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Rheumatologie aus der Praxis

Rudolf Puchner
Hrsg.

Rheumatologie
aus der Praxis
Entzündliche Gelenkerkrankungen – mit Fallbeispielen

3., überarbeitete Auflage

Mit 31 Abbildungen und 18 Tabellen


Herausgeber
Rudolf Puchner
Wels
Österreich

ISBN 978-3-662-53568-4    ISBN 978-3-662-53569-1 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-662-53569-1

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V

Für Antonia, Johanna, Stephan und Ursula


VII

Vorwort zur 3. Auflage

Die Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen entwickelt sich rasant. Mittlerweile


stehen mehr als ein Dutzend Biologika zur Therapie der rheumatoiden Arthritis, der Spondyl-
oarthritiden inklusive der Psoriasisarthritis, der juvenilen idiopathischen Arthritiden sowie
von einigen weniger häufigen (gelenkassoziierten) Autoimmunerkrankungen zur Verfügung.
Die ersten Biosimilars sind seit geraumer Zeit in Europa zugelassen, weitere werden in Kürze
folgen. Dies sollte zu einer Kostenreduktion führen und bewirken, dass diese wirksamen Me-
dikamente in verschiedenen Ländern breiter eingesetzt werden können, und den Ärzten mehr
Therapieoptionen ermöglichen.

Die 3. Auflage informiert ausführlich über alle etablierten und neuen Behandlungsmöglich-
keiten, ihre Indikation und Wirkungsweise unter Einbeziehung adaptierter internationaler
Empfehlungen und Behandlungspfade.

Der Beitrag über die systemischen Vaskulitiden (7 Kap. 7) wurde neu geschrieben, wobei aktuelle
ätiopathogenetische Erkenntnisse und eine überarbeitete Nomenklatur berücksichtigt wurden.

Daneben wird weiterhin viel Wert gelegt auf eine zielführende Diagnostik und entsprechende
Differenzialdiagnostik. Zahlreiche Fallbeispiele runden das Buch ab und sollen zum praktischen
Verständnis entzündlich-rheumatischer Erkrankungen beitragen.

Rudolf Johannes Puchner


Wels, im Januar 2017
Vorwort zur 1. Auflage

Rheumatische Erkrankungen kommen in allen Altersstufen, Berufsgruppen und sozialen


Schichten vor und gehören weltweit zu den Leiden, die am häufigsten Krankenstandsfälle und
eine vorzeitige Berufsunfähigkeit hervorrufen. Entzündliche Gelenkerkrankungen wie die
rheumatoide Arthritis sind durch einen chronisch fortschreitenden Verlauf gekennzeichnet
und gehen häufig mit einer frühzeitigen Zerstörung der Gelenke einher.

Die Zerstörung der Gelenke kann bereits im ersten Jahr nach Auftreten der Beschwerden begin-
nen. Nach 2 bis 5 Jahren sind bereits bis zu 50% der befallenen Gelenke irreversibel geschädigt.
Die Notwendigkeit einer frühzeitigen Diagnose und rasch einsetzenden Therapie ist heute
durch entsprechende Diagnoseleitlinien und Behandlungspfade etabliert.

Die Ätiologie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen ist nach wie vor nicht geklärt.

Durch bessere Kenntnisse über Pathogenese und Krankheitsverlauf konnten im letzten Jahr-
zehnt sehr wirkungsvolle Medikamente entwickelt werden, welche die Behandlung revolu-
tioniert haben. War bis Ende der 1990er Jahre eine Verringerung der Zahl der geschwollenen
Gelenke und eine Minderung der Schmerzintensität ein erreichbares und akzeptiertes Ziel,
so nehmen wir uns heute vor, bei unseren Patienten einen Zustand der Remission bzw. Be-
schwerdefreiheit zu erreichen.

Dieses Buch informiert in erster Linie über chronisch entzündliche Gelenk- und Wirbelsäulen-
erkrankungen; es soll zur leichteren Diagnosefindung beitragen und Kenntnisse über Thera-
piemöglichkeiten vermitteln.

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit haben wir uns entschlossen, alle geschlechtsspezifischen
Wörter nur in männlicher Form zu verwenden. Selbstverständlich gelten alle Bezeichnungen
gleichwertig für Frauen.
IX

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. Eichbauer-Sturm, Frau OÄ Dr. Judith Sautner, Univ.-Prof.
Dr. Erich Mur und Univ.-Prof. Dr. Klemens Trieb für ihre wichtigen Beiträge. Frau Dr. Lerche
und Frau Bauer vom Springer Verlag in Heidelberg danke ich für die gute Zusammenarbeit; Frau
Annette Allée danke ich für ihr Lektorat. Weiterhin danke ich Dr. Franz Hummer, der mir in jah-
relangem Erfahrungsaustausch die orthopädische Sichtweise entzündlicher Gelenkerkrankun-
gen nähergebracht hat und Frau OÄ Dr. Ulrike Stuby für ihre Freundschaft und Unterstützung.

