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Gruppenleben, Vorträge und ein Hochzeitsgast:

Esperanto in der Marktgemeinde Pretzfeld,


Landkreis Forchheim, Oberfranken

Esperanto ist eines der wenigen Plansprachenprojekte der letzten ca. 150 Jahre, die noch heute
lebendig sind und aktiv gepflegt werden. Organisiert ist die „Movado“, wie sich die
Esperantosprecher gern selbst nennen, auf verschiedenen Ebenen. Die eigentlichen Träger
sind jedoch in erster Linie die Ortsgruppen, deren älteste einst 1888 in Nürnberg entstand.1 Ihr
folgten in Franken Anfang des 20. Jahrhunderts weitere, etwa in Fürth (1907/08), Erlangen,
Bayreuth, Würzburg (alle 1909) und Kronach (1913).2 Aber nicht nur in den großen Städten
der Region sprach man Esperanto: In der Marktgemeinde Pretzfeld, dem Landkreis Forch-
heim zugehörig, bestand zu Beginn der 1950er Jahre eine Esperanto-Gruppe.
Im Fränkischen Tag erschienen seinerzeit mehrere Nachrichten, die über die Aktivitäten
informieren.3 Aus der Artikelfolge geht hervor, dass die Pretzfelder Esperanto-Gruppe
zwischen 1950 und 1956 ihre Blütezeit erlebte.4 Die Anfänge sind in den Herbst 1950 zu
datieren:5

Pretzfeld (fo). Esperanto. Es ist beabsichtigt, für Pretzfeld und Umgebung eine
Esperanto-Arbeitsgemeinschaft zu gründen. Freunde und Interessenten der Welthilfs-
sprache Esperanto möchten sich mit Franz Och, Pretzfeld Hs.-Nr. 41, in Verbindung
setzen.

Initiator der Gruppengründung war demnach Franz Och (* 1930) – Journalist, nachmaliger
Kreisrat sowie Bürgermeister des Ortes und Ehrenvorsitzender der Fränkischen-Mundart-Be-
wegung, und dazu überzeugter Europäer und Friedensaktivist.6 Für seine zahlreichen Aktivi-
täten in Pretzfeld, zu denen auch solche bezüglich Esperanto zählen, wurde er 1995 zum
„Ehrenbretzfelder“ ernannt.7
Über Größe und Zusammensetzung der Gruppe gibt es keine genaueren Angaben, ebenso
wenig solche zu Sprachkursen, Zusammenkünften oder sonstigen Veranstaltungen. Man kann
wohl davon ausgehen, dass die Gruppe stets eine sehr kleine war, in der Region ab dennoch
Respekt und Anerkennung genoss, wie nachfolgender Kurzbericht zeigt:8

1
Vgl. vom Verf., 125 Jahre Esperanto in Nürnberg. Interessantes und Wissenswertes aus den frühen Jahren, in:
90a Germana Esperanto-Kongreso, Nürnberg, 17.-20.05.2013, Kongreslibro, [hrsg. von der Esperanto-Gruppe
Nürnberg und vom Deutschen Esperanto-Bund], [Nürnberg 2013], S. 31–51.
2
Zu Kronach: Verf., „Nova grupo estas fondita.” Dokumente aus den ersten Jahren der Esperanto-Bewegung in
Kronach, in: Archiv für Geschichte von Oberfranken 94.2014, S. 205–220.
3
Evelin Geist, Forchheim (†), meinen herzlichen Dank für ausführliche Recherchen und Mitteilung der Funde.
4
Die nachfolgende Darstellung basiert fast ausschließlich auf der Auswertung der zitierten Zeitungsartikel sowie
weiterer gedruckter Quellen. Es wäre sicherlich aufschlussreich, die Einwohner des Dorfes nach Erinnerungen
an die damaligen Bemühungen zu fragen, was aber hier nicht geleistet werden kann.
5
Fränkischer Tag, 14. Okt. 1950.
6
Franz Och, Stationen. Der Versuch einen Lebensweg im Rückblick nachzuzeichnen, Erlangen 2013; dazu:
Manfred Franze, „Franz Och will ‚sich selbst auf die Spur kommen’“, in: Nordbayerische Nachrichten, 10. Dez.
2013, ders., „Franz Och war immer Herr über sein Leben“, in: Fränkischer Tag, 6. Dez. 2013. – Vgl. auch
Oberfranken-Kurier (Mitgliederzeitschrift des CSU-Bezirksverbandes Oberfranken) 5/2000, S. 25.
7
„Mit Franz Och wird ein großer Pretzfelder 85“, inFranken.de,
http://www.infranken.de/regional/forchheim/Mit-Franz-Och-wird-ein-grosser-Pretzfelder-85;art216,1211050.
8
Fränkischer Tag, 29. Mai 1951.
Pretzfeld (-h). Die Esperantogruppe aus Bamberg mit ihrem Leiter Rudi Brand der Nord-
bayerischen Esperantogemeinschaft in Stärke von über 10 Mann stattete im Zusammen-
hang mit ihrem Ausflug in die Fränkische Schweiz der hiesigen Ortsgruppe einen Besuch
ab und übernachtete hier.

