Nachgerechnet: Bringt die gesetzliche Rentenversicherung Rendite?

· Seite 36
Heute
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F
13. FEBRUAR 2022 NR. 7 B ZEITUNG DEUTSCHLANDS GROSSE SONNTAGSZEITUNG GEGRÜNDET 1948 PREIS D € 4,80

VON
MORGEN

Aber bitte mit

Schwarzwälder Kirsch
! LEBEN IN DER PANDEMIE
Die Finanz-
Apokalyptiker

ANSELM MAGNUS HIRSCHHÄUSER

schmeckt nach der Das Geschäft mit
GETTY IMAGES/ H. ARMSTRONG ROBERTS/ ANNA KURZAEVA/ BURAZIN; MONTAGE: WAMS; SHUTTERSTOCK/ VRENDER (5)

guten alten Zeit.

Jetzt haben Pâtissiers
den Tortenklassiker
Wie geht der Angst vor dem
Untergang
Seiten 13–16

neu interpretiert
Seite 49 es unseren Goretzkas
Kindern? präsidialer
Moment
Mehr als
Ängstlichkeit und depressive
Fußball:
Symptome haben deutlich zugenommen.
Der FC-
Was Eltern tun können Bayern-

STUDIOMARCOFISCHER.COM
Spieler im
Seite 59
Interview
Seite 29
GETTY IMAGES/ MASKOT

IN DIESER AUSGABE

Volksvertreter im Visier
Hetze im Netz, Fackelzug
SPD-Länder streben Ausstieg VERTEIDIGUNG

Lambrecht will
aus Corona-Beschränkungen an
vorm Haus: Bürgermeister ist ein
gefährlicher Job geworden Seite 5
38 Milliarden mehr
Ein Klimabonus, der nicht kommt Das Verteidigungsministerium ist mit
Versprochen ist eine Zahlung der Forderung nach Mehrausgaben in
des Staates an alle. Wer kann so
Das Ende der Regeln zum 19. März soll in der Konferenz der Ministerpräsidenten mit dem Kanzler

D
Höhe von knapp 38 Milliarden Euro in
eine Überweisung stemmen? Seite 18 die Verhandlungen der Bundesregierung

Mönche, Morde, Mittelalter

am Mittwoch beschlossen werden. Bremer Regierungschef: Nur noch „Grundschutzmaßnahmen“ über den Haushalt für das laufende Jahr
und die Eckwerte des Finanzplans bis
Dirk Schümer hat sich von „Der 2026 gestartet. Das geht aus den Eckwer-
Name der Rose“ inspirieren lassen und ie SPD-regierten Bundesländer wollen „Um nicht bei einer etwaigen künftigen Welle der Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bun- teforderungen des Wehrressorts hervor,
eine Fortsetzung verfasst Seite 45 sich bei der Ministerpräsidentenkon- Pandemie das Infektionsschutzgesetz erneut än- destagsfraktion, Dagmar Schmidt, warnte wie zuvor die an das Finanzministerium übermit-
ferenz am kommenden Mittwoch für dern zu müssen, wäre es allerdings hilfreich, auch schon Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach telt wurden und dieser Zeitung vorliegen.
Im Luxuszug durch Afrika eine schrittweise Rücknahme der weiterhin eine Grundlage für weitergehende Maß- (SPD) vor zu schnellen Öffnungen. „Wir sind klug In einer ersten Reaktion hat das Finanz-
Ein unvergessliches Abenteuer – mit meisten Corona-Beschränkungen bis nahmen zu haben“, sagte Bovenschulte. Dazu müss- beraten, Vernunft statt Risiko walten zu lassen und ministerium die Forderungen zurückge-
Löwentatzen-Badewanne, Butler- zum 19. März einsetzen. Auf diese grundsätzliche Li- ten die Eingriffsmöglichkeiten, die den Ländern laut nicht voreilig auf Kosten der Gesundheit der Allge- wiesen. Sollte es dabei bleiben, gäbe der
service und Kudu-Carpaccio Seite 54 nie haben sich die sozialdemokratischen Regie- Infektionsschutzgesetz zur Verfügung stehen, über meinheit zu agieren“, meinte Schmidt. „Sobald Öff- Bund in vier Jahren nur noch 1,2 Prozent
rungschefs der Länder nach Informationen von den 19. März hinaus verlängert werden. Die FDP- nungsschritte möglich sind, werden wir diese auch des BIP für Verteidigung aus. Seiten 2/3
WELT AM SONNTAG am Donnerstagabend in einer Fraktion im Bundestag hatte sich zuvor dafür ausge- schnellstmöglich umsetzen.“
Schaltkonferenz verständigt. Über die genaue Rei- sprochen, die entsprechenden Regeln zum 19. März Einige Bundesländer drücken allerdings aufs
henfolge der Lockerungsschritte soll in den kom- endgültig auslaufen zu lassen. Der dritte Ampel- Tempo. So will Schleswig-Holsteins Ministerpräsi-
INFLATION menden Tagen noch Einvernehmen hergestellt wer- Partner, die Grünen, ist für eine Verlängerung. dent Daniel Günther (CDU) Anfang kommender
den. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow Woche bereits einen „einen großen Schritt in Rich- ZUWANDERUNG
Lebensmittel Weil (SPD) hatte die Konferenz zum Zeitpunkt der
Vereinbarung bereits verlassen. Er steht frühzeiti-
(Linke) forderte mit Blick auf widersprüchliche Mel-
dungen aus dem Regierungslager eine einheitliche
tung Normalität gehen“. Sein Land habe eine hohe
Impfquote, die Auslastung der Intensivstationen sei Dutzende neue
gen Öffnungen bisher skeptisch gegenüber. Linie des Bundes. Es brauche für die Zeit nach dem seit Langem stabil. Geimpften und Genesenen Men-
noch teurer VON NIKOLAUS DOLL, ULRICH EXNER UND KAJA KLAPSA
19. März „eine klare Regelung, die der Bund einheit- schen seien „Grundrechtseinschränkungen deshalb
Asylunterkünfte
lich vorgeben sollte“, sagte Ramelow zu WELT AM auf Dauer nicht in diesem Ausmaß zuzumuten. Das
Nach der Verteuerung der Energie dro- SONNTAG. „Wir werden ja auf Abstands- und Hy- werden wir in der kommenden Woche in Schleswig-
hen nun auch bei Nahrungsmitteln grö- „Wir sollten die pandemiebedingten Beschrän- gieneregeln nicht verzichten können. Solche Maß- Holstein so kommunizieren“, sagte Günther. Unter In Deutschland werden die Kapazitäten
ßere Preissprünge. Gründe sind höhere kungen des gesellschaftlichen Lebens bis zum 19. nahmen muss die Bundesregierung jetzt im Bundes- anderem sollen im Norden bereits Anfang März alle für die Aufnahme von Asylbewerbern
Kosten vor allem bei Dünger und Treib- März weitgehend beenden“, sagte hingegen Andreas infektionsschutzgesetz vorbereiten.“ Einschränkungen für die Gastronomie und die Kon- wieder ausgebaut. 13 von 16 Bundeslän-
stoffen sowie sinkende Ernteerträge. Bovenschulte, SPD-Bürgermeister in Bremen, dieser Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) deutete taktbeschränkungen für den öffentlichen und priva- dern bestätigten auf Anfrage dieser Zei-
„Nach unseren Umfragen planen in den Zeitung. „Danach sollten nur noch Grundschutz- am Freitag erste Lockerungen an. Die wissenschaft- ten Raum fallen. tung entsprechende Projekte. Insgesamt
kommenden Monaten mehr als zwei maßnahmen wie etwa die Abstandsregeln und die lichen Prognosen zeigten, dass der Höhepunkt der Das Bundesverfassungsgericht hat am Freitag ei- geht es um 46 Einrichtungen. Wesentli-
Drittel der Nahrungsmittelhersteller Maskenpflicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln Omikron-Welle in Sicht sei. „Das erlaubt uns, beim nen Eilantrag gegen die Impfpflicht in Pflege und cher Grund dafür ist die Zunahme der il-
weitere Preisanhebungen“, sagte Timo sowie Schutzmaßnahmen in bestimmten Bereichen Bund-Länder-Treffen der nächsten Woche einen Medizin abgelehnt: Die Nachteile, die den überwie- legalen Zuwanderung. So ist die Zahl der
Wollmershäuser, Konjunkturchef des Ifo- wie etwa Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ersten Öffnungsschritt und dann weitere für das gend im Gesundheitswesen tätigen Antragstellern Asylantragsteller seit dem Sommer des
Instituts, WELT AM SONNTAG. Das sei- beibehalten werden.“ Voraussetzung sei, dass die Frühjahr in den Blick zu nehmen“, sagte Scholz. Er bei einem Aussetzen der Regelung drohten, seien vergangenen Jahres von monatlich etwa
en so viele wie noch nie seit der Wieder- Lage in den Krankenhäusern weiterhin beherrsch- trifft sich am Mittwoch mit den Ministerpräsiden- weniger schwerwiegend als die Nachteile für vulne- 8000 auf 14.000 gestiegen. Indes gab es
vereinigung. Lebensmittelpreise würden bar bleibe und eine Gefährdung der kritischen Infra- ten, um über die Corona-Lage zu beraten. Dann sol- rable Menschen. Grundsätzlich entscheidet das Ge- im vergangenen Jahr lediglich 12.000
damit zum Inflationstreiber. Seite 17 struktur ausgeschlossen werden könne. len erste Lockerungsschritte beschlossen werden. richt demnächst im Hauptverfahren. Seite 27 Abschiebungen. Seite 5

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Volk der Dichter und Rodler

D
ie Deutschen sind ein Volk der Dichter ist ein Schlittenkörper, wir lassen nicht mit uns
und Rodler, das hat sich in Peking wie- Schlitten fahren, wir bestimmen selber, wo der
der ganz deutlich gezeigt. Wenn wir eins Schlitten langläuft. Leider gibt es viel zu wenige
wirklich gut können, dann ist das rodeln. Deut- Wettbewerbe, in denen wir unsere außerordent-
sche Rodlerinnen und Rodler sind seit 1848 in lichen Künste unter Beweis stellen können. Wa-
internationalen Wettbewerben ungeschlagen. rum gibt es kein Viererrodeln, man müsste nur
In Bob- und Skeletonwettbewerben sieht es den Schlitten lang genug machen. Dann wäre so-
ähnlich aus. Wenn deutsche Rodler schon seit gar ein Achter mit Steuermann drin. Man könn-
call a Tagen zu Hause sind, kommen viele ihrer Kon- te vom Schlitten aus auf Zielscheiben schießen
ikone de s s chmuck s
kurrenten erst ins Ziel. Keine andere Nation hat oder die Sprungschanze runterkacheln und
so viele Schlittenbahnen und Eiskanäle, und Gold im Flugrodeln holen. Und warum verdie-
während unsere Gesundheitsämter steinzeitli- nen Fußballspieler hundertmal mehr als Bob-
che Faxgeräte benutzen, sind unsere Bobs und fahrer, obwohl Deutschland gar nicht so gut
Schlitten längst weltraumtauglich. Der deutsche Fußball spielt? Es wird wirklich höchste Zeit,
Körper bildet eine perfekte Einheit mit dem dass der Bundesadler durch den Bundesschlit-
deutschen Schlitten. Der deutsche Volkskörper ten ersetzt wird.

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2 THEMA DER WOCHE
Liebe Leserinnen,
liebe Leser!
Einer der wohl
meistverwendeten
Begriffe in Politiker-
sätzen ist: die Mitte.
Union, SPD, FDP,
Grüne – sie alle
wollen Parteien für
die Mitte der Gesellschaft sein. Und
FDP-Chef Christian Lindner hat sich
und seinen Ampel-Koalitionären zur
Maßgabe gemacht, „eine Regierung
der Mitte“ zu begründen.
Die aktuelle Regierungspolitik legt
allerdings nahe, dass die Ampel ein
doch sehr eigenwilliges Verständnis
von der Mitte hat. Da ist die grüne
Außenministerin Annalena Baerbock,
die soeben Greenpeace-Chefin Jenni-
fer Morgan zur Sonderbeauftragten
für internationale Klimapolitik beru-
fen hat und damit den ungebändig-
ten Klimaaktivismus zur Staatsräson
macht. Das soll die Mitte sein?
Da ist der liberale Finanzminister
Christian Lindner, der einen Nach-
tragshaushalt von 60 Milliarden Euro
auf den Weg bringt. Damit setzt er
eine Schuldenpolitik fort, die seine
Partei noch vor Kurzem als „Ta-
schenspielertrick“ bezeichnet hat
und die zulasten künftiger Genera-
tionen geht. Das soll die Mitte sein?
Da ist die grüne Umweltministerin
Steffi Lemke, die über die Autobahn-
blockaden radikaler Klimaschützer
sagt, es sei absolut legitim, für seine
Anliegen zu demonstrieren und „da-
bei auch Formen des zivilen Un-
gehorsams zu nutzen“. Hier wird
Rechtsbruch geadelt und mal eben
darüber hinweggegangen, dass solche
Blockaden nicht nur Krankentrans-
porte und Feuerwehr am Durch-
kommen behindern, sondern auch
Pendler auf dem Weg zu ihrer Arbeit.
Das soll die Mitte sein?
Da ist der sozialdemokratische
Gesundheitsminister Karl Lauter-
bach, der eine Lockerung der Coro-
na-Maßnahmen ablehnt und das mit
400 bis 500 Toten begründet, die
dann täglich zu erwarten seien – eine
Zahl, die er „mal ausgerechnet“ habe.
Dass der Minister das, was er mal so
ausrechnet, als Rechtfertigung
nimmt für schwerwiegende Eingriffe
ins alltägliche Leben, das ist über-
heblich und nicht mehr weit entfernt
von Willkür. Das soll die Mitte sein?
Die Ablehnung jedes Absolutheits-
gedankens; die Bereitschaft, unsere
gesellschaftliche Ordnung zu verbes-
sern, ohne sie zu sprengen; die Treue
zum demokratischen Staat, der die
Freiheit garantiert – so hat Franz
Josef Strauß vor fast 50 Jahren die
Mitte definiert. Früher war nicht alles
besser – aber manches eben doch.
Herzliche Grüße
Dagmar Rosenfeld
Chefredakteurin WELT AM SONNTAG
AUTOREN
DIESER AUSGABE
Wenn ihm Leser
mitteilen wollen,
dass sie seinen
Text nicht so gut
fanden, halten sie
Politikreporter
Thomas
Vitzthum gern vor, dass er doch
promovierter Musikwissenschaftler
sei. Schon deshalb ist er der Über-
höhung von Expertentum skeptisch
gegenüber eingestellt. Durch Ge-
sundheitsminister Lauterbach fühlt
er sich darin bestätigt. Seite 28
Hannah Lüh-
mann hatte gera-
de einen kolossa-
len Streit mit
zwei ihrer Freun-
dinnen über die
Frage, was es
bedeutet, eine Frau zu sein. Der
Anlass? Die immer emotionaler
werdende feministische Debatte um
Trans-Frauen wie die Grünen-Politi-
kerin Tessa Ganserer. Jetzt versucht
Lühmann, in diesem Kulturkampf
zu vermitteln. Seite 43
T KUNDENSERVICE
Brieffach 2264, 20350 Hamburg
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Öffnungszeiten: Mo–Sa 7–19 Uhr, So 9–13 Uhr
(*Gebührenfrei aus dt. Festnetz und
von allen dt. Mobiltelefonen)
O
Olaf Scholz bricht erst am Dienstag zur
ersten Feuerprobe seiner Kanzlerschaft
auf: Er reist nach Moskau, in den Kreml,
zum Gespräch mit Wladimir Putin. Aber
schon jetzt fragt sich nicht nur sein Um-
feld und die kleine außenpolitisch infor-
mierte Szene im Regierungsviertel: Was
wird Scholz’ Konni-Moment?
Konni ist längst tot. Es handelte sich
um einen Hund. Genauer gesagt: eine
Hündin. Ein schöner schwarzer Labra-
dor, dem seine russischen Trainer selt-
samerweise den englischen Namen
Connie Paulgrave gaben, bevor er von
einem zum Verteidigungsminister avan-
cierten Armeegeneral an Putin ge-
schenkt wurde. In die Geschichtsbücher
ging Konni ein, als sie 2007 auf Angela
Merkel losgelassen wurde. Die deutsche
Kanzlerin hatte nach ihrem Amtsantritt
Wert darauf gelegt, sich nicht – wie ihr
Vorgänger Gerhard Schröder – von Pu-
tin in persönliche Freundschaften ein-
spinnen zu lassen. Sie blieb auf demons-
trativer Distanz, etwa indem sie stets
mit einem Dolmetscher mit dem Auto-
kraten verhandelte, obwohl sie der rus-
sischen Sprache mächtig ist.
Bei einem Besuch in dessen Sommer-
residenz in Sotschi am Schwarzen Meer,
Journalisten waren bei den Auftaktbil-
dern noch im Raum, kam deshalb, wie
zufällig Konni hinein. Merkel mag keine
Hunde, hat sogar eine leichte Phobie
entwickelt, seit sie als Kind einmal ge-
bissen wurde. „Der Hund macht Ihnen
nichts aus, oder?“, sagte Putin mit mali-
ziösem Lächeln. Die Botschaft war klar:
Wir kennen jede Schwäche. Merkel riss
sich zusammen und antwortete: „Der
Die 38-Milliarden-Euro-Glaubwürdigkeitslücke
Die Haushaltsverhandlungen der Bundesregierung sind geeignet, in der Nato Zweifel an der deutschen Verlässlichkeit zu schüren
D
eutschland stehe zu seiner glo-
balen Verantwortung als einer
großen Industrienation in der
Welt, heißt es im Koalitionsvertrag von
SPD, Grünen und FDP. Langfristig wolle
man deshalb drei Prozent des Brutto-
inlandsprodukts (BIP) in Diplomatie,
Entwicklungspolitik und die Bündnis-
verpflichtungen in der Nato investieren.
Letztere betragen allein zwei Prozent
des BIP.
VON THORSTEN JUNGHOLT
Was diese Prosa der Ampel-Koalition
wert ist, zeigt sich keine drei Monate
später. In diesen Tagen wird über den
Bundeshaushalt für das laufende Jahr
und die Eckwerte des Finanzplans bis
2026 verhandelt. Das Verteidigungsmi-
nisterium meldete seinen Bedarf an, das
Finanzministerium wies ihn brüsk zu-
rück. „Die Bewältigung der Zukunftsauf-
gaben ist mit einer soliden und nachhal-
tigen Haushaltspolitik verbunden“,
schreibt Finanzstaatssekretär Werner
Gatzer in einem WELT AM SONNTAG
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022
Zu
isst keine Journalisten, immerhin.“ Auf dings nicht mehr dazu bereit.
Russisch, gegen ihre Absichten. Jetzt wieder. Die Berliner Hoff-
Bei Putin muss man auf alles gefasst nungen, dass sich bald auch die
sein, das wusste Merkel bis zum Außenminister dieser vier Länder
Schluss. Noch bei ihrem Abschiedsbe- treffen und dann die Staats- und
such in Moskau im August 2021 bemerk- Regierungschefs, trogen allerdings
ten Beobachter, dass Putin die Kanzle- bisher. Es bleibt bei den Beratern.
rin auffallend lange vor Kameras in ein Während Plötner verhandelte, las
Gespräch im Stehen verwickelte. In den Scholz Dossiers. Anders als die Vorgän-
Jahren zuvor hatte Merkel bei öffentli- gerin, die das Land schon als Studentin
chen Gelegenheiten, in denen sie lange bereist hatte, wird Scholz’ Russlandbild
stehen musste, Zitteranfälle erlebt und durch Lektüre geprägt. Unter anderem
deshalb sogar militärische Ehren zu- hat er „Inside Putin’s Head“ gelesen,
letzt im Sitzen abgenommen. von Andrew Jack, der für die britische
Olaf Scholz hat keine Angst „Financial Times“ in Moskau arbeitete.
vor Hunden. Und er kann Die Erstausgabe des Buches ist aller-
lange stehen. Auch sonst dings schon fast zwanzig Jahre alt. Mit
sind von dem Mann, der deutschen Russlandexperten, vor allem
maßvoll trinkt, viel Sport Wissenschaftlern, hat Scholz in den
treibt und auch auf wieder- vergangenen Tagen gezielt das Ge-
holte Nachfrage immer nur spräch gesucht: Einige wurden angeru-
Sätze sagt, die er sich vorher zu- fen, andere sogar zum Gespräch gebe-
A
rechtgelegt hat, keine persönlichen ten. Die Namen sind nicht bekannt.
Schwächen bekannt. Der „Scholzo-
mat“ eben, eine Machtmaschine, den ußer einem: Vor zwei Wochen
nicht einmal seine irrlichternde SPD ins führte Scholz ein langes Telefo-
Stottern bringt. Vertraute, die ihn lange nat mit Angela Merkel, in dem
kennen, berichten allerdings, dass es schwerpunktmäßig um Russland und
Scholz sehr wohl ein Mensch sei, wenn war geheim die Ukraine ging. Gespräche mit dem
auch ein sehr besonderer. Er hat also gehalten wor- anderen Altkanzler, Gerhard Schröder,
W
Schwächen. Putin wird um sie wissen. den. Experten er- soll es hingegen nicht gegeben haben.
kannten aber an der Ta- Als ausgerechnet in den Tagen, in denen
ie rücksichtslos der Kreml pisserie im Hintergrund des Europa vor dem größten militärischen
das Diplomatie genannte Auftaktfotos die Villa Borsig am Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg
Machtspiel durchzieht, ha- Tegeler See, die heute vom Auswärti- zittert, die Nachricht kam, Schröder rü-
ben sie im Kanzleramt erst in der Nacht gen Amt als Akademie genutzt wird. cke nun auch noch in den Aufsichtsrat
von Donnerstag auf Freitag am eigenen Inhaltliche Fortschritte gab es keine. des Kreml-Konzerns Gazprom ein, kri-
Leib erfahren. Zehn Stunden lang hatte Das hätte die deutsche Seite aber nicht tisierte der SPD-Chef und Scholz-Ver-
Scholz außenpolitischer Chefberater so gerne in der Zeitung gelesen. Doch traute Lars Klingbeil den Gaslobbyisten
Jens Plötner mit Dmitri Kosak verhan- die Russen steckten es Korresponden- mit SPD-Parteibuch: Das sei „ein Feh-
delt, dem Putin vertraut. Außerdem da- ten. Das „Normandie-Format“, wie die- ler“.
bei waren Emmanuel Bonne, der füh- ses Quartett genannt wird, ist der bis- Schröder hatte unter anderem Baer-
rende Außenpolitik-Fachmann von her einzige greifbare Erfolg der Krisen- bock kritisiert. Bevor die grüne Außen-
Frankreichs Präsident Emmanuel Ma- politik von Scholz. Hier reden Russland ministerin ihrerseits zum Antrittsbe-
cron und Andrij Jermak, der die gleiche und die Ukraine direkt miteinander. In such nach Moskau reiste, machte sie im
Funktion für den ukrainischen Präsi- den Merkel-Jahren war es erfunden ukrainischen Kiew Station. Das sei eine
denten ausübt. Der Ort des Treffens worden, zuletzt waren die Russen aller- THOMAS KUHLENBECK FÜR WELT AM SONNTAG „kleine Provokation“ gewesen, schimpf-
vorliegenden Brief an seine Kollegin sierenden Zweifel an der Bündnistreue wenn es eine glaubwürdige Abschre- das Verteidigungsressort in die Haus-
Margaretha Sudhof im Wehrressort. Ab des Kanzlers räumte US-Präsident Joe ckung gibt. Wir müssen noch mehr tun.“ haltsverhandlungen mit dem Scholz-
2023 sei die Schuldenregel des Grundge- Biden mit einem Vertrauensbekenntnis Mit „wir“ war Scholz gemeint. Denn die Nachfolger Christian Lindner (FDP) ge-
setzes wieder ausnahmslos einzuhalten, vor der Weltöffentlichkeit ab. Deutsch- Esten geben bereits zwei Prozent ihres gangen ist. Danach benötigt die Bundes-
deshalb müssten „alle Ausgaben auf den land sei einer der engsten Verbündeten BIP für Verteidigung aus. wehr im Jahr 2023 statt der vom Finanz-
Prüfstand“. Es folgen eine Reihe von der USA, „absolut, total, durch und Scholz’ Beteuerungen, er nehme die ministerium vorgesehenen 47,3 Milliar-
Spartipps und der zentrale Hinweis, durch verlässlich“. Zweifelnde Nachfra- Sorgen der Verbündeten ernst und stehe den Euro 53,7 Milliarden Euro. Dieses
dass eine „Rückführung“ der Ausgaben gen von Reportern wegen der Verweige- fest an ihrer Seite, leiden angesichts der Delta wächst jährlich: 2024 werden statt
,,
bis 2026 „auf das ursprüngliche Niveau rung von deutschen Waffenlieferungen von ihm noch als Finanzminister ge- 47,1 Milliarden Euro 55,4 gebraucht, 2025
des Haushalts 2020“ vorgesehen sei. an die Ukraine und der diffusen Haltung planten Haushaltspolitik an einem 57,2 statt 46,7 Milliarden. Und 2026 be-
In Zahlen bedeutet das: Der Verteidi- des Kanzlers zur deutsch-russischen Glaubwürdigkeitsdefizit. Das lässt sich trägt der Bedarf statt 46,7 stolze 59,1
gungsetat soll von 50,3 Milliarden Euro Gaspipeline Nord Stream 2 überhörte sogar ziemlich genau beziffern. WELT Milliarden Euro.
in diesem Jahr schrittweise auf 46,7 Mil- Biden oder wiegelte sie ab. Und der alt- AM SONNTAG liegen die vertraulichen Der Fehlbetrag summiert sich insge-
liarden Euro im Jahr 2026 sinken. Der- bekannte Dissens über die Verteidi- Eckwerteforderungen vor, mit denen samt auf 37,6 Milliarden Euro. Und
zeit gibt Deutschland 1,57 Prozent seines gungsausgaben wurde öffentlich nicht selbst damit, so schreiben die Bundes-
BIP für die Bundeswehr aus, in vier Jah- einmal erwähnt. wehrplaner, ließen sich die aus den Zu-
ren wären es – je nach volkswirtschaftli- Die drei baltischen Staaten Estland, sagen an die Nato abgeleiteten und im
cher Entwicklung – nur noch rund 1,2 Lettland und Litauen taten Scholz die- sogenannten „Fähigkeitsprofil“ der
Prozent. Die „große Industrienation“ sen Gefallen nicht. Im Rahmen eines Be- Streitkräfte festgelegten „Maßnahmen
ALLE AUSGABEN AUF
würde ihre Zwei-Prozent-Zusage an die suchs in Berlin am Donnerstagabend be- und Vorhaben“ nicht „zeitgerecht“ er-
Nato-Partner faktisch aufgeben. tonten sie, dass Deutschland als größte reichen. Das ist keine Überraschung, das
DEN PRÜFSTAND
Für den Bundeskanzler ist das ange- Volkswirtschaft des Kontinents eine Zwei-Prozent-Ziel ist keine willfährige
sichts der von Russland entfachten führende Rolle bei der Konfliktbewälti- Größe, sondern an konkreten militäri-
STELLEN
Kriegsgefahr in Osteuropa ein Problem, gung mit Russland spielen müsse. Die schen Aufträgen orientiert. Mit den vom
milde ausgedrückt. Bei seinem Amerika- estnische Ministerpräsidentin Kaja Kal- Wehrressort vorgelegten Forderungen
besuch kam Olaf Scholz (SPD) noch las erklärte dem Kanzler: „Ein diploma- WERNER GATZER würde man 2026 immerhin auf 1,5 bis 1,6
glimpflich davon. Die in der Nato gras- tischer Dialog hat nur eine Chance, Finanzstaatssekretär Prozent kommen.
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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG
GROSSE N
Fußstapfen?
Nur sehr vorsichtig hat sich Olaf Scholz auf
das diplomatische Parkett gewagt. Aber jetzt
bittet ausgerechnet Wladimir Putin den neuen
Kanzler zum Tanz. In Moskau muss Scholz um
Krieg oder Frieden in Europa verhandeln. Seine
Vorbereitung begann mit einem besonderen
Telefonat. Von Robin Alexander
te Schröder in seinem Podcast, den
er gemeinsam mit seinem ehema-
ligen Regierungssprecher Béla
Anda aufnimmt. Scholz
tut Baerbock nun
nach: Bevor er
Dienstag nach
Moskau fliegt,
besucht er am
Montag Kiew.
Schröder
ignorieren – Trudeau, dem Nato-Generalsekretär
Merkel befragen.
Die Kontinuitätsli-
nie ist also klar gezo-
gen. Außerdem sucht
Scholz den Schulterschluss
mit den westlichen Verbünde-
ten. Mit Macron telefonierte er
sowohl vor als auch nach dessen Be-
such im Kreml Anfang dieser Woche.
Auch die Einschätzung des britischen
Premierministers Boris Johnson hat
Scholz telefonisch eingeholt. Den polni-
schen Präsidenten Andrzej Duda hatte
er am Mittwoch im Kanzleramt zu Gast,
die Regierungschefs der drei baltischen
Länder am Donnerstag. Scholz soll vor
allem Fragen gestellt haben. Deutsch-
land ist die Führungsnation in der Na-
to-Truppe, die Litauen zusätzlichen
Schutz gibt – und nun um zusätzliche
350 Soldaten verstärkt wird.
Scholz’ Rolle ist eine grundsätzlich
andere als die von Merkel in ihren letz-
ten Regierungsjahren. Das hat seinen
Grund jedoch nicht im deutschen Re-
gierungswechsel, sondern im amerika-
nischen. Barack Obama brüskierte Pu-
tin mit demonstrativem Desinteresse,
nannte Russland „Regionalmacht“ und
überließ die Verhandlungen quasi der
Kanzlerin. Mit seinem Nachfolger Do-
nald Trump konnte man keine belastba-
ren Absprachen Treffen. Nun sitzt im
Weißen Haus Joe Biden: Der redet wie-
der direkt mit Putin, quasi von Super-
Inwieweit die Finanzie-
rungslücke in den Verhand-
lungen geschlossen werden
kann, entscheidet darüber, was
Scholz den Bündnispartnern an militä-
rischer Hardware tatsächlich anbieten
kann. Nach jetzigem Stand nicht finan-
ziert ist ein Nachfolgesystem für den
Kampfjet Tornado, das Deutschlands nu-
kleare Teilhabe in der Nato sichern soll.
In den Eckwerteforderungen an das Fi-
nanzministerium sind weiter schwere
Transporthubschrauber, die digitale
Führungsfähigkeit des Heeres, Euro-
fighter, Korvetten K130, Marinehub-
schrauber Sea Tiger, die Modernisierung
der Patriot-Flugabwehr, Puma-Schüt-
zenpanzer oder schwere Waffenträger
für die Infanterie genannt.
Mit 22 Milliarden Euro machen derlei
militärische Beschaffungen den Löwen-
anteil der Mehrforderungen aus. Weitere
drei Milliarden Euro extra werden ge-
braucht, um Waffensysteme in Nutzung
zu warten oder überhaupt erst einsatzbe-
reit zu machen. „Die Streitkräfte sind
marode“, hatte Bundeswehrverbandschef
NR. 7
macht zu Supermacht, wie einst im Kal-
ten Krieg.
Scholz war erst am Montag in Wa-
shington, um die Strategie abzustim-
men. Am Freitagabend sollte es zudem
eine vom Weißen Haus initiierte Video-
konferenz geben mit dem deutschen
Kanzler, den Präsidenten von Frank-
reich und Polen, dem italienischen Mi-
nisterpräsidenten Mario Draghi, dem
kanadischen Premierminister Justin
Jens Stoltenberg und der EU-Kommis-
T
sionspräsidenten Ursula von der Leyen.
rotzdem wird die Bundesregie-
rung von den Amerikanern im-
mer wieder überrascht. Deren
Aufforderung an ihre Staatsbürger, die
Ukraine zu verlassen, „weil wir keine
Soldaten schicken, um euch rauszuho-
len“, war in einem dramatischen Tonfall
gehalten, den Berlin gerne vermieden
hätte. Deutsche Staatsbürger, von de-
nen es in der Ukraine viel mehr gibt als
Amerikaner, haben sich bisher nur auf
Listen des Auswärtigen Amts registrie-
ren können.
Was Putin am Dienstag im Kreml für
ihn bereithält, weiß Scholz trotz aller
Vorbereitung nicht. Das erste Telefonat
der beiden, am 21. Dezember, war lang
und freundlich – Putin fiel dabei pha-
senweise ins Deutsche, das er seit sei-
ner Zeit als KGB-Agent in Dresden be-
herrscht. Wenn es tatsächlich einen
Konni-Moment geben sollte, also eine
Einschüchterung oder gezielte Brüskie-
rung, könnte Scholz reagieren. Bisher
hat er vermieden, die Ostseepipeline
Nord Stream 2 im Falle eines russischen
Angriffs auf die Ukraine infrage zu stel-
len. Übervorsichtig, fast kontraproduk-
tiv fanden das die Verbündeten. Sollte
der Kanzler ausgerechnet im Kreml in
den Klartext wechseln? Überraschend
wäre das. Ausgeschlossen nicht.
André Wüst-
ner jüngst WELT
gesagt, und: „Die
Truppe lässt sich nicht
mehr nur mit Reden über-
zeugen.“
Für Scholz steht also
nicht nur die internationale
Glaubwürdigkeit auf dem
Spiel, sondern auch jene gegen-
über den eigenen Soldaten. Verteidi-
gungsministerin Christine Lambrecht
(SPD) ergeht es dabei so wie den Verbün-
deten: Sie hat nur das Wort des Kanzlers,
die „nötigen Mittel im Rahmen des Mög-
lichen“ zur Verfügung zu stellen. Ende
nächster Woche wird sie wissen, was das
in Euro bedeutet. Dann sollen die Ver-
handlungen zwischen Verteidigungs- und
Finanzministerium abgeschlossen sein.
THEMA DER WOCHE 3
ächste Woche beginnt Hört auf, euch ständig als Muster- wir Biden oder seinem Nachfolger ei- NACHRICHTEN
die Münchener Sicher- schüler Europas zu loben? nen Wahlsieg möglichst nicht erschwe-
heitskonferenz. Für Da kann ich leider nur sagen: Das ist ren. Das, was mit Nord Stream 2 pas-
Wolfgang Ischinger ist es so. Berlin hat lange verdrängt, dass siert ist, bringt den Präsidenten aber in
die letzte als ihr Vorsit- sich zum Beispiel das Europäische Par- schwieriges Gewässer. Für seine BESUCH IN JORDANIEN
Baerbock für mehr
zender. Im Interview spricht er über lament dreimal gegen Nord Stream 2 Deutschlandfreundlichkeit erhält er
die deutsche Rolle in der Ukraine-Kri- ausgesprochen hat. Und auch die Fran- Gegenwind von den Republikanern.
Flüchtlingshilfe
se und sagt, was er von Berlin erwartet. zosen haben ihren Ärger nur unter Scholz’ Auftritt in Washington hat das
schweren Bedenken und mit Blick auf nicht besser gemacht. Wir haben bei
VON THORSTEN JUNGHOLT die enge Partnerschaft herunterge- Joe Biden ein relativ großes Goodwill- Außenministerin Annalena Baer-
UND JACQUES SCHUSTER schluckt. Am wichtigsten aber finde Kapital, er ist ein Transatlantiker aus bock hat sich für eine Ausweitung
ich die Hypothek, die gegenüber dem Überzeugung. Aber dieses Kapital ist der Flüchtlingshilfe für Jordanien
WELT AM SONNTAG: Herr Ischinger, amerikanischen Partner entstanden nicht unerschöpflich. ausgesprochen. Wegen der Corona-
obwohl der Bundeskanzler in diesen ist. Die wirft eine grundsätzliche stra- Pandemie seien viele Schulen in
Tagen intensive Reisediplomatie be- tegische Frage auf. Sollte man Nord Stream 2 stoppen? dem Land nicht nur für einige Wo-
treibt: Täuscht der Eindruck, dass Hätte man mich gefragt, hätte ich gera- chen, sondern teils für 18 Monate
die außenpolitische Führungspositi- Welche? ten, in Washington klar zu sagen: Im geschlossen worden, sagte die Grü-
on, die Angela Merkel in der Ukrai-
ne-Krise jedenfalls einige Jahre inne-
Wir müssen uns mit Blick auf die USA
ernsthaft mit der Möglichkeit befas-
Falle eines russischen Angriffs ist das
Projekt am Ende – und zwar genauso
nen-Politikerin beim Besuch der
Flüchtlingssiedlung Talbieh nahe
hatte, auf Frankreichs Präsident Ma- sen, dass uns nach der nächsten Präsi- am Ende wie die russischen Öllieferun- der Hauptstadt Amman. Mit der
Leitung habe sie „gesprochen, wie
cron übergegangen ist? dentschaftswahl ein neuer Donald gen an die USA. Dieser Hinweis hätte
WOLFGANG ISCHINGER: Diese Frage Trump als Präsident droht. Es gibt ein uns geholfen, diese deutsche Glaub- wir gerade Unterstützung im Bil-
empfinde ich gegenüber dem neuen existenzielles Interesse der Europäer, würdigkeitslücke noch besser zu dungsbereich geben können, dass
Bundeskanzler als ein wenig unfair. Er dass die USA ein verlässlicher transat- schließen. Jedenfalls müssen wir aus Kinder hier wieder zur Schule ge-
ist gerade gut zwei Monate im Amt. lantischer Partner bleiben. Also sollten dem Fehler Nord Stream 2 lernen. Ab hen“. Zudem werde man prüfen, wo
Wenn Sie 16 Jahre zurückgehen, dann Deutschland auch zum Beispiel bei
war Angela Merkel auch noch nicht der der Elektrifizierung durch Solar-
Wir müssen
uneingeschränkte Champion der euro- anlagen helfen könne. Die Flücht-
päischen Diplomatie. Und als Macron
2017 ins Amt kam, war er „the new kid
lingssiedlung war 1968 vom Hilfs-
werk der Vereinten Nationen er-
on the block“, Merkel hat ihn quasi an richtet worden. Es wird mit deut-
die Hand genommen. Erst nach einer schen Geldern unterstützt. In dem
aus dem
Weile standen dann beide auf Augen- ursprünglich für 5000 Menschen
höhe. Heute ist Olaf Scholz der Neue gebauten Camp leben derzeit etwa
und Macron der Erfahrenere, der 9500. dpa
schon jahrelang im Amt ist. Das wird
Fehler lernen
sich zurechtrütteln. Scholz ist in Sa-
chen Ukraine spät diplomatisch aktiv FINANZEN
Nachtragshaushalt
geworden, aber nicht zu spät.
Wie schätzen Sie Macrons Rolle ein? passiert Bundesrat
Der französische Präsident führt – und
das ist auch gut so. Denn er vertritt als Der Bundesrat hat grünes Licht für
Ratspräsident die gesamte Europäische
Union. Ich habe es für einen Fehler ge-
Wolfgang Ischinger warnt: Nord Stream 2 den Nachtragshaushalt 2021 mit
einer Milliarden-Umschichtung
halten, dass die EU vor einem halben hat massiven diplomatischen Schaden gegeben. Keines der Länder rief den
verursacht. Am Ende könnte die Pipeline
Jahr das Gesprächsangebot Merkels Vermittlungsausschuss an. Finanz-
und Macrons an Putin abgelehnt hatte. minister Christian Lindner (FDP)
auch Joe Biden gefährden
Dies hat dazu beigetragen, dass die EU schiebt nun 60 Milliarden Euro an
in den vergangenen Krisenwochen am zuletzt nicht genutzten Krediter-
Spielfeldrand stand – und das ist nicht mächtigungen in einen Fonds, damit
gut. Es ist richtig, dass Macron nun ver- sie nicht verfallen, sondern für In-
sucht, ins Spiel zu kommen. Denn es ist vestitionen in den Klimaschutz
ein europäisches Spiel, es geht um un- jetzt muss Energiepolitik als europäi- genutzt werden können. Die Union
sere Nachbarschaft, um unsere Sicher- sche Gesamtaufgabe betrieben wer- hält das für fragwürdig, weil die
heitsinteressen. den. Das steht auch so im Koalitions- Kredite explizit zur Bewältigung der
vertrag. Corona-Krise bewilligt wurden. Sie
Hat die Bedeutung Deutschlands au- will deshalb gegen den Haushalt
ßenpolitisch eher ab- oder zugenom- Wie sähe eine passable Lösung die- klagen. dpa
men seit dem Regierungswechsel? ser Krise aus, die Moskau vom Zaun
Weder noch. Es war doch nicht so, dass gebrochen hat?
die Merkel-Regierung zuletzt noch Die inzwischen öffentlich gewordene KLIMAAKTIVISTEN
Erneut Blockade
durch große außenpolitische Initiati- Antwort der Nato auf Russlands For-
ven geglänzt hätte. Und in der Frage derungen enthält dafür sehr viele gute
des Zwei-Prozent-Ziels der Nato stand Ansatzpunkte. Wenn die Russen auch der Autobahn 100
sie eher am Ende des Konvois. nur halbwegs ein Lösungsinteresse ab-
seits eines Krieges haben, wären sie Aktivisten, die für mehr Klima-
Das scheint so zu bleiben. In den gut beraten, darauf einzugehen. Darü- schutz und weniger Lebensmittel-
Haushaltsverhandlungen hat der Fi- ber hinaus ist es aber auch nötig, eige- verschwendung eintreten, haben am
nanzminister bereits signalisiert, ne Fehler zu sehen. Es war ein Fehler, Freitag erneut auf der A 100 in Ber-
dass es keine Mehrausgaben für die der Ukraine und Georgien 2008 die lin den Verkehr aufgehalten. Min-
MARTIN U. K. LENGEMANN/WELT
Bundeswehr geben darf. Was bedeu- Nato-Mitgliedschaft anzubieten. Jeder destens sieben Menschen hätten an
tet eine wie geplant sinkende Fi- wusste, dass das eine rote Linie für einer Ausfahrt die Autobahn be-
nanzlinie – und damit eine Entfer- Russland war. Frau Merkel und Herr treten und sich teils dort auch fest-
nung vom Zwei-Prozent-Ziel – für Sarkozy waren damals zu Recht dage- geklebt, so die Polizei. Der Senat
Deutschlands Position in der Nato? gen und haben das insofern entschärft, lässt nun eine Übernahme der Poli-
Zunächst hat die Regierung im Koaliti- als dass kein Datum genannt wurde. zeikosten durch die Blockierer ju-
onsvertrag interessante Festlegungen Putin hat das dennoch als Quasi- ristisch prüfen. dpa
getroffen, etwa das Bekenntnis zur nu- Kriegserklärung verstanden.
klearen Teilhabe, zur Frage der dafür
nötigen Nachfolge der Tornado-Jets, Wolfgang Ischinger Wie kann man also da rauskommen?
auch für bewaffnete Drohnen. Das kos- Diplomat Die Nato kommt jetzt von dem Ange- AKTUELLE
CORONA-ZAHLEN
tet Geld. Ich freue mich, dass die neue bot von 2008 nicht mehr herunter.
Regierung sich meinen Vorschlag zu ei- Die kommende Münchner Sicher- Aber wahr ist auch: Tatsächlich ist die
gen gemacht hat, dass drei Prozent des heitskonferenz ist die letzte, die Nato seit 2004 keinen einzigen kon-
Haushalts künftig für Verteidigung, Di- Wolfgang Ischinger leiten wird. Mit kreten Schritt in Sachen Osterweite-
plomatie und Entwicklungshilfe ausge-
geben werden sollen – das ist ja letzt-
75 Jahren zieht er sich vom Vorsitz
zurück, den er seit 2008 innehatte.
rung mehr gegangen. Die spätere Na-
to-Erweiterung fand im Süden statt, in
Weniger neue
Ischinger ist einer der erfahrensten
lich auch ein klares Bekenntnis zum
Zwei-Prozent-Ausgabenziel für Vertei- deutschen Diplomaten. 1976 trat er
in den Auswärtigen Dienst ein. 1982
Montenegro oder Kroatien. Jetzt ist es
die diplomatische Kunst, zwei Dinge Fälle registriert
digung. Nur muss man dies nun auch gleichzeitig zu machen, ohne sich di-
ernsthaft umsetzen. Ich warte auf die bis 1990 gehörte er zum persönli- rekt zu widersprechen, nämlich zu sa- Das Robert-Koch-Institut hat
nationale Sicherheitsstrategie, die bin- chen Stab von Außenminister gen: Wir halten natürlich am Prinzip 240.172 neue Corona-Fälle binnen 24
nen eines Jahres vorgelegt werden soll. Hans-Dietrich Genscher. Später der freien Bündniswahl fest. Aber wir Stunden erfasst. Es meldete am Frei-
Da müsste langsam ein erster Entwurf wurde er Leiter des Planungsstabes können auch sagen, dass es in der Nato tag 8666 weniger als vor einer Wo-
kommen. und unter Außenminister Joschka auch weiterhin keine Entscheidung che. Dies ist der erste Rückgang seit
Fischer Staatssekretär. Ischinger über eine Einladung an die Ukraine Langem und könnte darauf hindeu-
Bei der Frage um Nord Stream 2 ist war unter anderem Botschafter in und Georgien geben wird. Wir werden ten, dass der Höhepunkt der Omi-
Deutschland in Europa isoliert Washington und London. auch keine Nuklearwaffen oder sonsti- kron-Welle bald erreicht ist. Aller-
wie kaum je zuvor. Muss man ge Verbände in diesen Ländern statio- dings werden zurzeit viele Neuinfek-
der Regierung nicht zurufen: nieren, das machen wir ja nicht einmal tionen von den Gesundheitsämtern
in den Nato-Staaten Osteuropas – das nicht registriert. Das RKI sieht auch
ist in der Nato-Russland-Grundakte deshalb noch einen weiteren Anstieg
festgehalten. Im Gegenzug müssten der Sieben-Tage-Inzidenz: von 1465,4
die Russen allerdings die gleiche Be- am Donnerstag auf 1472,2 am Freitag.
schränkung für Kaliningrad und ande-
re westlichen Militärbezirke akzeptie- Entwicklung der Inzidenz Neuinfek
ren. Es kann ja nicht sein, dass wir Ver- in Deutschland pro 100.0
pflichtungen abgeben und Moskau mit Neuinfektionen pro 100.000 freien St
seinen Iskander-Raketen in fünf Minu- Einwohner über sieben Tage
ten Berlin erreichen kann, im 1600
schlimmsten Fall. 1400 1472,2
1200
1000
800
600
400
200
0
01.10.21 11.02.2022
Quelle: RKI; Stand: 11.02.2022, 0.00 Uhr Quelle: RKI
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4 POLITIK WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022

Ein IDEALER Bundespräsident

CHRONIK

VON SASCHA LEHNARTZ

Was war denn Frank-Walter Steinmeier wird am Sonntag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für eine zweite Amtszeit
das jetzt? in Schloss Bellevue gewählt. Was bräuchte er, um zu den prägenden deutschen Staatsoberhäuptern aufzuschließen?

Reisediplomatie ist eine Form des

politischen Tourismus, die in erster
Linie der Produktion symbolträchti- „ACH WAS, ICH LIEBE KEINE
ger Bilder dient. Diese sollen den Da- STAATEN. ICH LIEBE MEINE
heimgebliebenen vermitteln, dass
der oder die Reisende noch Herrin FRAU; FERTIG!“
der konfliktträchtigen Lage ist. Da-
GUSTAV HEINEMANN AUF DIE FRAGE,
mit Reisediplomatie wirkt, muss sie
OB ER DIESEN STAAT DENN NICHT LIEBE.
von mehreren Personen gleichzeitig
ZITIERT IM „SPIEGEL“ VOM 13. JANUAR 1969
in verschiedene Richtungen betrie-
ben werden. Das unverzichtbare Ad-
jektiv jeder Form von Reisediploma-
tie ist „hektisch“, da man schnell den
Überblick verliert, wer gerade wohin
unterwegs ist und – wenn er wieder
da ist – was er da eigentlich wollte. „DAS CHRISTENTUM GEHÖRT ZWEIFELSFREI ZU DEUTSCHLAND.
Am Montag besuchte Emmanuel DAS JUDENTUM GEHÖRT ZWEIFELSFREI ZU DEUTSCHLAND.
Macron in Moskau Wladimir Putin.
Das Bild, das von diesem Besuch DAS IST UNSERE CHRISTLICH-JÜDISCHE GESCHICHTE. ABER
bleibt, sind zwei Männer, die sich an DER ISLAM GEHÖRT INZWISCHEN AUCH ZU DEUTSCHLAND“
einem sieben Meter langen Marmor-
kitschtisch gegenübersitzen, auf CHRISTIAN WULFF ZUM TAG DER DEUTSCHEN EINHEIT AM 3. OKTOBER 2010 IN BREMEN
dem man problemlos einen olympi-
schen Eisstockschießwettbewerb
austragen könnte. Versuche, die Mo-
biliarwahl als machtpsychologische
oder pandemiepräventive Geste zu
deuten, führten nicht wirklich wei- „NUN SIEGT MAL SCHÖN!“
ter. Das fast sechsstündige Gespräch
THEODOR HEUSS ZU
der beiden offenbar auch nicht. Am
SOLDATEN ZUM ABSCHIED
Ende artikulierte Macron den opti-
NACH EINEM MANÖVERBESUCH IM
mistischen Eindruck, einer „Deeska-
SEPTEMBER 1958 IN URMITZ AM RHEIN
lation“ näher gekommen zu sein. Pu-
tin sprach seinerseits von der Mög-
lichkeit eines Atomkriegs. Was man
halt in Moskau so unter Deeskalati-
on versteht.
Ebenfalls am Montag traf Olaf „DENN FÜR MICH IST GANZ KLAR: WIR BRAUCHEN DAS
Scholz in Washington mit Joe Biden
zusammen. In Erinnerung bleiben NATO-BÜNDNIS. UND GERADE WENN DIE VEREINIGTEN
werden hier weniger Bilder vom STAATEN NICHT STÄNDIG MEHR LEISTEN KÖNNEN, MÜSSEN
Kanzler im Weißen Haus als der
Schlabberpulli, den Scholz auf dem DEUTSCHLAND UND SEINE EUROPÄISCHEN PARTNER FÜR IHRE
SICHERHEIT ZUNEHMEND SELBST VERANTWORTLICH SEIN“
Hinflug trug. Die Formlosigkeit des
Kleidungsstücks ließ Beobachter be-
reits an der Standfestigkeit des JOACHIM GAUCK BEI DER ERÖFFNUNG DER MÜNCHENER
Kanzlers zweifeln. Diesen Verdacht SICHERHEITSKONFERENZ AM 31. JANUAR 2014
entkräftete Scholz jedoch in Wa-

E
shington, da er sich auch dort be-
harrlich weigerte, den Namen einer „DER 8. MAI WAR EIN TAG DER BEFREIUNG.
prominenten Problem-Pipeline im
Sanktionskatalog zu nennen. Schol- ER HAT UNS ALLE BEFREIT VON DEM
zologen bieten verschiedene Erklä- MENSCHENVERACHTENDEN SYSTEM
rungsansätze für diese geostrategi-
sche Bockigkeit. Wir vermuten, DER NATIONALSOZIALISTISCHEN
Scholz fürchtet, sich in einen Kaiser- GEWALTHERRSCHAFT“
pinguin zu verwandeln, sobald er das
Wort „Nord Stream 2“ ausspricht. RICHARD VON WEIZÄCKER ZUM 40. JAHRESTAG
Vorteilhaftere Bilder als der Kanz- DES KRIEGSENDES AM 8. MAI 1985 IM BUNDESTAG
ler produzierte Außenministerin An-
nalena Baerbock am Dienstag. In
Schutzhelm und kugelsicherer Wes-
te machte sie Bella Figura im ukrai- „DURCH DEUTSCHLAND MUSS EIN RUCK GEHEN. WIR
nischen Krisengebiet. In Schyrokyne
bei Mariupol stellte sie fest, dass es MÜSSEN ABSCHIED NEHMEN VON LIEBGEWORDENEN
„Krieg mitten in Europa“ gebe und BESITZSTÄNDEN. ALLE SIND ANGESPROCHEN, ALLE
fuhr flugs zurück nach Berlin. Ihre
vom Krieg betroffenen Gastgeber MÜSSEN OPFER BRINGEN, ALLE MÜSSEN MITMACHEN“
nahmen zur Kenntnis, dass es zwar
ROMAN HERZOG IN EINER HAUPTSTADTREDE AM 26. APRIL 1997
einen deutschen Alt-Bundeskanzler
ZUR WIEDERERÖFFNUNG DES HOTEL ADLON IN BERLIN
gibt, der der Ukraine „Säbelrasseln“
vorwirft, die aktuelle Bundesregie-
rung „aus historischen Gründen“
aber nicht einmal Hindenburgs Offi-
zierssäbel nach Kiew liefern würde. Ein Rekordergebnis liegt in der Luft, zog, Johannes Rau – sie alle ließen es mit auch als Staatssekretär, Kanzleramtsmi- Empathie dem Präsidenten im Dienst druck entsteht, auf ihn käme es gar nicht
Zurück in Berlin setzte Baerbock wenn diesen Sonntag Frank-Walter einem Mandat gut sein oder hätten eh nister und vorsichtiger Außenminister selten genug anzumerken. Da funktio- an, denn die da oben machten ja doch,

S
ihre symbolpolitische Winteroffen- Steinmeier zum Bundespräsidenten ge- keine neue Mehrheit gekriegt. Und stets ein politischer Beamter. Seine Be- niert und formuliert er, als wäre er noch was sie wollten.“
sive fort. Am Mittwoch ernannte sie wählt wird. Für seine zweite Amtszeit Christian Wulff schaffte nicht einmal ei- harrlichkeit macht ihn in der Politik so sein eigener Behördenleiter. Dabei hat
die bisherige Greenpeace-Chef-Akti- könnte der 66-jährige Jurist aus dem ne Amtszeit. Frank-Walter Steinmeier beliebt; alle wissen vorher schon, was sie der früher arg linke Jurist einst seine olche Präsidenten können Zeit-
ULLSTEIN BILD/BPA (2); PICTURE ALLIANCE/DPA/JOCHEN LÜBKE; SZ PHOTO/UPI; DOMINIK BUTZMANN/LAIF; PICTURE-ALLIANCE/DPA /MARTIN ATHENSTÄDT

vistin Jennifer Morgan zu ihrer neu- Lipperland sogar Theodor Heuss schla- hatte bereits fünf Jahre Zeit, um zu zei- an Steinmeier haben. Doktorarbeit über die Rechte Obdachlo- läufte prägen. Sogar einem Chris-
en rechten Hand für Klimaschutz. gen, den 1954 sagenhafte 88,2 Prozent gen, dass er im Amt nichts richtig falsch Weiß er selbst, was er an seinem Amt ser verfasst. Doch welche individuelle tian Wulff genügten keine zwei
Im Ministerium von Wirtschafts- der Wahlmänner und -frauen in der macht, dass er als routinierter Verwalter hat? In seiner Antrittsrede vor fünf Jah- Geste, welches ethische Anliegen bleibt Jahre im Amt für die überfällige Fest-
und Klimaminister Robert Habeck Bundesversammlung fürs höchste Amt sein Handwerk im Schlaf beherrscht. ren forderte Steinmeier in den Risiken bislang beim Nachdenken über die stellung: „Der Islam gehört inzwischen
fragt man sich seither, ob man bei im Staate Bundesrepublik bestimmten. Die Frage für die zweite Amtszeit lautet der Globalisierung vehement frischen Amtszeit Steinmeiers haften? Und es auch zu Deutschland“, womit immerhin
der Ressortverteilung irgendetwas eher: Wird der drohende Schlaf über so Mut für Deutschland ein. Doch welchen muss ja nicht unbedingt Walter Scheels die Debatte eröffnet war, welcher Islam
falsch verstanden hat, und erwägt VON DIRK SCHÜMER viel Vorhersehbarkeit irgendwann den politischen Mut hat Steinmeier jemals Gesangskunst oder Karl Carstens’ Wan- es denn sein soll. Und Steinmeiers di-

S
die Ernennung eines Staatssekretärs Präsidenten selbst übermannen? verkörpert? Eher tritt er als Bedenken- derlust sein. Manchmal reicht es, wie rekter Vorgänger Joachim Gauck am-
für Außenpolitik. In Unionskreisen Auch Richard von Weizsäckers über- träger auf, der die Agenda der politi- der bollernde bayerische Ex-Verfas- tierte im Schloss Bellevue zwar viel bra-
fragt man sich wehmütig, was wohl parteiliche 86,2 Prozent im historischen icher, wenn es eine Nation gibt, schen Klasse den Bürgern umständlich sungsrichter Roman Herzog seinen Un- ver, als die Kontrollfanatikerin Angela
los gewesen wäre, wenn Andi Scheu- Jahr 1989 sind in Reichweite für fast die langweilige Anführer benötigt zu vermitteln versucht. Dabei sollte es mut über die Sackgassen neupreußi- Merkel befürchtet hatte, rang sich am
er Heinz-Harald Frentzen als Staats- Everybody’s Darling Frank-Walter, ge- und keine Demagogen oder im Präsidentenamt genau umgekehrt scher Behördenwege in einen Satz zu Ende immerhin zur unpastoralen Schel-
sekretär im Verkehrsministerium gen den nicht einmal die größte Opposi- Macchiavellisten, dann die deutsche. gehen. Mut könnte sich Steinmeier eher gießen: „Durch Deutschland muss ein te an Deutschlands fremdfinanziertem
eingestellt hätte oder Annegret tionspartei CDU einen Kandidaten auf- Dennoch müsste es ab Sonntag irgendje- von denjenigen Bundespräsidenten ab- Ruck gehen!“ Spötter sagen heute, ge- Pazifismus durch: Das Land solle gefäl-
Kramp-Karrenbauer im Verteidi- stellen mochte. Steinmeier hat offenbar manden geben, der dem altneuen Herrn schauen, die mit klug gesetzten Nadel- meint sei der Ruck im Aufzug des Hotels ligst mehr Verantwortung übernehmen
gungsministerium den Verkaufschef alles richtig gemacht. Hat er das wirk- Bundespräsidenten einflüstert, dass stichen in die Geschichte eingingen. Adlon, in dem Herzog vor jener Rede und notfalls dabei zu den Waffen grei-

D
von Rheinmetall. lich? Was für einen Häuptling kann das sein Amt nicht nur vom Funktionieren Nehmen wir nur die Schlitzohrigkeit, stecken geblieben war. fen. All diese Statements – auch und ge-
Bei den Olympischen Spielen in Land gebrauchen? Wie muss ein Bun- und Abarbeiten der Agenda abhängt, mit welcher der weinselige Schöngeist rade wenn sie wenig veränderten –
Peking rodeln die Deutschen alles in despräsident auftreten, um mit der ent- sondern auch vom therapeutischen Är- Theodor Heuss nach den Hassdebatten er bis heute beliebteste Bundes- zeichnen sich aus durch einen kritischen
Grund und Boden. Im Berlin kleben scheidenden, der zweiten Amtsperiode gern, Anstacheln, Überraschen des um die Gründung der Bundeswehr den präsident, Richard von Weizsä- Blick von außen auf das Raumschiff Re-
sich derweil endzeitlich gestimmte in die Geschichte einzugehen? selbstreflexiven Politbetriebs. Jeden- Rekruten beim Manöver sein ironisches cker, wurde zu einem Meister in gierungsviertel, in dem alle auf die
Jugendliche einer Gruppe namens Präsidiale Spuren, Fußstapfen gar zu falls, wenn der Bundespräsident wahr- „Nun siegt mal schön!“ in den Wehrpass der Interpretation seines heiklen Jobs. nächste Schlagzeile, die nächste Mei-
„Letzte Generation“ im Berufsver- hinterlassen, ist nämlich gar nicht so genommen werden will. diktierte. Balancierend auf dem schmalen Grat nungsumfrage, die kommenden Wahlen
kehr mit Sekundenkleber auf die leicht. Vier Präsidenten – Heuss, Lübke, Ob das aber klappen kann? Frank- Ein ähnlich skeptischer Geist gegen- zwischen mahnendem Pfarrer und jovia- schielen.
Stadtautobahn, weil sie es nicht gut Weizsäcker und Köhler – schafften es Walter Steinmeier hat als Referent für über der Staatsmacht – speziell in ihrer lem Landadligen erklomm er – natürlich Frank-Walter Steinmeier muss das al-
finden, dass so viel Essen weggewor- bisher, über fünf Jahre hinaus im Amt zu Medienrecht in Hannover begonnen deutschen Form der Staatsvergottung – auch als glänzender Redner, der Stein- les nicht; er muss nicht mehr um seine
fen wird. Das ist ein lauteres Motiv, bleiben. Steinmeiers Landsmann Hein- und ist dann die Karriereleiter der Lan- sprach aus dem Sozialdemokraten Gus- meier nicht ist – einen moralischen Wiederwahl bangen. Keineswegs ist er
aber wir, die wir hier im Stau stehen, rich Lübke wurde während seiner des- und Bundesämter hochgeklettert, tav Heinemann. Er antwortete auf die Hochsitz als „Ersatzmonarch“. Beachtli- das institutionelle Scharnier an der
fänden es irgendwie sinnvoller, wenn Schlussphase, senil geworden, unter die meiste Zeit im Schlagschatten seines Frage, ob er sein Land liebe, lakonisch: cher noch als seine Reden zur Versöh- Pforte zwischen Macht und Volk. Er
die jungen Leute Essen auf Rädern Mitwirkung der ihn Wählenden in die Förderers Gerhard Schröder. Unter dem „Ich liebe keine Staaten, ich liebe meine nung mit Israel und zum 8. Mai als Tag könnte vielmehr den Politikern in die
ausfahren würden, um ihrem Anlie- Lächerlichkeit gezogen. Horst Köhler heutigen russischen Gaslobbyisten hat Frau; fertig.“ In diesem Punkt übrigens der Befreiung wirken aus der Distanz Parade fahren, er könnte etwas Sand ins
gen Ausdruck zu verleihen. Oder trat bald nach seiner Wiederwahl unter Steinmeier 1994 als Abteilungsleiter „für hat Steinmeier mit dem Abgeben einer seine ironischen Ausführungen zum Po- hochgetunte Getriebe der Staatsmacht
sich wenigstens auf einer Landebahn merkwürdigen Umständen zurück. Wal- Richtlinien der Politik, Ressortkoordi- Niere zugunsten seiner Gemahlin ein litbetrieb, die ihn von seinen Kollegen, streuen – und dürfte dabei sogar Gefüh-
des stillgelegten Flughafens Tegel ter Scheel, Gustav Heinemann, Karl nierung und -planung“ losgelegt. Und ir- unüberbietbares Zeichen gesetzt. Son- Helmut Kohl allen voran, entfremdeten: le zeigen. Nur, wer sagt ihm das, wenn
festkleben lassen würden. Carstens, Joachim Gauck, Roman Her- gendwie ist er das immer geblieben: derbarerweise ist solche persönliche „Es ist fatal, wenn beim Bürger der Ein- nicht er selbst?

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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG
D Bald wieder
ie meisten Bundesländer
reaktivieren stillgelegte
Unterkünfte für Asylsu-
chende und eröffnen
neue. Mindestens 46 Ein-
richtungen dieser Art sind seit Anfang
2021 wieder in Betrieb genommen wor-
den oder werden zurzeit eingerichtet.
Das ergab eine Umfrage dieser Zeitung,
bei der 13 von 16 Länder über entspre-
chende Aufbauprojekte berichteten. Die
Entwicklung erklärt sich vor allem
durch eine zunehmende Zahl an Zuwan-
derern. Zugleich gibt es wenig Rückfüh-
rungen. Hinzu kommen Corona-Aufla-
gen, die einen größeren Raumbedarf zur
Folge haben.
VON MARCEL LEUBECHER
Wie das Berliner Landesamt für
Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) be-
richtet, wurden in der Stadt 14 neue Un-
terkünfte und Containerdörfer mit
3000 Plätzen eröffnet. „Acht dieser
Standorte waren stillgelegt und mussten
aufgrund der gestiegenen Zugangszah-
len kurzfristig reaktiviert werden.“ Sie-
ben weitere Wohnheime stehen kurz vor
der Eröffnung. Zudem, so heißt es, wer-
den „berlinweit leer stehende Gebäude“
geprüft, ob sie sich zur Unterbringung
von Geflüchteten eignen. „Wir rechnen
neben den Asylbewerbern mit weiteren
Zugängen aus den Aufnahmeprogram-
men aus Afghanistan, Libanon und der
Türkei. 2021 waren das 845 Personen,
diese Zahl wird sich wohl in diesem Jahr
verdoppeln“, sagte LAF-Präsident Ale-
xander Straßmeir dieser Zeitung.
Bayerns Innenministerium teilte mit:
„Angesichts der Migrationspolitik der
neuen Bundesregierung besteht auch im
Freistaat die Notwendigkeit, die Kapazi-
täten an die steigenden Asylzahlen an-
zupassen.“ Das gelte ganz besonders
„im Hinblick auf den Zugang“ weiterer
sogenannter Ortskräfte aus Afghanis-
Volksvertreter im
E
ine Winterwanderung
der saarländischen
CDU vor ein paar Wo-
chen: Ministerpräsi-
dent Tobias Hans ist
mit seiner Frau und
den drei Kindern da. Er
schiebt einen Kinderwagen. Plötzlich
hält eine Gruppe die Wanderer auf. Eine
Frau ruft: „Wir haben die Nase voll. Wir
machen nicht mehr mit!“ Die „Saarbrü-
cker Zeitung“ hat ein Video von der
Szene veröffentlicht. Hans versucht der
Frau zu antworten, ausreden lässt man
ihn nicht. „Wir haben lange genug zuge-
hört“, schimpft die Frau. Als Hans spä-
ter den Kinderwagen im Auto verstauen
will, kommt ihm noch einmal ein De-
monstrant nahe und beschimpft ihn vor
seiner Familie als „Verbrecher“.
VON MANUEL BEWARDER,
ALEXANDER DINGER UND IBRAHIM NABER
Es ist eine Situation, die sich so ähn-
lich derzeit viele Male in Deutschland
abspielt. Hemmschwellen sinken.
Mandatsträger – von Ministern bis zu
Bürgermeisterinnen – werden in ihrem
privaten Umfeld bedrängt. Im Saar-
land hat das bereits Konsequenzen:
Termine des Ministerpräsidenten wer-
den vorerst nicht mehr veröffentlicht.
Aus Sicherheitskreisen heißt es, Geg-
ner der Corona-Politik hätten gezielt
NR. 7
geöffnet
Weil wieder mehr Zuwanderer kommen und
Abschiebungen selten gelingen, bauen die
Bundesländer ihre Aufnahmekapazitäten wieder aus
Ex-Flughafen Tempelhof Berlin: Hier wird eine Unterkunft reaktiviert
tan. Die Eröffnung eines Aufnahmezen-
trums in Oberbayern stehe fest. Der
Schwerpunkt liege aber „klar auf der
Ausweitung der Kapazitäten in der An-
schlussunterbringung – also durch An-
mietung von Wohnungen und geeigne-
ten Gebäuden für Gemeinschaftsunter-
künfte und dezentrale Unterkünfte“.
Hierdurch werde sichergestellt, „dass
Bürgermeister und andere Politiker stehen für den Staat und seine Corona-Politik
– und ernten deshalb oft zügellosen Hass. Ihre Kritiker zielen immer wieder auf das
private Umfeld. Ein Ende der Gewaltspirale ist noch nicht absehbar
dazu aufgerufen, Veranstaltungen mit
dem Ministerpräsidenten aufzusuchen
und zu stören. Hans, der vor einem
Landtagswahlkampf steht und viele
Termine hat, hängt der Vorfall noch
immer nach. „Kritik an den politischen
Verantwortlichen ist legitim – was ak-
tuell passiert, hat aber definitiv eine
neue Qualität und überschreitet zum
Teil klare Grenzen“, sagte Hans zu
WELT AM SONNTAG. Dass seine Fa-
milie mit hineingezogen wurde, habe
ihn getroffen. „Ich sage aber auch ganz
klar: Ich lasse mich davon nicht ein-
schüchtern.“
MEHR SCHUTZMASSNAHMEN
Bereits in der Migrationskrise wurde
die Lage für viele, die den politischen
Kurs umsetzten, außergewöhnlich ge-
fährlich. In der Pandemie allerdings,
heißt es in Sicherheitskreisen, sei die
Situation noch einmal angespannter.
Die Zahl der registrierten Straftaten
gegen Politiker stieg deutlich: Einer
vorläufigen Statistik des Bundeskrimi-
nalamts (BKA) zufolge wurden im ver-
gangenen Jahr 4458 Straftaten gegen
Amts- und Mandatsträger registriert –
fast dreimal so viele wie im Jahr 2017.
Hinzu kommen Belästigungen, die un-
terhalb der Grenze zur Strafbarkeit
stattfinden.
Das BKA führt den Anstieg der Straf-
taten gegen Mandatsträger vor allem
POLITIK 5
derungen der Corona-Pandemie die Ka- zurückgeführt – obwohl fast 3300 Asyl- AN DER AMPEL
pazitäten zu erhöhen“, wie das Land anträge von Türken abgelehnt wurden.
mitteilt. In Hannover wurde im Januar Stephan Thomae, Parlamentsge-
ein Hotel als Notunterkunft für neu zu- schäftsführer der FDP, sagt: „Nicht jeder VON ROBIN ALEXANDER
gewiesene Asylsuchende angemietet. Mensch, der zu uns kommt, kann auch
Seit vergangenem Sommer nimmt die
Asylzuwanderung nach Deutschland
wieder deutlich zu: monatlich von etwa
bleiben. Als Ampel haben wir eine Rück-
führungsoffensive beschlossen, um ins-
besondere Straftäter und Gefährder
Sex, Drugs, Rap
8000 auf rund 14.000 Erstanträge. Vor
allem handelt es sich um unerlaubt aus
schnell in ihre Herkunftsländer zurück-
zuführen.“ Grundvoraussetzung dafür
im Bundestag
anderen EU-Staaten weiterreisende Per- sei eine verbesserte Zusammenarbeit
sonen, die vor oder während des Verfah- mit wesentlichen Herkunftsländern. Im Reichstag war diese Woche wirk-
rens weiterziehen oder schon abgelehnt Thomae weiter: „Wir werden deshalb ei- lich etwas los – obwohl die Abgeord-
wurden. Immer häufiger sind darunter nen Sonderbevollmächtigten einsetzen, neten gar nicht da waren. Im Februar
Syrer, die weitergewandert sind, nach- der entsprechende Migrationsabkom- macht das Parlament nämlich von je-
A
dem sie in langwierigen Verfahren in men organisiert.“ her weitgehend frei; im ganzen Mo-
Griechenland, Dänemark und anderen nat gibt es lediglich eine einzige Sit-
Ländern als Schutzsuchende anerkannt lexander Throm, innenpolitische zungswoche. Das ergibt keinen Sinn,
wurden. Deutschland ist unter anderem Sprecher der Unionsfraktion, hat aber viel Tradition: Als die Volks-
auch deswegen das Hauptziel in Europa, kritisiert die Regierungspolitik: vertreter noch in Bonn tagten, feier-
weil das Abschiebungsrisiko gering ist „Statt Anreize für mehr Asylzuwande- ten sie, wie alle dort, lieber Karneval.
und sich hier vergleichsweise stark um rung zu senden, sollte die Ampel-Regie- Den gibt es in Berlin nicht – und die-
die Integration der Neuankömmlinge rung ihre angekündigte Rückführungs- ses Jahr wegen der Corona-Maßnah-
gekümmert wird. offensive umsetzen. Sie streitet aber lie- men noch nicht einmal im Rhein-
Gerade einmal 11.982 Ausländer wur- ber darüber, ob ein Sonderbevollmäch- land. Aber, um es mit dem nach sei-
den im vergangenen Jahr abgeschoben, tigter für Migrationsabkommen im Aus- ner Hochzeit im Bordell erwischten
IMAGO IMAGES/JÜRGEN HELD/IMAGO STOCK
darunter nur 4202 in nichteuropäische wärtigen Amt oder im Innenministeri- Mackie Messer aus der „Dreigro-
Staaten, wie aus einer WELT AM um anzusiedeln ist. Mit einer Ansied- schenoper“ zu sagen: Deshalb ändert
SONNTAG vorliegenden Aufstellung lung im Auswärtigen Amt würde der ein Gentleman doch seine Gewohn-
der Bundespolizei hervorgeht. Ende Ju- Bock zum Gärtner gemacht und das In- heiten nicht!
ni 2021 lebten rund 290.000 Ausreise- nenministerium in einer zentralen Die Abgeordneten hatten also frei,
pflichtige im Land, davon etwa zwei Funktion geschwächt.“ unterhielten die Bevölkerung trotz-
Drittel abgelehnte Asylbewerber, die üb- Die Zahl der Abschiebungen ist seit dem trefflich, nämlich über die so-
rigen wurden etwa wegen Straftaten Jahrzehnten sehr gering, gemessen an zialen Medien. Etwa Verena Hu-
oder abgelaufener Visa ausreisepflichtig. der Zahl von abgelehnten Asylbewer- bertz: Die 34-Jährige ist neu im Bun-
Vier von fünf Ausreisepflichtigen haben bern und ausländischen Straftätern. destag und gleich zur stellvertreten-
allerdings eine Duldung. Das bedeutet, 1994 wurde mit 53.043 Abschiebungen den Vorsitzenden der größten Frak-
sie bleiben zwar zur Ausreise verpflich- ein Höchststand verzeichnet, in den fol- tion, der SPD, gewählt worden. Zu-
tet, der Staat sichert ihnen zu, sie mit- genden Jahren bis 2000 waren es jeweils ständigkeit: Wirtschaft. Sie wandte
die in den Anker-Zentren dringend be- telfristig nicht abzuschieben. Das be- etwa 35.000. Danach sanken die Zahlen sich in einem Video bei TikTok an
nötigten Plätze wieder schnell verfügbar trifft viele Afghanen oder Syrer, die we- stetig bis auf ein Niveau unter 10.000, „alle Studierenden“. Die müssten ge-
werden“. gen der schlechten Sicherheitslage gene- um dann erst auf dem Höhepunkt der rade lernen, könnten sich nicht in
In Niedersachsen wurden im Januar rell nicht in ihre Heimat abgeschoben Migrationskrise 2015 (21.000) und 2016 Clubs und mit Partys ablenken: „Um
drei Jugendherbergen temporär als Au- werden. Aber auch beispielsweise in die (25.000) anzusteigen. Danach gingen euch das Leben zu erleichtern“, ver-
ßenstellen für die Erstaufnahme von zentralafrikanische Republik und die El- die Zahlen leicht zurück. Im ersten Co- spreche die Ampelkoalition „2B“:
„Asylsuchenden eingerichtet, um im Zu- fenbeinküste gab es jeweils nur eine Ab- rona-Jahr 2020 sackten sie auf 10.800 ab. Boostern und Bubatz-Legalisierung.
sammenhang mit bundesweit steigen- schiebung 2021, nach Marokko lediglich Im vergangenen Jahr waren es dann
den Ankunftszahlen und den Herausfor- drei. In die Türkei wurde 361 Menschen knapp 12.000.
DEN STUDENTEN,
DIE NOCH NIE EINEN
PROF GESEHEN
HABEN, BIETET DIE
SPD: DROGEN
Letzteres ist ein Slangwort für
Joints. Nach zwei Jahren jenseits des
Hörsaals und Seminars bietet die
SPD den Studenten, die bald ihren
Bachelor machen, ohne je einen Pro-
fessor getroffen zu haben, also im
Ernst: Drogen.
Nicht nach Cannabis, sondern
nach Koks in der Dorfdisco sah die
Botschaft aus, mit der sich die FDP
über die sozialen Medien an die Bür-
ger wendete. Angeführt von der dro-
genpolitischen Sprecherin Kristine
Lütke, ließen sich gleich fünf Abge-
ordnete im Bundestag filmen, wie sie
mit Sonnenbrillen und einem altmo-
dischen Gettoblaster zu einem Rap
tanzten: „Ich möchte keinen Mann
mit kurzem Schwanz!“ Dazu mach-
ten sie die Kopf-ab-Geste.
Die politische Botschaft: „Wir, auf
dem Weg zur Abstimmung, um end-
lich §219a aus dem StGB kicken zu
können.“ Dieser Paragraf verbietet
Werbung für Abtreibungen – die Am-
pelkoalition möchte ihn streichen.
Die Abstimmung, zu der die Abge-
ordneten angeblich so gut gelaunt
eilten, war allerdings frei erfunden.
Der entsprechende Referentenent-
auf Radikalisierungstendenzen in den tungsträger ein. Auch in Baden-Würt- Schnee schippte. Kretschmer brach die
wurf befindet sich noch in der Ab-
sozialen Netzwerken seit Beginn der temberg gibt es eine solche Fachabtei- Diskussion erst ab, als eine Frau ein
stimmung. Einen Tag später löschte
Pandemie zurück. Eine wichtige Rolle lung. Beim Staatsschutz in Sachsen Halstuch in den Farben der Reichs-
Lütke das Video nach gutem Zure-
spiele dabei der Anbieter Telegram, wurde der Polizeischutz für Mandats- kriegsflagge über ihr Gesicht zog.
den der Fraktionsführung kleinlaut:
den man erst jetzt richtig in den Blick träger ausgebaut – und auch beim Ähnliche Erfahrungen machen auch
Es habe „Raum für Missverständnis-
nimmt: Ein klares Lagebild, wie viele BKA, das für den Schutz von Regie- andere Mandatsträger. Fackelträger
se“ geboten.
Ermittlungsverfahren es 2021 mit Be- rungspolitikern und Abgeordneten des zogen kürzlich vor das Haus der sächsi-
Alle diese Abgeordneten gehören
zug zu Telegram gegeben hat, gibt es Bundestages zuständig ist. schen Gesundheitsministerin Petra
jener Generation an, die erstmals in
nicht. Dass es beim Auswerten bis zu- Köpping (SPD). Und – gerade das hal-
GEFAHR BREITET SICH AUS
den Bundestag eingezogen ist. Die
letzt großen Nachholbedarf gab, zeigt ten Staatsschützer für gefährlich –
meisten von ihnen verdanken ihre
diese Zahl: Eine händische Auswertung In Sachsen hat es Ministerpräsident auch in kleinen Städten und Dörfern
Mandate dem verkorksten Wahl-
des BKA hat für 2021 lediglich 43 Straf- Michael Kretschmer (CDU) seit Mona- gibt es einige Betroffene.
recht: Sie erhielten eines der 138
taten zum Nachteil von Amts- und ten mit einer Flut von Anfeindungen WELT AM SONNTAG liegen kürz-
Überhang- und Ausgleichsmandate.
Mandatsträgern mit Bezug zu Tele- und Gewaltaufrufen zu tun. Eine Grup- lich verfasste Mails der Bürgermeiste-
Das meint: Sie sind nur im Parla-
gram festgestellt. Sogar im BKA selbst pe soll gar Mordpläne gegen ihn ge- rin einer ostdeutschen Kleinstadt vor.
ment, weil irgendwo in der Republik
hält man diese Zahl für viel zu gering. schmiedet haben, wie eine ZDF-Re- Sie bat das zuständige Innenministeri-
ein anderer Politiker ein Direktman-
Wie rau das Klima für Politiker ist, cherche ans Licht brachte. In Chat- um in ihrem Bundesland um Hilfe. Die
dat gewann, seine Partei aber nicht
zeigt auch eine Umfrage von WELT AM gruppen habe es geheißen, man wolle Frau beschrieb, wie Gegner der Coro-
entsprechend viele Zweitstimmen.
SONNTAG in den Ländern. So stieg bei Kretschmer „einmarschieren“ und na-Politik sie über Wochen mit Störak-
Längst ist der Bundestag viel zu
die Zahl der Straftaten gegen Mandats- ihn „aufhängen“. Macht Kretschmer tionen vor ihrem Haus belästigt hätten.
groß, um alle auf diese Weise hinein-
träger in Nordrhein-Westfalen im ver- das Angst? Im Gespräch winkt er ab. Manche seien dazu übergegangen, ihre
geschwemmten Jungpolitiker sinn-
gangenen Jahr von 88 auf 124, in Bran- Bei den Personen handele es sich um Fenster mit Lichtstrahlern auszuleuch-
voll beschäftigen zu können.
denburg von 41 auf 85. In Niedersach- eine „kleine, bösartige Minderheit, der ten. Von DDR-Methoden ist in der Mail
Dies Phänomen gab es schon in
sen liegen noch keine Zahlen vor, man wir gemeinsam die Stirn bieten“ müss- die Rede. Mittlerweile erhält die Bür-
der vergangenen Legislaturperiode.
rechnet aber mit einem gestiegenen ten. Kretschmer sucht weiter den Aus- germeisterin Polizeischutz, die Situati-
In der GroKo waren junge Abgeord-
Fallaufkommen. In manchen Bundes- tausch mit Gegnern, zuletzt im Januar on soll sich verbessert haben. Kretsch-
nete von CDU und CSU so unterfor-
ländern gingen die Straftaten auch bei Protesten der rechtsextremen Par- mer verspricht, die Behörden würden
dert, dass sie aus Langeweile dubiose
leicht zurück. tei Freie Sachsen. Er sagt, er wollte alle Mandatsträger schützen. Aber ist
Beratungsgesellschaften gründeten.
Mehrere Sicherheitsbehörden ha- durch sein demonstratives Auftreten das angesichts der schieren Flut an
Die Fraktionsführung untersagte das
ben zusätzliche Schutzmaßnahmen er- vor Ort deutlich machen: „Es waren Drohungen möglich? Der Ministerprä-
erst nach den Maskenaffären. Junge
griffen. Die Berliner Polizei etwa ver- keine friedlichen Bürger, sondern Ex- sident sagt, dass er weiterhin frei leben
Christdemokraten bereicherten sich
stärkte den Schutz öffentlicher Gebäu- tremisten und Demokratieverächter.“ könne. Er gehe allein ins Kino, gehe al-
damals, junge Ampel-Koalitionäre
de, Nordrhein-Westfalen richtete eine Eine Gruppe von Kritikern der Maß- lein einkaufen, fahre in Sachsen Stra-
blamieren nun nur das Parlament –
zentrale Ansprechstelle für Sicher- nahmen tauchte bereits vor einem Jahr ßenbahn. Kretschmer sagt: „Das lasse
das muss man wohl als gesellschaftli-
heitsfragen für politische Verantwor- vor seinem Haus auf, als er gerade ich mir auch nicht nehmen.“
chen Fortschritt begreifen.
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6 POLITIK
Neue Freunde,
die gut zahlen
Ein Grünen-naher Verein zieht Firmenmitglieder
an, die man dort nicht unbedingt vermutet
hätte. Auf der Liste stehen Rüstungskonzerne,
W
auch der Wohnungsriese Vonovia ist dabei
as haben der Ziga-
rettenhersteller
Philip Morris, der
Rüstungskonzern
Rheinmetall und
der Internetriese Amazon gemein-
sam? Alle sind seit einiger Zeit zahlen-
de Mitglieder im Grünen Wirtschafts-
dialog (GWD), einem den Grünen na-
hestehenden Verein, der Begegnungen
zwischen Wirtschaftsvertretern und
Politikern der Ökopartei organisiert.
VON HANS-MARTIN TILLACK
Gegründet wurde dieser Verein
schon vor ein paar Jahren, Ende 2018,
von zwei Grünen-Veteranen: dem Ex-
Bundestagsabgeordneten Thomas
Gambke und der früheren Kölner
Stadtkämmerin Gabriele Klug. Nun,
durch die Regierungsbeteiligung der
Bündnisgrünen, hat er enorm an Rele-
vanz gewonnen: Für Firmen ist es
jetzt deutlich wichtiger, die Nähe zu
Grünen-Politikern zu suchen. Durch
Angaben im neu eingeführten Lobby-
register des Bundestags fallen ein paar
,,
Firmen ins Auge, die dabei sind, und
auf der Internetseite des Vereins lässt
sich die Liste seiner Fördermitglieder
nachlesen: eine ganze Reihe großer
Unternehmen, bei denen man bisher
nicht unbedingt grüne Sympathien
„POLITIKER SOLLTEN
FIRMEN NICHT ÜBER
FÖRDERBETRÄGE
EINBINDEN“
CHRISTINA DECKWIRTH,
Lobbycontrol
vermutet hätte. Der Chemiekonzern
BASF etwa, der Flugzeug- und Rüs-
tungshersteller Airbus und weitere
Rüstungsunternehmen wie Dynamit
Nobel Defence. Auch der Ölriese BP,
Pharmakonzerne wie Pfizer und Sano-
fi, die Digitalgiganten Google und Mi-
crosoft sowie das Wohnungsunter-
nehmen Vonovia – das einige Grüne
zumindest in Berlin lieber enteignen
würden – sind Fördermitglieder. Sie
zahlen bis zu 15.000 Euro pro Jahr an
den Verein.
GEHÖR GEGEN GELD
Laut Satzung geht es dem GWD da-
rum, den Mitgliedern einen „institu-
tionalisierten Dialog“ mit Grünen-
Vertretern zu ermöglichen. Anders
ausgedrückt: Die Firmen zahlen Mit-
gliedsbeiträge und bekommen dafür
einen Draht in die Regierungspartei.
Der GWD gibt an, er verstehe sich „als
Brückenbauer zwischen Wirtschaft
und Politik“, der „die ideellen und
wirtschaftlichen Berufs- und Standes-
interessen seiner Mitglieder im Sinne
einer nachhaltigen, ökologischen, in-
novativen und ökonomisch erfolgrei-
chen Wirtschaftsweise“ vertritt.
Die Parteinähe des Vereins bezeu-
gen auf seiner Website Testimonials
von prominenten Grünen wie dem ba-
den-württembergischen Ministerprä-
sidenten Winfried Kretschmann und
dessen Finanzminister Danyal Bayaz.
Fotos von Veranstaltungen zeigen be-
kannte Grüne wie Landwirtschaftsmi-
nister Cem Özdemir im Austausch mit
Wirtschaftsvertretern.
Einige Firmen räumen offen ein,
dass es ihnen bei der Mitgliedschaft
um Kontaktpflege und Interessenver-
tretung geht. Airbus etwa trat im Mai
2019 bei, „im Einvernehmen mit den
zuständigen Politikern“ der Partei,
wie ein Firmensprecher versichert.
BASF – Mitglied seit Juli 2020 – nutzt
den Austausch auch, um „gesetzgebe-
rische Erwartungen und Entwicklun-
gen besser einzuschätzen“ und eigene
„Ansichten in der Diskussion zu ver-
treten“. Der Getränkehersteller Pepsi-
co wiederum, der seit Februar 2021
Fördermitglied ist, will sich hier
„transparent in gesellschaftlich rele-
vante Debatten, gerade in Bezug auf
die Transformation der Lebensmittel-
industrie“ einbringen. „Wir wollen
mehr miteinander reden“, antwortet
der Rüstungskonzern Rheinmetall auf
die Frage, was ihn zum GWD bringt.
Ein solches Konstrukt, in dem Fir-
men oder Firmenvertreter für einen
direkten Draht zu Entscheidern in der
Politik Mitgliedsbeiträge eines partei-
nahen Vereins zahlen, um womöglich
politische Entscheidungen beeinflus-
sen zu können, ist keine neue, grüne
Erfindung: Seit Langem gibt es den
CDU-Wirtschaftsrat und das Wirt-
schaftsforum der SPD.
Und tatsächlich verteilen einige der
Mitgliedsfirmen ihre Bemühungen um
Nähe pragmatisch auf mehrere Partei-
en: BASF, Deutsche Bank, Google und
Philip Morris, sie alle bestätigten
WELT AM SONNTAG, dass sie neben
der Mitgliedschaft im GWD auch im
CDU-Wirtschaftsrat und dem SPD-
Wirtschaftsforum vertreten sind. Der
Grüne Wirtschaftsdialog rundet of-
fenbar das Portfolio hilfreicher Mit-
gliedschaften ab.
Der GWD funktioniert aber etwas
anders als das CDU-Pendant. Bei dem
den Christdemokraten nahestehen-
den Verein darf Präsidentin Astrid
Hamker sogar als ständiger Gast an
CDU-Vorstandssitzungen teilnehmen.
Beim GWD, sagt eine Sprecherin der
Grünen, bestehe „keinerlei institutio-
nalisierte Verbindung“ zwischen
GWD und grüner Partei. Und anders
als das Vorbild bei der SPD wirbt der
GWD nach eigenen Angaben keine
Sponsoringgelder von Firmen ein.
Die Organisation Lobbycontrol hat-
te jüngst kritisch thematisiert, dass
der CDU-Wirtschaftsrat automatisch
Zugang zum dortigen Parteivorstand
hat. Lobbycontrol hat auch den GWD
im Blick. „Es ist pikant, dass hier eine
Reihe von Firmen vertreten sind, die
nicht zur typischen grünen Klientel
gehören“, sagt die Sprecherin Christi-
na Deckwirth. Politiker sollten „Fir-
men nicht über die Bezahlung von
Förderbeiträgen in Diskurse im Um-
feld der Partei“ einbinden, so Deck-
wirth: „Dass das auch bei anderen Par-
teien gängige Praxis ist und in noch
größerem Ausmaß passiert, macht es
nicht besser.“
Welche Kriterien gibt es also, um
Mitglied in dem Verein werden zu dür-
fen? „Voraussetzung für eine Mitglied-
schaft ist die Anerkennung der in un-
serer Satzung und dort insbesondere
in der Präambel formulierten Werte
und Ziele des Vereins“, teilt der Verein
auf Anfrage mit. Zu diesen Werten und
Zielen gehört nach GWD-Angabe der
„Wandel zu einer umfassend nachhal-
tigen Wirtschaftsweise“ und die Ein-
führung „einer ökologisch-sozialen
Marktwirtschaft“.
FRIEDENSPARTEI MIT
RÜSTUNGSFORUM
Vor diesem Hintergrund kann es über-
raschen, dass ausgerechnet die Rüs-
tungsbranche eine nicht ganz unwich-
tige Rolle in dem Grünen-Forum
spielt. Seit August 2020 existiert ein
Fachforum Security & Defence des
GWD, das Rüstungslobbyisten mit
Grünen-Abgeordneten aus dem Bun-
destag und dem EU-Parlament zusam-
menbringt. Zumindest einmal war
auch ein Vertreter des umstrittenen
Waffenherstellers Heckler & Koch zu
Gast. Innerparteilich sollen diese Run-
den nicht allen in der traditionell rüs-
tungsexportkritischen Partei gefallen
haben – obgleich auch die Grünen zur
Bundeswehr stehen.
Andere Fachforen des GWD be-
schäftigten sich mit der Altersvorsor-
ge oder Arbeitsmarktpolitik. Aus Sicht
von Grünen-Politikern haben diese
Runden auch einen ganz praktischen
Vorteil. Es spare Zeit, wenn man auf
einer Veranstaltung mit rund zehn
Wirtschaftsvertretern auf einmal zu-
sammenkomme, sagt eine Grünen-Ab-
geordnete: „Sonst sitzen die alle ein-
zeln auf meiner Couch, das ist ein
bisschen ermüdend.“
B
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022
In Oberbayern finden sich
Allem zum
nahezu überall Zeichen des
christlichen Glaubens – am
verschneiten Schliersee
genauso wie in Miesbach
Trotz
Bald sind Pfarrgemeinderatswahlen in gar auf den letzten Feldwegen Kreuze.
Miesbach, einer 11.500-Einwohner-Stadt Natürlich gehört der Islam inzwischen
in Oberbayern. Und Ferdinand Huber zu Deutschland. Aber das Christentum
will noch ein letztes Mal kandidieren. und insbesondere der Katholizismus ha-
Huber ist 73, pensionierter Gymnasial- ben Deutschland mehr als 1000 Jahre
lehrer. Seine Fächer waren Mathematik lang geprägt und tun es bis heute. Die
und Physik. Er hat die Sternwarte des Geschichten und Geschichte dieses Lan-
Gymnasiums mit aufgebaut. Huber sitzt des, die Bilder, die Architektur, die Feste,
mit wachen grünbraunen Jade-Augen am alles hat damit zu tun.
Tisch neben der Küche. Vor der Wand Im Ortskern von Miesbach liegt das
steht ein Bauernschrank mit volksfrom- „Weißbräustüberl“. Es ist elf Uhr vormit-
men Malereien, daneben hängen ein ge- tags. Gleich kommt eine Beerdigungsge-
kreuzigter Christus und Fotos vom ge- sellschaft. Verena Schlier sitzt da mit ih-
schnitzten Miesbacher Christkind auf rer acht Monate alten Tochter Veronika.
dem Stroh der Weihnachtskrippe. Die 35-Jährige ist in Elternzeit. Eigent-
lich arbeitet sie für einen CSU-Abgeord-
VON FRÉDÉRIC SCHWILDEN neten. Hinter ihr an der Wand der Gast-
stube steht: „Bier ist der überzeugendste
Huber sagt: „Ich habe das lange Zeit Beweis dafür, dass Gott den Menschen
schön gefunden, wenn katholische Wür- liebt und ihn glücklich sehen will.“
S
denträger in ihren prächtigen Messge- Schlier trinkt Cappuccino und Wasser.
wändern und mit Weihrauch und Brim-
borium aufgetreten sind. Aber mittler- ie ist eine moderne Frau. Sie war
weile ist das für mich mehr Folklore.“ Er in Amerika, hat in München stu-
erzählt von den ökumenischen Gottes- diert. Aber zu Hause steht der
diensten mit den Protestanten, davon, heilige Florian. „Der ist von meinem
dass die Dorffeste zwar noch Kirchweih Opa. Der war Berufsfeuerwehrler.“
heißen, aber kaum einer mehr in die Kir- Schlier erzählt, dass sie neben der Kirche
che geht, bevor es im Bierzelt losgeht. Er aufgewachsen ist. Davon, dass sie ihrer
sagt: „Die Distanz zwischen Bevölkerung Tochter vor dem Zubettgehen ein Kreuz-
und Klerus ist größer geworden.“ zeichen gibt. Veronika schläft dann zum
Gerade werden fast täglich neue De- Vaterunser oder zum Rosenkranzgebet
tails und Wendungen zu Missbrauchsfäl- ein. Schlier sagt: „Kirche ist für mich
len und deren Vertuschung im Erzbis- selbstverständlich.“ Das kommt auch
tum München-Freising publik, aus der durch die Vereine im Ort. In Miesbach,
Zeit, in der der emeritierte Papst Bene- so heißt es, gehen die Protestanten häu-
dikt noch Joseph Ratzinger hieß und figer in eine katholische Kirche als in die
dort Erzbischof war. Erst leugnete Bene- eigene, weil die Vereine eben immer zu
dikt, damals an Sitzungen teilgenommen irgendeinem Festgottesdienst in die ka-
zu haben, in denen es um besagte Fälle tholische Kirche gehen. Glauben heißt
ging. Dann wurde durch Protokolle be- hier Gemeinschaft.
wiesen, dass er doch anwesend war. Be- Für Meusers ist genau das die Kraft
nedikt wurde der Lüge bezichtigt. des Glaubens. Er hat lange als Tech-Jour-
Für Katholiken nicht nur in Miesbach nalist unter anderem für den „Spiegel“
ist dieses Verhalten nicht mehr nachvoll- gearbeitet. Seit einem Dreivierteljahr
ziehbar. Statt menschlicher Bitte um pflegt er seine Mutter. Im Videogespräch
Vergebung und dem Versuch der Wie- sagt er: „Für mich ist Christentum Ge-
dergutmachung erleben Gläubige eine meinschaft und individuell von Gott an-
Institution, die wie ein Dax-Unterneh- gesprochen sein. Zwischen diesen bei-
men oder eine Behörde einen PR-Scha- den Polen schwingt mein christliches
R
den verhindern möchte. Leben.“ Glaube bedeute: individuelle
Nähe und Liebe spüren. Meusers begeg-
ichard Meusers, 57, Katholik aus net Gott, wenn er seine Mutter pflegt.
Köln nennt das den „real existie- Ferdinand Huber aus Miesbach sagt, ge-
renden Katholizismus“. Er sagt: rade heute Morgen habe er Gott gespürt:
„Jesus Christus hat das Reich Gottes „Wie ich die Regina, meine Tochter, mit
verkündigt, und gekommen ist die Kir- meinem Enkel Moritz zum ersten Mal
Vier Katholiken erzählen, warum und wie
che.“ Er lacht und sagt: „Ich stell mir beim Skifahren im Doppelschlepper fah-
manchmal vor, dass Jesus heute kommt ren hab sehen.“
sie heute glauben. Selbst wenn derzeit
und sich die Kirche anschaut und fragt, Christliches Leben im Kirchenchor,
was macht ihr denn da? Und die katho- die Gottesdienste, das Organisieren
lische Kirche in Deutschland sagt dann:
Wir haben ein katholisches Büro, Rund-
vor allem von Missbrauch und sogar von ökumenischen Feiern halten den
Glauben in der Gemeinschaft zusam-
funkräte und 27 weitere Gremien.“ Lügen die Rede ist men. Die Kirche gibt den Raum, steht
FRÉDÉRIC SCHWILDEN (3)
Mariana Kern-Vidal, Bau-Ingenieu- aber oft im Weg. Weil sie Gemeinden
rin, eine in Chile geborene Katholikin von oben regieren möchte. Der Ober-
aus Bonn, findet: „Die katholische bayer Huber schildert, dass seine Ge-
Kirche in Deutschland ist zu wenig meinde vom Bistum einmal als „schwie-
spirituell. Die meisten reden wie Ver- rig“ bezeichnet wurde, weil sie Dinge
waltungsangestellte oder selbst bestimmen wollte.
Politiker.“ Und Gymnasial- Dabei geht es den meis-
lehrer Huber aus Miesbach ten Katholiken gar nicht
sagt: „Wer waren denn die, um Revolutionen, wie sie
die mit Jesus die meisten etwa die katholische Be-
Probleme hatten? Das wa- wegung Maria 2.0 fordert.
ren die Pharisäer und Die Priesterweihe für
Schriftgelehrten, und mit Frauen oder das Ende des
denen haben wir heute auch Zölibats wären zwar in
die meisten Probleme.“ Ordnung, aber sie sind
Das Problem ist: Es sind nicht das, was Katholiken
eben jene Schriftgelehrte, von ihrer Kirche jetzt er-
die die Kirche als Institution warten.
repräsentieren und die de- Nur der älteste, näm-
ren Außenwirkung ausma- lich Ferdinand Huber, for-
chen. Skandale und Verbre- dert das unmittelbar. Er
chen wie der unter Ratzinger sieht einen direkten Zu-
vertuschte Missbrauch sind sammenhang zwischen
nicht die Skandale und Ver- Missbrauchsfällen und
brechen der Mitglieder. Aus- Zölibat. Er findet: „Kirche
gerechnet die, die daran gar muss große Pluralität
nicht beteiligt waren, müs- sein, ein Spiegelbild der
sen aber die Worte finden, Gesellschaft und auf gar
zu denen sich die Kirchen- keinen Fall eine Sekte von
führung kaum durchringt. erzkonservativen Recht-
Der Kölner Meusers sagt: gläubigen. Kirche muss
„Vor 30 Jahren hätte ich es die Gesellschaft abbilden,
nicht für möglich gehalten, und da gehören Frauen
wie die Kirche ihren morali- selbstverständlich dazu.“
schen Kredit und ihre Auto- Die Zukunft der katho-
rität verspielen kann.“ lischen Kirche sehen die
Selbst der moderne Pfarrgemeinderat Ferdinand meisten denn auch nicht
Mensch will glauben. Aber Huber (o.): „Wer waren denn in der Auflösung alter Traditionen, son-
die Kirche macht es ihm die, die mit Jesus die meisten dern in einer Rückbesinnung auf das,
schwer. Und so glaubt er lie- Probleme hatten? Das waren die was den katholischen Glauben aus-
ber an Yoga, Demeter-Le- Pharisäer und Schriftgelehrten, macht: eine Glaubensgemeinschaft der
bensmittel und Bitcoins als und mit denen haben wir heute Nächstenliebe. Oder wie Mariana
an Gott. auch die meisten Probleme.“ Kern-Vidal findet: „Christus hat gesagt:
Fährt man aber durch ‚Mein Reich ist nicht von dieser Welt.‘
Oberbayern, ist an jedes Sie sollte keine weltlichen Probleme lö-
zweite Haus eine Maria ge- sen wollen, sondern sich um die Seelen
malt. In Franken stehen so- der Menschen kümmern.“
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D
13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG
er türkische Präsi-
dent konnte es
kaum fassen, als die
Opposition vor drei
Jahren das Amt des
Bürgermeisters in
Istanbul gewann. Er
ließ die Wahl wiederholen. Aber der
Vorsprung seines Gegners Ekrem Ima-
moglu, der seither die größte Stadt des
Landes regiert, wuchs weiter. Hinter
dem Erfolg steht eine Frau: Canan Kaf-
tancioglu. Sie ist eine treibende Kraft
der Kampagne der kemalistischen Par-
tei CHP für die Wahlen im Jahr 2023.
Machthaber Recep Tayyip Erdogan, der
mit schlechten Umfragewerten kämpft,
nannte sie „Terroristin“. Zum Interview
empfängt Kaftancioglu in Lederjacke in
der Istanbuler Parteizentrale.
VON CAROLINA DRÜTEN
AUS ISTANBUL
WELT AM SONNTAG: Die Türkei
steckt mitten in einer Währungskrise,
der öffentliche Unmut wächst. Hat
das Ende der Ära Erdogan begonnen?
CANAN KAFTANCIOGLU: Erdogan wird
mit der nächsten Wahl weg sein. Aber
auch wenn er verliert, bleibt das Haupt-
problem der Wiederaufbau einer voll-
ständigen Demokratie in der Türkei. Die
türkische Demokratie ist völlig zerris-
sen. Es geht darum, einen Rechtsstaat
und ein starkes Parlament aufzubauen.
Ihre CHP und die nationalistische
Partei IYI haben ein Wahlbündnis ge-
schlossen. Wie können Sie sich denn
so sicher sein, gegen Erdogan zu ge-
winnen?
Die Menschen haben ihr Vertrauen in
Erdogan verloren. Wenn ich mit den
Menschen auf der Straße spreche, sehe
ich, dass ein Wandel möglich ist. Erdo-
gans Partei, die AKP, regiert das Land
nicht, sondern hat alle Institutionen des
Staates ausgehöhlt. Sie konzentriert
sich nur auf ihre eigene politische Zu-
kunft. Die Menschen wissen das, und
das wird uns zum Erfolg führen.
Erdogan hat schon mehrmals das Ru-
der herumgerissen, als seine politi-
schen Gegner ihn bereits abgeschrie-
ben hatten. Warum sollte es dieses
Mal anders sein?
Sein Spiel ist aus. Vor den Kommunal-
wahlen haben die Leute auch gesagt,
dass Erdogans AKP gewinnen würde.
Und wenn nicht, würde man der CHP
die Kommunen nicht überlassen, hieß
es. Wir haben das Gegenteil bewiesen.
In Istanbul regiert seit 2019 der oppo-
sitionelle Politiker Ekrem Imamoglu,
an dessen Sieg Sie entscheidenden
Anteil hatten. Auch die Hauptstadt
Ankara hat Ihre Partei bereits gewin-
nen können.
Die AKP hat den Kontakt zu den Men-
schen verloren. Erdogan hat keine Strate-
gie, er konzentriert sich nur noch darauf,
irgendwie durchzukommen. Er hat seine
Wähler hinter sich vereint, indem er die
Gesellschaft gespalten hat. Aber nach 20
Jahren haben die Menschen begriffen,
dass er seine Versprechen nicht eingelöst
hat. Sie wollen sich nicht gegenseitig be-
kämpfen. Sie wollen als Brüder und
Schwestern zusammenleben. Das und die
Wirtschaftskrise, in der wir uns befinden,
sind Anzeichen dafür, dass Erdogan und
seine Partei verschwinden werden.
Die Türkei ist das weltgrößte Aufnah-
meland für Flüchtlinge. Ihre Partei
steht wegen flüchtlingsfeindlicher Rhe-
torik in der Kritik. Der Parteivorsitzen-
de Kemal Kilicdaroglu hat angekündigt,
alle Syrer innerhalb von zwei Jahren
nach Syrien abzuschieben, sollte er ge-
wählt werden. Was sagen Sie dazu?
Wir müssen uns die gesamte Rede unse-
res Vorsitzenden ansehen. Er sagte, dass
die Syrer das Land nicht zwangsweise
S Sprachlos
ie halten sich den Mund zu und
blicken stumm in die Kamera.
Angehörige der deutschen Min-
derheit in Polen protestieren dagegen,
dass der Staat ihnen Geld für ihren
Sprachunterricht gestrichen hat. Ihre
Fotos teilen sie in sozialen Netzwerken.
VON PHILIPP FRITZ
AUS WARSCHAU
Sie beziehen sich auf eine Entschei-
dung, die das polnische Parlament vor
einigen Wochen getroffen hat: im Zuge
der Abstimmung über den laufenden
Haushalt hat es die finanziellen Mittel
für den Sprachunterricht nationaler
Minderheiten zurückgefahren. Aner-
kannte Minderheiten sind neben Deut-
schen auch Slowaken oder Kaschuben,
eine slawische Volksgruppe, deren An-
gehörige vor allem in Pommern leben.
Tatsächlich sind jedoch – das wird jetzt
erst klar – nur die Deutschen von den
NR. 7
Die Istanbuler Politikerin Canan
Kaftancioglu lässt sich von den
Drohungen der Regierung nicht
einschüchtern
„Erdogans Spiel ist aus“
Die Wirtschaftskrise in der Türkei setzt den Machthaber unter Druck. Seine Gegenspielerin
Canan Kaftancioglu würde der Präsident gerne ins Gefängnis bringen. Sie glaubt an einen
Sieg ihrer vereinten Opposition – mit Folgen für die Flüchtlingspolitik
verlassen werden, sondern dass sie von
sich aus in ihr Land zurückkehren wer-
den, wenn die Probleme in Syrien gelöst
sind. Langfristige strategische Refor-
men können zum Frieden im Nahen Os-
ten beitragen, und die Türkei kann ein
entscheidender Faktor sein.
Es wird also niemand nach Syrien ab-
geschoben, der nicht will?
Wie ich bereits sagte, würden wir nie-
manden zwingen, irgendwohin zurück-
zugehen. Als jemand, der im Bereich der
Migration und der Menschenrechte gear-
beitet hat, halte ich es nicht für angemes-
sen, Probleme von Flüchtlingen für poli-
tische Zwecke zu nutzen. Das gilt auch
für die Bezahlung von Transitländern.
Sie meinen das Flüchtlingsabkom-
men zwischen Brüssel und Ankara.
Die EU bezahlt der Türkei Milliarden,
damit sie die Flüchtlinge versorgt.
Bei den Verhandlungen zwischen der
Türkei und der EU geht es nur darum,
Flüchtlinge an der Weiterreise nach Eu-
ropa zu hindern. Wir müssen die Rechte
der Flüchtlinge in einem internationa-
len diplomatischen Rahmen evaluieren.
Das gilt nicht nur für Syrer, sondern für
alle Flüchtlinge weltweit.
Heißt das, Sie wollen den Flüchtlings-
deal zwischen der Türkei und der EU
aufkündigen?
Anstatt bestehende Abkommen zu be-
enden, ist es mir wichtig, dass interna-
tionale Verhandlungen und Abkommen
über Asylsuchende mehrdimensional
sein sollten. Die allgemeinen Menschen-
rechte sollten im Mittelpunkt der Ge-
spräche und Vereinbarungen stehen. Die
Asylfrage ist kein einfaches Thema, das
in Polen
Warschau streicht
Mittel für den
Sprachunterricht der
deutschen Minderheit
im Land. Der Schritt
reiht sich ein in eine
Kampagne gegen die
Bundesrepublik
POLITIK 7
NACHRICHTEN
KANADA
USA fordern Ende
der Trucker-Proteste
Die USA haben die kanadische Re-
gierung aufgefordert, die Grenz-
blockade der gegen Corona-Vor-
schriften protestierenden Lkw-
Fahrer zu beenden. Seit vier Tagen
haben Trucker die Ambassador Brid-
ge blockiert, die Detroit mit dem
kanadischen Windsor verbindet. In
Autofabriken sowohl in den USA als
auch in Kanada ist die Produktion
verlangsamt oder gestoppt worden.
Über die Brücke zwischen Kanada
und den USA rollen 25 Prozent des
gesamten Handels. Die „Freedom
Convoy“ genannten Protestaktion
richtet sich gegen eine Impfpflicht
und andere Restriktionen. afp
GROSSBRITANNIEN
Polizeichefin Dick
AFP/ GETTY IMAGES; MURAT BAY
tritt zurück
Die Chefin der Londoner Polizei hat
nach einer Serie von Skandalen
ihren Rücktritt erklärt. Cressida
Dick, 61, sagte, sie habe „keine ande-
re Wahl als zurückzutreten“. Der
Ruf der Londoner Polizei war von
einer Serie von Skandalen wegen
Rassismus, Sexismus, Frauenfeind-
lichkeit und der Ermordung einer
jungen Frau durch einen Polizisten
erschüttert worden. Kritisiert wurde
sie auch wegen spät eingeleiteter
Ermittlungen zu den Lockdown-
Partys im Regierungsviertel. Der
Polizist, der eine junge Frau fest-
genommen, vergewaltigt und getötet
hatte, wurde inzwischen zu lebens-
langer Haft verurteilt. DPA
NIEDERLANDE
Lockerung vieler
auf wirtschaftliche Parameter reduziert und der AKP-Regierung zu tun. Ich bin
werden kann. Das möchte ich betonen. jetzt zwei Tage lang nicht in unserer re-
gionalen Parteizentrale gewesen. Als ich Regeln gegen Corona
Bei den Kommunalwahlen vor drei heute ankam, fand ich Schreiben vor, in
Jahren verzichtete die prokurdische denen mitgeteilt wird, dass zwei Verfah- Die Niederlande wollen zum 18. Fe-
HDP zum Teil auf eigene Kandidaten, ren gegen mich eröffnet worden sind. bruar die meisten Corona-Maß-
unterstützte so indirekt Ihren CHP- nahmen aufheben. Stadien, Theater,
Kandidaten. Die geeinte Front führte Neue Klagen? Kinos und Gaststätten sollen dann
zum Erfolg. Planen Sie dieses Mal ei- Ja. Fast jeden Tag gibt es eine neue. Heu- wieder fast uneingeschränkt für
ne Zusammenarbeit? te muss ich auch wegen eines anderen Besucher freigegeben werden. Das
Ich möchte darauf hinweisen, dass die Verfahrens vor Gericht erscheinen. kündigte Gesundheitsminister Ernst
HDP nicht im Bündnis mit uns, der Re- Kuipers in einem Brief an das Par-
publikanischen Volkspartei, ist. Indem Machen Sie sich Sorgen? lament in Den Haag an. Gaststätten
die HDP auf Kandidaten verzichtete, Nein. Ich würde mir Sorgen machen, sollen demnach wieder bis 1.00 Uhr
unterstützten ihre Wähler die CHP. Der wenn ich schuldig wäre. Wir dürfen uns öffnen dürfen statt wie bisher nur
Kampf ist zwischen jenen, die für die nicht in die Enge treiben lassen und bis 22.00 Uhr. Eine endgültige Ent-
Demokratie sind, und jenen, die dage- schweigen, wir müssen unsere Stimme scheidung soll am Dienstag fallen.
gen sind. Diejenigen, die für Freiheit Ihre Gegner diffamieren Canan erheben und die Wahrheit sagen. Dieje- Die Infektionszahlen sind zwar nach
und Demokratie kämpfen wollen, kön- Kaftancioglu als Bösewicht Joker nigen, die das Land an diesen Punkt ge- wie vor hoch, doch steigen die Pa-
nen das gemeinsam mit uns tun. bracht haben, sollten Angst haben. tientenzahlen in Krankenhäusern
nur langsam. dpa
Erdogan kriminalisiert die prokurdi- Die Karikatur auf dem Schrank, was
sche HDP und jene, die mit ihr zusam- hat es damit auf sich?
menarbeiten. Er wirft ihnen vor, kur- Canan Kaftancioglu Eine regierungsnahe Karikaturzeit- BURKINA FASO
Istanbuler CHP-Chefin Schlag gegen
dische Terrorgruppen zu unterstüt- schrift dachte, sie könne mich beleidi-
zen. Haben Sie Sorge, dass Sie das gen, indem Sie mich als Joker aus dem
Sympathien kosten könnte? Als einflussreiche Unterstützerin Film darstellt. Dschihadisten
Die HDP ist demokratisch gewählt und des Istanbuler Bürgermeisters
im Parlament vertreten. Es ist keine Ekrem Imamoglu (CHP) geriet Das sollen Sie sein? In Westafrika stationierte französi-
Überraschung, dass Erdogan sie krimi- die dortige Parteichefin Kaftan- Ja. Aber die wissen nicht, welche Philo- sche Soldaten haben zehn mutmaß-
nalisiert. Die AKP-Regierung erklärt je- cioglu in die Schusslinie der Re- sophie hinter dem Joker steckt. Sie ha- liche Dschihadisten getötet, die an
den zum Terroristen, der nicht so denkt gierung. Ein Gericht verurteilte ben es vermasselt, und ich hatte meinen einem Massaker an Polizisten in
wie sie und der sich ihr widersetzt. Das sie 2020 zu fast zehn Jahren Spaß daran. Ich habe mich über die so- Burkina Faso im November beteiligt
gilt auch für diejenigen, die Kartoffeln Haft; das Berufungsverfahren zialen Medien für die Karikatur bedankt. gewesen sein sollen. Wie die franzö-
und Zwiebeln auf dem Markt verkaufen. läuft. Kaftancioglu ist promo- sische Armee mitteilte, gehörten sie
vierte Medizinerin. In den Welche Philosophie steckt denn für der Gruppierung Ansarul Islam an,
Auch Sie sind zur Zielscheibe gewor- 90er-Jahren untersuchte sie in Sie hinter dem Joker? die im Norden von Burkina Faso
den. Erdogan bezeichnete Sie als ihrer Dissertation damals ver- Der Joker ist eine Figur, die gesellschaft- „zahlreiche Anschläge auf Zivilisten“
„Terroristin“ und will Sie ins Gefäng- breitete Folterfälle in der Türkei. lich ausgegrenzt ist; die gezwungen ist, verübt habe. Im November hatten in
nis stecken. böse zu sein. Trotzdem trägt er das Gute der Region Inata im Norden des
Seit dem Tag, an dem ich zur Parteivor- in sich. Die Leute denken, dass er böse Landes Hunderte Männer eine Poli-
sitzenden von Istanbul gewählt wurde, ist. Der Joker ist allein, aber das System zeiwache attackiert. 57 Menschen
habe ich mit Klagen seitens Erdogans hat ihn verdorben. wurden getötet. afp
Kürzungen betroffen. Als die schlechten leute, die in Warschau arbeiten oder schen Deutschland und Polen herstel- Es trifft zu, dass Polnisch als Fremd-
Nachrichten erste Gemeinden er- Gaststudenten. Es geht um die Nach- len. Kowalski wettert oft und gerne ge- sprache an deutschen Schulen bei Wei-
reichten, bestätigte Bildungsminister fahren derer, die nach der sogenannten gen Deutschland und gilt als Initiator tem nicht so oft angeboten wird wie
Przemyslaw Czarnek das freimütig und Westverschiebung in ihren Städten blie- der Kürzungen. Er rechtfertigt sein Vor- Deutsch an Schulen in Polen. Obwohl
erließ nun eine entsprechende Verord-
nung „ausschließlich“ für Deutsche.
Der drastische Schritt belastet das
angespannte deutsch-polnische Ver-
ben. Damals, nach Ende des Zweiten
Weltkriegs, fielen Teile Ostpolens an
Stalin. Auch deutsche Familien, die seit
Jahrhunderten in Polen leben, gehören
gehen, indem er behauptet, dass Polen
in Deutschland systematisch diskrimi-
niert werden, weil die polnische Spra-
che von der Bundesregierung nicht ge-
mindestens 780.000 Menschen in
Deutschland einen polnischen Migrati-
onshintergrund haben. „Natürlich wer-
den in Deutschland Polnischunterricht
hältnis zusätzlich. Bernd Fabritius, Be- dazu. Eigentlich steht ihren Kindern fördert werde. Er will, dass Polen in oder Kulturarbeit unterstützt und ge-
auftragter der Bundesregierung für dreimal pro Woche Deutschunterricht Deutschland als nationale Minderheit fördert“, sagt der SPD-Abgeordnete
Aussiedlerfragen, spricht in einer Stel- zu. Mit der Kürzung von umgerechnet anerkannt werden, so wie die Dänen in Nietan. Allerdings ist Schulpolitik Län-
lungnahme von einem „falschen politi- zehn Millionen Euro pro Jahr wird es Schleswig-Holstein. dersache und wird nicht zentral aus
schen Signal“ und „gravierenden wohl nur noch eine Stunde pro Woche „In Wahrheit geht es nicht um die Berlin gesteuert. Die Lage in den Bun-
Falschannahmen“ auf polnischer Seite. sein, in vielen Fällen dürfte der Unter- deutsche Minderheit, sondern um desländern ist unterschiedlich, aber al-
Dietmar Nietan, SPD-Abgeordneter
und Vorsitzender der Deutsch-Polni-
richt komplett eingestellt werden.
Die Entscheidung der Regierung
Deutschland“, sagt Rudolf Urban, Chef-
redakteur vom „Wochenblatt“, einer
lein in Nordrhein-Westfalen erhalten
aktuell mehr als 5000 Schüler „her-
schen Gesellschaft, sagt WELT AM reiht sich in eine deutschenfeindliche Online-Zeitung der deutschen Minder- kunftssprachlichen“ Unterricht.
SONNTAG: „Das Regierungslager in Kampagne ein. Darunter Plakate, die heit, zu WELT AM SONNTAG. Gegen Für Nietan von der deutsch-polni-
Polen tut sich mit diesem Schritt kei- Bundespräsident Frank-Walter Stein- Deutschland werde auf diese Art Stim- schen Gesellschft ist die Sache klar:
nen gefallen. Es isoliert das Land in Eu- meier und andere Politiker in einer Rei- mung gemacht, ohne zwischen „Die polnische Regierung nimmt für ih-
ropa immer weiter.“ he mit Hitler und Goebbels zeigen. Das Deutschland und der Minderheit in Po- ren innerpolnischen Kulturkampf pol-
Geschätzt 150.000 Angehörige zählt
die deutsche Minderheit in Polen. Ge-
Regierungslager möchte, so Janusz Ko-
walski, Mitglied der Fraktion der Regie-
len zu unterscheiden. „Hier wird ein
Konflikt auf unserem Rücken ausgetra-
nische Staatsbürger deutscher Abstam-
mung in Geiselhaft, nur weil diese der
meint sind damit nicht etwa Geschäfts- rungspartei PiS, eine „Symmetrie“ zwi- gen“, so Urban. Das sei traurig. deutschen Minderheit angehören.“
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8 POLITIK
BRIEF AUS
HONGKONG
VON GLACIER KWONG
Pekings Plan
geht nicht auf
Laut Murphys Gesetz wird alles, was
schiefgehen kann, auch schiefgehen.
Das hat sich jetzt bei den Olympi-
schen Winterspielen bewahrheitet.
Die Spiele, die eigentlich eine riesige
Propagandashow für China sein soll-
ten, laufen komplett schief.
Schon vor Beginn hatten neun Na-
tionen einen diplomatischen Boy-
kott angekündigt – aufgrund von Be-
denken hinsichtlich der Menschen-
rechtsverletzungen. In letzter Minu-
te hat dann auch Indien einen Boy-
kott verkündet, weil China einen sei-
ner Soldaten als Fackelträger aus-
wählte, der zuvor an der Grenze zwi-
schen China und Indien verletzt
wurde. Dadurch hat China den Spie-
len nicht nur eine politische Dimen-
sion gegeben – in Widerspruch zu
den üblichen Argumenten des Inter-
nationalen Olympischen Komitees
gegen einen Boykott –, sondern auch
ein anderes Land beleidigt und sich
damit selbst blamiert.
Der Umgang mit den Uiguren ist
ein wunder Punkt für Peking. Das
Regime will nicht, dass Medien
Zwangsarbeit, Umerziehungslager
und Zwangssterilisationen anspre-
chen. Doch Peking hat eine geniale
Entscheidung getroffen, um auch
wirklich alle an das Problem zu erin-
nern: Es ernannte Dinigeer Yilamuji-
ang, eine uigurische Skilangläuferin,
zur Fackelträgerin. Das sollte wohl
ein Zeichen der Normalität senden,
hat aber jede Menge Aufmerksam-
keit auf die wahre Situation der Ui-
guren gelenkt.
Außerdem hatte die Eröffnungs-
feier dieser Winterspiele in Peking
vielerorts die schlechtesten Ein-
schaltquoten aller Zeiten. Dazu kom-
men Beschwerden der Sportler.
Schwedische Athleten äußerten Si-
cherheitsbedenken, weil der starke
Wind zu extrem niedrigen Tempera-
turen auf der Piste führt. Die deut-
schen Sportler beklagten sich über
das Essen, die finnischen über den
mentalen Stress in der Quarantäne.
Noch ein Versagen Pekings, das we-
nig Gastfreundschaft zeigt und nicht
mal dafür sorgt, dass sich die Teil-
nehmenden sicher fühlen.
In einem weiteren Versuch der
Schönfärberei lud Peking die Medien
zu einem Interview mit Peng Shuai
ein – der Tennisspielerin, die An-
schuldigungen gegen hochrangige
Parteifunktionäre wegen sexuellen
Missbrauchs erhoben hatte. In dem
Gespräch dementierte Peng, miss-
braucht worden zu sein. Doch das
Interview ließ bloß weitere Zweifel
aufkommen, ob sie tatsächlich offen
sprechen darf. Im Raum befanden
sich zwei Männer – angeblich Beam-
te aus Peking –, die zufällig in der Re-
flexion eines Spiegels zu sehen wa-
ren und das Interview zu überwa-
chen schienen.
Auch Pekings Athleten entgehen
Murphys Gesetz nicht. Seit Tagen
wird Beverly Zhu – eine Eiskunstläu-
ferin, die in den USA geboren und
aufgewachsen ist, aber unter dem
Namen Zhu Yi für China antritt –
von chinesischen Internetnutzern
mit Häme überschüttet. Dass Athle-
ten die Nationalität wechseln, um
ein anderes Land zu vertreten,
kommt häufig vor. Doch als Zhu
während ihres Kurzprogramms
stürzte, erhielt sie aus China keine
Unterstützung, sondern beleidigen-
de Kritik. Chinesische Athleten ste-
hen oft unter extremem Medaillen-
druck. Wenn sie scheitern, werden
sie fallen gelassen und müssen zuse-
hen, wovon sie leben. Eingebürgerte
Athleten wie Zhu werden noch här-
ter angegangen. Zhus Fall steht in
krassem Gegensatz zu dem Sturz
von Ski-Freestylerin Eileen Gu. Sie
hat einen ähnlichen Hintergrund,
wurde jedoch nicht wegen ihrer Ein-
bürgerung kritisiert. Weil sie eine
Medaille für China geholt hat.
Kurz gesagt: Die Winterspiele len-
ken lediglich die Aufmerksamkeit auf
Pekings Verbrechen gegen die
Menschlichkeit.
Glacier Kwong schreibt diese
Kolumne im Wechsel mit Joshua
Wong. Die beiden jungen Aktivisten
aus Hongkong kämpfen gegen den
wachsenden Einfluss Chinas in
ihrer Heimat. Da Wong derzeit
inhaftiert ist, setzt Kwong diese
Kolumne einstweilen allein fort.
B
ereits heute ist
China eine weit-
gehend bargeldlo-
se Gesellschaft,
gezahlt wird fast
ausnahmslos per
Smartphone.
Aber die größten Zahldienstleister
des Landes sind private Unterneh-
men. Für die autoritäre Volksrepu-
blik ist das ein Problem, weil sie zu-
mindest nicht vollen Zugriff auf die
Daten hat. Am liebsten wäre der Re-
gierung, wenn die Bürger ihre Fi-
nanzen in einer rein staatlichen
App regelten – damit der Apparat
mitlesen kann. Seit einiger Zeit ar-
beitet sie daher mit Nachdruck am
digitalen Yuan, einer virtuellen Ver-
sion der Landeswährung.
VON MAXIMILIAN KALKHOF
Dieser digitale Yuan, kurz
e-CNY, wird bereits seit zwei Jah-
ren in einigen Städten Chinas ge-
testet. Inzwischen steht das Land
kurz davor, ihn in der Fläche einzu-
führen. Ziel ist vordergründig, im
Wettlauf um eine staatliche Digital-
währung schneller als die USA und
Europa zu sein. Die Olympischen
Winterspiele, gewöhnlich ein Fest
mit Besuchern aus aller Welt,
wären der passende Startschuss
gewesen.
TESTLAUF IM
OLYMPISCHEN DORF
Doch die Bühne der Winterspiele
fällt dieses Jahr klein aus. Grund ist
die chinesische Null-Covid-Politik.
Ausländische Zuschauer sind nicht
zugelassen. Nicht einmal Chinesen
kommen an Eintrittskarten. Nur ei-
nige eingeladene Gäste sitzen wäh-
rend der Wettkämpfe auf den Zu-
schauerrängen. Trotzdem wird be-
reits mit dem e-CNY gezahlt. Im
Olympischen Dorf ist er neben Kar-
tenzahlung und Bargeld eine der ak-
zeptierten Währungen. Viele der
Athleten und Trainer aus aller Welt
D
ie Italiener haben ein wider-
sprüchliches Verhältnis zur EU.
Zwischen Zustimmung und Ab-
lehnung wechselten sie schnell und häu-
fig in den vergangenen Jahren. Dabei ist
die Meinung der Bürger der drittgrößte
Wirtschaftsmacht Europas von großer
Bedeutung für den inneren Zusammen-
halt der Union. Derzeit ist ein Zehnjah-
reshoch erreicht: 49 Prozent geben laut
Eurobarometer an, der Europäischen
Kommission zu vertrauen. WELT AM
SONNTAG liegt eine exklusive Auswer-
tung der Daten als Zahlenreihe vor. Sie
hilft, diesen Hochstand einzuordnen.
Demnach spielen die EU-Milliarden des
Corona-Wiederaufbauprogramms „Next
Generation EU“ eine entscheidende Rol-
le für die Stimmung. Doch wie nachhal-
tig ist diese Entwicklung?
VON VIRGINIA KIRST
AUS ROM
Die Italiener waren im Vergleich zu
anderen EU-Länder mit großem Ver-
trauen ins neue Jahrhundert gestartet.
Im Jahr 2003 lag die Zustimmung zur EU
bei 57 Prozent. Das waren 16 Prozent-
punkte mehr als im EU-Schnitt und 22
Prozentpunkte mehr als in Deutschland.
Nach einem leichten Rückgang schnell-
ten die Werte wieder auf diese Höhe, als
die EU anfing, die Roaming-Gebühren
für Handys zu senken.
Der erste große Einbruch kam wäh-
rend der Euro-Schuldenkrise: Die Brüs-
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022
NIE
zahlen bereits jetzt mit aufladbaren sern. Die Durchsetzung von Recht Das versetzt Menschenrechtsor-
Armbändern. sei zuvor für die chinesischen Be- ganisationen in Panik. In einem Be-
Die Anfänge des digitalen Yuan hörden ein Problem gewesen. Ein richt schreibt die Organisation Hu-
lassen erahnen, was die Volksrepu- Unternehmer, der eine Straftat ver- man Rights Watch (HRW) über das
blik wirklich vorhat. Während auch übte, habe sich einfach in eine an- Sozialkreditsystem: „Die chinesi-
wieder
die USA und Europa an digitalen dere Provinz absetzen können, um sche Regierung baut im ganzen
Formen ihrer Währungen arbeiten, einer Bestrafung zu entgehen. Zu- Land Systeme zur Überwachung
ist der Schutz der Bürger vor staat-
licher Überwachung ein wichtiges
Thema. Sollten Brüssel und
dem sei das Sozialkreditsystem
kein Punktesystem. Zwar gebe es
neben schwarzen Listen auch rote
und Verhaltenskontrolle auf.“ Zwar
seien politische Kriterien vorerst
nicht enthalten, aber es sei ein
Washington ihn nicht garantieren Listen, die mit Belohnungen Leichtes, sie später hinzuzufügen.
allein
können, ist mit massivem Wider- locken. „Aber es werden in der Re- Die Menschenrechtsaktivisten von
stand der Gesellschaft zu rechnen. gel keine Noten für individuelles HRW kritisieren, dass die Volksre-
Anders in China. Hier fügt sich der Verhalten erstellt“, sagt Brussee. publik damit den Überwachungs-
digitale Yuan in ein bestehendes In der Praxis sind aber bereits staat exportierbar macht. Ihre er-
Überwachungssystem ein, das für jetzt viele Privatpersonen Chinas schwinglichen Soft- und Hardware-
Schrecken sorgt. von der Überwachung betroffen. Pakete seien für Regierungen ande-
Der digitale Yuan könnte mit Nach Merics-Recherchen machen rer Länder attraktiv, die das chine-
China überwacht seine
dem chinesischen Sozialkredit- individuelle Personen ein bis zwei sische Unterdrückungsmodell
system verschmelzen, einem Über- Prozent der Einträge in schwarzen nachahmen wollten. So gesehen ist
Bürger. Doch Kameras sind
wachungssystem, das mit Strafen Listen aus. Das mag wenig klingen. das Sozialkreditsystem nur ein Räd-
und Belohnungen arbeitet und im Bei einer Gesamtbevölkerung von chen in einer großen Überwa-
nur Teil eines Systems, dessen
Westen als orwellscher Albtraum 1,4 Milliarden Menschen in China chungsmaschine, die bisher aus
gesehen wird. „Es ist durchaus sind damit aber bis zu 28 Millionen schwarzen Listen und zahlreichen
denkbar, dass man auf einer
schwarzen Liste landet, wenn man
nächste Stufe bevorsteht. Menschen von Strafen betroffen –
eines Systems, das offiziell nur Un-
Überwachungskameras mit Ge-
sichtserkennung im öffentlichen
als chinesischer Bürger eine Trans- Über eine digitale Währung ternehmen ins Visier nimmt. Raum besteht. Die Einführung der
plant das autoritäre Regime
aktion mit dem digitalen Yuan tä- Das Sozialkreditsystem ist also virtuellen Währung könnte nun die
tigt, die politisch nicht erwünscht ein Überbegriff für eine Sammlung noch fehlenden, flächendeckenden
flächendeckende Kontrolle
ist“, sagt Vincent Brussee, Experte vieler staatlicher Systeme. Diese Einblicke bringen.
am Berliner Thinktank Merics, zu Fragmentierung ermöglicht es zum
WELT AM SONNTAG. Beispiel lokalen Behörden, Möglich- EMPFEHLUNG GEGEN
Zunächst will Brussee aber einige keiten der Überwachung zu eigenen GELBWESTEN
Missverständnisse klären. Im Sep- Vorstellungen einzusetzen. Brussee Ob das Sozialkreditsystem nun vor
tember hat der China-Forscher im hat einen solchen Fall recherchiert: allem Individuen oder Unterneh-
renommierten US-Magazin So setzte die südwestchinesische men ins Visier nimmt, ändert wenig
„Foreign Policy“ einen Artikel ver- Stadt Anqing während der ersten an der großen Linie. Wie umfassend
öffentlicht. Das System habe als Corona-Welle einen Bürger auf eine der repressive Ansatz der Kommu-
Symbol für Chinas rücksichtslose schwarze Liste, nachdem dieser nistischen Partei ist, zeigen Äuße-
Überwachungsfantasien weltweit laut Behörden mit dem Auto eine rungen des chinesischen Soziologen
für Schlagzeilen gesorgt, heißt es Straßensperre durchfahren hatte Lin Junyue, der als einer der Erfin-
darin. Aber wie es genau funktio- und dabei beobachtet wurde. Beim der des Sozialkreditsystems gilt.
niert, ist der Weltöffentlichkeit Durchfahren sei ein Fahnenmast Dem Fernsehsender Arte sagte Lin,
demnach eher unbekannt. der Kommunistischen Partei verbo- diese Form der Bewertung sei das
„Entgegen der landläufigen Mei- gen worden. Materialkosten: 20 Yu- beste Mittel, um eine Gesellschaft
nung, richtet sich das Sozialkredit- an, knappe drei Euro. Umso höher effizient zu führen. Er hoffe sehr,
system hauptsächlich an Unterneh- fällt die Strafe aus. dass auch ein kapitalistisches Land
men und nicht an Einzelpersonen“, Eine Überwa- Ein Eintrag in einer schwarzen dieses System übernehme. An ein
sagt Brussee. Es sei ursprünglich chungskamera an Liste ist mit drakonischen Ein- Land dachte der Soziologe im Inter-
geschaffen worden, um den Daten- einer Badestelle in schränkungen verbunden. Diese ge- view besonders: an Frankreich. Mit
austausch zwischen chinesischen der chinesischen hen so weit, dass man keine Tickets Chinas Sozialkreditsystem, so sagte
Provinzen zu fördern und die Ein- Stadt Wuhan mehr für Züge oder Flugzeuge kauf- Lin, hätte es die Proteste der Gelb-
haltung von Gesetzen zu verbes- en darf. westen nie gegeben.
YAN CONG/BLOOMBERG
Plötzlich Fans
seler Finanzpolitik wurde in Italien als erstem EU-Land ausbrach, Bilder der
Spardiktat wahrgenommen. Dieses Ge- mit Särgen gefüllten Militärtransporter
fühl wussten Politiker zu verstärken, in- um die Welt gingen, ließ die Europäische
dem sie die EU als Sündenbock anpran- Union Italien allein. Deutschland unter-
von Europa
gerten. Populistische Parteien wurden sagte den Export medizinischer Ausrüs-
gegründet und wanderten von außerhalb tung. Das Ergebnis: Im Sommer 2020
in die Mitte des Parlaments. setzten nur noch 28 Prozent der Italie-
Da war die Anti-Euro-Kampagne der ner ihr Vertrauen in Brüssel. In Deutsch-
Fünf-Sterne-Bewegung: Ein Werbevideo land waren es 43 Prozent.
In kaum einem EU-Land schwankt die
erinnerte an die vermeintlich gute Zeit Dann die Kehrtwende: Die Lage beru-
einer starken Lira und forderte auf, sich higte sich, die EU-Länder beschlossen
Zustimmung zu Brüssel so wie in Italien. von den Fesseln der EU zu befreien und
die Währungsunion zu verlassen. Zwar
den Wiederaufbaufonds „Next Generati-
on EU“. Italien erhält davon den absolut
Die aktuell gute Stimmung liegt auch am üppigen nahm auch in Deutschland das EU-Ver- größten Anteil: 209 Milliarden Euro.
Corona-Geld. Wie nachhaltig ist dieser Trend?
trauen während der Euro-Krise ab, doch Dieses Geld, Überweisungen und Kredi-
fiel es nie unter 30 Prozent, während es te, fließt insbesondere nach Italien, weil
in Italien den historischen Tiefstand von es zum Zeitpunkt des Beschlusses das
22 Prozent erreichte. Land war, das am stärksten unter Coro-
Anschließend erholte sich das Ver- na litt. Ein Teil ist wohl auch Wiedergut-
Vertrauen in die EU trauen, bis zur nächsten Krise: Diesmal machung für die unterlassene Hilfe zu
Angaben in Prozent
Sommer 2020: war es der mangelnde Zusammenhalt Beginn. Sicher ist: Diese Geld gewordene
Schaffung des Corona- während der Flüchtlingskrise ab 2015. Solidarität nimmt den EU-Kritikern der-
Wiederaufbaufonds
60 Auch in Deutschland hatte die negative zeit ihre Argumente. Chancen, die die
Italien Auswirkungen, nachhaltiger aber war EU-Milliarden für das Land eröffnen, do-
50 Deutschland der Vertrauensverlust in Italien. Das minieren die öffentliche Debatte. Mit
Hauptankunftsland (unter anderem mit Mario Draghi ist zudem ein Brüssel-na-
40 der Insel Lampedusa) klagte über feh- her Politiker Regierungschef.
lende Solidarität bei der Aufteilung der In keinem anderen Land haben im
Migranten innerhalb der EU. Für den Vergleich zum Vorjahr mehr Menschen
30
rechten Innenminister Matteo Salvini ihre Meinung geändert, ob es nützlich
war es einfach, mit EU-Kritik zu punk- ist, der EU anzugehören, als in Italien.
ten. Seine Kampagne der „geschlossenen Das geäußerte Vertrauen ist um elf Pro-
Frühjahr 2007: Frühjahr 2010: Herbst 2015: Herbst 2019: Häfen“ machte weltweit Schlagzeilen. zentpunkte angestiegen. Aber der Rück-
EU schafft Roaming- Beginn der Euro- Verschärfung der Kurz vor Von Salvinis Ende als Minister im Sep- blick zeigt, dass diese Zustimmung fragil
Gebühren ab Schuldenkrise EU-Flüchtlingskrise Corona-Krise tember 2019 bis zum Ausbruch der Coro- ist: Ohne Solidarität – auch in Form fi-
Herbst 2003 Frühjahr 2021 na-Pandemie verging kein halbes Jahr. nanzieller Unterstützung – könnte sich
Quelle: Eurobarometer Als Anfang 2020 Corona in Italien als das schnell wieder ändern.
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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG NR. 7 POLITIK 9