Nicht zuletzt danke ich allen Patientinnen und Patienten für ihr Vertrauen.
XI

Inhaltsverzeichnis

1 Diagnose und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer


Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
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1.1 Anamnese und Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2 Laboruntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.3 Bildgebende Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

2 Die rheumatoide Arthritis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19


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Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

3 Spondyloarthritiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
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3.1 Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3.2 Psoriasisarthritis (PsA). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
3.3 Reaktive Arthritis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
3.4 Enteropathische Arthritiden (Arthritiden bei chronisch entzündlichen
Darmerkrankungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3.5 Arthritis bei glutensensitiver Enteropathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3.6 Undifferenzierte Spondyloarthritis (uSpA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3.7 Synovitis-Akne-Pustulosis-Hyperostosis-Osteitis-Syndrom (SAPHO-Syndrom). . . . . . . . . . 71
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

4 Kollagenosen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
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4.1 Systemischer Lupus erythematodes (SLE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
4.2 Sjögren-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
4.3 Systemische Sklerose (SSc). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
4.4 Raynaud-Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
4.5 Idiopathische Myositiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
4.6 Mixed Connective Tissue Disease (MCTD, Sharp-Syndrom). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

5 Familiäres Mittelmeerfieber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Rudolf Puchner
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

6 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen des älteren Menschen. . . . . . . . . . . . . 101


Rudolf Puchner
6.1 Rheumatoide Arthritis des höheren Lebensalters. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
6.2 Polymyalgia rheumatica (PMR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
6.3 Riesenzellarteriitis (RZA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
XII Inhaltsverzeichnis

6.4 RS3PE-Syndrom (Remitting Seronegative Symmetric Synovitis


with Pitting Edema) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
6.5 Kollagenosen des höheren Alters. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
6.6 Chondrokalzinose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
6.7 Paraneoplastische Syndrome. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

7 Systemische Vaskulitiden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111


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7.1 Großgefäßvaskulitis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
7.2 Vaskulitis mittelgroßer Gefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
7.3 Kleingefäßvaskulitis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
7.4 Vaskulitis variabler Gefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
7.5 Einzelorganvaskulitiden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
7.6 Weblinks. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

8 Rheumatische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 133


Rudolf Puchner
8.1 Systemische JIA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
8.2 Seronegative polyartikuläre JIA (Rheumafaktor negativ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
8.3 Seropositive polyartikuläre JIA (Rheumafaktor positiv). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
8.4 Oligoarthritis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
8.5 Enthesitis-assoziierte Arthritis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
8.6 Juvenile Psoriasisarthritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
8.7 Therapie des kindlichen Rheumas. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
8.8 Akutes rheumatisches Fieber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

9 Der adulte Morbus Still (Adult Onset Still’s Disease, AOSD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
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Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

10 Lyme-Arthritis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
Rudolf Puchner
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

11 Kristallarthropathien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
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11.1 Gicht (Arthritis urica). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
11.2 Chondrokalzinose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

12 Fibromyalgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
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Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
XIII
Inhaltsverzeichnis

13 Rheuma und Psyche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157


Rudolf Puchner
13.1 Rheumatoide Arthritis und Verlauf: psychosomatische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
13.2 Depression bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

14 Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen. . . . . . . . 161


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14.1 Historischer Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
14.2 Medikamentöse Schmerztherapien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
14.3 Glukokortikoide. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
14.4 Konventionelle synthetische Basistherapeutika (csDMARDs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
14.5 Biologika (biologisch originäre und biosimiläre DMARDs: boDMARDs
und bsDMARDs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

15 Erkennen von und Umgang mit Medikamentennebenwirkungen . . . . . . . . . . . . 179


Rudolf Puchner
15.1 Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
15.2 Glukokortikoide (GC). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
15.3 Basistherapeutika. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
15.4 Biologika. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

16 Ernährungstherapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . 199


Rudolf Puchner
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

17 Physiotherapie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . 203


Erich Mur
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

18 Komplementärmedizinische Therapie bei entzündlich-rheumatischen


Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Erich Mur
18.1 Phytotherapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
18.2 Ernährung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
18.3 Akupunktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
18.4 Homöopathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
18.5 Weitere komplementärmedizinische Konzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

19 Rheumaorthopädische Therapieoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211


Klemens Trieb
19.1 Konservative Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
19.2 Operative Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
XIV Inhaltsverzeichnis

20 Fingerpolyarthrosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Judith Sautner
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

21 Rheuma und rheumatologische Pharmakotherapie


in der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Judith Sautner, Rudolf Puchner
21.1 Verschiedene rheumatische Erkrankungen und Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
21.2 Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

22 Der Rheumatologe als Gutachter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233


Gabriela Eichbauer-Sturm
22.1 Die Stellung des Sachverständigen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
22.2 Das Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
22.3 Die häufigsten zu beurteilenden Krankheitsbilder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
XV

Autorenverzeichnis

Gabriela Eichbauer-Sturm, Dr. med.


Fachärztin für Innere Medizin, Nephrologie und
Rheumatologie
Freistädter Straße 16
4040 Linz, Österreich
eichbauer-sturm@medway.at

Erich Mur, Univ.-Prof. Dr.


Private Universität für
Gesundheitswissenschaften, Medizinische
Informatik und Technik
Institut für Orthopädische Physiotherapie UMIT
Eduard Wallnöfer-Zentrum 1
6060 Hall in Tirol, Österreich
erich.mur@umit.at

Rudolf Puchner, Dr. med. MSc MBA


Internist und Rheumatologe
Freiung 19
4600 Wels, Österreich
rudolf.puchner@cc-net.at

Judith Sautner, Dr. med.


Landesklinikum Weinviertel Stockerau 2. Med.
Abt. mit Schwerpunkt Rheumatologie und
Endokrinologie
Niederösterreichisches Kompetenzzentrum
für Rheumatologie Karl Landsteiner Institut für
klinische Rheumatologie
Landstraße 18
2000 Stockerau, Österreich
judith.sautner@stockerau.lknoe.at

Klemens Trieb, Prim. Univ.-Prof. Dr. med.


