall sein kann! ), da handelt er ethisch, denn da ist das
Ende der Welt und die Auferstehung der Toten . Das Ethische einer
Handlung besteht in dem, was in ihr leuchtet - wir haben Gründe, uns
«nur» negativ auszudrücken - von Überwindung des Menschen, denn
das fügt sich unzweideutig nicht in die Gestalt dieser Welt, wohl aber
in ihre Verwandlung. Es gibt aber keine Handlung, die sich etwa an
sich nicht fügen würde in die Gestalt dieser Welt, obwohl es Hand
lungen gibt, die beinahe an sich den Charakter des göttlichen Prote
stes gegen den großen Irrtum an sich tragen. Und es gibt keine Hand
lung, die sich etwa an sich* fügen würde in die Verwandlung dieser
Welt, obwohl es Handlungen gibt, die so transparent sind, dass sie das
Licht des kommenden Tages beinahe erscheinen lassen. Es bleibt aber
dabei, dass alle Handlung als solche nur (aber was sagen wir «nur» ?)
Gleichnis und Zeugnis ist vom Handeln Gottes, das, weil es das Han
deln Gottes ist, nur (aber was sagen wir «nur» ?) in dery Ewigkeit und
nie in der Zeit sich ereignen kann. Also aufgewirbelter Staub « nur»,
durch den die marschierende Kolonne sich bemerkbar macht, Ein
schlagstrichter « nur>>, an dem es erkennbar ist, dass hier eine Granate
explodierte, Höhle im Berg «nur», die schließlich nur zu definieren ist
als der Ort im Berg, wo der Berg nicht mehr ist, ist jede noch so echte
« Haltung», jede noch so weit- und tiefgreifende «Betätigung», sind
alle noch so dringend als Beweis des Geistes und der Kraft ( vgl. 1. Kor.
2,4 ] |421 empfohlenen und gewünschten « Taten und Tatsachen » 16. So
W-w
1. Abdruck ( 19222): «die etwa an sich sich» . Korrektur in Barths Hand
exemplar.
X- X
1. Abdruck ( 1922?): «die etwa an sich sich». Korrektur in Barths Hand
exemplar.
у
2. Abdruck ( 1923 '): «die».
16
Anspielung auf L. Ragaz, Warum ich meine Professur aufgegeben habe?,
586
fern dabei notwendig neue Positivitäten entstehen, neue Standpunkte,
Rechthabereien, motorische Kräfte (vor dem alten Weltwagen )" in die
Erscheinung treten (und das geschieht jeden Augenblick !), fügen sich
auch solche Handlungen (also gerade das so gravitätisch betonte « Tat
sächliche» solcher Handlungen! ) durchaus in die Gestalt dieser Welt,
nicht aber in ihre Verwandlung. Der Mensch mit seiner triumphieren
den «Sache» oder auch mit seinem «Leiden», der Mensch mit dem
Genuss seines Erfolges oder auch seiner Tragik, der frohmütig zuneh
mende oder auch schwermütig abnehmende, der profitierende oder
auch allerlei opfernde, der lebende oder sterbende Mensch allein ist es
ja, der sich auch in den herrlichsten « Taten und Tatsachen » betätigt.
Der Mensch kann ja bei allen diesen Möglichkeiten in seiner Genia
lität, in seiner «Hochzeitlichkeit», in seinem «lieben Ich» noch ganz
sicher, unangefochten und unerschüttert sein. Das schwere Bedenken,
das sich auch von dieser Seite gegen die Möglichkeit des « Freitodes» 18
erhebt, braucht wohl bloß angedeutet zu werden. Es können ja ein
fach alle diese Möglichkeiten (und je höher sie steigen, je endgültiger
ihr Charakter ist, desto wahrscheinlicher!) prometheische Möglich
in: Neue Wege, Jg. Is ( 1921 ), S. 283-293 , dort S. 290, wo Ragaz, ohne Namen
zu nennen , seinen Gegensatz zu Barth und Thurneysen berührt: «Gilt es aber
nicht, dafür (scil. für das Durchbrechen auf einen neuen Weg der Vertretung
der Wahrheit Gottes) auf Gott zu warten ? - Ich kann diese Losung, die im
rechten Zusammenhang auch eine große undnotwendige Wahrheit bedeutet,
hier nur für verhängnisvoll halten. Es ist umgekehrt: Gott wartet aufuns. Er ist
bereit, uns neue Kräfte, neues Licht zu schenken, uns Quellen, Ströme wun
derbarer Hilfe zu erschließen, wenn wir wagen, im Glauben einen Schritt in
seine neue Welt hinein zu tun - ihm entgegen! Er bedarfder Menschen, um sich
kund zu tun. Nur mit ihnen zusammen will er sein Reich bauen. [...] Nicht eine
Reichs-Gottes-Theologie hilft uns, und sei sie noch so geistreich und schlag
fertig, sie schadet vielmehr erst recht und lenkt von Gott und den wahren
Kräften seines Reiches ab, sondern bloß Taten, Tatsachen – Taten Gottes, zu
denen glaubende und liebende Menschen ihm Gelegenheit geben, Tatsachen,
die auf diese Weise allein zustande kommen, die einer Welt, die aus Verzweif
lung nur an Gewalt, Geld und Genuß glaubt, aber im Grunde so gern an etwas
anderes glauben möchte, zeigen, daß Geist, Glauben und Liebe Wirklichkeiten
sind und sie darin die Wirklichkeit Gottes erleben läßt.>>
17 Vgl. Müller, Streiflicht, S. 275 : «Nein, der Weltwagen braucht tatsächlich
neue motorische Kräfte. »
18
Siehe oben S. 485, Anm . 37.
587
keiten sein. Wie könnte da der Ernst und die Kraft des Ethos, der
Ernst und die Kraft der großen Störung in « Taten und Tatsachen »
liegen ? Es gibt aber Handlungen, aus denen das Opfer leuchtet, der
geopferte Mensch und darum nicht der Mensch in irgend einer neuen
positiven oder negativen Menschlichkeit, sondern Gottes Eigenart,
Eigenwille, Eigenmacht, Eigenrecht - Gott der Herr. Und dieses
Leuchten stört den Menschen, den Idealmenschen nach dem Schema
Ludendorff-Lenin und den Idealmenschen nach dem Schema Foer
ster-Ragaz", denn es ist der Angriff auf den Menschen überhaupt, auf
diesen Menschen in dieser Welt, auf den Genialen (und wer wäre nicht
genial ?), der Angriff, den wir alle so sehr fürchten, weil wir alle so
sehnsüchtig darauf warten , weil wir alle wohl wissen, dass uns nichts
Besseres widerfahren könnte, als endlich von unsrer Genialität er
löst zu werden. Es ist die sich ankündigende Krisis vom Tode zum
Leben. Und noch einmal: Wo findet die nicht statt ? bei wem könnte
man mit dieser «Ermahnung» nicht auf williges Gehör rechnen? wer
stünde hier als Gegner auf der andern Seite ? Hier sind alle Angreifer,
weil alle Angegriffene. Hier bekommen alle Recht, weil alle Unrecht.
Ein stärkerer Angriff auf die Bollwerke des Teufels als der hier geführ
te ist überhaupt nicht denkbar; es dürften aber bei diesem Angriff
auch etliche vermeintliche Bollwerke Gottes unter Krachen zum Ein
sturz kommen. Was hier geschieht, 4221 « fügt sich nicht in die Gestalt
dieser Welt, wohl aber in ihre Verwandlung».
Was aber können wir dafür tun, dass in unsern Handlungen das
Opfer, die Überwindung des Menschen und darum die Herrlichkeit
Gottes leuchte ? Dass sie nicht leere Schalen seien, sondern reife volle
Früchte ? Wozu kann man den Menschen in dieser Richtung ermah
nen, einladen, auffordern ? Dazu, wir haben es schon gesagt, Ja zu
sagen zu der Problematik seines Daseins, die seine Wahrheit ist. Man
588
kann ihn zum primären ethischen Handeln, man kann ihn - man kann
vor allem sich selbst - zur Buße ermahnen. Dieses primäre Handeln
aber, an das alles sekundäre sich anschließen muss, aus dem es seine
Leuchtkraft gewinnt, ist die Erneuerung eures Denkens, um also
Einsicht zu bekommen in das, was der Wille Gottes ist, das Gute und
Wohlgefällige und Vollkommene». Also doch wieder das Denken ?
Jawohl das Denken! Die primäre ethische Handlung ist ein ganz be
stimmtes Denken”0. Buße heißt Um -Denken . Die Schlüsselstellung
des ethischen Problems, der Ort, wo die Drehung geschieht, die auf
ein neues Tun hinweist, ist dieses Um-Denken. Wir wiederholen: auch
das Denken spielt sich in der Sphäre der Relativität ab, auch es ist nie
an sich Gerechtigkeit, die vor Gott gilt; auch das, dass etwa Gott in
uns denke, ist eine grandiose Illusion romantischer Philosophen
nein nur die Spitze der Demonstration zur Ehre Gottes kann es bil
den, keine Schöpferkraft wohnt ihm inne, und das esse im nosse ist
allein Gottes Wort und Werk : zu jener Teilnahme am reinen Denken
kann man also den Menschen nicht ermahnen. Es gibt aber einen
Denkakt, der eine Verheißung hat, einen Denkakt, der freilich nicht
als solcher, aber als Aufhebung seiner selbst und jedes Aktes identisch
ist mit jener «sachgemäßen Gottesverehrung», mit jener ein für alle
Mal gebeugten Anbetung Gottes und an den sich, sofern er sich voll
zieht ?und sich also als Akt aufhebt?, die « Einsicht in das, was der
Wille Gottes ist», die Weisheit der Wahl für den Augenblick, der rech
te «Weg » von selbst anschließt. Es gibt nämlich ein Denken des Ge
dankens Gnade, Auferstehung, Vergebung, Ewigkeit. Es fällt zusam
men mit jener Bejahung der tiefsten Problematik unsres zeitlichen
Daseins. Wenn wir in der Frage nach seinem Sinn den letzten, end
gültig letzten Sinn unsres zeitlichen Daseins erkennen, dann denken
wir in tiefster Erschütterung den Gedanken Ewigkeit. Darum ist die
tiefste Problematik unsres Daseins zugleich seine tiefste Wahrheit.
Z-Z
1. Abdruck ( 1922%): «und also als Akt sich aufhebt». Korrektur in Barths
Handexemplar.
20
Vgl. Müller, Streiflicht, S. 278: Bei Barth ist «das Hauptinteresse darauf
gerichtet», «den neuen Lebensimpuls im Denken und Spekulieren sich aus
wirken zu lassen, statt mit aller Energie seine lebendige Verkörperung zu su
chen» .
589
Das Denken dieses Gedankens ist das erneuerte Denken, es ist das
Um-Denken, es ist die Buße. Wir wissen, dass es, gerade sofern |423 | es
verheißungsvoll ist, sofern es als Denkakt sich selbst aufhebt, sofern
es teilnimmt am reinen Denken Gottes selbst, sofern es also ein « le
bendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges», ein angenommenes Opfer ist,
zeitausfüllend nie stattfindet, wir wissen aber, dass es « stattfindet ,
weil es die Krisis im Denken aller andern Gedanken ist. Und insofern,
im Blick auf die Schöpfung und das Werk Gottes, von dem «die sich
untereinander anklagenden oder auch entschuldigenden Gedanken
Zeugen sind» (2,15 ), kann man den Menschen dazu ermahnen. Man
kann und soll ihn einladen und auffordern, Buße zu tun . Man kann
ihn bitten, dieser ihm nur zu wohlbekannten Krisis aller seiner Ge
danken nicht auszuweichen, sondern sie zu bedenken , dem Worte
Gottes Gehör, dem Werke Gottes Raum zu geben. Und das genügt.
Die Gnade genügt, auch für die Ethik! Genügt: als die Drehung in der
Schlüsselstellung, die auf ein neues Tun hinweist, auf jene Handlungs
möglichkeiten zunächst, die schon an sich den Charakter des göttli
chen Protestes gegen den großen Irrtum , die Transparenz für das
Licht des kommenden Tages in hohem Grade besitzen. aaGenügt, den
Menschen in seiner verfluchten Sicherheit zu erschüttern und seiner
seligen Bestimmung durch den neuen Menschen in Christus zuzu
führen . Genügt, ihn aus seinem Schlaf des Gerechten aufzuwecken
und zu einem Geopferten zu machen. Genügt, ihn* «das Gute, das
Wohlgefällige, das Vollkommene» : das Handeln, das göttlicher Wert
schätzung begegnet, aus dem die Überwindung des Menschen und die
Herrlichkeit Gottes leuchtet, nicht ganz verfehlen zu lassen. Die
wohlfeilen und die berechtigten Einwände des Anti -Intellektualismus
treffen dieses Denken nicht. Denn im Denken des Gedankens « Ewig
keit»ab ist auch die Möglichkeit, durch das Denken irgend eines Ge
dankens gerecht zu sein, aufgehoben. Über intellektualistische Unart
aber sich zu ereifern !,> hat schon darum keinen Sinn, weil wir auch
hier allzumal Sünder sind (vgl. 3,23]. Ethos muss sich durch Logos so
aa - aa
1. Abdruck ( 19222): «Genügt, um den Menschen [...]. Genügt, um ihn [...].
Genügt,
ab
um ihn». Korrektur in Barths Handexemplar.
1. Abdruck ( 1922?): «der Ewigkeit». Korrektur in Barths Handexemplar.
21
Vgl. oben S. XX-XXI.
590
gut wie Logos durch Ethos an den Ursprung, an das Problem der
Existentialität seiner Akte erinnern lassen. Darum eben die Not
wendigkeit, gerade im Blick auf das wirkliche Leben das Wort Gottes
zu hören und zu reden . Darum die Notwendigkeit, gerade im Gedan
ken an die Frage: Was sollen wir tun ? das scheinbar so müßige Ge
spräch über Gott zu führen. Darum gerade angesichts einer Welt voll
drängender praktischer Aufgaben, angesichts des « Unfalls auf der
Gasse»??, angesichts der Tageszeitung - der Römerbrief, der «Pauli
nismus ». Wäre mit « Taten und Tatsachen » etwas «getan», das alles
könnte, wie die Schnellfertigen meinen, «in der Tat » unterlassen wer
den. Es ist aber, wie wir gesehen haben, 1424 damit nichts «getan».
Darum eben die Ermahnung zur Erneuerung des Denkens, zum Um
Denken, zur Buße - eine Ermahnung, der man gehorchen und der
gehorchend man etwas tun kann. Wobei wir noch einmal einschrän
kend, nein, unterstreichend feststellen , dass das letzte Wort der hier
notwendigen Belehrung von Gott selbst, von Gott allein gesprochen
wird. Er ist die große Störung der Dogmatiker und der Ethiker.
22 Der Ausdruck, leicht variiert übernommen aus dem Aufsatz von A.D.
Müller, lässt noch einmal erkennen, dass Barth sich in diesen Ausführungen
auseinandersetzt mit Müllers Vorwurf einer Vergleichgültigung der Ethik. Bei
Müller heißt es (Streiflicht, S. 282):«Man kann die Ergänzung, die wir Deut
schen brauchen, gar nicht präziser bezeichnen als Bismarck es einmal in Form
eines Urteils über die Brüder Gerlach, den General Leop. v. Gerlach und den
Präsidenten Ludwig von Gerlach tut: «Wenn wir drei hier aus dem Fenster
einen Unfall auf der Straße geschehen sähen, so wird der Herr Präsident daran
eine geistreiche Betrachtung über unsern Mangel an Glauben und die Unvoll
kommenheit unserer Einrichtungen knüpfen; der General wird genau das
Richtige angeben, was unten geschehen müsse, um zu helfen, aber sitzen blei
ben; ich würde der Einzige sein, der hinunter ginge oder Leute riefe, um zu
helfen.» Wer hilft uns den Schritt von der Studierstube auf die Straße, von der
Spekulation zur Hingabe [...] zu tun ?» Müller würdigt dann Barths Theologie
als heilsames «Gegengewicht» gegen einen « faden Pragmatismus», wirft ihm
aber vor, er führe in die entgegengesetzte « Gefahr» hinein, «im Denken, in der
philosophischen Begründung, in der bloß geistigen Verarbeitung, in der me
taphysischen Vertiefung des Unfalls auf der Straße stecken zu bleiben» (ebd.).
Dass Barth «Straße» durch « Gasse» ersetzt, könnte veranlasst sein durch einen
Ausspruch von W. Raabe, auf den sich Müller kurz zuvor (S. 275 ) beruft: «Seht
nach den Sternen und habt Acht auf die Gassen. »
591
DIE VORAUSSETZUNG
12,3-8
V.za So sage ich auf Grund der mir gegebenen Gnade zu jedem
von euch, er wolle sich in seinem Sinn nicht auf eine Höhe begeben,
die keinen Sinn hat, sondern darauf sinnen, besonnen zu sein.
Dies ist die große Störung: «Es fängt damit an, daß Gott die Liebe
ist, die den Menschen liebt, und dann zeigt es sich, daß Gott der ist, der
geliebt werden will. Freilich ist Gott kein Egoist, aber er ist das un
endliche Ego, das unmöglich umgebildet werden kann, um dir zu
gefallen, sondern du mußt umgebildet werden, um ihm zu gefallen. ...
Wie der Pfeil des geübten Schützen, wenn er von der Bogensehne
fliegt, sich nicht Ruhe gönnt, bis er am Ziele ist: so ist der Mensch von
Gott zu Gott als dem Ziele geschaffen und kann nicht eher Ruhe
finden als in Gott. ... Sobald ich das, was ich sage, existentiell aus
drücken will, also das Christliche in die Wirklichkeit setze: dann
sprenge ich gleichsam das Dasein , das Ärgernis ist sogleich da» (Kier
kegaard ).” Sofern der Mensch dieser unerhörten Störung ausgesetzt
ist, ist er in der Lage, zu « ermahnen » ( 12,1 ) und sich ermahnen zu
lassen. Als solcher Mensch redet Paulus ( 1,1 ). Die ihm «gegebene
Gnade » ist (hier wie 5,2) das paradoxe Faktum seines Apostolats ,
seine eigentümliche Lage, «extraordinär herauskommandiert »24 zu
sein als «Spion im höchsten Dienste » (Kierkegaard )2s . acSolche Men
schen setzt er aber auch als Hörer voraus , undac was immer zwischen
ihnen verhandelt wird, ist Erinnerung an das Stattfinden dieser uner
hörten Störung. «Ermahnung » ist darum der ganze Römerbrief . Dass
Gott Gott ist, das ist die Voraussetzung der Ethik , und alle ethischen
Setzungen sind nur ethisch als Erläuterungen dieser nie schon be
kannten , nie ein Weitereilen, ein zur Tagesordnung Schreiten erlau
benden Voraussetzung. Sie selbst will sich bekannt machen . Sie selbst
will weitereilen . Sie selbst will die Tagesordnung bestimmen und aus
ac -ac
I. Abdruck ( 1922°): «Auf solche Menschen rechnet er aber auch als Hörer,
und». Korrektur in Barths Handexemplar.
23 Kierkegaard, Buch des Richters, S. 104 (SKS 23 , S.446 [NB 20:99]) und
S.24143f. (SKS 22, S. 316 [NB 13:72]).
25
Kierkegaard, Buch des Richters, S. 64 (SKS 25 , S. 344 [NB 29:84]).
Kierkegaard, Buch des Richters, S.53 (SKS 20, S. 424 [NB 5 : 138]).
592
führen. Wer ist |425 | berufen, von Ethik zu reden und zu hören ? Wer
als Erstes und Letztes sagen und sich sagen lassen kann, dass es wohl
getan ist, « sich nicht aufeine Höhe zu begeben , die keinen Sinn hat».
Wir wissen, was das für Höhen sind, aber wir wissen es nie genug ( 12,1 ).
Kaum zum Absitzen genötigt, haben wir den Fuß schon wieder im
Steigbügel eines neuen Pferdes. Kaum aus der Fassung gebracht, ha
ben wir schon wieder eine «Sache» . Kaum belehrt, fangen wir schon
wieder an, zu belehren. Kaum desillusioniert über Historismus und
Psychologismus, droht uns in «Bibel», «lebendiger Gott» und « To
desweisheit» schon ein neuer Götze zu erstehen. Wer kann merken,
wie oft er fehle? (vgl. Ps. 19,23]. Es scheint, dass wir uns zu unsrer
Beschämung immer auf einer solchen Höhe befinden müssen, immer,
wie wir hörten, in einer Kirche. Wo man redet und hört, was von Gott
aus über unser Leben zu sagen ist, da entsteht ja die Kirche (9,6).
Welche Kirche ? Die Wahrscheinlichkeit ist unendlich, dass es wieder
um die Kirche ist, in der der Mensch irgendwie «auf der Höhe» sein
will. Und dann kann das, was von Gott aus über unser Leben zu sagen
und zu hören wäre, notorisch nicht, d. h. immer nur uneigentlich ge
sagt und gehört werden, je eigentlicher, je « wesentlicher » es tönt. Das
Ende dieser Kirche, das Ende aller «Höhen» mit allen Baalen und
Ascheren (vgl. 2.Kön. 21,3] ist die unanschauliche, die unmögliche
Kirche Jakobs. Sofort müssen wir uns also klar sein darüber, dass auch
die Mahnung, « darauf zu sinnen, besonnen zu sein », auf keine mög
liche menschliche Gerechtigkeit einer seelischen Haltung zielt, son
dern auf den ewigen Augenblick, da wir vor Gott erniedrigt und im
Unrecht sind, um von Gott erhöht zu werden und recht zu bekom
men. Aber darum ist die Mahnung nicht überflüssig. Als sekundäre
ethische Handlung kann es von höchster Bedeutung sein, uns das
Wissen anzueignen: es hat keinen Sinn, sich auf jene Höhe zu bege
ben ! Sofern unser Denken, Wollen und Tun titanisch ist (und wann
wäre menschliches Sich - Mühen nicht titanisch?), sofern es, auch
wenn wir uns dabei ausdrücklich um «Gott» mühen, das unverkenn
bare Kainsmal des Kampfes ums Dasein an sich trägt, sofern dabei
(offenbar unvermeidlich das alles! ) Fahnen aufgepflanzt, Firmen be
gründet, Türme errichtet werden, muss es zerbrechen an der Störung,
die der ganzen « Gestalt dieser Welt » ( 12,2) droht, zerbrechen am Ge
setz des Todes, dem nichts entgehen kann, was sich etwas zu sein
593
dünkt. Es kann aber geschehen, dass es nicht umsonst ist, wenn wir
das wenigstens wissen, wenn wir nicht ablassen, es uns wie mit Ham
merschlägen immer wieder einzuprägen, wenn wir also « darauf sin
nen, besonnen zu sein». Titanisch wäre freilich auch die heidnische
Tugend der « Besonnen - 426 heit», und wenn sie im christlichenad Ge
wande aufträte. Nicht auf sie etwa kann also dieses «Sinnen» gerichtet
sein. Es kann aber das Wunder geschehen, dass aus dem sekundären
menschlichen Tun der Erinnerung an Gottes Recht das Licht eines
« Besonnenseins » leuchtet, das nicht aus dem Menschen, nicht aus die
ser Welt ist. Es kann, wenn wir der «Ermahnung » gehorchen, ge
schehen, dass die Nebel menschlicher Einbildung, Rechthaberei und
Eitelkeit, mit denen ein Mensch sich umgibt und mit denen ihn andere
umgeben, zerreißen, dass der Zirkus, in dem man sich um die Wette
auf dem hohen Trapez produziert, plötzlich aus ist, dass das Gleichnis
menschlichen Denkens, Wollens und Tuns redet und ae dass sich an
diesem Menschen in seiner ganzen Menschlichkeit Gott verherr
lichte. Es ist das Wunder, wenn das geschieht und gesehen wird. Wir
können dieses Wunder nicht tun, wir können aber darauf zielen, wir
können unablässig bedenken, wie sinnlos unser Dasein auf der höch
sten Höhe ist, sofern dieses Wunder nicht geschieht. Es ist verhei
Bungsvoll, das zu bedenken; denn damit bedenken wir, und das ist's,
worauf alles ankommt, das Recht Gottes und kehren zurück auf den
Ursprung alles Ethos .
V.3 b-6a Es wird aber jene Abwehr des Titanismus und diese Zu
rückwendung zum Ursprung (die Voraussetzung der Ethik) merk
würdigerweise gerade durch den seiner Zweideutigkeit zu entkleiden
den Begriff des Individuums sichergestellt. Besonnen zu sein ermahne
ich euch, im Hinblick auf das Ziel des Glaubens, das Gott einem
Jeden zugewiesen hat. Denn wie wir an einem Leibe vieleaf Glieder
haben, wenn auch nicht alle Glieder dieselbe Verrichtung haben, so
sind wir in unsrer Vielheit ein Leib in Christus, wenn wir uns auch
als Einzelne zueinander verhalten wie Glieder und also auf Grund
der uns gegebenen Gnade verschiedene Begnadungen haben.
ad Druckmanuskript: «christlichsten ».
ac- ae
1. Abdruck ( 1922 ): «daß an diesem Menschen [...] Gott sich verherrlicht» .
af
2.
Abdruck ( 1923 ”): «vieler» .
594
Der Sinn des hier verwendeten Gleichnisses von Leib und Gliedern
ist bei genauerer Betrachtung nicht die romantisch -konservative, dem
katholischen Kirchenbegriff und allen seinen Derivaten zugrunde lie
gende Anschauung von dem Teilcharakter der einzelnen menschli
chen Persönlichkeit, von ihrer Relation zu einem aus vielen «Andern»
zellenförmig gebauten organischen Lebenszusammenhang. So gedeu
tet, redete das Gleichnis von einem (vermutlich erst noch unscharf
gesehenen) naturwissenschaftlichen und soziologischen Phänomen,
nicht aber, wie es bei Paulus zum vornherein zu erwarten ist, vom
Himmelreich. Auf Grund dieser Deutung des Gleichnisses wäre die
Mahnung, «auf Besonnenheit zu sinnen», nicht zwingend, nicht
ethisch. Woher sollte gerade der Begriff des 427| Organismus und der
organischen Bestimmtheit seiner Teile, so anschaulich er (wenigstens
auf den ersten Anblick !) das beschreibt, was wir Leben heißen, die
Bedeutsamkeit haben, den Menschen in seine Schranken zu weisen
und an Gott zu erinnern ? Woher nehmen wir den Begriff der christ
lichen Korporation, die als solche dem Einzelnen gegenüber das
Recht Gottes zu vertreten behauptet, woher die « Gemeinde», die
Pluralität, die - Masse der Gläubigen als Instanz zwischen Gott und
dem Menschen ? Gerade weil diese Deutung des Gleichnisses so ein
leuchtend, die ihr zugrunde liegende Doktrin über das Verhältnis von
Gott und Mensch so naheliegend ist (so naheliegend, agdass ihr auch
die Protestanten selten entgehen! ), kann sie (im Widerspruch auch
zur ersten Auflage dieses Buches muss es gesagt sein! 26) nicht richtigah
sein. Sie würde aus der paulinischen Linie gänzlich herausfallen. Gott
delegiert sein Recht gegenüber dem Menschen an kein noch so geistig
ag- ag
ah
I. Abdruck ( 1922 ): «dass auch die Protestanten ihr selten» .
I. Abdruck ( 19222): «die richtige».
26 Römerbrief I, S. 476 : « Also wird unsere Gemeinschaft nicht das Bild eines
Aggregats, eines Sandhaufens bieten, sondern, gleichviel ob unser Verhältnis
zueinander durch mehr oder weniger bestimmte Regeln geordnet ist, das Bild
eines Organismus, dessen einzelne Teile in sich vollendet sind, was gerade sie
sein müssen, ja sogar in sich vollendet je das Ganze repräsentieren und cha
rakterisieren – und doch nichts, gar nichts für sich sind, sondern im lebendig
sten Zusammenhang untereinander stehen. Der Geist, der uns zusammenge
führt, gibt uns von selbst diese Anschauung einer realen Lebenseinigung als
Norm unseres Zusammenseins an die Hand. »
595
gedachtes mittelbares Gebilde. Nicht auf dem Umweg über das Gan
ze», sondern in eigener Not und Hoffnung steht der Mensch vor der
Gottesfrage. Nicht « Teil » ist der Einzelne, sondern selber das Ganze.
Gewiss muss seiner Unbesonnenheit, seiner Hybris eine Schranke
gesetzt werden, aber nicht in einer Potenzierung seiner entelechialen
Naturbedingtheit kann diese Schranke bestehen, sondern gegenüber
treten muss zu diesem Zweck dem menschlich Gleichen das ewig
Ungleiche Gottes. Das Gleichnis von Leib und Gliedern kann jenen
naturphilosophischen Sinn nicht haben.
Gewiss soll dieses Gleichnis den Einzelnen an die « Gemeinde»
erinnern, d. h. an die andern Einzelnen. Denn eben am Problem des
Andern entsteht das Problem der Ethik, die Frage: Was sollen wir tun ?
Aber nicht die empirischen « anderen» Einzelnen als solche sind hier
gemeint als Subjekt und Objekt der « Ermahnung ». Gemeint sind hier
die Andern, sofern auch sie gerade in ihrer undurchsichtigen uner
forschlichen Andersheit Glaubende, von der Not und Hoffnung der
Gottesfrage Bedrängte, als Einzelne in Christus begründet sind. Ge
meint ist das reine transzendentale Ich, das unanschaulich das Subjekt
jedes anschaulich konkreten Du ist. Schon der Begriff der Zeit, an dem
für unser Bewusstsein dieses Du, das empirisch-wirkliche Individu
um, der konkrete Einzelne als der Ein-Malige entsteht, zeigt deutlich,
dass dieser als solcher nur ein Gleichnis, der «Anlass » für den Ewig
Einzelnen, Existentiell-Wirklichen sein kann. Was aber wiederum
nicht heißen darf, dass er dieses Gleichnis, dieser Anlass nicht wirk
lich ist, dass dieses transzendentale Ich, gerade weil es das ewige Ich
ist, nicht in jedem zeitlichen Moment gegenwärtig ist. Nein, der
barmherzige Samariter |428 | hat recht gesehen: gemeint ist der « Näch
ste » ( 13,9-10; Mk. 12,28–31 ; Lk. 10,25-37). Der Nächste aber ist
« jeder Mensch, denn durch seine Verschiedenheit von andern ist er
nicht dein Nächster, auch nicht durch das, worin er innerhalb der
Verschiedenheit von andern dir gleich ist. Dadurch, daß er vor Gott
dir gleich ist, ist er dein Nächster, diese Gleichheit aber hat unbedingt
jeder Mensch und hat sie unbedingt» (Kierkegaard ). Nun erst wird
es ganz klar, was die ethische Aufgabe, zu sinnen darauf, besonnen zu
sein, im Verhältnis zum andern für den einzelnen, der sich ihm gegen
an
1. Abdruck ( 1922 ): «Begnadung».
ao
1. Abdruck ( 19222): «sein, wollen» .
Druckmanuskript: «nun» .
600
nun «sekundäre ethische Handlungen» voll Gewicht und Bedeutung.
Da greift die zweckvolle Demonstration über vom «Sinnen» ( 12,3a)
aufs Reden von Zeugen, deren Reden wirklich Zeugnis ist. In dieser
«Gemeinde» scheinen ja überhaupt nur solche Zeugen, nur Handeln
de, Aktive, Kombattanten, scharf Schießende in Betracht zu kommen.
Lauter - Pfarrer scheinen hier vorgesehen, aber noch einmal: was für
Pfarrer! Da ist von menschlichen Bedürfnissen überhaupt nicht die
Rede, sondern nur von dem einen Bedürfnis Gottes, dem alle sich zu
fügen haben. Da fährt wie eine Kugel aus dem Rohr ein Jeder seine
Bahn, darf es, muss es, kann es, weil er ein Ziel, das Ziel hat. Da tut
keiner « Teilarbeit», da gibt es keine Disziplinen und Ressorts, da tut
Jeder, indem er das Seine tut, das Eine, das das Ganze ist.
« Vielleicht » Einer als Träger des « prophetischen Wortes» . Wir be
hüten uns mit Recht vor Allem, was uns mit der Allüre des Prophe
tischen, mit dem Anspruch der Vertretung des «ganz Andern» ent
gegentritt. Wir sind schmerzlich gewöhnt daran, jene Allure in sich
selbst zusammenbrechen", das ganz Andere immer wieder kom
promittiert zu sehen durch etwas sehr Anderes. [432 Aber das drin
gende Anliegen bleibt, dass Einer komme und uns in der Tat das «ganz
Andere» in seiner nicht zu brechenden Fremdheit vor Augen stelle. Ist
«vielleicht» ein Einzelner, sein Eigenes, Verschiedenes gebeugt unter
das «Vielleicht der Gnade, redend «dem Glauben gemäß», in der
Sachlichkeit Gott gebend, was Gottes ist, dass Gott reden kann durch
ihn, als ob eral nicht er wäre – ist er als solcher der Eine, dann ist seine
Prophetie die einzige ethische Möglichkeit, neben der es keine andre
gibt, die keiner Ergänzung, keines Gegengewichtes bedarf. Denn weil
ihre Einzigheit Einheit bedeutet, bedeutet sie, dass sie genügt und dass
die Hybris des Einzelnen ausgeschlossen ist.
« Vielleicht» Einer, der den « Sinn für das Dienende », für das Helfen ,
für das Praktische hat. Paradoxerweise kann auch die Betätigung die
ses Sinnes die einzige ethische Möglichkeit sein, und der Einzelne, der
sie hat ohne Hybris, der Eine. Wir haben Grund vor der Parole: Die
nen ! Helfen ! Praxis ! zu erschrecken. Immer wieder wird sie ja von
Martha ausgegeben, die um keinen Preis hören, sondern, ach ja, «die
ap 1. Abdruck ( 1922?) und 2. Abdruck ( 19233): «zusammenzubrechen» . Kor
rektur nach Druckmanuskript .
aq
1. Abdruck ( 1922 ): « er» .
601
nen » will [vgl. Lk. 10,40). Aber das Anliegen, dass den Menschen
geholfen werden muss, besteht trotzdem zu Recht. Dienen heißt zeit
liche Wunden verbinden, um die ewige Wunde, die sich nicht schlie
Ben darf, offen zu halten, der Leiber gedenken, damit die Seelen nicht
verderben, nicht vorübergehen an dem unter die Räuber Gefallenen
wie jener Priester und Levit (vgl. Lk. 10,31-32]. Denn gerade für den
priesterlichen Menschen, dem alles an der Erkenntnis Gottes liegt, ist
die Frage: Wer ist denn mein Nächster ? keine Frage mehr. Helfen ist
das tätige Sehen dessen, was Priester und Levit nicht sehen wollten.
Praktisch ist, was den Menschen unweigerlich in die « Theorie», in das
Schauen seiner großen Not und Hoffnung hineinführt. « Vielleicht» ist
der Einzelne, der nichts tut, als dass er den Menschen dient, aber
wirklich in ihrer Not, wirklich in ihrer Bedrängnis, wirklich in der
Krisis ihres Daseins ihnen dient, vielleicht ist er, gehört habend, dass
man auch als Praktiker nicht recht haben kann, der Diener Gottes, der
barmherzige Samariter (vgl. Lk. 10,33-35), d. h. aber Maria, die das
gute Teil erwählt hat (vgl. Lk. 10,42), und wiederum ist dann auch sein
Tun genügend und gefahrlos.
« Vielleicht» Einer « als Lehrer». Die Heilsbotschaft von Christus,
das Wort Gottes als «Lehre» ?! Theologie als Wissenschaft?! Wir mei
nen die Fragezeichen zu kennen, die hier zu setzen sind. Wir setzen sie
mit. Wir hören Kierkegaard: «Professor darin, daß Christus gekreu
zigt wurde.»29 Wir hören Overbeck: Theologen «die Dümmlinge der
menschlichen Gesellschaft».39 Nein, es geht wirklich nicht ! Aber wie
derum : « Vielleicht»! Das Anliegen der 1433 | Theologie besteht jeden
falls, gerade angesichts des großen Fragezeichens, so gewiss dieses
Fragezeichen das – Ausrufzeichen der Auferstehung ist. Wir beden
ken die fast unvermeidliche Möglichkeit, dass bei seiner Erledigung
das Christentum durch unser Reden und durch unser Schweigen
dies wäre «gegen» Overbeck zu sagen – verraten wird. Das Anliegen
aber besteht: erstens sich durch die Bibel belehren zu lassen über den
Sinn des Wortes Gottes in dem Augenblick, wo es seine Quelle ver
lässt und Menschenwort wird, zweitens den unversöhnlichen Gegen
satz des « Christentums» (alsoar des Repräsentanten dieses Menschen
ar Druckmanuskript: «als».
29 Kierkegaard, Buch des Richters, S. 136 (SKS 23 , S. 301 [NB 18:72]).
30 Overbeck, Christentum und Kultur, S. 173f. (OWN 6/1 , S. 209).
602
wortes) zu aller menschlichen Kultur und Unkultur durch ehrliche
Darstellung seiner 1900jährigen Niederlage « historisch » aufzudecken,
drittens möglichst untumultuarisch und darum « systematisch » die
dem Menschen als solchem gesteckten Grenzen abzuschreiten und
dabei unermüdlich festzustellen, was die ihm durch jenes gegensätz
liche, immer unterliegende Menschenwort und durch seine eigene
Begrenztheit gestellte Gottesfrage für ihn bedeutet, viertens Jedem,
der sich unterwindet, Pfarrer zu werden , die dringende Warnung vor
Illusionen, Sicherheiten und Menschendienst, die dringende Mah
nung zur Sachlichkeit als « praktische » Theologie mit auf den Weg zu
geben. Auch Theologie könnte merkwürdigerweise nicht nur eine,
sondern die einzige ethische Möglichkeit sein. Auch der Einzelne, der
«als Lehrer zur Belehrung» wirkte, könnte – der Eine sein.
« Vielleicht» Einer « als Prediger», als Ermahnender, Tröstender,
Einladender. Hier ist offenbar des «Pfarrers» insbesondere zu geden
ken. Der Pfarrer als einzige ethische Möglichkeit ? Wer staunte da
nicht ? Aber was gibt's da zu staunen ? Offenbar doch nur das, dass
etwa Psychologie, Moral, etwas biblische Geschichte, Gemeinnüt
zigkeit, kirchliche Tradition, persönliches Erleben notwendige, zwin
gende Themata sein sollten. In der Tat nicht. Wohl aber die Verlegen
heit, die Gott dem Menschen bereitet, die Verheißung, die er von Gott
hat. Ist «vielleicht» ein Einzelner unter Furcht und Zittern ( vgl. Phil.
2,12] auf dieses Thema gestoßen, ist es ihm existentiell so wichtig ge
worden, dass er kein anderes mehr wählen könnte, sieht er ein, dass,
wenn gepredigt werden soll, Kreuz und Auferstehung und Buße der
einzige Gegenstand der Predigt sein kann, dann ist das Predigen die
einzige ethische Möglichkeit, dann kommt es zur Predigt, zu Ermah
nung, Trost und Einladung, dann ist dieser Einzelne in seiner Ver
schiedenheit wiederum - der Eine, gerade als Pfarrer berufen , gerecht
fertigt, erwählt und Gott wohlgefällig.
« Wer auszuteilen hat: in Einfalt. Wer eine 1434 Autoritätsstellung
hat: im Ernst. Wer Barmherzigkeit übt: in Heiterkeit. » Weiter greift
also die Demonstration über vom Reden der mancherlei Zeugen aufs
Tun im engeren Sinn. Warum gerade dieses Tun: Austeilen, Autorität
haben, Barmherzigkeit üben? Ja warum ? Gnade heißt offenbar, dass
603
Geben seliger ist als Nehmen (vgl. Act. 20,35 ].Gnade heißt offenbar,
dass eine Autorität, etwas Imponierendes, Respekt Gebietendes auf
den Plan tritt. Gnade heißt offenbar: ein offenes und nicht ein klein
liches, verschlossenes Herz haben. In der Gemeinde», die Gemein
schaft ist, konstituiert durch den Einen, sind offenbar die Einzelnen
auf diese Möglichkeiten angewiesen, wirken offenbar gerade diese
« Begnadungen ». Die «Ämter» sind da mit der großen Störung des
Menschen durch Gott. Ohne diese Störung würde der Mensch, wie er
ist, wahrscheinlich nicht gerade das tun . Der ungestörte Mensch
pflegt weder auszuteilen, noch zu imponieren, noch Barmherzigkeit
zu üben. Es liegt ihm nicht, auch wenn es ihm möglich sein sollte, dem
Schein solchen Tuns Genüge zu leisten. Denn solches Tun zielt in
seiner ganzen menschlichen Fragwürdigkeit doch auf Überwindung
des Menschen. Wo geopferte Menschen sind ( 12,1 ), da pflegt sich mit
dem Zeugnis des Mundes solches Tun, solche Haltung, solches «Amt»
in irgend einer Form einzustellen. Dass diese Ämter ein Amt sind,
as
as dass sich die Verschiedenheit des Einzelnen nuras auswirken kann in
einer und derselben Sachlichkeit, dass hier Gott die Ehre gegeben
werdea , nicht Menschen in der natürlichen Richtung ihres guten Her
zens sich ausleben sollenay, dass alle «Ämter» unter dem Kreuz ste
hen, daran (nicht daran, dass sie da sein sollen; denn es ist merkwürdig
selbstverständlich, dass sie da sind !) ist hier zu erinnern. «Austeilen>>
wird in dieser Erinnerung geschehen «in Einfalt», in jener innern Frei
heit, die das Geben nicht feierlich und das Nehmen nicht bitter macht,
sondern Geben und Nehmen zu einem Zeugnis von der unerforsch
lichen Einfalt Gottes. Autorität wird dann geübt werden, weil sie da
ist, und nicht, um da zu sein, und gerade in dieser kritischen Be
stimmtheit «im Ernst» . Barmherzigkeit aber, weil die dem Menschen
von Gott widerfahrende Barmherzigkeit diesem nichts anderes übrig
lässt, als « in Heiterkeit», in dem wehmütigen Humor eigener letzter
Preisgegebenheit selber barmherzig zu sein. Im Schatten der escha
tologischen Möglichkeit also und nirgends sonst werden diese Mög
lichkeiten zu ethischen, dann aber auch sofort zu zwingenden und
jedesmal einzigen Möglichkeiten.
as - as
at
1. Abdruck ( 19222): «daß die Verschiedenheit des Einzelnen sich nur».
Druckmanuskript: «werden», vom Lektor oder Korrektor in «werde» ge
ändert.
au
2. Abdruck ( 19233): «wollen» .
604
Also die Begründung der Ethik durch die Konstituierung der Ge
meinde als Gemeinschaft ? Ja, in der Tat, dies ist die Meinung dieser
Verse. Die Gemeinde wird gebildet durch die Einzelnen in 1435 | ihrer
Beziehung zu Gott. Diese Beziehung realisiert sich aber in der Einheit
des Einzelnen, im Individuum. Dieser Eine jedes Einzelnen und also
die Gemeinschaft aller Einzelnen ist Christus. Eine andere Sicher
stellung des Ethos gegen die beständig lauernde Gefahr des Titanis
mus, eine andere Beziehung des Ethos auf Gott gibt es nicht. Diese
aber ist eminent, qualifiziert - kirchlich . Von der kommenden Kirche
Jakobs ist die Rede. Wir werden uns nicht wundern, sie nie und nir
gends zu sehen. Genug, dass die Kirche Esaus, die wir sehen, in ihrer
ganzen Fragwürdigkeit im Abglanz dieses kommenden Lichtes ste
hen kann . Es brauchte nicht ganz verborgen zu sein, und es ist nicht
ganz verborgen, dass, wo immer Gemeinde ist – «vielleicht» in ihrer
Einzelheitav konstituiert durch den Blick auf den Einen -, gerungen ,
gehofft und gelitten wird um die ethische Voraussetzung, und nicht
umsonst das alles .