Viktor Orbán – Superstar

der Republikaner
US-Konservative feiern Ungarns Premierminister.
Der wiederum hofft auf Wahlhilfe aus Amerika

W
er am Fortbestehen der
westlichen Zivilisation inte-
ressiert sei, müsse nach Un-
garn schauen. Hier kümmere sich die
Regierung noch um die Menschen – be-
schütze sie, ermutige sie zum Heiraten
und zum Kinderkriegen. So schwärmte
Tucker Carlson seinem amerikani-
schen Fernsehpublikum vor. Der Mo-
derator des konservativen US-Senders
Fox News und enger Vertrauter des
ehemaligen Präsidenten Donald Trump
übertrug seine Show im Sommer eine
ganze Woche lang live aus Budapest.
Es war die Vorbereitung für eine
weitere Zusammenarbeit zwischen den
politischen Kräften beider Länder. In
Europa lasen es viele als übliche Provo-
kation von Trump, als dieser kürzlich
seine Unterstützung für Viktor Orbán
öffentlich machte. Der Premier habe
„starke und wundervolle Arbeit geleis-
tet, um Ungarn zu schützen“, so
Trump. Deswegen verdiene er, bei der
Parlamentswahl am 3. April in Ungarn
als Regierungschef wiedergewählt zu
werden. Laut „Guardian“ soll ein
ben über die Jahre eine großartige Zä-
higkeit bewiesen, sich der Kontrolle
der Linken zu widersetzen“, sagt der
Vizepräsident der Conservative Politi-
cal Action Conference (CPAC), Daniel
Schneider, zu WELT AM SONNTAG.
„Der Kampf für die Freiheit in Amerika
ist derselbe.“
Orbán trat im Jahr 2010 mit dem
Versprechen an, die christliche Zivilisa-
tion zu retten. Er wurde gewählt und
fährt seither eine strikte Migrations-
und eine erzkonservative Familienpoli-
tik. Bis heute wehrt er sich gegen die
Aufnahme von Migranten. „Orbán pro-
pagiert stets den Verlust der ungari-
schen Kultur durch äußere Einflüsse“,
sagt Ruth Ben-Ghiat, Historikerin der
New York University, sie beobachtet
die Verbindung zwischen Konservati-
ven in den USA und Europa. „Er for-
dert die Frauen auf, ‚ungarische Babys‘
zu bekommen, und meint damit weiße,
christliche Babys.“ Orbán sieht zudem
die ungarische Kultur durch eine „libe-
rale und globale“ Elite bedroht. Auch
die LGBTQ-Community attackiert der

REUTERS/ GO NAKAMURA
Orbán-naher Thinktank Trump offi-
ziell nach Budapest eingeladen haben.
Gegen den Machthaber in Budapest hat
die Opposition inzwischen eine ge-
meinsame Front gebildet, er kann pro-
Abschied oder Rückkehr? Donald Trump neulich bei einem Auftritt vor Anhängern im US-Bundesstaat Texas minente Unterstützung gebrauchen.
Die Verbindung war bereits während
Regierungschef : Seit 2020 heißt es in
der Verfassung, in einer Familie habe
„die Mutter eine Frau und der Vater ein
Mann“ zu sein.
Es sind Themen, mit denen auch die
Republikaner werben. „Ich habe den
Eindruck, dass Orbán und die amerika-

Der Zauderer
seiner Amtszeit als US-Präsident eng.
„Trump wollte die Europäer spalten,
und nichts eignete sich dafür besser, als
ein Enfant terrible wie Viktor Orbán zu
hofieren“, sagt Daniel Freund. Der grü-
ne Europaabgeordnete prangert Kor-
ruption und Rechtsstaatsdefizite in
nischen Konservativen sehr nah beiei-
nanderliegen, wenn es um Familien-
oder Anti-LGBTQ-Politik geht“, sagt
EU-Parlamentarier Freund. „Sie sehen
ihn als jemanden, der ihre eigenen
Träume verwirklicht hat“, sagt auch
Ben-Ghiat. Die Historikerin vermutet

S
Ungarn an. Orbán hat über Jahre die dahinter einen ganz anderen Plan: „Sie

Präsident Joe Biden ist so schwach wie nie. Dennoch zögert Donald Trump, seine erneute
Unabhängigkeit der Justiz untergraben
und die Pressefreiheit eingeschränkt.
Kandidatur fürs Weiße Haus zu verkünden. Was fürchtet er?
Das schreckt konservative US-Politi-
ker offenbar nicht ab. „Die Ungarn ha-
verkaufen den Amerikanern das Modell
Ungarn, um in Wahrheit am Ende auch
einen autokratischen Staat errichten
zu können.“ GREGOR SCHWUNG

o offen spricht Donald
Trump derzeit wohl
nur beim Golfen. Der
Ex-Präsident ist in wei-
ßem Poloshirt und mit
roter Schirmmütze
(„Make America great
again“) in einem Video zu sehen, das in
sozialen Medien kursiert. Aufgenom-
men wurde es in einem seiner Klubs in
Florida. Trump, den Schläger in der
Hand, macht sich bereit. „Jetzt am Ab-
schlag, der 45. Präsident der Vereinigten
Staaten“, kündigt ihn einer seiner Be-
gleiter feierlich an. „Der 45. und 47.“, er-
widert Trump. Seine Mitspieler, im Vi-
deo nur zu hören, bejubeln diesen Satz.
VON DANIEL FRIEDRICH STURM
AUS WASHINGTON
Der 47. Präsident? Spätestens seit sei-
ner Wahlniederlage spekulieren die USA
und die halbe Welt, ob Donald John
Trump es noch einmal wissen will. Ob
der 75-Jährige bei den Wahlen im No-
vember 2024 ein drittes Mal für die Re-
publikaner antreten wird und versucht,
Nachfolger seines Nachfolgers zu wer-
den. Von Joe Biden, dem 46. Präsiden-
ten. Der wirkt zwar derzeit auf der Welt-
bühne recht mächtig als Gegenspieler
von Wladimir Putin in der Ukraine-Kri-
fentlichkeit jedoch vermeidet er jede
Festlegung. Nicht einmal als künftiger
Präsidentschaftskandidat bezeichnet
sich Trump. Er lässt ausdrücklich offen,
ob er eine Nominierung überhaupt an-
strebt. „Wenn ich kandidiere und wenn
ich gewinne …“, so vorsichtig formulier-
te es Trump bei einer Kundgebung vor
zwei Wochen in Texas.
„Wenn“? Solche Konditionalsätze sind
üblicherweise nicht Trumps Sache.
Schon gar nicht, wenn Trump über
Trump redet, also über seine grandiosen
Fähigkeiten, seine vermeintlichen Erfol-
ge. Verbreitet er nicht stets die Mär, dass
er als Geschäftsmann oder Politiker im-
mer gewonnen hat? Sogar, wenn er ver-
loren hat? Noch immer erzählt Trump
die Lüge von der „gestohlenen Wahl“. Es
ist seine Hauptbotschaft. Neben der An-
klage, ein „woker“, „kranker“, „linksradi-
kaler Mainstream“ terrorisiere die USA –
und er sei die einzige Kur dagegen.
TRUMPS NEUES MOTTO
„Make America great again“, tönt
Trump bis heute. Doch sein unausge-
sprochenes Motto lautet: Bloß nicht
festlegen! Damit agiert Trump so wie je-
ne Berufsgruppe, die er doch zu verach-
ten vorgibt. Nämlich „die“ Politiker. Seit
seiner späten Berufung zur Politik hat
sich Trump stets als Mann inszeniert,
ihn für die Inflation verantwortlich. ANZEIGE
Aber anstatt konsequent auf Brot-und-
Butter-Themen zu gehen, mokiert er
sich über die Sprecherin im Repräsen-
tantenhaus, Nancy Pelosi, nennt sie
„krank“ oder „verrückt“. Ein Wahlpro-
gramm, mit dem er das Land mobilisie-
ren kann? Bisher nicht einmal im Ansatz
in Sicht.
Lieber umgarnt Trump bei Kundge-
bungen wie jüngst in Texas seine Fans.
Damit könnte er einer Illusion aufsit-
zen. Er schmeichelt zwar den Überzeug-
ten der Überzeugten. Der durchschnitt-
liche Wähler indes geht nicht zu Kund-
gebungen. Ob jene Amerikaner aus den
Vorstädten wirklich 2024 ihr Kreuz bei
Trump machen würden?
Derweil sammelt Trump kräftig Spen-
den ein, bombardiert seine Fans meist
täglich mit Bitten um Geld. 122 Millio-
nen Dollar hat Trump derzeit in seiner
Wahlkampfkasse – weit mehr als die Re-
publikanische Partei. Er unterstützt da-
mit willfährige Parteikollegen. In zwei
Wochen will Trump wieder eine Rede
halten, vor einer konservativen Konfe-
renz in Orlando. Zudem musste neulich
das Nationalarchiv zu Trumps Domizil
nach Florida ausrücken, um Akten abzu-
holen. Die hatte Trump nicht, wie es
Vorschrift ist, mit seinem Abschied aus
dem Weißen Haus dem Staat überlas-
Galaxy S22-Serie S Pen nur beim Galaxy S22 Ultra enthalten.

se. Zum Beispiel als er Anfang der Wo-
che im Beisein von Kanzler Olaf Scholz
mit dem Aus der Gaspipeline Nord Stre-
am 2 drohte, sofern Moskau die Ukraine
angreife: „Wir sind dazu in der Lage.“
Doch das täuscht darüber hinweg, wie
politisch angeschlagen dieser Präsident
nach gut einem Jahr im Weißen Haus ist.
Biden bekommt das zentrale Projekt sei-
ner Amtszeit, den Sozial- und Klima-
plan, nicht durch den Kongress. Nicht
nur Republikaner boykottieren das 1,8-
Billionen-Dollar Paket. Biden hat nur ei-
ne knappe Mehrheit, und zwei rechte
Senatoren der eigenen Partei blockieren
seine Agenda.
ZWEIFEL BEI DEN WÄHLERN
Nicht einmal die versprochenen gebüh-
renfreien zwei Berufsschuljahre kriegt
der Präsident durchgesetzt. Gegen die
der „Washington“ den Kampf ansagt
und den dortigen „Sumpf“ austrocknet.
Er punktete als einer, der endlich gegen
die „verlogenen“ Regeln der Politik ver-
stößt, ja, sie abschafft.
Und nun? Natürlich, es gibt gute
Gründe für Trump, sich nicht festzule-
gen: Am Ende einer weiteren Amtszeit
(2025 bis 2029) wäre er bereits 83 Jahre
alt. Vielleicht zweifelt Trump insgeheim
an seiner eigenen Gesundheit. Womög-
lich möchte er erst die Zwischenwahlen
im November abwarten, bei denen die
Republikaner angesichts der Bilanz von
Biden die Mehrheiten im Kongress zu-
rückerobern dürften. Das wäre ein Boos-
ter für die Republikaner. Will Trump al-
so noch beobachten, wie sich mögliche
parteiinterne Konkurrenten entwickeln?
Ob die Partei so ergeben zu ihm steht
wie bisher? Das alles wären Gründe, eine
sen. Manches heikle Dokument dürfte er
entsorgt haben. Bereits im Amt, meldet
die „New York Times“, sei Trumps Toi- Die neue Galaxy S22-Serie im größten 5G-Netz
lette regelmäßig verstopft gewesen. Der
Verdacht: Trump vernichtete belastende Jetzt vorbestellen und Zugaben sichern.*
Unterlagen via Abort.
Das alles wiegt leicht, verglichen mit
dem gewalttätigen Ende seiner Präsi-
dentschaft. Trump aber feiert den
Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021
weiter. Zur Bespaßung seiner Kernan- In Kooperation mit
hängerschaft redet er gerne in warmen
Worte über den Angriff, in dessen Folge
fünf Polizisten und vier Randalierer ums Aktionszeitraum: 09.02.–24.02.2022.
Leben kamen. Viele Täter sind inzwi-
schen verurteilt, der Schock über diesen * Für die nachstehenden Aktionen gilt: Für private Endkunden ab 18 Jahren und gewerbliche Endkunden zwischen dem 09.02. und 24.02.2022. Bei verbindlicher Vorbestellung
eines neuen Modells der Galaxy S22-Serie mit entsprechender EAN bei einem teilnehmenden Händler/Netzbetreiber bei zusätzlichem Verkauf eines teilnahmeberechtigten
beispiellosen Angriff auf die amerikani- Handys/Smartphones (Altgerät) an Teqcycle Solutions GmbH erhalten Teilnehmer ein Ankaufsangebot für das Altgerät zzgl. 100€ Tauschprämie für das Galaxy S22 oder S22+
sche Demokratie sitzt tief. Was radikale bzw. 150€ Tauschprämie für das Galaxy S22 Ultra. Der Samsung Online Shop, Media Markt, Saturn, Amazon, 1&1, Powwow sowie Mobilcom-Debitel bieten ein eigenes Trade-
in-Programm an. Für den Erhalt der o.g. Tauschprämie ist eine Registrierung unter samsung.de/galaxy-tauschaktion bis spätestens 31.03.2022 (Ausschlussfrist) erforderlich.
Trump-Anhänger begeistert hat, ent- Ein Nachreichen der bei der Registrierung erforderlichen Angaben ist nicht möglich. Kunden sind selbst dafür verantwortlich, dass das erworbene Aktionsgerät eine EAN
aufweist, die zur Teilnahme berechtigt. Hat der Teilnehmer das Aktionsgerät und ein Altgerät registriert, erhält er ein Versandlabel für den Versand innerhalb Deutschlands
setzt weite Teile der USA. per E-Mail. Die Übersendung des Altgerätes muss bis spätestens 31.03.2022 initiiert werden. Altgeräte müssen funktionsfähig sein (ein- und ausschaltbar, entsperrt [kein
SIM-/Net-Lock] sowie kein Wasserschaden oder Displaybruch). Der Ankaufspreis für das Altgerät bemisst sich nach Modell, Alter und Zustand des Altgerätes. Die Tausch-

DROHUNG STATT ANGEBOT

7,5-Prozent-Inflation findet die Regie-
rung kein Rezept. Geringverdiener ha-
ben, wie so oft in den USA, das Nachse-
hen. Mancher Wähler der Demokrati-
schen Partei dürfte sich daher fragen:
Warum habe ich Biden überhaupt ge-
wählt? Entsprechend miserabel sind sei-
ne Umfragewerte, im Schnitt hat er eine
Zustimmung von nur 40 Prozent.
Und Donald Trump? Der mag zwar im
Kreis seiner Golfpartner über seine Rol-
le als „47. Präsident“ prahlen. In der Öf-
Kandidatur abzuwägen – jedenfalls für
einen Berufspolitiker.
Die Tatsache, dass Trump die aktuelle
Schwäche Joe Bidens nicht nutzt, ruft
erste parteiinterne Kritiker auf den
Plan, unter ihnen Minderheitenführer
Mitch McConnell. Der warnt davor, al-
lein auf Trumps Parolen von der „ge-
stohlenen Wahl“ zu setzen. Genau das
aber ist das Problem mit Trump. Zwar
attackierte er Biden für seinen chaoti-
schen Rückzug aus Afghanistan, macht
prämie wird in der Regel innerhalb von 30 Werktagen nach gültiger Registrierung auf das angegebene Bankkonto überwiesen. Bei endgültiger Rückabwicklung des Kaufs
eines Aktionsgerätes innerhalb von 6 Monaten ist der Teilnehmer verpflichtet, die o.g. Tauschprämie an Samsung zurückzuerstatten. Der Kaufvertrag mit Teqcycle über
Bei seinem Auftritt neulich in Texas en- das Altgerät bleibt davon unberührt. Bei Nichtzustandekommen eines Kaufvertrages über das Altgerät oder bei endgültiger Rückabwicklung des Verkaufs des Altgerätes
innerhalb von 6 Monaten ist der Teilnehmer ebenfalls verpflichtet, die Tauschprämie an Samsung zurückzuzahlen. Bei verbindlicher Vorbestellung eines neuen Modells der
dete Trumps „Wenn …“-Satz weniger Galaxy S22-Serie mit entsprechender EAN bei einem teilnehmenden Händler/Netzbetreiber erhalten Kunden die Galaxy Buds Pro in einer Farbe ihrer Wahl (Zugabe). Für den
zurückhaltend als sein Anfang. Wieder Erhalt der Zugabe ist eine Registrierung über die auf dem Aktionsgerät vorinstallierte Samsung Members App unter der Rubrik „Vorteile“ bis spätestens 31.03.2022 (Aus-
schlussfrist) erforderlich. Kunden sind selbst dafür verantwortlich, dass das erworbene Aktionsgerät eine EAN aufweist, die zur Teilnahme berechtigt. Versand der Zugabe
einmal ging es um den 6. Januar 2021, ge- in der Regel innerhalb von 45 Werktagen nach Registrierung. Samsung behält sich eine vorzeitige Beendigung der Aktion vor, insbesondere wenn der Vorrat ausgeschöpft
ist. Bei endgültiger Kaufrückabwicklung innerhalb von 6 Monaten ist die Zugabe zurückzugeben bzw. Wertersatz max. in Höhe der UVP von 229 € zu leisten. Die Aktion ist
nauer gesagt um die verurteilten Ge- nicht kombinierbar mit anderen Aktionen, Gutscheinen, Zuschüssen, Boni, Rabattaktionen von Samsung oder Mitarbeiterportalen. Ausgenommen hiervon sind der von
walttäter. „Wenn ich kandidiere und Teqcycle Solutions GmbH durchgeführte Trade-in-Service unter samsung.de/galaxy-tauschaktion und der vom Samsung Online Shop durchgeführte Trade-in-Service unter
samsung.de/tauschaktion. Eine Barauszahlung ist ausgeschlossen. Für beide Aktionen gilt: Teilnahme mit max. 3 Aktionsgeräten pro Haushalt und 10 Aktionsgeräten pro
wenn ich gewinne“, sagte Trump, „wer- gewerblichem Endkunden. Vollständige Teilnahmebedingungen unter samsung.de/galaxy-s22-vorbestellen. Ausrichter der Aktion ist Samsung Electronics GmbH, Am
den wir diese Leute vom 6. Januar fair Kronberger Hang 6, 65824 Schwalbach/Taunus, Deutschland.
Ein Angebot von: Telekom Deutschland GmbH, Landgrabenweg 151, 53227 Bonn.
behandeln.“ Sodann, unter Applaus:
„Und wenn es Begnadigungen erfordert,
werden wir sie begnadigen.“

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10 LEBEN
LEUTE
Über das wahre Glück
Antonio Banderas hängt nicht an
Besitz. Das lässt sich natürlich
leicht sagen mit einem geschätzten
,,
Vermögen von 45 Millionen Dollar,
eigenen Parfum-Lizen-
zen und Weinkel-
lereien. „Ich weiß, wie
es ist, arm zu sein.
Und ich weiß stets,
woher ich komme“,
betonte der 61-Jährige,
dessen Vater Polizist
war. Erst mit Anfang
30, als der Spanier
nach Amerika kam,
habe er Geld verdient.
„Aber war ich deshalb
glücklicher als früher,
als ich kaum die Miete
bezahlen konnte? –
Nein.“ Er hänge an
Menschen und an
seinem Beruf, erklärte
Talk-Queen Barbara Schöne-
berger, 47, brachte sich lustvoll
selbst ins Gespräch, eine neue
Sendung zu moderieren: Der
SWR will junge Männer über Sex
reden lassen. Geplant ist eine
Mischung aus Talkshow, Erklär-
geschichten und Animation.
„ICH HABE EIN
EXTREMES
INTERESSE, MICH
MIT JUNGEN
MÄNNERN ÜBER SEX
ZU UNTERHALTEN“
Leicht verschnupft
Der britische Thronfolger Prinz Charles hat
sich erneut mit dem Coronavirus infiziert,
hieß es am Donnerstag auf dem offiziellen
Twitter-Account des 73-Jährigen. Der äl-
teste Sohn von Königin Elizabeth II., 95,
habe „kürzlich“ seine Mutter getroffen,
meldete die Nachrichtenagentur PA unter
Berufung auf eine Palastquelle. Der Prinz
sei leicht verschnupft. Die Monarchin und
Herzogin Camilla, 74, zeigten bisher keine
Symptome. SR
SMALL TALK „STOLZ IST DER FEIND“
Herr Jürgens, pünktlich
zum Valentinstag er-
scheint am Montag Ihr
Buch „Love Letters“,
eine Sammlung von
Liebesgedichten. Wie
kommen Sie darauf,
Liebesgedichte zu
schreiben?
Ich schreibe Gedichte,
seit ich 16 Jahre alt bin. Der
Grund, warum ich Liebesgedich-
te schreibe, ist einfach: weil ich liebe.
Und weil ich das Bedürfnis hatte, der
Euphorie und Freude ein bisschen
mehr Raum zu geben in einer Zeit, in
der wir alle eher mit angezogener
Handbremse durchs Leben rutschen.
Inzwischen sind Sie 58. Hat man
sich in diesem Alter nicht längst ei-
nen eher pragmatischen Blick auf
zwischenmenschliche Beziehungen
angeeignet?
Ach du lieber Himmel, nein. Bei mir
wird’s knallen und funkeln, bis die
letzte Sicherung rausfliegt, bitte.
Wir leben in einer Zeit der seriellen
Monogamie. Gibt es so etwas wie die
eine große Liebe?
Die gibt es auf jeden Fall. Ich hab je-
denfalls schon mehrere erlebt.
Ihr kürzestes Gedicht geht so: „Ich
liebe dich / heißt auch / ich liebe
mich.“ Ist die Liebe immer auch eine
selbstsüchtige Angelegenheit?
Selbstsüchtig hoffentlich nicht, denn
das ist ungesund. Selbstbezogen glau-
be ich schon und finde das auch rich-
tig. Eine Liebe, die nur noch das Ge-
genüber im Blick hat und sich selbst
vernachlässigt, ist genauso ungesund.
Wobei das oben zitierte Gedicht aller-
dings etwas anderes meint …
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022
NACHRICHTEN
US-WELTKRIEGSVETERAN 20 TOTE BEDROHTE BEUTELTIERE NACH VERLUST IM SUFF
Ehrenlegion nimmt Kokain mit Opiat für Australien will Koalas Brite erhält Zähne aus
der Hollywoodstar. Das habe er
100-Jährigen auf Elefanten gestreckt besser schützen Spanien zurück
noch mal in aller Deutlichkeit nach Frankreich hat In Argentinien sind mindestens 20 Koalas werden in Vor elf Jahren spuckte Paul Bishop, 63,
seinem Herzinfarkt vor fünf Jahren dem US-Welt- Menschen nach dem Konsum von Ko- Australien besser in Spanien seine dritten Zähne aus Ver-
begriffen. „Alles andere, was in kriegsveteran Os- kain gestorben, das mit einem Betäu- geschützt. In sehen betrunken in einen Mülleimer –
meinem Leben in ceola Lewis Flet- bungsmittel für große Säugetiere wie mehreren Bun- nun hat der Brite sie zurück. Die Zähne
AP/MARTIN MEISSNER
puncto Erfolg passiert cher die höchste Elefanten und Nashörner gestreckt desstaaten wird seien ihm aus Spanien nach Stalybridge
ist, ist nur eine Leihga- Auszeichnung wurde. 49 weitere Konsumenten des ge- der Gefährdungs- bei Manchester zugesandt worden, sag-
be. Ich kann es auch verliehen. Der panschten Kokains kamen mit teilweise status der Beutel- te er der Nachrichtenagentur PA. Er sei
wieder verlieren.“ Das 100-Jährige wurde schweren Vergiftungssymptomen ins tiere ab sofort auf anhand eines Treffers in einer DNA-Da-
bedeute nicht, dass ihm in New York in die Krankenhaus. Bei der verwendeten Sub- „bedroht“ gesetzt. tenbank identifiziert worden, für die er
AFP
Geld gar nichts bedeute. Ehrenlegion aufgenommen. Der Afro- stanz handelt es sich um Carfentanyl, Dürren und Krankheiten hätten zu ei- sich vor Jahren freiwillig registriert hat-
In seiner Heimatstadt amerikaner, der in Frankreich an Ver- teilte die Generalstaatsanwaltschaft der nem starken Rückgang der Population te. Mithilfe des Kulturinstituts British
Málaga habe er sich ein sorgungsmissionen beteiligt war, wurde Provinz Buenos Aires mit. Das Opiat geführt. Die Umweltorganisation WWF Council sei er ausfindig gemacht wor-
Theater geleistet. „Das durch deutschen Beschuss schwer ver- gilt als tausendfach stärker als Fentanyl schätzt, dass bei dem Buschfeuer 2019/ den. Die Zähne will er in seinem Club-
D
kostet Unsummen“, letzt. Er habe sein Leben riskiert, um oder Heroin. Fentanyl ist ein Treiber 2020 mehr als 60.000 Koalas getötet, haus ausstellen. Schließlich war es ein
sagte Banderas. Er wolle Europa von den Nazis zu befreien, sagte der Opioid-Krise in den USA mit Zehn- verletzt, vertrieben oder traumatisiert Clubausflug, bei dem sie abhandenge-
damit junge Schau- Generalkonsul Jérémie Robert. AFP tausenden Toten pro Jahr. dpa wurden. dpa kommen waren. dpa
spieler fördern. „Und
das bereitet mir ein
riesiges Vergnügen. Ich
ruiniere mich zwar da-
bei, aber auf höchst ie Schicht vom 14. pflichtet waren, das Leben der Patienten der Geschäftsführer, dass er dies für „na- Thema und langjähriger Chefarzt einer
romantische Weise.“ SR auf den 15. Septem- auf der Station 211 zu schützen“, wie hezu ausgeschlossen“ halte. psychiatrischen Klinik, sieht ein persön-
ber 2001 vergisst Staatsanwältin Daniela Schiereck-Bohl- Die Pflegedienstleiterin Tiebe O. liches Versagen bei den Ärzten und Ver-
wohl niemand, der mann in ihrer Anklage schreibt. Das Un- schrieb dem fast enttarnten Mörder 2002 antwortlichen. „Wenn solche Taten be-
auf der kardiochi- terlassen „jeglichen Einschreitens“ und noch ein freundliches Arbeitszeugnis, kannt werden, beteuern Politiker und
300
rurgischen Intensiv- die Ausstellung eines guten Arbeitszeug- nach dem Högel „ein verantwortungsbe- Verbandsfunktionäre unisono, dass es
station 211 des Klini- nisses aber geschahen aus Sorge um die wusster, interessierter Mitarbeiter“ sei, sich dabei um schreckliche Einzelfälle
kums Oldenburg arbeiten musste. In der „Reputation der Station 211 und des Klini- der „umsichtig, gewissenhaft und selb- handeln würde“, so Beine, der sich seit 30
Erinnerung von Pflegern und Ärzten galt kums Oldenburg“, so die Staatsanwältin. ständig“ arbeite. „Im Umgang mit Pa- Jahren mit dem Thema beschäftigt. „Da-
sie als die „Horrornacht“ oder das Ein geflügeltes Wort, das Chefarzt Ot- tienten und Angehörigen war er einfühl- bei weiß niemand, wie groß das Dunkel-
„schwarze Wochenende“, an dem drei Pa- to D. zugeschrieben wird, taucht in den sam, fürsorglich und verständnisvoll“, so feld ist, weil wir es nicht wirklich wissen
tienten starben und sechs weitere mehr- Akten immer wieder auf: „Der Högel die Pflegedienstleiterin. Und belohnte wollen.“ Geforscht werde zu diesem Phä-
mals reanimiert werden mussten. Nach nomen nämlich so gut wie gar nicht.
MILLIONEN diesem Dienst war klar: Die Station hatte Noch 2018 behauptete der damalige
KINDER LEIDEN ein Problem. Hier kamen zu viele Men-
schen ums Leben. Doch woran lag das?
Vorsitzende der deutschen Krankenhaus-
gesellschaft, Georg Baum, dass sich ein
Angelina Jolie, 46, forderte in einem
Fall Högel „nicht wiederholen kann“. Er
emotionalen Appell den US-Kongress auf, VON PER HINRICHS irrte sich. In Bremen löste das Evangeli-
Die Ärzte
schnell eine Gesetzesreform zum Schutz sche Diakoniekrankenhaus im vergange-
von Opfern häuslicher Gewalt zu be- Bereits in den Wochen und Monaten nen Frühjahr das Arbeitsverhältnis mit
schließen. „Häusliche Gewalt wird in zuvor bemerkten Mitarbeiter einen er- einem 33-jährigen Pfleger auf: Der Mann
unserem Land normalisiert“, sagte die höhten Verbrauch von Kalium. Die Sub- soll zwei Patienten mit einer Überdosis
Schauspielerin unter Tränen. Laut Unicef stanz kann bei entsprechender Dosierung Insulin getötet haben. Die Staatsanwalt-
erleben weltweit allein 300 Millionen tödlich wirken. Nach dem besagten Wo- schaft ermittelt gegen den Mitarbeiter.
Kleinkinder Gewalt im Elternhaus. SR chenende bat der Chefarzt der Station,
AN FORSCHUNG HAT
und der
Professor Otto D., den Pflegestationslei-
ter N., eine Liste zu erstellen. Er sollte KAUM JEMAND INTERESSE
zählen, welche Pfleger bei Reanimatio- Im vergangenen November verurteilte
nen und Todesfällen anwesend waren. das Landgericht Essen einen Arzt zu
Bernd N. addierte. Niels Högel kam auf 18 dreieinhalb Jahren Haft, weil er 2020 ei-
Striche, der nächste Pfleger hatte zehn
Einsätze. Der Verdacht war klar – und der
nem Corona-Patienten mit der Gabe von
Kaliumchlorid das Leben genommen
Mörder
Kollege erhielt einen Spitznamen: „To- hatte. Ein Pfleger erwischte den Medizi-
des-Högel“ nannten ihn jetzt die Pfleger ner, als dieser das tödliche Gift verab-
und Schwestern, wenn sie über den da- reichte. Das Urteil ist noch nicht rechts-
mals 24-jährigen Mann sprachen. So ha- kräftig.
ben es die Polizisten der Soko „Kardio“ Und die Staatsanwaltschaft München
2018 ermittelt. ermittelt gegen einen 24-jährigen Kran-
An dieser Stelle entschieden sich lei- kenpfleger, der möglicherweise „eine
tende Mitarbeiter des Klinikums, die Sa- niedrige zweistellige Zahl“ von Patien-
che herunterzuspielen und totzuschwei- ten ermordet habe, wie die Behörde
gen – mit verheerenden Folgen. Bernd N. mitteilt. Sein Motiv: Er wollte sich als
schlug dem damaligen Geschäftsführer Lebensretter profilieren und spritzte
Rudolf M. vor, die Polizei einzuschalten. Menschen an den Rand des Todes, um
Doch der wehrte energisch ab, so wie Ot- später bei der Reanimation zu glänzen –
to D. und Tiebe O., die Pflegedienstleite- womöglich ein bayerischer Högel.
rin des Klinikums. Der Chefarzt wieder- Lebenslang: Keine Wiederholungsgefahr? Der Ge-
PICTURE ALLIANCE/DPA/MOHSSEN ASSANIMOGHADDAM
um wollte mit Högel nichts mehr zu tun Niels Högel richtsgutachter Herbert Maisch schrieb
haben und stimmte zu, als der im No- wurde 1997 in seinem Buch „Patiententötun-
vember 2001 auf die Anästhesiestation wegen gen“ über bestimmte „Aufdeckungsbar-
Schauspieler Stefan Jürgens, 58, des Hauses versetzt werden sollte. Mordes in rieren“ in Krankenhäusern. Maisch ana-
schreibt Liebesgedichte Schließlich fiel er auch dort auf, wurde 85 Fällen lysierte Dutzende Fälle von Patiententö-
ein Jahr später mit einem guten Arbeits- verurteilt tungen weltweit und stieß dabei auf
MARKUS NASS
zeugnis ins benachbarte Krankenhaus ähnliche Reaktionen der Verantwortli-
Hand aufs Herz: Wel- nach Delmenhorst weggelobt und mor- chen, wenn sie mit einem Verdacht kon-
ches Liebesgedicht dete dort weiter. Genau 87 Tötungen frontiert wurden.
hat Sie zum Weinen konnte das Landgericht Oldenburg dem Danach galt ein angezeigter Fall als
gebracht? zu lebenslanger Haft verurteilten Högel „unvorstellbar“ und „Schreckensmel-
Zum Weinen bringen in vier Verhandlungen seit 2008 nach- dung“, die „jede Fantasie überstieg“. Vor
mich andere Dinge. Tief weisen, die tatsächliche Zahl dürfte weit- allem gebe es die „Angst vor einem Skan-
berührt haben mich viele. aus höher liegen. Ermittler gehen von 130 dal in der Öffentlichkeit, vor dem Scha-
bis 200 Morden aus. den, den er der Klinik, dem Heim zufü-
Haben Sie ein Dichtervorbild, das Von 2001 bis 2005 spritzte er in den gen würde“. In den meisten Fällen dürf-
Sie nie erreichen werden? Kliniken Oldenburg und Delmenhorst Acht Klinikverantwortliche könnten dem ten diese Barrieren eine frühzeitige Auf-
Todes-Pfleger Niels Högel das Morden
Jede Menge. Hölderlin, Baudelaire, Mittel wie Kalium oder Gilurytmal, um deckung verhindert haben, schrieb
Rilke, Fried, Cohen … die Patienten an den Rand des Todes zu Maisch – sodass noch mehr Menschen
erleichtert haben. Jetzt stehen sie vor
bringen. Dann trat er in Aktion und spiel- getötet werden konnten.
Wer konnte es besser: Bertolt Brecht te sich als Held am Defibrillator auf, der Psychiater Beine plädiert für einen
Gericht. Sorgten sie sich mehr um den
oder John Lennon? die Todgeweihten wieder ins Leben zu- nüchternen Blick auf das System Kran-
Ich nehme an, Sie meinen das Dich- rückholte. Dass Menschen dabei starben, kenhaus. „Wo immer asymmetrische Be-
Ruf ihrer Häuser als um die Patienten?
ten ... gute Frage. Wenn Sie mich fra- nahm er billigend in Kauf. Högel gehört ziehungen vorhanden sind, gibt es Anfäl-
gen, Brecht. Aber was das Gesamt- zu den schlimmsten Serienmördern der ligkeiten für Missbrauch und Gewalt“, so
kunstwerk anbelangt, bin ich eher ein Bundesrepublik. Beine. „Klar ist auch, dass diejenigen, die
Lennon-Fan. in Krankenhäusern arbeiten, nicht alle
„DER HÖGEL BRINGT MIR direkte Nachfahren von Mutter Teresa
Ihr Gedichtband trägt den Unterti- DIE LEUTE UM!“ sind.“ Es gehe aber nicht darum, dass
tel „Mutwillige Liebesergüsse“. Ist Und knapp 17 Jahre nach Högels letzter man jeden Arzt oder Pfleger für einen po-
Liebeslyrik automatisch übergriffig? Tat kommt es nun in Oldenburg zum tenziellen Patientenmörder halte, son-
Meinen Sie jetzt erotische Lyrik oder vorläufig letzten Verfahren rund um die bringt mir die Leute um“, soll der Chi- ihn zu Schluss mit der Bestnote: „Die dern das Phänomen realistisch betrachte,
Liebeslyrik? Übergriffig ist ohnehin Morde in den Kliniken. Dieses Mal lädt rurg einmal gesagt haben; der Satz wird ihm übertragenen Aufgaben führte er zu so der Arzt.
nichts automatisch. Schon gar nicht in das Gericht den Serientäter nur als in zahlreichen Zeugenaussagen zitiert. unserer vollsten Zufriedenheit aus.“ In Die vier Oldenburger Angeklagten ar-
IMAGESPACE/DDP; TOLGA AKMEN / AFP; KARWAI TANG/WIREIMAGE
der Literatur. Da ist es immer eine be- Zeugen. Auf der Anklagebank sitzen je Auch Professor Andreas W., Chefarzt in Oldenburg tötete Niels Högel mindes- beiten fast alle nicht mehr im Klinikum.
wusste Entscheidung. Meine ist es je- vier Verantwortliche aus den Kliniken der Kardioanästhesie, hatte bald kein tens 33 Menschen. Am 23. September Otto D. ging 2014 nach Graz und arbeite-
denfalls nicht. Delmenhorst und Oldenburg, darunter Vertrauen zum „Rettungs-Rambo“, wie 2002 hatte er seinen letzten Arbeitstag te wieder als Chefarzt. Andreas W., Lei-
der Chefarzt Otto D. Der Vorwurf: Bei- ihn die Kollegen wegen seines Drangs im Klinikum, am 15. Dezember 2002 be- ter der Anästhesie, musste das Unter-
Über welche Stelle in Ihren Gedich- hilfe zum Totschlag durch Unterlassen. zum Reanimieren nannten. Nach weite- gann er in Delmenhorst. Sieben Tage spä- nehmen 2020 verlassen, weil er die Auf-
ten mussten Sie selbst lachen? Die Angeklagten verdächtigten Högel ren Vorfällen auf der neuen Station ter ermordete er dort den ersten Patien- klärung verschleppt haben soll. Die Pfle-
Bei dem Gedanken, wie manche Män- laut Staatsanwaltschaft spätestens ab drängte Andreas W. Högel zur Auflösung ten. Nach dem Urteil von 2019 tötete er gedirektorin ging in den Ruhestand.
ner darauf reagieren werden. Oktober 2001, Patienten zu töten, des Arbeitsvertrags. in Delmenhorst insgesamt 54 Menschen, Bernd N. arbeitete 2019 noch im Kran-
schritten aber nicht ein und ließen ihn Im Gespräch mit dem Betriebsrat gab bis ihn ein Kollege im Juni 2005 auf fri- kenhaus. In einem Telefonat, das in der
Wer ist heutzutage der größere gewähren. der damalige Klinikgeschäftsführer Ru- scher Tat ertappte. Anklageschrift protokolliert ist, brachte
Feind der Liebe: die Zeit oder das Aus Ermittlungsakten, die WELT AM dolf M. ausweislich eines Protokolls an, Der Anklage zufolge hätte die Mord- er 2018 die Stimmung unter Högels Kol-
Smartphone? SONNTAG vorliegen, sowie den Urteilen dass Högel die Notfälle „absichtlich her- serie also deutlich früher gestoppt wer- legen so auf den Punkt: „Klar, es gibt
Weder die eine noch das andere. Ich gegen Högel lässt sich dokumentieren, beigeführt“ habe. Auf Nachfrage des Be- den können. Fachleute überrascht das Vermutungen, es gibt Getuschel, und ir-
glaube, es ist falscher Stolz. wie die leitenden Mitarbeiter die Aufklä- triebsrats, ob die Handlungen nicht ver- nicht. Der Psychiater Karl Beine, Autor gendwann war man froh, dass man ihn
INTERVIEW: HEIKO ZWIRNER rung verhinderten – obwohl sie „ver- sehentlich geschehen sein könnten, sagte mehrerer Fachbücher und Studien zum nicht mehr auf der Station hatte.“
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A
13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG
nnette Wißgott geht in
ihr Wohnzimmer und
sieht durchs Fenster den
Kran. Die 81-Jährige tritt
auf ihre hübsche Terras-
se hinaus. Hoch über ih-
rem Kopf steht der
Kran. Sohn Ralph blickt im ersten Stock
von seinem Computer auf. Was er sieht,
ist der Kran. Nachts, wenn der Wind sich
dreht, hält Annette Wißgott ein nervtö-
tendes Quietschen wach. Das ist der Kran.
„Wenn es stürmisch ist, habe ich Angst,
dass er mich unter sich begräbt.“
VON STEFFEN FRÜNDT
Das ganze Leben der Wißgotts scheint
überschattet von einem 15 Meter hohen
Baukran. Ihren Nachbarn geht es nicht
besser. Sie kennen ihr Wohngebiet nicht
ohne das ausgeblichene Baugerät, das seit
einer kleinen Ewigkeit in dem ansonsten
beschaulichen Wohngebiet im nieder-
sächsischen Winsen an der Aller vor sich
hinrostet. Gebaut wird damit nichts. Der
Kran steht einfach so da. Seit 18 Jahren.
„Die Angelegenheit ist bei uns Chefsa-
che“, sagt Dirk Oelmann, Bürgermeister
der 14.000-Einwohner-Gemeinde. Der
54-jährige SPD-Mann hat sich den Vormit-
tag freigeräumt und bietet an, uns im Au-
to durch Südwinsen zu fahren, zum
Schauplatz der Ereignisse. Vor ein paar
Jahren wurde hier mal ein Wolf gesichtet,
erzählt Oelmann. Das war die zweitgrößte
Sensation von Winsen an der Aller.
Die größte dreht über Südwinsen ihre
Runden. Der Kran hat längst einen Kose-
namen („Der So-da-Kran“) und auch ei-
nen eigenen Eintrag auf Google Maps. Die
Bewertungen sind ironisch positiv: „Bes-
ter Kran in ganz Winsen.“ Von Zeit zu Zeit
kommen Schaulustige, um das Gerät an-
zugucken. Manche Einwohner scherzen,
man solle den ganzen Ort umbenennen,
in Winsen am Kran.
Den Besitzer des Krans kennt Oelmann
gut, die beiden besuchten schon dieselbe
Schulklasse. „Er war immer schon etwas
kauzig“, behauptet der Bürgermeister
über den Mann, mit dem der halbe Ort auf
D
Kriegsfuß steht.
er Kranbesitzer heißt Richard L.
wie sein Vater und sein Großvater.
Neben dem Namen erbte er auch
einen Handwerksbetrieb. In Winsen an
der Aller kennt ihn jeder, nicht nur wegen
des Krans, sondern auch wegen seiner
Sammlung von Dingen. Das Wohn- und
Geschäftshaus des Mitfünfzigers steht
verborgen zwischen Bergen von Baumate-
rial. Zum Eingang gelangt man nur noch
durch einen schmalen Gang zwischen
mannshohen Stapeln von Sachen. Gasfla-
schen, Rohre, Fensterelemente. Mehrere
Bundeswehrzelte, Anhänger und selbst ei-
nige Kleintransporter sind bis Oberkante
Windschutzscheibe vollgestopft mit Ge-
genständen unklarer Herkunft und Zu-
Technische Tücken und gehemmte Umarmungen
E
s war schon immer schwer,
im nieselkalten Februar-
Berlin der geschlossenen
Wolkendecken seinen Blues
abzuschütteln. Das übliche
Rezept bestand darin, so viele Karten
wie möglich für die Berlinale zu besor-
gen, sich in möglichst viele Filme zu
beamen und zwischendurch an den
Foodtrucks am Potsdamer Platz Guaca-
mole mit Tortillachips zu verzehren.
VON HANNS-GEORG RODEK
Im ersten Corona-Winter gab es kei-
ne Berlinale und keine Guacamole.
Auch im zweiten gibt es keine Guaca-
mole, aber immerhin eine Berlinale,
wieder am Potsdamer Platz. Allerdings
gibt es den Potsdamer Platz eigentlich
nicht mehr. Gewiss, die Gebäude stehen
weiterhin, und die Lichterketten von
Weihnachten ranken sich entlang der
Stämme der kahlen Bäume. Doch der
Rest existiert nur noch als Hülle, weil
der Senat es zugelassen hat, dass keine
500 Meter entfernt die riesige, kreuz-
langweilige Mall of Berlin entstanden
ist, die alles Geschäft abgesaugt hat.
Zur Trübnis des Wetters kommt die
Trübnis des Ortes. Der Berlinale-Besu-
cher läuft an Leerstand entlang, an mit
Brettern zugenagelten Cafés und Res-
taurants. Die meisten Lokale, die man
kannte (aber nicht liebte, dafür war es
zu steril), sind verschwunden, eine neue
Fast-Food-Bude hat aufgemacht. Plaka-
te des neuen Besitzers, eines kanadi-
schen Immobilienriesen, kündigen an,
dass irgendwann mit neuen Läden Le-
ben in die Betonwüste einziehen soll.
Aber die Berlinale ist ja noch da. Sie
hat keinen Ort, wo sie hinziehen könn-
te. Und sie hat einfach beschlossen
stattzufinden. Die anderen Großveran-
NR. 7
kunft. Auf einem gegenüberliegenden
Grundstück wuchert ein weiteres Lager.
Inmitten des Südwinsener Eigenheim-
idylls mit seinen gepflegten Gärtchen
wirkt die Lagerbildung wie eine Provokati-
on. Als der Baustoff-Sammler von Gott
weiß woher einen Baukran erstand und auf
seinem Grundstück einlagerte, wurde es
den Winsenern zu viel.
Der Kranbesitzer möchte nicht mit der
Presse sprechen. Auch sein Rechtsanwalt
in Celle bedauert, er sei zu keiner Stel-
lungnahme autorisiert. So macht er es den
Leuten leicht, ihn als Kauz hinzustellen.
Dabei hat er im juristischen Sinne nichts
Falsches getan. Vielleicht sieht er sich im
Gegenteil selbst ungerecht behandelt.
Denn die erste Kugel in diesem 18-jäh-
rigen Krankrieg feuerten die Behörden ab.
Sie erklärten die Lagerung des damals
noch zusammengeklappten Krans in ei-
nem Wohngebiet für unzulässig, der Be-
sitzer müsse schon etwas damit bauen.
Okay, das könnt ihr haben, mag sich Ri-
chard L. vielleicht gedacht haben. Und
stellte seinen Kran auf einem seiner
Grundstücke auf. Er goss sogar eine Bo-
denplatte und mauerte ein paar unzusam-
menhängende Mauerfragmente. Dann
überließ er dieses Stillleben den Kräften
der Natur.
Irgendwann damals war es, dass Unter-
nehmensberater Ralph Wißgott in Win-
sen an der Aller ein Baugrundstück er-
warb. „Damals gab es hier noch nicht viel.
Ein, zwei verstreute Häuser. Und gleich
nebenan ein Grundstück mit einem Kran
darauf“, berichtet Wittstock. „Ich dachte
damals: Die sind wohl bald fertig.“ Seither
ist viel passiert. Wißgott baute sein Haus.
Ringsum entstanden weitere, ein ganzes
Wohngebiet. Darüber drehte sich unbeirr-
bar der Kran. Wißgott holte seine Eltern
nach Winsen, die ihr Rentnerdasein fort-
an im Schatten eines Krans führten. In
Südwinsen zogen Familien ein und wieder
fort. Die Quadratmeterpreise stiegen von
30 auf 150 Euro. Kinder wurden geboren,
Ehen geschieden. Irgendwann starb Wiß-
gott Senior. Annette Wißgott blieb allein
zurück bei ihrem Sohn. Und dem Kran.
Es gab viele Anläufe, die Sache im Gu-
ten zu regeln. Wißgott bot dem Kraneig-
ner an, ihm das Grundstück abzukaufen,
notfalls samt Kran. Der Besitzer habe ab-
gelehnt. Eine Kranfirma schlug dem zö-
gerlichen Bauherrn vor, das Objekt des
Zerwürfnisses abzubauen und für ihn zu
vermieten. Solche Kräne sind gefragt, zu-
mal inmitten eines Baubooms. Von 1000
Euro Mieteinnahmen im Monat war die
Rede. Hochgerechnet auf 18 Jahre wären
das um die 200.000 Euro.
Doch Kranbesitzer Richard L. überließ
die Nutzung seines Eigentums lieber ein
paar Krähen, die sich in dem Stahlgeflecht
ein Nest gebaut haben. Mittlerweile sind
dort diverse Krähen-Generationen aus
dem Ei geschlüpft. Die Vögel fühlen sich
hier offenbar ungestört – im Gegensatz zu
den Anwohnern. Nachbarn verlegten ihre
Die Berlinale 2020 war das letzte kulturelle
Großereignis vor Corona, nun will das Berliner
Filmfestival 2022 den Endpunkt markieren.
Das geschieht nicht ohne Mühen. Aber mit
einem großartigen Eröffnungsfilm
Tapfer gute
Laune:
Jurypräsident
M. Night
Shyamalan und
Jurorin Connie
Nielsen (o.),
Kulturstaats-
ministerin
Claudia Roth (l.)
und Schauspiele-
rin Iris Berben
Ein
Mann
und
sein KR
In Winsen an der Aller
steht ein turmhohes
Baugerät seit 18 Jahren
ungenutzt in einem
Wohngebiet und nervt
die Nachbarn. Der
Besitzer ignorierte alle
Klagen. Nun endete die
Causa vor Gericht
PICTURE ALLIANCE/DPA/HOLGER HOLLEMANN
Noch vier Jahre? Winsen an der Aller
und der umstrittene Kran
staltungen des Winters, wie die Touris-
tikmesse und die Grüne Woche, haben
frühzeitig vor Omikron kapituliert. Die
Berlinale nicht. Natürlich war das kein
einsamer Beschluss, sondern ein politi-
scher. Sie sollte stattfinden, sie musste.
Sie ist ein Signal, ein kulturelles und po-
litisches, dass man im zweiten Corona-
Winter nicht mehr alles dichtmacht,
E
sondern den Hygienekonzepten traut.
s ist ein erheblicher Mehrauf-
wand. Die Berlinale dürfte zehn
Millionen Euro teurer sein als
sonst, aber die Bundeskulturbeauftrag-
te Claudia Roth schießt das zu. Es ist ein
Mehraufwand an Mühe für die Besu-
cher, die Karten online ziehen, am Ein-
gang ihre 2G-Bescheinigung vorzeigen
AFP/JOHN MACDOUGALL(2); REUTERS/CHRISTIAN MANG
und während des gesamten Films FFP2-
Masken tragen müssen. Und wollen sie
das Kino vorzeitig verlassen, sollen sie
den Notausgang nehmen, geraten dann
in dunkle Treppenhäuser und müssen
nach dem Lichtschalter tasten. Die Kri-
tiker – es ist nur/immerhin die Hälfte
der sonstigen Zahl anwesend – müssen
dazuhin jeden Tag einen Schnelltest ab-
solvieren.
Ein gigantischer Aufwand, für Veran-
stalter und Besucher. Schlangen sind
unvermeidlich. Am Eröffnungsabend
fällt an den Eingangskontrollen der Ti-
cketdrucker aus, die Eintrittskärtchen
müssen per Hand ausgefüllt werden.
Mitten im Eröffnungsfilm verschwin-
det plötzlich das Bild, eine technische
Panne. Nach fünf Minuten Dunkelheit
geht es weiter, aber es fehlt ein Stück
der Handlung. Das merkt auch der Vor-
führer, stoppt den Film erneut, spult
ihn zurück ( ja, ein veralteter Begriff bei
digitaler Projektion!) und fängt nun an
der richtigen Stelle wieder an. Die Ber-
linale-Leitung muss in den Boden ver-
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AN
GETTYIMAGES
Schlafzimmer auf die andere Hausseite,
um das nächtliche Quietschen nicht mehr
zu hören und im Falle eines Zusammen-
bruchs des alternden Geräts nicht darun-
ter begraben zu werden. Einer baute einen
Carport, um sein Auto gegen Eiszapfen zu
schützen, die es im Winter schon mal von
J
dem vertikalen Ärgernis regnen soll.
e länger die Sache lief, desto größer
wurde das Unverständnis, dass die
Gemeinde scheinbar nichts unter-
nahm. „Da geht es tatsächlich irgendwann
auch um Staatsvertrauen“, sagt Bürger-
meister Oelmann. Jahrelang versuchte
der Verwaltungschef vergeblich, dem
Kranbesitzer mit juristischen Mitteln bei-
zukommen. An die 100 Arbeitsstunden
hat die Causa Kran ihn und andere Ver-
waltungsmitarbeiter gekostet. Es stellte
sich heraus, dass es keine rechtliche
Handhabe gab, den Mann zu einem
schnelleren Bautempo zu zwingen.
Vor ein paar Wochen gelang Oelmann
der Durchbruch. Vor dem Verwaltungsge-
richt Lüneburg einigte er sich mit der Ge-
genseite auf einen Vergleich. Der Kranbe-
sitzer muss bis zum Sommer einen „er-
kennbaren Willen zum Weiterbau“ zei-
gen, sonst darf Oelmann den Kran polizei-
lich entfernen lassen. „Ich hoffe nicht,
dass es dazu kommt.“
Rund 5000 Euro muss die Kommune
für das Verfahren zahlen. Der Kranbesit-
zer hat schließlich nichts Unrechtes ge-
tan. Und auch wenn er sich nun ent-
schließt, ein wenig weiterzubauen, muss
er sich nicht hetzen. Vier Jahre hat er laut
Vergleich Zeit, die Sache zu Ende bringen.
Dann muss der Kran weg. Und Annette
Wißgott kann wieder ruhig schlafen.
sunken sein. Da hat sie die Welturauf-
führung des neuesten Films eines hoc
renommierten Regisseurs (François
Ozon), und „Peter von Kant“, eine
Fassbinder-Fantasie, ist einer der bes-
ten Eröffnungsfilme seit Jahren – und
dann das.
Es ist beschwerlich. Und doch, keiner
in der Schlange oder den Sitzreihen des
Palasts beschwert sich. Gut, jene, die
diese Not-Berlinale für einen Fehler hal-
ten, sind sowieso nicht gekommen.
Aber jene, die anwesend sind, haben ei-
ne bewusste Entscheidung getroffen.
Anwesenheit als Geste, als Ermutigung
für sich selbst und die ganze Kultur.
Carlo Chatrian, der künstlerische
Berlinale-Leiter, steht bei der Eröffnung
– in vorgeschriebener Zwei-Meter-Ent-
fernung – neben der geschäftsführen-
den Leiterin Mariette Rissenbeek – auf
der Bühne. Plötzlich zieht er eine Maske
aus der Tasche, sagt „Lass mich dich
umarmen“ und geht auf sie zu. Darauf
Rissenbeek, leicht panisch: „Aber ich
habe meine Maske nicht dabei!“ Er
D
umarmt sie trotzdem.
ie Szene steht für die Berlinale
insgesamt. Es gilt, das soziale
Leben wieder in Gang zu set-
zen, trotz eines weiter existierenden ge-
wissen Risikos. Claudia Roth, die im
Berlinale-Palast im schwarzen Glitzer-
kleid ihre erste große Filmrede als Mi-
nisterin hält, beschreibt ihre Gemüts-
verfassung mit vier Worten: „froh“, „er-
leichtert“, „dankbar“, „glücklich“. Sie
liest die Namen von einem Dutzend Co-
rona-Pflegern vor, die zur Eröffnung ge-
laden wurden. Die Berlinale im Frühjahr
2020 war das letzte kulturelle Großer-
eignis vor dem Beginn der Pandemie.
Nun will die Berlinale 2022 das Ereignis
sein, das auch an ihrem Ende steht.
LEBEN 11
WIE ES IST
„Aktien sind
wie
Lebewesen“
BENEDIKT VIERKOTTEN, 48, IST WERTPAPIER-
HÄNDLER AN DER DEUTSCHEN BÖRSE IN
FRANKFURT. WARUM ER DAFÜR EINE KARRIE-
RE ALS JURIST AUFGAB UND ES IHM NICHTS
AUSMACHT, WENN DIE KURSE ABSTÜRZEN
Während meines Jura-Studiums ha-
be ich mich gefragt, ob es mein Le-
bensinhalt werden soll, den ganzen
Tag Akten zu bearbeiten und in lang-
wierigen Gerichtsprozessen festzu-
stecken, bei denen ich erst nach lan-
ger Zeit Ergebnisse sehe. Nachdem
ich einen Aushilfsjob an der Börse in
Frankfurt am Main gemacht hatte,
fiel meine Antwort klar aus: Nein.
Ich habe nach acht Jahren die Juris-
terei aufgegeben, das zweite Staats-
examen sein lassen und bin Ende der
90er-Jahre Rentenhändler gewor-
den. Als Berufsanfänger war es zu-
nächst meine Aufgabe, am Rand des
Börsenparketts die Aufträge mit ei-
nem Kassettenrekorder aufzuneh-
men und zu überprüfen. Danach bin
ich zur Aktienseite gewechselt und
ständig mit einem Zettel zum Markt
gerannt und habe versucht, die Pa-
piere zu kaufen oder zu verkaufen.
Passiert etwas auf der Welt, wird
auf dem Parkett sofort reagiert. Al-
les, was geschieht, ist unmittelbar.
Das hat mich fasziniert. Heute läuft
man natürlich nicht mehr Dutzende
Kilometer pro Tag über das Parkett.
Vor mir sind vier Bildschirme, auf
denen ich alle Informationen habe:
Nachrichten, Aufträge, Charts von
Kursverläufen. Ich bin meist mor-
gens um zwanzig vor sieben dort,
schaue, wie die amerikanischen Bör-
sen nachts geschlossen und die asia-
tischen am Morgen eröffnet haben.
Um acht Uhr ertönt die Glocke,
dann geht es los. Wir Händler han-
deln zwischen acht und zweiund-
zwanzig Uhr in Schichten.
Ich bin an der Frankfurter Börse
für bestimmte Aktien zuständig,
beispielsweise für die der Telekom
oder der Lufthansa. Insgesamt be-
treut mein Arbeitgeber, das Bank-
haus Scheich, etwa 3000 Aktien und
ebenso viele Anleihen. Wenn ein
Kunde den Wunsch hat, 1000 Tele-
kom-Aktien zu erwerben, bekommt
er die von mir. Allerdings verkaufe
ich in diesem Moment etwas, was
ich eigentlich nicht besitze, und ge-
he in Vorleistung. Danach muss ich
zusehen, dass ich die Aktien woan-
ders wieder herbekomme. Das pas-
siert im besten Falle billiger, sodass
ich Gewinn mache. So entsteht der
Kurs. Denn ich muss mich binnen
Sekunden entscheiden, ob ich kaufe
oder selber verkaufe. Man muss
ständig auf Zack sein, sieht aber so-
fort, ob man erfolgreich war oder
nicht. Als Börsenhändler braucht
man kein Studium, sondern eine
Cleverness, um die ganzen Informa-
tionen auf den Bildschirmen zu
bündeln und seinen Schluss daraus
zu ziehen. Das ist keinesfalls Speku-
lation, sondern eine sensible Ange-
legenheit. Jede Aktie ist wie ein Le-
bewesen, und man benötigt ein Ge-
spür dafür.
Man muss dabei uneitel sein.
Wenn ich merke, dass ich eine Situa-
tion falsch eingeschätzt habe, muss
ich meine Meinung schnell über den
Haufen werfen und zugeben, dass
ich falsch lag. Wir Börsenhändler
tauschen uns ständig aus und disku-
tieren darüber, beispielsweise wenn
der Markt dreht oder eine bestimm-
te Aktie abstürzt. Am meisten Spaß
macht mir der Job, wenn die Kurse
stark schwanken. Nur dann ist es für
mich als Händler spannend. Dabei
ist es egal, ob es nach oben geht oder
der gesamte Markt in die Tiefe
stürzt – Hauptsache, ich habe es
rechtzeitig erkannt. Natürlich be-
komme ich dann viele Nachrichten
von Freunden und Verwandten, die
mich um Rat für ihr persönliches
Depot fragen. Aber ich gebe nieman-
dem Tipps. Wenn was schiefgeht,
würde das nächste Familientreffen
sehr unangenehm werden. AUFG-
EZEICHNET VON GREGOR SCHWUNG

LE BE N
W ELT A M S O N NT A G N R. 7
U NI T E D F E A T U R E S Y N DI C A T I N C.
K RI MI A M
S O N NT A G
V O N C L A U DI A B E C K E R
S ar a h M., 1 9,
M ör d eri n
Z e y e d E. w ar 2 01 4 a u s d e m Ir a k n a c h
D e ut s c hl a n d g e k o m m e n. Z ul et zt ar-
b eit et e er al s Wa c h m a n n. Er w ur d e
3 9 J a hr e alt. E n d e A pril 2 0 21 h att e er
di e d a m al s 1 8-j ä hri g e S ar a h M. a uf
d er D ati n g- Pl attf or m B a d o o k e n n e n-
g el er nt u n d si c h mit i hr z u m S e x v er-
a br e d et. A m 1. M ai h olt e er di e S c h ü-
l eri n a u s d e m fr ä n ki s c h e n L a n d kr ei s
F or c h h ei m a b e n d s a n ei n er B u s h alt e-
st ell e a b, d a n n f u hr e n si e a uf ei n e n
F el d w e g. D ort z ü c kt e S ar a h M. pl öt z-
li c h ei n C a m pi n g m e s s er u n d r a m mt e
e s Z e y e d E. i n d e n H al s. Er k o n nt e
fli e h e n, b e v or si e w eit er z u st e c h e n
k o n nt e. D o c h er h att e z u vi el Bl ut
v erl or e n. 1 4 Ta g e s p ät er st ar b er i m
Kr a n k e n h a u s i n Erl a n g e n. S ar a h M.,
di e b er eit s w e ni g er al s ei n e St u n d e
n a c h d er Tat f e st g e n o m m e n w or d e n
w ar, g e st a n d. I hr M oti v: M or dl u st.
S ar a h M. w ollt e z u s e h e n, wi e j e m a n d
stir bt. Si e, di e f ür S eri e n m ör d er
s c h w är mt u n d g a n z b e s o n d er s f ür
d e n 13-f a c h e n U S- a m eri k a ni s c h e n
M ör d er Ri c h ar d R a mir e z, d e n
„ Ni g ht st al k er “, d e m N etfli x 2 0 21 ei n e
Mi ni s eri e wi d m et e. V or d e m B a m b er-
g er L a n d g eri c ht, d a s S ar a h M. a m 9.
F e br u ar z u z w ölf J a hr e n H aft v er ur-
t eilt e, hi elt si e i hr e H a n d i n di e K a-
m er a s, u m d a s mit K u g el s c hr ei b er
a uf di e H a ut g e z ei c h n et e P e nt a-
gr a m m z u z ei g e n. R a mir e z h att e ei-
n e n s ol c h e n F ü nf st er n a uf s ei n e n
O pf er n hi nt erl a s s e n.
S ar a h M. i st d e n B e h ör d e n b e-
k a n nt, s eit si e elf w ar. Si e kifft e, m al-
t e si c h H a k e n kr e u z e a uf d e n H a n dr ü-
c k e n, b el ei di gt e P oli zi st e n. M e hrf a c h
v er s u c ht e si e, si c h d a s L e b e n z u n e h-
m e n. F ü nf m al l a n d et e si e i n d er Ps y-
c hi atri e. Z w ei M o n at e v or d er Tat
w ur d e i hr d a s B or d erli n e- S y n dr o m
di a g n o sti zi ert. L a ut „ Bil d “ b e kl a gt e
si e i m Fr a g e b o g e n d e s G eri c ht s p s y-
c hi at er s, v o n J u n g e n b e n ut zt z u w er-
d e n. G e g e n ü b er i hr er M utt er e m pfi n-
d e si e H a s s u n d Li e b e.
V or d e m M e s s er a n griff s a gt e si e ei-
n er Fr e u n di n i n ei n er S pr a c h n a c h-
ri c ht, wi e l ei d e s i hr t u e, d a s s i hr e
K at z e dr a u ß e n i m R e g e n s ei n m ü s st e.
D e r M a n n u n d s ei n K r a n: E i n e Kl ei n s t a d t k o m ö di e S ei t e 11
1 3. F E B R U A R 2 0 2 2 S EI T E 1 2
M EI N L E B E N
A L S M E N S C H
V O N J A N W EI L E R
Q u er p ar k e n
V O R 22 J A H RE N
W i e l ei c ht e s i st, si c h i n ei n e n k o m-
p l ett g e st ört e n, h er u m h a m p el n d e n
S n o o py W ut b ür g er z u v er w a n d el n, erl e bt e
ic h a m Mitt w o c h a n mir s el b st. D e n
g a n z e n V or mitt a g h att e i c h mi c h d a-
f o r e v e r!
ra uf g efr e ut, ei n k a uf e n z u g e h e n. I c h
li e b e e s, Pl a sti kfl a s c h e n i n d e n
P f a n d a ut o m at e n v o m S u p er m ar kt
z u st o pf e n. E s m a c ht m e hr S p a ß, al s
M a n c h e A b s c hi e d e s c h m er z e n, B i erfl a s c h e n hi n ei n z u s c hi e b e n. I n
a n d er e k a n n m a n si c h g ar ni c ht d e n e n i st n ä mli c h i m m er n o c h et w a s
v or st ell e n. Ei n e W elt o h n e d e n d ri n, u n d w e n n d er A ut o m at di e Fl a-
a b e nt e u erl u sti g e n, q uirli g e n, p hi- s c h e ni c ht a n er k e n nt, wir d si e wi e-
l o s o p hi s c h e n B e a gl e S n o o p y? A b- d er z ur ü c k g e s c h u b st, u n d alt er Bi er-
s ur d. Fa st 5 0 J a hr e h a b e er di e s c hl o n z s c h w a p pt a u s d er P ull e a uf
„ P e a n ut s “ g e z ei c h n et, j et zt s c h aff e m ei n e J a c k e. D a s p a s si ert b ei Pl a s-
er d e n t ä gli c h e n R h yt h m u s ni c ht ti kfl a s c h e n hi n g e g e n ni c ht, d e n n di e
m e hr, s c hri e b i hr Erfi n d er C h arl e s s i n d b ei mir i m m er z u g e s c hr a u bt.
M. S c h ult z a m E n d e di e s e s C o mi c- E s h a n d elt si c h u m l e er e Zitr o-
Stri p s u n d si g ni ert e mit zittri g er n e n- Ei st e e- P ull e n. Ni c k u n d s ei n e
H a n d. D a s Bl att er s c hi e n a m 13. F r e u n d e tri n k e n ei g e ntli c h ni c ht s
F e br u ar 2 0 0 0, a m Ta g z u v or w ar er a n d er e s, w a s mi c h i m m er ei n w e ni g
g e st or b e n. ratl o s m a c ht. E s i st k ei n e K o hl e n-
Er m o c ht e d e n N a m e n „ P e a- s ä ur e dri n, d af ür a n g e bli c h T e e, w a s
n ut s “ ni e, a b er s c h uf mit i h n e n d a s S o zi al pr e sti g e d e s G etr ä n k s et-
et w a s S elt e n e s u n d W ert v oll e s. Si e w a s h e bt. A b er gl a m o ur ö s i st Ei st e e
v er k ör p ert e n d e n n e ur oti s c h e n tr ot z d e m ni c ht. Ei st e e a u s d e m S u-
G ei st d er N a c h kri e g sj a hr z e h nt e p er m ar kt i st wi e Fi or u c ci-J e a n s i n
u n d a gi ert e n d o c h i n d er Mitt e d er d e n A c ht zi g er n: ei n bi s s c h e n a n d er s,
a m eri k a ni s c h e n G e s ell s c h aft, s pi el- a b er tr ot z d e m ni c ht c o ol.
t e n F o ot b all, f ei ert e n H all o w e e n, M a n c h m al st ell e i c h mir v or, d a s s
v er g a ß e n i hr e H a u s a uf g a b e n. D er in d e m Pf a n dfl a s c h e n- A ut o m at e n
e wi g e Verli er er C h arli e Br o w n, di e e i n kl ei n er M a n n sit zt, d er di e a n-
a g gr e s si v e, a b er al s T h er a p e uti n k o m m e n d e n B e h ält er blit z s c h n ell i n
t äti g e L u c y, d er v er s u n k e n e S c hr ö- K ä st e n s orti ert. N ur d e n K u n st st off
d er mit s ei n e m Mi ni- Kl a vi er u n d d arf er n a c h H er z e n sl u st i n ei n er
n at ürli c h Li n u s mit d er S c h m u s e- P E T- Fl a s c h e n- Z er dr ü c k u n g s m a s c hi-
d e c k e – s el b st n a c h Milli o n e n v o n n e z er q u et s c h e n, d a s s e s kr a c ht u n d
T- S hirt s, S n o o p y- Ta s s e n u n d k ni st ert. D a s i st ei n S p a ß, ä h nli c h
W o o d st o c k- Ni p p e s i st e s pr a kti s c h w i e b ei L uft p ol st erf oli e. Al s o s c hi e-
u n m ö gli c h, i n di e s e Cli q u e ni c ht b e i c h m ei n e Fl a s c h e n i n d e n A ut o-
v erli e bt z u s ei n. a s m at e n, fr e u e mi c h a n d e m G er ä u s c h,
k a uf e ei n u n d g e h e z u m ei n e m A ut o.
U n d d ort h ä n gt ei n Str af z ett el. Mit
e i n e m Q R- C o d e. Di e s er f ü hrt z ur
S eit e d er P oli z ei, u n d d ort wir d mir
m it g et eilt, d a s s i c h g e p ar kt h ätt e,
S
o h n e di e d ur c h d a s Z u s at z z ei c h e n
i e h at a u c h et w a s S c h o- s i c h g e w alti g g eirrt. Tat s ä c hli c h v o n i n n e n z er st ör eri s c h. S o mit er- W A S B E W E G T DI E W E L T? v or g e s c hri e b e n e P ar k s c h ei b e ri c hti g
c ki er e n d e s. S o h ell u n d h err s c h e n a uf d er Ve n u s i nf er n ali- i n n ert d er Pl a n et e h er a n di e G e- e i n g e st ellt z u h a b e n. D a s i st ei n e
g l ä n z e n d, wi e si e a m s c h e Ver h ält ni s s e. Ei n Li e b e s n e st f a hr e n v erli e bt er Bli n d h eit, l ä s st g l att e L ü g e, a uf g e st ellt v o n ei n e m
H i m m el st e ht. S v e n ist di e s e tr o c k e n e Ei n ö d e mit T e m- si c h wi e ei n e W ar n u n g v or d er T o- U S A H err n o d er ei n er Fr a u Ott. U n v er-
M el c h ert v o n d er Ver ei- p er at ur e n v o n r u n d 5 0 0 Gr a d u n d xi zit ät l e s e n, di e n ur z u oft d er R o- KL A GE GE GE N S N O OP D O G G z ü gli c h m a c h e i c h mi c h a uf di e S u-
n i g u n g d er St er nfr e u n d e e. V. w u n- R e g e n a u s S c h w ef el s ä ur e a uf k ei n e n m a nti k f ol gt.
d ert e s ni c ht, d a s s m a n c h er a n ei n F all. Fr ei at m e n k a n n m a n i n d er D o c h di e Ve n us di e nt ni c ht n ur
D e m U S- R a p p er S n o o p D o g g, b ür-
g erli c h C al vi n C or d o z ar Br o a d u s
c h e n a c h H err n o d er Fr a u Ott, w eil
ic h d a s ei n e U n v er s c h ä mt h eit fi n d e.
U f o d e n kt, w e n n er i m S ü d o st e n d a s fa st v oll st ä n di g a u s K o hl e n di o xi d a ls L e hr b eis pi el d es Li e b esl e b e ns.
L i c ht s pi el i n d er D ä m m er u n g er- b e st e h e n d e n At m o s p h är e ni c ht. N a c h j a hr z e h nt el a n g er P a us e erl e bt
b li c kt. D er V or sit z e n d e d e s gr ö ßt e n U n d d a n n i st d a n o c h d er e n or m e seit 2 0 21 d as wiss e ns c h aftli c h e I nt e-
J r., wir d v or g e w orf e n, 2 013 ei n e
F r a u v er g e w alti gt z u h a b e n. Si e h at
n u n Kl a g e ei n g er ei c ht. „ Di e S ai s o n
K ei n W u n d er, w e n n si c h B ür g eri n-
n e n u n d B ür g er v o m St a at a b w e n-
d e n. Hi er li e gt ni c ht s w e ni g er v or al s
d e ut s c hl a n d w eit e n Z u- ress e a n d e m Pl a n et e n, d er G ol d gr ä b eri n n e n h at b e g o n- s t a atli c h e Will k ür. U n d w e n n i c h
s a m m e n s c hl u s s e s v o n d er ei n e ä h nli c h e Gr ö- n e n “, w ar s ei n h art- jet zt ni c ht a uf st e h e u n d mi c h z ur
H o b b y a str o n o m e n ß e u n d Di c ht e wi e di e lei bi g er K o m m e nt ar W e hr s et z e, d a n n h at d er P oli z ei-
s pri c ht v o n d er Ve n u s, E r d e h at, u n d g er a d e a uf I n st a gr a m. K ur z s t a at g e w o n n e n. A b er o h n e mi c h.
u n s er e m i n n er e n m al 4 0 Milli o n e n Kil o- z u v or h at d er M u si- Ic h l a uf e mit d e m Z ett el d ur c h di e
N a c h b ar pl a n et e n i m m et er e ntf er nt ist, ei n e k er d a s l e g e n d är e S tr a ß e u n d er wi s c h e Fr a u Ott a n d er
G E T T Y I M A G E S / S T E P H E N J. C O H E N
S o n n e n s y st e m, d er i n u n er w art et e R e n ais- M u si kl a b el „ D e at h W i n d s c h ut z s c h ei b e ei n e s A ut o s. I c h
d i e s e n Ta g e n ei n b e- sa n c e. S o h a b e n di e N a- R o w R e c or d s “ g e- b e gi n n e o h n e ei nl eit e n d e W ort e mit
s o n d er e s Hi m m el s- sa u n d di e E ur o p äis c h e k a uft. S n o o p s oll a m d er B e s c hi m pf u n g d er r o b u st a u s s e-
s c h a u s pi el v er a n st al- W eltr a u m b e h ör d e S o n nt a g b ei m S u- h e n d e n D a m e. P a s s a nt e n wi c k el n
tet. I m J a n u ar w e c h s el- (E S A) b es c hl oss e n, A n- p er b o wl i n I n gl e- m it g e br a c ht e Br ot e a u s u n d e s s e n
IN F E R N O
te Ve n u s v o m A b e n d- fa n g d er 3 0 er-J a hr e w o o d/ K alif or ni e n d i e s e, w ä hr e n d si e g e s p a n nt z u h ö-
zu m M or g e n hi m m el. g l ei c h dr ei S o n d e n z ur a uftr et e n. fa v re n. B e s o n d er s di e P a s s a g e, i n d er
B e v or si e z u m „ M or- V e n us z u s c hi c k e n. Es ic h a n d a s v or bil d h aft e Wir k e n v o n
g e n st er n “ w ur d e, w ar g e ht a u c h d ar u m, di e W i d er st a n d s k ä m pf er n wi e C h e G u e-
a uf d e m
s i e ei n e W o c h e l a n g U rs a c h e n d es u n wirtli- A F G H A NI S T A N v ar a, Wi n n et o u u n d P u m u c kl eri n-
n i c ht z u s e h e n. „ Al s si e c h e n Kli m as z u erf or- G EF Ä H R D ET E S W ELT E R B E n er e u n d v er k ü n d e, mi c h n a c kt v or
in d er Fr ü h wi e d er a uf- sc h e n. Wiss e ns c h aftl er D i e W elt k ult ur er b est ätt e B a mi y a n- d e m P oli z ei pr ä si di u m a n z u k ett e n,
ta u c ht e “, s o M el c h ert, sc hli e ß e n ni c ht a us, T al wir d i n d e n n ä c hst e n z e h n J a hr e n w e n n si e d a s Str af m a n d at ni c ht z u-
M or g e nst er n
„ w ar d a s n ur s c h ö n, ei- d ass es d ort m al g e- z us a m m e n br e c h e n, w ar nt d er e h e- rü c k n e h m e, v erf e hlt i hr e Wir k u n g
n e B er ei c h er u n g f ür m ütli c h er, Ve n us ei n e m ali g e U n es c o- Vertr et er G h ul a m R e- n i c ht. K ur z er A p pl a u s br a n d et a uf.
d i e g a n z e Hi m m el s- A rt Z willi n g d er Er d e z a M o h a m m a di. 2 0 01 h att e n di e Tali- F r a u Ott wir d ni c ht w üt e n d, w a s
la n d s c h aft. “ w ar. D as E n d e ei n er b a n di e i n di e F els- e i g e ntli c h a n g e br a c ht w är e. St att-
W e n n d er Di pl o m- m ö gli c h er w eis e l e- w and g e m ei ß elt e n d e s s e n g e ht si e mit mir z u m ei n e m
p h y si k er a u s St utt g art b e nsfr e u n dli c h e n W elt B a mi y a n- B u d d h a- W a g e n, z ei gt a uf m ei n e P ar k s c h ei b e
v o n d er Ve n u s s pri c ht, m it Fl üss e n u n d M e e- S t at u e n a us d e m u n d er kl ärt, d a s s m a n di e s e s o ei n-
d a n n kli n gt d a s n a c h re n k ö n nt e d e n vi el e n se c hst e n J a hr h u n- s t ellt, d a s s m a n di e A n k u nft s z eit a uf
m e hr al s n a c h I nt er e s- V ul k a n e n z u v er d a n k e n d ert g es pr e n gt. Ill e- e i n e h al b e St u n d e r u n d et. U n d ni c ht
s e a n ei n e m a str o n o- sei n, v o n d e n e n n o c h g al e B a u ar b eit e n u n d w i e i c h di e A bf a hrt s z eit. Si e s a gt r u-
P A / A A / BI L A L G U L E R
m i s c h e n Er ei g ni s. E s m i n d est e ns 3 7 Tr ei b- G ra b u nge n u nt er h i g, d a s s e s w o m ö gli c h ei n V er s e h e n
k li n gt n a c h j e n er Fa s zi- D i e V e n u s li e f er t wi e d er ei n h a us g as e i n di e At m o- d e m n e u e n Tali b a n- m ei n er s eit s s ei, d a s k ö n n e si e j e d o c h
n ati o n, di e di e R ö m er sp h är e s c hl e u d er n u n d R e gi m e s et z e n di e b ei d er K o ntr oll e ni c ht b e urt eil e n.
v er a nl a s st h at, d e m
b e s o n d er e s Hi m m el s s p e k t a k el. so f ür h o h e T e m p er a- Z erst ör u n g f ort. f a v U n d d a f ällt mir a uf, d a s s i c h mi c h
n ac h M o n d u n d S o n ne W ar u m u n s er N a c h b ar pl a n e t tur e n s or g e n. N as a- b e n e h m e wi e ei n e s j e n er „ Q u er d e n-
U L L S T EI N BI L D / V W PI C S
a m h ell st e n l e u c ht e n- G e o p h ysi k eri n S u z a n- k er “- G et ü m e, ü b er di e i c h i m m er
den Hi m m el s k ör p er n i c h t n ur ei n L e hr b ei s pi el f ür s n e S mr e k ar s a gt, d ass PORT U G AL d e n K o pf s c h ütt el e, w e n n i c h si e i n
d e n N a m e n i hr er G öt- n ur di e Ve n us v err at e n A N TI -I M P F - T A N Z d e n N a c hri c ht e n s e h e. Di e ar m e
ti n d er Li e b e u n d L i e b e sl e b e n i s t k a n n, w ar u m di e Er d e D er c hi n esis c h e K ü nstl er u n d A kti vist F r a u Ott m u s s si c h d e n g a n z e n Ta g
S c h ö n h eit z u g e b e n. I n im S o n n e ns yst e m ei n- A i W ei w ei s or gt mit ei n e m i m pfs k e p- v o n Tr ott el n b e s c hi m pf e n l a s s e n,
d i e s e n Ta g e n l e u c ht et R e n de z v o us mit M o n d: Die Ve n us a m M o r ge n hi m mel z i g arti g ist – „ u n d wi e tis c h e n Vi d e o a uf I nst a gr a m f ür E m- d i e z u d o of, z u g ei zi g o d er z u f a ul
V e n u s wi e v err ü c kt. w a hrs c h ei nli c h es ist, p ör u n g. D ari n z u s e h e n: ei n e Gr u p p e s i n d, si c h a n R e g el n z u h alt e n. U n d
A m 1 2. F e br u ar err ei c ht si e di e D r u c k, 9 0 M al h ö h er al s a uf d er Er- d ass wir ei n e z w eit e Er d e u m ei n e n v o n M ä n n er n, di e z u Tr o m m el n u n d ic h bi n g er a d e ei n er d a v o n. Gr ä s s-
h ö c h st e L e u c ht kr aft i n i hr er „ M or- d e, s o s c h w er wi e i n 9 0 0 M et er a n d er e n St er n fi n d e n “. A k k or d e o n t a n zt. D a- li c h. Wa s t u n?
g e n si c ht b ar k eit “. M er kli c h bl a s s er M e er e sti ef e. F ür S v e n M el c h ert u n d di e a n d e- rü b er di e A ufs c hrift: M a n k a n n si c h n ur e nt s c h ul di g e n.
w ir d si e er st i m A pril. Bi s d a hi n b e- Di e M a y a h att e n ei n e A h n u n g. r e n H o b b y a str o n o m e n i st d er A n- „Ic h und m ei n e D i e Tat v erl a n gt n a c h ei n er G e st e.
lo h nt si e Fr ü h a uf st e h er mit b e gl ü- Si e f ür c ht et e n d e n M or g e n st er n. bli c k d er V e n u s ni c ht z ul et zt ei n F r e u n d e, wi e wir a u- A l s o zi e h e i c h ei n e Fl a s c h e Ei st e e
c k e n d e n Bil d er n. I hr e H elli g k eit U m i h n b ei L a u n e z u h alt e n, b e- ä u ß er st b er ü hr e n d e s Z ei c h e n f ür ß er h al b d es N et z es a u s m ei n er Ei n k a uf st üt e. I c h ü b er-
v er d a n kt si e i hr er di c k e n W ol k e n d e- gr ü ßt e n si e i h n mit bl uti g e n Rit u a- di e G e h ei m ni s s e d e s U ni v er s u m s. le b e n, n a c h d e m wir rei c h e si e i hr al s G e s c h e n k, u n d si e
c k e, di e d a s S o n n e nli c ht z u 7 6 Pr o- l e n. F ür u n s bl ei bt V e n u s d er Pl a- M el c h ert e m pfi e hlt ü bri g e n s, mit d e n I m pfst off a b g e- n i m mt e s wi d er Er w art e n a n. D a n n
z e nt r efl e kti ert. A b er w a s li e gt u n- n et, d er n a c h d e m Ur bil d w ei bli- ei n e m F er n gl a s d e n M or g e n st er n le h nt h a b e n. “ Ai W ei- fa hr e i c h n a c h H a u s e. I c h w er d e
A F P / J U S TI N T A L LI S
ter d e m S c hl ei er j e n e s Pl a n et e n, c h er A n m ut b e n a n nt w ur d e, d er e n a m H ori z o nt z u i n s pi zi er e n, d er w ei will mit d e m Vi- b ei m n ä c h st e n Ei n k a uf a uf d a s s c h ö-
v o n d e m C. S. L e wi s i n s ei n e m R o- R ei z si c h k a u m ei n K ü n stl er e nt zi e- wi e d er M o n d ei n e Si c h el bil d e n d e o S oli d arit ät z u J u- n e K ni st er n u n d K n a c k e n d er Fl a-
m a n „ P er el a n dr a “ b e h a u pt et e, a uf h e n k o n nt e. Di e W a hr h eit i st: V e- k a n n. Di e V e n u s h at e b e n a u c h i hr e li a n Ass a n g e si g n ali- s c h e v er zi c ht e n m ü s s e n. Ei n e g e-
ih m e xi sti er e d a s P ar a di e s? Er h at n u s i st v o n a u ß e n w u n d er s c h ö n, P h a s e n. C L A U DI A B E C K E R si er e n. fa v re c ht e Str af e.
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THEMA
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022 SEITE 13

Die Reiter der Apokalypse

Chaos an den Börsen, Inflation, kollabierende Lieferketten: Findige Ökonomen und Banker machen Geschäfte
mit der Angst vor dem Untergang der Weltfinanzwirtschaft. Einige sind mit rechten Netzwerken verbunden –
und einer, Max Otte, tritt an diesem Sonntag bei der Wahl zum Bundespräsidenten für die AfD an.

Von Judith Henke, Laurin Meyer und Alexander Nabert

Illustration: Anselm Magnus Hirschhäuser

Die Frage ist, warum Deutschland in den

Prognosen der Finanzpropheten wie eine
düstere Dystopie aussieht und was dahin-
tersteckt. Die Suche nach Antworten führt
auch in die Frankfurter Innenstadt

© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
14 THEMA
E
Ein Mann vom Sicherheitsdienst öffnet
die große Glastüre eines länglichen
grauen Kastens in bester Kölner Lage
gerade so weit, dass sein Kopf zu sehen
ist. Er mustert die Reporter, den Foto-
grafen, dann lässt er die Tür ins Schloss
fallen, schließt ab und verschwindet im
Foyer. Eine Minute später ist er zurück.
„Also Herr Otte meinte gerade zu mir,
er hätte das Interview doch abgesagt.“
Es ist Mitte Januar, und Max Otte,
Ökonom und Experte für die Welt der
Finanzen, hatte ein Interview zugesagt.
An diesem Morgen muss er es sich an-
ders überlegt haben. Jedenfalls schickt
er eine Stunde vor dem Termin, als Re-
porter und Fotograf längst auf dem Weg
zu ihm sind, eine E-Mail. Er wolle si-
chergehen, dass am Ende keine „gefram-
te“ Reportage entstehe, also eine Ge-
schichte mit dem Ziel, ihn schlecht aus-
sehen zu lassen. Nun stehen die Repor-
ter vor seiner Tür, und Otte will nicht
und nimmt auch ihre Anrufe nicht an.
Es ist derselbe Mann, der sich zwei
Wochen später im Berliner Reichstag
postieren wird, die Hände vor seinem
wuchtigen Körper falten und erklären
wird, dass er Bundespräsident werden
will, nominiert von der AfD. Der höchste
Vertreter des Staates, als Kandidat einer
Partei, in der viele Funktionäre die De-
mokratie verachten.
Es gilt als unmöglich, dass Otte eine
Chance hat bei der Wahl, die an diesem
Sonntag stattfindet. Was er aber in je-
dem Fall erreicht hat, ist große Aufmerk-
samkeit. Mal wieder. Otte ist damit be-
kannt geworden, dass er den Zusam-
menbruch der Weltwirtschaft vorher-
sagt. Er ist Teil einer Gruppe von Män-
nern, die den Untergang nahen sehen.
Glaubt man ihnen, wird in absehbarer
Zeit das Finanzsystem implodieren, der
Euro, die Banken. Und am Ende lösen
sich die Ersparnisse ganzer Generatio-
nen auf, dann auch die Demokratien, die
Zivilisation, die Ordnung der Welt.
Diese Männer, es sind nur Männer,
schreiben Bücher, treten im Fernsehen
auf, produzieren digitale Medienforma-
te. Sie verkaufen unter anderem Aktien-
fonds und Gold. Ihre Bücher, manche
Bestseller, haben sich zigtausendfach
verkauft, ihre Videos im Internet sehen
viele Hunderttausend Menschen. Sie
haben eine Gefolgschaft um sich ge-
schart; wie viele Investoren sie haben,
weiß man nicht. So transparent ist der
Finanzmarkt selten. Manche nennen
diese Männer Crashpropheten, andere
Finanzapokalyptiker. In Deutschland
sind sie Dutzende, und drei der bekann-
testen sind Max Otte, Thorsten Polleit
und Thorsten Schulte, der sich Silber-
junge nennt.
Die Frage ist, warum Deutschland in
ihren Prognosen wie eine düstere Dys-
topie aussieht und was dahintersteckt.
Die Suche nach Antworten führt zum
Beispiel zu einer Wanderung ins Bergi-
sche Land, ins Frankfurter Bankenvier-
tel, in den Deutschen Bundestag und in
ein vornehmes Hotel in Potsdam. Und
am Ende wird ein Netzwerk von Men-
schen sichtbar, die Politik am rechten
Rand machen. Darin sind Männer, die
mit Verschwörungsmythen spielen und
sie befeuern. Auch solchen, die unter
M
Fachleuten als antisemitisch gelten.
ax Otte, 57 Jahre alt, ist seit
Jahrzehnten Mitglied der
CDU, bis zu seiner Kandidatur
fürs Amt des Präsidenten war er Chef
der Werte-Union, einer ultrakonservati-
ven Splittergruppe. Otte schreibt Sach-
bücher, ein paar wurden Bestseller. Er
hat in den USA promoviert, wurde Pro-
fessor für Betriebswirtschaftslehre, die
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022
längste Zeit war er an der Hochschule
Worms. Er hat den Job vor ein paar Jah-
ren aufgegeben, seinen Professorentitel
führt er nach wie vor. Das ist erlaubt –
und sicher kein Nachteil für seine Ge-
schäfte.
Seit knapp zwei Jahrzehnten ver-
schickt Otte Woche für Woche einen
Börsenbrief an Anleger. Er schätzt da-
rin die Finanzmärkte ein, Anlagestra-
tegien, auch bestimmte Aktien. Dieser
Service kostet derzeit 514,80 Euro im
Jahr, Mehrwertsteuer inklusive, so
steht es auf der Webseite seines Unter-
nehmens. Zwischenzeitlich wurde Ot-
te auch Fondsmanager, seine Gesell-
schaft betreut im Moment drei ver-
schiedene Fonds, einer heißt „Max Ot-
te Multiple Opportunities Fund“. Die-
se Fonds verwalten insgesamt rund
240 Millionen Euro. Ottes Unterneh-
men bekommt jedes Jahr einen Anteil.
Wie viel bei Otte selbst landet, ist nir-
gendwo ausgewiesen.
Im Jahr 2006 veröffentlichte Otte das
Buch „Der Crash kommt“. Kaum zwei
Jahre später wankte die amerikanische
Investmentbank Lehman Brothers, ging
pleite, und eine globale Krise riss das ge-
samte Weltfinanzsystem an den Rand
des Abgrunds. Aus Otte, einem verbe-
amteten Professor einer kleinen Hoch-
schule in Worms, wurde ein berühmter
Mann. Er stritt sich in Fernsehtalk-
shows mit Politikern, hielt Hunderte
Vorträge, Zeitungen und Zeitschriften
druckten große Porträts, darin war er
„Der Seher“, „Der Prediger“ oder „Der
Crash-Prophet“. Er verlinkte die Artikel
O
auf seiner persönlichen Internetseite.
tte ist ein gutes Beispiel dafür,
dass sich mit den düsteren
Prognosen gutes Geld verdie-
nen lässt. Und auch dafür, dass die Rei-
ter der Apokalypse mit ihren Vorhersa-
gen manchmal richtig liegen, zumindest
nicht ganz falsch. Allerdings viel selte-
ner, als sie ihre Fans und die Welt glau-
ben machen.
Denn was nach Lehmans Pleite wie ei-
ne Prophezeiung aussah, wirkte in ande-
ren Fällen eher skurril. Im Zuge der Eu-
ro-Krise etwa sagte Otte oft, der Euro
Max Otte
Fondsmanager
Otte, 57, Diplom-
PA/ DPA/K. NIETFELD
Volkswirt, pro-
movierter Politik-
wissenschaftler,
von 2001 bis 2018
verbeamteter
BWL-Professor an der Hoch-
schule Worms. Er erlangte durch
sein Buch „Der Crash kommt“
(2006) Popularität und konnte
als Fondsmanager ein Vermögen
aufbauen. Otte ist CDU-Mitglied
und war Chef der rechtskonser-
vativen Werte-Union. Er rief
seine Anhänger schon 2013 zur
Wahl der AfD auf und arbeitete
eng mit ihr zusammen. Heute ist
er ihr Präsidentschaftskandidat.
Ottes Fonds
Entwicklung des PI Global Value
Fund (nach Strategie von Max Otte)
im Vergleich zum MSCI World
(GDTR, UHD), dem bekanntesten
Index für den weltweiten Aktien-
markt
PI Global Value Fund
MSCI World (Performance-Index)
Veränderungen in %
89,8
100
Indexiert 02/2017
80
60
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2017 2022
Quelle: Onvista
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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG
„Eine neue Dimension der
Krise“: Max Otte wandert
mit seinen Anhängern
NR. 7 THEMA 15
werde untergehen. Vor zehn Jahren gab cheln. Und am Ende geht es tatsächlich Bild von einflussreichen, wohlhabenden Degussa Goldhandel ist ein Unter-
er der Währung noch zwei Jahre, die auch um die Altersvorsorge vieler Frau- Interessenvertretern, die im Hinter- nehmen des inzwischen verstorbenen
Wahrscheinlichkeit bezifferte er auf 60 en und Männer, die dafür hart arbeiten grund agierten. Eben das Klischee des Thorsten Polleit Milliardärs August von Finck junior,
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Prozent. Später, 2018, legte er sich fest: müssen. Juden. Ökonom, Degussa Gold sein Erbe wird derzeit geregelt. Und
„Der Euro muss platzen, und er wird Otte schreibt in einer Mail an diese Polleit beobachtet die Weltfinanzmärk-
platzen.“ tuttgart, Januar 2022. In einem Zeitung, mit dem Begriff meine er „in- Polleit, 54, Wirt- te, schreibt Analysen für sein Unterneh-
J. RATERMANN/LAIF
Im Grunde ist es wie mit einer Uhr, Büro in der Stuttgarter Innen- ternationale Finanzkonzerne wie Black- schaftswissen- men, an der Universität in Bayreuth
die fünf vor zwölf stehen geblieben ist. stadt lässt sich Michael Blume in rock und ganz sicher nicht Menschen jü- schaftler, pro- weiht er Studenten in die Geheimnisse
Zweimal am Tag zeigt sie die richtige einen stoffbezogenen Stuhl fallen und dischen Glaubens“. movierte 1996 an der gesellschaftlichen Ordnung ein. Er
Uhrzeit an, eine Minute lang. entschuldigt sich dafür, dass er etwas Es wäre demnach kein Code. Dagegen der Universität hat das Interview schnell zugesagt. Es
Ali Masarwah, Fondsanalyst der Inter- müde ist, er habe viel zu tun. Blume, 45 sagt Blume: „Solche Andeutungen wer- Münster, arbeite- soll um die ökonomische Lage gehen,
netplattform Envestor, sagt, das sei ty- Jahre alt, promovierter Religionswissen- den verstanden.“ Man könne das ganz te anschließend bei europäischen um die Inflation, aber auch um Corona
pisch. Er beobachtet die Investments schaftler, ist der Antisemitismusbeauf- gut daran sehen, wer zum Beispiel Max Großbanken. Seit 2012 ist er und die neue Bundesregierung.
J
der Finanzapokalyptiker seit mehr als tragte des Landes Baden-Württemberg. Ottes Nähe sucht. Chefvolkswirt bei „Degussa Das Gold, mit dem auch sein Arbeit-
einer Dekade. „Crashpropheten warnen Als er 2018 von der Landesregierung er- Goldhandel“. Das Unternehmen geber handelt, gilt als beständige Anlage
jedes Jahr“, sagt er. „Und wenn dann der nannt wurde, kam der Antisemitismus uli 2021, Beyenburg. Vor einer gehörte dem Ende letzten Jahres in Zeiten, in denen wenig beständig ist.
Crash nicht kommt, führen sie das auf schon von allen Seiten, von rechts, von Klosterkirche schwatzen etwa vier verstorbenen Milliardär August Wie Polleit es sieht, ist das Gold „letzt-
eine noch gesteigerte Manipulation links, aus dem Islam. Seit einiger Zeit Dutzend Menschen, über ihnen von Finck junior, der im Hinter- endlich auch ein Misstrauensausweis ge-
durch die böse Macht Europäische Zen- beschäftigt sich Blume auch mit den zwitschern die Vögel. Gesprächsfetzen grund die AfD unterstützt haben genüber dem System“. Alles in allem ei-
tralbank zurück.“ Propheten des Weltuntergangs, mit schwirren durch die Luft, Pandemiepoli- soll. In Analysen des Unterneh- ne glänzende Sache.
Oktober 2021, Köln. Im Erdgeschoss Männern wie Otte, Polleit und Schulte. tik, Zentralbanken, die AfD. Manche mens vertritt Polleit Thesen wie Polleit rät Anlegern gerne zum Gold.
eines Tagungshotels schreitet Otte auf Er schreibt Aufsätze, nimmt Podcasts Teilnehmer befestigen Deutschland- die vom „Great Reset“. Polleit Max Otte investiert in Goldminen. Ih-
einer kleinen Bühne auf und ab, er trägt auf und warnt Sicherheitsbehörden. Die fähnchen an ihren Rucksäcken. Otte lehrt seit 2014 als Honorarpro- nen ist gemeinsam, dass Gold für sie
ein Headset-Mikrofon, an der Wand hin- Finanzapokalyptiker, sagt Blume, seien wird sie durch Wälder und Täler im Ber- fessor an der Universität Bay- mehr ist als eine Anlage. Gold gehört in
,,
ter ihm flackert eine Präsentation. Otte Teil derselben gesellschaftspolitischen gischen Land führen, „Spaziergang für reuth und leitet eine Denkfabrik. die Welt der Finanzen, aber auch in die
redet über sich und die Lage der Welt. Großwetterlage wie die Demonstratio- Deutschland“ nennt er das, Kosten: 24 Eines seiner Bücher heißt „Mit Welt der Politik. Und so zieht Polleit
Wenn er in die Strahlen des Projektors nen der sogenannten Querdenker. Es Euro je Teilnehmer. Geld zur Weltherrschaft“. ähnliche Verbindungslinien wie Otte.
läuft, brennen sich für einen Augenblick gebe eine Art Faustregel: Wo Krisen Viele der Männer und Frauen erzäh- Corona, die Wirtschaft, alles ein einzi-
Buchstaben und Zahlen in sein Gesicht. sind, sei der Antisemitismus nicht weit. len, sie seien langjährige Fans, Abonnen- Gold ges großes Endspiel.
Im Publikum sitzen mehrere Dutzend Immer, wenn es in den letzten Jahrhun- ten seines Börsenbriefs, Investoren sei- Polleit sagt, die Lockdowns hätten die
Menschen, die sich für derten zu Verwerfun- ner Fonds, Leser seiner Bücher. Einige Entwicklung des Goldpreises im Wirtschaft zum Stillstand gebracht. Al-
Vergleich zum MSCI World (GDTR,
ihn und seine Invest- gen, Epidemien, Krie- sagen, dass sie Ottes Anlageempfehlun- UHD), dem bekanntesten Index für
so hätten die Zentralbanken „künstlich
ments interessieren. gen oder ökonomi- gen seit mehr als zehn Jahren folgen. den weltweiten Aktienmarkt neues Geld“ geschaffen. Das Ergebnis
Otte sagt, „es gibt ei- schen Unruhen ge- Irgendwo zwischen Beyenburg und sei, dass die Marktwirtschaft zurückge-
ne neue Dimension der kommen sei, habe es Radevormwald legt die Wandergesell- Goldpreis drängt würde. Letztlich, sagt Polleit,
Krise“. Er verdichtet die Leute gegeben, die schaft einen Stopp ein. Ein Tablett mit MSCI World (Performance-Index) führe das alles zu einem „großen Umbau
vergangenen beiden DER EURO MUSS hinter allem die Juden belegten Schinkenbrötchen wird herum- Veränderungen in %
89,8
unserer Volkswirtschaft“.
Jahre zu Sätzen und vermuteten. gereicht. „Herrlich“, sagt einer. Einige Polleit lehnt sich in seinem Stuhl
PLATZEN, UND ER
100
Schlagworten, Corona, Nun laufen auf den sind nicht wegen Ottes Aktientipps ge- Indexiert 02/2017 nach vorn, er wägt seine Worte und for-
WIRD PLATZEN
Drohnenangriff in Sau- Demonstrationen ge- kommen, sondern wegen seiner Politik, 80 muliert druckreife Gedanken, ganz der
di-Arabien, Klimapoli- gen die Coronapolitik es sind neuere Fans. Ein Rentner etwa 60
Professor. Es gibt genügend Wirt-
48,1
tik, Flüchtlingskrise, landauf, landab Frau- sagt, Otte sei eine „spannende Persön- schaftsbosse und Ökonomen, die ähnli-
MAX OTTE
Brexit, der Sturm aufs en mit, die sich als lichkeit“, so aufrecht und mit einer kla- 40 che Dinge sagen, nicht nur in Deutsch-
Autor und Manager
Kapitol in den USA, die verfolgt wie Sophie ren Meinung. Max Otte, Mann der CDU, land. Das dröhnende Pathos, mit dem
Flutkatastrophe in Scholl sehen, die Wi- aber seit Jahren großer Anhänger der 20 Otte oft öffentlich auftritt, scheint Pol-
Deutschland. Es ist ein wilder Ritt durch derstandskämpferin gegen Hitlers Na- AfD, hat sich ein neues Publikum er- 0 leit fremd zu sein, wenn man mit ihm
das Weltgeschehen, er dauert gut neun tionalsozialisten. Weil sie sich nicht schlossen. Was für ein Publikum das ist zusammensitzt.
Minuten. Am Ende sagt Otte, alles hän- impfen lassen wollen. Es gehen Männer und warum auch das viel mit Geld zu In seinen Berichten klingt er aller-
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ge miteinander zusammen. Auch mit auf die Straße, die raunen, dass hinter tun hat, darum wird es noch gehen. 2017 2022 dings ganz anders.
dem Geld. Er ruft ein „Endspiel um die der Pandemie reiche Juden mit gehei- Quelle: Onvista Da ist zum Beispiel ein Marktbericht
Neuordnung der Welt“ aus. Und er, Ot- mer Agenda stecken. Es gibt den frühe- rankfurt, Januar 2022. Im Schat- aus dem November 2021 für Degussa
te, ist der Welterklärer, der in einer Welt ren Fernsehkoch Attila Hildmann, der ten der Bankentürme im Frank- Gold. Polleit schrieb darin von „politi-
voller Chaos die wichtigen Punkte mit- sich selbst als Nationalsozialisten be- furter Zentrum liegt eine alte Vil- schen Globalisten“ und einer „Interes-
einander verbindet und so die Dinge zeichnet und behauptet, Juden wollten la, Firmensitz der Edelmetallhandelsge- sengemeinschaft von ranghohen Politi-
ordnet. Später stellen Ottes Mitarbeiter die „deutsche Rasse auslöschen“. sellschaft Degussa Sonne/Mond Gold- kern und Bürokraten, Zentralbankräten,
den Vortrag als Video auf der Plattform Blume schüttelt den Kopf, wenn er so handel. In einem Besprechungsraum im Vertretern von Großunternehmen“.
M
YouTube ins Internet. etwas hört. Er beobachtet eine Ent- ersten Stock, viel schweres Holz, Stuck Einer „Art Weltregierung“.
wicklung, die neuerdings auch Politiker an den Decken, streckt ein groß gewach- Da ist außerdem sein Bei-
an kann solche Dinge seit eini- im Berliner Regierungsviertel, Finanz- sener Mann Mitte 50 seine Hand zur Be- trag im Magazin „eigen-
,,
ger Zeit auf vielen Veranstal- marktexperten und Verbraucherschüt- grüßung aus. Thorsten Polleit, Chef- tümlich frei“, in dem es
tungen hören, manche finden zer im ganzen Land besorgt. In länge- volkswirt des Unternehmens. um „antikapitalistische
in geschlossenen Zirkeln statt, manche ren Gesprächen sagen viele von ihnen
kann man sich im Internet ansehen. ganz ähnliche Dinge wie Blume in sei-
Manches steht in Marktanalysen. nem Büro.
In Frankfurt am Main zum Beispiel Blume kennt nicht nur Spielarten des
verfasst ein Mann mit guten Manieren Antisemitismus, er kennt auch das Fi-
und sich lichtendem Haar, Chefvolks- nanzwesen. Als junger Mann hat er eine
wirt einer bundesweiten bekannten Ausbildung in einer Bank gemacht und
Goldhandelsgesellschaft, Texte, in de- später einige Semester Volkswirtschaft
nen Politik und Zentralbanken unter ei- studiert, bevor er sich für Religionswis-
ner Decke stecken und „kollektivistisch- senschaften entschied. Geld, das Thema
sozialistische Umgestaltungsvorhaben“ der Finanzapokalyptiker, ist auch sein KAUM ETWAS IST
aushecken. Sein Name: Thorsten Polleit. Thema.
Und Thorsten Schulte, der für das „Es gibt kaum etwas, das enger mit ENGER MIT DEM
HASS AUF JUDEN
Edelmetall Silber wirbt, spricht vor sei- dem Hass auf die Juden verbunden ist
nem Bücherregal von einer „grenzenlo- als finanzielle Themen“, sagt Blume. Es
VERBUNDEN ALS
sen Macht“ der Zentralbanken. sei die alte Erzählung, das kleine Ein-
Wenn man mit dem Blick dieser und maleins des Antisemitismus, dass Juden
einiger anderer Männer auf Deutschland das Geld kontrollierten und so auch die FINANZIELLE
schaut, kann es so aussehen, als stände Menschen. Blume sagt, dass gerade Otte
die Planwirtschaft unmittelbar bevor sehr geschickt scheinbare Zusammen- THEMEN
und das Volk lebte im Grunde fast wie in hänge herstelle, wo keine sind. Und in
einer Diktatur. Und hinter alldem gäbe den entscheidenden Momenten achte er MICHAEL BLUME
es einen geheimen Plan. Ausgeheckt von darauf, dass er Grenzüberschreitungen Antisemitismusbeauftragter
S
einem Zirkel reicher Akteure, die im nur andeute.
Verborgenen agieren und alles in ihrem
Sinn steuern. tuttgart, Mai 2020. Max Otte
Die Fakten sind: Die Pandemie hat in spricht auf einer Demonstration
zwei Jahren vielen Unternehmen zu von „Querdenkern“. Die Pande-
schaffen gemacht, in Deutschland wie mie sucht seit gut drei Monaten auch
anderswo in der Welt. Manche Firmen Deutschland heim, und Otte verbindet
mussten aufgeben; viele können nicht wieder seine Punkte. Corona, das Geld,
mehr alles herstellen oder verkaufen, die Mächtigen. Otte sagt, Corona sei
was ihre Kunden haben wollen. Auto- noch nicht zu Ende. In Wahrheit sollten
hersteller warten auf Teile, Elektronik- nicht die Körper geimpft werden, son-
konzerne auf die so wichtigen Mikro- dern „unsere Gehirne sollen geimpft
chips, die in vielen ihrer Produkte ste- werden“. Dahinter ständen finanzstarke
cken. Zudem ist in Europa und den USA Lobbys.
zuletzt die Inflation in Rekordhöhen ge- Applaus, Applaus.
stiegen. Der Ausdruck „finanzstarke Lobbys“,
Auch die Finanzmärkte haben schon sagt Blume in seinem Büro, sei ein typi- „Misstrauensausweis
bessere Zeiten gesehen. Seit ein paar scher Code aus dem Sprachgebrauch gegenüber dem System“:
Wochen drehen die Indizes der großen moderner Antisemiten. Die Formulie- Thorsten Polleit findet
Börsen ins Minus. Weltkonzerne strau- rung erzeuge im Kopf der Menschen das Wahrheit im Gold
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16 THEMA WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022

„Die Zahl des Tieres, des Antichristen“:

Thorsten Schulte wertet Zahlen und
Finanzdaten aus

Kräfte“ geht, die Corona und die Klima- stimmen die, die keine Gelder vom und Otte, alles hängt irgendwie zusam-
krise nutzten, um eine „Befehls- und Staat empfangen. Jemand mit gutem men. Der Ort, an dem ihre Geschichten
Lenkungswirtschaft“ zu errichten. Pol- Einblick in die Firma Degussa Gold zusammenlaufen, ist eine Partei im
leit warnt vor einer „Welteliteregie- sagt, dass Krall „vom Family-Office“ – Deutschen Bundestag, die AfD.
rung“. Sie bestehe aus Big Business, Big die Person meint von Finck – nicht Die Degussa soll der Partei Gold ge-
Pharma, Big Tech und Big Banking. trotz seiner Haltung eingestellt wurde. liefert haben, mit dem diese ihre Finan-
Es gibt weitere Beispiele. Es ist das Sondern wegen seiner Haltung. Es gebe zen aufbesserte, das zeigen Recherchen
Spiel mit einem Leitmotiv, das der For- sonst auch wenig nachvollziehbare des „Spiegels“ und der Schweizer
scher Blume in seinem Stuttgarter Büro Gründe. Krall wisse wenig über die Be- „WOZ“. Diese deuten auch darauf hin,
oft liest, oft hört und oft bespricht. Die sonderheiten der Goldbranche, so der dass von Finck mit seinen Unterneh-
Behauptung einer Verschwörung. Und Insider. men und Bevollmächtigten die AfD und
Blume glaubt, dass Polleit und Otte Auf Fragen dazu schickt eine Spreche- deren Umfeld kräftig unterstützt hat.
auch Bürgerliche an antisemitische Ver- rin Polleits eine Mail, zu den Vorwürfen Die AfD, die Goldhändler und die Fami-
schwörungsmythen heranführen. „Wo schreibt sie nichts. Degussa Goldhandel lie haben sich bisher nicht öffentlich
über Globalisten geraunt wird, sind und das Family-Office ließen eine dazu geäußert.
auch Juden gemeint“, sagt Blume. Die schriftliche Anfrage unbeantwortet. Max Otte macht aus seiner Sympathie
Verächter der Juden, sagt Blume, sprä- Krall schreibt eine Mail, er wirft seinen für die AfD schon lange kein Geheimnis
chen nicht mehr offen von Juden. Kritikern eine „Rufmordkampagne“ und mehr. Er sagte schon vor fünf Jahren, er
Es ist Mitte November, mehr als zwei „Strategie der Zersetzung nach Stasi- wolle sie wählen. Er hielt Referate vor
Monate vor dem Interview in Frankfurt, handbuch“ vor und kündigt eine Stel- ihrer Bundestagsfraktion, übernahm
als Polleit im Kongresssaal eines Potsda- lungnahme an, lässt aber die Frist ver- zwischenzeitlich den einflussreichen
mer Hotels sitzt. Das Licht, die Augen streichen. Posten des Kuratoriumsvorsitzenden in
und das Interesse von etwa 100 Men- Krall tut, was auch Otte tut. Er hält der parteinahen Stiftung, organisierte
schen, meist Männern, sind auf ihn ge- Vorträge bei der AfD, spricht für sie als Veranstaltungen mit hochrangigen Ver-
richtet. Die Hayek-Gesellschaft hat ihn Sachverständiger im Deutschen Bundes- tretern der Partei, ließ sich von ihr als
als Redner zu einer ganztägigen Diskus- tag. Er scheint gutzuheißen, dass die Sachverständiger in den Deutschen
sionsveranstaltung eingeladen. Polleits Partei Otte zu ihrem Kandidaten für das Bundestag einladen.
Thema: „Inflationsdruck – gekommen, Amt des Bundespräsidenten gemacht Und wenn man sich in der AfD um-
um zu bleiben?“ hat. In einer öffentlichen Nachricht auf hört, dann erschien es auch der Partei
Eine Weile spricht er über die Inflati- dem Chatdienst Telegram lobte er Ottes folgerichtig, ihn zu ihrem Kandidaten
on, zeigt Grafiken, verweist auf seine „wirtschaftlichen Sachverstand“. Und für das Amt des Bundespräsidenten zu
Bücher. Später, in der Publikumsdiskus- Otte schrieb über Kralls Buch mit den machen. Im Bundesvorstand haben ihn
sion, sagt er, es werde ein „Great Reset“ Umsturzfantasien, es sei „ein Reform- demnach Anhänger und Verbündete des
geplant. Und zwar vom „politischen programm für Deutschland“. Umfas- rechtsextremen „Flügels“ durchgesetzt,
Globalismus“. send, durchdacht, „auf den Punkt ge- den es offiziell nicht mehr gibt. Allen
Der „Great Reset“ und der „Globalis- bracht“. voran Parteichef Tino Chrupalla. Der
mus“ sind beliebte Begriffe aus dem Otte und Krall haben einen gemeinsa- langjährige Parteichef Jörg Meuthen
Wörterbuch sogenannter Querdenker. men Bekannten. Einen Mann mit kurzen trat nach Ottes Nominierung aus der
Und nach Ansicht von Experten wie Blu- Haaren, stets adrett gekleidet, sonore Partei aus.
me stehen auch sie für die Verschwö- Stimme. Sein Name: Thorsten Schulte. „Es ist schade, der Max konnte so ein

N
rungserzählung von einem Geheimpro- Auch ihn kennt man im Bundestag. fröhlicher, kultivierter Zeitgenosse
gramm der Eliten, die die gesamte Welt sein“, sagt ein langjähriger Weggefährte
derzeit nach ihren Vorstellungen neu ovember 2020, Berlin. Während Ottes. Dass Otte sich einmal so radikali-
ordnen. Natürlich, sagt Blume, zählten unter der Reichstagskuppel Ab- sieren würde, habe er nicht kommen se-
reiche Juden wie George Soros zu die- geordnete über das Infektions- hen. Und ein anderer, der die inneren

,,
sen Eliten. schutzgesetz diskutieren, zieht eine Prozesse der AfD gut kennt, sagt: „Der
Das ist auch deshalb interessant, weil Gruppe sogenannter Querdenker durch Otte ist ein Flügelianer. Und zwar einer
die Hayek-Gesellschaft, der Veranstalter die Flure des Parlaments. Sie bedrängen von den deftigeren.“
dieses Abends, mal eine feste Größe des Politiker, beleidigen sie und versuchen, Otte sagt auf Anfrage, er habe den in-
deutschen Liberalismus war. Die Mit- in Abgeordnetenbüros zu gelangen. Die zwischen aufgelösten Flügel „schon frü-
gliedsliste des Vereins, der laut Satzung Bilder, die die Gruppe selbst gefilmt und her als rechtsradikal bezeichnet“. Au-
Forschung „im Geiste live ins Netz übertra- ßerdem habe er „nie einen Zweifel daran
Friedrich August von gen hat, erschüttern gelassen, dass ich völkisches Gedanken-
Hayeks“ fördern will, das politische Berlin. gut für vollkommenen Stuss halte“.
las sich wie ein Who’s Es stellt sich heraus, Allerdings gibt es Fotos aus dem Jahr
who der Wissenschaft dass Abgeordnete der 2011, sie zeigen Otte am Grab von Os-
und Politik. Der heuti- AfD sie als Gäste ein- Schulte erzählt, dass auch er dort ein neuen Omikron-Variante seien exakt wald Spengler, einem Philosophen vom
ge Bundesfinanzmi- EINEN gelassen haben. Unter paar Silbervorräte eingelagert hat. Zu- 666 Tage vergangen. rechten Rand der Weimarer Republik,
nister Christian Lind- ihnen auch Schulte. dem verdient er Geld mit seinen Bü- Thorsten Schulte Die Quersumme der offiziellen Omi- auf dem Münchner Nordfriedhof. Um
ner gehörte ihr an, der WELTUNTERGANG Nun, im Januar chern. „Fremdbestimmt: 120 Jahre Lü- Ex-Banker und Autor kron-Bezeichnung, B.1.1.529, ergebe 18, ihn herum stehen Neonazis und Vertre-

HABE ICH NIEMALS

frühere Wirtschafts- 2021, sitzt Schulte vor gen und Täuschung“ stand mal auf Platz wenn man die Ziffern addiere, also drei- ter des rechtsextremen Instituts für
weise Lars Feld. einem Terminal, auf eins der „Spiegel“-Bestsellerliste. Er- Schulte, 48, Bank- mal die Sechs. Also wieder 666. Staatspolitik. Jenes einflussreiche Insti-
kaufmann, ar-
VORAUSGESAGT
Die beiden sind 2015 dem ständig bunte schienen ist es in einem Verlag namens „Die 666“, schreibt Schulte an den tut, das Netze zwischen NPD und AfD
PA/ CH. HARDT

ausgetreten. Wie viele Zahlenkolonnen auf- Verlag für Frieden, Freiheit und Wahr- beitete nach ei- Bildschirmrand in seinem Video, sei knüpft und als strategischer Knoten der
andere, die beklagen, leuchten. Ein Treffen heit, Schulte ist laut Handelsregister als genen Angaben „die Zahl des Tieres, des Antichristen“. „Neuen Rechten“ gilt. Heute will Otte
THORSTEN SCHULTE
die Gesellschaft gren- hat er abgelehnt, Zeit- Geschäftsführer verzeichnet. Im Jahr von 1999 bis 2008 Man könnte Schulte auch für einen nichts mehr davon wissen. Er habe die
Früherer Banker
ze sich nicht ausrei- gründe, aber telefo- 2019, dem Jahr der Buchveröffentli- als Investment- Spinner halten, wenn man dieses Video Gästeliste nicht gekannt.
chend von der AfD ab. nieren könne er. Und chung, hat die Verlags-GmbH Bilanzen banker in Frankfurt. Anschlie- sieht. Man würde ihn allerdings unter- Im vergangenen Jahr ließ er sich von

E
Auch Michael Blume, der Antisemitis- wenn noch Fragen offen seien, könne zufolge einen Jahresüberschuss von ßend trat Schulte vor allem als schätzen. einem einflussreichen Schweizer
musbeauftragte aus Stuttgart, trat aus. man sich gerne noch einmal melden. Ei- mehr als 120.000 Euro erwirtschaftet. Berater und Buchautor auf. Un- Rechtsextremisten in einem Livestream
Ehemalige Mitglieder sagen, eine kleine nige wichtige Fragen wird er später nur Während Schulte von sich erzählt, ter dem Pseudonym „Silber- s gibt mehr als ein paar Ansichten interviewen, am Holocaustgedenktag.
Gruppe habe die ehrenwerte Vereini- schriftlich beantworten. seinem Beruf und seinem Blick auf die junge“ wirbt er für Investitionen zu Fragen der Wirtschaft, die ihn Am Ende gibt es auch bei ihm eine
gung nach und nach gekapert und sie zu Schulte war früher Investmentban- Welt, klackert an seinem Ende der Lei- in das Edelmetall. Zudem ist mit Otte, Krall und Polleit ver- Verbindung zwischen dem Geld und der
einer Splittergruppe am rechten Rand ker. Heute versteht er sich als Berater, tung eine Computertastatur. Augenbli- Schulte Vorsitzender des Vereins binden. Das Bedrängen von Abgeordne- Politik. Eine, über die er nicht so freimü-
gemacht. schrieb bis zuletzt Berichte über Invest- cke später hat Schulte in seinem Com- „Pro Bargeld – Pro Freiheit“. ten im Bundestag war nicht sein erster tig spricht wie sonst. Otte soll der AfD
Der Vorsitzende der Gesellschaft, ments, hielt Vorträge und rühmt sich für putersystem, das Finanzmarktdaten in Seine Bücher „Kontrollverlust“ Auftritt dort. Er hat Kontakte, in die Po- Geld gespendet haben. So zumindest ha-
Stefan Kooths, sagt, all das sei „böswil- seine Vorhersagen an den Märkten der Echtzeit überträgt, offenbar gefunden, und „Fremdbestimmt“ erreichten litik, in die AfD. ben Journalisten des NDR und WDR
lige Diffamierung“, die er in aller Schär- Welt. Im Internet tritt er als Experte was er beweisen will. Die Preiserwartun- Platz eins der „Spiegel“-Bestsel- Vor etwas mehr als zwei Jahren be- kürzlich berichtet. Es geht um mindes-
fe zurückweise. auf, der die Welt in schweren Turbulen- gen für die deutsche Industrie: so hoch lerliste. Er hat gute Kontakte in suchte er im Bundestag zwei Politiker tens 30.000 Euro, 20.000 davon an den
Interessant ist, dass Polleits Chef, der zen wähnt. Schulte rühmt die Verläss- wie seit Jahrzehnten nicht. Der „Global die AfD. der AfD. Und weil er schon mal da war, Kreisverband des Fraktionsvorsitzen-
Geschäftsführer der Degussa Gold, im lichkeit von Edelmetallen, wie seine Supply Chain Pressure Index“ der US- nutzte er die Gelegenheit, um für sein den Chrupalla, vor gut einem Jahr. Je-
Grunde ganz ähnlich klingt wie Polleit. Kollegen Otte und Polleit. Allerdings be- amerikanischen Zentralbank: erhebliche Silber Buch „Fremdbestimmt“ zu werben. nen Chrupalla also, der Otte als Kandi-
Markus Krall ist im Sound der Verhee- vorzugt er Silber, nicht Gold. Daher der Störungen in den Lieferketten. Schulte hatte ein paar Exemplare in daten für das Präsidentenamt vorstellte.
rung geübt. Ein Interview hat er abge- Name, den er sich gegeben hat, Silber- Wie andere Reiter der Apokalypse hat Entwicklung des Silberpreises im bräunliche Umschläge verpackt und Max Otte hat dazu gesagt, er habe die
Vergleich zum MSCI World (GDTR,
sagt, er sei derzeit sehr beschäftigt. Aber junge. Schulte vor einem Systemkollaps ge- UHD), dem bekanntesten Index für
sorgfältig auf die Sitzbänke neben den bürgerlichen Kräfte stärken wollen, er
man kann sich auch an das halten, was er Silber biete „den besten Inflations- warnt. Jetzt klingt er so: „Einen Weltun- den weltweiten Aktienmarkt Fraktionssälen drapiert, jedes adressiert spende auch für die Kirche, mit seiner
in Büchern geschrieben hat. „Das mone- schutz“, sagt Schulte. In der finalen Pha- tergang habe ich niemals vorausgesagt.“ an Abgeordnete. Auch an Angela Merkel. Präsidentschaftskandidatur habe das
täre System steht vor seinem Kollaps“, se der Inflation steige Silber in der Regel Man könnte auf die Idee kommen, Silberpreis In diesem Buch schreibt Schulte zum nichts zu tun. Die Fragen zu seinem Zu-
steht in einem. Und der Zusammen- doppelt so stark wie Gold, außerdem Schulte sei einfach ein scharfer Kritiker, MSCI World (Performance-Index) Beispiel: Mit der „eurasisch-negroiden sammenkommen mit dem Schweizer
bruch biete die Chance „zur Katharsis, werde es von der Realwirtschaft stärker der die Politik der Europäischen Zen- Veränderungen in %
89,8
Zukunftsrasse“ gehe die „nationale Rechtsextremisten hat er, der Mann aus
zur Reinigung, zur Befreiung der Gesell- nachgefragt. In einem der zahlreichen tralbank, Geld praktisch zinsfrei zu ma- 100 Identität und damit der Zusammenhalt“ dem grauen Kölner Kasten, unbeantwor-
schaft von den Ketten und Fesseln“. Videos, die im Internet regelmäßig Hun- chen und es so zu entwerten, für Teu- Indexiert 02/2017 verloren. Nun, nach dem Telefonat, tet gelassen.
Geld und Politik. Der Zusammen- derttausende Menschen anklicken, hat felszeug hält. Er wäre mit dieser Ansicht 80 schickt er auf ein paar Nachfragen die-
bruch der Finanzwirtschaft als Möglich- Schulte einmal gesagt, er selbst verkaufe in der guten Gesellschaft vieler namhaf- 60
ser Zeitung rund 20 DIN-A4-Seiten per Die Recherche. Die Autoren haben seit
keit zum Umsturz. Notfalls, das ist kein Silber. Allerdings sitzt er laut offi- ter Experten rund um den Globus. Die Mail. Er schreibt, dass er sich auf einer Sommer 2021 das Milieu der Finanzapoka-
Kralls These, müsse die Gesellschaft ziellen Angaben im Verwaltungsrat ei- Sache ist nur, dass er auf seinem YouTu- 40 29,5 Demonstration in Frankfurt an „alle lyptiker erkundet, Veranstaltungen besucht
mithilfe einer „bürgerlichen Revoluti- ner Gesellschaft, die Edelmetalle ver- be-Kanal auch Dinge sagt, für die er wohl Menschen gewandt“ habe, ob schwarz und mit den Akteuren selbst gesprochen.
on“ umgekrempelt werden. Das treibt und lagert, zum Beispiel in einem eher von Experten für Verschwörungen 20 oder weiß, ob arm oder reich, ob jung Zudem haben sie deren Bücher gelesen,

A
Deutschland der Zukunft, das ihm vor- Zollfreilager in der Schweiz. Dazu will er Beifall erwarten kann. „Nehmt das Fol- 0 oder alt. Unterlagen aus Registern ausgewertet, Fi-
schwebt, ist demnach eine Gesellschaft, nichts sagen. Nach Angaben des Unter- gende bitte sehr ernst“, sagt Schulte in nanzmarktdaten analysiert und Internet-
in der das allgemeine Wahlrecht keine nehmens ist das Lager in einer ausge- einem seiner Videos dort. Denn was nun -20 m Ende, wenn man Linien zieht aktivitäten untersucht. Ferner haben sie
Selbstverständlichkeit mehr ist. Wer dienten Bunkeranlage im Gotthard- folge, werde Augen öffnen. 2017 2022 und sie verbindet, dann ist es so: mit Weggefährten, AfD-Politikern, Kolle-
Geld vom Staat empfängt, soll nicht Massiv, die im Zweiten Weltkrieg als Seit der Verkündigung des Gesund- Quelle: Onvista Schulte und das Silber, das Gold gen und Anhängern gesprochen und Schil-
mehr wählen dürfen. Was Sache ist, be- Schutz vor den Nazis diente. heitsnotstands und der „Ausrufung“ der und Polleit und Krall, die Aktienfonds derungen und Einschätzungen überprüft.

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WIRTSCHAFT & FORUM
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022
Weltweit steigen die Kosten für Dünger rasant. Vielen Landwirten
ist das zu teuer, sie wollen weniger produzieren. Das knappere Angebot
dürfte die Preise für Lebensmittel noch weiter in die Höhe treiben
D
Dass die Saat bei den Preisen aufgehen wür-
de, hat Rudie Denissen schon früh geahnt.
Der 50-Jährige ist seit 30 Jahren Landwirt, er
bewirtschaftet 1500 Hektar und versorgt 700
Milchkühe in Wöbbelin, Mecklenburg-Vor-
pommern. Sein Leben folgt einem festen
Rhythmus: Ab dem Frühjahr wird gesät und
gedüngt, im Spätsommer und im Herbst ge-
erntet und kurz danach der Dünger für das
Folgejahr gekauft.
VON CARSTEN DIERIG UND ANJA ETTEL
Im vergangenen Jahr allerdings hat Denis-
sen mit der Bestellung zum ersten Mal gezö-
gert. „Der Dünger war so teuer, dass ich we-
niger geordert habe als sonst“, erzählt er.
„Teuer kaufen kann ich immer noch, habe
ich damals gedacht.“ Wie viel Wahrheit in
diesem Satz steckt, hat Denissen mittlerwei-
le zu spüren bekommen. Der Dünger, der die
Pflanzen stärken und die Erträge optimieren
soll, kostet nun dreimal so viel. Aus den da-
mals 281 Euro für die Tonne Stickstoff-Dün-
ger sind 915 Euro geworden. Dem Landwirt
bleibt nur noch die Wahl, entweder teuer da-
zuzukaufen – oder weniger zu produzieren.
So wie Denissen geht es vielen Landwir-
ten in Deutschland. Die Preise für Treib-
stoffe und Futtermittel sind so hoch wie
noch nie. Der für Diesel ist im Vergleich
zum Vorjahr um fast 40 Prozent gestiegen,
mittlerweile kostet der Liter über 1,60 Euro.
Raps, eine der wichtigsten Futterpflanzen
für Viehbetriebe, hat sich gegenüber dem
Vorjahr sogar um mehr als 65 Prozent ver-
teuert. Doch am schlimmsten ist es beim
Dünger. Die Kosten für Kali, Phosphat und
vor allem Stickstoff sind mit einer Dynamik
gestiegen, die die gesamte Branche über-
rascht hat. Viele Erzeuger werden daher die
sogenannte Anbauintensität verringern: Es
wird dann weniger gedüngt. Was die Ver-
fechter einer nachhaltigen Landwirtschaft
freut, bedeutet in der Regel aber sinkende
Erträge und eine geringere Qualität bei der
Ernte. Das wiederum könnte die Preise für
Obst und Gemüse, für Milch und Butter
erst recht befeuern.
VOR ALLEM RINDFLEISCH UND
EIER SIND BETROFFEN
Ohnehin sind Lebensmittel ohnehin spürbar
teurer geworden. Im Vergleich zum Vor-
jahr zogen die Preise zuletzt um fünf
Prozent an, ähnlich stark wie das allge-
meine Preisniveau mit 4,9 Prozent.
Vor allem Rindfleisch und Eier kosten
laut dem Agrar-Branchendienst AMI
wesentlich mehr. Aber auch bei
Milch, Butter und bestimmten Gemü-
sesorten müssen Verbraucher mehr
zahlen. Gurken etwa sind 13 Prozent
teurer als noch vor einem Monat. Und
wenn sich bewahrheitet, was Landwir-
te wie Denissen fürchten, dann ist das
Preishoch bei Lebensmitteln womög-
lich längst nicht erreicht.
Liqui-Moly-Chef: „Die Wirtschaft muss mitreden!“ S. 24
SEITE 17
VORSCHUSS
Inflation auf dem
VON STEFFEN FRÜNDT
ACKER
Götter auf dem
Großbildschirm
In der Nacht zu Montag werden viele
bis spät vor dem Fernseher sitzen.
Denn dann läuft das Finale der ame-
rikanischen Football-Liga, der Super
Bowl. Aus ökonomischer Sicht ist
das Sportevent in erster Linie der
teuerste Werbeplatz der Welt. 800
Millionen TV-Zuschauer auf fünf
Kontinenten – da blätterten die Wer-
betreibenden zuletzt rund 5,6 Millio-
nen Euro für ein 30-Sekunden-Film-
chen hin. Der Preis hat sich laut Da-
tendienst Statista in den letzten
zehn Jahren fast verdoppelt.
Vielleicht liegt es an den absurden
Kursen, dass um die Reklame inzwi-
schen mehr Wind gemacht wird als
um das Geschehen auf dem Platz.
Autobauer BMW geht in diesem Jahr
in der dritten Werbepause mit einem
Spot ins Rennen, der das Götterpaar
Zeus und Hera im kalifornischen Ru-
hestand zeigt, trashig in Szene ge-
setzt von Arnold Schwarzenegger
und Salma Hayek. In der Nebenrolle
Ralf Möller als Poseidon. Es wird viel
geblitzt; am Ende landen die Geis-
sens der Götterwelt im Elektroauto.
Dann sind 60 Sekunden um. Rech-
nung folgt.
Götter auf dem Großbildschirm.
Überraschend kommt das nicht.
Filmfans erleben seit Jahren einen
Schwenk von Spinnen- und Fleder-
maus-Typen zu Superhelden, die von
ganz oben kommen. Thor mit sei-
Am Anfang der langen Preiskette, die sich Die Ernährung wird deutlich teurer nem Hammer, Loki mit den Hörnern
bis auf den Frühstückstisch der Verbraucher Produktionskosten je Hektar – die kennt heute jeder Teenager.
auswirkt, steht das Erdgas. Um fast 40 Pro- Das könnte ja auch etwas Schönes
zent hat sich der Energieträger in den ver- Durchschnitt 2019 bis 2021 / bei aktuellem Preisniveau Veränderung haben. Allerdings weichen die Ge-
gangenen zwölf Monaten verteuert. Derzeit 900 schichten doch recht stark von klas-
treibt vor allem die weltweit erhöhte Nach- Winterweizen (A*)
1242
+27 % sischen Überlieferungen ab.
frage den Preis, vor allem weil das Wachs- 1617
Nach der nordischen Mythologie
tum in vielen Ländern wieder anzieht. In Zuckerrüben
2010
+20 % scheinen nun die Hellenen an der
Deutschland kommt der Effekt durch höhe- Reihe zu sein. Denn die Deutschen
1469
re Steuern und Abgaben hinzu. Für die Land- Körnermais
1781
+18 % lieben Griechenland. Auch wenn es
wirtschaft ist der fossile Brennträger indes manchmal etwas mehr kostet.
1008
nicht nur als Energielieferant relevant, son- Raps
1231
+18 %
dern auch als Vorprodukt für die Herstellung
von Dünger. Karotten
2939
+15 %
3468
Der Anstieg hat Folgen für das Einkaufs-
verhalten der Landwirte, wie der Agrar-Zwi-
schenhändler BayWa bestätigt: „Wir gehen
Kohl
4526
5273
+14 %
Pessimismus bei
Unternehmen
davon aus, dass wir angesichts des aktuellen Erläuterung: Preisannahmen für 11/21: Diesel 1,56 €/l (brutto), Stickstoff 2,65 €/kg, Phosphat 1,3 €/kg, Kalium 1,15 €/kg
Preisniveaus weniger Menge verkaufen wer- *gute Brotweizenqualität; Icons: Getty; Quelle: DBV-Berechnung mit Daten der Bay. Landesanstalt für Landwirtschaft
den“, sagt Meinward Wimmer, Leiter Pro-
duktbereiche. Weniger Dünger könne weni-
ger Ertrag bedeuten – und das wiederum Konzern auf Anfrage mit. Dabei hatte Kon- ausgedünnt sind. Besonders brisant ist der nimmt zu
treibe bei anhaltend hoher Nachfrage die zernchef Lionel Souque zu Jahresbeginn be- Russland-Ukraine-Konflikt, denn das osteu-
Preise für viele Produkte. klagt, es habe noch nie so viele Forderungen ropäische Land, das von seinem großen DIHK-Umfrage belegt
große Unsicherheiten
nach Preiserhöhungen seitens der Industrie Nachbarn bedroht wird, ist einer der wich-
D
VIELE HÖFE KÖNNEN NICHT gegeben wie 2021. „Wir müssen aufpassen, tigsten Weizen-Lieferanten für Europa.
MEHR MITHALTEN dass wir diese Unternehmen damit nicht Doch in den Prognosen vieler Ökonomen
Der Deutsche Bauernverband (DBV) schlägt durchkommen lassen“, sagte Souque. „Denn scheint das noch nicht so recht angekom- ie deutschen Unternehmen
angesichts der angespannten Lage Alarm. am Ende zahlt dafür der Kunde.“ men zu sein. Der Internationale Währungs- sind einer DIHK-Umfrage
Nach seinen Berechnungen führen die Nicht nur der bisherige Preisanstieg vom fonds etwa rechnet für Deutschland in die- zufolge pessimistischer als
Sprünge bei Düngemitteln und Treibstoffen Acker bis zum Supermarkt ist ein Problem. sem Jahr mit einer Teuerungsrate von nur 1,5 noch im Herbst. Sie schätzen sowohl
dazu, dass die Produktionskosten im Acker- Verteuern sich Produkte des täglichen Be- Prozent. Deutlich dynamischer schätzt das ihre aktuelle Geschäftslage als auch
bau in der Größenordnung von 20 bis 30 darfs weiter, leiden darunter besonders die Münchner Ifo-Institut die Entwicklung ein. die Aussichten für die nächsten
GETTY IMAGES/ MARCIA STRAUB / MONTAGE: WELT AM SONNTAG
Prozent steigen. Längst nicht jeder Hof kann einkommensschwachen Haushalte, denn sie Die Forscher haben ihre Prognose auf vier zwölf Monate negativer ein, wie der
oder will da noch mitziehen. „Es gibt Bau- müssen überproportional viel Geld für Le- Prozent heraufgesetzt. Bei Lebensmittel- Deutsche Industrie- und Handels-
ern, die sich den Dünger aktuell nicht mehr bensmittel, Heizung und Benzin ausgeben. preisen rechnet das Institut sogar mit einem kammertag (DIHK) mitteilte. Der
leisten wollen und deswegen Ertragseinbu- Um 9,6 Prozent sind die Preise für Güter des Anstieg von sieben Prozent gegenüber dem Verband hat dazu knapp 28.000 Fir-
ßen bewusst in Kauf nehmen“, sagt DBV-Ge- täglichen Bedarfs im Januar gegenüber dem Vorjahr, sagt Konjunkturchef Ti- men aus allen Branchen befragt. Es
neralsekretär Udo Hemmerling WELT AM Vorjahr gestiegen. Eine Entlastung ist nicht mo Wollmershäuser WELT AM herrsche zwar weiter eine vorsichtig
SONNTAG. Beim Verband macht man sich in Sicht. Weil sich die Knappheit bei vielen SONNTAG. Spätestens seit An- optimistische Grundstimmung, sag-
deshalb mittlerweile sogar ernste Gedanken Agrarprodukten in den kommenden Mona- fang 2021 hätten die Erzeuger die te DIHK-Hauptgeschäftsführer Mar-
um die Versorgungssicherheit. „Wir gehen in ten verstärken könnte, rechnen Experten so- gestiegenen Weltmarktpreise an den tin Wansleben. Die Unsicherheiten
eine Phase der Ungewissheit“, warnt Hem- gar mit noch höheren Lebensmittelpreisen. Handel weitergegeben. „Und nach unse- seien aber ungewöhnlich groß, viele
merling. Es sei nicht vorherzusagen, welche „Die Teuerung in den Supermärkten fängt ren Umfragen planen in den kommen- Firmen wüssten nicht, wie es weiter-
Folgen die Preisexplosion für die Landwirte jetzt erst an“, sagt Christian Janze, Partner den Monaten mehr als zwei Drittel der geht. Neben der Corona-Pandemie
noch haben werde. bei der Beratungsgesellschaft EY und dort Nahrungsmittelhersteller weitere treffen derzeit vor allem die stark ge-
Im Einzelhandel stehen damit schwierige zuständig für das Agribusiness. „Die Erzeu- Preisanhebungen.“ Das seien so viele stiegenen Energie- und Rohstoff-
Wochen bevor. Aktuell laufen die wichtigen gerpreise ziehen stark an, das hat am Ende wie nie zuvor im wiedervereinigten preise zahlreiche Industriebetriebe.
Jahresgespräche zwischen Industrie und dann auch Auswirkungen auf die Verbrau- Deutschland, sagt Wollmershäuser. Die konjunkturelle Erholung von
Handel, in denen über die Konditionen künf- cherpreise, vor allem nach der nächsten Ern- Sein Fazit: „Somit dürften die Nah- der Corona-Krise wird dementspre-
tiger Warenlieferungen gestritten wird. Die te“, erläutert er und spricht schon von ei- rungsmittelpreise dieses Jahr ein maß- chend schwächer ausfallen als zu-
Verhandlungen seien so heftig wie nie zuvor, nem bevorstehenden „Preisschock“. geblicher Inflationstreiber werden.“ letzt noch gehofft. Der DIHK prog-
heißt es aus der Branche. Offiziell will das im Zumindest Landwirt Denissen hat für nostiziert nach der Umfrage nur
Einzelhandel so aber niemand bestätigen, CHINA TRITT ZUNEHMEND ALS 2022 eine Lösung für das Problem mit noch ein Wachstum der Wirtschaft
dort gibt man sich betont optimistisch. STRATEGISCHER KÄUFER AUF dem teuren Dünger gefunden: Er wird die in diesem Jahr von 3,0 Prozent. Bis-
„Derzeit sehen wir keinen Grund zur Be- Dabei kommen wie bei einem perfekten erwarteten Einbrüche bei der Ernte von her war der Verband von 3,6 Prozent
sorgnis“, heißt es etwa bei der Rewe Sturm gleich mehrere Störfaktoren zusam- Obst und Gemüse mit Milch kompensie- ausgegangen. 2021 hatte die Wirt-
Group. Zurückhaltend ist der Handelsrie- men: Da sind zum einen die hohen Dünge- ren. „Zwar stehen die Futterkosten zum schaft um 2,8 Prozent zugelegt. Der
se beim Thema Preisentwicklung. „Es ist mittelpreise, die die weltweite Agrarwirt- Beispiel für Rapsschrot auch auf einem DIHK rechnet zudem mit einem Ex-
immer unsere Linie gewesen, dass wir schaft betreffen. „Das kann überall zu ge- Allzeithoch, aber dadurch, dass sich portplus von 6,0 (2021: 9,4) Prozent.
berechtigte und nachvollziehbare For- ringeren Ernten führen und damit den die Milch im Preis fast verdoppeln Die Inflation dürfte noch einmal an-
derungen unserer Partner eingehend globalen Handel ausbremsen“, warnt Jan- wird, rechnet sich das für uns wie- ziehen, und zwar auf 3,5 Prozent.
prüfen. Wir haben schließlich kei- ze. Zudem gibt es eine hohe Nachfrage der“, sagt er. Wirklich freuen kann „Damit werden wir das Vorkrisen-
nerlei Interesse, die wirtschaftliche aus China, das zunehmend als strategi- sich Denissen darüber trotzdem niveau unserer Wirtschaftsleistung
Grundlage unserer Partner, mit scher Aufkäufer auftritt. Auch das treibt nicht. „Wenn etwas im Preis so voraussichtlich erst zur Jahresmitte
denen wir zum Teil seit Jahr- die Preise, zumal die Lagerbestände nach schnell steigt, bedeutet das meistens erreichen“, sagte Wansleben. „Die
zehnten zusammenarbeiten, zu mehreren trockenen Sommern und den nichts Gutes. Weder für die Landwir- Unternehmen sind von ihrer gegen-
gefährden“, teilt der Kölner Ausfällen durch die Pandemie relativ te noch für die Verbraucher.“ wärtigen Situation enttäuscht.“ Bei
den Geschäftsaussichten habe sich
der Saldo aus besseren und schlech-
teren Erwartungen halbiert. Er liegt
damit leicht unter dem langjährigen
Durchschnitt. rtr
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18 WIRTSCHAFT WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022

GEMISCHTWAREN
Bis die Bürger vom Staat
WOCHENBILANZ entlastet werden, dürfte es
noch eine Weile dauern
MONTAG: Der führende deutsche
Kaffeeröster Tchibo erhöht zum
zweiten Mal innerhalb von neun
Monaten die Kaffeepreise. Je nach
Sorte und Herkunftsland sollen die
Verkaufspreise zum 21. Februar
zwischen 50 Cent und 1,30 Euro je
Pfund steigen, kündigt das Unter-
nehmen an. Tchibo gilt als einer der
wichtigsten Taktgeber für die Preise
im Handel.