Ärztlicher Direktor
Klinikum Wels-Grieskirchen
Abteilung für Orthopädie
Grieskirchnerstraße 42
4600 Wels, Österreich
klemens.trieb@klinikum-wegr.at
1 1

Diagnose und
Differenzialdiagnose
entzündlich-rheumatischer
Erkrankungen
Rudolf Puchner

1.1 Anamnese und Untersuchung – 3


1.1.1 Arthrose – 3
1.1.2 Rheumatoide Arthritis (RA) – 4
1.1.3 Psoriasisarthritis (PsA) – 6
1.1.4 Reaktive Arthritis – 7
1.1.5 Arthritis urica – 7
1.1.6 Differenzialdiagnostik – 8
1.1.7 Rheumatologische Basisuntersuchung – 8

1.2 Laboruntersuchungen – 9
1.2.1 Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) – 9
1.2.2 C-reaktives Protein (CRP) – 10
1.2.3 Rheumafaktor (RF) – 10
1.2.4 Antikörper gegen citrullinierte Antigene (Anti-Citrullinated Protein/
Peptide Antibodies, ACPA) – 10
1.2.5 RA33-Antikörper – 11
1.2.6 Antinukleäre Antikörper (ANA) – 11
1.2.7 ANA-Subspezialitäten – 11
1.2.8 Autoantikörper gegen zytoplasmatische Antigene humaner
neutrophiler Granulozyten – 12
1.2.9 Antiphospholipid-Antikörper (APA) – 12
1.2.10 Blutbild und Differenzialblutbild – 13
1.2.11 HLA-B27 – 15

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_1
1.3 Bildgebende Verfahren – 15
1.3.1 Gelenk- und Weichteilsonographie – 15
1.3.2 Konventionelle Röntgendiagnostik – 15
1.3.3 Computertomographie – 15
1.3.4 Kernspintomographie (MRT = Magnetresonanztomographie) – 15
1.3.5 Drei-Phasen-Szintigraphie – 16

Literatur – 16
1.1 · Anamnese und Untersuchung
3 1
„Ein guter Arzt sollte nach einem ausführlichen (Arthritis) oder degenerative Erkrankung (Arthrose,
Gespräch mit dem Patienten zu rund 75 Prozent die Synonym: Osteoarthrose) vorliegt.
richtige Diagnose stellen können.“ Ist diese Meinung
„älterer“ Lehrbücher und „weiser“ medizinischer
Lehrer heutzutage, angesichts der Fülle apparativer 1.1.1 Arthrose
und laborchemischer diagnostischer Möglichkeiten,
noch aufrechtzuerhalten und zeitgemäß? Arthrosen treten meist in höherem Lebensalter auf,
Gerade bei der frühzeitigen Diagnose einer können aber bei angeborenen Fehlstellungen – wie
entzündlichen Gelenkerkrankung steht aber noch der Hüftdysplasie oder unter besonderen Bedingun-
immer die Erfahrung des Untersuchers im Vor- gen bzw. Belastungen – auch vor dem 50. Lebensjahr
dergrund. Trotz modernster und vielfach auch auftreten. Außergewöhnliche Belastungen sind z. B.
angewandter technischer Hilfsmittel ist in der extreme sportliche Beanspruchungen der Gelenke
Rheumatologie in erster Linie das Wissen und Ein- oder auch die Fettleibigkeit.
fühlungsvermögen des Arztes für das Erkennen der
(ersten) Symptome notwendig. Eine frühe Diag- Schmerzen  Typische Beschwerden bei Arthrosen
nostik ist gefordert, da bereits wenige Monate nach (der Hüft- oder Kniegelenke) sind der Anlauf- und
Beginn einer rheumatoiden Arthritis irreversible Überlastungsschmerz.
Schäden an den Gelenken auftreten können und Anlaufschmerzen sind Beschwerden bei Bewe-
daher eine rasche und gezielte (Basis-)Therapie zwin- gung nach längeren Ruhephasen wie Liegen oder
gend ist. Nur durch eine schnelle und richtige Diag- Sitzen. Meist treten die Beschwerden nach wenigen
nose ist eine frühzeitige Behandlung möglich. Schritten in den Hintergrund oder verschwinden
ganz. Wenn sie nach längerer Belastung – wie einem
ausgedehnten Spaziergang – wieder auftreten, werden
sie als Überlastungsschmerz bezeichnet. Ausgeprägte
Rheumatologische Anamnese Arthrosen führen zu Schmerzen bei jeder Belastung.
55Gelenk: Schmerzen und/oder Schwellung Andauernde Schmerzen, die auch schon beim
55Erstmals oder rezidivierend Liegen auftreten, werden als Ruheschmerz bezeich-
55Ruhe oder/und belastungsabhängig net und sind bei Arthrosen oft eine Indikation für
55Ein oder mehrere Gelenke betroffen einen operativen Gelenkersatz.
55Symmetrie
55Morgensteifigkeit Schwellungen  Entzündete Gelenke sind in der Regel
55Dauer (Tage, Wochen) der Beschwerden sichtbar geschwollen, Schmerzen treten unabhängig
55Akuter oder schleichender Beginn von Belastungen und in jedem Lebensalter auf.
55Begleitsymptome: Fieber, Infekte, Hautverän- Durch Degeneration bzw. durch Verschleiß her-
derungen, Augenentzündungen etc. vorgerufene Erkrankungen sind häufig in den „tra-
55Familienanamnese: Morbus Bechterew, genden“ Gelenken belastungsabhängig und ohne
Psoriasis, Gicht, Arthrosen der kleinen Schwellung. Durch besondere Beanspruchung kann
Gelenke etc. es aber auch in diesen Gelenken zu Schwellungen
55Herkunftsland: Morbus Behçet, kommen (Reizerguss, aktivierte Arthrose).
Mittelmeerfieber Auch die Schädigung eines primär gesunden
55Medikamente (Steroide?) Gelenkes, wie z. B. eine Sportverletzung im Knie,
kann durch einen Binnenschaden (Läsion von Menis-
kus oder Bändern) eine ausgeprägte Schwellung
hervorrufen.
1.1 Anamnese und Untersuchung
Fingerarthrosen  Eine sehr häufige (Sonder-)Form
Der geschulte Arzt sollte zunächst das Beschwerde- der Arthrosen sind die Fingerarthrosen der Mit-
bild so weit einordnen, ob eine primär entzündliche telgelenke (Bouchard-Arthrosen) und Endgelenke
4 Kapitel 1 · Diagnose und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