POSITIVE MÖGLICHKEITEN
12,9-15
Röm. 1,1 hier zu beweisen. Jülicher sucht diese Lesart durch die Interpretation
«dem Herrn allein » zu stützen. Aber der Nachdruck liegt bei der ganzen Reihe
dieser Ermahnungen auf den Zeitwörtern , während die Hauptwörter nur das
jeweilige Problem bezeichnen . Sollte gerade V. 11c hier eine Ausnahme ma
chen, wie es sein müsste , wenn Jülichers «allein» berechtigt wäre ?34 Die Lesart
Xalom dovlevovtes, die ich demgegenüber vorziehe, bietet ein treffliches Pa
radox, das gerade an seinem von Lietzmann )s gerügten «üblen Klang» das
Merkmal der Echtheit haben dürfte. Begreiflich , dass ein humorloser Ab
schreiber mit Athanasius der Meinung sein mochte , ότι ου πρέπει τω καιρώ
dovlevelv årà tớ xvgią.36 Unbegreiflich aber, dass eine spätere Zeit im um
gekehrten Sinn korrigiert haben sollte. Aus Lietzmanns Darlegung entnehme
ich, dass dies auch als mechanischer Fehler nicht wahrscheinlich zu machen
ist.37
uveiais V. 13 scheint demselben Korrektor zum Opfer gefallen zu sein wie
καιρώ V. 13. Er machte daraus das verstandlichere χρείαις. Natürlich hat μνεία
mit Heiligenverehrung nichts zu tuns, sondern ist wie 1,9 zu fassen als « Ein
stehen für jemand», als «ein tatsächliches in freundlicher Unterstützung zum
Ausdruck gebrachtes Gedenken» (Zahn)39.
34 Vgl. Jülicher, Römerbrief, S. 77: «Aber dem Paulus kann man schlecht
zutrauen, daß er im Ernst dem Christen zumutete, er solle «dem Augenblick>
dienen, wie ein Weltweiser unter seinen Zeitgenossen es empfahl; hätte Paulus
unter «dem Augenblick> den der Parusie verstanden, so hätte er sich sehr un
verständlich ausgedrückt: und sich auf diesen Augenblick vorbereiten und ihm
dienen sind zwei verschiedene Dinge. Es wird bei «dem Herrn (Christus) die
nen, sein Bewenden haben. Ein Blick auf Kol. 3,24 enthüllt uns den Sinn des
Wortes: der Ton liegt auf dem Herrn , ihm allein sollen wir dienen: daraus
schöpfen wir die Kraft, um den Fleiß und den glühenden Eifer, den Paulus
vorher verlangt hatte, immer glänzender zu entfalten ». Jülichers Übersetzung
von 12,11 lautet: «Unverdrossen im Eifer, feurig im Geist, dem Herrn die
nend ! » .
35 Lietzmann, S. 105 .
36 Lietzmann, ebd.; Athanasius, Epistula ad Dracontium , 3 , MPG 25, 525C.
37 Lietzmann, ebd., folgert umgekehrt: «Die Variante kann mechanisch ent
standen sein» .
38 Vgl. Römerbrief I, S. 484f., Anm. ** und Anm. 21 .
39 Zahn, S.551.
606
Positiv -ethisch ist das Wollen und Tun, das der (vergehenden!) «Ge
stalt dieser Welt» ( 12,2) gegenüber negativ ist, das sich nicht in ihr
Schema, das Schema des Eros, fügt, das gegen den großen Irrtum
Protest einlegt. Im eigentlichen Sinn kann dies nur vom Wollen und
Tun Gottes gesagt werden. Ein absolut positiv-ethisches, tatsächlich
aus dem Schema des Eros herausfallendes, tatsächlich protestierendes
menschliches Wollen und Tun kennen wir nicht. Wir kennen aber ein
relativ positiv-ethisches Handeln, das, obwohl es zu den menschlich
diesseitigen Möglichkeiten gehört und die « Gestalt dieser Welt >>
durchaus trägt wie alle andern Möglichkeiten, doch von Haus aus,
kraft der unverwischbaren Disposition des Kosmos, die ihn auch in
seiner « jetzigen » Gestalt mehr oder weniger gleichnisfähig macht,
eine eros-fremde Tendenz, eine Tendenz zum Protest besitzt. Wir
müssen uns hier mit aller Vorsicht ausdrücken : Leichter mag es ge
schehen, dass unter allen möglichen Handlungsweisen gerade diese
voll Bedeutung und Hinweis, voll innern Leuchtens werden als etwa
andere (also z. B. leichter Liebe als etwa Hass). Eher mag es gesche
hen, dass die große göttliche Störung, das große Umdenken dem
Menschen gerade diese Möglichkeiten nahelegt. Wahrscheinlicher
möchte es im Rahmen gerade dieses Tuns zu jenem «Opfer», zu jener
Demonstration zur Ehre Gottes kommen, die durch die Gnade ge
fordert ist, wahrscheinlicher im Rahmen der Erfüllung der Gebote der
zweiten Tafel zur Erfüllung der Gebote der ersten. «Leichter», «eher»,
«wahrscheinlicher» sagen wir; denn die Notwendigkeit auch dieser
Handlungen, ihr Ethos liegt nicht in ihnen selbst, nicht in ihrem ma
teriellen Inhalt (der immer die « Gestalt dieser Welt» trägt), sondern in
ihrer Form, d. h. in ihrem Ursprung, in der Einheit des Handelnden,
und es bleibt die Möglichkeit offen, dass je und je als Werk der ersten
Tafel geboten sein kann, was den Geboten der zweiten widerstreitet40.
« Die Liebe sei aufrichtig !» Neben dem Eros steht als die größte
positiv-ethische Möglichkeit, ja als der Inbegriff der Gebote der zwei
ten Tafel, als der Inbegriff des innerhalb der «Ge- 437 stalt dieser
40
Vgl. Eberle, S. 171 (in Barths Exemplar teilweise unterstrichen ): Fasten
postille 1525. Epistel auf den 2. Sonntag nach Epiphanias.Röm. 12,6ff., WA
17/11,54,1-11.
607
Welt» relativ fremdartigen Handelns: Agape, die Liebe, als Liebe des
Menschen zum Menschen. Als Liebe des Menschen zu Gott nämlich
ist sie das große unanschauliche Werk der ersten Tafel, das existentielle
Tun des in der Gnade stehenden Menschen ( 5,5 ; 8,28f.), wie es in der
primären ethischen Handlung der Anbetung - bedeutet wird . Aber so
gewiss Gnade die Gnade des verborgenen Gottes ist und also die
schlechthinige Störung der Vitalität des bekannten Menschen, so
awgewiss sich diese Störung darinaw vollzieht, dass dem Menschen,
dem vermeintlich Einen, der Andere, der wahrhaft Eine in seiner gan
zen unerforschlichen Majestät begegnet, so gewiss endlich dem Men
schen die kräftigste Erinnerung an diesen Andern und Einen durch
die rätselhafte Tatsache des Mitmenschen auf den Weg gestellt ist, so
gewiss muss sich – wir betreten die Sphäre der Anschaulichkeit – die
primäre ethische Handlung der Anbetungfortsetzen oder übersetzen,
muss die mit solcher Anbetung anhebende und immer wieder anzu
hebende Demonstration zur Ehre Gottes ihren Fortgang nehmen in
der sekundären ethischen Handlung der Liebe zum Mitmenschen .
Anbetung bedeutet Liebe zu Gott (das existentielle, auf Gottes uner
forschliche Majestät gerichtete Tun des Menschen! ), sofern sie sich
bedeutungsvoll betätigt in einem der Liebe zu Gott entsprechenden
anschaulichen Tun gegenüber dem an sich unendlich gleichgültigen,
als Gleichnis des ganz Andern aber, als Anlass, ihn zu erkennen, als
Mandatar des unbekannten Gottes unendlich wichtigen Mitmen
schen. Der Mitmensch ist die anschaulich gestellte und anschaulich zu
beantwortende Gottesfrage. Die Antwort des Begnadeten, des in Lie
be dem Unerforschlichen Zugewendeten, ist, als anschauliches Ana
logon seiner eigenen Erwählung, mit fast unendlicher Wahrschein
lichkeit Agape als Menschenliebe. Anlass, den Nächsten in ihm zu
erkennen, ist der unter die Räuber Gefallene [vgl. Lk. 10,30—37], und
nur als solcher ist er – unanschaulicherweise – mein Nächster. Mehr
darf nicht gesagt werden. Eine direkte allgemeine « Nächsten-» und
Bruder- oder auch Fernsten- und Negerliebe ist nicht gemeint. Es
bleibt (im Hinblick auf die Doppelheit der Prädestination, in Erin
nerung daran, dass Gott auch der größten auf ihn gerichteten Liebe als
Gott frei gegenübersteht! ) die unter Furcht und Zittern (vgl. Phil.
aw - aw
1. Abdruck ( 19222): «gewiß diese Störung sich darin» .
608
2,12] zu erwägende, aber durch keine absolute Liebesethik zu besei
tigende Restmöglichkeit, Anbetung auch in einem andern anschauli
chen Tun bedeutungsvoll zu betätigen als in Menschenliebe. Worüber
Luthers überaus einsichtige Darlegungen (zu 12,14) über «Fluchen als
ein Werk des Heiligen Geistes»* ' zu vergleichen sind, und worin wir
auch mit dem wohl zu verstehenden ersten Johannesbrief nicht in
Kollision zu geraten fürchten . «Daß (438| also der Liebe Maß gegen
den Nächsten sei Gottes Wort; gleichwie das erste Gebot ein Maß ist
aller andern Gebote» ( Luther).^2 Nicht um eine verabsolutierende
Empfehlung der Liebe kann es sich darum hier handeln, so wenig es
sich etwa im Vorhergehenden ( 12,3–8 ) um eine Empfehlung von Ge
meinde, Prophetie, Theologie usf. handelte. Diese relativen Möglich
keiten sind da, und so auch: die Liebe als die größte relative Möglich
keit ist da, wo die Störung des Menschen durch Gott stattfindet. Wohl
aber ist hier zu erinnern an das Besondere, Charakteristische, Kriti
sche der Liebe, sofern sie als relativ größte positive Möglichkeit im
Bereich der Gnade da ist. Bedeutungsvoll soll sie sich betätigen: wirk
lich würdig ihres (geliehenen!) Namensax Agape, wirklich als positives
Ethos, wirklich als Protest gegen die Strömung, in ayder sich der
Mensch als Mensch befindetay. Das versteht sich nie und nirgends von
selbst. Denn wo tritt Menschenliebe anders auf als in der Gestalt, der
sie sich ja von Haus aus gerade nicht fügen sollte: in der Gestalt des
Eros ? Wo würde bei der Anbetung des unbekannten Gottes im Men
schen nicht etwas mitschwingen von der Anbetung des bekannten
Gottes im Menschen ? Wo wäre unsre Menschenliebe etwa ganz rein,
ganz sachlich, ganz unvermischt mit der in die Gestalt dieser Welt sich
fügenden Begierde, zu sehen, zu schaffen, zu gestalten, zu besitzen?
Eros ist nicht aufrichtig. Eros ist ein Heuchler. Er schlägt als biolo
gische Funktion nur zu schnell aus Hitze in Kälte um. Agape ist auf
ах
2. Abdruck ( 19233): « Nomens » .
ay - ay
1. Abdruck ( 1922 °): «der der Mensch als Mensch sich befindet ». Korrek
tur in Barths Handexemplar.
41 Eberle, S. 1709. (in Barths Exemplar unterstrichen): a.a.O., WA 17 /II,53,5
18.31-37.
42 Eberle, S. 171 (in Barths Exemplar unterstrichen): a.a.O., WA 17/II,53,38–
54,2 .
609
richtig. Darum hört sie nimmer auf (vgl. 1.Kor. 13,8), sondern nimmt
Teil an der Ewigkeit. Sie erinnert sich, dass es die Frage des verbor
genen Gottes ist, die uns in der Tatsache des Mitmenschen auf den
Weg gestellt ist, dass unser Tun ihm gegenüber unter allen Umständen
Gott verherrlichen soll, dass die Reinheit unsrer Beziehung zu ihm nie
in der Bezogenheit beruhen kann , sondern in ihrer durch «Umden
ken » immer neu zu vollziehenden Begründung, nicht in einem Re
sultat also (das Zielen auf das Resultat, und wenn es das reinste wäre,
ist immer das Zielen des Eros! ), sondern in dem in dieser Beziehung
immer wieder darzubringenden reinen Opfer, in der Reinheit des
Gehorsams also und des Respektes vor dem , der unser Opfer anneh
men oder auch nicht annehmen kann. Aufrichtig ist die Liebe, sofern
sie – das Ethos biegt zurück von den Geboten der zweiten Tafel zu
denen der ersten, von der sekundären Handlung auf die primäre; die
Beziehung ist Beziehung auf den Ursprung! – im Andern den Einen
sucht, dem Einen dient, den Einen meint, wie es in dem oft unvorsich
tig laut gerühmten sog. «Hohelied der Liebe» 1. Kor. 13 unmissver
ständlich beschrieben ist. « Ein jeder sein Gesichte mit ganzer Wen
dung richte |439| steif nach Jerusalem » ( Tersteegen )43 – auf die sichere
Gefahr hin, dass man dabei sich selbst und dem Andern «zu nahe
trete » .
« Verabscheut das Böse, klammert euch an das Gute!» – am Mit
menschen nämlich. In das Schema des Eros fügt sich gerade dieses
Unterscheiden ganz und gar nicht. Eros ist nicht nur unaufrichtig,
sondern auch unkritisch. Er weiß ja nichts von dem Andern im An
dern. Er sieht im Andern nur den, der er ist. Er «liebt» ihn in seiner
nicht-existentiellen Existenz, ohne zu merken, dass dies eben sein
«Böses » ist. Liebe aber ist das beständige Erwählen und Verwerfen des
Andern, das Erwählen dessen, was er nicht ist (und dies ist sein «Gu
tes » ! ), das Verwerfen dessen, was er ist (und dies ist in seiner Totalität
sein «Böses» !). Man beachte Blühers Hinweist darauf, dass rovnov
43 Schlusszeilen der Strophe 2 des Chorals « Kommt, Brüder, laßt uns gehen»
von G. Tersteegen (GERS ( 1891 ) 327; EG 393, mit Abweichungen). Barth
zitiert den ursprünglichen Wortlaut: Gerhard Tersteegen's geistliches Blumen
gärtlein inniger Seelen, nebst der Frommen Lotterie, nach der Ausgabe letzter
Hand, Stuttgart o.J., S. 328 .
44 H. Blüher, Die Aristie des Jesus von Nazareth. Philosophische Grundle
gung der Lehre und der Erscheinung Christi, Prien 1921 , S. 254.
610
wörtlich « lastvoll» bedeutet, d. h. das allem psychologisch Wirklichen
durch sein Verflochtensein in die Gegebenheit anhaftende Zweideu
tige, Nicht-Reine, den « Erdenrest, zu tragen peinlich»us, und als sol
ches das Böse. Liebe ist die Frage, die sich an den Andern richtet, die
drängende Frage: Was ist gut? Was ist böse ?, die Krisis, in die auch er
versetzt wird. Liebe ist darum , kraft ihres unvermeidlichen Rekurrie
rens auf die Liebe zu Gott, nie das scheinbar Eindeutige, Direkte,
Unmissverständliche, nach dem die Sentimentalen schreien. Sie kann
angenehm und unangenehm berühren , nachgiebig und unerbittlich
sein, Frieden halten und streiten. Gottes Wille «soll vorgehen über alle
gute Werke und Liebe, die ich dem Nächsten tun könnte; und wenn
ich könnte alle Welt selig machen auf einen Tag und wäre nicht Gottes
Wille, so soll ich's doch nicht tun » (Luther).46 Nur die Liebe, die die
Kraft hat, das Böse zu verabscheuen , hat auch die Kraft, sich an das
Gute zu klammern, zu vergessen, indem sie weiß, zu vergeben , indem
sie straft, ganz anzunehmen, indem sie ganz ablehnt, den Andern aus
seinem Ja heraus (aber aus seinem wohlverstandenen Ja und darum
wahrhaftig aus seinem Nein! ) zu begreifen, von dort aus ihn anzufas
sen, wo er von " Gott schon angefasst – ist!az Sie ist die Liebe, auf die er
(trotz seines klagenden Widerspruchs !) zuletzt und zutiefst wartet
und Anspruch hat, während Eros ihm gerade das wahrhaft Rechtfer
tigende und Erlösende immer schuldig bleiben wird.
«Seid gegenseitig zärtlich in der Brüderlichkeit!» Was liegt, wenn
wir alle vor Gott stehen, näher als der Gedanke, dass wir alle Brüder
sind ? Aber so gewiss dieses «vor Gott Stehen» sich nicht in die « Ge
stalt dieser Welt » fügt (der einzigen, die wir kennen! ), so gewiss liegt
Brüderlichkeit vor Gott als Ereignis nie und nirgends auf der Hand.
Bruderschaft ohne Furcht und |440| Zittern, ohne das Wissen, dass wir
nur in Gott Brüder sein können, alle direkte, spezielle, alle nicht
streng dienstliche Bruderschaft gehört in die Kategorie des groben
az - az
1. Abdruck ( 19224): « Gott angefaßt schon ist ! » . Korrektur in Barths
Handexemplar.
45 J.W. von Goethe, Faust II, V. 11954f. ( 5. Akt, Bergschluchten).
46 Eberle, S. 171 ( in Barths Exemplar unterstrichen): Fastenpostille 1525 .
Epistel auf den 2. Sonntag nach Epiphanias. Röm. 12,6ff., WA 17/II, 5 3,34-37
(Eberle: « soll ich’s », WA: «sollt ichs» ).
611
Unfugs ( 1,27!) und ist dem Herrn ein Greuel. « Zärtlich » heißt im
Römerbrief, heißt existentiell verstanden dienlichba, sachlich, aufs
Ziel gerichtet, kritisch. Nur in dieser Bestimmtheit ist Brüderlichkeit
Demonstration gegen die Gestalt dieser Welt, nur in ihr liegt die Über
windung des Versagens, der Rückschläge und Enttäuschungen, die
Alles, was wir als Brüderlichkeit kennen, unvermeidlich mit sich
bringt.
« Kommt euch zuvor in der Ehrerbietung!» Wiederum nahe liegt,
wenn es wahr ist, dass uns in der « Gemeinde», d. h. aber in der Person
des Andern das Geheimnis Gottes anschaulich begegnet, die Forde
rung des Respekts vor der Persönlichkeit. Dem steht gegenüber die
Misstrauen erweckende Tatsache, dass diese Forderung immer von
Solchen erhoben zu werden pflegt, die sich selbst nicht genügend
respektiert glauben. Sie erinnert uns an die Krisis, in der sich auch
diese ethische Möglichkeit befindet. Innerhalb der «Gestalt dieser
Welt» kennen wir Ehrerbietung nur als jenes gegenseitige Hutlüften
und Komplimentieren, bei dem jeder verkappterweise sich selbst
meint. Ethos liegt im Respekt, den wir vor den Andern haben, nur
sofern er unbedingter, nicht auf Gegenseitigkeit beruhender, sondern
r -kommender
zuvor- Respekt ist. Denn nur dann bedeutet er (und das
Ethos beruht in diesem Bedeuten ! ) den Respekt, den wir Gott schul
dig sind. Bedenken lernen, was Respekt bedeutet, ist der einzige Weg
zum Respekt vor der Heiligkeit des Menschen, ohne den die Gesell
schaft ein Tollhaus ist.
«Seid nicht träge im Ernstmachen!» Dass Paulus keinen Augen
blick kenne, in dem es nicht Ernst gelte (Jülicher )47, ist glatt zu be
streiten. «Ernstmachen » bedeutet laut 12,8 jenes sachliche Imponie
ren und sich Durchsetzen , das von einem Menschen ausgehen muss,
der wirkliche Autorität hat, weil er dem Andern gegenüber tatsächlich
den Einen vertritt. Gewiss, eine sehr naheliegende Forderung der
Menschenliebe: so sollten wir unter dem Eindruck der großen Stö
rung und um für sie und gegen die unverschämte Sicherheit des Men
schen zu demonstrieren, auftreten : Ernst machend, so dass jeder
ba
1. Abdruck ( 19222): «dienstlich» .
bb - bb
1. Abdruck ( 1922°): «was nicht ihr seid, wißt, tut! ».
bd
1. Abdruck ( 1922°): « Gebet: ».
616
der Glaube hervorbreche, fluche und wünsche, daß solch Hindernis
untergehe, auf daß dem Segen Gottes Raum bleibe» (Luther )"' – aber
nicht in diesem Zusammenhang. Gerade sofern der Verfolger den Be
gnadigten persönlich mit Leiden bedroht, ist er nicht der Feind, son
dern der Bote Gottes, der als solcher begrüßt sein will; er ist der An
dere in seiner finstersten Rätselhaftigkeit und also die Gelegenheit
sondergleichen, etwas relativ Unzweideutiges zu tun, in diesem Fall
den Griff nach der Waffe zu unterlassen, zu segnen, statt zu fluchen ,
um (in voller sachlicher Unerbittlichkeit) durch dieses Unerwartete
die von jenem befürchtete Störung erst recht groß zu machen. Solches
Segnen bedeutet dann zur Ehre Gottes mitten im Kampf ums Dasein
in besonders starker Weise, dass wir im Andern den Einen erkennen.
«Freuet euch mit den Fröhlichen, weinet mit den Weinenden!»
Einebe letzte Aussicht eröffnet sich am Ende der bisher verfolgten
Linie. Ist der Andere als Verfolger der Bote Gottes, warum nicht auch
der Andere in seinem Jubel und in seinem Jammer ? Sind etwa Fröh
lichsein und Weinen nur die Gipfelpunkte des biologischen (eroti
schen) Pathos ? Sollte es angebracht sein, sollte es eine sachgemäße
Antwort auf die uns hier durch den Andern gestellte Frage sein, der
Freude die stoische Überlegenheit und dem Schmerz die stoische Ge
lassenheit entgegenzustellen ? Nein, sondern wo gelacht und geweint
wird, da ist Anlass zu bedenken, dass das menschliche Pathos selbst
gerade in seinen Grenzpunkten so fragwürdig wird, dass es über sich
selbst hinausweist und gleichnisfähig wird. Es gibt ein Lachen, das das
Leben bedeutet, und es gibt ein Weinen, das das Sterben bedeutet. Es
gibt ein Lachen oder Weinen, das das Eine bedeutet. Gefährlich dann
aller Stoizismus und Moralismus, alles Belehren und Bekehrenwollen,
be
Im Druckmanuskript sind als gestrichener Text einige Zeilen der Vorstufe
der gedruckten Auslegung erhalten geblieben: «Wir berühren hier die letzte
positiv -ethische Möglichkeit, den Scheitelpunkt, wo das Eilen übergeht ins
Warten, von wo an das durch die Gnade gebotene Tun nun auch als Nicht- Tun
zu beschreiben ist. Wie sehr alle ethischen Möglichkeiten».
51 Eberle, S. 170f. (in Barths Exemplar unterstrichen ): Fastenpostille 1525 .
Epistel auf den 2. Sonntag nach Epiphanias. Röm. 12,6ff., WA 17/II,5 3,10–
12.14f. ( WA wie auch, orthographisch modernisiert, Eberle: «Und gehet hie
also zue, das fluchen widder fluchen geschiht, Gottis fluchen widder des teuf
fels fluchen. » – «das solch fluchen und hyndernis unter gehe. »).
617
alles materielle Kontrasthandeln. Es könnte dann gegen Gott streiten,
wie Michal gegenüber Davids Tanzen vor der Bundeslade (vgl. 2.Sam.
6,16 ] oder Hiobs Freunde gegenüber seinem Heulen (vgl. Hiob 4-28 ).
Der einzulegende Protest besteht hier erstaunlicherweise in der Be
jahung des Menschen in der höchsten Ekstase seiner Freude oder
seines Schmerzes. Das Ethos muss hier eingehen in jene paradoxe
Unkenntlichkeit des Sohnes Gottes, in das « Gleichnis des sündebe
herrschten Fleisches» (8,3 ). Der Freie muss hier frei tragen. Der Wis
sende muss hier wissend (445 | nicht - wissen. Denn die Demonstration
gegen die «Gestalt dieser Welt » muss gerade hier darin bestehen, den
Andernvergessen zu lassen, dass er uns der Andere ist; sondern sehen
soll er (um sich selbst zu sehen ! ), dass er uns in seiner höchsten und
tiefsten Bewegtheit Zeugnis des Einen ist. Es gibt ein Mitlachen und
Mitweinen mit dem von Eros, dem Lügner, hin- und hergerissenen
Menschen, das die Wahrheit, das das Erbarmen Gottes verkündigt.
Darum : Freuet euch mit denbf Fröhlichen, weinet mit den Weinenden !
Wie sehr alle ethischen Möglichkeiten einer letzten Krisis unterliegen,
wird gerade an dieser Forderung deutlich, in der die ausdrückliche
kritische Wendung unterbleibt und deren Wortlaut gleichzeitig die
größte Frivolität und - Jesus Christus unter den Sündern bedeuten
kann, eine Beobachtung, die gerade durch die Unsicherheit, in die sie
uns versetzt, mit erneuter Dringlichkeit von allem sekundären auf das
primäre ethische Handeln und darüber hinaus auf seinen Ursprung
verweist.
NEGATIVE MÖGLICHKEITEN
12,16-20
V. 16-20 Sinnet gegenseitig auf das Eine, indem ihr nicht nach den
Höhen sinnt, sondern euch herabführen lasst in die Niederungen !
Folgt nicht eurer zufälligen Einsicht! Vergeltet Keinem Böses mit
Bösem ! Seid auf das bedacht, was in den Augen aller Menschen gut
bf
2. Abdruck ( 1923 '): «dem».
618
ist ! Sofern es von euch aus möglich ist, haltet Frieden mit allen
Menschen ! Verschafft euch nicht selbst Recht, Geliebte, sondern
gebt das Feld frei dem Zorne Gottes ! Denn es steht geschrieben:
Meine Sache ist's, das Recht aufzurichten, ich werde vergelten !
spricht der Herr. Aber wenn deinen Feind hungert, so speise ihn!
Dürstet ihn, so tränke ihn ! Denn indem du das tust, wirst du feu
rige Kohlen auf sein Haupt häufen .
Negativ -ethisch nennen wir ein Wollen und Tun, das positiv ist in
seinem Verhältnis zur kommenden Welt, das sich einfügt in die Ver
wandlung dieser Welt ( 12,2). Wiederum kann dies im eigentlichen
Sinn nur von Gottes eigenem Willen und Tun gesagt werden. Wir
kennen keine menschliche Möglichkeit, auch keine negative, kein
Nicht- Tun, das an sich eine Möglichkeit des Himmelreichs wäre.
Wohl aber kann es, wie ein Wollen und Tun, so auch ein Nicht-Wollen
und Nicht- Tun geben, das in aller Relativität voll Gleichnisfähigkeit,
Zeugniskraft und Jenseitstendenz ist: mensch - 446 |liche Unterlassun
gen, die dringend hinweisen auf das ihnen unanschaulich gegenüber
stehende, das menschliche Handeln sozusagen aus dem Felde schla
gende ( 12,18) Handeln Gottes, seltsame Einbuchtungen der geraden
Linie des menschlichen Tuns, die das Vorhandensein eines Druckes
von unanschaulicher Ursache bedeuten und verkündigen können.
Sehr wahrscheinlich ist es, dass im Bereich der Gnade diese Unterlas
sungen stattfinden werden. Wir sagen nicht mehr, wir lehnen also
auch hier eine sog. präzise, eine absolute Ethik der sekundären Hand
lungen, ein Aufstellen von schlechthinigen Verboten ausdrücklich ab.
Denn was immer von positiven oder negativen Möglichkeiten ge
nannt werden mag, sind Möglichkeiten des Menschen, es sind zwei
deutige Möglichkeiten, die dem Vorbehalt Gottes, der richtenden In
stanz der ersten Tafel, der Krisis vom Tode zum Leben unterliegen.
Gerade in dieser ihrer Beziehung zum Ursprung sind sie ethische
Möglichkeiten, während gerade ihr Ethos verraten wird, wenn es in
ihnen selbst, in ihrem Inhalt gesucht wird.
* Sinnt gegenseitig auf das Eine, indem ihr nicht nach den Höhen
sinnt, sondern euch herabführen lasst in die Niederungen !» Nicht von
jenem allem Tun und Nicht- Tun als grundsätzliche Regel vorausge
bg 1 .
Abdruck ( 1922°): «es sind» .
619
henden «Sinnen auf Besonnenheit» im Gegensatz zum «Sinnen nach
einer Höhe, die keinen Sinn hat> ( 12,3 ), scheint hier zunächst die Rede
zu sein, sondern ganz konkret und anschaulich vom Verhältnis des
Menschen zu den bekannten «Höhen» und « Niederungen », zum « Ja »
und «Nein» der zufälligen Lebensinhalte. Und hier muss es nun aus
gesprochen sein, dass eine grundsätzlich misstrauische Stellung zu
Allem, was in dieser Welt «Höhe» ist, eine grundsätzliche Hinneigung
zu ihren « Niederungen » eine unvermeidliche Folge der Störung des
Menschen durch Gott ist. Gewiss ist die Auferstehung, wie wir öfters
hörten, die Negation aller diesseitigen Positionen und Negationen.
Das ändert aber nichts daran, dass Auferstehung am Rande gerade
einer diesseitigenbh Negation stattfindet, dass ihr anschauliches
Gleichnis bikeineswegs etwa ein Moment von Lebensfülle und -ent
faltung istbi, sondern das leibliche Sterben des Christus nach dem
Fleische. Die «Niederungen» unsrer zufälligen Lebensinhalte haben
relativ mehr Zeugniswert als die Höhen. Wir stehen tiefer im Nein als
im Ja. Wir möchten das Verständnis für diese Störung des Gleichge
wichts der Lebensbetrachtung geradezu als conditio sine qua non für
das Verständnis des Römerbriefs und seiner Botschaft aufstellen .
Gleichnis des Todes ist im Lichte der Auferstehung zunächst Alles,
was wir als Leben, Fülle, (447| Größe, Gestalt und «Höhe» kennen.
Gleichnis des Lebens aber ist in diesem Lichte der Tod und Alles, was
als Abnehmen, Klein- und Schwachsein , als Entbehren und Niede
rung » dem Tode verwandt ist. «Er muss wachsen, ich aber muss ab
nehmen. » [Joh. 3,30] . Das ist die große Störung. Ein Schatten von
Unwichtigkeit, Fraglichkeit und Bedenklichkeit fällt bidamit auf jede
«Höhe», nicht mehr zu ignorieren, jeden Punkt unsrer Tagesordnung
einzeln belastend, also nicht bloß in globo vorauszusetzen, nicht zu
umgehen durch rasche Proklamation des Interims, sondern immer
wieder zu beachten als die nie erledigte Frage, ob diese Proklamation
etwa berechtigt seibi. Das Christentum «sinnt nicht nach den Höhen ».
bh Druckmanuskript: «einer solchen diesseitigen ».
bi - bi
I.. Abdruck ( 1922²): «keineswegs ein [...] etwa ist». Korrektur in Barths
Handexemplar.
bi-bj 1. Abdruck ( 1922°): «damit – nicht mehr zu ignorieren, jeden Punkt unsrer
Tagesordnung einzeln belastend, also nicht bloß in globo vorauszusetzen, um
dann mit rasch wiedergefundenem <Idealismus, das Interim zu proklamieren,
sondern als nachdrücklichste und nie erledigte Frage, ob diese Proklamation
etwa berechtigt sei – auf jede Höhe»» . Korrektur teilweise in Barths Hand
exemplar.
620
Es liebt es nicht, von der schöpferischen Entwicklung der Welt, von
den vollendeten oder geplanten Entfaltungen und Aufbauten von
Wissenschaft, Technik , Kunst, Moral oder Religion, von körperlicher
und geistiger Gesundheit, von Wohlstand und Wohlfahrt, von den
Herrlichkeiten etwa der Ehe, der Familie, der Kirche, des Staates, der
Gesellschaft allzu laut und zuversichtlich reden zu hören. Es wirkt
nicht eben als Bestärkung in etwaigen « Idealen », ob es nun persönli
che oder kollektive, völkische oder internationale, humane oder kon
fessionelle, deutsche oder westliche, jugendliche oder reife, konkrete
oder abstrakte Ideale seien. Es steht der «Natur» sowohl wie der
«Kultur», der Romantik sowohl wie dem unentwegten Fortschritt
eher kühl gegenüber. Es ist überall, wo Türme gebaut werden, irgend
wie nicht recht dabei. Es hat zu diesem Bauen immer etwas Retardie
rendes zu bemerken. Es wittert dabei immer - mit einem menschlich
betrachtet unsympathischen, aber schwer wirklich zu widerlegenden
Misstrauen - die drohende Abgötterei. Es sieht in diesen Türmen
mindestens das Gleichnis des Todes. Es sieht den reichen Mann als
solchen zwar nicht im Tode, wohl aber in der Hölle und in der Qual
(vgl. Lk. 16,23]. Wogegen es den Menschen empfiehlt, sich «hinab
führen zu lassen in die Niederungen ». Es sieht die Wahrheit mehr im
Nein als im Ja. Es sieht die Lage des Menschen zwischen Himmel und
Erde als viel zu bedroht an, als dass es an das Stehen aller jener ste
henden Säulen, an den Wert aller jener Werte, an die Wichtigkeit aller
jener Wichtigkeiten im Ernst glauben könnte. Es sieht den Menschen
geführt, und zwar hinabgeführt. Es sieht eine große Hand rütteln an
allem, was ist und sein will. Es sieht das Fragezeichen oberhalb jeder
menschlichen Höhe . Es hört das heimliche Krachen im Gebälk. Und
es kann nicht übersehen und überhören, was es sieht und hört. Es liebt
darum die Armen, die Leidtragenden, die Hungernden und Dürsten
den (vgl. Mt. 5,3-4.6), die Unrechtleidenden. Es ist imstande, die
Ehelosigkeit sehr ernsthaft zu empfehlen (vgl. 1. Kor. 7,26], ohne |448|
die Befürchtung, mit der Fortpflanzung des Menschengeschlechts
«die Grundvoraussetzung alles positiven Denkens» aufzuheben,
« nämlich, daß das Leben irgendwie etwas Wertvolles sein muß» (Har
nack ) . Es fühlt sich den seltsamen Bemühungen der Asketen und
52
Vgl. Harnack, Marcion, S. 264: « eine Gottes- und Weltanschauung, die [...]
621
Pietisten mindestens verwandter als etwa der « gesunden evangeli
schen Volksfrömmigkeit», verwandter dem « russischen Menschen»
als seinen westeuropäischen Brüdern. Es geht an keiner noch so klei
nen oder noch so großen « Frage» des Lebens vorbei, aber es interes
siert sich eigentlich nur für die Frage in der «Frage» . Es ist immer da,
wo noch keine Lösungen vorliegen, nicht da, wo der Mensch wieder
mit sich ins Reine gekommen ist. Es hat - und darum haben die So
zialdemokraten auf weite Strecken seinen Beifall! - eine gewisse par
teiische Vorliebe für die Bedrückten, zu kurz Kommenden, Unferti
gen, Grämlichen und in Auflehnung Begriffenen. Es sieht den armen
Lazarus als solchen nicht geradezu bei Gott zwar, aber immerhin in
Abrahams Schoß (vgl. Lk. 16,23). Es sieht überall in den «Niederun
gen » mindestens das Gleichnis des Lebens, weil es nicht vergessen
kann, was Auferstehung bedeutet. Wahrscheinlich dort unten ist der
Mensch selig zu preisen ! sagt es, wahrscheinlich nicht dort oben! Stär
ker als so darf davon nicht wohl geredet werden. Denn dass jenes
Misstrauen und dieses Wohlwollen , jene Warnung und diese Verhei
Bung in der Anwendung auf konkrete «Höhen» und « Niederungen »
unsres Daseins immer nur gleichnisweise gemeint sind, das ist keinen
Augenblick außer Acht zu lassen. Gerade in concreto kann und muss
es sich von einem Augenblick zum andern fragen, welches nun die
«Höhen» sind, von denen das Christentum sich ab-, und welches die
« Niederungen », denen es sich zuwendet. Gemeint sind ja auf alle Fälle
die Höhen des Menschen und die Niederungen Gottes. In der An
wendung können (wir erinnern nochmals an unsre Ausführungen
über die Prädestination ) beständig die Ersten die Letzten und die
Letzten die Ersten sein (vgl. Mt. 19,30; 20,16 par.) . Es fragt sich, ob die
angeblichen « Niederungen » nicht längst zu «Höhen» geworden sind
und die Demut derer da unten zu stinkendem Hochmut, Problematik
zum Idol und «Zerrissenheit» zur neuesten Modetheologie, «das Pro
letariat» zum groben Dingbegriff und die Abneigung gegen die Kul
tur der «Welt » zu einer ganz unbegründeten Schrulle. Es fragt sich, ob
die Rolle der Turmbauer nicht längst von den Jasagern zu den Nein
die Askese so weit treiben muß, daß sie die Fortpflanzung des Menschenge
schlechts für alle unterbindet, kann nicht die richtige sein; denn sie hebt die
Grundvoraussetzung alles positiven Denkens auf, nämlich, daß das Leben ir
gendwie etwas Wertvolles sein muß. »
622
sagern übergegangen ist, ob nicht das Nein dieser Neinsager längst zu
dembk Ja geworden ist (zum Ja des zufällig im Nein sicher gewordenen
Menschen ! ), von dem sich das Christentum betrübt abwenden muss.
Es kann und muss sich fragen, ob nicht der unerschütterte bayrische
Bauer dem Himmelreich näher ist als der « russische 449 Mensch», ein
rechnender Ingenieur oder Kaufmann mehr in der Wahrheit als ein
über den Tiefen Gottes brütender Pfarrer, ob es sich nicht lohnen
dürfte, « herabgeführt in die Niederungen » aus- und einzugehen im
Welthaus, als ob nichts wäre, Frau und Kinder zu haben und lieb zu
haben, Wissenschaft zu treiben, Parteimann (auch nicht-sozialisti
scher) zu sein , die Kunst hoch zu halten, die Kultur zu « bejahen »,
vielleicht sogar im Lichte letzter Tragik und letzten Humors - Kir
chenmann zu sein. Und dasselbe Christentum , das dort die These
aufstellt, stellt ihr hier die Antithese entgegen. Es bleibt bei einem
gewissen Übergewicht, bei der großen Wahrscheinlichkeit der The
se; denn zu stark redet das Gleichnis des Todes, obgleich auch es nur
Gleichnis ist. Es bleibt aber auch dabei, dass das Christentum sein Ja
und sein Nein so und so verteilen kann. Es stellt auf und reißt nieder.
Es sendet aus und ruft zurück. Es gibt und nimmt. Immer in derselben
Absicht, nach derselben Logik und Regel: wider die «Höhen» für die
Niederungen , immer certitudo dem Menschen verleihend, aber, zur
Ehre Gottes und uns zum Trotz, nie securitas"), nie kontinuierlich in
der
bm
Anwendung, nie Einem oder Einigen von uns Recht gebend,
Muns nie ein Ausruhen erlaubendbm, immer wieder unsre Zeit an
Gottes Ewigkeit messend. Merken wir es etwa erschrocken , wie sehr
Druckmanuskript : « dem ».
bl Druckmanuskript : « größern ».
bm- bm
1. Abdruck ( 1922²): «nie ein Ausruhen uns erlaubend». Korrektur in
Barths Handexemplar .
623
wir uns mit allem unserm Tun in der Sphäre der Relativität bewegen ?
Eben das ist's, was wir merken sollen. Noch einmal: Relativität heißt
Bezogensein. Bezogen auf den Ursprung ist als Gegebenheit, als so
oder so bestimmte Haltung des Menschen, auch alles ethische Tun.
Eben das ist's, was das « Christentum » leisten kann und leisten soll:
das uns merken zu lassen. Eben das ist die Absolutheit der christlichen
Ethik, dass sie in ihrem Wesen ganz und gar nur in einer Frage und in
ihrer Entfaltung ganz und gar nur in Fragen besteht, in solchen Fra
gen, auf die nur Gott selbst die Antwort sein kann. In der Tat: er
schreckend klar wird es hier, dass alles menschliche Ethos nur de
monstrieren , nur bedeuten, nur opfern kann und dass nicht einmal in
diesem «nur» eine Beruhigung liegt, weil auch dieses «nur» die Erin
nerung an Gott ist, durch den uns die Frage: was sollen wir tun? mit
unausweichlichem Ernst gestellt ist. So umfassend ist das Nein des
Christentums, so dringend sein Hinweis auf die «Niederungen», so
gründlich die Störung, die es dem Menschen bringt, so tief der Schat
ten, in den es uns stellt, so gewaltig stellt es uns im Andern immer
wieder den Einen entgegen. «Sinnet gegenseitig auf das Eine! » Indem
ihr nicht nach den Höhen sinnt, sondern euch herabführen lasst in die
Niederungen , werdet ihr auf das Eine sinnen. Denn gerade die großen
Gegensätze, die sich aus der |450| Dialektik dieser Regel (aus der Regel
in der Regel:Soli Deo gloria! ) ergeben: die Gegensätze von « Kultur
verneinung und « Kulturbejahung», von « Enthusiasmus» und
« Wirklichkeitssinn », von « Todes » - und « Lebensweisheit»54, sie kön
nen und sollen sich in ihr auch immer wieder vereinigen zu einer
einheitlichen Betrachtung des Lebens sub specie aeterni. Gerade dass
diese Betrachtung nie als solche stattfindet, dass Keiner sie « hat », dass
sie ein Betrachtetwerden des Menschen ist, ist ihr unbedingt Einigen
des. Sind wir nicht in einem Spital krank? Stehen wir nicht unter einer
Anklage ? Sind wir nicht einem Gericht schon verfallen ? Und was
können wir dann tun, als gegenseitig auf das Eine sinnen ?
« Folgt nicht eurer zufälligen Einsicht!» (Spr. 3,7). Das ist die ne
gative Regel, die sich aus jenem sich Herabführenlassen zunächst er
gibt. Dort oben, welche « Höhe» auch in Frage komme, hat man « zu
fällige Einsichten» ( 11,25 ), man orientiert sich so oder so an den Not
56 « Das Glück im Winkel» hieß ein 1896 erschienenes Schauspiel von Her
mann Sudermann ( 1857–1928).
57 Siehe oben S. 109, Anm. 27.
628
sorgt das nötige Korrektiv!), « nicht nach den Höhen sinnend», « nicht
zufälligen Einsichten folgend » (12,16), gerade damit die Wahrheit der
kommenden Welt verkündigend, die die Wahrheit des Einen in Allen
ist.
« Sofern es von euch aus möglich ist, haltet Frieden mit allen Men
schen ! » Friedenhalten kann eine treffliche Demonstration sein. Sie
kann bedeuten, dass der Mensch von Gott so im Schach gehalten ist,
dass er nicht den Atem findet, um zu noch so berechtigten und wohl
gezielten Schlägen auszuholen. An sich ist ja die Situation zwischen
Mensch und Mensch immer verfahren , durchaus unfriedlich , ganz
zum Austeilen solcher Schläge nach links und rechts auffordernd. An
sich hat der Mitmensch keinerlei Anspruch auf Frieden; denn er reizt
uns sozusagen in jeder Gestalt als Verkörperung des nur zu bekannten
Menschen in immer neuen, immer ärgerlicheren Varianten seiner
grundsätzlichen Unbelehrbarkeit, Schrullenhaftigkeitbr, Verstockt
heit und gänzlichen Unliebenswürdigkeit. Es ist nicht von uns zu
verlangen, dass wir diesem Wesen , das uns (454) als unser eigenes Ich
genug Last macht, freundlicher begegnen, wenn es uns zufällig im
Andern begegnet. Und wenn uns der Streit mit dem Mitmenschen im
Gegenteil eine gewisse Entlastung im Streit mit uns selbst verheißt,
warum sollen wir nicht streiten ? Nichts ist natürlicher als der Krieg.
