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STUDIEN ZUR
STRUKTUR DES BEWUSSTSEINS
TEILBAND I
(1909-1927)
HERAUSGEGEBEN VON
ULLRICH MELLE
UND
THOMAS VONGEHR
STUDIEN ZUR STRUKTUR DES BEWUSSTSEINS
TEILBAND I
VERSTAND UND GEGENSTAND
HUSSERLIANA
EDMUND HUSSERL
GESAMMELTE WERKE
BAND XLIII/1
STUDIEN
ZUR
STRUKTUR DES BEWUSSTSEINS
TEILBAND I
VERSTAND UND GEGENSTAND
ULLRICH MELLE
EDMUND HUSSERL
STUDIEN
ZUR
STRUKTUR DES BEWUSSTSEINS
TEILBAND I
VERSTAND UND GEGENSTAND
HERAUSGEGEBEN
VON
ULLRICH MELLE
UND
THOMAS VONGEHR
123
Edmund Husserl†
Hrsg.
Ullrich Melle Thomas Vongehr
Husserl Archives Husserl Archives
Leuven, Belgien Leuven, Belgien
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INHALT
TEILBAND I
EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . li
i
zur intentionalität der objektivation im
urteilen, meinen und stellungnehmen
Beilage II. Das Urteil als ein Gebilde von eigenen Intentionen. Das
Urteilen ist ein erfülltes, wenn es sich nach einem gebenden Akt
richtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Beilage VI. Notiz über Stellungnahme und ihr Moment der Aktivität
einerseits und über Momente der Passivität und Aktivität in der
Wahrnehmung andererseits . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Nr. 6. Das Meinen als Bewusstsein von einem Inhalt und von
einer gegenständlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . 98
§ 1. Das Meinen und sein Gemeintes als solches. Ein auf das Ge-
meinte gerichtetes Hinblicken und eine darauf gegründete
Denksetzung. Objektivieren niederer und höherer Stufe . . 98
§ 2. Das spezifische Meinen als Meinen von Einheit. Urteilen
über die gegenständliche Einheit und Urteilen über den
vergegenständlichten Inhalt. Der gemeinte Gegenstand
schlechthin und der gemeinte Gegenstand im Wie . . . . 101
Beilage VIII. Der Blick des reinen Ich auf die Phänomene. Das Über-
gehen des Blickes vom Phänomen zu dem in ihm Erscheinenden 112
ii
zur analyse der explikativen und
prädikativen synthesen und ihrer fundamente
Nr. 10. Die Weisen der Erfassung und ihrer Synthesis . . . . . 175
§ 1. Die Konstitution einer gegenständlichen Einheit vor ihrer
Erfassung. Das Verhältnis zwischen der Gesamterfassung
eines Gegenstandes und der Sondererfassung seiner Teile
und Momente. Die Hinwendung zum Gegenstand mit und
ohne Explikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
§ 2. Thematisches Meinen und Interesse. Das Sich-Näherbringen
einer Gruppe von selbständigen Objekten durch Einzelerfas-
sung ihrer Glieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
§ 3. Verdeutlichungsstellen als Residuen von vorherigen Partial-
erfassungen. Die Frage, ob sich Auffassungsartikulationen
von Residuen unterscheiden lassen . . . . . . . . . . . 184
§ 4. Die Einheit der Zusammennehmung gegenüber der Einheit
des Bewusstseins von kontinuierlicher Totalerfassung und
schrittweisen Partialerfassungen bei der Explikation . . . 188
inhalt teilband i xi
Nr. 13. Zuwendung und Denken. Die Frage des Substrats . . . 242
§ 1. Die formende Spontaneität des prädikativen Meinens gegen-
über dem bloßen Erscheinen und Erfassen. Das Erkennen
als Erscheinungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . 242
§ 2. Im anschaulichen Urteil „erscheint“ ein Sachverhalt. Ein
Sachverhalt kann in verschiedener Weise bewusst und Ge-
genstand der Zuwendung sein . . . . . . . . . . . . . 245
§ 3. Die stetige Konstitution der dinglichen Einheit im Fortgang
des Erscheinungsabflusses. Die dem Abfluss einer Erschei-
nungsreihe einwohnende Zuwendung gegenüber dem retro-
spektiven Blick auf die herabgesunkene Erscheinungsreihe
und die durch sie konstituierte Einheit . . . . . . . . . . 248
§ 4. Beim Sachverhaltsbewusstsein gibt es keine vorgebenden
Erscheinungen. Vergegenwärtigung und Vorschweben als
wesensverschiedene Arten von Nicht-Ursprünglichkeit. Ver-
worrenes Urteilen gegenüber Verworrenheit in der Wahr-
nehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
inhalt teilband i xiii
iii
zur analyse der stellungnahmen
in ihren modi und fundierungen
Beilage XXV. Meinen als Setzung und Meinen als Aufmerken. Die
Frage nach dem Begriff des Urteils . . . . . . . . . . . . . . 333
Beilage XXVI. Stehen das Wünschen und Werten dem Setzen der
Doxa gleich? Gibt es vor dem sich richtenden Wünschen und
Werten schon ein blindes, sich nicht richtendes? Die elektive ge-
genüber der schöpferischen Funktion der Akte. Inwiefern haben
Phänomene in der Sphäre der Vorgemeintheit Wesensgemein-
schaft mit setzenden Phänomenen? . . . . . . . . . . . . . . 337
Nr. 18. Die Arten und der Aufbau der Stellungnahmen . . . . 351
xvi inhalt teilband i
iv
analysen zu den vollzugsmodi der
aufmerksamkeit, zu erkenntnisstreben
und erkenntniserwerb, zu
ausdruck und verstehen und zu
vorgegebenheit und affektion
Beilage XLII. Das Fragen als Urteilsstreben. Die das Fragen fundie-
rende Glaubensmodalität. Die Neutralitätsmodifikation . . . . 468
v
texte zu landgrebes typoskript der
„studien zur struktur des bewusstseins“
Beilage XLVI. Zum Anfang und zum allgemeinsten Begriff der in-
tentionalen Erlebnisse. Die Einklammerung jeden Dafürhaltens
und die Verwandlung aller uns geltenden Gegenständlichkeiten in
Phänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495
Nr. 28. Disposition der I. Studie (zugleich als Leitfaden für die
Umarbeitung) von Ludwig Landgrebe, mit Annotationen und
Korrekturen von Edmund Husserl . . . . . . . . . . . . . 512
§ 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512
§ 2. Erste vorläufige Aufweisung der zu klärenden Phänomene 512
§ 3. Anknüpfung an die traditionelle Scheidung von Vorstellung
und Stellungnahme. – Fixierung des echten Begriffs der Stel-
lungnahme als Spontaneität und Aufklärung der Problema-
tik des „bloßen Betrachtens“ . . . . . . . . . . . . . . 513
§ 4. Thema als Korrelat der Stellungnahme. Zwei Begriffe von
Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517
§ 5. Spontaneität als Vordergrundbewusstsein und ihr Verhältnis
zum Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518
§ 6. Rezeptivität als Unterstufe der Spontaneität . . . . . . . 520
§ 7. Die schöpferische Spontaneität und die Unterscheidung von
„Sinnlichkeit und Verstand“ . . . . . . . . . . . . . . 521
TEILBAND II
i
werten und wert. zur wertlehre
Beilage II. Gibt es spontane Gemütsakte als eine von den theoretisch
bestimmenden Denkakten unterschiedene Klasse von Vernunft-
akten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Beilage III. Das sinnliche Gefühl als immanente Zeiteinheit ist kein
auf den Empfindungsinhalt bezogener Akt . . . . . . . . . . 50
xxiv inhalt teilband ii
ii
die von gegenständen ausgehende erregung
von gefühlen gegenüber der auf die
gegenstände hinzielenden wertung. die frage
nach dem gefühlscharakter des wertens
iii
die analogie zwischen denkakten und
axiologischen akten. rezeptivität und
spontaneität bei der konstitution
von seins- und wertobjektivitäten
iv
die arten der gemütsintentionalität
v
die konstitution der gemütscharaktere
vi
gefühlsbewusstsein – bewusstsein von
gefühlen. gefühl als akt und als zustand
Beilage VII. Das Sich-Aufdrängen eines Objekts als Reiz zur Zu-
wendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
vii
passivität und aktivität in intellekt und gemüt
viii
reine werte gegenüber praktischen
werten. die frage nach der
absoluten willenswahrheit
Beilage XIV. Hat der Wille im Gerichtetsein auf das praktisch Gute
seine eigene Richtigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
xxviii inhalt teilband ii
Beilage XVI. Freude als Modus des Genusses. Freude an der reinen
Idee. Ideenschönheit. Auf Schönes gerichtetes Wollen und Begeh-
ren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Beilage XVII. Das Reich der reinen Schönheitswerte als Reich des
Genusses gegenüber den absoluten Gewissenswerten. Das Ver-
nunftgesetz der Wahl des Besten unter dem Erreichbaren gilt nur
für die hedonischen Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Beilage XVIII. Ist jede Freude ein Für-wert-Halten und ist jedes
Werten ein positives Gefühl? Ist Werten eine eigene Art der
Stellungnahme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
ix
das gefallen am schönen
und der schönheitswert
ERGÄNZENDE TEXTE
a
wert und billigung
b
intellekt und gemüt. sind gemütsakte
objektivierende akte? – gemütsakte
und ihre beziehung auf objekte
Nr. 17. Die Rede von Färbung bei Gemüts- und Wunschakten. Ist
die gegenständliche Beziehung der Gemüts- und Wunschakte
keine echte Objektivation? . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
inhalt teilband ii xxxi
Nr. 19. In welchem Sinn alle Akte eine Vorstellung zur Grund-
lage haben. Seinswertungen und Gemütswertungen. Nochma-
liges Überdenken der Darstellung in den Logischen Unter-
suchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
c
zur phänomenologie des fühlens,
begehrens und wünschens
Nr. 27. Die mit der dinglichen Apperzeption Hand in Hand ge-
hende Gefühlsapperzeption: Es bedarf keiner von den Emp-
findungen unterschiedenen Gefühlsempfindungen . . . . . 420
Nr. 30. Die Bestimmung der Gefühlsmodi durch die Modi des im-
pressionalen Aktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
Nr. 32. Die Fundierung eines Gefallens in der Materie der Vor-
stellung. Die Bestimmung des Charakters des Gefallens und
Begehrens durch die Setzungscharaktere . . . . . . . . . 433
Nr. 36. Das Gefallen des Besseren. Das Vorziehen als Gefallen
zweiter Stufe. Sinnliche und ästhetische Werte . . . . . . 445
Nr. 40. Das Gefallen in der Phantasie und unter Assumtion. Das
ästhetische Gefallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
Nr. 42. Die Frage nach der Entstehung des Unlustgefühls des
Mangels in Auseinandersetzung mit Hermann Schwarz . . . 474
Nr. 43. Gründet sich das Wünschen auf ein assumtives Gefallen? 478
d
schönwert und gutwert.
wertkonstitution und gefühl
Nr. 46. Das Sich-Verlieben als innere Entscheidung aus den Tie-
fen des Ich. Aktives Gefallen und Wertapperzeption. Die Ent-
scheidung für einen Vernunftwert . . . . . . . . . . . . . 507
Nr. 47. Genuss und Habe. Sinnliche und geistige Werte und Gü-
ter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
§ 1. Sinnliche Lust und Genuss an lustbringenden Gegenständen.
Die Verfügungsfreiheit über einen Gegenstand hinsichtlich
der Realisierung seiner Lusteigenschaft. Gemeingüter . . 513
§ 2. Die kallistische Apperzeption. Die Eröffnung einer Region
von Sonderschönheiten durch ein künstlerisches Problem.
Das Verlangen nach neuen Problemen und neuen Typen
von Schönheit. Schönheit als eine Idee ist eine Sphäre der
Vernunft und des schöpferischen Handelns . . . . . . . . 516
Nr. 50. Der doppelte Sinn, in dem Gegenstand Wert hat: als Wert
in sich habend und als mittelbaren Wert habend wegen der
möglichen Realisierung der wertgründenden Momente. Gut
und Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
i
die handlung als willentlicher vorgang
ii
das wesen des schlichten handelns
iii
unterschiede in der willensmeinung
iv
willenskausation und physische kausation
v
naturkausalität und willenskausalität.
zur analyse der primären
schöpferischen handlung 59
vi
passivität und spontaneität im
doxischen gebiet und im willensgebiet
vii
praktische möglichkeiten und praktischer
bereich. die modi willentlichen geschehens
viii
das bewusstsein des „ich kann“ als
voraussetzung jeder willensthesis.
die konstitution von willenswegen
und tätigkeitsfeldern aus
unwillkürlichen ichtätigkeiten 99
ix
die entwicklung „praktischer
apperzeptionen“ (des willens).
doxische und praktische affektion
x
zur willensanalyse: das wirken des ich als
inneres und äusseres tun und erzeugen.
die aus dem vollzug von stellungnahmen
erwachsenden idealen bestimmungen des ich
xi
vorstellen, denken und handeln
xii
das allgemeine des strebens und
seine verschiedenen richtungen
xiii
zur lehre von der intentionalität im hinblick
auf die genesis der weltkonstitution.
der strebenscharakter des aktlebens
Beilage II. Wahres Sein und wahrer Wert. Wert und Stimmung. Die
auf die ganze Lebenszukunft bezogene Stimmung: Lebensgefühl
und Lebenssorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Beilage III. Die Vorfreude als eine Gefühlsantizipation und ihre Er-
füllung im Genuss. Der im Genuss selbsterfühlte Wert . . . . . 190
ERGÄNZENDE TEXTE
a
neigung, vermutung, anmutung, zweifel im
urteilsgebiet und in der sphäre des gemüts
b
zur phänomenologie des
wollens und der handlung
Nr. 12. Inwieweit das fiat die Vorstellung der Handlung vor-
aussetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
Nr. 13. Das fiat als praktische Zustimmung und das Willensmo-
ment in der Ansatzphase der Handlung . . . . . . . . . . 264
c
zur lehre von der tendenz und ihrer
auswirkung: die spannung der erwartung und
aufmerksamkeit, theoretisches interesse,
tendenz und erfüllung, tendenz und wille
Nr. 22. Zur Abgrenzung von Tendenz und Wille. Ist das Tendie-
ren ein Willensmodus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
Nr. 23. Tendenz als „Form“ der Akte. Die Doppelseitigkeit der
Intentionalität: Tendenz und Bewusstsein-von. Die zum inne-
ren Bewusstsein gehörende Tendenz gegenüber dem Begeh-
ren und Wollen als Tendieren auf eine Freude . . . . . . . 308
Nr. 25. Ist Glauben in analogem Sinn Intention wie Tendenz und
Begehren? Das Verhältnis von Bekräftigung und Erfüllung.
Intention als Stellungnahme und als Tendenz . . . . . . . 315
Beilage VI. Zur Spannung und Entspannung bei Erwartung und Auf-
merksamkeit. Die Erwartung als vorerinnernde Aufmerksamkeit.
Quasi-Erwartung und Quasi-Aufmerksamkeit in der Phantasie 328
Nr. 30. Passivität und Aktivität im Begehren und Wollen. Die zum
Begehren und Wollen gehörenden Tendenzen . . . . . . . 341
Nr. 32. Wille und Trieb. Triebe als sich von innen her auswir-
kende Kräfte gegenüber Wunsch- und Begehrungsintentio-
nen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
Nr. 33. Die Tendenz auf Vollzug eines Aktes und ihre Auswir-
kung in der Sättigung gegenüber dem Begehren . . . . . . 349
inhalt teilband iii xlv
Nr. 41. Intention und Erfüllung. Die Erwartung und ihre Ge-
fühlsspannung. Der Unterschied zwischen statischen und ki-
netischen Intentionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
d
phänomenologie der willensaffirmation
und -negation, modalitäten des wollens
Nr. 50. Die Frage nach dem Wert des blinden, aber richtigen
Urteilens. Die Idee göttlicher Erkenntnis. Der Unterschied
zwischen Erfüllung und Berechtigung in der Glaubens- und
Willenssphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424
Nr. 51. Die Bewertung des Urteilens im Hinblick auf seine durch
prinzipielle Einsicht ausgewiesene Richtigkeit. Das Werten
gegenüber dem existenzial interessierten Gemütsverhalten.
Die Stiftung des ethischen Gewissens und Charakters durch
den ethischen Grundwillen . . . . . . . . . . . . . . . . 430
inhalt teilband iii xlvii
Beilage XI. Wie geht der Wille auf die Handlung? . . . . . . . . 442
e
modi des strebens, formen der affektion und
freie ichakte. hemmung und modalisierung
Nr. 56. Der Trieb und seine Modi. Die Realisierung als Triebmo-
dus ist keine Stellungnahme. Der Entschluss als praktisches
Ja oder Nein zu einem praktischen Anschlag als das eigentli-
che fiat. Entschluss und eigentliche Handlung . . . . . . 456
Nr. 59. Das Streben nach Lust. Das Haben und das Genießen der
Lust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462
xlviii inhalt teilband iii
Nr. 60. Die Wesenstypen des dumpfen und wachen Lebens. Instink-
tive und freie Akte. Leben als unaufhörliches Streben. Hin-
und Wegstreben – die Fülleformen der Lust und Unlust . . 464
Nr. 61. Der Trieb in der Gestalt des Ichstrebens gegenüber „me-
chanisch“ ablaufenden tendenziösen Verläufen. Die Hem-
mung eines Strebensverlaufs durch einen Widerstand. Die
Frage nach der Bedeutung der Widerstandserfahrung für die
Konstitution einer Dingwelt . . . . . . . . . . . . . . . . 467
Nr. 63. Die Neugier als Trieb zur Kenntnisnahme gegenüber dem
allgemeinen Trieb zur Zuwendung. Die Neugier im Verhältnis
zu anderen Gefühlen und ihrer Motivkraft. Phänomenologi-
sche Unterschiede zwischen Neuem und Bekanntem . . . . 476
Nr. 64. Erkennen als zielgerichtete Tätigkeit. Das durch das ver-
meinende Werten im Gefühl hindurchgehende Streben. Ein
Ding als Gut in Bezug auf die Möglichkeit des Besitzes und
der genießenden Wertrealisierung. Die Verflechtung der
Bewusstseinsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
Nr. 66. Die Freude an der Erkenntnis. Das unendliche Reich der
mathematischen Erkenntnis als eine eigene praktische Güter-
welt. Deren methodische Beherrschbarkeit als eine eigene
praktische Vernunft und ein erstes Bild eines rationalen
Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
inhalt teilband iii xlix
Nr. 70. Das „Ich kann“. Hemmung als praktische Negation. Die
Durchstreichung des fiat bei einer unüberwindlichen Hem-
mung. Die Modalisierung des Tuns und Könnens bei einer
vorübergehenden Hemmung . . . . . . . . . . . . . . . . 517
Nr. 72. Das strebende Gerichtetsein des Ich auf bleibende Stel-
lungnahmen. Geltungsmodalisierungen als Hemmungen des
Ich und Störungen in seinem habituellen Sein . . . . . . . 524
TEXTKRITISCHER ANHANG
Zur Textgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
EINLEITUNG
„Einleitung des Herausgebers“ in: Edmund Husserl, Vorlesungen über Ethik und
Wertlehre, 1908–1914, hrsg. von Ullrich Melle, Husserliana XXVIII, Kluwer, Dordrecht,
1988, S. XX–XXIII.
1 Siehe hierzu das zweite Kapitel über die „Phänomenologie der Vernunft“ im
Leider lässt sich über die konkreten Anlässe für diese Arbeiten
Landgrebes, über ihre genaue Datierung und ihren Verlauf nichts
Gesichertes sagen. Das Typoskript der „Studien zur Struktur des
Bewusstseins“ dürfte größtenteils 1927 entstanden sein. Husserl ver-
fasste dazu im Sommer 1927 einen fragmentarischen Einleitungsent-
wurf.1 Angesichts des Umfangs des Textes und der Zahl der verwende-
ten Manuskripte ist es nicht unwahrscheinlich, dass Landgrebe bereits
1926 mit der vorbereitenden Arbeit der Lektüre und Anordnung der
Manuskripte begann.
Das Typoskript ist in drei „Studien“ mit den Titeln „Aktivität und
Passivität“, „Wertapperzeption, Gemüt, Wille“ und „Modalität und
Tendenz“ unterteilt. Diese Gliederung entspricht nicht der Dreiglie-
derung der Bewusstseinssphären. Die Analysen zu Gemüt und Wille
sind in der zweiten Studie zusammengefasst, wobei allerdings die Un-
tersuchung der „Tendenz“, die Husserl gewöhnlich als grundlegende
Form der Willenspassivität gilt, zusammen mit der Untersuchung der
Modalitäten die dritte Studie bildet.2 Da die sachliche Zusammen-
gehörigkeit von „Modalität und Tendenz“ in der dritten Studie im
Typoskript nicht verdeutlicht wird, weist diese Studie einen eher he-
terogenen Charakter auf. Die erste Studie beruht auf Manuskripten,
die in der vorliegenden Edition im ersten Teilband, vor allem im
ersten Teil, wiedergegeben werden.
Wieweit Landgrebe bei der Gliederung des Typoskripts und bei
der Weise, wie die Manuskripte zusammengefügt wurden, Vorgaben
Husserls folgte und wie diese Vorgaben aussahen, ist nicht bekannt.
In unmittelbarer zeitlicher Nähe, möglicherweise vor dem Typo-
skript der „Studien zur Struktur des Bewusstseins“ dürfte das Typo-
skript „Gegenstand und Sinn“ entstanden sein.3 Dieses Typoskript
kann als komplementäre Ergänzung zu den „Studien zur Struktur
22. April 1926 datiert ist; siehe Husserl Chronik, Husserliana Dokumente I, S. 304.
lviii einleitung
1 M III 3 I 1 I, 1.
2 M III 3 IV 2, 1.
3 Siehe vorliegenden Teilband, S. 469.
einleitung lix
denen Fassung des Artikels für die Encyclopedia Britannica sowie die Amsterdamer
Vorträge sind in Husserliana IX herausgegeben.
lx einleitung
Das Typoskript der zweiten „Studie“ weist nur noch wenige Be-
arbeitungsspuren Husserls auf, das Typoskript der dritten „Studie“
überhaupt keine mehr. Über die Gründe für die Konzentration auf
die erste „Studie“ lässt sich nur mutmaßen, da hierzu wie auch zur
Gesamtbeurteilung des Typoskripts keine Äußerungen von Husserl
vorliegen.
1 Dass den Haupttexten Beilagen zugeordnet werden, diese Beilagen aber nicht
unter den Ergänzenden Texten aufgeführt werden, sondern direkt zu den betreffenden
Haupttexten gestellt sind, während die unter den Ergänzenden Texten aufgeführten
Texte selbst wiederum Beilagen zugeordnet haben können, widerspricht allerdings der
bisherigen Praxis in den Husserliana. Die Herausgeber haben sich trotz der Merk-
würdigkeit, dass es auf diese Weise Beilagen gibt, die keine Ergänzenden Texte sind,
für die Beibehaltung der bisher üblichen Bezeichnungen „Beilagen“ und „Ergänzende
Texte“ entschieden. Dasselbe gilt für die Beibehaltung der in den Husserliana üblichen
römischen Nummerierung der Beilagen, obwohl dies bei Beilagen zu Haupttexten zu
einer doppelten römischen Nummerierung der Texte führt.
lxiv einleitung
Abschließend sei noch kurz auf den Inhalt und die sachliche Be-
deutung der Texte der jeweiligen Teilbände und die systematischen
Zusammenhänge, in denen sie stehen, eingegangen.
Der Schwerpunkt des ersten Teilbandes mit dem Titel „Verstand
und Gegenstand“ sind die in den drei ersten Teilen wiedergegebenen
Texte, die bis auf zwei Texte mit ihren Beilagen aus den Jahren 1910
bis 1912 stammen. Alle Texte in den ersten beiden Teilen lassen
sich, mit Ausnahme des um „allgemeine Unterscheidungen“ und
„Grundarten von Akten“ bemühten ersten Textes, der phänome-
nologischen Urteilstheorie, die das wichtigste Fundament für die
phänomenologische Kritik der theoretischen Vernunft ist, zuordnen.
Im Mittelpunkt steht die Frage der Objektivation einerseits in der
Sphäre der Rezeptivität, des schlichten Erfassens, und andrerseits
1 Der Text Nr. 25 wäre sachlich den Texten zur Umarbeitung der VI. Logischen
Untersuchung aus dem Winter und Frühjahr 1914 zuzuordnen. Siehe Edmund Husserl,
Logische Untersuchungen. Ergänzungsband. Zweiter Teil. Texte für die Neufassung der
VI. Untersuchung. Zur Phänomenologie des Ausdrucks und der Erkenntnis (1893/94–
1921), hrsg. von Ullrich Melle, Husserliana XX/2, Springer, Dordrecht, 2005.
einleitung lxv
Die Texte in den ersten drei Teilen des ersten Teilbandes sind
wichtige Ergänzungen und Fortführungen zu den in anderen Bän-
den der Husserliana bereits veröffentlichten Analysen der sinnlichen
und kategorialen Akte. In erster Linie ist hierbei zu denken an den
Band XXIII über Phantasie, Bildbewusstsein Erinnerung,1 an den
Band XXXVIII über Wahrnehmung und Aufmerksamkeit,2 an den
Band XL zur Urteilstheorie3 und die in Band V der Husserliana.
Materialien veröffentlichte Vorlesung über Urteilstheorie von 1905,4
dann aber auch an die in den Bänden XI und XXXI unter den Titeln
Analysen zur passiven Synthesis und Aktive Synthesen veröffentlichte
Vorlesung über „Transzendentale Logik“ aus dem Jahr 1920/21 bzw.
1923 und 1925/26.5 Diese Vorlesung wurde die Hauptgrundlage für die
als Erfahrung und Urteil veröffentlichten „Logischen Studien“. Die
im vierten Teil des ersten Teilbandes veröffentlichten Texte dürften
wohl aus dem Umkreis dieser Vorlesung stammen. Ganz sicher gilt
dies für Text Nr. 26. Die große sachliche Nähe vieler hier in den ersten
drei Teilen veröffentlichten Texte aus den Jahren 1910 bis 1912 zu
Husserls genetischer Begründung der Logik in Erfahrung und Urteil
ist zweifelsohne einer der auffälligsten Befunde, der einmal mehr
die Kontinuität in der Entwicklung von Husserls Denken deutlich
werden lässt.
Sowohl Husserls als Text Nr. 27 im fünften Teil wiedergegebe-
ner Entwurf einer Einleitung zu Landgrebes Typoskript als auch
die in den darauf folgenden Beilagen XLIII bis XLVIII wieder-
(1893–1912), hrsg. von Thomas Vongehr und Regula Giuliani, Husserliana XXXVIII,
Springer, Dordrecht, 2004.
3 Edmund Husserl, Untersuchungen zur Urteilstheorie. Texte aus dem Nachlass
(1893–1918), hrsg. von Robin D. Rollinger, Husserliana XL, Springer, Dordrecht, 2009.
4 Edmund Husserl, Urteilstheorie. Vorlesung 1905, hrsg. von Elisabeth Schuhmann,
1 In den „Vorlesungen über Grundfragen zur Ethik und Wertlehre“ von 1914 findet
sich ein Abschnitt zur Phänomenologie des Willens, in dem Husserl seine willensana-
lytischen Forschungen zusammenfasst. Siehe Husserliana XXVIII, S. 102–125.
einleitung lxix
1 Von dieser Vorlesung ist nur ein wenige Seiten umfassendes Fragment erhalten,
das als Ergänzender Text Nr. 1 in Husserliana XXVIII, S. 381–384 veröffentlicht ist.
Das Fragment liegt im Konvolut F I 20, in dem sich auch die als Ergänzende Texte
Nr. 2 und Nr. 3 in Husserliana XXVIII veröffentlichten Stücke aus Husserls Vorlesung
„Grundfragen der Ethik“ von 1902 befinden. Im ersten dieser Stücke setzt Husserl
sich kritisch mit Humes Moralphilosophie auseinander (siehe Husserliana XXVIII,
S. 384–402). Den Blättern mit dieser Hume-Kritik liegt eine kurze Zusammenfassung
von Humes Argumenten für eine Gefühlsmoral voran, die wohl dem Schriftbild nach
einige Jahre früher, also vor 1900, verfasst wurde (siehe hierzu Husserliana XXVIII,
S. 514).
einleitung lxxi
Was nun den dritten Teilband betrifft, so sind die ersten drei,
aus den Jahren 1910 bis 1914 stammenden Haupttexte der Analyse
der verschiedenen Willensformen und Handlungsarten gewidmet.
Husserl unterscheidet zwischen drei wesentlich verschiedenen Wil-
lensformen: dem Entschlusswillen, dem fiat als dem eine Handlung
in Gang setzenden Willen und dem die Handlung tragenden und
ausführenden Willen. Was die Handlungen betrifft, so gilt es, die
schlichte Handlung von den zusammengesetzten Handlungen zu un-
terscheiden.
In den Haupttexten IV und V aus den Jahren 1909/10 setzt Hus-
serl sich mit dem Problem der Bestimmung des Unterschiedes und
1 Dritter Teilband, S. 391. Diese Bemerkungen können als impliziter Verweis auf
Husserls Vorlesungen über „Grundfragen zur Ethik und Wertlehre“ vom Sommer-
semester 1914, in dem er die Ergebnisse seiner Analyse der Willensformen in einer
allgemeinen Strukturbeschreibung zusammengefasst hat, verstanden werden. Die Vor-
lesung ist in Husserliana XXVIII, S. 3–153 veröffentlicht.
2 Dritter Teilband, S. 392.
lxxiv einleitung
Die Arbeit an dieser Edition hat sich über ein viertel Jahrhundert
erstreckt. Wer in dieser langen Zeit auf welche Weise der Edition
behilflich war, entzieht sich leider vielfach der Erinnerung. Den vielen
Helfern sei deshalb hier ungenannt gedankt. Dr. Thomas Vongehr
einleitung lxxv
Nr. 1
A l l g e me i n e U n te r sc he id u n g e n b e i a l le n A kt en.
5 Gru nd a rt e n v on A kte n u nd G e g ens tä nd e n 1
Wir gehen aus vom Bewusstsein, und zwar setzen wir voraus den
durchgehenden Unterschied zwischen Im pre ssi on u nd Re pro -
d u kt i o n. Jedes Bewusstsein ist entweder impressionales (aktuelles
Vorstellen, Denken, Wünschen etc.) oder reproduktives (gleichsam
1Wohl aus 1910. Mit späteren Anmerkungen, möglicherweise aus 1918. – Anm. der
Hrsg.
2 Intentionale, wohl = Noema.
1
Wohl cogito im Sinn der Ideen.
2
Wohl = Noema. Das X.
3 Wohl: Das Wahre = das wahre Intentionale = das wahre Noema.
4 Das Intentionale und Objektionale, der ganze gegenständliche Sinn, und Objekt,
1 Apparenzialien.
2 Der Unterschied zwischen Verworrenheit und Deutlichkeit und Klarheit und
Unklarheit (Evidenz) gehört zu allen Akten. Er gehört daher in die allgemeinste Be-
wusstseinslehre neben den Unterschied von Impression und Idee und den Unterschied
der Akte, in die ein Vermeinen sich hineinlebt (und so ein Objektivieren erzeugt), und
4 zur intentionalität der objektivation
Wir nennen einen Akt (worunter wir immer ein Meinen, ein Zuge-
wendetsein verstehen, wenn auch nicht gerade eine primäre Zuwen-
5 dung) einen A kt s c h li c h t er A r t o d er u nt er st e r St uf e, wenn
er keinen „Akt“ als Unterlage voraussetzt.1 Eine Wahrnehmung im
gewöhnlichen Sinn (sinnliche Wahrnehmung) ist ein schlichter Akt;
zwar hat er notwendig einen „Hintergrund“, er ist ein meinendes
Bewusstsein, das gleichsam in einem umfassenden Bewusstsein mei-
10 nend eine Grenze setzt.2 Wir können zwar auch sagen, das Objekt sei
herausgemeint aus einem Zusammenhang, aber das Hintergrundbe-
wusstsein ist kein meinendes, und der Akt als solcher ist schlicht.
Ist aber aus dem Gesamthintergrund ein Vorzug gesetzt, etwa als
Herausgreifen einer Gruppe von Gegenständen, die als gemeinte
15 dastehen, und ist da wieder ein Gegenstand herausgemeint als Ge-
genstand aus dieser Gruppe, so ist das Bewusstsein schon fundiert.
Ebenso, wenn an einem erscheinenden Gegenstand die Farbe be-
achtet wird. Zunächst sei etwa der Gegenstand wahrgenommen (ge-
meint), und dann wende sich das Meinen dem Moment Farbe zu.
20 Ist diese Meinung eine ausschließliche (nicht ausschließend im Sinn
eines Ausschließungsbewusstseins, sondern in dem Sinn, dass aus-
schließlich auf diesen Inhalt „rot“ geachtet wird), so ist dieses Be-
wusstsein ein schlichtes, wenn nicht in eins damit das Aktbewusstsein
des konkreten Gegenstandes (meinend) erhalten bleibt, etwa in der
25 Form, die wir zirkumskriptiv andeuten mit den Worten: das Rot
am Gegenstand, das Rot dieses Dinges. Ein solches Bewusstsein
wäre nicht ein schlichtes, ein Bewusstsein unterster Stufe, sondern
schon ein als Akt fundierter Akt. Und er hätte als solcher schon
einen „G e g e n st a n d h ö h e r e r S t uf e“. Denn das Eigentümliche
30 der höherstufigen Akte ist, dass sie, auf Akte neu bauend, ein in-
tentionales Ganzes, ein Ganzes der Art Akt herstellen, in dem nicht
der Akte, die diesen Vorzug nicht haben. Wobei jeder Akt von der einen in die andere
Einstellung kommen kann, bei Erhaltung eines abstrakt gemeinsamen Wesens.
1 „Akte“ erster und höherer Stufe.
2 Akt = „Meinen“ = „cogito“ im Sinn der Ideen.
text nr. 1 5
des meinenden Aktes der Reflexion. Der Akt, auf den ich hinblicke,
bzw., wie es besser heißt, auf den ich reflektiere, und der Akt der
Reflexion selbst bilden nicht zusammen einen Akt höherer Stufe.
Genauer ist aber noch zu sagen: Ein p r im är er G e ge ns t an d
5 ist ein Gegenstand, der in einem nicht-reflektierenden Bewusstsein
zur Gegebenheit kommt. Ein Reflexionsgegenstand kommt in ei-
nem reflektierenden Bewusstsein zur Gegebenheit. Natürlich gibt
es aber auch Reflexionsgegenstände höherer Stufe. Wir können von
einem primären Gegebenheitsbewusstsein sprechen. So ist z. B. das
10 Urteilsbewusstsein „Dieses Papier ist weiß“, wenn es sich um ein
sinnliches Wahrnehmungsurteil handelt, ein primäres Gegebenheits-
bewusstsein. Natürlich ist auch jede sinnliche Wahrnehmung eine
primäre Wahrnehmung. Loc kes Reflexion ist eine reflektierende
Wahrnehmung, ein reflektierendes Gegebenheitsbewusstsein. Der
15 Unterschied geht natürlich über in die Modifikationen; primäres und
reflektierendes Anschauungs- (Phantasie-)bewusstsein.
