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Kapitel 15

Alles fließt – PR in den Zeiten von Social Media


und Web 2.0

Annegret Haffa und Horst Höfflin

Inhalt

Strukturwandel bringt neue Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170


Dialog statt Sender-Empfänger-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
Kein „Schema F“ für die Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
Kunden und Hersteller profitieren vom Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
„Weiche Faktoren“ spielen eine wichtige Rolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Kommunikation auf Augenhöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Nebeneinander von Alt und Neu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
Veränderte Rolle der Technologie-Entscheider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
Sieben Thesen zur Aussage „Alles ist im Fluss“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

Public Relations, Werbung, Marketing: Die Grenzen zwischen diesen Bereichen


der Unternehmenskommunikation verwischen immer mehr. Dabei war doch bis vor
kurzem alles ganz einfach. Werbung kauft den Platz, Marketing schickt direkt und
PR geht über die Medien. Das hieß für die PR: Es gibt Sender und Empfänger, es
gibt Unternehmen, die kommunizieren, und Medien, die als Multiplikatoren fun-
gieren und die Botschaften der Unternehmen zu ihren Lesern bringen. Aufgabe
der PR war es, die Multiplikatoren in den Medien und die Meinungsmacher zu
überzeugen, damit diese dann – überzeugt – die Botschaften der Unternehmen
an ihre Leser, Hörer und Zuschauer weitergeben konnten. PR war ein gesetzter
Baustein in der Influencer-Kommunikation von Technologie-Unternehmen. Nicht
zuletzt dank einer vielfältigen und PR-affinen Fach- und Branchenpresse wussten
Unternehmen und Agenturen, wie sie das Instrument PR gezielt und wirkungsvoll
einsetzen konnten.
In unseren Seminaren zu PR und B2B-Kommunikation konnten wir viele Jahre
folgendes Bild für die Definition von PR bringen: PR übernimmt für Unternehmen
die Funktion des Beleuchters im Theater: Er verändert nicht das Bühnenbild, setzt

A. Haffa (B)
Dr. Haffa und Partner, München, Deutschland
e-mail: annegret.haffa@haffapartner.de

R. Leinemann (ed.), IT-Berater und soziale Medien, Xpert.press, 169


DOI 10.1007/978-3-642-18410-9_15,  C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
170 A. Haffa und H. Höfflin

aber gezielt Lichtakzente und wählt Helligkeit und Farbe, um die gewünschten
Effekte zu erzielen.
Und wie ist es heute? Klar ist uns allen, dass diese Definition so nicht mehr
gilt, denn angesichts von Web 2.0 („Mitmach-Web“) und Social Media haben sich
die Rollen und Funktionen der Akteure – nein, nicht nur der Akteure, sondern die
aller Beteiligten! – fundamental verändert. Auch Schauspieler, ja sogar Zuschauer
greifen nach der Beleuchtungsanlage, sie verändern das Bühnenbild, bearbeiten das
Textbuch, sie gehen auf die Bühne und setzen die Schauspieler und den Regisseur
ins Publikum. . .
Vom Beleuchter, der gezielt Akzente setzt, ist die Unternehmenskommunika-
tion heute Meilen entfernt. Wer aber nun den „guten alten Zeiten“ nachtrauert
und den Verlust klarer Strukturen beklagt, wer jammert, dass Unternehmen die
Kontrolle über die Unternehmenskommunikation und die Kommunikationshoheit
verloren haben, der hat den Strukturwandel und die damit verbundenen Chancen
nicht verstanden.
Denn mit dem Web 2.0 und den Sozialen Netzwerken haben Unternehmen neue,
leistungsfähige Medien, Werkzeuge, Kanäle und Plattformen hinzugewonnen, die
ihnen vielfältige und neue Möglichkeiten für äußerst effektive Unternehmenskom-
munikation eröffnen, mit denen sie potenzielle Käufer ansprechen und Entscheider
erreichen können.

Strukturwandel bringt neue Chancen

Es wird ja immer wieder vom „Tod der PR“ gesprochen. Das ist sicher richtig,
wenn man es auf die erwähnte klassische PR im herkömmlichen Sinne bezieht. Über
diese allein – verstanden als Pressearbeit in Printmedien der Tages-, Wirtschafts-
und Fachpresse – wird man seine Zielgruppen und Kunden in Zukunft nicht mehr
erreichen.
User informieren sich mittlerweile nicht mehr nur über die klassischen Kanäle, sie beziehen
Informationen über Blogs, Foren, Social Networks, Videoportale, Social News-Sites,
Wikipedia, Verbraucherportale, etc. Das führt zu Thesen wie „die Nachricht kommt zu
mir“. . . .

Wo man sich früher auskannte, etablierte Wertschöpfungsketten aufgebaut hatte, muss man
nun mit der Kundenkarawane weiterziehen. . . .

Mit der entscheidenste Punkt ist, dass mittels der digitalen Revolution die Beziehung zwi-
schen Wirtschaft und Konsumenten direkt verknüpfbar wurde. Mittelsmänner im Sinne
einer Organisationsform bzw. einer wirtschaftlich betriebenen Institution verlieren natür-
licherweise an Bedeutung. Es wird zunehmend nicht mehr die Frage gestellt, wie man 1:n
Beziehungen herstellen kann, sondern wie man 1:1 Beziehungen knüpft. . . .1

1 Basic,Robert: Digitales ist der Tod der PR- und Marketingbranche? In: written in basic
[Weblog], 16.09.2010. Online-Publikation: http://www.robertbasic.de/2010/09/digitales-ist-der-
tod-der-prmarketingbranche/, zugegriffen am 15.10.2010
15 Alles fließt – PR in den Zeiten von Social Media und Web 2.0 171