Aber der Krieg weist über sich selbst hinaus, gerade weil und indem er
immer letztlich gegen den bekannten Menschen gerichtet ist. Krieg ist
der Ausdruck dafür, dass wir den Menschen, wie er ist, in seiner Un
möglichkeit erkannt haben und los werden möchten, dass wir ihn
irgendwie im kritischen Lichte des Einen, der er nicht ist, sehen. Ein
verfehlter Ausdruck ! Denn unser Streit mit dem Mitmenschen be
wirkt auf keinen Fall die Verneinung des bekannten Menschen. Der
stirbt nicht, und wenn wir den Streit mit dem zufälligen Mitmenschen
bis zu dessen Vernichtung fortführtenbs. Die Verneinung des bekann
ten Menschen ist offenbar - Jesus Christus, der Eine in Allen. Im
Augenblick, wo wir das erkennen, müsste mit dem Streit mit uns
selbst auch der Streit mit dem Mitmenschen beendigt, weil gegen
standslos sein . In Christus scheint kein Krieg möglich. Er ist doch
br
bs
1. Abdruck ( 1922°): « Schrulligkeit». Korrektur in Barths Handexemplar.
1. Abdruck ( 1922°): «fortführen würden» . Korrektur in Barths Hand
exemplar.
629
unser Friede (vgl. Eph. 2,14] ! Es geht doch nicht an, Diesen oder Jenen
noch einmal extra damit zu belasten, dass auch er - ein Mensch ist! Es
geht doch nicht an, aus dem Recht Gottes gegen alle Menschen das
Recht eines Menschen gegen andere zu machen ! Es geht doch nicht
an , zu übersehen, dass gerade das anschaulich Provozierende am
Menschen Hinweis ist auf seine unanschauliche göttliche Rechtferti
gung! Der Krieg ist das natürliche Tun des Menschen, der, seinen
Aspekt vom Mitmenschen verabsolutierend, sein will wie Gott. Das
legt uns nahe, Frieden zu halten um jeden Preis und das mit allen
Menschen. Woher wollen wir auch den Atem nehmen, woher das
Pathos zum Streiten, wenn wir erkannt haben, dass wir nicht Gott
sind ? Müssen wir nicht einfach Frieden haltend demonstrieren für
Gottes Freiheit und Erbarmen ? «Sofern es von euch aus möglich ist»,
haltet Frieden! Wir wissen, warum wir auch hier nicht mehr sagen.
Die Grenze des von uns aus Möglichen ist Gott. Nichts von dem, was
wir Frieden heißen, ist – hier können wir Kant nicht folgen – auch nur
eine entfernte Vorstufe zum « ewigen Frieden», zum «Reich der prak
tischen Vernunft » .58 Um die Erkenntnis Gottes und seines Friedens
handelt es sich, wenn wir sagen, dass wir im Mitmenschen Jesus Chri
stus und darum im Krieg den Frieden sehen und dieses Sehen durch
Friedenhalten betätigen können und sollen. Gott ist aber nie erkannt,
er wird erkannt. Gott bleibt frei. Es bleibt die Möglichkeit, dass wir
mit uns selbst, und es bleibt, etwas entfernter, die Möglichkeit, dass
wir mit dem Mitmenschen zu streiten haben. Es bleibt der Vorbehalt,
dass 1455 Gott uns geradezu verwehren könnte, in diesem oder jenem
Mitmenschen Jesus Christus zu sehen. Wohlverstanden : Vom Vor
behalt Gottes ist die Rede: nicht zu verwechseln mit dem sog. «Mo
ratorium der Bergpredigt» , das der Lutheraner im Bedürfnisfall sich
58
Vgl. I. Kant, Zum ewigen Frieden . Ein philosophischer Entwurf, B inf.
und B 90, Akademie-Ausgabe, 1. Abt., Bd. 8, Berlin 1912, S. 386: « Wenn es
Pflicht, wenn zugleich gegründete Hoffnung da ist, den Zustand eines öffent
lichen Rechts, obgleich nur in einer ins Unendliche fortschreitenden Annä
herung wirklich zu machen, so ist der ewige Friede [...] keine leere Idee, son
dern eine Aufgabe, die, nach und nach aufgelöst, ihrem Ziele [...] beständig
näher kommt. » S. 378 : «Da heißt es denn: Trachtet allererst nach dem Reiche
der reinen praktischen Vernunft und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch
euer Zweck (die Wohlthat des ewigen Friedens) von selbst zufallen»,»
630
selbst zu bewilligen pflegt", nicht zu verwechseln mit dem Vorbehalt
etwaiger menschlicher Notwendigkeiten, und wenn es die höchsten
wären, kein Vorwand zu Kriegspredigten über das « gute Gewissen»
beim Dreinschlagen “ . Der Mensch soll kein « gutes Gewissen » haben
weder im Krieg noch im Frieden. Es weiß aber auch der aufrichtigste
Friedensfreund, dass wir beständig in der Lage sind, den Einen im
59 Die Wendung stammt ursprünglich aus dem britischen Pazifismus. So
lehnten Muriel Lester ( 1883–1968) und ihre Gruppe in Kingsley Hall in Lon
don 1914 ab, «to pronounce a moratorium on the Sermon on the Mountfor the
duration of the war» (s. Ambassador of reconciliation. A Muriel Lester reader,
hrsg. von R. Deats, Philadelphia PA 1991 , S. 39-56 ). Eine Rede von Sir William
Pollard Byles (1839–1917) im Unterhaus am 24.5.1916 machte den Ausdruck
weithin bekannt. Byles erklärte zur Behandlung eines Kriegsdienstverweige
rers: « That is what I regard as a moratorium of the Sermon on the Mount» (The
Official Report, House of Commons [sth Series), Vol. 82, Sp. 2204). Im
deutschsprachigen Raum wurde u.a. von Kurt Tucholsky «das bittere Wort
von dem Moratorium der Bergpredigt» erörtert: Macchiavelli, in: Die Welt
bühne, Jg. 14 ( 1918 ), Nr. 42 vom 17.10.1918, S. 357–359, dort S. 358. Barth
nimmt es wohl deshalb auf, weil im 1. Weltkrieg öfter in der Spur Luthers (vgl.
z.B.Die Zirkulardisputation über Matth.19,21 ( 1539), bes. WA 39/II,40,16–37 )
argumentiert worden ist, die Bergpredigt beziehe sich auf «die Einzelseele und
ihr Verhältnis zu dem ewigen Gott», sie sei aber «nicht auch zugleich ein
Gesetz für unser nationales Leben» (O. Baumgarten, Der Krieg und die Berg
predigt. Rede am 10. Mai 1915 [Deutsche Reden in schwerer Zeit 24), Berlin
1915 , S. 15 ). – Zur Auseinandersetzung über ein «Moratorium des Christen
tums »
vgl. K. Barth – M. Rade, Ein Briefwechsel, hrsg. von Chr. Schwöbel,
Gütersloh 1981 , S. 131f.
60 Siehe z. B. Barths frühere Kritik im Brief an Martin Rade vom 31.8.1914
(NW ,Jg.8 ( 1914), S. 429–432, dort S.431 = K. Barth –M. Rade, Ein Briefwech
sel, a.a.O., S.95 - 99, dort S.97): «Schweigen mit allen religiösen Beziehungen
auf das, was die Deutschen jetzt tun müssen, wäre auch ein Protest. Aber nicht
Gott in der Weise in die Sache hineinzuziehen, als ob die Deutschen [...] mit
gutem Gewissen schießen und brennen dürfen. Das nicht! Und gerade das, das
gute Gewissen predigen Sie jetzt, jetzt wo das schlechte Gewissen das christ
lich allein Mögliche wäre gegenüber der nun einmal vorhandenen weltlichen
sündigen Notwendigkeit. Wie soll es mit den Menschen vorwärts gehen, wenn
man ihnen jetzt – in diesem furchtbaren Ausbruch menschlicher Schuld – für
ihr Tun noch den Trost des guten Gewissens spendet ? Gibt es im gegenwär
tigen Augenblick [...] etwas anderes zu sagen als <Buße) ? Ja! sagen Sie, es gibt
etwas anderes, und lassen die Engel im Himmel sich über die deutsche Mo
bilisation freuen, lassen die deutschen Frauen ihr Kriegsgebet mit Trommel
schlag beten [...] » .
631
Andern auch nicht sehen zu dürfen, sein Böses zu verabscheuen ( 12,9).
Denn dieser Eine im Andern ist keine Gegebenheit. Insofern ist dann
die Demonstration des Streites und vielleicht des Krieges geboten.
Erkenntnis Gottes heißt in der Kriegsfrage, dass wir von jeder krie
gerischen Höhe herunter-, nicht aber, dass wir auf eine friedliche
Höhe hinaufgeführt werden . Sie führt zu Gott, nicht zu einem Tun
oder Zustand des Menschen, weder in den «Krieg» noch in den «Frie
den» . Eine Kirche, die weiß, was sie will, wird sich also mit starker
Hand den Militarismus, mit freundlicher Geste aber auch den Pazi
fismus – vom Leibe halten. Der Ernst des Gebotes, Frieden zu halten,
liegt darin, dass auch es das erste Gebot illustriert, dass auch es auf
Gott hinweist. Er liegt durchaus darin, dass es kein absolutes, kein
präzises Friedensgebot ist. Es ist dieses Gebot gerade in seiner Ge
brochenheit (« sofern es von euch aus möglich ist») Hinweis auf den
Frieden der kommenden Welt.
« Verschafft euch nicht selbst Recht, Geliebte, sondern gebt das Feld
freifür den Zorn Gottes! Meine Sache ist's, das Recht aufzurichten, ich
werde vergelten ! (Dtn. 32,35), spricht der Herr. Aber wenn deinen
Feind hungert, so speise ihn ! Dürstet ihn, so tränke ihn ! Denn indem
du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt häufen .» (Spr.
25,21-22). Wir halten nochmals inne beim Begriff des «Feindes». Was
wir- nicht tun sollen, ist an ihm offenbar am schärfsten zu zeigen. Der
«Feind » ist, wie wir schon hörten ( 12,14), der Andere in seiner größ
ten Unkenntlichkeit. Mehr als gegeben scheint hier unsrerseits jene
Notwendigkeit, nicht Frieden zu halten. Denn die ganze finstere Rät
selhaftigkeit des Mitmenschen scheint sich zusammenzuballen, alle
dumpfen Empfindungen und pessimistischen Urteile über ihn schei
nen Recht zu bekommen, die ganze Unmöglichkeit, aus dem biolo
gisch gegebenen Verhältnis |456 zu ihm, dem Verhältnis des Kampfes,
herauszutreten, scheint auf der Hand zu liegen in dem Augenblick,
wo er mir als «Feind» gegenübersteht, ob er nun der persönliche oder
der nationale, der Gesinnungs- oder der Klassenfeind ist. Denn wer ist
der «Feind » ? Die Psalmsänger wussten es: wahrhaftig nicht nur der
Konkurrent, der Gegner, der Widerwärtige, der Bedränger, sondern
der, der zu meinem Entsetzen vor meinen Augen objektiv Unrecht
tut, der mich den bekannten Menschen geradezu als den Bösen ( 12,17)
im Menschen erleben lässt und mir damit nahelegt, Böses mit Bösem
632
zu vergelten. Durchaus begründeterweise sieht Luther in seinem
Feind, dem Papsttum zu Rom, nicht nur einen Feind, sondern alsbald
den altbösen Feind wirksam. Durchaus begründeterweise taucht in
dem leidenschaftlichen Reden der Psalmsänger gerade vor Gott der
«Feind» als fast absolute Größe auf, der gegenüber sie nach der Rache
Gottes schreien (vgl. Ps. 7,7; 143,12] ! Der «Feind» ist der, der mir die
Augen öffnet für das, was mich am Mitmenschen immer heimlich
reizt. Er zeigt es mir als das Böse. Er zeigt mir, wie das Böse das Letzte
und Eigentliche ist an dem bekannten Menschen. Er zeigt mir, dass es
ohne Einschränkung, ohne Hemmung, ohne Widerspruch , ohne ein
Hindernis von innen oder außen einfach seinen Lauf nimmt. Er löst
den stürmischen Schrei aus in mir nach einer (nicht vorhandenen)
höhern, ausgleichenden, vergeltenden Gerechtigkeit, nach einem (ab
wesenden) Richter über ihm und mir. Wer wird mir so zur Krisis wie
der «Feind» ? b'Denn «was soll ich tun » , wenn ich nun das elementare,
überwältigende Erlebnis mache, dass jede vergeltende Gerechtigkeit
ausbleibt?bt Was soll ich tun, wenn buich mir am «Feind» klarbu werde,
dass das, was ihm gegenüber zu «tun» wäre, nur das – Böse sein könn
te, das Böse als das Werk jener höheren Gerechtigkeit, deren Auftre
ten dem «Feind» gegenüber ich eben so schmerzlich vermisse ? Un
heimlich nahe liegt hier offenbar die letzte höchste Versuchung des
Titanismus, die Versuchung, mir selbst Recht zu verschaffen, den
Kampf ums Recht aufzunehmen von mir aus, mich an Stelle des un
sichtbaren Gottes zu stellen und dem Feinde der Feind, dem Titanen
ein Titan zu werden ? Wer will mich richten, wenn ich das tue ? Bin ich
nicht, bedrängt von der Frage: wer schafft mir Recht?, doch nur weiter
geschritten auf der gewiesenen Linie der legitimen Frage: Was soll ich
tun ? Was soll ich denn Anderes tun angesichts des «Feindes » als mit
Wort und Tat, mit Gesetzes- und Waffengewalt, mit Macht- und
Wehrpolitik zürnend, strafend, richtend die Vertretung des abwesen
bt -bt
1. Abdruck ( 1922 ): « Denn «was soll ich tun ?» angesichts des elementaren
überwältigenden Erlebnisses des Ausbleibens jener vergeltenden Gerechtig
keit ? » .
bu - bu
1. Abdruck ( 1922²): «ich am «Feind» mir klar». Korrektur in Barths Hand
exemplar.
61 Siehe oben S. 347, Anm . 26 .
633
den Gottes übernehmen? Steht es so, dass der Mensch das objektive
Recht tun kann und tun soll, dann (457| ist der Kampf ums Recht
unvermeidlich. Eine moralische, d.h. eine auf dieser Voraussetzung
beruhende Widerlegung des Tirpitzischen Gedankenganges62 etwa
ist zum vornherein zum Scheitern verurteilt. Aber eben das: ob der
Mensch das objektive Recht tun kann und tun soll, ist ja durch die
Störung des Menschen durch Gott in Frage gestellt. Gewiss, man
kann es versuchen, das objektive Recht dem «Feinde» gegenüber zu
«tun». Aber ohne Titanismus, ohne den Griff nach dem Szepter Got
tes kann das gerade hier nicht abgehen, und was das bedeutet, das ist
wiederum gerade hier nicht zu verkennen: man begibt sich gerade
damit, dass man sich zürnend an die Seite Gottes stellt, auf das Feld,
das vom Zorne Gottes beherrscht ist. Denn das ist ja das Geheimnis
des «Feindes», dass auch sein Tun in seinem Wesen der Griff nach dem
Szepter Gottes ist. Auch er hat das Auftreten einer höheren Gerech
tigkeit irgendwie vermisst. Auch er ist auf der Linie der Frage: was soll
ich tun? vorgestoßen zu der Möglichkeit und zu dem Entschluss,
diese Gerechtigkeit mit eigener Hand aufzustellen. Wann wäre es dem
schlimmsten Feind nicht subjektiv um das - objektive Recht zu tun
gewesen ? Aber eben damit hat er mein Rechtsbewusstsein verletzt,
eben das ist das objektive Unrecht, das er in meinen Augen tut, eben so
wurde er zum Frevler an Gott und den Menschen. Es ist der bren
nende Zorn Gottes, der ihn dahingegeben hat an seines Herzens Be
gierde ( 1,24), der mir in ihm begegnet. Damit auch ich davon erfasst
by
1. Abdruck ( 1922²): « Tripitzschen ».
62 Siehe oben S. 578, Anm. 9. Vgl. auch z. B. von Tirpitz, a.a.O., S. 382f.: «Es
wurde durch unser scheinbar böses Gewissen der englischen Lesart Vorschub
geleistet, dass der Ubootskrieg etwas Unsittliches wäre. [...] So wurde das
deutsche Volk in seiner unbegrenzten Fremdgläubigkeit durch unser Schwan
ken irre, sah in dem englischen Hungerkrieg, welcher den Bankrott und den
Umsturz, Schwindsucht und Todesjammer in dies bis dahin so blühende Volk
trug, geduldig ein Stück göttlicher Weltordnung. Demgegenüber sollte der
Ubootskrieg grausam und unsittlich sein, er, der feindliche Schiffsladungen
traf und den Feind kaum Menschenleben kostete - in all den Jahren noch nicht
soviele Leben, wie an einem Tag Deutsche an der Westfront fielen oder wie
nach erfolgter Waffenstreckung durch die unmenschlich beibehaltene Hun
gerblockade täglich an deutscher Bevölkerung zugrund ging! »
634
werde? Damit also auch ich die Wahrung des Rechtes in meine Hand
nehme ? Noch einmal: ich kann es versuchen, ich muss es vielleicht.
Wie sollte es auch sein, dass ich eine andre Möglichkeit sehe als die,
dem Titanen titanisch zu begegnen ? Nur darf ich mich dann nicht
wundern, wenn ich an meinem eigenen titanischen, tragischen, Furcht
und Mitleid63 erregenden Schicksal wahrnehmen muss, dass auch ich,
in der Absicht, das objektive Recht zu tun, das objektive Unrecht
getan habe. Gerade das Aufrichtenwollen der höhern Gerechtigkeit ist
der Verzicht darauf. Denn « es enthüllt sich der Zorn Gottes über aller
Ehrfurchtslosigkeit und Unbotmäßigkeit der Menschen» ( 1,18), über
ihrer Gottlosigkeit im Bösen und über ihrer Gottlosigkeit im Guten " ,
über meinem Feinde und über mir, wenn ich meines Feindes Feind
sein will. Das ist die Kritik des Militarismus. Sie trifft aber im Vor
beigehen durchaus auch den Pazifismus. - Wer gibt das Feld frei, nicht
dem Zorne des Menschen, sondern dem Zorne Gottes ? Wer sieht, dass
es sich hier (aber nicht nur hier! ) darum handelt, dass das menschliche
Tun aus dem Felde geschlagen werde durch das überlegene Tun Got
tes ? Wer sieht, dass uns in der Dialektik des Lebens (die uns durch den
«Feind» nur besonders lebhaft (458) veranschaulicht wird) nichts An
deres übrig bleibt, als nach dem objektiven Recht zu fragen ? Das ist's
ja, was uns der «Feind » eigentlich zu sagen hat. Er nur zerreißt den
letzten Wahn, als ob für uns Menschen die Gerechtigkeit Gottes an
ders als im Bösen « tunlich » sei, er stellt sie uns gegenüber in ihrer
ganzen Ferne, Fremdheit und Untunlichkeit, sie erscheint an ihm nur
in ihrer völligen Abwesenheit, nur als Zorn Gottes, Gott selbst ganz
und gar nur als Deus absconditus. Was kann ich dem «Feind» gegen
über, sofern ich von kritischer Besinnung geleitet bin , Anderes tun als
von allem Tun zurückkehren zu einem ursprünglichen Nicht- Tun,
von allen Antworten zur Frage, von allem Handeln zur Vorausset
zung ? Welche Geste soll ich, sofern mir die Geste des Dreinschlagens
63
Anspielung auf die Definition der Tragödie bei Aristoteles, Poetik, 6,
1449b 24-28 , nach der sie durch « Mitleid und Furcht» wirkt.
64 « Von der Gottlosigkeit des Menschen im Bösen» und « Die Gottlosigkeit
des Menschen im Guten» heißen die Überschriften der Erklärungen zu Röm.
1,19f. und Röm. 2,1f.in: H. Kutter, Das Bilderbuch Gottes fürGroß und Klein ,
1. Römerbrief Kapitel 1-4, Basel 1917. Die beiden Kapitel wurden 1918 auch
als « Sonderdrucke » herausgebracht.
635
verwehrt ist, machen als die ganz und gar unmögliche, unpraktische,
in keiner Weise zu rationalisierende Geste: Hungert deinen Feind, so
speise ihn! dürstet ihn, so tränke ihn !, die nur bedeuten, höchst selt
sam bedeuten kann, dass ich gerade durch den «Feind», diesen höchst
vermummten Einen im Andern die stärkste Aufforderung gehört ha
be, Gott die Ehre zu geben ? «Meine Sache ist es, das Recht aufzurich
ten, ich werde vergelten ! spricht der Herr. » Als Zeugnis von diesem
Mein! und Ich !, als Demonstration für das gerade im Feinde erkannte
kommende Recht Gottes selbst, Gottes allein, um zu markieren, dass
der « Feind » uns ein Problem gestellt hat, das uns viel zu hart bedrängt,
als dass wir etwa ungebrochen den militaristischen Gedanken mit
denken könnten: Hungert deinen Feind, so speise ihn ! Dürstet ihn, so
tränke ihn ! Wir kennen das sich sofort meldende Bedürfnis, uns diese
Möglichkeit als Weg, Methode und Ziel, als – Möglichkeit praktisch
pragmatisch plausibel zu machen. Wir kennen aber auch die Belang
losigkeit aller Versuche, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Feindesliebe
ist nun einmal (das ethische Paradox: der Eine im Andern, macht sich
hier am unzweideutigsten geltend! ) als ein Tun des Menschen nicht
anschaulich zu machen. «Feurige Kohlen» sollen auf das Haupt des
Feindes gehäuft werden, d. h. unser Tun soll den Andern aus seiner
Stellung als «Feind» verdrängen durch einen unwiderstehlich ausge
übten Druck . Der Andere, der auch im «Feind» verborgenerweise der
Eine ist, soll genötigt werden, als der Eine aus dieser seiner Unkennt
lichkeit hervorzutreten . Dazu muss ich ihn erkennen als «Hungern
den und Dürstenden» . Ich muss sehen, dass er tatsächlich (auch wenn
er äußerlich betrachtet durchaus noch triumphieren sollte ! ) nichts
Anderes ist als ein Opfer seines tragischen Schicksals, geschlagen vom
Zorne Gottes, dass also eben das objektive Recht, das ich ihm gegen
über suche, schon aufgerichtet ist. Der Andere im geschlagenen, von
Gott geschlagenen «Feind » kann mir (459| nicht mehr unbekannt sein.
Er ist im Gleichnis des Todes der Eine. Aber diese Erkenntnis ist als
echte Erkenntnis nur tätig zu gewinnen. Darum : Speise, tränke ihn!
Mit dem von Gott geschlagenen Feind bist du solidarisch. Sein Böses
ist dein Böses, sein Leid ist dein Leid, seine Rechtfertigung ist deine
Rechtfertigung, und nur was ihn erlöst, kann auch dich erlösen. Gut
ist alles « Tun », das diese Korrelation zwischen dir und ihm manife
stieren kann, alles das Tun, das gemessen an dem, was Titanen unter
636
einander zu tun pflegen, nur als Nicht- Tun zu verstehen ist. Also eine
Niederung ist die Höhe, die du betrittst, ein Bedeuten ist dein Han
deln, wenn es sich zur Höhe der «Feindesliebe» erhebt. Dass die Fra
ge: was soll ich tun? anstoße an der Unmöglichkeit einer materiellen
Antwort, sich selbst erkenne als die Frage nach Begründung und Ziel
unseres tatsächlichen Tuns, sich umkehre in die Frage, auf die nur
Gott selber und sein Tun die Antwort sein kann, das ist das spezielle
Interesse, das die christliche Ethik gerade an der Feindesliebe hat. Das
ist ihre Bedeutung als Verkündigung der kommenden Welt.
Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege im Guten das
Böse! Jedermann unterziehe sich den jeweilen regierenden Obrig
keiten. Denn es ist keine Obrigkeit, die nicht von Gott ist, und es
sind die jeweilen vorhandenen von Gott eingesetzt. Wer sich also
gegen die Obrigkeit empört, widersetzt sich der Anordnung Got
tes. Die Widersetzlichen aber ziehen selbst das Gericht auf sich.
Denn die Machthaber bedeuten für das gute Tun keinen Schrek
ken, wohl aber für das Böse. Willst du also die Obrigkeit nicht
fürchten, so tue das Gute, so wirst du noch Anerkennung bei ihr
finden . Denn Gottes Dienerin ist sie dir zum Guten. Wenn du aber
das Böse tust, dann fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht
zum Schein. Denn Gottes Dienerin ist sie als Vollstreckerin des
Zorns an dem, der das Böse treibt. Daher der Zwang, sich zu un
terziehen, nicht nur wegen des Zorns, sondern wegen des Gewis
sens. Deswegen bezahlt ihr ja auch die Steuern: Sie die Macht
haber) sind Gottes Priester, waltend zu diesem einen Zweck. Gebt
ihnen allen, was ihr schuldig seid, Steuer, dem Steuer, Zoll, dem
Zoll, Furcht, dem Furcht, Ehre, dem Ehre zukommt.
Von den jeweilen bestehenden Ordnungen des menschlichen Ge
meinschaftslebens haben wir zu reden und davon, dass dies die (460|
große Demonstration fürbw die Ordnung der kommenden Welt sein
bw Druckmanuskript: «Demonstration für die Ordnung Gottes, für» .
637
soll, diese Ordnungen als solche nicht zu zerbrechen . Wir betreten
heißen, umstrittenen Boden mit dem, was hier zu sagen und zu hören
ist. Eine Warnung scheint nicht unangebracht, gerichtet an alle allzu
aktuell Interessierten und vor Allem an alle Sensationslüsternen: sie
möchten mit der Lektüre dieses Buches, wenn überhaupt, jedenfalls
nicht hier anfangen . Denn wer uns im Ganzen nicht versteht, wird es
hier am allerwenigsten verstehen, warum wir gerade das, warum nicht
mehr und warum nicht weniger sagen.
Das ganze Problem des verborgenen Einen im Andern, das uns
zuletzt in der zugespitztesten Form im Begriff des «Feindes» begeg
net ist, konzentriert sich in der Tatsache des Bestehens jener mensch
lichen Ordnungen. Ewig ist der Augenblick der Erinnerung an Gott
immer nur als Qualifizierung eines Augenblicks, eines Vorher und
Nachher in der Zeit. Absolut ist die ethische Krisis unsres Tuns immer
nur in Relation auf ein noch nicht oder nicht mehr « aufgehobenes»
Tun. Stattfinden kann die Entdeckung des Einen im Andern immer
nur an ganz bestimmten Andern, an der konkreten Vielheit der Ein
zelnen, die dem Einzelnen als das große Rätsel zur ethischen Lösung
aufgegeben sind. Sofort stößt die « Erneuerung des Denkens» ( 12,2),
die kritische Revision, der wir unser Tun in Beziehung auf seinen
Ursprung in Gott durch das Denken des Gedankens Ewigkeit unter
werfen, auf die merkwürdige Tatsache von schon geschehenen Qua
lifizierungen der Zeit, von schon vorliegenden Relationen menschli
chen Tuns auf das Absolute, von schon vorhandenen Vielheiten, die
die Lösung des Rätsels des Einen zu sein behaupten. Sie stößt auf eine
ganze Fülle von ethischen Gegebenheiten, nicht nur auf die mehr oder
weniger tumultuarischen Experimente der einzelnen Einzelnen, son
dern, scheinbar weit jenseits alles Zufalls und aller Willkür, in einer
Sphäre hoher Objektivität, auf die großen Positionen von Staat,
Recht, Kirche, Gesellschaft, in denen es die an die Gesamtheit gren
zende Vielheit der Einzelnen ist, die den Anspruch erhebt, schon Ant
wort zu wissen auf die ethische Frage: Was sollen wir tun ? Mit großer
Lebhaftigkeit und unterstützt von den handgreiflichsten Argumenten
behaupten diese Gegebenheiten, durchaus nicht nur Gegebenheiten
zu sein, sondern die von uns überflüssigerweise erst gesuchte Lösung,
Ordnung und Bahn des menschlichen Tuns. Sie fordern Anerkennung
und Gehorsam, und wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen,
638
ob wir ihnen das Geforderte gewähren oder verweigern wollen. Wäh
len wir das erstebx, so wählen wir offenbar das Prinzip 1461 | der Le
gitimität. Wählen wir das zweiteby, so wählen wir offenbar das Prin
zip der Revolution. Wir aber wählen als Demonstration zur Ehre
Gottes – nicht etwa das erstebz, wie die vorschnellen, oder vielmehr
(denn hier sind Alle zum vornherein Partei) die kontrerevolutionären
Leser dieses Textes wünschen - aber auch nicht das zweite", das
schon so mancher – andere Leser des Römerbriefs an dieser Stelle
heimlich zu finden hoffte, sondern (warum ? ist gleich zu zeigen, die
Negation des letztern . Nicht-Revolution ! sagen wir. Wir haben da
mit implicite auch schon Nicht-Legitimität! gesagt; wir haben aber
unsre Gründe, das nicht explicite zu sagen.
Die große negative Möglichkeit! Groß darum , weil die Demon
stration sich hier nicht nur in einzelnen Einstellungen und Akten dem
Nächsten gegenüber, sondern in einer Gesamthaltung gegenüber
coder an Totalität grenzenden Vielheit der Nächsten “ vollziehen muss.
Negativ darum , weil wahrhaftig nicht die unbedingte Aufnahme des
Staates unter die sittlichen Mächte» ( Jülicher) , nicht der « Lobpreis
vom göttlichen Ursprung aller Staatsgewalt» (Wernle )66 das Motiv
und der Sinn dieser Demonstration ist, sondern auch hier der Angriff
auf den Menschen, auf sein «Sinnen nach den Höhen» ( 12,16), auf
seinen prometheischen Übermut. Nicht an den Ordnungen der Men
schen sind wir interessiert und nicht an einem diesen Ordnungen ge
genüber zu betätigenden Handeln des Menschen (« Bürgerpflichten »,
Jülicher®), sondern daran, dass der Mensch diese Ordnungen nicht
bx
by
1. Abdruck ( 1922²): « erstere» .
bz
1. Abdruck ( 1922°): « letztere» .
1. Abdruck ( 1922²) : «erstere » .
ca
cb
1. Abdruck ( 19222): « letztere» .
CC - CC
2. Abdruck ( 1923 '): « Nicht -Revolution ».
1. Abdruck ( 1922°): «der Vielheit oder beinahe Totalität der Nächsten».
644
sei kein Rebell ! Warum nicht ? Weil der Streit, in den er sich als Rebell
stürzt, doch nicht zwischen ihm und den jeweils regierenden Obrig
keiten» ausgetragen wird. Was sich hier abspielt, das ist der Kampf der
Bösen mit dem Bösen. Auch die radikalste Revolution kann dem Be
stehenden nur das Bestehende entgegenstellen. Auch die radikalste
Revolution ist nur Revolte, wobei wohl zu beachten ist, dass dies auch
von den sog. « geistigen» oder «friedlichen» Revolutionen gilt. Auch
die radikalste Revolution ist an sich nur die Rechtfertigung und Ver
stärkung des Bestehenden. Denn alles relative Recht des Bestehenden
wird durch das relative Unrecht der Revolution bei ihrem Sieg nur
bestätigt, während das relative Recht der Revolution bei ihrem Sieg
durch das relative Unrecht des Bestehenden jedenfalls nicht bestätigt
wird. Und so wird auch die Widerstandskraft des Bestehenden durch
den siegreichen Angriff der Revolution keineswegs gebrochen, son
dern (466 ) nur zurückgedrängt, komprimiert, in andere Formen ge
zwungen, und dadurch um so gefährlicher gemacht, während der Sieg
einer Revolution die revolutionäre Energie nur verwässern und unge
fährlich machen kann . Keinenfalls durch das Tun des Rebellen wird
die Revolution zum Gericht über das Bestehende, so gewiss sie das in
der Tat immer ist. Der Streit, in den sich der Rebell unvorsichtiger
weise stürzt, ist der Streit zwischen der Ordnung Gottes und der be
stehenden Ordnung. Erlaubt er sich, direkt an die Ordnung Gottes zu
appellieren, « greift er hinauf getrosten Mutes in den Himmel und holt
herunter seine ew'gen Rechte, die droben hangen unveräußerlich und
unzerbrechlich wie die Sterne selbst» (Schiller)?), so beweist er damit
die vortreffliche Einsicht, dass « eine Grenze hat Tyrannenmacht» 74,
sein getroster Griff in den Himmel aber wird diese Grenze auf keinen
Fall setzen . Denn wenn er damit höchstes Recht hat im Urteil der
Geschichte , so hat er eben damit höchstes Unrecht im Urteil Gottes .
Das Ergebnis beweist es: «Der alte Urstand der Natur kehrt wieder,
wo Mensch dem Menschen gegenübersteht »75 . Die Frage, ja das Urteil,
ja das Gericht Gottes, unter dem das Bestehende als solches steht, wird
dadurch, dass der Mensch an seiner Stelle handelt, notwendig aufge
650
diesem Boden, dem uns allein bekannten Boden menschlich -anschau
lichen Tuns, müssen wir, angreifend und verletzend, selber angreifbar
und verletzbar sein. Hier folgen sich in endloser Schraube Druck und
Gegendruck. Hier müssen die « Machthaber » dem Revolutionär
«Schrecken» bedeuten, ewiger Anlass zu Ärger, Entrüstung, Besorg
nis, Angst, Gegenwehr, Verbitterung (wie er selber der «Schrecken»
der Machthaber ist). Sehr berechtigt ist dieser «Schrecken», denn er ist
nichts Anderes als der Schrecken des Menschen vor seinem eigenen
Bösen und, weil das Böse sein ganzes Tun umfasst, der Schrecken vor
seiner eigenen Wirklichkeit. Er ist, recht verstanden, nichts Anderes
als der Schrecken vor Gottes Gericht, unter dem er sich befindet. Das
ist das «Göttliche» der bestehenden Ordnung (aber auch der sich ge
gen sie erhebenden Revolution!), dass sie das böse Tun des Menschen
(und welches Tun des Menschen wäre etwa nicht böse ?) unter das
Gericht Gottes stellt. Dazu ist sie «eingesetzt» . Eben darum bedeutet
sie für das gute Tun keinen Schrecken. Wie (471 | sollte sie auch ? Die
Machthaber haben keine Macht dort, wo das Gute getan wird. Die
Gedanken sind frei?, aber noch ganz anders frei ist das unanschauli
che Tun des Einen in uns Allen. Er empört sich nicht; denn wogegenci
sollte er sich empören ? Er tut das Böse nicht, weil er nicht von ihm
bedrängt ist. Er ist nicht angreifbar, weil er nicht angreift, nicht ver
letzlich, weil er nicht verletzt. Er steht nicht dort, wo das Böse dem
Bösen zum Gericht wird, und darum auch unter keinem Schicksal . Er
ist ja der von Gott schon gerichtete, aber eben darum schon gerecht
fertigte Mensch, und was sollte sein «gutes Tun » Anderes sein als
dieses sein Stehen auf dem ewigen Boden von Gericht und Gerech
tigkeit ? Das « gute Tun » ist in seinem Begriff die Aufhebung des Sub
jektes « dieser Mensch » und die Begründung des Individuums in Gott,
das Nicht- Tun in allem Tun , durch das alles Tun sich bezieht auf sei
nen Ursprung. Diesem guten Tun, das zu keiner Zeit stattfindet, be
deutet die Obrigkeit (oder der Umsturz) ! keinen «Schrecken». Im
Gegenteil: Sofern der Mensch das Gute tut, ist er befreit von jenem
ci
1. Abdruck ( 19222) : « denn gegen was » .
79 Mit « Die Gedanken sind frei» beginnt ein Lied aus Achim von Arnims
und Clemens Brentanos Sammlung «Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche
Lieder» ( 1806–1808 ) .
651
Krampf, der den prometheischen Streit gegen (oder für)! das Beste
hende unvermeidlich begleitet. Er sieht das Letzte wirklich jenseits
des Vorletzten , das er innerhalb der Sphäre des Bösen tun kann. Er
wird in dieser Sphäre immer mehr unsichtbar, unhörbar, dimensions
los. Eri verliert alles Pathos, alle Hemmungslosigkeit und Ungebro
chenheit. Er ist nicht mehr ein zürnender Gott im Kampf mit andern
Göttern. Er wird sachlich. Er findet darum sogar «Anerkennung» bei
der «Obrigkeit» . Sie, die ahnungslose, freut sich über den merkwürdig
ruhigen Bürger, der ihr in dem Menschen erwächst, dessen Tun « nur»
das Gericht Gottes bedeutet, in dem Menschen, der so viel gegen sie
einzuwenden hat, dass er – nichts mehr gegen sie einwendet. Er wird
aber auch tatsächlich (gerade weil nur ironischerweise!) ein «guter
Bürger» sein, eben wegen jener Umkehr von aller Romantik zur Sach
lichkeit. Er braucht, weil er selber vom Götzendienst frei geworden
ist, nicht beständig zu protestieren gegen die Götzen, nicht bestän
dig sich aufzuhalten über die unzweifelhafte Unzulänglichkeit der
jeweilen gegebenen Lösungen, Ordnungen und Wege. Er übersieht
nicht, dass der Schatten des Gerichts, den er auf dem Allem liegen
sieht, Schatten der Gerechtigkeit ist. Er übersieht nicht den Zeugnis
und Gleichniswert, den diese Versuche, das menschliche Tun zu rei
nigen, tatsächlich haben. Da wird ja der menschlichen Willkür ein
gewisses Halt ! geboten, das an das von uns geforderte Opfer des
« Leibes» ( 12,1 ) wenigstens erinnert. Da wird ja Gehorsam verlangt
mit einer Konsequenz, die mit dem Gehorsam, den die Gnade Gottes
fordert, mindestens einige Ähnlichkeit hat. Da scheinen ja dem Eros
der Einzelnen die Majestät des Einen, 472 der zersplitterten oder zum
Klumpen geballten Vielheit die Majestät der Gemeinschaft, dem all
gemeinen Kampf ums Dasein die Majestät des Friedens entgegenzu
treten. Er wird sich über die grundsätzliche Fragwürdigkeit aller die
ser Versuche keinen Illusionen hingeben, auch dann nicht, wenn sie
einmal beinahe gelingen sollten. Er wird in ihnen aufkeinen Fall Stu
fen sehen, an die sich etwa das Gute als der ganz gelungene Versuch
anreihen würde. Er wird dabei verharren, das Gute gegenüber allen
noch so gelingenden Versuchen nur in der inkommensurablen Über
ci
2. Abdruck ( 19233): « Es » .
ck
1. Abdruck ( 1922 ): «geworden, nicht».
652
legenheit Gottes zu sehen und jene Versuche in ihrer ganzen reinen
Negativität (nicht bloß «Unvollkommenheit» ! ) gegenüber dem, was
da versucht wird . Er wird aber bei dem allem die Geduld , die Scharf
sicht und den Humor besitzen (gerade kritische Besinnung erlaubt, ja
gebietet ihm dieses « Interim » 8 !), diese relativen Möglichkeiten des
Guten mitten im Bösen als solche zu erkennen, sie als die Schatten
bilder der Umrisse eines Gegenüberstehenden gelten zu lassen und
ernst zu nehmen, sie zu erwägen und zu betätigen als Übungen und
Darstellungen, die nicht unterbleiben können. «Gottes Dienerin» ist
dann die bestehende Ordnung (wen das nicht beunruhigt und straft,
sondern bestärkt darin, dass erel recht habe, dem ist die Revolution
«Gottes Dienerin» !) in dem Sinn, wie alles Gegebene, in seiner reinen
Negativität einmal erkannt, zu leuchten beginnt in der Positivität des
Nicht-Gegebenen, Gottes. An die Stelle des revolutionären Krampfes
mag dann ein ruhiges Bedenken von «Recht» und «Unrecht» treten,
ruhig, weil letzte Behauptungen und Anklagen dabei nicht mehr in
Frage kommen, ein besonnenes Rechnen mit der « Wirklichkeit», das
die Hybris des Kriegs der Guten mit den Bösen hinter sich hat, eine
ehrliche Humanität und Weltlichkeit, die weiß, dass es sich nicht um
den Gegensatz von Reich Gottes und Antichrist handelt, wo immer
Menschen mit Menschen oder auch gegen Menschen in Staat, Kirche
und Gesellschaft ihre Experimente wagen, ihr seltsames Schachspiel
spielen. Politik z. B. wird möglich von dem Augenblick an, wo der
wesentliche Spielcharakter dieser Sache am Tage ist, wo es klar ist, dass
vom objektiven Recht dabei nicht die Rede sein kann, von dem Au
genblick an, wo der absolute Ton aus den Thesen wie aus den Gegen
thesen verschwindet, um einem vielleicht relativ gemäßigten , viel
leicht relativ radikalen Absehen auf menschliche Möglichkeiten Platz
zu machen. Wobei wir keinen Augenblick vergessen werden, dass
«das Gute» kein Ding ist, auf das sich nun der Mensch etwa in solcher
Mäßigung etwas zugute tun könnte, sondern für uns immer wieder
cl
1. Abdruck ( 1922 ) : « er» .
80
Anspielung auf das umstrittene Augsburger Interim von 1548, das nach
dem Sprichwort « den Schalck hinter jhm » hat; vgl. K.F.W. Wander, Deutsches
Sprichwörterlexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk, 2. Bd., Leipzig
1870 [ Nachdr. Darmstadt 1964) , Sp . 964) .
653
und immer nur die Frage nach dem Guten und dass uns das «Sich
Unterziehen» nur insofern (473 | zum Guten dient, als die Befreiung
des menschlichen Gemeinschaftslebens von aller Romantik, die Ab
setzungem Gottes von der menschlichen Tagesordnung eben diese Fra
ge nach dem Guten nicht nur offen lässt, sondern mit höchster Dring
lichkeit aufrollt, die große Negation, die kritische Besinnung auf Gott
immer wieder unvermeidlich macht. (Und es versteht sich wiederum
von selbst, dass auch die Kontrerevolutionäre, weit entfernt davon,
hier bestätigt zu werden, Anlass haben, dies alles auch von ihrem
Gesichtspunkt aus durchzudenken .)
« Wenn du aber das Böse tust, dann fürchte dich; denn sie trägt das
Schwert nicht zum Schein . Denn Gottes Dienerin ist sie als Vollstrek
kerin des Zorns an dem , der das Böse treibt. » Man kann die Warnung
vor dem Tun des Bösen auch überhören, und wir werden uns keiner
Täuschung darüber hingeben, dass wir sie beständig überhören .Im
Schatten des Bösen steht ja jeder Schritt, den wir in dieser Welt tun .
Auch die Sachlichkeit, mit der wir etwa mitten im Bösen das Gute tun,
auch die geduldige Reformarbeit, auf die wir uns etwa, der Revolution
entsagend, zurückziehen, entfernt uns nicht aus diesem Schatten.
Denn es vollzieht sich unser ganzes anschauliches Tun notwendig
entweder als Bejahung oder als Verneinung eines Bestehenden, und
eben damit sind wir schon im Unrecht. Rechthaben können wir über
haupt nur in unserm Nicht- Tun in Beziehung auf Gott. Nur um die
Feststellung dessen, was wir alle in diesem Schattenreich tatsächlich
erleben, um die Mahnung, nicht allzu tief in dieses Schattenreich hin
einzugeraten, kann es sich also hier noch handeln. Im Schattenreich
des Bösen haben wir uns zu fürchten. Hier haben wir Feinde, Gegner,
Neider, gefährliche Freunde, unsichere Gefolgsleute, schadenfrohe
Zuschauer. Hier warten die Rückschläge, die Stillstände, die Hinder
nisse, die Enttäuschungen, die Misserfolge, die Niederlagen in abseh
barer Folge. Hier erfolgen Gerichte, Konflikte, Irrtümer, Konfusio
nen, tragische Verwicklungen aller Art. Kein Zug auf diesem Brett,
dem nicht ein gefährlicher Gegenzug folgte. Kein Schritt, der sich
nicht irgendwie rächte. Keine Möglichkeit, die nicht ihre eigene Un
möglichkeit schon in sich trüge. Wir stehen mit dem Bestehenden (ob
cm Druckmanuskript: «Absetzung».