Es fragt sich dann, ob man nicht ve rs ch ie de ne Ar t en de r
R e f l e x i o n unterscheiden muss: 1) die phanseologische Reflexion,
die auf „Akte“ und Aktmomente. Aber auch: 2) die Reflexion auf
20 die Intentionalien (Bedeutungen), auf die Apparenzialien (Erschei-
nungen im ontischen Sinn) und sogar auf die Objektionalien. Auf
das Gemeinte als solches muss „reflektiert“ werden; es ist nur ein
sekundär zu Gebendes durch Änderung der ursprünglichen Blick-
richtung, die nicht zufällig vorangeht. Aber auch auf das Gegebene als
25 solches muss reflektiert werden; denn zum Gegenstand muss es erst
werden, vorher ist das Objekt der Gegenstand.1 3) Man möchte sagen,
jedes „immanente“ Objekt ist ein Reflexionsobjekt. Das sinnliche
Datum, das ich empfinde, ist ein sekundäres Objekt. Es erscheint
ein Gegenstand, ein Ding und an ihm etwa die Farbe. Aber die
30 Empfindungsfarbe wird Objekt erst durch Reflexion. 4) Wie steht es
mit der Einheit des Gegenstandes gegenüber der erfüllten Dauer und
ihren erfüllenden Momenten? Ist das Letztere auch durch Reflexion
gegeben? Da wird man nicht so einfach Ja sagen und das in eine ganz
andere Linie rechnen.
Man wird nicht dasselbe behaupten dürfen von der Reflexion auf
die Intentionalien und die Apparenzialien. Eine „Bedeutung“ ist
bald eine Bedeutung erster und bald eine solche höherer Stufe; eine
Erscheinung ist eine solche bald erster Stufe, bald höherer Stufe. Nun
5 kann man demgegenüber natürlich auch sagen: Ein Akt ist ein Akt
erster und bald ein Akt höherer Stufe. Und so sei alles beiderseits
gleich, z. B. ein schließender Akt ein Akt höherer Stufe.
Indessen, das ist eine schwierig zu merkende Täuschung. Der Akt
höherer Stufe, wie z. B. der schließende Akt, ist ein dahinfließendes,
10 so und so gebautes Erlebnis, das „Akt höherer Stufe“ heißt, weil
sich in ihm ein Gegenstand höherer Stufe konstituiert. Aber damit
ist nicht gesagt, dass er selbst ein Gegenstand höherer Stufe ist und
dass, um ihn selbst zur Gegebenheit zu bringen, ein Akt nötig ist,
der in der Weise eines Aktes höherer Stufe objektiviert! Hier ist die
15 Sache also klar: Di e A k t e si nd n ic h t „ G e ge ns t änd e höh e rer
Or dnu ng “.
W i e nun b e i de n B ed e ut u n gen? Sind nicht die Sätze, die
vermeinten Wahrheiten als solche, Gegenstände höherer Ordnung?
Kommen sie nicht zur Gegebenheit in Akten höherer Ordnung? Und
20 ebenso die „Begriffe“ (Vorstellungen an sich)? Zum Beispiel der Satz
„Ein Viereck ist rund“ oder der „Begriff“ „ein rundes Viereck“: Hier
muss ich einen Akt höherer Ordnung vollziehen, und die Bedeutungs-
reflexion muss durch alle seine Gliederungen hinein- und hindurch-
gehen, und ebenso bei den Erscheinungen höherer Ordnung.
25 Mit Rücksicht auf die grundverschiedene Art, wie Akte, Erleb-
nisse zu Gegenständen werden und wie Intentionalien und Apparen-
zialien es werden, derart, dass die Reflexion einmal Reflexion auf
die Akte ist und ein Analogon der schlichten Wahrnehmung bei Sin-
nendingen ist, das andere Mal eine Reflexion ist, die gewissermaßen
30 von der objektiven Einstellung, die in den Akten lebt, zu anderen
Einstellungen übergeht, die in den Akten leben, möchte man den
einheitlichen Terminus Re fl e x i o n beanstanden. Für das Erstere
könnte man sagen: phanseologische Wahrnehmung (eventuell psy-
chologische, wenn die Reflexion eine unreine ist), für das andere: ur-
35 sprünglich gebendes Bedeutungsbewusstsein, ursprünglich gebendes
Erscheinungsbewusstsein, die sich gegenüberstellen dem gebenden
Objektbewusstsein der betreffenden bedeuteten (intendierten) und
erscheinenden Objekte.
text nr. 1 9
Aber während das Ich hier als Einheit dieser Akte gesetzt ist, ist es
nicht immer und notwendig bezogen auf primäre Objekte. Ich nehme
Gegenstände wahr, denke an Objekte etc. Aber müssen es immer
primäre Objekte sein? Muss ich mich der Natur gegenüberstellen
5 und muss ich unter dem Titel „Ich“ auch an „meinen“ Leib denken,
der als Leib ein bevorzugtes primäres Objekt ist und ein solches, das
gegeben ist?
Andere Personen sind gegeben, mindestens als gemischte Reflexi-
onsobjekte oder in gemischten Reflexionsobjekten, da die Einfühlung
10 den Hinblick der Wahrnehmung auf den fremden Leib erfordert.
Auch beim eigenen Ich nehme ich in der Regel den Leib, an den es
„gebunden“ ist, mit. Andererseits aber kann man fragen, ob nicht
ein reines Ich (mein eigenes reines Ich) abzugrenzen ist als ein rein
immanentes, reines Reflexionsobjekt, in dem eben von der empiri-
15 schen Verflechtung desselben mit dem Leib und von der Beziehung
auf „seine“ intentionalen primären Objekte, seine Naturumgebung
abgesehen wird.
Aber die Persönlichkeit, der Charakter? Das identische Ich im
natürlichen Sinn: Der Charakter bewährt, bildet sich, entfaltet sich in
20 der Natur- und Menschenwelt. Sowie wir das Ich als den empirischen
Charakter nehmen oder das Ich, das Charakter hat, haben wir schon
ein gemischtes Reflexionsobjekt. Dieses Ich ist das der Psychologie als
Naturwissenschaft. Aber es fragt sich, ob nicht in der Beschränkung
auf den reinen Reflexionsbestand,1 auf die dahinfließenden Akte,
25 auf den Fluss des meinenden oder verborgenen Bewusstseins, eine
Einheit zu entnehmen ist (wie mir in der Tat scheinen möchte), eine
Einheit, die also ein Identisches ist, das soweit reicht, als der Fluss
des Bewusstseins zu verfolgen und in der Wiedererinnerung wieder
zu verfolgen ist. Dieses Identische wäre das r e i n e I ch als ein im
30 Reflexionsbestand vorfindliches, reines Reflexionsobjekt: E s hä t te
de n G ru n dc h a r a kt e r al l e r i mma n e n te n O bj e k te , „ a dä q ua t
ge ge be n “ zu s e i n oder gegeben sein zu können. Doch ist dieser
Grundcharakter hier noch nicht (in der Weise der cartesianischen
Betrachtung) festzustellen. Vielleicht ist es aber doch gut, schon hier
35 darauf hinzuweisen, weil sich in der Tat für alle Reflexionsobjekte
1 „Reines“ Ich?
text nr. 1 11
10 Wir stellen nun eine neue Unterscheidung hin, die wir zunächst
auf die Gegenstände der ersten Stufe beziehen, von denen aus sie
sich auf die Gegenstände höherer Stufe überträgt. Ich meine die
Unterscheidung zwischen i m m a nen t en und t r an s ien t en (empiri-
schen) Gegenständen. Sie korrespondieren der Unterscheidung des
15 Bewusstseins in e mp i r i s c he s und n ic ht -e m pi r is c he s ( und i n
di e s e m Si n n re i n e s) Be w us st sei n. Es ist nicht etwa so, dass Re-
flexionsgegenstände von vornherein immanente Gegenstände sind.
Die psychologischen Gegenstände sind Reflexionsgegenstände und
doch empirische Gegenstände, nämlich die „psychischen Akte“, psy-
20 chischen Erlebnisse in dem Sinn, in dem der Psychologe von ihnen
spricht, als Akte oder Zustände von empirischen Subjekten. Auch wo
der Psychologe, was er nicht vermeiden kann, von dem Vermeinten
als solchen spricht, von dem, worauf sich ein Akt des Vorstellens z. B.
bezieht, da ist das Vermeinte (das Intentionale) empirisch aufgefasst,
25 sofern es bezogen ist auf einen Akt, der selbst als ein Empirisches
gemeint ist.
W ie es s ch e i n t , s i n d a l l e i mma ne n te n G e g e ns t ä nd e
R ef l e x io ns g e g e ns t ä nd e. Ein Zweifel könnte hier (mit Beziehung
auf psychogenetische Überlegungen) bestehen für die sinnlichen In-
30 halte, die ich in meinen früheren Schriften geradezu als primäre
Inhalte bezeichnet habe. (Reflexionsinhalte nannte ich damals nur
die Akte und ihre Modifikationen gegen den Hintergrund hin.) Ist
es nur zufällig, dass ich einen sinnlichen Inhalt nur rein immanent
erfasse durch Rückwendung von einem empirischen Objekt? Selbst
35 beim Ton, der ja im Sinn der natürlichen, d. i. empirischen Auffas-
12 zur intentionalität der objektivation
sung, derselbe ist beim nahen und ferneren Erklingen; wobei eine
eigene Einstellung dazu gehört, den jeweiligen „immanenten“ Ton-
inhalt zu fassen, der seinerseits für die reflektive Auffassung als
„Repräsentant“ dasteht, als darstellend für den objektiven Ton. Es ist
5 also eine Einstellung hier vorhanden, die reflektierte Einstellung ist,
sofern sie aus einer „natürlichen“, unreflektierten hervorgegangen
ist, und das ist ein wesentliches Verhältnis, wie sich daraus ergibt,
dass daraus ein Verhältnis von Repräsentant und Repräsentiertem
sich konstituiert und dass wir dabei die Worte nicht umgekehrt wer-
10 den gebrauchen wollen. Hat, wird ein Psychologe einwenden, das
erwachende Bewusstsein schon Dingbewusstsein, wenn es einen Ton
hört oder eine Farbe sieht? Wenn das Tönende sich entfernt, hört das
erwachende Bewusstsein schon „denselben Ton, nur entfernter“ –
nota bene: denselben unveränderten – und hört es nicht vielmehr
15 einen sich verändernden?
Ü be r ha up t bi n ic h hi n si c ht li ch d er B e gri f f e „ Re f l e-
x i o ns g e g e ns t a n d “ u n d „ R ef le xio ns be w u ss t se in “ z w e if e l-
h a f t. Beim Dingwahrnehmen, könnte man z. B. sagen, sei das iden-
tische Ding primärer Gegenstand, das Ding als Einheit der Dauer.
20 Dagegen wenn ich auf die Phasen achte, z. B. auf die Phasen der Ver-
änderung und auf ihre Verteilung in der Dauer, so sei das schon eine
Art Reflexion. So fragt es sich, ob der Gesichtspunkt der „Reflexion“
etwas Grundwesentliches ist, sowohl hinsichtlich der Einteilung des
Bewusstseins und insbesondere wesentlich für eine Einteilung der
25 Gegenstände.
G r un d we s e nt l i c h i s t da g e g e n di e S che i d u ng i n im m a-
n e n te u nd e mp i ri s c h e Ge g e n s t än de. Was charakterisiert die
einen und anderen? Wir weisen da hin auf die äußeren Wahrneh-
mungsobjekte. Dinge kommen zur Gegebenheit in jeder Dingwahr-
30 nehmung. Aber jede Dingwahrnehmung ist eine „einseitige“ Ge-
gebenheit und im Übergang von Wahrnehmung zu Wahrnehmung,
von Wahrnehmungskontinuität zu Wahrnehmungskontinuität, die zu
einem und demselben Ding gehört, kommt das Ding immer von
neuen Seiten und doch niemals (und das ist unaufhebbar) allseitig
35 zur Gegebenheit. Jedes Gegebenheitsbewusstsein ist ein Vermeinen
des Dinges, das Bewusstsein vom Selbstdasein desselben ist. Aber
in diesem „selbst da“ steckt notwendig ein „nicht selbst da“ von
verschiedenen Seiten, Komponenten des Dinges etc.
text nr. 1 13
Was ein immanentes Objekt anlangt, so ist es, wenn es gegeben ist,
absolut gegeben, nicht einseitig, nicht so, dass neue Wahrnehmungen
mit neuem Erscheinungs- und Bedeutungsgehalt dasselbe Objekt
geben und nach neuen Seiten geben könnten usw. Das immanente
5 Objekt hat keine Seiten, keine Darstellungen etc. Ein empirisches
(transientes) Objekt stellt sich durch „Erscheinungen“ dar (in jedem
ihm zugehörigen empirisch gebenden Bewusstsein). Ein immanentes
Objekt steht in der Gegebenheit einfach da ohne „Darstellung“, ohne
Erscheinung. Im Ersteren liegt: Jedes empirische Bewusstsein lässt
10 Reflexion von solcher Art zu, dass daraus ein immanentes Bewusst-
sein einer „Erscheinung“ erwächst und in weiterer Reflexion ein im-
manentes Bewusstsein von „repräsentierenden Inhalten“. Das reine
Bewusstsein lässt solche Reflexion nicht zu. Es lässt zu die Reflexion
auf den Akt. Prekär ist die Frage nach der „Bedeutung“, nach dem
15 Intentionale des immanenten Aktes, inwiefern und ob es hier ein
eigenes Intentionale gibt gegenüber dem Objekt. Soll man sagen, so
wenig als es hier ein Apparenziale gibt, so wenig ein Intentionale,
oder soll man sagen, das letztere falle hier in eins zusammen mit dem
Objekt?
20 Jedes immanente Objekt lässt sich in gewisser Weise in ein em-
pirisches verwandeln, z. B. das immanente Objekt „Wahrnehmung“,
„Urteil“ usw. in das empirische: Wahrnehmung als Zustand eines
Menschen, Urteil als Akt einer urteilenden Person, Nächstenliebe
als Ausfluss eines sittlichen Charakters usw. Ebenso ein Intentionale,
25 als intentionaler Inhalt meines Vorstellens oder Wünschens, ein in-
tuitiver Inhalt, eine Erscheinung als Erscheinung, die ich habe usw.
Die immanenten Objekte erhalten durch Beziehung auf empirische
Objekte eine Einordnung in die Natur, in die empirische Welt, und
in verschiedener Weise. Die Bedeutungen haben Beziehung zum Akt
30 des Bedeutens, zum Akt, dessen Inhalt sie sind, und dieser wieder
lässt unmittelbar die psychologische Auffassung zu, die Bedeutungen
schon mittelbar. Ob alle empirische Auffassung der Akte und damit
auch der übrigen immanenten Inhalte letztlich nicht vermittelt ist
durch die Beziehung auf das empirisch-sinnliche Objekt Leib, das
35 kann hier nicht erwogen und entschieden werden.
Alle diese empirischen Objekte haben das Charakteristische, dass
sie empirische „Wendungen“ von reinen Objekten sind, das heißt,
das reine Objekt bleibt, was es ist, und ordnet sich dem empirischen
14 zur intentionalität der objektivation
als Kernstück, als reeller Teil ein. Es erhält nur durch Beziehung
auf Empirisches selbst einen empirischen und damit transzendenten
Charakter. Oder: In sich ist es reines Objekt, und nur seine Beziehung
zum empirischen gibt ihm Stellung in der empirischen Welt. Und alle
5 diese Objekte sind Reflexionsobjekte. Können wir nicht sagen: Es
sind entweder selbst Akte bzw. psychische Objekte oder Objekte, die
an Akte gebunden sind?
Die primären Objekte, die Objekte erster Stufe, die nicht im-
manente Objekte sind, können aber auch e m pi r is c he Ob je kt e
10 s e i n , d i e n ic ht b l o ße W e ndu nge n vo n im m an ent e n si nd. Im
Gegebenheitsbewusstsein eines Dinges (in jeder äußeren Wahrneh-
mung) finden wir zwar verborgen mancherlei immanente Objekte, die
durch Reflexion herauszuholen sind, z. B. außer dem Gegebenheits-
bewusstsein selbst die Erscheinung, die Meinung, die Empfindung;
15 aber diese sind in keiner Weise dem Dingobjekt selbst angehörig.
Das Empfindungsrot ist nicht wahrgenommenes Rot, sondern stellt
es bloß dar. Die Erscheinung einer Seite des Dinges ist nicht selbst
Seite des Dinges, sondern stellt sie nur dar (jetzt in dem Sinn: ist
Erscheinung davon) usw.
20 Das sind die N a t ur o bj e k t e. Naturobjekte sind du r ch u nd
du r c h t ra n s z e n de n t und enthalten nichts, was immanent ist, was
durch Abscheidung von irgendwelchem Mitverbundenen, von Bezie-
hungen rein Immanentes werden könnte. Naturobjekte sind Objekte
des Bewusstseins erster Stufe (sie sind Gegenstände erster Stufe)
25 und näher pr i mä r e Ob j e k t e (nicht Reflexionsobjekte), oder auch
Objekte erster Stufe, und zwar r e i n t r an s i e nt e, die nichts von
Immanentem enthalten. N a t u r ob j e k t e i m s e k un dä re n S i nn
od e r e mp i r i s ch e O bj e k t e i m s e kun dä r e n S i nn sind unreine
Reflexionsobjekte, nämlich Reflexionsobjekte, die durch gewisse Ver-
30 knüpfungen mit primären Naturobjekten selbst empirisch, naturhaft
werden, aber nur mittelbar, unrein.
Danach haben wir a l s e r s t e s u n d f und a me n ta l s te s e mp i r i -
s c h es Ob j e k tg e b i et d i e N a t u r und in Bezug auf sie a ls s e ku ndä -
re s d e n G e i s t, d i e S p h ä re d e r Ps y c hol o g i e.
Nr. 2
B ew usst sei n - v on u n d d as o b je k ti vi er en de
Z u m - Geg en stan d - M a ch en im Ur t ei le n 1
1 Oktober 1910.
2 Ursprung des Begriffes der Wahrheit und des Begriffes der Wahrscheinlichkeit.
16 zur intentionalität der objektivation
1 Oder nicht?! – Ich bin wieder zweifelhaft und habe anderweitig ja entgegen
entschieden!
text nr. 2 19
dass etwas sei oder nicht sei, ein Für-wahr-Anmuten wäre, so das nega-
tive Anmuten, dass etwas sei oder nicht sei, ein Für-falsch-Anmuten?1
1 Darüber cf. N und darin die Blätter q, p. 2 = Husserliana XLIII/3, Text Nr. 4, S.
214,22–215,38.
2 16.X.10. – Urteil und Vermeinen (Setzen).
3 Vgl. aber Q (objektivierende Akte und wertende), p. 25 = Husserliana XLIII/2,
35,25–37,25
20 zur intentionalität der objektivation
Beilage I
Die Urteilsbedeutung und die Bedeutung der
unterliegenden Akte. Die Urteilsgeltung übergreift alle
anderen Fälle von Geltung. Die Bestimmung des
5 Bewusstseins durch die Grundarten der Bedeutungen1
Gehen wir von den Domänen von Akten aus, so entspricht jeder eine
eigene Domäne von Bedeutungen, und diese unterstehen, so wie die Urteils-
bedeutungen, der Frage nach der Gültigkeit. Als Parallele der Logik haben
wir also andere „formale“ Disziplinen.
10 Aber wie, is t Ge lt ung n ich t sp e z ie ll S ac h e ei n es U r tei l s? Nun,
das Urteil hat seine Geltung: Das Urteil ist wahr, der Wunsch ist nicht wahr,
aber doch berechtigt, gültig; auch in der Sphäre des schlichten „Vorstellens“,
des Wahrnehmens, des Erinnerns, des vollen und leeren, gibt es eine Gel-
tung, die freilich wie jede Geltung nur prädiziert werden kann eben in der
15 Prädikation. Sind schlichte „Vorstellungen“ (Seinssetzungen) Grundlagen
für synthetische Identifizierungen, Prädizierungen, Beziehungssetzungen, so
haben diese neuen Gebilde (Urteilsbedeutungen im speziellen Sinn) eben
wieder ihre Geltungsweise: eben die der Prädikation (doch haben wir zu
unterscheiden die Synthesis vor dem Ausdruck und die ausdrückliche Syn-
20 thesis). Auch im Fragen und Vermuten „erscheint“ etwas, das ist, auch hier
haben wir Bedeutungen, die ihre Weise der Geltung haben, ebenso Wünsche
usw.
Jeder solchen „Bedeutung“ entspricht eine „Urteilsbedeutung“ (prädi-
kative Bedeutung). Zum Wesen der Vermutung des Inhalts „S ist p“ gehört
25 das mögliche Urteil: Dass S p ist, ist wahrscheinlich! Und wenn die Vermutung
Vermutungsgeltung hat, so hat das Urteil Urteilsgeltung und umgekehrt.
Und so überall. Natürlich urteilend stellen wir das alles fest. Wir urteilen
über das im schlichten Vorstellen, über das im Vermuten, im Wünschen,
Wollen Bewusste, wir sehen darauf hin, wir setzen es als Vermeintes, Be-
30 deutetes und urteilen, es sei wirklich, es „bestehe in Wahrheit“.2 Das be-
sagt: J e d es B ew u s st s ei n k a n n U n t e r lag e ein e s aff ir m a tive n o d er
n e ga ti ve n „ Ex i st en z ia l ur t e il s “ s ei n; je d es B ewu s s ts e in k an n f ü r
e i n Pr äd i zi e re n di e s elb e F u n kt io n ha b en w ie et wa d a s si n n lich e
V or s t el l un gs be w u ss t se in fü r e in D in g - Pr ä d iz ier e n.3 Auch ein Ur-
35 teilsbewusstsein selbst: Auch aufgrund dessen kann ich „existenzial“,
1 Das wird man nur von eigentlich vollzogenen, erfüllten, nicht von verworren vollzo-
bedeutung. Und zur Aussage kommen dabei einerseits die Geltungen jener
Bedeutungen, also Existenz, und andererseits das so und so Beschaffensein
der betreffenden Gegenstände, der betreffenden Gegenstände, der Dinge,
der Wahrscheinlichkeiten, der Wertgegenstände, auch der Sachverhalte als
5 Urteilsgegenstände (neuer Urteile).
Andererseits aber sind nicht Urteilsbedeutungen einerlei mit den
„Bedeutungen“ der unterliegenden Akte, so wenig Urteile selbst Wahrneh-
mungen, Wünsche, Vermutungen etc. sind. Sie liegen zugrunde, aber so wie
sie sind, sind sie noch keine Urteilsglieder bzw. noch keine Satzglieder:
10 Es fehlt die spezifische Gedankenformung (synthetische) und begriffliche
Formung, die zum Urteil (als Aussagen, Begreifen) gehört.1
Vor allem synthetischen Fassen, Begreifen und Aussagen liegen da Rei-
hen von Akten (Bewusstseine), und sie haben das Eigentümliche, dass ih-
nen ein Sinn, eine Bedeutung einwohnt. Natürlich, dass das der Fall ist,
15 das entnehmen wir aus ihnen im evidenten Urteilen, drücken es begrifflich
aus, machen es zu unserem Erkenntnisbesitz. Aber diese Akte sind doch
nicht die Gegenstände dieser Urteile. Ebenso ist die Eigentümlichkeit dieser
„Bedeutungen“, zu gelten oder nicht zu gelten, durch Urteile zu erkennen,
aber nicht selbst etwas zum Urteilen Gehöriges. Urteile selbst haben ihre
20 Geltung; auch das aber – diese Beschaffenheit der Urteile, „wahr“ zu sein –
entnehmen wir durch neue Urteile. Ebenso, wie es korrelativ heißt, jedes
eigenartige Bewusstsein, und zwar im Modus des Meinens, hat seine Weise,
sich zu erfüllen; auch das Urteilen hat seine Weise, die abhängig ist von
den Erfüllungen der unterliegenden Akte, aber doch wieder etwas Neues
25 ist. Und desgleichen: Im Urteilen ist uns bewusst ein „Gegenstand“, das
ist, das Urteil hat eine Bedeutung, und ist diese, der Satz gültig, so ist der
Urteilsgegenstand, der Sachverhalt. Aber genauso ist uns in jedem Bewusst-
sein ein „Gegenstand“ bewusst: Jedes ist Bewusstsein von, jedes lässt einen
„vermeinten Gegenstand als solchen“, eine Bedeutung entnehmen, und im
30 Fall der Bedeutungsgeltung sprechen wir von einem wahren Gegenstand
(oder schlechthin von einem Gegenstand). Natürlich wie vom Urteilen selbst,
so von jedem Bewusstsein sagen wir das aus, wir erkennen es durch einsich-
1 Also es muss das Verhältnis des zu Formenden und des Formenden vorliegen, das
aber ist bei einem vagen Aussagen aus Gewohnheit wie 2 × 2 = 4 nicht der Fall. Oder es
gibt zweierlei Formungen – adäquate und inadäquate –, und es gibt zweierlei Rede auch
vom Formen: einmal ein spontanes Urteilen, das sich nach anderem „Bewusstsein“
richtet, und das andere Mal ein vages Urteilen, das sich nicht tätig nach etwas richtet
und einer Unterlage etwas entnimmt, sondern in einem Schlag, „blind-assoziativ“
ist das Urteil (mit seiner Unterlage einig) da, und die Einheit ist eventuell eine
„unpassende“.
beilage i 25
tiges Urteilen. Aber darum ist doch zu scheiden das erkennende Urteilen
von dem Gegenständlichen, das erkannt ist und das ist, ob wir erkennen oder
nicht. Und somit ist auch zu scheiden das erkennende Urteilen, in dem wir
erkennen, dass jedes Bewusstsein „sich auf eine Gegenständlichkeit bezieht“,
5 von dieser Tatsache selbst und von dem Bestand solcher verschiedenartigen
Gegenständlichkeiten selbst, wenn Gültigkeit besteht.
Also Gegenstand, Gegenstandsbedeutung, Geltung von Bedeutung sind
Sachen, die erkennbar sind durch Urteile, aber nicht Urteilsfakta selbst,
mögen auch apriorische Beziehungen bestehen zwischen Urteilsgeltungen
10 und den Gegenständen, die wir setzen können, den Geltungen, die wir Wahr-
heiten nennen, und allen anderen Gegenständen, Bedeutungen, Geltungen.
Vor allem muss man sagen: De r B egr if f der G el tu n g ( Ri c ht i gk ei t
e t c. ) is t e i n a llg e m e in e r, d er de n B eg r iff d er S a tz g e lt u n g (R ic h -
t i g ke it d e s Ur t ei l en s ) a ls E in z e lfa ll e i ns c h lie ß t. Aber dieser Einzel-
15 fall übergreift in gewisser Weise alle Fälle, weil alles Erkennen von Geltung
und von Sein selbst ein Urteilen ist, das seinerseits Wahrheitsgeltung haben
muss. A ll e G e g en s t än de re ic h e n n o tw e n dig in di e U r te il ss phä re
hi ne i n: Urteile sind freilich selbst Gegenstände. Alle Gegenstände sind
mögliche Subjektgegenstände von Sachverhalten, aber Sachverhalte sind
20 selbst wieder Gegenstände. Mit dem Gesagten hängt zusammen: E s g ib t s o
v i e le G r u nda r te n v o n Ge g e ns t än d lic h k ei ten , a ls e s G r u n da r te n
d es B ew u s st s ei ns g ib t. Die Grundarten des Bewusstseins bestimmen sich
durch die Grundarten der Bedeutungen. Bedeutungen sind vermeinte Ge-
genständlichkeiten als solche: vor der Frage der Geltung. Zum Wesen jeder
25 Gegenständlichkeit gehört es, dass sie ihre ursprüngliche Bewusstseinsweise
hat, ihren sie „gebenden“ Akt, ebenso „bloß vorstellende“ Akte etc.; zu
jeder gehört ihre Art der „Ausweisung“, der Erfüllung, der Begründung.
Je nach Art des Bewusstseins, je nachdem es fundiertes ist oder nicht,
sind auch die Gegenständlichkeiten, die da „vermeinte“ sind, fundierte oder
30 nicht fundierte. Und das gibt den Ursprung für eigentümliche Prädikationen,
sofern das gegenständliche Moment, das das höhere Bewusstsein in un-
selbständiger Weise hinzutut zu dem Gegenstand des unteren Bewusstseins,
diesem als Prädikat zugemessen wird. Es sind grundverschiedene Arten von
Prädikaten, je nachdem es heißt, der Gegenstand, das Ding da ist rot, und
35 wieder, es ist schön, wahrscheinlich, gut etc. Kann man diese Prädikate mit
dem Prädikat Wahrheit, Gültigkeit auf gleich behandeln? In gewisser Weise
sicherlich. Nämlich: Auch das Bewusstsein, in dem ein Urteil als gegebene
Wahrheit dasteht, nämlich vor der Prädikation der Wahrheit, ist ein fundiertes
Bewusstsein, ein „Evidenz“bewusstsein, und wenn ich von dem Urteil dann
40 aussage, es sei wahr, es „stimme“, so gebe ich ihm mit Beziehung auf das,
was das fundierte Bewusstsein neu hergibt, ein Prädikat.
26 zur intentionalität der objektivation
Beilage II
Das Urteil als ein Gebilde von eigenen
10 Intentionen. Das Urteilen ist ein erfülltes, wenn
es sich nach einem gebenden Akt richtet1
Was da2 ausgeführt ist, ist sehr schön. Aber es bedarf nun neuer Unter-
suchungen. Das Urteil ist hier hingestellt als eine formende Spontaneität,
durch deren Formung Urteile in concreto erwachsen. Es ist da in erster
15 Linie gedacht an die Fälle, wo ein Bewusstsein, das im Allgemeinen noch
kein Urteilsbewusstsein ist, allenfalls partiell ein solches enthält, als Substrat
fungiert, es wird daraufhin ein Urteil gebildet, das auf dieser Grundlage etwa
über den wahrgenommenen Gegenstand und seine Existenz urteilt oder über
die Schönheit, Güte eines Menschen, über die Erfreulichkeit einer Tatsache
20 etc.
In anderen Fällen ist es aber anders. Während hier ein bloßes A u s ein an -
d er le g e n d e s a n de r we it i g Be wu sst en s tat th at t, ein U r t eilen , d as
s ic h n ac h a n d e r e m B e wu s st se i n u n d s ein e m G eh a lt „ r i c ht e t “ un d
ih m „ a n ge m e s se n “ i st (wobei wir von einer Evidenz der Angemessenheit
25 sprechen können), kann ein Urteilen einfach da sein oder kann gefällt wer-
den ohne ein solches Auseinanderlegen, so z. B. wenn ich gewohnheitsmäßig
urteilend einen mathematischen Satz ausspreche, wobei mir eventuell eine
Verwechslung passieren kann, die einen Widersinn mit sich bringt, den ich
aber nicht merke. Diese schwierige Sachlage muss nun erforscht werden.
30 Es liegt nicht, wird man sagen, ein „eigentliches“ Vorstellen, Wünschen,
Sichfreuen etc. zugrunde, und es gründet sich darauf nicht ein eigentliches
Explizieren, Objektivieren, Beziehend-Fassen etc. Ich sehe etwa ein Haus, ich
habe also eine Wahrnehmung, aber ich sage hier, was ich davon aufgrund frü-
herer Einzelbetrachtung, Explikation etc. „weiß“; ich vollziehe nicht Urteile,
die sich nach dem Wahrgenommenen hier und jetzt „richten“. Oder ich sage
„Möge S p sein, das ist erwünscht“. Aber ich urteile „mechanisch“, ich fühle
jetzt keinen eigentlichen lebendigen Wunsch, vielleicht eine Wunscherinne-
rung, aber eine ganz unklare, matte, in nicht „vollziehender“ Weise usw.
5 Was für Modifikationen liegen da dem Urteil zugrunde? Eventuell ist das
„eigentliche“ Substrat gar nicht herstellbar, eben wenn das Urteilen wider-
sinnig ist.
Wir haben also gegenüberzustellen: das uneigentliche Urteilen und das
eigentliche. Aber das in verschiedenem Sinn! Auf Seite der Uneigentlichkeit:
10 einmal das unartikulierte, verworrene, nicht wirklich Setzung auf Setzung
gründende Urteilen und andererseits das eventuell artikulierte, aber seiner
Unterlage nach „uneigentliche“. Ich urteile wirklich und artikuliert, aber
was das Urteil voraussetzt für die Realisierung seiner Termini bzw. was es
voraussetzt, wenn es soll „richtig“ sein können, das fehlt.
15 Soll man sagen: Das Urteilen ist im Fall, dass es aus einem vorgegebe-
nen Substrat durch Explikation und prädikative Formung einen Sachverhalt
konstituiert, nicht etwa eine bloß unselbständige Formung der unterliegen-
den Wahrnehmung, Erinnerung, des unterliegenden Wunsches etc., sondern
ein Gebilde von eigenen „Intentionen“, die sich nach dem Vorgegebenen
20 richten, indem sie die Bestimmheit der Richtung danach orientieren, aber
doch ihm gegenüber ein Neues sind, derart, dass dieselben Intentionen,
in derselben Form nachher ohne diese Unterlage auftreten können? Als
unerfüllte Intentionen. Und nun können sich diese Intentionen auch anders
formieren und auftreten, ohne Bestimmtheit der Richtung der erfüllenden
25 „Anschauung“ zu verdanken, ohne aus der Fülle zu erwachsen, in der sie
sich erfüllen, eventuell ohne erfüllbar zu sein? Wir hätten dann also den
Gegensatz von e ig e nt l ic he n U r t e il si nt e nt io n en (artikulierten, wirk-
liche Setzung) und u n er f ü ll t en; alle Urteile wären entweder unerfüllte
Intentionen oder erfüllte. Aber in jeder spontanen Sphäre hätten wir den
30 Unterschied unerfüllter und erfüllter Intentionen, und damit hängen die
Unterschiede der Begründung zusammen.
Also muss ich den in den Logischen Untersuchungen so stark hervortre-
tenden Unterschied zwischen Intention und Erfüllung hier in den Mittel-
punkt stellen, und zwar fällt er durchaus in den Rahmen der Aktualität. Das
35 Urteilen kann volles (erfülltes) sein, wenn es sich aktuell „richtet“, seine
Richtigkeit sich ausweist, wenn es sich nach einem gebenden Akt orientiert.
Andernfalls ist es leeres Urteil, leere Urteilsintention. Es weist dann auf
eine zu leistende Begründung hin: Es steht eben unter Normen. Auch eine
Wunschintention kann bloße, leere Wunschintention sein. Darum ist der
40 Wunsch wirklicher Wunsch, aber er ist anders charakterisiert, wenn seine
„Voraussetzung“ realisiert ist, als wenn das nicht der Fall ist.
28 zur intentionalität der objektivation
Beilage III
Das Verhältnis des vorprädikativen
Vorstellens zum Denken. Identifikation im
eigentlichen Sinn findet nur im Denken statt1
oder Vorstellung dieser Vorstellung so sagt), und das Denken ist es, das
zugleich nach dieser Vorstellung sich richtend sagt „dieser Gegenstand“ und
die Beziehung herstellt „dieser Gegenstand dieser Vorstellung“. Und wieder
auf Grund der Vorstellung vom Denken (im Hinblick darauf) sagt „dieses
5 Denken“ und es denkt „diesen Gegenstand“ etc. Und es ist dabei das so
sich richtende Denken evident; alle diese Urteile sind evidente (eines jeden
Aktes überhaupt!). Zum Wesen jeder Vorstellung und zum Wesen jeden
Denkens gehört die Möglichkeit, ein so sich nach ihnen richtendes Denken
zu begründen, das in Evidenz der Vorstellung ihren Gegenstand entnimmt,
10 nämlich ihn für das Denken zu einem Dies macht, von dem sich Prädikationen
vollziehen lassen.
Ei ne I de n t i fiz ie r un g f in d et i m ei gen tl ic h en S in n n ur s ta tt
zwis ch e n z w e i De n ka k t e n , u n d d i es e h a ben i h re rse it s z we i V o r -
s t e l lun g e n zu r G r un d la ge. Vorstellungen als Grundlage! Habe ich da
15 früher nicht einen wesentlichen Sinn der Vorstellungsunterlage der rechten
Abhebung entbehren lassen, aus dem Grund, weil ich nicht scharf unterschied
in den Logischen Untersuchungen zwischen dem leeren Vorstellen (vor allem
Denken) und dem leeren Denken, z. B. im leeren Gebrauch eines Eigen-
namens. Muss man nicht sagen, je d e r D en k a k t s e tz t e in V o r s tel len ,
20 e in v o ll e s o d er le e r es, voraus und baut sich darüber? Ich merkte richtig,
dass in den Terminis ein Vorstellen stecke; das Denken bringt aber seine
Denkform herein, und diese durchdringt alles, auch die Termini.