Das bedeutet: Unternehmen, PR, Marketing können mit ihren Aktivitäten nach
wie vor und auf jeden Fall Kunden und potenzielle Kunden erreichen, Entscheider
ansprechen und Kaufentscheidungen beeinflussen – aber sie dürfen dabei nicht mehr
nur auf die klassischen und etablierten Instrumente setzen.
Wir leben in einer Übergangszeit, in der es noch die Autorität der Printmarken ist, die
für Vertrauen sorgt. Mit der Digitalisierung der Welt wird ihre Wirkkraft nachlassen;
es wird deshalb künftig darum gehen, Vertrauen durch Transparenz zu schaffen: Dies
beginnt bei der Frage, welche Gedanken und Zweifel uns bei der Herangehensweise an
ein Thema bewegen und es endet noch lange nicht bei Informationen über mögliche
Interessenkonflikte.2

Verlage sind heutzutage Burgen. Es wird Zeit, die Zugbrücke herunter zu lassen. Wie das
geht, zeigt der Guardian, der Premium-Mitgliedern Zugang zur Redaktion gibt. Das ist nur
der Anfang: Chefredakteure und Leitartikel-Autoren, die abends die aktuelle Nachrichten-
lage mit ihren Nutzern in der Cafeteria des Verlagshauses (oder dem Kaffeehaus ums Eck)
diskutieren, Leser, die per Webcam zu Konferenzen zugeschaltet sind und wichtiges Feed-
back geben: Die Menschen, die früher als das Publikum bekannt waren, rücken näher an
die Redaktion.3

Seitdem es journalistische Online-Portale im Netz gibt, steht bei vielen Internetauftritten


ein Distributionskanal im Mittelpunkt: Die Homepage. Sie wird zwar nicht verschwinden,
ihre Relevanz jedoch deutlich abnehmen – die Plattformen sterben.4

Dies belegen nicht zuletzt die kontinuierlich steigenden Benutzerzahlen der


Sozialen Netzwerke wie beispielsweise Facebook.
Indeed, SEO aside, the strategy of a sexy headline or a flashy slideshow appears to be no
longer working. “People seem to be relying more and more on Twitter or Facebook to get
their news,” . . . “and less and less on portal homepages.”5

Dialog statt Sender-Empfänger-Modell

Das Problem in den Unternehmen und Agenturen ist nicht die Erkenntnis und das
Wissen, dass sich die Kommunikation und die Entscheideransprache mit den Mög-
lichkeiten des Web 2.0 fundamental ändern wird bzw. geändert hat. Das Problem
ist unserer Meinung nach, dass viele Verantwortliche damit umgehen wie mit her-
kömmlichen Konzepten oder Tools. Und dass sie im Prinzip am herkömmlichen

2 Kuhn, Johannes: Neuer Journalismus. Jetzt. In: kopfzeiler.org [Weblog], 24.06.2010. Online-
Publikation: http://www.kopfzeiler.org/?p=780, zugegriffen am 15.10.2010.
3 Kuhn, Johannes: Neuer Journalismus. Jetzt. In: kopfzeiler.org [Weblog], 24.06.2010. Online-
Publikation: http://www.kopfzeiler.org/?p=780, zugegriffen am 15.10.2010.
4 Kuhn, Johannes: Neuer Journalismus. Jetzt. In: kopfzeiler.org [Weblog], 24.06.2010. Online-
Publikation: http://www.kopfzeiler.org/?p=780, zugegriffen am 15.10.2010.
5 Stableford, Dylan: Portal Predicament: No One Hangs Around Anymore. In: TheWrap [Web-
log], 20.06.2010. Online-Publikation http://www.thewrap.com/media/article/portal-predicament-
no-one-hangs-around-anymore-18499, zugegriffen am 15.10.201
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„Sender-Empfänger-Modell“ festhalten und zu wenig verstehen, dass die Möglich-


keit des Dialogs und der Interaktion im Web keine Option, sondern ein Muss ist.
Sie sehen primär, dass das Mitmach-Web und Soziale Netzwerke Kontrollverlust
gegenüber den bisherigen Kommunikations- und Informationsmustern bedeuten.
Sie sehen darin ein Risiko, dem sie am besten mit „Nicht-Mitmachen“ begegnen
und sich so auf der sicheren Seite wähnen.
Öffnung, Transparenz und Dialogbereitschaft sind in Technologieunternehmen
oft nicht Bestandteil der Unternehmenskultur. Es bereitet Unbehagen, die Aufgabe
nicht einfach an die Kommunikationsabteilung delegieren zu können, jetzt auch
„was mit Web 2.0 und Social Media“ zu machen. Denn der Dialog mit Märkten,
Kunden und Entscheidern lässt sich nicht wegdelegieren bzw. wie gewohnt über die
Marketing- und PR-Abteilung abwickeln.
Die Veränderungen, die das Web 2.0 mit sich bringt, haben Auswirkungen auf
das gesamte Unternehmen, auf die interne Struktur, auf die Arbeitsweise und Auf-
gaben eines jeden einzelnen Mitarbeiters. Nicht nur in PR und Marketing. Jeder
wird zum Sprecher für das Unternehmen und seine Produkte, jeder steht im Dialog
mit potenziellen Kunden. Jeder ist gefordert.
In 20 Jahren werden wir auf diese Zeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts zurückblicken und
einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte unserer Wirtschaft und Gesellschaft
darin erkennen. Wir werden verstehen, dass wir in ein neues Zeitalter eingetreten sind, das
auf neuen Prinzipien, Ansichten und Geschäftsmodellen beruht, wo die Spielregeln sich
grundlegend geändert haben.6

