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STUDIEN ZUR
STRUKTUR DES BEWUSSTSEINS
TEILBAND II
(1896-1925)
HERAUSGEGEBEN VON
ULLRICH MELLE
UND
THOMAS VONGEHR
STUDIEN ZUR STRUKTUR DES BEWUSSTSEINS
TEILBAND II
GEFÜHL UND WERT
HUSSERLIANA
EDMUND HUSSERL
GESAMMELTE WERKE
BAND XLIII/2
STUDIEN
ZUR
STRUKTUR DES BEWUSSTSEINS
TEILBAND II
GEFÜHL UND WERT
ULLRICH MELLE
EDMUND HUSSERL
STUDIEN
ZUR
STRUKTUR DES BEWUSSTSEINS
TEILBAND II
GEFÜHL UND WERT
HERAUSGEGEBEN
VON
ULLRICH MELLE
UND
THOMAS VONGEHR
123
Edmund Husserl†
Hrsg.
Ullrich Melle Thomas Vongehr
Husserl Archives Husserl Archives
Leuven, Belgien Leuven, Belgien
Springer
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INHALT
i
werten und wert. zur wertlehre
Beilage II. Gibt es spontane Gemütsakte als eine von den theoretisch
bestimmenden Denkakten unterschiedene Klasse von Vernunft-
akten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Beilage III. Das sinnliche Gefühl als immanente Zeiteinheit ist kein
auf den Empfindungsinhalt bezogener Akt . . . . . . . . . . 50
vi inhalt
ii
die von gegenständen ausgehende erregung
von gefühlen gegenüber der auf die
gegenstände hinzielenden wertung. die frage
nach dem gefühlscharakter des wertens
iii
die analogie zwischen denkakten und
axiologischen akten. rezeptivität und
spontaneität bei der konstitution
von seins- und wertobjektivitäten
iv
die arten der gemütsintentionalität
v
die konstitution der gemütscharaktere
vi
gefühlsbewusstsein – bewusstsein von
gefühlen. gefühl als akt und als zustand
Beilage VII. Das Sich-Aufdrängen eines Objekts als Reiz zur Zu-
wendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
vii
passivität und aktivität in intellekt und gemüt
viii
reine werte gegenüber praktischen
werten. die frage nach der
absoluten willenswahrheit
Beilage XIV. Hat der Wille im Gerichtetsein auf das praktisch Gute
seine eigene Richtigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
x inhalt
Beilage XVI. Freude als Modus des Genusses. Freude an der reinen
Idee. Ideenschönheit. Auf Schönes gerichtetes Wollen und Begeh-
ren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Beilage XVII. Das Reich der reinen Schönheitswerte als Reich des
Genusses gegenüber den absoluten Gewissenswerten. Das Ver-
nunftgesetz der Wahl des Besten unter dem Erreichbaren gilt nur
für die hedonischen Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Beilage XVIII. Ist jede Freude ein Für-wert-Halten und ist jedes
Werten ein positives Gefühl? Ist Werten eine eigene Art der
Stellungnahme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
ix
das gefallen am schönen
und der schönheitswert
ERGÄNZENDE TEXTE
a
wert und billigung
b
intellekt und gemüt. sind gemütsakte
objektivierende akte? – gemütsakte
und ihre beziehung auf objekte
Nr. 17. Die Rede von Färbung bei Gemüts- und Wunschakten. Ist
die gegenständliche Beziehung der Gemüts- und Wunschakte
keine echte Objektivation? . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
inhalt xiii
Nr. 19. In welchem Sinn alle Akte eine Vorstellung zur Grund-
lage haben. Seinswertungen und Gemütswertungen. Nochma-
liges Überdenken der Darstellung in den Logischen Unter-
suchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
c
zur phänomenologie des fühlens,
begehrens und wünschens
Nr. 27. Die mit der dinglichen Apperzeption Hand in Hand ge-
hende Gefühlsapperzeption: Es bedarf keiner von den Emp-
findungen unterschiedenen Gefühlsempfindungen . . . . . 420
Nr. 30. Die Bestimmung der Gefühlsmodi durch die Modi des im-
pressionalen Aktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
Nr. 32. Die Fundierung eines Gefallens in der Materie der Vor-
stellung. Die Bestimmung des Charakters des Gefallens und
Begehrens durch die Setzungscharaktere . . . . . . . . . 433
Nr. 36. Das Gefallen des Besseren. Das Vorziehen als Gefallen
zweiter Stufe. Sinnliche und ästhetische Werte . . . . . . 445
Nr. 40. Das Gefallen in der Phantasie und unter Assumtion. Das
ästhetische Gefallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
Nr. 42. Die Frage nach der Entstehung des Unlustgefühls des
Mangels in Auseinandersetzung mit Hermann Schwarz . . . 474
Nr. 43. Gründet sich das Wünschen auf ein assumtives Gefallen? 478
d
schönwert und gutwert.
wertkonstitution und gefühl
Nr. 46. Das Sich-Verlieben als innere Entscheidung aus den Tie-
fen des Ich. Aktives Gefallen und Wertapperzeption. Die Ent-
scheidung für einen Vernunftwert . . . . . . . . . . . . . 507
Nr. 47. Genuss und Habe. Sinnliche und geistige Werte und Gü-
ter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
§ 1. Sinnliche Lust und Genuss an lustbringenden Gegenständen.
Die Verfügungsfreiheit über einen Gegenstand hinsichtlich
der Realisierung seiner Lusteigenschaft. Gemeingüter . . 513
§ 2. Die kallistische Apperzeption. Die Eröffnung einer Region
von Sonderschönheiten durch ein künstlerisches Problem.
Das Verlangen nach neuen Problemen und neuen Typen
von Schönheit. Schönheit als eine Idee ist eine Sphäre der
Vernunft und des schöpferischen Handelns . . . . . . . . 516
Nr. 50. Der doppelte Sinn, in dem Gegenstand Wert hat: als Wert
in sich habend und als mittelbaren Wert habend wegen der
möglichen Realisierung der wertgründenden Momente. Gut
und Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
1 Dieser Gegensatz kann aber nicht parallel laufen dem von Intellekt und Gemüt.
Denn offenbar stehen Prädikate wie „wahr“, „wahrscheinlich“, „fraglich“ etc. den
Prädikaten „gut“, „schön“ vollkommen parallel.
2 hFundiert ini einem sachvorstellenden Akt, besser hini einer Apperzeption. Ob-
Es kann hier also nichts weiter gesagt sein als eben dies: Wert-
prädikate sind prinzipiell verschieden von allen anderen Prädikaten.
Was Gegenstände si nd (an und für sich oder in Relation zu anderen
Gegenständen) und was Gegenstände wert sind (welche Wertprädi-
5 kate ihnen zukommen), das ist zweierlei: Sein der Gegenstände und
W er ts ein der Gegenstände.1
Gegenstände konstituieren sich als das, was sie sind und „vor“
allem Wertsein sind, durch den Verstand. Sie konstituieren sich hin-
sichtlich ihrer Wertbestimmtheiten durch das Gemüt. Wert kann
10 nichts sein, das nicht schon abgesehen vom Wert ist. Ein Gegenstand
hat seine Natur, und erst durch diese Natur hat er Wert. Was liegt nun
hinter all dem, und wie histi es tiefer zu klären?
1 Nota: Wertapperzeption ist auch eine Apperzeption, und das ist nichts spezifisch
zum „Gemüt“ Gehöriges, ebenso wenig als zum „Verstand“, wenn wir diesem die
empirische Sphäre zuordnen (Natur). Andererseits ist Apperzeption die Wurzel alles
Logischen; es macht das Vorstellen in einem gewissen Sinn aus. Wenn wir das echte
Verstandesmäßige als das Denken nehmen, so ist es die Unterlage für alles Denken: das,
woraus das Denken alle Gegenständlichkeit herausarbeitet. Der Unterschied zwischen
empirischer Apperzeption und Wertapperzeption ist aber ein fundamentaler innerhalb
der Apperzeption.
werten und wert. zur wertlehre 7
Im Fall der Wahrnehmung sprechen wir auch vom Modus des Glau-
bens. Auch hier objektiviert der Glaube nicht als dieses Moment,
sondern er „setzt“ das Objekt, und das Objekt-Setzen bedarf der
„Materie“, der Apperzeption. So ist es auch mit dem Gemütsakt, das
5 heißt hier mit dem Gemütscharakter, der das Pendant und Analogon
des Glaubens ist. Er verleiht die „Gemütsfärbung“, die Gefallensfär-
bung einem Vorgestellten. In der Gemütsapperzeption ist das sinnlich
apperzipierte oder kategoriale Objekt mit dem Gemütsprädikat be-
kleidet oder erscheint, steht da in solcher Charakterisierung, und im
10 nachkommenden Urteil wird ihm das Prädikat „schön“, „gut“ etc.
prädikativ zugemessen.
Aber das kann ich nicht recht verstehen. Das Wahrgenommene
steht als wirklich (selbstgegenwärtig impressional) und als wahrhaft
seiend da. Es gefällt mir. Ist dieses Gefallen auf gleicher Stufe zu
15 behandeln mit dem Glauben als Bewusstsein des Wahrhaftseins (des
Seins im Sinn der Wahrheit)? Oder ist, wenn ich urteile „S ist P!“
(„Das Wetter ist stürmisch“) und wünsche „Es möge S P sein“, der
Charakter des Wahrhaftseins auf der einen und der des Wunsches auf
der anderen hSeitei ganz gleichstehend?
20 Urteilend „S ist P!“ kann ich eine Umwandlung vollziehen, die
den Seinscharakter sozusagen in ein Prädikat verwandelt: „Dass S P
ist, ist wirklich so“ bzw. auch: „Das Urteil ist wahr“. Wünsche ich, S
möge P sein, so kann ich nun sagen: „Dass S P sei, ist wünschenswert“,
aber auch sagen: „Dass S P sein möge, das ist recht so“ bzw. „Der
25 ‚Wunsch‘ ist berechtigt“. Dass die Richtigkeit hier und dort (Rich-
tigkeit des Wunsches, Richtigkeit des Urteils) sich genau entspricht,
das ist zweifellos. Anders aber steht es doch mit dem Entsprechen
des „Glaubens“ mit dem Wünschen etc.
Parallelisieren wir empirische Apperzeption und Gemütsapper-
30 zeption, so konstituiert die erstere der Materie nach die Seinsprä-
dikate (den noch nicht denkmäßig gefassten Seinsgehalt des Ge-
genstandes), die Gemütsapperzeption den noch nicht denkmäßig
gefassten Wertgehalt des Gegenstandes, seine Werteigenschaften.
Was ist dann empirische Apperzeption? Es ist da doch gar nichts als
35 der ganze Gehalt der empirischen Anschauung (der Wahrnehmung
oder Erinnerung) und überhaupt der empirischen Vorstellung, bloß
abgesehen vom Modus des Glaubens, des Zweifelns etc. Und so ist
dann natürlich auch die Gemütsapperzeption der Gemütsakt selbst
werten und wert. zur wertlehre 9
1 Cf. unten.
10 werten und wert. zur wertlehre
1 Bloße Apperzeption enthält also noch nichts von Meinung, obwohl Bemerken das
Abgesehen von der Ontologie des Immanenten haben wir die Onto-
logie des „realen“ Seins, des Seins im engeren Sinn der ουσÝα, und
die Ontologie des Wertseins.)
1 An den Rand des folgenden Textes (bis etwa S. 13,12) hat Husserl eine Null
geschrieben und notiert: „Keine Fortführung. Keine zusammenhängende Behandlung
mehr!“ – Anm. der Hrsg.
werten und wert. zur wertlehre 13
h§ 4. Gemütsmotivation im Unterschied
zur empirisch-assoziativen Motivationi1
1 Vgl. Beilage II: Gibt es spontane Gemütsakte als eine von den theoretisch bestim-
menden Denkakten unterschiedene Klasse von Vernunftakten? (S. 49). – Anm. der Hrsg.
2 Also durch eine Apperzeption hindurch geht eine aussondernde Herausmeinung,
Synthesis, Prädikation.
14 werten und wert. zur wertlehre
1 „Der Rohns“ war ein beliebter Gasthof auf dem Hainberg bei Göttingen. – Anm.
der Hrsg.
werten und wert. zur wertlehre 15
hin und beiderseits nicht bloß die einzelnen, sondern in ihren harmo-
nischen Verwebungen die Komplexe, und all das gemäß der Weise
des Zusammenhangs und des Ablaufs. Die Erfüllungen sind neue
Akte und sind bloße Aktmöglichkeiten. Sie sind nicht vorgestellt.
5 Vorgestellt ist einfach das Pferd. Eventuell mag eine reproduktive
Vorstellung von dem Pferd in den und den Situationen, im Wettlauf
etc., auftauchen. An diese vorgestellten Situationen knüpft sich „ein
Gefallen in der Vorstellung“, das heißt aber, sie stehen ähnlich als
gefällig da, wie das jetzt aktuell wahrgenommene Pferd als gefällig
10 dasteht: Hier wie dort ist nicht das Gefallen als solches gegenständ-
lich, so wenig als das Wahrnehmen als solches, die empirischen Akte,
gegenständlich sind. Beiderseits aber stehen reproduzierte Erschei-
nung oder verbildlichende mögliche Erscheinung (Pferd im Wettlauf)
und entsprechende Gefühlsfärbung nicht isoliert da, ohne Zusam-
15 menhang mit der aktuellen Pferderscheinung in der Wahrnehmung
und ihrem Gefühlscharakter. Es sind motivierte Erscheinungen, sie
gehören zu dem Objekt, das so eben wahrgenommenes Objekt ist.
Auch die Gefallenscharaktere gehören zu diesem Objekt, sie gehören
zu dem „Pferd im Wettlauf“, dem Objekt in dieser Situation. Aber das
20 ist „dasselbe“ Pferd, das ich jetzt wahrnehme, nur in einer möglichen
und motivierten Situation gedacht.
Die Gefallenscharaktere sind zwar Gefallenscharaktere „in der
Phantasie“, und die Gefallensakte sind Gefallensakte modifizierter
Art. Andererseits ist es nicht so, als ob ich mir dächte, es gefiele mir et-
25 was, und zwar das phantasiemäßig Vorgestellte (hdasi durch illustrie-
rende Vergegenwärtigung Aktuelle), das mir aber in „Wahrheit“ gar
nicht gefällt. Es gibt da also ein In-Wahrheit-Gefallen in der Phanta-
sie. Das Gefallen ist wirklich und eigentlich auf das Phantasievorstel-
len gegründet, bezieht sich „eigentlich“ auf das Phantasieobjekt: Und
30 nun ist das Phantasieobjekt nicht „bloß Phantasieprodukt“, sondern
es stellt mir das jetzt Wahrgenommene in einer möglichen Situation
vor, die als reale Möglichkeit motiviert ist, wobei das Gefallen, das zu
ihr gehört, seinerseits „begründende“, motivierende Beziehung hat
zu dem aktuellen Gefallen aufgrund der Wahrnehmung.
35 Wenn mir aber das Objekt gefällt, steht es nicht als gefälliges,
als schönes, angenehmes ohne weiteres da? Bedarf es da erst einer
neuen Apperzeption? Ist es nicht so, dass nicht nur das Objekt,
welches gefällt, mir vor Augen steht, sondern ohne weiteres auch
18 werten und wert. zur wertlehre
1 Das kann doch nur den Sinn haben, dass ein Fühlen statthat, aber kein sich des
„ Zustand “, sondern ein wirklicher „Akt“, wofern wir zum Akt als wesentlich das
Meinen rechnen.
3 Das Gemütserlebnis als Gefallen etc., das ist die neue „Apperzeption“, und nur
das ist besonders wichtig, dass sie neuartig ist gegenüber der empirischen und dass sie
ihre Transzendenz haben kann etc.
werten und wert. zur wertlehre 19
innerhalb der Momente jeder Erscheinung eines auf das andere bloß
empirisch (assoziativ) hin, sondern eine neue Motivation tritt auf,
und Motivation ist es auch, welche jedes Gefallensmoment mit seiner
gegenständlichen Unterlage verknüpft.
5 Der Gefühlscharakter gehört nicht zu seinem Gegenständlichen
wie warm zum warmen Körper oder wie Ton zum tönenden Ge-
genstand bloß empirisch, sondern gehört zu ihm durch eine eigene
Beziehung der Begründung, phanseologisch durch eine eigene Moti-
vation. Die Vorstellungsunterlage motiviert das Gefühl ganz anders
10 wie es eine andere Vorstellung motiviert. Und ebenso ist es etwas
völlig Neues, diese eigentümliche Art, wie im Ablauf der sinnli-
chen Erscheinungen durch eine gewisse Schicht derselben ein Ge-
fühlsablauf motiviert ist und sich eine Gefühlseinheit konstituiert.
Das Objekt hat seinen Wert, sofern es etwa in gewisse wirkliche
15 oder mögliche Erfahrungszusammenhänge hineingehört und sofern
zu den diese konstituierenden Erscheinungsmannigfaltigkeiten wie-
der gewisse ausgezeichnete Erscheinungsmöglichkeiten gehören, die
bestimmte gefühlsmäßige Einheiten konstituieren. Betrachte ich das
Objekt, wie es ist, so bewege ich mich in den zusammengehörigen
20 Erscheinungen, ich meine bald dies, bald jenes gegenständliche Mo-
ment heraus und folge seiner Einheit im Erscheinungsablauf. Und
abgesehen von den aktuellen Erscheinungen kann ich der Einheit
in möglichen motivierten (assoziativen) Erscheinungen nachgehen
und dann weiterdenkend das Moment als Merkmal, als Eigenschaft
25 bestimmen und so das Objekt in verschiedener Richtung bestimmen.
Lebe ich aber im Werten, so sind damit gewisse Erscheinungszu-
sammenhänge und Erscheinungsmöglichkeiten und entsprechende
Denkmöglichkeiten ausgezeichnet, nur in ihnen bewege ich mich
meinend, um die Einheit des Gefühlscharakters bzw. Einheit des
30 Wertprädikats zur Gegebenheit zu bringen. Es kommt jetzt nicht
überhaupt auf die Einheit des Objekts an, auf seine Merkmale und die
Bestimmung dieser Merkmale, sondern nur auf das, was fundierend
ist für das Wertmäßige und soweit es das ist.
Jedenfalls also ist das Wertprädikat nichts im empirischen Zusam-
35 menhang als solchem sich Konstituierendes und auch nichts sinnlich
naturhaft Gewirktes (als ein psychischer in mir gewirkter Zustand,
der eine ganz andere Einheit hat als die Werteinheit, die ja vielmehr
eine durch vielfältige mögliche Gefühlszustände hindurchgehende
20 werten und wert. zur wertlehre
und in ihr sich bloß bekundende Einheit histi). Vielmehr ist die Sache
die, dass sich auf einem empirischen Gegenstandsbewusstsein ein
gewisses wertendes Bewusstsein gründet, das mit jenem nicht geei-
nigt ist wie empirisches Gegenstandsbewusstsein mit empirischem
5 Gegenstandsbewusstsein, vielmehr in völlig neuer Weise. Und dieses
wertende und im Empirischen fundierte Bewusstsein trägt in sich eine
neue Einheit, die auf das empirische Objekt bezogen werden kann
als ein neuartiges Prädikat, das wir Wert nennen. Zum Objekt gehört
der Wert: Das empirische Objektbewusstsein fundiert eben ein Wert-
10 bewusstsein, das seine intentionale Erfüllung finden kann, und zwar
so, dass eine bestimmte Entfaltung des Objektbewusstseins stetiges
Fundament ist für einen bestimmt motivierten Zusammenhang eines
Einheit gebenden Wertbewusstseins, das die ursprünglich fundierte
Gefühlsintention erfüllt. Diese Erfüllung ist Gemütserfüllung, Erfül-
15 lung im Werten.
In der logischen Apperzeption, der prädikativen Synthesis und
verbalen Konzeption, welche den Wert zum Prädikat einer Aussage
macht, fungiert die Erfüllung zugleich als Bestätigung. Nämlich auf
die Gemütserfüllung „richtet“ sich mit die logische Intention. Tritt
20 die Erfüllung ein, so bewahrheitet sich die gegenständliche Wertin-
tention.
Fragt man: „Wie macht die logisch-prädikative Intention den Wert
zum Prädikat?“, so lautet die Antwort: Zunächst wird auf den Wert
geachtet. So gut ich auf die Form eines Gegenstandes achten kann, so
25 gut auch auf die Schönheit, die ihm aufgrund der Form und anderer
Bestimmtheiten zukommt. Die gesamte empirisch-axiologische Ap-
perzeption in ihrer Komplikation kann in verschiedener Weise von ei-
nem Meinen beseelt sein; das Aufmerken, Achten und Herausmeinen
kann sich da in verschiedener Richtung betätigen, wie sie das ja schon
30 in der Unterschicht der bloß empirischen Apperzeption tun kann.1 Ich
1 Also dieses Meinen ist das überall eigentlich objektivierende, und zwar sowohl in
der empirischen als in der nicht-empirischen Sphäre. Die bloß dingliche Apperzeption
ist noch keine Objektivation und steht völlig gleich der axiologischen Apperzeption.
Das Meinen kann schlichtes oder synthetisches sein, und alle Formen der Synthesis
gehören zu ihm, während aus den Apperzeptionen die Materie stammt und danach
die besonderen Relationen, empirische Relationen und Wertrelation und Relation
zwischen empirischem Gegenstand und Wert. (Das „Meinen“ ist ein Setzen, ein
werten und wert. zur wertlehre 21
1 Grundlegend. Zur Lehre von der Konstitution von realen „empirischen“ Werten
Vereinheitlichung haben. Aber jetzt habe ich nicht bloß die Wahr-
nehmung mit all diesen sensuellen und gefühlsmäßigen intentionalen
Komponenten – das heißt, ich habe nicht bloß die Wahrnehmungsap-
perzeption, die die Zigarre zugleich als das Raumding und als das zum
5 Rauchen befähigte und so und so riechende, schmeckende, sondern
auch als das wohlschmeckende etc. vorstellt –, vielmehr habe ich ein
Werten der Zigarre als so wahrgenommener, als so apperzipierter.
Dieses Werten ist ein im Wahrnehmen fundierter neuer Akt (eine
Aktimpression), worin diese Zigarre als ein Wert „dasteht“, genauer:
10 als ein Wert vermeint ist. Ich werte sie, ich schätze sie, ich vollziehe
eine Wertschätzung aufgrund jener sinnlich gefühlsmäßigen Apper-
zeption, und zwar Wahrnehmung.
Ich vollziehe eine Wertschätzung: Die Zigarre gefällt mir, ein Ge-
fallensakt wird vollzogen auf dem Grund jener Apperzeption. Aber
15 die Zigarre steht nun als eine werte da. Das Gefallen ist als Gefallen-
an ein Wertvermeinen, und so steht das Objekt nicht nur als dasjenige
da, als das es in der bloßen Wahrnehmung erscheint und gesetzt ist
(und zwar der Wahrnehmung im weiteren Sinn, der Gemütseigen-
schaften miterfasst, Wohlgeschmack etc.), sondern es steht vermöge
20 des aktuellen Gefallens als wert da (aktuelles Gefallen-Haben ist
nichts anderes als Bewusstsein von einem Gefälligen). Dieses Daste-
hen ist aber nicht wieder ein Wahrnehmen, nicht ein Wahrnehmen
zweiter Stufe. Der Wert ist ja nicht „gegeben“ und in keiner Weise
gegeben; es ist nicht so wie beim Wahrnehmen, wo das Objekt, wenn
25 auch nur unvollkommen, einseitig und etwa nur nach visuellen Raum-
bestimmtheiten der einen Seite gegeben ist. Und das betrifft sowohl
das Objekt selbst als irgendwelche Bestimmtheit des Objekts.
Man darf nicht sagen: Das Objekt ist ja das Wahrgenommene,
das ist es, das Wert hat; den Wert selbst habe ich nicht gegeben,
30 er ist nur uneigentlich mitwahrgenommen, wie so viele sonstige Be-
stimmtheiten des Objekts mitgemeint, aber nicht eigentlich wahrge-
nommen sind. Denn man muss beachten: Mitgemeinte, uneigentlich
mithwahrigenommene Momente des Wahrgenommenen als solchen
kommen in neuen Wahrnehmungen, welche in die Erfüllungsreihe
35 der erst vollzogenen Wahrnehmung gehören, zur Gegebenheit. Aber
der Wert der Zigarre kommt nicht perzeptiv zur Gegebenheit.1
Wenn ich aber ein Objekt aktuell werte, ohne die Eigenschaften,
um derenhtwilleni es wert ist, in ihrer Schönheit gegeben zu haben
und ohne so die eigentliche Wertbegründung zu erschauen: Verhält
sich da das aktuelle Werten, das ich vollziehe, zu demjenigen aktuellen
5 Werten, das sich in eigentlicher Weise auf den Wertungsgründen in
ihrer Gegebenheit aufbaut, nicht doch ganz analog wie ein wahrneh-
mendes Meinen hinsichtlich der nicht-erscheinenden Bestimmtheiten
zu dem erfüllenden, in dem die bloß mitgemeinten Bestimmtheiten
wirklich wahrnehmungsmäßig gegeben sind?
10 Ja und Nein, wie man es nimmt. Zunächst macht sich dringend
ein Bedürfnis geltend, scharf zu unterscheiden zwischen Mitgemeint-
heiten, die man wesentlich zur transzendenten Dingwahrnehmung
rechnen muss, ohne die eben der Dinggegenstand nicht als gegeben
dastehen könnte, und sonstigen Mitgemeintheiten, die darum aber
15 nicht etwa den Charakter von Denkgemeintheiten, von Gedanken
haben sollen.1
Wahrnehmen im eigentlichen Sinn ist ein selbsterfassendes, ver-
meintlich selbsterfassendes Meinen, und zwar eines individuellen
zeitlichen Gegenstandes und hinsichtlich seiner zeitlichen Fülle. Also
20 ein vermeintliches Erfassen einer Selbstgegenwart. Die Fähigkeit ei-
nes empirischen Gegenstandes, eines physischen Dinges etwa, unter
gewissen Umständen gewisse Leistungen vollführen zu können, kann
ich in eins mit der Wahrnehmung des Gegenstandes mitmeinen, aber
dieses Mitmeinen gehört nicht selbst in das Wahrnehmen. Was heißt
25 Fähigkeit, was heißt allgemein „unter gewissen Umständen vollfüh-
ren zu können“? Darin liegt: Die und die Umstände angenommen,
„muss“ oder wird der und der Erfolg, die und die „Leistung“ eintre-
ten.
Ich nehme die Zigarre wahr und daran schließt sich alsbald die
30 Vorstellung „Ich zünde sie an“, und dies angenommen, unter dieser
Annahme, wird sie brennen und wenn ich rauche, den bekannten
Geschmack entwickeln etc. Das alles aber so, dass ich gar kein begriff-
liches Denken vollziehen müsste, und im Allgemeinen wird das auch
gar nicht vorhanden sein. Dieses Ganze kann „anschaulich“ ablaufen;
1 Mitmeinung von Eigenschaften der Art der Fähigkeiten bei einer Wahrnehmung:
es kann aber auch nur Einzelnes klar werden, und doch ist das die
Meinung. Und diese Fähigkeit der Zigarre, rauchbar und schmeckbar
zu sein, gehört zu ihr, sie ist eine Bestimmtheit der Zigarre und etwas
eventuell bei ihrem Anblick Mitgemeintes. Aber Annahme und Fol-
5 gesetzung sind keine Bestandstücke von Wahrnehmungen. Und das
Anschauen, das hier stattfindet, ist kein bloß sinnliches Anschauen
schlichter Art, sondern schon ein Akt höherer Stufe, auf der Linie
zum Kategorialen (dem eigentlich synthetischen „Denken“) liegend.
Wenn ich nun die Zigarre sehend, sie als so und so schmeckend
10 auffasse, z. B. eine Sumatra als so, als von leichtem und flüchtigem
Aroma, eine Havanna als „schwer“, so ist diese Auffassung nicht
mehr Sache der Wahrnehmung. Und wenn sie sich zunächst in der
klaren Vereigentlichung aufgrund der Anschauung (eine Art Erin-
nerung) und dann durch wirkliches Rauchen bestätigt, so ist der
15 bestätigende Akt keine Wahrnehmung, sondern ein auf Wahrneh-
mung sich gründender Akt höherer Stufe. Wahrnehmen kann ich,
wie gesagt, nur das Anzünden, Rauchen und Schmecken, nicht, dass
unter Annahme des Anzündens und „Ziehens“ Rauch entwickelt
und Geschmack der und der Art eintreten werde (muss).1
20 Man wird sagen wollen, das sind aufgrund der Anschauung bzw.
Wahrnehmung vollzogene „Denkakte“. Indessen, wenn wir begriff-
liche Akte darunter verstehen, so glaube ich doch, dass all das ohne
eigentliche Begrifflichkeiten vollziehbar ist.
Nun, das überträgt sich natürlich auch auf das Wertmeinen, das
25 sich an die Wahrnehmung der Zigarre und die Mitmeinung ihrer Fä-
higkeit zur Entwicklung eines gewissen Wohlgeschmacks anschließt.
Hier tritt ein Gefallen an dem „unter Umständen zu entwickelnden
Geschmack“ in die Mitmeinung ein, und zwar als Gefallen unter
den Umständen und ihrer Assumtion, und selbstverständlich gehört
1 Ja, so könnte man sagen; aber das ist nur als Aporie brauchbar. Die ganze Be-
ebenso wenig wie dieses „unter Assumtion“ und wie jede Eigenschaft
von der Art der Fähigkeiten und erst recht der Wert nicht zu den
Wahrnehmbarkeiten im eigentlichen Sinn (etwa den Dingwahrneh-
mungen).1
5 So ist es überall, z. B. wenn ich eine Geige werte, an ihr die Bauart,
die schöne Form etc. als Anzeichen für den edlen Ton hwertei, den
sie im Spielen (falls sie gespielt und von einem Geiger gespielt wird)
entwickeln würde. Die Wertmeinung als aktuelle Für-wert-Haltung
bestätigt sich im wirklichen Spielen. Aber dieses Sich-Bestätigen,
10 Sich-Erfüllen, ist etwas ganz anderes als das bloße Sich-Erfüllen einer
schlichten empirischen Intention. Zunächst bestätigt sich die Setzung
unter Annahme; unter Annahme des Spielens erfolgt wirklich das
Tönen bekannter Art, und es ist wirklich ein „edler Ton“. Es bestä-
tigt sich, dass unter dieser Annahme nicht nur die empirische Folge
15 eintritt, sondern auch das in ihm fundierte Gefallen. Das letztere
freilich anders als das erstere, insofern, als es anders mitgesetzt ist:
Die empirische Folge ist das Erste. Aber das Gefallen ist fundiert
in dem Wahrnehmen von Toneigentümlichkeiten gewisser Art, das
als Wahrnehmen eines solchen Inhalts (immanenten) ein Gefallen,
20 ein Schönfinden eigentlich und wirklich fundiert. Dieses ist nicht
selbst eine empirische Folge, sondern eine notwendige Mitfolge. Aber
freilich, indem es eins ist mit dem Empirischen, ist es auch empi-
risch mitmotiviert: Der schöne Ton ist unter Annahme gesetzt und
bestätigt sich im Fall der Realisierung dieser Annahme als wirklich
25 eintretend.
Und nun bestätigt sich auch die Wertsetzung, nur eben in einer
Wertnehmung als Wertwahrnehmung. Die Geige als wirklich mit der
Eigenschaft begabt, diesen Ton zu erzeugen (diese Begabung hat sich
ja bestätigt), ist wirklich wert. Das wertende Gefallen ist dabei zwar
30 ein momentaner Akt, aber der Wert gehört zum Objekt; nämlich
1 All die vorstehenden wichtigen Ausführungen zeigen, dass sich transiente Werte
durch transiente Apperzeptionen konstituieren, analog wie sich Dingrealitäten (reales
Sein) durch Dingapperzeptionen konstituieren. Und dass dabei die Konstitution des
transzendenten Wertes nicht etwa so erfolgt, dass jeder Dingerscheinung ein Wer-
tungsmoment im Wertbewusstsein zugeordnet ist, so dass es sich in der Tat um eine
neuartige, rein im Werten sich konstituierende Einheit auf dem Grund der Dingeinheit
handelt.
werten und wert. zur wertlehre 29
zum Wesen der ganzen Sachlage, an der das Objekt als so geartetes
beteiligt ist und um derentwillen es die und die wertbegründenden
empirisch-axiologischen Eigenschaften hat, gehört das Wertprädikat,
bzw. zu den konstituierenden Akten des und des Wesens (in dem
5 sich wesensmäßig solche Eigenschaften konstituieren) gehört wieder
wesensmäßig die Möglichkeit solchen eigentlich zu vollziehenden Ge-
fallens. Und wieder: Das an die „uneigentliche“ Vorstellung, an die
Objektvorstellung und uneigentliche „Mitmeinung“, angeschlossene
Gefallen ist „richtig“, wenn diese Meinungen von solchem Wesen
10 und solcher faktischen Anordnung sind, dass Erfüllbarkeit besteht.
Das Gefallen, d. h. das Werthalten des Gegenstandes als Träger
solcher empirischen und axiologischen Bestimmtheiten: Es ist noch
kein Beurteilen als wert im prädikativ-begrifflichen Sinn. Es ist ein in
der Gemütssphäre wurzelnder Akt fundierter Apperzeption. Solche
15 noch nicht begrifflich fundierten Apperzeptionen, die nichts mit dem
Gemüt zu tun haben, finden wir in der Sphäre des „Intellekts“ genug.1
Ich erkenne ein Bild als edel, das ich in den Uffizien gesehen habe.
Ich sehe ein Bild, und es steht in der Erinnerung ein anderes da,
das ihm ähnlich ist, und ich erfasse die Ähnlichkeit usw. Die ganze
20 Schicht des Kategorialen – und doch, wie es scheint, noch unabhängig
von Begriff und Wort. Das Erkennen des Bildes als ein Bild, der
Ähnlichkeit als Ähnlichkeit etc. ist nicht erfordert. (Aber schließlich,
gehört nicht auch das begriffliche Denken in die gleiche Linie? Doch
nicht, sofern es allen schlichten Apperzeptionen, auch fundierten,
25 gegenübersteht.)
In den bisherigen Betrachtungen haben wir die komplizierten
Fälle im Auge gehabt, wo Dinge um gewisser Fähigkeiten, Vermögen
zu den oder jenen Leistungen, gewertet werden. Konkrete Dinge
können aber auch werte sein auf einfacher Grundlage: Zum Bei-
30 spiel, ein Ding ist wert um seiner schönen Form willen, ein Haus ist
wert um seiner schönen Fassade willen und dgl. Der Wert des Din-
ges kann bestimmt sein durch die oder jene Erscheinungsmomente,
1 Intellekt und Gemüt scheiden sich also durch die Apperzeption, und es stehen
gleich: sinnliche Auffassung und Gefühlsauffassung, sinnliche Dingerscheinung und
sinnliche Werterscheinung. – Das alles spricht aber nicht dagegen, sondern dafür, dass
jeder Apperzeptionsart eine Wahrnehmungsart entspricht und überall Wahrnehmung
etwas Gemeinsames ist.
30 werten und wert. zur wertlehre
1 Gemeint ist wohl die Ethik-Vorlesung aus dem Wintersemester 1908/09 (vgl. Hus-
serliana XXVIII). – Anm. der Hrsg.
2 Empirische Werte gegenüber empirischen Realitäten, Dingen. Alle diese Erschei-
nungen gehören in die Sphäre der Rezeptivität, und es ist nicht entschieden, ob es nun
eine eigene Gemütsspontaneität gibt. Wichtig ist aber auch das, dass wir hier gar keine
Gleichstellung von Gefühl und Trieb finden. Es gibt doch keine „Trieberscheinungen“.
Oder wo sind sie? Sinnliche Güter (Begehrungserscheinung).
32 werten und wert. zur wertlehre
1 Und diese stehen parallel zu „wirklich und wahrseiend“, wenn man wertende Akte
des Gegenstandes, als Prädikat desselben und dabei nicht als das
bloße Prädikat „gefallend zu sein“.
Diese Auffassung erfordert aber immer neue Überlegung.1 Was
soll eigentlich die „intentionale Beziehung“ des Gefallens auf das
5 vorgestellte Objekt besagen, wenn nicht das, dass im Gefallen als
einem Bewusstsein das Objekt als gefällig „vermeint“ ist? Aber was
sagt da „meinen“ und was „Bewusstsein“? Freilich haben wir die Un-
terschiede in der Richtung des Herausmeinens. Eine echte Havanna
oder eine schöne alte Geige kann ich mit entsprechender Ehrfurcht
10 betrachten, es kann mich aber inzwischen irgendeine Struktur des
Holzes interessieren – was das da ist, dieser Streifen etc. –, und
während ich noch Gefallen habe, kann ich speziell in der unter dem
Gefallen liegenden Objektivation leben und ein Besonderes am Ob-
jekt als empirisches Objekt herausmeinen. So wie nun aber das ganze
15 Objekt „dasteht“, aber gerade dieses Moment des Gegenstandes,
diese Struktur dieses Teiles der Oberfläche, das speziell Gemeinte ist,
so steht noch das Wertstück als solches da, die edle Geige, obschon ich
nicht im Wertbewusstsein lebe und, was dasselbe ist, auf das Wertsein
achte. Natürlich kann ich nun bald auf das Wertsein des Gegenstandes
20 achten, bald darauf, dass er mir gefällt oder dass der Gegenstand mich
zum Werten reizt. Schließlich kann ich auch sagen, der Gegenstand
nötige mich zum Urteil, und ebenso sagen wir ja auch, der Gegenstand
errege in uns gerade die Erscheinung.
Wenn wir den Akt auf das Ich beziehen und zwischen Akt und
25 Gegenstand und Ich eine Beziehung herstellen, so ist der „Akt“
in Beziehung auf den Gegenstand schon vorausgesetzt, das heißt,
dass der Gegenstand als so und so bestimmter dasteht, ist Voraus-
Gegenstand. Aber Wahrnehmen als Hinsehen-auf ist Hinsehen auf einen schon kon-
stituierten Gegenstand. Schon das Reden vom Wahrnehmen ist zweideutig: Einmal
nimmt man die Apperzeption hinzu, nimmt also das volle konkrete Phänomen, insbe-
sondere im Fall der empirischen Wahrnehmung, das andere Mal nur das Hinsehen, das
Hingerichtetsein für sich. Natürlich, das Gemüt konstituiert den Gegenstand schon
vor dem Hinsehen und sehend Erfassen, Setzen. Aber Gegen-stand, Objekt eben der
Setzung, ist er erst in der Setzung. Und danach ist auch Objektivation zweideutig: 1)
das, was Voraussetzung dafür ist, dass wir etwas setzen können, als seiend nehmen und
zum Worüber machen können: die Apperzeption; 2) das Zum-Objekt-Machen, das
Als-seiend-Nehmen selbst.
werten und wert. zur wertlehre 35
setzung; ebenso wenn wir das Gefallen des Gegenstandes auf das
Subjekt beziehen, so ist vorausgesetzt, dass der Gegenstand als ge-
fällig dasteht. In der phänomenologischen Reflexion haben wir dann
Gegenstandserscheinung und das plus des Gefallens, das sich auf die
5 Gegenstandserscheinung baut. Und wie Gegenstandserscheinung in
sich auf den Gegenstand bezogen ist, sofern es der bestimmte Wechsel
der „Stellung“ ist, der den Hinblick auf die Erscheinung aus dem Er-
scheinungsbewusstsein selbst hervorgehen lässt, so ist das Gefallen in
sich „Bewusstsein“ vom Gefälligen als solchen, und derselbe Wechsel
10 der Stellung, der reflektierende Blick auf das Gefallen, macht dieses
zum Gegenstand, während vorher nicht ein besonderer Blick auf das
Gefällige erforderlich war, weil eben das Gefallen selbst Bewusstsein
vom Gefälligen ist.1 Die Reflexion ist Wahrnehmung, es bedarf einer
eigenen Wahrnehmung, humi das, was nicht bewusst war, im spezifi-
15 schen Sinn zum Bewusstsein zu machen (wofern eben Erscheinung
wirklich nicht bewusst ist).