DIENSTAG: Der Reisekonzern TUI

rechnet mit einem Sommergeschäft
wie in Vor-Corona-Zeiten und will
deshalb schrittweise auf die Krisen-
hilfe des Staates verzichten. „Wir
erwarten einen starken Sommer
2022. Der Weg aus der Pandemie

Warten auf
zeichnet sich immer klarer ab“,
erklärt TUI-Chef Fritz Joussen. Der
Ausbruch der Omikron-Variante
habe nur vorübergehend für einen
Dämpfer gesorgt. Auch die steigen-
den Inflationsraten hielten Ver-

das Klimageld
braucher nicht vom Urlaub ab, da
die Ersparnisse hoch seien.

GETTY IMAGES/JEANGILL
I
MITTWOCH: Den Ein-
bruch in der Corona-
Krise haben
Deutschlands Ex-
porteure mit einem
Rekordergebnis
2021 mehr als wett n Österreich soll jeder Wiener im Als Ausgleich für die steigenden Energiepreise um das Geld dann zu überweisen. „Ein zug reduziert werden. Als Nachteil die-

verspricht die Regierung eine CO2-Prämie.

gemacht. Trotz Lie- kommenden Sommer einmalig Vergleich mit dem vom Verfahren her ses Weges wird von Experten ausge-
ferengpässen stiegen 100 Euro überwiesen bekommen. durchaus vergleichbaren Beitragsservice rechnet seine Einfachheit gesehen. „Die

Doch wie das Geld zu den Bürgern kommt, ist

die Warenausfuhren
2021 gegenüber dem Vor-
jahr um 14,0 Prozent auf den Best-
wert von 1375,5 Milliarden Euro.
Laut Statistischem Bundesamt lagen
sie damit um 3,6 Prozent über dem
Niveau des Vorkrisenjahres 2019.
DONNERSTAG: Deutschlands
größte Parfümeriekette Douglas
steigt in den Online-Apotheken-
markt ein. Mit dem Erwerb der
niederländischen Online-Apotheke
Disapo wolle sich Douglas ein neues
Wachstumsfeld erschließen, sagt die
Chefin der Parfümeriekette, Tina
Wer in anderen Gemeinden
wohnt, erhält 133 Euro, 167 Euro
oder 200 Euro – je nachdem, wie
der Wohnort an Bus und Bahn an-
geschlossen ist. Es ist ein ehrgeiziges
Vorhaben, mit dem die Alpenrepublik
auf die steigenden Energiepreise rea-
giert. Denn es ist ein bürokratischer
Kraftakt, der für die Auszahlung des ver-
sprochenen Klimabonus in kürzester
Zeit vollbracht werden muss.
VON KARSTEN SEIBEL
Auch in Österreich sind noch viele
Details offen. Aber immerhin werden
sowie der Belegschaft der Familienkas- Sichtbarkeit für die Bürger ist sehr ge-
sen bei der Bundesagentur für Arbeit ring“, sagt Matthias Kalkuhl, Professor
völlig unklar. Mehrere Wege werden diskutiert
zeigt, dass voraussichtlich mehrere Tau- an der Universität Potsdam und Ar-
send zusätzliche Stellen geschaffen wer- beitsgruppenleiter am Mercator Re-
den müssten“, heißt es in der Studie. search Institute on Global Commons
Wobei die Familienkasse der Bundes- and Climate Change in Berlin. Die Er-
agentur für Arbeit, die Erfahrung mit fahrungen aus der Schweiz zeigten, dass
aller Bürger lägen und die das Geld auf Bund mit allen 16 Bundesländern eini- der Auszahlung von Kindergeld hat und rund die Hälfte der Empfänger die redu-
den Weg bringen könnte. Massenüber- gen müsste. über eine entsprechende IT verfügt, zierten Beiträge gar nicht bemerken
weisungen vom Staat an die Bevölke- Dass der Aufwand hoch ist, das Pro- durchaus als mögliche Stelle auch für oder nicht mit der Kompensation für
rung waren in der Vergangenheit Kopf-Klimageld zu den Bürgern zu brin- das Klimageld genannt wird. Die Fleiß- die gezahlten CO2-Preise in Verbindung
schlicht nicht vorgesehen. gen, ist unbestritten. Gegen die Organi- arbeit, auf Grundlage der Steuer-IDs zu- bringen. „Wer gar nicht weiß, dass er für
Immerhin gibt es Ideen, wer die Auf- sation durch die Finanzverwaltung nächst alle Kontoinformationen zu höhere Energiepreise entlastet wird, ist
gabe hierzulande übernehmen könnte. spricht, dass auch dort nicht die Konto- sammeln und zu verifizieren, wäre aber auch nicht bereit, die CO2-Bepreisung
Drei Institutionen werden dabei ge- daten aller Bürger liegen. Nicht einmal auch dort zunächst notwendig. zu akzeptieren“, sagt Kalkuhl. Es müss-
nannt: die Finanzverwaltung, das Bun- all jene, die einen Job haben, müssen ei- Als Alternative wird die Auszahlung te zusätzlich viel Aufklärung betrieben

Müller. Mit der Akquisition stärke
Douglas die weitere Digitalisierung
und die Ausweitung des Angebots
auf Gesundheitsprodukte.
FREITAG: Die britische Wirtschaft
hat sich im vergangenen Jahr deut-
lich vom Corona-Einbruch 2020
erholt. Das Bruttoinlandsprodukt
der fünftgrößten Volkswirtschaft
der Welt wuchs um 7,5 Prozent, wie
das Statistikamt ONS mitteilt. 2020
war sie um 9,4 Prozent eingebro-
chen – so stark wie seit rund 30
Jahren nicht mehr.
dort zumindest schon die Beträge er-
rechnet. In Deutschland dagegen wird
bislang nur geredet. Zwar versprachen
die Grünen im Bundestagswahlkampf
oft und gerne ein „Energiegeld“, durch
das die „Einnahmen aus dem nationalen
CO2-Preis“ direkt an die Bürger zurück-
gegeben werden sollen. Doch einen
Plan, wie das Geld tatsächlich zu den
Menschen gelangt, gibt es bei den Grü-
nen bis heute nicht. Auch nicht bei der
FDP, in deren Programm das Wort „Kli-
madividende“ stand. Im Koalitionsver-
trag der Ampel-Regierung wurde aus
Energiegeld und Klimadividende dann
D I
deszentralamt für Steuern im Zusam- ne Lohnsteuererklärung abgeben. des Klimageldes über die Krankenversi- werden.
menspiel mit der Bundesagentur für Ar- cherungen gesehen. Diesen Weg nutzt
beit und die Krankenversicherungen. ie gesamte Bevölkerung ist beim die Schweiz bereits seit Jahren, um die n Österreich ist die Regierung gerade
Schaut man sich die einzelnen Wege an, Bundeszentralamt für Steuern Erträge aus der dortigen Umweltabgabe mit dem Sammeln von Daten be-
wird deutlich, warum sich an die Umset- in Bonn erfasst. Denn schon je- zurückzuzahlen. Der Vorteil: Aufgrund schäftigt. Name, Geburtsdatum,
zung des Klimageldes bislang noch nie- der Säugling hat eine Steueridentifikati- der Krankenversicherungspflicht sind Hauptwohnsitz kommen aus dem In-
mand herangewagt hat. onsnummer, die in einer Datenbank mit mehr als 99,9 Prozent der Menschen nenministerium, Kontodaten aus dem
Schon als zu Beginn der Pandemie vor der Meldeadresse verknüpft ist. Man hat krankenversichert, also dort bereits er- Finanzministerium, das auch Informa-
zwei Jahren die Frage aufkam, wie die über die Steuer-ID also zumindest einen fasst. Und auch wenn es um die Auszah- tionen zu den Empfängern von Famili-
Corona-Hilfen möglichst schnell zu den einheitlichen Datenpool mit den Namen lung geht, ist der Verwaltungsaufwand enhilfe schickt. Das Sozialministerium
bedürftigen Unternehmern und Solo- aller 83 Millionen Bürger. Das ist nicht verhältnismäßig gering, wie die DIW- wiederum steuert bei, welche Menschen
selbstständigen kommen könnten, wur- nur wichtig, um jeden zu erreichen, son- Forscher feststellten. Bei gesetzlich aufgrund einer Behinderung immer den
den die Finanzämter als mögliche Ver- dern auch, um Doppelauszahlungen zu Versicherten könnte es über die Lohn- höchsten Bonus von 200 Euro erhalten.
teilstelle genannt. Schließlich sind sie vermeiden. Diese Gefahr bestünde, abrechnung laufen. „Die Arbeitgeber Für die Auszahlung sorgen muss das
geübt in Geldtransfers – nicht nur als wenn man gleichzeitig auf verschiedene würden die Beitragszahlungen an die Klimaschutzministerium. Wie, ist auch

Ü
das „Klimageld“. Empfänger von Zahlungen, sondern Datenquellen zurückgreifen würde. Einzugsstellen um die Höhe der Klima- dort noch unklar. Da nicht jeder über
auch als Absender von Steuerrückerstat- Doch die Steuer-ID ist keine Konto- prämie des Arbeitnehmers und gegebe- ein Konto verfügt, soll das Geld nicht
ber Begrifflichkeiten geht es tungen. Doch dort winkte man schnell nummer. „Um eine Überweisung durch- nenfalls mitversicherter Familienmit- nur überwiesen werden. „Welche Form
TOP & FLOP aber nicht hinaus. Die Folge: ab: Das sei nicht ihr Auftrag, weder das führen zu können, müssten daher zu- glieder reduzieren“, heißt es in der Stu- für welche Person am besten und am
Wer nicht ohnehin Transferleis- Personal noch die technische Ausstat- nächst Kontodaten erfasst werden“, die. Bei Leistungsempfängern des Sozi- praktikabelsten ist, wird im Klima-
tungen des Staates erhält, muss sich kei- tung reichten dafür aus. Ähnlich klingt heißt es einer Studie des Deutschen In- alstaates könnten die Rentenversiche- schutzministerium erarbeitet und soll
GEWINNER ne Hoffnungen machen, dass er zur es jetzt wieder: „Die Abläufe lassen sich stituts für Wirtschaftsforschung (DIW), rung und die Bundesagentur für Arbeit per Verordnung festgelegt werden“,
Dämpfung der steigenden Energiepreise nicht in die Steuerveranlagung integrie- das vor zwei Jahren im Auftrag des Bun- die Verrechnung übernehmen. Wer pri- teilte das Ministerium auf Anfrage mit.
alsbald die angekündigte Überweisung ren und müssten mit zusätzlichem Auf- desfinanzministeriums verschiedene Op- vat krankenversichert ist, überweist oh- Klar sei: Die Menschen sollten den Kli-
des Staates erhält. Es fehlt ein entspre- wand gesondert administriert werden“, tionen zur Auszahlung einer Pro-Kopf- nehin direkt seine Beiträge an die Versi- mabonus möglichst einfach bekommen.
Micky chender Auszahlungsmechanismus, also teilte das Bundesfinanzministerium auf Prämie untersuchte. Es müssten alle po- cherung – die Kontoverbindung ist dort Deshalb habe man sich dagegen ent-
Maus eine Stelle, bei der die für eine Überwei- Anfrage mit. Auch neue IT-Verfahren tenziellen Empfänger auf Basis der Steu- also bekannt. Das Klimageld könnte di- schieden, dass jeder Bürger einen An-
sung unerlässlichen Kontoinformation seien erforderlich – worauf sich der er-ID-Datenbank angeschrieben werden, rekt überwiesen oder der Beitragsein- trag stellen muss.
Der Micky-Maus-Konzern Walt
Disney meldet sich mit einem
Gewinn- und Umsatzsprung aus
der Corona-Krise zurück. Nach-
dem die Pandemie das Unterhal-
tungsimperium des Unterneh-
mens zeitweise lahmgelegt hatte,
liefen die Vergnügungsparks zum
„Ein-Mann-Büffelherde mit Manieren“
Jahresende endlich wieder rund.
Clemens Vedder ist als ruppiger Investor reich geworden und heute vor allem als Schlichter schwieriger Fälle gefragt. Wie passt das zusammen?

N
Außerdem brummte das Strea-
ming-Geschäft. Vorstandschef
Bob Chapek sieht den Video- ein, so richtig altersmilde ist
dienst Disney+ bei den Wachs- Clemens Vedder auch heute
tumszielen auf Kurs. nicht. Von früheren Spitzenkräf-
ten der Commerzbank etwa hält er
reichlich wenig. Mit einem „unbefange-
nen, kompetenten Management“ hätte
VERLIERER sich das Institut in die Reihe erfolgrei-
als Vorläufer aktivistischer Investoren die Suche nach dem Kompromiss – oft nen Euro geschätzt. Ausruhen will er
wie zum Beispiel dem US-Fonds Elliott erfolgreich. Im Streit über die Insolvenz sich darauf nicht. „Es langweilt mich, je-
gelten, die seit einigen Jahren mit oft ra- des 2011 verstorbenen Medienunterneh- den Tag auf meinen Kontostand oder die
dikal anmutenden Forderungen auch in mers Leo Kirch mit der Deutschen Bank Aktienkurse zu schauen“, sagt Vedder,
Deutschland und Europa immer mehr soll Vedder ebenso vermittelt haben wie dessen Aufstieg zum Multimillionär
Konzerne aufmischen. in Konflikten bei Daimler oder bei dem nicht vorgezeichnet war.
Das Image des Raubeins pflegt der Versicherungskonzern Munich Re. Nach der Schule absolvierte er eine
BJÖRN KOMERELL

cher europäischer Bankhäuser einreihen
können, sagt der Investor, der vor Jahren
selbst an dem Geldhaus beteiligt war.
John Nun aber sei es „ein Schatten früherer
Foley Größe“. Mit den „hoch kompetenten und
integren deutschen Managern“, die die
Der US-Fitnessgerätehersteller Deutsche Bank gerettet haben, wäre das
Peloton reagiert auf den Kurs- kaum passiert. Denn die stellten „eine
sturz seiner Aktie: Das Unter- ganz andere Klasse dar“ als die ehemali-
nehmen kündigte die Streichung ge Führung der Commerzbank, sagt er.
von 2800 Stellen – etwa ein Der Investor, der heute 75 Jahre alt
Fünftel aller Jobs im Unterneh- wird, ist seit vielen Jahren als Mann kla-
men – und einen Wechsel an der rer Worte bekannt – und gefürchtet. Er
Spitze an. Mitgründer und Ge- war in vielerlei Hinsicht ein Pionier: Ved-
schäftsführer John Foley wird der kaufte sich schon bei Unternehmen
BLOOMBERG (2); REUTERS
Rolling-Stones-Fan selbst. „Nur weil ei- Schlichtend griff er auch in Auseinander- Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann
ner unfallfrei eine Packung Tempo kau- setzungen zwischen den Erben des Kos- bei der Kaufhauskette Hertie, mit 26
fen kann, versteht er noch nichts vom metikunternehmens Wella und dem Mo- machte er sich mit einer Gesellschaft für
Handel“, zitiert er sich auf der Web-Seite deschöpfer Wolfgang Joop sowie zwi- Vermögens- und Immobilienverwaltung
seines Unternehmens Goldsmith Capi- schen Media-Saturn-Gründer Eugen Kel- Milder Wilder: Clemens Vedder selbstständig. So richtig in Fahrt kam
tal. Dann wieder bezeichnet er sich als lerhals und dem Elektronikkonzern ein. sein Geschäft in den 1980er-Jahren. Al-
„Ein-Mann-Büffelherde mit Manieren“. Aktuell ist Vedder im Streit über illegale sei wichtig, die eigentlichen Absichten lein zwischen 1990 und 2007 hat er
Tatsächlich ist er ein Mann mit zwei Ge- Aktiendeals zulasten des Steuerzahlers, der Beteiligten herauszuhören und diese Transaktionen im Wert von 7,5 Milliar-
sichtern: Er kann bei Hauptversammlun- sogenannte Cum-Ex-Geschäfte, zwi- auf einen „neutralen und offenen Aus- den Euro federführend begleitet.
gen lautstark Rabatz machen – und schen M. M. Warburg und der Deutschen tausch“ einzustimmen. Seine Rolle defi- Deals interessieren ihn immer noch,
gleichzeitig diskret und lösungsorien- Bank als Vermittler gefragt. niert er als „durchsetzungsstarke dritte sind für ihn aber nicht mehr alles. „Kaum
tiert hinter den Kulissen wirken. Jährlich erreichten ihn Dutzende von Kraft im Gefüge“, die den Kontrahenten etwas bewegt mich im Leben so sehr wie
Vor allem mit letzterer Fähigkeit hat Anfragen, sagt Vedder. Meist aber nehme einen klar definierten Weg aufzeige. gelungene Architektur und Kunst“, sagt
er eine erstaunliche Zweitkarriere ge- er nur ein oder zwei Mandate an. Wer „Man muss mit Florett, Degen und Säbel Vedder, der eine bedeutende Sammlung
startet, mit der er sich als gefragter Frie- ihn als Mediator wolle, müsse es ernst führen können“, sagt Vedder, der für ge- von Fotografien besitzt. Und so viel Ta-

durch Barry McCarthy ersetzt, ein, um diese gewinnbringend umzubau-
ehemaliger Finanzvorstand bei en, als das Geschäftsmodell Private Equi-
Spotify und Netflix. Foley bleibt ty in Deutschland noch weitgehend un-
aber Präsident des Verwaltungs- bekannt war. Und weil er aus seiner Sicht
rates von Peloton. klare Verfehlungen von Managern oft
mit drastischen Worten geißelte, kann er
densstifter etabliert hat. In den vergan- meinen. „Mich reizt es, vermeintlich un- meinnützige Organisation oder bedürfti- del wie früher hätten deutsche Manager
genen Jahren kam er auffallend häufig lösbare Probleme zu lösen, an denen an- ge Personen pro bono, also unentgeltlich gar nicht mehr nötig. Er sehe „deutliche
zum Zuge, wenn sich Unternehmen, Ma- dere gescheitert sind“, beschreibt er sei- arbeitet. Fortschritte im Hinblick auf Leistungs-
nager oder reiche Privatleute scheinbar ne Motivation. Und: „Ich will konstruk- Leisten kann er sich das. Das Vermö- orientierung und Offenheit gegenüber
hoffnungslos ineinander verbissen hat- tiv etwas Positives erreichen, das vorher gen des Mannes, der seit 20 Jahren in der Dritten“, sagt Vedder. Und klingt fast wie
ten. Dann ging Vedder als Mediator auf unmöglich erschien.“ Bei Vermittlungen Schweiz lebt, wird auf um die 600 Millio- ein milder Wilder. ANNE KUNZ

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20 WIRTSCHAFT
Schiffe hängen
weltweit in den
Häfen fest
Sieben Tage sind es in den
USA und fünf in Europa
A
uch im dritten Jahr der Coro-
na-Pandemie leidet der inter-
nationale Seetransport unter
der angespannten Lage in den Häfen.
Zahlen des Datenunternehmens
Four Kites aus den USA liefern Bele-
ge dafür, wie dramatisch die Situati-
on immer noch ist. So betrug die
Verweildauer der Containerfrachter
in den US-Häfen in den zurücklie-
genden drei Monaten durchschnitt-
lich 167 Stunden oder sieben Tage am
Abladepunkt sowie 199 Stunden oder
acht Tage am Beladepunkt. Das ist
noch einmal eine deutliche Ver-
schlechterung gegenüber der gesam-
ten bisherigen Zeit der Pandemie.
Hafenarbeiter sind erkrankt oder
fehlen, es mangelt an Truckern und
Lkw zum Abtransport von Seecon-
tainern, und auf dem Hafengelände
ist kaum mehr Stellplatz für ankom-
mende Stahlboxen. All dies führt in
der Pandemie dazu, dass Fracht-
schiffe tagelang vor den Hafenstäd-
ten auf Reede liegen und auf ihre Ab-
fertigung warten müssen. Einige
Reedereien entschließen sich gar, be-
stimmte überlastete Seehäfen auszu-
lassen und ihre Schiffe gleich zur
nächsten Verladestation zu schicken.
In den europäischen Häfen lag die
Verweildauer der Containerschiffe
für die Abladung laut Four Kites in
den vergangenen drei Monaten bei
122 Stunden, also fünf Tagen. Das
waren acht Prozent weniger im Ver-
gleich zum Durchschnittswert des
Jahres 2021. Nur jedes fünfte Schiff
erreichte nach den Berechnungen in
Europa pünktlich den Hafen. In Chi-
na habe sich die Situation dagegen
etwas verbessert. So waren im
Durchschnitt der vergangenen drei
Monate in den dortigen Häfen nur
noch fünf Prozent der Beladungen
verspätet abgeschlossen.
Zuletzt hatte die größte deutsche
Containerreederei Hapag-Lloyd
einen Ausblick gewagt. „In sechs bis
acht Monaten sollte sich die Situati-
on deutlich verbessert haben“, sagte
Vorstandschef Rolf Habben Jansen.
Eine Voraussetzung dafür sei es, dass
in den USA die aktuellen Verhand-
lungen zwischen den Gewerkschaf-
ten und den Hafenbetrieben rasch
abgeschlossen werden könnten.
Trotz der Probleme in der Schiff-
fahrt soll der Welthandel in diesem
Jahr dem Kiel Institut für Weltwirt-
schaft zufolge um 2,4 Prozent wach-
sen. Gründe dafür sehen die Ökono-
men in den positiven Handelszah-
len, zum Beispiel im starken Export
der USA. „Die anhaltenden Liefer-
engpässe sind Ausdruck einer ex-
trem schnell gestiegenen Nachfra-
ge, dem das Angebot nicht hinter-
herkommt“, sagt Vincent Stamer,
Leiter des Kiel Trade Indicators.
Rund elf Prozent aller weltweit ver-
schifften Waren steckten derzeit in
Staus fest. BIRGER NICOLAI
S Angst vor der
pätestens als sich der deutsche
Wirtschaftsminister Robert Ha-
beck (Grüne) zu Facebook äußer-
te, wussten die Manager des Mutterkon-
zerns Meta, dass etwas gehörig schieflief.
Er lebe seit vier Jahren ohne Facebook
und Twitter, sagte Habeck bei seinem An-
trittsbesuch in Paris in dieser Woche.
Und fügte hinzu: „Es lebt sich fantas-
tisch.“ Hintergrund seiner Äußerung war
eine Drohung des Facebook-Konzerns,
seine Dienste aus Datenschutzgründen
möglicherweise in Europa einstellen zu
müssen. Nur einen Tag nach Habecks
Pressekonferenz zog Meta mit einer eili-
gen Stellungnahme die Notbremse. „Me-
ta droht absolut nicht damit, Europa zu
verlassen“, titelte der Konzern darin.
VON BENEDIKT FUEST
UND THOMAS HEUZEROTH
Was war geschehen? In seinem Jahres-
bericht an die US-Börsenaufsicht SEC
vom 3. Februar hatte der Facebook-Kon-
zern einen Satz formuliert, mit dem er
zum einen auf ein Geschäftsrisiko hin-
weisen, zum anderen aber Politiker in
den USA und in der Europäischen Union
(EU) zum Handeln drängen wollte. Meta
deutete darin an, dass der Konzern seine
Dienste in Europa eventuell einstellen
müsse. Wenn man aufgrund europäischer
Datenschutzbestimmungen Nutzerdaten
nicht mehr in den USA auswerten dürfe,
E
Es hätte die Übernahme des Jahrzehnts
werden können: Im September 2020 bot
der Grafikchipspezialist nVidia aus Kali-
fornien 40 Milliarden Dollar für die briti-
sche Chipdesign-Schmiede ARM, davon
gut zwölf Milliarden Dollar in bar und
gut 27 Milliarden Dollar in nVidia-Ak-
tien. Seitdem legte der Kurs der nVidia-
Der britische
Chipdesigner
ARM soll
unabhängig
bleiben, ein
US-Übernahmeversuch
scheiterte.
Für Europa
ist das eine
Chance
Aktien so weit zu, dass der Kaufpreis auf
mehr als 80 Milliarden Dollar anstieg.
Für den japanischen ARM-Eigentümer
Softbank wäre der Verkauf nicht nur lu-
krativ, sondern auch ein nach vielen
Fehlschlägen dringend benötigter Erfolg
in den Büchern seines gebeutelten Ven-
ture-Capital-Fonds Vision Fund gewe-
sen. Für nVidia hätte es den Einstieg in
den Markt für Mobilgeräte und Server-
chips bedeutet.
VON BENEDIKT FUEST
Doch diese Woche mussten alle betei-
ligten Firmenlenker eingestehen: Die
Traumhochzeit der Chipindustrie findet
nicht statt. Zu groß waren die regulatori-
schen Widerstände, zu schwer wogen die
Bedenken von Kunden der beiden Fir-
men, von Regierungen und Wettbe-
werbshütern. Für nVidia ist das Schei-
tern bitter, für die ARM-Kunden eine Er-
leichterung – und für Europa eine echte
Chance im Streben um Unabhängigkeit
im globalen Chipmarkt.
Denn ARM ist in einer einmaligen Po-
sition im wachsenden Halbleitermarkt.
Ohne die Designs und Patente der Briten
kommt derzeit kaum noch ein
Smartphone, Server oder Auto auf den
Markt. Die Firma lizenziert ihre Designs
dann „werden wir wahrscheinlich eine
Reihe unserer wichtigsten Produkte und
Dienstleistungen, einschließlich Face-
book und Instagram, in Europa nicht
mehr anbieten können“.
Das lässt sich leicht als Drohung ver-
stehen. Und ein wenig dürfte es wohl
auch so gemeint gewesen sein. Derzeit
verhandeln Politiker der EU und der USA
über ein Nachfolgeverfahren für die „Pri-
vacy Shield“-Regelung, mit der der Da-
tenaustausch über den Atlantik hinweg
reguliert wird. Der Europäische Gerichts-
hof hatte das Abkommen Mitte 2020 zu
Fall gebracht, weil die Verarbeitung von
personenbezogenen Daten in den USA
nicht den hohen Datenschutzstandards
der EU entsprechen würde. Im Kern geht
es um US-Überwachungsgesetze, die den
Behörden Zugang zu personenbezogenen
Daten von europäischen Nutzern ver-
schaffen können.
Dass die Drohung aus dem neuen Be-
richt an die SEC-Börsenaufsicht plötz-
lich von Medien in Europa so prominent
aufgenommen wurde, war dem Konzern
sichtlich unangenehm. „Wir haben nicht
vor, uns aus Europa zurückzuziehen“,
sagte eine Meta-Sprecherin WELT AM
SONNTAG. Grundsätzlich bräuchten
Unternehmen aber klare, globale Re-
geln, um den transatlantischen Daten-
verkehr langfristig zu schützen. „Wie
mehr als 70 andere Unternehmen aus
verschiedensten Branchen beobachten
WELT AM SONNTAG
und Patente an führende Halbleiterher-
steller weltweit, ihre Architektur ist die
technologische Grundlage für die Chips
von Apple, Qualcomm, Samsung oder
Broadcom. ARM könnte der Nukleus für
ein Wiedererstarken der europäischen
Chipindustrie sein.
PROTESTE DER KUNDEN
Angesichts der Absage und einer damit
verbundenen Gebühr an Softbank von
immerhin 1,25 Milliarden Dollar gab sich
nVidia-Chef Jensen Huang erstaunlich
konziliant: „ARM hat eine strahlende Zu-
kunft vor sich, und wir werden sie auch
in den kommenden Jahrzehnten als stol-
zer Lizenznehmer unterstützen“, kom-
mentierte er den Abbruch der Verhand-
lungen. Softbank-Chef Masayoshi Son
kündigte an, dass man ARM nun an die
Börse bringen wolle, um Kapital für wei-
teres Wachstum zu sammeln.
NVidia brach die Übernahme vor al-
lem wegen der mangelnden Unterstüt-
zung in der Heimat ab: Die US-Wettbe-
werbsbehörde FTC folgte Protesten des
amerikanischen Chipbauers Qualcomm
und drohte eine Klage gegen die Fusion
an, auch andere große ARM-Kunden wie
HIDDEN der Halbleiter
Champion
Google und Microsoft protestierten ge-
gen den Deal. Sie alle arbeiten mit ARM
zusammen an Chips für ihre Produkte
und Services, lizenzieren Designs, entwi-
ckeln sie weiter oder nutzen grundlegen-
de Patente – und fürchteten, diese Zu-
sammenarbeit könnte durch die nVidia-
Übernahme teurer werden. Auch chine-
sische, europäische und britische Wett-
bewerbshüter hatten Bedenken gegen
den Verkauf in die USA angemeldet.
Für nVidia hat das Scheitern der ge-
planten Übernahme zunächst keine di-
rekten Folgen. Die nun fällige Strafzah-
lung an Softbank bestreitet die Firma,
die ihren Börsenwert seit 2017 verzehn-
fachen konnte, aus der Portokasse. Die
Zusammenarbeit mit ARM wollen die
Amerikaner nicht nur beibehalten, son-
dern sogar intensivieren. Derzeit entwi-
ckelt der Konzern zusammen mit den
Briten eine eigene Supercomputer-CPU
– einen Hauptprozessor – namens
„Grace“ und steigt damit in den um-
kämpften Großrechnermarkt ein.
Gleichzeitig ist ein ARM-Chipdesign
auch Grundlage für nVidias neuen Auto-
computer „Orin“. Für nVidia ändert sich
im operativen Geschäft zumindest mit-
telfristig also nicht viel.
Für das britische Unternehmen je-
GETTY IMAGES / ZF L
Chips stecken doch bedeutet die Absage, dass es kurz-
heute nicht nur fristig an anderer Stelle Kapital für kom-
in Smartphones, mende Investitionen besorgen muss.
sondern auch „ARM ist eine beispiellose europäische
in Autos Chiperfolgsgeschichte, bislang wurden
über 200 Milliarden Chips mit ARM-
Technologie verkauft“, sagt Peter Fintl,
wir die möglichen Auswirkungen dieser
Entwicklungen auf unser europäisches
Geschäft laufend.“
In einer anderen Stellungnahme weist
eigenen Courage der Konzern darauf hin, dass der Satz
aus rein rechtlichen Gründen im SEC-
Bericht stehe. Man sei dazu verpflichtet,
so Meta, Investoren vor konkreten Risi-
ken für den Konzern zu warnen. Dem-
Der Facebook-Konzern Meta warnt, seine Dienste entsprechend sei die Warnung nicht neu,
in Europa nicht mehr anbieten zu können – und
habe so auch schon in vergangenen Be-
richten gestanden. Das jedoch stimmt
nimmt die Drohung gleich wieder zurück
nur bedingt: Im Vorjahresbericht stand
im gleichen Zusammenhang die Formu-
lierung „könnten wir möglicherweise we-
sentliche Teile unseres Geschäfts in Eu-
ropa nicht mehr betreiben“. Jetzt jedoch
hat Meta das Wort „wahrscheinlich“ (im
Original: „likely“) eingefügt und damit
die Dringlichkeit deutlich erhöht. Dass
Europa ist der zweitgrößte Markt
dies genau vor der nächsten Runde der
Meta-Umsätze nach geografischer Herkunft der Nutzer, in Mrd. US-Dollar
entscheidenden Verhandlungen zwi-
USA und Kanada Europa Asien-Pazifik Rest der Welt schen der EU und den USA geschieht, ist
21,1 17,7 18,7 21,5 28,1 26,2 29,1 29,0 33,7 wohl kein Zufall.
3,2 Dennoch ist ein Rückzug des Konzerns
gesamt
2,5 2,9 3,0 6,2 aus Europa sehr unwahrscheinlich – der
4,8 2,5
4,8
5,2 5,5
8,4 Markt ist für Meta schlichtweg zu wich-
2,0
1,6
2,0
4,2 6,5 7,3 7,0 tig. Im vergangenen Jahr hat das Unter-
3,7 1,7 6,5
5,2 3,3 3,3
5,1 15,8 nehmen auf dem Kontinent mit fast 30
4,3 4,5 13,7 12,4 13,7 13,6 Milliarden Dollar ein Viertel seines ge-
10,2 8,6 9,3 10,1 samten Umsatzes gemacht. Europa ist
für Meta ein Wachstumsmotor, weil hier
4. Qu. 1. Qu. 2. Qu. 3. Qu. 4. Qu. 1. Qu. 2. Qu. 3. Qu. 4. Qu. der Markt noch nicht so gesättigt ist. Bin-
2019 2020 2020 2020 2020 2021 2021 2021 2021 nen Jahresfrist ist der Umsatz um gut 50
Quelle: Meta Prozent gestiegen. Nach den USA und
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NR. 7 13. FEBRUAR 2022
Chipexperte bei der Technologiebera-
tung Capgemini Engineering. „Jetzt be-
findet sich die Firma vor dem nächsten
Schritt – und der benötigt viel Kapital.“
Denn ARMs energieeffiziente CPU-
Kernarchitektur wird bislang vor allem
für die Chips in Smartphones und in Ge-
räten für das Internet der Dinge verwen-
det. Doch nVidia hatte bereits früh er-
kannt, dass sie auch ein Vorteil für den
Bau von Rechenzentren sein kann, und
wollte mit ARM gemeinsam Chips für
die globale Infrastruktur der großen
Cloud-Anbieter liefern. Diesen Schritt
müssen die Briten nun allein finanzieren.
Erster großer Kunde ist Amazon, dessen
Cloud-Tochter AWS zunehmend zusam-
men mit ARM entworfene „Graviton“-
CPUs in ihren Rechenzentren einsetzt.
Auch Googles Cloud setzt neuerdings
auf ARM-Chips.
Damit spielt den Briten ein Trend in
die Hände: Nicht mehr nur in
Smartphones, sondern auch für Laptops
und in Servern wollen die US-Interne-
triesen eigene Chips einsetzen und sich
so von klassischen CPU-Herstellern wie
AMD, Intel und Co. unabhängig ma-
chen. ARM liefert die dafür nötigen
grundlegenden Baupläne. Die Rolle, die
dem Unternehmen dabei zukommt, ist
die eines neutralen Technologieversor-
gers. Als europäische Firma können die
Briten deutlich unbeschwerter Techno-
logie exportieren als etwa US-Konzer-
ne, denen bei Geschäften zum Beispiel
mit chinesischen Herstellern die Hände
gebunden sind.
SYSTEMRELEVANT
ARMs Chipdesign-Fähigkeiten könnten
darüber hinaus eine entscheidende Rolle
für den Ausbau einer eigenen unabhängi-
gen Chipindustrie in Europa spielen. Die
EU-Kommission hat gerade ein europäi-
sches Chipgesetz angekündigt, das In-
vestitionen in den Sektor mit Milliarden
fördern soll. Aus dieser Quelle könnte
auch Kapital für weitere Investitionen
gemeinsam mit europäischen Technolo-
giekonzernen kommen. Volkswagen-
Chef Herbert Diess etwa erklärte bereits
im vergangenen Jahr, wie Konkurrent
Tesla eigene VW-Chips bauen zu wollen.
Zwar ist ARM seit dem Brexit nicht
mehr länger in einem EU-Land angesie-
delt, doch seine Technologie bleibt in
Europa. „Es ist von elementarer Bedeu-
tung, solche systemrelevanten Unter-
nehmen in Europa zu behalten“, sagt
Experte Fintl. „Sie garantieren, dass wir
künftig unabhängiger von Handelsstrei-
tigkeiten oder Lieferkettenproblemen
werden – nicht nur bei Elektronikpro-
dukten, sondern auch bei Autos, Indus-
triemaschinen oder Geräten und Senso-
ren im Internet der Dinge.“
Kanada ist Europa der zweitgrößte Markt
für das Unternehmen.
Auch die Zahl der Nutzer ist in Euro-
pa größer als im Heimatmarkt. Zuletzt
meldete Meta in Europa, wozu der Kon-
zern allerdings auch Russland und die
Türkei zählt, 309 Millionen aktive Nut-
zer pro Tag, die Facebook und die Mes-
senger-Dienste nutzen. Die Pläne des
Konzerns sehen sogar vor, Europa zu ei-
nem zweiten Standbein zu machen. In
den nächsten fünf Jahren sollen hier
10.000 neue Mitarbeiter eingestellt wer-
den, um die Vision von Mark Zuckerberg
vom sogenannten Metaverse Wirklich-
keit werden zu lassen. Darin sieht der
Facebook-Gründer die Zukunft des In-
ternets, eine Verknüpfung von echter
und virtueller Welt, in der die Nutzer
sich treffen, spielen, kommunizieren,
einkaufen und arbeiten.
Und Meta ist auf Europa angewiesen,
um genügend Talente zum Bau des Me-
taverse zu gewinnen. Daraus macht das
Unternehmen kein Geheimnis. „Europa
ist für Facebook von enormer Bedeu-
tung“, schrieben die Top-Manager Nick
Clegg und Javier Olivan in einem Blog-
post im Oktober. Meta sei davon über-
zeugt, dass europäische Talente welt-
weit führend seien. „Auf dem Weg, das
Metaverse zum Leben zu erwecken, ist
der Bedarf an hoch spezialisierten Inge-
nieuren eine der dringendsten Prioritä-
ten von Facebook.“
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22 WIRTSCHAFT
Elektrische
Revolution auf
vier Rädern
Investoren setzen auf
Felgen-Motor für E-Autos
D
er Ex-Entwicklungschef von
Audi und Volvo, Peter Mer-
tens, erwartet einen techni-
schen Umbruch beim Antrieb vor al-
lem kleiner Elektro-Fahrzeuge. Er
geht vom künftigen Einbau von Rad-
nabenantrieben aus, also E-Motoren,
die in der Felge der Räder eingebaut
W
sind und nicht auf dem Fahrgestell.
Mertens beteiligt sich nun am Münch-
ner Start-up DeepDrive mittels einer
Kapitalerhöhung. Mit seinen Bran-
chenkontakten will er dem Jungunter-
nehmen auch als Beirat helfen.
„DeepDrive hat mich durch die
Technik und das Team überzeugt“,
sagt Mertens WELT AM SONNTAG.
Die patentgeschützten Entwicklun-
gen seien „ein Türöffner für den Rad-
nabenantrieb“. Ein Einsatzfeld könn-
ten beispielsweise Robo-Taxis oder
kleine Frachtfahrzeuge sein.
Die Überlegung, E-Motoren direkt
am Rad zu integrieren, ist zwar nicht
neu. Schon Ferdinand Porsche rüste-
te zur Weltausstellung 1900 einen
Elektrowagen mit lenkbaren Radna-
benantrieben aus. Bislang gab es aber
viele Nachteile, etwa das höhere Ge-
wicht, die zu geringe Leistung oder
laute Geräusche. Nach Einschätzung
des Ingenieurs Mertens kann Deep-
Drive diese bisherigen Schwachpunk-
te jedoch aushebeln. Jetzt gebe es
deutliche Vorteile gegenüber dem
klassischen Aufbau von E-Autos.
DeepDrive selbst spricht von künftig
vollständig flachen, „steckerfertigen
Skateboard-Plattformen“ für Fahr-
zeuge. Der neuartige Motor verbrau-
che 20 Prozent weniger Energie als
herkömmliche E-Fahrzeuge, was die
Reichweite erhöhe.
Mertens hat sich nach eigenen An-
gaben mit einem sechsstelligen Be-
trag an dem Start-up beteiligt. Insge-
samt flossen bei der sogenannten
Seed-Finanzierung, also in der Früh-
phase, gut 4,3 Millionen Euro. Dies
soll den weiteren Prototypenbau und
neue Entwicklungen sicherstellen.
Geld kommt auch von Hightech-In-
vestoren wie UVC Partners, vom
Wachstumsfonds Bayern und Jonas
Rieke vom Softwareunternehmen
Personio.
DeepDrive hatte seinen Motor im
Herbst bereits auf der Automobilaus-
stellung IAA in München präsentiert.
Es gebe Interesse von Autoherstel-
lern und Zulieferfirmen, mit denen
Gespräche geführt würden, heißt es.
Konkrete Namen werden nicht ge-
nannt. „Alle sind auf der Suche nach
einer kostengünstigen Technik, auch
für Kleinfahrzeuge“, sagt Mertens. Er
geht davon aus, dass ein Serienein-
satz „signifikant vor dem Jahr 2030“
zu erwarten sei, wahrscheinlich in
Europa oder Asien, etwa in Korea
oder Japan. Für den 60-jährigen Mer-
tens ist DeepDrive nunmehr sein
weltweit zwölftes Engagement im Be-
reich E-Mobilität. GERHARD HEGMANN
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Abgebaut
Die Materialkosten steigen rasant,
gleichzeitig wachsen die Anforderungen an
den Klimaschutz. Die ehrgeizigen Neubauziele
der Ampel sind so nicht zu erreichen
Wer demnächst an einem der ersten
warmen Wochenenden auf die Holzdie-
len seiner Terrasse oder seines Balkons
tritt, hat gleich doppelten Grund zur
Freude: erstens eine – hoffentlich –
kräftige Frühlingssonne. Und zweitens
einen deutlichen gefühlten Wertanstieg
unter den Füßen. Denn das im Fachjar-
gon so genannte „Konstruktionsvoll-
holz“, aus dem die meisten Terrassen-
dielen bestehen, hat sich innerhalb von
gerade mal einer Saison um mehr als 77
Prozent verteuert. Auch wenn sich neu
und gebraucht nicht direkt vergleichen
lassen: Eine Terrasse, für die man vor
einem Jahr 10.000 Euro gezahlt hat,
dürfte jetzt um die 18.000 Euro kosten.
Gut, wenn man zurzeit nicht bauen
muss.
VON MICHAEL FABRICIUS
Der Baukostenanstieg hat inzwischen
alle Gewerke erfasst. Betonstahlstäbe
waren Ende des vergangenen Jahres fast
53 Prozent teurer als im Jahr 2020. Bitu-
men aus Erdöl, Epoxidharze, Kupferle-
gierungen, Heizungsrohre oder auch
Dämmplatten aus Styropor – nahezu je-
des wichtige Material ist wegen Engpäs-
sen um mindestens zweistellige Pro-
zentwerte im Preis gestiegen, meldete
das Statistische Bundesamt in dieser
Woche. Auch das Bauhandwerk selbst
wird teurer. In der Immobilien- und
Wohnungswirtschaft entsteht deshalb
ein immer längerer Bau-Stau, mit Fol-
gen für Mieten und Märkte. „Wenige
Das Wichtigste,
was man über
c
en
Astrologie
wissen muss.
Die Denkordnung der Astrologie
wird von Intellektuellen unterschätzt
und von Esoterikern überschätzt. Frei
von Vorurteilen informiert das Buch
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WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022
schießen und je mehr Zeit jetzt für das
Neu-Aufsetzen der Förderprogramme
verstreicht, desto größer wird der At-
tentismus bei den Bauherren, die für
die energetischen Sanierungen und den
notwendigen Wohnungsbau in den
Startlöchern stehen.“
Es gehe „um fast 150.000 Wohnun-
gen, die allein bei den sozial orientier-
ten Wohnungsunternehmen nicht wie
geplant gebaut werden können“, rech-
net Gedaschko vor. „Weitere 70.000
Wohnungen werden vorerst nicht sa-
niert. Damit werden das Neubauziel der
Regierung von 400.000 neuen Wohnun-
gen pro Jahr und die Klimaneutralität
bis 2045 unerreichbar, wenn die Regie-
rung nicht schnell reagiert.“ Die Ampel-
Koalition im Bund müsse „umgehend
Maßnahmen zur Abfederung der Baufla-
tion und Stabilisierung der Baukosten
E
auf den Weg bringen“.
ine neue Wohnung kostet heute
rund neun Prozent mehr als vor
einem Jahr. In den Bau-Geneh-
migungszahlen scheint sich das noch
nicht niederzuschlagen. Letztes Jahr
wurden erneut mehr Wohnungsneubau-
ten bewilligt als 2020. Nach Bau-Atten-
D
ARRAU
tismus, also Abwarten, sieht das zu-
nächst nicht aus. Doch bei genauerem
RTIN B
Hinsehen zeigt sich ein Problem: Das
S/ MA
größte Plus gab es mit fast 25 Prozent
bei Zweifamilienhäusern. Bei Einfamili-
IMAGE
enhäusern wurden 1,2 Prozent mehr ge-
GET T Y
nehmigt. Und bei Wohnungen in Mehr-
familienhäusern, die für die Großstädte
mit ihren knappen Märkten so wichtig
sind, betrug das Plus nur 0,5 Prozent.
Wie angesichts dieser Zahlen die von
Wochen nach dem Start der neuen Re- Kostenexplosion am Bau der Bundesregierung angekündigten zu-
gierung bahnt sich ein Debakel an“, sagt sätzlichen 100.000 Wohnungen entste-
Preisindex für Wohngebäude und Straßenbau (2015=100)
Axel Gedaschko, Präsident des Spitzen- Veränderung gegenüber Vorjahresmonat, in % hen sollen, bleibt ein Rätsel.
verbands der Wohnungswirtschaft Der Preisanstieg, die sogenannte Bau-
D
15
GdW. flation, verteuert nicht nur Neubauten.
Straßenbau = Ingenieurbau Auch der gesamte Preissockel im Woh-
ie Bundesregierung will, dass Wohngebäude = Neubau, konventionelle Bauart nungsbestand wird angehoben, was wie-
jedes Jahr 400.000 neue Woh- 10 derum Folgen für anstehende Sanierun-
nungen gebaut werden. In den gen und damit den Klimaschutz haben
vergangenen Jahren waren es jeweils dürfte. Der Verband deutscher Pfand-
höchstens etwa 300.000. Die Kapazitä- briefbanken (VDP) errechnet auf Basis
ten in der Bauwirtschaft sind jedoch 5 realer Transaktionsdaten von 700 Kre-
ausgereizt. Und während die Klima- ditinstituten einen Immobilienpreisin-
schutz-Anforderungen für Gebäude dex für den Gesamtmarkt. Dieser Index
noch weiter steigen sollen, hat der Staat 0 machte Ende 2021 einen heftigen Sprung
erst einmal wichtige Förderprogramme QI QI um 8,4 Prozent auf einen neuen histori-
gestoppt. Viele Immobilienunterneh- 2019 2020 2021 schen Höchstwert von 187,4 Punkten.
men sehen sich zurzeit vor einer nahezu Quelle: Statistisches Bundesamt „Neben der weiterhin hohen Nachfrage
unlösbaren Aufgabe: neu bauen, energe- nach Wohnimmobilien spielten auch die
tisch sanieren und gleichzeitig bezahl- deutlich erhöhten Baupreise eine we-
bare Wohnungen anbieten. sentliche Rolle“, so VDP-Hauptge-
Wertstoff Holz
„Mehr als die Hälfte der GdW-Unter- Erzeugerpreise einiger Materialien, Veränderung 2021 gegenüber Vorjahr in Prozent
schäftsführer Jens Tolckmitt.
nehmen müssen ihre aktuellen Bau- Der VDP gehört nicht gerade zu je-
und Sanierungspläne wegen des plötz- Konstruktionsvollholz nen Organisationen, die kämpferisch
lichen Förderstopps verschieben“, sagt Dachlatten für die Interessen dieser oder jener
Verbandschef Gedaschko. Vor drei Wo- Bauholz Marktteilnehmer eintreten. Man küm-
chen hatte Bundeswirtschaftsminister Betonstahl in Stäben mert sich um nüchterne Themen – Kre-
Robert Habeck (Grüne) sämtliche Pro- Betonstahlmatten dit-Refinanzierung, Zinsentwicklung,
gramme der Förderbank KfW für neu Bitumen aus Erdöl Regulierung. Umso bemerkenswerter,
gebaute Effizienzhäuser gestoppt. In- Epoxidharze wenn auch VDP-Chef Tolckmitt etwas
zwischen werden jene Anträge, die bis Halbzeug aus Kupfer* zur Wohnungsbaupolitik sagt: Die Ent-
zum 24. Januar gestellt worden waren, Metalle insgesamt wicklung der Baupreise stelle „eine er-
wieder bearbeitet. Doch „fast ein Vier- Spanplatten
hebliche Herausforderung für das Ziel
tel der Unternehmen haben ihre Neu- der Bundesregierung dar, 400.000
Dämmplatten aus Kunststoff
baupläne schon beerdigt“, so Gedasch- Wohnungen pro Jahr neu zu bauen“.
Erzeugerpreise insgesamt
ko. Der Baukostenanstieg komme als Aus der Sprache der Pfandbriefbanken
Bremsfaktor noch dazu. „Je weiter die 0 20 40 60 80 übersetzt, heißt das so viel wie: Es ist ei-
Baupreise und Vorgaben in die Höhe * und Kupferlegierungen Quelle: Statistisches Bundesamt gentlich nicht zu schaffen.
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Die Musikszene und die Entertainment-Branche erleben schwierige
Monate. Die Pandemie führt erneut zu Konzertabsagen,
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24 WIRTSCHAFT
S
chnapszahl-Daten sind
beliebt, vor allem bei
Hochzeitspaaren. Je-
denfalls liegt die Zahl
der Trauungen an sol-
chen Tagen stets um
ein Vielfaches höher als
an klassischen Terminen. Nächste Chan-
ce ist der 22.2.2022. Auch Ernst Prost
nutzt dieses Datum, wenngleich nicht
zum Heiraten. Der Geschäftsführer und
langjährige Inhaber des Motorenöl-Her-
stellers Liqui Moly geht an diesem Tag in
Rente: „Dann weiß ich, wann ich in mein
neues Leben gestartet bin.“ Im Telefon-
Interview spricht der 64-Jährige übers
Loslassen, die Nachfolgeregelung und
das Renommee von Unternehmern und
Wirtschaft.
VON CARSTEN DIERIG
WELT AM SONNTAG: Herr Prost, ist
das Büro schon leer geräumt?
ERNST PROST: Nicht ein bisschen. Das
mache ich im Frühling. Ich habe ja kei-
nen Zeitdruck. Priorität hat derzeit der
Jahresabschluss. Alles andere muss
zurückstehen.
Wie schwer fällt Ihnen der Abschied
nach gut 30 Jahren im Unternehmen?
Der Abschied fällt mir sehr schwer, alles
andere wäre gelogen. Ich bin ein Work-
aholic. Mein Schalter ist ständig auf
Strom gestellt und das Handy immer
greifbar. Das ging teilweise schon ins Ma-
sochistische. Aber das hat mir nie etwas
ausgemacht. Die Arbeit war alles für
mich in den vergangenen Jahren: Be-
schäftigung, Hobby, Spaß, Spiel. 99 Pro-
zent meiner Freundschaften haben einen
Firmenhintergrund. Es wird daher wei-
terhin zu Begegnungen mit Kollegen,
Mitarbeitern und auch Kunden kommen.
Aber anders.
Warum hören Sie dann überhaupt auf?
Ich will nicht irgendwann den halblebi-
gen Chef abgeben. So nennt man in Süd-
deutschland Führungskräfte, die nichts
mehr auf die Reihe kriegen. Es gibt genug
Beispiele von Unternehmern, die den
Absprung verpasst haben. Da reihe ich
mich nicht ein. Außerdem ist die Zeit
jetzt reif: Man hat nur ein Leben. Und
das will ich genießen. Ich bin jetzt 64.
Wann soll ich sonst noch etwas erleben?
Was wollen Sie denn erleben?
Da fällt mir schon was ein. Ich werde je-
denfalls nicht im Schaukelstuhl sitzen,
bis der Teufel mich holt. Auf meiner
To-do-Liste stehen bislang Dinge wie
Reisen, Wandern, Tauchen, Motorrad
fahren, aber auch Kultur mit Oper und
Museen. Ich habe ja schließlich über
Jahrzehnte hinweg auf nahezu alles ver-
zichtet. „Von nichts kommt nichts“ ist
eben kein dummer Spruch. Erfolg hat
man nur durch brutalen Einsatz.
Wie endgültig ist Ihr Abschied?
Natürlich muss ich jetzt erst mal heraus-
finden, ob ich ohne die Firma und ohne
Arbeit leben kann und ob ich mich als
freier Mann, der unabhängig, selbstbe-
stimmt und hoffentlich sorgenfrei bei
bester Gesundheit durch sein restliches
Leben läuft, fährt oder fliegt, glücklicher
fühle als vorher mit einem rappelvollen
Terminkalender, den vielen Fingern im
Hintern und den 1000 Schnüren an mir,
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WELT AM SONNTAG.
MITTELSTAND
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022
mand darüber nach, dass nur das umver-
teilt werden kann, was vorher auch er-
Der Chef des Motorenöl-Herstellers Liqui
wirtschaftet wurde. Wir können und
dürfen Deutschland nicht weiter dein-
Moly, Ernst Prost, geht in Rente. Von einer
dustrialisieren. Ohne die Wirtschaft
läuft hier gar nichts mehr. Das können
zufälligen Erbfolge hält er nichts. Auch zu oder wollen viele aber offenbar nicht ver-
stehen. Aber wie auch? Im Bundestag
großen Konzernen und zum Mindestlohn und in den Landtagen sitzt ja kaum noch
jemand, der Ahnung von Wirtschaft hat.
hat der 64-Jährige eine klare Meinung Da fehlt jede Expertise. Wir brauchen
aber endlich wieder Verständnis von und
LIQUI MOLY GMBH /JENNIFER WEYLAND
für Wirtschaft.
Sie gelten als streitbar. Ist das jetzt so
ein Moment?
Von streitbar würde ich nicht sprechen.
Aber ich bin meinungsfreudig. Und das
würde ich mir von viel mehr Managern
und Unternehmern in Deutschland wün-
schen. Die Wirtschaft muss mitreden
und darf nicht zulassen, dass nur noch
über sie geredet wird. Aber offenbar
herrscht überall die große Angst vor
Shitstorms und Boykottaufrufen. Klar,
ich selbst hab mir auch schon viel Ärger
und viele Diskussionen eingebrockt, weil
ich meine Meinung gesagt habe. Das
muss am Ende jeder für sich abwägen.
Aber wir dürfen das Land doch nicht nur
„Ich will
Beamten und Lobbyisten überlassen.
Was wünschen Sie sich von der Poli-
tik? Was muss sich bei den Rahmenbe-
dingungen ändern?
Die Bürokratie muss zurückgefahren
meinen
werden. Regeln und Standards sind nötig,
keine Frage. Aber wir übertreiben es in
„Ich bin ein Workaholic“: Ernst Prost Deutschland mit den Vorgaben. Es wird
im Liqui-Moly-Werk in Saarlouis ja sogar eher mehr als weniger in den ver-
gangenen Jahren. Und das Schlimme ist:
Sohn nicht in
Viele Ideen sollen große Konzerne aus
dem Ausland regulieren, getroffen wird
Es gab massenhaft Anfragen für Liqui am Ende aber der Mittelstand. Amazon
Moly – von der Konkurrenz, von den gro- macht die Innenstädte kaputt, verstopft
ßen Ölkonzernen, von Private Equity. die Straßen, pustet massenhaft CO2 in die
Aber das hätte ich niemals gemacht. Luft – und zahlt hier nicht mal Steuern.
DIE NÄCHSTE
diese Mühle
Dann wird das Unternehmen nur ausge- Jeden Handwerker und Kleinbetrieb hat
GENERATION
lutscht und systematisch kaputt ge- man am Wickel, aber die multinationalen
macht. Hier geht es aber um mein Le- Konzerne schaffen es ohne Probleme,
benswerk. Das wird von der Würth- sich von Pflichten zu befreien. Ohnehin
Gruppe bewahrt, da bin ich mir sicher. ist das Steuerrecht ein Thema, das drin-
zwingen“
Zumal wir auch auf dem Papier eine Kon- genden Reformbedarf hat. Immerhin
stellation für die Ewigkeit geschaffen ha- geht die Ampel-Koalition das Thema
ben. Aber auch die Praxis hat gezeigt, Mindestlohn an.
dass es passt. Denn eine Kapitalverflech-
tung existiert schon seit einigen Jahren. Worüber die Wirtschaft überhaupt
Und nie gab es Probleme, nie hat uns je- nicht glücklich ist.
mand reingeredet, wie wir die Firma zu Was ich nicht verstehe. Arbeit muss
führen haben. sich lohnen. Und wer keine zwölf Euro
Wechsel und pro Stunde dafür bezahlen kann, der
gezogen haben. Ganz ehrlich? Ich weiß Freunde, Waffenbrüder und ticken sehr Was sind jetzt die dringlichsten Aufga- Weichenstellung hat ein falsches Geschäftsmodell. Ei-
es nicht – aber ich will es herausfinden. ähnlich. Er ist sogar mein Testaments- ben für Ihren Nachfolger? gentlich müsste der Mindestlohn sogar
vollstrecker. Ich bin überzeugt, dass er Liqui Moly braucht nach dem starken Die Nachfolge an der Spitze noch höher liegen. Die Menschen müs-
Und wenn nicht? die perfekte Lösung ist. Das zeigt sich Wachstum der vergangenen Jahre ein mittelständischer Unter- sen von Lohn und Gehalt auch leben
Dann helfen mir meine Frau und der alte auch im Alltag: Hinter den Kulissen le- neues Zentrallager für das Produktions- nehmen ist oft von langer und eine Familie ernähren können.
Bauernhof in Reit im Winkl, den ich letz- ben wir den Übergang schon seit ein paar werk im Saarland. Das gestaltet sich der- Hand geplant, kann sich Stattdessen gibt es so Auswüchse wie
tens gekauft habe. Das ist ein Sehn- Monaten. Und bislang hätte ich jede sei- zeit aber schwierig. Denn die Stadt Saar- manchmal schwierig, oft beim Kurzarbeitergeld. Die großen Au-
suchtsort, an dem ich bald möglichst oft ner Entscheidungen genauso getroffen. louis und der Gemeinderat am ausge- aber auch völlig geräuschlos tokonzerne machen in der Corona-Zeit
Zeit verbringen will. Und zwei Stiftun- wählten Ort blockieren dieses Vorhaben. gestalten. Wenn die junge fette Gewinne, schicken ihre Mitarbei-
gen für soziale Projekte in Deutschland Warum haben Sie Ihren Sohn nicht in Dabei geht es um ein Investment in Hö- Generation in der Firma ter aber in Kurzarbeit und wälzen da-
und in Afrika habe ich auch noch. Stellung gebracht? he von 40 Millionen Euro, bei dem dazu übernimmt, stellt sich ihr mit ihre Kosten auf die Allgemeinheit
Der hat andere Ambitionen. Und ich liebe noch Dutzende Arbeitsplätze entstehen. aber fast immer die Frage: ab und plündern die Kassen, um es
Wie geht es bei Liqui Moly weiter? Das meinen Sohn viel zu sehr, um ihn in diese Und das in einer eher wirtschaftsschwa- Was soll sich ändern, was dann ihren Aktionären in die Tasche zu
Unternehmen war bislang stark auf Sie Knochenmühle zu zwingen, damit am chen Region. Zum Vergleich: Wenige Ki- soll bleiben? WELT AM stecken. Das geht nicht – auch wenn es
zugeschnitten. Wie viel hängt an Ihrer Ende ein Prost auf dem Chefsessel sitzt. lometer weiter in Frankreich wird uns SONNTAG besucht für Kunden von uns sind. Deswegen halte
Person? Da hat am Ende keiner was von. Ohnehin der rote Teppich ausgerollt mit Zuschüs- diese Serie Unternehmer ich mich mit Kritik aber nicht zurück.
Natürlich ist das jetzt eine Zäsur, und es darf eine zufällige Erbfolge nicht über die sen, Steuervorteilen und sowohl einer und Unternehmerinnen und Da muss die Politik einschreiten. Aber
wäre naiv zu glauben, dass nichts an mei- Besetzung von Geschäftsführerposten in neuen Straßen- als auch Schienenverbin- guckt nach Wandel und die Pandemie-Bekämpfung des Staates
ner Person hängt. Aber mein Nachfolger einem Unternehmen entscheiden. dung. Da fehlen mir einfach die Worte. Beständigkeit. ist mittlerweile ohnehin nicht gerade
fängt auch nicht bei null an. Günter Hier- Deutschland wird mit jedem Tag wirt- preisverdächtig. Wir brauchen logische
maier ist schon lange mein Co-Ge- Neuer Eigentümer ist die Würth- schaftsfeindlicher. Aber das geht nicht und stringente Entscheidungen, statt-
schäftsführer und begleitet mich fast Gruppe. Warum haben Sie Ihre Anteile gut auf Dauer. Die Politik will nur noch dessen gibt es Flickenteppiche und Ka-
mein gesamtes Berufsleben, wir sind an den „Schrauben-König“ verkauft? umverteilen. Aber offenbar denkt nie- kofonie.
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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG NR. 7 WIRTSCHAFT 25

STROM für den Stier aus Italien

D
ie Elektrifizierungsstrategie mentbank Stifel schwärmen geradezu von dem VW will die Autos seiner anders aus als bei Lamborghini. Die Stuttgarter betont auch Winkelmann die Vorteile, die das Un-

Sportwagen-Tochter
von Volkswagen-Chef Her- Supersportwagen-Hersteller. „Lamborghini ist verkauften im vergangenen Jahr erstmals mehr ternehmen aus seiner Zugehörigkeit zum VW-
bert Diess erfasst jetzt auch ein faszinierendes Unternehmen. Es ist über als 300.000 Fahrzeuge, davon machte der voll- Konzern zieht. „Wir haben dadurch Synergien

Lamborghini in
den Inbegriff starker Ver- zehn Jahre mit durchschnittlich 19 Prozent ge- elektrische Taycan fast 14 Prozent aus. Das hilft und Skaleneffekte. Gerade im Einkauf hilft uns
brennungsmotoren im Kon- wachsen – mehr als jeder andere europäische Au- bei der Erreichung der Klimaziele, denn Elektro- der Konzern. Im vergangenen Jahr sind wir be-

zern: die Sportwagenmarke
Lamborghini. Die kleine Lu-
xustochter in Italien, zuletzt aufgefallen mit einer
stark limitierten 819-PS-Neuauflage des legendä-
ren Modells Countach, wird schon im kommen-
den Jahr Elektromotoren und Batterien an Bord
nehmen. Dann soll der Supersportwagen Aventa-
Plug-in-Hybride
tomobilhersteller“, sagt er. „Die Marke funktio- autos gehen in die Statistik mit einem Emissions- vorzugt worden bei der Halbleiterbelieferung, das
niert sehr gut als Teil von Volkswagen. Der Urus wert von 0 Gramm CO2 pro Kilometer ein. Lam- war für uns natürlich sehr positiv“, sagt er.
verwandeln.
wird auf der gleichen Plattform wie der VW Toua- borghini dagegen verkaufte 2021 nur 8405 Autos – Für seine teuerste Luxusmarke hatte der Kon-
reg gebaut und ist dadurch sicher ein extrem pro- zu jeweils viel höheren Preisen als Porsche. zern 2021 eine andere Lösung gefunden: Der el-
fitables Fahrzeug.“
Mit den Plug-ins soll sich auch die Klimabilanz
Die Fahrzeuge mit Winkelmann erwägt nun, die Produktion in
diesem Jahr etwas auszuweiten. Allerdings darf
sässische Hypercar-Hersteller Bugatti ist inzwi-
schen Teil eines Gemeinschaftsunternehmens
ändern – und der CO2-Ausstoß neuer Lambor- dem markanten das Angebot an Fahrzeugen auch nicht so schnell mit dem kroatischen Elektro-Pionier Rimac. Des-

Markenzeichen
dor zu einem Plug-in-Hybrid werden, „mit brand- ghinis bis 2025 um die Hälfte sinken. Danach wird wachsen. „Wir produzieren immer weniger als die sen Gründer, Mate Rimac, soll die Marke ins Elek-
neuem V12-Motor“, wie Lamborghini-Chef Ste- das erste vollelektrische Modell die durchschnitt- Nachfrage, damit wir einen Sockel an Aufträgen trozeitalter führen – und nun Bugatti-Plug-in-Hy-

bekommen mehr Power.

phan Winkelmann betont. Im Jahr darauf bekom-
men die beiden anderen Modelle, Urus und Hu-
racán, Elektromotoren und Stecker verpasst – zu-
sätzlich zum PS-starken Verbrenner.
lichen Emissionen weiter drücken. Wie der Urus beibehalten. Das ist gut für den Restwert der bride bauen, für die reiche Kunden gerne Millio-
werde es „ein mehr alltagstaugliches Modell“ Fahrzeuge und für das Image“, sagt Winkelmann. nensummen bezahlen. Winkelmann kennt die
Eine vollelektrische
sein, sagt Winkelmann, ein „Gran Turismo“ mit „Aber wir können es uns auch nicht leisten, Über- Details dieser Strategie genau, denn er war bis zur
vier Sitzen und etwas mehr Bodenfreiheit. „Wir kapazitäten aufzubauen.“ Derzeit betrage die Übernahme durch Rimac selbst Chef der Marke.

VON DANIEL ZWICK

gehen davon aus, dass die Themen Ladegeschwin-
digkeit und Reichweite bis dahin nicht mehr die Variante lässt aber Wartezeit auf ein Fahrzeug etwa ein Jahr. Und
nicht nur die reichen Käufer der Autos interessie-
„Für Bugatti war es die richtige Entscheidung. Da
geht es mit Vollgas voran, und ich kann nur hof-

„Wir gehen davon aus, dass unsere Kundschaft

diese Autos akzeptiert – wenn das Versprechen
eingehalten wird, dass die Performance der Fahr-
zeuge besser ist als diejenige der vorhergehen-
den Generation“, sagt Winkelmann im Gespräch
dominante Rolle spielen werden wie heute. Dann
werden wir dem Auto die DNA geben können, die
auf sich warten ren sich für die italienische Ikone. Stifel-Analyst
Schwarz sagt: „Betrachtet man die Social-Media-
fen, dass sich alles so entwickelt, wie wir uns das
vorgestellt haben“, sagt er.
einen Lamborghini ausmacht.“ Er verweist auf Reichweite des Unternehmens im Verhältnis zur Die italienischen Supersportwagen sollen den-
Wagen wie den Espada, den Lamborghini ab 1968 Zahl der verkauften Fahrzeuge, dann steht es al- noch bei VW bleiben – und sich die Technologie
im Programm hatte. Vor einigen Jahren hatte die leine an der Spitze der Branche. Das spricht für aus dem Konzern holen. „Gerade in den Zu-
Marke auch eine vergleichbare Fahrzeugstudie die Stärke der Marke.“ kunftstechnologien Elektrifizierung, Digitalisie-

mit WELT AM SONNTAG. „Die Kombination
mit dem Elektroantrieb wird unseren Fahrzeu-
gen mehr Leistung bringen, gepaart mit einer
besseren CO2-Bilanz.“ 2028 soll schließlich der
erste rein elektrische Lamborghini auf den Markt
kommen.
So wie auf der Rennstrecke setzt die Marke den
E-Motor für zusätzlichen Antrieb und schnellere
Beschleunigung ein – und versucht dabei, ihre
EU-Auflagen beim Ausstoß von Treibhausgasen
zu erfüllen. Oder sich den gesetzlichen Vorschrif-
ten zumindest zu nähern. Mit den aktuellen Mo-
B
mit vier Türen vorgestellt. Trotz regelmäßiger Spekulationen rung und beim autonomen Fahren ist es eine Rie-
über einen möglichen Ver- senchance für ein kleines Unternehmen wie das
ei der Aussicht auf einen elek- kauf von Lamborghini unsere, sich auf bestimmte Themen fokussieren
trischen Supersportwagen zö- zu können.“ Auch Systeme für autonomes Fahren
gert der Lamborghini-Chef al- werden nach den Vorstellungen des Managers
lerdings noch. „Nach der Hybridisie- Ein Traum für künftig in Lamborghinis eingebaut. „Natürlich
rung werden wir abwarten, ob es Autoliebhaber: bleibt das Fahrerlebnis wichtiger als alles andere.
möglich sein wird, über das Jahr der Aber auch unsere Kunden werden künftig davon
2030 hinaus Fahrzeuge mit Lamborghini ausgehen, dass sie beispielsweise in langweiligen
einem Verbrennungsmotor Aventador LP Stau-Situationen das Lenkrad loslassen können,
anzubieten“, sagt er. „Eine 780-4 Ultimae um ihre Zeit anders zu nutzen“, sagt er. Anders
Möglichkeit wäre es, die Verbren- gesagt: Wenn der Golf selbstständig einparkt,

dellen ist Lamborghini davon noch weit entfernt.
Der SUV Urus, seit 2018 im Programm, stößt laut
offiziellem WLTP-Testzyklus 325 Gramm CO2 pro
Kilometer aus – fast zwei Drittel mehr als ein VW
Touareg mit der kräftigsten Motorvariante. Die
Supersportwagen Huracán und Aventador liegen
beim CO2-Ausstoß noch darüber. Da die Verkäufe
bei der EU-Kommission nicht als Teil der VW-
Konzernflotte gemeldet werden, muss der Her-
steller vermutlich eine Strafe zahlen.
Dem Erfolg tut das keinen Abbruch. Experten
wie der Analyst Daniel Schwarz von der Invest-
F
ner mit synthetischem Benzin am dann sollte es auch ein Lamborghini können.
Leben zu erhalten.“ So ähnlich ver-
sucht das die Schwestermarke Porsche, die an- ür Puristen des Verbrenner-Zeitalters mag
gekündigt hat, bis Ende des Jahrzehnts alle Mo- das alles schwer vorstellbar sein. Winkel-
delle zu Elektroautos zu machen – mit Ausnahme L AM
BO
mann weiß, dass der Abschied vom Benzin,
RG
HIN
der Marken-Ikone 911. Für den 911er wollen die I; M
ON
von Hitze, Vibration und Röhren gerade für seine
TAG
Stuttgarter künftig selbst klimaneutral erzeugte E :W
ELT
Marke ein Problem werden kann. Deswegen ver-
AM
e-Fuels herstellen und in einer Menge an die SO
NN
TAG
sucht er, den Kern des Luxusprodukts zu erhal-
Tankstellenbetreiber abgeben, die dem Verbrauch ten: „Wer sich heute einen Lamborghini kauft,
der Fahrzeuge entspricht. will sich einen Traum erfüllen – und das soll auch
Abgesehen von den satten zweistelligen Ge- in Zukunft so sein.“ Selbst wenn dann nur
winnmargen sehen die Zahlen bei Porsche ganz noch E-Motoren an den Rädern surren.

SPEZIAL MBA & EXECUTIVE MBA

E
in erstes Studium abge-
schlossen, Berufserfahrung
gesammelt und erste Stufen
Wer ins Management bieter der Studiengänge, so dass das Gros
berufsbegleitend angelegt ist. Ich persön-
internationalen Konzerns, der angelsäch-
sisch oder asiatisch geprägt ist, sollte
Auf dem Papier macht sich im deutsch-
sprachigen Raum das „Dr.“ vor dem Na-
nicht so generalistisch angelegt, aber
auch deutlich günstiger. Ein MBA-Studi-
will, benötigt ein gutes lich würde auch zu einem berufsbeglei- man schon schauen, dass die ausgewählte men sicher immer noch besser als das um schlägt mit Kosten von etwa 9000 bis

Netzwerk. Das entsteht

der Karriereleiter erklom- tenden MBA-Studium tendieren. So kann Hochschule in internationalen Rankings Kürzel MBA dahinter. Inhaltlich ist bei- deutlich über 50.000 Euro zu Buche.
men: An diesem Punkt stehen man das, was man im Studium lernt, di- platziert ist. des schlecht miteinander vergleichbar.
die meisten, die sich für ein MBA-Studi-
oft im Zweitstudium rekt im Unternehmen anwenden – und Wichtig ist, auf die Akkreditierung zu Bei der Promotion liegt der Schwerpunkt Wie ist die heftige Spreizung der Kos-

Welcher
um entscheiden – weil sie beruflich mehr damit zugleich die Karriere vorantreiben. achten. An deutschen Hochschulen sind auf der wissenschaftlichen Arbeit. Der ten erklärbar?
erreichen wollen, sich für den die MBA-Studiengänge immer akkredi- MBA ist ein sehr praxisorientiertes Stu- Das liegt zum einen am Modell: Fernstu-
Weg ins Management aber noch Ist der MBA Garant dafür, die tiert. Das ist Beleg dafür, dass eine gewis- dium, bei dem der Austausch in einer dien sind günstiger als Präsenzmodelle.
nicht optimal gerüstet fühlen. nächsten Schritte auf der Kar- se Qualität geboten wird. Bei Abschlüs- Gruppe ganz entscheidend ist, um typi- Zum anderen sind die Kosten zielgrup-

MBA ist der

Der Abschluss „Master of Busi- riereleiter zu erklimmen? sen aus anderen Ländern empfiehlt es sche Herausforderungen in der Unter- penspezifisch zu sehen. Mit den höher-
ness Administration“ hat in den Nein, ein Garant ist das sicher sich, genau hinzuschauen, ob der Anbie- nehmensentwicklung zu lösen. Mögli- preisigen Angeboten werden eher High
vergangenen Jahren einen regel- nicht. Eher ist es so, dass die ter des Studienprogramms wirklich der cherweise kann ein „klassisches“ Master- Performer angesprochen, die schon be-
rechten Hype erlebt. Doch wie Leute, die an namhaften Hoch- Ausrichter ist oder sich dahinter ein Studium eine Alternative zum MBA sein. stimmte Karrierestufen erreicht haben.

richtige?
finden Weiterbildungswillige schulen ein MBA-Studium ab- Franchise mit einem unbekannten oder Der MBA hebt sich von einem „norma- Für deren Weiterbildung leisten sich die
das passende MBA-Studium? solvieren, ihre Karriereentwick- womöglich unseriösen Unternehmen len“ Master durch die Fokussierung auf Hochschulen sehr renommierte Profes-
Wir haben nachgefragt beim lung ganz stringent verfolgen verbirgt. Leider hat es immer mal wieder Management-Know-how ab. Es geht da- soren. Im Durchschnitt sollten 20.000
MBA-Experten Milan Klesper. und der MBA dabei ein weiteres schwarze Schafe gegeben, wenn auch rum, das Werkzeug für Probleme zu er- Euro für den MBA veranschlagt werden.
Mosaikteilchen ist. Wir haben glücklicherweise nur sehr wenige. lernen, die vor allem in der mittleren und Die Kosten sind steuerlich absetzbar,
VON KATRIN STARKE dazu Befragungen unter Absol- oberen Führungsebene anfallen. Der nor- was allerdings bei der Vorfinanzierung
venten durchgeführt. Einige ha- Gibt es Alternativen zum MBA? male Master ist meist stärker verschult, nicht hilft.
WELT AM SONNTAG: Mittler- ben erklärt, dass der MBA zwar
weile gibt es in Deutschland keinen direkten Einfluss auf ih-
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weit mehr als 100 MBA-Studi- re weitere berufliche Entwick-
INTERNATIONAL SCHOOL OF MANAGEMENT/OBS

engänge. Woran können sich
Weiterbildungswillige bei der
Suche nach dem passenden
Studium orientieren?
MILAN KLESPER: Es ist wahr-
lich nicht leicht, sich in diesem
Dschungel einen Durchblick zu
verschaffen – und es wird ange-
sichts der steigenden Anzahl
von Studiengängen immer
schwieriger. Mein Tipp ist, mit
Hilfe von Ausschlusskriterien MBA-Studiengänge werden - wie hier an der ISM Berlin -
zu filtern. Zentrale Fragen sind, sehr häufig berufsbegleitend absolviert
ob man das Studium in Vollzeit,
berufsbegleitend im Präsenzstudium
oder als Fernstudium absolvieren möch-
te. Und ob es eher ein generalistischer
Master sein soll, in dem allgemeines Ma-
nagement-Know-how vermittelt wird,
oder ein spezialisierter Abschluss. Die
Bandbreite reicht ja von General Mana-
gement-Programmen bis zu spezialisier-
ten Studiengängen wie IT-Management
lung gehabt habe, sie aber ein
tolles Netzwerk in dieser Zeit
aufgebaut hätten – und das wie-
derum habe ihre Karriere voran-
gebracht. Auch zum Austausch diploma.de/fernstudium-master
über Problemlösungen kann ein
Netzwerk Gold wert sein.
Es werden regelmäßig Ran-
kings veröffentlicht, welche
Hochschule für ein MBA-Stu-
dium die beste ist. Wie aussa-
gekräftig sind diese Ran-
kings? Nehmen Sie Ihre Karriere
Studieninteressierte sollten sich die Ran-
kings anschauen, im Entscheidungspro- selbst in die Hand!
Milan Klesper zess sollten sie aber eher eine unterge- Jetzt zum Sommersemester
MBA-Experte ordnete Rolle spielen. Denn die Kriterien 2022 anmelden.
sind doch sehr unterschiedlich. Manche
Diplom-Medien- bewerten zum Beispiel die Anzahl der
wirt Milan Klesper Publikationen einer Hochschule, in ande- Masterstudium mit Live-Online-Seminaren Studienstart:
(39) hat an der
Hochschule
ren sind Gehaltssteigerungen nach dem
Studienabschluss ein Kriterium. Die Ran-
flexibel neben dem Beruf, egal wo Sie gerade sind,
z.B. Wirtschaftspsychologie, MBA, Sozial- oder
Näher am Leben Juli 2022

oder Gesundheitsökonomie.
Wo liegen die jeweiligen Vorteile?
Wenn ich weiß, in welcher Branche ich
arbeiten will, ist ein spezialisierter MBA
keine schlechte Wahl. Ein generalisti-
scher MBA dagegen ist eher geeignet, um
sich mehr betriebswirtschaftliche Kennt-
nisse anzueignen.
Vollzeit studiert nur ein sehr geringer
Prozentsatz. Meist wollen die Leute, die
Fresenius in Köln kings können zwar eine gewisse Orien- Gesundheitsmanagement, Digital Management. Mein Fernstudium an der HFH
studiert und war tierung geben, aber mitunter auch ziem- • An der HFH kann ich praxisnah und interessensbezogen
dort auch als Studienberater lich verwirren – wenn jemand denkt, die studieren. Davon profitiere ich auch in meinem Job.
tätig. 2010 machte er sich selbst- für ihn passende Hochschule gefunden • Ich kann studieren und meinen Beruf ausüben. Meine Zeit
ständig. Er ist Geschäftsführer zu haben, diese aber in keinem Ranking
der TarGroup Media GmbH, die auftaucht. Letztlich ist es auch ein Un-
Unsere nächste Sonderveröffentlichung und mein Pensum teile ich mir dabei selber ein.
• Mein akademischer Abschluss bringt mich beruflich weiter.
mehr als 30 unabhängige Inter- terschied, wo jemand nach dem MBA-Ab- Fernstudiengänge
netportale rund ums Studieren schluss arbeiten möchte. Wird die Be-
betreibt. Dazu zählt die von
Am 5./6. März 2022, Anzeigenschluss: 24. Februar 2022
schäftigung bei einem kleineren Unter-
Klesper selbst aufgelegte Websi- nehmen angestrebt, ist die Platzierung
hfh-fernstudium.de
Kontakt: Theresia Maas, theresia.maas@axelspringer.de
te www.mba-studium.de, die der Hochschule in den diversen Rankings Betriebswirtschaft (B.A. / M.A. / M.Sc.) • General Management (MBA)

unter anderem einen Überblick

Wirtschaftsingenieurwesen (B.Sc. / B.Eng. / M.Sc. / M.Eng.)
sich für einen MBA entscheiden, weiter sicher nicht so von Bedeutung. Ist das Wirtschaftsrecht online (LL.B. / LL.M.) • Wirtschaftspsychologie (B.Sc. / M.Sc.)
im Beruf bleiben. Das wissen auch die An- über Business Schools liefert. Berufsziel ein Job im Management eines

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Deutsches Aus für
Nord Stream 2
wäre nicht legal
Entscheiden müsste
die Europäische Union
W
enig hat politische Beob-
achter vergangene Woche
so beschäftigt wie die Fra-
ge, warum sich die Bundesregierung
mit Sanktionsdrohungen gegen Russ-
land so zurückhält. Nach dem An-
trittsbesuch des Bundeskanzlers in
Washington wunderten sich Journali-
sten, Moderatoren und Kommentato-
ren in gleichlautender Formulierung,
warum Olaf Scholz im Unterschied
zu US-Präsident Joe Biden „das Wort
Nord Stream 2 noch nicht einmal in
den Mund nahm“.
Es habe taktische Gründe, wenn
Scholz nicht über die bereits fertig
verlegte Ostsee-Pipeline sprechen
wolle, hieß es. Das Schweigen des
Kanzlers sei „politisches Kalkül“, mut-
maßte etwa Jacopo Maria Pepe von
der Stiftung für Wissenschaft und Po-
litik im „Spiegel“. SPD-Generalsekre-
tär Kevin Kühnert erklärte, Scholz sei
nicht bereit, „durch die Nennung ein-
zelner möglicher Sanktionsinstru-
mente eine Reihenfolge erkennen zu
lassen“, um dem russischen Präsiden-
ten Wladimir Putin keine „Kosten-
Nutzen-Abschätzung“ einer Ukraine-
Invasion zu ermöglichen.
Wahrscheinlicher sind es jedoch
schlicht rechtliche Gründe, die den
studierten Juristen Scholz zur Zu-
rückhaltung zwingen: Die Bundesre-
publik ist wirtschaftlich an dem Pro-
jekt nicht beteiligt, und genehmigt
ist die Pipeline auch. Eine national
veranlasste Sanktion hätte damit
keine legale Grundlage. Enteig-
nungsgleiche Eingriffe in den Ener-
giemarkt hatten höchste deutsche
Gerichte zwar im Falle der Atom-
kraft abgesegnet. Doch begründet
wurden diese mit der Besonderheit
der „Risikotechnologie“, und um
eine solche handelt es sich im Falle
von Erdgas nicht.
Der Pipeline fehlt nur noch die
Zertifizierung nach Artikel 11 der eu-
ropäischen Gasbinnenmarktrichtli-
nie, die festlegt, dass ein Versorger
nicht zugleich alleiniger Eigentümer
eines Leitungsmonopols sein darf.
Dieses sogenannte „Unbundling“
(Entbündelung) muss von der Bun-
desnetzagentur zertifiziert werden.
Der Behörde vorzugeben, die EU-
rechtliche Zertifizierung politisch zu
instrumentalisieren und zu verwei-
gern, ist Experten zufolge ausge-
schlossen: Eine solch offene, eklatan-
te Verletzung des Rechtsstaatsprin-
zips hätte innen- und außenpolitisch
verheerende Folgen.
Da die Bundesnetzagentur vor Ab-
schluss der Zertifizierung eine Stel-
lungnahme der EU-Kommission ein-
holen muss, bleibt als letzte offene
Frage, wie europäische Einwände die
Zertifizierung verzögern könnten.
Verhindern ließe sie sich wohl nicht:
Laut Gas-Richtlinie kann die Zertifi-
zierung nur versagt werden, wenn
das Projekt die Versorgungssicher-
heit gefährdet. Dass eine zusätzliche
Pipeline aber geeignet wäre, diese
aufs Spiel zu setzen, wäre kontra-in-
tuitiv und vor Gericht kein tragfähi-
ges Argument.
„Schadenersatz gäbe es überhaupt
nur, wenn die Verweigerung der Zer-
tifizierung rechtswidrig wäre, dann
könnte man an Amtshaftung für
rechtswidriges Handeln der Bundes-
netzagentur denken“, sagt Christian
von Hammerstein, Rechtsanwalt der
Berliner Kanzlei Raue. „Wenn diese
aber eine negative Stellungnahme
der Kommission erhält, handelt sie
dann noch amtspflichtwidrig? Wäre
dann eigentlich die Kommission in
der Haftung, aber nach welchen Re-
geln?“ Alles Fragen, die bisher kein
Gericht jemals entschieden habe,
sagt von Hammerstein. „Wer immer
Schadenersatz fordert, sei es Gaz-
prom oder ein westeuropäischer Fi-
nanzier der Pipeline: Es würde ein
langer, steiniger Weg.“
Sanktionen gegen Russland wur-
den schon 2014 nach der Krim-Anne-
xion – und werden auch weiterhin –
nur von der EU nach einstimmiger
Entscheidung verhängt. Schadener-
satz, auch für mittelbar Geschädigte
in den eigenen Reihen, sehen diese
Sanktionsregeln nicht vor. Für Olaf
Scholz’ Zurückhaltung in der Sankti-
onsfrage gibt es also praktisch zwin-
gende rechtliche Gründe: Er kann na-
tional nicht androhen, was die Euro-
päische Union erst noch entscheiden
muss. DANIEL WETZEL
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022
Sprich
MIT MIR
Bislang ist das voll vernetzte Heim ein
Albtraum. Die meisten Geräte können
untereinander nicht kommunizieren. Es
herrscht Chaos. Jetzt soll sich das ändern
A
GETTY IMAGES / 500PX PLUS / THORSTEN NILSON
Wenn der smarte Lautsprecher
nicht geht, dient er allenfalls noch
der Katze als Kratzbalken
denn je für eine Ohnmacht. Für Skepti- führenden europäischen Hersteller von die Cloud aus, sind die Geräte nutzlos. Frequenzen, verbraucht aber weniger
ker ist das eine Bestätigung, die Finger Smarthome-Geräten aus München. Oft funktioniert eine Bridge nur mit Energie und reagiert viel schneller. Vor
davonzulassen. Und nicht nur mögliche „Das Smarthome ist ein Misserfolg.“ den Geräten eines Herstellers. Befin- allem aber ist ein Thread-Netzwerk in
Ausfälle lassen Verbraucher zögern. Seit Jahrzehnten werde davon gespro- den sich weitere Geräte eines anderen der Lage, sich selber zu heilen. Denn
Ein Smarthome ist heute eine kompli- chen. „Doch nach wie vor ist es ein Herstellers in der Wohnung, muss eine jedes neue Smarthome-Gerät erweitert
zierte Angelegenheit vor allem aus ei- Durcheinander.“ Auch Michele Turner, zweite Bridge her. „Bisher besteht der die Reichweite des Netzwerks, weil es
nem Grund: Die vernetzten Geräte bei Google für das Smarthome-Ökosys- Smarthome-Markt aus Einzellösungen Informationen und Befehle zum nächs-
sprechen schlichtweg nicht miteinan- tem verantwortlich, spricht klare Wor- von Herstellern mit einigen Partnern“, ten Empfänger weiterreicht. Fällt ein
der. Das soll sich nun ändern. te. „Nutzer sind frustriert, wenn sie sagt Gabriel Wetzel, Chief Executive Gerät aus, übernimmt ein anderes Ge-
nicht wissen, womit ein neues Smart- Officer bei Bosch Smarthome. Mit dem rät die Weiterleitung.
DER GROSSE NEUSTART home-Gerät kompatibel ist“, sagt sie. neuen Standard Matter könnte das
Mehr als 200 globale Unternehmen ha- „Die Einrichtung ist kompliziert und künftig keine Rolle mehr spielen, weil ALLE PLATTFORMEN
ben sich zusammengetan und einen uneinheitlich.“ sich alle Geräte untereinander verstün- Geräte, die mit Thread und Matter aus-
einheitlichen Smarthome-Standard mit Das Erlebnis der Verbraucher er- den. „Wir gehen davon aus, dass sich gerüstet sind, können also künftig mit
Als nichts mehr ging, ahnte Cesar Gra- der Bezeichnung Matter entwickelt. schöpfe sich zu häufig in Frustrationen der Standard schnell durchsetzen mehreren Plattformen genutzt werden
nados, dass es Ärger geben würde. Ein Mit dabei sind die Plattformen von und Verwirrungen, so Turner. Was mit könnte“, sagt Wetzel. – und das sogar gleichzeitig. Siri, Alexa
Ausfall in einem Rechenzentrum von Amazon, Google, Apple und Samsung. Amazons Alexa noch funktioniert, geht oder der Google Assistant machen dann
Amazon hatte auch ihn getroffen – oder Der Start von Matter ist 2022 geplant, nicht mehr mit Googles Assistant, App- SCHLÜSSELTECHNOLOGIEN keine Unterschiede mehr. Dass nun alle
besser: seinen vernetzten Wischrobo- erste Geräte dafür dürften Mitte des les Siri oder Samsungs SmartThings. Der Neustart des Smarthomes soll mit Smarthome-Plattformen verschwinden,
ter von iRobot. Granados steuert sein Jahres auf den Markt kommen. Beob- Wer sich heute ein Patchwork-Smart- zwei verbundenen Technologien gelin- ist jedoch unwahrscheinlich. Denn Mat-
Gerät per Smartphone-App über die achter halten den Neustart des Smart- home zusammenkauft, der muss sich gen. Dazu gehört die Funknetz-Tech- ter ist nur ein Verbindungsstandard,
Cloud, und die sitzt in Amazons Re- homes für überfällig. Smarte Lautspre- auskennen, um die Geräte miteinander nologie Thread und der darauf aufset- kein Instrument, um Regeln zu definie-
chenzentrum. „Meine Frau wird mich cher, vernetzte Lampen, Thermostate, zu versöhnen. zende und für die plattformübergrei- ren. Wer den Wunsch hat, dass der
umbringen, wenn die Foyers nicht ge- Sicherheitskameras, schlaue Tür- fende Steuerung notwendige Verbin- Staubsauger-Roboter seine Reinigung
wischt sind, bevor sie nach Hause schlösser – sie alle mögen einzeln und SCHLIMMES DURCHEINANDER dungsstandard Matter. Geräte, die be- beginnt, sobald der letzte Bewohner die
kommt“, schrieb er etwas hilflos auf mit ihren dazugehörigen Smartphone- Doch den meisten gelingt das nicht. Ein reits über Thread verfügen, können Haustür von außen abschließt, braucht
Twitter. Apps funktionieren. Aber zusammen Blick auf die Geräte-Verpackung zeigt schon bald mit einem Software-Update dafür noch immer die Anwendung eines
oftmals eben nicht – zumindest dann das Durcheinander: Zigbee, Z-Wave, auch Matter bekommen. Thread steckt Herstellers, in der eine solche Regel
VON THOMAS HEUZEROTH nicht, wenn sie von verschiedenen Her- Wi-Fi, Bluetooth. Wer im Smarthome heute schon in vielen smarten Laut- festgelegt wird, die dann aber unabhän-
stellern kommen. Der Bewohner eines wohnt, muss im Grunde ein Experte sprechern von Amazon (Echo), Google gig vom Hersteller funktioniert. Nun ist
Nicht nur Wisch- und Staubsauger- Smarthomes hat es deswegen schnell sein. Vernetzte Lampen, Thermostate (Nest) und Apple (HomePod mini). künftig mit Matter das smarte Tür-
Roboter haben Probleme, wenn die mit einem halben Dutzend Apps zu tun, und smarte Türschlösser brauchen Doch auch andere Geräte wie Apple TV schloss in der Lage, mit dem Staubsau-
Cloud nicht funktioniert. Auch Video- die er für die Steuerung seiner vernetz- heute eine Bridge, ein kleines Gerät, 4K oder Samsungs SmartThing-Hubs ger zu kommunizieren.
Türklingeln und Sicherheitskameras ten Geräte aufrufen muss. Mit der ba- das mit dem Internet-Router verbun- haben Thread und bekommen Matter. Cesar Granados hätte in diesem Fall
versagen ihren Dienst. Je mehr Geräte bylonischen Sprachverwirrung hat sich den wird und dafür sorgt, dass Infor- Im Unterschied zu Funk-Technologien keinen Ärger mit seiner Frau bekom-
Nutzer in ihrem Zuhause vernetzten, die gesamte Industrie ein Bein gestellt. mationen und Befehle auch zu und von wie Wi-Fi und Bluetooth ist Thread ei- men – denn mit Matter hätte der
desto empfänglicher sind sie für solche „Seien wir ehrlich“, sagt Jerome Ga- den Geräten kommen und häufig bis in gens für das Smarthome entwickelt Wischroboter auch ohne die Cloud und
Ausfälle. Das Smarthome ist anfälliger ckel, Chef von Eve Systems, einem der die Cloud reichen. Fällt die Bridge oder worden. Es funkt zwar auf denselben das Internet funktioniert.
Liberale wollen das Geld für von der Leyen einfrieren
Das EU-Parlament fordert ein hartes Vorgehen gegen Polen und Ungarn. Die FDP erhöht nun den Druck auf die Kommissionspräsidentin
A
,,
bgeordnete des Europäischen bis die Behörde den neuen Rechts- des Rechtsstaatsmechanismus zu drän- nicht möglich. Noch zögert von der
Parlaments verlieren die Geduld staatsmechanismus gegen Ungarn und gen.“ Wenn der Haushaltsausschuss in Leyen allerdings, davon auch Gebrauch
mit Ursula von der Leyen, der Polen einsetzt. So steht es in einem Än- seiner Abstimmung Mitte März den An- zu machen. Die Kommission wollte bis-
Präsidentin der Europäischen Kommis- derungsantrag zu den Haushaltsrichtli- trag annimmt, wird er Teil der soge- her erst das anstehende EuGH-Urteil
sion. Um gegen Staaten wie Ungarn nien für den Haushalt 2023, den Moritz nannten Richtlinien, also des Entwurfs, abwarten: Ungarn und Polen haben vor
oder Polen vorzugehen, die gegen Körner, der haushaltspolitische Spre- den das Parlament für den EU-Haushalt dem Gericht gegen den seit Januar gel-
rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen, cher der FDP-Gruppe, in die Haushalts- 2003 aufstellt. tenden Rechtsstaatsmechanismus Kla-
hat die EU zwar seit vergangenem Jahr beratungen eingebracht hat. Die Drohung der Liberalen bringt von ge eingereicht.
eine scharfe Waffe. Bisher schreckt die Demnach sollen die Mittel zurückge- der Leyen just vor einem entscheiden- Die EU-Staats- und -Regierungschefs
EU-Kommission aber davor zurück, die- halten werden, die im EU-Haushalt für den Urteil des Europäischen Gerichts- hatten Ende 2020, als sie sich auf den
se auch gegen die betreffenden Staaten das Jahr 2023 für von der Leyen und ihr hofs (EuGH) in eine prekäre Lage. Am Mechanismus geeinigt haben, verein-
einzusetzen. Kabinett vorgesehen sind, bis die Be- Mittwoch wird das Gericht darüber ur- DAS EUROPÄISCHE bart, dass die Kommission das Urteil ab-
hörde den Mechanismus auslöst. Zum teilen, ob die Kommission den neuen warten solle, bevor sie ihn erstmals nut-
VON TOBIAS KAISER Kabinett von der Leyens gehören knapp Rechtsstaatsmechanismus einsetzen PARLAMENT MUSS ze. Die Kommission erhofft sich von
AUS BRÜSSEL
ALLE MITTEL
drei Dutzend Mitarbeiter. „Wenn Ursu- und den betreffenden Staaten im gro- dem Urteil auch einen Fingerzeig, wie
la von der Leyen nicht bereit ist, den ßen Stil EU-Gelder kürzen darf. Seit An- eine praktische Ausgestaltung des
NUTZEN
Deshalb wollen die FDP-Abgeordne- Rechtsstaatsfeinden die EU-Gelder zu fang 2021 kann die Behörde EU-Gelder Rechtsstaatsmechanismus aussehen
ten im Europäischen Parlament jetzt kürzen, müssen eben die Verteidiger für die betreffenden Staaten einfrieren, müsste, damit sie vor den EuGH-Rich-
den Druck auf die Kommissionspräsi- des Rechtsstaats von der Leyen die EU- wenn die Gefahr besteht, dass diese tern Bestand hat. Denn es ist absehbar,
MORITZ KÖRNER,
dentin weiter erhöhen. Und dabei wer- Gelder kürzen“, sagte Körner WELT Gelder wegen der prekären rechtsstaat- dass Polen, Ungarn und andere betrof-
FDP-Europaabgeordneter
den sie sehr persönlich. Die Liberalen AM SONNTAG. „Das Europäische Par- lichen Situation nicht ordnungsgemäß fene Länder gegen jede einzelne Ent-
wollen alle EU-Mittel für von der Leyen lament muss alle Mittel nutzen, um die ausgegeben werden. Finanzielle Sank- scheidung klagen werden. Zu unterlie-
und ihre engsten Mitarbeiter einfrieren, Kommission jetzt endlich zum Einsatz tionen waren in dieser Form bisher gen wäre für die Behörde blamabel.
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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG
PRO UND CONTRA
Kann man seine
große Liebe klonen?
Ja, sagt
Adriano Sack
Der Musiker und Modemacher Kanye
West hat seit kurzem eine neue Freun-
din. Sie heißt Julia Fox, und wie schon
seiner Ex-Partnerin Kim Kardashian
verpasste ihr West als Erstes einen neu-
en Look. Teure Kleidung, im Zweifel
schwarz und gern den kurvigen Körper
betonend. Spötter sagen: Fox wirkt wie
ein Klon von Kardashian. Wie soll sie
sich dabei fühlen? Natürlich großartig.
„Es war eine Katharsis“, schwärmt sie
im „Interview“-Magazin: „Ich habe
nicht meine alten Klamotten wegge-
packt. Sondern mein altes Leben.“
Ich meine, sie hat recht. Kanye West
mag eine Nervensäge sein, aber mit Mo-
de kennt er sich aus; wenn man sich
nicht auf die Expertise seines neuen
Partners verlassen mag, worauf dann?
Und: Die meisten Männer sind Wieder-
holungstäter. Sie kaufen immer die glei-
chen Jacken, sie verlieben sich in den
gleichen Typ Frau. Frauen dagegen sind
entwicklungsfähig. Seit ihrer Trennung
sieht Kim Kardashian West besser aus
denn je. Die Lektion: Du kannst als Klon
beginnen – es kommt darauf an, was du
daraus machst.
T Der Autor würde aus Liebe
weder sich noch andere klonen.
Maximal seinen Hund Jack.
DIE GRETCHEN-
FRAGE
VON DINA EL OMARI
Hilft Religion in
der Pandemie?
Kürzlich jährte sich zum zweiten Mal
der offizielle Beginn der Corona-Pande-
mie in Deutschland. Hatten wir 2021
noch gehofft, dass die Pandemie bald
ein Ende haben werde, sind wir ins Jahr
2022 deutlich ernüchterter gestartet.
Dennoch gibt es Hoffnung, dass wir nun
bald den Übergang in die Normalität
schaffen. Die Pandemie hat von allen
viel Kraft und vor allem Resilienz gefor-
dert. Gerade in solch schweren Zeiten
stellt sich die Frage: Kann Religion eine
Quelle für diese Resilienz sein?
Laut Koran hat Gott den Menschen
mit einer ganz besonderen Verbindung
zu ihm ausgestattet. Als er diesen er-
schuf, sprach er: „Siehe, einen Men-
schen will ich schaffen aus Ton, aus
wohlgeformtem Lehm. Wenn ich ihn
dann wohlgestaltet habe, dann hauche
ich ihm von meinem Geist ein.“ Dieser
Gottesgeist kann als direkte Verbin-
dung verstanden werden. Sie ist ein
stets offener Kommunikationskanal,
aus ihm ist es möglich, Kraft, Hoffnung
und Liebe zu schöpfen. Diese Quelle der
Resilienz liegt tief im Inneren verbor-
gen, daher spricht Gott im Koran: „Ich
bin dem Menschen näher als seine Hals-
schlagader.“ Der Blick nach innen
macht aber auch deutlich, dass in jedem
Menschen ganz unglaubliche Kräfte
verborgen liegen, mit denen er sich
selbst heilen und aufbauen kann.
Dieser Fokus auf das Innere soll je-
doch nicht den wichtigen religiösen
Auftrag schmälern, besonders in schwe-
ren Zeiten auch für andere da zu sein
und in diesem Akt der Nächstenliebe re-
ligiöse Erfahrungen zu machen. Das
wird besonders schön in einer Erzäh-
lung des Propheten Muhammad deut-
lich, der von einem Mann im Jenseits
berichtet, der von Gott gefragt wird,
warum er ihn nicht besucht habe, als er
krank war. Der Mann versteht nicht, wie
Gott krank gewesen sein könnte, wo-
raufhin dieser sagt: „An einem Tag war
ein Bekannter von dir krank, und du
hast ihn nicht besucht. Wärst du zu ihm
gegangen, so hättest du mich bei ihm
gefunden.“ Ob Religion also eine Hilfe
in Zeiten der Pandemie sein kann, hängt
letztendlich ganz stark davon ab, wie
wir Religion verstehen und auch leben.
T Die Autorin forscht und lehrt an der
Universität Münster zum Koran und
islamischen Feminismus. An dieser
Stelle antworten jede Woche Theo-
loginnen und Theologen aus Judentum,
Christentum oder Islam auf eine Frage
des Alltags.
NR. 7
Nein, sagt
Frédéric Schwilden
Ich weiß noch, wie begeistert ich war, als
im Jahr 1996 die Geburt des Klonschafs
Dolly vermeldet wurde. Heute denke
ich, die Menschheit hat aus dem Fall von
Ikarus nichts gelernt. Kanye West ist der
Ikarus unserer Zeit. Er wurde in einen
afroamerikanischen Bürgerhaushalt ge-
boren, seine Mutter war Professorin für
Anglistik. Aber West reichte das nicht.
2013 erschien sein Album „Yeezus“
(gesprochen Jesus), 2018 „Ye“ (die Kurz-
form von Yeezus), 2019 „Jesus Is King“.
West selbst ließ 2021 offiziell seinen Na-
men in Ye ändern. Man kann, ohne
Übertreibung oder Bösartigkeit, von ei-
nem Gott-Komplex des Rappers spre-
chen. Seiner Frau Kim Kardashian war
das und Wests Fremdgeherei zu viel, sie
trennte sich von ihm. Jetzt läuft West
mit einem Klon von Kardashian herum:
gleicher Hintern, gleiche Frisur, gleiche
Kleidung – nur 17 Jahre jünger.
Für die Zukunft heißt das nichts Gu-
tes. Die durchschnittliche Lebenserwar-
tung von Schafen liegt bei zwölf Jahren.
Klonschaf Dolly aber starb schon mit
sechs an Arthritis – einer Alterserkran-
kung, die eigentlich viel später auftritt.
T Der Autor würde nur sich selbst
klonen. So hätte er mehr Freizeit
und diese Zeitung mehr von ihm.
Die Angst ist ein Chamäleon
J
Warum fürchten sich manche Menschen panisch vor Gefahren wie der Corona-Pandemie
oder dem Klimawandel, während andere gelassen bleiben? Von Wolfgang Schmidbauer
eder Schritt zu mehr
Zivilisation, fort von
der animalischen Ru-
he, ist auch ein Schritt,
der mehr Angstverar-
beitung fordert. So ist
die Forschung über die
„normale“ Entwicklung eines Kindes
eine gute Sache, weil sie erlaubt,
rechtzeitig einzuschreiten, wenn sich
diese Entwicklung krankhaft verzö-
gert. Zugleich ist sie ein Quell von
Ängsten, weil die naive Mutter, die
einfach überzeugt ist, das „verwach-
se“ sich, nun keine gute Mutter mehr
ist. Moderne Mütter haben es nicht
leicht, den Weg zwischen zu viel und
zu wenig Angst zu finden, was die
Entwicklung ihrer Kinder betrifft.
Je mehr wir wissen, desto mehr
müssen wir fürchten. „So makes
conscience cowards of us all“, sagt
Hamlet. Wo die allgemeine Schul-
pflicht einzieht, verbessern sich die
Bildungschancen dramatisch. Ängste
vor Prüfungen und schlechten Noten
sind der Schatten dieses Fortschritts.
Die Ängste vor Covid-19 und die
Ängste vor der Klimakatastrophe sind
die jüngsten Mitglieder in dem be-
trächtlich angewachsenen Klub der
spezifisch modernen Ängste. An die
Ängste vor dem atomaren Weltbrand,
dem stummen Frühling (Artenster-
ben), dem Mikroplastik in der Atem-
luft und den krebserregenden Chemi-
kalien in Flüssen und Meeren haben
wir uns recht und schlecht gewöhnt.
Als der Reaktor in Tschernobyl ex-
plodierte und ängstliche Menschen
„noch“ unbelastetes Milchpulver
kauften, als sei das die letzte Chance,
der Verseuchung zu entkommen, er-
kundigte sich eine Reporterin, ob in
meine Praxis viele durch die Kata-
strophe verängstigte Menschen kä-
men. Ich verneinte, meine Patienten
kämpften weiterhin mit ihren ver-
trauten Symptomen und zeigten kei-
ne neuen; sie waren zu sehr mit sich
beschäftigt, um auf solche Umweltge-
fahren zu reagieren. Wahrscheinlich
war ich die falsche Adresse; auf Go-
mera wäre sie eher fündig geworden,
denn dorthin zogen damals junge
Mütter, die ihre Kinder schützen
wollten.
Die gelingende Flucht ist uns ange-
sichts der aktuellen Ängste versperrt.
FORUM 27
COMIC
GASTBEITRAG KOMMENTAR
Auf dem Weg
in die allgemeine
Impfpflicht
Das Verfassungsgericht
ignoriert die veränderte
Gefahrenlage
Noch nie hat sich die Menschheit so rungen bewirkt, kann den eigenen reagieren, sondern auf konkrete Si-
K
sehr mit Gefahren beschäftigen müs- Gefühlshaushalt nicht stabilisieren. tuationen.
sen, die den ganzen Globus betref- Es muss schneller gehen, notfalls mit Um die Frage nach den extremen
fen: mit einer Pandemie und mit dem Gewalt, notfalls gegen die Demokra- Unterschieden in der Empfänglich- arlsruhe hat entschieden, die
Klimawandel. Freilich haben schon tie, die zu träge, zu langsam, zu un- keit für (globale) Ängste zu beant- Impfpflicht im Gesundheitswe-
oft genug Eiferer den Weltuntergang entschieden gehandelt hat. Wenn worten: Kleine Kinder brauchen den sen nicht vorläufig außer Vollzug
vorhergesagt – aber die Welt hat ih- man liest, dass XR ernsthaft plante, Schutz eines ihnen zugewandten, zu setzen. Man habe keine „durchgrei-
nen den Gefallen nicht getan, und ih- den Flugverkehr in Heathrow durch selbst nicht von Ängsten erschütter- fenden verfassungsrechtlichen Beden-
re düsteren Prophezeiungen kippten aufsteigende Drohnen lahmzulegen, ten Erwachsenen, um den realisti- ken“. So weit, so wenig überraschend.
ins Lächerliche, als die Sterne nicht kann einem bange werden – so sehr schen Umgang mit ihren Ängsten zu In dem einstimmig ergangenen Be-
vom Himmel fielen und die Apoka- man sich wünschen mag, die klima- erlernen und diese steuern zu kön- schluss hangelt sich das Bundesverfas-
lyptischen Reiter ausblieben. Aber schädlichen Gase zu reduzieren. nen. Sie identifizieren sich mit dem sungsgericht wie gewohnt an der Argu-
diesmal ist die Lage anders: Es gibt Angst macht kalt: Sie unterwirft Sicherheit spendenden Objekt und mentationslinie der Regierung entlang
Tatsachen, über die sich die Wissen- die Empathie dem Ziel, Sicherheit zu gewinnen so eine innere Struktur, die und lässt Gegenmeinungen, auch von
schaftler weitgehend einig sind, es gewinnen. Das drastischste Beispiel nicht Alarm schlägt, wo keine akute den angefragten Sachverständigen, au-
W
gibt Vorboten, und es gibt Hochrech- ist die Massenpanik, in der Stärkere Gefahr ist. ßen vor.
nungen. die Schwächeren zu Tode drücken,
Dennoch sind panische Reaktionen weil sie sich in Sicherheit bringen enn einem Menschen die- VON BENJAMIN STIBI
auf den Klimawandel und die Pande- „müssen“. Kinder, die unter den Leis- se Struktur fehlt oder er
mie die seltene Ausnahme. Die meis- tungsforderungen ängstlicher Eltern durch seelische Verletzun- Ja, die Impfung könne „im Einzelfall“
ten Menschen kontern mit den be- leiden, erleben diese als kalt und gen in seiner Angstverarbeitung zu schwerwiegenden Nebenwirkungen
währten Abwehrmechanismen der gleichgültig. Sie denken: ich bin ih- überlastet wurde, wird er nicht zwi- führen, die „im extremen Ausnahme-
Verleugnung und Verdrängungen: nen nicht wichtig, es geht nur um ih- schen fantasierter und realer Gefahr fall“ auch tödlich sein können. Aller-
Wir wissen um eine Gefahr, aber wir ren Ehrgeiz. Die Eltern hingegen sind unterscheiden können. Über solche dings zwinge das Gesetz Betroffene
leugnen ihre Realität, solange sie uns voller Angst, dass aus ihrem Kind Vorbelastungen berichten Angstkran- nicht, sich impfen zu lassen. Ihnen ste-
nicht unmittelbar betrifft, und leben „nichts wird“, sie glauben, dass ihre ke, die keine Zeitung mehr lesen und he es frei, ihren Arbeitsplatz zu wech-
weiter, als ob es sie gar nicht gäbe. Forderungen, ihre Entwertung des keine Nachrichten schauen, weil sie seln und ihren Beruf aufzugeben. Dies
Das ist weder krank noch verächtlich, „faulen“ Kindes dieses zu einem er- angesichts der von Müll belasteten mutet zynisch und empathielos an. Das
sondern lebensbewahrend. folgreichen und glücklichen Men- Meere oder verheerender Waldbrän- gleiche Gericht, das sich 2006 im Urteil
Wir alle müssen sterben, aber wir schen machen wird. Stille Tragödien. de Panikattacken erleiden. Hier kann zum Luftsicherheitsgesetz deutlich ge-
fürchten uns in der Regel nur davor, Es gibt einen viel zitierten Zen- eine Behandlung helfen. gen eine utilitaristische Abwägung Le-
wenn durch irgendwelche Ereignisse Spruch. Der Meister, nach dem Ge- Ich arbeite schon lange als Thera- ben gegen Leben ausgesprochen hat, ar-
ein Riss in der Verdrängungsdecke heimnis seiner Erleuchtung befragt, peut und betreue auch immer wieder gumentiert nun, dass den Betroffenen
entsteht. Ähnlich leben die meisten antwortet: „Ich esse, wenn ich hung- Kandidaten, die dieses Handwerk er- mit der Impfung „keine derart hohen
mit den globalen Gefahren, als ob es rig bin, und schlafe, wenn ich müde lernen. Jüngst sprach ich mit einem, Gesundheitsrisiken“ auferlegt würden,
diese nicht gäbe; inzwischen wählt bin.“ Die Schüler sind verblüfft und dessen Patient sich erheblich gebes- dass sie „deutlich die Risiken, die für
aber eine Mehrheit Politiker, die ver- stellen die Gegenfrage: Tun wir das sert hatte, obwohl der Therapeut ihm vulnerable Personen entstehen, über-
sprochen haben, diese Gefahren denn nicht alle? Worauf sie belehrt fast nur zuhörte und selbst kaum zu wiegen“. Bis zur Entscheidung in der
nicht zu ignorieren, sondern sich um werden, dass viele Menschen sich Wort kam. Der Kranke hatte von sich Hauptsache bestünde ohne Impfpflicht
sie zu kümmern. Gegenüber dieser selbst in Unruhe setzen und nicht und seinen Versuchen erzählt, der eine erhöhte Gefahr, dass Mitarbeiter
Mehrheit sind die Menschen, die täg- bei dem sind, was aus ihrem Inneren Mensch zu werden, der er gerne ge- sich anstecken und das Virus an Risiko-
lich und stündlich an eine drohende ihr Verhalten formen will. Sie essen wesen wäre, von seinem Kampf gegen patienten weitergeben. Kein Wort dazu,
Katastrophe denken und entweder Diät, sie zwingen sich, wach zu blei- die Ängste, die ihn daran hinderten dass die Hospitalisierungs- und Todes-
therapeutische Hilfe suchen oder ben, oder jagen hellwach den „gesun- und zu einem Zusammenbruch ge- zahlen stark gesunken sind. Jedenfalls
zum Aktionismus greifen, eine winzi- den“ Schlaf. führt hatten. biete die Impfung „nach der weitgehend
E
ge Minderheit. Die Sehnsucht, einen Zustand in- „Wir unterschätzen, wie heilsam es übereinstimmenden Einschätzung der
nerer Ruhe zu erreichen, hängt mit ist, aufmerksam zuzuhören“, sagte angehörten sachkundigen Dritten“ auch
in Beispiel sind die Aktivisten dem Verlust der animalischen Ebene ich. „Denken Sie daran, wie oft Men- gegen Omikron einen „relevanten“
der Bewegung Extinction Re- zusammen. Tiere beherrschen be- schen wie Herr X nur drei Sätze sagen Schutz. Das sieht aber selbst das RKI
bellion (XR). Wie der Name neidenswert, was der Zen-Meister können, und schon hat ihr Gesprächs- auf seiner Website anders.
sagt, kämpfen sie gegen die drohende am Ende seines Erleuchtungsweges partner entweder ein wichtigeres Pro- Karlsruhe weigert sich zu erkennen,
Auslöschung des Lebens auf der Erde. gerne erreicht hätte. Das animali- blem, oder er fällt ein Werturteil.“ dass sich durch Omikron die Gefahren-
Das tun Greenpeace und der Bund sche Modell ist ein bedeutsames, lage entscheidend verändert hat und
Naturschutz schon seit vielen Jahren. aber weithin unterschätztes Mittel, T Der Autor arbeitet als dass die Impfung in ihrer aktuellen
XR verhält sich zu den etablierten In- um sich von angstgesteuertem, fana- Psychotherapeut in München. Form hauptsächlich zum Selbstschutz
stitutionen des Umweltschutzes wie tischem Verhalten zu distanzieren. Zuletzt erschien von ihm: „Kaltes taugt. Das aber ist kein verfassungs-
die Black-Panther-Bewegung zu Mar- Das liegt in erster Linie daran, dass Denken, warmes Denken. Über rechtlich legitimes Ziel für eine Impf-
tin Luther King: Was in langsamen Tiere nicht auf Wertvorstellungen den Gegensatz von Macht und pflicht. Mit den obigen Argumenten
Schritten gesellschaftliche Verände- und mit diesen verknüpfte Fantasien Empathie“ im KursbuchVerlag. würde Karlsruhe wohl auch eine allge-
meine Impfpflicht zumindest im Eilver-
fahren legitimieren.
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FORUM
WELT AM SONNTAG NR. 7
BILDKOMMENTAR
Dresden 1945 –
unser aller
Gedächtnisort
„Wir sind, was wir erinnern: Die Er-
innerung ist gerahmt, gepflegt und
begrenzt durch die Identität, die in
dieser Erinnerung lebt und von ihr
getragen wird“, schreibt der Kultur-
wissenschaftler Jan Assmann. In die-
sem Sinne gehört die Zerstörung
Dresdens, die am 13. Februar 1945 be-
gann und zwei Tage später endete,
zu unserem Wir, nicht als ein My-
thos im Sinne eines Märchens, viel-
mehr in der Bedeutung eines Schick-
salsschlags, der sich ins kollektive
Bewusstsein eingegraben hat. Das
war nicht immer so. Wer die Luftan-
griffe auf Dresden, die Hekatomben
von Toten nicht selbst gesehen hat,
sondern nach dem Krieg in der Bun-
desrepublik aufgewachsen ist, der
hat eher von den deutschen Gräuel-
taten gehört: von Auschwitz und
Coventry, vom Warschauer Ghetto
und von Oradour-sur-Glane. Von
Dresden war nur nebenbei die Rede.
Viele Jüngere wussten kaum etwas
davon. Seit der Wiedervereinigung
hat sich dies geändert. Dresden ist
ein gesamtdeutscher Gedächtnisort
geworden. Die Tränen über die Tra-
gödie fließen heute auch im Westen,
aber nicht, um die eigenen Schandta-
ten wegzuweinen; eher im Bewusst-
sein, dass Europas Erde mit Tränen
bis zu ihrer untersten Kruste ge-
tränkt ist und wir alle für ein „Nie
wieder“ verantwortlich sind. J.S.
LESERBRIEFE
LESER SCHREIBEN, WIR ANTWORTEN
Zu wenig Demokratie?
Zu: „23 Prozent der Deutschen sehen Land
auf dem Weg in die Diktatur“ vom 6. Februar
Deutschland ist nicht auf dem Weg zur Diktatur. Wir
sind aber auch weit entfernt von einer Demokratie.
Einmal in vier Jahren bei der Bundestagswahl ein
Kreuz, Pardon, zwei Kreuze zu machen, das ist für mich
keine Demokratie. Danach habe ich keinen Einfluss
mehr auf Beschlüsse. Frau Merkel war ein Beispiel da-
für: ob Griechen-Rettung, Flüchtlinge oder Atomaus-
stieg – alles Entscheidungen nach Gutsherrenart. Ich
kann den Kanzler nicht direkt wählen, auch nicht den
Bundespräsidenten. Alle Entscheidungen fallen „am
Hofe“. Selbst die Zusammenstellung des Bundestags
unterliegt der parteilichen Willkür, wenn man von den
Direktkandidaten absieht. Karl-Heinz Schuster, Sinsheim
Nebenwirkungen
Zu: „Muss das sein?“
vom 6. Februar
Bei den erwähnten Zahlen der Ver-
dachtsfälle von Impf-Nebenwirkungen
gehe ich ganz stark davon aus, dass
viele Verdachtsfälle gar nicht gemel-
det werden. Ich habe Eltern in mei-
nem Umkreis, die relativ starke Ne-
benwirkungen bei ihren geimpften
Kindern beobachten, dies aber nicht
dem Arzt melden, weil sie sagen, es
bringt ja nichts, man kann es ja nicht
beweisen. Oder sie melden dies dem
Arzt, und der speist die Eltern ab mit
dem Argument, die Impfung wäre
nicht der Grund für die Nebenwir-
kung. Damit ist der Fall für den Arzt
erledigt. Stephanie Haddenga, per Mail
Chaoten
Zu: „Der Freund und Helfer ist
in arger Not“ vom 6. Februar
Die Meinungsfreiheit und das De-
monstrationsrecht sind durch die
Verfassung in unserer Demokratie
geschützt. Aber die tätlichen Angriffe
auf Polizei und Rettungskräfte sind
keine „Kavaliersdelikte“, sondern
Straftaten durchgeknallter Chaoten
und Extremisten. Sie müssen als sol-
che durch schnelle Ordnungs- oder
Haftstrafen durch die Gerichte ge-
ahndet werden. Der Staat muss damit
sehr klar und deutlich zeigen, dass
nur er in unserer Ordnung das Ge-
waltmonopol hat und das auch kon-
sequent durchsetzt. Wir Bürger müs-
13. FEBRUAR 2022 SEITE 28
Sehr geehrter Herr Schuster, Sie erleben Deutschland
nicht als Demokratie? Sind Sie sicher, dass Sie da
nicht überziehen? Es gibt ja nicht nur die Bundestags-
wahl, es gibt Wahlen in den Ländern und Kommunen.
Nach jeder Wahlperiode stellen sich die Politiker dem
Urteil der Wähler. Es gibt lokale Bürgerbeteiligung, es
gibt eine vielfältige Presse. Demoskopen ermitteln
die Meinung der Menschen, was Einfluss auf die Poli-
tik hat. Dass die Spitzen des Staates nicht direkt ge-
wählt werden, war eine Entscheidung der Väter und
Mütter des Grundgesetzes nach den Erfahrungen der
deutschen Geschichte.
sen diese Gewaltexzesse einer ex-
tremen Minderheit auf das Schärfste
verurteilen, Solidarität mit den Be-
amten zum Ausdruck bringen und
deren Einsatz mehr wertschätzen.
Gehen Ordnung und Recht verloren,
dann ist der Staat ein Spielball des
Extremismus.
Klaus-Dieter Busche, Offenbach
Aufklärung
Zu: „Verbrannte Erde“
vom 6. Februar
Dass immer mehr Menschen den Me-
dien nicht so recht trauen, hat gute
Gründe. Journalisten fühlten sich
früher – neben der sachlich-objektiven
Berichterstattung – der Aufklärung
und Kritik verpflichtet. Heute geben
sie sich zu oft staatstragend. Sie wol-
len selbst bedeutsam sein. Dabei ver-
breiten sie am liebsten Nachrichten,
die ihr eigenes Weltbild stützen.
Werner Koschorreck, Essen
Mottenkiste
Zu: „Soll und Haben“
vom 6. Februar
Karl Marx ist an den Menschen ge-
scheitert? Seine Genossenschafts-
ideen schufen das ideologische Fun-
dament der schlimmsten Verbrechen
der Menschheit. Das „Schwarzbuch
des Kommunismus“ zählt 100 Millio-
nen Tote im 20. Jahrhundert. Der
Kommunismus hat Blut, Tod und
Tränen über den Globus gebracht. Das
hat Marx sicherlich nicht gewollt, aber
Der Fall Kanye West Kann man seine große Liebe klonen? S. 27
LEITARTIKEL
Rettet uns vor den
Experten-Politikern
Minister sollten vom Fach sein, heißt es oft. Einige sind es,
K
und dennoch stiften sie im Amt eher Unruhe und Unfrieden
ann hier jemand helfen? schneller Immunitätslücken schlie- fehlt der geweitete Blick, das Ver-
Wir brauchen einen ßen? Am Dienstag behauptete er, ständnis für die anderen.
Arzt! So klang das, als dass ohne die Corona-Maßnahmen Es braucht kein Expertentum, es
Jens Spahn noch Ge- bis zu 500 Todesfälle pro Tag die Fol- braucht Expertise. Und die kann man
sundheitsminister war. ge wären. Widerspruch tat er nach sich auch aneignen. Ein Beispiel da-
Und der Ruf wurde erhört. Es kam einigem Zögern als „Omikron- für ist Außenministerin Annalena Ba-
Karl Lauterbach. Ein Arzt. Epidemio- Wunschdenken“ ab. erbock. Sie lernte schnell und vertrat
loge gar. Und wie geht es dem Coro- Der Arzt Lauterbach sagt im Grun- innerhalb kurzer Zeit eine schlüssige
na-Patienten Deutschland jetzt? Bes- de, dass jeder, der Corona bekomme, Außenpolitik, die man sich von der
ser? Da kommen doch mehr als nur daran sterben könne. So, wie einem gesamten Bundesregierung inklusive
leise Zweifel auf. Lauterbach ist als jeder Arzt sagt: Als Raucher kann je- Kanzler wünschte. Doch nun holt sie
Minister Arzt geblieben – und genau der Lungenkrebs bekommen. Ob- sich eine Expertin ins Haus, von der
das ist das Problem. wohl er weiß, dass nicht jeder, der anzunehmen ist, dass sie im lauter-
raucht, auch Lungenkrebs bekom- bachschen Sinn ihr bisheriges Tun
VON THOMAS VITZTHUM men wird. Im Praxisalltag würde da- zum Maßstab der Politik erheben
raus der Rat, mit dem Rauchen auf- wird. Greenpeace-Chefin Jennifer
Der Arzt Lauterbach behandelt zuhören. Den kann der Patient be- Morgan wird Klimasonderbeauftrag-
das Land wie einen Patienten, den er herzigen oder nicht. Aber Lauterbach te und später Staatssekretärin. Eine
für unverständig hält, Diagnosen zu ist eben Experten-Politiker, und des- „Traumbesetzung“ sagt Baerbock.
verstehen. Er redet viel und erklärt halb wird aus seinem Rat ein Gesetz Echt?
zu wenig, er stellt vielmehr fest – oder eine Verordnung. Seine Behand- Morgan ist Expertin für Cam-
und sichert sich mit Worst-Case- lung betrifft ein ganzes Volk. Das paining und Klimaschutz. Eine Ex-
BRIDGEMAN IMAGES
Szenarien gegen Einwände ab. So Land leidet inzwischen mehr an der pertin für politische Konsensfindung
schildert er dem Patienten, dass Behandlung als an der Krankheit. mittels Kompromissbereitschaft ist
noch eine Corona-Variante entste- Nein, nichts ist besser geworden, sie aber gerade nicht. Im Gegenteil.
hen könne, die die hohe Übertrag- seit Lauterbach das Amt des Gesund- Viele werden ihr und damit Deutsch-
barkeit von Omikron mit der Gefähr- heitsministers übernommen hat. Die land mit Vorbehalten begegnen.
lichkeit von Alpha oder Delta ver- Corona-Politik wird weder mehr ak- Baerbock lobte Morgans großes
eint. Das kann eintreten – aber so si- zeptiert, noch ist sie konziser oder Netzwerk. Doch was für ein Netz-
cher wie die unwahrscheinlichste verständlicher geworden. Der Minis- werk ist das? Zu ihm dürften gerade
Nebenwirkung, über die ein beson- ter verwirrt, wo er aufklären soll, und jene nicht gehören, die Klimapolitik
ders gewissenhafter Arzt glaubt, sei- reagiert dünnhäutig auf Kritik. Ärzt- machen, also die Staats- und Regie-
nen Patienten in Kenntnis setzen zu liches Ethos lässt sich offensichtlich rungschefs; vor allem solche nicht,
müssen. Ein solcher Arzt ist Lauter- nicht eins zu eins in politisches Han- die von Klimapolitik nichts halten.
bach. Die Selbstsicherheit des Arztes
Lauterbach führt dazu, dass er Zah-
len, Behauptungen in den Raum
deln übertragen.
Lauterbachs Beispiel zeigt, dass es
mitnichten segensreich ist, wenn Ex-
Die aber muss sie überzeugen.
In Tarifstreitigkeiten werden
meist Leute als Schlichter eingesetzt,
stellt, für die seine Pressestelle dann perten Politiker oder gar Minister die nicht aus der Branche kommen.
verzweifelt Erklärungen konstruie- werden. Ein Minister, der nichts von Die aber hohes Ansehen, Verständ-
ren muss. Etwa die, dass die Pande- seinem Fach versteht, ist gewiss fehl nis, manchmal auch Expertise und
mie länger dauere, wenn man jetzt am Platz. Einer, der sein Fach aber Glaubwürdigkeit haben. Vielleicht
die Maßnahmen beende. Wieso? absolut setzt, ebenso. Expertentum sollte man nach solchen Leuten in
Würde das Virus dann nicht sogar steht guter Politik sogar im Weg. Es der Politik Ausschau halten.
RECHT BEHALTEN
VON PROF. DR. ARND DIRINGER
Rainer Haubrich, Forum-Redaktion
Tanzeinlagen im Bundestag
Die Diskussion über Abtreibungen sollte mit mehr Redlichkeit geführt werden
hilft das den Opfern? Fragen wir die
Nicht-Ideologen doch einfach, was sie
wollen: Kapitalismus, also ungleichen „Der Gedanke, dass Frauen, die sich anstößig gelten insbesondere die Ver- kussion mit der Abschaffung des §
Wohlstand, oder Kommunismus, glei- mit so einer schwierigen Entschei- breitung medizinischer Fehlinforma- 219a StGB nicht enden wird. Wie die
che Armut für alle. Wie der Sozialis- dung wie einem Schwangerschaftsab- tionen sowie Werbung für strafbare Professoren Walter Gropp und Liane
mus bleibt auch der Kommunismus bruch konfrontiert sehen, … nicht ein- Schwangerschaftsabbrüche. Wörner im Münchener Kommentar
des Karl Marx das Credo der Igno- fach, z.B. im Internet an faktenbasier- Das Werben „seines Vermögensvor- zum StGB ausführen, dient die Norm
ranz, das Glaubensbekenntnis des te aufklärende Informationen kom- teils wegen“ setzt eine Bereicherungs- „oftmals in der Debatte nur als sym-
Neides und die Philosophie des Ver- men können, weil Ärzte & Ärztinnen absicht voraus. Die liegt zum Beispiel bolisches Angriffsziel“, um den müh-
sagens. Darum sollte Marx nach der sich damit strafbar machen, ist für vor, wenn Vermittlungsprovisionen sam errungenen Kompromiss zu
Ausstellung dort landen, wo er hin-
gehört: in der Mottenkiste.
mich unerträglich. Deshalb ist es so
wichtig, dass #219a abgeschafft wird.“
verlangt werden. Aber auch Informa-
tionen von Ärzten, die selbst Abtrei-
Schwangerschaftsabbrüchen insge-
samt infrage zu stellen. Das zeigt etwa
Paul Klostermann, Herford Das schrieb die FDP-Bundestagsabge- bungen vornehmen und dadurch Ein- ein Tweet der Juso-Vorsitzenden Jes-
ordnete Kristine Lütke vergangene nahmen erzielen, können strafbar sein. sica Rosenthal, in dem sie ausführt,
Armutszeugnis Woche auf Twitter. Sie versuchte da-
mit zu erklären, warum sie ein Video
Eine Gesetzesänderung von 2019 er-
möglicht solchen Ärzten zwar straffrei
dass „klar ist“, dass der Abschaffung
des § 219a StGB auch die des § 218
Zu: „Waffenlieferungen an die Ukraine? veröffentlicht hatte, das FDP-Abge- darauf hinzuweisen, dass sie nach § StGB zum Schwangerschaftsabbruch
Die Depots sind leer“ vom 6. Februar ordnete „auf dem Weg zur Abstim- 218a Absatz 1 bis 3 StGB straflose folgen „muss“.
mung“ zeigt, „um endlich § 219a aus Schwangerschaftsabbrüche vorneh- Das Bundesverfassungsgericht hat
Die Antwort der deutschen Regierung dem StGB kicken zu können“ – mit men. Darüberhinausgehende Erläute- dargelegt, dass auch dem Ungebore-
auf die dringende Anfrage der Ukraine Sonnenbrillen und Kopfabschneider- rungen sind allerdings nicht möglich. nen Menschenwürde zukommt. Das
nach militärischer Ausrüstung ist ein Gesten zu dem Lied „Short Dick Man“ Ärzte können jedoch auf die Informa- Grundgesetz, so die Karlsruher Rich-
öffentliches Armutszeugnis: Der Bun-
deswehr fehle es selbst an Material.
tanzend (auf deutsch: „Klein-
Schwanz-Mann“). Mittlerweile hat sie
tionen von im Gesetz benannten neu-
tralen Stellen hinweisen – etwa durch
ter, verpflichtet den Staat, sich „schüt-
zend und fördernd vor dieses Leben
Das bedeutet: Wenn unsere Soldaten das Video gelöscht, weil es „Raum für Verlinkungen auf ihren Internetseiten. zu stellen“. Der Gesetzgeber darf „den
von der Regierung immer öfter in Missverständnisse geboten“ habe. Das kann man kritisieren. Aber man strafrechtlichen Schutz des ungebore-
gefährliche Auslandseinsätze befohlen Das alles steht geradezu exempla- sollte es richtig darstellen. Und glei- nen Lebens nur dann partiell zurück-
werden, ohne dafür die bestmögliche
Ausrüstung zu haben, dann dürfte das
risch für die Diskussion über die Straf-
barkeit der Werbung für den Abbruch
ches gilt beispielsweise für den Vor-
wurf, dass die Norm aus der Zeit des
nehmen …, wenn er an dessen Stelle
ein anderes wirksames Schutzkonzept
die Motivation unserer Truppe nicht der Schwangerschaft gemäß § 219a Nationalsozialismus stammt. Das ha- setzt“. Über neue Konzepte kann man
gerade fördern. Insbesondere, wenn Strafgesetzbuch (StGB). Dazu gehört, ben zum Beispiel SPD und Linke in natürlich diskutieren. Aber bitte mit
sie dabei ihre Ausrüstung mit jener dass immer wieder der Eindruck er- früheren Anträgen zur Abschaffung mehr Redlichkeit – und ohne infantile
der Soldaten anderer Nationen ver- weckt wird, man komme wegen dieser des § 219a StGB hervorgehoben. Zwar Tanzeinlagen.
gleicht. Helmut Ginzel, Kaufbeuren Norm nicht an fachlich fundierte In- trat die Regelung 1933 in Kraft. Sie
formationen. Dass das nicht stimmt, wurde aber bereits davor konzipiert
Leserbriefe geben die Meinung unserer Leser kann man durch eine einfache On- und damit, wie Professor Michael Ku-
wieder, nicht die der Redaktion. Wir freuen uns linerecherche feststellen. Darauf ha- biciel in der Zeitschrift für Rechtspoli- Der Autor ist Professor
über jede Zuschrift, müssen uns aber das
ben Twitter-Nutzer auch Kristine Lüt- tik darlegt, „noch während der krimi- an der Hochschule Ludwigsburg.
Recht der Kürzung vorbehalten. Aufgrund der
sehr großen Zahl von Leserbriefen, die bei uns
ke hingewiesen. nalrechtspolitisch liberalen Zeit der Er ist Autor zahlreicher
eingehen, sind wir nicht in der Lage, jede einzel- Strafbar macht sich nur, wer „seines Weimarer Republik“. Veröffentlichungen zum
ne Zuschrift zu beantworten. Schreiben Sie Vermögensvorteils wegen oder in grob Bedenklich sind solche zweifelhaf- Verfassungs-, Zivil- und Arbeitsrecht.
uns unter: leserbriefe@wams.de anstößiger Weise“ handelt. Als grob ten Darstellungen auch, weil die Dis- Die Kolumne erscheint alle 14 Tage.
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SPORT
WELT AM SONNTAG NR. 7
Ein nachdenk-
E
licher Mensch:
Leon Goretzka
Er trinkt noch einen großen Schluck
Tee, dann ist er bereit für das Videoge-
spräch. Leon Goretzka, 27, National-
spieler im Dienste des FC Bayern, zählt
zu den 1472 Personen, die am Sonntag in
Berlin bei der Wahl des Bundespräsi-
denten stimmberechtigt sind. Die baye-
rische SPD hat ihn berufen. Aus der
Fußballbranche sind etwa auch Christi-
an Streich, der Coach des SC Freiburg,
und Bundestrainer Hansi Flick dabei.
VON LARS GARTENSCHLÄGER
WELT AM SONNTAG: Was bedeutet es
Ihnen, bei dieser Wahl dabei zu sein?
LEON GORETZKA: Ich betrachte das als
eine große Ehre. Viele Menschen haben
mir sogar gratuliert, nachdem bekannt
geworden ist, dass ich daran teilnehmen
darf. Ich freue mich sehr darauf und bin
auch ein bisschen aufgeregt.
Welche Erwartungen haben Sie an
den Bundespräsidenten?
Es ist nicht zuletzt wegen der Pandemie
keine einfache Zeit für uns als Gesell-
schaft. Gerade jetzt ist die Rolle des
Bundespräsidenten angesichts der im-
mer stärker werdenden Polarisierung
sehr wichtig. Er kann Dinge beruhigen
und für einen besseren Zusammenhalt
sorgen. Ich finde, diesbezüglich hat das
Frank-Walter Steinmeier bislang sehr
gut gemacht. Er wirkt oft als ein not-
wendiges Korrektiv und hat mich mit
einigen Reden berührt.
Sie haben den Zusammenhalt in der
Gesellschaft angesprochen, die ob der
Corona-Pandemie gespalten wirkt.
Die überwältigende Mehrheit, die sich
in der Pandemie verantwortungsvoll
und solidarisch verhält, ist leider auch
meist der leise Teil. Dadurch, dass jeder
heutzutage über die sozialen Medien
ein Publikum bekommt, bekommt man
leider oft einen falschen Eindruck. Pola-
risierende Extreme bekommen leider
immer häufiger mehr Aufmerksamkeit
als stille Mehrheiten.
13. FEBRUAR 2022 SEITE 29
Was die Gesellschaft betrifft, hat Ma-
lu Dreyer, die rheinland-pfälzische
Ministerpräsidentin, nach den Poli-
zistenmorden von Kusel sehr deutli-
che Worte gefunden. „Wer die Polizei
angreift, greift uns alle, die ganze Ge-
sellschaft an“, sagte sie.
Die Nachricht von dieser schrecklichen
Tat hat mich sehr betroffen gemacht,
nicht nur, weil auch Freunde von mir
Polizisten sind. Ich finde es wichtig,
dass man deutliche Worte wählt. Zudem
nimmt die politisch motivierte Gewalt
hierzulande leider zu, insbesondere
auch gegenüber Polizisten. Das belegen
viele Statistiken. Und das ist einfach
nicht hinnehmbar.
Laut einer Umfrage glauben fast ein
Viertel der Deutschen, das Land be-
fände sich auf dem Weg in eine Dikta-
tur. Können Sie das nachempfinden?
Es fällt mir schwer, das zu glauben. Was
wir hier in Deutschland vorfinden, ist
nicht nur eine weltoffene Bevölkerung,
sondern auch eine gelebte und geliebte
Demokratie – trotz aller temporären
Corona-Beschränkungen.
Das Land steht vor großen Herausfor-
derungen. Einerseits sind sich alle im
Klaren darüber, dass es eine Klima-
wende geben muss, andererseits
steigt der Unmut angesichts der ex-
plodierenden Preise für Heizung,
Strom und Benzin.
Das ist ein großes Thema, über das sich
schon viel klügere Menschen als ich Ge-
danken gemacht haben. Ich denke, ein
großer Schritt nach vorn wäre – auch
im Mindset der Gesellschaft –, wenn
Klimaschutz noch viel mehr mit Vortei-
len und nicht mit wirtschaftlichen
Nachteilen assoziiert werden würde.
Politik und Wirtschaft müssten da aus
meiner Sicht noch viel stärker zusam-
menwirken, damit das Thema eine noch
stärkere Akzeptanz in der Bevölkerung
erlangt.
An welchen Stellschrauben könnte
der Fußball Ihrer Meinung nach in
Bezug auf den Klimawandel und mehr
Nachhaltigkeit drehen?
Wie im Rest der Gesellschaft gibt es
auch im Fußball großes Verbesserungs-
potenzial. Aber ich habe das Gefühl,
dass das Thema bei den Entschei-
dungsträgern eine immer stärkere Rol-
le spielt. Bei der Deutschen Fußball Li-
ga gab es diesbezüglich eine Taskforce,
Themen wie Nachhaltigkeit und Klima-
schutz werden zunehmend Bestandteil
des Lizenzierungsverfahrens. Auch
beim FC Bayern steht das Thema oben
Der zerrissene Präsident: Thomas Bach bei den Winterspielen S. 31
GRÄTSCHE
„Wir VON JENS BIERSCHWALE
Essen, bis der
müssen die
Arzt kommt
KRAFT
So ein Leben als Kuh kann ganz schön
eintönig sein: den ganzen Tag lang
fressen, wiederkäuen und zwischen-
durch noch reichlich Milch ablassen.
Nach durchschnittlich sechs Jahren
folgt dann die Fahrt zum Schlachthof,
wo das Tier als Wurst endet. Dem vor-
bestimmten Schicksal entkommt
des Sportes
kaum ein Rind, aber immerhin be-
steht die Aussicht auf sportliche Un-
sterblichkeit. Wie Experten heraus-
fanden, liegen die Chancen einer Kuh
darauf, dass ihr Fell zu einem Football
verarbeitet und das Spielgerät beim
nutzen“
Super Bowl eingesetzt wird, bei 1:17,42
Millionen.
Es ist nur eine Zahl von vielen, die
die Branche vor dem Finale zwischen
den Cincinnati Bengals und den Los
Angeles Rams am Sonntag bereichern.
Denn kein anderes Sportereignis
scheint statistisch so gut durchleuch-
tet zu sein wie der seit 1967 ausgetra-
gene Showdown im American Foot-
ball. Zu den kuriosen Fakten gehört
etwa, dass allein im Mutterland der
Sportart am Endspieltag 120 Millionen
Liter Bier, 1,25 Milliarden Chicken-
Wings und 4000 Tonnen Popcorn ver-
zehrt werden. Und während in der
Halbzeit 680 Millionen Liter Wasser
MARCO FISCHER/ STUDIOMARCOFISCHER.COM
in die Toiletten laufen (etwa die Men-
ge, die in drei Minuten die Niagara-
Fälle hinunterrauscht), ist die Wer-
bung so teuer wie nie: Diesmal kostet
ein 30-Sekunden-Spot im übertragen-
den Sender NBC fünf Millionen Euro.
Im Zahlengewitter haben die Ame-
rikaner auch die Folgen bereits analy-
siert: So melden sich am Tag nach
dem Super Bowl sechs Prozent mehr
Arbeitnehmer krank als üblich. Und
natürlich gibt es für die Unpässlich-
keit auch einen wundervollen Namen:
Leon Goretzka bestimmten Thema zu äußern ist et- Sportevent einen positiven Einfluss in Super Bowlitis.
nimmt am Sonntag
was, das von innen heraus kommen Bezug auf Veränderungen haben kann.
muss. Ich habe den Eindruck, dass der Hier sind wir alle gefordert: Verbände,
an der Wahl des
eine oder andere gern mal etwas sagen Spieler, Fans sowie Politik, Wirtschaft
TOP & FLOP
würde, es aber aus Sorge über mögli- und Medien.
Bundespräsidenten
che Konsequenzen bleiben lässt, viel-
leicht auch aus Angst vor dem Gegen- Das bleibt abzuwarten. In China
teil. Der Profi des
wind oder sogar Hasskommentaren, kämpfen Wintersportler aktuell um
was man natürlich aushalten muss. Olympia-Medaillen in einem Land, in GEWINNER
FC Bayern über Das ist aber nicht einfach. Vor dem
Hintergrund kann ich auch die Zurück-
dem man aufpassen muss, was man
sagt, wie es Rodel-Olympiasiegerin
die Spaltung der haltung bei dem einen oder anderen Natalie Geisenberger formulierte.
Chloe
Gesellschaft und
verstehen. Allerdings möchte ich jeden Aber das ist ja genau mein Reden: Man
Menschen, jeden Kollegen dazu ermu- muss die Dinge ansprechen, sie themati- Kim
den Mut, die
tigen, Stellung zu beziehen, denn ich sieren und einfordern. „Der Sport hat die
denke, dass es wichtig ist, seine Stim- Kraft, die Welt zu verändern“, hat einst Glück gehabt! Nach ihrem Olym-
Stimme zu erheben
me zu erheben. Ich finde auch, dass es Nelson Mandela gesagt. Diese Kraft müs- piasieg in der Halfpipe plagten
schon einige Kollegen in der Bundesli- sen wir nutzen: durch Dialog, durch Völ- die Snowboarderin ganz all-
ga gibt, die sich klar positionieren. Das kerverständigung und durch die Reich- tägliche Probleme. „Mein Magen
freut mich. weiten, die wir mittlerweile auch als knurrt. Hat irgendjemand von
Sportler in den Medien besitzen. euch ein paar Snacks?“, fragte die
Bei der EM im vergangenen Jahr zeig- Amerikanerin während ihrer
Leon Goretzka ten Sie nach Ihrem Ausgleichstor in Dadurch dass Sie gerade verletzt sind, Pressekonferenz. Sekunden spä-
,,
Fußballprofi München mit Ihren Fingern ein Herz ergibt sich die Chance, das Ganze aus ter eilte ein fleißiger Helfer her-
in Richtung der teils aggressiven un- der Distanz zu betrachten. Gefällt Ih- bei und brachte Kekse, Schoko-
Der 27 Jahre alte Mittelfeld- garischen Fans. Die hatten zuvor un- nen das, was Sie erleben? riegel und ein bisschen Obst.
spieler war zwölf Jahre für den ter anderem gesungen: „Deutschland, Nein, absolut nicht.
VfL Bochum aktiv und fünf für Deutschland, homosexuell“. Im Rah-
Schalke 04, ehe er 2018 zum FC men der Nations League ist Ungarn Warum?
Bayern kam. Mit den Münchnern am 11. Juni nun erneut Gegner der Es ist traurig zu sehen, dass keine oder VERLIERER
feierte er drei Meistertitel, zwei deutschen Elf – in Budapest. nur wenige Fans in den Stadien sind.
Pokalsiege und 2020 den Cham- Ich kann sagen, dass ich mich auf das Meine Hoffnung ist, dass die Pandemie
pions-League-Triumph. Zu Be- Spiel dort freue – vor einer sicherlich dem ganzen Profigeschäft bewusst ge-
ginn der Corona-Pandemie grün- stimmungsvollen Kulisse. Und klar ist macht hat, dass die Fans durch ihre Eu- Kurt
dete er mit Teamkollege Joshua doch auch: Meine Jubelgeste in Mün- phorie den Fußball erst so groß ge- Zouma
Kimmich die Initiative „We kick chen galt nicht den Fans der ungari- macht haben. Sobald es die pandemi-
Corona“ – eine Spendenaktion schen Mannschaft, sondern den weni- sche Lage zulässt, sollten wir daher so West Ham United greift durch –
für soziale Einrichtungen. Im gen, die homophobe Äußerungen ge- schnell wie möglich wieder zu dem 300.000 Euro Strafe für den
Dezember 2020 positionierte er macht und den Fußball dafür als Platt- Fußball zurückkommen, den wir alle Fußballprofi, nachdem ein Video
sich in WELT AM SONNTAG form missbraucht haben. lieben – mit ausgelassener Stimmung im Internet für große Empörung
deutlich gegen die AfD: „Für mich auf den Rängen und in den Fußballknei- gesorgt hatte, in dem der Fran-
ist es keine Alternative, sondern Die WM in Katar wirft Ihre Schatten pen. Ganz so einfach wird es aber ver- zose eine Katze misshandelt.
eine Schande für Deutschland.“ voraus. Ihr Nationalmannschaftskol- mutlich nicht, denn ich fürchte schon, Sponsor Adidas beendete die
lege Robin Gosens hat jüngst im „Ki- dass die vergangenen zwei Jahre mit Zusammenarbeit mit dem 27-
cker“ die Vergabe dorthin kritisiert vielen Fans auch etwas gemacht haben. Jährigen umgehend. Eine Tier-
und bedauert, dass einem die unein- Es wäre ein Fehler, wenn wir glauben, schutzorganisation hat die Katze
geschränkte Vorfreude auf eine WM dass sich die Stadien wieder wie selbst- in ihre Obhut genommen, auch
GETTY IMAGES/MARC ATKINS; XAVIER COLLIN/IMAGE PRESS AGENCY/NURPHOTO
auf der Agenda. Das ist wichtig, zumal genommen werde. „Die aktuelle Ent- verständlich komplett füllen. So ehrlich die Polizei hat sich eingeschaltet.
der Fußball da Zeichen setzen kann wicklung ist auf jeden Fall nicht mehr muss man sein.
und muss. zu ertragen. Turniere zu vergeben an
den, der am meisten Geld gibt. Die Sorgen Sie sich?
Dann Hand aufs Herz: Wie viele Elek- Fans wenden sich ab. Viele fragen Wir sollten nicht so vermessen sein und
troautos stehen auf dem Spielerpark- sich, ob sie sich das überhaupt noch glauben, alles wird sofort wie früher.
platz des FC Bayern? angucken“, sagte Gosens. Viele Menschen haben gemerkt, dass es GUT GEBRÜLLT
Dank unseren Sponsors Audi jede Men- Das Thema Katar ist ein sehr schwieri- auch andere Wochenendbeschäftigun-
MIR FÄLLT NUR EIN
ge. Vor zwei Jahren sind wir komplett ges, ähnlich wie das der Olympischen gen geben kann. Klubs wie Bayern,
auf E-Autos umgestiegen. und Paralympischen Spiele in Peking. Dortmund oder Schalke müssen sich
Und auch wenn sich einige Themen vor vielleicht weniger Sorgen um ein volles WORT EIN: EKLIG
Sie betonen immer wieder, kein Poli- Ort laut Organisationen wie Amnesty Stadion machen, aber das sind vermut-
tiker zu sein, aber ein Mensch, der verbessert haben, reden wir immer lich Ausnahmen. Allerdings hat der
sich Gedanken macht. Wünschen Sie noch über weitere dringend nötige Ver- Fußball seine Magie auch nicht verlo- Jörg Heinrich, ehemaliger Fußball-
sich manchmal mehr Mut im Kolle- besserungen bei Themen wie Arbeit- ren. Selbst in der Pandemie gab es Geis- Nationalspieler, lobend über die Art
genkreis, Dinge offen anzusprechen? nehmerrechten und dem Umgang mit terspiele, die elektrisiert haben, wie un- des 1. FC Union Berlin, den Gegnern in
Ich finde, dass man keinen Menschen Homosexualität. Es mag vielleicht naiv ser Champions-League-Finalturnier in der Bundesliga mit Zweikampfstärke
zu etwas drängen sollte. Sich zu einem klingen, aber ich glaube daran, dass ein Lissabon. und -härte Probleme zu bereiten
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30 SPORT WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022

ZWEITE LIGA BUNDESLIGA 22. SPIELTAG

Aue – Kiel.....................................................
Rostock – Bremen....................................
Hamburg – Heidenheim..... Sa., 13.30 Schalke-Torjäger Aufschwung in Bremen:
Karlsruhe – Nürnberg.......... Sa., 13.30 Simon Terodde Marco Friedl (oben)
Paderborn – Dresden .......... Sa., 13.30
Regensburg – St. Pauli........ Sa., 20.30
und Anthony Jung fei-
Ingolstadt – Sandhausen... So., 13.30 ern einen Torerfolg
Düsseldorf – Schalke........... So., 13.30
Hannover – Darmstadt ...... So., 13.30

22. Spieltag Sp Tore Pt. Traf beim Sieg in

1. Darmstadt 21 45:27 39 Darmstadt viermal:
2. St. Pauli 21 42:29 38 HSV-Stürmer
3. Bremen 21 41:29 38 Robert Glatzel
4. Hamburg 21 39:20 37
5. Schalke 21 42:25 37
6. Heidenheim 21 28:26 37
7. Nürnberg 21 29:28 33
8. Paderborn 21 38:28 31
9. Regensburg 21 40:32 31
10. Kiel 21 27:32 28
11. Karlsruhe 21 34:34 26

GETTY IMAGES (2)/MARTIN ROSE; DPA/CARMEN JASPERSENLARS BARON

12. Rostock 21 25:33 24
13. Dresden 21 22:30 24
14. Hannover 21 16:30 24
15. Sandhausen 21 24:39 23
16. Düsseldorf 21 23:30 20
17. Aue 21 17:39 15
18. Ingolstadt 21 20:41 13
Schalke – Paderborn 18.2.
Dresden – Heidenheim 18.2.
Nürnberg – Regensburg 19.2.
Kiel – Karlsruhe 19.2.
Sandhausen – Hamburg 19.2.
Bremen – Ingolstadt 19.2.
St. Pauli – Hannover 20.2.

