Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Sperber, ein 25 Jahre alter Wallach bekommt sein Gnadenbrot. Es kann zwar aufgrund seines Alters
und seiner körperlichen Verfassung nicht mehr geritten werden, hatte aber keine gesundheitlichen
Probleme.
Seit ein paar Tagen macht ihm die Hochsommerhitze sehr zu schaffen. Er hat stark abgenommen
und zeigt starke Bewegungseinschränkungen der Hinterhand. Der Urin kann nicht mehr kontrolliert
werden. Beim Gehen läuft er in großen Mengen schwallartig aus der Harnröhre, im ruhenden
Zustand kommt es immer wieder zu leichtem Harnträufeln.
Man beobachtet schon seit Monaten eine altersbedingte lordoseartige Veränderung der Wirbelsäule.
Im Herdenverband ist er in seiner Rangordnung stark abgefallen, was zur Folge hat, dass er nur
schwer an die Wasserstelle herankommt um zu trinken Die meiste Zeit steht er isoliert auf der
Koppel.
Sein Appetit ist sehr gut, die Weiden geben aber wegen der starken Hitze nicht mehr genügend Gras
ab, um davon satt zu werden.
Ausgehend von diesem Vorbericht erfolgt nun eine klinische Untersuchung nach dem Kopf-bis-
Fuß-Schema. Zuvor wird dem Tierhalter jedoch noch erklärt welchen ganzheitlichen Ansatz die
naturheilkundliche Behandlung erfolgt und das daher zunächst eine umfassende evtl. mehrstündige
Erstuntersuchung folgt. Dies erscheint sinnvoll, da der Tierhalter ein solches Vorgehen vom
Tierarzt eher nicht kennt.
Im Idealfall kann dem Tierhalter vermittelt werden, dass der THP den Patienten in seiner
Gesamtheit zu erfassen sucht um die tatsächlichen Ursachen einer Erkrankung zu ermitteln und sie
möglichst nebenwirkungsarm zu beseitigen statt sich auf die Verdrängung von Symptomen zu
konzentrieren.
Ein Tierhalter der nervös und / oder unter Zeitdruck einem Untersuchungsgang folgt dessen Sinn
und Umfang er nicht kennt, beeinflusst das Tier und den Therapeuten negativ. Insbesondere bei
einem Pferd ist anzunehmen, das s das Tier die Nervosität wahrnimmt. Je nach Tierhalter kann es
Sinn machen die einzelnen Untersuchungsschritte zu erläutern und den Tierhalter in die
Untersuchung mit einzubinden z.B. durch Fixierung Sperbers während bestimmter
Untersuchungsgänge.
I. ) Allgemeiner klinischer Untersuchungsgang
Aufnahme der Daten von Tierhalter und Tier (eventuell ergänzt um ein Foto des Tieres)
Halter: Patient:
Allgemeinverhalten
Das Tier wird zunächst nur beobachtet. Aufgrund des Vorberichts ist ein schlappes, müdes, schläfrig
wirkendes Tier zu erwarten das Anzeichen von Somnolenz zeigt und sowohl unter der Hitze, dem
Wasser- und Futtermangel als auch seinen körperlichen Beschwerden leidet und sich möglichst
wenig bewegen will, eventuell beim Gehen die Hufe über den Boden schleift. Physiologisch wäre
ein aufmerksam-ruhiges Verhalten bei dem Sperber Anteil an seiner Umwelt nimmt, ohne auffällig
erregt oder apathisch zu sein.
Der Therapeut nutzt diese Adspektionsphase auch um Sperber "Guten Tag" zu sagen und sich
"vorzustellen" damit eine erste Vertrauensbasis für die folgende Untersuchung entsteht. Dies kann
z.B. durch vorsichtiges Annähern und Ansprechen, Streicheln am Hals oder Kraulen am
Mähnenkamm das die Fellpflege und Kontaktaufnahme unter Pferden imitiert, geschehen.
Körperhaltung
Zu erwarten wäre ein Tier mit hängendem Kopf, steifen und lahmen Bewegungen und einer
schmerzbedingt verspannten Körperhaltung. Aufgrund der geschilderten Symptome und
Vorgeschichte könnte eine eventuelle Schweiflähmung auf Muskel- oder Nervenstörungen im
Bereich des hinteren Körperdrittels hindeuten.
Ernährungszustand
Feststellung erfolgt durch: Besichtigung und Paplpierung von insbesondere Augengruben, Kamm,
Rücken, Rippen und Hüfthöcker.
Haarkleid
Physiologisch wäre ein glatt und glänzend anliegendes Fell.