Setzt aber jedes Denken Vorstellen im unteren Sinn, ein schlichtes Perzi-
pieren, derart voraus, dass es Nicht-Konzeptives denkmäßig formt und setzt?
25 Das Denken objektiviert auch; in ihm steht der Sachverhalt (urteilsmäßig)
da, und ein neues Denken bezieht sich eventuell auf ihn und sagt „dies“,
„dieser Sachverhalt“. Das ist dann ein Denken zweiter Stufe, dem direkt ein
Denken und mittelbar ein schlichtes Vorstellen zugrunde liegt.
Nun scheint es sich aber weiter bei allen impressionalen (positionalen)
30 Akten ebenso zu verhalten. Wieder entnimmt ihnen das Denken einen Ge-
genstand, indem es an die Frage, den Wunsch etc. anknüpfend sagt „dies!“
und über das darin Gegebene prädiziert. I st al s o n i ch t ü b er a ll da s
D e nk e n das i m e ig e nt li c he n Si n n O bj e kti vier e n de? D a s D en k en
ist es, das der sinnlich schlichten Vorstellung und allen anderen Akten, auch
35 den Denkakten, den Gegenstand entnimmt, das heißt, dass es sagt und
aufgrund aller Akte sagen kann „dies da!“ und dass es das Dies dann
prädikativ weiter bestimmen kann, und zwar nicht so, dass etwa die Akte
zu Gegenständen werden – dazu müsste vielmehr ein Wahrnehmen dieser
Akte zu Grunde liegen, womit wir nur Denken auf Grund von Wahrneh-
40 mungen hätten –, sondern so, dass das Denken allen Akten ein Intentionales
entnimmt, genauso wie der Wahrnehmung, der schlichten Vorstellung. Das
30 zur intentionalität der objektivation
Intentionale „liegt“ also in jedem Akt, jeder ist Intention-auf, jeder hat
Richtung auf ein Gegenständliches, Richtung auf eine Einheit, die im Denken
zu einem Dies und einem so und so bestimmbaren und bestimmten wird.
Aber so einfach liegen die Sachen nicht, dass wir nun schon fertig wären
5 und alles klar hätten. Vor allem das ist zu überlegen, wie d as in te nd ie -
r e n de M e i ne n un d da s D e nk e n zu e in an d e r s te h en. Wie grenzen sie
sich gegeneinander ab?
Nr. 3
E i ge nt li c he s u nd u n eige nt l ic he s Ur tei l e n 1
Bisher hatten wir das theoretische Meinen immer betrachtet als ein
solches, das sich in einem zugrunde liegenden „Erscheinen“ etabliert,
das aus einem Substrat herausmeint, das auch in Ungemeintheit für
sich leben kann. Kann nun nicht ein theoretisches Meinen ohne ein
10 derartiges Substrat bestehen? Ist das nicht beim „leeren“ theoreti-
schen Meinen, beim „bloß symbolischen“ der Fall? Wie verhält sich
also das „volle“ und das „leere“ theoretische Meinen (oder Denken
im prägnanten Sinn)?
Auch das „leere“ Meinen (das leere Denken) hat sein „Substrat“
15 im ersten Sinn, nämlich so verstanden, dass das leere Denken wie
jedes Denken etwas denkt, darin etwas bedeutet. Das „volle“ meint
aus einer Erscheinung etwas heraus, setzt, fasst es als Subjekt etc., und
die „Erscheinung“ kann auch Erlebnis sein, ohne als Denkfundament
zu fungieren.
20 Wie ist es aber beim leeren Denken, ist es auch ein Herausmeinen,
überhaupt ein Meinen auf einem „Grund“, nur dass dieser Grund,
das fundierende „Erscheinen“, ein leeres ist? Da ist zunächst zu
fragen: a) Gibt es zunächst zu jeder Sorte von intentionalen Er-
lebnissen einen Gegensatz von „vollen“ und leeren? b) Gibt es so
25 etwas wie Herausmeinen aus leeren Nicht-Meinungen, kommt es vor
als Möglichkeit, dass aus einem leeren, nicht-theoretischen Akt eine
Gegenständlichkeit herausgemeint wird?
Was nun das Erste anlangt, so ist zunächst vor Verwechslung zu
warnen. Wir nennen ein Denken ein leeres, weil es sich auf dem Grund
30 einer Leervorstellung, eines Leeraktes aufbaut. So wenigstens, wenn
1 Das, was hier ausgeführt ist, kann leicht missverstanden werden. Ich hatte immer
gesagt: „aktuelles“ Meinen. Was ich sagen wollte, war: ein Akt des Meinens (= Im-
pression), ein jetziger, wirklicher Akt, im Gegensatz zu der eventuellen reproduktiven
Vergegenwärtigung eines Meinens, das in der Erinnerung und dgl. liegt. Der Akt des
Meinens, der zum Feld des inneren Bewusstseins und nicht zum Feld der Reproduktion
gehört, kann aber den Modus des Glaubens haben (einen Modus der „Aktualität“
unter anderen) oder den des „bloßen Sich-Denkens“ (Inaktualität), so wie ich das
Urteil als „bloßes Phantasie-Urteil“ haben würde.
34 zur intentionalität der objektivation
Es ist auch Folgendes zu beachten: Wenn ich jetzt urteile und dann
mit Urteilen fortgehe, s o e r f ähr t d as Ur t eil , da s ic h v or hi n
10 f ä l l t e , s e i ne re t e nt io na l e M od i f ika t i on, un d e s si nk t a uc h
i ns Du nk e l h e ra b. W as b e sag t d ies es D un kel ? Ve r w and el t
e s s i c h i n e i n e V e rg egen w ä rt ig un g? -- Ne in. Solange es noch
„da“ ist, noch bewusst, noch festgehalten sogar, solange ist es keine
Vergegenwärtigung, sondern eine Ret en ti o n, aber eine leere. Im
15 „Herabsinken“ des gefällten Urteils nimmt seine Lebendigkeit ab,
und es wird schließlich zu einem leeren. Also Retention (auch leere)
gehört in die impressionale und nicht in die reproduktive Sphäre.1
Nun haben wir zwei Fälle: 1) Ich objektiviere, ich meine und
gehe Schritt für Schritt im Meinen weiter.2 Indem ich das tue und
20 „Synthesis“ vollziehe, übe ich in gewissem Sinn Retention, nämlich
andauerndes Festhalten, Durchhalten der Meinung. Von Retention
der Meinung wollen wir besser nicht sprechen, sondern von Fest-
haltung, Nachdauer der Meinung als solcher. In diesem Sinn haben
wir zwischen a) dem Vollzug eines meinenden Schrittes im Ein-
25 schnappen der Spontaneität, dem Neuvollzug einer Objektivierung,
dem Einsetzen einer solchen und jedes neuen Gliedes einer sol-
chen, und b) andererseits dem Fe s t h a l t en d e r M e i nu ng, No c h-
Me i n e n, Im-Rahmen-der-sich-durchführenden-Meinung-Halten zu
unterscheiden.
1Doppelsinn von Retention siehe unten, leere Retention bzw. leeres Abklingen des
Urteils.
2 Erster Sinn von Retention: Festhalten der Meinung.
text nr. 3 35
1 Nachklang, Nachgegenwärtigung.
36 zur intentionalität der objektivation
Wenn sich nun ein Gedanke regt, wenn ich einen Einfall habe,
ehe ich aber ihn mir „zu eigen“ gemacht habe, so haben wir in
ähnlicher Weise einen Modus von Objektivation, der doch noch nicht
15 Objektivation in ganz besonderem Sinn ist. Ich folge etwa der Erörte-
rung des Buches, vollziehe die Urteile, oder folge den Argumenten
des Vortragenden, und es regt sich ein Gedanke (etwa ein Einwand
oder eine Bekräftigung), und nun erst wende ich mich ihm zu und
„vollziehe“ den Gedanken, der nun erst rechtes Leben gewinnt. Soll
20 man sagen, das sei, dieses Sich-Regen, eine Art von Vergegenwärti-
gung? Es kann ja allerdings Wiederaufleben einer früheren, früher
von mir vollzogenen Einsicht sein.
Allgemein zu reden ist die Vergegenwärtigung, deutlicher, di e
R epr o du k ti o n e i n e r f r ü h e r en W ah r ne h mu ng , ü be rh au pt
25 e i ner fr ü h e re n S e t z u ng , Gr u n d fü r e i ne E r ne ue r un g d e r
S e tzu n g se l b st. Ich erinnere mich, das meint in der Regel bei
solchen Objektitäten, ich reproduziere nicht nur, ich werde im All-
gemeinen nun auch glauben, nämlich an das früher Gesetzte, an das
„Gewesene“. Ebenso Reproduktion eines Urteil führt in der meinen-
30 den Zuwendung zum früher Geurteilten zu einer neuen Setzung, ich
urteile wieder. (Gehört da ein Wesensgesetz dazu, dass mindestens
eine Motivation hier vorgezeichnet ist? Das früher Geurteilt-Haben,
phansisch gesprochen die Vergegenwärtigung, notwendig ein Motiv
für die neue Setzung?) Also wenn ein Gedanke, eine Meinung auf-
35 taucht, so wird es vielfach eine frühere meiner Meinungen sein. Das
text nr. 3 37
1 Freilich ob es wirklich mit in den Rahmen des allgemeinen Begriffs der Vergegen-
mehr Aktives enthaltenden Einheit (die Schritte sind jetzt nicht mehr
wirkliche Schritte, sondern Modifikationen von ihnen gehören einer
passiven Einheit an) vollzogen werden. Ein m ei ne n de r, s e tze n de r
Blick setzt jetzt das Ganze, „entnimmt“ aus dem Phänomen des
5 Nachbewusstseins den Gegenstand. Dabei ist im Allgemeinen v on
V erw o r ren h ei t k ei n e Red e oder braucht nicht die Rede zu sein.
Ich urteile „S ist p!“ und knüpfe daran „Diese Tatsache!“ Ich blicke
also auf das „Ergebnis“ hin oder zurück und mache die Tatsache zum
Subjekt-worüber neuer Urteile.
10 Aber das bleibt bestehen, dass zwischen dem lebendigen Aufein-
andersetzen und dem Resultat (das im letzten Setzungsschritt ein
Bewusstsein nicht sosehr vollendet, als aufgrund der nachlebenden
Schritte erst gewinnt – das Bild mit dem Bau ist eigentlich schlecht)
zu unterscheiden ist und dass dieses Endbewusstsein immer mehr an
15 Leben und Deutlichkeit verliert. So wie der Schlussschritt vollzogen
ist, beginnt schon das Verschwimmen und Verworrenwerden, ein
stetiger Prozess. Aber es ist ein Bewusstsein, aus dem durch neue
meinende Blicke Verschiedenes entnommen werden kann. Vor al-
lem das gegenständliche Korrelat des Ganzen kann nun Gegenstand,
20 „Vorgestelltes“, „Erfasstes“ werden.
3) Etwas anderes ist das v er wo rre n e B ew u ss t se i n, das nicht
bloß nachlebendes Bewusstsein eines ursprünglichen Lebens, eines
„wirklichen Vollzugs“ ist. Ich meine da s B e w us st s e in ei n es
Sa t ze s , d a s V e r st e he n i m Le s e n un d v e r w or r en e „ U r tei -
25 l e n “ i m L e s e n. Hier baut sich ja auch wie aus Worten der Satz,
so aus Gedanken das Verständnis auf, und fü r j e d e s Ver m e i nen ,
f ü r j e d e n A kt , d e r s i c h z e i t l i c h a u f b au t, g i l t d a ss e lb e w i e
da s , wa s w ir z um Ur t e i l e n g es a g t h a be n, e r h a b e e i ne n
Ab sc hl u ss , e i n Er g e bn i s e t c.
30 4) Und wieder etwas anderes sind sich „regende Gedanken“. Und
dabei ist 5) zu fragen, wie es sich mit Vergegenwärtigungen von
Meinungen verhält, die offenbar notwendig explizite Vergegenwär-
tigungen im „Wiedervollzug in der Erinnerung“ sind oder explizite
Phantasierungen als „Vollzug in der Phantasie“ oder andererseits
35 einheitlich vage Vergegenwärtigungen ohne expliziten Vollzug „in“
der Vergegenwärtigung.
Frage: Wie stehen diese, insbesondere die letzteren zu den Be-
deutungsintentionen der Ausdrücke? Und wie ist, was sub 3) aufge-
text nr. 3 41
The mat i s ch es u nd un t h em a ti sc he s Be wu ss t se in .
D er U n t ers c h ied un d das V e rh äl t n i s zw isc he n
R ez ep t iv it ät u n d s ch öp fe ri sc he r Sp o nt an ei tä t 1
1 März 1911.
text nr. 4 43
schichten hat.
44 zur intentionalität der objektivation
1 Also nicht thematisch im Sinn anderer Manuskripte, also nicht im Sinn des theo-
retischen Interesses.
46 zur intentionalität der objektivation
Indem hier nun ein neues Leben lebt, organisiert sich in diesem
Leben Neues und Neues. Es konstituieren sich neue Objekte, was
eben sagt, dass die Akte sich nach ihrem Gehalt ändern und zu neuen
Aktgebilden organisieren; es bilden sich Synthesen und konstituieren
5 sich synthetische Objekte etc. In jeder Stufe, scheint es, haben wir
U nt er sc hi ede z w i sc hen Pri mär em und Se ku ndä r e m. Und
ferner, jedes solche Gebilde kann in den Hintergrund der bloßen
Merklichkeit oder in den letzten vagen Hintergrund rücken. Um-
gekehrt können Gebilde dieser Art schon im Hintergrund sein und
10 auftauchen, Zuwendung sich mit ihnen verbinden etc. Zuwendung
ist dabei zunächst etwas Einfaches, wie in der Stufe des schlichten
Aufmerkens; aber mehrfache Zuwendungen, das heißt, mehrere spe-
zifische Akte, die dieses Leben haben, in denen das Ich sich richtet
etc., können sich verbinden, so dass das Ganze wieder den Charak-
15 ter einer Zuwendung höherer Stufe hat (ein Akt höherer Stufe mit
fundierter Zuwendung) etc. Das ist das Feld der Studien.
H i ns i c h t l i ch d e r G em üt sak t e wäre von vornherein auf Fol-
gendes hinzuweisen. Betrachte ich eine Landschaft mit Wohlgefallen,
so wird es, wenn es „lebhaft“ ist, merklich sein, aber darum nicht
20 notwendig selbst Zielpunkt einer Richtung-auf. Andererseits wird
man zu sagen versuchen, d a s W oh l g e f a ll en s el b s t hat R i ch tun g
a u f di e La n d s c ha f t und nicht nur das Betrachten. Ebenso im
ästhetischen Wohlgefallen an einem Bildobjekt. Wieder, e i n Wi l le
r ic h t e t si c h , ei n Wu ns c h r i c h t e t s i c h. Damit hängen freilich
25 schwierige Problem zusammen. Wir lassen jetzt offen, wie weit diese
Analogie trägt.1 Wir sprechen nun speziell vom „thematischen“ nur
beim theoretischen doxischen Sich-Richten-auf, nur bei der theoreti-
schen Zuwendung und den theoretischen doxischen Akten sagen wir
vorläufig, dass in denen solch thematische Richtung waltet.2
30 3) W oh l u n t er s c h i e d e n halten muss man die thematischen (ob-
jektivierenden) Akte im bisherigen Sinn von den Akten des „Interes-
ses“, die spezifischen Objekte des Vorstellens und Denkens von
O bj e kte n d e s t h eo r e t is c he n I nt e r e ss e s (interessanten Objek-
ten). Einheit des „Themas“ im engeren Sinn, z. B. in meiner theore-
und inaktuelles, und dazu jeder Akt, der ein solches Meinen zur Grundlage hat.
2 Bewusstsein in diesem engeren Sinn = patentes Bewusstsein; im engsten Sinn
patente Objektivation.
text nr. 4 49
teils wirklich intentionales oder latent intentional und wirklich intentional. Oder auch
„Bewusstsein“ ist latentes und patentes.
2 Intentionaler Charakter ist dagegen nicht „Intention“, könnte man sagen.
50 zur intentionalität der objektivation
Ein jedes intentionale Erlebnis „bezieht“ sich auf Gegenstände, und schon da könnte
man von „gerichtet“ sprechen; aber erst in der „Zuwendung-zu“ haben wir Richtung
im ausgezeichneten Sinn. „Thematisch gerichtet“ darf also nur jenes im eigentlichen
Sinn Gerichtetsein besagen und dabei nicht etwa das „mit Interesse gerichtet“. Diese
Einschränkung ist hier nicht in Frage.
2 Der Gegenstand selbst, wenn wir voraussetzen, dass er existiert.
text nr. 4 51
1 Die synthetischen Akte sind meinend, das Worüber meinend und in Betreff dessen
Meinen das ganze Spiel der synthetischen Akte verstehen, mit dem
ihm einwohnenden Aufmerken; alles darin ist Gemeintes, was eben
nicht besagt, Gemeintes als Subjekt oder Objekt einer Synthese, einer
synthetischen Gemeintheit.
1 Husserl bezieht sich hier und an anderen Stellen auf den Text eines nicht mehr
im Nachlass vorhandenen Blattes. Die folgenden Ausführungen (bis zum Ende von
§ 4) sollten diesen Text wohl ersetzen (vgl. dazu die Textbeschreibung in Husserliana
XLIII/4, S. 56). – Anm. der Hrsg.
2 Das war aber oben ausdrücklich ausgeschaltet, also nicht übersehen.
54 zur intentionalität der objektivation
Im Bisherigen war das bloße Aufmerken, oder sagen wir lieber das
schlichte Zuwenden, Erfassen eines Gegenstandes und das schlichte
ihn Betrachten, ihn wahrnehmend oder erinnernd „Durchlaufen“
und dgl. unter den Titel des thematischen Meinens befasst, ebenso
5 wie die höheren „thematischen“ Akte, die logischen Akte, Subjekt-
setzung, daraufhin Prädikatsetzung etc.
Hier versuche ich aber eine Trennung, die sicher berechtigt ist,
obschon das Problem im Auge behalten werden muss, ein Haupt-
problem für das Verständnis der Konstitution des Bewusstseins über-
10 haupt: das Problem, zu entscheiden, ob das schlichte Erfassen, Auf-
etwas-bevorzugend-Merken, Es-„aufmerksam-Betrachten“ (Expli-
zieren) und andererseits das Vollziehen prädikativer Synthesen nicht
sich zueinander verhalten wie niedere und höhere Stufe, und zwar
innerhalb einer gattungsmäßigen Einheit.1
15 Jedenfalls berechtigt ist aber die Sonderung und Gegenüberstel-
lung, die wir jetzt vollziehen, nämlich zwischen einerseits dem p as -
s i v e n, a uf n e h m e nde n , en tn ehm en d en B e tr a ch te n – wir sind
rezeptiv, Vorgegebenes nehmen wir nur hin, wir setzen nichts, wir
betätigen uns nicht in schöpferischer Weise etc.2 – und andererseits,
20 wir vollziehen schöpferisches Tun, wir nehmen nicht hin, was uns
auffällt, sondern wir setzen in Beziehung, wir beziehen auf Subjekte
Prädikate, wir vergleichen und unterscheiden etc. Im einen Fall ha-
ben wir ein Feld der Rezeptivität in dem Explikationssubstrat; aber
eigentlich haben wir kein Thema, weil wir keine These vollziehen. Die
25 eigentliche Thesis liegt erst im Gebiet der schöpferischen Akte vor, als
Subjektsetzung (Untersetzung), als Daraufhinsetzung, als Vorausset-
zung und Folgesetzung usw. Insofern können wir hier von eigentlich
thematischen Akten (oder thetischen Akten) sprechen,3 natürlich
auch von syn-thetischen, und es ist klar, dass das ko nt i nu i e r l ic he
30 E i nh e its b e wu s s ts e i n, das vorliegt, wenn wir explizierend in purer
passiver Betrachtung einen Gegenstand durchlaufend einen Teil auf
1 Aber cf., gerade was unten als „rezeptiv“ charakterisiert ist, das ist doch das bloße
Aufmerken.
2 Ist das ganz korrekt? Ist das Erfassen, Betrachten nicht eine andere Stufe der
Festhaltungen?
56 zur intentionalität der objektivation
dem Grund des Ganzen, das sich just aufgedrängt hat, aufnehmen,
keine Syn-thesis ist, kein Setzen und kein das Gesetzte Zusam-
menfassen und zu einer höheren Einheit eines Synthemas Bringen.
Also sprechen wir besser in der explikativen Sphäre nicht von Syn-
5 these.
Also b ess er al s „ t hem at i sc h e “ sagen wir the t i sch e un d
sy n t het i sc he Ak t e. Die synthetischen Akte setzen thetische vor-
aus. Die prädikativen Akte setzen nominale, adjektivische Setzung
voraus, und bei „eigentlichem“ Vollzug dieser Akte (was das ist, ist
10 hier noch nicht untersucht) setzen diese Thesen „Entnehmungen“
voraus. Die logischen (theoretisch-synthetischen) Akte bauen sich
dann auf auf Akten einer „Schicht der Sinnlichkeit“, auf schlicht
erfassenden, explizierenden (entnehmenden); oder sollen wir sagen
auf „bloß aufmerkenden“ Akten? Gehört ein prägnanter Sinn
15 von „Aufmerksamkeit“ zu dieser Schicht? Doch wohl nicht. Denn:
Die logischen Akte, die beziehenden Synthesen konstituieren n e ue
G e g e ns t ä nd li c hke i t e n , a uf w el ch e sic h, na ch de m s i e ko n -
s t i t ui e rt s i nd , wi e de r e i n auf m erk en d er , sc hl i ch t er fa s s en -
d e r , b e t r a c h t e nd e r Bl ic k l en ke n l äss t. Und nun sind neue the-
20 tische und synthetische Akte möglich; die Synthemen, die sich in ers-
ter Stufe schöpferisch konstituiert haben, werden zu Gegenständen-
worüber in neuen Synthesen usw.
Man kann sehr wohl die l og i s c h e n A kt e, die s ynt h et is c he n,
a l s d i e i m e i g e nt l i c he n S i n n o bj e k t i v i er e nd en bezeichnen,
25 sofern erst in ihnen Gegenstände-worüber als Subjekte von Bestim-
mungen bewusst werden. Aber was heißt denn im „eigentlichen
Sinn“? Doch nichts anderes als „theoretisch“, logisch objektivierend,
gegenüber bloß doxischen Akten der unteren Stufe, bloßer Erfah-
rung, bloßer Sinnlichkeit. In gewissem Sinn wird es auch sicher gesagt
30 werden müssen, wie ich es ursprünglich sagte, dass alle thematischen
Akte der schöpferischen Stufe, alle „produktiven“, „synthetischen“,
zu r ü ck w e i s e n a uf A k t e , de n e n d i e „ Ge g e n s t ä nde “ e nt -
n o m me n , i n d e ne n d i e Ge g e ns t ä nd e „ ur s pr ü ng l i c h g e g e-
ben “, v o r ge g e be n, passiv gegeben sind, während die thematischen
35 Akte durch ihre synthetischen Funktionen Gegenstände schöpferisch
„erzeugen“ (produktive Gegebenheit). Oder auch so: Die eigentlich
theoretischen Akte (die produktiven, die Verstandesakte) mögen zu-
nächst zurückweisen auf v or g e g e be n e Ge g e ns t ä nd e, die selbst
text nr. 4 57
klar: Es wird etwas erfasst, und zwar im prägnanten Sinn, derart, dass
erst ein spontaner Akt vorausgegangen sein muss, der die Materie
des Erfassens vorbereitet und herstellt. Erst muss die Urteilssynthese
hergestellt sein, damit ein erfassender Blick sich dem Sachverhalt zu-
5 wenden und ihn zum eigentlich erfassten Gegenstand machen kann.1
Für jedes (natürlich eigentliche) Erfassen gilt, dass ein Bewusstsein
möglich ist, dass die volle Materie in gewisser Weise schon enthält,
derart, dass wir sagen müssen, der Gegenstand sei schon bewusst,
aber er sei noch nicht Gegenstand der Erfassung, der Zuwendung.
10 Dazu bedarf es eben erst des Rezipierens, des Erfassens, Aufneh-
mens, was eine gewisse Modifikation jenes Bewusstseins – das im
eigentlichen Sinn nicht bewusst macht, erfasst macht – mit sich führt.
Dieses Bewusstsein ist einmal ein spontanes, in gewissem Sinn von
Licht durchleuchtet (Spontaneität ist immer hell), und das andere Mal
15 nicht spontan. Oder das originäre Konstituieren vor der Zuwendung,
das e i g e nt l i c h g e b e nde, zeigt diesen kardinalen Unterschied der
ursprünglich passiven Vorgegebenheit und der spontanen Erzeugung
und Erzeugtheit.
Dieser Wesensunterschied in der Art der Gegebenheit der s i nn -
20 l i c h g e b e n d e n und s y nt h e t i s c h ge ben de n Akt e setzt sich dann
fort, hat dann seine Abwandlungen und führt zur allgemeineren
Unterscheidung zwischen s i n n l i ch e n A kt e n und sy n th e ti sc hen
( s pe z if isc h l o g i s c he n ) A k t e n. Es gibt gewisse Abwandlungen,
Modifikationen, die zu allen Akten unter Erhaltung ihres gattungs-
25 mäßigen Wesens gehören: so die Unterschiede der Klarheit und
Verworrenheit und dgl., und die finden wir also in gleicher Weise
bei den sinnlichen Konstitutionen und sinnlich erfassenden Akten
und bei den synthetischen Konstitutionen (den Urteilsakten etc.)
und den synthetisch fundierten, erfassenden Akten. Der Unterschied
30 liegt dabei originär durchaus in dem Zuwendungsgehalt, also in der
„Gegenstandskonstitution“.
Man kann also, wenn man von der Erfassung, Zuwendung ab-
sieht, gegenüberstellen: sozusagen u r s pr üng l i ch to te s , b l i n de s
Be w uss t s e in , s i nn l i ch e s (vor der Zuwendung), und s y nt he ti -
1 Die aktuelle Synthese ist notwendig, damit der Sachverhalt gegeben sein kann bzw.
1 Was besagt aber das „ursprünglich“? Ist das anderes, als was auf voriger Seite =
sung darbietet ein Was der Erfassung. – Aber das darf nicht „gebend“ heißen!
60 zur intentionalität der objektivation
in ihr bewegen, wobei von der Unterschicht nur das Momente der
Oberschicht in „dienender“ Weise speziell Fundierende in Betracht
kommt; endlich kann auch die Betrachtung in der Einheit einer unge-
schiedenen Erfassung des ästhetisch-axiologisch einheitlich erfassten
5 Objekts vom einen in das andere wahllos übergehen.
Ich betrachte zum Beispiel eine Blume. Ich kann einmal erfassend
das Naturobjekt erfassen und mich in der Einheit dieses natürlichen
Seins bewegen, oder ich kann das „schöne“ Objekt, die schöne Blume
(in ihrer Schönheit) betrachten und erfassend und betrachtend in
10 die Einheit eintreten, die das „wertende Bewusstsein“ herstellt und
die in dem bloßen ästhetischen Objekt (der Natur) und gewissen
Seiten desselben gegründet ist. Ich betrachte das schöne Objekt in
seiner Schönheit: Ich erfasse und betrachte seine „Schönheiten“,
seine Gefälligkeiten: die schöne Form, die schöne Farbe, den schönen
15 Duft usw. Ich bewege mich „rein in der Oberschicht“; die Formbe-
trachtung etc. ist hier dienend für die Erfassung des Schönen und
erfolgt nur soweit, als sie „dazu nötig“ ist. Es kann die „Einstellung“
von vornherein die Unterschicht herausnehmen und sie allein bevor-
zugen; so wenn der Naturforscher das Ding betrachtet, er „sieht“
20 nur das Naturobjekt. Es kann die Einstellung von vornherein auf
das axiologische Objekt gehen, so wenn der ästhetische Betrachter
(im gewöhnlichen Wortsinn: der schönheitsfreudige Betrachter, der
Blumenfreund) die Blume betrachtet. Es kann aber sein, dass keine
solche Bevorzugung statthat; das Objekt schlechthin lenkt den Blick
25 auf sich und im Lauf der einheitlichen Betrachtung kommt bald
Naturhaftes, bald Axiologisches zur Geltung.
De r N a t u r g e ge n s t an d u nd de r a x i ol og i s c he d ur chdr i n-
g en s ich. Beide sind selbständig und durchdringen sich eigentümlich.
Der Naturgegenstand ist völlig selbständig. Was das axiologische Be-
30 wusstsein heranbringt zum Naturgegenstand, der mindestens nach
gewissen seiner Seiten (die aber doch das Ganze fordern) die axio-
logischen Momente fundiert, das ist eine unselbständige Schicht (on-
tisch wie phansisch). Charakteristisch ist die wesentlich verschiedene
Art, wie die ästhetisch-natürlichen Merkmale im oder am Objekt
35 sind und wie die axiologischen; die einen gehören zum Wesen des
Naturgegenstandes, die anderen zu dem des axiologischen Gegen-
standes. Also die axiologischen Merkmale sind dem Naturgegen-
stand „außerwesentlich“, sie kommen ihm zu, aber nicht als sein
text nr. 4 61
1 Man könnte sagen, das geht doch nicht, da ja die innere Sinnlichkeit mit hierher
gehört. – Überlegen.
62 zur intentionalität der objektivation
1 Dabei ist zu bemerken, dass es sich teils um Formen handelt, die unabhängig sind
von den modalen Unterschieden des thematischen Denkens, teils um die modalen Un-
terschiede selbst, entsprechend der Unterscheidung im Thema zwischen thematischem
Inhalt und thematischer Qualität. Dies entspricht aber einigermaßen dem Unterschied
der Urteilsformen (Gewissheit) und dem der durch die übrigen modalen Unterschiede
hereinkommenden Formen; was sich erklären würde, wenn Gewissheit die einzige
aktuelle theoretische Qualität wäre, die nicht fundiert ist.
text nr. 4 63
nennen.
2 Es gibt aber noch verschiedene Bedeutungen von Vordergrund: 1) Vordergrund
kann dasjenige heißen, worauf wir achten. 2) Vordergrund kann in einem anderen
Sinn verstanden werden, in dem wir komplexe Phänomene haben und nun auf einen
komplexen Gehalt derselben hinsehen, ihn im Vordergrund haben im vorigen Sinn.
Aber die aus ihnen zu entnehmenden Gegenständlichkeiten sind uns in besonderer
Weise zur Hand.
64 zur intentionalität der objektivation
1 Dann müsste ich aber auch sagen: In der äußeren Wahrnehmung sind die Empfin-
dungsinhalte nicht bemerkt, aber merklich. Und es ist das Fiktum des Bildes merklich
nur, aber nicht thematisches Objekt?
2 Und ebenso auf die dem thematischen Meinen entsprechende Sachverhaltsgegen-
matischen Akten kann allenfalls dergleichen gesagt werden. Es steht schon ein Ob-
jekt da und darauf bezieht sich eine Prädikatsetzung und wieder eine Setzung von
Erwünschtsein.
4 Oder das Erlebnis ist selbst ein Entnehmen oder ein Einen-Gegenstand-Setzen.
text nr. 4 65
Beilage IV
Psychische Akte gegenüber psychischen
20 Zuständen. Meinen und Objektivieren. Der Satz
von der Vorstellungsgrundlage und die Frage
nach einem einheitlichen Vorstellungsbegriff1
was die anderen in bloß impliziter und verworrener Weise tun, kommen
wir auf letzte anschauende Akte, und das sind die sinnlichen Akte, und
zwar die empirisch-sinnlichen (physisch-sinnlichen). Versteht man aber unter
objektivierenden Akten die wirklich objektivierenden, die Verstandesakte
5 (die synthetisch erkennenden und begreifenden), so ist natürlich keine Rede
davon, dass jeder meinende Akt (jedes intentionale Erlebnis) notwendig
einen objektivierenden Akt zur Grundlage haben muss.
Beilage V
Lebendigkeit und ihre Grade beim Wünschen
10 und beim Urteilen. Lebendigkeit besagt
nicht Evidenz und setzt sie nicht voraus1
Wie ist es beim Prädizieren? Ich kann einen Satz aussagen und dabei
wirklich urteilen; aber doch ist das Urteil in gewisser Weise unwirklich,
nämlich u n leb e n di g. I ch ha b e k e i n e „ l e be n d ige “ Ü b er z eu gu n g.
D a s U r te il k an n m i t grö ß er e r o d er ge r ing ere r L eb en d i gk eit d er
5 Ü b er z eu g un g v o llz og e n sei n.1 Diese Lebendigkeit besagt nicht Evidenz,
und Grade der Lebendigkeit besagt hier nicht und noch weniger Grade der
Wahrscheinlichkeit. Ein reproduzierter Satz, der im Denken benutzt wird,
drückt ein „Urteil“ aus, aber im Allgemeinen ein „unlebendiges“. (Man
würde es passend auch uneigentliches nennen.) Machen wir uns den Sinn
10 des Satzes deutlich, aber darum noch nicht klar und gar evident, so wird
nun vielleicht das Urteil lebendig werden, und die Lebendigkeit nimmt wohl
insbesonders zu, wenn die oder jene Urteilsmotive ins Bewusstsein treten,
ohne darum in ihrer Klarheit und Beweiskraft gegenwärtig zu sein. Aber
mehr kommt es wohl an auf die deutliche Explikation des Sinnes und die
15 Eigentlichkeit, mit der die Urteilsmeinung den Gliederungen des Sinnes
gemäß vollzogen ist, gegenüber dem vagen, verflossenen Urteilen, wo die
Einheit des Sinnes eine vage Art der Bewusstheit hat und damit auch das
Urteil keine wahre Gliederung, eben keine Deutlichkeit, und dies gibt auch
dem allgemeinen belief-Charakter einen anderen Habitus. Natürlich handelt
20 es sich also auch nicht um begleitende Gefühlscharaktere, nicht darum, ob
für mich dieser Glaube Herzenssache ist oder nicht und dgl.
Soll man nicht sagen, es handle sich um den Unterschied der Deutlichkeit
und Verworrenheit? Es wäre aber dabei zu sagen, dass nicht etwa dasselbe
Urteil (phänomenologisch identisch genommen) im Übergang zur Deutlich-
25 keit sich nur entfalte, seine immanenten Teile zeige, so wie wir, wenn wir
einem von fern undeutlich gesehenen Gegenstand näher treten, bei Identität
des Gegenstandes der Teile besser sichtlich werden.
Dasselbe Urteil ist dasselbe, sofern in der Einheit der Identifizierung eine
Deckung nach dem Gemeinten eintritt (und sofern gemeinsames „intentio-
30 nales Wesen“ besteht), aber die Phänomene sind verschieden. Hier könnte
man sagen: Korrelativ, was das Geurteilte, den Seinsverhalt anbelangt, tritt
uns derselbe Seinsverhalt oder Sachverhalt gewissermaßen näher, er wird
deutlicher und andererseits verworrener. Also n ich t d as U r te i le n s e lbs t,
sondern d as G e u rt ei lt e hat die Unterschiede der Deutlichkeit und Un-
35 deutlichkeit, mit der es zum Urteilsbewusstsein kommt.
1 Etwas anderes ist die Lebhaftigkeit, die Intensität der „Überzeugung“ als mehr
Beilage VI
Notiz über Stellungnahme und ihr Moment der
10 Aktivität einerseits und über Momente der Passivität
und Aktivität in der Wahrnehmung andererseits1
ruht auf „S ist p“, schrittweise, wie es sich dabei aufbaut, oder auf
„S ist p und dasselbe ist auch q“, oder „S, welches p ist, ist auch
q und dasselbe S p, welches q ist, ist einerlei mit M, welches n ist“
usw.