Die HOFFNUNG ist zurück

Düsseldorf – Aue 20.2.
Darmstadt – Rostock 20.2.

DRITTE LIGA

B
Halle – Zwickau.........................................
K‘lautern – Magdeburg ...... Sa., 14.00
Meppen – 1860 München... Sa., 14.00
Würzburg – Duisburg.......... Sa., 14.00
Braunschweig – Freiburg .. Sa., 14.00
Bremen, der Hamburger SV und Schalke taten sich in der Zweiten Liga lange schwer. Jetzt aber haben sie gute Aufstiegschancen
Dortmund II – Havelse ........ Sa., 14.00
Türkgücü – Waldhof ............ Sa., 14.00
Vikt. Berlin – Verl ................... So., 13.00
ernd Schröders Refe- ke mit seiner großen und kritischen Fan- Da lag es auf der Hand, dass es zu Be- versammlung versprechen wollte, „dass Abstieg verschlissen. Das zerrte an den
Wiesbaden – Saarbrück..... So., 14.00 renzen sind erstklassig. szene seit Jahren Themen mit viel ginn der Zweitligasaison ruckelte – sogar sich kein Schalker mehr für die Leistung Nerven. Doch nach dem jüngsten 5:0 bei
Vikt. Köln – Osnabrück....... Mo., 19.00 Der promovierte Wirt- Sprengkraft. gewaltig. Huub Stevens, der Schalker seiner Mannschaft schämen muss“. Die- Tabellenführer Darmstadt gibt es wieder
schaftsmathematiker Die Antworten gingen Schröder nicht Jahrhunderttrainer, glaubte zwischen- ses Versprechen ist eingelöst worden. Zuversicht. „Die Hoffnung ist zurück,
26. Spieltag Sp Tore Pt. hat sich vom Assisten- leicht über die Lippen. „Wir sind sehr zeitlich schon nicht mehr an einen direk- Den Aufstieg hatte der Sportvorstand da- dass wir endlich den Sprung in die Bun-
1. Magdeburg 25 55:23 57 ten des Vorstandes der froh, mit Gazprom Germania einen ver- ten Wiederaufstieg. Die Fans hatten gro- gegen als mittelfristiges Ziel taxiert – in- desliga schaffen“, sagte HSV-Idol Uwe
Allianz-Versicherung lässlichen Partner zu haben“, sagte er ße Zweifel an Dimitrios Grammozis, dem nerhalb von drei Jahren. Doch nun, da Seeler. In „Bild“ warnte der 85-Jährige al-
2. Kaiserslautern 24 37:13 45
hochgearbeitet. 17 Jahre hat er beim Me- zum Hauptsponsor, der dem Klub jähr- aktuellen Trainer. Mittlerweile jedoch sich die Möglichkeit der sofortigen Rück- lerdings auch, nun bloß nicht nachzulas-
3. Saarbrücken 25 42:32 43
dienkonzern Bertelsmann verschiedene lich neun Millionen Euro garantiert. sehen die Chancen wieder deutlich bes- kehr in die Eliteklasse auftut, „werden sen: „Einen Rückschlag in dieser Phase

E
4. Braunschweig 24 40:24 41
Führungspositionen bekleidet, war Vor- „Das ist kein Thema“, erklärte er zur ser aus. Die Königsblauen sind Fünfter – wir auch alles dafür tun“. können wir uns nicht erlauben.“
5. Osnabrück 25 38:26 41
sitzender der Geschäftsführung der Ausgliederung, die für die Ultras ein ro- punktgleich mit dem Hamburger SV Eine ähnliche Gefühlslage herrscht in
6. Waldhof 25 39:30 41
Christ Juweliere und Uhrmacher GmbH. tes Tuch ist. Schröder war der Respekt (Vierter) und mit nur einem Punkt Rück- Bremen, wo sie eine vergleichbare Lei- ine Warnung war in den vergange-
7. Meppen 25 35:38 40
Das naheliegende Karriereziel des 55-Jäh- vor seiner neuen Aufgabe und vor allen stand auf den SV Werder Bremen (Drit- densgeschichte hinter sich haben – wenn nen Tagen auch auf Schalke zu hö-
8. Dortmund II 25 38:30 38
rigen hätte gut lauten können: Vor- Dingen vor der sprichwörtlichen Emo- ter), der am Freitagabend bei Hansa Ros- auch mit einer gewissen Verzögerung, ren. „In dieser Liga kannst du dir
9. 1860 München 23 38:31 36
standsvorsitzender eines Dax-Konzerns. tionalität des Klubs anzumerken. tock antrat (nach Redaktionsschluss). weil Werders Abstieg erst am letzten keine Schwächephase erlauben“, sagte
10. W. Wiesbaden 25 33:31 34
„Schalke muss wieder nach vorn, wie- „Die Zweite Liga lebt, die Zweite Liga Spieltag besiegelt wurde. Das machte die Sportdirektor Rouven Schröder. Um den
11. Zwickau 24 31:31 32
VON OLIVER MÜLLER der vorangehen. Schalke muss wieder ein bebt“, sagte Knäbel, nachdem insbeson- Sache sogar noch komplizierter. Plane- Mann, der gemeinsam mit Knäbel den ra-
12. Freiburg II 25 24:36 32
Leuchtturm werden“, sagte Schröder dere die „großen drei“ seit der Ligapause risch hing der Klub hinterher. Als die dikalen personellen Umbruch vollzogen
13. Vikt. Köln 25 29:41 29
Doch irgendetwas in Schröder, der dann auch noch. Sätze, die er sich zu- Mitte November einen fulminanten Saison begann, war längst nicht klar, wie hatte (31 Profis gingen, 19 kamen), war es
14. Vikt. Berlin 22 32:31 26
nach außen auch genauso wirkt wie ein rechtgelegt hatte, weil er offenbar glaub- Spurt hingelegt haben: Die Schalker hol- die Mannschaft aussehen soll. Das führ- zuletzt unruhig geworden. Sein Name
15. Halle 24 28:35 26
Konzernmanager, muss wohl nach Aben- te, dass sie von ihm erwartet werden. ten seither 14 Punkte aus acht Spielen, te zu Reibungen. Hinzu kam der unfrei- stand bei Borussia Mönchengladbach auf
16. Verl 25 35:47 24
teuer verlangt haben. Jedenfalls ist er Wer, wenn nicht ein Schalke-Boss, sollte die Hamburger 17 Zähler und die Bremer willige Trainerwechsel nach dem Impf- der Wunschliste für die Nachfolge von
17. Duisburg 25 32:51 23
nach einer Zwischenstation bei Bayer 04 denn in dieser mittlerweile so kompli- sogar 19. Im Unterhaus gibt es, wovon passskandal um Markus Anfang. Der Sportdirektor Max Eberl. Schröder hatte
18. Türkgücü 24 24:37 22
Leverkusen, wo er als Direktor für Mar- ziert gewordenen Fußballwelt sonst das Oberhaus seit Jahren nur träumen Findungsprozess war schwierig – auch sich zunächst nicht klar bekannt, ob er in
19. Havelse 25 22:45 20
keting und Vertrieb tätig war, seit Beginn überhaupt noch große Töne spucken? kann: eine Rückrunde voller Spannung weil im Gegensatz zu Schalke, wo die jedem Fall über den Sommer hinaus auf
20. Würzburg 25 17:37 18
des Jahres Vorstandsvorsitzender des FC Dabei ist der Klub längst dabei, sich in an der Spitze. Darmstadt 98 und der FC Fans schon während der katastrophalen Schalke bleiben wird.
Verl – Zwickau 18.2. Schalke 04. Er ist damit der erste Mann, etwas Neues hineinzuarbeiten. In eine St. Pauli, aktuell auf den direkten Auf- Abstiegssaison ihre Erwartungen herun- Schröders Verbleib, danach sieht es
Magdeburg – Dortmund II 19.2. der diese Position bekleidet, seit Rudi Art neue Sachlichkeit. Dafür stehen stiegsrängen, spüren den Atem der Alt- tergefahren hatten, in Bremen lange ei- nun aus, ist ein wichtiger Baustein für die

I
Saarbrücken – Vikt. Köln 19.2. Assauer im Mai 2006 vom Aufsichtsrat, Schröders Mitstreiter auf Vorstandsebe- meister. ne ungeduldige Grundstimmung Schalker Zukunft. Denn trotz der guten
Duisburg – Türkgücü 19.2.
damals unter der Führung von Clemens ne: Peter Knäbel (Sport) und Christina herrschte. Werder war zudem mit dem Entwicklung sind die Probleme nach wie
W. Wiesbaden – Vikt. Berlin 19.2.
Freiburg II – Meppen 19.2. Tönnies, abgesägt worden war. Rühl-Hamers (Finanzen) haben in den n Gelsenkirchen, Bremen und Ham- höchsten Etat in die Saison gegangen. vor gewaltig: Da sind die hohen Schulden,
Osnabrück – Braunschweig 19.2. In dieser Woche hatte Schröder seinen vergangenen Monaten mit akribischer burg sind zumindest die psychischen Das erzeugte Druck. und da ist vor allem die Frage, wie sich der
Waldhof – Kaiserslautern 20.2. ersten öffentlichen Auftritt auf Schalke. Arbeit etwas geschafft, was der Quadra- Folgen der Bruchlandung, die die drei Ähnlich wie beim HSV – wobei der Klub grundsätzlich aufstellen soll. „Wir
Havelse – Würzburg 20.2. Dabei wurde er mit heiklen Fragen kon- tur des Kreises nahekommt. Sie haben Großklubs hingelegt hatten, überwun- Druck hier aus der Tatsache resultierte, wollen zurück in die Bundesliga und wirt-
1860 München – Halle 21.2. frontiert: nach dem derzeit sogar noch die Insolvenz abgewendet und einen ra- den. Es fühlt sich wieder gut an, Anhän- dass es bereits der vierte Anlauf zur schaftlich in allen Szenarien handlungsfä-
umstritteneren Sponsoring durch das dikalen Umbau der Mannschaft durchge- ger von Schalke, Werder oder dem HSV Rückkehr in die Bundesliga ist, den der hig bleiben“, sagte Bernd Schröder. Letz-

SPANIEN
russische Staatsunternehmen Gazprom führt. Das Gehaltsvolumen wurde von zu sein – oder eben Funktionär. Dabei sechsmalige Meister unternimmt. Drei- teres ist für Schalke zweifellos die noch
und nach einer möglichen Ausgliederung über 100 Millionen Euro auf knapp über war doch das Einzige, was Knäbel den mal wurde der HSV kurz vor dem Ziel ab- größere Herausforderung – genau deswe-
der Profiabteilung. Beides sind auf Schal- 20 Millionen gedrückt. Fans im Sommer auf der Mitglieder- gefangen, fünf Trainer wurden seit dem gen ist Schröder geholt worden.

FC Sevilla – Elche......................................
Cadiz – Celta Vigo................ Sa., 14.00
Villarreal – Real...................... Sa., 16.15
Vallecano – Osasuna........... Sa., 18.30 SECHS FAKTEN ZUM SPIELTAG Die nächsten Spiele: Fr., 11.2., 20.30 Uhr: RB Leipzig – 1. FC Köln; Sa., 12.2., 15.30 Uhr: Eintracht Frankfurt – VfL
Wolfsburg, Borussia Mönchengladbach – FC Augsburg, SC Freiburg – Mainz 05, VfL Bochum – Bayern Mün-
Atletico – Getafe .................. Sa., 21.00
chen, Greuther Fürth – Hertha BSC; 18.30 Uhr: Bayer Leverkusen – VfB Stuttgart; So., 13.2., 15.30 Uhr: Union

1 2
Alaves – FC Valencia............ So., 14.00
Levante – Bet. Sevilla .......... So., 16.15
Berlin – Borussia Dortmund; 17.30 Uhr: TSG Hoffenheim – Arminia Bielefeld.
Sociedad – Granada............ So., 18.30
André Silva steht kurz vor einem Der 2:0-Erfolg in der Vorwoche
Jubiläum, der Portugiese hat gegen die TSG Hoffenheim war 22. SPIELTAG Sp. Gew. Un. Verl. Heim Auswärts Tore Pt.
E. Barc. – FC Barcelona ...... So., 21.00
Mallorca – Bilbao ................. Mo., 21.00 49 Bundesliga-Treffer auf seinem der neunte Mainzer Sieg dieser 1. (1.) Bayern München 21 17 1 3 33:10 27 35:11 25 68:21 52
Konto. Trifft Leipzigs Stürmer Bundesligasaison. Damit können 2. (2.) Borussia Dortmund 21 14 1 6 33:18 27 21:18 16 54:36 43
24. Spieltag Sp Tore Pt. gegen Köln, dann wäre es sein die Rheinhessen nun schon am
3. (3.) Bayer 04 Leverkusen 21 11 5 5 26:17 17 28:17 21 54:34 38
1. Real Madrid 23 48:20 53 50. Tor im 79. Bundesligaspiel – 22. Spieltag gegen Freiburg ihre
nur sieben Spieler erreichten Marke aus der vergangenen Spiel- 4. (4.) Union 21 9 7 5 14:9 21 15:18 13 29:27 34
2. FC Sevilla 23 34:16 47

3
5. (5.) SC Freiburg 21 9 6 6 17:11 18 16:13 15 33:24 33

4
3. Betis Sevilla 23 41:27 40 diese Marke schneller. zeit von zehn Siegen erreichen.
4. Barcelona 22 36:25 38 6. (8.) 1. FC Köln 21 8 8 5 19:15 21 14:19 11 33:34 32
5. Atlet. Madrid 22 38:30 36 7. (6.) RB Leipzig 21 9 4 8 31:13 24 9:13 7 40:26 31
6. Villarreal 23 38:23 35 Mönchengladbach hat die vergange- Dank des 7:0 in der Hinrunde 8. (7.) 1899 Hoffenheim 21 9 4 8 23:12 20 18:22 11 41:34 31
7. Real Sociedad 22 22:21 35 nen vier Heimspiele verloren. gegen den VfL Bochum übernahm
9. (9.) Eintracht Frankfurt 21 8 7 6 14:13 13 19:19 18 33:32 31
8. Bilbao 23 23:18 34 Gleich fünfmal in Folge zu Hause der FC Bayern erstmals unter
Julian Nagelsmann die Tabellen- 10. (10.) Mainz 05 21 9 3 9 21:5 24 9:18 6 30:23 30
9. Rayo Vallecano 22 27:24 31 verlor die Borussia nur in der Sai-
10. Celta de Vigo 23 28:25 30 son 2010/2011 unter Trainer Micha- spitze. Seither gab sie der Titel- 11. (11.) Bochum 21 7 4 10 13:8 18 7:22 7 20:30 25

5 6
11. Valencia CF 23 35:36 30 el Frontzeck. verteidiger nicht mehr ab. 12. (15.) VfL Wolfsburg 21 7 3 11 12:15 14 9:18 10 21:33 24
12. Osasuna 23 22:27 29 13. (12.) Bor. Mönchengladbach 21 6 5 10 16:17 14 11:21 9 27:38 23
13. Espanyol B. 23 27:32 27 14. (13.) Hertha BSC 21 6 5 10 15:17 15 8:26 8 23:43 23
14. Elche 23 26:31 26 Oliver Glasner trifft auf seinen Greuther Fürth kassierte in dieser
15. (14.) Bielefeld 21 4 10 7 11:16 10 10:11 12 21:27 22
15. Getafe 23 20:23 25 Ex-Verein Frankfurt. Er schaffte Saison die meisten Gegentore per
von allen Wolfsburger Trainern 16. (16.) FC Augsburg 21 5 7 9 15:16 15 7:19 7 22:35 22
16. Granada CF 23 26:34 24 Kopf (12), Gegner Hertha die zweit-
17. Mallorca 22 19:34 23 mit mindestens 34 Spielen gleichauf meisten (11). Beide mussten auch 17. (17.) VfB Stuttgart 21 4 6 11 18:23 11 6:15 7 24:38 18
18. Cádiz 23 20:38 18 mit Dieter Hecking den besten die meisten Tore nach Flanken 18. (18.) Fürth 21 2 4 15 9:16 9 9:40 1 18:56 10
19. Alaves 23 17:38 17 Punkteschnitt (1,62 pro Spiel). hinnehmen: Fürth 12, Hertha 8.
20. Levante 22 21:46 11 Champions League Europa League Relegation Absteiger

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 S
13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG NR. 7 OLYMPIA 31

Der zerrissene NACHRICHTEN

den Athleten zu demonstrieren. Seine
größte Angst sei es, noch einmal einen
Olympia-Boykott wie bei den Sommer-
spielen 1980 in Moskau zu erleben.
Doch warum lässt der Präsident des SKILANGLAUF

Präsident
Drittes Gold für den
IOC dann zu, Olympia ausgerechnet in
Ländern auszutragen, in denen die Boy-
kott-Gefahr groß ist? Die Antwort lau-
tet: Dem IOC blieb zuletzt kaum eine
Finnen Niskanen
andere Wahl. Olympia ist für viele Aus- Der Finne Iivo Niskanen hat die
richter zu einem unattraktiven Produkt Goldmedaille im Skilanglauf über 15
geworden. Zu hoch die Kosten für solch Kilometer im klassischen Stil ge-
IOC-Chef Thomas Bach versucht bei den Spielen einen Spagat zwischen ein Weltereignis, zu gering die Akzep- wonnen. Einen Tag nach dem Sil-

China-Schmeicheleien und Regimekritik. Gerecht wird er keinem

tanz in der Bevölkerung. Für die Winter- ber-Gewinn seiner älteren Schwes-
Seine bisher wohl stärkste Szene bei die- spiele 2022 hatten sieben von neun Be- ter Kerttu Niskanen über die zehn
sen Spielen hatte Thomas Bach im Schat- werbern abgesagt, darunter Oslo, Stock- Kilometer klassisch setzte sich der
ten der gewaltigen Big-Air-Schanze in holm, Barcelona, St. Moritz und Mün- 30-Jährige am Freitag in Zhangjia-
Peking. Dort tröstete der 68-Jährige die chen. Am Ende blieb als Alternative zu kou überlegen durch. Im Ziel lag er
Französin Tess Ledeux, die im Freestyle- Peking nur Almaty in Kasachstan übrig. 23,2 Sekunden vor Skiathlon-Olym-
Ski nach einer verpatzten Landung im Der IOC-Präsident Dort gibt es zwar genug Schnee, aber piasieger Alexander Bolschunow aus
letzten Sprung noch Gold verloren hatte. beim olympischen erst im Januar wurden in der Millionen- Russland. Bronze gewann Johannes
Bach legte die Hände auf ihre Schultern, Fackellauf am stadt Demonstrationen durch das Mili- Hoesflot Klaebo aus Norwegen. Für
redete aufmunternd auf die weinende Eröffnungstag der tär blutig niedergeschlagen. Im Rück- Iivo Niskanen war es das dritte
Athletin ein. Winterspiele blick erscheint es fast wie ein Glücksfall, olympische Gold seiner Karriere.
dass Peking den Zuschlag erhielt. Zu- Bester Deutscher war Lucas Bögl

D
VON ROUVEN CHLEBNA UND MELANIE HAACK mindest für das IOC. aus Gaißach auf Rang 17.

Hennig führt die

Zur Realität gehört aber auch, dass as war vor sieben Jahren. Da-
Bach nicht als Seelentröster zur Premie- mals setzten viele nach den gu-
re dieser neuen olympischen Sportart ge-
reist war. Vielmehr wollte der Präsident
ten Erfahrungen der Sommer-
spiele von 2008 große Hoffnungen in
Frauenstaffel an

AFP/WANG ZHAO; XIE HUANCHI/ GETTY IMAGES; ALEX PANTLING/ GETTY IMAGES; AP/ DMITRI LOVETSKY
des Internationalen Olympischen Komi- China. Die Zeichen standen auf Öffnung Einen Tag nach dem starken fünften
tees (IOC) wohl Eileen Gu bewundern, gegenüber dem Westen. Dass Xi Jinping Platz von Skilangläuferin Katharina
das 18 Jahre alte Aushängeschild des chi- anstrebte, China in einen autokratisch Hennig über zehn Kilometer klas-
nesischen Olympiateams. Die Chinesen, geführten Überwachungsstaat zu ver- sisch hat der Deutsche Skiverband
Gastgeber der Spiele, sind Bachs Freun- wandeln, der sich von weiten Teilen der (DSV) die Starterinnen für die
de. Oder besser gesagt: Der mächtigste Welt abschottet, konnte oder wollte man olympische Frauenstaffel nominiert.
Mann im Weltsport ist ein Freund Chi- nicht erkennen. Im Rennen über 4 x 5 Kilometer am
nas. In den Augen seiner vielen Kritiker Bei all der berechtigten Kritik an den Samstag starten neben Hennig Ka-
ist er sogar dessen Diener. Entscheidungen des IOC muss eines al- therine Sauerbrey, Victoria Carl und
Bei den Spielen von Peking wird deut- lerdings auch gesagt werden: Wer Moral Sofie Krehl für die Mannschaft von
licher denn je, welchen Balanceakt Bach, predigt und Freiheit einfordert, muss Teamchef Peter Schlickenrieder. Zu
der ehemalige Fechter, bewältigen muss auch Verantwortung dafür übernehmen. den Favoritinnen zählen die Deut-
– und wie er dabei zu scheitern droht. Das können viele Länder, besonders aus schen nicht. Wenn alles perfekt
Der IOC-Chef spielt in China mit seiner Europa, nicht von sich behaupten. Die läuft, ist jedoch ein Medaillenge-
Integrität und der einer ganzen Sportbe- olympischen Werte gilt es aktiv zu ver- winn möglich. Über die 4 x 5 Kilo-
wegung. Ein zerrissener Präsident, ge- teidigen. „Im Moment sind eher Auto- meter hatte es 2014 das bis dato
fangen in seiner Rolle. kratien bereit, mit öffentlichen Geldern letzte Edelmetall bei Winterspielen
„Thomas Bach muss einerseits dafür den Gigantismus großer Sportereignisse für das deutsche Skilanglaufteam
sorgen, dass die Spiele wirtschaftlich zu finanzieren. Das ist das politische gegeben. Stefanie Böhler, Denise
und organisatorisch erfolgreich verlau- Problem, das Bach mit der wirtschaftli- Herrmann, Nicole Fessel und Clau-
fen. Zeitgleich muss er den Ideen und chen Entwicklung des Produkts Olympia dia Nystad gewannen in Sotschi
Prinzipien der olympischen Bewegung hat“, erklärt Hennig Vöpel, Professor für Bronze.
Rechnung tragen“, ordnet Jürgen Mit- Ökonomie: „Er läuft dadurch Gefahr, das
tag, Professor für Sportpolitik an der Image in den traditionellen Märkten und
Deutschen Sporthochschule Köln, für Ländern zu beschädigen.“ RODELN

Plädoyer für Bahn

WELT AM SONNTAG ein. Zwischen In der Tat scheinen das
diesen beiden Polen versuche der IOC- IOC und sein Präsident von
Präsident, auf dem diplomatischen außen betrachtet die morali- in Königssee
Glatteis nicht auszurutschen, „oftmals schen olympischen Werte zu
steckt er aber in dem Dilemma, keiner verhökern. Das Problem: Das Die deutschen Rodler haben sich

B
Seite gerecht zu werden“.
ereits während der Eröffnungs-
feier stürzte Bach auf besagtem
Glatteis. Zwar richtete er einen
Friedensappell an die Weltpolitik, doch
viel mehr als seine – einmal mehr – ex-
trem verklausulierte Kritik blieben die
Bilder seiner drei Verbeugungen vor Chi-
nas Staatspräsident Xi Jinping in Erinne-
rung. Im Vorfeld hatte Bach sein Mantra,
die Olympischen Spiele seien unpoli-
tisch, mit einem wirren Shakespeare-
Vergleich bekräftigt: „Wenn ein Theater-
schauspieler den Hamlet
gibt, dann wird auch nie-
mand von ihm verlangen,
auf der Bühne seine politi-
sche Meinung zu äußern.“
Produkt Olympia kann nur
überleben, wenn entspre-
BACH HAT SICH DAZUGESTELLT, chende Bilder in die Welt ge-
sendet werden. Bach weiß das.
EIN FOTO GEMACHT, UND DANN Am Ende des Tages ist er der
WAR ER WIEDER WEG
Chef einer Firma, der auch an
Zahlen gemessen wird.
NBC ist der wichtigste TV-
TOBIAS WENDL, Olympiasieger im Rodeln
Partner für Olympia. Der
amerikanische Sender ver-
zeichnete bei der Übertra-
gung der Eröffnungsfeier aus
Peking im Heimatmarkt 43
Thomas Bach (l.) und Chinas Machthaber Prozent weniger Zuschauer
Xi Jinping bei der Eröffnungsfeier als noch vor vier Jahren. Ein Alarmsignal
für das IOC und seine Mitgliedsverbän-
de. Das IOC bezieht seine Einnahmen
vor allem aus dem Verkauf der Fernseh-
rechte, Sponsoring, Lizenzen und Ti-
nach ihren großen Olympia-Erfol-
gen für eine Wiederherstellung der
Rodelbahn in Königssee ausgespro-
chen. „Ich hoffe, dass sie schnell
wieder aufgebaut wird. Für den
Sport, den Nachwuchs und die Re-
gion ist das wichtig“, sagte die
sechsmalige Olympiasiegerin Nata-
lie Geisenberger. „Für den Rodel-
sport ist das wichtig, weil es eine
der anspruchsvollsten Bahnen ist.“
Die 1640 Meter lange Bob- und Ro-
delbahn in Bayern war bei einem
schweren Unwetter im Juli ver-
gangenen Jahres im oberen Bereich
zerstört worden.
BIATHLON

Doch allein die Tatsa-
che, dass Wladimir Putin
der Zeremonie beiwohn-
te, der seine Truppen wei-
ter an der Grenze zur
Ukraine aufmarschieren
Deutsche Frauen
ckets. Von dieser Summe – bei den Spie-
len in Pyeongchang waren es 1,58 Milliar-
den US-Dollar – schüttet die Organisati- verpassen die Top Ten
DAS IOC IST IN on 90 Prozent an die Sport-Weltverbän-
de aus und sichert damit in vielen Fällen Die deutschen Frauen haben im
SEINER DERZEITIGEN deren Überleben. Die restlichen zehn Sprint über 7,5 Kilometer eine Spit-

STRUKTUR EINE
lässt, lässt Bachs Worte Prozent bleiben in der IOC-Kasse. zenplatzierung verpasst. Vier Tage
beinahe lächerlich wir- „In einer sich politisch und gesell- nach dem Olympiasieg von Denise
STERBENDE
ken. Russlands Präsident IOC-Chef Bach (Mitte) schaftlich stark wandelnden Zeit ist es Herrmann im Einzel über 15 Kilo-
hatte sich vor den Spielen mit Deutschlands für den Sport essenziell, sich auf konsti- meter gewann die Norwegerin Mar-
mit seinem Amtskollegen
Xi getroffen, bevor er auf
INSTITUTION Medaillengewinnern im
Doppelsitzer-Rodeln
tuierende Werte zu fokussieren“, mahnt
Ökonom Vöpel. In der Wirtschaft werde
te Olsbu Röiseland, für die es das
zweite Gold nach dem Erfolg in der
der Ehrentribüne des Na- HENNING VÖPEL, die Ausrichtung auf „Stakeholder“-Inte- Mixed-Staffel war. Die Olympia-
tionalstadions Platz Ökonomie-Professor ressen immer wichtiger. Dies müsse die Dritte im Einzel schoss fehlerfrei
nahm. Ein politisches Sig- Lehre aus Peking sein. Ob Bach der rich- und gewann in 20:44,3 Minuten vor
nal erster Klasse. tige Mann für diesen Job ist, bezweifelt der Schwedin Elvira Öberg und
Und Bach selbst? Der der Wirtschaftsexperte: „Heute setzen Dorothea Wierer aus Italien. Vanes-
wirkt in manchen Situationen wie ein sich partizipative und empathische Füh- sa Voigt war als 18. beste Deutsche.
Adjutant des chinesischen Führers. Vor rungsprinzipien durch. Tradition und Herrmann kam nach zwei Schieß-
allem dann, wenn er sich mit Peng Shuai Autorität sind kein hinreichendes Argu- fehlern als 22. ins Ziel. Franziska
zeigt. Während seines Besuchs am Big den. Das IOC helfe dabei, die Inszenie- Thomas Bach (r.) den Doppelsitzern Platz eins und zwei ment mehr. Er ist also in diesem Sinne Preuß belegte nach zwei Fehlern
Air saß die chinesische Tennisspielerin, rung der chinesischen Führung zu legiti- im Gespräch mit feierten. Eine Aktion, die bei Medaillen- kein guter Chef mehr.“ Das IOC sei in Rang 30, Vanessa Hinz qualifizierte
die nach Missbrauchsanschuldigungen mieren, lautete die Kritik. Mittlerweile Skirennläufer gewinner Tobias Wendl nicht gut ankam: seiner derzeitigen Struktur eine „ster- sich trotz dreier Fehler als 55. gera-
gegen einen Spitzenpolitiker der Kom- hat Peng ihre Anschuldigungen mehr- Mingfu Xu aus „Über die Glückwünsche von ihm habe bende Institution“. de noch für das Verfolgungsrennen

T
munistischen Partei zwischenzeitlich mals revidiert. China ich mich nicht gefreut. Er hat sich dazu- Betrachtet man das olympische Ge- der besten 60 am Sonntag.
verschwunden war, öffentlichkeitswirk- gestellt, ein Foto gemacht, und dann war samtbild mit Abstand, gewinnt man zu-
sam neben dem Deutschen auf der Tri- homas Bach taucht derweil jeden er wieder weg.“ Wendl posierte zwar la- mindest etwas Hoffnung. Nach stürmi-
büne. Die Botschaft: Seht her, es geht ihr Tag woanders auf. Die Wege des chend mit dem IOC-Präsidenten, ver- schen Jahren mit den Spielen von Sot- EISSCHNELLLAUF

B
Dufter kann in
gut. Ansonsten dürfen nur ausgewählte IOC-Präsidenten sind dabei uner- weigerte aber eine Umarmung. schi, Pyeongchang und nun Peking steu-
Chinesen die Wettkämpfe live verfolgen. gründlich. Auf Anfrage wollte das IOC ert der Tanker IOC in ruhigere Gewäs-
Eine merkwürdige Ehre für eine Sportle- nicht einmal sagen, wo Bach schon über- ei den Athleten ist Bach umstrit- ser: Paris, Mailand, Los Angeles und Bris- Peking starten
rin, die wenige Wochen zuvor noch von all gewesen sei – offiziell aus Sicherheits- ten. „Was wir vermissen, ist ein bane stehen als kommende Austragungs-
der chinesischen Zensur medial ausra- gründen. Fest steht, dass der omniprä- echtes Bekenntnis. Man kann orte bereits fest. Proteste und diplomati- Joel Dufter ist nach einer über-
diert werden sollte. Weder das IOC noch sente Sportfunktionär einen eng getakte- politische Neutralität und diese hehren, sche Boykotte sind dort nicht zu erwar- standenen Corona-Infektion als
sein Präsident wollten sich auf Nachfra- ten Zeitplan hat und sich dabei gern auf aber sehr schwammigen Werte des IOC ten. Was bleibt, ist ein Präsident, der sich letzter deutscher Eisschnellläufer
ge konkret dazu äußern. Siegerfotos drängelt. Besonders bei deut- nicht einfach vorschieben, um sich aus nicht ziert, sein Produkt überall da zu nach Peking gereist. Der 26 Jahre
Es war nicht das erste Mal, dass sich schen Athleten. So stoppte die Bach-Ka- schwierigen Debatten herauszuziehen“, verkaufen, wo Geld und Wille vorhanden alte Sprinter soll an diesem Samstag
Bach und Peng trafen. In einem Inter- rawane, bestehend aus einem Führungs- sagte Johannes Herber, Geschäftsfüh- sind. Schmeichelnde Worte inklusive. So über 500 Meter sowie am 18. Febru-
view mit der französischen Zeitung fahrzeug, einem Kleinbus, in dem Bach rer von Athleten Deutschland, WELT übernimmt Bach munter das Narrativ ar über 1000 Meter starten. Dufter,
„L’Équipe“ hatte die 34-Jährige bestä- sitzt, und einer Polizeieskorte, bei De- AM SONNTAG. Er wünsche sich von seines Freundes Xi, wonach China nun der in dieser Saison den deutschen
tigt, mit dem IOC-Präsidenten am ers- nise Herrmann, als die Biathletin am ver- Bach deutlich mehr Selbstkritik. Bach „eine Wintersportnation“ sei. Man mag Rekord über die 500 Meter auf 34,32
ten Olympiatag gegessen zu haben. gangenen Montag Gold für Deutschland hingegen betont immer wieder seine hoffen, dass der IOC-Präsident das Mär- Sekunden verbessert hatte, hatte
Schon Ende November hatte Bach mit gewann. Zwei Tage später stand der IOC- Liebe zum Sport. In Pyeongchang ver- chen von bald 300 Millionen Ski fahren- sich Ende Januar mit dem Corona-
der Sportlerin per Videoanruf gespro- Chef plötzlich im Eiskanal von Yanqing brachte er vor vier Jahren eine Nacht den Chinesen nicht wirklich glaubt – virus infiziert und sich danach in
chen und war dafür hart kritisiert wor- zwischen den deutschen Rodlern, die bei im olympischen Dorf, um seine Nähe zu wenn auch nur insgeheim. Quarantäne begeben.

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32 OLYMPIA

C
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022

WAS WICHTIG
WAR
ELTON JOHN GRATULIERT
Die britische Pop-Legende Elton
John hat US-Eiskunstläufer Nathan
Chan zum Gewinn der Goldmedaille
gratuliert. „Herzlichen Glück-
wunsch“, schrieb der 74-Jährige bei
Twitter. Dazu postete der Sänger ein
Foto des Olympiasiegers. Der drei-
malige Weltmeister Chan hatte zu
Elton Johns Evergreen „Rocket
Man“ mit fünf Vierfachsprüngen
den Olympiasieg errungen – in ei-
nem knalligen Outfit und mit Rock-
star-Posen.
ALBTRAUM
Selbst im Schlaf holen Ski-Superstar
Mikaela Shiffrin die Enttäuschungen
der ersten Olympiatage ein. „Ich
hatte letzte Nacht einen Traum“, er-
zählte die 26-Jährige. „Und der
Traum hat sich immer wiederholt.
Ich bin aufgewacht, eingeschlafen
und habe dasselbe noch mal ge-
träumt“, berichtete die US-Amerika-
nerin, die in China zuvor im Slalom
und Riesenslalom nach einem Fahr-
fehler ausgeschieden war, und
sprach von einem „schrecklichen“
Gefühl. Im Super-G am Freitag be-
legte sie Rang neun.
BANKSAFE ODER HAKEN
Die deutschen Rodler gehen mit ih-
ren Olympiamedaillen auf Nummer
hristopher Grotheer
wollte fliegen, hoch
und weit von den
Schanzen dieser
Welt – und eines Ta-
ges zu einer Medaille
bei den Olympischen
Winterspielen. Im Schülerbereich lief
es ganz gut für den Jungen, der in Wer-
nigerode/Harz geboren wurde. „Aber
dann wurde ich eine ganz schöne Flug-
ente. Da wurde mir nahegelegt, mich
doch lieber anders zu orientieren“, er-
zählt er WELT AM SONNTAG schmun-
zelnd. Als dann ein Skeletontrainer auf
ihn zukam und fragte, ob er nicht einen
Aufnahmetest machen möchte, dachte
er sich: Warum auch nicht? Damals war
er 15 Jahre alt. Es war eine der besten
Entscheidungen seines Lebens. Denn in
Yanqing raste er so rasant in Bauchlage
auf seinem Schlitten und mit dem Kopf
voraus den Eiskanal hinunter, dass er an
diesem Freitag, 22.45 Uhr Ortszeit, als
Olympiasieger seinen Trainern und
Teamkollege Axel Jungk laut jubelnd in
die Arme fiel. „Wir haben es geschafft“,
rief einer aus dem Jubelknäuel. Und:
„Geschichte!“ Dann schnappten sich
Grotheer, der Sieger, und Jungk, der Sil-
bermedaillengewinner, geschwind die
deutschen Fahnen.
VON MELANIE HAACK
Der 29 Jahre alte Grotheer feiert da-
mit das erste Olympiagold für Deutsch-
land im Skeleton überhaupt. Während
es für die Frauen in der Vergangenheit
zwar keinen Sieg, aber immerhin zwei-
mal Silber und einmal Bronze gab, wa-

sicher. Natalie Geisenberger, mit
sechs olympischen Goldmedaillen
Deutschlands Rekordolympionikin
bei Winterspielen, verwahrt ihre
DPA/MICHAEL KAPPELER
ren die Männer bisher immer leer aus-
gegangen. Und nun stand in Jungk sogar
ein zweiter Deutscher auf dem Podest.
Der 30-Jährige raste vor dem Chinesen

Goldstücke in einem Bankschließ-
fach – wenn sie nicht zu Hause ist.
Wenn sie im eigenen Heim ist, hän-
gen die Plaketten an einem Brett.
„Da müssen jetzt neue Haken ran“,
sagte die Bayerin, die in Peking im
Einzel und im Teamwettbewerb tri-
umphiert hatte.
Yan Wengang auf Platz zwei. Alexander
Gassner wurde Achter. Grotheer und
Jungk – zwei Konkurrenten im eigenen
Team, die sehr viel mehr verbindet als
Skeleton. Nach sportlichen Tiefs stehen
sie nun gemeinsam auf dem Siegerpo-
dest der Olympischen Spiele.
Grotheer, Olympiaachter von 2018,
Weltmeister der Jahre 2020 und 2021,
HELDEN
Emotionaler Doppelsieg: Christopher Grotheer (l.) und der Zweitplatzierte Axel Jungk mussten beide herbe Rückschläge wegstecken
Jungk sich das als Ansporn, aber es är-
gerte ihn nicht. „Früher wäre mir das
schwergefallen. Da hat es mich eher
genervt, wenn ein Deutscher vor mir
war, dieses Mal fand ich es einfach nur
viel Spaß daran, uns das anzusehen.“
Bei der Tournee wetten sie jedes Jahr
auf die top drei der Gesamtwertung.
Aber selbst noch einmal ins Tal segeln?
Die zwei schütteln entsetzt den Kopf.

wider Willen
hatte die Konkurrenz schon am Vortag beeindruckend. Gleichzeitig war es ein Skispringen ist schließlich keine Sport-
MEDAILLEN geschockt. Nach zwei Läufen ging er mit Anreiz, dass ich da auch hinwill. Das tat art wie Langlauf oder Schwimmen, die
SPIEGEL 0,70 Sekunden Vorsprung in die finalen mir gut.“ Unschwer zu erkennen im Eis- man irgendwie immer betreiben kann,
Durchgänge am Freitag. Dass er jetzt als kanal von Yanqing, wo er im dritten ohne sich selbst zu schaden. „Ich glau-
Topfavorit auf Gold gelten würde, hätte Lauf seine Position hielt und sein Pols- be, ich würde mich einscheißen, wenn
er vor seinem ersten WM-Titel nicht zu ter auf Rang drei ausbaute: 23 Hunderts- ich auf dem Balken säße“, sagt Jungk la-
NATION träumen gewagt. In jener Saison vor telsekunden Vorsprung auf den Russen chend, und auch Grotheer sagt: „Ich
1. Deutschland 7 4 0 zwei Jahren hatte sich Grotheer nicht Alexander Tretjakow, knapp dahinter kann es mir absolut nicht vorstellen.
2. Norwegen
3. Niederlande
6
5
3
4
5
1
einmal für die deutsche Weltcup-Mann-
schaft qualifiziert. „Das war eine sehr,
Erstmals wird ein Deutscher Olympiasieger im Yan Wengang. Am Ende jubelten Grot-
heer und Jungk gemeinsam über ihren
Skispringen ist aber ein Herzenssport
für mich. Wenn ich das im Fernsehen
4. Schweden 5 2 2 sehr schwierige Phase“, erzählt er. „Aber Skeleton. Christopher Grotheer triumphiert hart erkämpften olympischen Lohn. verfolge, ist das immer noch etwas Be-
5. Österreich 4 6 4
vor seinem Teamkollegen Axel Jungk. Dabei
ich habe mir schnell eingestehen müs- Die beiden verstehen sich gut, auch sonderes. Und mit Axel Skispringen zu
6. USA 4 5 1 sen, dass es von der Leistung einfach wenn sie auf der Bahn Konkurrenten schauen bringt Spaß – ein bisschen Ah-

E
7. China 3 3 1
wollten beide Skisprungasse werden
nicht gereicht hatte. Ich bin ein sehr sind und dort jeder auf sich blicken nung haben wir ja.“
8. ROC 2 4 6 selbstkritischer Mensch, habe analy- muss. „Da sind wir alle Egoisten“, sagt
9. Italien 2 4 4 siert, woran es lag, und versucht, die Sai- Grotheer. „Aber die Zeit daneben macht ine andere Leidenschaft, die sie
10. Japan 2 2 4 son so gut wie möglich zu bestreiten.“ es eindeutig schöner, wenn man sich teilen, passt bestens zu dem
11. Slowenien 2 1 2 Und dann wurde er aus dem Nichts he- versteht und Dinge gemeinsam macht.“ Faible für weite Sprünge von
12. Schweiz 2 0 5 raus Weltmeister – eine Sensation und Infektion im Januar lange zittern müs- erneuten gesundheitlichen Problemen Zum Beispiel Skispringen gucken. hohen Schanzen und rasanten Fahrten
13. Frankreich 1 5 0 Initialzündung. „Das hat mir Stärke und sen, ob er überhaupt rechtzeitig negati- die Weltcup-Qualifikation, kam da- Denn nicht nur Grotheer flog als Kind mit dem Kopf voraus: Motorradfah-
14. Kanada 1 4 7 Selbstbewusstsein gegeben. Höhepunk- ve Tests vorlegen und in den Flieger nach in Form, wähnte sich bestens und Jugendlicher von der Schanze. ren. Jungk besitzt eine Kawasaki
15. Finnland 1 1 2 te liegen mir“, sagt er. Und bewies das nach Peking steigen kann. Es reichte vorbereitet, wurde aber nicht für die Während der Olympiasieger mit 15 Z1000, Grotheer eine Ninja Z1000.

E
16. Australien 1 1 1 nun auch in Yanqing, etwa 70 Kilometer zwar, aber dann kam der nächste WM nominiert. wechselte, tauschte Jungk als 17-Jähri- „Eine Rennmaschine“, sagt er grin-
Südkorea 1 0 1 von Peking entfernt. Im dritten Lauf Schock: Sein erster PCR-Test nach der ger seine Sprungskier gegen den Schlit- send. Da aber der eine in Oberhof
18. Tschechien 1 0 1 baute Grotheer seinen Vorsprung auf Einreise fiel positiv aus. Die zwei Nach- r sagt: „Ich bin stärker zurück- ten aus. Aber wenn die Vierschanzen- (Grotheer) wohnt, der andere in Dres-
19. Neuseeland 1 0 0 0,85 Sekunden Vorsprung aus, bevor er tests aber bestätigten das Ergebnis gekehrt. „Wir sind gerade vier tournee läuft oder die Skispringer bei den (Jungk), hat es bisher mit der ge-
Slowakei 1 0 0 im vierten den Triumph perfekt machte. nicht, sodass er statt ins Quarantäne- sehr gute deutsche Männer, da Olympia dran sind, packt es die beiden planten gemeinsamen Tour nie ge-
(nach 52 von 109 Entscheidungen) Teamkollege Axel Jungk, Olympia- Hotel zum Training fahren durfte. ist es nicht einfach, sich durchzuset- noch immer. „Das wäre mehr als nur klappt. „Irgendwann kriegen wir es
siebter 2018, aktuell Zweiter des Ge- Mit Rückschlägen kennt er sich aus. zen. Ich glaube aber, das ist der Grund, nett gewesen“, sagt Jungk. „Die media- hin“, sagt Jungk und ergänzt lachend:
samtweltcups, WM-Zweiter der Jahre Nach vielen Verletzungen unterlag er weshalb wir uns als Team so gut entwi- le Aufmerksamkeit bei der Tournee ist „Aber ich denke nicht, dass es eine
2017 und 2020, ging als Zweiter vor dem Grotheer bei der WM 2020 im Kampf ckelt haben.“ gewaltig. Ich glaube, es würde uns bei- entspannte Tour wird.“ Die beiden
WAS WICHTIG Chinesen Yan Wengang in den finalen um Gold nur um zwei Hundertstelse- Als Grotheer in den ersten beiden den viel Freude bereiten, dort mitzu- Skeletonhelden von Yanqing lieben es
WIRD Tag. Dabei hatte er nach seiner Corona- kunden. 2021 verpasste er dann nach Saisonrennen extrem stark fuhr, nahm machen. Aber genauso haben wir auch rasant.

BIATHLON
Sprint, 10 km, Männer (10.00 Uhr).
Favoriten: Sebastian Samuelsson
(Schweden), Quentin Fillon Maillet,
Johannes Thingnes Bö (Norwegen).
SKISPRINGEN
Großschanze, Männer, 2. Durch-
gang (13.00 Uhr). Favoriten: Ryoyu
Kobayashi (Japan), Halvor Egner
Granerud (Norwegen), Marius Lind-
vik (Norwegen).
SKELETON
Einer, Frauen, 4. Durchgang (14.55
Uhr). Favoritinnen: Tina Herrmann
(WSV Königssee), Kimberley Bos
(Niederlande), Zhao Dan (China).
SKILANGLAUF
Staffel 4 x 5 km, Frauen (8.30 Uhr).
Favoriten: Norwegen, Schweden,
Russisches Olympisches Komitee.
EISSCHNELLLAUF
500 m, Männer (9.53 Uhr). Favori-
ten: Laurent Dubreuil (Kanada),
Wataru Morishige, Tatsuya Shinha-
ma, Yuma Murakami (alle Japan),
Artem Arefjew (Russisches Olympi-
Krimi um die Eisprinzessin
Die 15-jährige Russin Kamila Walijewa steht im Zentrum eines Dopingskandals
S P
ie gilt als Jahrhunderttalent.
Doch von der Leichtigkeit, mit
der Kamila Walijewa noch zu
Beginn der Olympischen Spiele über
das Eis schwebte, war am Freitag beim
Training nichts mehr zu spüren. Drei-
mal sei sie hingefallen, zählten Russ-
lands Medien. Die Konzentration da-
hin, das Lächeln weg. Denn die 15 Jahre
alte russische Eiskunstläuferin ist der
erste prominente Dopingfall dieser
Winterspiele – positiv getestet vor
zwei Monaten. Das ist seit Freitagmor-
gen offiziell. Dennoch holte sie in Pe-
king Gold mit dem Team.
Die Informationen und Hintergrün-
de waren zunächst undurchsichtig,
noch sind Fragen offen. Das Interna-
tionale Olympische Komitee (IOC)
drängt jetzt auf eine schnelle Klärung
vor dem Einzelwettbewerb am 15. Fe-
Idol verabschiedet sich
mit Tränen in den Augen
stört. Denn das ist niemals Eigenmoti- din getestet. Der Befund lag der russi- lötzlich wurde es still in den Ber- hatte. Bei der Landung stürzte er. Der
vation, das kann ich mir nicht verstel- schen Anti-Doping-Agentur Rusada gen von Zhangjiakou. Eine ge- Traum von einem krönenden Abschluss
len. Dann bräuchte sie in den nächsten aber angeblich erst am 8. Februar vor – bannte Stille, obwohl so viele Zu- seiner Laufbahn, er zerschellte an der
Jahren einen Therapeuten.“ nach dem olympischen Teamwettbe- schauer wie noch nie bei diesen Winter- Schneekante der Halfpipe. Dem Ort,
Walijewa hatte die Russen zu Gold werb. Daraufhin wurde die 15-Jährige spielen vor der riesigen Halfpipe der dem White bisher sein Leben gewidmet
im Teamwettbewerb geführt; die für vorläufig suspendiert. Walijewa legte Snowboarder warteten. Sie alle starrten hat. Und der andersherum lange von
Dienstag geplante Siegerehrung wurde Einspruch ein, und der Disziplinaraus- den Berg hinauf und warteten auf die seinem alles überstrahlenden Superstar
allerdings verschoben. Seit Freitag- schuss der Rusada hob die Suspendie- fahrende Legende dieses Sports: Shaun gelebt hat.
morgen ist klar, weshalb. Nach Anga- rung am 9. Februar auf. Das IOC will White. White glitt langsam die Pipe hinab,
ben der Internationalen Test-Agentur das nicht akzeptieren. Jetzt soll das In- Der Amerikaner, der von sich selbst hielt seinen Helm hoch über dem Kopf
(Ita) wurde Walijewa am 25. Dezember ternationale Sportgerichtshof Cas im sagt, er sei einmal der Sport gewesen und winkte den Zuschauern. Seine Kon-
2021 bei den Landesmeisterschaften Eilverfahren entscheiden. (und damit recht hat), fuhr an diesem kurrenten reihten sich allesamt auf, um
positiv auf das Herzmittel Trimetazi- Weiss kennt die junge Athletin und sonnigen Vormittag zum letzten Mal in dem Wegbereiter ihrer Sportart die Eh-
deren Familie durch seine Eisshows, die weiße Halbröhre. Beim ersten re zu erweisen. „Snowboarden, ich dan-
die er organisiert und moderiert. Er Sprung klappte noch alles, das Publi- ke dir. Es war die Liebe meines Lebens“,
glaubt: „Klar, man weiß nie, aber ich kum raunte. Beim zweiten Trick ver- fand White nach seinem vierten Platz
kann mir nicht vorstellen, dass die 15 patzte White die Landung. Ein Sturz be- am TV-Mikrofon von NBC emotionale
Jahre alte Kamila absichtlich Doping endete seine glorreiche Karriere. Worte.
betreibt. Das hat sie auch gar nicht nö- „Das war’s“, sagte White, 35, im Ziel- Das olympische Finale gewann am
tig.“ Pharmakologe Fritz Sörgel geht bereich zu seinem australischen Rivalen Freitag Ayumu Hirano im letzten
ebenfalls nicht von Eigeninitiative aus, Scotty James. Mehrmals pustete er Sprung. 96 von 100 möglichen Punkten
DPA/PETER KNEFFEL

sches Komitee). bruar, wo Walijewa als Favoritin gilt. sondern „dass mit ihr experimentiert durch, wischte sich Tränen aus den Au- erhielt der kleine Japaner von der Jury.
Als sich die Dopingspekulationen ver- wurde – und etwas schiefging“, sagte gen. In seinem letzten Lauf hatte der Hirano war gerade mal sieben Jahre alt,
SNOWBOARD härteten, sagte der frühere Eiskunst- er „Bild“. „Ich tippe, dass die Russen dreimalige Olympiasieger alles riskiert als Shaun White seine erste Goldme-
Snowboard-Cross Mannschaft, läufer und ARD-Experte Daniel Weiss ihre Leistung im Training verbessern und die Double-Cork-1440-Kombinati- daille bei Olympischen Spielen gewann.
Mixed, Finale (3.55 Uhr). Favoriten: WELT AM SONNTAG: „Wenn das Kamila Walijewa fasziniert auf dem wollten. Dieses Mittel ist verboten. on versucht, die ihm vor vier Jahren in Zeiten ändern sich, Legenden bleiben
Italien, USA. wahr ist, ist so ein junges Leben zer- Eis. Und ist nun ein Dopingfall Das nimmt man nicht zufällig.“ MEL Pyeongchang noch Gold eingebracht Legenden. Auch nach Platz vier. RC

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FINANZEN & IMMOBILIEN
WELT AM SONNTAG NR. 7
V
Viele Anleger sorgen sich wegen der Bör-
senturbulenzen, ihnen macht das tägli-
che Hin und Her der Kurse zu schaffen.
Unterschätzt dagegen wird häufig ein
Faktor, der langfristig für den Anlageer-
folg von ebenso großer Tragweite ist wie
die Tendenz an den Märkten: die Kosten.
Sparer messen diesen bei der Auswahl
ihrer Investments oft nur wenig Bedeu-
tung bei – dabei können die Auswirkun-
gen gravierend sein.
VON DANIEL ECKERT UND HOLGER ZSCHÄPITZ
Jährliche Verwaltungsgebühren fallen
bei allen Anlageprodukten an. Auf den
ersten Blick mögen sie vernachlässigbar
erscheinen, doch über viele Jahre tür-
men sie sich geradezu zu einem Berg, der
auf der Gesamtrendite lasten kann. Wer
zum Beispiel Geld über 30 Jahre anlegt,
muss bei sehr teuren Investmentfonds
damit rechnen, im Laufe dieser Zeitspan-
ne insgesamt mehr Gebühren zu zahlen,
als er ursprünglich investiert hat. Und
selbst bei Indexfonds, die generell als
günstig gelten, unterscheiden sich die
Aufwendungen erheblich.
„Menschen schätzen die Gesamtkos-
ten bei Investmentprodukten intuitiv
völlig falsch ein“, sagt Martin Weber,
Professor für Betriebswirtschaftslehre
an der Universität Mannheim. Häufig
werde angenommen, dass diese im Laufe
der Jahre in absoluten Zahlen gleich blie-
ben. Das sei jedoch nicht der Fall. Eine
Berechnung von WELT AM SONNTAG
zeigt, wie sehr die Kosten in die Höhe ge-
hen können und welchen Wertgewinn
Anleger verschenken, wenn sie ein teu-
res, aber schlechtes Investmentprodukt
kaufen, statt von Anfang an auf einen gu-
A
ten und günstigen Fonds zu setzen.
ls Basis der Berechnung wurde
angenommen, dass einmalig
10.000 Euro angelegt und danach
30 Jahre nicht angetastet werden. Über
einen so langen Zeitraum können globale
Börsenpapiere – konservativ geschätzt –
acht Prozent Rendite pro Jahr abwerfen.
Das entspricht dem langfristigen
Gesamtertrag internationaler Aktien, wie
sie im internationalen Aktienindex MSCI
World versammelt sind. Unterstellt man
nun, dass alle Anlageprodukte die gleiche
Rendite vor Gebühren erzielen, nämlich
jene acht Prozent per annum, die in der
Vergangenheit möglich waren, machen
unterschiedlich hohe Gebühren aus Sicht
des Anlegers einen großen Unterschied.
Die Fonds mit den niedrigeren Kosten
würden die anderen dann deutlich
schlagen.
Die günstigsten Aktienfonds am Markt
sind Indexfonds, die einfach die Werte
enthalten, die auch in einem Aktienindex
wie dem MSCI World oder dem briti-
schen FTSE All-Share enthalten sind. Bei
den allergünstigsten Produkten fallen le-
diglich Kosten von 0,05 Prozent jährlich
an. Schneiden die Fonds so ab, wie es in
der Vergangenheit der Fall war, verwan-
deln sich die 10.000 Euro in 30 Jahren in
99.128 Euro. Über den kompletten Zeit-
raum würden Anleger 606 Euro Gebüh-
ren an die Fondsgesellschaft abführen.
Bei einem Fonds mit 0,4 Prozent Ver-
waltungskosten summieren sich die Auf-
wendungen in den drei Jahrzehnten da-
gegen auf 4522 Euro – also siebeneinhalb
mal so viel. Als Folge der höheren Ge-
bühren kommen 89.000 Euro heraus, da
der Zinseszins-Effekt nicht so gut wirken
kann. Bei einem Produkt mit 1,45 Prozent
jährlichen Gebühren werden aus den
10.000 Euro in 30 Jahren sogar nur
64.925 Euro. Am Ende des Zeitraums ha-
ben Anleger insgesamt 13.368 Euro an
13. FEBRUAR 2022 SEITE 33
Gebühren wirken bei der Geldanlage wie
Ballast. Anfangs erscheint es egal, ob die
Verwaltungskosten einige Hundertstel
höher sind oder nicht. Über Jahrzehnte
hinweg aber ist der Unterschied gewaltig
Große Unterschiede
Kosten und Wertentwicklung, in Euro, je nach Gebühren, in Prozent
100.000
80.000
60.000
40.000 Anlagebetrag
10.000 Euro
20.000
0 SPDR MSCI All Country World IMI
Jahr 1 5 10 15
Quelle: Eigene Recherche, justETF, Stiftung Warentest
Gebühren an die Fondsgesellschaft über-
wiesen, also mehr als der Anfangsbetrag
von 10.000 Euro. Kosten machen also ei-
nen enormen Unterschied.
Die angenommenen 1,45 Prozent Ge-
bühren sind nicht aus der Luft gegriffen,
sondern bei vielen aktiv gemanagten glo-
balen Anlagefonds in Deutschland Reali-
tät. Bei diesen Angeboten trifft das Ma-
nagement bewusst Investmententschei-
dungen und reproduziert nicht nur ein-
fach einen Index, der meist nach Börsen-
wert – also der Größe der Firmen – sor-
tiert ist. Die beiden milliardenschweren
globalen Fonds der DWS, der Akkumula
und der DWS Dividende, wie auch der
UniGlobal von Union Investment zwa-
cken jährlich diesen Anteil vom Fonds-
vermögen ab.
Die Kosten bei teuren Produkten sind
nicht nur von Anfang an höher, sondern
nehmen auch noch bezogen auf das An-
fangskapital zu. Werden nach dem ersten
Jahr mit acht Prozent Rendite nähe-
rungsweise 157 Euro Gebühren abgezo-
gen, so sind es im Jahr 30 – jeweils acht
Prozent Gewinn pro Jahr vorausgesetzt
Was
lange
währt,
wird nicht
unbedingt
GUT
20 25
– bereits 955 Euro im Jahr. Der Zinses-
zinseffekt führt dazu, dass das Vermögen
wächst, aber auch die jährlichen Gebüh-
ren zulegen. Streng genommen werden
die Gebühren nicht einmal am Ende des
Geschäftsjahres abgezogen, sondern
über das Jahr verteilt – für die Beispiel-
rechnung ergibt das jedoch keinen we-
U
sentlichen Unterschied.
m den Kostennachteil von teuren
Produkten auszugleichen, muss
der Fondsmanager nicht nur die
angenommenen acht Prozent aus dem
Markt herausholen, sondern deutlich
mehr: Rechnerisch sind 9,54 Prozent er-
forderlich, um die höheren Gebühren
unter dem Strich völlig wettzumachen.
Manchen Managern gelingt es, über ei-
nen langen Zeitraum einen solchen
Mehrertrag zu erzielen, längst jedoch
nicht allen. Laut Statistiken der Rating-
firma S&P Dow Jones Indices schneidet
das Gros der international anlegenden
aktiv gemanagten Aktienfonds nach Ab-
zug der Gebühren schlechter ab als der
Vergleichsindex. „Aktive Fonds sind vor
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Pflege-Apartments: Kapitalanlage mit Risiken
Diese Indexfonds haben niedrige Gebühren
Auswahl von ETFs, Schwerpunkt Industriestaaten*-***
99.128 – bei 0,05%
89.226 – bei 0,40%
Amundi Prime Global *
Lyxor Core MSCI World (akkumulierend)
SPDR MSCI World (akkumulierend)
64.925 – bei 1,45%
HSBC MSCI World (ausschüttend)
Xtrackers MSCI World (ausschüttend)
iShares Core MSCI World
iShares MSCI ACWI **
UBS MSCI World Climate Paris Aligned ***
Vanguard FTSE All-World (akkumulierend) **
30 * Große und mittelgroße Unternehmen, ** und Schwellenländer, *** nach Klimaschutz-Kriterien
Kosten manchmal besser als passive,
nach Kosten schlagen sie die passiven
aber längst nicht immer“, sagt dazu Bör-
senprofessor Martin Weber.
Allerdings gibt es ein Argument für ak-
tive Fonds, die sich nicht damit begnü-
gen, einen Index abzubilden: Sie schüt-
zen davor, bei Marktturbulenzen den
vollen Absturz mitzumachen, was bei
ETFs unweigerlich der Fall ist – Letztere
folgen ja dem jeweiligen Barometer eins
zu eins. Einige der großen international
anlegenden Fonds konnten dies in der
Finanzkrise von 2009 auch wirklich ein-
lösen. Der UniGlobal und der DWS
Akkumula etwa verloren in dem Krisen-
jahr 50 beziehungsweise 46 Prozent,
während der Vergleichsindex MSCI
World um 60 Prozent abstürzte. Auch in
der New-Economy-Krise und der Coro-
na-Panik vom März 2020 schnitten der
UniGlobal und der DWS Akkumula bes-
N
ser ab als der passive MSCI World-ETF.
icht alle Fonds, die teuer sind,
bringen ihren Haltern jedoch
auch mehr Rendite oder ein
S. 39
GELD AM
SONNTAG
VON FRANK STOCKER
An der Börse
braucht man
Geduld Die Bank im
Dorf lassen
Der Frankfurter ist ein kompliziertes
Wesen. Er lebt einerseits tagsüber in
einer globalen Finanzmarktblase,
doch sobald er die Bankentürme ver-
lässt – oder sich im Homeoffice aus
dem Computer ausloggt –, wird er zu
einem fast schon dörflichen Charak-
ter. Das belegt nun auch eine Befra-
gung, die der Immobilienentwickler
DC Development vom Meinungsfor-
schungsinstitut Civey in mehreren
Städten durchführen ließ.
Demnach wünschen sich drei
Viertel der Bewohner der Mainme-
tropole, dass der Bäcker oder der Su-
permarkt fußläufig zu erreichen
sind. Der öffentliche Nahverkehr soll
für 60 Prozent am besten gleich vor
der Haustür starten, gastronomische
und kulturelle Angebote sind für 41
Prozent zentral. Das eigene Wohn-
quartier soll zudem von nachbar-
schaftlichem Zusammenhalt geprägt
sein, und die Natur darf auch nicht
weit sein. „Die Bewohner wünschen
sich ein modernes Dorf in der Stadt“,
schlussfolgern die Ersteller der Stu-
die, und sie sprechen von einer „Ver-
dorfung“ der Stadt.
Spötter mögen einwenden, dass
dies eben Frankfurt sei: Verdorfung
sei hier kein Wunsch, sondern ein
Zustand. Doch die Einwohner der
anderen deutschen Großstädte soll-
ten nicht zu hochmütig werden.
Denn von der Tendenz sehen die
Zahlen dort ähnlich aus. Allerdings
gibt es einen Punkt, bei dem sich die
Mainmetropole von den anderen
deutschen Städten und auch von ei-
nem Dorf unterscheidet. Denn hier
haben 16,4 Prozent noch einen weite-
ren Wunsch, der für sie wesentlich
ist und der sonst nirgends so ausge-
GETTY IMAGES / ARTPARTNER-IMAGES / MONTAGE: WELT AM SONNTAG
prägt ist: Die Frankfurter wollen eine
Bank fußläufig erreichen können.
Mögen die anderen also die Kirche
im Dorf lassen – die Frankfurter se-
hen dort lieber die Kathedralen des
Geldes.
Aktionärstreff
auch nach
Corona virtuell
Regierungsentwurf zu
Hauptversammlungen
U
ETF Jährliche Gebühren in Prozent WKN
0,05 A2PWMK
0,12 LYX0YD nternehmen sollen ihre jähr-
0,12 A2N6CW
lichen Aktionärsversammlun-
gen nach dem Willen der
0,15 A1C9KK
Bundesregierung auch nach der Co-
0,19 A1XEY2 rona-Pandemie im Internet abhalten
0,20 A0HGV0 dürfen. Das Bundesjustizministeri-
0,20 A1JMDF um legte einen Referentenentwurf
0,20 A2QNQJ
zur Änderung des Aktiengesetzes
vor, der eine „virtuelle Hauptver-
0,22 A2PKXG sammlung“ statt der Präsenzveran-
0,40 A1JJTD staltung in großen Messe- oder
Sporthallen ermöglichen soll. „Aus
Quelle: Eigene Recherche, justETF, Stiftung Warentest einem coronabedingten Provisorium
wird eine dauerhafte Möglichkeit“,
sagte Bundesjustizminister Marco
besseres Chance/Risiko-Verhältnis. Buschmann (FDP). Anders als in
Anleger sollten daher von Anfang an dem bis August 2022 befristeten Co-
auf die Kosten achten, bei Indexfonds rona-Format, das die Anteilseigner
sogar noch mehr als bei aktiv gemanag- in eine weitgehend passive Rolle ge-
ten Produkten. Selbst Investmentpro- drängt hatte, sollen sie in der künfti-
fis sind nicht davor gefeit, den Einfluss gen virtuellen Hauptversammlung
zu unterschätzen. So hat der bekannte keine großen Abstriche an ihren ge-
Berliner Tech-Investor Philipp Klöck- wohnten Rechten machen müssen.
ner die Kostensituation bei aktiv gema- Im Referentenentwurf ist sowohl ein
nagten Aktienfonds mit Wachstums- Rederecht der Aktionäre – etwa über
werten durchgerechnet, die bei Anle- Videoschaltungen – in der Versamm-
gern aktuell besonders beliebt sind. lung als auch ein Recht auf spontane
Bei einer Anlagesumme von 10.000 Eu- Nachfragen vorgesehen.
ro und jährlichen Gebühren von 1,86 Über das künftige Format der
Prozent kommt er auf Sicht von 30 Hauptversammlung sollen nach dem
Jahren bei einer unterstellten Markt- Gesetzentwurf die Aktionäre ent-
rendite im Technologiebereich von scheiden, jeweils für fünf Jahre im
zehn Prozent auf rund 23.000 Euro – Voraus. Einige große Unternehmen
mehr als das Doppelte des ursprüng- haben aber bereits angekündigt,
lich investierten Betrags. „Ich war nach der Pandemie zu einer Präsenz-
selbst verblüfft, wie sehr das Anlage- Hauptversammlung zurückzukeh-
ergebnis bei unterschiedlichen Kosten ren. Bundesländer und Verbände
differiert“, sagt Klöckner. Aktives können zu dem Gesetzentwurf bis
Management mit hohen Kostenstruk- zum 11. März Stellung nehmen. Das
turen hat nach seiner Einschätzung da- Gesetz soll bis zur nächsten Haupt-
her wenig Chancen gegen günstige versammlungssaison stehen, die in
Indexfonds. etwa einem Jahr beginnt. rtr
34 FINANZEN WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022

Swift-Sperre
Einfach mal den
STECKER
Russlands träfe
Banken hart
Milliarden-Schulden
drohen zu verfallen

D
ziehen
ie Sanktionsdrohungen des
Westens in der Ukraine-Kri-
se zielen auf Russland, könn-
ten nach Einschätzung von Experten
aber auch die europäische Finanz- Licht
branche empfindlich treffen. Beson-
Kaum zu glauben, aber wahr:
Stromkosten lassen sich schon mit simplen Mitteln
ders viel steht für Geldhäuser in Ita-
Das Licht macht laut Bran-

S
lien, Frankreich und Österreich auf
chendaten mehr als ein Achtel
reduzieren, sagen Experten. Ein Überblick, wie es geht
dem Spiel. Nach Zahlen der Bank für
Internationalen Zahlungsausgleich des Stromverbrauchs bei Pri-
(BIZ) hatten allein italienische und vathaushalten aus. Wer ver-
französische Institute im dritten bliebene Glühbirnen durch ver- 70 Euro. Damit ist die LED
Quartal 2021 ausstehende Forderun- chneller Wechsel, im- „Die meisten Haushalte sitzen eine zentrale Warmwasserberei- brauchsarme LED-Lampen selbst im Vergleich zur ener-
gen in Russland von je rund 25 Milli- mer billiger – von die- auf schlummernden Kilowatt-Rie- tung nutzen. ersetzt, kann den Stromver- gieeffizienten Energiespar-
arden Dollar. Bei österreichischen sem Prinzip konnten sen“, sagt Tanja Loitz, Geschäfts- Was den meisten fehle, sei ein brauch also kräftig reduzieren. lampe noch günstiger. Hinzu
Banken seien es 17,5 Milliarden, mehr Stromkunden bis zu- führerin der gemeinnützigen Bera- Überblick über den eigenen Ver- Zehn Leuchtmittel bringen laut kommt: Eine LED-Lampe mit
als bei US-Geldhäusern mit 14,7 Mil- letzt profitieren. Ver- tungsgesellschaft CO2online. Sie brauch, meint Loitz. „Die jährliche Berechnungen von CO2online schätzungsweise 15.000 Be-
liarden Dollar. Die österreichische braucher mussten sich nur jährlich betreibt das Portal „Stromspie- Stromrechnung reicht dafür nicht eine Ersparnis von 165 Euro im triebsstunden hält deutlich
Raiffeisen Bank International (RBI) nach einem neuen Anbieter umse- gel“, das Verbrauchern ihr Sparpo- aus, enthaltene Vergleichswerte Jahr, dem gegenüber stehen länger als eine Glühlampe und
hat schon Vorsorge für den Fall neu- hen und bekamen neben günstigen tenzial aufzeigt. Nach ihren Be- sind oft überdimensioniert.“ Die Anschaffungskosten von etwa eine Energiesparlampe.
er Russland-Sanktionen getroffen. Preisen oft noch großzügige Prä- rechnungen könnten alle deut- Expertin empfiehlt deshalb, den
Das Wiener Institut blickt zwar mien obendrauf. schen Privathaushalte zusammen Verbrauch monatlich zu kontrol-
trotz der drohenden Strafmaßnah- Stromkosten in Höhe von rund lieren oder bei einzelnen Geräten
men gegen Russland zuversichtlich VON LAURIN MEYER zehn Milliarden Euro pro Jahr re- wie Kühl- und Gefrierschränken
auf die kommende Geschäftsent- duzieren – und so steigende Preise ein Strommessgerät einzusetzen. Multimedia-Geräte
wicklung. Mit Russland als seinem Doch das System funktioniert so oft mehr als ausgleichen. Rund 323 Die Konsequenz müssten aber
wichtigsten Einzelmarkt gehört der nicht mehr. Billiganbieter setzten Euro kann ein durchschnittlicher nicht immer modernste Geräte Fernseher, Spielekonsolen und
Finanzkonzern aber zu einer Hand- in diesem Winter wohl Hundert- Haushalt im Mehrfamilienhaus sein. „Nicht jeder kann sich einen Lautsprecher: Die Multimedia-
voll europäischer Geldhäuser, die tausende Kunden vor die Tür. Sie demnach an jährlichen Kosten ein- neuen sparsamen Kühlschrank Geräte im Wohnzimmer ver-
laut einer JPMorgan-Studie Russ- hielten den Teuerungen am Strom- sparen. In einem Einfamilienhaus oder andere Sparhelfer leisten“, brauchen schon während des
land-Sanktionen besonders zu spü- markt nicht stand. sind es im Schnitt 424 Euro. sagt Loitz. Wichtig sei auch die Betriebs viel Strom. Doch auch
ren bekommen könnten. Das gilt Um Kosten zu senken, haben Grundlage für diese Analyse von Unterstützung für einkommens- ausgeschaltet kosten sie Geld – ein bisschen Mühe. Verbraucher
auch für die italienische Mutterge- Verbraucher aber noch eine ande- CO2online sind Verbrauchsdaten schwache Haushalte. Sie könnten nämlich dann, wenn sie im so- können sich das Ausstellen der
sellschaft der HypoVereinsbank, re, bislang wenig beachtete Wahl: von 290.000 Haushalten. Im ganz leicht Hunderte Euro sparen genannten Stand-by- oder Geräte aber erleichtern, indem
UniCredit, die jüngst Pläne zur den Verbrauch reduzieren. Was Mehrfamilienhaus wird dabei ein – mit geringem Einsatz. Ruhemodus laufen. Wer seine sie schaltbare Steckdosen-
Übernahme der russischen Otkritie zunächst nach Verzicht klingt, be- Haushalt mit zwei Personen ange- Vom Wohnzimmer bis ins Bad – Geräte hingegen stets aus- leisten verbauen. Beim Neu-
Bank aufgegeben hat. Auch ING aus kommen Bewohner oft nicht mal nommen, in dem Warmwasser mit jeder Raum bietet Einsparpoten- schaltet, kann laut CO2online- kauf sollten Nutzer außerdem
den Niederlanden und Société zu spüren. Ein paar Handgriffe ge- Strom erhitzt wird. Beim Einfami- ziale. WELT AM SONNTAG zeigt, Berechnungen pro Jahr durch- darauf achten, dass die Geräte
Générale aus Frankreich stecken tief nügen häufig schon, um dauerhaft lienhaus sind es vier Personen, wie sich die Stromkosten im Detail schnittlich 75 Euro sparen. Das einen zusätzlichen Energie-
im Russland-Geschäft, zeigen sich die Stromrechnung zu drücken. die fürs Warmwasser statt Strom reduzieren lassen. Beste daran: Es kostet lediglich sparmodus besitzen.
bisher aber gelassen.
Nach der russischen Annexion der
Krim im Jahr 2014 haben die USA
und die EU bereits Sanktionen gegen
Russland verhängt. Einzelpersonen Vom Anbieter gekündigt es derzeit nicht“, sagt Udo Warmwasser
wurden auf schwarze Listen gesetzt, Sieverding, Energieexperte bei
um den Zugang staatlicher Finanz- Zunächst die gute Nachricht für der Verbraucherzentrale Nord- Die Warmwasseraufbereitung,
konzerne zu westlichen Kapital- Verbraucher: Wenn ihnen der rhein-Westfalen. Die Strategie ob zentral durch die Heizanlage,
märkten zu begrenzen. Zudem gibt Anbieter kündigt, stehen sie könnte also sein, jetzt über den den Boiler oder Durchlaufer-
es Einschränkungen in bestimmten nicht plötzlich ohne Strom dar. Winter zu kommen und im hitzer, verbraucht Strom. Wer
Handelsbereichen, wie bei Waffen Betroffene rutschen automatisch Jahresverlauf einen günstigen also Menge oder Temperatur
und Technologie für die Ölindustrie. in die sogenannte Grundver- Zeitpunkt für einen neuen reduziert, der spart. Wäsche den Strahl, sodass deutlich
Laut der BIZ hat sich das Russland- sorgung ab, das größte Unterneh- des üblichen Preises für die Kilo- Vertrag abzupassen, erklärt an der Luft trocknen zu lassen weniger Wasser fließt, ohne
Engagement ausländischer Banken men vor Ort beliefert sie dann. wattstunde Strom. Den Grund- der Experte. Einen Trost haben bringt jährlich durchschnittlich dass der Strahl schwächer wird.
seitdem mehr als halbiert. Die schlechte Nachricht: Die versorgungstarif können Ver- Betroffene noch: Sie können 55 Euro. Mit den Ökoprogram- Satte 248 Euro Ersparnis soll
Europäische Banken blicken nun Preise sind meist deutlich höher braucher immerhin jederzeit mit ihren Billiganbieter wegen men der Waschmaschinen das laut CO2online im Jahr
besonders auf die Entwicklungen in als in Sonderverträgen. Zuletzt einer Frist von zwei Wochen des Rauswurfs womöglich lassen sich 33 Euro sparen. Der bringen – bei Anschaffungs-
den USA, wo eine Gesetzesvorlage verlangten einige Stadtwerke kündigen. Das Problem: erfolgreich auf Schadenersatz Geheimtipp ist aber ein Spar- kosten von gerade einmal
die größten russischen Geldhäuser zeitweise sogar das Dreifache „Schnäppchenangebote gibt verklagen. duschkopf: Er mischt Luft in 20 Euro.
verstärkt ins Visier nimmt. Die EU
droht Russland mit massiven Wirt-
schaftssanktionen. Experten rech-
nen damit, dass sich die Maßnahmen
gegen russische Finanzinstitute, den Küche und Großgeräte wurde die Kennzeichnung über- Garage und Auto
Energiesektor sowie weitere Unter- arbeitet. So gibt es keine Plus-
nehmen und Personen im Umfeld Sie gehören zu den größten Ver- Klassen mehr wie „A+++“, statt- Hohe Strompreise ärgern vor
von Präsident Wladimir Putin rich- brauchern im Haushalt: Kühl- und dessen reicht die Skala immer von allem die Besitzer von Elektro-
ten werden. Besondere Sorgen berei- Gefriergeräte, Waschmaschinen, A bis G. Das macht das Label autos. Für Eigenheime mit
tet Bankern aber ein Ausschluss Backöfen und Herde. Und sie sind aussagekräftiger. Daneben sind E-Fahrzeug gibt es aber be-
Russlands aus dem internationalen nicht entbehrlich. Dennoch können die Anforderungen an die Spar- sondere Tarife. Sie enthalten
Banken-Zahlungssystem Swift, der Verbraucher mit kleinen Ver- zial liegt aber in energiesparen- samkeit der Geräte gestiegen. neben günstigem Ökostrom portal Verivox. Dadurch wird
als eine der schärfsten Maßnahmen haltensänderungen sparen. Wer den Geräten: Ein moderner Kühl- Deshalb finden sich einige aktuelle etwa Mengenrabatte, Lade- dieser getrennt vom restlichen
ebenfalls im Gespräch ist. Das Sys- etwa stets mit Deckel kocht und schrank der besten Energieeffi- Modelle nun in deutlich schlech- karten für unterwegs oder Haushalt abgerechnet, die
tem wird von mehr als 11.000 Finanz- auf das Vorheizen verzichtet, zienzklasse verbraucht im Ver- teren Klassen wieder. Den Preis- Zuschüsse zu speziellen Wall- Kosten sinken um etwa 20 bis
institutionen in über 200 Ländern verringert laut CO2online die gleich zu älteren Modellen bis zu vorteil eines Gerätetauschs bezif- boxen für das heimische Laden. 30 Prozent pro Kilowattstun-
genutzt und ist wichtig für den glo- Kosten um durchschnittlich 40 50 Prozent weniger Strom. Ori- fert CO2online auf durchschnitt- Wer mehr als 10.000 Kilometer de. Bei einem Stromverbrauch
balen Geldfluss. Euro im Jahr. Den Gefrierschrank entierung bieten die EU-Effizienz- lich 75 Euro im Jahr. Dem stehen pro Jahr zurücklegt, sollte sich von 20 Kilowattstunden pro
Ein Swift-Ausschluss Russlands regelmäßig abzutauen, bringt labels, die auf den Geräten auf- Anschaffungskosten von etwa einen separaten Zähler für den 100 Kilometer und 15.000 ge-
wäre eine „Art Atombombe“, sagte acht Euro. Das größte Sparpoten- gedruckt sind. Erst im März 2021 300 Euro pro Gerät gegenüber. Autostrom verbauen lassen, fahrenen Kilometern pro Jahr
heißt es vom Online- bringt das eine Ersparnis von
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bank Hessen-Thüringen (Helaba) in
GETTY IMAGES/ STEFAN CIOATA / MONTAGE: WELT AM SONNTAG

Moskau vertritt. Er käme einem gi- Auf LED-Lampen

ca. 70 ca. 165
gantischen Schuldenerlass für russi- umstellen
sche Kunden gleich, weil Rückzah- Bei neuem Gerät ca. 300 ca. 78
lungen von Verbindlichkeiten an die auf Energielabel achten
Banken nicht mehr möglich wären. Elektronische Geräte
Laut Banken-Professor Jan Pieter ausschalten keine Kosten ca. 75
Krahnen von der Frankfurter Goe-
the-Universität sind die kurzfristi- Wäsche auf einem
keine Kosten ca. 55
Ständer trocknen
gen Folgen einer Swift-Sperre für
Russland unklar. Zudem hält Krah- Quelle: www.co2online.de

nen ungewollte Konsequenzen einer

solchen Maßnahme für möglich,
langfristig auch die Entstehung von
Parallel-Systemen zu Swift. rtr

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36 FINANZEN

V
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022

erlustgeschäft, Geld- Vor allem Jüngere fürchten magere Als Grund für dieses Vorgehen nennt die von rund acht Prozent auf die Rente als ausbezahlt bekommt, erzielt eine Rendi-

Erträge auf ihre Einzahlungen

vernichter, Fass ohne DRV, dass aus den Mitteln der Renten- Zuschuss zur Krankenversicherung, die te, die im Durchschnitt etwa 0,6 bis 0,8
Boden: Die gesetzliche versicherung beispielsweise auch Hinter- Auszahlung beträgt also tatsächlich rund Prozentpunkte höher liegt. Der 1995 Ge-

B
in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Rentenversicherung bliebenen- oder Erwerbsunfähigkeitsren- 108 Prozent der Bruttorente, vor Steuern. borene kommt dann beispielsweise auf
genießt bei vielen einen ten sowie Reha-Leistungen gezahlt wer- immerhin 2,04 Prozent, die 1940 gebore-

Neue Berechnungen zeigen,

schlechten Ruf. Vor al- den. Deren Wert setzt sie mit etwa 20 ei einem gesetzlich Krankenversi- ne Frau sogar auf 4,3 Prozent. Natürlich
lem junge Menschen Prozent der Beiträge an. Diese Summe cherten dagegen kommen eben muss der privat Versicherte davon dann

RENDITE
ob die Sorge berechtigt ist
fürchten, dass sie zwar ihr Leben lang viel könne nicht in die Renditeberechnung nur rund 89 Prozent an, ebenfalls auch wieder Krankenversicherungsbei-
Geld einzahlen, am Ende aber kaum noch einbezogen werden, weil das Geld eben vor Steuern. Diese Steuern lassen sich träge abführen, sodass in seinem Porte-
etwas herausbekommen. nicht in die regulären Rentenzahlungen nicht in die Renditeberechnungen einbe- monnaie am Ende deutlich weniger
fließe, so die DRV. ziehen, da sie individuell verschieden bleibt. Da diese Beiträge jedoch indivi-
VON FRANK STOCKER Doch aus Sicht der Versicherten ist das hoch sind, oft auch gar nicht anfallen. duell verschieden sind, lässt sich das
fragwürdig, schließlich zahlen sie dieses Sehr wohl einkalkulieren lassen sich aber nicht einkalkulieren. Vor diesem Hinter-
Auf der anderen Seite behauptet die Geld ja ein. Der Sachverständigenrat der die Abzüge für Kranken- und Pflegeversi- grund kann man allerdings ebenfalls ar-
Deutsche Rentenversicherung (DRV), Bundesregierung stellte daher 2016 in ei- cherung. Wie hoch wäre die Rendite also, gumentieren, dass auch für die gesetz-
dass die Beitragszahler eine jährliche nem Gutachten den Berechnungen nach wenn einerseits die vollen Beiträge und lich Krankenversicherten der Auszah-

oder Niete
Rendite von knapp drei bis dreieinhalb der DRV-Methode eine Kalkulation ge- andererseits der reale Auszahlungsbetrag lungsbetrag von 108 Prozent maßgebend
Prozent pro Jahr erwarten können. Sie genüber, die 100 Prozent der Beiträge be- gesetzlich Krankenversicherter zur Basis bei den Berechnungen sein sollte.
legt dabei allerdings einige Annahmen rücksichtigt. Die Rendite liegt dann für der Betrachtung gemacht würde? Dies Schließlich erhalten sie für die abgeführ-
zugrunde, die zumindest fragwürdig Männer nur noch zwischen 2,4 und 2,8 wurde bislang noch nicht berücksichtigt. ten Beiträge eine Leistung – die Kran-
sind, und geht zudem stets vom Stan- Prozent, je nach Jahrgang, bei Frauen Die Mathematiker Werner Siepe und kenversicherung –, die sie sonst auf an-

dardrentner mit 45 Jahren ununterbro-
chener Beitragszeit aus. WELT AM
SONNTAG hat daher zwei unabhängige
Mathematiker um eine Alternativrech-
nung gebeten, mit anderen Prämissen
und vor allem auf Basis realer Fälle. Die
Ergebnisse sind überraschend.
Grundsätzlich gilt bei der gesetzlichen
Rentenversicherung natürlich, dass das
Verhältnis von Einzahlungen zu Auszah-
lungen letztlich davon abhängt, wie lange
A S
zwischen drei und 3,2 Prozent. Friedmar Fischer haben nun entspre- dere Weise erwerben müssten.
chende Berechnungen vorgenommen.
ber beiden Berechnungen ist eine Das Besondere: Ihnen liegt eine Vielzahl o bleibt als Ergebnis, dass es die
weitere schwierige Betrachtungs- echter Fälle vor, mit Rentenbeitragszei- eine Renditezahl für die Renten-
So viel bringen die Rentenbeiträge weise eigen. Denn Grundlage ist ten zwischen 35 und 47 Jahren. Diese ha- versicherung nicht gibt. Sie hängt
nicht die Bruttorente und auch nicht die ben sie zur Basis der Renditekalkulation von vielen Faktoren sowie von der jewei-
Rendite-Berechnungen auf Basis realer und fiktiver Fälle, Rente nach Abzug des Beitrags zur ge- für die Bestandsrentner gemacht. Für die ligen Betrachtungsweise ab. Allerdings ist
bei Berücksichtigung
So viel bringen die vonRentenbeiträge
100 Prozent der eingezahlten Beiträge setzlichen Krankenversicherung sowie jüngeren Jahrgänge, die noch in der Er- die Rendite auf die eingezahlten Beiträge
Annahme: Rentendauer gemäß durchschnittlicher Lebenserwartung zur Pflegeversicherung. Vielmehr wird werbsphase sind, haben sie einen Renten- in jedem errechneten Fall positiv, mit 1,42
Rendite-Berechnungen auf Basis realer und fiktiver Fälle, bei den Kalkulationen auf die Bruttoren- beginn mit dem gesetzlichen Eintrittsal- Prozent pro Jahr als Untergrenze.
bei Berücksichtigung von 100 Prozent der eingezahlten Beiträge te noch der Betrag draufgeschlagen, den ter zugrunde gelegt. Zudem haben sie ei- Negativ würde sie nur dann, wenn

GETTY IMAGES
der Versicherte lebt. Das weiß vorher nie- Annahme: Rentendauer gemäß durchschnittlicher Lebenserwartung die DRV an die Krankenversicherung nige fiktive Fälle noch jüngerer Arbeit- zum einen möglicherweise zu zahlende
mand, und so lässt sich folglich keine in- überweist. Denn sie übernimmt für ge- nehmer erstellt, bei denen sie eine Bei- Steuern berücksichtigt würden. Jedoch
dividuelle Rendite für lebende Beitrags- setzlich Versicherte den halben Beitrags- tragszeit von 45 Jahren angesetzt haben. trifft dies nur auf eine Minderheit der
zahler oder Rentner berechnen. Möglich satz, also rund acht Prozent. Der Rentner Das Ergebnis weicht deutlich von den Rentner zu. Zum anderen wäre die Ren-
ist jedoch eine Kalkulation auf Basis der Rendite bezogen auf Bruttorente selbst trägt die andere Hälfte. Renditezahlen ab, die sonst üblicherwei- dite wahrscheinlich ebenfalls negativ,
durchschnittlichen Lebenserwartung. Renten-
abzüglich Beiträgen zu
Beitrags- gesetzlicher Kranken-
zuzüglich Zuschuss Wer also laut Rentenbescheid bei- se genannt werden. Siepe und Fischer zu- wenn in die Beitragssumme die Zu-
zur privaten Kranken-
Umfangreiche Zahlen hat die DRV zu- Geburtstag eintritt jahre und Pflegeversicherung = versicherung = Auszahl- spielsweise eine Bruttorente von 1000 folge haben Bestandsrentner der Jahr- schüsse des Bundes für die Rentenkasse
letzt 2011 vorgelegt. Sie bezifferte dabei Rendite
Auszahlbetrag vonbezogen
89 % auf Bruttorente
betrag von 108 % Euro im Monat hat, für den setzen die gänge 1940 bis 1954, die in der gesetzli- einbezogen würden. Denn diese machen
die Rendite für einen ledigen Standard- abzüglich
Männer Beiträgen
Frauenzu zuzüglich
Männer Zuschuss
Frauen bisherigen Renditeberechnungen 1080 chen Krankenversicherung versichert inzwischen fast ein Viertel der gesamten
Renten- Beitrags- gesetzlicher Kranken- zur privaten Kranken-
rentner bei Rentenbeginn am 1. Januar Geburtstag
09.05.1940 01.06.2003
eintritt 47,08
jahre 3,05 3,62 3,78 4,30
und Pflegeversicherung = versicherung = Auszahl-
Euro als Auszahlungssumme an, inklusi- sind, eine Rendite auf ihre Beiträge von Rentenzahlungen aus. Allerdings spei-
2020 mit 2,9 Prozent und für eine ent- 20.11.1942 01.12.2007 35,08 Auszahlbetrag
1,88 von 89 % betrag
2,57 2,70von 108 % 3,33 ve dem Betrag, den die DRV an die Kran- 1,5 bis drei Prozent erzielt, bei weiblichen sen sich diese Zuschüsse aus dem Ge-
sprechende Rentnerin mit 3,5 Prozent 07.01.1947 01.03.2012 39,50 Männer
1,67 Frauen
2,28 Männer
2,39 Frauen
2,95 kenkasse überweist. Tatsächlich be- Versicherten liegt der Wert zwischen 2,1 samthaushalt des Bundes, sie werden al-
pro Jahr. Zugrunde gelegt wurde eine 09.05.1940 01.06.2003 47,08 3,05 3,62 3,78 4,30 kommt der Rentner aber nur 890 Euro und 3,6 Prozent. Dabei gilt: Mit abneh- so von allen Bürgern bezahlt, ob sie ren-
28.10.1950 01.03.2016 48,75 2,40 2,45 3,03 3,49
durchschnittliche Lebenserwartung, und 20.11.1942 01.12.2007 35,08 1,88 2,57 2,70 3,33
überwiesen – er zahlt die andere Hälfte mendem Alter sinkt auch die Rendite. tenversichert sind oder nicht. Sie in die
20.12.1953 01.01.2017 37,92 1,53 2,12 2,23 2,78
da diese bei Frauen höher ist, erzielen sie des Beitrags für die Krankenversicherung Doch was können jene erwarten, die noch Berechnungen einzubeziehen wäre da-
07.01.1947 01.03.2012 39,50 1,67 2,28 2,39 2,95
auch eine höhere Rendite. Bei Rentenbe- 17.02.1957 01.02.2023* 37,00 1,54 2,01 2,27 2,81 und zusätzlich noch den zur Pflegeversi- einzahlen? Die geringste Rendite erzielt her schwer zu begründen.
ginn 2030 oder 2040 sinkt sie auf 2,8 be- 28.10.1950
16.06.1960 01.03.2016
01.11.2024* 48,75
46,00 2,40
1,95 2,45
2,44 3,03
2,60 3,49
3,04 cherung von 3,05 Prozent, zusammen al- ein 1995 geborener Mann, der am 1. Janu- So bleibt als Schlussfolgerung: Die
ziehungsweise 2,9 Prozent für Männer 20.12.1953
18.04.1970 01.01.2017
01.05.2037* 37,92
43,00 1,53
1,49 2,12
2,02 2,23
2,22 2,78
2,71 so rund elf Prozent. ar 2060 in Rente geht: 1,42 Prozent. Ein Rendite der gesetzlichen Rentenversi-
und 3,3 Prozent für Frauen. 17.02.1957
01.01.1975** 01.02.2023*
01.01.2040 37,00
45,001,54
1,75 2,01
2,16 2,27
2,37 2,81
2,75 Aus Sicht der DRV ist es sinnvoll, den 1958 Geborener mit Renteneintritt zu Be- cherung ist nicht üppig, und sie kann na-
Diese Kalkulation hat jedoch ein ent- 16.06.1960
01.01.1980** 01.11.2024*
01.01.2047 46,00
45,001,95
1,69 2,44
2,10 2,60
2,32 3,04
2,70 Krankenversicherungsbeitrag in ihre ginn des kommenden Jahres kann dage- türlich nicht mit einer langfristigen
scheidendes Manko: Sie berücksichtigt 18.04.1970
01.01.1985** 01.05.2037*
01.01.2050 43,00
45,00 1,49
1,75 2,02
2,13 2,22
2,38 2,71
2,73 Renditeberechnungen einzubeziehen, gen immerhin noch mit 1,98 Prozent Geldanlage am Aktienmarkt mithalten.
nur 80 Prozent der Beiträge, die die Ver- 01.01.1975**
01.01.1990** 01.01.2040
01.01.2055 45,00 1,75
1,63 2,16
2,01 2,37
2,25 2,75
2,60
schließlich zahlt sie dieses Geld ja aus. rechnen. Bei Frauen liegt die Spanne zwi- Aber ein Verlustgeschäft ist sie eben
sicherten im Laufe ihres Lebens einzah- Auch für privat Krankenversicherte ist schen 1,8 und 2,5 Prozent. auch nicht, weder für die aktuellen
01.01.1980**
01.01.1995** 01.01.2047
01.01.2060 45,00 1,69
1,42 2,10
1,80 2,32
2,04 2,70
2,39
len. Je geringer die Beiträge sind, desto diese Betrachtung adäquat, denn sie be- Wer privat krankenversichert ist und Rentner noch für die Jüngeren – sofern
höher fällt aber natürlich die Rendite aus. 01.01.1985** 01.01.2050
* angenommener 45,00 ** fiktiver
Renteneintritt, 1,75 Fall Quelle: 2,38 2,73
2,13 Werner Siepe/Friedmar Fischer kommen von der DRV einen Aufschlag damit also 108 Prozent der Nettorente sie nicht frühzeitig sterben.
01.01.1990** 01.01.2055 45,00 1,63 2,01 2,25 2,60
01.01.1995** 01.01.2060 45,00 1,42 1,80 2,04 2,39
* angenommener Renteneintritt, ** fiktiver Fall Quelle: Werner Siepe/Friedmar Fischer
BÖRSEN-WELT
DIE TOPS UND FLOPS DER WOCHE I DAX 15425,12 (+2,2%) Die aktuellen
STAATSANLEIHEN
Schlusskurse
finden Sie auf Rendite 10-jähriger Anleihen in % und ihre Veränderung gegenüber der Vorwoche
I MDAX 33403,54 (+1,0%) I SDAX 15015,68 (+0,9%) Welt.de. in Prozentpunkten
Scannen Sie den
QR-Code oder Frankreich Großbritannien Russland
geben Sie 0,718 +0,081 1,416 +0,086 9,745 +0,385

•••• •
welt.de/wamskurse
in den Browser ein

DAX
11.02. Kurs Veränderung 12 Monate Marktk. Div. Div. KGV
• Deutschland
•
Vorwoche in % Tief Vergleich Hoch Mrd. € in € Rend. 2021 0,252 +0,059
11.02. Kurs +/–% 52WH 52WT 11.02. Kurs +/–% 52WH 52WT
Adidas NA 236,20 W –1,6 231,6 336,3 45,37 3,00 1,27 30,48
Lufthansa vNA 7,54 +10,3 9,25 5,24 Bilfinger 36,22 +15,0 36,64 22,92 Airbus 118,40 +7,4 WWW 89,59 121,1 93,07 - 31,16
Aurubis 102,25 +9,8 102,95 62,20 Salzgitter 34,76 +12,6 37,12 21,68 Allianz vNA 229,55 +3,3 WW 182,5 232,5 93,76 9,60 4,18 11,48
K+S NA 20,41 +9,4 20,53 8,03 Metro St. 9,91 +10,5 11,85 8,77 BASF NA 68,69 +3,0 WW 57,06 72,88 63,09 3,30 4,80 19,63 USA Italien Japan
Bechtle 47,07 –10,5 69,56 45,82 PVA TePla 27,25 –8,6 50,60 20,65 Bayer NA 54,12 +2,9 WW 43,91 57,73 53,17 2,00 3,70 15,03 1,996 +0,088 1,892 +0,183 0,225 +0,029
Evotec 28,14 –7,6 45,83 27,80 Suse 27,00 –8,2 43,60 25,20 Beiersdorf 88,00 +0,4 W 81,86 108,1 22,18 0,70 0,80 29,33
TeamViewer 14,92 –6,8 49,64 10,72 Global Fashion 3,41 –7,9 14,96 3,32 BMW St. 95,30 +6,3 WWW 68,87 100,4 57,42 1,90 1,99 11,48
Brenntag NA 77,62 +4,0 WW 63,14 87,40 11,99 1,35 1,74 23,52
Continental 89,58 +6,7 WWW 82,36 118,6 17,92 - 11,94 11.02. Rendite +/–absolut 11.02. Rendite +/–absolut
Covestro 54,28 +3,2 WW 49,30 63,24 10,49 1,30 2,39 13,08
I S&P UK 1543,52 (+1,9%) I CAC 40 7011,60 (+0,9%) Deliv. Hero 41,00 WWWWWWWWWWW –37,1 40,29 142,0 10,29 - Australien
Griechenland
2,192
2,593
+0,245
+0,528
Portugal
Schweden
1,133
0,608
+0,172
–0,003
Dt. Bank NA 14,40 +6,0 WWW 8,79 14,64 29,76 - 71,99
Dt. Börse NA 157,70 +1,1 W 130,1 163,4 29,96 3,00 1,90 25,03 Kanada 1,921 +0,083 Schweiz 0,239 +0,033
Dt. Post NA 52,73 +1,1 W 40,68 61,38 65,34 1,35 2,56 18,18 Niederlande 0,418 +0,079 Spanien 1,161 +0,126
Dt. Telekom 17,77 +4,3 WW 14,60 18,92 88,59 0,60 3,38 23,69 Österreich 0,591 +0,084 Südafrika 9,20 –0,125
E.ON NA 12,18 +0,2 W 8,27 12,54 32,18 0,47 3,86 17,40
Fres. M.C.St. 57,70 WW –5,0 52,06 71,14 16,91 1,34 2,32 15,39
Fresenius 36,87 W –0,3 32,91 47,60 16,67 0,88 2,39 11,17
Heidelb.Cem. 66,00 +2,0 WW 56,60 81,04 13,10 2,20 3,33 9,43
HelloFresh 49,72 WWW –9,1 49,37 97,50 8,65 - 29,25
Henkel Vz. 75,62 +6,8 WWW 68,92 99,50 13,47 1,85 2,45 17,59 DEVISEN/ZINSEN/ROHSTOFFE
Infineon NA 33,38 W –0,3 29,79 43,85 43,59 0,22 0,66 39,27
11.02. Kurs +/–% 52WH 52WT 11.02. Kurs +/–% 52WH 52WT Linde PLC 264,60 +1,2 W 201,8 309,4 135,62 3,35 1,27 34,59
74,44 +9,7 WWWW
Int. C. Airl. 174,64 +12,6 222,00 122,06 WFD Uni.-R. 69,07 +10,0 85,65 53,86
Mercedes-Benz
Merck 181,15 WW –5,2
53,83
126,6
76,92
231,5
79,64 1,13
23,41 1,40
1,52
0,77
9,31
34,18 P Euro in US-$ 1,1417 $ (–0,4%) P Euro in £ 0,8396 £ (–0,8%)
Antofgasta 1366,5 +11,4 1972,0 1198,5 Safran 115,02 +8,3 127,74 96,17 MTU Aero 196,35 +6,9 WWW 161,6 224,9 10,47 1,25 0,64 35,70 Jahresbeginn +0,8% / 52 Wochen –6,0% Jahresbeginn –0,1% / 52 Wochen –4,3%
Informa 613,40 +10,4 624,00 459,80 Worldline 45,76 +7,6 85,35 41,03 Münch. R. vNA 271,75 +1,8 W 215,3 282,3 38,07 9,80 3,61 13,35
Evraz 444,70 –8,9 707,60 410,00 Hermes Int. 1202,0 –8,2 1678,0 872,80 Porsche Vz. 87,84 +11,3 WWWW 59,74 102,0 13,45 2,21 2,52 6,65
Ocado Gr. 1293,5 –8,3 2682,0 1141,0 Kering 619,80 –5,0 798,00 513,30 Puma 88,56 WW –3,2 80,32 115,4 13,36 0,16 0,18 44,28
Spirax-Sarco Eng.12195,0–6,5 17225,0 10520,0 Dassault 40,72 –4,5 56,82 33,37 Qiagen 43,40 W –0,1 37,38 51,56 9,89 - 21,70
RWE St. 37,64 +2,1 WW 28,39 38,14 25,45 0,85 2,26 20,91
SAP 107,50 W –1,5 100,5 129,7 132,06 1,85 1,72 26,88
Sartorius Vz. 421,30 WWW –9,1 378,0 631,6 15,77 0,71 0,17 65,32
P Dow Jones 34738,06 (–1,0%) P Nasdaq 100 14253,84 (–3,0%) Siem.Energy 18,83 WW –2,4 17,81 33,63 13,68 -
Siem.Health. 56,58 W –0,8 44,17 67,66 63,82 0,80 1,41 37,47
Siemens NA 141,44 +6,5 WWW 125,0 158,0 120,22 4,00 2,83 21,76
Symrise 100,50 WW –3,4 95,88 132,7 14,05 0,97 0,97 36,95
Vonovia NA 47,48 WW –2,6 45,53 57,15 36,87 1,58 3,34 9,89
VW Vz. 188,64 +7,1 WWW 159,7 252,2 38,90 4,86 2,58 7,72
Zalando 62,44 WW –5,4 62,44 105,9 16,36 - 65,73
P Euro in sfr 1,0557 sfr (–0,1%) I Umlaufrendite HypoZins 10J. I
Gewinner und Verlierer im DAX
Jahresbeginn +2,2% / 52 Wochen –2,3% 0,14 % (+0,100) 1,32 % (+0,200)
JB +0,4 / 52W +0,6 JB +0,4 / 52W +0,7
in den vergangenen 4 Wochen (%)
schlechter besser als der DAX
11.02. Kurs +/–% 52WH 52WT 11.02. Kurs +/–% 52WH 52WT
+60 Dt. Bank
Disney Co. 149,47 +5,2 203,02 129,26 Datadog 167,40 +11,4 199,68 69,73
Amer.Express 191,81 +3,2 198,72 126,08 Micron Techn. 89,76 +10,6 98,45 65,67
in den vergangenen 12 Monaten (%)

+50
Boeing 212,30 +2,8 278,57 183,77 Pinduoduo 59,90 +7,3 212,32 47,67
E.ON
Salesforce.com 207,90 –5,2 311,75 201,51 Seagen 125,37 –9,1 192,79 118,00 +40 BMW
Nike 140,18 –3,6 179,10 125,44 PayPal 115,29 –8,6 310,16 114,73 Mercedes-Benz
Dt. Post
Microsoft 295,04 –3,6 349,67 224,26 AMD 113,14 –8,5 164,46 72,50 +30 Airbus
Linde PLC
Dt. Börse
+20
I Gold je Unze I Öl Brent, Barrel
schlechter als der DAX besser

VW
1640,28 € (+3,9%) 95,16 $ (+2,9%)
I Nikkei 225 27696,08 (+0,9%) Weiteres Indizes +10
Siem.Health.
Allianz Dt. Telekom Jahresbeginn +1,9% / 52 Wochen +8,9% Jahresbeginn +22,1% / 52 Wochen +56,4%
SAP Münch. R.
11.02. Kurs +/–% 52WH 52WT 0 Siemens
BASF Bayer
AEX 761,50 +1,9 829,66 647,90
–10
ATX 4017,1 +3,2 4078,3 2938,1 Infineon
Bovespa 114652,7 +2,3131083,7100074,6 Vonovia
–20
BSE Sensex 58152,9 –0,8 62244,4 47204,5
Euro Stoxx 50 4155,2 +1,7 4415,2 3622,2 Adidas DAX (-2,88% seit 4 Wochen, +9,86% seit 12 Monaten)
–30
Hang Seng 24852,0 +1,1 31183,4 22665,3 –18 –13 –8 –3 +2 +7 +12 +17 +22
Merval 89350,1 +1,6 97024,4 46011,6 Börsenwert (Schlusskurs der vergangenen Woche multipliziert mit der Anzahl der Aktien) Quelle: Infront/Deut. Börse
Nasdaq Comp. 13791,2 –2,2 16212,2 12397,1
10.02. Kurs +/–% 52WH 52WT Nikkei 225 27696,1 +0,9 30795,8 26044,5
Ishikawajima 2697,0 +15,5 3050,0 1891,0 RTX 1983,2 +1,7 2579,1 1694,8 Das Vier-Felder-Diagramm illustriert die Performance der 20 größten im DAX vertretenen Titel in
JFE Hold. 1714,0 +12,0 1950,0 1055,0 S&P TSX 21548,8 +1,3 21796,2 17930,0 zwei verschiedenen Zeiträumen. Die vertikale Achse zeigt die Veränderung in den vergangenen 12
AGC Inc. 5630,0 +11,7 6040,0 3610,0 Shanghai A 3629,3 +3,0 3911,9 3471,9 Monaten, die horizontale Achse die Veränderung des vergangenen Monats. Die Aktien mit der rela- Erläuterung: Kurse werden in Euro angegeben. DAX = Xetra-Handel. Wenn bei einer Aktie kein tagesak-
Yamato 2185,0 –12,7 3395,0 2130,0 SMI 12232,0 +0,8 12997,2 10513,4 tiv gesehen besten Performance befinden sich in dem Quadranten rechts oben, die Aktien mit der re- tueller Kurs festgestellt wurde bezieht sich die Angabe auf den letzten „Bezahlt“-Kurs. NA = Namensaktie,
Olympus 2290,0 –11,2 2741,0 2022,0 Stoxx 50 3763,2 +1,9 3872,1 3115,7 lativ gesehen schlechtesten Performance links unten. Die Grösse der Kreise, mit denen die Vz. = Vorzugsaktie, St. = Stammaktie. KGV: Kurs/Gewinn-Verhältnis auf Basis aktueller
Denki Kagaku 3660,0 –9,1 4660,0 3325,0 Topix 1962,6 +1,7 2120,2 1835,3 Unternehmen dargestellt sind, richtet sich nach der Höhe der Marktkapitalisierung. Jahresgewinnprognosen. Angaben ohne Gewähr. Stand: 11.2., 22:06 Uhr Quelle

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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG NR. 7 INVESTMENTFONDS 37

NACHRICHTEN

HEIZKOSTEN sich dafür aus, die Zahlung eines Zu- rund 100 Ländern in vielen Fällen noch Tastenanschlag, jede Pause und jedes
Deutsche fürchten
schusses auf alle einkommensschwa- im Anfangsstadium. Vergleichsweise Arbeitstempo“ ihrer Mitarbeiterinnen
chen Haushalte auszuweiten. AFP weit seien die Bahamas, wo der „Sand und Mitarbeiter lückenlos überwa-
Abrechnung Dollar“ bereits verfügbar ist. rtr chen. dpa

Eine große Mehrheit der Deutschen DIGITALWÄHRUNGEN

IWF mahnt
blickt laut einer Umfrage mit Sorge auf FUSIONEN UND ÜBERNAHMEN ABSCHLAGSZAHLUNGEN

Weltweiter Netzagentur untersagt

die nächste Heizkostenabrechnung.
zu Vorsicht

GETTY IMAGES/ MOMO PRODUCTIONS

Wie das Vergleichsportal Verivox mit-
teilte, sagten rund 80 Prozent der Be-
fragten, dass sie sich „sehr“ oder „ein
wenig“ Sorgen machten. Die Sorge vor
hohen Nachzahlungen zieht sich dem-
nach durch die gesamte Gesellschaft
und betrifft Junge und Alte ebenso wie
Mieter sowie Eigentümer und Eigentü-
merinnen. Die Sorge sei „sehr berech-
tigt“, sagte Verivox-Experte Thorsten
Storck. Für Haushalte, die mit Öl hei-
zen, stiegen die Kosten im Jahres-
vergleich demnach um 58 Prozent, bei
Gas müssten Bestandskunden in der
Grundversorgung mit rund 30 Prozent
mehr Kosten rechnen. Neukunden
hätten „mit einem noch deutlich grö-
ßeren Preisanstieg zu kämpfen“, hieß
es. Wie die Umfrage weiter ergab, for-
dern 37 Prozent der Befragten einen
staatlichen Heizkostenzuschuss un-
abhängig vom Einkommen. Eine knap-
pe Mehrheit von 46 Prozent spricht
Notenbanken sollten bei ihren Vor-
bereitungen zu eigenen Digitalwährun-
gen nach Einschätzung des Interna-
tionalen Währungsfonds (IWF) behut-
sam vorgehen. Jede Volkswirtschaft sei
anders, es gebe nicht die eine Lösung
für alle, schrieb IWF-Chefin Kristalina
Georgiewa in einem Blog. Zentral-
banken müssten entsprechend eigene
Lösungen finden. Entscheidende Krite-
rien dabei sollten die Finanzstabilität
und der Datenschutz sein. Vor allem
Letzterer könnte in vielen Ländern
verhindern, Digitalwährungen von
Notenbanken am Ende umzusetzen.
Obergrenzen könnten helfen, einen
Missbrauch für kriminelle Zwecke zu
vermeiden, ergänzte Georgiewa. Außer-
dem könnten so zu plötzliche Abflüsse
großer Summen verhindert werden.
Laut IWF sind die Überlegungen von
Rekord Versorger Erhöhung
Noch nie wurden Übernahmen und Die Bundesnetzagentur hat einem
Fusionen mit einem ähnlich hohen Strom- und Gasversorger aus Köln
Volumen getätigt wie 2021. Die Trans- nachträglich eine im Oktober 2021
aktionen beliefen sich weltweit auf vorgenommene Erhöhung von Ab-
rund 5,9 Billionen Dollar (5,2 Billionen schlagszahlungen untersagt. Die Er-
Euro), wie die Beratungsgesellschaft Die Arbeit im Homeoffice ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung höhung sei nicht mit dem Energierecht
Bain & Company mitteilte. Der bisheri- zu vereinbaren, teilte die Behörde mit.
ge Rekord hatte bei 4,6 Billionen Dollar Die gegenüber zahlreichen Haushalts-
gelegen und war 2007 und 2015 er- HOMEOFFICE grundlage überwacht, sagte DGB- kunden ausgesprochenen Erhöhungen
DGB fordert Gesetz
reicht worden. 2020 waren es 3,7 Billio- Vorstandsmitglied Anja Piel. „Tatsäch- der monatlichen Abschläge für Strom
nen gewesen. Als Treiber für den star- lich nutzen manche Arbeitgeber – und und Gas seien ohne rechtliche Grund-
ken Anstieg sieht Bain einerseits den
starken Wandel in einigen Bereichen
gegen Überwachung das ist sehr schändlich und sehr, sehr
schlimm – die Krise und die digitale
lage erfolgt. „Das Risiko steigender
Beschaffungspreise darf nicht durch
der Wirtschaft. „Selbst hohe Bewertun- Beschäftigte sollen nach dem Willen Arbeit schon jetzt, um ihre Beschäf- einseitige Erhöhung der Abschläge auf
gen halten Unternehmen nicht davon des Deutschen Gewerkschaftsbundes tigten mehr denn je zu überwachen, Haushaltskunden abgewälzt werden“,
ab, Zukäufe zu tätigen, damit sie etwa (DGB) künftig besser gegen digitale illegal, ohne deren Wissen und ohne sagte Behördenpräsident Jochen Ho-
in puncto digitale Transformation Überwachung durch Arbeitgeber, etwa Einwilligung, unter Missachtung der mann. Die Netzagentur hatte das Auf-
schneller vorankommen“, erklärten die im Homeoffice, geschützt werden. In Mitbestimmungsrechte.“ Eine Grö- sichtsverfahren gegen die Rheinische
Berater. Andererseits erleichterten die der Pandemie würden Beschäftigte ßenordnung nannte sie nicht. Arbeit- Elektrizitäts- und Gasversorgungs-
niedrigen Zinsen Übernahmen. dpa heute immer wieder ohne Rechts- geber könnten mittlerweile „jeden gesellschaft eingeleitet. dpa

