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Springer Reference Sozialwissenschaften

Annika Schach
Cathrin Christoph  Hrsg.

Handbuch
Sprache in den
Public Relations
Theoretische Ansätze –
Handlungsfelder – Textsorten
Springer Reference Sozialwissenschaften
Springer Reference Sozialwissenschaften bietet fachspezifisch und transdisziplinär
Fachwissen in aktueller, kompakter und verständlicher Form. Thematisch umfasst
die Reihe die Fachbereiche der Soziologie, Politikwissenschaft, Medien- und Kom-
munikationswissenschaft sowie der Pädagogik.
Die Handbücher dieser Reihe repräsentieren den jeweils aktuellen Stand des Wis-
sens im Fach. Reviewprozesse sichern die Qualität durch die aktive Mitwirkung von
namhaften HerausgeberInnen und hervorragenden AutorInnen.
Der Vorteil dieser neuen Handbücher liegt in seiner dynamischen Komponente: Die
Beiträge erscheinen noch vor der gedruckten Fassung (Online First) und sind bereits
von Beginn an zitierfähig. Zudem werden diese Beiträge aktualisiert und geben so
den aktuellen Stand der Forschung wieder.
Springer Reference Sozialwissenschaften wächst kontinuierlich um neue Kapitel und
Themen.
Annika Schach • Cathrin Christoph
Herausgeber

Handbuch Sprache in den


Public Relations
Theoretische Ansätze –
Handlungsfelder – Textsorten

mit 56 Abbildungen und 34 Tabellen


Herausgeber
Annika Schach Cathrin Christoph
Abteilung IK Hamburg, Deutschland
Hochschule Hannover Abteilung IK
Hannover, Deutschland

Springer Reference Sozialwissenschaften


ISBN 978-3-658-15744-9 ISBN 978-3-658-15745-6 (eBook)
ISBN 978-3-658-15755-5 (Bundle)
https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6
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Vorwort Handbuch Sprache in den Public
Relations

Im November 2015 befanden wir uns auf dem Rückweg von der Fachgruppentagung
„PR und Organisationskommunikation“ der Deutschen Gesellschaft für Publizistik
und Kommunikationswissenschaft (DGPuK). Zwei Tage lang hatten wir Vorträgen
gelauscht und mit den Kollegen diskutiert. Aber in der Rückschau bemerkten wir:
Über die Sprache war – wieder einmal – nichts gesagt worden. Dabei kommunizie-
ren Organisationen doch größtenteils mittels Sprache. Das Verfassen von Texten
gehört zum Brot- und Buttergeschäft von PR-Praktikern. In der PR-Ausbildung sind
Text-Seminare eine Selbstverständlichkeit. Und doch: Die wissenschaftliche Ausei-
nandersetzung mit PR blendet Text und Sprache weitgehend aus. Häufig verharrt sie
im Theoretisch-Abstrakten. So fassten wir den Entschluss, dieses Thema endlich
anzupacken. Die Idee zu diesem Handbuch war geboren.
Bei unseren Recherchen stellten wir schnell fest: Selbstverständlich gibt es
Kolleginnen und Kollegen, die Texte und Sprache in der PR erforschen – und zwar
aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Viele von ihnen bestätigten uns in dem
Gefühl, dass es an der Zeit ist für das „Handbuch Sprache in den Public Relations“.
Auch die Resonanz auf den Call for Papers zeigte: Wir betreten kein Neuland. Aber:
Die Sammlung und Systematisierung der unterschiedlichen Forschungen zum
Thema waren nötig. Denn noch führt die Beschäftigung mit Sprache ein Nischen-
dasein in der PR-Forschung. Warum ist das so?
Die PR-Forschung in Deutschland ist zum einen stark sozial- und kommunika-
tionswissenschaftlich geprägt und zum anderen durch Ansätze der Betriebswirt-
schaft und Managementlehre geleitet. Im deutschsprachigen Forschungsgebiet
Organisationskommunikation und PR überwiegt ein strategisch-instrumentelles Ver-
ständnis von Kommunikation, das zunehmend kritisch bewertet wird (z. B. Röttger
2010, S. 8; Sandhu 2009, S. 83; Wehmeier 2006, S. 214). Jedoch ist unter anderem
eine zunehmende insbesondere in Nordamerika setzt sich aber mehr und mehr die
Perspektive „Communication Constitutes Organization“ (CCO) durch. Sie die von
einer fundamentalen Konstituierung der sozialen Wirklichkeit durch Sprachgebrauch
aus (Craig 1999). Organisationen bestehen demnach aus fortwährend miteinander
verknüpften Kommunikationsprozessen und -ereignissen. Die CCO-Perspektive
interessiert sich vor allem für Emergenz und Prozesshaftigkeit von Kommunikati-
onspraktiken. (Schoeneborn 2013, S. 102) Sie ist in ihren Grundzügen der System-
theorie Luhmannscher Prägung nahe, Schoeneborn bezeichnet die systemtheoreti-

v
vi Vorwort Handbuch Sprache in den Public Relations

sche Ausrichtung als dritte Säule der gegenwärtigen CCO-Strömung. (Schoeneborn


2013, S. 103) Die Verknüpfung der Theorie sozialer Systeme mit Anschluss an
textlinguistische Analysen wurde von Gansel ausgearbeitet und in diesem Handbuch
weitergeführt. Für die Analyse des Sprachgebrauchs, insbesondere wenn er nicht
intentional von Unternehmensseite geprägt ist, bietet die Linguistik somit das nötige
methodische Rüstzeug. Dennoch findet diese Beschäftigung mit dem Sprachge-
brauch in Unternehmen aus einer linguistischen Perspektive hierzulande noch selten
statt. Denn: Soziologen, BWLer und Kommunikationswissenschaftler sind – übli-
cherweise – keine Linguisten. Insofern fehlt Ihnen schlichtweg das Instrumentarium,
um Sprache systematisch zu untersuchen.
Die angewandte Linguistik auf der anderen Seite beschäftigt sich zwar schon
teilweise mit Textsorten aus der Wirtschaft und teils auch der Public Relations.
(Hundt und Biadala 2015; Kastens und Busch 2016) Leider sind viele dieser
Arbeiten jedoch nicht anschlussfähig an Konzepte der strategischen Kommunika-
tion, die die PR-Forschung prägen. Dass keine Weiterentwicklung dieser Forschun-
gen stattfindet, mag daran liegen, dass die Textlinguistik selbst eine sehr junge
linguistische Disziplin ist, die zum Teil noch viel grundlegendere Fragen bearbeitet.
Die Konzentration auf einen bestimmten Kommunikationsbereich ist dann sozusa-
gen „Exotenforschung“.
Egal, von welcher Seite man es betrachtet: Bisher fehlt die Schnittstelle zwischen
Linguistik und PR-Forschung. Dabei ist das Erkenntnisinteresse enorm. Denn
es setzt sich immer mehr die Ansicht durch, dass die Wirtschaft nicht kausalanaly-
tisch auf die Gesellschaft und den sozialen Wandel einwirkt, sondern komplexe
Wechselwirkungen zwischen individuellem und sozialen Handeln, gesellschaftli-
chen und ökonomischen Strukturen existieren (Kastens 2016, S. 10) Die Entwick-
lung vollzieht sich im Rahmen von drei Dimensionen: Der strategischen Kom-
munikation, der Diskurskommunikation über die Wirtschaft und zwischen
Organisationen und Gesellschaft. Gerade diese Aushandlungsprozesse können
durch linguistische Konzepte beschrieben und interpretiert werden – ein Alternativ-
konzept zur Steuerung. Denn: Kommunikation hat nicht primär eine Darstellungs-
funktion, sondern die wahre kommunikative Effizienz ergibt sich immer erst in der
Interaktion (Kastens 2016, S. 12). Eine angewandte Unternehmenskommunikation
aus linguistischer Perspektive kann also andere Zugänge zum Untersuchungsgegen-
stand bieten. Und diese sind auch in Bezug auf die Anwendungsorientierung absolut
notwendig.

Anwendungsbezug und Relevanz für die Praxis

Die Beschäftigung mit Sprache und Text in den Public Relations hat eine hohe
Relevanz für die Praxis. Unternehmen werden in einem immer größeren Umfang
selbst zum Verfasser von Publikationen – in Text, Bild oder Film. Was unter dem
Begriff Content Management oder Content Marketing zusammengefasst wird, meint
den wachsenden Bereich der Produktion von sprachlichen Inhalten durch die Unter-
nehmen. In der Dreiteilung der Unternehmenskommunikation von sogenannten
Vorwort Handbuch Sprache in den Public Relations vii

Paid-, Earned- und Owned-Media-Aktivitäten verzeichnen letztere einen starken


Zuwachs. Viele Unternehmen setzen in ihrer Kommunikationsstrategie weniger
auf bezahlte klassische Werbeformate und sehen sich zudem mit einer sich stark
verändernden Medienlandschaft konfrontiert. Daher produzieren viele Unternehmen
selbst Inhalte, die sie in klassischen Printformaten oder in digitalen Kanälen ver-
breiten. Organisatorisch verzeichnet die Branche daraus resultierend häufig eine
Umstrukturierung in sogenannte Newsroom-Konzepte, in dem die klassische Pres-
sestelle angelehnt an die Strukturen in großen Redaktionen themen-, kanal- und
disziplinenübergreifend arbeiten. Allein die Quantität der produzierten Texte in
unternehmenseigenen Kanälen macht eine fundierte Auseinandersetzung mit The-
men und Vertextungsstrategien nötig. Aber auch die Art der Themenentfaltung mit
einer starken Tendenz zu narrativen und explikativen Sprachpraktiken ist empirisch
zu beobachten. Damit einher geht die Ausdifferenzierung der Textsorten in Unter-
nehmen, die interessante Korpora für die linguistische Analyse darstellen, und aus
denen sich organisationaler Wandel ableiten lässt. (Schach 2015) Wir haben es also
mit einem spannenden Untersuchungsfeld mit einer neuen – und längst überfälligen –
Perspektive Organisationskommunikation zu tun. Neben der Beschäftigung mit
Texten, bieten die Diskursanalyse und die Gesprächsforschung spannende Metho-
den, um die Bedeutungskonstruktion in Unternehmen zu erforschen. Die Frage nach
Intention und Emergenz, oder anders ausgedrückt die Wirksamkeit von strategischen
Botschaften bei diversen Stakeholdern ist heute ein besonders interessantes For-
schungsgebiet, da sich auch die Strukturen in Unternehmen vom oftmals stark
hierarchischem Aufbau zu agilen Unternehmensstrukturen mit projektbasiertem
Arbeiten weiterentwickeln.

Ziele und Zielgruppen des Handbuchs

Das Ziel dieses Handbuchs ist es, eine interdisziplinäre Perspektive auf Sprache und
Text in den Public Relations aufzuzeigen. Dabei sollen Anknüpfungspunkte auf
theoretischer wie auch anwendungsbezogener Basis geschaffen werden. Das Hand-
buch kann somit als Basis einer Systematisierung des aktuellen Feldes und zur
Anregung weiterer Forschung dienen. Es hat sich zu diesem Zeitpunkt kein umfas-
sendes theoretisches und empirisches Bild einer linguistischen PR-Forschung zeigen
können, und doch belegt die Vielfalt dieses Handbuches den Facettenreichtum der
Zugänge zu einem gemeinsamen Untersuchungsgegenstand. Das Handbuch zeigt in
drei Überthemen:

1. Theoretische Ansätze wie unter anderem der Sprachphilosophie, Diskursanalyse,


systemtheoretischen Textlinguistik und des Neo-Institutionalismus,
2. Handlungsfelder, wie unter anderem die Krisenkommunikation, Gesundheits-
kommunikation, Social-Media-Kommunikation, die Beschäftigung mit Corpo-
rate Language oder der visuell geprägten Unternehmenskommunikation,
3. und empirische Untersuchungen diverser Textsorten der Public Relations.
viii Vorwort Handbuch Sprache in den Public Relations

Es richtet sich an Wissenschaftler aller Disziplinen, die sich mit der Kommuni-
kation von und in Unternehmen auseinandersetzen, Praktiker aus Organisationen,
die nach Antworten auf Fragen des Sprach- und Textgebrauchs suchen und Studie-
rende der einschlägigen Studiengänge. Das Handbuch kann nicht alle Ansätze
erfassen. Aber es soll einen Startschuss für den Diskurs über die Relevanz der
Beschäftigung mit Sprache und Text in den Public Relations geben und Inspiratio-
nen für die Entwicklung interdisziplinärer Ansätze liefern. Wir würden uns freuen,
wenn in der Reaktion weitere Kolleginnen und Kollegen an uns herantreten, die sich
mit dem Thema auseinandersetzen – egal, aus welchem Fachgebiet. Vielleicht
gelingt es uns gemeinsam, dieses Forschungsfeld zu erfassen, zu systematisieren
und weiter in den Blickpunkt zu rücken.

Hamburg/Hannover Annika Schach


Juli 2017 Cathrin Christoph

Literatur

Craig, Robert T. 1999. Communication theory as a field. Communication Theory


9(2): 119–161.
Hundt, Markus, und Dorota Biadala, Hrsg. 2015. Handbuch Sprache in der
Wirtschaft. Berlin: De Gryter.
Kastens, Inga, und Albert Busch, Hrsg. 2016. Handbuch Wirtschaftskommunika-
tion. Interdisziplinäre Zugänge zur Unternehmenskommunikation. Tübingen: A
Francke Verlag.
Röttger, Ulrike. 2010. Public Relations – Organisation und Profession. Öffent-
lichkeitsarbeit als Organisationsfunktion. Eine Berufsfeldstudie. Wiesbaden:
Springer VS.
Sandhu, Swaran. 2009. Strategic communication: An intitutional perspective.
International Journal of Strategic Communication 3(2): 72–92.
Schach, Annika. 2015. Advertorial, Blogbeitrag, Content-Strategie & Co. – Neue
Texte der Unternehmenskommunikation. Wiesbaden: Springer Gabler.
Schoeneborn, Dennis. 2013. Kommunikationstrifft Organisationsforschung: Der
Beitrag der „Communication Constitutes Organization“-Perspektive (CCO). In Orga-
nisationskommunikation und Public Relations, Hrsg. A. Zerfaß, L. Rademacher und
S. Wehmeier. Wiesbaden: Springer VS.
Wehmeier, Stefan. 2006. Dancers in the dark: The myth of rationality in public
relations. Public Relations Review 32(3): 213–220.
Inhaltsverzeichnis

Teil I Theoretische Ansätze ................................ 1

Verstehen und Diversität in der Sprachphilosophie Wilhelm von


Humboldts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Ulrike Buchholz

Kommunikativer Institutionalismus und Accounts . . . . . . . . . . . . . . . . 21


Swaran Sandhu

Systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . 37


Christina Gansel

Sprache und Public Relations aus systemtheoretischer Sicht ........ 63


Marcus Simon

Pragmastilistischer Ansatz zur Konzeption und Analyse von


Public Relations Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Daniela Wawra

Diskursbasierte Ansätze zur Analyse von Public Relations


Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
Daniela Wawra

Wertschöpfung als Wortschöpfung ............................ 117


Peter Stücheli-Herlach

Der Begriff von Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135


Manfred Piwinger und Helmut Ebert

Teil II Disziplinen / Handlungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

Strategisch texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153


Annika Schach

ix
x Inhaltsverzeichnis

Message Design . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171


Peter Stücheli-Herlach

Sprache und Text in der Medienarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191


Cathrin Christoph

Sprachliche Merkmale der Krisenkommunikation mit Schwerpunkt


Social Media . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Michael Roither

Text und Bild in der Unternehmenskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . 219


Annika Schach

Die Rolle der Sprache in der Innovations- und


Change-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Helmut Ebert

Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Sprache in den Public Relations . . . . 257


Martha Kuhnhenn

Intention und Emergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271


Christian Schwägerl, Reinhold Fuhrberg und Dimitrij Umansky

Corporate Language . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293


Sina Schneider

Der Zukunftsdiskurs der Commerzbank und GLS Bank in zwei


strategischen Textsorten der Unternehmenskommunikation . . . . . . . . . 309
Bärbel Bohr und Beatrix Kossmann

Sprache in der Unternehmenskommunikation auf Facebook . . . . . . . . 333


Andreas Brüser und Alexander Güttler

Die Wirkung von Storytelling in der Wissenschafts-PR ............ 357


Christian Ameseder und Silvia Ettl-Huber

Der narrative Ansatz in der Gesundheitskommunikation . . . . . . . . . . . 375


Kristin Becke

„Wer andern eine Grube gräbt . . .“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395


Vazrik Bazil und Manfred Piwinger

Teil III Textsorten ....................................... 411

Sprachstil des Geschäftsberichts .............................. 413


Helmut Ebert

Der Nachhaltigkeitsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423


Adrian Aebi und Bruno Frischherz
Inhaltsverzeichnis xi

Leitbilder als Instrument der Öffentlichkeitsarbeit von


Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
Martha Kuhnhenn
Aufsichtsratskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467
Jan Flegelskamp
Das Interview als Instrument der Krisenkommunikation . . . . . . . . . . . 485
Wilfried Köpke
Storytelling in der Social Media Markenkommunikation . . . . . . . . . . . 497
Silvia Ettl-Huber und Maria Aschbacher
Organisationskommunikation mittels Mikroblogs . . . . . . . . . . . . . . . . . 515
Michael Szurawitzki
Mitarbeiterverzeichnis

Adrian Aebi Hochschule Luzern, Luzern, Schweiz


Christian Ameseder Fachhochschule Burgenland, Eisenstadt, Österreich
Maria Aschbacher Gabriel-Chemie GmbH, Gumpoldskirchen, Österreich
Vazrik Bazil Berlin, Deutschland
Kristin Becke University of Applied Sciences and Arts, Hochschule Hannover,
Hannover, Deutschland
Bärbel Bohr Kommunikation und Sprachen – Gesellschaft, Wirtschaft, Recht,
HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Rapperswil, Schweiz
Andreas Brüser KOMM.PASSION GmbH, Düsseldorf, Deutschland
Ulrike Buchholz University of Applied Sciences and Arts, Hochschule Hannover,
Hannover, Deutschland
Cathrin Christoph Cathrin Christoph Kommunikation, Hamburg, Deutschland
Helmut Ebert Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwis-
senschaft, Universität Bonn, Bonn, Deutschland
Silvia Ettl-Huber Fachhochschule Burgenland, Eisenstadt, Österreich
Jan Flegelskamp Köln, Deutschland
Bruno Frischherz Hochschule Luzern, Luzern, Schweiz
Reinhold Fuhrberg Institut für Kommunikationsmanagement, Hochschule Osna-
brück, Lingen, Deutschland
Christina Gansel Institut für deutsche Philologie, Ernst-Moritz-Arndt Universität
Greifswald, Greifswald, Deutschland
Alexander Güttler KOMM.PASSION GmbH, Düsseldorf, Deutschland

xiii
xiv Mitarbeiterverzeichnis

Wilfried Köpke University of Applied Sciences and Arts, Hochschule Hannover,


Hannover, Deutschland
Beatrix Kossmann Institut für Kommunikation und Marketing, Hochschule
Luzern – Wirtschaft, Luzern, Schweiz
Martha Kuhnhenn Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft, Ernst-Moritz-
Arndt Universität Greifswald, Greifswald, Deutschland
Manfred Piwinger Publizist und Unternehmensberater, Wuppertal, Deutschland
Michael Roither Department Informationstechnologie und Informationsmanage-
ment, Fachhochschule Burgenland, Eisenstadt, Österreich
Swaran Sandhu Hochschule der Medien Stuttgart, Stuttgart, Deutschland
Annika Schach University of Applied Sciences and Arts, Hochschule Hannover,
Hannover, Deutschland
Sina Schneider University of Applied Sciences and Arts, Hochschule Hannover,
Hannover, Deutschland
Christian Schwägerl Institut für Kommunikationsmanagement, Hochschule Osna-
brück, Lingen, Deutschland
Marcus Simon International School of Management, München, Deutschland
Peter Stücheli-Herlach Zürcher Fachhochschule (ZHAW), Winterthur, Schweiz
Michael Szurawitzki Deutsche Fakultät, Tongji-Universität Shanghai, Shanghai,
China
Dimitrij Umansky Institut für Kommunikationsmanagement, Hochschule Osna-
brück, Lingen, Deutschland
Daniela Wawra Lehrstuhl für Englische Sprache und Kultur, Universität Passau,
Passau, Deutschland
Teil I
Theoretische Ansätze
Verstehen und Diversität in der
Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts
Zum Verständnis von Verständigung und
Zusammenarbeit in der lernenden Organisation

Ulrike Buchholz

Zusammenfassung
Für Wilhelm von Humboldt ist Sprache die Form des Denkens schlechthin, wobei
sie den Prozess des Hervorbringens fokussiert. Damit setzt Humboldt eine Prio-
rität des Sprechaktes gegenüber der Sprache und zielt damit auch zugleich stets
auf das Handeln eines konkreten Menschen ab. Jede Sprache wirft einen eigenen
Blick auf die Welt, erschließt sie sich durch ihren spezifischen Blickwinkel und
gibt sie vielfältig wieder. Am Modell der lernenden Organisation wird gezeigt,
wie Humboldts Idee der Sprache in ihrer Vielfalt als Vermittlerin zwischen den
Welten die Zusammenarbeit befruchten und damit die Organisation entwickeln
helfen kann.

Schlüsselwörter
Denken • Dialog • Lernende Organisation • Verstehen • Weltansicht

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
2 Sprache als bildendes Organ des Gedankens: Der Kernaspekt des Sprachverständnisses
Wilhelm von Humboldts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
3 Verschiedenheit und Vielfalt: Humboldts Aspekt der sprachlich gebundenen
Weltansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
4 Erkenntnis durch Dialog: Sprache als Vermittlung zwischen dem Ich und dem Du . . . . . . 8
5 Verstehen ist auch Nicht-Verstehen: Die Individualität des Sprechens und die
Grenzen des Verstehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
6 Verstehen ist Kommunikation: Die Perspektive des Anderen wahrnehmen
und erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
7 Verstehen als Folge sozialer Tätigkei: Über Dialog die Perspektiven auf die Welt
fruchtbar machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

U. Buchholz (*)
University of Applied Sciences and Arts, Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
E-Mail: ulrike.buchholz@hs-hannover.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 3


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_1
4 U. Buchholz

8 Wachstum durch Nicht-Verstehen: Zusammenarbeit in der lernenden Organisation . . . . . . 13


9 Vernetzung als Grundlage des Verstehens: Durch (Sprach)Vielfalt Optionen
erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
10 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
11 Wilhelm von Humboldt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

1 Einleitung

Bei der Betrachtung der sprachwissenschaftlichen Perspektive auf Kommunika-


tion ist der Philosoph, Linguist, Philologe und Anthropologe Wilhelm von Hum-
boldt (1767–1835) bislang noch nicht ins Blickfeld der Kommunikationswissen-
schaft gerückt. Krallmann und Ziemann setzen sich in ihrem Grundkurs zur
Kommunikationswissenschaft zwar auch mit eben dieser sprachwissenschaftli-
chen Perspektive auseinander (2001, S. 47–100), befassen sich dabei aber nur
mit den gängigen Vertretern wie Karl Bühler (hier mit einem kurzen Hinweis auf
Humboldt [Krallmann und Ziemann, S. 48]), John L. Austin, John R. Searle und
H. Paul Grice.
Dabei ist Humboldt der erste und bisher einzige, der Sprachwissenschaft,
Anthropologie und Philosophie zusammendenkt und zusammenbringt (vgl. etwa
Meschonnic 1995, S. 68) und dadurch den Menschen in seinem Wesen als durch
Sprache definiertes, insbesondere sprechendes Individuum erklärt. Im Zentrum
seines Denkens steht der Mensch, „und zwar der Mensch in seiner unendlichen
historischen Verschiedenheit und zugleich der Mensch als Idealform, genauer: als
Bezugspunkt für die idealiter angenommene, jedoch stets als anwesend vorausge-
setzte und wirkende Finalität der spezifisch menschlichen Handlungen“ (Coseriu
2015, S. 372). Damit steht Wilhelm von Humboldt auch in der Tradition der von
Krallmann und Ziemann erörterten sozialwissenschaftlichen Perspektive auf Kom-
munikation (2001, S. 125 ff.), die etwa in der Theorie des kommunikativen Han-
delns von Jürgen Habermas zum Ausdruck kommt. Aber auch in dieser Hinsicht
wird auf Humboldt meist kein Bezug genommen.
Wilhelm von Humboldts Sprachphilosophie ist gekennzeichnet durch die direkte
Fokussierung auf Sprache. Er war der erste, der Sprache in den Mittelpunkt der
Philosophie stellte. In der philosophischen Tradition spielte die Sprache zwar immer
schon eine Rolle, allerdings nur als Reflexionshilfe über das menschliche Dasein.
Sprache interessierte die Forscher nicht als solche, sondern nur in Beziehung etwa
zum Sein oder zum Denken. Bei Humboldt änderte sich das. „Humboldts Interesse
an der Sprache ist nicht mehr einem anderen Interesse untergeordnet; die Sprache
wird an und für sich selbst betrachtet. Umgekehrt werden Denken und Sein von der
Sprache her betrachtet, denn sie haben sich als durch diese bedingt erwiesen“
(Di Cesare 1996, S. 278).
Wilhelm von Humboldt hat sich selbst nicht als Philosoph begriffen, sondern,
wie Jürgen Trabant ausführt, als „philosophisch fundierter anthropologischer
Sprachforscher“ (2012, S. 223; vgl. auch Di Cesare 1996, S. 276 und Coseriu
2015, S. 359). Er verortet Humboldts Sprachtheorie daher in einer quasi
Verstehen und Diversität in der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts 5

anthropologisch-vergleichenden Sprachwissenschaft (Trabant 2012, S. 25), und


bezeichnet ihn als „linguistisch am besten informierte[n] Mensch[en] seiner Zeit“
(Trabant 2012, S. 313). Humboldt gehe es darum, „auf der Basis eines allen
Menschen angeborenen Sprachvermögens, des als universell vorausgesetzten
‚Sprachsinns‘, die Entfaltung der Verschiedenheit der Sprachen der Menschen zu
studieren“ (Trabant 2012, S. 25).
Dieser Beitrag fokussiert auf eben dieses Interesse Humboldts an der Verschie-
denheit, an der Differenziertheit, beleuchtet sein damit verbundenes Sprachverständ-
nis und führt seine Sprachidee mit seinem Begriff des Verstehens zusammen. Dabei soll
die Auseinandersetzung mit dem Sprachverständnis Wilhelm von Humboldts zunächst
dazu beitragen, die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Vertreter der sprachwissen-
schaftlichen Perspektive auf Kommunikation zu lenken und hoffentlich auch dazu,
Interesse für einen vertieften kommunikationswissenschaftlichen Diskurs über diesen
„philosophisch fundierten anthropologischen Sprachforscher“ zu wecken.
Weiter soll dieser Beitrag demonstrieren, dass auch das moderne Kommunikati-
onsmanagement Nutzen aus Wilhelm von Humboldts Sprachtheorie ziehen kann. So
wird am Modell der lernenden Organisation gezeigt, wie Humboldts Idee der
Sprache in ihrer Vielfalt als Vermittlerin zwischen den Welten die Zusammenarbeit
befruchten und damit die Organisation entwickeln helfen kann. Und es sollen
schlussendlich Anknüpfungspunkte für das Kommunikationsmanagement illustriert
werden.

2 Sprache als bildendes Organ des Gedankens: Der


Kernaspekt des Sprachverständnisses Wilhelm von
Humboldts

Um die beiden Aspekte humboldtscher Sprachtheorie („Verstehen“ und „Verschie-


denheit“), um die es in diesem Beitrag hauptsächlich geht, besser in das Gesamt-
konzept einordnen zu können, wird im Folgenden der zentrale Standpunkt Hum-
boldts kurz beleuchtet.
Sprache ist für Humboldt die Bedingung der Erkenntnis, denn der Gedanke
entsteht als Sprache: „Die Sprache ist das bildende Organ des Gedanken.“
(GS VII: 53; VI: 151) „Sie ist (. . .) verkörpertes Denken, in dem Stimme und
Begriff, Signifikant [Bezeichnendes, d. Verf.] und Signifikat [Bezeichnetes,
d. Verf.] als synthetische Einheit die Welt gestalten“ (Trabant 2012, S. 313). Das
heißt, dass nichts im menschlichen Geist nicht-sprachlich ist (Coseriu 2015, S. 374)
und dass es genau genommen auch keine Welt außerhalb der Sprache gibt. Denn
ohne das Wort gibt es keinen Begriff, durch den der Mensch sich die Gegenstände
erschließt. „Der Mensch lebt mit den Gegenständen [. . .] so, wie die Sprache sie ihm
zuführt“ (GS VII, S. 60).
Humboldt betrachtet die Sprache also nicht als Instrument, nicht „als bloßes
Verständigungsmittel“ (GS VI: 22), wie es in der Philosophie bis dahin üblich war,
sondern eben als Organ, verstanden als lebendiger Organismus. Deshalb ist die
Sprache dem Menschen natürlich, definiert ihn und ist als solche nicht weiter
6 U. Buchholz

erklärbar. Sie vermittelt mithin zwischen dem Ich und der Welt, die er sich durch
Sprache gestaltet, und hilft dem Menschen, sich wiederum von der Welt, den
bezeichneten Gegenständen, zu differenzieren, sich aus ihr herauszuheben, sich ihr
gegenüberzustellen zu können. Damit erkennt der Mensch Objekte als Gegenstände
und sich selbst als Subjekt. „Das sprachliche Denken schafft die Gegenstände, an
denen das reflexive Denken ansetzt“ (Coseriu 2015, S. 456). Dieser Akt des Reflek-
tierens ist nach Humboldt durch und durch sprachlicher Natur. „Daraus folgt, daß der
Mensch ‚nur Mensch [ist] durch Sprache‘ (GS IV: 16) und daß er die Welt nur als
Welt erfaßt, insofern sie sprachlich konstituiert ist.“ (Di Cesare 1996, S. 279)

„Die Sprache muss zwar, meiner vollesten Ueberzeugung nach, als unmittelbar in den
Menschen gelegt angesehen werden; denn als Werk seines Verstandes in der Klarheit des
Bewusstseyns ist sie durchaus unerklärbar. (. . .) Die Sprache liesse sich nicht erfinden, wenn
nicht ihr Typus schon in dem menschlichen Verstande vorhanden wäre. Damit der Mensch
nur ein einziges Wort wahrhaft, nicht als blossen sinnlichen Anstoss, sondern als articulirten,
einen Begriff bezeichnenden Laut verstehe, muss schon die Sprache ganz, und im Zusam-
menhange in ihm liegen“ (GS IV: 15).

Für Humboldt ist Sprache die Form des menschlichen Geistes, des Denkens
schlechthin und daher ist sie im Wesentlichen kognitiv und nicht einzig kommuni-
kativ – weil sie kein Instrument ist, weil die Wörter keine Zeichen, weil sie keine
Abbilder der Welt sind. „Wörter sind keine willkürlichen und gleichgültigen Laute,
die sprachlich gefasste universelle Inhalte kommunizieren. Dagegen setzt Humboldt
seine kognitive Sprachauffassung“ (Trabant 2012, S. 46, 315), in der er sie zum
‚bildenden Organ des Gedankens‘ macht.
Die Sprache ist als „Schlüssel zum und Schema des Menschlichen überhaupt“
(Coseriu 2015, S. 359) schöpferische Tätigkeit, sie ist energeia, so Humboldt in
einer seiner zentralen Aussagen:

„Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständig und in jedem
Augenblick Vorübergehendes. [. . .] Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit
(Energeia). Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische seyn“ (GS VII: 45, 46).

Die Sprache fokussiert demnach den Prozess des Hervorbringens, nicht das
hervorgebrachte Erzeugnis (ergon). Sprache ist also stets ein Werden. Damit setzt
Humboldt eine Priorität des Sprechaktes gegenüber der Sprache und zielt damit auch
zugleich stets auf das Handeln eines konkreten Menschen ab (vgl. etwa Di Cesare
1996, S. 284–285; Trabant 2012, S. 25–26, 209).
Die Sprache an sich wird sichtbar in den verschiedenen Einzelsprachen, die
wiederum in den jeweiligen Sprechakten zu Tage treten. „Aus dem Sprechen [. . .]
erzeugt sich die Sprache“ stellt Humboldt fest (GS VI: 180) und: „Die Sprache liegt
nur in der verbundenen Rede, Grammatik und Wörterbuch sind kaum ihrem toten
Gerippe vergleichbar.“ (GS VI: 147).
Die Rede aktualisiert die Sprache nicht nur, sondern sie modifiziert sie auch jedes
Mal. „Deshalb begründet und rechtfertigt die Rede die Sprache und nicht umge-
kehrt“ (Di Cesare 1996, S. 285).
Verstehen und Diversität in der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts 7

3 Verschiedenheit und Vielfalt: Humboldts Aspekt der


sprachlich gebundenen Weltansichten

Im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen interessierte Humboldt nicht, was


den Sprachen gemeinsam ist, sondern was sie, insbesondere im Hinblick auf die
Kulturen, unterscheidet (Vgl. Trabant 2012, S. 203; Meschonnic 1995, S. 68). Eine
Universalität der Sprache äußert sich für ihn in der generellen Sprachfähigkeit aller
Menschen. Doch damit sich diese universelle Fähigkeit faktisch konkretisieren kann,
muss sie sich individualisieren. Damit wendet Humboldt sich der Individualität der
Einzelsprachen und der Individualität des Sprechenden zu, um einerseits erkennen
zu können, was das Individuum ausmacht, und wie sich andererseits Vielfalt sprach-
lich manifestiert. Denn „das Denken ist nicht bloss abhängig von der Sprache
überhaupt, sondern, bis auf einen gewissen Grad, auch von jeder einzelnen be-
stimmt“ (GS IV: 22).
Humboldt ist, wie bereits ausgeführt, überzeugt, „dass die Sprachen nicht eigent-
lich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die
vorher unerkannte zu entdecken“ (GS IV: 27). Damit unterscheiden sie sich nicht
durch die unterschiedliche Bezeichnung der Gegenstände, ihre Verschiedenheit ist
„nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltan-
sichten selbst“ (GS IV: 27), die sich insbesondere in der Semantik niederschlägt. Das
bedeutet aber auch, dass es nicht die eine Welt geben kann. „Denn wenn die Welt
sich nur mit und in der Sprache bildet und diese nur in den verschiedenen Sprachen
gegeben ist, hat man nicht eine Welt, sondern eine Vielheit von Welten entsprechend
der Vielheit von Perspektiven, die jede Sprache eröffnet. Die Frage nach der Welt an
sich verliert ihren Sinn“ (Di Cesare 1996, S. 282). Alle Sprachen gleichen sich im
Hinblick auf die Sprachidee, aber jede Sprache wirft einen eigenen Blick auf die
Welt, erschließt sie sich durch ihren spezifischen Blickwinkel und gibt sie vielfältig
wieder. Damit sind Sprachen nicht etwa als Filter zu betrachten, durch den die
Wirklichkeit, die reale Welt nur verzerrt oder eingeschränkt wiedergegeben wird.
Für Humboldt „ähneln alle Sprachen zusammen einem Prisma, an dem jede Seite das
Universum unter einer anders abgetönten Farbe zeigt“ (GS III: 321), was wiederum
auf die grundsätzliche Universalität der Sprachfähigkeit verweist. Die Sprachidee
realisiert sich daher nur in der Verschiedenheit ihrer individuellen Gedanken, in der
Vielfalt der Sprachen. Die Art und Weise, wie die Sprache die Gedanken erzeugt, ist
von Sprachgemeinschaft zu Sprachgemeinschaft (Humboldt würde sagen von
Nation zu Nation) verschieden. „Sprache prägt also Humboldt zufolge die Wahr-
nehmung der Welt und den gesamten Welt- und Selbstbezug eines Menschen auf
unhintergehbare Weise“ (Koller 2003, S. 526).
Dabei muss man hervorheben, dass Humboldts „Weltansicht“ nicht gleichzuset-
zen ist mit dem gängigeren Begriff der Weltanschauung. Sprachen bewerten nicht
die Welt (vgl. etwa Trabant 2012, S. 135), aber sie gliedern sie Humboldts Ver-
ständnis nach in charakteristische Einheiten, heben bestimmte Perspektiven hervor,
ordnen sie dazu spezifisch in Sätzen. So hat das Französische etwa zwei Tempora,
mit denen die Vergangenheit ausgedrückt wird (imparfait und passé simple), das
Deutsche drückt beide Perspektiven mit nur einem Tempus aus. Und genau das ist
8 U. Buchholz

ein Ausdruck der jeweils unterschiedlichen Weltansicht in Humboldts Sinne. „‚Welt-


ansicht‘ ist das Ensemble der semantischen und grammatischen Züge einer Einzel-
sprache“ (Trabant 2012, S. 136).
Die Vielfalt und jeweilige Weltansicht bleibt aber nicht in der Sprache an sich,
sondern manifestiert sich im Sprechen jedes Individuums einer Sprache. Denn die
Rede erfolgt in der sprachlich gestalteten Welt einer bestimmten Sprache. Damit
wird Sprache immer in einem historischen Kontext erzeugt, sie generiert ein Gewebe,
ein Netz, „das aus einer grenzenlosen Kette von Gesprächen hervorgegangen ist, an
denen [das jeweilige aktuell sprechende Individuum] nicht beteiligt war“ (Di Cesare
1996, S. 283), und an dem es dennoch weiterstrickt, indem es sprachlich handelt.
Deshalb ist die durch Sprache gestaltete Welt niemals fertig, wird ständig transfor-
miert und modifiziert, kann nicht überwunden werden und bleibt daher immer
Zwischenwelt. „Das bedeutet nichts anderes, als daß die Welt immer am ursprüng-
lichen Ort ihrer Bildung bleibt, daß sie im Dialog zwischen Ich und Du lebt, daß sie
außerhalb der wirklichen Rede zu keinem Dasein kommt“ (Di Cesare 1996, S. 283).

4 Erkenntnis durch Dialog: Sprache als Vermittlung


zwischen dem Ich und dem Du

Sprache ist die Bedingung der Erkenntnis, deren Objektivierung aber erst dann
vollendet ist, wenn ein Individuum sich mittels Sprache mit einem anderen Indivi-
duum austauscht, wenn das Wort „aus fremden Munde wiedertönt“ (GS VII: 56).
Mit Hilfe der Sprache verständigt man sich auf gemeinsame Bedeutungen und
letztlich auf gemeinsame Gegenstände, auf die gemeinsame Welt, die sich für
Humboldt ja ausschließlich sprachlich gestaltet. (Vgl. etwa Coseriu 2015, S. 455;
Trabant 2012, S. 315). Das Denken drückt nicht nur eine Beziehung des Ichs zur
Welt aus. Die Gestaltung dieser Beziehung erfolgt von vorneherein in der Verbin-
dung zu einem Du.

„Es liegt aber in dem ursprünglichen Wesen der Sprache ein unabänderlicher Dualismus,
und die Möglichkeit des Sprechens selbst wird durch Anrede und Erwiederung bedingt.
Schon das Denken ist wesentlich von Neigung zu gesellschaftlichem Daseyn begleitet, und
der Mensch sehnt sich, unabhängig von allen körperlichen und Empfindungs-Beziehungen,
auch zum Behuf seines blossen Denkens nach einem dem Ich entsprechenden Du, der
Begriff scheint ihm erst seine Bestimmtheit und Gewissheit durch das Zurückstrahlen aus
einer fremden Denkkraft zu erreichen“ (GS VI: 26).

Erst wenn also der Kommunikator – das Ich – die von ihm mit seiner Subjektivität
angereicherte Rede vom Rezipienten – dem Du -, wiederum mit dessen Subjektivi-
tät, dessen Interpretation verknüpft, erneut wahrnimmt, erlangt diese Rede eine über
ein Vorverständnis hinaus reichende, wirkliche Objektivität. Durch die sprachlich
gestaltete Erwiderung wird die subjektive Vorstellung zum Begriff. Die vollständige
Objektivierung der subjektiven Vorstellung kann also erst dann erfolgen, wenn das
Ich selbige außerhalb seiner selbst wahrnehmen kann. Und das geschieht im Dialog
mit dem Du (Vgl. Di Cesare 1996, S. 280–281).
Verstehen und Diversität in der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts 9

„Alles Sprechen beruht auf der Wechselrede“, bekundet Humboldt (GS VI: 25),
wodurch er die dialogische Natur des Denkens betont. Objektivierung erfolgt durch
Sprache und findet daher ausschließlich intersubjektiv statt. In letzter Konsequenz
heißt das, dass ein Ich nur durch ein Du existieren kann: „Erst in der vom Du
gegebenen Antwort erkennt das Ich die so geformten Erscheinungen als Welt und
sich selbst als Ich“ (Di Cesare 1996, S. 281). Sprache ist also Rede, wodurch eben
das Sprechen, der Prozess des Hervorbringens, in Humboldts Sprachtheorie Priorität
gegenüber der Sprache an sich erhält, wie bereits weiter oben erläutert. Und Rede ist
Dialog, also nicht einfach ein Austausch von Worten, kein einfaches Gespräch, keine
schlichte Konversation. Im Dialog beobachten sich die Gesprächspartner beim
Denken selbst und beteiligen das Gegenüber an eben diesem Denkprozess (Gölitzer
2015, S. 97).
Die Rede in der Form eines Dialogs ist selbstreflexiv und ermöglicht eine in der
sprachlichen Interaktion sich weiterentwickelnde Sinnhaftigkeit, ein sich fortentwi-
ckelndes Erschließen von Bedeutung. Es geht um neue Sichtweisen, neue Einsichten
und Erkenntnisse, die durch die „Wechselrede“ gewonnen werden, die zwar immer
subjektiv bleiben, aber nur durch diese „Wechselrede“, durch andere (sprachliche)
Zugänge zur Welt, überhaupt Objektivität erhalten können. Da die Rede aber nie ihre
Subjektivität verliert, kann es im Dialog auch zu Missverständnissen kommen, was
aber gerade die sprachliche Verständigung vorantreibt, denn nur im Dialog kann man
ein gemeinsames Verständnis finden und dadurch sich selbst und damit die Welt
weiterentwickeln. (Vgl. Gölitzer 2015, S. 91, 92)

5 Verstehen ist auch Nicht-Verstehen: Die Individualität des


Sprechens und die Grenzen des Verstehens

Auch das Verstehen ist für Humboldt wie das Sprechen ein durch und durch
sprachlicher Vorgang:

„Mit dem Verstehen verhält es sich nicht anders. Es kann in der Seele nichts, als durch eigne
Thätigkeit vorhanden seyn, und Verstehen und Sprechen sind nur verschiedenartige Wir-
kungen der nemlichen Sprachkraft“ (GS IV: 56).

Dieser sprachliche Vorgang bringt zwei individuelle Perspektiven zusammen und


weist sie gleichzeitig als verschieden aus. Da er in einer gemeinsamen Sprache
stattfindet, die eine Historie von Gesprochenem und Verstandenem hat, besteht
jedoch eine zunächst grundsätzliche „vorhergängige, ursprüngliche“ (GS IV: 47)
Übereinstimmung, eine Art Vorverständnis über das, was (wohl) gemeint ist. Dabei
ist Sprache aber nicht als Instrument zu betrachten, mit dessen Einsatz eine Kon-
gruenz unmittelbar erzeugt wird. „Im Akt des Sprechens und Hörens immer schon
vorausgesetzt als ein gemeinsames Organ der Verständigung, baut sie [stattdessen]
‚Brücken von einer Individualität zur andren und vermittelt das gegenseitige Ver-
ständniß‘ (GS VII: 169)“ (Di Cesare 1996, S. 287).
10 U. Buchholz

Das heißt jedoch nicht, dass im jedesmaligen Sprechakt durch die Vermittlung
der Sprache stets eine vollständige Übereinstimmung erzielt werden kann. Denn
Verstehen ist ein Vorgang, bei dem eine wahrgenommene Äußerung gedeutet,
interpretiert werden muss. Aber

„Keiner denkt bei dem Wort gerade und genau das, was der andre [nicht nur Denotation,
sondern eben auch viel Konnotation, d. V.], und die noch so kleine Verschiedenheit zittert,
wie ein Kreis im Wasser, durch die ganze Sprache fort“, stellt Humboldt fest (GS VII: 64).

Aufgrund der absoluten Individualität und Subjektivität des Sprechens kann man
nie sicher sein, ob man wirklich verstanden wurde wie intendiert. Denn das Gegen-
über, das Du, ist ebenso individuell geprägt wie man selbst, bleibt so bis zu einem
gewissen Grad fremd.

„Alles Verstehen ist immer zugleich auch ein Nicht-Verstehen, alle Übereinstimmung in Gedan-
ken und Gefühlen zugleich ein Auseinandergehen“, folgert Humboldt daher (GS VII: 64 f.).

Diese Grenzen des Verstehens wird sich das verstehende Individuum insbeson-
dere dann bewusst, wenn die Fremdheit ganz offensichtlich ist, nämlich in der
Begegnung mit einer fremden Sprache. Die Vielfalt der Sprachen mit ihren jewei-
ligen Weltansichten impliziert damit nicht nur die Möglichkeit, in gewisser Weise
„die Welt“ zu erkennen und zu verstehen, sondern setzt dem interkulturellen Mitei-
nander auch gleichzeitig Grenzen. (Koller 2003, S. 522 ff.) Aber Verständigung
kann dennoch gelingen, weil die Individuen die Perspektive des Gegenübers über-
nehmen können und in der Lage sind, über ihr eigenes Denken nachzudenken, was
wiederum das Verstehen fördert (Vgl. Gölitzer 2015, S. 83).

6 Verstehen ist Kommunikation: Die Perspektive des


Anderen wahrnehmen und erkennen

Überhaupt ist die Perspektivenübernahme ein zentrales Moment in Humboldts Ver-


ständnis vom Verstehen. „Verstehen geschieht in der Begegnung zweier individuel-
ler Perspektiven im umfassenden Horizont der Sprache, der zwar niemals ausge-
leuchtet, aber ebensowenig jemals überschritten werden kann“ (Di Cesare 1995,
S. 287). Das bedeutet, dass das sprechende und das rezipierende Individuum das
erwähnte Vorverständnis für das Verstehen mitbringen müssen, um sich dem Kom-
munikationsinhalt überhaupt annähern zu können. Das ist möglich, weil beiden
Individuen dieselbe Sprache zugrunde liegt, deren Substanz sich in der Historie
durch die Rede vieler Individuen gebildet und manifestiert hat (Di Cesares „umfas-
sender Horizont der Sprache“), und aus dem die aktuell interagierenden Individuen
nun schöpfen. Das zu Erkennende und das erkennende Individuum müssen also über
ein ausreichendes Maß an Gemeinsamkeit verfügen, damit überhaupt Erkenntnis
gewonnen werden kann. „In diesem Sinn ist das Verstehen eine bloße ‚Anwendung‘
dieses Vorverständnisses auf das zu Verstehende“ und impliziert, dass im zu verste-
Verstehen und Diversität in der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts 11

henden Stoff „nichts auftreten kann, was dem Interpreten prinzipiell unzugänglich
wäre“ (Koller 2003, S. 520–521).
Verstehen bildet sich aber nicht nur aus dem reinen Schöpfen aus prinzipiell
bekanntem Stoff, denn

„die gemeinsame Rede ist nie mit dem Uebergeben eines Stoffes vergleichbar. In dem
Verstehenden, wie im Sprechenden, muss derselbe aus der eignen, inneren Kraft entwickelt
werden; und was der erstere empfängt, ist nur die harmonisch stimmende Anregung“
(GS VII: 57).

Damit basiert Verstehen auch und vor allem auf dem, was vom rezipierenden (und
interpretierenden) anderen Individuum zurückkommt. Durch die Artikulation, die
„sinnliche Form des Wortes“ (Di Cesare 1995, S. 280) wird das Gesagte bzw.
Gehörte objektiviert und öffnet sich so dem Verstehen, indem Kommunikator und
Rezipient sich auf eine gemeinsam geteilte Bedeutung verständigen (Vgl. Gölitzer
2015, S. 94). Diese „Arbeit des Geistes“ beschreibt Humboldt wie folgt :

„Subjective Thätigkeit bildet im Denken ein Object. Denn keine Gattung der Vorstellungen
kann als bloss empfangendes Beschauen eines schon vorhandenen Gegenstandes betrachtet
werden. Die Thätigkeit der Sinne muss sich mit der inneren Handlung des Geistes syn-
thetisch verbinden, und aus dieser Verbindung reisst sich die Vorstellung los, wird, der
subjectiven Kraft gegenüber, zum Object und kehrt, als solche aufs neue wahrgenommen, in
jene zurück. Hierzu aber ist die Sprache unentbehrlich. Denn indem in ihr das geistige
Streben sich Bahn durch die Lippen bricht, kehrt das Erzeugnis desselben zum eignen Ohre
zurück. Die Vorstellung wird also in wirkliche Objectivität hinüberversetzt, ohne darum der
Subjectivität entzogen zu werden. Dies vermag nur die Sprache; und ohne diese, wo Sprache
mitwirkt, auch stillschweigend immer vorgehende Versetzung in zum Subject zurückkeh-
rende Objectivität ist die Bildung des Begriffs, mithin alles wahre Denken unmöglich. Ohne
daher irgend auf die Mittheilung zwischen Menschen und Menschen zu sehn, ist das
Sprechen eine notwendige Bedingung des Denkens des Einzelnen in abgeschlossener
Einsamkeit. In der Erscheinung entwickelt sich jedoch die Sprache nur gesellschaftlich,
und der Mensch versteht sich selbst nur, indem er die Verstehbarkeit seiner Worte an Andren
versuchend geprüft hat. Denn die Objectivität wird gesteigert, wenn das selbstgebildete Wort
aus fremden Munde wiedertönt“ (GS VII: 55 f.).

Verstehen ist also für Humboldt, indem es ein sprachlicher Akt ist, zugleich ein
dialogischer, intersubjektiver, kommunikativer Vorgang. Verstehen aus sich selbst
heraus durch sprachliche Artikulation sich selbst gegenüber als isoliertes Subjekt ist
für ihn nur prinzipiell denkbar. Wirklich fundiert, wirklich objektiviert ist Verstehen
erst im Austausch mit einem Gegenüber, wodurch dessen Gedanke wieder zurück-
kehrt zum Sprecher. „Sprachliche Interaktion wird (. . .) mithin als ein Vorgang
begriffen, bei dem ein Sprecher durch die Äußerung einer Lautfolge einen Zuhörer
dazu anregt, in sich selbst eine [subjektive, d. V.] Vorstellung hervorzubringen, die in
irgendeiner Weise derjenigen entspricht, die vom Sprecher artikuliert wurde“ (Koller
2003, S. 524). Das funktioniert nach Humboldt, wie bereits erläutert, weil bei aller
Verschiedenheit der Individuen ihnen die prinzipielle Menschlichkeit und die grund-
sätzliche Sprachfähigkeit zu eigen sind (inklusive der Selbstreflexion bzw. Selbst-
erkenntnis) und sie dadurch in einer Beziehung zueinander stehen.
12 U. Buchholz

„Was für mich am überzeugendsten für die Einheit der menschlichen Natur in der Verschie-
denheit der Individuen spricht, ist das oben Gesagte: dass auch das Verstehen ganz auf der
inneren Selbstthätigkeit beruht, und das Sprechen mit einander nur ein Gegenseitiges
Wecken des Vermögens des Hörenden ist“ (GS VI: 176).

Da aber jedes Sprechen dem sprachlich Bezeichneten durch den Bezeichnenden


eine Konnotation hinzufügt, ist jedes Verstehen eben auch ein Nicht-Verstehen. Die
Summe der Konnotationen führt schließlich dazu, sich durch das dadurch hervorge-
rufene spezifische Verständnis von Realität in einer bestimmten Art und Weise zur
Welt zu verhalten und diese aus einer bestimmten Perspektive zu betrachten (der
Prisma-Gedanke), was schließlich die spezifische Weltansicht jeder Sprache, ja jedes
Individuums ausmacht.
Erst durch die Reflexion des Gegenübers erkennt das Individuum die Dimensio-
nen des eigenen Gedankens. Aber auch wenn das Ich grundsätzlich versteht, was das
Du aus dem Gesagten verstanden hat, kommt doch der Gedanke nicht unberührt
zurück, sondern immer verändert durch die Perspektive (die Sicht auf die Welt) des
Du und macht dem Ich dadurch wiederum die eigene Weltansicht deutlich (Gölitzer
2015, S. 95). Es kommt nie eine vollständige Übereinstimmung zustande So kann es
beim Verstehen also nicht darum gehen, Kongruenz herzustellen, sondern einzig
darum, sich über die Grenzen des Verstehens im Klaren zu sein und bewusst mit dem
Unterschied umzugehen (vgl. Koller 2003, S. 527). Das heißt auch, Pluralität, Di-
versität zu akzeptieren, wenn nicht gar wertzuschätzen.

7 Verstehen als Folge sozialer Tätigkei: Über Dialog die


Perspektiven auf die Welt fruchtbar machen

Folgt man Humboldts Verständnis von Sprache, Sprechen und Denken, erfolgt das
Verstehen nur im Dialog, also aus einer sozialen Interaktion heraus, die – modern
gesagt – für beide Parteien eine Win-Win-Situation ermöglicht. Denn die differenten
Ansichten und Einsichten, die im Dialog zutage treten, sollen nicht in einem
Wettkampf ausgefochten werden, sondern in eine Beziehung treten, die die Diffe-
renz erhält und für beide Seiten positiv gestaltet.

„Die ganze Individualität des Sprechenden wird daher von ihr [der Sprache, d. V.] in den
Andren übertragen, nicht um seine eigne zu verdrängen, sondern um aus der fremden und
eignen einen neuen fruchtbaren Gegensatz zu bilden“ (GS VII: 180).

Aber da der Mensch fähig ist, sich in die andere Weltansicht hineinzudenken,
quasi die Grenzen seiner eigenen Weltansicht zu überwinden, ist Verstehen möglich,
wissend jedoch, dass er seine eigene Weltansicht dabei nicht gänzlich ablegen kann.
(Er bleibt immer in einer Zwischenwelt). So ist schließlich das Verstehen nicht mit
bedingungsloser Angleichung verknüpft, sondern mit einer für beide Seiten förder-
lichen Weiterentwicklung, die jedoch die grundsätzliche Differenz im Verstehen
aufrecht erhält (Vgl. Koller 2003, S. 527, 530). Ein auf Verstehen ausgerichteter
Verstehen und Diversität in der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts 13

Dialog intendiert also eine Entwicklung und beruht folglich auf Zuhören und
Reflexion. Die Idee der Weltansicht setzt die Teilnehmenden in einem Dialog zudem
in einen Kontext individueller Kenntnisse, gemeinsamer Lernprozesse, gruppenspezi-
fischer Dynamik oder bestimmter Gesprächsmodalitäten mit daraus resultierenden
unterschiedlichen Deutungen (Vgl. etwa Schwägerl 2016). Durch das Nicht-Verstehen
im Dialog bleibt die Grenze zwischen den sprachlichen Weltansichten erhalten, was
aber, wenn man sich darauf einlässt und diesen Umstand kultiviert, im Verlauf der
Interaktion zu einer Entfaltung und Evolution des (gemeinsamen) Wissens führt.
Humboldt betrachtet das Nicht-Verstehen als konstitutiv für das Verstehen und
die Vielfalt der voneinander verschiedenen Weltansichten als für das Verstehen
ertragreich. Im Dialog, in der sozialen Tätigkeit muss es darum gehen, Unterschiede
auszuhalten, sie nicht wegen der vermeintlichen Notwendigkeit einer herbeizufüh-
renden Übereinstimmung in Kongruenz bringen zu wollen. Denn zum einen sind die
Sprachenvielfalt und die aus ihnen hervorgehende Diversität der Weltansichten nicht
überwindbar. Und zum anderen ist das Aushalten des Unterschieds, ist das im Dialog
entstehende Nicht-Verstehen eben auch konstitutiv für Fortentwicklung und geisti-
ges Wachstum.

8 Wachstum durch Nicht-Verstehen: Zusammenarbeit in der


lernenden Organisation

Folgt man Humboldts Verständnis vom Menschen als durch Sprache konstituiertes
Individuum („der Mensch ist nur Mensch durch Sprache“), welches sich nur mit
Sprache seine Welt erschließen (im Grunde sogar gestalten) kann, muss man ein
sprachlich gebundenes Lernen voraussetzen. Jeder sieht die Welt so, wie sie ihm
seine Sprache zugänglich macht. Jeder erkennt nur das, was ihm über Sprache
bewusst wird. Und er erkennt es dann am besten, wenn er sich und seine Sicht durch
den Austausch mit einem Gegenüber reflektieren kann. Konsequent weitergedacht
heißt das für die Zusammenarbeit vieler Individuen in Organisationen, dass das
gemeinsame Arbeiten erst dann vollendet funktionieren kann, wenn die einzelnen
Mitarbeitenden in einen beständigen Dialog (miteinander und mit ihrer Umwelt)
treten können.
Dies trifft ganz besonders auf die Form der sogenannten lernenden Organisation
zu, deren Konzept vor dem Hintergrund der zu beobachtenden wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Entwicklung immer häufiger obligat für den ökonomischen Erfolg
insbesondere von Unternehmen ist. Wissen gilt für viele Experten zunehmend als die
strategisch bedeutendste Ressource für den Unternehmenserfolg (vgl. etwa Dillerup
und Stoi 2016, S. 849 ff.; Macharzina und Wolf 2015, S. 819 f.; Bullinger et al.
2009, S. 77–78, 701–702). Und ein erfolgversprechender Prozess zum Erwerb von
Wissen ist bekanntlich Lernen. Für die lernende Organisation geht es vor allem um
das kollektive Lernen, um das Erzeugen und Gestalten von Wissen, das die gesamte
Organisation in einem kollaborativen Zusammenwirken voranbringt.
Unternehmen müssen insbesondere lernen, sich auf ein Umfeld einzustellen, das in
fast jeder Hinsicht unsicher und unübersichtlich geworden ist. Viele Einflussgrößen
14 U. Buchholz

bilden zunehmend ein vernetztes, sowohl in seinen Einzelteilen wie auch im Zusam-
menhang kaum überschaubares Ganzes. Die größte Herausforderung ist dabei der
Umgang mit Komplexität und hierbei vor allem der Umgang mit Mehrdeutigkeit.
(Buchholz und Knorre 2017, S. 7).
Neues Wissen entwickeln kann nur der Mensch (Dillerup und Stoi 2016,
S. 866, 874; Macharzina und Wolf 2015, S. 816). Organisationales Lernen geschieht
dann, wenn sich die Wissensbasis einer Mehrheit der in der Organisation arbeitenden
Individuen verändert und dazu beiträgt, dass sich die Organisation weiterentwickelt.
Dazu ist es notwendig, dass sich verschiedene Wissensquellen laufend austauschen
können, genauer, dass die Individuen interagieren (Macharzina und Wolf 2015,
S. 816; Bullinger et al. 2009, S. 826). Ein besonderes Kennzeichen der lernenden
Organisation ist ein abwechselnder Prozess des Denkens und Handelns (Bullinger
et al. 2009, S. 827). Systemimmanent sind dabei Information, Kommunikation und:
Sprache. (Natürlich ist für ein erfolgreiches organisationales Lernen auch eine Unter-
nehmenskultur unabdingbar, die den Wissensaustausch und das Lernen fördert. Und
es müssen die passenden, unbürokratischen Organisationstrukturen geschaffen wer-
den, in denen der Informationsfluss ungehindert strömen kann. Das bleibt hier einmal
außen vor, da wir uns im Geiste Humboldts auf den für das Verstehen und damit für
das Lernen obligaten Dialog zwischen Menschen beschränken wollen.)
Organisationales Lernen wird also mehr und mehr zu einer Voraussetzung für
Wachstum und Weiterentwicklung der jeweiligen Organisation. Wenn wir das
Verstehens-Modell von Wilhelm von Humboldt zugrunde legen, das in den vorhe-
rigen Kapiteln entwickelt wurde, wird dies immer mit einem Ringen um gemeinsam
getragener Handlungsoptionen verknüpft sein. Denn eine totale Übereinkunft wird
es nicht geben können, da es immer einen Anteil an Nicht-Verstehen geben wird. In
der traditionellen Unternehmensführung wird dieser Dissenz durch den Einsatz von
Macht kompensiert. Bei den zunehmend unsicheren und unübersichtlichen Umfel-
dern von Unternehmen kann das aber schnell zu einer fatalen Fehlentscheidung
führen. Unternehmerisches Handeln muss stattdessen laufend mit der aktuellen
Situation abgeglichen und gegebenenfalls auch kurzfristig umgeworfen werden
können, wenn die Situation neu bewertet werden muss, und zwar auf Basis viel-
fältiger Informationen aus der gesamten Organisation.
Es kann dabei aber eben ganz im Humboldtschen Sinn zu widersprüchlichen
Situationsbewertungen kommen, wenn Individuen sie aus ihrer Perspektive, ihrer
Weltansicht betrachten und zu verstehen versuchen. Deshalb ist es wichtig, im Aus-
tausch miteinander viele Perspektiven einzubeziehen, die mögliche blinde Flecken
mindern (Buchholz und Knorre 2017, S. 5–6). Dabei entstehende Verwerfungen muss
eine Organisation eine Zeit lang aushalten können, um sie in der Breite zur Diskussion
stellen zu können und so aus einem Nicht-Verstehen heraus letztlich womöglich die
bessere Entscheidung zu treffen. In einer lernenden Organisation ist dieser Weg allemal
geeigneter als Unterschiede oder Dissenzen schnell und risikoarm in einem Vier-
Augen-Gespräch bereinigen zu wollen.
In lernenden Organisationen werden Mitarbeitende benötigt, die bereit sind, sich
immer wieder neues Wissen anzueignen, um immer wieder neue Zusammenhänge zu
erkennen, neue Ideen zu entwickeln und diese gemeinsam mit anderen umzusetzen.
Verstehen und Diversität in der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts 15

Je vielfältiger dabei die Basis ist, umso erfolgversprechender sind die Ergebnisse.
Denn ohne Vielfalt, Komplexität und Zufall entsteht nichts nachhaltig Neues
(Buchholz und Knorre 2012, S. 157). Dabei spielt die Überwindung der Angst vor
dem real existierenden Nicht-Verstehen, die Überwindung einer Vogel-Strauß-
Haltung, die die Wahrnehmung einer diffus daherkommenden Wirklichkeit ausblen-
det, eine entscheidende Rolle. Das Wissen um sprachliche Weltansichten und ins-
besondere deren Wertschätzung kann aus dem Dilemma heraushelfen. Denn wenn
man es zulässt, führt die Auseinandersetzung mit anderen Weltansichten zur Erwei-
terung der eigenen Weltansicht – in lernenden Organisationen eine elementare
Notwendigkeit. Das Kommunikationsmanagement muss hier die Rolle der Vermitt-
lung einnehmen, die die Chancen von Vielfalt bewusst macht, dabei hilft, Unter-
schiede eine Zeitlang zum Zweck der Lösungsfindung auszuhalten, und u. a. dafür
für vielfältige Vernetzungsgelegenheiten sorgt.

9 Vernetzung als Grundlage des Verstehens: Durch (Sprach)


Vielfalt Optionen erkennen

Fast ist man geneigt, Wilhelm von Humboldt als Vordenker des organisationalen
Lernens zu betrachten. Denn seine sprachwissenschaftlichen Untersuchungen waren
getrieben durch sein Bestreben, dem Entstehen von Neuem nachzugehen. Ihn
interessierte die Verschiedenheit, was sie konstituiert und wie sie sich entfaltet
(Trabant 2012, S. 312; Meschonnic 1995, S. 68). Folgt man seinen Überlegungen,
eröffnet sich gar eine geeignete Sichtweise auf das moderne Diversity Management.
Denn die Wertschätzung von Vielfalt und der entsprechende Umgang mit einer
selbst widersprüchlichen Pluralität sind in lernenden Organisationen, wie wir gese-
hen haben, Grundvoraussetzungen unternehmerischer Entscheidungen und Hand-
lungen. Innovationskraft benötigt Vielfalt, weil auf diese Weise eher die Zufälligkei-
ten zu Tage treten, aus denen sich Neues entwickelt. Das Einnehmen verschiedener
Perspektiven, unterschiedliche Annahmen über Entwicklungen oder Zusammenhänge
sowie differierende Einstellungen werden als hilfreich betrachtet, um im Unterneh-
men ein möglichst umfassendes Bild anzunehmender Störungen oder erreichbarer
Chancen zu erhalten (Buchholz und Knorre 2012, S. 154). Und das reicht über die
Unternehmensgrenzen hinaus. Denn organisationales Wissen generiert sich auch und
nicht zuletzt im Austausch mit Kunden, Lieferanten und anderen externen Bezugs-
gruppen.
Zentrale Elemente für erfolgreiches Agieren in einer unsicheren Umwelt sind
Kollaboration, Vielfalt, Vernetzung und Wachsamkeit (Buchholz und Knorre 2017).
In einer institutionalisierten Kollaboration haben alle involvierten Mitarbeitenden in
der Zusammenarbeit das übergeordnete unternehmerische Ziel stets im Blick, anstatt
sich einzig auf die sie unmittelbar betreffenden Aufgaben und Ziele zu konzentrie-
ren. Für adäquate Lösungen ist Vielfalt eine wesentliche Voraussetzung, denn sie
führt, wie mehrfach ausgeführt, zu unterschiedlichen Meinungen und Ansichten.
Durch die bewusste Auseinandersetzung mit diesen Unterschieden gelangt man zur
Selektion und damit zu Entscheidungen, was insgesamt ein hochkommunikativer
16 U. Buchholz

Prozess ist und gemanagt werden muss. Ein richtig verstandenes Diversity Manage-
ment sorgt also nicht nur gezielt für Pluralität, sondern auch für die Wahrnehmung
von Komplexität und versteht es gleichzeitig, die herbeigeführte Vielschichtigkeit mit
Hilfe von Kommunikation zum Nutzen einvernehmlicher Handlungen aufzulösen
(Buchholz und Knorre 2012, S. 157).
Vielfalt kann sich besonders in Netzwerken entfalten, denn die Netzwerkteilneh-
mer können im gegenseitigen Austausch die (möglichen) Folgen ihrer Handlungen
auch auf Basis der Erkenntnisse und Verhaltensweisen der anderen reflektieren und
die für die Organisation gedeihlichen Handlungen anstoßen. Das ist ein zutiefst
sprachlicher Akt, wie Humboldt immer wieder betont, nämlich „dass die objective
Wahrheit aus der ganzen Kraft der subjectiven Individualität hervorgeht. Dies ist nur
mit und durch die Sprache möglich“ (GS IV: 27).
Intelligente Verbindungen vielfältiger Informationen haben daher systemgenerie-
rende Eigenschaften und fördern die Wachsamkeit gegenüber äußeren Einflüssen
und internen Ressourcen und Abläufen. Vielfältige Vernetzungsmöglichkeiten sind
auch deshalb notwendig, um den organisationalen Blick auf wettbewerbsrelevante
interne und externe Realitäten zu schärfen. Im gemeinsamen Abgleich von Beob-
achtungen, Meinungen und Erkenntnissen können die Netzwerkteilnehmer leichter
Marktchancen und potenzielle Krisen ausmachen und Lösungen finden. Es bleibt
nicht bei einer individuellen Betrachtung und Bewertung von Ereignissen oder
Sachverhalten und einer Handlungsentscheidung aufgrund persönlicher Vorlieben
oder Erfahrungen. Das Kommunikationsmanagement sollte daher dafür sorgen, dass
sich die Menschen in der Organisation vielfältig austauschen und einen immer
wieder neuen wissensgenerierenden Dialog führen können.

10 Schlussbetrachtung

Was kann die Public Relations von Humboldt mitnehmen? Auf der Hand liegt der
interkulturelle Kontext, nicht nur bezogen auf Länder und Nationen, sondern auch
bezogen auf die Varietät jedes Individuums mit seiner eigenen Prägung. Denken, so
Humboldt, hängt nicht nur grundsätzlich von der Sprache ab, sondern sogar bis zu
einem gewissen Grad von jeder einzelnen spezifischen Sprache. Sprachen sind
Weltansichten und die Analyse eben dieser Weltansichten ist Aufgabe des Kommu-
nikationsmanagements.
Jede Sprache wirft einen ihr eigenen Blick auf die Welt. Weltansichten lassen sich
aber nicht überwinden, also sollte man sich auf sie einlassen. Denn dann wird man
erkennen, dass sie einen großen sprachlich gefassten Reichtum enthalten, der nur
gehoben werden muss. Das lässt sich ausweiten auf die Sprache jedes Individuums.
Befasst man sich mit Sprachen, befasst man sich mit Menschen. Will man Menschen
verstehen und sie in das eigene Lebenskonzept bzw. Organisationskonzept einbin-
den, muss man ihre Sprache verstehen. Wenn man ihre Sprache versteht, erfasst man
ihre Welt leichter, als wenn man nur ihre wahrnehmbaren Handlungen aus dem
eigenen Blickwinkel zu interpretieren versucht.
Verstehen und Diversität in der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts 17

Wenn wir mit Humboldt argumentieren, wird Realität, wird Wirklichkeit durch
Sprache maßgeblich konstruiert. Die Sprecher nehmen also im Grunde das wahr,
was sie selbst sprachlich erfasst haben bzw. worüber sie sich mit anderen ausge-
tauscht haben. Je mehr Austauschmöglichkeiten es im Unternehmen gibt und je
vielfältiger sie sind, umso reichhaltiger sind die Informationen und umso aussage-
kräftiger die ihnen gemeinsam zugewiesene Bedeutung. Auftretende Differenzen
etwa von Deutungsmustern und Symbolsystemen dienen der Weiterentwicklung.
Denn das Ziel von Verstehen ist nicht, Übereinstimmung herzustellen, sondern eben
diese Differenzen auszuhalten und fruchtbar werden zu lassen (Koller 2003, S. 530).
Das Diversity Management kann von dieser Einstellung profitieren.
PR will verstehen, wie der Andere denkt. Verstehen ist für Humboldt „Verstehen
durch Mitdenken“ (GS VII: 583). Geht man wie er also davon aus, dass Sprache
Denken „in der Dimension des anderen“ ist (Trabant 2012, S. 56), muss im Kom-
munikationsmanagement ein Gewicht auf dem Gestalten von Dialog liegen. Der
Dialog als „Basismodell des Sprechens“ (Gölitzer 2015, S. 100) fungiert als immer
neue Anregung für das Denken und ist die Voraussetzung dafür, bei aller Verschie-
denheit, bei allem Nicht-Verstehen doch auch Gemeinsamkeiten entdecken zu kön-
nen, die ohne den Austausch womöglich unentdeckt geblieben wären. (Gölitzer
2015, S. 99).
Nach Humboldt benötigt ein Individuum ein Gegenüber, um im Denken die
vollendete Objektivität und damit in der gegenseitigen Übernahme der Perspektive
des anderen das Verstehen zu erreichen. Sprechen ist damit immer ein sozialer Akt
und ermöglicht erst durch den Austausch der jeweils anderen Sichtweise das Ent-
stehen einer neuen Perspektive. Jürgen Trabant sieht in der Sprache damit eine
Technik der Kreation (2015, S. 230). Aber gestalten kann das Ich nicht ohne das
Du, so dass die wahrgenommene Welt nie vollkommen subjektiv ist, sondern immer
eine intersubjektive Welt sozialer Bedeutungen. PR will verstehen, wie der andere
denkt und stößt dabei doch an die Grenzen des Verstehens. Verständigung enthält
nach Humboldt eben stets einen Anteil Nicht-Verstehens. Die erwünschte Kommu-
nikationsbeziehung ist damit immer wieder ein auszuhandelnder Prozess des Mit-
einanders, über dessen Bindungsfähigkeit man aber nie sicher sein kann. Deswegen
ist Kommunikation nie fertig, und deswegen wird die Disziplin der Public Relations
immer eine Aufgabe in der Entwicklung und Pflege von Beziehungen zwischen
unterschiedlichen Welten haben.

11 Wilhelm von Humboldt

Wilhelm Freiherr von Humboldt wurde am 22. Juni 1767 in Potsdam geboren und
starb am 8. April 1835 im heimatlichen Tegel. Zusammen mit seinem zwei Jahre
jüngeren Bruder Alexander wuchs er auf Schloss Tegel auf und erhielt dort bis 1787,
dem Jahr seiner Einschreibung an der Universität Frankfurt an der Oder, eine sorg-
fältige Schulausbildung. Wenig später wechselte er an die Universität Göttingen, um
dort die damals klassischen Studien zu betreiben, ohne sie mit einem Abschluss zu
beenden. Er fing früh an, durch Europa zu reisen, um sich weiterzubilden. Dabei
18 U. Buchholz

befasste er sich stets mit den Sprachen der bereisten Länder und entwickelte die
ersten Ansätze seiner Sprachtheorie über die Verschiedenheit der Sprachen. 1809
kehrte er nach Deutschland zurück und war einige Monate als Direktor im preußi-
schen Innenministerium tätig. In diese Zeit fällt sein Beitrag zur Reform der deutschen
Universität, insbesondere seine Initiative, die heute auf seinen Namen lautende Hum-
boldt-Universität in Berlin zu gründen, welche seine Reformideen leben sollte. 1810
wurde er zum Staatsminister ernannt und nahm Aufgaben als preußischer Gesandter in
Wien war. 1814 vertrat er zusammen mit Staatskanzler Karl August von Hardenberg
die preußischen Interessen auf dem Wiener Kongress. 1817–1818 war er Preußens
Gesandter in London und nahm anschließend wieder Aufgaben als Minister für
ständische Angelegenheiten in Berlin wahr. Nach einem Konflikt mit Hardenberg
schied er Ende 1819 aus dem Staatsdienst aus und arbeitete bis zu seinem Tod als
finanziell unabhängiger Privatgelehrter in Tegel an seinen Sprachstudien. In dieser
Zeit entstanden seine Hauptwerke, auf die auch in diesem Beitrag Bezug genommen
werden.
Für seine Studien stand er in ständiger Korrespondenz mit praktisch allen
Wissenschaftlern, Dichtern und Politikern seiner Zeit, was sein ausgeprägter
Briefwechsel zeigt, deren Artefakte bis heute erhalten sind. Mit Goethe und Schiller
war er befreundet, Novalis, Schleiermacher und den Brüdern Schlegel stand er nahe,
um nur einige wenige Weggefährten zu nennen. Das lebhafte Netzwerk dieser
Wissenschaftler zog sich durch Europa und reichte bis nach Amerika, China und
Polynesien.
Ausführliche Darstellungen der Biografie Wilhelm von Humboldts finden sich
u. a. in Coseriu 2015; Trabant 2012; Konrad 2010; Di Cesare 1996.

Literatur
Buchholz, Ulrike, und Susanne Knorre. 2012. Interne Unternehmenskommunikation in resilienten
Organisationen. Wiesbaden: Springer Gabler.
Buchholz, Ulrike, und Susanne Knorre. 2017. Interne Kommunikation in agilen Unternehmen. Eine
Einführung. Wiesbaden: Springer Gabler.
Bullinger, Hans-Jörg, Dieter Spath, Hans-Jürgen Warnecke, und Engelbert Westkämper, Hrsg.
2009. Handbuch Unternehmensorganisation. Strategien, Planung, Umsetzung, 3., neu bearb.
Aufl. Berlin/Heidelberg: Springer.
Coseriu, Eugenio. 2015. Geschichte der Sprachphilosophie. Band 2: Von Herder bis Humboldt.
Auf der Grundlage der nachgelassenen Aufzeichnungen des Verfassers und einer Nachschrift
von Heinrich Weber et al. (Neu bearb. und Hrsg. von Jörn Albrecht). Tübingen: Narr.
Di Cesare, Donatella. 1996. Wilhelm von Humboldt. In Klassiker der Sprachphilosophie. Von
Platon bis Noam Chomsky, Hrsg. Tilman Borsche. München: Beck.
Dillerup, Ralf, und Roman Stoi. 2016. Unternehmensführung, 5., kompl. überarb. und erw. Aufl.
Wiesbaden: Springer Gabler.
Gölitzer, Susanne. 2015. Sprachtheoretische Grundlagen des Dialogs nach Wilhelm von Humboldt.
In Gespräche über Lernen – Lernen im Gespräch, Hrsg. H. de Boer und M. Bonanati, 83–102.
Wiesbaden: Springer.
Humboldt, Wilhelm von. 1903–1936. In Gesammelte Schriften, Hrsg. Albert Leitzmann et al.,
17 Bde. Berlin: Behr.
Verstehen und Diversität in der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts 19

Koller, Hans-Christoph. 2003. „Alles Verstehen ist daher immer zugleich ein Nicht-Verstehen“.
Wilhelm von HUMBOLDTs Beitrag zur Hermeneutik und seine Bedeutung für eine Theorie der
interkulturellen Bildung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 6(4): 515–531.
Konrad, Franz-Michael. 2010. Wilhelm von Humboldt. Bern: Haupt (UTB Profile, Bd. 3380).
Krallmann, Dieter, und Andreas Ziemann. 2001. Grundkurs Kommunikationswissenschaft. Mün-
chen: Wilhelm Fink Verlag.
Macharzina, Klaus, und Joachim Wolf. 2015. Unternehmensführung: Das internationale
Managementwissen: Konzepte – Methoden – Praxis, 9., vollst. überarb. und erw. Aufl. Wies-
baden: Springer Gabler.
Meschonnic, Henri. 1995. Humboldt heute denken. In Sprache denken. Positionen aktueller
Sprachphilosophie, Hrsg. Jürgen Trabant. Frankfurt a. M.: Fischer.
Schwägerl, Christian. 2016. Diagnostik interner Kommunikation: Zur Erforschung der Lücke
zwischen Wirklichkeitskonstruktion und Gesprächswirklichkeit. In Interne Kommunikation im
Wandel. Theoretische Konzepte und empirische Befunde, Hrsg. S. Huck-Sandhu, 199–213.
Wiesbaden: Springer VS.
Trabant, Jürgen. 2012. Weltansichten. Wilhelm von Humboldts Sprachprojekt. München: Beck.
Kommunikativer Institutionalismus
und Accounts
Sprachliche Muster der Legitimation in der
Public Relations

Swaran Sandhu

Zusammenfassung
Der organisationale Neoinstitutionalismus vollzieht seit einigen Jahren eine kom-
munikative Wende und beschäftigt sich verstärkt mit diskursiven und sprachli-
chen Mustern. Dieser Beitrag liefert einen Überblick über den kommunikativen
Institutionalismus mit einem besonderen Fokus auf sprachliche Muster wie
Accounts. Damit wird die Beziehung von PR und Sprache auf zwei Ebenen
erweitert. Erstens verbindet der kommunikative Institutionalismus die gesell-
schaftlichen Erwartungsstrukturen mit der organisationalen bzw. individuellen
Dimension. Zweitens liefert diese Theorieperspektive neue Ansätze für For-
schungsdesigns wie etwa die spezifische Untersuchung von legitimierenden
Accounts auf der Mikroebene.
Zu Beginn stellt der Beitrag die Entwicklungslinien des Neoinstitutionalismus
vor, der als Weiterentwicklung des sozialkonstruktivistischen Ansatzes gelten
kann. Zum besseren Verständnis werden die gängigen Untersuchungsebenen
und damit verbundenen Konzepte zuerst eingeführt. Danach diskutiert der Bei-
trag die kommunikative Wende im Neoinstitutionalismus, die besonders die
Bedeutung von Sprache bzw. kommunikativen Prozessen innerhalb eines insti-
tutionellen Rahmens und zur Konstitution von Realität betont. Der zweite Teil des
Beitrags geht auf die sprachlichen Bausteine des kommunikativen Institutiona-
lismus ein und zeigt, über welche diskursiven Sprachmuster Legitimation herge-
stellt wird. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick auf mögliche Forschungsde-
signs und neuere theoretische Entwicklungen

Schlüsselwörter
Neoinstitutionalismus • Kommunikativer Institutionalismus • Account • Kom-
munikatives Feld • Semantisches Netzwerk • Kommunikativer Konstruktivismus

S. Sandhu (*)
Hochschule der Medien Stuttgart, Stuttgart, Deutschland
E-Mail: sandhu@hdm-stuttgart.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 21


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_2
22 S. Sandhu

Inhalt
1 Grundmuster und -ebenen des institutionellen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
1.1 Mikro-Ebene: Zwischen ‚cultural dopes‘ und ‚muscular actors‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
1.2 Meso-Ebene: Themenfelder und Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.3 Makro-Ebene: Institutionelle Logiken und kulturelle Weltbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2 Kommunikativer Institutionalismus und Accounts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.1 Accounts als Bausteine für sprachliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.2 Legitimierende Accounts in der PR-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.3 Empirische Untersuchung von Accounts in semantische Netzwerken . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3 Zusammenfassung und Ausblick: Sprachliche Bausteine der Legitimität in einer
medialisierten Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

1 Grundmuster und -ebenen des institutionellen Denkens

Organisationen sind hochgradig komplexe Gebilde, die nur durch Kommunikation


zusammengehalten werden (Blaschke und Schoeneborn 2017; Ashcraft et al. 2009).
Stellen wir uns eine typische Organisation wie etwa eine Schule, ein Schnellrestau-
rant oder ein Start-up-Unternehmen vor und überlegen in einem zweiten Schritt, was
passieren würde, wenn keine Form der sprachlichen Vermittlung (persönliches Ge-
spräch, schriftliche oder elektronische Kommunikation) möglich wäre. Lehrer hätten
vielleicht noch Stundenpläne und Räume, aber können nur schwer Inhalte an Schü-
ler vermitteln. Der Koch im Restaurant weiß nicht, was Tisch 14 bekommen soll.
Und auf Zuruf arbeitende Start-ups hätten keine Wände voll mit bunten Post-its,
sondern nur noch Laptops und Smartphones, die nicht miteinander vernetzt sind.
Kommunikation und Sprache sind das Herzblut von Organisationen. Doch auch die
oftmals flüchtige Kommunikation muss in beständige Formen und stabile Strukturen
überführt werden, damit eine Anschlusskommunikation für die Organisationsmit-
glieder jeden Tag erneut möglich ist.
Hier setzt der Institutionalismus an. Der Institutionalismus ist eine sozialwissen-
schaftliche Perspektive mit starken phänomenologischen bzw. sozialkonstruktivisti-
schen Wurzeln (Scott 2014). Vereinfacht dargestellt1 gehen Institutionalisten davon
aus, dass gesellschaftliche Strukturen von Akteuren erschaffen werden, danach aber
eine eigenständige Wirkmächtigkeit als Institution unabhängig von ihrer Herkunft
entfalten können. Sie untersuchen deshalb, wie soziales Verhalten in Gesellschaften
aber auch in Organisationen auf Dauer gestellt werden kann und warum Akteure sich

1
Der vorliegende Beitrag basiert auf diversen Vorarbeiten, insbesondere Sandhu (2012, 2015). Die
Auseinandersetzung der PR-Forschung mit dem Neoinstitutionalismus gewinnt seit einiger Zeit an
Bedeutung (Wehmeier und Röttger 2012; Frandsen und Johansen 2013; Friedrichsmeier und Fürst
2013; Fredriksson et al. 2013; Fredriksson und Pallas 2015). Einen Überblick über gängige
Konzepte und Annahmen des Neoinstitutionalismus in der strategischen Kommunikation liefert
Sandhu (in Vorbereitung). Für grundlegende deutschsprachige Einführungen in den Neoinstitutio-
nalismus siehe vor allem Hasse und Krücken (2005) sowie auf die organisationale Ausprägung
bezogen Walgenbach und Meyer (2008).
Kommunikativer Institutionalismus und Accounts 23

diesen institutionellen Erwartungsstrukturen anpassen und deren Erwartungen


soweit verinnerlichen, dass sie nicht mehr in Frage gestellt werden. Dieser Prozess
wird häufig als Institutionalisierung beschrieben. Mit der Institutionalisierung wer-
den Handlungsmuster über die Zeit an eine nächste Generationen weitergegeben, die
selbst bestimmte Erfahrungen noch nicht gemacht haben. Damit diese Verhaltens-
weisen nicht permanent hinterfragt werden, müssen sie legitimiert werden. Und
hierzu sind Kommunikation und Sprache wichtige Instrumente. Dieser Institutiona-
lisierungsprozess gilt nicht nur für Verhaltenserwartungen in der privaten Lebens-
welt wie etwa der Familie, sondern auch für Arbeitsprozesse in Unternehmen und
Organisationen (Zucker 1977). Für die Begründer des modernen Sozialkonstrukti-
vismus, Peter Berger und Thomas Luckmann (2004), ist die Sprache das Haupt-
vehikel, das zwischen der subjektiven Welt des Einzelnen und der objektiven Welt
der Struktur übersetzt. Mehr noch, Sprache gilt als die „gesellschaftliche Institution
vor allen anderen. Sie ist die größte Gewalt, die die Gesellschaft über uns hat“
(Berger und Berger 1993) und erschafft als „fundamentale“ Institution eine sinnhafte
Welt, die nur „durch Sprache in Gang gehalten“ wird (ebd., S. 55 ff.). Aus einer
institutionellen Perspektive ist deshalb unabdingbar, dass Sprache auch für die
Legitimationsprozesse von Organisationen relevant sein muss.
Mit dem lingustic bzw. cognitive turn in den 1980er-Jahren haben die Sozialwis-
senschaften verstärkt sprachliche Konstruktionen in den Fokus genommen. Daraus
erwuchs der sogenannte „neue“ Institutionalismus oder Neoinstitutionalismus. In
dessen Kern steht die sozialkonstruktivistische Überzeugung, dass gesellschaftliche
Strukturen von Menschen geschaffen werden und diese Strukturen wiederum einen
Einfluss auf das Handeln der Akteure haben. Etwa seit den 1980er-Jahren hat sich
der Neoinstitutionalismus in den Geschichts- und Politikwissenschaft, der Ökono-
mie und der Soziologie etabliert. Da sich deren disziplinäre Prämissen teilweise
deutlich unterscheiden, steht im Folgenden das Konzept des soziologischen Neoin-
stitutionalismus im Zentrum (DiMaggio und Powell 1991). Vertreter dieser Perspek-
tive gehen davon aus, dass sich institutionelle Strukturen auch und vor allem in der
Sprache als Sinnspuren übergeordneter gesellschaftlicher Erwartungshaltungen fin-
den lassen (Philips und Malhotra 2008). Für ein besseres Verständnis der institutio-
nellen Perspektive für das Kapitel lassen sich drei gängige Untersuchungsebenen –
Mikro-, Meso- und Makroebene – unterscheiden, die jedoch miteinander verwoben
sind (Abb. 1). Dabei sind sprachliche Äußerungen als Accounts vor allem ein
Gegenstand auf der Mikro-Ebene (in Abb. 1 durch eine Sprechblase symbolisiert).
Diese Accounts verdichten sich in einem Themenfeld bzw. Sinnkontext im organi-
sationalen Feld auf der Meso-Ebene. Die Themenfelder sind wiederum durch gesell-
schaftliche Anforderungen auf der Makro-Ebene bzw. institutionelle Logiken mit-
definiert, die darüber entscheiden, was als legitime Aussage interpretiert werden
kann und was nicht.
Wie in Abb. 1 angedeutet sind die Ebenen aus analytischen Gründen unterteilt. In
der Forschungspraxis überlagern sich die Ebenen und es liegt stärker an der For-
schungsfrage bzw. der Operationalisierung, wie sprachliche Äußerungen untersucht
werden können. Die wechselseitige Durchdringung der Ebenen ist der Prämisse der
Einbettung geschuldet. Denn aus einer neoinstitutionellen Perspektive findet
24 S. Sandhu

Abb. 1 Institutionelles Ebenenmodell. (Quelle: weiterentwickelt von Sandhu 2015, S. 248)

Handeln und somit auch Kommunikation stets eingebettet in das soziale, kulturelle
und organisationale Umfeld statt.

1.1 Mikro-Ebene: Zwischen ‚cultural dopes‘ und ‚muscular actors‘

Generell analysiert die Mikroebene das individuelle bzw. subjektive Handeln von
Akteuren. Dazu gehört auch eine Annahme über das Menschenbild bzw. die Hand-
lungsfähigkeit von Individuen oder Akteuren. Die Frage, wie handlungsfähig
Akteure sein können, die in gesellschaftliche Strukturen eingebettet sind, gehört zu
den Schlüsselfragen der institutionellen Theorie (Battilana und D’Aunno 2009).
Die frühen institutionellen Ansätze haben sich bewusst gegen das seit den
1960er-Jahren dominante Konzept des handlungsfähigen und wirkmächtigen
Akteurs gestellt. Stattdessen wollten sie gezielt den Einfluss von institutionellen
Strukturen auf das individuelle Handeln herausarbeiten. Diese theoretische Entschei-
dung führte zu einer eher einseitigen Betrachtung von Akteuren, die zum Spielball
von institutionellen Strukturen wurden und deshalb ironisch als ‚cultural dopes‘
bezeichnet wurden (Delmestri 2006). Demgegenüber steht die Annahme eines
Akteurs, dem Handlungen stärker zugeschrieben werden können, ohne gleich in
das Zerrbild eines handlungsmächtigen ‚muscular actor‘ zu fallen. Diese Strömung
wird gegenwärtig am ehesten mit dem Konzept institutional work abgebildet
Kommunikativer Institutionalismus und Accounts 25

(Lawrence et al. 2013). Institutionelle Arbeit umfasst dabei alle Handlungen von
Akteuren, um institutionelle Rahmensetzungen zu verändern. Dazu gehören auch zu
einem großen Teil sprachliche Handlungsmuster, wie etwa Definitionen anbieten,
Assoziationen herstellen, mit Metaphern und Analogien arbeiten oder herrschende
Vorstellungen unterminieren (Lawrence und Suddaby 2006). Diese sprachlichen
Handlungsmuster werden nachfolgend als Accounts beschrieben und sind in Abb. 1
als Sprechblase symbolisiert.
Pressesprecherinnen, Redenschreiber oder Kommunikationsberater entscheiden
nicht nur über die Form, sondern auch den Inhalt von Kommunikation und dies vor
allem mittels Sprache. Unterscheiden lassen sich intentionale und nicht-intentionale
Äußerungen. PR als strategische Organisationsfunktion setzt ein geplantes und
intentionales Kommunizieren voraus. Deshalb sind viele Aktivitäten, die Neoinsti-
tutionalisten der institutionellen Arbeit zuschreiben genau genommen kommunika-
tive Spracharbeit in Form von legitimierenden Accounts. Dabei ist es zweitranging,
ob die Akteure spezifische Kommunikatoren wie Pressesprecherinnen in Organisa-
tionen sind oder andere Akteure wie Vorstandsvorsitzende, Rednerinnen auf Kon-
ferenzen oder Interviewpartner, die im Rahmen ihrer Agentschaft die Positionen des
Unternehmens wiedergeben.

1.2 Meso-Ebene: Themenfelder und Kategorien

Die Meso-Ebene liegt zwischen der individuellen Ebene des Subjekts und der
gesellschaftlichen Makro-Ebene. Üblicherweise werden hier Organisationen als
Gebilde mit klaren Mitgliedschaftsregeln, Zielen und Grenzen gegenüber ihrer
Umwelt definiert (Kühl 2011). Die Einzelfallbetrachtung von nur einer Organisation
bildet die wechselseitigen Beziehungen zwischen der Organisation und ihrem
Umfeld nur eingeschränkt ab. Stattdessen verwendet der Neoinstitutionalismus das
organisationale Feld auf der Meso-Ebene, um die Einbettung von Organisationen in
ihre Umwelt empirisch greifbar zu machen. Für das Feldkonzept ist die Sprache
relevant, um die Umwelt und andere Organisationen nach entsprechenden kogniti-
ven Modellen zu kategorisieren.
Das organisationale Feld ist ein Alleinstellungsmerkmal der neoinstitutionellen
Forschung. Ausgangspunkt war die Überzeugung, dass Strukturangleichungspro-
zesse (Isomorphie) der Formalstruktur von Organisationen nicht aus strategischen
Überlegungen, sondern aus Legitimationsgründen entstehen. Das Feldkonzept
(Wooten und Hoffman 2008) basiert auf der Annahme, dass sich Felder aus all jenen
Organisationen konstituieren, die eine relevante Umwelt oder ein Umfeld für die zu
untersuchende Organisation bilden, sich deshalb gegenseitig als relevante Akteure
wahrnehmen und somit eine erhöhte Interaktion untereinander haben (DiMaggio
und Powell 1983). Damit geht das Feldkonzept weiter als andere Segmentierungs-
vorschläge für das Organisationsumfeld, die z. B. nach Branche, Größe, Wertschöp-
fungskette oder Organisationsform vorgehen, weil sich im Feld ganz unterschiedli-
che Organisationstypen finden lassen. Felder können etwa aus regulierenden
politischen Behörden, Konkurrenten, Abnehmer oder Zuliefern bestehen. Dies
26 S. Sandhu

bedeutet, dass das Feld stets beobachterabhängig ist und deshalb nicht a-priori
festgelegt werden kann, sondern immer wieder empirisch neu erhoben werden muss.
Doch wie entsteht diese gegenseitige Wahrnehmung von relevanten Akteuren in
einem Feld? Die Ausprägung von kognitiven bzw. mentalen Modellen der relevan-
ten Akteure setzt voraus, dass sich Organisationen beobachten und nach bestimmten
Kategorien einordnen lassen. Der Beobachter benötigt Informationssignale, um die
Relevanz von Organisationen einordnen zu können. Hier schließt sich der Kreis zu
Sprache und PR: Viele Organisationen verfügen über mehr oder weniger stark
ausgeprägte Beobachtungsregimes ihrer Umwelt, die sich entweder aus strate-
gisch-ökonomischen Überlegungen (Konkurrenzbeobachtung, Business Intelli-
gence, Strategische Früherkennung von schwachen Signalen, etc.) oder aus der
Medienlogik (Medienbeobachtung und -monitoring, Issues- und Reputationsma-
nagement, Social-Media-Monitoring, etc.) herausgebildet haben. Ziel dieser Hand-
lungsprogramme ist es über Datengewinnung und -auswertung herauszufinden, wie
die eigene Organisation von ihrer Umwelt wahrgenommen wird und wie das Ver-
hältnis zu anderen Akteuren beschrieben sein kann.
Je nach Größe der Organisation und ihrer Bedeutungszuschreibung können diese
genannten Funktionen in einer Person vereint oder in größere Abteilungen ausdif-
ferenziert sein, die teilweise externe Dienstleister zur Datenerhebung heranziehen.
Entscheidend ist jedoch, welche Informationen ausgewertet werden. Dazu gehören
vor allem sprachliche Äußerungen von Vertretern des Unternehmens (Reden, Vor-
träge, Interviews, Gesprächsprotokolle, Youtube-Videos, etc.), offizielle Dokumente
(veröffentlichte Geschäfts- und Quartalsberichte, Telefonkonferenzen, Strategie-
Papiere, Imagebroschüren, Patenteinreichungen, etc.), veröffentlichte Pressemel-
dungen, Berichterstattung in relevanten Branchenmagazinen oder Leitmedien,
Social Media Statements aber auch Gespräche über die Organisation oder Einschät-
zungen (Analyseberichte, Interviews, Gerichtsakten, etc.) bis hin zu investigativen
Berichten von Insidern, Informanten oder anonymen Quellen wie Wikileaks. Aus
diesem Quellenfundus findet eine Verdichtung von relevanten Informationen statt,
die für die Führungsebene der Organisation aufbereitet und durch Rankings oder
andere Formen der Visualisierung im Zeitverlauf vergleichbar gemacht wird (Ken-
nedy 2008). Für die Datenanalyse werden teilweise bereits Algorithmen eingesetzt,
die etwa maschinenlesbare Daten nach entsprechenden Kriterien wie Worthäufigkei-
ten aber auch Sentiment (emotionale Bewertung) oder gemeinsame Nennung aus-
werten können. Allen Auswertungslogiken liegen mentale Muster und Modelle
zugrunde, die die Umwelt der Organisation und die dort verhandelten Themen und
Akteure nach bestimmten Kriterien einordnet.
Eine wichtige Weiterentwicklung für die Erforschung von organisationalen Fel-
dern ist das Konzept der Themenfelder, denn hier ist ein gemeinsames Thema (bzw.
Issue) die Verbindungslinie zwischen Organisationen (Hoffman 1999, S. 364). Im
Gegensatz zum Issues-Management, das als strategische Managementfunktion
innerhalb der Organisation eingesetzt wird (Lütgens 2015) sind Themenfelder öf-
fentlich beobachtbar. Mit dem Fokus auf Themenfelder erlangen auch sprachliche
Kommunikativer Institutionalismus und Accounts 27

Äußerungen und Diskurse rund um das Themengebiet eine neue Relevanz und die
bislang stark organisationszentrierte Analyse vollzieht eine kommunikative Wende,
denn:

Ein Feld ist mehr als eine Ansammlung einflussreicher Organisationen: Es ist das Zentrum
gemeinsamer Dialogkanäle und Diskussionen (. . .). Ein Feld formiert sich um Themen, die
Feldorganisationen mit unterschiedlichen Mitteln verfolgen (Hoffman 1999, S. 352 f.,
eigene Übersetzung des Autors).

Mit dieser kommunikativen Erweiterung des Feldbegriffs wird die Analyse von
Themenstrukturen, die sich über Sprache und Kommunikation beobachten lassen
bedeutsam. Und hier lassen sich Querverbindungen zur semantischen bzw. diskur-
siven Netzwerkanalyse herstellen (Mützel 2015) oder zu Diffusionsstudien, um den
Verlauf bestimmter Themen besser zu analysieren (Coni-Zimmer 2012).

1.3 Makro-Ebene: Institutionelle Logiken und kulturelle


Weltbilder

Auf der Makro-Ebene verorten Neoinstitutionalisten gesellschaftliche Systeme und


deren übergreifende Erwartungsstrukturen. Hier zeigt sich eine Zweiteilung im
Lager der Institutionalisten. Zunächst geht die Idee der Weltkultur davon aus, dass
die okzidentale Rationalisierung der westlichen Welt zur weltweiten Durchsetzung
homogener Erwartungsstrukturen auf nationalstaatlicher Ebene bzw. auf auch für
internationale Organisationen führe (Meyer 2005). Daneben steht das Konzept der
institutionellen Logik (Friedland und Alford 1991; Thornton und Ocasio 2008) als
fruchtbares analytisches Scharnier zwischen gesellschaftlicher Erwartungsstruktur
und deren Anpassung von Organisationen daran. Institutionelle Logiken lassen sich
als metatheoretisches Ordnungssystem verstehen. Sie bestehen aus

sozial konstruierten, historischen Muster materieller Praktiken, Annahmen, Werte, Glau-


benssätze und Regeln, nach denen Individuen ihre Handlungen ausrichten, Zeit und Raum
organisieren und ihrer sozialen Realität Sinn zuschreiben (Thornton und Ocasio 1999,
S. 804).

Diese umfassende Definition deutet bereits an, dass institutionelle Logiken über-
geordnete Ordnungssysteme darstellen, die in der Regel kulturell verankert sind und
deshalb nicht hinterfragt werden. Dazu gehören etwa idealtypisch die kapitalistische/
liberale Marktwirtschaft, der bürokratische Nationalstaat, westliche Demokratien,
die Kernfamilie oder die christliche Religion (Friedland und Alford 1991). Institu-
tionelle Logiken stellen spezifische Trägermechanismen wie Leitbilder oder Frames
bereit, die Organisationen in ihr Leitbild übernehmen, um institutionelle Logiken
möglichst optimal zu bedienen. Die Sprache ist hier ein wichtiges Medium, um
implizite Erwartungsstrukturen und Handlungen explizit zu machen.
28 S. Sandhu

2 Kommunikativer Institutionalismus und Accounts

Seit dem ‚linguistic turn‘ findet eine intensive Auseinandersetzung mit verschiede-
nen sprachwissenschaftlichen Dimensionen im Neoinstitutionalismus statt (Suddaby
und Greenwood 2005; Lamertz und Heugens 2009), die ihren Kulminationspunkt im
Konzept des kommunikativen Institutionalismus gefunden haben (Cornelissen et al.
2015). Damit rücken Kommunikation und Sprache ins Zentrum der neoinstitutio-
nellen Analyse. Die Autoren ordnen die kommunikative Dimension des Neoinstitu-
tionalismus in drei Grundformen: (1) im klassischen Neo-Institutionalismus wird
Kommunikation als unidirektionales Transmissionsmodell verstanden, (2) der rhe-
torische Institutionalismus untersucht besonders performative und rhetorische
Sprachakte (Green und Li 2011) und (3) der diskursive bzw. kommunikative Institu-
tionalismus versteht Kommunikation als konstitutiv für Institutionen (Lawrence und
Phillips 2004). Im Rahmen dieses Beitrags liegt der Fokus besonders auf der letzten
Variante. Für Cornelissen et al. sind Institutionen das Ergebnis fortlaufender Kom-
munikationsprozesse, die konstitutiv für ihre Existenz sind (2015, S. 14). Mit
diesem interaktiven Modell wird Kommunikation zentral für die institutionelle
Theorie, mehr noch: „it accords a constitutive role to communication, since it is
primarily in and through communication that institutions exist and are performed
and given shape“ (ebd., S. 15). Eine Möglichkeit den kommunikativen Institutiona-
lismus mit PR zu verbinden ist die Analyse von Accounts.

2.1 Accounts als Bausteine für sprachliche Legitimation

Accounts (Scott und Lyman 1968) sind in sich geschlossene Sprachmuster, die vor
allem zur Legitimierung dienen (van Leeuwen 2007). Sie sind eng verwandt mit den
bekannteren Ansätzen des Framing (Cornelissen und Werner 2014) und Sense-
making (Maitlis und Christianson 2014), die vor allem auf kognitive Sinnzusam-
menhänge abzielen. Accounts sind die sprachlichen Bausteine von Framing- und
Sensemaking-Prozessen. Der Begriff Account (dieser Abschnitt bezieht sich in
weiten Teilen auf Sandhu 2012, S. 179 ff.) lässt sich nicht ohne weiteres ins
Deutsche übersetzen, da er mehrdeutig ist (Ortmann 2010, S. 210 f.). Seine Band-
breite reicht vom Rechnungswesen als professionelle Praxis („accounting“) über die
Zurechenbarkeit von Verantwortung („accountability“), über Rechenschaft ablegen
(„to account for“) bis für etwas verantwortlich sein („to be accountable“). Accounts
werden als sprachliches Mittel immer dann eingesetzt, wenn eine Handlung einer
beurteilenden Prüfung unterworfen wird (Scott und Lyman 1968, S. 46) und schlie-
ßen damit die Lücke zwischen Handlung und Erwartung. Oder anders ausgedrückt:
Accounts sind „sprachliche Erklärungen, mit denen Akteure die Ereignisse um sich
herum deuten“ (Meyer 1986, S. 346). Diese Funktion kommt immer dann zu tragen,
wenn unerwartete oder außergewöhnliche Situationen auftreten, die erklärungsbe-
dürftig sind, weil sie aus dem Erwartungshorizont fallen.
Kommunikativer Institutionalismus und Accounts 29

Accounts können in Entschuldigungen (excuses), Rechtfertigungen (justifications),


Ablehnungen (refusals/denials) und Zugeständnisse (concessions) unterteilt werden.
Sie sind sprachliche Manifestation von Rechtfertigungsordnungen und unterschei-
den sich in Form, Inhalt und Medium (Elsbach 2006, S. 22). Form bezieht sich auf
etablierte Muster, die bereits zuvor erwähnt wurde. Obwohl die Art der unerwarteten
Ereignisse prinzipiell offen ist haben sich feste Erklärungsmuster eingespielt, die
den größten Teil möglicher Zukünfte abdecken. Inhalt ist die konkrete Ausgestal-
tung der Form durch Argumente, Aussagen, Beweise oder Illustrationen. Das
Medium fixiert eine sprachliche Aussage so dass sie dauerhaft verfügbar ist. Dabei
ist entscheidend, dass die Organisation selbst die Kontrolle über die Ausgestaltung
des Accounts hat. Streng genommen sind deshalb Berichte in den Massenmedien
oder in Social Media über eine Organisation keine Accounts im engeren Sinn,
sondern es werden Accounts der Organisation aufgegriffen und ggf. auch in einen
neuen Kontext gestellt, der entsprechend vom Verfasser oder dem Medium
gerahmt wird.
Neben dieser generellen Einordnung lassen sich Accounts entlang einer Zeitachse
einordnen. Liegt das zu erklärende Ereignis in der Vergangenheit oder wird über ein
zukünftiges Ereignis gesprochen? Neben der Zeitachse ist es relevant zu klären, ob
das Ereignis unwahrscheinlich oder erwartbar war. Verbindet man die Zeitachse mit
den generellen Mustern von Accounts lässt sich eine Matrix abtragen. Dabei wird
deutlich, dass sich Accounts je nach Situation in eher offensive oder eher defensive
Muster einordnen lassen. Diese Accounts werden situativ eingesetzt und in der PR
als Modell der Image-Reparatur (Benoit 1995) als Teil der Krisenkommunikation
verstanden. Allerdings werden diese Analysen meist ex-post und heuristisch durch-
geführt. Accounts sind nützliche Erklärungsmuster auf der Mikro-Ebene, wenn es
sich um unerwartete und konfliktionäre Situationen handelt, in denen sich die
Organisation bzw. ihre Repräsentanten erklären müssen. Sie lassen sich als klar
eingrenzbare sprachliche Muster gut analysieren und sind deshalb der empirischen
Forschung gut zugänglich.