Vielleicht ist es klarer, so zu sagen: Meinen in einem ganz spe-
zifischen Sinn als Es-abgesehen-Haben, Darauf-Hinsehen, Heraus-
meinen, ist etwas, was sich mit verschiedenem „Bewusstsein“ ver-
20 bindet und in ihm verschiedene Gliederungen, Bevorzugungen etc.
hervorruft. Nennen wir das Meinen in diesem Sinn Objektivieren
(= Aufmerken), dann ist es überall ein und dasselbe und hat viel-
leicht nur verschiedene Modi.2 Die Unterschiede der „Akte“ beste-
hen dann aber in dem, was das spezifische Meinen voraussetzt: im
25 „Bewusstsein“, in ver sc hi edener „ Apperzeption “.3 Also das
immanente Apperzipieren, die Linie des phanseologischen Flusses, in
dem sich unabhängig vom spezifischen Meinen die Einheit des Tones
konstituiert, die aber Objekt im eigentlichen Sinn erst ist, wenn das
Meinen sich in diesen Fluss einlebt und der Ton nun das Gemeinte ist.
30 Oder die Dingwahrnehmung in ihren Abflüssen von ineinander über-
gehenden Erscheinungen: Das Ding steht da als selbstgegenwärtig.
1 Ja, da ist aber die Frage: Ist die Gefallenszuwendung schon Gegenstandsset-
zung? Schon Gewahrung in dem Sinn der Seinsnehmung? Demnach ist das Folgende
zweideutig.
2 Vergleiche aber das nächste Blatt h= S. 35,25–37,25i. Objektivieren im eigentlichen
aber jedem Meinen entspricht ein mögliches Denken bzw. jedem Akt, der Meinung
in sich aufgenommen hat. – Indessen, genau besehen ist es doch evident, dass das
„Setzen“, das z. B. im Wahrnehmen (im vollen gewöhnlichen Sinn) liegt, zwar noch
kein Begreifen, aber doch etwas mit dem Urteilen Verwandtes ist. Das schlichte Setzen
ist Objektivieren durch seine Unterlage: auch das synthetische Setzen ist durch seine
Unterlage und seine Formen (die intellektive Form) ein Objektivieren. Das Setzen
macht aber Gegenstände in einem anderen Sinn.
4 Es ist schöpferisches „Apperzipieren“.
werten und wert. zur wertlehre 37
1 Aber das Wahrnehmen ist schon ein Seinssetzen, das Gefallen bedarf erst eines
darin fundierten Seinssetzens.
2 Das ist doch nicht völlig korrekt, aber im Wesen richtig gemeint.
3 Rekapitulation.
4 Aber wohl auch c) Triebempfindungen.
38 werten und wert. zur wertlehre
1 Ja.
40 werten und wert. zur wertlehre
Es ist nun die Frage, wie sich das Werten zum Wünschen und Wol-
len verhält. Ich habe umfassende Betrachtungen angestellt, in denen
mir schien, dass man den Begriff des Wertens so weit fassen könne,
30 dass er Wünschen und Wollen umfasst. Ein allgemeiner Begriff von
Gemütsakt und Gemütsapperzeption schien sich abzuheben, ohne
1 Aber ein seinssetzendes Meinen muss sich etablieren, um eben das Konstituierte
seiend vermeint ist, mir als A wert ist. Steckt in der Freude also ein
Werten des A und dazu eine Komponente, die auf das Sein des A
bezüglich ist? Wie verteilt sich das Sich-Freuen auf den „Inhalt“ und
wie auf das Moment der „Wirklichkeit“? Steckt in ihm ein von der
5 Frage nach Wirklichkeit unabhängiges Werten?
Und wie steht es mit dem Willen? So wie wir von Freude und
Trauer sagen, dass sie einerseits auf Wahrhaftsein, auf „Wirklichkeit“
gehen und andererseits ein Werten dessen, was da ist oder nicht ist,
voraussetzen, und wie wir eben dasselbe vom Wünschen sagen, so
10 auch vom Willen. Er ist, wird man sagen, nicht selbst Werthalten,
aber setzt ein solches voraus. Aber bringt der Wille nicht bei all dem
ein Neues?
Die Freude ist „genießend“ gerichtet auf das Werte und wertvoll
Seiende, auf das Gute (nicht gerade real Seiendes, sondern Existie-
15 rendes). Der Wunsch ist begehrend gerichtet auf das Gute (in der
Weise des Seinsollens-Bewusstseins, also gerichtet in konstitutiver
Weise auf Seinsollendes, das, wenn es wäre, gut wäre). Wie der Wille?
Ist er in ähnlichem Sinn nur gerichtet? Etwa so, dass er nicht nur auf
Sein, sondern auf das Seinwerden gerichtet ist?1 Aber was heißt das?
20 Ich will, dass das Werk, das mir vorschwebt, sei. Ich will es ausführen!2
Zunächst möchte man sagen: Da liegt ein Wünschen zugrunde und
nicht ein bloßes Werten. Was ich will, das ist mir erwünscht. Und
Wille geht im fiat auf das machende, „schöpferische“ Verwirklichen
des Gewünschten und somit auch des Guten. Der Wille ist gerichtet
25 nicht nur auf das Gute, sondern auf das Werk, auf die Tat, und auf
die Tat durch das Medium der „Handlung“.
Der bloße „Entschluss“ ist „leere Willensintention“? Aber was
soll diese Rede hier bedeuten? Ich kann den Entschluss bei klarer
Vorstellung des zu Realisierenden haben, und ist der Entschluss ganz
30 klar, so habe ich die klare Vorstellung einer Handlung, die in dem
Ziel terminiert. Darin liegt ein fiat als Ansatzpunkt und so alles Wei-
tere, was Handlung und Tat charakterisiert: nur „vorstellungsmäßig“.
Aber jetzt habe ich ein wirkliches fiat, ein wirkliches „Ich will“. Das
1 Aber Seinwerden steht doch nicht dem Guten gleich. Seinwerden konstituiert sich
ohne Wille!
2 Das Werk ist ein Seinsollendes, und es ist ein Gutes. Realisierung von Gutem.
44 werten und wert. zur wertlehre
ist sehr ähnlich dem oben erwähnten Fall des Urteils, das sich nicht
auf Wahrnehmung aufbaut, sondern auf Erinnerung oder sonstige
aktuelle Vergegenwärtigung. Einerseits stelle ich den Sachverhalt vor
und vollziehe ein Gleichsam-Urteilen in der Vergegenwärtigung, und
5 andererseits urteile ich jetzt und wirklich und gewissermaßen durch
das Vergegenwärtigungsurteil hindurch, so wie ich im Entschluss
wirklich und jetzt will und gleichsam durch das Phantasiewollen und
Phantasiehandeln hhindurchi.1
Andererseits: Entspricht dem ausführenden Wollen auf der Ur-
10 teilsseite irgendetwas? Offenbar nicht. Das Urteil kann berechtigt
oder unberechtigt sein; es kann dem bloßen Urteil gegenüberge-
stellt werden ein begründendes Urteil (es ist zu beachten, dass ich
bei dieser vergleichenden Betrachtung immer Erfahrungsurteile und
Wollungen parallelisiere, nicht etwa mathematische und überhaupt
15 Wesensurteile, bei denen ja all das nicht gilt), aber auch der Ent-
schluss kann berechtigt und unberechtigt sein, und ich kann mir ihn
nicht bloß klar, sondern mir auch seine Rechtsgründe klar machen.2
Aber Verwirklichung ist etwas anderes als Rechtsausweisung. Der
Entschluss wird „ausgeführt“, und die Handlung ist charakterisiert
20 als Ausführung des Entschlusses.
Liegt nun wirklich im Wol l en das Wünschen? Im Entschluss
bin ich gerichtet auf das Ziel (dass A sei), aber darauf gerichtet durch
die vorgestellte (mehr oder minder bestimmt vorgestellte) Handlung.
Es ist eine Willenslinie, die da durchgeht durch diesen vorgestellten
25 Vorgang. Der dem Willen entsprechende Wunsch ging auf das A-
Sein. (Natürlich kann ich auch ein Handeln wünschen: Ich wünschte,
dass ich das täte, dass ich das Werk ausführte. Selbst während der
Ausführung kann ich wünschen, dass sie wirklich zu Ende käme, dass
ich es zustande brächte: also hinsichtlich des noch nicht Ausgeführten,
30 obschon „ins Werk Gesetzten“.) Also wie sind hier die Verhältnisse?
1 Und beiderseits kann man fragen: Liegt nicht in jenem Urteil ein Zustimmen zu
dem im vergegenwärtigten Urteil Geurteilten und ebenso im Entschlusswillen eine
Willenszustimmung zu dem vergegenwärtigten Willen?
2 Dagegen kann man sagen: Das Urteil der Zustimmung findet Ausweisung, indem
ich den Rohns wahrnehme, ihn so finde, wie ich ihn geurteilt hhabei. Der Entschluss-
wille kommt aber nicht zu seinem Recht durch Handlung und nur nach seiner Wert-
komponente durch Wertausweisung. Also wir haben keine richtige Analogie.
werten und wert. zur wertlehre 45
1 Natürlich wird die Sache zweideutig, wenn wir eben nicht scheiden: den „bloßen
Wunsch“ und dasjenige Langen, Streben, das als ungesättigter Wunsch z. B. in aller
Handlung oder im bloßen Entschluss vorliegt.
46 werten und wert. zur wertlehre
1 Wunscherfüllung, das ist voreilig. Aber doch liegt wohl ein Gutes darin: Jedes
in Funktion der Erfüllung stehende Phänomen ist eine Sattheit zu dem, was auf
Seiten bloßer Intention steht. Aber das satte Phänomen braucht nicht immer in einem
Erfüllungsübergang aufzutreten. So würden Freude und Wunsch so zusammengehören
wie einsichtiges Urteil und uneinsichtiges, wie klare Anschauung und Leervorstellung.
2 Wunsch müsste aber sein völlig ungesättigte Freude, analog der Leervorstellung
mag auch der Wunsch im Willen seinen Basischarakter haben, sondern ein völlig Neues
und in sich kein „Vermeinen“.
4 Doppelsinn von Erfüllung.
beilage i 47
Gute gegeben. Der Wille geht allerdings in der Weise der Realisierung
nur auf sein Ziel. Aber der Wille richtet sich auch in einem anderen
Sinn auf das Gute: Nämlich sofern er (das pure Willensmoment des
fiat) ein Unselbständiges ist, fundiert in der beschriebenen Unter-
5 lage. Jedenfalls das konkrete Erlebnis Wille (und „Ich will“) ist ein
„intentionales Erlebnis“ mit der praktischen Intention auf ein zu
erzielendes Gutes. Das Problem ist dann aber, inwieweit das Akt-
moment des fiat selbst als intentional auf Gutes gerichtet bezeichnet
werden kann. Offenbar ist die Sachlage keineswegs dieselbe wie für
10 die Intentionalität einer Vorstellung oder auch eines Wunsches, einer
Freude. Und man wird vielleicht doch sagen müssen, es ist keine
eigentliche Intentionalität, sondern eine akquirierte, nämlich doch so,
dass konkrete Phänomene als Konkretes eine Intentionalität sicher
haben, die nicht bloß die von Komponenten ist. Er „vermeint“ –
15 indem er sich auslebt, indem er realisiert –, ein Gutes zu realisie-
ren. Der Wille ist richtig, ist reiner Wille, wenn das vermeinte Gute
wirklich gut ist. Jeder Wille ist „Intention“ auf eine gute Tat. Er will
gleichsam guter Wille sein. Aber das betrifft ihn als „Vermeinen“ und
betrifft ihn analog wie jedes Vermeinen. Die „Richtung-auf“, die in
20 der Realisierung liegt, obschon Richtung auf ein für gut Vermeintes,
ist doch zu unterscheiden von der „Richtung auf das wahrhaft Gute“,
die besteht, wenn das Gute eben wahrhaft gut ist. Die ungebrochen
ablaufende Handlung erreicht wirklich ihr Ziel; das Ziel, das der Wille
sich gesetzt hhati oder dessen Erzielung ihn ausmacht, ist am Ende
25 der Handlung Wirklichkeit. Aber in dem anderen Sinn hat sich seine
Meinung, ein Gutes zu realisieren, nicht auch erfüllt (wenn nämlich
das Ziel nicht wahrhaft gut ist etc.).
Beilage I
hDie Fundierung der Gemütsakte als
30 Gemütsapperzeption und Gemütsmeinungi1
1 Im Gefallen meinend leben, das ist nicht Seinssetzung des gefälligen Objekts.
beilage ii 49
Beilage II
hGibt es spontane Gemütsakte als eine von
den theoretisch bestimmenden Denkakten
unterschiedene Klasse von Vernunftakten?i1
Klassen, die wir als praktische, ästhetische etc. Vernunft bezeichnen? Oder
gibt es im Grunde nur eine Vernunft, nämlich die theoretische, so dass aller
Unterschied in den schlichten Apperzeptionen läge? Doch könnten Kom-
plexionen und Synthesen in der Gemütssphäre wohl auftreten, aber so, dass
5 doch keine Analogie und Parallelität mit der Synthesis der Verstandessphäre
bestände.
3) Wie versteht sich, wenn wir von Akten der emothionaleni und volhiti-
veni Vernunft sprechen, die besondere Beziehung auf Apperzeptionen, die
wir als Wertapperzeptionen und dgl. bezeichnen? Hat theoretische Vernunft
10 eine besondere Affinität zu den primären Apperzeptionen, den sinnlichen im
engeren Sinn, als ob das „theoretische Apperzeptionen“ wären? Und hhati
ebenso jeder andere Vernunftakt eine besondere Affinität zu Apperzeptio-
nen einer besonderen Gruppe? Wir stoßen immer wieder auf das Problem
von sinnlichem Gefühl und Gefühlsakt in besonderem Sinn usw.
15 Im Weiteren ist nur klar gemacht, dass es gegenüber den Dingapper-
zeptionen parallel laufende eigentümliche Wertapperzeptionen (als Wert-
erscheinungen, und zwar rezeptiven) gebe, und das ist freilich sehr wich-
tig.
Beilage III
20 hDas sinnliche Gefühl als immanente Zeiteinheit ist
kein auf den Empfindungsinhalt bezogener Akti1
Das sinnliche Gefühl ist bezeichnet als Akt, als Wertung bezogen auf den
Empfindungsinhalt, im einfachsten Fall auf den primären Inhalt. Wie konsti-
tuiert sich demnach das sinnliche Gefühl? Der primäre Inhalt als immanente
25 Zeiteinheit konstituiert sich im inneren Zeitbewusstsein, das sinnliche Gefühl
hkonstituiert sichi offenbar als höhere Schicht über diesem den primären
Inhalt konstituierenden Bewusstsein. Es konstituiert sich dabei offenbar
selbst als Empfindungsinhalt, aber als unselbständiger, der eben den primären
Inhalt voraussetzt. Beide Schichten zusammen – die relativ selbständige fun-
30 dierende (wenn sie wirklich selbständig ist!) und die fundierte – konstituieren
den sozusagen gefühlvollen primären Inhalt. Das sinnliche Empfinden und
in gleicher Weise das darauf gebaute sinnliche Fühlen ist also nichts anderes
als inneres Bewusstsein (Zeitliches konstituierendes) und hat darin seine
Intentionalität (die innere).
Hat es aber nun Sinn, hier noch von einer zweiten Intentionalität zu
sprechen, nämlich derjenigen, welche der konstituierte Gefühlsinhalt in Be-
zug auf den primären Inhalt haben soll? Intentionalität vor dem Erfassen,
Meinen, Sich-Zuwenden besagt nichts anderes als ein „Bewusstsein-von“,
5 das mögliche Unterlage für ein Meinen abgeben kann. Und so hat es offenbar
keinen Sinn, von einer solchen zweiten Intentionalität zu sprechen. Ich kann
natürlich die beiden Komponenten aufeinander beziehen, aber das ist Sache
des prädikativen Beziehens. Gründet sich ein Apperzipieren auf die Sinn-
lichkeit, so bringt sie freilich eine neue Intentionalität hinein, sie konstituiert
10 eben ein neues Objekt, das seinerseits mit den primären Inhalten und dgl. in
Beziehung zu setzen ist, was wieder Sache der prädikativen Akte ist.
Solche gegenständlichen Beziehungen sind nicht zu vermengen mit den
intentionalen Beziehungen von „Akten“ auf Gegenstände. Also das sinnliche
Gefühl als konstituierte Zeiteinheit ist kein „Akt“, so wenig wie der primäre
15 sinnliche Inhalt ein Akt ist. Ganz anders die „Gefühlsapperzeptionen“, die
konstituiert sind als Zeiteinheiten und zugleich „Bewusstsein-von“ sind.
Nicht das sinnliche Gefühl, sondern das sinnliche Fühlen (allgemeiner:
nicht Empfindung als Inhalt, sondern Empfindung als Empfinden) ist ein
Akt.1
1 Das ist aber immer wieder zu überlegen! Vergleiche dieselbe Stellungnahme in den
nächsten Blättern hwohl Haupttext III, § 4, S. 92i, wo sich zeigt, dass dann die Analogie
mit „Trieben“ verloren geht!
II. DIE VON GEGENSTÄNDEN AUSGEHENDE
ERREGUNG VON GEFÜHLEN GEGENÜBER DER
AUF DIE GEGENSTÄNDE HINZIELENDEN
WERTUNG. DIE FRAGE NACH DEM
5 GEFÜHLSCHARAKTER DES WERTENS1
10 Was ich Akt des Gef allens in meinen älteren und neueren Ma-
nuskripten zu bezeichnen pflegte – ist das das „vom Ich ausgehende“
spontane Für-wert-Halten, Wertnehmen oder Wertsetzen? Dem steht
gegenüber das „vom Objekt ausgehende“, „durch das Objekt“ Affi-
ziertwerden, der Affekt der Lust oder Freude, das eigentliche Gefühl,
15 das genossen bzw. erlitten wird.2 Wie beides zueinander steht, ob es
sich dabei um zwei „Seiten“ einer und derselben Sache oder um
trennbare, wenn auch – sei es faktisch oder notwendig – miteinander
verbundene Sachen3 (eventuell beiderseitig oder einseitig ablösbar)
handelt, darüber ist nichts gesagt.
20 Das affizierte Gefühl ist bei mir und hat Beziehung auf den Ge-
genstand: Es ist von ihm erregtes Gefühl. Was das „bei mir“ jeweils
besagt, ob dasselbe oder Verschiedenes bei sinnlichen und geistigen
Gefühlen, das ist erst zu überlegen. Und ebenso, was das „Erregtsein
vom Objekt“, „vom Objekt ausgehen“ besagt.
1 Der erscheinende Gegenstand des Gefallens hat den rosigen Schimmer. Ist der
Gegenstand, etwa die Geliebte, gedacht, verbal, so hat das Wort den rosigen Schimmer:
der Name der Geliebten.
die von gegenständen ausgehende erregung 55
ist, öfters ein Sich-Freuen „um eines Wertes willen“. Die Freude
geht auf das Objekt, das al s Wert dasteht. Ist es nicht so bei der
Freude an der Überwindung einer mich beschäftigenden theoreti-
schen Schwierigkeit? Die Problemlösung werte ich, und habe ich sie,
5 so freue ich mich. Hier handelt es sich um Erfüllung einer Wunschin-
tention. Ich trauere über den Tod einer edlen Frau (Frau-Objekt),
ihr Nichtsein als Unwert, sie steht (abgesehen von dem Gedanken
an Sein) als „Schönes“ da, als Wertobjekt, und dass sie nicht mehr
ist, betrübt mich, „erfüllt“ mit, erregt Trauer. Nun gehört dazu die
10 Frage, ob nic ht Fr eude und Trauer, i hrem normalen Begriff
nac h, über all i n di eser Wei se auf Wertung fundiert sind:
Die so genannten Gefühlsakte beziehen sich auf ihre Objekte in der
Weise eben von Gefühlen, als von ihnen erregt, aber erregt um der
Objektwerte willen, dadurch „motiviert“, begründet.
15 „Gegenstände erregen Freude“. Aber das ist ungenau, wird man
sagen. Das Sein von Gegenständen, dass der Gegenstand ist oder
nicht ist, kann Freude und Trauer erregen. Ich freue mich an der
geliebten Person: an ihrem Dasein, an ihrem Mir-gegenwärtig-Sein-
und-mir-Liebes-Bezeugen, an der Art, wie sie sich aktuell hier und
20 jetzt gibt. Ich freue oder betrübe mich über Tatsachen, darüber, dass
das oder jenes eingetreten ist, dass der oder jener mathematische
Satz wirklich gilt (so dass meine Vermutung bestätigt ist, die in „erster
Linie“ mir am Herzen liegt und mir nun Freude machen kann) etc. Im
Fall der Existenz von Gegenständen ist zwar das Gefühl in gewisser
25 Weise doch auf den Gegenstand bezogen, der da als seiend gesetzt ist,
aber „eigentlich“ ist es Gefühl der Freude über das Sein. Ebenso,
wenn ich mich über das Tun und Lassen der Geliebten freue, so
habe ich Freude „an der Geliebten“. Der Wertquell ist die Ge-
liebte, ihre Eigenschaften der „Schönheit“, ihre Werteigenschaften.
30 Und nun können sich Übertragungen auf äußeres Tun und Lassen
herausstellen und fundierend wirken. Es ist aber auch umgekehrt
so, dass Werteigenschaften der Person Wert geben und nun Freude
über sie fundieren mögen. Eine positive Wert„tatsache“ hat ihre
Termini, ihre Gegenstände-worüber, und soweit sie Wertquellen oder
35 Wertableitungen sind, geht auch auf sie der Freudencharakter hüberi
bzw. geht von ihnen Freudenerregung aus.
Ist nun Freude Fr eude über di e Tatsache, so kann gemeint sein
Freude über den Sachverhalt oder Freude über die Sachlage. In
56 die von gegenständen ausgehende erregung
1 Das ist nicht deutlich. Das „Objekt“ steht einfach als wert da. Die Reflexion findet
das Werten.
die von gegenständen ausgehende erregung 57
Nun, zunächst sehen wir von der Frage der eventuellen Qualitäts-
5 gleichheit des erregten Gefühls und der Frage überhaupt in der Form,
wie sie zuletzt gestellt ist, ab und stellen allgemein das Problem so:
Ist ein Gefühl, ein positives oder negatives, eine Lust oder Unlust,
durch ein Objekt erregbar, ohne dass der Erregung „zugrunde liegt“
ein Werten des Objekts? Und wir werden noch allgemeiner fragen
10 müssen: Müssen G ef ühl e überhaupt erregt sein, das heißt,
gehört es zum Wesen jedes Gefühls eine Erregungsrichtung und
(wofern das Auf-Objekte-Bezogensein bei Gefühlen den Charakter
des Vom-Objekt-Erregtseins haben soll) somit ein Objekt, von
dem es err egt i st, hzu habeni? Gibt es unerregte Gefühle? Man
15 könnte selbst die Frage aufwerfen: H aben Gefühle ihrem Wesen
nac h nur die eine Ar t der G egenstandsbeziehung, die wir
„ E r r egung von ihnen “ nennen? Wir halten uns zunächst an das
Problem.
Man wird sagen: Gewiss können Objekte Gefühle erregen ohne
20 fundierendes Werten. Beispiele in beliebiger Zahl bietet das Feld
der s innlic hen G efüh l e. Wir haben freilich unter diesem Titel
Verschiedenes zu unterscheiden: das Wohlgefühl im „Genuss“ einer
Speise als sinnliches Gefühl am Geschmack, der Geschmacksempfin-
dung; das Gefühl an der gegenständlichen Speise, die einem „Bissen“
25 nach im Mund zerkaut wird: das auf den Bissen bezogene Gefühl und
das auf den Rest der Speise auf dem Teller bezogene Gefühl. Wieder
etwas anderes ist das Gefallen im Anblick des Kuchens, der auf den
Tisch gestellt ist, wobei ich die Erwartung habe, etwas abzubekom-
men; wieder anderes, wenn ich satt bin und nichts mitessen will. In der
30 letzteren Hinsicht ähnlich: Gefallen am Kuchen, der im Schaufenster
des Kuchenladens ausgestellt ist. Ebenso die Lust an einer schönen
visuellen Form oder einer schönen Farbe, aber „so, wie sie sich gerade
darstellt“; das Gefallen an der Farbeigenschaft des Gegenstandes
oder an der Formeigenschaft des Gegenstandes sowie am Gegenstand
35 selbst, sofern er diese Eigenschaften hat. Das Wohlgefühl im Befassen
des Samtes und das Gefallen am Samt selbst, sofern er so befasst
dieses Wohlgefühl erregt, und wesentlich „dasselbe“ Gefallen, das
58 die von gegenständen ausgehende erregung
ich am Sehen des Samtes „mit Beziehung darauf“ habe. Das Gefallen
an der Amati-Geige um ihres schönen Tones willen (den ich eventuell
nicht hören kann, sie wird nicht gespielt), das Gefallen am schönen
Ton selbst und in sich selbst.
5 Genauer besehen scheiden sich: I.hai Gefühle „ am “ Empfin-
dungsinhal t (Lust am Wohlgeschmack, „am“, „im“); hbi Gefühle
am appr ehh endi ert en i G egenstand (Wahrnehmungsgegen-
stand) – Lust am, Gefallen am Kuchen –, und zwar am Wahrneh-
mungsgegenstand selbst, am Gegenstand vermöge gewisser Folgen
10 etc.
II. Gefühle am Phantasie- und Erinnerungsinhalt, am phantasier-
ten oder erinnerten (vergegenwärtigten) Gegenstand, und zwar an
ihm selbst und an ihm vermöge seiner Beziehungen zu anderen etc.
Die Vergegenwärtigungen hsindi volle oder leere.
15 Bei II. fragt es sich, ob die Gefühle „wirkliche“ Gefühle sind
oder Vergegenwärtigungen von Gefühlen oder beides etc.: sich jetzt
von wirklicher Lust berührt fühlen oder sich einer sinnlichen Lust
erinnern und eventuell auch jetzt in der Erinnerung, aufgrund der
Erinnerung an gehabte Lust sich freuen etc.
20 III. Statt apprehhendierteri Gegenstände nehmen wir Gegenstän-
de überhaupt, gedachte und im Denken gesetzte oder gedankenhaft
bloß gedachte Gegenstände, Sachverhalte etc.
Das sind aber bloß Anfänge. Und dazu gehören dann weitere
Probleme: Ob das „ Werten “ auch ei n Fühlen ist, nur ein
25 appr ehens iv verm it te l tes oder durch Vergegenwärtigung
vermitteltes, ob, wenn zwischen Wer ten und dem erregten (wei-
teren) Fühlen unterschieden wird, eben nicht Gefühle höherer
Stufe in Frage sind oder hob es sichi nicht (eventuell auch) um
sinnliche Gefühle, die sich weiter anknüpfen, oder um angeknüpfte
30 Gefühle mit dunkler Sachunterlage etc. hhandelti.
die von gegenständen ausgehende erregung 59
Gegenstand sich nicht in einer Apprhehensioni konstituiert, ist doch eine „Auffas-
sung“, ein Objektbewusstsein da, ein Einheitsbewusstsein. Blicke ich auf ein Empfin-
dungsmoment hin, so steht es als Einheit da, als Dauerndes, Identisches etc. Dieses
Einheitsbewusstsein ist die Auffassung, und es ist auch da der Unterschied: auf das
Einheitliche, Identische, das Objekt aufmerkend hinsehen oder hdavoni wegsehen,
hesi nicht bemerken etc.
die von gegenständen ausgehende erregung 61
von seiner Gegenwart, und damit ist ein beständiges Gefühl erregt
und hdiesesi bestimmt den ganzen „Gefühlsstrom“.
Soweit Empfindungsinhalte, die gerade Erlebnisse sind, ihre ap-
prehhendierendeni Auffassungen haben, fragt es sich, ob die Emp-
5 findungsgefühle notwendig Grundlagen sind von Gefühlen an den
apprhehendierteni Gegenständen bzw. ob sie sich notwendig, der
Apprehhensioni entsprechend, in solche Gefühle „umwandeln“. Das
Wort „umwandeln“ soll andeuten, dass die Empfindungsgefühle
eventuell nicht bloß neue Gefühle erwecken, sondern sich mit solchen
10 entweder verschmelzen oder durch die zu den apprehhendierteni
Inhalten (Vergegenwärtigung oder Ähnliches) gehörigen Gefühls-
tendenzen eine Umänderung erfahren, ein Neues ergeben, das die
Empfindungsgefühle nicht bloß enthält. Ebenso mit Beziehung auf
die Gefühlstendenzen, die zu erregten „gegenständlichen Zusam-
15 menhängen“ gehören, zu den erregten Vorstellungsreihen etc.
Wie steht es nun, wenn ich mich dem „Inhalt“ (Empfindungsin-
halt) speziell zuwende, aufmerkend den Blick darauf richte? Ich hatte
während des Essens mit den Kindern gesprochen und war zugewendet
(bemerkend, thematisch) ihren Erzählungen. Ich genieße darum doch
20 das Essen mit Lust, und die Lust bezog sich teils auf die aktuellen
Sinnesempfindungen, teils auf das Gegenständliche, den Bissen im
Mund, die Speise auf dem Teller etc. Nun achte ich auf die Sinnesin-
halte, die freilich fortfahren, apprhehendierendi zu fungieren, auf den
Bissen „bezogen“ zu sein etc. Ich finde dann auch das Lustgefühl eins
25 mit dem Inhalt. Ich kann wohl auf den Inhalt besonders achten, aber
das Gefühl ist damit eins. Ich scheide dabei eventuell das Gefühl, das
an ihm speziell hängt, und weitere Gefühlsflüsse, die dadurch erregt
werden (eventuell Seligkeit des Genießens, eventuell Freude an der
Lust selbst etc.).
30 Hält man sich an das erstere, so hat man nicht den Eindruck, als
ob hier zweierlei wäre: 1) das Erregende, der Empfindungsinhalt;
2) bei „mir“ das durch ihn erregte Gefühl. Diese Unterscheidung
wird man nur machen bezüglich jener weiteren Gefühle. Das zum
Empfindungsinhalt selbst gehörige direkte Gefühl ist mit ihm ver-
35 schmolzen, es folgt allen Wendungen und Verschiebungen dieses
Inhalts, liegt auf ihm. Hier kann man nichts finden von einem Er-
regen, von einer Beziehung, von einem Gegenüber zwischen Erre-
gen und Erregtem. Davon kann gesprochen werden, wenn ich vom
62 die von gegenständen ausgehende erregung
1 Hinter diesen Satz hat Husserl später ein Frage- und ein Ausrufungszeichen gesetzt;
dazu seine Randbemerkung: „Das ist schief. Denn mit dem sinnlichen Gegenstands-
gefühl steht es genauso wie mit dem Empfindungsgefühl. Beides kann aber Gefallen
erregen.“ – Anm. der Hrsg.
2 Ist da nicht übersehen, dass in der Tat in der Hinwendung auf den „Wohlge-
schmack“ auch eine immanente Objektivierung statthat und dass ich nun auch „erreg-
te“, begründete „Lust“, „Gefallen“ oder auch Missfallen haben kann? In der Tat: Ein
süßes Backwerk gefällt mir im ersten Moment, aber es wandelt sich dann das Gefallen
in Missfallen. Und zwar rein im Essen und hohnei Hinwendung auf die Empfindung.
Bleibt da nicht trotz der Umwendung von Gefallen in Missfallen die Empfindungslust
dieselbe? Es „schmeckt“, und doch, ich habe kein Gefallen an dem „süßen Zeug“.
Aber freilich, das bedarf der Analyse und die Frage ist die hnachi der genaueren
Deutung. Sind Momente starker Empfindungslust mit Momenten der Unlust gemengt
oder ist das Ganze, das Empfindungsgefühl, seinem Gesamtcharakter nach sinnliche
Unlust, obschon im Einzelnen sinnliche Lust da ist? Oder muss man nicht vielmehr
sagen: Jawohl, das Empfindungsgefühl hat seine Gestaltqualität, aber diese fundiert
erst das Gefallen oder Missfallen? Das Widerwärtige der Süßigkeit, das ich nachher
fühle, gibt sich nicht als eins in und mit der Empfindung. Aber erregter Ekel?
die von gegenständen ausgehende erregung 63
1 Das gilt aber nicht bloß von der Empfindungslust, sondern auch von der „sinnlichen
verändern, nach Intensität sich abstufen etc. Wie steht es nun mit der Einheit des
Gefühls, die zum Gesamtrhythmus gehört? Es scheint mir, dass das nicht wieder eine
Empfindungslust ist, als ob sie zum Empfindungsgehalt als Gefühlston gehörte, sondern
dass sie schon ein „Gefallen“ ist, das zur Einheit der lustbetonten oder mit diesem
Lustrhythmus überdeckten Empfindung „intentional“ gehört. Aber freilich, das hat
seine Schwierigkeiten!
64 die von gegenständen ausgehende erregung
1 Der Text von „Jedes Gefallen“ bis „sicher unrichtig.“ (S. 69,4) von Husserl spä-
ter zwischen eckige Klammern gesetzt, dazu seine Randbemerkung: „Das alles ist
Konstruktion und falsch.“ – Anm. der Hrsg.
2 Eigentlich „Erscheinung“, Zuwendung ist nicht nötig.
3 Soweit sich der Wohlgeschmack etc. als Einheit konstituiert hat, wirklich konsti-
tuiert auch ohne Hinblicken, soweit trägt er auch eine in der Objektivation fundierte
Lust.
die von gegenständen ausgehende erregung 69
1 Erlebnis kann auch einen anderen Sinn haben. In dem jetzigen sind es „Einheiten“
des Bewusstseins, sich als solche konstituierend in Erlebnissen im anderen Sinn, die
keine solchen Einheiten sind.
70 die von gegenständen ausgehende erregung
Beilage IV
15 hEmpfindungsgefühl und Gegenstandsgefühli1
ewige Süßes-Essen „langweilig“ wird, es gefällt mir nicht mehr trotz seines
positiven Gefühlstones.
Das Abstumpfen besteht hier doch nicht darin, dass der Geschmack selbst
den positiven Gefühlston verloren haben müsste. Natürlich wird man auch
5 scheiden bei einer süßlichen Melodie, die mir zunächst sehr wohl gefällt,
während mir nachher ihre Trivialität zum Bewusstsein kommt und sie mir zu
missfallen beginnt: den immerfort süßen Charakter der Melodie und das darin
gründende Gefallen, und nachher das in der Trivialität gründende Missfallen.
Aber freilich, die Melodie ist nicht ein bloßer Empfindungsgegenstand. 1
10 Wenn wir uns der Empfindungseinheit zuwenden, so hat sie an sich jenen
Gefühlston, und um dieses willen gefällt sie oder missfällt sie „unmittelbar“.
Das ist die einfachste unmittelbarste Art der Begründung von Gefühlsakten.
Die Empfindung gefällt oder missfällt da „um ihrer selbst willen“, und das
heißt, der Grund der Gemütsakte liegt rein im Gegenstand, immanent.
15 Die Empfindungseinheit „konstituiert“ sich und in und mit ihr die Ein-
heit des Gefühlsrhythmus. Sie konstituiert sich, d. i., ein Einheitsbewusst-
sein ist Erlebnis, gleichgültig, ob ein Strahl der Aufmerksamkeit und der
Gegenstandssetzung hindurchgeht oder nicht. Dieses „Einheitsbewusstsein“
(„Auffassung“ von Einheit) ist nun selbst Träger eines Gefühls, das „Bezie-
20 hung“ hat auf das Identische, die Einheit, die aufgefasst ist.
1 Man darf nicht etwa meinen, dass im Fortgang des Essens sich „Gestaltqualitäten
der Lust und Unlust“ bilden, derart, dass stark hervortretende Lustmomente doch ein
starkes Unlustmoment bezogen auf das Ganze fundieren. Die Unlust am Ganzen ist
Missfallen des Ganzen und keineswegs ein Empfindungsgefühl, das zu ihm gehört als
Gestalteinheit der Partialgefühle. Wir können dieser Gestalteinheit uns zuwenden, sie
ist ein Rhythmus von Gefühlen, einheitlich, aber nicht eine Lust oder eine Unlust.
Dagegen, diese Einheit kann gefallen oder missfallen.
III. DIE ANALOGIE ZWISCHEN DENKAKTEN UND
AXIOLOGISCHEN AKTEN. REZEPTIVITÄT
UND SPONTANEITÄT BEI DER KONSTITUTION
VON SEINS- UND WERTOBJEKTIVITÄTEN1
1 Das Wort „Spontaneität“ rechtfertigt sich durch Beziehung auf das Ich, es besagt
also Ichspontaneität, es betrifft also die aus dem Ich hervorquellenden eigentlichen
Akte. Aber die Affektionen?
2 Im Folgenden versuchte ich, die Auffassungsfunktionen den Denkfunktionen des
dass ein kardinaler Unterschied ist zwischen dem Vollzug der Verstandesakte und
dem aktuellen Erfassen, zwischen Erfassungsfunktionen und synthetischen (schöpfe-
rischen) Verstandesfunktionen. Gleichwohl ist die Lektüre des Weiteren lehrreich.
76 denkakte und axiologische akte
der Schicht der zum Phantom gehörigen Apparenz und der Schicht
des substanzial-kausalen Dinges, das doch in wirklich vollziehender
Weise nur bewusst werden kann in beziehenden Akten, in denen zwar
immerfort schon das reale Ding als Ding aufgefasst ist, aber als das nur
5 „gesehen“ ist in vollziehender Weise, wenn ein „wenn und so“ oder
ein „weil und so“ in der Abhängigkeit kausaler „Erscheinungen“
erfasst wird.
Werden wir also nicht darauf zurückgeführt, dass hdasi, was wir zu-
nächst als Rezeptivität ansetzen, eine notwendige Scheidung fordert?
10 Dass wir, genauer gesprochen, unterscheiden müssen zwischen
1) der Schicht der blo ßen Affektionen (die nichts von Funktion
enthalten), die Schicht, innerhalb welcher sich die primären Inhalte
(als immanente Zeitlichkeiten natürlich) konstituieren. Hier haben
wir eine ursprüngliche und apriorische Form, die Form aller imma-
15 nenten Erlebnisse, die immanente Zeit.1
2) Den Affektionen stehen gegenüber die Funktionen; dahin ge-
hören alle sinnlichen Auffassungsfunktionen, durch welche das Be-
wusstsein eines Dinges erwächst, aber auch alle sinnlichen Gefühls-
funktionen (Gefühlsauffassung), durch welche das Bewusstsein eines
20 empirischen Wertes erwächst, und was in gleicher Stufe noch hdazui
gehören mag.
Jede Funktion lässt nun, und ebenso das durch Funktion Gebil-
dete, eine doppelte Erlebnisweise zu. (Wobei hätte vorausgeschickt
werden müssen, dass jede Funktion fundiert ist wesentlich in Affek-
25 tion und mit ihr die Einheit eines funktionellen konkreten Ganzen
des Erlebnisses herstellt. Solche Konkreta haben wir jetzt im Auge,
eventuell unter bloßem Hinblick auf die Momente der Affektion.)
Eine doppelte Erlebnisweise, sagte ich: Eine Funktion kann voll-
zogene, von Spontaneität beseelte, „lebendige“ Funktion sein, und
30 sie kann nicht-vollzogene, nicht-spontane, unlebendige sein, erstarrte
Funktion sein. In diesem Sinn scheiden wir Rezeptivität unlebendiger,
inspontaner Funktionen von der Spontaneität vollzogener Funktio-
nen, und in diesem Sinn mengen wir nicht durcheinander (müssen
wir sorgfältig gesondert erhalten) Rezeptivität und Affektivität
35 (Rezeption und Affektion).
1 Aber das Konstituieren vollzieht sich doch durch Intentionalität, aber nicht durch
eigentliche Akte.
denkakte und axiologische akte 77
Damit ist aber noch nicht allem Genüge getan. Denn nun bedarf
es einer Grundunterscheidung innerhalb der Funktionen, die wir bei
dem Parallelismus zwischen rezeptiven und spontanen Funktionen
innerhalb einer Sphäre, etwa der der Spontaneität, allein verfolgen
5 können.
„Zuwendung“ – knüpfen wir daran an. Der Ausdruck „Rezep-
tion“, und demgemäß hder Ausdrucki „Rezeptivität“, ist zweideu-
tig. Die unlebendige Funktion (die Funktion im Status der Erstar-
rung, der Unlebendigkeit eben) kann in Lebendigkeit übergehen und
10 lebendige Funktion in erstarrte. Aber nicht jede lebendige Funktion
ist Wiederbelebung einer erstarrten, nicht jede erstarrte erstarrt ge-
wordene, nicht jede ist Erstarrung einer vordem lebendigen. Diese
Verhältnisse heißt es hzui studieren.