654
freundlich oder feindlich ! ) auf einem Boden und verfallen mit ihm
einem Gericht. Wir haben unsern Standort irgendwo in einer der auf
diesem Boden möglichen Positionen und Negationen und müssen es
unweigerlich büßen, dass alle Positionen und Negationen auf diesem
Boden relativ sind. Wir stürmen an oder wir verteidigen, wir bauen
oder wir reißen ab, wir 1474| kämpfen oder wir halten Frieden, wir
bejahen oder wir verneinen, immer steht uns ein letztes Halt! gegen
über, eine letzte drohende Gefahr, eine letzte schwerste Strafe dafür,
dass wir - Menschen sind. Gott ist den menschlichen Übergriffen
(und wann begehen wir keine solchen ?) wahrlich gewachsen. Den
Übergriffen der Umstürzler mit dem «Schwert» der Obrigkeit (und
den Übergriffen der Legitimisten mit dem « Schwert» der Revoluti
on ! ). Aber in ihrem Schicksal sollen wir in Furcht und Mitleid unser
eigenes sehen. Denn irgendwie vollstreckt sich Gottes Zorn an uns
allen. Irgendwie ist das «Schwert» gegen uns alle gezückt, «nicht zum
Schein», sondern um uns zu treffen , und irgendwie sind wir alle ge
troffen , irgendwie zerschellen wir alle bei unsern Versuchen, in der
Aufrichtung oder im Niederreißen der großen menschlichen Positi
vitäten uns selbst zu rechtfertigen. Darum handelt es sich. Das ist's,
was nicht gelingen kann, nicht gelingen soll.
«Daher der Zwang, sich zu unterziehen, nicht nur wegen des Zorns,
sondern wegen des Gewissens. » Den Zorn Gottes nur als Zorn Gottes
erfahren wäre der ewige Tod. Das «Gewissen» aber versteht das Halt !
des gegen uns gezückten Schwertes und erkennt Gott in seinem Zorn.
Esen hindert uns, das uns treffende Böse bloß als Hemmung und
Schicksal aufzufassen, es erinnert uns daran, dass wir selber das Böse
tun. Es erkennt die Gerechtigkeit der uns in unserm tragischen
Schicksal treffenden Hand Gottes. Es sieht den «Dienst zum Guten »,
den uns das Böse leisten soll. Es erklärt uns das Gericht, unter dem wir
stehen, nicht zu unserm Vorteil, aber zu unserm Heil. Es macht aus
dem Unrecht, das uns begegnet, nicht eine Rechtfertigung für uns,
wohl aber eine Hoffnung. Es erlaubt uns nicht, aus dem Harten, das
uns widerfährt, wiederum erbittert, in neuer Auflehnung hervorzu
gehen, sondern es erklärt Schluss des verhängnisvollen Kreislaufs vom
Bösen zum Bösen . Es führt uns heraus aus dem Hin und Her mensch
cn
2. Abdruck ( 1923 '): « Er».
655
lichen Tuns und Leidens, zurück zum Ursprung, zu Gott. «Daher der
Zwang, sich zu unterziehen. » Die Revolution ist die große Möglich
keit, tun zu wollen, was Gott tut. Sie ist unmöglich. Wir müssen her
untersteigen von der revolutionären Höhe. Wir müssen einsehen, dass
unser «Neues » sicher nicht das Neue ist. Wir müssen zurück zu jenem
Ausgangspunkt unsrer Empörung, zu jener Erkenntnis des Bösen im
Bestehenden, bevor der revolutionäre Mensch geboren, bevor das em
pörerische Denken und Handeln daraus hervorgegangen war. Dort
war unser Erschrecken schuldlos, wir erschraken mit Gott vor dem
Jammer der Kreatur. Wir wussten aber auch, unendlich viel(475 mehr
und viel stärker, von ihrer Hoffnung. Es war der Augenblick einfach
ster Einsicht in die Lage des Menschen Gott gegenüber, identisch mit
jenem « Tun des Guten» . Aber dieser reine Augenblick war kein Au
genblick in der Zeit. Und so ist «Sich Unterziehen» kein Tun . Wohl
aber eine Erkenntnis, die Erkenntnis, dass wir nicht Recht haben,
auch und gerade dann nicht, wenn wir Recht haben. In dieser Er
kenntnis wird es wahr, dass wir eine Hoffnung haben; die Hoffnung
der kommenden Gotteswelt; sie wird Revolution und Ordnung in
Einem sein .
« Deswegen bezahlt ihr ja auch die Steuern .» Ein merkwürdiger
Schluss. Ihr tut da etwas, mehr oder weniger freiwillig: ihr bezahlt
dem Staat eure Steuern. Ihr sollt wissen, was ihr tut. Es ist ein Tun voll
Nicht- Tun, voll Erkenntnis, voll Hoffnung. « Sie sind Gottes Priester,
waltend zu diesem einen Zweck .» Die Machthaber, die Behörden, die
offiziellen Vertreter des Bestehenden - Gottes Priester? Ja gerade sie:
ihr ganzes Dasein, ihre ganze Gewalt, ihr ganzes seltsames Gerecht
fertigtsein vor euch verkündigt laut das Eine: das Unrecht des Men
schen und als Ziel die Gotteswelt. Und ihr solltet diese Ordnung, die
so laut von einer ganz andern Ordnung redet, zerbrechen wollen ?
Nein, «gebt ihnen allen, was ihr schuldig seid, Steuer, dem Steuer, Zoll,
dem Zoll, Furcht, dem Furcht, Ehre, dem Ehre zukommt». Banal und
uninteressant ist diese Forderung: Tut, was ihr ohnehin tut! «Unbe
friedigt» lässt sie uns mit unsermº Fragen nach dem Recht des Be
stehenden und der Revolution zurück. Vielleicht, dass das gerade so
sein muss. Jenseits alles Interessanten und Großartigen, was wir tun
со
1. Abdruck ( 1922²) : « unsern» .
656
könnten, wartet sie ja, die große negative Möglichkeit Gottes. Viel
leicht können wir in der Tat nicht besser für sie demonstrieren , als
indem wir (als die Wissenden! ) tun, was wir ohnehin tun.
cr
1. Abdruck ( 1922°): «Persönlichheit» .
CS - CS
ct
1. Abdruck ( 1922–): «daß die Liebe zu Gott in dem Ereignis sich vollzieht» .
1. Abdruck ( 1922²): « Frage ».
660
mich selbst », sofern und so gewiss ich Gott liebe. In Christus, der die
Wendung ist von der Frage zur Antwort, vom Nein zum Ja, vom
Gericht zur Gerechtigkeit, vom Tode zum Leben bin 479| ich nicht
nur Einer mit Gott, sondern (weil und indem mit Gott! ) Einer mit
dem Nächsten. Liebe ist das « Geistesverhältnis» zum Nächsten (Kier
kegaard)84, d. h. das durch die an mich gerichtete Frage und durch die
mir gegebene Antwort jenes gegenüberstehenden Du (des Geistes ! )
geschaffene Verhältnis des Einerseins (der Gemeinschaft, communio)
mit dem Nächsten, sofern und so gewiss ich Einer (in Gemeinschaft,
communio ) mit Gott bin. Wer ist mein Nächster? fragt der Schrift
gelehrte und bekommt die Antwort (muss sie selber unfreiwillig sich
geben! ): der die Barmherzigkeit tat an dem, der unter die Räuber
gefallen war. Gehe hin und tue desgleichen! sei du selber der Nächste,
so hört alles Fragen auf (Lk. 10,29.30—37 ). Der Nächste, erkannt als
die Antwort auf die Frage: Wer bin denn Ich ?, erkannt als der Eine, der
Du ist und Ich und Er, das ist die Betätigung und Bewährung der
Liebe zu Gott, den wir nicht sehen (vgl. 1.Joh. 4,20).
Also : Du sollst deinen Nächsten lieben ! Liebe ist das durch die
Erkenntnis Gottes in Christus begründete (und darum gebrochene !)
Verhältnis zum Mitmenschen, das Verhältnis, in dem nicht Mensch
dem Menschen, sondern Gott Gott gegenübersteht. Ob in diesem
Verhältnis Friede oder Streit geboten ist, also das, was wir etwa «Lie
be » heißen, oder etwas sehr viel Herberes und Härteres, das ist eine
zweite Frage ( 12,9). Immer aber ist Liebe die Entdeckung des Einen
im Andern, und zwar in diesem und jenem, in jedem Andern. Sie ist
schlechthin gebunden an ihren Gegenstand (den «Nächsten» ! ), weil
und indem sie ihm schlechthin unabhängig gegenübersteht. Sie sieht
in jedem « Nächsten » ja nur das Gleichnis des zu Liebenden, sie sieht es
aber wirklich, und sie sieht in jedem Nächsten den, den zu lieben
geboten ist, sie sieht und hört in jedem zeitlichen Du das gegenüber
stehende ewige Du, ohne das es kein Ich gibt ( 12,3b-6a). Sie ist Liebe
zu dem und dem bestimmten konkreten Menschen, gerade weil und
84
Vgl. Kierkegaard, Leben und Walten, 1. Abth., S. 76 (SKS 9, S.63 ): « Die
Liebe zum Nächsten ist Liebe zwischen zwei Wesen, die jedes für sich ewig als
Geist bestimmt sind; sie ist Geistesliebe» .- S. 77 (SKS 9, S. 63 ): « [...] bloß in der
Liebe zum Nächsten ist das Selbst, welches liebt, rein geistig als Geist be
stimmt, und der Nächste ist eine rein geistige Bestimmung.»
661
indem sie mit Vorliebe für den und den nichts zu schaffen hat. Sie ist
Liebe zum Nächsten in seiner ganzen ärgerlichen, wunderlichen, son
derbaren Geschaffenheit und Beschaffenheit, gerade weil und indem
sie heimlich diese Geschaffenheit und Beschaffenheit löst und lockert,
als ein Kleid, das ihm von den Schultern fallen muss (Kierkegaard)85 .
Sie ist «ausgleichende ewige Gerechtigkeit» (Kierkegaard)86, gerade
damit, dass sie keinem nach seinem Wunsch « gerecht wird» . Sie erbaut
die Gemeinde gerade damit, dass sie nur Gemeinschaft sucht. Sie
erwartet nichts, sie ist schon am Ziel. Sie sucht nichts, sie hat schon
gefunden. Sie will nichts, sie hat schon getan. Sie fragt nicht, sie weiß
schon. Sie kämpft nicht, sie hat schon gesiegt. Sie ist nicht Eros, der
immer begehrt, sie ist Agape, die nimmer aufhört (vgl. 1. Kor. 13,8].
14801
Eben darum aber: «Du sollst deinen Nächsten lieben ! » Gerade
streng begriffen, als Tun des neuen Menschen ist die Liebe Pflicht, und
als Pflicht gesichert gegen alle Willkürlichkeiten, Enttäuschungen und
Missbräuche. Alle göttlichen: «Du sollst nicht! » ( « Nicht ehebrechen,
nicht töten , nicht stehlen, nicht begehren » Ex. 20,13-17; Dtn. 5,17)
« gipfeln » ja in diesem: Du sollst ! Es ist der von allem Tun ins Nicht
Tun (zu Gott) zurückgescheuchte Mensch, der hier (aus Gott) wieder
hervorbricht ins Tun, der Niedergeworfene, der hier wieder aufsteht,
der Sünder, der gerecht wird, der Getötete, der lebendig wird. Es ist
das blitzende Schwert von Tod und Ewigkeit, das in diesem Du sollst!
sichtbar wird. Eben darum ist die Liebe das in sich vollkommene, das
neue Tun, das Tun , das der Sinn, die Erfüllung alles Nicht- Tuns ist, die
Luft, die wir zu atmen bekommen, wenn und sofern uns in der Sphäre
des Bösen der Atem wirklich genommen ist.
Denn : «Die Liebe fügt dem Nächsten nicht Böses zu!» Sie also ist
das « Tun des Guten », in dem das Böse besiegt ( 12,21 ), das Bestehende
verneint und zerbrochen wird, so gewiss dies durch die Revolte nicht
geschehen kann . Das ist das Neue , das Fremdartige der Liebe , dass sie
an jenem Kreislauf vom Bösen zum Bösen , von der Reaktion zur
Revolution nicht beteiligt ist. Sie ist der radikale Umsturz alles Ge
85
Vgl. Kierkegaard, Leben und Walten, 1. Abth., S. 119-121 (SKS 9, S. 92–
94).
86
Vgl. Kierkegaard, Leben und Walten, 1. Abth., S. 111 (SKS 9, S. 87).
662
gebenen, weil sie die radikale Anerkennung des Voraus -Gegebenen in
allem Gegebenen ist. Sie fällt alle Götzen dadurch, dass sie selbst kei
nen neuen aufrichtet. Sie ist das Ende aller Gottähnlichkeiten, Hier
archieen, Mittelbarkeiten, Autoritäten dadurch, dass sie unmissver
ständlich immer den Einen in den Einzelnen und in den Vielen anre
det. Die Liebe widerspricht nicht, darum ist sie nicht zu widerlegen.
Sie konkurriert nicht, darum wird sie nicht geschlagen. Sie sucht keine
Entscheidung, darum ist sie sie selber. Sie ist innerhalb der Sphäre des
Bösen schlechterdings nur in Negationen zu beschreiben ( 1. Kor. 13 !);
eben darum ist sie das dieser Sphäre schlechterdings überlegene Tun.
Keine Unmöglichkeit, innerhalb dieser Sphäre (der einzigen, die wir
kennen ! ) das Gute zu tun, entbindet mich von der Pflicht zu lieben.
Unterlasse ich es, als Protest gegen den Lauf dieser Welt zu lieben, so
liebe ich auch Gott nicht. Kein Opfer ist dann gebracht, kein Denken
erneuert ( 12,2). So dringend, so unausweichlichu ernst ist das Gebot
der Liebe ! « So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.»
« Und solches tut in Erkenntnis des Augenblicks!» Wann und wo
kommt es zu dem unbegreiflichen Tun (481 | der Liebe, in der der
Mensch, vom Rätsel des Nächsten zurückgescheucht zu Gott, von
Gott wiederum zurückkehrt, um im Nächsten sich selbst zu finden ?
Wann und wo tritt sie ein, die unmögliche Möglichkeit der Erfüllung
des Gesetzes ? Wir werden auch hier die Distanzen nicht verkürzen
dürfen, “wwenn wir das Problem , das uns durch die Forderung dieses
Tuns gestellt ist, scharf ins Auge fassen wollen . Der unerhörten
Bedeutung dieses « Tuns muss ein unerhörter Anlass entsprechen. Wir
antworten: Wenn wir erkennen, dass Zeit wird wie Ewigkeit und
Ewigkeit wie diese Zeit87, dann tritt diese Möglichkeit ein. Sie tritt ein
«in Erkenntnis des Augenblicks ». – Denn es ist ein « Augenblick »
cu
CV
2. Abdruck ( 19233): «unausweislich».
CW - CW
1. Abdruck ( 1922 ): «in welchem».
1. Abdruck ( 1922 °): «um das Problem [...] scharf ins Auge zu fassen» .
87
Anspielung auf den Stammbuchvers Jacob Böhmes:
Wem Zeit ist wie Ewigkeit,
Und Ewigkeit wie die Zeit;
Der ist befreit
Von allem Streit.
Vgl. Barth, Konfirmandenunterricht, S.41 .
663
zwischen den Zeiten , der selber kein Augenblick ist in der Zeit. Jeder
Augenblick in der Zeit kann aber die volle Würde dieses Augenblicks
empfangen. Es ist dieser Augenblick der ewige Augenblick, das Jetzt,
in welchem Vergangenheit und Zukunft stillstehen, jene in ihrem Ge
hen, diese in ihrem Kommen. Die Zeit verrät ihr Geheimnis: nicht sie
geht und kommt, sondern der Mensch ist's, der in Gott gewesen ist
und sein wird, stirbt und lebt, fällt und steht, ist, der er ist, und ist, der
er nicht ist, geschaffen als Dieser und Jener und neu geschaffen als der
Eine, als das Individuum in seiner ganzen Einmaligkeit und Allge
meingültigkeit: immer das Erste und das Zweite, und zwar das Zweite
in Überwindung des Ersten, in Christus nämlich, in der unanschau
lichen Wende der Zeiten. « Wir gehn dahin und wandern von einem
Jahr zum andern»89 – das ist das Geheimnis der Zeit, offenbart in
jenem ewigen Augenblick, der immer ist und nie, im Augenblick der
Offenbarung. Des zum Gleichnis das unwiderrufliche Davoneilen der
Vergangenheit, das unaufhaltsame Kommen der Zukunft: die Unum
kehrbarkeit der Zeit. Des zum Gleichnis aber auch die völlige Ver
borgenheit, Unanschaulichkeit und Nicht-Gegebenheit der Gegen
wart « zwischen » den Zeiten. Gleichnis des ewigen Augenblicks ist in
beiderlei Hinsicht jeder Augenblick der Zeit. Jeder trägt das Geheim
nis der Offenbarung ungeboren in sich, jeder kann qualifizierter Au
genblick werden. - «Solches tut in Erkenntnis des Augenblicks. » Also
der erkannte, der in seiner transzendentalen Bedeutsamkeit begriffene
und ergriffene Augenblick ist es, in dem es zu dem unbegreiflichen
Tun der Liebe kommt. Wo ein Vorher und Nachher qualifiziert ist
durch das unanschaulich in der Mitte liegende Jetzt ! der Offenbarung,
da wird es Ereignis, das «Leben und Walten der Liebe» (Kierkegaard ) .
Glaube, der die Offenbarung sieht, ist die Erfüllung des Gesetzes. Ein
Tun, das aus höchstem Wissen entspringt, ist dieses menschliche Tun.
Der Mensch, der von der (482 | Freiheit Gottes berührt ist, ist der lie
CX
Druckmanuskript: « geschaffen ist als» .
88
Anspielung auf Fr. Gogartens Aufsatz Zwischen den Zeiten, in: ChW,
Jg. 34 ( 1920), Sp. 374-378 = Anfänge II, S.95-101 .
89
Anfang der Strophe 2 des Chorals «Nun laßt uns gehn und treten» von P.
Gerhardt, GERS ( 1891 ) 67; EG 58; RG 548 .
90 So der Titel des zuvor mehrmals zitierten Buches von S. Kierkegaard.
664
bende Mensch. Immer steht dieser letzte zentrale Regress von der Zeit
auf die Ewigkeit, immer steht diese nur durch das Wunder mögliche
Beziehung der Ewigkeit in Frage, wenn die Liebe als die große po
sitive Möglichkeit zum Gebot wird. Immer nur in Erkenntnis des
Augenblicks können wir tun, was wir tun, und haben es deshalb nie
« schon getan»; denn wann wäre etwas in dieser Erkenntnis «schon
getan» ? Immer nur als Hinweis auf die Überwindung, die in Christus
geschehen ist, geschieht und geschehen wird, immer nur im Hinblick
auf die Geburt des Individuums aus der Individualität, immer nur in
Erwartung des Endes (der Welt der Zeit, der Dinge und des Men
schen), das der Anfang ist, können wir tun, was wir tun. Eben darum,
weil sie so unerbittlich Distanz hält, so unerbittlich von allem schon
Getanen, von sich selbst wegweist auf das Ende, das der Anfang ist,
fügt die Liebe dem Nächsten nicht Böses zu, ist sie des Gesetzes (aller:
du sollst nicht ?!) Erfüllung. Sie betritt die Sphäre des Bösen nur, um
sie sofort wieder zu verlassen. Sie baut keine Hütten daselbst. Sie will
grundsätzlich in der Zeit nichts Bleibendes, nichts «Bestehendes»
schaffen. Nur in Erkenntnis des ewigen Augenblicks, tut sie, was sie
tut, und ist eben darum das eigentlich revolutionäre Tun .
« Die Stunde ist da, vom Schlaf zu erwachen . Denn jetzt ist unsre
Errettung näher als damals, als wir gläubig wurden . Die Nacht rückte
vor, der Tag aber ist nahe herbeigekommen .» Unvergleichlich steht
der ewige Augenblick allen Augenblicken gegenüber, gerade weil er
aller Augenblicke transzendentaler Sinn ist. Und unvergleichlich die
« Errettung », der « Tag», das Reich Gottes allen Zeiten, gerade weil es
aller Zeiten Erfüllung ist. Wir aber leben in der Reihe der Augenblicke,
im Wechsel der Zeiten; lieben wir hier nicht, so lieben wir gar nicht.
Nicht irgendwo außerhalb, sondern innerhalb dieser Reihe, dieses
Wechsels war Jesusder Christus, gibt es für uns Erkenntnis des ewigen
Augenblicks und in der Erkenntnis den Ort, die Zeit, den Anlass zum
Lieben. In einem Augenblick muss die Erkenntnis des Augenblicks
Ereignis werden, in einer Zeit der Regress auf die Ewigkeit. Dieser
Augenblick, diese Zeit ist die Stunde, vom Schlaf zu erwachen », eben
jenes durch ein unanschaulich in der Mitte gelegenes Jetzt ! qualifizier
Druckmanuskript.
666
«schon» erkannten Gottes und den Zeiten des Gedenkens, Erwartens
und Hinblickens auf das existentielle Ereigniswerden des nur ver
meintlich «schon» Bestehenden, auf den ewigen Augenblick der Er
scheinung, der Parusie, der Gegenwart Jesu Christi.Mit den berühm
ten neunzehnhundert Jahren Kirchengeschichte aber, die die Parusie
bekanntlich «noch nicht» gebracht haben ” , hat diese Spannung zwi
schen den Zeiten so viel und so wenig zu tun wie etwa mit den Wo
chen oder Monaten, die der Römerbrief im Gepäck der Phöbe ( 16,1 )
zwischen Korinth und Rom unterwegs gewesen istd., oder wie mit
den Momenten, die zwischen dem Diktat des Paulus und der Nie
der- 1484| schrift des Tertius ( 16,22) verstrichen sind. Denndd die Stun
de des Erwachens, die «letzte» Stunde, deren Schlag hier verkündigt
wird, hat wahrhaftig nicht die Bedeutung, dass in ihr eine weitere
Stunde, eine darauf folgende (chronologische!) Zeit als die Zeit der
Erfüllung in Aussicht genommen wird. Als ob das Leben, das aus dem
Tode kommt, das alles Sein aufhebende Nicht-Sein, die Gerechtigkeit
der Gerichteten, das Jetzt! in der Mitte alles Vorher und Nachher eine
Zeit neben (und also doch wieder in !) der Zeit ausfüllen könnte. Zeit
sind die Zeiten der Unwissenheit und die Zeiten der Erinnerung, da
allen Menschen geboten wird, Buße zu tun (vgl. Act. 17,30]. Was dar
über ist, das ist nicht Zeit, sondern Ewigkeit. Nein, an der Grenze aller
dc
1. Abdruck ( 1922 %); « unterwegs war» .
dd
1. Abdruck ( 1922°): «verstrichen. Denn » .
93 F.M. Dostojewski sah eine seiner wichtigsten Aufgaben als Künstler dar
in, die psychologischen und ethischen Konsequenzen des Atheismus darzu
stellen. Dieses Motiv findet seinen Höhepunkt in seinem letzten Roman Die
Brüder Karamasoff (1880-1881).
94
Vgl. oben S. 401 , Anm. 38 .
670
Darum : « Lasst uns anziehen die Waffen des Lichtes: Lasst uns mit
Fassung wandeln ! Zieht an den Herrn Jesus Christus! » An dieselben
Menschen antithetisch diese Worte ! So sind wir doch unter den Ge
liebten Gottes ? Ja, und das ist wahr. Auch diese Möglichkeiten, die
himmlischen, die ewigen Möglichkeiten bestehen für sie, die große
positive Möglichkeit, sich «überkleiden» zu lassen mit den Schutz
und Trutzwaffen gegen das Böse, die nur Gott geben kann, mit dem
Herrn Jesus Christus selber. Wer will auch nur Einen von ihnen aus
schließen « in Erkenntnis des Augenblicks » ? Und wer sollte hier etwa
sich selbst ausschließen ? 4871
14,1-15,13
101 Aus dem Titel von Thomas Müntzers Schrift Hoch verursachte Schutz
rede vnd antwwort wider das Gaistloße Sanfft lebende fleysch zů Wittenberg
( 1524), in: Th. Müntzer, Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe, unter
Mitarbeit von P. Kirn hrsg. von G. Franz (QFzR, Bd. 33), Gütersloh 1968,
S. 321–343 .
679
nicht als seinen Gegner kennen soll) nicht weiß: « Gott hält Gemein
schaft mit ihm», dem Andern. « Wer bist du, dass du den Knecht eines
Fremden verurteilst ?» Weißt du, was justitia forensis ist, dann wirst du
gerade dieses Wissen nicht gegen die Nicht-Wissenden ausspielen. Es
spricht für sie! « Seinem eigenen Herrn steht oder fällt er .» Sollte die
unanschauliche, die unbegründete Gerechtigkeit Gottes nicht auch ,
nicht gerade dem « Schwachen im Glauben», dem Unbelehrten , dem
Nicht- 494 |Pauliner zugute kommen ? Sollte, wer etwas gemerkt hat
von dem Unerhörten , dass Gott mit dem Menschen Gemeinschaft
hält aus lauter Erbarmen, einen Andern verachten können, weil er
gerade das nicht gemerkt hat, sondern in seinem Optimismus weiter
eifert voll ungebrochener moralischer Steilheit ? Als ob es außerhalb
der Möglichkeiten der Freiheit Gottes läge, dass Gott nicht nur mit
Zöllnern und Huren, sondern sogar mit Pharisäern Gemeinschaft ha
ben kann ! « Er wird aber stehen; denn der Herr hat die Kraft, ihn
aufzurichten . Ist es nicht am Tage, dass der Pauliner im selben Au
genblick, wo er den Moralisten «verachtet», zum – antipharisäischen
Pharisäer wird, sich selber ins Unrecht setzt? Er verurteilt ja, indem er
den leidigen Verurteiler da drüben verachtet, und schwach, schwach
ist jeder, der sich in die Stellung des Verurteilers treiben lässt. Wer ist
der Herr? Wer darf urteilen ? Wer ist in der Lage, zu stürzen und
aufzurichten ? Der Mensch oder Gott ? Der Starke sollte das wissen ! -
So hat also der gar keinen Vorsprung, gar kein Vorrecht, der weiß, was
«wir» wissen ? Nein, weiß Gott, er hat gar nichts voraus ! Wer etwas
«voraus » zu haben meint, der weiß nicht, was «wir» wissen ! Es gibt
nur einen Vorsprung: die göttliche Erwählung, aber ihrer kann heute
noch ein naiver Vegetarianer in seiner ganzen Ungebrochenheit teil
haftig werden vor einem, der den Römerbrief vorwärts und rückwärts
auswendig weiß. Irgend eine Möncherei kann Gott heute noch wohl
gefälliger sein als dein zuversichtlicher Protestantismus , du Narr!
«Gott hält Gemeinschaft mit ihm» und «hat die Kraft, ihn aufzurich
ten » . Wahrhaftig, diese Möglichkeit müsste uns veranlassen, auch Ge
meinschaft mit ihm zu halten. Tun wir es nicht, wollen wir durchaus
die Starken sein, so sind wir sicher schwach. Sind wir nicht wissend
genug, vondn der Höhe unsres Wissens, kaum dass wir sie erklommen
dn
1. Abdruck ( 19224): « genug, um von» .
680
haben, wiederdo herunterzusteigen, so sind wir sicher unwissend.
Wollen wir doch wieder die Charaktervollen sein, so haben wir gerade
damit sicher den character indelebilis preisgegeben.
V.5-6 Eine Nebenerwägung: Es macht ja auch* der Eine einen
Unterschied zwischen den Tagen, der Andere aber hält jeden Tag
gleich. Jeder soll seiner eigenen Überzeugung froh sein. dp Auch der,
der isst, tut es für den Herrn; denn er dankt Gott dabei. Und der,
der nichtdp isst, unterlässt es für den Herrn; auch er dankt Gott
dabei.4951
Es gibt offenbar Differenzpunkte, in denen man sich gegenseitig
gelten lässt. Da begreift jedenfalls auch der Starke die Präzision des
Schwachen, auch wenn er sich ihr nicht unterwirft. Er schweigt, er
achtet, er wartet ab, er weiß: es kommt darauf an, «nicht daß man seine
Meinung aus fester Überzeugung gegen den Andern behaupte oder
den Andern bestreite, sondern seines Sinnes vor Gott und in der Prü
fung gewiß sei, wobei oft mehr Geschmeidiges ist, als bei einem nur
hellberichtetend Gewissen » (Steinhofer) :04. Er merkt irgendwie, dass
das Präzise « dem Herrn » getan wird, dass eine, wenn auch missver
standene göttliche Verlegenheit dahinter steht. Er verachtet darum
nicht. Er denkt : « Das Schiff fährt zwar besser auf offener See, es kann
aber, wenn es sein muss, auch im engen Kanal fahren» (Bengel) ios . Es
* yág ist nicht zu streichen. V.5-6 will (ich folge Zahn gegen Kühl102) eine
« lehrreiche Parallele» anführen «durch das Beispiel einer andern in der Chri
stenheit als zulässig anerkannten Verschiedenheit der Lebensführung» 103.
do
Abdruck ( 1922?): «erklommen, wieder» .
I.
dp-dp
1. Abdruck ( 1922 ): «Auch der, welcher [...] . Und der, welcher nicht».
da So im 1. Abdruck ( 1922 ") und im 2. Abdruck ( 1923 ') irrtümlich statt wie
bei Steinhofer und Rieger « halbberichteten » .
102 Kühl, S. 449f.: «Das später eingeschobene yao ist sinngemäß nur dann zu
nennen, wenn man V.s fälschlich als lehrreiche Parallele ansieht, die zur
Rechtfertigung des soeben in Sachen des vorigen Streitpunktes abgegebenen
Urteils angefügt sei . »
103 Zahn, S. 572f.
104 Steinhofer, S. 88; vgl . Rieger, S. 220.
10s Bengel, Bd. II, S. 88 : «et tamen potest aliquis, qui vel hoc vel illud statuit,
pleno cursu ferri in sua mente, sicut cymba potest vel in angusto canali, vel in
spatioso lacu inoffensum habere cursum ».
681
käme darauf an, solche vereinzelte Möglichkeiten, den « Schwachen >>
besser zu verstehen, als er sich selbst versteht:06, zu einer allgemeinen
Betrachtungsweise zu erweitern . « Er dankt Gott dabei. » Diese Bezie
hung zu Gott entscheidet über den Wert oder Unwert des menschli
chen Tuns. Sie ist die Waage, auf die die Präzision des Präzisen gelegt
ist – aber auch die Freiheit des Freien. «Die Grundregel unsres Lebens
besteht nur darin, dass die Menschen vom Winke Gottes ganz abhän
gen d'und sich in zweifelhafter und schwankender Geistesverfassung
nicht einmal den Finger zu rühren getrauende» (Calvin).107 Die An
wendung dieser Grundregel aber ist ihrer Natur nach unanschaulich
für jeden Zweiten. Was wollen wir tun, als uns an die Behauptung des
Schwachen, « Gott» sei gemeint bei seinen Mönchswerken, zu halten,
und wenn es uns noch so klar wäre, dass sich da vielmehr ein Götze
zwischen ihn und Gott hineingeschoben hat ? Gott kann ja gemeint
sein, Bedeutung und Sinn kann ja seinem Tun innewohnen, nötige
und gebotene Demonstration zur Ehre Gottes kann es ja sein, wäh
rend davon, dass etwa Essen an sich Gott wohlgefälliger wäre als
Nicht-Essen, keine Rede sein kann. Gerade der Gedanke an die Prä
destination, von der der Schwache keine Ahnung hat, wird also den
Starken veranlassen , sich mit jenem durchaus in eine Reihe zu stellen.
V.7–12 Und nun eine Haupterwägung: Denn keiner von uns lebt
für sich selbst, und keiner stirbt für sich selbst. Denn wenn wir
leben, so leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben, so sterben
wir für den Herrn. Also wir leben oder sterben, so sind wir des
Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig ge
worden, damit er über Tote und Lebende Herr sei. Du nun, was
verurteilst du deinen Bruder? Oder auch du, was verachtest du
deinen Bruder? Denn wir werden alle vor dem Richterstuhl Gottes
stehen, wie geschrieben steht: So wahr ich lebe, spricht der 1496
Herr, mir wird sich jedes Knie beugen, und jede Zunge wird vor
dr -dr
1. Abdruck ( 1922 °): «und in zweifelhafter [...] zu rühren sich getrauen» .
106 Siehe oben S. 266 , Anm. 12 .
107 Calvin, col. 2598.: «Ac omnino tenendum est, hoc recte vivendi principi
um esse, si pendeant homines a Dei nutu nec sibi dubio et vacillante animo vel
digitum movere permittant.»
682
Gott bekennen ! Also wird ein jeder von uns für sich selbst Re
chenschaft ablegen müssen.
Stark sein heißt erkennen, dass der Mensch als Mensch sich in einer
letzten, auf keinen Fall vermeidbaren Krisis befindet. – « Keiner von
uns lebt fürsich selbst. » « Wenn wir leben, so leben wir für den Herrn . »
Es gibt kein Leben an sich, sondern nur ein Leben in Beziehung auf
Gott, das unter das Gericht und unter die Verheißung Gottes gestellte
Leben: das durch den Tod charakterisierte, durch den Tod Christi aber
als Hoffnung des ewigen Lebens qualifizierte Leben. Das bedeutet die
Krisis des präzisen und des freien Lebensversuchs. Auf das « Leben >>
zielen ja offenbar beide hin. Aber das Leben im « Leben» ist die Frei
heit Gottes, für uns also der Tod: nur dem Herrn leben wir. Sollte
diese Bestimmung für den freien Lebensversuch weniger kritisch sein
als für den präzisen, weil bei jenem mit Bewusstsein das ewige Leben
ins Auge gefasst ist, während bei diesem der Begriff des gesuchten
« Lebens » von dem Verdacht, das bloß biologische Leben zu bedeuten,
nicht gereinigt ist ? Aber ist nicht auch jenes Bewusstsein biologisches
Leben ? Wie könnte auch dem höchsten Denkakt (und was können
wir wissen und geltend machen als Denkakte ?) eine Sicherheit und
Gerechtigkeit innewohnen, die seine Überlegenheit über andere Akte
darzutun vermöchte ? Der Herr allein ist die Sicherung der Verhei
Bung. « Wo der Herr nicht das Haus baut, da arbeiten umsonst, die
daran bauen» (Ps. 127,12] . Der Herr aber ist unter allen Umständen
auch der Richter, und nur durch den Tod Christi ist unsre Hoffnung
eine lebendige Hoffnung. - Und umgekehrt: « Keiner stirbt für sich
selbst .» « Wenn wir sterben, so sterben wir für den Herrn ». Es gibt
keinen Tod an sich, sondern nur einen Tod in Beziehung auf Gott, den
Tod, der uns als Schranke und zugleich als Ausgang auf Gott hinweist:
den Tod dessen, was wir Leben heißen, der durch die Auferstehung
Christi als das Zeichen der Versöhnung qualifiziert ist. Auch das be
deutet die Krisis des präzisen und des freien Lebensversuches. Beide
zielen in ihrer Weise auf den Tod. Aber der Tod im « Tod » ist die
Freiheit Gottes, für uns also das Leben: nur dem Herrn sterben wir.
Wiederum hat sich der «Schwache» von dem Verdacht zu reinigen , es
möchte bei den relativen Negationen, Aufhebungen, Ertötungends, in
ds 2. Abdruck ( 1923 ' ): « Erörterungen » .
683
denen sich sein Lebensversuch vollzieht, der bloß biologische Tod
gemeint sein, während der « Starke » in größerer Gelassenheit und
Umsicht weiß, dass der Tod, den wir zu suchen haben, der durch die
Auferstehung |4971 qualifizierte Tod und kein anderer sein muss. Aber
nicht weniger kritisch ist die Beziehung auf die Wahrheit des Todes
auch für ihn. Denn was kann auch er anderes geltend machen als ein
durch die Tatsächlichkeit seines biologischen Todes bestimmtes und
nur als Gleichnis charakterisiertes Wissen ? Wie sollte unser Denken
des Gedankens Ewigkeit uns rechtfertigen, unser Meinen des versöh
nenden Todes uns versöhnen ? Der Herr allein ist der Bürge der Auf
erstehung. « Wo der Herr nicht die Stadt behütet, da wachen die Wäch
ter umsonst» [Ps. 127,1b) . Der Herr aber ist wiederum unter allen
Umständen auch der Richter, und nur durch die Auferstehung Christi
ist der Sinn des Kreuzes, unter dem wir Alle stehen, gegeben. – « Also
wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus
gestorben und wieder lebendig geworden, damit er über Tote und
Lebende Herr sei. » Stark sein heißt Gott in Christus erkennen, d. h .
aber in der letzten unvermeidlichen Krisis unsres Lebens und unsres
Sterbens, dort wo es nichts Anderes mehr gibt als sein Erbarmen.
Stark sein heißt Gott über alle Dinge fürchten und lieben108: so wie er
in der Dialektik der höchsten Kategorien unsres Denkens uns begeg
net: als der Herr. Wissen wir, dass wir « für den Herrn leben» und « für
den Herrn sterben», so bekennen wir damit, dass unser Leben sowohl
wie unser Sterben, unser Ja sowohl wie unser Nein, auf eine andere
Rechtfertigung (auf eine Rechtfertigung in sich selber etwa! ) neben
der Rechtfertigung, die ihm nur Gott geben kann, keinen Anspruch
machen kann. Gerechtfertigt ist an sich weder unser Leben noch unser
Sterben, weder unser Ja noch unser Nein und also, von diesen beiden
Endpunkten allen menschlichen Tuns aus gesehen, weder unser prä
ziser noch unser freier Lebensversuch. Weiß dies der « Schwache »
nicht (und darin besteht seine Schwachheit, dass er dies nicht weiß), so
soll es der Starke um so besser wissen und eben darum in der Ein
stellung des Feuers, in der Beugung vor dem Geheimnis Gottes nicht
auf jenen warten, sondern immer den ersten Schritt tun, den Schritt
der Demut, die weiß, dass wir nichts wissen, weil sie weiß, dass Gott
weiß.
684
Also: « Was verurteilst du ?», und noch viel dringender gefragt: « Was
verachtest du ?» Der Verachtete ist « dein Bruder » ! Kein Anlass be
steht, die Gemeinde zu zerreißen, aller Anlass besteht, Gemeinschaft
zu halten. Die große kritische Wahrheit des « für den Herrn», unter
der wir als Menschen (nicht als Starke oder Schwache, sondern als
Menschen, konzentriert in dem Einen, der vor Gott steht: in Christus
und also als Brüder!) 1498 stehen, weist uns den Weg dazu: « Wir wer
den alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen. » Der Herr ist der Richter
über Leben und Tod, hörten wir eben. Wir müssen das nach allen
Seiten durchdenken: Weil wir alle vor dem Richterstuhl Gottes
«stehen werden », weil das Futurum aeternum dieses Stehens die kri
tische Wahrheit unsres Daseins und Soseins ist, darum «stehen» wir
alle da, als die, die wir sind: als die «Starken» die Einen, als die « Schwa
chen» die Andern. In einem tiefsten Erschrecken vor dem Letzten,
Unerhörten, dass wir «des Herrn» sind, wagen wir alle so oder so (und
was bedeutet hier unser Verstehen oder Missverstehen ?) unsern Le
bensversuch, den Versuch , Gott gerecht zu werden. An demselben
offenbaren Geheimnis, an derselben Verlegenheit und Hoffnung
scheiden sich die Wege, hier zur Freiheit, dort zur Präzision. Weil wir
vor dem « Richterstuhl» Gottes stehen werden, weil das Gericht Got
tes, die doppelte Prädestination, die kritische Wahrheit unsres Lebens
und Sterbens ist, darum sind nun freilich die Einen die Starken , die
Andern die Schwachen. Es bedeutet die Haltung der Erstern zweifel
los Erwählung, die Haltung der Letzteren Verwerfung. Denn der Sinn
der Gewissensfreiheit ist offenbar die Anerkennung der Freiheit Got
tes und seines Tuns, während der Sinn der Präzision ebenso offenbar
die Anerkennung der Gefangenschaft des Menschen und seines Tuns
ist. Aber weil wir vor dem Richterstuhl « Gottes» stehen werden, weil
das die kritische Wahrheit ist, unter der wir stehen, dass Gott der ist,
der erwählt oder verwirft, darum gibt diese Lage dem Starken (dem
« Erwählten ») auch nicht das leiseste Recht gegenüber dem Schwa
chen (dem « Verworfenen » ). Als Treue Gottes rechtfertigt der Glaube.
Als Erkenntnis Gottes ist menschliche Erkenntnis wahr. Als Hoff
nung Gottes ist Hoffnung unsre Errettung. Als Liebe Gottes ist Liebe
der unbegreifliche Weg (vgl. 1. Kor. 12,31 ) . Also immer gerade so, dass
dem Glaubenden, Erkennenden, Hoffenden, Liebenden aus seinem
Tun kein Verdienst, kein Recht, kein Anspruch erwächst. Also: «Mir
685
wird jedes Knie sich beugen, und jede Zunge wird vor Gott beken
nen ! » (Jes. 45,23 ). Sobald und sofern für Gott und seine Freiheit der
Mensch und seine «Frömmigkeit» substituiert wird, bedeutet seine
Haltung, welche sie auch sei, Verwerfung. Erwählung bedeutet sie
nur, sofern sie Verzicht auf Verdienst, Recht und Anspruch, Verzicht
auf das Idol einer so oder so bestimmten « Frömmigkeit» ist. « Also
wird ein jeder von uns für sich selbst Rechenschaft ablegen müssen. »
Denn was wissen wir von diesem Verzicht beim Andern ? Wir sehen
immer nur sein Tun, seine – «Frömmigkeit» und wissen nicht, |499| ob
er nicht gerade darin erwählt ist, worin wir seine Verwerfung sehen,
und «stark» gerade in seiner Schwäche. Sehen können wir im Andern
durchaus nur den von Gott Gerichteten und zu Richtenden, d. h. aber
den Einen, der, jenseits alles dessen, was als menschliche Haltung
doch immer nur bedeutsam sein kann, aber jenseits auch des Kon
trastes von Erwählung und Verwerfung, vor Gott steht. Sehen können
wir gerade als «Starke» gerade im Schwachen nur Christus, nur den
Bruder. Die sokratische Frage nach Christus und dem Bruder im
Schwachen aber können wir als «Starke» nur dadurch aufwerfen, dass
wir selber verzichten, verzichten auch auf das Recht, das wir uns etwa
durch unsern grundsätzlichen Verzicht (der uns zu «Starken» macht)
schon erworben zu haben meinen. Nichts ist erworben, Alles steht in
Frage, was wir voraushaben könnten vor Andern. Denn immer wie
der haben wir für uns selbst schwerste Rechenschaft abzulegen. Hin
fällig darum alles Richten (Mt. 7,1 ) nach historischen oder psycho
logischen Kriterien, hinfällig auch nur die Frage (ängstlicher Kirchen
männer, strenger Sektierer, eifriger Religiös-sozialer - aber nun eben
auch allfälliger Pharisäer der Freiheit ! ) nach solchen Kriterien, hin
fällig die Frage nach dem Seelenheil des Andern in jeder Gestalt, hin
fällig der Versuch, sein Verhältnis zu Gott zu beurteilen, geschehe es
von rechts - oder links ! Hingegeben alles dem Gerichte Gottes. Rich
tet nicht! ist die einzige Möglichkeit , die ihrerseits wieder keine Mög
lichkeit, kein Rezept, keine Verhaltungsmaßregel ist, sondern in der
wir uns unter das Gericht stellen, das unser wartet, in der grundlosen
Hoffnung auf die unmögliche Möglichkeit des Erbarmens Gottes.
V.13-15 Diese Warnung in Bezug auf die «theoretische» Stellung
des freien Lebensversuchs gegenüber dem präzisen ist nun auch zu
bedenken in Bezug auf seine «praktische» Durchführung. Darum
686
wollen wir uns untereinander nicht mehr verurteilen, sondern
darin bewähret eure Urteilsfähigkeit, dass ihr dem Bruder weder
Anstoß noch Ärgernis gebt. Denn ich weiß zwar und bin fest über
zeugt im Herrn Jesus, dass nichts an sich unrein ist. Aber für den,
der es als unrein rechnet, wird es unrein. Und wenn nun durch dein
Essen dein Bruder bedrängt wird, so wandelst du nicht mehr der
Liebe gemäß. Verdirb nicht durch dein Essen den, für den Christus
gestorben istdt
Der Standpunkt des Römerbriefs, als « Standpunkt» eingenommen,
ist der Standpunkt Gottes ! Jemanden von ihm aus verurteilen würde
bedeuten seine Verwerfung durch Gott bestätigen, ihn den Zorn Got
tes fühlen lassen, ihm den Anstoß und das Ärgernis | sool geben, das
Gott gibt. Damit sollte das Einnehmenwollen dieses Standpunktes
erledigt sein ! Nicht darum kann es sich bei dem Lebensversuch, zu
dem der Römerbrief auffordert, handeln, den Standpunkt Gottes
«einzunehmen», sondern nur darum , ihn von allen Seiten ins Auge zu
fassen, zu bedenken und dann in dieser Bedenklichkeit zu leben .