ANZEIGENSONDERVERÖFFENTLICHUNG
Veröffentlichung der Anteilspreise von Qualitätsfonds im AriDeka CF € DE0008474511 86,76 82,42 +1,22 +36,49 Monega KAGmbH
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Deka-Eurol.Bal. TF € DE000DK1CHH6 114,81 114,81 -0,05 +4,82
Nachhaltigkeits-Fonds (ESG) Deka-Europa Akt Str € DE0008479247 87,54 83,37 +1,15 +45,23
Dividend R EUR
Fundament RT
€
€
LU0831568729
DE000A1JMPZ7
208,47 198,54
247,06
-1,39
-0,78
+55,29
+56,55 LiLux Convert* € LU0069514817 262,28 254,64 -0,02 +17,94
DekaFonds CF € DE0008474503 131,04 124,49 +1,29 +31,65 Global Conv Bond R € LU0366179009 160,35 152,71 -0,35 +13,32 LiLux-Rent* € LU0083353978 237,00 230,10 -0,13 +12,46
DekaFonds TF € DE000DK2D7T7 304,67 304,67 +1,27 +28,83 Global Quality R € LU0366178969 298,43 284,22 -0,79 +56,50
Deka-Global Bal CF € DE000DK2J8N2 110,99 107,76 +0,20 +11,81 MuAsset-Balanced R € LU0323578145 172,23 164,03 -0,61 +13,26
Deka-Global Bal TF € DE000DK2J8P7 105,88 105,88 +0,20 +10,64 MuAsset-DefensiveR € LU0323577923 138,83 134,79 -0,61 +7,84
Nomura Asset Management Europe
Deka-MegaTrends CF € DE0005152706 131,42 126,67 +1,81 +72,18 MuAsset-Growth R € LU0323578491 200,50 190,95 -0,54 +20,77 Asia Pacific* € DE0008484072 186,90 178,00 +1,38 +31,55
Deka-Na.Div Str CF € DE000DK0V521 128,45 123,81 +0,63 - Multiple Opp II R € LU0952573482 168,74 160,70 -0,53 +26,97 Asian Bonds* € DE0008484429 69,67 67,64 -0,12 +9,26
Deka-Nach Div RhEd € DE000DK0EF98 110,94 106,93 +1,16 +28,34 Multiple Opp R € LU0323578657 307,88 293,22 -0,41 +27,58 Real Protect* € DE0008484452 100,70 98,73 +0,08 +5,46
Deka-Sachwer. CF € DE000DK0EC83 111,52 108,27 +0,34 +13,67 Real Protect R* € DE000A1XDW13 97,61 95,70 +0,07 +4,30
Tel.: 069 / 7147-652 www.deka.de Deka-Sachwer. TF € DE000DK0EC91 105,86 105,86 +0,33 +12,49 Real Return* € DE0008484361 602,17 590,36 -0,47 +9,34
DBA ausgewogen € DE000DK2CFR7 126,32 121,46 -0,40 +6,73 DekaSpezial CF € DE0008474669 541,06 521,50 +1,86 +54,40 Gutmann Kapitalanlage
DBA dynamisch € DE000A2DJVV1 114,11 109,72 -0,17 +8,64 DekaTresor € DE0008474750 87,60 85,46 -0,25 +3,03 PRIME Val Growth T € AT0000803689 156,91 149,43 +0,21 +15,38
DBA konservativ € DE000DK2CFP1 105,59 103,52 -0,56 +0,40 Div.Strateg.CF A € DE000DK2CDS0 191,61 184,68 +0,92 +36,39 Prime Values Inc T € AT0000973029 140,73 136,63 -0,34 +5,78
DBA moderat € DE000DK2CFQ9 116,05 112,67 -0,50 +4,98 DivStrategieEur CF € DE000DK2J6T3 108,61 104,68 +1,62 +36,86
DBA offensiv € DE000DK2CFT3 237,52 226,21 +1,24 +39,27 Euro Potential CF € DE0009786277 195,83 188,75 -1,13 +55,24
DBA Zlstr offensiv € DE000A2DJVW9 123,66 121,24 +1,22 - EuropaBond CF € DE000DK091G0 116,51 113,12 -0,91 +3,75
Deka-BaAZSt off 23 € DE000A2N44K6 106,04 103,96 +0,44 - EuropaBond TF € DE0009771980 41,35 41,35 -0,96 +2,79 am.oddo-bhf.com
Deka-Nach.E.St CF A € LU2206794112 99,91 99,91 +0,15 - Frankf.Sparinrent € DE0008479981 53,26 52,73 -0,43 +5,61
Basis-Fonds I* € DE0008478090 136,97 136,97 +0,17 -1,11
Deka-Nachh ManSel € DE000DK1CJS9 119,34 115,03 -0,50 +12,68 Frankf.Sparinvest € DE0008480732 168,83 160,79 +1,25 +32,64
DC Value One I(t)* € DE000A0YAX64 242,13 242,13 -0,09 +52,72
Deka-NachhAkt CF € LU0703710904 262,23 252,75 +1,64 +58,06 GlobalChampions CF € DE000DK0ECU8 292,63 282,05 +1,28 +63,05 www.hal-privatbank.com
Deka-NachhRent CF A € LU0703711035 130,47 127,29 -0,83 +6,26 DC Value One P(t)* € DE000A0YAX72 224,98 214,27 -0,09 +50,11
GlobalChampions TF € DE000DK0ECV6 256,71 256,71 +1,35 +59,56
Deka-NachStrInv CF € DE000DK2EAD4 142,22 137,08 -0,64 +22,36 ERBA Invest OP € LU0327349527 30,75 29,29 +0,31 -2,64 FT EuroGovernm. M* € DE000A0NEBR5 52,67 51,14 -0,12 -2,64
Mainfr. Strategiekonz. € DE000DK2CE40 183,86 183,86 -0,64 +20,53
Deka-NachStrInv TF € DE000DK2EAE2 132,90 132,90 -0,64 +19,74 H&A Dynamik Plus B € LU0090344473 129,24 123,09 +1,10 +35,33 O.BHF € ShTe Bd FT* € DE0008478124 114,41 113,28 -0,07 -0,12
Mainfr. Wertkonz. ausg. € DE000DK1CHU9 100,08 100,08 -0,29 -1,34
Nachh Dynamisch CF € DE000DK0V6U7 109,94 104,70 +1,11 - H&A Rend. Pl. CI € LU0456037844 118,12 114,13 -1,24 +6,57 O.BHF AlgoGlob CRW* € DE0009772988 96,09 91,51 +0,96 +53,02
Multi Asset In.CFA € DE000DK2J662 92,36 89,67 -0,85 +7,83
Nachh Mlt Asset CF € DE000DK0V5F0 109,25 106,07 +0,09 - H&A SmCap.Eq EMU B € LU0100177426 176,67 168,26 +0,56 +56,56 Substanz-Fonds* € DE000A0NEBQ7 1310 1272 +0,19 +25,16
Multirent-Invest € DE0008479213 33,76 32,78 +0,09 +3,14
Nachh Mlt Asset TF € DE000DK0V5G8 105,15 105,15 +0,08 - MB Fd Max Value € LU0121803570 174,67 166,35 +2,31 +18,52 Vermögens-Fonds* € DE000A0MYEJ6 853,39 828,53 +0,06 +18,88
Multizins-INVEST € DE0009786061 28,62 27,79 +0,83 -1,24
Nachhltg Gl Champ CF € DE000DK0V554 129,60 124,92 +1,32 - MB Fund Flex Plus € LU0230369240 62,80 62,18 -0,30 +3,96
NachSeAkReEdTF € DE0009771907 48,71 48,71 -0,04 +28,54
NachSeAkREd CF € DE000DK0V7B5 98,89 95,32 -0,03 - MB Fund Max Global € LU0230368945 117,78 112,17 +1,65 +41,01
Naspa-Fonds € DE0008480807 42,13 41,10 -0,77 +8,55 ODDO BHF Luxemburg
Naspa-Ak.Gb NachCF € DE0009771956 85,18 82,50 -0,18 +28,74 MB Fund Max Pl € DE000A2N68L3 39,32 39,32 -1,50 -
RenditDeka € DE0008474537 25,08 24,35 -1,06 +6,89 Grand Cru € LU0399641637 192,43 190,52 -0,32 +22,90
Naspa-Ak.Gb NachTF € DE000DK0LNH7 121,41 121,41 -0,19 - MB Fund S Plus € LU0354946856 81,01 77,15 -0,28 -37,10
RenditDeka TF € DE000DK2D640 31,49 31,49 -1,04 +6,44 Grand Cru (CHF) CH LU0580157419 138,85 137,48 -0,32 +22,60
RentenStratGl TF € DE000DK2J6Q9 90,05 90,05 -0,45 +3,51 SMS Ars selecta € LU0118271369 58,45 56,20 +0,34 +26,83
RentenStratGlob CF € DE000DK2J6P1 93,34 90,62 -0,45 +4,68
RentenStratGlob PB € DE000DK2J6R7 92,44 90,63 -0,45 +4,84
RheinEdition Glob. € DE0009786129 39,47 39,47 +2,68 +17,89
Rntfds RheinEdit € DE0008480666 30,49 29,42 -0,44 +5,54
Tel. +41 41 55 20 255, info@ethius-invest.ch, www.ethius-invest.ch Rntfds RheinEdit oA € DE0009771915 30,26 30,26 -0,49 +4,67 www.heemann.org
Technologie CF € DE0005152623 69,10 66,60 +2,04 +91,22
Technologie TF € DE0005152631 53,33 53,33 +2,07 +86,03 FU Bonds Monthly* € LU1960394903 101,23 98,28 -0,04 -
ETH Global Impact* € DE000A2QCXY8 105,73 105,73 +0,75 - FU Dachfonds* € LU1564460761 29,53 29,53 +1,79 +25,84 Tel.: 069 58998-6060
UmweltInvest CF € DE000DK0ECS2 216,67 208,84 +0,56 +78,13 www.union-investment.de
UmweltInvest TF € DE000DK0ECT0 187,76 187,76 +0,55 +74,32 FU Multi Asset P* € LU0368998240 259,63 259,63 +1,02 +32,64
Weltzins-Invest P € DE000A1CXYM9 22,68 22,02 +0,82 +2,88 PrivFd:Kontr.* € DE000A0RPAM5 134,64 134,64 +0,22 +8,91
PrivFd:Kontr.pro* € DE000A0RPAN3 174,91 174,91 +0,64 +26,65
Uni21.Jahrh.-net-* € DE0009757872 45,56 45,56 +1,11 +54,32
Deka International (Lux) UniDeutschl. XS* € DE0009750497 213,81 205,59 +2,18 +41,26
1822 Str.Cha.Pl. € LU0151488458 148,42 142,71 +1,00 +31,66 UniEuroAktien* € DE0009757740 93,61 89,15 +2,31 +44,76
ÖkoVision Classic € LU0061928585 249,17 237,30 +0,02 +41,15
1822 Str.Chance € LU0151488029 96,46 93,20 +0,17 +23,28 UniEuropa-net-* € DE0009750232 89,79 89,79 +1,42 +48,45
Klima € LU0301152442 120,06 114,34 +0,53 +71,54 www.hwb-fonds.com | info@hwb-fonds.com
Water For Life C € LU0332822492 224,33 213,65 -0,74 +34,82 1822 Str.Ert.Pl. € LU0151486320 46,52 45,39 -0,85 -3,01 UniEuroRenta* € DE0008491069 65,20 63,30 -0,55 -1,75
1822 Str.Wachstum € LU0151487302 52,27 50,75 -0,63 -3,18 Tel +49 651 1704 301 | +352 48 30 48 30 UniEuroRentaHigh Y* € DE0009757831 35,50 34,47 -0,26 +9,15
Öko Rock‘n‘Roll € LU0380798750 176,84 168,42 -1,57 +24,51
Growing Mkts 2.0 € LU0800346016 268,61 255,82 -0,35 +74,15 1822-Struk. Ertrag € LU0224663640 41,58 40,76 -0,68 -5,29 HWB Alex.Str.Ptf R* € LU0322055855 79,34 75,56 +0,19 +9,86 UniFav.:Akt. -net-* € DE0008007519 129,10 129,10 +0,84 +51,75
Berol.Ca.Chance € LU0096429435 67,34 65,38 +0,31 +23,17 HWB Alex.Str.Ptf V* € LU0322055426 79,37 75,59 +0,20 +9,84 Unifavorit: Aktien* € DE0008477076 214,71 204,49 +0,84 +53,34
Union Investment Berol.Ca.Premium € LU0096429609 88,99 85,98 +0,84 +38,25 HWB DfdsV.V.Vici R* € LU0322916437 58,84 57,13 +0,14 +10,65 UniFonds* € DE0008491002 67,47 64,26 +2,42 +42,38
PrivatFonds: Nachh* € LU1900195949 55,50 55,50 +0,13 +9,82 Berol.Ca.Sicherh. € LU0096428973 43,63 42,57 -0,61 +0,87 HWB DfdsV.V.Vici V* € LU0322915462 58,83 57,12 +0,12 +10,65 UniFonds-net-* € DE0009750208 94,33 94,33 +2,40 +37,55
UniNachh AkEu A* € LU0090707612 69,45 66,14 +2,72 +52,11 Berol.Ca.Wachst. € LU0096429351 41,15 40,05 -0,32 +0,20 HWB Europe Pf.* € LU0119626884 4,54 4,32 +0,23 +3,59 UniGlobal* € DE0008491051 359,79 342,66 +0,75 +71,72
UniNachh AkEu netA* € LU0096427496 55,64 55,64 +2,71 +50,73 DekaEuAktSpezAV € LU1508335152 141,65 141,65 +0,45 +36,18 HWB Glb.Conv.Plus* € LU0219189544 91,97 89,29 -0,26 +0,74 UniGlobal-net-* € DE0009750273 206,40 206,40 +0,75 +68,73
UniNachh Akt Glob* € DE000A2N7V22 134,78 134,78 +0,69 - DekaEuAktSpezCF(A) € LU0835598458 207,11 199,62 +0,45 +35,81 HWB Inter.Pf.* € LU0119626454 4,73 4,50 +0,22 +9,95 UniNordamerika* € DE0009750075 507,26 483,10 +0,39 +71,18
UniNachh AktDeu nA* € DE000A2QFXN4 96,85 96,85 +2,45 - Deka-EuropaVal.TF € LU0100186849 57,83 57,83 +0,96 +33,24 HWB Pf. Plus R* € LU0277940762 101,98 97,12 +0,08 +22,13 UnionGeldmarktfds* € DE0009750133 47,47 47,47 -0,02 -1,55
UniNachh AktDeut A* € DE0009750117 262,22 249,73 +2,45 +38,26 Deka-FlexZins CF € LU0249486092 962,23 957,44 -0,11 -0,11 HWB Pf. Plus V* € LU0173899633 101,99 97,13 +0,08 +22,19 UniRak* € DE0008491044 150,41 146,03 +0,29 +30,96
UniNachhaltig A Gl* € DE000A0M80G4 156,38 148,93 +0,71 +61,37 Deka-FlexZins PB € LU0475811682 964,20 964,20 -0,11 -0,14 HWB Vict.Str.Pf. R* € LU0277941570 1307 1245 +0,21 +13,62 UniRak Kons.-net-A* € DE000A1C81D8 122,07 122,07 +0,43 +14,78
UniRak Na.Kon. A* € LU1572731245 118,01 115,70 -0,52 +16,46 Deka-FlexZins TF € LU0268059614 959,05 959,05 -0,11 -0,20 HWB Vict.Str.Pf. V* € LU0141062942 1308 1246 +0,20 +13,61 UniRak Konserva A* € DE000A1C81C0 126,57 124,09 +0,44 +15,99
UniRak Nach.K-net-* € LU1572731591 115,31 115,31 -0,53 +15,25 DekaGlobAktLRCF(A) € LU0851806900 224,16 216,06 -1,39 +31,50 HWB Wdelan + R* € LU0277940929 50,95 49,47 +0,06 +4,41 UniRak -net-* € DE0005314462 78,52 78,52 +0,28 +29,59
UniRak Nachh.A net* € LU0718558728 94,04 94,04 ±0,00 +31,37 Deka-Indust 4.0 CF € LU1508359509 193,08 186,10 +3,11 +50,38 HWB Wdelan + V* € LU0254656522 51,47 49,97 +0,06 +5,42 UniRenta* € DE0008491028 19,34 18,78 -0,84 +3,34
UniRak NachhaltigA* € LU0718558488 99,84 96,93 ±0,00 +32,77 Deka-Indust 4.0 TF € LU1508360002 179,45 179,45 +3,11 +47,17 UniStrat: Ausgew.* € DE0005314116 73,53 71,39 +0,56 +20,30
UniZukunft Klima A* € DE000A2QFXR5 47,76 46,82 +0,24 - Deka-Mul Asset Ert € LU1508354294 97,43 96,47 -0,62 -0,75 UniStrat: Konserv.* € DE0005314108 74,83 72,65 +0,15 +8,69
UniZukunft Kli-neA* € DE000A2QFXS3 47,72 47,72 +0,23 - HMI Chance € LU0194947726 77,95 75,68 +0,93 +37,76 IPConcept (Luxembourg) S.A.
HMI Chance+ € LU0213544652 80,41 77,69 +0,96 +48,62 ME Fonds PERGAMONF € LU0179077945 945,50 900,48 +0,51 +46,08
HMI Ertrag+ € LU0194942768 37,44 36,71 -0,14 -3,61 ME Fonds Special V € LU0150613833 3530 3362 +0,21 +34,86 Union Investment Luxemburg
HMI Wachstum € LU0194946595 43,74 42,67 +0,21 -1,09 PrivFd:Konseq.pro* € LU0493584741 105,18 105,18 +0,14 -4,63
Köln Str.Chance € LU0101437480 69,95 68,58 +0,62 +21,75 UniAsia Pac.net* € LU0100938306 160,36 160,36 +2,25 +26,53
Köln Str.Ertrag € LU0101436672 44,73 43,85 -0,77 -0,60 UniAsia Pacific A* € LU0100937670 163,44 157,15 +2,25 +27,87
Alte Leipziger Trust Köln Str.Wachstum € LU0101437217 43,42 42,57 -0,44 -0,60 UniAusschü. net- A* € LU1390462262 51,76 51,76 -0,73 +18,27
€uro Short Term € DE0008471699 42,38 41,96 -0,66 -1,26 KölnStr.Chance+ € LU0117172097 63,42 62,18 +1,20 +33,77 UniAusschüttung A* € LU1390462189 52,61 51,08 -0,72 +19,35
Aktien Deutschland € DE0008471608 132,83 126,50 +0,55 +28,36 UnterStrat Eu CF € LU1876154029 193,89 186,88 -0,74 - UniDividAss net A* € LU0186860663 62,76 62,76 +2,78 +36,66
info@LBBW-AM.de www.LBBW-AM.de UniDividendenAss A* € LU0186860408 66,11 63,57 +2,78 +38,09
AL Trust €uro Relax € DE0008471798 54,86 53,26 -0,86 +8,46
AL Trust Stab. € DE000A0H0PF4 68,99 66,98 -0,49 +13,49 Div. Str. Eurol. R* € DE0009780411 41,98 39,98 +2,57 +3,41 UniDyn.Europa A* € LU0085167236 138,13 132,82 +1,99 +56,50
Deka Immobilien Investment UniDynamic Gl. A* € LU0089558679 104,60 100,58 -0,06 +83,09
AL Trust Wachst IT € DE000A2PWPE6 66,33 66,33 +0,15 - Multi Global R* € DE0009766881 110,11 106,90 -0,68 +10,12
AL Trust Wachstum € DE000A0H0PG2 88,92 85,50 +0,13 +23,55 Deka Immob Europa € DE0009809566 49,08 46,63 +0,04 +8,36 RentaMax R* € DE0005326144 70,34 67,96 -0,40 +2,15 UniEMGlobal* € LU0115904467 108,97 103,78 +3,04 +18,86
Trust €uRen IT € DE000A2PWPA4 48,50 48,50 -1,96 - Deka Immob Global € DE0007483612 57,24 54,38 +0,04 +4,75 Rohstoffe 1 R* € DE000A0NAUG6 43,42 41,35 +0,90 +33,14 UniEurKap Corp-A* € LU0168092178 36,74 36,02 -0,03 +1,18
Trust €uro Renten € DE0008471616 45,05 43,74 -1,97 -0,23 Deka-Immo Nordam $ DE000DK0LLA6 57,06 55,00 +0,07 +6,58 RS Flex R* € DE000A14XPW0 63,31 61,17 +0,86 +32,32 UniEurKap.Co.net A* € LU0168093226 36,66 36,66 -0,03 +0,27
Trust Akt Europa € DE0008471764 56,32 53,64 +0,39 +25,85 Deka-ImmoMetropol € DE000DK0TWX8 53,68 51,00 -1,14 - UniEuropa* € LU0047060487 2842 2707 +1,44 +48,79
Trust Chance € DE000A0H0PH0 101,46 96,63 +0,71 +33,60 WestInv. InterSel. € DE0009801423 50,14 47,63 +0,08 +7,63 UniGlobal Div A* € LU1570401114 135,94 129,47 +1,66 +38,40
Trust Chance IT € DE000A2PWPC0 75,96 75,96 +0,73 - LRI Invest S.A. UniGlobal Div-netA* € LU1570401544 127,75 127,75 +1,66 +37,35
Trust Glb Inv IT € DE000A2PWPB2 77,74 77,74 +1,91 - ALTIS Bal Value* € LU0142612901 94,99 90,47 +1,12 +24,23 UniIndustrie 4.0A* € LU1772413420 79,46 76,40 +1,11 +71,55
Trust Glbl Invest € DE0008471715 124,20 118,29 +1,91 +40,58 Deka-Vermögensmanagement GmbH
ALTIS Global Res* € LU0188358195 171,60 163,43 +2,04 +26,48 UniOpti4* € LU0262776809 96,31 96,31 ±0,00 -1,18
Trust Stab IT € DE000A2PWPD8 58,27 58,27 -0,48 - Deka-MM ausgew CF € DE000DK2J8Q5 119,07 115,32 -0,78 +12,90 M&W Privat C* € LU0275832706 155,22 149,25 +2,98 +44,31 UniSec. BioPha.* € LU0101441086 159,54 153,40 +0,30 +39,25
Deka-MM defensiv CF € DE000DK2J8R3 118,41 114,96 -0,74 +13,34 NW Global Strategy* € LU0303177777 100,63 95,84 -0,05 +30,84 UniSec. High Tech.* € LU0101441672 189,80 182,50 +1,02 +99,32
Deka-PfSel ausgew € DE000A2N44B5 113,01 109,72 -0,03 - UniStruktur* € LU1529950914 110,97 107,74 +0,59 +11,36
Deka-PfSel dynam € DE000A2N44D1 121,62 118,08 +0,46 - UniVa. Global A* € LU0126315885 152,21 146,36 +1,75 +53,50
Deka-PfSel moderat € DE000A2N44C3 104,11 102,07 -0,34 -
DekaStruk.5Chance € DE000DK1CJP5 195,61 191,77 +0,28 +26,17
DekaStruk.5Chance+ € DE000DK1CJQ3 318,88 312,63 +1,04 +37,30 Union Invest Real Estate
www.ampega.de DekaStruk.5Ertrag € DE000DK1CJL4 96,90 95,00 -0,31 -3,20 UniImmo:Dt.* € DE0009805507 98,63 93,93 +0,02 +7,44
terrAss Akt I AMI € DE0009847343 46,92 44,90 -0,42 +64,32 DekaStruk.5Ertrag+ € DE000DK1CJM2 100,22 98,25 -0,81 -1,55 Telefon (0251) 702 49 www.lvm.de UniImmo:Europa* € DE0009805515 56,77 54,07 +0,04 +5,76
Zan.Gl.Cred AMI Ia* € DE000A1J3AJ9 109,33 109,33 -0,34 +12,16 DekaStruk.5Wachst. € DE000DK1CJN0 105,17 103,11 -0,63 -2,24 UniImmo:Global* € DE0009805556 51,52 49,07 +0,02 +0,98
Hamb Stiftung D € DE000DK0LJ38 998,94 979,35 -0,41 +9,27 Euro-Kurzläufer* € IE0000641252 28,87 28,78 +0,03 +0,28
Zantke Eu.HY AMI Ia* € DE000A0YAX49 120,31 120,31 -0,22 +4,80
Hamb Stiftung I € DE000A0YCK34 913,12 895,22 -0,41 +9,17 Europa-Aktien* € IE0000663926 30,79 29,25 +3,32 +38,47
Hamb Stiftung P € DE000A0YCK42 91,69 88,16 -0,42 +8,11 Euro-Renten* € IE0000663256 36,40 35,31 -0,90 +0,17 Universal Lux.
BNP Paribas Real Estate Hamb Stiftung T € DE000A0YCK26 117,68 113,15 -0,42 +8,11 Inter-Aktien* € IE0000664338 41,59 39,51 +0,71 +66,43
CondorBalance-UI* € LU0112268841 100,77 95,97 +0,47 +22,89
BNP Pa MacStone P € DE000A2DP6Y8 26,94 25,66 +0,04 - Haspa TrendKonz P € LU0382196771 94,93 91,28 -0,34 +0,06 Inter-Renten* € IE0000663470 33,44 32,44 -0,76 -2,39
ProBasis* € IE00B13XV652 31,44 30,34 +0,40 +9,12 CondorChance-UI* € LU0112269146 99,76 95,01 +1,89 +50,39
INTER ImmoProfil € DE0009820068 60,92 58,02 +0,02 +9,09 Haspa TrendKonz V € LU1709333386 100,93 97,05 -0,33 +1,26 CondorTrends-UI* € LU0112269492 107,39 102,28 +2,72 +46,14
LBBW Bal. CR 20 € LU0097711666 46,98 46,06 -0,54 +10,21 ProFutur* € IE0000663694 36,45 35,17 +2,33 +29,03
LBBW Bal. CR 40 € LU0097712045 54,74 53,67 -0,30 +17,07
LBBW Bal. CR 75 € LU0097712474 71,21 69,81 +0,40 +31,73 W&W Int. Asset Mgmt. Dublin
Naspa Str.Chan.Pl. € LU0202181771 130,06 127,51 +0,60 +31,22 SouthEast Asian Eq* € IE0002096034 138,11 +2,23 +20,61
Naspa Str.Chance € LU0104457105 62,61 61,38 +0,28 +22,91
Naspa Str.Ertrag € LU0104455588 47,10 46,18 -0,54 -1,60
PB Balanced € DE0008006263 58,96 56,15 -0,92 +7,39 Naspa Str.Wachstum € LU0104456800 45,78 44,88 -0,20 -2,41 Warburg Invest
PB Europa* € DE0009770289 57,99 55,23 +1,83 +31,62 www.meag.com privatanleger@meag.com
Priv BaPrem Chance € DE0005320022 161,48 152,34 +0,24 +38,18 DMüller Prem Akt € € DE000A111ZF1 93,74 90,13 -0,60 -10,49
PB Eurorent € DE0008006255 55,58 53,96 -0,95 +0,35 Dividende A* € DE000A1W18W8 62,71 59,72 +2,40 +29,27
PB Megatrend € DE0005317374 183,81 175,06 +0,20 +74,41 Priv BaPrem Ertrag € DE0005320030 50,73 48,78 -0,69 -0,21
EM Rent Nachh.* € DE000A1144X4 47,93 46,09 -0,82 +1,81
PB Triselect € DE0009770370 51,17 48,73 -0,18 +14,43 Sonstige
ERGO Vermög Ausgew* € DE000A2ARYT8 60,20 57,61 +0,80 +18,95
DWS ERGO Vermög Flexi* € DE000A2ARYP6 62,52 59,54 +1,07 +25,79 Leading Cities € DE0006791825 112,17 106,32 +0,03 +8,62
C&P Funds (Creutz & Partners) Offene Immobilienfonds
ERGO Vermög Robust* € DE000A2ARYR2 54,09 52,01 +0,21 +7,08
C&P Funds ClassiX* € LU0113798341 78,20 75,19 +0,82 +37,72 EuroBalance* € DE0009757450 63,76 61,31 +0,79 +22,48
grundb. europa IC: € DE000A0NDW81 41,70 39,71 -0,18 +8,20
C&P Funds QuantiX* € LU0357633683 153,45 147,55 +1,19 +34,82 EuroCorpRent A* € DE000A1W1825 55,63 53,75 -0,56 +0,95
grundb. europa RC € DE0009807008 41,62 39,64 -0,20 +6,60
EuroErtrag* € DE0009782730 72,66 70,20 +0,24 +10,53
grundb. Fok Deu RC € DE0009807081 56,24 53,56 -0,07 +7,32
EuroFlex* € DE0009757484 42,89 42,47 -0,05 -0,19 * Fondspreise etc. vom Vortag oder letzt verfügbar; Währung: € = Euro, $ = US-Dollar, ¥ =
Commerz Real grundb. Fokus D IC: € DE0009807099 56,65 53,95 -0,07 +11,33
EuroInvest A* € DE0009754333 106,55 101,48 +3,17 +34,56 Yen, £ = Brit. Pfund, CH = Schweizer Franken,PL = Polnische Zloty. Alle Angaben ohne Ge-
grundb. global IC: € DE000A0NCT95 55,48 52,84 -0,02 +8,74
hausInvest € DE0009807016 45,39 43,23 ±0,00 +6,66 EuroKapital* € DE0009757468 55,56 52,91 +1,03 +31,78 währ, keine Anlageberatung und -empfehlung.
grundb. global RC € DE0009807057 55,03 52,41 -0,04 +7,30
EuroRent A* € DE0009757443 30,68 29,64 -0,70 +0,41
FairReturn A* € DE000A0RFJ25 56,70 55,05 -0,02 +3,19 Alle Fonds mit weiteren Informationen auf http://fonds.welt.de/
DAVIS FUNDS SICAV GlobalBalance DF* € DE0009782763 74,97 72,09 +1,08 +23,59
Global A* $ LU0067889476 52,15 49,15 +2,98 +40,21 GlobalChance DF* € DE0009782789 77,89 74,18 +1,46 +33,74
Value Fund A* $ LU0067888072 79,21 74,66 +2,06 +51,82 Nachhaltigkeit A* € DE0001619997 144,19 137,32 +0,82 +49,00
ProInvest* € DE0009754119 213,47 203,30 +2,38 +32,42
www.ethenea.com, Telefon 00352-276921-10 VermAnlage Komfort* € DE000A1JJJP7 63,07 60,94 +0,43 +7,68
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Ethna-AKTIV A € LU0136412771 138,45 134,42 -0,57 +10,35
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Aktfds RheinEdit P € DE0008480674 65,25 61,99 +1,27 +40,36 Ethna-DYNAMISCH T € LU0455735596 96,89 92,28 +0,59 +17,18 RWS-ERTRAG A* € DE0009763375 16,07 15,60 +0,32 +6,20

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38 FINANZEN WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022

GROSSE GRAFIK LEHRERMANGEL

Hier arbeiten Deutschlands Lehrer Trend zu höherer Qualifikation

Schöngerechnet So verteilten sich die Lehrkräfte im Schuljahr 2020/21 Anzahl der Schulabsolventen nach Abschluss

E
Grundschulen 320.000
237.828
Gymnasien 300.000
201.531
ine Fehleinschätzung droht der in der VBE-Studie zitierten Szenarien Integrierte Gesamtschulen 280.000
Kultusministerkonferenz entstünden, so die Kultusminister. Bei- 104.706
260.000
(KMK) – und damit dem Schul- spielsweise die Annahme, dass bald alle Förderschulen
76.575 allgemeine 247.236
system – zum Verhängnis zu werden. Grundschüler Rechtsanspruch auf Realschulen
240.000
Hochschulreife
Dem für Bildungspolitik zuständigen Ganztagsbetreuung hätten oder die 62.346 220.000
Gremium ist der Lehrermangel zwar schulische Inklusion von Menschen Schulen mit mehreren Bildungsgängen
bewusst: 14.000 Lehrkräfte würden mit Behinderung ausgebaut werde. 49.203 200.000
nach Angaben der Konferenz im Jahr Solche Szenarien, die Bildungsforscher Hauptschulen
31.566 180.000
2030 an deutschen Schulen fehlen. Das Klemm berücksichtigt, sind in der Schulartunabhängige Orientierungsstufe 160.000
allein ist Grund zur Sorge. Doch eine KMK-Prognose nicht zu finden – meist 9249
neue Studie des Verbands Bildung und weil sie in den jeweiligen Bundeslän- Freie Waldorfschulen 140.000
9153
Erziehung (VBE) geht von weit drama- dern formal noch nicht beschlossen 120.000
Schulkindergärten
tischeren Zahlen aus. Demnach wer- wurden. 3099 Hauptschulabschluss 123.687
den 2030 sogar 81.000 Lehrer fehlen – Klemm hält diese Veränderungen al- Abendgymnasien 2000 2020
also fast sechsmal so viele, wie von der lerdings für sehr wahrscheinlich. „Mei- 1461
Kultusministerkonferenz prognosti- ne Enkelkinder werden den Mangel Kollegs
1443
ziert. In den MINT-Fächern (Ma- ausbaden müssen“, sagte der 80-Jähri- Gesamtschulen werden gefragter
Abendrealschulen
thematik, Informatik, Naturwissen- ge. Der Bildungsexperte und die Leh- 1026 Anzahl der Einrichtungen, nach Schulart
schaften und Technik) könne nur etwa rergewerkschaft fordern sofortiges Vorklassen
jede dritte Stelle besetzt werden. Handeln. „Mehr junge Menschen für 780 5000
Der Studienautor, der renommierte das Lehramtsstudium zu gewinnen ist Abendhauptschulen Haupt-
48
Bildungsforscher Klaus Klemm, wirft eine der großen Herausforderungen Keine Zuordnung möglich
schulen
4000
der KMK unseriöse Berechnungen vor. unserer Zeit“, heißt es beim Verband 591
„Die Bundesländer liefern Zahlen, die Bildung und Erziehung. So müssten 81.000 Gymnasien 3146
kaum verwertbar sind. Das ist keine Quereinsteiger besser qualifiziert, Die drohende prognostizierter 3000
ehrliche Bilanz“, sagte er WELT AM mehr Anreize für den Beruf geschaffen Lücke Mangel
SONNTAG. Böswilligkeit wolle er aber und die hohe Abbrecherquote in den im Jahr 2030 Realschulen
2141
nicht unterstellen. „Bei den Berech- Universitäten gesenkt werden. Noch Zahl der 2000
Lehrkräfte an
790.605 (Quelle: VBE)
1818
nungen wird nichts verschleiert. Ich ist die Nachfrage nach Lehramtsstudi- im Schuljahr Integrierte
habe eher den Eindruck, dass man es enplätzen hoch. Doch die Zahl der allgemein- 2020/21 Gesamtschulen 1752
bildenden 1000
einfach nicht geregelt bekommt und Schüler sinkt seit der Jahrtausendwen-
Schulen
wider besseres Wissen Zahlen veröf- de leicht – was vor allem an der Gebur-
fentlicht.“ tenrate liegt. Einen Ausreißer nach 0
Die KMK-Prognose geht davon aus, oben gab es im Zuge der Flüchtlingsbe- 2002
02 2020
dass zwischen 2020 und 2030 knapp wegung 2015. Nach Angaben des Statis-
350.000 neue Lehrkräfte die Universi- tischen Bundesamts gab es 10,91 Millio- hule
ive zur Regelsc
täten verlassen. Klemm sagt, dass es nen Schüler im Schuljahr 2020/21. Alterna
t hulen
mindestens 60.000 weniger sein wür- Was hingegen dafür sprechen könn- aldorfsc
er W
Anzahl d
den. Der Grund: Die Zahl der Schulab- te, dass künftig mehr Schulabgänger
solventen sinke aktuell ebenso wie die ein Lehramtsstudium beginnen, ist die
Zahl der Studierenden. Die Länder hin- Entwicklung beim Abitur. Zwar sinkt 236
gegen würden einfach die Zahlen des die Zahl der Abschlüsse der allgemei-
jeweiligen Vorjahres fortschreiben – nen Hochschulreife – was an der 176
den Nachwuchsmangel also massiv un- schrumpfenden Schülerzahl generell
terschätzen. liegt. Doch laut der Industrieländeror- 2020
Die KMK will das nicht auf sich sit- ganisation OECD schafft mittlerweile 2002
zen lassen – doch ihre Begründung mehr als jeder zweite Schüler in
kann Klemms Vorwurf nicht völlig ent- Deutschland das Abi. Und viele Prog-
kräften. Die Lücke von 81.000 Lehrern nosen gehen von einem weiteren An- Getty Images; Infografik: Paul Daniel, Karin Sturm
Quellen: Statista, VBE, Klaus Klemm, eigene Recherche
würde sich nur dann auftun, wenn die stieg aus. JAN KLAUTH

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ist eine Kooperation von WELT AM SONNTAG und ars mundi – Edition Max Büchner GmbH, Bödekerstr. 13, 30161 Hannover. Änderungen, Irrtümer und Druckfehler vorbehalten.

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IMMOBILIEN
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022 SEITE 39

Pflege als Investment

HAUSRAT

VON MICHAEL FABRICIUS

Der Bedarf an Betreuungsplätzen für Ältere wächst. Hedgefonds

Davon können auch private Kapitalanleger profitieren. statt Bauholz
Doch der Kauf eines Pflege-Apartments
ist nicht ohne Tücken Im vergangenen Jahr sind die Bau-
preise um sechs Prozent gestiegen.
Das war der stärkste Anstieg seit
über 20 Jahren, wie der Zentralver-
band des Deutschen Baugewerbes
feststellt. Bei Kunst- und Dämmstof-
fen waren es 30 bis 40 Prozent, bei
Stahl 70 Prozent. Auch Bauholz ist
immer noch 89 Prozent teurer als
vor der Pandemie. Und in diesem

s klingt fast zu schön, um
wahr zu sein: eine Kapital-
anlage, die mit keinerlei
Aufwand verbunden ist,
praktisch kein Risiko birgt
und trotzdem eine Rendite von mehr
als drei Prozent pro Jahr verspricht.
Wer möchte da nicht zugreifen in Zei-
ten, in denen Banken größere Sparein-
lagen kaum verzinsen und gleichzeitig
die Chancen an den Aktienmärkten
durchwachsen sind?
VON CHRISTIAN HUNZIKER
Die Rede ist von Pflege-Apartments,
die zahlreiche Anbieter als sichere, risi-
kolose und trotzdem renditeträchtige
Investition bewerben. Zum Verkauf ste-
hen Zimmer in Pflegeheimen, die nach
dem Wohneigentumsgesetz in einzelne
Einheiten aufgeteilt sind.
Die Preise beginnen in der Regel bei
ungefähr 150.000 Euro. Anders als bei
Eigentumswohnungen müssen sich Pri-
vatanleger nicht um Vermietung und
Verwaltung kümmern, da Pflegeheime
als Ganzes langfristig an spezialisierte
Betreiber verpachtet werden. Deshalb,
so das Versprechen der Anbieter, flös-
sen die Mieteinnahmen auf jeden Fall –
sogar dann, wenn das Apartment gar
nicht belegt sei.
Als weiteres Argument wird die de-
mografische Entwicklung angeführt,
die dazu führe, dass die Nachfrage nach
Pflege-Apartments langfristig gesichert
sei. Tatsächlich steigt die Zahl pflegebe-
GETTYIMAGES
Jahr geht die Baupreisrally weiter –
laut Zentralverband mit noch einmal
vier Prozent Preisanstieg.
Man fragt sich, wo die sonst so raf-
finierten Konstrukteure von Hedge-
Baulücke bei Pflegeheimen dürftiger Menschen und damit auch der Vorsicht. „Pflege-Apartments sind kei- und Indexfonds bleiben. Schließlich
Plätze für Pflegebedürftige bis 2040,
Bedarf an Pflegeplätzen. In welchem ne Rundum-sorglos-Immobilie“, betont lässt sich für jedes wirtschaftliche
Durchschnitt, Prognose
Umfang, ist allerdings umstritten. Eine Markus Bienentreu, Geschäftsführer Gut und dessen Preis ein Anlagepro-
Studie, die die Beratungsgesellschaft der auf Seniorenimmobilien speziali- dukt zimmern. Gäbe es einen Poly-
Lücke Bulwiengesa kürzlich vorgelegt hat, be- sierten Beratungsgesellschaft Terranus. styrol-Indexfonds „EPX tracker 2.0“,
168.000 ziffert den Bedarf an zusätzlichen Pfle- „Natürlich kann etwas schiefgehen.“ der den Styroporpreis nachbildet,
geplätzen bis zum Jahr 2040 auf könnten Bauherren diesen kaufen
Bedarf * 472.000 472.000. Auf lediglich 185.000 zusätzli- RISIKOFAKTOR 1: und den Preisanstieg abfedern, wäh-
che Plätze kommt hingegen eine Unter- DIE PÄCHTER rend sie darauf warten, dass die Bau-
Geplant suchung der Beratungsgesellschaft Pflegeheime sind langfristig – in der firma fertig wird. Für Wasserleitun-
und Wüest Partner. Regel für 20 Jahre – an Betreiber ver- gen könnte man einen „Rohr Shares
im Bau** „Als erstklassige Alternative zu Le- pachtet. „Niemand kann garantieren, FX“ auflegen, für das Mauerwerk
304.000 bens-/Rentenversicherung, Fonds oder dass der 20-jährige Mietvertrag tat- den „Poroton Future Security Soluti-
*inklusive Sanierung anderen Niedrigzinsanlagen bringt Ih- sächlich eingehalten wird“, gibt Bie- ons“. Vielleicht wäre es sogar am
und Bereitstellung von nen die Pflegeimmobilie höhere Erträge nentreu zu bedenken. „Eine zu hohe besten, wenn man einfach nur noch
100.000 Plätzen in
bestehenden Heimen, bei gleichzeitiger Sicherheit“, schreibt Miete oder Personalknappheit kann in Bau-ETFs investiert und das Haus
**pro Jahr ca 16.000 ein Vermarkter von Pflege-Apartments den Betreiber in Schwierigkeiten brin- gleich ganz weglässt. Dann hätte
Plätze auf seiner Internetseite. Doch stimmt man auch gleich das Risiko fallender
FORTSETZUNG AUF SEITE 41
Quelle: Bulwiengesa
das tatsächlich? Experten mahnen zur Immobilienpreise ausgeschaltet.

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auf Fliesen, Armaturen, Haus-
haltsgeräten wie auch in Hei-
zungs- und Rohrsystemen. Eine
Enthärtungsanlage schafft Ab-
hilfe und ist eine Investition, die
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Reinigungsaufwand wird deut-
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Fenster, die perfekt abdich- tenreichen Helferlein aus Sim- – schon im Kleinen lässt sich
ten und beim Energiesparen mersfeld im Schwarzwald pas- dagegen etwas tun.
helfen – es gibt verschie- sen exakt zu jeder möglichen Laut einer Umfrage des Bundes-
dene Möglichkeiten, eine Fensterform und kommen ih- verbands der Energie- und Was-
in die Jahre gekommene ren Aufgaben zuverlässig nach. serwirtschaft (BDEW) würden
Hausfassade aufzupeppen. Dazu zählt einerseits, Sonnen- rund 81 Prozent der Befragten
Auch die Beschattung beein- strahlen abzublocken, bevor sie im Haushalt Energie sparen, drei
flusst das Gesamtbild – und einen Hitzestau verursachen Viertel würden saisonale und re- oder gar recycelten Materiali-
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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG NR. 7 IMMOBILIEN 41

Pflege als Investment IMMOBILIE DER WOCHE ANZEIGE

FORTSETZUNG VON SEITE 39 hen, sollten darauf achten, dass eine verlangt – die Rendite schrumpft auf
ausreichend hohe Instandhaltungs- drei Prozent.
gen.“ Falls der Betreiber ausfalle, ge- rücklage gebildet wird. Terranus-Ex- Das Geld ist dann häufig für mindes-
linge es zwar möglicherweise, einen perte Bienentreu hält dafür bei einem tens zehn Jahre gebunden. Einen
Nachfolger oder einen Interimsmana- neu errichteten Pflegeheim einen Be- Zweitmarkt, so wie früher bei ge-
ger zu finden. Denkbar sei aber, dass trag von sieben bis zehn Euro pro Qua- schlossenen Fonds, gibt es nicht. Man
dieser eine niedrigere Miete bezahle. dratmeter und Jahr für angemessen. kann also keine Pflegeheim-Anteile
„Im Extremfall“, sagt Bienentreu, „Nach 15 bis 20 Jahren kommen erfah- handeln. Der Kauf eines Pflege-Apart-
„droht dem Kapitalanleger der Total- rungsgemäß größere Instandhaltungs- ments sei also eher etwas „für einen
ausfall.“ maßnahmen beispielsweise an Hei- Anleger, der sein Geld längere Zeit
Diese Bedenken sind nicht unbe- zung, Aufzug oder Fassade auf die Ei- nicht braucht“, sagt Markus Bienen-
gründet. Betreiber von Pflegeheimen gentümer zu“, gibt er zu bedenken. treu von Terranus. Zu einem ähnlichen
berichten, dass sie mancherorts ihre „Wenn dann der Instandhaltungstopf Schluss kam auch die Stiftung Waren-
Einrichtungen nicht voll belegen kön- nicht gut gefüllt ist, müssen die Eigen- test: Wegen der Risiken eigneten sich
nen – nicht etwa, weil es an Nachfrage tümer damit rechnen, eine Sonderum- Pflege-Apartments „allenfalls für Anle-
mangelt, sondern weil das Personal lage bezahlen ger, die bereits über
fehlt. Und auch die wirtschaftliche La- zu müssen.“ Da- ein breit gestreutes
ge der Betreiber ist bei Weitem nicht bei kann es „WIE SOLL DAS Vermögen verfügen
so gut, wie man angesichts der Alte- schnell um Tau- und einen Teil in
rung der Bevölkerung erwarten könn- sende Euro ge- GEHEN, MIT Spezialimmobilien
80 EIGENTÜMERN?“
te: Laut einer Ende 2021 veröffentlich- hen. investieren möch-
ten Studie des RWI Leibniz-Instituts Auch die zu- ten“.
für Wirtschaftsforschung hat sich die nächst vorteil- Für diejenigen, die
JENS NAGEL, Geschäftsführer von
Lage der deutschen Pflegeheime seit hafte Kleintei- zwar vom Potenzial
Hemsö, zur fehlenden Flexibilität bei
dem Jahr 2016 stetig verschlechtert. ligkeit in der Ei- von Pflegeheimen
Umbau-Wünschen im Pflegeheim
Den letzten verfügbaren Zahlen zufol- gentümerstruk- überzeugt sind, aber
ge schrieben 2019 gut 26 Prozent der tur kann ein nicht gleich alles auf
Heime einen Jahresverlust; für rund
20 Prozent bestand sogar erhöhte In-
solvenzgefahr.
Problem sein – nämlich wenn sich die eine Karte setzen möchten, gibt es
Bedürfnisse der Menschen ändern und noch andere Möglichkeiten. Wer gut
der Markt andere Räume nachfragt. bei Kasse ist, kann eine Beteiligung an
OSTSEERESORT OLPENITZ –
„Grundsätzlich ist jede Investition, Dann müsste man eigentlich umbauen einem geschlossenen Immobilien- EIN MARITIMES FERIENDORF ENTSTEHT
die eine Rendite bringt, mit einem Ri- und beispielsweise mehr Einzel-Apart- fonds in Betracht ziehen, der in Pflege-
Das OstseeResort Olpenitz, ein Ferien­ ­ erienhausurlaub in der Bevölkerung immer
F Sie finden uns im:
siko verbunden“, räumt Christopher ments anbieten. „Wie soll das gehen in einrichtungen investiert. Spezial-
Kunze ein. Er ist Geschäftsführer des einer Wohnungseigentümergemein- anbieter wie Immac oder INP haben resort der Extraklasse, besticht durch seine beliebter. Das Wachstum der Branche ist OstseeResort Olpenitz
hervorragende Infrastruktur und abwechs- also für Sie als Kapitalanlegerinteressant, Hafenstr. 1, 24376 Kappeln
in Erlangen ansässigen Bauträgers schaft von 80 Eigentümern?“, fragt derzeit keinen Fonds im Vertrieb, das Ihr Ansprechpartner vor Ort:
BayernCare, der in Süddeutschland Jens Nagel, Geschäftsführer der deut- könnte sich aber wieder ändern. Mit lungsreiche Architektur mitten im belieb­ wenn Sie nach sicheren Investitionsmög­
Herr Murat Yesil
Pflegeheime errichtet und diese in der schen Tochter des schwedischen Pfle- mindestens 5000 Euro ist man bei ei- testen Segelrevier der Ostsee. Das Herz des lich-keiten Ausschau halten. Die Renditen Mobil 0172 / 5 38 62 63
Regel im Einzelverkauf an Kapitalan- geheim-Investors Hemsö. nem Fonds des Anbieters Verifort Ca- Resorts wird ein exklusiver Yachthafen sein, bei Vermietung einer Ferienimmobilie sind
leger veräußert. Kunze versichert, das pital dabei. der mit einer Wassertiefe von ca. 7,5 Metern aus-gesprochen attraktiv. Wo sonst gibt es
Risiko einer Betreiberinsolvenz sei RISIKOFAKTOR 3: Falls man nur kleinere Summen in- zu den tiefsten Sportboothäfen Deutsch­ noch eine Sachwertanlage, die weitgehend
KONTAKT:
„bei unseren Einrichtungen äußerst DIE LIQUIDITÄT vestieren möchte, kommen offene Im- lands gehört. Die Lage des Resorts zwischen frei von Inflationsrisiken und plötzlichen
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gen Tätigkeit noch nie vorgekom- Preis. Das zeigt eine Rechnung, die Swiss Life Living + Working strebt eine an der g
­ esamten Ostseeküste Deutschlands winn an Lebensqualität durch eine eigene (24 h kostenfreie Hotline)
men“. Er begründet dies damit, dass BayernCare-Geschäftsführer Kunze Quote von 20 Prozent an sogenannten Immobilie am Urlaubsort. info@helma-ferienimmobilien.de
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jekte in zentralen, stark nachgefrag- wie Versicherungen und Fondsgesell- ben Pflegeheimen auch Anlagen des Musterhausbesichtigung:
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Mo. bis So. ab 11 Uhr – 16 Uhr
mer ein Betriebsträger, glaubt er. Pflegeheime derzeit etwa das 25- bis zählen. Nikolai Schmidt, der bei Swiss te Lagen bei Investoren weiterhin sehr nes der wichtigsten Buchungskriterien bei
26-Fache einer Jahresmiete, woraus Life Asset Managers das Segment der gefragt. Der direkte Meerblick sorgt für Urlaubern. Unsere Ferienimmobilien über­
RISIKOFAKTOR 2: sich eine rechnerische Anfangsrendite Gesundheitsimmobilien betreut, hervor­
ragende und ganzjährige Vermie­ zeugen durch attraktive Architektur, beste
DIE IMMOBILIE von knapp vier Prozent ergibt. Beim glaubt trotz aller Risiken an einen gro- tungschancen. Ferienimmobilien, die direkt Lage, gesundes ökologisches Bauen und
Kapitalanleger, die den Kauf eines Einzelverkauf an private Anleger wird ßen Trend: „Gepflegt werden muss am Wasser liegen, erzielen eine Auslas­ Wohnen, eine hochwertige Ausstattung und
Pflege-Apartments in Erwägung zie- hingegen oft die 33-fache Jahresmiete man immer.“ tung von bis zu 290 Tagen. Auch wird der vereinen so Lebensqualität und Rendite.
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KULTUR & KUNSTMARKT
E
WELT AM SONNTAG NR. 7
Es geht ein Riss durch den Feminismus
dieser Tage – und nicht nur durch den
Feminismus. Denn der Konflikt, von dem
hier die Rede ist, hat eine nahezu magi-
sche Wirkungskraft. Er kann gemütliche
Abendessen zwischen Freundinnen
sprengen und Politikerinnen zum Aus-
rasten bringen – und das wirklich Magi-
sche daran ist, dass er sich an einer Per-
sonengruppe entzündet, die so klein ist,
dass man nicht denken sollte, dass so vie-
le Menschen über sie in Streit geraten
könnten, zumeist ohne jede persönliche
Bekanntschaft: Transfrauen. Also Frau-
en, die, als biologischer Mann geboren,
entweder immer schon wussten, dass sie
sich dem weiblichen Geschlecht zugehö-
rig fühlen oder dies im Laufe ihres Le-
bens herausgefunden haben. Die jetzt in
ihrer weiblichen Identität leben und
nichts mehr wünschen, als in ihr aner-
kannt zu werden. Von ihnen soll hier die
Rede sein, also nicht von Transmännern,
genderfluiden Personen oder sonstigen
Menschen mit Geschlechtsidentitäten
jenseits von „Mann“ und „Frau“. Son-
dern von Transfrauen, denn mit ihnen
hat der Feminismus ein Problem.
VON HANNAH LÜHMANN
Was fürchtet er? Allgemein gespro-
chen: den Verlust oder die Aufweichung
der gesellschaftlichen Fortschritte und
Privilegien, die er im Laufe der Jahrzehn-
te für biologische Frauen erkämpft hat.
Konkret äußert sich diese Angst in der
Vorstellung, Transfrauen könnten bei-
spielsweise Plätze in Frauenhäusern in
Anspruch nehmen, wo sie Frauen, die
dort Zuflucht vor männlicher Gewalt su-
chen, aufgrund ihrer Physiognomie ängs-
tigen oder belästigen. Im Fall der Grü-
nen-Politikerin Tessa Ganserer, über den
gerade heftig diskutiert wird, drehen sich
die Befürchtungen um den in „Emma“ er-
hobenen Vorwurf, dass sie auf einem
Frauenquotenplatz erfolgreich für den
Bundestag kandidierte, obwohl sie keine
biologische Frau ist. Im aktuellen Fall der
Schwimmerin Lia Thomas manifestiert
sich das Problem auf die wohl noch offen-
sichtlichste, also realitätsnächste Weise:
Wie geht man um mit transgeschlechtli-
chen Sportlerinnen, die aufgrund ihrer
Physiognomie klare Vorteile gegenüber
D
ihren Konkurrentinnen haben?
ie Debatte läuft heiß; gerade hat
die „Zeit“-Journalistin Mariam
Lau einen Text veröffentlicht, in
dem sie ihre Bedenken gegenüber dem
von der neuen Regierung geplanten
„Selbstbestimmungsgesetz“ artikuliert,
das unter anderem eine unbürokrati-
sche Möglichkeit vorsieht, den Ge-
schlechtseintrag ändern zu lassen. Der
Aktivist, Buchautor und Influencer Li-
nus Giese, ein Transmann, antwortete
darauf in einem Beitrag für die „Berliner
Zeitung“ – er unterstellte Laus Text,
„transfeindlich“ zu sein und letztlich die
„Existenz“ von Transmenschen infrage
zu stellen. Anschuldigungen wie dieser
folgt oft eisiges Schweigen oder hysteri-
sche Erregung, denn natürlich will nie-
mand transfeindlich sein, das klingt wie
„ausländerfeindlich“ oder „schwulen-
feindlich“, und das will man ja schließ-
lich nicht sein. Dabei ist es eine der gro-
ßen offenen, unbedingt noch zu klären-
den Fragen in dieser Debatte, ob denn
das Festhalten an einer biologisch be-
gründeten Definition des Frauseins als
solches immer schon eine Form der Dis-
kriminierung bedeuten muss.
Die ganz große Welle der Trans-De-
batten rollt aber erst noch auf uns zu,
wenn im März Alice Schwarzers Streit-
schrift „Transsexualität“ erscheint so-
wie die deutsche Übersetzung eines
Buchs der britischen Philosophin Kath-
leen Stock, die gerade ihre Professur an
der Universität Sussex niederlegte, nach
18 Jahren, weil sie sich von den aggressi-
ven Protesten jener bedrängt fühlte, die
ein Problem mit ihren Positionen haben.
Stock verteidigt das biologische Ge-
schlecht und sagt, Geschlecht sei nichts,
das von Gefühlen abhängig sei.
13. FEBRUAR 2022 SEITE 43
LADIES,
PLEASE!
In den aktuellen Debatten über Transfrauen gerät eine
Sache aus dem Blick: Weiblichkeit ist etwas Großartiges!
Warum sie schon wieder zerreden? Versuch einer Konfliktlösung
Je länger man sich in diese Streitig-
keiten einarbeitet, desto mehr muss
man sich fragen: Sind wir eigentlich alle
wahnsinnig geworden? Wie ist dieses
hochkomplexe Thema zu etwas gewor-
den, das die Feuilletons und Kommen-
tarspalten, die sozialen Netzwerke und
die Freundesrunden so dermaßen be-
schäftigt, als ginge es um alles? Wie
kann es sein, dass sich so viele Men-
schen so dermaßen über die Frage erei-
fern, wer sich „Frau“ nennen darf? Die
Antwort darauf ist lang und kompli-
ziert, aber es lohnt sich, jetzt darüber
nachzudenken, bevor noch mehr Verlet-
zungen entstehen und sich das Thema
auch in Deutschland aus Anlass der ge-
planten Gesetzesänderungen zu einem
Kulturkampf hochschaukelt.
Warum also ist es ausgerechnet die
weibliche Identität, die hier auf beiden
Seiten so viele Probleme verursacht?
Möchtegern-Wissenschaftler: Ein Tag im Leben von Julius von Bismarck S. 48
Was ist eine Frau?
Links Cara Delevingne,
rechts Marlene Dietrich
B
eide Seiten sind in ihrer Rigoro-
sität vor allem erst einmal ein
Symptom der zeitgenössischen
Sucht nach Identität und Zugehörig-
keit, und daraus erklärt sich vermut-
lich ein Stück weit die hysterische
Massenmobilisierung, die dem Thema
gelingt: Es spiegelt unsere Zeit, ist eine
Art Ventil für die allgemeine Verunsi-
cherung und Sicherheitssehnsucht.
Beide Seiten hängen sich dementspre-
chend mantraartig an ihren jeweiligen
Formulierungen auf, als ließe sich ir-
gendetwas dadurch retten, dass man
immer wieder wiederholt, dass Trans-
frauen aber doch nun wirklich einfach
Frauen sind oder, der gegenteilige Mo-
ve, dass man doch nun wirklich nicht
einfach „die Biologie abschaffen
kann“. Aber vor allem scheinen sie,
und hier wird es interessant, beide ein
großes Problem mit Weiblichkeit zu
haben. Sie können sie nur als perma-
nent bedroht und maximal beschüt-
zenswert denken, nämlich da, wo sie
vor Transfrauen geschützt werden
muss – oder aber als ihrerseits bedroh-
lich, nämlich da, wo sie aus Perspekti-
ve der Trans-Aktivisten nicht inklusiv
genug auftritt. Es erzählt sich wie ein
schlechter Witz über Feministinnen,
dass sich die Fraktionen, die beide be-
haupten, für den Zusammenhalt von
Frauen zu kämpfen, über das Wesen
der Frau selbst zerstreiten.
Man kann sich eine ähnliche Diskus-
EUGENE ROBERT RICHEE/ J OHN KOBAL FOUNDATION/ GETTY IMAGES; GETTY IMAGES/ DIMITRIOS KAMBOURIS; MONTAGE: WELT AM SONNTAG
sion um Männer schlicht nicht vorstel-
len. Transmänner haben ganz sicher an-
dere, nicht weniger gravierende Proble-
me als Transfrauen: Sie werden von
„richtigen“ Männern gedemütigt, bloß-
gestellt und schlimmstenfalls vergewal-
tigt. Aber die Weise, wie sie als Bedro-
hung für die Männlichkeit gedacht wer-
den, ist wesentlich subtiler. Niemals
entstünde das Gefühl, man müsse
Männlichkeit jetzt ein für alle Mal bio-
logisch definieren, weil Männer sonst
verletzlicher werden könnten. Und nie-
mals würde ein biologischer Mann von
„seinesgleichen“ dafür angefeindet,
dass er nicht jederzeit bereit ist, seine
Definition von Männlichkeit zu erwei-
tern und an der Seite seiner Transbrü-
der zu kämpfen.
Der Frau hingegen, so scheint es,
wird immer noch nichts von der souve-
ränen Selbstverständlichkeit zugestan-
den, die man den Männern automatisch
zugesteht. Ein falscher Tweet, ein unzu-
lässiger Toilettenbesuch, eine zweifel-
hafte Mitbewerberin auf einem Quoten-
platz – und schon ist es wieder um die
souveräne Weiblichkeit geschehen. Und
das ausgerechnet in Zeiten, in denen
wir nicht müde werden, zu behaupten,
der (alte weiße) Mann habe ausgedient,
es komme vermehrt auf weibliche Kom-
E
petenzen an.
ine lässige, zeitgemäße Weiblich-
keit, ein lässiger, zeitgenössi-
scher Feminismus darf eigentlich
kein Problem mit Transfrauen haben.
Weiblichkeit spielt sich nicht in den düs-
teren Szenarien ab, die die Kultur-
kämpferinnen entwerfen. Weibliche
Identität geht weit über das jederzeit für
Retraumatisierungen empfängliche Da-
sein in Frauenhäusern hinaus. Für alle
von den „Emma“-Feministinnen skiz-
zierten Probleme gibt es pragmatische,
also politische und zwischenmenschli-
che, Lösungen: Wären Frauenhäuser et-
wa besser finanziert (woran die neue Fa-
milienministerin ja arbeitet), wären sie
sicher gerüstet, sich Herausforderungen
,,
zu stellen wie denen, die auf sie zukom-
men, sollte ein Konflikt zwischen Trans-
und biologischen Frauen tatsächlich je-
mals Relevanz in größerem Maßstab be-
kommen. Und muss man wirklich so um
Die einen, die mit dem biologischen die Frauenquotenplätze bangen? Ist das
Geschlecht, nennen wir sie der Einfach- ein reales Problem?
heit halber die „materialistischen Femi- Man kann Weiblichkeit doch nicht
nistinnen“, weil es ihr Anspruch ist, ständig nur von ihren Rändern her
sich im feministischen Kampf auf das denken. Man könnte sie vielmehr in ih-
zu konzentrieren, was ihnen als die rer schillernden, weitläufigen Unein-
„realen Verhältnisse“ erscheint, wollen deutigkeit annehmen und feiern und
die Weiblichkeit davor beschützen, MAN KANN sich endlich mit der Tatsache versöh-
dass sie von Menschen in Anspruch ge- nen, dass es sowieso nicht möglich ist,
nommen wird, die ihrer Auffassung WEIBLICHKEIT eine abschließende Definition davon
DOCH NICHT
nach keine Frauen sind. Die anderen, zu geben, wann jemand eine Frau ist.
die häufig jüngeren Trans-Aktivisten Gleichzeitig würde das bedeuten, dass
STÄNDIG NUR VON
und Queerfeministen, wollen das Weib- Transfrauen vielleicht akzeptieren
liche gleichzeitig erweitern („Trans- müssen, dass nicht jedes Ins-Spiel-
frauen sind Frauen“ heißt der Slogan, IHREN RÄNDERN Bringen der Biologie einen Angriff auf
der nach ihrer Ansicht nicht weiter dis- ihre „Existenz“ bedeutet. Es könnte ei-
kutiert werden darf ) und sprachlich HER DENKEN ne schöne, komplexe Welt sein, in der
weitgehend neutralisieren (Hygiene- die Menschen endlich aufhören, nur
produkte wie Tampons sind für „Men- noch in Ideologien zu sprechen. Aber
schen, die menstruieren“, nicht für dafür braucht es wahrscheinlich einen
„Frauen“ – damit sich auch ja niemand Feminismus, der die Kraft hat, sich
ausgeschlossen fühlt). selbst zu erneuern.
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DER AKTUELLE
KLASSIKER
VON ANDREAS
ROSENFELDER
Alexander
Kluge, dctp
„Können Sie mir mal jetzt hier aus
dem Liebesbuch, ja, Liebe als Passi-
on, ja, mal an einer Grundsituation,
ja, mal die Komplexität beschrei-
ben?“ So eröffnete Alexander Kluge
im Jahr 1994 ein Fernsehinterview
mit dem Bielefelder Soziologen Ni-
klas Luhmann. Man sieht Kluge, den
Fragesteller, nicht – nur seine Stim-
me klingt warm, weich und väterlich
aus dem Off, das kleine, fast zärtli-
che „Ja“, das jeden Satzteil be-
schließt, wirkt mit einer leichten He-
bung der Tonlage jedes Mal wie eine
Frage, mit der Kluge das Einver-
ständnis seines Gesprächspartners
einholt, weiter fortzuschreiten im
gemeinsamen Gedankengang, der
immer mitten ins Thema führt.
Kluges Stimme hat etwas Hypno-
tisches, vielleicht auch Narkotisches
an sich, sie umfängt den Zuhörer wie
ein Spinngewebe. Sie löst die Mauer
von Abwehrmechanismen und Des-
interesse auf, mit denen wir unser
Denken, diese wertvollste und rät-
selhafteste aller Gaben, im Alltag ab-
schotten. „Also, die ständige Beob-
achtung zweiter Ordnung“ – so be-
antwortet Luhmann, der im grauen
Fischgrat-Sakko, mit Krawatte und
fernsehergroßen Brillengläsern den
Bildschirm füllt, Kluges Frage nach
der Liebe –, „dass man alles, was man
tut, äh, unter der Annahme oder dem
Mitbewusstsein tut, was würde er
oder was würde sie sagen, wenn er
das sähe, oder wie muss ich mich
verhalten, sodass ich von ihm oder
ihr …“ Der Professor verfällt mit sei-
ner hohen Fistelstimme ins Theore-
tisieren, doch sofort fragt Kluge, höf-
lich, forsch und unbeirrt, dazwi-
schen: „Und was davon ist ein Lie-
besbeweis?“
JEDE EINZELNE
FOLGE VON
DCTP IST EIN
LIEBESBEWEIS
FÜR DIE WELT
Alexander Kluge, der unermüd-
lichste, umtriebigste und schaffens-
lustigste Intellektuelle der deut-
schen Nachkriegsgeschichte, feiert
am 14. Februar seinen 90. Geburts-
tag. Der Schriftsteller, Filmregis-
seur und Philosoph, 1932 in Halber-
stadt geboren, hat ein Werk von epi-
scher Dimension geschaffen, das je-
des Jahr um eine ganze Ladung neu-
er Bücher, DVD-Boxen, Essays und
Interviews wächst.
Aber die schönste und leichteste
Art, diesen fantastischen Geburts-
tag zu zelebrieren, besteht darin,
sich im Internet wahllos durch Klu-
ges Fernsehwerk zu klicken und
sich, auf YouTube oder auf der In-
ternetseite www.dctp.tv, möglichst
viele jener Video-Interviews anzu-
schauen, die er seit 1987 mit seiner
eigenen Produktionsfirma dctp auf-
genommen hat. Die Filme liefen in
den vergangenen drei Jahrzehnten
im Spätprogramm des Privatfernse-
hens, in den vom Gesetzgeber vor-
geschriebenen Kulturfenstern von
RTL, Vox und Sat.1 – also mitten im
von Harald Schmidt so bezeichne-
ten „Unterschichtenfernsehen“, das
in dieser Hinsicht mehr Aufregen-
des zu bieten hatte als alle öffent-
lich-rechtlichen Kulturprogramme
zusammen.
„Panzer = Mit Panzerplatten und
Ketten versehener Kampfwagen“,
dieser Schriftzug läuft durchs Bild,
als Alexander Kluge mit Heiner Mül-
ler spricht. Im Anschluss laufen un-
geschnitten und unkommentiert ei-
nige Death-Metal- und Grindcore-
Songs. Dann sitzen sie beide da, über
einen Tisch voller Papiere gebeugt,
der Interviewer zeigt seinen Rücken,
der Dramatiker sein kantiges Ge-
sicht mit der markanten Brille, und
reden über die Faszination von Pan-
zern. Jede einzelne Folge von dctp
ist ein Liebesbeweis für die Welt.
44 KULTUR WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022

Bewusste BILDBETRACHTUNG
Verschleierung
Im Juni wird die 15. Documenta eröffnet. Doch wie
hoch ist eigentlich das Budget des Kunstspektakels?

V
or fünf Jahren moserten zuerst lionen Euro gibt es für die Documenta
die Kritiker. Die 14. Documenta – und noch die Information, man kon-
würde „braves Multikulti“ aus- trolliere „das Geschäftsgebaren, nicht
stellen, die „Kunst als Gerechtigkeits- irgendwelche Inhalte“. Präziser for-
maschine“ missbrauchen und „künst- muliert bedeutet das, die Kulturstif-
lerische Arbeiten an ihre ebenso hoch- tung prüfe „die sachgerechte Verwen-
trabenden wie floskelhaften Zielvor- dung der vom Stiftungsrat beschlos-
gaben verraten“. Der Leiter der über- senen Fördermittel“, und zwar „auf
politisierten Weltkunstschau, der pol- Grundlage der vorzulegenden zahlen-
nische Kurator Adam Szymczyk, habe mäßigen Nachweise“.
sich nicht nur konzeptionell über- Zahlenmäßig will sich sonst nie-
nommen, sondern auch logistisch, mand festlegen. Noch einmal gefragt:
weil er neben Kassel noch Athen als Wie hoch ist das Budget? Die Stadt ver-
Veranstaltungsort ausgerufen hatte. weist auf die Documenta. Die Docu-
menta laviert, die „endgültige Höhe
VON MARCUS WOELLER des Gesamtbudgets“ sei „abhängig von
den ungesicherten Mitteln wie Fun-
Dann murrte auch das Publikum, zu ding, Sponsoring und vor allem der An-
schlecht vermittelt sei die Documen- zahl der Besucher*innen“. Ob es da
ta, unbekömmlich, humorlos, eine Schätzungen gibt, schließlich muss
„kommunikative Katastrophe“. Der man in einem Pandemiejahr doch ge-
Tiefpunkt wurde dann mit der scham- nauer kalkulieren? Die Einnahmen sei-
losen Performance „Auschwitz on the en „abhängig von nationalen und inter-
Beach“ erreicht, wegen der Szymczyk nationalen Regularien zur Coronasi-
beteuern musste, man habe den Holo- tuation“, so eine Sprecherin, und daher
caust nicht relativieren wollen. könne man „aktuell schwer konkrete
Und als die traditionell einhundert Annahmen fixieren“. Sabine Schor-
Tage Ausstellung zu Ende waren, mann, die Geschäftsführerin der Docu-
drohte nach der moralischen auch menta, steht für Nachfragen nicht zur
noch die monetäre Pleite. Ausgerech- Verfügung. Man sei sich aber der „fi-
net jene Documenta, die die europäi- nanziellen Verantwortung insbesonde-
sche Schuldenkrise, den neoliberalen re im Umgang mit Steuergeldern be-
Kapitalismus und das böse Geld ins wusst“, habe „das Rechnungswesen di-
Zentrum gesetzt hatte, musste sich gitalisiert“, außerdem sei „ein laufen-
vorrechnen lassen, dass sie ein Defizit des Controlling etabliert“ worden,
eingefahren hatte. Land und Stadt schreibt die Sprecherin.
übernahmen Bürgschaften in Millio- Noch ein Versuch. Welche konkre-
nenhöhe, die Geschäftsführerin wurde ten Zahlen das Controlling denn kon-
entlassen (und später entlastet), die trolliere? Das Controlling beziehe
Insolvenz konnte abgewendet werden. „sich nicht auf ausgewählte Zuwen-
Und wie sieht es im Jahr 2022 aus? dungen“, sondern umfasse „das kom-
Im Juni soll die 15. Ausgabe – in Eigen- plette Finanz- und Buchungssystem“.
schreibweise documenta fifteen – er- Darüber hinaus seien „keine weiter-
öffnen. Und man durfte davon ausge- führenden Details zu nennen“, mauert
hen, dass man zumindest finanziell die Documenta-Sprecherin. Auf Nach-
nicht wieder in die Bredouille kommt. frage nach den Zuwendungen oder et-
Inhaltliche Probleme gibt es ja bereits. waigen Bescheiden darüber machen
WELT AM SONNTAG berichtete am auch Stadt und Land die Schotten
6. Februar über Antisemitismusvor- dicht. Es bleibt nur die Bestätigung
würfe gegen die Documenta-Macher. des Finanzministeriums: „Die Höhe
Ihr Budget – 2017 waren es insge- des Gesamtbudgets der documenta 15“
samt 37 Millionen Euro – bezieht die stehe „definitiv erst nach Abschluss
Documenta ungefähr zur Hälfte aus der documenta 15 fest“.
Steuergeldern. Das Bundesland Hes- Nach den Erfahrungen 2017 ist die-
AMAZON

sen und die Stadt Kassel finanzieren se Intransparenz beunruhigend: Wer

den größten Teil (vor fünf Jahren je- sein Budget nicht offenlegt, kann spä-
weils sieben Millionen Euro). Die Kul- ter nicht dafür belangt werden, es
turstiftung des Bundes ist mit einem überzogen zu haben. Man kann diese
niedrigeren Millionenbetrag beteiligt. Art der Öffentlichkeitsarbeit nur als
Die andere Hälfte muss selbst erwirt- bewusste Verschleierung interpretie-
schaftet werden, durch Eintrittsgelder ren und eben nicht als verantwortli- Zu den erquicklicheren Kulturmomen- fenbarung sind. Galadriel, die mächtige es zum Zeitpunkt der Serienhandlung
sowie den Verkauf von Katalogen und chen Umgang mit Steuergeldern. Und ten zählt derzeit ein Spiel, das die teu- Elbin, haben zum Beispiel viele gleich eigentlich noch keine Hobbits gibt)?
Merchandising-Produkten. das bei einer Veranstaltung, die schon erste Fernsehserie aller Zeiten mit den erkannt; Streit über Hautfarben hat es Mit belastbaren Antworten ist, bis es
Auf die konkrete Frage, wie viel seit Wochen in der Kritik steht: Der treuen Fans von J.R.R. Tolkien spielt. auch schon wieder gegeben; nichts aber Herbst wird, leider kaum zu rechnen.
denn nun die öffentliche Hand gibt, künstlerischen Leitung, dem Kurato- Bis „Der Herr der Ringe – Die Ringe ist derzeit interessanter als dieser Dafür gibt es in der Nacht auf Montag
wie viel die Documenta und Museum renteam Ruangrupa, wurde vorgewor- der Macht“ bei Amazon Prime zu se- Graubart mit dem auffällig roten Apfel, den ersten Trailer der Serie zu sehen.
Fridericianum gGmbH erhält und ob fen, es habe eine palästinensische hen ist, wird es zwar noch bis zum hat Meister Tolkien doch vor allem Laufen werden die hoffentlich auf-
daran Bedingungen geknüpft seien, Gruppe eingeladen, die Boykotte ge- 2. September dauern. Das Marketing vom Sündenfall erzählt. Könnten wir schlussreichen Sequenzen in einer der
neuerliche Finanzierungsprobleme zu gen Israel unterstützt; selbst in Gre- aber ist schon in vollem Gang – und hier also Sauron sehen, Tolkiens dunk- vielen Werbepausen des amerikani-
vermeiden, bekommt man nur aus- mien der Documenta gebe es Sympa- bisher so intelligent wie selten. len Herrscher, der in hundert verschie- schen Super Bowl, was vielleicht nicht
weichende Antworten. Kurz gesagt: thisanten der BDS-Bewegung, die der Zuletzt sind 23 Poster aufgetaucht, denen Gestalten erscheint? Oder haben mehr ganz so gut zu J.R.R. Tolkien
Über Geld spricht man nicht gern in Bundestag als antisemitisch bewertet. die dem Laien bloß 23 Paar Hände zei- wir es hier mit einem Hobbit zu tun passt, doch dafür umso besser zu die-
Kassel, nicht im Bürgermeisteramt Erst wenn die Schau am 18. Juni er- gen, dem Eingeweihten aber reine Of- (was insofern ein Sündenfall wäre, als sem sündigen Apfel. WIELAND FREUND

und nicht im Documenta-Büro. Auch öffnet, wird man überprüfen können,

das hessische Finanzministerium in wofür sie ihr – im Vergleich zu anderen
Wiesbaden nennt die Höhe der Zu- Ausstellungen relativ hohes – Budget
wendung nicht. Immerhin bei der eingesetzt hat. Noch eine „kommuni-
Kulturstiftung des Bundes in Halle an kative Katastrophe“ wird sich die Do-
der Saale redet man Tacheles: 3,5 Mil- cumenta nicht leisten können.

KURZKRITIKEN

„606“ „ALLES WAR SCHÖN“ C. P. E. BACH SO WIRD DER „TATORT“ „LUCIFER ON THE SOFA“ „DER PFAD“
KRIMINALROMAN HIP-HOP KLASSIK FERNSEHSERIE ROCKMUSIK KINOFILM
Pronghorn ist vielleicht doch größer als Das Schlüsselstück auf Caspers fünf- Warum zur Hölle gibt es eigentlich in Eine Frau kommt frei. Vier Jahre saß Wenn der Leibhaftige es sich neben Am Anfang spielen der zwölfjährige
Russland. 606 Menschen sind da unter- tem Album steht dort, wo es hinge- Berlin keine Carl-Philipp-Emanuel- sie ein. Ihren Vater soll sie getötet dir auf der Couch gemütlich macht, Rolf und sein Vater Ludwig ein Spiel:
gebracht. Mehr, als auf das Personaltab- hört: „Zwiebel & Mett“ bildet das Bach-Festspiele? Ein Vierteljahrhun- haben. „Hello, Stranger“, sagt die gehst du besser mal wieder vor die Der eine deutet auf einen Wildfrem-
leau von „Krieg und Frieden“ passen. Zentrum der zwölf Titel. Casper dert hat der zweitälteste Bach-Sohn Freundin zu ihr. Sara ist nicht mehr Tür. Spoon, seit 25 Jahren eine der den auf der Straße, der andere muss
SUHRKAMP, CASPERXO.COM, HYPERION, SWR/BENOIT LINDER, MATADOR, WARNER BROS.

Und auf einmal sind sie draußen. Fa- rappt über eine Provinz, in der die die Musik des preußischen Hofes ge- Sara. Die Erbin, das Feierbiest, die kreativsten Indie-Bands Amerikas, nun – nach dem Aussehen – die Frage
schistische Terroristen, Kleinkriminel- Rebellion nicht mehr nach brennen- prägt, länger als jeder andere der Hure, die der Boulevard aus ihr klingen auf ihrem neuen, zehnten Al- „Gut oder böse?“ beantworten. Sie
le, Familienkiller. Las Vegas ist nicht dem Benzin rieche, sondern nach großen Komponisten. An der Spree machte. Und der Kommissar. So lan- bum äußerst ausgehfreudig. Statt spielen das 1940 in Marseille, wo sie,
weit. Candice Fox, die Frau für das Un- Hack. Die Revoluzzer salutieren vor ist er wie im Rest der Musikwelt im- ge, bis sie nur noch gestehen wollte, elektronischer Studiotüfteleien wie- wie so viele deutsche Emigranten,
mögliche, die Frau, die das Genre aus der Flagge, sie sind bibeltreu und mer ein Exot geblieben. Bestaunt was sie nicht tat, damit der Wahn- der schmerzverzerrte Gitarren, prä- auf eine Passage nach Amerika war-
dem Gefängnis seiner selbst befreit, er- hassen Greta Thunberg. Es könnte da und bewundert, wenn sich ihm wie- sinn aufhört. Johanna Wokalek (im zise rumpelnde Rhythmen und eine ten. Ihr Weg soll über die Pyrenäen
zählt ihre Geschichte. Und die derjeni- sein, wo Casper aufgewachsen ist, in der jemand widmet. Marc-André Bild links) ist Sara im Freiburger stets hinter verführerischer Melodik nach Spanien führen, und dabei wird
gen, die sie jagen. Die etwas zu verber- Georgia, oder in Westfalen, wo er das Hamelin, Extremkraftsportler unter „Tatort“. Eine Insichgekehrte, kein lauernde Gefährlichkeit. Britt Daniel Rolf einige Lektionen fürs Leben in
gen haben. Das ist so episch, so lustig, Gymnasium besucht hat. Er musste den pianistischen Hochvirtuosen, Opfer, kein Monster. Ein Mensch, singt von Scharlatanen und Wunder- Gut und Böse erhalten. „Der Pfad“
so traurig, dass man den Rap nie aus dem Amerikanischen hat sich nun des barocken Brücken- der nach vorne schauen will, nur heilern, hysterischen Nachbarn und ist einer der wenigen Filme, die eine
nicht mehr aufhören ins Deutsche übersetzen und sich die kopfs in die Romantik angenommen. nach vorne. Und den man nicht lässt. dem Selbsthass der gezähmten Flucht ins Exil explizit aus
kann damit, hinter Kultur des Hip-Hops aneignen. Er Eine Lebensreise in Fantasien, Sona- „Saras Geständnis“ ist eine Ge- Spießbürger. Etwas Fiebriges, Explo- Kinderperspektive erzählen, und Ju-
den 606 herzulesen. rappt einfach: ten, Rondos. schichte von sives, Dämoni- lius Weckauf
Kriminalliteratur ist „Ich hab heute Vom Zehn- bis Verrat und vom sches liegt in die- (er war Hape in
das natürlich nur, wieder dran ge- zum 75-Jähri- Freiwerden. sen neuen Songs. „Der Junge
weil es Kriminelle dacht/ Dass ich gen. Farben- Ein feiner Kri- Für den Teufel muss an die fri-
sind, die Fox porträ- mir zu viele Ge- sprühend, frei- minalfilm der brachte der Rock sche Luft“)
tiert. Weltliteratur danken mach.“ geistig, intelli- stillen Blicke, immer schon ei- schultert mühe-
kann man es aber Das macht er gent und hoch- der gefangenen ne Menge Sym- los den gesam-
auch nennen. elk gut. mp gespannt. elk Gesten. elk pathie auf. rik ten Film. hgr

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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG
Genau 40 Jahre nachdem Umberto Ecos
Weltbestseller „Der Name der Rose“ auf
Deutsch erschien, gibt es eine Art Fortset-
zung, verfasst von unserem Autor Dirk
Schümer. Sein Kriminalroman „Die
schwarze Rose“ (608 Seiten, 28 Euro,
ab 14.2. bei Zsolnay) spielt im Jahr 1328.
Ein Jahr nachdem die italienische Abtei,
in der William von Baskerville die Ermitt-
lungen leitete, abgebrannt ist, tritt der
franziskanische Wandermönch wieder in
Erscheinung, um ein mysteriöses Attentat
aufzuklären. Diesmal in Avignon, dort
befinden sich die Hauptfiguren von
Schümers Geschichte, der westfälische
Ich-Erzähler Wittekind Tentronk und sein
W
Meister – niemand Geringeres als Meister
Eckhart von Hochheim –, der sich einem
kirchlichen Inquisitionsprozess stellen
muss. Der nachfolgende Text ist ein
gekürzter Auszug des Romananfangs.
elches Tier?,
fragte ich.
Der Meister
blickte zu den
zerlumpten
Menschen am
Flussufer.
Tief gebeugt zogen die Mutter und zwei
Söhne an Seilen einen Lastkahn die Rho-
ne aufwärts, während der Vater mit
einem langen Stock das Boot vom Ufer
weghielt. Im Gegenwind des Mistrals be-
förderten sie das Boot, das bis über die
Reling mit Brennholz beladen war, in
Richtung Hafen. Ihre Gesichter grau, den
Blick auf die Füße gerichtet, dieweil ein
kleines Mädchen von vielleicht drei Jah-
ren barfuß nebenher hüpfte. Die Frau war
schwanger und kam nur schwer vor-
wärts. Eine Familie von Treidlern, wie sie
hier ständig vorbeizogen, Schritt für
Schritt für Schritt. Der Meister, nach-
denklich in die Ferne blickend, hatte die
Leute gar nicht bemerkt. Welches Tier?,
fragte er zurück. Du weißt doch, dass ich
D
dein Spiel nicht mag. Esel vielleicht?
as sind keine Esel, sagte ich. Esel
sind stur und klug und wider-
spenstig. Die machen nur, was
sie wollen. Diese Leute da unten merken
gar nicht mehr, was sie tun. Schau nur,
wie krumm die Kinder in den Seilen hän-
gen. Die werden ein Leben lang nicht auf-
recht gehen. Ameisen sind das, die dem
Papst das Brennholz für seine Küchen
liefern. Das Boot war am Flusshafen an-
gekommen. Da würden die Treidler das
Holz abliefern, ein paar Münzen dafür
bekommen und sich nach einer Nacht im
Boot wieder die Rhone hinuntertreiben
lassen. Morgen ging dann das Schleppen
von Neuem los, mit Holz, mit Kohlen,
mit Sand, mit Weinfässern, mit Gemüse.
Avignon konnte alles gebrauchen.
Ich sagte: Viele tausend Ameisen lie-
fern, was die Stadt braucht. Avignon ist
der Ameisenhaufen, und der Papst da
oben in seinem Haus auf dem Felsen, das
ist der Ameisenkönig. Er befiehlt, und
aus dem ganzen Abendland kommen Wa-
ren und Speisen, Gold und Silber oder
eben Brennholz. Und Menschen, immer
mehr Menschen.
Ich wandte mich um und erblickte die
Stadt mit ihren Vorburgen. Überall wur-
de gebaut. Zimmerleute hämmerten an
Gerüsten, Maurer zogen Steine an Krä-
nen hoch. Selbst hier unten am schlam-
migen Flussufer konnte man Hütten mit
Schilfdächern finden, die es tags zuvor
noch nicht gegeben hatte und die die
nächste Flut kaum überstehen würden.
Es wurde geklopft und gemeißelt und
gesägt. Avignon war viel geschäftiger als
meine ruhige Stadt in Westfalen, es war
hier sogar noch lauter als in Köln. Ich
hatte mich an die nie abreißende Unru-
he gewöhnt, genau wie an den Mistral,
der jeden dritten Tag von Norden den
Fluss herunter blies und die Menschen
wild machte.
Vor ein paar Jahren, so erzählten die
Eingesessenen, war Avignon noch eine
unbedeutende Bischofsstadt gewesen.
Dann kam der Papst und machte seine
Residenz zum quirligsten Ameisenhau-
fen der Christenheit. Auch wir waren
hier, weil der Papst es befohlen hatte. Ich
wies auf die Brücke. Aus der Ferne waren
Karren, Reiter und Fußgänger auszuma-
chen, die sich auf der schmalen Spur
über den Bögen stauten. Sie alle wollten
aus dem Königreich Frankreich herüber
in die Stadt des Papstes. Der Ameisenkö-
nig hatte immer Hunger, er musste ge-
füttert werden. Wenn wir, schlug ich vor,
auf den Kahn der Treidler steigen und
uns die Rhone abwärts treiben lassen,
dann sind wir in spätestens zwei Tagen
am Meer. Von dort aus können wir über-
allhin segeln, dann sind wir frei. Meister,
NR. 7
„Avignon ist der Ameisenhaufen, und der Papst da oben in seinem Haus auf dem Felsen, das ist der Ameisenkönig“: Papstpalast aus dem 14. Jahrhundert in Avignon
1328, Avignon,
ein mysteriöses
Attentat und ein
Inquisitionsprozess:
eine Fortsetzung von
Umberto Ecos
„Der Name der Rose“
von Dirk Schümer
wollen wir? Du weißt doch genau wie ich,
dass es hier immer gefährlicher wird. Wir
haben keinen Freund in Avignon, nicht
einmal im Konvent der Brüder, da am
allerwenigsten. In Köln warst du der
größte Prediger, die Menschen kamen
von weit her, um dich zu hören. Hier hat
dir die Inquisition den Mund verboten,
sie haben dich wochenlang im Kloster
eingesperrt. Wir werden immer noch
überwacht. Wir hätten nie nach Avignon
kommen dürfen. Meister, ich habe Angst.
Er schaute mich an. Er war in den letzten
Wochen dünner geworden, seine rundli-
che Gestalt hatte sich gebeugt, und sein
Kinderblick wirkte traurig. Immer und
überall trug er seine Verteidigungsschrift
mit sich herum und las, was er den Inqui-
sitoren auf ihre Anklagen entgegnen
wollte. Auch jetzt am Ufer der Rhone hat-
te er im Pergament geblättert und sich
auf seiner Schreibtafel Notizen gemacht.
Er war einmal ein mutiger Denker gewe-
sen. Jetzt war er nur noch ein alter Mann,
der auf sein Urteil wartete.
Wir fahren nirgendwohin, sagte er mit
leiser Stimme. Ich bin kein Ketzer, und
du weißt das. Der Papst weiß das, seine
Inquisitoren wissen das auch. Im Winter
haben sie uns noch im Brüderkloster ein-
gesperrt, da bekam auch ich ein bisschen
Angst. Aber, Wittekind, jetzt ist Frühling,
und wir sitzen in der Sonne am Fluss.
Wir dürfen uns sogar in der Stadt frei be-
wegen. Das ist ein gutes Zeichen und be-
weist, dass dieser lächerliche Prozess
bald abgeschlossen ist. Dann können wir
zurück nach Köln. Das ist das Einzige,
was ich in diesem irdischen Leben noch
I
will, nach Hause.
ch weiß bis heute nicht, warum der
Meister mein Spiel nicht mochte.
Wenn man sich die Tiere vorstellt,
denen die Menschen gleichen, dann
sieht man, wie sie wirklich sind. Jeder
Mensch hat sein Tier. Mein Meister mit
seinem runden Gesicht, seinen großen
Augen, seiner Stirnglatze und seinem
kleinen Buckel war für mich eine weise
alte Eule, der es aber immer schwerer
fiel, Mäuse zu fangen. Inzwischen konn-
te sie nicht einmal mehr fliegen. Aber
das sagte ich ihm nicht. Lass uns zu-
rückgehen zur Stadt, sagte der Meister.
Er zog seinen Mantel über die Schultern
und seine Kapuze über den Kopf. Es
kommt wieder dieser ungute Wind auf.
Mir wird kalt, ich will beten.
Unser Ziel lag im Wiesengrund des
Flussufers. Die windschiefe Kapelle hatte
einst Pilgern in Richtung Santiago zu
einem letzten Gebet gedient, bevor die
KULTUR 45
Schüler eines
KETZERS
GETTY IMAGES/APIC
Reicheren auf Booten die Rhone hinun- Beine sahen fürchterlich aus. Offenbar sich zusammen. Der Mann war ein Kleri- sehen? Ist jemand vor dir in der Kapelle
terfuhren oder die Ärmeren zu Fuß ihren hatte man ihm mit einem Knüppel Knie ker, wie seine Tonsur verriet. Der Kopf gewesen?, fragte ich und zeigte auf die
Weg nach Spanien fortsetzten. Nun gab und Ellbogen, Schienbeine und Knöchel schien unverletzt. Heilige Mutter der Seitentür. Ich habe nichts gesehen und
es eine bequemer gelegene Jakobskapelle zertrümmert. Überall schauten zersplit- Schmerzen, rief der Meister, fiel auf die gehört. Herrgott, Wittekind, wer hat dem
in der Stadt, hier draußen wurden keine terte Knochen hervor. Ich zog das Bündel Knie und faltete die Hände. Ich habe ihn Mann das angetan?
Messen mehr gelesen. Die Kapelle mit ih- Mensch zur Wand, es konnte jedoch erst bemerkt, als ich sein Wimmern hör-
rem bröckelnden Putz und ihren zerbro- nicht aufrecht sitzen und sackte sofort in te. Dann das Blut. Hast du niemanden ge- T © Paul Zsolnay Verlag
chenen Fenstern fiel in Vergessenheit.
Gerade darum kam der Meister gerne
hierher. Er liebte die Einsamkeit, wenn ANZEIGE
sie auch in Avignon noch schwerer zu fin-
den war als eine reuige Hure. An der
IM KINO 
Weggabelung neben den Schuppen der
Teichwärter hockte ein blinder Bettler
und leierte monoton seine Botschaft her-
unter: Ich habe das Ende der Welt gese-
hen. Ich sehne mich nach Trost. Tut Bu-
ße! Ich habe das Ende der Welt gesehen. D I E N E U E N U M M E R 1 D E R K I N OC H A R T S
Wir näherten uns. Der Mann stank.
Wohl bei einem Brand hatte er sich das
Gesicht versengt, die Haut war mit lauter
Narben wie aus brüchigen Rotziegeln DER DEUTSCHE KINOFIL M DES JAHRES
wieder zusammengewachsen, aber die – GL A MOUR
Augenhöhlen starrten leer. Was wollte
der Bettler hier, wo kaum jemand vorbei-
kam? Hatte er sich verlaufen? Konnte er E I N E B R AVO U R Ö S E A B R E C H N U N G M I T
überhaupt laufen? Ich habe das Ende der
Welt gesehen, leierte der Mann. Der Mei- D E M S C H Ö N H E I T S WA H N
ster beugte sich hinunter und reichte ihm – T V SPIELFILM
ein Stück Brot aus demselben Beutel, in
dem er auch seine Verteidigungsschrift
mit sich trug. Schneller, als wir schauen SEHR BERÜHREND UND
konnten, hatte der Blinde das Brot ver-
schlungen. Danach segnete ihn der Mei- WUNDERBAR EHRLICH!
ster und wollte ihm die Hand auf den – E MOTION
Kopf legen. Aber der Bettler zuckte zu-
rück, stieß den Meister weg und brüllte:
Der Teufel hat diese Welt erschaffen. Hü-
E
tet euch vor der Welt! Tut Buße!
in verlorenes Gotteskind, sagte
der Meister und schüttelte den
Kopf. Vor dem Holzportal fragte
er mich, ob ich mit ihm beten wolle: Es
ist sehr lange her, seit ich dich zuletzt be-
ten sah, Wittekind. Was willst du?, fragte D E R N E U E F I L M VO N K A R O L I N E H E R F U R T H
ich. Schließlich bin ich Schüler eines Ket-
zers. Der Meister schaute mich traurig
an. Gott ist überall, und er ist immer bei
dir. Das solltest du wissen. Dann muss NUR IM KINO
ich ihn nicht in der Kapelle suchen.
Mit einem Mal schien wieder die Son-
ne. Hier in der Provence hatte sie Ende
Mai so viel Kraft wie daheim in Deutsch-
land im Hochsommer. Ich streckte meine
Glieder aus, in denen ich noch die Kälte
des Klosters spürte. Schwalben jagten
knapp über dem Wasser nach Mücken;
auf der Rhone trieben zwei Boote mit
Reisenden, die lauthals Lieder sangen.
Wäre nicht das Geschrei des Bettlers ge-
wesen, man hätte für einen Augenblick
an eine Welt voller Frieden und Gebor-
genheit glauben können. Plötzlich wurde
hinter mir das Portal aufgerissen. Witte-
kind, komm her, schnell! Ich sprang auf
und lief in die Kapelle. Es schien alles ver-
waist. Der Meister wies stumm zur lin-
ken Wand, wo ein Haufen Gerümpel her-
umlag, eine alte Kirchenbank, Stühle,
Bretter. Von irgendwo kam ein Wim-
mern. Dann sah ich es. Ein rotes Rinnsal
floss im Halbdunkel aus den Trümmern.
Ein Bein schaute hervor. Ich zerrte die
Bretter weg und fand einen Mann auf
dem Boden. Der Mund war geknebelt,
und aus Wunden an Armen und Beinen
blutete er. Ich löste ihm den Knebel, aber
der Mann war ohnmächtig. Arme und
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KUNSTMARKT
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022 SEITE 46

SEIN UND HABE DIGITALER JUGENDSTIL

Ein Klimt in
Tausenden von Teilen
Der Wert eines Kunstwerks offenbart sich erst, wenn
man seine Geschichte kennt. Wie das Wiener Belvedere
sein berühmtestes Gemälde verkaufen will

Wenn man in der gewandelt oder „ge-

Suchmaske des On- mintet“. „Ge-
line-Shops des Wie- droppt“, wie es im
ner Museums Belve- Kryptosprech heißt,
dere die fünf Buch- also endgültig in den
staben „Klimt“ ein- Handel gebracht,
© BELVEDERE, WIEN

tippt, kann man werden die NFT-

endlos durch die Er- Küsschen zum Va-
gebnisse scrollen. Es lentinstag. Am 14.
gibt Bücher und Ka- Februar endet der
taloge über den ös- Eigentlich unveräußerlich: Verkauf über die ei-
terreichischen Ma- „Der Kuss“ von Gustav Klimt gens eingerichtete
ler Gustav Klimt Plattform thekiss-
und natürlich Post- .art (wo man das Berliner re:future Lab: Blick in
karten seiner Bilder. Die schönsten Ju- NFT noch mit einer „individuellen die Ausstellung „The Whole Earth 2045“
gendstilmotive kann man als Poster Liebeswidmung“ versehen lassen mit Arbeiten von Johanna Bruckner, Grégory
RE:FUTURE LAB

erwerben, als Kunstdruck, mit oder kann). Seit zwei Wochen läuft die Chatonsky und Parsons & Charlesworth
ohne zackig signiertem Passepartout. Zeichnungsfrist, in der man sich, ab-
Man findet im Shop kleine und große geschaut von der Aktienbörse, für ein
Vasen mit Klimt-Motiven, Klimt-Bil- Detailbild vorab eintragen lassen

Von wegen
der zum Origami-Falten, eine Box mit konnte. Zum Valentin wird dann auch
Klimt-Magneten. Und man erinnert die Überweisung fällig: 1850 Euro kos-
sich, in den Geschäften der großen tet voraussichtlich jedes Einzel-NFT.
Museen auch schon Klimt-Regenschir- Würden alle NFT verkauft, nähme das
me, Klimt-Kaffeetassen, Klimt-Sei- Belvedere also 18,5 Millionen Euro ein.

Oberschweineöde!
denschals, Klimt-Umhängetaschen Nicht schlecht für ein Museum, das
und Klimt-bestickte Sofakissen gese- wie die meisten öffentlichen Häuser
hen zu haben. Warum also nicht auch nicht üppig budgetiert sein dürfte.
Klimt als digitale NFT-Kopie? Noch etwas ist vielleicht erklä-
Klimt ist eine Marke. Denn Gustav rungsbedürftig: Als Käufer des NFT

D
Klimts Malstil ist unverwechselbar, im erwirbt man nur das Eigentumsrecht
höchsten Maße dekorativ, global ver- an einem Zehntausendstel des „Kus-
ständlich, international populär und ses“, genauer an einer digitalen Kopie In einem alten Industriegebiet im Berliner Südosten war lange nichts los. Jetzt entwerfen Künstler und
Wissenschaftler, Sammler und Unternehmer in historischen Hallen gemeinsame Ideen für morgen
astronomisch teuer (wenn einmal Ori- des Gemäldes. Man wird also nicht
ginale auf den Markt kommen). Dem Anteilseigner an dem originalen
Wiener Museum im Schloss Belvedere Kunstwerk, das in Besitz und Eigen-
gehört eines der bekanntesten Werke tum des Bundesmuseums Belvedere
des Malers, „Der Kuss“ von 1908/09. bleibt und damit sozusagen den gut ie Zukunft liegt in scher Neugier, die auch als Sammlerin, Dass Kollaborationen heute im Trend nehmen. Über die Kunst wollen wir Fä-
Verkaufen darf es das Museum freilich acht Millionen Staatsbürgern der Re- Berlin-Oberschöne- Künstlerin, Kuratorin und Beraterin ak- liegen, war der Gründerin da noch gar higkeiten vermitteln, damit umzugehen
nicht. Und tut es jetzt doch. In Tau- publik Österreich gemeinschaftlich weide – im Volks- tiv ist und somit möglicherweise die nicht bewusst – und tatsächlich fühlt und konstruktive Ansätze zu finden, die

P
senden von Schnipseln! gehört. Man erwirbt also etwas, was mund gern noch einzige Frau weltweit, auf die all diese sich das, was sich etwa beim Turner- Zukunft zu gestalten.“
Der Geschäftsführer im Belvedere, man am ehesten mit einem Derivat im Oberschweineöde Bezeichnungen in Personalunion zu- Preis und bei der nächsten Documenta
Wolfgang Bergmann, hat 10.000 digi- Wertpapierhandel vergleichen könnte. genannt. Und lange treffen. Schwinge kaufte 160 Quadrat- in Form von Kuratoren- und Künstler- olitik machen über die Kunst –
tale Ausschnitte einer hochaufgelös- Warum sollte man nun ein NFT stimmte das, denn meter der Spreehalle, ließ sie modern kollektiven zeigt, eher nach alternativen das klingt auch nach Beuys’ So-
ten Abbildung des Gemäldes „gemin- kaufen und nicht einen Kunstdruck, der Stadtteil war JWD, janz weit drau- ausbauen – und setzte einen lang geheg- Arbeitskreisen als nach Zukunftslabor zialer Plastik und vielen anderen
tet“ als sogenannte Non-Fungible To- der den „Kuss“ immerhin vollständig ßen, im Berliner Südosten, heute un- ten Traum in die Tat um, der ähnlich ka- mit Start-up-Geist an. Aber Madeleine Ansätzen, mit denen Künstler bis heute
kens (NFT). Zur Erinnerung: NFT – zeigt und nur 9,90 Euro kostet? Berg- weit des Flughafens BER und der Tesla- leidoskopisch ist wie sie selbst: ein Zen- Schwinge geht es um neue Technolo- versuchen, die Welt zu verändern, am
der große Kunstmarkt-Hype des ver- mann hat die Frage der Zeitung „Stan- Großbaustelle. Anfang des 20. Jahrhun- trum, in dem Künstler, Quantenphysi- gien, um Erfinder und um Visionäre, die Ende aber stets Teil des Kunstsystems
gangenen Jahres – sind digitale Echt- dard“ so beantwortet: „Das Besondere derts befand sich dort das größte inner- ker, Ingenieure, Architekten, Anthropo- ihre Kräfte bündeln, um der Welt über bleiben und somit auch des Markts, in
heitszertifikate für Dateien. Hinter- dieser Edition ist, dass jeder Aus- städtische Industriegebiet Europas – logen, Neurowissenschaftler, Philoso- die Kunst wieder konstruktive Perspek- dem sie dann doch nicht mehr so unab-
legt auf einer Blockchain, können so schnitt zu einem neuen Motiv wird für die AEG baute unter anderem Peter phen, Biologen und Köche zusammen- tiven zu verschaffen. hängig sind. „Soll man etwas nicht tun,
potenziell unendlich reproduzierbare und trotzdem Teil der ganzen Kompo- Behrens seine berühmte Transformato- kommen, um in Projekten über die Fra- „Meine Inspiration war das Black weil andere damit schon gescheitert
Daten mit einem einzigen Eigentümer sition bleibt.“ Zudem könne „man mit renfabrik. Unter den Nazis schufteten ge des Lebens zu spekulieren. Im „Art Mountain College in North Carolina, sind?“, fragt Schwinge.
verknüpft werden (angeblich sogar dem NFT eine Liebeserklärung der be- Zwangsarbeiter in den Hallen, in der Space and Institute for Speculative Fu- wo von 1933 bis 1957 die Wissenschaften Offenheit und Optimismus sind of-
unveränderlich und fälschungssicher). sonderen Art aussprechen“. Nach die- DDR bewirtschaftete das Areal ein tures“, wie Schwinge es auch nennt, und die Künste gleichberechtigt zusam- fenbar die Anschnallgurte, mit denen
Digitale Bilder, Töne, Schriftstücke ser Werbebotschaft kommt er auf den volkseigener Betrieb, nach der Wende gibt es Platz für Ausstellungen, Podi- menkamen. Der Freiheitsgedanke spiel- sie in ihrer Raumkapsel Platz genom-
und virtuelle Artefakte sind dadurch eigentlichen Punkt, die spezielle Ziel- verfiel das Gelände. Dann kaufte der In- umsgespräche und Abendessen, Geld te dort eine große Rolle.“ Am Black men hat. Bisher gab es dort vor allem
als Unikate handelbar geworden. gruppe: „Fragen Sie einen Sammler, vestor und Kunstsammler Sven Herr- für Recherche, Technik, Publikationen Mountain College haben Intellektuelle Gruppenausstellungen wie derzeit den
Mittlerweile gibt es einen riesigen warum er Sammler geworden ist, da mann die dortigen Reinbeckhallen. und Editionen, und als Nächstes kommt wie John Cage und Richard Buckmins- zweiten Teil von „Human Machine
Markt für NFT, nicht nur im Kunst- gibt es 1001 Gründe.“ ein College hinzu. Investiert hat die ter Fuller gelehrt, und die Schule hat World – Art for the Anthropocene“ zu
handel. Aber besonders im Kunsthan- Ein Grund eint viele Sammler – und VON GESINE BORCHERDT Gründerin ihre eigenen Mittel, aber ih- später Kunstmarktstars wie Robert sehen. Dabei fand ein Talk mit dem

E
del haben diese Zertifikate der bislang das ist Walter Benjamin. Der Philo- re Begeisterung war ansteckend. Rauschenberg oder John Chamberlain Kunst-Design-Duo Parsons & Charles-
kaum kommerziell verwertbaren digi- soph hatte einst beklagt, dass dem Dort residiert eine von Herrmann hervorgebracht. worth und dem Neurowissenschaftler
talen Kunst einen unfassbaren Auf- „Kunstwerk im Zeitalter seiner tech- initiierte Stiftung, die Werke aus seiner s ist ein Vorteil, wenn man aus Schwinge hat eine Renaissance dieser Ian Erik Stewart vom Max-Delbrück-In-
schwung gegeben. Neue Sammler, IT- nischen Reproduzierbarkeit“ (so auch privaten Sammlung zeigt und Ausstel- der Wirtschaft kommt“, sagt Atmosphäre im Sinn, „um den neuen stitut statt, bei dem es unter anderem
affine Investoren und risikofreudige der Titel seines berühmten Essays) die lungen mit Fokus auf deutsch-deut- Schwinge, die selbst Marketing- Herausforderungen unserer Zeit zu be- um Posthumanität ging.
Spekulanten geben mitunter Dollar- Aura abhandengekommen sei. Diese scher Kunstgeschichte präsentiert: Zur- expertin ist und deren Vater eine Firma gegnen und Themen wie vegane Ernäh- Auch so etwas kann man zu abstrakt
millionenbeträge aus. Umgerechnet in Aura war bis zur Erfindung der Foto- zeit ist etwa die Kunsthalle Rostock mit für Automobilzulieferung betreibt. Vor rung und künstliche Intelligenz in Ver- finden und anmerken, dass hier hochtra-
Kryptowährungen, die sich als maß- grafie an die Einzigartigkeit des künst- einem Überblick ihrer Bestände zu 15 Jahren fand sie ihre zweite Heimat in bindung mit Kunst weiterzudenken“. bende Ansätze lediglich an der Oberflä-
gebliche Devise auf diesem Spielfeld lerischen Objekts gekoppelt. Künstler Gast. Zu Herrmanns Kunststiftung ge- der Kunst. „Ideen, Visionen, Freiheit – Ob man dafür unbedingt die Kunst che von Wissenschaft und Weltgesche-
erwiesen haben. und Kunstgeschichte haben seitdem hören, wie bei Abschreibungsinitiativen und die Frage, wie das Neue in die Welt selbst braucht oder nur ein künstleri- hen kratzen, um eine Elite zwischen
Und auch für die Museen ergibt sich zwar reichlich Ideen entwickelt, um nicht unüblich, ein kuratorisch betreu- kommt, haben mich immer interes- sches Verständnis von Freiheit und Kunst und Campus zu bedienen. Doch
mit NFT eine neue Einnahmequelle, Benjamin das Gegenteil zu beweisen, tes Künstlerresidenzprogramm und ei- siert.“ Ihr Wunsch war es, sich mit an- Kreativität, sei dahingestellt. Zentral ist tatsächlich haben zeitgenössische Künst-
mit der sie ihren völlig unverkäufli- aber viele Sammler – und der Markt! – ne Druckwerkstatt, außerdem gibt es deren auszutauschen und gemeinsam im re:future Lab die Wissensprodukti- ler noch nie so nah an Themen gearbei-
chen Besitz zu Geld machen können. hängen doch sehr am Wert des Einzel- auf dem Gelände Gastronomie und drei zu arbeiten. Eine ganze Reihe von In- on, begleitet von der Haltung des Sha- tet, die die kommenden Zeiten durchweg
Oder es zumindest versuchen. Die Uf- stücks. Hallen für Events aller Art. Kultur und vestoren soll ihr mittlerweile zur Seite ring. „Es geht darum, das Gesamtbild bestimmen werden – somit ist ein künst-
fizien in Florenz etwa haben Michel- Ob NFT den Wert halten, steigern Kreativwirtschaft werden also großge- stehen. „Schließlich habe ich das ge- der Welt in all seiner Komplexität aus lerisches Zukunftsinstitut auch überaus
angelo im Angebot. Und das Belvedere oder verlieren, werden wie üblich Zeit, schrieben. Und so oberschön die Wie- baut, was ich so lange vermisst habe.“ verschiedenen Blickwinkeln wahrzu- zeitgemäß.
probiert es eben mit Klimt: Dateien Angebot und Nachfrage regeln. Ob sie derbelebung des denkmalgeschützten Pierre Huyghe, Annicka Yi oder Paul
Tausender Details des „Kusses“ wur- Kunstwerke sind, muss jeder selbst Ensembles ist, mag die Kunst doch auch Chan etwa experimentieren längst an
den in virtuelle Vermögenswerte um- entscheiden. MARCUS WOELLER dazu dienen, den Wert des Grundstücks den Schnittstellen von Biologie, Neurolo-
und der Gegend anzutreiben. gie und künstlicher Intelligenz. Die Be-
Seit rund vier Jahren haben jedenfalls schäftigung mit spekulativen Materialien
ANZEIGE bekannte Künstler wie Alicja Kwade, Jo- und neuen Technologien, mit Algorith-
rinde Voigt und Christian Jankowski so- men, Überwachung oder Genderfluidität
PICTURE ALLIANCE / BILDAGENTUR-ONLINE/ SCHOENING

wie der kanadische Rocksänger Bryan hat eine völlig neue Ästhetik hervorge-
KUNSTMARKT Adams, der auch Fotograf ist, auf dem bracht, die aus der Gegenwartskunst
Gelände ihre Ateliers eingerichtet. Und nicht mehr wegzudenken ist und auch
Adams hat die sogenannte Spreehalle am Markt Erfolge hat.
mit einem minimalistisch-eleganten Be- Einen Ort zu schaffen, an dem Prota-
UHREN & KUNSTAUKTIONEN tonvorbau versehen lassen, entworfen gonisten aus Kunst und Wissenschaft
SCHMUCK vom Londoner Architekturbüro Feilden zusammentreffen und die Frage „Wie
Clegg Bradley Studios. Genau hier be- wollen wir leben?“ debattieren, ist der
Jetzt einliefern! findet sich neuerdings das wohl span- richtige Ansatz, um gemeinsam Vorstel-
Auktionhaus Michael Zeller
Tel.08382-93020 / art@zeller.de
nendste Projekt auf dem Areal: das „re- lungen zu entwickeln, die unsere Welt
:future Lab“. ein Stück weit besser und unser Denken
Mit dem Kunstmarkt in Gegründet hat das Zukunftsfor- freier machen. In Berlin ist damit ein
WELT AM SONNTAG findet jeder schungsinstitut Madeleine Schwinge, wichtiger Schritt gemacht, um Visionen
sein persönliches Meisterwerk.
eine Unternehmerin mit philosophi- Industriearchitektur des frühen 20. Jahrhunderts: die Reinbeckhallen in die Tat umzusetzen.