Das Lebendigwerden kann ein bloßes Sich-Einleben, ein bloßes
15 Sich-Zuwenden sein. So in der ganzen Sphäre der Affektion. Ja, es
ist im erweiterten Sinn von einer Affektion im Gesamtrahmen des
Zeitbewusstseins zu sprechen, das heißt, jedes immanent-einheitliche
Erlebnis „affiziert“, sofern es Objekt möglicher bloßer Zuwendung
und setzender Erfassung sein kann. Es affiziert den „inneren Sinn“,
20 heißt nichts anderes als: Ein Blick „innerer Wahrnehmung“, ein
schlichter Hinblick darauf, der erfasst und setzt, was anderweitig
konstituiert ist, findet statt oder kann stattfinden. Die Sphäre bloßer
Affektion, die Sphäre bloßer Sinnlichkeit besagt: Es gibt eine Sphäre
von Erlebnissen, von immanenten zeitlichen Inhalten, die keine an-
25 dere Belebung erfahren können als diejenige als zeitlich-immanente
Inhalte, keine andere als die schlichte Zuwendung zu ihnen in der
„inneren Wahrnehmung“, d. h. in der schlichten immanenten Refle-
xion.
Hierbei ist zu beachten: Sie heißt Wahrnehmung, weil das imma-
30 nente Zeitbewusstsein selbstgegenwärtigendes ist. Einfache Zuwen-
dung, schlicht setzende, thetische Erfassung eines als selbstgegenwär-
tige Wirklichkeit Bewussten charakterisiert Wahrnehmung; und ist
die Gegenwärtigung die des zeitkonstituierenden Bewusstseins, so
ist die Wahrnehmung „innere“ Wahrnehmung. Sie hat ihre paralle-
35 len immanenten Reflexionsarten in der inneren Erinnerung, inneren
Phantasie usw.
Diese Zuwendung der inneren Reflexion ist zwar schon ein actus
der Freiheit, eine Spontaneität, aber eine solche, die durchaus ge-
78 denkakte und axiologische akte
1 Dieser Satz wurde später in eckige Klammern gesetzt, dazu am Rand ein Fragezei-
Aber vorgegeben ist auch hier der Gegenstand. Er ist es, der
immerfort einheitlich erscheint, er ist es, der sich in kontinuierli-
cher Durchhaltung nach seinen Eigenschaften expliziert usw. Es wird
durch die Spontaneität des Durchlaufens, des Durchlaufens der hdiei
5 Raumgestalt konstituierenden Erscheinungsreihen, der die Realität
konstituierenden Abhängigkeitserscheinungen etc. keine neue Ge-
genständlichkeit konstituiert. Alles ist gebunden durch die aktuel-
len Erscheinungen und ihren Bestand an Auffassungsfunktionen.
Wir stellen nun gegenüber: solche Auffassungsfunktionen und die-
10 jenigen Funktionen als Verstandesfunktionen, welche Sachverhalte,
Subjekte, Prädikate etc. konstituieren. Die „Zuwendung“ erfasst das
schon anderweitig Konstituierte; überhaupt die „Anschauung“,
empirische Vorstellung, ist entweder schlichte Erfassung oder Über-
gang von erster Zuwendung zu immer fortgesetzter Erfassung dessen,
15 was stetig, kontinuierlich gegeben erscheint. Die Spontaneitäten des
Sich-Zuwendens, Durchlaufens etc. ermöglichen die Erfassung des
einen, aber s ie kon s ti tui eren ni cht einen neuen, sondern sie
durchlaufen nur den einen und denselben Gegenstand, der schon
immer vorgegeben war. Die eigentlich schöpferischen Akte, die Ver-
20 standesakte, konstituieren auf dem Grund von Vorgegebenheiten
neue Gegenständlichkeiten; in der prädikativen Synthese erzeugt sich
die auf sie gerichtete lebendige Meinung und erzeugt sich spontan,
schöpferisch. Wir sind rezeptiv hinsichtlich der Grundlagen dieser
Akte, aber wir sind aktiv hinsichtlich der Konstitution der Verstan-
25 desobjekte. Es ist kein „Auffassen“, sondern Auffassung ist etwas
uns passiv Zukommendes, etwas uns Befallendes. Wir haben eben
die Erscheinung, und wechselt die Auffassungsweise, so springt Er-
scheinung in Erscheinung um. Spontaneität heißt aber nicht
W illkür lichkeit. Wir können ja willkürlich Dinge gestalten, wir
30 können auch willkürlich unter Umständen zweideutige Erscheinun-
gen in der einen und anderen Weise vollziehen etc., aber es ist ein
freies Gestalten, ein Konstituieren von neuartigen Gegenständlich-
keiten, bei denen hdiei Gegebenheit der „Wahrnehmung“ nur in
dieser Lebendigkeit der Aktivität bestehen kann und nicht vorher
35 bestehen kann in einer unlebendigen Gegebenheitsform.
Aufrichtig gesagt, bin ich mit all diesen Beschreibungen noch lange
nicht zufrieden. Klar ist nur eins: Die Sphäre der Verstandesakte ist
eine wesentlich neue gegenüber der Sphäre der Funktionen bloßen
82 denkakte und axiologische akte
Erscheinens, ebenso wie diese eine wesentlich neue ist gegenüber der
Sphäre der bloß primären Inhalte.
Es ist auch klar, dass das bloße äußere und innere Wahrnehmen
und die gleichstehenden Akte der klaren und dunklen „Vorstellung“
5 (Anschauung etc.) schon die verschiedenen Modi des belief und, wie
wir sehen, auch die des Annehmens und Darauf-Hinsetzens haben
und dass die bloße Zuwendung, die hier als Aufmerksamkeit auftritt,
zwar „belebt“, aber noch nicht ein Modus der höheren Verstandes-
sphäre ist. Das bloße Erfassen ist noch nicht Synthesis. Es ist die
10 schlichte Thesis. Das Allgemeine allen Zuwendens bzw. Zugewen-
detseins ist der Modus des „Lebens“, der Belebung der Funktion
bzw. der von dem Strahl der Aktivität beseelten Auffassungsfunk-
tion – mag übrigens Erfassung als Seinssetzung vollzogen sein oder
hypothetische Setzung etc. Ich lebe in der schlichten Wahrnehmung,
15 ich sehe das Ding, ich lebe in der Explikation des „schwer“, wobei
ich mir das Ding etwa gehoben „denke“ und wuchtig auf die Hand
drückend etc. Auf das Ding bin ich hingewendet in diesen hypotheti-
schen Veränderungsweisen etc.
In der Urteilssynthese aber vollziehe ich formende Synthesen,
20 Subjektformung, Beziehung des Prädikats auf das Subjekt etc. Sofern
ich in all dem lebe, bin ich mit dem Sachverhalt „beschäftigt“. Er ist
mein Gegenstand, aber nicht in der Weise schlichter Zuwendung
oder der kontinuierlichen Einheit einer Auffassung. Ich kann auch
sagen, ich bin dem Sachverhalt zugewendet, aber es ist nicht so, als
25 ob ich einem Vorgegebenen zugewendet wäre, das mir schon vor
der Zuwendung „erscheinen“ könnte. Freilich, einem auftauchenden
Gedanken, Urteilsgedanken kann ich mich nachträglich zuwenden.
Aber das ist kein aktives, vollziehendes Denken.
Das alles ist noch nicht genug durchgearbeitet, diese verschiede-
30 nen Zuwendungen, diese verschiedenen Arten, wie Objekte eigent-
lich und nicht eigentlich konstituiert, gegeben und nicht gegeben etc.
sind. Man muss wohl sagen: Das Urteil wird „gefällt“, vollzogen. Ist
es richtig, auch bei der Auffassung von einem Vollziehen zu sprechen?
Nein, sie ist einfach da, ich habe die Erscheinung. Ich habe nicht das
35 Urteil, ic h ur tei le, ich vollziehe ein Subjizieren, Prädizieren. Im
Urteilsvollzug bin ich mir des Sachverhalts bewusst, bin ich mit ihm
beschäftigt, aber nicht so, als ob er voraus konstituiert wäre und ich
mich ihm bloß zuwendete. Allerdings: Nachdem ich geurteilt habe,
denkakte und axiologische akte 83
sinkt das Urteilserlebnis zurück, ich kann mich nun dem Geurteilten,
dem schon Konstituierten, konstituiert Gewesenen zuwenden. Aber
das ist kein vollziehendes Urteilen. Das originäre Bewusstsein vom
Sachverhalt ist aber das aktive, das Urteilsfällen. Das Zurückwenden
5 zu dem Geurteilten ist schon eine sekundäre Modifikation. Ich bedarf
ihrer freilich für neue Urteilsbildungen, wie z. B. „daraus folgt“, aber
dann ist das neue Urteilen als vollziehendes und in seinem Vollzug
fundiert in dem modifizierten früheren Urteil, in seinem Vollzogen-
Haben, dann aber nicht mehr Vollzogen-Sein. Erst muss ich ein Urteil
10 etabliert haben, dann kann ich darauf „hinsehen“ und daraufhin neue
Urteile vollziehen. Das originäre Bewusstsein vom Ding verliert aber
nicht die Originarität, wenn ich mich einem anderen zuwende, und es
verdankt nicht die Originarität dem Aufmerken etc.
Aus den vorstehenden Ausführungen ist zu lernen, dass wir die
15 „Funktionen“, die Erscheinungen konstituieren, grundwesentlich
unterscheiden müssen von den eigentlichen aktiven (spontanen) Ver-
standesfunktionen; die einen sind die Funktionen der niederen „Syn-
thesis“, die anderen die Funktionen der höheren, der logischen Syn-
thesis. Kant, wo er von Synthesis spricht, hat wohl gerade die nie-
20 deren Funktionen (Synthesis der Einbildungskraft) im Auge, in der
höheren Stufe spricht er von analytischer Einheit. Diese setzt jene
voraus. Jene erscheint ihm als die eigentlich schöpferische: eben weil
diese nur auseinanderlegt, was jene „unbewusst“ geschaffen.
Indessen, wenn wir von „schöpferisch“ sprechen, so meinen wir
25 das schöpferische Konstituieren, das in der Spontaneität als solcher
liegt, während die niedere Synthesis nicht schöpferisch ist, insofern,
als die Erscheinung einfach etwas Gehabtes ist und wir keine Fragen
haben, wie Einbildungskraft aus Empfindung Erscheinung „mache“.
Sie macht gar nichts, sofern sie Rezeptivität ist. Psychologisch und
30 phänomenologisch-genetisch mag man von Produzieren sprechen,
phänomenologisch-statisch kann man nur die Komponenten der Er-
scheinung und sie selbst ihrem Wesen nach analysieren. Phänomeno-
logisch-statisch finden wir aber den Wesensunterschied vor zwischen
Auffassung und logisch verknüpfender Funktion, von logisch man-
35 nigfach formender.
Wir dürfen, wie aus den obigen Darstellungen hervorgeht, das
B eleben, das vonstatten geht, wenn der Strahl der Aufmerksamkeit
in einem Empfinden oder Auffassen lebt oder dahinein sich lebt,
84 denkakte und axiologische akte
wenn er vordem darin nicht war, nicht auf eine Stufe stellen mit dem
Leben der formenden, von sich aus konstituierenden Spontaneität
des logischen Verstandes.1 Die Aktivität des spontanen Denkens
kann in Unlebendigkeit zurücksinken, das sagt hier, der Denkakt,
5 der vollzogen war, hat sich verwandelt in einen unlebendigen, erstor-
benen Denkakt, der nun kein vollziehendes Denken mehr ist, aber
in ein wiedervollziehendes zu verwandeln ist. Dieser Unterschied
von Vollzug und ers t orbener Akti vi tät des Nichtvollzugs,
die r eaktivier bar is t, i st ei n wesentlich anderer als der
10 Unters c hied z wis chen aufm erkendem, aktiv setzendem
A uffas s en und ni cht- set zendem.
Freilich ist immer wieder zu überlegen, ob nicht ein Gemeinsames
übrig bleibt, ob also, wie wir das vollziehende Denken in gewissem
Sinn ursprünglicher nennen als das nicht-vollziehende, so wir das set-
15 zende Auffassen als das ursprünglichere ansehen müssen gegenüber
dem nicht-setzenden. Das Setzen wäre die Aktivierung des belief-
Moments und ähnlicher Momente, und das scheint sich ja gut anzulas-
sen. Oder noch besser: Die ganze Auffassung gewinnt Leben und ver-
liert Leben, und das betrifft natürlich vor allem auch den Modus des
20 Bewusstseins (die Modalitäten). Richtig ist jedenfalls auch, was ich in
anderen Manuskripten auszuführen suchte, dass dem synthetischen
Akt, dem logisch vollzogenen, gegenübersteht der unvollzogene, der
durch den Strahl der Zuwendung, den er jetzt zulässt, keineswegs
zum vollzogenen wird. Jeder Verstandesakt lässt eine Modifikation
25 zu in eine bloße „Vorstellung“, in dem Sinn, dass Vorstellung ein
Akt schlichter Zuwendung, Erfassung ist. Das Urteil ist synthetische
Erfassung, die nominale Setzung setzt schlicht, genau so, wie eine
Anschauungssetzung schlicht setzt (cf. Logische Untersuchungen).
In der synthetischen „Erfassung“ erfasse ich aber eigentlich nicht
30 den Sachverhalt, das tue ich in der nachkommenden einstrahligen
Erfassung.
Scheiden wir:
1) Glaube als Denksetzung;1 2) verborgener „Glaube“ (Denk-
setzung), der gar kein Glaube ist, als Modus der ursprünglichen
Aktualität. A priori entspricht jeder ursprünglichen Aktualität eine
15 Möglichkeit der Denksetzung, eines Entnehmens, Subjektsetzens etc.
Denksetzung ist dabei immer gebunden an Vorgegebenheit, an
zugrunde liegende „Auffassung“, an zugrunde liegende Akte, de-
nen sie entnimmt. Wenn wir dazunehmen, dass jeder Akt (und im
Grund sagt das „Akt“ selbst) als Bewusstsein-von Substrat möglicher
20 Denksetzung sein kann, also auch der Denkakt selbst in seiner vollen
Konkretion, da er ein neues Bewusstsein-von herstellt, wo immer er
eine Denksynthesis ist, so kann dann Denken sich wieder auf Denken
als Substrat begründen usw. Und das stimmt auch.
Ist damit ausges chl ossen, dass das empirische Dingauffassen,
25 das Haben einer Dingerscheinung, nicht selbst ein Denken sei, ein
verworrenes Denken, das in der Zuwendung übergeht in den Modus
der Klarheit? Mindestens ein niederer Modus, eine niedere Stufe des
Denkens, etwas gattungsmäßig mit Denken Verwandtes?2
1 „als“ verändert in „und“; dazu die Bemerkung: „Ich sagte ‚Glaube als Denk-
setzung‘: Gewöhnlich werden ja Glaube und Denken identifiziert: Das ist aber sehr
gefährlich.“ – Anm. der Hrsg.
2 Es zeigt sich, dass diese Frage zu bejahen ist.
88 denkakte und axiologische akte
ich einen großen Druck empfinden; wenn das Ding geworfen würde,
würde es die und die Dinge zertrümmern etc. Das sind empirische
Abhängigkeiten, die hier intuitiv zu Bewusstsein kommen, Abhän-
gigkeiten in der dinglichen Seinssphäre, Abhängigkeiten zwischen
5 „Ursache“ und „Wirkung“, zwischen Vorgang am Ding und Folgen
desselben als Vorgang gerade an diesem real so beschaffenen Ding,
oder zwischen Vorgang in der Annahme und Vorgang in der Folge
unter Annahme.
Wir haben aber auch Abhängi gkei ten in Hinsicht auf Wert-
10 bes timmthei ten, in Bezug auf axiologische Prädikate von Dingen,
Personen, Sachverhalten etc. Gesetzt, dass das Ding so und so gefärbt
würde, dann würde es schön sein. Gesetzt, die Engländer würden zum
Krieg übergehen, so würde das traurig sein. Gesetzt, dass das und das
einträte, dann müsste das getan werden, dann müsste das geschehen,
15 dann müsste eins von beiden geschehen, dann wäre eins von beiden
erfreulich etc., das eine, wenn das wäre, das andere, wenn das wäre
usf.
W ir finden al so Anal ogi en, aber sind es bloße Analo-
gien? Hypothetische Seinszusammenhänge, Zusammenhänge realer
20 Veränderung, wie konstituieren sie sich? Sie konstituieren sich in den
Dingauffassungen und deren Zusammenhängen: So geartet ist die
Auffassung von A und die von B und ihre Verbindung, dass die
Auffassung der Veränderung von A eine Einheit des Bewusstseins
mit der Veränderung von B zeigt, charakterisiert dadurch, dass die
25 Veränderung von B als „notwendige Folge“ erscheint. Das schon
vor der Prädikation: So wie in der Setzung des Zusammen A und
B als zusammenseiend bewusst sind (etwa real als zugleich seiend),
ehe noch eine Prädikation der Gleichzeitigkeit statthat, die aber in
diesem Einheitsbewusstsein ihre Unterlage hat (beziehend sage ich
30 dann aus, eben Beziehung „herstellend“: A ist zugleich mit B oder
B zugleich mit A), so ist das bloße Nacheinander eine ebensolche
Einheit und dann aber auch das „infolge“ (Eintreten infolge davon).
Das konstituiert sich durch eine eigene Einheit des Bewusstseins,
d. i. durch eine eigene Form der Auffassung höherer Stufe. Und erst
35 nachher mag Explikation und Prädikation eintreten, und ich bilde:
Wenn A sich so und so verändert, verändert sich notwendig, verän-
dert sich infolge davon B so und so. Das gilt für eigentlich kausale
Zusammenhänge, aber auch für die räumlichen. Die Auffassung ei-
denkakte und axiologische akte 91
wenn A B ist, C D sein muss. C D! Das ist erfreulich. Nun freue ich
mich, dass A B sein wird. Überhaupt entsprechen den unprädikativ
fundierten axiologischen Akten die prädikativ fundierten. Ich drücke
aus, ich prädiziere, was ich vordem hatte: Wenn A B sein würde, so
5 wäre es schön; das „A ist B!“ steht als Schönes da, wenn A B aufge-
fasst ist und als Gefallendes dasteht etc. Die Freude, das Werten geht
auf die erfreuliche Sachlage, und die ist gesetzt durch das Medium
des Satzes; nicht auf den Satz kommt es an, der ist nicht das Objekt
der Freude, sondern die Sachl age sel bst, und dabei wieder auf die
10 erfreuliche Sachlage als solche: Es kommt nur auf die Bestimmung
an, die Trägerin des Gefallens ist.
W or in s oll nu n di e Anal ogi e zwi schen Denkakten und
axiologis c hen Akt en bestehen? Eine Analogie, die wohl zu-
gleich die zwischen wahr (seiend), schön, gut sein soll?
10 Auf „Werte“ gerichtet sein, was kann das sagen? Etwas Schönes
steht mir vor Augen. Ich kann es sehen und als Schönes finden, ohne
dass ich mich daran freute, ohne dass ich in Erregung käme, entzückt
wäre, ohne dass ich genösse, mich dem Schönen hingäbe etc. (Ich lasse
offen, ob das Ausdrücke für dasselbe oder wesentlich dasselbe sind
15 oder nicht.) Aber ich habe nicht bloß die Wahrnehmung des Objekts,
sondern auch die „Wertung“, sofern ich Wertapperzeption vollziehe.
Was das ist, habe ich vor einigen Jahren genau studiert und dabei
gleichgeordnet: das D ingauffassen, das Wahrnehmen (Wahrneh-
mungserscheinung mit oder ohne Zuwendung), und das Dingwertauf-
20 fassen, und so überhaupt das transzendierende „Auffassen“ hundi
das Wertapp erzipiere n; ebenso wie parallel gehen primäre
Empfindun g und Gef ühlsem pfindung.
Es ist offenbar, dass die Freude über das Schöne, die Begeisterung,
die es erregt, nicht Freude ist am bloßen Sein des Objekts, sondern
25 Freude am Sein des Wertobjekts. Wir haben hier eine Spontaneität
der Zuwendung des Gemüts, die fundiert ist in einer Rezeptivität
des bloßen Wertbewusstseins. Ebenso kann ich mit Entzücken ein
Nun gehen wir vom Phantom zum realen Ding über. Neben der
Konstitution der realen Eigenschaften, die zum raum-zeitlichen Ding
und Dingzusammenhang gehören, haben wir da auch eine Konsti-
tution von Wertcharakteren: Unter den und den realen Umständen
5 geht vom Objekt ein Klang aus, der sich so und so kausal verändert
mit Änderung der realen Umstände, unter gleichen Umständen der
gleiche Klang hbleibti etc. Aber der Klang ist ein „schöner“, und die
kausal so und so bestimmte Klangordnung – Intensität, Rhythmus
usw. – fundiert ein Wohlgefallen. Oder das Ding ist ein Hammer.
10 Wenn es unter Leitung eines Willens von einer Hand geschwungen
wird etc., so können erwünschte und erstrebte Erfolge eintreten: Das
Eintretende erfreut als den Willen erfüllend, es hat den Wert eines
Willenszieles etc.
Also, das Ding kann nicht nur als Ding apperzipiert werden,
15 sondern auch als Subjekt von realen Eigenschaften, realen Erfol-
gen, als Glied realer Zusammenhänge, die gefühlsmäßig charakte-
risiert sind, aber auch als Subjekt von möglichen realen Erfolgen
(von solchen, die real möglich sind, die unter gewissen Umständen
eintreten würden etc.). Und ohne dass an diese klar und deutlich
20 gedacht würde, kann das Ding als Subjekt möglicher oder wirklicher
angenehmer Erfolge, als mögliches Mittel des Willens einen Wertcha-
rakter haben, Wertbeschaffenheiten annehmen und unmittelbar in
diesen apperzipiert sein. Ebenso hkann esi den Charakter eines Gutes,
den Charakter eines Nützlichen, eines Werkzeugs, einer Lampe etc.
25 hannehmeni.
Nun ist aber zu unterscheiden: Wie die realen Eigenschaften, die
ich mitapperzipiere in der Dingapperzeption, allgemein zu reden,
Leerintentionen sind, deren Klärung uns auf einen „hypothetischen“
Zusammenhang der Anschauung führt (wenn das angeschlagen wird,
30 so tönt es, hat es einen „metallischen Klang“, wenn hesi beleuchtet
wird, so blitzt es glänzend etc.) und deren wirkliche Erfüllung auf
kausale Zusammenhänge der Impression zurückgeht (ich schlage
an – es tönt, und weil ich angeschlagen habe, tönt es etc.), so sind
die Gefühlsapperzeptionen leere Gefühlsintentionen, deren Klärung
35 auf hypothetische Gefühle, aber motivierte zurückführt: Wenn in
gewisser Weise angeschlagen wird, so entsteht ein Ton, ein gefälliger;
wenn ich die Anschauung des Tones habe, so habe ich auch die
hypothetische Gefälligkeit; aber dass die Gefälligkeit hypothetisch
die arten der gemütsintentionalität 101
die körperliche Lust, das Wohlsein in der Brust etc., ist nicht die
Freude selbst, sondern die Freude ist Freude über die Schönheit, und
wenn ich jetzt nicht an die Schönheit denke, so ist darum doch die
Freude eben Freude über die Schönheit (ja infolge hder Schönheiti).
5 Weist man darauf hin, dass Freude sich überträgt, dass eine gute
Stimmung alles in schönem Licht erscheinen lässt, geneigt macht,
überall Erfreuliches zu finden, so wäre zu sagen: Ist einmal durch ein
als Wert erfasstes Objekt A eine Freudenreaktion eingetreten, so be-
steht die Tendenz dafür, dass andere Wertobjekte mich auch in Freude
10 versetzen, diese Freudenreaktion hervorrufen, dagegen für Unfreu-
denobjekte, dass sie keine Freude hervorrufen etc. Überall finden
wir ja positive und negative Wertmomente, aber nicht alle heben wir
heraus und nicht alle erfassten wecken hingebende Freude, wecken
Affekte, spontane Gemütszuwendungen oder Abwendungen. Hat
15 eine solche aber stattgefunden, und insbesondere in höherem Maße,
dann sind gleichartige dadurch gefordert; es besteht die Tendenz auf
ähnliche Zuwendungen.
Bin ich nun in guter Stimmung, so pflanzt sie sich also leicht fort
(solange sie nicht durchbrochen wird durch die Gegentendenz, durch
20 entgegengesetzte Affekte). Bin ich nun in guter Stimmung, so kann
das heißen, ich merke, dass ich nicht nur mich an dem oder jenem
Bestimmten freue, sondern dass ich in einem Rhythmus der Freude
lebe: Freude schließt sich an Freude. (Dazu kommt, dass Freude sich
überträgt auf alles im Zusammenhang Stehende.) Dabei behält aber
25 die Stimmung immer eine „Intentionalität“.
Ich unterscheide gut zwischen dem Gegebenen, seinen Wertcha-
rakteren und dem, was von ihnen aus motivierend fungiert für meine
Stimmung. Diese ist ja eine Gefühlseinheit, die allem Erscheinenden
eine Farbe verleiht, aber eine einheitliche, einen einheitlichen Schim-
30 mer der Freude, eine einheitliche dunkle Färbung der Trauer. Ich
kann nun zurückgehen, ich kann fragen: „Worüber bist du so schlecht
gestimmt?“, „Was macht dich so heiter?“ Aber sagt das anderes, als
dass die Freude motiviert ist? Ist sie, diese heitere Stimmung, selbst in-
tentional gerichtet? Jedenfalls doch nicht auf das Motivierende. Und
35 da ist nicht die Rede von einer psychologischen Wirkung, sondern
von einer Motivation. Die Freude geht von dem und dem Wertobjekt
aus, sie kann von ihm auch ausgehen, wenn das Wertobjekt jetzt
nicht wirklich vorstellig ist. Sie ist eine „dunkle Wertintention“; eine
104 die arten der gemütsintentionalität
1 Das Gute, in sich Werte und als Wert Erkannte fordert Opfer von mir, Opfer an
leidenschaftlich Begehrtem (Nicht-Wertem), und ich will diese Opfer nicht bringen.
Ich begehre es nicht, sondern seine Vernichtung. Freilich, kann man das Gute und als
gut Erkannte an sich hassen?
108 die arten der gemütsintentionalität
Weiter: Wie scheiden wir Werten und Hingabe an Werte? Ich kann
in einem inhaltsbestimmten Fühlen leben und kann den Gegenstand
als Wert erfassen und beurteilen. Ist das Letztere nicht eine Modifi-
25 kation des Gefühls, die ihm schon ein ursprüngliches Leben raubt?
Das ist doch nicht notwendig. Wenn ich ein Schönes sehend genieße
und dann mir denkend zum Bewusstsein bringe: „Das ist schön“, so
kühlt das nicht ab. Aber ist es nicht doch eine Ruhepause des Gefühls,
1 Wir haben hier also Leidenschaft (Neigung) und Vernunft gegenübergestellt. Zu-
nächst stellen wir gegenüber: 1) die begehrende Freude und 2) die nicht-begehrende
(nicht am Sein hängende). Man kann aber auch gegenüberstellen: 1) die Freude, das
Gefallen an einem reinen Inhalt; 2) die Freude am Sein oder Nichtsein: a) bestimmt
rein durch den Inhalt, durch das Schöne; b) durch anderes bestimmt oder unrein auch
durch anderes bestimmt. Und ebenso Begierde und Wille.
die arten der gemütsintentionalität 109
Entzücken, eine heitere Stimmung etc., die dann nicht mehr bloßes
Gefallen am Ton ist, sondern eine Folge dieses Gefallens, dadurch
motiviert. Ich bin entzückt von der Schönheit des Tones, das Gefallen,
das Schönheitswerten liegt zugrunde, ist Ausgang und Anregung.
5 In der Apperzeption wird dann der Ton als schöner und seine
Schönheit als entzückende Schönheit aufgefasst. Mittelbar heißt das
Ding dann selbst ein Entzückendes: Es hat Momente an sich oder Ei-
genschaften, die das Gefühl berühren, die gefallen, und das Gefallen
erregt Affekte, erregt heitere Stimmung etc. Wie steht es also mit der
10 I ntentionalit ät der Freude?
Verstehen wir unter Freude den Affekt, die Freudenerregung, die
von dem Wertobjekt als solchem ausströmt, so ist offenbar die In-
tentionalität dieses Af fe kts eine andere als die des Werthaltens:
Nämlich die „intentionale“ Beziehung des Freudenaffekts auf das,
15 worüber ich mich freue, histi eine andere als die des Wohlgefallens an
der Sache. Das Werthalten ist Richtung auf das wertgehaltene Objekt,
im Gefallen bin ich dem Gegenstand zugewendet, und jedenfalls
(wenn Aufmerksamkeit nicht nötig ist), solange das Gefallen da ist,
Bewusstsein ist, ist auch ein fundierendes Gegenstandsbewusstsein
20 da. Dagegen histi die affizierte Freudenerregung nicht Richtungsbe-
wusstsein auf das erregende Wertobjekt. Sie ist Beziehung auf dieses
Objekt als erregendes, als motivierendes. Sie kommt von einem ge-
fallenden Objekt her, sie selbst richtet sich aber nicht auf das Objekt,
das sie erregte. Was besagt demnach die Apperzeption des Objekts
25 als erfreulich? Es ist so beschaffen, dass es Eignung hat, Freude
zu erregen, in Freudenerregung zu versetzen, und das durch seinen
„Wert“, dadurch, dass es gefällig ist.
Aber ist, wird man fragen, nicht auch das wertende Gefallen ein
durch das Objekt bzw. durch das Gegenstandsbewusstsein erreg-
30 tes? Und scheidet sich, wenn ich in den Affekt der Freude, in das
Entzücken, in die Seligkeit geraten bin, dann noch das wertende
Gefallen und das Entzücken? Und weiter: Solange noch das Objekt
wirklich bewusst ist, erscheint es da nicht als entzückend und das
Entzücken auf das Objekt bezogen? Verdunkelt sich das Objektbe-
35 wusstsein oder wende ich mich anderem zu, so verdunkelt sich auch
das auf das Objekt bezogene Entzücken, nämlich es klingt ab, ich
lebe nicht mehr in ihm. Andererseits setzt es sich fort, eventuell in
einer heiteren Stimmung, die etwas Nachgewirktes ist, ein sich über
die arten der gemütsintentionalität 111
1 hDas Folgende isti Zusatz und nähere Ausführung zu A hsiehe oben, S. 112,
Beilage V
hDie Unterscheidung zwischen Affekten
und ihren Ausstrahlungen einerseits und der
10 größeren oder geringeren Lebendigkeit und
Hingabe bei den Gemütsakten andererseitsi1
Es ist Heiterkeit, Freudigkeit wegen der Nachricht und heißt noch Freudig-
keit über sie, solange noch der Ursprung ihre Färbung bestimmt und wohl
noch eine Komponente eben eine Färbung ihr verleiht.
2) Wir haben bei den Gemütsakten größere oder geringere „Lebendig-
5 keit“, die intensitätsartigen Unterschiede. Ich freue mich mehr oder weniger,
ich liebe heißer oder minder heiß. Im Zusammenhang damit steht, aber davon
zu unterscheiden ist die Ichferne und das Mit-dem-Herzen-dabei-Sein, die
Hingabe. Ich bin in gewisser Weise von der Freude berührt, die Sache steht
als erfreulich da, aber ich lebe nicht in der Freude, bin in ihr der erfreulichen
10 Sache nicht hingegeben (bzw. nicht der Freude hingegeben). Im Allgemeinen
wird dann kein Freudenstrom (der Affekt) von dem Erfreulichen ausstrahlen,
obschon auch das schon sein kann. Es strahlt schon Freude aus, sie beginnt
mich zu umfangen und doch verbleibt sie noch „außer“ mir, ich schwimme
nicht im freudigen Strom, lebe nicht darin. Ebenso, ein Ärger berührt mich,
15 etwas steht als ärgerlich da, vielleicht beginnt schon von da aus ein sichtbarer
Strom des Ärgerns auszustrahlen, aber ich gebe mich ihm nicht hin. Das
kann so erfolgen, dass ich hmichi dem mich zu sich Hinziehenden gegenüber
ablehnend verhalte, mich zurückhalte: durch eine Gegentendenz oder einen
Willen. Es kann aber auch sein, dass ohne solchen Willen, ohne Abwehr
20 und Zurückhaltung ich den Ärger außerhalb meiner habe. Freilich wenn
der Strom des Affektes anschwillt, dann beginnt er mich, wie ein erregtes
Meer, zu umspülen und dann muss ich entweder mich dagegen stemmen
und geradehalten oder mich hingeben, oder wenn ich keinen Widerstand
versuche und leiste, sinke ich passiv unter und lebe im Affekt des Zornes
25 bzw. Ärgers (Zorn enthält eine Affektivität, die in Wollungen ausstrahlt).
V. DIE KONSTITUTION DER
GEMÜTSCHARAKTERE1
1 Dezember 1911.
h§ 2. Schlichte Wertapperzeption
und Stellungnahmen des Gemütsi
1) Wertapperzeption.
15 2) Reaktion des Gemüts auf die apperzipierten Wertlichkeiten, als
Freude, als Wunsch etc.
Das Wesen der Wertapperzeption: das „Erfassen“, „Anschauen“
von Werten. Wertgegebenheit im Wertnehmen als Analogon des
Anschauens von Nichtwerten im Wahrnehmen. Die Wahrnehmungs-
20 auffassung, die Wahrnehmungserscheinung mit ihrem Empfindungs-
material. Die Wertauffassung, Werterscheinung mit ihrem Material
an „Wert-Empfindungen“. Aber wie steht es da mit dem Unterschied
zwischen Positivität und Negativität? „Reagiert“ nicht das „Gemüt“
auf sinnliche Empfindung durch positive oder negative Wertempfin-
25 dung, durch positive oder negative „Gefühle“? Haben wir da nicht
unterste „Reaktionen“? Nun, in ihnen hätten wir dann „passive“
Reaktionen, nicht aktive.1
1 Aber da ist das erste Problem. Und näher wäre zu überlegen, ob nicht Doppeltes
Gefühle ohne Vorzeichen nicht Konstruktion? Es sind eben die Empfindungen, und
die qualitativen Unterschiede gehören zu ihnen, und zum Gefühl als solchen gehört
nur Positivität und Negativität.
120 die konstitution der gemütscharaktere
1 Cf. 8 h= S. 123,5–124,30i.
die konstitution der gemütscharaktere 121
1 Ein hier anschließender Text ist in Husserliana XX/2 als Beilage LV: Das ausdrück-
liche Wünschen in der Redeform mit „möge“ und der Ausdruck des Wunsches (S. 428)
veröffentlicht. – Anm. der Hrsg.
2 Zweite Überlegung. Mit vielem Neuen.
122 die konstitution der gemütscharaktere
seits wieder, es breite sich ein Strom der Erregung von ihm aus, aber
allerdings ein Strom, in dem das Gefallen selbst eine Verbreitung
gewinnt: Das Ganze ist eins, ist leidenschaftliches Gefallen, ist Be-
geisterung.
5 Wir scheiden auch die gefallende Zuwendung, das entzückte Zuge-
wendetsein, und den Erregungsstrom, dem wir uns zuwenden können,
während wir uns vom Objekt abwenden und nicht mehr Gefallens-
zuwendung üben. Wir finden dann einen Strom sinnlicher, körperlich
lokalisierter Gefühle, der noch verbleiben kann und normalerweise
10 verbleibt (ja, eine Zeit verbleiben muss), auch wenn eine andere
Stellungnahme gerichtet auf andere Objekte oder eine auf andere
Objekte gerichtete theoretische Betrachtung einsetzt.
Nun besteht aber die leidenschaftlich-liebende Zuwendung oder
das leidenschaftliche Begehren, das leidenschaftliche Sich-Freuen etc.
15 nicht in einer Gefallenszuwendung etc. plus einem Strom sinnlicher
Erregung. Indem sich das Entzücken auf das Objekt richtet, das
inbrünstige Begehren auf das Vermisste etc., gehört zu dem Sich-
Richtenden eben der sinnliche Strom mit, der aber seinerseits als
bloß sinnlicher Strom gar keine solche Richtung hat. Es ist also
20 ein phänomenologisch Eigenartiges da; eine gewisse Verbreiterung,
einen gewissen ausstrahlenden Erregungsstrom von Gefühlen finden
wir um den Akt, durch den er aber nicht eine bloße Umgebung erhält,
sondern die ihn selbst eigenartig verbreitert und modifiziert. Der
Strom ist ein mit ihm einiges Erlebnis, aber so, dass er in entfernter
25 Analogie für das intentionale Erlebnis eine solche Rolle spielt wie
Empfindung in der gegenständlichen Wahrnehmung. Das Entzücken,
und nicht ein erregungsloses Gefallen, richtet sich auf das Objekt, und
das Objekt steht nicht bloß als gefällig, sondern (der Modifikation des
Aktes entsprechend) als entzückend da.
30 Sowie die gefallende Zuwendung fortfällt, verliert der Erregungs-
strom diese intentionale Funktion. Er ist sinnlicher Strom, der nur im
Strom des Zeitbewusstseins zurückweist auf das Entzücken, in dem
er jene Funktion hatte. Und vermöge dieser Einheit heißt es weiter
von ihm: Das selige Gefühl in der Brust etc. „stammt“ von jenem
35 Objekt her, ist dadurch erregt. Erregt war das Entzücken mit dem
sinnlichen Bestand in der Zuwendung. Und reflektieren wir auf das
Erlebnis des Entzückens, so erscheint darin das Gefallen und auch
das rein sinnliche als „erweckt“ und in diesem Sinn erregt.
124 die konstitution der gemütscharaktere
Es1 ist zu beobachten, dass das Entzücken (das, von dem es heißt,
dass es sich richte auf das Objekt und von ihm erregt sei im ersten
Sinn) im eigentlichen Sinn nicht die sinnlichen Gefühle in sich hat,
ebenso wenig wie die Wahrnehmungserscheinung die Empfindungs-
5 inhalte in sich hat, oder wie die Empfindungen nicht zur Aussage
gehören. Man wird da bedenklich sein. Ist das Entzücken, ist der
leidenschaftliche Wunsch, der Affekt der Liebe, nicht ebenso wie
der Willensentschluss usw. ein „psychisches Phänomen“, zu dessen
Bestand die sinnlichen Gefühle selbstverständlich gehören? Wohin
10 denn sonst, da sie nicht zum Objekt gehören?
Man kann versuchen, darauf zu antworten: Bin ich im Gefallen
dem Objekt zugewendet, in der Liebe, im Entzücken etc., so habe
ich ein Phänomen, das je nach den Auffassungsrichtungen, die ein-
geschlagen werden können, verschiedene Modifikationen erfahren
15 kann, die alle wesentlich zusammengehören. Lebe ich im Gefallen,
im Entzücken, im Wunsch, darin dem Objekt zugewendet, so ist eben
das Objekt Objekt für mich, nämlich sofern es erscheint, gedacht
ist usw. Aber das Objekt ist nicht bloßes Anschauungs-, Phantasie-,
Denkobjekt. Es steht da als entzückend, möchte man sagen, es steht
20 da als „Geliebte“, als Ersehnte; ein als künftig vorstelliger Vorgang in
der Sphäre, die charakterisiert ist als die praktische „Freiheit“, steht
da als gesollt (Korrelat des „gewollt“), oder ein Geschehen steht da
als erwünscht etc.
Aber wie steht es „als“ das da? Das ist nun schwer zu beschreiben.
25 Denn das ist sicher, dass hdasi „geliebt“, „gefällig“, „erwünscht“ etc.
nicht im oder am Objekt ist wie eine es konstituierende Beschaf-
fenheit, wie ein Bestandstück, auch nicht wie eine Relation, eine
relative Bestimmtheit. Wir können das Lieben auf das Geliebte im
beziehenden Betrachten und Setzen beziehen, aber davon soll hier ja
30 nicht die Rede sein.
Es ist ganz und gar nicht so, wie im prädikativen Urteilen der geur-
teilte Sachverhalt als „bestehend“ dasteht oder in der Wahrnehmung
des Gegenstandes dieser als „seiend“. In der Gegenstandsapperzep-
tion ist Einheit der Auffassung vollzogen und damit erscheint der
1 Von „Es“ bis „darauf zu antworten“ (S. 124,11) später zwischen Klammern gesetzt,
dazu die Randbemerkung: „Das ist alles unklar.“ – Anm. der Hrsg.
die konstitution der gemütscharaktere 125
1 Das alles ist gut. Ich muss nur unterscheiden rein theoretisches Interesse, als auf
anschaulich vor uns steht und dabei auch die das Gemütsprädikat be-
gründenden Sachbestimmtheiten, so ist die Frage: Ist das Im-Gefühl-
Leben Anschauung, eventuell Wahrnehmung von dem Objekt in
seinem Gefühlscharakter? Wenn aber eine „leere“ Vorstellung oder
5 ein Gedanke vorschwebt und dabei lebendig gefühlt wird, so steht
uns doch, wenn auch in leerer Weise, gedanklich das Objekt da und
charakterisiert durch das Gefühl.