Alopezien jeder Art, brüchiges glanzloses Haar oder aufgestelltes Haar können Hinweise auf
Hauterkrankungen, Ernährungsmängel oder subjektives Kältegefühl (Fieber) sein. Eventuell von
Sperber willentlich aufgescheuerte Haarstellen können für die später folgende TCM Untersuchung
wichtig sein, da Pferde dafür bekannt sind instinktiv Akupunkturpunkte zu scheuern oder zu beissen
die ihnen Erleichterung verschaffen.
Die Hufe werden auf Formveränderungen und Brüchigkeit untersucht und wenn nötig. mit dem
Hufkratzer gesäubert um Verletzungen, Geschwüre oder anderen Auffälligkeiten auch am Hufeisen
aufzudecken.
Hautoberfläche
Die Hautoberfläche sollte physiologisch ohne Befund sein. Abweichungen hierzu wie Flecke,
Quaddeln, Pusteln, Bläschen, Ausschläge usw. egal ob lokal abgegrenzt oder diffus sind als
pathologisch zu bewerten. Besonderes Augenmerk sollte palpierbaren Schwellungen gelten bei
denen es sich u.a. um Hinweise auf Ödeme oder Emphyseme handeln kann. Ein Ödem wäre kühl
und ließe sich mit dem Finger eindrücken wobei der Abdruck eine Weile sichtbar bliebe. Ein
Emphysem würde beim palpieren ein knisterndes Geräusch wie zerplatzende Luftbläschen
erzeugen. Von Bedeutung ist natürlich ebenso wahrnehmbarer Juckreiz.In diesem Zusammenhang
sollten Kamm und Kopf auf Ektoparasiten untersucht werden die nicht nur Hautirritationen
auslösen sondern auch Infektionskrankheiten übertragen können.
Hautelastizität
Die Hautelastizität wird getestet indem man am Übergang vom 2. zum 3. Halsdrittel eine Hautfalte
aufzieht. Diese Falte sollte sich physiologisch innerhalb von 1-2 Sekunden wieder glätten.
Zu beachten ist, dass eine Dehydrierung auch Auswirkungen auf die Laborwerte Harnstoff und
Kreatinin haben kann (siehe hierzu III. Differenzialdiagnosen)
Hauttemperatur
Physiologisch sollte die Körpertemperatur gleichmäßig verteilt sein d.g. nach distal oder im Fall
eines Pferdes zu den Ohren hin abnehmen. Erhöhte Temperatur insbesondere im Bereich des Hufes
deutet auf ein Entzündungsgeschehen hin.
Ohr
Hörfunktion lässt sich durch Rufen oder Händeklatschen außerhalb des Sichtfeldes prüfen, sollte
physiologisch ohne Befund sein d.h. Sperber reagiert auf Laute und weist keine Verletzung der
Ohren oder Ausflüsse, Abszesse etc. auf.
Nasennebenhöhle
Werden adspektiert und palpiert und auf Schwellungen, Symmetrie und Schmerzempfindlichkeit
untersucht. Beim Pferd können Erkrankungen der Nebenhöhlen ggf. in Zusammenhang mit
Zahnerkrankungen auftreten.
Kapillarfüllzeit
Die Kapillarrückfüllzeit sollte unter drei Sekunden liegen. Ansonsten ist an evtl.
Durchblutungsstörungen zu denken.
Zähne
Es ist zu untersuchen ob Zahn- oder Kieferschäden vorliegen die die Nahrungsaufnahme
beeinträchtigen. Dies können zum Beispiel Kieferfehlstellungen oder abgebrochene / fehlende
Zähne sein. Das Fallbeispiel gibt hierzu aber keine Hinweise da der Appetit von Sperber als gut
beschrieben wird. Probleme bei der Nahrungsaufnahme sind nicht erwähnt.
Zu erwarten sind altersbedingt längsovale Schneidezähne sowie ein Abrieb aller Kunden. Eventuell
könnte sich durch die ebenfalls altersbedingte Abflachung der Schneidezähne ein Winkelgebiss
gebildet haben.
Trachea
Äußerlich zu beurteilen auf Form- und Lageveränderung, innerlich durch Endoskopie des
Tierarztes. Expiratorische Atemgeräuschen wären pathologisch und z.B. durch Flüssigkeiten oder
Stenosen verursacht.
Ösophagus
Durch Beobachtung und Tastung sollen eventuelle Stenosen oder pathologische Vergrößerungen
erkannt werden.