(Heberden-Arthrosen) und der Daumensattelge-


42
1 lenke (Rhizarthrosen). Diese treten vor allem bei
. Tab. 1.1  Differenzialdiagnose Schmerzen der
Fingergelenke
Frauen nach dem Klimakterium auf und werden
oft mit einer entzündlichen Gelenkerkrankung Rheumatoide Symmetrische Schwellung der
verwechselt. Es handelt sich um derbe, harte Auf- Arthritis Fingergrund- und Mittelge-
lenke typisch, keine Beteiligung
treibungen ausschließlich der Fingerendgelenke
der Endgelenke, häufig serolo-
und Mittelgelenke, die oft nach manuellen Tätigkei- gische Entzündungszeichen
ten Beschwerden hervorrufen können. Auch können
Psoriasisarthritis Schwellung der Fingergrund-,
sie nach besonderen Belastungen zusätzlich etwas Mittel- und Endgelenke
anschwellen (aktivierte Arthrosen), was die Unter- möglich (Befall im Strahl), selte-
scheidung zu entzündlichen Erkrankungen schwie- ner Symmetrie, oft nur geringe
rig machen kann. oder keine serologischen
Entzündungszeichen
Fingerarthrosen Eher harte Schwellung der
1.1.2 Rheumatoide Arthritis (RA) Fingerend- und Mittelgelenke
und/oder Schmerzen der Dau-
mensattelgelenke, keine sero-
Befallsmuster  Bei der rheumatoiden Arthritis kann logischen Entzündungszeichen
als wichtiges Unterscheidungsmerkmal gelten, dass
typischerweise die Fingergrundgelenke (Articula-
tiones metacarpophalangeae, MCP), auch häufig die Das Beschwerdebild ist naturgemäß abhän-
Fingermittelgelenke, jedoch niemals die Fingerend- gig von der Zahl und Art der betroffenen Gelenke.
gelenke betroffen sind (. Abb. 1.1, . Tab. 1.1). Der Befall von Knie- oder Fußgelenken führt neben
Wesentlich ist der symmetrische Befall der Schmerzen zu einer typischen Bewegungseinschrän-
Gelenke beider Hände, Füße etc. (. Abb. 1.2). Fast kung der betroffenen Gelenke, eine Beteiligung der
jedes Gelenk kann betroffen sein. Die Schwellungen Kiefergelenke führt zu Schmerzen beim Kauen bis
sind eher teigig und weich und entwickeln sich über zur Kiefersperre.
Tage bis Wochen. Auffällig ist eine nur bei der RA
derart ausgeprägte Morgensteifigkeit von bis zu 2 Beteiligung der Wirbelsäule und Differenzialdiag-
Stunden. Die Beweglichkeit der kleinen Gelenke der nosen  Im Verlauf einer RA kann es auch zu einer
Hände kann nach dem Aufstehen so eingeschränkt Beteiligung der Halswirbelsäule kommen. Eine
sein, dass das Halten und Greifen von Gegenständen entzündlich bedingte Zerstörung des Ligamen-
(z. B. Teetasse) mühsam ist. tum transversum atlantis, das den Dens gegenüber

RA Psoriasis Fingerarthrose

. Abb. 1.1  Typisches Gelenkbefallsmuster bei rheumatoider Arthritis (RA), bei Psoriasisarthritis und bei Arthrosen der
Fingergelenke
1.1 · Anamnese und Untersuchung
5 1
. Abb. 1.2  Symmetrische
Schwellung der MCP-Gelenke bei
rheumatoider Arthritis