Ist nun zu unterscheiden die Zuwendung im Gefühl und eine
setzende Erfassung bzw. Aufmerksamkeit? Eine Sachlage, die mir
10 vorschwebt, erfüllt mich mit Trauer, sie steht als traurig da. In der
Trauer lebend bin ich auf das Traurige gerichtet. Ist dieses Gerich-
tetsein zu unterscheiden von der Aufmerksamkeit auf hdiei Trauer?
Ich vollziehe Erfassung und beziehende Betrachtung, wenn ich das
„Dastehende“ expliziere, und vollziehe Erkennung, wenn ich aus-
15 drücke: Die Sache ist traurig. Aber haben wir hier nicht genau das-
selbe, wie wenn ich eine empirische Anschauung, eine Dinganschau-
ung oder einen „Gedanken“ expliziere und darüber dann prädiziere?
Freilich, ein Gegenstand, der nicht angeschaut ist, hat für mich
kein Prädikat, das anschaulich da ist. Wenn ich aber aufgrund eines
20 „leeren“ Vorstellens ein Gefühl wirklich vollziehe, habe ich doch
ein merkwürdiges „Als-erfreulich-, Als-traurig-etc.-Dastehen“. Die
Freude, die Trauer sind ja aktuell bewusst, der Gegenstand ist im
Dunkel und nicht gegeben. In der Einstellung auf den Gegenstand
bezieht sich die Trauer, die Freude auf ihn, sie gehört zu ihm, aber sie
25 gehört zu ihm nicht als ihn konstituierend, sondern in eigener Weise.
Subjektiv sage ich „Ich habe Freude“ und auch: „Ich habe den Ge-
danken an den Sachverhalt“, „Ich habe die Überzeugung von seinem
Bestehen“, „Ich habe das Bewusstsein davon, dass er ist.“ Aber ich
sage nicht bloß: „Die Freude ist verknüpft mit diesem Bewusstsein“,
30 sondern: „Die Freude ist Freude über die Sache“ und „Die Sache ist
erfreulich.“ Dabei bin ich auf die Sache „aufmerksam“ und auf die
Erfreulichkeit und haufi die Beziehung zur Sache, auf das Erfreuliche.
Lebe ich in der Freude, so ist die Einheit des Bewusstseins vorhanden,
und es ruht der „Blick“ auf der Sache in ihrer Erfreulichkeit, ohne
35 Explikation und Prädikation. So können wir auch, wenn das Gefühl
sich auf die Gegebenheit des Gegenstandes und der wertgründenden
Prädikate aufbaut, keinen Unterschied finden zwischen der Zuwen-
dung im Gefühl und dem Im-Gefühl-Leben und der Anschauung des
die konstitution der gemütscharaktere 131
Aber nun ist die Frage: Der Lichtcharakter, das Strahlende (bzw.
10 das Dunkle, Traurige), ist am Gegenstand; wie steht es mit dem
Gefallen, dem Entzücktsein, dem Betrübtsein, Trauern etc.? Was
macht den Unterschied zwischen dem einen und anderen, und wie
ist ihr phänomenologisches Verhältnis? Und ebenso beim Wünschen,
Begehren, Wollen.
15 Wir können auf den „Akt“ des Wünschens reflektieren und kon-
statieren: Ich wünsche. Und was wünsche ich? Dass ein Ereignis
eintrete, dass ein Objekt mein Eigen wird etc. Ich kann aber auch
sagen: Ich wünsche – was? Den Wunsch „S möge p sein!“ Das ist es,
was ich wünsche. Oder mich freuend freue ich mich im Akt der Freude
20 über das Objekt. Ich kann aber auch sagen: In ihm steht da das Er-
freuliche in seiner Erfreulichkeit, die Geliebte eben als die Geliebte.
Wünschen, das heißt, die und die Wunschakte vollziehen in Bezug
auf ein Vorstelliges. Und es heißt, das Vorgestellte im Charakter des
„möge“ bewusst haben, also bewusst haben das „S möge p sein!“ Im
25 Lieben haben wir das Bewusstsein der Geliebten als solchen usw. Es
ist nicht anders, wie wenn ich urteile, hundi ich das Bewusstsein habe:
„S ist p!“ Es handelt sich bei Urteilen und Urteil (Geurteiltes als
solches), bei Wünschen und Gewünschtem als solchem (Wunsch) etc.
um „zwei Seiten einer und derselben Sache“. Überall gilt: Nicht ein
30 subjektives Erlebnis des Wünschens, irgendein subjektives Gefühls-
datum, ist verknüpft mit dem vorstellenden Bewusstsein (dem vom
erwünschten Objekt), sondern das „möge“ ist ein Charakter, der im
wünschenden Bewusstsein, so wie es fundiert ist im Sachbewusstsein,
zur Sache gehört. Wir können nicht wünschen, ohne dass in ihm dieses
35 „möge“ bewusst und in Bezug auf die bewusste Sache bewusst ist, in
132 die konstitution der gemütscharaktere
eigentümlicher Einheit mit ihr; und blicken wir schlicht auf die Sache
hin, so können wir, wie ihre eigenen Prädikate, mit denen sie etwa
angeschaut ist, so das im Wunschbewusstsein sich konstituierende
„möge“ erfassen: Es ist da eins mit der Sache, obschon nicht sie als
5 Sache konstituierend.
Wir können nicht lieben, ohne dass darin die Sache im Charakter
der „geliebten“ dasteht; dieser Charakter eigentümlich einig mit
den Charakteren, die die Sache konstituieren und die innerlichen
Bestimmtheiten der Sache als Sache ausmachen. Das ist eben das
10 Bewusstsein des Liebens, dass sich in ihm ein Neues, das „geliebt“,
konstituiert, und das besagt nicht, dass Liebe ein subjektives Gefühl
ist, das auf der einen Seite steht und der gedachte oder angeschaute
Gegenstand auf der anderen, nur so, dass irgendwie das Gefühl eins
ist mit dem Anschauen oder Denken der Sache. Vielmehr, wie im
15 Sachbewusstsein eben die Sache mit ihren Bestimmungen bewusst
ist, so ist im Bewusstsein der Liebe, so wie es einig ist mit dem
Sachbewusstsein, ein neuer Charakter bewusst und als Charakter
der Sache, eben das „geliebt“, der Charakter des „lieb“, der nicht
das Lieben ist, so wenig wie das „möge“ das Wünschen ist und das
20 Angeschaute das Anschauen ist, das Urteilen das Geurteilte ist.
Diese Objektitäten höherer Stufe können nun zu Themen der
Urteilsbehandlung werden, der Wunsch zu einem Dies, oder es kön-
nen innerhalb der Einheit des Wunsches Unterschiede gemacht, es
kann das Gegenständliche, das Erwünschte, zu einem Dies und Sub-
25 jekt gemacht werden und darauf das Prädikat bezogen werden: „er-
wünscht“. Dabei scheidet sich Vermeintes und Wirkliches. Es ist
bewusst „S möge p sein!“ Aber der vermeinte Wunschverhalt braucht
nicht „wahrer“ Wunschverhalt zu sein: Das Urteil, dass S p sei, sei
erwünscht, kann wahr und falsch sein, obschon ich wirklich Wunsch-
30 bewusstsein habe und das Erwünschte als erwünscht „dasteht“.
So wie in der Wahrnehmung, in der Erinnerung, in der Erwartung
usw. ein Dasein bewusst ist, aber vermeinendes und gültiges Bewusst-
sein zu unterscheiden ist, so gilt das für jederlei Bewusstsein-von,
auch für das Wunschbewusstsein, und zum Wesen jedes Bewusstseins
35 gehört die Möglichkeit der Ausweisung oder Abweisung, der Begrün-
dung oder Entgründung und der Konstituierung von Urteilen und
Urteilsbegründungen, in denen sich eins und das andere in Formen
urteilenden Denkens vollzieht.
die konstitution der gemütscharaktere 133
Nun heißt es, Gefallen, Liebe etc. ist etwas Subjektives. Die Liebe
breitet sich über das Objekt aus, von meiner Subjektivität geht etwas
auf das Objekt über, gefallend wende ich mich dem Objekt zu. Das
Sehnen ist bei mir, und die Sehnsucht breitet sich über das Objekt und
5 zieht es zum Subjekt hin usw. Aber das Subjektive als Erlebnis kann
sich nicht ernstlich über das nur Intentionale, etwa nur Gedachte,
leer vorstellige Gegenständliche ergießen, kann nicht ernstlich damit
sich verbinden und eins werden – es sei denn in der Weise eines
beide umspannenden kolligierenden oder beziehenden Bewusstseins,
10 in dem freilich alles und jedes „eins“ werden kann.
Einheit hat das Gemütsbewusstsein und das fundierende Gegen-
standsbewusstsein, und so geartet ist die Einheit, dass sich in ihr on-
tisch konstituiert der Gegenstand als Träger eines Gemütsprädikats.
Beziehe ich aber das Objekt auf das Erlebnis der Liebe, das zur Sub-
15 jektivität in dem besonderen Sinn gehört, die alle Gemütserlebnisse
teilen, so erscheint das Objekt als Zielpunkt liebender Zuwendung
und die Liebe als durch das Objekt erregt, der Geliebtheitscharakter
des Objekts als durch die Liebe bedingt, von da ausstrahlend usw.,
aber auch die Lieblichkeit des Objekts als Quelle der Liebe.
20 Zweifellos müssen wir aber unterscheiden den konstituierten onti-
schen Charakter des „möge“, des „fraglich“, des „gefällig“ etc. vom
„subjektiven“ Wünschen, Fragen etc. Wir dürfen nicht so sprechen,
als ob der subjektive Charakter selbst objektiv wäre oder sich dem
Objekt auflegte etc. Die leidenschaftliche Erregung, in der ich mich
25 befinde, die ich als so und so geartete Erregung, als phansisches
Phänomen betrachten kann, ist nicht objektiviert und auf den Gegen-
stand irgendwie objektiv bezogen, wenn ich in der leidenschaftlichen
Bewegung begriffen dem Objekt zugewendet bin. In ihr konstituiert
sich ein objektiver Gemütscharakter. Es ist freilich nicht so, wie ich,
30 eine Wahrnehmungserscheinung erlebend, des Objekts, das erscheint,
bewusst bin, wo ich ja auch nicht die Erscheinung (das phansische
Phänomen) nehme und auf das Objekt beziehe. Die Erscheinung
erlebend habe ich allererst Bewusstsein vom gegenwärtigen Objekt.
Hier fungieren die Empfindungen in eigener Weise, wir sprechen von
35 Repräsentation, wir können nachträglich den Gehalt der Erscheinung
auf das Erscheinende beziehen, empfundene Farbeninhalte auf ob-
jektive Farbe etc. Die „subjektiven“ Erregungen können wir analog
auch auf das leidenschaftlich begehrte Objekt beziehen, aber in ihnen
134 die konstitution der gemütscharaktere
stellt sich nichts dar. Und doch konstituiert sich in einer völlig eigen-
tümlichen Weise ebenfalls ein Ontisches, das „möge“. Mehr Analogie
finden wir mit der Weise, wie sich im Vermuten das „vermutlich“, im
problematischen Anmutungsbewusstsein das „möglich“ konstituiert.
handle. – Steht sich das alles gleich? Nehmen wir Stellungnahmen des
Gefühls und Affekts. In empirischer Auffassung kann ich Objekt und
Ich aufeinander beziehen. Das kann ich auch bei der Wahrnehmung,
der Phantasie, der Erinnerung, beim Denken tun. Ich nehme das Ob-
5 jekt wahr, ich erinnere mich der Person, ich denke den Sachverhalt,
ich urteile ihn. Ebenso, ich liebe die Person, ich bin von dem Bild
entzückt etc. Aber wir merken den großen Unterschied. Das Haben
der Wahrnehmung (der Phantasie), der Erinnerung ist etwas ganz
anderes als das Haben der Liebe, der Empörung, der Begeisterung,
10 der Freude …
Wahrnehmend habe ich Empfindungen und Auffassungen. Und
indem ich das erlebe, ist das Ding „da“, jetzt gegenwärtige Wirklich-
keit, Zielpunkt des „geistigen Blickes“. In den Empfindungsinhalten
stellt sich vom Gegenstand ein Inhalt dar, in der Empfindungsaus-
15 breitung eine Fläche und überhaupt eine „Seite“ des Phantoms,
und so, dass ich ein „Sehding“ erfassen kann, eine „perspektivisch
verkürzte Seitenfläche“, die dieselbe ist im Wechsel des Blickes etc.
Beschreiben kann ich das „Wahrnehmen“ nur durch solche gegen-
ständlichen Beziehungen. Und was ich da erfasse, ist „Darstellung“
20 des Gegenstandes, Darstellung verschiedener Dignität und Stufe,
und hsiei gehört zum Gegenstand phänomenologisch so, dass das
Bewusstsein vom Gegenstand eben hier nichts ist als das Bewusst-
haben der Darstellung, und durch sie hindurch habe ich den Gegen-
stand, nämlich hdurch sie hindurchi erscheint er und kann er erfasst
25 sein.
Nennen wir die Darstellungen zur Subjektivität gehörige, subjek-
tive Erscheinungen gegenüber dem Erscheinenden, subjektive Re-
präsentanten gegenüber dem Repräsentierten, so ist dieses Subjek-
tivsein etwas total anderes als das Subjektivsein der Liebe, der Empö-
30 rung etc. E ine gewi ss e Verwandtscha ft hat das Letztere mit
dem E r f as s en, dem b ezi ehende n und schlichten Erfassen,
nämlich als subjektives Sich-Richten-auf, aber nicht mit dem Emp-
finden, dem Auffassen, das, indem es ein Objekt erscheinen lässt,
gewissermaßen selbst objektiv ist, im Objekt liegt und nicht Subjek-
35 tivitätscharakter hat wie das Lieben, das Wünschen etc. Und selbst
das Beziehen: Ist es nicht dem Ich äußerlich, sofern es Beziehungs-
auffassung ist? Und zum „Ich“ gehört nur der Strahl der Aktivität,
das Erfassen, Festhalten, das Zusammenhalten (Kolligieren).
136 die konstitution der gemütscharaktere
weiter Ferne eine berühmte Madonna von Raffael und fasse sie als
das berühmte und „schöne“ Werk auf. So fasse ich ein Nützliches
als nützlich auf, ohne den Nutzen zu aktualisieren, die Speise als
wohlschmeckend, ohne sie wirklich zu schmecken etc. Ebenso eine
5 Geige als vermutlich herrlich tönend. (Ich sehe ihren Charakter als
echte Amati.) Ebenso aber auch: Ich sehe einen Gegenstand als Ham-
mer, als Werkzeug. Ich sehe einen Gegenstand und erfasse mit die
Rückseite. Und schließlich: Die Vorderseite, und zwar die Farbe etc.,
sehe ich „wirklich“, aber in diesem Sehen liegt auch ein Auffassen.
10 Man wird hier geneigt sein, von Erkennen zu sprechen. Ich er-
fasse ein Ding als Ding, das ist ein Erkennen. Ich erkenne aufgrund
der aktuellen Empfindungserlebnisse unter gegebenen Umständen
einen farbigen, runden Gegenstand, eine Einheit von Eigenschaften
und gerade von diesen Eigenschaften, die mir fortgesetzt gegeben
15 wären in einer zusammenhängenden Einheit der Erkenntnis. Auch
das eigentlich Wahrgenommene ist erkannt, und das uneigentlich
Mitgefasste ist miterkannt. Nun, dann ist Erkennen ebenso viel wie
empirisches Auffassen und wohl zu scheiden vom Erkennen des Ge-
genstandes als Gegenstand eines „Begriffs“, als Subjekt eines Prädi-
20 kats. Begriffe gehören in die Sphäre des Denkens, und Denken setzt
hier, als unter Begriffe bringen, ein „Anschauen“, ein „Auffassen“
voraus. A pper zepti on al s em pi ri sche Auffassung, in der ein
empir is cher Gegens tand erschei nt als Ding und in seinem
empir is chen Wer t, i st ei n festum grenzter Begriff.1
1 Jeder Akt ist also Bewusstsein von etwas, nämlich nicht nur jeder „stellungnehmen-
de“ Akt des Gemüts, sondern jeder spontan sich zuwendende Akt, wozu auch das
Urteilen zu rechnen ist. Bewusstsein in diesem Sinn ist nicht identisch mit Erfassung,
mit Betrachtung und darauf gegründeter Prädikation. Denn das sind nur Einzelfälle
solchen Bewusstseins. Aber jedes Bewusstsein kann Grundlage eines erfassenden
Bewusstseins sein, und das erfasst dann, je nach der „Richtung“ des erfassenden
Aktes, das Bewusste, das Urteil, den Wunsch etc. und macht es in der Erfassung zum
Objekt, eventuell zum Explikanden, expliziert seine Teile, hebt seine „Charaktere“
hervor, bezieht diese auf das Subjekt hoder esi analysiert, was Sache des „Aktes“ ist,
Sache der Modi ist, in denen dasselbe Kategoriale, Optionale etc. gegeben ist.
Ein Bewusstsein ist Bewusstsein-von, das heißt eben, es ist eine Reflexion möglich,
die 1) evident macht, es war etwas, das nicht erfasst war, und dieses war Bewusstsein
von etwas; 2) aus diesem lässt sich „nachträglich“ in der Reflexion eben entnehmen
das Was etc. Bewusstsein-von, das ist das „intentionale“ Bewusstsein. Es gibt so viele
Grundarten, so viele Grundarten von Gegenständlichkeiten es gibt. Bewusstsein-von
138 die konstitution der gemütscharaktere
ist nicht so viel wie Erleben. Erleben ist das immanente Zeitbewusstsein, auch das
ist Bewusstsein, aber der radikalsten Tiefe. Aber noch eins ist zu erörtern: Hat denn
Bewusstsein-von Intensitäten? Ich liebe, begehre heißer und minder heiß. Ich bin mehr
oder weniger entrüstet.
die konstitution der gemütscharaktere 139
durch diese Fundierung, in der sie mit dem Fundierenden auch eins
ist, ihre konkrete Bestimmtheit erhält und somit auch ihren Zusam-
menhangscharakter. So ist auch sonst Fundiertes bestimmt, so z. B. die
Wahrnehmung, je nachdem sie Wahrnehmung von dem und jenem ist.
5 Es ist nun offenbar, dass zu den verschiedenen sinnlichen Elemen-
ten in sich Gefühle gehören und dass dabei die Einheitsformen der
Gefühle Eigenheiten haben, weil Gefühle durch Gefühle vielleicht
gesteigert oder herabgesetzt werden können und weil andererseits
auch – und das jedenfalls – die Einheitsformen der sinnlichen Empfin-
10 dungen ihrerseits die Gefühle ändern, die zu den Elementen gehören:
Jeder Ton einzeln gefällt, ist sinnlich angenehm, in ihrem Zusammen
können sie aber missfallen oder sich in besonderer Weise hinsichtlich
ihrer Annehmlichkeit steigern etc. Wir finden an Ganzen aus Emp-
findungselementen ein einheitliches Gefühl, und dieses einheitliche
15 Gefühl ist nicht nur Gefühl am Ganzen, sondern wir finden, dass es
sich auch in bestimmter Weise verteilt, dass Sondergefühle zu den
oder jenen Teilen gehören und gewissermaßen Glieder ausmachen
in einem Gefühlsmilieu, in einer Gefühlssauce, die über das Ganze
der Empfindungen ausgegossen ist. Aber diese Verbindungsart macht
20 es doch, dass das Gefühlsganze, das einheitliche Gefühl, unterschei-
den lässt die einheitliche Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit
oder Gleichgültigkeit und die Gefühle, die zu den einzelnen Teilen
gehören, an ihnen hängen. Aber wenn ich hinweise auf Musik: Ist
es da nicht klar, dass wir nicht alles auf Positivität oder Negativität
25 reduzieren können und haufi Mischungen bzw. Einheitsformen aus
Gefühlen, die nur diese beiden Qualitäten haben?
VI. GEFÜHLSBEWUSSTSEIN –
BEWUSSTSEIN VON GEFÜHLEN.
GEFÜHL ALS AKT UND ALS ZUSTAND1
die Lustigkeit hin, eventuell freue ich mich auch der Lustigkeit, ohne
dass ich mir sagte und mich objektiv setzte: Ich bin lustig, und ich
freue mich darüber.
Es ist allerdings die Frage, ob nicht, wie allzeit Dinge „da“ sind, so
5 auch gegenüber den Dingen ein Ich, heini einfaches Ich, bewusst ist,
wenn auch nicht wörtlich und begrifflich gesetzt. Und weiter, wenn
die Verstimmung beachtet ist, ob sie nicht als Verstimmung des Ich
bewusst ist und gesetzt ist. Dann aber kann ich mich ärgern, dass ich
verstimmt bin und kann den Ärger bemerken. Muss ich dann den
10 Ärger selbst wieder als „Ich ärgere mich“ objektivieren? Oder ich
bin heiter und bemerke die Heiterkeit und freue mich der Heiterkeit,
ich bin der Heiterkeit zugewendet und in der Weise der Beachtung
und wieder der Freude, ich bemerke auch die Freude. Muss sie wieder
als „Ich freue mich über meine Heiterkeit“ objektiviert sein? Muss
15 jedes beachtete Gefühl als „Ich fühle“ objektiviert sein?
Jedenfalls könnte man aber einen Unterschied darin finden: Ein-
mal erlebe ich Stimmungen, Affekte etc., und objektiviert steht da:
ich, der ich in diesen Stimmungen befindlich bin, und diese selbst
als meine Stimmungen etc. Zugleich aber steht sozusagen dahinter
20 „ich“, der das beobachtet, der im Hintergrund neugierig ist, wie ich
mich nun verhalten werde, der Urteile abgibt und dgl. (insbesondere
Werturteile). Ein anderes Mal fühle ich das und jenes, urteile ich so
oder so, handle ich, bemerke all das, aber ich stehe dabei nicht hinter
all dem als stellungnehmendes Ich, das sich sich gegenüberstellt
25 und dabei von hint en her Stellung nimmt, sondern ich tue es von
vor ne her, sozusagen offen, nicht als ein gleichsam Zweiter, als wie
ein Fremder, aber als eine sozusagen fremde Person, die zugleich
ich bin, als ob ich mich in einen anderen hineingesteckt hätte, der
mir gegenübersteht und über mich urteilt, sondern ohne aus mir
30 hinauszugehen, nehme ich Stellung, urteile ich etc.
Das hat wohl G eige r gemeint. Er sagt ja: „Hier teilt sich das
Ich für mein Erleben. Das eine Ich erlebt, das andere hIchi be-
obachtet“ (ist neugierig, ist erstaunt, was das Ich für Dummheiten
macht, wie unvorsichtig es sich gehen lässt etc.). Nicht sind „zwei
35 Strahlen eines einheitlichen Bewusstseins-Ichs vorhanden, von de-
nen der eine im Gefühl auf die Gegenstände geht, der andere das
Gefühl beachtet, sondern das Ich teilt sich selbst“ (S. 137). Wieder
sagt er (S. 137 unten): „Bei der Beobachtung der Gefühle in der
148 gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen
ders wenn es heißt, bei der Einstellung auf das Gefühl verbliebe
der Gegenstand des Gefühls „außerhalb der Einstellung“: als ob
Einstellung beiderseits dasselbe besagte.
Wir können in einem analogen Sinn sehr wohl sagen, wir lebten
5 in der Vorstellung des Gegenstandes, wir seien vorstellend auf den
Gegenstand „meinend“ oder bloß bemerkend gerichtet, auf ihn zielte
ein thematisches Meinen, auf ihn zielte ein bloßer Blickstrahl, ein
Strahl der Aufmerksamkeit, und andererseits, wir lebten im Gefühl,
wir seien fühlend auf den Gegenstand und seinen Wert gerichtet,
10 und dabei entweder in der Weise des thematisch auf das Gefühlte
Gerichtetseins oder hdesi nicht-thematisch und bloß nebenbei (neben
dem Thema), im Vorübergehen etc. darauf fühlsmäßig Gerichtetseins.
Sprechen wir hier von Einstellung auf das Gefühl, so müssten wir
dort von Einstellung auf die Vorstellung sprechen, sprechen wir hier
15 hingegen von der Einstellung auf das Gefühlte (auf den Objektwert),
so dort von der Einstellung auf den (Vorstellungs-)Gegenstand. Da
liegen die Analogien.
Zu bemerken ist aber, dass wir hier besser nicht von Unterschieden
des Im-Vordergrund-und-Hintergrund-Stehens sprechen. Das Bild ist
20 vieldeutig. Das wird sich im Weiteren zeigen, und näher wird sich zei-
gen, dass wir bei allen „Akten“ unterscheiden müssen die Fälle des im
spezifischen Sinn Gerichtetseins-auf, Abzielens, Hingewendetseins-
auf, von Fällen, wo das nicht statthat, und wieder in der ersteren
Sphäre die Fälle, wo die Hinwendung einem theoretischen oder Ge-
25 mütsthema gilt (das sich in dieser Hinwendungsweise konstituiert)
und wo sie einem gilt, das außerhalb des Themas steht, wofern über-
haupt ein Thema konstituiert ist.
Damit sind aber nicht zu verwechseln die Unterschiede der „Be-
w us s ts eins höhe“, der Aufdri ngl i chkeit, der Lebendigkeit, die
30 sich mit den eben genannten kreuzen, also z. B. sich finden innerhalb
der Akte, in denen wir kein Abzielen-auf und kein thematisches Mei-
nen im Besonderen vollziehen. Nämlich Vorstellungen können mehr
oder minder gehoben sein, sich mehr oder minder aufdrängen
(aufdringlich sein), größere Lebendigkeit haben oder geringere. Hier
35 bestehen graduelle Unterschiede, die es aber nicht hindern, dass doch
von V ors tellungs hint ergründen gesprochen werden kann, die
das unterste Niveau bezeichnen, von dem aus ein Abheben statt-
hat, gewissermaßen ein diskreter Lebendigkeitsunterschied, der Dif-
152 gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen
es umgekehrt ist und dass man Spontaneität durch Meinen definieren kann aufgrund
passender Beispiele.
154 gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen
ursprüngliche Chaos, das, was nicht an sich den Charakter des caput
mortuum, des unlebendig Gewordenen hat. Dann das Modifizierte,
das unlebendig G ewordene, die verwandelte Aktivität, endlich
die A kte s elbs t. Im Fortgang der Akte finden wir einen Hinter-
5 grund des ganz Unlebendigen und den Zug der zurücksinkenden
Spontaneitäten. Wir müssen aber noch genauer sein.
Nicht nur dieses Dreierlei müssen wir ja unterscheiden – das, was
nicht den Charakter gewesener Spontaneität hat, der sich ausweist,
indem wir das Phänomen der „Reakti vierung“ vollziehen, das,
10 was ich habe, und hdasi, was aktive Spontaneität ist –, sondern wir
haben auch die m odalen U nterschi ede: Akt, herabsinkender Akt,
seine Lebendigkeit soeben einbüßend, absterbend (die Spontaneität
zieht sich da zurück), und das schon völlig Unlebendige, mag es
auch reaktivierbar sein. Ferner ist es klar, dass wir auf Seiten der
15 Spontaneität Unterschiede haben wie das spontane Einsetzen und
das Noch-Spontaneität-Sein nach dem Einsetzen. Ich urteile, setze
das Subjekt und daraufhin das Prädikat. Bei der Prädikatsetzung ist
die Subjektsetzung vorausgesetzte und noch festgehaltene Aktivität,
aber nicht mehr schöpferische, urquellende Aktivität. Ein Zurück-
20 sinken ist schon da, aber noch ein Strahl der Spontaneität. Ganz
anders, wenn ich mich einem anderen Thema zuwende, verhält es
sich mit dem ganzen „zurücksinkenden“ Urteil. Wir erkennen also
hier zw ei Komponent en in den Phänomenen, die nicht im Quell-
punkt, im schöpferischen Punkt, liegen: das Herabsinken und die
25 Spontaneit ät (das spontane Lebendigsein). Ein Herabsinkendes
kann noch Spontaneität enthalten, nämlich von einem Quellpunkt
aus kann dahin noch ein Strahl gehen, oder es kann das „Ergebnis“
der Setzung, der urquellenden Spontaneität, festgehalten sein. Ich
habe die Intention, etwas Neues daran anzuknüpfen etc. Auch wenn
30 ich Prädikatsetzung übe und von ihr aus ein Strahl der Spontaneität
zur Subjektsetzung, die herabgesunken oder vielmehr im Herabsin-
ken ist, geht, geschieht dies so, dass das Herabsinken zugleich ein
Halten des „Ergebnisses“ ist. Also Schöpfung und Erhaltung auf
der einen Seite, auf der anderen Seite kein Halten mehr und damit
35 Unlebendigkeit, alsbald stirbt das Leben ab. Das Abgestorbene aber
zeigt den Unterschied des vom Leben Herabsinkens mit dem Schein
des Lebens und den anderen des völlig toten Hintergrunds. Jenes hat
noch etwas Lebenswärme, obschon keine wirkliche Spontaneität. All
gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen 155
auf die Sachen und Sachverhalte selbst an, sondern auf die Weise, wie
sie erscheinen, auf Stimmungen, die sie erwecken. Oder es kommt nur
auf Stimmungen an und darum nur auf die Erscheinungen oder auf die
halb unklaren, vagen Vorstellungsweisen der Gegenstände, während
5 klare Vorstellungen – und versunken in das, was die Gegenstände sind
und wie sie sind – den Stimmungsgehalt nicht zur Weckung brächten
etc.
Man darf nicht wie G ei ger gegenüberstellen Einstellung auf
das Gefühl und Eins tel l ung auf den Gegenstand (statt auf
10 das Vorstellen!), sondern: Auf der einen Seite ist Gefühl das Thema
meines Lebens, in dem ich in besonderem Sinn lebe, andererseits
Vorstellen, Urteilen, Zweifeln etc., in dem ich thematisch lebe.
15 Kann man sagen: Alles, was Thema ist, ist innerhalb der Sphäre
der Objektivation, des „Vorstellens“, beachtet? Sicher kann man um-
gekehrt sagen: Beachtet, ja pri m är beachtet, kann auch etwas
s ein, das nic ht Them a ist, wie wenn mir etwas auffällt und ich
momentan mich ihm zuwende, ohne dass es darum zum Thema wird
20 (was auch ein eigener Charakter an der Sache ist). Zum Thema ge-
hört das Neugesetzte ebenso wie das Festgehaltene. Aber auch nur
Festgehaltenes, mag es auch ein „vorläufig Zurückgestelltes“ sein?
Das wird man wohl nicht in jedem Sinn sagen können.
Wenn ich zu wissenschaftlichem Zweck mehrerlei lese, so habe
25 ich neben den immer neuen Ursetzungen Festhaltungen, hundi das
Festgehaltene noch lebendig bezogen auf das Neugesetzte usw. Aber
nun gehe ich zu einer neuen Gedankenreihe über, die ich „auch“
gebrauche, und dann wieder zu neuen. Man wird vielleicht sagen
müssen, dass der Begri ff der Festhal tung ein doppelter ist.
30 Ich will ja von dem Gelesenen nichts preisgeben; indem ich es in
den Hintergrund zurücksinken lassen muss, halte ich es doch, wenn
auch in dunkler Weise, in gewisser Art fest. Kehre ich dazu zurück,
so tue ich es als zu etwas, was ich immerfort als Thema habe und
als zum Thema gehörig behalte (zurückkehren zu einem nebenher
35 Auffälligen ist etwas anderes). Aber dieses Behalten ist ein anderes
158 gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen
1 Das ist alles nicht besonders gut. Akte sind sich-hinwendende und sich-nicht-
hinwendende, siehe unten. Und andererseits: Akte sind thematische und nicht-themati-
sche. Thematische Akte brauchen aber nicht bewusste Hinwendungen, bewusste Sich-
Richtungen hzui sein. Dann sind sie zwar thematische, aber nicht eigentliche, bewusste
„Meinungen“.
160 gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen
d) Und all dem gegenüber gibt es nun eine Fülle von Vorstel-
lungserlebnissen, durch die gar kein Blick geht, in denen nichts von
Fassung lebt, die bloße Passivität, das Chaos. Also sämtliche Empfun-
denheiten gehören in die Sphäre des Unerfassten, auch dunkel Uner-
5 fasstheni. Aber es mögen auch apperzeptive „Wahrnehmungsvorstel-
lungen“ (transiente Vorstellungen) auftauchen ohne jeden Blick-
strahl; sie machen im eigentlichen Sinn keinen Hintergrund aus, der,
wie das Bild andeutet, ein Gefasstes ist ohne jedes Fassen.
Irgendein beliebiger Akt ist „bewusst“, aber nicht Objekt einer
10 Zuwendung, weder einer primären noch entfernten Erfassung. Da-
gegen der gegenständliche Hintergrund der Wahrnehmungsfelder ist,
wenn auch dunkel, hintergrundmäßig erfasst. Vielleicht nur teilweise,
oder genauer gesprochen: Vielleicht ist die Zahl der ausgebildeten
Apperzeptionen dürftig, vielleicht hsindi nicht alle Sinnesempfindun-
15 gen in Apperzeptionen einbezogen, aber allgemein zu reden ist immer
ein Hintergrund da, von dem sich das primär und sekundär Erfasste
(das Aufgemerkte und Bemerkte) abhebt.
Wir würden also dann innerhalb der Sphäre der Erfassungen im
weitesten Sinn, der zuwendenden Vorstellungen, unterscheiden die
20 Sphäre der Klarheit (der Merksamkeit) und die Sphäre der Dun-
kelheit; und innerhalb der ersteren Sphäre das Aufgemerkte (Be-
griffene) gegenüber dem bloß Bemerkten (nebenbei Mitgefassten,
noch Gehaltenen etc.). Aufmerksamkeit und Bemerksamkeit wären
also Gebiete innerhalb der erfassenden, zuwendenden Vorstellun-
25 gen, eine Sphäre der Auswahl des Herausgeschauten gegenüber dem
„dunkel bewussten“ Hintergrund (hdemi verworren gesehenen).
Analoges würde dann gelten für alle Zuwendungen, die ja vor-
stellende voraussetzen. Ferner würden wir nun für die thematischen
Akte sagen, dass in den Rahmen des Themas nur „konstituierte“,
30 irgendhwiei gefasste, ergriffene Objektitäten hineingehören können.
In die Sphäre vorzüglicher Meinung gehören ausschließlich Objekte
elektiver Zuwendung, herausgegriffene, aufgemerkte. In die Sphäre
dunkler Meinung, des thematischen Hintergrunds, gehören Hinter-
grundobjekte, die aber konstituierte sind.
35 Also das „Fel d der kon sti tui erten Objektitäten“ (bzw.
konstituierten Werte, konstituierten Onta etc.), das Feld bewusster,
im weitesten Sinn gefasster, ist es, aus welchem das thematische
Bewusstsein ein engeres Feld auswählt: theoretische, axiologische
gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen 165
genieße es. Genieße ich das Ding und erregt das meine Freude, macht
es mir als Ding Freude? Oder die edle Person, ist es ihr Dasein
und weckt die daseiende Person die Seligkeit? Natürlich kann ich
auch diese kausale Einstellung einnehmen und so sprechen. Aber
5 davon ist hier doch keine Rede. Besser kann man schon sagen: Die
Schönheit des Kunstwerks weckt und erregt meine Freude, und dieser
Freude, Lust „hingegeben“ (d. i., ohne sie etwa zu beobachten, zum
psychologischen Faktum zu objektivieren) genieße ich.1 Und weiter
kann ich sagen: Dieser Genuss hat seine Quelle in dem Schönen,
10 im Bewusstsein der Schönheit; in weiterer Folge geht er über in die
fröhliche, gehobene Stimmung, die ebenfalls ihre Quelle hat, nicht im
Schönen oder vielmehr nicht im Bewusstsein der Schönheit, in der
Zuwendung zu ihr, in ihrem Erfassen und Bewusstseinsmäßig-Haben,
sondern im Genuss.
15 Die Lust am Schönen, der Genuss ist Ausstrahlungspunkt, Quelle
einer Stimmung, er ist eventuell Erregung, jedenfalls „Lust“, und von
ihm geht weitere Erregung aus. So scheiden wir auch beim niederen
sinnlichen Genuss: Ich esse den Strudel; was ich eben im Mund habe,
schmeckt gut. Ich genieße, und zugleich geht von da aus ein Wohlge-
20 fühl als angenehme, heitere Stimmung, eventuell lange nachbleibend.
In anderen Fällen kann es sein: Der Strudel ist gut, aber ich kann nicht
recht genießen, der Genuss macht mir auch weiter keine Freude, es
geht von da nicht aus, hesi verbreitet sich von da aus nicht eine heitere
Stimmung (Magenfreude).
1 Oder ist das das Richtige, zu sagen: Die Schönheit ist Korrelat des Gefühls äs-
thetischer Freude, und diese Freude ist dann der Quell ausstrahlender Affekte, Stim-
mungen?
172 gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen
singe ein schönes Lied und freue mich daran. Dasselbe Lied würde
mir sonst nicht so viel Genuss bereiten, jetzt ist die Höhe der Lust-
wärme des zugehörigen Genusses eine besonders große. Alles nimmt
Farbe und Wärme von der Stimmung an, alle Lust wird gesteigert,
5 erhält einen Zufluss von Wärme, der eben nicht aus ihrem Wertobjekt
stammt, und Gleichgültiges wird fast zu einem „Schönen“ (nämlich
es erhält einen erborgten Glanz). Ich weiß das auch. Ich kann sagen:
„Ich bin glücklich, fröhlich, lustig, weil ich eine so gute Mahlzeit
eingenommen, weil ich so herrliche Kunstwerke genossen, weil ich
10 einen Erfolg errungen (die Nachricht davon empfangen) habe usw.
Alles macht mir doppelte Freude, weil …“. „Motiviert“ besagt da
nicht „berechtigt“, sondern drückt nur aus das Ausstrahlen, und
dass ich im Phänomen selbst finden kann, dass die Lust nicht aus dem
Wert des Objekts selbst stammt, sondern auf frühere Wertung und
15 Genuss zur üc kweis t als daher „kommend“. Diese Gefühlsreflexe
(erborgter Glanz) begründen keine Werte, auch nicht abgeleitete
Werte (eher Quellen der Wertirrtümer).
Wenn wir das Bewusstsein, in dem die Sache als wert bewusst
ist, und die Lust als Zustand, als Genuss, zu sondern versuchen,
20 so ist auf Seiten des Genusses von Steigerungsgraden gesprochen,
ferner von Ausbreitung, Ausstrahlung, die die Verknüpfung mit dem
aktuellen Wertschätzen verlieren kann. Halten wir die Verknüpfung
noch fest, dann bemerken wir Unterschiede wie: Ich betrachte mit
Genuss das Bild, „mich“ durchschauert eine Seligkeit. Mich: Durch
25 meinen Körper geht ein Strom der Lust, ich fühle diese Seligkeit im
Herzen, in der Brust, die Schauer breiten sich bis in die Zehen aus etc.
Das sind doch, möchte man sagen, lauter sinnliche Gefühle. Indem sie
bezogen sind auf Körperteile, sind diese doch nicht ein Worüber der
Freude, nicht Gegenstand des Genusses. Ich habe nicht Lust, Freude
30 an meinem Herzen, an meiner Brust. Das wird nicht gewertet, und
das steht nicht als Schönes da, dessen Güte und Schönheit erregt
keine Lust, sondern ich freue mich über das Kunstwerk, über das
Sehen (wertende Erfassen) des Schönen, ich freue mich über die
Güte dieses Menschen (über sie, die als wertes Schönes bewusst ist).
35 Die Verbindung zwischen Freudezustand, seligem Schauer etc.
und Leibesauffassung, Leibesgliedauffassung, ist eine wesentlich an-
dere als die Verbindung etwa der Lust an der Speise und der Spei-
senauffassung. Die Speise schmeckt, macht Lust; in gleichem Sinn
gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen 173
„schmeckt nicht“ meine Brust, macht sie mir nicht Lust. Anderer-
seits könnte man sagen: Es ist das Wohlgefühl, die süße Lust (der
nagende Schmerz) in der Brust, aber nicht ist ein bestimmtes Objekt
darin Objekt der Lust, vielmehr histi ein Empfindungsgehalt mit Lust
5 verwoben; so wie bei angenehmen Hautempfindungen, wo wir auch
nicht sagen, ich freue mich über meine Haut, sie macht mir Lust etc.