2.2 Legitimierende Accounts in der PR-Kommunikation

Versteht man die Kernaufgabe von PR in der Legitimation der Organisation


(z. B. Sandhu 2012) ist es notwendig, entsprechende Legitimationsmuster zu unter-
suchen. Idealtypisch lassen sich vier Legitimationsmuster ableiten: Autorisierung,
Rationalisierung, Moralisierung und Narration (van Leeuwen 2007). Die idealtypi-
schen Hauptkategorien lassen sich in spezifische Ausprägungen unterteilen (siehe
Tab. 1).
Die Autorisierung bezieht sich auf eine traditionale Vorstellung von Legitimität
und kann in Gewohnheit (Konformität/Tradition), Autorität (persönlich/unpersön-
lich) und Empfehlung (Experten/Meinungsführer) unterteilt werden. Gewohnheit
bezieht sich entweder auf Konformität oder Tradition.
30 S. Sandhu

Tab. 1 Legitimierende Accounts


Idealtyp der Legitimierung Ausprägung Account
Autorisierung Gewohnheit Konformität
Tradition
Autorität Persönliche Autorität
Unpersönliche Autorität
Empfehlung Experten / Meinungsführer
Rationalisierung Instrumentell Zielorientierung
Handlungsorientierung
Ergebnisorientierung
Theoretisch Definitionen
Erklärungen
Prognosen
Moralisierung Wertung Evaluation
Abstraktion
Analogie
Narration Moralische Geschichte Belohnend
Dramaturgie Mahnend
Personalisierung
Quelle: Sandhu 2012, S. 222

• Konformität, d. h. Anpassung an gesellschaftliche Erwartungen, kann als legiti-


mierender Account verwendet werden, wenn ein starker Umweltbezug vorliegt.
Ein typisches Argumentationsmuster lautet: „weil es die anderen auch tun“.
• Tradition verspricht Stabilität und Verlässlichkeit, insbesondere in Zeiten des
Wandels. Alternativen erscheinen undenkbar, „weil wir es schon immer so
gemacht haben“.
• Die persönliche Autorität ist abgeleitet aus patriarchalischen Kulturen und eigent-
lich ein vorrationales Argument. Das Argumentationsmuster „weil ich das sage/
festlege“ ist in modernen, auf Kooperation angelegten Organisationen kaum noch
möglich oder nachvollziehbar, wird aber häufig als Durchsetzungsstärke oder
außergewöhnliche Begabungen im Sinne des Weberschen Charismabegriffs inter-
pretiert.
• Demgegenüber steht die unpersönliche Autorität, die sich auf formale Verfahren,
Prozesse, Vorschriften und Gesetze bezieht. Weil „es die Vorgaben/Gesetze so
erfordern“ ist ein typischer Account.
• Die Empfehlung durch Experten ist gerade bei komplexen Problemstellungen
eine wichtige Legitimationsform, „weil es das Gutachten von XY bzw. Experte Z
empfiehlt“. Der Verweis auf Dritte und deren rationale wissenschaftliche Exper-
tise hat besonders bei emotionalen Themen eine hohe Bedeutung.
• Der Bezug auf Meinungsführer und/oder Vorbilder schließt ähnlich wie die
Konformität und die Expertise an generell akzeptierte Akteure an, „weil A/B
das auch so sieht“.
Kommunikativer Institutionalismus und Accounts 31

Mit der Rationalisierung beziehen sich Accounts auf eine Zweck-Mittel-Bezie-


hung, die instrumentell (Orientierung an Ziel, Handlung oder Ergebnis) oder theo-
retisch (Orientierung an Definitionen, Erklärungen und Prognosen) ausgeprägt sein
kann. Während sich die instrumentelle Form der Rationalisierung dazu dient, eine
bestimmte Handlung zu legitimieren bezieht sich die theoretische Ausprägung an
abstrakten Kontextfaktoren, die erst die das konkrete Handeln möglich machen.

• Die Orientierung an gesellschaftlich akzeptierten Zielen ist eine vorherrschende


Form der Legitimierung. Sofern die Ziele kompatibel mit kulturellen Werten und
Normen sind, liefern sie einen Großteil der legitimierenden Sprachmuster, etwa
„weil es unser Ziel ist, den Gewinn zu steigern“.
• Ist eine Handlung notwendig, um das gesetzte Ziel zu erreichen, so wird diese
indirekt durch den Zielbezug legitimiert, etwa „Wenn wir unserem Plan weiterhin
folgen, steigern wir unseren Gewinn“.
• Mit der Ergebnisorientierung wird ein absolutes Ziel gesetzt, dem eine hohe
Bedeutung zugeschrieben wird, etwa: „Wir wollen die Wahl gewinnen“. Diese
absolute Ergebnisorientierung ist in sich ein Selbstzweck, der nicht weiter legi-
timiert wird, sondern auf die kulturell sedimentierten Annahmen zurückgreift.
• Definitionen verknüpfen zwei Gegenstände kausal, teilweise kann dies auch zu
Tautologien führen. Durch die logische Verknüpfung lassen sich die Gegen-
stände, die nicht mehr voneinander trennen, beispielsweise: „Unsere Strategie
ist der Wettbewerb“.
• Mit Erklärungen sind nicht logische Ableitungen des Handelns gemeint, sondern
die Einordnung der beteiligten Akteure in bestimmte Kategorien. Die Entschei-
dung wird durch die besondere Kategorie der beteiligten Akteure erklärt: „Wir
arbeiten eng mit den Aufsichtsbehörden zusammen“.
• Der Verweis auf Prognosen bzw. Vorhersagen verlegt die Beweispflicht in die
Zukunft, sind aber erst zukünftig überprüfbar: „Im nächsten Jahr werden wir die
Früchte unserer Arbeit ernten.“

Die Moralisierung bezieht sich auf gesellschaftliche Wertesysteme, die konflikt-


beladen sind. Sie ist in Evaluation, Abstraktion oder Analogie unterteilt. Da jede
Werteentscheidung eine andere ausschließt sind Konflikte vorprogrammiert. Häufig
bezieht sich die Moralisierung jedoch auf gesellschaftlich akzeptierte Werte.

• Die Evaluation bzw. Bewertung verknüpft eine Aussage mit (be-)wertenden


Adjektiven, etwa: „Es ist ganz normal, beim ersten Arbeitstag nervös zu sein“.
• Die Abstraktion bzw. Generalisierung zielt auf übergeordnete Werte ab, die
nichts mit der konkreten Situation zu tun haben. Handlungen werden so über
wünschenswerte Positionen moralisch aufgeladen: „Wir handeln nach dem Prin-
zip der Gleichberechtigung“.
• Analogien oder Vergleiche verwenden Sprachbilder hauptsächlich zur Illustra-
tion, um Botschaften anschaulich darzulegen: „Wir sind mit dem Express-Zug in
Richtung Zukunft unterwegs“.
32 S. Sandhu

Die Narration bezieht sich auf die kulturelle Konstante des Erzählens, das häufig
mit dem Begriff des Storytelling gleichgesetzt wird. Streng genommen haben
narrative Accounts keine eigene Legitimationsbasis, sondern sind eher eine Strategie
der Vermittlung, die moralisch, dramatisierend oder personalisierend sein kann.

• Moralische Geschichten zeigen Wertehaltungen im Rahmen eines zeitlichen


Verlaufs auf. Belohnende Geschichten führen die Protagonisten zum gewünsch-
ten Ziel, wenn sie die entsprechenden Werte verkörpern, mahnende Geschichten
bestrafen Protagonisten, die Werte und Normen missachten.
• Die Mittel der Dramaturgie sind archetypische Erzählmuster, die auch heute noch
ihre Berechtigung haben, etwa das Muster „David-gegen-Goliath“, bei dem ein
kleiner, positiv belegter Protagonist gegen einen übermächtigen Gegner antritt. Es
gibt ganz unterschiedliche dramaturgische Muster, die sich inzwischen in die
Populärkultur eingegraben haben.
• Mit der Personalisierung werden persönliche Attribute und Eigenschaften der
Akteure betont und teilweise über die organisationalen Argumentationsmuster
gestülpt.

2.3 Empirische Untersuchung von Accounts in semantische


Netzwerken

Organisationen legitimieren sich über sprachliche Muster, die hier als Accounts
bezeichnet werden. Die sprachlichen Muster schließen an übergreifende Legitimie-
rungsmechanismen an, von denen Autorität, Rationalität und Moral zu den drei
wichtigsten Kategorien gehören. Diese Kategorien können durch narrative Formen
der Dramaturgie ergänzt werden. Typische Untersuchungsgegenstände für organi-
sationale Accounts können die Kommunikationsmaterialien der Organisation, wie
etwa Pressemeldungen, Geschäftsberichte, Kunden- und Mitarbeiterzeitschriften,
Social-Media-Statements, etc. sein. Demgegenüber stehen die medial vermittelten
Frames, die journalistisch aufbereitet wurden, also etwa in Berichten, Statements,
etc. Rezipientenframes lassen sich in Kommentaren, Leserbriefen, Feedback-
Postings finden. Spezifischere Untersuchungsgegenstände wie etwa Prozessakten
von Gerichten, Protokolle oder Online-Foren sind etwas aufwendiger vom Zugang.
Forschungsdesigns sind belastbarer, wenn sie nicht nur eine Kommunikationsdi-
mension untersuchen, sondern mehrere Kommunikationsepisoden in einem thema-
tischen Feld im Zeitvergleich. In der empirisch beobachtbaren Praxis sind Accounts
in unterschiedlichen Kontexten zu beobachten. Meist kommen mehrere unterschied-
liche Formen zum Einsatz, teilweise auch in einer Mischform. Da Accounts Sinn-
bezüge verdeutlichen, bieten sich inhaltsanalytischen Verfahren (Fürst et al. 2016)
als Analyseinstrumente an. Teilweise lassen sich diese Verfahren mit anderen theo-
retischen Rastern wie etwa der Frame-Analyse (Schultz et al. 2012; Völker 2017)
bzw. mit computergestützten Verfahren der Sentiment-Analyse oder semantischen
Netzwerkanalysen verbinden. Insbesondere die semantische Netzwerkanalyse bietet
ein bislang unausgeschöpftes Potenzial zur Analyse von legitimierenden Accounts.
Kommunikativer Institutionalismus und Accounts 33

So untersucht beispielsweise Nagel (2016) die Polarisierung im politischen Diskurs


am Beispiel von Stuttgart 21 mit der Software DNA Discourse Network Analyzer
(Leifeld 2017). Mit dieser Software lassen sich auch ohne Programmierkenntnisse
Texte einlesen, codieren und in ein semantisches Netzwerk übertragen, das den
Zusammenhang zwischen Akteur und eingesetzten Accounts aufzeigen. Zudem
lassen sich Zeitreihen anlegen, um die Veränderung eines organisationalen Themen-
felds im Zeitvergleich anzulegen.

3 Zusammenfassung und Ausblick: Sprachliche Bausteine


der Legitimität in einer medialisierten Welt

Startpunkt des Beitrags war die Feststellung, dass Organisationen sich über Sprache
legitimieren. Diese Idee wurde auf den sozialkonstruktivistischen Ansatz von Berger
und Luckmann (2004/1966) zurückgeführt, der maßgeblich den Neoinstitutionalis-
mus beeinflusste. Der Sprache kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Der Neo-
institutionalismus vollzieht deshalb eine Wende hin zur lingustisch-kommunikativen
Dimension. Neben dieser Ausrichtung sind mindestens drei damit verwandte Kon-
zepte relevant, die ebenfalls in der phänomenologisch geprägten Perspektive von
Berger und Luckmann stehen.
Die Idee des kommunikativen Konstruktivismus (Keller et al. 2013) wurde vor
allem in der deutschsprachigen wissenssoziologischen Diskussion vorangebracht.
Ihr Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass moderne, globalisierte und individua-
lisierte Gesellschaften immer stärker um unterschiedliche Perspektiven ringen, „weil
immer mehr, immer öfter und immer begründeter Geltungsansprüche und Legitima-
tionen ausgehandelt werden müssen – und zwar kommunikativ“ (Reichertz und
Tuma 2017, S. 9). Bislang ist der Ansatz aber eher eine weite Klammer, da sich
hier ganz unterschiedliche Zugänge versammeln können. Er bietet aber vor allem für
die kommunikationswissenschaftliche PR-Forschung einen Impuls verstärkt die
Genese von intentionaler Kommunikation und deren Aushandlung zu untersuchen.
Stärker aus der medienwissenschaftlichen Perspektive bzw. auf einer materalisti-
schen Phänomenologie basierend führen Couldry und Hepp (2017) die Idee der
kommunikativen Figuration bzw. der mediatisierten Konstruktion der Wirklichkeit
ein. Bereits im Titel ist der Bezug zu Berger und Luckmann unverkennbar, Couldry
und Hepp (2017) sprechen selbst von einem „Update“ der klassischen Arbeit für eine
Zeit, in der Kommunikation, Medien und Daten unser Wirklichkeitserleben erschaf-
fen. Sie erweitern die klassischen Überlegungen um das Konzept der medialen
Figuration und Materialität von Daten und entwickeln ihre Arbeit in einem perma-
nenten Dialog mit Berger und Luckmann weiter.
Eine starke Verbindung zwischen Organisation und Kommunikation sucht die
CCO-Perspektive (Blaschke und Schoeneborn 2017). Die Idee, dass Kommunika-
tion die Organisation konstituiert hat sich in verschiedenen Strömungen vor allem in
der Montreal-School entwickelt. Inzwischen haben sich hier unterschiedliche Lager
ausgebildet (Schoeneborn et al. 2014), wobei hier besonders der Pragmatismus und
die Sprechakttheorie eine wichtige Verbindung zur Sprache herstellen.
34 S. Sandhu

Die drei hier vorgestellten Ansätze nehmen sich mitunter gegenseitig wahr, haben
sich aber teilweise parallel und unabhängig entwickelt. Sie alle haben aber das
Potenzial, das Verhältnis von PR-Forschung und Sprache weiterzuentwickeln. Mit
dem Vorschlag einer Mikrofundierung der PR-Legitimationsprozesse auf der Ebene
von sprachlichen Accounts kann hier nur ein erster Schritt gemacht werden.

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Systemtheoretisch orientierte
Textsortenlinguistik

Christina Gansel

Zusammenfassung
Eine sich entwickelnde systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik wird
aktuellen Denkrichtungen in der Textlinguistik gerecht, die Texte in ihren Welt-
bezügen, also gesellschaftsbezogen erforschen. Dabei wird der Bezug zu anderen
Disziplinen wie der Soziologie oder der Kommunikationswissenschaft herge-
stellt. Der Beitrag gibt einen ausschnitthaften Überblick über die Ansätze der
Textsortenlinguistik und ihr begriffliches Instrumentarium. Im Zentrum stehen
Textsorten als Strukturen der Kommunikation in sozialen Systemen, die auf der
Grundlage der Differenz von Kommunikation und Handlung sowie einer kom-
munikationswissenschaftlichen Mehrebenenheuristik bestimmt werden.

Schlüsselwörter
Textsorte • Ebenenheuristik • Kerntextsorte • Institutionell geregelte Anschluss-
kommunikation • Strukturelle Kopplung

Inhalt
1 Einleitung – Kommunikation und Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2 Textsorte und Kommunikationsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3 Textsorten als auf Kommunikation bezogene Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
4 Textsorten in einer kommunikationswissenschaftlichen Ebenenheuristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
4.1 Textsorten als Phänomene der Mesoebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
4.2 Meso-Makro-Link und Meso-Mikro-Link . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
4.3 Textsorten als Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
4.4 Textsorten als Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
5 Kerntextsorten, Textsorten der institutionell geregelten Anschlusskommunikation und
Textsorten struktureller Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

C. Gansel (*)
Institut für deutsche Philologie, Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald, Greifswald,
Deutschland
E-Mail: gansel@uni-greifswald.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 37


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_3
38 C. Gansel

5.1 Kerntextsorten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
5.2 Textsorten der konventionalisierten, institutionell geregelten
Anschlusskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
5.3 Textsorten der strukturellen Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

1 Einleitung – Kommunikation und Handlung

Mit der Entwicklung kommunikativ-pragmatischer Zugriffe in der Textlinguistik,


die Texte als Texte in Funktion und beeinflusst von kontextuell-situativen Faktoren
fassen, wird klar, dass jedes Textexemplar einer Textsorte zugehörig ist bzw. im
Rahmen einer Textsorte in Erscheinung tritt. Einsichtig wird zudem, dass die
Bestimmung von Texten als Texte orientiert an Textualitätskriterien wie Funktiona-
lität, Situativität, Kohärenz, Kohäsion, Informativität, Akzeptabilität, Intertextualität
oder Kulturalität zwar wesentliche interne und externe, dabei ebenso intern sicht-
bare, Merkmale von Texten erfassen kann, nicht jedoch den Begriff der Textsorte
umfassend repräsentiert. Der Begriff Text stellt letztlich ein „gedankliches Kon-
strukt“ dar und existiert „als Menge realer Textexemplare, die sich in wesentlichen
Merkmalen gleichen, nämlich denen, die sie zum Text machen, die sich aber auch in
Merkmalen unterscheiden, nämlich in jenen, die sie Gruppen zuordnen.“ (Fix et al.
2003, S. 24). Über den Textbegriff hinaus wird der Begriff der Textsorte in
kommunikativ-pragmatischer Ausrichtung eine entscheidende textlinguistische
Kategorie, die ihre Bestimmung in unterschiedlicher Weise erfährt. Der Begriff der
Textsorte dient der Strukturierung, Gruppierung und Klassifikation einer Menge von
Texten. Das Spektrum der Bestimmungen reicht von mengentheoretischen Ansätzen
über sprachsystematische, textintern begründete Zugänge bis hin zu handlungstheo-
retisch und letztlich systemtheoretisch orientierten Ansätzen. Der Ansatz einer
systemtheoretisch orientierten Textsortenlinguistik soll im weiteren Vorgehen erläu-
tert werden. Zuvor erfolgt jedoch eine Absetzung und Einordnung von handlungs-
theoretischen Ansätzen, die letztlich in eine Unterscheidung von Handlung und
Kommunikation mündet, wie sie in der Systemtheorie Niklas Luhmanns erfolgt.
Die zunächst einleitend benannten Ansätze implizieren, dass die Bestimmung des
Begriffs Textsorte einen interdisziplinären Zugriff erfordert und dabei ein einheitli-
ches Denkgebäude zugrunde gelegt werden muss.
Mengentheoretische Bestimmungen, die den Begriff der Textsorte gleichbe-
deutend mit zusammenfassenden Begriffen wie Textklasse oder Texttyp sehen
und damit lediglich von gleichen vorkommenden Merkmalen ausgehen, bleiben
letztlich unterspezifiziert. Handlungstheoretische Bestimmungen wie die von
Klaus Brinker perspektivieren Textsorten vor dem Hintergrund ihrer „fundamen-
talen Bedeutung für die kommunikative Praxis“ (72010, S. 120) und charakteri-
sieren Textsorten allgemein „als komplexe Muster sprachlicher Kommunikation“
(72010, S. 120).
Brinkers linguistische Textsortendefinition in handlungstheoretischer Perspektive
ist weithin akzeptiert, kommt sie doch von pragmatischen Ansätzen zum sprachlichen
Systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik 39

Handeln und von Kommunikation her und bezieht sprachstrukturelle wie


kommunikativ-situative Faktoren mit ein:

„Textsorten sind konventionell geltende Muster (Hervorhebung im Original – C.G.) für


komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von
kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen
und thematischen) Merkmalen beschreiben. Sie haben sich in der Sprachgemeinschaft
historisch entwickelt und gehören zum Alltagswissen der Sprachteilhaber; sie besitzen zwar
eine normierende Wirkung, erleichtern aber zugleich den kommunikativen Umgang, indem
sie den Kommunizierenden mehr oder weniger feste Orientierungen für die Produktion und
Rezeption von Texten geben.“ (Brinker 72010, S. 125)

In der nun weiterhin zu betrachtenden Definition werden zwei Probleme sichtbar.


Zum einen ist zu fragen, ob wirklich alle Textsorten bzw. komplexen Sprachhand-
lungsmuster zum Alltagswissen der Sprachteilhaber zugehörig interpretierbar sind.
Dies mag für Werbetexte, Wetterberichte, Bedienungsanleitungen und viele weitere
zutreffen. Wie ist es jedoch mit wissenschaftlichen Artikeln, Hausarbeiten von
Studierenden oder Kommentaren in rechtlicher Kommunikation. Zu unterscheiden
ist der rezeptive Umgang von der professionellen Textsortenkompetenz, die sich auf
die Textproduktion in einer spezifischen professionellen Handlungsrolle bzw.
Berufs- oder Funktionsrolle in einem spezifischen Kommunikationsbereich bezieht.
Zum anderen ist das Verhältnis der Begriffe Kommunikation und Handlung zu
klären. In einer handlungstheoretisch fundierten Textlinguistik, die einem pragma-
tischen Kommunikationsbegriff folgt, werden Texte als Instrumente kommunikati-
ven Handelns beschrieben. Sprachliche Kommunikation ist demnach symbolisch
vermitteltes, interaktives, partnerorientiertes und intentionales Handeln. Kommuni-
kation wird in diesem Sinne als kommunikatives Handeln bezeichnet, das mithilfe
von Texten als Mitteilungen erfolgt oder durch Sprechhandlungen (vgl. Linke et al.
2004, S. 197). In dieser Diktion hat die Kommunikation einen Handlungswert. Das
heißt, in diesem Modell wird der Handlungsbegriff als Oberbegriff verwendet, in
den sich der Kommunikationsbegriff integriert, Kommunikation und Handeln wer-
den letztlich gleichgesetzt und implizieren die Bindung an einen Handelnden, ein
Subjekt bzw. einen Akteur.
Luhmann hingegen geht in seiner Theorie sozialer Systeme anders vor: Für ihn ist
„Sozialität [. . .] kein besonderer Fall von Handlung, sondern Handlung wird in
sozialen Systemen über Kommunikation und Attribution konstituiert“ (1988,
S. 191). Damit fokussiert er die Differenz von Kommunikation und Handlung, die
hier zunächst weiter vertieft werden soll (vgl. 1988, S. 192).
Der Kommunikationsbegriff Luhmanns unterscheidet sich von dem handlungs-
theoretisch geprägten Begriff, der solche Komponenten wie Sender, Empfänger,
gemeinsamer Zeichenvorrat, Übertragung einer Mitteilung, Situationseinbettung
modelliert. „Kommunikation ist Prozessieren von Selektion.“ (Luhmann 1988,
S. 194). Dabei ist Kommunikation mehr als nur der Akt der Mitteilung oder
Sprechhandlung: Luhmann begreift Kommunikation als Synthese eines dreistelligen
Selektionsprozesses, als Einheit aus der Selektion der Information, der Selektion der
Mitteilung und der Verstehensselektion. „Die Selektion, die in der Kommunikation
40 C. Gansel

aktualisiert wird, konstituiert ihren eigenen Horizont; sie konstituiert das, was sie
wählt schon als Selektion, nämlich als Information.“ (Luhmann 1988, S. 194). Denn
das, was sie wählt, zeigt gleichzeitig das, was sie nicht wählt. Ein Wetterbericht
selektiert Angaben zum Wetter und nicht das Programm eines Fernsehsenders.
Entscheidet sich ein Kommunizierender zur Mitteilung der Information, findet die
zweite Selektion statt. Dabei erhält die Mitteilung eine bestimmte Form (Text,
Vertextungsmuster, Stil). Journalistische Nachrichten erscheinen üblicherweise nicht
in Reimform. Die dritte Selektion stützt sich auf die Unterscheidung von Information
und Mitteilung. Erst wenn „Ego“ und „Alter“ die drei Selektionen vollzogen haben,
hat Kommunikation zwischen Ego und Alter stattgefunden. Alter hat dann die aus
der Mitteilung von Ego gewonnene Information nach verstanden und nicht verstan-
den selektiert. Die Seite „Verstehen“ der Differenz „Verstehen/Nicht-Verstehen“
„realisiert nicht nur die einzelne Kommunikation“ (Baraldi et al. 1997, S. 90). Erst
Verstehen ist die Voraussetzung für weitere Kommunikationen, für Anschlusskom-
munikationen.
Luhmann begreift also „Kommunikation nicht als Handlung“ und den „Kommu-
nikationsprozeß nicht als Kette von Handlungen“ (1988, S. 225). Eine Mitteilung
allein kann als Handlung beobachtet werden, die Kommunikation ist jedoch die
dreifache Selektion von Information und Mitteilung und Verstehen, die in einem
Analyseprozess erschlossen werden muss. Für soziale Systeme nun, zu denen im
Folgenden Textsorten in Beziehung gesetzt werden sollen, ist Kommunikation
konstitutiv, d. h., dass Kommunikation Soziales schafft. „Soziale Systeme, die durch
Kommunikation als Kommunikationssysteme gebildet werden, regulieren, in wel-
che Richtung und wie weit Kommunikation getrieben werden kann“ (Luhmann
1988, S. 226). So ist die Kommunikation, die eine Dozentensprechstunde als Inter-
aktionssystem konstituiert, thematisch durchaus begrenzt. Studierende und Leh-
rende werden in der Interaktion während der Sprechstunde universitäre oder wis-
senschaftliche Themen bearbeiten und dazu einen entsprechenden Wortschatz
verwenden. Sie werden sich nur am Rande und in begrenztem Rahmen über private
Angelegenheiten verständigen.
Soziale Systeme haben also einen eigenen Kommunikationshorizont, in dem sie
sich reproduzieren. Gerade dieser Zusammenhang ist für eine theoretische und
empirische Erschließung von Textsorten relevant, denn Textsorten sind nicht nur
Muster für sprachliche Handlungen (Mitteilungshandlung), sondern insbesondere
auf Kommunikation – im Sinne Luhmanns – und deren Reichweite zu beziehen.
Textsorten sind in Hinblick auf ihre Reichweite in der Kommunikation durch den
Kontext eines sozialen Systems bestimmt. Was dies in systemtheoretischem Sinne
bedeutet, ist im Folgenden darzulegen.
Wenn nun in einer bestimmten Kommunikationssituation jemand einem anderen
oder einer anderen etwas mitteilt, kann dies als Handlung beobachtet werden. Es
kann beobachtet werden, mit welcher Intention ein Kommunikator einen Text
produziert und an einen Empfänger richtet, also eine Mitteilung in Form eines Textes
vom Sender zum Empfänger gelangt. Die Reduktion der Kommunikation auf Mit-
teilungshandeln ist nach Luhmann „nie falsch, wohl aber einseitig, wenn ein Kom-
munikationssystem sich selbst als Handlungssystem auffasst. Erst durch Handlung
Systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik 41

wird die Kommunikation als einfaches Ereignis an einem Zeitpunkt fixiert“ (1988,
S. 227). Von daher trifft Luhmanns folgende Einschätzung für die handlungstheo-
retische Textsortenlinguistik durchaus zu:

„Wir denken normalerweise Kommunikation immer schon zu sehr als Handlung und können
uns daraufhin Kommunikationsketten wie Handlungsketten vorstellen. Die Wirklichkeit
eines kommunikativen Ereignisses ist jedoch sehr viel komplexer.“ (1988, S. 232)

In dieser benannten Komplexität liegt begründet, dass Kommunikation im Sinne


Luhmanns weit schwieriger zu erfassen ist als eine Handlung. Denn Handlungen als
zeitlich fixierte und an individuelle Akteure gebundene Ereignisse sind der Beob-
achtung besser zugänglich als Kommunikation, die als synthetisierbare dreifache
Selektion von Information, Mitteilung und Verstehen aufgefasst wird. „Um beob-
achtet werden oder um sich selbst beobachten zu können, muß ein Kommunikati-
onssystem [. . .] als Handlungssystem aufgeflaggt werden.“ (1988, S. 226)
Soziale Systeme sind somit als Kommunikationssystem und als Handlungssys-
tem zu verstehen. Soziale Systeme bestehen aus Kommunikation und aus deren
Zurechnung als Handlung (Attribution) (vgl. Luhmann 1988, S. 240). Damit kann
die Frage nach den elementaren Einheiten eines sozialen Systems beantwortet
werden:

„Kommunikation ist die elementare Einheit der Selbstkonstitution, Handlung ist die ele-
mentare Einheit der Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung sozialer Systeme.“ (Luh-
mann 1988, S. 241)

Für das Mitteilungshandeln muss der kommunikative Kontext, der Kommunika-


tionshorizont vorausgesetzt werden. (Sprachliche) Handlungen haben von daher
Kommunikationswert (vgl. Luhmann 1988, S. 233) und nicht die Kommunikation
einen Handlungswert.

2 Textsorte und Kommunikationsbereich

Vor dem Hintergrund der Trennung der Begriffe Handlung und Kommunikation in
einem systemtheoretischen Gedankengebäude kann nun gefragt werden, welche
Informations-, Mitteilungs- und Verstehensselektionen sich mit/in einer Textsorte
zu einer Struktur verfestigen. Eine solche Frage geht über die handlungstheoretische
Definition des Begriffs Textsorte hinaus und meint vorerst nicht ein Sprachhand-
lungsmuster. Es muss gefragt werden, welche erwartbaren, konventionalisierten
Informations-, Mitteilungs- und Verstehensselektionen in Textsorten eingebunden
sind und diese sind in Abhängigkeit von dem Kommunikationsbereich bzw. von
dem sozialen System, in dem die Textsorte ihre Funktion erfüllt, zu bestimmen.
Was Fleischer u. a. in ihrer Stilistik zur Zuordnung von Textsorten zu mehreren
Kommunikationsbereichen anhand des Beispiels der Meldung formulieren, macht
Sinn: Eine Meldung kann z. B. dem Kommunikationsbereich des Militärwesens, des
42 C. Gansel

zivilen Wetterdienstes oder aber der juristischen Sphäre zugeordnet werden (vgl.
Fleischer et al. 1993, S. 36). Unter Kommunikationsbereich verstehen die Autoren
„die soziale Sphäre mit den für sie charakteristischen Institutionen (i. w. S.) und
Sozialbeziehungen“ (Fleischer et al. 1993, S. 37).
Um an dieser Stelle Argumente für die benannte Position anzugeben, können
eigene Untersuchungen zur Literaturkritik angeführt werden. Untersuchungen zur
Textsorte Literaturkritik zeigen, dass der Ursprung der Textsorte im System Literatur
liegt. In der Gegenwart wird jedoch durch Journalistinnen und Journalisten eine
Variante der Literaturkritik gestaltet, die nicht mehr eindeutig dem literarischen Sys-
tem zugewiesen werden kann, sondern sich in das System Journalismus einfügt.
Zudem beschreibt das System diese Textsorte der literarischen Rezension und Anfor-
derungen an diese als eine eigene und im systemspezifischen Sinne. Festzustellen ist,
dass die sprachliche Gestaltung von Rezensionen in den beiden Systemen differiert
und einem je eigenen Kommunikationshorizont gerecht wird (vgl. Gansel 2011b).
Diese empirisch belegbare Erkenntnis folgt den Ausführungen Fleischers et al.:

„Mit der Zuordnung eines Textes zu einer bestimmten Textsorte ist nicht in jedem Fall
zugleich auch eine eindeutige Festlegung auf einen bestimmten Kommunikationsbereich
verbunden. Die Menge der empirisch gegebenen Textsortenbezeichnungen beruht nicht auf
einem einheitlichen Klassifikationsprinzip. Viele Textsorten können bei entsprechender
Abstraktion einem Kommunikationsbereich zugeordnet werden, andere dagegen mehreren.“
(1993, S. 36)

Um Textsorten kommunikationsadäquat ordnen oder klassifizieren zu können,


reicht eine Betrachtung von Textsortenbenennungen also nicht aus. Vielmehr ist die
Ermittlung der Kommunikationsbereiche und ihrer funktionalen Ausdifferenzierung
in gesellschaftlichen Systemen erforderlich. Sie bilden den Rahmen, in dem Text-
sorten verschiedene Leistungen übernehmen.
Darüber, dass Textsorten menschliches Handeln im Allgemeinen reflektieren und
ihre Ausprägung in Kommunikationsbereichen erfahren, besteht in der Textlinguis-
tik Einigkeit.
Menschen handeln in bestimmten Handlungsrollen (institutionalisiert oder nicht)
kommunikativ, indem sie Texte produzieren und rezipieren, und sie etablieren
dadurch Kommunikationsbereiche. Besser sollte formuliert werden, dass Hand-
lungsbereiche (vgl. auch Brinker 72010, S. 127) etabliert werden, denn hier geht
es um Mitteilungshandlungen, die beobachtbar erscheinen. Der Beziehung zwischen
Textsorten und Kommunikationsbereich trägt entsprechend ein eigenständiges Kapi-
tel im Halbband Textlinguistik der Reihe Handbücher zur Sprach- und Kommuni-
kationswissenschaft (Brinker et al. 2000a) Rechnung, das „zentrale Kommunikati-
onsbereiche“ erfasst und für diese die jeweils „konstitutiven Textsorten“ vorstellt.
Der Terminus Kommunikationsbereich impliziert danach in der bisherigen Text-
linguistik

„bestimmte gesellschaftliche Bereiche, für die jeweils spezifische Handlungs- und Bewer-
tungsnormen konstitutiv sind. Kommunikationsbereiche können somit als situativ und sozial
definierte ‚Ensembles‘ von Textsorten beschrieben werden“ (Brinker et al. 2000b, S. XX).
Systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik 43

Ausgehend von dieser Definition erscheint es für eine theoretische Bestimmung


und Reflexion des Textsortenbegriffs produktiver zu sein, differenzierende Perspek-
tiven zu berücksichtigen und die Differenz von Handlung und Kommunikation
ebenso in der Definition von „Kommunikationsbereich“1 sichtbar werden zu lassen.
Dazu kann zunächst festgehalten werden:

• An einen Adressaten gerichtete sprachliche Mitteilungen, die mit einem Text


(Textexemplar) vollzogen werden, sollen als soziale Handlungen gefasst werden.
Sie unterliegen der Selbstbeobachtung des Handlungssystems und sind zeitlich
fixiert. Als Subjekten/Akteuren zugewiesene Momentaufnahmen sind sie beob-
achtbar und beschreibbar.
• Kommunikationen schaffen Soziales, d. h. soziale Systeme wie Interaktionssys-
teme, Organisationssysteme, funktional ausdifferenzierte Systeme der Gesell-
schaft und die Gesellschaft als Ganzes selbst.
• Soziale Systeme sind durch Kommunikationshorizonte bestimmt und nutzen diese
für weitere Anschlusskommunikationen, durch die das System sich reproduziert.
• Textsorten sind auf Kommunikation bezogene Strukturen, die Wiederholbarkeit
der Kommunikation sichern und damit zur Selbstkonstitution eines sozialen
Systems beitragen. Sie sollen vom Kommunikationssystem her erschlossen werden.

3 Textsorten als auf Kommunikation bezogene Strukturen

Mit dem Vollzug der Trennung von Kommunikation und Handlung lassen Textsor-
ten sich in zwei Richtungen interpretieren. Einmal sind sie interpretierbar als Muster,
prototypische Vorbilder oder Schemata für Mitteilungshandlungen, die je von einem
Akteur/Kommunikator adressatenorientiert und zweckgerichtet ausgeführt und in
Textexemplaren manifestiert sind.
Wenn Textsorten – wie oben aufgeführt – als auf Kommunikation bezogene
Strukturen gefasst werden, die zur Selbstreproduktion und Selbstreflexivität eines
sozialen Systems beitragen, ist zum anderen ein abstrakterer Zugriff erforderlich, der
im Folgenden durch die Strukturationstheorie von Anthony Giddens (1992) unter-
mauert werden soll. Die Strukturationstheorie bietet Ansätze, den Textsortenbegriff
eben in die angesprochenen zwei Richtungen zu vertiefen – in die der Selbstrepro-

1
Der Terminus Kommunikationsbereich ist in der wissenschaftlichen Literatur zur Stilistik und
Textlinguistik eingeführt und etabliert. Wie die letzten beiden Auflagen der „Linguistischen Text-
analyse“ von Klaus Brinker et al. (72010, S. 127; 82014, S. 141) zeigen, werden in dominant
handlungstheoretischer Perspektive im Rahmen kontextueller Kriterien zur Beschreibung von
Textsorten die Kategorien „Kommunikationsform“ und „Handlungsbereich“ aufgeführt. Interessant
ist dabei, dass in der siebten wie in der achten Auflage dem Handlungsbereich in Klammern
„(Kommunikationsbereich)“ beigefügt ist. Dies impliziert die Gleichsetzung von Handlungs- und
Kommunikationsbereich. In diesem Beitrag erfolgt in systemtheoretischer Ausrichtung eine Tren-
nung und Differenzierung von Kommunikations- und Handlungssystem.
44 C. Gansel

duktion und Selbstreflexivität und die der konkreten Ausprägung von Textexem-
plaren einer Textsorte.
Im Sinne der Strukturationstheorie von Anthony Giddens (1992) wird hier – ohne
die Theorie weiter zu vertiefen – ein Strukturbegriff zugrunde gelegt, der nicht als
Muster für die Strukturierung sozialer Beziehungen gesetzt ist. Strukturen sind
Grundlage als auch Ergebnis sozialen Handelns, also auch von über die Zeit
wiederkehrenden Mitteilungshandlungen. Giddens betont den zeitlichen Aspekt als
ein Grundprinzip seiner Theorie:

„Eine Ontologie von Raum und Zeit als konstitutives Prinzip sozialer Praktiken ist grund-
legend für die Konzeption der Theorie der Strukturierung, die von der Temporalität und so
gewissermaßen von ‚Geschichte‘ ausgeht.“ (Giddens 1992, S. 53)

In diesem Sinne sind auch Textsorten mit Temporalität verknüpft, sie sind nicht
einfach da, sondern werden für die Kommunikationen eines Systems erst als kommu-
nikative Praktik entwickelt. Sie vollziehen sich „als ein Fluß intentionalen Handelns.
Handlungen haben unbeabsichtigte Folgen; und (sie können sich) in systemischen
Rückkopplungsprozessen als die unerkannten Bedingungen weiteren Handelns dar-
stellen.“ (Giddens 1992, S. 58)
Somit könnte formuliert werden, dass Textsorten in der Kommunikation von
sozialen Systemen ein Bestandteil der „Regeln und Ressourcen“ sind, die die
Produktion und Reproduktion von sozialen Systemen mitbestimmen.

„Ressourcen (die mit den Signifikations- und Legimitationsaspekten sozialer Systeme ver-
bunden sind) sind Strukturmomente, auf die sich die bewußt handelnden Subjekte in der
Produktion ihres Handelns beziehen und die sie auch reproduzieren.“ (Giddens 1992, S. 67)

Die Fokussierung auf Produktion und Reproduktion impliziert, dass Giddens


(1992) nicht wie üblicherweise Strukturen als Muster für die Strukturierung sozialer
Beziehungen in einer gegenwärtigen Situation ansieht. Vielmehr hält er fest:

„Hier wird er (der Strukturbegriff – C. G.) charakteristischerweise nicht als ein Muster für
die Strukturierung von Gegenwärtigem, sondern als Schnittpunkt von Gegenwärtigem und
Abwesendem gedacht; die zugrunde liegenden Codes müssen aus Oberflächenerscheinun-
gen abgeleitet werden.“ (Giddens 1992, S. 68)

Die zugrunde liegenden Codes lassen sich als der bereits erwähnte Kommunika-
tionshorizont interpretieren, den Giddens nicht als gemeinsamen großen Wissens-
vorrat der Akteure sehen möchte, sondern als das „in Begegnungen inkorporierte
gemeinsame Wissen (Hervorhebung im Original – C.G.)“, das „dem Bewußtsein der
Akteure nicht direkt zugänglich ist“ (1992, S. 55). Dennoch erscheint es in Ober-
flächenphänomenen (z. B. in einem konkreten Text) ablesbar.
Die in Giddens Strukturbegriff eingelassene Dualität (Strukturdualität) meint also
Struktur als die Mittel der Systemreproduktion und die in Produktion und Rezeption
sozialer Handlungen (damit auch sprachlicher Handlungen) einbezogenen Regeln
und Ressourcen (vgl. Giddens 1992, S. 70). Diese Dualität wird weiterhin mit den
Systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik 45

Begriffen Struktur und Strukturmoment sprachlich gefasst: „soziale Systeme, als


reproduzierte soziale Praktiken, (haben) weniger ‚Strukturen‘, als daß sie vielmehr
‚Strukturmomente‘ aufweisen, und daß Struktur, als raumzeitliches Phänomen, nur
insofern existiert, als sie sich in solchen Praktiken realisiert und als Erinnerungs-
spuren, die das Verhalten bewußt handelnder Subjekte orientieren.“ (Giddens 1992,
S. 69, Hervorhebung im Original – C.G.)
Der Sinn der Strukturdualität lässt sich auf den Begriff der Textsorte anwenden:
Textsorten können als Struktur Bestandteil einer rekursiv organisierten Menge von
abstrakten Regeln und Ressourcen gefasst werden, die durch Abwesenheit des
Subjekts charakterisiert ist (Kommunikation). Zu Strukturmomenten werden Reali-
sierungen von Textsorten in sozialen Systemen durch „die situierten Aktivitäten
handelnder Menschen, die über Raum und Zeit reproduziert werden“ (Giddens 1992,
S. 77). Hier geht es um sprachliche Handlungen (Mitteilungshandlungen), die über
produzierte und reproduzierte Textsortenexemplare neue Textsorten, Textsortenva-
rianten schaffen oder diese funktional verändern können.

4 Textsorten in einer kommunikationswissenschaftlichen


Ebenenheuristik

Die bisher eingenommene Perspektive und Anbindung an die Strukturationstheorie


von Giddens (1992) bietet interdisziplinäre Anschlussmöglichkeiten an die Heuristik
der Strukturebenen der Kommunikationswissenschaft, d. h. die Mikro-, Meso- und
Makroebene.2 Schon Habscheid (vgl. 2000, S. 126) verweist darauf, dass die lingu-
istische Gesprächsforschung sich der Diskussion des Mikro-Makro-Problems in der
Sozialtheorie und in der empirischen Sozialforschung nicht entziehen sollte. In der
Anwendung jeweils einer Perspektive auf die Gesellschaft verschwinde jedoch die

2
Der Anschluss an die Kommunikationswissenschaft erscheint auch aus dem Grunde sinnvoll, da in
der Sprachwissenschaft die Ebenenbezeichnungen gleichfalls verwendet werden, jedoch in einem
anderen Sinn interpretiert und gefasst werden. Zudem werden in soziolinguistischen und sozial-
theoretischen Ausführungen zwar Mikro- und Makroebene voneinander unterschieden, die Meso-
ebene wird jedoch ausgespart. So diskutiert Habscheid (2000) das Mikro-Makro-Problem im
Rahmen der Gesprächsforschung auf der Grundlage der Makrotheorien Systemtheorie und Hand-
lungstheorie und nutzt die Strukturationstheorie Giddens (1992) als Vermittlungstheorie, was
sinnvoll erscheint. Die Mikroebene wird an interaktivem Handeln festgemacht. Für die Überbrü-
ckung von der Mikroebene zur Makroebene eignet sich nach Habscheid (2000, S. 144) der Begriff
des Sprachhandlungsmusters. „Unter Sprachhandlungsmustern werden soziale Organisationsfor-
men (‚Strukturen‘) für sprachliches Handeln verstanden, welche die Bearbeitung von gesellschaft-
lich rekurrenten Problemen prägen, ermöglichen und restringieren. (Bestimmte) Sprachhandlungs-
muster können in der Perspektive gesellschaftlicher Zweckbereiche unter ‚Institutionen‘ subsumiert
werden. Die Reichweite von Handlungsstrukturen erstreckt sich aber auch auf die Selektion,
Kombination und Herausbildung von Praktiken in Stilen und Varietäten, die Personen, Gruppen,
Organisationen usw. symbolisch konstituieren.“ Um die Strukturationstheorie Giddens als Ver-
mittlungstheorie zwischen Handlungs- und Systemtheorie anzuwenden, wird in diesem Beitrag
etwas anders vorgegangen, indem nämlich – wie gezeigt – mit Struktur und Strukturmoment eine
abstrakt virtuelle Größe von einer der Umsetzung von Mustern unterschieden wird.
46 C. Gansel

andere. Die Makro-Perspektive auf soziale Strukturen und Funktionssysteme ver-


sperre die Sicht auf Individuen und deren Bewusstsein. Die Mikro-Perspektive wird
in Interaktionssituationen mit Individuen in Beteiligtenrollen einsehbar.
Mit einer Mikro-Makro-Gegenüberstellung werden allerdings Mechanismen der
Institutionalisierung von Strukturen ausgespart. Und gerade diese Lücke erscheint
für eine textsortenlinguistische Verortung von Textsorten interessant, wenn sie, wie
oben geschehen, als Strukturen charakterisiert werden sollen.
Kommunikationswissenschaftliche Reflexionen schließen die Lücke zwischen
der Mikro- und der Makroebene durch die Mesoebene und entsprechende Verbin-
dungen über Meso-Makro- und Mikro-Meso-Links (vgl. Quandt und Scheufele
2011). Die Beiträge des Bandes (vgl. Quandt und Scheufele 2011) konstatieren,
dass die Verbindung der Strukturebenen Mikro-Meso-Makro „wieder erwacht“ ist
und es wird gefragt, ob „gesellschaftliche Strukturbildungen in einem Prozessmodell
u. a. auf den Ebenen von Individuum (Interaktion – C.G.), Organisation, Institution
und Funktionssystem integrativ und vernetzt“ (Wehmeier und Röttger 2011, S. 196)
abgebildet werden können. Wehmeier und Röttger (2011, S. 196–197) verbinden die
abstrakte Makro-Ebene der Funktionssysteme mit der Mesoebene der Organisation
über den Begriff der Institution. Dabei meint Institution „gesellschaftliche Erwar-
tungshaltungen“, die in fest strukturierter Form (z. B. Gesetze) oder aber in losen
Formen kultureller Konventionen vorliegen. „Institutionen informieren Organisatio-
nen (und Individuen) darüber, welche übergeordneten Werte Gesellschaft für die
anderen Strukturebenen bereitstellt. Vermittelt werden diese Institutionen gemeinhin
über Regeln, an die sich Individuen und Organisationen zu halten haben [. . .].“
Von der Meso- zur Mikroebene werden gleichfalls Verbindungsebenen gesehen.
„Für den Bereich zwischen Organisation und Individuen gibt es eine weitere Ver-
mittlungsebene, denn zumeist sind Individuen über Rollen in Organisationen einge-
bunden.“ (Wehmeier und Röttger 2011, S. 197). Weiterhin stellen die Autoren im
Anschluss an Luhmann (2000) heraus, dass Organisationen ohne Kommunikation
nicht vorstellbar sind. „Kein Prozess ist organisierbar ohne Kommunikation, keine
Regeln brauchbar ohne Kommunikation.“ (Wehmeier und Röttger 2011, S. 197).
Die Formen organisationaler Kommunikationen reichen von Gesprächen bis hin zu
Texten. So erscheinen ebenso Institutionalisierungsprozesse (Vermittlungsprozesse)
nicht ohne Kommunikation möglich. An diesem Punkt bieten sich Anschlussmög-
lichkeiten der Textsortenlinguistik an die Kommunikationswissenschaft an.

4.1 Textsorten als Phänomene der Mesoebene

Es ist zunächst zu konstatieren, dass auch in einer bisherigen Fassung von Textsorten
in systemtheoretischer Perspektive die Mesoebene noch keine Rolle spielt. Wenn in
der Bestimmung von Textsorten eine Orientierung am Kommunikationssystem eines
sozialen Systems erfolgt, bleibt die Bestimmung an die Makroebene gebunden. In
Bezug auf Textsorten ist dann zu fragen, welche systemspezifischen Informations-
selektionen zur Entwicklung der Textsorte führen (Themen) und zu ihrer Repro-
duktion beitragen, inwiefern die Form der Mitteilungsselektion (sprachliche und
Systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik 47

nicht-sprachliche Strukturen) systemspezifisch ausfällt und inwiefern Verstehensse-


lektionen zu systemspezifischen Anschlusskommunikationen (Textsortenanschlüs-
se) führen. Entsprechend dem funktional-strukturellen Ansatz Luhmanns wird zu
fragen sein, wie sich Textsorten funktional in die Kommunikation sozialer Systeme
einordnen lassen.
Wie kann nun zu einer Mesoebene gelangt werden? Wird die zeitliche, also
evolutionäre, Perspektive der Entwicklung von Textsorten in Betracht gezogen, so
könnte gesagt werden, dass sich Textsorten aus individuellen Mitteilungshandlun-
gen heraus für bestimmte Zwecksetzungen verfestigt und konventionalisiert haben.
Evolutionäre Variations- und Selektionsprozesse kondensieren Textsorten für orga-
nisationale Kommunikationsprozesse, die in ihrer Gesamtheit letztlich Strukturen
eines funktionalen Systems neben anderen abbilden und den kontextuellen Rahmen
des Systems mitkonstituieren.
Grundsätzlich erscheinen Textsorten in einer modernen funktional ausdifferen-
zierten Gesellschaft an Organisationen (vgl. Heinemann und Viehweger 1991)
gebundene Strukturen, in denen sie jeweils nach ihrer funktionalen Äquivalenz
genutzt und wenn nötig variiert, verändert werden. Wie Wehmeier und Röttger
(2011) verdeutlichen, sind nun Organisationen Phänomene der Mesoebene. Als
solche Phänomene der Mesoebene beschreibt Henriette Schade soziale Bewegungen
in ihrer Dissertation. Analog soll mit Textsorten verfahren werden: „(Textsorten – C.
G.) sind Phänomene der Meso-Ebene. Gegenstände der Meso-Ebene erfordern eine
Mehrebenenperspektive. Es gibt verschiedene gleichzeitig relevante Perspektiven
auf den Gegenstand.“ (Schade 2016, S. 217). Individuelle Mitteilungshandlungen
lassen sich auf der Mikroebene beobachten. Auf der Mesoebene gelingt ein abstrak-
terer Zugriff auf den Begriff der Textsorte, von dem aus die Determiniertheit der
Textsorte durch die Regularitäten auf der Makroebene erschließbar erscheint.
Mit der Einbindung von Giddens Strukturationstheorie öffnet sich der Blick auf
die Mehrebenenperspektive. Begrifflichkeiten, wie sie in einer systemtheoretisch
orientierten Textsortenlinguistik eingeführt wurden, lassen sich vertiefen und von
unterschiedlichen Ebenen her und mit deren Relationen zueinander erfassen. Dabei
soll es in diesem Beitrag vor allem um die bereits eingeführten Begriffe Textsorten
als Operation, Textsorte als Programm, Textsorten der Reflexion, Kerntextsorte,
Textsorten der institutionell geregelten Anschlusskommunikation, Textsorten der
strukturellen Kopplung gehen.
In Anlehnung an die kommunikationswissenschaftliche Mehrebenenmodellie-
rung nach Wehmeier und Röttger (2011, S. 197) wird in der Übersicht die text-
sortenlinguistische Terminologie ergänzt (Tab. 1).
In Hinblick auf Textsorten als Phänomen der Mesoebene lassen sich nun mehrere
Konstellationen überprüfen und mit den benannten Begrifflichkeiten verbinden.
Zunächst soll mit dem Meso-Makro-Link und dem Meso-Mikro-Link begonnen
werden. Die Pfeile in der Abbildung (Tab. 1) signalisieren die Wechselseitigkeit
der Ebenen im Sinne der Selbstreproduktion des jeweiligen Systems. Weiterhin
erscheinen Makro-Makro-Links von Relevanz wie auch Meso-Meso-Links, die sich
organisationsintern entwickelt haben wie auch Beziehungen zwischen unterschied-
lichen Organisationen abbilden können. Soweit es geht, werden die theoretischen
48 C. Gansel

Tab. 1 Textsorten im Rahmen einer Mehrebenenmodellierung (nach Wehmeier und Röttger 2011,
S. 197)
Strukturebene Einheit Textsorten
Makro Funktionssystem
Kommunikation/ Institution Regeln und Ressourcen:
Wahrnehmung Kommunikationshorizont/
Systemlogik
Textsorten der Reflexion
Textsorten als
Programme = Kerntextsorten
Textsorten struktureller
Kopplung (Makro-Makro)
Meso Organisation Regeln und Ressourcen:
Kerntextsorten
Textsorten der institutionell
geregelten
Anschlusskommunikation
(Meso-Mesointern)
Textsorten struktureller
Kopplung (Meso-Mesoextern)

Kommunikation Rollen
/Handlung/
Wahrnehmung
Mikro Individuen Textsorten in realisierten
Textexemplaren aufgrund der
Musterhaftigkeit von
Textsorten für sprachliche
Handlungen,
Oberflächenphänomene
Textsorten als Operationen

Ausführungen mit Beispielen belegt, wobei dies in dem Beitrag lediglich grob
erfolgen kann. Dabei wird auf systemtheoretisch orientierte textsortenlinguistische
Untersuchungen zurückgegriffen.

4.2 Meso-Makro-Link und Meso-Mikro-Link

Über den Meso-Makro-Link kann zunächst die kontextuelle Verortung der Textsorte
erfolgen. Als Kontextebenen in Kontextualisierungs- und Kontexttheorien werden
unterschieden:

a) sprachlicher Kontext (Wort, Satz, Text)


b) Materieller Kontext (Papier, Schrifttypen)
c) Sozialer Kontext (Handlungsbereich, soziale Rollen)
d) Wissenskontext (Hintergrundwissen, Alltags- und Weltwissen)
e) Medium (Kanal, Mündlichkeit, Schriftlichkeit).
Systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik 49

In der Perspektive der Makroebene interessiert der soziale Kontext, der als
Kommunikations- und Handlungsbereich sprich als Kommunikations- und Hand-
lungssystem eines funktionalen Systems der Gesellschaft aufgefasst werden soll.
Makroperspektivisch spielt ebenso der Wissenskontext eine Rolle, der an dieser
Stelle – und das sei noch einmal betont – im Sinne Giddens (vgl. 1992, S. 55) als das
den Akteuren nicht direkt zugängliche Wissen betrachtet werden soll. Für einen
derartigen Bereich des Wissens, der implizit wirkt und unbewusst mitgeführt wird,
kann auf Beschreibungen der Systemlogik der funktionalen Systeme, wie sie in der
Systemtheorie vorliegen, zurückgegriffen werden.
Dies wird im Folgenden anhand von Notizzetteln für die Dozentensprechstunde an
Hochschulen (vgl. Buchholz 2011) expliziert, wobei an diesem Beispiel die Eben-
enheuristik von der Makro- bis zur Mikroebene durchgespielt werden soll. Die
Dozentensprechstunde an Universitäten und Hochschulen bildet einen interaktionalen
Rahmentyp. In systemtheoretischem Sinne bildet sie ein Interaktionssystem, das auf
Anwesenheit mindestens zweier psychischer Systeme/Personen basiert, die sich mit
Hilfe von Sprache strukturell koppeln. Heinemann und Viehweger stellen fest, dass
„die meisten Interaktionsereignisse [. . .] institutionell geprägt (sind)“ (1991, S. 155)
und in bestimmten Kommunikationsbereichen organisiert und vollzogen werden,
d. h. dass die Dozentensprechstunde konstitutiv für organisationelle Zusammenhänge
der Universität (Mesoebene) ist und die in der Makroebene verortete Systemlogik
über die Organisation der Universität in die Mikroebene des individuell Agierenden
hineinwirkt.
Luhmann versteht die Universität oder eine Hochschule als autopoietisches
Organisationssystem, das auf Mitgliedschaft der Angehörigen basiert und mit spe-
zifischen Textsorten dokumentiert und manifestiert wird: Dozent/Dozentin –
Arbeitsvertrag; Student/Studentin – Studierendenausweis. Als Mitglied berücksich-
tigt man die in der Organisation geltenden Regeln, handelt und kommuniziert auf der
Grundlage getroffener Entscheidungen. Das Organisationssystem Universität sieht
Luhmann nun als ein System, das die Verbindung zwischen zwei funktional ausdif-
ferenzierten Systemen herstellt – zwischen dem System Wissenschaft und dem
System Erziehung (Makro-Makro-Link). Einer Hochschule obliegen deshalb zwei
wesentliche Aufgaben: die Erzeugung neuen Wissens und die Bereitstellung dieses
Wissens für Studierende und die Gesellschaft auf der einen Seite (Forschung,
Wissenschaft) sowie die Bildung und Produktion von Zertifikaten, die für Karrieren
selektieren (Erziehung), auf der anderen. Letztlich muss also der Notizzettel von
Studierenden für die Dozentensprechstunde in der Konstellation der eben umrisse-
nen Systeme gesehen werden.
Während der Dozentensprechstunde kann beobachtet werden, dass Studierende
einen solchen Zettel als Mitteilung für sich bereithalten, notierte Fragen abarbeiten,
das Gespräch in wichtigen Teilen ergebnisorientiert protokollieren oder auch Ver-
stehenshandlungen signalisieren, indem sie notierte Fragen als im Gespräch bear-
beitet mit Häkchen markieren oder dies lautlich kundtun. Der möglicherweise
während des Sprechstundengesprächs ergänzte Notizzettel dient im Anschluss Stu-
dierenden als Instrument zur Selbstreflexion, als Unterstützung zur Erzeugung von
Wissen (z. B. in Haus- und Abschlussarbeiten), als Stütze zur Organisation von
50 C. Gansel

Prüfungen (Absprache von Prüfungsterminen, Prüfungsinhalten und -anforderun-


gen) oder sonstiger Angelegenheiten, also als Entscheidungshilfe.
Das Interaktionssystem Dozentensprechstunde besteht aus zwei Teilnehmenden,
die in den sozialen Rollen Studierender und Lehrender agieren – hier geht es um
Beteiligungsrollen im Gespräch und Berufsrollen (vgl. Adamzik 2004, S. 85). Auf
den Notizzettel haben Lehrende keinen Zugriff, bemerken sein Vorhandensein
möglicherweise nicht einmal im Gespräch. Er ist also nur an die Rolle der Studie-
renden geknüpft, er dient der Strukturierung der Kommunikation mit dem Lehren-
den und mit sich selbst. Der Notizzettel ist also ein Instrument neben anderen, das
die Selbstreflexivität des Studierenden und seine selbstreflexive Entwicklung vom
Laien hin zu einem Experten, der mündig mit erworbenem Wissen umzugehen und
sich zu organisieren vermag, befördern kann.
Die kontextuellen Parameter lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der wichtigste Parameter für das Erfassen des Kontextes einer Textsorte ist es, sie
in einem sozialen System zu verorten, in dem sie eine Struktur bildet, die sich aus der
Funktion des Systems ableiten lässt (Tab. 2). Bezogen auf die Beispieltextsorte
bedeutet dies:

• Funktional ausdifferenzierte Teilsysteme der Gesellschaft: Wissenschaft und


Erziehung mit ihren jeweiligen Systemlogiken3 (Makroebene),
• die über das Organisationssystem Hochschule in Relation zueinander stehen
(Mesoebene),
• innerhalb des Organisationssystems das Interaktionssystem Hochschulsprech-
stunde mit den inkludierten Rollen Studierende und Lehrende und der der Rolle
Studierende zugeordneten Textsorte Notizzettel für die Dozentensprechstunde, die
je individuell von den Studierenden ausgeführt wird (Mikroebene, Strukturmo-
mente).

3
Es ist davon auszugehen, dass die Regularitäten der Kommunikation des jeweils übergeordneten
funktionalen Teilsystems in den Textsorten reproduziert werden.
Von daher ist es für die Untersuchung von Textsorten wesentlich, sich die Systemlogik der
einzelnen gesellschaftlichen Teilsysteme bewusst zu machen. Die Systemtheorie bietet dafür viel-
fältige Anregungen. Nach Luhmann wird die Systemlogik funktional ausdifferenzierter Teilsysteme
der Gesellschaft wie Recht, Politik, Wirtschaft, Religion, Kunst, Erziehung oder Wissenschaft
u. a. mit den Kategorien Funktion, Leistung, Medium, Code, Programm beschrieben. Die Funktion
eines Systems besteht darin, für ein spezifisches Problem „funktional äquivalente Problemlösun-
gen“ (Krause 2005, S. 151) anzubieten. Der Aspekt Leistung sagt etwas über die Beziehungen von
Systemen aus. Systeme stellen für andere (psychische oder soziale) Systeme Leistungen zur
Verfügung. Das Medium in der Systemrationalität meint ein symbolisch generalisiertes Medium,
ein Erfolgsmedium. Es konditioniert die Motivationen und Selektionen unbestimmter Kommuni-
kationen und ist entscheidend für die Annahme von Kommunikation. Aus dem Medium leitet sich
der Code, die binäre Leitdifferenz des Systems her. Programme sind die flexibelsten Bereiche
funktional ausdifferenzierter Systeme. Sie versorgen das System mit zulässigen Regeln des Kom-
munizierens. Die Tabelle (Tab. 2) gibt einen Überblick der Beschreibung für die Funktionssysteme
Wissenschaft und Erziehung.
Systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik 51

Tab. 2 Systemrationalität von Wissenschaft und Erziehung (Krause 2005, S. 50)


System Funktion Leistung Medium Code Programm
Wissen- Erzeugung Bereitstellung Wahrheit Wahrheit/Un- Theorien und
schaft neuen neuen Wissens wahrheit Methoden
Wissens
Erziehung Selektion Ermöglichung Lebenslauf Besser lernen/ Bildung, Lehr-/
von unwahr- (Kind) schlechter lernen; Lern-pläne
Karrieren scheinlicher Lob/Tadel
Kommunika-
tionen

Bis dahin wurde der Begriff Textsorte im Sinne des Strukturbegriffs der Struktu-
rationstheorie als Phänomen der Mesoebene charakterisiert, das in Relation zur
Makro- und Mikroebene steht. Die Formulierung, dass Textsorten Strukturen der
Kommunikation sind, war dabei entscheidend. Systemtheoretisch orientierte text-
sortenlinguistische Forschungen haben neben dem Begriff der Struktur (Gansel
2011a), Textsorten ebenso als Operation (Buchholz 2011) oder als Programm
(Christoph 2008; Holtfreter 2011) gefasst. Damit stehen sich drei Verortungen
gegenüber, die in ihrer Differenz durchaus problematisch erscheinen, in einer Meh-
rebenenheuristik jedoch einer gewissen Plausibilität nicht entbehren.

4.3 Textsorten als Operation

Anhand der beispielhaften Ausführungen Buchholz’ (2011) zum Notizzettel der


Hochschulsprechstunde gerät eine Textsorte als Operation in den Blick, wie Stefan
Buchholz herausgearbeitet hat: „Der Notizzettel ist also als das Ergebnis der Aus-
differenzierung des sozialen Systems Hochschulsprechstunde aufzufassen und darü-
ber hinaus in dessen Kommunikation zu verorten.“ (2011, S. 205) Mit dieser
Bestimmung wäre es durchaus auch möglich, bei der Strukturdefinition der Textsorte
zu verharren. Buchholz’ Darlegungen hängen jedoch vielmehr mit der Bindung der
Textsorte an ein Individuum und ein Interaktionssystem zusammen und damit wird
die Mikroebene zum Bezugspunkt. Zunächst erscheint es sinnvoll, sich noch einmal
den Begriff der Operation, wie er systemtheoretisch gefasst wird, zu vergegenwär-
tigen: „Unter einer Operation versteht man die Reproduktion eines Elements eines
autopoietischen Systems mit Hilfe der Elemente desselben Systems, also die Vor-
aussetzung für die Existenz des Systems selbst.“ (Baraldi et al. 1997, S. 123). Bei
Krause (2005, S. 201) heißt es: „Operation, Vollzug einer augenblicklichen und als
solcher nicht wiederholbaren Unterscheidung. Eine O. ist ein Ereignis. O.en knüpfen
immer an O.en an (Anschlussfähigkeit), sind immer rekursiv (Rekursivität, Zirkula-
rität).“ Den Bezug des Notizzettels auf zwei Systeme hebt Buchholz als ein Spezi-
fikum heraus: „Aus systemtheoretischer Perspektive bedeutet das, dass der Notiz-
zettel mit dem Menschen als Bestandteil sozialer Systeme eben in diesen
verschiedenen Systemen anhand verschiedener Operationen und somit auch ver-
schiedener Systemgrenzen kommuniziert. Der Mensch, in diesem Fall der Student,
52 C. Gansel

wäre Produzent und Rezipient des Notizzettels. Er, als psychisches und physisches
System, erlebt also die beiden Seiten der Kommunikation des Ego und Alter des
Notizzettels.“ (Buchholz 2011, S. 208–209). Zeitlich versetzt im Vorfeld der Sprech-
stunde ist der Student Produzent, indem er des Fragens wertes und des Fragens nicht
wertes unterscheidet. In der Sprechstunde selbst wird der Notizzettel rezipiert und dient
der Operation der Gesprächsstrukturierung, um letztlich Notizen als Produzent zu
ergänzen. Anschlussfähigkeit und Rekursivität entstehen erst dann, wenn „die wissen-
schaftlichen und organisatorischen Informationen [. . .] durch die Transformation ins
Persönliche brauchbar“ (Buchholz 2011, S. 208), also durchdacht werden. „Der Notiz-
zettel hat dann die Funktion der losen strukturellen Kopplung zwischen dem psychi-
schen System und dem Funktionssystem Wissenschaft bzw. dem Organisationssystem
Universität.“ (Buchholz 2011, S. 208). Es sei ergänzt, dass der binäre Code des
Erziehungssystems (z. B. besser lernen/schlechter lernen) die „Einheit der Operationen,
die das System reproduzieren“ (Baraldi et al. 1997, S. 139) lenkt. Letztlich wird
Buchholz mit seiner Beschreibung dem Mikro-Mikro-Link in der Ebenenheuristik
gerecht, nämlich der Beziehung zwischen Individuum und Interaktionssystem, in
dem das Individuum danach strebt, den positiven Wert des Codes zu erreichen.

4.4 Textsorten als Programm

Von einer Mehrebenenperspektive aus, so könnte interpretiert werden, sieht Christoph


Textsorten als Vorlage für Kommunikation und nicht als Kommunikationen. Sie
bringt den systemtheoretischen Begriff des Programms ins Spiel. „Programme
werden allgemein als Komplexe von Richtigkeitsbedingungen definiert. In Bezug
auf Codes stellen Programme Kriterien für die korrekte Zuschreibung der Codewerte
fest, so daß ein an ihnen orientiertes System strukturierte Komplexität erreichen und
den eigenen Verlauf kontrollieren kann.“ (Baraldi et al. 1997, S. 139) Von der Hand
zu weisen ist die Einbindung von Textsorten als Programme auf der Makroebene
nicht, denn Textsorten wie die Heilige Schrift oder Gesetze werden in der soziolo-
gischen systemtheoretischen Literatur explizit als Programme angegeben. Diese
Textsorten stellen wie Programme „die Bedingungen fest, die für die Realisierbar-
keit einer bestimmten Operation gegeben sein müssen“ (Baraldi et al. 1997, S. 139).
Dieser Einschätzung folgt Christoph: „Insofern sind sie systemtheoretisch als Pro-
gramm einzuordnen, denn auch Programme liefern als Beobachtungsschemata
Vorlagen für das Gelingen von Kommunikation.“ (Christoph 2008, S. 130). Für
die Textsorte Pressemitteilung macht dies Sinn, denn PR verbindet, so könnte man
sagen, zwei Makroperspektiven, die Christoph (2009) eingehend beschreibt: „Da die
Textsorte Pressemitteilung eine Vorlage für eine Kommunikation liefert, die die
Verbindung von Wirtschaft und Journalismus stützt, wird sie als Programm
der strukturellen Kopplung des Muttersystems mit dem System ‚Journalismus‘
eingeordnet.“ (Christoph 2008, S. 130, Hervorhebung im Original – C.G.). In der
Mesoperspektive müssen PR-Agenturen als Organisationen die Pressemitteilung
nutzen und sie entsprechend des jeweiligen Muttersystems ausgestalten. Und so
konstatiert Christoph weiter: „Insofern erscheint es schlüssig und folgerichtig, dass
Systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik 53

die Pressemitteilung als Kerntextsorte der PR eben dieser strukturellen Kopplung


dient.“ (Christoph 2008, S. 130–131).
In ihrer Diskussion zur Ausdifferenzierung eines Programmbereichs Meinung in
den Massenmedien führt Holtfreter (vgl. 2011, S. 342) aus, dass Textsorten in ihrem
Abstraktionsgrad Programmen ähneln. Weiter wird mit Bezug auf Luhmann argumen-
tiert: „Statt Personen und die sie umgebenden Situationen fassen Programme eines
Systems die Bedingungen des situationsgerechten Verhaltens zusammen.“ (Holtfreter
2011, S. 341) In einer solchen Herangehensweise kann Holtfreter (2011, S. 346)
zugestimmt werden: „Die autopoietische Reproduktion eines sozialen Systems wird
demnach nicht nur reguliert durch Code, Programme und die Funktion des Systems,
sondern auch durch Textsorten“, die jedoch – und dies sei ergänzt – aufgrund ihres für
das System generellen Charakters in makrostruktureller Perspektive zu betrachten sind
und mit ihren Regeln für Kommunikationen in die unteren Hierarchieebenen wirken.

5 Kerntextsorten, Textsorten der institutionell geregelten


Anschlusskommunikation und Textsorten struktureller
Kopplung

Die für diesen Abschnitt relevanten Textsortenkategorien sind in der systemtheore-


tisch orientierten textsortenlinguistischen Literatur bereits eingeführt und definito-
risch bestimmt worden (vgl. Gansel und Jürgens 32009; Gansel 2011a). Ihr Ver-
hältnis zueinander wurde in Untersuchungen zur Pressemitteilung (Christoph 2011),
zu Notizzetteln der Hochschulsprechstunde (Buchholz 2011), zur Musikkritik
(Holtfreter 2013), zu Gewinnspielkooperationen (Neumann 2011), Sozialenzykliken
(Kroll 2016) oder Arzneimittelanzeigen in der Fach- und Publikumspresse (Guder
2016) diskutiert. In der Perspektive der Ebenenheuristik erscheint es produktiv, die
Begrifflichkeiten weiterhin zu reflektieren und gegebenenfalls zu präzisieren. Dabei
ist nach bisherigem Erkenntnisstand davon auszugehen, dass je nach zu beschrei-
bender Textsorte in einer Ebenenheuristik die Einordnung korpusgestützt erfolgen
muss und dies ein komplexes Unterfangen ist, das eine textsortenlinguistische
Mehrebenenbeschreibung (Soziale Dimension und Kontext, Funktionalität, Thema-
tizität, Formulierungsadäquatheit) erfordert.

5.1 Kerntextsorten

Kerntextsorten sollen als Textsorten gelten, die offensichtlich in einem spezifischen


kontextuellen Rahmen fungieren, der systemtheoretisch als Interaktion, Organisation
oder funktional ausdifferenziertes gesellschaftliches Teilsystem beschrieben wird.
Kerntextsorten sind konstitutiv für das Kommunikationssystem derartiger sozialer
Systeme. In Kerntextsorten wird auf der Grundlage der Sinnverarbeitungsregeln, also
auf der Grundlage der Systemlogik, eines sozialen Systems kommuniziert, um das
System zu konstituieren. Das heißt in der Kommunikation müssen das jeweilige
Erfolgsmedium und der Code des Systems als nicht direkt zugängliches Wissen
54 C. Gansel

mitgeführt werden und in die Textoberfläche eingeschrieben erkennbar sein. In Kern-


textsorten werden die spezifischen Elemente des eigenen Systems immer wieder gekop-
pelt (System-zu-sich-selbst-Beziehung). Solche Textsorten wären beispielsweise für das
Recht – Gesetze, Gerichtsurteile; für das System der Massenmedien/des Journalismus –
Bericht, Kommentar oder Reportage; für die Religion – Heilige Schrift oder Predigt. In
Kerntextsorten werden die spezifischen Elemente des eigenen Systems reproduziert. Sie
dienen der Autopoiesis (der Selbstreflexion und Selbstreproduktion) des Systems.
Gerade in historischer Sicht sind Kerntextsorten solche, die als Struktur ein
soziales System mittragen, in ihrer Entwicklung zur Konstituierung eines Systems
beitragen. Schuster (2008) zeigt zum Beispiel am „Aufstieg und Fall“ der psychatri-
schen Krankengeschichte deren Beitrag zur Entwicklung der Psychiatrie. Stichweh
(1996) hebt den wissenschaftlichen Aufsatz als konstitutiv für das Kommunikati-
onssystem der Wissenschaft hervor. Neuere Forschungsergebnisse zu Schulschrif-
ten/Schulprogrammen des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts werden als Textsorten-
verbund gesehen, in dem die Sinnverarbeitungsregeln, d. h. die Systemlogik des
funktionalen Systems Erziehung explizit in unterschiedlichen Formen der Selbstbe-
schreibung reflektiert, ausgehandelt und sprachlich verfestigt (also signifikativ)
werden (vgl. Markewitz 2017; Gansel 2017).
Wie bereits ausgeführt können Textsorten mit einem hohen determinierenden
Stellenwert Programme darstellen, in diesem Sinne sind auch diese makroperspek-
tivisch Kerntextsorten.
Kerntextsorten lassen sich weiterhin mikroperspektivisch verorten, wenn sie
zentral für die Konstituierung eines Interaktionssystems sind. Als Beispiel sei der
Liebesbrief für das System der Intimbeziehung genannt.

5.2 Textsorten der konventionalisierten, institutionell


geregelten Anschlusskommunikation4

Als Folge der generellen Notwendigkeit der Anschlusskommunikation bilden sich


gerade in Organisationen oder Institutionen feste konventionalisierte Folgen von
Textsorten heraus, die „verfahrensmäßig geregelt(en)“ (Klein 1991, S. 251) reali-

4
Adamzik (vgl. 2016, S. 134) bezweifelt die Möglichkeit der Abgrenzung von Textsorten der
konventionalisierten, institutionell geregelten Anschlusskommunikation von solchen der strukturellen
Kopplung. Sie verweist völlig zu Recht auf die Existenz nicht-konventionalisierter Textsortenketten
im Sinne der „genre chains“ Fairclough (2004). Mit dem Konzept der genre chains nach Fairclugh
(2004) ist die Möglichkeit angesprochen, Textsortenketten in andere Zusammenhänge zu setzen, sie
zu rekontextualisieren und zu modifizieren. Derartige Aspekte können in diesem Beitrag durch die
systematische Anbindung an die kommunikationswissenschaftliche Ebenenheuristik nicht berück-
sichtigt werden. In diesem Sinne ist Adamzik zuzustimmen, wenn sie schreibt, dass es sich bei dem
Begriff der Textvernetzungen „um ein ganzes Bündel von Phänomenen handelt, denn Texte sind auf
vielfältige Weise miteinander verknüpft“ (2016, S. 334). Hier soll davon ausgegangen werden, dass
Textvernetzungen von Beziehungen zwischen Texten (z. B. intertextueller Art) zu trennen sind, ja
getrennte Beobachtungen und Beobachtungskategorien erfordern. Deshalb sollen die oben aufge-
führten Begrifflichkeiten nach jetzigem Erkenntnisstand beibehalten werden.
Systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik 55

siert werden. Für die universitäre Kommunikation wäre das beispielsweise eine
solche Kette von professionalisierten Textsorten: Beantragung eines Themas für eine
Abschlussarbeit – Genehmigung des Themas – Benachrichtigung des Betreuers über
die Genehmigung des Themas durch den Prüfungsausschuss – Wissenschaftliche
Abschlussarbeit – Gutachten. Der hier gewählte Begriff der konventionalisierten,
institutionell geregelten Anschlusskommunikation kann an den Begriff der Textsor-
tenkette anschließen, wie er in der amerikanischen textlinguistischen Literatur (vgl.
Bazerman 1988) genutzt wird. Es wird dabei von einem Textsortensystem ausgegan-
gen, in dem Textsorten systematisch aufeinander bezogen werden. Bazerman (1988)
zeigt dies am Beispiel des amerikanischen Patentverfahrens.
Letztlich sind derartige Textsorten erforderlich, um Beziehungen zwischen
Akteuren der Subsysteme eines Organisationssystems, wie die Universität eines
ist, herzustellen. „Wenn ein System in Subsysteme differenziert ist, müssen zugleich
integrierende Mechanismen identifizierbar sein, die verhindern, dass das System
zerfällt.“ (Schneider 2002, S. 352). Derartige Beziehungen zwischen Lehre und
Prüfungsamt werden durch zahlreiche Textsorten operativ gestützt.
Luhmann hat den Begriff Anschlusskommunikation allgemeiner genutzt, und
zwar im Sinne einer generellen Notwendigkeit des Aneinanderanschließens von
Kommunikation. Wir nutzen den Begriff in einem spezielleren Sinne, mit dem wir
die in Organisationen geregelten und konventionalisierten Anschlusskommunika-
tionen im Sinne des Anschlusses einer Textsorte an eine andere erfassen möchten.
Als Textsorten der konventionalisierten, institutionell geregelten Anschlusskom-
munikation bezeichnen wir Textsorten, die die Reaktion auf das Kommunikations-
angebot des eigenen Systems bedeuten und diese erfordern (Beziehungen zwischen
Subsystemen). Selbstverständlich führen auch diese Textsorten die Sinnverarbei-
tungsregeln des Systems jeweils mit. Entsprechend lassen sich die in diesem
Abschnitt klassifizierten Textsorten in den Meso-Mesointern-Link einbinden.5

5.3 Textsorten der strukturellen Kopplung

Interessant für die Erschließung von Textsorten als Strukturen der Kommunikation
eines sozialen Systems ist der Begriff strukturelle Kopplung, der im Folgenden
behandelt werden soll. Der komplizierte und hochkomplexe Begriff bildet eine
Beobachtungsfigur, er soll dazu genutzt werden zu erschließen, wie soziale Systeme
mit eigenen Kommunikationen auf ihre äußere Umwelt (nicht auf interne Subsys-
teme) Bezug nehmen. Es geht bei diesem Begriff letztlich um Beziehungen zwi-
schen Systemen. In der eben vorgestellten Abbildung (Tab. 1) zu der Ebenenheu-

5
Angeregt durch paradigmatische und syntagmatische Relationen zwischen Ausdrücken entwickelt
Adamzik (2011, S. 374; 2016, S. 341) den Begriff der Textsortenkette für syntagmatische Relatio-
nen zwischen Textsorten. Der Ansatz kann hier für Textsorten der konventionalisierten, institutio-
nell geregelten Anschlusskommunikation greifen, die Einbindung in einen kommunikationswis-
senschaftlichen Rahmen setzt allerdings andere Prämissen.
56 C. Gansel

ristik stehen Textsorten der strukturellen Kopplung in der Nähe des Makro-Makro-
Links und des Meso-Mesoextern-Links.
Ausgangspunkt für die Nutzbarmachung der Kategorie der Textsorten der struktu-
rellen Kopplung ist die systemtheoretische Erkenntnis, dass soziale und psychische
Systeme geschlossen – in den eigenen Strukturen – operieren. Sie sind operativ
geschlossen, aber dennoch umweltoffen. Systeme sind mit der Umwelt durch
Irritationen und Einflussmöglichkeiten verbunden, dauerhafte Beziehungen zwischen
sozialen Systemen bezeichnet Luhmann als „strukturelle Kopplungen“ (1998, S. 117).
Strukturelle Kopplungen zur Umwelt werden als Ergebnis und Folge der Auto-
poiesis gesehen. „So kann autopoietische Schließung nicht entstehen, ohne dass sich
das Umweltverhältnis in strukturelle Kopplungen umformt, die bestimmte Abhän-
gigkeiten steigern und andere wirksam ausschließen.“ (Luhmann 1998, S. 779)
Um es einfacher zu sagen, es geht immer darum, was aus der Umwelt (Kopplung
durch Wahrnehmung oder Beziehung zu X) für psychische oder soziale Systeme
relevant sein kann und sich in eigene Strukturen (strukturell) umbauen lässt. Herge-
stellte Beziehungen zur Umwelt zeigen sich in einer Struktur. Da Textsorten als
Strukturen von Kommunikation bearbeitet wurden, müssten sich die von Luhmann
erdachten Kopplungen auch in diesen Strukturen, also in Textsorten, zeigen. Jeden-
falls geht er davon aus, dass strukturelle Kopplungen „alle möglichen Formen
annehmen, solange sie mit der Autopoiesis des Systems kompatibel sind“ (2004b,
S. 120). Strukturelle Kopplungen müssten demnach in geformter Sprache als Ober-
flächenphänomene greifbar werden.
Einige Beobachtungen in der Figur der Kopplung sollen sich anschließen, um auf
mögliche Formen struktureller Kopplung aufmerksam zu machen. Die hier heraus-
gestellten Möglichkeiten stellen kein geschlossenes System dar, basieren jedoch auf
systemtheoretisch orientierten Textsortenuntersuchungen:
Massenmedien sind an das Wirtschaftssystem oder das politische System oder
das Kunstsystem über Themen gekoppelt. Massenmedien haben kein spezifisches
Thema. Über die ausgewählten Themen erreichen sie alle Gesellschaftsbereiche und
alle Gesellschaftsbereiche werden auf sie aufmerksam (vgl. Luhmann3 2004a).
Mit der Beobachtungsfigur der strukturellen Kopplung arbeitet gleichfalls Kroll
(2016) in ihrer Dissertation zur Untersuchung von Sozialenzykliken im Religions-
system. Auf der Ebene der strukturellen Kopplung zeigt Kroll, „zu welchen anderen
Systemen das Religionssystem mithilfe der Sozialenzykliken strukturelle Kopplun-
gen unterhält und auf welche Weise diese entstehen“ (Kroll 2016, S. 220). Dabei
geht sie davon aus, „dass die strukturellen Kopplungen die Beziehung eines Systems
zu seinen Umweltvoraussetzungen beschreibt“ (Kroll 2016, S. 220). In ihrer Unter-
suchung weist Kroll allerdings auf die Schwierigkeiten hin, strukturelle Kopplungen
auf der Textoberfläche zu operationalisieren. Sie stellt fest, dass lexikalische Ele-
mente Indikatoren für strukturelle Kopplungen darstellen können, entscheidet sich
jedoch für die Untersuchung von Themen. Damit folgt sie Luhmann (32004a), der
feststellt, dass die Massenmedien über Themen koppeln. „Das Religionssystem ist
als funktional aus der Gesellschaft ausdifferenziertes Teilsystem operativ geschlos-
sen, aber umweltoffen. Es empfängt Störungen bzw. Irritationen aus der Umwelt und
ist strukturell an diese gekoppelt. Diese strukturellen Kopplungen finden über
Systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik 57

Themen statt, die ein Produkt der Systeme in der Umwelt des Religionssystems sind,
jedoch von diesen in seinen eigenen Strukturen behandelt werden.“ (Kroll 2016,
S. 223) Die Befunde Krolls verweisen insbesondere auf durch Lexeme indizierte
Themen aus dem Wirtschaftssystem (z. B. Arbeit), der Politik (z. B. Diktatur, Demo-
kratie), des Rechts (z. B. Eigentumsrecht) und in absteigender Folge aus der Familie
(z. B. Eltern, Familienglück), der Wissenschaft (z. B. Fachleute, Forschung) und der
Erziehung (z. B. väterliche Gewalt) (2016, S. 227). Kroll begründet die strukturellen
Kopplungen mit Themen aus der Systemumwelt mit der Anschlussfähigkeit des
Religionssystems an seine gesellschaftliche Umwelt, um sich als Teilsystem der
Gesellschaft zu behaupten und zu rechtfertigen (vgl. Kroll 2016, S. 231).
Busses (2000, S. 662) Textsorten rechtsdurchwirkter Bereiche können im Sinne
struktureller Kopplungen interpretiert werden, weil sie Ausdruck fester Beziehungen
zwischen funktionalen Teilsystemen sind. Als Beispiel seien Studien- und Prüfungs-
ordnungen benannt, die für Studierende wie Lehrende Rechtssicherheit herstellen.
Der Grund dafür, dass für derartige Zusammenhänge der Begriff der strukturellen
Kopplung beibehalten werden soll, ist der, dass unterschiedliche Systemlogiken in
die Ordnungen eingeschrieben werden. Zwar bilden sich Stabsstellen oder Justi-
ziariate in Universitäten heraus, die als Subsysteme behandelt werden können, aber
auf der Grundlage anderer Prämissen arbeiten als Erziehung und Wissenschaft.
Als Beispiele struktureller Kopplungen zwischen Funktionssystemen der moder-
nen, ausdifferenzierten Gesellschaft nennt Luhmann selbst u. a. die folgenden:

• Verfassung koppelt Recht und Politik


• Eigentum/Vertrag koppeln Wirtschaft und Recht
• Zeugnisse koppeln Erziehung und Wirtschaft. (vgl. Luhmann 1998, S. 781 ff.)

Bemerkenswert ist dabei, dass doch zumeist jeweils eine Textsorte (Zeugnis,
Vertrag, Verfassung), also schriftliche Fixierungen für die Verbindung und somit
für das Fortbestehen der beteiligten Systeme sorgt, ohne jedoch in die Operationen
des jeweils anderen Systems einzugreifen.
Es verwundert nicht, dass die gesellschaftliche Kommunikation ein spezifisches
System wie die Public Relations (PR) ausgebildet hat. Christoph (2009) stellt in ihrer
Dissertation heraus, dass PR ein System zur strukturellen Kopplung bildet und damit
eine weitere Strukturbildung oder Strukturselektion darstellt. Diese wird von unter-
schiedlichen Muttersystemen benutzt, um mit der Gesellschaft, mit der Systemum-
welt zu kommunizieren. Christoph definiert PR wie folgt:

„PR bezeichnet die Kommunikationshandlungen einer Organisation mit ihrer Umwelt. Sie ist
interessengesteuert und dient der strukturellen Kopplung des Muttersystems mit relevanten
Umweltsystemen, insbesondere mit dem Journalismus. PR unterstützt die Funktion des Mut-
tersystems, indem sie diese gegenüber den relevanten Umwelten legitimiert.“ (2009, S. 82)

Es folgt jedoch ebenso eigenständigen Gesetzmäßigkeiten, die sich darin zeigen,


dass sich entsprechende Textsorten, in denen operiert wird, bilden. Als Kerntext-
sorten der PR ermittelt Christoph (2009) Presseverteiler, Pressemitteilung und
58 C. Gansel

Pressespiegel. Diese Textsorten bilden die „Mindestvoraussetzung“ (Christoph


2009, S. 82) für das „Betreiben von PR“. Aus der Spezifik des Systems resultiert
nun jedoch, dass die Kerntextsorte Pressemitteilung gleichzeitig auch eine Textsorte
der strukturellen Kopplung ist. Sie wurde in der gesellschaftlichen Kommunikation
eigens dazu eingerichtet, die Kommunikation zwischen dem Muttersystem der
jeweiligen PR und dem Journalismus zu erleichtern. Die Textsorte Pressemitteilung
bildet somit wiederum eine Strukturselektion. Sie ist grundlegend für das Funktio-
nieren von PR und die Bildung von PR-Subsystemen bei einem Muttersystem. Sie
resultiert letztlich aus den Schwierigkeiten, die soziale Systeme dabei haben, „ihre
Themen den Massenmedien anzubieten und die sachgemäße Aufnahme des Themas
zu erreichen“ (Luhmann 32004a, S. 22).
PR-Ordnungen oder Presseabteilungen gibt es als Subsysteme bei verschiedenen
sozialen Systemen – als Ordnung/Subsystem von Unternehmen, Universitäten, von
Institutionen des Sports oder des Rechts. Pressemitteilungen bilden von daher eine
Textsorte im Kommunikationsprozess zwischen dem Muttersystem und dem Jour-
nalismus und weisen Merkmale der Kommunikation beider Systeme auf (vgl.
Christoph 2009).
Neumann (2011, S. 230–234) ersetzt in Hinblick auf die von ihr untersuchten
Gewinnspielkooperationen den Begriff „Mischtextsorte“ durch Textsorte der struk-
turellen Kopplung. Sie begründet dies mit der Erkenntnis, dass die Textsorte eine
dauerhafte Bindung zwischen dem System der Massenmedien und dem der Wirt-
schaft herstellt und sich diese Beziehung in der Funktion der Textsorte wie in ihrer
sprachlichen Gestalt niederschlägt.
Guder (2016) zeigt in ihrer Dissertation zu Arzneimittelanzeigen in Fach- und
Publikumszeitschriften, dass Arzneimittelanzeigen Ausdruck der Beziehung zwi-
schen den Systemen Massenmedien, Wirtschaft und Medizin seien. Sie begründet
die Zuweisung zu der Kategorie der Textsorte der strukturellen Kopplung mit
entsprechenden Informationsselektionen, die sich auf die relevanten Systeme bezie-
hen und dadurch dauerhaft Kommunikation miteinander im Bereich der Werbung
ermöglichen.

6 Fazit

In der Zusammenschau des Beitrags lässt sich feststellen, dass eine systemtheoretisch
orientierte Textsortenlinguistik ein Begriffsinstrumentarium auf der Grundlage der
Systemtheorie Niklas Luhmanns entwickelt hat. Dieses Instrumentarium wurde
anhand einer Reihe korpusbasierter Textsortenuntersuchungen kritisch überprüft,
modifiziert und präzisiert. Es liegen damit neben weiteren, die hier nicht bearbeitet
werden konnten, Beobachtungskategorien vor, mit denen sich über die textlinguisti-
schen Kategorien hinaus Textsorten in ihrem gesellschaftlich-kontextuellen Funktio-
nieren angenähert werden kann. Die Vertiefung von Textsorten als Struktur auf der
Grundlage der Strukturationstheorie erwies sich als produktives Bindeglied zwischen
Systemtheoretisch orientierte Textsortenlinguistik 59

dem systemtheoretischen Vorgehen und der kommunikationswissenschaftlichen


Ebenenheuristik. Diese ermöglicht es, Textsorten als Phänomen der Mesoebene zu
verorten und Beziehungen zur Makro- wie zur Mikroebene aufzuarbeiten. Untersu-
chungen zur Mikroebene konnten lediglich angedeutet werden. Dennoch gehen alle
aufgeführten Untersuchungen zu Textsorten detailliert auf die Mikroebene ein, indem
tiefgründig und fundiert sprachliche Mittel analysiert werden. In Bezug auf die
Analyse und Verortung von Texten der Public Relations kann die Anknüpfung an
die kommunikationswissenschaftliche Ebenenheuristik sinnvoll sein, da sie als Text-
sorten auf der Ebene der Unternehmen/Unternehmenskommunikation verortet und
gleichermaßen die Beziehungen zur Makro- und Mikroebene untersucht werden
können.

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Sprache und Public Relations aus
systemtheoretischer Sicht

Marcus Simon

Zusammenfassung
Im folgenden Artikel wird auf den Stellenwert von Sprache innerhalb der Sys-
temtheorie unter Bezugnahme auf Talcott Parsons und insbesondere auf Niklas
Luhmann eingegangen. Es wird das Verhältnis von Sprache zu den Begriffen
Kommunikation, Medium und Sinn betrachtet und auf die Funktion der Sprache
bei der Leistungserbringung im Teilsystem Public Relations eingegangen.
Gezeigt wird, dass der Begriff Sprache in der Systemtheorie eine untergeordnete
Rolle spielt und für die Public Relations Anknüpfungspunkte an die Textlingu-
istik für die Ausgestaltung der Praxis zielführender sind.

Schlüsselwörter
Systemtheorie • Sprache • Public Relations • Kommunikation • Medium • System

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
2 Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3 Sprache, Kommunikation und System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
4 Medium, Form und Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
5 Public Relations als System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
6 Sprache und Public Relations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
7 Zusammenfassende Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
8 Kritischer Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

Dieses Kapitel wurde in Zusammenarbeit mit Susanne Müller erstellt


M. Simon (*)
International School of Management, München, Deutschland
E-Mail: marcus.simon@ism.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 63


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_4
64 M. Simon

1 Einleitung

Die Sprache führt ein Schattendasein in der Systemtheorie, die – zumindest in ihrer
Luhmannschen Version1 – für sich in Anspruch nimmt, eine „Supertheorie“ zu sein,
mit deren Hilfe alle gesellschaftlichen und sozialen Erscheinungen erklärt werden
können. Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Zum einen gäbe es Möglichkei-
ten, an klassische strukturalistische Theorien der Sprachwissenschaft anzuknüpfen,
zum anderen wird dem Begriff „Kommunikation“ bei Luhmann eine grundlegende
Bedeutung als basales Letztelement für die Konstitution und den Erhalt von sozialen
Systemen beigemessen. Das wirft Fragen über den Zusammenhang der Begriffe
„Sprache“ und „Kommunikation“ auf.
Der Rekurs auf die Linguistik unterbleibt allerdings auch bei Talcott Parsons.
Und das obgleich Ferdinand de Saussure konstatierte: „Die Sprache ist ein System,
das nur seine eigene Ordnung zulässt“ (Saussure 1969, S. 27). Schon die Wortwahl
lädt dazu ein, die strukturalistisch-sprachwissenschaftliche Auffassung von Sprache
in die Theorie sozialer Systeme zu integrieren oder zumindest Anregungen daraus zu
schöpfen. Nichts dergleichen findet statt. Weder in der struktur-funktionalen Sys-
temtheorie nach Talcott Parsons, noch in der funktional-strukturellen Systemtheorie
nach Niklas Luhmann ist Sprache ein bedeutender Baustein für den Blick auf
gesellschaftliche Zusammenhänge.
Vor diesem Hintergrund fragt der Artikel danach, welchen Stellenwert die Spra-
che in den oben genannten Theorien einnimmt. Luhmann verortet Sprache nicht in
einem konkreten System-Bereich. Er sieht darin ein Medium, das sowohl in den
Operationalisierungsbereich psychischer als auch sozialer (und hierzu zählt auch das
Teilsystem Public Relations) Systeme hineinragt und eine Verbindung zwischen
beiden herstellt. Parsons wiederum weist Sprache einen Platz im kulturellen System
zu. Public Relations verortet er dagegen wie Luhmann im Bereich sozialer Systeme.
Wie die Anschlussfähigkeit zwischen psychischen und sozialen Systemen zu bewer-
ten ist und welche Rollen hierbei „Sprache“ auf der einen und „Kommunikation“,
„Medium“ und „Code“ auf der anderen Seite zukommen, soll im Folgenden geklärt
werden.
Der Beitrag möchte auch Antworten darauf geben, welche Implikationen dies
für das Teilsystem Public Relations hat. Dargestellt wird, welche Funktion Public
Relations für das übergeordnete unternehmerische System übernimmt und wie
sich Input-Output-Aufgaben der Public Relations an der Schnittstelle zwischen
System und Umwelt einordnen lassen. Gefragt wird, welchen Stellenwert Spra-
che im Austausch innerhalb eines Systems und mit anderen Systemen einnimmt.
Es soll demnach dargestellt werden, was die Antworten auf die Stellung von
Sprache in der Systemtheorie nach Luhmann und Parsons einerseits sowie nach
der Funktion des Teilsystems Public Relations innerhalb der Theorie sozialer

1
Dass es „die“ Systemtheorie nicht gibt, wird häufig hervorgehoben (vgl. Kaplan 1968, S. 30;
Schweizer 1979, S. 12; Kunczik 2010, S. 176).
Sprache und Public Relations aus systemtheoretischer Sicht 65

Systeme andererseits für die sprachlichen Formungen und die Kommunikation


der Public Relations haben.
Hierzu wird zunächst ein kurzer Überblick über die Forschung gegeben
(Abschn. 2). Es fügt sich die Darstellung des Zusammenhangs von Sprache und
Kommunikation (Abschn. 3) sowie eine Erläuterung der Begriffe Medium, Form
und Sinn (Abschn. 4) aus systemtheoretischer Perspektive an. Die Spezifika der
Organisationskommunikation werden anhand des Teilsystems Public Relations vor-
gestellt und mit einem Exkurs zum Thema Vertrauen in Organisationen verknüpft
(Abschn. 5). Den Abschluss markiert die Beantwortung der Frage nach dem Zusam-
menhang von Sprache und Public Relations (Abschn. 6).

2 Stand der Forschung

Zum Thema Sprache in der Systemtheorie gibt es nur äußert wenige Vorarbeiten.
Hier wird weitgehend Neuland betreten.
Giesecke versucht, de Saussures Theorie anschlussfähig an die Systemtheorie zu
machen und schwenkt von einer sprachwissenschaftlichen auf eine kommunikati-
onswissenschaftliche Betrachtungsweise ein. Er setzt die beiden Begriffe Sprache
und Kommunikation synonym und will aufzeigen, dass die Systemtheorie besser
geeignet sei, Kommunikation innerhalb von Gesellschaften abzubilden, als die
strukturalistische Linguistik nach de Saussure (vgl. Giesecke 1987).
Künzler untersucht den Begriff generalisierter Austauschmedien bei Parsons und
Luhmann und geht dabei auch auf den Aspekt Sprache ein. Im Mittelpunkt seiner
Ausführungen stehen die Austauschmedien auf der Makroebene sozialer Systeme.
Bei Parsons sind dies Geld, Macht, Einfluss und Wertbindung; bei Luhmann die
Medienarten Wahrheit, Geld, Macht, Liebe, Recht, Kunst, Glaube, Einfluss und
Wertbindung. Die Verbindung von Sprache und Medien über die Systemgrenzen
hinweg, wird jedoch nicht deutlich (vgl. Künzler 1986; Künzler 1987).
Schweizer rückt den Aspekt der Informationsverarbeitung in Linguistik und
Systemtheorie in den Mittelpunkt und untersucht Anknüpfungspunkte zwischen
der kybernetischen Systemtheorie und der Computerlinguistik. Die Anwendung
systemtheoretischer Grundlagen auf Fachfragen der Linguistik und automatisierter
Informationsverarbeitung stellt jedoch für den geplanten Artikel und seine Ausrich-
tung keinen Erkenntnisgewinn in Aussicht (vgl. Schweizer 1979).
Für Gansel ist die Textlinguistik in der Lage, das Defizit in der Betrachtung von
Sprache innerhalb der Systemtheorie durch kommunikativ-pragmatische Betrach-
tungen zu beheben. Der von ihr herausgegebene Sammelband nähert sich der
Systemtheorie aus textlinguistischer Perspektive unter Bezugnahme auf den gemein-
samen Gegenstand Kommunikation. Im Mittelpunkt steht die kommunikativ-
pragmatische Frage nach formalen und inhaltlichen Zusammenhängen zwischen
den Text konstituierenden Sätzen. Bei der Betrachtung von Textfunktion und Text-
sorten werden auch Aspekte der Sprachgestaltung mitberücksichtigt (vgl. Gansel
2008). Die Frage ist, wie viel von den systemtheoretischen Implikationen bei einem
solchen Vorgehen noch übrig bleibt.
66 M. Simon

3 Sprache, Kommunikation und System

Sprache beruht auf gesellschaftlichen Übereinkünften. Konventionen formen den


Sprachgebrauch, der Sprachgebrauch formt jedoch auch die gesellschaftliche Wahr-
nehmung. Diese Dialektik wirkt bei der Evolution von Gesellschaft mit, ihrer
Entwicklung und ihrem Fortschreiten. Und auch auf der Ebene der Sprache selbst
hinterlässt diese Wechselwirkung und gegenseitige Durchdringung ihre Spuren,
etwa indem de Saussures Unterscheidung von „langue“ und „parole“ als Differenz
von Sprachstruktur und Sprachanwendung gekennzeichnet wird. Für de Saussure
steht fest, dass Sprache ein System bildet, das in jedem Individuum vorhanden ist –
allerdings nur bruchstückhaft, denn „vollkommen existiert sie nur in der Masse“
(Sausssure 1969, S. 16). Demnach ist Sprache durch eine zutiefst soziale Kompo-
nente geprägt, sie bildet ein Band zwischen sprechenden Individuen und ist „ihrer
Wesenheit nach sozial und unabhängig vom Individuum“ (Sausssure 1969, S. 22).
Sprache bildet ein System von Zeichen, deren Charakteristikum die Verbindung von
Sinn und Lautzeichen darstellt (vgl. Saussure 1969, S. 18).
Talcott Parsons folgt de Saussure bei der Einschätzung der Sprache als ein
Zeichensystem. Allerdings verortet er dieses Zeichensystem nicht im Bereich sozia-
ler Systeme, sondern im kulturellen System. Ausgangspunkt von Parsons’ Über-
legungen ist die Frage nach den Wechselbeziehungen zwischen Elementen innerhalb
einer Theorie eines allgemeinen Handlungssystems. Handlungen strukturieren, sys-
tematisieren und bringen Ordnung in die Welt. Für Parsons gliedert sich ein allge-
meines Handlungssystem ganz grundsätzlich in vier Subsysteme (auch als AGIL-
Schema bekannt), d. h. Handeln ist abhängig von vier Bedingungen:

• vom Verhalten des Handelnden, seinen Bedürfnissen und Trieben (der Verhal-
tensorganismus sorgt für die notwendige Anpassungsfähigkeit),
• von der Persönlichkeit des Handelnden, seiner psychisch-motivationalen Kon-
stitution (das Persönlichkeitssystem ist für die Zielverwirklichung des überge-
ordneten Handlungssystems verantwortlich),
• von den Rollenerwartungen, die an Handlungen in sozialen Interaktionszusam-
menhängen geknüpft sind (das soziale System erbringt die Integrationsleistung)
sowie
• von den Werten und Normen, die der Handelnde mit anderen Handelnden teilt
(das kulturelle System ist für die Normerhaltung zuständig) (vgl. Parsons 2009,
S. 12).