Halslympknoten
siehe Lymphknoten des Kopfes, beim Pferd jedoch physiologisch nicht tastbar
Atmung
Vor einer Überprüfung der Atmung sollte das Tier möglichst ruhig sein. Bei einem erwachsenen
Pferd wären physiologisch 10-14- kostoabdominale Atemzüge pro Minute zu erwarten. Eine
verstärkte Bauchatmung (evtl. schon mit Ausbildung einer Dampfrinne durch andauernde extreme
Kontraktion der Bauchmuskulatur wäre auf jeden Fall pathologisch (evtl. emphysemische Lunge).
Ebenso pathologisch wäre jede Form von Atemerschwernis oder Atemgeräusche (Gluckern,
Gurgeln, Blasen) die auf Schleim und Flüssigkeit in der Lunge hinweisen.
Solche Symptome können auch durch eine Perkussion der Lunge weiter überprüft werden bei der
die Lungengrenzen und die Lungenleistung aufgrund der Schallqualität während des Abklopfens
erfasst werden.
Puls
Der Puls wird an der Arteria facialis genommen und sollte physiologisch bei 28-40 Schlägen pro
Minute liegen, regelmäßig, gleichmäßig bei gut gefüllter und gut gespannter Arterie. Ein
regelmäßiges Aussetzen kann beim Pferd physiologisch sein. Davon abgesehen sind Abweichungen
als pathologisch zu bewerten. Aufgrund der Fallstellung wäre bei Sperber vor allem interessant auf
eine hart gespannte und gleichzeitig eventuell schlecht gefüllte Arterie zu achten. Dies könnte auf
eine Nierenerkrankung bzw. Kreislaufschwäche aufgrund verschiedener innerer Erkrankungen
hinweisen.
Kotabsatz
Der Kotabsatz sollte ohne Befund d.h.beim Pferd geballt mit einem pH Wert zwischen 6,2 und 6,8
sein. Pathologisch wären: verminderter Kotabsatz durch Verstopfung, schmerzhafte Kotabsatz
durch Darmentzündungen, ein unwillkürlicher Abgang z.B: durch Störungen des Schließmuskels,
harter und trockener Kot (evtl. Fieber bzw. Hitze im Sinne der TCM) oder breiiger bis wässriger
Kot (Durchfall). Insbesondere bei breiigem Kot ist an eine beginnende Kolik zu denken und ggf.
der Tierarzt hinzuzuziehen, da Koliken Lebensgefahr für das Pferd bedeuten.
Rektale Untersuchung
Die Körpertemperatur wird rektal mit einem Thermometer gemessen. Da diese Prozedur für die
meisten Tiere unangenehm ist, steht sie am Ende der Allgemeinuntersuchung. Physiologisch bei
einem erwachsenen Pferd wären 37,5 bis 38,0 Grad Celsius wobei eine Abweichung von bis zu
0,2 Grad als im Rahmen des Normalen zu bewerten wäre. Eine subnormale Temperatur könnte auf
einem Rückgang des Stoffwechselprozesse durch Alter oder Erschöpfung beruhen was aufgrund der
Fallstellung eventuell möglich wäre. Erhöhte Temperatur insbesondere in Verbindung mit anderen
Symptomen wie Schüttelfrost, gestörtem Allgemeinbefinden und festem trockenem Kot wäre als
Fieber zu werten.
Harnapparat
Physiologisch wäre ein ockerfarbener trüber Urin, ca. 6 Liter pro 100 Kilogramm Körpergewicht.
Gemäß der Fallstellung könnte diese Menge geringer sein, da Sperber nicht genug trinken kann.
Der pH-Wert des Urins kann mit einem Harnteststreifen bzw. Mehrfeld-Harnteststreifen kontrolliert
werden (in den Urin tauchen und eine Minute warten) wobei letztgenannter Teststreifen noch
weitere Informationen liefert. Für mögliche pathologische Befunde des Urins und relevante
Laborwerte siehe III.) Diffenzialdiagnosen
Grundsätzlich untersucht durch Adspektion und Palpation werden Präputium, Skrotum und Hoden
wobei letzteres bei Sperber aus gegebenem Anlass entfällt. Physiologisch wäre es, die äußeren
Geschlechtsorgane ohne Befund zu finden. Pathologisch wären u.a. Ausflüsse aller Art (innere
Krankheiten), Eiterbildungen, Blut, Schwellungen, Rötungen (Hinweis auf Entzündungen).
II.) Untersuchungsgang unter den Gesichtspunkten der Traditionellen
Chinesischen Medizin
Eine Befragung des Halters und eine Betrachtung Sperbers haben schon im Rahmen des klinischen
Untersuchungsganges stattgefunden.