So sehr viele Unternehmen die Chancen des Web 2.0 für Unternehmenskommu-
nikation, Marketing, PR und Vertrieb sehen, so sehr scheuen sie das Mitmachen,
weil sie klar erkannt haben, dass es hier nicht um tolle neue Vertriebskanäle geht,
nicht mal nur um eine fundamentale Änderung der Kommunikation mit den Kunden,
sondern – und da hört der Spaß auf – um eine fundamentale Änderung des gesamten
Unternehmens im Hinblick auf seine Kommunikationskultur, seine Dialogkultur. Es
ist die zwangsläufige Transparenz, die notwendige Offenheit und die damit verbun-
dene Umstrukturierung des Unternehmens, die viele Unternehmen davon abhält,
über die Social Media mit ihren Märkten und Kunden zu kommunizieren.
Immer wieder stellen sich Unternehmen auch die Frage, ob der hohe personelle
und zeitliche Aufwand, den eine professionelle Präsenz im Web und in den Social
Media erfordert, auch gerechtfertigt bist, ob er sich rechnet und welchen Nutzen er
genau dem Unternehmen, konkret dem Vertrieb, bringt.
Es ist ja gar nicht so, dass Unternehmen nicht die Vorteile der Online-
Kommunikation zu schätzen wüssten – Hauptvorteil ist ja die genaue und differen-
zierte Messbarkeit, z. B. von Marketingkampagnen. Aber da bleibt man beim
bewährten Sender-Empfänger-Schema, egal ob es um Online-Mailingaktionen,
Online-Lead-Generation-Kampagnen oder Online-Gewinnspiele geht. Klassische

6 Don Tapscott und Anthony D. Williams, Wikinomics – Die Revolution im Netz, München 2007
15 Alles fließt – PR in den Zeiten von Social Media und Web 2.0 173

Werbung und klassische PR geraten gegenüber den Effizienz-beweisenden Online-


Marketing-Tools mit messbaren Erfolgen ins Hintertreffen.
Aber bloß nicht das Unternehmen umbauen müssen, Vertrieb ist Vertrieb, Mar-
keting ist Marketing, PR ist PR – das funktioniert doch alles, und „online“ ist ein
tolles neues Werkzeug, solange wir alle Aktivitäten von uns aus steuern.

Kein „Schema F“ für die Implementierung

Und es kommt noch etwas hinzu, was neben der Angst machenden Öff-
nung und Transparenz, neben dem empfundenen Kontrollverlust der Web-2.0-
Kommunikation entgegensteht: Es gibt kein „Schema F“ für die Implementierung,
und es gibt auch keine gesicherten Erkenntnisse, dass alles immer wie geplant
funktioniert. Was vielen Unternehmen Probleme bereitet an der digitalen Revolu-
tion – und es ist nicht übertrieben, davon zu sprechen – ist die Tatsache, dass „alles
im Fluss ist“, dass es wenig Anhalts- und Orientierungspunkte gibt, keine klaren
Regeln. Das Web 2.0 ist eben nicht ein weiterer Informations- oder Vertriebskanal,
den man in die bestehenden Abteilungen, Denk- und Handlungsmuster integriert.
Es geht um mehr. Es geht um „keine Experimente“ versus „mehr Demokratie
wagen“ – wir wissen, dass ersteres langfristig keine Perspektive ist, und die Erkennt-
nis daraus ist klar: Wer das Wagnis nicht eingeht, wer nicht experimentiert, der
verliert. Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um. Ganz einfach.
Neben den großen strukturellen Veränderungen, die das Mitmachweb und die
Sozialen Netzwerke mit sich bringen, gibt es auch Auswirkungen auf die ver-
schiedenen Kommunikationsdisziplinen: In der klassischen Welt waren Corporate
Communications, PR und Pressearbeit, Marketing und Vertrieb getrennte Welten,
die in unterschiedlichen Abteilungen organisiert waren und die ihre spezifischen
Instrumente einsetzten. Sicher, Abstimmung und Koordination war immer not-
wendig, um Synergieeffekte zu erzielen. Aber heute ist eine strikte Trennung
der Disziplinen gar nicht mehr sinnvoll, mehr noch, sie ist völlig unsinnig, nicht
wirtschaftlich und kontraproduktiv.
Denn das Web 2.0 setzt sich nicht nur über Unternehmenshierarchien und
Abteilungsgrenzen hinweg, es verlangt Transparenz, offene Kommunikation und
spannende, wissenswerte, relevante Inhalte – und fragt nicht danach, ob es sich
hierbei um Marketing oder PR handelt, ob das Unternehmenskommunikation oder
Vertrieb ist.
Und damit kommen wir zum Kern: Bei allem, was im Fluss ist durch die
digitale Revolution, was es an Unsicherheiten gibt, an Experimenten, an Nicht-
wissen-was-passiert, es gibt eine Konstante: Die Inhalte der Kommunikation stehen
im Mittelpunkt. Auf sie kommt es an. Sie müssen wichtig sein. Und gut lesbar.
Informativ. Unterhaltsam. Nicht die Disziplinen, Abteilungen, Hierarchien, Text-
genres, etc. sind entscheidend. Es ist nicht entscheidend, ob ein etablierter Verlag,
ein renommierter Journalist, ein Blogger oder ein Mitarbeiter eines Unternehmens
174 A. Haffa und H. Höfflin

