Die Frage nach dem Wohnen ist eine Frage die unmittelbar jeden Akteur unserer Gesellschaft
betrifft. Ausgehend von seiner Urform als Schutzelement ist das Zuhause heute viel mehr. Es ist der
prägende Ort, an dem man einen Großteil seines Lebens verbringt. Eingesperrt in unseren vier
Wänden, über die letzten Monate hinweg, ist uns diese Tatsache umso bewusster geworden.
Der Diskurs im Bereich Architektur konzentriert sich seit Jahren auf den Städtebau und die
Architektur selbst. Die Frage der Innenarchitektur bleibt im Hintergrund. Die Gestaltung der
Innenräume ist zunehmend Aufgabe der Architekten und Architektinnen, sodass die ausgebildeten
Innenarchitekten und -Architektinnen sich hauptsächlich auf Großaufträge oder Innenraum
Dekoration begrenzen. Der Spalt zwischen den Disziplinen wächst, so wie auch der Spalt im Diskurs.
Im Kontext dieser Situation hat das Vitra Design Museum die Ausstellung „Home Stories“ organisiert.
Endlich widmet man sich dem Inneren unserer Wohnungen und Häuser. Die Entwicklung über die
letzten 100 Jahre wird dabei untersucht und in Form von 20 Interieurs präsentiert. Diese wurden aus
der Vitra Sammlung der letzten 30 Jahre zusammengestellt.
In antichronologischer Abfolge aufgebaut, beginnt die Ausstellung mit der Gegenwart. Über die
darauffolgenden Räume wandert man zurück in die 60er- und 80er Jahre, dann in die Nachkriegszeit,
und schließlich wirft man einen Blick zurück in die 20er und 30er Jahre.
Anders als man bei einer Ausstellung über Interieurs erwarten würde, wurden die Räume nicht
rekonstruiert. Großformatige Bilder stehen im Hintergrund spiegelnder Plattformen, welche erhöht
ausgewählte Möbelstücke präsentieren. Sie sollen dem Besucher das Subjekt näherbringen. Manche
Interieurs wurden mit kleinen Modellen, gefundenen Dokumenten und weiteren kleineren Bilder
ergänzt. Diese Art der Präsentation erinnert viel mehr an eine Architekturausstellung größeren
Maßstabes. Gleichzeitig merken wir, wie wichtig für uns Bilder in der Beurteilung von Dingen
geworden sind.
Wenn man sich auf Instagram oder anderen digitalen Netzwerken Bilder anschaut, ist man mit
seinem elektronischen Gerät ganz alleine, und kann versuchen sich in die gegebenen Räumen
hineinzuversetzen. Die Präsentation der Bilder im Ausstellungsraum entnimmt Ihnen jedoch die
Qualität, welche die einsame Betrachtung in sich trägt. Umgeben von anekdotischen Gegenständen,
werden sie zu einem einfachen Bild an der Wand. Ein Bild, dass in jedem Raum stehen könnte. Die
Fotos werden eher zum Dekorationselement des Ausstellungsraums, als zur eigentlichen Darstellung
der abgebildeten Räume.
Die Erhöhung der einzelnen Möbelstücke schafft Distanz, welche die Räume weniger erlebbar,
sondern viel eher unerreichbar machen. Interessanterweise ist das Einzige Interieur der Ausstellung,
welches als solches wahrnehmbar ist, die Frankfurter Küche der österreichischen Architektin
Margarete Schütte-Lihotzky. Die Küche, welche 1926 entwickelt wurde, gilt als Prototyp der
heutigen Einbauküche. Das genannte Interieur ist das bescheidenste aller ausgestellten Exponate.
Die restlichen Interieurs in der Ausstellung beziehen sich meist auf luxuriöse und extravagante
Lebensweisen, die dem durchschnittlichen Wohnen der Gesellschaft nicht ansatzweise
nahekommen. Hier stellt sich die Frage der gesellschaftlichen Relevanz der ausgestellten Interieurs.