Darüber hinaus werden die shu-Punkte (Zustimmungspunkte) auf dem Blasenmeridian sowie die
mu-Punkte (Alarmpunkte) im Rippen- und Abdominalbereich untersucht und eine Pulstastung nach
chinesischem Muster im unteren Drittel der Drosselrinne vorgenommen. Die Befunde und die
bereits zuvor gewonnenen Erkenntnisse werden in das System der acht Leitkriterien eingeordnet.
yin yang
Leere Fülle
Kälte Hitze
Innen Außen
Als Auffälligkeiten ergeben sich die Harninkontinenz, die Lahmheiten sowie ein sich
verschlechternder Ernährungszustand und eine Belastung durch die Hochsommerhitze. Ein
Zusammenhang zwischen Harnabgang, Lahmheit und der degenerativen Veränderung der
Wirbelsäule wird vermutet. Abgesehen von der fortschreitenden Lordose war Sperber nicht auffällig
krankheitsanfällig in der Vergangenheit. Beim Ernährungszustand bleibt zunächst noch offen, ob es
sich um ein Krankheitssymptom oder einfach eine Auswirkung des unzureichenden Futterangebots
auf der Weide handelt. Die übermäßige Hitze wirkt als externer pathogener Faktor auf Sperber ein.
Sperber ist abgemagert obwohl er Appetit hat. Dies könnte (insbesondere in Verbindung mit der
aktuellen Witterung) auf eine Hitze im Funktionskreis Milz-Pankreas und / oder Magen bedeuten.
Es kann aber ebenso gut bedeuten, dass Sperber nicht genug Nahrung findet (in der
Fallbeschreibung angedeutet). Daher muss dieser Punkt diagnostisch geklärt werden. Analog verhält
es sich mit Sperbers Durst.
Sperbers Isolation durch den Rest der Herde kann krankheitsbegünstigende Emotionen ausgelöst
haben (Kummer / Trauer).
Weitere Adspektion:
Auffällig sind in jedem Fall Scheuerstellen an Akupunkturpunkten. Diese können Aufschluss über
die Krankheitsursache und die zu therapierenden Akupunkte geben.
Ein aufgeblähter Bauch bei dem ansonsten mageren Wallach wäre ein Hinweis auf eine Schwäche
im Funktionskreis Milz-Pankreas, eventuell ausgelöst durch eine krankmachende Emotion.
Störungen der Funktionskreise Leber und Gallenblase bzw. der Wandlungsphase Holz drücken sich
in einer schlechten Hufqualität bzw. Lahmheiten und Bewegungsstörungen aus da diese
Funktionskreise sowohl dem Huf und Horn als auch den Muskeln und Sehnen zugeordnet sind.
Aufgrund der Vorgeschichte erscheint es jedoch wahrscheinlicher, dass Lahmheiten der
Wandlungsphase Wasser, den Funktionskreise Blase und Niere bzw. damit dem passiven
Bewegungsapparat zugeordnet werden können.
Verletzungen und Narben können Störfelder bilden, sind aber im Fallbeispiel nicht erwähnt
(Ausnahme Kastration von der angenommen wird, das sie über zwanzig Jahre zurückliegt).
Weiteres Vorgehen:
Da Lahmheiten der Hinterhand vorliegen soll zunächst das Gürtelgefäß geöffnet werden. Das
Gürtelgefäß oder dai mai verläuft in der Hüftregion kreisförmig um den Körper und zwar dort, wo
das Pferd einen Gürtel tragen würde wenn es ein Mensch wäre und eine Hose anhätte. Das
Gürtelgefäß reguliert den Fluss der Lebenenergie qi von hinten nach vorne und von rechts nach
links. Es kann aber blockiert sein. Durch die Öffnung soll eine solche eventuell bestehende
Blockade gelöst und der Energiefluss harmonisiert werden um eine Verfälschung nachfolgender
Befunde an anderen Akupunkturpunkten und Leitbahnen zu vermeiden.
Die Öffnung des dai mai erfolgt durch Akupressur des Einschaltpunktes Gallenblase 41 und des
Anknüpfungspunktes 3-Erwärmer 5 sowohl des Kontaktpunktes Gallenblase 26 direkt auf dem
Gürtelgefäß. Nach einigen Minuten um eine Harmonisierung evtl. blockierter Energieflüsse zu
ermöglichen, geht die Untersuchung weiter.