« Verurteilen » heißt Schuldigsprechen, sich in Zorn hüllen , ein Tun,
das von Gott zweifellos fortwährend geübt wird . Aber als sein Tun ist
Verurteilen unanschaulich eins mit Vergebung und Gerechtigkeitsof
fenbarung. Als unser Tun dagegen ist Verurteilen verhängnisvoll ein
deutig . Wir haben die göttliche Freiheit nicht, zu verwerfen und zu
erwählen , sondern wo und wenn wir uns aufs Verwerfen einlassen , da
bleiben wir darin stecken , und nur den Götzen eines Gotteszornes an
sich aufzurichten pflegt uns dann zu gelingen . So wirkt notorischer
weise das Verurteilen , das der «Schwache » in seinem Mönchseifer sich
ununterbrochen erlaubt , so aber auch nicht minder das Verurteilen
des « Starken », wenn er, durch das Schelten oder noch mehr durch das
bedauernde Seufzen des Gemüseessers gereizt , zum Verächter und
damit zum Verurteiler und damit selber ein Schwacher , ein Pharisäer
der Freiheit wird . Die « Urteilsfähigkeit », die der Starke als solcher
zweifellos hat, muss sich anders betätigen , sie muss sich gegen ihn
selbst kehren , sie muss sich darin bewähren , dass er seinem « Bruder »
überhaupt nicht als Träger des Zornes Gottes begegnet (denn das
kommt dem Menschen , wie der «Starke » wissen müsste , nicht zu ! ),
de
1. Abdruck ( 1922 ° ) : « Christus starb » .
687
also es nicht nur unterlässt, ihn zu verurteilen, sondern auch, ihm
« Anstoß und Ärgernis » zu geben. Denn auch das ist nur als göttliches
Tun göttlich, als menschliches Tun dagegen (wiederum in seiner fa
talen Eindeutigkeit) ganz unmöglich. «Anstoß und Ärgernis geben»
heißt irreführen, verblenden, verschließen, verstocken, von Gott aus
scheiden, der Möglichkeit, Buße zu tun, berauben. Zweifellos tut das
Gott (9,33 ) ! Aber als unanschauliches Gotteswerk ist auch dieses Tun
eins mit seinem Gegenteil. Indem Gott sein Urteil vollzieht durch den
Anstoß und das Ärgernis, die er gibt, nimmt er sich des Menschen an.
Da ist Verheißung, da ist Hoffnung, wo Gott verwirft und verstockt
(Kap. 11 ! ). Von demselben Stein, an dem die Verworfenen anrennen,
heißt es ja: «Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden ! » (9,32–
33 ). Anders, wenn der Mensch, an Gottes Stelle sich schiebend, dem
Menschen Anstoß gibt: er wird nur verstocken , nicht befreien, nur
verschließen, nicht lösen, nur töten, nicht lebendig machen . Haben
etwa die wohlgemeinten Anstrengungen der Gemüseesser je etwas
Anderes erreicht, als dass durch sie möglichst Vielen die Augen ver
schlossen, s01 möglichst Viele verbittert und der Möglichkeit, Buße
zu tun, beraubt worden sinddu? Anders als negativ und verstockend
hat auch der edelste Pharisäismus noch nie gewirkt. Aber negativ
wirkt auch der Pharisäismus der Gewissensfreiheit, der « Glaube, Al
les essen zu dürfen », wenn keine « Urteilsfähigkeit» da ist, keine Frei
heit in der Freiheit, keine Möglichkeit, dem eigenen Glauben zum
Trotz vielleicht – nicht Alles zu essen. Wieder zeigt es sich dann, dass
das höchste Recht das höchste Unrecht ist, sofern wir es uns nehmen
als unser Recht.
« Ich weiß und bin fest überzeugt im Herrn Jesus, dass nichts ansich
unrein ist. » Die Anschauung, von der der «Bruder» ausgeht, ist un
richtig und in Christus von vornherein überholt. Askese und Lebens
reform haben ihren Wert als Gleichnisse, als Darstellungen. Sie haben
keinen Wert an sich. Sie sind niemals und in keinem Sinn Vorstufen
zum Himmelreich. Es gibt wie nur ein Gutes, so auch nur ein Böses,
wie nur ein Reines, so auch nur ein Unreines. Unrein vor Gott ist Alles
und eben darum im Besonderen nichts, und alle Feststellungen beson
derer Unreinheit vor Gott entspringen der heimlichen oder offenen
du
1. Abdruck ( 19222): « beraubt wurden » .
688
Illusion, als ob nicht Alles vor Gott unrein wäre, der heimlichen oder
offenen Weigerung, wirklich Buße zu tun . Ernster müsste der Ernst
der Asketen und Reformmenschen sein, um ganz ernst zu sein, um
dem Problem des Bösen ganz gerecht zu werden. « Aber fürden, der es
als unrein rechnet, wird es unrein . » Angenommen, ein Mensch sei nun
einmal dieser unrichtigen und erledigten Anschauung, angenommen,
er habe sich nun einmal festgelegt auf diese grundsätzlich falsche
Rechnung, auf den Abscheu vor gewissen besonderen Unreinheiten.
Dann müsste offenbar seine Rechnungsweise eine andere werden;
denn sein Resultat ist an sich, innerhalb seiner Rechnungsweise, rich
tig und nicht zu bestreiten. Richtig ist das Einmaleins, mit dem er
operiert, irrtümlich sind nur die Größen, mit denen er seine Zahlen
benennt. Trefflich ist der Ernst und die Entschiedenheit seines Ab
scheus, fatal nur die Willkür in der Auswahl seiner Objekte. Er muss
also zurückgeführt werden auf seinen Ursprung. Wie ist er denn ent
standen ? Offenbar, menschlich gesprochen, aus derselben heilsamen
Lebensunruhe, aus derselben drängenden letzten Frage, aus demsel
ben Verlangen , Gott gerecht zu werden , aus der auch die Gewissens
freiheit des Starken entstanden ist. Soll er herumgelenkt werden, so
muss auf alle Fälle diese Unruhe, diese Frage, dieses Verlangen wach
bleiben. Die Freiheit, in der jeder Mensch gerade in seiner tiefsten Not
vor Gott steht, darf nicht gestört werden. Sie wird aber gestört, der
Mensch wird irregeführt und verstockt, ihm wird Anstoß | so2| und
Ärgernis gegeben, wenn er veranlasst wird, sein Rechnungsresultat
umzuwerfen, ohne doch die Unrichtigkeit seiner Rechnungsweise
einzusehen, wenn seine Entschiedenheit und sein Ernst gegenstands
los werden, statt ihr eigentliches Objekt zu bekommen, wenn er
leichtsinnig, gleichgültig und unklar wird, wo er früher streng und
bestimmt war, statt radikal zu werden und in derselben Entschieden
heit, mit demselben Ernst hindurchzubrechen zur Freiheit Gottes, in
der dem Reinen Alles rein ist (Tit. 1,15 ). Die Möglichkeit, Buße zu
tun, ist für jeden daran gebunden, dass er seinen Weg zu Ende geht;
denn Buße ist als das Ende des Menschen und als sein Neuanfang in
Gott das schlechthin individuelle, einmalige, einzigartige Tun, das
Keiner dem Andern abnehmen darf.
« Und wenn nun durch dein Essen dein Bruder bedrängt wird, so
wandelst du nicht mehr der Liebe gemäß .» Ein «Bedrängen» des
689
Nächsten ist alles das Tun, durch das ich ihn verhindere, seinen Weg zu
Ende zu gehen, ihn veranlasse, zu tun, was er nicht tun dürfte, ihm sein
Bestes, Fruchtbarstes , die in seinem Trotz und Eigenwillen nur ver
borgene Lebensunruhe dämpfe und neutralisiere, ihm zu einem Frie
den mit sich selbst verhelfe, den er gerade nicht finden soll, alles das
Tun also, durch das ich ihm die Buße abnehme. Ich triumphiere über
ihn, indem ich ihn verführe. Ich bekämpfe den Titanismus seiner mo
ralischen Haltung, aber ohne ihr tiefstes Motiv zu verstehen, und dar
um mit dem Erfolg, dass er durch mich nur dem um so gefährlicheren
Titanismus der Freiheit verfällt, in dem ich selber in meiner Stärke»
stecke. Ich zeige ihm eine Freiheit, die für ihn die schlimmste Gefan
genschaft ist. Ich vermittle ihm eine Erkenntnis Gottes, die besser eine
Erkenntnis des Teufels hieße. Vielleicht zwar, dass ich ihm damit das
Ärgernis bereite, das Gott ihm unfehlbar bereiten will («es muss ja
Ärgernis kommen» (Mt. 18,7b par.]). Vielleicht, dass dies eben, was
ich ihm antue, das Ende seines Weges ist, dass darin eben für ihn die
Möglichkeit, Buße zu tun, gegeben wird. Vielleicht, dass ich ihn da
mit, dass ich ihn in Versuchung führe, über sich selbst, auch über seine
Lebensunruhe hinaus und vor Gott führe. Aber («wehe dem Men
schen, durch welchen das Ärgernis kommt ! » (Mt. 18,70 par.]) was
kann ich davon wissen ? wie sollte ich mir erlauben dürfen, auf dieses
göttliche Vielleicht hin zu handeln ? Ich «wandle nicht mehr der Liebe
gemäß », indem ich den Bruder im Mitmenschen, den Einen im An
dern, Christus im Nächsten, in der Schwachheit des Nächsten, ver
gesse. Ich bin weder dadurch, dass ich Recht habe, noch dadurch dass
Gott Recht hat, gerechtfertigt. Also: « Verdirb nicht durch dein Essen
den, für den Christus ( 503 starb!» dvChristus ist für ihn gestorbendy,
ich aber – esse gegen ihn! Das ist das Unmögliche, das Absurde, auch
meiner möglichsten Möglichkeit, das Unrecht auch meines höchsten
Rechtes. Kein Triumph meiner Gewissensfreiheit, meines «Glaubens,
Alles essen zu dürfen», rechtfertigt mich in dem Augenblick, wo ich,
mich auf den Thron Gottes setzend, durch mein Tun «Anstoß und
Ärgernis» gebe, den « Bruder » verwirre, statt dem Zorn Gottes Raum
zu geben (vgl. 12,19) . Sondern erledigt ist in diesem Augenblick meine
Freiheit und mein Glaube, und mein ganzes Wissen ist dann so viel, als
ob ich nichts wüsste .
dv-dy
1. Abdruck ( 1922°): « Christus starb für ihn».
690
V. 16–18 Euer Gut soll nicht gelästert werden. Denn das Reich
Gottes ist nicht Essen und Trinken , sondern Gerechtigkeit und
Friede und Freude im heiligen Geiste. Wer darin dem Christus
dient, ist Gott wohlgefällig und echt vor den Menschen.
Wir stehen vor der ehernen Schranke, die der Stärke des Starken
gesetzt ist, vor der Krisis dessen, was wir unsre Freiheit nennen. Wir
freuen uns über diese Freiheit als über unser « Gut» . Aber sie ist nur
dann ein «Gut», wenn sie die Freiheit und d. h. « das Reich Gottes» ist.
Ist das klar ? Handelt es sich nur um die Freiheit, die Gott sich nimmt
und nehmen soll in unserm Tun und Lassen, oder handelt es sich
darum , dass wir uns eine Freiheit nehmen möchten in seinem Namen ?
Wissen wir, dass unsre Freiheit darin ihren Wert hat, dass Gott in ihr
seine Freiheit demonstriert, oder meinen wir etwa, dass Freiheit an
sich einen Wert habe ? Ist es uns um « Gerechtigkeit, Frieden und Freu
dee»» zu tun, wenn wir unsre Stärke beweisen, oder am Ende einfach –
ums « Essen und Trinken » ? Dürfen wir, was wir müssen, oder müssen
wir, was wir dürfen ? Meinen wir die Autonomie der Wahrheit oder
unser bisschen Autonomie ? Ist es diesedw, dann ist unser « Gut» schon
gelästert, von uns selbst gelästert und damit mit vollem Recht auch der
Lästerung der Andern preisgegeben. Wie fragwürdig, wie komisch
anmaßungsvoll, nein, wie heuchlerisch und gefährlich steht der Pau
linismus auf einmal da, wenn es sich dabei (wie im modernen Prote
stantismus sicher! ) um jene enorme Verwechslung handelt: um die
Rechtfertigung des Menschen durch die Erkenntnis des Geheimnisses
Gottes. Zur Erreichung diesesdx Zieles brauchte es wirklich den Um
weg über den Römerbrief nicht. Ist das Alles (und welcher Pauliner
wäre jedy auch nur einen Augenblick außer Gefahr, zu tun, als ob das
Alles wäre ! ) – wie recht hat dann auf einmal der Chorus der «Schwa
chen » mit all den Anklagen, die er von jeher gegen den Römerbrief
erhoben hat ! Wie recht hat dann der Großinquisitor mit seinen wahr
haftig wohlbegründeten Bedenken gegen die Freiheit, die Christus
gebracht 1504 hat ! Wie recht hat dann mit einem Schlag das ganze
Heer der Moralisten, der psychologisch, pädagogisch und soziolo
gisch Interessierten, der « historisch Denkenden», all der Sichern, Ge
dw
1. Abdruck ( 1922 ?) : « das Letztere » .
dx
dy
2. Abdruck ( 1923 ' ): «dieses» .
2. Abdruck ( 1923 ' ) : « ja » .
691
radlinigen, Praktischen, all der Freunde des gesunden Menschenver
standes ! Wie belanglos und entschuldigt, ja wie wohl begründet und
gerechtfertigt erscheint dann auf einmal ihre tiefe Uneinsichtigkeit!
Wie dringend nötig hätten wir es dann, uns schleunigst unter das
nächste beste Gesetz zu beugen ! Wie empfehlenswert erschiene dann
die Möglichkeit, in der Einsicht, dass wir uns zu weit vorgewagt, in die
mütterlichen Arme der katholischen Kirche zurückzukehren ! Es ist
aber das Reichdz Gottes selbst, das uns in diese Krisis führt. Nicht
erkannt als das Reich Gottes, muss es uns zum Gericht werden. «Im
heiligen Geist» dient man Christus, nie und nimmer in «unserm»
Geist. Wählen wir diese zweite Möglichkeit“, besteht darin die Frei
heit unsres Lebensversuchs, dass «unser» Geist zu Ehren kommt (und
wann läge das nicht unendlich nahe ?), dann können wir uns jedenfalls
nicht wundern, weder «wohlgefällig » vor Gott noch « echt vor den
Menschen » dazustehen. Es wäre dann schon ein Zeichen von Einsicht,
wenn wir es lernten, die Reformation wenigstens nicht mehr zufeiern ,
sondern als ein titanisches Wagnis ernst zu bedauern. Die Zeit möchte
dann folgen, wo wir das Weitere lernen könnten, an der Größe der
Versuchung die Größe der Verheißung zu ermessen , die damit ver
bunden ist, dass wir «auf dem Boden der Reformation» stehen. Vor
läufig ist hauptsächlich das an uns ersichtlich, wie sehr und wie tief der
Mensch auf diesem Boden zu Fall und zu Schaden kommen kann.
V. 19–23 So lasst uns nun nach dem Frieden und nach der ge
genseitigen Auferbauung streben. Zerstöre nicht um einer Speise
willen das Werk Gottes. Alles ist rein, aber vom Bösen ist es für den,
der es mit Anstoß isst. Besser weder Fleisch essen, noch Wein trin
ken, noch irgend etwas tun, wenn dein Bruder Anstoß nimmt. Du
hast den Glauben* ? Habe ihn für dich selbst vor Gott! Selig ist, wer
sich nicht verurteilen muss bei dem, was er sich erlaubt. Wer aber
zweifelt, der ist, indem er isst, zum Tod verurteilt, weil es bei ihm
nicht aus dem Glauben geschieht. Alles aber, was nicht aus dem
Glauben geschieht, ist Sünde.
* ĥv vor čxels dürfte Erleichterungsversuch eines Abschreibers sein, der den
Fragesatz V. 22a nicht als solchen erkannte.
dz
ea
2. Abdruck ( 1923 '): «Recht» .
1. Abdruck ( 1922²): «das letztere» .
692
Ob sie ersichtlich ist aus allen unsern Erwägungen , die doppelt
gebrochene Linie, der schmale, nie selbstverständlich gewiesene Weg
des paulinischen Lebensversuchs ? Wir fassen noch einmal zusammen:
« Nach dem Frieden » sollen wir streben. Ja, aber nicht sos| nach
dem ersten besten Frieden, bei dem man den Menschen mehr ge
horcht als Gott. Der Friede in der Freiheit Gottes allein kann gemeint
sein, waseb Krieg mit aller Welt bedeuten kann. Also: das selbständige
Gewissen sei Sonne deinem Sittentag109! Ja, aber – zweite Wendung -
das in Gott selbständige Gewissen , der Friede Gottes, der höher ist als
die zufällige Vernunft (vgl. Phil. 4,7], der Friede in der Freiheit, die
auch des Nächsten Freiheit ist. Kein Friede ohne « gegenseitige Auf
erbauung» . Nun geh deinen Weg mitten hindurch !
« Zerstöre nicht um einer Speise willen das Werk Gottes!» Wir sehen
das Gute, das Göttliche in Gefahr, wir sehen die Menschen leiden, wir
erkennen die Notwendigkeit, zuzugreifen, Opfer zu bringen, Taten
zu tun. Wahrlich nicht «um einer Speise willen», nicht weil der
Mensch seine Freiheit haben und behaupten will, darf das Notwen
dige nicht geschehen, das Werk Gottes zerstört werden . Ja, aber « Alles
ist rein », Alles !, das ist das Ende aller moralischen Steilheit, das grund
sätzliche Ende aller direkten Aktion " , die Proklamation der Gewis
sensfreiheit für Jeden. Der Protestantismus bekommt schrankenlos
Recht. Ja, aber – zweite Wendung – «vom Bösen ist es für den, der es
mit Anstoß isst ». Es bleibt dabei, dass mein Nächster in Not ist, und
der Gebrauch meiner Freiheit vergrößert sie, in Versuchung steht, und
ich stoße ihn hinein, seinen Weg unbeirrt gehen sollte, und ich halte
ihn auf. Darf das sein ? Muss ich durchaus wollen, was ich darf ? Darf
eb
1. Abdruck ( 1922°): «welcher».
109 Aus dem Gedicht « Vermächtnis » von J.W. von Goethe:
Denn das selbständige Gewissen
Ist Sonne deinem Sittentag.
110
Anspielung auf die Form des politisch-sozialen Kampfs durch das ge
meinsame unmittelbare Eintreten der Betroffenen für ihre Ziele etwa durch
Streiks ohne Lenkung durch übergeordnete Organe. Barth bezieht sich auf die
« direkte Aktion » mit Blick auf Römerbrief I im Brief an E. Brunner vom
17.12.1918 ( K. Barth - E. Brunner, Briefwechsel 1916–1966, hrsg. von der Karl
Barth - Forschungsstelle an der Universität Göttingen (Leitung E. Busch) (Ge
samtausgabe, Abt. V], Zürich 2000, S. 38f.).
693
ich die direkte Aktion verachten ? Darf ich sie unterlassen ? Darf ich -
an dem unter die Räuber (vgl. Lk. 10,30] Gefallenen vorbeigehen um
meiner Freiheit willen ? Also weiter: «Besser weder Fleisch essen, noch
Wein trinken, noch irgend etwas tun, woran dein Bruder Anstoß
nimmt» . Der heilige Geist ist das objektive Recht, nicht das Recht, das
ich habe. Du siehst die Steine mitten aus dem Bach ragen ? Bleib auf
keinem länger als einen Moment stehen mit einem Fuß, so allein
kommst du hinüber !
«Du hast den Glauben ? » Ja, habe ihn ! Aber «habe ihn für dich
selbst » und «vor Gott»!Nurfür dich selbst kannst du glauben und nur
vor Gott. Ganz einsam bist du in deinem Glauben mit Gott, ganz nur
an ihn gebunden, ganz auf ihn geworfen, niemand dein Richter und
niemand dein Retter als er: « Selig ist, wer sich nicht verurteilen muss in
dem , was er sich erlaubt!» Ja, aber – zweite Wendung - es ist furchtbar,
so mit Gott allein zu sein, zu wissen, dass er allein der Gute ist, der
seiner nicht spotten lässt (vgl. Mt. 19,17 par.; Gal. 6,7], der Alles von
uns fordert, indem er uns Alles nimmt. Und nun die Möglichkeit des
Zweifels, 1506 bei dir oder bei den Andern, die Möglichkeit, die so
unendlich naheliegende Möglichkeit, es möchte so Vieles, vielleicht
Alles, was wir tun, nicht aus dem Glauben geschehen! « Wer zweifelt,
der ist, indem er isst, zum Tod verurteilt, weil es nicht aus dem Glau
ben geschieht. Alles aber, was nicht aus dem Glauben geschieht, ist
Sünde ». Wer ist hier gerechtfertigt? Wer wagt es hier, zu sagen: Ich
habe den Glauben! Wer wagt es, hier die Verantwortung für Andre auf
sich zu nehmen oder auch nur die Verantwortung für sich selbst ? Wer
wagt es, hier noch zu pochen auf seine Autonomie ? Und nun halte
dich in dieser grauenvollen Unsicherheit an den einen Faden: Gott!
Aber wer kann sich hier halten, es sei denn, dass er gehalten werde?
V.1–6 * Wir aber, die Starken, sind verpflichtet, die Schwach
heiten der Unvermögenden zu tragen und nicht uns selbst zu
* In der ersten Auflage dieses Buches wurde im Anschluss an Tholuck,
Hofmann und Zahn versucht, die Stelle 16,25–27 hier unterzubringen und zu
erklären ."" Sie lautet folgendermaßen: Dem aber, der die Kraft hat, euch zu
696
den, bei dem der Fuß kaum einen Moment lang ruhen darf, keinen
andern Halt als den in Gott. Aber die Krisis besteht. Alles, was Selbst
behauptung, Freisinn, Errungenschaft, Rechthaben, Anspruch ist an
unserm Glauben, das ist jedenfalls nicht unsre Stärke. Sollte unser
«freier» Lebensversuch heimlich dieses Ziel haben, so würden wir
besser ins Lager der Präzisen, der «Schwachen» übergehen; denn eben
um diese Dinge handelt es sich bei den Schwachen. Was aber bleibt uns
dann übrig ? Anschaulicherweise nichts ! Wir können uns nur klar ma
der Schluss des Römerbriefs (denn zu dieser Annahme wird man sich trotz des
Vorhandenseins jener alten Zeugen schwerlich entschließen wollen), dann ge
hört die Doxologie sicher nicht ursprünglich hierher. Sie kann aber (davon
ging ich schon in der 1. Aufl. aus) auch nicht an den Schluss des paulinischen
Römerbriefs gehören. Was soll sie dort ? « Psychologisch durchaus begreiflich »
( Kühl) 122 ist es, wenn eine kirchliche Festtagspredigt etwa so endigt. Aber der
Römerbrief ist keine Festpredigt, sondern eine sachliche Mitteilung, die mit
der kleinen Polemik 16,17–20, den Grüßen aus Korinth 16,21-23 und dem
(nicht zu streichenden !) Segenswunsch 16,24 abschließt, wie es sich geziemt,
während es für mich eine unvollziehbare Vorstellung ist, dass Paulus dann
noch einmal angesetzt haben sollte, um ein «Gebilde liturgischen Charak
ters » zu schaffen. Fasse ich aber endlich dieses Gebilde selbst ins Auge: die
gerade von der Parallele Eph. 3,20-21 unangenehm abstechende Schwülstig
keit seines Stils, die Kontortheit der Konstruktion, die unleugbare Fremdar
tigkeit der verwendeten Begriffsgruppen und dazu den Hinweis Harnacks123
auf den marcionitischen Grundcharakter dieser acht Zeilen (die nach ihm
durch Korrekturen für die Großkirche erträglich und eben damit formell so
unerträglich gemacht worden wären), so komme ich zu dem Schluss: Diese
Stelle stammt nicht von Paulus. Sie ist (ob in der jetzigen oder in einer kürzern
marcionitischen Form bleibe dahingestellt) als liturgischer Abschluss einer nur
Kap. 1-14 ent-1508 |haltenden Textversion beigefügt worden (ein altes Kapitel
verzeichnis belegt das Vorhandensein einer lateinischen Version, die aus Kap.
1-14 und Doxologie bestand 24) und von da aus dann auch in die Kap. 1-16
enthaltenden Texte übergegangen, z.T. unter Belassung an ihrer Stelle zwi
schen Kap. 14 und 15 , z.T. unter Versetzung an den Schluss (wo 16,24 durch sie
verdrängt wurde), z.T. unter Aufführung an beiden Stellen. Es hat aber auch
solche sonst vollständige Handschriften gegeben, die die Doxologie überhaupt
nicht enthielten (wohl aber 16,24), und diese Überlieferung möchte ich für die
ursprüngliche halten.
122
697
chen, dass wir als die Wissenden, als die Überlegenen, als die Freien
auch schwach sind; wir können uns nur mit ihnen in die Reihe stellen.
Je mehr wir jedes Verachten , jedes Uns-Differenzieren, jedes Anfüh
renwollen unterlassen können, um so besser! Wir «sind verpflichtet,
die Schwachheiten der Unvermögenden zu tragen ». Nur scheinbar
etwa, nur mit herablassender Verstellung? Nur um dann unsrer Stärke
und Freiheit heimlich doch wieder froh zu sein ? Nein, das hieße nicht
tragen. Im neuen Testament wird nicht Theater gespielt. Ganz exi
stentiell ist dieses Tragen gemeint: wirklich schwach sein mit den
Schwachen ; sie sind ja nicht im Ernst schwach, ihre Schwäche besteht
ja gerade in ihrer vermeintlichen Kraftentfaltung. Wir aber sollen das
tragen, was sie nicht tragen können oder wollen: die ganze Last jener
Unruhe, die Gott dem Menschen bereitet. Wir sollen die sein, die es
wissen, dass man sie nicht loswerden kann, weder durch Präzision
noch durch Gewissensfreiheit, weder durch Katholizismus noch
durch Protestantismus, weder durch Askese und Reformen noch
durch den «Glauben, Alles essen zu dürfen », dass dem Menschen in
seiner letzten Not jeder Weg verrannt ist außer der einen Pforte, die
Gott öffnet. Auch die Schwachen sind darauf angewiesen, dass es
solche tragenden, solche priesterlichen, solche wissenden Menschen
gibt. Das sei unser freier Lebensversuch, nicht aber «uns selbst zu
Gefallen zu leben ». Wir haben die Schlacht|509|verloren, sobald wir
das wollen! Nur um Gottes willen keinen Protestantenkoller, keinen
« Kampf gegen Rom» ! Unsre Stärke ist das Tragen, bei dem wir selbst
gar nicht erscheinen, nur da sind als die Gedenkenden und Bedenk
lichen. Gerade das Unhandliche, Unbrauchbare des Paulinismus, ge
rade das Weltfremde, Unpraktische, Unpopuläre des Protestantismus
ist sein bestes Teil. Im Augenblick, wo er eine Größe, ein Faktor sein,
eine Rolle spielen will, gibt er sich selbst auf. Nur davon, dass er es
nicht wagt, am äußersten Rande der Kultur, der Gesellschaft, der
Weltanschauungen und Religionen das bescheidene (in Wirklichkeit
das entscheidende ! ) Frage- und Ausrufzeichen zu sein, nur davon,
dass er durchaus etwas sein und mit dem römischen Gemüseesser
konkurrieren möchte, rührt seine Krisis her. « Jeder von uns soll dem
Nächsten zu Gefallen leben, im Blick auf dasGute zur Auferbauung.»
Das ist das Opfer, der Verzicht, der Zug in die Wüste, der gerade von
dem Starken gefordert ist. Er hat den Nächsten im Auge. Wir erinnern
698
uns: der Nächste ist der Eine in Jedem. Da hört alle Konkurrenz, alle
Besonderheit des Lebensversuchs auf. Der Starke steht, weil er der
Starke ist, gegen niemand und hinter Allen. Er eilt nicht voraus, er
wartet. Er ruht nicht, er wacht. Er kritisiert nicht (er ist zu kritisch
dazu ! ), er hofft. Er erzieht nicht, er betet, oder er erzieht, indem er
betet. Er tritt nicht auf, er tritt zurück . Er ist nirgends, weil er überall
ist.
«Denn auch der Christus lebte nicht sich selbst zu Gefallen .» Wir
erinnern uns an Alles, was wir (bes. im 3. und 8. Kap.) über die Ver
borgenheit der Offenbarung Gottes in Christus gehört haben. Das ist
hier gemeint. Das muss sich auch in der Ethik bewähren. «Er wird
nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf
den Gassen », und darum wird gerade das nicht geschehen, was mit
jedem « Standpunkt» unzertrennlich verbunden ist: « Das zerstoßene
Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er
nicht auslöschen» (Jes. 42,2—3 ). «Er sah es nicht für einen Raub an,
Gott gleich zu sein » (Phil. 2,6). Das Reich Gottes, das er verkündigt,
ist wirklich die Freiheit Gottes. Ein Opfer, ein Verzicht, ein Zurück
treten darum sein ganzes Leben. «Die Schmähungen derer, die dich
schmähen, sind aufmich gefallen» (Ps. 69,10). So geht er als der große
Leidende ( Jes. 53 ! ) durch die Geschichte des Alten Bundes. So steht er
vor uns als der Gekreuzigte. « Das ist zu unsrer Belehrung geschrie
ben. » Voll « Beharrlichkeit» , voll « Trost » ist dieses Bild. Und ist doch
viel mehr als ein Bild . Denn der « Gotts 10 der Beharrlichkeit und des
Trostes» steht hinter ihm, belehrt nicht nur, sondern gibt das Unfass
liche, dass wir Menschen in unsrer ganzen Verschiedenheit und Zer
rissenheit « eines Sinnes » sein, mitten in dem gedankenvollen Spiel auf
den Einen und auf das Eine hinschauen und in den Dissonanzen der
Gemeinde die Stimme der Gemeinschaft vernehmen können, die
« einmütig aus einem Munde preist den Gott und Vater unsres Herrn
Jesus Christus
V. 7–13 Darum haltet Gemeinschaft miteinander, wie auch
Christus euch* Gemeinschaft gewährt hat zur Ehre Gottes. Denn
* ñuās ist eine spätere Verallgemeinerung. Paulus wendet sich hier noch
einmal speziell an die « Starken» .
699
ich meine: Christus ist ein Diener der Beschnittenen geworden um
der Wahrheit Gottes willen, damit die den Vätern gegebenen Ver
heißungen verwirklicht würden. Die Heiden aber preisen Gott um
des Erbarmens willen, wie geschrieben steht: Deswegen will ich
dich unter den Heiden bekennen und deinem Namen singen. Und
wieder heißt es: Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volke! Und
wiederum: Lobet alle Heiden den Herrn, und es sollen ihn loben
alle Völker ! Und wieder sagt Jesaja: Es wird sein die Wurzel Isai
und Einer, der aufsteht, zu herrschen über die Heiden, auf ihn
werden die Völker hoffen ( Ps. 18,50; Dtn. 32,43 ; Ps. 117,1; Jes. 11,10).
Der Gott der Hoffnung erfüllec euch mit lauter Freude und Frie
den im Glauben, damit ihr reich werdet an Hoffnung in der Kraft
des heiligen Geistes.
Christus ist die Krisis des freien Lebensversuchs. Er macht die Star
ken zu Starken zur Ehre Gottes . Er führt sie aber auch wieder zu den
Schwachen zur Ehre Gottes. Er ist der Christus Israels, der Kirche;
denn kein noch so dürftiges Zeugnis, das die Schwachen für ihn ab
legen, ist ganz ohne Gegenstand, ganz ohne die ihm entsprechende
Wahrheit Gottes. Er ist aber auch der Christus der Heiden, der Chri
stus der Welt. Gottes Erbarmen hat die Starken gefunden , da sie wahr
haftig noch Schwache waren (5,6). Wahrheit und Erbarmen, das hält
Juden und Heiden, Kirche und Welt zusammen. Wer ist hier stark ?
Wer ist hier schwach ? Hier ist der « Gott der Hoffnung » vor, hinter,
über jedem Lebensversuch. Ihm jauchzen alle Stimmene derer ent
gegen, die gefunden wurden von seiner Wahrheit und von seinem
Erbarmen. Er sieht das Schwache in den Starken und das Starke in den
Schwachen, und er sieht mit seinen Augen, wie sie alle auf den höch
sten wie auf den tiefsten Stufen teilnehmen an dem seligen Geheimnis
seiner Freiheit, seines Reiches.s11
ec
ed
2. Abdruck ( 19233): « erfüllt ».
1. Abdruck ( 19222): «alle die Stimmen ».
700
15. und 16. Kapitel
DER APOSTEL UND DIE GEMEINDE
15,14-33 ; 16,1-24
V. 14 Ich bin aber, meine Brüder, ohnehin ganz überzeugt, dass ihr
selber voll guter Gesinnung seid, im Vollbesitz der Erkenntnis und
fähig, euch gegenseitig das Rechte nahezulegen.
Der Römerbrief bietet keine neue, sondern die alte, keine fremde,
sondern die bekannte, keine persönliche, sondern die universale
Wahrheit. Er erhebt nicht den Anspruch, originell, tief oder geistreich
zu sein, er lässt sich aber mit seinem wirklichen Anspruch auch nicht
unter diesem Vorwand abweisen. Er ist keine Dogmatik, es dürfte ihm
aber eben darum auch nicht mit antidogmatischen Tiraden zu ant
worten und beizukommen sein. Er proklamiert nicht die Autorität
des Paulus, er ist aber auch nicht zu erledigen durch die Entdeckung,
dass dies alles eben doch im besten Fall nur – Paulus sei; denn dass
Paulus nicht Christus ist, das ist eine gänzlich banale und eindrucks
lose Wahrheit; Christus steht in keinem Buche, und an den zu « glau
ben », der den Römerbrief schrieb, oder an das, was er schrieb, das
kommt keinen Augenblick in Frage; man kann nur an Gott glauben !
Eben das ist die These des Römerbriefs, die These des «Paulinismus»,
mit der er sich selbst aufhebt, lange bevor seine Widersacher zu ihren
ängstlichen Warnungen auch nur den Atem gefunden haben. Wer sich
gegen den Paulinismus als «System» ' noch ereifern kann, der kämpft
gegen Windmühlen und beweist nur, dass er nichts gelernt und nichts
vergessen hat. Der Römerbrief appelliert weder an einen Autoritäts
glauben, noch an ein Vermögen konstruktiven Denkens, noch an ei
nen Sinn für höhere Welten ', noch an eine besondere Erlebnisfähig
keit, noch an ein kultiviertes Gewissen, noch an ein religiöses Gefühl,
sondern an den sensus communis, an das wallgemeine Wahrheitsge
fühl » (Oetinger) ', an die kindliche Einfalt (ja wohl ! ) derer, die die
i Siehe oben S. 673 , Anm. 97.
2 Siehe oben S. 137, Anm . 19 .
701
Verworrenheit der vermeintlichen « Einfachheit » t, deren sich dieses
Geschlecht rühmt, durchschaut haben und ihrer satt sind, an die Ehr
lichkeit der Heiden , an ihre Willigkeit, sich einer sachlichen Betrach
tung der menschlichen Lebenslage nicht ohne Weiteres, nicht gänzlich
zu entziehen. Er redet die « Brüder » an in den Adressaten, den exi
stentiell Einen in | 512 Allen. Er rechnet auf die Teilnahme, auf das
Verständnis, auf die Mitarbeit, die niemand im Ernst verweigern kann,
der, allen Ideologien abhold, die Dinge « einfach » nehmen will, wie sie
sind. Er spricht aus, was jeder schon gehört hat. Er sagt, was jeder sich
selbst sagen kann. Er deckt auf, was immer und überall wahr ist. Er
belehrt die Belehrten. Er ist eine Mitteilung an die Wissenden. Er
ermahnt, die guten Willens sind. Nur gleichnisweise betritt er die
Szene, entfaltet er seine Fahne, vollzieht er seinen Aufmarsch, erledigt
er seine Gegner, behauptet er das Feld. Er verlässt es nach geschehener
Tat, als ob nichts geschehen wäre. Wer gegen ihn Recht haben will,
dem ist es – auf seine eigene Verantwortung - durchaus unverwehrt.
« Ich bin ganz überzeugt, dass ihr selber voll guter Gesinnung seid, im
Vollbesitz der Erkenntnis. » Also, frommer Mann, nimm dir's nicht
an! Sei du deines Standpunktes froh, wenn du es kannst! Verstopfe dir
doch die Ohren vor den gestellten Fragen, solange du es fertig bringst!
Wir sind ja – es ist ernst gemeint – viel einverstandener, als du es
glauben willst. Den Ausbrüchen eines antiorthodoxen Ressentiments
aber kann eine andere als humoristische Bedeutung wirklich nicht län
ger zugebilligt werden.
3
3 Vgl. Friedrich Christoph Oetingers Leben und Briefe, als urkundlicher
Commentar zu dessen Schriften, hrsg. von K.Chr.E. Ehmann, Stuttgart 1859,
S. 198–204 («Die Untersuchung über das allgemeine Wahrheitsgefühl»: Bericht
Oetingers über seine Schrift Inquisitio in sensum communem et rationem [... ),
Tübingen 1753 ), und C.A. Auberlen, Die Theosophie Friedrich Christoph Oe
tinger's, mit einem Vorwort von R. Rothe, Basel 1859?, S.65-82 (beide Bücher
in Barths Bibliothek, mit ausführlichen Unterstreichungen).
4 Vgl. oben S. 9 und S. XXXII.
s Vgl. O. Myconius, Vom Leben und Sterben Huldrych Zwinglis. Das äl
teste Lebensbild Zwinglis. Lateinischer Text mit Übersetzung, Einführung und
Kommentar, hrsg. von E. G. Rüsch (Mitteilungen zur Vaterländischen Ge
schichte, Bd. 5o), St.Gallen 1979, S. 48 : «Dum verbis ardentioribus detonaret
[sc. Zuinglius) in ocium, et pensiones, [...] adiecerat semper: Frommer man,
nim dichs nit an» . Vgl. H. Zwingli, Sämtliche Werke, Bd. 1 (= CR 88), Berlin
1905 , S. 174, Z. 10; S. 576, Z. 16; Bd. 3 (= CR 100), Leipzig 1914, S. 485 , Z. 9f.
702
V.15-16 Ich habe euch teilweise etwas kühner geschrieben, um
euch wieder zu erinnern kraft der mir von Gott gegebenen Gnade
als Priester des Christus Jesus an den Heiden, der den heiligen
Dienst versieht an der Heilsbotschaft Gottes, damit die Heiden
eine wohlaufgenommene Opfergabe würden , geheiligt durch den
heiligen Geist.
Der Standpunkt des Römerbriefs ist in der Tat ein « teilweise etwas
kühner» Standpunkt. Friedlicher lebt es sich in andern Hürden als im
Schatten dieser Möglichkeit. Erschreckend dünn ist der Faden des
wissenden Nicht-Wissens, der uns hier geboten wird, unheimlich
nahe dem Abgrund der Weg, den wir hier geführt, bedenklich scharf
das Entweder -Oder, vor das wir hier auf Schritt und Tritt gestellt
werden. Muss das so sein ? Muss denn durchaus dieser extreme, dieser
exponierte Standpunkt (der kein Standpunkt ist! ) eingenommen sein ?
Muss denn alles, was nicht « Antwort in der Frage» ist, muss denn
jeder freundliche, friedliche, praktische, historisch und psychologisch
einleuchtende Mittelweg durchaus ausgeschlossen, muss denn gerade
diese steilste Grenzmöglichkeit gewählt sein ? Wir antworten : durch
aus nicht ! Wir sind weit davon entfernt , etwa das, was als mensch
liche Haltung, Möglichkeit und Methode auch im Römerbrief unver
meidlicherweise anschaulich wird, als den 1513 normalen Weg hin
stellen zu wollen, schon darum, weil wir vor allen « normalen Wegen »
als solchen in tiefstem Ernst nur warnen können. Wir legen nicht den
geringsten Wert darauf, radikal zu reden und eine radikale Silhouette
zu bieten. Wir wiederholen nochmals, dass der Paulinismus auch sich
selbst nur ins Unrecht setzen kann, dass auch die steilste Grenzmög
lichkeit, die er in der Reihe der verschiedenen Standpunkte darstellt,
als solche nicht sein Sinn, sondern nur sein Gleichnis ist. Wir wissen
aber auch die andern relativeren und harmloseren Betrachtungsmög
lichkeiten in ihrer möglichen Bedeutsamkeit und Fruchtbarkeit
durchaus zu schätzen . Wir sind in der Lage, uns freundlich neben den
Katholiken, den « Positiven », den Kulturprotestanten, den Völker
bundstheologen“ (ja und neben wen nicht ?) zu stellen und ihm das
a
1. Abdruck ( 1922°): «weit entfernt davon».
6 Vgl. oben S. 642, Anm. 70, und S. 332, Anm. 13 .
703
Beruhigende, das überall so Erwünschte zu sagen: Du hast Recht! –
unter der beunruhigenden Bedingung nämlich, dass auch du Unrecht
hast! Hier beginnt unser «teilweise etwas kühnes» Reden und das
dringende Interesse, das wir daran haben, es uns nicht nehmen zu
lassen. Sollte es sich nämlich etwa darum handeln, von Gott zu re
den – nicht davon, wie wir uns trösten und helfen wollen, "nicht da
von, womit wir «religiös vorwärtskommen » (Wernle) ?, nicht davon ,
womit wir « etwas anfangen » können, nicht von jenem metaphysi
schen X, das wir zum Träger unsrer Postulate gemacht haben, son
dern von Gott, wie er uns in der Wirklichkeit unsres Lebens, au
thentisch interpretiert in Jesus Christus (gleichviel ob es uns willkom
men und annehmbar ist oder nicht ! ), begegnet: als der unbekannte,
der heilige Gott, der Herr über Leben und Sterben, sollte es sich bei
allen jenen relativeren und harmloseren Betrachtungsmöglichkeiten
letzten Endes eben doch auch um die ehrlich gestellte und zu stellende
Existenzfrage des Menschen handeln, sollte das das Anliegen alles
möglichen Redens und Hörens von Gott sein, uns « wieder zu erin
nern » , weil wir alle vergessen haben des unbekannten Gottes, verges
sen des Einen, vergessen der freimachenden Wahrheit - dann muss
(von jedem möglichen Standpunkt aus) das «teilweise etwas Kühne»
des Römerbriefs gesagt, dann muss scharf geschossen werden, dann
gilt es (durchaus in der Meinung, keiner unsrer Nachbarn könne und
werde da zurückbleiben !), rücksichtslos, gänzlich «unfromm», un
beirrt sachlich, die Frage aller Fragen aufzurollen, das Paradox des
gekreuzigten und auferstandenen Heilands aufzuweisen, Alles, aber
auch Alles an den einen Faden des Glaubens zu hängen, alle, aber auch
alle Hilfsvorstellungen, potemkinschen Dörfer, Scheinrealitäten als
solche abzuwerten und abzubauen, unentwegt gerade den Weg zwi
schen den 15141 beiden Abgründen zu betreten und zu gehen. Dann
mitleidslose Schärfe gegen allen Kitsch, dann keine Konzessionen,
keine Scheu vor den «gefährlichsten» Konsequenzen .Dann: «Brennet
im Geiste ! » ( 12,11 ). Wobei wir sehr wohl wissen, dass es zwar ein
« kühnes», aber nur ein « teilweise etwas kühnes» Reden von Gott gibt,
dass das existentielle Ereignis der Wiedererinnerung nicht als Akt
b- b
1. Abdruck ( 1922 ): «nicht von dem [...], nicht von dem».
7 Vgl. Wernle, S. 169 .
704
neben Akten stattfindet, dass es zu absoluten Worten des Durch
bruchs unter keinen Umständen kommen kann und wird, denn das
wäre das Ende aller Dinge, das an die Hand zu nehmen wir uns nicht
erdreisten sollen. Immerhin: es besteht neben jenen ordentlichen, re
gulären, «bürgerlichen» Betrachtungsmöglichkeiten (nein, nicht ne
ben ihnen, sondern tragikomischer- und hoffnungsvollerweise in ih
nen allen !) die außerordentliche, die irreguläre, die - im gewichtigsten
Sinn gesagt – revolutionäre Möglichkeit, jenen Vorstoß zu wagen.