kommuniziert. Ob Botschaften die Käufer und Entscheider erreichen, hängt davon


ab, ob sie gut sind.
Es gibt nicht mehr nur die prägende Meinung einer anerkannten Autorität
(Fachverlag, Fachjournalist, Website des Marktführers, etc.), an denen sich die Ent-
scheider und Konsumenten orientieren. Nein, die Marktteilnehmer haben Zugriff
auf vielfältigste Informationsquellen, und sie tauschen sich untereinander aus,
sie kommunizieren miteinander, entwickeln Ideen und bilden sich ihre eigenen
Meinungen.
Eine Frage, die sich vor allem in der B2B-Kommunikation immer wieder stellt,
ist: Erreicht man denn über das Web 2.0 überhaupt Entscheider, CxOs, wirklich rele-
vante Zielgruppen? Funktionieren die Mechanismen im B2B-Bereich? Ist Präsenz
im Web 2.0 und in den Sozialen Netzwerken für B2B-Unternehmen nicht eher ein
nice-to-have? Oder ein Hype für bestimmte Märkte (Jugend, Lifestyle, Tourismus),
aber nicht für seriöse Unternehmen mit seriösen Produkten und Dienstleistungen?
Nur für B2C, aber nicht für anspruchsvolle B2B-Kommunikation?
Das ist vom Ansatz her falsch gedacht. Das Web 2.0 und die Sozialen Netz-
werke haben sich ohne Zweifel etabliert als Bausteine im Kommunikationsmix, in
der Entscheideransprache, im Dialog mit den Märkten und Kunden. Denn unser
Thema ist ja „Influencer Marketing“, es geht um die Frage „Wer entscheidet, was
Technologie-Kunden kaufen?“ und damit verbunden um Rolle, Bedeutung, Auf-
gaben und Funktionen der IT-Berater in Deutschland. Um die Frage, wer alles
Einfluss auf Kaufentscheidungen ausübt, und wie diese Kaufentscheidungsprozesse
heute ablaufen. Dass dabei von den Unternehmen und Agenturen heute etablierte
Muster über Bord geworfen werden müssen bzw. diese bereits von den Kunden und
Marktteilnehmern über Bord geworfen wurden, ist einfach eine Tatsache, die jeder
sieht, der mal in Foren, Blogs und Twitter reinschaut.

Kunden und Hersteller profitieren vom Dialog

Wer vor einer Kaufentscheidung steht, wer eine IT-Investition plant, wird sich im
Web informieren. Er wird Informationen verschiedener Anbieter sammeln, und er
wird Testberichte, Bewertungen und Erfahrungsberichte lesen – in Fachzeitschrif-
ten, Foren, auf Portalen, in Blogs. Er kann auf Beiträge antworten, in Dialog mit den
Verfassern treten, sich mit seinem Anliegen einbringen in die Diskussion. Und was
noch viel wichtiger ist: Er kann zu bestimmten Aufgabenstellungen oder Details
selbst Fragen ins Web stellen.
Der Prozess der Meinungsbildung ist äußerst vielfältig, differenziert, umfang-
reich und demokratisch geworden. Dialog und Diskussion statt Information, Ver-
netzung statt Einbahnstraße. Die Macht der Hersteller als wichtigste Influencer ist
gebrochen. Das Web stärkt Entscheider und Kunden.
Das Web stärkt aber auch die Hersteller: Auch sie profitieren von Dialog, Dis-
kussion, Vernetzung und Teilung des Wissens, selbst wenn es auf den ersten Blick
15 Alles fließt – PR in den Zeiten von Social Media und Web 2.0 175

nicht so aussieht. Für sie ist das Web die Riesenchance, mehr über die Anforde-
rungen und Bedürfnisse ihrer Kunden und Partner zu erfahren, mit ihnen in Dialog
zu treten, sich auszutauschen, und sie erhalten wertvolle Informationen zu ihren
Produkten und Lösungen. Letztendlich profitieren alle Marktteilnehmer von den
offenen, vernetzten Strukturen, von Dialog und Diskussion, vom wechselseiti-
gen Informationsaustausch. Wissen vermehrt sich durch Teilen. Produkte werden
besser durch Teilen von Informationen und Erfahrungen, durch den Dialog mit den
Kunden.
Angesichts des Tempos der Veränderung und der neuen Forderungen von Kunden kön-
nen Unternehmen nicht mehr allein auf interne Fähigkeiten setzen, um externe Bedürfnisse
zu befriedigen. Sie können sich auch nicht auf fest verschweißte Beziehungen zu einer
handvoll Geschäftspartnern verlassen und erwarten, das es ihnen so gelingen wird, den
Konsumentenwünschen nach Tempo, Innovation und Kontrolle zu entsprechen. Stattdessen
müssen die Firmen in dynamischer Form alle in den Herstellungsprozess mit einbeziehen:
Partner, Wettbewerber, Erzieher, die Regierung und vor allem die Kunden.7