Die Blasenleitbahn wird mit einem Akupunkt-Massagestab abgefahren. An Akupunkten die mit
einem gestörten Organ in Verbindung stehen, wird Sperber z. B. durch Zucken seine Druck- /
Schmerzempfindlichkeit anzeigen.
oder
Aufgrund der Fallstellung wäre eine Reaktion bei folgenden Punkten zu erwarten:
Pulsdiagnose:
Die Pulstastung nach traditionell chinesischer Art erfolgt am unteren Ende der Drosselrinne kurz
über den Brustmuskeln. Es existieren sechs Pulstaststellen - jeweils drei auf jeder Körperseite - die
zu bestimmten Funktionskreisen korrespondieren. Die Aufteilung ist wie folgt:
An jeder Pulstaststelle wird der Puls auf drei Ebenen (oben, mittel und unten) getastet. Die
Pulstastung gibt Aufschluss über gestörte Funktionskreise und den energetischen Zustand des
Tieres.
Puls rauh bei FK Niere / Blase aufgrund von Säfteverlust, durchgängig auf allen Ebenen tastbar
da sowohl eine relativ neue Erkrankung vorliegt (Harninkontinenz) die sich in einem
oberflächlichen Puls äußert als auch ein chronische Erkrankung in Form der lordoseartigen
Veränderung der Wirbelsäule die sich in einem tiefen Puls äußert.
Ein beschleunigter oder verlangsamter Puls (mehr als fünf bzw. weniger als vier Schläge pro
Atemzug) würde auf eine erhöhte oder verlangsamten Dynamik bzw. Hitze oder Kälte hinweisen.
Zunge:
Die Zunge kann, muss aber nicht krankheitsbedingt verändert sein. Aufgrund der Fallstellung
könnte eine trockene Zunge ohne Belag wegen des Verbrauchs von Körpersäften vorliegen. Ein
dicker Belag würde auf eine längere schwere Erkrankung hinweisen.
Ein dünner Belag wäre ein Hinweis auf eine leichte Erkrankung.
Gelb wäre der Zungenbelag bei Hitzestörungen. Ein weißer Belag oder eine blase Zunge verursacht
durch Kältestörungen ist aufgrund des geschilderten Falls eher unwahrscheinlich. Schmierig und
mit einem klebrigen Belag könnte die Zunge sein bei pathologischer Feuchtigkeit oder Schleim im
Körper sein.
Die Zunge wäre aufgedunsen ebenfalls bei Feuchtigkeit, Schleim oder Schwächen im
Funktionskreis Milz-Pankreas (dann häufig vergesellschaftet mit einem aufgedunsenen Bauch an
einem ansosnten mageren Pferd). Eine rote Zunge würde auf Hitzestörungen hinweisen und eine
livide Zunge auf xue Stasen die dann auch Schmerzen verursachen.
Diagnose:
Zu a)
Die Veränderungen an Sperbers Wirbelsäule haben Auswirkungen auf die Mechanik des gesamten
aktiven und passiven Bewegungsapparates. Dabei kann es zu einer Überdehnung und
nachfolgenden Parese der kontrahierenden Blasenmuskulatur gekommen sein. Solche Fälle sind
z.B. bei Bandscheibenvorfällen (Diskopathien) bekannt.
Zu b)
Diskopathien ebenso wie Verletzungen können dazu führen, dass die Nerven die die
Blasenkontraktion und -entleerung steuern, geschädigt werden. Es wäre also denkbar, dass die die
lordoseähnliche Veränderung von Sperbers Wirbelsäule einen vergleichbaren negativen Effekt hat
ggf. vergesellschaftet mit der unter a) beschriebenen "mechanischen" Schädigung.
Zu c)
Als extrem soziales Herdentier benötigt ein Pferd Kontakt zu Artgenossen. Soziale Isolation wie in
der Fallstellung beschrieben wird bei Sperber zu seelischer Belastung und Kummer führen.
Unabhängig davon, ob der Ausschluss von der Herde nun die Ursache oder Folge der beschriebenen
Gesundheitsprobleme ist, leidet Sperber definitiv unter der Ausgrenzung. Seine körperlichen
Probleme und die Isolation begünstigen sich gegenseitig und geben seiner Harninkontinenz auch
eine seelische Komponente.
Darüber hinaus stellt die derzeitige Versorgungssituation auf der Weide ein Problem dar, das in das
Behandlungskonzept einbezogen werden soll.