Dieser Vorstoß, unternommen im tiefsten Einverständnis mit dem
Einen in Allen ", ist der Römerbrief, das Gespräch über Gott, die
Theologie. Sie ist unter allen andern möglichen Fällen (und als der Fall
aller Fälle! ) – « kraft der mir von Gott gegebenen Gnade als Priester
des Christus Jesus an die Heiden, der den heiligen Dienst versieht an
der Heilsbotschaft Gottes, damit die Heiden eine wohlaufgenommene
Opfergabe würden, geheiligt durch den Heiligen Geist » – der außer
ordentliche, der irreguläre, der revolutionäre Fall. Noch einmal: auch
dieser Fall nur ein Gleichnis ! Aber immerhin ein Gleichnis! Die
Theologie hat es mit der Gnade zu tun, mit dem «absoluten Mo
ment» , mit der gefräßigen Dialektik von Zeit und Ewigkeit, vor der
sich alle andern Wissenschaften mit mehr oder weniger Glück in Si
cherheit zu bringen gewusst haben und die sie doch alle bedroht. In
ihrer Rechnung figuriert der Posten, der kein Posten sein kann, die
unmögliche Möglichkeit Gottes, und dieser Posten droht in jedem
Augenblick die ganze übrige Rechnung umzuwerfen. Sie ist ein « Prie
sterdienst an den Heiden », d. h. sie wendet sich an den anschaulichen,
geschichtlichen , konkreten , einzelnen Menschen, um ihn über sich
selbst zu belehren, dass er der eine, unanschauliche, unbekleidet vor
Gott stehende Mensch ist. Nur der Heide (der Heide im Heiden und
Nicht- Heiden ! ) interessiert sie, nur der Mensch, sofern er Gott dar
gebracht werden kann und muss als «Opfergabe», nur seine Heiligung
durch den heiligen Geist, seine Entfesselung, seine Erlösung, seine
Freiheit in Gott . Ein gänzlich unpraktisches und unreligiöses Unter
C
d
2. Abdruck ( 1923 ' ): « Verstoß ».
e
1. Abdruck ( 1922² ): « Allem ». Korrektur in Barths Handexemplar.
1. Abdruck ( 1922 ° ): «doch sie alle».
8
Siehe oben S. 268 , Anm. 15 .
705
nehmen, gerade weil es sich um das praktischste aller Anliegen, um
den (jenseitigen!) Sinn | s15 ) aller Religion handelt. Unendlich ab
sichtsvoll und höchsten Erfolges gewiss, muss die Theologie ganz
absichtslos auftreten, darf keinen etwaigen Erfolg als solchen je aner
kennen. Selber das letzte Wagnis des Menschen, muss sie sich scharf
vor Augen halten, dass alles Wagen der Menschen nur Demonstration
und Gleichnis sein kann. Sie ist aber, was sie ist, eben als dieses letzte
Wagnis, als der «heilige Dienst an der Heilsbotschaft Gottes» . Ist sie
das nicht, getraut sie sich nicht zu sein, was sie ist, so täte sie besser,
heute noch zu liquidieren als erst morgen. Denn nur diesem ihrem
Wesen als dem notwendig zu wagenden letzten Wagnis, als dem au
Berordentlichen, irregulären, revolutionären Vorstoß verdankt sie ihr
geschichtliches Dasein und so auch ihre Stellung in der universitas
litterarum . Und das Wagnis und der Vorstoß allein (nicht ihre Ab
zweckung auf den Dienst der Kirche und noch weniger etwa ihr gro
Bes unvermeidliches Anleihen bei der historischen Wissenschaft!) ver
mag ihr diese Stellung zu erhalten. Wissenschaftlichkeit bedeutet
Sachlichkeit. Sachlichkeit in der Theologie ist der unbedingte Respekt
vor der Einzigartigkeit des hier gewählten Themas: der Mensch in
seiner letzten Not und Hoffnung, der Mensch vor Gott. Wissen
schaftliche Theologie ist Buße, Umdenken, «erneuertes Denken»
( 12,2 man beachte die Kautelen, mit denen dieser Begriff dort gesi
chert ist). Sie ist Frage- und Ausrufzeichen am äußersten Rande der
Universität (wahrhaftig von jedem Einsichtigen dort irgendwie zu
setzen !), wie die Kirche in derselben Rolle am äußersten Rande der
menschlichen Kultur überhaupt ihr notwendiges Wesen treiben muss .
Sehr wohl aufzuwerfen ist immer wieder die Frage, ob Theologie und
Kirche nicht in der Tat besser täten, zu liquidieren, weil sie ja doch den
Mut nicht aufbringen, zu sein, was sie sind. Sind sie aber mutig genug,
nicht zu liquidieren, dann, bei aller dämpfenden Erinnerung an die
notwendige Banalität alles menschlichen Tuns, wenigstens keine allzu
große, wenigstens keine bewusste, wenigstens keine triumphierende
Banalität! Dann, im Gedenken an die Linie des Römerbriefes ein we
nigstens « teilweise etwas kühnes » Reden ! Wohl Jedem, der nicht an
einer dieser gefährlichen Stellen zu stehen braucht. Aber wehe Jedem ,
der dort steht und nicht weiß, was er tut !
f
1. Abdruck ( 1922 ° ): « des » .
706
V. 17–21 So habe ich nun meinen Ruhm, im Christus Jesus, vor
Gott nämlich. Denn ich würde mich nicht unterstehen, von Din
gen zu reden, die nicht Christus durch mich vollbracht hätte, um
die Heiden zum Gehorsam zu bringen, durch Wort und Tat, durch
die Kraft von Zeichen und Wundern, durch die Kraft des Heiligen
Geistes, so dass ich von Jerusalem im Bogen bis nach | 516| Illyrien
die Verkündigung der Heilsbotschaft vollendet habe. Wobei ich mei
ne Ehre darein setzte, nicht da zu predigen, wo der Name « Chri
stus» schon bekannt war, um nicht auf fremder Grundlage aufzu
bauen, sondern wie geschrieben steht: Es sollen sehen die, denen
noch nichts von ihm verkündigt worden, und die noch nichts ge
hört haben, sollen's verstehen ! (Jes. 52,15 ) .
Oder sollte etwa der paulinische «Ruhm», das Selbstbewusstsein ,
in dem hier geschrieben ist, einen Schatten auf den Inhalt des Römer
briefs werfen, einen Vorwand, ihm auszuweichen, bieten ? Ja, es ist ein
Selbstbewusstsein, das aus diesen Blättern redet. Es fragt sich nur:
wessen Selbstbewusstsein ? Das des Paulus? Sicher auch, wie sollte es
anders sein, dass da, wo ein Mensch von Gott redet, und wenn er noch
so ausdrücklich " von Gott redete, auch dieses Menschen Selbstbe
wusstsein ausgiebig und störend genug zu Worte kommt ? Es könnte
aber kraft der Vergebung der Sünden sein, dass sich in diesem
menschlichen Selbstbewusstsein zugleich ein ganz anderes Selbstbe
wusstsein spiegelte'. Es könnte sein, dass die Kritik und die Wünsche
der Bescheidenen hier auf Granit stoßen angesichts der Tatsache, dass
Paulus gar nicht dort steht, wo sie ihn suchen, dass er seinen Ruhm « in
ChristusJesus, vor Gott» hat. Wer ist Paulus ? Paulus ist preiszugeben.
Die Höhe, auf der Paulus etwa stehen mag, ist nicht allzu beträchtlich.
Was Paulus « erfahren » hat, weiß, sagt und vollbracht hat, davon
« werde ich mich nicht unterstehen zu reden » . Paulus ist nichts. Aber
vielleicht ist Paulus gerade von dort aus so gefährlich, wohin er sich
mit diesem «nicht» zurückzieht. Vielleicht ist das, was als paulinischer
« Ruhm » so missfällig vermerkt wird, nur das Zeugnis von einem «im
8 Druckmanuskript: « ist » .
" Druckmanuskript: « ausdrücklich und eindrücklich » .
i -1
1. Abdruck ( 1922² ): «daß in diesem [...] ein ganz anderes Selbstbewußtsein
sich spiegelte ».
| 1. Abdruck ( 1922 °): «vollbrachte » .
707
Christus vor Gott» bestehenden Ruhm, dessen Licht sich eben nicht
ganz unter den Scheffel stellen lässt. Vielleicht ist er es, der so pro
vozierend wirkt auf die bescheidenen Unbescheidenen, der das pau
linische Auftreten in der Tat so unerträglich macht. Und vielleicht ist
dies bei der Beurteilung der ganzen geschichtlichen Mission des Paulus
und des Paulinismus in Anschlag zu bringen. Es ist doch klar, dass
dieser Apostel eben wegen seines Selbstbewusstseins kein sympathi
scher, kein gewinnender Mensch gewesen ist; wen er überzeugte, den
muss er irgendwie gegen sich selbst und nicht durch sich selbst über
zeugt haben. Und so sein Evangelium : es ist ein störendes Element in
der Geistesgeschichte, es könnte gern und leicht aus der Entwicklung
weggedacht werden; denn es ist nirgends eigentlich in sie eingegangen;
es liegt überall nur als Sandkorn und oft als Kieselstein zwischen den
friedlich ineinander greifenden Rädern; seine geschichtliche Wirksam
keit muss darauf zurückzuführen sein, dass 517| hier eine ganz andere
inkommensurable Größe, Jesus Christus, unheimlich gut verstanden
ist. Darauf zurückzuführen ist wohl auch das bezeichnendste und un
liebenswürdigste Merkmal des Paulinismus: sein stolzes Verschmähen
des « Bauens auf fremden Grundlagen ». Paulus denkt gründlich un
historisch (denn sein Verhältnis zum Alten Testament wird man doch
nicht etwa zum Beweis des Gegenteils anrufen wollen! ). Er knüpft in
der unfriedlichsten Weise nicht an an die gegebenen Christlichkeiten.
Er führt die ehrwürdigsten Traditionen nicht fort. Er sagt nicht direkt
Ja zu den größten historischen Größen, auch nicht zu der allergrößten,
dem Christus nach dem Fleische» (vgl. 2. Kor. 5,16]. Er zeigt eine
seltsame, spöttische Bedenklichkeit gegen alle schon stehenden «Säu
len» (Gal. 2,9). Er hat sich nicht mit Fleisch und Blut beraten, er ist
höchst grundsätzlicherweise nicht hinauf nach Jerusalem, sondern ab
nach Arabien gegangen (Gal . 1,16–17). Er erlaubt sich durchaus und
ausdrücklich die Feststellung, dass er sein Evangelium von keinem
Menschen gelernt noch empfangen habe (Gal. 1,11-12). Jeder Schlag,
den die «gesunde» theologisch -kirchliche Mittelmäßigkeit zu irgend
einer Zeit gegen «geschichtslose Schwärmerei»9 geführt hat, traf ge
9 Möglicherweise ein Echo auf entsprechende Kritik an Römerbrief 1; vgl.
z. B. Jülicher, Paulus-Ausleger (« Schriftauslegung verstanden als «Sache der
Pneumatiker, der Offenbarungsträger allein » [S. 94;vgl. S.95 ), die «keine hi
storisch-kritische Spreu» mit einlassen (S. 89]); vgl. auch oben S. 32, Anm. 1 .
708
wollt oder ungewollt auch den Paulus. An sich ist ja alles dieses Fremd
artige wirklich so gar nicht wichtig, so deutlich ein historisches Phä
nomen wie ein anderes. Es könnte aber bedeutsam sein; es könnte
Zeugnis sein von einer ganz andern Fremdartigkeit. Wie überflüssig
und gefährlich wäre es dann, sich darüber aufzuhalten! Wie viel besser
täte dann die Theologie, dem ihr hier gegebenen Wink zu folgen.
V.22–29 Deshalb war ich auch immer wieder verhindert, zu
euch zu kommen. Jetzt aber, da ich keinen Raum mehr in diesen
Gegenden habe, und da ich seit vielen * Jahren das Verlangen hatte,
zu euch zu kommen, um nach Spanien zu reisen -- denn ich hoffe,
euch auf der Durchreise zu sehen und bei euch Begleiter dorthin zu
finden, nachdem ich mich ein wenig an euch erquickt habe jetzt
aber reise ich nach Jerusalem. Die Gemeinden von Mazedonien und
Achaja haben nämlich eine Hilfeleistung beschlossen zugunsten
der Armen der Heiligen in Jerusalem . Sie haben es beschlossen und
sind es ihnen ja auch schuldig. Denn wenn die Heiden im Geistigen
ihre Hilfe erfahren haben, so sind sie schuldig, ihnen auch im Äu
Berlichen zu dienen. Wenn ich das erledigt und ihnen den Ertrag
sicher überbracht habe, dann werde ich über euch nach Spanien
gehen und weiß, dass ich, wenn ich zu euch komme, in der Fülle des
Segens des Christus kommen werde.1518 |
Persönliche Begegnung und Fühlungnahme bei sachlicher Ge
meinschaft ist eine schöne Sache ( 1,9-13) und ist als Station auf den
Wegen des Dienstes freudigst zu erwünschen und willkommen zu
heißen. Bezeichnenderweise ist aber auch dazu der kleine Umweg
Korinth - Jerusalem -Rom in Aussicht zu nehmen. Den Christen in Je
rusalem soll zunächst jene schon erwähnte ( 12,13 ) Kollekte abgelie
fert werden als Kundgebung gerade für die Einheit der Heiden und
Juden, der Nahen und Fernen, der Bekannten und Unbekannten, die
das Thema des Römerbriefs ist. Ein demonstrativer Ausfall nach dem
Ende der Ökumene, nach Spanien, ist das nächste Projekt des Mannes,
k
k 1. Abdruck ( 1922 ): « Hilfsleistung ».
1
1. Abdruck ( 1922°) : « diejenige » .
709
der diesseits von Italien bereits « keinen Raum mehr» sieht. Auf die
sem wirklich mehr apokalyptisch als rational entworfenen Plan fi
guriert dann auch der Punkt, wo sich Verfasser und Leser dieses
Briefes persönlich" sehen und wiedersehen sollen.
V.30–33 Ich ermahne euch aber, Brüder, bei unserm Herrn Je
sus Christus und bei der Liebe des Heiligen Geistes, mit mir zu
kämpfen, indem ihr für mich betet zu Gott, dass ich errettet werde
vor den Ungläubigen in Judäa und dass mein Dienst für Jerusalem
von den Heiligen wohl aufgenommen werde, damit ich dann mit
Freuden zu euch kommen und mich, so Gott will, bei euch erholen
möge. Der Gott des Friedens sei mit euch allen. Amen.
Nicht eben leicht und gefahrlos scheint jener Umweg. Wie wird es
Paulus dort ergehen ? Einen « Kampf» nimmt er auf alle Fälle in Aus
sicht. Judäa- Jerusalem ist ja in jeder Beziehung die Hochburg der –
Kirche. Es drohen die Schikanen der Juden, aber auch der gute Emp
fang bei den «Heiligen» scheint trotz der zu überbringenden Kollekte
keineswegs so sicher zu sein, dass" nicht auch dafür - gebetet werden
müsste. Ein Fremdling wird der, der hier redet, sein, wo er auch hin
kommt. Er ruft Alle, die ihm wohlwollen, an, seiner furchtbaren Ein
samkeit vor Gott teilnehmend zu gedenken.
V. 1-16 Ich empfehle euch unsre Schwester Phoebe, die ja* Die
nerin der Gemeinde von Kenchreae ist, dass ihr sie im Herrn auf
nehmt, wie es sich unter Heiligen geziemt, und ihr in jedem Ge
schäft, worin sie euer bedarf, beisteht. Ist sie doch selber Vielen
zum Beistand geworden und so auch mir. Grüßt die Priska und
den Aquila, meine Mitarbeiter in Christus Jesus (die für mein Le
ben ihren Hals gewagt haben, denen nicht nur ich dankbar bin,
sondern alle heidnischen Gemeinden) und ihre Hausgemeinde.
* xai nach oủoav ist nicht zu streichen. Lietzmann'º macht darauf aufmerk
sam, dass xai bei Paulus öfters zur Betonung des folgenden Wortes verwendet
wird und auch 8,24 wegkorrigiert ist.
m-m
n
1. Abdruck ( 19222): «wo Verfasser und Leser [...] sich persönlich».
1. Abdruck ( 1922²): «so sicher, daß» .
o
1. Abdruck ( 1922²): «welche» .
р
1. Abdruck ( 1922²): « welchen » .
IO
Lietzmann, S. 118 .
710
1519 Grüßt meinen lieben Epänetus, der der Erstling Asiens für
Christus ist. Grüßt die Mirjam *, die sich viel um uns** bemüht
hat. Grüßt den Andronikus und den Junias, meine Landsleute und
Mitgefangenen, die bei den Aposteln einen guten Namen haben
und schon vor mir Christen gewesen sind '. Grüßt den Ampliatus,
der mir im Herrn lieb ist. Grüßt den Urbanus, unsern Mitarbeiter,
in Christus, und meinen lieben Stachys. Grüßt den in Christus
bewährten Apelles. Grüßt die vom Gesinde des Aristobul. Grüßt
meinen Landsmann Herodion. Grüßt die Christen vom Gesinde
des Narzissus. Grüßt die Tryphäna und die Tryphosa' in ihrer
Mühe im Herrn. Grüßt die liebe Persis, die im Herrn so viel Mühe
hatte. Grüßt den Rufus, diesen Trefflichen im Herrn und seine
(und meine!) Mutter. Grüßt den Asynkritus, den Phlegon , den
Hermes, den Patrobas, den Hermas und die Brüder, die mit ihm
sind. Grüßt den Philologus und die Julia, den Nereus und seine
Schwester und den Olympas und alle Heiligen , die mit ihm sind.
Grüßt einander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen euch alle Ge
meinden des Christus.
Eine kleine Welt von Leiden, Tapferkeit und Bewährung (im
Herrn ! ), von gegenseitiger Hilfe und Hochachtung (im Herrn !) tut
sich hier vor uns auf. Hier wäre allenfalls nachzufragen nach den den
«Worten » des Römerbriefs entsprechenden « Taten und Tatsachen » .
Hier ist das im Römerbrief so oft vermisste einfache « Leben» . Die
Leser selbst sind die Antwort auf diese Frage, jeder in seiner Weise, bis
auf diesen Tag. Über das antiquarisch Interessante und Problemati
sche dieser Grußliste geben vor allem Zahn' } und Lietzmann ' alle
* Aus Magiáu konnte Magiav entstehen, nicht umgekehrt."
** Lies nuās, nicht vuās. Ein Lob dieser Frau wegen ihrer Bemühungen um
die Adressaten fiele hier ganz aus der Reihe und würde sich auch an sich
seltsam ausnehmen . " ?
9
1. Abdruck ( 1922 ): « welcher» .
r
S
1. Abdruck ( 1922 °): «Christen waren» .
1. Abdruck ( 1922 °): « und Tryphosa».
11
12
Vgl. Zahn, S.607 (in Barths Exemplar unterstrichen).
Vgl. Zahn, ebd .
13 Zahn , S.603-611.
14 Lietzmann , S. 119f.
711
wünschenswerten Auskünfte. Die Vermutung, sie sei der Hauptbe
standteil eines an die Gemeinde von Ephesus gerichteten, versehent
lich in den Römerbrief geratenen Schreibens ist schon darum unsym
pathisch, weil es wünschenswert ist, ausdrücklich festzustellen, dass
der Römerbrief sich durchaus an bestimmte Menschen mit irdischem
Gesicht und Namen wendet. Gerade so muss es sein. Eine Gemein
deschwester hat ihn um die Mitte der fünfziger Jahre des ersten Jahr
hunderts von Korinth nach Rom gebracht. Männer und Frauen, Grie
chen, Römer und Juden, Herren und Sklaven sind seine Adressaten.
Die Möglichkeit, dass etwa Tryphäna und Tryphosa und die andern
« Laien » (um von allfälligen « Theologen » in dieser langen Reihe nicht
zu reden!) das nicht verstehen sollten, scheint hier nicht|s20 in Frage
zu kommen. Es scheint (dies gilt auch dann, wenn jene Vermutung
Recht hat! ), dass es einmal ein Publikum gegeben hat, dem man den
Römerbrief zumuten konnte, dem er eine Antwort auf seine eigenen
Fragen war, das ihn irgendwie verstanden und geschätzt haben muss.
Es scheint, dass diesem Publikum die Theologie (diese Theologie! )
ohne weiteres das aktuelle Thema war. Es scheint, dass die Probleme
dieses Publikums dort anfingen, wo die Probleme manches andern
(auch manches theologischen ! ) Publikums aufzuhören pflegen. Es
scheint, dass diese Geister sehr freie, sehr weite, sehr bewegliche
Geister waren. Wir wundern uns über dieses Publikum mehr als über
die andern historischen Probleme, die uns durch den Römerbrief etwa
gestellt werden. Und wir wundern uns nicht darüber, dass unter die
sen Menschen sogar der «heilige Kuss» eine Möglichkeit war.
V. 17–20 Ich ermahne euch aber, Brüder, wachsam zu sein gegen
die, die Abspaltungen und Ärgernisse anrichten gegen die Lehre,
in der ihr unterrichtet seid, - und rücket ab von ihnen ! Denn diese
dienen nicht unserm Herrn Christus, sondern ihrem Bauche, und
mit ihren großen Sprüchen und Segensworten täuschen sie die
Herzen der Arglosen. Denn euer Gehorsam ist überall bekannt.
An euch kann ich mich jetzt nur freuen. Ich möchte aber, dass ihr
weise seid gegenüber dem Guten, einfältig gegenüber dem Bösen.
Der Gott des Friedens wird den Satan unter eure Füße tun in
Schnelligkeit. Die Gnade unsres Herrn Jesus sei mit euch !
t
1. Abdruck ( 1922²) : « mit einem irdischen » .
712
Ein letzter dringender Anruf. Wahrhaftig auch er kein Fremdkör
per im Römerbrief, sondern nur die Zusammenfassung seiner Pole
mik (und wo wäre er nicht polemisch?) zu einem Schlag. Hütet euch
vor den Verwechslungen und vor den nächstliegenden und einleuch
tendsten am meisten ! Hütet euch vor dem religiösen Jahrmarkt mit
seinem glänzenden Budenbetrieb ! Gerade, weil ihr mitten drin seid
und euch durch kein Kriterium als durch die «Wiedererinnerung»
( 15,15 ) von denen, die « nicht unserm Herrn Christus, sondern ihrem
Bauche» dienen, abheben und absondern könnt! Hütet euch vor
euch selbst ! In der «Wiedererinnerung» ist die Kraft zu jener weisen
Offenheit und einfältigen Verschlossenheit, die den Menschen im Ge
wimmel der Meinungen nicht ganz ertrinken lässt. « Etiam cultores
saepe veritatis ea, quibus
haud assuevere, tardius admittunt. Cum pri
dem audierunt: Hoc est! quaerunt denique: Quid est ? cumque de
monstratio defluxit, postulata sibi proponi queruntur. Nonnulli obitu
demum suo veritati, in parte non agnita, officere desinunt. Verunta
men non frustra laboratur: dum alii praeter opinionem desunt, alii
praeter 521 opinionem se dedunt vel dedent. Lux crescit in dies: per
adversa ad victoriam enititur veritas» (Bengel) . " ' «Der Gott des wah
ren, nicht des einschläfernden Friedens muß das Beste tun und tut es
oft in Kurzem, wenn man nur ein wenig Geduld haben kann und nicht
zu schnell mit seinem Beifall zufährt» (Steinhofer).16 Wer Ohren hat,
zu hören, der hört (vgl. Mt. 11,15 ; 13,9 par.] .
V.21-24 Es grüßen' euch Timotheus, mein Mitarbeiter, und Lu
cius und Jason und Sosipatros, meine Landsleute. Ich Tertius, der
den Brief geschrieben, grüße euch im Herrn. Es grüßt euch Gajus,
mein und der ganzen Gemeinde Gastgeber. Es grüßt euch Erastus,
der Stadtverwalter, und der Bruder Quartus. Die Gnade unsers
Herrn Jesus Christus sei mit euch allen. Amen. *
* V.24 ist nicht zu streichen, wohl aber die «Doxologie» 16,25–27. Vgl.
darüber die Anmerkung S.694–697.
4 1. Abdruck ( 1922 °): « naheliegendsten».
V
1. Abdruck ( 1922² ): « grüßt » .
713
REGISTER
I. BIBELSTELLEN
717
7,1 437 75,9 351
7,12 437 78,7 468
9,2–3 126 80,2 146
9,11-21 127 84,7
9,33 437 84,11 514
14,4 123 90,4 277
16,2 416 90,12 231 , 234f.,
1., 239, 310,
19,29 437 344, 368, 400
31,35-37 215 95,7–8 666
38-40 416 96,4 648
38,1 72, 89, 173 97,9 648
38,11 329 103,14 273
41,2 570 104,28–29 441
42,1-6 217 106,20 77
42,3 72 109,2 577
42,6 346 116,10-14 IIS
42,7-10 439 117,1 700
42,10-17 217 118,23 94
126,1 65
Psalmen 127,1 683f.
5,10 123 139,1-12 394
7,7 633 139,6 sos
8,5 670 139,8 395
10,7 123 140,4 123
14,1-3 123 143 126
18,36 211 143,2 125f.
18,50 700 143,4-6 127
19,5 524 145,18 468
19,23 593
22,2 213 Sprüche
22,5-6 216 1,7 72, 207, 230, 408,
23,4 211 553
25,3 468 2,7 364
25,5 468 3,4 627
25,20 216 3,7 624
25,21 468 6,11 337
30,6 541 9,10 408
32 174 24,12 92
32,1-5 173 24,34 337
33,9 143 , 446
36,2 123 Prediger
36,10 74 , 136 1,2 36
39 354 1,9 462
44,23 448 3,1 85
SI 116 3,7 375
51,6 IIS 3,20 392
62,2 557 5,1 17, 426
62,10-13 92 7,16 170
69,10 55,699 12,7 392
718
Jesaja 10,12 37
1,9 491 13,14 228
6,5 345
8,14 Soi Amos
10,22–23 491 3,8 464
11,10 700 5,4-6 362
27,9 561 5,4 537
28,16 soi , sis 5,6 537
29,16 486 6,6 543 , 559
30,15 558 7,10-17 187
37,3 357
40,4 III Habakuk
40,6 102, 439f. 2,1-3 62
40,6-8 379 2,4 23, 66
40,13 569
42,2-3 699 Matthäus
45,9 486 1,23 223
45,23 686 3,2 143 , 147
49,1 561 3,9 182
49,4 256 3,10 463
52,15 707 3,13-17 321
53 699 3,16 326
53,1 523 3,17 250, 408
53,3 256 4,8-9 642
53,4 352 4,17 52f. , 216
53,5 352 5,3 199, 55o
53,10-11 257 5,3-4 621
59,7-8 123 5,6 4, 621
59,20 555 , 561 5,8 144
62,5 107 5,15 21
64,7 486 5,37 584
65,1 525 6,9-10 145
65,2 525 6,10 307 , 388
6,12 302
Jeremia 6,13 473 , 520
7,4 86 6,23 74
20,7 195 , 356 6,27 38
7,1 686
Klagelieder 7,13-14 205 , 234, 272 , 344,
3,23 179, 553 408
7,17 333
Daniel 7,29 145
2,27-35 146 9,5 285
6,9 57 9,15 soo
6,16 57 10,7 538
10,23 667
Hosea 10,28 538
2,1 491 10,30 428
2,25 491 10,39 194
719
II , 1-4 146 Lukas
II , IS 713 1,22 173
II , 19 145 , 384 1,52 395
11,25 129 1,67–79 361
11,28 66 2,14 145, 285 , 287
12,31 377 2,22–32 351
13,13 73 , 145 2,29 477
13,24-30 311 2,34-35 148
13,30 314, 323 3,6 141
16,17 138, 251 , 386 5,8 357
16,24 271 10,18 146
16,25 138 , 158 10,25-37 596
17,5 408 10,29 661
18,7 690 10,30 694
18,8-9 324 10,30–37 608 , 661
18,21-35 132 10,31-32 602
19,12 198 , 309 10,33-35 602
19,17 626, 694 10,40 602
19,21 631 10,42 400 , 602
19,22 584 14,16–24 623
19,26 109, 297, 328, 353 , 14,28–32 SIS
Soi IS ,7 IOO
720
4,18 407 Römer
4,19 217, 223 , 440 1-14 697
4,20 661 1-16 697
4,24 436, 561 I, I 53 , 57, 86, 132, 209,
5,3 357 228, 592, 606, 628
5,4 58 1,2 73 , 121 , 126, 134
5,19 98 , 109 1,3-4 230, 250
7,12 145 1,4 54, 59, 62, 64, 73
8,56 134 , 668 1,5 55 , 209, 391
8,58 164 1,6 54 , 91
10,12 93 1,7 669
11,25 439 1,9 606
14,6 432 1,9-13 709
15,16 502 1,10 57, 230
17,11 108 1,14 55 , 246
17,16 108 1,16 68, 73, 102, 130,
20,29 302 , 471 132, 144, 214, 228,
481
Acta (Apostelgeschichte ) 1,16-17 568
1,22 443 1,17 68, 284, 508
2,1-13 SI 1,18 60, 78, 83, 105 , 117,
2,2 374 120, 130, 132 , 171 ,
2,11 376 186, 207, 214, 232,
4,24 477 237, 291 , 335 , 447,
7,2 141 635
7,53 254 1,18f. 84, 231 , 575
9,1-19 409 1,18–2,29 121
9,5 540 1,18–3,20 129
9,8 173 1,19-20 436
9,9 209 1,19f. 635
11,18 191 1,20 75 , 80, 87, 89, 157,
14,1–20 57 214, 217, 345 , 391 ,
14,17 102
423 , 430, 543 , 569,
17,22-23 134 674
17,22–28 302 1,22 82
17,23 58 , 161
17,23-31 133
1,22f. 130, 187, 207
1,22-32 117
17,24-25 59
59, 69
1,23 85,93 , 105
17,25
1,24 60, 634
17,27–28 73
17,28 134, 406 1,25 451
1,27 612
17,30 667
19 442 1,32 83
19,13-16 442 2,1 I 24, 650
20,35 604 2,1-2 93 , 239
26,14 63 , 420, 540 2,1f. 635
2,1-13 317
2,3 168
2,3-5 239
721
2,4 94, 99, 104, 149, 3,21 150, 162, 175 , 184,
166, 489 207, 224, 246, 266,
2,5 93 284, 326, 391 , 417,
2,6 95 , 100, 107, 119, 468 , 508
126, 154, 166, 171 , 3,21f. 52
583 3,22 64, 149, 264
2,9 215 , 615 3,22–23 182
2,11 171 3,23 140, 157, 210,210f.,
2,11-12 242 238, 458 , 590
2,11-13 239 3,24 147, 264, 427
2,13 93 , 97, 249 , 251 , 3,25 ISI , 156, 171 , 220,
270, 509, 521 489
2,14 94, 115 , 124 , 149 3,26 489
2,14-15 453 3,27 211 , 497
2,14-16 108, 239 3,27f. SIO
2,14-29 317, 494 3,27-30 175 , 317
2,15 126 , 590 3,27-31 165
2,16 III , 116, 126, 171 , 3,28 156, 168 , 171 , 285 ,
302 , 445 416, 469, 666
2,17 211 , 453 3,29 102, 191 , 453
2,17f. 239 3,29-30 181
2,17–20 64 3,30 93 , 220, 249, 270,
2,17-25 113 495
2,20 125 3,31 113 , 175 , 184, 190,
2,22 211 254, 317
2,29 95 , 166 3,32 453
3-8 461 , 463 4,1 190, 193
3,1 116, 125 , 127, 158f., 4,1-8 162
338, 453 4,2 168 , 211
3,1-2 64 4,3 176, 216, 285 , 416,
3,1-4 117, 121 469
3,1-20 317, 338, 361 4,4-8 178
3,2 104, 124, 239 4,5 128, 171 , 177
3,3 22, 564 4,6–8 175
3,3-5 261 4,9 178, 495
3,4 466 4,9-12 162, 317, 519
3,5 118 , 124, 476 4,11 104, 264
3,5f. 484 4,12 177, 522
3,5-7 119 4,13 210, 248 , 412
3,5-8 I 21 4,13 199
3,6 116 4,13-17 162 , 317
3,7 116 4,14-15 190
3,8 482 4,15 239, 256, 295 , 326,
3,10 230, 238, 251 331 , 343
3,10-18 125f. 4,16 191 , 266, 453 , 468
3,14-20 239 4,17 128, 168, 199, 203,
3,19 IS7 205 , 267, 270, 303 ,
3,20 149, 165 , 257, 362 , 395
498 4,18 128, 151 , 549
722
4,20 168 6,4-5 248
4,21 168 6,5 267, 270, 277, 328 ,
4,25 205 387, 418 , 442
ارک 131 , 149, 208 , 217f., 6,6 289, 299
254, 271 , 307, 547 6,7 267
2 , I - II 226 6,8 284f. , 386, 448
رک2 23 , I 1 , 211 , 216f., 6,9 251 , 307
223 , 548 , 592 6,10 285
2,3 443 , 615 6, II 271 , 469
5,3f. 271 6,12 324, 370
کرک 226, 207, 212, 436, 6,12–23 327, 572
442, 535 , 549, 608, 6,13 292 , 579
615 , 658-66o 6,14 270, 309 , 317, 319 ,
رگ6 214, 442, 700 326
5,6-8 386 6,14-15 331
رگ8 217 6,15 300, 317, 482
2,9 220, 244, 547 6,15-16 580
2,9 - II 307 6, Isf. 484
ك, Io 207, 218 , 244, 564 6,17 294
2,10 - II 269 6,18 64 , 309
2 , II 247 6,19 293 , 311 , 327, 579,
گ, I2 60, 122 , 242 , 250, 581
252 6,22 323 , 329, 581
5,12-14 I2I 6,23 235 , 318 , 582
2,13 256, 295 , 317, 343 7,1 320, 322f., 326, 331 ,
2,13-14 249, 252, 335 370
2,14 226, 256, 559 7,4 323 , 598
ر, 244f ., 300 7,5 331
2,11-17 255, 259 7,6 330, 353 , 407
2,16 247, 388 7,7 350, 352
5,16-17 247 7,7f. 240
2,17 93 , 244, 247 , 251 , 7,7-13 324 , 492
270, 291 , 300 7,8 239f.. 337
2,18 249–252, 388 7,8-11 352
2,18-19 226, 252 7,10 235
2,19 93 , 246, 25of., 270 7, II 239
2,20 187, 232 , 249, 259, 7,12 254
295 , 297, 317 , 319 , 7,13 353
331 , 337, 353 , 542, 7,14 361f ., 427
263 7,14f. 240
2,2I 231 , 235 7,15 644
6,1 264 , 275 , 278, 482 7,16 363
6 , if. 484 7,16-17 364
6,2 267, 270f., 275 , 342 7,17 391
6,2f. 149 2,18 364
6,3 27I , 302 7,19 644
6,3-5 273 7,20 391
6,3-11 262 , 268 7,24 373f., 392f., s85
6,4 278 8 461
723
8,1 359 9,31 soi , 504, 508, Sun ,
8,2 IS4 537
8,3 389, 391 , 406, 442, 9,32–33 688
618 9,33 541 , 549, 688
8,4 516 10,1 524 , 528
8,5-9 399 10,2 102 , 509, SII
8,7 519 10,3 284, 509, SII , SIS ,
8,10 393, 394f. 537
8,10f. 397 10,4 328
8,11 370, 406, 430 10,4-5 96
8,12 405 10,5 507, si5f., 518
8,12-13 572 10,6–8 SIS
8,12-17 405 , 409 10,9 518
8,13 585 10,11 518 , 549
8,14 417, 443 , 453 10,11-14 451
8,15 417 10,12 544
8,16 417, 428 , 432, 468 10,12f. 521
8,17 271 , 416f., 448 10,13 518 , 521
8,18 413 , 469, 534, 614 10,14-15 64
8,18-22 414 , 416, 419, 421 , 10,16 536
426 10,18 529
8,19f. 214, 233 10,19 529
8,20 436, 447, 648 10,20 550
8,22–23 436, 447 10,21 528 , 530
8,24 208 , 414, 427, 470, II 688
710 11,2 536, 564
8,24-25 614 11,4 558
8,25 414 11,9 549
8,26 329, 437, 615 II , 12 558
8,27 616 11,13 558
8,28 215 , 448,658 11,13-15 549
8,28f. 553 , 608 II , IS 185 , 544
8,29-30 449 11,25 624
8,31 106, 448 11,26 555
8,38 78,646 11,31 562, 562
9-11 578, 33 , 581 11,32 109, 568
9,1-5 524, 528 11,33-36 565
9,2 467 11,36 557
9,4-5 64 , 104 I 2-14 33
9,5 453 12,1 571 , 582, 592f., 604,
9,6 557, 564, 593 652, 659, 674
9,12 505 12,1-2 571
9,13 sos 12,2 55 , 593 , 607,619,
9,15-18 68 638, 658,663 , 706
9,18 sos 12,3 601 , 620, 661
9,19 485 , 487, 542 12,3-8 609
9,21 293 12,6ff. 607, 611,617
9,22–23 541 , 564 12,8 612
9,23 563 12,9 626, 632, 658,661
724
12,9-15 657 2. Korinther
12,11 582 , 606, 605f., 704 4,4 434
12,13 606, 709 5,7 212
725
Kolosser 1. Johannes
210
1,13 387 3,2
1,16 233 , 672
1,24 271 Hebräer
2,10 672 1,3 142
2,14 322 3,7–8 666
2,15 672 3,15 666
3,3 143 , 270, 272 4,7 666
3,24 606 10,31 475 , SIO
II 499f.
1. Thessalonicher 11,1 30
4,13 468 II , 10 soo
11,27 431
2. Thessalonicher 12,1 134
2,7 556 1 2,2 669
12,29 316, 325
1. Timotheus
2,4 IO2 Jakobus
6,16 58, 74, 156, 281 , 1,17 246
395 , 439, 549, 569, 1,18 376
575 1,25 249
2,5 212 , 225
2. Timotheus 2,12 249
1,8 356 4,6 544
1,10 215 , 226
2,19 444, 519, 558 Apokalypse
4,3 35 (Offenbarung des Johannes)
1,4 162
Titus 1,8 162
I , IS 689 3,1 103 , 471
2,13 451 20,12 168–170, 304
3,4-7 148 21,1 130, 194
21,2 374f.
1. Petrus 21,3 560
1,24 36, 102 22,13 452
2. Petrus
1,4 210
3,12 52
726
II . NAMEN
727
Brunner, Emil XIX, XXII, XXVII Ehrenberg, Hans 524
XXIX , 19 Ehrenberg, Rudolf 523
Büchmann , Georg 84f., 106, 241f., El Greco (Doménikos Theotokó
269, 552 , 599, 641 poulos) 363
Büchner, Friedrich Karl Christian Elia 489, 523 , 531f., 532 , 533-535
Ludwig 423 Empedokles 202
Bürger, Gottfried August 41, 360 Engert, Joseph 33,33
Bultmann, Rudolf 25 , 26, 28, 29 Epänetus 711
Burri, Hans XVI Epprecht, Robert Heinrich XXII
Busch, Eberhard XXIX Erasmus, Desiderius 188
Erastus 713
Byles, William Pollard 631
Esau 256, 466f., 468, 469, 471 , 473
Calvin, Johannes XVIII, XXIII, 481 , 477, 487–491, 495-497, 500,
XXIX, 12f., 13 , 29f., 30, 35 , 39, 41, 502, SOS , 509, 514, 522, 524, 531 ,
IIS , 192 , 196, 207, 210, 223 , 226, 259, 534f., 539, 541f., 549, 556, 558f.,
264, 346, 355 , 368, 422, 429, 434, 475 , 561 , 565 , 605
478, 486, 555,556, 567, 642, 682, 682 Euripides 85
Christ, Lukas XXXIX, 31 , 31 Eva 340,346
Cicero, Marcus Tullius 394, 641 Feuerbach, Ludwig 324, 433, 433
Cleary, Lars Peter XLIV
Cohen, Hermann IX , 35 , 71 , 71f., Fichte, Johann Gottlieb 312
289, 391 , 398 Ficker, Johannes 67, 213, 503
Corssen, Peter 695,695 Foerster, Friedrich Wilhelm 588,
Cyprian von Karthago 495 588
Fox, George XXI
Dante Alighieri 215 Franz von Assisi XXV , 86, 87, 319,
Darwin , Charles Robert 81 395 , 534
David 45 , 49, 172, 174, 250, 361 , 536, Freud, Sigmund 79
557 , 618 Frey, Reto XLIV
Friedrich I. 599
Denikin, Anton Iwanowitsch 650
Diels, Hermann 25 Fueter, Karl XVI
Funcke, Otto 104
Dilthey, Wilhelm 354
Dionysos 442
Dittus, Gottliebin so Gadamer, Hans - Georg XXII
Gajus 713
Dittus, Katharina so Gellert, Christian Fürchtegott 101 ,
Dostojewski, Fjodor Michajlo IOI
witsch XI, 7, 99, 100, 101 , 164, Gemoll, Wilhelm 275
170, 194, 206, 256, 304, 304f., 319, Gerber, Max 460
328, 346, 347, 379, 401 , 411 , 482, Gerhardt, Paul 85 , 664
485, 527, 531 , 577,642,670, 674 Gerlach, Leopold von 591
Dressel, Martin 577 Gerlach, Ludwig von 591
Geßler, Hermann 123
Eberle, Christoph Georg 140, 148, Geyer, Christian 137,331
Godet, Frédéric 12 , 273 , 286, 286
197, 213 , 256, 262, 268, 291,351,361 , Göckeritz, Hermann Götz XIV
378,387, 390,405,409,416,419, 421 , Goethe, Johann Wolfgang von
446, 558, 565 , 568, 607, 609,611,617 XXV, 3 , 20, 54 , 74 , 84, 132 , 170,
Ehmann, Karl Christian Eberhard 232 , 289 , 340, 367, 394 , 413 , 420,
396 436, 480, 499 , 556,611 , 693
728
Gogarten, Friedrich XI, XIII, XXX, Hosea 490
16, 268, 432 , 664 Hoskyns, Edwyn Clement 241 ,
Graf, Marco XLIV 614 , 650
Graf, Markus XLIV Hrabanus Maurus 432
Greshake, Gisbert 495 Hutten , Ulrich von 552
Grosheide , Frederik Willem 32
Grünewald, Matthias 164, 180, 194, Ibsen, Henrik 319
195 , 217 Isaak 84, 183 , 213 , 468–471
Gudiol, José 363 Isai 700
Isebel 532
Hadorn, Friedrich Wilhelm XV Isis 78, 266
Haecker, Theodor 529
Haering, Theodor 434 Jaeger, Paul 193 , 373
Hagar 554 Jakob 84, 183, 256, 464, 466-469,
Hagenbach, Karl Rudolf 377 471, 473-481, 487–491 , 495-497 ,
Hagener, Caesar 459 499f., sos , 509, 513-515, 518, 522,
Harbsmeier, Eberhard XXXVIII 525, 531 , 534f., 537, 541f., 548f.,
Harms, Claus 95 555,559, 561 , 566, 593 ,605
Harnack, Adolf von XIII-XIV, XX, Jason 713
XXVI , XXX, 15 , 21 , 22, 312, 333 , Jeremia 48 , 86, 164, 363 , 413
343 , 621,695 , 697, 697 Jesaja 379, 462, 525
Hase, Karl August von 87 Johannes der Täufer 114, 180, 217,
Hausrath , Adolf 397, 519 321 , 355 , 462 , 568
Heiler, Friedrich 33,77, 122, 137, Josia 465
153, 269, 433, 433f., 615 , 642 Judas Ischarioth 528
Heim , Karl 441 Jülicher, Adolf XV - XVII, XXV,
Heitmüller, Wilhelm 527 XXIX-XXXI, 8, 11-13 , 16, 20,
Heraklit 25 , 228 21f. , 22 , 23 , 32, 160, 244, 265 , 452,
Herder, Johann Gottfried von 96 453 , 462, 519, 533 , 553 , 605 , 606,
Hermas 711 612, 613 , 639,673, 677, 708
Hermes 711 Julia 711
Herodion 711 Jung, CarlGustav 137
Herrmann , Wilhelm 47, 434 Jung, Ewald 137
Herz, Henriette 365 , 367 Junia 711
Hiller, Philipp Friedrich 148, 284 Jupiter 78
Hiob 48 , 67, 72 , 74, 89, 134, 215 ,
217, 234 , 328 , 345 , 354, 413 , 416,
Kaiphas 256
Kaiser, Nikolaus 535
438f., 443, 618 Kallimachos 394
Hölderlin, Friedrich 482 Kant, Immanuel XI, 7, 745., 210,
Hölz, Max 404, 404 287, 289, 367, 372, 403f., 499, 521 ,
Hofmann, Johann Christian Konrad 583,628 , 630, 630
von 12, 217, 218, 355 , 452,694, Katharina die Große 106
696, 696 Key, Ellen XXV
Holtzmann, Heinrich Julius 267, Keyserling, Hermann Graf XIV
267 Kierkegaard, Søren Aabye XI, 7,
Homburg, Ernst Christoph 228 17, 35 , 46, 46f., so, sof., 62, 62f.,
Horatius Flaccus, Quintus 313 86, 138, 152 , 161 , 161f., 164, 187,
Hornig, Gottfried 87 201 , 204, 268, 319, 346, 354, 379,
29
382, 383 , 416, 463 , 529,532, 532, Lucius 713
592, 596, 602, 628, 660f., 660f., Ludendorff, Erich 403, 588, 588
662, 664, 664 Lukas $45
Kirchner, Timotheus 294 Luthardt,Christoph Ernst 87, 132
Kleombrotos von Ambrakia 394 Luther, Martin XVIII, XXXIX , 12,
Klingemann, August XXIV 35,41, 48 , 61,62, 67, 86, 87, 119,
Klopstock, Friedrich Gottlieb 211, 132, 140, 145f., 148, 156, 164, 188,
350 194, 197, 197 , 213 , 229, 235 , 243 ,
Knapp, Albert 148 248, 256, 262, 268, 279, 291 , 308,
Knittermeyer, Hinrich 74 345 , 347, 351 , 354, 361 , 378, 387,
Köhler, Walter (Justinus) XXI, 390, 401 , 405 , 409, 414, 416, 419,
XXX , 22 , 51 421 , 426, 434, 438, 446, 465 , 485,
Kolfhaus, Wilhelm 26, 26 499, 503, 558, 563, 565 , 568f., 569,
Koltschak, Alexander Wasiljewitsch 577, 580, 609, 611,617, 623,628,
650 630, 631,633
Konstantin der Große 363 Luxemburg, Rosa 499
Kreyenbühl, Johannes 384
Kühl, Ernst 11 , 12, 66, 207, 264f., Mandonnet, Pierre 38
319, 326, 355 , 452, 472, 507, 555 , Marcion von Sinope 16, 21 , 22, 331 ,
681,695,697 , 697 333 , 343 , 695 , 697
Kutter, Hermann XXII, XXXV, Maria 380, 511 , 602
49, 207, 231f., 304, 305 , 532, 635 Mark Aurel 570
Kybele 78, 266, 363 Marquard , Reiner 180, 195
Mars 78
Lao Tse 20, 349, 349 Martensen , Hans Lassen 187, 187
Latacz , Joachim XXXVIII Martha 601
Lauerer , Hans 41 Matter, Hendrik Margienus 30f.
