Gedichtanalyse
Alfonsina Storni (Martignoni) wurde am 29. Mai 1892 in der heutigen Schweiz geboren und
verstarb am 25. Oktober 1938 in Argentinien. 1916 erschien ihr erster Gedichtband, La
inquietud del rosal, in dem das Gedicht Capricho erstmals veröffentlicht wurde.
In dem Gedicht geht es im Wesentlichen um eine Frau, die sich anscheinend weder selbst
versteht noch verstanden fühlt oder wertgeschätzt.
Die Zeilen bestehen aus 14 Silben, also aus tetradecasílabos, in Paarreimen. Das lyrische Ich
ist eine Frau, die Ihren Geliebten direkt adressiert („No me preguntes amado“) und somit
auch den Leser. Man könnte auch sagen, das Gedicht richtet sich an alle männlichen Leser
bzw. den männlichen Teil der Gesellschaft. Da das lyrische ich eine Frau ist nimmt sie
stellvertretend die Rolle aller Frauen in der Gesellschaft an und ermöglicht dadurch, dass
man sich leicht mit dem Gedicht identifizieren kann. Das lyrische ich äußert den Wunsch mit
Ihrem Geliebten zusammen zu sein und fordert Ihn auf sich um sie zu bemühen („Espínate
las manos y córtame una rosa.“). Andererseits will Sie sich nicht zu Ihren Gefühlen äußern
bzw. versucht diese damit zu erklären, dass Frauen einfach so sind („Las mujeres lloramos
sin saber, porque sí:“). Sie stellt das Frauenbild zugleich schwach und stark dar, indem sie
einerseits sagt Frauen seien verrückt („esta cabeza loca“), töricht oder dumm („poco torpe,
ligeramente estulto“) und launisch („Tempestades que las trae y lleva“, „capricho debe
ser“). Durch die rhetorische Frage „Así somos, ¿no es cierto?“ wird klar, dass Sie nicht dieser
Meinung ist, sondern so die Frau in der Gesellschaft wahrgenommen wird. Storni benutzt
die Isotopie der Natur, um den Charakter der Frau zu beschreiben, dies ist zu erkennen an
Wörtern wie mar, tempestades, viento, mariposa, jardín und rosa. Damit will sie sagen, dass
Frauen relativ komplex sind und somit nicht alle gleich. Sie sind schwer zu kontrollieren
denn auch sie sind stark und wunderschön. Auf der anderen Seite stellt sie die Meinung der
Männer durch die Isotopie der Negativität wie zum Beispiel huero, estulto, torpe und
capricho. Für die Männer der Gesellschaft sind die Gefühle der Frauen eher Launen als ernst
zu nehmen. Hinzukommt, dass geglaubt wird Frauen fühlen sich in den Armen jedes Mannes
wohl, solange er in der Lage ist sie zu ernähren („deseamos y gustamos la miel en cada
copa“). Frauen gelten also als dramatisch und mit Hang zur Übertreibung und dennoch sieht
Lejla Music
keine wie stark sie sind, da sie ihre Gefühle verbergen und sich der Gesellschaft fügen. Hier
treffen zwei gegensätzliche Isotopien aufeinander und mit Blick auf den Titel behält
dennoch die „männliche“ Seite, wie auch im realen Leben, die Oberhand. Durch Stornis
ständigen Perspektivenwechsel und einen Hauch von Sarkasmus, regt sie dazu an die
gesellschaftliche und kulturelle Rolle der Frau zu überdenken und ihr möglicherweise mehr
Wertschätzung zu ermöglichen.