Sprache ist in diesem Konstrukt dem kulturellen System zugeordnet. Sie liefert
somit die strukturellen Rahmenbedingungen für Interaktion, Kommunikation und
Austausch, deren notwendige Voraussetzung sie darstellt (vgl. Parsons 1968, S. 437;
Parsons 1976a, S. 121).
Für Parsons ist Sprache ein grundlegendes Austauschmedium, dessen primäre
Funktion es ist, Kommunikation auf individueller Ebene innerhalb des kulturellen
Systems zu gewährleisten. Daneben sind innerhalb der Gesellschaft als eines genuin
sozialen Systems andere Austauschmedien wirksam. Auch soziale Systeme lassen
Sprache und Public Relations aus systemtheoretischer Sicht 67

Tab. 1 Die vier Subsysteme des


Subsysteme der sozialen Systems Funktion Austauschmedium
Gesellschaft (angelehnt
Wirtschaft Anpassung Geld
an Parsons 2009, S. 20)
Politik Zielverwirklichung Macht
Gemeinwesen Integration Einfluss
Kultur Normenerhaltung Bindung

sich in vier Subsysteme unterteilen. Jedem dieser Subsysteme weist Parsons ein
spezifisches Austauschmedium zu (vgl. Tab. 1). Hierzu zählt Geld als „eine sehr
hoch spezialisierte Sprache“ (Parsons 1976b, S. 302), Macht, Bindung an kulturelle
Werte und Einfluss, verstanden als Fähigkeit, sich in gesellschaftliche Diskussionen
einzubringen und Konsensfindung zu unterstützen. Es handelt sich hierbei generell
um Medien, die den kommunikativen Austausch innerhalb des betreffenden Systems
sowie zwischen den Subsystemen organisieren. Nach innen wirken sie integrierend
und etablieren gleichzeitig „strukturelle Arrangements“ (Parsons 1976b, S. 305)
zwischen den Subsystemen eines Sozialsystems. Parsons vermutet, dass auch auf
der Ebene des generellen Handlungssystems spezifische Austauschmedien wirksam
sind, bleibt hierbei aber sehr vage (vgl. Parsons 1976b, S. 304 f.).
Dieser Grundgedanke von Parsons, Sprache als ein Verbindungsglied, als Inter-
aktionsmedium zwischen Systemen zu betrachten, wird von Niklas Luhmann auf-
gegriffen. Die Funktion der Sprache liegt ihm zufolge darin, Kommunikationssys-
teme und Bewusstseinssysteme strukturell zu koppeln. Das setzt voraus, dass beide
Systembereiche als getrennte betrachtet werden: Kommunikation findet ausschließ-
lich in sozialen Systemen statt. Das Individuum hingegen bildet ein eigenständiges
System, das unabhängig vom gesellschaftlichen (sozialen) System mittels Bewusst-
sein operiert. Der Mensch ist Luhmann zufolge nicht Teil der Gesellschaft, sondern
deren Umwelt zuzurechnen. Grundlegend ist hierbei die Unterscheidung in psychi-
sche Systeme (Bewusstseinssysteme) und soziale Systeme. Soziale Systeme wie die
Gesellschaft differenzieren sich in Teilsysteme wie Public Relations aus, die jeweils
spezifische Funktionen für das übergeordnete System übernehmen. Menschen lassen
sich nicht einzelnen sozialen Systemen zuordnen, da sie zeitgleich mehreren sozialen
Systemen durch die Übernahme von Rollen, etwa derjenigen eines PR-Mitarbeiters,
angehören. Der Mensch ist ein System eigener Art, ein psychisches System,2 das mit
sozialen Systemen strukturell gekoppelt ist und dennoch als eigenständiges Bewusst-
seinssystem operiert.
Wir haben es also prinzipiell mit zwei unterschiedlichen Systemarten zu tun: Für
das soziale System ist das basale Letztelement, um sich operativ zu reproduzieren,
die Kommunikation, für das Bewusstseinssystem ist es das Denken. Beide Sys-
temarten benötigen Medien, um ihre intrasystemischen Handlungen vornehmen zu

2
Streng genommen ist der Mensch eine strukturell gekoppelte Einheit der Differenz von organi-
schem System und psychischem System. Der Einfachheit halber wird im Folgenden nur auf die
sinnstiftende Komponente dieser Einheit, das psychische System, im Zusammenhang mit Indivi-
duen eingegangen.
68 M. Simon

können, aber auch, um mit anderen Systemen interagieren zu können. Ein solches
Interaktionsmedium ist die Sprache. Sie verfügt über keine eigene Operationsweise
und ist deshalb auch nicht als eigenständiges System zu betrachten. Als Interakti-
onsmedium muss sie entweder im Denken oder im Kommunizieren vollzogen
werden (vgl. Luhmann 2002a, S. 112). Interaktionsmedien wie die Sprache bilden
spontane, temporäre Formen aus, die auf den Austausch zwischen Anwesenden
beschränkt sind. Sie sind somit geprägt durch die Differenz anwesend/abwesend.
An dieser Stelle ist Sprache das Bindeglied zwischen psychischen und sozialen
Systemen: „Anwesenheit bringt Wahrnehmbarkeit mit sich und insofern strukturelle
Kopplung an kommunikativ nicht kontrollierbare Bewußtseinsprozesse“ (Luhmann
2002a, S. 814).
Luhmann führt für dieses Phänomen der Interaktion zwischen den beiden opera-
tiv geschlossenen Systemarten den Begriff „Interpenetration“ ein. Durch Interpene-
tration mittels des Mediums Sprache wird im Bezugssystem das jeweils andere
System präsent gehalten, d. h. Bewusstseinssysteme werden durch Interpenetration
mit sozialen Systemen sozialisiert und soziale Systeme können durch Interpenetra-
tion die Eigentümlichkeiten von Menschen in körperlicher und mentaler Hinsicht in
ihre Operationen und Prozessabläufe einberechnen und in Kommunikation umwan-
deln (vgl. Luhmann 2001a S. 131). Voraussetzung für Kommunikation ist Wahr-
nehmung, die ausschließlich durch psychische Systeme geleistet werden kann, denn
Bewusstsein ist der Kommunikation vorgelagert. Ohne wahrnehmendes Bewusst-
sein ist Kommunikation nicht möglich.
Sprache ist in der Lage, Wahrnehmung zu ersetzen, an deren Stelle zu treten oder
diese zu aggregieren, führt Luhmann in Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunika-
tion aus. Ihre Aufgabe sei es allein, das Verstehen von Kommunikation zu steigern
(vgl. Luhmann 2001c, S. 81). Somit lässt sich Sprache als grundlegendes Aus-
tauschmedium betrachten, das Kommunikation ermöglicht, jedoch nicht selbst
Kommunikation ist, denn sie referiert nur auf einen der insgesamt drei Selektions-
vorgänge, die Kommunikation ausmachen, nämlich das Verstehen (s. u.). Durch
Sprache wird Sinn seiner Selbstreferenz enthoben und generalisiert. Nur so kann es
zur Interaktion zwischen verschiedenen Bewusstseinssystemen und zur Interpene-
tration zwischen Bewusstseinssystem und Kommunikationssystem bzw. zwischen
psychischem und sozialem System kommen. Dabei ist Sprache auf die Interaktion
unter Anwesenden beschränkt. Sie muss also zwangsläufig dem psychischen System
stärker zugeeignet sein, als dem sozialen.
Um diese Beschränkung aufzuheben, sind neben dem Medium Sprache andere
Medien notwendig, die die Bindung der Interaktion an Anwesenheit, Raum und
Zeit aufheben. Diese zweite Medienart nennt Luhmann Verbreitungsmedien, zu
denen er neben den (elektronischen) Massenmedien auch die Schrift zählt. Schrift
ist demnach ein Medium eigener Art und mit Sprache nicht zu verwechseln. Als
dritte und letzte Medienart, die erst entstehen kann, wenn Verbreitungsmedien die
Grenzen der Interaktion zwischen Anwesenden aufheben, sind die symbolisch
generalisierten Kommunikationsmedien zu nennen. Hierunter versteht er die
oben in Tab. 1 genannten Austauschmedien nach Parsons, die er um zwei weitere
ergänzt:
Sprache und Public Relations aus systemtheoretischer Sicht 69

• das Medium Wahrheit für das System Wissenschaft und


• das Medium Liebe für das System Intimbeziehungen (vgl. Luhmann 2001c,
S. 82).

Warum es gerade diese Medien sind, die er ergänzt, macht Luhmann nicht
deutlich. Generell knüpfen diese sechs symbolisch generalisierten Kommunikati-
onsmedien als Formen an Kommunikation an. Sie dienen der Umformung unwahr-
scheinlicher (verstanden als problematischer und erklärungsbedürftiger Kommuni-
kation) in wahrscheinliche Kommunikation und sind somit unerlässlich für das
Gelingen von Kommunikation. Da Medien als Erfüllungsgehilfen gelungener Kom-
munikation eingesetzt werden, ist es notwendig, den Begriff Kommunikation etwas
genauer zu betrachten.
Kommunikation ist nach Luhmann das basale Letztelement sozialer Systeme. Es
handelt sich dabei nicht um eine bloße Übertragung von Information. Kommunika-
tion besteht vielmehr aus der Einheit von drei Selektionsvorgängen. Zunächst wird
eine Information aus einem reichhaltigen Pool an Möglichkeiten ausgewählt. Diese
Information wird auf spezifische Weise mitgeteilt und erst durch das Verstehen dieser
beiden Selektionsvorgänge kommt Kommunikation zum Abschluss (vgl. Luhmann
2002b, S. 194 f.). Von Kommunikation lässt sich demnach erst sprechen, wenn die
Einheit der Differenz von Information und Mitteilung verstanden wird: „Im Verste-
hen erfaßt die Kommunikation einen Unterschied zwischen dem Informationswert
ihres Inhalts und den Gründen, aus denen der Inhalt mitgeteilt wird“ (Luhmann
2001b, S. 97). Geschieht dies nicht, handelt es sich um bloße Wahrnehmung und
nicht um Kommunikation. Wahrnehmung wiederum wird nicht in sozialen Systemen,
sondern in psychischen Systemen operationalisiert. Und an dieser Stelle kommt
wieder die Sprache ins Spiel: Sie fängt Wahrnehmung in symbolische Generalisie-
rung ein und macht sie mitteilbar. In der Definition von Kommunikation spielt sie
jedoch keine Rolle. Und das ist verstörend, da Luhmann selbst betont, dass bei der
Kommunikation immer auch psychische Systeme, also Individuen, beteiligt sein
müssen. Diese beteiligten Individuen, die bei Luhmann als Bewusstseinssysteme
fungieren, können von den Motivationen der anderen nichts wissen, was Konsens
im Sinne einer vollständigen Übereinstimmung ausschließt.3 Jedes Individuum ope-
rationalisiert für sich alleine als autopoietisches System. Und nur Kommunikation
innerhalb eines sozialen Systems ist „mit der Fähigkeit zur Selbstbeobachtung
ausgestattet“ (Luhmann 2002a, S. 85). So lässt sich die Dynamik gesellschaftlicher
Veränderung nur durch das Einwirken von Kommunikation auf und in sozialen
Systemen erklären und durch nichts anderes.
Wie bereits Künzler kritisch hervorhebt (vgl. Künzler 1987), ist die Rolle der
Sprache im Zusammenspiel der beiden Systemarten psychischer und sozialer Sys-

3
Hier scheiden sich die Wege von Luhmann und Habermas, der in seiner Theorie kommunikativen
Handelns gerade Konsens und Verständigung als einen Prozess der Einigung als Zielsetzung von
Kommunikation ins Zentrum seiner Überlegungen rückt, wonach Kommunikation darauf ausge-
richtet sei, Handlungen einvernehmlich zu gestalten (vgl. Habermas 1999).
70 M. Simon

teme bei Luhmann nur sehr kursorisch dargestellt und letztlich nicht abschließend
geklärt. Sprache wird in der Systemtheorie marginalisiert und auf Kosten des
Begriffs Medium weitestgehend ignoriert. Zwar wird sie als ein grundlegendes
Interaktionsmedium vorgestellt, das jedoch keinesfalls mit der Kommunikation
selbst verwechselt werden dürfe (vgl. Luhmann 2002a, S. 213 f.). Sprache als
Symbol generalisiert Sinn und Bedeutung und macht sie somit tauschbar. Als
Medium struktureller Kopplung zwischen psychischen und sozialen Systemen dient
sie einzig dazu, einen Unterschied zu markieren, eine Differenz, die von beiden
Systemen als Dasselbe erkannt wird. Sprache sorgt dafür, dass Wahrnehmung durch
Formung in Zeichen kommunizierbar wird. Sie macht die Unterscheidung zwischen
Information und Mitteilung eindeutig, so dass sie zum Objekt für Anschlusskom-
munikation werden kann. Sprache trifft eine Unterscheidung, da immer auch etwas
anderes gesagt werden kann. Als Medium ist sie ein Mittel für Anwesende, eigene
Operationen zu strukturieren, und sie existiert nur in diesen Operationen. In Abgren-
zung zur strukturalistischen Sprachtheorie stehen sprachliche Zeichen aus system-
theoretischer Sicht nicht für externe Referenten, sondern sind ausschließlich Arti-
kulationen der autopoietischen Selbstreferenzialität von psychischen und sozialen
Systemen. Es kommt also zu einer Entkoppelung zwischen Bezeichnetem und
Bezeichnendem. Die symbolische Wiederverwendbarkeit sprachlicher Generalisie-
rung schließt den Rekurs auf das Bezeichnete aus (vgl. Luhmann 2002a, S. 112).
Die Differenz, die durch die Sprache markiert wird, findet ihre Einheit im Code. Der
binäre Code der Sprache besteht darin, dass für alle Aussagen, die möglich sind, eine
positive und eine negative Fassung zur Verfügung gestellt wird (vgl. Luhmann
2002a, S. 221). Der Code vereint somit widerstreitende Eigenschaften, er sorgt für
die Einheit der Differenz. Darin liegt der Wert der Sprache als Interaktionsmedium:
Eine Mitteilung kann angenommen oder abgelehnt werden. Die Bewertung sprach-
licher Aussagen findet jedoch nicht in der Kommunikation statt. Ob eine Aussage als
wahrhaftig oder als Täuschungsversuch (z. B. Fake News) zu betrachten ist, obliegt
einzig dem psychischen (Bewusstseins-)System zu entscheiden. Im Kommunikati-
onssystem zeigt sich diese Bewertung durch die psychischen Systeme anschließend
durch Annahme oder Ablehnung von Folge- und Anschlusskommunikation (vgl.
Luhmann 2002a, S. 229 f.). Gleichzeitig betont diese Sichtweise nochmals, dass
Sprache nicht zur Verständigung und Formung von Übereinkunft und Konsens
herangezogen werden kann. Gesellschaftlicher Fortschritt ist nicht durch Sprache
zu begründen. Entscheidenden Anteil daran haben Luhmann zufolge, der dabei an
Parsons anknüpft, symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, die Sprache
lediglich voraussetzen.
Sprache ist für Luhmann ein mangelhaftes Interaktionsmedium. Er rechnet „zu
den schlimmsten Eigenschaften unserer Sprache“ (Luhmann 2002b, S. 115), dass
sie sich notgedrungen immer auf Satzsubjekte beziehe. Dies evoziere die aus seiner
Sicht falsche, weil einschränkende, Vorstellung, wonach Menschen im Zentrum von
Ereignissen stünden. Die Zurechnung von wirklichkeitsformenden Ereignissen auf
konkrete Personen, „denen irgendwelche Eigenschaften, Beziehungen, Aktivitäten
oder Betroffenheiten zugeschrieben werden“ (Luhmann 2002b, S. 115), bilde nur
eine vereinfachte Version gesellschaftlicher Realität ab.
Sprache und Public Relations aus systemtheoretischer Sicht 71

Die Entwertung der Sprache ist bei Luhmann inkonsequent. Einerseits ist es ein
Medium unter anderen, das lediglich Wirksamkeit in der Interaktion unter Anwe-
senden entfaltet, andererseits ist Sprache die Voraussetzung anderer Medien. Spra-
che ist zudem eine Art Steigbügelhalter für das Verständnis des Begriffs Sinn:
„Durch Sprache wird die Selbstreferenz von Sinn generalisiert, und dies mit Hilfe
von Zeichen, die selbst diese Generalisierung sind, also nicht im Hinweis auf etwas
anderes bestehen“ (Luhmann 2002a, S. 210). Und hier schließt sich der Kreis: Da
sowohl psychische als auch soziale Systeme sinnkonstituierend sind, wird Sprache
als geeignetes Interaktionsmedium benötigt.
Deutlich wird dies dort, wo Luhmann davon spricht, dass psychische Systeme auf
der Basis von Bewusstsein operieren, Bewusstsein gleichzeitig jedoch an Kommu-
nikation „als strukturdeterminiertes System und als Medium“ beteiligt ist (Luhmann
2001a, S. 121). Es ist also System und Medium zugleich. Wie löst Luhmann dieses
Paradox auf? Ein System besteht nicht aus Elementen und deren Beziehungen,
sondern aus Operationen. Im sozialen System sind diese Operationen Kommunika-
tion, im psychischen System Bewusstseinsvorgänge in Form von Wahrnehmung und
Denken. Zweifellos sind Menschen an Kommunikation in sozialen Systemen betei-
ligt. Sie sind jedoch immer Systeme eigener Art, die nicht mit sozialen Systemen
verschmelzen. So ist Bewusstsein zwar an der Kommunikation in sozialen Systemen
beteiligt, aber nie damit identisch. Was ein Mensch denkt, kann nicht kommuniziert
werden. Im sozialen System wird Bewusstsein allerdings dazu herangezogen, der
Kommunikation vorgelagerte Wahrnehmungen vorzunehmen und durch Überfüh-
rung in ein Medium (etwa Sprache) stimulierend auf Kommunikation einzuwirken
(vgl. Luhmann 2001a, S. 122 f.).

4 Medium, Form und Sinn

Da Sprache ein Medium ist, muss im Folgenden zunächst der Begriff Medium
schärfer umrissen werden. Luhmann versteht darunter sämtliche Einrichtungen,
deren Ziel und Nutzen es ist, unwahrscheinliche Kommunikation auf allen drei
Selektionsebenen (Information, Mitteilung und Verstehen) in wahrscheinliche zu
überführen (vgl. Luhmann 2001c, S. 81). Wichtiges Kennzeichen eines Mediums ist
die Differenz von loser und fester Kopplung seiner Elemente. Solche lose gekop-
pelten Elemente sind im Medium Sprache beispielsweise Laute und Wörter, die in
unendlich vielen, wenn auch Regeln unterliegenden Varianten zu festen Koppelun-
gen (Sätze) zusammengefügt werden können. Die daraus resultierende spezifische
Ordnung bestimmter Elemente ergibt eine Form. Die Form der Sprache ist beispiels-
weise eine Differenz von Laut und Sinn (vgl. Luhmann 2002a, S. 255). Sprachliche
Kommunikation ist also „prozessieren von Sinn im Medium der Lautlichkeit“
(Luhmann 2002a, S. 213). Nicht das Medium selbst ist beobachtbar, sondern die
Formen, die aus ihm gebildet werden können. Durch die Beobachtung dieser
Formen ergeben sich Alternativmöglichkeiten.
Soziale und psychische Systeme erzeugen ihre Autopoiesis durch Selbstbeob-
achtung. Sie unterscheiden also Unterscheidungen, damit Kommunikation und
72 M. Simon

Denken aufrechterhalten wird. Beide Systemtypen sind Sinnsysteme. Sie können


nicht ohne einander bestehen und sind aufeinander angewiesen. Beide Systemarten
sind selbstreferenzielle Systeme, die einerseits durch Bewusstsein, andererseits
durch Kommunikation operieren. Sinn wird in diesem Sinne von handelnden Indi-
viduen getrennt betrachtet und als Differenz von Potenzialität und der konkreten
Aktualisierung/Auswahl verstanden. Es ist eine Operation innerhalb von Systemen,
die tatsächliches Handeln, Erleben und Beobachten einschließt, darüber hinaus
jedoch auch das prozessieren alternativer Möglichkeiten mit in den Blick nimmt
(vgl. Luhmann 2002b, S. 93). Systeme beobachten sich selbst und ihre Umwelt. Der
Prozess der Selbstbeobachtung ist darauf angewiesen, dass etwas ausgewählt und
damit anderes weggelassen wird. Diese Auswahloperation wird von Sinnsystemen
immer wahrgenommen und mitbeobachtet. Sinn lässt sich dadurch generell als
elementare Komplexitätswahrnehmung anhand von Unterscheidungsmöglichkeiten
beschreiben, anders gesagt: Sinn stiftet eine auf Selektion basierende Beziehung
zwischen Systemen und ihrer Umwelt. Diese Unterscheidungen werden in Form von
Sinndimensionen abgebildet, die es erlauben, die Auswahl auf Erwartbares im
Zusammenhang mit Denken (psychisches System) und Kommunikation (soziales
System) hin einzuschränken. Luhmann definiert drei Dimensionen, die gemeinsam
operationalisiert werden müssen, um Sinn herzustellen (vgl. Luhmann 2002b,
S. 114 ff.):

• Die Sachdimension erlaubt die Zurechnung von Sinn auf die Anregung von
Themen, was in psychischen Systemen als Intention und Erleben, in sozialen
Systemen als Kommunikation und Handeln geschieht. Auf der Ebene der Sach-
dimension differenziert Sinn in ein Innen und ein Außen sowie thematisch in ein
Dieses und Anderes. Eine Sinnselektion, die der Umwelt zugerechnet wird, ist als
„Erleben“ zu charakterisieren. Eine Sinnselektion, die dem System zugerechnet
wird, ist als „Handeln“ zu charakterisieren (Differenzmerkmal der Sachdimen-
sion: System/Umwelt).
• Die Zeitdimension erlaubt die Zurechnung von Sinn auf Abfolge und Veränder-
barkeit im Zusammenhang mit einem Vorher und einem Nachher (Differenz-
merkmal der Zeitdimension: Vergangenheit/Zukunft).
• Die Sozialdimension erlaubt die Zurechnung von Sinn auf Identitäten. Im Zen-
trum des Interesses steht hierbei die Frage danach, wer es ist, der sich an wen
wendet, und auf welche Weise Alter und Ego interagieren (Differenzmerkmal der
Sozialdimension: Konsens/Dissens).

Sinn ist für Luhmann eine Strategie zur Komplexitätsreduktion. Da es immer


mehr Möglichkeiten des Erlebens und Handelns gibt, als tatsächlich aktualisiert
werden können, führt Komplexität notgedrungen zu einem Selektionszwang. Sinn
ist demnach zwingend notwendig, um Reaktionen auf eine Überfülle von Ereignis-
sen in der erfahrbaren Wirklichkeit in einem bewältigbaren Rahmen zu gewährleis-
ten. Sinn stiftet zudem die notwendige Grenze zwischen dem Innen und Außen eines
Systems. Die jeweiligen Selektionskriterien, durch die Sinn operationalisiert wird,
lässt Luhmann offen. Jedes System definiert diese Kriterien und Muster selbst
Sprache und Public Relations aus systemtheoretischer Sicht 73

innerhalb des sinnhaft aufgespannten Möglichkeitsraumes. Konkret bedeutet das


beispielsweise für das PR-System, dass die spezifische Ausarbeitung von Kriterien
erfolgreicher Kommunikation systemimmanent innerhalb der Public Relations all-
gemein und/oder innerhalb von einzelnen Organisationen zu erfolgen hat.

5 Public Relations als System

Innerhalb eines sozialen Systems können Kommunikationen sortiert werden, die


sonst nirgendwo vorkommen. Um diese spezifischen Kommunikationen bilden sich
Organisationen. „Die Organisation, und nur die Organisation, erlaubt es, Kommu-
nikation an Zielen zu orientieren“ (Baecker 2005, S. 118), formuliert Baecker die
Besonderheit dieses Subsystems. Organisationen stellen das Rückgrat des Wirt-
schaftssystems dar. Sie bilden sich nach Regeln der Mitgliedschaft und Anerken-
nung (hierarchischer) Rollen, Prozessabläufen und Weisungsbefugnissen. Kommu-
nikation in Organisationen realisiert sich nicht über bloße Anwesenheit, sondern
über Mitgliedschaft von Personen. Sie sichert den Fortbestand der Organisation. Das
Interaktionsmedium Sprache spielt hierbei eine wichtige, wenn auch nicht aus-
schließliche Rolle. Weitere Ressourcen für Kommunikationscodes in Organisatio-
nen sind zum Beispiel formelle und informelle Regeln zum Kleidungstil oder auch
räumliche Gegebenheiten.
Interaktionsmedien sorgen dafür, dass eine Information mitgeteilt und verstanden
wird. Information ist ein Ereignis mit Neuigkeitswert, das innerhalb einer Organisa-
tion Veränderungen auslöst. Sie ist eine Differenz, da sie in Relation gesetzt wird zu
dem, was erwartet wurde – etwas ist anders als vorher. Sie erzeugt aber auch
Differenz, da sie die Organisation zwingt, sich ihr gegenüber zu verhalten und weitere
Differenzierung vorzunehmen. Information diffundiert nicht als solche aus der
Umwelt in die Organisation. In der Umwelt gibt es keine Information, sondern nur
Irritationen. Erst wenn Irritationen durch die Strukturen einer Organisation aufge-
nommen werden, formen sich systemintern Informationen bezogen auf die Irritatio-
nen aus. Die Verschlechterung der Imagewerte eines Unternehmens kann als Irritation
aufgefasst werden, die als Information Veränderungen im System anstößt: das Unter-
nehmen wird Überlegungen über die Gründe anstellen und Maßnahmen diskutieren,
wie es seinerseits die Erwartungen anderer Systeme der Umwelt, etwa der Konsu-
menten, (positiv) irritieren kann und so weiter. Es fallen also Entscheidungen an.
Die operative Basis einer Organisation lässt sich durch die Kommunikation von
Entscheidungen charakterisieren. Da jede Entscheidung den Möglichkeitsraum für
Folgeentscheidungen (neu) justiert und etwas ermöglicht, was vorher nicht möglich
war, bedarf jede Entscheidung der Kommunikation. Mit der Abfolge von Entschei-
dungssituationen, die immer neue Entscheidungen evozieren und die letztendlich
dadurch die operative Geschlossenheit der Organisation herstellen, geht stets
auch ein Moment der Unbestimmtheit aber auch der perspektivischen Offenheit
einher. Ein solcher Horizont von Entscheidungsmöglichkeiten umfasst beispiels-
weise Fragen der Mitgliedschaft und Personaleinstellung, der Arbeitsprozesse und
Weisungsabläufe, der Einrichtung von Abteilungen und Festlegung von Budgets
74 M. Simon

Tab. 2 Das PR-System Operationalisierung der System/Umwelt-


und sein Bezug zur Public Relations Bezug
Umwelt auf drei
Makroebene Funktion Gesamtgesellschaft
Ebenen (angelehnt
an Ronneberger und Mesoebene Leistung andere funktionale
Rühl 1992) Teilsysteme
Mikroeben Aufgabe Teilöffentlichkeiten/
Stakeholder

sowie der Kommunikationswege innerhalb der Organisation wie auch die kommu-
nikativen Austauschbeziehungen mit der Systemumwelt (Input-Output-Beziehun-
gen). Bewusstsein ist zwar in Form von Wahrnehmungsleistungen am Entscheiden
beteiligt, allerdings werden die Entscheidungen selbst jeweils als eigene operative
Leistung der Organisation behandelt (vgl. Luhmann 2002a, S. 830 ff.). Organisatio-
nen verfügen über einen gewissen Bewegungs- und Handlungsspielraum beim
Bewältigen der Entscheidungssequenzen. Da dieser Spielraum durch kommunika-
tive Operationen abgesteckt wird, kann erfolgreich agierende Public Relations maß-
geblich dazu beitragen, die organisatorischen Handlungsalternativen zu erweitern.
Durch einen internen Selektionsprozess wird Kommunikation hergestellt und der
Organisationsumwelt zur Verfügung gestellt. Organisationen sind dadurch in der
Lage, mit anderen Systemen in ihrer Umwelt zu kommunizieren.
Innerhalb des Wirtschaftssystems hat das Subsystem Public Relations der Sys-
temtheorie zufolge die Funktion, Interessen von Organisationen zu formulieren und
diese in den öffentlichen Diskurs als legitimen Kommunikationsbeitrag zu integrie-
ren. Durch die öffentliche Darstellung und Diskussion dieser (unternehmerischen)
Interessen werden sie einer demokratischen Legitimation zugeführt. Public Rela-
tions leisten solchermaßen einen strukturellen Beitrag zur Funktionsfähigkeit der
Gesellschaft. Laut dem Theorieentwurf von Ronneberger/Rühl tritt das System
Public Relations auf drei Ebenen mit seiner Umwelt in Beziehung (vgl. Tab. 2).

• Auf der Makroebene übernimmt PR die Funktion, durchsetzungsfähige Themen


auf einem Meinungsmarkt herzustellen und zu verbreiten, der als ein publizisti-
sches Subsystem der Gesellschaft verstanden wird. Ziel auf dieser Ebene ist es,
Vertrauen herzustellen und Partikularinteressen an den gesellschaftlichen Diskurs
anschlussfähig zu machen. Das System Public Relations agiert autonom als eines
unter anderen publizistischen Funktionssystemen (vergleichbar mit Journalismus
oder Werbung) und wird strukturell auf der Makroebene durch Organisationen
und Märkte abgebildet (vgl. Ronneberger und Rühl 1992, S. 252).
• Auf der Mesoebene wird Public Relations als Leistung definiert, bei deren
Prozessualisierung der Austausch und die Beziehungspflege zwischen den Teil-
systemen der Gesellschaft im Mittelpunkt steht (zwischen Politik, Wirtschaft,
Recht, Wissenschaft etc.). Die Erstellung und Bereitstellung von PR-Leistungen
verursacht Kosten, die durch Gegenleistungen kompensiert werden, die z. B. aus
Aufmerksamkeit, Interesse, Zeit oder Vertrauen bestehen können (vgl. Ronne-
berger und Rühl 1992, S. 257).
Sprache und Public Relations aus systemtheoretischer Sicht 75

• Auf der Mikroebene wird die Public Relations als Aufgabe definiert, bei der
durch Kommunikation die Handlungen, Einstellungen und Denkweisen
bestimmter Teilöffentlichkeiten oder Stakeholder beeinflusst werden sollen (vgl.
Ronneberger und Rühl 1992, S. 269). Glaubwürdigkeit und erneut Vertrauen sind
hierbei zentrale Anliegen, um Interesselagen kommunikativ durchsetzungsfähig
zu gestalten.

Die oben beschriebenen Elemente der Kommunikation (Information, Mitteilung,


Verstehen) müssen auch in der Interaktion des PR-Systems mit seiner Umwelt auf
allen drei definierten Ebenen erfüllt sein, damit Public Relations ihrer gesellschaft-
lichen Funktion als publizistisches Teilsystem nachkommen können. Diese Funktion
konkret kommunikativ auszuformen ist Aufgabe einer praxisorientierten PR-
Forschung: „Stabilisierung, Identifikation, Integration, Personalisierung und andere
sind dann die gesellschaftlichen Resonanzbereiche, auf die hin Public Relations
gerichtet ist, und an deren Verwirklichung PR als Kommunikation und Interaktion
beteiligt sein kann – freilich auch an deren Verhinderung“ (Ronneberger und Rühl
1992, S. 293).
Da auf allen drei Bezugsebenen der Public Relations Vertrauen einen essenziellen
Aspekt darstellt, soll im Folgenden genauer auf dessen Her- und Sicherstellung
eingegangen werden. Vertrauen steigert den Handlungsspielraum einer Organisa-
tion, verstanden als offener Horizont künftiger Möglichkeiten. Vertrauen liegt vor,
wenn eine Erwartung bei einer Entscheidung den Ausschlag gibt. Ein Konsument
kauft ein Produkt X im Vertrauen darauf, dass die sprachlich kommunizierten
Herstellerversprechen kongruent zu seiner Erwartungshaltung sind. Beim Wieder-
holungskauf beispielsweise eines Schokoriegels vertraut er auf Kontinuität bei
Geschmack und Konsistenz sowie auf die Unbedenklichkeit und Güte der verwen-
deten Ausgangsstoffe etc. Vertrauen setzt Vertrautheit voraus. Diese Vertrautheit
wird in einer zunehmend unübersichtlicher werdenden Welt brüchig, da der Einzelne
nur noch kleine Ausschnitte der Wirklichkeit durch eigene Erfahrung abdecken
kann. Für Informationen über den großen Rest ist er angewiesen auf wahrhaftige
und ehrliche Auskunft anderer psychischer Systeme (Menschen, die Informationen
über die Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung zur Verfügung stellen)
oder sozialer Systeme (Organisationen, die Informationen zur Herstellung von
Produkten, zur Arbeitsplatzqualität oder zur Corporate Social Responsibility kom-
munizieren). In beiden Fällen basiert der Vertrauenserweis von Ego auf der Selbst-
darstellung von Alter.
„Grundlage allen Vertrauens ist die Darstellung des eigenen Selbst als einer
sozialen, sich in Interaktionen aufbauenden mit der Umwelt korrespondierenden
Identität“ (Luhmann 2014, S. 80). Wer Vertrauen erwerben will, muss bereit sein,
fremde Erwartungshaltungen wahrzunehmen, in die eigene möglichst konsistent
gehaltene Selbstdarstellung (z. B. via Markenidentität) einzubauen und dann umzu-
formen, auf überraschende Weise oder über das erwartete Maß hinaus zu erfüllen.
Vertrauen verpflichtet und erzieht zur Einlösung der Verhaltenserwartungen und
Versprechen, sofern eine Organisation Wert darauf legt, den Vertrauenserweis auf
Dauer zu stellen und langfristig davon zu profitieren, etwa durch ein positives
76 M. Simon

Markenimage. Das auf Vertrauen abzielende symbolisch vermittelte Handeln einer


Organisation knüpft unter Berücksichtigung der vorangegangenen Kommunikation
an die Erlebnisverarbeitung von Einzelpersonen (Konsumenten, Stakeholder) an.
Systemtheoretisch fällt die Zielsetzung, Vertrauen zu generieren und zu wahren,
in den Bereich der Zweckprogrammierung einer Organisation. Das Programm
versorgt jede Arbeitsrolle mit Aufgaben. Durch Rollenzuweisung und die daran
geknüpften Erwartungshaltungen macht sich die Organisation weitgehend unabhän-
gig von psychischen Systemen (Einzelpersonen), da diese in ihrer Unterschiedlich-
keit und Heterogenität im sozialen System funktional äquivalent operieren, also
gegenseitig austauschbar und substituierbar sind. An die Mitgliederrollen sind
Erwartungen geknüpft. So sind der Organisationszweck ebenso zu akzeptieren wie
das Entscheidungsprogramm der Organisation. Die Rolle eines Mitglieds einer
PR-Abteilung besteht beispielsweise darin, die mit seiner Stelle verbundenen Auf-
gaben der Informationserstellung, der Kontaktaufnahme zu Stakeholdern, dem
Beobachten relevanter Umwelt-Systeme und der öffentlichen Meinung etc. im Sinne
des Unternehmenszweckes zu erfüllen.

6 Sprache und Public Relations

Public Relations sorgen in Anlehnung an Parsons AGIL-Schema für Anpassungs-


fähigkeit an die Umwelt, für Integration von zum Systemerhalt notwendiger Infor-
mationen, für die Aufrechterhaltung der vorgegebenen Werte und Normen sowie für
die Unterstützung der Zielverfolgung des übergeordneten Systems (Unternehmen,
Organisation). Zur Erfüllung dieser Funktionen orientieren sich Public Relations an
vier Dimensionen, die großteils bereits im Zusammenhang mit der Diskussion des
Begriffs Sinn gestreift wurden (vgl. Ronneberger und Rühl 1992, S. 92 f.):

• In der Sozialdimension differenziert das PR-System unterschiedliche Bereiche


aus, die Input- wie Output-relevant sind. Hierzu zählen zum einen Teilöffentlich-
keiten und externe Stakeholder, aber auch interne Teilsysteme, die beispielsweise
als Informationsquellen fungieren.
• In der psychisch-individuellen Dimension bindet das PR-System Individuen über
Berufs- und Arbeitsrollen ein, die Selektionen vornehmen und Interaktion er-
möglichen. Spezifische Wahrnehmungsleistungen psychischer Systeme, wie Ein-
stellungen und Meinung, können solcherart in das Sozialsystem Public Relations
integriert werden.
• In der Sachdimension werden symbolisch generalisierte Medien eingesetzt, um
mit unterschiedlichen Umweltsystemen sowie mit internen Teilsystemen zu kom-
munizieren und zu interagieren. Hierunter fallen Stil- und Darstellungsformen
ebenso wie Verbreitungstechnologien und Techniken der Erstellung von Inhalten.
• In der Zeitdimension trifft das PR-System Entscheidungen darüber, ob bereits
getätigte Kommunikation beibehalten werden kann oder verändert werden muss,
etwa weil sich Umweltgegebenheiten geändert haben (Einstellungsänderungen bei
den Verbrauchern, Kritik von Bürgerinitiativen, veränderte Gesetzgebung etc.).
Sprache und Public Relations aus systemtheoretischer Sicht 77

Wie gezeigt wurde ist Sprache ein Medium struktureller Kopplung, das Bewusst-
seinssysteme und soziale Systeme unter der Bedingung der Anwesenheit zusammen-
schaltet. Es ist ein sinnvermittelndes und sinnverwirklichendes Medium. Sprache dient
beiden Systemarten: (1) der Kommunikation, indem sie den dreifachen Selektionsvor-
gang (Information, Mitteilung, Verstehen) unterstützt, (2) dem Bewusstsein, indem sie
Wahrnehmungsstrukturen symbolisch generalisiert ausformt und für den Austausch
zur Verfügung stellt. Diese Formgestaltung kondensiert in Textsorten, die Sinn fixie-
ren, Wissen tradieren, Zeit- und Raumgrenzen aufweichen und somit sprachbasierte
Sinnverwirklichung über den engen Bereich der Kommunikation unter Anwesenden
hinaus verfügbar halten. Dabei findet ein Medienwandel statt: Schrift symbolisiert
Sprache in einem anderen Wahrnehmungsmedium (vgl. Luhmann 2002a, S. 255 f.).
Da Sprache als Interaktionsmedium nur in Situationen von Anwesenheit wirksam und
sinnlich wahrnehmbar ist, begrenzt sich der Bezugsrahmen von Sprache und Public
Relations auf Instrumente wie Event, Messe/Ausstellung, Pressekonferenz, Podiums-
diskussion, Hintergrundgespräch etc. Alle schriftlichen Instrumente fallen hingegen
unter die Kategorie „Verbreitungsmedien“, die (s.o.) eine Weiterentwicklung der
Kommunikationsmöglichkeiten der Sprache darstellen. Hier verabschiedet sich der
Begriff Sprache aus der Diskussion und wird von Schrift ersetzt. Der Blick richtet sich
fortan auf die Formen, die aus dem zuhandenen Symbolmaterial in je spezifischen
Situationen gebildet werden. Die daraus resultierenden Leistungen sollten sich insbe-
sondere auf Aspekte konzentrieren, die Anknüpfungspunkte zur Sprachwissenschaft
aufweisen:

• (Weiter-)Entwicklung von typischen Formaten der Public Relations, die im


Kern auf der Bildung von Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die kommunizie-
rende Organisation gründen (Bsp.: Storytelling, Content Marketing, Social
Media PR).
• (Weiter-)Entwicklung einer PR-Kommunikation, die unter Verzicht auf werbliche
und übertreibende Elemente die oben erwähnte Glaubwürdigkeit und das Ver-
trauen unterstützt und in der konkreten Formulierung von kommunikativen
PR-Angeboten überhaupt erst herstellt.
• Verständlichkeit als oberste Zielsetzung einer adäquaten Stakeholder-Ansprache
unter ausgewogener Nutzung emotionalisierender wie informierender Elemente,
wobei sachlich richtige und wahrhaftige Kommunikation handlungsleitend ist.

Dies gelingt über Textsorten, die als logisch geschlossene Zusammenstellung von
Sätzen verstanden werden können. Sie werden als Mitteilungen (Pressemitteilung,
Tweet, Blog-Beitrag, Online-News, Artikel im Kundenmagazin, Facebook-Post etc.)
im PR-System produziert unter Wahrung einer gewissen Sorgfalt und unterliegen
bestimmten Regeln im Herstellungsprozess bezogen auf die Themenauswahl, die
Umsetzung und Verwendung, den Sprachstil sowie die Distribution. Das System
muss sicherstellen, dass ausreichende Mechanismen der Kontrolle eingebaut sind,
damit diese Mitteilungen zuverlässig und vertrauenswürdig im Hinblick auf ihre
Faktizität sind. Die Kontrollen müssen unabhängig von den persönlichen Motiven
der Beteiligten funktionieren (vgl. Luhmann 2014, S. 69).
78 M. Simon

7 Zusammenfassende Darstellung

Sprache stellt eine intersubjektive Übertragbarkeit von Sinn sicher. Sie geht der
Verständigung über Sachverhalte der Wirklichkeit voraus und basiert zugleich auf
der allgemein akzeptierten Übereinkunft eines verfestigten Regelsystems zu ihrer
Formung und Verwendung. Sprache gibt der Einheit der Differenz von Zeichen und
Bezeichnetem eine Form. Alles, auf das mittels eines Zeichens Bezug genommen
wird, existiert nur in Abhängigkeit von seiner zeichenhaften Bezeichnung, d. h. die
Worte sind nicht das, auf das sie bezeichnend verweisen.
Mittels Sprache lassen sich System/Umwelt-Beobachtungen durchführen und
interaktiv austauschen. Interaktion schafft durch wechselseitige Bezugnahme eige-
nen Erlebens und Handelns eine eigenständige soziale Realität, die mittels Sprache
in eine sinnlich wahrnehmbare Erscheinungsform gegossen wird. Solche Erschei-
nungsformen kondensieren in visuellen, auditiven, gustatorischen, taktilen und
olfaktorischen Phänomenen der Wahrnehmung. Interaktion ist dabei das, was sich
aufgrund zirkulärer Wahrnehmung zwischen den Beteiligten abspielt und nicht etwa
die Anwesenheit der Beteiligten selbst. Diese gehören vielmehr zur Umwelt des
Interaktionssystems. Durch Sprache können in solchen Beteiligungs- und Aus-
tauschszenarien psychische Aspekte der Wirklichkeit Anwesender ebenso artiku-
liert, wahrgenommen und verarbeitet werden, wie soziale Aspekte gesellschaftlicher
Wirklichkeit.
Auf der Ebene funktional-ausdifferenzierter gesellschaftlicher Subsysteme ent-
wickeln sich spezifische Sprachen, die sich in Form von syntaktischen und seman-
tischen Besonderheiten manifestieren. In diesem Sinne lässt es sich auch von einer
PR-Sprache sprechen, die den Möglichkeitsraum von Themen festlegt und
bestimmt, auf welche Weise über diese gesprochen werden kann. An der Oberfläche
sprachlicher Erscheinungsformen werden Festlegungen getroffen, die Einfluss neh-
men auf die drei Elemente der Kommunikation: Information, Mitteilung und Ver-
stehen. Ihre Typologisierung und konkrete Ausformung gehört nicht mehr zum
originären Interessensgebiet der Systemtheorie und ist Thema im Praxisteil dieses
Sammelbandes.

8 Kritischer Ausblick

Zuletzt sind drei kritische Punkte zu benennen, die sich auf Kommunikation und
Beobachtung, die Rolle der Akteure und den Stellenwert der Sprache in der Sys-
temtheorie beziehen.
Kommunikation schafft Strukturen und lässt sich als Herrschaftsgrammatik
beschreiben, unter der sich die Ordnung der Elemente und ihrer Relationen fügt.
Dieses Machtdispositiv im Foucaultschen Sinne (vgl. Foucault 2008) wird in der
Systemtheorie nicht ausgeblendet aber auch nicht bewertet, sondern nur deskriptiv
dargestellt. Soziale Systeme sind beobachtbar. Diese Beobachtung definiert sich
durch Schemata der Unterscheidung, die beim Beobachten verwendet werden und
die sich in Codes manifestieren. Kriterien der Selektion, an der immer auch Indivi-
Sprache und Public Relations aus systemtheoretischer Sicht 79

duen mit ihren spezifischen Einstellungen und Interessen beteiligt sind, werden
ausschließlich auf diesen binären Code reduziert. So arbeitet beispielsweise das
Wissenschaftssystem mit dem Code wahr oder unwahr – ein Drittes gibt es nicht.
Der Code dient zur operativen Schließung des Systems und zieht eine Grenze
zwischen Innen und Außen gegenüber der Umwelt. Den Raum zwischen den Polen
des binären Codes eines Systems zu lesen und zu interpretieren, ist nicht das
Anliegen dieser theoretischen Beschreibung von sozialen Zusammenhängen. Dabei
liegt gerade in der Herrschaftsgrammatik des Systems eine Regelungs- und Regulie-
rungsmaschinerie begründet, die einen eindeutigen Handlungsrahmen vorgibt.
Indem die Systemtheorie die Ideologie aus der Betrachtung sozialer Ordnung ent-
fernt, überlässt sie das Gesellschaftssystem einer autopoietischen Eigendynamik, die
Alternativlosigkeit suggeriert, der die Elemente ausgeliefert sind.
Die Systemtheorie reduziert zudem soziale Akteure und ihre Handlungen auf
Verwaltungs- und Verfahrensfragen sowie auf Aspekte der Mitgliedschaft und Rol-
lenannahme. So laufen auch innerhalb des PR-Systems – wie in allen sozialen
Systemen – Mechanismen ab, die sich nicht mehr von Individuen kontrollieren,
geschweige denn steuern lassen. Innerhalb des PR-Systems obwaltet eine Logik, die
auf Anschlusskommunikation ausgerichtet ist und die stumm bleibt bei der Beant-
wortung der Frage nach Zurechenbarkeit von Handlungen und danach, was es denn
ist, das kommuniziert wird. Es geht einzig um Prozesse, Verschaltungen und Rela-
tionen. Dazu, wie Inhalte sprachlich geformt werden sollten, um größtmöglichen
Erfolg im Sinne der kommunizierenden Organisation zu erzielen, hat die System-
theorie nichts beizutragen. Ihr genügt es festzustellen, das kommuniziert wird und
wie dieser Mechanismus aufrechterhalten werden kann. Einziger Zweck ist der
Systemerhalt, mag es dem Einzelnen als Rolleninhaber im System dabei auch die
Sprache verschlagen.
Sprache erfährt innerhalb der Systemtheorie generell eine Entwertung gegenüber
für die Untersuchung gesellschaftlichen Zusammenhalts zentralen Begriffen wie
Kommunikation, Medium und Sinn. Im Sozialgefüge wird der Sprache lediglich
die Rolle eines Hilfselementes in Gestalt eines Interaktionsmediums unter Anwe-
senden zugewiesen, das durch Ausformung von Wahrnehmungen in einem symbo-
lisch generalisierten Medium den übergeordneten Kommunikationsprozess unter-
stützt. Sobald Schrift im Spiel ist, findet ein Medienwechsel statt und es kann nicht
mehr von Sprache als Untersuchungsgegenstand gesprochen werden. Dies mag in
einer system-funktionalen Betrachtung von Gesellschaft eine theoriestützende Sicht-
weise sein. Der Wahrnehmung des Stellenwertes von Sprache in der PR-Praxis kann
dies jedoch nur bedingt gerecht werden und wirkt unbefriedigend. Menschliche
Sprache als Interaktionsmedium zwischen psychischen und sozialen Systemen gilt
als Voraussetzung der Kommunikation, auch wenn immer häufiger Algorithmen in
einigen Bereichen ein symbolisch generalisiertes Medium eigener Art darstellen, die
sprachliche Kommunikation oftmals nur noch simuliert. Der Stellenwert der Spra-
che, dies ist abschließend festzuhalten, ist in der Theorie sozialer Systeme nicht
eindeutig konturiert und steht quer zu einer lebensweltlichen Auffassung des
Begriffs. Die Rolle der Sprache in und für psychische Systeme hingegen ist erst
noch zu formulieren.
80 M. Simon

Literatur
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kybernetischen Systemtheorie in der Linguistik. Tübingen: Gunter Narr Verlag.
Pragmastilistischer Ansatz zur Konzeption
und Analyse von Public Relations
Kommunikation

Daniela Wawra

Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird ein Rahmen für die Konzeption und Analyse von Public
Relations Kommunikation entwickelt, der in der Pragmatik und Stilistik verankert
ist. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Bedeutung auch des außersprach-
lichen Kontexts für die Wahl der konkreten kommunikativen Formen in Public
Relations Produkten. Der integrative Ansatz zeigt das Potenzial einer interdis-
ziplinären Herangehensweise, die Forschungsergebnisse der Linguistik, Kommu-
nikations- und Wirtschaftswissenschaften zusammenführt und nicht zuletzt für
die PR Praxis zur Optimierung von Kommunikation genutzt werden kann.

Schlüsselwörter
Public Relations • Pragmatik • Textlinguistik • Stilistik • Lasswell

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
2 Der pragmastilistische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
3 Anwendung und Erweiterung des pragmastilistischen Ansatzes auf PR
Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
3.1 Wer? – Selbstbild der Organisation, Produzenten und Kommunikatoren des
Kommunikats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
3.2 In welchem Kontext? – Situativer und kultureller Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.3 Mit welcher Intention (zu welchem Zweck)? – Ziele der Kommunikation . . . . . . . . . . . 87
3.4 Wann? – Das Timing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
3.5 Zu wem? – Die Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3.6 Was? – Der Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
3.7 Durch welchen Kommunikationskanal/durch welche Medien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

D. Wawra (*)
Lehrstuhl für Englische Sprache und Kultur, Universität Passau, Passau, Deutschland
E-Mail: daniela.wawra@uni-passau.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 81


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_5
82 D. Wawra

3.8 Wie? – Stil und Design des Kommunikats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92


3.9 Mit welcher Wirkung? – Erfolgskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

1 Einleitung

Im weiteren Sinne wird Public Relations (PR) häufig als „interessensgeleitete[] Kom-
munikation gegenüber Öffentlichkeiten“ (Reisewitz 2017) bzw. „Anspruchsgrup-
pen“ (z. B. Belegschaft, Kunden, Regierung) (Wirtschaftslexikon24 2015) beschrie-
ben. Zu den Kernaufgaben der professionellen PR gehört es, zu informieren,
Orientierung zu geben bzw. sich an der Meinungsbildung zu beteiligen und dabei,
möglichst langfristig, Akzeptanz, Vertrauen und Verständnis für eine öffentliche
Person oder Organisation herzustellen. PR ist strategische, d. h. geplante und zielge-
richtete Kommunikation. Sie kann gegliedert werden nach (1) Zielrichtung (nach
innen gerichtete, d. h. an die eigenen Mitarbeiter adressierte Kommunikation –
interne PR oder nach außen gerichtete – externe PR),1 (2) Anspruchsgruppen
(z. B. Beziehungen zu Konsumenten – „Consumer Relations“, Geschäftspartnern,
Investoren, Mitarbeitern – „Human Relations“), (3) Gegenstand (z. B. Produkt –
„Produkt-PR“, Unternehmen oder Nonprofit Organisation, öffentliche Person – „Per-
sonality-PR“, politikbezogen – „Political Communications“), (4) konkretem Anlass
(z. B. Krise – „Krisenkommunikation“, Messe) oder (5) intendierter geografischer
Reichweite (z. B. „lokale/regionale PR“, „Länder-PR“, „internationale PR“) (Reise-
witz 2017; siehe auch Kunczik 2010, S. 26–34). Verbreitete PR Instrumente sind
Pressearbeit, Eigenveröffentlichungen (Print und Online, wobei auch die Kommuni-
kation bzw. der Dialog mit verschiedenen Anspruchsgruppen im Internet, z. B. über
soziale Netzwerke, immer mehr zum Standard gehört), Events für bestimmte Ziel-
gruppen, Sponsoring und das Issues Management (d. h. die frühzeitige Identifikation
von und Kommunikation zu Themen, die für die öffentliche Person oder die Orga-
nisation bedeutsam sein könnten)2 (Reisewitz 2017; Wirtschaftslexikon24 2015).
Kastens und Busch (2016, S. 9 f.) identifizieren als aktuelles dringendes Desiderat
der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Unternehmenskommunikation allgemein,
und so auch der Public Relations, eine Erweiterung um geisteswissenschaftliche
Ansätze. Von diesen versprechen sie sich eine notwendige vertiefte Auseinanderset-
zung mit und ein realistischeres sowie gleichzeitig „pragmatisches“ Verständnis von
Kommunikation. Zudem plädieren sie für eine Verschiebung weg von einem einsei-
tigen, monologischen Kommunikationsmodell, das nur die „Kommunikation von
Unternehmen“3 in den Blick nimmt, hin zu einem dialogischen bzw. interaktions-
basierten Kommunikationsmodell, das die Kommunikation „zwischen Wirtschaft

1
Vgl. dazu auch Wawra (2008, S. 46).
2
Vgl. dazu auch Lies (2017).
3
Kursivdruck im Original.
Pragmastilistischer Ansatz zur Konzeption und Analyse von Public Relations. . . 83

und Gesellschaft“4 bzw. Unternehmen und ihren Anspruchsgruppen betrachtet.


Seitens der Ökonomie reife erst jetzt zunehmend die Erkenntnis, dass Bedeutung
interaktiv konstruiert bzw. ausgehandelt und von vielfältigen situativen und kontex-
tuellen Faktoren beeinflusst werde. Dies relativiere die Steuerungsmöglichkeit von
Kommunikation, die für jede Art von Unternehmenskommunikation von Bedeutung
sei. Kastens und Busch (2016, S. 12) weisen darauf hin, dass die Fragen danach,
„Wer was rezipiert und in Folge wie – mit welcher Wirkung auf wen – reproduziert“5
nicht von vornherein festgelegt oder „berechnet“ werden können. Doch gerade für PR
ist die Möglichkeit der Steuerung von Kommunikation zur Erreichung gesetzter Ziele
wesentlich. Während eine vollumfängliche Kontrolle eines Kommunikationskontexts
unmöglich ist und nicht alle Entwicklungen und Reaktionen vorhersehbar sind, so hilft
doch im Zuge einer PR Planung eine gründliche Analyse, um zumindest die Wahr-
scheinlichkeit zu erhöhen, strategische Kommunikationsziele weitgehend erreichen zu
können. Einen Rahmen für die Konzeption und Analyse von Public Relations, der
genau die genannten Fragen aufgreift, im Paradigma interaktiver Bedeutungskonstruk-
tion verortet und zur Produktion effektiver Public Relations herangezogen werden
kann, bietet die pragmatische Stilistik. Dies soll im Folgenden aufgezeigt werden.

2 Der pragmastilistische Ansatz

Die Pragmatik beschäftigt sich mit dem Gebrauch von Sprache und sieht Sender und
Empfänger sowie situative und kontextuelle Faktoren als konstitutiv an für die
Konstruktion von Bedeutungen (z. B. Horn und Ward 2006, S. xi). Eine pragmati-
sche Perspektive impliziert auch, dass Sprache „kein neutrales Medium ist“ (Felder
2009, S. 11), sondern ein perspektiv- und interessengeleitetes Instrument, das dazu
verwendet wird, bestimmte Interpretationen von und Sichtweisen auf Dinge, Perso-
nen, Handlungen, Ereignisse und ihre Verflechtungen mitzuteilen, zu verbreiten und
die Deutungshoheit zu gewinnen (vgl. dazu auch Bartels 2015, S. 65). In der Public
Relations Kommunikation wird Sprache in diesem Sinne bewusst strategisch einge-
setzt. So beschreibt etwa Kunczik (2010, S. 14) Public Relations als „Bemühen, die
Öffentlichkeit bzw. Teilöffentlichkeiten durch die Selbstdarstellung von Interessen
beeinflussen und damit Interessen durchsetzen zu wollen“.6 Eine pragmatisch ori-
entierte linguistische Analyse von Public Relations hat letztlich das Ziel, aufzuzei-
gen, welche Deutungen in der untersuchten Kommunikation zur Durchsetzung der
eigenen Interessen vorgenommen werden. Dabei nimmt sie den weiteren, außer-
sprachlichen, Kontext mit in den Blick.

4
Kursivdruck im Original.
5
Kursiv- und Fettdruck im Original.
6
Zu inkludieren sind hier auch Anspruchsgruppen wie z. B. die eigenen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter einer Organisation. Diese unter dem Terminus ‚Teilöffentlichkeit‘ zu subsumieren
scheint unglücklich.
84 D. Wawra

Die Stilistik trägt eine besondere Sichtweise auf Kommunikationsprozesse bei.


Im Zentrum des Interesses stehen Texte,7 wobei diese untersucht werden in ihrem
Verhältnis zu Produzenten, Adressaten und dem erweiterten Umfeld der Textpro-
duktion und -rezeption (Jeffries und McIntyre 2010, S. 3). Stil kann beschrieben
werden als „Art und Weise des Schreibens, die Art des mündlichen und schriftlichen
Ausdrucks (. . .); das Gesamt von mehr oder weniger auffälligen Eigenheiten des
sprachlichen Ausdrucks“ (Lewandowski 1994, S. 1099). Stil referiert auch auf
sprachliche Inhalte und Formen, die einer Situation angemessen sind und von den
Rezipienten erwartet werden. Dies bedeutet, dass auf der Produktionsseite sprachlich
immer eine Auswahl stattfindet: Bestimmte Inhalte und Formulierungen werden
anderen vorgezogen. Abweichungen hiervon können eingesetzt werden, um
bestimmte Effekte zu erzielen, z. B. zur Aufmerksamkeitslenkung. Verbreitet ist
entsprechend eine Stilauffassung, die eine „adressatenspezifische Selektion sprach-
licher Möglichkeiten“ hervorhebt (Lewandowski 1994, S. 1099). „Stil ist (. . .)
immer Selbstdarstellung des Textproduzenten“ und „Mittel der Beziehungsgestal-
tung“ (Fix et al. 2001, S. 27).8 Im Public Relations Kontext, in dem stets Selbst-
darstellung und Beziehungsgestaltung im Vordergrund stehen, ist ein stilistischer
Ansatz besonders dazu geeignet, in den Blick zu nehmen, welche sprachlichen
Elemente aller linguistischen Beschreibungsebenen – d. h. der Semantik/Lexik,
Grammatik/Syntax, Pragmatik und Phonetik/Phonologie – (Lewandowski 1994,
S. 1100) entsprechend des Kommunikationszwecks ausgewählt und intentional
eingesetzt werden bzw. was bei ihrer Auswahl beachtet werden sollte. Gegenstand
stilistischer Forschung ist dabei auch die Frage, wie genau Sprache gebraucht
werden muss, um bestimmte Sichtweisen in den Vordergrund zu rücken und es
wahrscheinlicher zu machen, dass diese sich bei möglichst vielen Rezipienten
durchsetzen, während alternative Wirklichkeitskonstruktionen in den Hintergrund
gerückt oder ganz ausgeblendet werden (Jeffries und McIntyre 2010, S. 31).
Für die Konzeption und Analyse einer strategischen Kommunikationsform wie
den Public Relations ist nun ein pragmastilistischer Ansatz aus folgenden Gründen
besonders gut geeignet: Zum einen werden die „außersprachlich vorgegebenen
Faktoren der Redesituation“ (Fix et al. 2001, S. 11) und ihr Einfluss auf die konkrete
sprachliche Realisierung für besonders wichtig erachtet. Der Gesamtkontext der
jeweiligen Kommunikation wird daher stets mit berücksichtigt, was für eine erfolg-
reiche PR unerlässlich scheint. Zum anderen ist der Ansatz wegen seiner Erfolgs-
orientierung besonders gut für PR Kommunikation geeignet: In der Stilistik wird
auch das Gelingen einer Kommunikation explizit mit thematisiert. So ist die Sicht-
weise verbreitet, dass ein Stil, d. h. die Auswahl der sprachlichen Mittel, dann
effektiv war, wenn die „in einer Kommunikationssituation angestrebten Ziele“
„bestmöglich[]“ verwirklicht werden konnten (Eroms 2014, S. 15). Zudem unter-
sucht die Stilistik, mit welchen Mitteln die Aufmerksamkeit gelenkt und bestimmte

7
Der Terminus ‚Text‘ wird hier synonym zu ‚Kommunikat‘ verwendet und kann schriftliche wie
mündliche Kommunikation sowie das Design umfassen.
8
Hervorhebungen im Original.
Pragmastilistischer Ansatz zur Konzeption und Analyse von Public Relations. . . 85

Aspekte in den Vordergrund gestellt werden können (Jeffries und McIntyre 2010,
S. 31). Dies ist ebenfalls ein zentraler Aspekt für erfolgreiche Public Relations
Kommunikation.
Einen kontextsensitiven Untersuchungsrahmen für pragmastilistische Analysen
bietet Lasswells (1964) Ansatz zur Erfassung von Massenkommunikationsprozes-
sen: ‚Wer?‘ (Produzenten), ‚Sagt was?‘ (Inhalt), ‚Durch welchen Kanal?‘ (Kommu-
nikationsmedium), ‚Zu wem?‘ (Rezipienten), ‚Mit welcher Wirkung?‘. Für den
stilistischen Teil der Analyse ist noch die Frage ‚Wie?‘ zu ergänzen (Stolt 1984,
S. 165; Wawra 2008, S. 155). Dieser Ansatz soll im folgenden Abschnitt auf Public
Relations angewandt und erweitert werden.

3 Anwendung und Erweiterung des pragmastilistischen


Ansatzes auf PR Kommunikation

Ein Ansatz, der für Public Relations Maßnahmen zentrale Aspekte umfasst und zur
Planung wie Analyse herangezogen werden kann, muss ausgehend von Lasswell
(1964, s. o.) um einige Fragen erweitert und zum Teil umgestellt werden. Ein
pragmastilistischer Ansatz zur Konzeption und Analyse von Public Relations sieht
dann wie folgt aus:
Wer sagt in welchem Kontext mit welcher Intention (zu welchem Zweck)
wann zu wem was durch welchen Kommunikationskanal wie mit welcher
Wirkung?
Im Folgenden werden die einzelnen Schritte ausgeführt.

3.1 Wer? – Selbstbild der Organisation, Produzenten und


Kommunikatoren des Kommunikats

Vor der Planung jeder PR muss entschieden werden, wer Teil des Teams sein sollte.
Neben in der Regel Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der PR Abteilung, die das
Kernteam bilden, wird anfangs ebenso die Leitung und die Finanzabteilung in
geeigneter Form einzubinden sein, um das Budget für die Maßnahme abzuklären.
Auch Inhalt und Form der PR Kommunikation sollten in den verschiedenen Stadien
ihrer Planung jeweils mit der Leitung abgeklärt und von dieser ‚abgesegnet‘ werden:
„Da die PR-Strategie direkt an die grundsätzliche Strategie der gesamten Organisa-
tion, nicht nur an die Marketingstrategie, anknüpft, ist sie eine unternehmerische
Leitungsfunktion (. . .)“ (Reisewitz 2017). Zudem kann es oft sinnvoll sein, abhängig
von Anlass und Art der geplanten PR, Mitglieder weiterer Abteilungen (oft nur für
einige Sitzungen) ins Team zu holen, wie z. B. Mitarbeiter aus technischen Abtei-
lungen, wenn es etwa darum geht, auf eine Produktpanne zu reagieren (für eine
ausführliche Darlegung, wer z. B. an der Erstellung eines Geschäftsberichts beteiligt
werden sollte, siehe Wawra 2008, S. 167–169).
Gegebenenfalls ist außerdem zu klären, wer am besten geeignet ist, die Botschaft
vorzutragen, so sie personalisiert wird: Wer tritt z. B. vor die Kamera und gibt ein
86 D. Wawra

Statement ab, der Pressesprecher oder der Vorstandsvorsitzende? Kommt eine Stel-
lungnahme vom Vorstandsvorsitzenden persönlich, signalisiert dies etwa, dass das
Thema so ernst genommen wird, dass sich die Führung selbst dessen annimmt.
Zudem muss darauf geachtet werden, dass die PR Kommunikation mit dem
Selbstbild der Organisation (oder der öffentlichen Person), ihrem Image, Leitbild,
ihrer Philosophie, übereinstimmt oder dieses in intendierter Weise verändert bzw.
über es hinausgeht. Dies beginnt mit dem (Corporate) Design und endet mit der
(Corporate) Identity, die bei einem erfolgreichen Impression Management stimmig
sein müssen.
Zum Beispiel wurden im Februar 2014 Bilder von Prinz Harry als Großwildjäger
veröffentlicht, die wohl seine Männlichkeit und seinen Wagemut unterstreichen
sollten. Dies passte jedoch nicht zu seinem zuvor aufgebauten Image als Tierschützer
(Frankfurter Rundschau 19.12.2014).
Bettina Wulff sprach 2014 sehr offen darüber, dass ihre Selbstwahrnehmung nicht
mehr mit der Fremdwahrnehmung übereinstimme. Sie wolle ihr Image ändern und
künftig vor allem mit den Themen Kinder, Bildung und Netzsicherheit assoziiert
werden. Dazu engagierte sie einen PR-Berater, der helfen sollte, dieses Image in der
öffentlichen Wahrnehmung durchzusetzen (SZ.de 28.08.2014).
Beispiele für wirksame PR Instrumente, um das Unternehmensimage positiv zu
verstärken bzw. zu erweitern finden sich z. B. bei Red Bull: Das Unternehmen bietet
u. a. einen Red Bull Bike und Motorsport Channel, den Red Bull Rampage – ein
Event, das die besten Mountainbike Freerider versammelt sowie viele weitere
Sportveranstaltungen und Berichte über neueste Musik und Computerspiele (Red
Bull 2017). Dies schafft wünschenswerte Konnotationen des ‚hip‘, ‚in‘ und stets
‚up-to-date‘ Seins, von Erlebnis, Abenteuer, Waghalsigkeit, Mut, Jugend, Sportlich-
keit, Männlichkeit, Grenzüberwindung etc., die mit der Marke und dem Unternehmen
verbunden werden. So wird das gewünschte Image des Unternehmens verbreitet und
gefestigt.

3.2 In welchem Kontext? – Situativer und kultureller Kontext

Nachdem das Kernteam zusammengestellt wurde, muss eine noch gründlichere


Analyse des Kontexts stattfinden, in dem die Kommunikation stattfinden wird.
Gegebenenfalls ist das Kernteam im Laufe oder als Ergebnis dieses Prozesses zu
erweitern (Wer?). Der Kontext umfasst zwei Teilbereiche: (1) Den situativen Kon-
text, d. h. den Anlass der Kommunikation und die konkrete derzeitige Situation des
PR Auftraggebers sowie der Zielgruppe(n) (Zu Wem?) bzw. vorausschauend auch
zur Zeit des Starts der PR Maßnahme. (2) Den kulturellen Kontext, unter dem hier
verstanden wird die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage, die Stimmung in
der Gesellschaft bzw. der adressierten Anspruchsgruppen sowie ihre kulturelle
Prägung, d. h. historisch einschneidende und noch nachwirkende Ereignisse
(z. B. Sensibilitäten oder Tabus in Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg),
überwiegende Tendenzen in Bezug auf grundlegende Normen, Einstellungen, Werte,
Pragmastilistischer Ansatz zur Konzeption und Analyse von Public Relations. . . 87

Bräuche etc. Von diesen Faktoren ist die geeignete Form einer erfolgreichen Adres-
sierung grundlegend abhängig.
Malaysia Airlines z. B. hatte wenige Monate nach zwei Flugzeugabstürzen mit
insgesamt über 500 Todesopfern ein Gewinnspiel im Internet veröffentlicht, bei dem
dazu eingeladen wurde, eine „Bucket List“ zu erstellen (Frankfurter Rundschau
19.12.2014). „Bucket List“ ist etymologisch abgeleitet von „to kick the bucket“
(„sterben“) und hat die Bedeutung „a list of things that one has not done before but
wants to do before dying“ (Merriam-Webster 2017). Es handelt sich also um eine
Liste, in der alles aufgelistet werden soll, was man vor seinem Tod noch tun und
erleben möchte. Im andauernd sehr präsenten Kontext der rezenten Katastrophen
misslang diese PR Kampagne und schädigte das Ansehen der Fluglinie weiter.
Ein dagegen sehr unbedeutendes aber illustratives Beispiel für eine misslungene
PR aufgrund der Nichtbeachtung des Kontexts lieferte auch Cathy Lugner. Ihr
misslang eine PR Offensive beim Wiener Opernball: Sie hatte ein Bild von sich in
Abendkleid getwittert und dazu den Text: „Mein Kleid :) [rotes Herz] was sagt ihr?
Ich sage: sexy, statt trauern“. Der Tweet löste Empörung aus, da kurz vor dem
Wiener Opernball bekannt geworden war, dass die österreichische Gesundheitsmi-
nisterin Sabine Oberhauser gestorben war. So schrieben Nutzer: „Ein bisschen
geschmacklos der Spruch bei dem derzeitigen Trauerfall.“, „Ich hatte dich immer
gern aber das geht gar nicht“. (Express 24.02.2017). Bei manchem kam auch allein
das Erscheinen von Cathy Lugner auf dem Opernball nicht gut an – ob wegen des
Todesfalls oder ihrer rezenten Trennung von Richard Lugner, dem Gastgeber, bleibt
offen. So schreibt ein Nutzer: „Pietätlos dass diese Goldgräberin überhaupt antanzt.
Taktgefühl von einem Rhinozeros“ (Express 24.02.2017). Cathy Lugner versuchte
danach, ihren Faux-Pas wieder gutzumachen, indem sie auf Facebook richtig stellte,
dass ihr Post nicht auf den Todesfall, sondern auf ihre Trennung von Richard Lugner
bezogen war: „Man kann es nicht jedem recht machen, Fakt ist, mein post war auf
mich und meine Scheidung bezogen!! Ich schaue nicht 24 h Nachrichten aber mich
trifft der Tod einer so tollen Frau natürlich auch [drei Smileys mit Tränen]“ (Vienna.
at 24.02.2017). Die vielen und ausschließlichen „Likes“ hinter dem Post zeigten an,
dass diesmal der Kontext gut berücksichtigt und eingeschätzt wurde – die ‚Fans‘
erwarteten eine Anteilnahme.

3.3 Mit welcher Intention (zu welchem Zweck)? – Ziele der


Kommunikation

Bei der PR Planung ist genau zu überlegen, was mit der Kommunikation bezweckt
wird. Allgemein sind häufige Ziele von PR, „den Ruf einer Organisation oder einer
Marke zu verbessern, eine höhere öffentliche Wahrnehmung zu erreichen, die
Motivation von Mitarbeitern oder Mitgliedern und die Loyalität von Partnern zu
erhöhen, Kundenvertrauen zu stärken oder die öffentliche Aufmerksamkeit auf die
für die Organisation wichtigen Themen zu lenken (Issues Management)“ (Reisewitz
2017). In unserem digitalen Zeitalter gehört auch die dialogische Direktkommunikation
mit Zielgruppen über soziale Netzwerke immer häufiger zu den PR Zielen (z. B. das
88 D. Wawra

„Shitstorm Management“ im Bereich der „Krisenkommunikation“) (Reisewitz 2017).


Vom jeweils anvisierten allgemeinen und konkreteren Ziel der PR leitet sich ab, welche
Teilöffentlichkeiten und Anspruchsgruppen bzw. Zielgruppen wie adressiert werden
sollten (siehe auch Wie? und Zu Wem?). Üblich ist es, in diesem Stadium der Planung
einzelne „Kommunikationsziele“ zu konkretisieren, ihnen Themen und Argumente
zuzuordnen (siehe auch Was?) und zu priorisieren (Reisewitz 2017).
Die grundlegenden sprachlichen Intentionen von PR können alle „textuelle[n]
Grundfunktionen“9 umfassen, nämlich zu informieren, zu appellieren (z. B. „War-
ten Sie nicht!“), sich zu verpflichten („Obligationsfunktion“) („Wir verpflichten
uns, . . .“), Kontakt aufzunehmen (z. B. „Wir danken Ihnen“, „Wir entschuldigen
uns bei ihnen“) und ein neues „Faktum“ einzuführen, eine „neue Realität“10 zu
schaffen („Deklarationsfunktion“) (z. B. „Wir erklären hiermit, dass von heute
an . . .“) (Brinker et al. 2014, S. 101–121). Dabei können mehr oder weniger dieser
Intentionen einer PR Kommunikation zugrunde liegen und unterschiedlich gewich-
tet sein.
Zum Beispiel startete Anfang des Jahres 2017 das Bundesumweltministerium in
70 deutschen Städten eine PR Kampagne mit Plakaten, die veränderte Bauernregeln
zum Gegenstand hatten, wie z. B. „Haut Ackergift die Pflanzen um, bleiben auch die
Vögel stumm“. Ziel der Kampagne sollte es sein, die „Missstände in der Agrarpolitik
und deren Folgen in der Landwirtschaft und Kulturlandschaft“ zu thematisieren und
für eine umweltgerechtere Ausgestaltung der milliardenschweren EU-Agrarsubven-
tionen zu werben. Doch viele Bauern, Bauernverbände und der Bundeslandwirtschafts-
minister protestierten gegen die Kampagne, da sie sich angegriffen und pauschal
kritisiert fühlten (Fisser 2017; Krauß 2017). Das Ziel der Kampagne wurde verfehlt.
Aus dem Ministerium hieß es dazu: „Erst durch die bewusste Fehldeutung, es handele
sich angeblich um eine Kampagne gegen die gesamte Landwirtschaft, wird doch ein
Zungenschlag herbeigeredet, den es in den Aussagen auf den Plakaten gar nicht gibt.
Diese Kampagne prangert nicht alle Bauern‘ an und diffamiert nicht ‚den Landwirt‘,
dass er alles schlecht und falsch macht!“ (Fisser 2017).
Ein wesentlicher Grund für das Misslingen der Initiative war, dass sie nicht auf ihr
Ziel abgestimmt war. Vor allem gelang es nicht, die eigentliche Zielgruppe
(Zu Wem?) angemessen zu adressieren.

3.4 Wann? – Das Timing

Das Timing einer PR ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Es gibt zahlreiche Beispiele für
das Misslingen von PR Kommunikation, da sie zum falschen Zeitpunkt veröffent-
licht wurde. Wegen versehentlicher zu früher Veröffentlichung der Ergebnisse des
dritten Quartals sank z. B. 2012 Googles Aktienkurs um 9 %. Die Mitteilung sollte

9
Hervorhebung im Original.
10
Hervorhebung im Original.
Pragmastilistischer Ansatz zur Konzeption und Analyse von Public Relations. . . 89

eigentlich nach Börsenschluss erfolgen, ein Entwurf war jedoch noch während der
Handelszeit in Umlauf gebracht worden (Ashford 2012). Sony erlitt 2011 einen
gravierenden Imageschaden, nachdem das Unternehmen erst sieben Tage nach dem
„womöglich größte[n] Datenleck in der Geschichte des Internets“ – konkret Hacker-
angriffen auf ihr PlayStation Netzwerk – an die Öffentlichkeit ging. Gerade im
Internet verbreiten sich schnell Gerüchte, so dass nach einer Panne sehr zeitnah
reagiert werden sollte, um zumindest eine gewisse Deutungshoheit zu behalten und
frühzeitig die eigene Sicht in Umlauf bringen zu können (Lilienström 2011).
Grundsätzlich ist zu beachten, dass genug Zeit eingeplant werden muss für die
Zwischenschaltung weiterer Stellen vor der Veröffentlichung eines Kommunikats
(z. B. Verantwortliche bei den Medien wie Journalisten).11 Auch ist beim Timing die
Frage In welchem Kontext? mit zu berücksichtigen: Steht ein wichtiges Ereignis an
oder ist gerade etwas passiert, über das die Medien ausführlich berichten, geht die
eigene Meldung womöglich unter und sollte entsprechend früher oder später ver-
öffentlicht werden (CP Communications 2017). Zudem zeigen auch die Beispiele
Malaysia Airlines und Cathy Lugner (siehe In welchem Kontext?), wie falsches
Timing (hier die in der Öffentlichkeit noch präsenten Flugzeugunglücke mit vielen
Todesopfern bzw. der sehr rezente Tod einer Politikerin) zur Zielverfehlung von PR
führen kann.

3.5 Zu wem? – Die Adressaten

Es muss auch geklärt werden, wer die Zielgruppen der PR Kommunikation sein
sollen und was sie charakterisiert, um PR entsprechend adressatengerecht aufberei-
ten zu können: Was sind ihre Werte, Einstellungen, Präferenzen? In unserer digitalen
Gesellschaft bieten sich hierfür immer detailliertere und effektivere Möglichkeiten
der Analyse an durch die Anwendung von Big Data Instrumenten, also der weitge-
hend automatisierten algorithmusbasierten Erhebung und Auswertung der Daten
von Internetnutzerinnen und -nutzern (vgl. dazu auch Wawra 2014, S. 11).
Die Kampagne der plakatierten Bauernregeln des Umweltministeriums (Fisser
2017, s. o.; Mit welcher Intention?) scheiterte auch, da sie nicht an die richtige
Zielgruppe adressiert war: Diese waren eigentlich EU-Abgeordnete und Verantwort-
liche, die Agrarpolitik machen. Auch Bauern können als Zielgruppe der Kampagne
insofern gelten, als das Bundesumweltministerium bei ihnen wohl ihr Image als
‚Kümmerer‘ und Vertretung in der EU verbessern wollte. Stattdessen wurde die
Zielgruppe der Bauern jedoch mehr gegen das Ministerium antagonisiert, denn für
die Sache eingenommen.

11
Zum Beispiel sind oft etwa Journalisten Donnerstag und Freitag weniger häufig an ihren Arbeits-
plätzen, so dass es dadurch zu längeren Verzögerungen kommen kann. Es kann auch von Vorteil
sein, einen Beitrag eher gleich morgens (oder noch am Vorabend) zu schicken, da die Chancen
besser sind, dass er sofort oder zeitnah bearbeitet bzw. aufbereitet wird, bevor die Verantwortlichen
mit anderen Aufgaben bereits ausgelastet sind (CP Communications 2017).
90 D. Wawra

Besonders zu berücksichtigen bei der Zielgruppenansprache ist zudem der Kon-


text, durch den die Adressaten geprägt sind (In welchem Kontext?). Davon hängt ab,
welche Ansprache für die jeweilige Zielgruppe passend ist.
Die Zielgruppe der Marke Red Bull z. B. sind überwiegend junge Männer. Die
Webseite ist stimmig auf diese Anspruchsgruppe hin ausgerichtet: z. B. enthält das
Layout kräftige, frische Farben, und es werden viele actionreiche bunte Bilder
gezeigt. Die bereitgestellten Inhalte betonen Maskulinität, indem sie u. a. stereotype
Interessensbereiche und Sehnsüchte junger Männer aufgreifen, wie Abenteuer und
körperlich anspruchsvollen sowie potenziell gefährlichen Sport. Es wird eine adres-
satengerechte Sprache verwendet, die z. B. viele umgangssprachliche Ausdrücke,
Anglizismen, kreative Wortspiele und Sporttermini enthält (z. B. „Pickelharte
Action aus der eisigsten Stadt der Welt – das ist Jason Pauls Freezerunning-Spekta-
kel“)12 (Wie?) (Red Bull 2017).

3.6 Was? – Der Inhalt

Der Inhalt muss auf den Kontext abgestimmt werden, in den die PR eingebettet sein
wird (In welchem Kontext?) sowie zur öffentlichen Person bzw. Organisation und
ihrem Selbstverständnis (Wer?) passen, dem Zweck der PR Maßnahme dienen (Mit
welcher Intention?) und adressatenspezifisch sein (Zu Wem?).
Grundlegend sollten die drei Maximen Grices (1975, S. 45–47) für eine gelun-
gene Kommunikation beachtet werden, die sich auf den Inhalt beziehen: Die
Maxime der Quantität (1), Qualität (2) und Relation (3).13

(1) Die Quantität des Inhalts sollte dem Anlass angemessen sein. Ist der Inhalt zu
umfangreich, beeinträchtigt dies die Rezeption (begrenzte Aufmerksamkeits-
spanne bei den Adressaten), werden zu wenig Informationen gegeben, steigt
die Gefahr, missverstanden zu werden. Es ist also darauf zu achten, dass das
Kommunikat so viele Informationen wie nötig bereitstellt und nichts Wesentli-
ches ausgelassen wird, um die intendierte Rezeption nicht zu gefährden. In
manchen Medien (z. B. Printmedien, TV-Spots) steigen mit dem Umfang die
Kosten, so dass unter ökonomischen Gesichtspunkten eine Beschränkung
sinnvoll ist.
Die Plakatkampagne mit den abgewandelten Bauernregeln des Bundesum-
weltministeriums (Fisser 2017; Mit welcher Intention?) z. B. verletzte die
Maxime der Quantität: Die Botschaften waren offensichtlich zu kurz und wur-
den von vielen missverstanden. Ein Beispiel, bei dem die Maxime der Quantität
durch Redundanz verletzt wurde, liefert eine offizielle Erklärung von Sony nach

12
Aus „Freerunning“ wurde „Freezerunning“, eine kreative Wortbildung, die die niedrige Außen-
temperatur bei dem Event mit in das Kompositum und dessen Bedeutung integriert.
13
Grices (1975, S. 46) weitere Maxime, betreffend die Art und Weise der Kommunikation, fällt
unter das „Wie?“ der Kommunikation und wird dort behandelt.
Pragmastilistischer Ansatz zur Konzeption und Analyse von Public Relations. . . 91

einem umfangreichen Datenklau in ihrem Netzwerk 2011. Die Stellungnahme


enthält wenige Informationen, die mehrmals in unterschiedlicher Form wieder-
holt werden. So heißt es dort: „Zusätzlich zur Einführung von erweiterten
Maßnahmen, die der Erhöhung der Sicherheit des Netzwerkes dienen“. „Gleich-
zeitig wurde eine Reihe von zusätzlichen Sicherheitsmechanismen implemen-
tiert, um den Schutz der persönlichen Kundendaten besser zu gewährleisten“.
„In enger Zusammenarbeit mit externen und anerkannten Sicherheitsfirmen hat
SNEI signifikante Sicherheitsmechanismen implementiert, um (. . .)“, „Damit
sind wir immer noch beschäftigt, nachdem sichergestellt wurde, dass die Sicher-
heit in unseren Netzwerken deutlich erhöht wurde“. (Lilienström 2011).
(2) Was Grices Maxime zur Qualität der Kommunikation angeht, gilt der Grundsatz
der Wahrhaftigkeit, es ist sorgfältig zu prüfen, dass nichts Falsches in Umlauf
gebracht wird.
(3) Grices Maxime der Relation bedeutet, dass die PR Maßnahme relevant sein
sollte, d. h. klar auf den Kommunikationsanlass bezogen und auf die Zielset-
zungen der PR Aktivität hinarbeitend.

Besonders wichtig ist schließlich die Planung der ersten Sätze jeder PR Kommu-
nikation zur Aufmerksamkeitsgewinnung und -steuerung: Sie entscheiden darüber,
ob die PR überhaupt als relevant wahrgenommen und rezipiert wird bzw. ob die
Rezeption vollständig erfolgt oder abgebrochen wird.

3.7 Durch welchen Kommunikationskanal/durch welche Medien?

Die PR Verantwortlichen müssen entscheiden, welcher verbaler (mündlich, schrift-


lich oder beides) und nonverbaler Kommunikationskanäle (z. B. Design, Bilder)
sie sich bedienen und ggfs. welche technischen Medien (Print (Druckerzeugnisse)
oder Online (z.B. Blog, Homepage), Fernsehen, Radio) sie verwenden sollten,
um die intendierte Botschaft bestmöglich an den Adressaten oder die Adressatin zu
bekommen (Reisewitz 2017). Bei der Wahl der Kommunikationskanäle und
Medien ist v. a. zu berücksichtigen die jeweilige Zielgruppe einer PR Maßnahme
(Zu Wem?) und der kulturelle Kontext (z. B. Payne 2017; In welchem Kontext?).
Die Plakatkampagne des Bundesumweltministeriums (Fisser 2017, s. o.; Mit wel-
cher Intention?) hat z. B. gezeigt, dass das Medium falsch gewählt worden ist: Das
Aufhängen von Plakaten in deutschen Städten hat nicht die richtige Zielgruppe
(Agrarpolitiker der EU) erreicht. Ein Medium, das immer häufiger extra für die
Reaktion auf Skandale verwendet wird sind „Microsites“. Dabei handelt es sich um
Webseiten, die vom Hauptinternetauftritt der Organisation getrennt sind und zeit-
lich begrenzt eingerichtet werden, um ausschließlich auf das kritische Thema
einzugehen (Esch 2017). Organisationen verfolgen damit das Ziel, unangenehme
Themen möglichst auszulagern und so wenig wie möglich mit sich in Verbindung
zu verbringen. VW hat z. B. nach dem Skandal um die manipulierten Emissions-
werte seiner Dieselfahrzeuge die Microsite https://www.vwdieselinfo.com eingerichtet
(VW 2017).
92 D. Wawra

3.8 Wie? – Stil und Design des Kommunikats

Bei der Frage nach dem Wie? geht es um die konkrete Form von Public Relations
Kommunikation. Dies schließt die sprachliche Umsetzung wie auch das Design ein.
In der Stilistik ist die Formulierung von drei Anforderungen verbreitet, die
Kommunikation erfüllen soll: Sie soll der Sache angemessen, anschaulich und
expressiv sein (Eroms 2014, S. 26). „Sachangemessenheit“ und „Anschaulichkeit“
(Eroms 2014, S. 26) können zunächst mit Grices Maxime der Art und Weise
beschrieben werden (Grice 1975, S. 46). Sie stellt einige Regeln dazu auf, wie
kommuniziert werden sollte. So soll auf leichte Verständlichkeit geachtet werden.
Dem dient eine klare, präzise, konkrete und eindeutige Ausdrucksweise (z. B. indem
man geläufigere Wörter bevorzugt, Schachtelsätze und Nominalisierungen vermei-
det,14 Aktiv- den Passivkonstruktionen vorzieht) und sich so kurz wie möglich zu
fassen. Auch eine logische, gut strukturierte Anordnung der Inhalte dient der Ver-
ständlichkeit und Sachangemessenheit (z. B. das Generellere vor den Details zu
platzieren). Für eine übersichtliche Strukturierung der Inhalte ist das Textdesign
(Layout, Typografie, Bilder, Grafiken) wesentlich, wie es generell auch zur leichte-
ren Verständlichkeit eines Texts beitragen kann. Ausführliche Darstellungen und
Beispiele für eine in diesem Sinne verbal und nonverbal realisierte PR Kommuni-
kation finden sich für allgemeine und spezifischere PR Kontexte z. B. in Lehr-
büchern fürs Schreiben in diesem Bereich, in journalistischen Stilhandbüchern und
anderen Handreichungen für professionelle Kommunikation. Manche Organisatio-
nen erstellen auch eigene Richtlinien, die grundlegend jedoch den allgemeineren
Empfehlungen folgen (siehe dazu z. B. Newsom und Haynes 2016; Bivins 2013;
Marsen 2013; Foster 2012; Wilcox und Reber 2012; Wawra 2008, S. 86–114).15 Das
Kriterium der Sachangemessenheit referiert über die konkrete sprachliche Umset-
zung hinaus auch auf den Kontext, in dem die Kommunikation stattfindet (In
welchem Kontext?), denn für diesen müssen die gewählten Kommunikationsformen
passend sein.
„Expressivität“ kann im engeren Sinne als emotionale Färbung verstanden werden,
im weiteren Sinne hängt sie eng zusammen mit dem Kriterium der Anschaulichkeit,
wenn sie nämlich als Bemühen definiert wird, anschaulich zu kommunizieren und
einen ‚Draht‘ bzw. eine persönlichere Beziehung zum Adressaten aufzubauen. Dies
kann z. B. durch die Verwendung von Bildern und Metaphern gelingen, so sie
Sachverhalte verdeutlichen können, den Adressaten emotional ansprechen oder ge-
wünschte Konnotationen transportieren, die bestimmte Assoziationen hervorrufen.
In der Stilistik wird des Weiteren grundlegend unterschieden zwischen „Stilwer-
ten“, „Stilneutralität“ und „Stileffekten“. Stilwerte sind „Ausdrücke, die in einem Text
auf Grund gebräuchlicher Muster zu erwarten sind“, d. h. der gesellschaftlichen

14
Vgl. ausführlicher zu „Satzlänge und Satzkomplexität“ auch Eroms (2014, S. 165–171) (Her-
vorhebung im Original).
15
Vgl. zum ‚guten Stil‘ auch Eroms (2014, S. 207–234).
Pragmastilistischer Ansatz zur Konzeption und Analyse von Public Relations. . . 93

Konvention entsprechen. „Ausdrucksweisen, die auch in beliebigen anderen Texten


vorkommen können, sind (. . .) stilneutral“.16 Ausdrücke, die in einem Text auffallen,
da sie von der Konvention abweichen und eine „auffällige Markierung der Ausdrucks-
absicht erreich[en]“, erzeugen Stileffekte (Eroms 2014, S. 22). Stilwerte, -neutralität
und -effekte manifestieren sich auf allen linguistischen Beschreibungsebenen, d. h. in
Semantik/Lexik, Grammatik/Syntax, Pragmatik und Phonetik/Phonologie. Von beson-
derem Interesse für PR Praktiker dürften die kommunikativen Möglichkeiten sein,
Stileffekte zu erzielen, um bestimmte Aspekte in den Vordergrund zu stellen und damit
die Aufmerksamkeit der Adressaten zu steuern. Auf allen linguistischen Ebenen
können Stileffekte erzielt werden, indem vom Erwarteten abgewichen wird.
Die in einem Kommunikat verwendeten Wörter z. B. können also stilistisch
neutral sein, Stilwert haben oder stilistische Effekte erzeugen. Zum Beispiel sind
Konjunktionen, Präpositionen, Pronomen, Adverbien und ein Großteil des Grund-
wortschatzes in der Regel stilneutral (siehe dazu ausführlich Eroms 2014, S. 59–81,
144–146). „Geld“ etwa ist ein stilistisch neutraler Ausdruck, „Zahlungsmittel“ hat
einen Stilwert, wenn es in einem Finanzkontext vorkommt, erzielt aber einen
Stileffekt in einem Kontext, in dem es nicht erwartet wird (z. B. in einer umgangs-
sprachlichen Konversation zwischen Kindern). Auch mit Stilfiguren lassen sich
Stileffekte erzielen. Man kann unterscheiden zwischen Stilfiguren des „Ersatzes“
(z. B. Metapher), der „Hinzufügung“ (z. B. der Paronomasie – „Wiederholung eines
Wortes mit geringfügiger lautlicher Abwandlung, aber unterschiedlicher Bedeu-
tung“ – auf phonetisch/phonologischer Ebene), der Auslassung (z. B. Anakoluth,
„Unterbrechung der Satzkonstruktion“) und der „Umstellung“ (z. B. Anastrophe –
Wörter werden nicht in der „normalen Reihenfolge“ angeordnet) (vgl. dazu ausführ-
lich z. B. Eroms 2014, S. 185–206). Bezogen auf die Grammatik gelten im Deut-
schen wie im Englischen z. B. Aussagesätze mit dem Verb an zweiter Position im
Satz (Verbzweitstellung) als stilistisch neutral. Ausrufesätze erzielen oft Stileffekte,
indem sie Emotionen beisteuern oder verstärken („All das Leid!“). Aufforderungs-
sätze können einen Text lebendiger machen (z. B. „Denkt doch mal!“). Fragesätze
sind typischer für dialogische Texte und können v. a. in monologischen Texten
Stileffekte erzielen, indem z. B. der Adressat direkt angesprochen und einbezogen
wird („Wie ist eigentlich Ihre Haltung gegenüber . . .?“) (Eroms 2014, S. 171–172
sowie S. 172–182 für weitere Erläuterungen stilistischer Effekte grammatischer
Aspekte wie z. B. des Tempus und von Passivkonstruktionen; für eine ausführlich-
ere Beschreibung stilistischer Aspekte auf allen linguistischen Beschreibungsebenen
siehe auch Jeffries und McIntyre 2010, S. 31–60).
Dabei gilt es stets, das „Variationsgebot“ zu beachten: Die verwendeten Stilmittel
sollten einigermaßen ausgewogen sein, d. h. es muss das richtige Maß gefunden
werden zwischen Stilwerten, Stilneutralität und Stileffekten: Ein Zuviel an Stileffek-
ten („Sparsamkeitsgebot!“) verfehlt z. B. eine intendierte Wirkung der Aufmerk-
samkeitslenkung durch besondere Hervorhebung bestimmter Aspekte, und eine
Operation nur mit Stilwerten und Stilneutralität kann zum Rezeptionsabbruch führen,

16
Hervorhebung im Original.
94 D. Wawra

da das Kommunikat wenig ansprechend und langweilig erscheinen mag (Eroms 2014,
22–29).
So erzielte die Plakataktion des Bundesumweltministeriums (Fisser 2017, s. o.;
Mit welcher Intention?) Aufmerksamkeit durch Stileffekte, indem im Kontext von
Agrarpolitik, in dem eine sachliche, nüchterne Ausdrucksweise erwartet würde,
gereimt und zudem z. B. bei dem Plakatspruch „Haut Ackergift die Pflanzen um,
bleiben auch die Vögel stumm“ der sehr umgangssprachliche und plastische bzw.
bildliche Ausdruck „umhauen“ verwendet wurde.
Die Form des Kommunikats muss dabei immer auch für den kulturellen Kontext
passend sein, wenn eine PR Maßnahme Erfolg haben soll (In welchem Kontext? Mit
welcher Intention? und Mit welcher Wirkung?). So kann PR scheitern, wenn falsch
übersetzt oder kulturelle Eigenheiten und Nuancen nicht berücksichtigt wurden.
Sprachstile können unterschiedlich sein, z. B. mehr oder weniger direkt oder explizit.
Eine erfolgreiche Ansprache der Adressaten muss dies entsprechend berücksichtigen:
In der einen Kultur kann z. B. ein bildlicherer, persönlicherer und religiös gefärbter
Stil wirksamer sein, in der anderen ein sachlicherer und objektiverer (Payne 2017).17
VW arbeitet auf der eigens eingerichteten Website (Microsite, s. o.; Durch wel-
chen Kommunikationskanal?) anlässlich des Skandals um die manipulierten Emis-
sionswerte von Dieselfahrzeugen sehr sparsam mit Stileffekten. Auffällig ist ledig-
lich die in großen Lettern auf der Startseite sofort ins Auge fallende zentrale
Botschaft „We’re working to make things right“ (VW 2017). Die Botschaft ist kurz,
prägnant, umgangssprachlich und wird durch das Design, die große und gefettete
weiße Schrift auf blauem Grund, hervorgehoben. Wörter und Satzbau sind stilneut-
ral, um die Sachlichkeit zu unterstreichen. Die blauen Flächen der Webseite wirken
freundlich und entspannend auf den Besucher. Neben dem VW Logo und der
zentralen Botschaft finden sich auf dieser Hauptseite nur zwei Verlinkungen: Zum
einen der Aufforderungssatz „Check your TDI Goodwill Package balance“ und zum
anderen „More information on the TDI Settlement – Visit VWCourtSettlement.com“
(auch hier ist der zweite Teil als Aufforderung formuliert). Das Wissen um den
Skandal wird vorausgesetzt, auf der Hauptseite und den verlinkten Seiten wird an
keiner Stelle weder der Auslöser für den Skandal – die Manipulation der Abgaswerte
durch VW-Verantwortliche – noch dieser selbst erwähnt und auch nach einer
Entschuldigung sucht man vergebens. Die Formulierung der zentralen Botschaft
der Hauptseite „We’re working to make things right“. (Agens/Personalpronomen
„We“; Verb mit progressive aspect und im Aktiv) impliziert, dass der Konzern aktiv
versucht, ein Problem zu beheben bzw. etwas zu korrigieren, was falsch lief (Präsup-
position). Die Verantwortung dafür wird offengelassen. Auf den beiden verlinkten
Seiten finden sich dann ausschließlich sachliche Informationen zur Klärung von
Ansprüchen betroffener Kunden und deren Abwicklung.18 Die Informationsfunktion

17
Zur Erfassung kultureller Unterschiede und möglicher Auswirkungen auf PR Kommunikation
siehe z. B. auch Wawra (2008, S. 199–350).
18
https://www.vwcourtsettlement.com/en/, https://www.vwcourtsettlement.com/en/2-0-models/.
Zugegriffen am 10.03.2017.
Pragmastilistischer Ansatz zur Konzeption und Analyse von Public Relations. . . 95

(siehe Mit welcher Intention?) steht also deutlich im Vordergrund. Der äußerst spar-
same Einsatz von Stileffekten dient dem Zweck, dass möglichst wenig Aufmerksam-
keit auf den Skandal gelenkt wird.

3.9 Mit welcher Wirkung? – Erfolgskontrolle

Bei strategischer Kommunikation wie Public Relations geht es bei dieser letzten
Frage darum, die Intention bzw. das Ziel der Kommunikation (Mit welcher
Intention?) abzugleichen mit dem tatsächlichen Effekt: „Die über den PR-Erfolg
ausgelöste Wirkung zu erfassen, bedeutet, Veränderungen der Realität zu messen
(z. B. in Bezug auf Verhaltensweisen, Einstellungen, Wissen) und sie in einen
Wirkungszusammenhang mit PR-Aktivitäten zu stellen“. (Reisewitz 2017). Ein
direkter Nachweis ist meist schwierig aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren
auf z. B. das Firmenimage und die Zufriedenheit von Ziel- und Anspruchsgruppen.
Es können jedoch Maßnahmen ergriffen werden, die mindestens Anhaltspunkte für
die Effektivität von PR geben. Im Vorfeld einer PR Maßnahme kann z. B. deren
Wirkung hinsichtlich der Zielsetzung auf eine Gruppe von Probanden im Unter-
schied zu einer Kontrollgruppe getestet werden wie auch der Effekt von Kommuni-
kationsalternativen. Nach der Durchführung einer PR-Maßnahme kann z. B. anhand
von Medienresonanzanalysen, Daten zur Kunden- oder Mitarbeiterzufriedenheit und
Umfragen zur Einschätzung des Unternehmens (Imageforschung) überprüft werden,
ob eine Maßnahme die gewünschte Wirkung erzielt hat. Auch die Entwicklung von
Umsatz- und Verkaufszahlen kann mittelfristig zu einem Gesamtbild der Wirksam-
keit von PR beitragen (siehe auch Wilcox und Reber 2012, Kap. 9; Reisewitz 2017).

4 Fazit

Es wird immer wieder kritisiert, dass Sprache und Kommunikation in Organisatio-


nen noch zu wenig als wichtiger Erfolgsfaktor erkannt werden und entsprechend zu
wenig Wert gelegt wird auf eine wissenschaftsgestützte systematische und profes-
sionelle Herangehensweise, selbst wenn es um strategische Kommunikationsformen
geht (vgl. z. B. Burel 2016, S. 561). Die Public Relations als langfristig angelegte
vertrauensbildende kommunikative Maßnahme, die das Ansehen von Organisatio-
nen und Personen des öffentlichen Lebens befördern soll, sind ein Bereich, in dem
Einsatz und Wirkung von Sprache ganz besonders entscheidend sind für den Erfolg
oder Misserfolg. Der vorgestellte Entwurf eines pragmastilistischen Ansatzes zur
Konzeption und Analyse von Public Relations Kommunikation zeichnet sich
dadurch besonders aus, dass er einen wissenschaftlich fundierten integrativen Rah-
men für die Konzeption wie Untersuchung von Public Relations bietet, der For-
schungsergebnisse der Linguistik, Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaft
vereint und eine Basis für Praktiker bietet, um Public Relations möglichst effektiv zu
gestalten.
96 D. Wawra

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Diskursbasierte Ansätze zur Analyse von
Public Relations Kommunikation

Daniela Wawra

Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird zunächst ‚Diskurs‘ charakterisiert, und darauf aufbauend
werden typische Diskurse der Public Relations (PR) kategorisiert. Es folgt eine
Darstellung von Aufbau, Arten und Funktionen von Diskursen allgemein sowie
PR Diskursen im Besonderen. Im Anschluss werden für PR Kontexte geeignete
Ansätze zur Diskursanalyse vorgestellt. Schließlich werden Diskurs-Frames und
ihre Bedeutung für Public Relations diskutiert.

Schlüsselwörter
Public Relations • (Kritische) Diskursanalyse • Multimodale Diskursanalyse •
Diskurstypen • Diskursfunktionen • Diskursstrategien • Diskurs-Frames

Inhalt
1 Einleitung: Der Diskursbegriff und Diskurse der Public Relations (PR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
2 Aufbau, Arten und Funktionen von Diskursen allgemein und PR Diskursen
im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
2.1 Propositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
2.2 Themen, Themenentfaltung, Diskurstypen und -funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
2.3 Die Makrostruktur eines Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
2.4 Superstrukturen eines Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
3 Grundzüge ausgewählter Ansätze der Diskursanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
3.1 Das SPEAKING Modell nach Hymes (1972) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
3.2 Diskurslinguistische Modelle nach Warnke (2008) und Spieß (2013) . . . . . . . . . . . . . . . 106
3.3 Modell der professionellen und diskursiven Praktik nach Bhatia (2012) . . . . . . . . . . . . 107
3.4 Diskursstrategisches Modell nach Habermas (1987); Fill (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
3.5 Gees (2014b) „How-to-“Ansatz zur Analyse von Diskursen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
3.6 Machin und Mayrs (2012) Ansatz zur (kritischen) Analyse multimodaler
Diskurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

D. Wawra (*)
Lehrstuhl für Englische Sprache und Kultur, Universität Passau, Passau, Deutschland
E-Mail: daniela.wawra@uni-passau.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 99


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_7
100 D. Wawra

4 Diskurs-Frames und die Rezeption von PR Diskursen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111


5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

1 Einleitung: Der Diskursbegriff und Diskurse der Public


Relations (PR)

Es gibt zahlreiche unterschiedliche Definitionen des Diskursbegriffs. Im Folgenden


werden einige typische Merkmale vorgestellt, die grundlegend und im PR Kontext
besonders relevant sind. Diskurs kann mündliche wie schriftliche Sprache umfassen
(Fill 2010, S. 113). Gemeinsam ist diskursbasierten Ansätzen, dass sie über die
Analyse einzelner Sätze hinausgehen (z. B. Mautner 2016, S. 25). Mautner (2016,
S. 22) versteht Diskurs im Wirtschaftsbereich als mündliche und schriftliche Sprache
im Kontext, wobei die sozialen Funktionen des Diskurses im Fokus stehen. Auch im
Rahmen von diskurslinguistischen Ansätzen kommt dem Kontext besondere Bedeu-
tung zu. Es wird davon ausgegangen, dass „Wissen und Sprache“ „gesellschaftlich,
historisch und kulturell eingebettet“ sind. Es sollte daher immer mit berücksichtigt
werden, wer die „Akteure“ sind, die sich äußern (und welche dies nicht tun) und in
welches „politische, kulturelle und soziale Umfeld“ Diskurse eingebettet sind. Dies
wird in Diskursanalysen jedoch noch oft vernachlässigt (Larcher 2015, S. 33–35).
‚Diskurs‘ kann sich auch auf Kommunikate beziehen, die neben Sprache weitere
Modalitäten zur Bedeutungskonstruktion verwenden wie z. B. Bilder, Gestik, Musik,
Farbe etc. (multimodaler Diskurs) (z. B. Kress und Leeuwen 2001; O’Halloran 2004;
Royce und Bowcher 2007; Kress 2010). Multimodale Diskurse sind – nicht zuletzt im
PR Kontext – eher der Regelfall denn die Ausnahme und können bei den folgenden
Ausführungen meist mitgedacht werden. Renkema (2004, S. 1) definiert Diskurs kurz
als die Beziehung von Form und Funktion in der verbalen Kommunikation, wobei
dies auch auf multimodale Diskurse erweiterbar ist (z. B. Machin und Mayr 2012).
Analysen von Diskursen haben diesem Ansatz zufolge das Ziel aufzudecken, mit
welchen verbalen – bzw. ‚multimodalen‘ – Formen bestimmte Intentionen und Effekte
in einer bestimmten Situation umgesetzt werden (Renkema 2004, S. 43). Entspre-
chend wird als ‚Diskurs‘ auch bezeichnet, was als typisch wiedererkannt wird hin-
sichtlich Form, Inhalt, Produktions- und Rezeptionsbedingungen. Dies geht über das
Sprachliche hinaus und schließt den weiteren Kommunikationskontext und seine
Konstituenten mit ein wie z. B. Symbole, Objekte, Produzenten der Kommunikation,
zugrunde liegende Werte, Handlungen u. v. m. (Gee 1999, S. 18; Cooren 2015, S. 5).
Entsprechend gibt es einen Public Relations Diskurs, für den etwa Folgendes als
typisch gelten kann: PR geht in der Regel von Organisationen oder Personen des
öffentlichen Lebens aus (Auftraggeber). Zentrales Anliegen von PR ist es, das Anse-
hen der Organisation oder öffentlichen Person zu befördern, eigene Sichtweisen zu
verbreiten und durchzusetzen, Vertrauen zu schaffen und eine Beziehung aufzubauen
zu den verschiedenen Interessensgruppen. PR richtet sich damit extern an verschie-
dene Teilöffentlichkeiten bzw. Anspruchsgruppen (z. B. Kunden, Zulieferer, Medien,
die Politik) und intern an die eigenen Mitarbeiter. Typischen PR Diskursen zugrunde
Diskursbasierte Ansätze zur Analyse von Public Relations Kommunikation 101

liegende Strategien oder Funktionen sind (1) die Bekanntmachung eines Themas (dies
kann z. B. ein Produkt, Ereignis oder eine gesellschaftliche Entwicklung sein), (2) die
Information der Anspruchsgruppen über dieses Thema, (3) die Schadensvermeidung,
d. h. es wird versucht, potenziell für die Organisation oder öffentliche Person schäd-
liche Entwicklungen abzuwehren. Die (4) Imageprofilierung schließlich dient dazu,
ein gewünschtes – in der Regel positives – Bild der eigenen Person oder Organisation
bei den diversen Anspruchsgruppen durchzusetzen und zu erhalten (z. B. Diller 2001,
S. 627, 1443; Wawra 2008, S. 46–48, 50–51). Je nachdem, welche Funktion erfüllt
werden soll, können PR Diskurse in verschiedene ‚Subdiskurse‘ gegliedert werden,
die typische Spezifikationen aufweisen: Nach der adressierten Anspruchsgruppe kön-
nen etwa unterschieden werden die Subdiskurse (1) Human Relations (Mitarbeiter),
(2) Media Relations (Print und Online-Medien, z. B. Pressemitteilung), (3) Investor
Relations (z. B. Aktionäre). Nach dem Gegenstand kann man z. B. differenzieren
zwischen (4) Produkt PR und (5) Personality PR. Entsprechend dem konkreten Anlass
für die PR sind Subdiskurse v. a. das (6) Issues Management (Themen, die als
bedeutsam eingeschätzt werden, werden aufgegriffen und eine eigene Positionierung
dazu vorgenommen) und das (7) Crisis Management (zur Schadensvermeidung)
(Reisewitz 2017; Lies 2017; siehe auch Kunczik 2010, S. 26–34; Wawra 2008, S. 47).
Diskurse sind geprägt von Konventionen, sie legen „jeweils spezifische Sagbar-
keits- [bzw. Ausdrucks-] und Wissensräume sowie deren Grenzen fest“. Sie sind
„institutionalisierte, geregelte Redeweisen als Räume möglicher Aussagen, die an
Handlungen gekoppelt sind“ (Link 2016, S. 121). Allerdings scheinen die Grenzen
gerade bei kreativen Diskursen der PR nicht immer fix, sondern in einem gewissen
Rahmen verhandelbar. Foucaults Diskurstheorie geht noch weiter. Ihm zufolge
beschreiben Diskurse nicht eine vorhandene Realität, sondern schaffen diese erst.
Sie sind Arten der Wissensrepräsentation zu einem bestimmten historischen Zeit-
punkt. Zwar existieren Materielles und Handlungen unabhängig von Diskursen, sie
erlangen jedoch erst durch sie Bedeutung und werden zu Wissensgegenständen. Jede
Gesellschaft hat dabei ihre „regimes of truth“: Bestimmte Diskurse werden akzep-
tiert und für wahr gehalten. So werden ausgewählte Interpretationen von Dingen und
Ereignissen zu scheinbar objektiven Fakten (Foucault 1977, S. 27; 1980, S. 131;
Hall 2001, S. 73; Goatly 2007, S. 26–27).
Die Diskurslinguistik geht von einer solchen konstruktivistischen Perspektive
aus, d. h. es wird angenommen, dass Sprache die soziale Umwelt mit erschafft und
verändert. Analysen gehen oft über Einzeltexte und Untersuchungen der Textober-
fläche hinaus, d. h. es interessieren „textübergreifende Fragestellungen“. Grundlage
von Analysen bildet dann ein Korpus von „Texten, die thematisch zusammenge-
hören und aus einem vorab definierten Zeitraum stammen“. Sie können einen so
verstandenen ‚Diskurs‘ zumindest als Ausschnitt abbilden. Von Interesse ist dabei
besonders, welche Annahmen, Einstellungen und welches Wissen einem Diskurs
zugrunde liegt, wie sich „Sprache und Wissen“1 gegenseitig konstituieren. Dabei

1
Kursivdruck im Original.
102 D. Wawra

bedient sich die Diskurslinguistik unterschiedlicher Methoden, z. B. der Textlingu-


istik, Stilistik, Rhetorik, Semiotik und Korpuslinguistik (Larcher 2015, S. 33–35).
Ziel von PR ist es, die Deutungshoheit über Dinge und Ereignisse zu erlangen
und die eigene Interpretation bei den Anspruchsgruppen möglichst als die wahre,
richtige und für die Organisation bzw. die öffentliche Person vorteilhafte zu verbrei-
ten und zu etablieren. Bei einer kritischen Auseinandersetzung mit PR Diskursen
sollte allerdings nie übersehen werden, dass der jeweilige Diskurs eine von vielen
Interpretationsmöglichkeiten einer Situation ist. Sprache und Diskurse sind ein
potenziell ‚verzerrendes Medium‘ („distorting medium“), das zwischen einer außer-
sprachlichen Realität und deren individueller Wahrnehmung steht (Goatly 2007,
S. 27). Wissen um die Welt um uns herum ist also immer medial vermittelt durch
unsere Wahrnehmung, Kognition und Sprache bzw. Diskurse. Die Bedeutungszu-
schreibungen, die wir durch Diskurse vornehmen, basieren immer auf unserer
Interaktion mit unserer Umwelt. Dabei kann unsere soziale Umwelt durch Diskurse
verändert werden (Bourdieu 1991, S. 221–222, 236; Goatly 2007, S. 32–33), was
auch ein Anliegen von PR sein kann.
Nun stellt sich zunächst die Frage, wie Diskurse aufgebaut sind. Daraus ergeben
sich dann grundlegende Typisierungsmöglichkeiten.