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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG
DIE HÖHEPUNKTE DES TAGES SAMSTAG/SONNTAG, 12./13. FEBRUAR 2022
S A M S TAG 1 2 . 0 2 . 2 0 2 2
ARD
5.00 ¥ g Das Gipfeltreffen Show 5.30
Kinder-TV 9.50 ¥ Tagesschau 9.55 ¥
g Elefant, Tiger & Co. Reihe
11.30 ¥ g Quarks im Ersten
12.00 ¥ g Tagesschau
12.05 ¥ g Die Tierärzte Dokureihe
12.55 ¥ g Tagesschau
13.00 ¥ g Frischer Wind Drama
(D 2009) Mit Günther Maria
Halmer. Regie: Imogen Kimmel
14.30 ¥ g Die Inselärztin: Das
Geheimnis Drama (D 2019)
16.00 ¥ g W wie Wissen Magazin
16.30 ¥ g Weltspiegel-Reportage
17.00 ¥ g Tagesschau
17.10 ¥ g Brisant Magazin
17.50 ¥ g Sportschau
Olympia-Highlights
20.00 ¥ g Tagesschau
20.15 ¥ g Der Beschützer Thriller
(D 2021) Mit Tobias Oertel, Mar-
lene Tanczik, Slavko Popadic
21.45 ¥ g Die Diplomatin: Entfüh-
rung in Manila TV-Krimi (D
2016) Mit Natalia Wörner
23.15 ¥ g Tagesthemen
23.45 ¥ g Das Wort zum Sonntag
23.50 ¥ g Mordkommission Istan-
bul: Im Zeichen des Taurus
(2/2) TV-Krimi (D 2016)
1.20 g Tagesschau
1.25 ¥ g Olympische Winterspiele
Peking 2022
3SAT
13.00 ZIB 13.10 Notizen aus dem Aus-
land 13.15 ¥ quer 14.00 Ländermaga-
zin 14.30 ¥ Kunst & Krempel
15.05 ¥ g Traumgärten auf La
Réunion Dokumentation
15.30 g Die Bretagne – Frankreichs
wilde Küste Dokumentation
16.00 ¥ g Ella Schön – Die nackte
Wahrheit Tragikomödie (D
2019) (Forts.: Sa., 12. 02., 17.30)
17.30 ¥ g Ella Schön – Sturmge-
schwister Tragikomödie
(D 2019) Mit Annette Frier
19.00 ¥ g heute
19.20 g Die Schätze des Kaisers vor
Gericht Dokumentation
20.00 ¥ g Tagesschau
20.15 Geburtstagsfest für Wolfgang
Amadé Mozart Konzert
21.45 ¥ g Gustav Mahler in Leip-
zig – Geburt eines Titanen
22.15 ¥ g Precht Gespräch
23.00 H ¥ g Das Flirren am Hori-
zont Drama (CH/B 2019)
0.25 g Berlinale-Studio Magazin
S O N N TAG 1 3 . 0 2 . 2 0 2 2
ARD
9.48 ¥ g Olympische Winterspiele
Peking 2022 Biathlon: 10 km Verfolgung
D / ca. 10.55 Eishockey: Vorrunde Herren,
Finnland – Schweden
11.30 ¥ g Wahl des Bundespräsi-
denten Bericht
11.35 ¥ g Olympische Winterspiele
Peking 2022 Biathlon: 12,5 km
Verfolgung H / ca. 12.50 Short-
track: D und H / ca. 13.30 Curling:
Round Robin Herren
13.50 ¥ g Wahl des Bundespräsi-
denten Bericht
14.40 ¥ g Olympische Winterspiele
Peking 2022 Eishockey: Vorrun-
de Herren, USA – Deutschland /
ca. 16.30 Höhepunkte des 9.
Olympiatages u. a. Ski alpin: Rie-
senslalom Herren / Biathlon: 10
km Verfolgung Damen
17.50 ¥ g Tagesschau
18.00 ¥ g Bericht aus Berlin
18.30 ¥ g Weltspiegel (Wh.)
19.15 ¥ g Sportschau
20.00 ¥ g Tagesschau
20.15 ¥ g Tatort: Saras Geständnis
TV-Krimi (D 2022) Mit Eva Löbau
21.45 ¥ g Anne Will Diskussion
22.45 ¥ g Tagesthemen
23.15 ¥ g ttt Magazin
23.45 H ¥ Der Moment der Wahr-
heit Drama (USA/AUS 2015)
1.40 g Tagesschau
3SAT
10.05 ¥ g lesenswert 10.35 g Wiener
Plätze – Wien damals 12.05 g Kunst in
der Wüste 13.00 ¥ g ZIB 13.05 ¥ g
Bergdörfer in der Steiermark – Leben
auf hohem Niveau 13.30 g Erlebnis-
reisen 13.45 ¥ g Südtirol
15.15 ¥ g Trauminseln Dokureihe
16.45 H ¥ õ g Der Wein und der
Wind Komödie (F 2017)
18.30 g Schweizweit
19.00 ¥ g heute
19.10 g NZZ Format
19.40 g Schätze der Welt
20.00 ¥ g Tagesschau
20.15 ¥ g Nuhr im Ersten
Show. Gäste: Monika Gruber,
Barbara Ruscher, Ingo Appelt,
Benedikt Mitmannsgruber
21.00 g Florian Schroeder: Schluss
mit der Meinungsfreiheit!
21.45 H ¥ õ g Wilde Maus
Tragikomödie (A/D 2017)
23.25 H ¥ g Thelma Drama (N/F/
DK/S 2017) Mit Eili Harboe
1.15 ¥ g Trauminseln (Wh.)
WENN DU DOKUS LIEBST
NR. 7
ZDF
5.30 ¥ g Olympische Winterspiele
Peking 2022 8.30 g heute Xpress 8.35
¥ g Olympische Winterspiele Peking
2022 ca. 08.35 Langlauf / ca. 09.50 Eisho-
ckey: Deutschland – China / ca. 10.00 Bi-
athlon 10 km Sprint H / ca. 11.15 Eishockey:
Vorrunde: H, Deutschland – China
11.30 g heute Xpress
11.35 ¥ g Olympische Winterspiele
Peking 2022 ca. 12.00 Skisprin-
gen / ca. 13.35 Damen, 3. Lauf / ca.
14.15 Eisschnelllauf, Zsfg. / ca.
14.55 Skeleton: Damen, 4. Lauf
15.00 ¥ g heute Xpress
15.05 ¥ g Olympische Winterspiele
Peking 2022 ca. 15.40 Eishockey:
ROC – Tschechien, Schweiz – Dä-
nemark / ca. 16.30 Curling Zsfg. /
Eiskunstlauf, Zsfg. / Eishockey, Zs-
fg. / Highlights
17.00 ¥ g heute Xpress
17.05 ¥ g Länderspiegel Magazin
17.35 ¥ g plan b Dokureihe
18.05 ¥ g SOKO Wien
19.00 ¥ g heute/Wetter
19.20 ¥ g Wetter
19.25 ¥ g Die Bergretter
20.15 Die Giovanni Zarrella Show
23.15 ¥ g heute-journal
23.30 ¥ g Das aktuelle Sportstudio
1.00 ¥ g heute-show
1.30 H ¥ g Der Pate Mafiafilm
(USA 1972) Mit Marlon Brando
ARTE
7.00 g GEO Reportage 8.45 g Stadt
Land Kunst (Wh.) 10.05 g Geschichte
schreiben 10.50 g Cuisine Royale
11.15 g Tropische Inseln unserer Er-
de (Wh.) 13.30 g Unsere Erde, der
mysteriöse Planet Dokureihe
15.00 g Costa Rica –
Der Natur zur Seite stehen
15.55 g Pumas – Legenden der
Anden Dokumentation
17.25 Arte Reportage Reihe
18.20 g Mit offenen Karten Magazin
18.35 g Der vergessene Tempel von
Banteay Chhmar
19.20 Arte Journal
19.40 ¥ g GEO Reportage
20.15 g Flucht im Namen Gottes –
Die Hugenotten
21.55 g Voll elektrisch: Die Luft-
fahrt der Zukunft Doku
22.45 g 42 – Die Antwort auf
fast alles Dokumentationsreihe
23.15 g Die Elektroflieger:
Mit Strom in die Luft Doku
0.10 g Philosophie Magazin
ZDF
5.45 g Deutschland von oben 6.00
Kinder-TV 9.03 ¥ sonntags 9.30 ¥ g
Gottesdienst 10.15 ¥ g Katie Fforde:
Zurück ans Meer Melodram (D/USA
2015) Mit Jennifer Ulrich
11.45 g heute Xpress
11.50 ¥ g ZDF spezial Magazin
12.35 ¥ g Bares für Rares –
Händlerstücke Magazin
13.20 ¥ g Mein Hund fürs Leben
14.05 ¥ g ZDF spezial Magazin
14.45 ¥ g Bares für Rares –
Lieblingsstücke Trödel-Show
15.40 ¥ g heute Xpress
15.45 ¥ g Die Rosenheim-Cops
16.30 ¥ g planet e. Dokureihe
17.00 ¥ g heute
17.15 ¥ g Arctic Blue – Machtpoker
im schmelzenden Eis Doku
18.00 ¥ g ZDF.reportage Reihe
18.30 ¥ g Terra Xpress Magazin
18.55 ¥ g Aktion Mensch Gewinner
19.00 ¥ g heute
19.10 ¥ g Was nun? Gespräch
19.30 ¥ g Faszination Erde
20.15 ¥ g Frühling: Alte Liebe, neue
Liebe Melodram (D 2022)
21.45 ¥ g heute-journal
22.15 ¥ g Agatha Christies Hjerson
TV-Krimi (S 2021)
23.40 ¥ g Alltag in der Hölle –
Deutsche Männer im Krieg
0.25 g heute Xpress
ARTE
11.20 g Helgoland – Wilde Welt am
roten Felsen 12.15 g Finnland 13.10
g Mord im Mittsommer: Vicky TV-
Krimi (S 2020) 14.40 g Pekings Verbo-
tene Stadt Dokumentarfilm (GB 2017)
16.15 g Gabriele Münter –
Pionierin der Moderne
17.10 ¥ Twist Magazin
17.40 g Anne-Sophie Mutter spielt
John Williams
18.25 g Zu Tisch .... In Kampanien
18.55 g Karambolage Magazin
19.10 Arte Journal
19.30 g Die Maultrommel – Jakuti-
ens Schlüssel zum Glück
20.15 H g Der Mann, der niemals
aufgibt Kriminalfilm (USA 1977)
22.00 g Billy the Kid Porträt
22.55 g Hope on the Road: Daniel
Hope auf den Spuren irischer
Musik Dokumentation
23.50 g Antonio Vivaldi: „Die vier
Jahreszeiten“ Konzert
0.45 g Stadt Land Kunst
2.15 H g Marija Drama (D/CH 2016)
RTL
5.00 g Der Blaulicht-Report Doku-
Soap. U.a.: Raubüberfall im Kino / Minder-
jährige wird in Auto gezerrt / Familie er-
tappt Verlobten beim Sex / Mutter rastet
auf Spielplatz aus / Frau erwischt Mann
mit Nacktputzerin / Mann wird verprü-
gelt / Video illegal aufgenommen / In Not-
wehr / Geballte Eifersucht / Romeo & Ju-
lia / Mitleidsmasche
13.45 g Die Retourenprofis
Show. Retouren sind kein leich-
tes Spiel / Mystery hoch zwei
15.45 g Best of ...! Show
16.45 g Explosiv – Weekend
Magazin. Moderation: Jana Azizi
17.45 g Exclusiv – Weekend
Magazin
18.45 g RTL Aktuell
19.05 g Life – Menschen, Momente,
Geschichten Magazin
20.15 g Deutschland sucht den
Superstar Show. Die Castings
(6/10). Jury: Florian Silbereisen,
Ilse DeLange, Toby Gad. 2022 be-
wertet das Können der Kandida-
ten u.a. Toby Gad, der Mann, der
Weltstars wie Beyoncé und Ma-
donna produziert.
23.00 g 7 Tage, 7 Köpfe Show
Moderation: Guido Cantz
23.45 g Take Me Out
Shoe. Moderation: Jan Köppen
Neue Folgen
1.50 g Date or Drop Show
2.50 g Take Me Out Show (Wh.)
4.50 RTL Samstag Nacht – Best of
WDR
9.45 ¥ g Aktuelle Stunde 10.30 Lokal-
zeit 11.00 Quarks 11.30 ¥ g Die Maus
12.00 ¥ g neuneinhalb kompakt 12.05
¥ g Kaiser! König! Karl! 12.15 ¥ g
Wilder Wilder Westen 13.45 ¥ g Das
Gewinnerlos Tragikomödie (D 2015)
15.15 ¥ g Feuer & Flamme
16.00 Passt, wackelt und hat Luft
16.45 ¥ g 2 für 300 Reportagereihe
17.15 ¥ g Einfach und köstlich
17.45 Kochen mit Martina u. Moritz
18.15 ¥ g Westart Magazin
18.45 ¥ g Aktuelle Stunde
19.30 ¥ g Lokalzeit Magazin
20.00 ¥ g Tagesschau
20.15 ¥ Tatort: Krumme Hunde
TV-Krimi (D 2008) Mit Axel Prahl
21.45 ¥ g Die Bestatterin – Der
Tod zahlt alle Schulden
Krimikomödie (D 2019)
23.10 H ¥ g Ein Gauner & Gentle-
man Krimikomödie (USA/GB
2018) Mit Robert Redford
0.35 ¥ Tatort: Krumme Hunde
TV-Krimi (D 2008) (Wh.)
RTL
5.15 H g Der zweite Hochzeitstag Ro-
mantikkomödie (USA 2017) Mit Kayla
Ewell 6.55 H g Royal Matchmaker –
Die königliche Heiratsvermittlerin Ro-
manze (USA 2018) 8.40 g Harry & Meg-
han – Eine königliche Romanze Liebes-
film (USA 2018) Mit Murray Fraser 10.45
H g Plan B für die Liebe Romantikko-
mödie (USA 2010) Mit Jennifer Lopez,
Alex O’Loughlin, Michaela Watkins
13.00 H g Wedding Planner –
Verliebt, verlobt, verplant
Komödie (USA/D 2001) Mit Jen-
nifer Lopez, Matthew McCo-
naughey, Justin Chambers
Regie: Adam Shankman
15.15 H g Manhattan Love Story
Liebeskomödie (USA 2002)
Mit Jennifer Lopez
Regie: Wayne Wang
17.30 g Die Unvermittelbaren
Doku-Soap. Mit Martin Rütter
18.45 g RTL Aktuell
19.05 g Die Unvermittelbaren
Doku-Soap. Mit Martin Rütter
20.15 H g Good Boys – Nix für klei-
ne Jungs Komödie (USA 2019)
Mit Jacob Tremblay. Max, Thor
und Lucas werden zu einer
Knutschparty eingeladen. Doch
sie wissen nicht, wie das geht.
22.00 H g RoboCop Actionfilm (USA
2014) Mit Joel Kinnaman, Gary
Oldman, Michael Keaton
0.15 H g Walking Tall – Auf eigene
Faust Actionfilm (USA 2004)
WDR
8.15 ¥ g 2 für 300 8.45 ¥ g Einfach
und köstlich – Kochen mit Björn Frei-
tag 9.15 ¥ g Kochen mit Martina und
Moritz 9.45 ¥ g Westart 10.15 ¥ g
Kölner Treff 11.50 ¥ g Der Himmel
über NRW 12.35 ¥ g Unser Westen,
unser Bestes 13.20 ¥ g Campervan-
Roadtrip an die Mecklenburgische Se-
enplatte 14.05 ¥ g Wunderschön!
15.35 ¥ g Rentnercops Krimi-Serie
17.15 Die Tierärzte – Retter mit Herz
18.00 ¥ Tiere suchen ein Zuhause
18.45 ¥ g Aktuelle Stunde
19.30 ¥ g Westpol Magazin
20.00 ¥ g Tagesschau
20.15 ¥ g Trauminseln
Dokumentationsreihe
21.45 ¥ g Sportschau
22.15 ¥ g Zeiglers wunderbare
Welt des Fußballs Show
22.45 ¥ g sport inside
23.15 ¥ g Generation F –
Zeit für Sportler:innen
23.55 g Monitor studioM Magazin
0.55 g Rockpalast Konzert
© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
FERNSEHEN 47
SAT.1 PRO 7 KABEL 1 BILD-TV
5.15 g Genial daneben – Das Quiz 7.55 5.15 g Galileo Magazin 6.10 g The 5.20 ¥ g EUReKA – Die geheime Stadt Nachrichten um 8, 9, 12, 15, 18, 19, 20 Uhr 5.30 g Flüge Extrem Dokumentations-
g Leben leicht gemacht – The Biggest Middle 7.05 ¥ g Two and a Half Men (Wh.) 6.20 ¥ g The Mentalist Krimi- 8.00 g Die Welt am Morgen 9.00 reihe 6.00 g Footprints Dokureihe
Loser Show. Coach: Dr. Christine Theiss, 7.55 ¥ g The Big Bang Theory Sitcom Serie. Sport ist Mord 7.10 ¥ g Elemen- WELT-Newsroom 12.00 Die Welt am 11.00 g Flüge Extrem Dokumentati-
Ramin Abtin, Sigrid Ilumaa, Dr. Christian 9.15 Man with a Plan Comedy-Serie 9.40 tary Krimi-Serie. Die Eine, die entkam. Mit Mittag 12.10 g Carrier Strike Group 8 onsreihe. U.a.: Panik über Shark
Westerkamp, Miriam Höller 10.15 g g The Great Indoors Comedy-Serie. Jonny Lee Miller 8.05 ¥ g Navy CIS 15.00 g WELT-Newsroom Bay / Looping nach London / Ex-
Promis backen privat Doku-Soap. Das Liebeswahn / Alphamännchen 10.35 Eine Krimi-Serie. Bikini Girl. Mit Mark Harmon 15.10 Das Gefängnis HMP Durham plosion in Las Vegas / Gestrandet
Lieblingsrezept von Pascal Hens schrecklich nette Familie 9.00 ¥ g Blue Bloods – Crime Scene 16.05 g Frauen in Russlands Ge- in Alaska / Notlandung auf dem
11.10 ¥ g Das große Promibacken 11.35 g Superstore Comedy-Serie New York Krimi-Serie. Anstiftung zum fängnissen Dokumentation Hudson River / Crash im Paradies
13.40 g 99 – Eine:r schlägt sie alle! 12.30 g Mr. Griffin – Kein Bock auf Mord / Die letzte Beichte. Mit Met: Tom 17.05 Eine Kleinstadt hinter Gittern – 16.55 g Rungis Paris – Der größte
17.00 g Let the music play – Schule Comedy-Serie Selleck 10.50 ¥ g Castle Krimi-Serie. Die Gefängnisanlage Wittlich Großmarkt der Welt Doku
Das Hit Quiz Show. Sabrina, Ve- 13.20 ¥ Die Simpsons Zeichentrick- Verliebt, verlobt, verknackt / Castle und 18.00 g Die Welt am Abend 17.45 g Die Metro von Moskau –
ra, Thomas / Heiko, Melina, Tho- Serie. Das magische Kindermäd- die Wunderlampe / Code 44 / Man stirbt 18.05 g Tod bei Nacht Reihe Paläste im Untergrund Doku-
mas. Moderation: Amiaz Habtu chen / Homer und New York / Al- nur dreimal / Mord à la Shakespeare 19.00 g Die Welt am Abend mentation. Das Moskauer U-
19.55 g Sat.1 Nachrichten les Schwindel / Neutronenkrieg 15.30 ¥ g Hawaii Five-0 Krimi-Serie. 19.05 g Tod bei Nacht Reihe Bahn-System gilt als das schnells-
20.15 H ¥ g Rampage – Big meets und Halloween / Homer und der Der Mann im Bunker. Drei Jun- 20.00 g Die Welt am Abend te, sicherste und auch das pünkt-
Bigger Actionfilm (USA 2018) Mit Revolver / Bart ist mein Superstar gen finden einen leblosen Mann. 20.05 g Tod bei Nacht Reihe lichste weltweit. Etwa neun Mio.
Dwayne Johnson, Naomie Harris. 16.15 ¥ g Two and a Half Men Sit- Max und Steve stellen fest, dass 23.50 g The Incredible Miniature Fahrgäste nutzen täglich die Met-
Der Primatenforscher Davis Oko- com. Ein-Ei-Johnson / Der Baum- der vermeintliche Tote noch lebt. Fighters Dokumentationsreihe ro, um innerhalb der Stadt von A
ye hat eine besondere Beziehung verkäufer. Mit Ashton Kutcher 16.25 g News 2.05 g Eva Braun Dokumentation nach B zu gelangen.
zum Silberrücken George. Nach 17.10 ¥ g Young Sheldon 16.40 ¥ g Hawaii Five-0 Sex, Lügen 18.40 g Megaschiffe –
einem illegalen genetischen Expe- Comedy-Serie. Football, Mathe und Video / Das Päckchen / Späte Giganten der Meere Dokumen-
riment verwandelt sich das Tier und ein Busen / Ein Aufnäher, ein Rache / Die Abrechnung tationsreihe. Yasin Bey – Das
vom liebenswerten Kumpel in Modem und ein Magengeschwür 20.15 ¥ g 9-1-1 Notruf L.A. Drama- schwimmende Kraftwerk /
eine wilde Bestie. 18.00 g Newstime Serie. Echte Helden / Trauma. Containergigant MSC Oscar –
22.25 H ¥ g Contagion Thriller 18.10 ¥ g Die Simpsons Zeichen- Abby von der Notrufzentrale, 20.000 Kilometer auf dem Meer
(USA/VAE/HK 2011) Mit Matt Da- trick-Serie. Global Clowning / der Feuerwehrmann Bobby und 20.15 g Notruf aus dem All Dokurei-
mon, Kate Winslet, Marion Cotil- White Christmas Blues die Polizistin Athena sind in L.A. he. U.a.: Feuer auf der Mir. Wäh-
lard. Regie: Steven Soderbergh 19.05 g Galileo Magazin ein eingespieltes Team. rend der Mission eines US-Astro-
0.25 H ¥ g Rampage – Big meets 20.15 g Die Stapelshow Moderation: 22.20 ¥ g MacGyver Flitterwochen / 20.05 In der Nacht werden selbst Fle- nauten in der russischen Raum-
Bigger Actionfilm (USA 2018) Matthias Opdenhövel Atomarer Ausflug dermäuse zur Beute von Bindenwa- station Mir brach ein Feuer an
Mit Dwayne Johnson (Wh.) 22.35 g Formel E: FIA-Weltmeister- 0.10 ¥ g Criminal Minds Krimi-Se- ranen, Pythons und Vipern. Sie haben Bord aus. / Druckverlust / Schäden
2.15 H ¥ g Contagion schaft Aus Mexico City rie. Die Infektion / Wahrheit oder sich optimal an den Lebensrhythmus am Shuttle / Giftige Gase / Feuer
Thriller (USA/VAE/HK 2011) 0.10 g Joko gegen Klaas – Pflicht. Mit Joe Mantegna ihrer Opfer angepasst. Auch die auf der Mir / Druckverlust / Schä-
Mit Matt Damon (Wh.) Das Duell um die Welt Show 1.50 ¥ g 9-1-1 Notruf L.A. (Wh.) Asiatische Moschusspitzmaus jagt den am Shuttle / Giftige Gase /
3.55 H ¥ g Freelancers Action- 3.35 g Heroes of the Internet 3.20 ¥ g MacGyver Flitterwochen / bevorzugt in der Finsternis. Am liebs- Feuer auf der Mir / Druckverlust /
thriller (USA 2012) Mit 50 Cent 4.20 g Galileo Magazin Atomarer Ausflug (Wh.) ten verschlingt sie Vampirkrabben. Schäden am Shuttle (bis 5.25)
NDR BAYERN SWR HESSEN MDR
9.00 ¥ g Nordmagazin 9.30 ¥ g H.- 10.30 ¥ Ein Strauß voll Glück Drama (D 10.15 ¥ g Nachtcafé 11.45 ¥ Um Him- 8.40 ¥ g hessenschau 9.10 ® Der Va- 18.50 ¥ g Wetter 18.54 ¥ Sandmann
Journal 10.00 ¥ g S.-H. Magazin 10.30 2009) 12.00 ¥ õ Eltern allein zu Haus: mels Willen 12.30 ¥ g Die Eifelpraxis: ter und sein Sohn 9.35 ¥ Rentnercops 19.00 ¥ g MDR Regional 19.30 ¥ g
g buten un binnen 11.00 ¥ g Hallo Frau Busche Komödie (D 2017) Mit Anna Väter und Söhne Drama (D 2017) Mit 10.25 3 nach 9 12.25 Nachtcafé 13.55 MDR aktuell 19.50 ¥ Quickie 20.15 ¥
Niedersachsen (Wh.) 11.30 ¥ g Die Schudt 13.30 ¥ Verrückt nach Meer Rebecca Immanuel 14.00 Fußball: 3. Liga ¥ g Welt der Tiere 14.25 ¥ Auf Leben g Ein Kessel Buntes 23.15 ¥ g MDR
Nordreportage 12.00 ¥ g Unsere 15.10 Glockenläuten Magazin 1. FC Kaiserslautern – 1. FC Magdeburg und Tod Dokumentationsreihe aktuell 23.20 ¥ g Bauerfeind – Die
Dörfer – Niedergang und Aufbruch 15.15 ¥ Bilder einer Landschaft 16.00 Eisenbahn-Romantik 15.10 ¥ Elefant, Tiger & Co. Reihe Show zur Frau 23.50 H ¥ g The Ex-
12.45 ¥ g Weltbilder 13.15 ¥ g Im 16.00 ¥ BR24 Rundschau 16.15 ¥ Lecker aufs Land – 16.00 ¥ Hessen à la carte Fleisch für pendables – Stahlharte Söldner 2 Ac-
Herzen Portugals 14.00 ¥ g Fußball: 16.15 ¥ õ Wie ein einziger Tag ein kulinarischer Ausflug Kenner / Lieblingsburger – von tionfilm (USA/D/BUL/CHN 2012) 1.20 ¥
3. Liga 26. Spieltag: Eintracht Braun- 17.00 ¥ Anna und die Haustiere 17.00 ¥ g Am Pass – Geschichten Pulled Pork bis vegetarisch g Mankells Wallander: Vor dem Frost
schweig – SC Freiburg II 17.15 Blickpunkt Sport Mit der 3. Liga aus der Spitzenküche 17.15 ¥ g Was wurde aus ...? Kriminalfilm (S/D/DK/N/FIN 2005)
16.00 ¥ g Verrückt nach Camping 17.45 ¥ Zwischen Spessart 17.30 ¥ SWR Sport 17.45 maintower weekend Magazin
16.45 ¥ g Hubert ohne Staller und Karwendel Magazin 18.00 ¥ SWR Aktuell BW 18.15 ¥ Radikal komisch –
17.35 ¥ Neues aus Büttenwarder 18.30 ¥ BR24 Rundschau 18.15 ¥ menschen & momente Die Macht der Satire
STREAMING-TIPP
18.00 ¥ g Nordtour Magazin 19.00 ¥ Gut zu wissen Magazin 18.45 ¥ Stadt – Land – Quiz Show 18.45 ¥ g Herrliches Hessen
18.45 ¥ g DAS! 19.30 ¥ Kunst & Krempel 19.30 ¥ SWR Aktuell BW 19.30 ¥ g hessenschau Magazin Über mir der Himmel (Drama) Die
Gast: Wolfgang Schreil 20.00 ¥ Tagesschau 20.00 ¥ g Tagesschau 20.00 ¥ Tagesschau 17-jährige Lennie (Grace Kaufman), ein
19.30 Ländermagazine 20.15 ¥ Tatort: Wohnheim West- 20.15 H ¥ g Mit eisernen Fäusten 20.15 g Wunderschön! musikalisches Wunderkind, trauert um
20.00 ¥ g Tagesschau endstraße TV-Krimi (D 1976) Western (USA 1968) Reportagereihe. Unterwegs mit ihre ältere Schwester Bailey. Als sie sich in
20.15 ¥ g Lass Dich überraschen 21.45 ¥ BR24 Rundschau 21.55 ¥ SWR Aktuell BW Magazin Tamina Kallert und Stefan Pin- ihren neuen Mitschüler Joe verliebt, be-
am laufenden Band Reportage 22.00 ¥ Tatort: Das Mädchen am 22.00 H ¥ g Der gebrochene Pfeil now. U.a.: Schweden-Reisen lastet das ihre ohnehin schon schwierige
22.00 ¥ g Bäckström Klavier TV-Krimi (D 1977) Western (USA 1950) 21.45 ¥ g Norddeutschland bei Beziehung zu Toby (Pico Alexander),
Das Versteck / Das Urteil 23.30 Tatort: Ende der Vorstellung 23.30 H ¥ g Der letzte Wagen Wes- Nacht Dokumentarfilm (D 2019) dem verzweifelten Freund von Bailey. Ih-
23.30 ¥ Die Nacht der großen Flut TV-Krimi (D 1979) tern (USA 1956) Mit R. Widmark 23.15 ¥ Maria Wern, Kripo Gotland: re vielen Sorgen verarbeitet Lennie in ei-
Drama (D 2005) Mit Ulrich Tukur 1.05 ¥ Der letzte Stammtisch 1.05 H ¥ g Mit eisernen Fäusten Kinderspiel TV-Krimi (S 2011) nem Song. – Nach dem gleichnamigen
1.00 ¥ g Nordtour Magazin (Wh.) Familienfilm (D 1984) Western (USA 1968) (Wh.) 0.40 ¥ g Wenn die Stille einkehrt Roman von Jandy Nelson Apple TV+
SAT.1 PRO 7 KABEL 1 BILD-TV
5.25 g Watch Me – das Kinomagazin 5.15 g The Great Indoors Comedy-Se- 5.25 ¥ g Blue Bloods – Crime Scene Nachrichten um 8, 9, 12, 15, 18, 19, 20 Uhr 5.25 g Notruf aus dem All Dokumenta-
5.30 g Auf Streife 7.35 g Spiegel TV – rie 5.35 g Superstore Comedy-Serie New York 6.05 ¥ g Castle 10.25 g 8.00 Die Welt am Morgen 9.00 g tionsreihe 9.00 g Die Lage der Liga
Reportage Reportagereihe (Wh.) 8.40 6.15 ¥ g The Last Man on Earth Co- Abenteuer Leben Spezial Magazin. Von WELT-Newsroom 11.45 g WELT Live 10.00 g Bayern-Insider Mit Valentina
g So gesehen – Talk am Sonntag Ge- medy-Serie 7.10 Eine schrecklich nette Gold bis Schrott – Das Auto-Spezial 12.30 g WELT Live 13.00 g WELT Maceri, Christian Falk
spräch 9.00 g SAT.1-Frühstücksfern- Familie 8.10 ¥ Die Simpsons Zeichen- 12.25 Rosins Heldenküche – Letzte Live 13.30 g WELT Live 14.00 g 11.00 g Reif ist Live.
sehen am Sonntag Magazin trick-Serie. Rache ist dreimal süß / Spring- Chance Traumjob Doku-Soap WELT Live 14.30 g WELT Live Der Fußball-Talk Mit Marcel
11.00 g CATCH! Kampf der Konti- field wird erwachsen 9.00 g Galileo 15.00 g Mein Lokal, Dein Lokal – 15.00 g WELT Live Reif, Matthias Brügelmann
nente 2022 Show (Wh.) 12.20 g Die Stapelshow Der Profi kommt Reportagerei- 15.15 g Lost Places Dokureihe 12.00 g InTORnational Moderation:
13.30 H ¥ g Fünf Freunde 4 14.30 g Wer stiehlt mir die Show? he. „Marc kocht“, Erfurt 18.00 g Die Welt am Abend Carli Underberg, Filip Thiel
Familienfilm (D/TUN 2015) Kandidaten: Anke Engelke, Mark 16.00 g News 18.05 g Lost Places 13.00 g Playbook XXL – Die BILD-
Mit Valeria Eisenbart Forster, Riccardo Simonetti 16.15 g Mein Lokal, Dein Lokal – 19.00 g Die Welt am Abend Show zum Super Bowl
15.30 H ¥ g Ein Mann für alle Un- 17.35 g Newstime Der Profi kommt Reportagerei- 19.05 g The Incredible Miniature 14.00 g Die Lage der Liga Mit Walter
fälle Komödie (USA 2008) Mit 17.45 g taff weekend Magazin. Taff – he. „Alte Remise“, Weimar- Fighters Dokumentationsreihe M. Straten, Alfred Draxler
Owen Wilson, David Dorfman, Das Lifestyle-Magazin auf ProSie- Tiefurt / „Punjabi Virsa“, Erfurt / 20.00 g Die Welt am Abend 15.00 g Bayern-Insider Mit Valentina
Nate Hartley. Regie: Steven Brill ben berichtet über die neuesten „Palais Restaurant“, Erfurt / 20.05 g Hitlerjugend – Vom Sport- Maceri, Christian Falk
17.30 g Leben leicht gemacht – Trends aus den Bereichen Beau- „Stiefelburg“, Nauendorf platz an die Front Doku 16.00 g Reif ist Live.
The Biggest Loser Show ty & Fashion, Culture und Style. 20.15 g Countdown im Miniatur 22.05 g Hell on Earth Dokureihe Der Fußball-Talk
Coaches: Dr. Christine Theiss, Alles, was gerade angesagt ist, Wunderland: Rekordprojekt 1.40 g The Incredible Miniature 17.00 g InTORnational Moderation:
Ramin Abtin, Sigrid Ilumaa, kommt zur Sprache. Rio Reportage. Das Miniatur Fighters Dokumentationsreihe Carli Underberg, Filip Thiel
Dr. Christian Westerkamp 19.05 ¥ g Galileo Plus Magazin Wunderland hat nach vierjähri- 18.00 g Innenansichten Dokumenta-
19.55 g Sat.1 Nachrichten Wohnträume ger Bauzeit seine Ausstellungsflä- tionsreihe. Michael Jackson /
20.15 H ¥ g Klassentreffen 1.0 Ko- 20.15 H ¥ g Guardians of the Ga- che erweitert: mit einer fast 50 Freddie Mercury
mödie (D 2018) Mit Samuel Finzi, laxy Vol. 2 Sci-Fi-Film (USA 2017) Quadratmeter großen Miniversi- 19.25 g Joe Exotic: Neue Enthüllun-
Milan Peschel, Til Schweiger. Für Mit Chris Pratt, Zoë Saldana, Da- on der brasilianischen Millionen- gen Dokumentationsreihe
Nils, Andreas und Thomas steht ve Bautista. Regie: James Gunn. Metropole Rio de Janeiro. 21.50 g Joe Exotic: Das Leben des
das Abi-Treffen an. Eigentlich ha- Rocket stiehlt heilige Energiezel- 22.10 g Abenteuer Leben am Sonn- Tiger Kings Dokumentation
ben die Endvierziger keine Lust len vom Heimatplaneten der So- tag Die neuesten Fitnessgad- 22.45 g Die richtigen Fragen Mod.:
auf diese Veranstaltung, tragen vereigns und zieht deren gren- gets – Schrott oder Top? Dieses Kai Weise, Paul Ronzheimer
sie doch alle drei berufliche und zenlosen Hass auf sich. Magazin bietet auf unterhaltsame 15.15 Zu Zeiten des Goldrauschs im 23.45 g Joe Exotic: Das Leben des
private Probleme mit sich herum. 23.05 ¥ g American Football NFL und sehr verständliche Art und 19. Jh. erbaut, ist Bodie, an der Grenze Tiger Kings Dokumentation
22.50 H ¥ g Vier gegen die Bank Super Bowl 2022: Los Angeles Weise Wissen zum „Anpacken“ von Kalifornien zu Nevada, heute eine 0.40 g Joe Exotic: Neue Enthüllun-
Krimikomödie (D 2016) Mit Til Rams – Cincinnati Bengals. Kom- in Spielfilmlänge. Der Zuschauer Geisterstadt, deren Ruinen erstaunlich gen Dokumentationsreihe
Schweiger, Matthias Schweighö- mentar: Jan Stecker, Christoph kann die erhaltenen Ratschläge gut erhalten sind. Das liegt an der dort 2.45 g Joe Exotic: Das Leben des
fer, Michael Bully Herbig „Icke“ Dommisch. Experte: Pa- sofort in den Alltag umsetzen. herrschenden geringen Luftfeuchtig- Tiger Kings Dokumentation
0.35 H ¥ g Klassentreffen 1.0 trick Esume, Björn Werner 0.15 g Trucker Babes – 400 PS keit. Außerdem geht es in dieser 3.25 g Joe Exotic: Neue Enthüllun-
Komödie (D 2018) 4.50 g taff weekend Magazin in Frauenhand Doku-Soap Episode in die Katakomben von Paris. gen Dokumentationsreihe
NDR BAYERN SWR HESSEN MDR
9.00 ¥ g Nordmagazin 9.30 ¥ g 9.00 H Der kleine Rabe Socke 2 Anima- 10.45 ¥ g Elstners Reisen 12.15 H ¥ 10.10 ¥ g Der Winzerkönig 10.55 ¥ 16.45 ¥ Spuk im Hochhaus 18.00 ¥ g
Hamburg Journal 10.00 ¥ g Schles- tionsfilm (D 2015) 10.10 KlickKlack 10.40 g Der Graf von Monte Christo (1/2) g In aller Freundschaft 11.40 ¥ g In MDR aktuell 18.10 ¥ g Brisant 18.52 ¥
wig-Holstein Magazin 10.30 g buten õ BR-Klassik 11.00 Der Sonntags- Der Verrat. Abenteuerfilm (F/I 1954) aller Freundschaft – Die jungen Ärzte Sandmann 19.00 ¥ g MDR Regional
un binnen 11.00 ¥ g Hallo Nieder- Stammtisch 12.00 ¥ quer 12.45 ¥ (Forts.: So., 13. 02., 13.50 Uhr) 13.50 H ¥ 12.30 H Eine Liebe später Drama (D 19.30 ¥ g MDR aktuell 19.50 ¥ g Kri-
sachsen 11.30 ¥ Baby frei Haus Komö- Querbeet 13.15 Vom Leben im Isartal g Der Graf von Monte Christo (2/2) 2021) 14.00 Formentera – Insel-Para- po live 20.15 ¥ g Sagenhaft 21.45 ¥
die (D 2009) Mit Francis Fulton-Smith einst und jetzt 13.45 ¥ Meister Eder Die Rache. Abenteuerfilm (F/I 1954) dies im Mittelmeer 14.45 ¥ Rhodos – g MDR aktuell 22.00 ¥ g Sportschau
13.00 ¥ g Wunderschön! 14.30 ¥ ma- und sein Pumuckl Kinder-Serie 14.30 15.15 ¥ g Mensch, Leute! Helios in Love Dokumentation 22.20 ¥ g MDR Zeitreise 22.50 ¥ g
reTV Classics Reportagereihe Zsammg’spuit in Osttirol Show 15.45 ¥ g Billy Kuckuck – Margot 15.30 ¥ g Alles Wissen Magazin Prachtboulevard und Pflaster der Re-
16.00 Wünsch dir Sass! Reihe 15.15 Heimat der Rekorde muss bleiben! Komödie (D 16.15 ¥ Mex – Das Marktmagazin volution 23.35 g Erlebnis Musik Kon-
Schnelle Gulaschsuppe 16.00 ¥ BR24 Rundschau 2018) Mit Aglaia Szyszkowitz 17.00 ¥ g Mittendrin Doku zert 0.40 ¥ Kripo live (Wh.)
16.30 g Iss besser! – Tariks wilde 16.15 ¥ Unser Land Magazin 17.15 g Der blaue Planet 17.45 ¥ g Ressource Müll
Küche Dokumentationsreihe 16.45 Euroblick Magazin 18.00 ¥ SWR Aktuell BW 18.30 ¥ Engel fragt
17.00 g Bingo! – Die Umweltlotterie 17.15 ¥ Einfach. Gut. Bachmeier 18.15 ¥ Ich trage einen 19.00 ¥ g Starke Frauen – mit Mut STREAMING-TIPP
18.00 ¥ g Ostseereport Reihe 17.45 Schwaben und Altbayern großen Namen Show aufs Land! Reportage
18.45 ¥ g DAS! Gast: Ulrich Wickert 18.30 ¥ BR24 Rundschau 18.45 ¥ Treffpunkt Reportagereihe 19.30 ¥ g hessenschau Magazin I Want You Back (Liebeskomödie) Peter
19.30 Ländermagazine 18.45 ¥ freizeit Magazin 19.15 ¥ g Die Fallers Soap 20.00 ¥ Tagesschau (Charlie Day) und Emma (Jenny Slate)
20.00 ¥ g Tagesschau 19.15 ¥ Unter unserem Himmel 19.45 ¥ SWR Aktuell BW Magazin 20.15 Das Lustigste aus der hessi- wurden am selben Wochenende uner-
20.15 ¥ g Mit dem Postschiff durch 20.00 ¥ Tagesschau 20.00 ¥ g Tagesschau schen Fastnacht 2021 wartet von ihren jeweiligen Partnern An-
Sibirien 2000 Kilometer auf 20.15 ¥ Der Komödienstadel: Die 20.15 ¥ g Schwaben weissblau, 21.45 ¥ g Dings vom Dach Show ne (Gina Rodriguez) und Noah (Scott
dem Jenissej. Dokufilm (D 2020) drei Dorfheiligen Lustspiel (D hurra und helau 22.30 Sportschau Magazin Eastwood) abserviert, dabei dachten sie,
21.45 g Sportschau 1973) Mit Gustl Bayrhammer Die närrische Comedy-Show 22.50 heimspiel! Bundesliga Magazin es sei die große Liebe. Sie schließen einen
22.05 ¥ g Die NDR-Quizshow 21.45 Blickpunkt Sport 23.00 ¥ Sportschau 23.00 ¥ strassen stars Show Pakt: Emma soll Annes neue Beziehung
22.50 ¥ g Sportclub 23.00 ¥ BR24 Rundschau 23.20 ¥ SWR Sport 23.30 Ich trage einen großen Namen torpedieren und Peter die von Noah, da-
23.35 ¥ g Sportclub Story 23.15 Rodelnation Deutschland 0.05 ¥ g Wohnzimmer-Comedy – 0.00 ¥ g Dings vom Dach (Wh.) mit beide merken, was sie an Emma und
0.05 ¥ g Quizduell Show 0.15 ¥ Frech und frei Show Mit Dui do on de Sell Show 0.45 ¥ strassen stars Show (Wh.) Peter hatten. Amazon Prime
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FÜNF FOLGEN
LOST PLACES
SONNTAG AB 15.50 UHR
48 KULTUR
„Wir müssen Tag und
Nacht durchfräsen“
R
Julius von Bismarck ist einer der aufregendsten Künstler der letzten Jahre. Seine Erfindungen
spielten mit Obama und dem Papst, er fing Blitze in Mexiko ein – und wagt sich jetzt ins All vor
Rostrot leuchtet das Areal der alten Malz-
fabrik in der Berliner Wintersonne. Vier
neobarock verdrehte Darrschlote auf dem
Dach recken sich ihr entgegen, als wollten
sie Signale senden. Außer dem Pförtner
und einer Handvoll schwarz glänzender
Kombis auf dem Hof weist hier nichts auf
die Anwesenheit von irgendjemandem hin
– die riesigen Gebäude wirken leer gefegt
von einer Pandemie, die selbst Künstler ins
Homeoffice vertreibt. Doch dann geht die
Tür zur alten Kellerei auf, und Julius von
Bismarck steht da, mit Hut und langem
Bart, und sagt „hallo“.
VON GESINE BORCHERDT
Die Treppe hinauf, und da ist es, das Le-
ben: Bismarcks Atelier ist eine vibrierende
Mischung aus Labor und Archiv, Werkstatt
und Büro, Baumarkt und Gepäckaufbewah-
rung. Bis unter die Decke stapeln sich sorg-
sam beschriftete Boxen mit Utensilien für
das, womit der 38-jährige Künstler in den
letzten zwölf Jahren bekannt geworden ist:
radikale Experimente an der Schwelle von
Physik und Phänomenologie, Natur und
Medien, Trickserei und Träumerei. Bis-
marck peitschte bis zur Erschöpfung das
Meer, die Berge und die Freiheitsstatue aus
(wobei er verhaftet wurde). Mit einem
selbst gebauten Kameragewehr, dem „Ful-
gurator“, schoss er im Blitzlichtgewitter
ein Kreuz auf Barack Obamas Redekanzel
und ein „No“ über den predigenden Papst
– die Projektionen tauchten wie von Gei-
sterhand auf den Fotos des Publikums, der
Journalisten und Touristen auf. Zusammen
mit seinem Künstlerfreund Julian Char-
rière färbte Bismarck in Venedig Tauben
bunt ein, sodass plötzlich Paradiesvögel
über den Markusplatz flatterten. Und in
Venezuela ging er im Kettenhemd mit
selbst gebauten Raketen auf Blitzfang.
Zuletzt schafften er und Charrière es in
die Nachrichten von CNN bis Fox News,
mit Filmen über gesprengte Naturdenkmä-
ler, die sie ins Internet stellten – es dauerte
eine ganze Weile, bis klar wurde, dass es
keine Fake News waren, sondern reale De-
tonationen von Steinbrücken, die aussahen
wie die in Utah, nur dass die Künstler sie in
der mexikanischen Wüste nachgebaut hat-
ten. Können wir unseren Augen trauen?
Dem System, in dem wir leben? Was ist Na-
tur und was unser Bild von ihr?, fragt von
Bismarck, der bei Ólafur Elíasson an der
Berliner Universität der Künste studiert
hat – oder vielmehr: an dessen Institut für
Raumexperimente. So ähnlich, wenngleich
sehr viel nerdiger, fühlt sich auch das Ate-
lier des Reichskanzler-Urururgroßneffen in
P
Berlin-Schöneberg an.
unkt zwölf Uhr mittags, und Bis-
marck und sein Team haben schon
zwei Gespräche für Großprojekte
hinter sich. Eines kreiste um das Kunst-
am-Bau-Vorhaben einer wissenschaftli-
chen Einrichtung in Hamburg. Und dann
war Kirsten Landwehr da, die mit ihrem
Mann, dem „Grill Royal“-Doyen Stefan
Landwehr, ein neues Hotel eröffnen wird:
das „Château Royal“ mit 100 Zimmern, ge-
staltet von 100 Künstlern – einer davon ist
Bismarck. Ein Lichtblick in der Corona-ge-
beutelten Berliner Kunstszene, der die ak-
tuellen Verhältnisse enorm aufs Gemüt
schlagen – nie sah man so viele entmutigte
Gesichter, Abbilder einer in manchen Fäl-
len schwer zu ertragenden Ausbremsung.
„Dass man neuerdings um 22 Uhr aus
dem Restaurant geworfen wird, empfinde
ich als extremen Eingriff in meine Freiheit.
Deshalb lebe ich ja in Berlin und bin Künst-
ler: damit mir eben niemand vorschreibt,
wann ich ins Bett gehen soll“, wird Bis-
EIN TAG IM LEBEN VON JULIUS VON BISMARCK
„Ich war immer Möchtegern-Wissenschaftler, habe Raketen gebaut und Blitze gefangen“:
Julius von Bismarck in seinem Atelier in Berlin-Schöneberg
marck später beim Mittagessen sagen.
Egal, was Bismarck sagt und tut: Man
spürt, dass hier jemand ohne Schranken im
Kopf aufgewachsen ist. Die vergangenen
Jahre saß er viel im Flugzeug, doch nun ist
er vor allem in Gedanken gereist, in eine
Science-Fiction-Welt, die ein aberwitziges
Projekt hervorgebracht hat. Genau darum
geht es jetzt, in der nächsten Besprechung.
Drei Assistenten beugen sich über ein
handliches Teil, bestehend aus drei anein-
andergeklebten Spiegeldreiecken.
„Für die Steine“, sagt Bismarck, „müs-
sen wir Dreiecksformen fräsen, um die
Spiegel dort einzugießen. Bisher haben wir
keine Firma gefunden, die uns die Facetten
in der Präzision fräst. Wenn wir das selber
machen, müssen wir mit unserer eigenen
Fräsmaschine zwei Monate lang Tag und
Nacht durchfräsen, richtig?“ Alle nicken.
Am Boden liegen zwei Schiefersteine, in
die dreiecksförmige Löcher eingelassen
sind, teils mit Spiegeln oder mit Kunstharz
beklebt. „Irgendwo liegt der Fehler, weil
die Spiegel nicht perfekt glatt spiegeln.
Liegt es am Harz, an der Temperatur oder
am Acryl, an der Kühlflüssigkeit im Fräs-
prozess, oder ist in der Vakuumkammer
beim Beschichten etwas ausgegast?“ Es
geht eine Weile hin und her, offenbar ist
das Problem nicht so schnell lösbar.
Wir gehen in den Nebenraum, wo
Schreibtische voller Monitore und giganti-
sche Topfpflanzen stehen, der Taubenkäfig
aus Venedig hängt unter der Decke. „Das
neue Projekt heißt Whole Earth Archive“,
klärt der Künstler auf. „Es geht um die
Idee, dass alle visuellen Informationen in
Form von Licht von der Erdoberfläche mit
Lichtgeschwindigkeit abstrahlen, aber in
einer hohen Informationsdichte noch vor-
WELT AM SONNTAG
Informationen über uns ins All: Landkar-
ten, Musik und mathematische Formeln.
Nun warte man auf Zeichen, bisher sei nur
leider noch nichts zurückgekommen, aber
der Spiegel könnte da Neues leisten. Viel-
leicht könnte Elon Musk ihn ja hochschic-
ken, scherzt die Autorin. Ja, lacht der
Künstler, der habe auch schon sein Auto
und einen Käse ins All geschossen. Später
erwähnt Bismarck, dass er „Elon“ bereits
getroffen hat, ohne näher darauf einzuge-
hen. Bei Bismarck muss man immer mit
allem rechnen.
Als es jetzt um die Drake-Gleichung
geht, die erforscht, ob es potenziell Aliens
gibt, um die „Dark Forest“-Theorie, bei der
man sich vor ihnen versteckt, oder um das
Fermi-Paradoxon, das von extraterrestri-
scher Intelligenz ausgeht, die unsere Gala-
xie längst beherrschen könnte, sagt Bis-
marck: „Am Ende geht es ums Träumen.
Ich war immer Möchtegern-Wissen-
schaftler, habe Raketen gebaut und Blitze
gefangen. Die Frage, ob es da draußen Le-
ben gibt, wird oft belächelt – aber sie ist es-
senziell und noch völlig ungelöst. Wir le-
ben in einem neuen Space-Age. Das inspi-
riert mich natürlich sehr.“ Allein der Ro-
man „Trisolaris“ von Liu Cixin habe ihn
W
enorm beschäftigt.
eißwein. Alles andere wäre jetzt
unangebracht, als es nun ins
„Nuova Mirabella“ geht, einem
Italiener mit schräg verlegten Fliesen und
Rustika-Säulen im nahen Bezirk Tempel-
hof, was an sich schon eine Zeitreise ist –
das Konglomerat aus Nachkriegsmuff und
Preußen-Grandiosität will so gar nichts
mit der Berliner Kunstwelt zu tun haben,
für die Bismarck auch steht. Im zugemüll-
ten Mercedes-Kombi des Künstlers sitzen
die Assistenten Mareike Begner und Mar-
tin Schied, der als „Daniel Düsentrieb“ vor-
gestellt wird und der Physik und Veranstal-
tungsmanagement studiert hat, „die per-
fekte Mischung für uns“. Schied hat seine
Brille selbst gebaut und zwei große, kreis-
runde Gläser am Riemen einer Taucher-
brille befestigt. Auf den Tisch kommt jetzt
MARLENE GAWRISCH / WELT
ein hervorragender Inzolia zur Dorade auf
Gemüsebett, danach Grappa aufs Haus.
„Zur Feier des Tages“, sagt Bismarck.
Inzwischen ist es später Nachmittag.
Zeit für die Frage, wie diese ganze Sci-
ence-Fiction nun ins Kunstobjekt kommt?
Ein Ausflug ins Kesselhaus der Malzfa-
brik, das Bismarck als Lager und Werk-
statt benutzt – hier finden die Fräsarbei-
ten statt. Das Licht vom Hof flutet Holz-
handen sind.“ Bismarck kritzelt Planeten, kisten, Paletten, Container, Betonmi-
Sterne und Strahlen auf ein Blatt Papier. scher. Und dann, hinter einer Plastikpla-
Julius von Bismarck „Ich entwickle einen Spiegel, der ins All ne: die Fräsmaschine. Ein hochtechnologi-
Künstler geschossen werden und diese Informatio- scher Apparat, auf dem eine Kunstharz-
nen einfangen soll. Da draußen fliegt ein platte mit haargenau ausgeschnittenen
Geboren wird Julius von Archiv herum – ich überlege, wie wir es an- Dreiecken liegt. Würde man sich von die-
W
Bismarck 1983 in Breisach zapfen können.“ sem Gerät die Wirbelsäule operieren las-
am Rhein, zieht aber als sen, man hätte nichts zu befürchten.
Kleinkind mit seiner Familie erden wir so unsere Vergangen- Zurück im Atelier, lassen sich Bismarck
nach Saudi-Arabien, weil heit besser verstehen? Was ist und Schied vor dem Monitor nieder, Bis-
der Vater als Geologe die die Wahrheit, jenseits von In- marck zeigt eine Schraube mit Halterung.
Regierung berät. Als der terpretation? „Es ist ein Archivierungspro- „Nun geht es um die Balance zwischen
erste Golfkrieg 1990 aus- jekt. Statt Dinge aufzuschreiben, schicke Ästhetik und Sicherheit“, sagt er. Wie groß
bricht, kehrt die Familie ich einen Spiegel los, der alles reflektiert, darf die Schraube sein, die den mit Drei-
zurück. Von 1991 an lebt was in Form von elektromagnetischer ecksspiegellöchern gestalteten Schiefer-
Bismarck in Berlin und Strahlung da ist.“ Schon um in die niedrige stein von der Decke hängen und rotieren
verfolgt seine Experimente, Erdumlaufbahn zu kommen, brauche man lässt? Herunterfallen darf nichts, wenn er
ohne schon an Kunst zu extrem viel Energie – man müsse also den im März in der Berliner Galerie Alexander
denken, probiert sich in Spiegel am besten mit einem Roboter bau- Levy ausstellt. Die beiden vertiefen sich in
Informatik. Am Berliner en, auf Material, was bereits da ist, einem Zentimeterfragen, während die Autorin
Institut für Raumexperi- Asteroiden oder Kometen. Wenn der dann sich in einem Dreiecksspiegel beäugt und
mente von Ólafur ElÍasson weit genug weg sei, könne man in der Zu- nichts sieht außer: sich selbst. Kein Hinter-
findet er seine Form. Der kunft mit einem Teleskop hinein und somit grund, egal, wie man das Ding dreht und
Durchbruch gelingt schon in die Vergangenheit schauen – vorausge- wendet. Genau darum geht es bei der Frä-
im Studium. Seither hat er setzt, es sei stark genug. „Es ist ein Gedan- spräzision. Ist Bismarcks Projekt eine Me-
international in Museen kenexperiment.“ tapher auf das narzisstische Zeitalter?
und auf Biennalen aus- Doch der Autorin schwirrt inzwischen Die Zeit vergeht, Bismarck muss los, in
gestellt, wurde in Solo- der Kopf. Ob nicht einfach Satelliten diese die Sauna. „Schweiß sammeln für Skulptu-
shows unter anderen im Arbeit erledigen könnten, die doch sowie- ren aus Schweißkristallen“, sagt er und
Palais de Tokyo in Paris, in so dauernd die Erde fotografieren? Was ist kommt dem fragenden Gesicht zu Hilfe:
der Bundeskunsthalle in mit Google Earth? Bismarck schüttelt den „Man nimmt ihn mit einer Kreditkarte ab
Bonn oder im Kunstmu- Kopf. „Satelliten nehmen nur das auf, was und fängt ihn auf, zieht ihn dann aus dem
seum in Wolfsburg gezeigt. uns heute interessiert. Sie sind von Inter- Gefäß mit einer Pipette und tut ihn in Ep-
essen gefiltert. Mein Projekt denkt in kos- pendorf-Kanülen. Aber es geht erst ab dem
mischen Dimensionen. Es geht um eine zweiten Durchgang. Der erste Schweiß ist
futuristische Idee, die nicht lineares Den- zu schmutzig.“ Derart aufgeklärt, verab-
ken fördern soll.“ schiedet sich die Autorin in die Dunkelheit,
Dann folgen einige Ausführungen über unter dem Arm den Katalog zu Bismarcks
Aliens, die dank des Spiegels von unserer Blitzfangprojekt „Talking to Thunder“.
Existenz erfahren könnten – wir senden Besser könnte man die letzten Stunden
über die Voyager-Raumsonden ja ohnehin nicht umschreiben.
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NR. 7 13. FEBRUAR 2022
AUF DEM SCHIRM
LEIPZIGER BUCHMESSE
Gekämpft
„wie ein Löwe“
Dass die Leipziger Buchmesse nun
für dieses Jahr wieder abgesagt wor-
den ist, kam überraschend. Die Ver-
anstalter gaben am Mittwoch, also
rund vier Wochen vor dem geplanten
Termin vom 17. bis 20. März, be-
kannt, dass zu viele große Verlage,
unter ihnen die Verlagsgruppen Pen-
guin Random House und Holtz-
brinck, sich wegen der noch unsiche-
ren Pandemiesituation gegen eine
Teilnahme entschieden hatten. So
wäre die Messe in ihrer gewohnten
Vielfalt nicht zu machen gewesen.
Die dritte Absage der zweitgrößten
deutschen Buchmesse seit Pandemie-
beginn trifft vor allem die Klein-
verlage – und den Standort Leipzig.
Karin Schmidt-Friderichs, Vorstehe-
rin des Börsenvereins des Deutschen
Buchhandels, und Hauptgeschäfts-
führer Peter Kraus vom Cleff stellten
sich in einem offenen Brief hinter
den Messedirektor Oliver Zille: Er
habe „wie ein Löwe“ für diese Buch-
messe gekämpft, doch Omikron
zwinge zur Absage. Kritiker warfen
den Veranstaltern vor, sich nicht
rechtzeitig um adäquate Alternativ-
konzepte gekümmert zu haben, meh-
rere Autoren haben eine Petition mit
dem Titel „Macht die Buchmesse auf!
Wir wollen lesen!“ unterzeichnet.
Die nächste Leipziger Buchmesse soll
im März 2023 stattfinden. DELI
DEUTSCHE WELLE
Kommission
fordert Neuanfang
Die Deutsche Welle, das steuer-
finanzierte Auslandsfernsehen, sah
sich Ende vergangenen Jahres mit
massiven Antisemitismusvorwürfen
konfrontiert. In der arabischen
Redaktion des Senders wurden nach
Recherchen verschiedener Medien,
darunter WELT AM SONNTAG,
Mitarbeiter identifiziert, die in so-
zialen Netzwerken Israel- und Ju-
denhass verbreitet haben. Nach
einer aufwendigen Prüfung hat nun
eine Kommission ihren Untersu-
chungsbericht vorgelegt. Darin
fordern Sabine Leutheusser-Schnar-
renberger (ehemalige Bundesjustiz-
ministerin) und das Ehepaar Beatri-
ce und Ahmad Mansour (sie Publi-
zistin und Rechtswissenschaftlerin,
er Autor und Islamismus-Experte)
einen „Neuanfang“ für die wichtige
arabische Redaktion. Die bisher
ausgesprochenen Suspendierungen
von fünf Mitarbeitern seien gerecht-
fertigt, man habe acht weitere Fälle
aufdecken können. Die Redaktion,
auch deren Berichterstattung, sei
nicht strukturell antisemitisch, so
der Bericht. Dennoch habe man
„punktuell schwere Fehler“ gefun-
den, so sei etwa kritiklos das Narra-
tiv der palästinensischen Terror-
organisation Hamas übernommen
worden. Zudem sei die Redaktion
„tief gespalten“. CHM
„ELEKTRA“
Ärger um neuen
Marvel-Comic
Der Marvel-Verlag hat an einem
neuen Comic des Künstlers Greg
Smallwood herumgepfuscht. Es
ging um Nacktheit und vor allem
die Darstellung asiatischer Cha-
raktere in dem Band „Elektra:
Black, White & Blood #2“, der jetzt
erschienen ist. Smallwood bekam
vom Verlag die Nachricht, dass er
Änderungen einzelner Bilder wün-
sche, sodass sie „innerhalb der
Möglichkeiten zur bestmöglichen
Repräsentation asiatischer Cha-
raktere“ bleiben. Obwohl Small-
wood eigene Änderungen schickte,
ließ der Verlag anonyme Zeichner
die Bilder ändern. Marvels zustän-
diger Redakteur hat sich mittler-
weile entschuldigt, die Angelegen-
heit mit einer übersehenen Mail
erklärt und angekündigt, für digita-
le und künftige Ausgaben die neuen
Bilder Smallwoods zu verwenden.
Comic-Kollegen zeigten sich nicht
nur entsetzt über die Willkür, son-
dern darüber, dass die neuen Bilder
objektiv schlechter seien. Jen Bartel
unterstützte Smallwood auf Twit-
ter: „Sie ließen Deine perfekt an-
gemessene Kunst auf unangenehme
Weise aussehen wie eine Serie von
Rassenstereotypen.“ MH
STIL & REISEN
G
WELT AM SONNTAG NR. 7
Ganz vorsichtig pikst die Gabel in das
Tortenstück, eigentlich ist es zu schön,
um es zu zerstören. Ein Kunstwerk aus
Kakaobiskuit, Sahne, Kirschen, Schoko-
raspeln. Dann wird die Lust aber zu
groß, die Lust auf ein Stück Schwarzwäl-
der Kirschtorte, nur echt mit 40-prozen-
tigem Kirschwasser. Der erste Bissen
wandert in den Mund, der Geschmack ist
süß und ein bisschen bitter, vor allem
aber: sehr vertraut.
VON JULIA HACKOBER
„Jeder hat eine Vorstellung davon, wie
Schwarzwälder Kirschtorte zu schme-
cken hat“, sagt Pierre Hermé, „deshalb
Kann denn
TORTE
Sünde sein?
Sahne, Schnaps, Schokolade: Die Schwarzwälder Kirschtorte
passt nicht in den Gesundheitszeitgeist – und ist doch genau
der Kuchen, den wir gerade brauchen
ist sie so schwierig zu backen.“ Hermé
ist einer der berühmtesten Pâtissiers der
Welt, hat etwa zartbröselige Pariser Ma-
carons zu Weltruhm gebracht – und er
ist verantwortlich für das Kirschtorten-
kunstwerk, das im feinen „Brenners
Park-Hotel“ in Baden-Baden serviert
wird. Erst seit Kurzem steht der Torten-
klassiker hier auf der Karte für den
Nachmittagstee, eine Idee des gebürti-
gen Elsässers Hermé: „Baden-Baden
liegt im Schwarzwald, also muss es hier
eine Schwarzwälder Kirschtorte geben.“
Im „Brenners“ gibt es Champagner
und grünen Tee zur Torte, und wer zwi-
schendurch noch zum Gurkensandwich
von der Silber-Etagere greift, der schafft
durch den Süß-Herzhaft-Wechsel auch
das komplette, riesige Tortenstück. Ein
göttlicher, scheinbar völlig aus der Zeit
gefallener Genuss, denn natürlich ist es
so: Die Schwarzwälder Kirschtorte ge-
hört, wenn man ehrlich ist, schon länger
nicht zum Kuchenrepertoire, das aktuell
in hippen Großstadtcafés von Berlin bis
New York bevorzugt angeboten wird.
Sahne, Schnaps, Industriezucker, Gelati-
ne – die Kombi passt nicht ins Zeitalter
von veganem Bananenbrot oder Brokko-
li-Brownies. Der Tortenklassiker, viele
Jahrzehnte die wahrscheinlich berühm-
teste Torte der Welt, war ein wenig aus
der Mode gekommen. Ein Relikt aus
Wirtschaftswunderzeiten, als Hausfrau-
en ihren sozialen Stolz in Kaffeekränz-
chen mit einem Tortenangebot aus Dr.
Oetkers großem Backbuch setzten.
UNERWARTETER RUHM
Doch die sozialen Netzwerke haben
schon so manchen Kult der Vergangen-
heit wieder zu neuem Ruhm verholfen –
und auch die Schwarzwälder Kirschtorte
scheint aktuell ein unerwartetes Revival
zu erleben. Beim Probiertermin im
„Brenners“ sind die Handykameras der
anwesenden Influencerinnen jedenfalls
im Dauereinsatz, unter den Postings ste-
hen später Bemerkungen wie – „my all-
time favourite cake! Delicious!“. Und
auch Pierre Hermé selbst weckt täglich
bei stattlichen 735.000 Instagram-Follo-
wern mit Bildern seiner süßen Köstlich-
keiten kulinarische Gelüste. Was der 60-
13. FEBRUAR 2022 SEITE 49
Jährige als Meister seiner Zunft aber na-
türlich ein wenig herunterspielt: „Social
Media ist lustig. Aber es geht um den Ge-
schmack! Nicht zu süß, mit genau der
richtigen Menge an Kirsch. Können
Sie sich vorstellen, dass es Leute
gibt, die eine Schwarzwälder
Kirschtorte ohne Kirsch ba-
cken?!“ Er blickt empört. „Nein,
das funktioniert nicht.“
Zum vollen Genusserleb-
nis einer Schwarzwälder
Kirschtorte (international
heißt sie übrigens „black
forest cake“, der zugehöri-
ge Hashtag hat auf Instag-
ram Hunderttausende
Treffer) gehört eben ein großzügig in
Kirsch getränkter Boden. Welche Zuta-
ten den Weg in die Torte finden dürfen,
das wird nicht nur vom persönlichen Ge-
schmack des jeweiligen Konditors fest-
gelegt. In den „Leitsätzen für feine Back-
waren“ der Deutschen Lebensmittel-
kommission ist das Rezept genau gere-
gelt, unter anderem heißt es darin: „Der
zugesetzte Anteil an Kirschwasser ist ge-
schmacklich deutlich wahrnehmbar.“
Es gibt also klare Regeln, die dafür
sorgen, dass man auf dem Kuchenteller
stets zumindest ungefähr das bekommt,
was man erwartet. Die Schwarzwälder
Kirschtorte ist deshalb als Torte für
Nostalgiker prädestiniert: Sie vermittelt
ein wohliges Gefühl von Verlässlichkeit.
Keine Zutat wird durch eine kalorienär-
mere Alternative ersetzt, die aufwendi-
ge Schichttorte gibt es nicht als schnel-
len To-go-Snack, man muss sich schon
Zeit dafür nehmen. Zum Essen – und
natürlich erst recht zum Backen.
Ungeachtet des Aufwands begeben
sich aber immer wieder neue Genera-
tionen von Bäckern ans Tortenwerk. In
Todtnauberg etwa, der Schwarzwälder
Heimat der Torte, findet alle zwei Jahre
ein Kirschtorten-Festival statt, bei dem
Profi- und Hobbybäcker in zwei Ligen
um die Auszeichnung der besten Torte
backen. Selbst im Corona-Jahr 2021, als
man sich nicht vor Ort treffen konnte,
buken Tortenfans per Livestream um
die Wette. Alfred Boch, Hotelier, Kon-
ditor und Veranstalter des Festivals,
findet: „Viele Hausfrauen haben die
Torte besser drauf als so mancher Kon-
ditor, der sich verkünstelt.“ Moderni-
sierungsideen steht Boch skeptisch ge-
genüber: „Vegan? Keine Ahnung, wie
das funktionieren soll. Ich sag Ihnen
aber was, ich hab schon so manchen Ve-
ganer erlebt, der bei der Aussicht auf
ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte
sämtliche Ernährungsprinzipien ver-
worfen hat!“
Charmante Idee, dass ausgerechnet
eine Sahnetorte den kulinarischen Zeit-
geist ein wenig herausfordert. Aber sorgt
das unbedingte Pochen auf Rezepttradi-
tion nicht auch dafür, dass die Schwarz-
wälder Kirschtorte letztlich doch nur ein
6000 Kilometer Afrika: Im Luxuszug durch fünf Länder S. 54/55
MEIN LEBEN
ALS BLITZ
VON EVA MUNZ
Im Jahr
der Tigerin
Am chinesischen Neujahrstag ging
ich mit meiner Freundin B. laufen. B.
ist im Zeichen des Tigers geboren
und hatte zur Feier des Tages die
Streifen ihrer schwarzen Adidas-
Schuhe gelb angemalt. Die Straßen
Chinatowns waren festlich ge-
schmückt, wir sprachen über die
Symbolik des majestätischen Tieres
mit dem schicken Fell. Genau wie B.
hätte die Großkatze ein riesiges Ge-
hirn und sei deshalb schwerer als an-
dere Raubtiere, liefe aber trotzdem
jedem Moped davon.
Schweigen. Das mit dem Gewicht
hätte ich nicht sagen dürfen. Die
schlaue Katze sei eindeutig am attrak-
tivsten, ruderte ich weiter zurück. B.
holte Luft. „Willst du mich auf meine
inneren Werte reduzieren?“ Ich
konnte ihr akrobatisches Augenrollen
spüren: „Bedingungslose Liebe mei-
nes Körpers? Schwachsinn.“ Body Po-
sitivity sei eine verlogene Taktik, um
aus den Unsicherheiten von Frauen
Profit zu schlagen. „Ich war mal fett“,
platzte sie heraus. „Als Kind habe ich
mir einen Panzer angefressen.“ Kör-
perliche Fülle sei selten Zeichen eines
erfüllten Daseins. Die rosa Positivity-
Brille vertusche die schmerzhaften
Erfahrungen, die zum schwerfälligen
Körper führen.
Ich musste zugeben, dass ich zu
Beginn die Auseinandersetzung mit
Gender, Hautfarbe, Alter und Kör-
pertypen erfrischend fand. Im Kanon
vielfältiger Neigungen und margina-
lisierter Formen schienen alle Men-
schen plötzlich unfassbar schön. B.
schnalzte mit der Zunge. Ob mir
nicht aufgefallen sei, wie schnell das
kippte in Werbekampagnen mit
Keine Gelatine: leicht bekleideten Pummeligen mit
Die Konditorin Friederike Müller hat die Schlafzimmerblick? Jede Kurve, so
Schwarzwälder Kirschtorte sanft modernisiert suggerierte das perfide Marketing,
sei wunderschön, solange darin eine
willige Seele steckte. Von männli-
chen Bierbäuchen, die über die Trai-
ningshose schwappten, gäbe es bis
heute keine Spur. Das Märchen des
geliebten Big Girls wird währenddes-
sen am Arbeitsplatz und bei der Part-
nersuche weiterhin Lügen gestraft.
Der neuen perfiden Logik folgend,
Gruß aus der Vergangenheit bleibt – SAHNIG, KNACKIG, SÜSS, Meinung haben. Das ist unser Ver- müssten Dicke sich nun zusätzlich
wenn auch ein köstlicher? SAUER, BITTER ständnis von Genuss.“ schämen, wenn sie sich nicht sexy
Wie die Zukunft der Schwarzwälder Anruf bei einem, der nur zu gut um die Was sich nach einem witzigen Sei- fühlten.
Kirschtorte aussehen könnte, zeigt Frie- Faszination Schwarzwälder Kirschtor- tenhieb auf eine deutsche „Bloß nix Obwohl ich nie übergewichtig war,
derike Müller. Die 34-Jährige stammt te weiß. Volker Gmeiner ist Chef der verändern“-Mentalität anhört, meint schwebte auch mir ein illusorisches
aus Bonn, arbeitet aber viele Jahre als Confiserie Gmeiner, er betreibt unter Gmeiner überhaupt nicht böswillig. Körperideal vor, lange bevor ich mir
Konditorin in London und nun in Bar- anderem das herrlich altmodische Ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte die Schnürsenkel binden konnte. Die
celona. Auf Bestellung einer katalani- „Café König“ in Baden-Baden – und kann eben das, was es kann: sahnig,
schen Kundin entwickelte sie ihr eige- sieben Filialen in Japan, wo die be- knackig, süß, sauer und bitter zugleich
nes, sanft modernisiertes Rezept einer rühmte Schwarzwälder Kirschtorte schmecken – und beim Genießenden,
Schwarzwälder Kirschtorte: Die Sahne ebenfalls verkauft wird, wenn auch in ganz gleich aus welcher Generation,
mischt sie mit Mascarpone und Joghurt, etwas abgespeckter Version. Er beob- auch sofort ein ganzes Referenzsystem
auf Gelatine in der verzichtet sie, den achtet seine Kunden seit Jahrzehnten von Geschmäckern, Erlebnissen, Erin-
Boden backt sie nicht als trockenen Bis- und hat eine Theorie, warum sie im- nerungen hervorrufen. Es ist nicht
kuit, sondern mit Butter. mehr egal, was man ge-
„Barcelona ist sehr inter- rade isst, und das ist in Großes Gehirn: Gucci-Sneaker
national, der Geschmack Zeiten, in denen Ernäh- mit Tigermotiv GUCCI
eher amerikanisch orien- rung zwar zum identi-
tiert, da muss ich mich tätsstiftenden Moment Generation meiner Mutter jagte von
etwas anpassen“, sagt erhoben wird, die Es- Hollywood- zu „Brigitte“-Diät und
sie. Den Kirsch für ihre senszubereitung im All- wurde nebenbei von der zuckergela-
Torten bringen ihr die El- tagsstress aber häufig so denen Lowfat-Lüge auf den Arm ge-
tern meistens aus schnell und unkompli- nommen. Mein kompliziertes Ver-
Deutschland mit, Schat- ziert wie nur möglich ab- hältnis zu ektomorpher Figur, Kar-
tenmorellen gibt’s zum gehandelt werden muss toffelnase, Plattfüßen und wider-
Glück auch in Barcelona und soll, schon sehr be- spenstigen Haaren hat sich durchs
– bei Aldi. Auch sie macht sonders. Laufen deutlich entspannt. Weil das
für ihre Schwarzwälder Wenn man es nicht Training so zeitaufwendig ist, verla-
© ANDREAS STEPHANY; FRIEDERIKE MÜLLER/LA KONDITORIA
Kirschtorte auf Insta- ganz so pathetisch aus- gerte sich der Fokus wie von selbst
gram Werbung; dass aus- drücken wollte, dann von den Resultaten (dünner, fitter)
gerechnet ihre Altersge- funktioniert vielleicht ein auf den Prozess selbst. Hautnah da-
nossen, die Millennial- Fernsehvergleich. Im bei zu sein, zu bewirken, dass der
Generation, einem neu Ernst, der neuerliche Hy- Körper sich positiv verändert, stär-
entdeckten Faible für pe um die Schwarzwälder ker und ausdauernder wird, das wir-
Torten nicht widerste- Kirschtorte erinnert doch ke euphorisierend, referierte ich. Als
hen können, erklärt sie ein bisschen an den um Mutter von drei Kindern müsse B.
sich mit dem sozialen „Wetten dass..?“ – nur doch total beeindruckt sein, was ihr
Aspekt: „Zusammenzu- eben in Tortenform. Das Körper alles kann. Ausdauersport
sitzen, Torte zu essen am Erfolgsprinzip ähnelt würde nebenher die Neurogenese
Wochenende, sich etwas sich: Die Zutaten sind seit anfeuern. Und wenn die Synapsen
Besonderes zu gönnen – Ewigkeiten die gleichen, und Endorphine wie Wunderkerzen
das ist doch wunder- Tortenklassiker für den Afternoon Tea: Star-Pâtissier Pierre man weiß genau, wie’s den Kopf erleuchten, lerne man kon-
schön! Ich glaube, dass Hermé (rechts) in „Brenners Park Hotel“ in Baden-Baden schmecken wird und dass sequenterweise die Maschine schät-
viele einen richtig schö- die Retromanie nur in ge- zen und umgekehrt. Ich mag meine
nen, ausufernden Kaffee- ringen Dosen gut be- Beine inzwischen sehr.
klatsch wieder zu schätzen gelernt ha- mer wieder zu Klassikern wie der kömmlich ist – aber für den Moment ist B. blieb stehen „Du bist doch auch
ben, vor allem in Pandemiezeiten.“ Schwarzwälder Kirschtorte zurück- der Genuss so unschuldig, so eng ge- Tiger, oder?“ Ich sei nur Affe, eine
Ach ja, da war ja was. Genuss ist auch kehren. „Wir Deutschen sind nicht so knüpft an alle möglichen persönlichen gute Freundin des Tigers. Beide
Seelentrost. Das hat die Schwarzwälder experimentierfreudig“, sagt Gmeiner. Erinnerungen, dass man sich nur allzu könnten nicht still sitzen und hätten
Kirschtorte der Nachkriegsjahre viel- „Wir wollen am liebsten in einem gern hingibt. Einmal im Jahr jedenfalls. wenig für Konventionen übrig. B.
leicht mit dem heutigen Revival gemein- Café, das immer noch so aussieht wie lachte: „Der Affe ist zwar frecher,
sam: Bei den größten Herausforderun- vor 30 Jahren, eine Torte essen, die T Lust auf Torte bekommen? aber du bist mindestens so eitel wie
gen im Leben hilft manchmal nur noch auch schon seit immer genau gleich Das Rezept für Friederike Müllers der König des Dschungels.“ Königin,
was Süßes. schmeckt. Und dazu natürlich eine Variante finden Sie auf iconist.de korrigierte ich B., Königin.
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50 STIL WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022

HIGH 5: STIL-TIPPS DER WOCHE

Stefan Diez in seinem Studio in
ZUSAMMENGESTELLT VON GLORIA VON BRONEWSKI UND MARIA-ANTONIA GERSTMEYER München. Links von ihm sein
neuer Stuhl „Funda“ (Viccarbe),
rechts fast schon ein Klassiker:
der Holzstuhl „Houdini“ (e15),
TRANSPARENZ-SPIEL ein Entwurf aus dem Jahr 2009

„In dieser Kollektion steckt ei-

ne Vision von Frauen für Frau-
en“, drückt es Silvia Azzali von
der Unterwäschefirma Wolford
aus, die gemeinsam mit der ita-
lienischen Designerin Alberta
Ferretti eine Linie entworfen
hat. Alle zehn Modelle, darun-
ter Bodys, Kleider, Strumpfho-
sen und Leggings, sind mit geo-
metrischen Lochmustern verse-
ALBERTA FERRETTI X WOLFORD

hen und nahtlos verarbeitet.

Durch die Überlappung ent-
steht auf dem Körper ein Spiel
von Transparenzen. Die Farbpa-
lette ist so neutral wie möglich:
Schwarz, Weiß und Puderrosa.
Ab 80 Euro.

FRÜHLINGSBOTEN

© SVEN JUERGENSMEIER
Gegen das graue Wetter
kann niemand etwas tun,

W
gegen schlechte Laune

Tüftler und LENKER

schon. Zur Aufmunte-
rung könnte man sich
einen der glossig-bun-
ten Lippenstifte von
Hermès gönnen. Die
© STUDIO DES FLEURS

Farbtöne und ihre fröh-

lich bunten Hüllen sind
vom Garten Pierre Har-
dys inspiriert, Hermès-
Kreativdirektor für Schuhe
und High Jewellery. 69 Euro.
Ausstellungsspot, textiler und beleuch- Stefan Diez schließende „Plusminus“-Frage, näm-

ist einer der

teter Raumteiler, meterhohe Lichtsäule lich wie der Strom in die Lampe kommt,
sein – oder alles zusammen. fand das Diez Office eine Lösung: Die

wichtigsten
Die Installation im Preysing-Palais, Clipbefestigung ist mit Metallnadeln
bei der die Elemente des Baukastens versehen, die sich in den Gurt graben.

Designer unserer
und verschiedene Einsatzmöglichkeiten Für den 50-jährigen Designer besteht
OH, WO IST DIE HER? gezeigt werden, ist das Ergebnis jahre- das Geheimnis einer guten Zusammen-
Zeit. Mit seinem
langer Entwicklungsarbeit. „Wir im arbeit darin, Vertrauen zu haben und of-
Diez Office versuchen, komplizierte fen zu sein für Überraschungen. Diese
Dinge einfach zu machen. Nur der Weg
dorthin ist nicht immer einfach“, sagt
Leuchtensystem Haltung spiegelt sich sowohl im Um-
gang mit seinem Team als auch mit sei-
Wie Schlingpflanzen schwingen sich Stefan Diez, den man nie ohne Trucker- hat er Licht neu nen Partnern und Kunden wider. Diez

gedacht
Während ihrer Zeit in New York ent- Bänder locker durch den Raum, in dun- kappe zu sehen bekommt. Diez ist nicht ist ein Teamplayer, kein einsamer Star.
warf die Deutsche Tina Lutz Morris kel ausgekleideten Wasserbecken spie- nur Gestalter, er ist ein Tüftler. Egal, ob „Stefan ist ein Forscher und Entdecker“,
für Marken wie Issey Miyake oder geln sich die erleuchteten Kugellampen, es um die unsichtbare Steckverbindung sagt Vibia-Chef Pere Llonch. „Und er ist
Calvin Klein, heute hat sie ihr eige- die wie einzelne Perlen an den Gurten seines Regalsystems New Order (Hay) sehr großzügig, er teilt sein Wissen.“
nes Taschenlabel, mit dem sie be- befestigt sind. In einem anderen Be- geht, einen Metallzapfen, der mittels Für das Magazin „AW – Architekur &
weist, dass „chic“ und „praktisch“ reich spannt sich ein Gurt wie eine Inbusschlüssel fixiert wird, oder um das Wohnen“ ist Diez ein „visionärer Im-
sich in der Modewelt nicht ausschlie- Slackline streng von Wand zu Wand, in Material und die Produktionstechnik pulsgeber der Designwelt“, deswegen
ßen müssen. Hier zu sehen: Das Can- der Mitte ist eine Lampe mit ausladen- seines Stuhls „Chassis“ (Wilkhahn), bei hat es ihn – und sein Team – gerade zum
vas-Leder-Modell Saylor, das nicht dem kegelförmigen Schirm befestigt dem millimeterdünnes Stahlblech mit- „AW Designer des Jahres“ gekürt. Die
nur mit ein paar Handgriffen vergrö- und erinnert an einen einsamen Akro- tels einer Technologie aus der Automo- normalerweise damit verbundene
ßert werden kann, sondern für Män- baten. Stefan Diez hat gemeinsam mit bilindustrie geformt wird. Werkschau ist wegen Corona auf Ende
ner und Frauen gleichermaßen ent- dem katalanischen Leuchtenhersteller Oktober, parallel zur Messe „Orgatec“,
worfen wurde. Ab 590 Euro erhält- Vibia in einen leer stehenden Laden in EIN EXPERIMENTELLES verschoben. Mit der Auszeichnung
lich unter lutzmorris.com feinster Münchner Innenstadtlage gela- VORHABEN schließt sich ein Kreis, denn als Richard
den, um „Plusminus“, ein neues Leuch- Anders als ein Teller oder ein Holztisch Sapper 2005 „AW Designer des Jahres“
tensystem, vorzustellen. setzt sich ein Leuchtensystem wie wurde, nominierte er seinen ehemali-
„Plusminus“ aus vielen verschiedenen, gen Studenten Stefan Diez, der sich
VON ANNEMARIE BALLSCHMITER ganz unterschiedlichen Komponenten 2002 selbstständig gemacht hatte, für
zusammen, für die ganz unterschiedli- den Mentorenpreis. Seit 2007 unter-
„‚Plusminus‘ ist kein Produkt, es ist che Expertisen notwendig sind: Textil, richtet Diez selbst Studenten, erst an
ein Konzept“, sagt der Diez, der mit sei- Strom, Elektronik (in jeder Leuchte be- der Hochschule für Gestaltung in Karls-
nem Studio Möbel und Alltagsgegen- findet sich ein Chip), und nicht zuletzt ruhe, dann im schwedischen Lund, seit
PR

stände für Hersteller wie Thonet, Ma- der Onlinekonfigurator. 2018 ist er Professor an der Universität
gis, Wilkhahn, e15 oder Midgard ent- „Am Anfang stand die Frage ‚Wie be- für angewandte Kunst in Wien.
wirft und zu den wichtigsten Designern kommen wir den Strom in das Band?‘“, Können an jeder Stelle angeklipst
unserer Zeit gehört. Licht fasziniert sagt Stefan Diez. Ein Gurthersteller riet werden: die Leuchten des VERANTWORTUNG
JETZT ABER ihn. „Man kann mit nur einer Lampe in dem Diez Office, das Textile Prototy- „Plusminus“-Systems. Unten: der ALS DESIGNER
SCHNELL! einer Tiefgarage einen Raum schaffen. ping Lab (TPL) in Berlin zu kontaktie- Baukasten mit allen Elementen Vor einem Jahr hat Diez zehn Thesen zu
Licht ist etwas Archaisches, es ist ele- ren. „Wir hatten diese Expertise nicht Kreislaufwirtschaft und Design formu-
Laufklamotten können hässlich mentar und gleichzeitig technologisch im Studio, und man muss sich nicht je- liert. Diese Circular Design Guidelines
sein, müssen sie aber nicht: True anspruchsvoll.“ des Expertenwissen aneignen“, sagt der können als an die Herausforde-
Tribe ist ein junges Pariser Label, Clou und zentrales Element von Industriedesigner, begeistert vom rungen unserer Zeit ange-
das sich mit seiner Active-Wear mit „Plusminus“ ist der stromführende Konzept des TPL. passte Weiterdrehe
Reptilienmuster, in Batik-Flammen- Textilgurt, der eben nicht einfach nur Das TPL ist ein Pilotprojekt, in von Dieter Rams’
Optik oder seinen Badeshorts mit Kabel, sondern auch gestalterisches und dem Design, Forschung und „Zehn Thesen für
irisierenden Silber-Lila-Tönen konstruktives Element ist. Er kann lo- Industrie gemeinsam an Lö- gutes Design“ verstan-
einen Namen gemacht hat. cker hängen oder straff gespannt wer- sungen für komplexe Tex- den werden. Sie beinhalten
TRUE TRIBE PARIS

Selbstverständlich alles den. An diesen Gurt werden die einzel- tilprojekte arbeiten und Punkte wie „Ein gutes Pro-
nachhaltig produziert. nen Leuchtkörper des Baukastens, egal das noch bis März vom dukt bleibt lange nützlich“,
Jacke ab 345 Euro. ob klassische Kugelleuchte, Lampen- Bundesministerium für „Produkte müssen re-
schirm, Spot oder stabförmige Röhre, Bildung und Forschung pariert werden kön-
geklipst. Und zwar an jeder beliebigen gefördert wird. Karina nen“, „Alle Produk-
Stelle, auch mehrere nebeneinander Wirth, Textildesignerin te werden aus erneu-
oder hintereinander. an der Weißensee Kunst- erbaren oder recycel-
Das Leuchtensystem im Baukasten- hochschule Berlin, be- baren Materialien herge-
prinzip macht die Beleuchtung im treute für das TPL das Gurt-Projekt, stellt“ und schließlich: „Ein gutes
GLAMOURÖSER Kurz vor dem Tod des Mode- Raum weitestgehend unabhängig von gemeinsam mit Arthur Desmet aus dem Produkt ist so wenig Produkt wie
AUFTRITT schöpfers Mugler Ende Januar der bestehenden Elektroinstallation, Diez Office. „Wir kannten die Lösung möglich.“ Was bedeutet: Suche nach
hat das gleichnamige französi- von vorinstallierten Lampenauslässen, für das Problem nicht. Also haben wir Möglichkeiten, ein physisches Objekt
sche Modehaus noch eine Kol- und emanzipiert so das Licht von der erst mal mit dem Handwebstuhl begon- überflüssig zu machen.
lektion mit dem Label Jimmy Architektur. „Denn was nützt einem ei- nen“, sagt Karina Wirth. „Neben der Das Diez Office arbeitet entlang die-
Choo – bekannt für discokom- ne schöne Lampe, wenn man an der ge- technischen Komponente war auch die ser Leitlinien. Sein für Magis entworfe-
patible Pumps und Luxusac- wünschten Stelle keinen Stroman- Designperspektive eine Herausforde- nes Sofasystem „Costume“ ist modu-
cessoires – entworfen, die schluss für sie hat?“, sagt Diez. rung, denn es war von Anfang an klar, lar, kann also an sich ändernde Lebens-
jetzt natürlich auch als Hom- Das System ist flexibel: Zieht man um dass der Gurt in Haptik und Aussehen umstände angepasst werden. Sein Be-
mage an den Modeschöpfer oder ändert sich die Raumsituation, nicht zu technisch sein sollte. Das Textil zug lässt sich leicht abnehmen und rei-
gesehen werden kann. Vor- können die Leuchten je nach Bedarf neu sollte ein Textil bleiben.“ nigen, alle Komponenten können aus-
nehmlich in Schwarz gehalten positioniert werden. Außerdem kann je- Das Resultat von vier Monaten inten- getauscht und repariert werden und
JIMMY CHOO X MUGLER

und mit allerlei Specialeffects
versehen, wollen beide Krea-
tivdirektoren mit den Stiefeln
und Heels die Weiblichkeit fei-
de Lichtquelle einzeln per App oder siver Forschungsarbeit war ein Gurt aus lassen sich am Ende fast komplett re-
Wandschalter angesteuert werden. Die Kupfer und Polyester – tatsächlich ein cyceln. Für Stefan Diez ist klar: „Der
Einsatzmöglichkeiten, die sich so erge- marktreifes Produkt. Für Wirth ist das Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
ben, sind endlos. „Plusminus“ kann bei einem so experimentellen Vorhaben ist eine der wichtigsten Aufgaben unse-
MAGIS; VIBIA (2)

ern – halb futuristisch, halb durch seinen Gurt und die unterschied- keine Selbstverständlichkeit. Auch für Nahezu vollständig recycelbar: das rer Generation, bei der Designerinnen
sexy. Erhältlich ab Frühjahr in lichen Befestigungsmöglichkeiten fast die zweite grundsätzliche und im modulare Sofa „Costume“ (Magis) und Designern eine Schlüsselrolle zu-
den Boutiquen und online. alles: Es kann Wandleuchte, Leselampe, wahrsten Sinne des Wortes daran an- kommt.“

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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG NR. 7 STIL 51

N
och 30 Minuten bis zur Ge- Anna Delvey – und thematisiert, welch richtsauftritte engagiert sie Starstylistin
richtsverhandlung. Doch erheblichen Anteil ihre Garderobe dabei Anastasia Walker, die sich sonst um Rap-
die Angeklagte lässt auf spielte. Ursprünglich aus Russland stam- per G-Eazy oder Kurt Cobains Witwe

Die Garderobe
sich warten. Ihr Outfit mend, zog Anna als Teenager mit ihrer Courtney Love kümmert. Legendär wer-
steht noch nicht. Die ei- Familie ins deutsche Eschweiler. Es woll- den ein eng anliegendes Kleid von Mi-
gens von der Stylistin ausgewählten Klei- te nicht so recht klappen mit der Integra- chael Kors, ein weißes Babydollkleid und
der sind nicht eingetroffen, und Anna tion, also flüchtete sie sich in die Welt eine Céline-Sonnenbrille, die ihr sogar
Sorokin weigert sich, die vom Gericht der Hochglanzmagazine. Später fing sie einen eigenen Instagramkanal verschaf-

der Gaunerin D
bereitgestellte Garderobe zu tragen. in London am renommierten College fen: „AnnaDelveyCourtLooks“.
„Das ist irre“, verzweifelt der Verteidiger Central Saint Martins ein Studium in
über die Luxusbetrügerin. „Diese Klei- Modedesign an, das sie nicht beendete, argestellt wird die charmante
dung ist irre“, entgegnet ihm Anna. Es und absolvierte ein Praktikum beim Trickbetrügerin von der US-
hilft also alles nichts, jemand muss ein „Purple“-Magazin in Paris. Sie wollte „al- amerikanischen Schauspielerin
neues Kleid besorgen, damit die Ver- les lernen, um alles zu sein“, heißt es in Julia Garner. Beim Zoom-Interview ist
handlung endlich beginnen kann. Die deutsche Hochstaplerin einer Szene. sie modisch noch in ihrer Rolle. Garner,

Anna Sorokin trickste sich in

Als sie in New York schließlich zu An- die auch das Kampagnengesicht für Pra-
VON MARIA-ANTONIA GERSTMEYER na Delvey wird, beherrscht sie die kom- da ist, trägt einen quietschgrünen Pull-

die High Society von New York.

plette Klaviatur der Inszenierung. Und under, extravagante Ohrringe und eine
So erzählt es die Netflix-Serie „Inven- sie ist um so einige vermeintlich unwich- kristallbesetzte Schmuckspange in den

Eine Serie zeigt nun, wie ihr

ting Anna“, aber so ähnlich wird es auch tige Weisheiten reicher, wie „Chanel blonden Locken. „Anna war eine Meiste-
gewesen sein. Anna Sorokin, die sich in macht perfekte flache Schuhe“ oder: „Es rin darin, sich ständig neu zu erfinden“,
das gelang. Und welche Rolle
New York als deutsche Erbin Anna Del- ist immer wichtig, sagt sie. „Sie besteht aus vielen verschie-
vey mit millionenschwerem Treuhand- Hahnentritt-Cape hochwertige Kleidung denen Versionen von sich.“ Garner hat

S
fonds ausgab, verwandelte den Gerichts-
saal in einen Laufsteg. Ihre Strategie ging
ihre Outfits dabei spielten und mondäne
Handschuhe: Anna
zu haben.“
auf: Der Hype, den die 25-Jährige hier um Delvey, hier in der o gelingt es die-
ihre Person kreiert, vernebelte die ei- Serie, gibt sich als ser faszinieren-
gentlichen Schurkentaten, wegen derer reiche deutsche den Schwindle-
sie schließlich vor Gericht steht. Für ih- Erbin aus rin, sich nicht nur mit
ren großen Traum, die „Anna Delvey krimineller Energie
Foundation“ zu realisieren, einen exklu- und Attitüde, sondern auch mit einer ge-
siven Mitgliederklub für die Kunstszene hörigen Portion Stilempfinden Eintritt
von New York, soll sie ihre Opfer um ei- in die Modebranche zu verschaffen, sich
ne Viertelmillion US-Dollar erleichtert mit It-Girls und deren reichen Männern
haben. Dafür mietete sie sich auf Pump anzufreunden und Kontakte zu einfluss-
wochenlang in Luxushotels ein, borgte reichen Society-Ladies zu knüpfen. In
einen Privatjet aus, schmiss ausschwei- rosa Seide gehüllt und literweise Cham-
fende Partys und ging exzessiv shoppen. pagner ausschenkend, schindet sie im
Das Bargeld für diese teuren Vergnügen holzvertäfelten Nobelrestaurant mit gu-
war stets geliehen, die Schecks nie ge- ten Manieren Eindruck. Mit klassischem
PICTURE ALLIANCE/ DPA/ RICHARD DREW
Sorokin zur Vorbereitung im Gefängnis
besucht. „Die Mode hat Anna dabei ge-
holfen, eine Rolle zu spielen. Streng ge-
nommen passiert doch aber in den sozia-
len Medien tagtäglich nichts anderes.
Versucht dort nicht jeder andauernd et-
was zu sein, das er nicht ist?“
In einem Luxushotel in Marrakesch, in
das Anna ihre Entourage einlädt, beginnt
die Fassade zu bröckeln. Keine der Kre-
ditkarten ist gedeckt. Weil ihre Freunde
aber damit beschäftigt sind, im Luxus
der Annehmlichkeiten zu baden, fällt das
niemandem auf. Bis die Security vor der
Tür steht. Eine der Freundinnen kommt
schließlich für die beträchtliche Rech-
nung auf. Sie ist es, die Sorokin letztlich

deckt. 2018 flog der jahrelange Schwindel Hahnentritt-Cape, mondänen Hand- auf die Anklagebank bringt. In einer Sze-
auf, wegen Betrugs verurteilt wurde sie schuhen und etwas auswendig gelernter ne im Gerichtssaal wird beiden, den Ge-
nach 20 Monaten Haft im Februar 2020 Kunstgeschichte wickelt sie Architekten schworenen und dem moralisierenden
nach guter Führung frühzeitig entlassen. und Starkuratoren um den Finger. Im se- Zuschauer der Spiegel vorgehalten: Wie
Netflix kaufte der Hochstaplerin für riösen Businesskostüm, kombiniert mit sehr haben wir durch Scheinwelten auf
rund 260.000 US-Dollar die Exklusiv- einer Nerd-Brille, knackt sie mit rührse- Instagram & Co. inzwischen jedes Ge-

NICOLE RIVELLI/NETFLIX
rechte an ihrer Geschichte ab, mit denen ligen Geschichten Investoren und Fi- fühl für Authentizität verloren? Sind
sie die Schulden zurückzahlte. nanzprofis. Im braven Etuikleid, das sie nicht heuchelnde Freunde in gewisser
„Inventing Anna“, produziert von aussehen lässt wie eine zwölfjährige Weise auch Betrüger? Und warum ei-
Drehbuchautorin Shonda Rhimes, zeigt Realer Prozessbeginn: Anna Sorokin Grundschülerin, führt sie das Fahn- gentlich sind eng anliegende Samthals-
die Transformation von Anna Sorokin in im Kleid von Michael Kors dungsfoto ad absurdum. Für ihre Ge- bänder jemals aus der Mode gekommen?

ANZEIGEN-SONDERVERÖFFENTLICHUNG

KULTUR-HIGHLIGHTS Noch immer läuft der Kulturbetrieb nicht wie gewohnt – aber Galeristen
und Auktionshäuser bemühen sich, Kunst und Kultur im Rahmen der Mög-
lichkeiten für Kunden und Besucher erlebbar zu machen.
AUKTIONEN UND AUSTELLUNGEN

ANDREA ZAUMSEIL AUS INSOLVENZMASSE INSTALLATION KULTUR IM JAHR 2022

ÜBER FLUG FRÜHJAHRSAUKTION BERÜHREND NEUE WEGE GEHEN

Die Draiflessen Collection Das Jahr ist noch jung, dennoch können Galeristen, Muse-
in Mettingen zeigt noch bis en oder Veranstalter nicht wie sonst üblich, einen prallge-
zum 27. Februar eine wahr- füllten Veranstaltungskalender präsentieren.
lich berührende Installation Aufgrund der aktuellen Situation läuft gerade der Kulturbetrieb
von Daan Roosegaarde. noch immer vielfach auf Sparflamme. Vor allem die sich oft schnell
Pandemiebedingt fehlen Umar- ändernde Lage macht es den Kulturtreibenden schwer, Veranstal-
mungen oder ein Handschlag tungen oder Ausstellungen zu planen.
im alltäglichen Miteinander. Mit Was im Moment möglich ist, kann morgen dann schon wieder ob-
der raumgreifenden Installati- solet sein. Dennoch wird vielerorts versucht, zumindest das, was
on TOUCH hat der niederlän- erlaubt ist, zu realisieren – vielfach auch in Online-Formaten. Da-
dische Künstler Daan Roose- durch geht sicher einerseits der Reiz des unmittelbaren Erlebens
gaarde (*1979) ein interaktives verloren, anderseits ist es eine probate Möglichkeit, überhaupt
SEO _2004, Kunstwerk geschaffen: Es the- etwas Abwechslung in den Alltag zu bringen. Und neue Wege zu
Traumberg I, Acrylic, matisiert den Moment und die erschließen ist darüber hinaus eine der „Grundtugenden“ in der
Papercollage, Canvas,
200x200 cm. Bedeutung der gegenseitigen Kulturwelt – lassen wir uns überraschen, was uns das neue Jahr an
Vogel, 2021, Pastellkreide auf Papier, 29,5 x 42 cm. Foto: Ketterer Kunst Foto: Van Ham Berührung, die bis vor Kurzem Kultur-Highlights präsentiert.
noch so selbstverständlich war. TOUCH. Foto: Draiflessen Collection
www.draiflessen.com
Noch bis zum 19. Februar sind Werke der Künstlerin Das Kölner Auktionshaus erneut die Vermarktung einer
Andrea Zaumseil, Hans-Thoma-Preisträgerin des Landes Van Ham wurde mit der umfassenden Insolvenzmas- TEXT/LAYOUT: CP/COMPARTNER, Redaktionsbüro Essen · Berlin,
www.cp-compartner.de
Baden-Württemberg, bei Ketterer Kunst in Berlin zu sehen. Versteigerung von ca. 550 se anvertraut, bei der es sich
ANZEIGEN: Theresia Maas, E-Mail: theresia.maas@axelspringer.de
Andrea Zaumseils Werke sind im öffentlichen Raum genauso präsent Positionen aus der Insol- um einen Teil der Firmen- und
12./13. Februar 2022
wie in so wichtigen Sammlungen wie der Staatsgalerie Stuttgart, dem venzmasse des kürzlich Privatinsolvenz handelt. Auf-
Kunstmuseum Bonn, dem Kunstpalast Düsseldorf und der Kunsthal- verstorbenen Berliner Ga- grund der Erfahrung im Um-
le Mannheim. Wer die Arbeiten der Künstlerin einmal gesehen hat, leristen Michael Schultz be- gang mit großen Sammlungen,
vergisst sie so schnell nicht wieder: Sie versteht es eindrücklich, das auftragt. den vorhandenen Kapazitäten
Filigrane mit dem Malerischen zu verbinden. Ihre Motive sind die Bis zur Schließung seiner zwei und der kompletten und di-
Elemente, genauso wie Landschaften und Räume, aber auch Körper Galerien im Oktober 2019 lag rekt verfügbaren Infrastruktur,
aller Art, denn ursprünglich ist sie Bildhauerin. In der Ausstellung bei Schultz‘ Fokus auf zeitgenössi- erhielt Van Ham den Zuschlag, Auktionen sind unsere Leidenschaft
Ketterer Kunst stellt sie die Themen Wald und Vögel in den Fokus. scher Kunst aus Europa, Ame- die Werke der Galerie Michael
© VG-Bild-Kunst, Bonn 2021

„Mir gefällt dabei die Unmittelbarkeit, die Reduktion der Mittel bei rika und Asien. In zahlreichen Schultz im Auftrag des Insol-
gleichzeitiger Unendlichkeit der Möglichkeiten und die Situation, nur
mit Papier und Stift allein zu sein“, so Andrea Zaumseil.
internationalen Ausstellungen
bewies der geschäftige Galerist
venzverwalters Dr. Björn Gehde
der Kanzlei Hilgers & Partner zu
KENNEN SIE DEN
Die am Bodensee aufgewachsene und eng mit der Natur ver-
bundene Künstlerin begeistert mit ebenso dramatischen wie
immer wieder sein gutes Ge-
spür für Trends auf dem Kunst-
veräußern.
www.van-ham.com
WERT IHRER KUNST?
meditativen Schöpfungen, die im ständigen Fluss zu sein schei- markt. Zu seinem Portfolio Moderne Kunst
nen. Die gemäldeartigen Zeichnungen ziehen die Betrachter*in- gehörten seit den 1990er Jah- Zeitgenössische Kunst ALBERT OEHLEN Aufruf: € 1.500.000 Ergebnis: € 3.600.000

Alte Kunst
nen ganz unmittelbar in ihren Bann, erstaunen und berühren ren unter anderem A.R. Penck, Schmuck & Uhren Jetzt
zugleich. Andrea Zaumseil ist eine facettenreiche Poetin der Cornelia Schleime und SEO, die Europ. Kunstgewerbe kostenlos DEUT SCHL ANDS NR. 1
bildenden Kunst. Nach dem Studium der Germanistik und Ge- nun auch in der Auktion bei Van bewerten
schichte Ende der 1970er Jahre an der Universität Konstanz Ham im Frühjahr mit Konvolu- lassen! FÜR KUNSTAUK TIONEN
folgte ein Studium der Bildhauerei an der Staatlichen Akade- ten vertreten sein werden.
mie der Bildenden Künste in Stuttgart. Seit 2003 hat die Künst- Das 1959 gegründete Famili- Ihr Vertrauen ist unsere Motivation
lerin eine Professur für Bildhauerei mit dem Schwerpunkt enunternehmen wurde damit,
Metall in Halle inne. Bereits 2015 wurde ihr der renommierte nach den erfolgreichen Ver- DAAN ROOSEGAARDE
Weitere Informationen: Tel. 089 55244 - 0 · www.kettererkunst.de
www.draiflessen.com

TOUCH
Hans-Thoma-Preis des Landes Baden-Württemberg verliehen. steigerungen der Achenbach
www.kettererkunst.de Art Auction und Auctionata,
+49 221 925862-0 | info@van-ham.com | www.van-ham.com
28. November 2021–27. Februar 2022

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52 STIL
KOCHSCHULE WINTERKÜCHE
Saibling mit Salat und
Mandarinendressing
VON VOLKER HOBL UND ROBIN KRANZ (FOTO); WEINTIPP: MANFRED KLIMEK
In meiner Kindheit gab es bei mei-
nen Großeltern oft einen Salat, der
mit einem Dressing aus Zitronen-
joghurt angemacht wurde. Der Zi-
tronenjoghurt war fertig gekauft,
und es gibt ihn auch heute noch.
Die Mischung aus Säure, Süße und
Zitrusaromen, gepaart mit der Cre-
migkeit des Joghurts und den Bit-
Zutaten (für 2 Personen)
1 kleiner Kopf Endiviensalat
1 Kopf Radicchio
200g Joghurt
4 EL Weißweinessig
6 Clementinen
1 EL Zitrusfruchtmarmelade (Zitro-
ne, Mandarine oder Orange)
Olivenöl
Salz, Pfeffer
1 Saibling à ca. 800 Gramm
Mehl zum Wenden
neutrales Pflanzenöl zum Braten
Für das Dressing zwei Clementinen
dünn schälen und auspressen. Den
Joghurt mit der Schale und dem Saft,
dem Essig und der Marmelade glatt
rührend und kräftig mit Salz und
Pfeffer abschmecken. Die übrigen
Clementinen filetieren. Zuerst die
Kappe, aus der auch der Stiel kommt,
und die gegenüberliegende Seite ab-
schneiden, dann mit einem Messer
dünn die Schale und die weiße Haut,
die die Fruchtsegmente umgibt, ent-
fernen. Dann lassen sich die Filets
zwischen den Trennwänden leicht
herausschneiden. Ich versuche dabei,
nur einen Schnitt auf einer Seite der
Filets zu machen, um dann das
Fruchtfleisch mit dem Messer aus der
Kammer zu drücken. So bleiben die
Filets besser erhalten.
Endiviensalat und Radicchio wa-
schen, in mundgerechte Stücke zup-
fen und trocken schleudern. Den
Saibling mit kaltem Wasser waschen
und trocken tupfen. Die Bauchhöhle
salzen, und den Fisch in Mehl wen-
Passt perfekt: Der Cremant blanc La Louviere kommt
aus der südfranzösichen Region Limoux, eine Cuvée aus
Chardonnay, Chenin-Blanc, der autochthonen Rebe Mau-
zac und Pinot Noir. In der Nase dezent Hasel- und Wal-
nuss, hellrote Beeren, gering Kirsche und rauchiger Meer-
schaum. Im Mund enorm kräftig, eine gewichtige Alterna-
tive zu Champagner. Für 18 Euro bei mysommelier.at
ESSEN & TRINKEN
terstoffen des Salats, mochte ich
schon als Kind. Das komplexe, feine
Aroma von Clementinen, die ich
hier verwende, gefällt mir heute
besser, und es harmoniert mit den
festeren Salaten, die ich verwende.
Die knusprige Haut und das saftige
Fleisch des Saiblings machen das
Gericht perfekt.
den. Überschüssiges Mehl abklopfen.
In einer großen Pfanne das Öl erhit-
zen, den Fisch erst einmal braten, oh-
ne ihn zu bewegen, damit das Mehl
auf der Fischhaut eine Kruste bilden
kann und sich schließlich vom Pfan-
nenboden löst. Sobald der Fisch gold-
braun und die Haut knusprig ist, wird
er vorsichtig gewendet und mit einem
Esslöffel heißen Öls aus der Pfanne
übergossen. Dabei hilft es, die Pfanne
schräg zu halten, sodass sich das Fett
in einer Pfannenecke sammelt. Den
Fisch braten, bis beide Seiten gold-
braun sind. Um zu prüfen, ob er gar
ist, steckt man den Finger kurz in die
Bauchhöhle, knapp unter dem Kopf.
Wenn diese spürbar warm ist, ist der
Fisch fertig. Ich mag ihn recht glasig,
wer aber unsicher ist, legt ihn noch
einmal für zehn Minuten in den auf
150° Grad vorgeheizten Backofen. Sa-
lat mit dem Dressing mischen, die
Clementinenfilets darüberstreuen
und mit dem Fisch servieren.
A Volker Hobl ist Koch und
Foodstylist.
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022
Alibernet, das klingt für ältere deutsch- SCHÖNTRINKEN gen: In den Augen fast aller Winzer sind Grenzgebiete notwendigen Sonderge-
sprachige Mitbürger womöglich nach sie ein unsinniger Fehler. Das mag oft nehmigung betreten werden. Was auf
einer Schrumpfversion des einst promi- zutreffen, ist aber als generalistische Valtice und im nahen Lednice an Reb-
nenten 1970er-Badezimmerschranks Al- VON MANFRED KLIMEK Ansage falsch. sorten gekreuzt wurde, fand im Wein-
libert. Er ist der Inbegriff für Ordnung Alibernet entstand in Odessa als bau der Länder des Ostblocks Einzug,
in der Nasszelle – und so auch Inbegriff
des Spießertums. In einer neuen Versi- Gewächse aus Kreuzung von Alicante Bouschet und
Cabernet-Sauvignon. Die Sorte ist resis-
nicht aber im nur 400 Meter entfernten
Weinbau in Österreich. Dort hörte man
on hängt er auch in meinem Badezim-
mer. Wäre ich 30, würde das Teil sofort
rausfliegen. Ich bin aber doppelt so alt,
dem Ostblock tent gegen Mehltau, die Pest im Wein-
bau, und verbindet das Rustikale des
Alicante mit dem Noblen des Cabernet
1990 zum ersten Mal von den Valtice-
Lednice-Rebsorten Neuronet (eine
Kreuzung aus St. Lauret und Alibernet)
inzwischen Spießer – also bleibt es drin. – sie eignet sich also ideal, der gängigen oder Rubinet (aus Revolta, Alibernet
Tatsächlich ist Alibernet eine Rebsor- diese zumindest im Weinbau ein klein Cuvéetierung (etwa Cabernet-Sauvi- und André). Da das österreichische
te, die in unseren Regionen kaum einer bisschen rechtfertigt. Den Züchtern des gnon und Merlot) aus dem Weg zu ge- Weinviertel aber stark auf Weißwein
kennt. Das hat einen einfachen Grund: Alibernet aus der Weinbauschule in hen. Aus Alicante werden vor allem im ausgerichtet ist, bestand an beiden Sor-
Es gibt meines Wissens nicht einen Odessa, damals Sowjetunion, heute ungarischen Sprachgebiet der Slowakei ten kein Interesse.
Hektar Alibernet in Deutschland oder Ukraine, war wichtig, eine Sorte zu ein paar exzellente Rotweine gekeltert, Bis auf den Alibernet sind die Neu-
Österreich. Und das, obwohl Rebstöcke schaffen, die weniger anfällig für Schäd- etwa auf dem in meiner letzten Kolum- züchtungen der Planwirtschaft heute
der Sorte nur wenige Kilometer östlich lingsbefall ist als die gängigen, für den ne erwähnten Château Belá oder auf auch in den Nachfolgeländern der
der österreichischen Grenze – und der Weinbau veredelten Sorten wie Merlot Château Topolcianky – diese Weine Tschechoslowakei und in Ungarn in
Weingärten dort – seit rund 50 Jahren oder Cabernet-Sauvignon. Darüber hi- kann man problemlos online beziehen. Vergessenheit geraten. Das geschah vor
ihre Wurzeln in den Boden schlagen. naus sollte die neue Rebsorte auch ei- Alibernet ist in dieser alten Weinbau- allem, weil sie eine Vergangenheit ver-
Die Menschen sind nach dem Fall des nen Zuwachs im Ertrag bringen. Eine region heimisch geworden, weil sich die körpern, die niemand dort mehr leben
eisernen Vorhangs über die Grenze ge- ähnliche Züchtung ist die in Deutsch- Lehrenden der über die Grenzen Mäh- will. So gehen meiner Meinung nach ein
kommen, diese Reben nie. land entwickelte Sorte Müller-Thurgau, rens bekannten Weinbauschule Valtice paar hochinteressante und die Vielfalt
Die Alibernet ist eine Züchtung aus von der aber nur wenig interessante ihrer angenommen hatten. Diese Schu- vergrößernde Rebsorten verloren.
dem sogenannten Ostblock, ein Pro- Weine bekannt sind; der wohl beste und le, in einem Schlösschen gelegen, lag
dukt der Planwirtschaft; vielleicht sogar wahrlich interessanteste wird im Wein- mehr als 40 Jahre lang in Rufweite des
A
das einzige Produkt dieser grotesk fal- gut Stahl in Franken gekeltert. Stacheldrahts und der Wachtürme an Manfred Klimek ist Fotograf und
schen, aber im Sinne des Kollektivismus Und damit sind wir beim wesentli- der Grenze zu Österreich und durfte Winzer in Italien. Hier schreibt er alle
verständlichen Wirtschaftsform, das chen Vorbehalt gegen alle Neuzüchtun- von ihren Schülern nur mit der für 14 Tage über Wein und die Welt
Mal eben ein
ndere in seinem Me-
tier schreiben Koch-
bücher, Jan Hartwig
verteilt gute Ratschlä-
ge. Im Herbst ist sein
Schlossherr
Buch „Sterne leben“ in
einem Fachverlag für
Businessstrategien und Motivationslite-
ratur erschienen. Darin stellt er 14 Er-
folgsformeln aus der Sterneküche vor,
die, wie es im Untertitel heißt, „auch Sie
an die Spitze bringen“. Lektion 1: Das
Handwerk erlernen. Lektion 9: Unge-
mütlich sein und dranbleiben. Lektion Drei-Sterne-Koch Jan Hartwig hat seine Anstellung in einem
Münchner Luxushotel aufgegeben, um ein eigenes Lokal zu eröffnen.
14: Spaß haben.
Als Vorgeschmack betreibt er ein Pop-up in fürstlichem Ambiente
VON HEIKO ZWIRNER
„Durch die Pandemie hatte ich viel
Zeit, mich mit solchen Dingen zu be-
schäftigen“, sagt Hartwig und lacht. Der
gebürtige Niedersachse ist einer von
zehn Köchen in Deutschland, die mit
drei Michelin-Sternen ausgezeichnet
sind. Bis vor Kurzem hat er im „Atelier“
gearbeitet, dem Gourmet-Restaurant
im „Bayerischen Hof“ in der Münchner
Innenstadt. Während der Zwangspause
hat er sich noch über ganz andere Dinge
Gedanken gemacht als über persönliche
Erfolgsformeln. In der Kurzarbeit reifte
sein Entschluss, die Festanstellung im
Luxushotel aufzugeben und sein eige-
ner Chef zu werden. „Hinzu kommt,
dass ich dieses Jahr 40 werde“, sagt er.
„Da fragt man sich natürlich, was man
im Leben noch erreichen will.“
Hartwig hat viel vor. Im Frühsommer
soll sein eigenes Lokal in der Nähe vom
Münchner Königsplatz eröffnen, mit 40
Plätzen, moderner Belüftungsanlage
und bodentiefen Fenstern, die Bauar-
beiten sind in vollem Gang. Als Vorge-
schmack betreibt der Spitzenkoch seit
Anfang Februar ein Pop-up-Restaurant
in der Porzellanmanufaktur, die in ei-
SZ PHOTO/ STEPHAN RUMPF
nem herrschaftlichen Gebäude am
Schloss Nymphenburg residiert. Dort
lässt er seine filigranen Gerichte auf er-
lesenes Geschirr treffen. Der Raum –
ursprünglich als Mitarbeiterkantine an-
gelegt und mit einer offenen Anrichte
ausgestattet – bietet Platz für 16 Gäste, Jan Hartwig in seinem Pop-up-
das Menü wechselt täglich und kostet Restaurant der Porzellanmanufaktur
285 Euro. Das Pop-up läuft bis Mitte Nymphenburg. Unten: Tellersülze
April und ist bereits ausgebucht. „Die bei die glibberige Konsistenz einer aus Roter Bete und Räucheraal Hartwigs Weg in die Selbstständig-
meisten Gäste kenne ich persönlich“, Schnecke, sorgt aber in Verbindung mit keit ist symptomatisch dafür, wie die
sagt Hartwig. „Die Leute freuen sich den anderen Elementen für ein viel- Pandemie über Umwege für eine Er-
einfach, dass ich wieder für sie koche.“ schichtiges Mundgefühl mit herzhaft- neuerung in der Spitzengastronomie
Die Gäste werden am frühen Abend cremigen und körnig-bissfesten Kom- sorgt. „Es gibt einen großen Nachhol-
im Verkaufsraum der Porzellanmanu- ponenten. Die zweite Runde, ein aufge- bedarf“, sagt er. „Die Leute haben lan-
faktur am nördlichen Schlossrondell schäumter, 36 Monate lang gereifter ge genug zu Hause herumgesessen.“
empfangen und dann in einen Bereich Gruyère mit einer Pilzessenz, gehack- Mit dem wiedereröffneten „Tantris“,
geführt, zu dem normalerweise nur Be- ten Mandeln und Trüffel, kommt in dem „Salon Rouge“ von Tohru Naka-
triebsangehörige Zugang haben. Durch einem Tässchen mit Goldrand und mura und dem Restaurant von Sigi
einen gepflegten Garten gelangen sie in passendem Unterteller. Sieht aus wie Schelling gibt es allein in München
einen Salon mit Ziertellern an den Cappuccino, dringt aber in tiefste und mindestens drei weitere neue An-
blassgrünen Wänden und feingliedrigen dunkelste Aromensphären vor. Das laufstellen, die dafür gerüstet sind,
Porzellanskulpturen auf den eingedeck- Wechselspiel setzt sich fort bis zum diesen Nachholbedarf zu befriedigen.
ten Tischen, die man besser nicht zer- Dessert, bei dem das leuchtende Gelb Hartwig hat mit seinem Pop-up of-
deppern sollte, da der Schaden sonst eines flüssigen Mangopürees einen fenbar einen Nerv getroffen. Seine Gäs-
schnell auf einen vierstelligen Betrag hi- schönen Kontrast zum Ultramarin des te scheinen die intime Salonatmosphäre
nausläuft. In den angrenzenden Werk- Tellerrands bildet. zu schätzen. Der Chef bedient selbst
stätten werden seit 1761 Objekte gefer- nach Deutschland zu liefern, hat Hart- und plaudert mit ihnen, ohne umständ-
tigt, bei denen die Grenzen zwischen DIE BESTE BUTTER DER WELT wig einen Strohmann engagiert, der die liche Erklärungen zu den Gerichten he-
Gebrauchsgegenstand und Kunstwerk Die Pandemie hat bei vielen internatio- Butter vor Ort einkauft und dann gut runterzubeten. Besonders herzlich be-
verschwimmen. Auch beim Menü spie- nalen Spitzenköchen dazu geführt, dass gekühlt nach München schickt. Oft grüßt er einen Vater mit seinem Sohn,
len die Erzeugnisse der Manufaktur ei- sie ihre bisherige Arbeitsweise hinter- kommen vermeintlich unscheinbare die seine allerersten Gäste waren, als er
ne zentrale Rolle. „Ein tolles Geschirr fragt haben. Hartwig ist seinem Stil treu Produkte zum Einsatz, etwa eine Ma- 2014 im „Atelier“ anfing.
hat für einen Koch eine ähnliche Bedeu- geblieben. Kaum ein Koch in Deutsch- krele. Sie wird mit Kaviar, Schnittlauch In seinem neuen Lokal will Hartwig
tung wie die Leinwand für einen Maler“, land beherrscht das Zusammenspiel und einer Beurre blanc auf Dashi-Basis ebenfalls auf Nahbarkeit setzen. Es soll
sagt Hartwig. Bei manchen Gängen von Aromen und Texturen mit so viel serviert, die dünnflüssig ist und trotz- schlicht „Jan“ heißen. „Ich habe lange
sucht er Geschirr aus, das zum Gericht Fingerspitzengefühl wie Jan Hartwig. dem eine erstaunliche Dichte hat. Dazu überlegt und mich für die einfachste Lö-
passt, bei anderen geht er umgekehrt Er ist kein Dogmatiker in Sachen Nach- muss sie über einen längeren Zeitraum sung entschieden“, sagt er. „Außerdem
vor und stimmt seine Kreationen auf haltigkeit oder Regionalität, aber ein bei konstant 60 Grad garen. „Für mich hat der Name einen positiven Klang,
ein Geschirr ab, das ihm gut gefällt. Qualitätsfanatiker. Die Butter, die er ist das perfekte Essen immer geknüpft weil das ‚Ja’ schon drinsteckt.“
Der erste Appetithappen wird in ei- zum frisch gebackenen Sauerteigbrot an einen besonderen Moment“, sagt Ob er als sein eigener Herr wieder
ner weißen Schnecke aus hauchdünnem reicht, bezieht er aus der Normandie, Hartwig. „Und dieser Moment kann ge- drei Sterne anstrebt? Hartwig zögert
Porzellan serviert – Perlgraupen mit ge- weil er genau diese Butter für die beste nauso durch den Trüffel auf der Pasta kurz. „Ich mache meine Arbeit so gut,
zupftem Kalbskopf in einem Schnitt- Butter der Welt hält. Da die Erzeuger ausgelöst werden wie durch das Spiegel- wie ich kann“, sagt er. Ein Kochbuch ist
lauchsud. Ein Wachteleigelb imitiert da- nicht dazu bereit waren, ihre Produkte ei auf dem Schnittlauchbrot.“ auch schon in Vorbereitung.
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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG
Schluss mit Beziehungspessismus und ewigen
Nörgeleien, fordert Paarberater Christian Thiel.
W
Er traut der Liebe im 21. Jahrhundert Großes zu –
wenn wir einige Probleme angehen
er will sich
denn heute
noch lang-
fristig bin-
den? Überall
liest und
hört man da-
von, dass junge Menschen einander
„ghosten“, sich also sang- und klanglos
aus dem Leben des anderen verabschie-
den. Oder davon, dass ihnen nur ein Part-
ner längst nicht mehr genügt. Da kann
der Eindruck aufkommen, die romanti-
sche Liebe sei am Ende. Doch das genaue
Gegenteil treffe zu, meint der Paarbera-
ter Christian Thiel.
VON ANNA EUBE
In seinem Buch „Generation bezie-
hungsstark. Wie wir in Zukunft lieben
werden“ (Herder) zeichnet er ein opti-
mistisches Bild über Beziehungen: Sie
seien so gut wie nie zuvor, und sie können
noch besser werden. Obwohl es Phäno-
mene wie „Ghosting“ gibt? Das, meint
Thiel lachend während eines Videoan-
rufs, habe es doch früher ganz genauso
gegeben.
WELT AM SONNTAG: Wie werden sich
Liebe und Beziehungen in Zukunft
verändern?
CHRISTIAN THIEL: Viele unserer Annah-
men über die Liebe stammen noch aus
den 70er-Jahren. Damals wurde die
Ehescheidung eingeführt, die Liebe
wurde ein Kind der Freiheit, und das
Mantra lautete: Man muss alles mit dem
Partner ausdiskutieren. Das basierte aber
gar nicht auf wissenschaftlichen Erkennt-
Christian Thiel
Paarberater
Christian Thiel
hat Philosophie
und Germanistik
studiert, seit über
15 Jahren berät er
Singles und Paa-
re. Er beantwortet online für
WELT regelmäßig Beziehungs-
fragen und spricht im Podcast
über „Die Sache mit der Liebe“.
Sein Buch „Generation bezie-
hungsstark. Wie wir in Zukunft
lieben werden“ ist bei Herder
erschienen (224 Seiten, 20 Euro).
nissen. Erst in den Jahren danach passier-
ten in der Liebesforschung Fortschritte,
die sich nun auf die Realität auswirken.
Meine These für die Liebe im 21. Jahrhun-
dert lautet: Wir werden ein Stück weit
realistischer in der Einschätzung dessen,
was in Beziehungen funktioniert und was
nicht. Kritik und Negativität funktionie-
ren nicht, denn Liebe ist Positivität – die
regelmäßige und anhaltende Bestätigung
von Gefühlen.
Sie sind überzeugt, dass die heutigen
Teenager zur „Generation beziehungs-
stark“ heranwachsen. Dabei hält sich
Alfa Romeo wird ein bisschen elektrisch
E Mit dem Tonale geht die italienische
s hat schon eine gewisse Unver-
frorenheit, dass Jean-Philippe
Imparato, der Chef von Alfa Ro-
meo, sein Unternehmen als „Vorreiter“
bezeichnet, als er bei einer digitalen
Pressekonferenz das jüngste Mitglied
der Familie vorstellt. Wie andere italie-
nische Traditionsmarken auch hat sich
der Autobauer mit der Elektromobilität
bisher schwergetan. Nun soll das Kom-
pakt-SUV Tonale, benannt nach einem
Pass in den italienischen Alpen, einen
grundlegenden Wandel einleiten, den
die Italiener feierlich als „La Metamor-
fosi“ bezeichnen. Oder zumindest ein
bisschen, denn der Tonale ist kein rei-
nes Elektroauto, sondern ein Fahrzeug
mit Verbrennungsmotor, das wahlweise
als Hybrid oder als Plug-in-Hybrid er-
hältlich ist.
Bei der Online-Präsentation des neu-
en Modells ist ein Stück von Alan Par-
sons Project zu hören, einem Studioen-
semble, das seine großen Erfolge in den
frühen 1980er-Jahren feierte. Die etwas
in die Jahre gekommene Vorstellung
von Fortschrittsgeist, die diese Musik
ausstrahlt, passt erstaunlich gut zum
NR. 7 STIL 53
Stattdessen sollten sie einfach zuhören
„Sich einfach auf
und Anteil nehmen. Wenn das nicht pas-
siert, wird die Frau immer weniger erzäh-
die SEITE des
len, und die Partnerschaft erodiert. Frau-
en hingegen grübeln zu viel oder nörgeln
aus Unzufriedenheit heraus. Das ist eine
Art, keine Verantwortung zu überneh-
men: Wenn der Frau etwas fehlt, soll sie
es lieber ansprechen. Heftige Kritik löst
doch hartnäckig die Vorstellung, junge eine Spirale der Negativität aus. Es gibt
Menschen seien allesamt beziehungs- darüber einen Witz. Die Frau sagt zum
unfähig. Paarberater: „Ich muss nörgeln, er geht
Die kommende Generation sei ein einzi- immer in seinen Hobbykeller!“ Der Mann
Partners stellen“
ger Schlamassel, das durchzieht unsere sagt: „Ich muss immer in den Hobbykel-
Kultur jetzt seit 6000 Jahren. Eva Illouz, ler, sie nörgelt so viel!“ Keiner erkennt,
die bekannte Soziologin, schreibt ganze dass sie beide dazu beitragen.
Bücher darüber, dass alles immer schlim-
mer wird und die Beliebigkeit in Bezie- Sie raten also von Kritik am Partner
hungen zunimmt. Aber es gibt keine Stu- ab. Aber man wird doch wohl darauf
dien, die ihre Sicht bestätigen. Junge hinweisen dürfen, dass der andere den
Menschen geben nach wie vor Familie Abwasch wieder nicht gemacht hat?
und eine stabile Partnerschaft als ihre Le- Dabei kommt es auf den Tonfall an. Wenn
bensziele an – die große Mehrheit ent- man kritisiert, wird der andere sich ver-
scheidet sich immer noch für ein mono- teidigen. Üblicherweise kommt es zum
games Familienmodell. Gegenangriff. Und dann behaupten zwei
Menschen, sie lieben sich? Moderne Paa-
Werden offene Beziehungsmodelle re neigen dazu, alles auszudiskutieren, es
nicht immer populärer? geht dann um richtig und falsch. Die Lö-
Auf Phänomene wie Gelegenheitssex und sung ist meistens eine andere: Wir müs-
Polyamorie (mehrere Menschen gleichzeitig sen uns eigentlich nur auf die Seite des
zu lieben; d. Red.) wird gerne gestarrt, aber Partners stellen und seine Gefühle akzep-
das bringt nichts. Erstens gab es all das tieren. Denn um die geht es eigentlich,
schon in den 70er-Jahren, und zweitens nicht um den Abwasch! Der andere fühlt
hat der Wunsch nach Treue seitdem eher sich nicht geachtet. Leider fehlt uns in
zugenommen. Viele Menschen schauen der Liebe die Weisheit, die wir im Beruf
heute erst mit 30, ob sie Familie wollen, haben. Da holen wir uns Hilfe, suchen
erst dann sind sie im Berufsleben ange- Strategien zur Lösung eines Problems. In
kommen. Wie sie davor geliebt haben, der Beziehung wiederholen wir ständig
spielt gar keine Rolle, denn spätestens da dieselben Muster, diskutieren und kriti-
merken sie: Mit Familie lassen sich offene sieren immer weiter. Anstatt über andere
Modelle nur schwer leben. Da funktio- Wege nachzudenken, kommen wir zu
niert die Monogamie am besten, so viele dem Schluss: Mit meinem Partner
Fehler sie auch haben mag. Ich glaube, es stimmt etwas nicht.
wird jungen Menschen gelingen, Bezie-
hungen auf einem ganz anderen Niveau Ausdiskutieren hilft – das ist eine der
als ihre Großeltern zu führen. Ganz ein- Annahmen über die Liebe, die noch
fach, weil sie von der Partnerschaft auch aus den 70ern stammt, haben Sie zu
eine enge Freundschaft erwarten und Anfang erklärt. Welche falsche Annah-
noch nach Jahren leidenschaftlichen Sex me hält sich ebenfalls hartnäckig?
haben wollen. Die Ansprüche sind gestie- Dass man sich erst selbst lieben muss, be-
gen, und das ist völlig in Ordnung. vor man andere lieben kann. Stand der
Forschung ist aber, dass Selbstliebe keine
Aktuell gebe es aber noch einen „Gen- Voraussetzung für eine gelingende Bezie-
der-Satisfaction-Gap“ in Beziehungen, hung ist. Bei der Partnerwahl ist viel
schreiben Sie, eine Zufriedenheitslü- mehr das Entscheidende, jemanden zu
cke. Die Männer sind zufriedener als finden, dem es ähnlich geht oder der das
die Frauen. Wieso das? versteht. Und später, in der Beziehung
Es liegt vor allem daran, dass Männer selbst, ist der wichtigste Punkt für das
nicht so reflektiert sind, was die Liebe an- empfundene Glück: Sind beide bereit, et-
geht. Bei manchen stammt der Hauptteil was für den anderen zu tun? Da ist man
des Beziehungswissens aus Filmen, vor im Zweifelsfall sehr gut bei jemandem
allem aus Action-Filmen. In jeden Action- mit geringem Selbstwertgefühl aufgeho-
Film ist ein Prozent Liebe eingelassen, ben, denn er weiß, dass er für den ande-
besagt die Statistik. Bei 600 Minuten ren da sein muss.
„Herr der Ringe“ sind das sechs Minuten.
Was in diesen sechs Minuten passiert, Sie glauben, dass sich unsere Vorstel-
halten Männer für real. Frauen beschäfti- lung von der Liebe ändern wird. Und
gen sich mehr mit Liebe, sie lesen auch was ist eigentlich mit Paartherapien?
mal ein Buch darüber. Deshalb geht der Jede Paartherapie der Zukunft wird sich
Fortschritt in Beziehungen von Frauen um Gefühle drehen, der Fachbegriff dafür
aus. Das Problem ist: Die Frauen sind lautet „emotionsfokussierte Paarthera-
genervt von den Männern, die da nicht pie“. Bisher wurde oft versucht, die Kom-
mitgehen wollen oder Gespräche über of- munikation zu verbessern oder die Pro-
fenkundige Probleme und ihre Gefühle bleme des Paares zu lösen. Aber ich als
GETTY IMAGES/ THE_BURTONS; MARTIN U. K. LENGEMANN/WELT
verweigern. Dazu kommt, dass die Belas- Berater kann das doch gar nicht, das kön-
tung bei Frauen höher ist. Sie machen nen nur die Paare selbst. Es geht darum,
mehr im Haushalt, erledigen die meiste dass Paare sich besser verstehen – und
unbezahlte Arbeit. Das muss sich drin- der Kern des menschlichen Wesens ist
gend ändern, es übt Druck auf Partner- nun einmal nicht der Verstand, es sind die
schaften aus. Gefühle. Wichtig ist aber auch, dass die
Paare sich früher Hilfe holen. Derzeit
Welche großen Fehler sollten Männer kommen sie etwa sechs Jahre nach Aus-
und Frauen in Beziehungen vermei- bruch der Krise in die Beratung. Da wird
den? es schwer, noch etwas zu machen. Am al-
Männer reagieren auf die Erzählungen ih- lerliebsten sind mir die Paare, die im ers-
rer Partnerinnen häufig mit Kritik oder ten Jahr zu mir kommen. Gerade kennen-
Ratschlägen, das kommt beides als „Mach gelernt, es gibt nur ein, zwei Probleme.
es wie ich“ rüber und kommt nicht gut an. Da kann man noch gut eingreifen.
Tonale, der eigentlich schon im vergan- Höhen und Tiefen erlebt hat, ist er ge- ren auf weltweit weniger als 50.000 hal-
Traditionsmarke einen längst überfälligen Schritt
genen Jahr auf den Markt kommen soll- spickt mit Verweisen auf glanzvollere biert – auf Dauer zu wenig, um zu über-
te. Bei der Spitzenausführung der neu- Zeiten. Die sanft geschwungene Seiten- leben. Alfa Romeo gehört zum Stellan-
in Richtung E-Mobilität – und zitiert dabei die
en Baureihe liegt die rein elektrische linie zitiert das legendäre Coupé Giulia tis-Konzern, zu dem sich Fiat-Chrysler
Reichweite bei 60 Kilometern und ge- GT aus den 1960er-Jahren. Das charak- und die französische PSA-Gruppe vor
eigenen Modelle aus glanzvolleren Zeiten nügt damit für Fahrten durch etwaige
Umweltzonen, zudem sorgen die Elek-
teristische Design der Felgen, das an die
Wählscheibe eines analogen Telefons
gut einem Jahr zusammengeschlossen
haben. Das Konglomerat hat sich vorge-
tromotoren an den Hinterachsen für erinnert, tauchte in ähnlicher Form nommen, jährlich fünf Milliarden Euro
Schwung beim Antritt und für sagen- erstmals beim Tipo 33 Stradale auf. Die einzusparen. Konzernchef Carlos Tava-
haft niedrige Laborwerte beim Ver- dreigeteilten Frontscheinwerfer links res trimmt die Tochterfirmen, darunter
brauch. Darüber hinaus verfügt der To- und rechts vom schildförmigen Kühler- auch Lancia und Maserati, humorlos auf
nale über eine Reihe von Assistenzfunk- grill, den Alfa-Fans als „Scudetto“ ken- Rentabilität und duldet keinerlei Extra-
tionen und über ein Level an Konnekti- nen, gehen zurück auf den kantigen SZ vaganzen, wie sie bei den Italienern
vität („Hey, Alexa!“), das bei Neuwagen Zagato, der Ende der 80er- und Anfang über Jahrzehnte zum Markenkern ge-
längst zum Standardprogramm gehört. der 90er-Jahre in geringer Stückzahl ge- hörten. Für Alfa Romeo ist der Tonale
Das Alleinstellungsmerkmal von Alfa baut wurde – mit dem Unterschied, dass deshalb nur ein Zwischenschritt. Das
Romeo bleibt ein Design, das Sportlich- sich die Leuchten von heute automa- erste reine Elektroauto soll 2024 vorge-
keit mit italienischem Stil verbindet. Es tisch an die aktuellen Lichtverhältnisse stellt werden, ab 2027 will das Unter-
beruht auf einem Gestaltungsprinzip, anpassen. Auch im Fahrzeuginneren de nehmen sich vollends auf den Elektro-
für das die Alfa-Designer den Begriff finden sich historische Bezüge: Die In- antrieb konzentrieren.
„La bellezza necessaria“ geprägt haben strumente hinter dem Lenkrad sind in Auf einem Gebiet ist der erste elektri-
– die notwendige Schönheit. fernglasartigen Röhren untergebracht fizierte Alfa aber tatsächlich Vorreiter:
Für ein Kompakt-SUV ist der Tonale wie bei klassischen Alfa-Modellen. Als erstes Serienauto ist der Wagen mit
ein überraschend schickes und wohl- Das Umfeld, in dem Alfa Romeo sich einem Non-Fungible Token (NFT) aus-
proportioniertes Auto, soweit man das bewegt, bietet allerdings wenig Platz für gestattet. Das fälschungssichere Zertifi-
STELLANTIS
am Bildschirm beurteilen kann. Um den Nostalgie. Auf der Marke lastet enormer kat dient als eine Art digitales Scheck-
Liebhabern der Marke zu gefallen, die Druck, denn die Zahl der verkauften Au- heft, das für einen höheren Wiederver-
Die dreigeteilten Scheinwerfer gehen zurück auf ein Modell aus den 90ern 1910 gegründet wurde und seither viele tos hat sich in den vergangen drei Jah- kaufswerts sorgen soll. HEIKO ZWIRNER
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REISEN
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022 SEITEN 54/55

UNTERWEGS

VON KIRA HANSER

Ein Baum

KUDU-CARPACCIO
für Bhutan
Nima Dorji, 41, pflanzt zur Feier des
Tages einen Baum. Das hat Tradition
in Bhutan, dem kleinen Königreich
im Himalaja, eingebettet zwischen
China und Indien. Bei jeder besonde-
ren Gelegenheit pflanzen die Bhuta-

im Trans-Afrika-Express
ner Bäumchen, zum jährlichen „so-
zialen Waldtag“ etwa, zum Königsge-
burtstag, zu Hochzeiten, Dorffesten,
Schulfeiern, buddhistischen Zere-
monien. Mal Eichen oder Himalaja-
Zedern, mal Wacholder oder eine Zy-
presse, den heiligen Nationalbaum.
Nima Dorji, der als Tourguide und
Übersetzer arbeitet, jedenfalls hat
allen Grund zur Freude: Denn Bhu-
tan plant, ab Mai 2022 wieder inter-
nationale Touristen zu empfangen.
Das Land hatte sich seit der Pan-
demie als einer der ersten Staaten
abgeschottet und somit Corona
glimpflich überstanden: 91 Prozent
der 770.000 Einwohner über zwölf
Jahren sind inzwischen geimpft; seit
Pandemiebeginn wurden gerade ein-
mal vier Corona-Tote registriert.
Derzeit gibt es 208 positive Co-
vid-19-Fälle.
Die Auszeit vom Rest der Welt
nutzte man, um das größte Touris-
musprojekt des Landes zu stemmen:
den Trans-Bhutan-Trail. Dieser be-

E
rühmte Pilgerweg, einst Teil der Sei-
denstraße, wird nach 60 Jahren Sper-
rung im März 2022 feierlich
wiedereröffnet. Er führt quer durch
Bhutan, von Haa im Westen nahe der
Grenze zur Region Tibet bis nach
Trashigang im Osten an der Grenze
zu Indien, vorbei an Festungen und
Klöstern, durch Urwälder und
Flusstäler.
Schon vor 500 Jahren soll es den
Trans-Bhutan-Trail gegeben haben.
Buddhisten gelangten so von Osten
zu den heiligen Stätten im Westen
des Landes oder zogen weiter nach
Tibet. Nachdem in den 1960er-Jah- Um die Dimensionen dieser transkon- Es gibt also Platz ohne Ende. Die Im Luxuszug zwei Wochen quer durch den
Kontinent? Kein Problem, trotz Pandemie,
ren immer mehr Straßen in Bhutan tinentalen Tour zu verstehen, muss man Royal-Kabinen (die mit den gusseisernen
gebaut worden waren, verfiel der sich klarmachen, dass die Gleisstrecke – Badewannen) kommen auf 16 Quadrat-

und ein unvergessliches Abenteuer. Nicht

heilige Weg. Nun aber wurden seine an die 6000 Kilometer – grob der Luft- meter; viele Hotelzimmer sind kleiner.
18 Brücken, 10.000 Stufen und 403 linie zwischen Berlin und Nordindien Selbst die „nur“ sechs Meter langen De-

immer läuft alles nach Plan – das hat mit den

Kilometer verwilderte Wegstrecke
saniert – und für jeden Baum, der da-
für gefällt werden musste, wurde
selbstredend ein neuer Schössling
gepflanzt.
Zu den Höhepunkten unterwegs
zählt eine Wanderung durch die
Rhododendrenwälder im Phrumsen-
gla-Nationalpark. Der Frühling ist
dafür die schönste Jahreszeit. Dann
blühen Millionen Rhododendren, die
hier nicht als Büsche, sondern als ve-
ritable Bäume wachsen, in Rosa, Rot
und Weiß. Die ersten Mai-Touren,
angeboten von Veranstaltern wie
G-Adventures und Gebeco, sind be-
reits ausgebucht.
GETTY IMAGES/ KEREN SU
Eine Schönheit ist er nicht gerade, der
Tazara-Bahnhof der Sieben-Millionen-
Metropole Daressalam in Tansania. Hier,
wo fast noch das Wellenrauschen des In-
dischen Ozeans zu hören ist, beginnt die
Tanzanian Zambian Railway Authority
Line, von der Volksrepublik China vor
fünf Jahrzehnten für die ostafrikani-
schen Genossen in die Landschaft ge-
setzt. Das gigantische Monument der
späten Mao-Ära zählt 1858 Kilometer
und 147 Bahnhöfe, stilistisch durchweg
dem sozialistischen Betonbrutalismus
verpflichtet. Immerhin passen die Bau-
entspricht. Ein Fernwehtraum, jeden- luxe-Abteile sind geräumig, ausgestattet
falls für die Kühneren. Andere dürften mit 1,90-Meter-Doppelbett, Duschbad,
bei der Vorstellung, hier und jetzt durch Polsterstühlen, fünf Fenstern, Stauraum
Afrika zu fahren, eher an eine Art organi- für fürstliches Grand-Tour-Gepäck –
siertes Himmelfahrtskommando den- selbst für morgendliche Liegestütze wäre
ken. Doch Letztere liegen falsch: Mit Platz genug. Was es nicht gibt, sind Spa,
Umsicht, Pragmatik, einer Extraportion Fitnessraum, Fernsehen und Internet.
Geduld und zeitlicher Flexibilität kann Man habe das mit dem Web versucht,
man diese Reise auch in Pandemiezeiten sagt Nicholas Schofield, Anfang 70, der
sehr wohl antreten und genießen; ein gut Bordhistoriker. „Doch WLAN ist auf ei-
gefülltes Konto ist freilich hilfreich. Und ner Reise wie dieser einfach nicht mög-
da das komplette südliche Afrika längst lich.“ Funkstille also. Aber das ist eigent-
kein Virusvariantengebiet mehr ist, ist lich ein großer Pluspunkt, denn das heißt
das Corona-Risiko dort auch nicht höher auch: Zum ersten Mal seit Monaten wird
als in Bayern oder Berlin. man nicht bombardiert mit Nachrichten,
Zugegeben: Die „Kreuzfahrt“ fängt Inzidenzen, Pandemiestress. Welch woh-
milde verstörend an, mit kafkaeskem liger, wohltuender Eskapismus!
Papierchaos. In den Gästeabteilen war- In Tansania und Sambia
tet nämlich ein Zettelstapel, schnells- entfaltet sich die betören-
tens auszufüllen wegen der Kompliziert- de Weite der ostafrika-
heit der Gemengelage. Es handelt sich nischen Savanne. Rote
um Visumsanträge für diesen und jenen Erde, struppige Aka-
Staat, Covid-Formulare in Winzschrift zien, johlende Kin- SAMBIA
und zig Sprachen, um Passenger Locator der und winkende Kapiri Mposhi
weltweit steigenden Kupferpreisen zu tun
Tipps und Informationen
WO BUCHT MAN DIE REISE?
Nach Wiederaufnahme der Route
im Oktober 2021 plant Rovos Rail
2022/23 mehrere Reisen zwischen
Kapstadt und Daressalam (hin und
zurück). Die Kosten liegen um 900
Euro (in der Deluxe-Kabine) bezie-
hungsweise um 1200 Euro
(Royal-Kategorie) p. P.
TANSANIA und Reisetag inkl.
Mahlzeiten und
Getränken, Hotel-
Daressalam
unterkünften,
Safaris. Hinzu
kommen Kosten
Lusaka
Africa“-Zug. Eine Direktbuchung
(auf Englisch) ist möglich über
Rovos Rail (rovos.com).
EINREISEREGELN
Vor Einreise ist pro Land zurzeit ein
PCR-Test Pflicht, Gesamtkosten
um 580 Euro p. P. Tansania ver-
langt vorab eine digitale Einreise-
erlaubnis (eservices.immigration.
go.tz/visa). Andere notwendige
Visa werden unterwegs organisiert.
Details: auswaertiges-amt.de.
UNTERKUNFT VOR RÜCKREISE

In 4000 Meter Höhe im Himalaja:
auf dem Trans-Bhutan-Trail
Eine Wanderung auf dem Trans-
Bhutan-Trail, der auch in Teil-
abschnitten entdeckt werden kann,
ist zugleich eine bemerkenswerte
Naturschutz-Tour. Bhutan hat in sei-
ner Verfassung schon 1974, also vor
bald 50 Jahren, festgelegt, für alle
Zeiten mindestens 60 Prozent seiner
Fläche als Wälder zu bewahren. Seit-
her wird systematisch aufgeforstet,
und da ist es logisch, dass Bhutan
auch den „Guinness“-Weltrekord für
die schnellste Baumpflanzung hält
(108.000 Bäumchen in einer Stun-
de). Mit dieser Art der Politik hat
Bhutan das geschafft, wovon andere
Staaten nur träumen können: Es ist
weltweit das einzige Land mit nega-
tiver CO2-Bilanz. Das heißt, es absor-
biert mehr Kohlenstoff, als es ver-
braucht. Und für jeden internationa-
len Gast wird in seinem Namen, wie
kann es anders sein, ein Baum ge-
pflanzt.
ten, hellblau und beige, farblich perfekt
zur Umgebung – wie der Himmel über
der Savanne.
VON MICHAEL BRAUN ALEXANDER
Es entbehrt nicht einer gewissen Iro-
nie, dass ausgerechnet in diesem Mao-
Bahnhof ein herausgeputzter Luxuszug
der südafrikanischen Gesellschaft Rovos
Rail abfahrbereit wartet. Er setzt sich zu-
sammen aus 16 moosgrün lackierten
Waggons, zwei Elektrolokomotiven und
einem Kesselwagen, was eine stolze Ge-
samtlänge von rund 400 Metern ergibt.
Davor stärken sich auf dem Bahnsteig 26
Gäste mit Pink Gin Tonic, die meisten
sind fortgeschrittenen Alters.
In Tazara Station beginnt eines der
spektakulärsten Reiseabenteuer unse-
rer Zeit – eine Mischung aus Glamour
und Nostalgie, gepaart mit einem
Schuss Chaos. Den Teilnehmern steht
eine Eisenbahnfahrt vom Äquator bis
unter den Tafelberg am südlichen Zip-
fel Afrikas bevor, quer durch fünf Län-
der, und all dies in einem mondänen
Zug mit Doppelbett-Spielwiese, Lö-
wentatzen-Badewanne und Butler-
service, nicht zu vergessen den prall
gefüllten Vorratswaggon sowie den
mitrollenden Wein-„Keller“ mit Trop-
fen erster Güte.
Forms, irgendwas mit Durchschlag von Mütter an der Viktoria-Fälle
der simbabwischen Gesundheitsbehörde Strecke und an SIMBABWE für Visa, Coro- Da es auf der Reise zu erheblichen
und noch etwas anderes für den Seu- den Bahnhöfen, BOTSWANA na-Tests, Trink- Verspätungen kommen kann, soll-
chenschutz in Gaborone. Eineinhalb viel grüne Wildnis. Atlantik geld. Buchung ten am Zielort vor dem Rückflug
zum Beispiel über zwei oder mehr Übernachtungen
Gaborone
Stunden später weiß man, was man ge- Erstes Etappenziel Pretoria
tan hat. Da rattert der „Pride of Africa“ ist Selous im Südos- SÜDAFRIKA Indischer Ameropa (amero- eingeplant werden. In Daressalam
schon durch Tansania und die Abend- ten Tansanias, das Kap- Ozean pa.de, Stichwort empfiehlt sich das „Serena Hotel“,
dämmerung, und man hat sich umzuzie- mit 55.000 Quadratki- stadt Beaufort West Rovos). 19 Tage DZ ab 200 Euro über hrs.de. „El-
hen für ein Erfrischungsgetränk, wohl- lometern größte Wild- „Bahnerlebnis Afrika“ lerman House“ in Kapstadt ist
Daressalam–Kapstadt eines der besten Hotels Afrikas, 13
500 km
verdient, und die erste Mahlzeit ein paar schutzgebiet Afrikas. Aller-
Waggons weiter vorn. Cheers! dings ist nur dessen Nordzipfel kosten ab 16.500 Euro p. P. inkl. Zimmer, Meerblick, DZ/F ab 675
für Touristen zugänglich, und ausgerech- Flügen. Im Programm sind auch Euro inkl. Flughafentransfer, el-
EINIGE ZUGKABINEN SIND net dort wird gerade ein Kraftwerk ge- kürzere Reisen mit dem „Pride of lerman.co.za
GRÖSSER ALS HOTELZIMMER baut, diesmal ohne Mao, aber immer
Mittelpunkt des Rovos-Zugs ist ein mit noch von der Volksrepublik China. Auf je-
Sofas und Klubmöbeln ausgestatteter des Gnu, dem man auf der Jeep-Safari
Lounge Car, eine Art Hotellobby auf Rä- durch den Busch begegnet, kommt zah-
dern, ideal für Lagebesprechungen und lenmäßig ein röhrender chinesischer Me-
abends für Absacker. Zwei Minuten wei- gatruck. Beschaulich ist Makambako, eine
ter, den engen Gang entlang, befindet Kleinstadt unweit der Grenze zu Sambia.
sich der Speisewagen, von lackierten Ma- Auf dem Markt sind Trockenfisch, Texti-
hagonisäulen elegant in halb private Se- lien und Töpfe im Angebot, die Bahnrei-
parees unterteilt. Das Ende des Zugs, der senden sind die einzigen Touristen.
mit 30 bis 60 km/h unterwegs ist, bildet Obwohl gerade Trockenzeit herrscht,
der Observation Car mit offenem Bal- regnet es in Strömen. Auch in Afrika ist
kon, Holzbänken, Blümchensesseln und dank des Klimawandels wettermäßig
einer Bar, an der man bestellen, trinken kein Verlass mehr auf die Jahreszeiten.
und sich festhalten kann, aber wunder- Der guten Stimmung an Bord tut das kei-
barerweise nie bezahlen muss, weil hier nen Abbruch. Schon in den ersten zwei,
alles inklusive ist, selbst der wüsteste drei Tagen entwickelt sich eine behagli-
Schwips. Die übrigen Waggons dienen che Reiseroutine. Der Rhythmus des Zu-
als Schlafstatt für die Passagiere und die ges geht ins Blut über, das Ka-kong-ka- Viel Glamour: Der Speisewagen mit Mahagoni-Säulen und schweren
30-köpfige Besatzung. kong des Gleisbetts in Tansania, später Polsterstühlen kann locker mit einem Grandhotel mithalten

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das Gegg-gegg-schemm-schemm von
Sambia. Vor allem aber lernen Passagiere
und Crew sich untereinander kennen,
und das ist hilfreich. Schließlich ver-
bringt man gut zwei Wochen mit kurz
zuvor völlig Fremden auf – bei aller Opu-
lenz – begrenztem Raum miteinander. Es
gibt kein Entkommen, kein Ich-bin-
dann-mal-weg. Wohin sollte man auch
abhauen, wenn draußen vor der Waggon-
tür Löwe und Leopard lauern?
Man benimmt sich also gesittet, ar-
rangiert sich mit den kurzweiligen Mit-
reisenden ebenso wie mit den eher drö-
gen. Zur Fraktion der besonders launi-
gen gehört ein Mutter-Tochter-Gespann
von zusammen 140 Lenzen aus Südafri-
kas Free State, beide mit pfundweise
Schmuck behangen und mit Trinkfreude
gesegnet. Holland, Griechenland, Italien
und Uganda sind paarweise vertreten.
Zudem mit an Bord: ein Ölmagnat mit
Kaiser-Wilhelm-Bart aus Calgary sowie
vier US-Amerikaner. Ein allein reisender
Schwede namens Bo entpuppt sich als
Topmanager im Ruhestand, zugleich
Weinkenner und Stimmungskanone. Der
Rest der Gäste stammt aus Portugal,
vom Zürichsee und aus Sachsen.
Auch die Seuche fährt mit, jedenfalls
im Hinterstübchen. Passagieren wie
Besatzung wird dreimal täglich die
Temperatur gemessen. Vor jedem
Grenzübertritt erfolgt ein PCR-Test. Für
den Fall der Fälle – Fieber, gar ein Posi-
tivtest – stehen ein mitfahrender Arzt
und ein Waggon mit drei Abteilen bereit,
der als Isolierstation dienen würde. Man
könnte malade Reisende ja auch schlecht
im Busch absetzen.
Was Essen und Trinken angeht, muss
man – im Wortsinn – von einem feinen
Zug sprechen. Auf die Teller kommen
zum Beispiel Straußenbraten, Spring-
bocklende und Kudu-Carpaccio, geräu-
chertes Krokodil, viel Beef, Chicken und
Karoo-Lamm, aber auch bodenständige
Hausmannskost wie Pap, ein afrikani-
scher Maisbrei. In der kompakten Bord-
küche am Ende des Dining Cars kommen
fast ausschließlich zuvor geladene süd-
afrikanische Produkte zum Einsatz, an-
ders wäre die anspruchsvolle gastrono-
mische Versorgung nicht zu stemmen.
Zum Dinner, durchgehend viergängig,
ist zumeist Abendgarderobe samt Kra-
watte für die Herren Pflicht, nur ab und
an gilt der Dresscode „smart casual“.
Was bedeutet: keine kurzen Hosen, kei-
ne Sandalen und auch nicht das „Jenseits
von Afrika“-Klischee-Outfit in Form ei-
ner sandfarbigen Safariweste. Über den
Alkohol an Bord ist lobend festzuhalten,
dass er nach allen Regeln großzügiger
Gastfreundschaft fließt. Die Kellner
schenken nach, bis an allen Tischen des
Speisewagens erheblich gelacht, hin und
wieder gar gelallt wird, die Klunkerda-
men aus dem Free State vorneweg. Das
mag Tollheit sein, doch es hat Methode:
Wer weinselig ist, ist in der Regel nicht
miesepetrig drauf, selbst wenn der Zug
stundenlang nicht von der Stelle kommt
wegen dieses oder jenes Malheurs.
Denn mit Komplikationen ist durch-
aus zu rechnen, wie Bordhistoriker
Schofield schon zum Auftakt der Tour
prophezeit hatte. „Es wird Verspätungen
geben“, sagte er voraus. „Die Schweizer
haben Fahrpläne, Afrika hat Zeit.“ Das
zeigt sich zuerst in Sambia, wo die Gleise
so marode sind, dass der vorwegrattern-
de Güterzug, weil zu flott unterwegs,
samt Lokomotive entgleist. (Verletzte
gab es nicht, soweit bekannt.) Es könnte,
so die im Ton der Betroffenheit vorge-
tragene Ansage von Zugchef Hennie Ca-
litz, „ein paar Tage“ dauern, bis das Pro-
blem behoben sei. Es wurden dann zwar
„nur“ acht Stunden des Stillstands, ein
mobiler Kran war schneller als gedacht
zur Stelle. Aber bei der psychischen Be-
wältigung der nagenden Ungewissheit
war die Bordbar allseits hilfreich.
HUNDERT KILOMETER VOR
KAPSTADT IST ENDSTATION
Nach sechs Tagen ein Halt in einem
Städtchen namens Kapiri Mposhi. Dieses
Gleisdreieck ist nicht unbedingt aus dem
Erdkundeunterricht bekannt, lässt je-
doch das Herz von Eisenbahnern höher
schlagen, die nach Herzenslust fotogra-
fieren. Von Norden kommend, biegt man
hier rechts nach Angola ab, links gen
Simbabwe, so wie der Trans-Afrika-Ex-
press. Nächster geplanter Halt sind die
Viktoria-Fälle; der spektakuläre Fall des
Sambesi, viertlängster Strom des Konti-
nents, ist einer der landschaftlichen Hö-
hepunkte der Reise.
Dort geht es nach einer Woche des
Gegg-gegg-schemm-schemm für eine
Nacht „an Land“ – durchaus herrlich,
denn endlich eiert und klötert für ein
paar Stunden mal nichts. Im gediegen
ausstaffierten „Victoria Falls Hotel“ gibt
es richtige Zimmer, riesige Bäder, einen
Dining Room mit Antilopenköpfen sowie
einen Swimmingpool. Vor den Fenstern
rasen Paviane durch den Wald, Warzen-
schweine zeigen ihre strammen Keulen,
und über allem dröhnt dumpf der
stürzende Strom, einen kurzen Fußweg
SOUVENIR
Viel Verkehr: Kaum ist der
„Pride of Africa“-Luxuszug VON KATHARINA KOPPENWALLNER
vorbeigerattert, queren
Springbock-Scharen das Gleis
Duftwässerchen
der Schamanen
Wenn ein Schamane in Peru für ritu-
elle Handlungen zu einem Duftwasser
greift, dann verwendet er in der Regel
ein stinknormales Eau de Cologne,
und zwar das „Agua de Florida“ (Flo-
ridawasser). Es ist ein Duft, der einem
in Peru sprichwörtlich alle naselang
begegnet – und sich deshalb auch als
perfektes Mitbringsel geeignet.
Man riecht dieses Eau de Cologne,
das zu den meistverwendeten Düften
Lateinamerikas gehört, in Peru auch
in vielen Geschäften und Hotels.
Schließlich reinigt der Duft auch ne-
benbei die Aura, sorgt für gute Stim-
mung und schützt vor bösen Träu-
men und Geistern.
Peruanische Mütter reiben ihren
Kindern vor dem Schlafengehen ger-
ne zwei, drei Tropfen an die Schläfen.
Denn es soll auch Schwermut weg-
zaubern können oder Müdigkeit, zu-
gleich Kraft und Energie verleihen,
die Konzentration fördern und ganz
generell das Glück anziehen. Es duf-
tet etwas altmodisch nach
Zitrus mit Moschusnote.
Der Name „Florida“
bezieht sich übrigens
nicht auf den US-Bun-
desstaat, sondern auf
ROVOS RAIL TOURS/ DOOK (2); MICHAEL BRAUN ALEXANDER
das lateinische Adjektiv
„floridus“ für blühend.
Es hat aber einen an-
deren Bezug zu den
USA: Das Duftwasser
KATHARINA KOPPENWALLNER
wurde 1808
von dem
Parfümeur Beliebt:
Robert I. „Florida-
Murray in wasser“
New York aus Peru
erfunden
und dort in
Apotheken angeboten.
Heute wird es unter dem Markenna-
men Murray & Lanman verkauft. Die
entfernt. Der Besucherpark an den Fällen Herausforderung, sondern ausgerechnet hinfahren“, ranzt der Bahnhofsmanager Ingredienzien wurden seit Anbeginn
ist menschenleer. Die Pandemie, Sie jene im Rovos-Heimatland. „In den ver- Zugchef Calitz an, „und zwar zwei Tage nicht verändert, und auch das Label,
wissen schon. gangenen 36 Monaten wurden in Süd- lang nicht.“. Doch es gibt sie noch, die das das kleine Fläschchen ziert, ist
Mittwoch? Das muss Botswana sein. afrika 60 Prozent der kupferhaltigen Wunder. Calitz improvisiert, satelliten- nur wenig modifiziert worden. Um
Man rumpelt durch die in ihrer Ödnis Oberleitungen gestohlen“, sagt Joe Mat- telefoniert, sendet Textnachrichten auf das Originalrezept zu schützen, sind
betörende Kalahari, wirft einen kurzen hala, Operations Manager und eine Art Afrikaans – und hat, von wo auch immer, die Zusätze nicht alle bekannt. Man
Blick auf die geordnete, relativ wohlha- Urgestein der Eisenbahngesellschaft, plötzlich zwei Dieselloks organisiert, mit weiß aber, dass Lavendel enthalten
bende Hauptstadt Gaborone, und bald „deshalb kommen wir derzeit mit E-Loks deren Hilfe sich der Zug nach „nur“ ein ist, zudem Orange, Orangenblüte, Ro-
ist man in Südafrika. Wieder geht es „an nicht überall weiter“. Der Zug werde von paar Stunden wieder in Bewegung setzt. se, Gewürznelke, Goldmelisse und als
Land“, mit einem Bus zum grenznahen Pretoria nach Kapstadt „reichlich Verspä- Die Zwangspause in der Industrie- Trägerstoff Alkohol.
Madikwe-Nationalpark, wo zwei Über- tung haben“. Zwar betreibt Rovos Rail in ödnis des Bahnhofs von Beaufort West „Agua de Florida“ war im 19. Jahr-
nachtungen und Safaris geplant sind. Die Pretorias Capital Park einen eigenen war offenbar ein Omen. Der Zug soll hundert in den USA ein beliebter
diesmal nicht bis zur Endstation kom- Raumduft, sollte die Nerven beruhi-
men, nicht ans Ende Afrikas. In der Stadt gen und, auf die Haut aufgetragen, ge-
Worcester, hundert Kilometer vor Kap- gen Infektionen und juckende Haut
stadt-Hauptbahnhof, ist Schluss. Auch helfen. Beliebt waren an heißen Tagen
dort fehlen Kupferkabel, und Ersatzloks Eiswasserbäder mit einem Spritzer
mit Dieselantrieb, Wunder sind gerade „Floridawasser“ darin. Es galt als Uni-
aus, diesmal nicht zu bekommen. sex-Duft, der für Männer und Frauen
Der Endspurt mitten in der Nacht in gleichermaßen geeignet war. In Wer-
einem rasenden Minibus, das Gepäck im bekampagnen in den 1890er-Jahren
Kofferraum hin und her schaukelnd, ist nannten Murray & Lanman ihr Duft-
also nicht so glamourös wie erhofft. Da wässerchen „The most Popular Per-
hat man den halben Kontinent auf Glei- fume in the World“.
sen gequert und wird am Ende Opfer der Damals verlangte es die gesell-
weltweit steigenden Rohstoffpreise, die schaftliche Etikette, kein aufdringli-
den Oberleitungsdieben satte Gewinne ches Parfüm zu verwenden, was als
in die Taschen spülen. Gegen Mitter- liederlich und ordinär gegolten hätte.
nacht trudelt der Toyota-Achtsitzer am Wenn schon ein Duftwasser, dann
Kap der Guten Hoffnung ein. eben „Floridawasser“. Im Südstaaten-
Dennoch: Das vorzeitige Aus für den Klassiker „Vom Winde verweht“ wur-
,,
Zug ändert nichts an dem wundersamen de Scarlett O’Hara von ihrer Mutter
Gefühl, etwas erreicht zu haben, im erklärt, dass „Floridawasser“ das Ein-
Wortsinn reicher an Erfahrung zu sein. zige sei, was eine Lady von einem
Immerhin ging es von einem der größten Gentleman annehmen könnte. Auch
Häfen Afrikas quer durch fünf Länder heute ist es populär – als Modestate-
Viel Auswahl: üppiges Trockenfisch-Angebot auf einem Markt in Makambako zum berühmten Tafelberg. Und kaum ist ment. So trug US-Sängerin Solange
man dort angelangt, kommt auch schon Knowles, die Schwester von Beyoncé,
Sehnsucht hoch. Man hätte eigentlich 2018 auf der Met-Gala in New York
ewig so weiterreisen können mit eine Flasche „Floridawasser“ auf dem
Schlückchen und Schnittchen, mit Rat- roten Teppich als Accessoire. Sie be-
tern und Klackern, als sei das Leben ein nutze es zum Händewaschen und um
langer, ewiger Zug. sich frisch zu fühlen, sagte sie.
DIE SCHWEIZER HABEN FAHRPLÄNE, Und dann, mit Blick auf Bantry Bay Mit den Immigranten aus Peru in
und Robben Island, die plötzliche Einge- die USA gelangte das Wasser als Ge-
AFRIKA HAT ZEIT bung, was in den vorangegangenen zwei schenk und Mitbringsel in deren Hei-
Wochen das überhaupt größte Wunder mat. Da „Agua de Florida“ dort auch
NICHOLAS SCHOFIELD, BORDHISTORIKER BEI ROVOS RAIL von allen war. Kein einziger der rund 300 ein wichtiges Utensil für schamani-
PCR-Tests in Nasenhöhle und Rachen, sche Aktionen ist, kauft man es am
die Passagiere und Crew zwischen Dar- besten für ein paar Euro in den Ge-
Fauna der Gegend – Elefanten, Nashör- Großbahnhof samt Werkstätten und essalam und Kap über sich ergehen lie- schäften, die Zubehör für Schamanen
ner, Zebras, Krokodile, quietschbunte Firmenzentrale. Doch da die Leitungen ßen, war positiv. Und auf der gesamten anbieten. Der Produktionsort des
Vögel aller Art – findet sich praktischer- ausgerechnet auf der Strecke dorthin Strecke hat niemand auch nur ein einzi- Duftwassers ist Lima. Es gibt viele
weise direkt an dem Wasserloch ein, an gemopst wurden, bleibt der Zug in ges Mal nach Corona-Impfung oder Hersteller, aber der am meisten ver-
dessen Rand die Lodge steht. Krugersdorp stehen und die Reisegesell- Impfpass gefragt. kaufte Klassiker ist der von Murray &
Es folgen die nächste Station, die Zwei- schaft wird per Omnibus zum Besichti- Lanman. Auch bei den Schamanen.
Millionen-Stadt Pretoria, Regierungssitz gungstermin gefahren. T Die Teilnahme an der Reise wurde
Südafrikas, und sodann das pikanteste Einen Tag und an die tausend Zugkilo- unterstützt von Ameropa und dem
Problem der Reise. Für den Deluxe-Ex- meter weiter südwestlich, in einer Stadt Hotel „Ellerman House“. Unsere Stan- Die Autorin bereist für ihren
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d er 1 0 8 Milli o n e n P hili p pi n er g e- S z e n e: D ari n w oll e n GIs a n ei n e m Str a n d s urf e n, w o
h ör e n d er r ö mi s c h- k at h oli s c h e n Kir- h o h e Well e n a n br a n d e n, i m Hi nt erl a n d d er K üst e a b er
c h e a n; v or all e m d er n ör dli c h e T eil A UF V i et c o n gs l a u er n. D as U S- Milit är n a n nt e si e d a m als
d e s Ar c hi p el s mit d er H a u pti n s el K UTS C HT O UR „ C h arli e “. Als ei n s urf b e g eist ert er Offi zi er v o n U nt er g e-
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b e, K ult ur o d er Ar c hit e kt ur – m e hr al s Di e b e st er h alt e- tert er k n a p p u n d a bs c h ät zi g: „ C h arli e s urft ni c ht. “ F ür
3 3 0 J a hr e s p a ni s c h e u n d s p ät er 4 5 n e K ol o ni al st a dt d e n Fil ms et w ä hlt e C o p p ol a d e n S a b a n g B e a c h b ei m
J a hr e U S- a m eri k a ni s c h e K ol o ni al h err- d er P hili p pi n e n O rt B al er a n d er Ost k üst e d er I ns el. N a c h d e n Dr e h-
s c h aft hi nt erli e ß e n hi er d e utli c h e li e gt i n N or d- a r b eit e n s c h e n kt e d er R e giss e ur d e n Ei n h ei mis c h e n di e
S p ur e n. T o uri st e n, di e i n d er H a u pt- L u z o n a n d er S urf br ett er – u n d w e c kt e s o i hr e B e g eist er u n g f ür d as
W e st k ü st e: Vi g a n.
G E T T Y I M A G E S / L A U RI E N O B L E; S C O T T T U A S O N / A F P VI A G E T T Y I M A G E S; PI C T U R E A L LI A N C E / D P A / C H RI S TI A N E O E L RI C H

st a dt M a nil a a u s d e m Fli e g er st ei g e n H AI T A U C H E N A U F DI E S A N F T E T O U R W ell e nr eit e n. H e ut e ist B al er der S urf er- H ots p ot d es

( 2 01 9 w ar e n e s 7,1 Milli o n e n B e s u- Wi e ei n st di e S p a- L a n d es, di e S ais o n g e ht d ort v o n O kt o b er bis M är z.
c h er), fi n d e n si c h i n ei n er ri e si g e n ni er k ö n n e n T o uri st e n T o uri st e n u n d Ti er e i n fri e dli c h er K o e xi st e n z – di e s e Vi si o n s c h ei nt i m S ü d e n v o n L u z o n d a n k d e s
M etr o p olr e gi o n mit 2 4 Milli o n e n i n C ales as d ur c h di e W orl d Wil dlif e F u n d ( W W F) R e alit ät z u s ei n. 1 9 9 8 h att e di e p hili p pi ni s c h e R e gi er u n g di e
Ei n w o h n er n wi e d er, gr ö ß er al s M e xi- Alt st a dt k ut s c hi er e n, w o G e w ä s s er v or d e m K ü st e n ort D o n s ol, w o si c h v o n J a n u ar bi s J uli H u n d e r t e W al h ai e
k o- St a dt. D o c h s c h o n n a c h z w ei A ut o- ei ni g e d er 1 8 0 H ä u s er a u s mit Pl a n kt o n u n d Krill v ollf utt er n, z u m S c h ut z g e bi et er kl ärt. Ei n J a hr s p ät er s c h ult e
d e m 1 7. J a hr h u n d ert n o c h S C H U H E MI T S Y M B O L W E R T
st u n d e n ä n d ert si c h d a s Bil d, u n d d er W W F di e Fi s c h er z u G ui d e s u m; si e f ü hr e n n u n di e B e s u c h er b e h ut s a m a n
s u btr o pi s c h e N at ur b e sti m mt di e S c h ei b e n a u s d ü n n e n M u- di e bi s z u 1 4 M et er l a n g e n fri e dli c h e n Fi s c h e h er a n. Di e R e g el n: J e d e m Wal h ai F ür E xtr a v a g a n z h a b e n di e P hili p pi-
S z e n eri e. Di e m ei st e n R ei s e n d e n f a h- s c h el s c h al e n h a b e n. Si e k ö n n e n n ä h ert si c h n ur ei n B o ot mit s e c h s S c h n or c hl er n, di e i m Wa s s er vi er n er ei n ei g e n e s W ort: i mel dific. E s
r e n v o n M a nil a a u s n a c h N or d- L u z o n i n hi st ori s c h e n Öf e n g e br a n nt e s M et er A b st a n d z u m Ti er h alt e n s oll e n. Mit d e m W h ale S h ar k l eit et si c h a b a u s d e m V or n a m e n d er
– z u d e n R ei s t e r r a s s e n v o n B a n a u e St ei n g ut k a uf e n – u n d d a n a c h I nte r acti o n Ec o- To uris m P r oject sti e g e n di e T o uri st e n- l a n gj ä hri g e n Fir st L a d y u n d
( W elt k ult ur er b e), i n di e ü b er 2 0 0 0 s c hl e m m e n: O b E m p a n a d a ( T ei g- z a hl e n v o n 2 0 0 i m J a hr 1 9 9 9 a uf 2 0. 0 0 0 i m Di kt at or e n g atti n, I m el d a M ar c o s. Di e
M et er h o h e B er g w elt d er K or dill er e n t a s c h e), O k o y ( G ar n el e n br atli n g) J a hr 2 01 9. h e ut e 9 2-J ä hri g e h ält z u s a m m e n mit
u n d z u m V ul k a n Pi n at u b o. 1 9 91, b ei o d er di e K n o bl a u c h- Br at w ur st Vi g a n
i hr e m v er st or b e n e n M a n n F er di n a n d

33
s ei n e m gr o ß e n A u s br u c h, v erl or er L o n g g a ni s a, all e l o k al e n G eri c ht e
d e n „ G ui n n e s s b u c h “- R e k or d f ür d e n
2 5 6 M et er a n H ö h e. Wa s s er f üllt e di e h a b e n ei n e s p a ni s c h e N ot e.
„ Gr ö ßt e n R e gi er u n g sr a u b “; z e h n
n e u e C al d er a, s eit 1 9 9 6 gi bt e s T o ur e n Milli ar d e n U S- D oll ar s oll d a s E h e p a ar
z u m Kr at er s e e. N a c h S ü d e n hi n wir d v er u ntr e ut h a b e n. E s n a h m b ei s ei n er
L u z o n i m m er s c h m al er; v or mitt a g s i n
M al Fl u c ht 1 9 8 6 G el d, K u n st u n d S c h m u c k
di e B er g e, n a c h mitt a g s a n s M e er z u m mit, d er ri e si g e G ar d er o b e nf u n d u s
W h al e w at c hi n g, a b e n d s K n ei p e n b u m- a b er bli e b i m Pr ä si d e nt e n p al a st. D a-
m el i n ei n e m d er vi el e n K ü st e n ort e – w ur d e R u b e n E n aj e g e k r e u zi g t – s o oft wi e k ei n a n d er er P hili p pi n er a uf d er r u nt er w ar e n 3 0 0 0 D a m e n s c h u h e.
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 I
58 REISEN WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022

Magisch: Der geheimnisvolle Steinkreis von

Stonehenge fasziniert seit Jahrtausenden

Im Morgengrauen gleicht die Salisbury

Plain einer Mondlandschaft. Eine fast
800 Quadratkilometer große Kreide-
hochebene, die größte im Nordwesten
Europas. Eine Ebene, die vor Tausenden
von Jahren wohl genauso karg dalag und
die jetzt ein sich langsam aufhellender
Horizont begrenzt. Im dicht besiedelten
England sind eine derart leere Weite und
so viel Himmel etwas Ungewohntes.
Aber da ist noch mehr – eine Magie, die
wie Nebel aus dem kalten Boden aufzu-
steigen scheint. Oder ist es einfach nur
das Wissen, dass wenige Kilometer ent-
fernt Stonehenge liegt?

