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Ein paar Gedanken für den Anfang

Die Frage «Existiert Gott?» ist das, was in einem Interview


der Interviewte als «gute Frage» bezeichnen würde, und der
Interviewende wüsste dann: «Jetzt folgt eine schlechte
Antwort.»

Die Frage «Existiert Gott?» ist keine ursprüngliche Frage,


es ist eine moderne Frage, eine philosophische, dann eine
theologische Frage. Es ist eine Frage, die aufkommt, wenn
Religion in einer Gesellschaft kein selbstverständliches
Bezugssystem mehr ist.

Diese Aussage setzt voraus, dass die Religion das einmal


war, und dies ist deutlich ersichtlich aufgrund
kulturgeschichtlicher und architektonischer Zeugnisse von
Stonehenge über die ägyptischen Pyramiden bis zu den
Kathedralen und Moscheen unserer Tage.

Wozu also Religion? Für einen ersten Input mag es


genügen, zu sagen, dass die Religion von den Ursprüngen
der Menschheit an ein System ist, Empfindungen
einzuordnen: Freude über die Geburt, den Jagderfolg,
Angst vor Naturgewalten, dem Sterben, dem Tod. Auch ist
die Religion ein Gefäss, alle Versuche, diese Phänomene
sowie die Reaktion des Menschen darauf zu erklären und
zu deuten, zu umfassen.

Deshalb ist die Religion bis auf den heutigen Tag nicht
ausgestorben. Auch in den verweltlichten und oft
kirchenfernen Gesellschaften nicht, denn dort ist etwas
entstanden, was in entsprechenden Buchtiteln mit
«Religion für Atheisten» umschrieben wird.

Religion für Atheisten? Ein Widerspruch oder keiner?


Wenn wir sagen, ein Atheist sei jemand, der nicht an Gott
glaubt, ist noch nichts geklärt, denn was heisst glauben?
Für wahr halten oder Vertrauen haben? Nun, wie sollte man
Vertrauen in Gott haben können, wenn man nicht für wahr
hält, dass einen Gott gibt?

Glaubt der Atheist nun, dass es keinen Gott gibt?


Wahrscheinlich. Wozu dann aber eine Religion? Weil
Religion primär mit dem Menschen und den Projektionen
seiner Empfindungen, Lebenserfahrungen, Ängsten und
Hoffungen in eine «höhere» Macht, als er selbst eine ist, zu
tun hat und viel weniger mit dieser höheren Macht selbst.
Der evangelische Theologe Karl Barth sagt darum:
«Religion ist Unglaube». Denn Barth fasst das Vertrauen in
Gott derart existentiell, dass es im Grunde gar keine
Religion braucht.

Sind die Kirchen heutzutage also deshalb leer, weil die


Menschen so viel Vertrauen in Gott haben, dass sie des
Gottesdienstbesuches nicht mehr bedürfen? Oder halten sie
es für nicht wahr, dass es Gott gibt? Oder ist ihnen die
Kirche, die ja von Gott erzählt, derart unglaubwürdig und
abseitig, dass die heutigen Menschen sich mit ihrer
Lebenswirklichkeit sich dort weder verstanden noch
willkommen fühlen?

Es kann auch sein, dass jemand auf die Frage «Existiert


Gott?» sagt: «Was weiss ich? Das kann ich nicht wissen,
und es ist mir egal.»

Wir sind in Bezug auf Gott nicht jungfräulich. Wir haben


alle unsere Prägungen. Aus der Kindheit, von der Schule,
der Bildung her. Die Lebenserfahrungen spielen eine Rolle.
Und natürlich der Kulturkreis, in dem wir aufgewachsen
sind. Das ist in Europa der christliche Kulturkreis.

Die Frage «Existiert Gott?» fassen wir in diesem


Gesprächskreis zunächst einmal christlich, zumal diese
Frage ein Buchtitel des christlichen Theologen Hans Küng
ist. Hans Küng und Karl Barth sind beides Schweizer.
Denker, die geistesgeschichtlich Furore gemacht haben.