dem vorderen Atlasbogen stabilisiert, kann zu einer Wachstumsstörungen an Grund- und Deckplatten
Kompression des Rückenmarks führen. Frühsymp- der Wirbelkörper und führt zu einer Kyphose der
tome sind Schmerzen im Nacken- und Schulterbe- Brustwirbelsäule. Frühmorgendliche oder nächtliche
reich sowie Kopfschmerzen im Hinterhauptbereich. Schmerzen im tiefen Kreuzbereich mit Besserung
Die Unterscheidung zum Spannungskopfschmerz auf Bewegung (entzündlicher Rückenschmerz) bei
oder zu degenerativen Veränderungen im Bereich jungen Erwachsenen lassen an eine ankylosierende
der Schulter- und Nackenregion kann schwierig Spondylitis (Morbus Bechterew) denken. Bei dieser
sein. In Abhängigkeit vom Druck auf das Rücken- familiär gehäuft vorkommenden Erkrankung ist eine
mark kann es auch zu Parästhesien und Schmerzen zusätzliche apparative (konventionelles Röntgen,
im Bereich der Arme und Beine sowie in Ausnah- Computertomographie oder Kernspintomographie)
mefällen zu bedrohlichen Tetraparesen kommen. und laborchemische (Blutsenkungsreaktion, Human
Eine Beteiligung der Halswirbelsäule wird übli- Leukocyte Antigen B27 [HLA-B27]) Untersuchung
cherweise erst bei fortgeschrittener Erkrankung zur Diagnostik notwendig.
beobachtet.
Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule
im mittleren und höheren Alter sind meist die Folge Fallbericht: Eine Studentin mit
degenerativer Veränderungen der kleinen Wirbel- Kreuzschmerzen
gelenke (Spondylarthrose) oder der Bandscheiben. Eine 22-jährige Medizinstudentin klagte seit
Plötzlich einschießende Schmerzen im Hals einigen Monaten über Kreuzschmerzen. Diese
oder Lendenbereich mit Ausstrahlung in Arme oder traten sowohl in Ruhe als auch bei Bewegung
Beine, eventuell auch mit Lähmungserscheinungen, auf, vor allem bemerkte sie diese am Morgen
weisen auf einen Bandscheibenvorfall hin. und in sitzender Position. Sie suchte schließlich
Auch ein Wirbelkörpereinbruch im Rahmen einen Arzt auf, der zunächst Blockaden im
einer Osteoporose kann zu plötzlich auftretenden, Lendenwirbelbereich diagnostizierte und
heftigen Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule Schmerztabletten verschrieb. Dadurch wurden
führen. Rückenschmerzen vorwiegend männli- die Beschwerden vorübergehend besser,
cher Jugendlicher treten bei Morbus Scheuermann kehrten jedoch wieder zurück; schließlich
auf. Diese relativ häufige Erkrankung (Angaben wurden eine Röntgen- und in Folge eine
bis 30%) unbekannter Ätiologie entsteht durch
6 Kapitel 1 · Diagnose und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