5 Was heißt das: Der „thematische Blick ist gerichtet“ auf diesen
„Inhalt“? Der Blick ist der Blick, der eben zum Wesen des thema-
tischen Meinens gehört, und ist der Blick des „Aufmerkens-auf“ (in
dem einen Sinn). Wohl gemerkt, es ist d iese s G er ic ht e ts e in d es
t he m at i sc h en Bl i ck s n ic ht ei n Wah rn eh m e n i m ge w öh nl i-
10 c he n S in n, das ist ein Zum-Gegenstand-worüber-Machen, zu einem
identisch Einheitlichen, das Subjekt thematischer Meinung ist.1 Z u m
t h e ma t i s c hen G emei nt e n g eh ö rt e s, da ss es i m m e r ei n
S ubj ek t wo rü ber „ hat “, und eventuell wie in den Beispielen geht
das thematische Meinen (der Blick) darauf, dass ein so und so Ge-
15 meintes dasselbe ist wie ein anderes Gemeintes, aber der thematische
Blick, das thematische Gerichtetsein geht eben auf das so Gemeinte
und auf „dasselbe“, kurzum darauf, dass dieses S p dasselbe ist wie
das M n und dgl. Und dieser thematische Inhalt ist in der Weise
der Gewissheit thematisch bewusst. In der Vermutung kann genau
20 derselbe „thematische Inhalt“, der in ihr genau ebenso Inhalt ist,
genauso im thematischen Blick bewusst, in der Weise des Vermutens
bewusst sein.
Wieder sind wir ebenso thematisch auf dasselbe, auf denselben
Inhalt gerichtet in der „entsprechenden“ Frage, im entsprechenden
25 Zweifel,2 während die „Weise“ des Gerichtetseins, die Weise des
Bewussthabens die des Fragens, des Zweifelns ist. Die Weise des
Bewussthabens affiziert in gewisser Art den thematischen Inhalt. Er
ist in verschiedener Weise charakterisiert, und diese verschiedene
Charakterisierung fällt nicht selbst in den thematischen Blick, sie
30 gehört nicht selbst zum Thema. Das thematische Bewusstsein mit
seinen verschiedenen Modi, seinen verschiedenen „Qualitäten“ hat
etwas zum Thema, aber Qualität ist nicht selbst Thema der Quali-
tät.3
sein, wo der Blick auf das Thema gerichtet ist, ist der thematische
Inhalt in gewisser Weise charakterisiert: „S ist p!“, „Dieses Papier ist
weiß!“ Wir können sagen, das ist der Charakter der Gewissheit, der
am thematischen Inhalt haftet, ohne dass er aber zum thematischen
5 Inhalt gehört. Machen wir aber aus dem thematischen Inhalt ein
nominales Thema, so wird (nicht der Sachverhalt „S ist p“, aber) der
thematische Inhalt zum Objekt, das Thema erhält nun das Prädikat
der Gewissheit. Also wäre es doch ganz unbedenklich und korrekt.
Woher kam mein Bedenken?
10 Nun, man darf nicht verwechseln das Bewusstsein der Gewissheit
und die Gewissheit selbst, die da als Prädikat fungiert. Man könnte
nämlich denken: Das Urteilsbewusstsein ist eben das Phänomen „S ist
p!“, und scheide ich dabei das Thema und die Qualität, so scheide ich
phänomenologisch. Also wenn ich das Urteilsbewusstsein vollziehe
15 und dann reflektiv urteile „Dass S p ist, ist gewiss“, so sage ich damit
aus, dass der thematische Inhalt den Charakter der Gewissheit hat,
und das hat er natürlich, er steht eben so da. Aber das Urteil „Dass
S p ist, ist gewiss“ hat den Wert von „Dass S p ist, ist wahr“, und
dieses Urteil kann falsch sein, trotzdem es mir im Urteil „S ist p!“ so
20 „erschien“. Also phänomenologisch entspricht dem phänomenologi-
schen Moment „thematischer Inhalt“ der thematische Inhalt selbst,
und dem phänomenologischen Moment „Gewissheit“ die Gewissheit
selbst. Und ob dem Thema wahrheitsgemäß Gewissheit zukommt, das
ist nicht gesagt dadurch, dass gesagt wurde, es sei im Urteil das Thema
25 als gewiss charakterisiert (immer Thema = thematischer Inhalt). Und
das überträgt sich auf alle anderen Fälle.
Also in dieser Weise ist jedes thematische Bewusstsein thema-
tisch gerichtet, und das Thema hat einen „Charakter“, und jedes
lässt sich überführen in ein Gewissheitsbewusstsein, in welchem das
30 Thema (der thematische Inhalt) zum Gegenstand-worüber geworden
ist in einem nominalen Eigenthema und in welchem der Charak-
ter objektiviert, d. i. durch ein entsprechendes Prädikatthema, einen
eigentümlichen Qualitätsbegriff, vertreten ist. E s e r wa c hs e n s o
d i e m o da l en Be g ri f f e a ls K or r e l a t e d e r Ur t e i l s qu a l i t ä t e n
35 und als Prädikate von thematischen Inhalten. Als Prädikate treten
sie dann (durch die modalen Prädikatbegriffe) selbst in thematische
Inhalte ein („zweifelhaft“, „fraglich“, „möglich“, „wahrscheinlich“).
Selbstverständlich können aber d i e se thematischen Inhalte – wie
text nr. 5 75
alle – nicht nur solche von Gewissheiten, sondern auch solche von
Vermutungen, Zweifeln etc. werden.
Nun wären freilich noch die Wesensbeziehungen zwischen dem
unmodifizierten und dem modifizierten, nämlich in Prädikation über
5 Gewissheit verwandelten Urteil und so überall zwischen modifizierter
und unmodifizierter Vermutung etc. zu erörtern: die „Deckungs-
beziehungen“, die Vernunftbeziehungen (noetisch: Es ist evident,
dass die betreffenden Paare unmittelbar „gleichwertig“ sind) usw.
Es wäre dann noch zu erwägen d as blo ße Si c h- De nke n, der
10 stellungsfreie Akt. Hier können wir auch die Modifikation zu machen
versuchen: „S ist p“, dass S p ist, ist gedacht, ist ein „bloßer Gedanke“.
Aber näher besehen ist das kein objektives Prädikat von der Sorte
der modalen, wie dann das „Sich-Denken“ nicht Qualität ist in dem
Sinn wie Gewisssein etc. Man kann wohl sagen, es ist ein bloßes
15 Bewusstsein von einer qualitätslosen, modal unqualifizierten Materie,
d. h. ein Bewusstsein vom bloß thematischen Inhalt, nicht ein solches,
wo das Thema Objekt ist, sondern ein thematisches Bewusstsein mit
der thematischen „Richtung“ auf das qualitätslose, modal uncharak-
terisierte Thema.
20 Nun möchte man aber fragen: Wie verhält sich dieses Bewusstsein
als „Bewusstsein“ zu dem Gewissheitsbewusstsein, Wahrscheinlich-
keitsbewusstsein usw.? Das Gedankenbewusstsein heißt doch wohl
nicht Gedankenbewusstsein in demselben Sinn, wie das Wahrheits-
bewusstsein Wahrheitsbewusstsein, das Wahrscheinlichkeitsbewusst-
25 sein Wahrscheinlichkeitsbewusstsein heißt? Nämlich phänomenolo-
gisch ist die Sachlage prinzipiell eine ganz andere. Im stellungnehmen-
den Bewusstsein haben wir Richtung (thematische Richtung) auf das
Thema, und das Thema ist mit einem Charakter begabt. Dagegen im
bloßen Sich-Denken haben wir eine thematische Richtung, aber das
30 Thema hat keinen „Charakter“.1
Kann man aber sagen, dass im stellungnehmenden Bewusstsein ein
Komplex vorliege aus dem bloßen Sich-Denken und dem Moment der
Stellungnahme?2 Das wird nun von neuem überlegt werden müssen.3
1 Aber doch einen Quasi-Charakter, ich denke mir „S ist p“, „S ist vermutlich p“,
„Ist S p?“.
2 Natürlich nicht.
3 In den vorstehenden Blättern hatte ich ursprünglich den Begriff des Themas
gefasst im Sinn der bloßen Materie (ohne Qualifizierung) und dann durchgehend
76 zur intentionalität der objektivation
ausgebessert, nämlich Thema gefasst als das Ganze von Inhalt und Qualität (also
korrelativ zum intentionalen Wesen der Logischen Untersuchungen) und, wo früher
„Thema“ stand, geschrieben „thematischer Inhalt“. Es ist aber zu überlegen, ob es
nicht einen sehr guten Sinn hat, die bloße Materie als Thema zu bezeichnen (so dass ein
Urteil „S ist p“ und die entsprechende Vermutung und Frage dasselbe Thema hätten).
Doxischer Charakter = Aktcharakter der Objektivation, theoretische Qualität, und
zwar als wirkliche Stellungnahme verstanden.
1 Hier (bis 18 = S. 80,5–81,28) heißt Thema immer so viel wie u n q u alifi zierte
Materie (aber nicht phänomenologisch, als Korrelat der Materie der Logischen Un-
tersuchungen).
2 Das Wort „Schicht“ ist leicht irreführend, da es sich um Unselbständigkeiten
handelt.
text nr. 5 77
akt sagt zu viel. Vielleicht doch „Intention“.) Akt wäre also etwas
Unselbständiges.1 Der Akt der δξα hat sein Thema und setzt das
„bloße“ thematische Bewusstsein voraus, das ihm Richtung auf das
Thema gibt.2
5 Nun gibt es einfache Akte und zusammengesetzte, einschichtige
und fundierte. Die Frage ist, wie sich „Akt“ und Thema bei den
fundierten Akten verhalten. Sollen wir sagen, dass Akte überhaupt
Stellungnahmen zu Themen (in denen sich qualitative Themen, Ur-
teile etc. konstituieren) sind, dass aber die Richtung auf das Thema
10 bzw. die Stellungnahme zu ihm bald eine unmittelbare, bald eine
mittelbare sein kann?3
Zunächst machen auch die z u sam men ge set z ten Akt e ihre
Schwierigkeiten und die Art wie D en k ak te (doxische) in Denkak-
ten bzw. in „bloßen Vorstellungen“4 fundiert sein können. Wenn ich
15 vermute, dass der Kaiser nach Rom reisen wird, so enthält doch das
„Thema“-Bewusstsein der Vermutung bereits doxische Stellungnah-
men, und dasselbe Thema kann Thema einer Gewissheit, einer Frage
etc. sein. Wenn die thematische Reflexion das Thema zum Gegen-
stand macht, so gehört zum Thema da und dort ein „Setzungscharak-
20 ter“, der nur nicht prädikativ und begrifflich gefasst ist.
Nur das Thema, die Materie, der untersten, nicht fundierten Akte
ist charakterlos. Sowie sich ein höherer Akt, ein fundierter erbaut,
tritt in sein Thema der Charakter ein, der dem Thema der untersten
Stufe durch den Akt unterster Stufe erteilt ist. So haben die Themen
25 der synthetischen Denkakte positionale (doxische) Charaktere in
sich.5 Dabei sind die Themen selbst in verschiedener Stufe gebaut,
eben mit Rücksicht darauf, dass sie Charaktere enthalten, die ih-
rerseits einen thematischen Kern haben, der seinerseits wieder im
Thema positionale Charaktere und thematische Inhalte derselben
Stellungnahme gehört mit zu dem, worauf der „Blick“ des Aktes geht.
4 Das ist keine Fundierung durch Akte.
5 Nicht Rücksicht genommen ist da auf die Fundierung durch Gedanken, durch
Quasi-Akte, wo sich im Quasi dasselbe wiederholt. All das bedarf aber gründlicher
Erörterung. Es ist fundamental.
78 zur intentionalität der objektivation
enthält usw. Das ist ja in der Sphäre der Urteilsakte die Lehre von der
verschiedenstufigen Gliederung der apophantischen Bedeutungen.
Ich habe so viele Jahre geglaubt, dass das bloße Sich-Denken,
das bloße „Vorstellen“ eine Parallele sei des Urteilens (als Gewiss-
5 seins), derart, dass beide eine gemeinsame, aber abstrakte Schicht
haben des Themas („Materie“) und beiderseits eine verschiedene
„Qualität“.1 Aber da ergibt sich eben die Unzuträglichkeit, dass
die Vorstellungsqualität das Thema nicht qualifiziert und nicht für
Gegenständlichkeit konstitutiv ist, dass das Vorstellungsbewusstsein
10 kein Vernunftbewusstsein ist usw.
Ich habe ferner auch geglaubt, dass jedes Gemütsbewusstsein not-
wendig in einem „objektivierenden“ Bewusstsein fundiert ist; näm-
lich in Konsequenz davon, dass jedes Gemütsbewusstsein ein Thema
„hat“, also eine thematische Bewusstseinsschicht impliziert. Würden
15 wir uns dafür entscheiden, dass eine bloße thematische Schicht keine
„Vorstellungsqualität“ haben muss, keinerlei doxische Qualität oder
Quasi-Qualität, um als Unterschicht eines Gemütsbewussteins zu fun-
gieren, so wären auch Gemütsakte direkt auf ein Thema bezogen. So
das Gefallen an einem bloß Phantasierten oder Abgebildeten, einem
20 Schönheitswerten, das sich um Sein oder Nichtsein nicht kümmert.
Und das wird wieder richtig sein.
Was die versuchte Theorie hier besonders schwierig macht und
höchst bedenklich – nämlich die obige Theorie, welche wieder zu
B r e nt a no zurückmündend jedem Akt ein bloßes Sich-Denken zu-
25 grunde legen möchte –, ist, dass wir doch in der bloßen Phanta-
sie mannigfaltiges bloß Phantasiemäßiges zur Einheit bringen. Der
Zentaur in verschiedenen Erscheinungen steht als Einheit da und
synthetisch als identisches Subjekt der und jener Prädikate, in diesen
Prädikaten bezogen auf ein anderes Phantasieobjekt usw. Da haben
30 wir Gegenbilder von allen synthetischen Charakteren und Formen,
auch von den Charakteren.
Nun ist Phantasie und Sich-Denken nicht dasselbe, aber was wir
sagten, gilt doch ebenso vom Sich-bloß-Denken. Bilden sich da bloße
1 Dem ist nun Rechnung zu tragen dadurch, dass zu jeder stellungnehmenden Quali-
tät als „wirkliche“ Qualität gegenübergestellt wird eine Quasi-Qualität, jedem echten
„Akt“-bewusstsein ein Quasi-Bewusstsein. Und dann ist alles in Ordnung.
text nr. 5 79
Materien? Aber wenn das bloß „Vorgestellte“ zur Materie einer Ge-
wissheit werden sollte, so könnte nicht einfach eine Gewissheit sich
auf diese „Materie“ beziehen, sondern jeder Schritt dabei müsste in
bestimmter Weise, in der Art wie Gewissheit es erfordert, modifiziert
5 werden. Der Zentaur müsste als gewisses Sein, wahrhaftes Sein cha-
rakterisiert werden und ebenso das ihm zukommende Merkmal und
das Zukommen usw. Anstatt der Gewissheitscharakteristik könnten
auch da und dort neben den Gewissheitscharakteren Vermutungs-
charaktere, Zweifelscharaktere etc. auftreten.
10 Soll man sagen: So ist das Wesen des „Bewusstseins“, dass in
sich völlig stellungsfreie bloße Gedanken nicht in beliebiger Weise
stellungnehmende doxische Charaktere annehmen können, sondern
Gedanken sind entweder schlichte oder fundierte, und die Weise der
Fundierung schreibt dann die Art der aktuellen doxischen Charak-
15 terisierungen vor; die höherstufigen können nicht Charaktere haben,
ohne dass vorher die unterstufigen sie haben, und eine synthetisch
so und so geformte Materie kann Materie eines auf sie als Ganzes
bezogenen Charakters nur sein, wenn sie in sich schon Charakter
hat? Ein thematisches Bewusstsein ist also bloß thematisches nur
20 in Hinblick auf einen Akt, dem sie das ganze Thema gibt; anderer-
seits ist ein thematisches Bewusstsein, das synthetisch, also fundiert
ist, niemals ein bloß thematisches, das ist, es schließt als Kompo-
nente und Unterlage ein stellungnehmendes doxisches Bewusstsein
ein.1
25 In jedem doxischen Bewusstsein steht ein charakterisiertes Thema
da (es „erscheint“ in jedem Bewusstsein etwas), und dieses Thema ist
wieder fundiert und hat in der fundierenden thematischen Unterlage
wieder charakterisierte Themen usw.
1 Das ist unrichtig ausgedrückt! Im bloßen Sich-Denken haben wir nicht Charak-
terlosigkeit, sondern die Charaktere sind modifizierte, und bloße Gedanken nehmen
nicht Stellungscharakter an, sondern ihre Charaktere wandeln sich in der Art, die ihr
Wesen vorschreibt, in stellungnehmende um. Was aber die „Materien“ anlangt, so
sind sie in den betreffenden Stellungnahmen, deren Materien sie sind, in ihren unteren
Schichten auch mit Qualitäten ausgestattet, im Übrigen aber unselbständige Schichten
im gesamten Thema. Jede Materie, als Einheit genommen, ist ein Unselbständiges.
80 zur intentionalität der objektivation
5 Wie steht es nun mit dem G emü t s be wu sst sei n? Es ist entweder
auf ein pures Thema bezogen, das gar keine Charaktere enthält, oder
es enthält das Thema schon doxische Charaktere, oder es enthält auch
axiologische Charaktere. Wenn es solche Charaktere enthält, dann
kann dem Gemütsakt zugrunde liegen ein doxischer Akt, derart, dass
10 dessen ganzes Thema mit dem zugehörigen Charakter sozusagen als
Gemütsthema fungiert. So bei der Freude. Die Tatsache, dass S p ist,
ist erfreulich. Dem Akt der Freude liegt zugrunde das Urteil „S ist p“;
eventuell das Überwiegend-für-wahrscheinlich-Halten. Die gesamte
Materie des doxischen Aktes gehört zur Materie des Sich-Freuens.
15 Ich urteile: „S ist p“. Dass S p ist, ist das, was mir dabei gewiss ist.
Ich freue mich darüber, dass S p ist: Das Thema der Gewissheit geht
in das ein, dessen ich mich freue. Aber ich freue mich darüber, dass
S p ist, über die Tatsache. So mi t i st da s ni c ht bl oß Th em a d e s
Ur t e i l s , s o nde r n da s c h a r ak t eri si erte T he m a a ls „ T he m a “
20 de r F r e u de z u be z e ic h n e n ( a l s i h r t he m a ti sc he r I nh al t).
Folglich ist die ganze frühere Darstellung, wonach nur die doxi-
schen Akte als thematische bezeichnet werden (mit der Grundauffas-
sung, dass solche Akte allen Akten ein Thema geben), zu verwerfen.
„Th e ma“ bedeutet so viel wie da s Wa s d er St e ll un g na hm e,1 de s
25 „ A k te s “ i n de m n e u e n p r ä g n a n t e n S i nn (also beim Urteil nicht
das logische Urteil „S ist p!“, sondern den „Inhalt“ „S ist p“, beim
Wünschen nicht den Wunsch „S möge p sein!“, bei der Freude nicht
das Erfreutsein von S p, sondern – cf. folgende Seite – die Tatsache,
dass S p ist! usw.).
30 Jeder Akt ist Stellungnahme zu etwas, in jedem ist etwas bewusst
als etwas, zu dem Stellung genommen ist,2 das als so und so quali-
leitet immer wieder irre. Im Urteilen und ebenso in jedem schlichten intellektiven
Bewusstsein, nämlich in jedem, das kein Zustimmen ist oder Ablehnen, haben wir
kein Gegenüber von einem „Thema“, zu dem Stellung genommen wird, und dem
Stellungnehmen. Vielmehr haben wir nichts weiter als das Was des Bewusstseins, als
das „Urteil“, das Wahrscheinlichsein usw.
Im Grunde ist es nicht viel anders bei den fundierten Akten, Wünschen, Freuden
etc. Denn auch da steht einfach da der Wunsch, das Erwünschtsein, das Erfreulichsein
etc. Aber hier liegt die Sache so, dass das Was, das im Wunsch bewusst ist – das volle
und ganze Was, worauf wir wünschend gerichtet sind –, als Unterschicht ein volles
„logisches“ Urteil hat und überhaupt ein volles „Thema“ eines anderen Aktes, und
dieses erhält nun einen neuen „Charakter“ (neue Qualität).
82 zur intentionalität der objektivation
1 Revision. – In den Seitenbemerkungen der vorigen Blätter ist dem schon Rechnung
getragen.
2 Im Folgenden: Thema = qualifizierter thematischer Inhalt.
3 Oder es verwandelten sich die modifizierten Charaktere, die die gesamte Quali-
1 Das Thema in diesem ersten Sinn ist der „Satz“ im Sinn der Ideen.
2 Thematischer Inhalt ist der „Sinn“.
84 zur intentionalität der objektivation
1 Wenn wir von „erwünscht“ sprechen, so ist oft das Seinsollende gemeint.
86 zur intentionalität der objektivation
1 Nein!
2 Ob modale Abwandlungen des Urteils im engeren Sinn in Urteilsgedanken fundiert
sind. Die Ansicht wird aber später widerlegt, p. 24 = S. 90,24–92,16.
3 Das Gegenteil stellt sich als richtig heraus.
text nr. 5 87
möchte ich das nicht.1 Wir müssen ja auch überlegen, dass wieder eine
Vermutung, ein Für-Wahrscheinlich-Halten ins Schwanken kommen
und selbst wieder vermutlich werden kann, sofern ja das entspre-
chende Wahrscheinlichkeitsurteil „Es ist wahrscheinlich, dass …“
5 aus Gewissheit in bloße Vermutung übergehen kann usw. Überlegen
wir näher. 2
das zunächst noch ruhen und überlegen wir, wie dieses „Wesen“ des
In-Bezug-Stehens sich zu der übrigen „Materie“ verhält. Es handelt
sich um etwas in Relation zu diesem Übrigen Unselbständiges.
„S und Q stehen in der Beziehung φ.“ Vom phänomenologischen
5 Standpunkt aus sagen wir: Der Stellungscharakter der Gewissheit
ist fundiert mitsamt seinem unmittelbaren Inhalt in den Akten „S“
und „Q“ bzw. in dem konjunktiv stellungnehmenden Akt „S und
Q“. Oder: In der Weise der Gewissheit gesetzt ist das In-Bezug-
Stehen als dasjenige der schon als seiend gesetzten S und Q und ihrer
10 Konjunktion. Und so ist auch im Thema der Gewissheitscharakter des
ganzen Themas fundiert in den Gewissheitscharakteren der Glieder;
und eben dasselbe hat zu gelten von dem Vermutlichkeitscharakter
und Fraglichkeitscharakter.
Der entsprechende bloße Gedanke lautet: „S und Q stehen in der
15 Beziehung φ“, wobei das S und Q im bloßen Denken in der Weise
von „nominalen Setzungen“, und zwar von Gewissheitssetzungen
enthalten sind, so dass das bloße Sich-Denken seine Unterlage hat
in gewissen „unmodifizierten“ Stellungnahmen. Und das ist wie-
der thematisch (noematisch) zu interpretieren, ebenso wie noetisch
20 (phansisch).
Vergleichen wir die parallelen Akte (die vollen intentionalen Er-
lebnisse) bzw. die parallelen Themata, so können wir ein gemeinsames
Wesen herausheben, und dieses Wesen enthält, was die Themata
anlangt, die wirklichen, unmodifizierten Themata S und Q, also nicht
25 etwa die subjektiven Erlebnisse, sondern die Sätze, die, wie ich sa-
gen würde, von vornherein ideale Einheiten sind und als solche in
allgemeine Wesen eintreten können. Denn das Wesen, das wir hier
bilden, ist ein allgemeines, das, was im idealen Gegenstand, genannt
Thema, beiderseits zu finden ist. Deutlicher gesprochen: Einmal in
30 dem „logischen Urteil“ und das andere Mal im „logischen Gedan-
ken“, das dritte Mal in der logischen Vermutlichkeit (Wahrschein-
lichkeitssatz) usw.
Andererseits, von den intentionalen Erlebnissen sagen wir, dass
sie das Allgemein-Wesentliche eigentümlich haben. Mehrere Urteils-
35 erlebnisse können wesentliche Gemeinsamkeiten haben, sofern sie
dasselbe „Urteil“ urteilen, also identisch dasselbe Thema haben.
Mehrere intentionale Erlebnisse können das gemein haben, dass sie
so fundierte sind, dass hinsichtlich der fundierenden Akte diese Iden-
text nr. 5 89
als „Es ist wirklich so, in der Tat so“. Und im Fall der Verwerfung,
des Nichtigkeitsbewusstseins: Ein gedachtes Sein wird gesetzt in der
Weise des „nicht so“.
Aber man kann dieser Auffassung Folgendes e nt ge g e ns et z en:
5 In der Erwägung vermittelt ein gedachtes Sein; aber sollte eine
schlichte Seinsanmutung nicht genauso einfach sein wie ein schlichter
Glaube? Bei der Vermutung haben wir freilich oft – als Bewusst-
sein nämlich verstanden von überragender Wahrscheinlichkeit – eine
Komplikation. „S ist p“ steht in der Weise passiver Anmutung da,
10 zugleich spricht allerlei dagegen, es ist durch negative Anmutungen
charakterisiert, und eine Entscheidung geht als Bewusstsein des Vor-
zugs auf die eine Seite. Aber sollte da noch eine weitere Kompli-
kation durch Unterlegung von Gedanken statthaben? Das ist doch
nicht (oder ich vermag es jetzt nicht) durch Analyse zu konstatieren.
15 Natürlich kann man auch sagen, der Gedanke „dass S p ist“ ist frag-
lich, dafür spricht etwas, er ist wahrscheinlich. Aber besagt das Wort
„Gedanke“ hier das, worauf es ankommt, und nicht vielleicht eben
das, was wir thematischen Inhalt nennen? Oder das Bewusstsein von
diesem Inhalt, der ja nach jeder Auffassung eine Komponente ist des
20 betreffenden intentionalen Erlebnisses? Also hier finde ich ke in e
e nt s c h e i d e nd e n Mo t i v e , di e S t e l l u n gna h me d er L og is c hen
U n t e rs uc h u n ge n z u v er ä nde r n. Aber die früher, auf p. 212 = S.
86,11–87,6 vorgebrachten Motive für eine solche Fundierung sind
durch das nicht berührt worden! Und einen Unterschied nicht sehen,
25 ihn nicht konstatieren können, heißt nicht, dass er nicht da und bei
besserer Analyse schließlich zu konstatieren sei.
Wie klärt sich die Äquivalenz auf zwischen „Vermutlich ist S p“
(„Dass S p ist, ist vermutlich“) und „Vermutlich ist, dass S p ist,
wahr“? Ginge die Vermutung auf den gedachten Sachverhalt, so
30 hätten wir die Quasi-Wahrheit „S ist p“ vor Augen, etwa so, dass
S als Wirklichkeit unmodifiziert dasteht und dieses in Wirklichkeits-
weise bewusste S „gedacht“ wäre als p, nämlich darauf eine Quasi-
Setzung „ist p“ gegründet wäre. Auf dieses gedachte „Wirklichsein“,
„Wirklichsosein“ richtet sich nun die Vermutung. „Vermutlich ist es
35 so“ und „Vermutlich ist es wirklich so“ ist ein und dasselbe. Sach-
lich dann. Ein Unterschied besteht darin, dass einmal der schlichte
Gedanke (das schlichte Quasi-Urteil) „S ist p“ vollzogen ist, das
andere Mal der Reflexionsgedanke „S ist wirklich p“, und beide sind
92 zur intentionalität der objektivation
Inhalt ist nicht äquivalent mit dem anderen Inhalt: Für Inhalte gibt es
keine Äquivalenz. Äquivalenz sagt Gleichwertigkeit in der Wahrheit;
wenn das eine wahr ist, so ist das andere wahr. Wenn das eine
besteht, ist, so ist das andere, in Bezug auf Sosein und Sein. Der
5 Inhalt als Gegenstand ist aber immer, was er ist.
Man könnte auch Folgendes überlegen: Ich stelle mir bloß vor,
dass S p ist. Ich urteile nicht. Von dem so Vorgestellten sage ich dann
aus, dass es wahrscheinlich ist. In der Vermutung liegt diese bloße
Vorstellung zugrunde, das Vorgestellte hat den Charakter vermutlich,
10 wahrscheinlich, aber ich prädiziere nur nicht. Was ist das für ein bloßes
Vorstellen? Wenn ich prädiziere „Dass S p ist, ist wahrscheinlich“,
setze ich den „nominal vorgestellten“ Sachverhalt nicht als wahren,
nicht als Tatsache, Sachbestand. Aber es ist in diesem kategorischen
Urteil an Subjektstelle doch etwas gesetzt. Dies, dass S p ist, dieser
15 „Sachverhalt“ – ich setze ihn, aber nicht besteht das Setzen in der
Setzung der Tatsächlichkeit, sondern in der Subjektsetzung für die
jetzige Wahrheit, und in dieser ist gesetzt der bloße unqualifizierte
Sachverhalt. Aber kann ich diese Setzung vollziehen, ohne zunächst
„S ist p“ vorzustellen (vor der nominalen Umwendung), und ist dieses
20 Vorstellen nicht ein Sich-Denken?
Ein Sachverhalt ist entweder wirklich gegeben bzw., wenn nicht
das, in Wahrheitsweise gesetzt (vollzogenes Urteil), oder er ist im
Denkbewusstsein quasi-vollzogen. Anders kann ich ihn nicht zur
Verfügung haben; er ist entweder Urteilsinhalt oder er ist Inhalt einer
25 bloß „propositionalen“ Vorstellung. Nichts anderes als dieser Inhalt
kann doch das Subjekt des prädikativen Wahrscheinlichkeitsurteil
sein; ich kann ihn hier nicht aus einem wirklichen Urteil entnehmen,
also muss ich ihn aus einem modifizierten, aus einem bloßen Sich-
Denken entnehmen.
30 Nun wird man aber sagen: Ist das nicht-prädikative, schlichte
Wahrscheinlichkeitsbewusstsein eine unmittelbare Verbindung von
diesem Inhalt und der „Qualität“ „wahrscheinlich“, dann kann ich
ihn ja aus dem Wahrscheinlichkeitsbewusstsein selbst entnehmen.
Freilich, die sprachliche Bildung des Ausdrucks für das Wahrschein-
35 lichkeitsbewusstsein ist entweder prädikativ „Dass S p ist, ist wahr-
scheinlich“ oder „S ist wahrscheinlicherweise p“, „S dürfte p sein“,
wobei es zweifelhaft ist, ob Prädikation zugrunde liegt. Jedenfalls ist
der Ausdruck der versuchten Auffassung nicht günstig.
94 zur intentionalität der objektivation
Es ist angedeutet, dass „S ist p“ (bzw. das „ist p“) „vorstellig ist“
und darauf sich die formale Fassung des „wahrscheinlich“ gründet,
als Charakter. Spricht aber nicht die Vergegenwärtigung der Bewusst-
seinslage für die durch den sprachlichen Ausdruck ohnehin nahe ge-
5 legte Auffassung? Das Wetter dürfte trüb bleiben. Es wird vermutlich
so bleiben. Das „Es wird bleiben“ ist doch ein bloßes Sich-Denken
und darauf gegründet das Vermuten, und objektiv: Die prädikativ
gefasste Sachlichkeit, der prädikative Sachverhalt ist in gedanklicher
Weise bewusst, und den gedachten Sachverhalt finde ich als Träger
10 des auf ihn bezogenen „wahrscheinlich“ oder „vermutlich“.
Sowie man aber geneigt ist, die Frage für entschieden zu halten,
wird man wieder auf die Gegenseite hinübergeführt durch die Ant-
wort: Wenn ich den bloßen Gedanken bilde, so ist jede „Qualität“ ins
Gedankenhafte hinübergeführt (von einzelnen ausgenommen). Was
15 ist es mit diesen gedankenhaften Modifikationen der Qualitäten?
Sind sie mit da, neben der Vermutungsqualität? Ist nicht vielmehr die
Sache so, dass im bloßen Sich-Denken die betreffenden Qualitäten
in Modifikation bewusst sind (wie wenn ich mir denke, dass es jetzt
schneit), während, wenn ich vermute, an ihrer Stelle Vermutungs-
20 modifikationen sind? Dann wäre die Sache so, dass jeder logischen
Form entspricht ein Vollzug im Charakter „wahr“ und ein Vollzug im
Charakter „wahrscheinlich“; wir hätten überall dieselben Synthesen
und Syntaxen, alles genau gleich. Es wären alle Akte genau dieselben,
nur in einer gewissen Charakteränderung, bzw. in den Korrelaten
25 hätten wir alles gleich, nur die Qualitäten verschieden: Das Gleiche
wären die „Materien“, die Abstrakta sind.
Demgemäß würden die prädikativen Formen „Dass S p ist, ist
wahrscheinlich“, „Dass S p ist, ist fraglich“, ebenso „Dass S p ist, ist
wahr“ einander ganz gleichstehen und auf nicht-reflexiv-prädikative
30 Formen zurückweisen. Natürlich kann ich überall zunächst die Ge-
dankenbildung vollziehen, aber der Gedanke als solcher ist nicht
wahr etc., sondern der thematische Inhalt ist identisch mit dem Inhalt
einer Wahrheit, Wahrscheinlichkeit etc. und kann als Subjekt einer
Prädikation von wahr etc. fungieren.
beilage vii 95
Beilage VII
Die Beziehungen zwischen thematischem und doxischem
Bewusstsein. Prädikation über den Gegenstand und seine
Eigenschaften einerseits und über den Charakter
5 der Wirklichkeit und des Wertes andererseits.
Die Möglichkeit der Objektivation des Themas1
Seite 20 = S. 83,29–85,18 sage ich: Objektiv stehen die und die Ge-
genstände mit den und den Eigenschaften und Verhältnissen da in einem
Objektivitätsbewusstsein doxischer Art, einem Bewusstsein mit einem do-
10 xischen Thema. Im Wünschen selbst ist aber der „Wunschcharakter“ nicht
objektiviert, er kann aber objektiviert werden. Das Wünschen hat als Thema
den Wunsch, es ist aber kein objektivierendes Thema. Die große Frage ist hier
die, das thematische Bewusstsein und so überhaupt jederlei „Bewusstsein-
von“ (also auch das gedankenhaft modifizierte Bewusstsein) in die richtige
15 Beziehung zu setzen zum doxischen Bewusstsein und die nähere Bestim-
mung dieses letzteren selbst.
Im Wünschen steht der Wunsch da, ist das „S möge p sein“ bewusst, in der
Freude steht das Erfreulichsein da, im Sich-Entschließen steht der Entschluss
da. W a s is t d a s f ü r e in D a st e hen?
20 Ich kann, während ich mich über etwas freue, das erfreuliche Objekt in
„theoretischem Interesse“ betrachten, um es „näher kennenzulernen“. Ich
freue mich als Naturforscher über ein neues Element und lebe nicht in der
Freude in dem Sinn, dass ich auf das Erfreuliche achte, sondern ich freue
mich, betrachte aber das Objekt, „studiere“ seine Eigenschaften etc. Ich
25 begehre nach dem Besitz eines Landguts. Ich durchwandere, betrachte es,
prüfe seine Vorzüge, die Begierde schweigt nicht, aber ich bin beschäftigt mit
der Kenntnisnahme des Objekts, ich interessiere mich dafür, wie es ist und
nicht ist. Genauer besehen stelle ich fest, wie es ist, aber alsbald auch, was
es wert ist. Ich betrachte die Nützlichkeiten, die Güter, und das wieder um
30 Feststellung, ob es wirklich so „begehrenswert“ ist (in Relation zu anderem,
was ich auch haben könnte, zu dem, was ich an Werten dafür dahingeben
soll), ob es die begehrende Schätzung bestätigt.