VON STEFANIE BOLZEN

Für Neil Wilkin ist die Antwort klar.

Stonehenge und Magie sind nicht
voneinander zu trennen. Wilkin ist kei-
ner der Druiden, die am berühmtesten
Steinkreis der Welt der Wintersonnen-
wende entgegentrommeln. Der gebürtige
Schotte hat fast zehn Jahre seines Lebens
damit verbracht, als Kurator für das Bri-
tish Museum in London eine Sonderaus-
stellung auf die Beine zu stellen: „The
World of Stonehenge“. Überraschender-
weise die erste große Schau über eine der
Top-Sehenswürdigkeiten im Königreich.

Alles hängt mit allem

Die Ausstellung, die ab dem 17. Februar
fünf Monate in Londons berühmtem Mu-

ZUSAMMEN
seum zu sehen sein wird, ist der perfekte
Ausgangspunkt für eine englische Zeit-
reise. Stonehenge liegt am Great West
Way, einer mehr als 200 Kilometer lan-
gen mittelalterlichen Handelsroute, die
die Hauptstadt im Osten mit Bristol im
Westen verband und verbindet. Vor
GETTY IMAGES/ CHRIS GORMAN

knapp sechs Jahren überlegten sich

schlaue Touristiker, die Route mit den
unzähligen Sehenswürdigkeiten am We-
gesrand zu verknüpfen. Auf insgesamt
mehr als 800 Kilometer sind die Varian-
ten des Great West Way ausdehnbar, den
man bereisen kann per Auto, Zug, Fahr-
rad, zu Fuß und sogar mit dem Hausboot.
Im Zentrum dieser Routen liegt der
Das British Museum eröffnet Mitte Februar die erste große Schau zu Stonehenge. Sie ist der perfekte Ausgangspunkt für eine
weltberühmte Steinkreis. „Es ist das
Schattenhafte von Stonehenge, das mei-
ne Leidenschaft anfacht“, erklärt Wilkin.
Schattenhaft, damit meint er die vielen Zeitreise entlang des Great West Way. Er führt durch Englands grünen Süden zum berühmtesten Steinkreis des Planeten
Dinge, die wir nicht definitiv über Stone-
henge wissen und womöglich nie heraus-
finden werden. Und doch ist die Ausstel- Oxford auszugraben begannen, die Beweis sind mit Postkartenlandschaften und Bilder- kippten Aktivisten dort die Statue eines
lung im British Museum ein weiterer Great West Way des Austauschs über Englands Grenzen buchstädten. Dazwischen liegen prächti- einst durch Sklavenhandel reich gewor-
Schritt hin zu mehr Wissen, dank moder- Themse hinaus. DNA, die Zeugnis davon ist, dass ge Landsitze und alte Kanäle, auf denen denen Politikers ins Hafenbecken.
Henley-on-
ner DNA-Analysen und Radiokohlen- Thames am Steinkreis nicht nur Menschen aus die traditionellen Narrow Boats tuckern, Gediegene Hotels entlang der Route er-
stoffdatierung. Für Wilkin die wichtigste BRISTOL LONDON Britannien waren, sondern auch aus Ir- die für England typischen Hausboote, füllen selbst höchste Ansprüche, wie das
Erkenntnis: Alles hängt mit allem zusam- Avebury Marlborough land, aus Europas Norden und der Alpen- umgebaute Lastenschiffe, maximal 2,20 „Woolley Grange“ in Bradford-on-Avon,
Windsor
men. Vor 6000 Jahren bereits gab es hier region, und das wohl seit gut 5000 Jah- Meter breit. Die Reise entlang der Route ein 400 Jahre altes Herrenhaus. Gemütli-
erste landwirtschaftliche Strukturen – Bath
Kennet-und-
Runnymede ren. Alles hängt mit allem zusammen – führt zu Land oder zu Wasser von der che Kaminzimmer zum Ausruhen nach
mitgebracht von Bauern, die vom Konti- Bradford- Avon-Kanal ein Schelm, wer da an den Brexit denkt! Jungsteinzeit in Stonehenge über die der Wanderung, Cream Tea auf der Ter-
Berkshire
nent eingewandert waren. Vor über 4500 on-Avon Wer sich eine Karte Südenglands an- römischen Bäder nach Bath, vom Ort der rasse, Spa und Pool, alles da. Die volle La-
Stonehenge
Jahren wurden die berühmten Blausteine GROSS- schaut, kann nachvollziehen, warum Unterzeichnung der Magna Carta (die dung englischen Countryside-Gefühls ist
Wiltshire Salisbury
von Stonehenge aufgestellt, so genannt dieser Flecken Erde seit so langer Zeit so dem Adel Freiheiten gegenüber dem Kö- hier garantiert. „Eine der weltbesten Tou-

W
wegen ihres Farbtons.
as wir heute auch wissen: Jene
bis zu fünf Tonnen schweren
Steine kamen nicht, wie einst
angenommen, durch Umwälzungen der
Eiszeit auf die Salisbury Plain. Sie wurden
von Menschen herangeschafft, aus teils
fast 300 Kilometer entfernten Steinbrü-
chen im Westen von Wales. Einen sol-
chen Einsatz, dessen ist sich Wilkin si-
cher, kann nur die magische Ausstrahlung
des Ortes ausgelöst haben. „Womöglich
war Stonehenge so etwas wie ein Mekka,
an dessen Bau man einmal im Leben teil-
haben musste“, mutmaßt er – und fügt
hinzu: „Die Besucher unserer Ausstellung
BRITANNIEN
viele hat kommen und gehen sehen. Hier nig garantierte) in Runnymede zu liebli- ringrouten“, verspricht Netzwerk-Direk-
Great Western Railway Wanderwege London schlängelt sich der berühmteste aller chen Tudor-Dörfern in Wiltshire und tor David Andrews selbstbewusst. Die
10 km
Great West Road Radwege Bristol englischen Flüsse, die in Gloucestershire schließlich ins übercool-alternative Bris- können nun auch wieder ausländische
entspringende Themse, in erstaunlichen tol, das seinem Ruf als Bastion der Lin- Touristen bereisen, denn seit Mitte Janu-
Quelle: greatwestway.co.uk Kurven durch das satte Grün. Für viele ken regelmäßig Ehre macht. Jüngst erst ar hat England seine Grenzen ohne Ein-
Meilen wirkt die Themse wie die Land- schränkungen geöffnet.
schaft eines Beatrix-Potter-Kinderbuchs, Unbedingt einen Abstecher wert ist
um sich weiter östlich zu Londons urba- Salisbury mit seiner 800 Jahre alten
ner Schlagader zu wandeln. Entlang des Kathedrale, deren Fundamente wegen
Flusses winden sich die alten Handelswe- Tipps und Informationen des hohen Grundwasserspiegels nur 1,30
ge von der Hauptstadt Richtung Westen. Meter tief sind. Ein Meisterwerk
Vorbei an Windsor, Henley-on-Thames, WIE KOMMT MAN HIN? gotischer Baukunst. Ein Besuch ist nicht
Marlborough, Bath und schließlich Bris- Flug nach London, alternativ mit nur eine Zeitreise, sondern auch ein Akt
tol. Dazwischen liegen kulturelle und dem ICE und Eurostar in rund 5,5 der Solidarität mit den Bürgern der klei-
touristische Schätze wie Salisbury und Stunden von Köln über Brüssel nach nen Stadt. Im März 2018 hatten hier rus-
natürlich die Steinkreise von Stonehenge London, weiter mit dem Mietwagen. sische Killer einen Giftanschlag auf einen
und Avebury. Nicht zu unterschlagen übergelaufenen ehemaligen KGB-Spion
GREATWESTWAY.CO.UK

mögen erwarten, dass sich die Schau auf Highclere Castle, Drehort der Nostalgie- WO WOHNT MAN GUT? verübt. Eine Frau starb, drei Menschen,

England konzentriert. In Wahrheit muss
man den Fokus weiten, um Stonehenge
zu verstehen.“ Dass Wilkin als Höhe-
punkt der Ausstellung die Himmelsschei-
be von Nebra vom Landesmuseum für
Vorgeschichte in Halle ausleihen durfte,
spricht Bände. Englands berühmtes jung-
steinzeitliches Monument wirkt weit
über Britanniens Grenzen hinaus.
Stonehenge reicht aber auch in die
umgebende uralte englische Kulturland-
schaft. Weshalb sich, wer Stonehenge
verstehen will, abseits des Steinkreises
umschauen muss. Etwa im kleinen
Wilshire Museum mit seinen beeindru-
ckenden Funden aus Jungsteinzeit und
D
Ikone „Downton Abbey“. „Woolley Grange“: Familienhotel in darunter der Agent, wurden schwer ver-
einem 400 Jahre alten Landsitz, letzt. Die beiden Verdächtigen reisten
ie Anziehungskraft dieses Fle- Doppelzimmer ab 142 Euro flugs nach Russland zurück und gaben in
ckens zeigt sich auch in West (woolleygrangehotel.co.uk); einem grotesken, vom Staatsfernsehen
Idyllisch: Das Örtchen Avebury liegt in einem anderen großen Steinkreis, Kennet Long Barrow. Wer hi- „Longleat“: Herrenhaus und Safari- ausgestrahlten Interview zu, dass sie in
der ebenfalls beeindruckend, aber weniger bekannt ist als Stonehenge naufsteigt auf das Hügelgrab bei Avebury, park mit Löwen, Tigern, Giraffen, Salisbury gewesen seien – wegen „des 123
den sucht erneut dieses Gefühl heim, in Koalas und anderen exotischen Meter hohen Kirchturms und der be-
eine unendlich lange vergangene Vorzeit Tieren, Nacht in einem historischen rühmten Uhr“.
abzutauchen, wie bei der Ankunft in Cottage für 4 Personen ab 443 Euro Der gewohnte Touristenstrom brach
Stonehenge. „Dieses Grab liegt auf einer (longleat.co.uk/accommodation). nach dem Anschlag komplett ein, und
Wasserscheide. An wenigen Orten ist der dann kam die Pandemie. Doch langsam
Himmel so weit wie hier“, erklärt der STONEHENGE erholt sich die 13 Kilometer von
Archäologe David Dawson. Die Stätte ist Offizielle Stonehenge-Website mit Stonehenge entfernte Stadt von dem
begehbar; im spärlich beleuchteten Öffnungszeiten und Eintrittspreisen Trauma und stellt in der Kathedrale stolz
Innern ist nachfühlbar, warum man vor (ab 23 Euro/Erwachsene): english- eines von nur noch vier existierenden
Tausenden Jahren ausgerechnet hier den heritage.org.uk/visit/places/ Originalen der 1215 unterzeichneten
GETTY IMAGES/ FINNBARR WEBSTER

Bronzezeit oder aber im Salisbury Mu-
seum, das unter anderem den mindes-
tens 4000 Jahre alten „Amesbury Ar-
cher“ in seiner Sammlung hält, das Grab
eines Bogenschützen mit Skelett und
Grabbeigaben, der vermutlich aus den
Alpen stammte.
Es sind die Knochen aus den vielen
Gräbern, die Amateure und Archäologen
bereits im 17. Jahrhundert in der Gegend
Übergang vom Leben zum Tod zele- stonehenge; Stonehenge-Ausstel- Magna Carta aus. Was sind schon vier
brierte. Wenige Hundert Meter unter- lung im British Museum (17. Februar Jahre in der jahrtausendealten Kultur-
halb des Barrows ragt der kreisrunde bis 17. Juli 2022), Eintrittspreise (ab geschichte dieser Gegend?
Silbury Hill in den Himmel, der größte 24 Euro/Erwachsene) und Öff-
prähistorische, in mehr als tausendjähri- nungszeiten: britishmuseum.org/ T Die Teilnahme an der Reise wurde
ger Arbeit von Menschen aufgetragene exhibitions/world-stonehenge unterstützt von The British Museum
Hügel Europas, ein weiterer jungstein- and Great West Way. Unsere Stan-
zeitlicher Schatz. WEITERE INFOS dards der Transparenz und journalisti-
Ergreifend: Zur Sommer- und Wintersonnenwende bietet Stonehenge bei Alles hängt mit allem zusammen. Der GreatWestWay.co.uk; schen Unabhängigkeit finden Sie unter
Sonnenaufgang ein besonderes Schauspiel, das Hunderte Besucher anzieht Great West Way verbindet diese Stätten www.visitbritain.com/de/de go2.as/unabhaengigkeit

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WISSEN & GESCHICHTE
WELT AM SONNTAG NR. 7
D
Aktuell weisen knapp 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen Krankheitsanzeichen wie Ängstlichkeit und depressive Symptome auf – knapp zehn Prozentpunkte mehr als vor der Pandemie
ie Eltern des vierjäh-
rigen Noah erkennen
ihren Sohn nicht
wieder. Seit einigen
Monaten verhält er
sich hochgradig ag-
gressiv. Im Kinder-
garten streitet er sich wegen jeder Klei-
nigkeit mit anderen Kindern und schlägt
sie sogar. Auch die Eltern von Sophie
sind in Sorge um die Fünfjährige. Wäh-
rend sie früher immer gerne in die Kita
ging, klammert sie sich jetzt morgens
weinend an ihrer Mutter fest. Nachmit-
tags mag sie nicht mit anderen Kindern
spielen, Einladungen soll ihre Mutter ab-
sagen. Sophie spricht nicht mehr viel –
und wenn, dann meist über ihre Ängste.
VON WIEBKE BOLLE
UND ELKE HARTMANN-WOLFF
Sophie und Noah, (Namen geändert)
zeigen unterschiedliche Verhaltens-
weisen und leiden doch an Ähnlichem:
Sie haben im Lauf der Pandemie psy-
chische Probleme entwickelt. „Noah
kehrt seine Wut nach außen; Sophie
richtet ihre negativen Gefühle nach in-
nen“, erklärt die Kinder- und Neuro-
psychologin Kathrin Mikan, die die El-
tern der beiden aus einem Eltern-Kind-
Kurs kennt. Sie bietet Präventionspro-
gramme zur Förderung der mentalen
Gesundheit von Kindern an.
Mit ihren Problemen sind Noah und
Sophie nicht allein: Nahezu jedes dritte
Kind und jeder dritte Jugendliche un-
terliegt einem Risiko für psychische
Auffälligkeiten, wie aus der dritten Cop-
sy-Studie hervorgeht, der hierzulande
größten Langzeitstudie zur psychischen
Gesundheit von Sieben- bis 17-Jährigen
während der Pandemie. Eltern denken
darüber nach, wie sie ihrem Nachwuchs
durch die schwere Zeit helfen und ver-
hindern können, dass die Psyche dauer-
haften Schaden nimmt. Auch wenn die
Studie erst Kinder ab sechs Jahren er-
fasst, zeigen die Geschichten von Noah
und Sophie, dass selbst die Kleinsten
unter dem Pandemiealltag leiden.
Gemeinsame Zeit mit Freunden, re-
gulärer Schulbetrieb, Besuche bei den
Großeltern: Zwar gleicht sich das Leben
zunehmend an die präpandemische Si-
tuation an, dennoch steht es immer
noch nicht gut um die mentale Gesund-
Sir David Spiegelhalter: Der Statistikprofessor erklärt, wie man schlechte Wissenschaft erkennt
13. FEBRUAR 2022 SEITE 59
Wie geht es unseren
KINDERN?
Auch wenn sich
Erholungseffekte
bei den Jungen
zeigen, belastet sie
die Pandemie noch
immer stark. Viele
Eltern fragen sich,
ob ihr Nachwuchs
professionelle Hilfe
braucht. Es gibt
klare Warnsignale
Was die Seele
stark macht
Resilienz ist die Fähigkeit der
Psyche, selbst schwierige Situa-
tionen oder Schicksalsschläge
gut zu überstehen. Die Psycho-
logie hat erforscht, wie jeder
Einzelne diese wichtige Kom-
petenz verbessern kann. Hier
zwei Tipps für alle Altersgrup-
pen: Mit „Superheldenkids“ will
die Kinder- und Neuropsycholo-
gin Dr. Kathrin Mikan die psy-
chische Entwicklung von Kin-
dern fördern. Die verschiedenen
Präventionsprogramme werden
in Kitas, Schulklassen angeboten
und auch für Familien online.
(Superheldenkids.de)
Forschende am Leibniz-Institut
für Resilienzforschung in Mainz
haben ein Programm entwickelt,
das auch für junge Erwachsene
geeignet ist. Das interaktive
Programm „Aufkursbleiben
Kompakt“ ist ein kostenloses und
anonymes Online-Training, das
unter anderem auf den Me-
thoden der Achtsamkeit und der
positiven Psychologie basiert.
(lir-mainz.de)
S. 61
QUANTENSPRUNG
VON PIA HEINEMANN
Atlas
des Eises
Gletscher sind Eiswüsten – und zu-
gleich Quell des Lebens. Sie spei-
chern große Mengen Süßwasser und
sind in vielen Regionen Trinkwasser-
reservoir für Mensch und Tier. Dass
ihr Volumen noch nicht genau er-
forscht ist, liegt unter anderem da-
ran, dass die Eisgiganten sich den
Messmethoden der Forscher wider-
setzen: Bislang musste man Geräte
direkt auf das Eis in den oft unweg-
samen Regionen stellen, um die Di-
cke zu messen. In einem Großpro-
jekt unter der Federführung der Uni-
versité Grenoble Alpes in Grenoble
wurde die Fließgeschwindigkeit der
Gletscher nun mithilfe von mehr als
800.000 Satellitenaufnahmen be-
stimmt. Da ein Gletscher umso lang-
samer fließt, je dicker er ist, konnte
so die Eisdicke ermittelt werden.
Das weltweite Gletschervolumen
liegt demnach bei 140.000 Kubikkilo-
metern, was etwa ein Zehntel weni-
ger ist, als es ein Papier der ETH Zü-
rich aus dem Jahr 2019 angab. Bereits
darin war das globale Gletschervolu-
men nach unten korrigiert worden.
Ist in Gletschern weniger Wasser
gespeichert als gedacht, so ist das ei-
ne sehr schlechte Nachricht: Denn
dann geht durch den Klimawandel
(der fast alle Gletscher schmelzen
lässt) die Ressource Wasser schnel-
ler zur Neige als angenommen. Die
Neuvermessung hat zwar auch erge-
ben, dass die Transhimalaja- und die
Himalaja-Region beispielsweise 17
bis 30 Prozent mehr Wasser spei-
chern als gedacht. Die Anwohner von
Flüssen wie dem Indus haben also
größere Wasserressourcen. In Regio-
GETTY IMAGES/ MASKOT
nen wie den tropischen Anden aber
gibt es 23 Prozent weniger Gletsche-
reis als angenommen.
QUÄNTCHEN
3
heit von Kindern und Heranwachsen- Mütter und Väter fragen sich, ob ihr kräften und Erziehern auszutauschen.
den. „Auch wenn die Lebensqualität und Nachwuchs die Einschränkungen gut Psychische Probleme mit Teenagern zu
das psychische Befinden der unter 18- verkraftet hat oder ob er dem Druck ge- besprechen, die in der Pubertät oft auf
Jährigen sich tendenziell verbessert hat wachsen ist, den die schwierige Lern- Distanz zu den Eltern gehen, ist schwie-
im Vergleich zum Vorjahr, ist die Belas- und Lebenssituation mit sich bringt. rig. Manche Teenies wollen nicht reden Sekunden Gewichte stemmen
tung immer noch auf einem hohen Ni- Zeigt der Sohn die typischen Launen ei- und sich schon gar nicht helfen lassen.
veau“, sagt Ulrike Ravens-Sieberer, Lei- nes Teenagers oder Anzeichen einer Es sei dann wichtig, sagt Mikan, mit ih- pro Tag reichen aus, um die Muskel-
terin der Copsy-Studie und Forschungs-
direktorin der Kinder- und Jugendpsy-
Persönlichkeitsstörung? Ist die Tochter
nur traurig, oder entwickelt sie eine De-
nen über ihre Bedenken zu sprechen.
Kommen Eltern dabei selbst nicht wei-
kraft zu erhöhen. Das haben japani-
sche und australische Forscher in ei-
chiatrie am Uniklinikum Hamburg-Ep-
pendorf (UKE). „Wir sind noch weit von
pression? Woran also können Eltern er-
kennen, was vor sich geht?
ter, helfen Erziehungs- oder psycho-
sozialen Beratungsstellen.
ner Studie mit 39 Studenten heraus-
gefunden. Diese stemmten drei Se-
dem Zustand vor Corona entfernt.“ Die Kinderpsychologin Kathrin Mi- kunden lang Gewichte – an fünf Ta-
THERAPIEPLÄTZE FEHLEN
Immerhin: Das Risiko für psychische kan rät, aufmerksam zu sein. Auch wenn gen die Woche, über vier Wochen
Auffälligkeiten ist gegenüber den beiden sich eine anfängliche psychische Er- Solange Kinder und Jugendliche sich hinweg. Im Vergleich zur inaktiven
Vorjahren um wenige Prozentpunkte krankung individuell unterschiedlich oder andere nicht gefährden, etwa durch Kontrollgruppe erhöhte sich ihre
zurückgegangen. Doch noch immer wei- äußern kann, gebe es Warnsignale: De- körperliches Verletzen, müssen sie Muskelkraft um rund zehn Prozent.
sen knapp 30 Prozent der Befragten pressionen machten sich häufig da- meist auch in keine Klinik. Fast immer
Krankheitszeichen für Ängstlichkeit durch bemerkbar, dass Kinder plötzlich beginnt die Behandlung mit einer ambu-
oder depressive Symptome auf. Zum
Vergleich: Vor der Pandemie lag das Ri-
keinerlei Interessen mehr hätten und
im Alltag eher teilnahmslos wirkten, er-
lanten Psychotherapie – nur besteht ein
Mangel an Behandlungsplätzen. Die BEFUND
siko für psychische Auffälligkeiten deut- klärt Mikan. Bei Ängsten seien sie eher Deutsche Psychotherapeutenvereini-
lich unter 20 Prozent. Für Ravens-Siebe- anhänglich und machten sich oft Sor- gung (DPtV) berichtete vor einem Jahr
rer zählen vor allem Kinder und Jugend-
liche aus instabilen Familien zu den vul-
gen, beispielsweise darüber, dass Fami-
lienmitgliedern etwas zustoßen könnte
über eine um 60 Prozent gestiegene
Nachfrage nach therapeutischer Hilfe Homesharing
nerablen Gruppen, die therapeutisch be- oder sie sich mit Corona infizierten. für Minderjährige. Die Anfragen, so er-
treut werden müssten. Deren Anteil in
der Gesamtbevölkerung schätzt sie auf
Generell gilt: „Eltern sollten immer
aufhorchen, wenn sich das Verhalten ih-
klärt der Berufsverband, befänden sich
noch immer auf hohem Niveau, und
in der Steinzeit
15 Prozent. „Die Krankheitswahrschein- res Kindes plötzlich verändert – egal, ob räumt ein: Auch wenn eine Kriseninter-
lichkeit in einer Familie, in der Risiko- mit oder ohne erkennbare Ursache“, vention zeitnah erfolge, müsse mit län-
faktoren wie Armut oder beengte Wohn- sagt Mikan. Besonders dann, wenn Kin- geren Wartezeiten gerechnet werden.
verhältnisse vorherrschen, ist um das der sich nicht nur in Ausnahmen unge- Ob mit oder ohne Therapie – Eltern
Doppelte bis Dreifache erhöht.“ wöhnlich benähmen, sondern über sollten versuchen, ihre Kinder im Um-
mehrere Tage oder Wochen hinweg. gang mit negativen Gefühlen zu unter-
MEHR LEBENSQUALITÄT Auch wechselnde Phasen zwischen stützen. Mikan ist selbst Mutter und
Leicht verbessert hat sich der Studie zu- Stimmungshochs und -tiefs können auf möchte ihren zwei Kindern im Grund-
folge das Lebensgefühl der Jüngsten. Störungen hinweisen. schulalter die Ängste nehmen. Sie
Dennoch empfinden acht von zehn der Die Copsy-Studienleiterin Ravens- spricht mit ihnen über Situationen, in
befragten Kinder und Jugendlichen die Sieberer empfiehlt, auch auf körperli- denen die Kinder schon mal mutig ge-
Corona-Krise als „äußerst“ oder „ziem- che Beschwerden zu achten, etwa auf wesen sind, zum Beispiel, als sie Fahr- Die beste Lage ist den Menschen
lich belastend“. Die Copsy-Studie wur- Kopf- oder Bauchschmerzen, Essstö- radfahren gelernt haben. „Es hilft, den enorm wichtig, das war bereits in der
de bereits zum dritten Mal unter 1100 rungen oder Schlafstörungen. „Dies Fokus weg von der Angst auf andere Steinzeit so. In einer Höhle im fran-
Kindern und Jugendlichen sowie 1600 könnten psychosomatische Stresssymp- starke Gefühle zu lenken. Fröhlichkeit, zösischen Rhone-Tal haben Forscher
Eltern durchgeführt. Die erste Befra- tome sein“, so die Jugendpsychologin Mut, Neugier, Entspannung, Stolz“, des Centre National de la Recherche
gung fand im Mai und Juni 2020 statt, und Gesundheitswissenschaftlerin. sagt sie. Das sei wichtig für die Resi- Scientifique bei Ausgrabungen fest-
PICTURE ALLIANCE / DPA/JOHANNES KRAUSE; ATELIER DAYNES
die zweite während des Lockdowns im Doch was können Mütter und Väter lienz, also die Fähigkeit, psychische gestellt, dass Homo sapiens dort im
Dezember 2020 und Januar 2021. Die tun, wenn sie bemerken, dass ihr Kind Belastungen zu verkraften, ohne Scha- Laufe etlicher Jahrtausende immer
dritte Befragung wurde im September psychisch belastet ist? Die Psychologin den zu nehmen. Psychologin Ravens- wieder mal eingezogen ist. Der Aus-
vergangenen Jahres durchgeführt. Mikan empfiehlt, schnellstmöglich pro- Sieberer ist überzeugt, dass ein struk- blick war offenbar schön, der Stein
Die deutlichsten Erholungseffekte fessionelle Hilfe zu suchen. „Noch im- turierter Alltag im Familienleben den wohnlich. Anscheinend liebten nicht
zeigen sich bei der Lebensqualität: Nur mer haben viele Eltern Hemmungen Kindern ein Gefühl von Sicherheit ver- nur Homo sapiens, sondern auch Ne-
noch drei von zehn Youngstern empfin- oder geben sich selbst die Schuld, wenn mitteln kann. Dazu gehörten beispiels- andertaler diese Höhle. Im Wechsel
den diese als eingeschränkt, in den Vor- das Kind psychisch erkrankt, dabei kön- weise gemeinsame Mahlzeiten, bei de- diente sie beiden Menschenarten als
gängerstudien klagten noch vier bezie- nen seelische genauso wie körperliche nen man sich austauscht. Am meisten Heimstatt. Zudem zeigt sich daran,
hungsweise fünf von zehn jungen Studi- Erkrankungen auftreten.“ Mit einem helfe dem Nachwuchs, wenn die Eltern dass Homo sapiens bereits 10.000
enteilnehmern darüber. Ravens-Siebe- gebrochenen Bein würden sie ihr Kind präsent sind: Das Entscheidende, so Jahre früher, also vor 54.000 Jahren,
rer sagt: „Trotz der Verbesserungen auch zum Facharzt bringen, sagt Mikan. die Psychologin, sei, den Kindern das in Europa unterwegs war als bisher
steht fest, Kinder und Jugendliche tra- Zudem könne es helfen, sich mit ande- Gefühl zu geben, gebraucht und ge- angenommen. Das Rhone-Tal – ein
gen schwer an der Last der Pandemie.“ ren Eltern, dem Kinderarzt, den Lehr- liebt zu werden. historischer Touristenmagnet.
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60 WISSEN
E
igentlich wollte Gregor
Bucher nur verstehen,
wie aus einem Embryo
ein ausgewachsener
Mehlkäfer wird. Vor gut
sieben Jahren unter-
suchte er, welche Gene
bei den Tieren die Beine oder den Kopf
entstehen lassen. Nacheinander schalte-
te der Genforscher mit seinem Team im
Labor der Universität Göttingen jeden
einzelnen Abschnitt der Mehlkäfer-DNA
aus. War es das „Bein-Gen“, fehlten den
Tieren die Gliedmaßen; war es das
„Kopf-Gen“, wuchs ihnen kein Haupt –
oder nur ein verformtes.
VON VERENA MÜLLER
Bei manchen Schaltern traf es jedoch
nicht nur einzelne Körperteile. Die Kä-
fer überstanden den Eingriff nicht. Die
Forscher hatten lebenswichtige Merk-
male deaktiviert; die Zellen konnten et-
wa keine Abfallstoffe mehr loswerden.
Für Bucher waren diese Gene zunächst
„Ausschuss“, wie er heute sagt. Die For-
scher wollten die einzelnen Entwick-
lungsschritte verstehen, nicht die Tiere
töten. Für die Natur könnte sich dieser
„Ausschuss“ hingegen als Rettung he-
rausstellen. Denn er bildet die Grundla-
ge für das „Set der tödlichsten Gene“,
wie der Professor für evolutionäre Ent-
wicklungsgenetik es nennt – und damit
für eine Technologie, die Pestizide zu
Präzisionswerkzeugen machen soll.
Die Vorstellung klingt verlockend: ei-
ne maßgeschneiderte Schädlingsbe-
kämpfung, die harmlose Tiere verschont
– anders als herkömmliche Stoffe. Pflan-
zenschutzmittel gelten als eine der
Hauptursachen für das Insektensterben.
Laut dem „Pestizidatlas“ der Heinrich-
Böll-Stiftung geht die Vielfalt und Men-
ge der Tiere dort am stärksten zurück,
wo die meisten Pestizide eingesetzt
werden. Zwar sei der Absatz in den ver-
gangenen 25 Jahren bei bis zu 35.000
Tonnen im Jahr nahezu konstant geblie-
ben. Doch im Gegenzug, das zeigt eine
aktuelle Studie der Universität Koblenz-
Landau, sind die Gifte auf den Feldern
immer toxischer geworden.
Ganz ohne Schädlingsbekämpfung
geht es aber nicht. Vielerorts arbeitet
man daher an den Mitteln der Zukunft.
Syngenta, der größte Pestizidhersteller
weltweit, nennt die neue Gen-Technik
einen „natürlichen biologischen Mecha-
nismus“, der in „unserer Umwelt prak-
tisch überall vorkommt“. Glaubt man
Genetiker Bucher, wäre diese Pestizid-
Generation viel sicherer für die Umwelt,
die Bienen und andere nützliche Orga-
nismen. In den USA könnte noch in die-
sem Jahr das erste Produkt gegen den
Kartoffelkäfer zugelassen werden; in
Deutschland ist die erste Anfrage bei
den Zulassungsbehörden eingegangen.
Aber kann das wirklich funktionieren –
G
gut und giftig?
rundlage der von Bucher mit-
entwickelten neuen Technolo-
gie ist die RNAi. RNAi steht für
RNA-Interferenz. Das ist ein natürlicher
Mechanismus in allen Lebewesen mit
Zellkern, der gezielt Gene abschalten
und Viren abwehren soll. Das Prinzip
dahinter: Die RNA in den Zellen enthält
die Informationen aus den Genen, nach
denen Tiere oder Pflanzen ihre Proteine
aufbauen. Sie besteht normalerweise aus
einem einzelnen Strang. Taucht plötz-
lich doppelsträngige RNA in der Zelle
auf, wird das Immunsystem aufmerk-
sam. Viele Viren tragen sie als Erbsub-
stanz in sich. Die Zelle weiß: Das muss
ein Eindringling sein – und sorgt dafür,
dass alle Schnipsel zerhäckselt werden,
die danach aussehen.
Das Wildschwein auf dem Sofa ist ein Signal
N Jäger haben zuletzt
eulich hat eine Frau in Hagen,
Nordrhein-Westfalen, eine un-
heimliche Begegnung gemeldet.
Auf ihrer Couch lag gemütlich ein Wild-
schwein. Das weibliche Tier hatte sich
über die Terrasse Zugang verschafft, das
Wohnzimmer gebührend verwüstet und
wartete nun liegend vermutlich ge-
stresst auf Nahrung oder wenigstens
Netflix. Die Polizei machte ein Beweis-
foto, gemeinsam mit Jägern gelang es,
der etwa 60 Kilo schweren Bache die
Freiheit zurückzugeben.
VON HOLGER KREITLING
Wildbiologen sehen derartige Über-
fälle von Wildschweinen nüchtern. „Sie
sind vorsichtig. Aber da sie mehr gewor-
den sind, tauchen immer wieder welche
an überraschenden Stellen auf“, sagt
Oliver Keuling, Wildschwein-Experte
von der Tierärztlichen Hochschule
Hannover. Die jüngst vorgelegten Zah-
len über Wildschweinjagd lassen auf-
GIFTIG
Pestizide töten Schädlinge – schaden aber auch vielen anderen
Tieren und der Natur. Nun sollen neue Mittel auf den Markt
kommen, die präziser und umweltfreundlicher wirken. Doch Experten
warnen: Die Substanzen könnten gefährlicher sein als gedacht
Öko-Abwehr auf dem Acker
Jeder Schädling hat Feinde. Das
macht sich der biologische Pflan-
zenschutz zunutze. Rund 90 ver-
schiedene Lebewesen werden
aktuell in Deutschland als Öko-
Abwehr eingesetzt, dazu etwa 30
natürliche Wirkstoffe. Die Trichog-
ramma-Schlupfwespe geht in-
zwischen hierzulande auf 40.000
Hektar gegen den Maiszünsler vor.
Fadenwürmer wirken gegen Rau-
pen, der Trichoderma-Pilz setzt
andere pflanzenschädliche Pilze
außer Gefecht, Pheromone schüt-
Diesen Mechanismus machen sich die
neuen Pestizide zunutze: Besprüht man
einen Schädling mit einer Doppelstrang-
RNA, die von einem seiner Gene abge-
leitet ist, verhält sich sein Immunsystem
so, als sei es ein Virus. Es greift nicht
nur die Doppelstrang-RNA, sondern
auch seine eigene RNA an – und schaltet
in gewisser Weise das eigene Gen aus.
Handelt es sich dabei um eines der „töd-
lichsten Gene“, werden besonders über-
lebenswichtige Proteine nicht mehr pro-
duziert. Der Schädling stirbt.
„Sehr, sehr genau“ könne man diesen
Prozess steuern, sagt Bucher. „Will ich
den Kartoffelkäfer angreifen, baue ich
deutlich weniger
Schwarzwild in
Deutschland
geschossen. Das hat
Konsequenzen für die
künftigen Bestände
DPA/POLIZEI HAGEN
Wildschwein auf der Couch:
erschöpft und mutmaßlich gestresst
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022
Schädlinge und Nützlinge sogenannten Beistoffe intensiver geprüft
werden von herkömmlichen werden – Zutaten, die den Wirkstoffen
Pestiziden gleichermaßen erwischt beigemischt werden, damit sie technisch
überhaupt auf dem Feld versprüht wer-
den können. Denn der zweite Vorteil der
RNAi, die schnelle Abbaubarkeit, ist zu-
gleich ein Manko. Ohne Zusatzstoffe
würde sich die RNA auf dem Acker so
schnell zersetzen, dass sie gar nicht in die
anvisierten Käfer eindringen kann.
Wie wichtig zuverlässige Prüfungen
sind, um die Gefährlichkeit von Pflan-
zenschutzmitteln einzuschätzen, zeigt
Gut und
das Beispiel Neonicotinoide. Die Sub-
stanzen kommen seit den 1990er-Jah-
ren rund um den Globus zum Einsatz.
Sie galten als weniger schädlich als das
vorher gängige DDT – und als Wunder-
mittel gegen zahlreiche Schädlinge, da-
runter den Maiswurzelbohrer. Bis heu-
te zählen die Stoffe zu den meistver-
wendeten Insektenmitteln, obwohl sie
in der EU inzwischen weitgehend ver-
boten sind.
Weil Neonicotinoide bereits in gerin-
gen Konzentrationen wirken, hatte man
in den Prüfverfahren viele Nebenwir-
kungen übersehen: dass sich etwa Bie-
nen weniger fortpflanzen können oder
Ameisen aggressiver werden. Wirkun-
gen, durch die die Tiere indirekt ster-
ben. „Um das nachzuweisen, muss man
den Mechanismus dahinter im Detail be-
legen“, erklärt Bärs Kollege am Umwelt-
bundesamt, Dirk Süßenbach. Ein langer
und aufwendiger Prozess, der für jede
D
Substanz einzeln erfolgen muss.
as Beispiel zeigt: Obwohl selbst
die bisherigen Zulassungsver-
fahren viele Gefahren unter-
schätzten, hat sich an ihnen kaum etwas
verändert. Matthias Liess, Professor für
Ökotoxikologie an der RWTH Aachen
und am Helmholtz-Zentrum für Um-
weltforschung in Leipzig, bemängelt
seit Jahren: Die Tests seien viel zu lasch.
Gerade hat Liess in einer Studie aufge-
deckt, wie viele Pestizide in Gewässern
stecken; selbst Jahre nach deren Ein-
satz. In mehr als 80 Prozent der Bäche,
die durch landwirtschaftliche Flächen
fließen, werden die maximal zulässigen
Konzentrationen überschritten. „Dabei
GETTY IMAGES, PICTURE ALLIANCE (11), MONTAGE WELT AM SONNTAG: TOM UECKER sind bereits diese Maximalwerte viel zu
hoch“, sagt Liess.
Ein Grund dafür: Die zumutbare Kon-
zentration eines Pestizids wird per Ex-
zen den Wein. Trotzdem führen Ihr Öko-Vorteil, die Spezialisie- – eine Einheit aus Pilzen und Wur- periment ermittelt – im Labor. „Die Rea-
die biologischen Methoden bislang rung, wird dann zum Nachteil. zeln, die für mehr Nährstoffe lität sieht aber anders aus“, sagt Liess.
ein Nischendasein. Ein Grund: Sie Biologische Mittel sind eher auf sorgt. „All das erfordert viel Wis- Im Labor wirke nur der einzelne Stress-
wirken nicht so flächendeckend lange Sicht ausgelegt. Nützlinge sen und Auseinandersetzung mit faktor. Im Freien müssten die Tiere da-
und akut wie die chemischen Mit- sollen zum einen verhindern, dass der angebauten Kultur“, sagt gegen mit vielen Schadstoffen gleichzei-
tel. Fällt ein Insekt plötzlich über sich Schädlinge überhaupt breit- Johannes Jehle, Direktor am Juli- tig klarkommen. Bevor ein Mittel abge-
ein Feld her, muss der Landwirt machen können. Eine Vorsorge, die us-Kühn-Institut für Kulturpflan- baut sei, komme oft schon ein zweites
schnell reagieren. Die natürlichen mit chemischen Mitteln nicht zen. Ein chemisches Mittel allein oder drittes hinzu. Studien zeigen, dass
Mittel sind dafür in der Regel nicht funktioniert, weil sie auch viele durch ein biologisches zu ersetzen sie sich dabei in ihrer Wirkung verstär-
geeignet. Vor allem dann nicht, hilfreiche Arten wie Marienkäfer funktioniere nicht. Der gesamte ken. Nur realistischere Kontrollen
wenn ein neuer Schädling auf- treffen. Zum anderen sollen Bio- Betrieb müsse umgestellt werden könnten verhindern, dass auf ein „Su-
trifft. Denn anders als die che- Stimulanzien helfen, die Pflanzen – und mehr Fruchtfolgen, mehr pergift“ das nächste folge.
mischen Mittel bekämpfen die widerstandsfähiger zu machen. angepasste Kulturen, mehr vor- Alle Versuche, eine neue Leitlinie
Biomethoden nur gezielt eine Art. Darunter sogenannte Mykorrhiza handene Nützlinge fördern. einzuführen, sind bislang gescheitert.
Bereits 2013 hatte die zuständige Euro-
päische Behörde für Lebensmittelsi-
cherheit (EFSA) eine überarbeitete
Version vorgelegt. Die wurde jedoch
eine auf ihn zugeschnittene Doppel- Doch so einfach sei es nicht, „leider“. wesen bekannt sind, die als Vergleichs- von der Mehrheit der Mitgliedstaaten
strang-RNA.“ Bienen und andere Nütz- Denn ob die Methode tatsächlich so standard dienen; etwa der Honigbiene, abgelehnt. Vermutlich auch, so heißt es
linge würden davon nicht getroffen. treffsicher ist, wie sie vorgibt, ist noch die als Vertreter aller Bestäuber auftritt. hinter vorgehaltener Hand, weil sie die
Denn obwohl sie dieselben Gene haben, gar nicht bewiesen – vieles wurde bis- „Es fehlen aber viele Arten, die wir auch Zulassung vieler neuer Produkte ge-
mit denen sie ähnliche Proteine herstel- lang nur abgeschätzt. Man gehe ledig- betrachten müssten“, sagt Bär. Eng ver- fährdet hätte.
len, ist die Bauanleitung in ihren Genen lich aufgrund der unterschiedlichen wandte Organismen mit ähnlichen Ge- Und die RNAi-Stoffe? Für die soll ei-
für jede Art einmalig. Gen-Sequenzen davon aus, dass RNAi- nen, befürchtet die Biochemikerin, ne Arbeitsgruppe der deutschen Zulas-
Anruf bei Susanne Bär vom Umwelt- Pestizide keine anderen Arten töteten könnte es daher doch treffen. Welche sungsbehörden ein Prüfverfahren ent-
bundesamt in Dessau. Seit 15 Jahren oder schädigten. Selbst die Organisati- Daten für den US-Antrag eingereicht wickeln. Die Anfrage an sie für eine ers-
E
schätzt sie mit Kollegen anderer Behör- on für wirtschaftliche Zusammenarbeit wurden, ist unklar. te Überprüfung für den deutschen
den ein, wie gefährlich bisherige und und Entwicklung (OECD) mahnte in ei- Markt wurde vorerst zurückgezogen.
neue Pestizide für Natur und Mensch nem Papier zur RNAi-Technologie an, in weiteres Problem: Die bisheri- Die Gründe dafür sind unklar. Evoluti-
sind. „Super-euphorisch“ sei auch sie Sequenzen allein könnten nicht dazu gen Zulassungsverfahren reichten onsgenetiker Gregor Bucher gibt sich
am Anfang gewesen, sagt Bär. „Wenn dienen, unerwünschte Nebeneffekte für die neuen Substanzen nicht jedoch weiter zuversichtlich. Die Mittel
sich all das Versprochene so bewahrhei- auszuschließen. Noch dazu, weil die Ab- aus, sagt Bär. „Ganz anders“ als bislang lösten zwar nicht alle Probleme. Aber
tet, würde ich sagen: ‚Klasse, das ist es.‘“ folgen bislang vor allem von den Lebe- müssten die ablaufen. So sollten auch die womöglich einige.
horchen. 688.000 Tiere wurden im mehrung? Schließlich sind die Repro- die gestiegene Zahl der Mais- und Raps- auf die Menge der Frischlinge auswir-
Jagdjahr 2020/21 geschossen. Das sind duktionsraten des Schwarzwildes dank felder direkt am Waldrand ausgegli- ken. So kommen bei nachlassendem
200.000 weniger als im Jahr davor, als guter Bedingungen in Deutschland chen. Keuling erwartet mittelfristig ei- Nahrungsangebot mehr männliche als
mit 882.000 eine neue Rekordhöhe er- weltweit die höchsten, die Biologen ne starke Zunahme und ist der Mei- weibliche Wildschweine zur Welt. Keu-
reicht worden war, eine Zahl, die doku- prognostizieren durchschnittlich 200 nung, es müssten mehr Wildschweine ling sagt: „Nur gut ernährte Bachen kön-
mentierte, wie stark der Bestand an
Wildschweinen in Deutschland gewach-
Prozent, in Mastjahren, also mit reich-
lich Eicheln und Bucheckern, sogar
geschossen werden. „Der Nachhaltig-
keitsgedanke sitzt bei heutigen Jägern
nen sich die männlichen Nachkommen
leisten, sie brauchen während der
sen ist. Die nun gesunkene Zahl hat zu- mehr. Aus 10.000 Tieren werden im so tief, dass sie vorsichtig sind“, sagt er. Trächtigkeit mehr Energie, weil sie et-
nächst mit der Pandemie zu tun, im Jahr darauf 30.000 Tiere. Die jährlichen Viel Psychologie sei am Werk: Wenn in was größer sind.“ Männliche Tiere si-
Herbst 2020 waren viele Treibjagden Schwankungen erklärt Oliver Keuling einem Jahr weniger Tiere gesichtet oder chern das Überleben der Art, sie wan-
coronabedingt ausgefallen – im Herbst mit dem Bestandsniveau, je höher das viel geschossen werden, nehme die dern ab und verteilen die Gene.
2021 konnten Drückjagden wieder statt- liegt, um stärker steigt und fällt die Ra- Quote im Jahr darauf ab, auch um die Noch gibt es in Deutschland Gegen-
finden. Beim Deutschen Jagdverband te. Ausschlaggebend für die Vermeh- Bestände zu schonen. Das sei beim den, wo bisher wenig Schwarzwild vor-
ist man froh über die erzielte Höhe, rung sind Wetter und Nahrungsange- Schwarzwild falsch und fatal. handen ist. Keuling nennt etwa Ostfries-
man hatte mit weniger gerechnet. Die bot, ein milder Herbst und milder Win- Die Reproduktion ändert sich näm- land, das Emsland, Teile von Schleswig-
Versuche, die Afrikanische Schweine- ter sorgen dafür, dass mehr Tiere über- lich erst, wenn die Kapazitätsgrenze er- Holsteins Küstenregion, auch das Agrar-
pest durch erhöhten Abschuss einzu- leben; das war zuletzt mehrfach der reicht wird. Keuling: „Irgendwann krie- land in Bayern und Baden-Württemberg.
dämmen, hat partiell zu stärkerer Beja- Fall. Strenge Winter, Nässe im Frühling gen die Bachen weniger Frischlinge, weil Die Kapazitätsgrenzen sind noch nicht
gung des Schwarzwildes geführt, zu- und späte Fröste setzen dagegen Frisch- der innerartliche Stress oder eine erreicht, weder bei der Reproduktions-
mindest sind in Mecklenburg-Vorpom- lingen zu, die schnell eine Lungenent- schlechtere Ernährungsgrundlage dazu fähigkeit der Tiere noch bei den zu be-
mern und Brandenburg die Werte hoch. zündung bekommen oder Unterküh- führt, dass sie sich nicht mehr so stark siedelnden Gegenden. Viel zu tun für Jä-
Wenn aber weniger Wildschweine ge- lung schlecht ausgleichen können. vermehren.“ Bisher lassen sich dafür ger. Für die Eindämmung der Schweine-
schossen wurden, gibt es auch weniger Nahrung ist reichlich vorhanden. keine Anzeichen erkennen. Die Wildbio- pest mit ihren Zäunen und Pufferzonen
in den Wäldern? Oder führt eine verrin- Zwar liefern Buchen und Eichen dürre- logen stellen bei den Tieren nur leichte und Zehn-Punkte-Plänen sind das aber
gerte Jagd zur weiteren rasanten Ver- bedingt derzeit weniger, das wird durch Wirkmechanismen fest, die sich nicht keine guten Aussichten.
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 S
13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG
Sein Bestseller „Die Kunst der Statistik“
wurde in elf Sprachen übersetzt, für sei-
ne Verdienste in medizinischer Statistik
wurde der Brite 2014 in den Adelsstand
erhoben. In der Pandemie hat Sir David
Spiegelhalter vielfach schlechte Statisti-
ken kritisiert. Analysen zur angeblichen
Wirkungslosigkeit der Impfungen wur-
den von ihm ebenso wenig verschont
wie eine Arbeit des ihm zuvor unbe-
kannten Virologen Christian Drosten,
in der es um die Viruslast im Rachen
von Kindern ging. Auch vor sich selbst
macht Spiegelhalter nicht halt: Dem bri-
tischen „Guardian“ offenbarte er gera-
de, seine Einschätzungen der Pandemie
seien insgesamt von zu großem Opti-
mismus geprägt gewesen. Im Interview
via Zoom beschreibt er das Ringen um
wissenschaftliche Objektivität.
VON BIRGIT HERDEN
WELT AM SONNTAG: Sir David Spie-
gelhalter, Sie sitzen gerade in Cam-
bridge im Homeoffice. Warum, es gab
doch in England längst den „Freedom
Day“, alle Einschränkungen wegen
Covid-19 wurden aufgehoben?
DAVID SPIEGELHALTER: Es gibt nur we-
nig staatliche verordnete Einschränkun-
gen, aber viele Leute bleiben dennoch
sehr vorsichtig. Die Universität emp-
fiehlt weiterhin die Arbeit von zu Hause,
wenn möglich.
In Deutschland herrscht Streit darü-
ber, ob man die Einschränkungen auf-
heben sollte. Warum ist die Diskussi-
on so polarisiert?
Der Streit entsteht vor allem über die
Frage, ob Einschränkungen verpflich-
tend oder freiwillig sein sollten. Es zwei-
felt ja niemand daran, dass die Men-
schen ihr Verhalten ändern müssen, um
die Ausbreitung des Virus zu verhin-
dern. In England haben sich die meisten
Leute nach dem Freedom Day nicht viel
anders verhalten, es gab nicht den be-
fürchteten Anstieg der Infektionen. Ob
staatlich verordnet oder freiwillig, oft
ist das Verhalten der Menschen recht
ähnlich. Ideologisch gesehen ist der Un-
terschied aber gewaltig. Weltanschau-
ung und Überzeugungen spielen eine
große Rolle, und daher ist die Polarisie-
rung nicht verwunderlich.
Selbst unter Wissenschaftlern kann
man mitunter eine Polarisierung be-
obachten.
Ja, unglücklicherweise. Wenn ich die
Aussagen eines Wissenschaftlers zu
umstrittenen Fragen lese, bin ich zu-
nächst immer skeptisch. Ich lese erst al-
les über den betreffenden Wissen-
schaftler: Woher kommt er, woran
glaubt er? Wie hat er sich bisher geäu-
ßert, welche Agenda verfolgt er?
Vor der Pandemie hätte man als Jour-
nalist nicht unbedingt die Weltan-
schauung eines Wissenschaftlers über-
prüft, um seine Arbeit einzuordnen.
Eher orientiert man sich daran, ob je-
mand Arbeiten zu einer Frage in hoch-
karätigen Journals veröffentlicht.
Ganz genau. Aber tragischerweise haben
wir in dieser Pandemie erlebt, dass sich
selbst hoch qualifizierte Wissenschaftler
von ihrer persönlichen Agenda haben lei-
ten lassen. Ich will keine Namen nennen,
aber manche Forscher haben sich sehr
schlecht benommen.
Wie erkennt man, dass Wissenschaft
nicht von Ideologie getrieben ist?
Das ist sehr schwierig. Selbst hohes wis-
senschaftliches Ansehen bis hin zum No-
belpreis ist keine Garantie. Man kann
aber überprüfen, was ein Wissenschaft-
ler auf Twitter oder in anderen Medien
kommuniziert. Steht er klar auf der ei-
nen oder der andere Seite? Versucht er,
zu informieren oder eher zu überreden?
Wenn Letzteres der Fall ist, würde ich
seinen wissenschaftlichen Veröffentli-
chungen misstrauen.
In der Pandemie wurden die meisten
Arbeiten sofort online gestellt. Aber
eigentlich gibt es ein etabliertes Ver-
fahren, um schlechte Forschung zu
verhindern – die Veröffentlichung in
einem Fachmagazin mit Peer-Review,
der Begutachtung durch Fachleute.
Das hilft, aber eine Garantie für gute
Forschung ist es auch nicht. Immer wie-
der erscheinen verzerrte Interpretatio-
nen in Fachmagazinen – wenn Gutach-
ter beispielsweise bestimmte Überzeu-
gungen teilen.
NR. 7
„Forscher dürfen
keine Aktivisten
werden“
Waren Lockdowns sinnlos, und gibt es massenhaft
Impftote? Der britische Statistiker Sir David Spiegelhalter
erklärt, wie man schlechte Wissenschaft erkennt und
warum der Glaube an absolute Objektivität naiv ist
Sir David Spiegelhalter
Statistiker
Und betrifft das Problem beide Enden
der Polarisierung? Die Lockdown-Befür-
worter ebenso wie die Verfechter eines
freiheitlichen Kurses?
Ja, allerdings muss man unterscheiden.
Am extrem libertären Ende gibt es eine
Menge kompletten Nonsens, reine Des-
information: Die Impfungen wirken an-
geblich nicht oder bringen mehr Men-
schen um, als dass sie Menschen retten;
Covid existiert gar nicht oder ist nur ei-
ne harmlose Erkältung. Solche Dinge
sollte man einfach ignorieren, alles Ar-
gumentieren ist hier vergebens. Natür-
lich, nach den Boostern und mit Omi-
kron ist das Virus aktuell ähnlich gefähr-
lich wie die Grippe, aber 2020 oder 2021
war das nicht der Fall.
Aber abgesehen von Desinformation?
Da erlebe ich auf beiden Seiten interes-
sengeleitete Argumentation. Ich selbst
würde mich als Covid-Zentristen be-
zeichnen, aber wer kann schon sicher
sein, nicht eher der einen oder der ande-
ren Seite anzuhängen? Ich kritisiere bei-
de Seiten und versuche immer zu identi-
fizieren, wo jemand wissenschaftliche
Ergebnisse selektiv auswertet, schwach
WISSEN 61
Seit vielen Jahren erklärt
David Spiegelhalter Risiken
und Wahrscheinlichkeiten
staatlich verordneter Zwang genau ge-
macht hat, lässt sich mit den verfügba-
ren Daten aus dem komplizierten Gefü-
ge nicht herauslesen. Die Zahl der Län-
der ist für eine statistische Analyse viel
zu begrenzt. Ein ähnliches Beispiel sind
Schulschließungen.
War es ein Fehler, die Schulen zu
schließen?
Dazu will ich nichts sagen. Ich habe mei-
ne private Meinung, aber ich bin Statisti-
ker, und so ist es nicht meine Aufgabe,
hier zu urteilen. Das können eher Public-
Health-Experten oder besser ein ganzes
Gremium aus vielen Fachrichtungen, die
die vollen Konsequenzen einer Entschei-
dung berücksichtigen. Häufig haben vor
allem Wissenschaftler beraten, die sich
sehr gut mit der Ausbreitung des Virus
auskennen.
Wissenschaft hat schon immer politi-
sches Handeln beeinflusst. Ist das ein
Fehler?
Wissenschaftler sollten im Rahmen ihrer
Arbeit nicht zu Aktivisten werden. Wenn
sie das als Privatpersonen tun, ist das in
Ordnung. Aber man sollte den Rollen-
wechsel deutlich machen.
Aber wenn jemand sich als Privat-
mensch politisch engagiert – kann er
als Wissenschaftler dann überhaupt
noch objektiv sein?
Kein Mensch kann je völlig objektiv sein.
Das zu glauben wäre naiv. Jeder bringt
seine Überzeugungen mit in die Arbeit
ein. Aber – und das ist ein großes Aber: Es
bedeutet einen erheblichen Unterschied,
ob man Objektivität zumindest anstrebt
oder ob man sich nicht darum schert und
für eine bestimmte Perspektive wirbt. In
der Pandemie habe ich erlebt, wie eigent-
lich brillante Wissenschaftler stark von
ihren Überzeugungen getrieben wurden.
In Deutschland fürchten manche, dass
Impfnebenwirkungen nicht ausrei-
chend erforscht sind. Und kürzlich er-
schien eine Analyse der britischen Sta-
tistiker Martin Neil und Norman Fen-
ton, die bislang unerkannte Auffällig-
keiten in den Sterblichkeitsdaten ge-
funden haben wollen. Das Papier wur-
de von anderen Statistikern regelrecht
zerpflückt. Wie kann man in Fällen wie
diesen sicher sein, wer recht hat?
Wie erwähnt sollte man sich ansehen,
wie sich Forscher zuvor geäußert haben.
Wissenschaftler sind auch nur Men-
schen, und manche sind vielleicht im-
mer gegen das, was der Mainstream
denkt. Das ist ein schlimmer Fehler,
denn anstelle von begründeter Skepsis
und berechtigtem Zweifel tritt dann re-
flexartige Ablehnung.
Gibt es denn keinen begründeten
Zweifel an den Impfstoffen?
Alle Impfstoffe haben Nebenwirkungen,
ALAMY STOCK PHOTO/RICHARDBAKERRISK
und die Nutzen-Schaden-Analyse ist äu-
ßerst kompliziert. Auf diesem Gebiet
bin ich selbst kein Experte, also vertraue
ich auf die Fachleute in den Behörden.
Letzten Endes muss man irgendjeman-
dem vertrauen. Es ist unmöglich, im Al-
leingang alternative Grundlagenfor-
schung zu leisten. Die Leute, die Behör-
den misstrauen, den bleiben nur andere
Quellen wie Blogs oder YouTube-Vi-
deos. Aber warum sollten die vertrau-
enswürdiger sein? Gerade solche Leute
Der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler gehört zu den am
haben eine starke Agenda, sie selektie-
häufigsten zitierten Biostatistikern der Welt. Ein Schwerpunkt seiner
Arbeit an der Universität von Cambridge ist die Kommunikation von
ren, manipulieren und sagen das, was ihr
Publikum hören will.
Risiken und wissenschaftlicher Evidenz. Seit Mai 2020 ist der 68-Jährige
Mitglied im Vorstand der nationalen britischen Statistikbehörde.
,,
Manche Menschen versuchen selbst,
Daten zu analysieren.
Das ist im Prinzip gut – ich bin unbe-
dingt dafür, dass alle Daten öffentlich
argumentiert, sich von Gefühlen beein- zugänglich gemacht werden, so, wie das
flussen lässt. Doch natürlich tue ich das in Großbritannien in der Regel der Fall
eher dann, wenn mir etwas missfällt. Es ist. Allerdings sollte man sich immer be-
ist unmöglich, völlig neutral zu bleiben. wusst sein, wie leicht man falsche
Schlüsse ziehen kann. Die Daten spre-
In der Pandemie hängt unser Wohler- chen nie für sich selbst, jeder Statistiker
gehen von wissenschaftlichen Erkennt- weiß das. Man muss bei der Interpretati-
nissen ab. Und Sie meinen, man kann on immer extrem vorsichtig und skep-
Wissenschaftlern nicht trauen? MANCHE FORSCHER tisch sein. Es gibt immerhin ein paar
Nein, das glaube ich keinesfalls! Die wirklich gute Leute, die nebenberuflich
meisten Wissenschaftler haben ziemlich HABEN SICH Daten analysieren und denen ich auf
SEHR SCHLECHT
gute Arbeit geleistet. Bei vielen Fragen Twitter folge.
spielen gesellschaftliche Fragen und
BENOMMEN
Überzeugungen überhaupt keine Rolle. Und was qualifiziert diese Leute?
Ich spreche von kritischen Dingen wie Sie informieren, verfolgen aber keine
„Waren die Lockdowns notwendig?“ Agenda. Ich und viele andere haben das
DAVID SPIEGELHALTER,
überprüft, und irgendwann habe ich mich
Statistiker
Waren sie denn notwendig? entschieden, ihnen zu vertrauen. Am En-
Das ist keine Frage, die sich mit gängigen de ist das die wichtigste Entscheidung –
wissenschaftlichen Methoden beantwor- die Entscheidung, wem man trauen kann.
ten lässt. Man kann Länder vergleichen
und mit statistischen Methoden nach Manche in Deutschland haben das Ver-
Unterschieden suchen. Aber dabei tut trauen in Behörden verloren.
man so, als wären Länder austauschbare Eine tragische Entwicklung. Manchen
Einheiten, während sie sich doch in so Behörden traue auch ich nicht allzu
vielen Faktoren unterscheiden. Mit Si- sehr. Der britischen Statistikbehörde
cherheit wären massenhaft Menschen aber schon. Allerdings bin ich Mitglied
gestorben, wenn alle so weitergelebt hät- des Aufsichtsrats, also ist es klar, dass
ten wie zuvor. Aber welchen Unterschied ich das sage.
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Kannst du
das bitte für
dich behalten?
Warum man fremde
Geheimnisse preisgibt
D
er Kollege kokst. Die Nach-
barin hat schon mal geklaut.
Der Bruder spielt im Home-
office Online-Poker. Und die Freun-
din? Hat abgetrieben. Von Banalität
bis Bürde: Die Geheimnisse der an-
deren durchziehen den Alltag wie ein
Netz aus feinen, klebrigen Fäden, an
denen früher oder später jeder hän-
genbleibt. Sei es, dass man zufällig
Zeuge ist, durch Dritte davon erfährt
– oder ins Vertrauen gezogen wird.
Delikate Informationen für sich
zu behalten, kann nicht nur für die
Betroffenen belastend sein, sondern
auch für ihre Mitwisser. Doch woran
entscheidet sich, ob die Geheimnis-
träger Stillschweigen bewahren oder
etwas weitererzählen? Dieser Frage
sind Jessica Salerno von der Arizona
State University und Michael Slepian
von der Columbia University nach-
gegangen. In neun Experimenten
testete das Psychologen-Duo, warum
Menschen die Geheimnisse anderer
preisgeben; ihre Studie erschien nun
im „Journal of Personality and Social
Psychology“. Der eher beunruhigen-
de Befund: Wie gut ein Geheimnis
bei einer Person aufgehoben ist,
hängt von ihren Wertvorstellungen
ab – und von ihrem Wunsch, den Be-
troffenen zu bestrafen.
,,
Salerno und Slepian gliederten ih-
re Untersuchung in drei Versuchsan-
ordnungen. In der ersten sollten sich
die Probanden zu hypothetischen
Geheimnissen verhalten; in der
zweiten mussten sie reale Ereignisse
UNSERE DATEN
SIND EIN
WARNSIGNAL
JESSICA SALERNO
UND MICHAEL SLEPIAN,
Psychologen
bewerten, bei denen Hacker die pri-
vaten Informationen von Bürgern
veröffentlicht hatten; in der dritten
ging es um Geheimnisse, auf die sie
im eigenen Umfeld gestoßen waren.
Die Probanden sollten jeweils ange-
ben, wie verwerflich sie die Handlun-
gen dahinter fanden – und ob sie es
in Ordnung fänden, diese weiterzu-
verbreiten. In allen Experimenten,
erklärt Salerno, habe sich gezeigt:
„Die Wahrscheinlichkeit, dass Men-
schen das Geheimnis einer anderen
Person preisgeben, ist deutlich hö-
her, wenn sie das Geheimnis als un-
moralisches Verhalten ansehen.“
Doch woran liegt das? Die beiden
Psychologen glauben, dass der
Wunsch nach Bestrafung eine
Schlüsselrolle spielt. „Menschen ver-
raten eher die als unmoralisch emp-
fundenen Geheimnisse anderer, weil
sie damit ein – vielleicht unbewuss-
tes – emotionales Bedürfnis befriedi-
gen, diese Person für ihr verwerfli-
ches Verhalten zu bestrafen“, sagt
Salerno. Je mehr Empörung, Wut
oder auch Ekel die Versuchsteilneh-
mer angesichts der geschilderten
Geheimnisse verspürten, desto mehr
fühlten sie sich in ihren Wertvorstel-
lungen verletzt. Und wollten die Ver-
ursacher dafür abstrafen – indem sie
sie „die Konsequenzen durch infor-
mativere Prozesse in sozialen Netz-
werken tragen lassen“, wie die Auto-
ren schreiben. Dieser Effekt ließ sich
auch dadurch belegen, dass die Pro-
banden deutlich eher bereit waren,
ein Geheimnis auszuplaudern, wenn
das Verhalten dahinter mit voller Ab-
sicht geschehen und bis dato nicht
sanktioniert worden war.
„Unsere Daten sind ein Warnsig-
nal“, resümieren die Psychologen:
Man solle sich bei der Wahl einer po-
tenziellen Vertrauensperson be-
wusst sein, welche moralische Hal-
tung sie vertrete. Denn selbst enge
Freunde, Verwandte oder Partner
geben Privates preis – übrigens auch,
wenn es ihnen unter dem Siegel der
Verschwiegenheit anvertraut wurde:
nämlich in 26 Prozent der Fälle. Das
sei, so die beiden Forscher, ein be-
trächtlicher Anteil – und „ein Pro-
zentsatz, den manche als furchterre-
gend empfinden könnten“. cél
GESCHICHTE
WELT AM SONNTAG NR. 7 13. FEBRUAR 2022 SEITE 62
LAND UNTER
GAMMA-KEYSTONE VIA GETTY IMAGES/ KEYSTONE-FRANCE
D
derte eine Naturkatastrophe mehr Op-
fer. Die Fotos überfluteter Straßenzüge,
vor allem aber die Szenen, die sich bei
den Behelfswohnungen im Stadtteil
Wilhelmsburg abspielten, wo Boote
und Hubschrauber verfrorene und oft
entkräftete Menschen in Sicherheit
brachten, gingen ins Bildgedächtnis der
ganzen Nation ein.
FISCHMARKT ÜBERFLUTET
Ein schwerer Sturm und Hochwasser
waren angesagt gewesen – aber vor dem
Unheil, das dann geschah, hatte nie-
Das Wasser stand der alten Frau bis zur mand die Menschen gewarnt. Am 16. Fe-
Brust – und das schon seit Stunden. bruar, einem Freitag, um 15.20 Uhr hatte
Aber nichts konnte sie bewegen, von ih- der Tidenhub seinen Höhepunkt er-
rem Lehnstuhl im Erdgeschoss des Be- reicht. Das Wasser stand am Pegel St.
helfshauses im Hamburger Arbeitervier- Pauli nördlich der Elbe 2,36 Meter über
tel Wilhelmsburg aufzustehen. Nicht die dem Mittleren Hochwasser, die Große
schlammigen Fluten, nicht die Kälte, Elbstraße zum Fischmarkt war auf einer
nicht einmal ihre 17-jährige Enkelin. Das Länge von 600 Metern überflutet. Nun
Mädchen war schließlich allein auf das hätten die Wassermassen sich durch die
Dach des Häuschens geflüchtet, es hatte beginnende Ebbe aller Erfahrung nach
in das Brausen des Sturms hinein wieder zurückziehen müssen. Doch der Pegel
und wieder um Hilfe gerufen. sank kaum.
Der heftige Sturm aus Nordwesten
VON SVEN FELIX KELLERHOFF drückte sogar immer mehr Wasser von
der Deutschen Bucht in die Elbe hinein.
Doch auch als die am Morgen des Ein Tiefdruckgebiet über der Ostsee
17. Februar 1962 schließlich kam – im und das Hoch über dem Atlantik nord-
zweiten Anlauf, denn ein erstes westlich von Spanien sorgten dafür,
Schlauchboot war vor Erreichen des dass Polarluft nach Südosten gesaugt
Hauses gekentert –, blieb die Großmut- wurde. Mit neun bis zehn, in Böen
ter starrsinnig. „Zwei Soldaten knieten zwölf Windstärken brauste es über
auf der Fensterbank“, beschrieb WELT- Hamburg hinweg.
Reporter Gerhard Mauz, was er sah: Normalerweise hätte gegen 20 Uhr
„Die Männer zerrten an der alten Frau, Niedrigwasser herrschen müssen – doch
die aber wehrte sich verzweifelt, als sei- tatsächlich war der Pegel nur gering ge-
en nicht die Retter, sondern die Mörder sunken. Und nun begann erst die wet-
gekommen.“ Sie stammelte: „Ich will terunabhängige Flut. Zwischen 19.30
hierbleiben, nein, hier will ich bleiben.“ Uhr und 20 Uhr warnte das Hydrografi-
Erst als die Enkelin flehte: „Hören Sie sche Institut die Behörden in Nord-
nicht auf sie!“, brachen die Helfer den deutschland, in der Nacht würden „drei
Widerstand der Dame und zerrten sie Meter erreicht oder überschritten“.
durch das Fenster in ihr Boot. Der Norddeutsche Rundfunk (NDR)
So überlebte sie. 315 andere Hambur- entschied, die Warnung in der nächst-
ger, darunter fünf Helfer, kamen in der möglichen Sendepause durchzugeben –
schwersten Sturmflut um, die in der doch das geschah erst um 20.30 Uhr.
Hansestadt bis dahin registriert wor- „Das Programm zu unterbrechen war
den war. Nie zuvor und nie danach in nicht möglich“, erfuhr das Hydrografi-
der Geschichte der Bundesrepublik for- sche Institut im Nachhinein. Um 21.28
Das schrecklichste Einzelschicksal je-
doch ereignete sich nicht hier im Nor-
Warnungen hatte es gegeben, doch zu spät und nicht klar genug:
den von Wilhelmsburg, sondern in Wal-
tershof. In dem Stadtteil am westlichen
In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 suchte die bis dahin
Rand des Hafens, ebenfalls mit proviso-
rischen Unterkünften bebaut, über-
höchste Sturmflut neuerer Zeit Hamburg heim. 315 Menschen starben.
raschte die Flut die Familie eines
Schlossers im Schlaf. Mit ihren sieben
Besonders hart traf es den Süden und den Osten der Hansestadt Kindern im Alter von zwei bis zehn Jah-
ren versuchten die Eltern zu flüchten,
standen schon am Deich und versuch-
ten erfolglos, eines der durchfahrenden
Autos anzuhalten. Dann barst der
Deich, und eine Welle brach über der
Familie zusammen. Als der Vater wieder
hochkam, hatte er nur noch seine drei-
jährige Tochter Heike im Arm. Die Mut-
ter konnte den Jüngsten, den zweijähri-
gen Gerd, retten. Die fünf anderen Kin-
der ertranken.
HELMUT SCHMIDTS ROLLE
Als die Sonne um 7.35 Uhr aufging, hatte
sich der Sturm deutlich beruhigt, und
das Wasser war wieder stark zurückge-
gangen. In den nachts besonders getrof-
fenen Gebieten allerdings stand die Flut
noch, in vielen Häusern waren die Erd-
geschosse 120 bis 150 Zentimeter hoch
vollgelaufen, oft bis zu 200 Zentimeter.
Andernorts wie an der Harburger
Chaussee hatte es nur die Keller er-
wischt, während das Hochparterre tro-
cken blieb.
Das Hochwasser hatte einen Maxi-
malpegel von 5,70 Meter über Normal-
null erreicht, also 3,57 Meter über dem
Mittleren Hochwasser; die schlimmste
Warnung von vier oder mehr Metern
war also nicht eingetreten. Doch das half
wenig, denn es kamen zwei Dinge zu-
Chronologie einer
Naturkatastrophe
16. Februar, 9 Uhr: Die Wetter-
warte Cuxhaven gibt durch, mit
einer schweren Sturmflut sei zu
rechnen +++ 13 Uhr: In der Deut-
schen Bucht werden zehn Wind-
stärken gemessen, in Böen zwölf
+++ 15.20 Uhr: Die normale Flut
erreicht ihren Höhepunkt – und
danach geht der Pegel kaum
zurück +++ Bald nach 19.30 Uhr:
Das Hydrographische Institut
warnt vor drei Metern oder mehr
über dem normalen Höchstpegel
+++ 22.30 Uhr: In Cuxhaven heu-
len die Luftschutzsirenen und
wecken die Bewohner. Wer in
flutgefährdeten Gebieten wohnt,
verlässt sie +++ 17. Februar, 0.14
Uhr: In Hamburg-Neuenfelde
bricht der erste Deich +++ 1.15
Uhr: Wasser schwappt über die
Deiche nach Wilhelmsburg hi-
nein +++ 1.49 Uhr Der erste Deich
in Wilhelmsburg bricht +++ 5.20
Uhr: Wilhelmsburg steht teil-
weise zwei Meter unter Wasser
– eine allgemeine Warnung wie in
Cuxhaven hat es nicht gegeben.
PICTURE-ALLIANCE/ DPA/ LOTHAR HEIDTMANN
sammen: Die Todesopfer starben einer-
seits wegen unzureichender Vorberei-
tung, andererseits zumindest zum Teil
durch das Chaos, das spätestens am
Nachmittag des 16. Februar in den Be-
PICTURE-ALLIANCE/ DPA
hörden ausbrach.
Für den damaligen Innensenator Hel-
mut Schmidt wurde die Sturmflut
nichtsdestoweniger zum bundespoliti-
schen Durchbruch: Zum ersten Mal trat
er als Krisenmanager auf, den ganz
Der Katastrophe entkommen: Westdeutschland wahrnahm. Neueste
Von einem Bahndamm schauen Forschungen des Hamburger Histori-
HAMBURG
Sturmflut in Hamburg 1962
eine Wilhelmsburgerin und ihr kers Helmut Stubbe da Luz stellen aller-
Hund am 20. Februar 1962 auf Pegel dings die tatsächliche Bedeutung von
die überflutete Heimat (gr. Foto). St. Pauli Schmidts Einsatz bei der Bewältigung
Drei Tage zuvor mussten tausende Elbe der Sturmflut zumindest infrage – als
Einwohner mit Schlauchbooten der Innensenator auftauchte, waren die
aus ihren Häusern gerettet Rettungsmaßnahmen längst im Gange.
werden. (o. l.). Große Teile des Fest steht dagegen, dass der Hambur-
Stadtteils südlich der Elbe standen ger Senat unter Mitwirkung Schmidts
unter Wasser, das nur langsam die richtigen Lehren zog. Denn am 3. Ja-
versickerte (o. r.) nuar 1976 trieb der Orkan „Capella“
noch eine noch höhere Flut die Elbe
Waltershof
nach Hamburg hinauf; der Pegel stieg in
Wilhelmsburg
St. Pauli auf 6,45 Meter über Normal-
überflutete Flächen null, 75 Zentimeter mehr als am 17. Fe-
bruar 1962. Dank eines deutlich verbes-
serten Hochwasserschutzes gab es in
der Hansestadt keinen einzigen Deich-
Uhr schwappte die Sturmflut in Cuxha- Weltkrieg nur provisorisch mit Trüm- Hütten, die bald nach 1945 für ausge- bruch und keinen einzigen Toten, wenn-
ven über den oberen Rand der Messska- mern geschlossen worden. So kam es bombte Hamburger errichtet worden gleich der Schaden in die Milliarden
la. Wenig später ging die Katastrophen- bereits kurz nach Mitternacht zu Über- waren. An der Harburger Chaussee la- ging. Diesmal wirkte Helmut Schmidt
warnung „vier Meter oder mehr“ heraus. flutungen und Deichbrüchen – an mehr gen zahlreiche solche Quartiere, und sie nicht mit: Über den Jahreswechsel
Doch die Deiche um Wilhelmsburg, als 60 Stellen vor allem in Hamburg- wurden von den Wassermassen fast machte der Bundeskanzler mit Frau und
Waltershof und Moorfleet waren nur Mitte und Bergedorf. schlagartig überflutet. Für 222 Men- Tochter Urlaub in Griechenland.
für Fluten bis 3,50 Meter über dem Besonders heftig traf es jene Men- schen im süderelbischen Wilhelmsburg
Mittleren Hochwasser ausgelegt. An schen, die in Behelfsbauten hinter dem kam jede Hilfe zu spät: Sie ertranken T Neue Geschichten aus der
vielen Stellen waren sie noch dazu nach Klütjenfelder Hauptdeich schliefen. Es oder starben an Unterkühlung im eiskal- Geschichte lesen Sie täglich auf:
Schäden durch Bombardierungen im handelte sich meist um Häuschen und ten Wasser. www.welt.de/geschichte
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13. FEBRUAR 2022 WELT AM SONNTAG NR. 7 RÄTSEL & WETTER 63

SCHACH SONNTAGSRÄTSEL – Gewinne im Wert von 328 € SUDOKU

Abitur en passant VON STEFAN HEINE

MIT HELMUT PFLEGER LEICHT

Sicher- Handels- Pauschbe- alt- Künst-
Laub- heits- trag (Ver- mexika- ganz Teufels-
Heute ein letzter Rückblick auf a b c d e f g h 12…Dxb2 13.Lc4 Sge7 14.Tb1 Df6 baum luftsack brauch Appetit pflegungs- nischer und gar rochen
ler-
im Auto (ital.) kosten) Indianer entgelt
die Europa-Mannschaftsmeis- 8 8 15.0-0 h6 16.Db3 0-0 17.Tfe1 Lg4
ost-
terschaften in Slowenien, bei 7 7 18.Lc3 Dg6 deutsche Platz im
denen Deutschland mit Platz Die weiße Streitmacht ist gut Land- Theater
6 6 schaft
zehn unter 39 Nationen erwar- aufgestellt; doch wie geht es
Wolf
tungsgemäß abschnitt. Auch 5 5 weiter, zumal Schwarz 19…Lxf3 englisch: Luft
in der
Fräulein holen
Deutschlands neue Nummer 4 4 droht? Fabel
eins, der 17-jährige Vincent Key- 3 3
19.Txe7! Sxe7 skand.
mer, riss nach seinem Triumph Bei 19…Lxf3 20.Lxf7+! Txf7 männ-
licher
beim Grand Swiss in Riga keine 2 2
21.Dxf7+ Dxf7 22.Txf7 Kxf7 23. 5 Vorname
neuen Bäume aus und gewann 1 1 Txb7+ Ke6 24.gxf3 ist das End- Fach- latein-
arzt, amerik. Ver-
diesmal „nur“ drei Elo-Punkte a b c d e f g h spiel für Weiß gewonnen. Serum- Fußhebel Musik- zückung
hinzu. Derzeit steckt er nach Stellung nach 18…Dg6 20.Se5 Df5 21.h3 Lxh3!? 22.gxh3 forscher stil, Tanz 8
dem Überspringen einer Klasse a b c d e f g h Tac8 23.Te1 Sg6 24.Te3 Sf4? Durch- Halbinsel
fahrt, der Danzi- Nadel- Wasser-
mitten im Abitur und muss ne- 8 8 Nach 24…Sxe5 25.Lxe5 wäre der Durch- ger Bucht loch vogel MITTEL
ben der Schachgöttin Caissa weiße Vorteil nur gering gewe- gang 2 (dt. Name)
7 7
notgedrungen – anders als seine sen. 25.Tf3! b5!? altes
eine der
Apotheker-
schachlich ebenfalls hochbegab- 6 6
25…Sxh3+ 26.Kf1 Sf4 27.Lxf7+! Halligen
gewicht 7
ten Altersgenossen in Indien, 5 5 26.Lxf7+ Txf7 27.Sxf7 Tc4 28.Se5 engl.
Usbekistan und so weiter – auch Dg5+ 29.Kf1 Dg2+ 30.Ke1 Kh7 Ver-
4 4 Kurzform durch-
mächtnis von
der prosaischen Vernunft, 31.Db1+ g6 32.Dxb5 Te4+ 33.Kd2 schaubar
3 3 (lat.) Elizabeth
sprich der „Reifeprüfung“, sei- Te2+
Wohl- Spitzen-
nen Tribut entrichten, quasi „en 2 2
Mit einem Damenopfer wird sinn-
befinden schlager
widrig
passant“. Gegen den Schweizer 1 1 der schwarze Gegenangriff 6 (engl.) (engl.)
Nico Georgiadis gewann er a b c d e f g h jetzt wie ein Spuk zerschla- Gegen-
dank seines prächtigen Läufer- Stellung nach 33…Te2+ gen. Eulen-
teil von
vogel
paars im Angriff. 34.Dxe2 Sxe2 35.Kxe2 Dh1 9 Kälte 4
Keymer – Georgiadis Lxc5 8.Sxc5 Da5+ 9.Ld2 Dxc5 36.Sg4 Dc1 37.Sf6+ ein altes
Damengambit 10.e3 dxe3 11.Lxe3 Db4+ 12.Ld2!? Schwarz gab auf: 37…Kg7
lat.: Selten- Gewicht Auflösung aus dem Heft 5
Würfel erd- kosmolog.
1.c4 e6 2.Sc3 d5 3.d4 c5 4.cxd5 Ein mutiges, langfristiges Bau- 38.Sd7+ Kh7 39.Tf7+ Kg8 metall Theorie O S R
E R B A U E R T E U F E SCHWER
exd5 5.Sf3 Sc6 6.dxc5 d4 7.Sa4 ernopfer. 40.Tf8+ Kh7 41.Th8 matt. Sport-
sand-
ruder- E I N S H E A T H O
farben
boot S C O R E O M UM P S
I I S E P P I L
BRIDGE
russ.

Herzrasen
Fuß-
beklei-
Währung F A S E L N F L A O
dung frz. Kompo- R E I S O B E R I T T
nist † 1871
MIT ROBERT BOEDDEKER unbe- K S O L E I M A M
stimm- S I T U P A G I N A
ter E D A M J U P I T E R
Statt die sich ihm bietende keine Erfolgsgarantie für den Artikel
Chance zu sehen, war Süds Rei- Kontrakt (dafür sind Sperrge- T O R O O
♠ B5432 Staat in Oper von
Lortzing U O G B M
zung von Bedenken geprägt. ♥9 bote schließlich da), doch der Vorder-
Sein Gebot führte die Partner-
♦ A876
Gewinn von neun Stichen erfor- nordische S P I T Z E A
♣ D64 asien
Gottheit 3 R I S D N
schaft tendenziell ins Nie- ♠ A D 10 8 N ♠ 76 dert eine geringere nördliche arab.
♥ ♥ ADB8643 G A R A N T I E
B 10 4 2 W O ♦ 9 5
10 5 2 mantel- Halbton
mandsland; ein nicht gewinnba- ♦ Mitgift als der von elf. Ein Ass, artiger unter g L E S S I N G
♣ S ♣ B2
res Vollspiel wurde erreicht. Ei- 10 8
etwas Unterstützung in Treff, Umhang
L A S K O E
♠ K9
ne etwas beherztere Herange- ♥ K7 lässt 3 SA sehr gut aussehen. engl.
E L I
♦ KD3 Schau-
hensweise von Süd hätte Früch- ♣ AK9753 Aufg. für d. 13.2.22: Können Sie spieler (1-9) Tischdame
te getragen. Ost startete mit 3♥, auf Süd 6♠ erfüllen? West greift (Peter) † ® 1
Pas-
Süd stand vor einem Problem, Teiler: Ost, Gefahr: Alle mit Trumpf an. Lösung d. Aufg. sions- 1 2 3 4 5slv1318-5
6 7 8 9 Lösung der Rätsel
der vergangenen
suchte sein Heil im Reizen von v. 6.2.22: Süd schnappt, geht spielort
Woche: im Uhr­
in Tirol
4♣, West passte, Nord fand sich Aufgabe mit Trumpf zum Tisch, sticht slv1318-7
zei­­gersinn rechts
schön genug, um auf 5♣ zu er- ♠ K 10 9 Karo mit einem hohen Trumpf, Die Uhrenmarke DUGENA verlost die aufeinander abgestimmten Uhrenmodelle beginnend leicht,
„VENETIA“ für Damen und „VENTO“ für Herren. Das elegante Design in hellem Aqua
mittel und schwer
höhen. Das Spiel war schnell ♥ K76
♦ KD32
setzt mit einem kleinen Trumpf
vorbei. West spielte Coeur aus, ♣ K54 fort, gewinnt am Tisch so klein und dunklem Marineblau wird von einem feinen Sonnenrelief an der Lünette gekrönt.
Ost gewann, brachte Pik, die ♠ 65 N ♠ 32 wie möglich, schnappt noch- Beständiger Edelstahl und robustes Saphirglas machen die Uhren zu einem idealen
Verteidigung sammelte so
♥ ♥ B982
A B 10 9 8 4 W O ♦ 7 6 5
D 10 5
mals Karo. Es folgt Pik zum Ass, täglichen Begleiter.
♦
♣ S ♣ D B 10 6
schmucklos drei Stiche ein. Mit 98
Pik gestochen, Coeur zur Dame, SO SPIELEN SIE MIT:
Nennen Sie das Lösungswort per Telefon: 01379-560 056 (0,50€ aus dem dt. Festnetz, mobil deutlich teurer) oder
♠ ADB874
seiner schicken Unterfarbe ist ♥ A43 abermals Pik geschnappt. Mit
♦ - Sie senden eine SMS mit folgendem Text an die 40400 (0,50€/SMS): Rätsel, Lösung, Name, Anschrift
Süd gut beraten, das Vollspiel in ♥K hat Süd einen weiteren
Teilnahmeschluss ist am 18.2. 2022 um 24 Uhr. Rechtsweg und Barauszahlung sind ausgeschlossen.
♣ A732
Sans-Atout anzustreben und 3 Übergang zum Tisch, kann Das Lösungswort in Nr. 5 hieß: Tischdame
SA zu bieten. Natürlich gibt es Teiler: Süd, Gefahr: Ost/West Wests letzten Trumpf ziehen. Einen Brillengutschein von Fielmann hat gewonnen: Rüdiger Wangemann, Rostock www.dugena.de

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die Textchefs einen ganz persönlichen Gruß aus der Redaktion –
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4 Riga Moskau
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5 Kiel London Hamburg Berlin 6
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die Textchefs einen ganz persönlichen Gruß aus der Redaktion – Brüssel Warschau
5 9
Rostock Paris Kiew
Bremen
Hamburg 7 mit einem Ausblick auf die Themen am Sonntag.
4 12 7 3
8 9 München
6 6 13 16 Wien
Berlin Zürich
Hannover Bordeaux Budapest
9 8
11 2 Zagreb 8
8 Münster 9 Nizza
13 8
6 Lissabon Madrid
9 Barcelona 8
5 Kassel Leipzig 15 13
15 Rom 14
Düsseldorf 8
9 1 15 12
Köln 6 2 Palma 16 Istanbul
0 Dresden 19
12 Malaga 8
8 Sonne 14
Frankfurt Algier
15
Athen
10 3 19 17
Saarbrücken 4 18 14
17
12
Nürnberg 07:39 17:33 21 Tunis
Las Palmas 18
6 9
Stuttgart -2 Mond
13
3 1 -9 bis -5 -4 bis 0 1 bis 5 6 bis 10 11 bis 15 16 bis 20 21 bis 25 26 bis 30 31 bis 35 über 35

H T
Friedrichshafen München
11 13:41 06:27 Hoch / Tief Warmfront Kaltfront Okklusion Warmluft Kaltluft
9
-1 -1 Angaben für Kassel
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Bis zum Abend meist trocken Antalya

Bali
17°
27°
wolkig
Regen
Innsbruck
Jerusalem
8°
13°
heiter
sonnig
Manila
Mombasa
30°
37°
Schauer
wolkig
Buenos Aires 24° heiter Kairo 20° heiter Neu Delhi 23° sonnig
Heute: Der Tag beginnt örtlich mit Nebel oder Hochnebel, sonst ist
Djerba 17° wolkig Kapstadt 25° wolkig Rio de Janeiro 28° wolkig
es zunächst freundlich und trocken. Im Westen und Norden werden Honolulu 28° wolkig Mailand 10° heiter Sydney 26° wolkig
die Wolken im Tagesverlauf dichter, aber erst am Abend setzt im
äußersten Nordwesten und Westen Regen ein. Die Temperaturen er- Calgary 6° Peking -2°
reichen 2 bis 12 Grad. Es weht ein schwacher bis mäßiger, im äußers-
ten Westen und an der Küste frischer Wind um Süd.
Jetzt anmelden: welt.de/wams-newsletter Vancouver 12° Winnipeg -14°
Montreal -14°
Chengdu 12°
Seoul 7°
Tokio 9°
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Toronto -12° Shanghai6° welt.de/wetter
Biowetter: Die Wetterlage hat auf Herz und Kreislauf einen günsti- Salt Lake City 9°
Chicago -8°
New York 2° Dhaka 27° Hongkong Taipeh 19°
Washington 3°
gen Einfluss. Dadurch wird die körperliche Leistungsfähigkeit gestei- San Francisco 20° Denver 8°
Los Angeles 26° Dallas17° Yangon 34°
19°
Atlanta 8°
Umfangreiche und
gert. Morgens können Asthmatiker aufgrund der hohen Luftfeuchtig- Phoenix 25°
Bangkok35°
Manila 30°
aktuelle mobile
keit und der niedrigen Temperaturen unter Atembeschwerden leiden. New Orleans 13° Miami25° Ho Chi Minh Stadt
33°
Wetterinformationen
Nassau 25° Brunei 28°
unter mobile.wetter.de
VORHERSAGE Kuala Lumpur30°
Mexico City18° Havanna 27°
Singapur31°
Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Immer wissen, wie das Wetter wird!
TEMPERATURREKORDE
Norden Mitte Süden Hamburg Maximum 14,2° (1899), Berlin Maximum 13,8° (1998), Frankfurt Maximum 14,3° (1974), München Maximum 14,3° (1998),
6 12 6 10 8 11 6 11 5 12 5 11 8 12 7 14 3 10 3 8 6 10 5 12 Minimum -28,1° (1940) Minimum -17,4° (1956) Minimum -16,3° (1985) Minimum -22,9° (2012)

IMPRESSUM Geschäftsführender Redakteur: Thomas Exner

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Herausgeber: Stefan Aust
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DAS GESPRÄCH
WELT AM SONNTAG NR. 7
Es gab
nie einen
sauberen
Sport
Sie war das Gesicht der Olympischen
Spiele 1972 in München. Jetzt wird
Leichtathletik-Legende Heide
W
Ecker-Rosendahl 75 und wirbt
für Impfkampagnen. Ein Gespräch
über Doping, Kontrollwahn in
China und ihre Hoffnung auf
deutsche Sommerspiele 2036
Wer dieser Tage durch Leverkusen
schlendert, kommt an Heide Ecker-Ro-
sendahl nicht vorbei. Deutschlands
Sportidol von einst ist in seiner Heimat-
stadt präsent wie bei den Olympischen
Spielen vor 50 Jahren in München. Als
Leichtathletin mit der markanten Ni-
ckelbrille und den rot-weißen Ringel-
söckchen wurde sie im Sommer 1972
durch ihre Triumphe zum prägenden
Gesicht des weltgrößten Sportfestes.
Jetzt ist ihr Gesicht wieder allgegenwär-
tig – auf elektronischen Werbetafeln,
Plakatwänden oder Flyern, die auf der
Straße verteilt werden und in Geschäf-
ten ausliegen. Abgelichtet ist sie in ei-
nem grauen Strickpullover. In den Hän-
den hält sie lächelnd ihren gelben Impf-
pass. Es habe für sie kein Zögern gege-
ben, sagt die Rheinländerin, als die
Stadtoberen fragten, ob sie bei der Kam-
pagne „#LEVimpft – ich bin dabei!“ als
Testimonial mitmachen würde. „Ich bin
überzeugt, dass wir nur durchs Impfen
die Pandemie besiegen können“, sagt sie
beim Gespräch im heimischen Wohn-
zimmer. Bislang sei sie trotz ihres Alters
problemlos durch die schwierige Zeit ge-
kommen – und das solle so bleiben. Am
Montag wird sie 75 Jahre alt.
VON GUNNAR MEINHARDT
WELT AM SONNTAG: Was empfinden
Sie, wenn Ihnen Ihr Konterfei nach
vielen Jahren nun wieder permanent
in der Öffentlichkeit begegnet?
HEIDE ECKER-ROSENDAHL: Es ist
nicht so aufregend, wie Sie es vielleicht
vermuten. Schließlich kenne ich mein
Gesicht (lacht). Da ich es für etwas her-
gebe, was mir am Herzen liegt, freue ich
mich, dass ich für diese Initiative werben
darf. Ich sehe mich nun mal durch Un-
geimpfte in meiner Gesundheit bedroht.
13. FEBRUAR 2022 SEITE 64
HEIDE
ECKER-ROSENDAHL
„Olympische Spiele 2036 in Berlin fände ich hervorragend“, sagt Heide Ecker-Rosendahl, hier bei ihrem Weitsprung-Triumph 1972 in München
Wie alt möchten Sie werden?
Darüber mache ich mir keine Gedanken.
Ich lebe im Hier und Jetzt und erfreue
mich an den Dingen, die mich glücklich
machen, wie das Zusammensein mit der
Familie, egal ob daheim oder im Urlaub.
Schlägt Ihr Herz auch für die derzeit in
Peking stattfindenden Olympischen
Winterspiele?
Nicht wirklich. Ich schaue sie mir schon
ein wenig an, denn das, was die Sportler
zeigen, interessiert mich durchaus. Je-
denfalls schaue ich mir im Fernsehen
lieber Sportveranstaltungen an, weil
das besser ist als das, was sonst so gebo-
ten wird. Schade nur, dass sich einige
Sportler mit dem Coronavirus infiziert
haben und so um den Lohn ihres jahre-
langen Trainings gebracht wurden und
dass die Wettkämpfe ohne dieses ein-
zigartige Flair der Olympischen Spiele
ausgetragen werden. Das tut mir für die
Athleten leid. Als Sportlerin wäre ich
wegen der Pandemie weder im Vorjahr
zu den Sommerspielen nach Tokio ge-
reist noch jetzt nach Peking. Die extre-
men Einschränkungen ersticken jede
Herzlichkeit unter den Mitwirkenden
im Keim. Angesichts der widrigen Um-
stände dienen die Sportler doch nur für
ein Schaulaufen der Sponsoren, um die-
se zufrieden zu stimmen. Als ich in
München siegte, gerieten im Olympia-
stadion 80.000 Menschen vor Begeiste-
rung aus dem Häuschen. Auch als ich
das Stadion verließ, schlug mir auf
Schritt und Tritt große Begeisterung
entgegen. Das waren noch Zeiten ...
Wie sehen Sie die Entwicklung der
Olympischen Spiele?
Ach, man muss nicht immer die alten
Vorstellungen von Pierre de Coubertin
(Gründer der Olympischen Spiele der Neu-
zeit, d. Red.) verfolgen. Ich plädiere da-
für, sich mehr dem Zeitgeist anzupas-
sen. Dieses Gefühl vermittelt mir das
IOC (Internationales Olympisches Komi-
tee, d. Red.) allerdings nicht. Es predigt
zwar, die Sportler seien das Wichtigste,
doch nach meinem Empfinden spielen
die eine immer geringere Rolle. Die
Spiele sind zu einem monetären Rie-
senfest geworden, sind viel zu groß. Ein
Durchkämmen ist überfällig, um das
Olympischen Spiele. Ich tat das sehr ger-
ne, habe dadurch viele unvergessliche
Stunden mit guten Freunden erlebt und
würde alles noch einmal machen. Die
Freude ist dabei das Wichtigste. Ohne
sie brauchst du damit nicht zu beginnen.
Man darf aber den Wert eines solchen
Leistungsstrebens und großer Erfolge
nicht überschätzen, man muss ihn der
eigenen Situation anpassen, und wenn
andere Dinge im Leben wie Beruf, Fami-
lie oder das Leben an sich durch den
Leistungssport bedingt ihre Wichtigkeit
verlieren, hat man ihn überschätzt. Leis-
tungssport und Familie zur gleichen Zeit
habe ich mir nicht zugetraut, deshalb ha-
be ich auch 1973 die sportliche Karriere
beendet. Der Sport hat mir vieles ver-
schönert und vieles erleichtert, aber das
Leben geht auch ohne Sport weiter und
sollte genauso schön sein.
Wann dachten Sie das erste Mal da-
ran, dass Sie es schaffen könnten,
Olympiasiegerin zu werden?
Mit etwa 16. Damals war es mein Ziel,
überhaupt erst einmal an Olympischen
Spielen teilzunehmen. Von den Leistun-
gen her hätte ich schon 1964 in Tokio da-
bei sein können. Doch ich durfte nicht
wegen der Jugendschutzbestimmungen.
Als 17-Jährige durfte ich nicht bei den
Frauen starten. Das war erst ab dem 19.
Lebensjahr erlaubt. Aufgrund meines
Falls wurden die Bestimmungen danach
aufgehoben. Ulrike Meyfarth wäre sonst
1972 mit 16 Jahren niemals Olympiasiege-
rin geworden. Nach Tokio bin ich trotz-
dem gereist, und zwar mit der Deutschen
Sportjugend als Zuschauerin. Vier Jahre
später, vor den Olympischen Spielen in
Mexiko, reifte dann der ernsthafte Ge-
danke, Olympiasiegerin zu werden.
Was nicht geglückt ist. Warum haben
Sie nicht gewonnen?
Ich war Favoritin im Fünfkampf, vom
Leistungsvermögen hätte ich mit 200
Punkten Vorsprung gewinnen können.
Ich war mir sicher, dass ich das schaffe.
Doch dann verletzte ich mich. Erst hatte
mich Montezumas Rache mit hohem
Fieber ereilt, und dann zog ich mir beim
Warmmachen für die erste Disziplin, den
Hürdensprint, einen Muskelriss im lin-
ken Oberschenkel zu. Das war’s dann.
Vier Jahre später in München fehlten
SZ PHOTO
Ihnen zehn Punkte zur Britin Mary Pe-
ters, um Olympiasiegerin im Mehr-
kampf zu werden. Dafür siegten Sie im
Weitsprung und sorgten für einen
Prestigeerfolg, indem Sie sich als
Schlussläuferin der Sprintstaffel ge-
Event wieder zeitgemäßer und über- ressen unter einen Hut zu bekommen. gen Renate Stecher, die Doppel-Olym-
schaubarer zu machen. Ich kenne Thomas Bach noch aus der ak- piasiegerin aus der DDR, durchsetz-
tiven Zeit, und wir haben uns auch da- Heide Ecker-Rosendahl ten. Welche der beiden Goldmedaillen
Olympia-Glamourgirl
Was würde Ihnen da vorschweben? nach oft gesehen. Ich weiß nicht – es ist die wertvollere?
Die Spiele sollten auf eine kleinere Grö- passt nicht zu ihm, was so alles im IOC Die Silbermedaille steht über allem. Die-
ße heruntergefahren werden. Dann wür- passiert. Oder aber er hat sich wirklich Die am 14. Februar 1947 in der ser Mehrkampf war mein dramatischster
de man auch eher wieder Ausrichter fin- so verändert in den letzten Jahren, das Schlossstadt Hückeswagen ge- Wettkampf. Meine Punktzahl lag über
den, die dem Sport besser genügen als kann ich jedoch nicht sagen. borene Rheinländerin begeisterte dem Weltrekord. Vom Herzen her war
der jetzige Ausrichter China, der dafür bei den Sommerspielen 1972 eine ich immer Mehrkämpferin, es war meine
völlig neue Landschaftsregionen er- Befürworten Sie Olympische Spiele in ganze Nation mit Siegen im Lieblingsdisziplin. Wenn ich heute bei
schließen musste. Auch sollte die Anzahl Deutschland? Weitsprung und der Sprint- uns in die Halle gehe, um zu schauen, was
der Sportarten reduziert werden. Es Ja, dafür bin ich, unbedingt. Sommer- staffel. Außerdem holte sie Sil- die Athleten machen, interessieren mich
müssen auch nicht immer alle Sportar- spiele würden unserem Land in vielerlei ber im Fünfkampf. In den drei die Mehrkämpferinnen am meisten.
ten und alle Disziplinen ausgetragen Hinsicht guttun. Auch, um junge Men- Disziplinen war die Europameis-
werden, wenn ich an die Leichtathletik schen zu motivieren, sich für Leistungs- terin auch Weltrekordhalterin. Damals durchlebten Sie ein extremes
denke. Mir jedenfalls widerstrebt das. sport zu interessieren. Ich werde nie ver- Der Bekanntheitsgrad des ersten Wechselbad der Gefühle. In München
gessen, welchen Zuspruch ich damals bei Fernsehstars der deutschen feierten Sie Ihre sportlichen Triumphe,
Sehen Sie in den durchkommerziali- den Spielen in München in der Bevölke- Leichtathletik lag bei 97 Prozent. aber dort geschah auch der Anschlag
sierten Olympischen Spielen von heute rung hatte. Solche Anregungen bekommt Die in Leverkusen wohnende palästinensischer Terroristen auf die
noch jene Leidenschaft, die Sie als man nur durch eine so große Veranstal- Sportdozentin ist mit dem ehe- Olympischen Spiele, bei dem elf Mit-
Sportlerin erlebt haben? tung. Ich hoffe, dass die Olympischen maligen US-Basketballspieler glieder der israelischen Mannschaft ge-
Nicht mehr so richtig. Das gilt gleicher- Spiele in zwei Jahren in Paris und die und Gymnasiallehrer John Ecker tötet wurden. Zudem sollen Sie selbst
maßen für die Leichtathletik. Auch weil Winterspiele 2026 in Italien von einer verheiratet. Sie moderierte Morddrohungen erhalten haben. Wie
einfach zu viel betrogen und korrumpiert Begeisterung getragen werden, die moti- Sportsendungen im TV und sind Sie damit umgegangen?
wird. Ständig gibt es Dopingvergehen. vierend für eine deutsche Bewerbung ist. schrieb Kolumnen für den Boule- Einen Tag nach der Trauerfeier am 6.
Das Problem ist leider nicht in den Griff vard. Die Mutter von zwei Söh- September gab es eine Morddrohung ge-
zu bekommen. Es gab nie einen sauberen Sollte es dafür, wie bei den zuletzt nen gründete mehrere Fitness- gen mich. Ich verließ das Athletendorf,
Sport, und den wird es auch nicht geben, mehrfach gescheiterten Bewerbungen studios und die Heide Rosendahl nur ein oder zwei Leute wussten, dass
was mir richtig wehtut. Jetzt trägt auch von Deutschland, auch wieder eine Academy, die sich dem Thema ich mit meinem späteren Mann John in
noch Corona sein Übriges dazu bei – erst Bürgerbefragung geben? „Schlank werden – schlank blei- einem Hotel wohnte. Ich habe mich aber
voriges Jahr bei den Sommerspielen in Ich fände es sehr ungemütlich, wenn die ben“ widmete. Sohn Danny, 44, nicht verrückt gemacht. Denn ich ging
Tokio und nun in Peking, wo es mir so Bevölkerung keine Lust hätte mitzuma- startete als Stabhochspringer davon aus, dass das irgendein Trittbrett-
vorkommt, als würden sich die Chinesen chen. Das würden keine schönen Spiele dreimal bei Sommerspielen. Mit fahrer war. Der Fall wurde nie aufgeklärt.
freuen, dass sie ihren Kontrollwahn aus- werden. Die Frage ist, wie glaubhaft und sechs Metern hält er den deut-
leben können. Hinzu kommen in China schlüssig eine Bewerbung dargeboten schen Hallenrekord. Haben Sie durch den Leistungssport
noch die Menschenrechtsfragen, die ei- wird. Die Mehrzahl der Menschen muss heute irgendwelche Malaisen?
nen großen Schatten auf die Veranstal- sich dabei ehrlich mitgenommen fühlen. Gott sei Dank nicht. Ich fühle mich kör-
PICTURE ALLIANCE/ GLADYS CHAI V. D. LAAGE
tung werfen und die Stimmung extrem Und dann braucht es dazu natürlich ein perlich gut. Auch wenn ich kaum noch
drücken, das spüre ich, egal, mit wem ich klares Bekenntnis der großen Politik. gezielt Sport treibe. Mehr als gelegentli-
mich darüber unterhalte. che Übungen, um Rückenschmerzen
Sommerspiele könnten frühestens vorzubeugen, mache ich nicht.
Zum ersten Mal ist mit Thomas Bach 2036 stattfinden, da für 2024, 2028
ein Deutscher Präsident des IOC. Tut und 2032 die Ausrichter feststehen. Dafür sehen Sie aber verdammt fit aus.
der Fecht-Olympiasieger von 1976 der Olympische Spiele 2036 in Berlin fände Danke, das freut mich. Ich habe einen
olympischen Entwicklung gut? ich hervorragend. Das wäre die große großen Garten, der mich tüchtig fordert.
Man sollte die Organisation nicht an ei- Chance zu zeigen, dass Berlin, dass Außerdem gehe ich viel spazieren mit
ner Person festmachen. Im IOC sitzen Deutschland heute etwas ganz anderes dem Hund meines Sohnes, fahre Rad und
101 Mitglieder, und jeder hat was zu sa- ist als vor 100 Jahren, als zum ersten Mal „Das Leben geht auch ohne Sport ernähre mich sehr gesundheitsbewusst.
gen. Thomas Bach ist nur derjenige, der bei uns die Sommerspiele stattfanden. weiter“, sagt Ecker-Rosendahl
ganz vorne steht. Wer glaubt, er allein Haben Sie noch unerfüllten Träume?
entscheidet die Politik, der irrt gewaltig. Sie sagten, Olympische Spiele würden Ich möchte unbedingt die Nordlichter
Ich stelle mir seinen Job verdammt junge Menschen motivieren, sich für sehen. Das war uns leider nicht ver-
schwer vor. Die Probleme in der Welt Leistungssport zu interessieren. Wie gönnt, als ich mit meinem Mann vor drei
werden nicht weniger, das gilt auch für war das bei Ihnen? Jahren auf Spitzbergen war. Und ich
den Sport. Deshalb wird es sicher auch Für mich gab es damals überhaupt keine möchte noch zu den Geysiren auf Island.
immer schwieriger, mehrheitliche Inte- Diskussion. Ich brauchte dafür keine Die faszinieren mich.
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 ICON
FEBRUAR 2022

MIT
FRISCHEM
BLICK
FEBRUAR 2022

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TOWARDS A DREAM
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 COLLECTION

Ladybird

B L A N C PA I N B O U T I Q U E · M A X I M I L I A N S T R . 1 4 · 8 0 5 3 9 M Ü N C H E N
B L A N C PA I N . M U E N C H E N @ S WAT C H G R O U P. C O M
+49 (0) 89 23239688451

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 EDITORIAL

Schleierhaft

W
ie war das mit dem Spatzen in
der Hand und der Taube auf
dem Dach? Was war uns noch
mal lieber? Man kann in unse-
rem eigentlich so schönen
Land ja langsam die Übersicht verlieren. Doch
Häkeldeckchen drüber und Porzellan-Friedens-
tauben auf dem Tisch sind auch keine Lösung.
Wobei dieses Bild von Nina Röder durchaus
unserer Stimmung entspricht, zumal es den
Titel trägt „Champagner im Keller“. Und es
gehört zur fotografischen Saison im luxemburgi-
schen Clervaux, die Künstler vereint, „die sich
auf das Abenteuer eingelassen und Wege jen-
seits des Alltäglichen eingeschlagen haben“.
Das trifft unsere Haltung bei ICON ganz gut. In unseren Breitengraden wird der öde Januar ja erschöpfungsmäßig
höchstens noch vom öden Februar überboten, der politische Mehltau will offenbar die letzte Sicht aufs Licht nehmen.
Doch wir sehen ja grundsätzlich lieber das halb volle Champagnerglas, haben dieser ersten Ausgabe 2022 daher den
Titel „Mit frischem Blick“ gegeben. Das ist kein Rufen im Walde, wo sich die ersten Winterlinge knallgelb aus der
Erde wagen, sondern Haltung, Ausdruck von Interesse. Es gibt so viel zu entdecken, zu erleben, zu erzählen. Missmut
der Umstände halber ist besser abzugeben, wir haben den Frosch auf der Seelenwetterleiter mal ein paar Stufen hinauf-
VON INGA GRIESE
getragen. Nina Röder geht es in ihren Bildern übrigens, man ahnt es, um Verfremdung: „durch Verschleiern, Verste-
cken, Überlappen oder durch das Camouflieren der konkreten Form“, wie es im Katalogtext heißt. „Durch das Ab-
lehnen der selbstverständlichen Wahrnehmung erlernt das Auge des Betrachters das Sehen neu.“ Und hoffentlich das
Lachen und das Lächeln wieder. Hey, die Märzenbecher kommen doch auch schon raus!

AUF DEM COVER: Lilly Krug auf der Pariser Brücke Pont Alexandre III in einem Mantel
von Shang Xia. T-Shirt und Oversized Hose: Salvatore Ferragamo. Sandalen: Hermès

IMPRESSUM
TITEL: OLAF WIPPERFÜRTH; DIESE SEITE NINA RÖDER; GREGOR HOHENBERG

Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich); Dr. Philip Cassier (Senior Editor), Caroline Börger (Managing Editor), Heike Blümner (Textchefin),
Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Gabriele Thiels (Head of Design). ICON Digital: Sara Krüger, Lina Dörsam
Autoren: Tom Junkersdorf (Editor-at-Large), Susanne Opalka, Alexander Stilcken. Korrespondentin in Paris: Silke Bender.
Artdirector: Philippe Krueger; Gestaltung: Maria Christina Agerkop
Fotoredaktion: Julia Sörgel (Foto Director), Elias Gröb. Bildbearbeitung: Malte Wunder, Thomas Tyllack.
Lektorat: Matthias Sommer, Andreas Stöhr. ICON Office: Jasmin Seikowsky
AXEL SPRINGER SE vertreten durch den Vorstand Dr. Mathias Döpfner (Vorsitzender), Jan Bayer, Dr. Stephanie Caspar, Dr. Julian Deutz.
VERLAGSLEITUNG WELT: Merrit Kraus; Stv.: Heiko Rudat; Anzeigen ICON: Jacqueline Ziob, Objektmanagerin, (jacqueline.ziob@axelspringer.de),
Lisa Bönisch (lisa.boenisch@axelspringer.de)
Publisher: Carola Curio (carola.curio@axelspringer.de) Druck: BPW sp. z o.o., sp. j. 59-730 Nowogrodziec Herstellung: Thomas Künne
ICON ist ein Supplement in WELT AM SONNTAG. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter
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Sie können diese auch schriftlich unter Axel Springer SE, Datenschutz, Axel Springer Straße 65, 10969 Berlin, anfordern.

Nächste Ausgabe am 12. & 13. März 2022

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Instagram: @ICON.magazin
Mehr ICON? Unter www.iconmagazine.de
9

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 INHALT

AUSGEWÄHLT Wohnt die Liebe noch in Paris?

Schauspielerin Lilly Krug begab
sich in unserem Modeshooting

12 Neustart (S. 32) auf die Suche. Im „Café

des Deux Moulins“, wo sich
Die Lifestyleweisen mögen Veränderung schon die Filmfigur Amélie als
Kellnerin und Kupplerin gab,

18 Raus hier! trägt sie einen Ledermantel mit

Stehkragen, Leder-Top und
Icona und Familie sind unterwegs in den Bergen -Shorts von Hermès

MODE

20 Abschied DESIGN
Inga Griese über Virgil Ablohs letzte Show

22 In die Tiefe 54 Inside Design

Neuheiten aus der Designwelt
Max Maras Chefdesigner Ian Griffiths über Erbe

24 Zur Sonne 55 Zauberhaft

Studio Drift übersetzt
Brillen von Oakley erleben ein Revival
Natur in Objekte

26 Global, regional 64 Einmal im Leben

Sara Maino über Mode-Newcomer weltweit
Im historischen Porsche auf Hawaii

28 Chefsache
Der neue Boss bei Boss: KOSMETIK
Daniel Grieder räumt auf

30 Vorausschauend 56 Frischekick Paris steht im ständi-

Neuheiten aus der Kosmetikwelt gen Vergleich mit
Das Branchen Update von McKinsey
Plus: Labels to like seinen Klischees.

58 Premiere Fotograf Olaf Wipper-

fürth zeigt in unserem
32 Lilly in Paris Chanel wird nachhaltig, Modeshooting ein
modernes, reelles Bild
Das große Modeshooting zum Saisonstart
61 Durchstarter seiner Wahlheimat.
„Für mich ist es eine
50 Mann nach Maß Unternehmer Ning Li über Typology
Plus: Die Kosmetik-Newcomer
Schnittmenge aus
Museum und Neon.
August Wittgenstein und sein Brioni-Anzug
Meine Lieblings-

62 Slow Aging location war der

Waschsalon.“ Vor der
UHREN & SCHMUCK Epigenetik in der Clinique La Prairie Kamera modelte
Schauspielerin Lilly
Krug. Das kam der
48 Das Wesentliche GESCHICHTEN filmischen Fotografie
Die Uhrenbranche setzt auf Reduktion Wipperfürths ent-
Plus: Accessoires to like gegen: „Ich bekomme

65 Global Diary
OLAF WIPPERFÜRTH; PRIVAT

glaubhaftere Gesten
und Ausdrücke.
Diesmal aus Gstaad und Barcelona Schauspieler tragen
aktiv dazu bei, Emotio-

66 Bauplan nen zu erarbeiten und

Momente zu generie-
Die „Vibe Bowling Bag“ von Dior ren.“ Seite 32

11

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 STILISTEN
UNSERE
LIFESTYLE-
WEISEN
STARTEN
OPTIMISTISCH
Herzig!
So wollen wir
die Welt doch
gern sehen
VON CAROLINA HERRERA
„Ich brauch frische Luft, damit
ich wieder ’n bisschen atmen
kann“, singt Wincent Weiss für
uns alle. Wir finden: Das passt
gut! Fenster auf, raus durch die
Tür, Augen auf, Reset und
weiter geht’s. So ’n bisschen mit
einer „Let’s start again“-Energie.
Auch wenn wir nicht alles auf
null stellen können: Manchmal
hilft schon das Sortieren, auf-
räumen, alles aus dem Blickfeld
schaffen und in das Nichts
schauen. Beziehungsweise auf.
Zum Beispiel: den leeren wei-
ßen Tisch. Unser visueller
Rettungsanker nach jeder
fertiggestellten Kollektion. Und
MISSION MAN
DANIELE VENTURELLI/GETTY IMAGES
Wer mit diesem 1,94-Meter-Mann die Wege kreuzt, tritt besser beiseite.
Schauen und staunen kommen Poker-Face Jeff Goldblum schon von Berufs
wegen zupass. Bei der Prada Men Herbst/Winter 2022/23 Show füllte der
69-jährige Schauspieler den Velourslaufsteg mit ausladendem Gang und ebenso
viel Charisma. Wie passend, denn auch bei der Mode galt: Mehr Stil ist mehr!
ALLES FRISCH?
Jörg Ehrlich & Otto Drögsler, Designer von Odeeh
immer der Anfang des Neu- Energie hereinlassen ins Den- anzufangen: Das geht auf Dauer
starts. Wenn es losgeht bei uns ken. Nicht nur beim Arbeiten an nicht. Sonst wird es nur die
mit der neuen Odeeh-Saison, der Kollektion: „Irgendwo sein, Variante der Kopie, die Ab-
dann muss der Konzepttisch wo ich noch niemals war“, so leitung von dem, was schon
blank sein. Unschuldig, auf- singt Wincent Weiss weiter. war.
regend leer, vielversprechend Unterwegs sein oder auf Reisen So ist es jedenfalls bei uns.
weiß. Voll mit Neuem ist er im Kopf. Neue Pfade. Das Frisch geht anders. Und gerade
ohnehin schnell wieder. gelingt doch nur, wenn man die jetzt, nach diesem Virus-Wahn-
Warum machen wir das? Weil Richtung ändert oder eine sinn der letzten zwei Jahre, dem
das Neue Platz braucht. So Abbiegung nimmt. Nicht zu viel wir alle ausgesetzt waren,
stimmt das jedenfalls für uns. mit sich rumschleppt und sich immer noch sind: Nie war es
Also wie ein weißes Blatt. Oder auf das Neue freut, von dem wichtiger, dieses Auf-null-
PICTURE ALLIANCE /DPA
eine neue Word-Datei, eine man noch gar nicht weiß, wie es Stellen. Nie war er notwendiger,
frische Leinwand. Für uns denn aussehen soll. der frische Blick.
bedeutet dieses Auf-Anfang- Kreuz und quer denken, Zufälle Deshalb: Los geht es, wach von
Setzen vor allem: Freiheit. zulassen, dabei Neues erfinden vorne. Probieren Sie was Neues,
Hoffentlich noch besser wer- oder Altes bewusst bewahren, machen Sie Platz! Gemütlich
den, Veränderung und neue ohne immer mal wieder bei null wird es sowieso bald wieder.
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 STILISTEN
UNSERE
LIFESTYLEWEISEN
STARTEN
OPTIMISTISCH
BELLA MODA
Henning Korb,
Managing Director von Apropos
The Concept Store in Köln
Ich komme gerade aus
Florenz und Mailand
zurück und bin erfrischt:
Denn es waren aus-
nahmslos elegante Men-
schen unterwegs. Auch
ich habe Sakkos und
Anzüge wieder hervor-
geholt. Irgendwie fühlte
es sich in den letzten
Monaten nicht richtig an,
sie zu tragen. Doch
Schluss damit. Anlass
genug für uns, wieder die
Männerkollektion von
Fendi zu ordern, deren
Fokus auf „angezogenen
Looks“ liegt. Das ist nach
all den vielen Streetstyle-,
Hoodie- und Kaschmir-
kombinationen der letz-
ten Monate wohltuend.
Der Fokus auf Bequem-
lichkeit ist passé. Es
werden auch wieder
verstärkt High Heels von
Louboutin und Manolo
Blahnik angefragt. Nicht
mehr bloß Sneaker und
Schlappen. Und wohin
darin? „Harry‘s Bar“ in
Florenz! Die Stimmung ist
grandios, das Interior
unvergänglich, der Ser-
vice ausgezeichnet. Und
das Publikum! Wie aus
„Der talentierte Mr. Ri-
pley“. In Mailand emp-
fehle ich das Restaurant
„Santa Lucia“ oder das
„Bistrot Langosteria“.
Und ich will unbedingt
in diesem Jahr nach
Stromboli.
BUSCHFUNK
Herbert Seckler, „Sansibar“ Sylt
Es ist ein neues Jahr die Zeit bleibt eben Stiefvater übernahmen BLIESWOODS KAUFEN
und ich sträube mich, nicht stehen. Ich setze die beiden ein zehn EINE YACHT IM
nahtlos mit dem alten daher noch mehr als Hektar großes Gut an
weiterzumachen. In der früher auf Empfeh- der Nahe. Seit 2016 ist
HIMMEL
Weinbranche kam das lungen. Was die Leute es vor allem der Ries- Wir überlegen, unser Stadthaus zu
Neue früher ganz von gern trinken, kann so ling, der von sich reden verkaufen. Wir erwerben ein Tower-
allein zu uns, stellte schlecht nicht sein. macht. So lässt etwa Apartment in der Hafencity – mit
sich selbst vor und ein Mein Freund und der Pastorenberg nicht Himmelspanorama über der ewigen
paar Flaschen auf den Winzer Jochen vom Glauben abfallen, Elbe. Wirklich? Das 100-jährige
Tisch. Das hat leider Dreissigacker brachte sondern stärkt die Haus in Harvestehude war unsere
sehr abgenommen. mich neulich auf das Hoffnung, dass sich die Familien-Burg. Aber die Kinder sind
Klar, ist auch weniger Weingut Bicking & Branche dank junger ausgeflogen. Unser Glückshund
passiert, alle versuchen Bicking, geführt von Winzer und guter Ideen Ruby starb hier, leider schon vor elf
vor allem, irgendwie den Brüdern Lukas und auch dieses Jahr Jahren. Wir wollen das Gestern
durchzukommen, aber Achim. Von ihrem vorwärts entwickelt. loslassen.
Die Bibliothek? Buch-Massaker!
Die alten Brioni-Anzüge? Die sind
für Donald Trump und Brad Pitt. In
den drei Kaminen flackert Wehmut.
Nie wieder Birkenholz holen? Nie
wieder Schneeflocken im Garten?
Keine wiegenden Bäume? Kein
vierstöckiges Leben mehr mit
romantischem Treppenhaus und
Dachterrasse? Keine leuchtende
Weihnachts-
haustür?
Kein Keller
mehr mit
den Ski,
Schlitten,
Spielzeugen,
dem Mu-
seum des David Blieswood
Lebens unse- Connaisseur aus Hamburg
rer Familie?
Alles loslassen? Seufz.
Aber wir werden in einer Yacht im
Himmel aufwachen. Eine Ebene.
Ein Horizont. Ein Schlüssel. Und ein
Gaskamin. Ein letztes Abenteuer zu
zweit. Love is in the Sky.
Das Ziel unserer Zukunft: „Downsi-
zing“ – verkleinern, verringern,
reduce to the maximum. Die japa-
nische Philosophie des „Ikigai“:
„Das, wofür es sich zu leben lohnt.“
OLIVIER PILCHER
Wo sollen meine Asprey-Koffer hin?
Mein privates Handymuseum
(Newton, Nokia, Blackberry & Co.)?
Die Familiengemälde? Meine lä-
chelnde Frau: „Du hast ab sofort
Buchkauf- und Amazon-Verbot!
FLEISSIGE BIENCHEN Keine Jacken mit Überlebens-Gags
aus England mehr! Und brauchst
Umgeben von Kunst und Licht gedeiht Kreativität am besten. Diesem du wirklich zwei Vespas?“
Credo folgt man seit 2019 auch in den Louis-Vuitton-Ateliers auf der So muss sich Kolumbus gefühlt
Ranch Rochambeau in Texas. Es steht für eine entschleunigte Art des
SINA GOETZ; PRIVAT
haben, als er auf seiner „Santa
Fertigens, die nicht nur beim Konsumenten geschätzt wird, sondern Maria“ einschiffte: nur Handgepäck
auch bei ihren Machern. Das Buch „Louis Vuitton Manufactures“ er- für einen Glücksritter. Aber er
laubt mit über 350 Fotos einen tiefen Blick hinter die Kulissen des entdeckte 1492 eine neue Welt.
französischen Modehauses. (Assouline) Also: Leinen los! Ahoi 2022!
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UNSERE
LIFESTYLEWEISEN
STARTEN
OPTIMISTISCH
ÜBERFLIEGER
Mit Modeschöpfer Alessandro
Michele und Musiker
Harry Styles trafen sich zwei
freie Geister. Beide dafür be-
kannt, gängige Bilder aufzubre-
chen und mit ihnen zu kokettie-
ren, heben sie Männermode in
eine neue Ebene. Regisseur
Harmony Korine fotografierte
Micheles Muse hier für die
Gucci Pre-Fall 2019 Tailoring-
Kampagne. Zu sehen ab
19. März in der Ausstellung
„Fashioning Masculinities:
The Art of Menswear“.
V&A Museum, London
NO MORE „GERMAN ANGST“
Heinrich Paravicini, Gründer und CCO MUTABOR
Ich erinnere mich noch gut, als
ich in den 2000er-Jahren das
erste Mal bei einer französischen
Luxusmarke ein Designkonzept
präsentierte und dafür be-
schimpft wurde. Meine klaren
und puristischen Entwürfe waren
in Paris durchgefallen. „You don’t
understand les Français! We
want expressivité! Not your
‚German Angst Design‘“. Ich war
baff. Nicht nur, weil ich in Paris
aufgewachsen bin und mir
einbildete, sehr wohl die Franzo-
sen zu verstehen – sondern weil
sie mir so schonungslos den
DAVID VON BECKER
Spiegel vorhielten. War ich schon es schaffen, in dieser Zeit im Hier ist nicht so. Packen Sie Ihre
so deutsch geworden, dass ich und Jetzt zu leben, während wir Maske und Ihren gelben Pass ein
das Gefühl für meine Heimat Deutschen lieber lamentieren. und geben Sie sich einen Ruck!
verloren hatte? Wir erinnern uns: Selbst in der Reisen Sie zu echten Orten – und
Wenn ich heute in den Straßen härtesten Phase, als die Italiener träumen Sie nicht vom Meta-
von Hamburg oder Berlin die das Haus nicht verlassen durf- verse! Lassen Sie den Laptop mit
Menschen anschaue, muss ich ten, erreichten uns Bilder von Ihrer Online-Shop-Merkliste
oft an dieses Ereignis denken. Balkonen voller singender Men- zugeklappt und schauen Sie
Die deutsche Gesellschaft ist schen – während wir in Deutsch- wieder in Ihrer Lieblings-Bou-
getrieben von maskenhafter land die R-Werte gebannt wie am tique vorbei. Treffen Sie Ihre
Angst. Nicht nur die pande- Börsenticker verfolgten. Sehn- Freunde – Zoom-Konferenzen
mische Lage ist von nationaler suchtsvoll geht unser Blick auch haben Sie genug gehabt. Lassen
Tragweite – die schlechte Laune noch heute an die Seine oder an Sie sich von echten Gesprächen
ist es auch. Es ist schon kurios, die Piazza del Duomo, wo das inspirieren, statt sich von Chat-
dass unsere Nachbarn in Mai- Leben auch durch Inzidenzen bots irritieren zu lassen. Ver-
land, Paris, London oder Madrid nicht seine Freude einzubüßen bringen Sie einen Abend mit
scheint. Wenn ich hier in Ham- Ihren Besties im besten Restau-
burg zu meinem Lieblingscafé, rant der Stadt. Sie haben sich
dem „U-Zwei-Deli“ schlendere, lange nicht mehr gesehen. Wir
Und sonst noch suche ich dieses Leben im reden heute davon, dass es in der
Augenblick vergebens. modernen Gesellschaft auf das
MUST-SEE: Im Kunst-
Haben wir Deutschen einen „we mindset“ ankommen wird,
gewerbemuseum in
genetischen Defekt? Ist „German statt immer nur „ichbezogen“ zu
Berlin begibt man sich Angst“ angeboren? Die Antwort sein. Lassen Sie uns also wieder
auf Zeitreise. Die muss sein: Selbst wenn es so mehr „wir“ wagen.
Ausstellung „How to wäre, ist es kein Grund, sich in Ich weiß, das ist gerade nicht so
sein Schicksal zu ergeben. einfach wie früher – aber das war
Dior“ zeigt neben frü-
Vielleicht müssen wir eben etwas und ist es für Jacqueline, Sergio,
hen Modellen des De- mehr dafür tun, das Leben zu Trevor und Francesca auch nicht.
signers auch nie ge- umarmen, wenn das schon nicht Aber sie tun es – und lachen
zeigte Entwürfe sei- in unserer Natur liegt. dabei viel mehr. Und mehr La-
ner Nachfolger (links Seien Sie also nicht so kritisch chen sollten Sie vor allem. Glau-
mit sich selbst, sondern kriti- ben Sie mir, das wirkt Wunder –
Yves Saint Laurent
scher mit denen, die Ihnen und schon ist sie fast weg, diese
für Dior, 1959). suggerieren wollen, Sie hätten „German Angst“! Das wäre doch
Bis zum 26. Juni keine Freiheiten mehr, denn das mal ein Anfang.
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Basta!
Die neuen
Schmuckstücke von
Giorgio Armani
setzen Zeichen
LO AND BEHOLD
THE SILVER DICKS
Florentine Joop, Illustratorin in Potsdam
Hänsel und Gretel verliefen
sich im Wald von Suburbia,
einem kleinen Dorf am Rande
einer großen Stadt. Gretel hatte
Angst, denn ihr Handy hatte
ILLUSTRATION: FLORENTINE JOOP; SUZANA HOLTGRAV
nur noch 10 Prozent, doch Hän-
sel tröstete seine Schwester.
Sie kamen an ein Häuschen,
sie hatten großen Hunger und
die Fashion von Dior war so gar
nichts, um sie warmzuhalten.
Eine Frau öffnete die Tür. Sie
trug ein Kleid aus fuchsia-
farbenem Chiffon, mit gestick-
ten Blitzen auf der Brust. An
ihren Ärmeln waren rote Strau-
ßenfedern und ihre Finger wa-
ren über und über mit Ringen
lächelte erfreut. „Ich liebe
Kinder!“, rief die Frau mit
der Sonnenbrille, und
Hänsel und Gretel wuss-
ten, sie waren in ein Fo-
toshooting geraten. Es
gab kein Entkommen.
Zuvor waren schwere
Pakete und Terminver-
schiebungen voraus-
gegangen, denn drei
Frauen sind zumeist nicht
in der Lage, so ohne Wei-
teres einen Termin im
Raum-Zeit-Kontinuum zu
finden, der sie alle zur
gleichen Zeit, an densel- folgen wir ihrem Geheiß. In
COURTESY OF GUCCI
ben Ort, mit der gleichen Ab- einen Traum aus pinkem Vinta-
sicht zu versetzen vermag. Aber ge-Tüll gehüllt, versinke ich
was im November und auch eher Low Fashion ins Plumeau
noch im Dezember hatte statt- meiner Blumensofen. Meine
finden sollen, fand dann eben Großmutter sagte immer: Sofen,
Ende Januar statt. Gespräche weil sie fand, dass es vorneh-
unter dem Dampf des Stea- mer klang als Sofas.
mers und des Zeitdrucks, denn „Yes, YES, du bist eine DIVA,
heute noch soll die Glocke weißt du das? More, MORE!
werden, gerollte Eigen- und Bauch rein“, „WELCHER
Fremdhaare, falsche Wimpern BAUCH!“ „Ja, SORRY, das
verkleben die Sicht, das Fixativ,
was es früher nur für Kreide-
Bäuchlein…“ Im Garten dann
kann ich endlich zeigen, aus
zeichnungen gab, vernebelt die welchem Modelholz ich ge-
restlichen Sinne. Frauen, so
stellte sich heraus, Frauen
schnitzt bin. Kate Bush fährt in
mich, I feel her dancing, ahne
wuppen zurzeit so enorme aber, dass ich visuell eher an
dreifach und vierfach Belastun- André Leon Talley heranreiche.
gen, dass frau von der einstigen Nina fühlt es jetzt mehr, Suzana
Doppelbelastung nur noch fühlt die Inspiration des Ortes,
träumen kann. Die pandemisch ich fühle meine Füße nicht
unbetreute Kinderschar, wenn mehr. Hänsel und Gretel futtern
sie nicht muffelnd im Jugend- sich durch das Catering, posten
zimmer hockt und Elektrosmog Food-Porn und suchen via
einatmet, wundert sich über Maps den Weg nach Hause. Ich
den Aufwand, den Frauen so glaube, sie teilen sich mit dem
betreiben, um ein paar Fotos zu Make-up-Guy ein Uber. Ich bin
machen. Model mit fast 50, ja die Hexe des Ostens der Repu-
wer hätte das gedacht, keinen blik, Meat Loaf stirbt, während
bestückt. Ihre wilden Haare Tag zu früh, denn als Zwanzig- ich im Garten liege und auf das
leuchteten Rot und zwischen jährige fühlte ich mich unwohl. Gras drapiert den Tod durch
ihren Brüsten prangte eine Frau schweift in bessere Tage Blasenentzündung in Kauf
riesige silberne Fliege. Sie bot ab, während der junge Israel nehme. I would do anything for
den beiden an, sich aufzuwär- auf Anweisung der Fotografin, the love of fashion and friends.
men, ihre Handys aufzuladen Suzana Holtgrave, „MEHR, Hänsel und Gretel haben den
und auch etwas zu essen. „Ich MEHR!“ auf dem Gesicht ver- Schmuck geklaut. Der sollte
erkenne Influencer zehn Meter teilt, weil „sie ist High Fashion, doch morgen nach New York.
gegen den Wind“, rief eine zwei- verstehst du, nicht Denver Alexa findet einen Song, der mir
te Frau aus dem Innern des Clan!“ Ich fühle mich endlich gefällt: „And how she was befo-
Hauses. Sie trug eine rote Son- erkannt und verstanden. Hän- re the years flew by, and how
nenbrille und moderne Snea- sel und Gretel bloggen derweil. she was when she was beau-
ker. Sie beschwerte sich über Ich hoffe auf Erwähnung. Ich tiful…“ Bring it on, Kate.
mangelndes Licht. Eine dritte, trage sonst nicht viel, nur mei-
zarte, dunkelhaarige Frau kam ne Haare und den Schmuck um Fotos: Suzana Holtgrave.
schwer beladen mit Silber- den Hals, um den es hier ei- Fashion: Nina Athanasiou.
schmuck und Abendkleidern gentlich geht. Wenn die Desig- Make-up: Israel Alcantara.
hinter der anderen hervor und nerin, Nina Athanasiou, will, Model: Florentine Joop
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 MARC - C AIN.COM

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LEGENDE
Seit Virgil Abloh, der multitalentierte
Männer-Designer von Louis Vuitton, im
Dezember plötzlich starb, sitzt der Schock
darüber tief. Doch zwei Schauen später ist
deutlich: Sein Genius ist noch da
D
ie Einladung war mit der An-
leitung zum Fliegen gekommen.
Auf die Rückseite der Coffee-
table-Buch-großen, poolblauen
Pappe war der Bausatz für einen
Papierflieger gedruckt. Das Symbol für Leich-
tigkeit und Vertrauen darauf, dass ein gut gefal-
teter Pfeil weit getragen wird vom Universum.
Virgil Ablohs Signet. Nun trug der Pfeil
Schwarz. Auf der Fotowand. Und überdimen-
sional groß auf dem Laufsteg, die Spitze Rich-
tung Himmel, den Louis Vuitton auf dem gro-
ßen Ponton errichtet hat, gegenüber vom
Miami Marine Stadium, das 1963 für
Powerboot-Rennen gebaut worden war. Das
erste in den USA. Seit 2018 unter Denkmal-
schutz. Die Kulisse quasi so rasant, wie sein
Leben der vergangenen Jahre war. Die Tribü-
ne des Stadium ist voller Graffiti. Ein Kunst-
werk für sich.
So viele Symbole. So viele Emotionen. Denn
das, was so zuversichtlich und heiter stimmte,
die Aussicht auf eine – endlich mal wieder –
große Modenschau in der Wärme, mit vielen
Zuschauern und dem magischen Licht eines
Viel
Abends in Miami, auf ein Fest, eine türkis-
farbene Auszeit vom Virusgrau, wurde schlag-
artig getrübt von der Tsunami-gleichen Nach-
richt, die ohne Vorwarnung herangefegt kam.
Zwei Tage zuvor, am ersten Advent, war Virgil
Abloh an einem seltenen Herzkrebs gestorben.
Mit 41 Jahren. Nur die engsten Vertrauten
hatten von dem langen Kampf gewusst. Dass er
Vermächtnis
überhaupt krank war, war ihm nur selten an-
zusehen, so im Rückblick. Dass er lebens-
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Statt Showtime
wurde die Louis
Vuitton Show in
Miami zum Farewell
für Virgil Abloh, der
zwei Tage zuvor
starb, aber alles bis
zuletzt geplant hatte.
Die übergroße
Statue war ein letzter
Gruß des Hauses
bedrohlich krank war, gar nicht. Seine Energie, Genie, Visionär und Disruptor, sondern auch
seine Freundlichkeit, sein Interesse waren so einer der besten Kulturvermittler unserer Zeit.
präsent wie sein Design, die ernst gemeinten, Er ebnete den Weg für zukünftige Generatio-
weltweiten Trauerbekundungen so vieler Kol- nen. Als treuer Unterstützer seiner Gemein-
legen, der Schreck weit über die Modeszene schaft durch seine Wohltätigkeit und Leiden-
hinaus Ausdruck einer seltenen Eigenschaft. schaft war er ein ewiger Optimist, der alles für
Virgil Abloh, multibegabt und klug, beobach- möglich hielt. Es ist mir eine Ehre, ihn meinen
tend und visionär, war auch ein sehr nahbarer Freund genannt zu haben.“
Mensch. Glücklich verheiratet mit Shannon, Noch in der Nacht zum Sonntag hatten die
einer starken Frau, Vater von Grey und Lowe. Männer lange gesprochen. Die geplante Show
Tatsächlich interessiert an anderen, besonders abzusagen kam nicht infrage für Abloh. Er hatte
an den jungen Leuten, der Zukunft, dem krea- alles geplant. Nicht nur für diese Show im
ISIDORE MONTAG (4); INGA GRIESE (3); GETTY IMAGES/PASCAL LE SEGRETAIN; AFP/CHRISTOPHE ARCHAMBAUL
tiven, musischen Nachwuchs. Im Januar in Dezember, auch für die nächsten noch. Hat
Paris erzählte Shannon Abloh, dass ihr Mann Berge von Skizzen hinterlassen, sein Team
gern gesagt habe: „Wenn ich 70 bin, werde ich macht es komplett, live sozusagen. Auch bei
nur noch junge Leute unterrichten.“ der Männerschau im Januar in Paris, im „Louis
Abloh war das Powerboot der neuen Mode- Dreamhouse“ in der großen Wintergarten-
zeit. 2018 als der erste Schwarze in der ein- gleichen Halle des Carreau du Temple. Ein
flussreichen Position des Männer-Designers Alice-im-Wunderland-Spielplatz in dem spe-
bei Louis Vuitton angetreten. CEO Michael ziellen Himmelblautürkiston, ein Riesenbett,
Burke, damals noch Chef bei Fendi, hatte die ein rotes Dach, aus dem echter Rauch aufstieg,
Kreativität und gestalterische Kraft des Ame- das große philharmonische Orchester saß an
rikaners, der einen Bachelor in Bauwesen und einer blauen Riesentafel. Es war lustig und
einen Master in Architektur absolviert hatte, magisch zugleich, ein Augenzwinkern im Big
schon früh entdeckt, hatte ihn und seinen Business. Schon vor dem Eingang hockten vier
Kumpel Kanye West 2009 als Praktikanten kleine Tauben in Türkis. Man meinte, sie tu-
nach Rom eingeladen, seither blieben sie im scheln zu hören. „Humor ist das Einfallstor zur
Gespräch miteinander, beide Visionäre in Menschlichkeit“, hatte Virgil als Motto mit-
ihren Positionen, es war nur konsequent, dass gegeben. Und er erhöht die Begehrlichkeit, an
Burke ihm schließlich die Aufgabe übertrug, seiner Welt teilzuhaben. Manchmal wurde
der Luxusmarke Lous Vuitton die zeitgemäße dem Lächeln kalt. Die auch blau gefärbten
Streetwear-Glaubwürdigkeit zu geben. Es wur- Weinkelche auf dem Orchestertisch lagen wie
de ein ganz neues Genre. In Miami eröffnete umgefallen, die Party ist ja vorbei. So manche
er den Abend sichtlich erschüttert: „Virgil war der Models entpuppten sich als Tänzer, die
nicht nur ein großartiger Mitarbeiter, kreatives sich um die anderen Models wanden, abrupt
20
stehen blieben, starrten, niedersanken, aus der Referenzen seiner bisherigen Kollektionen.
Pose unvermutet wieder hochsprangen, als Alles schien fein und leicht und würdig, ein
hätte jemand rückwärts an der Uhr gedreht. wehender Seidenschal in Regenbogenfarben.
Dazwischen schritten Wesen im Spitzenkostüm Auf dem Parkplatz pumpte weithin sichtbar ein
mit großen Flügeln. Engel, nicht Ikarus, Abloh roter Heißluftballon auf und nieder, wie ein
war der Sonne nicht zu nah gekommen. Unver- Herzschlag. Als die Dunkelheit übernommen
gessen zum Beispiel sein Satz: „Mich interes- hatte, die Models alles gezeigt hatten, das
siert nicht der Schnitt eines Hoodies, sondern Auch Kollektion und Kulisse zur Pariser ganze Team, schnell noch aus Paris einge-
das was draufsteht.“ Show im Januar (unten) hatte Abloh flogen, dicht gedrängt, sich gegenseitig stüt-
Aber er kannte wohl das Timing. Ließ sich noch skizziert, die Nachfolge eilt nicht, zend, die Honneurs abnahm, sich das Publi-
nicht beirren, produzierte unaufhörlich De- der Verlust ist groß, das Team kann es kum tief gerührt wie eine Umarmung erhoben
sign-Ideen, ja nicht nur für Louis Vuitton, in und applaudiert hatte – da wurde es erst ganz
Miami wollte er auch das neue Maybach Con- dunkel, und dann ertönte die Stimme von
cept Car vorstellen. „Virgil hatte fünf Schauen Virgil Abloh, klar und stark wie immer, und
gleichzeitig im Kopf, er hörte nie auf“, sagte währenddessen verfärbte sich die Tribüne in
Michael Burke. Samstagabend noch hatte er einen Regenbogen: „There is no limit! You
Anweisungen per WhatsApp geschrieben für can’t waste even a day subsribing what someo-
die Show, die zu einer Trauerfeier werden ne thinks, what you can do versus knowing
sollte, so unique wie der Designer und what you can do.“ Wieder dunkel, das Ballon-
Mensch Abloh. Er selbst wachte als überle- herz pochte, und plötzlich war der Himmel ein
bensgroße Skulptur am Set. Eine coole Gestalt, Feuerwerk. Abloh, ein Komet, so hell, so fas-
Modern Art, wie die Typen, die er im grad zinierend, so schnell vorbei, nur nicht ver-
fertigen Men’s Store in Miami ins Schaufenster glüht. „Virgil was here", hatten leuchtende
und Treppenauge platziert hatte. Die Gäste Drohnen ans Firmament geschrieben.
kamen in großen Booten, auf einem Ponton Auf den blauen Sitzkissen in Paris lag ein klei-
vor der alten Tribüne waren lange, helle Holz- nes Kaleidoskop. Die Welt ist bunt und zeigt
bänke unter Laubbaumalleen aufgereiht, es gab immer neuen Facetten. Auch so ein Nachlass.
ein kleines Stück roten Teppich, aber niemand „Ich habe mich in meiner Arbeit darauf kon-
nutzte ihn zum Posen, auch Kim Kardashian, zentriert, Erwachsene dazu zu bringen, sich
Kanye West, die mit Tochter North West wieder wie Kinder zu verhalten. Ihnen das
gekommen waren, und die anderen berühmten Gefühl der Verwunderung zurückzugeben.
Freunde nicht. Trauer und Wehmut kamen mit Damit der Verstand die Vorstellungskraft und
der speziellen Schönheit des Abendlichts hier Fantasie durchlässt.“ Auch deswegen hatte sich
und in Begleitung von Neonfarben der Gen- die Frage, wann und wo man seine Entwürfe
der-spielenden Kollektion, ein Feuerwerk an tragen sollte, nie gestellt. Inga Griese

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70 Jahre Made-in-Italy-
Handwerk und Stil-Identität,
symbolhaft der ikonische
„101801“-Mantel von 1981,
ein ewiger Bestseller. Laura
Lusuardi, seit 1964 Chef-
designerin und nun die
Hüterin des Erbes und fein
säuberlich dokumentierten,
umfassendem Archivs, in
dem nicht nur eigene
Produkte verwahrt werden

Chefdesigner Ian Griffiths hält das Kostüm,

mit dem er 1987 einen Studentenpreis bei
Max Mara gewann – und er blieb. Groß-
produktion und präzise Handarbeit sind im
Werk in Reggio Emilio kein Widerspruch

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 D
ie Stadt Reggio Emilia hat etwa
170.000 Einwohner, gefühlt ist es
aber eine dieser zauberhaften
Ortschaften in der Lombardei.
Max Mara, 1951 von Achille
Maramotti als erste Prêt-à-porter für die Mittel-
klasse gegründet, hat hier seinen Hauptsitz, die
Produktion, das Atelier, das Archiv, alles groß,
modern, beeindruckend , auf dem neuesten
Stand. Längst ein Global Player der Luxus-
klasse. Doch die Grandezza ist fest verankert in
Bodenständigkeit. Auch Chefdesigner Ian
Griffiths steht für diese Weltläufigkeit, die sich
nicht in Hypes verliert. Sein Humor ist brillant,
sein Design-Anspruch wie echte Pasta, schnör-
kellos, aber voller Tradition und Können, man
wird ihrer niemals überdrüssig. Ein sonniger
Wintertag in einem schönen Land, wo Groß-
produktion persönlich wirkt, wo Frauen noch
mit flinker Hand Knopflöcher nähen und die
ewige Designchefin Laura Lusuardi das Herz
aka Archiv hegt. Griffiths nennt das Land „Ca-
melandia“, Inga Griese reiste gern ein.
MODE
Die Macht von Zeit
Sein englisches Punkerherz schlägt unter den
Savile-Row-Anzügen weiter, aber er wollte nie
Frauen verkleiden. Ian Griffiths setzt bei Max Mara
leidenschaftlich fort, was der Gründer einst
begann: Frauen mit Kleidung zu ermächtigen
Camelandia! Das klingt nach italienischer Tafel-
runde. Pasta statt Schwertern. Wo ist das?
Es ist der Ort, in dem ich in meinem Kopf lebe.
Der Name entstand, als ich im vergangenen Juni
nach drei Monaten Lockdown in England nach
Italien zurückkehrte. Um 21 Uhr saß ich in einer
Bar in Reggio Emilia, trank einen Aperitif und
dachte: „Hier bin ich wieder: in Camelandia!“
Es ist weniger ein physischer Ort, sondern eher
die Welt von Max Mara: die Mode, die Ideen.
Die Farbe einer Mantel-Ikone. Auch eine Farbe, die
ROBERTO SALOMONE (3); INGA GRIESE (3); MAX MARA
für ganz Reggio Emilia steht?
Meine Träume sind kamelfarben. Ich bin wohl
die einzige Person, die in der Andy-Warhol-
Ausstellung in der Tate Modern nur die Kunst-
werke fotografierte, die eben nicht bunt waren.
Kamel ist meine fixe Idee, ein Konzept. Und das
hat sicher damit zu tun, dass Max Mara diese
Farbe, eigentlich Symbol von männlicher Auto-
rität und Macht, zu etwas machte, das Frauen
ermächtigt. Bei der Idee von Camelandia geht es
also um weibliche Stärke und Selbstsicherheit.
Das habe ich noch nie damit assoziiert.
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In der britischen Kultur findet man sie in Asso- den Grund für den Erfolg der Marke und wes-
ziation mit den Leuten, die nach dem Krieg auf halb die Leute sie mochten.
dem Schwarzmarkt arbeiteten, oder auch Auto-
verkäufer trugen Kamel. Man wollte wohl damit Max Mara wurde 1951 gegründet, aber wenn man
diskret erscheinen und fiel aber trotzdem auch sich die Stellung der Frau damals anschaut ... doch
auf. Es gibt bewusste und unterbewusste Kon- eleganter war sie.
notationen. Das fasst die Philosophie von Max Ich bezweifle, dass man in der Zeit eleganter
Mara ganz gut zusammen: Es ist ein unaufdring- war, in jedem Fall gequälter. Die Stoffe waren
licher und gleichzeitig ein sehr sichtbarer Gla- gestärkt, die Frauen trugen Korsett, dickes
mour mit einer geringen Resonanzschwingung, Make-up, sie mussten sehr auf ihre Körper-
die man aber fühlt. haltung achten, das Haar musste sitzen. Alles war
gestellt, für mich sind die heutigen Kleider viel
Kamel ist auch die Farbe von Amazon, der Pakete, eleganter. Sie sind viel natürlicher und bequem.
alles wird bestellt und verschickt …
Und dennoch hat sich das Bedürfnis nach dem Aber Dresscodes sind eher obsolet beziehungsweise
menschlichen Kontakt verstärkt. Die Leute verpönt, wie gesellschaftliche Normen überhaupt. Ist
möchten in die Läden, anprobieren, mit den das Freiheit?
Verkaufsberatern sprechen. Sie möchten ins Eine Frau darf heute alles tragen, aber die Leute
Theater, zu Partys, zu den Modeschauen. werden darüber reden, es beurteilen, und die
Frauen wissen das. Insofern ist es ein zwei-
Was halten Sie von der virtuellen Welt? schneidiges Schwert. Bei Max Mara ist die Klei-
Wie Sie sehen, umgebe ich mich mit Büchern, dung dafür designt, die Entscheidung, wie man
sowohl hier im Büro als auch in meiner Woh- sich kleidet, zu erleichtern.
Persönlicher Stil braucht Selbsterkenntnis?
Die Frauen, die zu uns kommen, sind sehr unter-
schiedlich, aber was sie alle eint, ist die Ehrlich-
keit mit sich selbst. Ich denke, der körperliche
Aspekt ist klein, wenn man einmal verstanden
hat, wer man ist. Wir leben in der Post-David-
Bowie-Zeit, in der Welt der Lady Gaga und
davor von Madonna, und wir alle kennen sie als
Projektionsfläche und sind gut darin, damit zu
spielen. Das beobachte ich auch bei den Stu-
denten, die ich gelegentlich unterrichte: die
designen nicht einmal mehr Kleider, sondern
sie konzipieren ihre Körper neu, ihre Identität
oder ihre Sexualität. Es ist ungeheuer interes-
sant, aber die Leute wollen nach wie vor Klamot-
ten kaufen. Max Mara pflegt ein intellektuelles
Image, aber am Ende sollen Frauen sich in unse-
ren Kollektionen nicht befremdet fühlen. Gut,
es gab Versuchungen, gestern habe ich mir
Kollektionen im Archiv angeschaut, und es gab
nung hier und im Zuhause in England. Für mich eine aus den späten 90ern oder vom Anfang der
hat nur etwas Gedrucktes einen Sinn, es verliert Nullerjahre, als ich Pink und Luftpolsterfolie
sich, wenn es virtuell ist. Möglicherweise haben verwendet habe – aber das war wohl das einzige
wir die Geduld verloren und die Fähigkeit, die Mal, dass ich mich mit einer Welt beschäftigt
Ideen in einer Sequenz zu verstehen. habe, die nicht real war.
Deswegen fand ich es interessant, den Frauen in der Sie zelebrieren 70 Jahre seit der Gründung. Aber was
Fabrik zuzusehen, die sehr ruhig arbeiten, langsam, sehen Sie, wenn Sie nach vorn schauen?
aber fokussiert und genau und so Fehler vermeiden. Die Vergangenheit kann sehr dominant werden
Sie sind Meisterinnen und machen das mit – gerade wenn man so viel davon hat – und sollte
großem Stolz. Ich hatte selbst 20 Jahre, um über in den Boxen bleiben. Ich nehme mir, was ich
die Max-Mara-Frau nachzudenken, ehe man mir brauche, und hole mir aber die Inspiration von
woanders. Für die Sommerkollektion habe ich
die Zügel und die Autorität gab, eine Richtung
einzuschlagen. Insofern ist Zeit sehr wertvoll, mich von den 60ern und Françoise Sagan in-
wenn man verstehen will, wie man eine wichtige spirieren lassen: Was hätte sie getragen, wenn
Aufgabe angehen sollte. sie heute noch leben würde? Ich nahm ihren
angedeuteten Beatnik-Stil und übersetze ihn in
Bei vielen Marken sind eher die Quartalszahlen einen Look für heute. In der Cruise Collection
ausschlaggebend. haben wir einen „101801“-Mantel, aber auch
Das ist bei Max Mara anders. Ich beobachte, wie Technojersey, einen Stoff der Zukunft, der der
bei anderen Marken neue Designer engagiert Tradition und dem Erbe des Hauses Respekt
werden und man erwartet, dass sie innerhalb zollt, neu gedacht für die Zeit, in der wir leben.
von zwei oder drei Saisons alles wieder gerade- Grade in Zeiten wie diesen ist es wichtig, nach
biegen. Tatsächlich riskiert man, dass man mit Sinn zu suchen, und Sinn steht immer in Ver-
der Veränderung auch Gutes über Bord wirft, bindung mit Geschichte.
23
 W
er gerade auf der Piste war, rücktes Kind“, erzählt Takumi. „Bei unserem
wird dem großen „O“ be- Bikeshop wusste jeder, wer Jim war, er und
gegnet sein. Auf immer mehr seine Motocrossfahrer kamen häufig dort
Ski- oder Snowboardhelm vorbei.“
steht der Oakley-Schriftzug Damit fing Mitte der Siebziger nämlich alles
oder das Initial. Kaum eine Brillenmarke ist an. Jannard verkaufte in Kalifornien Moto-
so präsent im Alpinsport, dieses Jahr sind cross-Accessoires aus einem alten Honda
außerdem noch Olympische Spiele in Pe- Civic heraus. Seine kleine Firma nannte er
king, fast ironischerweise Primetime für die „Oakley“, nach seinem englischen Setter.
amerikanische Marke. Irgendwann startete er mit dem ersten ei-
Genau genommen herrscht bei Oakley seit genen Produkt: rutschfeste Griffbänder mit
ein paar Jahren ständig Hochsaison. Wäh- Noppen-Oberfläche wie auf Tentakeln. Der
rend viele andere Unternehmen unter der „Oakley Grip“ war äußerst erfolgreich, aber
Pandemie litten, erlebte Oakley 2021 eines leider kein besonders sichtbares, also ver-
der besten Jahre überhaupt, wie es heißt, marktbares Produkt. Und weil Jannard sich
weil drei Dinge zusammenkamen: Neben schon immer für Optik und Fotografie be-
„Snow Goggles“ und Gletscherbrillen ist die geistert hatte, begann er schließlich eine
Marke für den gesamten Performance-Be- Motorradbrille zu entwickeln. Denn da ließ
reich bekannt, und mit zunehmender Coro- sich der Markennamen gut sichtbar auf das
na-Inzidenz stieg auch noch eine andere Nylonband drucken. Bald darauf produzierte
Kurve sprunghaft an: Die der Menschen, die er auch Skibrillen, aber erst Mitte der Acht-
plötzlich Sport trieben und dafür eine gute ziger, als die ersten Performance-Brillen auf
Ausrüstung brauchten. Gab ja sonst nichts, den Markt kamen, „erreichte die Marke ein
wofür man sein Geld ausgeben konnte. Eine ganz anderes Level“, wie Takumi es formu-
Profi-Brille, die etwa beim Radfahren nicht liert. 1984 trugen bereits die ersten ame-
rutscht, vor UV-Licht und bei Unfällen rikanischen Athleten Oakley bei den Olympi-
VISIONÄR schützt, schien in jedem Fall eine sinnvolle schen Spielen in Los Angeles. Bis heute sind
Investition. die gummierten Bügel und der Nasensteg aus
Ebenso stark wirkte sich der „Fashion- dem „original grip“ der frühen Anfänge.