Differenzialdiagnosen:
Kreuzverschlag - rötlich brauner bis schwarzer Urin in Verbindung mit stark verhärteter Rücken-
und Hinterhandmuskulatur
Blasen- / Harnsteine – ebenfalls rötlich brauner bis schwarzer Urin ohne verhärtete Muskulatur,
jedoch Schmerzen und Pressen beim Wasserlassen, vergesellschaftet mit einem unterbrochenen
dünnen Urinstrahl führen
Harnverhaltung – Füllung der Blase die dann aber nicht entleert werden kann, auch nicht in
Bewegung, evtl. bis zur ...
Überlaufblase – nach Harnretention läuft die Blase über; staut sich evtl. in Harnleiter und Nieren
zurück bis zur Urämie, kann vorkommen durch neurologische Störungen oder Obstruktion der
Harnleiter. Bei Speber scheint aber rein mechanisch gesehen der Harnleiter nicht verlegt zu sein.
Dagegen sprechen die Phasen schwallartiger Entleerung.
Chronisches Nierenversagen – in der Anfangsphase häufig nur durch starken Durst und große
Harnmengen gekennzeichnet, Sperbers Appetit sprechen im jetzigen Stadium eher gegen ein
chronisches Nierenversagen, sein Gewichtsverlust und die allgemeine Schwäche eventuell dafür,
Untersuchung des Urins angebracht
CAVE: bei verstärktem Verdacht Tierarzt hinzuziehen!! da Nierenversagen und die daraus folgende
Urämie (Harnvergiftung) lebensbedrohlich sind
Relevante Laborwerte:
Liegt ein Problem vor der Nieren wird vermutlich der Harnstoff erhöht sein, das Kreatinin jedoch
nicht.
Liegt ein Problem in der Nieren werden vermutlich beide Werte erhöht sein.
Liegt ein Problem hinter der Niere (z.B: Nierenbecken, Harnblase, Harnleiter) werden vermutlich
beide Werte erhöht sein, der Harnstoff jedoch in stärkerem Maße.
pH-Wert: Säuregehalt des Blutes, sollte bei einem Pflanzenfresser eher hoch (alkalisch) sein.
pH-Wert < 7 sauer
pH-Wert > 7 alkalisch
Leukozyten im Harn: zu ermitteln durch einen Teststreifen; bei Verfärbung des Teststreifens
befinden sich vermehrt Leukozyten im Harn was typischerweise auf eine Infektion z.B:
Blasenentzündung hinweist. Bei auffälligem Befund auf dem Teststreifen kann eine mikroskopische
Laboruntersuchung folgen
Eine Erhöhung der Leukozyten im Blut (physiologisch beim Pferd 5.000 – 10.000 pro ml) weist
ebenfalls auf eine unspezifische Infektion oder Entzündung im Körper hin die jedoch durch ein
Differenzialblutbild genauer bestimmt werden müsste, um festzustellen welche Untergruppe der
weißen Blutkörperchen genau erhöht ist.
Beseitigung der Ursachen der Harninkontinenz, Stützung der Blasenmuskulatur, Stützung von
Spinalnerven und Wirbelsäule sowie Verbesserung der aktuellen Weidesituation, perspektivisch
Stützung des aktiven und passiven Bewegungsapparates sowie des Allgemeinzustandes von Sperber
Klinisch repetorisiert für eine genauere Untersuchung des Arzneimittelbildes werden: Causticum,
Cantharis, Gelsemium, Hypericum, Pulsatilla, Petroselinum
Verfeinerte Repetorisierung (Auszug aus dem Arzneimittelbild nach Steingassner und Staufer)
Causticum
• Leiden entwickelt sich langsam, schreitet fort bis zur Lähmung
• Patient verlangt Zuneigung
• matt und träge
• Lähmung der willkürlichen und unwillkürlichen Muskeln
• Lähmung von einzelnen Nerven
• Harnsaure Salze und hohe Hanrsäurewerte
• Paresen der Blasenwand
• Neigung zu Lähmung und Parese
Andere Modalitäten wie schwere, herabfallende Augenlider, mögliche Obstipation, roter Rachen
oder Lähmungen im Zungen- / Maulbereich sind in der Fallbeschreibung nicht ausdrücklich
erwähnt. Da die Fallbeschreibung keine offensichtlichen Widerspräche enthält, kommt Causticum
in die engere Wahl eines Medikaments
Cantharis
• Blasenmittel
• bei akuten Entzündungen
• Urin spärlich, tropfenweise abgehend
• schleimig-blutiger Ausfluss aus der Harnröhre
• Brennschmerz in der Blase
• Schmerz / Berührungsschmerz in der Nierengegend
• Patient erregbar bis zur Tobsucht
Immer nur spärlich abgehender Urin scheint nicht zu der Fallbeschreibung zu passen. Auch auf
Schmerzen, blutigen Ausfluss aus der Harnröhre und ein erregtes Verhalten wird in der
Fallbeschreibung kein Bezug genommen. Sofern diese Modalitäten nicht vorliegen, wird Cantharis
auch nicht gewählt.