Besonderer Würdigung wert sind die Bemühungen, Esperanto an der Volksschule des Ortes
heimisch zu machen:9

Pretzfeld (FR). Den Geist wahrer Verständigung trotz aller Hindernisse in die Tat
umzusetzen hat sich die Volksschule in Pretzfeld zum Ziele gesetzt. Die weitreichenden
Verbindungen der hiesigen „Esperantisten“ sind wohlbekannt und finden ihren prakti-
schen Niederschlag in der begrüßenswerten Anregung, die Schüler der oberen Klassen an
einem Esperantokurs teilnehmen zu lassen, damit sie später mit Menschen aller Erdteile in
Verbindung treten können.

Inwieweit diese Anregung an den Schulen Pretzfelds und der Region aufgegriffen wurden, ist
nicht bekannt.
Dass man seinerzeit auch an anderen Stellen über Esperanto sprach, belegt ein etwas aus-
führlicherer Bericht über einen Vortrag vor einem in erster Linie ökonomisch orientierten
Publikum:10

Problematik einer Weltsprache


Vortrag im Weiterbildungsverein junger Kaufleute

Forchheim (oe). Sprachlehrer Friedrich verstand es, seinen Vortrag am Donnerstagabend


im Schindlerbräu lebendig und interessant zu gestalten. Er hält es für unmöglich, eine
gemeinsame Sprache für die 2000 Millionen Menschen auf der Erde an Stelle ihrer 2000
Sprachen zu schaffen, dagegen bestünden günstige Aussichten für die Einführung einer
Welthilfssprache, die sich im Internationalen Verkehr der Völker besonders aus
wirtschaftlichen Gründen als dringend notwendig erweise.
Die englische Sprache, die heute von 600 Millionen Menschen gesprochen wird, als
Weltsprache einzuführen, würde sich als schwierig erweisen, da ihre vollständige
Beherrschung ein intensives Studium voraussetze. Eine Welthilfssprache müsse zehn
Forderungen erfüllen; sie müsse international, leicht zu erlernen, und neutral sein, sie soll
schön klingen, so gesprochen werden, wie sie geschrieben wird, eine gewisse Beugung
aufweisen, eindeutig, logisch, regelmäßig und entwicklungsfähig sein. Der um 1880
erfolgte Versuch des Volapüks, das 40 Prozent seines Wortschatzes der englischen
Sprache entnommen hatte, als Welthilfssprache einzuführen, scheiterte. Eine besserer
Erfolg war dem von einem Warschauer Arzt erfundenen Esperanto beschieden, das heute
fünf bis sechs Millionen Menschen sprechen, in dem 2000 Bücher erschienen sind und das
vielfach zur Sprache auf Kongressen geworden sei. Als sehr brauchbar, besonders in der
kaufmännischen Korrespondenz, habe sich das Basic-Englisch erwiesen, das nur 850
Worte kennt, mit denen man durch Anhängen von Silben 5000 bis 6000 Ausdrücke
ersetzen könne. Zum Schluß seiner Ausführungen sprach er seinem jungen Auditorium
Mut zur Erlernung einer fremden Sprache nach modernen Methoden zu.

