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Wilhelm Scherer

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Wilhelm Scherer (* 26. April 1841 in Schönborn,


Niederösterreich; † 6. August 1886 in Berlin) war ein
österreichischer Germanist.

Wilhelm Scherer

Leben
Scherer wurde als Sohn eines Franken und einer Österreicherin auf Schloss Schönborn (Göllersdorf)
geboren. Sein Vater starb, als er vier Jahre alt war. Die Mutter heiratete bald darauf einen Freund
ihres verstorbenen Ehemannes. Nach mehreren Ortswechseln besuchte Wilhelm Scherer ab 1854
das Akademische Gymnasium Wien. Er wechselte mit 17 Jahren an die Universität Wien und hörte
Deutsche Philologie bei Franz Pfeiffer.

1860 ging Scherer nach Berlin, wo er unter anderem bei Moriz Haupt, Franz Bopp, Leopold von
Ranke und bei Karl Müllenhoff hörte. Vor allem Müllenhoff förderte den begabten Studenten und
beteiligte ihn 1864 an der Herausgabe der Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem VIII. bis
XII. Jahrhundert. In Berlin stand Scherer in Kontakt zu Jacob Grimm, über dessen Leben und Werk
er 1865 sein erstes Buch veröffentlichte.

1862 wurde Scherer in Wien promoviert. 1864 habilitierte er sich. Nach vier Jahren als Privatdozent
wurde er 1868 Nachfolger seines Lehrers Pfeiffer auf dem Wiener Lehrstuhl für Deutsche Philologie.
1872 wurde er an die neu gegründete Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg im Reichsland Elsaß-
Lothringen berufen. Nach fünf Jahren ging er zurück nach Berlin, wo er die für ihn geschaffene
Professur für neuere deutsche Literaturgeschichte übernahm.[1]

Mit 38 Jahren heiratete er die Sängerin Marie Leeder (1855–1939). Wilhelm Scherer starb mit 45
Jahren an einem Schlaganfall. Er wurde auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof Berlin beigesetzt.
Zahlreiche seiner Schüler, darunter Konrad Burdach, Richard M. Meyer, Gustav Roethe, Erich
Schmidt, Ferdinand Wrede und Edward Schroeder, wirkten bis weit in das 20. Jahrhundert hinein und
beeinflussten die Entwicklung der Germanistik.

Bedeutung

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Scherer veröffentlichte auf allen Gebieten der deutschen Philologie. Als seine Hauptwerke gelten Zur
Geschichte der deutschen Sprache (1868) und die vielfach aufgelegte Geschichte der deutschen
Literatur (1883). Er gilt als einer der Begründer der Goethe-Philologie. 1885 half er die Weimarer
Ausgabe (Sophien-Ausgabe) der Werke Goethes vorbereiten.

Scherer gilt als einer der einflussreichsten Germanisten. Als einer der letzten Vertreter seiner
Disziplin vertrat er selbständig alle Hauptgebiete der Germanistik in Forschung und Lehre. Scherer
gründete in Straßburg und Berlin germanistische Seminare und beschäftigte sich als einer der ersten
Hochschullehrer mit neuerer deutscher Literatur. Die von ihm begründete Scherer-Schule war in der
Wissenschaftsgeschichte lange Zeit als Hort des literaturwissenschaftlichen Positivismus umstritten.

Auf ihn geht die bis heute gängige Einteilung der deutschen Sprachgeschichte in 300-Jahre-
Abschnitte zurück, namentlich Althochdeutsch (750–1050), Mittelhochdeutsch (1050–1350),
Frühneuhochdeutsch (1350–1650) und Neuhochdeutsch (1650 bis heute).

Weiters stellte Scherer die Theorie der Blüteepochen auf. Dabei handelt es sich um den Versuch
einer Periodisierung der deutschen Literaturgeschichte. Scherer meinte, dass es rund alle 300 Jahre
zyklenhaft zu einem Wechsel von blütenhaften (frauenhaften) Epochen zu Epochen des Verfalls
(männischen) Epochen kommen würde. Die Zeiten der höchsten Blüte würden dabei um 1200 und
um 1800 sein. Blüteepochen wären damit die Zeiten von 1050 bis 1350 und 1650 bis 1950. Perioden
des Verfalls wären 750 bis 1050 und 1350 bis 1650 gewesen. Die Trennung erfolgte jedoch nicht so
streng, sondern relativ, da sich etwas von einer vergangenen Epoche auf die folgende vererben
würde. In diese Periodisierungstheorie flossen Reste einer biologisch determinierten Deutung von
Literatur ein, die sich an Lebensalter und Wechsel der Jahreszeiten, also an der Natur, orientierte.[2]