Noch nie hatten Unternehmen die Möglichkeit, so nahe an ihre Zielmärkte und
Kunden heranzukommen, so viel von ihnen zu erfahren, so viel Know-how und
Erfahrungen mit ihnen zu teilen! Die Chancen, Entscheider, Kunden und Märkte
zu beeinflussen, sind durch das Web ungleich größer und reichhaltiger geworden.
Ungleich größer und vielfältiger sind natürlich auch die Chancen der Kunden, ihre
Erfahrungen und Meinungen zu veröffentlichen, auszutauschen und zu teilen. Aber
profitieren die Unternehmen nicht auch von der Macht der Konsumenten? Ja, weil
sie viel mehr über ihre Kunden wissen.
Vor einer ähnlichen Situation stehen auch die etablierten Medien: Profes-
sionelle Journalisten und die starken Marken der traditionellen Medien haben ihre
Kommunikationshoheit verloren. Die Leser werden zu Autoren, sie tauschen sich
untereinander aus und sind Gott sei Dank nicht mehr nur auf den Leserbrief als
Sprachrohr beschränkt. Analog zur Situation zwischen Unternehmen und Kunden
wäre es doch ein Unding zu glauben, dass der Qualitätsjournalismus in Gefahr
sei durch Blogger und andere Autoren im Web: Die Qualität der Informationen
kann nur besser werden! Alle Beteiligten tragen zu mehr Wettbewerb und zu mehr
Qualität bei.
Hinzu kommt, dass die Unternehmen auch über ihre Wettbewerber, deren Pro-
dukte und Kampagnen mehr wissen. Das Mitmachweb bringt eine hohe Transparenz
in die Märkte und Kundenbeziehungen – zum Nutzen aller seriösen, ehrlichen
Marktteilnehmer. PR-Sprechblasen, Marketing-Blurp und unlautere Werbeverspre-
chen werden schnell identifiziert und enttarnt.
Und damit kommen wir schon wieder zum Kern der Marktkommunikation, der
Entscheideransprache: Auf die Inhalte kommt es an! Sie müssen einfach richtig sein.
Dann gibt es keine Probleme, weder online noch offline.

7 Don Tapscott und Anthony D. Williams, Wikinomics – Die Revolution im Netz, München 2007
176 A. Haffa und H. Höfflin

„Weiche Faktoren“ spielen eine wichtige Rolle


Die Teilnehmer des Mitmachweb und der Sozialen Netzwerke stellen keine
akademischen Fragen, ob denn die Kommunikation oder Kampagne eines Unter-
nehmens jetzt PR, Marketing, Vertrieb oder Werbung sei. Sie wollen sich infor-
mieren, Fragen stellen und Erfahrungen austauschen. Sie wollen zu einer fundierten
Kaufentscheidung kommen, die rational und emotional stimmig ist, die ihren
gesetzten Kriterien standhält.
Das Mitmachweb setzt sich auch völlig unakademisch über die Zielgruppen-
Zielmedien-Diskussion hinweg: Punktgenaue, differenzierte Zielgruppenansprache
für Produktkommunikation in Fachmedien oder breit gestreutes Branding in Tages-,
Publikums- und AV-Medien? Im Web geht das alles. Und das Web erreicht und
beeinflusst alle. Auch wenn der CxO nicht selber twittert und nicht bloggt, so grei-
fen die Journalisten seiner Leitmedien Informationen aus Blogs und Tweets auf und
verarbeiten diese in ihren Beiträgen.
Ja, das Web lässt sich für den Vertrieb nutzen. Ja, das Web ist ein Absatzkanal.
Ja, das Web ist ideal für HR, Recruitment und Employer Branding.
McKinsey Berater analysierten 2010 den Geschäftswert von Social Media und kamen zu
folgendem Schluss: Der primäre Nutzen liegt . . . in den Bereichen Wissensmanagement,
interne Kommunikation, Recruiting und Marktanalyse.8

Diese Einschätzung stimmt, sie greift jedoch unserer Ansicht nach zu kurz. Denn
die Präsenz im Web und die Art und Weise, wie ein Unternehmen sich darstellt,
wie es kommuniziert und wie seine Dialogpartner über es und mit ihm kommuni-
zieren, geht in ihrer Wirkung weit über Marketing und Vertriebsunterstützung, über
HR und Mitarbeitergewinnung hinaus. Sie kann massive Auswirkungen auf Image,
Branding und Wert des Unternehmens haben. Denn wie in realen Beziehungs-
netzen spielen auch im virtuellen Web „weiche Faktoren“, subjektive Eindrücke
und persönliche Beziehungen eine sehr große Rolle für die Meinungsbildung.
Dazu ein Beispiel: Die CRM-Software des Unternehmens XYZ ist anerkann-
termaßen sehr leistungsfähig, es gibt gute Testberichte und positive Analysten-
Statements. Doch im Web überwiegen negative Kommentare zu Service und
Support, es gibt Beiträge über extrem kundenunfreundliches Verhalten bis hin zu
gerichtlichen Auseinandersetzungen. Wer sich über das Produkt informieren will,
stößt schnell auf eine Website „XYZ-Geschädigte“.
Eine solche Transparenz und offene Diskussion bereitet vor allem börsennotier-
ten Unternehmen Sorgen, denn bestimmte Kommentare können nicht nur das Image,
sondern auch den Kurswert beeinflussen, egal, ob die Aussagen richtig sind oder
falsch.

8 Reineke,
Wolfgang: Der Durchbruch von Social Media scheint international gelungen. In: PR-
Journal, 19.09.2010. Online-Publikation: http://www.pr-journal.de/index.php?option=com_
content&view=article&id=9060:der-durchbruch-von-social-media-scheint-international-
gelungen&catid=258:social-media-web-2-0&Itemid=428, zugegriffen am 15.10.2010
15 Alles fließt – PR in den Zeiten von Social Media und Web 2.0 177

Dabei müssen sich Unternehmen jedoch immer darüber im Klaren sein, dass sie
selbst wenig bis gar keinen Einfluss auf diese Aussagen haben. Den einzigen Rat,
den wir hier geben können, beziehungsweise die einzige Möglichkeit, Einfluss zu
nehmen, ist: offen und ehrlich zu kommunizieren, eventuelle Fehler nicht beschö-
nigen oder klein reden, denn die Wahrheit „kommt eh raus“. Willms Buhse, einer
der Protagonisten für Unternehmenskommunikation im Web 2.0, brachte es neu-
lich in einem Vortrag so auf den Punkt: „If you are naked, you have to be in good
shape.“9
Noch ein Satz zum Thema „falsche Aussagen“ oder „Gerüchte“ als Gegenargu-
ment einer Teilnahme am Mitmachweb: Wir haben immer wieder die Erfahrung
gemacht, dass böswillige, falsche oder unseriöse Aussagen zu einem Unternehmen
oder Produkt von den Marktteilnehmern selber korrigiert werden. Diese machen
sich zu Sprechern des beschuldigten Unternehmens, verteidigen es und rücken
Falschaussagen mit Gegenargumenten wieder ins rechte bzw. richtige Licht. Es ist
genau diese Transparenz, die das Web so mächtig, aber auch so wertvoll macht.