42
1 Computertomographie-Untersuchung der Kommentar
Lendenwirbelsäule durchgeführt. Es wurde Bei einem tief sitzenden (typischerweise
der Verdacht auf einen „beginnenden“ morgendlichen) Kreuzschmerz bei jungen
Bandscheibenvorfall geäußert. Entsprechende Menschen (als Folge einer Sakroiliitis), der
physiotherapeutische Maßnahmen und eine über mindestens 3 Monate andauert, zu
Schmerztherapie führten wiederum zu einer keiner Erleichterung in Ruhe führt, sich aber
vorübergehenden Besserung. Insgesamt bei Bewegung bessert, muss man einen
konnten die Beschwerden letztendlich durch entzündlichen Rückenschmerz in Erwägung
die Röntgenbefunde nicht exakt erklärt und ziehen. Unter Verabreichung von Analgetika
geklärt werden. bildeten sich die Schmerzen erfolgreich
Die Schmerzen traten vor allem im Sitzen, d. h. zurück, die serologischen Entzündungszeichen
beim Lernen auf. Ein Psychologe diskutierte waren nicht erhöht. Beobachtung und
sogar eine psychosomatische Ursache und Verlaufskontrollen sind angezeigt. Bei
vermutete einen „inneren Widerwillen“ Verschlechterung bzw. Erfüllung der
gegen das Studium. Ein Rheumatologe Indikationskriterien sollte eine Behandlung mit
konnte (mit Hilfe der Kernspintomographie) Biologika angestrebt werden.
die Diagnose stellen. Es zeigte sich eine
beidseitige Sakroiliitis; im Labor fand sich eine
mäßig erhöhte Blutsenkungsreaktion und der
Nachweis von HLA-B27.
Es wurde lokal in die beiden Kreuz-Darm- 1.1.3 Psoriasisarthritis (PsA)
bein-Gelenke Kortison appliziert; dadurch
ging es der Patientin rasch besser und in Ist eine wurstförmige Schwellung eines Fingers, einer
weiterer Folge wurden gezielte physiothera- oder mehrerer Zehen („sausage toe“) auffällig, ist an
peutische Maßnahmen und entsprechende eine Gelenkbeteiligung im Rahmen einer Schuppen-
Übungen zur Stärkung der Rückenmuskulatur flechte zu denken (. Abb. 1.3).
eingeleitet. Die PsA kann zahlreiche und ähnliche Gelenkre-
Die Studentin war trotz allem erleichtert, dass gionen wie die rheumatoide Arthritis befallen, zeigt
die Beschwerden nicht als „psychisch“ beurteilt aber einige Unterschiede, wie den oben beschriebe-
wurden. In den folgenden Monaten war sie nen Befall im Strahl (Daktylitis), die Beteiligung der
weitgehend beschwerdefrei, konnte ihrem Endgelenke sowie einen Nagelbefall im Sinne einer
Studium nachgehen und war auch sportlich
aktiv. Die serologischen Entzündungs-
parameter waren kontrolliert im Normbereich,
der tiefsitzende Rückenschmerz sistierte
unter fallweiser Gabe von Schmerzmittel.
Entzündungen peripherer Gelenke sowie
extraartikuläre Manifestationen traten nicht
auf. Keiner der befragten Blutsverwandten
hatte eine ähnliche Symptomatik.
Der BASDAI-Index, ein Fragebogen, der
die subjektive Befindlichkeit des Patienten
repräsentiert, war <4. Aufgrund der sich
rasch stabilisierenden Symptomatik war
eine weitere medikamentöse Therapie nicht
notwendig. . Abb. 1.3  Befall einer Zehe im Strahl („sausage toe“) bei
Psoriasisarthritis
1.1 · Anamnese und Untersuchung
7 1
Verdickung oder Abhebung des Nagels, von Nagel- Zehengelenk) muss auch an eine reaktive Arthritis
brüchen oder einer Tüpfelung der Nägel. gedacht werden (. Abb. 1.4). Die reaktive oder post-
Nagelbeteiligungen sind bei der PsA im Gegen- infektiöse Arthritis kann im Gefolge von Infekten
satz zur unkomplizierten Schuppenflechte häufiger der Atem- oder Harnwege und nach Durchfaller-
und unter Umständen für die Diagnostik wichtig. krankungen auftreten. Vor allem bei Befall einzel-
Die Diagnose ist leicht zu stellen, wenn die ner Gelenke ist immer nach einem ca. 1–4 Wochen
Schuppenflechte an typischen Prädilektionsstellen vor Ausbruch der Arthritis durchgemachten Infekt
wie an den Streckseiten der Knie- und Ellbogen- zu fanden. Häufig ist eine vorangegangene Infektion
gelenke nachweisbar ist. An versteckte Herde am aber nicht nachweisbar. Auf Befragen geben Patien-
Haaransatz, im Nabelbereich oder retroaurikulär ist ten dann manchmal eine Mono- oder Oligoarthritis
zu denken. An eine PsA (sine psoriase) kann auch über die Dauer einiger Wochen bis Monate in frü-
gedacht werden, wenn ein Patient mit Arthritis selbst heren Jahren an. An eine mögliche Assoziation mit
keine Psoriasisherde zeigt, jedoch ein naher Ver- HLA-B27 ist zu denken.
wandter an einer Schuppenflechte erkrankt ist. Im
Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis ist die Betei-
ligung der Wirbelsäule und der Kreuz-Darmbein- 1.1.5 Arthritis urica
Gelenke möglich.
Bisweilen verläuft die PsA mild und es sind nur Jede Art der Gelenkerkrankung kann sich (vorüber-
wenige Gelenke betroffen; sie kann aber auch einen gehend) nur durch den Befall eines Gelenkes präsen-
chronisch progredienten polysynovitischen Verlauf tieren, auch die rheumatoide Arthritis; typisch ist es
ähnlich einer RA aufweisen. für die oben beschriebene reaktive Arthritis und in
erster Linie für die Gicht (Arthritis urica).
Die Arthritis urica ist gekennzeichnet durch
1.1.4 Reaktive Arthritis einen plötzlichen, sehr schmerzhaften Befall meist
nur eines Gelenks. Am häufigsten ist das Großzehen-
Sind nur wenige Gelenke von einer schmerzhaften grundgelenk betroffen, aber die Attacke kann auch
Schwellung betroffen (Oligoarthritis) und handelt in einem anderen Gelenk wie z. B. dem Kniegelenk
es sich bevorzugt um einen Befall der unteren Ext- auftreten. Die Entzündung dauert in der Regel auch
remitäten (z. B. ein entzündetes Knie-, Sprung- und ohne Therapie nur wenige Wochen und bildet sich

. Abb. 1.4  Schwellung des linken


Kniegelenks bei reaktiver Arthritis
8 Kapitel 1 · Diagnose und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

vollständig zurück. Nach immer wiederkehrenden Familiäre Häufung  Manche Gelenkerkrankungen


42
1 Attacken ist der Übergang in eine chronische Ver- kommen familiär gehäuft vor. So typischerweise die
laufsform und sogar der gleichzeitige Befall mehre- HLA-B27-assoziierten Erkrankungen (Spondyloar-
rer Gelenke möglich. thritiden) wie die ankylosierende Spondylitis (Morbus
Bechterew), die reaktive Arthritis oder die Psoriasis-
arthritis mit Beteiligung der Kreuz-Darmbein-Ge-
1.1.6 Differenzialdiagnostik lenke. Die Gicht als Stoffwechselerkrankung kann
auch in bestimmten Familien häufiger vorkommen.

Rheumaknoten  Bei Gelenkerkrankungen ist immer Fieberanamnese  Unerlässlich ist eine Fieberana-
auch die Haut des Patienten zu inspizieren. Bei der mnese. Erhöhte Temperaturen können im Rahmen
rheumatoiden Arthritis kann es typischerweise an den von Schubsituationen bei rheumatoider Arthri-
Streckseiten der Unterarme zu derben Knoten unter tis, bei Kollagenosen oder Vaskulitiden auftreten
der Haut (Rheumaknoten) kommen (. Abb. 1.5). und ebenso auf eine infektiöse Arthritis hinwei-
sen. Fieberhafte Temperaturen müssen aber auch an
Schuppenflechte  Eine Schuppenflechte oder Verän- eine (Begleit-)Infektion im Rahmen einer chroni-
derungen der Nägel lassen in Zusammenschau mit schen Gelenkerkrankung, insbesondere unter einer
einer Gelenkerkrankung an eine PsA denken. immunsuppressiven Therapie denken lassen.

