Vorstellung
Die zu analysierende Aufgabe findet sich in der Zeitschrift Hispanorama Ausgabe 155 aus dem
Jahr 2017 und entstammt dem Beitrag „Teilkompetenzen schriftlicher Sprachmittlung
trainieren" von der Autorin Lena Krogmeier. Diese Aufgabe zielt, wie der Titel des Artikels
sagt, darauf ab, die Kompetenz der schriftlichen Sprachmittlung in einem kleinschrittigen
Verfahren zu stärken und zu trainieren. Die Aufgabe ist für das grundlegende Niveau der
Sekundarstufe II ausgelegt, d.h. die Qualifikationsphase, an dessen Ende das Niveau B2 des
GeR angestrebt wird (KMK Niedersachsen 2018: 17). Diese Aufgabe ist nicht als Prüfung
konzipiert worden, wegen der Länge des Ausgangstextes (975 Wörter), sondern sie soll als
Übung im Unterricht dienen. Die Aufgabe besteht darin, einen informativen Artikel bzw.
Zeitungsartikel auf der Grundlage der Verschriftlichung eines Interviews zu mitteln und besteht
aus drei verschiedenen Arbeitsblättern. Die Sprachmittlung muss vom Deutschen ins Spanische
durchgeführt werden.
Angemessenheit
Die Aufgabe ist für das grundlegende Niveau der Sek II angemessen, da das Zielniveau B2 ist
und das Alter der Lernenden etwa 17 Jahre beträgt. Es stellt auch einen komplexen kognitiven
Prozess dar, da die Lernenden einerseits Informationen aus einem Text, der Informationen auf
einer persönlichen Ebene mündlich und informell vermittelt, abstrahieren und auf die Ebene
der verallgemeinerten Informationen in ein schriftliches und formales Register übertragen
müssen. Eine tatsächliche Forderung würde stattfinden, wenn die SuS z.B. noch nicht die
Textsorte „Zeitungsartikel“ kennen. Aber auch, wenn sie das schon kennen aber noch nicht
sicher beherrschen, vor allem die Verwendung und den Einsatz von Zitaten; die Verwendung
des neutralen Tons; die Verwendung der dritten Person in informativen Sätzen; und andere
komplexe sprachliche Ausdrücke und Satzstrukturen. Ebenso gibt es eine potenzielle
Progression in Bezug auf das Erlernen der Strategien, die explizit genannt und zu deren
Verwendung aufgefordert wird, wie z. B. Kompensation und Reduktion des Inhalts; die
verschiedenen Übersetzungen eines Wortes in verschiedenen Kontexten; die Anpassung eines
Textes an den Adressaten und die Situation, nach der gefragt wird; mehrsprachige
Wortschatzstrategien u. a.
Instruktion
Die Aufgabestellung auf Spanisch und lautet:
Durante tus prácticas en una editorial española tu jefe te pide que escribas un artículo
periodístico sobre la inmigración actual en Alemania. Hace poco leíste esta entrevista con
Karam Kabbani (21 años), un inmigrante sirio. Redacta un artículo informativo contando sus
motivos para emigrar, sus experiencias durante el viaje y en Alemania, acerca de sus miedos y
planes para el futuro. Antes de empezar, trabaja los siguientes ejercicios. (Krogmeier 2017: 24)
Da es sich um eine Aufgabe für den Unterricht handelt, ist es gut, dass sie auf Spanisch ist. Der
einzige verwendete Operator ist "redacta" (Anforderungsbereich III).