Was ist das: Freude, Begehren und dgl. erleben, den Objekten aber
theoretisch zugewendet sein, sie in theoretischem Interesse betrachten? Ich
35 bin da gerichtet auf Sein, auf Wahrheit. Wenn ich die Schönheit, Güte, den
Begehrungswert etc. hereinziehe in die „Objektivation“, so bin ich nicht
gerichtet auf das Schönsein, Gutsein, auf das Seinsollen etc. in der Weise des
ästhetischen Schätzens, des praktischen Wertens etc., sondern in der Weise
der Urteilsrichtung. Das ist klar – aber freilich auch sehr unklar.
Ist es so, dass durch das jeweilige Gesamtbewusstsein eine Objektität hö-
5 herer Stufe bloß „konstituiert“ ist, das Erfassen, das Ein-Sein-erfassend-(ein
Objekt im Seinscharakter)-sich-Hinwenden, geht aber nur auf eine Schicht,
einen Teil des Konstituierten. Also etwa so, wie ich ein ganzes Objekt vor
Augen habe, aber nur auf einen Teil achte?
Hier aber wird man sagen: Das ist doch etwas ganz anderes. Beim Objekt,
10 das in der theoretischen Wahrnehmung erfasst ist, ist nicht das Sein erfasst,
sondern das Objekt; um das Sein zu erfassen, muss ich prädizieren und sagen:
A existiert und dgl. Indessen, dem wird man mit Recht entgegnen, dass das
Erfasste das Objekt nicht als bloßer Inhalt ist, sondern das Seinsobjekt, das
heißt, der Gegenstand ist eo ipso der „wirkliche“ Gegenstand. Zum Thema
15 gehört mit der Charakter der Tatsache, er wird nicht prädiziert, so wenig sonst
etwas, was zum Gegenstand, näher zu seinem Inhalt gehört, prädiziert wird,
scil. in der schlichten Erfassung. Freilich gehört das Sein nicht zum Inhalt, es
ist „Charakter“.
So hat nun derselbe Inhalt eventuell noch einen zweiten Charakter (oder
20 der schon charakterisierte Inhalt hat einen neuen Charakter). Ich kann nun
neue Prädikationen bilden: 1) einerseits solche über den Gegenstand und
seine Eigenschaften; dann expliziere und prädiziere ich aufgrund der Expli-
kation, und all das hält sich in der Schicht des Wirklichkeitsbewusstseins.
Was das ist, müsste nun beschrieben werden. Ich urteile fortgesetzt, ohne auf
25 „Wirklichkeit“ zu reflektieren oder auf Werte etc.
2) Ich kann dann urteilen über Wahrheit und Falschheit, über Existenz
und Nichtexistenz, und wieder über Wert und Unwert, über Seinsollen etc.
Wie steht es mit dem Bewusstsein, in dem der Charakter der „Tatsache“,
der „Existenz“, Wirklichkeit, andererseits der Charakter des Wertes, des
30 Schönen, des Guten etc. gegeben ist?
Ein Gegenstand ist gegeben, im weitesten Sinn erfasst = ein erfassen-
des Bewusstsein erfasst (erschaut etc.) einen Gegenstand. Und es ist ein
„Seinsbewusstsein“, der Gegenstand steht (im Modus der Gewissheit, Wahr-
scheinlichkeit etc.) als seiend da, ein Wirkliches steht da (modifiziert ein
35 Quasi-Wirkliches); ein Wert ist gegeben.
Aufgrund jederlei Bewusstseins lässt sich sein Thema objektivierend fas-
sen, und zwar so, dass der thematische Inhalt zum Subjekt eines Prädikats
„wahr“, „wahrscheinlich“, „existierend“, „schön“, „gut“ etc. wird. Aber
wie kommt es, dass diese Urteile „Der Sachverhalt besteht“, „Der Satz ist
40 wahr“, „Die Tatsache ist erfreulich“, „Der Sachverhalt ist seinsollender“,
„Der Sachverhalt ist Inhalt einer Frage“, „Der Gegenstand existiert, ist schön
beilage vii 97
Was heißt das „als Gegenstand dastehen“? Was heißt das „Indem
ich Bewusstsein habe, habe ich Bew us st sei n v om G e ge n st a nd“,
10 „Ich bin auf einen Gegenstand gerichtet“? Und andererseits heißt es
doch: Bewusstsein ist seinem Wesen nach B ew us s t se in v on ei ne m
I n ha l t, Bewusstsein ist Haben einer Meinung.
Natürlich liegt nicht im Meinen zweierlei, als ob es irgendwie
zwei unterscheidbare Seiten oder Momente hätte, darin eines sagte
15 „Haben eines Inhalts“ und das andere „Richtung auf einen Gegen-
stand“. Wie sollte das auch hierdurch verständlich werden? Das Mei-
nen ist in sich Meinen und nichts anderes als Meinen, und das Erste,
was uns die phänomenologische Beschreibung des Meinens hergibt,
ist, dass es ein Was hat, ein Gemeintes als solches, eine Meinung.
20 (In der Reflexion aber, d.h. im Vollzug der Beschreibung des reel-
len Gehaltes der cogitatio, finden wir Abschattung, Apperzeption
etc.) Das Was des Meinens, sagte ich, ist das Erste. Nämlich: Was ist
im Meinen, fragte ich, „wirklich gegeben“? Nicht: Was ist Erlebnis,
sondern was ist in diesem Erlebnis als einem Bewusstsein Bewuss-
25 tes? Nehme ich es genau so, wie es bewusst ist, so gewinne ich ein
evident „Gegebenes“, eben das „Gemeinte als solches“. Wenn ich
jetzt davon spreche, sehe ich darauf hin, setze es als dieses, urteile dar-
über. Natürlich im puren Meinen stecken nicht diese Dies-Setzungen,
diese Denk-, Urteilsinhalte und all das, was zu ihnen gehört. Es ist
30 einfach ein Meinen Erlebnis, und dieses ist eben Bewusstsein, und
1 Beziehendes Perzipieren vor dem Begreifen muss doch angenommen werden. Also
das Begreifen lassen wir sein und dafür nur die spontane Synthese.
text nr. 6 101
Mit all dem ist die Sache noch nicht ganz geklärt. Wir haben
also schlichte, unterste „Vorstellungen“, immanente, transiente.1 Jede
Vorstellung ist Bewusstsein eines Was, und das ist immer Bewusst-
20 sein von einer Einheit. Denn eine Phase einer Anschauung ist eine
bloße Abstraktion. Aber auch wenn der Inhalt sich nicht verändert,
so haben wir ein Kontinuum; es erscheint eine Dauer und in ihr
ein Einheitliches. In dem Fall der Veränderung allerdings haben wir
immer wieder einen anderen Inhalt, ein stetiges Inhaltskontinuum,
25 aber so, dass in diesem stetig veränderten Inhalt eine Einheit „liegt“.
Jed e s v o rs te l l e n de B e wu s s t s e i n i s t e i n E i n he i ts be -
w u ss ts e i n , B e wu s s ts e i n v on E i nh e it. Habe ich dieser Bewusst-
seinseinheit hinreichend gut Rechnung getragen in den vorstehen-
den Blättern? M us s i ch n i c ht s a g e n: In j e de m v or s t el l e nde n
30 B e w us s t se i n li e g t e in e r se i t s B e wu s s ts e i n v o n e i n e m
I n h al t, a nd er e r se i ts B e w us s ts e i n v o n e i n e r E i nh e i t d e s
1 Jede konkrete Perzeption ist stetige Perzeption und als solche Bewusstsein einer
Einheit, der Einheit in der Dauer, und jedem Moment entspricht ein anderer Inhalt.
102 zur intentionalität der objektivation
Weise gebenden Einheit und die sich in der Weise gebende Einheit
ist Einheit der „Meinung“?1
Meinung ist hier nicht Meinen, sondern Gemeintes als solches, ge-
meinter Gegenstand als solcher in seinem jeweiligen Wie. Es kann in
5 immer neuen Akten mit ihren immer neuen Meinungen das Gemeinte
dasselbe sein, nicht als ob die Verschiedenheit jener Meinungen auf-
gehoben würde, sondern es konstituiert sich Einheit der Meinung im
synthetischen Vereinigungsakt, und in der Einheit der Meinung ist
das hier so und dort so Gemeinte als Eines gemeint. Was sagt das
10 aber?
Das sagt, dass eben das Meinen mit Meinen und korrelativ Mei-
nungen mit Meinungen sich in der Einheit eines meinenden Aktes
als Inhalt zusammenschließen können zu einer Meinung und dass
eine Meinung wieder zerteilt und innerlich unterschieden werden
15 kann in Meinungen (etwa den Zeitteilen der Wahrnehmung entspre-
chend) und dass diese Einigung der Meinung eine solche ist, dass
evident gesagt werden kann: „Gemeint ist in der Einheit ein Etwas,
das sich jetzt so und jetzt so darstellt, jetzt in der, jetzt in jener
Orientierung erscheint etc.“ Oder, das Etwas, das zu jeder dieser
20 Teilmeinungen gehört und das das ist, was in der oder jener Weise
erscheint, ist in allen Teilmeinungen der einheitlichen Meinung ein
und dasselbe. „Ist“, das heißt: ist im Sinn aller dieser Meinungen
dasselbe, ist dasselbe Gemeinte. Jede Meinung meint also etwas,
das sagt, sie meint Eines = Etwas und meint es in den oder jenen
25 Bestimmtheiten und in den oder jenen Unbestimmtheiten so und
so, teils eigentlich anschaulich, teils unanschaulich etc. A n j e dem
G em ein t e n h a b e n wi r e i n E t wa s ode r E in e s a l s G em ei nt es
un d e i n W ie d es ge m e i n t e n Et w as zu un te r sc he i d en. U nd
be i ve r s ch i e d en e m W i e d e s G em e i n te n a l s s ol c he n ka n n
30 Id e nt i t ät de s E i ne s od e r Et w a s s t a t t ha be n , da s g e m e i nt is t.
Das gehört zum ursprünglichen Wesen des Gemeinten; ein solches
Gemeintes (etwas in einem Wie) bewusst zu haben, das ist das Wesen
1 Hier ist zu beachten, dass „Meinen“ hier nur ein anderes Wort ist für Bewusst-
sein, und Gemeintes (Gemeintheit, Meinung) für Bewusstes als solches. Also jedes
Perzipieren ist Meinen und das Perzipierte als solches die gemeinte Einheit. Denn das
„Meinen“ in dem speziellen Sinn des Herausmeinens, des Zugewendetsein etc. kann
hier nicht bevorzugt werden.
text nr. 6 105
C o g itat io un d ih r Ko r re l at. D er z ur
c o gi ta ti o ge hö r e nd e Ic hs tr ahl . Das K or re la t
a ls Ve rm e in t h ei t sch l e c h t h i n. E vi den z a ls
5 h ö h er st u f ig er Ch ar ak t er vo n Ko rr el at en 1
1 Wohl 1911, mit Zusätzen aus der Zeit nach 1913. – Anm. der Hrsg.
text nr. 7 107
1 Das heißt, in der Redeweise der Ideen, es scheidet sich bloßer „Sinn“ und Satz.
108 zur intentionalität der objektivation
Erinnerung oder Phantasie), ich reflektiere und sage, es ist eine Ein-
heit da, und diese zerlege ich in das Etwas und seinen Charakter.
Wie st eh en nu n d ie C har akt er e z ur „ Su bj ek ti v i tät “?
Das kann sagen: z um „ I c h “. Es kann aber auch gefragt werden,
5 was da S ac he d e r c ogi tat io W ah rn ehm u ng ist. Ich habe dem
„Etwas“ der Wahrnehmung entsprechend, das da dauerndes, so und
so bestimmtes Etwas ist, nicht den reinen Einheitspunkt, sondern den
Einheitspunkt in einer Zeitform und mit einem Gehalt an wieder
räumlich bezogenem Bestimmungsmaterial, an Darstellungsmaterial
10 und „Auffassung“-als und dazu Material motivierender Empfindung
(Sinnliches). Im Fortgang der Wahrnehmung habe ich das „ein und
dasselbe“, das „kontinuierlich eins“, aber das gehört zum Korrelat.
Ich finde eine gewisse „Beziehung“ des Darstellungsmaterials auf
das (jetzt in anderer Einstellung bewusste) Etwas, Haus etc.
15 Und wo ist das „Ich halte für wirklich“, „Ich zweifle“, „Ich ver-
mute“? Muss ich nicht sagen, eben da ist di e B e zi e h un g zum
I ch, das keineswegs die Person besagt, sondern vor aller Objek-
tivierung der Person etwas zu m We sen d es „ Ak te s “ s el bs t
Ge h ö ri g e s i s t? Ein Ichstrahl gehört zur cogitatio, und der termi-
20 niert im Korrelat, und zwar in dem Charakter „wirklich“ des Gegen-
standes, eine Weise ihn zu charakterisieren, so dass er dann jenen
Charakter hat.1 Jede cogitatio hat ihren Ichstrahl, und rein ihrem
Wesen nach hat sie ihren subjektiven Identitätspunkt i m r ei ne n Ic h
de r t r a n sze n d en t al e n A p p er z e pt i o n, jede cogitatio, die eben zu
25 einem Ich gehört (abgesehen von der Person). Und zum Ich gehört
auch die „Auffassung“ in ihrem Modus als Wahrnehmungsauffas-
sung, Phantasie etc.: Ich nehme wahr, ich habe die Einbildung. Aber
hier besteht eine gewisse I c h f er ne. Ich fasse auf, ich setze als wirk-
lich, halte für wirklich, für gefällig (ich habe Gefallen an), ich liebe, ich
30 hasse. (Haben nicht Gemütsstrahlen die größte Ichnähe oder nicht
vielmehr, wenn ich im Gemütsakt „lebe“? Im Aufmerken, Klarma-
chen etc. bringe ich es mir näher.) Da s D ar s te l l u ng s ma t e r i a l
h a t di e gr ö ßt e Ic h f e rn e, im „Bewusstsein“ die größte Ferne vom
1 Husserl hat hinter diesen Satz ein Fragezeichen gesetzt. Darauf bezieht sich seine
Randbemerkung: „Ja, als Zuwendung. Aber ohne Zuwendung doch wohl nicht, oder
in anderem Sinn?“ – Anm. der Hrsg.
text nr. 7 109
Beilage VIII
Der Blick des reinen Ich auf die
Phänomene. Das Übergehen des Blickes vom
Phänomen zu dem in ihm Erscheinenden1
1 Sommersemester 1911.
beilage viii 113
1 Eine Setzung geht auf a und b und ist mehr als Setzung von a und von b. Alles,
was in die Einheit einer Setzung eintreten kann, gehört einem Bewusstsein an.
2 Das bedarf aber der genaueren Bestimmung. Cf. Kolleg über natürlichen Weltbe-
Gibt es da einen anderen Weg als den, vom natürlichen Bewusstsein aus-
zugehen, die skeptische Betrachtung durchführen, dann zu den Reduktionen
übergehen, da s r e i n e P h ä n om e n u n d d a s r ei n e Ic h, den „Blick der
Schauung“ postieren? Das „ Ic h “, das r ein e Ic h , s e tz t d as P h än o m en
5 u n d se t z t s ic h se l bs t.
Alle Skepsis, sagt man, setzt voraus, dass etwas außer allem Zweifel
verbleibt. W as is t di e Gr e nz e d e s Zw ei fe ls: das „Ich“ als re in es Ic h
u n d se in F e ld v o n P hä no m e n e n und alles, was darin zur selben reinen
Gegebenheit zu bringen ist wie das Ich und seine Phänomene?
II. ZUR ANALYSE DER EXPLIKATIVEN
UND PRÄDIKATIVEN SYNTHESEN
UND IHRER FUNDAMENTE
Nr. 8
auf strenger Intuition gegründete Überlegung. Vgl. weiter unten Πλ = Text Nr. 10:
Die Weisen der Erfassung und ihrer Synthesis (S. 175).
2 Es scheint mir, dass ein wichtiger Mangel der Ausführungen in diesem Stück
ist, dass ich nicht von vornherein das begreifende Erkennen, das überhaupt erst
das Urteilen macht, in Betracht gezogen habe. Es muss genau erwogen werden, ob
nicht alle Unterschiede, die ich tatsächlich zwischen Explikation und Prädikation
machte, im Verborgenen voraussetzten, dass Erkennung statthat, die allein urteils-
mäßige „Bestimmung“ ausmacht. Die sinnliche Bestimmung in der Klarlegung des
sich explizierenden Objekts bereichert dieses, fügt ihm Klarheiten ein, und zwar auch
solche, die es nicht gehabt hat, es bereichert seinen sensuellen Sinn, aber denkmäßig
bestimmt sich das Objekt als Erkenntnisobjekt, also durch Erkennung. Das als a
Erkannte wird dann neu erkannt, das ist, eben prädikativ erkannt als b, und das ist das
Erste für alle weiteren Urteilsbildungen. Das τ
ς wird zum ποιν.
Es fragt sich, ob man das sagen kann bzw. in welchem Sinn man es
sagen kann.
Und wieder, was uns hier noch vorher interessiert, fragt es sich,
wie es sich dann mit dem Gesamterfassen, dem Erfassen der Geige,
5 verhält. Die ist es doch immer, die ich „betrachte“. Muss man nicht
sagen, dass die Geige immerfort erfasst bleibt, dass ich ihr erfas-
send immer zugewandt bin und dass sich mit dieser Erfassung die
Partialerfassungen „decken“, derart, dass ich nicht nebeneinander
Erfassungen übe, sondern so, dass ich in der Partialerfassung zugleich
10 das ganze Substrat erfasse, sofern es den „Teil“ übergreift und in
diesem Übergreifen bewusst ist?
Das alles ist gut. Aber der Unterschied ist nicht zu übersehen,
dass in der ersten Erfassung des Ganzen, mit noch „unverteilter“
Partialspontaneität („Aufmerksamkeit“), ein Strom der Spontaneität
15 sozusagen auf das verworren-einheitliche Objekt ging, und ebenso,
wenn die explizierende Betrachtung inszeniert ist, ein ebensolcher
Strom originärer Spontaneität auf die betreffenden „Teile“ im Fluss
der betreffenden Partialerscheinungen geht. Dagegen verbleibt nun
nicht etwa ein Strom solcher urquellender Spontaneität gerichtet auf
20 das „Ganze“. Sie hat sich offenbar verändert. Wenn es heißt, wir
bleiben erfassend auf das ganze Objekt gerichtet, es sei ja gerade das
Objekt der Betrachtung, so ist es nicht ein Verbleiben der spontanen
Erfassung in der ursprünglichen und ursprünglich lebendigen Form.
Die ursprüngliche Erfassung verwandelt sich in Substraterfassung
25 bzw. thematische Erfassung, wie ich es sonst auch nannte. Das Phä-
nomen ist dem Allgemeinen nach dasselbe in den Fällen, wo wir uns
einem Objekt in spontanem Erfassen zugewandt haben und dann
zu einem anderen (und ihm nicht als Teil Eingeordneten oder als
Ganzes Übergeordneten) in gleicher Zuwendung übergehen, ohne
30 unser erstes Objekt aus dem Griff zu lassen (also hinzunehmen und
zusammennehmen, wobei anderes erblickt sein kann, aber nicht als
Thema erfasst ist). Es handelt sich nicht um ein bloßes Phänomen
der ursprünglichen „Erinnerung“, des noch im Bewusstsein Bleibens,
obschon auch das statthat. Denn es ist zweierlei: „noch bewusst ha-
35 ben“ in dem Sinn des Perzipiert-Habens und noch Erscheinens und
Noch-im-Griff-Haben, Noch-Halten.
Ich kann meine Aufmerksamkeit abwenden, ohne festzuhalten.
Es kann das Objekt dabei sich noch stark abheben: aber es ist nicht
120 explikative und prädikative synthesen
gen fortschreiten, so bewegen sie sich auf dem Grund einer einheitlich
abgehobenen Erscheinung, in der das ganze Objekt erscheint, das
aber nicht erfasst ist. Endlich scheint es, dass wir auch Unterschiede
des fester und lockerer Im-Griff-Habens unterscheiden müssen, wie
5 schon oben gesagt.
10 Nun ist es aber ein Problem, zu verstehen, wie in der Folge der
gegenständliche „Kenntnis“ gebenden Partialakte, der explizieren-
den (die gegenständliche Intention der Totalvorstellung schrittweise
erfüllenden), die Partialakte eigentlich fungieren, und wie es mit
dem „Im-Griff-Bleiben“ ihrer originär erfassten Objekte nach der
15 Erfassung sich verhält. In gewisser Weise ist dies natürlich der Fall.
Der ganze Prozess der Kenntnisnahme ist eine „Einheit des Bewusst-
seins“ (der Prozess der Betrachtung ist Prozess der Kenntnisnahme
insofern, als dadurch als Ergebnis Kenntnis gewonnen wird: blei-
bende Kenntnis, Dispositionen zur Erinnerung solcher expliziten Vor-
20 stellungen in der Erinnerung, Aussagen darüber etc.). Es ist aber zu
beobachten, dass im einfachen Fortlaufen des Betrachtens nicht be-
sondere Zusammennehmungen die herausgehobenen Teile oder Ei-
genschaften des Objekts verbinden. Wäre aber ein In-jedem-Schritt-
das-originär-Erfasste-des-vorigen-Schritts-Festhalten nicht soviel wie
25 schrittweise Zusammennehmung üben oder Zueinanderhinzuneh-
mung? Es ist ja ein Unterschied, notierend, aufzählend zu sagen „S
ist p, q, r …“ und „S ist (p und q …), ist all das zusammen“.
Man wird sagen müssen, dass Zusammennehmung erfolgen kann,
aber im Allgemeinen nicht zur Explikation gehört, und dass das
30 Zurückbehalten, das ihr zugehört, nicht eigentlich ein Festhalten im
erfassenden Sinne ist. Bildlich kann man sagen, die in der stetigen
Gesamtbehaltung (der thematischen) des ganzen Objekts enthaltene
Objektauffassung hat all die herausgehobenen Einzelheiten in sich
aufgeschluckt, bzw. das Im-Griff-Haben des in Explikation stehen-
35 den Objekts ist nicht ein Im-Griff-Haben desselben, „so wie es“ vor
122 explikative und prädikative synthesen
der Explikation bewusst war, vielmehr so, wie es mit jedem neuen
Schritt bewusst ist, und das ist es verschieden. Oder: D e r Gr i ff
d es G esa mt ob jek t s ist ei n so l c her , d e r in j ed e m S ch ri t t
d as ei nz el n E r gri f f en e i n sic h au f ni m m t. Die Einzelergrei-
5 fungen verwandeln sich nicht in festhaltende Einzelgriffe, sondern
in Modifikationen des Gesamtgriffs, in Bereicherungen seines In-
halts.1
Die Erfassung des Ganzen, die ein Erfassthaben ist, ist also im-
merfort in Bewegung, und immerfort findet eine Synthese statt, eine
10 „Deckung“ nach Auffassung und nach den Zuwendungen. Die Hin-
wendung auf das Ganze und die Hinwendung auf den Teil, hier
originäre Erfassung des Teils, sind einander nicht äußerlich. Und
die Partialerfassung erfasst das Ganze „nach diesem Teil“ in die-
sem Explikat, nämlich sofern sie eben nicht bloße Einzelerfassung
15 ist, sondern in dieser eigentümlichen Weise auf dem „Grund“ der
Gesamtobjekt-Erfassung (-Haltung) statthat. Und man kann auch
sagen, in dieser Deckungseinheit, die Deckungseinheit insofern
ist, als die Partialerfassung doch ein neuer spontaner „Akt“ ist,
der sich mit dem bisherigen Gesamterfassen deckt, geht die Sache
20 so zu, dass der unbestimmte, ungeklärte, unverdeutlichte Teil, eine
eingeschmolzene Komponente der Gesamtintention des zu explizie-
renden Gegenstandes, mit dem eben Bestimmten, durch die Partialer-
fassung Herausgezogenen, -gehobenen sich deckt: Aber sie bleiben
nicht zwei und sind nicht zwei kongruente Sachen, sondern das un-
25 bestimmte Ganze erhält anstelle des Unbestimmten, Unabgegrenz-
ten, vage Eingewobenen den bestimmten und eventuell klaren Teil,
der nun umgeben ist von dem Medium der sonstigen Unbestimmt-
heit des Noch-nicht-Bestimmten. S o wi r d da s G a nz e in j ed e m
Sc h r itt e i n a n de r s B e wu ss t es, es erhält explikative Bestimmtheit
30 innerhalb des Mediums der Unbestimmtheiten, und in dieser Weise
ist da s B e wu s s ts e i n d e s G an z e n e i n so l c he s , d a s i m me r
1 Vielleicht sagt man auch so, es gibt zweierlei Modifikationen des spontanen Er-
greifens. Die erste besteht darin, dass kein Ergreifen mehr statthat, aber ein Im-Griff-
Festhalten: Das Erfasste ist noch erfasst, aber in anderer Weise. Die andere besteht
darin, dass kein Erfassen mehr statthat und Erfasst-Verbleiben, sondern ein Haben
des Erfassten ohne Erfasstsein, ohne Im-Griff-Sein. Und die ermöglicht und macht
aus die Bereicherung des Inhalts des ganzen, immerfort ergriffenen Objekts.
text nr. 8 123
Nun ist die Frage, was die Erfassung „G ist α“ eigentlich her-
einbringt. Und hier ist auch die Stelle, um sogleich den wichtigen
35 Unterschied geltend zu machen zwischen dem Ist-Inhalt, G ist α,
text nr. 8 125
1 Hinter den in Klammern stehenden Satzteil hat Husserl später ein Fragezeichen
gesetzt. – Anm. der Hrsg.
2 Gute Ausdrücke sind „Explikand“, „Explikat“.
126 explikative und prädikative synthesen
holung dieses Übergangs auf die Einheit, auf das „Identische“, auf
das „Ist“, in dem das explizierte G sich mit dem Explikat identifiziert:
und das kommt in der Prädikation zum Ausdruck, zur begrifflichen
Fassung.
5 Was besagt das aber, der Blick richtet sich? Habe ich nach erster
Ausführung der Explikationsbewegung ein Resultat, etwa ein Gan-
zes? Nun, das Ergebnis ist das „im Weiß verdeutlichte Objekt“. Das
Weiß ist das, was im vollen Licht steht, was im besonderen Sinne
erfasst ist, aber auf dem Grund der Richtung auf das Papier, das,
10 soweit es mehr ist als das Weiß, nicht im vollen Licht steht. Auf das
„Ergebnis“ bin ich eo ipso gerichtet, eben indem ich auf das Weiß
hinsehe und es in dieser Weise, am Ende dieses Prozesses gegeben
habe. Aber ich kann nun die „Aufmerksamkeit“ auf das Ganze (G)
richten und es ins Licht setzen und darin liegt, das Ganze (G) in
15 neuer Spontaneität erfassen, ihm eine neue spontane Zuwendung
zukommen lassen: Aber das Ganze (G) ist nicht das Ganze vor
dem expliziten Prozess, sondern nach ihm: Das Weiß ist lebendig
erfasst auf dem Grund der vorangegangenen G-Erfassung, die in der
lebendigen Weiß-Erfassung noch als Griff da ist und mit ihr sich
20 „deckt“, und so gehe ich vom Griff in ein neues Ergreifen über,
während das lebendig erfasste Weiß in den Griff übergeht. Kann ich
also etwa sagen: Das Resultat der Explikation ist ein Ganzes, etwa
ein synthetisches Ganzes, das ich nun „analysiere“, also expliziere?
Das doch natürlich nicht.1
25 Wenn ich eine Explikation vollzogen habe, eine durchlaufende
Gegenstandsbetrachtung, so kann ich auf den Prozess zurückschauen,
einen schlichten Blick darauf werfen, ihn zum Thema einer Explika-
tion machen. Auf den Prozess: das Nacheinander, in dem zuerst das
schlicht erfasste G steht, dann das verdeutlichende Erfassen des α in
30 G usw. Die Einstellung ist also ontisch. Und die Explikation dieser
sukzessiven Einheit erfolgt im Durchlaufen der Sukzession, also im
Erneuern der Explikation „in der Erinnerung“.2 Aber Explikation ist
Explikation. Und was hier zur Wiederholung der Explikation in der
1 Das wäre ja ein unendlicher Regress, wie ich auch folgende Seite = S. 127,30–32
sage.
2 Besser darstellen.
text nr. 8 127
Erinnerung hinzutritt, ist, dass sie selbst als explizierend auftritt für
die schlichte thematische Erinnerung an die Explikation. Aber das
geht uns hier nicht an. Nicht um dieses Resultat der ursprünglichen
Explikation handelt es sich, nicht um den Prozess, der in ihr sich
5 konstituiert.
Worauf blicke ich also, wenn es sich mir, nachdem der betrach-
tende Blick von G zu α, vom Papier (in der schlichten Erfassung)
zum „weiß“ gegangen ist, darum handelt auszusagen „G ist weiß“?
Ich blicke nicht auf das Nacheinander des Prozesses zurück. Blicke
10 ich etwa1 auf das Ineinander, auf die Deckungseinheit, die sich in ihm
konstituiert? Aber wie das? Blicke ich auf den Prozess zurück, aber
nicht er interessiert mich überhaupt, nicht ihn mache ich zum Thema,
sondern nur die in ihm und durch ihn sich konstituierende Einheit
der Deckung zwischen „G“ und „α“, die im Endpunkt konstituiert
15 ist, aber nicht Thema ist? Aber man wird hier seine Bedenken haben
dürfen, wenn das besagen soll, dass ohne „Wiederholung“ des Pro-
zesses und ohne geänderte Einstellung bei dieser Wiederholung ein
schlichter Blick zurückgeht und Deckungseinheit in schlichter Weise
erfassen sollte. Man kann doch nicht sagen, dass die angeblich schlicht
20 erfasste Deckungseinheit zum Thema wird, dass sie Explikation er-
fährt in dem Sinn, wie die Erfassung des Papiers als Gegenstand,
als Substrat, das Thema gibt für die weitere Explikation in „weiß“,
„viereckig“ usw.
Das zeigt sich ja auch daran, dass jede Explikation sich „entfaltet“
25 in Prädikation, wobei das Explikationssubstrat zum Subjekt wird und
die Explikate zu Prädikaten. Die angeblich schlicht erfasste Einheit
aber, die hier übergeführt werden soll in die entfaltete Einheit eines
Sachverhalts, wird nicht zum Subjekt und die Sachverhaltsbestand-
stücke zu Prädikaten. Aber ist dann so etwas wie Erfassung einer
30 schlichten Einheit nachweisbar? Wäre sie schlicht erfassbar, dann
wäre ja die Auseinanderlegung Explikation und es drohen unendliche
Regresse.
Ich muss also wohl einerseits sagen: I c h v e r bl e i be ni c ht i n
d e r b loß e n Ex p l i ka t i on , e s g e sc h ieh t e t w a s Ne u e s; und
35 andererseits ist sicher: Der Blick wendet sich zu der verborgenen
1 Cf. 7a = S. 128,20–130,15.
128 explikative und prädikative synthesen
1 Das explikativ Verdeutlichte steht als Verdeutlichtes da und wird zum Subjekt
der prädikativen Bestimmung. Dann aber ist es wieder als prädikativ Bestimmtes
charakterisiert, und vollziehe ich vermöge neuer Explikationen neue Prädikationen,
so kann ich „G, welches α ist”, oder Gα als Subjekt bilden. Wiederholt cf. 6a =
S. 126,21–128,19.
text nr. 8 129
1 Neu ausarbeiten, da die Form des Abgesehenseins, Thematischseins und die des
substantivisch Nominalen verwechselt ist. Vgl. die Blätter 1–3, die nachfolgen, mit den
Hauptbestimmungen zur Umarbeitung = Beilage IX: Schlichte explikative Betrachtung
gegenüber prädikativer Synthesis. Die Übergangssynthese als Grundlage der Prädikation
(S. 148).
text nr. 8 133
1 Es muss scharf geschieden werden das Abgesehen-Haben und die Form des Be-
stimmbaren, die notwendig jeder Explikand haben muss und die ein Explikat even-
tuell annehmen kann, wenn es sie nicht hat.
2 Absicht, Abzielen und Erzielen im voluntativen Sinn und theoretischen Sinn
parallelisiert.
134 explikative und prädikative synthesen
1 „Der Rohns“ war ein beliebter Gasthof auf dem Hainberg bei Göttingen. – Anm.
der Hrsg.
text nr. 8 135
tisch auf einen Gegenstand als Thema gerichtet sein, ist nicht etwa
gerichtet sein willentlich auf Explikation. Das brauche ich gar nicht.
Ich werfe einen Blick des Interesses auf einen Gegenstand. Ich erfasse
ihn, aber ich gehe nicht in Explikation über, das heißt, ich bin nicht ge-
5 richtet auf mein Tun als ein reales bzw. zu realisierendes in der psycho-
physischen Wirklichkeit, während das, was zur Explikation wirklich
kommt, nur minimal das Thema entfaltet, geschweige denn, dass es es
erschöpft. Eine Tendenz auf Explikation ohne realisierende Objekti-
vierung, die ja schon theoretisches Interesse voraussetzt,1 mag beim
10 thematischen Erfassen vorhanden sein und mag bis zu einem gewissen
Maße Erzielung finden, aber wir unterscheiden diese Tendenz von der
theoretischen „Intention“, von der ihr zugrunde liegenden themati-
schen Richtung auf. Wir lassen das Willentliche nun außer Spiel.
Da wir den Ausdruck thematischer Akt erweitern werden in dem
15 Sinn, dass thematische Akte auch zusammengesetzt sein können aus
thematischen Akten, so wollen wir jetzt von s chl i c ht en t he mat i-
s c he n A kt e n sprechen, die in schlichter Weise auf ein thematisches
Objekt gerichtet sind (also nicht mehrere Akte mit sonderthemati-
schen Objekten enthalten). Ein schlichter thematischer Akt kann,
20 unbeschadet seiner Schlichtheit, nur ein einziges oder auch eine Viel-
heit von thematischen Objekten haben, und er kann im letzteren
Fall die Vielheit der thematischen Objekte in der Einheit eines sie
umspannenden Themas haben.
Man wird vielleicht sagen müssen, jeder thematischer Akt hat
25 zunächst ein Thema, aber dieses kann in seiner Einheit viel enthalten.
Aber wenn es auch zweifellos ist, dass jeder schlichte thematische
Akt zunächst auf eine Einheit geht, so ist darin ein Unterschied,
dass mitunter diese Einheit bloßer Durchgangspunkt für das Bündel
von eigentlichen thematischen Strahlen ist, die auf die eigentlichen
30 Objektthemata gehen, während in anderen Fällen, wie mir scheint,
die Einheit wirklich Thema ist und zugleich Durchgangspunkt für die
thematische Richtung auf gewisse ihrer Glieder.
Geben wir Beispiele. Wenn ich dieses Papier, dieses unbeschrie-
bene weiße Blatt Papier, mir ansehe, den Blick darauf richte, so ist
35 darin das Papier als Thema-Objekt gesetzt. Und es ist der thema-
tische Strahl ein einfacher. Es ist nur eines „gegenständlich“, eben
das Papier. Wenn ich, von der Höhe ins Tal blickend, Landstraßen
mit Baumalleen sehe, so kann das Absehen, das „Interesse“, auf die
Alleen gehen; ebenso sehe ich Ortschaften, und das Absehen geht
eben auf die Ortschaften: Sie mögen Komplexe sein von Bäumen,
5 von Häusern, und das gehört natürlich insofern mit zum Abgese-
henen, als es ein Ganzes von solchen Gegenständen ist, ebenso wie
vorhin zum Papier als Abgesehenem gehörte, dass es die Farbe, die
quadratische Form usw. hat. Aber demgegenüber gibt es n oc h ei ne
an d er e W ei se der Ri ch t u n g a uf di e All e e, auf die Ortschaften
10 usw. Die Allee ist z. B. eine Pflaumen-Allee. Und ich blicke hin (und
betrachte eventuell) mit dem Auge des Obstzüchters, des Pächters
und dgl. Dann geht das Absehen nicht schlechthin bloß auf die Al-
lee, sondern gleichsam Strahlen des Absehens, thematische Strahlen
gehen auf die Einzelheiten, auf die Bäume. Wieder anderes Beispiel:
15 Ich sehe meine Kinder herankommen. In einem Blick erfasse ich die
Gruppe, aber gerichtet bin ich auf die Einzelnen zusammen, und doch
nicht eigentlich auf die Gruppe, auf das Zusammen. Ein lebendiges
Bild interessiert mich als Ganzes und zugleich jedes einzelne Glied.