Muss man nicht doch sagen, es handle sich um sinnliche Lüste, nur
ausstrahlend von der Ursprungslust?
Und wie dann mit den nachkommenden Stimmungen? Soll man
10 sagen, in sich selbst sind sie sinnliche Gefühle? Ich bin „niederge-
stimmt“, in bedrückter Stimmung. Ich bin heiter gestimmt, in ge-
hobener Stimmung. Kann man sagen: Einerseits ist hier sicher ein
Empfindungsgehalt, und dieser histi Träger von unangenehmen oder
angenehmen sinnlichen Gefühlen, alles zu einer vagen Einheit ver-
15 schmolzen? Andererseits sind das Gefühle, die ihre Quelle haben:
Ich bin niedergedrückt, weil ich Schweres erlebt habe. Das steht im
Hintergrund. Aber ich denke nicht daran, es ist nicht etwa wirklich
(im Allgemeinen nicht) im Hintergrund als Vorstellung des erlebten
Unglücks. Oder ich bin in gehobener Stimmung, ich habe Herrliches
20 gesehen, ich war soeben im hPalazzoi Pitti etc., ich habe kürzlich eine
große Freude erlebt. Aber an das alles denke ich jetzt nicht, es ist nicht
wirklich im Bewusstseinshintergrund vorstellig. Es wirkt aber nach,
und die heitere oder gehobene Stimmung weist noch darauf zurück.1
Dieser Ursprungscharakter unterscheidet Stimmungen, die sonst,
25 in sich selbst, nach ihrem Gefühlsgehalt, nach ihrem Verlauf, ihrer
Einheitsform gar nicht unterschieden wären. Ebenso kann die mich
durchschauernde Seligkeit qua süßer Schauer genau dieselbe sein
beim Anblick eines hohen Kunstwerkes der Malerei, bei einer Sym-
phonie, aber auch bei einer Seligkeit im Anblick des geliebten, sich
30 hingebenden Weibes etc., eventuell auch bei religiöser Seligkeit. Es
sind A nnexe si nnli cher G efühl e, Ausweitungen, Verbreitungen,
Ausstrahlungen von Ursprungsgefühlen, dadurch jeweils charakteri-
siert und ihrem Wert nach nur bestimmt durch diesen Zusammen-
hang.
1 Aber sind das nicht dunkle Wertungen und Vorstellungen des Bewusstseinsun-
tergrunds? Natürlich nicht außerhalb der Achtsamkeitssphäre stehende anschauliche
Apperzeptionen.
174 gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen
Man könnte hinzufügen, dass die Art, wie diese sinnlichen Annexe
ihre Rolle spielen, ethisch bedeutsam ist: Der Fromme, der sich in
jeder Weise hineinsteigert in Schauer der Seligkeit, kann zu einem
Genüssling der Religiosität werden. Statt in religiösen Wertgefühlen,
5 in Hingabe an einen Wert des Göttlichen zu leben, lebt er im Genuss
der sinnlichen Schauer, die er auch auf unechte Weise zu erregen weiß
durch bedeutungslos gewordene Zeremonien, kirchliche Formen etc.
Und ist nicht Ähnliches auch beim Ästhetizismus zu sagen? Er ist
nicht so sehr dem Wert des Schönen hingegeben, der reinen Freude
10 daran, als dem Genuss, den diese Freude verbreitet und mit sich führt,
und da können ähnliche Genüsse auch aus ästhetisch bedenklichen
Quellen stammen.1
Kann ich also Akt u nd Zustand unterscheiden? Der Akt (die
Stellungnahme) hat intentionale Richtung auf das Gute, das Schöne
15 etc., er hat Hinwendung dazu und Meinung. Während ich mich am
Schönen freue – aktiv, ihm zugewendet, es betrachtend und die Freu-
denmotive durchlaufend,2 den Wert konstituierend –, erlebe ich auch
Ausstrahlungen in Form sinnlicher Freude, Erregungen, Affekte (ich
bin affiziert, verhalte mich dabei aber passiv). Ich erlebe Wohlgefühle,
20 sinnliche Schauer etc. In dieser Hinsicht erlebe ich Zuständlichkeiten.
Ich bin da nicht dem Sinnlichen zugewendet, ich vollziehe in dieser
Hinsicht keine Akte (als Zuwendungen und Meinungen).3 Ich kann
mich ihm aber auch zuwenden, nämlich diesen Schauern, diesem
süßen Wohlbehagen, und das selbst wieder kann Objekt der Freude
25 werden, eines Genusses. Man lebt sich darin ein und macht es zum
Thema. Man stellt sich auf das Wohlgefühl ein, steigert es dadurch
etc. Das scheint wirklich nahezulegen, dass sinnliche Gefühle Empfin-
dungen gleichstehen und nicht Akte sind. Akt wäre hier das Gefallen
an dem süßen Schauer, wie Gefallen am Wohlgeschmack der Speise.
30 Ich möchte folgende Stellung einnehmen: 1) Wenn ich über den
Verlust meines Freundes trauere, so ist das ein Akt der Un-Freude
1 Shiehei 53 h= S. 176,3–177,19i.
2 Diese Freude wäre die Urquellfreude und identisch mit dem wertenden Gefallen.
3 Das alles ist gut, aber es ist nicht darauf Rücksicht genommen, dass ich in der affek-
tiven Liebe, Begeisterung etc. liebend zugewendet bin und dass man sagen muss, dass
die sinnliche Verbreitung, die Größe von Affektion selbst eine intentionale Funktion
gewinnt. Demgemäß steht das Objekt nicht nur als gefällig, sondern als herrlich da etc.
gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen 175
über diesen Verlust, etwas, was als Wert dastand, ist nicht, und das
Nicht-Sein des Gutes, das Nicht-mehr-Sein, erregt Schmerz. Die ge-
gen dieses Nicht-Sein gewendete Unfreude ist der Akt der Trauer.
Wenn ich mich an dem lieben Menschen und seinem Gehaben in
5 Reden und Tun, etwa in dem Gespräch mit ihm, freue, so ist das ein
Akt der Fr eudenzuwendung zu ihm, der liebenden Hinneigung. In
diesem Akt ist er und sein Gehaben mir als „lieb“ bewusst und sein
Dasein als erfreulich. Dies ist das onti sche Korrelat des Aktes
(der in der Reflexion gegenständlich bewusst werden kann), und eins
10 und das andere ist untrennbar.
2) Wie verhalten sich nun Freude und Trauer als Akt zum Zu-
s tand, zur Sti mm ung der Freude bzw. Trauer und zum Affekt der
Freude, Freudigkeit, Fröhlichkeit? Schon während ich mit dem lieben
Menschen spreche, kann die Freude in Freudenerregung, in den Af-
15 fekt übergehen. Man wird wohl auch sagen: in freudige Stimmung. Es
handelt sich zunächst in unserem Beispiel um eine Kette thematisch
zusammenhängender Akte der Freude. Jeder solche Akt und die
Einheit des eventuellen Gesamtaktes ist einerseits Wohlgefallen, in
dem ein Wertcharakter bewusst ist, und sofern in ihm Wert bewusst
20 ist, hat das Unterschiede der Werthöhe, aber nicht der Lebhaftigkeit.
Andererseits kann ich dabei mehr oder minder tief freudig bewegt,
tiefer oder weniger tief betrübt sein. Mein „Interesse“ ist nicht immer
gleich tief, ich bin bald oberflächlich, bald tiefer interessiert, mit
meinem I c h betei li gt.
25 Dies e Gr ade der Betei l i gung des Ich, des Interessiert-
s eins, des Hineinreichens des Gefühls in mein Ich und meines Ich
in das Gefühl sind wohl eine eigene Sache und nicht ohne weiteres
identisch mit größerer oder geringerer Erregung. Ich kann sehr
tief betroffen, sehr tief bewegt sein, die Freude kann eine sehr tiefe
30 sein, ohne dass sie den Charakter großer Erregung zeigte, dass sie
zu erregter, eventuell lärmender Fröhlichkeit würde. Meine Freude
kann auch mehr oder minder klar und deutlich, nach ihren Objekten
und Motivationen expliziert sein.
Mit der Fr eude als Akt der i nteressierten Zuwendung geht
35 Hand in Hand der Fr eudenerregungszustand (oder Lähmung)
und die frohe Stimmung, ebenso bei der Trauer der Lähmungszu-
s tand, eventuell hderi Erregungszustand der „leidenschaftlichen“
Betrübnis, Herabstimmung etc. Das sind sinnliche Gefühlsannexe,
176 gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen
Fr eude zw eit er St ufe:1 Er ist nicht nur beglückt, sondern freut sich
seines Glückes, und so bereichert sich sein Glückszustand. Ebenso
beim Genuss des Kunstliebhabers. Der Ästhet giert nach ästhetischer
Freude, und indem er Ästhetisches anschaut, sich daran freut, erfüllt
5 sich auch in der Rückwendung im Genuss der ästhetischen Freude
sein Begehren nach ihr.
Offenbar gehört aber nicht zum Wesen jeder Freude der Genuss
zweiter Stufe, was ja einen unendlichen Regress mit sich führen
würde. Also können wir diese zweite Stufe ausschalten und sagen:
10 Oft verbindet sich mit der Freude ein Genuss an der Freude. Ist die
Freude sehr lebhaft, so drängt sie sich dem reflektierenden Bewusst-
sein, nämlich dem Wertbewusstsein (dem Hinblick und der Freude im
Hinblick) auf, es bestehen also dann Tendenzen zum Genuss an einer
vorhandenen Freude und ebenso zur Trauer über eine vorhandene
15 Trauer (sich glücklich – sich unglücklich fühlen, preisen).
Es bleibt also, wenn wir diese Schicht ausschließen, zweierlei:
1) Zum Wesen des Freudebewusstseins, des expliziten, realisierten,
gehört ein Werterfassen, ein Prozess der realisierenden Entfaltung
von Werten, nämlich der Werte, worüber man sich freut.
20 2) Die Freude selbst ist das durch das werterfassende, wertneh-
mende Bewusstsein fundierte oder motivierte Gefühl.
Jetzt ist aber die Frage die nach der Art und dem Sinn der In-
25 tentionalität dieser eigentlichen Freude (und zudem ist zu beachten,
dass wir bevorzugt haben die Fälle der expliziten, „klaren und deut-
lichen“ Freude). Ist es nicht klar, dass die Intentionalität der Freude
selbst eine andere ist als die des ihr zugrunde liegenden Wertneh-
mens?
30 Man möchte allerdings sagen: Im Werten steht mir etwas als wert,
in der Freude als erfreulich da. Aber näher besehen ist die Sach-
lage doch eine wesentlich verschiedene: Das Schöne erregt nicht das
1 Cf. 51 h= S. 173,9–174,29i.
178 gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen
die Hingabe an das Objekt Hingabe1 an seinen Wert und nicht bloß
an den Wert, sondern an die von der Freude ausgehende Erleuch-
tung ist. Das Ich lebt sich sozusagen aus in der Ausstrahlung, in
der das strahlende Gebilde, das erfreuliche Objekt, das freudenhelle,
5 dasteht. Nur dass nicht ein eigenes Vorstellen und Aufmerksamsein
(vorstellendes Postieren und Setzen) auf den Wert und das Rosig-
sein, auf den Schimmer geht. Das Licht der Freude bestrahlt das
ganze Wertobjekt. Aber die spezifischen Wertmomente haben ihre
besondere Beziehung zur Freude bzw. zu dem Licht als „Gründe“,
10 als eigentliche Erregungspunkte der Freude bzw. Treffpunkte der
Freudenstrahlung.
Wir hatten bisher solche Akte der Freudenzuwendung betrachtet,
in welchen sich Wertbewusstsein und Freudenbewusstsein in expli-
kativer Weise entfalten: Fälle der Klarheit und Deutlichkeit im Freu-
15 denbewusstsein. Im Fall der Verworrenheit ist eben das vorgestellte
Objekt bzw. das seinsgesetzte in einem mehr oder minder verworre-
nen Vorstellen vorgestellt; darauf gründet sich ein verworrenes, nicht
expliziertes, nicht klares Wertbewusstsein. Die erregte Freude ist
ebenso verworren, ohne bestimmte Erregungsbeziehung zu bestimm-
20 ten Wertungskomponenten, und ebenso ist das Licht eine allgemeine
Erleuchtung ohne deutlich abgehobene Wertfundierungen.
Das Bild vom Erleuchten ist eben nicht in jeder Hinsicht pas-
send, so sehr es sich aufdrängt. Es fehlt im Bild das Analogon für
die besondere Beziehung der erleuchtenden Strahlenbündel zu den
25 deutlich konstituierten Wertseiten, die besondere Zugehörigkeit von
Lichtcharakteren zu solchen Seiten, während zu anderen Seiten diese
Beziehung fehlt. Das Objekt ist wohlgefällig, lieblich, erfreulich um
der oder jener Momente willen; die sind das eigentlich am Objekt
Erfreuliche, aber alles, das ganze Objekt, ist lichtumflossen. Und wo
30 keine Sonderung und Verdeutlichung statthat oder wo gar ein unei-
gentliches, leeres Vorstellen und Setzen das Objekt bewusst macht,
da geht in diese intentionale Richtung ein allgemeiner Schein, der
darum doch sehr lebhaft sein kann, wie auch die Unterschiede der
Lebhaftigkeit der Freude in eine andere Linie gehören. Sonst macht
35 ein besonders lebhaftes, also besonders helles Licht deutlich, aber
der rosige Schimmer, das von der Freude kommende Licht, wird
verworren.)
Natürlich bestehen auch die Unterschiede, ob die wertgebenden
Momente selbstgegeben sind, dadurch, dass eine Anschauung des
5 Objekts nach seinen wertgründenden Eigenschaften vollzogen ist,
oder ob etwa von dem Objekt bloß die Rede ist: Ich höre eine
freudige Nachricht, das Freudenlicht strömt auf den Satz über, auf das
Ausgesagte als solches und dadurch auf den Sachverhalt; es mag auch
eine Betonung statthaben hinsichtlich der besonderen wertsetzenden
10 Worte und Sachen. Aber es bedarf der Klarheit. Die Gründe der
Wertung sind nicht gegeben, der Wertverhalt ist bloß denkmäßig
gesetzter, und der Wert selbst ist bloß gedanklich gesetzter etc.
Wieder ein Neues: Die Geliebte ist aus dem Zimmer gegangen,
ich bin von Glück erfüllt, aber nicht ihrem „Bild“ (Retention) zuge-
15 wendet, aber auch nicht der Seligkeit, dem Glück. Ich nehme etwa
ein Buch zur Hand, blicke im Zimmer umher: Alles hat von ihrer
Gegenwart Reiz und Wert angenommen. Hier verbleibe ich in der
thematischen Einheit, und die Akte implizieren noch Beziehungen
und Meinungen (wenn auch sekundäre), die auf die Geliebte gehen.
20 Ich freue mich an all diesen Dingen, aber um der Beziehung zur
Geliebten willen. Ihre Gegenwart hat diesen Raum geweiht, ihre
Beschäftigung mit diesen Dingen hat ihnen Wert gegeben etc. Es
brauchen dabei keine eigenen Meinungsstrahlen sich auf die Geliebte
in der Erinnerung zu richten. Gerichtet sind wir auf die Sachen, auf
25 ihre Wertcharaktere und ihre Freudenerhellung. Aber diese Freu-
den haben Zusammenhang mit der lebendigen Seligkeit, die mich
erfüllt, strahlen von ihr aus, obschon in anderer Weise als wenn sie
die Objekte der Seligkeit wären. Und erst recht, wenn hichi in die
übrige Umwelt hinausblicke: Ich freue mich des Lichtes, das auf alles
30 fällt. Wie ist die ganze Welt so schön! Alle Welt empfängt Licht von
der Geliebten etc. Im Rausch der Seligkeit bin ich ganz von dieser
„erfüllt“. Bald wende ich mich dem seligmachenden Objekt zu, bald
der Seligkeit, ihrer in Freuden innewerdend, bald äußeren Objekten,
die Reflexe an ihnen genießend. Bei all dem behält die Freude, der
35 Freudenzustand, die Seligkeit, ihre intentionale Richtung im weiteren
Sinn, wenn auch nicht das meinende Gerichtetsein. Kann nun die
erregte Freude über A die Beziehung auf das Objekt, die Beziehung
auf den erregenden A-Wert einbüßen?
182 gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen
Etwas macht mir Freude. Ich bin dann fröhlich, gut gestimmt. In
der fröhlichen Stimmung freue ich mich nicht mehr über A; ich mag
aber wissen, dass ich fröhlich bin, weil A mich fröhlich machte. Es
können aber auch nacheinander mehrere voneinander unabhängige
5 Erfreulichkeiten mich fröhlich gemacht haben. Auf die Frage nach
dem Grund der Fröhlichkeit kann es sein, dass ich mich des einen
oder anderen nicht mehr erinnere, nicht alle Gründe angebe und
vielleicht gar keine bestimmten Gründe anzuführen vermag.
Solche Fröhlichkeit als Stimmung kann ursprünglich Freude über
10 A oder A’ gewesen sein, sie ist es nachher nicht mehr, sie entbehrt der
bestimmten Beziehung auf diese ursprünglichen Anregungsgründe.
Es braucht auch nicht vorhergegangen zu sein ein großer Anstoß der
Erregung, aus kleinen und wiederholten Anregungen kann ein Strom
und Habitus heiterer Lebensstimmung erwachsen.
15 Freudengefühle und heitere Stimmungen können auch erwachsen
ohne Untergrund einer thematisch wertenden Intentionalität, näm-
lich ohne sich als spezifisch sich richtende Freuden auf Gewertetes
zu etablieren; so z. B. Freude an der wissenschaftlichen Forschung
oder vielmehr in ihr als Freude am Rhythmus der Problemstellun-
20 gen und Problemlösungen durch mancherlei Enttäuschungen und
Hindernisse und entsprechende Unliebsamkeiten hindurch, wobei
die thematische Intention durchaus im theoretischen Bewusstsein
sich hält. Jede Freude dieser Art hat ihre „Beziehung“ auf das sie
Fundierende und Erregende, aber keine thematische Richtung. So
25 mag auch der Rhythmus des Lebens unterer Stufe mit seinen Vor-
stellungen, Urteilen, seinen Wertungen und Strebungen eine tiefere
(oder höhere) Schicht des Gefühls im Rhythmus ohne Hinwendung
mit sich führen. Auch mancherlei im Verborgenen auftauchende Ge-
danken (Erinnerungen, Vorstellungen irgendwelcher Art), in denen
30 kein Strahl der Meinung hindurchgeht, begründen Gefühle, regen
heitere und traurige, lustige hundi unlustige Gefühle an, die in einen
einheitlichen Gefühlsstrom einmünden können, in eine Einheit der
Stimmung.
hHierihinein gehört auch der große Strom der sinnlichen Gefühle,
35 der Gemeingefühle, wobei auch zu sagen ist, dass von jeder lebhaften
Freude Ströme sinnlicher Gefühle ausgehen und die Freudenerre-
gung erweitern und verbreitern, ja dass, wie es scheint, jede Erregung
von Freude ihre sinnlichen Komponenten hat, einen breiten Gehalt
beilage vi 183
5 Beilage VI
hWertbewusstsein und Genussi1
Ich kann etwas erfreulich finden, ohne mich daran wirklich zu freuen. Ich
bin vielleicht zu dösig, um mich zu freuen, zu stumpf. Ich ärgere mich, dass
ich mich nicht freuen kann, wo ich doch überzeugt bin, dass es schön ist,
dass der Sachverhalt so ist oder das Ereignis eingetreten ist. Ich kann sogar
15 „einsehen“, dass es erfreulich ist.
Wie ist das zu erklären? Es kann ein Konflikt der Motive vorliegen. Zum
Beispiel ich kann einsehen, dass es gut ist, dass Russland eine Niederlage
erlitten hat. Aber ich habe russische Staatspapiere und ich empfinde den
Schaden des tiefen Kursstandes, der eine Folge der Niederlage ist. Ich kann
20 mich an dem für erfreulich erachteten Sieg der Japaner nicht freuen. Oder
jemand teilt mir mit, dass ein langjähriger meiner Wünsche erfüllt ist. Ich
bin aber noch nicht in der Einstellung, mich zu freuen. Ich weiß, dass die
Sachlage, die da eingetreten ist, erfreulich ist, dass ich mich freuen sollte, aber
ich freue mich noch nicht. Oder ich bin verschlafen, ich stecke in ganz anderer
25 Sache mit meinem ganzen Denken und Fühlen. Aber ich verstehe sogleich,
dass das Ereignis ein erfreuliches ist, ehe ich mich wirklich freue. In sol-
chen Fällen habe ich gegenüberstehend g e w u ss t e , g e d a c h t e , g e u r t e i l t e
Er fr eul i c hke it und w irk l i ch e Fre u d e.
Kann ich auch die Evidenz haben, einsehen, dass etwas erfreulich ist, ohne
30 wirkliche Freude? Wie es scheint, gibt es dazu Parallelen überall: Ich kann
„sehen“, dass ein Bild „reizend“ ist, ohne dass ich fähig wäre, momentan
mich dem Reiz hinzugeben. Ich kann einen ästhetischen Wert „sehen“, ohne
1 1909.
2 Umfassende Ausführungen in HH in Q h= IV. Die Arten der Gemütsintentionalität
(S. 97)i.
184 gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen
ihn doch zu genießen. Den Wohlgeschmack einer Speise kann ich empfinden,
aber ich „genieße“ nicht die Speise. Ich halte etwas für erwünscht, für begeh-
renswert, ich wünsche, begehre aber nicht danach. Ich halte etwas für gut, für
wollenswert, ich will es aber nicht. Ich entscheide mich nicht praktisch dafür:
5 Alles spricht dafür, nichts dagegen. Ich denke auch nicht an die Mühe, die es
machen würde, auszuführen, was gewollt wäre. Ich bin eben rein passiv. Ich
tue nichts.
Kann man auch Fälle aus der U rt e i l ssp h ä r e heranziehen? Ich halte
eigentlich etwas für richtig, aber ich will mir es nicht eingestehen. Ich sage
10 anderes aus. Ich bleibe bei meiner Parteimeinung. Ich sage sie nicht nur
in Worten hausi, ich „glaube“ sie auch. Ich fühle das Übergewicht, das
für eine Lehre spricht, ich „lasse sie (oder es) aber nicht gelten“. Andere
Überzeugungen stehen ihr gegenüber, die ich festhalten will, an denen mein
Herz hängt, die ich gemütsmäßig bevorzuge. Ich suche nach Gründen, even-
15 tuell Scheingründen, welche das Übergewicht, sei es auch nur zum Schein,
paralysieren könnten. Was sich als wahr anmutet, wird von mir nicht als wahr
hingenommen, sondern ich nehme ablehnend Stellung dazu. Aber freilich,
kann ich wirklich sehen, dass S p ist, und dann doch dagegen „Stellung
nehmen“?
20 Man könnte auch auf das Phänomen der Urteilsenthaltung hinweisen. Ich
sehe, dass S p ist. Es steht vor mir „S ist p!“ Ich enthalte mich aber des Urteils.
Ich will jetzt nicht dafür „Stellung nehmen“, aber auch nicht dagegen. Ich
nehme die Stellung der Urteilsenthaltung.
Kann ich mich nicht auch der Freude „enthalten“? Ich sehe, dass etwas
25 erfreulich ist, es steht als erfreulich da: Ich will aber nicht in der Weise der
aktiven Freude dazu Stellung nehmen. Und freue ich mich schon, so kann ich
mich der aktiven Freude enthalten.
Kann ich mich ebenso eines Wunsches enthalten, einer Begierde ent-
halten, obschon eine Sachlage als wünschlich (wünschenswert), als ange-
30 nehm erscheint? Man kann sich einem Wunsch, einer Begierde hingeben,
und dabei ist die Rede von lebhaftem, brennendem Wunsch, je „mehr“ ich
mich ihm hingebe, umso mehr Macht gewinnt er über mich, umso lebhafter
wird er usw. I ch kann mi ch e i n e r Ü b e rze u g u n g h i n g e b e n. Und da-
mit hängt zusammen, dass eine Überzeugung lebhafter und minder lebhaft
35 ist.
Haben wir auch beim Wollen Analoga? Lebhaftigkeit des Wollens, Stärke,
„ Ener gi e “ des Wol le ns? Handelt es sich hier um i m m a n e n t e M o m e n -
te der A kte oder um Zusammenhangscharaktere? Ich lebe im Wollen, das
Wollen nimmt eine ausgezeichnete, beherrschende, andere Akte ausschlie-
40 ßende, hemmende Stellung im Bewusstseinsleben etc. heini, beherrschend
den Verlauf der Akte etc.
beilage vi 185
(freue mich nun daran). Oder ich freue mich, konstatiere die Erfreulichkeit,
sehe das Objekt in seiner Erfreulichkeit, gebe mich dann der Freude doppelt
hin, da ich das sehe usw.
Gebe ich mich hin, so steht schon das Erfreuliche als erfreulich da. Das
5 Schöne steht als schön da. In der o b j e k t i v e n E i n s t e l l u n g, in der ich
zunächst bin, tritt objektiv das Schöne hervor. Ich fühle d e n R e i z , d e n e s
übt, aber ich lebe nicht im Gefühl, sondern im Objektitätsbewusstsein, und
das impliziert ein Auffassungsbewusstsein „schön“. Gebe ich mich hin, so
„gebe ich mich der Schönheit hin“, und in gewisser Weise „gebe ich mich der
10 Freude an der Schönheit, dem Genuss der Schönheit hin“. Das Schöne steht
schon halsi schön da, und ich wende mich im Gefallen der Schönheit zu. Das
schöne Objekt l ockt mi ch mit seiner Schönheit, an ihm Gefallen zu haben,
in der genießenden Freude zu leben (mich im anderen Sinn dem Genuss in
die Arme zu werfen etc.).
15 Damit braucht nicht gesagt zu sein, dass eine M e h r f ä l t i g k e i t d e s
Gefühl s vorliegt, eines, das zur Konstitution der Schönheit am Objekt
gehört, und eines, das zum Gefallen gehört. (So, um einen parallelen, obschon
andersartigen Fall heranzuziehen, wird dieselbe Tastempfindung einmal zur
Rauigkeit des Objekts und in anderer Auffassungsrichtung zur Rauigkeits-
20 empfindung in der Hand, gehörig zum Subjekt.)
Der obj ekti ve Cha rak t e r, der Charakter der Schönheit, des Wertes etc.
änder t s i c h ni cht mit der Schrankenlosigkeit der „Hingabe“ bzw. mit der
Beschränkung und Enthaltung. Die Freude mag auch in der freien Hingabe
und mit dem Maß der Ausschaltung hemmender Momente lebhafter und
25 immer lebhafter werden: Aber das ist Sache des aktiven Verhaltens, nicht
aber ändert es etwas an dem Wert der Sache, so wie er natürlich als Wert
bewusst ist. Freilich ist da ein Feld der Untersuchung.
Natürlich ändert sich der relative Wert, je nachdem in der Umgebung
höhere oder niedere Werte zur Vergleichung herangezogen werden und
30 überhaupt im Sehfeld des Bewusstseins auftreten und mitsprechen. Aber
wenn ich z. B. meine Aufmerksamkeit auf eine Speise konzentriere und ihren
Wohlgeschmack, so ist das günstig, um diesen in seiner Eigenart deutlich und
klar herauszubestimmen, herauszufassen. Und gebe ich mich dem Genuss
hin, frei, so mag der Genuss n u n l e b h a f t e r s e i n als in dem Fall, wo ich
35 abgelenkt war und dgl. Aber der lebhaftere Genuss macht nicht den Wohl-
geschmack intensiver: Er g i l t m i r als unverändert, er gehört zum Objekt.
Ich sage auch, e r komme b e sse r zu r G e l t u n g , z u s e i n e m R e c h t e t c.
Aber das impliziert dasselbe: d a s O b j e k t i v se i n d e r W e r t e i g e n s c h a f t.
Wir hätten auch so zu sagen: Es kann sein, dass eine Begierde Macht
40 und immer mehr Macht gewinnt und dass das, wonach ich begehre, sein
Wert, infolge der Begierden-Intensität ü b e rsch ä t z t w i r d. Täuschungen in
beilage vi 187
Bezug auf die Wertgrade sind möglich und sind bedingt durch die Intensität
der Hingabe des Genusses, des sich hingebenden Gefühls d e s A f f e k t s.
Aber wir sprechen eben von Täuschungen. Es liegt in der „Natur“ dieser
Verhältnisse zwischen Wert und Genießen, dass Wert etwas Objektives ist
5 und nicht bestimmt durch die wechselnde Höhe des Genusses. Doch das sind
nur Anfänge!
Zusätze: In der Urteilssphäre, zunächst bei den Urteilen im engeren
Sinn der aussagenden Akte, der behauptenden, glaubenden, unterscheiden
wir den Charakter des Urteils im logischen Sinn, und zwar phanseologisch,
10 vermöge dessen die Behauptung eben Behauptung ist, S ist P!, der Glaube
eben das glaubt usw. Demgegenüber unterscheiden wir andererseits das mehr
oder minder lebhafte Überzeugtsein, das Bewusstsein der Unehrlichkeit, der
Parteinahme, die Gegenmotive unterdrückt hat oder nicht hat aufkommen
lassen etc. Das alles bezieht sich auf die su b j e k t i v e W e i s e d e s V o l l z u g e s
15 „ des s el ben Urtei ls “.1
Hierher gehört auch ein oft hereinspielender Sinn der Rede von „Stel-
lungnahme“ (weswegen das Wort2 n i ch t brauchbar ist für Aktqualität, Ak-
tintention), wonach wir uns einer Ansicht anschließen, uns auf ihre Seite
stellen, was dem Urteil einen Modus gibt, der es als Urteil (als Glaube, dass
20 das und das sei, hinsichtlich dieses Allgemeinen, was überall die Rede von
demselben Glauben, demselben Urteil begründet) nicht ändert.
Und die Weise dieses Stellungnehmens ist dann wieder eine verschiedene,
sofern sich damit verknüpft ein ehrliches und unehrliches Parteinehmen und
dgl. Und das Gegenteil ist Nicht-Stellungnehmen (Enthaltung) und Dagegen-
25 Stellungnehmen als Nein-Bewusstsein.
Ähnliches gilt für Vermutung, Für-Wahrscheinlich-Halten, Zweifeln (un-
ehrliches Zweifeln, aus dem Parteigeist heraus) usw. Wieder sehen wir Ana-
loges in der Gemütssphäre.
Nun fragt es sich freilich, ob nicht in der Urteilssphäre es bloße Gemüts-
30 charaktere sind, Gefühle, Tendenzen, welche die Unterschiede ausmachen.
Zum Teil spielen natürlich solche mit. Aber doch wohl nicht anders als bei
kann aber auch Partei nehmen, mich einverstanden erklären, mich auf Seite des Urtei-
lenden stellen, für seine Ansicht Partei ergreifen, mich dafür gefühlsmäßig engagieren.
Ich kann aber auch für einen Urteilsinhalt, der mir sich entgegendrängt, interessiert
sein, ein Interesse daran haben, ihn zu übernehmen, gelten zu lassen, ihn zu urteilen.
188 gefühlsbewusstsein – bewusstsein von gefühlen
Beilage VII
20 Das Sich-Aufdrängen heines
Objekts als Reiz zur Zuwendungi3
Das Auffallende in der sinnlichen Sphäre.4 Ein Ton, ein Geräusch, eine
Farbe ist mehr oder minder aufdringlich. Aber auch ein Gedanke, der auf-
taucht, kann aufdringlich sein, ein Wunsch, eine Begierde kann mich verfol-
25 gen mit ihrer Aufdringlichkeit.
Wie ist diesem Unterschied phänomenologisch beizukommen? Dem Auf-
drängen entspricht zunächst ein sich mehr oder minder scharfes Abheben
in der sinnlichen Sphäre: Kontraste, qualitative Diskontinuitäten erhebli-
chen Abstandes und dgl. Von qualitativen Diskontinuitäten (vgl. hLogischei
1 Nicht anders? Einem Wunsch, einer Freude gebe ich mich hin, in ihr lebe ich mich
aus. Nicht im Urteilen in demselben Sinn. Motive der Hingabe sind zu scheiden von
ihr selbst und ihrer wechselnden Intensität.
2 An den Rand dieses Absatzes hat Husserl später ein Fragezeichen geschrieben. –
die sie bekundet etc., und als angenehm, lieblich, anmutig steht das da. Aber
ich werde nun warm und wärmer, schließlich bin ich entzückt.
Ich kann zugewandt sein dem, was die liebe Person sagt, eine Weile
„theoretisch“ beschäftigt mit einer Frage, die sie stellt, während ich immer-
5 fort von ihrem Reiz berührt bin, sie steht als Reizende da; alsbald, sowie die
Frage beantwortet ist, wird der Reiz Übermacht, und ich lebe im Gefallen,
im Entzücken oder zugleich darin und in einem Spiel von Reden, die mir
dazu dienen, sie ihren Reiz entfalten zu lassen; eventuell aber auch lebe ich
in der Tendenz meinerseits, ihr Gefallen zu erwecken und dann doch wieder
10 ihr primär Gefallen zuzuwenden etc.
VII. PASSIVITÄT UND AKTIVITÄT
IN INTELLEKT UND GEMÜT1
Das ist klar, dass das „ Ich gl aube “ nicht ein Zuerteilen
eines C har akt ers der G ewi sshei t, ei n vom Ich her Zuertei-
len is t an irgendetwas, das irgend schon da ist, irgend schon vor-
stellig ist und nun demgemäß den Charakter „gewiss“ annimmt und
5 hat. Diese Intentionalität in der Strukturform stetiger Erfüllung ist
selbst Bewusstsein eines gewissen Seins, und das Gewisssein als
ur s pr üngliche Doxa ist nichts als eben das Allgemeine dieser
Strukturform, und der darin konstituierte gegenständliche Sinn hat
den Modus leibhaft seiend (selbstgegenwärtig, in der Erinnerung Re-
10 produktion der Selbstgegenwart). Oder sollen wir besser sagen: Ein
in dies e r Str uktur verl aufender i ntentionaler Prozess ist
s tetiger „ Glaube “, sofern in jeder Phase die erreichte Gesamtin-
tention und darin herausgehoben etwa die Endintention „ungebroch-
en“, „unmodalisiert“, nicht gehemmt, gespalten, durchstrichen ist?
15 Intention kann eben entweder ursprüngliche Intention sein und blei-
ben oder eine eigentümliche Art Abwandlung erfahren, und das
ist die Modalisierung. Und die nicht abgewandelte Gestalt, eben
diejenige, die Einstimmigkeit charakterisiert, und jede intentionale
Komponente innerhalb der Einstimmigkeit, das ist „Glaube“, und
20 der Sinn hat den Modus der Gewissheit.
Der gegenständliche Sinn ist eben ein Abstraktes und hat selbst
mit Rücksicht auf die bloßen Abwandlungsformen in der Reihe der
Modalisierungen eine erkennbare abstrakte Scheidung in bloßen ge-
genständlichen Sinn als „Inhalt“ und eine modale Form; darin die
25 Urform der Gewissheit und dann die Abwandlungsformen der Ge-
wissheit. Der gegenständliche Sinn ist ein abstrakt Identisches im
vollen Sinn (gegenständlicher Sinn in seiner Modalität), er bleibt
derselbe im Wandel der Modalität (Seinsmodalität). Wie ist es nun
mit dem I chtun i n der ursprüngl i chen Modalisierung?
30 Sowie die Intentionalität sich von einem Punkt aus spaltet, nämlich
sowie von einer Stelle aus mehrfache Protentionen auftreten, die sich
„hemmen“, miteinander „streiten“, bin ich in Widerstreit mit mir, bin
ich Zweifelnder und dann Fragender. Wenn ich in der Wahrnehmung
des Gegenstandes oder Vorgangs bin und sie noch im Werden ist,
35 dann besagt diese Spaltung, dass die Auffassung in eine Doppelauf-
fassung auseinandergeht, die Ichintention in eine Doppelintention,
dass ich statt eines Sinnes einen Doppelsinn habe, dass ich statt eines
Seins, Gewissseins eines seienden Dinges (Satz), zwei habe. Aber
passivität und aktivität in intellekt und gemüt 195
doch wieder nicht, insofern als jeder solche Satz (jedes solche Sein)
durchlaufbar oder fortführbar histi in einer Einstimmigkeitskonti-
nuität (mit ihren Erfüllungen und Stimmungen), sowie ich eben ihm
nachgehe, tätig mich in ihn hineinlebe und dieses Gewisssein habe,
5 hichi mich haberi da nur hineinleben kann unter beständiger Hem-
mung, Bestreitung. Alles ist wie im Fall der schlichten Gewissheit,
nur dass alles „bestritten ist“ durch die Gegenintentionen. Lebe ich
mich in diese, also in die Gegenauffassung, ein, so habe ich das andere
dingliche Sein, aber wieder mit entsprechender Bestreitung. Gebe ich
10 mich dem einen hin, so gibt sich das andere als nichtig, und umgekehrt.
Was heißt das „gebe ich mich hin“? Das Bewusstsein des einen kann
die Form der Hypothese gewinnen, des „gesetzt, dass“. Lasse ich das
gelten, dann ist das andere ungültig, ich kann es dann nicht gelten
lassen; ebenso umgekehrt.
15 In der Gewi ss heit habe ich schlechthin bewusstes Sein, ich habe
den gegenständlichen Sinn in schlichter (unbestrittener) Geltung. Im
Z w eifel habe ich den gegenständlichen Sinn in bestrittener Geltung
(in bestrittener Gewissheit), und bestrittene Geltung setzt eine damit
streitende und korrelativ selbst bestrittene Geltung voraus: Stimme
20 und Gegenstimme, und jede Stimme hat etwas Geltungskraft, aber
doch nicht die Kraft der Geltung schlechthin; das Unbestrittene, ge-
gen das nichts spricht. Indem ich das eine betrachtend durchlaufe,
bin ich „geneigt“ zu glauben; in der Linie meines Fortgehens habe
ich das „Es stimmt“ und die fortgehende Erfüllung meines „Ich
25 glaube“, „Ich bin gewiss“. Aber von der anderen Seite her kommt
das „nicht“, das Streiten: Ich bin bei all dieser Neigung gehemmt zu
glauben, eben durch eine beständige Gegenneigung. Das Ich erteilt
als o w ohl nic ht einen Charakter, aber es selbst ist in der
Modalis ierung betei l i gt, betroffen. Es ist nicht so, wie wenn es
30 einmal das und das andere Mal jenes vorfände und dem nachgehe, das
hieße ja, in der Kenntnisnahme und Kenntnis erstrebend, erzielend
hzui leben, sondern ich werde in diesem Tun gehemmt, ich schwanke,
ich bin geneigt, ich lehne ab.
Ebenso in den Gestalten des explizierenden und begreifenden
35 Denkens, zunächst in der anschaulichen Sphäre und dann im sekun-
dären, unklaren und symbolischen Urteilen. Es ist ein Kreis von Modi
des „Gegenstandsbewusstseins“, aber hier von Modi der Ichaktivität
und Ichpassivität, Modi des thematischen Vollzugs von Intentionali-
196 passivität und aktivität in intellekt und gemüt
1 In gewisser Weise allerdings „erstrebt“, aber das besagt natürlich nicht von vorn-
herein „beabsichtigt“.
2 Das wäre ein „Absehen“ haben, Absichten haben, Begierde und Willen haben in
Die Aktivität des Gemüts und des Willens. Das Gemüt vor der
30 A ktivität. Das Bewusstsein in seiner passiven Intentionalität kon-
stituiert Sinn, zuunterst „ichfremden“ hyletischen Sinn in passiver
Kontinuität der Deckung unter Abhebung. Aber in dieser Passivität
fundiert die hyletische Intentionalität auch Lust oder Unlust, An-
nehmlichkeit und Peinlichkeit. Und das ergibt Schichten weiterer
35 Synthesen von wandelbaren Schichten an schon anderweitig konsti-
204 passivität und aktivität in intellekt und gemüt
genstand hat nun eine neue Schicht „gefällig“.1 Vor der Zuwendung
des fühlenden Ich ist er schon mit einer Lustschicht ausgestattet, und
wie ich in der Zuwendung ihn erfasse und von ihm weitere Kenntnis
gewinne als den, der schon vordem war, so auch kann ich ihn vorfinden
5 als den, der schon „angenehm“ war. Dieses „angenehm“ ist nicht
verloren, es hat jetzt den Modus des „gefällig“. An ihm ist weiter
das „angenehm“, aber ich habe von mir aus meine Freude daran.