Was die Transparenz und Verständlichkeit der Instruktion angeht, kann sie einerseits positiv
bewertet werden, da sie die wichtigen Aspekte „sus motivos para emigrar, sus experiencias
durante el viaje y en Alemania, acerca de sus miedos y planes para el futuro“ nennt, die im Text
enthalten sein sollen. Andererseits kann sie aber auch negativ bewertet werden, da die Art der
Formulierung zu Verwirrung führen kann, da im ersten Satz "tu jefe te pide que escribas un
artículo periodístico sobre la inmigración actual en Alemania" steht und im zweiten Satz nach
"[r]edacta un artículo informativo contando sus [von Karam Kabbani] motivos para emigrar,
sus experiencias […]" gefragt wird. Die Verwirrung kann von Zweifeln herrühren, ob ein
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journalistischer Artikel und ein informativer Artikel dasselbe sind; oder ob man über die
aktuelle Einwanderung in Deutschland oder nur über Karams Erfahrungen schreiben soll, oder
über beides; oder wenn man sich für die zweite Option entscheidet, dann wird ignoriert, was
„der Chef verlangt". Wenn man einen Blick auf den Spiegeltext wirft, dann wird deutlicher,
dass die SuS sowohl über die Einwanderungssituation im Allgemeinen als auch über Karams
persönlichen Erfahrungen schreiben sollen. Ich denke jedoch, dass es besser ist, die Instruktion
so zu formulieren, dass von Anfang an keine unnötigen Verwirrungen entstehen können. Es
wird auch nicht erwähnt, wie lang der Zieltext sein muss, obwohl man anhand der Länge des
Spiegeltextes eine gute Vorstellung davon bekommen kann.
Ein weiterer Punkt, nicht als Kritik an sich, sondern als mögliche Verbesserung im Sinne der
Kontextualisierung, sind die kurzen Angaben zum Adressaten. Da es sich um einen
informativen Artikel in einer spanischen Zeitung handelt, wird davon ausgegangen, dass die
Leser des Textes im Allgemeinen Spanier sein werden. Es wäre eventuell vorteilhaft für die
SuS, eine weitere Kontextualisierung dazu vorzunehmen um welche Art von Zeitung es sich
handelt oder zum Beispiel ob die Zeitung hauptsächlich von jungen Menschen gelesen wird.
Dadurch würde es den SuS leichter fallen, den Text an einen bestimmen Adressaten
anzupassen.
Thema
Das Thema ist von großer Relevanz und adressatengerecht, da die Zuwanderung von syrischen
Flüchtlingen in Deutschland und anderen Ländern ein Phänomen ist, dass das Leben in Europa
in vielerlei Hinsicht beeinflusst hat und daher ein Thema ist, das sich auf die Realität und das
Leben der hypothetischen potenziellen Leser der spanischen Zeitung bezieht, in der der Artikel
veröffentlicht werden würde. Außerdem ist es ein Thema von globaler Bedeutung und Interesse.
Teilkompetenzen
Vor dem Erstellen des Zieltextes müssen die SuS verschiedene Übungen machen, die ihnen bei
der Vorbereitung des Textes helfen sollen. Die erste Vorbereitungsaufgabe dient der
Wortschatz- und Vorwissensaktivierung und besteht darin, ein thematisches Vokabelnetz rund
um den Begriff "Immigration" zu erstellen und zwei Bildunterschriften zu schreiben: Zunächst
muss jeder Schüler die Wörter aufschreiben, die ihm in den Kopf kommen, dann mit einem
Partner Wörter austauschen, dann Vokabeln aus dem Spiegeltext entnehmen und schließlich
die Bildunterschriften schreiben. Die zweite Übung besteht darin, den Text zu planen und
bestimmte inhaltliche, sprachliche und strukturelle Kriterien mit Hilfe einer Tabelle auf die
Situation, den Adressaten und den Zieltext abzustimmen. Diese Tabelle sollte vor dem
Schreiben des Textes ausgefüllt werden und dann als Checkliste für die Überarbeitung des
Textes dienen. Diese Tabelle scheint mir ein sehr gutes Hilfsmittel zu sein, da sie die SuS dazu
anregt, sich über den Adressaten und die Situation des Zieltextes Gedanken zu machen sowie
die Struktur des Textes im Voraus zu planen. Diese Tabelle kann ausgefüllt werden, während
die anderen Übungen durchgeführt werden, d. h. es können Dinge hinzugefügt, entfernt oder
verändert werden. Bei der dritten Vorbereitungsaufgabe geht es darum, zu reflektieren und zu
üben, wie ungewohnte oder schwierige Begriffe (z.B. die aufgrund von kulturellen
Unterschieden unklar sind oder keine wörtliche Übersetzung haben) dem Adressaten erklärt
werden können. Diese Übung lädt die Lerner ausdrücklich dazu ein, über den unterschiedlichen
kulturellen Hintergrund des Adressaten nachzudenken. Die vierte Vorbereitungsaufgabe
befasst sich mit den verschiedenen sprachlichen Strategien. Einerseits geht es um die inhaltliche
Reduktion sowie die inhaltliche Kompensation für die Unkenntnis bestimmter Ausdrücke.