Mögen neben dem, worauf es uns hier ankommt, dem „theoretischen
20 Interesse“, auch Gefühle und dgl. vorhanden und maßgebend sein, in
welcher Hinsicht auch immer: Sicher ist, dass wir U n te rs c hi ed e
d e r t h e m a ti s c he n Ri c h t u n g h a b e n , un d z w ar sc ho n v or de r
E x p l i ka t i o n, schon im einfachen thematischen Erfassen.
In der Einfachheit einer thematischen Setzung können mehrere
25 und viele „thematische Strahlen“ sein.1 Ob das besagt, dass reell
viele unterscheidbare Komponenten unter dem Titel „thematische
Strahlen“ in die Einheit der thematischen Setzung eingeschmolzen
sind (als ein verbundenes Liktorenbündel sozusagen), oder ob das
Eingeschmolzensein ideell zu verstehen ist, und endlich, ob bald
30 das eine, bald das andere, das ist Sache besonderer Untersuchung.
Jedenfalls bezeugen sich hier Wesensunterschiede der thematischen
Setzungen, die sich ausweisen in Unterschieden der Explikation.
Die einen Fälle können wir leicht erledigen, nämlich wenn zu-
nächst eine Einheit, eine Gruppe erfasst wird und durch ihre Ein-
35 heit hindurch der thematische Blick auf die Einzelheiten geht, die
ausschließlich die abgesehenen sind: Dann ist eben das Thema das
Zusammen als Plural dieser Einzelheiten und nur das. Das besagt
nicht, dass das Zusammen ein singulärer Gegenstand ist, der die
Einzelheiten als Glieder in sich fasst, sondern dass wir hier statt
eines Themas viele Themen haben und nicht etwa die Vielheit, als
5 Einzelheit zusammengenommen, auch noch als Thema. Doch es ist
gut, näher auszuführen.
Wir sagen zunächst: Die thematischen Akte zerfallen in thema-
tische Setzungen eines singulären Themas und in thematische Set-
zungen mehrerer pluraler Themen, und dabei sprechen wir hier von
10 einfachen thematischen Setzungen, die in einer Setzung ein Strah-
lenbündel von thematischen Richtungen-auf haben und so mehrere
Themen als Plural. Die Explikation erfordert hier Sonderexplikation,
das heißt, jedes Thema muss Thema für sich werden in einer eigenen
Setzung und sich in einer eigenen Explikation explizieren. Aber all
15 diese Explikationen müssen sich in der Einheit eines Bewusstseins,
einer Zusammennehmung halten, sonst wäre jedes Thema zwar expli-
ziert, aber nicht die durch die Vielheit der Themen hindurchgehende
Einheit der thematischen Richtung expliziert.
Das ist freilich ein schwer zu beschreibender Punkt. Es ist ein Un-
20 terschied, ob eine plurale thematische Intention Explikation erfährt
oder ob ein Inbegriff Explikation erfährt, der plural zum einheitlichen
Thema gemacht ist, und durch dieses Thema hindurch thematische
Strahlen zu den Einzelheiten gehen. Andererseits aber waltet in der
pluralen Setzung doch eine Einheit, eine thematische Einheit, aber
25 nicht eine solche, die ein Thema, den Inbegriff, setzt (als singulären
Gegenstand).
Nehmen wir nun die Fälle, wo ein thematisches Objekt, ein singu-
läres, gesetzt ist, aber das Thema ist eine Ei nh e i t a u s me h re r en
The me n, auf die also mehrere thematische Strahlen gehen. Das sagt:
30 D ie Ex p li k a t i o n f o r d e r t h i er t h e m a ti s ch se t z e nde A kt e.
Ich bin auf die Allee, und das sagt auch, auf die Bäume der Allee
gerichtet, und diese Themata muss ich erst in eigenen thematischen
Akten erfasst haben und sie dann explizieren.
Die Explikation vollzieht sich also notwendig in Stufen derart, dass
35 die erste Stufe zwar expliziert, aber dabei zugleich schlichte themati-
sche Akte vollzieht. Ich sprach früher wiederholt von Zuhandensein
im Gegensatz zu Ergriffensein. Hier haben wir ein bestimmtes Zuhan-
densein: das Enthematischsein, Mittelbar-thematisches-Objekt-Sein.
138 explikative und prädikative synthesen
Thema ist und nicht bloß Medium für den Teil, der enthematisch
bewusst ist. Zum Beispiel, ich bin auf diesen Aschenbecher gerichtet,
und dabei fällt mir von vornherein sein eigentümlicher Fuß auf oder
zugleich zwei Füße, ein paar eigentümliche Buckel etc.
5 Es kann ferner sein, dass ein Gegenstand Thema ist mit den
oder jenen oder gar keinen herausgehobenen Enthemen, und d as s
im Lau f de r E xpl i k at i o n s ic h Ri c h t ung en a u f E nt he m en
e i n st ell en , d as s s ic h al s o da s t h em ati s ch e In te re ss e, d er
I n h al t der t h em at is c h e n S et z un g, ber e ich e rt u m e ig en e
10 e n t h em a t i sc he St ra hl en. Die Explikation hat dann in Beziehung
auf sie (oder die Erzielung) den Charakter eines schlichten setzenden
Aktes, der ein eigenes Thema setzt.1
Wir werden vielleicht genauer sprechen müssen. „Die schlichten
thematischen“ Akte, von denen wir hier immer sprechen, haben
15 das Eigentümliche, dass sie einen G ege ns t a nd f ür si c h setzen –
einen, der für sich selbst gelten will und nicht um eines anderen
willen –, dass sie etwas Gegenständliches als Thema für sich, a l s
h e r r s c h e nd e s (a u ch f r e i es abs o lu t es ) T he m a setzen. Ihnen
stehen gegenüber Akte, die nicht „Gegenstände“ oder Themen für
20 sich, sondern dienende Themen (Mittel-Thema, abhängiges) setzen.
Worum es sich mir hier vor allem handelt, ist, den Unterschied
zu klären zwischen den Ex p l i ka t i o ne n , in d en en di e E x pl i kat e
G e g e n st ä nd e f ü r s i c h, f re i e T h e ma t a s in d, un d s ol c he n, be i
d e n e n si e e s ni c ht s i n d.
25 Wenn ich ein Gruppenganzes expliziere und die auf die einzelnen
Glieder der Gruppe (Kegelpyramide, Baumreihe, Wald) gerichteten
Intentionen in Form von Einzelerfassungen expliziere, so sind die
Explikate freie absolute Themata und zugleich Partialthemata. Wenn
ich aber dieses Papier betrachte und auf die Farbe, Form etc. achte, so
30 haben diese Momente des Gegenstandes in der Explikation, also als
Explikate, nicht den Charakter von selbständigen Themata, sie sind
nicht als für sich geltende Gegenstände gesetzt.
1 Die thematischen Strahlen sind hier in der Einheit der thematischen Richtung
so charakterisiert, dass das, was sie treffen, wieder als Gegenstand „für sich“, als
herrschender gemeint ist. Das ist nicht bei allen thematischen Akten und thematischen
Strahlen der Fall. Siehe folgende Seite.
140 explikative und prädikative synthesen
1 Falsch.
2 Nur, wenn ich die falsche Ansicht noch einmal überlegen will.
text nr. 8 145
Doch haben wir hier große Unterschiede, und gegenüber dem All-
gemeinen dieses Sich-Aufeinanderlegens „im Beziehen-auf“ besagt
auch Deckung eine allgemeine Eigentümlichkeit gewisser Synthesen,
wonach ein „Gemeinsames“ das Band der Vermittlung und Korrelat
5 der Deckung ist. Und die relationellen Synthesen zerfallen danach in
Deckungssynthesen im eigentlichen Sinn und Verknüpfungssynthe-
sen (bzw. die Relationen, wie schon Le i bn iz gesehen hat, in Relatio-
nen der Verbindung und Relationen der innerlichen Beziehung, Re-
lationen der Vergleichung: Vergleichen wir A mit B, so ist A Ganzes
10 und B Teil oder umgekehrt, oder es besteht ein anderes mittelbares
Teilverhältnis. Ferner, im Vergleich mit A ist B größer, intensiver; die
Vergleichung ergibt natürlich Gleichheit und Verschiedenheit, auf
der anderen Seite stehen Abstand, Ordnung etc.).
Formal haben alle relationalen Synthesen eben dies gemeinsam,
15 dass sie „Gegenstände“ selbständiger Themata für sich zur beziehen-
den Einheit bringen. Und darin stehen alle der explikativen Synthese
gegenüber. Während jede Relation ihre umgekehrte hat, entbehrt die
Explikation der Umkehrung. Jede Relation hat mit ihrer Umkehrung
das „Fundament“ gemein, nämlich sie entquellen aus demselben
20 gattungsmäßigen Wesen der Beziehungspunkte (bzw. phansisch der
Materie der beziehenden Akte und ihrer thematischen Unterlagen)
und sind selbst gattungsmäßig verwandt.
So ist ferner die Explikation, die Eigenschaften des Gegenstan-
des im engsten Sinne expliziert (innere Beschaffenheiten, die dem
25 ganzen Gegenstand zukommen, in denen er als ganzer und nur in
seiner Ganzheit für die Synthese in Aktion tritt), von Explikatio-
nen, die Teile hervorheben, wohlunterschieden. Die „metaphysischen
Teile“ B r en ta n os als sich ganz und gar durchdringende Momente
des Gegenstandes sind solche Eigenschaften: Hier ist die explikative
30 „Deckung“ die allerinnigste, es ist gewissermaßen das allerintimste
„Ist“, was da herauskommt. Indem ein „metaphysisches“ Moment
expliziert wird, eint sich damit jedes andere „metaphysische“ Mo-
ment ganz und gar und so der Gegenstand selbst in seiner voll um-
fassenden Ganzheit. Wenn wir solche Momente herausheben als
35 metaphysische Teile und sie als Teile dem Gegenstand als ganzem
zusprechen, so vollziehen wir eine Relation, die aber wie jede Teil-
relation voraussetzt die ursprüngliche Explikation. So ist sie, phäno-
menologisch gesprochen, konstitutiv für die metaphysischen Teile.
text nr. 8 147
speziell bei der Synthesis von Ganzem und Teil, die oft durch das Hat
ausgesprochen wird. Wenn ich, im Sinn des Ganzen lebend, ihn aus-
einanderlege, bloß „durchlaufe“, verdeutliche, so fasse ich keine Teile
heraus und stelle sie nicht dem Gegenstand als Ganzen beziehend
5 gegenüber. Ich könnte die Einheit der Körperlichkeit durchlaufen
und dabei den Fuß treffen und durchlaufen, ohne doch den Fuß
abzugrenzen und für sich zu vergegenständlichen. Ich lebe im Ganzen,
in der ganzen Körperlichkeit, in der ganzen Färbung, Formung usw.
und tue das, indem ich die Linien, Flächen etc. durchlaufe, wobei aber
10 immer die Intention durch das Explizierte auf das Ganze geht, und das
Ganze, wie ich es ja auch immer beschrieben, sich im Sondererfassen,
Betontsein, Klären verdeutlicht.
Aber vollziehe ich nicht „Sondererfassungen“ als neue Akte?
Gewiß, aber keine Beziehungen. Man wird sagen: Ja freilich, es fällt
15 bald die Umrandung mir auf, bald die Färbung, ich lebe bald in dieser,
bald in jener. Aber ich lebe gleichwohl im Ganzen.1 Wenn das auch
Sondererfassungen sind, so huschen sie sich gleich ins Ganze ein,
verschwinden darin und bilden nicht etwa eine Synthesis der Deckung
zweier sich aufeinander beziehender, einander gegenübergesetzter
20 Gegenstände. Es ist nicht so wie bei der beziehenden Hat-Synthese,
dass ich Ganzes und Teil gegenüber habe, dass ich zwei Akte der
Erfassung habe, jeder „extra“ etabliert, der eben vollzogene, seinem
Sinn nach festgehaltene und mit dem zweiten für sich vergegenständ-
lichenden Akt zur Synthese gebracht, verbunden zu einem syntheti-
25 schen Bewusstsein eben der Beziehung.
Beilage IX
Schlichte explikative Betrachtung
gegenüber prädikativer Synthesis. Die
Übergangssynthese als Grundlage der Prädikation2
30 Wenn ich mich in irgendwelche Explikationen ganz vertiefe und über sie
reflektiere, so finde ich, dass man unterscheiden muss:
1 Das hat mich immer bestochen. Eben damit habe ich auch noch kein Ist, also
keinen Sachverhalt. – Ja, aber das liegt daran, dass eben keine spontane Synthese,
keine prädikative, statthat, und das gilt für das Ist so wie für das Hat.
2 Wohl September 1911. – Anm. der Hrsg.
beilage ix 149
der Form des hauptsächlichen Gegenstandes und Darauf-Setzung des „an ihm“, der
Bestimmung im synthetischen Bewussten des „ist“.
1 Das alles aber schon im Explizieren.
2 Die Materie der Explikate, das sind wohl die ursprünglichen Kerne.
beilage ix 151
Beilage X
Die Übergangssynthesen: Das Subjekt braucht nicht der
Ausgangspunkt zu sein. Die Übergangssynthesen
sind noch keine prädikative Bestimmung1
Ein anderes ist es, wenn mich ein Gegenstand als Hauptsache interes-
siert und ich ihn schon bestimmend betrachte. Wenn alles sich in Bezug auf
ihn gruppiert, die Übergangssynthesen auf ihn als Zentrum bezogen sind, da
habe ich eigentlich schon alles beisammen, Substantiv und Adjektiv, Subjekt
5 und Bestimmung und bezügliches Objekt. Es fehlt nur die Konstitution der
gegliederten Setzungsweise, das „S ist p!“. Da ist es schwierig, die Grenzen
zu ziehen.
Beilage XI
Bloße Übergänge und ihre phänomenologischen
10 Charaktere gegenüber den Übergangssynthesen1
Beilage XII
10 Die unterschiedliche Weise der Deckung von
Eigenschaften mit dem Gegenstand und von Teilen
mit dem Ganzen. Der Unterschied zwischen
explizierender und beziehender Einstellung2
1 Sollen wir sagen, Explikation, explikative Synthese ist eine synthetische Über-
gangsform, und es besondert sich nun „Eigenschaft“ und „Teil“ je nach der Artung
in der Form dieser Synthese? Sicher ist: Es handelt sich bei Eigenschaft und Teil um
einen formalen Typus, der sich durch die „Weise des Vorgehens“ bestimmt.
Treten nicht bei der Konstitution eines jeden bestimmenden Sachverhalts die
korrelativen Übergangssynthesen auf? Ich gehe doch von A zu B und von B zu A.
Aber den Standpunkt nehme ich in einem, in dem A. Den Standpunkt nehmen, eine
Relation oder Komplexion von einem Standpunkt aus auffassen, das ist nichts anderes,
als das A im Charakter der Subjektsetzung erfassen oder vorher das A in der Weise
des sich Explizierenden, des sich Bestimmenden fassen.
2 Wohl September 1911. – Anm. der Hrsg.
3 Natürlich braucht es nicht bloß Entfaltung des schon konstituierten Inhalts sein.
Umgekehrt: Dieser Körper besitzt diese Weiße, besitzt diese Gestalt. Lebe
ich aber einfach im Anschauen des Körpers, dieses Papiers, und entfalte ich
sein „Sein“, so ist er „weiß“. Weiß, das enthält also die kategoriale Form
des Explikats.
5 E x pl izi e r en i st n ich t In - B e z ie h u ng -Se tz en. Explikat ist nicht Teil
(es fehlt die kategoriale Form von Ganzem und Teil). Auch wenn ich beim
Durchlaufen des Dinges auf Teile scheinbar stoße, wie den Schnabel dieser
Kanne etc., so ist die explizierende Einstellung eine total verschiedene
als die beziehende Hat-Einstellung: Im Explizieren bestimmt sich mir die
10 Kanne, ihr Wesen lebt in dem Schnabel. Erst wenn ich ihn zum Gegenstand
für sich mache und die Gegenstände Kanne und diesen für sich gedachten
Schnabel aufeinander beziehe, habe ich eben eine Beziehung und beziehende
Bestimmungen. Und nun is t das G Ganzes von T, und dieses „Ganze von T“
hat jetzt dieselbe Form wie „weiß“.
15 Beilage XIII
Kenntniserweiternde gegenüber kenntniserläuternder
Explikation (innerer Explikation)1
20 Beilage XIV
Prädikative und vorprädikative Übergangssynthesen.
Schlicht Abgesehenes und Abgesehenes im Übergang.
Die Übergangsformen. Die Form des Bestimmbaren
überhaupt gegenüber der Form des Substrats2
kann aber so gefasst werden: Das ist die nominale (substantivische) Fassung.
Also muss man doch eine eigene Fassung annehmen, die schon der Eingang
in die Übergangssynthese, in die bestimmende, voraussetzt. Diese Form des
Bestimmbaren ist aber nicht die Form des Substrats. Die erstere Form ist vor-
5 ausgesetzt, damit etwas Subjekt werden kann, aber nicht selbst Subjektform.
Das Weiß als Explikat kann, ohne dass es aufhört, Explikat zu sein, also
im Dienst der Bestimmung des A zu stehen, die Form des Bestimmbaren
annehmen, und eventuell sogar auch Bestimmungen annehmen. Es kann
also zugleich Subjekt sein, aber freilich Explikat und Subjekt kann es nur
10 sein in der Weise, dass das Subjekt eine Form angenommen hat, die das herr-
schende Subjekt, das Hauptsubjekt, natürlich nicht hat. Jedenfalls haben wir
also die Form, die wir die substantivische nennen, die des B e st im m b ar e n
üb e r ha upt, zu trennen von der Form des S u b jek ts (besser Tr äg er s), und
die beiden Möglichkeiten, dass etwas innerhalb der Sphäre des Thematischen
15 auftritt, das zwar Abgesehenes ist (wie alles darin), aber nicht die Form
des Bestimmbaren hat, und andererseits diese Form annimmt (und alles
Abgesehene kann sie prinzipiell annehmen).
Demnach haben wir alles in allem zu scheiden:
1) Abgesehenes (wohlunterschieden gegenüber Nicht-Abgesehenem; in-
20 nerhalb der Sphäre des Abgesehenen mancherlei Unterschiede);
2) schlicht Abgesehenes im Gegensatz zu Absehen im Übergang, wodurch
verschiedene Formen auftreten.
3) Sehr wichtig ist es, zu beachten den Unterschied zwischen bestimmen-
den Übergängen und Übergängen schlechthin. Ich erfasse einen Gegenstand,
25 dann lenkt sich die Aufmerksamkeit auf einen Teil, dann wieder auf ein Mo-
ment etc., all das ohne Bestimmendes und Bestimmtes. In diesem Übergang
ist alles schlicht und in gleicher Weise erfasst, und es fehlen die Formen, auf
die es uns jetzt ankommt, die Formen des Bestimmbaren und des Subjekts
(bzw. allgemeinen Trägers). Soll der Übergang zu einer b es t im m en d e n
30 Ü b er g an gs s yn t h e se werden, so muss das Übergangsglied Abgesehenes
sein in der Form des Bestimmbaren, in der substantivischen Form. Indem die
Synthese vollzogen ist, erhält es zugleich die Subjektform. Das im Übergang
Erfasste hat im Allgemeinen nicht die Form des Bestimmbaren. Ist es ein
unselbständiges Moment, so hat es einerseits die Form der schlichten Erfas-
35 sung (wenigstens kann man vielleicht sagen, zunächst), andererseits (indem
die Synthese einschnappt) die Form der adjektivischen Bestimmung.
Es kann dann aber die adjektivische Bestimmung eine Umwandlung
erfahren: Indem nämlich das zunächst schlicht Erfasste die Form des Be-
stimmbaren (des Gegenstandes im nominalen, substantivischen Sinn) erhält,
40 und wenn es dann selbst Bestimmung erfährt, untergeordnete, attributive
Bestimmung, so erhält es die Form des Substrats, des Themas.
beilage xv 161
Die Form des Subjekts: So bezeichnen wir am besten das in der gesamten
Synthese zu Bestimmende, das H au p t su b j ek t. Form des Trägers:1 jedes
Bestimmung (sei es auch mittelbare, dienende) erfahrende Objekt.
Wir können vielleicht auch sagen, Gegenstand im prägnanten Sinn, das
5 ist die Form des „G eg en st a nd e s, w e lc he r“; „ d er G egen s tan d , w el-
c he r “ is t e nt w e de r „ G e g e n st a nd wo r üb e r “ ( nä ml ic h w or ü b er d ie
A us s a ge g em a c h t w ir d e t c .) o d e r „ G e g e n st an d in B ez u g a u f d en “.
Beilage XV
Schlichte und beziehende thematische Betrachtung.
10 Wie das beziehende Betrachten sich zum Bestimmen
in der prädikativen Synthesis wandelt2 3
1 Träger = Substantivität.
2 Wohl September 1911. – Anm. der Hrsg.
3 Gegensatz: 1) das Sich-näher-Bestimmen in der „Verdeutlichung“ und 2) das
zu fragen, dem bei jeder beziehenden Erfassung, in der eine Relation eben
beziehend, in artikulierter Synthesis, zur Erfassung kommt, etwas: Bedarf
diese Synthese als Voraussetzung die Erfassung einer schlichten Einheit und
dann eines Übergangs von Relationsglied zu Relationsglied?
5 Doch das ist ungenau. Im Fall des Verhältnisses zwischen Ganzem und
Teil erfasse ich zunächst das Ganze und bin darauf gerichtet: Aber der Teil ist
abgehoben und hat schon verborgene Einheit mit dem Ganzen. Diese Einheit
ist aber nicht das Ganze, worauf ich objektivierend-erfassend gerichtet bin. So
bin ich bei einer sonstigen Relation zunächst etwa schlicht auf das eine Glied
10 erfassend gerichtet, aber die Einheit mit dem anderen, noch nicht erfassten
ist schon zuhanden, drängt sich hervor und ist sozusagen ein verborgenes
Motiv für die beziehende Bewegung.
Lassen wir die Frage nach den verborgenen „Motiven“, nach den die
Bewegung „anregenden Tendenzen“ beiseite, und b e tr ac h t en wi r d ie
15 Ü be r gä n ge u nd di e A r t, w i e es z u r ar t ik u lier t en s yn t h et is c he n
Er fa s s un g d e r R e l at io n ko m m t.
Nehmen wir an, wir betrachten einen Gegenstand: diese Tinten-Pipette.
Sie ist das Objekt. Nun drängt sich die schwarze Tischplatte auf, auf der die
Pipette liegt, der Blick wendet sich ihr zu, aber die Pipette bleibt das Objekt
20 der Betrachtung. Habe ich jetzt zwei betrachtete Objekte?
Stellen wir eine allgemeinere Betrachtung an. Ich kann betrachtend von
Objekt zu Objekt gehen und im Übergang Festhaltung üben, und zwar als
„aneinanderreihende“ Hinzunehmung; in ihr ist jedes Neue, das ich erfasse,
Objekt, und jedes ist Objekt in gleichem Sinne. Aber nicht immer ist im Über-
25 gang von einem Objekt zu einem anderen Erfassten das letztere „Objekt“.
Das zeigt sich ja auch daran, dass ich das erste Objekt und ein zweites
oder auch noch ein drittes und so weiter „zusammennehmen“ und hierbei
einen Abschluss machen kann derart, dass ein Hinausblicken über die in
der abschließenden Einheit des Zusammennehmens zusammengenommenen
30 Objekte zwar neue Sachen erfasst sein lässt, aber nicht als Objekte, die in
„Betracht“ stehen, in Betracht gezogen werden und betrachtete Objekte
sind.1 Ebenso kann es nun sein, dass ich ein Objekt betrachte, zu einem
zweiten übergehe, aber dabei bliebe, das erste Objekt allein zu betrachten,
es ist allein und bleibt allein das Objekt, das ich betrachte im eigentlichen
35 Sinne.
Aber nun ist noch ein Unterschied zu machen. Wenn ich zu Zwecken
eines Beziehens den Blick von der Pipette auf den Tisch, auf dem sie liegt,
1 Kontinuität der thematischen Setzung, Erblicken eines Objekts, das „nicht hinein-
1 Man sagt, zu jeder Relation gehört (im alten Sinn) ein fundamentum relationis, eine
Einheit, eine Tatsache, an der beide Beziehungsglieder beteiligt sind. Das kann man
bei den Relationen der Verbindung sagen, wo man ein „Ganzes“, eine „verbundene
Einheit“, erfassen kann und in ihr die Beziehungsglieder als Teile erfassen; das geht
aber nicht bei Relationen von Ganzem und Teil. Hier sind nicht Ganzes und Teil an
einem „beteiligt“, aber hier haben wir das Ganze als die eine Tatsache, in der wir auch
das andere finden, den anderen Beziehungspunkt. Und bei Gleichheit und Steigerung?
beilage xv 165
ersten Übergangs das b den Charakter des Dickeren, aber doch eigentlich
nicht des Dickeren als relatives Merkmal, sondern ein Charakter tritt daran
hervor, die Dicke, und zwar die Dicke charakterisiert durch diesen Übergang.
Wir erfassen das „b in diesem Charakter“, aber wir vollziehen da keine Syn-
5 these, wir sind einfach der Spitze in ihrer Dickheits-Charakteristik zugewandt
und kehren alsbald zu unserem Thema zurück als dem zu bestimmenden. Und
wir bestimmen es nun, wir erfassen: a ist dünner als b.
Warum, möchte man fragen, dieser doppelte Weg? Man wird versuchen
zu antworten: Solange ich a allein betrachte, finde ich an ihm kein relatives
10 Merkmal (es sei denn, ein sinnliches Kontrastmerkmal). Ich muss also zu b
übergehen. An b mag schon ein „Charakter“ hängen durch den Übergang
von a, aber das ist nicht ein relatives Merkmal, das voraussetzt, dass b Sub-
stratstellung hat und die Richtung der Beziehung auf a geht. Das relative
Merkmal am Substrat a ist erst voll konstituiert, wenn ich zu a wieder
15 zurückgekehrt bin, was eine Wiederholung der erfassenden Aktualität ist,
und nun bestimmend zu diesem Merkmal mich gewendet habe.1
Dasselbe gilt für jede Relation, auch für die Relation von Ganzem und
Teil. Ich gehe vom Ganzen als Substrat zur Erfassung des Teils als Hinblick
darauf, aber zum Ganzen zurückkehrend erhält dieses das durch diese hin-
20 und hergehende Bewegung konstituierte relative Merkmal: Ganzes von Tei-
len. Soll aber die umgekehrte Relation erfasst werden, so muss ich „mich auf
den Standpunkt des Teils stellen“, d. h. den Teil zum Substrat machen und
im Übergang zum Ganzen dieses in die Gegenstellung, die des „in Hinblick
auf“, bringen, und rückkehrend hat nun der Teil das relative Prädikat.
1 Das b in dem Charakter des „lauter“, des „dicker“, der Steigerung, das ist ein
eigener Modus des Gegebenseins des b, auf den ich reflektieren kann. Aber man
darf diese Reflexion nicht verwechseln mit der Hinwendung auf b, die eben aus dem
Charakter ein Beziehungsmerkmal zu a „macht“ oder entnimmt.
Nr. 9
1 Das hat nur Sinn, wenn wir darunter eben die beziehende Synthese verstehen, die
1 Problem der komplexen Beziehungen und der Gegebenheit bloß einzelner Bezie-
zeigt es ein Merkmal, das sich wirklich konstituiert, wenn ich auf B
vergegenständlichend hinsehe. Ich erfasse es wie ein Merkmal, als ein
von A gehabtes, gehabt von A „in Bezug auf B“. Ebenso A rechts
von B, über B etc.
Nr. 10
1 19. 9. 1911.
2 Über die Unterschiede der Aufdringlichkeit zwei Blätter in PPP zu Anfang =
Husserliana XLIII/2, Beilage VII: Das Sich-Aufdrängen eines Objekts als Reiz zur
Zuwendung (S. 188).
176 explikative und prädikative synthesen
sondern es konstituiert sich eine Einheit, und ihr wendet sich der Blick
zu. In diesen Beziehungen bedarf es ausführlicher Erörterungen.
Wic ht ig e Un t ersch ie de sind folgende:
1) E s kan n ei n E i nh ei t lic he s e rf as st w e rd e n, e i n Ge g e n-
5 st an d , so d as s k ei ne Te il e ode r Mo m e nt e a n i hm d u rch
S on d er erf as sen a usg ez ei c h ne t si nd. Das Letztere wird zwar
häufig der Fall sein, muss aber nicht der Fall sein. Zum Beispiel,
ich erfasse im indirekten Sehen einen visuellen Gegenstand, der so
„verworren“, so undeutlich erscheint, dass ich bei bestem Willen
10 in ihm kaum etwas Besonderes unterscheiden könnte. Ich bin ihm
dauernd zugewandt, ich verändere die Blickrichtung stetig, und stetig
erscheint er mir als einer. Halten wir uns jetzt aber in der Sphäre
des „deutlichen“ Sehens, in der Sphäre, wo das Erscheinende im
Allgemeinen Möglichkeiten gibt, um vielerlei „Einzelheiten“ abzu-
15 scheiden und sonderzubeachten. Zum Beispiel dieser Aschenbecher
hier: Ich bewege mich hin und her, nähere mich oder entferne mich
und kann dabei o hn e S on d erb eac ht u n g v on E i nz el he i t en a uf
d i e Ei n he i t de s Ga n ze n ger ic ht et s ein. Im Allgemeinen werden
dabei Ei n z e l h e i t e n g e g e be n s ei n, sich schon entgegendrängen,
20 aber doch nicht durch eigenes Für-sich-Erfassen herausgenommen.
Ich kann also den Gegenstand überblicken und als Einheit in einer
Kontinuität von Erscheinungen erfassen, aber ohne jede Verdeutli-
chung, mindestens zunächst, ein „Weilchen“.
2) Demgegenüber haben wir das a n a l ys i er e nd e B e t r ach te n
25 d e s G eg ens t a nd e s, das Du r c h l a uf en seines Inhalts in immer
neuen Heraushebungen und Für-sich-Erfassungen, aber auf dem
Grund der Einheit der Gesamterscheinung und Gesamterfassung.
Dabei haben aber sowohl die G es a m t e r fa s s un g wie die So nde r-
er fas s u ng ihre Eigentümlichkeiten. Man möchte hier fragen: Was
30 ist denn dabei wirklich „gegenständlich“ erfasst, etwa zweierlei, der
ganze Gegenstand und daneben der Teil, das Moment etc.? Ich be-
trachte den Gegenstand, diese Kupferschale. Mein Blick „durchläuft
sie“; ich bleibe mit ihm jetzt einen Moment an der Umrandung hän-
gen und an ihr wieder bei einer glänzenden Stelle, einer Abweichung
35 von der gleichmäßigen Richtung. Dann springt der Blick über auf eine
breite Glanzstelle und geht dann ein Stück weiter, dem wechselnden
Glanz, der Glätte nach. Dann fallen die Buckel auf, und die Gruppe
der Buckel ist gehoben; ich durchlaufe sie usw.
text nr. 10 177
Es scheint mir nun, dass man sagen muss, dass dabei immer-
fort nur ein ab gez i elt e r „Geg ens t an d“ ist, korrelativ: eine Ein-
heit der Apprehension, eine Einheit der Erscheinung liegt zugrunde,
in der eben Eines, ein Gegenstand, erscheint, und dieses Eine ist
5 das Zielobjekt der Zuwendung1. Innerhalb dieses einen Gemeinten,
nicht nur Gesehenen, sondern Abgesehenen, kommt nun bald dieses,
bald jenes zu besonderer Heraushebung, zu besonderer Klarheit und
Deutlichkeit. Aus dem Gesamtinhalt hebt sich etwas heraus. Manch-
mal hebt es sich bloß heraus; manchmal wird aus dem Inhalt des
10 Erscheinenden und als Ziel Fungierenden, des eigentlichen Objekts
der Aufmerksamkeit, ein Moment nicht nur herausgehoben, sondern
auch „näher“ gebracht, wobei sich der Inhalt in dieser Hinsicht näher
bestimmt und klärt, eventuell bereichert (ohne Bereicherung: wenn
ich abwechselnd bei ruhendem Blick bald auf Umrandung, bald auf
15 den Glanz „achte“, aber dem Gegenstand und nicht diesen Einzel-
heiten zugewandt bin).
Wenn ich mich in diese Sachen so recht vertiefe, scheint es mir,
dass nicht zweierlei und mehrerlei „Gegenstände“ zu unterscheiden
sind, sondern, solange nichts weiter vorliegt wie dieses durchlaufende
20 Betrachten der Kupferschale, nur ein „G eg en s ta nd“2. Aber was
heißt hier Gegenstand? „Eigentlicher“ Gegenstand der Betrachtung,
des Aufmerkens in einem ausgezeichneten Sinn, sollen wir etwa sagen
S u bs t r a t? „Gegenstand“ ist die Schale, und sie ist es in den man-
nigfaltigen Erscheinungen, und sie kommt zur Gegebenheit nur in
25 solchem „Durchlaufen“ und solchen in einheitlicher „Betrachtung“
geeinigten Erscheinungen. Dieser Gegenstand hat Gruppen von Ei-
genschaften, und er kommt nur zur Gegebenheit, wenn die betref-
fenden Eigenschaften in dieser Weise zur „Einzelerfassung“ kommen
innerhalb der kontinuierlichen Einheit des Die-Schale-Betrachtens.
30 Das „Gegebenheitsbewusstsein“ ist ein gewisses Erfassen des Ge-
gebenen, und zwar sein Erfassen in kontinuierlicher Einzelbetrach-
tung, Näherbestimmung. Andererseits, die Erscheinungen könnten
ebenso ablaufen, ohne dass der „Gegenstand“ wirklich „unser Ge-
genstand“ wäre und ohne dass er als Objekt der Betrachtung, der
35 Erfassung, des Mit-ihm-sich-Befassens-und-ihn-Erfassens, zur Ge-
1 Zielobjekt = Substrat.
2 = Zielgegenstand, Substrat.
178 explikative und prädikative synthesen
gebenheit gebracht wäre. Ich blicke etwa genau ebenso über die
Schale hin, bin aber mit meinen Gedanken ganz woanders: Ic h
b in a uf den G e gen st an d „ n ic ht a uf m er k sa m “. Es fehlt den
Erscheinungen oft Zusammenhang und Einheit. Aber sie enthalten,
5 aber uns „verborgen“, den Gegenstand. Er wird uns offenbar, es
wird ein aktueller Gegenstand erst gegeben in der Hinwendung der
Aufmerksamkeit und im Spiel dieser Aufmerksamkeitsmodi. Und
diese Hinwendung gibt sich als Ich-Hinwendung, und das Ich wendet
sich im eigentlichen Sinne „dem Substrat“ zu. Im Durchlaufen bin
10 ich immer dem Gegenstand, dem Substrat, und nur ihm zugewandt.
Und doch kommt von ihm das und jenes zu besonderer Beachtung?
A l s o bi n i c h n i c h t d o c h de n E ig ens cha f ten , de n T e il e n
z ug e w a n d t u nd si nd s ie e ben fa ll s m e ine G eg en st änd e?1
Aber da ist die Sachlage eigenartig und schwer zu beschreiben.