Enthesiopathie  Eine schmerzhafte Schwellung im Behçet-Syndrom  Treten Gelenkbeschwerden bei


Bereich der Achillessehne (Enthesiopathie) kann Patienten aus der Türkei, dem östlichen Mittelmeer-
bei reaktiver Arthritis, PsA und bei ankylosierender raum oder Japan auf, ist an ein Behçet-Syndrom zu
Spondylitis vorkommen. denken, vor allem in Zusammenhang mit einer
aphtösen Stomatitis, genitalen aphtösen Schleim-
Schmetterlingserythem  Ein schmetterlingsförmi- hautveränderungen oder einer Uveitis.
ger Ausschlag im Gesicht lässt bei jungen Frauen an
einen Lupus erythematodes denken. Medikamentenanamnese  Im Rahmen der Medi-
kamentenanamnese ist unbedingt nach einer vor-
Uveitis  Eine Beteiligung der Augen im Sinne einer angegangenen Glukokortikoideinnahme zu fragen,
Uveitis kommt nicht selten bei Patienten mit anky- da diese das Krankheitsbild verschleiern können
losierender Spondylitis, PsA sowie im Rahmen chro- bzw. unter Umständen eine Schmerzlinderung und
nisch entzündlicher Darmerkrankungen vor. Abschwellung eines entzündeten Gelenks bewir-
ken, und daher gerade am Beginn einer entzündli-
chen Gelenkerkrankung die Diagnose und Einord-
nung des Krankheitsbildes erschweren. Andererseits
kann ein promptes Ansprechen auf eine entzündliche
Genese hinweisen.

1.1.7 Rheumatologische
Basisuntersuchung

Nach einer ausführlichen Anamnese folgt eine


genaue Inspektion des Körpers im Sitzen, Liegen, im
Stehen und Gehen (Befragung und Inspektion gehen
fließend ineinander über oder überschneiden sich).
. Abb. 1.5  Rheumaknoten an der Streckseite des Bei der Inspektion erkennt man geschwollene und
Unterarms bei rheumatoider Arthritis deformierte Gelenke, eine korrekt geschwungene,
1.2 · Laboruntersuchungen
9 1
starre oder gekrümmte Wirbelsäule und (eventu- ( 7   Abschn. 1.2.1 , 7 Übersicht) und bei entspre-
ell) einen Beckenschiefstand. Zusätzlich ist auf die chendem klinischem Verdacht oder/und laborche-
Schonhaltung einer Gliedmaße und das Gangbild mischem Hinweis eine weiterführende Abklärung
(z. B. Hinken) zu achten. (7 Abschn. 1.2.9).
Bei der Untersuchung prüft man die aktive und
passive Beweglichkeit der Gelenke. Der Gaenslen-
Handgriff, ein Querdruck auf Finger- und Zehen- 1.2.1 Blutsenkungsgeschwindigkeit
grundgelenke, verursacht bei Entzündung der (BSG)
Grundgelenke Schmerzen.
Die BSG ist eine alte und preiswerte Reaktion, die
allerdings von zahlreichen Faktoren beeinflusst
Rheumatologische (Basis-)Untersuchung wird. Das komplexe Geschehen der Sedimentation
55Gelenke: der Blutkörperchen in einem definierten Glasrohr
–– Druckempfindlichkeit ist von der Viskosität des Plasmas, dem Aggregatzu-
–– Schwellung stand und der Geldrollenbildung der Erythrozyten
–– Symmetrie und vielen anderen Umständen abhängig.
–– Welche Gelenke? Die BSG ist für den erfahrenen Kliniker ein wich-
–– Beweglichkeit tiger und unverzichtbarer Laborwert zur Differen-
–– Gaenslen-Handgriff zierung zwischen entzündlicher und nichtentzünd-
–– Volarflexionsschmerz licher Gelenkerkrankung. Eine nicht erhöhte BSG
55Beurteilung der Wirbelsäule und der weist auf keine entzündliche Gelenkerkrankung hin
Kreuz-Darmbein-Gelenke: (schließt diese aber nicht aus), ein deutlich erhöhter
–– Beweglichkeit und Druckschmerz Wert lässt an eine entzündliche oder auch maligne
55Muskelkraft und Muskeldruck- und Erkrankung denken, gibt aber alleine gesehen keine
Kneifschmerz Auskunft, um welche Erkrankung es sich handelt.

Es erfolgt auch eine Prüfung der Griffstärke der Rheumatologisches Basislabor


Hände, die bei rheumatoider Arthritis typischer- 55Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG)
weise deutlich herabgesetzt ist. Dies ist auch ohne 55C-reaktives Protein (CRP)
Hilfsmittel orientierend möglich, indem der Patient 55Rheumafaktor (RF)
versucht, die Hand des Untersuchers zu drücken. 55Antikörper gegen zyklische citrullinierte
Man überprüft Muskelverhärtungen und testet Peptide (Anti-CCP-Antikörper)
Muskelkraft sowie einen Muskeldruck- und Kneif- 55Antinukleäre Antikörper (ANA)
schmerz, der bei einer Myositis positiv sein kann. 55Blutbild: Leukopenie, Anämie etc.
Druckempfindliche Kreuz-Darmbein-Gelenke 55Transaminasen
(Sakroiliakalgelenke) weisen auf eine Entzündung hin. 55Harnsäure
Zudem achtet man bei der Gelenkuntersuchung 55Kreatinin
auf einen Gelenkerguss, eine (Baker-)Zyste sowie auf 55Harn
Reibe- und Knirschgeräusche.