Gelsemium
• Das im wilden Jasmin enthaltene Sempervirin lähmt die Schließmuskeln von After und
Blase
• Abgeschlagenheit in Sonnen- und Sommerhitze
• Verlangen nach Ruhe und Alleinsein
• kein akutes Mittel eher subakut
Die Abgeschlagenheit bei Sommerhitze scheint zunächst für Gelsemium zu sprechen. Dieser
Zustand scheint jedoch mit dem Mangel an Futter und vor allem Wasser zusammen zu hängen.Die
eher subakute Natur von Gelsemium und die Tatsache das sich Sperber nicht freiwillig von der
Herde absondert, geben den Ausschlag dieses Mittel nicht weiter zu verfolgen. Andere Modalitäten
wie gerötete Augäpfel oder ein berührungsempfindlicher Kopf könnten für den wilden Jasmin
sprechen, werden jedoch in der Fallbeschreibung nicht erwähnt.
Hypericum
• Nervenmittel "Arnica der Nerven"
• bei Schwäche, Lahmheit und Steifigkeit
• bei Kreuzlahmheit
• fotosensibilisierend, enge Beziehung und Wechselwirkung mit Sonnenlicht
Hypericum bietet sich an bei einer vermuteten Schädigung von Nerven durch die Deformation von
Sperbers Wirbelsäule. Heiße Ohren und ein trockener, heißer Körper können ebenfalls für
Hypericum sprechen. Wegen der engen teilweise nicht vorhersehbaren Wechselwirkung mit
Sonnenlicht und weil eher eine Überdehmung / Parese der Blase vermutet wird, soll Hypericum
aber in der beschriebenen Situation zunächst noch nicht zum Einsatz kommen.
Pulsatilla
• vorwiegend weibliches Mittel
• Durstlosigkeit bei trockenem Mund
• Kann nicht allein sein
• gutmütiger Charakter
• passt zum Ende akuter und zum Anfang chronischer Leiden
Die Fallbeschreibung gibt keinen Hinweise auf Verhaltensweisen wie Launenhaftigkeit, Eifersucht,
Angst oder Unterwürfigkeit die mit Pulsatilla assoziiert werden. Sofern diese vorliegen, käme
Pulsatilla in Frage.
Aufgrund der bekannten Angaben, da Pulsatilla ein eher weibliches Mittel ist, eher zum Ende einer
akuten Erkrankung passt und Durstlosigkeit bei Sperber nicht vorliegt, wird das Mittel nicht weiter
verfolgt.
Petroselinum
• das Apiol im Gartenpetersilie bewirkt eine Kontaktion der Harnwegsmuskulatur
• Schlagen mit dem Schwanz kann auf Probleme mit der Harnblase hindeuten
• zieht die Wandmuskulatur der Blase zusammen
• Lähmung der Blasenwand
Das Mittel scheint wie Causticum zu der vermuteten Blasen(wand)lähmung zu passen und zeigt
keine offensichtlichen Widersprüche zum Fallbeispiel.
Rezeptiert werden:
Causticum mit Petroselinum als Komplementärmittel wegen ihrer Affinität zu Lähmungen und
überdehnter Blasenmuskulatur und weil diese Mittel am besten zu den gesicherten Fakten der
Fallbeschreibung zu passen scheinen.
Da die Erkrankung offenbar eine physische Komponente (Schädigung von Nerven, Parese der
Blasenmuskulatur) und eine psychische Komponente (soziale Isolation) hat, wird eine Potenz
gewählt die sowohl Körper als auch Psyche beeinflusst, in diesem Fall für den Anfang Causticum
D30 mit Petroselinum D2 und zwar dreimal täglich je eine Gabe von 5 Globuli. Je nachdem wir
Sperber darauf anspricht, kann bei grundsätzlich positiver Reaktion die Potenzierung und die
Dosierung verändert werden. Alternativ zum Einzelmittel Causticum könnte auch ein Causticum-
Kombipräparat gegeben werden.
Der Tierhalter wird auf die Möglichkeit einer Erstverschlimmerung hingewiesen und darauf dass
ein solcher Effekt positiv zu bewerten ist. Es wird vereinbart, dass der Halter mit dem Therapeuten
auf jeden Fall in Kontakt bleibt.