2 Aufbau, Arten und Funktionen von Diskursen allgemein


und PR Diskursen im Besonderen

Diskurse bestehen grundlegend aus Propositionen, Themen (Topics), Makrostruktu-


ren und Superstrukturen (übergeordneten Strukturen) (Renkema 2004, S. 87–99).
Aus den Themen und deren Entfaltung lassen sich verschiedene Arten und Funk-
tionen von Diskursen ableiten. Im Folgenden sollen die Diskursbausteine und häufig
gebrauchte Typisierungen von Diskursen vorgestellt und an PR Diskursen exemp-
larisch aufgezeigt werden.

2.1 Propositionen

Eine Proposition kann als kleinste Bedeutungseinheit eines Diskurses beschrieben


werden, als eine Information, die dieser enthält. Der Fokus ist hier zunächst also auf
der Bedeutung und nicht auf der Form. Die konkrete Formulierung wird ausgeblen-
det, der Inhalt steht im Vordergrund (Renkema 2004, S. 87–90). McDonald’s (2017)
z. B. sagt über sich selbst auf der offiziellen Webseite: „McDonald’s setzt weltweit
Maßstäbe in Gästeservice und Restauranterlebnis. Wir erfinden uns jeden Tag neu,
um dir nachhaltige und gesunde Produkte zu servieren.“ Der erste Satz enthält die
Hauptproposition ‚McDonald’s setzt Maßstäbe‘. Der zweite Satz enthält zwei
Hauptpropositionen: (p1) ‚Wir erfinden uns jeden Tag neu‘, (p2) ‚Wir servieren
nachhaltige und gesunde Produkte‘. Die zweite Proposition nennt dabei den Grund
für die erste (vgl. zu Arten von relationalen Propositionen z. B. Schubert 22012,
S. 72–76).
Diskursbasierte Ansätze zur Analyse von Public Relations Kommunikation 103

2.2 Themen, Themenentfaltung, Diskurstypen und -funktionen

Propositionen sind auf der Mikroebene eines Diskurses angesiedelt, der selbst die
Makroebene darstellt. Zwischen Propositionen und Diskurs, auf der Mesoebene,
sind die Themen (Topics) zu verorten, d. h. worüber es in dem Diskurs (Diskurs-
thema), Diskursteil oder Satz (Satzthema) geht. Das Thema wird deutlich durch die
jeweils kürzeste Zusammenfassung eines Diskurses bzw. durch die Hauptproposi-
tion eines Absatzes oder Kommentars in einem Satz (Renkema 2004, S. 90–93). Im
obigen Beispiel von McDonald’s ist das Unternehmen selbst das Satzthema des
ersten wie zweiten Satzes sowie auch Thema des Diskurses. Die Ausführung des
Themas oder „Themenentfaltung“2 kann grundsätzlich deskriptiv (beschreibend),
explikativ (erklärend), argumentativ (begründend) oder narrativ (erzählend) sein
(Brinker et al. 2014, S. 60–80). Müller (2011, S. 111–121) kommt z. B. zu dem
Ergebnis, dass in den von ihr untersuchten 20 Pressemitteilungen die deskriptiv-
argumentative Themenentfaltung dominiert. Auch Christoph (2009, S. 102–105)
charakterisiert die Themenentfaltung in Pressemitteilungen als deskriptiv und argu-
mentativ.
Darauf aufbauend kann zwischen verschiedenen Diskurstypen unterschieden
werden. In Anlehnung an Bühlers (1934/1990) Organonmodell der drei Funktionen
von Sprache (Symbol, Symptom und Signal) wird häufig unterschieden zwischen
(1) informativem Diskurs, (2) narrativem bzw. expressivem Diskurs und (3) argu-
mentativem Diskurs (Renkema 2004, S. 59). (1) Informativer Diskurs ist sachlich,
die Information der Adressaten steht im Vordergrund. (2) Narrativer/expressiver
Diskurs ist subjektiv, es wird eine persönliche Sichtweise dargelegt bzw. die Selbst-
darstellung steht im Zentrum. (3) Argumentativer Diskurs liegt vor, wenn die
Adressaten durch das Vorbringen von Argumenten von etwas überzeugt oder zu
etwas bewegt werden sollen. Selten trifft man einen der drei Diskurstypen in
Reinform an, in der Regel sind die Diskursarten miteinander kombiniert, wenn auch
häufig eine Art dominiert.
Sechs Arten von Diskursen können unterschieden werden auf der Basis von
Jakobsons Modell der Sprachfunktionen (Jakobson 1960; Renkema 2004,
S. 59–60): (1) referentieller Diskurs bezieht sich auf den außersprachlichen Kontext,
die Information steht im Zentrum, (2) emotiver Diskurs drückt die Einstellungen und
Gefühle des Diskursproduzenten aus, (3) konativer Diskurs wendet sich an die
Adressaten (z. B. ein Befehl oder eine Anleitung), (4) poetischer Diskurs stellt die
Form der Botschaft in den Vordergrund (z. B. Dichtung, Reim), (5) phatischer
Diskurs dient der Kontaktaufnahme (z. B. „Hallo“) und (6) metasprachlicher Dis-
kurs der Überprüfung des Kommunikationskanals (z. B. „Verstehst Du mich?“).
Auf diese Ansätze aufbauend können verschiedene grundlegende Funktionen
unterschieden werden, die Diskurse erfüllen können: (1) Information („Im letzten
Quartal hatten wir folgende Verluste zu verzeichnen (. . .)“), (2) Appell („Entdecken
Sie unser Unternehmen!“), (3) Obligation („Wir versprechen . . ./Wir verpflichten

2
Hervorhebung im Original.
104 D. Wawra

uns . . .“), (4) Kontakt („Willkommen . . .“) und (5) Deklaration („Hiermit beschei-
nigen wir . . .“). In Diskursen werden meist mehrere der Funktionen realisiert, wobei
eine oder mehrere Funktionen dominant sein können (Brinker et al. 2014,
S. 105–121). Ergänzt werden können die Funktionen noch um eine Darstellungs-
(in Anlehnung an Bühler (1934/1990), s. o.) bzw. besser Vermittlungsfunktion
(Wawra 2008, S. 146). Ein Diskurs fungiert als Medium, das die Intentionen der
Diskursproduzenten den Diskursadressaten bestmöglich deutlich machen soll. Die
erfolgreiche Vermittlung der Botschaft ist dabei grundlegend zunächst abhängig
v. a. von der „Sprachrichtigkeit“, „Deutlichkeit“, „Angemessenheit“ und „Knapp-
heit“ („Sprachökonomie“) (Eroms 2014, S. 223–233). Auch Grices (1975,
S. 45–47) Kommunikationsmaxime der Quantität („Kommuniziere so viel wie nö-
tig“), Qualität („Kommuniziere nichts, was Du für falsch hältst/nicht belegen
kannst“), Relation („Kommuniziere nur für den Kommunikationsanlass Relevan-
tes“) sowie der Art und Weise („Drücke Dich leicht verständlich aus“) beziehen sich
auf die Vermittlung. Eine gute Erfüllung der Vermittlungsfunktion ist also notwen-
dige Bedingung für die Umsetzung weiterer Funktionen. Ein ausführliches Anwen-
dungsbeispiel der genannten Funktionen im Rahmen einer Analyse von 100 Briefen
an die Aktionäre in Geschäftsberichten deutscher und US-amerikanischer Unterneh-
men findet sich in Wawra (2008, S. 289–326).

2.3 Die Makrostruktur eines Diskurses

Die Makrostruktur ist die generelle Bedeutung eines Diskurses. Sie kann extrahiert
werden durch drei Makroregeln („macrorules“): (1) Tilgung („deletion“), (2)
Generalisierung und (3) Konstruktion (Renkema 2004, S. 94–99). (1) Es werden
die Propositionen getilgt, die für die Interpretation anderer Propositionen eines
Diskurses irrelevant sind. (2) Propositionen werden soweit möglich umgewandelt
in eine allgemeinere Proposition. (3) Eine Proposition kann aus verschiedenen
Propositionen konstruiert werden. Dabei müssen die Propositionen, aus denen die
Makroproposition konstruiert wird, im Unterschied zu (2) nicht im Diskurs vorkom-
men, sie können auf Weltwissen beruhen. Die Regeln helfen dabei, die Bedeutungs-
struktur eines Diskurses offen zu legen.

2.4 Superstrukturen eines Diskurses

Superstrukturen sind konventionalisierte Schemata, die die übergreifende Form für


den makrostrukturellen Inhalt eines Diskurses bereitstellen (Renkema 2004,
S. 97–99). Typisch für Pressemitteilungen ist z. B. die Superstruktur (a) Oberer
Textrahmen, bestehend aus Absender (ggfs. Empfänger), Kennzeichnung als Pres-
semitteilung (ggfs. „Sperrvermerk“ bei „terminkritischen“ Angelegenheiten),
(b) Textkern bestehend aus „Schlagzeile bzw. Headline“ („mit Dach- und Unter-
zeile“), „Vorspann“ oder „Lead“ (dieser ist oft typografisch auffällig und sollte
Antworten auf die Fragen „Wer?, Was?, Wann?, Wo?, Wie?“ enthalten) und „Hauptteil“
Diskursbasierte Ansätze zur Analyse von Public Relations Kommunikation 105

(„inklusive Zwischenüberschriften“). Der (c) untere Textrahmen enthält ein knap-


pes und prägnantes „Unternehmensporträt“ (z. B. „Deutschlands Marktführer für
. . .“) und die „Kontaktadresse“ (ggfs. ergänzt um den Hinweis, dass und wo
weitere Informationsmaterialien zu bekommen sind) (Christoph 2009, S. 106–118).3

3 Grundzüge ausgewählter Ansätze der Diskursanalyse

In diesem Abschnitt werden ausgewählte Ansätze zur Analyse von PR Diskursen


vorgestellt. Sie sind besonders kontextsensitiv, strategisch, praktisch und/oder kri-
tisch auf die Analyse von (multimodalen) Diskursen hin ausgerichtet, so dass sie sich
gut zur Erfassung von PR eignen. Die Modelle stammen von Hymes (1972); Warnke
(2008); Spieß (2013); Bhatia (2012); Habermas (1987); Fill (2010); Gee (2014b)
und Machin und Mayr (2012).

3.1 Das SPEAKING Modell nach Hymes (1972)

Ein bekanntes Beschreibungsraster, das als Ausgangspunkt für Diskursanalysen


immer noch sehr verbreitet ist, ist das von Hymes (1972) entwickelte SPEAKING
Modell. Es umfasst die wichtigsten Faktoren, die Einfluss auf ein Kommunikations-
ereignis haben können (Renkema 2004, S. 43–44): (1) Setting und Scene, (2) Parti-
cipants, (3) Ends, (4) Act Sequences, (5) Keys, (6) Instrumentalities, (7) Norms und
(8) Genres.

(1) Das Setting bezieht sich auf Zeit, Ort und den weiteren physischen Kontext einer
Redesituation. Die Scene bezieht sich auf den psychologischen Kontext, z. B. ob
die Situation formell oder informell ist.
(2) Die Participants sind die Kommunikationsteilnehmer, d. h. Produzenten und
Adressaten.
(3) Ends bezeichnen Zweck bzw. Ziele der Kommunikation.
(4) Act Sequences stehen für Form, Inhalt und Anordnung der Botschaft.
(5) Keys referieren auf den Ton der Kommunikation, ist er z. B. ernst oder humor-
voll.
(6) Instrumentalities sind die Kommunikationskanäle (mündlich, schriftlich) und
die Sprachformen (Dialekt, Umgangssprache, Standard); diese Kategorie kann
für multimodale Diskurse erweitert werden, indem die Arten und Formen der
verwendeten Modalitäten untersucht werden.
(7) Normen beziehen sich auf die Konventionen der Interaktion (z. B. hinsichtlich
Unterbrechungen) und der Interpretation (z. B. einer Aussage oder eines Bildes).
(8) Genres referieren auf die Art des Sprechereignisses (z. B. Werbung, Märchen).

3
Alle Hervorhebungen im Original.
106 D. Wawra

An dem Modell wurde kritisiert, dass es unvollständig ist. Insbesondere bezieht


es nicht explizit mit ein die Einstellungen der Beteiligten. Diese sowie ihr Hinter-
grund- und Weltwissen haben jedoch entscheidenden Einfluss auf die Botschaft und
ihre Rezeption (Renkema 2004, S. 44). Dies ist auch kulturell beeinflusst und sollte
bei der Diskursanalyse eines Redeereignisses berücksichtigt werden. Ein entspre-
chend erweitertes Modell ist für die Erfassung von Public Relations gut geeignet.
Besonders können so auch Unterschiede zwischen vergleichbaren Redeanlässen
herausgearbeitet werden.

3.2 Diskurslinguistische Modelle nach Warnke (2008) und


Spieß (2013)

Warnkes (2008, S. 51) Diskursanalysemodell (nach Larcher 2015, S. 35–36) unter-


scheidet zwischen (1) Intratextueller Ebene, (2) Akteuren und (3) Transtextueller
Ebene.
Auf intratextueller Ebene (1) werden untersucht die verwendeten Wörter, Propo-
sitionen, das Textthema und die visuelle Textstruktur. Auf der Wortebene kann etwa
gesucht werden nach Schlüssel-, Hochwert- und Plastikwörtern. Schlüsselwörter
sind prominent und für die Interpretation besonders wichtig, da sie im Diskurs eine
zentrale Stellung einnehmen (dies korreliert nicht unbedingt mit der Häufigkeit des
Vorkommens). Hochwertwörter werten das „Bezeichnete“ oder „näher Bestimmte“
durch ihr positive Bedeutung auf (z. B. hervorragend, einzigartig, Erfolg) und sind
oft durch eher emotionale Konnotationen gekennzeichnet. Plastikwörter haben die
Konnotation von Fachwissen, Wissenschaftlichkeit, Qualitätssicherung oder Exper-
tentum (z. B. Struktur, Prozess, Innovation) (Janich 2013, S. 169–172; für empiri-
sche Untersuchungen in PR Kontexten siehe z. B. für Pressemitteilungen Christoph
(2009, S. 127–144) und Wawra (2008, S. 299–302) für Geschäftsberichte). Auch
Fremd- und Fachwörter können zur Aufwertung des Gesagten beitragen, indem sie
Expertentum indizieren (Janich 2013, S. 156–164; Christoph 2009, S. 144–149).
Auf der Untersuchungsebene der Propositionen kann z. B. von Interesse sein eine
genauere Analyse der Botschaft der verwendeten rhetorischen Figuren, von Präsup-
positionen (implizierte Vorannahmen) (Bublitz 2001, S. 140–154), Implikaturen
(Erschließen einer Äußerung mit Hilfe kontextueller, situativer oder lexikalisch-
semantischer Hinweise) (Bublitz 2001, S. 178–197) und Sprechakten (Repräsentativa
– „feststellend[ ]“, „beschreibend[ ]“, Direktiva – „auffordernd[ ]“, Kommissiva –
„selbstverpflichtend[ ]“, Expressiva – Ausdruck der „Einstellung des Sprechers“,
Deklarativa – „realitätsschaffend[ ]“) (Bublitz 2001, S. 109–110). Das Textthema
kann genauer erfasst werden mit Hilfe der Erstellung lexikalischer oder „Metaphern-
felder“, der Themenentfaltung (deskriptiv, explikativ, argumentativ, narrativ, s.o.) und
der Textfunktionen. Die visuelle Textstruktur erschließt sich über das Design eines
Kommunikats.
Auf Akteursebene (2) werden analysiert die Rollen der Interaktanten, ihre Stel-
lung im Diskurs (d. h., z. B. die Machtverteilung, bei Aktantengruppen vorherr-
schende Ideologien) sowie die „Medialität“, d. h., v. a. durch welche Medien und
Diskursbasierte Ansätze zur Analyse von Public Relations Kommunikation 107

Kommunikationsformen kommuniziert wird. Die Transtextuelle Ebene (3) erfasst


u. a. intertextuelle Bezüge, Schemata, Topoi (auf Konvention beruhende nicht
hinterfragte Behauptungen) sowie Debatten des sozialen Kontexts (Warnke 2008,
S. 51; Larcher 2015, S. 35).
Das Modell zur Diskursanalyse nach Spieß (2013, S. 326; Larcher 2015, S. 36)
umfasst die (1) „Strukturelle Dimension“ (v. a. „Grammatische Kohärenz, Lexik,
Metaphorik“, Argumentation, „Formulierungsmuster“), die (2) „Thematische Dimen-
sion“ („Semantische Kohärenz“, „Themenentfaltung“, „Isotopieketten“ [„Identität
semantischer Merkmale“ von Wörtern, die diese verbinden (Eroms 2014, S. 50),
z. B. ‚Lebewesen‘]), (3) die „Funktionale Dimension“ („Textfunktionen“ und deren
Realisierung) sowie (4) die „Situativ-kontextuelle Dimension“ (Art der Situation und
Rollen, Medium, soziale Umwelt, in die der Diskurs eingebettet ist).

3.3 Modell der professionellen und diskursiven Praktik nach


Bhatia (2012)

Bhatias (2012, S. 246) Modell verbindet diskursive mit professionellen Praktiken.


Die diskursive Praktik ist demnach ein Textualisierungsprozess („TEXTUALIZA-
TION“). Dieser hat seinen Ausgangspunkt im „SOCIAL SPACE“, in dem Diskurs
als soziale Praktik verortet ist. Er reicht dann über den „SOCIO-PRAGMATIC
SPACE“, mit Diskurs als professioneller Praktik und Diskurs als Genre,4 bis zum
„TEXTUAL SPACE“, in dem Diskurs als Text verortet ist. Die professionelle
Praktik geht als Kontextualisierungsprozess („CONTEXTUALIZATION“) in die
andere Richtung der diskursiven Praktik, d. h. vom ‚textual space‘ zum ‚social
space‘.5 ‚Diskurs als Text‘ bezieht sich dabei auf Analysen von formalen und
funktionalen Aspekten der Oberflächenstruktur des Textes, d. h. Lexik, Grammatik,
Semantik, Phonologie, Organisations- und andere Aspekte der Textstruktur wie
z. B. die lexikalische und grammatische Kohäsion (Bhatia 2012, S. 242–245 skiz-
ziert z. B. beispielhaft die Analyse eines Aktionärsbriefs). Die Analyse von ‚Diskurs
als Genre‘ bezieht den Kontext mit ein. Im Mittelpunkt des Interesses stehen Fragen
der typischen Interpretation und des typischen Gebrauchs eines Texts und wie mit
ihm bestimmte Ziele erreicht werden können. Für die Textinterpretation ist Wissen
über das Genre nötig, d. h. ein Verständnis der gemeinsamen Praktiken der berufli-
chen und Diskursgemeinschaften. Auf dieser Ebene bzw. in diesem ‚Raum‘ kann auf
sozio-pragmatische (professionelle und taktische) Ressourcen des Genres zurückge-
griffen werden, um wiederkehrende und neue Herausforderungen zu meistern.
Neben Genrewissen ist auch Wissen um die professionelle Praktik erforderlich sowie
professionelle Erfahrung. Eine Analyse des ‚Diskurses als soziale Praktik‘ erweitert

4
Genres können definiert werden als „recognizable communicative events, characterized by a set of
communicative purpose(s) identified and mutually understood by members of the professional or
academic community in which they regularly occur.“ (Bhatia 2012, S. 241).
5
Hervorhebungen im Original.
108 D. Wawra

den Kontext vom professionellen auf den sozialen Bereich. Untersucht werden
z. B. durch Diskurse induzierte mögliche Veränderungen der Identitäten der Dis-
kursteilnehmer, sozialer Strukturen und beruflicher Beziehungen sowie deren Vor-
und Nachteile. Um den Anforderungen gerecht zu werden, ist soziales wie pragma-
tisches Wissen erforderlich. Die drei Bereiche (‚social‘, ‚socio-pragmatic‘ und
‚textual space‘) interagieren und sind komplementär. Analysen von Diskursen, die
dieses Modell als Ausgangspunkt verwenden, können in jedem der Bereiche anset-
zen und diese jeweils mehr oder weniger intensiv untersuchen und ggfs. erweitern, je
nach Forschungsziel. Das Modell wurde für geschriebene Genres entwickelt, kann
aber auch für gesprochene Sprache verwendet werden (Bhatia 2012, S. 246–247).
Ein solches Analysemodell eignet sich besonders dazu, typische Praktiken und
Kulturen der Public Relations herauszuarbeiten (in Anlehnung an Bhatia 2012,
S. 249).

3.4 Diskursstrategisches Modell nach Habermas (1987);


Fill (2010)

Da PR ein strategischer, d. h. geplanter und zielgerichteter Diskurs ist, scheint ein


diskursstrategischer Ansatz besonders gut geeignet, um ihn zu erfassen. Der Ansatz
basiert auf einem Verständnis von Sprache als sozialem Handeln (Habermas 41987;
Fill 2010, S. 139–141). Dieses ‚Handeln‘ kann (1) „normenreguliert“, (2) kommu-
nikativ, (3) dramaturgisch und (4) strategisch sein. PR Diskurse sind all dies bzw.
sollten es sein: Sie basieren auf gemeinsamen Werten (1), bauen eine Beziehung zu
den Adressaten auf (2), beinhalten (mehr oder weniger explizit) die Selbstdarstellung
(3) und sind auf ein Ziel hin ausgerichtet (teleologisch) (4). Die ersten drei Hand-
lungstypen sind „verständigungsorientiert“: Sie sind ausgerichtet auf Information
und Übereinstimmung. Das strategische Handeln (4) ist erfolgsorientiert und bean-
sprucht, wirksam zu sein.6 Diskursstrategien können auf drei Ebenen ansetzen: Bei
(1) Form, (2) Inhalt und (3) multimodaler Bedeutungsgenerierung.

(1) Ziel der Strategien, die formbezogen sind, ist es v. a., die Aufmerksamkeit der
Adressaten zu bekommen und als Gedächtnisstütze zu fungieren. Hierzu sind
z. B. rhetorische Mittel geeignet wie Dreierlisten („Ihre Mobilität. Ihre Freiheit.
Unsere Handschrift.“)7 (Continental 2017), Aufzählungen, Kontrastierungen
(„Vor 50 Jahren . . . Heute . . .“), intertextuelle Verweise (z. B. Zitate) und
Stilfiguren wie (Metaphern, Alliterationen, Wortspiele etc.).
(2) Inhaltsbezogene Diskursstrategien finden sich auf der Ebene von Wort
(z. B. euphemistische und pejorative Benennungsstrategien wie z. B. „Urbani-
sierung“ (Zerstörung von Dörfern) oder „provinziell“), Satz (Verlinkungsstrate-

6
Kursivdruck jeweils im Original.
7
http://www.continental-corporation.com/www/portal_com_de/themen/continental/basics/vision_
de.html.
Diskursbasierte Ansätze zur Analyse von Public Relations Kommunikation 109

gien, z. B. „WELTBÜRGER MIT VERANTWORTUNG – McDonald’s setzt


weltweit Maßstäbe in Gästeservice und Restauranterlebnis.“ (McDonald’s
2017), d. h. das Unternehmen wird mit Weltbürgertum und Verantwortung in
Verbindung gebracht) und Pragmatik (z. B. emotionale Ansprache, Vermeidung
heikler Themen).8
(3) Diskursstrategien der multimodalen Bedeutungsgenerierung beziehen sich auf
die Nutzung verschiedener Modalitäten, um die intendierte Botschaft an die
Rezipienten zu vermitteln. Die Bedeutungen können sich verstärken oder ergän-
zen, sie sollten sich nicht widersprechen. Zum Beispiel kann die Typografie
bestimmte Botschaften hervorheben (z. B. durch Fettdruck), Bilder können die
emotionale Ansprache unterstützen oder einbringen.

Ein interessantes Beispiel liefert die Webseite von McDonald’s (2017), auf der
zunächst ein Punk auffällt, der vor einer beschmierten Mauer auf dem Boden sitzt,
neben sich eine McDonald’s Tüte. Er isst aus einer Schachtel Pommes Frites.
Darunter steht „WELTBÜRGER MIT VERANTWORTUNG“, „McDonald’s setzt
weltweit Maßstäbe in Gästeservice und Restauranterlebnis. Wir erfinden uns jeden
Tag neu, um dir nachhaltige und gesunde Produkte zu servieren.“ ‚Verantwortung‘
ist mit hellgrünen Buchstaben geschrieben und die Farbe dominiert neben weiß auch
die Webseite. Die Farbe hellgrün erweckt die Assoziation von Natur und Umwelt
und unterstreicht die Botschaft der Nachhaltigkeit des Unternehmens. Der auffällige
Punk symbolisiert den Ausbruch aus Konventionellem und Eingefahrenem und
unterstützt insofern die Botschaft des sich ‚jeden Tag neu‘ Erfindens des Unterneh-
mens. Allerdings wird man dem Punk wohl eher nicht viel Verantwortungsbewusst-
sein zuschreiben. Dass er auf dem Boden sitzt, widerspricht ‚Gästeservice und
Restauranterlebnis‘. Es könnte höchstens ironisch verstanden werden als ‚weltweit
[neue] Maßstäbe‘ setzen, indem Gästeservice und Restauranterlebnis für Freigeister
geboten werden, die darin bestehen, dass man sein Essen verzehren kann, wo man
möchte, frei von verbreiteten Essenskonventionen.

3.5 Gees (2014b) „How-to-“Ansatz zur Analyse von Diskursen

Gee (2014b) stellt eine sehr praxisorientierte Herangehensweise an Diskursanalysen


vor und bietet einen umfangreichen ‚Werkzeugkasten‘ für die Dekonstruktion von
Diskursen. Im ersten Abschnitt (Gee 2014b, S. 7–47) wird dargelegt, wie Sprache
auf den Kontext referiert. Eine wichtige Frage, die man sich bei der Analyse eines
Diskurses stellen sollte, ist dabei z. B. welche Leerstellen es in der Bedeutung gibt,
d. h. was der Adressat hinzufügen muss, um die Botschaft zu verstehen. Welche
stillschweigenden Annahmen werden von den Diskursproduzenten also gemacht?

8
Hervorhebungen jeweils im Original.
110 D. Wawra

Im zweiten Abschnitt (Gee 2014b, S. 50–87) ist im Fokus, welche Intentionen bzw.
Ziele die Diskursproduzenten verfolgen. Im Mittelpunkt steht die Frage, warum gerade
diese lexikalischen und grammatikalischen Mittel ausgewählt wurden und nicht Alter-
nativen. Was wird damit jeweils bezweckt? Was wurde (auch thematisch, argumentativ)
ausgelassen? Welche mentalen ‚Bilder‘ sollen bei den Adressaten entstehen?
Der dritte Abschnitt (Gee 2014b, S. 90–153) befasst sich damit, welche Auswir-
kungen der Diskurs auf die Wahrnehmung des Kontexts bzw. diesen selbst hat. Was
wird z. B. als signifikant und als relevanter Kontext erachtet aufgrund dessen, was
im Diskurs wie gesagt wird? Welche Praktiken etabliert der Diskurs und welche
Aktivitäten werden als Erfolge dargestellt? Welche Identitäten und Beziehungen
(zwischen Menschen, Ereignissen und Dingen) werden konstruiert? Wie werden
Informationen verknüpft? Was wird als gut und nützlich für die Allgemeinheit
dargestellt? Welche Themen werden angesprochen, wie werden sie verknüpft und
gewechselt? Welche Zeichensysteme (z. B. verbal vs. nonverbal, Englisch
vs. Deutsch, technische vs. Alltagssprache) werden wann eingesetzt bzw. bevorzugt?
Werden Kontexte reproduziert oder verändert?
Der vierte Abschnitt (Gee 2014b, S. 156–193) widmet sich der situationsabhän-
gigen Bedeutungskonstruktion, dem Gebrauch und der Wirkung verschiedener
Sprachstile und -varietäten sowie der Intertextualität. Zudem wird gefragt nach
den typischen Narrativen und den im Diskurs entworfenen Welten („figured
worlds“). Auch ist von Interesse, in welchen erweiterten Kontexten (soziale Identi-
täten, gesellschaftliche Debatten, historische Ereignisse) der Diskurs verortet wird.
Die Fragen, die sich ein Diskursanalyst stellen sollte, um seinen bzw. ihren
Untersuchungsgegenstand möglichst genau zu durchleuchten, sind am Ende des
Buches noch einmal zusammengefasst. Gee (2014b) verfolgt einen kritischen Ansatz,
der Diskurse systematisch und sorgfältig hinterfragt. Dies erlaubt eine intensive
Auseinandersetzung mit PR Diskursen, deren Wahrnehmung manchmal von persuasiv
zu manipulativ wechseln kann. Der Analyserahmen kann in jedem Fall dazu beitragen,
ethische Grundsätze von PR zu befördern: Seitens der Produzenten, indem sie sich im
Vorfeld und während des Produktionsprozesses von PR Diskursen über die angespro-
chenen Aspekte Gedanken machen und seitens der Rezipienten bzw. Diskursanalys-
ten, indem manipulative Praktiken entlarvt und angeprangert werden.

3.6 Machin und Mayrs (2012) Ansatz zur (kritischen) Analyse


multimodaler Diskurse

Machin und Mayrs (2012) erweitern Instrumente und Methoden der Diskurslingu-
istik auf multimodale Kommunikate. Wörter und Bilder können z. B. auf Konnota-
tionen, Bedeutungsabsenzen oder -wiederholungen, strukturelle Oppositionen, die
situative Einbettung und Salienzen hin untersucht werden. Im Zentrum der Analysen
steht jeweils die Frage, warum gerade dieses und nicht ein anderes Kommunikati-
onsmittel eingesetzt wurde. Welche spezifische Bedeutung ist mit ihm also verbun-
den im Gegensatz zu einer anderen möglichen. Die Autoren gehen von Fragen der
Repräsentation aus: Was wird z. B. durch Nominalisierungen und Präsuppositionen
Diskursbasierte Ansätze zur Analyse von Public Relations Kommunikation 111

versteckt bzw. als gegeben bzw. selbstverständlich vorausgesetzt? Durch Nominali-


sierungen können z. B. Details verschleiert werden, etwa wer wofür verantwortlich
und wer betroffen ist: Wird z. B. formuliert „Eine Demonstration führte zu Stö-
rungen.“, bleibt offen, wer zur Demonstration aufgerufen und wer demonstriert hat,
was der Anlass war, welche Art von „Störungen“ auftraten und wer davon betroffen
war (Machin und Mayr 2012, S. 137–144). Als weitere zentrale Fragestellungen für
die Diskursanalyse werden z. B. angeführt, wie Rhetorik und Metaphern zur Persu-
asion eingesetzt werden (Machin und Mayr 2012, S. 163–185) und wie sich der
Diskursproduzent zum Kommunizierten stellt durch die Verwendung von Modalfor-
men und hedges (Heckenausdrücke), die eine Aussage relativieren bzw. abschwä-
chen können (Machin und Mayr 2012, S. 186–206): Die Formulierung „Dies wird
unser neuer Standort.“ zeugt z. B. davon, dass sich der Sprecher sehr sicher ist, dass
das Ereignis eintreten wird, während „Es könnte sein, dass dies unser neuer Standort
wird.“ Zweifel daran zulässt. Des Weiteren wird auch ausführlich darauf eingegan-
gen, wie Subjekte durch Verben, die zur Zitation benutzt werden („quoting verbs“),
dargestellt werden. Zum Beispiel impliziert „Das Management erläuterte . . .“, dass
Fakten dargestellt wurden (obwohl dies nicht der Fall sein muss). „Das Management
behauptete . . .“ hingegen stellt die gelieferten Informationen in Frage, stellt sie als
diskutierbar dar (Machin und Mayr 2012, S. 61). Eine weitere zentrale Analysefrage
ist, wie Menschen und ihre Identität repräsentiert werden. Hier gibt es verschiedenste
Strategien, darunter z. B. die Individualisierungs- vs. Kollektivierungsstrategie
(Machin und Mayr 2012, S. 80): So kann auf das Individuum referiert werden
„Anna Müller, Mutter von zwei Kindern . . .“ oder aber auf die Gruppe „Eine Kundin
. . .“. Die erste Formulierung ist persönlicher und ansprechender.
Für visuelle Diskurse werden parallel zur sprachlichen Analyse u. a. Untersu-
chungsparameter vorgestellt, die untersuchen, wie die Einstellung einer Person ausge-
drückt wird, etwa durch ihren Blick und ihre Haltung. Ihre Beziehung zu anderen
Personen, Ereignissen und Dingen kann kommuniziert werden durch ihre Positionie-
rung im Bild, d. h. vor allem die Distanz zu den Bezugssubjekten und -objekten.
Modalität kann ausgedrückt werden durch eine mehr oder weniger detaillierte Darstel-
lung, die Modulierung und die Farbgebung (Machin und Mayr 2012, S. 61, 201–206).
Machin und Mayrs (2012) Ansatz eignet sich besonders gut zur Analyse von
Form-Funktions-Beziehungen multimodaler Diskurse, die auch im PR Kontext mehr
die Regel, denn die Ausnahme sind. Die ausführlich dargestellten Untersuchungs-
kategorien, von denen eine Auswahl vorgestellt wurde, können auch eingebettet
werden in die zuvor beschriebenen Analysemodelle.

4 Diskurs-Frames und die Rezeption von PR Diskursen

Diskurse sind nicht nur in soziale Situationen eingebettet, sie können diese auch
verändern oder neue Kontexte schaffen. Diskurse aktivieren mentale Frames und
können so die Rezeption in intendierte Richtungen lenken. Frames erleichtern es
uns, die vielfältigen Stimuli, die unsere Sinnesorgane täglich verarbeiten müssen,
effizient zu sortieren in für uns potenziell Bedeutsames und Unwichtiges. Frames
112 D. Wawra

sind Interpretationsschemata, die uns erlauben, dem, was wir erleben, Bedeutung
zuzuschreiben. Durch sie wird selektiert, welche Aspekte einer Wahrnehmung
bedeutsam werden und welche nicht. Wenn nicht zusätzliche kognitive Energie
aufgewendet wird, bewirken Frames, dass das, was nicht ins Schema passt, ignoriert
wird (Goffman 1974, S. 21; Gitlin 1980, S. 6; Schön 1983, S. 40; Lamprinakis und
Fulton 2011, S. 1–2; Wawra 2010, S. 38). Eng verbunden damit ist das „Frame
Problem“: Potentiell kann jeder einzelne Aspekt des Kontexts Einfluss auf die
Bedeutung eines Diskurses haben. Ein Kontext ist jedoch unendlich und reicht z. B.
von nonverbalen Aspekten, die einen Diskurs begleiten (z. B. Körpersprache, Design)
über Einstellungen, Werte bzw. kulturelle Prägungen von Diskursproduzenten und
-rezipienten bis hin zu historischen Aspekten, die einen Diskurs prägen. Es gibt stets
etwas, das für die Interpretation eines Diskurses noch herangezogen oder vernachläs-
sigt werden kann. Zudem können Annahmen über für relevant empfundene Teile des
Kontexts falsch sein (Gee 2014b, S. 38–39). Wie erreicht man also gerade bei einer
strategischen Kommunikationsform wie den Public Relations, dass der Diskurs von
den Adressaten möglichst wie beabsichtigt interpretiert wird? Die einzige Möglichkeit
ist es, viel sorgfältiger als in der Alltagskommunikation mit Kontextinformationen
umzugehen und diese auch mehr und systematisch zu hinterfragen. Gee (2014b,
S. 44) schlägt hierfür ein „Frame Problem Tool“ vor. Dieses legt nahe, nach einer
Diskursanalyse – wenn wir also denken, wir hätten diese abgeschlossen – noch einmal
aufmerksam den Kontext in den Blick zu nehmen und um das zu erweitern, was noch
relevant sein könnte. Ändert sich die Bedeutung des Diskurses daraufhin nicht, spricht
das für eine angemessene Analyse. Wenden wir dies auf Public Relations an, sollte in
eine solche Reanalyse des Diskurses auch einfließen, was Adressaten hinsichtlich des
Kontexts noch für relevant halten könnten und ob dies ändern würde, wie der Diskurs
bei ihnen ankommt. Hierfür können z. B. in der PR etablierte Verfahren der Wir-
kungskontrolle angewendet werden wie z. B. Umfragen zur Rezeption eines Diskur-
ses (Reisewitz 2017).
Lamprinakis und Fulton (2011, S. 2–3) wenden den Frame-Ansatz auf Organi-
sationen an. Demnach aggregieren sich die mentalen Frames der Individuen einer
Organisation zu einem „meta-frame“, der ein emergentes Phänomen darstellt, also
mehr ist als die Summe der individuellen Frames. Zu ergänzen ist, dass manche
Individuen abhängig von ihrer Position in der Organisation mehr Einfluss auf den
Meta-Frame haben dürften als andere. Die mentalen Frames der Führungsebene
werden sich hier mehr niederschlagen als die mentalen Frames z. B. der Fließband-
arbeiter. Organisationen agieren als Interpretationssysteme ihrer Umwelt, und der
Meta-Frame stellt das dominante Interpretationsschema dar. Informationen werden
durch ihn gefiltert. Dies führt dazu, dass Organisationen eine bestimmte Sicht auf
sich und ihre Umwelt haben und die Gefahr groß ist, dass neue Informationen, die
nicht in den Organisations-Frame passen, ignoriert werden. Dies ist besonders für PR
Kontexte bedeutsam, da gerade hier häufig mit neuen Entwicklungen umgegangen
und außerhalb des Meta-Frames gedacht werden muss, damit keine relevanten Infor-
mationen übersehen werden und entsprechend angemessen reagiert werden kann.
Ein Beispiel für eine solche Fehleinschätzung und -reaktion lieferten
VW-Verantwortliche mit ihrer zu späten Reaktion auf die manipulierten Diesel-
Diskursbasierte Ansätze zur Analyse von Public Relations Kommunikation 113

abgaswerte. So sagte z. B. der Sprecher der Porsche SE: „Sie [VW-Verantwortliche]


standen zu diesem Zeitpunkt [am 18. September 2015] unter dem Eindruck, dass die
Problematik in den USA im Rahmen üblicher Gespräche und einer Zahlung, die im
niedrigen 3-stelligen Millionen Bereich (US-Dollar) liegen würde, gelöst werden
kann.“ (n-tv 2016). Auf ihrer ‚Microsite‘ (Esch 2017), d. h. einer von VWs Inter-
netauftritt getrennten Webseite, die ausschließlich aufgrund der Folgen der Manipu-
lation der Abgaswerte eingerichtet wurde (VW 2017), werden Frames wie „Skan-
dal“, „Manipulation“ oder „Schuld“ vermieden. Das diskursive Framing ist
vielmehr „make things right“ (auf der Startseite steht in großen Lettern „We’re
working to make things right“). Dies aktiviert bei den Lesern einen entsprechenden
mentalen Frame, der z. B. typischerweise enthalten dürfte, „etwas moralisch Rich-
tiges tun“, „Unrecht korrigieren“, „für Ordnung sorgen“. Vermieden wird es, den
Urheber des „Unrechts“ zu offenbaren.

5 Fazit

Die vorgestellten Ansätze zur Analyse von Public Relations machen sehr deutlich,
dass Diskurse bedeutungskonstituierend sind und unsere soziale Umwelt beeinflus-
sen können. Gee referiert auf dieses Phänomen als ‚proaktive Designtheorie‘ der
Bedeutung („proactive design theory“) (Gee 2014a, S. 214). Der Gebrauch jeglicher
Modalität zur Bedeutungskonstruktion ist jeweils situationsabhängig. Manchmal
werden gängige Praktiken routinemäßig angewandt, manchmal ist der Prozess
kreativer. Gerade bei einer strategischen Kommunikationsform wie Public Relations
müssen die in Diskursen konstituierten Bedeutungen sorgfältig abgestimmt werden
auf die jeweiligen Intentionen und die konkreten Gebrauchskontexte. Für diese muss
auch das mit den Adressaten geteilte Wissen berücksichtigt werden (z. B. kulturelle
Werte, Einstellungen u. v. m.). Die Botschaft des Gesamtdiskurses muss also sorg-
fältig mit den zur Verfügung stehenden Modalitäten orchestriert werden, damit den
Adressaten möglichst deutlich die beabsichtigte Rezeption signalisiert wird (Gee
2014a, S. 214–215). Da sich Diskurse und ihre Umwelt gegenseitig beeinflussen
und Diskurse unsere Gesellschaften mit gestalten können, tragen PR Produzenten
eine große Verantwortung und sollten dieser gerecht werden, indem sie sich hohen
ethischen Standards verpflichten. PR Rezipienten können sich manipulativer Dis-
kurse besser erwehren durch ein grundlegendes Verständnis multimodaler Mecha-
nismen der Bedeutungskonstruktion und die Einsicht, dass Diskurse jeweils nur eine
von vielen Interpretationsmöglichkeiten unserer Umwelt darstellen.

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Wertschöpfung als Wortschöpfung
Zur Modellierung des Sprachgebrauchs in der
strategischen Organisationskommunikation

Peter Stücheli-Herlach

Zusammenfassung
Sozial- und sprachwissenschaftliche Disziplinen haben im Laufe der Zeit unter-
schiedliche Wege der Beschreibung und Erklärung des Sprachgebrauchs in der
Organisationskommunikation gefunden. Seit der Jahrtausendwende erweist sich
eine diskurspragmatische Perspektive als gemeinsamer Nenner: Wertschöpfung
als Wortschöpfung zu verstehen, ist ihre Pointe (Abschn. 1) Anhand der Modelle
aus Organisations- und Managementforschung sowie aus der Linguistik lassen
sich wichtige Merkmale eines strategischen Sprachgebrauchs für den Organisa-
tionsdiskurs bestimmen. Neben dem Begriff der Strategie spielt dabei jener des
Designs eine wichtige Rolle, der für die besonderen Bedingungen und Heraus-
forderungen kollektiver kommunikativer Problemlösung steht (Abschn. 2) Diese
Modellierungen legen es nahe, den Sprachgebrauch in der strategischen Organi-
sationskommunikation als eine Praxis semiotischer Vernetzung zu definieren, die
von einzelnen Diskurshandlungen bis zu diskursiven Formationen reicht und mit
spezifischen Methoden empirisch erforscht werden kann, was ein Fallbeispiel
illustriert (Abschn. 3)

Schlüsselwörter
Diskurspragmatische Perspektive • Organisationskommunikation • Diskurshand-
lungen • Strategie • Design • Angewandte Linguistik

Inhalt
1 Bedeutung der Sprache für die Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
1.1 Von der Wirtschaftslinguistik zur Diskurstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
1.2 Von der „Diskursivierung“ zur diskurspragmatischen Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
1.3 Organisationsdiskurs als Erwartungsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

P. Stücheli-Herlach (*)
Zürcher Fachhochschule (ZHAW), Winterthur, Schweiz
E-Mail: stue@zhaw.ch

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 117


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_8
118 P. Stücheli-Herlach

2 Modellierung des organisationsstrategischen Sprachgebrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122


2.1 Grundlegende organisationstheoretische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
2.2 Grundlegende sprachwissenschaftliche Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
2.3 Gemeinsamer Fokus auf Strategie und Design . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
3 Perspektiven für die anwendungsorientierte Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
3.1 Definitorischer Ertrag der Modellierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
3.2 Methoden zur Untersuchung organisationalen Diskurshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
3.3 Fallbeispiel eines strategischen Lösungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

1 Bedeutung der Sprache für die Organisation

Im Laufe der Zeit ist der Sprachgebrauch in der Organisationskommunikation aus


unterschiedlichen Perspektiven analysiert worden. Die verschiedenen Ansätze mün-
deten in jüngerer Vergangenheit in eine linguistische und diskurstheoretische Wende
(Abschn. 1.1). Diese Wende stärkt eine diskurspragmatische Perspektive, in welcher
der Sprachgebrauch als kreativer Akt der Situationsdeutung für die Organisation
konstitutiv ist und diese prägt (Abschn. 1.2). In dieser Perspektive sind Organisa-
tionsdiskurse genuine Erwartungsdiskurse, die Wertschöpfung ermöglichen oder
behindern (Abschn. 1.3).

1.1 Von der Wirtschaftslinguistik zur Diskurstheorie

Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Sprachgebrauchs in modernen


Organisationen ist nicht neu. Im Grunde geht sie auf Max Weber zurück, den
eigentlichen Begründer dieses Forschungszweigs. Er hat auf die Sinnorientierung
und Verstehbarkeit jeglichen menschlichen Handelns hingewiesen und diese im
Organisationskontext in der „Satzung“ von Regeln der Zusammenarbeit wiederer-
kannt, welche durch das Prinzip der schriftlichen „Aktenmäßigkeit“ ihre Geltung
dauerhaft erlangen können. Schriftliches Fixieren („Akten“) und mündliches Er-
örtern („Betrieb“) solcher „Satzungen“ ergeben für Weber zusammen das „Bureau“
als Keimzelle modernen „Verbandshandelns“ (Weber 1921/1975, S. 125–126).
Auch die Sprachwissenschaft selber hat eine lange Forschungsgeschichte zu
Organisationen vorzuweisen. Folgt man der Darstellung von Müller (2008,
S. 24–25), dann beginnt sie anfangs des 20. Jahrhunderts mit einer „Wirtschafts-
linguistik“, die nicht nur der Bürokratie durch die Normierung von Fachsprachen zu
dienen begann, sondern auch dem Handel durch die Ausbildung fremdsprachlicher
Kompetenzen von Berufsleuten. Für die Zeit nach den Weltkriegen diagnostiziert
Müller eine Wende zur Soziolinguistik, die sich für Ausdruckweisen sozialer Grup-
penbildung oder unternehmerischen Prestiges interessiert (ebda.). In dieselbe Epo-
che fällt auch die Entstehung der so genannten „Human Relations-“ Bewegung in
der Organisationstheorie, die nach der Effizienz-Euphorie früherer Jahre auf den
organisationsbildenden und wertschöpfenden Charakter menschlicher Interaktion
aufmerksam macht (zum historischen Überblick Wetzel und Aderhold 2009). Für
das Ende des letzten Jahrhunderts sieht Müller dann poststrukturalistische und
Wertschöpfung als Wortschöpfung 119

konstruktivistische Ansätze einer „Linguistik der Organisation“ ins Zentrum rücken,


die sich besonders für die Mehrsprachigkeit und Interkulturalität der modernen
Organisationskommunikation interessieren und diese nicht nur als Erschwernis
beschreiben, sondern als ganz wesentliche Potenziale erkennen.
Schließlich bilanziert Müller (ebda., S. 25), die Forschung habe mit dem Beginn
des neuen Jahrtausends eine doppelte Wende genommen, nämlich eine „linguisti-
sche“ Wende, was die Beschreibung der modernen Organisation betrifft, und eine
„diskursive“ Wende, was deren sprachwissenschaftliche Analyse betrifft. Ein Stich-
wort von Müller aufnehmend, soll diese doppelte Wende hier zusammenfassend als
Prozess der „Diskursivierung“ in der Analyse des Sprachgebrauchs zur Organisati-
onskommunikation bezeichnet werden.

1.2 Von der „Diskursivierung“ zur diskurspragmatischen


Perspektive

Diese „Diskursivierung“ der Analyse lenkt die Aufmerksamkeit zunächst auf einen
fundamentalen organisationstheoretischen Sachverhalt. Der Gebrauch von Sprache ist
für die Existenz und Leistungsfähigkeit einer Organisation zwar nicht alles; ohne ihn
wäre aber alles nichts. Mit anderen Worten: Moderne Organisationen würde es gar
nicht geben, ohne dass sich eine spezifische Art des Sprachgebrauchs für sie entwickeln
würde. Sie sind ein Prozess und ein Produkt der Kommunikation (Müller 2008, S. 22).
Dieser Sachverhalt ist schon im lebensweltlichen Umgang mit Organisationen
evident. Wir nähern uns einer Organisation, indem wir beispielsweise ein Stellen-
angebot auf einem Jobportal lesen. Um eine Service-Filiale oder einen Firmensitz
zu besuchen, klappern wir die Adressen auf einer Stadtkarte ab und orientieren uns
vor Ort an den Markennamen auf Leuchtreklamen. Wir werden an Empfangsdesks
durch freundliche Worte empfangen. Als Kunden werden wir durch E-Mails und
gedruckte Kataloge umworben, es werden uns Kauf- und Mietverträge zur Unter-
schrift vorgelegt. Marktforschungsinstitute befragen uns am Telefon nach unseren
Bedürfnissen und Vorlieben sowie nach unserer Zufriedenheit in Bezug auf Orga-
nisationsleistungen.
Diese Beispiele mögen oberflächlich erscheinen. Sie weisen aber auf die grund-
legende Tatsache hin, dass auch die professionelle Arbeit für Organisationen immer
auch sprachliche Arbeit ist (Müller 2006). So fordern Arbeitgeber bestimmte sprach-
liche Umgangscodes im E-Mail- und Telefonverkehr ein. Ganze Entwicklungsab-
teilungen schleifen an Wortmarken, lassen sie schützen und inszenieren sie in Social
Media. Wir investieren in Weiterbildungen, die uns mit sprachlichen Umgangsfor-
men in Ländern vertraut machen, in denen wir Geschäftsbeziehungen aufbauen oder
vertiefen möchten. Die Kompetenz von Führungspersonen wird von journalistischen
Medien wie im small talk der Kaffeepausen von Mitarbeitenden anhand ihrer
kommunikativen Fähigkeiten bewertet. Geschäftsleitungen streiten sich über For-
mulierungen zur Bekanntgabe schlechter wie guter Bilanzzahlen. Die Reihe solcher
Beispiele ließe sich beliebig verlängern.
Das Interesse am Sprachgebrauch zur Organisationskommunikation wird durch
die Reflexionsfigur der „Diskursivierung“ nicht nur auf diesen Sachverhalt der
120 P. Stücheli-Herlach

konstitutiven Bedeutung der Sprache für Organisationen hin ausgerichtet. Die Figur
lenkt das Interesse zudem auf ein Forschungsgebiet, das sich weit über einzelne
Äußerungen, Gespräche, Texte oder Textformen (wie beispielsweise die „Medien-
mitteilung“ oder den „Geschäftsbericht“) hinaus erstreckt. Denn der Begriff des
Diskurses umfasst einerseits den Zusammenhang sprachlicher Äußerungen über
einzelne Situationen hinweg, und anderseits weist er auf den Zusammenhang
sprachlicher Äußerungen mit kognitiven und sozialen Phänomenen hin: Ein Orga-
nisationsdiskurs vernetzt demnach das Wissen und Wirken, Wollen und Können,
Erinnern und Entwerfen sich organisierender Akteure und erzeugt genau dadurch die
Wirklichkeit der Organisation als einem sozialen Konstrukt (Foucault 1981, S. 74;
Habscheid 2003, S. 97–103; Fetzer 2014; Fairhurst und Putnam 2014).
Die „Diskursivierung“ führt in diesem zweiten Sinne zu einem Verständnis des
Organisationsdiskurses als einer narrativen Praxis: Sie erzeugt komplexe Sinnkonstrukte
als „Geschichten“ mit unterschiedlichen Rollen, Wertvorstellungen, Episoden und Schau-
plätzen (Czarniawska 1998; Viehöver 2006; Boje 2008; Musaccio 2009; für die PR siehe
Stücheli-Herlach und Perrin 2013; Schach 2016). Und sie erzählt diese Geschichten, um
Erwartungen in Bezug auf die Befriedigung von Bedürfnissen oder die Wahrung von
Interessen zu erzeugen, zu befriedigen oder zu verändern (Schimank 2005).
So verstanden, ist die „Diskursivierung“ in ihrem doppelten Gehalt eine Rückbe-
sinnung auf den Pragmatismus, also auf jenes amerikanisch-europäische Denken, das
von der „Kreativität“ jeglichen Handelns – und damit auch jeglichen Sprachhandelns –
ausgeht (Joas 1992). In dieser Perspektive erscheint die soziale Situation als ein
Moment, der für den Menschen durch sprachliches Handeln organisiert wird – und
nicht umgekehrt in dem Sinne, dass die Situation immer schon „vorgeben“ würde, was
gesagt oder geschrieben werden soll. Charles S. Peirce hatte den Akt der Zeichengebung
(die „Semiose“) auf diese Weise nicht nur als Bezeichnung, sondern aktive Deutung von
etwas in sozialen Situationen beschrieben (bspw. Peirce 1894/1998; Schubert 2010,
S. 33). Die Fokussierung der Forschung über Organisationen – und damit auch der PR –
auf Praxen des Sprachgebrauchs, das Verständnis dieser Praxen als gesprächs-, text- und
medienübergreifende Sinnkonstrukte und die Reflexion auf die narrative Form dieser
Sinnkonstrukte, die sprachliche wie kognitive und soziale Aspekte umfasst, wird hier
und im Folgenden als diskurspragmatische Perspektive bezeichnet.
Für Organisationen bedeutet diese Perspektive: Es ist nicht der Organisations-
zweck, der die Organisationskommunikation dirigiert, sondern umgekehrt: Die
sprachlich prozessierte Organisationskommunikation erzeugt erst eine Vielzahl
von Erwartungen und damit von verstehbaren Organisationszwecken, die ambig
und kontrovers sind und durch Sprachakte laufend aktualisiert, konkretisiert und
verändert werden müssen (Joas 1992, S. 218–244). Der Sprachgebrauch zur Orga-
nisationskommunikation, der in der Lehre der Bürokratie und in der Wirtschafts-
linguistik lediglich als „Mittel zum Zweck“ verstanden wurde, erweist sich nun,
nach dem „linguistic turn“, als jene zwecksetzende Praxis selber, welche sich dann
der Mittel der Organisation bedient (ebda.; Rorty 1967). Die Organisation wird zum
Sprachspiel – und Webers „rationale Herrschaft“ einer konsequent auf Schrift
setzenden Bürokratie erscheint in diskurspragmatischer Perspektive nurmehr als
ein zwar typischer, aber historisch gesehen spezieller Fall.
Wertschöpfung als Wortschöpfung 121

Beispielhaft ausgeführt: Spürt jemand plötzlich Hunger, so wird dieses Gefühl


erst durch die sprachliche Routine, es als „Hunger“ zu bezeichnen, zu einem sozial
bearbeitbaren Ereignis. Das Subjekt entscheidet in einem um den „Hunger“-Begriff
kreisenden Denkprozess, in welchem Moment es sein Empfinden artikulieren will
oder muss. Das Aussprechen des Bedürfnisses setzt dann eine Kette wiederum
sprachlich vermittelter, veräußerlichter Interaktionen in Gang, die von der Erörte-
rung der Situation über das Kochen oder das Aufsuchen einer Bäckerei bis zum
Herumreichen von Essbarem und dem Reden über Rezepte und über Sättigungsge-
fühle reichen kann. Etabliert sich eine solche Kette sprachlich vermittelter Interak-
tionen aus der Erwartung des wiederholten Auftretens des Bedürfnisses und der
Notwendigkeit seiner Befriedigung, entsteht eine Organisation. Je nach Art des
Bedürfnisses ist es eine „Arbeitsorganisation“ (wenn also ein Stück Brot zur Sätti-
gung beschafft werden muss) oder eine „Interessensorganisation“ (wenn es bei-
spielsweise um die politische Forderung nach Brot in bestimmter Qualität zu er-
schwinglichem Preis geht) (Schimank 2005). Die Interaktionsketten bilden
Strukturen aus (wer beschafft zu welchen Bedingungen welche Ressourcen?); sie
dienen der Erstellung bestimmter Leistungen für die soziale Situation (ein Brot zu
bestimmter Zeit oder in bestimmter Qualität zu produzieren); sie koordinieren die
Aktivitäten (wann macht wer was mit welchen Instrumenten?); und sie integrieren
die Beteiligten in den Organisationsprozess (durch Rollenmuster, Zielideen, Team-
geist o. ä.) (nach McPhee und Zaug 2009).

1.3 Organisationsdiskurs als Erwartungsdiskurs

Artikulation und Befriedigung von Bedürfnissen beziehungsweise die Wahrung von


Interessen sind also sprachlich ermöglichte, situative Deutungsakte und soziale
Vernetzungsoperationen. Als solche prägen sie die Organisation in ihrer jeweils
spezifischen Form aus. Denn es hat natürlich organisationale Konsequenzen, ob
jemand sehr rasch – und ohne viele Worte zu verlieren – ein Stück Brot genau dort
kaufen will, wo er frühmorgens hastig zur Arbeit geht; oder ob jemand unter der
Befriedigung seines Bedürfnisses versteht, zu festlichen Gelegenheiten sorgfältig
geformte Backwaren von besonderer Qualität frühzeitig nach individuellem Wunsch
– und einlässlicher Beratung – bestellen und gut verpackt zu sich nach Hause liefern
lassen zu können. Solche Unterschiede der Zwecksetzung und damit der Organisa-
tionsformen emergieren nicht durchs Berechnen von Betriebszahlen oder durch die
Nachprüfung der Regelgerechtigkeit von Organisationshandeln, sondern allein in
„lebendiger“, situativer sprachlicher Interaktion (Hermanns 2012).
Der Gebrauch von Sprache zur Organisationskommunikation kann entsprechend
nie nur auf ein rationales Kalkül reduziert werden; er ist nie nur ein zwingendes
Mittel zu einem eindeutigen Zweck, keine gleichsam mechanische Transmission
einer fixen Botschaft an exakt bestimmbare Zielgruppen, nicht eine einfache „Aus-
führung“ oder „Umsetzung“ von vorgängig „beschlossenen Angelegenheiten“
finanzieller, technischer oder rechtlicher Natur (zur Kritik an herkömmlichen Ansät-
zen Stücheli-Herlach et al. 2012). Im Gegenteil: Wertschöpfung ist Wortschöpfung
122 P. Stücheli-Herlach

in dem Sinne, dass erst sprachliches Handeln die Organisation auch mit ihren Geld-
flüssen, ihren technischen Prozessen oder rechtlichen „Satzungen“ möglich macht.
Jede Zahlung war ja vorgängig verhandelt worden, jeder effiziente Produktionspro-
zess musste geplant, erprobt und verbessert werden, jeder Vertrag musste geschrie-
ben und diskutiert werden – jede organisationale Entscheidung also hat ihre erzähl-
bare „Geschichte“. Und sie wird, einmal gefällt, zum Ausgangspunkt für deren
weitere Entwicklung oder Veränderung.
Wertschöpfung als Wortschöpfung zu verstehen, liegt durchaus quer zu vertrau-
ten Denk- und Sprechroutinen des beruflichen Alltags. Diese konzentrieren sich
häufig auf die Annahme eines eindeutigen Organisationsziels (und nicht auf dessen
vielfältige Deutung), auf die Effizienz von Prozessen (und auf nicht deren konver-
sationelle oder textliche Gestalt) oder auf die blanke Legitimität einzelner Normen
(und nicht auf deren Verwobensein mit unterschiedlichen Perspektiven in unter-
schiedlichen Geschichten).
Bei genauerem Hinsehen weiß die diskurspragmatische Perspektive allerdings
selbst die neuere, ökonomisch informierte Organisationstheorie auf ihrer Seite (einen
frühen Überblick bietet Niedermaier 1998). So beschreibt das neuste St. Galler
Management-Modell eine Organisation als ein kommunikatives „Wertschöpfungs-
system“, das Erwartungen generiert und abgleicht, also erfüllt, enttäuscht oder
korrigiert und Werthaltiges (das Bedürfnisse befriedigt oder Interessen sichert)
dadurch erzeugt, vermehrt oder vermindert (zusammenfassend Rüegg-Stürm und
Grand 2015, S. 13). Treiber des Organisationsdiskurses sind also Erwartungen, die
im Sprachgebrauch entstehen und durch ihn präzisiert werden, und deren Erfüllung
oder Enttäuschung wiederum durch Sprachgebrauch verhandelt wird. Der Organi-
sationsdiskurs ist ein Erwartungsdiskurs.

2 Modellierung des organisationsstrategischen


Sprachgebrauchs

Die Organisations- und Managementlehre hat für den Organisationsdiskurs ihre


Modelle (Abschn. 1.1) ebenso entwickelt wie die Sprachwissenschaft
(Abschn. 2.2). Die Disziplinen verbindet inzwischen ein gemeinsamer Fokus auf
den strategischen und den „designerischen“, also Lösungen entwerfenden Gebrauch
von Sprache (Abschn. 2.3).

2.1 Grundlegende organisationstheoretische Modelle

Die „linguistische Wende“, die Müller (2008) in der Organisationstheorie beobachtet


hat, ist durch den Sozialkonstruktivismus von Peter L. Berger und Thomas Luck-
mann vorbereitet worden. Sie vergleichen gesellschaftliche „Institutionen“ mit
„ungeschriebenen Textbüchern von Dramen“ (Plural durch den Verf., siehe Berger
und Luckmann 2009, S. 79), deren Legitimation im Rahmen „symbolischer Sinn-
Wertschöpfung als Wortschöpfung 123

welten“ erfolgt (ebda., S. 98–138; für Aktualisierungen und Weiterführungen des


„kommunikativen Konstruktivismus“ siehe Keller et al. 2013).
Ein weiterer Wegbereiter war Karl E. Weick mit seinem „sense making“-Modell
(Weick 2001, S. 182–203): In allem, was Erwartung und was Abgleich von Erwar-
tung ist – mithin in allem, was Wertung und Wertschöpfung ist – sieht Weick das
Ergebnis kollektiver Sinnproduktion. Diese wird laufend angeregt durch Probleme,
Überraschungen und Unsicherheiten des Organisationsalltags. Man „hat“ ja nie
seine Kunden auf sicher, sondern muss sie in immer wieder neuen Situationen mit
neuen Angeboten suchen, ansprechen, pflegen, halten, zurückgewinnen – oder auch
mal bewusst zum Konkurrenten wegziehen lassen. Man „macht“ also seine Kund-
schaft eher, als dass man sie „hat“ – und diese Praxis ist ein kollektiver Handlungs-
vollzug von Organisationsmitgliedern zusammen mit ihrer Kundschaft. Das gleiche
gilt zudem für alles, was eine Organisation zusätzlich ausmacht, also für die funk-
tionierende technische Infrastruktur, für die identifizierte Belegschaft, für die attrak-
tiven Leistungs- und Konsumangebote – und natürlich auch für die Medien und
Botschaften strategischer Organisationskommunikation. Dabei schleifen sich Muster
der Deutung und Kategorisierung von Erwartungen ein, was Weick „enactment“
nennt. So ist es kaum vorstellbar, dass eine Organisation, die sich „Bäckerei“ nennt
und als solche genutzt wird, nicht „frisches Brot“ anzubieten hätte, oder dass ein
„Take Away“-Stand, der erfolgreich sein möchte, Esswaren nur auf längerfristige
Vorbestellung liefern würde. In einem späten Text hat Weick selbst diesen Schlüssel-
prozess des sprachlichen Abgleichs von Erwartungen „discoursing“ genannt – und
damit auch explizit die diskurspragmatische Perspektive eingenommen (Weick, in
Grant et al. 2004, S. 411).
Bemerkenswert ist die Diskussion, die ausgehend von diesen Wegbereitern
inzwischen über das Label „CCO“ (für „Communication Constitutes Organization“)
geführt wird. Dieses soll verschiedene Ansätze in sich vereinen, die Organisation –
wenn auch aus je unterschiedlicher Perspektive – aus Kommunikation erklären
(Putnam und Nicotera 2009; Brummans et al. 2014; Schoeneborn und Wehmeier
2014). Dazu gehört Niklas Luhmanns Modell organisationaler Entscheidungskom-
munikation (Luhmann 2006; Domke 2006). Dazu gehört die strukturationstheoreti-
sche Beschreibung der Organisation (McPhee und Zaug 2009) als einem Netzwerk
kommunikativer „Flüsse“, die integrierende, koordinierende, positionierende und
strukturierende Wirkungen entfalten, wie es oben anhand des Bäckerei-Beispiels
schon erläutert worden ist.
Dazu gehören auch die Arbeiten der so genannten „Schule von Montréal“ (Taylor
und van Every 2011; Cooren 2015), die sich unter den genannten Ansätzen am
stärksten an Phänomenen des Sprachgebrauchs orientieren. Sie stellen Konversatio-
nen und die Produktion und Rezeption von Texten ins Zentrum ihres Organisations-
modells. Diese semiotischen Praxen verknüpfen die Erwartungen der Beteiligten zu
die Rollen verbindenden und handlungsleitenden Sinnkonstrukten („Imbrication“,
siehe Taylor und van Every 2011, S. 28–32). So können sich verschiedene Beteiligte
zu unterschiedlicher Zeit an unterschiedlichen Orten an einem „schriftlichen Auf-
trag“, einem „Protokoll“, einem „Strategiepapier“ oder einem „gültigen Vertrag“
orientieren. Ihre Handlungen „überlappen“ sich deshalb dort, wo diese „Texte“ der
124 P. Stücheli-Herlach

Organisation ihnen eine gemeinsame Sinnstruktur verleihen – beispielsweise durch


die gesprächsmündliche Aktualisierung von deren Bedeutung.
François Cooren (2000) hat die in Konversationen und Texten vollzogenen
Sprechakte als Schlüsselereignisse der Organisation wie folgt beschrieben: Die
Lokution (bspw. der geäußerte Satz mit einem Kaufwunsch) und die Charakteristi-
ken ihrer phonetischen – oder, falls der Kaufwunsch bspw. per Mail geäußert wird,
auch typografischen und digitalen – Realisierung bilden ein materialisiertes Substrat
in Form eines Knotens, von dem aus mit der Illokution (bspw. die im Wunsch
enthaltene Aufforderung zum Verkauf des Brotes) und mit der Perlokution (bspw.
der erfahrungsgesättigten Erwartung der raschen Ausführung des Brot-Handels)
netzwerkartige Sinnbezüge in verschiedenen Richtungen geschaffen werden. Der
Gebrauch von Sprache verknüpft den Moment der Äußerung also mit einem ganzen
Netzwerk an Zusammenhängen in Vergangenheit und Zukunft, das von den Kom-
munikationspartnern als sinnfällig aufgefasst werden kann. Zu diesem Netzwerk
gehören verschiedene Handlungsrollen wie der Verkäufer, der Käufer, der Bäcker
oder auch die mitspeisenden Familienangehörigen. Zu diesem Netzwerk gehören
aber auch Objekte wie die nötigen Geldstücke oder der gebackene Teig, und es
gehören Prozesse wie das Backen und das schonungsvolle Einpacken des Brotes
dazu. Cooren spricht – mit dem französischen Soziologen Bruno Latour – von einem
narrativen strukturierten Netzwerk der Handlungserwartungen und Erwartenserwar-
tungen in Bezug auf die Handlungsrollen, Objekte und Prozesse (ebda.,
S. 196–207). Tatsächlich ist das organisierte Geschehen von Rohstoffgewinnung,
Brotherstellung, Brothandel und -verzehr zur Bedürfnisbefriedigung erzählbar. Und
das Netzwerk an Geschichten dient Akteuren als mentale Landkarte für die Artiku-
lation, interaktive Bearbeitung und den Abgleich ihrer wechselseitigen Erwartungen.

2.2 Grundlegende sprachwissenschaftliche Modelle

Die Entwicklung der diskurspragmatischen Perspektive auf die Organisationskom-


munikation ist aber nicht nur ein Ereignis in der Organisationstheorie gewesen.
Sprachwissenschaftliche Modelle haben ebenfalls ihren entscheidenden Anteil
daran. Drei davon sollen in der Folge kurz beschrieben werden.
Da ist zum einen der Wissensgewinn über kommunikative Gattungen oder
„Genres“, der ein Wissensgewinn auch über die organisierende Funktion sprachli-
cher Praxen der Interaktion war (Günthner 2007; Luckmann 2009). Die Unmöglich-
keit, in Erwartungsdiskursen in jeder Situation alles Nötige bewusst zu bedenken,
mithin die Notwendigkeit, die Interaktion zu routinisieren, also auf vorstrukturierte
Formen zurückzugreifen, lässt solche Genres emergieren. So ist im Verkaufsge-
spräch der Bäckerei von vornherein klar und erwartungsrelevant, dass der Sprachstil
höflich gewählt und dass vor allem mündlich kommuniziert wird. Im Produktemar-
keting sind ironische Übertreibungen und Metaphern im Wechselspiel von münd-
lichem, schriftlichem und visuellem Ausdruck verständlich und akzeptiert, während-
dem solches in Vertragsverhandlungen mit den Behörden – die vor allem schriftlich
erfolgen – routinemäßig wenn möglich vermieden wird. Das Wissen um solche
Wertschöpfung als Wortschöpfung 125

ungeschriebenen, aber permanent befolgten Regeln des Sprachgebrauchs in der


Organisationskommunikation ist von der Linguistik Schritt für Schritt verfeinert
worden (Brünner 2000; Müller 2006; Domke 2006, 2011). So ist Müller in empiri-
schen Studien auf differenzierte Abstufungen und Kombinationen zwischen Gattun-
gen, Formen und Normen des Sprachgebrauchs in den untersuchten Organisationen
gestoßen, und er hat sie auf den drei Ebenen der Gesprächsdurchführung, der
kollektiven Wissensorganisation und der kulturellen Dispositionen angesiedelt
(Müller 2006, S. 125–224; 253–258). Zusammenfassend gesprochen bleibt die
Erkenntnis, dass solche routinierten Genres der Organisationskommunikation nicht
einfach „Gefäße“ sind, in die hinein sprachfremde Inhalte „gegossen“ werden,
sondern dass sie Folien für die Vernetzung von Interaktionen sind, die je ihre eigenen
Geschichten erzählen und damit kommunikative Vernetzung je nachdem ermögli-
chen oder verhindern. So setzen in Organisationen erfahrungsgemäß schon dann
kontroverse Diskussionen ein, wenn das Managementteam einen „Change-Prozess“
ankündigt – und nicht erst dann, wenn „Inhalte“ und „Ziele“ dieses Prozesses
sorgfältig geklärt sind. Schon die Wahl einer kommunikativen Form kann also eine
Botschaft sein.
Da ist, zum zweiten, auch der Wissensgewinn über Infrastrukturen und Kompe-
tenzen der Organisationskommunikation, den die Linguistik erzielen konnte (Klein-
berger Günther 2003; Jakobs 2008; Habscheid 2008; Perrin 2018). Diese Arbeiten
zeigen, welche Herausforderungen die Verschriftlichung, Industrialisierung, Tech-
nisierung und Medialisierung der Organisationskommunikation stellen und wie sie
mit sprachlichen Mitteln bewältigt werden können – beziehungsweise, wie die
Infrastrukturen durch den Sprachgebrauch für die Organisationskommunikation
überhaupt sinnvoll genutzt werden können.
Da ist schließlich die Forschung zu Kommunikationspraktiken der Professionen,
die sich als laufende Kategorisierungs- und Rekontextualisierungsleistung im All-
tagsgeschehen beschreiben lassen (Candlin und Sarangi 2011). Prototypisch
geschieht dies etwa durch ärztliche Diagnosen und Therapieempfehlungen in je
individuellen Krankheitssituationen. Das sprachlich konstruierte und laufend wei-
terentwickelte Bezeichnungs- und Kategorisierungssystem der Professionen ist es,
dass auf diese Weise Erwartungen generiert, erfüllt oder enttäuscht und so eine
„professionalisierte“ Wertschöpfung organisiert.

2.3 Gemeinsamer Fokus auf Strategie und Design

Neben den einzelnen disziplinären Leistungen, die hier lediglich beispielhaft aufge-
führt werden konnten, sind Annäherungen zwischen Organisationstheorie, Manage-
mentforschung und Linguistik zu verzeichnen, die aus diskurspragmatischer Pers-
pektive besonders interessant sind. Sie ergeben sich durch einen gemeinsamen
Fokus der Forschungszweige nicht nur auf die Beratungs- und Führungsprozesse,
wie es herkömmlicherweise der Fall war (bspw. Habscheid 2003; Baecker 2003;
Fairhurst 2007), sondern mehr und mehr auch durch einen gemeinsamen Fokus auf
Strategien und Designs von Organisationskommunikation und damit auch der PR.
126 P. Stücheli-Herlach

Die Organisations- und Managementforschung lehnt es mittlerweile ab, eine


„Strategie“ als etwas zu sehen, das eine Organisation „haben“ und dann irgendwie
„umsetzen“ soll. Sie redet von „strategy as practice“ (Whittington 1996), also von
Strategie als einem praktischen Vollzug, und meint damit etwas, was eine Organi-
sation als Ganzes tut, um Erwartungen erfüllen zu können. Und sie redet von der
diskursiven Konstitution dieses Strategie-Vollzugs, wenn sie den narrativen „Strate-
gie-Text“ (Fenton und Langley 2011) einer Organisation unter Beobachtung stellt,
wie er sich in der sprachlichen Interaktion der Beteiligten, durch die Verfahrens-
abläufe und den Fluss der Gesprächs- und Textproduktion laufend fortentwickelt.
Hier berühren sich Strategie- und Storytellingforschung aufs Engste (Boje 2008;
Schach 2016) – und eröffnen auch für linguistische Forschungen ein interessantes
Feld. Die kommunikationswissenschaftliche Strategieforschung doppelt nach,
indem sie strategische Kommunikation als gemeinsames Sprachspiel zwischen
Organisation und Stakeholdern beschreibt, das die Grenzen von innen und außen
durchkreuzt sowie die Grenzen von etablierten Kommunikationsstilen und von
bürokratisch regulierten Zuständigkeiten durchlässig werden lässt (Hallahan et al.
2007; Kuss et al. 2013; Holtzhausen und Zerfass 2015).
Die zweite Berührungsfläche ist jene der Design-Forschung. Der Begriff bezeich-
net hier nicht in erster Linie nur die ästhetische oder funktionale Gestaltung von
Artefakten. Vielmehr steht er für ein bestimmtes Modell der Problemlösung im
Kontext von Organisationen und ihrem Management. So hat der spätere Nobelpreis-
träger Herbert A. Simon „design“ als kollektiven Lösungsentwurf für komplexe
Problemstellungen beschrieben. Dabei handelt es sich bei solchen Lösungen nicht
um automatisierbare „Herleitungen“ von jeweils zwingend Nötigem oder „Ablei-
tungen“ übergeordneter technokratischer Regeln. Vielmehr liegt die Pointe des
Begriffs darin, dass er für Handlungsentwürfe gilt, die in Interaktionsprozessen
schrittweise kreiert werden und deren Tauglichkeit sich immer erst erweisen und
nötigenfalls verbessert werden muss (1996, S. 111–138). Das ein solcher Design-
Begriff auch für sprachliches Handeln in Organisationen relevant ist, hat beispiels-
weise Krippendorff (2006) herausgearbeitet. Und auch die Linguistik macht sich den
Begriff zu eigen – kaum explizit anschliessend an Simon, aber konzeptuell durchaus
anschlussfähig. Hier bezeichnet er eine grösstmögliche „Passgenauigkeit“ von
sprachlich konstruierten Kommunikationsbeiträgen wie Websites, Printseiten, Info-
grafiken, Schlüsselbotschaften und so weiter in ihren jeweiligen technischen, semio-
tischen, modalen, medialen, kulturellen und interaktiven Umgebungen wie auch
deren Leistungsfähigkeit für die Vernetzung weiterer kommunikativ-
organisationaler Episoden (Weber 2008; Bucher 2013, S. 69–77; Stücheli-Herlach
und Perrin 2013; Weideman 2017).

3 Perspektiven für die anwendungsorientierte Forschung

Aus den bisherigen Modellierungen kann geschlossen werden, dass der Sprachge-
brauch zur strategischen Organisationskommunikation am besten als Diskurshan-
deln im Sinne einer kollektiven und kreativen Praxis narrativer Vernetzung definiert
Wertschöpfung als Wortschöpfung 127

werden kann (Abschn. 3.1). Dieser Zugang kann mit spezifischen Methoden
(Abschn. 3.2) für die empirische Forschung fruchtbar gemacht werden, wie das
Fallbeispiel eines strategischen Problemlösungsprozesses zeigt (Abschn. 3.3).

3.1 Definitorischer Ertrag der Modellierungen

Aus den dargestellten Modellierungen und aus diskurspragmatischer Perspektive


kann nun ein theoretischer und damit auch definitorischer Ertrag gewonnen werden.
Am naheliegendsten aus diskurspragmatischer Perspektive ist ein praxistheoreti-
scher Zuschnitt des Forschungsgegenstands (Deppermann et al. 2016). Demnach
erzeugt die sprachliche Aktivität durch ihre mündliche oder schriftliche Verknüp-
fungsleistung einen Knoten im Netz vielfältiger Sinnbezüge zu Handlungsrollen,
Objekten und Prozessen, ist also in ihrer Einbettung ins jeweilige materiale, soziale
und mediale „Plenum“ einer Situation (Schatzki 2016) und als dessen perspektivi-
sche Deutung verstehbar. Diese situative Deutung und kreative Vernetzungsleistung
kann als Narration beschrieben werden, die von der Artikulation, Implikation oder
Präsupposition von Erwartungen ausgeht. Die Narration erfüllt, enttäuscht oder
verändert diese Erwartungen auf sinnfällige Art und Weise, was zum mehr oder
weniger erfolgreichen, interaktiven Vollzug von Wertschöpfung führt. Insgesamt ist
der Sprachgebrauch in der Organisationskommunikation damit ein Diskurshandeln,
das die Erwartungsformationen eines situativen Wertschöpfungsprozesses aus spe-
zifische Weise deutet und verändert (zum Begriff siehe Spiess 2011; Spitzmüller und
Warnke 2011, S. 172–173).
Auf diese Weise kann organisationales Diskurshandeln zwischen Mikro- und
Makroebenen skalieren, und zwar nach Maßgabe seiner routinemäßigen Wiederho-
lung und emergierenden Variation bestimmter Muster über verschiedene Situationen
und Zeiträume hinweg (zum Muster-Begriff siehe Bubenhofer 2009; zur Skalierung
Cooren et al. 2014). So kann sich ein bestimmtes Muster des Diskurshandelns zu
diskursiven Praktiken oder zu ganzen kommunikativen Formen entwickeln. Zeigen
sich Kunden einer Bäckerei beispielsweise wiederholt fasziniert und zufriedenge-
stellt durch die jeweils fachkundigen Auskünfte des Verkaufspersonals über ver-
schiedene Brotwaren, so kann das Fachwissen und die Auskunftsbereitschaft des
Personals und die dadurch erzählte Geschichte von einem mit Leidenschaft betrie-
benen Bäckerhandwerk zur „Marke“ der Organisation und zum Kern ihres „Images“
beim gesamten Kundenpublikum werden – und die Bäckerei schließlich sogar zu
einem nationalen Aushängeschild ihrer Branche, das zur Nachahmung verleitet oder
gar zu Versuchen, es noch zu übertreffen.
Zusammenfassend lässt sich dieser Ertrag der theoretischen Modellierung in drei
definitorischen Thesen formulieren:
These 1: Organisationen brauchen Sprache nicht nur im instrumentellen, sondern
im konstitutiven und kreativen Sinn. Sprachgebrauch ist also eine genuine Vor-
aussetzung jeglichen professionell problemlösenden Handelns in Organisationen
und für sie – und damit auch der PR.
128 P. Stücheli-Herlach

These 2: Der Gebrauch von Sprache in der Organisationskommunikation – und


damit auch in der PR – ist eine Praxis der Wertschöpfung und damit ein Diskurs-
handeln. Er vernetzt erwartungsgeleitete Aktivitäten im sozialen „Plenum“ der
Organisation auf sinnfällige Weise und bildet damit mehr oder weniger dauer-
hafte Muster der Bedürfnisbefriedigung oder Interessenwahrung. Diese Muster
können je nach Skalierungsgrad der sinnstiftende Kern einzelner situativer Dis-
kurshandlungen sein oder aber zu einem solchen für komplexe Diskurspraktiken
(als kommunikative Genres) oder umfassende diskursive Formationen (als wert-
schöpfende Handlungsfelder wie „Branchen“ oder „Geschäftsfelder“) werden,
die über Zeit und Raum hinweg verhältnismäßig stabil bleiben.
These 3: Muster des Erwartungsdiskurses emergieren, werden reproduziert oder
transformiert im jeweils situativen, „praktischen“ Sprachgebrauch durch die
Beteiligten. Ihre spezifische Gestalt wird damit erklärbar aus ihrer Funktionalität
für die sinnfällige Vernetzung situativer Erwartungen (die wir Strategie nennen
können) und ihres Lösungsbeitrags an situative Handlungsprobleme (den wir
Design nennen können). Wird Organisationskommunikation auf sprachliche
Weise professionell betrieben – wie das in der PR prägnant der Fall ist – rücken
Kriterien für strategisches und designerisches, also kreativ problemlösendes
Diskurshandeln in den Vordergrund.

3.2 Methoden zur Untersuchung organisationalen


Diskurshandelns

Der theoretische und definitorische Ertrag der Überlegungen lässt sich für die
Forschung fruchtbar machen. Diese rückt durch ihren Fokus auf eine allgegenw-
ärtige Praxis der Organisationskommunikation, nämlich das Denken, Reden und
Schreiben mit Worten, sehr nahe an die professionelle Lebenswelt und ihre Pro-
blemstellungen heran. Sie wird damit typischerweise sehr anwendungsorientiert
betrieben. Die Forschung ist zudem durch ihren Gegenstand, den Gebrauch der
Sprache, eine linguistisch orientierte Forschung. Wir können diese Forschung damit
als eine transdisziplinär verfahrende Angewandte Linguistik der Organisationskom-
munikation bezeichnen (Knapp und Antos 2011; Perrin 2012). Sie interessiert sich
für systematische Lernprozesse zwischen professionell Praktizierenden und wissen-
schaftlich Forschenden in Bezug auf professionsrelevante, sprachbezogene Pro-
blemstellungen und Lösungsperspektiven für die strategische Organisationskommu-
nikation und PR.
Die genannte Ausrichtung der Forschung bringt es mit sich, dass bestimmte
methodische Rahmenbedingungen beachtet und Präferenzen bestimmt werden müs-
sen. Grundsätzlich stehen qualitative Methoden der ethnografischen Sprachhand-
lungsforschung (Krotz 2005; Meyen et al. 2011) und qualitativ informierte Metho-
den korpusgestützt-quantitativer Diskursforschung (Scharloth et al. 2013) im
Vordergrund: Die Deutungspraxen des Organisationsdiskurses können nur durch
interpretative Verfahren rekonstruiert werden.
Wertschöpfung als Wortschöpfung 129

Diskurshandlungs-Forschung erfasst das Sprachphänomen darüber hinaus immer


im sozialen Verwendungskontext und seinen Prozessverläufen, sie operiert also
vorzugsweise mit Beobachtung und reflektierenden Tiefeninterviews sowie mit
Sequenzanalysen, die Konversationen und ihre Episoden oder fixierte Texte jeweils
als Momente übergeordneter Kommunikationsprozesse verstehen (Spitzmüller und
Warnke 2011; Bendel Larcher 2015). Andersfalls, wenn es um situationsübergrei-
fende Praktiken oder Formationen geht, kommen spezifische annotierten Textkor-
pora zum Einsatz. Sie erlauben es, Muster des Sprachgebrauchs über Zeitspannen
hinweg oder im Vergleich unterschiedlicher Handlungsfelder zu beobachten
(Scharloth et al. 2013).
Die hier diskutierte, angewandte Diskurshandlungs-Forschung für die strategi-
sche Organisationskommunikation interessiert sich zudem für Handlungsprobleme
und die Perspektiven ihrer Lösung, präferiert also besonders teilnehmende Beob-
achtungen, Handlungsexperimente und die Entwicklung von systematischen Serien
von Fallstudien zur Entwicklung einer „grounded theory“ ihrer Forschungsgegen-
stände (Locke, 2001; Yin 2009; Perrin 2012) – beziehungsweise, auf der Ebene der
Formationen, mit Vergleichsstudien zu einzelnen Diskursbereichen oder Handlungs-
rollen (Clarke 2005; Roth und Spiegel 2013; Mikfeld und Turowski 2014).

3.3 Fallbeispiel eines strategischen Lösungsprozesses

Am Beispiel einer empirischen Fallstudie können die theoretischen Erträge und


methodischen Konsequenzen illustriert werden. Die Fallstudie bezieht sich auf einen
strategischen Problemlösungsprozess für die interne und externe PR-Arbeit einer
großen Wohnbaugenossenschaft in der Schweiz. Diese besteht aus Tausenden von
Mitgliedern und über 10.000 Einwohnenden in Dutzenden von Wohnsiedlungen vor
allem in der deutschsprachigen Schweiz. Die Fallstudie basiert auf der teilnehmen-
den Beobachtung eines Kommunikationsprojekts der Genossenschaft unter Leitung
des Verfassers in den Jahren 2012 bis 2014. Analyseeinheiten und Erkenntnisse
können hier nur selektiv präsentiert werden.
Die Fallstudie erstreckt sich über die Analyseebenen der Diskurshandlungen
(Mikroebene), der Diskurspraktiken (Mesoebene) und der diskursiven Formationen
(Makroebene) für die strategische Organisationskommunikation.
In den Interaktionen mit den Forschenden (zu deren methodischen Status in der
rekonstruktiven Forschung siehe Vogd 2009, S. 41–42) berichteten zuständige
Kader der Organisation von Auseinandersetzungen über so genannte „Botschaften“
für die PR-Arbeit. Im organisationalen „Plenum“ (Schatzki 2016) präsent war ein so
genanntes „Werteposter“, also ein mediales Artefakt in Form einer Werte-Liste auf
einem zeichnerisch illustrierten Plakat, das an die Mitglieder versendet worden war
und nach Meinung der Führungsgremien als Muster für die strategische Organisa-
tionskommunikation dienen sollte. Allerdings war das Poster von Mitgliedern wie
Mitarbeitenden wenig beachtet worden. Fachpersonen der Kommunikation waren
zudem nach Meinung der Führung wiederholt gescheitert beim Versuch, die aufge-
listeten „Werte“ und daraus abgeleiteten „Maßnahmen“ der Organisation mit Infor-
130 P. Stücheli-Herlach

mationen zu Aktualitäten und neuen Problemstellungen zu vernetzen. Am Begriff


der „Botschaften“ entzweiten sich schließlich die Geister in den Führungsteams: Er
wurde zum diskursiven Marker für Kontroversen zur strategischen Kommunikation
der Organisation. Die Aussage des Geschäftsleiters aus einem Tiefeninterview ist
dafür ein prägnantes Beispiel: „Was sind also unsere Botschaften? Was ist der Inhalt
einer Botschaft? Da haben wir nicht immer die gleichen Meinungen.“ Eine Folge
davon waren nicht nur Sach-, sondern schließlich auch Personalkonflikte. Die
Skalierung einmal definierter Sprachgebrauchsmuster musste damit als vorerst weit-
gehend gescheitert angesehen werden.
Im Austausch mit den Forschenden erfolgten experimentelle Workshops für das
Design einer künftigen „Corporate Language“ im diskurspragmatischen Sinne
(Stücheli-Herlach et al. 2012; Stücheli-Herlach und Perrin 2013), also von ver-
texteten wort- und bildsprachlichen Aussagemustern für wiederholte, aber auch
variierende Interaktionen mit verschiedenen Anspruchsgruppen (zum strategischen
Prozess von „Message Design“ siehe der Beitrag des Autors in diesem Band). Hier
entstanden in der Zusammenarbeit prototypische Kommunikationsbeiträge (in Form
fiktiver mündlicher Ansprachen) für verschiedene Genres und Situationen der Orga-
nisationskommunikation. Ein Auszug aus einem Protokoll teilnehmender Beobach-
tung in einem Workshop dokumentiert den „designerischen“ Prozess der Problem-
lösung exemplarisch: “„Begriff ‚nachhaltig‘ wird als inhaltsleer und abgedroschen
kritisiert, X. schlägt ‚sozial nachhaltig‘ vor, das findet man zu introvertiert und eng,
Y. kommt mit ‚verantwortungsvoll in die Zukunft hinein entwickeln‘, das wird
akzeptiert.“ Auf diese Weise wurden Episoden und narrative Verknüpfungen in
einem designerischen Strategieprozess entworfen, erprobt, evaluiert, verworfen
und verfeinert.
Im Zuge dieses Prozesses schälten sich Muster des Sprachgebrauchs heraus, von
denen mindestens vorläufig angenommen werden konnte, dass sie in verschiedenen
Situationen repetiert, aber auch variiert und sich so zu Diskurspraktiken entwickeln
könnten. Durchgehendes Kennzeichen dieser Muster war dabei stets die Verbindung
gegensätzlicher Werte und Erfolgskriterien, für die die Genossenschaft stand. So
trieb diese eine Politik der Erneuerung und Erweiterung ihres Siedlungsbestandes
voran und legte gleichzeitig größten Wert auf die Erhaltung des Bleiberechts der
genossenschaftlich Mietenden und auf die Verankerung neuer Siedlungen in sozia-
len, wirtschaftlichen und kulturellen Strukturen. Die Wertschöpfung des Strategie-
prozesses ergab sich damit aus der narrativen Verknüpfung dessen, was im ursprün-
glichen „Werteposter“ in Listenform noch getrennt aufgeführt worden war. Die
Wiedergabe der Forderung eines Workshop-Teilnehmenden im Protokoll teilneh-
mender Beobachtung mag hierfür exemplarisch stehen: „Wachstum mit Heimatge-
fühl verbinden.“ Und im Laufe des Design-Prozesses bilanzierte der Geschäftsführer
plötzlich: „Die Verbindung ist der ‚USP‘!“ (Die Abkürzung „USP“ stand gemäß
Konvention für „unique selling point“). Sein Präsident sprach später von der Erwar-
tung, jetzt müsse und könne eine „cooperative language“ entwickelt werden. Er
nahm damit ein strategisches Muster des Sprachgebrauchs auf, das sich im Projekt
etabliert hatte, variierte es aber, um eine Verknüpfung mit dem Erwartungsdiskurs
der Organisation sicherzustellen.
Wertschöpfung als Wortschöpfung 131

Die Fallstudie dokumentiert schließlich erste Ansätze – wenn auch nicht mehr –
einer skalierenden, diskursiven Formierung von neu entwickelten Mustern der Narra-
tion. Im Zuge des strategischen Prozesses wurden die erwähnten Musterentwürfe
einem routinemäßigen Gebrauch in verschiedenen Medien (wie beispielsweise
dem Mitgliedermagazin, der Website, verschiedenen Aushängen usw.) und in ver-
schiedenen Situationen erfolgreich zugeführt. Zu diesem Mustern zählten der
Genossenschafts-Claim „Am besten zusammen!“ oder die grafische Variation des
strategischen Aussage-Musters durch fünf um ein fiktives Zentrum angeordnete,
verschieden farbige Punkte, welche damit wiederum die semiotische „Verbindung“
unterschiedlicher Werte und Perspektiven zu einer zukunftsträchtigen Genossen-
schaftsgeschichte darstellten. Zum empirischen Nachweis von Mustern des Sprachge-
brauchs mit diskursiv noch deutlich formierender Wirkung, die sich auch auf wichtige
externe Anspruchsgruppen erstreckte, muss an dieser Stelle auf andere Fallstudien
hingewiesen werden (Stücheli-Herlach 2012; Stücheli-Herlach et al. 2015).
Die Fallstudie zeigt, wie Diskurshandlungen in dieser Organisation als situative
Deutungsakte und kreative Leistungen der Verknüpfung von Erwartungen vollzogen
wurden. Sie illustriert zudem, wie dies zu früherem Zeitpunkt auf eher problemati-
sche Weise geschah, zu späterem Zeitpunkt hingegen, als Bedingungen für eine
Reflexion geschaffen wurden, erfolgreicher gelang, nämlich in der Form einer
strategischen Design-Praxis. Die Fallstudie dokumentiert zudem, wie methodische
Verfahren der Angewandten Linguistik es erlauben, diese Praxen zu analysieren und
durch diese Reflexion zu fördern; ihr Kennzeichen ist dabei die Interaktion zwischen
Praktizierenden und Forschenden und die interpretierende Rekonstruktion dieser
Praxen. Wertschöpfung als Wortschöpfung zu verstehen und durch Sprachgebrauch
zu gestalten, bleibt dabei ein ambitiöses wissenschaftliches Unterfangen, das erst
begonnen hat, sich aber lohnen könnte.

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Der Begriff von Kommunikation

Manfred Piwinger und Helmut Ebert

Zusammenfassung
Der Beitrag widmet sich den verwendeten Fachbegriffen in der wissenschaftlichen
und fachpraktischen Literatur zu den Themen Unternehmenskommunikation und
PR. Dazu wurden deutschsprachige Standardwerke der Unternehmenskommunika-
tion auf Wortgruppen und Wortbildungskonstruktionen untersucht. Ziel der Analyse
war es, einen Blick auf die Begrifflichkeit der Disziplin zu werfen, um zu ermitteln,
welche Aspekte sprachlichen Ausdruck finden und welche blinden Flecken im
theoretischen und praktischen Diskurs existieren. Die Tendenz, innerhalb der Bran-
che den vage verwendeten Kommunikationsbegriff auszuweiten und diverse
Aspekte sprachlich anzuhängen, wird ausführlich diskutiert und eingeordnet.

Schlüsselwörter
Kommunikationsbegriff • Unternehmenskommunikation • Public Relations •
Disziplin • Wortgruppen • Kommunikationsleistung

Inhalt
1 Einleitung: Zielsetzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
2 Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
2.1 Auswertung von Fachliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
2.2 Ergebnis und Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
2.3 Die betriebswirtschaftliche Vorstellung von Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
3 Übersicht über die Begriffe der Untersuchung zum Kommunikationsbegriff . . . . . . . . . . . . . 138
3.1 Ermittelte Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

M. Piwinger (*)
Publizist und Unternehmensberater, Wuppertal, Deutschland
E-Mail: Consultant@Piwinger.de
H. Ebert
Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Universität Bonn, Bonn,
Deutschland
E-Mail: mail@helmutebert.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 135


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_29
136 M. Piwinger und H. Ebert

4 Allgemeine Beobachtungen zur Begriffsuntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141


4.1 Fehlende einheitliche theoretische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
4.2 Weitere Unklarheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
4.3 Wenn alles Kommunikation ist, ist Kommunikation nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
4.4 Schwerpunkte und Schwachstellen der Wortlisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
5 Spezielle Betrachtungen ausgewählter Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
5.1 Kategorie: Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
5.2 Kategorie: Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
5.3 Kategorie: Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
5.4 Kategorie: Formate, Maßnahmen, Instrumente, Kampagnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
5.5 Kategorie: Art und Weise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
6 Der Begriff der Kommunikationsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
6.1 Kommunikation wird (noch) nicht als Gegenstand einer Leistungserstellung
gesehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

1 Einleitung: Zielsetzung der Untersuchung

Welche Aspekte der Kommunikation werden benannt, welche ignoriert? Aufschluss-


reich für die Einschätzung und Charakterisierung eines Berufsstandes dürfte ein Blick
auf die Begrifflichkeit einer Disziplin sein, die keinen Mangel an vortheoretischen
Definitionen und theoretischen Ansätzen aufweist, aber noch nicht über eine ausge-
reifte Theorie verfügt. Unser Ziel ist es nicht, Begriffe im Rahmen ihrer jeweiligen
theoretischen Verortung vorzustellen. Dies hat Faulstich (2000) mit Blick auf PR
und Öffentlichkeitsarbeit bereits geleistet. Mast (2016) versucht Ähnliches. Es
gelingt ihr aber keine durchgehende Klarheit der Darstellung, weil sie oft eine
Definition vermeidet und die teils vagen und teils widersprüchlichen und aus
verschiedenen Kommunikationstheorien stammenden Begriffe nicht präzise in ei-
nem eigenen Koordinatensystem verortet. Unser Anspruch ist bescheidener. Wir
wollen trotz der Unschärfe vieler Begriffe von der Ausdrucksseite kommend ledig-
lich darstellen, welche Aspekte des Sachverhaltes „Unternehmenskommunikation“
und „PR“ sprachlichen Ausdruck finden, und herausfinden, ob es blinde Flecken im
theoretischen und praktischen Diskurs gibt.

2 Vorgehensweise

2.1 Auswertung von Fachliteratur

Für diesen Beitrag wurden zehn deutschsprachige Standardwerke zum Thema Unter-
nehmenskommunikation nach dem Vorkommen von Wortgruppen („symmetrische
Kommunikation“) und Wortbildungskonstruktionen mit „Kommunikation“ als Grund-
wort („Unternehmenskommunikation“) oder Bestimmungswort („-management“) ge-
sichtet. Soweit in einigen dieser Werke ein Stichwortverzeichnis enthalten war, wurde
darauf zurückgegriffen. Gelegentlich kommen im Fließtext Fachbegriffe vor, die im
Der Begriff von Kommunikation 137

Stichwortverzeichnis nicht aufgeführt werden. In diesem Fall deuten wir die Entschei-
dung so, dass solche Begriffe von den Autoren für weniger relevant gehalten wurden.
Andere Werke wurden Seite für Seite quergelesen. Die Ergebnisse werden im
Folgenden innerhalb bestimmter Kategorien geordnet, dargestellt und kommentiert.
Unberücksichtigt geblieben ist die Häufigkeit des Vorkommens. Da zudem keine
kontextgestützten Bedeutungsanalysen vorgenommen wurden, beanspruchen die
Ergebnisse lediglich den Status von Hypothesen und sollen zum Nachdenken an-
regen.
Es kam uns darauf an, den Bezügen zu Tätigkeitsfeldern, Funktionen, Wirkungen
und Zielen in der Unternehmenskommunikation nachzuspüren, um daraus am Ende
Einblicke in das derzeitige Selbstverständnis von Kommunikation in Wissenschaft
und Praxis zu gewinnen.

2.2 Ergebnis und Deutung

Insgesamt haben wir 161 Begriffe gefunden – ein Hinweis darauf, dass es innerhalb
der Branche die Tendenz gibt, ausgehend vom oft vage verwendeten Kommunika-
tionsbegriff immer weiter auszugreifen und immer neue Aspekte unabhängig von
ihrer Relevanz an diesen Begriff „anzuhängen“. Wir deuten das Phänomen wie folgt:
Insofern man sich scheut, das zentrale Problem einer Disziplin zu finden und es
auszubuchstabieren und den Kernbegriff („Kommunikation“) klar aus einer zentra-
len Perspektive zu definieren, verschieben sich immer wieder die Standpunkte und
es kommt theoretisch zu einer Art von Terminologie-Wildwuchs und praktisch zu
Aktionismus und Instrumentalismus. Was die Instrumente taugen, oder ob es nicht
ganz andere Probleme und ganz andere Lösungen gibt, taucht dann als Frage gar
nicht mehr auf.