Diese werden genannt und anhand von Beispielen aus dem Ausgangstext geübt. Zum anderen
geht es um Wortschatzstrategien wie Wörterbuchbenutzung, Ableitung von Vokabeln aus
anderen Sprachen und einige falsche Freunde im Bereich des thematischen Wortschatzes. Die
fünfte Übung besteht darin, bestimmte Sätze aus dem Basistext an das Register des Zieltextes
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Authentizität
Sowohl der Ausgangstext als auch der Spiegeltext sind authentisch. Zum Kontext der
didaktischen Inszenierung lässt sich sagen, dass es erstens nicht sehr wahrscheinlich ist, dass
ein Schüler der Sek II ein Praktikum in einem spanischen Verlag machen würde (aus
sprachlichen Gründen) und zweitens, wenn er es täte, nicht mit einer so großen und
verantwortungsvollen Aufgabe betraut werden würde. Es scheint mir jedoch, dass es für die
Lerner möglich ist, sich in diese Rolle hineinzuversetzen. Ich würde, wie ich oben erwähnt
habe, noch ein paar Details zur Kontextualisierung hinzufügen, in etwa mehr Informationen
über die Leserschaft der spanischen Zeitung. Im Hinblick auf die kommunikative Relevanz
kann festgestellt werden, dass die Aufgabe eine gelungene Übung für das Schreiben von Texten
im formalen Register darstellt.
Interkulturalität
Die Aufgabe fördert definitiv die interkulturelle Kompetenz. Einerseits leitet die Aufgabe die
SuS explizit dazu, über die spanische Kultur und die Unterschiede zu ihrer eigenen zu
reflektieren, z. B. wenn es darum geht, welche Begriffe den impliziten Lesern erklärt werden
sollen, in etwa die verschiedenen sozialen Institutionen bspw. die LaGeSo und der formale
Prozess der Flüchtlingsaufnahme in Deutschland. An dieser Stelle konnten die SuS auch ihr
Wissen über Migrationsbewegungen in Spanien verknüpfen, ob es Hilfe für Flüchtlinge gibt
und wie die gleiche Situation der syrischen Flüchtlinge dort erlebt wurde. Andererseits
impliziert das Thema des Textes eine dritte, fremde Kultur (oder im Falle, dass einige Schüler
selbst aus Syrien kommen, ihre eigene).
Heterogenität
In Bezug auf die Heterogenität kann kritisiert werden, dass es bei dieser Aufgabe keine
Differenzierungsangebote gibt. Die vorbereitenden Aufgaben sind aber gleichzeitig
Scaffolding-Angebote, die z.B. SuS die leistungsstärker sind überspringen könnten, wenn sie
es nicht für nötig halten.
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Sonstiges
Für diese Aufgabe gibt es keinen konkreten Erwartungshorizont. Es wäre von Vorteil, wenn es
einen gäbe, aber der Spiegeltext gibt eine gute Vorstellung davon, wie der endgültige Text
aussehen muss und lässt dennoch Raum für etwas Kreativität seitens der SuS. Die Tabelle, die
die SuS in der zweiten Übung ausfüllen, kann teilweise individualisierte Bewertungskriterien
enthalten.
Insgesamt bewerte ich diese komplexe Aufgabe als sehr vollständig und sehr gut für die
Unterrichtspraxis, obwohl sie insbesondere bei der Formulierung der Instruktionen verbessert
werden könnte.