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Kapitel 3 - Mein für mich blutender Freund

Als mein Freund Gott am Kreuz verblutete, erkannte ich, dass mein Leiden keine Chance
mehr hatte. Und das kam so.

Neulich traf ich meinen Freund Gott in einer Kirche. Da gehe ich immer wieder gerne hin,
knie vor ihm nieder und dann genießen wir einander still. Dieses Mal aber drängte mein
Leiden unverschämt an die Oberfläche und ich jammerte ihm die Ohren voll. Nun ist das
meinem Freund Gott nichts Neues, denn ich leide schon seit ich denken kann unter den
verschiedensten Unzulänglichkeiten. Das Gute, das ich will, tue ich nicht und das Böse, das
ich nicht will, das tue ich oder ermögliche ihm durch meine Unterlassungen zumindest eine
weitere Ausbreitung. Nicht immer live, aber immer öfter in Gedanken, was auch nicht viel
besser ist. Na, jedenfalls drehte sich mein Freund Gott an diesem Tag in der Kirche plötzlich
zu mir um, lächelte mich an und sagte: „Mickey, noch heute wirst du mit mir im Paradies
sein.“ Bingo! Da wusste ich doch gleich wieder wo ich war und dass ich dort zu Recht
hingehöre und dass meine Leiden die gerechten Konsequenzen meiner Gottesferne sind. Zum
Glück im Unglück hatte mein Freund Gott die gute „Schächerseite“ für mich reserviert.

Meistens hört mein Freund Gott mir ja einfach nur zu, wenn ich jammere und antwortet auf
meine Frage „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?“ mit
einer liebevollen Umarmung und einem phatten Kuss. Diesmal wollte er mir aber etwas
Neues zeigen. Und so führte mein Freund Gott mich in die Betrachtung seines Leidens ein,
wie er es schon seinerzeit mit unserem gemeinsamen Freund Martin Luther getan hatte. Dass
nur die Wahrheit mich letztlich wirklich frei machen würde, hatte ich irgendwo schon einmal
gelesen. Dass diese Wahrheit mein für mich blutender Freund Gott ist, wie es kein Gibson
dieser Erde brutaler zeigen könnte (Film: The Passion), lernte ich nirgendwo. Denn gerne
geben Vorbilder ihre Sünde, die eine solche blutige Konsequenz nach sich zieht, ja nicht zu.
Auch die Ehrwürdigkeit meiner eigenen Glaubensposition kann manchmal zu einer
abschottenden Seifenblase verkommen und nur noch meinen äußeren Schein wahren. „Wenn
du so vermessen sein willst, mein lieber Mickey“, stichelte mein Freund Gott jedenfalls an der
Blase herum, „und dich selber durch dein Jammern, durch Reue und Genugtuung zum Frieden
bringen willst, dann wirst du niemals zur Ruhe kommen. Das habe ich doch schon unserem
Freund Martin erklärt.“ „Wenn wir nämlich mit unseren Sünden selber in unserem Gewissen
fertig werden wollen, sie bei uns bleiben lassen und sie (nur) in unserem (eigenen) Herzen
anschauen, so sind sie uns viel zu stark und leben ewig. Aber wenn wir sehen, dass sie auf
Christus liegen, dass er sie durch seine Auferstehung überwindet, und wir das voller
Zuversicht glauben, so sind sie tot und zunichte geworden.“ Deswegen soll das Leiden meines
Freundes Gott ein Vorbild für uns sein, das uns unter allen Umständen vor Augen stehen soll,
damit wir den Umgang mit ihm lernen.

Denn wenn ich meinen Freund Gott neben mir so nackt anschaue, dann hat in diesem
Augenblick größter Intimität mein Leiden keine Chance mehr. Wenn ich mir die Dornenkrone
und die Nägel intensiv ansehe, dann rücken Schmerzen und Krankheiten in eine andere
Perspektive. Wenn ich etwas tun muss, das mir zuwider ist oder etwas unterlassen muss, das
ich gerne getan hätte, dann denke ich daran, wie mein Freund Gott gebunden und gefangen
hin und her geführt wurde. Wenn der Stolz mir die Augen schließt, dann versuche ich noch
eben durch einen kleinen Schlitz zu sehen, wie mein Freund Gott verspottet und mit uns
Schächern verachtet wurde. Und wenn ich, gerade als Mann, wieder einmal in Gefahr stehe
von kleineren Körperteilen und anderen Hormonen gesteuert zu werden, dann schaue ich auf
das Kreuz und sehe, wie bitter der nackte Leib meines Freundes Gott gegeißelt, durchstochen
und durchschlagen wurde und unkeusche Gedanken haben keine Chance mehr. Und wenn
mich Hass, Neid und Rachsucht zu verzehren drohen, dann denke ich daran, wie mein Freund
Gott mit vielen Tränen und Gebeten für mich und alle seine anderen Feinde zum Vater im
Himmel gebetet hat. So und auf vielfältige andere Weise bietet die Betrachtung des Leidens
meines Freundes Gott, allein schon durch die bloße Betrachtung eines Kreuzes in einer
Kirche, Schutz und Schirm vor allem Bösen.

Wenn mir jedenfalls seither dunkle Widerwärtigkeiten den Blick auf die Wahrheit versperren
wollen, dann vorbilde ich mir immer wieder ein, dieses Lächeln meines Freundes Gott am
Kreuz zu sehen, wie er mir ein Einfachticket zum Paradies unter die Nase hält Und dann reiße
ich die Augen „HalloWach“-mäßig auf, nehme mein Kreuz auf mich und ziehe weiter von
Tisch zu Tisch des Herrn (Ps 23,5).

Erlebnistips:

1. Erzähle anderen Menschen doch einmal positiv und ermutigend von deinen Sünden und
Unzulänglichkeiten und wie du darin die bedingungslose Liebe Gottes wahrgenommen hast.

2. Such dir eine ruhige Kirche in deiner Nähe mit einem am Kreuz hängenden Jesus und
betrachte mal in mehreren Besuchen jeweils einen leidenden Körperteil von Jesus, wie
beschrieben, und verknüpfe das mit deinen momentanen Lebenssituationen.

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