Aber muss man dann nicht sagen, es ist eben hier zweierlei, das
Kenntnis nehm en der Lust und das Sich-daran-Freuen als
10 „ A ntw or tr eakti on “ des Ich? Aber heißt das dann nicht, dass
eine gewisse Sorte sinnlicher Momente, genannt sinnliche Gefühle,
die Auszeichnung hat, „im“ Ich besondere Reaktionen zu erwecken
oder gewisse Weisen der Erfassung, die Freude ist, zu erwecken?
Nicht nur: Ich nehme Kenntnis, sondern in neuer Schicht: Ich habe
15 Gefallen?2
1) R ic htung auf di e gegenständl iche Einheit – Synthese
der Identifikation, der Bestimmung, hdesi Urteilens: Antwort auf die
Seinsaffektion (at tent io nal e Affekti on – Affektion des Gegen-
standes als Einheit).
20 2) Ric htung auf den Wert, Antwort auf die Affektion der
Lust und Unlust, auf die des Gefühls: Hingabe in Form des patenten
Gefühls.3 Das Ich ist genießend und Gefühlsintention als Streben
erfüllend in der genießenden Lust, die, fundiert durch ein Merkmal,
die Gegebenheit des Merkmals voraussetzt. Gefallen haben: Ein Ich
25 hat Lust und strebt nach ihr, sie habend. Aber wodurch scheidet
sich das von der Lustwahrnehmung? Ich kann sie doch haben und
mich nicht daran freuen, nicht mit Gefallen antworten. Lust ist eben
doch etwas Eigenes. Passiver Gemütsmodus, der affizierend aktive
Gemütstätigkeit motiviert? Was sagt das aber? Es ist wie ein sinnlich
1 Ich habe neben den Gegebenheitsmodi, in denen sich der Gegenstand als Einheit
konstituiert, noch subjektive Modi des Gefühls als solche, die nicht konstitutiv sind
und doch zu ihm insofern gehören, als er in Verbindung mit gewissen seiner Gegeben-
heitsweisen, als gerade durch diese fundiert, die weitere hat, die doch nicht darstellend
ist, also nichts zur Synthese beiträgt. Wie ist es bei immanenten hyletischen Daten,
einer schönen Farbe, einem süßen Geigenton? Das Immanente ist selbst subjektiv. Ist
also hier eine solche Scheidung möglich? Das reicht hier nicht hin.
2 Nein! Die sinnlichen Gefühle vor der Zuwendung sind Hintergrundwertungen;
nicht die Reflexion auf die gefühlsmäßige Gegebenheitsweise den Wert voraus, das ak-
tuelle Werten? Das ist erst genießende Lust, dann Lust als gegenständlicher Charakter
und objektiviert erfasst.
passivität und aktivität in intellekt und gemüt 207
oder Wertgestalt. Alles, was aber im Leben auftritt, ist selbst objekti-
viert und kann in Objektivation eintreten, auch die Akte des Ich etc.
Es ist also ein im mer währendes O bj ektivieren und Werten
und ein immerwährendes Affizieren und Reagieren gegen Affektion
5 in Formen aktiver Intellektion und Emotion. Ic h erkenne also
keine Gr undkl ass en an, oder i n we lchem Sinn soll von
Gr undklas s en gespr ochen werden?
Aber nun kommt das Probl em des Gemüts, der Lust- und
Unlustaffektion etc. Die Gegenstandskonstitution führt in die Syn-
thesis und in die Betrachtung der konstitutiven Funktionen für die
Synthesis. Wenn ein Gegenstand Lustgegenstand ist, so ist er frei-
5 lich als lustig bewusst, und das Lustmoment ist auch mitkonstitu-
tiert in „gegenständlicher“ Weise. Aber für den Gegenstand, der
als lustig bewusst und bald wieder bewusst ist als unlustig, haben
wir eine abgesc hlos se ne G egenstandskonstitution, und in
dies em Z usam menha ng hat di e Lust keine konstitutiven
10 Funktionen. Das gilt es deutlicher zu machen. Denn ist nicht der
Wertgegenstand auch wieder Gegenstand? Er hat Wert. Hat er Wert
als eine Eigenschaft, als etwas zu seinem eigenen Sinn Gehöriges?
Wir haben ein geschlossenes System der Bewusstseinssynthese und
in ihm den sich identisch durchhaltenden und bestimmenden Gegen-
15 stand, und wir haben in diesem Bewusstsein als Synthese fundiert
ein neues Bewusstsein, das seine eigene Synthese hat. Nun haben
wir sonst auch fundiertes Bewusstsein, Relationsbewusstsein zum
Beispiel. Aber hier im Wertbewusstsein konstituiert sich zunächst ein
Gegenstand in eigener Synthesis und aufgrund seiner Bestimmung
20 die in ihr fundierte Schicht Wert. Und sie ist nicht nur etwas, was der
Gegenstand als seine Bestimmung in sich und in seinem beziehenden
Übergang hat, sondern in der Patenz heißt es, ich genieße, ich fühle
Lust am Gegenstand, an dieser Bestimmung. Die Lust ist für den
Gegens tand nic ht ko nsti tuti v, si e ist ihm fremd, sie ist
25 „ s ubjektiv “, si e i st ei ne Wei se, wi e er sich mir gibt, wie er
„ er lebt “ is t, aber nic ht ei ne W ei se, wie er sich „ darstellt “,
kons tituiert.
Die Lus t is t auch n i cht ei n Rel ationscharakter, der dem
Gegenstand im Verhältnis zu anderen vorkonstituierten und dann
30 erfassten Gegenständen zukommt. Lustcharakter kommt dem Ge-
genstand, eventuell dem bestimmten Gegenstand, auch dem in Re-
lation bestimmten, zu. Die Objektivation liegt darunter und fundiert
in ihren synthetischen Gestalten eine darüber gelegte Schicht der
Wertung. Erst wenn diese patent wird und dann Lust gegenständlich
35 erfasst hwirdi, haben wir Relation.
210 passivität und aktivität in intellekt und gemüt
Beilage VIII
hObjektivation und wertendes Gefühli1
1 Vgl. 11 h= S. 207,29–209,35i.
212 passivität und aktivität in intellekt und gemüt
Gefühlslage ein Lustgefühl hier nicht aufkommen lässt, so ist es auch nicht
da. Und wenn es da ist bzw. wenn der Gegenstand hinsichtlich einer ihm
eigenen Bestimmung als lustvoll charakterisiert ist, kann dieser Charakter
selbst wechseln und anders als ein eigenschaftliches Moment, handers,i als
5 ob der Gegenstand sich verändern würde.
Wie ist es bei immanenten Daten? Müssen wir hier, etwa bei einem lieb-
lichen Ton, der außerhalb aller räumlichen Objektivierung als Empfindungs-
datum genommen ist, nicht sagen, der Ton selbst und sein Gefühlscharakter
seien eins, es liege eine Zweischichtigkeit vor? Zu scheiden sei zwar, aber
10 so, dass der Gefühlscharakter fundiert sei durch den fundierenden sinnlichen
Gegenstand, so wie er in seiner Dauer qualitativ und intensiv sich extendiert
als dahinwährender, und hso wie eri dabei halsi so sich gestaltender bewusst
ist. Ich kann affiziert sein durch diese fundierende Einheit, während das
Gefühl da ist, ich kann auch auf den fundierten Gefühlscharakter achten. Er
15 ist eben auch gegenständlich bewusst und fundiert, das ist, ich muss eben auch
in der Zuwendung dem Fundierenden zugewendet sein und dann zudem dem
ihm Zugehörigen der höheren Schicht. Aber ist hier nicht zu unterscheiden
das geni eßende Zug ew e n d e t se i n d e s Ic h, das in der Lust strebend
lebt, und das Zug ew ende t se i n zu d e r B e st i m m u n g d e s W e r t e s wie
20 zu Bestimmungen überhaupt oder die urteilend-objektivierende Einstellung
und die vom Ich her fühlende?
Da liegen die Schwierigkeiten. Ich habe eine hyletische „Objektivation“
und darin fundiert eine Gefühls„objektivation“. Daran ist doch nicht zu
zweifeln. Nun kann das „Objektive“ affizieren, d. i. eine Ichtendenz auf
25 explizite Objektivation, auf Urteile hkanni statthaben. Andererseits, das
Fühlen ist nicht nur objektivierend, in synthetischen Einheiten stehend oder
hin siei einzutreten befähigt. Das Ich vollzieht das Gefühl als Gefühl, als
Bewertung des fundierenden Gegenstandes (des Gefühlssubstrats), und das
ist ein anderes als Vollzug der Wertobjektivation. Muss ich nicht sagen, zur
30 Wertobjektivation als expliziter, patent vollzogener komme ich erst dadurch,
dass ich nach Zuwendung zum fundierenden Gegenstand und der betreffen-
den fundierenden Bestimmung zunächst „genießend“ das wertende Fühlen
vollziehe, und dann erst kann ich in die Werturteilseinstellung übergehen?
Und sagt das nicht so viel wie: Das Werten ist von vornherein kein Objek-
35 tivieren, sondern schon im latenten Hintergrund ein in dem Objektivieren
Fundiertes? In der Patenz aber ist das Objektivieren zum Urteilen geworden
und das Fühlen zum aktiven Fühlen (aktuellen Werten), das aber nicht frei
steht, sondern, fundiert im objektivierenden Urteilen, zum Gefallenhaben,
Sich-Freuen an dem Gegenstand geworden ist.
40 Die Sachlage ist aber vermöge der Fundierung eine wechselnde und
schwierige: weil ich urteilen kann und das Gefühl noch immer latent sein
beilage viii 213
kann, nämlich nicht von mir vollzogenes. Ich betätige objektivierendes Inter-
esse, das ist, ich bin vollziehend urteilendes Ich, ich betätige demgegenüber
wertendes (fühlendes) Interesse, das ist, ich bin vollziehend fühlendes Ich.
Ich kann im „theoretischen“ Interesse leben, ohne im fühlenden Interesse
5 zu leben; ich bin nicht fühlend in Aktion, sondern nur urteilend. Bin ich
aber fühlend in Aktion, so ist die Urteilsaktion dienende Funktion. Endlich
kann ich nun auch von der Einstellung des fühlenden Betätigtseins (aktuelles
Werten) in die Einstellung des objektivierenden Bewertens, d. i. in die Ein-
stellung des Werturteils übergehen, in der hderi Wert zum gegenständlichen
10 Bestimmungsmoment geworden ist, zum Prädikat eventuell prädizierend-
begreifender Urteile. Tue ich das, so kann ich auch sagen: Der Gegenstand,
die Färbung, die so und so sich darstellende Gestalt des Gegenstandes erregen
mein Gefallen, sind Thema meiner Gefallenswertung oder bestimmen mich
als fühlendes Ich, ihnen mich im Gefallen zuzuwenden. Und von daher hat
15 er die Wertbestimmung. Dabei affiziert mich der Gegenstand, er bestimmt
mich als fühlendes Ich im Fühlen, und sofern er schon in der Latenz für
mich gefühlsmäßig da war, affizierte er mich in dieser Hinsicht schon vorher.
Die latente Objektivation ist Ausgang einer Affektion als objektivierender
Affektion, Affektion zum Urteilsvollzug, Affektion gerichtet auf das Ich als
20 objektivierend-urteilendes; das latente Gefühl affiziert mich nicht als Objekt,
es ist Ausgang einer Gefühlsaffektion, ich bin affiziert, motiviert zum aktiv
fühlenden, aktiv wertenden Ich zu werden. S o i s t a l s o O b j e k t i v a t i o n
( Ur tei l ) und Ge fühl (W e rt u n g ) g ru n d w e s e n t l i c h u n t e r s c h i e d e n.
Das Gefühl als Gefühl wertet aufgrund irgendwelcher Objektivation, es
25 begründet damit neue Objektivation, es ist aber nicht in sich selbst Ob-
jektivation.
Das Ich als urteilendes Ich verhält sich identifizierend-bestimmend, das
Ich als wertendes Ich aufgrund von Urteilstätigkeit bewertend. Als urtei-
lendes beurteilt es Gegenstände als wert, mittels Wertung konstituiert es
30 Wertapperzeption und Wertvergleichung, Werturteil. Wie verhält es sich aber
mit den Ur teil smodal itä t e n und wie mit der P h a n t a s i e?
In der Phantasie bin ich quasi-urteilend, quasi-wertend. Als aktuelles Ich
urteile ich aber „aufgrund“ der Phantasie wirklich und werte wirklich. Die
Phantasiewelt, der Phantasiezentaur ist für mich als aktuelles Ich, obschon
35 ein Modifikat eines wirklichen Objekts, selbst etwas Wirkliches. Und ich
kann ihn schön oder hässlich finden und dem Phantasieding diese Prädikate
urteilend zuschreiben. Ebenso gibt es Urteile und Wertungen, die zwischen
Wirklichkeit und Phantasie spielen.
Was aber die Urteilsmodalitäten anlangt, so sind es natürlich neue „Be-
40 wusstseinsweisen“ bzw. Weisen der Intentionalität des Ich. Ich bin vermuten-
des und nicht in Gewissheit urteilendes, ich bin zweifelndes, fragendes hIchi
214 passivität und aktivität in intellekt und gemüt
etc. Aber hat nicht das Gemüt analoge Modalitäten: in Gewissheit werten,
zweifelnd werten, in Wertanmutung leben etc.?
Somit käme ich zu der alten Stellung zurück: Wir haben grundverschie-
dene Formen des Bewusstseins in folgendem Sinn:
5 1) Bewusstsein als positionales, als Wirklichkeitsbewusstsein und Be-
wusstsein als Phantasie – Modi der Positionalität;
2) Modi der Originalität und Nicht-Originalität, der Antizipation; auch
das Werten kann ein originales und ein antizipierendes sein;
3) Modi der Gewissheit, die in Urteilseinstellung in der Wertsphäre in
10 Modi der Urteilsgewissheit übergehen.
Demgegenüber der Unterschied, der durch alle Modalisierungen hin-
durchgeht, der, der die Grundklassen Objektivation und Gefühl (Urteilen,
Werten) bestimmt.
Beilage IX
15 hDie notwendige Vorstellungsgrundlage eines
Gemütsakts. Fundierte Qualifizierungen:
Sinnesstrukturen und entsprechende Aktschichtungeni1
10 Beilage X
hDie in verschiedenen Stufen gegebenen
Vorgegebenheiten für das Werten. Wertung in
der Möglichkeit als eine Modalität des Wertens.
Explikation des Wertes in den Gemütsakteni2
1 Oft sogar?
2 1920.
beilage x 217
Beilage XI
hSachliche und axiotische Affektion. Die Scheidung
zwischen Empfindungsdaten und Gefühlsempfindungen
in der Sphäre ursprünglicher Affektion. Wie
15 verhalten sich sinnliche Gefühle zum Gefallen?i2
1 In den alten Studien habe ich auch eine empirisch-assoziative Appherzeptioni von
Werteigenschaften aufzuzeigen gesucht. Das ist zu vergleichen.
2 Wohl 1919/20. – Anm. der Hrsg.
beilage xi 219
diese Frage der Gefühlsempfindung ausführlich und gerade in der hier relevanten
Hinsicht erörtert. hVgl. Konstantin O e s t e r r e i c h, Die Phänomenologie des Ich in
ihren Grundproblemen, Leipzig 1910.i
220 passivität und aktivität in intellekt und gemüt
Beilage XII
Sachen und Werte. hGefühlsbewusstsein als doxisches
Bewusstsein von einem Wert und als Gemütsverhalten zu
einem in einem doxischen Akt gegebenen Gegenstandi1
an, zu sehen. Das Ich lebt in seinen „Verhaltungsweisen“, das sind die
„Bewusstseinsweisen“; es verhält sich doxisch, philatisch, orektisch – das
einfachste doxische Bewusstsein, etwa ein Empfindungsbewusstsein oder ein
sinnlich-reproduktives, ist einfach das Gegebenhaben eines daseienden, dau-
5 ernden Empfindungsinhalts oder eines (nicht eigentlich daseienden, nämlich
gegenwärtigen, sondern eines) vergegegenwärtigt Seienden solchen Inhalts;
es ist Gegenstandsbewusstsein.
Ich kann auch reflektieren und das doxische Erlebnis selbst als gegen-
wärtig finden und dann als vergegenwärtigt. Ich sage dann, das „innere
10 Bewusstsein“ sei selbst doxisches Bewusstsein von dem Erlebnis. Warum
das zu keinem unendlichen Regress führt, das ist eine Sache für sich und
gehört zur Phänomenologie des „inneren“ Bewusstseins.
Natürlich kann in Freiheit Explikation einsetzen, und die Folge der „logi-
schen“ Akte, die sämtlich wiederum „Gegenstandsbewusstsein“ heißen kön-
15 nen, konstituieren die logischen Gegenständlichkeiten immer neuer Stufe.
Diese Akte (synthetische im eigentlichen Sinn, Akte der Analytik, darum
auch analytische, also mit dem entgegengesetzten Term zu benennen) schaf-
fen keine neuartigen „Verhaltungsweisen“, sondern immer wieder doxische
Akte, als synthetische Gebilde. Sie gehören also in den allgemeinen Titel
20 Doxa, Gegenstandsbewusstsein, als Tätigkeiten, die aus einem konstituierten
Gegenstand oder mehreren immer neue schaffen.
Aufgrund eines Gegenstandsbewustsein und in Bezug auf einen schon in
irgendeinem doxischen Modus vorschwebenden Gegenstand kann dann ein
Gemütsverhalten, eine Verhaltungsweise des Fühlens, Begehrens erfolgen
25 bzw. Erlebnis sein. Zum Beispiel, ein Empfindungsdatum ist konstituiert (also
schon vor dem Bewusstsein von einem Naturobjekt), und zu dem Datum, dem
Rot, der Farbenkomplexion, verhält sich das Ich fühlend: Lust, Unlust. Wie
im Gegenstandsbewusstsein haben wir hier attentionale Modifikationen und
allerlei Modalitäten der Verhaltungsweise in sich selbst, in der Bewusstseins-
30 weise im Rahmen des „Gefühls“.
Aber nun muss ich mir einwenden: Das Gefühl ist doch nicht so et-
was wie die Doxa. Im Gegenstandsbewusstsein „verhalte“ ich mich nicht
zum Gegenstand, das tue ich im Gefühl, im Wünschen, Streben. Ist dieses
dem Gegenstandsbewusstsein gleichzustellen? Durch das erstere „habe“ ich
35 überhaupt den Gegenstand, er ist für mich da, Thema oder schon vorthema-
tisch mich affizierend, um mich zuzuwenden. Im Gefühl hat er eine wech-
selnde subjektive Färbung – darin liegt, möchte man sagen, der Gegenstand
in sich selbst hat sein ichfremdes Wesen und dazu wechselnde subjektive
Momente (beiderseits vermeintlich). Aber woher dann das Analogisieren
40 von „Urteilen“, „Denken“, Fühlen, Begehren? Ein „Denken“ eines Ge-
genstandes (ein Gegenstandsbewusstsein) ist „Meinen“, ist im Allgemeinen
beilage xii 223
ein Bewusstsein, in dem der Gegenstand und seine Merkmale nicht „wirklich
gegeben“, nicht originär angeschaut sind. Das „geglaubte“ a ist wirklicher
Glaube, es sei a, aber nicht schon wirklich gegebenes a. Im Fühlen habe ich
den Gegenstand vermeint als a und den als a vermeinten bewusst als gefällig,
5 angenehm etc. Nun sagen wir auch hier, das vermeinte Prädikat sei eventuell
„bloß“ vermeint. Aber ist das Gefallen, das ich habe, ein bloßes Bewusstsein
von einem gegenständlichen Prädikat, das ich ihm zumeine, das mir aber
erst zur originären Gegebenheit kommen muss? Ist es nicht in jedem Fall so,
dass, wenn ich Gefallen habe, ich eben den gedachten Gegenstand wirklich
10 als gefällig vorfinde? Es ist doch etwas ganz anderes, wenn ich bloß denken,
urteilen würde, er sei gefällig, er würde gefallen, wenn ich mir ihn näher
brächte.
VIII. REINE WERTE GEGENÜBER
PRAKTISCHEN WERTEN. DIE FRAGE NACH
DER ABSOLUTEN WILLENSWAHRHEIT1
die Wahrheit, aber auch der vermeinte und der wirkliche Wert sind
„Wesen“, die also vielen möglichen Ich identisch gemeinsam sein
können, unabhängig von der immanenten Kausation (Motivation im
weiteren Sinn) oder hderi Motivation im prägnanten Sinn, die zu
5 ihnen im Lebenszusammenhang notwendig gehören müssen.
2) Was dabei ausgeschaltet bleibt, ist also alles Triebmäßige, alles
sich an die Wertmeinung (den vermeinten Wert) und den Wert selbst
(in der Selbsthabe) anschließende, sich damit verbindende Langen,
das, wenn es eröffnet ist, Begierde ist.1 All dergleichen führt über
10 den gegebenen Inhalt oder Sachverhalt der Wertung als solcher und
den Wert als rei nen We rt hinaus (als das Schöne) und kann ausge-
schaltet werden, sei es durch Variation der Umstände, in denen das
Begehren als nicht mehr motiviert fortfällt, sei es durch „Enthaltung“
vom Begehren durch seine Außer-Kraft-Setzung, Einklammerung.
15 Ist so die „Neigung“ ausgeschaltet, so auch das von ihr geleitete, ihr
nachgebende Wollen und willentliche Realisieren.
3) Wir können sagen, wir haben dann ein rein durch den „Inhalt“,
eventuell rein durch den sinnlichen Inhalt fundiertes Fühlen; und
was da als Wert erschaubar ist in dem auf das originäre Fühlen
20 folgende Schauen, das ist wesensmäßig durch den betreffenden Inhalt
bestimmt und als das einsehbar. Sind die Substratinhalte als diesel-
ben gedacht, so muss auch der Wert derselbe sein, in notwendiger
Identität derselbe. Das würde besagen: Es gibt hier auch für sinnliche
Gefühle in Bezug auf ihre sinnlichen Unterlagen eine zweifellose
25 Evidenz, und wenn die Schönheitsurteile wechseln, so liegt es an der
Besonderheit aller Werte, Relationscharaktere des Ranges und der
relativen Wertgröße (innerhalb eines Ranges) anzunehmen, und zwar
wieder wesensmäßig. Das ist, Werten mag insofern reines Werten
sein, als es alles Begehren ausschließt. Aber es ist im Allgemeinen
30 insofern nicht rein auf seinen Inhalt bezogen, als es durch Weckung
von anderen schon erwerteten Werten und hdurchi Überschiebung
der Werte in Beziehungen verflochten wird. Wo im Bewusstseinsfeld,
im Feld des aktuellen oder auch des Unterbewusstseins, andere Werte
mitfungieren, da tritt eine gesetzmäßige Wirkung der Wertabstu-
1 Sie treten passiv in eine Bewusstseinsverbindung, eine Synthese, in der der aktuell
selben Ich Relationen, eine Art Steigerung (Minderung) der Werthöhe. Nehmen wir
Wert und Unwert zusammen im weiteren Wertbegriff, so haben wir „± Reihe“ durch
0 vermittelt. 2) Klein und kleiner ist ein Mangel; groß, größer ein Vorzug. Wie versteht
sich das? Liegt da ein neues reines Werten vor? Das Kleinere sei relativ unwertig
gegenüber dem Größeren. – Das geht nicht.
228 reine werte gegenüber praktischen werten
1 Ist es nicht vielmehr so, dass ich wie das Theater, die Schauspieler, so mich und
1 Die Pein des Begehrens löst sich in der Erfüllung, aber in der Erfüllung selbst
ist noch kontinuierliche Pein und kontinuierliche Erfüllungslust. Dagegen im reinen
Fühlen des Schönen ist gar keine Pein und Entspannung der Pein. Es ist nicht Glück,
sondern „Seligkeit“, ja Selbstvergessenheit; alle Gefühle gehören in die Idee und ihren
Wert hinein, aber das darin fundierte ästhetische Gefühl ist ein wirkliches Gefühl.
232 reine werte gegenüber praktischen werten
1 Das bestmögliche praktische Gut wäre hier gleich das Schönste in der wertenden
1 Würde ich die Praxis als ein Reich der Schönheit werten und ein Schönstes darin
finden, so wäre a priori diese schönste Praxis selbst wieder ein zu Begehrendes, und
der Wille, das schönste Ziel zu verwirklichen, wäre ein Wille höherer Stufe (schon
die Entscheidung in der Wahl ist ein Wille, der auf ein mögliches Wollen bezogen
ist). A priori wäre dieser höhere Wille selbst ein rein Schönes und in eventuell neuer
Überlegung und Verwirklichung in infinitum.
2 Das ist missdeutlich. Das relativ Beste bzw. der in der Wahl beste Wille und sein
Willensziel ist hier und jetzt für mich doch ein „absoluter“ Wert in einem bestimmten
Sinn, nämlich in und mit seiner Relativität auf Ich- und Gegenwartslage. Aber e s i s t
kein absolut objek tiver W e r t f ü r j e d e r ma n n u n d f ü r m i c h i n j e d e r L a g e.
236 reine werte gegenüber praktischen werten
bestimmt ist und rein durch das Ich als praktisches Ich? Hier bie-
tet sich der kategorische Imperativ dar. Nämlich, er sagt nicht nur,
das Beste unter den praktisch möglichen Werten ist überhaupt das
einzig im gegebenen Fall praktisch Gute, sondern „Wolle das Beste
5 überhaupt“ in habitueller Gesinnung.
Betrachten wir diesen Willen: Ich will überhaupt das Beste unter
den praktisch für mich möglichen wahren Werten; darin liegt analy-
tisch, ich will überhaupt nur wahre Werte mir als Ziele stellen und
unter denen, die ich jeweils erreichen kann, allzeit das wählen, das ich
10 als das Beste erkennen kann. Es sei nun dieser Wille selbst gewertet
mit seinem allgemeinen Inhalt. Hier ist der allgemeine Normgehalt
selbst in den Willen aufgenommen, er ist ein praktisch Gewähltes,
der Wille ein endgültiges und bleibendes reines Gut. Er ist allein das
absolut invariable, eigene Gut, auf das bezogen alle praktischen Güter
15 für mich in gewisser Weise Konsequenzen sind. Freilich nicht formale
Konsequenzen; aber lebe ich konsequent gemäß dem Prinzip, so wird
mein inhaltliches Handeln immer und notwendig auf das praktisch
Beste gerichtet sein.
So könnte man sagen. Aber ist das in jeder Hinsicht richtig?
20 Dieser allgemeine Wille ist ein reiner und zweifellos ein absolutes
Gut. Und dieses allgemeine Ziel ist sicher ein solches, das hmani kein
besseres und in keiner praktischen Lage finden könnte. Es kann wohl
in jeder praktischen Lage für mich praktisch gut sein, nämlich wenn
ich davon weiß, wenn ich es eingesehen habe; habe ich das, so ist es
25 sicher unübersteiglicher praktischer Wert und sicher ist, dass, wenn
ich mich wollend für es nicht entscheide, ich fehle. Das Gegenteil
wollen, es ablehnen, ist absolut unwert. Aber auch mich des Willens
enthalten oder auch nur zögern, obschon das Unwert-Sein nicht von
gleicher Art und Rang ist. Das eine sagt, ich will es zulassen, dass ich
30 überhaupt oder gelegentlich schlecht handle, oder ich will überhaupt
oder gelegentlich schlecht handeln, und das Schlechte hzui wollen
ist radikal schlecht, und überhaupt Schlechtes ist „satanisch“. Das
andere wäre eine abschwächende Modalität davon: Analytisch liegt
in der Willensenthaltung (wenn sie nicht für absolute Werte als Mittel
35 dient, sondern absolut eigenständig sein soll), dass es unentschieden
sei, ob das „Projekt“ das beste sei. Das ist aber ein willentlicher
Widersinn, und hdas gilti ebenso vom Zögern, da ich doch Einsicht
habe.
beilage xiii 237
Habe ich aber den Willen gefasst, so ist es für immer der meine
bleibende Wille, er kann nicht aufgehoben werden durch Preisgabe;
das geschähe durch einen Gegenwillen, durch einen Willen, der den
kategorischen Imperativ negierte oder durch einen besonderen abso-
5 luten Wert, der ihm widerspräche – und das ist absoluter praktischer
Widersinn. Aber freilich kann ich den kategorischen Imperativ als
wirksames Gut in jeder praktischen Sphäre verfallen lassen. Ich kann
mich ja gegen ihn versündigen, indem ich sündhaft oder verkehrt
will. Jeder material bestimmte Wille, der auf ein absolut unwertes
10 Ziel geht, lässt sich als unwert auswerten, auf Form bringen, und
dann ist der „Widerspruch“ in forma da.
Nennen wir einen solchen Willen den „universalen katego ri-
s chen W illen“, so ist dieser ein absolut praktisches Gut und auf
ein absolut praktisches Gut gerichtet. Wir könnten sagen, er ist als
15 Wille (Entschluss, noematisch wie „Urteil“) absolute Willenswahr-
heit, absolut wahrer (richtiger) Wille. Was darin in absoluter Einsicht
gegeben ist, ist im anderen Sinn die Willenswahrheit selbst.
Beilage XIII
hDie Willensrichtigkeit als Schönheitswert.
20 Muss jedes Wollen auf einen Wert gehen?i1
hier ist noch etwas in Betracht zu ziehen – das ist noch besser, demgegenüber
wären die anderen unrichtig praktisch gewählt usw.“
Ich kann nun auch das schön finden, dass jemand die richtige Wahl trifft,
und hdasi Beste unter allem als richtig Gewähltes ist ein Schönes. Konkret
5 und als formale Allgemeinheit ist aber die richtige Wahl hier nicht schon
Richtigkeit im Willen? Und so ist auch das Allgemeine und Formale über-
haupt des Besten in der Wahl ein wahrhaft Gesolltes, ein Willenswahres und
ein Absolutes in sich, dem ein absoluter Wert parallel korrespondiert.
Es kann nun natürlich sein und kann selbst formal-allgemein erwogen
10 werden, dass der Wille sich auf vorgegebene Werte und auf absolute Werte
richtet, und so haben wir ein Reich des Willens umsteckt, das für sich seine
formalen Gesetze hat. Das praktisch Beste nämlich ist hier das Schönste,
das Wertvollste – wenn nichts weiter in Wahl steht als zu Erwägendes im
praktischen Blick.
15 Andererseits, ist es denn notwendig, dass jedes Wollen auf einen Schön-
heitswert oder -unwert (Gefühlswert), Wert in eigenem Sinn, unmittelbar
oder mittelbar, geht? Schon das fiel uns ja auf, dass die Falschheit des
Minderwertigen als praktisch Gewähltem nicht vom Gefühl vorgezeichnet
ist, ebenso hnichti die Wahrheit des Besseren als des praktisch Gesollten.
20 Das „gesollt“, die Willensrichtigkeit bringt der Wille herein. Aber wo haben
wir Fälle, in denen Werte nicht Motive des Willens sind?
Beilage XIV
hHat der Wille im Gerichtetsein auf das
praktisch Gute seine eigene Richtigkeit?i1
25 Wir scheiden Sachverhalt selbst und wahres Urteil und Einsicht, in der der
Sachverhalt gegeben histi. Davon wieder scheiden wir Wert des Sachverhalts,
Wert richtiger Urteile, Wert der Einsicht. Wie hinsichtlich der Willenssphäre?
Das praktisch Gute im absoluten Sinn. Der praktische Entscheid, der
Entschluss, der absolut richtig ist. Das richtige Wollen und endlich das richtig
30 und einsichtig auf das Gute (das praktisch Wahre) gerichtete Wollen.
Verdankt der Wille seine Wahrheit dem Werten des Wollens und Gewoll-
ten? Man kann ihn werten, wie man auch das richtige und einsichtige Urteilen
werten kann. Aber wir müssen doch scheiden, was sich im Urteilsgebiet selbst
als Adäquation und dgl. abspielt und was das Werten leistet und hier an
35 Werten herausholt. Will ich ein Minderwertiges, so ist dieser Wille unwert.
Beilage XV
hLust und Werti1
1 Etwa 1923/24.
beilage xvi 241
Beilage XVI
hFreude als Modus des Genusses. Freude
an der reinen Idee. Ideenschönheit. Auf
Schönes gerichtetes Wollen und Begehreni1
5 Ist es nicht richtiger, so wie es schon die alten Manuskripte tun, in folgen-
der Weise zu unterscheiden:
1) Reine Freude in Allgemeinheit genommen als Modus des Genusses,
d. i. des Satthei tsmodus eines Hinstrebens, der freilich nur Einheit des
„Wertes“ als selbstgegebenen konstituiert in einem kontinuierlich synthe-
10 tischen Spiel von Intention und Erfüllung, der von Phase zur kommenden
Phase bloß intendierend, langend vorgerichtet ist, sich aber alsbald satt er-
füllt, eventuell höherstufig in der Weise einer Harmonie, mit Dissonanzen etc.
Man kann auch Lust (im Allgemeinen) sagen. U n f r e u d e, Unlust: Einheit im
kontinuierlichen Gegenstreben sich kontinuierlich so fortsetzend und Einheit
15 des Unwertes im Spiel der Vorintention und der bestätigenden Erfüllung
konstituierend.
2) Die Freude kann bloße Instinkterfüllung sein, oder sie kann reine
Inhaltsfreude sein, Freude am Was, am individuell Existierenden in Hinblick
auf sein Was, oder endlich Freude am reinen Wesen, an der reinen „Idee“, vor
20 allem hier der individuellen Idee, die in der Einstellung der puren Neutralität
sich konstituiert und darum das Gemeinsame ist der Seinserfahrung und
der Erfahrung-als-ob (und ihrer selbst), weil Neutralisierung sowohl von
der Positionalität als von der Quasi-Positionalität aus frei beliebig vollzogen
werden kann.
25 Aber schließlich, wie immer „Einheiten“ sich konstituieren, im Zusam-
menhang der konkreten konstituierenden Subjektivität berühren sie auch das
Gefühl, sie gehören in den Zusammenhang des strebenden Daseins, und so
können sie durch ihren Inhalt oder, wenn sie schon ideale Einheiten sind, als
solche Freudengehalte Werte sein. (Natürlich nicht alle Ideen konstituieren
30 sich als solche aus Neutralisierung.)
3) Begehren im gewöhnlichen Sinn ist ein auf Verwirklichung von Realem
bzw. auf Veränderung von Realem gehendes Streben. Das Kunstgebilde
(Goethes „Faust“) begehre ich also nicht in diesem Sinn, aber dass die
Aufführung im Theater es für mich verwirkliche. Es ist zu unterscheiden die
35 Freude an der guten (und schönen) Aufführung, die Freude daran, dass ich
dabei bin, und die Freude in der Hingabe an das ideale Werk selbst, in der
ich es selbst in seinem reinen Wert erfahre.
4) Eine solche Idee ist nichts Einfaches wie etwa ein Ton (eine Tonidee),
und es können mannigfaltige ideale Elemente, in denen es sich in seiner
Ideenzeitlichkeit aufbaut, das Gefühl und Streben verschieden berühren und
bald ein harmonisches, bald disharmonisches Ganzes der „Stimmung“ erge-
5 ben. Ich lebe in der „reinen“ Phantasiewelt, im reinen „Bild“, und zudem in
der Einheit der Stimmung, die rein zur Idee gehörig ihr ideales Korrelat hat
im Wert – da aber ist bald Einstimmigkeit, bald Unstimmigkeit, Disharmonie
nicht in Einheit der Harmonie sich auflösend, und das ist Fundament für
ästhetische Freude und Unfreude (Unbefriedigung). Naturschönheit hliegti
10 nicht in der bloßen Idee.
5) Ich muss, um die inhaltliche oder reine Ideenschönheit und Unschön-
heit ursprünglich zu konstituieren und, was ich früher die „Wertapperzep-
tion“ nannte, aufgrund der elementaren Wertfunktion zu vollziehen, alles
Gefühls- bzw. Strebensverhalten, das andere Quellen hat, ausschalten. Ein
15 Möbel kann schön an und für sich sein, aber es erweckt fatale Erinnerungen.
Auch ist zu berücksichtigen ein Schönes an und für sich und ein Schönes im
Zusammenhang – das Möbel im Ganzen der Zimmermöblierung.
6) Begehren und Wollen auf Schönes gerichtet – ist Gesolltes, aber das
Wollen hat seinen praktischen Bereich.
20 Menschliches Wollen als universales auf das ganze strebend-wollende
Dasein gerichtete Wollen. Das absolute Sollen und seine Relativität. Ist das
absolut Gesollte schön? Der auf absolutes Sollen gerichtete Wille ist schön,
ist ein Wert.
Ein Menschenleben, das wir ethisch nennen, ist auch schön. Ist aber
25 sein „ethischer Wert“ ein Folgewert der Schönheit, der „Erfreulichkeit“
in Gefühlshingabe daran, oder in der Idee, vermöge der Idee? Heißt „um
der Schönheit willen etwas tun“ nicht, das Schöne realisieren und in der
Verwirklichung es anschauen und sich daran freuen wollen – wie im Theater?
Beilage XVII
30 hDas Reich der reinen Schönheitswerte als Reich des
Genusses gegenüber den absoluten Gewissenswerten.
Das Vernunftgesetz der Wahl des Besten unter dem
Erreichbaren gilt nur für die hedonischen Wertei1
Hier ist also Verschiedenes zu erwägen. Setzen wir an: Genuss = Ver-
wirklichung eines Wertes. Ist das eine berechtigte Gleichung? Sich einen
Wert in seinem Eigenwesen, in seiner Möglichkeit vorstellen = sich in den
vollendeten Genuss hineindenken und quasi wirklich und voll genießen. Jede
5 Werterwägung vor der Realisierung ist Erwägung der möglichen „Werte“,
ihrer Echtheit und ihrer praktischen Möglichkeit. So also jede „Auswertung“
des „wahren“ Wertes. Was da herausgestellt wird, ist eine ideale Möglichkeit,
eine „Wertidee“, sei es auch eine individuell gebundene, und eventuell im
Vergleich solcher Ideen die „Idee“ des Besten.
10 Im rein wertenden Bewusstsein spielt das willentliche Verwirklichen und
wohl auch das strebende Gerichtetsein auf den Wert keine Rolle. Es ist hier
zu unterscheiden das Für-wert-Halten im Status „bloßer Meinung“ (Doxa),
das kein bloßer Glaubensmodus, sondern zugleich Gemütsmodus ist, und das
Für-wert-Halten, das den Wert selbst Haben und Halten ist im Genuss oder
15 vielmehr in der lebendig erfüllten Vorstellung des Genusses – da wir hier
in der Sphäre des bloßen Wertens in der Ideensphäre sind, im Rahmen der
Möglichkeit.
Beilage XVIII
hIst jede Freude ein Für-wert-Halten und
20 ist jedes Werten ein positives Gefühl? Ist
Werten eine eigene Art der Stellungnahme?i1
Beispiel: ein schöner Tempel. Ich sehe ihn und erschaue seine Schönheit,
aber dem gebe ich mich nicht hin, eröffne mich dieser Schönheit nicht,
ich durchlebe sie nicht wertfühlend. Ich bin etwa mit der Welt zerfallen,
25 ich bin aus besonderen Gründen, etwa einer ungeheuren Schande, die mir,
einem eitlen Menschen, irreparabel zu Teil geworden ist, in eine Perversion
hineingeraten, in der ich die Welt hasse. Ich hasse dieses schöne Gebilde,
statt mich daran zu freuen. Ich hasse diesen schönen Sonnenuntergang, am
liebsten würde ich ihn, würde ich die Sonne und alles Licht vernichten. Ich
30 hasse dieses Kunstwerk, gerade weil es schön ist – ich zünde es an, es zu
vernichten. Mir ist alles misslungen, ich hasse jeden Menschen, der Erfolg
hat, ich möchte ihn herabsetzen, je größer er ist, umso lieber würde ich ihn
töten. Ich bin unbedeutend, klein, meine Gedanken sind missraten und ganz
rechtmäßig verachtet. Aber das ertrage ich nicht – jedes Bessere möchte
1 Gleichwohl kann man doch sagen, das hGefallen ami Schönen, uninteressiert
das gefallen am schönen und der schönheitswert 249
Aber habe ich dann nicht doch noch einen Glauben in dieser
Einstellung, eine Ineinssetzung, den Glauben der Selbsthabe des
konkreten Wesens als eines „idealen“ Seins, das gegen individuelle
Wirklichkeit und Möglichkeit unempfindlich ist, weil es das vom
5 Wechsel solcher Setzung, die ja neutralisiert ist, Unbetroffene bleibt,
und andererseits in der Neutralität eben selbst erst hervortritt? Aber
hier gilt es eben vorsichtig sein. Ich bin ja nicht aktiv neutral, mich
der doxischen Stellungnahme enthaltend, und nicht bilde ich aktiv
eine Ideation, ich habe also nicht das reine Wesen als doxisches
10 Thema gebildet. Das Gefallen am Schönen als uninteressiertes ist
nicht Gefallen an dem puren Wesen als Seienden. Dann wäre es
inter es s ier t. 1
Dieses pure Wesen ist, wenn das Interesse am Sein dieses Wesens
außer Frage ist, ursprünglich bewusst als schön, reiner Schönheits-
15 wert. So wie Deckung unter Neutralität individueller Doxa einen
neuen Gegenstand in neuer Doxa ergibt, der also in der Wesensschau-
ung ursprünglich gegeben ist, so ergibt die Deckung unter Neutralität
der durch individuelles Glauben fundierten Gefühlsstellungnahmen
(der interessierten) eine neue Gefühlsstellungnahme, fundiert durch
20 das Erschauen bzw. Setzen des Wesens. Das Wesen selbst, das an-
schauliche, konkrete Wesen ist ein Schönes, Gutes, und zwar Schönes
der „Idee“, des Wesens selbst.2
Aber alles, was da ausgeführt wurde, gilt nun für die Fälle, wo
ein Wesen nicht adäquat gegeben ist, wo es nur intuitiv antizipiert
25 ist, und schließlich für das bloß wertende Meinen, das überhaupt
nicht Werterschauen ist. Dazu: Der Gemütsakt des Gefallens hat
entsprechende Modalitäten, in Abhängigkeit von den fundierenden
Glaubensmodalitäten.