2.3 Die betriebswirtschaftliche Vorstellung von Kommunikation

Entsprechend geht beispielsweise die betriebswirtschaftliche Vorstellung, wonach


Kommunikation eineindeutig sei und zwangsläufig Kommunikationsziele erreicht
werden könnten, vollkommen an der Fallibilität (Gerold Ungeheuer) jeglicher mensch-
licher Kommunikation vorbei. Fallibilität meint, dass Kommunikation grundsätzlich
mit dem Risiko des Scheiterns behaftet ist. Mit anderen Worten: die Betriebswirtschaft
neigt dazu, Kommunikation selbst zu entproblematisieren und zu trivialisieren. Denn
es ist gerade das Wesen der Kommunikation, offen für nicht intendierte Bedeutungs-
überschüsse zu sein. Diese kommunikative Ambiguität kann Missverständnisse pro-
duzieren, sie kann aber auch Innovationen im Sinne neuer Ideen und Bedeutungen
anstoßen. Es ist also notwendig, sich auf die Kernfragen zu besinnen und dem eigenen
Tun viel mehr gründliches Nachdenken zukommen zu lassen. Ausgangspunkt für den
empirischen Teil dieser Studie war die Neugierde, etwas darüber zu erfahren, wie sich
die Disziplin Kommunikation im geschäftlichen und im wissenschaftlichen Umfeld
selbst beschreibt und öffentlich darstellt.
138 M. Piwinger und H. Ebert

3 Übersicht über die Begriffe der Untersuchung zum


Kommunikationsbegriff

3.1 Ermittelte Kategorien

Die gefundenen Begriffe lassen sich den folgenden Kategorien zuordnen:

Akteure und Eigenschaften

• Kommunikationsabteilung • Kommunikationsberuf
• Kommunikationsagentur • Kommunikationschef
• Kommunikationsberater
• Kommunikationsfähigkeit
• Kommunikationskompetenz
• Kommunikationspartner
• Kommunikationsträger

Anpassen und aufeinander abstimmen

• Kommunikationsmix • integrierte (Unternehmens-)kommunikation


• Kommunikationsorchestrierung
• integriertes Kommunikationsmanagement

Art und Weise/Beschaffenheit (allgemein)

• Kommunikationsform • Kommunikationspraxis
• Kommunikationskultur • Kommunikationsqualität
• Kommunikationsklima • Kommunikationsstil
• Kommunikationsmodi • Kommunikationstyp

Spezielle Art und Weise/Beschaffenheit

• Abwärtskommunikation • Nachhaltigkeitskommunikation
• asymmetrische Kommunikation • Netzwerkkommunikation
• asynchrone Kommunikation • operative Kommunikation
• Aufwärtskommunikation • Organisationskommunikation
• betriebswirtschaftliche Kommunikation • Peer Communication
• bidirektionale Kommunikation • persönliche Kommunikation
• Bottom-up-Kommunikation • persuasive Kommunikation
• Change Communication • politische Kommunikation
• Corporate Communication • Pull-Kommunikation
• Dialogkommunikation • Push-Kommunikation
• diskursive Kommunikation • Risk-Communication
(Fortsetzung)
Der Begriff von Kommunikation 139

• externe Kommunikation • schriftliche Kommunikation


• Face-to-Face-Kommunikation • spontane Kommunikation
• Finanzkommunikation • Sustainability Communication
• formale Kommunikation • symbolische Kommunikation
• Führungskräftekommunikation • symmetrische Kommunikation
• horizontale Kommunikation • theatralische Kommunikation
• informelle Kommunikation • two-step flow of communication
• Innovationskommunikation • Unique Communication Proposition (UCP)
• internationale Kommunikation • Unternehmenskommunikation
• interne Kommunikation • valued based communication management
• Krisenkommunikation • Verantwortungskommunikation
• kryptische Kommunikation • vertikale Kommunikation
• Kundenkommunikation • virtuelle Kommunikation
• Markenkommunikation • Vorfeldkommunikation
• Marktkommunikation • wertorientierte Kommunikation
• Mitarbeiterkommunikation
• multidirektionale Kommunikation
• mündliche Kommunikation

Beziehung
• Kommunikationsbeziehungen
• Kommunikationskontakt

Ethik
• Kommunikationsethik

Formate, Medien, Kanäle, Inhalte

• Kommunikationsangebote • Kommunikationskanäle
• Kommunikationsbotschaften • Kommunikationskampagne
• Kommunikationsformate • Kommunikationsmedien
• Kommunikationsinhalte

Instrumentbegriffe (Mittel)

• Kommunikationsinstrumente • Kommunikationsplattformen
• Kommunikationsmaßnahmen • Kommunikationstechniken
• Kommunikationsfachsprache • Kommunikationstechnologien
• Kommunikationsmittel

Prozesse, Vorgänge, Ereignisse


• Kommunikationsabläufe
• Kommunikationschance
• Kommunikationsprozess
140 M. Piwinger und H. Ebert

Rezeption/Eindrücke
• Kommunikationswahrnehmung

Risiken, Hindernisse
• Kommunikationsbarrieren
• Kommunikationsrisiken

Steuern, lenken, führen


• Kommunikationsmanagement

Tätigkeitsbegriffe (spezielle)
Messen und kontrollieren

• Kommunikationsanalyse • Kommunikationseffizienz
• Kommunikationsaudit • Kommunikationsevaluation
• Kommunikationscontrolling • Kommunikationskennzahlen
• Kommunikations-Due-Diligence • Kommunikationsvariable
• Kommunikationsdiagnostik • Kommunikationszufriedenheit

Verfahren

• 360Grad-Kommunikation • Corporate Communication Scorecard


• Communication Control Cockpit • Kommunikationsforen

Tätigkeitsbegriffe (allgemeine)

• Kommunikationsaktivitäten • Kommunikationsforschung
• Kommunikationsberatung • Kommunikationstransaktion
• Kommunikationshandlungen • Kommunikationsumsetzung
• Kommunikationspraktiken • Kommunikationsverhalten

Struktur, Bedingungen, Regeln, Technisches

• Kommunikationsbedingungen • Kommunikationssituation
• Kommunikationsnetze • Kommunikationsstruktur
• Kommunikationsprinzipien • Kommunikationssystem
• Kommunikationsquelle • Kommunikationstechnologien
• Kommunikationspflicht • Kommunikationswege
• Kommunikationsregeln • Kommunikationswettbewerb
• Kommunikationssignale
Der Begriff von Kommunikation 141

Wirkungen, Effekte

• Kommunikationserfolg • Kommunikationswahrnehmung
• Kommunikationsergebnis • Kommunikationswirkung
• Kommunikationsleistung

Zielbegriffe

• Kommunikationsagenda • Kommunikationsplanung
• Kommunikationsabsicht • Kommunikationspolitik
• Kommunikationskonzepte • Kommunikationsprogramme
• Kommunikationsstrategie • strategische Kommunikation
• Kommunikationsziele

Sonstige

• Kommunikationsarbeit • Kommunikationslandschaft
• Kommunikationsarchitektur • Kommunikationsökonomie
• Kommunikationsfluss • Kommunikationsperspektive
• Kommunikationsforschung • Kommunikationsraum
• Kommunikationskorridore • Kommunikationsumfeld
• Kommunikationskreislauf • Kommunikationsvolumen
• Kommunikationsmarkt • Kommunikationswissenschaft

4 Allgemeine Beobachtungen zur Begriffsuntersuchung

4.1 Fehlende einheitliche theoretische Perspektive

Es fehlt an einer einheitlichen theoretischen Perspektive auf kommunikative Phäno-


mene, und es fehlt sehr oft an einer klaren Verortung von Aussagen und Wirkungs-
behauptungen innerhalb eines zur Beobachtung und Erklärung von Phänomenen
ausgewählten theoretischen Bezugsrahmens. Wortzusammensetzungen mit der Kon-
stituente „Kommunikation“ sind legendär, der Ausbau der Wortfamilie scheint mit
ungebremster Dynamik fortzuschreiten.

4.2 Weitere Unklarheiten

Auch bleibt sehr oft im Verborgenen, ob nun eigentlich „Kommunikation“ im Sinne


einer ‚Leistung‘, einer ‚planvollen Tätigkeit‘, eines natürlichen Vorgangs oder einer
142 M. Piwinger und H. Ebert

Maßnahme gemeint ist. Über Kommunikationsprozesse und -instrumente wird viel


geredet, über Bedeutung und Verstehen wenig. Der Begriff der Markenkommuni-
kation bezieht sich – darauf hat Kastens (2012) aufmerksam gemacht – nur auf die
Produzentenseite (Planung von Markenwerten und Kommunikation), nicht jedoch
auf die Kommunikation von Rezipienten über Marken.

4.3 Wenn alles Kommunikation ist, ist Kommunikation nichts

Die Vielzahl der vorgefundenen Begriffe und Wortverbindungen kann als Zeichen
für die fehlende Klarheit und Bedeutungszumessung von Kommunikation im
operativen Geschäft gedeutet werden – alles ist Kommunikation. Es hat nach
der vorliegenden Studie den Anschein, als handle es sich bei Kommunikation
um „ein unbestimmtes Etwas mit einer ganz bestimmten Wirkung“ – und ein jeder
fühlt sich aufgerufen, seine eigene Sicht darauf darzulegen in dem Sinne „Man
kann nicht nicht kommunizieren“. Ein Satz, der – auch wenn er von einem
berufenen Kommunikationswissenschaftler – aber eben aus therapeutischer Pers-
pektive stammt, so eingängig wie erklärungsbedürftig ist. Die Aussage „Man kann
nicht nicht kommunizieren“, ist eben nur dann korrekt, wann man auch nicht-
intentionales Verhalten als Kommunikation ansieht. Damit gilt aber exakt, was wir
oben gesagt haben: Wenn alles Kommunikation ist, ist Kommunikation nichts.
Und auf dieser Basis lässt sich keine Unternehmenskommunikation als Theorie
zweckrationalen Handelns gründen.

4.4 Schwerpunkte und Schwachstellen der Wortlisten

Die Wortlisten zeigen ferner, dass die Schwerpunkte in den Kategorien „Instru-
mente“, „Wirkungen“, „Maßnahmen“ und „Messen“ liegen. Zielbegriffe, Wirkungs-
begriffe, Intentionsbegriffe bleiben abstrakt. Die Kategorie „Art und Weise“ belegt,
dass eine unüberschaubare Vielfalt an Termini verwendet wird. Man erfährt wenig
über Rezeptionsmuster, über Muster des Stakeholderverhaltens, über typische Kom-
munikationssituationen, Informationsnetzwerke; man erfährt kaum etwas über
konkrete Kommunikationsbedarfe. Im Rahmen des Stakeholdermodells der Kommu-
nikation macht übrigens die Unterscheidung zwischen interner und externer Kommu-
nikation keinen Sinn. Und über die Zeitdimension von Kommunikation, über den
Unterschied zwischen Situation und Prozess erfährt man ebenfalls wenig, was man
auch daran erkennt, dass beispielsweise die Analyse konkreter Gespräche und
Besprechungen im Rahmen von Visions- oder Strategie-Entwicklung nicht Gegen-
stand der Unternehmenskommunikation zu sein scheint. Hier treten dann Coaching-
und gesprächsanalytische Ansätze auf den Plan. Also muss sich die Unternehmens-
kommunikation klarer positionieren.
Der Begriff von Kommunikation 143

5 Spezielle Betrachtungen ausgewählter Kategorien

5.1 Kategorie: Ziele

5.1.1 Ziele der Finanzkommunikation


Klar bekannte und nachvollziehbare Ziele sind in der Regel vor allem im Rahmen
der Finanzkommunikation zu finden. Abhängig davon, ob das Aktienkapital des
betreffenden Unternehmens breit gestreut ist oder in den Händen weniger Inves-
toren liegt, sind Ziele der Investor Relations deutlich zu benennen. In Geschäfts-
berichten berichten die Unternehmen aus Notwendigkeit. Daher ist die Finanz-
kommunikation der einzige Bereich von Kommunikation, die öffentlich und
regelmäßig stattfindet. Möglichkeiten einer Ergebnis- und Erfolgskontrolle ergeben
sich sowohl aus der Entwicklung der Aktienkurse, dem Orderbuch sowie aus dem
Anlageverhalten der Investoren. Die nicht zu erklärende, aber weiterhin in vielen
Fällen bestehende funktionale Trennung der Investor Relations und der Unterneh-
menskommunikation verhindert bisher eine wünschenswerte engere Verknüpfung
beider Funktionen.

5.1.2 Ziele der Unternehmenskommunikation


Ziele der Unternehmenskommunikation sind oft allgemeiner gehalten: einen guten
Ruf schaffen oder erhalten, attraktiv sein auf dem Arbeitsmarkt, eine angesehene
Rolle im öffentlichen Leben (licence to operate) spielen oder dauerhaft Vertrauen bei
Kunden, Lieferanten und anderen Stakeholdern bewirken. Die Leistung von Kom-
munikation ist noch wenig erforscht, obwohl es Fortschritte auf diesem Gebiet in
letzter Zeit gibt. Operativ umsetzbare und anerkannte Leistungskennzahlen von Kom-
munikation existieren erst in wenigen Sektoren. Das beträfe im Wesentlichen die
Kommunikationsökonomie. Dass es innerhalb kommunikativer Leistungsprozesse
bestimmte Regeln, eine Agenda, Struktur und eine Botschaft sowie eine darauf
aufbauende Kommunikationspolitik geben muss, gehört eher zu den Selbstverständ-
lichkeiten des Berufs. Strategische Aussagen – und dies erscheint uns als ein großes
Manko – bleiben sehr oft vage, wären aber notwendig, um das Feld Kommunikation
in die größere Unternehmensstrategie „zu integrieren“ und hier weiteren Einfluss zu
gewinnen.

5.2 Kategorie: Wirkungen

Wie wird Kommunikation wahrgenommen? Wie hoch ist ihr Risiko? Welche Wir-
kungen werden mit Kommunikation erzielt? Und schließlich: Wie werden Ergeb-
nisse und Erfolge (aber auch die Kosten und eventuell Verluste) gemessen und im
Rechnungswesen erfasst?
144 M. Piwinger und H. Ebert

5.2.1 Fehlender Wertebezug


Dies sind branchenweit immer wieder gestellte und meist sehr unterschiedlich beant-
wortete Fragen. In der Aufstellung fehlt allerdings ein Wertebezug – der Kommu-
nikationswert. Letzterer ist wissenschaftlich nicht eindeutig definiert und wird vom
Rechnungswesen als eigenständiges Asset bislang nicht erfasst. Immerhin drücken die
oben genannten Begrifflichkeiten etwas vom Nutzen von Kommunikation aus – beson-
ders ist dies in der „Kommunikationswirkung“ der Fall: Kommunikation ist nicht
einfach da, sie wirkt und hat Bedeutung aufgrund ihrer Wirkung. Ein Risiko ist nicht
ausgeschlossen. Oft werden in der Literatur und in der praktischen Arbeit „Erfolg“ und
„Ergebnis“ nicht eindeutig als grundverschiedene Sachverhalte auseinandergehalten.

5.2.2 Wahrnehmung in der Unternehmenskommunikation


Und obwohl es außerhalb der Kommunikationswissenschaft angefangen von der Neu-
ropsychologie bis hin zu den Kognitionswissenschaften längst grundlegende For-
schungsergebnisse zur Wahrnehmung gibt, wird die Wahrnehmung in der Unterneh-
menskommunikation nicht ihrer Bedeutung gemäß theoretisch wie praktisch
berücksichtigt. Das gilt vielfach auch für wissenschaftliche Arbeiten. Und wenn die
Wahrnehmung im Zusammenhang mit Kommunikation erwähnt wird, dann geht es
ausschließlich um Unterhaltungseffekte, um Business als „Show-Business“ und um
Events. Ganz so, als hätte das Ermitteln und Vermitteln von Strategien nichts mit
Kommunikation oder Bedeutungen zu tun. Schließlich gilt aber doch: Nur was wahr-
genommen wird, zählt.

5.2.3 Kommunikation ist mit Risiken verbunden


Dass Kommunikation per se risikobehaftet ist, erscheint uns als eine Binsenweisheit.
Sobald wir auf aktuelle Fälle der Wirtschaft sehen, müssen wir konstatieren, dass die
Risikobetrachtung hinsichtlich einer Ansehensbeschädigung noch bei weitem nicht
überall in den Köpfen der Unternehmensführungen angekommen ist. Hinzu kommt,
dass sich mit den Sozialen Medien die Spielregeln grundsätzlich geändert haben, und
dass ein Unternehmen sich heute in einem unüberschaubaren Kommunikationsmeer
bewegt, das durch zahlreiche unbekannte Quellen gespeist wird. Da ist Schwim-
menlernen (Umgang mit Ambiguität) wichtiger als Navigieren, denn wer untergeht,
hat keine Ziele mehr. Auch ist mehr als wahrscheinlich, dass unter veränderten
Spielregeln das Managen von Kommunikation zu einer Art von Moderieren von
Kommunikation wird. Aber auch ganz grundsätzlich gilt, dass das Risiko unzurei-
chender Kommunikation immer noch fatal unterschätzt wird. Seriöse Quellen schät-
zen, dass heute 10 Prozent der Gesamtkosten großer Infrastrukturprojekte in die
Kommunikation gehen müssten, sollte diese Kommunikation erfolgreich sein.

5.3 Kategorie: Verfahren

5.3.1 Nähe zu betriebswirtschaftlichem Vokabular


In den hier aufgeführten Begriffen zeigt sich eins vor allem: Mit dem Gebrauch
dieser Wörter und Wortbildungen wird seitens der Kommunikation eindeutig die
Der Begriff von Kommunikation 145

Nähe zum betriebswirtschaftlichem Vokabular und Verständnis hergestellt und ge-


sucht. Der zunehmende Gebrauch von in der Wirtschaft gebräuchlichen Termini hat
aber nicht nur eine integrierende Wirkung. Die Integration wird oft erkauft mit dem
Ausblenden grundlegender Erkenntnisse über das Wesen der Kommunikation. Die
Betriebswirtschaft und ganz allgemein die Wirtschaftswissenschaft operiert ganz
eindeutig mit einem verkürzten Modell von Kommunikation, obwohl erste Ansätze,
diese Engführung zu überwinden, erkennbar sind. Jede betriebswirtschaftliche
Aktion beruht auf Bedeutungen, und Bedeutungen entstehen in kommunikativen
Äußerungszusammenhängen. Diesem Umstand muss die Betriebswirtschaft künftig
Rechnung tragen und erkennen, dass jegliche wirtschaftliche Betätigung in Sprache
gründet und sprachvermittelt ist.

5.3.2 Prüfverfahren
Überhaupt hinkt die Forschung und Praxis in vielen Fällen hinter den anspruchsvol-
len Begriffsbestimmungen hinterher. Es gibt aber auch Signale von fachübergreif-
enden Lösungsansätzen, z. B. mit dem Internationalen Controller Verein. Woran es
u. a. im Einzelnen noch fehlt, sind klare Formate bezüglich eines Kommunikations-
Audits und, in der Sache naheliegend, einer klar strukturierten Due Diligence mit
entsprechenden Prüfkriterien.
Wirkungszusammenhänge, insbesondere bestehende und mögliche Interdepen-
denzen zwischen finanziellen und nichtfinanziellen, immateriellen Vermögenswer-
ten, werden inzwischen in der externen Rechnungslegung durch die geltenden
Rechnungslegungsstandards und EG-Richtlinien eingefordert und dürften dem Feld
Kommunikation helfen, seinem Stellenwert innerhalb des Unternehmens weiterhin
zu verbessern.
Das führt am Ende auch zu der Frage der „Kommunikationsbedingungen“, über
die es recht unterschiedliche Auffassungen und Zustandsbeschreibungen gibt. Es ist
fast banal, zu sagen, eins hängt mit dem anderen zusammen. Um einen Schritt
weiterzukommen, benötigen wir nicht nur möglichst einheitliche Leistungskennzah-
len, sondern die Disziplin muss reflexiv und philosophisch-geisteswissenschaftlich
werden, will sie nicht nur über Kommunikation reden wie ein Blinder über Farbe
oder wie angebliche Vorstandsrhetorik-Analysten nur über Formen nicht aber über
Bedeutungen.

5.4 Kategorie: Formate, Maßnahmen, Instrumente, Kampagnen

5.4.1 Leistungserbringung versus Maßnahmen und Aktionen


In dieser Kategorie finden wir die heute dominant verwendeten sog. „Kommunika-
tionsmaßnahmen“, „Kommunikationsinstrumente“ und „Kommunikationskampa-
gnen“ oder „Kommunikationsaktionen“. Der unreflektierte Gebrauch dieser Begriffe
lenkt von einem ab: der Leistung. Wenn es tatsächlich Maßnahmen oder Aktionen
sind, um die es geht, wäre dies soweit in Ordnung. Maßnahmen und Aktionen sind
Arbeitsaufträge mit einem klar umrissenen Ziel und zeitlicher Begrenzung. Ver-
nachlässigt wird hierbei der monetäre Charakter. Für Maßnahmen und Aktionen
146 M. Piwinger und H. Ebert

wird – in der zutreffenden Annahme einer beispielsweise mehr oder weniger hand-
werklichen Kampagne – in der Regel weniger bezahlt als für eine Leistungserbrin-
gung. Wenn es aber eine Kommunikationsleistung ist, dann sollte sie auch unter
diesem Rubrum abgerechnet werden. Speziell in dieser Kategorie wird ersichtlich,
wie manche Wörter Leistungsabwertung oder Leistungserhöhung zum Ausdruck
bringen können.

5.4.2 Eigener Leistungskatalog für Angebote und Rechnungsstellung


Hilfreich für Angebot und Rechnungsstellung wäre es – eventuell in Anlehnung an
die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure oder der Gebührenordnung der
Ärzte – einen vernünftigen Leistungskatalog zu erstellen, der branchenweit Geltung
hat. Hier tut sich bisher aber noch nicht viel bis gar nichts.

5.5 Kategorie: Art und Weise

5.5.1 Herausragende Stellung der Begriffe „strategisch“ und


„integriert“
In dieser Kategorie finden wir zahlreiche Attribuierungen, die der Kommunikation
beigelegt sind. Im Wesentlichen verweisen sie auf Handlungsfelder und nur zu
einem geringen Anteil auf eine zugrundeliegende Wertbestimmung. Am weitesten
verbreitet sind die Ausdrücke „strategisch“ und „integriert“, die fast in keiner Ver-
öffentlichung fehlen und den Anschluss an das betriebswirtschaftliche Vokabular
herstellen sollen. Mit der Verwendung dieser Attribute ist man immer auf der Höhe
seiner Zeit. Nicht immer verbirgt sich dahinter eine tatsächliche Kompetenz.
Obwohl wir heute schon sagen können, dass im Hinblick auf die strategische
Ausrichtung von Kommunikationsleistungen deutliche Fortschritte erreicht wor-
den sind.

5.5.2 Kommunikationsfähigkeit und Kommunikationskompetenz


Kommunikationsfähigkeit und Kommunikationskompetenz sind in dem Bereich der
Potenziale einzuordnen, aber zugleich grundlegende Voraussetzungen im Hinblick
auf eine gelingende Kommunikation. Hierzu a priori Feststellungen zu treffen, be-
reitet uns in den allermeisten Fällen erhebliche Probleme. Einfach deshalb, weil uns
geeignete Maßstäbe und Kriterien fehlen, um im Einzelfall eine klare Bewertung
vornehmen zu können. Insoweit kommt es in der unternehmerischen Praxis eher zu
subjektiven Eindrücken, die sprachlich Ausdruck finden in Begriffen wie „mangelnde
Kompetenz“ oder „nicht kommunikationsfähig“.
Immerhin haben wir es hier mit grundständigen individuellen und organisatio-
nellen Fähigkeiten und Kenntnissen zu tun, die sich oft nur in langjähriger Praxis
herausbilden. Kommunikationsverhalten und Kommunikationsqualität sind entspre-
chende Folgewirkungen. Nachzudenken ist jedenfalls auch über die Frage, wie man
die Kommunikationskompetenz von Individuen und Teams - ganz zu schweigen von
„Gremien“- einerseits und die „Kompetenz“ von Organisationen oder Unternehmen
andererseits theoretisch besser beschreiben und erklären kann.
Der Begriff von Kommunikation 147

5.5.3 Kommunikationsethik
Hingegen ist Kommunikationsethik nicht Gegenstand einer Professionalität, sondern
sie signalisiert einen Verhaltensaspekt, der, bei strikter und einheitlicher Befolgung,
im positiven wie negativen Sinne wahrgenommen wird und im Ergebnis prägend für
ein Unternehmen ist. Auch und gerade über diese Wege wird Reputation aufgebaut
und kann dauerhaft als ergebnisprägendes Potenzial wirken. Kommunikation ist
nicht einfach da und wirkt, sondern sie wirkt, weil sie etwas leistet. Anders gesagt:
Wenn A (Unternehmen) B (Stakeholder) informiert, dann hat sie im Erfolgsfall eben
nicht informiert, sondern ein Problem von B gelöst, ist ein Commitment gegenüber
B eingegangen, hat die Wahrnehmung von B verändert oder hat sogar sich selbst und
ihre Sicht auf die Wirklichkeit verändert.

6 Der Begriff der Kommunikationsleistung

6.1 Kommunikation wird (noch) nicht als Gegenstand einer


Leistungserstellung gesehen

Die vorliegende Studie legt dar, dass wir es im Gebrauch des Wortes „Kommuni-
kation“ tendenziell mit einer Begriffsinflation zu tun haben, die eher verwirrt als
erhellt. Die Autoren haben bei ihrer Untersuchung eine Entdeckung gemacht, die
überrascht: In der Liste der 161 Begriffe fehlt ein ganz entscheidender: nämlich der
der „Kommunikationsleistung“. Dass es zahlreiche bedeutungsverwandte aber nicht
identische Begriffe gibt, die zudem aus heterogenen Theoriebeständen stammen wie
z. B. „Funktion“, „Wert“, „Nutzen“, „Ergebnis“, „Erfolg“ oder „Wirkung“, ändert
nichts bis wenig an dem Umstand, dass das Konzept der „Leistung“ nur eine äußerst
geringe Rolle spielt und entsprechend auch nicht innerhalb betriebswirtschaftlicher
Frames (Wissensrahmen) in seinem Potenzial entfaltet wird.
Dass kommunikative Tätigkeiten im Sinne der Erbringung von klar definierbaren
Leistungen aufgefasst werden können, wird auf der sprachlichen Ausdrucksebene in
der fachlichen Standardliteratur weitgehend vernachlässigt – möglicherweise zum
eigenen Schaden der Profession. Denn was nicht „Leistung“ heißt, ist keine Leistung
und wird auch nicht entsprechend als „Leistung“ bewertet und honoriert. „Kommu-
nikationsmaßnahmen“ bringen kein Geld. Man braucht nur „Leistung“ begrifflich
mit dem Stellvertreterbegriff „Kommunikationsmaßnahme“ oder „Kommunikati-
onsarbeit“ in eins zu setzen, um begreifen zu können, welcher Begriff angemessener
wäre.
In den letzten Jahren können wir zunehmend Initiativen beobachten, die darauf
abzielen, den Leistungsbeitrag von Kommunikation in Wertschöpfungsprozessen zu
verdeutlichen und möglichst quantitativ messbar zu machen. Ohne eine begrifflich
unzweideutige Nomenklatur und ohne eine angemessene Problembeschreibung und
Modellbildung wird das nicht gehen. Wir müssen lernen, ganz bestimmte Formen
von Kommunikation als das zu bezeichnen, was sie sind – eine Leistung, nichts
anderes. Dass dieser Leistungsbegriff selbst in der wissenschaftlichen Literatur nicht
gebräuchlich ist, ist gleichzeitig auch ein Hinweis darauf, dass in dieser Hinsicht
148 M. Piwinger und H. Ebert

noch viel zu „leisten“ ist. Es ist folglich jener Bereich genauer zu vermessen, der
zwischen Kommunikation als unberechenbarem und oft notwendigem Wagnis einer-
seits und Kommunikation als notwendiger Begleithandlung praktischer Tätigkeit
andererseits liegt.

Literatur

Quellen (ausgewertete Publikationen)


Bentele, Günter, Manfred Piwinger, und Gregor Schönborn, Hrsg. 2001. Kommunikationsmanage-
ment. Strategien, Wissen, Lösungen. Köln: Luchterhand.
Bentele, Günter, Romy Fröhlich, und Peter Szyszka, Hrsg. 2008. Handbuch Public Relations.
Wissenschaftliche Grundlagen und berufliches Handeln, 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag.
Bruhn, Manfred. 2014. Unternehmens- und Marketing-Kommunikation. Handbuch für ein inte-
griertes Kommunikationsmanagement, 3. Aufl. München: Vahlen.
Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, Hrsg. 2004. Öffentlichkeitsarbeit in Nonprofit-
Organisationen. Wiesbaden: Gabler.
Hundt, Markus, und Dorota Biadala, Hrsg. 2015. Handbuch Sprache in der Wirtschaft. Berlin/
Boston: De Gruyter.
Kirchhoff, Klaus Rainer, und Manfred Piwinger, Hrsg. 2009. Praxishandbuch Investor Relations.
Das Standardwerk der Finanzkommunikation, 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Gabler.
Mast, Claudia. 2016. Unternehmenskommunikation, 6. Aufl. Konstanz/München: UTB.
Reineke, Sven, und Torsten Tomczak. 2006. Handbuch Marketing-Controlling, 2. Aufl. Wiesba-
den: Springer Gabler.
Zerfaß, Ansgar, und Manfred Piwinger, Hrsg. 2014. Handbuch Unternehmenskommunikation.
Strategie, Management, Wertschöpfung, 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Gabler.

Weiterführende Literatur

Ebert, Helmut. 2012. PR-Texte. Konstanz: UVK.


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Zerfaß, Ansgar, und Manfred Piwinger, Hrsg. 2014. Handbuch Unternehmenskommunikation.
Strategie, Management, Wertschöpfung, 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Gabler.
Teil II
Disziplinen / Handlungsfelder
Strategisch texten
Der Entwurf eines integrativen Textmodells für die
Produktion und Evaluation

Annika Schach

Zusammenfassung
Der Beitrag stellt ein integratives Modell für die Produktion und Evaluation von
Texten in der Unternehmenskommunikation vor. Dabei werden die Elemente der
Kommunikationsstrategie, die textlinguistische Auseinandersetzung mit der
Kommunikationssituation, die inhaltsbezogene Themenfindung und Vertextung-
strategie sowie die Formulierungsadäquatheit verknüpft. Der medienwissen-
schaftliche Framing-Ansatz liefert zudem auf der strategischen Ebene eine sinn-
volle interdisziplinäre Perspektive auf die Textproduktion. Das Modell erfasst
somit die Komplexität eines PR-Textes und liefert eine Vorlage für die erfolgrei-
che Redaktion und Bewertung. Ein Text wird dabei verstanden als sprachliche,
intentionale Handlung, die in der PR-Praxis von zentraler Bedeutung ist.

Schlüsselwörter
PR-Text • Textmodell • Kommunikationsziele • Frames • PR-Sprache

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
2 Strategisch Texten als Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
3 Entwurf eines integrativen Textmodells für die Unternehmenskommunikation . . . . . . . . . . . 155
3.1 Strategische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
3.2 Kontextebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
3.3 Inhaltliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
3.4 Textebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
4 Fazit: Anwendungsbereiche in den Public Relations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

A. Schach (*)
University of Applied Sciences and Arts, Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
E-Mail: annika.schach@hs-hannover.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 153


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_9
154 A. Schach

1 Einleitung

Die kommunikativen Handlungsfelder der Public Relations haben sich nicht zuletzt
durch die Digitalisierung und Fragmentierung von Öffentlichkeit stark erweitert.
Diese Entwicklung lässt sich an der Ausdifferenzierung der relevanten Textsorten
der Public Relations belegen, die sich als Manifestationen sprachlichen Handelns
beschreiben lassen. Im Gegensatz zur marktorientierten Marketingkommunikation
waren Public Relations schon immer mit einer breiteren Bezugsgruppenstruktur
konfrontiert – und mussten sich somit sprachlich anpassen. In einer Kommunikati-
onslandschaft, die immer größere Schnittstellen beispielweise zum System Massen-
medien und zum System Recht aufweist, ist die Anschlussfähigkeit der Public
Relations ein wichtiges Erfolgskriterium. Das Schreiben von Textsorten unterschied-
lichster Funktionen gehört zu den Kernaufgaben in der PR-Praxis, erfolgt jedoch
größtenteils intuitiv und wenig strategisch durchdacht. Die wissenschaftliche Be-
schäftigung mit Public Relations setzt einen starken Fokus auf soziologische und
kommunikationswissenschaftliche Ansätze. Eine sprachwissenschaftliche Ausein-
andersetzung mit dem strategischen Einsatz von Sprache ist aber aus zwei Gründen
unbedingt notwendig:

1. Eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Entwicklung eines Text-


modells kann als Leitfaden für die strategische Texterstellung dienen.
2. Ein systematisches Textmodell bietet zudem Messpunkte für die Auswertung und
Bewertung von Texten.

Der Beitrag stellt im Folgenden den Entwurf eines integrativen Textmodells zur
Systematisierung des Texterstellungs- und Textevaluationsprozess vor – unter Ein-
beziehung von Modellen der Konzeptionslehre, dem medienwissenschaftlichen
Framing-Ansatz und den Kategorien der sprachwissenschaftlichen Textlinguistik.
Das Modell ermöglicht es, Texte so zu justieren, dass sie bestmöglich den definierten
Kommunikationszielen gerecht werden. Es unterteilt den Texterstellungsprozess in
vier Ebenen: die strategische, kontextuelle, inhaltliche und textuelle Ebene.

2 Strategisch Texten als Herausforderung

Die Diskussion um Content-Marketing und Storytelling als narrative Form der


Kommunikation sind die Trendthemen in der PR-Praxis (vgl. DPRG-Trendbarome-
ter 2015). Diese Entwicklungen erfordern eine systematische Beschäftigung mit
Texten, die sowohl strategische als auch sprachliche Aspekte betrifft. Durch die
Digitalisierung und die wachsende Bedeutung des Corporate Publishings ist die
Anzahl der Kanäle und Plattformen für die Unternehmenskommunikation gestiegen.
Viele Unternehmen und Organisationen setzen auf eine eigene Publikationstätigkeit,
um ihre Inhalte und Botschaften an die jeweiligen Stakeholder zu kommunizieren.
Die Entwicklung einer Content-Strategie ist eine Maßnahme, mit der Themen
strategisch und effektiv eingesetzt werden sollen. Damit gemeint ist ein Handlungs-
Strategisch texten 155

leitfaden, der konzeptionelle, strukturelle und taktische Planungen für die Kommu-
nikation von Themen und Inhalten für alle internen und externen Plattformen festlegt
(Schach 2014, S. 73). Die wesentlichen Ziele sind eine horizontale und vertikale
Integration zur Schaffung von Synergien in der Produktion und Umsetzung, um so
letztendlich die Effizienz der Kommunikation und Konsistenz von Botschaften zu
erreichen (COPE-Ansatz: Create once, publish everywhere). Betrachtet man den
Begriff „Content“, der in der Praxis häufig unreflektiert und unpräzise für alle Inhalte
verwendet wird, die im Rahmen der internen und externen Kommunikation in
unterschiedlichen medialen, aktionalen und personalen Formaten produziert und
distribuiert werden, so handelt es sich zu einem sehr großen Teil um Texte. Der
Content-Marketing-Trend verlangt demnach nach einer systematischen Beschäfti-
gung mit sprachlichen Handlungen. In der PR-Praxis findet zudem eine Differenzie-
rung der Textsorten statt, die sich anhand der Textfunktionen nachweisen lässt (vgl.
Schach 2015b). Auch hier stellt sich die Frage, welche Textsorte und welche
sprachliche Entfaltung für eine erfolgreiche Kommunikation von strategischen Or-
ganisationsbotschaften hilfreich ist. Der Trend zur Bewegtbild-Kommunikation
erweitert darüber hinaus den Blickwinkel auf eine notwendige Auseinandersetzung
mit medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit und Mündlichkeit. Auch an dieser
Stelle lassen sich fundierte textlinguistische Modelle fruchtbar machen. Der Um-
gang mit Sprache und Text in den Public Relations erfordert somit insgesamt
eine strategische Kompetenz auf der einen Seite und eine textliche Kompetenz auf
der anderen Seite. Das Ziel ist es letztendlich, alle vier Ebenen eines Textes (Stra-
tegie, Kontext, Inhalt, Sprache) hinreichend zu berücksichtigen und erfolgreiche
Texte zu verfassen, die das Kommunikationsziel erreichen können. Die Betonung
auf „können“, auf die Hervorhebung der reinen Möglichkeit der Zielerreichung, ist
an dieser Stelle bewusst gewählt. Aus der Kommunikationspraxis weiß man, dass
Texte und insbesondere die Konstruktion von Bedeutungen durch Rezipienten
oftmals nicht mit der intendierten Bedeutung übereinstimmt. Die diskursive Aus-
handlung von Bedeutung durch Rezipienten stellt die Unternehmenskommunikation
vor Herausforderungen, die im Rahmen eines Textproduktionsmodells zwar berück-
sichtigt, aber nicht umfassend gewürdigt werden können. Denn beim Verfassen eines
Textes handelt sich um ein Kommunikat mit einer intendierten Funktion und Lesart
des Produzenten, der aber – und das ist auf der situativen Ebene entscheidend – eine
mögliche Bedeutungskonstruktion durch Rezipienten mitdenken und kritisch hin-
terfragen sollte (siehe Abschn. 3.2.3).

3 Entwurf eines integrativen Textmodells für die


Unternehmenskommunikation

Das integrative Textmodell vereint Elemente der Konzeptionslehre mit kontextuel-


len, thematischen und sprachlichen Aspekten der Textlinguistik. Es orientiert sich an
dem in der Textlinguistik verwendeten Vierdimensionenmodell von Texten, die nach
Heinemann und Heinemann als Funktionalität, Situationalität, Thematizität und
Formulierungsadäquatheit bezeichnet werden (Heinemann und Heinemann 2002).
156 A. Schach

Das Modell bietet die Basis für eine systematische Auseinandersetzung mit Texten
im strategischen Kommunikationsumfeld. Mit den Elementen der Kommunikati-
onsstrategie lässt sich eine sinnvolle Textfunktion eingrenzen. Durch eine Kontext-
analyse kann der richtige Modus und die Textsorte bestimmt werden. Die Wahl der
Themenentfaltung (Vertextungsstrategie) wird dementsprechend angepasst. Am
Schluss wird auf der Text-Ebene die Wahl der sprachlichen Mittel festgelegt. Die
Komplexität eines Textes lässt sich jedoch nur ganzheitlich betrachten, da die
jeweiligen Ebenen und Elemente eng miteinander verknüpft sind. Das Modell bietet
somit eine prototypische Vorlage, deren einzelnen Bausteine in der Produktion und
Analyse oftmals gemeinsam gedacht werden müssen (Abb. 1).

3.1 Strategische Ebene

Der strategische Teil zur Lösung einer kommunikativen Problemstellung wird ein-
geleitet durch die Definition von Kommunikationszielen. An dieser Stelle kann
analog der Zielebenen (Wahrnehmung, Wissen, Einstellung, Verhalten) die Text-
funktion festgelegt werden. In der Unternehmenskommunikation sind im Wesent-
lichen die Informations-, Appell-, Kontakt- und Obligationsfunktion relevant. Es
folgen die Bestimmung von Ziel- oder Dialoggruppen, die Positionierung und die
Entwicklung von Kommunikationsinhalten, Botschaften, Sinnbildern und die krea-
tive Leitidee (vgl. Merten 2013; Leipziger 2009; Schmidbauer und Knödler-Bunte
2004). An dieser Stelle bietet der medienwissenschaftliche Framing-Ansatz einen
Anknüpfungspunkt für die Entwicklung von strategischen Frames, also abstrakten,
themenunabhängigen Deutungsmustern. Sie reduzieren Komplexität und wirken auf
die Selektion von neuen Informationen ein (Dahinden 2006, S. 193 f.). In dem
Bereich der Unternehmenskommunikation beschreibt Rademacher (2009, S. 98)
Frames als institutionalisierte Selbstbeschreibung, die eine Interpretationshilfe für
die einzelnen Unternehmensbotschaften bieten.

3.1.1 Kommunikationsziele
Kommunikationsziele werden im Rahmen eines Konzeptionsprozesses zur strategi-
schen Organisationskommunikation entwickelt. Sie sind steuernde Festlegungen,
die aus der Analyse der Ausgangssituation und Problemstellung identifiziert werden
und leiten den strategischen Teil eines Kommunikationskonzeptes ein. Kommuni-
kative Zielsetzungen werden mithin als Scharnier bezeichnet, die die Phase der
Analyse mit der strategischen Phase verbinden. Für das strategische Kommunikati-
onsmanagement sind sie als zentral zu bezeichnen, da sie mit den übergeordneten
strategischen Organisationszielen korrespondieren und die Stoßrichtung der Kom-
munikation bestimmen. Sie sind dabei gleichermaßen eine Vorlage für die Evalua-
tion, das heißt der Erfolgsmessung des strategischen Ansatzes und der Umsetzung in
konkreten Maßnahmen. Daher sollten sie möglichst konkret und messbar formuliert
sein, etwa durch die Angabe von überprüfbaren Kennzahlen. Somit wird festgelegt,
welcher Zustand am Ende erreicht werden soll.
Strategisch texten 157

Abb. 1 Integratives Textmodell. Eigene Darstellung

Kommunikationsziele können auf verschiedenen Ebenen differenziert werden. In


der Konzeptionspraxis unterscheidet man beispielsweise auf der zeitlichen Ebene in
kurz-, mittel- und langfristige Ziele, auf der Ebene der Bezugsgröße in strategische
und taktische Ziele oder auf der inhaltlichen Ebene in Wahrnehmungs-, Wissens-,
Einstellungs- und Verhaltensziele. Die Zielsetzung einer Kommunikationsplanung
158 A. Schach

orientiert sich an dem Problemlösungsbedarf, der laut Leipziger in fünf Problem-


klassen verortet werden kann, die einer kommunikativen Lösung bedürfen. Sie
fokussieren Beziehungsprobleme zwischen der Organisation und den relevanten
Stakeholdern. Kommunikationsprobleme können in Bezug auf die Aufmerksamkeit,
das Ansehen (Reputation), die Akzeptanz, die Präferenz (in Form von Zuwendung,
Zustimmung und Unterstützung) und das soziale Vertrauen bestehen (vgl. Leipziger
2004, S. 48; Szyszka 2008, S. 60). Selbst wenn nachgewiesenermaßen in der
PR-Praxis die Zielformulierung oftmals unkonkret ist, sind Zielformulierungen die
Basis für die strategische PR-Arbeit und wesentlicher Bestandteil eines jeden Kon-
zeptes (vgl. Baerns 2006, S. 52–53). In der späteren Entwicklung von Maßnahmen
sollten die Kommunikationsziele demnach im Blick behalten werden und die Ziel-
erreichung durch die Taktik überprüft werden. Wenn man sich nun mit Texten
beschäftigt, die eine konkrete Maßnahme der Kommunikation darstellen, sollten
ebenso die formulierten Kommunikationsziele berücksichtigt werden. Dies ge-
schieht in der Praxis jedoch zu wenig, bzw. der Rückschluss vor dem Verfassen
eines Textes auf die übergeordneten Kommunikationsziele wird selten vollzogen.
Als Übergang kann der Begriff der Textfunktion hilfreich sein, der als zentrale
Steuerungsgröße die Funktionalität eines Textes bestimmt und aus den Kommuni-
kationszielen abgeleitet werden kann. Dieser Übergang wird in Abschn. 3.1.5 ge-
nauer beschrieben.

3.1.2 Bezugsgruppen
Die Ermittlung von Personengruppen, die mit der Kommunikation erreicht werden
sollen, ist eine zentrale Aufgabe des strategischen Kommunikationsmanagements.
Somit ist auch die begriffliche Entwicklung und aktuelle Diskussion um Bezie-
hungs- und Stakeholderanalysen ein weites Feld, das an dieser Stelle nicht ausführ-
lich vorgestellt werden kann. Insgesamt stehen sich das aus dem Marketing kom-
mende Zielgruppenkonzept mit der Fokussierung auf bestimmten Merkmalen und
Konzepte der Stakeholder oder Bezugs- bzw. Anspruchsgruppen gegenüber, die
primär die Betroffenheit oder Einflussnahme von Personengruppen auf Organisatio-
nen in den Blick nehmen. Stakeholder sind demnach diejenigen Menschen, die von
Entscheidungen eines Unternehmens betroffen sind oder mit ihrem Handeln selbst
die Aktionen eines Unternehmens beeinflussen können. Sie haben materielle oder
immaterielle Ansprüche, Erwartungen und Interessen. Edward Freeman definierte
bereits 1984 Stakeholder als „group or individual who is affected by or can affect the
achievement of an organization’s objectives.“ (Freeman 1984). Der Stakeholder-
Ansatz konzipiert somit das Unternehmen als Teil eines Interessen- und Anspruchs-
geflechts, in dem Unternehmen nicht nur ihren Kunden und Kapitaleigentümern
(Shareholdern) gegenüber verantwortlich sind, sondern allen Gruppierungen, die
durch Entscheidungen berührt werden. Konsequenterweise sollten Organisationen
daher mit ihren Stakeholdern wechselseitig vorteilhafte Beziehungen pflegen, denn
Stakeholder können den Erfolg der Organisation behindern oder befördern. In die
gleiche Richtung geht das Konzept der Teilöffentlichkeiten, das auf dem Modell der
„publics“ von James Grunig beruht (Grunig und Repper 1992). Damit werden
situative Teilöffentlichkeiten beschrieben, die sich aus bestimmten Personen oder
Strategisch texten 159

Gruppen zusammensetzen, welche über einen gemeinsamen Sachverhalt diskutieren


oder zu einer bestimmten Position ähnlich denken. Der Unterschied der beiden
Vorstellungen von der Unternehmensumwelt wird von Claudia Mast treffend zusam-
mengefasst: „Teilöffentlichkeiten sind soziale Gruppen, deren Handeln auf ein
Interesse ausgerichtet ist und die untereinander in Verbindung stehen. Sie nehmen
sich als aktive Gruppe wahr. Zielgruppen hingegen sind nach beliebigen Merkmalen
differenzierte, disperse Publika, die ihre Entscheidung mehr oder weniger frei vor
dem Hintergrund ihrer psychosozialen Realität als Individuum treffen“ (Mast 2010,
S. 120).
Die Vorstellung von Personen mit Ansprüchen als Empfänger von Kommunika-
tionsmaßnahmen hat zu einer Diskussion geführt, ob diese stärker und an höherer
Priorität im Konzeptionsprozess zu berücksichtigen sind. Matthias Karmasin spricht
von einem paradigmatischen Wechsel von der Unternehmenskommunikation als
Massenkommunikation hin zur Unternehmenskommunikation als Stakeholderkom-
munikation: „Die Interaktion folgt dem Paradigma des Dialogs und hat zum Ziel,
nicht über die Anspruchsgruppen, sondern mit ihnen zu kommunizieren“ (Karmasin
2007, S. 79). In Bezug auf die Vorbereitung von Texten, die systematisch und
strategisch bestimmte Kommunikationsziele erreichen sollen, ist die Beschäftigung
mit Bezugsgruppen im Vorfeld des Schreibprozess daher sehr wichtig. Die identifi-
zierten Stakeholder eines Unternehmens sind in der vorbereitenden Themen- und
Inhaltsplanung demnach eine wichtige Determinante, die nicht mit den konkreten
Rezipienten des Textes gleichzusetzen ist. Im gesamten textlichen Output einer
Organisation sollten Stakeholder, ihre Beziehungen untereinander und die jeweilige
Sprache handlungsleitend sein und die weitere Konkretisierung der Textvorberei-
tung beeinflussen.

3.1.3 Positionierung, Botschaften, Sinnbilder


In der Positionierung wird die Alleinstellung der Organisation textlich realisiert. Sie
basiert auf den Ergebnissen der Analyse und Zielsetzung und funktioniert bezugs-
gruppenübergreifend. Die Positionierung präzisiert den gewünschten inhaltlichen
Kommunikationsstatus, festigt die Position in der Organisationsumwelt und fokus-
siert den durch die Kommunikationsmaßnahmen anzustrebenden Sollzustand. Eine
Positionierung ist immer ein Entscheidungsprozess, in dem bestimmte Inhalte in den
Vordergrund gestellt werden, andere wiederum ausgeschlossen werden. Die Positi-
onierung ist primär eine interne Festlegung, die in der Kommunikationspraxis selten
direkt nach außen kommuniziert wird. Gerade deshalb ist sie als wichtige Zuschrei-
bung für die Schreibpraxis relevant und sollte sich in Organisationstexten wieder-
finden – wenn auch in einer impliziten Form. Aus der Positionierung leiten sich dann
spezifische Kommunikationsbotschaften ab, die die übergreifende Positionierung
konkretisieren, auf Bezugsgruppen zuschneiden und differenzieren. Eine Positionie-
rung ist die Summe aller Botschaften oder andersrum: die jeweiligen stakeholder-
spezifischen Botschaften lassen sich daraus ableiten (vgl. Hansen und Bernoully
2013, S. 99 f.). Botschaften als zu vermittelnde Kommunikationsinhalte sind somit
eine entscheidende Vorgabe der späteren Publikationstätigkeit der Organisation.
Dabei können sie sich nach Differenzierungsgrad in Teilbotschaften aufsplitten,
160 A. Schach

die dann jeweils einer maßnahmenspezifischen oder personellen Zuordnung nach


Bezugsgruppe entsprechen. Die Kategorie „Sinnbild“ trägt der aktuellen Entwicklung
Rechnung, dass Kommunikationskonzepte heute neben den faktischen Botschaften
durch eine Geschichte oder Storyline funktionieren, die Vorstellungen und Meinung
von der Organisation als Persönlichkeit beinhaltet (Szyszka 2017, S. 54). Inhaltlich
gehen Sinnbilder über die konkreten Aussagen der Botschaften hinaus. Begreift man
Sinnbilder als zusätzliche Kategorie zur Positionierung und Identifizierung von
Botschaften, wird eine Vorlage für die Entwicklung von strategischer Kreativität
geschaffen. Der viel beachtete Begriff des Storytellings setzt bereits hier an und hat
die Funktion, die „Möglichkeiten von Interpretation und Sinndeutung (Vorstellung/
Meinung) auf den unternehmenspolitisch angestrebten Bedeutungskorridor einzu-
grenzen, für den ein Unternehmen steht“ (Szyszka 2017, S. 55). Aussagen werden
zu einer unternehmensadäquaten Geschichte verbunden, die sich an bestehenden
Beziehungsgeschichten des Unternehmens zu seinen Bezugsgruppen orientiert. (vgl.
ebd) Der Begriff des „Sinnbilds“ leitet über zu dem Framing-Ansatz, der in der
PR-orientierten Literatur bisher sehr peripher gewürdigt wurde, in den Medienwis-
senschaften jedoch ein etablierter Ansatz der Kommunikationsanalyse darstellt.

3.1.4 Framing
Frames werden als Sinnhorizonte definiert, die bestimmte Informationen und Posi-
tionen hervorheben und andere ausblenden (Matthes 2014, S. 10). In den Kommu-
nikationswissenschaften wurde die Framing-Forschung durch Entman geprägt und
findet seitdem hauptsächlich in der politischen Kommunikationsforschung Verwen-
dung (Matthes 2014, S. 12). Mit dem Begriff „Frames“ werden Deutungsmuster
oder Blickwinkel auf ein Thema beschrieben, die sich in allen Phasen von massen-
medialen Kommunikationsprozessen identifizieren lassen. Sie reduzieren Komple-
xität und leiten die Selektion von neuen Informationen (Dahinden 2006, S. 193 f.;
Entman 1993, S. 53). Auf die Vielfalt der Framing-Ansätze kann an dieser Stelle
nicht eingegangen werden. In Bezug auf die Organisationskommunikation geht es
um die Frage, wie es Unternehmen gelingt, die Inhalte und Botschaften in den
Medien erfolgreich zu platzieren. Den Rezipienten werden Bedeutungsrahmen zu
einem Thema angeboten, die sie auf Basis ihrer eigenen Erfahrungen, ihres sozialen
Umfeld und der angebotenen Medieninhalte konstruieren. Im Framing werden
spezifische Schlagworte, Bilder oder Metaphern und wiederkehrenden Beschreibun-
gen verwendet. Es geht dabei weniger um das „WAS“, sondern vielmehr um das
„WIE“ der Kommunikation oder anders gesagt: nicht um den konkreten Inhalt einer
Botschaft, sondern um die Art und Weise der Präsentation, der Einrahmung. Diese
wirkt sich beispielsweise konkret auf die Anordnung der Worte und Sätze aus.
Schlagworte sorgen bei den Rezipienten dafür, dass die damit einhergehenden
Positionen und Argumente ins Gedächtnis gerufen werden, wie das auch bei stereo-
typen Beschreibungen der Fall ist. Die Relevanz für die Unternehmenskommunika-
tion wurde bereits früh erkannt und von Hallahan beschrieben (1999, S. 224).
Unternehmen können Framing als Strategie einsetzen, um ihren eigenen Frames
auf die öffentliche Agenda zu setzen (Pan und Kosicki 2001; Dahinden 2006, S. 65).
Rademacher (2009, S. 98) beschreibt Frames als institutionalisierte Selbstbeschrei-
Strategisch texten 161

bung, die mal als Frame für Personen (Personal Frames), mal als Frame für Orga-
nisationen alles Art (Organizational Frames), aber natürlich auch bezogen auf
den Spezialfall einzelner Unternehmen (Corporate Frames) existieren. Frames bieten
eine Interpretationshilfe für die einzelnen Botschaften mit dem Ziel, dass diese auf
„einen vorbereiteten Grund“ fallen mögen. (vgl. ebd, S. 98) Eine Erweiterung der
Festlegung von Positionierung, Botschaften, Sinnhorizonte und zusätzlich von Fra-
mes erscheint somit insbesondere für ein systematisches Textproduktionsmodell für
unabdingbar. Am ehesten ist die Verwendung bisher in Ansätzen zum systemati-
schen Schreiben eingebunden (vgl. Stücheli und Perrin 2013). Die Kreation von
PR-Frames in mehreren Schritten haben Zoch und Modella (2006) beschrieben. Die
Nutzbarkeit des Ansatzes für die Analyse von PR-Texten wurde im Rahmen einer
Untersuchung zur Unternehmensgeschichte vorgestellt (Schach 2015a).

3.1.5 Textfunktion
Die Textfunktion ist ein zentraler Begriff in der Textlinguistik. Sie gilt als Basiskri-
terium zur Differenzierung von Textsorten: „Der Terminus Textfunktion bezeichnet
die im Text mit bestimmten konventionell geltenden, d. h. in der Kommunikations-
gemeinschaft verbindlich festgelegten Mitteln ausgedrückte Kommunikationsab-
sicht des Emittenten. Es handelt sich also um die Absicht des Emittenten, die der
Rezipient erkennen soll, sozusagen um die Anweisung (Instruktion) des Emittenten
an den Rezipienten, als was dieser den Text insgesamt auffassen soll“ (Brinker et al.
2014, S. 95). Warum ist nun dieser Baustein im integrativen Textmodell auf der
konzeptionellen Ebene verortet und nicht erst auf der Ebene des Textes? Der Grund
liegt im Anknüpfungspunkt an die strategischen Festlegungen der Kommunikati-
onsziele und Bezugsgruppen. Viele Textlinguisten weisen der Textfunktion die
wichtigste Rolle zu. Dabei wird nach Brinker unterschieden in fünf Textfunktionen:
Appell, Information, Kontakt, Obligation und Deklaration. Indikatoren der Text-
funktion sind bestimmte innertextliche und kontextuelle Mittel, die die Textfunktion
explizit oder implizit anzeigen. In der PR-Praxis spielen die vier erstgenannten eine
zentrale Rolle (vgl. Schach 2015b).
Die Textfunktionen greifen die Kommunikationsziele auf und konkretisieren
sie in textleitende Zuschreibungen, die sprachlich realisiert werden. Das geschieht
nach Sandig durch explizite Kategorisierungen (Textsortenkennzeichnung),
wahrnehmbare, prototypische Textgestalten, interne Textstrukturierungen und For-
mulierungsmuster, sowie durch den Textträger und Situationstyp. Pragmatisch und
exemplarisch gesprochen: Möchte eine Organisation bei ihren Stakeholdern einen
Einstellungswandel erzeugen und hat somit Kommunikationsziele auf der Einstel-
lungsebene formuliert, sollte auch als Textfunktion zentraler Kommunikate eine
Appell-Funktion realisiert werden.

3.2 Kontextebene

Texte sind geprägt durch ihren Kommunikationsbereich (Brinker et al. 2014) bzw.
die Situationalität (Heinemann und Heinemann 2002), denn sie sind immer auf
162 A. Schach

soziale Situationen bezogen und sind relativ zu den Interaktionskontexten zu sehen.


Die Kontextebene umfasst daher die kommunikativen Rahmenbedingungen des
Textes, also des medialen Umfelds, des Kommunikationskanals, des Mediums und
der Textproduzenten und Textrezipienten. In der systemtheoretisch orientierten
Textlinguistik findet sich hier der Ansatzpunkt vom Kommunikationsbereich und
dem sozialen System einer Gesellschaft (Gansel 2011).

3.2.1 Kommunikationssituation
Der Kommunikationsbereich ist die historische Kategorie in der Textlinguistik. Er ist
geprägt durch Textsorten als Produkte sprachlichen Handelns, wie zum Beispiel
„Wirtschaft“, „Politik“ oder „Massenmedien“ und ist als gesellschaftlicher Bereich
durch verschiedene Handlungs- und Wertemuster determiniert. In neueren Begriffs-
überarbeitungen in der Textlinguistik wird nochmals differenziert zwischen der
Kommunikationsform und dem Handlungsbereich. In ersterem spielen Fragen des
Mediums eine Rolle, in letzterem die gesellschaftlichen Bereiche von Textsorten
(vgl. Brinker et al. 2014, S. 141 f.). Als Überbegriff wurde die Bezeichnung „Kom-
munikationssituation“, die als konstitutiv in der Textproduktion bezeichnet. Konkret
gefragt: Befinden wir uns immer im Handlungsbereich der Wirtschaft, wenn wir
Unternehmenskommunikation betreiben oder grenzen und imitieren Textsorten des
Corporate Publishings nicht vielmehr das massenmediale Umfeld? Sind Textsorten
der Reglementierung, wie beispielsweise Compliance-Richtlinien, nicht stärker mit
dem juristischen Handlungsbereich verwandt? Die Kommunikationssituation wird
in der systemtheoretisch orientierten Textlinguistik als Anknüpfungspunkt an den
Begriff des Systems gesehen, die jeweils der eigenen Systemlogik unterworfen sind.
In der Textproduktion ist die Kommunikationssituation eine zentrale Determinante,
wie ein Text konkret aussehen soll.

3.2.2 Textsorten und Formate


Der Übergang zur Textsorten- und Formatbestimmung ist fließend. Die Textsorten
übernehmen Leistungen im Rahmen der Kommunikationssituation. Im Alltagsver-
ständnis sind Textsorten eine allgemein verständliche Kategorie in der Kommuni-
kation und werden intuitiv verstanden. Das zeigt sich im alltäglichen Umgang mit
Sprache: Fernsehzuschauer beispielsweise unterscheiden zwischen der Nachricht
und dem Wetterbericht, der Leser einer Zeitschrift unterscheidet zwischen einem
Kochrezept und einem Horoskop. In der heutigen Kommunikationslandschaft wird
es jedoch zunehmend schwerer für den Laien, eine klare Zuordnung vorzunehmen.
Das liegt zu einem großen Teil an dem sich ständig weiter entwickelnden Spektrum
an Texten und Textsorten, bedingt auch durch die Erweiterung der digitalen Publika-
tionsmöglichkeiten – mit steigendem Anspruch an die Medienkompetenz der Rezi-
pienten. In der strategischen Kommunikation gilt es, den Begriff zu explizieren und
die regelhaften Beziehungen zwischen einzelnen Textsorten zu erfassen. Durch die
Kategorie Textsorte können „Zusammenhänge von funktional-situativ bestimmten
kommunikativen Handlungen und ihren zugrunde liegenden Formulierungs- und
Baumustern erklärt werden“ (Gansel und Jürgens 2007, S. 53). Textsorten sind
„konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen“, die sich
Strategisch texten 163

„als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-


funktionalen und strukturellen (grammatischen) Merkmalen beschreiben“ lassen
(Brinker et al. 2014, S. 143). Diese Aspekte können neben der äußeren Textgestalt
und charakteristischen Struktur- und Formulierungsbesonderheiten, auch inhaltlich-
thematische Aspekte sein. Im Modell wurde der Begriff des Formats ergänzt, der
digitale Formate einschließt, die sich durch multimodale Merkmale nicht als klassi-
sche Textsorten oder Textsortenvarianten beschreiben lassen.
3.2.3 Rezipienten und Bedeutungskonstruktion
Mit dem Begriff Rezipienten sind in dem Modell die Menschen gemeint, die die
Texte rezipieren. Die konkrete Zuschauer-, Zuhörer- oder Leserschaft ist jedoch in
der Organisationskommunikation oftmals unspezifisch. Die Medienarbeit adressiert
klassischerweise Journalisten als Rezipienten ihrer Texte. Der Aufgabenbereich der
Public Relations hat sich jedoch, wie eingangs beschrieben, auch in Bezug auf eine
direkte Kommunikation mit Bezugsgruppen erweitert. Hier ist die genaue Identifi-
zierung der Rezipienten schwieriger. In der digitalen Kommunikation lassen sich
zwar Aussagen über Reichweite, demografische Merkmale und Zugangswege ermit-
teln, die Stakeholderkriterien sind jedoch oftmals nicht ermittelbar. Daher wird in der
Onlinekommunikation häufig mit dem Persona-Konzept gearbeitet, dass eine ideal-
typische Person aus einer Zielgruppe mittels Portraits beschreibt. Die Beschäftigung
mit der konkreten Leserschaft eines Textes ist für den Schreibprozess elementar, um
inhaltlich und sprachlich die Bedürfnisse und Interessen der Rezipienten zu bedie-
nen. Diese Zielsetzung steht jedoch vor einer entscheidenden Herausforderung: Die
Beschäftigung mit der Rezeption ist jedoch vor dem Hintergrund eines erweiterten
Kommunikationsbegriffs elementar, da Kommunikation als soziale Handlung einen
mehrschichtigen Charakter hat und weit entfernt vom klassischen Weg der Informa-
tionsübermittlung ist. Wie bereits beschrieben, ist der Rezipient in der heutigen
Kommunikation selten der strategisch ausgewählte Adressat. Rezipienten nehmen
Inhalte oftmals nicht in der strategisch vorgesehenen Weise wahr, sondern wandeln
diese innerhalb des sozialen Umfelds individuell um: „Bedeutungen unterliegen im
Rezeptionsprozess immer einem Bedeutungswandel“ (Kastens 2016, S. 67). Hinzu
kommt, dass Rezipienten selbst zum Produzenten werden und mit dem sozialen
Umfeld selbst ein eigenes Verständnis von Texten aushandeln. Vor dem Hintergrund
eines diskursiven Kommunikationsverständnisses steht an dieser Stelle die Beschäf-
tigung mit Bedeutungskonstruktion von Rezipienten an zentraler Stelle.
3.2.4 Modus und medialer Rahmen
Der Begriff „Modus“ ist im Zusammenhang mit dem medialen Rahmen zu sehen,
nicht mit der verwandten Verwendung des Begriffes als Kommunikationsmodus, der
sich in diesem Zusammenhang mit der Funktionalität verknüpft ist. Der Modus als
mediale Situation beeinflusst die textliche Gestalt. Wie werden Text und Bild in
einen Zusammenhang gestellt, welche Einflussfaktoren bestimmen den Text im
medialen Umfeld? Diese Fragen werden im Rahmen dieses Modellbausteins erfasst.
Hier geht es um die Kommunikationsform als Teil einer interaktionalen Gesamt-
konstellation, die zur Übermittlung von Texten eingesetzt werden. Diese wird auf
der kontextuellen Ebene des Modells erfasst.
164 A. Schach

Tab. 1 Kommunikationsbedingungen der Nähe und Distanz mit Einfluss auf Medium und Kon-
zeption. Quelle: Eigene Darstellung nach Koch und Oesterreicher 1994, S. 201
Kommunikative Nähe Kommunikative Distanz
Privatheit Öffentlichkeit
Vertrautheit der Kommunikationspartner Fremdheit der Kommunikationspartner
starke emotionale Beteiligung geringe emotionale Beteiligung
Situations- und Handlungseinbindung Situations- und Handlungsentbindung
referenzielle Nähe referenzielle Distanz
raumzeitliche Nähe (face-to-face) raumzeitliche Distanz
kommunikative Kooperation keine kommunikative Kooperation
Dialogizität Monologizität
Spontanität Reflektiertheit
freie Themenentwicklung Themenfixierung

3.2.5 Kommunikative Nähe und Distanz


Koch und Oesterreicher haben Kommunikationsbedingungen der Nähe und Distanz
entwickelt, die sie in Form einer Liste von Parametern wiedergegeben haben (Koch
und Oesterreicher 1994, S. 201).
Diese Merkmalsgegenüberstellung ist eine nutzbare Vorlage, um eine Einord-
nung des Textes in die Kommunikationssituation vorzunehmen. Sie bietet zudem
einen umfassenden Abschluss der kontextuellen Beschäftigung mit dem Text durch
allgemeine Betrachtung des Kommunikationsbereichs, der Textsorte, des medialen
Rahmens durch die Analyse der Kommunikationsbeziehung zwischen Textprodu-
zent und -rezipient (Tab. 1).

3.3 Inhaltliche Ebene

Das Textthema und die Art der Themenentfaltung bilden die Grundlage für die
inhaltliche Textebene. Das Thema und seine Art der Entfaltung sind festzulegende
Größen, die die Vertextungsstrategie beeinflussen. Hier ergibt es Sinn, sich über eine
thematische Struktur in Haupt- und Teilthemen Gedanken zu machen. Die bedeu-
tenden Arten der Themenentfaltung in den Public Relations sind die Deskription, die
Argumentation, Narration und Explikation. Die Art der Themenentfaltung verbindet
die inhaltliche und die sprachliche Ebene. Die Überleitung von WAS-Fragen zu
WIE-Fragen findet an dieser Stelle statt.

3.3.1 Thema, Teilthemen und thematische Struktur


Das Thema als Kern des Textes meint den Textinhalt, bezogen auf Gegenstände,
Personen, Sachverhalte, Ereignisse, Handlungen oder Vorstellungen. Ein Text kann
durchaus verschiedene Teilthemen besitzen, die in verschiedenen Textsegmenten
realisiert und hierarchisiert werden: „Das Text-Thema ist eine nichtsprachliche Größe,
die durch den Text versprachlicht und in einen bestimmten Wissenszusammenhang
eingebettet ist. Nicht nur der Gesamttext, sondern jeder Teiltext bis hinunter zum Satz
Strategisch texten 165

hat ein Thema“ (Vater 2001, S. 76). Mit dem übergreifenden Textthema wird in der
Regel die größtmögliche Kurzfassung des Textinhalts bezeichnet. Es ist oftmals auch
verknüpft mit der spezifischen Branche der Organisation und geprägt durch die jeweils
relevanten inhaltlichen Diskurse. In jedem Fall sollte eine Themenplanung in einem
Unternehmen einen starken Bezug zur strategischen Festlegung von Kommunikati-
onszielen, Bezugsgruppen, Positionierung und Botschaften besitzen.

3.3.2 Textentfaltung: Deskription, Argumentation und Narration


Eine Themenentfaltung ist die gedankliche Ausführung des Themas, die durch
kommunikative und situative Faktoren gesteuert wird. Verknüpfungen bzw. Kom-
bination relationaler, logisch-semantisch definierter Kategorien geben die internen
Beziehungen einzelnen Teilinhalte bzw. Teilthemen zum thematischen Kern des
Textes an. Die Grundformen der thematischen Entfaltung sind die deskriptive
(beschreibende), narrative (erzählende), explikative (erklärende) und argumentative
(begründende) Vertextungsstrategie. Für jede von ihnen sind bestimmte semantisch-
thematische Kategorien bzw. Verbindungen von Kategorien charakteristisch, die im
Alltagsgebrauch von Sprachteilnehmern erkannt werden (Brinker et al. 2014,
S. 356 ff.). In der Public-Relations-Praxis werden Texte klassischerweise deskriptiv
entfaltet (wie beispielsweise bei einer Pressemitteilung), oftmals aber auch argu-
mentativ (in Imagetexten) und in den letzten Jahren werden häufig auch narrative
Textstrategien versucht (vgl. Schach 2014, S. 102). Bei der Narration (Gülich und
Hausendorf 2000, S. 369; Heinemann und Viehweger 1991, S. 241) handelt es sich
um die chronologisch geordnete Reihung von Illokutionen, die zusammen ein
Ereignis repräsentieren. In einer vereinfachten Struktur bedeutet das:

A Danach B Danach C Danach Y . . .


(Legende: B setzt semantisch A voraus, Y die Kette ABC)

Die Aneinanderreihung solcher Ereignis-Teileinheiten wird in der Erzähltheorie


mit dem Terminus Plot beschrieben. Eine Erzählung besteht aus einer zeitlichen
Abfolge von Handlungen, die sich zu einem komplexen einmaligen Ereignis ver-
knüpfen. Diese Ereignisse verbinden sich in ihrer logischen, kausalen, zeitlichen
Aufeinandefolge zu Ereignisketten.
Bei den narrativen Vertextungsmustern gibt es jedoch unterscheidbare Varianten.
Das gleiche Ereignis, der gleiche Plot (z. B. ein Verkehrsunfall) kann nach unter-
schiedlichen narrativen Teilmustern gestaltet werden kann. Heinemann und Heine-
mann differenzieren in Narration I und Narration II: „Man kann über den Unfall-
hergang BERICHTEN (=NARR I [REFFERIEREN] genannt, beispielsweise in
Form eines Berichts für die Verkehrspolizei) oder ERZÄHLEN (= hier als NARR
II bezeichnet, z. B. als unmittelbar Betroffener bzw. Augenzeuge in der Form einer
Erlebnisdarstellung einer vertrauten Person gegenüber)“ (Heinemann und Heine-
mann 2002, S. 187). Gansel und Jürgens verwenden an dieser Stelle die begriffliche
Unterscheidung in ergebnisorientierte und ereignisorientierte Vertextungsmuster
(Gansel und Jürgens 2007, S. 150). Welche Art der Themenentfaltung gewählt
wird, hat entscheidenden Einfluss auf die Textfunktion und referriert somit auf die
166 A. Schach

Kommunikationsziele eines Unternehmens. Mit einer argumentativer Art der Themen-


entfaltung lässt sich idealtypisch eine Appell-Funktion realisieren, die einen Einstel-
lungswandel oder eine Verhaltensänderung bei den Bezugsgruppen bewirken kann.
Auch die Explikation erfreut sich an einem wachsenden Einsatz in der Unternehmens-
kommunikation, so sind erklärende Formate in den Public Relations als Trend zu
bezeichnen, die oftmals als Bewegtbild-Formate umgesetzt werden. Welche Art der
Themenentfaltung für einen Text geeignet ist, sollte sich nicht maßgeblich an dem
intuitiven Textgefühl des jeweiligen Textproduzenten orientieren, sondern das Ergeb-
nis der Zuschreibungen aus der strategischen und kontextuellen Ebene sein.

3.4 Textebene

Die sprachliche Ebene, die textinternen Faktoren, nehmen den letzten Bereich des
integrativen Modells ein. Hier geht es um die sprachliche Realisierung der vorab
getroffenen Entscheidungen auf konzeptioneller, funktionaler und thematischer
Ebene – durch das Schreiben auf der Basis von Stilistik, Syntax, Lexik, und sprach-
licher Mittel entsteht ein Text, der die festgelegte Funktion erfüllt.

3.4.1 Stilzüge
Prinzipiell ist Stil immer an den Text gebunden, es gibt ihn nur im Textzusammen-
hang. Sprachliche Mittel können außerhalb des Textes stilistisch nicht eingeordnet
und bewertet werden. Text und Stil bedingen einander. In der Funktionalstilistik wird
Stil als eine sich im Text herausbildende Ganzheit betrachtet. Die drei zentralen
Kategorien sind dabei:

a.) Stilelement (Als kleinste Einheit ist es definiert durch die Mitwirkung am Stil des
gesamten Textes im Sinne der Beziehung von Teil und Ganzem).
b.) Stilganzes (Jedes sprachliche Mittel von Satzzeichen bis zu Textstrukturen
können zum Textganzen beitragen).
c.) Stilzüge (Sie vermitteln zwischen dem Textganzen und den einzelnen Stilele-
menten wie beispielsweise „anschaulich“, „bildhaft“ oder „sachlich“. Damit sind
Charakteristika gemeint, die sich durch den gesamten Text ziehen und ihn
stilistisch prägen).

Stil lässt sich definieren als das „auf paradigmatischer Opposition der Ausdrucks-
verfahren beruhendes, syntagmatisch fassbares, effektives, einheitliches und je aus-
gewähltes und unverwechselbares Merkmal von Sprache in je bestimmten Funkti-
onsbereichen“ (Eroms 2008, S. 39).
Im Grunde geht es immer um eine Abweichung von bestimmten Konventionen
durch sprachliche Mittel, indem nämlich beispielweise die Wortwahl von einem
neutralen Stil abweicht, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Für die Analyse
beschreibt Eroms folgendes Vorgehen: „Wörter, die in allen Funktionalstilen
uneingeschränkt vorkommen können, also einzig durch das System bedingt sind
(folglich zum Deutschen schlechthin gehören), sind stilistisch neutral. Alle Wörter,
Strategisch texten 167

die in mindestens einem Funktionalstil nicht vorkommen können, geben einen


Stilwert ab“ (Eroms 2008, S. 60). Die Eigenschaften des Funktionalstils der Wer-
bung fasst Eroms beispielsweise wie folgt zusammen: Verständlichkeit, Assoziation
von Hochwertbereichen, Vermittlung von Werthaltigkeit des beworbenen Produkts
über sprachliche Mittel, die ein individuelles Merkmal erkennen lassen. Einen in der
Literatur beschriebenen prototypischen Funktionalstil der Public Relations gibt es
nicht, stilistische Anleihen bestehen zum Funktionalstil der Massenmedien, der
Werbung, der Alltagssprache oder gar der Belletristik.

3.4.2 Lexik und Syntax


Auf der sprachlichen Ebene geht es um die Komposition von lexikalischen und
syntaktischen Mitteln. Auch hier stehen Entscheidungen oder Bewertungen der
jeweiligen Wortwahl und des Satzbaus nicht isoliert, sondern im engen Bezug zur
Funktionalität, dem Kontext und der Entfaltung des Themas. In der Textlinguistik
spricht man von komplexen Beziehungen, die zwischen medialem Kontext, kom-
munikativer Funktion, thematischem Aufbau und sprachlich-grammatikalischen
Einheiten bestehen (Brinker et al. 2014, S. 157). Die Nutzung bestimmter Schlüssel-
wörter kann beispielsweise im Zusammenhang mit gewünschten Botschaften und
Frames stehen, der Aufbau von Satzstrukturen ermöglicht die Realisierung der
intendierten Themenentfaltung. Das Ziel ist die Identifizierung von Formulierungs-
mustern, die sich durch charakteristische Verknüpfungen von lexikalischen Einhei-
ten und typischen syntaktischen Konstruktionen des Textes zeigen.

3.4.3 Sprachliche Mittel


Schlussendlich geht es um den systematischen Einsatz von spezifischen sprachlichen
Mitteln, die für die Textsorte oder den Text typisch sind. Um die linguistische
Landkarte zu vervollständigen, werden beispielsweise spannungserzeugende Stil-
mittel, Schlagwörter und prototypische Formulierungsmuster eingesetzt. Metaphern
sind beispielsweise ein häufig verwendetes Stilmittel der Wissenskonstitution in der
externen Kommunikation (vgl. Brandsteller 2015, S. 78). Oftmals werden spezifi-
sche sprachliche Mittel hervorgehoben, um Kohärenz herzustellen oder mit inter-
textuellen Bezügen zu spielen. Auch nicht-sprachliche Mittel spielen hier eine Rolle,
wenn es sich um multimodale Kommunikate handelt, d. h. Bilder oder Visualisie-
rungen zum Einsatz kommen.

4 Fazit: Anwendungsbereiche in den Public Relations

Bei dem hier vorgestellten integrativen Textmodell handelt es sich schlussendlich


um eine idealtypische Vorlage, welche die wesentlichen Ebenen und Bausteine eines
Textes umfasst, der sein strategisches Kommunikationsziel erreichen will. Es bietet
eine Grundlage zur systematischen Beschäftigung vor der Textproduktion und liefert
gleichermaßen Ansatzpunkte zur Textbewertung. Diese Textevaluation lässt sich
mittels eines Fragenkatalogs konkretisieren, der sich aus dem Modell wie folgt
ableiten lässt.
168 A. Schach

Strategische Ebene
a) Werden durch den Text die definierten Kommunikationsziele sprachlich
realisiert?
b) Berücksichtigt der Text an die Ansprüche und Bedürfnisse von Bezugsgrup-
pen?
c) Werden die Positionierung, die abgeleiteten Botschaften und Sinnbilder der
Organisation im Text vermittelt?
d) Arbeitet der Text mit Frames bzw. Deutungsmustern, die den Rezipienten
einen intendierten Blickwinkel auf das Thema vorschlagen?
e) Ist die aus den Kommunikationszielen abgeleitete Textfunktion sprachlich
umgesetzt worden?
Kontextuelle Ebene
f) Korrespondiert der Text mit den Textsortenensembles der Kommunikation-
situation?
g) Sind Textsorte und Format sinnvoll gewählt und umgesetzt?
h) Wird der gewünschte Rezipient angesprochen?
i) Sind der Modus und mediale Rahmen für das Thema passend?
j) Ist der Text durch kommunikative Nähe oder Distanz geprägt und wurden
Rückschlüsse im Text umgesetzt?
Inhaltliche Ebene
k) Sind die relevanten Themen und Teilthemen in einer sinnvollen thematischen
Struktur komponiert worden?
l) Wird die gewählte Art der Textstrategie dem Thema gerecht?
Textliche Ebene
m) Passt der Stil des Textes zur Organisation, Medium und Rezipienten?
n) Berücksichtigen Syntax und Lexik die festgelegten Textmerkmale der vorhe-
rigen Ebenen?
o) Wurden die sprachlichen Mittel analog der strategischen Ausrichtung sinnvoll
gewählt?

Galt das Schreiben ursprünglich als Begabungstätigkeit und wird bis heute
vielfach intuitiv betrieben, verlangt die strategisch ausgerichtete Organisationskom-
munikation eine systematische Beschäftigung mit den verschiedenen Ebenen eines
Textes. Egal ob schriftlich oder mündlich realisiert, sind Texte kommunikative
Handlungen und nehmen somit einen großen Stellenwert in den Public Relations
ein – diese Textproduktionsprozesse gilt es zu systematisieren.

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Strategisch texten 169

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Message Design
Der Prozess zur wirkungsvollen Botschaft
einer Organisation

Peter Stücheli-Herlach

Zusammenfassung
Professionelle Public Relations sehen sich heute mit den typischen Herausforderun-
gen der strategischen Organisationskommunikation konfrontiert. Diese rühren maß-
geblich von einer digital vernetzten Öffentlichkeit her, die nicht nur durch orts- und
zeitunabhängige Rezeption, sondern auch durch die permanente Produktion von
Beiträgen durch die Anspruchsgruppen geprägt ist, die verarbeitet werden müssen
(1). Daraus erwächst der Bedarf nach spezifischen Ausrichtungen des PR-Handelns,
mit denen die umfassende Vernetzung einer Organisation gestaltet und gesteuert
werden kann. Im Rahmen einer Praxistheorie und einer daran orientierten Ange-
wandten Linguistik der strategischen Organisationskommunikation erscheint das
Konzept von Diskurshandlungen dafür geeignet, verschiedene Leistungen der Kon-
textualisierung, Formierung und Realisierung von Kommunikationsbeiträgen zu
beschreiben (2). Die strategische Entwicklung und Optimierung solcher Handlungen
für Organisationen kann als Message Design bezeichnet werden. Es handelt sich
typischerweise um kollektive, kreative und iterative Praktiken der PR, die sich zwar
situationsbedingt und vielfältig manifestieren, aber durch übergeordnete Kategorien
erklärbar sind (3). Fallstudien zu Message Design in verschiedenen Organisationen
dokumentieren die Aufgabenstellungen, die solche Prozesse antreiben, ebenso wie
Praktiken, durch die sie erfolgreich bewältigt werden können. Damit tragen sie zur
Orientierung und Verbesserung der professionellen PR-Praxis bei (4).

Schlüsselwörter
Strategische Kommunikation • Organisationskommunikation • Message Design •
Diskurshandlungen • Diskursstrategie • Angewandte Linguistik

Bei diesem Text handelt es sich um eine neue, gründlich überarbeitete und deutlich erweiterte
Fassung des Beitrags des Autors in Perrin und Kleinberger (2017).
P. Stücheli-Herlach (*)
Zürcher Fachhochschule (ZHAW), Winterthur, Schweiz
E-Mail: stue@zhaw.ch

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 171


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_12
172 P. Stücheli-Herlach

Inhalt
1 Die Herausforderung vernetzter Öffentlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
1.1 Public Relations für die strategische Organisationskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
1.2 Strategische Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
1.3 Strategiekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
2 Praxistheorie und Angewandte Linguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
2.1 Neue Problemstellungen rufen nach Veränderung von Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
2.2 Vernetzungs- und Sprachhandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
2.3 Diskurshandlungen und die Dimensionen der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
3 Mit Message Design zu strategischem Diskurshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
3.1 Corporate Messages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
3.2 Message Design in der Organisationspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
4 Message Design im Berufsalltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
4.1 Von der Handlungsgemeinschaft zur Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
4.2 Message Design in Politik und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
4.3 Message Design in der öffentlichen EU-Diplomatie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
4.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

1 Die Herausforderung vernetzter Öffentlichkeiten

1.1 Public Relations für die strategische


Organisationskommunikation

Der Begriff der Public Relations (PR) bezeichnet, in einem sehr allgemeinen Ver-
ständnis, die Funktion der Legitimation einer Organisation und ihrer Interessen im
Kontext der modernen Öffentlichkeit (Röttger et al. 2011, S. 29). Von einer „Funk-
tion“ zu reden bedeutet, konkrete Phänomene wie Berufsprofile, spezifische Verfah-
ren und Instrumente (Fröhlich et al. 2015) einem gemeinsamen System organisatio-
nalen Handelns zuzuordnen und entsprechende Theorien zu schärfen (Jarren und
Röttger 2009). In der jüngeren Forschungsgeschichte hat sich darüber hinaus ein
nochmals weiter gespannter Begriff dafür etabliert, nämlich derjenige der strategi-
schen Kommunikation (Hallahan et al. 2007; Röttger et al. 2013; Holtzhausen und
Zerfass 2015). Er umfasst alle Aktivitäten, die Organisationen ihren Zielen näher-
bringen, indem sie den öffentlichen Austausch suchen und führen (hier nach Halla-
han 2007; Holtzhausen und Zerfass 2013, 2015, S. 4).
PR wie strategische Kommunikation haben eine zentrale Bezugsgröße, und das ist
die Organisation. In der jüngeren Diskussion ist deshalb zu Recht darauf hingewiesen
worden, dass PR wie strategische Kommunikation von einem Austausch mit dem
Forschungsfeld der Organisationskommunikation profitieren können (Wehmeier et al.
2013; Theis-Berglmair 2013), welches stark angelsächsisch geprägt ist. Der Begriff
„Organisationskommunikation“ (zum Überblick Theis-Berglmair 2003) steht dem-
nach für das Phänomen der Vernetzung von Kommunikationsbeiträgen in Konversa-
tionen und Texten zum Zweck der Strukturbildung, der Leistungserbringung, der
sozialen Integration und der Koordination von Aktivitäten in der modernen Gesell-
schaft (McPhee und Zaug 2009; Szyszka 2009, S. 135; Taylor und van Every 2011).
Message Design 173

Der vorliegende Beitrag berücksichtigt, mit Blick auf den Sprachgebrauch für die
PR, sowohl den Theorierahmen der strategischen Kommunikation wie auch jenen
der Organisationskommunikation. Ersteres, um übergreifende Herausforderungen
im Zuge des Wandels von Gesellschaft und ihrer Medienkommunikation zu identi-
fizieren. Letzteres, um in den organisationalen Handlungskontexten des professio-
nellen Alltags Problemstellungen und Lösungsverfahren analysieren und verstehen
zu können.

1.2 Strategische Herausforderungen

Der Wandel der Gesellschaft und ihrer Technologien geht in den letzten Jahrzehnten
in die Richtung einer „Netzwerkgesellschaft“ mit „Netzwerkorganisationen“ (Cas-
tells 2010; auch Baecker 2007, S. 39, 48–55; Stegbauer 2008). Die – nicht immer
trennscharf verwendeten – Begriffe verweisen auf die Tatsache, dass sich soziale
Geflechte in dieser Gesellschaft über eigendynamische Informationsprozesse entwi-
ckeln und sich entsprechend durch Offenheit, Flexibilität, Variabilität und multiple
Perspektiven auszeichnen. So allgemein gefasst, gehört die Netzwerk-Metapher zu
einer theoretischen Perspektive, welche in der permanenten Kommunikation den
eigentlichen Schlüsselprozess einer prinzipiell grenzenlosen „Weltgesellschaft“
erkennt (Luhmann 1998, S. 826–847, besonders S. 842, 846). Unter den Bedingun-
gen dieser Netzwerkgesellschaft und verstärkt durch die Entwicklung ihrer Medien-
technologien bildet sich eine soziale „Mischrealität“ aus digitalen Informationssys-
temen und sozialem Austausch heraus; in ihr sind Ereignisse und Phänomene der
Kommunikation stets „Interfaces“ zu immer wieder neuen möglichen Verknüpfun-
gen mit anderen Ereignissen oder Phänomenen (Krieger und Belliger 2014,
S. 137–140).
Eine solche Netzwerk-Umgebung zeichnet sich durch die Permanenz eines
„doppelten Risikos“ für die Kommunikation aus (Baecker 2008, S. 92): Ungewiss
ist darin einerseits die Möglichkeit der Bestimmung von Knoten, also von Kommu-
nikationsangeboten oder Identitäten, anderseits jene des Herstellens von Verbindun-
gen, also von Antworten oder Beziehungen. Es gibt also keine Option für die
Mitgliedschaft bei einer Organisation oder die Nutzung eines organisationalen
Leistungsangebots ohne jeweils mehrere Alternativen. Und es gibt keine Option
zur Entwicklung eines solchen Angebots ohne jeweils mehrere Alternativen zur
Entwicklung und zum Angebot selber. Entsprechend existieren stets mehrere Mög-
lichkeiten der Wahrnehmung, Bewertung und Bearbeitung der scheinbar gleichen
Problemstellung oder Lösung (Baecker 2007, S. 54).
Das ist eine wichtige Erklärung für die Beobachtung, dass PR und strategische
Kommunikation nicht mehr nur mit rezeptiven Öffentlichkeiten arbeiten müssen,
sondern durch partizipative Öffentlichkeiten dramatisch herausgefordert werden.
Diese prüfen und verwirklichen die jeweiligen Alternativen zu einem Kommunikati-
onsangebot permanent. Denn die Überfülle an Kommunikationsmöglichkeiten bringt
sie in eine fordernde Situation: In dieser fehlt die „Autorität des angeblich Notwen-
digen“ (Baecker 2008, S. 92), so dass das Handeln zu einem spielerisch-kreativen
174 P. Stücheli-Herlach

Prozess der Deutung von Situationen und der situativen Zwecksetzung wird, der
immer experimentell und dadurch reversibel ist (ebda., auch Joas 1992, S. 218–244).
Nicht zufällig sind „Gamen“, „Surfen“, „Chatten“, „Twittern“ oder auch das suchende
„Googeln“ zentrale – und typischerweise spielerisch-experimentelle – Kommuni-
kationsroutinen der Netzwerkgesellschaft.
Hybride Ansprüche, ambige Äußerungen und permanente Medienwechsel im
Zuge von Kommunikationsflüssen und -episoden sind im gesellschaftlichen Netz-
werk also an der Tagesordnung; die Gestaltung von Beziehungen kann entsprechend
nicht dadurch erfolgen, dass Stakeholder, ihre Interessen und ihre Schlüsselmedien
einmalig und eindeutig identifiziert werden könnten. Vielmehr hängt vieles von der
Prozessdynamik bei permanent geforderten Akteuren in ihren verschiedenen Phasen
ab (Holtzhausen und Zerfass 2015, S. 10–13).
Mit welchen Herausforderungen sich das strategische Stakeholder-Management
dadurch konfrontiert sieht, illustriert beispielsweise der Fall eines öffentlichen
Flughafens (Stücheli-Herlach et al. 2015, S. 85–89): Hunderte von Anspruchs-
und Zielgruppen vernetzen sich über Jahre hinweg auf verschiedenen Themenfel-
dern und in verschiedenen formellen und informellen Verfahren; dabei wechseln
eskalierende und deeskalierende Phasen der Beziehungsgestaltung einander ab.
Veränderungen von Ansprüchen und Abläufen sowie Auseinandersetzungen um
kommunikative Verfahren und Rollen prägten diese Phasen weit mehr als grundle-
gende und unveränderbare Interessenskonstellationen.

1.3 Strategiekommunikation

Das „Strategische“ an den PR, nämlich die Rückbindung kommunikativer Aktivitä-


ten an die Zielsetzungen einer Organisation, realisiert sich deshalb nicht in linearen,
zweckorientierten und rationalen Prozeduren. Solche sind im empirischen Kontext
von Organisationen und des menschlichen Handelns ohnehin ein Sonderfall (Joas
1992, S. 218–244; Weick 1995, S. 33–34, 36–37). Das „Strategische“ entwickelt
sich vielmehr in emergenten, kontroversen, medialisierten, arbeitsteiligen und un-
wägbaren Prozeduren der „Explikation von Intention“ (Kuss et al. 2013, S. 217;
Holtzhausen und Zerfass 2015, S. 13). „Strategie“ ist also eine „Interpretations-
kategorie“, die sich situativ immer wieder anders manifestiert.
Unter diesen Umständen gewinnt nicht nur das Weick'sche Modell des Organi-
sationsprozesses als eines permanenten, kontroversen Deutungsprozesses an Rele-
vanz und neuer Aktualität (Weick 1995; Rüegg-Stürm und Grand 2015). Das
Gleiche gilt auch für den – unter anderem genau daraus entwickelten – „Strategy
as practice“-Ansatz (Whittington 1996): Er modelliert Strategie nicht als eine
Position, als ein stabiles Wissen oder als ein universelles Instrument. Vielmehr sieht
er sie als Tätigkeit, als Vollzug von strategizing: Dieses bearbeitet eine Organisation
durch praktische Vernetzung, also unter Kombination jeweils spezifischer Verfahren
und Instrumente, arbeitsteilig agierender Organisationsmitglieder und situativer Ein-
zelaktivitäten mit je eigenen Produkten. In kommunikativer Hinsicht bedeutet das:
Strategie entwickelt sich nicht als zielorientierte Konsolidierung von Beziehungen,
Message Design 175

sondern als ein stets veränderbarer und deutungsbedürftiger, narrativer Strategie-


„Text“ (Fenton und Langley 2011).
Der Begriff des Narrativs bezeichnet eine Sinnkonstruktion, die Disparates mit-
einander fassbar vernetzt. Und er eröffnet die Möglichkeit, als Voraussetzung von
PR und strategischer Kommunikation nicht eine fixe Strategie, sondern eine perma-
nente Strategiekommunikation zu sehen, also einen kontroversen und öffentlichen
Austausch zu strategischen Fragen über verschiedene Ebenen hinweg, in verschie-
denen Phasen und mit verschiedenen Mitteln der Organisation (Stücheli-Herlach
und Grand 2014).
Unter diesen Voraussetzungen verlieren die Unterscheidung zwischen „internen“
und „externen“ Öffentlichkeiten wie zwischen „strategischer“ und „operativer“
Kommunikation an Bedeutung und Erklärungskraft (Theis-Berglmair 2013). Viel-
mehr verweben sich organisationale und öffentliche Kommunikationsnetzwerke
wechselseitig (Raupp 2011; Schmidt 2013): Jegliches Kommunikationsangebot
wird immer und überall mit beliebigen Alternativen verglichen und dadurch mit
neuer Bedeutung aufgeladen. Dadurch gerät das herkömmliche „dialogische“ Prin-
zip strategischer Kommunikation ins Wanken (Grunig und Grunig 1992): Dritte
hören, sehen, lesen und kommentieren beim Dialog zwischen der Organisation,
ihren Akteuren und Anspruchsgruppen ständig mit. Und sie schweigen oder inter-
venieren, sie deuten und prägen das Geschehen auf ihre Weise mit.
Dass sich deshalb „interne“ und „externe“ Kommunikation ständig wechselseitig
durchkreuzen (bspw. durch digitales Whistleblowing), ist ebenso erwartbar, wie dass
sich formelle und informelle Kommunikationsstile miteinander vermischen (bspw.
durch Corporate Blogging). Das Gleiche kann für Zielkonzepte wie den Dialog und
die Persuasion gelten (bspw. im Falle von Content Marketing). Der Erfolg von
Netzwerkorganisationen und ihrer Strategiekommunikation bemisst sich deshalb
ganz wesentlich daran, ob sie die permanente Multiplikation von Chancen wie von
Risiken bewältigen und das Narrativ der Wahrnehmung von Chancen und der
Vermeidung von Risiken permanent weiterentwickeln können (Baecker 2008;
Stücheli-Herlach und Grand 2014).

2 Praxistheorie und Angewandte Linguistik

2.1 Neue Problemstellungen rufen nach Veränderung von


Wissen

Eine Folge der geschilderten Umstände sind bedeutende Herausforderungen gerade


dann, wenn es um den Gebrauch von Sprache in PR und strategischer Kommuni-
kation geht. Auf multimedialen Plattformen müssen konsistente, aber zugleich
dialogoffene und vielfältig verknüpfbare Botschaften angeboten werden (Stücheli-
Herlach und Perrin 2013, S. 25–34; Holtzhausen und Zerfass 2015, S. 10). Sprach-
liche Routinen der Informationsvermittlung und -verarbeitung, des Stils oder der
Ansprache stehen durch die Anforderung permanenter Vernetzung auf dem
Prüfstand (Habscheid 2008; Jakobs 2008). Ein Dialog ist, wenn überhaupt, nur
176 P. Stücheli-Herlach

unabhängig von Zeit, Ort und Beziehungsrahmen möglich; er findet in einer Misch-
beziehungsweise „Hyperrealität“ statt, die eigene soziale, aber auch technische, von
Plattform zu Plattform wiederum unterschiedliche Regeln kennt (Schmidt 2012,
S. 22–25). Regelverletzungen können dabei in Shitstorms rasch und aggressiv
adressiert werden (Himmelreich und Einwiller 2015).
Die Schwierigkeiten der Entwicklung einer strategischen „Metakonversation“,
also einer „gemeinsamen Sprache“ der Organisation und ihrer Umwelten liegen auf
der Hand (Robichaud et al. 2004, S. 624–625; Stücheli-Herlach et al. 2012,
S. 27–33; Holtzhausen und Zerfass 2013, S. 81; Rüegg-Stürm und Grand 2015,
S. 94–113). Weil Lösungsangebote wie die „Integrierte Kommunikation“ oder die
„Konzeptionslehre“ dadurch an Orientierungskraft einbüssen (Nothhaft und Weh-
meier 2013, S. 324 f., 320 f.; Nothhaft und Bentele 2015, S. 704 f.), steht die
praktische Relevanz wissenschaftlicher Handlungsempfehlungen in Frage: Ange-
sichts neuer Problemstellungen in den PR muss sich das Wissen über PR und ihren
Sprachgebrauch erweitern und verändern.

2.2 Vernetzungs- und Sprachhandeln

Die Forderung an die Wissenschaft, sie solle ein Stück des Terrains „praktischer
Klugheit“ zurückerobern (Wehmeier et al. 2013, S. 16; Nothhaft und Wehmeier 2013,
S. 319), ist daher verständlich. Voraussetzung dafür ist freilich, dass die konstitutive
Vernetzung von PR und strategischer Kommunikation mit den Umwelten der Orga-
nisation theoretisch reflektiert werden kann. Es bietet sich an, dafür den practice turn
in den Sozialwissenschaften zu nutzen (Schatzki 2001; Deppermann et al. 2016). Seine
Grundlage bildet die Einsicht in die Vernetzung jeglichen Tuns mit dem materialen und
sozialen „Plenum“ einer Situation und ihrer Kontexte (Schatzki 2016, S. 32–35).
Handeln besteht demnach aus Tätigkeiten und Aussagen („doings and sayings“), die
sich mit bestimmten Arrangements an sozialen Bedingungen, natürlichen und tech-
nischen Dingen zu Praxis-„Bündeln“ vernetzen, wobei die wechselseitige Deutung
und Prägung konstitutiv ist (ebd. S. 33). Die Durchdringung kommunikativen Han-
delns in der modernen Organisationswelt durch technische Netze und ihre Interakti-
onsformate ist ein durchaus schlagendes Beispiel für die Relevanz dieser Sichtweise
(Krieger und Belliger 2014).
Im Lichte dieses turns erscheinen PR und strategische Kommunikation als Bündel
spezifischer Praktiken, welche eingebettet in Arrangements von organisationalen wie
medialen Netzwerken vollzogen werden. Dabei ist der sprachliche Ausdruck für sie
kennzeichnend (Westwood und Linstead 2001; Heracleous 2006; Taylor und van
Every 2011; Cooren 2015): Sprachgebrauch alleine ergibt zwar nicht schon die
gesamten Praxisbündel der Organisation – ohne den Gebrauch von Sprache könnten
sich diese organisationalen Praxisbündel aber gar nicht entwickeln (Hillebrandt 2014,
S. 58–61; Deppermann et al. 2016, S. 3–11, 12–13).
Die Aufmerksamkeit für die Vernetzung sprachlicher Akte in Praxisbündeln von
Organisationen, ihrer PR und strategischen Kommunikation ist das bevorzugte
Arbeitsgebiet der Angewandten Linguistik: Sie erforscht nicht nur sprachliche
Message Design 177

Äußerungen in sprachlichen, sondern auch in sozialen und technischen Kontexten,


um Beiträge an die Lösung sprachbezogener Probleme in der Lebens- und Berufs-
welt zu leisten (Knapp und Antos 2011, S. xiii–xiv). Sie strebt dies besonders im
Rahmen von Partnerschaften („communities“) mit Praktikern an, die ein wechsel-
seitiges Lernen ermöglichen und dadurch die Bildung von Theorien mittlerer Reich-
weite über den Sprachgebrauch in professionellen Praxisfeldern (Wenger et al. 2002,
S. 3; Perrin 2012). Ansatz wie Forschungsmethodik der Angewandten Linguistik
sollen in diesem Beitrag denn auch angewendet werden.

2.3 Diskurshandlungen und die Dimensionen der Analyse

In dieser praxistheoretischen, angewandt-linguistischen Perspektive kann die Dis-


kurshandlung als kleinste Untersuchungseinheit für eine Wissenschaft des Sprach-
gebrauchs in der PR angesehen werden (der Terminus wird eingeführt in Spitzmüller
und Warnke 2011, S. 172–173, ebenso in Spiess 2011, S. 540–543; siehe auch
Heracleous 2006): Sprachliche Äußerungen sind demnach Vernetzungs-Akte, in
denen etwas Sprachliches mit etwas anderem von sprachlicher Beschaffenheit
(in einem Wortwechsel, einem Text), aber auch mit etwas anderem von kognitiver
Bedeutung (mit einem Deutungsmuster) und von sozialer Bedeutung (mit einer
Beziehung) verknüpft wird (Fetzer 2014, S. 37, 53–56). Die Verknüpfung kommt
im Rahmen einer Konversation, eines strukturiert geführten Dialogs oder einer
weiter gespannten gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Bedeutungen (bspw.
im Rahmen von „semantischen Kämpfen“, Felder 2006) zu Stande. Entsprechend
sind Diskurshandlungen Sprachhandlungen, die sich verschiedenen Ebenen sozialer
Strukturbildung zuordnen lassen (Deppermann et al. 2016, S. 12–13). In der Theorie
der Sprachakte und in der linguistischen Pragmatik ganz allgemein ist eine solche
Sichtweise schon seit längerem angebahnt worden.
Die Verknüpfungsleistung der Diskurshandlung ist dabei nicht nur abhängig von
den geschaffenen Bezügen zu linguistischen, kognitiven und sozialen Kontexten.
Sie gründet auch auf der semiotischen und materialen Passförmigkeit eines sprach-
lichen Artefakts in Bezug auf diese Kontexte – ähnlich, wie ein Knoten in einem
Netzwerk nicht nur bestimmte Stränge in der optischen Wahrnehmung zusammen-
geführt, sondern selber ein festes materiales Objekt darstellt, das diese Stränge mit
ihren physischen Spannungen zusammenzuhalten in der Lage ist.
Für Beiträge zu PR und strategischer Kommunikation, die durch Diskurshandeln
zu Stande kommen, können damit drei relevante Dimensionen der Analyse ange-
nommen werden. Sie ergeben sich durch den Blick auf den Kontext (bzw. auf den
Umwelt-Bezug) der Diskurshandlung, durch die Frage nach der Funktionalität der
Verknüpfung in diesem Kontext sowie durch die Frage nach der materialen, medialen
und semiotischen Struktur dieser Verknüpfung (in Anlehnung an das „medienlin-
guistische Mindset“ bei Perrin 2013, S. 69):

• Dimension der Kontextualisierung: Diskurshandlungen verknüpfen Kommuni-


kationsangebote einer Organisation mit Sinnstrukturen in der Umwelt (Gumperz
178 P. Stücheli-Herlach

1992), so dass sie in deren Handlungssystemen attraktive (Larsen-Freeman


2008), angemessene und bedeutsame Möglichkeiten des Anschlusses (van Dijk
2008, S. 18–19) bieten. Wie diese Kontextualisierung in bestimmten Situationen
durch wen mit welchen Mitteln geleistet wird, ist eine relevante Frage der
angewandten Linguistik strategischer Organisationskommunikation.
• Dimension der Formierung: Diskurshandlungen gestalten Kommunikationsbei-
träge auf eine Art und Weise, die gewährleistet, dass sie zu naheliegenden und
auch passenden Anknüpfungsmomenten in funktionierenden Text- und Ge-
sprächsformen der Organisationskommunikation werden (Larsen-Freeman und
Cameron 2008, S. 161–195) und die Möglichkeit eröffnen, diese Formen zu
reproduzieren oder zu transformieren (Luginbühl und Perrin 2010). Hier steht
die Anschlussfähigkeit für übergeordnete Äußerungsformen der Narration und
der Argumentation (van Dijk 1980, S. 128–150) im Vordergrund. Wie diese
Formierungen zu Stande kommen, wer sie mit welchen Mitteln entwickelt, ist
eine relevante Frage der angewandten Linguistik strategischer Organisationskom-
munikation.
• Dimension der Realisierung: Diskurshandlungen gestalten Kommunikations-
beiträge entlang der strukturellen Anforderungen bestimmter kommunikativer
Situationen (bspw. hinsichtlich der Kürze oder Länge) und unter Nutzung der
semiotischen Ressourcen verschiedener Modi und Medien der Organisations-
kommunikation (bspw. als gesprochene oder geschriebene, illustrierte oder mit
Tondokumenten ergänzte Texte) und schaffen damit die Möglichkeit von deren
Rezeption und Bearbeitung. Zu welchen Strukturen der Realisierung die Diskurs-
handlungen führen und in welchem Bezug diese Realisierungen stehen zu ihrer
Form und Kontextualisierung, ist eine relevante Frage der angewandten Lingu-
istik strategischer Organisationskommunikation.

3 Mit Message Design zu strategischem Diskurshandeln

3.1 Corporate Messages

In der strategischen Organisationskommunikation orientieren sich Diskurshandlun-


gen an Vernetzungsmustern, die in den Berufsfeldern häufig als Corporate Messages
bezeichnet werden: Sie zeigen auf, wie organisationale Aussagen mit inhaltlich-
formalen Strukturen öffentlicher Kommunikation verknüpft werden können und
auch sollen, um die Organisation mit ihren Anliegen in der vernetzten Gesellschaft
zu positionieren (Huck-Sandhu 2014). Dabei suggerieren verbreitete „Rezepte“ wie
die AIDA- oder die KISS-Regel (Moffitt 2004, S. 352–354), dass einfache seman-
tische oder syntaktische Kriterien in situativem Einsatz für den Erfolg entscheidend
seien.
Solche Vereinfachungen verbieten sich allerdings aus praxis- und sprachtheoreti-
scher Sicht. Denn einerseits ist im Verknüpfungsgeschehen moderner Organisations-
kommunikation nicht automatisch klar, „was“ denn Thema einer Diskurshandlung
sein soll – einfache „Ableitungen“ aus übergeordneten unternehmenspolitischen
Message Design 179

Vorgaben beispielsweise sind wohl eine Illusion. Dies insofern, als diese Vorgaben
aus unterschiedlichen Perspektiven situativ unterschiedlich gedeutet werden können
(Stücheli-Herlach et al. 2012). Eine konkrete Situation kann Themen relevant
erscheinen lassen, welche in der Unternehmenspolitik nicht vorkommen: Kunden-
reklamationen wegen angeblich „unwichtiger Details“ sind ein Beispiel dafür.
Es bedarf folglich eines eigentlichen „Themenmanagements“ der Organisation
(Huck-Sandhu 2014, S. 653–655).
Anderseits bedingen sich Kontexte, Formen und Realisierungen von Diskurs-
handlungen jeweils wechselseitig. So führen komplexe Kontexte zu differenzierten
Formkonstrukten, welche wiederum in sehr einfachen, aber gereihten Schritten
realisiert werden; scheinbar „einfache“ Aussagen müssen im Prozess der Kommu-
nikation durch Ambiguierung oder Distanzierung abgesichert werden (Berger 1997,
S. 234–237), um kommunikative Beziehungen zu entwickeln und stabil zu halten.
Kundenreklamationen können beispielsweise je nach Situation defensiv-kon-
sensorientiert oder offensiv-ablehnend bearbeitet werden – beides lässt sich auch
bei klaren „Strategien“ aber nicht im einmaligen Austausch leisten, sondern bedarf
komplexer textlicher und gesprächsweiser Austauschprozesse.
Strategien für Messages sind deshalb einerseits emergent und damit vorausset-
zungsreich, anderseits vielfältig und veränderbar. Ein erfolgreiches Corporate Mes-
saging ist entsprechend ohne den „Kollaps“ lebensweltlicher Aussageroutinen nicht
zu haben (Moffitt 1999, S. 143). Mit anderen Worten: Die strategische „Explikation“
von „Intentionen“ organisationaler Beiträge zur öffentlichen Kommunikation
kommt nie „von alleine“ oder „wie von selbst“ zu Stande, sondern muss durch
differenzierte situative Praktiken gefördert und gewährleistet werden. Sie ist etwas
hochgradig „Artifizielles“ in dem Sinne, dass ein Ziel (beispielsweise in Form der
Unternehmenspolitik) zwar vorgegeben, dessen Erreichen aber unsicher ist und der
Weg dazu immer erst situativ entwickelt werden muss. Die Notwendigkeit, etwas
„Artifizielles“ zu schaffen, führt zu einem tentativen Vorgehen im Sinne des Ent-
wurfs einer Diskurshandlung, die erwünscht und situativ realisierbar, aber jeweils
noch nicht realisiert und in ihrer konkreten Gestalt noch zu bestimmen ist (Simon
1996, S. 111–134). Nicht eindeutiges Entscheiden anhand klarer Kriterien ist des-
halb der Weg praktischer Problemlösung. Vielmehr gehört ein Bewerten und Prio-
risieren, ein Ausprobieren neuer Möglichkeiten und ein Revidieren erster Versuche
zu solchen entwerferischen Praktiken, die allgemein als Praktiken des Designs
bezeichnet werden (ebd., S. 137–138).