Gib mir ein O

Effekt“ aus: Oakley-Brillen waren „Jim war ein absoluter Visionär“, erinnert
immer mal wieder auf dem Lauf- sich Takumi. „Sein Lieblingssatz lautete: Du
steg zu sehen gewesen, doch 2018 musst das Auge, das Herz und das Gehirn
kam eine Kooperation mit der Skate- befriedigen.“ Die Designs mussten toll aus-
marke Palace auf den Markt, für Frühjahr sehen, aber auch technisch innovativ sein –
Brillen von Oakley sind 2019 folgte eine Kollektion mit Vetements, und der komplette Auftritt der Marke dein
bei der die ikonische Visorform einen Rah- Herz erobern. Keine Funktion ohne Form,
Pandemie-Gewinner, immer men mit Nieten bekam. Kurz darauf waren kein Produkt ohne Passion. Das sei bis heute
noch very American und ähnlich sportlich-futuristische Formen auch das Credo, sagt Takumi. Oakley gehört seit
bei Balenciaga oder Prada zu sehen. Oakleys 2007 zum italienischen Brillengiganten Lu-
wieder international begehrt waren plötzlich ein modisches Statement. xottica. Trotzdem gelingt die Balance zwi-
Zu guter Letzt gab es da noch diese Serie, die schen kommerziellem Erfolg und avantgar-
alle Welt in der Quarantäne sah, weil es distischem Design vor allem zuletzt wieder.
(außer Sport) ja sonst nichts zu tun gab. In Modelle wie die „Sutro Lite Sweep“ mit
„The Last Dance“ über Michael Jordans belüfteten Gläsern sehen futuristisch aus,
finale Saison bei den Chicago Bulls spielten sind aber auch im Verkauf Bestseller.
Oakley-Brillen eine tragende Rolle. Der Wie zukunftsgetrieben die Marke stets war,
legendäre Basketball-Star stand in den Neun- sieht man schon am Headquarter in Foothill
zigern bei der Marke unter Vertrag, genauso Ranch südlich von Los Angeles. Wer Fotos
wie Dennis Rodman und Scottie Pippen. davon im Internet sucht, glaubt zunächst an
Fans der Serie wollten nicht nur Basketball- einen Irrtum. Das Gebäude erinnert an einen
shirts- und shorts tragen, sondern vor allem gewaltigen Wüsten-Bunker mit gepanzerter
diese ergonomisch geformten Brillen. Allein Domkuppel über dem Eingangsbereich.
die Verkäufe der „Eye Jacket Redux“, die Mehr irres Architekturmodell statt realer
dem Original aus den Neunzigern nach- Firmensitz. „Als Vorbild dienten die Filme
OAKLEY (2), CHASEN MARSHALL-OAKLEY INC, LLOYD GOMEZ

empfunden ist, sollen sich bei Ausstrahlung ,Bladerunner‘ und ,Metropolis‘“, erzählt
der letzten Folge vervierfacht haben. Takumi. „Jim war fasziniert von der apoka-
„Im Endeffekt war es das perfekte Zusam- lyptisch-futuristischen Ästhetik. Das Gebäude
mentreffen unterschiedlicher Dinge“, sagt sollte schon von Weitem sofort als Oakley-
Brian Takumi, der Vice President of Design. HQ erkennbar sein, auch ohne Logo an der
Oakley- Der 50-Jährige wird in der Designszene wie Wand.“ Jannard habe sich immer vorgestellt,
Design ist ein Guru verehrt. Er sitzt mit Baseballkappe dass er darin wie ein verrückter Professor
wieder vor dem Bildschirm, hinter ihm im Regal säße und ständig an neuen Erfindungen
angesagt: stehen Sneaker statt Sonnenbrillen. Takumi arbeite. „Als ich das erste Mal in diese Halle
Der Firmen- ist seit 1997 im Unternehmen und arbeitete kam, stockte mir fast der Atem“, lacht Taku-
sitz nahe noch eng mit dem Gründer Jim Jannard mi. Mittlerweile habe sich das glücklicher-
L.A. und zusammen, bis der 2007 aus dem Unterneh- weise gelegt. Er kann in dem Bunker jetzt –
Designchef men ausstieg. Schon als Jugendlicher kannte wie man sieht – überaus gut arbeiten.
Brian Takumi er ihn vom Sehen. „Ich war ein BMX-ver- Andrea Zuckermann

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TALENTIERT
S
ara Mainos Job ist es, in die Zu-
kunft zu schauen. Vor der Pande-
mie war sie fast die Hälfte des Jah-
res unterwegs, um die Arbeit von
Nachwuchsdesignerinnen und
-designern weltweit zu erkunden. Ihr Blick
reicht weit über die bekannten Modemetro-
polen hinaus, aber besonderen Talenten baut
sie Brücken zu ebendiesen Orten. Dafür hat sie
eine eigene Plattform entwickelt, Vogue Ta-
lents, mit Sitz in Mailand. Maino ist im Umfeld
von Mode und Design groß geworden. Ihre
Mutter, Carla Sozzani, gilt als Erfinderin des
Concept Stores und ist Chefin des Corso-
Como-Imperiums. Ihre 2016 verstorbene Tante
Franca Sozzani war langjährige Chefredak-
teurin der italienischen „Vogue“. Das Ge-
spräch führen wir telefonisch – sie ist in Vene-
dig und währenddessen ständig in Bewegung.
Frau Maino, Sie sind in einer stilbewussten Familie
aufgewachsen. Wie hat Sie das geprägt?
Ich war anfangs bei „10 Corso Como“ dabei,
aber ich wollte nicht unbedingt mit meinen
Radikal schick
Sara Maino betreut modische Nachwuchstalente auf der ganzen
Welt. Ihre Perspektive ist gefragt. Auch bei HEIKE BLÜMNER
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Eltern arbeiten. Deshalb fragte ich meine Tante Was sich auch verändert hat, ist die Aufmerksam-
Franca, ob sie eine Praktikantin gebrauchen keitsspanne – und zwar nicht unbedingt zum Guten.
könnte. Als Stylistin war ich dann immer auf der Neue Designer sind die Zukunft, wir müssen in
Suche nach neuen Dingen für unsere Foto- sie investieren und an sie glauben. Es geht nicht
shoots, und dabei fiel mir auf, dass sich für die darum, ein Urteil über sie zu fällen. Ich habe
nächste Generation an Designern wenig Mög- noch nie zu jemandem gesagt, dass ich seine
lichkeiten boten. Nicht nur in Italien, sondern Kollektion nicht mag. Ich trete in einen Dialog
weltweit. Deshalb gründeten wir 2008 Vogue und frage, warum sie so aussieht und was verbes-
Talents. sert werden könnte. Natürlich gibt es Designer,
deren Talent einen anspringt. Aber Raum für
Was hat sich dadurch verändert? Verbesserung gibt es eigentlich immer.
Viel. Anfangs waren es die jungen Designer gar
nicht gewöhnt, dass jemand vorbeischaute und Was macht für Sie Originalität aus?
sich für ihre Arbeit interessierte. Heute hat sich Botschaft und Vision. Es geht nicht nur darum,
das geändert, und die etablierten Häuser lieben schöne Kleidung zu machen, sondern darum,
die Frische von jungen Talenten und kollaborie- was man verändern möchte. Ich benutze dabei
ren mit dem Nachwuchs. Wir waren so froh und bewusst das Wort Verantwortung, nicht Nach-
stolz, als 2013 der LVMH-Preis ins Leben geru- haltigkeit. Verantwortlich zu handeln bedeutet,
fen wurde, denn alle Designer, die dort präsent ökologisch zu produzieren, anderen zu helfen
sind, haben auch eine Verbindung zu uns. Die und sich für die Gemeinschaft zu engagieren.
aktuelle Gewinnerin, die Albanerin Nensi
Dojaka, kenne ich seit Jahren. Alessandro Del- Ein Beispiel für jemanden, der all diese Qualitäten
l’Acqua hat sie bei mir auf Instagram gesehen auf sich vereint?
und macht mit ihr eine Kapselkollektion. Die Engländerin Bethany Williams. Sie arbeitet
mit recycelten Materialien und mit Frauen, die
im Gefängnis waren. Es geht dabei nicht nur um
sie, aber ihre Marke wächst, und es geht um
Qualität, nicht um Quantität.
Welche Länder sind gerade besonders interessant?
Südamerika ist spannend, was Regionalität und
Handwerk angeht. Nigeria hat großes Potenzial
und auch aus Südafrika kommen viele Talente.
Zum Beispiel Thebe Magugu, den wir 2017 ent-
deckten. Als wir ihn 2018 nach Mailand brachten,
war es das erste Mal, dass er Afrika überhaupt
verließ. Und dann gewann er den LVMH-Preis.
Sie engagieren sich auch in Ländern wie Saudi-Ara-
bien, wo der Dresscode für Frauen einem religiösen
Code unterliegt. Wie gehen Sie damit um?
Wir sind seit fast zehn Jahren dort unterwegs.
2016 hat Franca einen Event veranstaltet, weil
sie die Frauen dort bestärken wollte. Das Land
hat viele Probleme, und wir stimmen vielem,
was dort geschieht, nicht zu, aber uns geht es
um die Sichtbarkeit. Es ist interessant zu sehen,
wie vor Ort mit Traditionen umgegangen und
versucht wird, internationale Anknüpfungs-
punkte zu finden. Die Designerin Arwa Al
Banawi ist dafür ein gutes Beispiel.
Ganz ehrlich: Wie sieht es in Deutschland aus?
Es gibt schon einige interessante Designer, aber
sie stecken fest, wollen lieber Teil des Systems
sein, als es zu verändern. Mit Michael Sonntag
habe ich gearbeitet, ihn aber aus den Augen
verloren. Deutschland hat Potenzial, aber auch
Schwierigkeiten mit dem persönlichen Stil und
einer Vision. Berlin fand ich immer spannend,
was nachhaltige Konzepte angeht.
Wie schaffen Sie es, nicht überwältigt zu sein und
neugierig zu bleiben?
STEFAN GIFTTHALER
Ich liebe meinen Job. Reisen, mit den Desig-
nern sprechen und ihr Umfeld zu absorbieren
Sara Maino ist mir sehr wichtig. Außerdem sehe ich mich in
in ihrer der Verantwortung, aufzuzeigen, wie man diese
Mailänder Art von Arbeit im Sinne eines gesünderen Pla-
Wohnung neten verbessern kann. Das spornt mich an.
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M
it Designer Tommy Hilfiger
hatte Daniel Grieder als CEO
aus dessen gleichnamigen
Unternehmen eine Weltmarke
gemacht. Die beiden sind
Freunde – aber jetzt auch Konkurrenten. Grie-
der will Deutschlands berühmteste Modemar-
ke aus der Krise führen. Seit dem 1. Juni ist der
Schweizer CEO von Hugo Boss. Wenige Stun-
den vor unserem Interview legt er die erste
Bilanz vor: Boss meldet im vierten Quartal mit
906 Millionen Euro den größten Umsatz der
Unternehmensgeschichte. Wir treffen uns im
Headquarter in Metzingen. Daniel Grieder hat
das Eckbüro mit Holzboden, bodentiefen
Fernstern und Blick über den Boss-Campus
persönlich eingerichtet und neue Bilder mit-
gebracht. An den grau verputzten Wänden
hängen über Familienfotos jetzt Kunstkollagen
von Schauspieler Steve McQueen in legendä-
rem Le-Mans-Rennanzug, daneben Box-Ikone
Muhammad Ali. Und gegenüber vom Schreib-
tisch hängt eine großformatige Schwarz-Weiß-
Fotografie mit einem Wildpferd von Roberto
Dutesco, Titel „Atlantic Ocean“. Die Sonne
scheint, Grieders Energie auch.
Sie sind in Washington DC geboren und haben lange
in Amerika gelebt. Ist das Bild ein Stück Heimat,
hinter Ihnen Metzingen und vor Ihnen die wilden
Pferde von Sable Island?
Ich sehe das nicht so: Amerika die große Welt
und Metzingen eben nicht. Für mich ist sie die
kleinste internationale Stadt. Und gerade jetzt
nach Covid, wer will da ausschließlich noch in
eine Großstadt und die großen Offices? Ich
fühle mich hier sehr wohl. Ich gehe am Wo-
chenende noch nach Zürich, weil auch die
Familie dort ist. Aber ich überlege in der Tat,
ganz nach Metzingen zu ziehen für die Jahre, in
denen ich hier bin.
„Für die Jahre …“. Sie sind also zuversichtlich, dass
Sie das länger machen?
In jedem Fall. Das Unternehmen hat mich po-
sitiv überrascht. Es ist alles da. Die Assets, die
Leute, dieser Campus – das ist einfach hervor-
ragend. Man muss etwas entstauben sozusagen,
aber die Marke hat Potenzial und Strahlkraft.
Wo sie jetzt ist, ist nicht ihr Platz. Ich habe mich
früher immer an Boss orientiert.
Bei der ersten Show unter Ihrer Ägide im September in
Mailand haben wir uns gefragt, ob Sie aus Boss jetzt
Tommy Hilfiger machen wollen? Baseball, Cheerlea-
der, Popcorn, das war schon sehr amerikanisch.
Natürlich nicht. Die Kooperation mit Russell
Athletic gab es, wir haben sie nur neu, größer
inszeniert. Wir sind nicht Tommy. Das wäre zu
einfach. Mailand war eine neue Veranstaltungs-
form in Kooperation mit TikTok. Wir hatten
vier Milliarden Impressions in vier Tagen, es war
die bisher erste Kooperation von TikTok mit
einer Modemarke in dieser Art. Und statt der
Designer kam am Schluss Khaby Lame raus.
Der hat auf TikTok 130 Millionen Follower.
Was uns damit gelungen ist: Plötzlich war Boss
wieder auf der Bühne.
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War das der Grund für die Rekordzahlen, die Sie in War es eine Ansage, dass Sie die Wildpferde auf-
diesem Quartal präsentiert haben? gehängt haben und Bilder von Steve McQueen und
Ich glaube schon, dass es uns geholfen hat. Muhammad Ali. Auf dem steht: „I am the greatest“.
Ich habe einen Riesenrespekt vor Sportlern,
Ein perfekter Start: Am 1. Juni übernommen und weil die einfach immer eine Meile mehr gehen.
jetzt das beste Quartal der Unternehmensgeschichte. Die haben ein Mindset, das es heute und auch
Das war ein Teamerfolg. Es gab eine einjährige bei uns braucht. Wir planen mit der Firma ein
Wettbewerbssperre nach meinem Weggang Comeback, keinen Turnaround. Hugo Boss
von Tommy Hilfiger. Erst habe ich gedacht, was hatte das beste Produkt, den besten Vertrieb,
mache ich nur mit der Zeit? Aber im Nach- die besten Kooperationen, die besten Partner
hinein hat sich das als positiv erwiesen. Erstens und Testimonials. In unserer Strategie gibt es
war Covid, da konnte sowieso niemand in der Bilder von Muhammad Ali, Niki Lauda, Michael
Branche normal arbeiten. Und ich konnte mich Jordan, Tiger Woods – die hatten alle Come-
in dieser Zeit sehr gut vorbereiten. Zweitens: backs. Und daran arbeiten wir jetzt.
Ich habe ein hoch motiviertes und kompetentes
Team vorgefunden. Sie können mit Strategien Sie sind ja selbst auch Sportler. Wer wären Sie denn
kommen, wie Sie wollen: Ohne gute Umsetzung lieber? Der gut aussehende Steve McQueen oder der
kommen sie nirgends an. Unser Team hat in ewige Kämpfer Muhammad Ali?
kurzer Zeit bereits Großes bewegt. Ich würde schon lieber aussehen wie Steve
McQueen (lacht). Aber ich finde Muhammad
Ali wahnsinnig beeindruckend, was der ge-
leistet hat. Wir definieren ja Boss gerade neu.
Ein neuer Boss ist nicht ein Patriarch. Ein neuer
Boss ist ein Mann, der etwas bewegt. Allgemein
eine Person, die etwas bewegt.
INTERVIEW
Unseretwegen müssen Sie nicht gendern.
Darum geht es nicht. Das neue Boss steht für
Neues Logo, neuer Slogan, eine Person, die hinter etwas steht, die mutig
neue Energie – wenn es nach ihren eigenen Weg geht. Niemand hat besser
geboxt als Muhammad Ali. Aber was er alles
dem neuen CEO Daniel durchgemacht hat, weil er seinen Glauben
geändert hat! Deshalb sage ich: Das ist zum
Grieder geht, wird Hugo Boss Beispiel ein echter Boss. Er hat vielleicht große
Sprüche geklopft, aber getan, was er gesagt hat.
wieder Führung übernehmen Das finde ich ganz wichtig. Egal, ob ein Mann
im internationalen oder eine Frau.
Lifestyle-Kosmos. Der Anfang Der neue Claim heißt „Be your own Boss“. Welche
Haltung verbinden Sie damit?
ist gemacht. INGA GRIESE Dass jeder individuell definieren kann, für was
er stehen will. Und was für jemand casual ist, was
und TOM JUNKERSDORF für jemand ein Anzug ist, wie jemand diesen
trafen einen Mann mit tragen will. „Be your own Boss“ – tue das, woran
du selber glaubst.
Sportsgeist und Siegeswillen
You go,
Boss!
Denke groß und vertraue dir –
Boss-CEO Daniel Grieder (oben
links) glaubt an die Strahlkraft
der Marke und hat für die neue
Kampagne gleich ein einmaliges
Star-Team engagiert: darunter
Schauspieler Lee Min-ho, Ten-
BOSS (8)
nisspieler Matteo Berrettini,
Model Hailey Bieber
28

„Beyourownboss“ gilt auch für
Leichtathletin Alicia Schmidt
aus Worms, Model Kendall
Jenner, TikTok-Star Khaby
Lame, den Rapper Future
Das Timing ist gut, weil wir nach zwei Jahren Covid
und permanenter Bevormundung starke Sehnsucht
nach Eigenverantwortung haben.
Durchaus. Und so führen wir auch die Firma:
Man kann so etwas nicht allein machen und
daher geben wir jedem wieder mehr Verant-
wortung, Kommunikation spielt eine essenzielle
Rolle: Wir haben eine eigene App entwickelt,
die heißt: ‚My Hugo Boss‘. Eine Art internes
Twitter. Dort sieht jeder Mitarbeiter auf der
ganzen Welt genau, was sind die Zahlen, wo wir
hin müssen und wo wir stehen.
Das Kerngeschäft bleibt der Anzug?
Das ist unsere DNA. Wegen der Pandemie hieß
es: ‚Der Anzug ist vorbei‘. Der herkömmliche
Anzug, der unbequeme – das ist erst einmal
vorbei. Aber ein Anzug, der Stretch hat, der
atmungsaktiv ist, knitterfrei, wenn Sie im Flieger
aufstehen – der ist absolut relevant. Der Anzug
der Zukunft ist bequemer, in dem können Sie
Fahrradfahren, Bergsteigen oder sogar schlafen.
Der Anzug als neue casual wear?
Wir machen aus Boss, der Anzugmarke, eine
24/7 Lifestyle-Marke. Für die Freizeit, fürs
Büro, für die Hochzeit.
Welchen Lifestyle verkörpere ich damit genau?
Das können Sie selbst bestimmen.
Gibt es an Boss noch etwas Deutsches?
Auf jeden Fall. Wir sind ein deutscher Herren-
ausstatter, der ein internationaler Konzern
geworden ist und wir müssen auf dem interna-
tionalen Markt bestehen. Wir können nicht nur
deutsch sein, und das wollen wir auch nicht.
Aber unsere Herkunft ist Made in Germany.
Ist das noch ein Asset?
Ein Riesen-Asset! „Made in Germany“ hat wie-
der eine Coolness.
Sie haben kürzlich vorgegeben: Boss müsse die führen-
de Technologie-Plattform in der Mode werden. Da ist
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wir. Und noch wichtiger: Wir fokussieren uns
auf das Ergebnis! Mich interessiert nicht, warum
etwas nicht geht. Sondern nur, wie es geht.
Was haben Sie von Tommy Hilfiger für sich selbst
übernommen?
Die Frage, wie definierst du dein Produkt? Er
hat mir immer gesagt ‚What is the point of diffe-
rence?‘. Das habe ich heute noch verinnerlicht.
Und: Tommy ist einer der feinsten Menschen,
die ich in meiner Welt angetroffen habe, je-
mand, der immer nach den anderen schaut.
Auch das habe ich von ihm gelernt. Er ist heute
noch einer meiner besten Freunde – und auch
mein Trauzeuge.
Er war ja auch schuld …
Ja, (lacht).
(Anm. d.Red.: Tommy Hilfiger hat Daniel
Grieder und seine Verlobte, die frühere Miss
Schweden Louise Camuto, in der berühmten
„Polo Bar“ in New York verkuppelt)
Ihre Freundschaft hält aus, dass Sie jetzt Konkur-
er wieder, Muhammad Ali: ‚I am the greatest‘. Mit renten sind?
Überkorrektheit halten Sie sich nicht auf, richtig? Tommy hat gesagt: ‚Daniel, if it is right for you,
Wir machen das, wovon wir ausgehen, dass es don’t worry.‘ Ich hätte da auch noch bleiben
das Richtige ist für die Marke. Und da darf man können, aber mich reizt dieses Potenzial von
ruhig ein wenig, wie sage ich es: überzeugt sein. Hugo Boss. Ich freue mich sehr über diese neue
Herausforderung.
Wird es hier in Metzingen bald auch Labore geben, in
denen neue Stoffe gezüchtet werden? Ein Unternehmen wie Boss hat auch gesellschaftliche
Dran arbeiten wir durchaus. Es wird ja immer Verantwortung. Könnten Sie sich etwa vorstellen, an
von Nachhaltigkeit, von sustainable cotton, Schulen besseren Sportunterricht zu fördern?
weniger Wasserverbrauch und so weiter gere- Sofort. Wir setzen uns ja als Unternehmen auch
det. Aber das Problem liegt woanders: Zehn schon seit vielen Jahren für die Förderung von
Prozent im Textilhandel macht heute Wolle Kindern und gleichberechtigten Zugang zu
aus. Mehr Wolle können wir gar nicht be- Bildung weltweit ein. Aber um einen ganz ande-
kommen, so viele Schafe gibt es auf der Welt ren Ansatz zum Thema Sport anzusprechen: wir
nicht. Baumwolle macht etwa 30 Prozent der arbeiten daran, Ex-Sportler oder Sportler, die
Fasern aus. Aber mehr Baumwollfelder sind verletzt sind oder aufhören mussten, bei uns
nicht machbar, wo wollen Sie die heute noch anzustellen. Ganz gleich, ob im administrativen
anpflanzen, in dieser Welt? Jetzt kommt das Bereich oder im Verkauf: Ich glaube an die
eigentliche Problem: Die Branche setzt zu viel Einstellung, die einem beim Sport vermittelt
Polyester ein. Also Plastik. Wenn wir so wei- wird. Der Olympiasieger und Skiabfahrer Bern-
termachen, haben wir bis 2050 mehr Plastik in hard Russi hat einmal gesagt: Wenn der Trainer
den Gewässern als Fische. Die Branche muss forderte, mach 30 Liegestütze, dann habe ich 31
eine Alternative finden für Polyester. Und mit gemacht. Wenn er sagte, ich soll dreimal die
diesem Thema befassen wir uns. Fasern aus Piste ‚runterfahren, bin ich viermal gefahren. Es
Pilzen, aus Algen. Und das zweite Problem ist geht darum, einen Schritt weiterzugehen.
der Abfall, den wir generieren. Wie können
wir das optimieren? Indem wir mit viel stärker Mit Ihrer neuen Kampagne „Be your own Boss“
mit Daten arbeiten, bevor wir designen und haben Sie offenbar ganz schön viele Extra-Meilen
dann produzieren. zurückgelegt. Unter anderem sind Kendall Jenner,
Hailey Bieber, Boxer Anthony Joshua, US-Rapper
Damit Sie nichts mehr produzieren, was sich nicht Future, Leichtathletin Alicia Schmidt, Joan Smalls,
verkauft? der koreanische Schauspieler Lee Min-ho, TikTok-
Genau. Deshalb bauen wir gerade einen Cam- Superstar Khaby Lame dabei – und dafür haben Sie
pus in Porto auf, wo 300 Mitarbeiter Daten wie viel Geld ausgegeben?
sammeln, analysieren und, das ist entscheidend: Viel … (lacht). Dazu stehe ich! Manchmal ist
so aufbereiten, dass wir sie ohne Weiteres in die sparen nicht der richtige Weg, gerade, wenn Sie
Firmenabläufe integrieren können. einer Marke wieder mehr Strahlkraft verleihen
wollen. Nach dieser Kampagne bekommt man
Alle sprechen im Moment über die 3G-Regeln. Sie Gänsehaut. Und zweitens: Werden Sie fest-
haben bei Boss eine 3D-Regel eingeführt: „Discuss, stellen, dass Hugo Boss als Lifestyle-Marke für
Decide, Deliver!“ Ist das Ihr Management-Stil? den Mann und für die Frau angesehen wird. Und
100 Prozent! Es gibt ja nichts Schlimmeres als die Marke Hugo wird wieder jung. Mehr Jeans,
endlose Meetings, in denen zu viel geredet mehr Streetwear für die Generation Z. Hugo
wird. Wir diskutieren, aber dann entscheiden bedeutet: ‚You go your own way, you go for it.‘
29
WAS KOMMT? frage des Konsumenten nach
recycelten Produkten“ eine „ho-
he oder sehr hohe Wichtigkeit“
für ein entsprechendes Angebot
sei. Das heißt: Individuelle Kauf-
entscheidungen wirken. Noch
wichtiger sei, dass es inzwischen

Aus
„technologisch reife Lösungen“
unter anderem für Wiederver-
wertungskonzepte gibt.
So bricht das Zeitalter an, in dem

Ernst
nachhaltige Strategien in der
Mode nicht mehr nur wertkonser-
vativ in Bezug auf Naturschutz,
den Umgang mit Ressourcen und

wird
die Kultivierung traditioneller
Handwerkstechniken sind. Tech-
nologie spielt eine genauso ent-
scheidende Rolle, wenn etwa

Spaß
künstliche Intelligenz dafür einge-
setzt wird, Überproduktion zu
vermeiden.
Auch Produktpässe, die neuartige
Version des eingenähten Etiketts,
werden immer populärer. Über
Die Mode sucht nach neuen Strategien in einer volatilen Welt. Wie sie aussehen, QR-Codes lassen sich alle rele-
vanten Informationen zu einem
untersucht der „State of Fashion“-Bericht. HEIKE BLÜMNER hat ihn gelesen Kleidungsstück nachvollziehen.
Das betrifft sowohl die Herkunft
der verwendeten Materialien und

I
In der Modewelt gibt es derzeit nur eine Gewissheit: Die Dinge den Produktionsort als auch Angaben beziehungsweise Garantien zu
können nicht so bleiben, wie sie lange Zeit waren. Alles Weitere teuren Markenprodukten, die sowohl für den Kunden als auch für Luxus-
erscheint von außen betrachtet wie der Blick in eine Schnee- unternehmen interessant sind, weil sie sich so gegen Fälschungen po-
kugel, die gerade geschüttelt wurde. tenziell absichern können.
Einmal im Jahr kommt der Räumdienst. Die Abteilung Global Virtuelle Mode hingegen verbraucht nur Strom. Wobei einige Marken
Apparel, Fashion & Luxury (Globale Bekleidung, Mode und Luxus) der wie Louis Vuitton oder Balenciaga auch auf stoffliche Kapselkollektionen
Unternehmensberater von McKinsey kollaboriert mit dem Online-Fach- setzen, die zuvor bereits einen Auftritt in Videospielen gehabt haben. Es
medium Business of Fashion und erstellt den jährlichen Report „The handelt sich nicht nur um Spielerei. Robert Triefus, Vizepräsident und
State of Fashion“, um über Trends in der Branche zu berichten, die nichts Marketingchef von Gucci, erwartet einen „sehr signifikanten, neuen
mit Rocklängen oder Farbkombinationen zu tun haben. Einkommensfluss“ für die Modewelt.
Was eigentlich als Insider-Bericht gedacht ist, ist auch für Modekon- Das „Metaverse Mindset“ richtet sich auf nicht weniger als ein grenzenlos
sumenten und Konsumentinnen interessant. Denn letztlich sind wir es, anmutendes Paralleluniversum. 81 Prozent der Generation Z verbringt
die durch unsere Kaufentscheidungen darüber mitbestimmen, ob wir, dort bereits im Durchschnitt eine Stunde am Tag, und wie man sich dort
wenn das Schneetreiben sich gelegt hat, auf eine zumindest passable präsentiert, wird immer wichtiger. Designer-Skins, also virtuelle Outfits
Landschaft oder ein dystopisches Inferno blicken werden. Wie kann für die Avatare, sind inzwischen im Angebot, und natürlich spielt Bran-
Mode in Zukunft weiterhin Spaß machen, ohne den Ernst der Lage aus ding eine Rolle. Nike erwarb Ende des Jahres die Designfirma RTFKT,
den Augen zu verlieren? die digitale Sneakers unter anderem als Sammlerobjekte entwirft. Gucci,
Die gute Nachricht lautet: Nachhaltigkeit ist nicht mehr nur ein Schlag- Rimowa und Dolce & Gabbana wagten sich unlängst erstmalig an NFTs,
wort, sondern Notwendigkeit und Konzept, an dem weiter gefeilt wird also virtuelle Kunstwerke. Auch maßgeschneiderte, digitale Couture für
und mit dem sich inzwischen nicht nur Lorbeeren verdienen lassen, einen Post auf Instagram kann man inzwischen kaufen. Das allein reicht
sondern auch Geld. 40 Millionen Tonnen Müll sondert die Bekleidungs- als Konzept derzeit vielleicht noch nicht zum Börsengang, aber Leute, die
industrie jedes Jahr ab, vieles davon landet auf wilden Deponien, zum bereit sind, Geld dafür auszugeben, gibt es schon.
Beispiel in Westafrika oder Chile. Und während in den vergangenen Nach der Prognose von McKinsey wird das Geldausgeben für Bekleidung
Jahren viel von „zirkulärem Luxus“, eine fancy Beschreibung für den im Jahr 2022 auch in der realen Welt, die in letzter Zeit in puncto Be-
Secondhandmarkt 2.0 die Rede war, betont „The State of Fashion“ in drohungen, Hindernissen und Bösewichten viele Videospiele in den
STATE OF FASHION

diesem Jahr die zirkuläre Textilverarbeitung, sprich also, die Wieder- Schatten gestellt hat, wieder ein größeres Thema werden. „Länder mit
verwendung von Materialien in sogenannten Closed-Loop-Prozessen. starken Gesundheitssystemen und ökonomischer Resilienz“ werden dabei
Von den Führungskräften der wichtigsten Modeunternehmen, die für die Nase vorn haben. Je höher die Impfquote desto besser angezogen?
den Report befragt wurden, sagen immerhin 57 Prozent, dass „die Nach- Das ließe sich dann für 2023 untersuchen.

30

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 Arthur Arbesser
Die Mode von Arthur Arbesser hat schon
immer gute Laune gemacht. Nun darf sich
diese auch zu Hause ausbreiten, denn Ar-
besser präsentiert mit AA Casa eine Home-
Kollektion. Sie besteht vor allem aus Tisch-
decken und -textilien und wurde in Mai-
land neben seiner Mode vorgestellt: Klar
geschnittene Hemden, Faltenröcke, Hosen
und Kleider in kinderbunten Karo- und
Blumenmustern, die einfach Spaß machen
sollen. Er habe während der Pandemie
gemerkt, dass es okay sei, einfach das zu
machen, was einem gefalle, sagte Arbesser
mit seinem großen Lächeln. Und davon
lässt man sich gern gleich anstecken.
Erdem
Erdem
Auch für Erdem Moralioglu hat das Zuhause
ZUSAMMENGESTELLT VON SILVIA IHRING; HENRIK BLOMQVIST; PICTURE-ALLIANCE(3); PRADA
während der Pandemie an Bedeutung gewon-
nen. Der Londoner Designer ist in ein neues
Haus im Viertel Bloomsbury gezogen und das
hat sich auf seine Arbeit ausgewirkt: Die
Künstlerszene von Bloomsbury, die Ein-
wohner und Charaktere, die die Gegend
prägten, inspirierten Erdem zu der Kollekti-
on, mit der er sein 15. Jubiläum feiert. Zwei
Frauen haben es ihm besonders angetan:
Ottoline Morrell und Edith Sitwell, die eine
Aristokratin und Mäzenin, die andere eine
Dichterin, beide exzentrisch und ihrer Ge-
sellschaft im frühen 20. Jahrhundert weit
voraus. Erdem blickt bekanntermaßen gern in
die Vergangenheit, aber ist ein Meister darin,
die Referenzen von damals modern zu ver-
packen. Die neuen Entwürfe sind ungewohnt
ernst für den sonst so blumenverliebten De-
signer. Maskuline Elemente wie Blazer, weiße
Hemden und ein doppelreihiger Mantel
werden weißer Lochspitze, Raffungen und
auffälligen Hüten entgegengesetzt.
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LABELS
TO LIKE
DIESE IDEEN
GILT ES IM
AUGE ZU
BEHALTEN
Loro Piana
Die italienische Marke Loro Piana steht für zurück-
haltenden Luxus, aber in den vergangenen Jahren
hat das Label durchaus für
Gesprächsstoff gesorgt. Mit
Kooperationen wie mit Da-
niel Brühl oder Christy Tur-
lington Burns oder mit der
japanischen Marke Fragment.
Die Berufung eines neuen
CEOs – Damien Bertrand hat
zuvor für Dior gearbeitet –
im vergangenen November
dürfte ebenfalls für neue
Wege sorgen. Die aktuelle
Kollektion hält sich derweil
Loro Piana
an das Rezept, das Loro Piana
so besonders macht: zeitloses
Design und exzellente Mate-
rialien. Die Favoriten: eine
blaue Hose aus poliertem
Alaïa Leder und der Trenchcoat
Prada
„Frans“, bestehend aus einem besonders weichen
und leichten Stoff namens Only Double.
Prada
Alaïa
Für die erste wieder physische Modenschau
Auf jedem Platz lag ein Brief von Pieter Mu- hatten sich Miuccia Prada und Raf Simons
lier an Azzedine Alaïa. Darin dankte der einiges vorgenommen: Die Zusammenarbeit
belgische Designer dem legendären ver- zwischen den zwei Star-Designern musste
storbenen Couturier, in dessen Fußstapfen er zum ersten Mal vor einem Live-Publikum
nun getreten ist, für sein Werk. Das Debüt in überzeugen, zudem wurde die Kollektion
Paris im vergangenen Juli begann mit dieser zeitgleich in Mailand und Shanghai vor-
Geste, und ebenso respektvoll war auch die gestellt, über riesige Screens waren die Gäste
Kollektion, die darauf folgte. Mulier, der jeweils an beiden Orten dabei. Man traut
viele Jahre als rechte Hand von Raf Simons sich viel Neues bei Prada, und es zahlt sich
gearbeitet hat, fühlt sich wohl in der trendbe- aus: 2021 stiegen die Verkaufszahlen um 41
freiten und handwerksergebenen Blase, die Prozent. Die neue Frühlingskollektion könn-
Alaïa sich einst aufgebaut hat. Ganz in der te diesen Trend fortsetzen. Leicht verkäuf-
Tradition der Codes des Hauses spielt er mit liche Statement-Pieces wie mächtige Bikerja-
schmalen und voluminösen Silhouetten, cken und knallige Strickteile werden zu
betont Taillen und Kurven und bringt dabei Miniröcken mit Schleppen und kurzen Shift-
neue Elemente wie Denim oder Sportswear- kleidern kombiniert. So viel nackte Haut ist
Details ein. Die Show fand, wie immer, im ungewohnt für Prada, steht aber für einen
Alaïa-Anwesen in der Pariser Rue de Moussy Trend zu mehr Sexyness, den viele Marken
statt, in das der Couturier regelmäßig Gäste wieder für sich entdeckt haben. Pradas Inter-
einlud und für sie kochte. Auch Mulier, so pretation von moderner Verführung: minima-
scheint es, hat hier ein Zuhause gefunden. listisch und clean. Und diese Lederjacke!
31
Ein leer stehendes
Stadtpalais in der
Rue de l’Université.
Look aus Cardigan,
Minirock in Rosé mit
Schleppe, darunter
schwarze Hotpants
und Slingpumps
von Prada

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AUFTRITT

Festgelegt ist sie wirklich nicht:

Schauspielerin Lilly Krug glänzt
als fiese Killerin in ihrer ersten
Hollywood-Hauptrolle. In unserem
Modeshooting macht sie als Flaneurin
Paris auf andere Art unsicher

Internationales
Parkett
FOTOGRAF: OLAF WIPPERFÜRTH

STYLING: SILJA LANGE; HAARE: PAOLO FERREIRA C/O CALLISTE;

MAKE-UP: ANNABELLE PETIT C/O WISE AND TALENTED;

DIGITAL OPERATOR: LAORA QUEYRAS; VIDEOGRAPHER:

ANDREAS B. KRUEGER; FOTO-ASSISTENZ: CLEMENT MAHJOUB;

STYLING-ASSISTENZ: KATRIN SILLEM

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Oversized Hemd mit Druck
auf dem Rücken: Patou.
Hotpants: Alexandre Vauthier.
Loafer: Roger Vivier

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Look aus ärmelloser Jacke und
Weste mit verdecktem Reißver-
schluss und Hoodie: Beides von
Max Mara. Hut: Maison Michel

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 Oversized Cardigan aus Bast
mit Seidenfutter von
Brunello Cucinelli.
Ringe und Ohrring: Goosens Paris.
Ringe: Xenia Bous

Linke Seite: Look aus Oversized Shirt,

Bermuda, Kniestrümpfen und
Ohrring von Miu Miu.
Loafer: Roger Vivier

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 Hängen geblieben: Der vergessene Druck
zeigt die „Jungfrau der Schmerzen“.
Bikerjacke und Hotpants: Tod’s

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 Auf der Pont Alexandre III am
Grand Palais. Oversized Mantel
und gerippte Leggings: Sportmax.
Schuhe: Louis Vuitton. Im Hin-
tergrund der Invalidendom

Rechte Seite:
Bedruckte Oversized-Jeansjacke
und Cargopants,
Nude Body: Christian Dior.
Loafer: Roger Vivier

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 In den Armen einer bronzenen Nymphe
auf der Brücke Alexandre III im Look aus
Short Jacket mit Pailletten, Oversized
Weste darunter, schwarze Samtleggings
und Schuhe: alles von Louis Vuitton

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 Im Waschsalon in
Montmartre, Rue Coustou.
Mantel und Oversized Hose:
Dries Van Noten.
T-Shirt: Loro Piana.
Sandalen: Pierre Hardy

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Vor dem Pigalle Country Club,
Rue Jean-Baptiste Pigalle.
Oversized Mantel von Shang Xia.
Darunter, gelber Kaschmirmantel:
Loro Piana. Sneaker: Pierre Hardy

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J
etzt geht’s los! Denkt man sofort, wenn 16 und nur mit einer Freundin unterwegs. Wir sind
man sie in diesem Supermarkt sieht. Zu- durch die Straßen gelaufen, zu Fuß auf den Eiffel-
erst ihre spektakulär langen Beine unter turm rauf, ins Rodin-Museum, haben im ,Moulin
dem kurzen, gelben Regencape. Und Rouge‘ eine Show besucht und in einem japa-
dann diese Augen. Sie sprühen vor Le- nischen Restaurant Sake getrunken. Dann wurde
bendigkeit. Kein Wunder, dass der Dotcommillio- mir in einem Club mein Handy geklaut, und wir
när Chris (Cameron Monaghan) sofort Feuer und sind mit zwei ortskundigen Jungs los, durch ganz
Flamme ist. Was beginnt wie ein Rosamunde-Pil- Paris das Handy suchen, bis die Sonne aufging. Und
cher-Plot: desillusionierter, geschiedener Mann, Mama konnte mich nicht mehr erreichen. Drama!
der sich in die Natur zurückgezogen hat, trifft eine Sie hat sich natürlich Sorgen gemacht, bis ich auf
schöne Unbekannte und verliebt sich zurück ins die Idee kam, sie vom Handy meiner Freundin
Leben – endet in einer Tarantino-haften Gewalt- zurückzurufen.“ Sie lacht. „Komisch, da ich keine
orgie, bei der nichts so ist, wie es scheint. Nicht der Fotos mehr von dieser Reise habe, weil das Telefon
schmierige Motel-Vermieter Ronald alias John ja weg war, sind die Erinnerungen daran umso
Malkovich und vor allem nicht Sky alias Lilly Krug, intensiver.“
zuckersüßer Welpe und sadistisches Killerbiest in Sie wusste nicht sofort, dass sie Schauspielerin
einer Person. „Shattered“, so der Name des Thril- werden möchte. „Ich bin ja quasi am Filmset auf-
lers ist nichts für schwache Nerven. gewachsen und wollte mich erst gar nicht mit mei-
An diesem ebenso eiskalten Pariser Morgen kramt ner Mutter messen oder vergleichen lassen. Phasen-
Lilly Krug keine Bohrmaschine und Chickenwings weise wollte ich Anwältin oder Sängerin werden“,
aus ihrem Rucksack, sondern zum Glück nur eine erzählt sie. „Mit zehn bin ich immer samstags zur
Birne und ein hart gekochtes Ei zum Frühstück. Kinderschule Stagecoach in München gegangen,
Von Jetlag keine Spur. Vorgestern noch Los Ange- zum Singen und Tanzen auf der Bühne. Eine echte
les, gestern München, heute Paris. Man muss wohl Herausforderung, weil ich damals noch sehr
20 Jahre alt sein, um ungeschminkt und morgens schüchtern war.“ Erst während der Abiturzeit habe
um acht Uhr so wach auszusehen wie sie. Vor zwei sie Theater als eines ihrer Hauptfächer gewählt und
Jahren erst zeigte ihre Mutter Veronica Ferres ein Geschmack daran gefunden. „Ich habe meine ei-
Foto der damals volljährig gewordenen Lilly das genen Scripts geschrieben, inszeniert und gespielt,
erste Mal voller Stolz auf Instagram. aber Mama erst einmal nichts davon erzählt. Nicht
Im Zeitraffer hat die Tochter aus Ferres’ erster Ehe mal, als ich mein erstes Stück vor der ganzen Schule
mit Filmproduzent Martin Krug Karriere gemacht: aufgeführt habe. Ich wollte die Erfahrung allein für
Zehn Filme hat sie seitdem schon abgedreht. Be- mich sammeln.“
sonders Hollywood hat Lilly im Blick und umge- Doch einen Beruf daraus machen? Nein, sie plante
kehrt. Sie drehte bereits an der Seite von Anthony erst einmal ein „Gap Year“ zur beruflichen Orien-
Hopkins, Casey Affleck oder Michael Shannon. Und tierung, um allein durch die Welt zu reisen, ein
jetzt die erste Kino-Hauptrolle mit John Malkovich IT-Praktikum in New York zu machen, für den
und dem Regisseur Luis Prieto, nach dessen Netflix- Marathon dort zu trainieren und den Kilima-
Serie „White Lines“ Lilly geradezu süchtig war. In ndscharo in Afrika zu besteigen. Kurz nach dem
„Shattered“ knödelt sie akzentfrei auf Amerikanisch Abitur dann besuchte sie ihre Mutter, die gerade
los. Eine Synchronstimme braucht sie in den Holly- den Kurzfilm „Malou“ drehte. „Eine Schauspiele-
wood-Produktionen nicht. „Ich habe mein interna- rin wurde krank, und der Regisseur bat mich, ein-
tionales Abitur an der Bavarian International School zuspringen“, erzählt sie. „Als ich schon in New
in München gemacht“, sagt sie. „So bin ich mit York war, ging der Film in Amerika völlig ab, war
amerikanischem Englisch aufgewachsen. Das hilft.“ sogar auf der Oscar-Shortlist. Beim ZDF sah man
Ihre Rolle heute: Model für ICON. Der imaginäre den Film und besetzte mich für eine Rolle in „Gip-
Plot: eine Tour durch Paris, visuell inspiriert von felstürmer“. Und dann kam das Angebot für „The
Wong Kar-Wais Filmdrama „In the Mood for Heart of Champions“ in den USA. Arbeit, die sich
Love“. Sie beginnt in dem verlassenen wie ver- nicht wie Arbeit anfühlt, das intensive Teamwork
wunschenen Stadtpalais aus dem 18. Jahrhundert bei jedem Film und die kreative Energie am Set –
im 7. Arrondissement und führt über die Brücke genau das wollte ich!“
Alexandre III zu den Neon-Reklamen des Rotlicht- Seit 2019 lebt Lilly Krug nun in Los Angeles, wo sie
Viertels Pigalle. Alles sehr cineastisch und ganz an der University of Southern California Psycho-
nach dem Geschmack unserer Protagonistin: „Ich logie und Schauspiel studiert. Es fragt sich nur, wie
liebe Filme wie ,Moulin Rouge‘ von Baz Luhrmann lange sie noch Zeit fürs Studium hat. Der nächste
oder ,Midnight in Paris‘ von Woody Allen – sie Hollywood-Regisseur will sie bereits kennenlernen.
haben eine wunderbare Tiefe und bewegen etwas Bevor sie mit ihrer Mutter und Familie in den Ur-
im Zuschauer.“ laub fliegt, muss sie für das Treffen spontan zwei
Paris hat für sie eine besondere Bedeutung: „Meine Tage zurück in die USA. Sicher ist: Von Lilly Krug
erste Wochenendreise ohne meine Eltern. Ich war werden wir noch viel sehen. Silke Bender

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UHREN
E
Es war ein Wiedersehen geplant in
Genf, so ein richtiges. Das, was man
inzwischen ein „physisches
Event“ nennt. Aber dann
ging die Watch Week der
LVMH doch rein digital über die
Bühnen der vier ausstellenden Mar-
ken: Bulgari, Hublot, TAG Heuer und
Zenith. Dafür passte das, was sie präsen-
tierten, auch bestens in eine radikal
veränderte Welt. Bis auf Bulgari
stellten die Unternehmen kompakte
Dreizeiger-Sportuhren mit Glieder-
armband in den Vordergrund: robustes
Rüstzeug für Männer – und zunehmend auch
Frauen –, die weniger Zeit im Büro verbringen
und wesentlich mehr Freizeit-Looks tragen als
noch vor ein paar Jahren.
TAG Heuer hatte erst im vergangenen Jahr die
„Aquaracer Professional 300“ vorgestellt, die
Gestaltungselemente aus Heuers Taucher-
uhren-Geschichte aufgreift und dabei dank
moderner Werkskonstruktion angenehm flach
geraten ist. Ihre 43 Millimeter Durchmesser
verlangen aber nach einem kräftigen Hand-
gelenk. In Genf folgte jetzt die kleinere
Schwester, die „Aquaracer Professional 200“.
Nicht mehr ausdrücklich Taucher-, sondern
Sportuhr mit Stahlgehäuse, die genauso elegant
wie geländetauglich sein soll. Die Dreh-Lünet-
te wirkt besonders griffig. Es gibt zwei Größen:
mit 40 oder 30 Millimeter Durchmesser,
jeweils wahlweise mit Automatik oder Quarz-
Antrieb.
Natürlich ist TAG Heuer wie Zenith und
Hublot seit je auch Sportuhrspezialist; und
die Entwicklung eines neuen Modells
benötigt eher drei als zwei Jahre, eine
hochwertige Uhrenkollektion kann also
nicht auf akute Krisen und jeden Zeitgeist-
Wandel reagieren. Tatsächlich aber haben
Pandemie und Lockdown einen Trend ver-
stärkt, der schon weit vor 2020 begonnen hatte
– womöglich in China, wo es endlich schick
wurde, seine Freude an mehr Freizeit zu zei-
gen. Jetzt sind überall 40 Millimeter Durch-
messer genug, da es kaum Gelegenheit zum
großen Auftritt gibt. Dazu passen kompakte,
wasserdichte Stahlgehäuse nicht nur besser
zum Alltags-Outfit, sie vermitteln auch das
Gefühl von Sicherheit: ein unkompliziertes,
aber höchst verlässliches Ausrüstungsstück für
gefühlt oder tatsächlich harte Zeiten.
Darauf zahlt auch Hublots Hauptneuheit ein,
macht allerdings nicht beim Stahl-Trend mit.
Das Unternehmen definiert sich schließlich
über die Entwicklung neuer Werkstoffe. In
diesem Jahr setzt es unter anderem auf zitrisch
gelbes Gold. Gefertigt wird daraus auch eine
Variante der in Genf präsentierten „Integral
Time Only“. Die Drei-Zeiger-Version des
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Das Design ist deutlich dezenter geworden:
Tag Heuer „Aquaracer 200“ (ab 1700 Euro)
stattlichen „Big Bang Integral“-Chronographen
misst ebenfalls nur 40 Millimeter. In massivem
Gold, ganz aus hellgrauem Titan oder tief-
schwarzer Keramik ist sie aber allemal bemer-
kenswert. Kennern wird vor allem die limitier-
te Keramik-Version auffallen.
Denn auch das ist ein Thema, das die gesamte
Branche in hohem Maße beschäftigt: Die bes-
ten Stücke sind kaum zu haben und darum
umso begehrenswerter. Bei den Stahl-Klassi-
kern von Rolex, Patek Philippe und Audemars
Piguet übersteigt die Nachfrage das Angebot
bei Weitem. Das treibt nicht nur ihre Preise
auf dem Gebrauchtmarkt in fantastische Hö-
hen, es lenkt auch den Blick auf die Produkte
anderer Marken. Eine echte Chance für Her-
steller und Juweliere, den vielen Kunden
Alternativen anzubieten, die nicht haben kön-
nen, was alle haben wollen.
Bulgari setzt auf Dass man von den Lieferschwierigkeiten
die große Gala: anderer profitiere, räumt man auch bei Ze-
„Serpenti Misterioso“ nith ein. Aber eben nur in den engen
(244.000 Euro) Grenzen der eigenen Produktionskapazi-
täten, die sich zurzeit auch kaum aus-
bauen lassen. Zeniths Beitrag zur Sport-
uhren-Phalanx ist eine neue „Defy“-Linie,
die „Skyline“. Die rasante kleine Sekunde bei
9 Uhr ist mindestens so auffallend, wie es das
oktogonale Gehäuse ist. Statt in 60 rotiert sie in
zehn Sekunden, macht damit ihren Antrieb
durch ein „El Primero“-Schnellschwinger-
Kaliber sinnfällig. Weil das Werk Platz braucht,
liegt die „Defy Skyline“ um einen Millimeter
über dem neuen 40-Millimeter-Standard – vor
wenigen Jahren wäre das noch bemerkenswert
klein gewesen.
So wenig die Sportuhren der drei Konzern-
Schwestern einander ähneln, so wohltuend war
doch der von Bulgari gesetzte Kontrapunkt.
Oben: Zenith Die Manufaktur stellte neue „Serpenti“-Model-
„Defy Skyline“ (8300 le ins Zentrum ihrer Präsentation. Die sind
Euro). Darunter: gemacht für Ball und Gala und die Aussicht auf
Hublot „Big Bang ein großes Publikum. Darunter vier „Serpenti
Integral Time Only“ Misteriosi High Jewellery“, opulent ausgestal-
(17.500 Euro) tete Skulpturen, die erst nach einem Druck auf
die Schlangenzunge den Blick auf die im Kopf
verborgene Uhr freigeben.
Die ist winzig, aber mechanisch. Schließlich
Kleine hat sich zuletzt gerade Bulgari mit der Entwick-
lung besonders kompakter Werke hervorgetan.
Im Laufe der Jahre will man dann auch wieder
Könner Maskulineres präsentieren, damit hält man es
genauso wie viele andere Marken. Statt im
Frühling alle Neuigkeiten auf einmal zu zeigen,
verteilen sie die Nachrichten übers Jahr, um
Robuste Modelle mit kleinerem sich damit Aufmerksamkeit zu erhalten. Die
Branche eint, sich ein Wiedersehen in Genf zu
Durchmesser: Die Uhrenwelt wünschen. Die Watches & Wonders Anfang
setzt derzeit auf Reduktion. April, heißt es, werde mindestens schon mal
„phygital“ – also eine Mischung aus physisch
Sehr zur Freude der Kunden und digital. Schön wäre es schon. jle/pec
48
 Miu Miu LABELS
Die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeit moti-
viert immer mehr Marken, mit neuen, umweltfreundli-
chen Materialien zu experimentieren. Leder aus
TO LIKE
Pilzmyzel, Seide aus Orangenschalen: Viele Innova-
tionen setzen auf pflanzliche Rohstoffe anstatt auf DIESE IDEEN
tierische. Miu Miu verwendet jetzt auch für die neue
„Wander Bag“, die schon wegen ihrer Farben knallt, GILT ES IM
AUGE ZU
ein Material namens Econyl, das bereits vom Mutterhaus
Prada in einer Kollektion der traditionellen Nylontaschen
erfolgreich eingesetzt wird. Hersteller ist das italienische
Unternehmen Aquafil, als Grundlage dienen Fasern aus altem
Velours, Plastikabfall aus industriellen Pro-
BEHALTEN
duktionsprozessen oder Fischernetzen. Die
Verarbeitung der Miu-Miu-typischen Mate-
lassé-Struktur ist jedoch ebenso detailreich wie
bei den Ledertaschen.

Gucci
Givenchy Soll man wirklich wieder Cowboyhüte tragen? So man-
cher mag skeptisch auf das auffälligste Accessoire aus
Guccis neuer Kollektion reagieren. Allerdings: Alessan-
Birkin, Grace, Alexa: Einige der
dro Michele hat Tausende Menschen weltweit dazu
erfolgreichsten Taschen der Mode-
gebracht, sehr viel Geld für fellgefütterte Pantoffeln
geschichte tragen die Namen stil-
auszugeben. Der Cowboyhut steht für seine Faszination
prägender Frauen. Givenchy
für die amerikanische Ikonografie und Popkultur, die in
verlässt sich für sein neuestes
der Kollektion „Love Parade“, die auf dem Strip in Los
Accessoire auf den Einfluss von
Angeles gezeigt wurde, eine zu tragende Rolle spielt. Es
Model Kendall Jenner, die be-
sei ein überraschend komplex konstruierter Hut, den er
reits in mehreren Kampagnen
zudem oft an jungen Menschen in Clubs sehe, sagte der
des Hauses aufgetreten ist. Sie ist
Designer nach der Show. Diese „Early Adopter“ dürften
Namensgeberin der neuen „Ken-
die Gucci-Variante schon zum nächsten It-Piece erklärt
ny Bag“, einer kompakten, Crois-
haben. Gut möglich, dass ihnen bald noch mehr Fans
sant-förmigen Tasche mit auffäl-
folgen werden.
ligen Raffungen und silbernem
„4G“-Schloss, ein typisches Desig-
nelement von Kreativdirektor
Matthew Williams. Debüt feierten
Tasche und Patin im September
2021 auf einer Afterparty
Versace
der Met Gala. So kann Versaces jüngste Kunden wissen vielleicht
ZUSAMMENGESTELLT VON SILVIA IHRING; MENDOZA E CLAUDIA; WIREIMAGE; GIVENCHY; GETTY IMAGES; CHLOÉ

es weitergehen, nicht, was genau es mit diesem „Barocco“-

denn 4G hat Muster oder der „Medusa“ auf sich hat.
nichts mit einem Aber ihre größten Idole – Dua Lipa, Lour-
Virus zu tun. des Leon, Lil Nas X – tragen Versace, und
das ist für Gen-Z-Kids Grund genug, dies
ebenfalls zu tun. Für ihre jüngste Moden-
schau holte Donatella Versace kluger-
weise die berühmte Popsängerin und die
Chloé Tochter der noch berühmteren Popsänge-
rin auf den Laufsteg. Die Hoffnung war
Sneakers gehören zu den wichtigsten und profitabelsten Accessoires der Mo-
natürlich, dass die Celebrity-Models den
debranche. Nur als naturfreundlich sind die Schuhe, in denen oft Gummi und
Blick auf eine weitere Versace-Ikone len-
Klebstoffe zum Einsatz kommen, nicht gerade bekannt. Einen nachhaltigen
ken: das Seidentuch. Die wichtigste In-
Luxus-Sneaker zu erschaffen muss bei der umweltbewussten Chefdesignerin
spirationsquelle der Kollektion tauchte in
von Chloé, Gabriela Hearst, ganz oben auf der To-do-Liste gestanden haben.
unterschiedlichen Varianten und Formen
Das Experiment ist mehr als geglückt: Der „Nama“-Schuh besteht aus recycel-
auf. Als Himmel über dem Laufsteg. Als
ten Materialien wie Polyester, Nylon, Baumwolle, Strickgarn und Wildleder
Top, Gürtel oder Kopftuch, als Minirock
und verzichtet auf Chemie-basierten Kleber. So verbraucht die Herstellung des
oder Hemd, geknotet an Handgelenken
Schuhs weitaus weniger Ressourcen als ein traditionell pro-
oder Taschenhenkeln. Seidentücher
duzierter Sneaker. Ein weiteres Kaufargument liefert das De-
werden gemeinhin als eher traditionell
sign mit gehäkelter Oberfläche und freundlichen Farben.
wahrgenommen, bei Versace jedoch
Schönstes Detail: auffällige Nähte, die die Sohle mit dem
gelten sie als „provokant und sexy“.
Oberschuh verbinden.
Vor allem sind sie eine perfekte
Leinwand für all die wunderschönen
Muster, die das Haus auszeichnen
und die seine Designerin nun für eine
neue Generation anders interpretiert.

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MASSARBEIT

Einer für
A
Am Anfang war das Understate- man ihn wieder freundlicher erleben könne,
ment. Der Satz mag etwas hoch- antwortet der Darsteller: „Nun mal langsam,

immer gegriffen sein, aber wenn es um das

moderne Kleidungsstück für Män-
ner überhaupt geht, ist er einfach
nur wahr: Mit dem einfarbigen Anzug nahm
erst einmal muss ich noch ein paar Leute um-
bringen.“ Selbstredend erntet er dafür Geläch-
ter. Ob er die Pointe geplant hatte, oder sie
spontan kam, eins steht nun endgültig fest:
Ist der Anzug noch modern? das Bürgertum dem Adel im 19. Jahrhundert Dieser Mann passt zu 100 Prozent zur Grund-
die Macht, durch seinen Prunk zu zeigen, was idee des Anzugs.
Das kommt ganz auf den Anzug auf diesem Planeten schön sein soll. Und Au- Es ist etwas ruhiger geworden um diesen Be-
gust Wittgenstein demonstriert an diesem gleiter durch den Alltag. Es bröckelte schon
an – und den Mann, der ihn Abend in Frankfurt, wie sehr er dieses Prinzip vor dem erzwungenen Umzug ins Homeoffice.
verinnerlicht hat: Als ihn jemand in seiner Unternehmer wie der Apple-Chef Steve Jobs
trägt. Der Schauspieler August Gesprächsrunde „Deutschlands besten Schau- hatten es zum Trend gemacht, durch Jeans und
Wittgenstein hat sich von Brioni spieler“ nennt, huscht ein mikrofaserfeines T-Shirt auszudrücken: Formale Garderobe stört
Lächeln über sein Gesicht. Es sagt: Das Kom- mich dabei, kreativ zu sein. Mit der Arbeit zu
einen Zweiteiler nach Maß pliment freut mich, aber hoffentlich erwartet Hause entfiel ein weiterer Grund, im Anzug
jetzt niemand, dass ich es ernst nehme. unterwegs zu sein.
machen lassen. Er ist jetzt Kurz darauf erzählt Wittgenstein (in diesem Aber gerade, weil die Menschen danach lech-
Jahr unter anderem in einer Hauptrolle in der zen, sich endlich wieder vor der Tür zu be-
genauso überzeugt wie wir. ARD-Serie „Höllgrund“ zu sehen und im Kino- gegnen, ist das Stück nach wie vor aktuell. Und
THOMAS MEYER begleitete ihn film „Jagdsaison“) davon, wie es ist, lange Zeit wenn es nach Maß und von Hand gefertigt
Bösewichte zu verkörpern – und als ein Zu- wird, unterstreicht nichts die Individualität so
mit seiner Kamera hörer im neuen Brioni-Store wissen will, wann sehr wie etwas, das tatsächlich für eine einzige

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Links: Kennenlernen in Frankfurt –
Wittgenstein bespricht mit Angelo
Petrucci den Stoff und schlüpft
zum Maßnehmen in einen Pro-
beanzug. Unten und rechts: Anpro-
be in Berlin – der Zweiteiler ist
lose zusammengenäht, Petrucci
markiert jedes zu korrigierende
Detail mit Schneiderkreide
Person gemacht ist. August Wittgenstein weiß
das, in seinem Beruf sind Kostümproben ein
ganz entscheidender Moment, in dem ein
Mime etwas über seine Figur lernt, wer sie ist,
wie sie wirken soll.
Und weil Wittgenstein es wirklich wertschät-
zen kann, kam die Idee auf, ihn dabei zu be-
gleiten, wie er einen Anzug fürs Leben be-
kommt. Den ersten maßgeschneiderten, zur
Konfirmation war es noch der vom älteren
Bruder, recht brettig. Wobei Wittgenstein
auch bisher in Stilfragen sicher auftritt. „Ich
trage sehr gern Anzüge, finde, man muss den
Anlässen und den Gastgebern gerecht wer-
den.“ Bei der Wahl des Ausstatters für das
besondere Stück gab es wenig zu diskutieren.
Die Römer von Brioni verbinden seit Jahr-
zehnten die Vorzüge von Maßkleidung mit
einem Know-how und einer Logistik in ihrer
Manufaktur in Penne, dass selbst notorisch
neidische Kollegen zugeben: Die Sauberkeit
und Präzision, mit der die Italiener zu Werke
gehen, ist eigentlich nicht zu übertreffen. Hier
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gibt es neben langer Erfahrung für jeden der nach einigen Irrungen wieder auf den Kurs
220 Arbeitsschritte einen Spezialisten, vom bedingungsloser Qualität eingeschworen hat,
Zuschnitt bis zum handgenähten Knopfloch. und vor allem Angelo Petrucci, der Chef-
Dreimal muss der Schauspieler, der spätestens schneider des Hauses.
seit seiner Rolle als schwuler Staatsanwalt in Man sagt nicht zu viel, wenn man ihn als eine
der „Ku’damm“-Reihe ein fester Begriff ist, für Legende der Szene bezeichnet. Seit knapp 40
seinen Zweiteiler bei den Italienern vorstellig Jahren gehört er zum Unternehmen, er hat
werden: Vermessen und Stoffauswahl, Anpro- Pierce Brosnan und Daniel Craig für ihre Rol-
be zur Korrektur, Abholung. Der erste Termin len als 007 beschneidert und sich auch schon
findet in Frankfurt statt, wo das Haus ein neues von einem ehedem sehr mächtigen Mann in
Konzept aus der Taufe gehoben hat: Statt in den USA seinen Job erklären lassen. Fragt man,
erster Linie Kleidung von der Stange auf den wen er besonders gern zum Kunden hatte,
Kundenkörper anzupassen, geht es zu wie in antwortet er mit „Jack Nicholson“, gerade so,
einem Atelier. Kunden können nach Verabre- als ob rein gar nichts dabei wäre. In Frankfurt
dung im ersten Stock eines Gebäudes in der trägt er einen dunkelblauen Zweiteiler, der
Innenstadt in aller Ruhe ihre Wünsche mit signalisiert, wohin die Reise geht: Obwohl
einem Schneider besprechen. Brioni seit seiner Gründung 1945 immer wie-
Zum Kick-off kommt August Wittgenstein der durch modischen Mut aufgefallen ist, geht
abends für eine Gesprächsrunde her, am Mor- es stets um die Verbindung von britischer
gen danach taucht er in beiger Baumwollhose, Nüchternheit und italienischer Geschmeidig-
braunem Hemd und weißen Sneakers auf. keit. Beim Finale in Mailand wird der Maestro
Zugegen sind auch der Chefdesigner Norbert „in Jeans“ kommen – zum ersten Mal trägt er
Stumpfl, ein leiser Österreicher, der das Label maßgearbeitete Denimware.
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August Wittgenstein tritt leise auf, der erste
Maßanzug ist auch für ihn eine große Sache.
Petrucci stellt sich mit ihm an einen großen
Tisch mit Tageslicht – wichtig bei der Farbwahl
– und lässt die Augen an Wittgenstein auf und
abgleiten, ohne dass der es merkt. Ungeübte
Kunden stehen beim Messen oft stramm wie
ein preußischer Feldwebel, eine unnatürliche
Haltung. Also ist es besser, den Klienten schon
vorab in Bewegung zu studieren.
Bei der Stoffauswahl lenkt Petrucci seinen
Kunden beiläufig in eine bestimmte Richtung:
Ein Anzug fürs Leben sollte nicht zu leicht und
zu flamboyant sein, ein dunkelgrauer oder
marineblauer Stoff passt immer und ist zudem
robust genug für den Dauergebrauch. Nach
einigem Befühlen willigt Wittgenstein in ein
nachtblaues Tuch ein. Was folgt, ist ein Schau-
spiel, für das man Eintritt verlangen könnte.
Petrucci lässt seinen Klienten in einen Pro-
beanzug schlüpfen, den er Millimeter für Milli-
meter abtastet. Was er sieht und erfühlt, trägt
er auf ein Blatt ein, sodass er beim Zuschnitt
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die Schablonen aus Pappe Wittgensteins Kör-
per gemäß abändern kann. Petruccis Bewe-
gungsabläufe erinnern an einen Tänzer, Witt-
genstein schweigt und lächelt – und das Beste
ist: Der Schneider müsste das alles gar nicht
tun. Er hat schon Kunden mit perfekt sitzender
Kleidung ausgestattet, die er nur mit den Au-
gen vermessen hatte.
Zum Schluss fühlt Wittgenstein sich sichtlich
wohl, er plaudert freigiebig über sein Stil-
Vorbild Sean Connery. Petrucci wird die Maße
nach Penne mitnehmen, dort den Stoff zu-
Großer Tag in Mailand: Zur letzten
schneiden, per Hand ein Innenleben aus
Anprobe im Store in der Via Gesù hat
Baumwolle und Steifleinen einarbeiten lassen
der Anzug noch das Gerüst aus wei-
und den Anzug lose zusammengenäht mit
ßen Baumwollf äden, das ihm wäh-
einem Gerüst aus weißen Baumwollfäden zur
rend der Fertigung Struktur verleiht.
ersten Anprobe in Berlin wieder mitbringen.
Angelo Petrucci geht erneut jedes
Weil sein Unternehmen dort keine Dependan-
Detail von der Schulter bis zum
ce hat, findet das Fitting in einer Privatwoh-
Hosenbein durch, was ihm nicht
nung statt, dem „Loft“ von Alexandra von Reh-
gef ällt, ändern Schneider umgehend
lingen. Wittgenstein ist gespannt, Petrucci
in der Werkstatt vor Ort
entspannt, beider Freundlichkeit ist so ange-
nehm wie Kaschmir. Dann geht es erneut vor
52
 Der Eingang in der
Via Gesú, das Nadel-
etui von Angelo
Petrucci, August
Wittgenstein im
Maß-Zweiteiler:
Das Jackett ist für die
optimale Balance mit
den Beinen bewusst
kurz gehalten

den Spiegel: Diesmal arbeitet sich der Schnei-
der mit seinen Augen und Händen durch eine
Checkliste, die bei den Schultern beginnt und
am Hosenbein endet. So gut wie alles kann er
noch verändern, sitzt etwas nicht, greift er zur
Schneiderkreide und macht Markierungen auf
dem Stoff: Hier muss etwas weg, dort muss
etwas hin. Ein System, das dem Kunden auch
nach dem Kauf zugutekommt, Maßanzüge
verfügen über Stoffreserven, die herausgelas-
sen werden können, sollte der Appetit des
Klienten allzu ausgeprägt sein.
Zu Hause in Penne wird Wittgensteins gutes
Stück dann noch einmal auseinandergenom-
men, nachgeschnitten fest zusammengenäht
und in Form gebügelt. Das passiert bei Brioni
von Hand – bei durchschnittlicher Konfekti-
onsware geht es in die maschinelle Presse.
Zum Finale trifft man sich in Mailand, in einem
eleganten Raum hinter den Verkaufsflächen im
Haupthaus in der Via Gesù, dem Zentrum der
nonchalanten Eleganz. Wittgenstein bleibt
lässig – und auch höflich, als der Hair-&-Make-
up-Spezialist gar nicht aufhören mag mit dem ziehen sollte, der Ärmel nicht im My stimmen.
Styling für die Fotos von Thomas Meyer, der „Ist er vielleicht etwas zu kurz?“, fragt Witt-
auch dieses Mal wieder dabei ist. Nicht, dass genstein, der sehr lange Arme hat. Nur mit
da viel Hand angelegt werden müsste, aber dem kurzärmeligen Shirt darunter könnte man
Perfektion scheint hier ansteckend. Wittgen- tatsächlich meinen, da fehlt etwas. Doch der
stein ist beseelt von Petruccis Arbeit, der be- Schneider erklärt detailliert, warum die Länge
antwortet freigiebig die vielen Fragen zu sei- so perfekt ist, mit und ohne Manschetten da-
nem Metier. Der neue Kunde hat Jeans und runter. Im Leben würde man nicht widerspre-
Wetterjacke (es ist sonnig eiskalt in Mailand) chen. August Wittgenstein lächelt und schiebt
abgelegt, zieht Hose und Jackett über und sein seine Uhr zurecht. Im Atelier vor Ort werden
Gesichtsausdruck verklärt sich auf eine Weise, die kleinen Varianten prompt verbessert, erst
wie es kein Schauspieler nur mimen könnte. dann ist auch Angelo Petrucci mit dem Sitz
Wie fühlt er sich? „Ich bin gerade erst rein- und der Balance des Teils einverstanden.
geschlüpft, aber ich glaube schon jetzt: Das Man kann davon ausgehen, dass August Witt-
Ding trägt meinen Namen.“ Allerdings hat er genstein am Abend in der Scala, für die seine
die Rechnung ohne Angelo Petrucci gemacht: Schwester Anna Karten organisiert hatte, nicht
Nur, weil etwas seinem Kunden gefällt, heißt nur von der Musik beglückt war. Auf die Frage,
das noch lange nicht, dass er zufrieden wäre. wie es nun so ist mit dem guten Stück, hatte er
Und so bittet er Wittgenstein, entspannt vor beim Verlassen des Geschäfts noch gesagt: „Es
dem Spiegel zu stehen, fährt die Schulterlinie ist grandios! Pierce Brosnan hat als 007 auch
und die Taillierung nach, tastet den Rücken ab, seine Anzüge hier machen lassen.“ Ist das als
bittet seinen Kunden, die Arme seitwärts ab- Bewerbung zu verstehen? Wittgenstein lacht.
zustrecken, falls sich die Schulterlinie ver- „Ich wäre zu haben.“ IG/pec

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 INSIDE
HIER
KOMMEN 1
DAS ERSTE MAL
Marion Sailhen, Chefkuratorin der Online-Galerie

DESIGN- Singulart über Kunstkauf im Netz

UND WOHN-
Traditionelle Galerien haben 20, vielleicht 50 Künstler,
Singulart hat mehr als 10.000 aus 146 Ländern. Wer
wählt die alle aus?

EXPERTEN Wir haben ein großes Team von sogenannten Artist

Liaisons, die suchen weltweit.
2
ZU WORT Nach welchen Kriterien wird ausgewählt?
Der Künstler sollte eine lokale oder gewisse na-
tionale Bekanntheit genießen, eine künstlerische
Ausbildung haben, und seine Laufbahn und die
Preise für seine Werke sollten stimmig sein.

Unterscheiden sich Onlinekunden von anderen?

Ja. Sie sehen sich nicht als Sammler und haben sich
zuvor oft nicht mit Kunst beschäftigt. Die Mehrheit
3 4 kauft bei uns ihr erstes Bild.

Suchen sie die Anonymität, die ihnen eine Website bietet?

Im Gegenteil, wir kennen unsere Kunden gut, weil
unsere Kunstberater viel Kontakt mit ihnen haben.
Gut 80 Prozent der Verkäufe passieren nicht über
einen Klick, sondern nach einem Anruf und dem
Austausch von E-Mails. Unsere Klienten kaufen mit
Bedacht und nach Gefühl.
5 6
Was ist für Sie dann online anders?
An Singulart schätzen sie die offene Art, mit der die
Art Advisers über Kunst sprechen, ohne Belehrun-
gen und Fachausdrücke. Man sollte ein Kunstwerk
auch fühlen und verstehen können, ohne seiten-
weise darüber lesen zu müssen, finden wir.

Was wird gekauft?

Malerei mit Abstand am häufigsten, wie im traditio-
7 8
nellen Kunstmarkt, und zwar eher abstrakte als figür-
liche Bilder.

Macht es nicht einen Unterschied, ob man ein Bild auf dem

Bildschirm oder in Realität sieht?
Klar. Aber dank guter Technologie kann man auch
Details und Oberflächen gut zeigen. Eine böse Über-
raschung hat noch kein Klient erlebt.
9 10
Lesen Sie gern weiter auf iconmagazine.de

JETZT GEHT’S LOS: NEUE MÖBEL FÜR 2022

1. Jung geblieben: Formholz-Stuhl „S661“ von 1954, neu aufgelegt von Thonet
2. Gitterpult: Schreibtisch „Paradise Bird“ von Luca Nichetto, Wittmann
Perfekte Form:
ZUSAMMENGESTELLT VON GABRIELE THIELS

3. Oval Outdoor: „Borea Lounge Sunbed“ mit klappbarer Rückenlehne, Piero Barber Osgerby
Lissoni für B&B Italia 4. Schwebestück: Lounge-Sessel „Jalis“ von Jehs + Laub,
COR 5. Fürs Wohnoffice: Schreibtisch „Pisa“ aus Vollholz, zum Stehpult ver-
widmen dem Kegel
stellbar, von Kai Stania, Team7 6. Welle machen: Esstisch „Tavolo Due“ mit eine Leuchten-
massivem Alu-Fuß, von Julia Chiaramonti, Pulpo 7. Kurvenstar: Esstisch „Dew“ kollektion
aus gebogenem Holz und mit abgerundeten Kanten von Sabine Marcelis, Arco
8. Plissee-Rolle: Sessel „Nanami“ mit handgelegten Falten aus Velours, von (Galerie Kreo)
Dagmar Marsetz, Bretz 9. Zeitlos: Afra und Tobia Scarpas Sessel „Carlotta“ von INTERVIEW AUF
1967 als Outdoorversion, Cassina 10. Tischlerdetail: Beim Couchtisch „Nu- ICONMAGAZINE.DE
nos“ aus Holz verzahnen sich Wange und Platte, von Hanne Willmann, Leolux

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„Fragile Future III“ aus Puste-
blumen und die Stoffblüten
„Shylights“ schufen Lonneke
Gordijn und Ralph Nauta von
Studio Drift aus Amsterdam
E der Pusteblume
Es klingt wie ein Atmen. Wenn im
Hinabfallen Luft unter die dünne
Seide fährt und sie plötzlich auf-
faltet zu einem Blütenkelch mit
unzähligen Kammern. Das Ge-
räusch ist so leicht wie der Stoff, aber es macht
die Magie komplett: Wie kann ein Artefakt so
lebendig wirken? Fünf solcher Blüten hängen
derzeit im Hamburger Museum für Kunst und
Gewerbe (MKG) von der Decke des prächti-
gen Gründerzeit-Treppenhauses. An langen
Schnüren kommen sie herab, gehen auf, stei-
gen wieder hoch und schließen sich dabei,
jede in einem anderen Tempo, als wär’s ihr
Charakter: mal schnell und selbstbewusst, mal
vorsichtig und schüchtern. Sie führen ein
Ballett auf, dessen Anmut süchtig macht. Man
hält inne und ist verzaubert.
„Shylight“ heißt die Installation. Sie stammt
von Lonneke Gordijn und Ralph Nauta aus
Amsterdam, die seit 2007 unter dem Namen
Studio Drift zusammenarbeiten. Sie haben sich
einen Namen gemacht mit Installationen, die
Vorgänge aus der Natur mithilfe moderner
Technik simulieren und verwandeln. Licht und
Bewegung spielen dabei stets eine Rolle, und
längst sind sie international gefragte Künstler,
ihre Arbeiten in ganz Europa und den USA zu
sehen, das Rijksmuseum hat ihnen ein barockes
Treppenhaus zur Verfügung gestellt und das
Stedelijk 2018 eine große Einzelschau gewid-
met. In Deutschland waren sie bisher eher
spärlich vertreten. Jetzt aber zeigen sie drei
TESKA OVERBEEKE; HENNING ROGGE(2)
raumgreifende Installationen im MKG in Ham-
burg, und mehr noch: Am 28. April wird in der
Hansestadt ihre Lichtinstallation „Breaking
Waves“ rund um die Elbphilharmonie ur-
aufgeführt. Das Auftragswerk, mit dem das
Konzerthaus seinen fünften Geburtstag feiert,
besteht aus Hunderten beleuchteten Drohnen
und ist choreografiert zum zweiten Satz des
Klavierkonzerts des Briten Thomas Adès
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ZUM STAUNEN
Die Transzendenz
Studio Drift machen aus Naturvorgängen Installationen voller
Poesie. Ihr Mittel: Technologie. Der Effekt: Verzauberung
(2018). So viel ist bekannt, und wenn man ihre die Systeme in der Natur im Blick und sorge
Performance „Franchise Freedom“ von 2017 in dafür, dass beides zusammenpasst. Nur wenn
Betracht zieht, bei der Drohnen, von auto- wir beide komplett überzeugt sind, wird ein
nomen Algorithmen gesteuert, den Flug eines Projekt weiterverfolgt.“ So halten sie es, seit sie
Starenschwarms nachahmten, ist zu erwarten: sich beim Designstudium in Eindhoven ken-
Das wird ein Ereignis mit Gänsehautgarantie. nenlernten. Für die Ausführung im Detail
Es gibt derzeit wohl kaum Künstler, die mit so brauchen sie Experten, fünfzig Mitarbeiter hat
großen Gesten so persönlich berühren wollen. ihr Büro inzwischen, Programmierer, Ingenieu-
Wie zuletzt vielleicht die Maler der Romantik re, Architekten und Textildesigner, hinzu
sind sie hinter unseren Gefühlen her, und wie kommen externe Spezialisten.
bei diesen ist ihr Thema die Natur. Den „Shy- Es ist ein Zusammenspiel aus Know-how, Er-
lights“-Blumen etwa liegt die Fähigkeit man- fahrung und Intuition, manche Projekte dauern
cher Pflanzen zugrunde, sich dank eines hoch Jahre. Doch wenn sie ihre suggestive Kraft
entwickelten Mechanismus nachts zu schließen entfalten, stellt sich im Idealfall, das ein, was
und tags zu öffnen. „In 20 Steps“ wiederum, Lonneke Gordijn „einen kleinen Moment der
auch in Hamburg zu sehen, schwingen 20 Verwandlung“ nennt: „eine Situation, in der
große Glasröhren-Paare computergesteuert wie alles im gleichen Rhythmus atmet, sich die
in Zeitlupe auf und ab und ahmen den Ablauf Besucher als Teil der Installation, des Ortes,
eines Flügelschlags nach. Das Licht bricht sich der anderen Leute im Raum und unbewusst
im Glas, setzt sich in Reflexionen und Strahlen auch dieses größeren Systems, der Natur, füh-
fort – ein Effekt, der auch von unserem ei- len“. Nicht umsonst haben sie ihre Schau „Mo-
genen Traum vom Fliegen erzählt. ments of Connection“ (bis 8. März) genannt.
Stets geht es darum, das System freizulegen, das Wer sich verbunden fühlt mit der Natur, be-
einem Naturphänomen zugrunde liegt -– und gegnet ihr mit Respekt, ist das Duo überzeugt.
dafür eine technologische Entsprechung zu Selbst wenn es sich um etwas so Unspektakulä-
finden. Sie arbeiten mit Drohnen, Motoren, res wie Pusteblumen handelt. Die dritte Arbeit
LEDs und eigens entwickelten Steuerungs- in der Schau besteht aus 1500 von ihnen, jede
programmen. Die Konzeption entwickelt das einzelne von Studio Drift selbst gepflückt,
Duo gemeinsam. „Das ist wie Pingpong“, er- getrocknet, gelagert und in ihre Samen mit
klärt Lonneke Gordijn, die für die Ausstellung dem typischen Federbusch zerlegt, die dann,
und das Elbphilharmonie-Projekt nach Ham- Stück für Stück um ein LED-Licht geklebt, ihre
burg gekommen ist. „Ralph ist stets über die Auferstehung feiern. Das Ergebnis ist zart, fast
neuesten Technologien informiert, ich habe körperlos – Glück. Gabriele Thiels
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 STILISTEN
UNSERE
KOSMETIK-
EXPERTEN
SAGEN, WIE
ES GEHT
Blondinen bevorzugt!
Gegen den komischen
Goldstich im Haar
helfen lila Shampoo
und Conditioner. Wie
„Blonde Revival“ von
Aveda. Auch gut ge-
gen den Gilb im Weiß
NEULING
Marco Striewski, Chefeinkäufer
der Parfümerie Liebe in Hannover
Als ich erfuhr, dass das Thema die-
ser Kolumne „Newcomer“ sein soll-
te, kam mir das gerade recht. Denn
unlängst haben wir eine sensatio-
nelle Entdeckung gemacht: Auteur.
Eine brandneue Marke, entwickelt
in einem Schweizer Labor, produ-
ziert in Deutschland, gaukelt sie
den Konsumenten nicht vor, „fore-
ver young“ zu bleiben, sondern will
die Hautgesundheit erhalten. Die
Produkte sind prall gefüllt mit über
100 aktiven Wirkstoffen. Jedoch frei
von PEGs, Parabenen, Sulfaten,
Phthalaten, Mineralölen, Farbstof-
fen, Cyclomethiconen, Nanoparti-
keln und Tierversuchen. Meine Fa-
voriten sind der „Hyaluron Activator“
und die „Definitive Restauration
Cream“ – alles geruchsneutral,
Frauen und Männer können sie glei-
chermaßen verwenden.
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Geht runter wie
Öl: Kein Scherz,
PICTURE ALLIANCE / IK ALDAMA/IK ALDAMA
denn der neue
Nagellackentfer-
ner von Kure
Bazaar entfernt
einerseits den
Lack und pflegt
dabei trotzdem
die Nagelhaut.
Praktisch!
VORHANG AUF!
Schlägt das winterliche Grau auf die Stimmung, gibt es nur noch
einen Ausweg: Pink! Keine andere Farbe ruft mehr den Frühling
herbei. Inspiration liefert Loewe mit diesem All-over-Look der
Frühjahr/Sommer-2022-Kollektion, die im vergangenen Herbst in
Paris präsentiert wurde. Dank Glossing-Shampoo bekommen auch
die Haare ihr Pink weg.
Frisch im Nu: Die neue Tagespflege „Nutri-Lumière Revive“ von
Clarins rückt dem fahlen Winterteint mit Lichtpartikeln auf die Pelle
POSTCARD FROM DOWN UNDER
Marion Kerber, Filialleiterin der Parfümerie Godel in Stuttgart-Feuerbach
Wenn man schon kaum ver- anderen: Er reiste vor mehr teilhaben. Denn seine acht
reisen kann, dann muss man als acht Jahren nach Aust- Unisex-Düfte, deren Flakons
eben in Gedanken unterwegs ralien, um den Kontinent zu an Postkarten erinnern und
sein. Düfte helfen dabei un- entdecken. Verliebte sich in erfüllt sind von natürlichen
gemein. Mir gelingt das prima die üppige, aromatische und Inhaltsstoffen, sind allesamt
mit den Parfüms der aust- botanische Schönheit, die „Down Under“ gewidmet.
ralischen Nischenmarke Weite, die türkisfarbenen „White Sandalwood“ ist
Goldfield & Banks. Dem Küsten und die ockerfarbe- großartig und duftet nach
belgischen Gründer und nen Sanddünen – und, nun „Frisch geduscht“. Beliebt ist
Kosmetikenthusiasten Dimitri ja, er blieb. Zum Glück lässt auch der türkisfarbene Duft
Weber erging es wie vielen er uns an seinen Eindrücken „Pacific Rock Moss“.
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Druck
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PREMIERE
W
ie lange muss
dieser Name
wohl in den
Rechte-Schub-
laden des
Luxushauses gelegen haben?
„Chanel No. 1“ Nach dem All-
zeit-Rekordverkaufsschlager „No.
5“, dem Parfüm, das Coco Chanel
vor 101 Jahren kreieren ließ,
schien es aus Marketingsicht nur
konsequent, dass es irgendwann
auch ein Nummer-1-Produkt
geben würde. Wohl nur nicht zu
Lebzeiten der Nummer eins im
Unternehmen, deren Glückszahl
die Fünf war. Doch nun haben
die Franzosen den Namen für
etwas herausgerückt, das ihm
gerecht wird. Getreu dem Prin-
zip: Was lange währt, wird gut –
gibt es eine komplett neue Kos-
metikserie, bestehend aus neun
Pflege- und Make-up-Produkten
sowie einem Duft. Es ist die erste
ihrer Art.
Der Name sei in vielerlei Hinsicht
bedeutungsvoll, erklärt denn auch
Elma Dzemaili, Scientific Com-
munication Director von Chanel,
im Videocall zwischen Berlin und
Paris: „Zum ersten Mal haben wir
eine nachhaltige und Clean-
Beauty-Linie geschaffen. In ihr
steckt, auch eine Premiere, die
Kraft der roten Kamelie.“
Tüten und die schwarzen Boxen
werden seit jeher mit einem wei-
Auf
Anfang
Auch Chanel hat eine nachhaltige Serie entwickelt und
ihr einen bedeutungsvollen Namen gegeben: No. 1.
CAROLINE BÖRGER hat sich das einmal angeschaut
ßen Kamelien-Sticker versehen, es bei diesem Projekt nicht nur wie unseres sind die Erwartun-
man findet die schöne Pflanze auf um den Inhalt, der, so heißt es, gen besonders hoch, wir wollen
Mode- und Haute-Couture-Ro- bis zu 97 Prozent natürlich sei. alles perfekt machen“, sagt Ma-
ben, auch als Brosche oder Ohr- Wobei das von Produkt zu Pro- dame Dzemaili. Der Druck war
ring. Der Legende nach soll Coco dukt variiert, die „Red Camellia groß. Schließlich rückt das Be-
Chanels früh verstorbener Lieb- Revitalizing Lotion“ kommt auf wusstsein zur Nachhaltigkeit
haber, Arthur „Boy“ Capel, ihr zu 98 Prozent, der „Revitalizing Lip- mehr und mehr in den Fokus der
Beginn ihrer Beziehung einen und Cheek-Balm“ auf 86 Prozent. Konsumenten – auch oder gera-
Strauß Kamelien geschenkt und Es ist auch Chanels Einstieg in die de im Luxussegment. Chanel
damit die schneeweißen Blüten in sogenannte „Clean Beauty“, be- folgt also dem Zeitgeist und der
der Haus-DNA verewigt haben. deutet: außen wie innen sauber eigenen Geschichte. Gabrielle
Nun ist die rote Kamelie im Mit- im Sinne der Nachhaltigkeit. Chanel war oft ihrer Zeit voraus,
telpunkt, Lippenstiftrot „Rouge Nicht nur, dass die Tiegel nach- befreite Frauen aus starren Kor-
Coco“. So rot wie 2018 der li- füllbar sind. Man verzichtet erst- setts, trug Pagenkopf und Hosen,
mitierte Baccarat-Flakon der mals auf Cellophan, Beipack- als das alles noch als frivol galt.
Weihnachts-Edition von Chanel zettel, auch das Gewicht des Wäre Mademoiselle wohl heute
No. 5. Die „Camellia Japonica“, Glastiegels wurde um die Hälfte eine Patin der Fridays-for-Future-
auch „The Czar“ genannt, wächst reduziert. Und präsentiert eine Idee? Elma Dzemaili schmunzelt.
auf den Feldern der hauseigenen weitere Innovation: „Schauen Sie „Wissen Sie, dass Mademoiselle
Aufzucht in Südfrankreich und ist sich den schwarzen Deckel der Chanel schon kurz nach der
eine von vielen Kameliensorten, Creme an, er sieht aus wie ein Kreation von No. 5 damit be-
die Chanel seit 1998 in einem gewöhnlicher Plastikdeckel“, gann, Hautpflege und Make-up
Open-Air-Labor in Gaujacq er- erklärt Elma Dzemaili. „Doch er zu entwickeln? In den 1920er-
forscht, einer 98 Hektar großen ist alles andere als gewöhnlich. Jahren war sie eine der ersten
Bio-Farm samt Forschungs- und Dahinter verbirgt sich eine große Frauen, die über einen umfassen-
Entwicklungszentrum. Die Blüte Innovation, denn um ihn zu pro- den und dabei differenzierten
steckt voller Antioxidantien und duzieren, verwenden wir die Schönheitsansatz nachdachte. Sie
soll das Einsetzen der sogenann- Abfälle der Kamelienproduktion war eine echte Visionärin, ließ
ten Seneszenz verlangsamen, ein für die Cremes.“ Dafür arbeiteten schon damals nachfüllbare Lip-
biologischer Prozess in der Haut, die Franzosen mit dem finnischen penstifte anfertigen. Sie hatte
bei dem alternde Zellen quasi Start-up Sulapac zusammen. „Wir also bereits im Sinn, dass wir
ruhen, und so zu einem trocke- mischen die übrig gebliebenen Frauen bei der Verwendung
nen, fahlen Teint führen können. Schalen der Kameliensamen mit eines Produkts auch an dessen
Fünf Jahre wurde in den Laboren biozertifizierten Holzspänen und Praktikabilität denken, es gleich-
nahe Paris daran getüftelt, die einer geheimen Zutat.“ zeitig aber auch sehr schick sein
natürlichen Kräfte der Japonica in Klingt einfach. War aufwendig. sollte. Deshalb bin ich mir si-
CHANEL (3)
„No. 1“ zur Geltung zu bringen. „Es hat Jahre gedauert, diesen cher, dass sie von dieser neuen
Doch bei aller Wirksamkeit, geht Punkt zu erreichen. An ein Haus Linie sehr angetan wäre.“
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 ®

WIR SIND STOLZ B CORP™

Z E RT I F I Z I E RT Z U S E I N

Begleiten Sie uns auf dem Weg

zu nachhaltigem Wohlbefinden

Wir haben schon immer daran geglaubt, den

”
Einfluss unseres Unternehmens nutzen zu
können, um Mensch und Erde nachhaltiges
Wohlbefinden zu schenken. Die B Corp™
Zertifizierung ist eine große Anerkennung
unserer Bemühungen. Aber dies ist erst der
Anfang. Von nun an verpflichten wir uns,
mehr denn je die Kosmetikindustrie als
treibende Kraft für das Gute zu nutzen. Wir
hoffen, dass Sie uns auf dieser bedeutenden
Reise begleiten werden.“

R AY M O N D C L O O S T E R M A N
Gründer & CEO von Rituals Cosmetics

R I T UA L S . C O M / C E RT I F I E D B C O R P

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 KLARER GEIST
Man muss nicht spirituell sein, um
die Wirkung von Ayurveda zu spü-
ren. Mit Ranavat klappt es sogar im
Mit frischem Blick auf die Newcomer im eigenen Badezimmer: Der „Lumi-
nous Ceremony Cream Cleanser“
Kosmetikmarkt. CAROLINE BÖRGER entfernt gleichzeitig Make-up und
testete sich durch pflegt. Die Färberwurzel (auf Sans-
krit Manjistha), ein ayurvedisches
Kraut, wirkt entgiftend und soll
gleich noch Klarheit über Körper
und Geist bringen. Ommm. Über
blanda-beauty.com

SCHÖN SAUBER
Unsere skandinavischen Nachbarn sind
Trendsetter in vielen Lebenslagen und auch in
der Kosmetik gilt bei ihnen: Weniger ist mehr.
Die junge Stockholmer Marke Colekt macht
es vor: Neben Unisex-Düften und Gesichts-
pflege gibt es etwa die „Redux Handcreme“.
Das aus Zuckerrüben gewonnene Betain
schützt vor Austrocknung und Malvenblätter
beruhigen. Das Design ist selbstverständlich WIRKSAM HOCH VIER
so clean wie die Inhaltsstoffe.
Von wegen Wissenschaft ist langweilig. Schon gar
nicht, wenn sie der Schönheit dient. Mit Dermatologen
IMMERBRENNER
und Pharmazeuten entwickelte die Münsteranerin
Nachhaltigkeit hält im Bad Einzug. Dafür hat The Tanja Horstmann das neue „POJ Hyaluron Serum“. Eine
Haut Company, ein junges Unternehmen aus Nord- Kombination aus vier verschiedenen Hyaluronsäuren
rhein-Westfalen, nun wiederverwendbare Eye Pads soll gut verträglich die Haut glätten. Auch für sensible.
aus medizinischem Silikon entwickelt. Für den Ein Versuch ist es wert. Über thorstmanncosmetics.de
extra Frischekick vor dem Benutzen in den
Kühlschrank legen, Augenserum der Wahl
auftragen, Pads auflegen. Warten, mit Seife
und Wasser abwaschen, trocknen und schon
auf das nächste Mal freuen.
Über thehautcompany.com

STIMULANZ
In unseren Zellen steckt ein Protein, das für
die Erneuerung von Haut und Haar zuständig ist.
Das Wiener Biotech-Unternehmen Tomorrowlabs setzt
genau dort an und stärkt sie mit der Nobelpreis-gekrönten
Entdeckung: dem HIF-Stimulating Faktor. Der steckt auch in dem
neuen „Depuff Cryoroller“, den man regelmäßig anwenden soll, um
Augenschatten zu vermeiden.

PRINZESSINNEN-GLOW

An apple a day, keeps the doctor away. Ein

Grund mehr, weshalb die Kosmetiklinie von
GIMME MORE
Prinzessin Lilly zu Sayn-Wittgenstein auf den Wovon können weder Frauen noch Männer genug haben? Von
aus Äpfeln gewonnenen Wirkstoff Phloretin üppigem, kräftigem Haar. Aus diesem Grund hat die Münchner
setzt. Dieser soll die Hautzellen schützen, Linien Unternehmerin Stefanie Wirnshofer gemeinsam mit einem Exper-
vorbeugen, im „Anti Redness Serum“ zusätzlich tenteam wieder eine neue Haarpflegeserie entwickelt: Onni Hair
Rötungen reduzieren und den Teint ausgleichen. Care besteht aus Shampoo, Conditioner, Maske und einem Se-
Da will man doch kraftvoll zubeißen. Gibt’s über rum für die Kopfhaut. Allesamt stimulieren das Haarwachstum.
lsw-cosmetics.de Und das ohne Chemie. Magie? Nö, Biologie. Über onni.de

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Mit der Naturkosmetikmarke „Typology“ aus Paris ist der Start-up-Unternehmer Ning Li nun
auch in Deutschland online. SILKE BENDER traf einen Mann von Welt, der mit der Zeit geht
D
as Pariser Haupt-
quartier der erst
zwei Jahre jungen
Marke Typology ist
auch Showroom für
eine neue Arbeitskultur. In dem
weitläufigen Loft kommt der
Chef zum Interview nicht aus
dem Büro, sondern aus einer
schalldichten Glaskabine mit
Sitztheke für zwei Personen:
Ning Li trägt Turnschuhe, Jeans
und weißes T-Shirt. Mit 39
Jahren gilt er unter Investoren
als Unternehmergenie. Als er
von Guangzhou nach Paris kam,
um das Abitur zu machen, war er
16. Die Eltern sind Angestellte
im lokalen Bürgermeisteramt.
Das Ziel ihres einzigen Sohnes:
eines Tages genug Geld zu ver-
dienen, um sie zu unterstützen.
Neben der Schule arbeitete er
in einem chinesischen Super-
markt gegen Kost und Logis und
bekam ein Stipendium am HEC,
eine der wichtigsten Wirtschafts-
hochschulen Frankreichs. 2010
gründete er die Möbel-On-
linemarke made.com in London:
Mit heute 650 Angestellten und
über 300 Millionen Euro Um-
satz ging die Firma im Juni an
die Börse. Typology ist sein
drittes Start-up und 100 Prozent
Made in France.
Monsieur Li, die Idee, abseits von Ikea
cooles Möbeldesign zu kühlen Preisen
anzubieten, leuchtet ein. Warum aber
braucht die Welt noch eine neue Na-
turkosmetikmarke?
In erster Linie bin ich Digital-
Unternehmer und muss sagen:
Von dem ganzen Markt wusste ich
zuvor nicht viel, nur, dass es hier
in Paris viel Know-how dazu gibt.
Wegen meiner Freundin und
meiner dreijährigen Tochter bin
ich von London zurück nach Paris
gezogen. Als sie Hautekzeme
TYPOLOGY (3)
bekam, suchte ich eine Baby-
creme, die hilft und keine wei-
teren Allergien oder Probleme
INDIVIDUELL
Der feministische Pfleger
macht. In den Apotheken und zu unspezifisch sind. Für Typology
Geschäften studierte ich die In- definieren wir 24 verschiedene
haltsstoffe und fand kein Produkt, Hauttypen, die man per Online-
das mich überzeugte. Diagnose bestimmen kann. Wir
versprechen keine Wunder, son-
Ein viel beschäftigter Geschäftsmann, dern nur: Bei uns finden Sie das
der die Babypflege nicht der Mutter Richtige für Ihren Hauttyp, mit
überlässt? rein natürlichen Wirkstoffen in
(lacht) Meine Freundin ist Fe- höherer Konzentration als üblich,
ministin. Unsere Arbeitsteilung ist ohne Zusätze, die eine Gefahr für
klar definiert: fifty-fifty. die Gesundheit oder die Umwelt
darstellen könnten.
Nun wollen Sie nichts Geringeres, als
„die Codes zu brechen und die kom- Auf das natürliche Reinheitsgebot
plexe und undurchsichtige Kosmetik- setzen andere Marken auch – und
industrie zu entmystifizieren“. Was verkaufen pflanzliches Hautserum ab
befähigt Sie dazu? 60 Euro aufwärts. Sie hingegen star-
Es ist gut, als Außenseiter eine ten bei 10 Euro.
etablierte Branche aufzumischen. Das können wir, weil wir als direk-
Zu sehen, was andere nicht sehen. ter Onlineanbieter den größten
Das ist die tägliche Herausforde- Kostenfaktor ausschalten: den
rung, die ich auch meinen Mit- Verkauf im Geschäft oder über
arbeitern stelle: „Schaut mit dis- Zwischenhändler, was ein Produkt
tanziertem Blick auf das, was ihr automatisch verteuert.
tut!“ Sonst wird man nämlich
irgendwann betriebsblind. Das Wie französisch fühlen Sie sich in-
riesige Angebot auf dem Kosmetik- zwischen?
markt sehe ich als Problem: Es Das Land hat mich adoptiert und
verwirrt den Kunden eher, als dass ich das Land. Auch meine ame-
es wirklich Orientierung und rikanische Frau hat mittlerweile
Lösungen bietet. Ein bisschen so die französische Staatsangehörig-
wie bei Tinder. Sehen Sie unsere keit. Wir lieben die französische
Flakons zum Beispiel: Die meisten Lebensart. Die Besuche auf den
auf dem Markt sind rund, das ist Wochenmärkten, Wein, Käse, die
weder sparsam noch optimal beim französische Küche. Ich habe
Transport. Unsere sind flach und sogar ein Kochdiplom in Paris
eckig – und passen in jeden Brief- gemacht, an der Schule Escoffier.
kasten.
Typology steht für Werte, die der
Und mit Typology bekommen wir nun jungen Generation wichtig sind:
endlich die Haut unserer Träume? vegan, genderneutral, divers. Emp-
Ich habe mich immer gefragt, was finden die jungen Menschen in China
das soll: diese Anti-Aging-Cremes das ähnlich?
mit den jungen, schönen Gesich- Unseren Ansatz, natürliche In-
tern. Alle wissen, dass das Ver- haltsstoffe zu verwenden, auf
sprechen falsch ist. Und kaufen sie jeden Fall. Die traditionelle chine-
trotzdem. Träume sind mächtig. sische Heilkunde beruht ebenfalls
Ich habe viel mit Experten, Che- darauf. Aber was das nachhaltige
mikern und Dermatologen ge- Denken angeht, sehe ich die jun-
sprochen, und alle kamen zu dem gen Chinesen noch nicht so weit.
Schluss, dass vor allem der Hauttyp Sicher wollen wir eine globale
entscheidend ist, wie gut ein Pro- Marke werden und irgendwann
dukt wirkt. Und dass die üblichen auch nach China. Doch erst ein- Kosmetik nach Reinheitsgebot: Ning Li
Kategorien wie fettig oder trocken mal kommt Deutschland. und seine Produkte von Typology
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WISSENSCHAFTLICH
Auf einem Strang
Die Clinique La Prairie gehört zu den anspruchsvollsten
Institutionen für Präventivmedizin. Dort arbeitet man nun mit
Epigenetik. HEIKE BLÜMNER ließ sich in die Karten schauen
D
arf ich kurz angeben? Meine
DNA ist in Topform. Diese Infor-
mation erreichte mich in einem
weißen Umschlag, geschickt per
Kurier aus der Schweiz. Der In-
halt war viel wertvoller als alle Dinge, über die
man sich von dort besonders freuen würde –
Schokolade, Bargeld: ein Urteil über meine
körperliche Verfassung, basierend auf einer
epigenetischen Analyse. Die sehr gute Nach-
richt lautet: Ich bin biologisch gesehen 6,8
Jahre jünger als das Alter, das in meinem Aus-
weis steht. Ein Alter, in dem ich schon sehr
lange nicht mehr nach meinem Ausweis gefragt
werde, wenn es um Dinge geht, die Spaß ma-
chen und ungesund sind. Und so fühle ich
mich gleich noch jünger, nämlich wie ein Kind
am Tag der Zeugnisausgabe. Gleichzeitig auch
ein bisschen wie eine Hochstaplerin. Aber
immer der Reihe beziehungsweise dem DNA-
Strang nach.
Mitten im schönsten Herbst (die Jahreszeit,
nicht der meines Lebens) reise ich in die Nähe
von Montreux am Genfer See in die Clinique
La Prairie. Seit fast 100 Jahren ist dieser Ort
eine der Top-Adressen in Europa für die kör-
perliche und mentale Generalüberholung.
Wären Menschen Autos, dann wäre diese
Klinik eine Rolls-Royce-Werkstatt, die das
Beste aus jedem noch so zerbeulten Fahrzeug
auch weniger edler Provenienz herauszuholen
vermag. Mit Seeblick und einer allumfassenden
Fürsorge, die in der gestressten Großstädterin
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Alles in Ordnung?
In der Schweizer
Clinique La Prairie
lässt sich das präzise
messen und dann
mit dem Aufräumen
beginnen
konsum. Jeder dieser Faktoren wird gemessen
und mit den Eigenangaben und denen der
„generellen Bevölkerung“ verglichen. So heißt
es zum Beispiel bei mir, dass ich mich besser
ernähre als 93 Prozent aller anderen, aber nur
erfolgreicher Sport treibe als 47 Prozent der
Bevölkerung. Hier liegt mein größtes Verbes-
serungspotenzial. Und tatsächlich: Die Zahl
spornt mich an.
Adrian Heini ist der medizinische Direktor der
Klinik, seit 20 Jahren dabei und ein Experte
auf dem Feld der Präventivmedizin. Mit der
Epigenetik, wie sie hier im Hause eingesetzt
wird, komme „eine interessante Diskussion
auf“, nämlich „welche Faktoren man ansteuern
kann, um das biologische Alter und damit auch
das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern.“
Allgemein gilt natürlich, je gesünder die Er-
nährung, je mehr Bewegung und je weniger bis
gar kein Alkohol- oder Tabakkonsum, desto
fitter der Mensch. Aber im Einzelfall geht das
nicht unbedingt auf. Die meisten Patienten, die
zu ihm kämen, seien biologisch ein bis zwei
ein Gefühl von Dankbarkeit hervorruft. Jahre älter als ihr tatsächliches Alter, berichtet
Die vier Säulen, auf denen die Behandlung Heini. Die seltenen Extremwerte lägen bei
basiert, sind Medizin, Wohlgefühl, Ernährung plus/minus neun Jahre. Ohne den Blick auf
und Bewegung. Präventivmedizin und ein den Test könne man nicht präzise sagen, wo
sanft-erzieherischer Anspruch gehören zum genau die Schwachstellen liegen. So könnten
Programm – von Master Detox über Gewichts- beispielsweise auch Nichtraucher schlechte
reduktion, was zwei verschiedene Dinge sind – Ergebnisse bei Tabakkonsum beziehungsweise
bis hin zu Stammzellenkuren und chirurgi- Schadstoffwerten haben. Passivrauchen, auch
schen Eingriffen, nicht nur im plastischen als Kind, könne ein Problem sein, aber auch
Bereich. Verzicht steht nicht auf dem Pro- sonstige Umwelteinflüsse wie die schlechte
gramm. Stattdessen fortschrittlicher Genuss. Luft in der Großstadt: „Das ganze Leben, bis
Natürlich ist alles personalisiert, mehr noch, hin zu dem der Eltern, kann Einfluss haben“,
seit 2018 widmet man sich hier dem Persön- so der Arzt.
lichsten, was einen Menschen ausmacht: seiner Es gehe um langfristige Lebensstiländerungen,
DNA. Dass aufgrund von DNA-Testungen die sich auf tiefer gehende Art und Weise
gewisse genetische Prädispositionen erkennbar messen lassen als zum Beispiel auf einer Waa-
werden, zum Beispiel was potenzielle schwere ge. Dazu kommt die individuelle Verfassung
Erkrankungen angeht, ist inzwischen bekannt. und es können überraschende Ergebnisse zum
Seit knapp einem Jahr widmet man sich hier Vorschein kommen: Wer schlank ist, muss
jedoch außerdem der Epigenetik, ein For- nicht zwangsläufig gesund ernährt sein. Wer
schungsgebiet, bei dem es laienhaft ausge- sich fit fühlt, dem könnte dennoch etwas mehr
drückt darum geht zu messen, wie individuelle Sport guttun. Das alles lässt sich anhand des
Außenfaktoren sich auf die Steuerungsaktivität Tests, der auf der Auswertung von Blut basiert,
der Gene auswirken. Je nachdem wie angegrif- ermitteln. Und während am tatsächlichen Alter
fen diese Mechanismen sind oder nicht, ergibt nicht zu rütteln ist, lässt sich das biologische
sich daraus das biologische Alter und es lassen drücken.
sich Stärken und Schwachstellen im eigenen Ich fühle mich wie ein Gen-Wunder. Alkohol
CLINIQUE LA PRAIRIE (3)
Gesundheitsprofil, im Metabolismus oder im und Schadstoffe haben keinerlei negative Spu-
Fortschritt von Krankheiten messen und gege- ren auf meinem Profil hinterlassen. Woher das
benenfalls durch bestimmte Maßnahmen ge- kommt? Sicher nicht von meinem immer ein-
zielt positiv beeinflussen. wandfreien Lebensstil. Aber auch das ist ein
Untersucht werden derzeit vier Faktoren: Er- Ansporn, das gute Grundmaterial zu pflegen
nährung, Bewegung, Alkohol- und Tabak- und wertzuschätzen.
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 ROADTRIP

Kurv den Regen

Einmal im Leben nach Hawaii. Das stand auf der To-do-Liste von
CAROLINE BÖRGER. Am liebsten im Porsche. Es wurde dann
allerdings doch etwas anders als erwartet

D
er Udo-Jürgens-Klassiker „Ich war noch niemals in New York“ swingt durch
meinen Kopf, während ich im Flugzeug sitze. Auf dem Weg nach San Francisco.
New York kenne ich gut, durch San Francisco ging ich schon oft – nur nie in
zerrissenen Jeans. Aber ich war noch niemals auf Hawaii, das Ziel eines Kurz-
trips Anfang Dezember. Das Kopfkino läuft: Palmen, weiße Strände, tropisches
Klima, fröhlich urlaubende Amerikaner, coole Surfer, schräge Hemden und Hulatänzerin-
nen. Nun – nach weiteren fünf Stunden Flug über den Pazifik und der Landung im ver-
meintlichen Paradies – versinkt Big Island im Dauerregen. Unwetterwarnung inklusive für die
nächsten 48 Stunden. Aloha. Das also ist Hawaii, denke ich und
warte auf meinen Koffer. Der wollte anscheinend lieber gar nicht
erst mitkommen. 50 Prozent betrage zu dieser Jahreszeit die Re-
genwahrscheinlichkeit, heißt es. Aber 100 Prozent? Dass der Re-
genmantel im Koffer und nicht im Handgepäck steckt und erst am
Tag der Abreise eintrifft, muss ich nicht erwähnen.
Ich bin zum Porsche-Fahren hier. Ein Erlebnis, das die Stuttgarter
Sturm, Regen, gewaltige Wol- „Heritage Experience“ nennen. Ursprünglich mal für China geplant.
ken: So hatte sich die Autorin Fünf historische Modelle aus fünf Jahrzehnten wurden eingeflogen,
die Insel nicht vorgestellt. fünf weitere aktuelle Sportwagen haben die amerikanischen Kollegen
Rechts: Herkunft und Heute – auf die Insel verschifft. Fast 800 Kilometer geht es innerhalb von 48
das älteste Modell der Porsche- Stunden über die jüngste und größte Insel der hawaiianischen Insel-
Flotte neben dem neuesten kette. Durch 15 Vegetationszonen. Wenn sich der Nebel mal für
kurze Zeit lichtet, sieht man die gewaltige Vegetation: Meilenweit
grüne Wiesen wie in Irland folgen auf Vulkangestein in der Insel-
mitte. Am Horizont lassen sich Strände und Palmen erahnen. Der
Volcanoes-Nationalpark ist geschlossen, zu gefährlich. Überall liegen
von Sturm und Regen umgerissene Bäume, die Wassermassen schei-
nen unberechenbar. Ich sitze im ältesten Auto der Flotte, ein 356 Speedster Ca-
brio, wunderschön bei Sonne. Es tropft von allen Seiten. Von oben, weil das
Dach des Oldtimers von 1956 den Wassermassen nicht gewappnet ist, das dünne
Holzlenkrad scheint in meinen Händen wegzuschwimmen. Es regnet auch seit-
lich rein, die netten Mechaniker des Porsche Museums rieten vor der Abfahrt,
das Rollfenster von vornherein herauszunehmen, damit die Frontscheibe wäh-
rend der Fahrt nicht beschlägt. Denn auf die historischen Scheibenwischer ist in
diesem Fall kein Verlass. Ich habe ein dickes Handtuch auf den Beinen und ein
Plastikcape darüber. Netterweise entleert meine Beifahrerin im Fünf-Minuten-
Takt die schweren Pfützen, die sich darauf sammeln. Ich habe ein schlechtes
Gewissen, dieses Museumsauto, das Teil der 700-teiligen Sammlung von Porsche
ist und vermutlich ein Vermögen wert, durch den Regen zu manövrieren.
Regelmäßig legen wir Stopps ein, tauschen die Autos. Ich wechsle in das lila-
farbene 944 Turbo Cabrio, Baujahr 1991. Hier drinnen ist es trocken. Geradezu
tropisch warm. Es gibt ein Problem mit der Heizung. Aber nach der Fahrt mit
dem roten Flitzer kann ich die Trocknung gut gebrauchen. Danach geht es in das
weiße 911 Turbo Cabrio, das neueste Modell. Voll ausgestattet, hier tropft nichts. Das Auto
fährt fast von allein. Das ist entspannend, denn es gibt viel zu sehen. Land, Leute und Kultur.
Unser Tourguide ist ein Abkömmling des letzten Königs Kamehameha, an dessen Statue in
Kapaau im Nordosten der Insel ich kurz anhalte. Ein Foto muss sein. Der Weg ist das Ziel.
Die Autos sind Botschafter. Mit seiner Museumsarbeit bewahrt Porsche die Werte und Tra-
dition des Autobauens. Andererseits sollen die Autos durch die Welt cruisen, um „eine
CAROLINE BÖRGER (3); PORSCHE

Brücke ins Morgen zu schlagen, die Porsche-Werte zu erhalten, der jungen Generation ein
Verständnis von Herkunft, Handwerk und Kultur mitzugeben“, erklärt Achim Stejksal, Muse-
umsleiter, den Trip.
Zugegeben: Im Sinne der Nachhaltigkeit war ich keinesfalls unterwegs. Aber betrachtet man
Nachhaltigkeit im Sinne von Schönheit bewahren, dann ist es nachhaltig. Oldtimer, die
gehegt und gepflegt nach knapp 70 Jahren immer noch in der Lage sind zu fahren, erzählen
eine lange Geschichte. Mein kleiner roter Freund (er hat es gut überstanden) und ich haben
jetzt auch eine besondere.

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 12. & 13.
FEBRUAR 2022 GSTAAD
GLOBAL
DIARY
Erinnern Sie sich?
An die Zeit, als man
Karten von fremden
Orten schrieb? Wir tun

C
ome up, slow down“ – auch wenn noch in Familienhand geführte Hotel von
es noch immer der Marketingspruch von Gstaad Andrea Scherz der Treffpunkt. Tagsüber zum
furchtbar abgedroschen klingt, ist er Backgammon-Spiel und zur Teatime in der
doch korrekt. Nach 60 Kilometer Lobby, im Sommer am riesigen Pool samt
Autofahrt über kurvige Landstraßen leuchtet Sprungturm, abends im Restaurant „Le Grill“
plötzlich in der Ferne des offenen Tals das oder der urigen „Fromagerie“ im Keller des
„Palace“. Es thront inmitten der Berge über 5-Sterne-Schlosses zu Raclette und Fondue.
dem Ort wie das Schloss in Disneyland. Hier Und dann zum Absacker in die Lobby. Über
oben angekommen, beginnt die Erholung. die arroganten Kellner lässt sich schmunzeln.
Sofort. Gstaad verzaubert, ja, der Schnee fun- Was zählt, ist die Stimmung. Dafür zahlt man.

A
lle Touristen wollen immer an den kelt hier in der Sonne mehr als anderswo, die Prä-Corona drängten sich hier elegante Gäste
Strand, aber für Leute, die schon Chalets sind prächtig verziert. Aber typisch für aus aller Welt dicht an dicht, Milliardäre,
länger hier wohnen, ist es über den die Region sind augenscheinlicher Protz und Kunstsammlerinnen, CEOs, Erben, Prinzes-
Dächern von Barcelona eigentlich am Über-Luxus verpönt. Mondäne Gäste assimilie- sinnen. Wer keinen der begehrten Sitzplätze
schönsten. Von dort sieht man nämlich nicht ren sich meist mühelos an die Einheimischen. ergattert, hält sich nahe der ungarischen Band
nur das Wasser, sondern noch alles andere Die gibt es hier nämlich immer noch. Und auf, die eine Stimmung schafft, als wäre es der
dieser Stadt (klar, die Sagrada Família auch). auch architektonisch haben sie noch ein Wört- letzte Abend. Auch jetzt, trotz aller Corona-
Und meistens ist es oben auf einer Dachterras- chen mitzureden, was erklärt, weshalb es so gut Auflagen. Die Zeit scheint hier stillzustehen.
se deutlich weniger voll; deswegen muss das wie keine Bausünden gibt. Wenn an der Pro- Im guten Sinn. Männer tragen Jackett, wie die
hier jetzt eigentlich unter uns bleiben. Fast menade, der Flaniermeile mitten im Ort, ein Hausordnung es ab 19 Uhr verlangt, Hoodies
jedes Wohnhaus hat eine, jedes gute Hotel Haus saniert wird, dann so behutsam, dass es und zerrissene Jeans sind tabu.
sowieso, aber erst in den letzten Jahren trauen kaum auffällt. Nur eben noch hübscher aus- Wie sagte US-Schauspielerin Julie Andrews,
sich auch die Einheimischen (und die Zu- sieht als vorher. Hochsaison ist, wenn das „Pa- seit 50 Jahren Chalet-Besitzerin und Ehrenbür-
gereisten), sie zu bevölkern. Eine meiner liebs- lace“ geöffnet ist. Einige Monate im Winter gerin des Ortes, so schön? „Gstaad ist das letzte
ten hat das „Palace“. Nicht nur weil der Satz sowie zwischen Juni und September. Zwischen Paradies in dieser verrückten Welt.“
„wir treffen uns im Palace“ irgendwie sofort den Jahren und Mitte Februar ist das immer Caroline Börger erlag dem Charme des Bergdorfes
nach „Denver Clan“ klingt, sondern weil sich
dessen Dachterrasse immer noch genauso nach
den 20er-Jahren anfühlt (die glamourösen mit
der 19 davor versteht sich) wie das ganze Ho-
tel. Pergolen, Springbrunnen, alter Swimming-
pool, überall Blumen. Diesen Winter haben sie
dort oben – der Hoteldirektor ist Deutscher –
das „Chalet“ eingerichtet, inklusive Vintage-Ski
vor der Holzhütte und Käse-Fondue am Wo-
chenende. Die Russen fanden’s super.
Als das Wetter ausnahmsweise mal nicht warm
genug zum Draußen-Essen war, sind wir neu-
lich in die frisch renovierte „Hall“ gegangen.
Der große Prachtsaal, der sich gleich an den
Eingangsbereich anschließt. Hier irgendwo
CAROLINE BÖRGER (3); SILKE WICHERT (3)

haben Montserrat Caballé und Freddie Mercu-

ry ihr legendäres Duett „Barcelona“ kompo-
niert. Picasso hat hier gegessen, Ella Fitzgerald, BARCELONA „HOTEL PALACE“
John Wayne, Sophia Loren. Ronnie Wood von
den Rolling Stones, der seit ein paar Jahren in
der Stadt wohnt, hat im „Palace“ sogar seine
eigene Suite gestaltet. Von der Karte unbedingt dafür unbedingt den Dessertwagen von Chris- ecken fallen und macht heimlich Siesta.
die Tintenfisch-Kroketten bestellen und alles, tofle kommen lassen. Wer es dann sehr satt In Spanien absolut erlaubt.
was Spanisch beziehungsweise Katalanisch wieder nicht an den Strand schafft, lässt sich im Silke Wichert verbringt ihre freie Zeit am liebsten
klingt. Den Thaisalat also eher ignorieren, Raum dahinter in eine der plüschigen Sitz- über den Dächern Barcelonas

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 BAUPLAN

DIE 1
„VIBE
BOWLING
BAG“
VON DIOR
2
In den Ateliers und
Manufakturen dieser Welt 4
werden weiterhin
Handwerkskünste gepflegt, 3
und wir schauen dabei zu

„Gib Gummi!“, heißt es, wenn die Gangart etwas dynamischer werden Tasche zu erhalten, um sie anschließend Stück für Stück zusammenzuset-
soll. Maria Grazia Chiuri übertrug dies in die Designsprache und stellte zen und zu vernähen. 5. Der von Sneaker-Sohlen inspirierte Boden –
bei der Cruise Show in Athen die „Vibe Bowling Bag“ vor – die erste verziert mit dem von Monsieur Dior so geschätzten Glücksstern – wird
Dior-Tasche mit einem Boden aus geprägtem weißen Gummi. Gefertigt zugeschnitten und mit goldenen Standfüßen versehen. 6. Den grafischen
wird sie in den Dior Ateliers in Italien. Die Zusammenfassung in sieben Linien des Designs folgend werden innen und außen die Reißverschlüsse
Schritten: 1. Schon als Skizze auf dem Papier wirkt die Tasche kompakt eingesetzt. Das Innenfutter ist aus Pikee gefertigt und wird nach dem Zu-
ANDREA CENETIEMPO

und leicht zugleich. 2. Mit geschultem Auge wird das passende Stück schnitt in die Tasche eingenäht. Es folgt der letzte und kniffeligste Schritt
Kalbsleder ausgewählt und auf seine Qualität geprüft. 3. Im nächsten der Montage: Die Tasche muss von innen nach außen gedreht werden.
Schritt wird der „Christian Dior“- Schriftzug mit einer Lage aus Leder und 7. Im fertigen Zustand wird die dezente Struktur an allen Seiten sichtbar.
Schaumstoff unterfüttert und mithilfe eines Hochfrequenz-Druckvorgangs Übrigens: Der Mix aus Couture und Streetstyle gilt als zukünftig, einige Teile der
geprägt. 4. Holzschablonen helfen, die verschiedenen Zuschnitte der Linie werden wohl in die ständige Kollektion aufgenommen.

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