Kommunikation auf Augenhöhe

Mit theoretischen Fragen zum und über das Mitmachweb setzen sich viele Kommu-
nikationsverantwortliche schon einige Zeit auseinander. Denn sie sollen und müssen
ja damit arbeiten, sie müssen es optimal nutzen: Ist das Mitmachweb ein Medium?
Ein Informationskanal? Ein Vertriebskanal? Ein Dialoginstrument? Ein Customer
Relationship Management Tool? Eine Branding-Plattform? Ein HR-/Recruiting-
Instrument?
Die Antwort, dass sich das Mitmachweb und die Sozialen Netze für all dies
nutzen lassen, macht die Aufgabe nicht leichter. Denn man muss Konzept, Funk-
tion und Wirkungsweise der vielfältigen Möglichkeiten der ebenso zahlreichen und
vielfältigen Plattformen, Tools, Foren, Kanäle und Netzwerke sehr genau kennen,
um diese zu nutzen – Tipps zur Netiquette, zum Verhalten im Web, in Blogs und
anderen Online-Plattformen gibt es wie Sand am Meer. Wir können, dürfen, sollen
und müssen im Web 2.0 experimentieren. Aber experimentieren heißt für die eta-
blierten Kommunikationsprofis, Marketiers, Vertriebler auch, sich zu öffnen für die
neuen Umgangsformen und Gepflogenheiten, die die User selber in den Netzwerken
entwickeln – das Web ist eben nicht von oben gesteuert, sondern wird von allen
Teilnehmern gestaltet. Unternehmen, die im Web 2.0 pauschal nur einen weiteren
Vertriebskanal sehen, den sie bedienen und füttern, werden schnell eines Besseren
belehrt. Das funktioniert nämlich nicht.
Wie im wirklichen, nicht-virtuellen Leben basieren auch die digitalen Netz-
werke auf Vertrauen; sie funktionieren, weil die Netzteilnehmer einander ver-
trauen. Deshalb stellen sie private Informationen ins Netz, teilen ihre Gedanken

9 Sehrlesenswert in diesem Zusammenhang auch: Willms Buhse und Sören Stamer (Hrsg.),
Enterprise 2.0 – Die Kunst loszulassen, Berlin 2008
178 A. Haffa und H. Höfflin

und Ideen mit, bewerten Produkte und kommentieren politische und wirt-
schaftliche Ereignisse. Die Kommunikation im Netz ist eine peer-to-peer-
Kommunikation, eine Kommunikation auf Augenhöhe, unter Gleichen. Autoritäten
sind nicht vorgegeben, sie müssen sich die Anerkennung ihrer Kompetenz/Autorität
„erarbeiten“.

Nebeneinander von Alt und Neu

Was die Unternehmenskommunikation und das Influencer Marketing im Moment


so komplex und anspruchsvoll macht, ist dieses Nebeneinander verschiedenster
Formen: alte und neue, etablierte und innovative. Wir leben in einer „kommuni-
kativen Übergangszeit“, es ist viel im Umbruch, bewährte Instrumente haben
(noch?) nicht ausgedient, aber eine Vielzahl neuer Instrumente und Kommuni-
kationsformen entsteht, behauptet sich, wirkt auf die Märkte und gewinnt ohne
Zweifel an Relevanz.
Wir teilen nicht die Meinung, dass die klassische PR-Kommunikation tot ist.
Gerade bei IT-Investitionen und anderen Investitionsgütern spielt die klassische
Fachpresse und damit die klassische PR-Kommunikation mit ihren Instrumenten
noch eine wichtige Rolle.
Die Pressemitteilung wird es so lange geben, wie es Journalisten gibt, die sie haben wollen.
Für manche Themen funktioniert sie nach wie vor gut – bei einem meiner Software-Kunden
zum Beispiel ist sie Instrument Nummer 1, so unspannend das klingt – bei anderen Themen
ist sie überflüssig. Das Format richtet sich nach dem Empfänger, ganz einfach.10

So wie Unternehmen sowohl traditionell als auch im Web 2.0 kommuni-


zieren, so nutzen auch Journalisten und andere Meinungsmacher sowohl die
traditionellen Kommunikationsinstrumente als auch die neuen Formen. Und die
Top-Meinungsmacher und Top-Entscheider in Medien und Unternehmen beziehen
Informationen, Trends und Wissenswertes aus dem Web. Wer zu einem bestimmten
Thema oder Produkt recherchiert, stößt wahrscheinlich als erstes auf eine Website,
dann aber sehr schnell auf von Nutzern erstellte Inhalte („user generated content“)
wie zum Beispiel Blog-Beiträge oder Foren-Einträge. Durch diese Vielzahl von Bei-
trägen, Meinungen und Kommentaren entsteht im Web eine Art „Meinungswolke“,
aus der sich schnell bestimmte Tendenzen ablesen lassen. Im Web gilt „the wisdom
of the crowd“.
Die Hoheit und die Macht, Informationen zu bewerten und einzuordnen, liegen
jetzt eben nicht mehr nur bei den Gurus, den Analysten und Qualitätsjournalisten,
sondern bei den vielen Marktteilnehmern. Mehr noch: Auch die klassischen Influ-
encer wie professionelle Journalisten und Analysten beziehen wenigstens teilweise
ihre Informationen und Meinungen, ihre Aussagen zu Trends und Perspektiven,
ebenfalls aus dem Web.