3.2 Message Design in der Organisationspraxis

Design-Praktiken führen zu „Sinnkreationen“ („Design is making sense of things“,


Krippendorff 2006, Introduction), die in vernetzten diskursiven Umwelten unab-
dingbar, aber keineswegs selbstverständlich sind (ebd., S. 6). Zu den typischen
Kreationspraktiken zählen Brainstormings, Reframings und Kombinatoriken sowie
verschiedene Methoden der Rekonstruktion emergenter Sinnkonstrukte in der rele-
vanten gesellschaftlichen Umwelt (ebd., S. 213–260). Um den artifiziellen Charak-
180 P. Stücheli-Herlach

ter von und die differenzierten Entwicklungspraktiken für strategische Narrative der
PR herauszustreichen, wählen wir den Begriff Message Design (wie bspw. auch in
Moffitt 2004 oder in Hallahan 2007, S. 11; im Überblick Stücheli-Herlach und
Perrin 2013, S. 25–34).
Message Design bedeutet die Kontextualisierung, Formierung und Realisierung
von Diskurshandlungen, welche die Intentionen einer Organisation in vernetzten
kommunikativen Öffentlichkeiten explizieren (Stücheli-Herlach 2017; Stücheli-Her-
lach et al. 2017 im Druck). Entsprechende Praktiken können nicht als selbstverständ-
lich, sie müssen vielmehr als artifiziell und veränderbar beschrieben werden: Es handelt
sich um kollektive, iterative, projektive und reflexive Praktiken der Sinnkreation
(Simon 1996, S. 11–138; Krippendorff 2006; Grand 2012, S. 168). Wie Message
Design professionell praktiziert wird und wie es verbessert werden kann, wird nun zu
einer Schlüsselfrage der anwendungsorientierten Forschung zur „Sprache in der PR“.

4 Message Design im Berufsalltag

4.1 Von der Handlungsgemeinschaft zur Erkenntnis

Da es hier um die Beschreibung und Analyse von Praktiken geht, von denen ver-
mutet werden kann, dass sie sich spezifisch aus den jüngsten Entwicklungen der
vernetzten Öffentlichkeit ergeben haben, muss die Message Design-Forschung
als induktive Praxisforschung angelegt sein. Dafür bietet sich der Rahmen der
transdisziplinären Aktionsforschung an: Sie entwickelt sich in wechselseitigen Pro-
zessen des Beobachtens, Experimentierens und Lernens zwischen Praktizierenden
und Forschenden und erzeugt Theorien über situierte Praktiken kommunikativer
Problemlösung von mittlerer Reichweite (Perrin 2012). Im Wesentlichen folgt sie
dabei den Grundsätzen einer grounded theory im Sinne der empirisch theoriebilden-
den Kommunikationsforschung (Krotz 2005). Nach diesen Prinzipien erarbeitet sind
die nachfolgend auszugsweise präsentierten Fallstudien zu organisationalem Mes-
sage Design. Sie beleuchten diese artifizielle Praxis moderner Organisationskom-
munikation jeweils aus unterschiedlicher Perspektive.

4.2 Message Design in Politik und Kultur

Bei der ersten Studie handelt es sich um eine Studie zu mehreren Fällen strategischer
Kommunikationspraxis. Zum einen geht es um Message Design im politischen
Kontext: Hierzu liegt je ein problemzentriert-offenes Interview mit einem Vertreter
einer parteilichen Kleinorganisation und einem solchen einer behördlichen Groß-
organisation vor. Zum anderen sind es zwei Interviews des gleichen Typs mit Ver-
lagslektoren (also aus dem kulturellen Kontext), welche wiederum aus einer kleinen
sowie einer – für die Verhältnisse der Branche – größeren Verlagsorganisation
stammen. Für diese beiden Fallstudien zeichnen verschiedene Mitarbeitende und
Message Design 181

Autoren verantwortlich, die an anderen Stellen dankend erwähnt sind (Stücheli-


Herlach 2012a; Stalder und Stücheli-Herlach 2012).
Ergänzt worden sind die erwähnten Doppelstudien durch die Untersuchung eines
Dokumentenkorpus teilnehmender Beobachtung, wie es aus einem Beratungs- und
Entwicklungsprojekt entstanden ist, das unter Leitung des Verfassers für eine be-
hördliche Organisation zur Prävention von Alkoholmissbrauch in der Schweiz
durchgeführt wurde. Mit dieser Fallauswahl sollte die schon andernorts präsentierte
Studie (Stücheli-Herlach 2012b) dem Ideal einer Mischung ähnlicher und gegen-
sätzlicher Fälle angenähert werden, um möglichst gute Voraussetzungen für die
Generalisierung der gewonnenen Konzepte zu schaffen (Krotz 2005, S. 191–193).
Diese Mischung von einander ähnlichen wie entgegengesetzten Fällen, die der
Untersuchung einer hoch selektiven Fragestellung unterzogen werden, entspricht
einem „embedded multicase-design“ für Fallstudien (Yin 2009). Dieses versucht mit
vorhanden Ressourcen eine höchstmögliche Validität trotz fehlender Repräsentati-
vität der Daten zu erreichen, indem es den direkten Zugang zu Schlüsselakteuren des
Feldes schafft und angesichts der Varietät der Fälle auf „theoretische Replikation“
der Fragestellung und Auswertung achtet (Yin 2009, S. 41–42 und S. 54). Der
übergreifende Rahmen ergab sich aus der oben entwickelten, theoriegeleiteten
Fragestellung nach strategischen Praktiken des Message Designs (Abb. 1).
Als Methode der Datenauswertung kam das dreistufige Codieren im Stil der
grounded theory zum Zug: Es kann allgemein als „zerlegendes“ und „abstrahieren-
des“ Katalogisieren dokumentierter Praktiken verstanden werden (Krotz 2005,
S. 180). Das Auswertungsverfahren entwickelt sich über die drei Stufen der Refor-
mulierung praktischen Handelns („offenes“ Codieren), des Vergleichs reformulierter
Praktiken („axiales“ Codieren) und des Typologisierens („selektives“ Codieren)

Abb. 1 Spezifika der untersuchten Fälle in der Message Design-Studie zu politischen und kultu-
rellen Organisationen
182 P. Stücheli-Herlach

Analytische Dimensionen Kategorien Codes, Zahl Codes, Beispiele


Assemblieren 14 explizites sich-orientieren (am Umfeld), bewerten
(des Umfelds), Einheit bzw. Vielfalt erkennen,
Informationen beschaffen für die Entwicklung von
Aussagen
Kontextualisierung weitere Beispiele: je geringere
mediales Sättigung
Präskribieren,
kollaboratives
Evaluieren
Inszenieren 9 Erfolg sichern, Leser animieren, Verständnis
sichern, Inhalt veranschaulichen durch Aussagen
Formierung weitere Beispiele: je geringere
Schematisieren, Sättigung
Narrativieren,
Argumentieren
Spezifizieren 6 essentialisieren, materialisieren, differenzieren,
individualisieren von Aussagen
Realisierung weitere Beispiele:
Reduzieren,
Autorisieren,
Selektionieren von
Argumenten

Abb. 2 Ausgewählte, im Vergleich hoch gesättigte Kategorien von Message Design-Praktiken in


unterschiedlichen Organisationen von Politik und Kultur

dadurch entdeckter Gemeinsamkeiten und Unterschiede unter den Praktiken (Krotz


2005, S. 179–187).
In Feldnotizen, Beobachtungsprotokollen und jeweils projektbezogenen Arbeits-
dokumenten (im Falle teilnehmender Beobachtung) beziehungsweise in Aussagen
aus den problemzentrierten Interviews ergaben sich insgesamt 1014 Fundstellen
(„Indikatoren“) – also Dokumentationen sprachlicher Aktivitäten, die sich jeweils
in der Situation als vernetzende Diskurshandlungen im obigen Sinne deuten lassen.
Im Falle der problemzentrierten Interviews wurden Aussagen der Partner über
eigene Praktiken in dieser Art erfasst. Daraus konnten insgesamt weit über hundert
Codes offen erzeugt werden, die sich zu einem guten Dutzend axialer Kategorien
vernetzenden Diskurshandelns zur strategischen Kommunikation abstrahieren lies-
sen. Diese Kategorien sind schliesslich wiederum als selektive Praxistypen in den
drei Dimensionen strategischen Diskurshandelns erklärbar (Abb. 2).
Was die Kontextualisierung anbetrifft, so sind in den Fällen Praktiken des
Assemblierens häufigsten beschrieben (in Interviews) bzw. dokumentiert (durch
teilnehmende Beobachtung) worden. Sie aktualisieren je nachdem das Wissen um
diskursive Formationen, also Regularitäten diskursiver Praktiken in der Umwelt der
Organisation, oder Wissen über Inkonsistenzen diskursiver Praktiken in dieser
Umwelt. Zu den Praktiken des Assemblierens gehören (in der Reihenfolge der
Sättigung entsprechender Codes) die explizite Orientierung an solchem Wissen
(„das sind Begriffe aus dem Buch und das greife ich auf . . .“, Lektorin), die
Bewertung entsprechender Sachverhalte (Feststellung wie „die Präventionsgegner
erzählen insgesamt prägnantere Geschichten als die Präventionsbefürworter“ in
einer Sitzung), das Entwickeln solchen Wissens („.. versuche ich mir die Ausgangs-
situation zu notieren.“, Lektorin) und das gezielte Sammeln, Sichern und Sichten
entsprechender Informationen („.. habe ich mich immer darum bemüht, viele Kon-
takte mit kleineren oder größere Unternehmen aufzunehmen um dort Einschätzun-
gen und Fakten zusammenzubringen“, Parteisekretär).
Message Design 183

Hinsichtlich der Formierung sind in den Fällen Praktiken des Inszenierens am augen-
fälligsten. Diese Praktiken zielen je nachdem auf das Steuern von Aufmerksamkeit,
von Rezeption oder finalem sozialen Erfolg durch die strategische Kommunikation.
Dazu gehören (in der Reihenfolge der Sättigung der Codes) die Erzeugung erfolgs-
entscheidender Anschlusshandlungen wie das Kaufen oder das politische Stimmen
(„Wenn die Frage kommt, wer soll das kaufen, dann muss man eine Schiene finden bei
der eine klare Ansprache da ist“, Lektorin), die Animation der Leser durch Reizung,
Bindung, Faszination, Ermutigung oder Erheiterung („. . . ideal ist immer, wenn man
den Bürger auf einer emotionalen Ebene ansprechen kann“, Parteisekretär) und
schließlich das Erklären und Verdeutlichen von Inhalten („. . . was allerdings aus-
schlaggebend ist, ist dass diese Erklärung, diese Erläuterung, dann irgendwie auch
verstanden wird . . .“, behördlicher Redakteur).
Hinsichtlich der Realisierung genießen Praktiken der Spezifizierung einen ver-
gleichsweise hohen Stellenwert. Sie reichen von der Spezifikation inhaltlicher zu
jener sprachlich-formulierungstechnischer Aspekte, so das Essentialisieren („ein
Kurztext soll ein ganzes Buch auf den Punkt bringen . . .“, Lektorin), das Materia-
lisieren („eigentlich das Ganze auf eine Hauptaussage herunterbrechen können“,
Parteisekretär) oder das Differenzieren (wenn beispielsweise im Kommunikations-
projekt betr. ein wichtiges Argument bilanziert wird, dass „Testimonials darüber..
fehlen“, Präventionssprogramm).
Insgesamt zeigte diese multiple Fallstudie, dass sich die empirische professionelle
Praxis durchaus unter den Aspekten strategischen Diskurshandelns und seiner Bün-
delung zu Praktiken des Message Design verstehen lässt – selbst wenn einzelne
Codierungs- oder Kategorisierungsentscheide vorläufig oder gar umstritten sein
sollten. Und sie zeigte, dass die professionelle Praxis durchaus über explizites wie
implizites Wissen über Notwendigkeit sowie Art und Weise eines zielführenden
„strategizings“ verfügt.

4.3 Message Design in der öffentlichen EU-Diplomatie

Eine weitere Fallstudie zum Thema entstand im Rahmen eines Projekts der Delega-
tion der Europäischen Union für die Schweiz (nachfolgend EEAS-CH genannt). Ziel
dieses Projektes war es, die Kommunikationsarbeit der 28 Botschaften von EU-
Mitgliedsländern in der Schweiz zu verbessern und Erkenntnisse über Message
Design zu gewinnen. Es rührte von einer Abschlussarbeit unter Leitung des Verfas-
sers in einem berufsbegleitenden Weiterbildungslehrgang zu politischer Kommuni-
kation her. Deren Autor war schon in dieser Zeit Informationsbeauftragter der
EEAS-CH und Leiter des Projekts (Libiszewski 2012).
Die umfangreiche Dokumentation zur teilnehmenden Beobachtung des Projekts
wurde im Rahmen einer weiteren studentischen Abschlussarbeit durch ein narratives
Experteninterview mit dem Projekleiter ergänzt (Wullschleger 2015). Im Zuge eines
dokumentarisch-interpretativen Verfahrens wurden „Kristallisationsmomente“ stra-
tegischen Diskurshandelns in diesem Projekt identifiziert und ausgewertet, um einen
Beitrag an eine grounded theory der Praxisform Message Design zu leisten
184 P. Stücheli-Herlach

Abb. 3 Phasen, Aktivitäten, Performanzen und Praktiken von Message Design am Beispiel der
EEAS-CH

(Hillebrandt 2014, S. 46 f.; auch Krotz 2005, S. 179–185; Vogd 2009, S. 41–43,
53–63).
Das Projekt verlief über drei Phasen, die sich aus den Foki diskursiven Handelns
ergeben (s. Abb. 3). Die Aktivitäten in den drei Phasen und ihre Wirkungen bündeln
sich zu ineinander verschränkten strategischen Praktiken, die – anhand von Äuße-
rungen des Projektsleiters in vivo kategorisiert – als „Integration“, „Verdichtung“
und „Umsetzung“ einer Corporate Message der EU in der Schweiz bezeichnet
werden können.

4.3.1 Kontextualisierung durch Integration


Die Kontextualisierung der Corporate Message gelang im Projekt durch eine Praxis
der „Integration“ von Beteiligten und ihrer Perspektiven sowie des Wissens über die
kommunikativen Kontexte.
Ein Vehikel dafür war eine Inhaltsanalyse von Medienberichten über Auftritte
von EU-Vertretern in der Schweiz, die Mängel bezüglich der Präsenz und Koor-
dination der strategischen Organisationskommunikation der EEAS-CH zu Tage
förderte (Libiszewski 2012). Verbesserungen erfolgten allerdings nicht friktionslos.
Bedenken wegen der Verbindlichkeit hemmten den Prozess. In Kristallisationsmo-
menten entwickelte der Projektleiter den Titel „Communicating Diversity in Unity“
und den Slogan „telling your own european story“ (Libiszewski 2015, Kap. 3.8.2).
Mit diesem Diskurshandeln verknüpfte er die Corporate Message mit dem Deu-
tungsmuster „föderalistischer Einheit der Vielfalt“, das im öffentlichen Diskurs über
europäische wie schweizerische Politik dominant ist, und markierte sie damit als
legitimes Ereignis in einem bekannten Kontinuum.
Message Design 185

"The EU is a community of 28 sovereign individual states who share basic values. They
We have decided to pool their our sovereignty in selected areas so solve achieve common
problems objectives jointly."

Abb. 4 Dokumentation eines Textentwurfs und seiner Korrekturen in der Verdichtungs-Phase


(Libiszewski 2015, S. 15)

4.3.2 Formierung durch Verdichtung


Die Formierung der Corporate Message gelang durch eine Praxis der „Verdichtung“
der Strategie-Idee. Nachdem in der Projektgruppe relevante Themen, Zielgruppen
und mögliche Medien ausgeleuchtet worden waren, sollte es in der Folge um
konkrete Formulierungen gehen. Die Diskussion dazu lancierte der Projektleiter
mit einem Erstentwurf (Abb. 4). Nach einer Diskussion um die Tauglichkeit des
Vorschlags entwickelte die Gruppe eine Revision – und einigte sich damit zugleich
auf eine Lösung.
Die Gruppe strich also zunächst das Adjektiv „sovereign“ (es wurde erst später
durch „individual“ ersetzt) – dies mit der Begründung, dass das Schlagwort der
Souveränität im schweizerischen Diskurs umstritten und dadurch nur bedingt ver-
knüpfungsfähig mit den Debatten in den einzelnen Staaten sei. In der anschließenden
Diskussion des zweiten Satzes ersetzten die Beteiligten die Pronomina „they/their“
durch „we/our“, und kreierten damit eine Form für die strategische Aussage, die nicht
nur der strategischen Idee genau entspricht, sondern diese auch in die grammatische
Erste Person Plural setzte, welche die Aussage in verschiedenen mündlichen und
schriftlichen Formaten wie Ansprachen oder Social Media-Posts anschlussfähig
werden ließ.

4.3.3 Realisierung durch Umsetzung


Die Realisierung der Corporate Message gelang in jenen Schlüsselmomenten des
Projekts, in denen der Projektleiter die Strategie als „magic triangle“ konzipierte:
Diese diagrammatische Realisierung leistete nicht nur eine „Verdichtung“, sondern
zeigte zugleich den Spielraum künftiger „Umsetzungen“ in variationsreicher Form
auf (s. Abb. 5).
Entlang dieser Verknüpfungsschemen und -möglichkeiten konnte die Corporate
Message zu verschiedenen Anlässen wie dem Europatag und in verschiedenen
Medien wie Twitter, rednerischen Ansprachen und Broschüren jeweils angemessen
realisiert werden. Bezeichnend war beispielsweise die Spezifizierung der Message
für den Europa-Tag im Jahr 2014 in der Schweiz. Sie gelang durch eine Schülerin im
Rahmen eines Workshops, als sie aus den kontextualisierenden und formierenden
Komponenten der Diskursstrategie der EU-Delegation spontan den Satz „Wähle
Dein Europa“ kreierte – und damit einen erfolgreichen Slogan für den Europa-Tag
definierte.
186 P. Stücheli-Herlach

Abb. 5 Auszug aus der


Textplattform der EEAS-CH
(Libiszewski 2015, S. 50)

Inkonsistenzen im Diskurs Kontextualisierung Regularitäten im Diskurs


identifizieren ermöglichen identifizieren

Narrative Formen Formierung Argumentative Formen


entwickeln entwickeln entwickeln

Verdichtungen in versch. Verdichtungen in versch.


Situationen produzieren Medien produzieren
Realisierung
vollziehen

„ “: kreative, kollektive, iterative und refle xive Praktiken der vernetzenden


Sinnkreation in der strategischen Organisationskommunikation

Abb. 6 Strategische Diskurshandlungen entwerfen (Message Design)

4.4 Fazit

Die theoretischen Vorüberlegungen und hier präsentierten empirischen Fallbeispiele


deuten darauf hin, dass Message Design eine bedeutsame Praxis des Sprachge-
brauchs für PR und die strategische Kommunikation darstellt. Sie verknüpft Organi-
sationen, ihre Anliegen und Kommunikationsangebote mit den diskursiven Netzwer-
ken dynamischer Umwelten und leistet so einen Beitrag an die Funktionalität von
Organisationskommunikation in jeweils konkreten, unübersichtlichen Situationen mit
unsicheren Handlungsperspektiven. Diese Verknüpfungsleistungen lassen sich in den
Dimensionen der Kontextualisierung von Kommunikationsangeboten, von deren For-
mierung sowie von deren strukturierter Realisierung plausibel analysieren.
Message Design 187

Empirisch gesättigte Vorstellungen über Praktiken des Message Design erlau-


ben es, von konkreten Kontexten nach und nach zu abstrahieren und wesentliche
Komponenten der professionellen Praxis zu benennen. Dies sei zum Schluss in
Form einer Übersichtsdarstellung zur Kategorisierung wesentlicher Aspekte von
Message Design in PR und strategischer Organisationskommunikation geleistet
(s. Abb. 6).
Dieses Orientierungsschema zeigt nicht nur auf, wie sich Message Design in der
täglichen Praxis von Organisationen schlüssig beschreiben lässt. Es modelliert diese
Praxis auch mit dem Ziel, professionelle Anwendungen im Sinne einer Guideline zu
ermöglichen und diese Anwendungen (wie auch die hier präsentierte Explikation)
kontinuierlich zu verbessern.

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Sprache und Text in der Medienarbeit

Cathrin Christoph

Zusammenfassung
Medienarbeit funktioniert zum Großteil über Sprache. Insofern spielt sie für deren
Gelingen eine entscheidende Rolle. Die Textsorten der Medienarbeit erfüllen
zwei Aufgaben: Zum einen dienen sie der Legitimation der Organisationsfunk-
tion. Zum anderen müssen sie im journalistischen System anschlussfähig sein.
Sonst erzielen sie keine Veröffentlichungen. Medienarbeit erfüllt dann ihren
Zweck besonders gut, wenn die Texte auf allen Ebenen diesen beiden Anforde-
rungen gerecht werden. Das umfasst die Funktion, das Thema, die Art der The-
menentfaltung und den Textsortenstil. In der Praxis werden die Texte der
Medienarbeit aber häufig als zu werblich empfunden. Die Herausforderung ist es
also, beim Texten insbesondere die journalistische Perspektive „mitzudenken“.

Schlüsselwörter
Medienarbeit • Pressearbeit • Texte • Sprache • PR • Werbesprache • Medien-
sprache • Textsorte Pressemitteilung

Inhalt
1 Einleitung: Was ist Medienarbeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
2 Medienarbeit als Mittler zwischen Organisation und Journalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
2.1 Werbesprache in der Medienarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
2.2 Mediensprache in der Medienarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
2.3 Texte in der Medienarbeit: das Beste aus beiden Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
3 Anschlusskommunikation: die Veröffentlichung in den Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

C. Christoph (*)
Cathrin Christoph Kommunikation, Hamburg, Deutschland
E-Mail: cc@christoph-kommunikation.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 191


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_10
192 C. Christoph

1 Einleitung: Was ist Medienarbeit?

Die Schwierigkeit, den Begriff „Public Relations“ zu definieren, ist in der Wissen-
schaft genau wie unter Praktikern weithin bekannt. Nicht selten behelfen sich die
Akteure damit, zu sagen, was PR nicht ist. (Fröhlich 2015, S. 109 f.) Diejenige
Disziplin, die überall und zweifelsfrei zur PR gerechnet wird, ist die Medienarbeit.
Der Begriff soll hier als – zeitgemäßeres – Synonym zur „Pressearbeit“ verwendet
werden. Medienarbeit bezeichnet laut „Handbuch der Public Relations“ „alle
PR-Aktivitäten, die auf die Gewinnung von Akzeptanz- und Multiplikationsleistun-
gen des Journalismus ausgerichtet sind; [. . .] Ziel aller derartigen PR-Aktivitäten ist
die Weiterverbreitung von Kern- oder Schlüsselaussagen mit der vonseiten der PR
vorgeschlagenen wertenden Ausrichtung“. (Fröhlich et al. 2015, S. 1141) Szyszka
und Christoph gelangen zur Definition von Medienarbeit als „eine Subfunktion des
Kommunikationsmanagements, die sich mit Media Relations (Journalismus) aus-
einandersetzt, um eine Organisation [. . .] derart in der allgemeinen öffentlichen
Kommunikation und Meinungsbildung zu positionieren, dass Organisationsziele
erreicht werden können“. (2015, S. 799 f.)1 Medienarbeit umfasst also alle strate-
gisch geplanten Aktivitäten einer Organisation, die darauf abzielen, die journalisti-
sche Berichterstattung im Sinne der Organisation zu beeinflussen. Diese Aktivitäten
können schriftlich oder mündlich stattfinden und aus Sprache, Bildern oder Filmen
bestehen.
Medienarbeit ist das Herzstück der PR, weil sie für „nahezu alle Public-
Relations-Systeme eine herausragende Bedeutung besitzt“. (Hoffjann 2007,
S. 127) Fröhlich et al. fassen sie als „zentralen Teil der PR-Arbeit“ auf. (2015,
S. 1141) Einen entsprechenden Stellenwert räumen ihr Praktiker in der täglichen
Arbeit ein: Tätigkeiten der Medienarbeit nahmen zumindest 2009 in den
Unternehmen mehr Raum ein als zum Beispiel die Unternehmens-Website
und Online-PR. (Szyszka et al. 2009, S. 122 f.) Auch wenn mittlerweile die
Onlinekommunikation aufgeholt haben dürfte, bleibt Medienarbeit ohne Zwei-
fel auch in Zukunft eine der wichtigsten – wenn nicht: die wichtigste – Aufgabe
der PR.
Alltägliches Instrument der Medienarbeit ist die Sprache. Ob Telefonat, E-Mail,
Pressemitteilung, Statement oder Themen-Exposé: Immer sind es sprachliche Hand-
lungen, die über Erfolg und Misserfolg von Medienarbeit entscheiden. Dabei bewegt
sich die Sprache – wie die Medienarbeit insgesamt – ständig im Spannungsfeld
zwischen dem Journalismus und dem System der Absender-Organisation. Sie muss
das Kunststück vollbringen, beiden Systemen gerecht zu werden, um ihre Ziele zu
erreichen.

1
Eine umfangreiche Auseinandersetzung mit den bestehenden Definitionen von Presse- und Medi-
enarbeit findet sich bei Szyszka und Christoph 2015, S. 798 ff.
Sprache und Text in der Medienarbeit 193

2 Medienarbeit als Mittler zwischen Organisation und


Journalismus

Der Journalismus soll hier als eigenständiges gesellschaftliches Teilsystem aufge-


fasst werden, das mit einem eigenen Code operiert. (Hoffjann 2007, S. 55–60) Das
bedeutet: Im Journalismus wird Kommunikation nur dann weiterverarbeitet, wenn
sie dort anschlussfähig ist. Ziel der Medienarbeit ist es daher, Angebote bereitzu-
stellen, die diese Anschlussfähigkeit gewährleisten. Absender der Medienarbeit ist
aber immer eine Organisation außerhalb des Systems Journalismus – sei es ein
Unternehmen, eine politische oder eine Non-Profit-Organisation. Sie gehört zu
einem anderen gesellschaftlichen Teilsystem und operiert deshalb mit einem anderen
Code als der Journalismus. Das Ziel der Medienarbeit ist es deshalb gleichzeitig
auch, die Funktion der Absender-Organisation bei den relevanten Umwelt-Systemen
zu legitimieren. (Hoffjann 2007, S. 103–106) Oder wie Baerns es formuliert: „Öf-
fentlichkeitsarbeit ist im Gegensatz zum Journalismus als Selbstdarstellung partiku-
larer Interessen und speziellen Wissens durch Informationen definiert. Journalismus
kann demgegenüber als Fremddarstellung sowie als Funktion des Gesamtinteresses
und allgemeinen Wissens gelten.“ (1987, S. 149, Hervorhebung durch Baerns).
Um im Journalismus anschlussfähig zu sein, stellt die Medienarbeit also kom-
munikative Angebote bereit, die dem Code des Systems „Journalismus“ entspre-
chen. Zugleich müssen diese Angebote aber die Funktion erfüllen, die Interessen der
Absender-Organisation zu legitimieren. Diese beiden Pole wirken auf die Ausge-
staltung der Texte in der Medienarbeit ein (Abb. 1).
Auf die Ebene des Textes bezogen bedeutet das: Die Texte der Medienarbeit
führen auf allen textlinguistischen Ebenen Merkmale beider Systeme mit.

Absender-
Organisation / Medienarbeit Journalismus
Muttersystem

Abb. 1 Medienarbeit zwischen Absender-Organisation und Journalismus. Quelle: eigene Darstel-


lung
194 C. Christoph

Das zeigt sich

1. in der Textfunktion,
2. in der Themenauswahl,
3. in der Art der Themenentfaltung und schließlich
4. im Textsortenstil.

2.1 Werbesprache in der Medienarbeit

Medienarbeit ist Auftragskommunikation und dient der Selbstdarstellung der Orga-


nisation, deren Zielen sie letztlich dienen soll. (s. o.: Baerns 1987, S. 149; Hoffjann
2007, S. 103–106) Texte der Medienarbeit sind insofern grundsätzlich appellativ:
Sie enthalten einerseits immer den Appell an die Medien, die Botschaft des Absen-
ders in ihre Berichterstattung zu übernehmen. Andererseits beinhalten sie den Appell
an die Medienrezipienten, ihre Haltung im Sinne des Absenders zu verändern oder
bei ihrer Haltung zu bleiben, wenn sie bereits den Zielen des Absenders entspricht.
Diese appellative Textfunktion haben Texte der Medienarbeit mit Werbetexten
gemeinsam. Denn auch Werbung „dient nicht und diente nie der marktwirtschaftli-
chen Aufklärung, sondern ist ein Instrument, um den Umsatz zu erhalten und zu
steigern“. (Janich 2010, S. 47) Deshalb sind Werbetexte appellativ, indem sie
versuchen, „den Rezipienten dazu zu bringen, ein bestimmtes Produkt zu kaufen“.
(Brinker et al. 2014, S. 113)
Texte der Medienarbeit behandeln Themen der unterschiedlichsten Art – je nach
Absender. Grundsätzlich werden aber Inhalte gewählt, die geeignet sind, die Orga-
nisationsfunktion zu legitimieren. Häufig sind deshalb der Absender sowie seine
Produkte oder Marken das Thema von Texten in der Medienarbeit. (Christoph 2009,
S. 99) Auch hierin liegt in Parallele zur Werbung.
In der Art der Themenentfaltung sind Texte der Medienarbeit subtil argumentativ.
Das bedeutet: Die These „Organisation X verdient Ihr Vertrauen“ wird nicht explizit
genannt, sondern läuft implizit mit. Der Text liefert hierfür die entsprechenden
Argumente. Ebenso fehlen die Gegenthese und die entsprechenden Gegenargu-
mente. Diese einseitige Form der Argumentation ist auch charakteristisch für
Werbetexte. Diese argumentieren immer monologisch, weil „es dem Sender nicht
auf Objektivität [. . .] ankommt“. (Janich 2010, S. 132) Generell sind argumentative
Strukturen typisch für appellative Texte, „da es dem Emittenten in diesen Texten
zumeist darum geht, den Rezipienten durch Angabe von Gründen von seiner
Sichtweise, einer Wertung eine Sachverhalts zu überzeugen und ihn ggf. zu einem
entsprechenden Handeln zu veranlassen“. (Brinker et al. 2014, S. 80) Insofern
führen die Texte der Medienarbeit auch auf der Ebene der Themenentfaltung den
Code der Absenderorganisation mit.
Besonders deutlich wird die Nähe der Medienarbeit zur Werbung auf der Ebene
des Textsortenstils – und hier im Hinblick auf die Sprache. Werbesprache hat zwar
„besondere, als spezifisch beschreibbare Merkmale, aber deren Besonderheit liegt
mehr in ihrer Häufigkeit als in einem der Alltagssprache prinzipiell fremden
Sprache und Text in der Medienarbeit 195

Charakter“. (Janich 2010, S. 45) Sprachliche Stilmittel, die in der Werbesprache


demnach besonders häufig eingesetzt werden, sind zum Beispiel fremdsprachige
Elemente, Fachvokabular, Hochwertwörter, Schlüsselwörter und Plastikwörter.
(Janich 2010, S. 147–174 und 216–223) Alle diese Elemente finden sich auch in
Texten der Medienarbeit überdurchschnittlich oft. Insbesondere Hochwert- und
Plastikwörter tauchen als Stilmittel der semantischen Aufwertung sehr häufig auf.
(Christoph 2009, S. 127–151) Insofern zeigt sich auch auf der Ebene des Text-
sortenstils, wie die Medienarbeit die Organisationsfunktion zu legitimieren versucht.
Dennoch verfehlt Medienarbeit ihr Ziel, die nur Werbebotschaften kopiert und sie
als Pressemitteilungen an die Redaktionen verschickt. 2005 befragte Menkhoff
knapp 3.000 Journalisten zu ihrer Einschätzung von Pressemitteilungen. Das Ergeb-
nis: Knapp ein Drittel (31,3 Prozent) empfand 50 bis 70 Prozent der eingehenden
Pressemitteilungen eher als „verkappte Werbung“ anstelle von Information. Fast ein
Viertel (24,7 Prozent) gab an, dass sogar 70 bis 90 Prozent der Pressemitteilungen
eher Werbung als Information seien. (Menkhoff 2005, Frage 27) Solche Angebote
führen bei den Empfängern der Kommunikation zu einer Abwehrhaltung.

2.2 Mediensprache in der Medienarbeit

Der Name sagt es bereits: Medienarbeit ist Arbeit mit und für die Medien, wobei hier –
per Definition (siehe Abschn. 1) – nur die journalistischen Medien gemeint sind. Damit
die Kommunikationsangebote der Medienarbeit im System „Journalismus“ anschluss-
fähig sind, müssen sie mit dem Code dieses Systems operieren (siehe Abschn. 3). Texte
der Medienarbeit können dann als Programme der strukturellen Kopplung mit dem
Journalismus dienen. (Hoffjann 2007, S. 144–181; Christoph 2009, S. 162–168) Die
Voraussetzung hierfür ist, dass Funktion, Thema, Art der Themenentfaltung sowie der
Stil passen und dem Empfängermedium gerecht werden. Dafür ist es notwendig, die
Perspektive zu verändern: weg von den Interessen der Absender-Organisation und hin
zu den Anforderungen des journalistischen Systems: „Medienarbeit [. . .] muss häufig
kritische Journalisten davon überzeugen, dass eine Information [. . .] interessant genug
wäre, um sie zu verbreiten. Wer das erreichen will, darf nicht wie ein Werber oder
Verkaufsförderer denken und handeln, sondern muss die Sicht- und Arbeitsweise der
Journalisten verinnerlichen.“ (Schulz-Bruhdoel und Fürstenau 2010, S. 29)
Journalistische Texte gelten laut Burger und Luginbühl überall als „Zentrum des
Mediums“. (2014, S. 93) Sie liegen in den unterschiedlichsten Formen vor:
geschrieben, gesprochen, mit Bild- und Bewegtbildmaterial, subjektiv oder neutral,
für die Verwendung im Print, Radio, TV oder online. Insofern kann es nicht die eine
Mediensprache geben, die charakteristisch für alle journalistischen Texte ist. Und
auch für die Medienarbeit sind grundsätzlich „alle Darstellungsformen denkbar, die
[. . .] von den Medien selbst eingesetzt werden“. (Schulz-Bruhdoel und Fürstenau
2010, S. 270) Woran können sich also die Verfasser halten, wenn sie für die
Medienarbeit texten? Idealerweise orientieren sich Texte für die Medienarbeit genau
an dem Medium, auf das sie abzielen – diese „Maßarbeit“ findet zum Beispiel statt,
wenn Pressestellen Texte exklusiv für ein Medium verfassen. Deshalb muss gute
196 C. Christoph

Medienarbeit „sehr viel journalistisches Know-how beweisen [und] setzt eine prä-
zise Kenntnis der Arbeit in den Redaktionen voraus“. (Schulz-Bruhdoel und Fürs-
tenau 2010, S. 34)
Das am häufigsten eingesetzte Instrument der Medienarbeit ist allerdings die
Pressemitteilung im Nachrichtenstil. (Burger und Luginbühl 2014, S. 202–203)
Generell spielen Texte „strikt informativen Charakters eine Hauptrolle“ in der
Medienarbeit. (Ebd., S. 270) Auch innerhalb des journalistischen Systems haben
Nachrichten einen besonderen Stellenwert. Arnold bezeichnet sie als den „Schlüssel
zu aller weiteren Information“. (2016, S. 11) Deshalb stehen die Nachrichtentexts-
orten im Fokus der nachfolgenden Ausführungen.
Die klassischen Nachrichtentextsorten „Meldung“ und „Bericht“ zählen zu den
informationsbetonten Texten (Burger und Luginbühl 2014, S. 225) – sie verfolgen
also eine Informationsfunktion. Genauso ordnen sie auch Brinker et al. textlinguis-
tisch ein. (2014, S. 107) Als rein informative Texte sind die Nachrichtentextsorten
der Objektivität verpflichtet. Es gilt der Grundsatz: „Die Fakten müssen stimmen.“
(von La Roche 2013, S. 134). Auch Texte der Medienarbeit informieren, um den
Anforderungen des journalistischen Systems zu entsprechen und eine Chance auf
Veröffentlichung zu haben. Entsprechend stellen Ebert und Konerding fest, dass zum
Beispiel Pressemitteilungen primär als Informationsmedium begriffen werden, aber
ihr Ziel über das reine Informieren hinausgehe. Denn die Absender haben ein
Interesse daran, „die öffentliche Meinungsbildung aktiv zu beeinflussen“. (Ebert
und Konerding 2003, S. 1) Die Texte erfüllen also eine doppelte Textfunktion,
indem sie informieren und gleichzeitig auch appellieren (siehe Abschn. 2.1). Inso-
fern widerlegen Texte der Medienarbeit die These, dass pro Text immer eine
Funktion dominiert. (Brinker et al. 2014, S. 123) Vielmehr ist Adamzik zuzustim-
men, die ein Nebeneinander von Textfunktionen für denkbar hält. (2000, S. 100)
Elementar wichtig für das Gelingen von Medienarbeit ist die Wahl des Themas.
Denn das Thema ist das wichtigste Auswahlkriterium im journalistischen Entschei-
dungsprozess. (Christoph 2009, S. 174–181) Dabei sind für journalistische Medien
Themen umso relevanter, je mehr Nachrichtenwert sie haben. Der Nachrichtenwert
wird wiederum durch das Vorhandensein von Nachrichtenfaktoren bestimmt. (Maier
et al. 2010, S. 18) „Je stärker einzelne Nachrichtenfaktoren zutreffen und je mehr
Nachrichtenfaktoren bei einem Ereignis gegeben sind, desto höher ist der Nachrich-
tenwert. Und je höher der Nachrichtenwert, desto höher sind die Publikationswahr-
scheinlichkeit und der einem Thema eingeräumte Platz.“ (Mast 2012, S. 81) Die
Gewichtung der einzelnen Faktoren ist je nach Medium unterschiedlich. Für Nach-
richtenredaktionen haben nach einer Studie von Ruhrmann und Göbbel die Nach-
richtenfaktoren Reichweite, deutsche Beteiligung, negative Folgen, Überraschung,
Kontroverse und positive Folgen die höchste Wichtigkeit. Weitere Nachrichtenfak-
toren sind beispielsweise Prominenz, räumliche Nähe zu Deutschland, Personalisie-
rung, Etablierung von Themen, Visualität, das Vorhandensein von Bildern
und Erotik. (Ruhrmann und Göbbel 2007, S. 41 f.) Dem Thema als wichtigstem
Auswahlkriterium im journalistischen Entscheidungsprozess muss beim Texten für
die Medienarbeit ein besonderes Augenmerk gelten: Texte, die zur Veröffentlichung
in den Medien ausgewählt werden sollen, müssen über Nachrichtenwert verfügen.
Sprache und Text in der Medienarbeit 197

Denn: „Im Alltag ist Öffentlichkeitsarbeit gerade dann besonders erfolgreich, wenn
sich ihre Informationspolitik und die von ihr inszenierten Ereignisse an den herr-
schenden Nachrichtenwerten orientieren.“ (Mast 2012, S. 517) Ist dies nicht der
Fall, sind die Kommunikationsangebote im journalistischen System nicht anschluss-
fähig. Und: Die Texte müssen den Nachrichtenwert auf den ersten Blick sichtbar
machen. Das passiert zum Beispiel durch gute Überschriften und im Vorspann. Hier
ist die Sprache maßgeblich für den Erfolg der PR.
In der Art der Themenentfaltung sind journalistische Nachrichtentextsorten typi-
scherweise deskriptiv. Brinker et al. ordnen beispielsweise Nachrichten und Berichte
in die Gruppe a) der deskriptiven Textsorten ein. Diese umfasst Text, deren Thema
„einen einmaligen Vorgang, ein historisches Ereignis bezeichnet“. (2014, S. 60)
Deskriptive Textsorten zeichnen sich dadurch aus, dass „ein Thema in seinen
Komponenten (Teilthemen) dargestellt und in Raum und Zeit eingeordnet [wird].
Die wichtigsten thematischen Kategorien sind also Spezifizierung (Aufgliederung)
und Situierung (Einordnung)“. (Brinker et al. 2014, S. 60) Texte der Medienarbeit
folgen ebenfalls diesem Aufbau. Sie ordnen ein Thema räumlich und zeitlich ein und
schildern es in seinen Teilthemen. Pressemitteilungen beispielsweise übernehmen
den typischen Aufbau von Nachrichtentextsorten, indem sie Überschrift, Vorspann
und Hauptteil haben und die wichtigsten Informationen – den Nachrichtenwert – an
den Anfang stellen. Außerdem verwenden sie Zwischenüberschriften und Zitate als
weitere nachrichtentypische Bausteine. (Christoph 2009, S. 103) Entsprechend kon-
statiert Hack, dass die thematische Entfaltung von Pressemitteilungen „hauptsäch-
lich deskriptiver Natur“ sei. (Hack 1996, S. 21)
Der Stil von Nachrichtentextsorten ist sachlich. Denn Journalisten „richten ihre
Arbeit nach der Objektivitätsnorm aus“. (Mast 2012, S. 77) Dies liegt in der Natur
ihrer publizistischen Aufgabe, die sie „fair, nach bestem Wissen und Gewissen,
unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen“ wahr-
nehmen sollen. (von la Roche 2013, S. 192) Deshalb ist bei der Ausgestaltung einer
Nachricht „zu beachten, dass schmückende und ergänzende Fakten eine nicht gerecht-
fertigte Tendenz in die Nachricht bringen können“. (von La Roche 2013, S. 140)
Der Stil der Nachrichtentextsorten ist außerdem durch bestimmte sprachliche
Standards gekennzeichnet. Hierzu gehört es beispielsweise

• die Informationsquelle zu benennen,


• kurze Sätze zu schreiben,
• Aktiv statt Passiv zu verwenden,
• Hauptsachen im Hauptsatz zu erwähnen,
• einfache Wörter zu verwenden,
• Abkürzungen zu erklären,
• Zahlen bis zwölf auszuschreiben und
• Personen mit Vor- und Zunamen vorzustellen und zu identifizieren. (Weischenberg
1990, S. 135–146)

Darüber hinaus gilt für Nachrichtentextsorten das Gebot der Verständlichkeit. Diese
muss „in Einklang gebracht werden mit der Exaktheit des Inhalts“. (Weischenberg 1990,
198 C. Christoph

S. 142) Zu vermeiden sind deshalb Nominalstil, eingeschobene Nebensätze, Fremd-


wörter, Modewörter und Klischees, Floskeln, Geschwafel, überflüssige Adjektive und
Synonyme. (ebd., S. 135) Dass Texte der Medienarbeit in dieser Hinsicht oft Schwächen
haben, zeigt eine Studie der PR-Agentur „Mann beißt Hund“ aus dem Jahr 2005. Dabei
wurden 120 Pressemitteilungen nach den Kriterien des Hamburger Verständlichkeits-
modells2 untersucht. Das Ergebnis: Nur zwei Pressemitteilungen erfüllten alle Verständ-
lichkeitskriterien; die Hälfte aller analysierten Texte aus dem Bereich „Wirtschaft“
erfüllte kein einziges Verständlichkeitskriterium. (zitiert nach Christoph 2009, S. 153)
Schulz-Bruhdoel und Fürstenau weisen aber darauf hin, dass die Redaktionen
vonseiten der PR „vorgefertigte Informationsangebote“ erwarten. (2010, S. 270)
Insofern müssen auch Texte der Medienarbeit dem Stil der Nachrichtentextsorten
entsprechen. 48,9 Prozent aller Journalisten wünschen sich Pressemitteilungen, die
sie ohne große Änderungen übernehmen können. Im Fall von Zeitdruck wünschen
sich sogar 54,7 Prozent aller Journalisten Texte, die sie ohne große Veränderungen
abdrucken können. (Menkhoff 2005, Frage 20 und 24) Insofern verzichtet eine gute
Pressemitteilung „[. . .] auf alle Eigenschaftswörter, die typisch für die Verkaufs-
förderung sind“, denn gerade „durch den Verzicht auf lobende und werbende
Textteile erreichen Nachrichten eine hohe Glaubwürdigkeit“. (Schulz-Bruhdoel
und Fürstenau 2010, S. 203 f.) In der Praxis hat es sich deshalb bewährt, in
PR-Texten Wertungen in Zitate zu „verpacken“ – wenn darauf schon nicht ganz
verzichtet werden kann. (Christoph 2013, S. 122)

2.3 Texte in der Medienarbeit: das Beste aus beiden Welten

Die Abschn. 2.1 und 2.2 haben gezeigt, dass die Sprache in der Medienarbeit viel
leisten muss, um

a) die Funktion der Absender-Organisation zu legitimieren und


b) im System Journalismus anschlussfähig zu sein.

Auf der Ebene der Textfunktion sind die Texte der Medienarbeit gleichzeitig
appellativ und informativ. Die Themenauswahl muss sowohl die partikularen Interes-
sen des Absenders wahren als auch Nachrichtenwert bieten. Die Art der Themenent-
faltung ist einerseits argumentativ im Sinne des Absenders, andererseits imitiert sie
durch die deskriptive Themenentfaltung die Nachrichtentextsorten. Auf der Ebene des
Textsortenstils schließlich weisen Texte der Medienarbeit sowohl werbesprachliche als
auch mediensprachliche Elemente auf. Auf diese Weise dienen sie der Funktion des
Absender-Systems und sind gleichzeitig im journalistischen System anschlussfähig
(Abb. 2).
Da die Texte der Medienarbeit innerhalb der Absender-Organisationen produziert
werden, führen sie deren Code automatisch mit. Sie enthalten immer einen Appell,

2
Zum Hamburger Verständlichkeitsmodell siehe: Langer et al. 2015, S. 19–28.
Sprache und Text in der Medienarbeit 199

1. Legitimation der
2. Anschlussfähigkeit im
Textlinguistische Ebene Organisationsfunktion /
journalistischen System
Absender-Organisation
• Textfunktion • Appell • Information
• Thema • Partikulare Interessen • Nachrichtenwert
• Themenentfaltung • Argumentation • Deskription
• Stil • Werbesprache • Journalistische Standards

Abb. 2 Doppelte Codierung von Texten in der Medienarbeit. Quelle: eigene Darstellung

sie behandeln Themen, die dem Absender gerecht werden, sie liefern grundsätzlich
Argumente für den Absender und sie werten diejenigen Inhalte semantisch auf, die
den Interessen des Absenders nützen. Denn die Absicht, das „Verhalten [. . .] oder
Einstellungen beim Empfänger entsprechender Botschaften zu verändern, ist für PR –
wie für Werbung und Propaganda – wesensimmanent und intentional“. (Fröhlich
2015, S. 110) Insofern ist die Sprache der Medienarbeit zwangsweise persuasiv. Wäre
sie das nicht, würde sie ihren Zweck verfehlen. Dies ist der Grund, warum Texte der
Medienarbeit von Journalisten so häufig als „verkappte Werbung“ wahrgenommen
werden. (siehe Abschn. 2.1)
In der Praxis besteht die Schwierigkeit meist darin, Texte zu produzieren, die
auch dem journalistischen System gerecht werden und bei denen sich die beiden
Pole die Waage halten, zwischen denen sich die Medienarbeit bewegt. Insofern ist
Texten für die PR eine anspruchsvolle Aufgabe und häufig ein schwieriger Spagat
zwischen dem, was der Absender gern über sich lesen möchte und dem, was
journalistischen Maßstäben gerecht wird.

3 Anschlusskommunikation: die Veröffentlichung in den


Medien

Es kann davon ausgegangen werden, dass etwa die Hälfte der redaktionellen
Berichterstattung in Deutschland auf Medienarbeit zurückgeht. Doch nur etwa
20 Prozent aller PR-Angebote werden von den Medien tatsächlich für die redaktio-
nelle Berichterstattung verwendet. (Christoph 2009, S. 170 und S. 174 f.)
Wenn PR-Texte in den Medien veröffentlicht werden, findet ein Textsortenwech-
sel statt. Sie werden dann zu Kommunikationsangeboten des journalistischen Sys-
tems. Sofern die Texte zuvor bearbeitet werden, überwiegt als Revisionsart die
Elimination: Lang stellt fest, dass schon die Nachrichtenagenturen Pressemitteilungen
im Schnitt um 45,74 Prozent kürzen und die Zeitungen noch einmal den Textumfang
reduzieren. (Lang 1980, S. 136 f.) Substitutionen, Permutationen, Additionen und
Transformationen kommen deutlich seltener vor. (Christoph 2009, S. 188)
Bei der Bearbeitung der Texte wird der Empfänger zum Produzenten. Die
Revision ist also „weder ein ausschließlich produktiver noch ein ausschließlich
rezeptiver, sondern ein rezeptiv-produktiver Prozeß“. (Biere 1993, S. 58) Dieser
Prozess von Informationsauswahl, Bearbeitung und Veröffentlichung stellt die
200 C. Christoph

Anschlusskommunikation im System „Journalismus“ dar, die das Ziel der Medien-


arbeit ist. Textlinguistisch betrachtet stehen der Ausgangstext und die Veröffentli-
chung in den Medien in einem Verhältnis von Intertextualität. (Christoph 2009,
S. 183–186)
Wenn diese Anschlusskommunikation gelingt, profitiert der Absender der Medi-
enarbeit in zweifacher Hinsicht. Denn: Die PR-Botschaft wird durch die Veröffentli-
chung einerseits multipliziert und erzielt damit eine hohe Reichweite. Je nach
Medium kann so die PR-Botschaft ein sehr großes Publikum erreichen, das eine
Organisation mittels eigener Publikationen sonst nicht erreichen könnte. (Mast 2010,
S. 262) Und: Journalistische Medien sind für Journalisten selbst eine „zentrale
Orientierungsgröße“. (Maier et al. 2010, S. 16) So kann die eine Veröffentlichung
weitere Veröffentlichungen begünstigen.
Andererseits erfahren die Inhalte der Medienarbeit durch die Veröffentlichung
auch qualitativ eine Aufwertung: Denn sobald die PR-Botschaft in einem journalis-
tischen Medium erscheint, ist der Absender nicht mehr die Organisation, die über
sich selbst spricht. Es ist ein objektiver Dritter. Die „Selbstdarstellung partikularer
Interessen“ (siehe Abschn. 2) wird zur Fremddarstellung. Dadurch wird die Bot-
schaft glaubwürdiger. In diesem Fürsprecherprinzip liegt der wichtigste Vorteil der
Medienarbeit gegenüber der klassischen Werbung. Außerdem erreichen die Resul-
tate der Medienarbeit im redaktionellen Teil der Medien

• eine höhere Aufmerksamkeit,


• einen neutraleren Kontakt zum Leser,
• ein größeres Wirkungspotenzial,
• eine tiefergehende Information,
• und eine stärkere Weiterempfehlungsbereitschaft

als die klassische Werbung. (Rolke und Dost 2010, Management Summary) Denn
Werbung profitiert nicht vom Fürsprecherprinzip, sondern wird von den Rezipienten
als Selbstdarstellung einer Organisation wahrgenommen.
In dem Fürsprecherprinzip liegt auch ein Vorteil der Medienarbeit gegenüber
anderen PR-Instrumenten – wie Corporate Publishing oder Onlinekommunikation.
Deshalb wird die Medienarbeit ihre zentrale Rolle innerhalb der PR solange behal-
ten, wie journalistische Medien als glaubwürdige Absender wahrgenommen werden.

4 Fazit

Medienarbeit ist das Herzstück der PR und dient per Definition der Selbstdarstellung
partikularer Interessen. Deshalb ist es nicht nur legitim, sondern unbedingt notwen-
dig, dass sie in ihren Texten appelliert, argumentiert und wertet. Journalisten, die der
PR dies zum Vorwurf machen, verkennen die Tatsachen.
Wer Medienarbeit allerdings als „Werbung, die nichts kostet“ auffasst, springt
auch zu kurz und wird damit keinen Erfolg haben. Denn Medienarbeit nimmt – im
Gegensatz zur Werbung – auch die Perspektive der Journalisten ein und macht ihnen
Sprache und Text in der Medienarbeit 201

Kommunikationsangebote, die sie in ihrem System weiterverarbeiten können. Dazu


informiert sie und beschreibt objektiv Ereignisse, die über Nachrichtenwert verfügen –
egal, ob die Texte für Print- oder Onlinemedien, für TVoder Radio verfasst werden. In
der Gleichzeitigkeit dieser beiden Strategien liegt die Herausforderung erfolgreicher
Medienarbeit.
Die Sprache spielt hierbei eine zentrale Rolle. Denn Medienarbeit findet zu einem
großen Teil in Form von Texten statt – seien es Pressemitteilungen, Autorenbeiträge,
Themen-Exposés oder Statements. Insofern ist Textsortenkompetenz eine unver-
zichtbare Voraussetzung für das Gelingen von Medienarbeit.

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Sprachliche Merkmale der
Krisenkommunikation mit Schwerpunkt
Social Media

Michael Roither

Zusammenfassung
Der Beitrag spannt den Bogen von Merkmalen einer Krise in und durch Social
Media über die Krisenkommunikation in Social Media bis hin zu Befunden zur
Sprache in der Social-Media-Krisenkommunikation. Sprach- und kommunikati-
onswissenschaftliche Erkenntnisse und Modelle werden miteinander verknüpft
und bilden eine Grundlage für künftige Analysen und Auseinandersetzungen mit
dem zentralen Aspekt Sprache in der Krisenkommunikation mit Schwerpunkt
Social Media.

Schlüsselwörter
Krisenkommunikation • Social Media • Sprache • Krise • Semiotik

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
2 Krisen in und durch Social Media . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
3 Krisenkommunikation in Social Media . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
4 Befunde zur Sprache in der Social-Media-Krisenkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

1 Einleitung

Der Forschungsstand im vorliegenden Themenfeld ist fragmentarisch – im Bereich


Krisenkommunikation und Social Media generell, aber insbesondere im Bereich
sprachlicher Aspekte derselben. Entsprechend ist der vorliegende Beitrag als Spiegel

M. Roither (*)
Department Informationstechnologie und Informationsmanagement, Fachhochschule Burgenland,
Eisenstadt, Österreich
E-Mail: michael.roither@fh-burgenland.at

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 203


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_11
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des Forschungsstandes ebenso fragmentarisch und ein Ansatz, um Verbindungen


zwischen der Kommunikations- und Sprachwissenschaft im Bereich Krisenkommu-
nikation und Social Media zu knüpfen.
„Obwohl sich die Forschung in den letzten Jahren zunehmend der Rolle der
Online-Kommunikation im Krisenkontext zugewendet hat, fehlen weiterhin fun-
dierte Ansätze und Modelle, die die vielfältigen neuen und/oder anderen Kommu-
nikationsoptionen berücksichtigen“, attestieren dazu Schwarz und Löffelholz (2014,
S. 1316). Relevante Aspekte sind für sie beispielsweise die Nutzung von Social
Media zur Identifikation und zum Monitoring von Krisensignalen, die Möglichkei-
ten und Grenzen dialogischer Kommunikation mit Anspruchsgruppen auf Social-
Media-Kanälen oder die Effektivität von Social Media bei der Verbreitung bzw.
Akzeptanz von krisenbezogenen Verhaltensinstruktionen. Die generelle Relevanz
von Social Media im Krisenkontext sei in jüngeren experimentellen Studien nach-
gewiesen worden, die zeigen, dass die Wahl des Kommunikationsinstruments
(z. B. Social Media versus traditionelle Massenmedien) Auswirkungen auf Reputa-
tion, Emotionen und Anschlusskommunikation hatte und dabei zum Teil bedeutsa-
mer als die jeweilige inhaltliche Botschaft war: Ein Indiz dafür, dass dem „Wie“ der
Krisenkommunikation verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Nichts-
destotrotz kommen die meisten Untersuchungen „zu dem Ergebnis, dass online-
gestützte Krisenkommunikation bisher kaum konzeptionell-strategisch eingesetzt
wird und damit vielversprechende Potenziale der Krisenprävention und dialogori-
entierter Krisenkommunikation vergeben werden“ (Schwarz und Löffelholz 2014,
S. 1316–1317).

2 Krisen in und durch Social Media

Kennzeichen von Krisen sind das meist überraschende Auftreten, die Dynamik
und damit einhergehenden Prozesse, der dadurch entstehende Zeitdruck, die Infor-
mationsknappheit, die durch die Krise entstehenden Emotionen, die durch die
Emotionalität häufig entstehende Selbstverstärkung der Krise und die damit einher-
gehende zugespitzte Aufmerksamkeit der Medien und anderer relevanter Stakehol-
der (Lies 2015, S. 249).
Hauptursachen für Krisen sind nach Lies (2015, S. 251; in dieser Reihenfolge)
vor allem Probleme mit Protestgruppen/Aktivisten, Produktionsausfälle, die Liefer-
schwierigkeiten verursachen, öffentlichkeitswirksame Betriebsunfälle, Auseinan-
dersetzungen mit der Belegschaft, Gerüchte, schwere persönliche Verfehlungen
und Produktmängel. Weniger relevant sind die Auslöser Finanzkrise, Sabotage,
Terrorismus, oder drohende Übernahmen. Lies bezieht sich bei der Aufstellung auf
die Studie „Krisenprävention in Deutschland“ von 12Cylinders Corporate Strategies
(2003) für die 300 Unternehmen, 243 behördliche Institutionen und 228 Verbände
befragt wurden.
Auch wenn Social Media im Regelfall heute bei sämtlichen der genannten
Krisenereignisse zum kommunikativen Brandbeschleuniger werden, sind besonders
die Probleme mit Protestgruppen/Aktivisten in Richtung Krisenkommunikation
Sprachliche Merkmale der Krisenkommunikation mit Schwerpunkt Social Media 205

beachtenswert: Gruppen können sich eben dort besonders leicht mobilisieren und
mittlerweile bereits klassische Phänomene wie Shitstorms starten. Ebenso können
die Aktivisten besonders seit der Entstehung der Sozialen Medien in eben diesen
Druck auf die Unternehmen oder Organisationen ausüben und dadurch eine Krise
entweder verstärken, verlängern oder gar erst erzeugen. Klar wird somit auch, dass
Social Media nicht nur Lösungsorte für Krisen sind, sondern die meisten Krisen
überhaupt erst im kommunikativen Raum, oftmals via Social Media, entstehen (Lies
2015, S. 254).
Krisen sind nach Hearit und Courtright (2003, S. 205) terminologische Kreatio-
nen (oder: soziale Konstruktionen – nach Schwarz und Löffelholz 2014, S. 1305),
die von Menschen konzipiert werden, und sie werden daher auch terminologisch
verwaltet und gelöst. Anstatt eine Komponente zu sein, stellt die Kommunikation
entsprechend die Quintessenz des Krisenmanagements dar. „Damit ist Krisenkom-
munikation ein Aushandlungsprozess im Kontext von als bedrohlich und disruptiv
wahrgenommenen Situationen, denen Beobachter intuitiv oder strategisch Krisen-
status zuschreiben“ (Schwarz und Löffelholz 2014, S. 1306).

3 Krisenkommunikation in Social Media

Was ist Krisenkommunikation mit Schwerpunkt Social Media? Eine Annäherung


daran liefert Köhler (2006, S. 173–174): „Onlinegestützte Krisen-PR ist ein öffentli-
cher Kommunikationsprozess auf organisations- und gesellschaftspolitischer Ebene,
der unter Ausnutzung der unterschiedlichen Kommunikationsmodi des Internets und
durch die Integration einzelner PR-Instrumente als Frühwarnsystem potenzielle
Interessenskonflikte und Krisenherde frühzeitig antizipiert und bewertet und eine
problemorientierte kommunikative Auseinandersetzung sowie einen Interessensaus-
gleich zwischen Unternehmen und bewussten und kritischen Teilöffentlichkeiten
sowie relevanten Anspruchsgruppen ermöglichen und beschleunigen sollen.“ Diese
„onlinegestützte Krisen-PR“ findet aktuell vor allem via Social Media statt.
Vorteile der Krisenkommunikation online sind gegenüber der Offline-Kom-
munikation: Die Verkürzung der Bearbeitungszeiten, die direktere Steuerung der
Kommunikation, ihre Multimedialität, Hypermedialität und Interaktivität, die Dia-
logfähigkeit des Mediums, sowie ein transparenter Krisenverlauf, der chronologisch
nachvollzogen werden kann. Dazu bieten Social Media die Möglichkeit, Multiplika-
torInnen direkt und schnell zu erreichen sowie Trends und Szenarien abzuschätzen –
Online-Monitoring ist als Standardtool, um Krisen möglichst frühzeitig zu antizipie-
ren, de facto zum Industriestandard geworden. Allerdings erweisen sich viele der
genannten Aspekte im Krisenfall als zweischneidiges Schwert: Geschwindigkeit,
Beschleunigung, Interaktivität und Transparenz verschärfen die Kommunikationssi-
tuation für die krisenbetroffene Organisation. Weitere Nachteile der Online-
Krisenkommunikation sind vielfach Kapazitätsprobleme für die Umsetzung im
Unternehmen, als vor allem personell kosten- und ressourcenintensive Art der Kom-
munikation, sowie Social Media als potenzieller, schneller Krisenauslöser mit starker,
206 M. Roither

emotionalisierter Dynamik im Krisenverlauf und einer massiven Krisenausbreitung


im Falle der Übernahme durch klassische Medien (Kerschner et al. 2014, S. 34–38).
In Bezug auf Krisen sollte im Web agiert (nicht lediglich reagiert) werden: Betont
transparentes Verhalten, proaktive Kommunikation von aktuellen und Hintergrund-
informationen sowie eigenen Sichtweisen via Social Media und Website rund um die
Uhr, die Sicherstellung eines funktionierenden Dialogs mit allen relevanten Bezugs-
gruppen, das Zerstreuen negativer Einflüsse. „Einfach den Kopf in den Sand zu
stecken, wegzuschauen, nicht zu kommunizieren und abzuwarten funktioniert im
Zeitalter der elektronischen Medien nicht mehr. Social Media verlangt von Kom-
munikatorInnen, sich der Diskussion zu stellen und mit den Stakeholdern zu spre-
chen“ (Kerschner et al. 2014, S. 38–42).
Eine Untersuchung des Zweckes von Krisenreaktionen zeigt laut Fediuk et al.
(2010, S. 222–223) zwei Bereiche auf: Erstens sind Krisenreaktionen darauf ausge-
legt, den Schaden, der durch die Krise verursacht wird, zu begrenzen oder zu
reduzieren, und zweitens haben sie das Ziel, die Wahrnehmung der Stakeholder zu
beeinflussen. Krisenreaktionen sind also überzeugende Botschaften.
Allerdings ist das „Was“ in der Krise oftmals deutlich irrelevanter als das „Wie“:
Mitgefühl, Sorge und Empathie müssen sich in der Kommunikation spiegeln, egal
was gesagt wird (Heath 2006, S. 247–248). Das „Wie“ lässt für die Bezugsgruppen
auf den Charakter des Unternehmens schließen – das sollte auch im schnellen Social
Web nicht vergessen werden (Kerschner et al. 2014, S. 41).
In der Krise verschieben sich Lies (2015, S. 251–252) zufolge die Kommunika-
tionsregeln jedenfalls leichter, ein Thema wechselt in der Regel rasch von der
Sachebene hin auf eine emotionale Ebene. Während die Sachebene zu Beginn der
Krise am wenigsten relevant ist und sich erst im Krisenverlauf wieder „erholt“, also
wieder an Bedeutung gewinnt, verhält es sich mit der emotionalen genau umgekehrt.
Wichtig ist deshalb, dass „symbolisch-relationalen Aspekten Rechnung getragen“
wird (Schwarz und Löffelholz 2014, S. 1311) – sowohl die sprachlichen Mittel als
auch „symbolische Akte (Anteilsnahme, Gesicht zeigen . . .) sind für den Vertrau-
enserhalt von Bedeutung.“ Das schließt die Auswahl geeigneter rhetorischer Kom-
munikationsstrategien, die Beurteilung der situativen Wirkung dieser Strategien
sowie die Pflege der Beziehungen zwischen Organisationen und Stakeholdern im
Krisenkontext ein.
In diesem Zusammenhang ist deshalb essenziell, die „Meinungsführerschaft zu
erhalten, sodass das Prinzip der Schnelligkeit vor der Vollständigkeit gilt“ (Lies
2015, S. 251–253). Das bedeutet, dass in der Krisenkommunikation via Social
Media häufigere, kurze Updates und das permanente Updaten bzw. Ergänzen jed-
weder Fakten wichtig ist, um die eigene Seite zur zentralen Anlaufstelle zu machen.
Auf Twitter kann beispielsweise besonders für JournalistInnen ein eigener, sachli-
cher Hashtag etabliert werden, um die Suche nach Informationen zu erleichtern und
zu bündeln. Das gilt auch für die Ansprechpartner: Ist es generell wichtig, einen
Sprecher neben der Unternehmensleitung selbst zu etablieren (im Regelfall die
Leitung Unternehmenskommunikation), so sollte diese auch in den Sozialen Medien
passieren: Absender sollten transparent sein, um die Kommunikation persönlicher
gestalten und das Übernehmen von Verantwortung direkter signalisieren zu können.
Sprachliche Merkmale der Krisenkommunikation mit Schwerpunkt Social Media 207

Ganz ähnlich argumentieren Höbel und Hofmann (2014, S. 53–71) und fügen
Lies’ Bild einige Facetten hinzu: In den Sozialen Medien kommt es zu einer
Vermischung von „subjektiven Meinungen“ und „Fachkompetenz“, die es zu unter-
scheiden und auf die es jeweils sprachlich adäquat zu reagieren gilt. Es ist zentral,
dass die Social-Media-Kanäle auch in krisenfreien Zeiten permanent bespielt wer-
den, um eine Community und Vertrauen aufzubauen und einen Kanal zu haben,
dessen Benutzung Usus ist, der im Krisenfall nicht erst etabliert werden muss.
MitarbeiterInnen werden dort bewusst zu Sprechern des Unternehmens und auch
im Krisenfall gerne als Ansprechpartner oder Quelle verwendet, hier gilt es diese
mittels Social Media Guidelines vorzubereiten und im Krisenfall auch noch mal
dahingehend zu informieren. Transparenz was den Absender betrifft wird auch von
Höbel und Hofmann empfohlen. Der Absender soll möglichst seinen Namen nen-
nen, denn nur so ist eine Kommunikation zwischen Menschen „auf Augenhöhe“
möglich.
Dazu sollten Monitoringsysteme, welche die Meinungen und Reaktionen einfan-
gen bzw. messen sollen, verstärkt hinsichtlich der qualitativen Auswertung genutzt
werden, um Stimmungen exakter einfangen zu können und noch sensibler sein zu
können, auch hinsichtlich entstehender Krisenherde. „Kommunikative Krisen im
Netz entstehen meist dort, wo es keiner mitbekommt: in irgendeinem kleinen Blog
oder in einem winzigen Kommentar. Entscheidend ist die Vernetzungsdynamik:
Findet die einzelne Meinung eine Verbindung zu einem virulenten Krisenthema,
zu skandalbereiten Medien Meinungsplattformen und zu einer empörungsbereiten
Öffentlichkeit?“ (Höbel und Hofmann 2014, S. 70). Wordings sollten also nicht nur
im Krisenfall genauestens hinterfragt und einer mit einer unternehmensinternen
Wording-Checkliste abgeglichen werden. Denn auch Aussagen, die nicht im Zuge
der Krise getätigt wurden, können dann auftauchen und interpretiert werden, oder
gar selbst zum Auslöser werden, wenn sie unbedacht eingesetzt werden. „Veröffent-
lichen Sie nur das, was Sie auch jederzeit persönlich sagen würden und was Sie auch
‚gedruckt‘ von sich lesen wollen“, empfehlen Höbel und Hofmann (2014, S. 76).
Krisenkommunikation hat dabei zusätzlich einen verstärkt symbolischen Charak-
ter – leider wird dieser Aspekt entweder nicht immer wichtig genug eingeschätzt,
oder bewusst oder unbewusst nicht beachtet. Beispiel Kit Kat/Nestlé vs. Greenpeace:
Nestlé hat Beiträge im Zuge des Shitstorms auf der Fansite einfach gelöscht – auch
das ist eine Botschaft, in diesem Fall eine, die die Kritik und den Ärger der
Stakeholder noch verschärft (Höbel und Hofmann 2014, S. 64). Ein anderes Beispiel
dafür ist der frühere BP-CEO Tony Hayward im Zuge des sogenannten „BP Oil
Spills“ im Golf von Mexiko: „Der CEO hatte sich nicht nur während die Krise noch
andauerte und die Betroffenen gegen die Folgen der Ölpest kämpften im Freizeitlook
auf seiner Segelyacht ablichten lassen. Er hat obendrein in Fernsehkameras gesprochen,
er wolle sein Leben zurückhaben. Angesichts von mehr als 20 toten Ölarbeitern eine
zynische Sprachentgleisung“ (Höbel und Hofmann 2014, S. 67). Kommunikation
im Internet muss ganz im Gegenteil „frei von Arroganz ‚Überheblichkeit‘ und
‚Marketing-Sprech‘ sein. (. . .). Die Argumente und Probleme des Kritikers anhören,
einen Positionswechsel durchzuführen und sich die Situation aus seinen Augen
anzusehen, ist der erste erfolgreiche Schritt, um die richtige Tonalität und Ansprache
208 M. Roither

zu finden“ (Höbel und Hofmann 2014, S. 75). Dann verlaufen sich potenzielle
Krisen oftmals im Sand, Beispiel ING-DiBa: Die Direktbank hatte einen Werbespot
mit Basketballer Dirk Nowitzki gedreht, in dem dieser eine Scheibe Wurst verspeist.
Daraufhin kam es zum Shitstorm von Vegetarierern und Veganern. ING-DiBa
reagierte mit folgenden Worten: „Wir als ING-DiBa appellieren an Sie, unterschied-
liche Meinungen mit größtmöglichem Respekt zu behandeln.“ Dies änderte die
Diskussion, denn die Veganer und Vegetarierer wurden in Folge für ihr intolerantes
Verhalten von der Community gerügt, am Ende entwickelte sich alles zu einer „Ist es
erlaubt, Fleisch zu essen?“-Diskussion und die ING-DiBa war kein Diskussions-
thema mehr. „Die Bank hatte völlig richtig gehandelt. Sie hatte sich weder tot gestellt
noch das Issue zusätzlich aufgebauscht. Streng genommen hat sie von der Diskus-
sion sogar profitiert: der Werbespot war in aller Munde“ (Höbel und Hofmann 2014,
S. 70).
Ein weiteres Studienergebnis fügt obige Aspekten eine interessante Komponente
hinzu: Das Medium ist wichtiger als die Botschaft, und diese sollte knapp und
informationsorientiert sein. So können die Ergebnisse einer Studie zusammengefasst
werden, die die Wahrnehmung einer fiktiven Krise von Daimler-Benz, bei der zehn
Menschen getötet wurden untersuchte und die Reaktionen auf Blogartikel und
Twittermeldungen mit der auf Zeitungsmeldungen verglich. Die Befragten mussten
unterschiedliche Reaktionen von Mercedes-Benz bewerten (Entschuldigung des
Unternehmens, Sympathiebekundung und Mitgefühl, reine Informationsbereit-
stellung). Das Experiment untersuchte die Auswirkungen der Krisenkommu-
nikationsstrategie und des Mediums auf organisatorische Reputation, sekundäre
Krisenkommunikation und sekundäre Krisenreaktionen. Die Ergebnisse zeigten,
dass das Medium wichtiger als die Botschaft ist: Für alle drei abhängigen Maß-
nahmen – Reputation, sekundäre Krisenkommunikation und Reaktionen – traten die
Haupteffekte des Mediums auf, während die Botschaft lediglich einen bedeutenden
Haupteffekt auf sekundäre Krisenreaktionen hatte. Im Gegensatz zu früheren Befun-
den führte die Informationsstrategie zu weniger negativen Krisenreaktionen als die
Strategien der Entschuldigung oder Sympathie. Darüber hinaus führte die Krisen-
kommunikation über Twitter zu weniger negativen Krisenreaktionen (und mehr
Bereitschaft, Infos zu teilen) als Blogs und Zeitungsartikel – über letztere wurde
am meisten gesprochen, obwohl sie per definitionem am wenigsten „viral“ sind.
Subsumiert kann bei Interpretation des Ergebnisses im Bereich Twitter davon
ausgegangen werden, dass sprachlich sachliche, informationsorientierte, knappe,
aber permanente Krisenkommunikation im Social Web tendenziell positiv rezipiert
wird (Schultz et al. 2011, S. 14–15).

4 Befunde zur Sprache in der Social-Media-


Krisenkommunikation

„In der Krise gilt: Etwas sagen müssen Sie. Wie Sie es sagen, ist entscheidend“
(Puttenat 2009, S. 54).
Sprachliche Merkmale der Krisenkommunikation mit Schwerpunkt Social Media 209

Schwarz und Löffelholz (2014, S. 1311–1312) verweisen wie zuvor Coombs


(2012) darauf, dass Form und Inhalt der Krisenkommunikation zu unterscheiden
sind. „Form bezieht sich auf die Art und Weise der Kommunikation mit Anspruchs-
gruppen.“ Unter Inhalt werden „Verhaltensinstruktionen und Informationen zur
psychologischen Verarbeitung der Krise, um Stakeholder vor weiteren Schäden zu
schützen bzw. sie bei der Bewältigung der Krise zu unterstützen“ verstanden. Der
Schwerpunkt dieses Beitrags liegt auf der Form – in den Sozialen Medien, wo diese
weitgehend noch unerforscht ist. Das ist vor allem der enormen Dynamik und
dem schwer fassbaren Gegenstand, aber auch der Tatsache geschuldet, dass prak-
tisch alle bisherigen Formen der Kommunikation auch ins Netz übertragen wurden
und somit eine enorme Omnipräsenz und Heterogenität im Bereich Netzsprache zu
verzeichnen ist.
„Inzwischen scheint sich durch (. . .) die sich ständig erweiternden Möglichkei-
ten, online zu kommunizieren, die Frage nach einem eigenen Internetcode zu er-
übrigen, da nunmehr jede aus der ‚Offline-Welt‘ bekannte Kommunikationsform
eine Entsprechung im Internet gefunden hat. Man kann daher keine Aussagen über
das Nähe-Distanz-Verhältnis oder den Grad der Schriftlichkeit bzw. Mündlichkeit
treffen, die für Online-Kommunikation allgemein gültig wären“ (Bedijs und Heyder
2012, S. 11). Die Internetkommunikation zeichne aus, dass jede Kommunikation
und Sprache im Web möglich und vorzufinden ist – „das Besondere an der Internet-
kommunikation“ sei „weniger die Erfindung bestimmter Textsorten“, „sondern die
Möglichkeit der beliebigen Kombination der bekannten Textsorten und deren Eigen-
schaften sowie die permanente und sehr transparente Präsenz von Intertextualität,
indem Texte durch Links miteinander vernetzt werden.“ Wichtige Elemente in der
Analyse der (Online-)Sprache sind für Bedijs und Heyder die vom Sender inten-
dierte Funktion einer Botschaft, die Interpretation vom Rezipienten, die Verbindung
der Kommunizierenden miteinander (Beziehung) und die Selbstdarstellung der
Personen. Relevant sei auch die Untersuchung der verwendeten sprachlichen Mittel,
der Rolle der Sprache in Konflikten, die Aushandlung der Beziehungsebene in der
Online-Kommunikation (besonders in Anonymität) und wie es sich auf den Sender
auswirkt, dass dieser nicht weiß, ob und wann seine Botschaft überhaupt rezipiert
wird (Bedijs und Heyder 2012, S. 12–13).
Schwarz und Löffelholz (2014, S. 1313–1316) erstellen, was die Dynamik dieser
Elemente betrifft, eine Typologie von Krisenkommunikationsstrategien zusammen,
die in Anlehnung an Coombs (2012) Strategien in drei Bereiche teilt: Deny (Leug-
nen), Diminish (Abschwächen) und Deal (Aushandeln). Zu Deny gehören Abstrei-
ten, Beschuldigen und zur Rede stellen, zu Diminish Handlungen und Schaden
herunterspielen und sich herausreden, zu Deal Einschmeicheln, Besorgnis zeigen,
Geschenke/Kompensationen machen, Bedauern und Entschuldigen. Sämtliche Stra-
tegien werden hierbei zentral von Sprache getragen – ihr Erfolg ist unmittelbar mit
dieser verknüpft. Zentral ist deshalb auch die Evaluation im Anschluss an die Krise,
sie gibt darüber Aufschluss, ob die richtige „Sprache“ gefunden wurde. Geht es um
notwendige Dementi, Entschuldigungen oder das Ausdrücken von Bedauern, sind
einige zentrale Dinge zu beachten (Steinke 2014, S. 207–222):
210 M. Roither

• Direkt kommunizieren: Rechtlich abgesichert, aber niemals durch Anwälte kom-


munizieren.
• Ein Dementi erzeugt meist nur mehr Zweifel bei den JournalistInnen und entfacht
Gerüchte erst recht. Es muss entsprechend immer belegt werden können, und das
idealerweise im Zuge des Dementis selbst.
• Entschuldigungen müssen zeitnah erfolgen – sie erledigen sich bei Geschädigten
nie von selbst. Die Bitte um Entschuldigung muss für sich stehen und darf nicht
an Bedingungen geknüpft sein – oder über die notwendigen Erklärungen hinaus
Rechtfertigungen enthalten, die als Relativierung gedeutet werden könnten.
• Bedauern ist nicht gleich entschuldigen: Ärger und Ungemach auf Kundenseite
kann stets bedauert werden, eine Entschuldigung ist aber nur im Schuldfall
angebracht. Das Bedauern sollte immer im Zusammenhang mit einer entspre-
chenden Erklärung zu den Hintergründen stehen.
• Bei Kundenbeschwerden ist auf Floskeln wie „bedauerlicher Einzelfall“ zu
verzichten, stattdessen sollen Fehler eingeräumt werden, wenn diese passiert sind.
Wertschätzende Kommunikation ist hier essenziell. Gleichzeitig soll aber auf
komplexe Erklärungen und Begründungen verzichtet werden.

Frandsen und Johansen (2007, S. 93–96) empfehlen für das „Wie“ von Entschul-
digungen folgende Dinge – die gut auf die generelle Krisenkommunikation umleg-
bar sind: Sie sollen wahrhaftig, aufrichtig, freiwillig, rechtzeitig sein, alle Stakehol-
der adressieren und in einem geeigneten Kontext durchgeführt werden. Es sollten
entsprechend alle notwendigen Informationen enthalten sein, und nicht weitere
relevante Informationen verschwiegen, beschönigt oder „reframt“ werden. Die Ent-
schuldigung muss deutlich kommuniziert werden, auf allen von den aufweisen: Sie
zeigt ausdrücklich das Unrecht an, legt die Informationen zur Verfehlung umfassend
offen, übernimmt vollständige Verantwortung, bedauert, identifiziert sich mit den
Stakeholdern, bittet um Vergebung, sucht Versöhnung und bietet eine Erklärung, die
die berechtigten Erwartungen erfüllt, ergänzt durch eine entsprechende Korrektur-
maßnahme und angemessene Entschädigung. Sprachliche Grauzonen sind nicht nur –
aber vor allem – bei der Entschuldigung völlig zu unterlassen.
Die in Krisen zu all diesen sprachlichen Aktivitäten auf verschiedenen Eskalati-
onsstufen benötigten Informationen können in drei Kategorien bzw. Funktionen
eingeteilt werden: „1) instruction information, 2) adjusting information, and 3)
internalizing information, also referred to as reputation-management information“
(Rachfał 2013, S. 41). Die Informationen gilt es in Sprache zu kleiden, wobei es in
dieser nach Jakobson (1960) sechs konstitutive Faktoren und jeweilige Funktionen
gibt, die sie bestimmen (siehe auch Pelz 1996, S. 29–30; Kocsány 2010, S. 30–31)
(Abb. 1):

• Sender: Er hat eine expressive, emotive Funktion. Der Sender teilt sich durch
Sprache mit, drückt sich aus, bewusst oder unbewusst. Im Falle der Krisenkom-
munikation in Social Media ist diese Funktion mit enormer Kraft ausgestattet
Sprachliche Merkmale der Krisenkommunikation mit Schwerpunkt Social Media 211

worden: Im Alltag verflüchtigt sich das Gesagte leicht – im Web vermischen sich,
wie Social-Web-Pionier und Blogger Sascha Lobo es in Vorträgen und Interviews
immer wieder definiert, die Spontanität und saloppe Ausdrucksweise mit der
Schriftsprache und der Speicherung aller Aussagen. Transparenz, Flapsigkeit
und Haltbarkeit können in ihrer Verbindung enorme Kraft entfalten, Stichwort:
„Shitstorm“.
• Kontext: Dieser hat eine referenzielle Funktion. Sprache bezieht sich auf Gegen-
stände und Sachverhalte, hat ein Thema, einen Kontext. In der Krise löst sich die
Sprache meist vom diesbezüglich Faktischen ab, bewegt sich hin zum Emotionalen.
• Mitteilung: Diese besitzt eine poetische Funktion. Es ist die Funktion der Spra-
che, die in ihrer formalen Erscheinung zu einer Art besonderer Information wird.
Sie nutzt Konnotationen und schafft dadurch Mehrdeutigkeit. Diese ist insbeson-
dere im Krisenfall problematisch, angestrebt muss von den betroffenen Akteur-
Innen Eindeutigkeit werden, um die Spielräume für Fehlinterpretationen mög-
lichst einzudämmen.
• Kontakt: Dieser hat eine phatische Funktion, die Funktion des Kontakthaltens,
oder auch das Herstellen, Verlängern oder Unterbrechen eines sprachlichen
Kontaktes. Eine zentrale Rolle spielt hier der Kanal, das Kontaktmedium, dessen
Funktionalität geprüft wird. Wie Studienergebnisse zeigen, spielt der Kanal, das
Medium, eine entscheidende Rolle – ist teils wichtiger als die Botschaft selbst
(siehe Experiment fiktive Daimler-Benz-Krise – Schultz et al. 2011, S. 14–15).
• Kode: Dieser hat eine metasprachliche Funktion, die Funktion der Sprache über
Sprache zu reden – Sprache als Metasprache für alle anderen Informations- und
Vermittlungssysteme, aber zugleich auch als Metasprache für sich selbst. Dieser
Faktor betont unter anderem insgesamt die Bedeutung der Sprache als Träger von
Information und Kommunikation, insbesondere im zugespitzten Krisenfall.
• Empfänger: Diesem kommt eine konative, appellative Funktion zu. Der Sender
versucht, den Empfänger zu beeinflussen, die Sprache dient einem Appell, zum
Beispiel einer Bitte oder einem Wunsch. Gezielte Appelle wie die Bitte um
Entschuldigung sind im Krisenfall entscheidend für den positiven Fortgang der
Krisenkommunikation und -bewältigung (siehe dazu die sprachliche Gestaltung
von Entschuldigungen, Bedauern und Dementi – Steinke 2014, S. 207–222;
Frandsen und Johansen 2007, S. 93–96).

Rachfał (2013, S. 46–47) hat am Beispiel des „News of the World“-Abhörskan-


dals aus dem Jahr 2005 Krisenstatements linguistisch analysiert und dabei im Detail
drei zentrale Erkenntnisse gewonnen:

• Die Wahl der Zeit hat Auswirkungen: Die herkömmlichen Erzählzeiten sind
Vergangenheit, Präsens, Zukunft. Wenn nur im Präsens gesprochen wird, wird
jeglicher Bezug zu vergangenen Ereignissen vermieden oder gekappt. Dadurch
kann in der Krisenkommunikation Distanz zu in der Vergangenheit liegenden,
problematischen Ereignissen hergestellt, sprachlich also eine Abgrenzung erzielt
212 M. Roither

Kontext
Mitteilung
Sender Empfänger
Kontakt
Kode

Abb. 1 Das Kommunikationsmodell nach Jakobson (1960; eigene Darstellung)

werden. Es sollten selbst in der Vergangenheit liegende Ereignisse, sollte dies


notwendig sein, im Präsens geschildert werden, mit korrekter Zeitangabe vorab –
wie dies im Journalismus auch immer wieder gemacht wird. Vorsicht ist geboten,
wenn es um die Art der Schilderung geht: Die unangenehmen Ereignisse sollten
dennoch als abgeschlossen und hinter dem Unternehmen liegend gelten.
• Die Verwendung und Vermeidung bestimmter Termini ist wichtig: Beispielsweise
sollten die bereits in den Medien zur Beschreibung des Skandals oder der Krise
verwendeten Begriffe vermieden und durch neutrale ersetzt werden, um sich von
den Ereignissen zu distanzieren und keine neuen Konnotationen bei den Rezipi-
entInnen auszulösen. Möglich ist auch, stattdessen Begriffe wie „these matters“
oder „these issues“ zu verwenden, wie dies beim untersuchten Skandal der Fall
war. Die Krise wird zudem inhaltlich zu umschrieben, aber nicht genauer defi-
niert, um keine Angriffsflächen zu bilden. Vermieden werden generell Termini
wie „Krise“ oder „Skandal“.
• Die Satzstellung ist in der Krise besonders entscheidend für die Gewichtung der
Ereignisse: Levelt (1981, S. 307–309) geht von einer bei den Menschen interna-
lisierten „ordo naturalis“ aus, die besagt, dass jene Dinge, die zuerst in einer
Satzstruktur erwähnt werden, auch zeitlich zuerst vorgefallen sind. Die Wortfolge
in einem Satz kann sich daher auch auf die Wahrnehmung der Rezipienten
auswirken, wodurch eine Gewichtung von Inhalten möglich ist, was gerade bei
der Erklärung von Sachverhalten – Stichwort Schuld – relevant sein kann.
Beispiel: „The Company paid out-of-court settlements approved by me.“ Die
Reihenfolge kann suggerieren, dass die Schuld eigentlich beim Unternehmen
liegt, wobei die eigentlich logische zeitliche Reihenfolge eine andere ist und der
letzte Teil über die Schuld entscheidet.

Puttenat (2009, S. 52–56) plädiert hinsichtlich Sprache in der Krisenkommuni-


kation ergänzend für drei konkrete Dinge:
Sprachliche Merkmale der Krisenkommunikation mit Schwerpunkt Social Media 213

• Eine bedachte Wortwahl, denn gerade in Krisen werden häufig „Unwörter des
Jahres“ geboren, die sich über die sozialen Medien extrem schnell verbreiten und
dann zu Schmähbegriffen werden.
• Vorsicht bei der Wortwahl, diese kann rechtliche Konsequenzen haben: Dies gilt
es stets zu beachten und im Zweifelsfall weniger zu kommunizieren, vorbereitete
Statements zu veröffentlichen und Kernbotschaften wiederholen.
• Einsatz von Sprachbildern: Diese sind auch in der Krisenkommunikation zu
verwenden, denn sie verleihen den Worten eine weitere Dimension und emotio-
nalisieren positiv.

Weitere, vertiefte sprachliche Hinweise kommen von Garth (2008, S. 97–98), er


verweist auf die Magellan-Studie der Humboldt-Universität Berlin von Tobias
Schröder und empfiehlt dabei die klare Unterscheidung bzw. den strategischen
Einsatz von Denotation und Konnotation von verwendeten Begriffen und Wörtern.
Denotation steht für die neutrale oder Grundbedeutung, also für den inhaltlichen
Kern eines Wortes. Sie ist jene Bedeutung, die von den Menschen (zumindest
innerhalb eines Kulturkreises) am häufigsten geteilt, also am gebräuchlichsten ist,
und überlagert jede subjektive, emotionale und assoziative Nebenbedeutung. Konno-
tation wird hier verstanden als ergänzende gedankliche Struktur, die die Grundbedeu-
tung, also die Denotation, eines Wortes begleitet und die stilistischen, emotionalen,
affektiven Bedeutungskomponenten enthält – also das, was bewusst oder unbewusst
mit dem Begriff mitschwingt und im Regelfall stark subjektiv geprägt ist. Die
Konnotation ist jedoch mehr als eine bloße Assoziation, die nicht zur eigentlichen
Bedeutung gehört, jedoch als deren Begründung anzusehen sein soll: Das Wort Köter
besitzt im Vergleich zu Hund eine negative Konnotation. Der Gedanke an Flöhe ist
hingegen beim Wort Hund nur eine Assoziation – oder soll eine solche sein (Kessel
und Reimann 2017, S. 162–163; Schwarz und Chur 2014, S. 56).
Sinnvoll, wenn nicht unternehmensabhängig situativ entscheidend für die kom-
munikative Krisenbewältigung ist eine Evaluierung häufig genutzter Ausdrücke
hinsichtlich ihrer Konnotationen und eventuell kulturspezifischen Bedeutung für
ihre Verwendung im Krisenzusammenhang. Garth (2008, S. 98–101) verwendet
das Beispiel Entscheidung vs. Entschluss, zwei Begriffe mit gewisser semantischer
Verwandtschaft, die aber nicht das Gleiche bedeuten: „Der Pharma-Manager traf die
Entscheidung, dass das Medikament vom Markt genommen werden muss.“ Und:
„Der Pharma-Manager kam zu dem Entschluss, dass das Medikament vom Markt
genommen werden muss.“ Die beiden zentralen Begriffe unterscheiden sich bereits
in ihrer Denotation: Entscheidung verweist hier auf Entschiedenheit, überzeugt sein,
konsequent, endgültig und aktiv. Entschluss hingegen bedeutet Entschlusskraft,
überzeugt werden, eine Möglichkeit, vorsichtig passiv. In der Konnotation steigert
sich dies noch: Während Entscheidung mit dem Entscheidungsträger verbunden
wird, kompromisslos, fachlich kompetent, mächtig, wird Entschluss mit dem Ab-
wägen verbunden, offen für Argumente und Zweifel, Selbstzweifeln wird ein Ende
gesetzt. Ob Entscheidung oder Entschluss verwendet wird, macht entsprechend
bereits in der Denotation einen großen Unterschied, gesteigert jedoch noch in
der Konnotation – und gerade diese kann im Krisenfall, einer gereizten, meist
214 M. Roither

Abb. 2 Das Semiotische


Dreieck. (In Anlehnung an Semantik
Garth 2008, S. 104) (Inhalt/Bedeutung)

Syntaktik Pragmatik
(Form/Zuordnung) (Appell/Wirkung)

emotionalisierten Situation, in der alle Aussagen und Dinge gerne überbewertet


werden und konnative Mehrdeutigkeiten folglich besonders problematisch sind,
das kommunikative Fass zum Überlaufen bringen.
Von zentraler Bedeutung ist also eine präzise Sprache, „da präzise Formulierun-
gen den Interpretationsspielraum der Medien und der Öffentlichkeit verkleinern.“ In
der Praxis sollte nach Möglichkeit eine Liste von Wörtern und Unwörtern ausfor-
muliert werden, um für eine Krise vorbereitet zu sein. Wichtig ist, hier Fachbegriffe
möglichst zu reduzieren und etwaige Konflikte im Vorfeld zu lösen, um die aufge-
ladene Beziehungseben zu entladen; weiters kein Bagatellisieren sondern Mitarbei-
terInnen hinsichtlich ihrer Wortwahl sensibilisieren und englische Begriffe
vermeiden, da die deutsche Sprache meist präziser ist (Garth 2008, S. 99–103).
Darüber hinaus empfiehlt Garth (2008, S. 104–105) das Semiotische Dreieck zur
Analyse von Texten heranzuziehen (siehe Abb. 2), dieses erklärt vereinfacht ausge-
drückt den Zusammenhang bzw. die Wechselwirkung zwischen Dingen, ihrer Be-
deutung und ihrer Wirkung, oder in anderen Worten von Form, Inhalt und Appell.
Klarerweise ist das Dreieck in der Kommunikation enorm „fehleranfällig“: Dingen
wird nicht immer die gleiche Bedeutung gegeben, von verschiedenen Menschen in
unterschiedlichen Systemen, Kulturen, Organisationen. Die Wirkung dieser Bedeu-
tung differiert ebenfalls und wird zudem von Menschen unterschiedlich einge-
schätzt. Wittgenstein hielt in Tractatus 3324 fest, dass so „leicht die fundamentalsten
Verwechslungen“ entstünden. Das Bewusstsein über den Zusammenhang im Semio-
tischen Dreieck ist also eine entscheidende Grundlage, um begriffliche Fehlerquellen
zu minimieren. Hier kann auch eine theoretische Brücke zum in der Kommunikati-
onswissenschaft gebräuchlicheren Konstruktivismus geschlagen werden: Wirklich-
keit wird konstruiert, und das von verschiedenen Individuen auf niemals idente Art.
Jede Realität ist ein Beobachterkonstrukt – entsprechend gilt es in der Krisenkom-
munikation, hinsichtlich ihrer Interpretation einfache, unmissverständliche und
mehrheitsfähige Konstrukte zu transportieren (Schmidt 2003).
Sprachliche Merkmale der Krisenkommunikation mit Schwerpunkt Social Media 215

Krisensituation

Meteor- (z. B. Erdbeben),


Predator- (z. B. Firmenskandal) Krisenreaktion (z. B. Panik,
oder Breakdown-Krise Angst, Unsicherheit)
(z. B. Rückholaktion)

Abb. 3 Adaption des Semiotischen Dreiecks auf die Krisenkommunikation. (Eigendarstellung)

Wird das Semiotische Dreieck auf die Krisenkommunikation angewandt, so


entsteht folgendes Bild (siehe Abb. 3): Das beschriebene „Ding“ ist hier ein Unfall,
ein Anschlag, ein unternehmensbezogenes Versagen – eine „Meteor crisis“ („Com-
pletely unexpected, usually characterized by randomness and senselessness and is
viewed as a terrible thing. The organization affected is a victim“), eine „Predator
crisis“ („In a predator crisis, the company is hardly a victim – it must have dirty
laundry in order for a predator to air it“) oder eine „Breakdown crisis“ („Occurs
when the company fails to perform“) (Holtz 2008). Dieser Krisenanlass bedeutet
eine Krisensituation – wobei besonders im Social Web die Parameter dafür beson-
ders abhängig vom Beobachter sind: Sind wenige Negativpostings auf der eigenen
Facebook-Seite ein Krisenszenario, oder muss auf mehreren Plattformen enormer
Gegenwind aufkommen? Die Antwort muss vom Unternehmen, abhängig von
Branche, Historie etc. selbst vorab im Krisenkommunikationsplan festgelegt und
im Anlassfall als Gradmesser eingesetzt werden. Diese Krisensituation kann gewisse
Wirkungen entfalten, Appelle auslösen – sie mündet jedenfalls in einer Krisenreak-
tion (zum Beispiel Angst, Panik, Unsicherheit, Betroffenheit), die wiederum Aus-
wirkungen auf die Krise selbst hat: Sie kann diese beispielsweise weiter eskalieren
(Ettl-Huber und Roither 2014).

5 Fazit

Die Untersuchung von Sprache in der Krisenkommunikation mit Schwerpunkt


Social Media ist auf Basis eines fragmentarischen, derzeit noch zu wenig interdis-
ziplinären Forschungsstandes, ein Annäherungsprozess – von der Krise bis letztlich
zur Social-Media-Krisensprache. Dennoch lassen sich einige zentrale Erkenntnisse
aus bisherigen Studien und Analysen gewinnen:
216 M. Roither

Krisen sind terminologische Kreationen oder soziale Konstruktionen, die auch


terminologisch gelöst werden müssen. Sie potenzieren allerdings ihre Eigenschaften
in Social Media – diese sind nicht nur kommunikative Krisenorte, sondern vielfach
auch Krisenursachen. Die Dynamik des Webs und der Krise verbinden sich insgesamt
zu einer enorm beschleunigten, oftmals emotionalen und von Fakten losgelösten,
explosiven, Mischung, der besonders vorsichtig und proaktiv zu begegnen ist – mit
Kommunikation. Anstatt eine Komponente zu sein, stellt die Krisenkommunikation
die Quintessenz des Krisenmanagements dar, die Grundlage dafür muss allerdings
bereits in Nichtkrisenzeiten durch permanente, vertrauensbildende Kommunikation
mit allen relevanten Stakeholdern gelegt werden.
Das „Wie“ ist dabei in der Krise oftmals deutlich relevanter als das „Was“:
Mitgefühl, Sorge und Empathie müssen sich in der Kommunikation spiegeln.
Wichtig ist, dass symbolisch-relationalen Aspekten Rechnung getragen wird – sowohl
mit sprachlichen Mitteln als auch symbolischen Akten. Meinungsführerschaft durch
häufige, sachlich-ruhige, informationsorientierte, kurze Kommunikation auf Augen-
höhe (z. B. via Twitter), basierend auf einer sensiblen Wording-Checkliste, frei von
Arroganz, Überheblichkeit und Marketing-Sprech sowie durch transparente Social-
Media-Sprecher ist entscheidend. Monitoringsysteme sollten zu jeder Zeit sprachliche
Reaktionen messen, um besser reagieren und potenzielle Krisenherde schnell erken-
nen zu können. Das Medium ist dabei wichtiger als die Botschaft – die Wahl des
Kanals und der medialen Form also ergänzend von zentraler Bedeutung. Sprachliche
Krisenkommunikationsstrategien sind in drei Bereiche zu teilen: Deny (Leugnen),
Diminish (Abschwächen) und Deal (Aushandeln). Diese sollten in der Kommunika-
tion aufrichtig, freiwillig bzw. proaktiv, direkt, transparent, faktisch belegt, zeitnah
bzw. rechtzeitig, konkret, sensibel, klar und einfach hinsichtlich aller relevanten
Stakeholder eingesetzt werden. Sinnvoll ist ergänzend die Reflexion aller konstitutiven
Faktoren sowie deren jeweilige Funktionen von Sprache im Krisenkommunikations-
kontext: vom Sender (expressive, emotive Funktion) und dem Kontext (referenzielle
Funktion) über die Mitteilung (poetische Funktion) und den Kontakt (phatische
Funktion) bis hin zum Kode (metasprachliche Funktion) und dem Empfänger
(konative, appellative Funktion).
Weitere Erkenntnisse aus der krisenkommunikationsbezogenen Sprachforschung
sind: Die Wahl der Zeitform Präsens ist empfehlenswert, da jeglicher Bezug zu
vergangenen Ereignissen vermieden oder gekappt wird. Eine bedachte Wortwahl ist
wichtig, „Krisentermini“ wie „Krise“ oder „Skandal“ sollten vermieden, stattdessen
stets neutrale Begriffe verwendet werden. Selbst die Satzstellung kann in der
Krisenkommunikation entscheidend sein: Jene Dinge, die zuerst in einer Satzstruk-
tur erwähnt werden, auch zeitlich zuerst vorgefallen oder wichtiger sind. Statements
sollten exakt vorbereitet, Kernbotschaften wiederholt werden. Sprachbilder sollten
dabei nach Möglichkeit zur positiven Emotionalisierung eingesetzt werden. Beach-
tenswert ist auch die Denotation und Konnotation von Worten: Besonders letztere
bringt Mehrdeutigkeit in die Sprache, was in der Krisenkommunikation gefährlich
sein kann. Daher ist eine Evaluierung häufig genutzter Ausdrücke hinsichtlich ihrer
Konnotationen und eventuell kulturspezifischen Bedeutung für ihre Verwendung im
Sprachliche Merkmale der Krisenkommunikation mit Schwerpunkt Social Media 217

Krisenzusammenhang unabdingbar. Eingesetzt werden sollte letztlich eine präzise


Sprache mit wenigen Fach- und englischen Begriffen.
Ein wichtiger Schritt in Richtung sprachlicher Bewusstseinsbildung in der Kri-
senkommunikation kann das Heranziehen des Semiotischen Dreiecks sein, es erklärt
den Zusammenhang bzw. die Wechselwirkung zwischen Dingen, ihrer Bedeutung
und ihrer Wirkung. Es zeigt weiters das Zustandekommen und die Fragilität von
Wirklichkeitskonstrukten und kann auch auf Krisensituationen angewandt werden.
Vorsichtige, reduzierte, wohlüberlegte, gut strukturierte und vorbereitete Sprache –
diese Parameter können nach Analyse einschlägiger Studien, Forschungen und
Modelle als erste Empfehlungen hinsichtlich der Sprache in der Krisenkommunika-
tion via Social Media subsumiert genannt werden. Nun gilt es, empirisch umfassen-
der zu erheben, welche sprachlichen Elemente, vom Satzbau bis zur Wortwahl, im
Detail welche Wirkung entfalten.

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Text und Bild in der
Unternehmenskommunikation
Linguistische Perspektiven auf multimodale
Zeichensysteme

Annika Schach

Zusammenfassung
Der Beitrag beschäftigt sich mit Text und Bild in der Unternehmenskommunika-
tion. Ein allgemein akzeptiertes Modell zur Analyse von Sprach- und Bild-
Kontexten existiert bisher nicht. Die linguistische Perspektive auf multimodale
Kommunikation bietet Beschreibungskategorien, die zur Analyse beider Zei-
chensysteme nutzbar sind. Der Beitrag schlägt ein übergreifendes Modell für
die Beschäftigung mit intentionalen Text-Bild-Flächen vor, das die spezifische
Logik von Sprache und Bild aber auch das Kommunikat in seiner Gesamtheit
betrachtet. Das analytische Vorgehen wird exemplarisch an einer Social-Media-
Textsorte vorgestellt.

Schlüsselwörter
Visuelle Unternehmenskommunikation • Pictoral turn • PR-Bild • Multimedial •
Linguistik

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
2 Text und Bild in den Public Relations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
2.1 Der „Iconic Turn“ in der PR-Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
2.2 Der Schlüssel zum Erfolg: Multimodale Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
3 Multimodale Text-Bild-Flächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
3.1 Die Wahrnehmung eines Zeichenzusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
3.2 Kategorisierung von Bildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
4 Linguistische Perspektiven auf Text und Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
4.1 Forschungsansätze für multimodale Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
4.2 Textlinguistische Kategorien für Text-Bild-Flächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

A. Schach (*)
University of Applied Sciences and Arts, Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
E-Mail: annika.schach@hs-hannover.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 219


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_13
220 A. Schach

5 Analyse und Kategorisierung von Text-Bild-Flächen in der


Unternehmenskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
5.1 Text-Bild-Flächen in der Unternehmenskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
5.2 Analysemodell für intentionale Text-Bild-Flächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
5.3 Analyse eines Instagram-Postings der Deutschen Bahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

1 Einleitung

Kommunikation als intentionales Verhalten wird in der Absicht vollzogen, dem


anderen auf offene Weise etwas zu erkennen zu geben. Das schließt sowohl sprach-
liche als auch bildliche Zeichen ein. Keller verdeutlicht dies mit dem Vergleich einer
Aufforderung „Gehen Sie bitte die Treppe hinunter“ und einem Tritt. Beide Hand-
lungen können im Zweifel die gleiche Wirkung erzielen. Aber nur bei der Auffor-
derung kommt die angestrebte Beeinflussung dadurch zustande, dass der Adressat
erkennt, wozu man ihn bringen möchte: „Kommunizieren heißt somit, den anderen
etwas wahrnehmen lassen, woraus er zusammen mit seinem übrigen Wissen, seinem
Situations- und Weltwissen, erkennen kann, wozu man ihn bringen möchte.“ (Keller
1995, S. 105) Die Vermittlung von Botschaften und Inhalten in textueller und
visueller Gestaltung ist nicht zu trennen. Visuelle Elemente bieten den Rezipienten
attraktive Einstiegspunkte in ein Thema und motivieren zur Beschäftigung mit den
Inhalten. Zahlreiche empirische Studien zur Medienrezeption belegen, dass Leser
visuellen Elementen wie Listen, Infokästen und -grafiken mehr Aufmerksamkeit
schenken als einem reinen Text (Weber 2014, S. 193). Multimodale Kommunika-
tion, also Verständigung über parallele Kanäle mit mehreren Sinnen, ist keine
Ausnahme, sondern vielmehr der Standardfall in der Mediengesellschaft.
Die Arbeit mit visuellen Elementen in der Unternehmenskommunikation ist nicht
neu. Ein ansprechendes Bild, eine typografisch auffällige Gestaltung oder ein jour-
nalistisch nutzbares Pressefoto sind Standard-Instrumentarien der Public Relations.
Bilder zählen neben der Sprache zu den wichtigsten zeichenvermittelten Instrumen-
ten der Repräsentation, Interpretation und Aneignung von Inhalten. In der öffent-
lichen Wahrnehmung ist es unstrittig, dass das aktuelle Zeitalter für visuelle und
audiovisuelle Kommunikation steht. Die Relevanz von Bildern ist nicht nur von
einem quantitativen Anstieg, sondern auch von einer Bedeutungsverschiebung im
gesamten Zeichensystem der Botschaften geprägt. Wurde in der Vergangenheit
beispielsweise in der Medienarbeit immer vom Text her gedacht und das Pressefoto
als zusätzliche Illustration verwendet, so wird heute oftmals vom Bild als zentralem
Kommunikat ausgegangen. Diese Veränderung ist besonders stark ausgeprägt auf
Social-Media-Plattformen mit einem Schwerpunkt auf visuellen oder audiovisuellen
Botschaften. Hier ist das Bild zentral, der Text ist das ergänzende Zeichensystem.
Kurz gesagt: Ohne spannendes Foto, kein Posting. Die metaphorische Frage „Wer
war zuerst da, das Bild oder der Text“ führt jedoch zu wenig Erkenntnisgewinn, denn
die Unternehmensbotschaften funktionieren nur optimal in einem multimodalen
Gesamtkontext aus Bild und Text. Denn der grundlegende Wandel in der Kommuni-
kation besteht nicht darin, dass mehr Bilder zum Einsatz kommen, sondern dass neue
Text und Bild in der Unternehmenskommunikation 221

und neuartige Mischformen der verschiedensten Kommunikationsmodi und -kanäle


entstanden sind, die man als multimodale Kommunikationsform bezeichnen kann.
Bislang konnte sich im deutschsprachigen Raum keine allgemeine Bildwissen-
schaft entsprechend einer Sprachwissenschaft entwickeln, welche eine integrative
Wirkung auf die verschiedenen bildrelevanten Disziplinen ausüben könnte. (Berzler
2009, S. 118) Eine holistische Betrachtung von Sprache-Bild-Verknüpfungen muss
Konzepte der visuellen Kommunikationsforschung mit linguistischen Analysekrite-
rien in Bezug setzen, um die unterschiedliche Logik der beiden Zeichensysteme zu
erfassen. Gerade die Unternehmenskommunikation bietet dabei ein spannendes
Forschungsfeld für die Analyse von multimodalen Kommunikaten, da hier kom-
plexe Beziehungskonstellationen vorliegen.