15 Die Teile sind nicht der „eigentliche Zielgegenstand“, nicht um ih-
retwillen, um ihrer selbst willen gegenständlich, die Farbe, der Glanz
kein letztlich abgesehener Gegenstand. Wenn ich im durchlaufenden
Blick am Glanz haften bleibe, ihn fixiere (eventuell im doppelten
Sinn), so ist nicht der Glanz in letztem Grund mein Gegenstand,
20 sondern die Schale, aber nach ihrem Glanz.2 Ist der Glanz wirklich
mein „letztlich abgesehener“ Gegenstand, so ist es ganz irrelevant,
ob er der Schale zugehört oder dem Samt. Dem Glanz als letztlich
abgesehenem Gegenstand zugewandt zu sein, ist darin nicht der
Schale zugewandt zu sein, sondern eben einzig und allein dem
25 Glanz. Demgegenüber bin ich aber jetzt in der Hinwendung zum
Glanz dem glänzenden Gegenstand, nämlich ihm, sofern er in diesem
Glanz sozusagen sein Leben hat, zugewandt. Und so durchlaufend,
durchlaufe ich eben ohne „eigene“ Vergegenständlichung der Teile
und Momente immer den Gegenstand. Ich sehe ihn, indem ich mir
30 ihn nach dem und jenem ansehe.
Eine besondere Beachtung erfordert die Sonderung dieses Ver-
hältnisses gegenüber der Synthesis, die das Relationsurteil voraus-
setzt. Und zwar handelt es sich um Synthesis hier von Ganzen und
Teilen.
1 Gegenstände in gewissem Sinn ja, aber nicht Gegenstände der Betrachtung, nicht
Substrate im prägnanten Sinn.
2 Ist das nicht eine Analogie mit dem Um-willen in der Gemütssphäre?
text nr. 10 179
Schließen wir das aus, diese Fragen nach den durch eine Einheit des
Interesses geeinigten und phänomenologisch ausgezeichneten Ge-
genständlichkeiten. Gehen wir nun auf das obige Beispiel zurück. Wir
dachten uns ein einheitliches Interesse, gerichtet auf einen Menschen-
5 auflauf. Lassen wir das Interesse beiseite, und halten wir uns an die
bloße „Objektivation“, d. h. an die bloße kontinuierliche Einheit der
Gegenstandsbetrachtung, in welcher immerfort der Menschenauflauf
gegenständlich ist und die Einzelbetrachtung nun selbständige Ob-
jekte, Menschen, betrifft. Hier ist es doch völlig klar, wird man sagen,
10 dass es sich um Einzelerfassungen handelt, die selbst den Charakter
von Objektivationen haben. Ich bin freilich nicht bloß den einzelnen
Menschen zugewandt, sondern auch dem ganzen Auflauf; aber ich bin
ihnen doch zugewandt, sie sind meine Objekte. Oder ich betrachte
im Park eine B a u mg ru p pe. Ich betrachte sie, indem ich einzeln die
15 einzelnen Bäume mir ansehe und sie wiederum betrachte.
Ist unsere obige Beschreibung also richtig? Ich sagte dort doch,
dass, wenn das Ganze und dann die Teile zu Gegenständen für sich
gemacht würden, dass dann eine Synthese erforderlich sei, um sie
zur Einheit zu bringen, wodurch sich in partialer Identifizierung ein
20 Sachverhalt, ein Ineinander oder Aneinander konstituiere.1 Nun ist
es doch klar, dass hier eine solche Synthese sich nicht vollzieht.
Der uns interessierende Unterschied besteht offenbar auch hier. Die
Baumgruppe in ihren Gliedern betrachten, den Menschenauflauf in
Einzeldurchlaufung seiner Glieder betrachten, das ist nicht, ein Akt-
25 bewusstsein des Inhalts „eins im anderen“ vollziehen.
Ich sehe aber doch, dass ich in meiner Darstellung ursprünglich
nicht völlig korrekt gewesen bin (schon verbessert im Text). Man darf
nicht sagen, dass die Einzelobjektivationen keine Objektivationen
seien, sondern darauf muss man sich beschränken, einen bestimmten
30 phänomenologischen Unterschied klarzustellen, der die Weise der
Objektivation, die Weise des Zum-Gegenstand-Habens und des Den-
Gegenstand-Erfassens-und-Betrachtens betrifft. In dem ursprüngli-
chen Beispiel handelt es sich um ein einzelnes selbständiges Objekt,
und seine Einzelbetrachtung führte auf dessen Glieder, dessen For-
35 men, Farben und sonstigen „Eigenschaften“ oder Beschaffenheiten.
1 Cf. Z3 = S. 168,14–169,12.
184 explikative und prädikative synthesen
1 Der erscheinende und schlicht erfasste Gegenstand (als solcher) hat kataleptische
Momente.
text nr. 10 187
in der Erfassung und blicke auf ein drittes Objekt hin als Objekt für
sich. Die Verbindung der beiden ist damit nicht gelöst. Es ist etwas
anderes, das dritte Objekt in die Verbindung aufzunehmen oder
neben den sonderverbundenen beiden Objekten ein neues Objekt in
5 Betracht zu ziehen. Und nun habe ich eine Einheit der Erfassung
in der Form ((A, B), C), ebenso ((A, B), (C, D)) usw. Wieder ist da
zu sagen: Jede solche komplex gestaltete Erfassung hat zu Objekten
A, B, C, … und nicht etwa (A, B) als ein Objekt und dgl.
Andererseits kann ich doch auch den Blick der Zuwendung und
10 Erfassung richten auf das Paar, auf das eine und das andere Paar, wo
dies die Objekte sind. Und tue ich das, dann fungiert die wiederholte
einzelkonzentrierte Zuwendung, das konzentrierte Partialerfassen
jetzt des A und dann des B, als Explikation, als Partialerfassen eben
(Durchlaufen) des Totalobjekts A+B. Sehen wir näher zu, so hat
15 das Vorstellen (A, B) den Vorrang vor dem kollektiven (A+B),
in dem der Inbegriff Gegenstand ist. Nämlich, um den Inbegriff
„gegeben“ zu haben, um ihn betrachtend in Selbstgegebenheit zu
erfassen, muss ich das A und das B erfassen, und in der Einheit
dieser Erfassung zweier Gegenstände konstituiert sich sozusagen als
20 ihr Ergebnis der neue Gegenstand als etwas, was ich nun erfassen
kann, und was ich nun in der Einzelerfassung der A, B explizieren
kann. Man könnte einwenden: Das sei nicht so, Gegenbeispiel sei jede
sinnlich erfasste Menge. Man würde antworten: Das seien komplexe
Gegenstände, die zu kollektiven Zusammennehmungen Anlass ge-
25 ben und zur Bildung von rein kollektiven, aber das seien nicht selbst
solche.
Das reine Zusammen, der reine Inbegriff, die reine 2 setzten voraus
ein Zusammennehmen, und erst als Ergebnis lässt sich herausfinden
und in einem neuen Blick erfassen eben die „kategorial“ neuartige
30 Gegenständlichkeit, die reine Inbegriffsgegenständlichkeit.1 Ich kann
ferner A betrachten und in eins damit B betrachten, aber nicht bloß
das: A erfassend und den Blick nun auf B richtend sind beide nicht nur
zusammengenommen, sondern sie haben auch öfter eine „Relation“
1 „Kategorial“ darf man hier aber nicht sagen. Ein Beispiel bieten: Ich vollziehe
drei Zusammennehmungen (A, B), (A’, B’) etc. und richte den Blick nun auf jedes
Paar, vor allem Denken.
190 explikative und prädikative synthesen
Offenbar ist aber das Erlebnis darum doch ein anderes, wenn ich auf
G explizierend gerichtet bin und die Partialerfassung des T, aber nicht
Eigenvorstellung des T vollziehe. Durch die Partialerfassung erfasse
ich hier das G eben nach diesem Bestandstück T. Damit verdeutliche
5 ich das G.1
Habe ich aber die beiden Gegenstände G und T für sich in eins ge-
nommen und weiter nichts, so haben sie zunächst miteinander nichts
zu tun in der Erfassung, obschon die Auffassungen von G und T im
Verborgenen sozusagen sich decken. Es ist, wenn es mir noch gar
10 nicht einfällt, G und T in Bezug zu setzen, auch nur zusammenzuneh-
men, und ich nur von einem zum anderen übergehe, auch schon ein
inhaltliches Verhältnis da: Der Substratgegenstand verengt sich bzw.
erweitert sich, und das gibt natürlich dem Übergangsphänomenen
seinen Charakter. Bei der Betrachtung des G und der Explikation
15 verengt sich, wenn ich von der Gesamtauffassung zur Partialerfassung
übergehe, nicht der „Gegenstand“, vielmehr das Licht der Partialbe-
trachtung fällt auf den Teil und sondert ihn, während das Substrat
verbleibt, aus diesem in dem Sonderakt aus. In anderem Sinne kann
man aber auch sagen, dass eine Gegenstandsverengerung statthat:
20 Denn hier decken sich zwei Akte, deren einer einen engeren Gegen-
stand hat als der andere (nur ist es nicht beiderseits Gegenstand für
sich).
Dagegen beim bloßen Übergang von der Betrachtung des A zu
der des B sind sich die erfassenden Akte fremd, obschon sie den
25 Objekten ihrer Auffassungen nach sich überschieben. Bei der Ver-
engerung lasse ich das Weitere in seiner umgrenzten Einheit fallen,
bei der Erweiterung die Grenzen des Engeren. Explizierend, von der
schlichten Auffassung des G übergehend zu Partialauffassungen und
eventuell dann wieder von den Einzelerfassungen rückkehrend zu
30 einer schlichten Gesamtauffassung, treten die Akte als Erfassungen
(und ihre Fortlebnisse) in eine innere Erfassungseinheit, das heißt,
die Erfassungen als solche durchdringen sich: In der Partialerfassung
expliziere ich ja die G-Erfassung; und immerfort in der Kette der
1Bloßer Übergang von G und T (jeder Gegenstand für sich) und Zusammenneh-
mung, verglichen mit Fällen der Synthese, der inneren Erfassungseinheit, zunächst mit
dem Fall der Explikation.
192 explikative und prädikative synthesen
1 „Zugleich als Partialerfasstes“? Die Partialerfassung ist vorüber, aber sie hat ein
Erfassung des „G hat T“. Dies setzt das Resultat der Explikation
voraus, und genau dasselbe Resultat setzt die synthetische Relati-
onserfassung „T in G“ voraus. Das Ergebnis der Explikation ist
oder liefert das fundamentum relationis im alten Sinne? Jedenfalls,
5 es liegt zugrunde, und was sich darauf konstituiert, ist beiderseits im
Verhältnis der Umkehrung.
Also, die Relation T G ist eine „Umkehrung“ der ursprüngliche-
ren Sachlage „G hat T“. Ob ich G als T habend oder T als von G ge-
habt erfasse: Immer muss zunächst eine Einheit des Totalbewusstseins
10 vorliegen, in dem sich Partialbewusstsein etabliert (das Explikations-
bewusstsein). Weiter bedarf es, wie wir sehen, neuer Selbsterfassung,
nämlich der des T. Es bedarf einer erneuten Originär-Erfassung des
G und einer neuen, aber geänderten Originär-Erfassung des T. Aber
einmal geht der originär selbsterfassende und mit der Selbsterfassung
15 Synthesis übende Blick von G zu T, das andere Mal von T zu G: eine
Synthese, die ihre Richtung hat von T zu G, während im anderen Fall
die Richtung geht von G zu T.
ist. Es ist vor-handen; es ist aber nicht in Händen, ist nicht ergriffen,
und das Ergreifen ist das Objektivieren.
Demnach ist Wah rn ehm u n g ein gegenstandserfassender, ein ob-
jektivierender Akt, wofern wir unter Wahrnehmung nicht das bloße
5 Bewusstsein eines leibhaftig und wirklich erscheinenden Dinges ver-
stehen (oder sonst einer Sache, die wir lieben, als wahrgenommen zu
bezeichnen), sondern ein das so Erscheinende für sich Zum-Objekt-
Machen. Die Erscheinung konstituiert den Gegenstand, die Objek-
tivation macht ihn zum Gegenstand, das heißt, in der Erscheinung,
10 durch die nicht der fassende Griff der Objektivation geht, ist ein Ge-
genstand „vorhanden“, aber Gegenstand-Sein im prägnanten Sinn ist
nicht Vor h a nde n-, sondern Zuhanden- oder vielmehr I n- Hä nd en -
S e i n. Das weist auf meinen Begriff der nominalen Vorstellung hin. In
jeder nominalen Setzung ist ein Gegenstand objektiviert, mag sie auch
15 mehr sein als Objektivierung. Und jeder objektivierte Gegenstand ist
nominaler, sofern er zugleich begriffen und dann nominal begriffen
werden kann in einer nominalen Setzung.
Beilage XVI
Unterschiede der Aufmerksamkeit.
20 Die Artikulationen der Erfassung1
Beilage XVII
Rezeptive Zuwendung und Zuwendung zu einer
synthetischen Einheit in und mit ihrer Erzeugung1
wenden als Sich-Hinwenden zu einer Hauptsache, zu einem Thema, und Hinwen-
den im Thema ist nicht immer Hinwenden schlechthin, Hinwenden als zu einem
Substrat, Explikat etc.
198 explikative und prädikative synthesen
D ie K on st i t u t io n von S a ch ve rh al t e n
u nd i h r en F orm en i n Ex pl i ka t io n en
u nd dar au f grü n den de n p rä d ik ati ve n
5 D en k sy n t h es en un d D en kf or mu n ge n1
1 Relative Bestimmung als Prädikat – relative Bestimmung als Relat. Das absolute
Adjektivische: weiß. Das relativ Adjektivische: gleich, ähnlich, größer, lauter; unter b,
tiefer als b, neben b, benachbart mit b.
text nr. 11 201
für sich betrachtet“; ebenso wie ich sage „a ist größer in Bezug auf
b“?
Man könnte in Bezug auf all das auch fragen: Ist vielleicht zu
scheiden das Pr ädi ka t und das A d je k t ivi s ch e? Versteht man unter
5 Bestimmung Prädikat, das, was von dem Subjekt ausgesagt, auf die
Subjektsetzung hin gesetzt ist, so ist „größer als b“ Prädikat oder
Bestimmung. Andererseits, das Adjektivische, könnte man sagen, ist
nicht immer das Prädikat. Weiß als Prädikat, das ist eine als Prädikat
gesetzte Adjektivität. Aber in den relativen Prädikaten haben wir
10 eine Adjektivität, die mit etwas verbunden ist, was nicht Adjektivität
ist. Das „größer als b“ wird dem Subjekt zugesprochen, das steht
fest. Andererseits aber wird es nicht dem Subjekt adjiziert oder ist
nicht als bloßes Adjektiv erfasst. Das Adjektivische ist das „an“ dem
Subjekt Erfassbare bzw. Erfasste; so das „weiß“ aufgrund der eigen-
15 schaftlichen Explikation, aber auch aufgrund des Relativierens das
„größer“, „gleich“ etc. Aber das „als b“ ist nichts an dem Subjekt,
auch nicht „größer als b“ vollgenommen.
Damit wird allem Wesentlichen genügt sein. Das „als b“ gehört ins
Prädikat und ist im Prädikat eins mit dem adjektivischen Kern, den
20 es als Relatives fordert. Das schließt nicht aus, im Gegenteil, das for-
dert, vermöge der total verschiedenen „Form“ des Adjektivischen
und des bezüglichen Objekts, dass sich das eine und andere in sehr
verschiedener Weise auf das Subjekt bezieht. Das Adjektiv ist am
Subjekt; was aber das bezügliche Objekt anlangt, so geht ein bezie-
25 hender Blick von Subjekt zu Objekt etc., und auch im Sachverhalt
bzw. der Sachlage gehen besondere Linien von Subjekt zu Objekt.
Und das drückt sich in den obigen Redewendungen aus, welche das
adjektivisch Gesetzte vom bezüglichen Objekt getrennt zum Aus-
druck bringen. Es ist da noch genauer phänomenologisch zu forschen.
30 Es scheint doch, dass das Adjektivische für sich sozusagen erfasst,
eben dem Subjekt adjiziert wird auf dem Grund der beziehenden
Ineinssetzung. Aber wie kommt die Einheit des Prädikats „größer
als b“ zustande?
202 explikative und prädikative synthesen
1 1) „Bestimmen aus sich selbst“, das kann eben entweder heißen, das Subjekt ist der
einzige „Gegenstand“ dabei, die einzige logische Substanz, oder es ist mehr als eine
substantivische Gegenständlichkeit dabei. 2) „Aus ihm selbst“ kann aber auch heißen,
man geht in identifizierender Deckung, und zwar totaler oder partialer Deckung,
nicht über den Gegenstand hinaus.
2 Das habe ich gemeint, es ist aber nicht richtig.
3 Nein.
204 explikative und prädikative synthesen
Subjekt und dem bloß zur Bestimmung dienenden Objekt (dann immer Relation); das
Gemeinsame ist dabei die Substantivität.
2 Das ergibt dann die attributiven Bestimmungen.
206 explikative und prädikative synthesen
Was die erste Stufe der Denksynthesen anlangt, die auf schlich-
ter einstufiger Explikation beruhen, so nehmen wir auch da den
einfachsten Fall, nämlich den, dass nicht „Ergebnisse“ von Expli-
kationen hineingezogen werden in Denkfassung in neuen Explika-
5 tionen bzw. in die Denksynthesen; wir schließen, deutlicher gespro-
chen, jederlei Attributionen aus. Also, etwa von G ausgehend als
Explikand, vollziehen wir einen ersten und einzigen Schritt der Ex-
plikation gegen a hin, wobei a die herausgehobene Einzelheit ist,
in der sich G „expliziert“, sei es, dass es sich bloß verdeutlicht,
10 sofern das G schon das a in seinem „Sinn“ enthält, sei es, dass
es sich in dem a bereichert, in kenntniserweiternder Weise bekun-
det.
Statt dass nun die Explikation weiterginge zu neuen Einzelheiten,
in denen das G sich immer von neuen Seiten zeigt, vollziehen wir
15 eine dem Wesen nach hier immer mögliche Einstellung. Im expli-
zierenden Übergang hat das G etwas erfahren, es ist nach ihm das
explizite G, das verdeutlichte, das nach dieser Seite a zur Kenntnis
gekommene, und wenden wir uns von neuem ihm zu, so steht es in
offenbar neuer Weise da. Und es steht als das da, sofern wir es nicht
20 bloß von neuem ins Auge fassen, sondern in Bezug auf das noch
im Griff verbleibende Explikat a ins Auge fassen, und wir können
nun in einer neuen Form den Übergang von G zu a vollziehen; es
kommt uns (weiter lässt sich wohl hier nichts sagen) der Sachver-
halt „G ist a“ zum Bewusstsein, wobei G die Form des Subjekts,
25 des Untergesetzten, hat, a die des Daraufhin-Gesetzten: Auf dem
Grund der Subjektsetzung vollzieht sich die Prädikatsetzung derart,
dass sie nicht bloß zwei aufeinandergelegte Setzungen sind, sondern
eine Einheit der Setzung, indem sich eben das „G ist a“ oder „Das
ist das“ konstituiert. G wie a haben dabei ihre Formen im Sach-
30 verhalt und werden im Allgemeinen irgendwie begriffen sein, etwa
als „Dies ist weiß“ (wofern wir keine attributiven Bestimmungen
heranziehen wollen und damit zusammenhängend Erkenntnis unter
Begriffen).
So viel muss man sich von vornherein klarmachen: dass es ein
35 wesentlicher Unterschied ist, bloß explikativ von G zu a und dann
eventuell in kontinuierlicher „Betrachtung“ immer wieder zu neuen
Explikaten überzugehen und andererseits Denksynthese zu voll-
ziehen, in welcher allererst das G zum Gegenstand-worüber wird, zum
text nr. 11 207
am Messer, der Griff, der Stöpsel, der in der Flasche steckt, die als
verstöpselte einheitlich aufgefasst ist und dgl. Man möchte nämlich
sagen, dass die Formung als Explikand schon voraussetzt oder mit
sich führt eine Gegenstandsformung, nämlich ein Erfassen als eigenen
5 Gegenstand, und zwar als den auch, auf den es „abgesehen“ ist. Und
weiter möchte man sagen, dass unselbständige Gegenstandsmomente
in der Explikation zunächst nicht als eigene Gegenstände, sondern in
einem anderen Modus (dem die Adjektivität in der ausdrücklich prä-
dikativen Synthesis entsprechen würde), in dem der unselbständigen
10 Geltung, erfasst werden (der Nicht-Eigengeltung, also hier: nicht als
substantivische, nicht hätten sie die Form des „Prädikats“, des „an“
und des bestimmenden „an“); und wenn sie, wie z. B. die räumliche
Form, eine Explikation erfahren sollen, erhalten sie die Eigengel-
tung (= substantivische Form). Selbständige Teile aber, Glieder des
15 Gegenstandes, Stücke, erhalten notwendig gleich die Auffassung der
Eigengeltung und können keine andere überhaupt erfahren. (Die
Substantivität, aber nicht die Subjekt-ivität: Tritt Explikation zweiter
Stufe ein, so erhalten sie die Form der dienenden Subjektivität, des
Trägers einer Attribution.)
20 In diesem Fall, wenn also diese Auffassung richtig ist, so würde
sich innerhalb der Synthese die nominale und adjektivische (ebenso
subjektivische und prädikativische) Fassung finden, weil sie eigent-
lich schon vorher in der Explikation da war. Die Synthesis bringt
neue Formungen hinein, die spezifisch prädikativen Denkformun-
25 gen, die prädikative Subjektformung, die Form der Untersetzung,
die die Form des Explikanden annimmt (und dann auch die zum
Explikanden wesentlich gehörige Form der eigenen und tragenden
Objektivität, die nominale und subjektivische in unterer Formung),
und andererseits die prädikative Prädikatformung als Daraufhin-
30 Setzung, und Subjekt wie Prädikate einig in der Sachverhaltsform,
wobei das Prädikat zukommende Bestimmung des Subjekts ist. (Die
Hauptsache ist, dass, indem Prädikatsetzung auf Subjektsetzung sich
gründet, das Bewusstsein, dass eines das andere ist, erwächst.)
text nr. 11 209
1 Sicher vor allem ist, dass das Subjekt der Synthese Nominalform haben muss.
2 Einfache Explikation = eine solche, wo eben das Explikat nicht wieder Explikand
wird. Andererseits ist sie nicht immer ganz schlicht, denn die substantivische Fassung
des unselbständigen Explikats ist eine Komplikation im Bewusstsein.
3 Ja, das muss er.
210 explikative und prädikative synthesen
1 Ja.
2 Das wäre Konstruktion.
text nr. 11 211
ihm selbst Liegende. Er enthüllt sein Sein, was er in sich ist, und
das tut er in der Explikation. Es ist außerwesentlich, ob das Explikat
verselbständigt wird oder nicht; für die Art der synthetischen Fassung
bedeutet es nicht sehr viel; eben nur dies, dass die Form der Selb-
5 ständigkeit oder Unselbständigkeit der Gegenstandsfassung auftritt.
Aber das ist verkehrt. Warum heißt es dann nicht „Der Gegenstand
ist Weiße“, „Der Gegenstand ist das Gold, der Teil; das Tintenfass ist
der Deckel“?
Eben das „ist“ fordert ein adjektivisches Prädikat, ein solches, das
10 sich im „Übergang“ als „an“ dem Träger konstituiert. Das „hat“
aber ist kein „ist“, seine Ergänzung ist ein Substantivisches, etwas,
das als kein „an“ konstituiert ist. Aber im „hat“ steckt ein „ist“.
1 Hier wird also nur die Frage behandelt, ob eine beliebige Relation etwa nach dem
1 Sagt man, im einen Fall hat G die Eigenschaften „von vornherein“, im anderen
1 Das natürlich.
2 An den Rand des folgenden Textes hat Husserl geschrieben: „Richtig und brauch-
bar. Nota bene“. – Anm. der Hrsg.
214 explikative und prädikative synthesen
Andererseits mache ich hier nicht die Färbung zum eigenen Ge-
genstand und eine Mittelbarkeit der Explikation tritt nicht hervor.1
Vielmehr, die Heller-Färbung tritt hervor einheitlich, und der Ge-
genstand steht als heller gefärbt da, und ich muss sagen, so wie ohne
5 vergleichenden Übergang der Gegenstand explikativ als gefärbt er-
fasst ist, so nach dem vergleichenden Übergang explikativ als heller
gefärbt, und weiter explizierend in abgesetzten Schritten kann ich
dann finden: Der Gegenstand ist gefärbt, und diese Färbung ist eine
hellere.
10 Aber heller in Bezug auf B. Das „heller“ finde ich an A, aber
„sofern“ es Endpunkt des Übergangs von A aus ist, oder jedes der A
und B hat sein Beziehungsmerkmal, sofern es im Übergangsbewusst-
sein, das zwischen A und B sich etabliert, bewusst ist. Aber das A
und B enthält selbst nichts von einem „Bewusstsein“, aber es haftet
15 dem „heller“ und „dunkler“ das „in Bezug auf“ (was keine Rede
vom Akt des Beziehens ist) an. Ich finde das „heller“ an A, aber
über dieses Moment der Explikation erstreckt sich etwas hinaus, der
Fangarm gegen B hin.
Vollziehe ich keine innere Explikation und blicke vom ganzen
20 unexplizierten A zu dem B, so hat dieses den Charakter des „gleich“
(ebenso den des „ähnlich“) und ebenso, wenn ich, Farbe explizie-
rend, vom einen zum anderen übergehe: gleich hinsichtlich der Farbe,
ähnlich hinsichtlich der Farbe. Und ist es nicht ebenso bei anderen
Relationen? So bei den Lagerelationen: Von A gehe ich zu B über,
25 dabei hebt sich die Lage ab, die beiden Bilder sind durch eine Einheit
der Lage verbunden, und diese ist verschieden, je nachdem ich die
Feder halte. Diese Einheit lässt sich durchlaufen, und der Übergang
ist immer wieder je nach der besonderen Form der Einheit ein ver-
schiedener, und im Übergang hat jedes einen Charakter und jedes
30 einen anderen.
Also, an dem A erfasse ich aufgrund des Übergangs und seiner
Synthese die relativen Charaktere, so wie ich an ihm die inneren
Charaktere aufgrund der explikativen Übergangssynthese explikativ
erfasse; nur das ist eigentümlich, dass die inneren Charaktere rein
35 aus dem A selbst durch bloß explikative Synthese geholt sind, an ihm
1 Das ist doch schief. Es kann doch auch A und B ein Stück gemein haben. Ich müsste
der Explikation selbst. Wenn ich von G zu a übergegangen bin, habe ich eben das
Bewusstsein des a an G oder des G als Subjekt des a.
1 Explikation wäre dann der Name für die konstituierende Übergangssynthese.
2 Ganz gewiss, aber nur das ist nicht gezeigt (und konnte nicht gezeigt werden), dass
allererst eine Explikation das relative „an“ heraussondern würde und könnte. Das
„an“ ist zwar ein „an“, aber prinzipiell nicht als ein „in“ zu fassen.
text nr. 11 217
eigenschaftlichen Bestimmung. Nicht behandelt habe ich aber die Synthese der Ein-
ordnung, z. B.: „Dies ist ein Mensch“.
Nr. 12
D i e sc h ö pf eris c h e E rz e ugu n g
vo n Sa c h ve r h alt en , i hr e O b je kt iv i e ru ng
un d i hr e Exp li kat io n 1
5 § 1. Auffassung, Sich-Aufdrängen
und Richtung-auf im Erfassen
„Auffassung“ ist offenbar ein wenig gutes Wort.1 Ich sagte auch in
der bevorzugten, aber noch unklar begrenzten Sphäre unserer Über-
legung „Erscheinung“. Sagen können wir auch „Gegenstandsphäno-
men“ oder „Gegenstandsphansis“. Und es handelte sich im Kreise
10 unserer Betrachtung um solche Gegenstandsphänomene, die vor der
Erfassung in sich „dunkel“ sind, nicht etwa selbst schon Erfassungen
einschließen. Man wird hier sofort an den Le i bn i z’schen Gegensatz
zwischen bloßen Perzeptionen und Apperzeption denken, obwohl
man leicht sieht, dass er sich mit dem, was hier in Frage steht, nicht
15 völlig deckt. Wenigstens gehen unsere Intentionen viel weiter. Wir
haben also zunächst blinde Gegenstandsphänomene, in denen nichts
von Erfassung lebt, gegenübergestellt solchen, in denen Erfassung
statthat, und zwar in dem Sinn, dass aus den blinden das Erfassen
einen Gegenstand erfasst, etwas g eg en s t änd li ch m ac ht. Hierbei
20 ist zu untersuchen, wie sich das Gesamtphänomen des Erfassens zu
dem blinden Gegenstandsphänomen verhält, inwieweit das Erfasste
gegenüber dem allgemeinen Charakter des Erfassens einen Gehalt
hat, der wesentliche Gemeinsamkeit besitzt mit dem blinden Phäno-
men, wie sich ja auch darin anzudeuten scheint, dass das erfassende
25 Phänomen Modifikationen zulässt, wodurch es auf Grund desselben
ihm einwohnenden Gehalts andere Gegenstände entnehmen lässt
und dieselben, von denen es heißt, dass sie aus dem blinden zu
entnehmen sind.
Wir haben aber noch einen anderen Gegensatz mit angedeutet:
30 vo n Er f ass u n g n i c h t d ur c h l e u c ht e t e Ge g e n st a n ds p hä no-
m e n e u nd v o m Er f as s e n d ur c h l e uc hte t e. Das Letztere umfasst
nicht nur die Phänomene, in denen aus einem blinden Phänomen
ein in ihm verborgener Gegenstand entnommen wird, sondern auch
dung.
222 explikative und prädikative synthesen
Nun bleibt aber noch Folgendes zu erwägen. Ist uns ein Ge-
genstand durch Affektion vorgegeben und ist er im sehenden Akt
ergriffen, so kann er expliziert werden. Das Ergreifen setzt sich fort
im Analysieren, im Explizieren des gegenständlichen „Inhalts“. Wir
5 haben also das Gegenstandsphänomen als bloßes Zuhandensein, das
modifizierte Gegenstandsphänomen als Ergriffensein und als Pro-
zess der Explikation, dazu das „noch im Griff sein“ gegenüber dem
aktiven Ergreifen und Ergriffen-Haben.
Gehen wir nun über zu den syn th eti sch en Akte n, den Syn-
10 thesen von Akten des Ergreifens und Im-Griff-Habens, so erzeu-
gen diese neues Vorhandensein mit neuen Gegenständlichkeiten, die
nicht beschlossen sind in den Gegenstandsphänomenen der Fundie-
rung. Wenn nun ein Ergreifen auf diese Gegenstände geht, und zwar
auf den gesamten durch die Synthesis konstituierten Gegenstand, so
15 kann auch der expliziert werden; zum Beispiel, A enthält B – nun
werfe ich einen erfassenden Griff auf diesen Sachverhalt und kann
nun sagen: Er enthält „A“, „B“, die Form „enthält“ etc.
Dann also dient die erneute Erfassung des A als explizierender
Akt, ebenso die von B. Was die Form anlangt, so wird sie nun ex-
20 plikativ erfasst. Aber sie wird, obschon sie vorher nicht erfasst war,
doch nicht aus dem Dunkel hervorgezogen. Überhaupt ist es das
Eigentümliche dieser Zuhandenheiten, dass man einerseits sagen
muss: Im „A hat B“ sei A und B erfasst und nichts anderes, und
dass ein eigener erfassender Griff auf das Ganze als Ganzes möglich
25 ist, andererseits aber, dass man doch sagen muss, der „Blick“ ruhe
auf A nicht nur und auf B, sondern auch auf dem „Haben“, und der
Sachverhalt sei in dieser originären Form durchaus „gesehen“, im
hellen Bewusstsein bewusst, und das viel besser, möchte man sagen,
als in dem zurückblickenden einheitlichen Ergreifen, wie wenn wir
30 anknüpfen: „Dieser Sachverhalt …“.
224 explikative und prädikative synthesen
5 Die Hauptfrage ist hier vor allem: Ist es durch genaueste phänome-
nologische Analyse wirklich zu bestätigen, dass das objektivierende
„Ergreifen“, wie wir es bei Zuwendungen der Gewahrung (Wahrneh-
mung) finden, auf eine Stufe zu stellen sei mit dem zurückgewendeten
„Nominalisieren“, das auf ein aktuelles Urteilen „S ist P!“ folgend
10 sich anschließt als „diese Tatsache, dass …“, und nicht vielmehr schon
mit dem aktuellen Urteilen selbst?
Jemand möchte sagen:1 Ich sehe das Ding, betrachte es. Ebenso
in der Erinnerung: Dem Erinnerten wende ich mich zu, erfasse es.
Ebenso in der Phantasie. Nun ebenso, warum sollte das so wesentlich
15 verschieden sein, „sehe“ ich, dass dieses Papier weiß ist. Urteile ich
„Dieses Papier ist weiß!“, so bin ich doch all dem zugewendet, nicht
bloß wie im ersten Schritt „dieses Papier“ dem Papier und dann dem
„weiß“, sondern diesem Ganzen „Dieses Papier ist weiß!“. Es ist
dabei gleich, ob ich aufgrund der Wahrnehmung oder Erinnerung
20 oder Phantasie urteile.
Freilich, dem Ding mich zuwendend vollziehe ich ein schlichtes
Ergreifen, in einem Griff fassend, und daran schließt sich Explikation,
Schritt für Schritt. Andererseits, wenn ich den Sachverhalt „sehe“,
ich ihn im anschaulichen Urteilen „erfasse“, so ist das eben kein
25 schlichtes Ergreifen eines zuhanden Seienden, nichts dem ich mich
„einfach“ zuwenden könnte. Es ist vielmehr e i n s ch ri ttw ei s es
E r g re i f e n, wobei sich schrittweise das Ergriffene allererst konsti-
tuiert, und das macht den allerbedeutsamen Unterschied. Die Sach-
lage ist dabei freilich2 auch wieder ganz anders als in den Fällen
30 eines oft so abwechslungsreichen Vorgangs, der auch immer Neues
hereinbringt, das im Erfassen des Vorgangs immer neu zum Erfassen
1 Dass dieses falsch ist, wird nachher erwiesen, zunächst „Begründung“ der Ansicht.
2 In gleicher Art kann hier herangezogen werden das Sich-Konstituieren des Gegen-
standes äußerer Wahrnehmung in der Kontinuität der Erscheinungen, wenn ich über
den Gegenstand hinblicke und immer Neues von ihm sehe.
text nr. 12 225
1 Zuwendung und Richtung-auf bei den synthetischen Akten ist nicht ein und
dasselbe.
228 explikative und prädikative synthesen
Die Zuwendung oder Richtung-auf ist die auf das Objekt, und
15 sie konstituiert sich dadurch, dass ein lebendiger Strahl des Sich-
Richtens auf immer neue Phasen (zumindest Zeitphasen) geht und
zugleich durch Retention das Erfasste in seiner Einheit erfasst bleibt.
Das Sich-Richten ist dabei ein Modus der verlaufenden und in ihrer
Art in Retention verbleibenden Erscheinungen.