Lauterburg, Moritz 4 Mattmüller , Markus XXV, 460
Lavater, Johann Caspar 480 Melanchthon , Philipp XL, 131,
Lazarus 622 437, 437
Lejeune , Robert XXI, XXXI Menius, Justus 197
XXXII, 9, 9, 427, 462 Mennicke, Carl 22
Menon 372
Lenin, Vladimir Iljitsch 578 , 588 ,
588 Mereschkowski, Dmitri Sergeje
Lessing, Gotthold Ephraim 107, witsch 206, 206
367, 379
Merz, Georg XXXVII, 24, 31 , 137
Lester, Muriel 631 Meyer, Wolf 12, 12
Michal 618
Lhotzky, Heinrich XXI, 331, 33 I Michelangelo 340, 343
Lichtenberg, Georg Christoph 367 Miescher, Ernst XVII
Liebknecht, Karl 499 Mirjam 711
Liechtenhan, Rudolf XVII, 22 Mithras 266, 363
Lietzmann , Hans XXXI, 11., 14, Mose 114, 134, 146, 161 , 238, 240f.,
15f., 204, 215 , 236 , 265f.,295 , 393 , 252, 254, 256, 318, 475 , 478–481,
414, 452, 453 , 549, 555 , 567, 570, 489, 507, 509f., SIS , 525 , 541f.
606, 678,694,695,696,696f.,710, Mozart, Wolfgang Amadeus XXV,
711 , 711 585
Lipsius, Richard Adelbert 12, 12 Muck-Lamberty, Friedrich 482,
Lohmann, Friedrich IX , XXXVIII 482f.
730
Müller, Alfred Dedo XII, XX -XXI, Petschenig, Michael 585
571, 573 , 576-578, 580, 587, 589, Pfenninger, Arthur XXV
591,626 Philo 570
Müller, Ernst Friedrich Karl XIII, Philologus 711
XVI, 21 Phlegon 711
Müller, Johannes XIV, 137, 331 , Phöbe 667
331f. Pilatus 256
Müller, Margrit XLIV Pius XI. XIII
Münchhausen, Karl Friedrich Hie Planck , Reinhold XIV
ronymus Freiherr von 360 Plato XI, XIX , 7, 71 , 114, 194, 210,
Müntzer, Thomas 22, 22,679 228, 372 , 380, 394
Myconius, Oswald 702 Pöhlmann , Hans XIV
Mynster, Jakob Peter 187 Popert, Hermann 83
Potemkin, Grigori Alexandrowitsch
Narzissus 711 106 , 704
Natorp , Paul IX, 367 Preiswerk, Samuel 140, 473
Naumann, Friedrich 60 Preuß , Hans 308, 347
Nereus 711 Priska 710
Nestle, Eberhard 23 Prometheus 74, 325
Newman, John Henry 529 Przywara, Erich 33, 33
Niebergall, Friedrich 16, 16
Nietzsche, Friedrich IX, 35 , 103, Quartus 713
109, 142 , 187f. , 188, 192 , 201 ,
2016., 237, 327, 418, 419, 422, 425 , Rade, Martin XIII -XIV , 47, 482f.,
448, 476, 482, 560, 640, 641 631
Nikolaus von Kues 480 Raffael da Urbino (Raffaelo Santi)
Novalis 648 363
Ragaz, Clara XXV
Oeing -Hanhoff, Ludger 480 Ragaz, Leonhard XVIII, XXV,
Oetinger, Friedrich Christoph 296 , XXXII, 8f., 187, 331 , 332 , 460,
396, 701 , 702 571 , 578, 586, 588, 588
Olympas 711 Rahsin, E.K. (= Elisabeth Kaerrick)
Origenes 495 , 527, 695 401
Osiris 78 Ranke, Leopold von 134
Osthövener, Claus- Dieter Rathenau, Walther XIV
XXXVIII Raupach, Ernst Benjamin Salomo
Otto, Rudolf 33 , 47, 160, 269 , 642 XXIV
Overbeck, Franz XI , XX, XXXI, 6f., Rebekka 471
7, 50, 51 , 63 , 66 , 69, 110, 124 , 141 , Rieger, Carl Heinrich 23 , 216, 477,
152, 152f., 161 , 164, 164f., 188, 554, 681 , 713
222, 282, 282f., 326f., 346, 367, Ritschl, Albrecht 678
368 , 430, 602 Rittelmeyer, Friedrich 137
Röhl, Hermann 401
Pascal , Blaise 378 Rörer, Georg 132
Patrobas 711 Rosenstock -Huessy, Eugen 523
Paulus 86 Rothe, Richard 397, 519
Persis 711 Rousseau, Jean Jacques 240 , 240f.,
Pestalozzi, Rudolf 24 269
731
Rückert, Leopold Immanuel sss Steiner, Rudolf XIV, 137, 255, 397
Rufus 711 Steinhofer, Friedrich Christoph 23,
Ruschke, Werner M. 448 216, 477, 554, 681 , 713 , 713
Steinmetz, Rudolf XVI
Salomo 48, 72, 363 Stinnes, Hugo 403, 403
Sara 195, 468, 470 Stoevesandt, Elisabeth XXXVIII
Saul 557 Stoevesandt, Hinrich XLI -XLII
Saulus 173, 209, 257, 259f., 318, 455 Stowasser, Joseph Maria 585
Scheel , Otto 570 Straßer, Vera XXV
Schildmann, Wolfgang 137 Strauß, David Friedrich 49, 80, 219 ,
Schiller, Friedrich von 13 , 74 , 88, 380, 384, 384
123 , 329, 435 , 470, 645,645
Schlatter, Adolf XXIX , 12, 12 , 25f., Tell, Wilhelm 13f., 123
26, 29, 48 , 275 , 286, 473 , 473 Terentius Afer, Publius 641
Schlegel, Friedrich 354, 354 Tersteegen, Gerhard 409, 610, 610
Schleiermacher, Friedrich XXXIV, Tertius 204, 667, 713
XLIII, 46, 90, 95 , 266, 311 , 312 , Tertullianus, Quintus Septimius
347, 353 , 354, 357, 365,367, 383, Florens 156, 308
405 , 521 Theodoret von Cyrus 204
Schmid Roerr, Friedrich Alfred 195 Tholuck, Friedrich August Gottreu
Schneider, Hans 463 12, 243 , 694
Schönberg, Arnold XXXVIII Thomas von Aquino 33 , 376
Schott, Theodor 513 Thümmel , Wilhelm 264
Schultz, Hermann 459 Thurneysen, Bastian XLIV
Schwab, Gustav 402 Thurneysen, Eduard XI, XIII,
Schweitzer, Albert XXVII, 49, 219, XVIII-XX, XXVII, XXXI
667 XXXV, 6f., 7, 24, 31 , 86, 91 , 99,
Schwenkfeld , Kaspar 22 137, 146, 187, 198, 232 , 256, 270,
Selene 570 304f., 362 , 367, 396, 401, 411, 529,
Seneca, Lucius Annaeus 519 531,537, 571 , 576, 578
Seume, Johann Gottfried 241 Timotheus 713
Shakespeare, William 242 Tirpitz, Alfred von 37, 578,634, 634
Skeuas 442 Tolstaja, Katja XXXVIII
Sokrates 164, 210, 229, 372 , 372 Tolstoj, Lew Nikolajewitsch 86, 87,
Sosipatros 713 577 , 678
Späth, Gustav 459 Trillhaas,Wolfgang XXIV
Trine, Ralph Waldo 347
Spann-Rheinsch, Erika 137 Troeltsch , Ernst XIV, 265 , 268, 282,
Spengler, Oswald XIV, XXVI, 21 , 521,672f., 678
342
Tryphäna 711f.
Spenlein, Georg 61 , 87, 577 Tryphosa 7uf.
Spitta, Johann August Philipp 444 Tucholsky, Kurt 631
Spitteler, Carl 248
Stachys 711 Uhland , Ludwig 533
Staehelin, Ernst XVI, XXXI Uhsadel, Walter 551
XXXII, XXXV, 7, 7 Uloth, Karl Ludwig 38
Stählin, Wilhelm 483 Urbanus 711
Stauffacher, Marianne XXXVIII
Stein, Charlotte von 421
732
Vaihinger, Hans 310 Wet [t]stein, Johann Jakob 452f.
Venantius Fortunatus 419 Windisch, Hans XVI
Vergilius Maro, Publius 672 Wittwer, Marcel XLIV
Viebig, Clara 104 Wuhrmann, Willy XV - XVI
Vincenz von Lerinum 134
Vischer, Eberhard XX, XXXI, 7, 8 , Zacharias 173
8 Zahn, Theodor von XXIII, 11 , 12,
Vorländer, Karl 255 68, 93 , 258, 292, 355 , 393 , 451 ,
Vos, Pieter H. XXXVIII 452, 507, 527, 555 , 606, 681 , 694,
695,696, 711,711
Walch, Johann Georg 197, 213 Zeus 74, 325
Wander, Karl Friedrich Wilhelm Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf
653 von 207, 463
Weinel, Heinrich 224,224 Zöckler, Otto 281
Weinreich , Simon XLIV Zündel, Friedrich XXIII, 45 , sof.,
Weiß, Bernhard 12, 452, 452 68, 69, 331
Weiß , Johannes 667 Zwingli, Huldrych XL, 108, 379,
Werner, Martin XXVII -XXX , 519, 614, 702
XXXII
Wernle, Paul XV-XIX, XXXI ,
XXXIII, 10, 19, 20f., 28, 108, 219,
267, 639, 704, 704
733
III . BEGRIFFE
Einschließlich geographischer Bezeichnungen. Nicht immer findet sich ein
Registerstichwort auf den angegebenen Seiten wörtlich, da synonyme oder
verwandte Termini gelegentlich unter einem gemeinsamen Schlagwort zusam
mengefasst sind .
A und O 179 - Christentum 138, 140, 592
Aargau 36 - des Evangeliums 457
Abba 212, 408, 410, 412, 417f., 427, und ewiges Leben 538
432 - Fels des Ärgernisses 259, 501 ,
Abbild 178, 385 541
Abdruck 125 , 349, 412, 432 - und Glaube 62f., 68f., 309, SOI
Abendland 367 - den Juden 138
Abendmahl 444 des Kreuzes 147, 386
Abendröte 359 , 401 - schlechthiniges 489
Abfall 233 , 250, 262 , 277, 284, 338f., - der Wolkensäule 477
424 Ärgernispredigt 463
des Menschen von Gott 60, 65 , Ästhetik 136, 187, 324, 349, 367,
79,95 , 121 , 235 , 243 , 262, 267, 331 , 391 , 496, SII , SSI
336, 338 Agape 438 , 445 , 608f., 662
und Sturz 84, 109 Agnosie 81
Abglanz 81 , 148 Ajalon 129
Abgott 70, 621 Aktivismus 297
Abgrund 315 , 330, 347, 366, 421 , Aktivist 240
454, 491 , suf., SI5,670 , 703 Alemannen 536
- im Menschen 291 Alexandrinismus 18
- des unendlich Großen und Klei Alkohol 352
nen 421 «Alles Vergängliche ist nur ein
- zwischen alter und neuer Schöp- Gleichnis » S4, 77, 112, 134, 249,
fung 410 291, 456
- zwischen Gott und Mensch 138, Allogenität 260, 278, 312
140 , 440 Alpen 247
- zwischen dem Relativen und Ab- Als ob 307, 310, 316
soluten 425 Altes Testament 48, 164, 333 , 462f.,
- zwischen Sünde und Gnade 315 , 476, 561 , 708
330 Amt 165 , 580, 604
- zwischen Tod und Leben 313f. unter dem Kreuz 604
Abrahams Schoß 622 an die Wand gedrückt 215, 270, 325 ,
Abrahamskindschaft 183 , 186, 191 364
Abrogation des Gesetzes 333f. Analogie 195, 238, 261 , 398, 423,
das Absolute 268 549
Absolutheit 186, 234f., 386 Anarchismus 154, 641
Abstinenz 678f. Anbetung 56, 340, 346, 348f., 383,
absurdum ,Absurdität 156,381,421 478f., 498, 504, 508, 608f., 615
actus purus 376 - gebeugte 582, 589
Ärgernis 324, 354, 502, 536, 690 Anbruch 549
- an Jesus 138 , 381 , 383 , 385f . das Andere 323, 382
735
- das A. als göttliche Form 178 - historische 49, 51,175
– das A. Gottes 382, 387 und Unanschaulichkeit 440, 450,
- das A. in Jesus Christus 430 453
- das ganz A. 160, 378, 601 Anschauung 72, 75 , 97, 208ff., 217,
- das radikal A. 205 , 373 , 377 234f., 280, 307, 309, 313f., 357,
das unvergleichlich A. 377 396, 398
der Andere 377, 597f., 617f., 632, -
- tödlicher A. auf den Sünder 262 Apologetik 58, 234, 326, 441, 494
-
von der Existenz in Gott her 299, Apologie des (reinen) Denkens 574
303 Apostel/Apostelamt 3,45-47, 56,
der Wahrheit des Geistes 405 86, 208 , 210, 254, 302, 345 , 362,
Anklage 121 , 125 , 127, 361, 449, 433, 465, 545 , 592,628, 666, 708
476, 492f., 506, 532, 648, 679 Appell 287
Anrechnung, der Gerechtigkeit Apriori 345
168f., 171f., 174, 176f., 180, 216, religiöses 521
258 Arabien 708
- des Glaubens 177 Arbeiterbewegung 582
- der Sünde 239f., 256 Arzt / Mediziner 221 , 240
Anrufung 303 , 517ff., 544 Aschera 593
Anschaulichkeit 73, 100, 109, 130,
IS1 , 154, 156, 165 , 185 , 188, 206, Askese 269, 398, 403, 443, 621f.,
252, 255, 261, 275 , 284, 303 , 307, 628 , 676, 689, 698
334, 338f., 345 , 408, 435f., 439, Assisi 534
447, 480, 508, 528 Ataraxie 212
736
Atheismus 65 , 104, 171 , 400, 527 aller Weltwahrheit 61
Atheist, unbewusst christlich ? 519 - alles Gegebenen 64, 77, 257, 333
Athen 258 - der alten Welt 229
Auferstehung 135f., 151 , 157, 160, - des Begehrens 337
174, 194, 210, 228 , 244, 259, 279, - der Begrenztheit 71
281ff ., 285 , 318 , 324, 326, 343 , - des Bösen 626
422, 429, 439, soo , S44, 560, 575 , - dieses Leibes 275f., 308
589, 600, 602f., 620, 622, 684 der Diesseitigkeit 398f., 576
- Begriff 283, 316 - der Doppeltheit menschlicher und
- Botschaft der A. 73, 396 göttlicher Welt 407
- Christi 190, 218, 258, 285 , 307, - der Doppeltheit von Tod und Le
393, 405 , 424, 517, 544, 566, 683f. ben 408
- Deutschlands 512 des Dualismus von Gnade und
- diesseits der A. 58f., 64f., 69f., Sünde 306
427, 429 - durch die Ordnung Gottes 646
- Erweis der A. 172 - des Endlichen 396, 544
- des Fleisches 356, 381 , 412 - des Fleisches 385ff.
- Fremde der A. 522 - der Frömmigkeit 64
- als fremde Geschichte ? 160 - der Geschichte 144
- Geschichte ist Zeugnis der A. 162 des Gleichgewichts von Gut und
- geschichtliche 52, 54, 281 , 384 Böse 278
gespenstisch gemeinte 163 - des Gleichgewichts zwischen
als heilsgeschichtliches Ereignis Sünde und Gnade 278, 286
sof, 53f., 58, 61 , 63 , 68 , 71 , 101 , - in Gott 481
124, 132 , 182 - des Menschen 71 , 161 , 163, 166,
im Licht der A. 225 , 258 , 395,620 168 , 191 , 236, 267, 269, 274, 278 ,
Kraft der A. S4, 229, 250, 262, 325 , 370, 374, 399, SIO, 524, 651
269ff., 286f., 293 , 295 , 302ff., 315 , des Menschen und der Welt 124
323 , 494 , 579 der menschlichen Möglichkeiten
- des Leibes 399 280, 284
- der Menschheit Su der menschlichen Verantwort
- Positivität der A. 272 lichkeit 119, 485
- selige 30 - der Natur und Kultur 78
- der Toten Si , 143 , 276, 283 , 428 , - der Negation 194,439
556, 559f., 586, 644, 668 - des Rätsels 431
- Unmöglichkeit der A. 194, 203 - der Setzungen 450
aufgehoben bei Gott 52, 71 , 91 , 133, -
Beharren 135 , 215., 218, 398 , 43of., - des Menschen zum Leben 683
615 - des neuen Menschen 225 , 249
Behörden Gottes Priester ? 656 des sterblichen Menschen 305
Bejahung 63 , 65 , 67f., 97, 101 , 120, Betrug 348
138, 142, 167f., 171 , 251 , 288, 325 , Beugung 85, 87, 112, 119, 124f.,
424 152f., ISS , 161 , 180, 391 , 481 , 529
Bekehrung 103 Beunruhigung 98, 123f., 165 , 260,
- des Paulus 371 288 , 303 , 311 , 342, 350, 365 , 404,
Bergpredigt 219, 384,630, 677 420, 422, 429, 542, 546, 581
Beruf 580 Bewährung 215f. , 218
Berufung iosf., 113f., 116 ,240, 256, Bewegung 52, 103 , 190, 193, 227f.,
266, 3 34, 441f., 444f., 467f., 541f., 236, 243f., 250, 258, 274, 311 , 506,
565 513
Beschneidung 108 , 113 , 128, 177f., Drehung und Wendung 236 , 253 ,
180ff. 257
- Abrahams 176, 179f. -
tote 402
Beschränktheit 60, 92, 121 , 235, 349 Beweis des Geistes und der Kraft
Besinnung s9ff., 81 , 89, 113f., 208 414, 416, 418, 586
Besitz Gottes ? 77, 85 , 93 , 157, 167,
Bewusstsein 252f., 287, 296, 335 ,
182, 211 , 217, 253 , 441f. 359
Besonnnenheit 594f. modernes 19
das Bestehende 652,654, 656,658
Bestimmtheit 168, 172, 227, 230f., - religiöses 322, 325
238 , 247, 25off., 263 , 293, 298, Beziehung 75 , 77, 190, 194, 235,
314, 336 , 376 246, 444, 626
durch die Sünde 233 , 262, 267, von Gott und Mensch 17, 46, 49,
273 , 294 , 306 69 , 74, 174, 176, 207, 231ff., 245f.,
Bestimmung 319, 412, 443, 445 251f., 316, 330f., 334, 343, 356,
- Abrahams 176, 199 395 , 399, 456, 465f., 496, 509, 576,
- der bösen Wirklichkeit des Men 598,605,613 , 628, 646, 656,658 ,
schen 626 663f., 682f., 686, 706
739
Beziehungslosigkeit 234f. praktischer Wandel 677
Bibel 5 , 9, 17, 122, 162, 602, 616 - protestantischer 38
- ein gutes Buch 20 Christentum 20, 59f., 138, 140, 265 ,
- Geist der B. 3 282f., 363 , 413, 420, 430f., soo,
Biblizismus 19., 26 547, 602, 616, 620, 622ff ., 640,
Bigotterie 363 681 , 708
Bios 626, 669 - Gefährlichkeit 21
Bitterkeit 528 - neben anderen Religionen 303
Blasphemie 383, 385 , 410 - Wesen 567
blind/Blinder 75 , 81 , 89, 10S Christlichkeit, historisch gebundene
Blitz 313 , 390, 453f., 469, 544 13
Blut 147, 151 , 156, 171 , 224f. Christologie 406
Bodensee , Reiter auf dem 402 Christus im Nächsten 690
das Böse 120, 261 , 334, 337, 347, Christus -tum 59
364, 390, 610f., 626f., 633, 643, Christusidee 219
645,648, 6sof., 662, 665 Christusimpuls 578
- mit Bösem vergelten 626f., 633 chronique scandaleuse 125
Bolschewismus 269, 643 communio ( sanctorum ) 597, 661
Bote Gottes 617 creatio ex nihilo 143, 435
Brechung 235 , 247, 327
Brennpunkte einer Ellipse 263, 390 Da-Sein und So-Sein 128, 230, 387,
Bruder 611 , 68sff., 690, 702 431
roter 640 Gott als letzte Wirklichkeit 134,
Bruderliebe 219 , 272, 504 246
Brücke 225 , 247, 301 , 313 , 315 , 330 des konkreten Wortes 577
Brüderlichkeit 611f. des Menschen 61 , 65 , 76, 100 ,
Buch des Lebens 168ff., 304 313f., 319, 336f., 400, 427, 447,
Buchung 88, 168 487, 516,685
Buddhismus 153 , 269 des Menschen in Bezug auf Gott
Bürger 580 277, 287, 649
- guter 652 des Menschen in der göttlichen
- der kommenden Welt 427, 445 Krisis (des Kreuzes ) 84, 112, 276
- liberaler 677 des Menschen als Rätsel 214, 229
Bürgerlichkeit 296, 328, 379, 407 des neuen Menschen 299, 306,
Bund 179, 555, 561 391
-
742
Erfindung 133 - des Bösen 642, 644, 649, 656
Erfüllung 243 , 412, 429, 438, 447, - dialektische 185
470f., 517, 543f., 559, 561 - des Einen im Andern 616
Ergießung Gottes ? 52 - der Entfernung von Gott und
Ergriffenheit 93, 105 , 330 Welt 128
Erinnerung 178, 303, 305 , 413, 572, -
Antworten 625
Ernte 311, 313f., 323 - Aufgabe 579, 596, 599
– für den Tod 324f. - christliche 624, 637
- Lebensernte 312
- Frage 638
Saat und Ernte 57, 311f. - Liebes- 609
-
Eros 402, 438, 585 , 607, 609ff., 613 , Problem der E. 572, 574f., 577,
618 , 626, 652, 662 , 669
Erotik 80, 324, 352 581 , 583 , 589, 596, 674
Errettung 60, 63 , 65 , 67f., 71 , 110, - der sekundären Handlungen 619
130, 133 , 138, 147f., 2061., 210, - Sinn der E. 581
226, 230, 429, 517f., 539, 542, 546, Ethos 626, 658
S59f. - absolutes 626
Erscheinung 52, 74, 77, 153 , 163 , - christliches 625f.
168 , 188 , 200, 222, 232 , 235 , 246, - der Gnade 625
253 , 255 , 260 - Relativität 625
geschichtliche 77, 175 , 236, 254, Evangelisation 494
392 evangelisch -katholisch 34
744
Evangelium 20, 59f., 99, 210, 219, Faktum 171 , 220, 222 , 264, 282
343 , 454, 456f., 459, 462f., 467, paradoxes 46, 137, 209f., 254
545 , 708 Faſl 238, 241 , 301 , 483 , 541 , 543f.
- Aufhebung der Kirche 455, 465 des Menschen 202, 227f., 232,
- Gegensatz zur Kirche 457, 459, 236ff., 245ff., 250 , 252, 255f.,259f.,
460 , 532 262, 348
-
745
Fragwürdigkeit 68, 72, 92, 118, 128, - menschliche 152, 294, 504
130, 132, 136, 141 , 164, 182, 188, neue 329
233 , 235 , 253 , 257, 293 , 346, 348, - und Offenbarung 124
413 , 420, 439, 467, 480, 537 - Pflege der F. 496
Frau 78, 238, 342 reinste und feinste 64
Freund Gottes 131 - stille 122
Freideutsche Jugend ssi – Virtuosen der F. 367
Freiheit 61 , 272, 276, 286, 291 , 301 , Fünklein 449, 486, 523
304, 318, 321 , 388, 400, 403 , 411 , Furcht 224, 407f., 474, 483, 518
418, 424, 438, 450, 487, 517, 522, Furcht des Herrn 72, 119, 122f.,
650, 675,679, 688f., 691 125 , 171 , 187, 207, 225 , 230, 408 ,
- des Christus 691 499, 504, 506, 553
- und Gefangenschaft 405, 407, Furchtund Mitleid 635,655
674 Furcht und Zittern 47, 89, 132 , 173 ,
- des Menschen 304, 338, 372, 378, 189, 209, 224, 346, 383 , 482, 486,
391ff., 405,407, 424, 474, 485,493 523 , 544, 553 , 557
Pharisäer der F. 687 Futurum , aeternum 263 , 271f., 277,
von der Sünde 304 398f., 450, 469, SIO, SI5f., 685
zum Sündigen ? 296, 299, 301 resurrectionis 270, 276, 279, 284,
Freiluftidealisten 678 286, 293 , 306, 308 , 396, 419, 560
Freisprechung 247, 249, 251 , 277,
395 Geben und Nehmen 604
-
in derVerurteilung 130, 149, 152, Gebet 89, 104f., 107, 122, 137, 189,
158 , 224 256, 294, 317, 348, 403, 433f., 436,
Freitod 587 615
Freude 614, 691 Gebot 357, 468, 479
Friede 246, 323 , 352, 407, 439, 611 , Gebote 607, 609f., 632, 665 , 676
630ff., 641, 655,661 , 690, 693 Gebrochenheit 80, 85 , 97f., 153,
- ewiger 630 199 , 305
- Gottes 212f., 402 Geburtshelfer 210
- der kommenden Welt 632 Gedanke, der Ewigkeit 669,684
-
mit Gott 149, 207ff., 211 , 217f., - Gott 429, 483f., 567, 572
224f., 254, 547f. Gedanken, Worte und Werke 358,
Friedenhalten 629f., 632 650
Gefäße des Zorns/Erbarmens
Frömmigkeit 54, 70, 115 , 125 , 127f., 488ff., 563f.
152, 167, 173f., 180, 189, 294, 328,
357, 370, 386, 433 , 504, 553 , 686 Gefangenhalten der Wahrheit 105 ,
117, 132, 144, 207, 335 , 446
als Anmaßung 106 Gefühl 13 , 207f., 357f.
Beugung 125 - der Abhängigkeit 405
Dilettanten der F. 367 - religiöses 701
als Eigentat 348 das Gegebene 58, 72, 77, 133 , 160ff.,
– Ernsthaftigkeit 127, 508f. 230, 290, 374, 436, 454
evangelische Volksfrömmigkeit Gegebenheit 64, 87, 95, 117, 150 ,
622 185, 217, 225 , 233 , 263f., 268, 274,
- frivole 668 287f., 304, 306, 317, 330, 338f.,
- und Glaube 64 353 , 378, 388, 397ff., 409, 420,
- und Gottlosigkeit 109 424, 435 , 450, 461 , 466, 472, 541 ,
– innige 363 547
746
- anschauliche 216, 229, 277, 338, Gegenwart 199ff., 470
412 Geheimnis 165, 191 , 251 , 309, 329,
- letzte 257, 333 368 , 398 , 409, 418 , 420, 423 , 426,
seelisch - geschichtliche 328, 330, 429, 439, 473 , 491 , 556, 561
337 - des Messias 243
Gegensätze 405. Gehorsam 53, 104, 136, 246, 252,
Gegensätzlichkeit 421, 450 281, 301, 318, 357, 391, 521f., 536,
Gegensatz 104f., 129, 157, 163, 579f.,610 , 641,652
177f., 194, 228f., 244, 274, 318, gegen Gott 647
335 , 339, 341f., 424, 440, 455,459, Kraft des G. 287, 291ff., 300ff.,
492, 512, 541f., 545 311 , 315 , 323 , 494
- Dialektik des G. 436 Geist 56, 74, 127, 233 , 292, 329,
- von anschaulich und unanschau 356ff., 362, 369, 374ff., 386,389,
lịch 34I . 393ff., 399f., 403f., 409, 413, 417,
von beschnitten und unbeschnit 428, 431f., 435, 445, 448, 458,470,
ten 177 474 , 550, 561 , 575,613 , 659
- von Christentum und Kultur 602 – absolutes Wunder 456
von Evangelium und Kirche 455 - befreit 377f.
- von Gesetz und Sünde 239 .
und Buchstabe 29
- von Gott und Mensch 407, 461 Christi 26ff.
von Kirche und Reich 557 - creator spiritus 432
- von Kirche und Welt 564 - dritte Person der Gottheit 377
- von kirchlich und unkirchlich - Erkenntnis im G. 59
177 - Erwählung 389
von Kosmos und Schöpfung 339 - existentielle Sinngebung 388
von Licht und Finsternis 566 - existentielle Tatsache 377
von Licht und Schatten 102 - Feuer 378
von Reich Gottes und Antichrist - Frieden 389
653 - Frucht des G. 403
-
von religiös und unreligiös 90, getrieben vom G. 405ff., 417, 443
177 - Gottes 30, 428
- von Selbstzerfleischung und Hei -
747
macht gerecht 378 aus dem Gesetz 5o8ff., 516
macht lebendig 378 - durch das Blut Jesu 156
- des Menschen 71 , 116, 127, 170, - eigene 96, 477, sosf., 509, 511 ,
369 524, 537, 545
- und Moral 229 - ewige 477, 541 , 662
und Natur 369 – forensische 563f.
neuer 105,643 - des Gesetzes 388
- Sieg 389f. - des Glaubenden 96
- Tod und Leben 396, 408, 430 - des Glaubens 184
- tritt für uns ein 434f. - des göttlichen Zorns 120
Tröster 405 , 416 Gottes 64ff., 69, 109f., 112, 117,
Vergeistigung 108, 398 126, 13off., 137ff., 142ff., 149,
Verleugnung 376 isiff., 158, 163, 165f., 168, 173f.,
Wahrheit 436, 440, 445 , 568
-
749
des Todes 233, 241 , 254, 593 -
751
Gesichtspunkt der G. 581 401 , 408 , 416, 442, 444, 470f., 478,
- als göttliche Unduldsamkeit 580 SOS , 534, 562, 572, 591 , 636, 672
- Gotteswahrheit 302 Gott für uns 446ff.
Herrschaft 293, 295 , 298, 300 Gott und Mensch 52, 77, 79f., 119f.,
- Hoffnungauf Gnade allein 460 123f., 131 , 140, IS1 , 207, 282, 342,
- kategorischer Imperativ 304 347, 357, 362, 432, 449, 455 , 484,
kein Gleichgewichtzur Sünde 486f., 498 , 517, 520, 556
311 Gott selbst 63 , 72, 89, 92, 107, 115 ,
Krisis vom Tod zum Leben 310 125 , 132, 154, 182, 185 , 189, 262,
-
lebenslang 541 279, 281 , 296, 322, 338, 352, 382,
- Macht 258f., 298, 306 401 , 408 , 416, 442, 444, 470f., 478,
- neuer Mensch 277 505 , 534, 561, 572, 591,636, 672
- Nichtstun des Menschen ? 297 Gott über alle Dinge fürchten und
- Reich Gottes 295 , 298 lieben 485,498,684
Schöpfungs- 185 Gott, Abgrund 76
- und Sünde 262, 289f., 298 abwesend 634
- Taufe 268 -
Barmherzigkeit verborgen im
göttliches Tun 178, 472f., 542, 557f., Zorn 223
688 bezahlt und belohnt 92f. , 100,
göttliches Wählen und Verwerfen
107, 109f., 126, 154f., 166, 171 , 444
583 bleibt allein G. 582
Göttlichkeit 9, 47, 58, 151 , 157, 165 , - Demonstration zur Ehre Gottes
233 , 253 , 362, 382, 386, 397, 407 583, 682
Götze 62, 77f., 196, 652, 663 , 682
– Bibel als G. 593 - Despot 477, 522
eines « Gotteszorns » 687 – Ehre 119, 168 , 196, 230, 281 , 322,
- lebendiger Gott als G. 593 , 668 442, 460, 478, soi , 510, 529, 563f.,
- Todesweisheit als G. 593 582ff., 589, 604, 607f., 615,617,
Götzendienst 120, 173,652 623 , 636, 639f., 700
Golgatha 321 , 384, 386, 443 -
Eigenart/Eigenwille 588
Gott 318, 343, 399, 647, 694 Einfalt 604
Gott allein 63 , 72, 89, 92, 107, 115 , – Einheit 158, 181 , 220, 531f., 534,
125 , 132 , 154, 182 , 185 , 189, 262 , 536, 539
279, 281 , 296, 322, 338 , 352, 382 , - Einmaligkeit 380
752
- Ende des Menschen 258 - Gespräch über G. 574, 591 , 705
- Erbarmen 109, 120, 181 , 273,478, - Gnade 246, 293, 534, 539, 608,
481 , 488ff., 494, 520, 522, 525,531, 652
560, 563f., 566, 575 , 577, 581ff., - Gnadenwahl 535 , 542, 544, 554
618, 686, 700 als Gott 65 , 70, 73, 76, 110, 113 ,
- Erbarmen größer als Zorn 362 128, 207, 224, 344f., 464, 473, 485 ,
- erbarmt sich und verstockt 481 , 487, 506f., 530
sos - Gott nennen 583
- Erlöser 65 , 102 , 115 , 220, 489,647 - Gottheit 73 , 157, 196, 430, 543
- erniedrigt und erhöht 593 - Grenze 451
- Ernst 189, 240, 337 – Güte 89f., 99, 104, 114, 148, 478 ,
- Errettung 234, 534 553
- der Erste und Letzte 78, 133 , 145 , Hand 655
531 - harter Herr 584
- erwählt und verwirft 247, 472f., - Heiligkeit 70, 167, 180, 209, 220,
477, 479f. , 502 , 507, 531 , 647,685 362, 395 , 549, 566, 704
- Esaus/Jakobs 467, 475ff., 487ff., -
Heimat 72, 76, 129, 167
531 , 542 - der Herr 588, 647
- ewig 73,91 , 157, 379f.,442, 501 , -
Licht 74, 116, 169, 339, 413 Treue 53f., 56, 63, 65f., 112ff.,
Macht 209, 298, 40sf., 483, 485 , 118, 120f., 125 , 133, 135ff., 144,
535 147ff., 155ff., 162, 175, 191 , 265 ,
- Majestät 170, 196, 440, 509, 566, 279, 391 , 495f., 508, 510, 513, 516,
608 522, 685
- und Mensch 283 , 440, 466, 563 , Trost 416
581 - Trotzdem ! 131 , 133, 139, 171 ,
– Möglichkeit 561 188 , 224, 293 , 302, 353 , 488 , 530,
Nähe 94 , 509, 513. 545
- offenbart sich in Christus 361 , - Tyrann? 117f.
536 Überlegenheit 76, 117f., 653
- Ordnung 640, 645f., 649 - Unanschaulichkeit 72f., 135, 139,
- Persönlichkeit 380, 456 141 , 206, 217, 220, 230f., 423, 439,
- Rache 633 442, 471f., 543, 569
- Ratschluss 259, 261 - unbegreiflich 498, 567
- Rechnung 156, 416, 469 Unbegründetheit 167, 185
- Recht 110, 131 , 209, 457, 487, - unbekannter 58f., 71 , 74f., 77,
534, 565, 594f., 630, 636, 650, 690 79f., 84f., 90, 97, 102, 112ff., 121 ,
rechtfertigt sich selbst 65 , 130, 128, 133f., 138, 158, 161 , 167, 193,
212, 224, 412, 417, 518, 536 260, 266, 281 , 302, 313 , 317, 335 ,
-
spricht III , 130f., 143 , 155 - wahrer G. 62, 65 , 74f., 78, 93, 97,
- Strenge 553 115 , 118 , 505 , 520
754
Wahrheit 47, 65 , 73 , 79, 86, 88, - Zorneswolke 89
110, 118 , 167, 173 , 196, 239, 264, Gottähnlichkeit 122, 186, 266, 324,
283 , 295 , 307, 395 , 406, 466f., 470, 663
475 , 539, 568, 574, 700 Gottbegeisterter 252, 318 , 523
Weisheit 278, 569 Gottesbewusstsein 383
- Wesen 117, 167 Gottesbeziehung 253f., 256
Widersprecher 299 Gottesdienst 196f., 496
Wille 55 , 121 , 136, 139, 144, 239, Gottesferne 79, 284
252, 260ff., 287, 295 , 304, 307f., Gottesfrage 102, 223, 235 , 344, 461 ,
349, 357, 403,478, 483ff., 489, 535 , 596, 603 , 608
541 , 582f., 589, 611 , 616, 619 Gottesgemeinschaft 107, 115
Willkür ? 117f. Gottesgerechtigkeit 88, 90, 98 , 100,
Wohlgefallen 53, 85, 100f., 150, 111 , 158, 165f., 169, 171f., 176,
154f., 171 , 262, 285 , 287, 304, 445 , 310, 388, sosf.
583 Gotteskinder 106f., 121 , 142, 213 ,
- Ziel 244 262, 273, 409f., 412, 414, 417ff.,
Zorn 68, 71 , 74ff., 83f., 91 , 93, 95 , 424, 427f., 432, 440, 454f., 468,
108 , 112, 117, 120, 171 , 186, 207, 493
212 , 214, 223 , 227, 239, 256, 326, Gotteslästerung 215
362, 439, 489, 5 34, 634ff., 687, 690 Gottesmann 86f., 239, 401 , 488
- Zorn als Bedrohung 196 Gottesnähe 284f.
- Zorn und Erbarmen 520, 522, Gottesverehrung 589
560 Gottesverhältnis 69f., 78, 81 , 240,
- Zorn und Errettung 110, 234 551
- Zorn als ewiger Tod 655 Gotteswelt als Ordnung 656
- Zorn gegen Ehrfurchtslosigkeit Gotteswelt als Revolution 656
67,635 Gottheit 158 , SII , 581 , 674
Zorn gegen den Menschen 86, Gottinnigkeit 207
229 , 250 Gottlosigkeit 108f., 120, 240, 378,
Zorn gegen religiöse Weltlichkeit 400
IOS - im Bösen 635
- Zorn gegen Sünde 268 , 295 - im Guten 635
Zorn als Gerechtigkeit Gottes Grab 281 , 560
69, 120, 130 Gräberfelder 325 , 363
Zorn als Gericht 67, 73 , 81 Grieche 64, 93 , 121 , 139, 142, 368,
- Zorn identisch mit Erbarmen 518
531 Griff nach dem Szepter Gottes 634
- Zorn ist nicht sein letztes Wort große Störung 572, 574ff., 580, 584,
68 588, 591f., 604,612, 620, 670, 674
- Zorn ist unentrinnbar 110 großer Irrtum 586, 590, 607
- Zorn ist universal 655 Großinquisitor 319,455, 527ff.,
- Zorn ist verhüllt 241 642f., 674, 691
- Zorn und Liebe 279 Gut und Böse 92, 100, 103 , 119, 131 ,
Zorn und Menschengerechtigkeit 238, 261 , 278, 312, 315, 334f.,
84 339ff., 343 , 345 , 347f., 364, 395 ,
- Zorn währt einen Augenblick 412, 422, 424, 431 , 482, 611 , 626,
541 648f., 653f.