2 Text und Bild in den Public Relations

Die steigende Relevanz von Bildkommunikation wird vermutlich jeder Mediennut-


zer unterschreiben. In der Wissenschaft wird diese Entwicklung als „iconic tun“ oder
„pictorial turn“ beschrieben. (Klemm und Stöckl 2011, S. 7)

2.1 Der „Iconic Turn“ in der PR-Praxis

Die immer stärkere Relevanz einer Beschäftigung mit Bildern in der Unternehmens-
kommunikation hat mehrere Gründe, die zunächst in der Digitalisierung der Kom-
munikation und der Differenzierung der Kanäle liegen. Die sozialen Netzwerke, die
für die direkte Kommunikation mit Zielgruppen eine enorme Bedeutung erlangt
haben, funktionieren hauptsächlich visuell. In den letzten Jahren haben diejenigen
Netzwerke einen besonderen Zulauf, in denen die Bereitstellung von statischen und
bewegten Bildern im Mittelpunkt steht. Ein Beispiel ist der Erfolg der Plattformen
Instagram und Snapchat, besonders bei jungen Rezipienten. Der zentrale Dreh- und
Angelpunkt ist hierbei die visuelle Darstellung in Form von Fotos oder Videos,
welche die eigentliche Botschaft ausdrückt. Der Text begleitet die Darstellung. Viele
der sozialen Netzwerke mit visuellen Schwerpunkt werden zudem hauptsächlich mit
mobilen Endgeräten genutzt, was die Rezeption von längeren Texten erschwert und
die visuelle Ausrichtung nochmals unterstützt. Die Bevorzugung von visuellen
Inhalten durch junge Rezipientengruppen wird in der Praxis durch den provokanten
Satz „Words are so Generation Y“ auf den Punkt gebracht, der aus einem Artikel der
New York Times Redakteurin Katherine Rosman aus dem Jahr 2014 stammt. Darin
wird Bezug genommen auf die Ansprüche der sogenannten „Generation Z“ der nach
1995 Geborenen, die mit visueller Kommunikation im Internet groß geworden ist.
Sie sind es gewohnt, zur Beschreibung ihrer Gefühle, Erinnerungen und Gedanken
kaum Worte, sondern stattdessen Fotos nutzen. (Sammer und Heppel 2015, S. 20)
Auch die Geschwindigkeit spielt eine große Rolle: Nach Kroeber-Riehl sind Bilder
schnelle Schüsse ins Gehirn, da ein Bild mittlerer Komplexität nur eine bis zwei
Sekunden für eine Aufnahme benötigt. (Kroeber-Riel 1993, S. 53)
222 A. Schach

Die zunehmende Bilderdominanz hat nicht nur in der Werbung, sondern auch in
der PR in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. (vgl. Herbst 2015,
S. 101) Auch in der klassischen Medienarbeit steigt die Bedeutung von Bildern
stetig an. Die Deutsche Presseagentur veröffentlicht beispielsweise täglich etwa
3000 Bilder und bis zu 100 Videos. Bis zu 77 Prozent der Journalisten lässt sich
durch relevante Pressebilder eher zu einer Veröffentlichung überzeugen, was eine
Untersuchung von 10.000 Pressemitteilungen durch den Pressedienst PRNewswire
ergab. (Sammer und Heppel 2015, S. 31) Das Bild wird oftmals wichtiger als das
Wort für eine erfolgreiche Medienarbeit. Die Corporate Webseiten vieler Unterneh-
men weisen heute eine magazinartige, stark visuelle anstatt eine textlastige Aufma-
chung auf. (Schach 2015, S. 156) Die Teilhabe am Fluss der visuellen Kommuni-
kation ist ein wichtiger Erfolgsfaktor in der Zukunft. Visuelle Elemente sollten
parallel und gleichwertig zum Text die Informationsträger und Ausdruck visueller
Narration sein. (Sammer und Heppel 2015, S. 28)

2.2 Der Schlüssel zum Erfolg: Multimodale Kompetenz

Wenn Multimodalität als Normalfall gelingender menschlicher Kommunikation ange-


sehen werden muss, erfordert die Produktion solcher multimodalen Kommunikate
eine Orchestrierung der vielfältigen kommunikativen Modalitäten in ihrem medialen
Kontext als Schlüsselkompetenz. Das betrifft sowohl den Produzenten von Botschaf-
ten (Kommunikationsverantwortliche in Unternehmen und Agenturen), den Rezipi-
enten, der die Botschaft im intendierten Sinne dekodieren muss, als auch den Wis-
senschaftler, der aus der Analyse Belege z. B. für einen Kommunikationswandel
identifizieren möchte. Doch was meint der Begriff der multimodalen Kompetenz?
Stöckl summiert darin „die Fähigkeit, Sorten bzw. Typen von Bildern kategorisierend
zu erkennen, ihnen eine im Verwendungskontext relevante Bedeutung zuzuweisen,
den Sprachtext im Abgleich mit der visuellen Botschaft zu verstehen, semantisierte
Sprache und kontextualisiertes Bild zu integrieren sowie die Bildlichkeit der Sprache
und Textfläche bzw. des Schriftkörpers in den Prozess des Gesamtverstehens einzu-
beziehen.“ (Stöckl 2011, S. 45). Jäger (2002, S. 35) spricht in diesem Zusammenhang
von transkriptiver Intelligenz, die durch das ständige Überführen von Bedeutungen
von einem Zeichensystem in das andere entsteht. Sinn ließe sich in der Umwelt und
den sozialen Praktiken nur dann geben, wenn in einer Zeichenmodalität kodierte
Inhalte in einer anderen kommentiert, expliziert und paraphrasiert werden – laut Jäger
das Grundprinzip kultureller Semantik. (Stöckl 2011, S. 47)

3 Multimodale Text-Bild-Flächen

Bild und Schrift gehen aus ähnlichen Ursprüngen hervor, denn historisch gesehen
haben Menschen gelernt, Sinn durch wiedererkennbare Formen zu kommunizieren.
Beide Zeichensysteme entstammen der symbolischen Kommunikation. Schon
wegen der gemeinsamen gestalteten Grundlage, der Sichtbarkeit in der Fläche,
Text und Bild in der Unternehmenskommunikation 223

können sie nebeneinanderstehen und auch ineinander übergehen. Bilder und Text
unterscheiden sich jedoch in wesentlichen Merkmalen, nämlich in Art, Mittel und
Zweck der Repräsentation. Wenn Texte eher für das Mitteilen und die Anregung zum
Denken zum Einsatz kommen, stehen Bilder für das Zeigen und Schauen. Bilder
wirken ikonisch: Sie bilden etwas ab oder stellen etwas vor. (Schmitz 2011, S. 31)

3.1 Die Wahrnehmung eines Zeichenzusammenhangs

Die Wahrnehmung von Schrift und Bild unterscheidet sich grundsätzlich: Bilder
werden vom Ganzen zu den Teilen erblickt. Demgegenüber werden geschriebene
Texte sukzessiv von Teilen ausgehend zu einem Ganzen hin erlesen. Das Auge tastet
sich in linear von Zeichen zu Zeichen, um aus dem Einzelnen nach und nach einen
ganzen Sinn zu erschließen. Diese grundsätzliche Aneignungsweise von Text be-
zieht sich aber prototypisch auf den Schrifttext im Printformat. Untersuchungen
zur digitalen Rezeption am Computerbildschirm oder mobilen Endgerät zeigen eine
weitaus weniger lineare Aneignung. Bilder wurden bereits als visuelle Konfigura-
tionen (Doelker 2002, S. 187), statisch-zweidimensionale Seherlebnisse (Schuck-
Wersig 1993, S. 32) bzw. als Aufzeichnungen realer oder fiktiver Gegenstände
(Kroeber-Riel 1993, S. 35) definiert. Sie beruhen auf einer Ähnlichkeitsbeziehung
zwischen Figur und Bedeutung, wie Pörksen konstatiert:

„Visuelle Zeichen bedeuten aufgrund von Entsprechung, die Form selbst vermittelt hier die
Vorstellung“ (Pörksen 1997, S. 153)

In der visuellen Kommunikationsforschung wird von drei verschiedenen Kon-


textdimensionen ausgegangen: der Form oder Gestalt des Bildes, dem Produktions-
oder Herstellungskontext und dem Rezeptions- bzw. Wirkungskontext. Wo Bilder
einer Interpretation bedürfen, hat ein Text weniger Streuverluste und weniger se-
mantisches Rauschen. Wie kann aber ein zugehöriger Text auf die Bildwahrneh-
mung wirken? Nach Kroeber-Riehl kann der sprachliche Kontext eines Bildes:

• Das Involvement und die Einstellung, mit der an ein Bild herangegangen wird,
verändern;
• die Aufmerksamkeit auf ein Bild, einen Bildausschnitt oder ein einzelnes Detail
lenken;
• die gedankliche Verarbeitung und Speicherung des Bildes beeinflussen. (Kroeber-
Riehl 1993, S. 178)

Werden die Gedanken der Empfänger durch sprachliche Hinweise bereits vor der
Wahrnehmung des Bildes in eine den Bildinhalt betreffende Richtung gelenkt, so
wird die Aufnahme und Verarbeitung des Bildes erleichtert (Priming-Effekt). Davon
zu unterscheiden sind Wirkungen, die durch den unmittelbaren Zusammenhang von
Bild und Sprache eintreten, zum Beispiel durch die sprachlichen Bezeichnungen des
Bildmotivs. Das Involvement bei der Bildbetrachtung kann dadurch verstärkt werden,
224 A. Schach

dass man durch sprachliche Zusätze besondere Interessen der Zielgruppe anspricht.
Die wichtigste Aufgabe der Sprache besteht laut Kroeber-Riehl darin, die vorhan-
dene Mehrdeutigkeit der Bilder für den Empfänger einzuschränken, also die Inter-
pretation des Bildes zu präzisieren. (Kroeber-Riel 1993, S. 182)
Bei einem zum Bild passenden Text spricht man auch von einem „Rahmen“
(Frame), der den Bildinhalt zur Geltung bringt. Zugleich kann der Text die Verbin-
dung zur Botschaft verdeutlichen oder sogar herstellen. Pressebilder beispielsweise
bieten dem Leser einen visuellen Frame an, vor dessen Hintergrund er die textuellen
Informationen rezipieren und der seine Interpretation, Einordnung und Bewertung
modellieren kann. (Müller und Geise 2015, S. 263) Wie läuft der Wahrnehmungs-
prozess von Text-Bild-Kombinationen ab? Laut Stöckl (2011, S. 53) vollzieht sich
dieser Ablauf in vier Schritten: Noch bevor sich der Betrachter mit Bildbedeutungen
befasst, stellt er Vermutungen darüber an, welchem Zweck ein Bild dient oder
welche Funktionen es erfüllen soll (Kontext- und Situationserkennung). Bei der
Wahrnehmung visueller Formen und deren Integration zu bedeutungsvollen Zeichen
registriert der Betrachter die Komplexität des Bildes und seine ästhetischen Qualitä-
ten (Gestalterkennung und -integration). Der Bildinhalt selbst resultiert aus zwei
Beobachtungen: Was wird wie dargestellt und in welchem Kontext oder welcher
Situation werden die Objekte gezeigt? Dabei kategorisiert der Betrachter das Bild
nach seiner medial-technischen Beschaffenheit (z. B. Foto) und der Abbildungs-
praktik (Sachverhaltserkennung). Im vierten Schritt folgt die Sprache-Bild-Verknüp-
fung:

„Für den Rezipienten bedeutet Sprache-Bild-Verknüpfung eine Vielzahl von kognitiven


Operationen: Abgleich visueller Zeichen mit in Textwortnetzen (Isotopien) organisierte
Lexeme und Aussagen, Suche nach möglichen Nominationen und Prädikationen, Nachver-
folgen deiktischer und pronominaler Verweise von Text auf Bild, das Erkennen metaphori-
scher Bezüge zwischen Zeichenmodalitäten und das Verständnis syntaktischer, informa-
tionsbezogener und rhetorisch-argumentativer Verbindungsmuster.“ (Stöckl 2011, S. 54)

Multimodales Textverstehen ist demnach ein äußerst komplexer Prozess, der vor
dem Hintergrund der ständigen Verfügbarkeit von Text-Bild-Verknüpfungen im di-
gitalen Alltag eine enorme rezeptive Leistung darstellt.

3.2 Kategorisierung von Bildern

Die Semiotik unterscheidet traditionell drei Zeichenklassen: den Index (Anzeiger),


Ikon (stilisiertes Abbild) und das Symbol (Kennzeichen), das in vielen sprachwis-
senschaftlichen Arbeiten auch als konventionalisiertes Zeichen bezeichnet wird.
Nach Keller ergeben sich daraus folgende Zeichenklassen (1995, S. 115–132):

1. Symptome: Sie unterscheiden sich von ikonischen und konventionalisierten


Zeichen dadurch, dass sie nicht intentional sind, d. h. dass es keinen Sender gibt,
Text und Bild in der Unternehmenskommunikation 225

der mit ihnen bewusst jemandem etwas mitteilen will. Die Relation eines Symp-
toms zu dem von ihm Bezeichneten ist die Natürlichkeit. Für die Unternehmens-
kommunikation spielen Symptome keine Rolle.
2. Ikonische Zeichen: Sie sind „echte“ Zeichen, weil sie von einem Zeichenbenutzer
als Kommunikationsmittel benutzt werden und sich an einen Adressaten richten.
Das Verhältnis zwischen Ikon und Gemeintem beruht auf Ähnlichkeit. Zu ikoni-
schen Zeichen zählen demnach viele Piktogramme und Verkehrszeichen. Ikone
sind oft (aber nicht immer) sprach- und kulturunabhängig verständlich.
3. Konventionalisierte Zeichen: Sie sind bewusst und intentional verwendete Kom-
munikationsmittel, die sich zu dem Gemeinten arbiträr und abstrakt verhalten.
Die Beziehung zwischen dieser Art von Zeichen und Bezeichnetem ist konven-
tionell von einer Gemeinschaft von Zeichenbenutzern festgelegt. Nur bei kon-
ventionalisierten Zeichen spricht man von Bedeutung. Keller spricht bei dieser
Zeichenklasse von Symbol. Die Relation eines Symbols zu dem von ihm
Bezeichneten ist die Arbitrarität. Die Beziehung zwischen dem Signifikant und
dem Signifikat beruht auf menschlicher Konvention und Vereinbarung statt auf
einer naturgegebenen Gesetzmäßigkeit. Symbolen fehlt die logische Verknüp-
fung zwischen Zeichen und Bedeutung. Das korrekte Interpretieren muss der
Rezipient zuvor gelernt haben. Exemplarisch ist das rote Kreuz ein Symbol,
welches wir mit der Bedeutung „Hilfe“ verbinden.

In der tatsächlichen Kommunikation kommen sehr häufig Übergangsformen vor.


Gerade die Grenzziehung zwischen ikonischen und konventionalisierten Zeichen
fällt oft schwer. Wie kann man nun die Beziehung zwischen Text und Bild katego-
risieren? Allgemein kann dieser Zusammenhang nach Nöth anhand folgender Typen
beschrieben werden, die einem relations-grammatischen Ansatz der Typologien
multimodaler Relationen folgt (Nöth 2000, S. 492 ff.):

1. Redundanz: Sie liegt vor, wenn Bilder textergänzend verwendet werden. Die
zweifache Kodierung kann die Information intensivieren oder aber als dekorative
Funktion vom Inhalt des Textes wegführen.
2. Dominanz: Man unterscheidet zwischen Bild- und Textdominanz.
3. Komplementarität: Sie liegt vor, wenn kein Teil ohne den anderen in sich
vergleichbar ist, wenn beide sich in ihrem medienspezifischen Potential ergänzen.

Es gibt verschiedene Bildfunktionen, die sich unterscheiden lassen: Doelker


bezeichnet sie entweder als Spurbilder, die ein bestimmtes Ereignis in einem
Stadium abbilden, Schaubilder, mit denen abstrakte Inhalte durch Bilder veranschau-
licht werden können, Phantasiebilder, die eine fiktionale Welt abbilden und
Zierbilder. (Doelker 2002, S. 70 ff.) Diese Form kann in der Begrifflichkeit
der Unternehmenskommunikation mit sogenannten „Mood-Bildern“ verglichen
werden.
Nach der funktionalgrammatischen Grundidee funktionieren Bilder semiotisch
auf drei Ebenen (Kress und van Leeuwen 1996, S. 40 f.)
226 A. Schach

1. Darstellungsebene (ideational): Bilder repräsentieren Weltausschnitte, indem sie


Objekte und Handlungen darstellen.
2. Interaktionsebene (inter-personal): Bilder gestalten soziale Interaktionsbeziehun-
gen zwischen Bildverwender, Bild und Betrachter.
3. Vertextungsebene (textual): Bilder komponieren aus einzelnen visuellen Elemen-
ten eine formal kohäsive und inhaltlich kohärente Textstruktur.

Während bei einem Bild ein kontinuierlicher Zeichenfluss konstitutiv ist, besteht
Sprache aus diskreten, distinktiven Einzelzeichen. Bilder sind räumlich konfiguriert,
Sprache hingegen durch lineare Einheiten, also syntagmatisch. Bilder zeigen in der
Regel merkmalsreiche Objekte und senden vorwiegend emotionale Appelle. Mit
Sprache hingegen sind alle Illokutionen und Sprachakte möglich. Handlungen und
Ereignisse werden in der Zeit vermittelt. Bilder bieten dem Rezipienten ein Bedeu-
tungspotential, das durch einen entsprechenden Kontext aktiviert und erschlossen
werden muss. Solche Kontexte können Begleittexte sein, aber auch Genre-Wissen
sowie Erfahrung mit dem dargestellten Weltausschnitt. (Stöckl 2011, S. 49)
Schmitz verwendet für Text-Bild-Kombinationen den Begriff der Sehflächen, die
definiert sind als Flächen, auf denen Texte und Bilder in geplantem Layout gemein-
same Bedeutungseinheiten bilden. Der Begriff entstammt ursprünglich der Litera-
turwissenschaft und bezieht sich auf den Aspekt, dass schon rein schriftlicher Text
auf den ersten Blick in seiner visuellen Präsentation samt Seitenlayout und Schrift-
bild als Gestalt erfasst wird. Er wird meist nicht linear, sondern holistisch wahrge-
nommen, wie man es von Bildern gewohnt ist. (Schmitz 2011, S. 28) In diesem
Beitrag wird von Text-Bild-Fläche gesprochen. Der Begriff der Sehfläche erscheint,
wenn auch historisch angelehnt, problematisch, da er die Rezeptionssituation
(das Sehen) präzisiert, die Zeichensysteme jedoch nicht konkretisiert.
Stöckl schlägt drei Beschreibungsaspekte vor, um Sprache-Bild-Bezüge als Kom-
munikationsangebot zu typologisieren (Stöckl 2011, S. 56 f.):

1. Räumlich-syntaktische Muster

Zwei Typen sind grundsätzlich zu unterscheiden: Entweder folgt Sprache auf das
Bild oder umgekehrt (linearisiertes Muster) oder sie sind räumlich-grafisch ineinan-
der integriert (simultanes Muster). Folgt die Sprache dem Bild kann sich das
Bedeutungspotenzial des Bildes zunächst mit all seinen Anmutungsdimensionen
und seinem konnotativen Reichtum recht frei entfalten. Umgekehrt gilt: Der Rezi-
pient wird das Bild ganz gezielt lesen, um es zu bestimmten Elementen des Texts in
Beziehung zu setzen. In einem alternierenden Muster schließlich wechselt sich
Sprache und Bild ab, der eine Kode kann den anderen ersetzen, ihn punktuell
erläutern und semantisch erweitern.

2. Informationsbezogene Muster

Van Leeuwen unterscheidet zwischen zwei Mustern der Informationsverknüp-


fung (2005, S. 222 f.), Elaboration und Extension. Während bei einer Elaboration
Text und Bild in der Unternehmenskommunikation 227

der eine Kode den anderen erklärt, spezifiziert oder illustriert, ohne grundlegend
neue Wissensbestände oder Bedeutungskomplexe hinzuzufügen, erweitert bei einer
Extension ein Kode den anderen um dort nicht enthaltene, fremde und zusätzliche
Informationen und Inhalte. Elaborierte Sprache-Bild-Verknüpfungen lassen sich
zumindest tendenziell danach unterteilen, welche Zeichenmodalität dominant ist
und durch die jeweils andere illustriert bzw. erläutert wird. Bei Extensionen lassen
sich weitere Klassifikationen vornehmen, z. B. Gleichheit oder Ähnlichkeit, Gegen-
sätzlichkeit oder Komplementarität.

3. Rhetorisch-semantische Muster

In einem koordinierten Verknüpfungsmuster stehen die beiden Kodes relativ


locker nebeneinander und treten in einfache semantische Beziehungen. Beim hier-
archischen Verknüpfungsmuster treten Sprache und Bild in ein komplexes semanti-
sches Abhängigkeitsverhältnis, dem eine hierarchische Logik zugrunde liegt
(z. B. Ursache – Wirkung). Ein drittes spielerisches Verknüpfungsmuster spielt mit
der gegenseitigen Bedingtheit von Sprache und Bild sowie mit dem Potenzial,
zufällige, überraschende und humorvolle Bezüge zwischen den Kodes herstellen.

4 Linguistische Perspektiven auf Text und Bild

In der Fachsprache der angewandten Kommunikation ist die Rede von der Sprache
des Bildes oder der Bildsprache auf der einen und vom „Schriftbild“ auf der anderen
Seite. Eine linguistische Herangehensweise erscheint somit rein begrifflich betrach-
tet, naheliegend. Die Grundfragen, die im Zentrum der Aufmerksamkeit für eine
Beschäftigung mit Sprache-Bild-Kombinationen in der PR liegen, könnten sein:

1. Welche semiotischen und kommunikativen Eigenschaften haben das Bild und der
Text als Elemente komplexer Kommunikate?
2. Wie unterscheiden sich Sprache und Bild grundsätzlich und nach welchen Mus-
tern geschieht ihre Verknüpfung?
3. Welche Typen von Bildern werden eingesetzt und was unterscheidet diese von-
einander?

4.1 Forschungsansätze für multimodale Zeichen

Wissenschaftlich betrachtet sind Bilder problematische Objekte. Sie sind nicht klar
einer Disziplin zuzuordnen. Mit Bildern beschäftigt sich historisch gesehen die
Kunstgeschichte oder Kunstwissenschaft, aber auch die Philosophie, Semiotik,
Psychologie und Kommunikationswissenschaft müssen genannt werden; um nur
einige ausgewählte Perspektiven. In der semiotischen Tradition spricht man von
Bildgrammatik, Bildsemantik oder Bildpragmatik als Teildisziplinen einer Bildwis-
senschaft, die Strukturen, Inhalte und Funktionen von Bildern systematisch analysierbar
228 A. Schach

machen möchte. (Klemm und Stöckl 2011, S. 8) Der Begriff Bildlinguistik wurde
von Diekmannshenke et al. (2011, S. 9) geprägt und in einem Herausgeberband
systematisch aufgearbeitet. Die Bildlinguistik als Teildisziplin der Sprachwissen-
schaft befasst sich demnach mit dem Zusammenwirken von Text und Bild in
konkreten Kommunikationszusammenhängen. Statt pauschalisierende Aussagen
über Bilder zu erhalten, liegt das Erkenntnisinteresse bei konkreten Bildtypen und
deren kommunikativer Verwendung in fest umrissenen Situationen und Gebrauchs-
domänen. In der Regel sind Bilder nicht isoliert im Einsatz, sondern mit anderen
Zeichenmodalitäten in Gesamttexten verknüpft. Jedoch funktionieren Bilder in
vielerlei Hinsicht anders als Sprache, „weil beide Zeichensysteme strukturell,
semantisch und pragmatisch verschieden sind, werden sie in Texten und kommuni-
kativen Ereignissen kombiniert und ergänzen sich in ihrer Darstellungs- und Aus-
druckskraft.“ (Klemm und Stöckl 2011, S. 9) Linguistische Konzepte, Modelle und
Methoden sollen für die Beforschung des vorwiegend in massenmediale Texte
integrierten Bildes nutzbar gemacht werden. Das Ziel ist eine Multimodalitätslingu-
istik, die aber bisher noch keine etablierten präzisen Beschreibungskategorien
besitzt. (Klemm und Stöckl 2011, S. 15)
Die Text- und Diskurslinguistik liefert ein breites Kategorienspektrum in Bezug
auf die Merkmale von Texten (Kohärenz, Kohäsion, Textmuster etc.), auf die
Analyseebenen (Funktionalität, Situationalität, Thematizität und Formulierungsadä-
quatheit) sowie Ansätze zur Betrachtung der Bezüge, wie die Intertextualität. Auch
die Semantik, Pragmatik und Rhetorik liefern Begrifflichkeiten und Konzepte, die
sich auf die Forschung von sprachlicher Kommunikation anwenden lassen. Als
Aufgabe der Bildwissenschaften bezeichnen Klemm und Stöckl es, dieses Wissen
und die konstitutiven Regeln explizit zu machen, das Musterhafte hinter diesen
Zeichenverwendungen zu erkennen und für verschiedene Zielgruppen in Wissen-
schaft und Praxis fruchtbar zu machen. (Klemm und Stöckl 2011, S. 10) Eine
Theorie der multimodalen Kommunikation müsste so allgemein formuliert sein,
dass sie für alle Modi gleichermaßen gültig ist. Zudem müssen partikuläre Perspek-
tiven der kleinsten bedeutungstragenden Einheiten des Kommunikationsbeitrags
enthalten sein. Es gilt auch zu klären, ob es eine „semantische Multiplikation“ gibt,
dass der Gesamtsinn eines Kommunikats mehr ist als die Summe der Bedeutung
einzelner Elemente. (Bucher 2011, S. 127)

4.2 Textlinguistische Kategorien für Text-Bild-Flächen

Im Folgenden werden zunächst die wesentlichen textlinguistischen Kriterien vor


dem Hintergrund der Nutzbarkeit für eine Text-Bild-Betrachtung erläutert. Über ein
Mehrdimensionenmodell für die Analyse von Texten besteht in der Textlinguistik
weitgehende Einigkeit. Ausführlich dargestellt wurden diese Dimensionen u. a. bei
Heinemann und Heinemann (2002). Sie sprechen von Funktionalität, Situativität,
Thematizität und Formulierungsadäquatheit.
Das zentrale Beschreibungskriterium in der Textlinguistik ist die Funktionalität
von Texten. Die Textfunktion ist das verständnisleitende Zentrum des Textes. Für
Text und Bild in der Unternehmenskommunikation 229

manche Textfunktionen sind Bildverwendungen konstitutiv wie beispielsweise für


Karikaturen oder Beiträge in sozialen Netzwerken. Bei anderen Textfunktionen
können Bilder fakultativ hinzugefügt werden, entweder zur Verdeutlichung des
Beschriebenen oder zur Illustration, als eine Art Beweis oder als Dekor. Den Kern
dieser kommunikationsorientierten Perspektive fasst Brinker zusammen: „Unter
pragmatischer (sprechakttheoretischer) Perspektive erscheint der Text nicht mehr
als grammatisch verknüpfte Satzfolge, sondern als (komplexe) sprachliche Hand-
lung, mit der der Sprecher oder Schreiber eine bestimmte kommunikative Beziehung
zum Hörer oder Leser herzustellen versucht.“ (Brinker et al. 2014, S. 15)
Texte stellen demnach Abfolgen bzw. hierarchische Konfigurationen von Sprach-
handlungen dar. Brinker unterscheidet zwischen fünf verschiedenen Textfunktionen,
der Informations-, Appell-, Obligations-, Kontakt- und der Deklarationsfunktion.
(Brinker et al. 2014, S. 143) Bilder sind in Bezug auf Sprechakte eher ambivalent
und tun sich schwer, konkrete und eindeutige Sprachhandlungen umzusetzen. Die
meisten Bilder kommen jedoch repräsentativen Sprechakten gleich und zeigen die
intendierte Sicht der Welt des Textproduzenten. Ein Begriff aus der visuellen
Kommunikationsforschung, der Bildakt geht auf Bredekamp zurück und postuliert,
dass Bilder nicht als materielle Objekte, sondern als „images agentes“ mit passiven
und aktiven Potenzialen betrachtet werden sollten. Unter dem Begriff Bildakt wird
„eine Wirkung auf das Empfinden, Denken und Handeln verstanden, die aus der
Kraft des Bildes und der Wechselwirkung mit dem betrachtenden, berührenden und
auch hörenden Gegenüber entsteht.“ (Bredekamp 2010, S. 38) Wenn Text-Bild-
Zusammenhänge als holistischer Zeichenkomplex betrachtet werden, sollte daher
eine gemeinsame Text-Bild-Funktion zu identifizieren sein, die sich als dominantes
Muster zeigt.
Eine weitere relevante Ebene der Textbeschreibung und -analyse ist die Situa-
tionalität. Texte sind immer an einen Kontext gebunden, sie werden darin hergestellt
und in diesen rezipiert. Wie sieht das mit Text-Bild-Verbindungen aus? Es gibt
Grade der Situationseinbindung von Sprache-Bild-Texten: von dem Print-Magazin,
das beliebig verwendbar ist, zur Not auch heimlich im Arbeitskontext, bis zum
illustrierten Kochbuch mit mehreren typischen Verwendungssituationen. Die allge-
meine interaktionale Gesamtkonstellation des multimodalen Kommunikats kann
somit – wie auch die Funktionalität – übergreifend betrachtet werden und bedarf
keiner Differenzierung. Es sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass
jedes Zeichensystems gewissermaßen einen Kontext für das jeweilige andere dar-
stellt.
Auf der inhaltlichen Ebene von Texten spricht man von der Dimension der
Thematizität oder Themenstruktur. Texte bestehen aus Teilthemen, die miteinander
verbunden und entfaltet werden müssen. Das Thema selbst ist definiert als der
Grund- oder Leitgedanke eines Textes. Brinker geht von vier Arten der Themenent-
faltung aus: der deskriptiven, explikativen, argumentativen und narrativen. (Brinker
et al. 2014, S. 60–79) Ein wichtiger Aspekt bei der Analyse von Text-Bild-Verbin-
dungen ist das wesentliche Merkmal der Kohärenz, das für Texte konstitutiv ist.
Inhaltliche Kohärenz ist Voraussetzung für die Interpretation des Textthemas. Es
geht hierbei um die inhaltlichen Zusammenhänge, die Rezipienten aufgrund des
230 A. Schach

Textangebots rekonstruieren können. Kohärenzbildung kann in Sprache-Bild-Texten


z. B. durch Isotopieketten nahegelegt werden, deren Elemente sowohl sprachlich als
auch bildlich gegeben sind. (Sandig 2000, S. 12) Kohärenz wird bei Bildern durch
Farbe, visuelle Formen und Anordnung der Details erreicht. (Schmitz 2011, S. 36)
Auf der anderen Seite können Bilder als Teilelemente des Gesamttextes in die
Analyse der Themenentfaltung einbezogen werden. Auf der anderen Seite muss der
vollkommen anderen Logik des Bildes Rechnung getragen werden. In einem Bild
kann sich ein Thema nicht analog zu einem Text linear entfalten. Man hat es eher mit
überlappenden Bedeutungsebenen zu tun, die mit einer Textanalyse nur schwerlich
erfasst werden können. An dieser Stelle kann auf die visuelle Kontextanalyse
zurückgegriffen werden, die auf der Dreischrittmethode der ikonologischen Inter-
pretation nach Panofsky basiert und drei Beschreibungsschritte umfasst.
Die vierte Beschreibungsdimension der textlinguistischen Analyse widmet sich
der Formulierungsadäquatheit eines Textes, indem Lexik, Syntax, Tempus und
spezifische sprachliche Mittel untersucht werden. Diese linguistische Ebene lässt
sich nicht eins zu eins auf das Bild bzw. auf die komplette Text-Bild-Fläche
übertragen, da das Bild ganz anderen Regeln folgt. Übergreifend könnte man von
der Dimension „Semiotische Strukturierung und Form“ sprechen, welche die inter-
modale Kohärenz und auch die spezifischen visuellen Mittel einbezieht.

5 Analyse und Kategorisierung von Text-Bild-Flächen in der


Unternehmenskommunikation

Wie sieht es mit Textsorten bzw. Text-Bild-Sorten in der Unternehmenskommuni-


kation aus? Insgesamt hat in den vergangenen Jahren eine starke Differenzierung der
PR-Textsorten stattgefunden, was mit dem erweiterten Handlungsbereich der Unter-
nehmenskommunikation zusammenhängt. Diese Ausdifferenzierung lässt sich heute
anhand der Funktion der Texte kategorisieren, die neben den klassischen Funk-
tionalitäten wie Information und Appell, ebenso Dialog- und Obligationsfunktionen
übernehmen.

5.1 Text-Bild-Flächen in der Unternehmenskommunikation

Die Variationsbreite von Text-Bild-Flächen in der Unternehmenskommunikation ist


groß und bisher nicht kategorisiert. Eine exemplarische Auswahl in Tab. 1 zeigt drei
Text-Bild-Beispiele, die jeweils unterschiedliche Kontexte, Rezipienten und formale
Merkmale besitzen.

5.2 Analysemodell für intentionale Text-Bild-Flächen

Ein Analysemodell für die Beschreibung der Dimensionen von Text-Bild-Flächen muss
zum einen den Text-Bild-Zusammenhang als holistisches Kommunikationsangebot
Text und Bild in der Unternehmenskommunikation 231

Tab. 1 Text-Bild-Flächen in der PR. Quelle: Eigene Darstellung


Primäre
Text-Bild- Text-Bildsorten Zielgruppe/ Formale
Fläche verknüpfung Situativer Kontext Rezipienten Merkmale
Presseaussand Pressemitteilung/ Medienarbeit/ Journalisten Statisch,
Bildunterschrift/ Medienaussand farbig,
Pressefoto formreal,
non-fiktional
Advertorial Text/ Printmedium Leser des Statisch,
Produktshot/ Medientitels farbig,
Keyvisual/ non-fiktional,
Mood-Bild formreal und
-abstrakt, teils
stilistisch
überhöht
Social-Media- Schnappschuss/ Soziales Netzwerk/ Nutzer des Statisch oder
Posting Kommentar/ mobile sozialen bewegt,
(Instagram) Hashtags Internetkommunikation Netzwerks/ farbig,
„Fans bzw. non-fiktional,
Follower“ des formreal oder
Unternehmens formabstrakt

in den Blick nehmen und zum anderen die Andersartigkeit von Text und Bild
berücksichtigen. Aus der linguistischen Textanalyse kommend werden hier die vier
Beschreibungsdimensionen von Texten Funktionalität, Kontext, Themenentfaltung/
Inhalt und Form herangezogen und für die Nutzbarkeit bei Text-Bild-Flächen
differenziert. Dabei lassen sich einige Ebenen stärker ganzheitlich betrachten, wie
beispielsweise der Kommunikationskontext, in dem Text und Bild ja gemeinsam
verortet werden, andere Ebenen müssen stärker differenziert werden. Die Tab. 2
zeigt das Mehrdimensionenmodell für die Analyse von multimodalen Kommunika-
ten in der intentionalen Kommunikation.
Die Funktionalität ist das bedeutendste Merkmal von Text-Bild-Flächen und
nimmt in dem Modell eine übergeordnete Position ein. Hier lassen sich die fünf
Textfunktionen auf Text-Bild-Flächen übertragen. Die Textfunktionen können je-
weils explizit, aber auch implizit realisiert sein, was aus der Gesamtanalyse heraus
zu beurteilen ist. Die Unterscheidung zwischen Sprechakt und Bildakt wurde hier
vermerkt, um die Möglichkeit der getrennten Betrachtung von Text und Bild zu
berücksichtigen und gegebenenfalls eine Dominanzbeziehung hinsichtlich der Funk-
tionalität zu ermitteln.
Die zweite Ebene des Modells, der Kontext, umfasst die klassischen Merkmale
der Situationalität, die einen entscheidenden Einfluss auf das Kommunikat ausüben.
Neben der Kommunikationssituation zwischen Textproduzent und Textrezipient
spielt der kommunikative Kanal und die kommunikative Nähe oder Distanz eine
große Rolle bei der Einordnung der Text-Bild-Fläche. Eine Bestimmung der multi-
modalen Relation ist an dieser Stelle wichtig, um den semantischen Zusammenhang
zwischen Text und Bild zu ermitteln. Das Ergebnis der Analyse ist eine Beschreibung
232 A. Schach

Tab. 2 Dimensionen für die Analyse von intentionalen Text-Bild-Flächen. Quelle: eigene
Darstellung

TEXT BILD
FUNKTIONALITÄT
Dominante Text-Bild-Funktion (Sprech-/Bildakt)
Information Appell Dialog Obligation Deklaration
KONTEXT
Textsorte vs. Zeichenklasse
Textproduzent / Textrezipient
Kommunikativer Kanal
Kommunikative Nähe vs. Distanz
Rezeptionskontext (künstlerisch, kommerziell etc.)
Multimodale Relation
Redundanz Dominanz Komplementarität
THEMENENTFALTUNG / INHALT
Thema
Teilthemen Text Teilthemen Bild
Art der Themenentfaltung
Deskription Narration Argumentation Explikation
Ikonografie -Ebenen
Ikonologische
Vor-ikonografische A. A. Ikonologische I.
FORM
Kohärenz Text und Bild
Räumlich-syntaktisches Muster
Informationsbezogenes Muster
Rhetorisch-semantisches Muster
Sprachliche Merkmale Text- Design Platzierung
Lexeme Typografie Salience
Syntax, Tempus Layout Framing
spez. Formulierungen Farbe

der interaktionalen Gesamtkonstellation, die auf dem Kommunikationsumfeld und


dem Text-Bild-Verhältnis beruht.
Die dritte Beschreibungsdimension fokussiert das Thema der Text-Bild-Fläche.
Wie zuvor beschrieben, können auch Bilder in einem multimodalen Kommunikati-
onszusammenhang die Rolle eines Teilthemas besetzen. Hier ist somit zu differen-
zieren, was zum einen das Gesamtthema der Text-Bild-Fläche ist und zum anderen,
Text und Bild in der Unternehmenskommunikation 233

welchen Beitrag Text und Bild leisten. Die Entfaltung des Themas kann bei einem
Text in verschiedenen Vertextungsstrategien geschehen, wie beispielsweise narrativ,
deskriptiv etc. Diese Ausprägungen lassen sich nur schwer auf ein statisches Bild in
der Text-Bild-Fläche übertragen.
An dieser Stelle lassen sich jedoch die drei Analyseschritte der ikonografischen
Analyse nutzen, um die Semantik des Bildes in unterschiedlichen Bedeutungsebe-
nen zu erfassen. Die vor-ikonische Beschreibung konzentriert sich zunächst auf die
Erfassung des „primären oder natürlichen Sujets“, also der neutralen Beschreibung
des Bildmotivs durch möglichst wenig Interpretation. Der folgende ikonografische
Analyseschritt erfasst Themen oder Konzepte, mit denen bestimmte Motive verbun-
den sind. Hier können auch textliche Elemente in die Analyse einbezogen werden.
Die ikonologische Interpretation hat das Ziel, die intrinsische Bedeutung des Bild-
motivs zu entschlüsseln. (Müller 2011, S. 33 ff.) Ziel ist es, die Besonderheiten des
Bildes mit allen Bedeutungsebenen im Detail zu erfassen. (Grittmann und Lobinger
2011, S. 167)
Die vierte Ebene umfasst den Analyseschritt, der sich auf die Form, Gestaltung
bzw. die Formulierungsspezifika des Textes bezieht. Zunächst kann anhand einer
Betrachtung der Kohärenzbeziehungen zwischen Text und Bild ein formaler Zusam-
menhang überprüft werden. Übergreifend eignen sich die Identifizierung des räum-
lich-syntaktischen, informationsbezogenen und rhetorisch-semantischen Musters
nach Stöckl (2011) für eine übergreifende Einordnung der Text-Bild-Fläche (vgl.
Abschn. 3.2). In Folgenden kann aufgrund der Andersartigkeit von Text und Bild
detailliert auf die Gestaltungs- und sprachlichen Merkmale einer jeden Zeichenform
eingegangen werden. Auch die visuelle Gestaltungskomposition des Textes findet
hier Berücksichtigung, sollte die Text-Bild-Fläche eine spezifische Typografie,
Farbgestaltung oder Layout besitzen. Die Erkenntnisse aus der Analyse des Kon-
textes, der Thematizität und der Form fließen in die abschließende Einordnung der
Text-Bild-Fläche hinsichtlich ihrer Funktionalität ein. Eine besondere Betrachtung
der Merkmale mehrerer Text-Bild-Flächen kann auch zu einer Einschätzung führen,
ob man von einem konventionell geltenden Muster einer Sprachgemeinschaft spre-
chen kann und eine Typisierung der Untersuchungsexemplare zu einer Text-Bild-
Sorte sinnvoll erscheint.

5.3 Analyse eines Instagram-Postings der Deutschen Bahn

Im Folgenden soll beispielhaft eine Text-Bild-Fläche aus dem Kommunikationsbe-


reich der Unternehmenskommunikation analysiert und kategorisiert werden. Inwie-
fern lässt sich das skizzierte linguistische Analyseinstrumentarium einsetzen, um
Text und Bild als Gesamtfläche zu beschreiben und zu differenzieren? Wie hängen
die Botschaften von Text und Bild in Bezug auf die Funktionalität, Themenent-
faltung und ihr Form zusammen bzw. referieren aufeinander?
Die Text-Bild-Fläche stammt aus dem Corporate Account der Deutschen Bahn
auf der Social Media-Plattform Instagram. Der kostenlose Online-Dienst hat seinen
Schwerpunkt in der Veröffentlichung von Fotos, die mit einem Filter bearbeitet
234 A. Schach

werden können. Instagram ist besonders bei jungen Nutzern beliebt und zählt über
300 Millionen aktive Nutzer. Dementsprechend nutzen viele Unternehmen diesen
Kanal, um Unternehmensbotschaften zu kommunizieren. Der visuelle Schwerpunkt
führt dazu, dass immer ein Bild gepostet werden muss; ein Kommentar zu dem Bild
und der Einsatz von sogenannten Hashtags (markierte Schlagwörter) sind zusätzlich
möglich und werden in der Regel verknüpft. Ein Unternehmensprofil unterscheidet
sich nicht von einem privaten Account. Kommerzielle Profile sind in der Regel
öffentlich zugänglich und können von Nutzern abonniert werden. Das hat die Folge,
dass die Nutzer alle neuen Veröffentlichungen automatisch angezeigt bekommen.
Der Corporate Account der Deutschen Bahn hat etwa 28.800 Abonnenten (Stand:
September 2016). Aspekte der Layoutgestaltung fallen bei diesem Kanal komplett
weg, da die Beiträge immer demselben Aufbau folgen: Bild, Kommentar, Hashtags.
Abb. 1 zeigt einen typischen Beitrag aus dem Unternehmensprofil der Deutschen
Bahn:
Quelle: Instagram Account „Deutsche Bahn“ (Foto: Bartlomiej Banaszak),
https://instagram.com/p/BEeFOQmpJzt/. Zugegriffen am 21.04.2016

Kontext
Die Kommunikationssituation ist geprägt von einer kommunikativen Distanz, wenn-
gleich der Nutzer sein Interesse an den Inhalten durch ein Abonnement signalisiert.
Die Rezeption findet zeitlich und räumlich getrennt statt, ist von Fremdheit und
Öffentlichkeit geprägt. Informationen zur Nutzerzielgruppe liegen dem Unternehmen
kaum vor. Für eine kommunikative Nähe spricht hingegen die Dialogizität, die durch
die Möglichkeit der Kommentierung und Zustimmung gegeben ist. Ob man bei einem
solchen Text von einer Textsorte sprechen kann, ist nicht hinreichend textlinguistisch
untersucht. Jedoch handelt es sich bei dem sogenannten Posting in Verbindung mit den
Hashtags um einen konventionalisierten Text, der von den Kommunikationsteilneh-
mern als Social-Media-Beitrag zu erkennen ist. Das Bild auf dieser Text-Bild-Fläche
kann von seiner Form keiner klassischen Werbebildkategorie zugeordnet werden und
würde in der Praxis am ehesten den Kriterien eines Schaubildes entsprechen, das
abstrakte Inhalte bildlich konkretisiert. Es ist nicht markenspezifisch gekennzeichnet,
wenngleich es sich bei der Abbildung eindeutig um ein Transportmittel der Deutschen
Bahn handelt. In Bezug auf die semantische Zeichenklasse kann man von einem
intentional verwendeten Kommunikationsmittel mit symbolischem Charakter ausge-
hen, da in Teilen implizierte Bedeutungen integriert sind, die auf der Interpretation des
Rezipienten beruhen. Dazu wird im Laufe der Bildanalyse noch detaillierter einge-
gangen. Die multimodale Relation von Text und Bild in diesem Beispiel ist weder von
einer Bild- noch von einer Textdominanz bestimmt. Beide Teile der Text-Bild-Fläche
ergänzen sich vielmehr in ihrem medienspezifischen Potential, was für das Kriterium
der Komplementarität spricht. Jedoch wäre der Text ohne Bild in seinen Inhalten und
Botschaften zu verstehen, das Bild allein kann diese Botschaften nicht übermitteln.
Somit kann man von einer redundanten Bildverwendung sprechen, was für den
Medienkanal überraschend erscheinen mag, da die Bildplattform von der Logik her
die visuellen Elemente in den Mittelpunkt des Beitrags stellt. Hauptbotschaftsträger in
diesem Beispiel ist der Text.
Text und Bild in der Unternehmenskommunikation 235

Abb. 1 Social-Media-
Posting im Instragram-Kanal
der Deutschen Bahn AG

Themenentfaltung/Inhalt
Wie lassen sich das Thema und die Teilthemen beschreiben, bzw. wie werden diese
durch Text und Bild entfaltet? Die dominanten Themen dieses Social-Media-Pos-
tings sind explizit das Erreichen der Klimaziele durch die Deutsche Bahn, implizit
das Umweltengagement des Konzerns. Das Thema wird im Text argumentativ
entfaltet und zeigt folgende Struktur:

(1) Wir wollen Umweltvorreiter werden. (Behauptung, strittige Aussage)


(2) Die ursprünglich für 2020 formulierten, wichtigen Umwelt-Kennzahlen haben
wir schon 2014 – und damit sechs Jahre vorfristig erreicht. (Argument 1)
236 A. Schach

(3) Wer Ziele erreicht, setzt sich neue. (Argument 2)


(4) Bis 2020 wollen wir die spezifischen CO2-Emmissionen im Vergleich zu 2006
um 30 Prozent senken und den Anteil der erneuerbaren Energien im Bahn-
strommix um 45 Prozent steigern. (Argument 3)
(5) Zusätzlich vermindern wir den Schienenverkehrslärm um 10 Dezibel (Argument 4)
(6) Mehr dazu unter deutschebahn.de/klimaschutzziele.

Die Argumentation startet mit einer Behauptung, dass das Unternehmen Umwelt-
vorreiter werden möchte. Diese selbstgegebene Rolle wird durch vier Argumente
gestützt, die nicht nur die bisherigen Leistungen beschreibt, sondern in Argument
2 auch den dynamischen Willen des Unternehmens belegt, dass an der Rolle
weitergearbeitet wird, obwohl die Ziele bereits vor Frist erreicht wurden. Dies stützt
die Eingangsbehauptung zusätzlich. Die Argumentation setzt somit auf eine Dar-
stellung der bereits erreichten und der selbst gesteckten Ziele, um die Umweltvor-
reiterrolle als Hauptthema des Posts zu unterstützen. Als Teilthemen sind hier die
jeweiligen Argumente anzuführen, die verkürzt auf Umweltkennzahlen, CO2-Em-
missionen und den Mix mit erneuerbaren Energien sowie auch den verminderten
Verkehrslärm lauten. Dementsprechend kann man von vier Teilthemen sprechen.
Der Text endet nicht mit einer klassischen Konklusion, wie es für die argumentative
Themenentfaltung typisch ist, sondern setzt mit dem Verweis auf weitere Informa-
tionen einen Schlusspunkt der Argumentationskette. Wie verhält es sich mit dem
Bild in dem Beitrag? Entsprechend der ikonologischen Analyse muss man das Bild
zunächst als fotografische Abbildung eines ICE-Zugs der Deutschen Bahn beschrei-
ben, der durch eine ländliche Landschaft (Rapsfeld im Vordergrund, Wiese und
Bäume im Hintergrund) fährt. Auf der Abbildung befinden sich insgesamt 11 Wind-
räder. Die Anmutung des Bildes ist frühlingshaft, was durch das blühende Rapsfeld
und einen wolkenlosen, blauen Himmel unterstrichen wird. Wenn man dem ikono-
grafischen Analyseschritt folgend die Themen oder Konzepte des Bildes in den
Blick nimmt, zeigt sich die Symbolik des Bildes, die auch in einem direkten Bezug
zum Text steht. Die Windräder auf dem Bild, die eindeutig intentional eingesetzt
wurden, unterstützen das Argument der Nutzung von erneuerbaren Energien. Der
ICE-Zug hat zwar keinen logischen Zusammenhang zu den Windanlagen auf dem
Bild, durch die Nähe der Abbildung wird jedoch eine semantische Verknüpfung
hergestellt. Die Umgebung des Zuges ist sehr natürlich, die Verkehrssituation zeigt,
wie harmonisch bzw. umweltverträglich sich das Transportmittel in der Kultur-
Landschaft bewegt. Dies wird symbolisiert durch das blühende Rapsfeld im Vorder-
grund. Der Bezug zum Argument der CO2-Emmissionssenkung und zur Lärmsenkung
wird hergestellt. Geht man noch einen Schritt weiter, könnte man als zusätzliche, eher
holistische Bedeutungsebene des Bildes die Botschaft „Die Bahn ist ein umwelt-
freundliches Transportmittel“ herauslesen, was durch den Gesamteindruck des Bil-
des implizit realisiert wurde. Diese übergeordnete Botschaft stützt somit die Haupt-
aussage des Textes, dass die Deutsche Bahn Umweltvorreiter wird. Die spezifische
semantische Logik und Wirkweise des Bildes kann somit die Glaubwürdigkeit der
Behauptung unterstützen, ggf. auch als zusätzlicher Aspekt eines Gesamtthemas in
der Text-Bild-Fläche eingebunden werden.
Text und Bild in der Unternehmenskommunikation 237

Form
Der Beitrag ist als eine kohärente Text-Bild-Verbindung zu typisieren. Es bestehen
eindeutige inhaltliche Zusammenhänge der zeichenspezifischen Elemente, die hier
jedoch nicht aufgrund der intentionalen, sondern durch die vorgegebene Anordnung
erzielt werden. Es besteht eine semantische Verknüpfung von Bild und Text durch
zeichenübergreifende Verweise. Die Formulierungen des Texts nehmen gezielt auf
das Bild Bezug, bzw. das Bild greift Inhalte des Textes auf.
Der sprachliche Stil des Textbeitrags ist für ein Social-Media-Posting untypisch
sachlich gehalten. Es wird zwar aus der „Wir-Perspektive“ geschrieben, der Rezipi-
ent jedoch nicht direkt adressiert. Eine Anregung zum Dialog findet nicht statt. Die
Sätze sind von einer adäquaten Länge, von der Wortwahl her jedoch wenig dem
onlinetypischen, eher umgangssprachlichen Stil angepasst. Der Text beginnt mit
einem starken Begriff, dem „Umweltvorreiter“, arbeitet jedoch im Verlaufe des
Textes mit Begriffen, die eher einem Berichtsstil entlehnt sind, wie beispielsweise
„vorfristig“, „spezifischen“, „formulierten Ziele“. Der Text ist sachlich-neutral for-
muliert, wertende Nominalkonstruktionen oder Adjektive werden kaum eingesetzt.
Social-Media-Texte sind medial schriftlich realisiert, oft jedoch von einer konzep-
tionellen Mündlichkeit geprägt. Das ist hier nicht der Fall. Die Darstellung der
Argumente erfolgt faktenbasiert und deskriptiv, eine emotionale sprachliche Bedeu-
tungszuschreibung ist nicht realisiert. An dieser Stelle setzt der Beitrag auf die
spezifische Wirkweise des Bildes, die dem Rezipienten implizit vermittelt, was die
sachlich formulierten Leistungen bzw. Ziele des Unternehmens bewirken, nämlich
eine intakte Natur, die auf dem Bild zum Ausdruck kommt.
Welche Muster lassen sich in Bezug auf die Relation von Text und Bild festhal-
ten? Der Beitrag zeigt ein linearisiertes Muster, in dem das Bild auf den Text folgt.
Die Anordnung vom Bild (das zuerst wahrgenommen wird) und Text (der unter dem
Bild zu finden ist) lässt in der Rezeptionssituation jedoch zunächst das Bild wirken.
Inwiefern ein alternierendes Muster in der Rezeption vorliegt, dass sich also Sprache
und Bild abwechseln, könnte durch Rezeptionsuntersuchungen wie eine Blickver-
laufsanalyse geklärt werden. Das informationsbezogene Muster basiert in diesem
Beispiel auf Elaboration. Der eine Kode spezifiziert den anderen ohne grundlegend
neue Wissensbestände oder Bedeutungskomplexe hinzuzufügen, der Zeichenkode
Text ist in diesem elaborierten Text-Bild-Gefüge als dominant zu bezeichnen. Wie
bereits beschrieben, liegt in diesem Beitrag ein komplexes rhetorisch-semantisches
Muster vor, dem man eine Ursache-Wirkung-Beziehung zuordnen kann. Während
der Text die Ursachen sachlich erläutert, fokussiert das Bild durch seine Anmutung
die Wirkungen der Bemühungen des Konzerns für eine bessere Umwelt. Eine
Analyse der Platzierung ist in diesem Beispiel überflüssig, da es keinen Raum für
intentionale Anordnungen im Medienkanal gibt.

Funktionalität
Wie ist abschließend die Funktion der Text-Bild-Fläche zu bewerten? Text und Bild
haben übergreifend Züge einer Informations- und Appellfuntion. Für die Informati-
onsfunktion sprechen das übergreifende Textthema, der sachlich-neutrale Vertex-
tungsstil und die Dichte an inhaltlichen Fakten im Text. Die argumentative Art der
238 A. Schach

Themenentfaltung deutet auf einen Appellcharakter des Textes, der durch die seman-
tische Verknüpfung des Bildes gestärkt wird. Das Unternehmen möchte dem Rezipi-
enten ein dezidiert benanntes Selbstbild als Umweltvorreiter kommunizieren, mit dem
Ziel die Einstellung zur Bahn als umweltfreundlichem Transportmittel zu festigen oder
zu verändern. Dieser appellative Charakter der Text-Bild-Fläche wird insbesondere
durch die symbolischen Bedeutungselemente des Bildes unterstützt. Dabei bilden Text
und Bild ein kohärentes Kommunikat mit wechselseitigen Verweisen. Die spezifische
Logik des Bildes als intuitives, eher freies Zeichensystem trägt zur appellativen
Funktion bei, indem die Ursache (Text) mit individueller Wirkung (Bild) eine Verbin-
dung eingeht. Die Sprache konkretisiert die Lesart des Bildes, während das Bild die
gedankliche Verarbeitung und Speicherung der Botschaft durch implizite Appelle
beeinflusst. Insgesamt ist somit die Appell-Funktion als dominant zu bewerten,
wenngleich sie im Text-Bild-Zusammenhang implizit realisiert ist.

6 Fazit

Eine Beschäftigung mit Text-Bild-Flächen ist unerlässlich um die heutige Allgegen-


wärtigkeit von multimodaler Kommunikation analytisch wissenschaftlich zu erfassen,
aber auch im Sinne einer multimodalen Kompetenz in der Praxis einsetzen zu können.
Dabei ist es elementar, auf die semantischen Eigenarten von Text und Bild einzugehen,
um die spezifischen Bedeutungsebenen zu erfassen. Gleichermaßen dürfen Text
und Bild nicht ausschließlich als getrennte Elemente analysiert werden, um einer
übergreifenden, holistischen Bewertung nicht den Blick zu versperren. In diesem
Beitrag wurde ein Analysemodell entwickelt, das auf linguistischen Beschreibungsdi-
mensionen aufbaut und eine Verbindung zu Analyseschritten der visuellen Kommu-
nikationsforschung herstellt. Die Nutzbarkeit wurde anhand eines Textbeispiels aus
der Unternehmenskommunikation vorgestellt. Um sich der spezifischen Wirkung von
Text-Bild-Flächen in den Public Relations zu nähern, wäre zunächst die Untersuchung
größere Untersuchungseinheiten nötig, die jeweils unterschiedliche Merkmale aufwei-
sen, wie in Tab. 1 prototypisch angelegt. Interessant wäre insbesondere auch die
Frage, inwiefern man von Text-Bild-Kombinationen von konventionalisierten Text-
Bild-Sorten sprechen kann, wie sich die semantischen Beziehungen zwischen Text
und Bild differenzieren und wie man auch mit weiteren visuellen Elementen,
z. B. auch mit Bewegtbild, umgehen sollte. Für die Praxis kann Forschung auf diesem
Gebiet eine hohe Relevanz erhalten: Wie kann man kohärente Text-Bild-Flächen
aufbauen, die eine Unternehmensbotschaft optimal kommunizieren? Durch Hinweise
auf die Beantwortung dieser Frage lassen sich die intendierten, strategisch angelegten
Wirkungen einer multimodalen Kommunikation im Unternehmen erhöhen.

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Die Rolle der Sprache in der Innovations-
und Change-Kommunikation

Helmut Ebert

Zusammenfassung
Der Beitrag plädiert dafür, die Rolle der Sprache in der Change- und Innovati-
onskommunikation linguistisch zu untersuchen und das Potenzial insbesondere
der Frame- und Diskurssemantik für die wirkungsvolle Gestaltung von Innova-
tions- und Change-Prozessen zu nutzen bzw. gezielt weiterzuentwickeln.

Schlüsselwörter
Change • Innovation • Kognition • Sprache • Ambiguierung • Desambiguierung •
Perspektivieren • Framing • Produktentwicklung • Leitbildentwicklung

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
2 Rolle der Linguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
2.1 Sprache, Semantik und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
2.2 Schwächen bisheriger Beschreibungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
2.3 Paradigmenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
3 Die kognitive Leistung der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
3.1 Perspektivierung von Informationsinhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
3.2 Ambiguierung und Desambiguierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
3.3 Framing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
3.4 Fallbeispiel Innovation: Honda Civic . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
3.5 Fallbeispiel Change: Stadtverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

H. Ebert (*)
Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Universität Bonn, Bonn,
Deutschland
E-Mail: helmut.ebert@uni-bonn.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 241


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_14
242 H. Ebert

1 Einleitung

In wissenschaftlichen und fachpraktischen Beiträgen der Unternehmenskommuni-


kations- und PR-Forschung wird der Sprache in jüngster Zeit deutlich mehr Auf-
merksamkeit gewidmet, was auch mit dem sog. „linguistic turn“ in den Wirtschafts-
wissenschaften zu tun hat (vgl. Herrmann-Pillath 2008). Es fällt jedoch auf, dass nur
wenige Beiträge zur Innovations- und Change-Kommunikation auf die Rolle der
Sprache für das Gelingen der jeweiligen Prozesse eingehen. Und Beiträge, die die
Sprache thematisieren, enthalten oft Ausführungen, die zeigen, dass die Funktion der
Sprache in zielgerichteten Interaktionen nicht verstanden worden ist. Dieses Nicht-
oder Teil-Verstehen gilt sowohl für die Sprache als Zeichensystem (Wortschatz und
Grammatik) als auch für den Gebrauch der Sprache.
Dabei ist die Lage unterschiedlich. Während es in Ansätzen zur Change-Kommu-
nikation erste interessante sprachorientierte Beiträge gibt (vgl. Wagner und Guse
2015), fehlt die Betrachtung von Sprache fast völlig in jenen Beiträgen, die sich mit
Innovationskommunikation im Sinne der Entstehung des Neuen befassen. Etwas
anders sieht es bei innovationskommunikativen Studien aus, die sich mit der Ver-
mittlung oder Diffusion des Neuen befassen. Wir sprechen hier im Unterschied zu
genetischer Innovationskommunikation von persuasiver Innovationskommunika-
tion. Bei letzterer liegt der Schwerpunkt der Beiträge nicht auf der Sprache als
Quelle des Neuen, sondern auf den Techniken der Vermittlung des Neuen sowie
der Akzeptanzwerbung. Es geht dabei dann um Storytelling, um das Besetzen von
Themen (Agenda Setting/Surfing) sowie um die Suche nach geeigneten Medien und
neuen Rollenverständnissen für die Kommunikationsexperten im Innovationsma-
nagement (vgl. Mast 2016; Zerfaß 2009). Und obwohl Framing, d. h. das Rahmen
des Wissens zur Förderung des Verstehens und der Akzeptanz, ein höchst
sprachlich-semantisches Thema ist, bleiben auch hier die Betrachtungen eher auf
Diskurse statt Gespräche und auf die journalistische Perspektive beschränkt, d. h. es
kommen die mit den sprachlichen Mitteln und Verfahren verbundenen kognitiven
Prozesse nicht in den Blick. Das Potenzial des Framings bzw. der Frame-Semantik
wird also in den Studien zur genetischen Innovationskommunikation bei weitem
nicht ausgeschöpft.

2 Rolle der Linguistik

2.1 Sprache, Semantik und Wirklichkeit

Warum spielt eigentlich in Studien zu Change- und Innovationskommunikation die


Sprache eine so geringe Rolle? Um das zu erklären, kann man auf den legitimen
Versuch der Unternehmenskommunikation/PR hinweisen, sich von Nachbardiszi-
plinen abzugrenzen. Es gibt daneben aber auch Gründe, die mit der Linguistik selbst
zu tun haben. Denn es fällt ja auf, dass die Linguistik erst in jüngster Zeit sich dem
Thema der Veränderung und Innovation zugewandt hat (vgl. Liebert 2003). Bei
diesen Themen geht es letztlich um Wissen, d. h. um die Frage, wie altes Wissen
Die Rolle der Sprache in der Innovations- und Change-Kommunikation 243

durch neues Wissen ersetzt oder verändert werden kann. Diese späte Hinwendung
der Linguistik zum Wissen (vgl. Hundt und Biadala 2015, S. IX–XV) hat damit zu
tun, dass lange Zeit die Linguistik sich nur zuständig sah für die Beschreibung des
Sprachwissens und das Weltwissen aus der Betrachtung ausklammerte. Erst mit der
Framesemantik (vgl. Busse 2012) setzte sich die Einsicht durch, dass Sprach- und
Weltwissen nicht zu trennen sind. Entsprechend lautete die Frage nicht mehr „Was
für eine Bedeutung hat ein Wort?“ sondern „Was muss man wissen, um ein Wort zu
verstehen?“. Auf diese Weise wurde verstanden, dass der Ort der Bedeutung nicht
das Wort sein konnte, sondern Bedeutungen werden interaktiv in Äußerungszusam-
menhängen hervorgebracht. Dann wird auch nachvollziehbar, dass Verständigung
gerade nicht einen geteilten Zeichenvorrat zur Voraussetzung hat, wie es das Sender-
Empfänger-Modell der Kommunikation propagiert. Sondern es ist umgekehrt: inso-
weit wir riskieren, auch nicht verstanden zu werden, und insofern wir uns auf die
Vagheit der Sprache einlassen und mit Überschussbedeutungen rechnen, entsteht in
dem Maße ein geteilter Zeichenvorrat, in dem wir erfolgreich interagieren.
Dass die Linguistik das herausfordernde Feld der Veränderungs- und Innovati-
onskommunikation brachliegen ließ, hat auch damit zu tun, dass man annahm, die
Sachverhalte und Dinge (der Außenwelt) seien unproblematisch und gegeben oder
faktisch. Problematisch sei nur das Sprechen über die Sachverhalte und Dinge. Dass
Sprache immer deutend auf Wirklichkeit zugreift und neue Wirklichkeiten schafft,
kam nicht in den Blick. Vermutlich auch deshalb nicht, weil die sog. Abbildtheorie
der Sprache sehr wirkungsmächtig war und ist. Nach dieser Theorie soll Sprache
Wirklichkeit abbilden. Diese Theorie ist längst widerlegt. Würde Sprache Wirklich-
keit abbilden, liefe das auf nichts anderes als eine symbolische Verdoppelung der
Wirklichkeit hinaus. Aber die Verdoppelung der „Welt“ ist nicht das, worum es beim
Sprechen und erst recht nicht in Innovations- und Change-Prozessen geht. Gleich-
wohl war es für die Linguistik nicht einfach, sich von einem Verständnis von
Sprache als Wirklichkeitsabbild zu lösen und sich einem Verständnis von Sprache
zu nähern, wonach Sprache Wirklichkeit nicht abbildet, sondern schafft bzw. kon-
struiert. Die späte Hinwendung der Linguistik zur (Sprachgebrauchs-)Semantik als
interaktiv hervorgebrachtes Ergebnis von Schlussfolgerungen und Kontextualisie-
rungen hatte auch mit der Dominanz des informationstechnischen Kommunikati-
onsmodells von Shannon und Weaver (1949) auch in der Linguistik zu tun, deren
Kommunikationstheorie von Kay (2005, S. 134) für den „Niedergang der Semantik“
steht. Hinzu kommt, dass von allen Kommunikationsmodellen das Sender-Emp-
fänger-Modell „die deutlichsten Spuren in Managementtheorie und -praxis hinter-
lassen. Dies vor allem deshalb, weil es sich gut in das herkömmliche objektivistisch-
funktionalistische Management-Leitbild einfügt“ (Stahl und Menz 2014, S. 23), das
bestimmt wird von einem Denken in Maschinen-Bildern („Stellschrauben“, „Han-
deln auf Knopfdruck“ u. a.). Die Idee der Kommunikation als Übertragung von
Nachrichten hat dazu beigetragen, die für Innovations- und Change-Prozesse zen-
tralen semantischen Faktoren zu verschütten. Damit solche Prozesse kommunikativ
gelingen, dürfen Prozesse der Sinn-Konstruktion („planend“) und Sinn-Konstitution
(„sich entwickelnd“) nicht dem Zufall überlassen bleiben. Und es kommt darauf an,
Sprachwissen und Erfahrungswissen in ihrem Wechselbezug zu verstehen, was
244 H. Ebert

mittels der Frame- und Diskurssemantik möglich geworden ist (vgl. Ziem 2005).
Das Ausgreifen ins Ungewisse kennzeichnet die Change-Kommunikation und die
(genetische) Innovationskommunikation. Im ersten Fall geht es um die Veränderung
eines organisationalen Zustandes, d. h. den Übergang von Situation A zu Situation B
(Change-Kommunikation). Im zweiten Fall geht es um das Hervorbringen neuer
Ideen (genetische Innovationskommunikation).

2.2 Schwächen bisheriger Beschreibungsversuche

Die Rolle der Sprache bei der Entstehung von Innovationen ist empirisch so gut wie
noch nicht erforscht und daher Gegenstand eines aktuellen und vom Autor mitent-
wickelten Forschungsprojektes. Erste Ansätze, Gespräche unter dem Aspekt der
Wissensvermittlung und Wissensgenese zu untersuchen, existieren im Bereich der
angewandten Gesprächsforschung (vgl. Dausendschön-Gay et al. 2010; Depper-
mann et al. 2010; Deppermann 2015). Allerdings sind die zentralen semantischen
Prozesse, die dabei ablaufen, bislang empirisch noch nicht untersucht worden. Wir
verfügen jedoch über wertvolle Erkenntnisse der Sozialwissenschaften. Lester und
Piore (2004) haben aus qualitativen Interviews mit Entwicklern (Ingenieure und
Designer) und Kunden nachgewiesen, dass die bislang favorisierte Methode der
Ingenieure, nämlich das analytische Problemlöseverfahren, nicht funktionieren
kann, weil es beim Innovieren nicht die eine vor ab bestimmbare Problemlösung
gibt. Bei einem solchen analytischen Verfahren spielt die Sprache als Instrument der
kollektiven Wissensschaffung eher eine untergeordnete Rolle. Es wird zudem weit-
hin unterstellt, dass das diesbezügliche Sprechen und die Verständigung mit Fach-
kollegen anderer Disziplinen unproblematisch sei, was in der Praxis nicht der Fall
ist. Entscheidend ist jedoch für unsere Überlegungen, dass wir es beim Innovieren
und Verändern mit offenen Problemen zu tun haben, bei denen die Lösung nicht
vorhersehbar ist. Deshalb ist der kommunikative Austausch von Wissen und Per-
spektiven vor dem Hintergrund unterschiedlicher Verstehenskontexte wichtig. Les-
ter und Piore (2004) haben herausgefunden, dass nicht das analytische Problemlö-
sungsverfahren zu erfolgreichen Innovationen führt, sondern das interpretative
Verfahren. Dieses Verfahren wird von den beiden Sozialwissenschaftlern analog zu
einem Partygespräch bzw. zur Konversation modelliert. Dieses Partygespräch-
Modell ist wesentlich besser geeignet, um neues Wissen hervorzubringen, weil
Konversationen durch sprachliche Vagheit (Ambiguität) angetrieben werden. Wie
genau man sich solche Gespräche und den Sprachgebrauch vorzustellen hat, darüber
sagen Lester und Piore (2004) wenig. Aber die Effekte und Phasen werden gut
beschrieben. Über die Effekte heißt es: „..the design team persisted with the fourth
door [i. e. die vierte Tür für einen Mini-Van, eine Idee, die von Marktforschern
verworfen worden war], believing in this case that they knew more about their
customer’s requirements than did the customers themselves. In effect they were
saying to the customers, „You don’t really know what features you need on this
vehicle; just tell us what you want to do with it, how you want to use it, and we’ll tell
you what you need“. Their confidence stemmed from their thorough understanding
Die Rolle der Sprache in der Innovations- und Change-Kommunikation 245

of the background, concerns, and interests of users. Many members of the design
team were themselves living the live of the typical minivan user (the team included
some soccer moms), and they knew how often they had been inconvenienced by the
current configuration. It was the rich contextual understanding that led the designers
to interpret what the customers were saying as a need (of which the customers
themselves were unaware) for the fourth door“ (Lester und Priore 2004, S. 83 f.).
Über die Phasen eines Innovationsgespräches heißt es: „The lessons of the cocktail
party can be summarized in a series of distinct but closely related roles for the
manager: Step One: choose the guests, Step Two: initiate the conversation, Step
Three: keep the conversation going, Step Four: refresh the conversation with new
ideas“ (Lester und Priore 2004, S. 57 f.). Lester und Piore (2004) betonen, dass im
Verlauf solcher Konversationen eine neue Sprache entsteht, und dass sich im Verlauf
der Konversation neue Bedeutungen entwickeln. Man kann sich das Entstehen einer
neuen Sprache im Paradigma der interkulturellen Kommunikation so vorstellen:
Wenn der Wille zum offenen Austausch vorhanden ist, und wenn wertschätzende
Kommunikation und ein hohes Maß an Empathie gegeben sind, dann resultiert aus
dem Gespräch zwischen Angehörigen verschiedener Professionen bzw. aus Gesprä-
chen zwischen Menschen mit verschiedenen Wissens- und Erfahrungshintergründen
(Kunde – Experte, Mann – Frau, Ingenieur – Marketingleiter etc.) ein Drittes als
etwas, das genauso vorher weder in der einen noch in der anderen „Kultur“ vorhan-
den war. Dieses Dritte steht für das, was zwischen den Angehörigen verschiedener
Kulturen neu zum Vorschein kommt: neue Bedeutungen, neue Gesprächsroutinen,
neue Interaktionsstile etc. Vor diesem Hintergrund muss man sich vor dem Missver-
ständnis hüten, den Begriff der interkulturellen Kommunikation lediglich als eine
Form der Kommunikation zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen zu ver-
stehen. Wesentlich angemessener ist es, interkulturelle Kommunikation als die
Summe derjenigen sprachlichen Ausdrücke und Strategien zu verstehen, die als
gemeinsamer neuer Bestand aus der Kommunikation resultieren.
Für die Beschreibung der Sprache in der Change-Kommunikation können wir
uns auf Wagner und Guse (2015) stützen, handelt es sich hierbei doch um den
unseres Wissens linguistisch profiliertesten Beitrag zum Thema, wenngleich auch
hier die eigentlichen Signifikationsprozesse und die Entstehung von neuen Bedeu-
tungen nicht unter die Lupe genommen werden. Mit Recht warnen Wagner und Guse
(2015, S. 184) aber davor, den Einfluss der Sprache auf das Gelingen von Change-
Projekten zu unterschätzen: „Das ist fahrlässig, wenn man bedenkt, dass Sprache als
Grundlage der schriftlichen und verbalen Kommunikation die Entscheidungsfin-
dung und den Transfer von Wissen in Organisationen positiv beeinflusst.“ Die
„sprachliche Auseinandersetzung in Form von Diskussionen, Diskursen, Meetings
oder Flurgesprächen prägt die Entwicklung eines Change-Vorhabens auf beträcht-
liche Weise“ (ebd.). Sprache wird von Wagner und Guse (2015) im Gesamtzusam-
menhang der Herausforderungen von Change-Projekten gesehen. Dabei geht es um
den Umgang mit Ängsten und Widerstand, um das Erarbeiten eines gemeinsamen
Verständnisses der Situation, um die angemessene Vermittlung von Botschaften des
Managements an die Mitarbeiter, um den Aufbau von Vertrauen, um die Festlegung
von Kommunikator-Rollen und vieles mehr. Die Bedeutung der Sprache in der
246 H. Ebert

Change-Kommunikation wird aus zwei Perspektiven beleuchtet: Sprache als „Ele-


ment, auf dessen Basis die Deutung von Sinnzusammenhängen stattfindet“ und
Sprache „als Instrument zum Erreichen der kommunikativen Ziele“ (ebd., S. 184).
Der Beitrag von Wagner und Guse (2015) zeichnet sich dadurch aus, dass er die
Rolle der Sprache für das Gelingen von Change-Kommunikation mit guten Argu-
menten begründet und in einen ganzheitlichen Zusammenhang einordnet. Dabei
bleiben allerdings drei Probleme ungelöst: (i) die Betrachtungen sind kursorisch
und haben weitgehend die Form einer (offenen) Liste, d. h. es fehlt noch die
Integration in ein Gesamtmodell, (ii) es liegen etlichen Aussagen unterschiedliche
implizite und teilweise überholte Theorien zugrunde. So werden z. B. die semanti-
schen Verstehensprozesse nicht angemessen abgebildet, wenn davon gesprochen
wird, Botschaften „in den Köpfen der Mitarbeiter“ (S. 188) zu verankern. In dieser
Begrifflichkeit wird leider das asemantische Sender-Empfänger-Modell der Kom-
munikation wiederbelebt (iii) die konkreten Prozesse der Bedeutungskonstruktion
und Bedeutungskonstitution, d. h. die Semantisierungsprozesse, bleiben ausgeklammert.

2.3 Paradigmenwechsel

Ein Sprachmodell der Change- und Innovationskommunikation muss die oben ge-
nannten Probleme lösen. Dann können die Stärken linguistischer Ansätze noch
deutlicher herausgearbeitet und in konkrete Handlungsempfehlungen überführt wer-
den. Im Folgenden seien diese Stärken kurz beschrieben: (i) In Gesprächen und
Diskursen entwickeln sich neue Bedeutungen. Mit neuen Bedeutungen kommen
neue Wirklichkeiten zum Vorschein. (ii) Natürliche Sprachen sind auf semantische
Ambiguität angelegt, um funktionieren zu können. Ambiguität ermöglicht flexibles
Agieren in wechselnden Situationen und sichert die Anschlussfähigkeit der Kom-
munikation von Personen mit unterschiedlichen Wissenshintergründen. (iii) Sprach-
liche Ambiguität und Ambiguitätstoleranz sind die Quellen, aus der neue inhaltliche
Impulse und Perspektiven hervorgehen, die das Wahrnehmen und Denken öffnen.
(iv) Barrieren für neue Bedeutungen sind Gewohnheiten (ritualisierte Formen der
Kommunikation) und konventionelle Bedeutungen, die den Blick für das anders
Gesagtes oder Gemeinte verstellen können. Barrieren sind ferner die fachsprachli-
chen Bedeutungen, die das Entstehen einer gemeinsamen Sprache z. B. zwischen
Experten unterschiedlicher Profession verhindern. Eine weitere Barriere ist der
sachlich-abstrakte Sprach- und Textsortenstil, der nur den Verstand anspricht, aber
nicht das Gefühl und das innere Erleben. (v) Sprache prägt die Identität von
Individuen und von Gruppen. Weil Veränderung und Erneuerung oft als Bedrohung
der Identität erlebt wird, kann es zu kognitiven und sozialen Blockaden kommen.
Deshalb ist Sprache zugleich als Instrument des Coachings zu gebrauchen, um
solche Blockaden aufzubrechen. (vi) Nicht nur der Sprachgebrauch kann mit Blick
auf gelingende Change- und Innovationskommunikation verbessert werden, auch die
Sprache als Zeichensystem ist der bewussten Entwicklung zugängig. Entsprechend
sind die vorhandenen Ausdruckspotenziale mit Behutsamkeit weiterzuentwickeln
bzw. zu pflegen und bewusst zu machen. So spricht viel dafür, dass die der deutschen
Die Rolle der Sprache in der Innovations- und Change-Kommunikation 247

Sprache eigentümliche Flexibilität der Grammatik und Wortbildung Erfindungen


erleichtert.1 (vii) Um Sprache zielgerichtet einzusetzen, müssen mehrere Gestaltungs-
komponenten berücksichtigt werden: Die sprachlich-kognitive Aufgabe besteht darin,
einen Konsens darüber zu erzielen, was der Fall ist. Die sozial-kommunikative Auf-
gabe besteht darin, das Gedachte mit dem Gesagten, das Gesagte mit dem Gemeinten
und das Gemeinte mit dem Verstandenen in Einklang zu bringen. Die motivational-
emotive Aufgabe besteht darin, die Sprache so zu verwenden, dass sie über das
Ansprechen von Gefühlen die zum Handeln notwendige Energie liefert. Auf der
Grundlage dieser Stärken linguistischer Ansätze sollte ein Paradigmenwechsel mög-
lich sein, so dass Sprache nicht nur als Mittel der Information und Verständigung in
den Blick kommt. Eine frame- und diskurssemantische Linguistik könnte dann einen
entscheidenden Beitrag leisten, um die (Team-)Gespräche und Diskurse im Rahmen
von Change- und Innovationsprozessen effizient zu gestalten. Effizienz heißt hier:
gelungener Wandel, geglückte Innovation, große Zeitersparnis und besseres Klima
durch strukturierte Dialoge und Diskurse sowie durch offene und empathische Formen
interkultureller Kommunikation.

3 Die kognitive Leistung der Sprache

Die Leitfrage lautet: Wie gelingt es, mittels Sprache neues Wissen zu erzeugen?
Teilfragen sind: Wie verhalten sich alte zu neuen Wissensbeständen? Wie werden
Wissensbestände im Sprachverstehen modifiziert und adaptiert?

3.1 Perspektivierung von Informationsinhalten

Köller (1988, S. 368) versteht unter der Perspektivierung von Informationsinhalten


den Umstand, dass „bei jeder sprachlichen Darstellung eines Sachverhalts die
jeweils intendierten Gegenstände von einem bestimmten Aspekt her erschlossen
werden müssen und daß sie notwendigerweise in eine ganz bestimmte Relation zu
anderen gebracht werden müssen“. Das Herausarbeiten von Zugangsaspekten bzw.
die Perspektivierung ist im Prinzip eine Interpretation, die die jeweiligen Darstel-
lungsmöglichkeiten den Wahrnehmungsmöglichkeiten des betrachtenden Subjekts
anpasst bzw. dessen Blickwinkel unterwirft (vgl. ebd.). Man vergleiche die Unter-
schiede in der Perspektivierung des Konzeptes „Regen“: „es regnet“ (unpersönlicher
Vorgang), „Regen fällt“ (Darstellung als sich bewegene Größe, „es ist regnerisch“
(Kennzeichnung der Wetterlage), „wir haben Regen“ (Zuordnung des Phänomens zu
einem persönlichen Bereich). Wenn auch keine objektive Erkenntnis möglich ist, so
ist aber doch eine Annäherung an das Objektive oder Machbare möglich, und zwar
durch den „multiperspektivischen Zugriff auf die via Sprache verfügbar gemachten

1
Vgl. Bruce Duncan (Prof. für deutsche Sprache, Dartmouth College, USA): „Warum die deutsche
Sprache so viele großartige Wörter besitzt“, in: Sprachnachrichten Nr. 71.3, 2016, S. 9.
248 H. Ebert

Sachverhalte“ (Hundt und Biadala 2015, S. XI). Die Suche nach konsensfähigem
Wissen erfolgt durch den Abgleich der Perspektiven. Durch Perspektivierung wer-
den die Wahrnehmungsmöglichkeiten zwar eingeschränkt, andererseits „gewinnen
sie dadurch aber auch an Konkretheit, weil die Reduktion von Wahrnehmungs-
möglichkeiten zugleich eine Konzentration des Blicks auf bestimmte Wahrneh-
mungsinhalte ermöglicht“ (ebd., S. 369). Köller (2004) unterscheidet drei grundle-
gende Perspektivierungsverfahren von Wissen zu Konzepten und Sachverhalten, die
sich selbstverständlich nicht gegenseitig ausschließen: die begriffliche Perspektivie-
rung in Form von Definitionen, die metaphorische Perspektivierung mittels Sprach-
bilder, die ausgehend vom bekannten Wissen die jeweils zu verstehenden Zielkon-
zepte ansteuern, und die narrative Perspektivierung: z. B. mythische Erzählungen
(Baum der Erkenntnis, Platons Höhlengleichnis).
Die Tragweite der Perspektivierung sehen wir am Beispiel des Konzeptes „Schlüs-
sel“. Aus Sicht der Mechanik haben Schlüssel die Funktion, Türen zu öffnen und zu
schließen. Eine ganze Industrie lebt(e) von der Herstellung mechanischer Schlüssel-
systeme. Sobald man aber die Perspektive wechselt und abstrahierend einen Schlüssel
als ‚Identifizierungsfunktion für Zugangsuchende Personen“ definiert, erkennt man
schnell, dass sich mechanische Schlüssel durch Chipkarten und andere Identifizie-
rungsmethoden (Irisscanner) ersetzen lassen. Viele Hersteller mechanischer Schlüssel
waren aus unterschiedlichen Gründen blind für diesen Perspektivenwechsel (vgl.
Kerka und Kriegesmann 2008). Als Beispiel für eine metaphorische Perspektivierung
verweisen wir auf die Entwicklung des Honda Civic, bei der am Beginn des Innova-
tionsprozesses folgende Suchrichtung vorgegeben wurde: ein Auto als „tall boy“
(s. u.). Als Beispiel für die narrative Perspektivierung von Sachverhalten seien Träume
(Traum vom Fliegen), Diskurse („Industrie 4.0“) oder Visionen genannt (vgl. die
Wikipedia-Vision: Stell Dir eine Welt vor, in der jeder einzelne Mensch freien Anteil
an der Gesamtheit des Wissens hat. Ein angemessener Gebrauch der Sprache ermög-
licht also den multiperspektivischen Zugriff auf neue Konzepte und Sachverhalte. Auf
diese Weise wird der Ausgriff in das Ungewisse strukturiert und dem blinden Zufall
entzogen. Sprache sichert zudem durch Perspektivenabgleich das konsensfähige
Wissen bezüglich einer Sachverhaltsdarstellung.

3.2 Ambiguierung und Desambiguierung

Mit sprachlicher Ambiguität ist gemeint, dass sprachliche Ausdrücke vom Wort über
den Satz bis zum Text vage sein können. Dem Entwicklerteam des Honda Civic war
mit Absicht die ambige Suchformel „man maximum – machine minimum“ vorgegeben
worden. Auch war explizit performativ der Wille betont worden, ausgetretene Pfade zu
verlassen: „Let’s gamble!“ war des Motto des Innovationsprojektes (vgl. Liebert 2003).
Sich bewusst mehrdeutig oder vage ausdrücken, nennt man Ambiguierung von Infor-
mation. Vage Information vereindeutigen, heißt Desambiguieren. Beide Begriffe sind
gerade für die Change- und Innovationskommunikation wichtig und nicht linguistisch
vorgebildeten Führungskräften wenig vertraut (vgl. Stahl und Menz 2014, S. 15).
In Change- und Innovationskontexten geht es um den konstruktiven Umgang mit
Die Rolle der Sprache in der Innovations- und Change-Kommunikation 249

Ambiguität, d. h. es geht um die schrittweise Verständigung, die mit einem umriss-


haften Verstehen beginnt und mit einer klaren Vorstellung endet. Nicht gemeint sind
das scheibchenweise Informieren, die bewusste oder unbewusste Intransparenz und
die oft abstrakt-nebulöse „Kunstsprache, wie sie besonders von Unternehmensbera-
tungen praktiziert wird“ (Menz und Stahl 2014, S. 129). Ambiguität kann sprachlich
auf ganz verschiedene Weise ausgedrückt werden: als experimentelles und hypothe-
tisches Sprechen, mittels Passiv- und Reflexivkonstruktionen, durch ungewöhnli-
chen Wortgebrauch, Metaphern, Witze, Paradoxien, freies Assoziieren, Aphorismen,
Analogien, Referenzmodelle (z. B. „Jazz“ als Referenzmodell für das Innovieren)
und viele andere Formen, die bislang in Change- und Innovationskontexten noch
nicht systematisch untersucht worden sind. Auch das ironische Sprechen wäre hier
zu erforschen, jedenfalls im Sinne einer romantischen Ironie, die über stereotypen
Sinngestalten hinausgeht und Konversationen lebendig macht: „Ironie als lächelnder
Respekt vor dem Unbegreiflichen vermeidet dogmatische Anmaßung ebenso wie
Demutsstarre, und deshalb ist sie zugleich eine gesellige Kunst, sie ist von erhabner
Urbanität: Sie erlaubt das Gespräch, weil sie den toten Punkt des völligen Begreifens
vermeidet. Die gute Mischung aus Mitteilsamkeit und Unverständlichkeit ist das
Lebenselixier der geistvollen Unterhalten“ (Safranski 2013, S. 65). Absichtsvolle
und konstruktive Ambiguierung macht Kommunikation auf mehreren Ebenen an-
schlussfähig und verhindert in Innovationskontexten vorschnelle und scheinbar
eineindeutige Lösungen von Problemen. Das menschliche Bewusstsein strebt nach
prägnanten Sinngestalten und ist in der Lage, vage Information als Spielmaterial zu
nutzen, um hypothetisch auf dieser Grundlage neue Ideen zu kreieren. Um diese
Spielräume zu nutzen, ist es wichtig, dass alle Beteiligten Ambiguitätstoleranz
entwickeln. Dies ist eine Gelingensvoraussetzung auch und gerade für die Ver-
ständigung unter Experten verschiedener Disziplinen, was für Innovationsgespräche
typisch ist. Der Aufbau von Ambiguitätstoleranz ist auch deshalb wichtig, weil im
Alltag und in der Fachpraxis die Vorstellung überwiegt, Vagheit sei Ergebnis nach-
lässigen Redens. Entsprechend müssen Entwickler umlernen und Vagheit als Chance
sehen und nutzen. Allerdings ist eine zu große Ambiguität ebenso zu vermeiden wie
Ambiguität in unpassenden Kommunikationsphasen. Der Grund liegt darin, dass zu
große und unangemessene Vagheit zu Entscheidungs-, Handlungs- und Lernunfä-
higkeit der Beteiligten führt.

3.3 Framing

Ein Frame ist eine Vorstellung über einen bestimmten Wirklichkeitsausschnitt. Diese
Vorstellung beeinflusst das (strategische) Handeln, Verhalten und Verstehen. Die
Wirklichkeitsvorstellung ist geordnet, weshalb wir auch von mentalen Strukturen
oder Wissensrahmen sprechen, die unser Wissen über ein Thema auf eine bestimmte
Weise strukturieren. Als Skript kann ein Frame Wissen über eine Handlungsabfolge
abbilden, wie z. B. den typischen Verlauf eines Restaurantbesuchs. Als mentales
Modell kann ein Frame ein Konzept abbilden, wie z. B. die Vorstellung über Autos,
Raketen oder Kindergeburtstage. Frames bestehen aus den Strukturelementen Slot,
250 H. Ebert

Filler und Defaultwerte und der Menge ihrer Beziehungen zueinander: (1) Slots sind
konzeptuelle Leerstellen, die mittels sinnvoll zu stellenden Fragen identifiziert
werden können, (2) Fillers sind Füllelemente dieser Slots, die den in der Datenbasis
enthaltenen Informationseinheiten entsprechen, (3) Default-Werte sind die in einem
Kollektiv vorausgesetzten und prototypisch erwartbaren Füllelemente der Slots.
Default-Werte werden deshalb in Kommunikationsprozessen immer schon unter-
stellt und müssen nicht eigens expliziert werden. Der Frame AUTO enthält z. B. den
Slot „Wodurch wird das Auto angetrieben?“ Füllelemente können dann sein:
Benzinantrieb, Dieselantrieb, Hybridantrieb. Für die meisten Menschen dürfte der-
zeit der Default- oder Standardwert noch „Benzin- bzw. Dieselmotor“ lauten. Die
Zukunft wird zeigen, ob sich der Defaultwert ändert oder nicht: Elektroantrieb,
Wasserstoffantrieb. Überhaupt zeigt der Diskurs über die Antriebsart und das fah
rerlose Auto, wie sich unsere Vorstellungen über das Auto ändern. Ob sich mentale
Modelle des Mainstreamdiskurses („Elektroantrieb“) oder Modelle von Nischen-
diskursen („Wasserstoffantrieb“) durchsetzen, ist nicht nur eine Frage der Technik,
sondern auch eine Frage von Macht und Interesse. Die Wissenselemente von Frames
sind keine absoluten Elemente, sondern sie sind immer an die Perspektive (s. o.), das
Interesse oder die Ziele eines Individuums oder eines Kollektivs gebunden bzw. auf
die gewünschte Perspektivenübernahme durch einen Leser hin berechnet. Daher ist
die oft gehörte Empfehlung, Innovationsmanager sollten beispielsweise auch Mes-
sen besuchen, die mit ihrem Fachgebiet gerade nichts zu tun haben, sinnvoll, um ihr
vorhandenes Wissen neu zu strukturieren. Individuelle Frames repräsentieren indi-
viduelle Erfahrungen, kollektive Frames repräsentieren die Erfahrungen von
Gruppen, die sich zu einer (partiell) gemeinsamen Sehweise verfestigen. Eine
zentrale Grundannahme der Frame-Theorie besagt, dass Bedeutungen von Wörtern
und Sätzen nur als Wissen von Sprechern existieren. Insofern alles Sprechen not-
wendig elliptisch ist und insofern alles Sprechen ein Versuch ist, innere Handlungen
der Angesprochenen zu steuern, erweisen sich alle verwendeten sprachlichen Mittel
und Verfahrensweisen als eine Informationsbasis für Schlussfolgerungen von Le-
sern/Hörern. Derjenige, der andere überzeugen oder überreden will, muss also seine
Kommunikation so gestalten, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass seine Leser/
Hörer die vom Sprecher gewünschten Schlüsse ziehen. Dabei besteht eine weitere
Herausforderung für den Sprecher darin, die Verstehenskontexte des Lesers zu
antizipieren und das Gesagte auf diese hin zu berechnen. Der Nutzen des bewussten
Umgangs mit den eigenen mentalen Strukturen besteht darin, dass man Konzepte
semantisch auseinandernehmen und neu zusammenbauen kann. So hat z. B. der
Physiker Stephen Hawking ein innovatives Konzept von Raketen entwickelt, mit
dessen Hilfe die bisher unmögliche Reise zum Sternensystem Alpha Centauri statt
mit herkömmlicher Technologie in 20.000 Jahren nun in 20 Jahren möglich werden
könnte.2 Die Grundidee besteht darin, sich eine Rakete briefmarkenklein aber mit
einem riesigen Photonensegel ausgestattet zu denken, weil dieses Konzept von

2
http://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/stephen-hawking-und-juri-milner-wollen-sonde-zu-
alpha-centauri-schicken-a-1086903.html.
Die Rolle der Sprache in der Innovations- und Change-Kommunikation 251

Rakete keinen eigenen Antrieb vorsieht. Aus diesem Grund soll das Photonensegel
von der Erde oder dem erdnahen Weltall aus mit Photonen beschossen werden, um
die Mini-Rakete bzw. Mini-Rakete zu beschleunigen, und zwar auf ein Fünftel der
Lichtgeschwindigkeit. Ein weiterer Nutzen des gezielten Umgangs mit Frames
besteht darin, dass in multiprofessionellen Teams die Standardwerte von Frames
metakommunikativ ins Bewusstsein gerückt werden können. Denn in der Regel
unterstellen Sprecher einander wechselseitig, über dieselben Standardwerte zu ver-
fügen, weshalb dieses Hintergrundwissen zwar oft eine Quelle von Missverständnis-
sen ist aber selten explizit thematisiert wird. Für die Vermittlung oder Diffusion von
neuen Ideen spielt das Framing ebenfalls eine große Rolle (vgl. Wagner und Guse
2015, S. 196). Die Wahl der Frames beeinflusst entscheidend das schlussfolgernde
Verstehen. Turner (1991) hat in seinem Beitrag über die Entwicklung einer Sicher-
heitskultur in der chemischen Industrie darauf hingewiesen, dass Organisationen
dazu tendieren, eine bestimmte Sicht der Dinge zu favorisieren: „All organisations
foster their own way of lookin at the world, their own way of talking about ist, and
their own favoured arguments [. . .] It is helpful to managers and to operators who
would like to follow company policy, in safety as in other matters, if they have
arguments to hand to justify their intentions. Making information and arguments
available, to show the sense in being concerned about damage and injury, will help
them when faced with a need to explain their actions or their attitudes. For example,
such arguments could concern quality, effectiveness and its wider cost implications,
company image, and the workers’ and managers’ sense of self-worth in the job. Also,
since protecting others from harm is an issue which has many moral implications,
arguments in the moral sphere should not be neglected“ (Turner 1991, S. 242).

3.4 Fallbeispiel Innovation: Honda Civic

Am Beispiel der Neuentwicklung des Honda Civic hat Liebert (2003, S. 88–90)
gestützt auf die Ausführungen in Nonaka und Takeuchi (1997) gezeigt, wie durch
das Zusammenspiel von Perspektivierung, Ambiguierung und Framing durch Meta-
phern neues Wissen erzeugt wurde. Die Unternehmensführung von Honda wollte
ihren Honda Civic neugestalten und stieß diesen Prozess an mit dem Motto „Let’s
Gamble!“ Damit war nicht nur die Frage „Welchen neuen PKW-Typ wollen wir
herstellen?“ gestellt, sondern die Risikometapher machte deutlich, dass man eine
besonders gewagte Antwort erwartete. Die Frage kann also umformuliert werden:
„Welchen PKW-Typ können wir herstellen, wenn wir etwas ganz Neues wagen?“ In
der zweiten Phase des Projektes prägte der Projektleiter Hiroo Watanabe eine Sinn-
formel als Umriss der Zielvorstellung: „Autoevolution“. Hier kommt sprachliche
Ambiguität ins Spiel, denn der Bedeutungsüberschuss von „Autoevolution“ schaffte
einen Raum möglicher Interpretationen, der zur Gewinnung neuen Wissens genutzt
wurde. Die metaphorische Übertragung der Evolutionsvorstellung von Lebewesen
auf Technik führte zu dem Verständnis, „dass sich das Auto mit der Evolution des
Menschen mitentwickeln und sich so dem Menschen anpasst und nicht umgekehrt“
(Liebert 2003, S. 89). Durch Transformation der Metapher und Einschränkung
252 H. Ebert

alternativer Deutungen konnte eine relativ klare Handlungsanweisung gewonnen


werden, die das Motto für die nächsten Autogenerationen sein sollte: „man maxi-
mum, machine minimum“, d. h. der Mensch mit seinen Bedürfnissen sollte im
Vordergrund stehen. Aus dieser Idee wurde dann der „Tall Boy“ entwickelt, „ein
hoher Kleinwagen in relativ rundlicher Form, die den Sitzbedürfnissen der Insassen
angepasst war und der mit den damaligen Autodesignkonventionen brach. Das neue
Modell wurde Honda Civic genannt und ist nach Nonaka und Takeuchi (1997) Teil
der Erfolgsgeschichte des Konzerns“ (Liebert 2003, S. 89).

3.5 Fallbeispiel Change: Stadtverwaltung

In einem Change-Projekt der Stadtverwaltung Arnsberg, welches der Autor leitete,


wurden gezielt die Techniken des Ambiguierens, Perspektivierens und Framings
eingesetzt, mit dem Ziel, einen Konsens unter den Mitarbeitern über ein neues
Selbstverständnis zu entwickeln (vgl. Ebert und Konerding 2005; Konerding und
Ebert 2009). Es ging also um die Reorientierung einer neuen kollektiven Identität.
Der Konsens wurde in einem Leitbild dokumentiert, welches das neue Selbstver-
ständnis der Verwaltung als Dienstleistungsverwaltung definierte. Bewusst wurden
die Vorgaben durch den Bürgermeister, der in Nordrhein-Westfalen auch Leiter der
Verwaltung ist, ambig gehalten, um die Suche nach neuen Sehweisen offen zu halten
und um Kreativität zu ermöglichen. Gleichzeitig fungierten die offenen Vorgaben
den Bereichsleitern als Leitplanke, um deutlich zu machen, dass in ihren Dienstbe-
reichen funktionale und anschlussfähige neue Ideen gesucht waren, nicht Wunsch-
träume. Die als Ideal oder Richtwert zu verstehenden Vorgaben des Bürgermeisters
lauteten: „Das Ganze sehen“, „Wir sind ein Laden mit Menschen“, „Bürger mit uns“,
„Wir wollen nach vorn“ und „Wir-Gefühl stärken“. In abteilungsbezogenen Work-
shops wurden dann u. a. diese Formulierungen ausgedeutet. Ein offenes Gesprächs-
klima förderte eine Vielfalt von Äußerungen (s. u.) zutage, die sich spezifischen
Frames oder Verstehensrahmen zuordnen ließen.
Die folgende Übersicht zeigt die individuellen Deutungen der Bereichsleiter und
ihrer Mitarbeiter zur Vorgabe des Bürgermeisters: „Wir sind ein Laden mit Men-
schen“. Diese Formulierung arbeitete intuitiv mit Ambiguität („Laden mit Men-
schen“ kann vieles bedeuten), Perspektivierungen (als Definition, die eine Metapher,
nämlich den Ausdruck „Laden“ enthält), und Frames bzw. lässt Frame-Verschie-
bungen und Frame-Verschmelzungen zu (vgl. Ziem 2012, S. 74):

Frame „Irren ist menschlich“: „Wir sind nicht der liebe Gott, wir sind nur Menschen.
Man gibt sein Bestes, ist aber kein Roboter. Wir brauchen eine Fehlerkultur“.
Frame „menschenfreundliche Arbeitsplätze“: „Hier sollten die Mitarbeiter auch so
untergebracht werden, dass sie sich wie Menschen fühlen können. In vielen
Bereichen sind die Büroeinrichtungen – speziell auch die Bildschirmarbeitsplätze
– ein voller Witz“.
Frame „Menschlichkeit“: „Vertrauen schenken. Spaß ist nicht unwichtig. Sich selbst
sollte man nicht allzu ernst nehmen. Freude an der Arbeit ist ganz wichtig“.
Die Rolle der Sprache in der Innovations- und Change-Kommunikation 253

Frame „Mitarbeiter als Ressource“: „Ressource Mensch, der Mensch als Kapital!
Die Unterschiedlichkeit der Menschen ist eine Chance! Den Leitsatz finde ich
etwas hölzern. Der Ausdruck „Laden“ ist zu gewollt locker. Vorschlag stattdes-
sen: Hinter jedem Produkt, jeder Leistung stehen Menschen?“
Frame „Gleichheit“: „Wir sind alle gleich! „Mensch“ heißt nicht Berufsrolle oder
Funktion. Menschlichkeit und menschliche Organisation, nicht Behörde!“
Frame „Leistungsumfang“: „Laden steht für ein kleines Geschäft. Ein Laden hat
viele Produkte. Es gibt viele Angebote unserer Verwaltung: Kultur, Sicherheit etc.
Nicht immer ist alles vorhanden. Wo Sachen verkauft werden, gibt es aber auch
Ladenhüter. Was sind denn unsere Ladenhüter?“
Frame „Beziehung zum Kunden“: „Beim Laden hat man noch Kontakt, anders als im
anonymen Supermarkt. Ein Laden muss sich weiterentwickeln, um von den Kun-
den angenommen zu werden. Service! Wir müssen die Bürger ernst nehmen“.
Frame „Rechtsform“: „Soll das heißen, dass Privatisierungen anstehen und wir als
Mitarbeiter sind die Ware, die verkauft wird?“

Erst nachdem diese sehr unterschiedlichen Verständnisse zum gemeinsamen


Wissensbestand gemacht worden waren, konnte die bewusste und angstfreie Arbeit
an der Auswahl zielführender Aspekte beginnen. Unter anderem entwickelte sich
aufgrund der Explizierung der unterschiedlichen Deutungen von „Wir sind ein
Laden mit Menschen“ ein Konsens dahingehend, dass die Rollenbezeichnung „Bür-
gerberater“ alternativen Bezeichnungen wie „Sachbearbeiter“ und „Fallmanager“
vorgezogen werden sollte. Wichtig ist dabei festzustellen, dass Benennungen in
Change-Projekten nicht einfach Umetikettierungen sind, sondern neue Vorstellun-
gen wecken und fixieren. So gesehen sensibilisierte die Diskussion der Bürger-
meister-Vorgaben alle Beteiligten für die schöpferische Kraft neuer Benennungen
und ließ diese erkennen, dass die gewohnten Benennungen konventionalisierte und
habitualisierte (Selbst-)Wahrnehmungen und Rollenverständnisse fixiert und die
ihnen vorausgegangenen Entscheidungen für das Bewusstsein ausgeblendet hatten.
Im Rahmen von Change-Projekten kommt alternativen sprachlichen Benennungen
und Beschreibungen zentrale Funktionen zu: (i) Befindlichkeiten, Einstellungen,
Bewertungen, Perspektivierungen und Kategorisierungen werden bewusst gemacht,
(ii) Benennungen fixieren nicht nur den Bezug auf Gegenstände, sie legen vor allem
auch ein benennungsspezifisches Wahrnehmungs- und Handlungsprogramm fest.

4 Fazit

Die Rolle der Sprache in der Change- und Innovationskommunikation hat eine
dekonstruierende und eine konstruierende Funktion. Dekonstruierend, weil Gegen-
stände und Sachverhalte, die in die unhinterfragte Vertrautheit des Habitualisierten
und Stereotypisierten entschwunden waren, sprachlich-diskursiv auch wieder ins
Bewusstsein gerückt werden können. Konstruierend, weil alternative Benennungen,
die als sachlich angemessen und möglich erscheinen, einen Ausweg aus der Ge-
schlossenheit des Gewohnten eröffnen, das sich als unzulänglich erweist und einer
254 H. Ebert

Neubestimmung bedarf. Soll ein bekannter Sachverhalt im Licht eines neuen Ver-
ständnisses erscheinen, so sind alternative Benennungen mit der Qualität von
Arbeitshypothesen ein probates Mittel für exploratives und interpretatives Problem-
lösen. Wie gezeigt werden konnte, sind Ambiguierung/Desambiguierung und Perspek-
tivierungen hierfür ein zentrales sprachlich-geistiges Werkzeug, um neue Wirklich-
keiten zu erfassen. Erweisen sich spezifische Benennungsversuche als konsensfähig
und gestalterisch fruchtbar, so gibt dies Anlass zur Einführung eines neuen Systems
(„Feldes“) von kohärenten Benennungen und Aussagen, die den angestrebten und
erwünschten Zielzustand beschreiben und anhand von Differenzierungen und Ergän-
zungen dieser Beschreibungen zunehmend konkretisieren. Zugleich damit ergibt sich
ein zugehöriges von allen betroffenen Akteuren akzeptiertes und affirmiertes
Befindlichkeits-, Wahrnehmungs- und Handlungsprogramm. Auf der Grundlage dieser
Resultate resultiert schließlich ganz natürlich die Formulierung der Leitbild-
konstitutiven Aussagen, die so einen starken Verbindlichkeitscharakter für alle Betei-
ligten erhalten. Genau das ist gemeint, wenn wir betonen, dass erfolgreiche soziale
Neuerungen und Veränderungen nicht befohlen werden können, sondern dass sie von
innen heraus gemeinsam entwickelt und bejaht werden müssen.