Scherer betrieb maßgeblich die Ausstattung der geisteswissenschaftlichen Fakultäten der


Universitäten mit Seminarbibliotheken als Präsenzbibliotheken. Infolgedessen mussten Seminare
nicht mehr in den Wohnungen, d. h. in den Privatbibliotheken der Professoren abgehalten werden.
Dank der Seminarbibliotheken wurden die wichtigsten Bücher des jeweiligen Faches am Ort von
Lehre und Forschung allgemein verfügbar.[3]

Ehrungen

Grabstätte (Ehrengrab)

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Werke
Jacob Grimm, 1865
Leben Willirams Abtes von Ebersberg in Baiern, 1866
Zur Geschichte der deutschen Sprache, 1868
Deutsche Studien
Bd. I: Spervogel, 1870
Bd. II: Die Anfänge des Minnesanges, 1870
Geistliche Poeten der deutschen Kaiserzeit. Studien, 1874
Vorträge und Aufsätze zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland und Österreich,
1874
Geschichte der deutschen Dichtung im elften und zwölften Jahrhundert, 1875
Anfänge des deutschen Prosaromans und Jörg Wickram von Colmar, 1875
Aus Goethes Frühzeit, 1879
Geschichte der deutschen Litteratur, 1883
Emanuel Geibel, 1884
Rede auf Jakob Grimm, 1885
Gedächtnissrede auf Karl Müllenhoff, 1885
Poetik, 1888 (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv) Kap. Die Dichtungsarten, Kap.
Der Tauschwerth der Poesie und der litterarische Verkehr
Wilhelm Scherer. Schriften, hrsg. v. Konrad Burdach, 1890

Briefe
Briefwechsel. Wilhelm Scherer – Erich Schmidt, hrsg. v. Werner Richter u. Eberhard Lämmert,
1963:
Briefwechsel 1872–1886. Wilhelm Scherer – Elias von Steinmeyer, hrsg. v. Horst Brunner u.
Joachim Helbig, 1982:
Wilhelm Scherer. Briefe und Dokumente aus den Jahren 1853 bis 1886, hrsg. v. Mirko
Nottscheid u. Hans-Harald Müller, 2005 ISBN 3-89244-826-4.

Literatur
Constantin von Wurzbach: Scherer, Wilhelm. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums
Oesterreich. 29. Theil. Kaiserlich-königliche Hof- und Staatsdruckerei, Wien 1875, S. 210–213
(Digitalisat).
Peter Salm: Drei Richtungen der Literaturwissenschaft. Scherer, Walzel, Staiger. Tübingen:
Niemeyer 1970. (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft; 2) ISBN 3-484-22002-3:
Uta Dobrinkat: Vergegenwärtigte Literaturgeschichte. Zum Verhältnis von Gegenwart und
Vergangenheit in der Literaturgeschichtsschreibung Wilhelm Scherers am Beispiel der Skizzen
aus der älteren deutschen Literaturgeschichte und der Geschichte der deutschen Literatur.
Diss. FU Berlin 1979.

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Jürgen Sternsdorff: Wissenschaftskonstitution und Reichsgruendung. Die Entwicklung der
Germanistik bei Wilhelm Scherer ; eine Biographie nach unveröffentlichten Quellen. Frankfurt
am Main u. a.: Lang 1979. (= Europäische Hochschulschriften; Reihe 1, Dt. Literatur u.
Germanistik) ISBN 3-8204-6632-0.
Wolfgang Höppner: Das „Ererbte, Erlebte und Erlernte“ im Werk Wilhelm Scherers. Ein Beitrag
zur Geschichte der Germanistik. Köln u. a.: Böhlau 1993. (= Europäische Kulturstudien; 5)
ISBN 3-412-03893-8:
Wolfgang Höppner: Scherer, Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker
& Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 693 f. (Digitalisat).
Hans-Jürgen Mende: Lexikon Berliner Grabmäler. Berlin 2006.
Herbert Zeman: Wilhelm Scherer (26.4.1841 – 6.8.1886): Aufbruch der Goethe-Forschung.
Düsseldorf 2013 (= Düsseldorfer Goethe-Vorträge; 3). ISBN 978-3-9811005-3-2.

Weblinks

Wikisource: Wilhelm Scherer – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

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