10 Liller,
Tapio: Experten-Runde zur „Zukunft der PR“: Tapio Liller. In: Notizblog – Social Web
World [Weblog], 14.09.2010. Online-Publikation: http://notizblog.socialwebworld.de/2010/09/14/
experten-runde-zur-zukunft-der-pr-tapio-liller/, zugegriffen am 15.10.2010
15 Alles fließt – PR in den Zeiten von Social Media und Web 2.0 179

Deshalb ist es für Unternehmen auch so wichtig mitzumachen, ihren Beitrag zu


leisten im Dialog mit ihren Kunden, dabei zu sein und Gesicht zu zeigen. Wer heute
im Markt präsent sein will und gesehen und gehört werden will, der muss mit seinen
Inhalten im Web nicht nur auf der eigenen Website präsent sein.
Es reicht auch nicht mehr, die Meinungsmacher in den klassischen Medien, die
Chefredakteure, Fachredakteure und Analysten, mit klassischer Medienarbeit zu
überzeugen – denn alle diese Adressaten informieren sich im Social Web, sie ver-
arbeiten und verbreiten diese Informationen. Nicht zuletzt daraus resultiert auch die
ungeheure Hebelwirkung, die Macht der Meinungen im Web. Die „Meinungswolke“
im Web lässt sich aufgrund der enormen Anzahl der Mitmacher längst nicht mehr
so einfach steuern wie eine Handvoll Journalisten oder Kunden.
Statt Kommunikation einseitig zu steuern, müssen jetzt Unternehmen den Dia-
log aufnehmen. Viele Unternehmen haben inzwischen mit Social-Media-Aktivitäten
sehr gute Erfahrungen gemacht, viele der anfänglich geäußerten Bedenken haben
sich als nicht begründet erwiesen.
Wer die Netiquette „Offenheit und Transparenz“ beachtet, kann vom Web nur
profitieren. So zitiert faz.net auf die Frage „Welchen Fehler sollten Unternehmen
nie machen?“ Manish Mehta, der das Social-Media-Engagement von Dell verant-
wortet: „Intransparent zu sein. Wer eine Geschichte aufbaut oder Meinungsmacher
für sich einspannen will, ohne transparent zu sein, ist ganz schlecht beraten. Wenn
ein Fehler passiert, sollte man ihn zugeben und demütig sein. Bei allem muss man
natürlich die Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens wahren. Diese Balance ist
nicht immer einfach. Manchmal denken die Menschen, Transparenz bedeutet, auch
alle Geheimnisse des Unternehmens zu verraten. Das ist natürlich nicht so.“11

Veränderte Rolle der Technologie-Entscheider

Wenn wir über Veränderungen im Beeinflussen von Technologie-/IT-


Kaufentscheidungsprozessen reden, dürfen wir aber nicht nur Veränderungen
der Kommunikationslandschaft betrachten. Auch die Rollen der IT-Abteilung und
die der Technologie-Entscheider haben sich erheblich gewandelt. Die IT hat nicht
mehr die Schlüsselrolle, der sich Unternehmensprozesse unterordnen mussten. Die
IT muss sich in das gesamte Unternehmen einordnen, sie wird zum „Enabler“
und Dienstleister zur Realisierung der zentralen Businessziele und Aufgaben
des Unternehmens. Dementsprechend ändern sich auch die Entscheider und die
Entscheideransprache. Nicht mehr die Technologien, ihre Features und ihre Funk-
tionsweise stehen im Mittelpunkt, sondern die Ziele, die realisiert werden müssen.
Damit rücken auch Kriterien wie Nutzen für die strategische Unternehmensführung
und für Fachabteilungen, der ROI und betriebswirtschaftliche Argumente in den
Vordergrund.

11 Schmidt, Holger: „Social Media wird in allen Unternehmen selbstverständlich sein”. In: F.A.Z.-
Blogs [Weblog], 20.09.2010. Online-Publikation: http://faz-community.faz.net/blogs/netzkonom/
archive/2010/09/20/jeder-mitarbeiter-sollte-die-gespraeche-im-social-web-mithoeren.aspx,
zugegriffen am 15.10.2010.
180 A. Haffa und H. Höfflin

Was bedeutet das für die Kommunikation? Es gibt natürlich immer noch techni-
sche Foren und Blogs, auf denen Experten über Technologien, Features & Functions
fachsimpeln. Auch diese sind Influencer, die die Meinungsbildung beeinflussen
und auf Entscheidungen einwirken. Aber die Entscheidungen fallen in der Regel
nicht mehr allein auf der technischen Ebene. Der CIO muss – Stichwort Business
Alignment – eng verzahnt mit CEO, COO und CFO zusammenarbeiten und seinen
Beitrag leisten, die strategischen und betriebswirtschaftlichen Unternehmensziele
zu realisieren.
Eine Vielzahl von nicht-technischen Faktoren ist heute bestimmend für die Kauf-
entscheidung bei Technologie-Investitionen. „Nutzen“ meint wesentlich mehr als
lediglich den reinen Produktnutzen. Dazu gehören beispielsweise die Qualität von
Service und Support, Kompetenz der Berater und Ansprechpartner, Position des
Unternehmens im Markt, sein Image und seine Reputation, der Umgang mit Mit-
arbeitern und Kunden, Nachhaltigkeit/umweltfreundliches Wirtschaften, soziales
Engagement, Familienfreundlichkeit, Innovationskraft – es ist immer wieder inte-
ressant zu beobachten, wie Kaufentscheidungen auch und gerade bei sehr großen
strategischen IT-/Technologie-Projekten von sogenannten „weichen“ Faktoren ent-
scheidend beeinflusst werden.
Letztendlich geht es darum, wie glaubhaft ein Anbieter sich präsentiert, wie ver-
trauenswürdig er ist, ob man ihm zutraut, die geforderte Leistung zum vereinbarten
Preis „in time & in quality“ umzusetzen. Und woher beziehen die Entscheider ihre
Informationen in puncto Vertrauen, Image, Leistung? Sicher nicht nur aus dem Web,
aber bestimmt wirkt das Web zu einem erheblichen Teil meinungsbildend, egal ob
direkt oder indirekt über andere Kanäle.