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Val-de-Marne. http://www.univ-aris12.fr/www/labos/ceditec/colloqueADFA.html. Zugegriffen
am 10.3.2017.
Ziem, Alexander. 2012. Werbekommunikation semantisch. In Handbuch Werbekommunikation,
Hrsg. Nina Janich, 65–88. Tübingen: UTB.
Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Sprache
in den Public Relations

Martha Kuhnhenn

Zusammenfassung
Für den Erfolg von Public Relations ist eine glaubwürdige Kommunikation
essenziell: Erst sie ermöglicht Vertrauen zwischen der relevanten Organisation
und ihren Stakeholdern. Insbesondere in der Online-Kommunikation dienen
verbale und audiovisuelle Ressourcen als Träger von potenziellen Anzeichen
von Glaub- und Vertrauenswürdigkeit. In der Forschungsliteratur existieren ver-
schiedene Ansätze, die Faktoren von Glaubwürdigkeit und Vertrauen identifizie-
ren. Am Beispiel des Internetauftritts des Deutschen Roten Kreuzes Kreisverband
Ostvorpommer-Greifswald e. V. diskutiert der Beitrag sowohl das Potenzial
verschiedener Modi zur Generierung von Glaub- und Vertrauenswürdigkeit als
auch die unterschiedlichen Faktoren für deren Konstitution.

Schlüsselwörter
Glaubwürdigkeit • Vertrauen • Public Relations • Online-Kommunikation •
Reputation

Inhalt
1 Einleitung: Glaubwürdigkeit und Vertrauen in den Public Relations – Relevanz und
Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
2 Sprachliche Merkmale und Faktoren zur Stärkung von Glaubwürdigkeit und
Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
3 Fallbeispiel: Deutsche Rote Kreuz Kreisverband Ostvorpommern-Greifswald e. V. . . . . . . 262
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

M. Kuhnhenn (*)
Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft, Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald,
Greifswald, Deutschland
E-Mail: martha.kuhnhenn@uni-greifswald.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 257


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_6
258 M. Kuhnhenn

1 Einleitung: Glaubwürdigkeit und Vertrauen in den Public


Relations – Relevanz und Begrifflichkeiten

Glaubwürdigkeit und Vertrauen werden sowohl in der wissenschaftlichen Auseinander-


setzung als auch in der beruflichen Praxis als zentrale Faktoren für die Public Relations
und deren Erfolg verstanden (vgl. Bentele und Seidenglanz 2015, S. 423–424).
In Anschluss an Luhmann lässt sich grundlegend festhalten, dass Vertrauen der
Komplexitätsreduktion dient (vgl. Luhmann 2000, S. 27 f.). Vertrauen ersetzt Wis-
sen und Informationen, denn würde ein Individuum alles wissen, bräuchte es nicht zu
vertrauen (vgl. Giddens 1995, S. 48). In ähnlicher Weise erkennt Hubig (2014, S. 352)
aus Perspektive der Rational-Choice-Theorie Vertrauen gar als „de[n] einzig[en]
Weg eines adäquaten Umgangs mit Risiken“ und somit als Strategie des Risikoma-
nagements. Diese Umstände sind für die Public Relations insofern relevant, als sie
mit Unwissen und Unsicherheiten auf Seiten der Rezipienten operieren (müssen)
und es ihr Ziel ist, diese Leerstellen positiv zu besetzen, positiv meint hierbei eine
positive Einstellung gegenüber der relevanten Organisation. Ähnlich heißt es bei
Möllering (2006, S. 191), dass in sozialen Beziehungen ein „leap of faith“ stattfin-
det, also ein Vertrauenssprung: Zwar löst Vertrauen ein Problem, es eliminiert dieses
aber nicht. Die Ungewissheit, die mit Vertrauen überbrückt werden soll, bleibt
bestehen. Möllering (2006, S. 77) argumentiert weiterhin, dass Vertrauen sowohl
auf Grund von Vernunft als auch aus der Routine entstehen kann. Folglich kann
Vertrauen bewusst und weniger bewusst motiviert sein. Public Relations können sich
diese Erkenntnisse dahingehend zu Nutze machen, dass sie den Vertrauensaufbau zu
Stakeholdern stärker auf einer peripheren oder aber auf einer zentralen Route der
Informationsverarbeitung anbahnen (vgl. Petty und Cacioppo 1986). Elemente des
Vertrauensaufbaus auf zentraler Route wären beispielsweise eine explizite Betonung
der eigenen Vertrauenswürdigkeit, während Elemente auf der peripheren Route
subtiler vorgehen. Zu letzterem können beispielsweise die Betonung der Ähnlichkeit
zwischen Kommunikator und Rezipient zählen, wie Verweise auf bestimmte Regio-
nen oder die Verwendung von dialektalen Färbungen in gesprochener und geschrie-
bener Sprache. Eine gewisse Ähnlichkeit gilt in der Persuasionsforschung als
„erfolgreiche Kommunikation“ (vgl. Petty und Cacioppo 1981, S. 67; Eichenlaub
2010, S. 108). Freilich setzt dies eine Rezipientenanalyse (und dies meint im
Kontext von Public Relations vor allem die Analyse potenzieller Kunden) voraus.
Auf diese subtilere Weise kann Public Relations das Vertrauen zu potenziellen
Kunden aufbauen, ohne dass die Bemühungen zu plump oder zu offenkundig
erscheinen.
Die Literatur ist sich weitgehend einig, dass Glaubwürdigkeit und Vertrauen
relationale Größen sind (vgl. Althoff 2008; Bentele 1998; Bentele und Seidenglanz
2015; Ebert 2015; Kuhnhenn 2014; Reinmuth 2009; Schäfer 2016). Grünberg
(2015, S. 29) versteht Vertrauen als eine dreistellige Relation zwischen einem
Vertrauensgeber und Vertrauensnehmer in Bezug auf etwas. Glaubwürdigkeit wird
von Bentele (vgl. 1998, S. 305) in einer vierstelligen Relation verankert: Rezipien-
ten bewerten Menschen, Institutionen oder deren kommunikative Produkte als
Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Sprache in den Public Relations 259

glaubwürdig, wenn deren Aussagen oder kommunikative Handlungen in Bezug auf


etwas als wahr und konsistent erlebt werden. Weder Vertrauen noch Glaubwürdig-
keit sind somit inhärente Eigenschaften von Personen, Institutionen oder Objekten
(kurz: jeglichen Vertrauensnehmern), sondern sie werden stets von jemandem zuge-
schrieben (vgl. Kuhnhenn 2014, S. 27). In dem Verständnis von Bentele (vgl. 1998)
wird besonders die Relevanz von sprachlichen Ressourcen für die Konstitution von
Glaubwürdigkeit und Vertrauen deutlich.
Glaubwürdigkeit und Vertrauen lassen sich in temporaler Hinsicht voneinander
differenzieren. Vertrauen verweist auf die Zukunft, muss gleichzeitig aber auch stets
aktuell bestätigt werden (vgl. Luhmann 2000, S. 23 ff.). Glaubwürdigkeit wiederum
ist in der Gegenwart verankert (vgl. Kuhnhenn 2014, S. 74; Grünberg 2015, S. 28).
Glaubwürdigkeit wird vorliegend daher als Voraussetzung von Vertrauenswürdig-
keit verstanden: Wer im Hier und Jetzt als glaubwürdig eingeschätzt wird, der wird
potenziell als vertrauenswürdig wahrgenommen. Ähnlich sieht Bentele (vgl. 1998,
S. 305) Glaubwürdigkeit als ein Teilphänomen von Vertrauen an.
Für die Kommunikationsprozesse der Public Relations sind diese Beobachtungen
wichtig. So sind auch Organisationen jeglicher Couleur nicht per se glaubwürdig und
potenziell vertrauenswürdig, sondern sie müssen sich diese Einschätzungen erarbeiten.
Hierfür nimmt die Sprache eine zentrale Funktion ein. Schäfer (2013) versteht den
Aufbau von Vertrauen grundsätzlich als semiotischen Prozess, und Bentele (1998)
nennt „kommunikative Produkte“ als eine Basis für mögliche Glaubwürdigkeitszu-
schreibungen von Rezipienten gegenüber Institutionen oder Menschen.

2 Sprachliche Merkmale und Faktoren zur Stärkung von


Glaubwürdigkeit und Vertrauen

Die Relevanz von Sprache wird in den Wirtschaftswissenschaften unter dem Schlag-
wort des linguistic turn zunehmend erkannt (vgl. Stahl und Menz 2014, S. 2). Ebert
(2015, S. 482) ist zuzustimmen, dass sich „Vertrauen nicht herstellen lässt, sondern
[. . .] sich als Folge von organisationalen und interaktionalen Veränderungen ein-
stellt.“ Gleichwohl wird vorliegend angenommen, dass solche Veränderungen zu
wesentlichen Teilen auf den kommunikativen Akten von Institutionen und Organi-
sationen basieren. Der Beitrag rückt daher verbale, und auch audiovisuelle Mittel der
potenziellen Glaubwürdigkeits- und Vertrauenskonstitution in den Mittelpunkt.
Aktuelle Studien in dem hier relevanten Feld fokussieren dabei vor allem den
Aufbau von Glaubwürdigkeit und Vertrauen in Unternehmenskommunikation. Hu-
big (vgl. 2014, S. 364) etwa skizziert theoretische Überlegungen und hebt Praxis-
aspekte für die Vertrauensförderung hervor. Dazu zählt er beispielsweise direkte,
verständnisvolle Kommunikation in Form des Dialogs, Offenheit und Transparenz,
die Übermittlung von Sicherheitssignalen. Ähnlich konzentrieren sich Bentele und
Seidenglanz (vgl. 2015) auf Leitgedanken und Aspekte grundsätzlicher Art für die
Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskonstitution in den Public Relations; beispielhaft
260 M. Kuhnhenn

sei hier die „Fähigkeit zu selbstkritischer Betrachtung“ (ebd. 424, Hervorhebung


im Original) genannt. Ebert (vgl. 2015) indes wendet sich dezidiert sprachlichen
Merkmalen hin. Anknüpfend an andere Autoren gibt er einen Überblick über
sprachliche und textliche Merkmale, die der Vertrauensförderung potenziell dienen.
Vertieft widmet er sich der sprachlichen Vertrauenskonstitution in Aktionärsbriefen
und untersucht dabei beispielsweise „Selbstlob als Misstrauensindikator“ (ebd.
497, Hervorhebung im Original), da dieses als eine Art Normverletzung (Selbstlob-
verbot) verstanden werden kann und zudem seine faktische Berechtigung fraglich
sei. Besondere Beachtung schenkt Ebert zudem der Sprache im Web 2.0. Schäfer
(2016) widmet sich der linguistischen Vertrauensforschung und stellt verschiedene
methodische Zugänge zur Untersuchung der sprachlichen Vertrauensförderung dar.
Sprache in den Public Relations spielt in ihrer Einführung eine periphere Rolle.
Ebenso wie Reinmuth (2009) und Kuhnhenn (2014) erkennt auch Schäfer (2016),
dass in der Kommunikation Vertrauen und Glaubwürdigkeit eine Frage des Stils
sind. Die verschiedenen sprachlichen und inhaltlichen Merkmale müssen kohärent
und konsistent ineinander greifen, damit ein kommunikativer Stil entsteht, der von
Rezipienten als glaubwürdig und schließlich vertrauenserweckend wahrgenommen
werden kann (vgl. Kuhnhenn 2014, S. 326; Schäfer 2016, S. 256).
In der Forschungsliteratur wird sich seit der frühen Persuasionsforschung um die
Benennung von Faktoren bemüht, die je nach Schwerpunkt die Glaubwürdigkeit
oder das Vertrauen des Kommunikators zumindest potenziell konstituieren (sollen).
Die Persuasionsforscher und Psychologen Hovland, Janis und Kelley (vgl. 1953)
erkennen die Kompetenz (expertness) und die Vertrauenswürdigkeit (trustworthi-
ness) als Faktoren von Glaubwürdigkeit. Reinmuth (vgl. 2009, S. 135) benennt
vier sprachliche Glaubwürdigkeitsindikatoren für schriftliche Kommunikation: Ver-
ständlichkeit/Rezeptionsfreundlichkeit, Kompetenz, Objektivität/Aufrichtigkeit und
schließlich die Sympathie/(Text-)Attraktivität. Die Verständlichkeit fördert die
Glaubwürdigkeit, da sie die Rezeption und Informationsverarbeitung erleichtert,
textliche Merkmale sind beispielsweise narrative Elemente. Aussagen, die Kompe-
tenz vermitteln, erschienen fundierter und damit glaubwürdiger, so Reinmuth (2009,
S. 137); textliche Merkmale, die zu diesem Faktor gehören, sind beispielsweise eine
der Situation angemessen fachliche Wortwahl. Objektivität und Aufrichtigkeit zei-
gen sich sprachlich in der Vermeidung von Generalisierungen und Floskeln, statt-
dessen sind ein angemessener Detailgrad sowie inhaltliche Widerspruchsfreiheit der
Glaubwürdigkeit förderlich. Wer uns sympathisch ist, wen wir attraktiv finden, dem
vertrauen wir auch eher (vgl. Reinmuth 2009, S. 141). Texte können Attraktivität
evozieren, indem sie eine Ähnlichkeit zwischen den Kommunikatoren betonen,
Humor vermitteln oder Personalisierungen nutzen. Wie Reinmuth konzentriert sich
auch Keller (2009, S. 39–42) auf Geschäftsberichte und stellt „textliche Symptome
für die Anwesenheit bzw. Abwesenheit von Vertrauenswürdigkeit“ auf: Kompetenz,
Intelligenz, Ehrlichkeit, Sympathie. Kompetenz meint vor allem das fachliche Kön-
nen, welches der Kommunikator sprachlich zu vermitteln versucht. Anzeichen, die
gegen die Intelligenz des Autors sprechen, sind beispielsweise eine unbeholfene
Wortwahl oder eine fehlerhafte Argumentation. Unter dem Aspekt der Ehrlichkeit
diskutiert Keller die Problematik von vagen und verschleiernden Aussagen, die dem
Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Sprache in den Public Relations 261

Rezipienten womöglich vermitteln, dass der Kommunikator seine wahren Absichten


verschweigt. Anzeichen, die die Sympathie des Kommunikators stärken, bauen eine
Nähe zwischen Kommunikator und Rezipient auf. Hierunter fallen beispielsweise
Personalpronomen („wir“) oder eine bewusst verständliche und wenig „aufge-
motzte“ Sprache. Kuhnhenn (vgl. 2014, S. 321) untersucht die Glaubwürdigkeit in
politischer Kommunikation und stellt mit einer Rezeptionsstudie für diesen Kontext
vier Glaubwürdigkeitsfaktoren fest: Sachkompetenz, soziale Einbettung/Sympathie,
Verlässlichkeit/Reputation und schließlich die Verständlichkeit. Während sich Rein-
muth und Keller dezidiert auf unternehmerische Texte konzentrieren, setzt Schäfer
(vgl. 2016, S. 69, Hervorhebungen im Original) einen breiteren Fokus an, und
benennt vier Faktoren, welche das Vertrauen in schriftlicher Kommunikation för-
dern: Kompetenz auf dem relevanten Gebiet, Konsistenz in den verbal und nonverbal
vermittelten Inhalten und Konsistenz der Selbstdarstellung im Laufe der Zeit,
Interesse am Partner, seinen Problemen und den gemeinsamen Themen, Koordinier-
tes Handeln – Fähigkeit und Bereitschaft dazu, eigenes Handeln mit dem des
Partners zu koordinieren.
Die genannten Ansätze zeigen gemeinsame Annahmen sowie auch unterschiedliche
Schwerpunktsetzungen. Die nachstehende Tabelle fasst die Faktoren zusammen (Tab. 1):
Kompetenz, Sympathie, Widerspruchsfreiheit sowie ein Interesse am Kommuni-
kationspartner (oder die Verbalisierung von Gemeinsamkeiten) sind folglich Kern-
merkmale, die als wichtige Faktoren sowohl für die Glaubwürdigkeit als auch Ver-
trauenswürdigkeit eines Kommunikators gelten.
Lassen sich in der Praxis diese Faktoren wiederfinden? Sind in kommunikativen
Produkten der Öffentlichkeitsarbeit Mittel der Konstitution von Glaub- und Vertrau-
enswürdigkeit präsent? An einem Fallbeispiel wird dies im Folgenden untersucht.

Tab. 1 Übersicht Kommunikative Faktoren von Glaubwürdigkeit und Vertrauen


Autoren Faktoren Glaubwürdigkeit Faktoren Vertrauen
Hovland et al. (1953) Kompetenz, Vertrauenswürdigkeit
Reinmuth (2009) Verständlichkeit/Rezeptionsfreundlichkeit,
Kompetenz (des Kommunikators),
Objektivität/Aufrichtigkeit,
Sympathie/(Text-)Aufrichtigkeit
Keller (2009) Kompetenz,
Intelligenz,
Ehrlichkeit,
Sympathie
Kuhnhenn (2014) Sachkompetenz,
soziale Einbettung/Sympathie,
Verlässlichkeit/Reputation,
Verständlichkeit
Schäfer (2016) Kompetenz,
Konsistenz,
Interesse (am Partner),
Koordiniertes Handeln
262 M. Kuhnhenn

3 Fallbeispiel: Deutsche Rote Kreuz Kreisverband


Ostvorpommern-Greifswald e. V.

Am Beispiel des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Kreisverband Ostvorpommern-


Greifswald e. V. wird diskutiert, ob und inwiefern die zuvor ausgeführten Faktoren
in kommunikativen Praktiken der Öffentlichkeitsarbeit einer sozialen Organisation
realisiert werden. Die Auswahl fiel auf eine soziale Organisation, um die
bestehende Forschung bezüglich des Organisationstyps zu ergänzen. In der For-
schungsliteratur stehen zumeist wirtschaftliche Organisationen im Forschungsinter-
esse (vgl. Reinmuth 2009; Keller 2009; Ebert 2015). Die Analyse fokussiert sich auf
die Internetseite (Home) des Kreisverbands und ein zweieinhalb minütiges Video,
welches auf der Startseite abrufbar ist. Lies (vgl. 2015, S. 66) versteht das
Internet als „Massenmedium“ und Online-PR als niederschwellige Möglichkeit,
um möglichst viele Bezugsgruppen zu erreichen. Der Internetauftritt ist weiterhin
eine Pull-Strategie der Organisation, da die Initiative der Informationsbeschaffung
von den Stakeholdern und nicht von der Institution ausgeht (vgl. ebenda). Die
Internetseite des Kreisverbands wurde dementsprechend als Analysegegenstand
ausgewählt, da das DRK damit ein einheitliches Bild nach außen an alle Stakeholder
vermittelt (zu diesen Stakholdern gehören aktuelle Nutzer des DRK, potenzielle
Nutzer, aktiv Engagierte, Ehrenamtliche, Interessierte etc.). Die Interaktion mit
anderen Medien ist, laut Lies (2015, S. 68), ein Kennzeichen von Online-PR. Auch
das DRK Ostvorpommern-Greifswald macht hiervon Gebrauch, so ist auf der
Startseite ein Video abrufbar. Das Video ist als Imagevideo zu verstehen, mit dem
sich der Kreisverband knapp präsentiert und dem Rezipienten ein Minimum an
Informationen gibt (zum Image vgl. Bentele 2015, S. 1111). Diese Informationen
werden in Form von ein- bis zweisätzigen Statements von verschiedenen Stakehol-
dern geäußert, dabei werden die Stakeholder nicht konkret benannt, aus dem Kon-
text lässt sich jedoch erahnen, dass es sich sowohl um Engagierte aus dem DRK wie
auch um Zielgruppen (Kinder, ältere Menschen etc.) handelt. Insgesamt sind die hier
analysierten Kommunikate als „erster Eindruck“ über den Kreisverband zu verstehen.
Dies ist für den Aufbau von Glaubwürdigkeit und Vertrauen besonders relevant, da
hier der kritische Moment stattfindet, ob ein Rezipient den Kreisverband als glaub-
und vertrauenswürdig einschätzt und sich weitergehen mit dem Verband beschäftigt.

Der Internetauftritt des Kreisverbands: Die Homepage


Gegenstand der Analyse ist die Homepage des Kreisverbands, die mit einem Klick
auf „Home“ erscheint. Diese Seite bietet sich als Forschungsgegenstand an, da sich
auf dieser Seite der Verband präsentiert, was für die Analyse der Öffentlichkeits-
arbeit hinsichtlich des Aufbaus von Vertrauen und Glaubwürdigkeit zwischen Orga-
nisation und Stakeholdern relevant ist.
Oberhalb der Reiter, die zu weiteren Unterseiten des Kreisverbands führen, sind
das allgemeine Logo des Deutschen Roten Kreuzes, die Kontaktdaten des Kreisver-
bands und der Slogan des Verbands „Aus Liebe zum Menschen.“ abgebildet. Dieser
Slogan fungiert nicht nur für den Kreisverband, sondern ist Slogan einer nationalen
Imagekampagne des Deutschen Roten Kreuzes,1 und er wird auch vom Österreichi-
Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Sprache in den Public Relations 263

Abb. 1 Homepage DRK Kreisverband Ostvorpommern-Greifswald. https://www.drk-ovp-hgw.


de/. Zugegriffen am 18.03.2017

schen Roten Kreuz verwendet.2 Der Slogan ist vor allem auch wegen der emulierten
Handschrift ein Eyecatcher. Inhaltlich kann die Aussage „Aus Liebe zum Men-
schen“ als Begründung für die Arbeit des Kreisverbands gelesen werden. Der Slogan
liest sich wie die Antwort auf die (imaginäre) Fragen: „Warum gibt es den Kreis-
verband?“ oder „Warum arbeitet der Kreisverband?“. Das Substantiv „Liebe“ ist
nicht nur als Hochwertwort zu verstehen und positiv denotiert, sondern es es
verweist auch auf einen humanen Akteur; denn in der Regel sind es Menschen,
die zur Liebe fähig sind. Somit erfährt der Kreisverband eine Personifizierung.
Zusammenfassend finden sich im Slogan einige Merkmale, die den Aufbau von
Glaubwürdigkeit und Vertrauen stärken. Die Personifizierung kann die Sympathie
gegenüber den Komunikator stärken, dies gilt auch für die emulierte Handschrift und
das Substantiv „Liebe“ sowie die damit verbundene implizite Begründung, dass der
Kreisverband aus Liebe zum Menschen arbeitet. Sympathie und Interesse am Partner
sind somit die Faktoren, die beim Blick auf die Homepage als erste aktiviert werden,
um beim Stakeholder Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu schaffen (Abb. 1).
Unter den Reitern steht ein rekursiver Link zur Homepage des Kreisverbands,
daneben befindet sich ein weiterer Slogan des Verbands: „Helfen, Retten, Pflegen,
Bilden.“ Diese substantivierten Adjektive bilden das Spektrum der Dienstleistungen
des DRK ab und finden sich in den weiteren Texten auf der selben Seite wieder
(Abb. 2):

1
http://wb.drk-intern.de/brief_41.html. Zugegriffen am 18.03.2017.
2
https://www.aus-liebe-zum-menschen.at/. Zugegriffen am 18.03.2017.
264 M. Kuhnhenn

Abb. 2 Homepage DRK Kreisverband Ostvorpommern-Greifswald https://www.drk-ovp-hgw.de/


. Zugegriffen am 18.03.2017

Auf der linken Seite werden auf einem grau hinterlegten Balken abermals die
substantivierten Adjektive „Helfen, Retten, Pflegen, Bilden“. Darunter werden die
Besucher der Seite direkt angesprochen: „Werte Gäste [. . .]“. Sodann heißt es, dass die
Gäste auf der Internetseite die Möglichkeit haben, sich über das „breite Leistungs-
pektrum“ zu informieren. Mit diesem kurzen Text markiert der Kreisverband seine
Kompetenz. Zwar nennt er keine konkreten fachlichen oder sachlichen Kompetenzen,
aber zumindest werden grobe Bereiche genannt (Pflege, Rettung, Bildung). Da der
Kreisverband davon ausgehen kann, dass das DRK den meisten Besuchern der
Internetseite bekannt sein dürfte, erscheint es plausibel, dass diese Schlagwörter
ausreichen, um beim Leser die Assoziationen der Kompetenzbereiche vom DRK zu
wecken. Zudem ist unter dem Text ein Video eingestellt, welches weitere Informatio-
nen zu den Kompetenzen des DRK erwarten lässt (zum Video siehe unten).
Rechts neben diesem Text ist ein weiterer Textblock platziert. Dessen Überschrift
wiederholt den bereits bekannten Slogan „Aus Liebe zum Menschen“. Sodann
wiederholt sich der vierschrittige Slogan „Helfen, Retten, Pflegen, Bilden“, welche
als „Grundpfeiler unserer Dienstleistungen“ vorgestellt werden. Das Substantiv
„Grundpfeiler“ weckt Assoziationen zu einem Haus. Somit wird beim Rezipienten
möglicherweise folgende Metaphorik evoziert: Das DRK gleicht einem soliden
Haus, welches auf vier Grundpfeilern steht. Die bis dato noch nicht ausgeführten
Substantive („Helfen [. . .]“) erfahren nun eine Konkretisierung, so wird expliziert,
dass der Kreisverband unter anderem einen Rettungsdienst, einen Pflegedienst,
Kindertagesstätten, Familien- und Seniorenarbeit, Katastrophenschutz, eine Wasser-
wacht, das Jugendrotkreuz und eine Rettungshundestaffel betreibt. Dergestalt stellt
der Kreisverband konkret, ohne nebensächliche Details und damit nachvollziehbar
Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Sprache in den Public Relations 265

seine Dienstleistungen dar. An dieser Stelle markiert er vor allem seine Kompetenz
und dies auf verständliche Art und Weise.
Auffällig ist weiterhin die Verwendung von zahlreichen Personalpronomen.
Direkt unter dem Textblock findet sich ein expliziter Appell an den Leser: „Auch
Sie können aktiv mitwirken!“, links daneben befindet sich ein stilisiertes rotes Kreuz
mit der Aufschrift „Jetzt Mitglied werden“. Der Klick darauf führt zur Unterseite
„Fördermitgliedschaft“. Ganz rechts, neben den Textblöcken, sind weitere Kästen
angeordnet, die zur Mitarbeit aufrufen. Die Überschriften arbeiten mit Personalpro-
nomen, um den Leser einzubinden: „Ihre DRK-Nummer“ spricht den Leser an und
betont die Serviceleistung. Das darunter gefasste Statement „Ich will helfen“ impli-
ziert die Perspektive des Lesers. Mit diesem Statement schafft der Kreisverband
abermals sprachlich eine Nähe zum Leser, was potenziell die Sympathie des Lesers
gegenüber der Organisation zu verstärken vermag.
Auf der Homepage ist ein Video eingebettet. Ohne dass das Video gestartet wird,
ist bereits dessen Titel sichtbar: „Deutsches Rotes Kreuz: Wir in Vorpommern.“ Der
Titel verortet den Kreisverband explizit in seiner Region, was abermals eine Nähe –
und womöglich auch ein Interesse an – zu den lokalen Stakeholdern kommuniziert.
Mit Reinmuth und Schäfer lässt sich damit vermuten, dass bereits die Vorschau des
Videos die Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Organisation stärkt.
Zudem bietet es neben den sonst primär verbalen Informationen und Symptomen
der Glaub- und Vertrauenswürdigkeit eine neue modale Qualität, nämlich audiovi-
suelle Eindrücke. Diese zusätzlichen Modalitäten haben das Potenzial weitere Trans-
parenz zu schaffen. In dem Video äußern verschiedene Stakeholder ein- bis zwei-
seitige Statements, die, so kann aus dem Kontext geschlossen werden, auf den DRK
referieren. Als eine Art Collage werden verschiedene Szenen, in denen das Deutsche
Rote Kreuz Ostvorpommern e. V. aktiv ist sowie O-Töne von Bürgern, gezeigt. Der
Imagefilm arbeitet vor allem mit visuellen Eindrücken, so wird dem Zuschauer
anhand der diversen Szenen bewusst, in welchen Bereichen, das DRK aktiv ist
(Betreiber von Kindergärten, Rettungswägen, Blutspende, Rettungsschwimmer,
„Gulaschkanone“). Der gesprochene Text, und damit der verbal vermittelte Inhalt,
beschränkt sich auf wenige O-Töne. Die erste Sprecherin ist ein Mädchen, welches
vermutlich einen Kindergarten besucht, der in Trägerschaft des Kreisverbands steht
(Abb. 3). Letzteres wird nicht explizit vermittelt, ist aber aus dem Kontext schließ-
bar. Das Mädchen wiederholt den bereits bekannten Slogan „Aus Liebe zum Men-
schen.“, dies ist auch die erste verbale Aussage in dem Video. Der bereits bekannte
Slogan wird damit multimodal vermittelt: textlich und audio-visuell. Er wird somit
fast zu einem Mantra, dem sich der Rezipient nicht entziehen kann. Bezüglich des
Aufbaus von Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind zwei Lesarten möglich: Zum
einen kann sich die Wiederholung positiv auf die Glaubwürdigkeit einer Aussage
auswirken. Diese Wirkung entspräche dem „Truth-Effekt“: „[. . .] if people are told
something often enough, they’ll believe it.“ (Hasher et al. 1977, S. 112; Koch und
Zerback 2011). Ebenso ist aber auch denkbar, dass die mehrfache Wiederholung
dem Rezipienten negativ auffällt, und als zu markante Eigenwerbung interpretiert
wird. Womöglich erscheint die Aussage auch als platte Floskel, die den Aufbau von
Vertrauen und Glaubwürdigkeit gefährdet (vgl. Reinmuth 2009, S. 140).
266 M. Kuhnhenn

Abb. 3 Szene 1 Video


„DRK: Wir in Vorpommern“
https://youtu.be/vp4Q_
b9tCg8. Zugegriffen am
18.03.2017

Abb. 4 Szene 2 Video


„DRK: Wir in Vorpommern“
https://youtu.be/vp4Q_
b9tCg8. Zugegriffen am
18.03.2017

O-Ton: „Aus Liebe zum Menschen“ Ähnlich ambigue ist die folgende Aussage zu
interpretieren (Abb. 4). In dieser äußert sich eine Frau, die aufgrund des Kontextes
(Marktplatz) und ihrer alltäglichen Kleidung als Passantin und vermeintlich zufällig
Befragte, nicht aber als Vertreterin des Kreisverbands, charakterisiert werden kann.

O-Ton: „Hat ein ehrliches Image“ Die Passantin sagt aus, dass das DRK ein
„ehrliches Image“ habe. Im besten Falle akzeptiert der Rezipient diese Aussage, da
sie von einer oberflächlich betrachtet neutralen Person geäußert wird. Gleichsam
kann die explizite Charakterisierung des Kreisverbands als „ehrlich“ auch negativ
für die Zuschreibung von Glaubwürdigkeit sein. Reinmuth (vgl. 2009, S. 140) stellt
fest, dass die offenkundige Betonung der eigenen Glaubwürdigkeit den Kommuni-
kationspartner womöglich misstrauisch macht, da sich dieser fragt, warum sich der
Kommunikator als glaubwürdig darstellen muss (Im Sinne der Fragen: „Warum
betont jemand seine Ehrlichkeit? Hat er oder sie etwas zu verbergen?“).
Als letzte Szene aus dem Video soll das Statement eines offensichtlich aktiv
Engagierten aus dem Kreisverband näher beleuchtet werden (Abb. 5). Es handelt
sich hierbei um einen Mann, der ein T-Shirt mit dem Logo des DRK trägt und der in
der offenen Wagentür eines, vermutlich, Rettungswagens steht. Dank der genannten
Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Sprache in den Public Relations 267

Abb. 5 Szene 3 Video


„DRK: Wir in Vorpommern“
https://youtu.be/vp4Q_
b9tCg8. Zugegriffen am
18.03.2017

Requisiten ist der Mann als Vertreter des DRK identifizierbar, seine Aussage
bestätigt dies. Er äußert das Statement: „Wir sind immer da, wenn andere Hilfe
brauchen.“

O-Ton: „Wir sind immer da, wenn andere Hilfe brauchen“ Mit dem Personalpro-
nomen „wir“ stellt sich der Sprecher als Vertreter des Kreisverbands dar und
vermittelt zudem den Eindruck, dass der Verband eine solidarische Gruppe ist. Der
Eindruck von Solidarität entsteht zum einen dadurch, dass der Sprecher seine
Aussage scheinbar für den gesamten Kreisverband tätigt, er differenziert keine
spezifische Untergruppe. Zudem vermittelt die Aussage, dass das DRK „immer“
da ist, wenn dessen Hilfe verlangt wird, einen Grad an Verbindlichkeit und Solida-
rität. Freilich kann der Allquantor „immer“ auch negativ als Übergeneralisierung
verstanden werden, was die Glaubwürdigkeit des Kreisverbands zu mindern vermag.
Während die vorherigen Statements vor allem die Ebene der Sympathie und die
Nähe zu den Stakeholdern markiert haben, tangiert der Vertreter des Kreisverbands
mit seinem Auftreten und seiner Aussage stärker die Ebene der Kompetenz. Zwar
führt er seine sachliche Kompetenz nicht aus, aber anhand der Kleidung und des
Rettungsfahrzeugs lassen sich seine Fähigkeiten in diesem Kontext erahnen. Die
Aussage, „immer da zu sein, wenn andere Hilfe brauchen“, lässt ihn gleichsam
nahbar (weil hilfsbereit) und kompetent erscheinen. Da er als Vertreter des DRK
erkennbar ist, können diese Attribuierungen von ihm auf den Kreisverband projiziert
werden.

4 Fazit

Eine glaubwürdige Kommunikation ist für den Aufbau von Vertrauen im Kontext
von Public Relations unerlässlich. Verbale wie auch nonverbale Ressourcen stehen
dabei als Träger von Anzeichen für die Glaub- und Vertrauenswürdigkeit des
Kommunikators zur Verfügung. Die sprachliche Analyse ist für die Betrachtung
der Konstituierung sowie der Aufrechterhaltung von Glaubwürdigkeit und Vertrauen
268 M. Kuhnhenn

in kommunikativen Handlungen der Öffentlichkeitsarbeit daher von zentraler Be-


deutung. In der PR-Literatur besteht diesbezüglich noch Forschungsbedarf.
Da sowohl die Glaubwürdigkeit als auch die Vertrauenswürdigkeit einem Kommu-
nikator zugeschrieben werden, besteht aus Sicht der Betreibenden von Public Rela-
tions die Frage, welche Merkmale ebensolche Einschätzungen seitens relevanter
Stakeholder fördern. In der Literatur existieren verschiedene Ansätze, die sich um
die Identifikation von Faktoren der Glaub- und Vertrauenswürdigkeit bemühen. Als
wiederkehrende Faktoren lassen sich Kompetenz, Sympathie sowie dezidiert sprach-
liche Merkmale wie Verständlichkeit erkennen. Im vorliegenden Fall stand die
Homepage einer sozialen Organisation im Forschungsinteresse; die diesbezüglich
untersuchten Kommunikate markierten vor allem die Nähe zum Rezipienten. Darü-
ber hinaus kamen Zivilakteure selbst zu Wort, was nicht nur eine Nähe zum
Rezipienten, sondern auch eine Identifikationsfolie für diesen bietet. Im Kontext
einer sozialen Organisation sind diese Kommunikationsstrategien freilich erwartbar.
Public Relations im Medium der Online-Kommunikation kann sich zudem verschie-
dener Modi bedienen, um sich als glaub- und vertrauenswürdiger Akteur darzustel-
len. Produktiv erscheint sowohl die Kombination verschiedener Modi (Text, Sym-
bole, Bilder, Videos) als auch die Markierung möglichst vieler Faktoren der
Konstituierung von Glaubwürdigkeits- und Vertrauenswürdigkeit. Dergestalt wer-
den zum einen unterschiedliche Stakeholder und deren Vorlieben angesprochen und
der Kommunikator vermeidet das Risiko, einseitige Signale seiner Glaub- und Ver-
trauenswürdigkeit zu vermitteln. Die kommunikative Stärkung der eigenen Glaub-
und Vertrauenswürdigkeit bleibt eine Gratwanderung. So kann die (übermäßige)
Betonung beispielsweise der Kompetenz oder Nähe zum Interaktionspartner von
Letzterem ab einem bestimmten Punkt als negativ eingeschätzt werden, was sich der
Zuschreibung von Vertrauenswürdigkeit wiederum negativ auswirkt.

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Intention und Emergenz
Wie die Gesprächsanalyse zur Evaluation strategischer
Kommunikation beitragen kann. Das Beispiel einer
Bürgerveranstaltung zum Übertragungsnetzausbau

Christian Schwägerl, Reinhold Fuhrberg und Dimitrij Umansky

Zusammenfassung
Die Evaluation strategischer Kommunikation bewertet in der Regel, inwieweit
die intentionale Einflussnahme auf Stakeholder im Organisationsumfeld gelingt.
Der Kommunikationsprozess selbst als emergente, soziale Interaktion bleibt
meist unbeachtet. In diesem Beitrag soll die linguistische Gesprächsanalyse als
Evaluationsinstrument der Interaktion in einer Bürgerveranstaltung im Rahmen des
Stromnetzausbaues vorgestellt und hinsichtlich ihrer Eignung bewertet werden.

Schlüsselwörter
Bürgerbeteiligung • Gesprächsanalyse • PR-Evaluation • Soziale Interaktion •
Strategische Kommunikation

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
2 Strategische Kommunikation und Evaluation zwischen Intention und Emergenz . . . . . . . . 273
3 Die Gesprächsanalyse: Ziele, Annahmen, Vorgehensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
4 Öffentlichkeitsbeteiligung beim Stromnetzausbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
5 Exemplarische Analyseperspektiven einer Informationsveranstaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
5.1 Interaktionale Spezifika der Veranstaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
5.2 „Gesundheitliche Schäden“: Die Formulierung und Bearbeitung einer
Publikumsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
5.3 Weitere Analyseperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
6 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

C. Schwägerl (*) • R. Fuhrberg • D. Umansky


Institut für Kommunikationsmanagement, Hochschule Osnabrück, Lingen, Deutschland
E-Mail: c.schwaegerl@hs-osnabrueck.de; r.fuhrberg@hs-osnabrueck.de; d.umansky@hs-
osnabrueck.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 271


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_15
272 C. Schwägerl et al.

1 Einleitung

Kommunikation und damit Sprache spielt in pluralistischen Gesellschaften mit ihren


vielfältigen Partikularinteressen eine zentrale Rolle beim Aushandeln des Gemein-
wohls. Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur versuchen im
Wettstreit ihre Themen im öffentlichen Diskurs und damit letztlich ihre Interessen
durchzusetzen. So stehen Staat und Privatwirtschaft auch bei der Implementierung
großer Infrastrukturprojekte wie dem der Energiewende geschuldeten Ausbau des
Stromnetzes vor großen kommunikativen Herausforderungen (vgl. Fuhrberg und
Umansky 2017). Aufgrund zahlreicher gesundheitlicher, ökonomischer, ökologi-
scher und ästhetischer Risiken protestieren vor allem lokale Akteure wie Bürger
und Bürgervertreter1 gegen den Netzausbau.
Innerhalb unterschiedlicher Stakeholder-Interessen sind die Vorhabenträger be-
müht, wirtschaftlich zu arbeiten und gesellschaftliche Legitimität zu erhalten. Dies
umfasst neben den behördlichen Genehmigungen die soziale Akzeptanz durch Teile
der betroffenen Bevölkerung. Im Rahmen der Genehmigungsverfahren sind dazu
formale Öffentlichkeitsbeteiligungen vorgeschrieben, die durch informale Informa-
tions- und Kommunikationsangebote ergänzt werden. Die Public Relations (PR) der
Netzbetreiber als Teil strategischer Organisationskommunikation versucht, die
Kommunikationsprozesse in einer Weise zu planen und zu steuern, um ein Höchst-
maß an Akzeptanz zu erreichen. Neben medial vermittelter Kommunikation über
Broschüren, Pressearbeit, Websites, Videos und soziale Medien setzen die Unter-
nehmen vor allem auf Veranstaltungsformate mit eingeschränkten Interaktionsmög-
lichkeiten wie Bürgerversammlungen, in denen sie die Bürger über die Planungen
informieren und ihnen Fragemöglichkeiten einräumen. Solche Kommunikationsfo-
ren bieten einerseits eine gute Möglichkeit, diskursiv Verständigung beziehungs-
weise Beeinflussung zu erzielen, bergen andererseits das Risiko, als begrenzt steu-
erbares Format die beabsichtigte Wirkung zu verfehlen.
Der Beitrag versucht zu klären, inwieweit sich ein gesprächsanalytisches Verfahren
eignet, diese interpersonelle Kommunikation zu dokumentieren und zu beschreiben. Im
Kontext strategischer Kommunikation können die Befunde bewertet und als Vorlage
für Handlungsempfehlungen genutzt werden. Dazu wird zunächst strategische Kom-
munikation im Spannungsfeld von Intention und Emergenz, d. h. beabsichtigter Wir-
kung vs. sich aus wechselseitigem Austausch ergebenden Effekten betrachtet. Dabei
wird gefragt, inwieweit gängige PR-Evaluationsverfahren die soziale Interaktion erfas-
sen. Die im PR-Kontext weitgehend unbekannte Gesprächsanalyse wird als dafür
mögliche Evaluationsmethode skizziert. Die Relevanz strategischer Kommunikation
für Infrastrukturprojekte, insbesondere für den Übertragungsnetzausbau wird heraus-
gearbeitet, bevor am Beispiel des Formats einer Bürgerveranstaltung, von der ausge-
wählte Sequenzen Gegenstand der anschließenden Gesprächsanalyse sind, erläutert
wird, welche Ziele und Taktiken die Organisatoren auf lokaler Ebene mit diesem

1
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text an Stellen, an denen die weibliche und
männliche Form gemeint ist, nur die männliche Form verwendet.
Intention und Emergenz 273

Format verfolgen. Abschließend wird überprüft, welche Konsequenzen aus der Ge-
sprächsanalyse gezogen werden können und inwieweit sie sich als Evaluationsinstru-
ment der PR insbesondere in Bezug auf das Beschreiben sozialer Interaktion eignet.

2 Strategische Kommunikation und Evaluation zwischen


Intention und Emergenz

Strategische Kommunikation lässt sich innerhalb der Organisationskommunikation


als der Versuch von Organisationen beschreiben, mittels zielgerichteter Kommuni-
kation und damit auch Sprache den angestrebten Organisationszweck zu erfüllen
(vgl. Hallahan et al. 2007, S. 3). Dabei spielen die PR neben interner Kommunika-
tion und Marktkommunikation eine zentrale Rolle. Als das Management von Kom-
munikationsprozessen zwischen Organisationen und deren Bezugsgruppen versucht
PR durch einvernehmliche Beziehungen mit ihrem Umfeld die Legitimation orga-
nisationalen Handelns zu erhalten und so die Handlungsautonomie der Organisatio-
nen abzusichern.
Gemäß Konzeptionslehre vollzieht sich das Kommunikationsmanagement nor-
mativ in den zentralen vier Arbeitsschritten Analyse, Planung, Realisation und
Evaluation (z. B. Bentele und Nothhaft 2015). Das Kommunikationscontrolling
erfasst und bewertet dabei als Soll-Ist-Abgleich diese Arbeitsschritte und damit die
Organisationskommunikation und will zugleich die Prozesssteuerung unterstützen
(vgl. Zerfaß 2014, S. 59–69). Modelle des Kommunikationscontrollings versuchen,
diese Strategiekonzeption in Management- und Kommunikationsprozessen zu
implementieren (vgl. Pfannenberg und Zerfaß 2010). Das DPRG/ICV-Evalua-
tionsmodell unterscheidet dabei vier Wirkungsstufen der Kommunikation und damit
Ebenen der Evaluation: (1) Ressourceneinsatz (Input), (2) Qualität der Aktivitäten,
Reichweite und Inhalte der Kommunikationsangebote (internes/externes Output),
(3) Wahrnehmungsebene, Nutzung und Wissen sowie Beeinflussung von Meinung,
Einstellung, Emotionen und Verhalten bei den Bezugsgruppen (direkter/indirekter
Outcome) sowie (4) die strategische sowie betriebswirtschaftliche Erfolgsebene der
Organisation (Outflow). Ob dieses Kommunikationsverständnis der Steuerungsfä-
higkeit via Balanced-Scorecard-Modellen, die Unterstellungen von einfachen Ursa-
che-Wirkungszusammenhängen im Rahmen sogenannter Strategy Maps, der
Komplexität und Korrelation wechselseitiger Kommunikationsprozesse gerecht
wird, ist zumindest fraglich (vgl. Preusse und Röttger 2013).
Gegenüber normativen Kommunikationsmodellen befassen sich konstituierende
Modelle mit „how individual and shared meanings are shaped through the communi-
cation process itself“ (Holtzhausen und Zerfass 2015, S. 8). Aus u. a. sozialpsycholo-
gischer und -kultureller Perspektive betrachten sie Kommunikation als eine Wechsel-
beziehung zwischen mindestens zwei Akteuren, die in einer zirkulären, symbolisch
vermittelten Interaktion stehen und gemeinsame Bedeutungen eines subjektiv gemein-
ten Sinns aushandeln (vgl. z. B. Beck 2017). Hierbei werden u. a. gegenseitige Wahr-
nehmungen der Akteure, aufeinander bezogene Handlungsweisen, Strategien der
Bedeutungsherstellung sowie hergestellte Bedeutungen erforscht. Während die zuvor
274 C. Schwägerl et al.

vorgestellten normativen Modelle sich vor allem mit der Intention hinter strategi-
scher Kommunikation und ihrer Umsetzung befassen, tragen konstituierende
Modelle zur Untersuchung der Emergenz strategischer Kommunikation aus einem
Kommunikationsprozess heraus bei. Emergenz beschreibt hier strategisches Han-
deln, das nach einem festen Muster abläuft und zunächst unbeabsichtigt aus einem
Prozess heraus entsteht (Mintzberg und Waters 1985, S. 258–259). Da strategische
Kommunikation eine Wechselbeziehung zwischen Intention und Emergenz darstellt,
sollte ihr Verständnis idealerweise sowohl normative als auch konstitutive Elemente
enthalten.
Die Erforschung von Emergenz kann zum Verständnis der Reflexionsleistung
von Akteuren und ihrer Anpassung an Kommunikationsprozesse beitragen: Inwie-
fern nehmen Akteure Diskrepanzen zwischen intendierter und tatsächlich stattfin-
dender Kommunikation wahr und inwiefern passen sie ihr Handeln an? Die Frage
nach der Responsivität findet in der PR-Forschung jedoch kaum Beachtung. Diese
konzentriert sich eher auf die Untersuchung externer Kontextsteuerung, also die
intendierte Beeinflussung des Organisationsumfeldes (vgl. Hoffjann 2009). Dabei
liegen zahlreiche theoretische Überlegungen vor, die diese Doppelrolle der PR
bestärken: das „engineering of consent“ (Bernays 1955); die PR-Rolle im
Stakeholder-Ansatz, bei der die Organisation Plattform für die Aushandlung der
Interessen von Anspruchsgruppen ist (vgl. Karmasin 2015); die „architecture of
listening“ in der Organisation (Macnamara 2015), um besser mit komplexen, wider-
sprüchlichen, unsicheren und instabilen Organisationsumfeldern umgehen zu kön-
nen. „Während Unternehmenskommunikation beziehungsorientierter wird, entwi-
ckelt sich Kommunikationssteuerung zu einem Response-Management, das eine
fortlaufende Anpassung der Ziele und Maßnahmen an die Meinungen und Erwar-
tungen der Stakeholder erforderlich macht“ (Rolke und Sass 2016, S. 6). Damit
rückt die Untersuchung emergenter Kommunikation als Interaktion, also der Bezie-
hung zwischen Organisationen und dem organisationalen Umfeld, in den Fokus der
Evaluation von PR. Findet sich dies in der Evaluationspraxis wieder?
Seit rund 40 Jahren ist eine wissenschaftliche Beschäftigung mit PR-Evaluation
erkennbar (vgl. Volk 2016). Stets wird PR-Evaluation im Kontext planerischer
PR-Strategie verortet, wie die Genese von PR-Evaluationsmodellen deutlich macht.
Auch wenn dynamische Kreislaufmodelle über Feedbackschleifen organisationales
Lernen andeuten, fragen Studien zur Evaluationspraxis in ihren Items meist nur nach
Methoden der Evaluation wie Befragungen oder Inhaltsanalysen, die geeignet sind,
Veränderungen im Sinne der Organisation bei den Bezugsgruppen zu erkennen,
z. B. Wissen, Einstellungen und Verhalten der Stakeholder (z. B. Zerfaß et al. 2017).
Evaluationen in die eigene Organisation hinein im Hinblick darauf, wie sich dort
Akteure im Sinne organisationaler Selbststeuerung verändert haben, finden sich
kaum. Dies gilt auch für die Medienresonanzanalyse als Beobachtung der sozialen
Interaktion der beteiligten Akteure durch die Medien sowie das Monitoring der
Interaktion in sozialen Medien. Selbst im auf Verständigung angelegten Konzept
von Burkart, in dem gleichberechtigte Akteure mittels besserem Argument in einem
herrschaftsfreien Diskurs um die beste Lösung ringen, ermittelt die Evaluation in
ihren Fragestellungen lediglich die Einflussnahme auf die betroffenen Stakeholder
Intention und Emergenz 275

(vgl. Burkart 2015, S. 290–291). Veränderungen auf Seiten der PR-treibenden


Organisation durch den Prozess der Verständigung bleiben außer Betracht. Eine dort
vorgenommene Gesprächsanalyse findet lediglich in der Erstveröffentlichung kurz
Erwähnung (vgl. Burkart 1993, S. 128). Auch die sogenannte „PR-Evaluation of
Relationship“ mit den Mess-Items Vertrauen als Integrität, Kompetenz und Zuver-
lässigkeit (Trust), wechselseitiges Beeinflussungsvermögen (Control Mutuality),
beständige und emotionale Bindung (Commitment), Zufriedenheit mit der Bezie-
hung (Satisfaction) sowie gemeinschaftliche Austauschbeziehung (Exchange Rela-
tionships) richtet ihre Fragen zur Beziehung ausschließlich an die Stakeholder und
nicht die eigene Organisation (vgl. Hon und Grunig 1999, S. 28–30). So haben
bisherige Modelle und Verfahren der PR-Evaluation ein asymmetrisches Kommu-
nikationsverständnis. Die systematische Beobachtung und Analyse emergenter Kom-
munikationsprozesse selbst und die Interaktion zwischen den Akteuren bleiben
dabei außen vor. Hier setzt die Gesprächsanalyse an.

3 Die Gesprächsanalyse: Ziele, Annahmen,


Vorgehensweisen

Die Gesprächsanalyse untersucht die verbalen, nonverbalen und paraverbalen Akti-


vitäten von Personen, die im Handlungszusammenhang einer natürlichen Ge-
sprächssituation agieren, wie etwa Deppermann (2008) beschreibt. Sie ermittelt
mit mikroskopischer Akribie, wie sich diese Aktivitäten aufeinander beziehen und
Reziprozität in Bezug auf sprachliches Handeln lokal organisiert ist. Das empirische,
gegenstandfundierte Verständnis (Deppermann 2008, S. 9) der Methode zieht keine
psychologischen Theorien heran, um Sprecheraktivitäten zu erklären. Das Untersu-
chungsziel ist nicht, über Sprecherintentionen zu spekulieren (vgl. Deppermann
2008, S. 82–83), sondern streng datenimmanent die hör- und sichtbaren verbalen,
nonverbalen und paraverbalen Aktivitäten zu erfassen, mit deren Hilfe sich Sprecher
einander und für den Forscher wahrnehmbar koordinieren (vgl. Deppermann 2008,
S. 50). Die Methode sucht also zu ermitteln, „wie [Hervorhebung im Original] Sinn
und Ordnung im Gespräch hergestellt werden“ (Deppermann 2008, S. 14). Die
Sprache der Beteiligten dient in diesem Verständnis dazu, die Prozesse zu beschrei-
ben, mit denen Intersubjektivität in und durch Kommunikation entsteht.
Fallbezogen arbeitet die Methode daher die kommunikativen Praktiken heraus,
die Sprecher verwenden, um einander zu verstehen. Als Datenmaterial dienen
aufgezeichnete Gespräche, die im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung in
der natürlichen Umgebung der Sprecher erhoben und transkribiert werden. Allein
die Notationsregeln verdeutlichen das empirische Verständnis der Methode, mensch-
liche Kommunikation streng subjektbezogen und in einer Form zu erforschen, wie
sie von den Sprechern verwendet wird. Die Gesprächsaufzeichnungen werden bei
der Transkription nicht nach den Regeln der Standardorthografie überarbeitet. Es
gibt also keine Bereinigungen und redaktionelle Bearbeitungen von Ungrammati-
kalitäten, lexikalischer und syntaktischer Fehler, idiomatischer Variationen, Wort-
wiederholungen, nichtlexikalischer Äußerungen, Rezipientensignalen („ähm“, „hm“).
276 C. Schwägerl et al.

Die Transkription erfolgt in literarischer Umschrift und in Kleinschreibung,


orientiert sich am orthografischen System der Standardsprache, aber berücksichtigt
artikulatorische Besonderheiten und will den Gesprächsverlauf und die einzelnen
Äußerungen möglichst naturalistisch abbilden (vgl. Deppermann 2008, S. 39–42).
Notiert werden per Sonderzeichen etwa die Prosodie, Wiederholungen, Selbstkor-
rekturen, Pausen, ebenso die Simultanäußerungen von mehreren Sprechern sowie
außersprachliche Phänomene (vgl. Selting et al. 2009). Die Transkripte variieren je
nach Untersuchungstyp in der Feinheit der Abbildung artikulatorischer Besonder-
heiten (vgl. Selting et al. 2009; Deppermann 2008, S. 41).
Der Methode liegt ein bestimmtes Vorverständnis vom Begriff des Gesprächs
zugrunde: Nach Deppermann (2008) sind Gespräche emergente, mikrosoziologische
Prozesse von Personen. Menschen initiieren Gespräche selbst (S. 8) und begründen
auf diese Weise einen gemeinsamen Handlungszusammenhang. Gespräche verlau-
fen prozessual und inhaltlich in einzelnen sequenziellen und aufeinander bezogenen
Handlungsschritten, die die beteiligten Personen als so genannte Redezüge produ-
zieren. Das wird zum einen formal in der Koordination ihrer Aktivitäten deutlich,
beobachtbar etwa anhand des so genannten Sprecherwechsels. Die Sprecher voll-
ziehen ihre Handlungsschritte zudem u. a. vor dem Hintergrund der spezifischen
Zwecke (Deppermann 2008, S. 9), die sie an den Austausch mit den Beteiligten
knüpfen. Diese Anliegen werden ausgehandelt, und der Verlauf dieser Aushandlung
mag wiederum davon abhängig sein, wie die Beteiligten intersubjektiv die Beiträge
der Partner und die soziale Situation verstehen. Das gegenseitige Verstehen ist das
Ergebnis von Kooperationsaktivitäten. Diese Kooperation besteht darin, dass die
Sprecher ihre Aufzeigeleistungen (Deppermann 2008, S. 50) und ihre Verstehens-
leistungen aufeinander abstimmen.
Was bedeutet diese enge Zusammenarbeit zwischen Sprechern genau? Die Teil-
nehmeraktivitäten in Gesprächen sind dann kooperativ, wenn der aktuelle Redezug
eines Sprechers sich auf den unmittelbar vorangegangenen des Partners bezieht.
Ebenso sind die Kooperationsaktivitäten antizipatorisch, weil die Beteiligten erwart-
bare und in den Partnerbeiträgen signalisierte Verstehensleistungen in ihren Rede-
zügen berücksichtigen. Die Sprecherkooperation beruht also auf der Abstimmung
der sprachlichen Ressourcen vor dem Hintergrund geteilter, interindividueller
Kenntnissysteme von Sprechergemeinschaften.
Für die Untersuchung der Interaktionsverläufe in komplexen Kommunikationssi-
tuationen wie Informationsveranstaltungen kann die Methode zum Beispiel herausar-
beiten, wie die Beteiligten ihre Rollen im Kommunikationsgeschehen einer solchen
Veranstaltung gestalten und wie sich dieses Kommunikationsgeschehen fortwährend
verändert. Diese Veränderung des Kontexts erfolgt unter anderem durch die inhaltlich
aufeinander bezogenen Redezüge unterschiedlicher Sprecher sowie deren Bearbeitung
in daran anschließenden Beiträgen von Personen auf dem Podium oder im Publikum.
Die Arbeit am Datenmaterial richtet sich hierbei auf grundsätzlich alle, auch kleinste
Äußerungen, und ermittelt, welche dieser Äußerungen interaktional relevant, also für
den weiteren Interaktionsverlauf bedeutsam sind (vgl. Deppermann 2008, S. 70–75).
Ebenso kann sie darstellen, wie die Kooperation von Sprechern durch die spezi-
fische soziale Situation einer Bürgerversammlung verhindert ist, also inwieweit die
Intention und Emergenz 277

unmittelbaren Bezugnahmen und Antizipationen, die Sprecher in ihren Redezügen


im Rahmen natürlicher Gespräche aufeinander abstimmen, in einem a priori formal
vorgegebenen Rahmen einer Bürgerversammlung teilweise außer Kraft gesetzt sind.
Wenn Informationsveranstaltungen beispielsweise dem Zweck dienen, um Akzep-
tanz für Entscheidungen oder bestimmte Meinungspositionen zu werben, sind die
Spezifika der sozialen Situation im Raum in Beziehung zu setzen zu den Mechanis-
men, wie lokal Redezüge von den Kommunikationsbeteiligten aufeinander abge-
stimmt sind und wie über diese Redezüge in wiederum nachfolgenden Redezügen
verhandelt wird. Mit welchen kommunikativen Praktiken stellen die Beteiligten
etwa die Relevanz ihrer Redezüge dar? Wie reagieren andere Beteiligte auf diese
Redezüge? Wird etwa auf lexikalischer Ebene über die Bedeutung bestimmter
Begriffe verhandelt, die in einzelnen Redezügen verwendet werden?
Der qualitative, empirische und gegenstandsfundierte Anspruch der Methode
entwickelt und verändert diese Fragen erst am Material sowie frei von vorformu-
lierten Hypothesen (vgl. Deppermann 2008, S. 11). Den Prinzipien qualitativer
Forschung entsprechend sind die Befunde von Gesprächsanalysen immer subjekt-
und fallbezogen (vgl. Deppermann 2008; Mayring 2016). Im Folgenden werden
beispielhaft und fallbezogen Fragestellungen vorgestellt und ihre Bearbeitung skizziert.

4 Öffentlichkeitsbeteiligung beim Stromnetzausbau

Die Implementierung großer Infrastrukturprojekte wie die des Übertragungsnetzausbaus


führt oft zu Konflikten. Beim Netzausbau setzen sich Vertreter aus Politik, privatwirt-
schaftliche Übertragungsnetzbetreiber sowie regional betroffene Bürger mit dem Bedarf
und der Umsetzung des Vorhabens auseinander. Kritisiert werden vor allem von
Bürgerseite gesundheitliche, ökonomische, ökologische und ästhetische Risiken
(vgl. Schweizer-Ries et al. 2010). Die Akzeptanz unmittelbar betroffener Bürger
ist jedoch ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Gelingen solcher Projekte. Aus diesem
Grund spielt die Risikokommunikation als kommunikative Begleitung des als risi-
koreich wahrgenommenen Projektes eine Schlüsselrolle. Projektverantwortliche
versuchen, den Eindruck gerechter Entscheidungen und Entscheidungsfindungspro-
zesse sowie Vertrauen in sie und sich selbst zu fördern (vgl. Besley und McComas
2014; Renn und Levine 1991).
Risikokommunikation findet oft in Form von Öffentlichkeitsbeteiligung statt, bei
der Stakeholdern Einfluss auf Entscheidungen übertragen wird. Die rechtlich formal
vorgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung einerseits und die informell vorgelagerte
Kommunikation mit den betroffenen Akteuren andererseits, verhindern jedoch Bür-
gerproteste und rechtliche Einsprüche nur teilweise. In der letzten Phase der
konkreten Planfeststellung, d. h. der Festlegung verbindlicher Stromtrassen samt
technischer Infrastruktur wie z. B. Konverter, erhalten Betroffene weitgehende
Rechte. Hier bilden sogenannte Antragskonferenzen, Behörden- und Öffentlich-
keitsbeteiligungen, Anhörungen und Erörterungstermine, oftmals in Form von
Podiumsveranstaltungen mit den Bürgern, den formalen Beteiligungsrahmen (vgl.
Bundesnetzagentur 2015).
278 C. Schwägerl et al.

Die Spannbreite der Bürgerbeteiligung reicht von der Information über die
Konsultation bis hin zur partnerschaftlichen Kooperation (vgl. Nanz und Fritsche
2012, S. 23–24). Informationen zu den Projekten sind durch Bekanntmachung,
Auslegung von Unterlagen und Informationsveranstaltungen der Planer zu artikulie-
ren. Auf dieser Grundlage werden dazu bei Konsultationen die Meinungen der
Bürger sowie Träger öffentlicher Belange eingeholt, durch Stellungnahmen, Befra-
gungen oder Bürgerversammlungen. Ob und in welchem Umfang die gewonnenen
Informationen Eingang in die Planung finden, obliegt meist den Entscheidungsträ-
gern. Bei Kooperationen „auf Augenhöhe“ werden Interessen und Argumente
ausgetauscht und Positionen zu Kompromissen verhandelt.
Als Anforderungen an die Beteiligungsverfahren lassen sich vier Gerechtig-
keitsdimensionen identifizieren: die distributive, prozedurale, informationale und
interpersonale Gerechtigkeit (vgl. Fuhrberg et al. 2016). Die distributive, d. h.
Verteilungs- oder Ergebnisgerechtigkeit, beurteilt, ob die Risiken des Netzausbaus,
wie z. B. der Wertverlust von Immobilien, die Beeinträchtigung des Landschafts-
bildes sowie gesundheitliche Beeinträchtigung durch elektromagnetische Strahlung,
im Vergleich zu anderen Bürgern gerecht verteilt sind. Werden Risiken sachlich
relativiert, Vorteile der verträglichsten Trassenführung deutlich gemacht und ggf.
Kompensationen angeboten, wird das Projekt gerechter empfunden. Die prozedu-
rale Gerechtigkeit als Prozess- oder Verfahrensgerechtigkeit hängt von der wahrge-
nommenen Teilhabe im Planungs- und Entscheidungsprozess ab. Transparente Rah-
menbedingungen, eine formelle und informelle Prozessstruktur mit definiertem
Mandat, ein einheitliches Vorgehen sowie Beteiligungsmöglichkeiten bei räumlich
wie zeitlich zugänglichen Informationsanageboten sind im Sinne eines Erwartungs-
managements zu kommunizieren. Als gerecht wahrgenommene Planungsprozesse
steigern ebenfalls die Akzeptanz.
Die Quantität und Qualität der Informationen für Betroffene beschreibt die
informationale Gerechtigkeit. Dem Bürgerwunsch nach leicht zugänglichen, akku-
raten und vor allem inhaltlich gleichbleibenden Informationen kann durch rechtzei-
tige, anschaulich verständliche, konsistente, ehrliche, selbstkritische, angemessene
sowie zielgruppenspezifische Informationen in unterschiedlichen Medien entspro-
chen werden. Veranstaltungen sollten Bedenken und Verbesserungsvorschläge auf-
greifen, mit einfacher Sprache ohne unnötigen Fachjargon sowie mit Bildern,
Grafiken oder Karten die Sachverhalte den jeweiligen Bezugsgruppen verständlich
machen. Nutzen und Risiken sind dabei offen anzusprechen. Es sollte dabei Eini-
gung über den Wahrheitsgehalt von Behauptungen und Erklärungen wie z. B. über
technische Fakten (was), über die Funktion und Zielsetzungen der handelnden
Akteure (wer) sowie über die Legitimität der Interessen (warum) erzielt werden.
Eng verknüpft mit der informationalen ist die interpersonale Gerechtigkeit.
Betroffene Bürger wünschen sich mit gleichbleibenden Ansprechpartnern einen
würdevollen, freundlichen und respektvollen Umgang auf Augenhöhe, in dem Nöte,
Sorgen und Befürchtungen aufgegriffen werden, Verständnis und Unterstützung
gezeigt sowie empathisch kommuniziert wird. Unangemessene Bemerkungen und
Kommentare, voreingenommene, gönnerhafte Kommunikation von oben herab schla-
gen dagegen negativ zu Buche. Bürger beurteilen die interpersonale Gerechtigkeit
Intention und Emergenz 279

auf Basis wahrgenommener Informations- und Kommunikationsangebote und deren


Rückschlüsse auf den Kommunikator, am besten im direkten Kontakt zu Organisa-
tionsvertretern. Das dadurch erzielte Personenvertrauen in Projektverantwortliche
kann ebenfalls die Akzeptanz des Übertragungsnetzausbaus befördern.
Die Richtlinie „VDI 7000 Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei Industrie- und
Infrastrukturprojekten“ beispielsweise gibt entsprechende Hinweise zur Vorberei-
tung sowie Umsetzung (VDI 2015, S. 58–78). Bei sogenannten Dialogverfahren ist
zunächst das Format von bilateralen Gesprächen bis hin zu Town-Hall-Meetings mit
500 Personen zu klären. Um eine Dominanz kritischer Stimmen zu vermeiden,
sollten sich die Teilnehmenden aus eher kritisch einzustufenden Selbstanmeldern
und zufällig ausgewählten, eingeladenen Bürgern zusammensetzen. Vertraute Räu-
me, eine Bestuhlung auf Augenhöhe sowie eine geeignete Moderation schaffen
einen positiven Gesprächsrahmen. Die Moderation soll Transparenz gewährleisten,
Handlungsspielräume erarbeiten, klar, glaubwürdig, offen, neutral, angemessen,
respektvoll und kontinuierlich kommunizieren. Die Transparenz von Zielsetzung,
Prozess und rechtlichem Rahmen ist erforderlich, Fragen und Konflikte sind zu
identifizieren, Optionen gemeinsam zu erarbeiten, Fakten und Bewertungskriterien
zu klären. Ob sich diese akzeptanzfördernde Vorgehensweise in der Praxis wieder-
spiegelt, untersucht die folgende Gesprächsanalyse.

5 Exemplarische Analyseperspektiven einer


Informationsveranstaltung

Im Folgenden stellen wir Analyseperspektiven am Beispiel einer Informationsveran-


staltung vor. Es handelt sich um eine gut zweistündige Veranstaltung, zu der der
Bürgermeister einer Stadt eingeladen hat, in deren Gebiet ein Stromkonverter aufge-
stellt werden soll. Der Austragungsort der Veranstaltung ist eine Schulaula. Eingeladen
als Publikum sind alle Bürgerinnen und Bürger. Das Podium ist mit einem Moderator,
drei Vertretern eines Übertragungsnetzbetreibers und dem Bürgermeister besetzt. Platz
im Publikum hat der Sprecher einer Bürgerinitiative genommen, die sich gegen den
Konverter ausspricht. Das beschriebene Ensemble ist typisch für die soziale Kon-
stitution solcher Veranstaltungen. Die Beteiligungsmöglichkeiten sind der formalen
Ordnung der Redeorganisation entsprechend begrenzt. Grundlegende Handlungen
darin sind Fragen und Antworten; das Rederecht weist der Moderator zu.
Die Veranstaltung gliedert sich in zwei Abschnitte: Zunächst begrüßt der Mode-
rator, der Planungsausschuss-Vorsitzende der Stadt (CG), das Publikum. Es folgen
Vorträge der Unternehmensvertreter, des Bürgermeisters sowie ein Plädoyer des
Vertreters der Bürgerinitiative. Daran schließt der zweite Abschnitt an, in dem in
einer Fragerunde das Publikum Fragen an das Podium richtet. Die Fragesteller
werden gebeten, aufzustehen und ihre Namen zu nennen. Jeweils drei solcher
Publikumsbeiträge werden aufeinander folgend formuliert, anschließend vom Mo-
derator paraphrasiert und an das Podium übergeben. Die Podiumssprecher beziehen
sich in ihren Antworten auf die jeweils zurückliegenden Fragen und leiten ihre
Beiträge mit kurzen thematischen Bezugnahmen als eine Art der Rekontextualisierung
280 C. Schwägerl et al.

ein. Die vorgetragenen Publikumsfragen äußern ausnahmslos Kritik und inhaltliche


Zweifel an den Vortragsinhalten der Unternehmensvertreter sowie an der Entschei-
dung über die Konverter-Standortwahl. An die vorgetragenen Kritikpunkte schlie-
ßen sich konkrete Fragen an das Podium an.
Nach der Annäherung an das Material erscheint uns für die Veranschaulichung
von Analyseperspektiven die nähere Betrachtung einer abgeschlossenen Handlungs-
einheit sinnvoll, die sich auf der Veranstaltung ereignet: die Bearbeitung einer
kritischen Publikumsfrage durch einen Podiumsteilnehmer.2

5.1 Interaktionale Spezifika der Veranstaltung

Informationsveranstaltungen sind, im Goffman’schen Sinne, „fokussierte Interaktio-


nen“ (Goffman 1981), die er in einem früheren Aufsatz in Bezug auf das Wechsel-
spiel von Podium und Publikum folgendermaßen beschreibt: „Talk, after all, can
occur at the town podium, as well as the town pump. And when talk comes from the
podium, what does the hearing is an audience, not a set of fellow conversationalists.
Audiences hear in a way special to them“ (Goffman 1979, S. 12).
Die Interaktion in Informationsveranstaltungen schränken vor dem Hintergrund
ihrer Zweckbestimmung eine für Gespräche typische und für das Kooperationsprin-
zip zwingende Handlung ein: den Bezug der Kommunikationsbeteiligten aufeinan-
der, die Rekursivität der Redezüge von Sprechern. Diese Bezugnahmen werden in
Informationsveranstaltungen durch einen erhöhten Rekontextualiserungsaufwand
der Sprecher kompensiert: Während in einem Gespräch mit wenigen Teilnehmern
die Bezugnahmen sequenziell Beitrag für Beitrag erfolgen, ist bei größeren Infor-
mationsveranstaltungen das Beteiligungsrecht jeden Teilnehmers, eigene Beiträge
zu produzieren, reguliert. So treffen die Beiträge nicht unmittelbar aufeinander. Die
Bezugnahmen der Sprecher aufeinander erfolgen stattdessen zeitversetzt. Wer sich
als aktueller Sprecher auf den Redezug eines anderen Sprechers bezieht, muss diese
Referenz also einleitend kenntlich machen, um den Hintergrund zu verdeutlichen,
vor dem der aktuelle Redezug zu verstehen ist. Die zeitverzögerte Reaktion mag sich
auf die Dynamik und die Stimmung im Raum auswirken. Die Aushandlung der
Bedeutung bestimmter Begriffe, die etwa für konfliktbeladene Reizthemen stehen,
findet nicht unmittelbar, sondern zeitverzögert statt.

2
Als Material dient eine gut zweistündige Aufzeichnung der Informationsveranstaltung, die auf der
Video-Plattform Youtube zum Zeitpunkt der Analyse bereits seit über zweieinhalb Jahren veröffent-
licht gewesen ist. Der letzte Zugriff zum Zwecke dieser Auswertung erfolgte am 16. Februar 2017.
Die Teilnehmer werden zu Beginn der Aufzeichnung auf die Aufnahme hörbar hingewiesen. Trotz
der öffentlichen, uneingeschränkten Zugänglichkeit der Aufzeichnung anonymisieren wir in den
folgenden Transkriptausschnitten Personen-, Firmen und Ortsnamen, um der Identifizierung der
Personen vorzubeugen. Das Transkript ist ein Basistranskript, das den Notationsregeln von Selting
et al. (2009) folgt. Eine Liste der in den Beispielen verwendeten Transkriptionszeichen findet sich
am Ende dieses Beitrags.
Intention und Emergenz 281

Als Beteiligte und Sprecher bezeichnen wir im vorliegenden Beispiel alle Perso-
nen im Raum, denen im Rahmen des formalen Ablaufs der Veranstaltung unter-
schiedlich stark regulierte Beteiligungsmöglichkeiten zugewiesen werden. Sie
wechseln in ihren Sprecher- und Hörerrollen während der Veranstaltung fortwährend
(vgl. Goffman 1979): der Moderator, das Podium und das Publikum, das Fragen an
das Podium stellen darf.

5.2 „Gesundheitliche Schäden“: Die Formulierung und


Bearbeitung einer Publikumsfrage

In Anbetracht der interaktionalen Spezifika der in Abschn. 5.1 beschriebenen


Anlage der Informationsveranstaltung betrachten wir im Folgenden eine abgeschlos-
sene Handlungseinheit, die aus einer Frage, der Antwort und einer Reaktion auf die
Antwort besteht. Publikumsbeiträge nehmen in Informationsveranstaltung – je nach
übergreifendem Ziel – eine für den weiteren Interaktionsverlauf relevante Rolle ein:
Die Stimmung ist vor allem bei in der Bevölkerung umstrittenen Projekten aufge-
heizt, die konfliktären Interessen der Vertreter im Saal häufig schon im Vorfeld der
Veranstaltung allen Teilnehmern bekannt. Sprecher aus dem Publikum können in
ihren Beiträgen die Positionen der Podiums-Sprecher offen kritisieren und gegneri-
sche Positionen zum Ausdruck bringen.
Dadurch, dass ihre Beiträge im Wahrnehmungsraum des Publikums sind, können
Reaktionen wie Beifall diesen Publikumsfragen besonderen Nachdruck verleihen.
Ebenso bieten Fragen die Möglichkeit, besondere Explikationsanforderungen an das
Podium zu stellen, die einen erhöhten Bearbeitungsaufwand bedeuten. Die Anfor-
derungsformulierungen können etwa Sachzusammenhänge adressieren, die nicht
ohne weiteres von den Podiumsteilnehmern beantwortet werden können. Wie stellen
die Fragesteller diese Anforderungen dar, wie zeigen sie die Relevanz dieser Sach-
zusammenhänge für das Thema der Veranstaltung?

5.2.1 Formulierung einer Explikationsanforderung


Die erste Publikumsfrage wird von der Teilnehmerin MD formuliert:

946 MD ja mein name ist VORNAME NAME als bürgerin dieser stadt unter
947 MD berücksichtigung auch der (-) könn = sie mich nich verstehen
948 MD also mein name ist VORNAME NAME als bürgerin dieser stadt unter
949 MD berücksichtigung der hohen bevölkerungsdichte und der von ihnen herr
950 MD NAME in den folien dargestellten doch relativ geringen abständen von
951 MD zum teil nur zweihundert metern zur geschlossenen wohnbebauung
952 MD möcht = ich sie jetzt als ÄRztin fragen welche geSUNDheitlichen
schäden wir
953 MD hier zu erwarten haben ich denke da (zum) einen emissionen mit poten-
ziellen
954 MD ( ) welche mit welchen äh welchem TUmorrisiko müssen wir
955 MD rechnen welches risiko besch (.) risiko besteht für schWANgere frauen und
282 C. Schwägerl et al.

956 MD wie zu (erwartende) kinder welche risiken gibt es für herzkreislauf


957 MD erkrankungen insbesondere für menschen mit herzrhythmus störungen
und
958 MD HERZschrittmachern un = lungenfunktionsstörungen oder KUNSTge-
lenken und
959 MD als WISSENschaftlerin möcht = ich sie gerne darum bitten dass sie mir
ganz
960 MD präzise studien nennen wissenschaftlich fundiert peer reviewed in
961 MD ORdentlichen wissenschaftlichen journals erschienen die (.) beLEgen
nicht
962 MD von der (.) industrie gesponsert selbstverständlich die beLEgen dass von
dem
963 MD von IHNEN in nah (bewohnbebauung) geplanten konverter KEIne
964 MD gesundheitlichen risiken für die hier lebenden menschen ausgehen
965 K publikum klatscht

MD stellt sich als bürgerin dieser stadt (Zeile 948) vor, in 952 als ÄRZtin und in
959 als WISSENschaftlerin. Typisch für Kommunikation ist, dass Sprecher ihre
sozialen Identitäten anzeigen und bearbeiten, wie Deppermann (2008, S. 9) unter
Bezug auf die „Ebenen der Interaktionskonstitution“ von Kallmeyer (1985, S. 85)
schreibt. Weitere Ebenen der Interaktionskonstitution, etwa Sachverhaltsdarstellun-
gen, stehen in Bezug zueinander (vgl. Deppermann 2008, S. 10): So wird in der
Betrachtung von ÄRZtin als einer verbalisierten Anzeige von „Identität“ ein inhalt-
licher Anschluss zu den geSUNDheitlichen schäden (952) hergestellt, die MD
anspricht. Nimmt man als allgemein verfügbaren Wissensstand an, dass eine Ärztin
einem Heilauftrag und den gesundheitlichen Interessen von Menschen verpflichtet
ist, wird dieses Interesse an der Vermeidung gesundheitlicher Risiken plausibel und
eine Sinnrelation zwischen bürgerin, ÄRZtin, WISSENschaftlerin etabliert. Diese
Risiken spezifiziert MD in den Zeilen von 954 bis 958 unter Verwendung fach-
sprachlicher Termini und mit Bezug auf Schwangere, erwartete Kinder sowie Per-
sonen mit Vorerkrankungen und Zustand nach operativen Eingriffen.
Der Beitrag von MD impliziert die Vorannahme, dass die emissionen (953) mit
gesundheitlichen Risiken für die Bewohner verbunden sind. In den Zeilen 959 bis
965 präzisiert sie ihre Erwartungen an die fachliche Grundlage der angeforderten
Bearbeitung der Frage. Zu diesen Anforderungen gehören die namentliche Nennung
von Studien, die in begutachteten wissenschaftlichen Zeitschriften („Peer Review“)
publiziert wurden. Die Sprecherin instantiiert mit nicht von der (.) industrie gespon-
sert selbstverständlich wissenschaftlich fundiert peer reviewed in ORdentlichen
wissenschaftlichen journals (960–961) zwei Kategorien von studien („Industrie
gesponsert“ vs. „ordentliche Journals“). MD formuliert den Anspruch, Bezugnah-
men auf nicht von der (.) industrie gesponsert selbstverständlich in der Bearbeitung
der Frage zu unterlassen.
MD drückt ihre Bearbeitungsanforderungen in diesen Kategorien aus, aktuali-
siert aber keine konkreten wissenschaftlichen Qualitätskriterien von Studien. Im
engeren Sinne beinhaltet wissenschaftlich fundiert peer reviewed in ORdentlichen
Intention und Emergenz 283

wissenschaftlichen journals ein Vorverständnis wissenschaftlicher Qualitätskrite-


rien, das sie jedoch nicht präzise expliziert. Unklar bleiben Leerstellen wie: Warum
sichert ein Begutachtungsverfahren wissenschaftliche Qualität? Wer sind die
„Peers“, was bedeutet „ordentlich“ im Zusammenhang mit einem „Journal“ (ver-
standen als wissenschaftliche Fachzeitschrift)? Was bedeutet „wissenschaftliche
Qualität“ in Bezug auf die Frage nach gesundheitlichen auswirkungen? Geht es
etwa um den Faktor der Unabhängigkeit, was für Studien bedeutet, dass sie nicht
den Interessen ihrer Urheber oder Sponsoren verpflichtet sind und daher Ergeb-
nisse vorlegen, die womöglich den Interessen der Sponsoren zuwider laufen?
Haben also Studien von der industrie gesponsert nur beschränkte oder keine
Aussagekraft für die Beurteilung gesundheitlicher Risiken? Und: Welche Wissen-
schaft, welche Fachlichkeit ist gemeint?

5.2.2 Die Anforderungsbearbeitung durch einen Podiumsteilnehmer


Im weiteren Verlauf folgen auf den Beitrag von MD zwei weitere Fragen von
Sprechern im Publikum, die auf andere Aspekte als gesundheitliche Gefahren Bezug
nehmen. CG paraphrasiert im Anschluss daran die Fragen, die in den drei Beiträgen
formuliert wurden, die Frage von MD etwa mit: die erste frage war nach den
gesundheitlichen auswirkungen (1011):

1008 CG gut jetz (-) genau geben sie einmal nach vorne ich würd vorschlagen
dass wir
1009 CG sozusagen immer drEI fragen sammelnne antwortrunde machen sozusagen
1010 CG sonst wird = es zu unübersichtlich; ja?
1011 CG also = die erste frage war nach den gesundheitlichen auswirkungen
dann nach
1012 CG dem frage ausschluss braunkohlegebiet eigentumsfragen enteignung ja?

Die Adressatenselektion erfolgt in diesem Beispiel automatisch. Einer der Unter-


nehmensvertreter, OS, greift zum Mikrofon. Die Person wurde im Beitrag von MD
nicht erwähnt. OS stellt sich namentlich vor und führt seinen Beitrag mit also die
gesundheitlichen gefahren (-) die von einem konverter ausgehen könnten sind
sozusagen erst gar nicht vorhanden fort. Darauf folgt eine längere Sachverhaltsdar-
stellung, die sich fachlich auf physikalische Zusammenhänge bezieht. Auf die Frage
nach Studien geht OS in den Zeilen von 1077 bis 1089 ein:

1077 OS äh die stUdien dazu natürlich gibts studien weltweit


1078 OS = hauptsächlich zu wechselstrom die äh (–) es gibt glaub ich kaum ein
gebiet
1079 OS auf dem so viel geforscht wird wie auf diesem;
1080 OS natürlich nicht in die richtung dass es KEIne gefAhren gibt sondern das
1081 OS interesse besteht natürlich bei den wissenschaftlern daran dahinter zu
kommen
1082 OS OB es gefahren GIBT und bis jetzt gibt es keine studien die auf wechsel
und
284 C. Schwägerl et al.

1083 OS gleichstromseite auf gefAhren wirklich HINdeuten wie bewiesen wer-


den
1084 OS konnte
1085 OS = es gibt gewisse ANsätze dass man an gewissen stellen weiterforschen
muss
1086 OS aber (.) großteilige erKENNTnisse dass es einen wirkmechanismus
GIBT (.)
1087 OS der von wechselfeldern oder von gleichfeldern schon gar nich äh aus-
gehen
1088 OS könnte der im körper irgendetwas verursacht in den stärken die wir hier
1089 OS einzuhalten haben ist bis jetzt nicht bekannt

Das Beispiel verdeutlicht, wie Sprecher so genannte Folgeerwartungen (Depper-


mann 2008, S. 68–70) formulieren und bearbeiten. Folgeerwartungen formulieren
zunächst konkrete Erwartungen an die Bearbeitung, die der Sprecher in dieser
Formulierung aufzeigt. Mit welchen Mitteln zeigt OS sein Verständnis von einer
adäquaten Folgeerwartung an und wie bearbeitet er die Anforderung?

• Die Einleitung natürlich gibts studien weltweit = hauptsächlich zu wechselstrom


die äh (–) es gibt glaub ich kaum ein gebiet auf dem so viel geforscht wird wie auf
diesem (1077–1079) expliziert zunächst nicht das von MD geforderte Kriterium
wissenschaftlich fundiert peer reviewed in ORdentlichen wissenschaftlichen jour-
nals (960–961).
• Seine Äußerung in 1080 bis 1082, die Forschung werde nicht im Beweisverfah-
ren mit der Absicht durchgeführt, Gefahrlosigkeit zu belegen, sondern dahinter
zu kommen OB es gefahren GIBT, adressiert ebenfalls nicht explizit die Anfor-
derungen von MD.
• = natürlich nicht in die richtung mag ein bestimmtes Vorverständnis in Bezug auf
die Aussagekraft von zitierwürdigen Studien und damit auf die Explikations-
anforderungen von MD anzeigen: natürlich (1080) wäre in dieser Lesart ein
impliziter Bezug auf das ebenso von MD nicht explizierte Verständnis, es gebe
Studien, deren Aussagekraft anzuzweifeln sei – etwa im Fall von Studien, die von
der industrie gesponsert sind. = natürlich mag in diesem Handlungszusammen-
hang zudem als eine Diskreditierung der Anforderung von MD zu verstehen sein.

OS geht also auf die Kategorien von MD (siehe Abschn. 5.2.1) nicht direkt ein,
sondern antwortet mit einer Formulierung, die nur implizit ein Verständnis über
wissenschaftliche Qualitätskriterien von Studien darlegt. Beide Sprecher präzisieren
nicht exakt, was sie einander verdeutlichen wollen (vgl. Abschn. 5.2.1). Ein Hinweis
darauf, ob die Folgeerwartung von OS verstanden wurde, findet sich in der Rekon-
textualisierung von OS. Im vorliegenden Fall legt OS sein Verständnis dieser Folge-
erwartung nur implizit offen mit = natürlich nicht in die richtung dass es KEIne
gefAhren gibt. Wendet man auf = natürlich die Lesart „selbstverständlich“ an,
würde OS mit = natürlich sein Verständnis für die Aussagekraft der Studien auf-
zeigen, auf die er sich beruft. Die von MD formulierte Anforderung, konkret Studien
Intention und Emergenz 285

wissenschaftlich fundiert peer reviewed in ORdentlichen wissenschaftlichen jour-


nals (960–961) zu benennen, erfüllt er jedoch nicht.
Die Äußerung, =es gibt gewisse ANsätze dass man an gewissen stellen weiter-
forschen muss ist ein vages, die „gewissen Stellen“ nicht explizierendes Fazit über
die Studienlage. Dazu stuft in Zeile 1089 bis jetzt in zeitlicher Hinsicht das Fazit von
OS als vorläufig ein, es gebe keine Hinweise auf gesundheitliche Risiken.
Die Bearbeitung derlei Fragen kann weitere Reaktionen aufwerfen, je nachdem,
ob die Erwartungen des vorangegangen Sprechers erfüllt wurden (vgl. auch Dep-
permann 2008, S. 68–70). Diese Rekursivität ist in Informationsveranstaltungen
aufgrund der formalen Redeorganisation häufig eingeschränkt. Das Verfahren, Pub-
likumsfragen zu sammeln und „blockweise“ von den Personen auf dem Podium
beantworten zu lassen, schließt zeitlich direkt anschließende Bezugnahmen aufein-
ander aus. Insofern ist die Rückfrage aus dem Publikum (P) in 1090 sind sie
mediziner und deren unmittelbare Bearbeitung durch OS eine Abweichung im
Verfahren:

1090 P sind sie mediziner?


1091 OS äh NEIN ich bin (.) bei FIRMA angestellt als äh in der
1092 OS genehmigungsabteilung äh das würden wir uns auch gar nicht ANma:-
ßen als
1093 OS mediziner hier zu stehen dafür gibts viel viel bessere FACHleute die halt
auch
1094 OS dafür sorgen dass äh diese grenzwerte entstehen die diese ganze studien
1095 OS bewerten analysieren einordnen und dann davon ableiten welchen
schutz (.)
1096 OS der bevölkerung (.) man braucht

Die Rückfrage könnte in Bezug auf die Sinnrelation zu verstehen sein, die MD in ihrer
Explikationsanforderung („Bürgerin, Ärztin, Wissenschaftlerin“, siehe Abschn. 5.2.1)
etabliert hat. OS verneint deutlich und prosodisch markiert; „angestellt bei FIRMA“
zeigt generisch, also ohne Angabe seiner Fachlichkeit oder Berufs- und Statusbezeich-
nung, eine Zugehörigkeit (zu „Firma“ und „Genehmigungsabteilung“) an. Diese
Anzeige von Zugehörigkeit legitimiert subjektiv seine vorangegangene Aktivität, hier:
die Bearbeitung einer Explikationsanforderung. Sie entspricht jedoch nicht der von MD
vorgängig instantiierten Sinnrelation zwischen „Bürgerin, Ärztin, Wissenschaftlerin“.
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung, auch bedingt durch die sequenzielle Bearbeitung
der Fragen der anderen Publikumsteilnehmer, wird kein Bezug mehr darauf genommen,
ob OS vor dem Hintergrund seiner angezeigten Zugehörigkeit eine für MD und das
Publikum den Explikationsanforderungen entsprochen hat.
OS grenzt sich fachlich ab: von den FACHleuten (1093), die dafür sorgen dass äh
diese grenzwerte entstehen die diese ganze studien bewerten analysieren einordnen
und dann davon ableiten welchen schutz (.)der bevölkerung (.) man braucht
(1093–1096). OS rückt damit seine Rolle eines, nach Goffman (1979) Principal
ins Licht, der die Erkenntnisse dieser FACHleute lediglich referiert, nicht aber
eigene, originäre Positionen formuliert:
286 C. Schwägerl et al.

„Sometimes one has in mind that a principal [Hervorhebung im Original] (in the legalistic
sense) is involved, that is, someone whose position is established by the words that are
spoken, someone whose beliefs have been told, someone who has committed himself to
what the words say“ (Goffman 1979, S. 17).

5.3 Weitere Analyseperspektiven

Die Analyse von Interaktionsverläufen in Informationsveranstaltungen kann weitere


Aspekte beinhalten, die in Abschn. 5.2 nicht berücksichtigt wurden. Stellt man die
Analyse in den Dienst der Evaluation der mit Informationsveranstaltungen intendier-
ten Ziele der Organisatoren, so ließen sich etwa die Verläufe der Prozesse von
Bedeutungsaushandlung im Saal nachzeichnen, vor allem in Situationen, in denen
in Publikums-Fragerunden konfliktäre Themen angesprochen werden. Sollen in
Informationsveranstaltungen bestimmte Botschaften vermittelt werden, die im
Zusammenhang mit weiteren Kommunikationsmaßnahmen um die Akzeptanz für
bestimmte Entscheidungen werben, bietet sich die genaue Auswertung der Dynamik
an, die im Saal durch die Interaktion von Publikum, Podium und Moderation entsteht.
Diese Betrachtung kann zum Beispiel folgende Aspekte beinhalten:

• Die Rolle des Publikums, das sich im Wahrnehmungsraum des Sprechers befindet
und auf die Äußerungen des Sprechers reagiert. Publikumsreaktionen können
etwa Beifall oder schmähende Zwischenrufe sein. Welche interaktionale Bedeu-
tung haben sie für weitere Folgebeiträge? Mit welchen Mitteln äußern Sprecher
und Publikum etwa Empörung, wie werden Äußerungen von Empörung in
nachfolgenden Äußerungen bearbeitet?
• Die Mittel, mit denen die Sprecher kenntlich machen, dass sie den gesamten
Wahrnehmungsraum (Podium und Publikum) in ihren Äußerungen berücksichti-
gen. In Abschn. 5.2.1 etwa sichert MD in Zeile 947 mit der Frage könn = sie
mich nich verstehen, ob alle Personen im Publikum im Wahrnehmungsraum ihres
Beitrags sind. Im vorliegenden Material zeigt sich, dass die Sprecher neben einer
solchen metakommunikativ angelegten Frage an das Publikum mithilfe von Kör-
perbewegungen (etwa die Zuwendung durch Drehbewegungen vom Podium zum
Publikum sowie das Aufstehen im Raum) ihre Beitragsformulierungen nicht nur an
das Podium adressieren, sondern die komplette räumliche Reichweite ihrer Äuße-
rungen berücksichtigen. Wie nutzen die Sprecher also den kommunikativen Raum?
• Die Ermittlung von Äußerungsteilen vorangehender Sprecher, auf die aktuelle
Sprecher Bezug nehmen. Aktualisieren sie zum Beispiel einzelne Wörter, Kom-
posita oder ganze Satzteile, die von vorangehenden Sprecher verwendet wurden?
Wie wird in nachfolgenden Beiträgen im Laufe der Veranstaltung über deren
Bedeutung verhandelt?
• In der Beispielanalyse wurden multimodale Aspekte der Kommunikation und
deren Wechselwirkungen nicht berücksichtigt. Welche Rolle spielen etwa Kör-
perzuwendung, Gestik, Mimik für den Interaktionsverlauf, wie werden sie von
den Sprechern eingesetzt, wie reagieren die Adressaten darauf, welche für den
Interaktionsverlauf relevanten Folgen resultieren aus nonverbalen Mitteln?
Intention und Emergenz 287

6 Resümee

Bereits die Teilnahme an einer solchen Informationsveranstaltung mit Konsulta-


tionselementen hinterlässt bei den Beteiligten ein Gefühl, ob sie je nach Zielsetzung
als gelungen oder misslungen einzustufen ist. Genauere Anknüpfungspunkte dafür,
wo welche Aussagen und Verhaltensweisen von wem den Interaktionsverlauf positiv
bzw. negativ beeinflusst haben, bietet die hier vorgestellte Gesprächsanalyse. Somit
ist sie als geeignetes Evaluationsinstrument von Interaktionsprozessen einzustufen,
die darüber hinaus Anregungen für die Verbesserung künftiger Veranstaltungsfor-
mate liefert.
Während Befragungen und Interviews strategische Kommunikation aus der Per-
spektive der Akteure ex post untersuchen, evaluiert die Gesprächsanalyse den
unmittelbaren Kommunikationsprozess. Die Reaktivität der Akteure beschränkt sich
dabei auf das etwaige Reagieren auf die Videoaufzeichnung als eine Art erweiterten
Wahrnehmungsraum. Damit bietet die Gesprächsanalyse eine höhere Genauigkeit. Die
in diesem Beitrag beispielhaft durchgeführte Analyse ausgewählter Sequenzen einer
Bürgerveranstaltung konnte z. B. die wichtige Bedeutung der Anzeige von Identität in
Prozessen von Bedeutungsaushandlung aufzeigen. Eng damit verbunden schien der
explizite Anspruch von Bürgerseite an die Unternehmensvertreter, unabhängige und
nachvollziehbar hochwertige Informationen zu liefern. Dies deutet zum einen darauf
hin, dass gebotene Informationen in Verbindung mit der Identität der Sprecher an
Legitimität gewinnen. Zum anderen scheint Vertrauenswürdigkeit im Sinne einer
Unvoreingenommenheit von Organisationsvertretern gefordert zu sein (vgl. Schnelle
und Voigt 2012, S. 47). Dies unterstreicht die hohe Bedeutung informationaler Gerech-
tigkeit und der Vertrauensförderung (siehe. Abschn. 4) und gibt Hinweise, wie Orga-
nisationen effektiv an gemeinsamer Bedeutungsaushandlung teilnehmen können.
Ebenso bietet die Gesprächsanalyse detaillierte Informationen zur Interaktion
zwischen Akteuren, die andere Evaluationsmethoden nur indirekt abfragen können.
Die durchgeführte Gesprächsanalyse zeigt zum Beispiel ein fehlendes Eingehen von
Seiten der Organisationsvertreter auf die Anfragen der Bürgerseite nach der Anzeige
unabhängiger Informationen und der Identität der Sprecher. Damit widersprechen
Organisationsvertreter dem Ideal prozeduraler Gerechtigkeit (siehe. Abschn. 4) und
der Anforderung nach Responsivität von Organisationen bei ihrer strategischen
Kommunikation (siehe. Abschn. 2). Gleichzeitig verdeutlicht die durchgeführte
Gesprächsanalyse die Problematik des Formats der Informationsveranstaltung. Die
Aufteilung zwischen Organisationsvertretern auf dem Podium und Bürgern im Pu-
blikum sowie die fehlende direkte Kommunikation zwischen den beiden tragen
zur Frontenstellung und erschwerter Interaktion bei. Aus diesem Grund werden
insbesondere bei der vorgelagerten informellen Kommunikation sogenannte „Infomärk-
te“ durchgeführt (vgl. Bestgrid 2015, S. 11). An kleinen Ständen mit Stehtischen,
Informationstafeln und -materialien werden dort niederschwellig bilaterale Gespräche
geführt. Bürger können ohne Publikum ihre persönlichen Fragen stellen, auf die in-
dividuell eingegangen wird. Damit bietet die Gesprächsanalyse Hinweise für strate-
gische Kommunikation, wie die Interaktion zwischen Organisation und Stakeholdern
verbessert werden kann.
288 C. Schwägerl et al.

Neben der Frage, wie sich Akteure an der Kommunikation beteiligen und wie sie
interagieren, zeigt die Gesprächsanalyse auch, worüber kommuniziert wird und
welche gemeinsamen Bedeutungen entstehen. Beim analysierten Beispiel der Infor-
mationsveranstaltung geht es um gesundheitliche Risiken, die bei Risikokommuni-
kation insgesamt und speziell beim Stromnetzausbau eine wichtige Rolle spielen
(vgl. Henseling et al. 2016, S. 40). Entscheidend ist jedoch, dass sich Bürger und
Organisationsvertreter nicht auf eine Bedeutung dieser Risiken einigen konnten.
Von Bürgerseite wurden mögliche Schäden und Unsicherheiten aufgezeigt, während
von Organisationsseite Schäden relativiert und Sicherheit vermittelt wurden.
Beide Bedeutungsgehalte scheinen voneinander unbeeinflusst parallel zu existieren.
Dies widerspricht dem Wesen einer Dialogveranstaltung und hinterfragt die nor-
mativen Ziele der Akzeptanzförderung und prozeduralen Gerechtigkeit (siehe.
Abschn. 4).
Insgesamt wird die hohe Bedeutung der Gesprächsanalyse für die Evaluation
strategischer Kommunikation deutlich. Die Gesprächsanalyse zeigt emergente Kom-
munikationsprozesse auf, hinterfragt normative Kommunikationsziele und regt die
Reflexion der Akteure bzgl. ihrer Intentionen an. Besonders wertvoll erscheint die
Gesprächsanalyse in Kombination mit Befragungen und Interviews. Durch Befragun-
gen und Interviews können Intentionen der Akteure hinter den emergenten Kommu-
nikationsprozessen und die Auswirkungen der Kommunikationsprozesse auf die
Intentionen der Akteure untersucht werden. Gleichzeitig können die Erforschung
von Intentionen und Emergenz als gegenseitige Interpretationsgrundlage und Trian-
gulationsmöglichkeit dienen.
Beispiele für eine gegenseitige Befruchtung liefern ethnografische Studien von
Risikokommunikation auf Informationsveranstaltungen, die sowohl Intentionen als
auch Emergenz untersuchen (z. B. Boholm 2015; Mumford und Gray 2009). In
beiden Fällen treten, wie auch beim gegenwärtig analysierten Beispiel, Konflikte
zwischen Vorhabenträgern und Bürgern auf, die von fehlendem gegenseitigen Bezug
gekennzeichnet sind: „These consultative meetings thus can be described as basi-
cally two sets of monologues, separated by a coffee break“ (Boholm 2015, S. 123).
Der Grund hierfür liege an Gruppendynamiken und unterschiedlichen Einflussmög-
lichkeiten. Während Projektverantwortliche die Gruppe der Einflussreichen darstell-
ten, die ihren Einfluss mit rationalen Argumenten und der Darstellung eigener
Fähigkeit legitimierten, bildeten betroffene Bürger die Gruppe der Einflussarmen,
die sich gegen die als äußerliche Gefahren und schwer einschätzbar wahrgenommen
Projekte samt ihrer Verantwortlichen emotional solidarisierten. In diesen Fällen
scheint die emergente Kommunikation eher eine Machtaushandlung als einen ratio-
nalen Diskurs abzubilden. Somit bietet die Gesprächsanalyse emergenter Kommu-
nikationsprozesse auch einen ersten Zugang zur kritischen Untersuchung der Macht-
aushandlung und -ausübung. Sie unterstützt nicht nur Organisationen in ihrer
strategischen Kommunikation, sondern bietet unterschiedlichen gesellschaftlichen
Akteuren die Gelegenheit, Machtprozesse zu hinterfragen und sich effektiver ein-
zubringen. Dadurch verhilft die Gesprächsanalyse strategischer Kommunikation zu
einer von engen wirtschaftlichen Interessen unabhängigen Positionierung und zu
einer besseren gesellschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Stellung.
Intention und Emergenz 289

Verwendete Transkriptionszeichen (Selting et al. 2009, S. 391–392):


(.) Mikropause, geschätzt, bis ca. 0,2 Sek. Dauer
(-) kurze geschätzte Pause von ca. 0,2–0,5 Sek. Dauer
(–) mittlere geschätzte Pause v. ca. 0,5–0,8 Sek. Dauer
(solche) vermuteter Wortlaut
( ) unverständliche Passage
akZENT Fokusakzent
? Tonhöhenbewegung (hoch steigend)
: Dehnung, Längung, um ca. 0,2–0,5 Sek.
= schneller, unmittelbarer Anschluss neuer Sprecherbeiträge oder Seg-
mente (latching)

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Corporate Language
Sprache vor dem Hintergrund der Corporate Identity

Sina Schneider

Zusammenfassung
Organisationen suchen Möglichkeiten sich von Wettbewerbern abzuheben und in
ihrer Kommunikation wiedererkennbar zu sein. Dabei fokussieren sie sich vor
allem auf die visuelle Gestaltung und vernachlässigen das wichtigste Kommuni-
kationsmittel überhaupt: die Sprache. Eine Corporate Language als organisations-
typischer Sprachstil gründet auf der Corporate Identity der Organisation, ist
wiedererkennbar und berücksichtigt gleichzeitig Textsortennormen sowie Erwar-
tungen von Anspruchsgruppen.

Schlüsselwörter
Corporate Language • Corporate Identity • Organisationstypischer Sprachstil •
Sprache in der Organisationskommunikation • Corporate-Language-Modell

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
2 Grundlagen einer Corporate Language . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
2.1 Bedeutung der Corporate Identity für die Corporate Language . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
2.2 Inhalte einer Corporate Language . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
3 Balancierendes Corporate-Language-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
3.1 Grundmodell einer Corporate Language . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
3.2 Modellbausteine einer Corporate Language . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
3.3 Einflussfaktoren auf eine Corporate Language – diskursbezogene Faktoren . . . . . . . . 301
3.4 Einflussfaktoren auf eine Corporate Language – sozialbezogene Faktoren . . . . . . . . . 303
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

S. Schneider (*)
University of Applied Sciences and Arts, Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 293


A. Schach, C. Christoph (Hrsg.), Handbuch Sprache in den Public Relations,
Springer Reference Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-15745-6_16
294 S. Schneider

1 Einleitung

Folgendes Szenario ist Alltag in der Kommunikationsbranche: Eine Organisation


arbeitet mit einer Vielzahl an Agenturen zusammen, deren Texter häufig wechseln.
Intern verfassen Mitglieder aus verschiedenen Abteilungen und Perspektiven unter-
schiedliche Textformen. So entstehen Anzeigen, Werbe-Spots, Pressemitteilungen,
Flyer, Booklets, Mailings, Einladungen, Vorträge und vieles mehr. Allerdings nutzen
dabei alle Texter eine etwas andere Sprache (Reins 2006, S. 184–185). Das Problem
besteht darin, dass all diesen Textproduzenten ein einheitlicher Bezugsrahmen für
die Sprache in und von der Organisation fehlt. Die Corporate Language (CL) der
Organisation ist in diesen Fällen nicht definiert und kann nicht als einheitliches
Wiedererkennungsmerkmal der Organisation dienen.
Einige Organisationen formulieren bereits Corporate Language Manuals. Sie
enthalten Vorschriften zum Umgang mit Sprache. Doch momentane Manuals lassen
eine übergreifende Systematik vermissen, die der komplexen Wirkung von Sprache
gerecht wird und sie in die Organisationsstrategie einbindet. Sie beziehen sich
vielmehr auf orthografische Normen, grammatikalische Regelungen sowie die Auf-
listung von vorgefertigten Formulierungen (Hajnal 2011, S. 144). Diese oberfläch-
liche Beschäftigung mit Corporate Language ist darauf zurückzuführen, dass Spra-
che bei der Debatte um Corporate Identity (CI) in Forschung und Praxis bisher nur
eine untergeordnete Rolle spielte (Vogel 2012, S. 15).
Durch Orientierung an der CI einer Organisation ist die CL in einen strategischen
Rahmen gebettet und spiegelt die Identität der Organisation wieder. Allerdings kann
eine CL nicht ausschließlich aufgrund der CI entwickelt werden. Wie die gesamte
Unternehmenskommunikation, ist auch die CL an externe Faktoren gebunden und
muss bestehende Normen und Entwicklungen berücksichtigen. Die Corporate Lan-
guage balanciert also die Darstellung der CI mit Textsortennormen und Erwartungen
von Anspruchsgruppen.

2 Grundlagen einer Corporate Language

2.1 Bedeutung der Corporate Identity für die Corporate


Language<