Der Vortrag, so jedenfalls ist es dem Artikel zu entnehmen, beschäftigte sich in erster Linie
mit Sprachen als Mittel der weltweiten Korrespondenz auf dem wirtschaftlichen Sektor. Dass
9
Fränkischer Tag, 7. Juni 1951.
10
Fränkischer Tag, 7. März 1955.
dabei auch die „Welthilfssprache“ Volapük erwähnt wird, verwundert keineswegs, denn sie
war vor Esperanto das erste einigermaßen brauchbare Projekt dieser Art, das weltweit
Verbreitung finden konnte. Noch 1887, im Geburtsjahr des Esperanto und ein Jahr vor dem
Beschluss des Nürnberger Weltsprache-Vereins, Esperanto als die definitive „beste Lösung
des Weltspracheproblems“ zu betrachten und an die Stelle des bis dahin favorisierten Volapük
zu setzen,11 erschien mit Leopold Einsteins Der kleine Weltsprachekomptoirist ein vehe-
mentes Plädoyer für Volapük. Dessen Inhalt sind Ausführungen zu Aussprache, Schreibung,
Wortbildung und Grammatik sowie mehrere Textbeispiele in Form von Handelsbriefen, die
jeweils parallel in Volapük und Deutsch wiedergegeben werden.
Als dritte Plansprache nennt der Bericht Basic Englisch, eine von Charles Kay Ogden in
den 1920er Jahren geschaffene Welthilfssprache, deren Grundwortschatz, basierend, ähnlich
wie Volapük, auf dem Englischen, auf 850 Wörter begrenzt bleibt und hauptsächlich als
Unterrichtssprache Verwendung fand.12
Mit Hilfe von Sprachen können aber auch Freundschaften entstehen. Wie gut Esperanto
diesbezüglich „funktioniert“, belegt folgender Bericht:13

„Weltbürger“ Jan Saris in Pretzfeld


Esperantobrieffreund als überraschender Hochzeitsgast

Pretzfeld (ld). In einem schönen, alten, fränkischen Volkslied heißt es: „Wahre Freund-
schaft soll nicht wanken, wenn sie gleich entfernet ist …“ Daran wird man erinnert, wenn
man sich Gedanken macht über den überraschenden Hochzeitsbesuch des „Weltbürgers“
Jan Saris aus Den Haag (Holland).
Dieser weilte eine Woche lang bei seinem Gesinnungs- und Brieffreund Franz Och zu
Besuch. Die Freundschaft der beiden, die sich zuvor noch nie gesehen haben, nahm ihren
Anfang vor etwa fünf Jahren. Damals begannen beide, die Welthilfssprache Esperanto zu
lernen, in dem ehrlichen Glauben an die „interna ideo“. Durch ein Inserat in einer
Esperantozeitschrift nahmen die beiden einen fruchtbaren Briefwechsel auf, der jedoch
durch einen besonderen Umstand nicht mehr möglich war. Doch die Vermählungskarte
aus Pretzfeld kam noch rechtzeitig an und durch einen Zufall in die Hände des richtigen
Adressaten. Da ließ sich Freund Jan Saris nicht mehr aufhalten, um noch rechtzeitig zu
dem Familienfest nach Pretzfeld zu kommen. Hier bedeutete er nicht nur eine angenehme
Überraschung für das Brautpaar, sondern auch für die ganze Festgesellschaft. Die
fränkische Bauernhochzeit war für den Weltenbummler ein freudiges Ereignis. Besonders
haben es dem Holländer auch die landschaftlichen Reize der Fränkischen Schweiz ange-
tan, die er mit dem Fahrrad „eroberte“. Bei seinem nächsten Urlaub will Jan Saris daher
wieder in das „Land der Franken fahren“.
Der hagere, etwa vierzig Jahre alte Niederländer ist „Weltbürger“ aus Passion. Er
glaubt an das Gute in der Welt und will nicht nur die Vereinigung Europas, sondern der
ganzen Welt in ein Staatswesen. Dieses Ziel, weiß Jan Saris selbst, braucht noch lange bis
zu seiner möglichen Verwirklichung. Den Nationalismus lehnt er als überholt und als
Übel vieler Kriege ab. Doch wichtig für die Vereinigung der Nationen sei eben eine
Sprache, die allen Völkern gemeinsam sei. Aus diesem Grunde habe Esperanto den natio-
nalen Sprachen viel voraus.