Hat sich die Ausstellung tatsächlich mit dem Thema Wohnen über die letzten 100 Jahre beschäftigt,
oder eher extravagante, für den normal sterblichen nicht erreichbare, Aspekte des Wohnens
betrachtet?
Die ausgestellte Frankfurter Küche weckt die Frage der Frauendarstellung und die der Diversität.
Wenn wir über das Thema wohnen reden, dann sind es Frauen, die trotz Versuchen der
Emanzipation und Gleichstellung, meist immer noch mehr Zeit Zuhause verbringen als die Männer.
Bis die Frau innerhalb unserer Gesellschaft nicht mehr in veraltete Rollen gesteckt, oder gar
unterdrückt wird, gibt es noch viel zu tun. Es braucht genauso viel Arbeit sicherzugehen, dass die
Frauen, die eine bedeutende Rollen in verschiedenen Bereichen hatten, auch gehört werden.
Lange wurde die Innenarchitektur den Frauen zugeschrieben, ein Stereotyp, den es heute noch gibt.
Könnte die Ausstellung „Home Stories“ dazu beitragen, dass man sich dieses Themas bewusster
wird? Ja. Hat sie das getan? Dafür müssen wir nochmal ein Blick auf die ganze Ausstellung werfen.
Wenn wir darüber reden, dass Innenarchitektur stereotypisch ein Frauenberuf ist, würden wir
erwarten in der Ausstellung viele Interieurs von Innenarchitektinnen zu sehen. Stattdessen blicken
wir auf Projekte, die oft auch in Architektur Ausstellungen zu dem gleichen historischen Zeitraum
ausgestellt werden. Es handelt sich um bekannte, weiße, männliche Architekten wie Ludwig Mies
van der Rohe, Adolf Loos, Michael Graves, Josef Frank, aber auch um weniger bekannte, dennoch
genauso weiße, männliche Architekten, wie Finn Juhl, Oskar Wlach oder Claude Parent.
Ausgehend von den Projekt Beschreibungen, wurden weniger als ein Viertel der ausgestellten
Interieurs von Frauen entworfen. Dennoch haben Frauen Hand in Hand mit vielen der ausgestellten
Architekten gearbeitet. Beispielsweise hat die Designerin Lilly Reich Jahre lang mit dem Architekten
Mies van der Rohe gearbeitet, unter anderem an der Villa Tugendhat, dessen Interieur präsentiert
wird. Sie bleibt jedoch unerwähnt. Im Angesicht des wachsenden Diskurses zu Feminismus und
Diversität, fällt es schwer zu glauben, dass so etwas passieren kann. Ähnlich enttäuschend ist die
Abwesenheit jeglicher Werke von People of Color.
Blenden wir die alten, bekannten Werke aus und betrachten die Gegenwart: Was haben wir von der
Ausstellung gelernt? Präsentiert wird die wenig bescheidene Antivilla des deutschen Architekten
Arno Brandlhuber, eine ehemalige Fabrik, die zum Wohnraum umgenutzt wurde. Auch mit dabei ist
ein städtebauliches Projekt des englischen Kollektivs Assemble und ein Tiny Apartment des
spanischen Architekturbüros Elii. In der Präsentation und Beschreibung geht es viel um die
Architektur selbst, die Innenräume werden kaum erwähnt, mit Ausnahme des Tiny Apartment. Das
man sogar in einer Ausstellung über Innenräume keine Innenarchitekten und -architektinnen
ausstellt weist den Spalt zwischen den Disziplinen auf.
Ist der Beruf der Innenarchitektur heute kein Thema mehr? Für die Antwort auf diese Frage müssten
wir wahrscheinlich eine andere Ausstellung besuchen. In dieser hier scheint sich das zu bestätigen.
Im Kopf habe ich immer noch das Bild des letzten Raumes, wo in der Mitte die kleine Frankfurter
Küche ausgestellt ist, umgeben von Darstellungen luxuriöser Wohnräume und teuren Sesseln. Die
Frau bleibt weiterhin in der Küche. Sie bleibt ungehört, unterdrückt und ungesehen. Man blickt
durch sie durch und geht weiter.
Olga Cobuscean