- Zorn , Ansichhalten 89, 104, 148,
489
755
Häresie 20 Held 109, 113 , 115 , 136, 147, 182,
Halt ! 82, 102 , 234, 256, 352, 424, 678
452, 512,655, 673f. Hellenismus 13, 26, 28, 265
Haltung 84f., 91f., 95 , 97, 100, 130, Hergang und Zustand 183ff., 188,
154, 164, 166, 239, 326, 330, 377, 190, 193 , 334, 349
404, 436f., 512 Hermeneutik, Arbeit des Verstehens
- biblische 85 , 108, 127, 185 3
Handeln, ethisches 581 , 583ff., 589, Heroismus 164f., 167ff., 383
593, 599ff., 608, 614, 618,627f. Herrlichkeit 272, 412ff., 418, 424,
- göttliches 582, 586,619 440, 447, 489
- menschliches 627, 644 Herz 30, 74ff., 109, 116, 126, 212,
Nicht-Handeln 643f. 216f., 302, 378 , 410, 513 , 516, 535 ,
- positiv-ethisches 607 660
Harmonie 133 , 347, 359, 411 , 415 , - Betrug des H. 173
431 - offenes 604
- Disharmonie 354, 415 – ungebrochenes 75
- jenseitige? 415 Heteronomie 71 , 405 , 408
Harren 56, 89, 113f., 128, 134f. Himmel 20, 312, 395 , 461 , 511 , 645
Heiden 97ff., 108, 157, 176f., 180f., Himmelfahrt 512
197, 302, 317, 490, 493ff., 499f., Himmelreich 595,619, 623 , 688
518f., 522, 539ff., 5 sof., 558f., himmelstürmend 122, 255 , 267
563f., 566, 700, 702, 705 , 709 Hinfälligkeit 273
Heide, Erwählung 559 des Lebens 68 , 82
· Mission an der Kirche 560 Hinweis 56, 59, 77, 97f., 113, 124 ,
Heidelberger Katechismus 540 128, 134f., 137, 145, 153, 158, 166,
Heidentum 554 178 , 184, 186, 191 , 265 , 318 , 385 ,
- relativer Gegensatz zur Kirche 508, 517, 538 , 560
542 auf Gott 632
Heil 172, 215, 430, 517, 542,655 hippokratischer Zug 241
Heilige 109, 312, 666, 678, 710 Historie 166, 192, 194, 199ff ., 411
Heilige Schrift 40 - analytische 202
-
757
Indien 78 , 207 Gericht und Rettung 545
Indifferenz 311 , 403 - Gericht und Vergebung 545
Individualität 172 Geschichte 183ff., 189, 490
Individuum 161 , 172, 25of., 275f., - Gesetz 183, 189, 240, 335,463
285 , 288 , 299, 306, 403, 474, 519, - Gottesdienst 463
534, 542, 559, 561 , 594, 597f., 600, - Heilsgeschichte 183f.
605 , 665 · Herrlichkeit 463
- in Gott 651 - historisch , historisch-psycholo
vor Gott 599 gisch 190
Infragestellung 58, 64, 124, 140, Hoffnung 183f.
165 , 171 , 263 , 270, 276, 279, 289, - Messias 183
304, 311 , 328 , 335 , 337, 344, 354, neues 520
373 , 387, 400, 469 - Not und Schuld 556
Ingenieur 623 Rettung 559
Inkarnation sur - Sohnschaft 463
Inkognito 383 , 386, 430, 442, 447 Solidarität 465
- göttliches 63, 456f., 459 Verheißung 183, 463
Inkompatibilit ät_300 - Verstockung 559
Innerlichkeit 100, 369, 579 Volk Gottes 178
Insel, der Seligen 84 – Zerstreuung und Sammlung 554
- submarine 416, 534 iustificatio forensis 36
der Wahrheit 416, 428, 534f. iustitia, aliena 131
Inspiration 410 - forensis 131 , 680
Inspirationsdogma 28
Inspirationslehre 3, 13 Ja 144, 182, 211 , 214, 319, 369
Institution 200, 266, 303 des Glaubens 212
Intellektualismus 139, 141 , 254, - zu Gott 294f.
295 , 352 , 573 Ja/Nein 24, 187f., 194, 214, 230,
- Anti- 590 234, 243 , 623
Interim 311 , 620, 653 Jagen nach Gerechtigkeit 493ff.,
international 621 sor , 508f.
Intoleranz 676 Jahrmarkt 317
Intuition 89, 198 , 396, 410 des Geistes und der Religion 57
Isenheimer Altar 180, 235 , 568 jenseitig 70, 163, 167, 176, 178, 181 ,
Israel 148, 242, 256, 258, 321 , 461f., 185 , 210
468f., 473 , 489f., 497, 508, sis , Jenseitigkeit 150, 398f., 575f., 579
diesseitige 576
518, 529, 534, 537f., 541 , 543, 545 , Jenseits 167, 255 , 265 , 267, 306,
549, 558ff., 563ff.
Abraham 183 , 191 , 495 373f., 387, 395, 398, 415 , 558
- und Diesseits 300
- Bund 183 , 463
Jenseitstendenz 619
- Bedrängnis 558 Jerusalem 467, 491 , 708
- Besonderheit 183 neues 374f., 559
- Eifer um Gott 495 Jesus 110, 136, 138, 140, 143 , 146,
– Erwählung 240,559, 564 149f., 152, 154f., 158, 160, 162f.
– gegenüber Gott 464, 545 Jesus Christus 17ff., 69, 87, 96, 136,
gegenüber der Heilsbotschaft 161 , 182, 190, 206, 208, 214, 218 ,
454 220, 223 , 226, 228, 235 , 245f., 269,
Gerechtigkeit 495 271 , 321 , 362, 370, 383 , 390, 418 ,
758
430, 435, 447, 461 , SI1 , 518,618, - Licht 135f., 164, 225 , 243
630, 642f., 668 , 674, 686,692, 695 , - Messias 280
699ff., 704, 707f. mit imperatorischer Gewalt 517
- Anfänger und Vollender 669 - nach dem Fleische 52, 145 , 220,
- Antwort Gottes 491 , 660 230, 322, 620, 708
- Arzt 280 - Paradox sof., 137, 147
Auferstandener 10, 236, 280, 323, - Prophet 280
450, sisff. - Religion Jesu 497
- Auferstehung und Leben 439 -
760
- und Heiden 539f., 542 - und Offenbarung 556, 559
und Heidentum 493 - als organisierte Religion 465
- als Heiligtum 493 - der Ort Gottes 455
- Heuchelei 465 als Ort, wo die Offenbarung zeit
- historisch -psychologisch 503 lich wird 454, 468
- hochkirchlich 34 Ort der Verlorenen und Gerette
- Hoffnung der K. 528, 5 30ff., 536, ten 564
538f., 541f., 548f., 554, 568 - und Politik 532
hoffnungslose 332 - politisch und kulturell rückstän
- ideale 454, 641 dig 465
- und ihr Thema 534, 561 , 564 - und Programm Gottes 547
- in der Paradoxie geglaubt 532 - und Proletarier 523
- in der Unzulänglichkeit geglaubt – Raum für Gerechtigkeit der Hei
532 den 564
- in der Versuchung 506 rechte K. durch das Evangelium
als Institution 462 sos
- Inthronisierung des frommen - redet vom Glauben 497
Menschen 537 - redet von Gott 561
als Israel 565 - Reformarbeit 465
- Jakobs 466ff., 481 , 490f., 497, - reformierte 513
499f., 509, sizff., 518 , 520, 522, - und Reich Gottes 457
525 , 534f. , 537, 548f., 561 , 566, - und Reichsgottesreligion 508
593 , 605 religiös korrupt 465
- und Jugend 523 - und Religion 529
- kämpfende 38 - Respekt vor Gott 523
- kann nicht untergehen 473 römisch - katholische 33f., 455 ,
kapitulierend 546 495, 506, 595 , 597, 678, 692
Katastrophe der K. 460, 541 , 543, ruft Jesus Christus an 518
546, 557ff. Schuld der K. 456, 504f., 507,
- kein Austritt 460 510, 521 , 524f., 528, 530, 536,
- kein Zuschauertum 458 540f., 543, 545 , 551, 554, 557
Kirche der Wüste 513 sich selbst ernst nehmend Sis ,
- des kirchlichen Lebens 502 518
- Krankheit 466, 523 - Spiegel zur Gotteserkenntnis 546
Krisis 472
- lebendige 471 – Stellung zur K. 457
– und lebendiger Gott 498
-
761
- Versagen 541 Kollekte für die Gemeinde in Jeru
- des Völkerbundes 642 salem 616, 709f.
- und Volk 523 Kompromiss 359
– Wegwerfung 546f. konfessionell 621
- und Welt 541 Konfessionswechsel? 529
Konservativismus 219, 400
- weltförmig 465 Kontinuität 181 , 195 , 281 , 313 , 398
Weltfremdheit 458
Widersprechen gegenGott 526 Kontrast 161 , 163, 173 , 188f., 193 ,
– und Wort Gottes 465 , 540 220, 222, 233 , 243 , 247, 261 , 283 ,
- Wort Gottes als Thema 466 324f., 338, 344, 347, 422, 428, 447,
- des Wunders 513 450, 464, 473 , 481 , 566
-
765
Abrahams 169, 171 Mittelmäßigkeit, theologisch-kirch
Menschengeschlecht 621 liche 708
Menschenkinder 147 Moabiter 240
Menschenmöglichkeit, religiöse Mobilisation 631
329 modus vivendi 59, 290
Menschenwerk 323 , 496f., 543, 562 Möglichkeit 83f., 90, 92f., 95 , 101,
Menschheit 121 , 123 , 136, 140, 224, 103, 107, 120, 125, 128f., 135f.,
226, 243, 380f., 388, 468, 549, 617, 142, 145, ISI , 153, 155 , 158f., 167,
670 184f., 189, 194f., 205 , 211 , 227,
- religiöse 492 233f., 247, 253, 262f., 275, 277,
menschlich 52, 54ff., 59, 64, 87, 92, 280, 283, 290, 292, 296f., 300, 303,
98, 107f., 117, 131 , 145 , 150, 154, 308f., 311, 314 , 320f., 324, 339,
189, 252, 326f., 333 345 , 347, 352, 357, 365 , 373 , 392,
Menschliches allzu Menschliches 389, 399f., 427, 458, 496, 507, 511 ,
576 SI5 , 694
Menschlichkeit 87, 126, 145 , ISI , - eschatologische sio, 548f., 558,
155, 166, 176, 182, 234, 253 , 272, 560, 604
328f., 347, 352, 354, 385 , 407, 461 , ethische 601 , 603f. , 612ff., 618f. ,
528 , 594 658 , 669
- jenseitige und ursprüngliche 142 - des Geistes 374f., 377
- kirchliche 461 - göttliche 254, 263, 276, 278, 299,
- Unmenschlichkeit 572f . 318, 321 , 328ff., 333 , 337f., 349,
von der Sünde beherrscht 333 352, 409, 495 , 522, 528, 538, 542,
Messe, katholische 540 547f., 550, 558, 567, 569, 659, 705
Messers Schneide 584 - große negative 639, 657f.
Messias 50, 52, 183, 185 , 209, 321 großepositive 658,665 , 669, 671
Messiasreich 184, 190 -
766
- unanschauliche 252, 255, 399 - sündebeherrscht 369
- unendliche 507 Naturalismus 332
- unmögliche 89, 109, 114, 129, Naturfreunde 551
139, 147, 149, 157, 189, 203 , 271 , Naturphilosophie 397
28sf., 298f., 316, 375 , 387, 454, Naturwissenschaft 80, 411
461 , 470, 500, so8ff., 313, 517, 523, Nebel 79
560, 659, 672, 686 - religiöser 76f., 89
des Unmöglichen 128, 269, 293 , Negation 59, 64, 66, 68 , 124, 126,
307, 309, 313 , 315 , 459, 516 136, 160, 163f., 184f., 194, 205f.,
Möncherei 680 211, 214 ,216, 219, 230, 234f., 250,
Mönchswerke 682 268f., 274, 278, 285 , 291 , 329, 331 ,
Moral 59, 76, 101 , 109, 139, 141 , 337, 339, 344, 359, 374, 376, 381 ,
152, 164, 219, 229, 254, 293 , 297, 391 , 397, 417f., 432, 439, 443 , 508,
324, 381 , 384, 389, 427, 485 , 512, 512, 663
525 , 603, 621 , 628 , 670, 693 - große 654
- Eigenwert 123 - kritische 160, 220, 345, 408, 580
- Erlebnis der Gnade 317 der Negation 194, 199, 214, 251 ,
- gegen Sünde 300 277, 441 , 450
als liberale Selbsttäuschung 461 reine 194 , 199
- relative Kritik 123 das Negativ 125 , 317, 349, 462, 488
Moralismus 310, 462,617 Negativität 180, 185 , 188, 235 , 245 ,
Moralist 680, 691 260, 272, 307, 318, 405
Moralität 680 Neinsagen /Neinsager 85
Morgenrot 224, 448, 474 Nekrolog 42
munus triplex 218 Neuendettelsau 41
Mystik 89, 137, 153, 189, 192ff., Neuer Himmel und neue Erde 65 ,
265, 269, 293, 296f., 332, 405 , 432, 96, 130, 143 , 145 , 194, 234, 283 ,
462, 580 309, 425 , 547
hellenistische 570 Neues Testament 7, 15 , 333, 462,
mystizisierend 34 476, 569, 668, 698
Mythologie 380, 383, 444, 474, Neupythagoräer 678
488f. Neutralität 290, 292, 311 , 524
Mythus 51 , 185 , 192ff., 265 , 339 nicht rückgängig zu machen 259,
278f., 285 , 303, 347, 356
Nachfolge 271 , 443 das Nicht- Gegebene 72, 117, 273,
Nächster 602 , 608 , 659ff., 663 , 665 , 278, 376, 398 , 461 , 487
698
Nicht-Gott 64f., 68, 70 , 73f., 77f.,
national su 80f., 83 , 86, 93 , 118 , 130, 207, 214,
Natürlichkeit 241 , 290, 291 , 337, 231 , 255 , 261 , 267, 319, 415 , 434,
478
385 Herrschaft 91 , 117
Natur 77f. , 80, 164, 166, 233 , 255 , Nicht- Hören 525 , 539
269, 337, 342 , 344, 369, 381 , 411 , Nicht- Ich 153 , 398
421f. , 425 , 572,621 Nicht-Sein 71 , 118, 153, 194, 273 ,
- entelechiale Naturbedingtheit des 322, 348, 376, 392, 402
Menschen, 596 - Sein und Nicht-Sein 112, 128f.,
- und Geschichte 380, 388 193f., 221 , 225 , 227, 234, 263 , 286,
- als liberale Selbsttäuschung 461 291 , 298, 304, 320, 335 , 469, 487,
des Menschen 8of. 492, 502
767
unsres Nicht-Seins 194, 203 geschichtliche 175, 379
Nicht-Wissen 71 , 75 , 84, 157, 246, Gesetz 94, 97, 496
278 , 280, 284, 344, 426, 436, Glaube 664, 666
439ff., 443, 450, 458, 491 , 703 - der Gnade 307
Nicht-Wollen 359f., 364f. - als Gnade 313
Nirwana 269 Gottes 98 , 176, 181 , 253 , 383 ,
noch nicht 158, 210 416, 441 , 462, 479, 488f., 509, 541 ,
Not 443 , 465, 486, 492f., s13f., 517, 559f., 699
565 , 689 im Paradox 473
des Lebens 513 - in Christus 388
von Gott 530, 536 in Jesus 138 , 143 , 162, 361 , 380,
notwendiges Gebot 599 384
Notwendigkeit sif., 62, 67, 80, 100, ist frei 98
132, 144, 147, 188, 202f., 205 , 208, - Klarheit 469
214, 227, 233 , 244, 248, 252, 259, - des neuen Menschen 285
262f., 279f., 288 , 303 , 311f., 314, - Plato 380
322, 345, 348,355f., 377, 386, 400, – schriftliche 61
438, 5o6 ., 533 - der Söhne Gottes 422, 428
- der Treue Gottes 162
Oberlicht 81 , 191ff., 200ff. – unableitbar 99
der Geschichte 192 des unbekannten Gottes 313
Objekt 395 , 426 - Universalismus 521
Objektivität 233, 394 - der Wahrheit 440, 467
Obrigkeit 645,647,649 , 651f. , 655 - Zeugnis 266
ökonomisch 139 – zukünftige 414
Ölbaum 550 Offenbarungseindruck 97, 99,
östlich 115 , 399, 405 , 434 102ff., 109, 112ff., 124, 127f., 130,
Offenbarung 52, 55 , 96, 113, 115 , 134, 175 , 178, 183, 185f., 334, 496
128, 134, 137, 175 , 178, 191 , 239, Offenbarungsträger 115 , 361
280, 314, 441 , 463 , 468, 481 , 534, Offenbarungszeit 49,61
556, 564, 567, 569, 664, 666 Offenheit 91 , 224, 330, 543 , 545
Offenbarung Johannes 641 okkult 137, 421 , 425
Offenbarung , Abraham 380 Opfer 116, 136, 189, 196f., 256, 258,
Auferstehung 51, 313 484, 523, 581ff., 585,588, 590,
Auferweckung 280 607, 610, 641 , 652, 663 , 693 , 698
- empfangen vom Menschen 489, Optimismus 195 , 212, 234, 295 ,
559 423f., 680
-
Erleben 95
Orden 38 , 678
- Esau und Jakob 474 Ordnung 519,628 , 639, 641 , 649,
- ewig -zeitliche 454 651,656
- des ewigen Geheimnisses 309
– bestehende 645f.
-
768
Ostertag 52, 281 , 309, SII Pfingsten 512
Pforte, enge 205 , 215 , 234, 272, 344,
Pantheismus 298, 396 408f., 417
Papst 363 , 633 Phänomen 177, 335
Paradies 339, 382, 403 , 677 religiöses 266, 335
- verlorenes 341 Phantasterei 187
Paradox 75 , 80, 87, 140f., 160, 168f., Phantom 497f., soo
170, 220, 264, 267, 376, 381 , 441 , Pharao 68, 48of., 489, 541f.
456, 458, 472f., 480, 533 , 556, 574, Pharisäer 46, 90f., 140, 318, 455,
592, 601 , 618, 678 458, 462, 464, 530, 578, 679f., 686
des Daseins/Lebens 68 , 85 , 89 Pharisäismus 94, 153, 188f., 258 ,
- ethisches 628 , 636 530 , 547, 688
- des Geistes 376 Philister 240
- des Glaubens 151 , 155ff., 160ff., Philosoph 17, 121 , 256
165 , 167f. , 174, 208, 229 Philosophen , romantische 589
Nicht- 10 Philosophie 17, 136, 229, 436
Paradoxie 278, 346, 351 , 406, 410, christliche 115
485 - philosophisch -theologische Welt
des Sündenfalls 345 anschauung 80
- der Wahrheit 466 Physik 219
Parallele 228, 330, 349, 411 Physiognomie 355
Paranoia 384 Physis 281
Partei 623, 677 physisch 144, 248, 260
Parusie 210, 561 , 667ff. Pietät 264
Passivität 297 Pietismus 153 , 346, 461 , 571
Pathos 324f. , 617, 626, 647, 649, - Bekehrungspie tismus 463
652, 669, 679 Üb er- 379
- der Unendlichkeit 366 Pietist 622, 628
Pauliner 679f., 691 Plerophorie 199, 512
Paulinismus 20, 29, 591 , 673, 691 , pneuma Christou 26., 29
701 , 703 , 708 Pneumatiker 16, 32
- unbrauchbarer 698 Polarität 79, 228, 236, 243, 260, 262,
Paulusbild, modernes 18 278 , 282, 312, 319, 327
Pazifismus 632,635 , 678f. Polemik 25 , 254, 297, 331 , 46of.,
Pendel/Perpendikel 326, 522 464 , 713
Persönlichkeit 71 , 78 , 100, 158, Politik 324, 352, 367, 576, 580, 653
Posaune , letzte 91 , 152, 162, 172,
165ff. , 191 , 202, 206, 251 , 276,
269, 514
340, 438 , 480 Positivität 186, 260, 272, 318,655
- Jesu 218 Potemkinsche Dörfer 106, 704
religiöse 179 Prädestination 237, 243 , 251 , 336,
tote 402
339, 444, 474, 476, 480, 487, sosf.,
Pessimismus 212 , 234, 295 , 362 , 424 519, 622, 682
Pfaffe 318 , 465 , 554
Pfaffenkirche 514 - doppelte 19, 344, 469, 472f., 491 ,
554, 560, 567, 581 , 608 , 685
Pfarramt 457, 460 Prädikation 205 , 211 , 225 , 309, 399,
Pfarrer 16, 24, 240, 383 , 386, 529, 410, 412
533 , 601 , 603 , 623 , 677 Präzisismus 619, 632, 678f., 681ff.,
Pfeil vom andern Ufer 327, 560 697f.
769
Pragmatik 110, 184, 189, 249, 252, Psychoanalyse 384
380, 382, 479, 562, 564 Psychologie 104, 138 , 152, 172, 279,
– unanschauliche 229, 237f., 243f., 353 , 406, 600, 603
563f. - der Gnade 273, 278
Pragmatismus, historisch-psycholo - der Sünde 273
gischer II psychologisch 139, 216, 384, 411 ,
Prediger 603 427, 474, 480
Predigt 15, 187, 189, 205 , 256, 301 , Psychologismus 305 , 380, 593
340f., 362, 494, 499, 532, 539, 603 pudendum des Glaubens ? 212
-
770
- der Sünde 360 - -kirchlich 64, 1756., 179
Realitätswert 179, 181 , 186 - -sozial 240, 384, 571 , 578, 580,
Rebell/Rebellion 292, 644ff. 679, 686
Recht 638, 646f. religiöse Gebärde 187f.
Rechtfertigung 65, 84, 98ff., 106, Religion 75 , 107, 125 , 127, 130, 134,
119, 149ff., 162, 165 , 188ff ., 206, 139, 150 , 152, 154f., 157, 162f.,
242, 251 , 263 , 322, 337, 360, 366, 175, 177ff., 186, 189f., 219, 253f.,
377 , 390, 403 , 429, 434, 449, 502, 256f., 294, 303 , 311 , 327f., 330,
518 , 530, 535 , 539, 545 , 548 , 550, 332ff., 343, 348 , 352f., 367, 372,
559f., 564, 626f., 647, 649, 655 , 375 , 379, 392, 436, 465 , 499, 509,
684, 691 516f., 521,621 , 658, 698
Reflex 178 , 184, 381 -
des 39 . Psalms 354
Reform 698 Abrahams 175f., 180, 186
Reformarbeit 654 - Absolutheitsanspruch 255
- kirchliche 465 - anschaulich 255
Reformation 349, 427, 467, 469, -
als Mittel der Sünde 342 als Verweis auf das Göttliche 349
- und Moral 366 · und Volkstum 366
Mysterienreligion 266 - Weltreligion 58,60
- neben anderen Religionen 163 - und Wissenschaft 366
- nicht das Reich Gottes 497 als Zeichen 180
– und Offenbarung 124, 388, 497 als Zeugnis von Jesus Christus
- des Paulus 354 508
772
- Ziel ist Jesus Christus so8 - Aufforderung zu bestimmtem Le
– zweideutige geschichtliche Wirk bensversuch 687
lichkeit 257 Ausgang des R. 674
Religionsgeschichte 86, 113, 130, - Aussagen des R. 26
163f., 169, 175 , 177, 294, 379, 384 -
773
Schatten 93, 112, 237, 254, 328f., Schwärmerei, geschichtslose 708
350, 374, 400, 402, 417, 420 Schweigen 348,411 , 446
Licht und Schatten 102, 148 , 165 , und Reden 187, 269, 375 , 512
225, 236f., 243, 326, 339 Schweiz 588
Schattenreich 654, 658 Schwelle 226, 229, 249, 251 , 253,
Schicksal 68, 104, 250, 352, 415 , 258f., 268, 271f., 286, 330, 547,
430, 483 , 493 , 650 560
- tragisches 636 Seele 285, 293f., 308, 579, 615
Schlaf des Gerechten 590 Seelenheil 686
Schlafbedürfnis 290, 324, 427 Seelsorge 205 , 340, 362, 494
Schlange 231 , 340f., 348 Segen 183, 405 , 617
Schlupfwinkel 88, 239, 359, 363 Sehen und Hören 73, 134, 145 , 223,
Schnittlinie 49, 64, 73 , 90, 102 252, 307, 375 , 410ff., 535, 558
Schöpfer 492 Sehnsucht 420, 423, 429, 438
Schöpfer und Geschöpf 71 , 98 , 124, Sein, Haben und Tun, Gottes 151 ,
207, 217, 220, 231 , 34off., 407 156, 177, 309, 412
- Distanz 126f. -
774
Sexualität 76, 79, 106 , 290, 295 soziales Unrecht 81
Sieg 429, 474, 645 Sozialismus 80, 114, 187, 304, 326,
- der Gnade 294f., 302 surf., 551 , 623
- der Gnade über die Sünde 301f. - religiöser 461 , 678
- des Lebens 61 , 214, 251 , 288, 308, Soziologie 254, 282, 411
408, 447, 450 Spätjudentum 13
Siegel 179, 432 Spaltung 369
Sinn 74, 92 , 111 , 124, 130, 134, 145 , Spannung 124, 210, 262, 278, 311f.,
150, 162f., 175 , 180, 201 , 206, 246, 350, 440, 447
275 , 285 , 389, 392, 421 , 434, 445 , Spartakusbund 499
489, 505 , 517, 559 Spekulation 397, 426
- ewiger 438 Spiegel/Spiegelbild 72 , 261 , 272,
- für Gott 98 275 , 422f., 426, 430, 546
- des Geistes 329f., 352, 389 spiritistisch 281
- der Geschichte 117, 120, 124f., Spiritualismus 187, 396
133 , 190 Sprung 416, 425 , 429, 433 , 523
- des Gesetzes 162, 184, 191 ins Leere 138f., 149, 252
- im Unsinn 266 Spuren 104, 114, 293
- des Kreuzes 684 Staat 78, 576,621 , 638f., 646f., 650,
- des Lebens 265 , 303, 573 653 , 656
- des Lebens Jesu 280f., 284 Staatsgewalt 639
- letzter 589 Stehen vor Gott 94, 96, 98 , 138, 142,
Sinnlichkeit 337, 340 144, 152, 155f., 159, 216, 322, 406,
Sittlichkeit 107, 141 , 294f., 404 413 , 417, 434, 438 , SII , 545 , 550,
- Jahrmarkt der 317 561
Sixtinische Madonna 363 Sterben 145 , 15.f., 165f., 168ff.,
Skandalon, der Offenbarung 379f. 173 , 180, 182, 220ff., 235 , 344,
- der Prädestination 476 365 , 397f., 402, 455, 470, 617, 684
Skepsis 53 , 98, 124, 163 , 186, 188, an Gott 392, 487f., 543, 547
195 , 230, 254, 277, 288 , 290, 296, des Christus 218, 220, 222ff., 248,
470 620
Skeptizismus 400 mit Christus 221 , 278ff., 284f.,
Sklave 275 289
Sklavenaufstand gegen Gott 291 , Sterblichkeit 155 , 196, 290, 373, 404
335 , 338 Stillen im Lande 533
Sodom und Gomorrha 491 Stimmung 84, 303
Söhne Gottes 405ff., 412, 422, 425, stoisch 212
428 , 443f. Streit, gegen Gott 618
Sohnschaft 408, 428 mit dem Mitmenschen 629f.
sokratisch 676 prometheischer 652
sola fide 156 Stufe 63f., 77, 94f., 102, 106, 112,
Solennität 613,616 139f., 334f., 363 , 392, 468, 550
Soli Deo gloria! 581 , 624 sub specie aeterni 42, 416, 624
Solidarität 55 , 141 , 147, 182, 458f., sub specie mortis 220, 234
464 , 498 , 524, 563 Subjekt 205 , 273 , 279, 293 , 365 , 394,
Sophismus 81 , 121 397f., 426, 480
sozial 430 altes 250
Sozialdemokrat 622 dieser Mensch 651
775
- menschliches 206, 216 als Schuld 60, 239
neues 216, 223ff., 25of. - als Selbstvergebung 173
- und Objekt 421 – Strafe 241
Subjektivität 168 - und Tod 368, 377
Sünder 662 - Tod als Folge 235 , 249
Sünde 30, 61 , 132, 147, 149, 173 , · tritt ins Leben 344
187, 230f.,234ff, 238ff., 254f., 257, - Triumph 298, 341 , 353
259ff., 270f., 275ff., 284f., 288ff., · Überfließen 232, 257f., 295 , 297,
292f., 295 , 299f., 304, 306f., 311 , 542 , 563
319, 324, 331 , 333f., 336ff ., 343 , unanschauliche 232, 234f., 238,
348, 350, 352, 354, 361 , 369, 374, 241 , 245 , 252, 262, 277
378, 381f., 386, 389, 392, 412, 439, - zerstört unmittelbares Leben 345
493 , 562, 659 Sündenfall 237
– abgesehen vom Gesetz tot 342 Sündenjammer 142
- anschauliche 238, 263f., 267, 275 Sündenschuld 352
– als Begierde 351 Sünder, Freude über den einen S.
- Begriff 238, 252 IOO
- beherrscht mittelbares Leben Sündigkeit 174, 290, 342, 373 , 382
345 Sündlosigkeit 284f., 289, 384
- Betrug der S. 348 supralapsarisch 237
bezahlt mit dem Tod 235 Symbol 265 , 462
- beziehungsloses Sein 235 Synopse 219, 538, 569
- Dominanz 249 System 16,85 , 154, 38of.
- durch Adam 236f. Systematik 456
- Ersäufen der S. 268
- Fremdherrschaft 121 Täufertum 482, 641,678
- gegen den heiligen Geist 377 Tafeln , der Gebote 607f., 619
und Gerechtigkeit 236, 243 , 253, der Lebenszwecke 315
372, 377, 388 , 392, 395 , 410, 432, Tag, des Jesus Christus 101 , 135 ,
447 144, 147, 327, 417, 429, 548 , 556,
- gerichtet 386ff., 393 566f.
- geschichtlicher Sinn 231 kommender 214, 231, 234, 258,
- getragen vom Gottesknecht 257 439
und Gnade 261 , 263 , 285 , 315 , neuer I55
482 - des Zorns 91
Herrschaft 242, 258, 288ff., 293f., Tal des Todes 211
296ff., 300f., 307, 309, 359, 382 Taten und Tatsachen 586ff., 591 ,
- in mir wohnend 360, 364 677, 711
- kein Gleichgewicht zwischen S. Taufe 264ff., 302
und Gnade 300 – Bußtaufe 321 , 443
-
776
Tempelreinigung 563 reaktionärer 640
Teufel 232, 354 ,439, 588,616, 642 -
revolutionärer 640
Textkritik 23, 116, 163, 204, 208, Tod 30, 60f., 82f., 101 , 156, 174, 194,
355 , 393, 414, 45 iff., 307, 555 , 215 , 218ff ., 229f., 234., 248, 254f.,
562, 681 , 692, 694ff.,699, 709ff., 258 , 268, 270, 280f., 283ff., 292,
713 314, 320f., 325 , 347f., 350, 352ff.,
Theodizee 212, 412 356, 370, 378, 387, 389, 402, 404,
theokratisch 176f., 180, 641 408 , 439, 443 , 620, 659, 662, 672,
Theologe 6, 8ff., 21 , 35,41,256,384, 683f.
441 , 529f., 712 - biologischer 684
- der Alten Kirche 34 - Christi 182, 222, 225 , 266f., 270f.,
- protestantischer 38 273ff., 284f., 288, 322, 384, 393,
Verrat des Th. 283 442f., 449, 518, 566,683
Theologie 8, 11 , 21 , 36, 189, 332, ewiger 655
423, 436 ,461 , SII , 530, 532, 568f., - Geburt und T. 60, 77, 126, 241 ,
602f., 609, 705f., 709, 712 288, 319, 383 , 395, 402, 411 , 415
des absoluten Moments 267f., als Gesetz des Lebens 230
279, 497, 516 Herrschaft 241f., 247
Blut- und Wundentheologie 463 - Leben und T. 193 , 227f., 243, 280,
Fakultät 240 683
Föderaltheologie? 570 - Macht 407
- heutige 9 - Revers der Sünde 234f .
- historisch- kritische 26 Sold der Sünde 314, 318
- katholische 33 - und Sünde 447
- kritische 16 - des T. 194, 199, 203 , 228, 230,
- mittelalterliche 34 251 , 268
- moderne 385 vom Leben zum T. 193 , 205 , 208,
Modetheologie 622 295 , 325 , 391 , 409
pietistische 371 Todesfluch 386
- positive 26, 703 Todeskraft 214, 271, 295
- praktische 16, 23,406, 603 Todeslinie 155 , 167f., 172f., 176,
- Professor der Th. 529 179f. , 190, 207, 224, 231 , 238 , 270,
- protestantische 311 280, 284, 328 , 335 , 340, 342, 345
- reformatorische 34 Todesurteil 228, 247f., 250, 374,
- sachliche 706 378 , 385 , 388 , 641
- als Wissenschaft ? 602 Todesverhängnis 68, 247, 517
- wissenschaftliche 706 Todesweg Jesu 165 , 167, 169, 273 ,
Theologiegeschichte 504 281 , 284, 442
Theoretiker 353 , 580 Todesweisheit 152, 345 , 404, 443,
Theorie der Praxis 575 624
Therapeuten 678 Toleranz 389, 494, 676
These und Anti -These 219,623,653 Ton / Töpfer 486f.
Tier 422 Torheit 85
Titan 636 den Griechen 138
titanisch 153 , 340, 342, 546, 593f., Totalität 263, 276, 280, 291 , 293 ,
646, 692 300, 306, 370f., 373 , 392, 397f.,
Titanismus 485 , 579, 594, 598, 605 , 411 , 428, 519, 558
633ff., 640, 690 totaliter aliter 373 , 399
777
Tradition 470, 677 Umstürzler 655
- kirchliche 603 Umsturz , radikaler 662
transzendent 260, 290, 572, 577 das Unanschauliche S1 , 130, 165 ,
transzendental 626, 664 167, 170, 172, 177, 184, 193 , 199,
Transzendenz 641 209, 214, 218, 233, 245f., 256, 273,
Treue 22 293 , 303 , 306, 309, 328, 330, 341 ,
Gottes 22, 136 345 , 376, 398, 43of., 517
Treueverhältnis, zu Paulus 30 Unanschaulichkeit 194, 234, 296,
- zum Autor 27 334, 410, 480, 516, 534, 544
zum Schriftsteller 28 das Unbegreifliche 89, 99, 168, 195,
zum Text 28f. 199, 354, 549
Tridentinum 33 das Unbekannte 351 , 376, 430, 517
Trost 56, 211 , 414f., 426, 457, 558 das Unbewusste 137
Tun, absolutes 615 Unbotmäßigkeit 67, 69f., 73, 81 , 83 ,
- des Bösen 654 85f., 89f., 93, 109, 117f., 120, 131 ,
- und Nicht- Tun 297f., 359, 363f., 133, 186, 231f., 291 , 335 , 447
404, 657, 662, 666, 677 undialektisch 383
Turm zu Babel 582 das Unendliche 205 , 357, 484
Turmbau 622 -
778
Unmöglichkeit 66, 82, 168, 194, Verborgenheit 445 , 471 , 489, 520,
202, 227, 239f., 262, 277f., 288, 569, 699
290, 296, 300, 303 , 318, 336, 344, Verbrechen 482, 485
346, 350, 410, 458 , 470, 525 , 547 Verdammnis 102, 242, 335 , 337,
- positive 278f., 284, 286 339, 368 , 395 , 531
Unreinheit 78, 80, 107, 116, 126, Verdauung 427
307 , 688f. Verderben 430, 489
Unruhe 86, 104, 150, 158 , 210, 242, Vereinzelung 54, 158, 192
300, 308 , 359, 445 , 452 , 543 Verfälschung 282
Unsinn 92, 111 , 389 Verfolgung 616
- der Geschichte 117, 120, 133 , 200 - diokletianische 26
Unsterblichkeit 143, 155f., 196, Verfügung 291ff., 295, 299, 305
249, 288f., 306, 394f., 399, 447 vergänglich /Vergänglichkeit 66f.,
Unterhöhlung 124, 268, 277, 403 76ff., 85 , 88, 94, 98, 105 , 112, 121 ,
Untreue iisf., 118, 120, 125, 358 214, 250, 272, 341 , 386, 400, 454
unvergänglich /Unvergänglichkeit Vergangenheit 192, 199f., 202, 301,
66, 76, 94, 272 664
unvermeidlich 53,68, 73f., 76, 80 Vergebung 61 , 98 , 102, 131 , 133,
Unverschämtheit, religiöse 138 136, 142, 148, 159, 171 , 188, 191 ,
Unverweslichkeit 143, 155 , 289, 219, 224, 240, 262, 277, 286, 293 ,
398, 424, 447, 547 295 , 298, 302f., 305 , 310, 313, 322,
Unzulänglichkeit is, 126, 135 , 324, 343 , 356, 488, 494, 496, 498,
239, 250, 256 545f., 550, 563f., 575 , 589, 687
Unzweideutigkeit 274, 284, SOI der Sünden 580, 644, 672, 707
Urbild 243, 294, 303, 381 Vergessen 72, 76ff., 82, 91 , SOS , 537
Urchristen /Urchristentum 403 , Vergöttlichung 47, 78 , 81 , 231 , 262 ,
427, 462 277
Ursache 67, 75 , 117, 184, 339, 376, Verhältnis 307, 311 , 316, 319, 335
444 von Gott und Mensch 132, 176,
und Wirkung 82, 84, 109, 117, 178, 321 , 458 , 492, 496, 570, 595
167, 237, 291 , 444f. Verhängnis 101, 248
Ursprung 47, 49, 59, 68 , 72, 115 , Verharren 62, 66
129, 145 , 224, 228, 231 , 234, 241 , Verheißung 64, 92, 102, 114, 183,
246, 270, 288 , 294, 336, 339, 341 , 186, 253 , 298, 307, 316, 318 , 343 ,
374, 397f., 405, 425,454,484, 492, 365 , 401 , 470, 474, 491, 510, si sf.,
547, 549, 618 549, 560, 564, 603 , 683 , 688 , 692
ewiger 186, 188, 260, 335 - Abraham 183ff., 190, 468
Urteil 247, 275 , 360, 364,650 - Erben der V. 412
- ewige 135
Vakuum 330 - ewigen Lebens 217
Vegetarianer 678 - der Gerechtigkeit Gottes 134
Verächter 90, 521 - Gesetz 186, 515
Veranschaulichung 308 - des Glaubens 139, 180
Verantwortlichkeit 64, 119, 239, – Gottes 185 , 196, 199, 490, 683
241 , 484ff., 493, 513 - Israel 183
Verbalinspirationslehre 29 - Jesus Christus 137
das Verborgene des Menschen - Kinder der V. 469
101f. , 105 , 107, 111 , 126, 171 des Lebens 513
779
- Reich Gottes 206 via negativa 432
- der Treue Gottes 137 Vitalität 291, 337, 341 , 369, 402f.
Verherrlichung Gottes 118, 280, menschliche 295, 338, 402
594 der Sterblichkeit 290, 314, 324
Verhüllung 138, 147, 165, 173f., Völkerbund 588 , 642
243 , 266, 278, 337, 417, 453 , 471 , Völkerbundstheologe 703
SOI , 556, 558 völkisch 621
Verkehrtheit 233, 484 Vogel im Flug 255, 274
Verkündiger 209, 350, 379, 455f., Volk 78
462, 478, 520 Vollbringen 307, 311, 313, 357f.,
Verkündigung 53, 209, 301ff., 379, 360, 363ff.
462, 465 , 476, 520, 538, 545f. Vollkommenheit 447
- evangelische 482 vorgestellte 585
Verlegenheit 377, 523, 530, 681 von Gottes Gnaden 242, 550
Vermenschlichung 113, 174, 231 , Voraussetzung 129, 133 , 150, 160,
262 , 277 178 , 229, 288 , 330
Vernunft 71, 81 , 98, 1969., 212, 214, -
780
Vorher und Nachher 155f., 162, und Lüge 79
172 , 174, 189 objektive 394
das Vorletzte 61 , 123 , 157, 240, 246, - der Religion 190
336 Segen der W. 394
-
781
Interesse an der Kirche 547 gutes W. 92f., 611
- ist W. 120, 129, 177, 271 , 288, - des Menschen 88, 92f., 126, 152,
392, 670 154f.
- und Kirche 541 Werke 165 , 498f., 535
- kommende/neue 51 , 61 , 67, 92, Wert 92ff., 107, 150, 154f., 161 , 166,
95 , 97, 109, 143f., 148, 155, 168, 172, 177, 312, 441
226ff., 238, 243ff., 247, 249ff., Werte 621 , 672
258f., 278, 316, 381 , 547, 626f., westlich 115 , 423, 434
629, 637,656,658 Wetter 72, 89, 173 , 413 , 416
– Lauf dieser W. 658,663 Widerschein 53,66, 144, 220, 401,
des Menschen 49, 112, 222, 231 , 408, 412, 439
239, 254f., 288, 615 Widerspruch 46, 62ff., 68, 70, 280,
schöpferische Entwicklung 621 298f., 306, 476ff.
Torheit der W. 679 gegen Gott 341f.
-
782
- historische 706 X 274, 278, 365
- als liberale Selbsttäuschung 461 - metaphysisches 704
Wissensdrang 290 - positives 274
Wittenberg 467,679 Xosakaffer 433
Wohlfahrt 621
Wohlstand 621 Zeichen 178ff., 205 , 264, 266, 294,
Wolkensäule 476f. 303, 328 , 468
Wort 375 , 381 , 647 - der Taufe 266, 271, 273
- des Christus 514, 524 zeigendes 179f.
- des Erbarmens 577 Zeit 87, 129, 145 , 157, 163 , 283 , 288,
– Gottes 9, 30, 143 , 168, 195ff., 302, 402, 416f., 425, 535 , 664, 666, 668
379, 381 , 391f. , 460, 466, 468 , 470, - und Ewigkeit 17, 48f., 68ff., 73,
494, 497f., sı2ff., 521 , 540, 546ff., 88,95 , 101 , 111 , 113 , 130, 135 , 145 ,
556, 559f., 563 , 568, 589ff., 602, 147, 15of., 158, 167, 180, 186, 189,
609, 616, 666 324, 328, 335 , 338 , 344, 373 , 390,
- Gottes in der Kirche 503 417f., 426, 428, 439, 447, 454,
- letztes 68, 136, 147, 157, 240, 268, 472f., 484, 489, 508, 544, 547, 558,
324, 343 , 352, 362, 429, 542, 547, 561 , 663 , 665 , 667
591 des Jetzt 413, 416ff., 420, 426,
prophetisches 601 429, 535,614
- radikales 577 - rechte 520
- verstehendes 577 Zwischenzeit 536
vom Kreuz 561 Zeitalter, eisernes 21
Wüste 350, 355, 415, 499, 534 Zeiten, zwischen den Z. 664, 667
Wunder 77, 89f., 92f., 97, 132, 144, Zeitenwechsel 665
148, 167ff., 171 , 174, 176, 225 , Zeitenwende 664
282 , 309, 316, 407, 419, 433 , Zeitlichkeit 155 , 232, 234, 290, 327,
466ff., 470, 473, 481 , 497f., 501 , 337ff.t. , 399, 454
509f., S 34 , 538, 551 , 558, 561 , 568, Zeitung 572
594 , 666 Zerschellen an Gott 68, 371 , 392,
- absolutes 397, 403 , 478, 481 , 530, 535 , 542
489f., 497 Zeuge 15, 134, 442
- absolutes vertikales 90 - der Auferstehung 174, 443f., 564
- des Glaubens 167ff., 172, 174, - der Vergebung 563
178 , 216 , 498 der Wahrheit 122, 362
- der Offenbarung 475 , 481
- der Vergebung 187 Zeugnis 114, 126, 128, 134f., 145 ,
vor unsern Augen 94 147, 150, 164, 167, 172f., 175 ,
- der Wahrheit soi 178ff., 184, 186, 200f., 209, 235 ,
- Weihnachts- 164 243 , 262, 266, 294, 404, 409f., 412,
Wunderglauben 408 420, 429, 468 , 508 , 529, 586
Wunderkraft 384 Zeugniswert 179, 186
Wundertäter 147 Ziel 59, 66, 82, 111 , 125 , 136, 185 ,
Wurzel 156, 263 , 390, 405 , 418 , 216, 228 , 246, 31 1ff ., 405 , 508 ,
549ff. , 553 556, 558f.
- der Sünde 263 , 267, 386 - des Gesetzes 96, 109, 508, 510,
521
Zion 491 , 501 , 561
Zitterrochen 372f.
783
Zöllner 499, 578, 680 Zweideutigkeit 166, 168, 310, 318,
Zufälligkeit 161 , 192, 227, 238, 262, 322, 349, 376, 428, 562
288, 290 Zweifel 370
Zukunft 103, 159, 201, 425, 664 Zweig 549f., 552ff.
- ewige 420, 426, 428, 445 , 546 Zweiheit 227f., 243f., 260, 304, 327,
- Gottes 214, 226 440f., 446f., 488f.
Zungenreden 329, 437, 456 Zwielicht 254, 304, 350
Zuschauer 290, 299f., 305, 360, 458, Zwiespältigkeit 360
540, 548 , 551
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