Überall gilt natürlich auch die Wendung von der Gemütseinstel-
30 lung, der wertenden, in die nachkommende doxische, in der der
Gefallenden, ist als uninteressiertes Gefallen Gefallen am Wesen, nur dass das Wesen
nicht gesetzt ist urteilsmäßig.
1 Aber jederzeit kann ich das Wesen aktiv doxisch konstituieren. Tue ich das, so
habe ich im Gemüt alsbald ein Wohlgefallen, das dieses Erschaute, jedenfalls gesetzte
Wesen als wertendes Thema hat. Dann ist das Wesen bewusst als eine Ideenschönheit –
oder vielmehr als ein Ideen-Gutes. Korrelativ: Freude am Sein.
2 Aber ein Schönes im eigentümlichen Sinn nur durch Neutralität im Sinn der
Uninteressiertheit.
250 das gefallen am schönen und der schönheitswert
nerung oder des das Fiktum betrachtenden. Der „Blick“ ruht auf
dem „Inhalt“, dem in Identität sich bekundenden, aber nicht als
identisch urteilsmäßig gesetzt, dem, der fassbar, aber nicht gefasst
ist als Wesen in besonderen Akten der Ideation. Dabei ist das Ich
5 glaubend in Gewissheit oder einer Modalität bzw. „neutral“ im Glau-
ben.1
Eben dergleichen liegt notwendig dem Wohlgefallen als Schön-
Gefallen zugrunde.2 Aber nun entspricht dem inhaltlichen Betrachten
das inhaltliche Gefallen. Es ist nicht Gefallen, das auf das Wesen als
10 Eidos gerichtet ist, es ist nicht Gefallen, das seine besondere Motivati-
onsgrundlage hhati im Glauben und den Glaubensmodalitäten (oder
im Vollzug der Neutralität als Enthaltung hat), sondern das Gefallen
vollzieht sich, wie immer es sich mit diesen Modalitäten verhalten
mag, rein im Blick auf den Inhalt, in seiner „Betrachtung“. Im Wandel
15 der Glaubensstellung bzw. Neutralisierung muss dann dieser „selbe“
Inhalt in Deckung mit sich selbst bleiben – was aber nicht heißt,
dass das Eidos als solches zur gegenständlichen Setzung kommt, und
das Wohlgefallen bliebe ungeändert, nur wäre das Schöne einmal
ein als seiend Bewusstes, das andere Mal als vermutlich Seiendes,
20 das dritte Mal ein Bildfiktum und wieder ein „Phantasie-Bild“. Ein
Eidos als solches kommt erst zur Setzung, wenn ich im Bewusstsein
der Beliebigkeit der Wandlung reiner Möglichkeit und der eventuell
gegebenen Wirklichkeit in Möglichkeit das Identische als solches und
als Seiendes setze.
25 I n w elcher W eis e spi el t aber der Glaube als Stellung-
nah me h eine i f undie rend-m oti vi erende Rolle für die Ge-
müts s tellungnahme? Haben wir nicht verschiedene „Glauben“
in Betracht zu ziehen, und solche schon als Voraussetzung im Schön-
Gefallen? Das Letztere kann so gemeint sein: Betrachte ich den
30 schönen Regenbogen, der sich über das Werra-Tal spannt, so mag
ich wissen und dessen gerade auch jetzt in besonderer Weise inne
sein, dass dieser Bogen in der Landschaft selbst „nichts“ ist – aber
Das Gefallen nimmt eine wesentlich neue Gestalt aber an, wenn
der Wirklichkeitsglaube des durch Erscheinung Erscheinenden selbst
Motivationsgrund ist. Wir stehen dann im Reich des begehrenden
Gefallens. Nämlich das r ei ne Schönfi nden, am Schönen Gefallen
20 haben, ist noch nicht Freude am Dasein. Wir können auch sagen, das
Gefallen an der Erscheinung (die freilich als Erscheinung „ist“) ist
nicht Gefallen am Dasein des Erscheinenden. Dieses Gefallen, die
Das eins fr eude, is t ei n Modus des Begehrens, und zwar des
erfüllten. Änderung der Überzeugung in irgendwelchen Modalisie-
25 rungen modalisiert das Sich-Freuen (die Freudengewissheit geht über
in Freudenvermutlichkeit etc., was Gefühlsmodi der Freude sind),
und der Umschlag in Seinsnegation führt zur Freudennegation, die
„Unfreude“. Die Korrelate sind: Güter und Übel als Analoga der
Wirklichkeiten und Nichtigkeiten bzw. Wahrheiten und Unwahrhei-
30 ten.
Sind aber nicht auch Schönheiten und Hässlichkeiten Analoga?
Hier ist aber zu beachten: Schönhei ten sind die Werte, die bewusst
werden im Wohlgefallen an einer Erscheinung. Aber Missfallen
des Häs s lic hen is t ni cht fundi ert i n ein er Modalisierung
35 des Seins der Er sc hei nung und ist nicht selbst eine Modalisierung
254 das gefallen am schönen und der schönheitswert
des Guten, der Mangel ist ein Unwert, aber nicht in demselben Sinn
Gegensatz.1
Es ergeben sich nun weitere schwierige Probleme, zusammenhän-
gend mit der Wertverschiebung, Entwertung im Beziehungszusam-
5 menhang. Ist nicht an sich jede Instinktbefriedigung, jede Befrie-
digung eines Triebes, eines Strebens, jedes Sich-Entspannen eines
solchen ein Wert (ursprünglich anschaulich wohlgefällig), jede Hem-
mung ein Unwert? Gibt es also nicht Werte, die auf vorangehendem
Treiben, Streben beruhen, mag es auch völlig blind sein? Bedürfnis-
10 befriedigungen als solche.2
Um seiner Schönheit willen kann ein Gegenstand begehrt wer-
den und dann kann überhaupt ein habituelles Bedürfnis nach Ge-
genständen solcher Schönheit erwachsen. Dann erweckt solch ein
Gegenstand, realisiert Befriedigung, hat den Wert der Befriedigung,
15 aber auch den „höheren“ Wert der Schönheit. Die „Lust“ der Be-
friedigung ist ein „Zuwachs“. Kann es „wahre Werte“ geben, die
zur Schönheit keine Beziehung haben? Begehrungswerte, die bloße
Instinktwerte, bloße Befriedigungswerte sind und an sich gleichgültig
wären, wenn sie nicht begehrt würden, und, wie wir gleich annehmen
20 können, ihrer Art nach habituell und empirisch allgemein begehrt.
Ihre Artung bestimmt die Richtung des instinktiven Strebens. Aber
wie wohl zu beachten: Es ist kein im Wesen, an der intuitiv zu fassen-
den Artung als solcher hängender Wert bzw. ein darauf bezügliches
Gefallen da, sondern ein Trieb, der sich in dieser Artung befriedigt
25 und ein Gefallen an dem Gegenstand und seiner artmäßigen Eigen-
heiten, sofern er die Spannung des Strebens entspannt und schließlich
Befriedigungslust ergibt.
1 Aber iteriert sich nicht in gewisser Weise auch das Erscheinen, nur dass wir auf
Ur-Erscheinungen zurückkommen, die Anschauungen im ursprünglichen Sinn oder
vielmehr die Anschauungs„bilder“?
2 Aber wie stehen hdazui die „Gegenstände“ des Bedürfnisses? Sie sind wert als
Beilage XIX
hDie Selbstgegebenheit des Guten in der Freude am
Dasein gegenüber der Selbstgegebenheit des Schönen in
der Freude an der bloßen Erscheinung. Das Schöne, um
5 seiner Schönheit willen begehrt, wird zum reinen Guteni1
Das „Schöne“ unterscheidet sich vom „Guten“ dadurch, dass die subjek-
tiven Erlebnisse, in denen sie als solche, als das Schöne oder als das Gute,
selbstgegeben sind, verschieden sind. Beim Guten ist es Freude am Dasein,
Befriedigung in dem Genuss seiner Wirklichkeit, bei dem Schönen ist es
10 Freude an seiner bloßen Erscheinung, hani seiner bloßen „Vorstellung“, das
ist, der Wirklichkeitsglaube, wie er in der Wahrnehmung, in der Erfahrung
liegt, ist die Gefühlsart nicht mitbestimmend.
Nennt man derartige, durch den Glauben an ein in einer Erscheinung Er-
scheinendes fundierte Gefühle (Wertungen) „interessiert“, so ist das Wohlge-
15 fallen am Schönen (das Werten) ein „uninteressiertes“. Darin liegt aber, das
Wohlgefallen wäre dasselbe, wenn zum Beispiel statt der Wahrnehmungs-
gegebenheit eines Schönen eine abbildliche Gegebenheit (im abbildlichen
Anschauen) oder stattdessen wiederum eine vollkommen klare Phantasie
gleichen Gehaltes Erlebnis wäre. Doch wird im Allgemeinen der aktuelle
20 Daseinsglaube nicht ohne Wirkung bleiben, das Schöne wird um seiner
Schönheit willen begehrt, und nun wird es zum Guten werden. Aber es bleibt
auch dann die Möglichkeit, das „Interesse“ auszuschalten und das Schöne
rein als solches zu werten, andererseits sich daran wieder interessiert zu
freuen und dabei so, dass das Interesse rein durch die Schönheit und dadurch,
25 dass das Schöne wirklich ist, bestimmt wird. In diesem Fall haben wir ein
reines Gut (ein καλοκαγα©Þν), ein solches, das begehrt und genossen wird
rein darum, weil es schön ist, erstrebt wird rein um seines Schönheitswertes
willen. Jedes Gute ist dann selbst wieder ein Schönheitswert, nämlich dass ein
Schönes um seiner Schönheit willen erstrebt oder als seiend genossen wird,
30 ist selbst wieder als „bloße Vorstellung“ wertbar und histi dann ein Schönes
und so in infinitum.
Das überträgt sich entsprechend auf die Bewusstseinsweisen des Gemüts,
welche sich auf Schönes und Gutes beziehen, ohne es in sich selbst ver-
wirklicht zu haben. Hinsichtlich des Guten (obschon dann vielleicht nur
35 vermeintlich Guten) oder Unguten haben wir dann die Modalitäten des
Begehrens (und Fliehens) als fundiert durch die Modalitäten des Seinsglau-
bens. Hinsichtlich des (vermeintlich) Schönen sind keinerlei Modalitäten des
1 1925.
beilage xx 257
5 Beilage XX
hDie Selbstgegebenheit eines Schönheitswertes in der
Anschauung des Eigenwesens eines Gegenstandes. Die
Fundierung eines Gutwertes in einer Seinsmodalität.
Gegenstandswesen und Erscheinungswesen
10 als das Reich des spezifisch Ästhetischen.
Freude an der Selbsthabe eines Gegenstandesi1
Wo ein Gutes gut ist um seiner Schönheit willen, wo also der Daseinswert
bestimmt ist durch den Schönheitswert, haben wir den Fall des καλοκαγα©Þν.
1) Fr eude a m E ig enw e se n e i n e s G e g e n s t a n d e s, am Gegenstand
um seines eigenen Wesens willen.
5 2) Fr eude am Geg en st a n d u m se i n e r E r s c h e i n u n g s w e i s e ( s e i -
ner noematische n Geg e b e n h e i t sw e i se ) w i l l e n, die ihm dauernd zu-
kommt und seine Eigenheit ist, als etwas von ihm frei Zugängliches. Sie macht
nicht sein Wesen, „gehört“ aber zum Wesen, und die Erscheinung selbst hat
ein Wesen. Ge ge nstands w e se n u n d E rsch e i n u n g s w e s e n g e h ö r e n
10 „ wes ens mäßig “ zusamm e n. Das ist d a s R e i c h d e s s p e z i f i s c h Ä s t h e -
ti s c hen. Aber ist nicht das „Selbst“ und die „bloße Meinung“ eine verschie-
dene Gegebenheitsweise? Freue ich mich an der Wahrheit ästhetisch?
3) Freude am Selbsthaben des „Gegenstandes selbst“ gegenüber dem
Vermeinten als solchem, an der „Wahrheit“ gegenüber der „Meinung“, hdie
15 „Wahrheit“i als „das Selbst“, was die Meinung bloß meint.1
4) Freude an einem Gegenstand um eines anderen willen, nicht an seinem
Eigenwesen oder aufgrund desselben, sondern etwa weil das Sein des Gegen-
standes real Grund ist (oder vermutlich es ist) für die Verwirklichung eines
anderen, an dessen Eigenwesen ich Freude haben würde, oder weil das Sein
20 des Gegenstandes Anzeichen ist dafür, dass nun das Eintreten des anderen
zu erwarten ist (Anzeichen für das Seinwerden), oder weil das Dasein dieses
Gegenstandes Erinnerungszeichen ist für an sich werte Gegenstände, mit
denen er zusammen war, oder für einen anderwertigen, z. B. ästhetisch werten
hGegenstandi.
25 ad 3) Ich freue mich genießend und selbsthabend – ich habe den Gegen-
stand selbst und den Wert selbst –, andererseits, ich freue mich, ohne den
Gegenstand selbst zu haben, ich glaube, dass er ist, und ich freue mich um
dessen willen, was er gemäß dem Sinn dieses Glaubens ist (mir gilt).
Ich freue mich der Selbsthabe als solcher, nicht am Gegenstand als dem
30 Soseienden. Hier freut mich der Gegebenheitsmodus des Gegenstandes,
während er selbst mir vielleicht gleichgültig ist.
Ich kann mich an der Erscheinungsweise eines Gegenstandes freuen,
während der Gegenstand selbst mir gleichgültig ist, oder nur wert um dieser
Erscheinungsweise willen. Kann ein Gegenstand mir auch wert sein um der
35 Erkenntnis willen, die ich von ihm gewinne? Ja, wann ist die Erkenntnis
von ihm überhaupt wert? Wo sie es ist, kann auch diese Wertübertragung
statthaben. Wird nicht dem Astronom der Sternenhimmel auch darum lieb,
weil er so viel von ihm erkannt hat?
Nr. 1
Ich billige eine Freude: Du, freue dich daran, das ist recht. Es ist
5 erfreulich, dass dem deutschen Volk in Kaiser Wilhelm eine so große
und edle Persönlichkeit beschieden wurde. Das heißt nicht hnuri,
man freut sich daran, sondern auch, man hat „Grund“, sich daran zu
freuen. Es ist eine berechtigte Freude. Es liegt darin eine Billigung
der Freude. Es ist unerfreulich, es ist durchaus nicht erfreulich: Eine
10 Freude daran ist oder wäre zu missbilligen.
Dagegen: „Es ist angenehm, unangenehm, es ist schmerzlich etc.“
enthält nichts von solcher Billigung. Wir sagen zwar selten, es ist freu-
enswert, trauernswert, aber wir könnten es sagen. Im „Erfreulichen“,
im zu Betrauernden steckt es darin.
15 Wünschenswert: Hier steckt eine Billigung, Wertung des Wun-
sches. Ebenso begehrenswert, liebenswert, hassenswert. Wollenswert
sagen wir nicht, aber dafür erstrebenswert.
Was meint nun diese „Billigung“? „Ich billige deine Freude“ =
„Du hast recht daran, dich zu freuen.“ Heißt das, ich freue mich
20 darüber, es gefällt mir, dass du dich daran erfreust? Nein. Es kann
jemand meinen, der Andere habe durchaus kein Recht, sich daran
zu erfreuen, aber er kann sich freuen, dass er sich daran freut. Ich
billige einen Wunsch. Ich sage, es sei wert, dergleichen zu wünschen.
Heißt das, ich freue mich darüber, dass man dergleichen wünscht,
25 oder es sei (von der Person abgesehen, die sich freut) eine Freude?
Offenbar nicht. Und so überall. Was ist das nun: „Billigen“, Für-
richtig-, Für-wert-Halten? Ist Billigen vielleicht Gefallen, Missbilligen
= Missfallen?
1 Wohl 1896/97, mit Anmerkungen etwa aus 1908/09. – Anm. der Hrsg.
Ein Bild gefällt, ein Buch gefällt mir oder missfällt mir. Aber
auch von einer Speise, etwa vom Wein, sagt man, er gefalle oder
missfalle. Das Bild betrachte ich mit Lust, das Buch lese ich mit
Vergnügen, die Speise esse ich mit Lust. Gefallen ist oft nichts weiter
5 als Ausdruck des Lusthabens oder Lustbegründens. „Ist hesi Ihnen
gefällig?“ = „Wünschen Sie hesi?“ Was so beschaffen ist, dass es
uns Lust bereitet, wenn wir es besitzen, das wünschen wir. Jemand
tut uns einen Gefallen = Er tut, was uns angenehm ist oder was wir
wünschen. Aber die „Billigung“ steckt in all dem nicht. Es gefällt mir,
10 dass du dich daran erfreust, es missfällt mir, dass du dieses wünschst.
Darin steckt nicht Billigung im prägnanten Sinn. Wenn wir billigen, da
gefällt uns oft das Gebilligte. Aber nicht immer, wenn wir Gefallen
haben, brauchen wir zu billigen. Ich kann ein Gefallen haben am
Genuss des Weines, aber diesen Genuss missbilligen. Jemand spricht
15 einen Wunsch aus, den ich mit Vergnügen erfüllen will, ich freue mich
darüber, dass er ihn ausspricht, er gefällt mir; darin liegt aber nichts
von einer Billigung des Wunsches. Man könnte hier freilich sagen:
Ich freue mich über den Wunsch des Anderen, sofern ich mich eben
freue, ihn erfüllen zu können. Die eine Freude begründet die andere.
20 Aber ich habe doch auch an dem Wunsch selbst eine Freude, möge
sie auch in einer anderen Freude gründen.1
Billigung ist jedenfalls ein Akt des Gefühls, Billigen ist verwandt
mit Gefallen, Sich-Freuen etc., Missbilligung ist verwandt mit Miss-
fallen, mit Unlust, Unfreude. Dieses Gefühl ist ein sekundäres. Es
25 geht auf primäre Gefühle: Billigung einer Lust, einer Freude, einer
Hoffnung, einer Furcht, eines Wunsches etc.
Ferner: Wenn wir billigen, steht uns das Gebilligte objektiv gegen-
über. Ich habe nicht einfach Lust und zugleich ein anderes Gefühl,
sondern die Billigung bezieht sich auf gegenständlich vorgestellte
30 Lust. Diese kann – muss aber nicht – wirkliche Lust sein; ich kann mir
eine Lust an dem Obszönen vorstellen und daran eine Missbilligung
knüpfen, ohne diese Lust selbst wirklich zu fühlen. Was wir billigen,
das „hat“ einen Wert (es wird für wert gehalten), es erscheint als wert.
1 Ja, das Letztere: Auf den Charakter des Gegenstandes bezieht sich objektiv der
Wert und wird mit Evidenz als zu ihm gehörig erfasst.
2 Reflexion auf? Nein. Darin lebend konstituiert sich eine Objektität.
264 wert und billigung
1 Dieser Satz ist später wie folgt verändert worden: „Es ist logisch unverträglich,
dass dasselbe in demselben Sinn (?) mit Evidenz als ‚edel‘ gebilligt und missbilligt
wird? Nein, aber es ist unverträglich, dass etwas den Charakter des wahren Wertes und
Unwertes hat.“ – Anm. der Hrsg.
2 Das Weitere ist mangelhaft und durch meine Logischen Untersuchungen überholt.
ist das Urteil evident wertvoll; das Gegenteil evident unwert, evident
verwerflich. Zu billigen ist das Urteil, weil die Evidenz eben ein Wert
ist, zu missbilligen, weil die negative Evidenz ein Unwert ist.
Wie verhalten sich nun Evidenz und Wahrheit? Urteile ich mit
5 positiver Evidenz, so urteile ich, wie geurteilt werden soll. Ich bin
berechtigt, dem Urteil zuzustimmen. Urteilt jemand anderer dasselbe
Urteil, wenn auch nicht mit Evidenz, so bin ich doch berechtigt,
seinem Urteil zuzustimmen, weil ich die Evidenz habe. Aber seine
Urteilsweise ist doch eine mangelhafte, da er doch keine Evidenz
10 hat? Seine Urteilsweise ist mangelhaft, aber das Urteil, das er fällt,
ist wertvoll. Indem ich es vorstelle, knüpft sich daran die Einsicht,
dass dem wirklich so ist, das Urteil erhält evidente Billigung. Es ist
zweierlei: das subjektive Urteilen eines anderen beurteilen, und das
objektive Urteil, das er fällt, beurteilen. Das subjektive Urteilen ist
15 vollkommen, erfährt positive Wertschätzung, Billigung, wenn es po-
sitiv evident ist. Das objektive Urteil hingegen kann gebilligt werden,
auch wenn der Urteilende selbst keine Evidenz hat. Das objektive
Urteil wird gebilligt als wahr, wenn es übereinstimmt (identisch ist)
mit einem als positiv evident erfassten Urteil, wenn also das, was
20 der Prüfende mit Evidenz anerkennt, dasselbe ist wie das, was der
Urteilende schlechthin urteilt oder anerkennt, was er für wahr hält
ohne vollkommenes Wissen, ob es wahr ist. Immerhin besteht eine
Schwierigkeit. Wenn das Urteil Wert hat um der Evidenz willen (und
Evidenz ein innerer Charakter des Urteils selbst ist), die sich daran
25 knüpft, wie könnte das Urteil ohne darin liegende Evidenz Wert
haben? Wenn sich die Wertung auf das Urteil um der Evidenz willen
richtet, so liegt das komplexe Phänomen Evidenzurteil zugrunde.
Wenn ein Urteil identisch ist mit einem solchen, das mit positiver
Evidenz eingesehen ist, ist es wahr. Wahr ist das Urteil, es ist logisch
30 billigenswert. Aber wie kommt es zu dieser Wertung? Man kann
sagen: Dem, was der andere objektiv behauptet, dem objektiven
Urteil, z. B. „Zwei Größen einer dritten gleich sind untereinander
gleich“, stimme ich mit Evidenz zu. Das objektive Urteil ist also
wahr, obschon der andere die Wahrheit nicht erkennt.
35 Am einfachsten ist also die Sache, wenn wir die Evidenz in die
Billigung ausschließlich verlegten. Ein Urteil ist wahr, wenn es bil-
ligenswert ist. Die Erfahrung davon machen wir in der evidenten
Billigung. Ob der, hderi das Urteil fällt, selbst den Wert erlebt, ist
266 wert und billigung
gleichgültig. Ist jemand da, der ihn überhaupt erlebt oder zu erleben
fähig ist, dann ist das Urteil wahr. Die Billigung bezieht sich ja nicht
auf den subjektiven Urteilsakt, auf den Akt dieses Subjekts unter die-
sen Umständen, in diesem Zeitpunkt etc., sondern auf das objektive
5 Urteil, darauf, dass Gold gelb ist, dass 2 mal 2 4 ist usw.1
Kann man nicht ebenso in der anderen Auffassung sagen, ein
Urteil ist wahr, wenn es evident ist? Ob der Urteilende selbst die
Evidenz erlebt, ist gleichgültig; wenn nur ein idealer Intellekt diese
Evidenz erlebt und zu erleben fähig ist. Die Billigung des Wahren
10 bezieht sich dann darauf, dass dieses selbe Urteil von einem vollkom-
men logischen Wesen mit Evidenz eingesehen würde. Dem läge aber
doch zugrunde: „Ein Urteil ist wahr, wenn es evident ist, gleichgültig,
ob der Urteilende die Evidenz erlebt.“ Also müsste das Urteil auch
evident sein, wenn die Evidenz nicht erlebt würde, sonst könnte der
15 Wert nicht bestehen, der doch in der Evidenz gründet. Aber was ist
Evidenz, die nicht erlebt wird? Ist Evidenz ein positiver Charakterzug
des Urteils, der nur unmerklich bleibt? Das wird man wohl nicht
behaupten dürfen.2
Nach all dem scheint es mir, dass die andere Auffassung, die
20 zunächst minder plausibel schien, doch die bessere ist.3 Wir werden
sagen: Gewiss, Urteile werden nicht bloß gefällt, sondern mit eviden-
ter Billigung gefällt. Diese evidente Billigung ist das, was wir innere
Klarheit, Einsicht und dgl. nennen. Wir müssen natürlich auf diese
evidente Billigung reflektieren, wenn wir das Urteil als evident be-
25 zeichnen. Wir stellen dann das Urteil objektiv gegenüber, und daran
knüpft sich ein wohl geschiedener und auf es bezogener Akt der
Billigung, der einen eigentümlichen Charakter hat und dem Urteil
selbst den entsprechend relativen Charakter verleiht, eben den der
evidenten Wahrheit, der evidenten logischen Berechtigung. Die Bil-
30 ligung selbst ist dann selbst eine evident berechtigte usw. Es gilt dann
das evidente Urteil: Von zwei kontradiktorisch entgegengesetzten
1 Und die Billigung selbst als Spezies gehört zum Urteil spezifisch genommen.
2 Aber diese Schwierigkeit löst sich, wenn man Evidenz als subjektiven Ausdruck
dessen bezeichnet, was objektiv Wahrheit heißt. Diese letztere ist eine Beschaffenheit
des Urteils, aber eine solche, die nicht als inneres Moment in das Urteil eingeht, also
erlebt sein muss, wenn wir urteilen.
3 Nein, dieselben Schwierigkeiten kehren wieder zurück. Siehe folgende Seite.
text nr. 1 267
Urteilen sind nicht beide wahr und sind nicht beide falsch. In Bezug
auf ein vorgelegtes Urteil gilt: Entweder ist es wahr oder falsch.
Das Letztere macht aber Schwierigkeiten: Wir können doch nicht
sagen, dass jedes Urteil faktisch evidente Billigung oder evidente
5 Missbilligung findet.1
Es kommt oft vor, dass jemand ein Urteil fällt ohne evidente
Billigung, hdassi wir aber die evidente Billigung dafür haben. Oder
dass wir sie jetzt nicht haben und dann nachträglich gewinnen. So
erkennen wir die Berechtigung von Urteilen, die zunächst als be-
10 rechtigte nicht charakterisiert waren. Denken wir uns nun ein ideales
Wesen, das so vollkommen ist, dass es aller Evidenz fähig ist, also
jede evidente Billigung oder Missbilligung, deren irgendein Wesen
je fähig war oder fähig sein wird, hat oder haben kann in freier
Verfügung. Dann müssen wir uns denken, dass dieses Wesen über
15 jeden Sachverhalt ein evidentes affirmatives oder negatives Urteil
fällen kann. Denn hat es nicht Evidenz der Affirmation, so ist das
Urteil objektiv nicht wahr. Niemand, der dieses Urteil fällt, fällt es mit
Recht. Kann es nun auch sein, dass in Betreff des kontradiktorischen
Gegenteils dasselbe gilt? Nein, denn es ist evident, dass eins von A
20 und Nicht-A ist. Entweder Gott ist oder Gott ist nicht, das ist evident.
Eins von beiden Urteilen – Gott ist gerecht, Gott ist nicht gerecht –
gilt. Dieser zusammengesetzte Sachverhalt ist evident. Gilt also in
Wahrheit „Gott ist gerecht“ nicht, so muss das andere objektiv wahr
sein und umgekehrt. Wir können auch so sagen: Der objektive Mangel
25 an positiver Evidenz ist äquivalent mit dem Vorhandensein negativer
Evidenz und umgekehrt. Dieser Satz gilt nicht bei anderen als hbeii
logischen Billigungen und Missbilligungen.
Also Evidenz eines Urteils wäre eine gewisse Beziehung desselben
auf den „Gegenstand“, auf Anschauung, und zwar eine innere Be-
30 schaffenheit des Urteils, ein innerer Charakter, eine innere Fülle sei-
nes psychologischen Gehalts. Nun sagt man: „Ein Urteil ist richtig“,
das ist ein Werturteil: Ein Urteil ist richtig, das urteilt, was geurteilt
werden soll. Im „soll“ ist ja eine Bewertung ausgesprochen. Man
möchte hier antworten: Setzen wir uns die Erkenntnis als Zweck,
35 so ist das zweckgemäße Urteilen dasjenige, welches uns Erkenntnis
gibt; also ein Urteil, das selbst Erkenntnis ist oder das in Erkenntnis
zu verwandeln wir disponiert sind, sei es, dass wir unmittelbare Evi-
denz herbeischaffen, indem wir fähig sind, die Sachlage zur Evidenz
zu bringen, sei es, dass wir durch einen mittelbaren Prozess, durch
einen Beweis Evidenz zu gewinnen vermögen. So wird das einsich-
5 tige Urteilen zum Maß der Richtigkeit, denn es ist das zum Zweck
gesetzte.
Man könnte hesi aber auch so versuchen: Ein Urteil ist richtig,
wenn es in gewisser Weise bewertet wird, eben als richtig. In ge-
wissen Fällen hat das Urteil den Wert wirklich, in anderen wieder
10 nicht. Was heißt das aber, es hat den Wert wirklich? Wir urteilen
nicht bloß, es hat Wert, sondern es hat ihn wirklich, wir erleben
den Wert. Und so kämen wir unter Annahme, dass es eigentümliche
intellektuelle Wertprädikate gibt, doch wieder dazu, dass Überein-
stimmung bestehen muss zwischen dem Urteilen über Wert und dem
15 Sein des Wertes, zwischen Vorstellen oder Meinen, dass ein Urteil
wert ist, und Erleben, dass es wert ist. Dieses Erleben kann nicht
etwa bedeuten das Dasein von Billigung oder Missbilligung, denn
das charakterisiert eben auch das „Meinen“, das eventuell falsche
Urteilen über Richtigkeit. Oder ist gesagt: Das Urteil U hat Wert,
20 das hieße, die Billigung des Urteils sei eine richtige? Dann kämen wir
aber ins Unendliche.
Das Urteil U ist richtig, es hat einen Wert im intellektuellen Sinn.
Dieses Urteil hat selbst wieder Wert in diesem Sinn usw. Gegen diesen
Regress wäre ja nichts einzuwenden, aber was meint das Haben von
25 Wert? Es meint doch nicht: Es wird bewertet. Bestenfalls kann es mei-
nen, in der Bewertung stecke ein eigentümlicher Charakterzug, eben
das Wertmoment. Aber soll man etwa sagen, dieses Darinstecken, das
habe keine andere Bedeutung, als dass das bezügliche Urteil selbst
wieder Wert habe usw.? Und wenn wir das bewertete Urteil selbst
30 nehmen: Ist das Sein dieses Urteils nichts anderes als der Umstand,
dass das Urteil, das darüber gefällt wird, Wert hat? Und bei diesem
wieder in infinitum?
Nr. 2
5 Lust kann nicht identisch sein mit Wert. Denn nicht jede Lust ist
ein Gutes (auch nicht relativ), und nicht jede Unlust ein Schlechtes.
Lust an der Gemeinheit ist schlecht, Unlust an der Gemeinheit ist
gut. Die Lust wird dabei beurteilt als Lust an der Gemeinheit, die
Unlust „gehört“ zur Gemeinheit, „stimmt zu ihr“, „so soll es sein“.
10 Die Lust „gehört nicht“ zur Gemeinheit, sie „stimmt nicht“ mit ihr,
„streitet“ in gewissem Sinn mit ihr, „so soll es nicht sein“.
Liebe gehört zur Wissenschaft, zur edlen Kunst etc. So stimmt es
richtig zusammen. Und ich kann das einsehen, ich kann es einsehen,
dass zum Irrtum „als solchen“ Unlust gehört (abgesehen von der
15 „Konsequenz“, von dem, was gegebenenfalls durch Erkenntnis bzw.
Irrtum motiviert würde) und zur Erweiterung der Erkenntnis Lust.
Ich freue mich über die gewonnene Einsicht. Nun beurteile ich: So ist
es recht, diese Einsicht hat Wert. Ebenso, ich wünsche, ich strebe nach
Einsicht. Dieser Wunsch, dieses Streben, beurteile ich, hat Wert. Und
20 ich kann das wieder einsehen. Ich kann einsehen: Jede positive
Gemüts tätigkeit , di e auf ei nen W ert geht, ist selbst ein
W er t ( hat Wer t). Sie ist „richtig“, sie stimmt zu dem, was in der
Weise des Wollens, Wünschens „intendiert“ ist. Dieses ist ein Wert,
und sie „richtet sich nach dem Wert“, eben darum ist sie eine richtige.
25 Was ist das nun, „Wert“? Sollen wir sagen: Eine Lust ist es, die zu
ihrem Gegenstand gehört, die sich nach ihm richtet, oder eine Unlust,
die zu ihrem Gegenstand gehört und sich also nach ihm richtet?
Oder sollen wir sagen, auch die Lust muss notwendig schon nach
etwas sich richten, was eben ein Wert ist, z.B. die Lust ist ein Wert,
30 weil schon die Einsicht, auf die sie sich „richtet“, ein Wert ist?
Was soll aber zuletzt den Wert bestimmen, oder wie soll er sich
1 Siehe oben Text Nr. 1 und dort S. 263,28. – Anm. der Hrsg.
text nr. 2 271
richtig ist. Es ist nicht bloß gemeint und gesagt, sondern stimmt zu
dem Gegebenen, das Gemeinte ist wirklich.
Die A nal ogie der G em ütssphäre bzw. Wertsphäre würde
fordern: Werte sind gegeben. Es gibt Gemütsakte, die sich auf vorge-
5 stellte Objekte so beziehen, dass diese den Wert haben bzw. Werte
sind oder dass hier eine wirkliche und eigentliche Wertgebung, Wert-
nehmung könnten wir sagen, al s Anal ogon zur Wahrnehmung
statthat.
Diese wertnehmenden Akte sind dann die Unterlagen für wahr-
10 nehmende,1 nämlich für solche, welche rein schauend den Wert wahr-
nehmen (nicht Wert in abstracto; so wie in der Wahrnehmung das
Wahrgenommene nicht das Sein in abstracto ist, sondern der Gegen-
stand, so auch hier: das Werte in seiner Wertheit). Im ästhetischen
Gefallen und im ästhetischen Schauen und Werten lebend vollziehe
15 ich z. B. eine Wertnehmung und vollziehe doch eo ipso eine Wahrneh-
mung des Kunstwerkes, sofern ich eben nicht bloß das erscheinende
Ding mir ansehe (und eventuell beschreibe), sondern das Kunstwerk
als solches.
Die Wertnehmungen sind so wie die Wahrnehmungen adäquat
20 und inadäquat, die Wertnehmungen enthalten teils eigentliche,
teils uneigentliche Wertintentionen. Eine Wertnehmung wäre eine
eigentliche, die keine unerfüllten Wertintentionen hätte.2 Fasst man
Wertnehmungen als etwas auf individuelle Einzelheit Bezogenes
haufi, so wie Wahrnehmung, so haben wir anzureihen die auf All-
25 gemeines bezogenen wertschauenden Akte. Das Einzelne
ist schon Wertgenommenes oder Wertzunehmendes, also nicht bloß
Sein, sondern schon Wert. Das Allgemeine ist eine Wesensallge-
meinheit, ein allgemein Geschautes, auf Zusammenhänge, Fundie-
rungen von Werten oder von Gegenständen und Wertbestimmungen
30 bezüglich.3 Denn die Sachlage ist hier komplizierter, da den Gemüts-
1 Wozu erst eine angeblich auf Wertnehmung beruhende Wahrnehmung? Ist nicht
Wertnehmung Selbsterfassung des Wertes und als solche in erweitertem Sinn Wahrneh-
mung? Das zeigt doch gleich das Beispiel! Gegenüberstellen kann man nur Dingwahr-
nehmung und Wertobjekt-Wahrnehmung. Den dinglichen Intentionen entsprechen
dann Wertintentionen.
2 Es wird auch hier so etwas wie immanente Wertung geben, die rein adäquat ist:
Wertungen Richtigkeit der Wertungen für jeden Einzelfall besagt. Oder: Werte sind
eben Prädikate, ohne das könnte Wert nicht als allgemeines Prädikat konstituiert
werden.
1 „Sachverhalt“ später verändert in „Urteilsverhalt“; dazu die Randbemerkung
messen, ob etwas einem Maß, einer Bedingung genügt (die eventuell gefordert und
wirklich bewertet sein kann), z. B., ob ein Urteil logisch zu begründen ist.
text nr. 2 273
ist zu billigen (billigenswert)“ eben ein Urteil, und dieses Urteil ist
wieder zu billigen, wenn A eben wirklich einen Wert hat. Also nicht
z w ei A r ten von Bi ll i gungen, aber wir haben zwei Gattungen
von Akten, objektivierende und wertende (billigende), und im Zu-
5 sammenhang damit zwei Gattungen idealer Prädikate: Urteilsinhalte
sind wahr (Sachverhalte seiend), Gegenstände existierend, Gemüts-
inhalte gut (Gemütsbedeutungen, kommt das hier auch vor?) bzw. im
konkreten Sinn hsindi ihre Gegenstände Güter.
Nun, was hat es mit dem Bi l l i gen auf sich? Ist dieser der Werte
10 konstituierende Akt und etwa etwas Besonderes neben Gefallensak-
ten, neben Wünschen, Wollungen? Und sie selbst hsindi also nicht
wertkonstituierend?
1 Umarbeitung 1908.
274 wert und billigung
gebilligt werden kann etc.). Zum Leid des Anderen „gehört eviden-
terweise“ Mitleid, und damit streitet Mitfreude, also Grausamkeit.
Und doch ist das kein Wesenszusammenhang gewöhnlicher Art, so
wie zu einem S ein P gehört und ein damit unverträgliches P’ mit P
5 streitet. Sonst könnte ja die Grausamkeit nicht eintreten, der man
doch die Anschauung vom Leid des Anderen absprechen kann. Hier
ist also das Problem.
Ist1 diese Auffassung begründet, so scheint es, dass wir in der
Tat zu scheiden haben U rtei l e und Beurteilungen; die letzteren
10 ermöglichen die Normierung. Ich kann aber gar nicht sagen, dass
ich mir schon klar bin. Beim Urteil haben wir die Anmessung an
die „Anschauung“, haben wir die Evidenz im Sinn der Adäquation.
Wir haben hier also inhaltliche Besonderheiten, die der Billigung
zugrunde liegen. Die „Erfüllung“ ist doch nicht selbst Billigung; die
15 Eigenschaft einer Meinung, erfüllbar zu sein, kann uns die Meinung
„billigen“ lassen, wir legen auf solche Meinungen Wert und nennen
andere wertlos, aber das Billigen konstituiert nicht die Wahrheit und
das Sein selbst. Also Urteilen ist Urteilen, Beurteilen ist aber kein
Urteilen neuer Art, sondern ein Schätzen und Urteilen aufgrund des
20 Schätzens.
Wie nun in der Gemütssphäre? Da bedarf es eben der Analysen.