Sieben Thesen zur Aussage „Alles ist im Fluss“

1. Ja, alles ist im Fluss, wir stehen mitten in einer digitalen Revolution, einem
Paradigmenwechsel in der Kommunikation. „Mitten drin“ heißt, dass der Pro-
zess nicht abgeschlossen ist. Klassische, etablierte Formen der Kommunikation
bestehen (noch) neben der neuen Vielfalt, die uns das Web 2.0 gebracht hat.
2. Mit dem Web 2.0 (Mitmachweb, Soziale Netzwerke) sind neue Informations-
und Kommunikationskanäle entstanden, die genuin anders sind und die sich
grundlegend von den bisherigen unterscheiden. Deshalb auch „Paradigmen-
wechsel“ oder „digitale Revolution“ und nicht bloß „ein weiterer Kanal“. Der
Umbruch, das genuin Neue liegt in der Dialogfähigkeit des Mediums – in dieser
Form hat es das bisher noch nie gegeben, und darin liegt die enorme Hebelwir-
kung der Kommunikation im Web 2.0. Jeder kann ganz einfach publizieren. Nie
zuvor war es möglich, Informationen und Meinungen so schnell an so viele Men-
schen zu bringen, und nie war es möglich, dass so viele Menschen so schnell
in Dialog miteinander treten, so schnell Informationen miteinander teilen und
austauschen können.
15 Alles fließt – PR in den Zeiten von Social Media und Web 2.0 181

3. Die Informationsflut und das enorme Angebot an Kommunikationsplattformen


scheint zunächst mehr Unübersichtlichkeit zu bringen. Wer zum Beispiel eine
Digitalkamera oder auch nur ein ganz banales Produkt wie eine Matratze kaufen
will, findet sich mit zu vielen Informationen überfordert – und kauft eventuell gar
nichts. Doch auf den zweiten Blick wird er im Web sehr schnell enorm wichtige
Informationen und Empfehlungen finden – und zwar nicht die der Hersteller,
sondern die von Kunden eines Anbieters und Nutzern eines Produkts. Und diese
Informationen helfen ihm wirklich weiter. Dies gilt für den Consumer-Markt
genau so wie für den B2B-Markt.
4. Das Web bringt Transparenz in die Märkte. Dies nützt Anbietern und Kunden.
Die Offenheit und Transparenz der Web-2.0-Kommunikation sind eine große
Chance für Unternehmen, die Beziehungen zu ihren Märkten und zu ihren
Kunden positiv zu gestalten und ihre Marke und ihr Image zu stärken.
5. Die Offenheit und Transparenz des Web 2.0 hat fundamentale Auswirkungen
nicht nur auf die Kommunikationsprozesse, sondern auf das gesamte Unter-
nehmen. Die Strukturen und Prozesse in Unternehmen werden sich ändern.
Jeder Mitarbeiter ist Kommunikator und Sprecher seines Unternehmens, die
Kommunikation kann nicht mehr an „die Kommunikationsabteilung“ delegiert
und von dieser gesteuert werden.
6. Das Web bringt keinen Qualitätsverlust, sondern es bewirkt einen „positiven
Qualitätsdarwinismus“: „Survival of the fittest“ meint in der Informationswelt
„Survival of the most interesting story“. Nur die besten Inhalte, die span-
nendsten Geschichten, nur das wirklich Wissenswerte wird in der riesigen Fülle
an Informationen im Web gelesen werden und Wirkung haben. Unrelevantes
„setzt sich ab“ und bleibt verborgen.
7. Der Eckpfeiler, die Basis, das zentrale Element jeder Kommunikation bleibt
bestehen. Nach wie vor kommt es auf die Inhalte und die gute Story an. Meike
Leopold von Cirquent bring es gut auf den Punkt: Ich sage den Verzweifelten
unter den Unternehmenskommunikatoren: Macht euch locker und lasst euch bloß
nicht ins Bockshorn jagen! Wir sollten uns alle miteinander wieder mehr besin-
nen auf die gute alte Botschaft bzw. Story und wie wir sie (im digitalen Zeitalter)
am besten rüberbringen können.12

Bei allem, was derzeit im Umbruch ist, haben wir noch eine beruhigende Nach-
richt: Seit vor mehren zehntausend Jahren die Menschen sprechen lernten und in der
Höhle zusammen ums Lagerfeuer saßen, gibt es eine Konstante in der Kommuni-
kation, eine Konstante, an die wir uns heute noch halten können; eine Konstante,
die auch in Zukunft gilt, weil sie wirkt: eine gute Geschichte, gut erzählt.

12 Leopold, Meike: #SMS10: Im Tal der Enttäuschung angekommen. In: Cirquent Blog [Web-
log] 02.09.2010. Online-Publikation: http://www.cirquent-blog.de/2010/09/02/sms10-im-tal-der-
enttauschung-angekommen/, zugegriffen am 15.10.2010.

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