11
Vgl. Leopold Einstein, La lingvo internacia als beste Lösung des internationalen Weltspracheproblems,
Nürnberg 1888. Einstein (1833–1890) gründete den Weltsprache-Verein Nürnberg 1885 und initiierte 1888
dessen Wechsel von Volapük zu Esperanto. – Vgl. Verf., 125 Jahre Esperanto in Nürnberg (wie Anm. 1).
12
Arika Okrent, In the Land of Invented Languages. A Celebration of Lingustic Creativity, Madness, and
Genius, New York 2010, S. 138–142.
13
Fränkischer Tag, 23. Juli 1956.
Jan Saris kennt jedoch nicht nur Deutschland, Belgien, Frankreich, sondern genauso
die Vereinigten Staaten von Amerika und Westindien. Ebenso unterhielt er schon Brief-
wechsel mit Norwegen, England, der Tschechoslowakei und auch mit China.
Der Esperantist Jan Saris aus der Großstadt Den Haag hat seinen Gesinnungsfreund
aus dem Bauerndorf Pretzfeld zu einem Gegenbesuch eingeladen.

Die eindrucksvolle Auflistung der Länder, in die der Besucher aus den Niederlanden Kontakte
knüpfen konnte, belegt, wie gut Esperanto als Kommunikationsmittel über Grenzen hinweg
tatsächlich funktioniert. Über den „Weltbürger“ Jan Saris selbst ist leider nichts weiter in
Erfahrung zu bringen.
Die Pretzfelder Esperanto-Gruppe bestand zwar nicht lange, doch gelang es Franz Och,
Esperanto im Bewusstsein auch der Forchheimer Bevölkerung wenigstens insoweit
festzusetzen, dass eines Tages Evelin („Evi“) Geist mit ihr in Berührung geriet, sich von
Franz Och einen Esperanto-Lehrer empfehlen ließ und damit den Grundstein legte für den
über 20 Jahre bis zum Tod Evi Geists am 26.8.2016 existierenden Esperanto-Freundeskreis in
Forchheim.14 Wie intensiv die Bindung Ochs an Esperanto war, zeigt sich auch in der
Tatsache, dass er bei offiziellen Zusammentreffen von Esperantosprechern stets eine
selbstangefertigte Esperanto-Flagge bei sich hatte.15
Einen Mitstreiter zumindest in Sachen „europäische Idee“ hatte Franz Och übrigens in Dr.
phil. Mir Hamid Madani. Geboren 1931 im Iran, kam dieser 1958 nach Deutschland, studierte
in Tübingen und lehrte zunächst an der Universität Erlangen. 1979 ließ sich der Verfasser
eines mehrfach aufgelegten Elementarbuchs der persischen Sprache mit seiner Frau Marlis in
Pretzfeld nieder; dort gewann Franz Och den Neubürger für die Mitarbeit in der Europa
Union. Madani, der zuletzt Mitglied im Vorstand des EU-Kreisverbandes Forchheim/Fränk.
Schweiz war und am 16.1.2015 verstarb, wurde von Och als „Europäer aus dem Iran“
gewürdigt.16 Ob er auch Esperanto sprach, ist allerdings unbekannt.

Dr. Bernd Krause


www.geschichtswissenschaften.com
© 2016

14
Eine organisierte Ortsgruppe, wie sie etwa heute noch in Bamberg, Nürnberg oder Erlangen bestehen, gab es
in Forchheim nie. – vgl. vom Verf. 100 Jahre Esperanto in Forchheim? Eine notwendige Richtigstellung, 2014,
aktualisiert 2016 (Privatdruck), Academia.edu, https://www.academia.edu/11327655 (pdf-Dokument).
15
Persönliche Mitteilung von Evi Geist, Juli 2016.
16
„Der Europäer aus dem Iran“, in: Fränkischer Tag, 10. Februar 2015, S. 12; vgl. auch die Traueranzeigen in:
Nordbayerische Nachrichten, 21. und 22. Februar 2015 (http://trauer.nordbayern.de/Traueranzeige/MirHamid-
Madani bzw. http://trauer.infranken.de/Traueranzeige/MirHamid-Madani).

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