Das zweite Behandlungskonzept stützt sich auf die Untersuchung Sperbers nach den Grundsätzen
der Traditionellen Chinesischen Medizin.
Akupunktur von:
Milz-Pankreas 4/6/10 um das xue zu stützen und den Säfteumlauf im hinteren Körperdrittel zu
steigern
Haltungsoptimierung
Gemäß der Fallstellung herrscht auf der Weide momentan aufgrund der Hitze Futter- und
Wassermangel. Von ersterem sind vermutlich alle Tiere betroffen während zumindest Sperber auch
unter ständigem Wassermangel leidet. Hier wird dem Halter empfohlen kurzfristig für Abhilfe zu
sorgen.
Sperber erhält eigene Wasserbottiche um ausreichend trinken zu können. Er (und ggf. der Rest der
Herde) erhalten zusätzliches Futter das aufgrund der Hochsommerhitze energetisch möglichst kalt
d.h. möglichst unbearbeitet sein sollte. Heu scheint die naheliegende Lösung zu sein. Pellets zum
Beispiel wären ungeeignet da sie aufgrund des weiterreichenden Verarbeitungsprozesses
energetische Hitze aufnehmen. Wenn möglich sollten die Pferde Zugang zu einem Sonnenschutz
wie Bäumen oder Paddocks erhalten, Sperber ggf. im Moment noch separat vom Rest der Herde.
Weiterer Behandlungsverlauf
Der weitere Verlauf der Behandlung wird dem Halter wie folgt vorgeschlagen:
Zunächst beobachten wie sich die Harninkontinenz entwickelt. Bei positivem Verlauf /
Verschwinden der Störung könnte mittel- und längerfristig wie folgt vorgegangen werden.
Homöopathisch:
Kurmäßiger Einsatz von Vermiculite (Staufen Pharma) zur Verbesserung der fortschreitenden
pathologischen Veränderung der Wirbelsäule.
Potenz D6 21 Tage
Pause 21 Tage
Potenz D12 21 Tage
Pause 21 Tage
Potenz D30 21 Tage
Pause 21 Tage
TCM (alternativ):
Regelmäßige Akupunktur oder -pressur von Blase 40, Blase 60, Blase 11, Gallenblase 34 und
Dünndarm 6. Frequenz und Dauer wären je nach Krankheitsverlauf individuell festzulegen und zu
modifizieren.
Die Behandlung von Dünndarm 6 könnte zur allgemeinen Stützung des alten Wallachs auch bei
Verschwinden anderer Symptome fortgeführt werden.
Zusätzlich soll Sperbers soziale Situation beobachtet und protokolliert werden um festzustellen ob
eine körperliche Gesundung seine Reintegration in die Herde fördert oder ob die Isolation
weiterbesteht.
Sollte die Isolation von der Herde nach Abstellen der Harninkontinenz weiterbestehen, wäre eine
weitere Ursachenforschung nötig. Die Fallstellung impliziert dass sich Sperber nicht freiwillig von
der Herde absondert. Eine Bachblütentherapie könnte bei weiterbestehenden Integrationsproblemen
eventuell Sperber helfen mit der Situation umzugehen.
Der Verfasser würde Bachblüten auch schon zeitgleich zu einer homöopathischen Behandlung der
Harninkontinenz einsetzen da diese Systeme durchaus komplementär erscheinen. Er würde sie eher
nicht zeitgleich mit einer Akupunktur oder einer anderen Form der TCM einsetzen, um nicht zwei
völlig unterschiedliche Lehrsysteme zu vermischen.
Marco Müller
Wolfsburg, den 27.04.2012
Appendix: Literaturverzeichnis
Baumgartner, Walter (Hrsg.); Klinische Propädeutik der Haus- und Heimtiere; 7. vollständig
überarbeitete und erweiterte Auflage; Parey-Verlag
Krokowski, Carola; Akupunktur und Phytotherapie beim Pferd; Sonntag Verlag; 2. überarbeitete
und erweiterte Auflage
Loeffler Klaus & Gäbel, Gotthold, Anatomie und Physiologie der Haustiere, Verlag Eugen
Ulmer, Stuttgart, 12. Auflage, 2009
Prester, Mechthild & Kröger, Brit, Tierische Bach-Blüten Bilder, PK Medienverlag, 2006
Staufer, Karl; Klinische Homöopathische Arzneimittellehre; 14. erweiterte und neu bearbeitete
Auflage; Sonntag Verlag Stuttgart; 2002
unbek. Autor; Laborwerte für Hunde, Katzen, Pferde, Schweine und Rinder; Hawelka-Verlag;
2006