Zunächst hinsichtlich der Über- und Unterordnung, der Einfachheit
und Komplexion. Ist nicht jedes Gemütsphänomen in gewisser Weise
ein Für-wert-Halten? Gibt es nicht zu jeder Gattung von Gemüts-
25 phänomenen „Wertnehmungen“? Und besteht das Schätzen nicht
einerseits in dem Erkennen des Wertes, in der Erkenntnis, dass zu sol-
chen Sachen der und der Wertcharakter wesentlich gehört etc.? Und
fürs Zweite das Abwägen des relativen Gewichts? Das Wort Gewicht
erinnert an die Vermutungssphäre. Im Vermuten selbst, ist da das
30 „Es dürfte sein“ erfasst? Eventuell vollzieht sich das „Annehmen“
(Analogon von Wahrnehmen), gleichsam ein Sehen. Und dann re-
lative „Wert“-Schätzungen des Gewichts. Das schlösse nicht aus,
dass sich an einen als gut erkannten Willen wieder ein berechtigtes
Gefallen knüpft, so wie an ein gut gelungenes Urteilen (Beweisen,
35 Theoretisieren) ein Gefallen, ein „Anerkennen“: Schön geurteilt, das
war vortrefflich. Aber das wären doch sekundäre Schätzungen.
1 Zusätze (1907).
Nr. 3
Der Eine hat Lust an A, der Andere Unlust, der Dritte verhält sich
indifferent. Soll sich aber an A eine Lust anknüpfen etc., was billigen
wir oder missbilligen wir in solchen Fällen? Die Lust als Lust am A,
oder A als Objekt dieser Lust?2 Ebenso billigen oder missbilligen
10 wir ein Begehren oder Wollen als Begehren oder Wollen an dem
oder jenem, sei es überhaupt, sei es unter den so und so gearteten
Umständen.
Die Lust ist eine gute. Auch das Lustobjekt nennen wir ein gutes.
Die Speise ist gut. Wird die Speise gebilligt? Die Lust ist eine gute, das
15 heißt, es ist r ic hti g, sich an solcher Speise zu freuen,3 diese Speise soll
schmecken, „muss“ jedem schmecken. Das heißt doch nicht: „Der
Gedanke, dass diese Speise wohlschmecke, ist ein lustvoller.“ Aber
liegt nicht wesentlich ein Billigen, ein gewisses eigenartiges Gefallen
vor? Der Geschmack „gehört“ zur Speise. Dass diese Speise wohl-
20 schmecke, das ist einmal eine Tatsache. Im Allgemeinen wenigstens
schmeckt sie. Mir schmeckt sie. Dass man sich am Wohlgeschmack
der Speise freue, das ist zu billigen: überhaupt und allgemein. Aber
nicht ist, dass diese Speise wohlschmecke, zu billigen: die Tatsache.
Die Billigung richtet sich nicht auf die Speise und ihren Geschmack,
25 sondern auf die Freude daran, als solche.
Lust ist ein subjektiver Ausdruck, lustvoll, gut ein objektiver. Die
Speise erregt, sagen wir auch, Lust, sie ist lustvoll, sie ist gut. Das
Prädikat wird objektiv angeknüpft in der Weise eines sonstigen Prä-
dikats, etwa „rot“ und „rund“. Das ist offenbar durchaus natürlich.
1 Abschrift hwohl um 1909i eines eng beschriebenen Doppelblattes auf altem ver-
gilbtem Briefpapier. Ich glaube aber nicht, dass es älter ist als h18i97 (oder h18i96?).
2 Oder: die Freude an solcher Lust? Lust im einen Sinn: „sinnliche“ Lust, Lustemp-
1 Dieselbe Speise: im Wesentlichen dieselbe. Und einmal der und das andere Mal je-
ner Geschmack, je nach der „Stimmung“ unseres Organismus. Und dementsprechend
einmal Gefallen, das andere Mal Missfallen. Sinnliche Lustempfindung – Gefallen.
278 wert und billigung
1 Besser und einfacher: Haben wir ein Gefallen und setzen wir nur voraus, dass wir
1 Aber gehört dann nicht zum vorgestellten Gegenstand als solchen eben die ästhe-
Also was ist das: Ich werte den Gegenstand, ich werte dann das
Gefallen am Gegenstand, ich werte den Wunsch, die Freude, den
Willen auf das Sein dieses Gegenstandes bezogen oder das ästhetische
Gefallen, das für hdasi Sein desselben gleichgültig, doch auf seine
5 Vorstellung bezogen ist? Ich werte den Gegenstand: Ich halte ihn für
gut. Er gefällt mir nicht nur oder gefällt anderen nicht nur, er ist gefal-
lenswert: Das Gefallen „gehört“ zu ihm. Ebenso: Ich wünsche nicht
bloß dieses oder jenes, sondern es ist wünschenswert, der Wunsch
„gehört“ zu solchem. Und wieder: Der Wunsch ist ein guter, ein
10 Gefallen gehört zu ihm (weil er richtig ist: Zum Richtigen als solchen
„gehört“ Gefallen). Di eses „ G ehören “, das ist also jetzt das
Pr oblem.
Nicht das macht also die Wertschätzung aus, dass sich überhaupt
ein gewisses „Gefühl“, eine Lust oder ein Gefallen (oder ein ganz
15 spezifisch eigenartiges Billigen), an eine Sache knüpft und darunter
auch an Gemütsakte knüpft, die „wertgeschätzt“ werden. „Gefühle“
sind freilich immer im Spiel, seien es impressionale Gefühle, seien es
Phantasiegefühle. Aber so darf man nimmer die Sache fassen, als ob
es unter dem Titel „Wertgefühle“ eine eigene Sorte von Gefühlheni
20 gibt, deren Anknüpfung Wert macht.
Wir haben den Unterschied zwischen „Es scheint so“ und „Es ist
wirklich so“, was überall und so auch hier zur Idee der Objektivität ge-
hört. Und wieder gehören zur Objektivität Wesen und Wesensgesetze.
Das Gefühl, die Fühlsweise, der Gemütsakt, gehört wesentlich zu dem
25 oder jenem Gegenständlichen, zu den oder jenen schon vorausgesetz-
ten Gemütsakten: Wesentlich, das heißt, zur Idee eines A „gehört“
das Gefühl, nicht individuell, nicht empirisch allgemein, sondern we-
sentlich. Die Freude über eine gewonnene wissenschaftliche Einsicht
ist „berechtigt“, Freude über Gewinn wissenschaftlicher Einsicht ist
30 ein Gut (allgemein gesprochen), sie ist ein Wünschenswertes. Zu
der Vorstellung solcher Freude gehört gesetzmäßig, wesentlich der
Wunsch und in sich betrachtet der Wille: so eins mit der Vorstellung,
dass er gerichtet ist auf diese vorgestellte Freude.
Der Wunsch nach Freuden solcher Art ist generell richtig, das heißt
35 nicht einfach, er wird gebilligt. Er ist billigenswert? Das heißt aber
wieder, die Billigung ist eine richtige. Macht diese Richtigkeit wieder
eine Billigung, die aber selbst wieder richtig sein muss etc.? Oder
hat die Billigung, die sich anknüpft, ein spezifisches „Wertmoment“
282 wert und billigung
gleich in sich?1 Nun, dann können wir wieder fragen, warum hat nicht
schon das einfache Gefallen an einer Musik oder das Wünschen einer
Sache, das ein Wünschenswertes wünscht, das Wertmoment in sich?
Was ist das, ein Wertmoment? Steckt das in dem Akt, der „richtig
5 charakterisiert“ ist, in dem ein Gutes nicht bloß für gut gehalten
hwirdi, sondern als gut dasteht, darin? Steckt im Erfreulichen (wahr-
haft Erfreulichen, im Wünschenswerten etc.) das Wertmoment, oder
im betreffenden Sich-Freuen, Wünschen etc.? Nein. Im Gegenstand
stecken gegenständliche Prädikate, in ihm steckt kein Wert, so wenig
10 in ihm „Sein“ steckt. Im Akt aber steckt nicht irgendein Kennzeichen,
eine Marke „Wert“: Das erklärt nicht das Gegenüber von Fürwert-
halten und Wertsein, von richtig und unrichtig Werten, von Wert-
überzeugung und Werteinsicht. Fehlt das wertanzeigende Moment,
so fehlt nicht der Wert, sondern nur die Einsicht in den Wert.
15 Analogie mit dem intellektiven Gebiet. Anschauungsleere Urteile,
unvollkommen mit Anschauung erfüllt, und vollkommene, auf An-
schauung gegründete Urteile; Urteile aufgrund der Anschauung, der
Wahrnehmung im weiteren Sinn, die den Sachverhalt selbst gibt. Im
ersteren Fall glaube ich, dass die Sache sich so und so verhält, aber
20 ich sehe es nicht. Das Urteil ist vollzogen, aber „in“ ihm ist der
Gegenstand nicht gegeben.
Ebenso bei Wertverhalten. Es gibt ein Werten, das bloßes Wert-
vermeinen ist, d. h. nicht ein Urteilen über Wert, welches begleitend
da sein kann, aber nicht da sein muss, sondern z. B. etwa einfach
25 ein Gefallen an der Sache, nichts weiter. Und andererseits kann der
vorhin nur „vermeinte“ Wertverhalt ein „gegebener“ sein. Wieder
ein Gefallen an derselben Sache, aber so, dass dieses Gefallen eben
seine „Berechtigung“ in sich trägt. Aber dabei darf nicht an irgend-
einen zufälligen Charakter oder an einen beliebigen Index gedacht
30 werden, ebenso wenig wie im Fall des Urteils. Hier ist die Sache
insofern komplizierter, als im eigentlichen Sinn ein Fürwerthalten
schon ein Vorstellen und Beurteilen ist, und ebenso der Ausdruck
„Gegebenheit“ des Wertes selbst abermals auf ein Urteilen, hier
auf ein Wahrnehmen, auf ein intuitives Erfassen und dann haufi ein
35 adäquates Aussagen hinweist.
1 „Das“ Urteil stimmt. (Das Urteil ist hier spezifisch verstanden, nicht als ein kon-
kret bestimmter Akt. Immer Idee. Die Rede von Erfüllbarkeit ist danach wohl zu
verstehen.)
284 wert und billigung
1 Besser: zur Sache an und für sich gehören, zur Sache durch Übertragung gehören,
die Freude an der Einsicht etc. Das braucht wohl kaum gesagt zu
werden. Ebenso ja auch: Das Urteil des Inhalts „S ist P“ ist berechtigt
etc.
Nähere Betrachtung erfordert hier noch manches, besonders ist zu
5 achten auf die „Zugehörigkeit des Gefühls zu den Sachen“ oder hdiei
Forderung der Sachen, „Gründung“ des Gefühls in den Sachen etc.
und Begründung des Gefühls in der Vorstellungsunterlage, also in
den Anschauungen etc. Klarstellung dessen, was phänomenologisch
ist, und dessen, was den Gegenständen zugemessen wird, und warum
10 etc.1
1 Nota. Das war nicht eine bloße Abschrift heines älteren Textesi, sondern vielfach
1 Wichtig!
2 Wohl um 1909. – Anm. der Hrsg.
3 hDas ist dasi Thema der folgenden Blätter.
4 Oder hmiti dem Verhältnis voller und leerer Intentionen, „befriedigter“ – unbe-
er gewinne Fülle der Freude, d. i. die Fülle, die zu ihm als Wunsch
gehören könne: Analog wie eine leere Vorstellungsimpression (ob-
jektivierende Impression), z. B. ein leeres Urteil, Erfüllung gewinne
in dem ihm entsprechenden vollen impressionalen Akt (denn nur
5 um das Verhältnis unmodifizierter Akte handelt es sich). Indessen,
wird diese Auffassung sich durchführen lassen? Jedenfalls enthält sie
große Schwierigkeiten.
Die Erfüllung eines Wunsches, sein Sich-Erfüllen bringt Freude.
Der Wunsch, indem er Erfüllung findet, terminiert in Freude, wie
10 schon der Prozess der Erfüllung Freude ist: nun, eben weil Momente
der Wunschintention sich dabei befriedigen. Aber ist Befriedigung
dies er „ I ntent ion “, nämlich dieses begehrenden Langens, mit
dem E vident mac hen in der Urteilssphäre zu vergleichen? Wir
haben auf dem Gebiet des Gemüts auch „Evidenz“. Denken wir
15 uns den Wunsch erfüllt und denken wir uns dabei alles, was noch
uneigentliche Wertintention, uneigentliche Freude, unrealisierte histi,
realisiert, versuchen wir im Gedanken bis zur letzten Auswertung
vorzuschreiten, so stellt sich heraus, ob der Wunsch berechtigt ist oder
nicht, und mittels des objektivierenden Denkens können wir das evi-
20 dente Werturteil aufgrund der Möglichkeit der Ausweisung der Werte
fällen. Zum Wesen des Wunsches gehört es, auf Freude „gerichtet“
zu sein (die in der Erfüllung aktuelle Freude würde), nämlich auf ein
Sein gerichtet zu sein, das, wenn es wäre, Freude begründete, und
zwar gehör t es zum Si nn des Wunsches, da ss er auf reine
25 Fr eude geri chtet is t, nämlich gleichsam meint, dass diese Freude
sich als reine Freude realisieren und damit „berechtigen“ ließe. Das
kann nun vor aller aktuellen Realisierung ausgewiesen werden, sei es
die Evidenz, dass diese reine Freude zur Wunscherfüllung notwendig
gehören würde, dass sie im Fortgang der Auswertung der vorläufigen
30 Freude sich herausstellen müsste, oder hzuimindest die vernünftige
Wahrscheinlichkeit, dass sie es würde.
Ich wünsche A. Mache ich mir A klar, so steht es als erfreulich
da. Stelle ich mir A als seiend vor, so hat es den Charakter eines
Erfreulichen, sei es in sich, oder wenn A wäre, wäre B, dann C etc., und
35 schließlich wäre etwas in sich Erfreuliches. Diese Zusammenhänge
können solche der evidenten Notwendigkeit sein oder der erfah-
rungsmäßigen Gewissheit oder der erfahrungsmäßigen Wahrschein-
lichkeit. Dem nachgehend realisiere ich in der Vorstellungssphäre, in
text nr. 4 289
unerfüllt. So bin ich unbefriedigt. Hier geht eben der Wunsch nicht
einfach auf A, sondern auf A um des B willen.
Etwas anderes ist es, dass zum „Sinn“ eines Wunsches (und Wil-
lens) die „Meinung“ gehört, dass das Erwünschte, sei es in sich, sei es
5 um eines anderen willen, ein Gut sei. Ich wünsche A, darauf bin ich im
Sinne des Wünschens „gerichtet“, danach lange ich, strebe, begehre
ich. Ich halte A für wert, es steht mir, wenn ich es mir vorstelle, als
freudebringend da. Tritt es ein, so erfüllt sich der Wunsch, und diese
Freude ist realisiert als Erfüllungsfreude. Aber diese Freude kann
10 eine „uneigentliche“, „unklare“ sein. Was ist es dann, was am A
erfreulich ist? Ja, da sehe ich vielleicht, dass A in sich gar nichts hat,
was Freude begründen, motivieren könnte, und dass die Freude nur
zu motivieren ist (und bei mir auch motiviert war oder im „Dunkeln“
jetzt auch motiviert ist) durch ihre Beziehungen zu B, C … Faktisch
15 ist der Wunsch nun nicht gerichtet auf das B, C …, weil die Motiva-
tion „nicht wirksam“ war, aber eigentlich ist es die „Meinung“ des
Wunsches, einen wirklichen Wert, sei es in sich oder einen Mittelwert
für einen Wert in sich, zu treffen. Freilich, aktuell bezogen ist der
Wunsch nicht auf den Wert, als ob dieser vorgestellt wäre. Vorgestellt
20 ist A. Gemütsmäßig bezogen ist der Wunsch aktuell nicht auf das
ausweisende Wertbewusstsein, sondern auf das Freudenbewusstsein
an A.1 Ich mag ja wünschen, ohne mir diese Freude vorzustellen oder
mich in diese Freude hineinzufühlen, und das ist selbstverständlich
der normale Fall, aber zum Wesen des Wunsches und hzui seinem
25 Sinn als Wunsch gehört die Möglichkeit, sich zu „verdeutlichen“:
„Wäre A, das wäre doch schön.“ Das A-Sein muss also als erfreulich
dastehen können.
Andererseits: Potenziell ist der Wunsch auch bezogen auf die Mög-
lichkeit eines ausweisenden Wertbewusstseins. Die Überzeugung
30 muss gelten, dass, wenn A wäre, etwas Schönes wäre, etwas wahrhaft
Schönes. Der Wunsch, der sich auf A richtet, hätte keinen „Sinn“,
wenn ich einsehen würde, dass A gar nichts an sich hat, was Freude
fordert, und dass A nur um anderes willen Freude fordern könnte,
das unter sonstigen Umständen wirklich Freude forderte, aber unter
35 den gegebenen es nicht mehr tun kann, ja das Gegenteil forderte.
In diesem Sinn richtet sich der Wunsch auf das Gute, so wie das
Urteil auf das Wahre, und der Wunsch bezieht sich dabei (anders
gefasst) auf wertausweisende Freude als mögliche Erfüllung vermöge
der Wesensverhältnisse, die zwischen Wunsch und Freude bestehen.
5 Es ist auch zu sagen: Der Wunsch weist seine Richtigkeit aus in dem
begründenden Prozess, der auf den „evidenten“, seiner berechtigen-
den Gründe klar bewussten Wunsch führt. Zu dieser Begründung ge-
hört nicht aktuelle Freude und Freudeberechtigung, sondern poten-
zielle Freude (nicht Freude unter Assumtion, sondern hypothetische
10 Freude: Wenn das A wäre, so wäre etwas Erfreuliches). Die Freude
aber, die aktuelle, hat wieder ihre Richtigkeit und Unrichtigkeit. Auch
sie bezieht sich ihrem „Sinn“ nach auf einen Wert, ebenso wie die
potenzielle Freude es in potenzieller Weise tut. Das ist ja bei der
wesentlichen Beziehung zwischen Wunsch und Freude im Wunsch
15 schon vorausgesetzt.
Also d ie R ic htung d es Wunsches auf Erfüllung (Befriedi-
gung) is t etwas anderes al s di e „ Ri chtung “ des Wunsches
auf ein w ahr haft Gut es. Die erstere Richtung und der Begriff der
Wunschbefriedigung ist dem Wunsch eigentümlich als einem Langen,
20 Begehren. Die letztere gehört aber auch zur Freude und gehört
in analoger Weise zu allen Akten. Aber nach dem Ausgeführten
hängt dieses zweierlei Gerichtetsein nahe zusammen: nämlich beim
Wunsch und Willen, wo eben dieses Zweierlei vorhanden ist. Die
sachobjektivierende Intention, sagen wir z. B. das Urteil, richtet sich
25 auf die Sache und in korrelatem Sinn auf Begründung, Bestätigung,
Bewährung, die das Urteil als begründetes hervorgehen lässt (natür-
lich ein Doppelsinn von Gerichtetsein). In sich hat das Urteil aber
gar nichts von der Vorstellung der Begründung etc. Was vorliegt,
ist das bloße „S ist P!“, d. i. Vorstellung und näher impressionale
30 Prädikation, Überzeugung von „S ist P“ und ohne jedes Zweierlei.
Aber nun ist eben der Unterschied zwischen dem Glauben „S ist P!“
und dem „Es ist wirklich und wahrhaftig so“, wie es in dem Akt des
begründeten, des sich voll begründenden Glaubensbewusstsein ist.
Wir gebrauchen, indem wir das Denken als eine Handlung ansehen,
35 die auf den Wert der begründeten Wahrheit gerichtet ist, das Bild
von der Intention. So ist auch das Wünschen und Wollen, das Sich-
Freuen, das ästhetische Werten „gerichtet“. Aber eine Intention im
echten Sinn, ein Abgesehenhaben, haben sie nicht auf Werte oder
292 wert und billigung
auf Ausweisungen; nur analogisch, wenn ich mir denke, dass ich han-
delnd mein Sich-Freuen, mein Werten, mein Wünschen regeln will,
so dass jedes jederzeit nach dem Wert, der in seinem Sinn angelegt
ist, orientiert bleibt.
5 Demnach wird auch die Rede der Logischen Untersuchungen von
der „Erfüllung“ der Urteilsintention störend, es sei denn, dass prinzi-
piell beim Wunsch und Willen niemals von der Erfüllung, sondern nur
von der Befriedigung gesprochen wird, andererseits bei den objekti-
vierenden Intentionen niemals von Befriedigung. Erfüllung im Sinn
10 von A us w ert ung und im Sinn von Befriedigung müssen streng
geschieden werden.
Andererseits kann man zwar von der Auswertung sprechen, aber
es fehlt ein Wort für den Unterschied zwischen leeren und vollen
Intentionen. Dieser letztere Ausdruck ist gut. Aber das Vollwerden
15 der Intentionen, das ist eben Erfüllung, und da haben wir wieder
den störenden Doppelsinn. Wenn ein Ding sich dreht, so verwandeln
sich leere in volle Intentionen, sie nehmen Fülle an. Das sind doch
Ausdrücke, die nicht zu vermeiden sind. Und diese Verhältnisse habe
ich doch auch zuerst entdeckt. Soll man sagen Realisierung und
20 Entrealisierung? Aber das wäre erst recht bedenklich. Also bleibe
ich bei voll – leer, Erfüllung (oder Füllung).
Nr. 5
1 Husserl bezieht sich hier auf Franz B r e n t a n o, Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis,
abwägung als ein positives Gewicht in Anschlag komme, und das scheint mir sehr
zweifelhaft. Ich meine, dass einer solchen unethischen Lust wie der Lust am Gemeinen
und Schlechten auch nicht das leiseste Wertmoment einwohne, dass die Richtung
solcher Lust auf Schlechtes statt auf Gutes nicht das Schlechte mindert in der Weise
der algebraischen Summe, sondern sie erhöht. Symbolisch: nicht + L h+i – S, sondern
L × – S = – L × S. Es wäre ja sonst auch Folgendes denkbar: Wenn wir hani ein großes
Unglück wie das Erdbeben in Süditalien denken und nun fingieren, dass Millionen
Menschen sich darüber freuen, ja mit wahrer Wonne sich darüber freuen würden,
dann könnte man am Ende einen Überschuss des Guten ausrechnen: Das eine und
selbe Übel wird immer mehr in seinem Gewicht in der Sphäre der Existenzialgüter
gemindert bis zum Verschwinden durch entsprechende Fülle von darauf bezogener
Lust. – Das geht nicht. Eine Welt, wo das möglich wäre, wäre eine wahre Hölle.
text nr. 5 295
Wir haben zweierlei: Einmal Trauer über ein Unglück ist ein Wert
als konvenientes Verhalten, andererseits ist die Trauer selbst ein
Unglück. Dass das Unglück ist und Trauer verbreitet, das ist selbst
wieder Unglück. Unter Voraussetzung des Unglücks ist die Trauer
5 ein Wert. Das Unglück ist aber selbst ein Unwert. hMuss ich also,i
um solche Werte zu realisieren, möglichst viel Unglück in die Welt
setzen?
Nr. 6
α das Werte. Der Gegenstand als α-seiend ist werter Gegenstand und
α ist sein wertgründendes Prädikat.
Die Wertung kann sich rein auf den perzeptionalen Inhalt grün-
den oder letztlich auf gewisse Komponenten desselben, auf gewisse
5 Merkmalsinhalte, die zum perzeptionalen Inhalt gehören. Zum Bei-
spiel, ein Gegenstand heißt schön, nicht um beliebiger Beschaffen-
heiten willen; seine atomistische Konstitution, seine physikalisch-
chemischen Eigenschaften sind gleichgültig. Er ist schön um seiner
s chönen E rs cheinung wi l l en. Er stellt sich unter gewissen nor-
10 malen Umständen so und so dar (oder kann sich so darstellen: das
Marmorgebilde bei Tage in der und der normalen Entfernung und
von der und der Seite), und in dieser „Erscheinung“ „tritt seine
Schönheit hervor“. Schön ist nicht nur die volle Erscheinung, das
Erscheinungsrelief. Es gehört zur Schönheit, dass ein ganzes Ding
15 sich darstellt. Die Wertung heftet sich an das Perzeptionale solcher
Wahrnehmung und haftet offenbar in verschiedener Weise an dem
Vollen und am Leeren dieses Perzeptionale. Der Gegenstand ist
schön, sofern er in dieser Weise sich vorstellen, in diesem perzep-
tionalen Gehalt vorgestellt werden kann. Es kommt aber nicht auf
20 das ganze Perzeptionale an. Die „Qualität“ ist gleichgültig. Es ist da-
mit gleichgültig, ob der Gegenstand existiert oder nicht existiert. Ein
Mensch ist schön, auch ein Fiktum ist schön, und das Marmorgebilde
ist auch schön, wenn es eine stereoskopische Illusion wäre. Darin
liegt: Es kommt bloß auf den perzeptionalen Inhalt an und dieser
25 kann auch in sich gewertet werden: Die „Erscheinung“ ist schön.
Das Ding aber ist schön „um seiner Erscheinung willen“. Gesetzt,
es wäre, so wäre ein Schönes, so käme ihm, dem wirklichen, auch
das Prädikat der Schönheit zu, das kein Prädikat seiner „Natur“
ist. Ist es von vornherein als Wirklichkeit gesetzt, nun, so ist es als
30 Natur gesetzt und zugleich hat es das Schönheitsprädikat, eben in
dem Sinn: Es gehört zu ihm die schöne Erscheinung, die Erschei-
nung, die primär schön ist. Die Schönheit aber gehört wieder zu
der betreffenden Erscheinung nicht als Erscheinung der jeweiligen
faktischen Wahrnehmung, sondern eben zu ihr selbst, zu diesem
35 perzeptionalen Inhalt, der ein ideales Prädikat ist, wie wir wissen.
Darum hängt auch die Schönheit nicht an der Wahrnehmung. Auch
der reproduktiv-phantastische Inhalt, der ja übereinstimmen kann
mit dem perzeptionalen, ist schön. Andererseits aber unterscheidet
text nr. 6 301
mattes Rot mit hellrosa schimmernden Flecken etc.; der Rand scharf,
bloß eine abgegrenzte Lichtlinie, dahinten kontrastierendes Schwarz
etc. Je nach meiner Stellung zur Aschenschale wandelt sich Licht in
Dunkel, leuchtend Rot in stumpfes Rot etc.
5 Blicke ich so gleichsam ästhetisch, so sehe ich Erscheinungsfar-
ben, gewisse in sich bestimmte Abschattungen, die durchaus eine
objektive Bedeutung haben. Sie breiten sich über die Oberfläche
aus, genauer gesprochen über die „erscheinende Oberfläche“ als
solche oder Erscheinungsoberfläche. Nehmen wir der Einfachheit
10 halber an, das Objekt sei unbewegt und der ganze Hintergrund und
die Umgebung, die Beleuchtungsumstände unverändert, so habe ich
eine ganz bestimmte Gegebenheit. Allerdings merke ich, dass diese
Gegebenheit sich herausstellt gegenüber einer Kontinuität von Ver-
änderungen. Ich habe die Augen bewegt und mit dieser Bewegung
15 gingen Erscheinungsveränderungen vor: Nämlich die bei jeder Au-
genstellung „wirklich gegebenen“ Erscheinungsfarben ändern sich
und ebenso die zugehörige, wirklich gegebene Erscheinungsfläche.
Das sagt, dass hdasi, was ich vorhin als Erscheinungsfarbe und Er-
scheinungsfläche bezeichnet habe, ein Identisches ist, das sich zu
20 den Farben und Oberflächenabschattungen bei den verschiedenen
Augenstellungen verhält als hwiei Einheiten zu Mannigfaltigkeiten.
Die Erscheinungsoberfläche ist dann das Wie der Darstellung der ge-
sehenen Oberfläche des Dinges, der Dingfläche, so weit sie bei fester
Körperhaltung gesehen wird, und zwar der Darstellung bei bewegtem
25 Auge. Diese Darstellung bei bewegtem Auge ist ihrerseits Einheit, die
sich konstituiert in Erscheinungsphasen, die zu den Augenstellungen
gehören. Und das Entsprechende gilt von den Erscheinungsfarben:
Sie sind Darstellungen der „wirklichen“ Farben, nämlich derjenigen,
die die Oberfläche des Objekts bedecken und ihrerseits Einheiten
30 zu Farbendarstellungen ursprünglicher Art, nämlich denjenen, die
zu jeder der wechselnden Augenstellungen gehören und die ihrer-
seits die entsprechenden Oberflächendarstellungen unterster Stufe
„bedecken“.
Diese Schichten von Darstellungen, also von Objektitäten, liegen
35 gewissermaßen aufeinander. Denn in dem ursprünglichen Farben-
moment (das zu einer Objektstelle gehört), bei ruhendem Auge in
irgendeiner Lage, sehen wir das okulomotorische einheitliche Far-
benmoment, das die okulomotorische Oberfläche bedeckt. Und in
text nr. 6 303
diesem sehen wir das wirkliche Objektmoment. Und ebenso für jede
Raumstelle, jedes ursprüngliche Extensionsstück oder okulomotori-
sche Oberflächenstück und wirkliche Oberflächenstück. Eines sehen
wir im anderen oder durch das andere. Es sind nur verschiedene
5 „Einstellungen“, die wir vollziehen, oder vielmehr: Verschiedene
Apperzeptionen sind aufeinander gebaut und die volle Objektapper-
zeption ist immer da, ist unvermeidlich vollzogen, die all diese Schich-
ten einschließt. Aber aufmerkend und herausmeinend können wir
diese oder jene Schicht herausheben. Achte ich nun aber auf diesen
10 okulomotorischen Glanz oder auf die oder jene dunkle Stelle, so steht
er als Glanz am Ding, als dunkle Stelle der Oberfläche des Dinges
da. Und ebenso: Fixiere ich einen Punkt und achte auf Seitenteile
des „Bildes“, so gehört die oder jene vor-okulomotorische Farben-
abschattung zum Ding. Ich sage freilich nicht „Das Ding selbst ist so“,
15 sondern „Das Ding sieht unter den Umständen so aus.“ Jetzt, im in-
direkten Sehen, habe ich von der Aschenschale eine „Erscheinung“,
die kaum beschreiblich ist, etwas ganz Vages etc. Ich sage, dies so
nehmend, wie ich es habe, und auf dieses Vage in sich achtend, nicht
„Das ist die Aschenschale“, sondern „So sieht die Aschenschale aus,
20 das ist ihre Darstellung, ihre Erscheinung, ihr Bild etc.“
Die Erscheinung, die das Malerauge erfasst, ist offenbar die oku-
lomotorische Erscheinung. Aber ästhetisch wirksam ist nicht bloß sie.
Denn die okulomotorische Erscheinung ist ja nicht isoliert gegeben.
Sie ist nicht die reine okulomotorische Einheit, sondern eben Erschei-
25 nung des Objekts. Wenn wir rein dem Objekt zugewendet sind, steht
das Objekt zwar durch sie da (sie hat ihre Einheit), aber sie steht nicht
in einem prägnanten Sinn als Erscheinung des Objekts da. Nämlich
„Erscheinung des Objekts“ sein (oder „Darstellung“) kann heißen,
jenes hObjektsi „bewusst sein“, aber so, dass das Ding Gegenstand
30 (Gemeintes) ist, oder es kann heißen, wir achten auf und meinen die
okulomotorische Einheit und haben sie als Darstellung des Objekts.
Wir sind in einer Situation, dass wir das Ding in Abhebung haben
von seiner Erscheinung und die Erscheinung bezogen haben auf das
Ding. Wir sagen: „So sieht das Ding aus“ und „Ich will jetzt achten
35 auf das Aussehen von ihm, auf das Malerische davon“ etc. Offenbar
gehört die ästhetische Wertung schon zum rein Okulomotorischen,
aber nicht allein, sondern zu ihm als Darstellung der Objektität. Und
wieder nicht als Darstellung des bloßen Dinges. Das Ding Büste ist
304 wert und billigung
weiter nicht ästhetisch, sondern die Büste als Bild. Der okulomoto-
rische Bestand ist für Ding und Bild eventuell einerlei oder ziemlich
nah ähnlich (z. B. beim Porträt), aber ästhetisch kommt eventuell in
Frage das Bild, schon als solches, aber erst recht das Bild als Bild des
5 Gottes, und nun kommt die geistige Bedeutung mit hinein usw.
Was ist aus all dem zu lernen? Wenn man vom Perzeptionale
spricht, so meint man das perzipierte Objekt als solches. Zum Bei-
spiel: Das Objekt steht in der Anschauung da und steht als „das
und das“ da. Die begriffliche Beschreibung des Objekts, so wie es
10 dasteht, was von ihm eigentlich und uneigentlich angeschaut ist, hat
ihr Korrelat in dem erscheinenden, angeschauten Objekt als solchen,
und das ist das Perzeptionale. So auch bei der verworrenen, leeren
Vorstellung. Das aber darf man nicht verwechseln mit den verschiede-
nen „Erscheinungen“ oder „Darstellungen“ innerhalb der gesamten
15 Perzeption des Objekts, die für die dingliche Objektität konstitutiv
sind. Wie das, was vom Objekt in die Erscheinung fällt bzw. welche
Empfindungsinhalte, welche „Bilder“ (okulomotorische Darstellun-
gen) etc. im anschauenden Bewusstsein vom Objekt „enthalten“
(nämlich in ihm konstituiert sind) hsindi als die Medien, durch die
20 sich das Ding selbst als so und so angeschautes konstituiert.
Für die ästhetische Wertung kommen nun vom anschaulichen Ob-
jekt (das normalerweise aber noch viel mehr ist, auch Träger von
darüber hinausgehenden, mehr oder minder deutlichen oder vagen
Denkintentionen, auch Gefühlsintentionen etc., was alles ästhetisch
25 wirksam werden kann), ich sage, vom anschaulichen Objekt selbst
oder dem im anschaulichen Bewusstsein selbst reell oder intentional
vorliegenden kommt ästhetisch nicht nur in Betracht das Perzeptio-
nale, sondern auch die ontisch konstituierten Erscheinungen, und die
in besonderem Maße.
30 Demnach ist das vorhin Ausgeführte erheblich zu vertiefen und zu
verbessern oder vielmehr nach Seiten der ontischen Erscheinungen,
wie es soeben geschehen ist, zu ergänzen. Aber das bleibt überall
grundwesentlich: dass die existenziale Wertung, die Wirklichkeitsqua-
lifizierung, für die ästhetische Wertung ausgeschlossen bleibt, näm-
35 lich als den ästhetischen Wert selbst nicht begründende. Was diese
Qualifizierung anlangt, so hängt sie allen ontischen Darstellungen
an, sofern in ihnen ja das „wirkliche“ Objekt erscheint, wenn wir
wahrnehmen, und die Wirklichkeitscharakteristik ist ja nicht etwas,
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das neben all diesen Darstellungen liegt, als ob das wirkliche Ding,
das da Wahrgenommenes ist, von diesen Darstellungen getrennt läge,
statt in ihnen und durch sie zur Erscheinung zu kommen. Und jede
solche Darstellung selbst hat ihre Aktualität, sie hat ihren Inhalt und
5 ihre Qualifizierung (in der Weise eines Immanenten), und diese wie-
der geht in die Dingqualifizierung ein, sofern sie ja zu ihr wesentlich
gehört, nämlich als Voraussetzung. Wenn es heißt, dass ein Phanta-
siegebilde (z. B. eine lebendig anschauliche Gestaltung eines Apollon
in der produktiven Phantasie des Künstlers) ästhetisch wertbar ist
10 und Wert oder Unwert hat und genau denselben (ästhetisch!), den
das ausgeführte Kunstwerk hat, mit dem einzigen Unterschied, der
durch die ästhetischen Vorzüge der empfindungsmäßigen Klarheit
hereingebracht wird, so ist es klar, dass die Darstellungsqualifizierung
nicht das Wesentliche sein kann. (Doch ist zu fragen, ob eine sinnliche
15 Phantasie wirklich eine solche Klarheitsfülle je haben kann als hwiei
eine Wahrnehmung.)
Natürlich werden wir in einer allgemeinen Theorie der Konstitu-
tion der Werte der Unterscheidung der Gegenstände in immanente
und transiente Rechnung tragen müssen bzw. der Unterscheidung der
20 entsprechenden Vorstellungen. Es ist eine durchgehende Scheidung
im axiologischen Gebiet, dass die Wertung einmal rein am „Inhalt“
haftet und das andere Mal an der Wirklichkeit des Gegenstandes von
dem oder jenem Inhalt.
Inhaltswerte, Werte, die rein am Inhalt des Gegenstandes und
25 am Inhalt der ihn konstituierenden Darstellungen haften, können
wir dann scheiden: Einmal in bloße Sachschönheiten,1 bei denen
entweder Darstellung nicht in Frage ist, weil die Sachen immanente
Gegenstände sind, oder bei denen, wenn sie transiente sind, die Dar-
stellung nicht bestimmend ist oder in der betreffenden Wertung nicht
30 bestimmend ist, und andererseits in Schönheit aufgrund der Dar-
stellung. Oder wir können scheiden „Schönheit“ von immanenten
Gegenständen (scil. rein aufgrund ihres Inhalts), Schönheiten von
transzendenten Gegenständen und in letzter Hinsicht ihre Schönheit
aufgrund des gegenständlichen Inhalts (scil., so wie er gegeben ist,
35 perzeptionalen Inhalts) und ihre Schönheiten aufgrund ihrer Dar-
1 Sachschönheit: Da ist aber manche Frage. Kann ein Ding schlechthin, ein materi-
1 Der folgende Text bis „Erleben des Geschmacks“ (unten, Zeile 31) ist im Manu-
skript mit einer vertikalen geschlängelten Linie durchgestrichen. – Anm. der Hrsg.
312 wert und billigung
„Es ist erfreulich, dass S P ist“, „Es ist traurig, dass S P ist“
5 (zufällig sagen wir nicht: „Es ist freudig, dass …“) histi natürlich
etwas anderes als: „Ich freue mich“, „Ich bin traurig“, obschon, wer
das hersterei aussagt, damit wohl auch seine Freude und seine Trauer
mitkundgeben wird und wird kundgeben wollen.2 Ebenso „Es ist
angenehm, schön, dass S P ist.“3
10 E s is t er f reuens wert, auch das meinen wir oft, wenn wir bloß
sagen: Es ist erfreulich, es ist trauernswert, man hat allen Grund sich
zu freuen, man muss wahrhaftig darüber trauern … Hier wird nicht
bloß das Freudig- und Traurigsein objektiv auf die Sachlage bezogen,
sondern es wird die Freude über die Sache bzw. die Trauer über die
15 Sache selbst gewertet, sie wird gebilligt. Ebenso, wenn wir sagen:
Es ist erwünscht – es ist wünschenswert, es ist begehrenswert, es ist
strebens- (wollens-)wert. Es ist beliebt, geliebt, es ist liebenswert.
W as bedeutet dies es „ wert “? Wert der Freude, des Wunsches,
der Liebe etc. Etwas ist der Freude wert, etwas ist der Liebe wert. Ein
20 Ziel ist des Willens wert. Heißt das, es ist erfreulich, dass man sich
darüber freut, dass man dergleichen wünscht, begehrt?
Da kehrt aber die Frage wieder: Soll man sagen, wir haben einmal
pr imär e Gem üts akte, hz. B.i ein Geschmack gefällt uns, er ist ein
Wohlgeschmack, er ist angenehm, lieblich etc. (objektive Prädikate),
25 eine Tatsache erweckt Freude oder Trauer, oder wir begehren nach
etwas (diese Gemütsakte können dabei schon mehr oder minder
komplex sein), dann aber gibt es gewisse wertende, billigende Akte?
Billigen sei nicht bloßes Gefallen? (Eine Speise, ein Wein gefällt,
ein Buch gefällt mir, ein Bild gefällt mir.) Ich kann dieses Gefallen
30 haben, damit billige ich nicht. Bi l l i gen setzt schon Gefallen
Subjekte.
314 wert und billigung
vor aus. Ich missbillige z. B. eine Lust, ich missbillige eine sinnliche,
eine „böse“ Lust; sie ist böse, darin liegt schon die Missbilligung.
Billigung ist verwandt mit Gefallen; Missbilligung ist verwandt mit
Missfallen, aber es ist ein sekundäres G efühl, es geht auf primäre
5 Akte und zunächst auch auf Gefühle, Gemütstätigkeiten, hesi ist
auf sie gerichtet bzw. auf ihre Gegenstände als solche. Billigung ist
Billigung einer Lust, einer Freude, einer Hoffnung, eines Wunsches
etc. oder eines Gefallensobjekts, eines Freudenobjekts, eines Erhoff-
ten, Erwünschten, Gewollten als solchen.1 Ich billige oder missbillige
10 ein Ziel, einen Gegenstand, einen Sachverhalt als Gegenstand eines
Gemütsverhaltens.
Zu beachten ist, dass nicht etwa