Christen reden nicht einfach abstrakt von Gott, sondern


beziehen sich auf Jesus von Nazareth. Er bezeichnet sich
als Menschensohn, stellt sich in die alttestamentliche
Tradition des Messias, des erwarteten Erlösers. Jesus, sagt,
in ihm sei das Gottesreich nahe gekommen, er beruft
Jüngerinnen und Jünger, die mit ihm durch das Land
ziehen. Nach dem gewaltsamen Tod wird Jesus begraben.
Nach seinem Tod machen Jüngerinnen und Jünger
weiterhin leibhaftige und geistliche Erfahrungen mit Jesus,
so dass sie sagen: «Er lebt, er ist von den Toten
auferstanden.» Jesus wird mit dem Messias des Alten
Testaments gleichgesetzt. Der Hoheitstitel Messias,
hebräisch Maschiach, der Gesalbte, wird ins Griechische
und ins Lateinische übersetzt: Christos, Christus.

Jesus steht in der jüdischen Tradition. Der Gott, den er


Vater nennt, ist der Gott von Mose. Mose hat einst die
Israeliten aus Ägypten herausgeführt, wo sie Sklaven
gewesen waren.
Auch in Ägypten gab es Religion. Auch in Ägypten wurde
an Gott geglaubt. Was hatten denn die alten Ägypter für ein
Gottesbild, und warum ist das für unsere heutige Frage
«Existiert Gott?» wichtig?

Das ist deshalb wichtig, weil die altägyptische Religion


sehr stark das Gottesbild im Alten Testament geprägt hat.
Wie stark, das ist Gegenstand der Wissenschaft.

Im 14. Jahrhundert vor Christus gab es unter dem Pharao


Echnaton eine religiöse Revolution, man nennt sie
bisweilen die «Erfindung des Monotheismus». Der
Monotheismus besagt, dass es nur einen einzigen Gott
gebe. Wenn der Monotheismus in Ägypten «erfunden»
wurde, dann muss es dort vorher eine Religion mit vielen
Göttern gegeben haben. Und das ist tatsächlich so.

Aber das Modell des Echnaton ist ein anderes. Er


entpolarisiert die Welt. Diese ist nun ganz Schönheit und
Sicherheit, in der sich die lebenspendenden Kräfte des
Lichts widerstandslos entfalten. Echnaton ersetzt die
negative Kosmologie der gespaltenen Welt durch eine
positive Kosmlogie, in der es das Böse nicht gibt. Licht und
die Bewegung der Sonne erfüllen eine passive und
widerstandslose Welt mit Leben und Harmonie. Am Licht
des Sonnengottes Aton haben alle den gleichen Anteil.
Aber: Der von der Freiheit zum Bösen freigesprochene
Mensch ist mit Tieren und Pflanzen gleichgestellt. Er kann
sich dem Licht nicht mehr verschliessen, er ist Gott
gegenüber schuldunfähig. Es gibt keine Götterwelt mehr,
sondern nur noch den einen Gott, sein Symbol ist die
Sonnenscheibe. Um des Königs und der Menschen willen
geht der Sonnengott auf und unter. Der ganze
Sonnenverlauf ist eine Veranstaltung um der Menschen
willen. Gott ist präsent und diesseitig. Er ist in Gestalt des
Lichts auf Erden leibhaftig gegenwärtig. Der König ist
Mitregent Gottes, und dies wird in einer Vater-Sohn-
Beziehung sichtbar gemacht, indem der Name des Königs
und der Name Gottes zusammen aufschreibt. Der König ist
die Stimme des Gottes Aton. Dieser ist stumm. Es gibt
keine Inschriften, die eine Rede des Aton wiedergeben.

Dass Gott in Bezug auf die Menschen handelt, drückt


folgender Text aus:

«Wohlversorgt sind die Menschen, die Herde Gottes,


ihnen zuliebe schuf er Himmel und Erde
und drängte die Gier des Wassers zurück;
er schuf die Luft, damit ihre Nasen leben;
seine Ebenbilder sind sie,
hervorgegangen aus seinem Leib.»
Und:

«Wenn sie weinen, hört er.»