20 G a n z a nd e rs ist die Sachlage für sy n t het is ch s ic h kons t it u-
i e re n de G e g e n stä n d l i ch k e i te n, also etwa im kategorischen Ur-
teil. Hier finden wir in den „Schritten“, in denen sich der Sachverhalt
bewusstseinsmäßig konstituiert auch je eine Richtung-auf. Aber es
ist nicht e i n lebendiger Richtungsstrahl, der durch schlichte Erschei-
25 nungen hindurchgeht in der beschriebenen Weise. Der Erscheinung
(Apparenz) entspricht hier das bestimmte logische Gebilde, etwa
das nominale Subjekt usw. Jedes solche Glied wird, wenigstens im
Allgemeinen, in mehreren Strahlen sich konstituieren, aber so, dass
nicht etwa die Retention das in den früheren Strahlen „Erfasste“,
30 sagen wir Erstrahlte, in die Gegenständlichkeit hineinnimmt, die die
Gesamtrichtung-auf, die dem abgeschlossenen Nominale zugehört,
erstrahlt. Die Richtungen der Glieder des Nominale richten sich nicht
(es sei denn ausnahmsweise) auf dasjenige, worauf sich das ganze
Nominale richtet.
text nr. 12 229
Es ist ferner aber auch zu sagen: In gewisser Weise, das lehrt die
phänomenologische Evidenz, wird doch in jedem Schritt nicht nur
Neues getroffen, worauf die Richtung-auf geht, sondern es wird, was
einmal getroffen war, auch festgehalten: obschon es im Allgemeinen
5 aufhört, zu dem zu rechnen, worauf die Richtung-auf des Gesamtkon-
stituierten, des Gliedes des Sachverhalts, geht. Jedes „Glied“ hat wohl
eine Richtung-auf (nur so ist es Syntagma), und wir scheiden für jedes
das „Gegenständliche“, das, worauf wir urteilend in diesem Glied
gerichtet sind (diesem Glied als vollständig konstituierten), und was
10 im Blick ist als Festgehaltenes der diese Richtung konstituierenden
und doch außer ihr liegenden Richtungen. Das Gegenständliche hat
sein Wie, das im Blick ist, „der Kaiser, welcher den Reichstag eröffnet
hat“: Auf das alles haben wir nicht nur hingesehen, der Blick ruht,
wenn wir zu Ende sind, fortgesetzt darauf. Nur auf den Gegenstand
15 Kaiser sind wir aber mit dem ganzen Nominale gerichtet. Das, was
der Apparenz im Fall der schlichten Erfassung einigermaßen ana-
log ist, nämlich das Nominale, ist in eigentümlicher Weise im Blick
und doch nicht in Richtung-auf. A ls o t rete n h ie r a us e in a nde r :
Zu we n d u ng z u d e m „ T he m a “, zu dem ganzen Gehalt des Nomi-
20 nale, und R i ch t un g a uf de n Ge g e nst and. Und zugleich ist es klar,
dass, wenn wir Kategorialien auf Kategorialien bauen und ein eventu-
ell sehr komplexer Sachverhalt in der jeweiligen kategorialen Form
sich konstituiert, dass dann de r S a c h v e rh al t ni ch t Z i el p unk t
e in e r Ri c h t u ng - au f i s t, wä h r e nd e r d oc h G eg en g li e d ei ne r
25 Z u w e nd u n g i s t.
Aber wir dürfen noch immer nicht zufrieden sein. „Zugewendet“
(thematisch) sind wir dem Sachverhalt im Wie, all dem, was schritt-
weise Zielpunkt von Richtungen war und in gewisser modifizier-
ter Weise auch bleibt, und was das gesamte „Thema“, den ganzen
30 Satz aufbaut. Und diese Zuwendung bezeichnen wir als Zuwen-
dung zum Sachverhalt im Wie, denn, was da im Blick ist, das ist
in seinen Bestandstücken eben das, was schrittweise in Richtung
war.
Vollziehen wir nominalisierende Reflexion, so ist der Sachverhalt,
35 aber nicht der Sachverhalt in diesem „Wie“, sondern der Sachver-
halt schlechthin Zielpunkt der Richtung-auf. Ganz ebenso wie im
Nominale der Gegenstand schlechthin in Richtung-auf ist. Um den
Sachverhalt im Wie gegenständlich, also als Zielpunkt zu haben, be-
230 explikative und prädikative synthesen
dürfen wir einer anderen Reflexion, die das, was vordem „im Blick
der Zuwendung“ war, zum Zielpunkt einer „Richtung-auf“ macht.
Kann man sagen, eine Analogie besteht hier darin: Ein sinnlicher
Gegenstand ist Zielpunkt nur dadurch, dass der Strahl der Richtung
5 durch bestimmte Erscheinungen geht? Dadurch ist der Gegenstand
nach bestimmten „Seiten“ dargestellt und steht in ihnen bewusst-
seinsmäßig da. Und viele Erfassungen, die alle denselben Gegenstand
erfassen, also dieselbe Richtung haben, können sich dadurch unter-
scheiden, dass sie denselben Gegenstand in einem verschiedenen Wie
10 erfassen. Das „im Wie“ ist im Blick, aber nicht in der Richtung, nicht
ihr Ziel.
einheitlichen Gegenstand und sehe mir seine Teile an. Ich durchlaufe
explizierend seine Teile, natürlich in geänderter Einstellung, wobei
ich aber immer wiederholen muss: Es ist ein Neu-Urteilen und doch
in geänderter „Einstellung“.
5 Das obige Beschriebene war etwas irreführend, insofern als ich
nach Vollzug des Sachverhaltsbewusstseins und Rückwendung auf
den Sachverhalt als Gegenstand neue Urteile anknüpfen will, wobei
das Vorstellen des Sachverhalts inzwischen, während meiner Rich-
tung auf neue Gedanken, leer oder unklar geworden ist, und nun
10 habe ich das Bedürfnis, mir den Sachverhalt näher zu bringen, klarzu-
machen, mir ihn wieder vor Augen zu stellen, was nicht Explikation
ist, nämlich nicht Analyse und Einzelerfassung von Teilen.
Es tritt hervor, d ass N ä her b ri ng en , Kla r - und D e ut l ic hm a-
c he n be i d e n s i nn l ic he n un d k a t ego ria l en G eg e ns t än dl i ch -
15 k e i t e n Ve r s c hi e d e n es f o rde rt: Bei den sinnlichen, insbesondere
den sosehr inhaltsreichen dinglichen, Analyse, bei den kategorialen
Wiedererzeugung, die eo ipso deutlich ist, weil in ihr selbst schon Ar-
tikulation liegt. Aber ich kann auch hier sagen: Mit der Neuerzeugung
und ihrer Artikulation findet zugleich hinsichtlich des „schlichten“
20 Sachverhaltsbewusstseins Verdeutlichung im Sinn der Explikation
statt.
Ein eigentümlicher Unterschied ist aber der, dass schlichte sinnli-
che Erfassung, wenn sie anschaulich, gebende oder quasi-gebende
sein soll, nur ein Zuhandensein voraussetzt, das rein affektiv ist,
25 während das schlichte Erfassen des Kategorialen nur in Hinblick auf
artikulierte synthetische Erzeugung bzw. auf das in ihr Konstituierte
möglich ist.
Und ein weiterer Unterschied ist, dass nun doch das Zuhandenha-
ben des Sinnlichen blind ist und das des Kategorialen nicht: nota bene
30 des anschaulichen Vorhandenseins. (Denn schon das Vorhandene
kann anschaulich und unanschaulich sein: klar und dunkel.) Und
da liegt wieder die Schwierigkeit. Ich habe mich ja dazu verstanden,
das schlichte Erfassen, Zum-Gegenstand-Machen des Sinnlichen und
das Zum-Gegenstand-Machen oder Erfassen des Kategorialen (in
35 einer „Reflexion“, die Synthesis voraussetzt), auf gleiche Stufe zu
stellen und unter denselben Begriff zu bringen. (Das ist vollkommen
berechtigt nach dem Gemeinsamen der „Richtung-auf“.) Aber ist
es vermeidlich, andererseits auch anzuerkennen, dass jedes solche
232 explikative und prädikative synthesen
Beilage XVIII
Rezeptive und produktive Objektivation. Das schlichte
5 Erfassen eines sinnlich-rezeptiv Vorgegebenen
gegenüber dem Erfassen im Erzeugen einer
neuen Materie in höheren Objektivationen1
1 Anfang Oktober 1911. – Die vier folgenden Blätter haben zur unmittelbaren Folge
die Blätter Π = Husserliana XL, Text Nr. 14: Nominale Setzung im Verhältnis zu
hypothetischen und kausalen Urteilen. Urteilsthema (S. 272).
2 Erfassen ist zweideutig. Erfasst ist der Gegenstand (Richtung) – erfasst ist das
Thema.
234 explikative und prädikative synthesen
zu sagen: Diese Zuwendung ist wie jede Zuwendung (Erfassen ist Erfassen),
und Zuwendung als solche (Erfassen als solches) ist nicht zu differenzieren.
Sie scheidet sich nur nach dem Was. Im Fall eines sinnlich Vorgegebenen,
dem ich mich zuwende, gibt dieses mir das Was, und eventuell baut es sich als
5 ein Vorgang allmählich auf, und ich verfolge den Aufbau in der dauernden
Zuwendung. Andererseits: Im Fall des kategorial Sich-Erzeugenden ist zu
scheiden die Spontaneität der Subjektsetzung, die Daraufhinsetzung usw.
und andererseits die Zuwendung, die Erfassung. In stetiger Zuwendung bin
ich dem Sich-Erzeugenden zugewendet, nur dass beim sinnlichen Vorgang
10 etwas sich zuwege bringt, das ich nicht spontan erzeugt habe, während hier
das spontane Setzen, Daraufhinsetzen etc. es ist, das das Thema erzeugt.1 Ist
diese Ansicht richtig, da n n g e h ö re n al le lo g is c he n F o r m en z u r T h es is
u nd S yn t he s is und korrelativ die phansischen Formen zu den betreffenden
Aktformen, ha be n a b e r m i t d e r Z uw e ndu n g n ic h t z u t u n . S ie s e lb s t
15 h a t d a m it k e in e F o r m.
2) Die andere Ansicht ist die, dass Zuwendung und Thesis selbst wesent-
lich eins sind und dass nicht Zuwendung und Thesis zu trennen seien als zwei
unterscheidbare Sachen innerhalb der konkreten Synthesis.
Es ist hier aber Folgendes nicht zu übersehen. Zuwendung ist nicht bloß zu
20 verstehen als das Übergangsphänomen des „Sich-Zuwendens“, sondern es
kommt da an auf das Erfassen, das Erfassen von etwas ist. Und das Erfassen
wird zum Betrachten, zum Explizieren in seinen verschiedenen Modi. Aktuell
bin ich da dem erfassten Explikanden nach seinen explizierten Einzelheiten
zugewendet. Könnte man nicht auch da sagen: Immerfort bin ich zugewendet
25 und zu scheiden sei die Zuwendung und das Substrat der Zuwendung und
die Einzelheit, in der ich das Substrat mir verdeutliche etc.?
Nun hier ist es aber klar, dass in diesem Spiel der Erfassungen in ihrer
aktuellen Einheit alles, was wir da unterschieden haben als Explikand und
Explikat, als Explikat erster und höherer Stufe (herrschendes und dienen-
30 des), da s s d a s M od i d er „ Z uw e nd u n g “ , d er E r fa ss u n g si n d. Natür-
lich, überall verteilt sich eine gewisse „Materie“, aber als ein Ab s tr a k te s,
das diesem Formalen, das wir in jeder anderen Explikation ebenso finden
können, Gehalt gibt. Phänomenologisch habe ich nicht ein Zufassen und
daneben etwas, wonach ich fasse, sondern ich habe Erfassungsphänomene mit
35 verschiedener „Materie“ und mit verschiedenen formalen Abwandlungen.
Und die vollen Konkretionen, die verschiedenen Erfassungsmodi mit ihrem
Gehalt, sind es, die wir als Objektivationen bezeichnen.
1 Das ist aber falsch, weil nicht Rücksicht genommen ist auf den Unterschied zwi-
Sollen wir nun damit die synthetischen Erfassungen, das Erfassen eines
„A ist b“, „A ist ρ B“, parallelisieren und sagen: Das synthetische Erfassen
bestehe nicht etwa aus Synthesis und Erfassen des in ihr Erzeugten, sondern
es handle sich um Modi des Erfassens mit einem gewissen Gehalt? Ich
5 habe die Neigung zu dieser Auffassung. Ich kann nicht zweierlei finden,
Subjektsetzung, Darauf-Setzung in Synthese und dann den Blick auf das
Subjekt, den Blick auf die Synthese und den Blick auf das Daraufgesetzte
als solches.1 Zwar im ersten Moment scheint es so: Ich habe ja zunächst die
Explikation und dann, könnte man sagen, blicke ich auf die Explikanden,
10 auf das Explikat und auf das „ist“: die synthetische Form. Aber auf den
Explikanden blickte ich und blicke ich ohnehin und ebenso auf das Explikat.
Und die Sachverhaltserfassung besteht nicht darin, dass ich nochmals diese
Zuwendung wiederhole und nur noch auf eine Form der Verbindung oder
Einheit beider hinsehe. Vielmehr habe ich jetzt erst das „A ist b“, und es
15 ist da A in dieser jetzigen synthetischen Form nicht einfach der Explikand,
sondern das A hat Subjektform, ebenso wie das b Prädikatform hat, und
korrelativ das A-Bewusstsein, die Art der A-Erfassung ist eine verschiedene
gegen früher. Es ist nicht wieder eine „schlichte“ Zuwendung und nur ein
geänderter Inhalt, sondern es ist der Modus der Zuwendung geändert, der
20 Modus der Erfassung. In diesem geänderten Erfassungsmodus erfasse ich
etwas (in jedem Erfassen ist das Allgemeine des Erfassens natürlich da),
aber das Etwas hat seine Form.
Vielleicht kann man sagen: Jeder Modus des Erfassens hat sein Korrelat
in einem Erfassten, das „in ei n em M o d us dast eh t“. Nicht ist jede Materie
25 mit jedem Erfassungsmodus zu kombinieren, sondern mit der Änderung des
Modus ändert sich auch etwas an der Materie: Sie erhält eine entsprechende
modale Form (z. B. Explikat, Explikat zweiter Stufe etc.).
Vielleicht ist am schädlichsten, verwirrendsten der Gebrauch des Wortes
„Zuwendung“, aber auch bei „Erfassung“ liegen im Wortsinn Versuchungen.
30 Es handelt sich immer um die vollen konkreten Phänomene, die nach einer
Seite den allgemeinen Charakter des Im-Blick-Habens, des Erfassens haben
(allerdings nach dieser Seite mit allgemeinen Modifikationen wie frisch im
Blick haben, noch festhalten) und andererseits ein Was, das im Blick ist mit
verschiedenen Formen.
35 Das alles müsste auch ausgedehnt werden auf die eigentlichen Erkennun-
gen, Prädikationen. Das Auf-Begriffe-Bringen, das ist nur ein weiterer, neuer
Modus des erfassenden Objektivierens. Jeder neue Modus des Erfassens
fasst in neuer Weise: Jeder ist Erfassen mit einem Was, aber mit jedem
Beilage XIX
Sinnliche Erscheinungen vor und in der Zuwendung.
Die Spontaneität des Durchlaufens gegenüber der
schöpferischen Spontaneität des Denkens. Gibt
5 es analoge Unterschiede zwischen Zuwendung
und synthetischer Erzeugung im Gemüt?1
dem Gegenstand. Sie sind immer Erscheinungen, die zugleich den Gegen-
stand als so und so orientierten bewusst haben. Insoweit konstituiert jede Er-
scheinung der Mannigfaltigkeit etwas Besonderes und Neues. Andererseits,
jede ist Erscheinung des Gegenstandes hinsichtlich seines Inhalts, hinsichtlich
5 seiner Farbe, Form etc.; und dieser selbe gegenständliche Inhalt ist Einheit
der kontinuierlich ineinander übergehenden Erscheinungen, sich in diesen
kontinuierlichen Übergängen in eigentlicher Weise „ursprünglich“ konstitu-
ierend. Die Orientierung ändert sich aber auch von Seiten des Gegenstandes,
der erscheint in seiner „Bewegung“. Sie ändert sich nämlich entweder durch
10 mein freies Durchlaufen, durch mein Sich-Bewegen (mein „Standpunkt“
ändert sich frei) oder durch das Sich-Bewegen des Gegenstandes. Dieselbe
Erscheinungsveränderung konstituiert je nach der Weise der Motivation
(Durchlaufen oder freies Festhalten des Standpunktes) den unbewegten
Gegenstand, zu dem ich mich anders stelle und der mir „daher“ anders
15 erscheint, oder den bewegten Gegenstand, der zu mir seinen Standpunkt
verändert usw.
Sagen wir nun, dass sich der Gegenstand „u r s p r ü n g l i c h“ im freien
Durchlaufen konstituiert, dass er doch hier zur Gegebenheit kommt, so ist
andererseits zu sagen, dass in gewisser, wenn auch unvollkommener Weise
20 der Gegenstand sich schon in einer einzelnen Erscheinung (und jede Phase
ist zu extendieren zeitlich zu einer konkreten Erscheinung) konstituiert. Jede
ist schon Erscheinung des Gegenstandes und Anschauung von ihm, gebendes
Bewusstsein von ihm, und Bestandstück einer möglichen vollkommeneren,
den Gegenstand inhaltlich vollkommen konstituierenden Erscheinungsreihe.
25 Jede Erscheinung konstituiert etwas vom Gegenstand ursprünglich, und
darum ist jede nötig für die volle Konstitution des Gegenstandes, keine ist
im Grunde zu entbehren. Und die Konstitution des gegenständlichen Inhalts
vollzieht sich immerfort durch diese Erscheinungen, die Zuständlichkeiten
sind und deren Folge nur einer spontanen Durchlaufung zugänglich ist. Der
30 Gegenstand ist immerfort bewusst von Anfang bis Ende seines Erscheinens,
immerfort erscheint er, er ist der Spontaneität vorgegeben. Dagegen ist der
Sachverhalt, ist der sich im Denken konstituierende Gegenstand erst durch
das spontane Denken gegeben, insofern nachgegeben.
Verstehen wir allgemein (in einem erweiterten Sinn) unter Erscheinungen
35 Gegenstände ursprünglich konstituierende Erlebnisse (gebende), so zerfal-
len die Erscheinungen: 1) in sinnliche Erscheinungen (rezeptive). Sie sind
dadurch charakterisiert, dass durch sie der Gegenstand schlicht gegeben, im
Erfassen immerfort vorgegeben ist, dass die Spontaneität des Erfassens selbst
vom Gegenstand nichts konstituiert, sondern ihn nur durchläuft, und dass das
40 Durchlaufen zwar eine Bedingung vollständiger, angemessener Gegebenheit
ist, aber nicht sie selbst konstituiert den Gegenstand, sondern die mit dem
beilage xix 241
Z uw en d un g u nd D en ke n .
Di e F r age d es S u bs tr at s1
die das Subjekt als solches auszeichnet. Die bloße Zuwendung zum
erscheinenden Gegenstand, wodurch die Erscheinung zur Substrat-
Erscheinung wird für die bloße Explikation, ist noch nicht die Sub-
jektion und die durch sie hereingebrachte Formung. Genauer müssen
5 wir sagen: Zunächst haben wir die Veränderung, die eintritt dadurch,
dass die Erscheinung (die qualifizierte immer) zur Unterlage der
Hinwendung wird, dann die weitere Modifikation, die eintritt, wenn
die Erscheinung zum Explikationssubstrat insofern wird, als ja durch
den Übergang zum Explikat die Form des Explikanden erwächst.
10 Das ändert im Wesen nicht die Erscheinung selbst. Es ändert sich
die Funktion, und die Erscheinung nur insofern, als diese die neue
Funktion mit sich bringt. Und dann weiter das Neue der eigentlich
prädikativen Synthese.
Hier tritt also das Eigentümliche der M ei n ung i m Si nn de s
15 „ p r ä di k a ti v e n U r te il s “ auf mit all ihren syntaktischen Formen;
die Meinung, das ist nicht b lo ßes Z ug ew end e ts ei n, bloßes Erfas-
sen aufgrund eines Erscheinens, sondern hier haben wir gegenüber
dem bloßen Erscheinen eine eigentümliche Formung, die eine völlig
neue Dimension ausmacht. Und dieses Neuformen hat nicht etwa
20 den Charakter einer Qualifizierung, ist also nichts spezifisch zum
„Glauben“ Gehöriges, als einer Qualität, die schon in der Schicht der
bloßen Erscheinung auftritt. Wir prädizieren aufgrund von Erschei-
nungen, die damit einerseits als Substraterscheinungen für ein Sich-
Hinwenden fungieren und andererseits als Substraterscheinungen für
25 die formende Spontaneität des prädikativen „Meinens“.1
Aber wie steht da nun Erfassung, Zuwendung und dieses prädika-
tive Meinen? Kann man zunächst das Z uw e nd e n und Er f as se n
als etwas Verschiedenes ansehen? Es scheint nicht. Es sind zwei
Worte für dasselbe. Im Zuwenden erfasse ich ein Erscheinendes, ein
30 „Vorstelliges“, und dieses Erfassen ist nicht als wirklich nehmen oder
als Wirkliches nehmen; was da erfasst ist, hat seinen Charakter
schon, bringt ihn durch die „Erscheinung“, die ihre Qualifizierung
hat, mit sich.
Kann man dann weiter das Zuwenden oder Erfassen schon als
35 primitivste Art des urteilenden Meinens ansehen, als schlichtes „Set-
G e hö ren n un ab er n i c h t gl e ic hw oh l E rf a ss en u n d P räd i -
z i e r e n z u sa m m en? Kann ich Prädizieren, ohne mich dem Subjekt,
10 Prädikat etc. zuzuwenden? Ohne es zu fassen? Andererseits, regt sich
nicht oft „im Hintergrund“ ein Gedanke, dem ich mich nachträglich
zuwende, den ich nicht nur zum Ausspruch, sondern zur artikulierten
Meinung bringe? Aber ist nicht schon vorher die „Meinung“ da, die
Prädikation also quasi-vollzogen, vollzogen und doch nicht in der
15 Zuwendung vollzogen, nicht eigentlich vollzogen?
Und in Zusammenhang damit steht die Frage: Prädizierend bin
ich doch dem Sachverhalt zugewendet (oder wenn nicht zugerichtet:
prädizierend bin ich mir doch eines Sachverhalts bewusst)? So wie
ich mir in einer sinnlichen Erscheinung eines Gegenständlichen be-
20 wusst bin, aber nur ausnahmsweise ihm zugewendet, so bin ich mir
im Prädizieren eines Gegenständlichen höherer Ordnung, eben des
Sachverhalts bewusst, aber nicht immer ihm zugewendet. Und weiter:
Im anschaulichen Urteilen „erscheint“ auch etwas, es erscheint ein
„So ist es!“ Erscheint in der sinnlichen Erscheinung ein Dingliches
25 oder ein Vorgang, so „erscheint“ es im anschaulichen Urteil, dass
das Ding so und so beschaffen ist.1 (Und das überträgt sich auf alle
Sätze, Wahrscheinlichkeitssätze etc.) Also scheint doch die prä-
dikative Synthese eine eigenartige Verknüpfung von qualifizierten
Apparenzen zu neuen Apparenzen, von Erscheinungen zu neuen
vermeinenden Urteilen ist kein Erscheinen des Sachverhalts, und nur der erscheinende
Sachverhalt ist im Sachverhaltserscheinen, im sehenden Urteilen gegeben und ähnlich
bewusst wie der gegebene Gegenstand in der sinnlichen Erscheinung; aber mit dem
Unterschied, dass er nicht Zielpunkt einer Richtung-auf ist.
246 explikative und prädikative synthesen
dass wir urteilen, so haben wir diese Art des Vollzugs in der Regel im
Auge. (Sprechen wir von einer Meinung, dann wohl nicht: Wir sagen
zum Beispiel, meine Meinung kann ich so ausdrücken …) Ebenso
wenn wir von dem Führen eines Beweises sprechen. Der Beweis kann
5 aber auch vorschweben, es kann eine verworrene „Beweisidee“ sein
etc.1
aufgrund einer Gegebenheit Urteilen ist nicht erörtert. Nur in diesem Fall des in-
tuitiven, sehenden Urteilens ist aber von Erscheinung des Sachverhalts wirklich die
Rede.
text nr. 13 249
Erscheinung anhebt und bewusst ist, ist schon die Einheit des Ge-
genstandes erscheinend und so kann sich ihr das Erfassen schlicht
„zuwenden“.
Aber da ist zu beachten, dass jede sinnliche Erscheinung in gewis-
5 ser Weise Erscheinung von dem einen Dauernden oder sich Verän-
dernden ist, ebenso aber auch Erscheinung von dem dauernden Ding,
von der Dauererstreckung der Unveränderung, oder im anderen Fall
von der durch eine Dauer sich hindurch erstreckenden Veränderung:
Kurzum, im weiteren Sinn ist Erscheinung einerseits Erscheinung
10 von dinglich-substanzialen Einheiten, andererseits Erscheinung von
dinglichen Vorgängen (im weiteren Sinn). Dieselben Erscheinungen
können für den erfassenden Blick das eine und das andere darbieten,
er „richtet sich“ bald auf die Dingeinheit, bald auf den Vorgang (der
in einem anderen Sinn Einheit ist).
15 Natürlich kann der erfassende Blick auch immer, aufgrund der-
selben Erscheinungen, auf „Eigenschaften“ gehen, nämlich auf Ei-
genschaftsmomente, auf unselbständige innere Momente, Formen,
auf Stücke, Glieder, auf Verbindungsformen „verschiedener“ Ge-
genstände miteinander, auf Veränderungen, auf Vorgänge, an denen
20 verschiedene Gegenstände beteiligt sind (dann aufgrund der erschei-
nungsmäßigen Einheit mehrerer Erscheinungen) usw.
Man wird nun sagen müssen: Erscheinungen, die Einheit einer
Erscheinung aufbauen, haben ihre Zeiterstreckung (nämlich ihre
Ausbreitung im phänomenologischen Ablauf des inneren Bewusst-
25 seins), und in dieser Erstreckung sind sie unermüdlich konstituierend
beschäftigt. Was sich in einer Strecke konstituiert, konstituiert sich
in dieser Vollständigkeit nie in einem Teil der Strecke; es ist ein
stetiges Konstituieren, immer weiter fortschreitend. Im Ablauf der
Erscheinung schreitet auch der „erscheinende Gegenstand“ fort, im-
30 mer neuen Inhalt annehmend. Die im ersten Moment konstituierte
Einheit ist ja freilich schon die Dingeinheit, aber dass diese Einheit
die eine und selbe ist im ganzen und weiteren Verlauf des Erscheinens,
das sagt, dass eben ein durchgehendes Einheitsbewusstsein einigend
vorhanden ist, im Wesen der Erscheinungsphasen gründend; und es
35 sagt nicht, dass die Einheit ein leerer Punkt ist, dem weiter nichts
hinzugefügt wird, vielmehr ist es ja immer die sich bald so, bald so
darstellende und inhaltlich ausgestaltende Einheit, demnach bald so,
bald so in Explikation und Prädikation zu bestimmen.
250 explikative und prädikative synthesen
durchgeht, so wie er etwa über eine starre Gerade hinläuft; wobei der
Unterschied evident ist, ob wir die Gerade lebendig beschreiben, von
Anfangspunkt zu Endpunkt durch erzeugendes Beschreiben, durch
das Linieziehen fortschreitend, oder ob wir nach dem Beschreiben
5 auf das Ganze hinsehen und eventuell es sogar durchlaufen.
In dem neuen Durchlaufen, in dem der Retrospektion, steht ein
starres, wenn auch dunkles „Bild“ des Abflusses da; im originären
Erfassen des Vorganges oder Anschauen desselben haben wir das
stetige Erzeugen, Beschreiben, vor dem noch nichts Fertiges liegt.
10 Und da ist ein erfassender Blick der Retrospektion auch möglich,
der gar nicht durchlaufend ist und das starre Bild wie eine ruhende
Erscheinung behandelt (freilich nicht wie eine dauernde Erscheinung
eines dinglichen Seins, in dem sich etwa eine Dauer konstituiert,
während hier sich in der „Ruhe“ nichts konstituiert).
15 Natürlich kann auch eine Wiedererinnerung an einen Vorgang
auftauchen als solch ein „starres Bild“, und es kann sich ein er-
fassender Blick dem Vorgang zuwenden als ein Momentanerfassen,
eventuell an ihm entlang durchlaufen, ohne dass im mindesten eine
wiederholende anschauliche Vergegenwärtigung des Vorganges statt
20 hätte, dessen erzeugendem Konstituieren der immanente Strahl der
Aufmerksamkeit, der Zuwendung folgte. Ebenso in der „Phantasie“
(in einer uneigentlichen Phantasie), in einer vorblickenden Erwar-
tung eines Vorganges.
Wir müssen offenbar sagen: Zum Wesen jedes Vorganges, jeder
25 zeitlichen Gegenständlichkeit überhaupt gehört es, dass ihr ursprüng-
liches Erscheinen die Form eines phänomenologischen Werdens hat,
eines Erscheinungsabflusses im inneren Bewusstsein, worin das Er-
scheinende als solches sich werdend erzeugt.
Es ist nun aber klar, dass es auch zum Wesen eines Sachverhalts
30 überhaupt gehört, dass sein „ursprüngliches Erscheinen“ sich in ei-
nem phänomenologischen Verlauf vollziehen muss, in dem das hier
Erscheinende als solches, nämlich der vermeinte Sachverhalt, all-
mählich, schrittweise sich konstituiert und allmählich im erfassenden
Blick erfasst wird.
35 Ich sprach vom „u r sp rü n g li c h e n Er s ch e i ne n“. Es gehört zum
Wesen des Gegenstandsbewusstseins, dass es in verschiedener Weise
phänomenologisch statthaben kann, in sehr verschiedenen Phäno-
menen bestehend, und dass dabei eine Weise charakterisiert ist als
252 explikative und prädikative synthesen
zusammen, dass das Urteilsbewusstsein fundiert ist und dass zur vol-
len Anschaulichkeit eben gehört „Eigentlichkeit“ in der Ober- und
auch Unterschicht. Und wieder damit hängt zusammen, dass auch
die unvollkommene Eigentlichkeit, die der oberen Schicht, ihren
5 Charakter von „Anschauung“ hat, dass hier allerlei einsichtig zu
entnehmen ist, zu erschauen ist: nämlich alles rein Logische.)
Gehen wir nun weiter dem Ve rg lei ch z wi sch en Sa ch ve r -
h al t s er sc h ei nu ng u nd s in nl ic he r E rsch ei nu ng nach, so wer-
den wir zu sagen haben: B ei de k on sti tui er en si ch i n ei ne m
10 E r s c he i n un gs ve rl auf. Aber natürlich ist der Sachverhalt (möge er
auch auf Zeitliches Beziehung haben) kein Zeitliches, kein Vorgang,
nichts selbst im Werden Stehendes, Vorgehendes, und nichts, mit dem
etwas vorgeht.
Und damit hängt Folgendes zusammen: Alle zeitliche Gegen-
15 ständlichkeit ist sinnlich, ist in bloßer Rezeptivität erscheinend; seine
Erscheinungen sind Passivitäten. Sie laufen passiv ab, und der erfas-
sende Blick ist ein bloßer Strahl des Aufmerkens, der ein Vorgege-
benes, vor ihm Konstituiertes erfasst, der das sich Konstituierende
begleitet; er rezipiert nur oder akzepiert. Ich setze hier voraus, dass
20 dieser rezipierende Blick anschauender ist.
Die Anschauung im eigentlichen Sinn ist wohl nichts anders als
das schlichte Erfassen, das schlichte Zugewendetsein einem sich ur-
sprünglich erscheinungsmäßig Konstituierenden. Es ist wohl korrekt,
wenn wir noch scheiden zwischen u rs p r üng l i c he r E r sc hei nu n g
25 (wir könnten auch sagen, intuitiver Erscheinung, eigentlicher Er-
scheinung) und A n s c h a u u ng, deren Neues also besteht in dem
Strahl der „Aufmerksamkeit“, der erfassenden Zuwendung zum ei-
gentlich, ursprünglich Erscheinenden.
Es ist auch unbehaglich von „Rezipieren“ zu sprechen. Dabei
30 leitet uns die k an tische Rede von Rezeptivität. Aber es handelt
sich nicht um ein Wiedererfassen, sondern um ein ursprüngliches
Erfassen und eines in seiner Selbstheit Vorgegebenen. Eines Gege-
benen, aber dem Erfassen Vorgegebenen. Wir könnten besser von
„Akzipieren“ sprechen, und dem steht gegenüber das W i e de r e r -
35 fa s s e n oder Wi e d e r- z ur ü ck k om m e n- a uf - Et w a s, das nun nicht
mehr gegeben, nicht mehr eigentlich erscheinend ist, sondern in einer
„v er w orr e n e n V o r st e l lu ng“ bewusst ist, einer v e r wo rr e ne n
M o di fi k a t i on d e r A n s ch a u u ng.
254 explikative und prädikative synthesen
Beides fasst sich zusammen als Aufmerken auf ein, sei es „Vorge-
gebenes“, sei es im Voraus Vorgestelltes oder Vorzustellendes, um
ein Zugewendetsein, das einmal ein eigentliches Erfassen, das an-
dere Mal ein uneigentliches Erfassen, also dann ein Zugewendetsein
5 aufgrund eines verworren Vorschwebenden ist.
Gehen wir nun zu dem S a ch ve r hal t sb ew us sts e in, zum urtei-
lenden über, so haben wir hier das radikal Neue und Eigenartige,
dass wir hier den Sachverhalt (das „Erscheinende“ – ursprünglich
= anschaulich!) nicht „gegeben“ haben durch eine Passivität, dass
10 wir ihn nicht „vorgegeben“ haben und haben können, nämlich dem
erfassenden Blick gegenüber, sondern dass er nur gegeben sein kann
als Meinen, und Meinen notwendig Erfassen ist.
Man darf sich hier nicht täuschen lassen durch jene sich erge-
benden, auftauchenden Ideen, Meinungen, denen wir uns in einem
15 Blick zuwenden können, und nun denken, da sei ja eine vorgebende
Erscheinung des Sachverhalts (der Gemeintheit). Verstehen wir unter
einer „Erscheinung“ ein ursprünglich konstituierendes Bewusstsein,
ein solches, das im Fall eines hineingesandten Strahls der Zuwendung
eine „Anschauung“ oder einen „eigentlich“ gebenden Akt herstellt,
20 dann ist jenes Erlebnis des Vorschwebens keine „Erscheinung“, kein
„gebendes“ Erlebnis.1 Es heben sich da also wichtige Unterschiede
heraus.
Es scheiden sich die e i g e nt l i c h ko ns t it ui er e nd en E r le bn is -
s e (Gegenständlichkeit konstituierend) und die uneigentlich kon-
25 stituierenden, eigentlich nicht konstituierenden, die b l o ße n V or -
sc hw eb un g en. In der sinnlichen Sphäre sind diese retentionale
oder im weitesten Sinn vergegenwärtigende (Nachgegenwärtigungen,
Wiedervergegenwärtigungen, Vorvergegenwärtigungen), und ihre
Korrelate sind Zeitlichkeiten (das Soeben-Gewesen, das wiederver-
30 gegenwärtigte Gewesen, das Soeben-Sein-Werden und das wieder-
vergegenwärtigende, das „bildlich“ repräsentierte Sein-Werden).
In der Urteilssphäre finden wir bei den Vorschwebungen wohl
analoge Modifikationen; wir finden ja da auch das Soeben-geurteilt-
Haben, das Urteilen-Werden, die Erinnerung an Urteile, wobei jede
35 Eigentlichkeit ausgeschlossen sein soll. Aber wir finden freilich auch
Nach all diesen Untersuchungen können wir zur Frage des Sub-
strats sagen:
1) Jede Zuwendung, Erfassung (jedes Aufmerken-auf) hat ein
Zuwendungssubstrat, eine „Erscheinung“, in der das „erscheint“,
25 dem sich die Zuwendung zuwendet.1 In der Zuwendung wird im
weitesten Sinn etwas erfasst, aber die Erfassung ist eine ursprüngliche,
„eigentliche“ oder uneigentliche, je nachdem es die „Erscheinung“
ist.
2) Beschränken wir uns auf eigentliche, ursprüngliche Erfassung
30 (sei es auch unvollkommene), so kann sie entweder eine unmittelbare,
eine schlichte sein oder eine mittelbare, synthetisch fundierte.
1 Erfassen heißt hier überall nicht so viel wie „einstrahlig gerichtet sein auf etwas
als gegenständlicher Zielpunkt“, und hat nicht den engeren Sinn von perzeptiv
Erfassen. Im Denken ist etwas denkend erfasst, im Urteilen ist der Sachverhalt erfasst.
258 explikative und präd