Oder:

«Gott kennt jeden Namen.»

In dieser göttlichen Fürsorge wird kein Unterschied


gemacht zwischen Gut und Böse, Mensch und Tier,
Lebewesen und Dingen. Die Fürsorge Gottes hat keinen
Zusammenhang zwischen Tun und Gelingen. Im Zeichen
des Einen wird die Religion entpolarisiert.

Soweit dieser kleine Exkurs über die Anfänge des


Monotheismus im alten Ägypten. Sie finden das dargestellt
in der Monografie «Ma’at» des Ägyptologen und
Kulturwissenschaftlers Jan Assmann.

Was hier ausgeführt ist, kennen Sie vielleicht aus einem


uns näheren Kontext:

«Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde und bittet für die,
welche euch verfolgen, damit ihr Söhne des Vater im
Himmel seid. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über
Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und
Ungerechte.» (Mt 5,44f.)

Wir sehen: Die Frage «Existiert Gott?» stellte sich damals


nicht. Ihre Antwort war selbstverständlich. Man hatte Gott
tagtäglich vor Augen.

Dass die Gleichsetzung Gottes mit der Sonne auch heute


noch geläufig ist, sehen wir nicht zuletzt in der Metapher
«Sonne der Gerechtigkeit», wie sie im Kirchenlied
aufscheint, wo es heisst: «Sonne der Gerechtigkeit / gehe
auf zu unsrer Zeit / brich in Deiner Kirche an / dass die
Welt es sehen kann / erbarm Dich, Herr.»

Was aber, wenn das Gottesbild ins Wanken kommt, wie


etwa bei Hiob, dem leidenden Gerechten? Auch für Hiob
ist Gott noch ein unhinterfragbares Gegenüber, und als man
den Schweizer Psychologen C. G. Jung einmal fragte, ob er
an Gott glaube, sagte er: «Ich glaube nicht, ich weiss.»

Seither sind allerdings wieder Jahrzehnte ins Land


gegangen, die Kirchen haben sich weiter geleert, und
Aussagen von Wissenschaftlern, die kühn behaupten, aus
ihren Erkenntnissen lasse sich ableiten, es gebe keinen
Gott, werden oft enthusiastisch begrüsst. Es gibt auch
Wissenschaftler, die sagen das Gegenteil. Und wir sind so
klug als wie zuvor: «Existiert Gott?»

Als der rumänische Dramatiker Eugene Ionesco einmal


gefragt wurde, was er in seinem eigenen Ich gerne
entdecken würde, sagte er: Gott.

Und auf die Frage «Existiert er?» sagte Ionesco:


Er existiert nicht, er ist. Dennoch existiert er. Aber wir
haben nur einen Zugang zu ihm durch die Existenz von
Jesus Christus. Gott ist in unserer Reichweite, weil er
Mensch geworden ist.

«Sie sagen», sagte dann der Fragesteller, «Sie würden


gerne in Ihrem Ich Gott begegnen. Was ganz konkret
glauben Sie, darin zu finden?»

Und Ionesco antwortete: «Das ist schwer zu sagen. Ein


Licht, eine Gegenwart. Meine Tochter sieht Gott, wenn sie
die byzantinischen Ikonen anschaut. Jesu Augen in den
Ikonen. Plötzlich glaubt sie eine Gegenwart zu spüren, und
genau das ist Gott. Eine Gegenwart.»

Und in dieser Gegenwart wenden wir uns nun der Literatur


zu.
Bibliografie

Bernhard Maier
«Die Ordnung des Himmels»
Eine Geschichte der Religionen von der Steinzeit bis heute
C. H. Beck, 2018

Uwe Justus Wenzel (Hrsg.)


«Was ist eine gute Religion?»
C. H. Beck, 2007

Georg Langenhorst
«Ich gönne mir das Wort Gott»
Annäherungen an Gott in der Gegenwartsliteratur
Herder, 2009

Jan Assmann
«Ma’at»
C. H. Beck, 1990

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