Aus der Höhe der Blutsenkung kann auf die Aktivität


1.2 Laboruntersuchungen mancher Erkrankung geschlossen werden, und die
hauptsächliche Bedeutung liegt in der Verlaufsbeob-
Laboruntersuchungen dienen zur Diagnosefin- achtung einer chronischen Gelenkerkrankung, vor
dung sowie zur regelmäßigen Therapieüberprü- allem der RA, der Polymyalgia rheumatica und der
fung. Zur Diagnosefindung empfiehlt sich eine Stu- Kollagenosen, weniger zur Einschätzung der Aktivi-
fendiagnostik im Sinne eines initialen Basislabors tät einer Spondyloarthritis oder PsA.
10 Kapitel 1 · Diagnose und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

1.2.2 C-reaktives Protein (CRP) auch bei Gesunden mit zunehmendem Alter häufi-
42
1 ger vorkommt, andererseits bei 20–30% der Patien-
Das CRP wird in der Leber synthetisiert und von ten mit RA immer negativ bleibt („seronegative RA“)
allen Akute-Phase-Proteinen bei bestimmten ent- [4], [9].
zündlichen Reaktionen am schnellsten (innerhalb
von 8 Stunden) und am stärksten in das Plasma
freigesetzt. 1.2.4 Antikörper gegen citrullinierte
Es ist ein ebenso guter Parameter wie die BSG zur Antigene (Anti-Citrullinated
Verlaufskontrolle der RA und der Vaskulitiden, und Protein/Peptide Antibodies,
mit Einschränkung zur Überwachung einer Spon- ACPA)
dyloarthritis oder PsA geeignet.
Eine Ausnahme stellt der systemische Lupus ery- Anti-CCP-Antikörper  Eine Reihe von citrullinierten
thematodes (SLE) dar. Ein Anstieg der CRP ist ein Antigenen konnte innerhalb des entzündeten Syn-
Hinweis auf einen zusätzlichen bakteriellen Infekt, ovialgewebes von Patienten mit RA nachgewiesen
da eine Zunahme der Krankheitsaktivität beim SLE werden. Anti-CCP-Antikörper richten sich gegen
üblicherweise nicht mit einer Erhöhung des CRP zyklische citrullinierte Peptide, die bei Patienten mit
einhergeht. RA im Gelenk nachweisbar sind.
Für den erfahrenen Arzt sind zur Diagnose und Mit einer hohen Spezifität (81–100%) und Sen-
Verlaufsbeobachtung chronisch entzündlich-rheu- sitivität (39–94%) sind Anti-CCP-Antikörper der
matischer Erkrankungen beide Parameter, trotz aller beste serologische Diagnoseparameter der RA. Der
Einschränkungen, hilfreich und sinnvoll [9]. Nachweis dieser Antikörper ist von hohem prädikti-
vem Wert für die Entwicklung einer RA bei Patienten
mit noch unklaren Gelenkbeschwerden bzw. einer
1.2.3 Rheumafaktor (RF) undifferenzierten Früharthritis. Anti-CCP-Antikör-
per können schon lange vor Ausbruch einer klini-
Der RF ist der bekannteste diagnostische Marker für schen Symptomatik serologisch nachweisbar sein.
die RA und Bestandteil der Klassifikationskriterien Demgegenüber sind sie sehr selten bei anderen
des American College of Rheumatology (ACR) und Gelenkerkrankungen und Kollagenosen nachweis-
der European League Against Rheumatism (EULAR) bar. Es wurde in mehreren Untersuchungen eine
für die RA. Für die Diagnostik ist der Nachweis von prognostische Relevanz beschrieben, einhergehend
Immungloblin(Ig)M-Rheumafaktoren am meisten mit einem möglicherweise schwereren Verlauf und
verbreitet und international standardisiert. Diese frühzeitiger Entwicklung erosiver Gelenkverände-
sind gegen den Fc-Teil vom IgG gerichtete Auto- rungen. Es besteht keine gesicherte Korrelation zwi-
antikörper, besitzen allerdings nur eine ungenügende schen Krankheitsaktivität und Höhe des Antikörper-
diagnostische Spezifität (80–95%) und Sensitivität titers. Daher eignen sich diese Antikörper nicht als
(60–80%). RF der IgM-Klasse sind zu Krankheitsbe- Verlaufsparameter.
ginn seltener positiv und sind erst bei einer Krank-
heitsdauer von mehr als einem Jahr bei 70–80% der Anti-MCV-Antikörper  Anti-MCV-Antikörper sind
Patienten mit RA nachweisbar („seropositive RA“). gegen mutiertes citrulliniertes Vimentin (MCV)
Der RF-Titer ist in der Regel unabhängig von gerichtet und haben eine vergleichbare diagnostische
Krankheitsaktivität und Therapie. Patienten mit Spezifität und Sensitivität wie Anti-CCP-Antikör-
extraartikulären Manifestationen oder aggressivem per. Erste Untersuchungen wiesen auf eine signifi-
Krankheitsverlauf haben jedoch oft höhere Titer von kante Korrelation zwischen Anti-MCV-Antikörper-
Rheumafaktoren. titer und Schweregrad der RA sowie auch zur Krank-
Die diagnostische Aussagekraft des Rheumafak- heitsaktivität hin.
tors ist insgesamt ungenügend, da er bei einer Reihe Der Nachweis von Antikörpern gegen citrulli-
von Autoimmun- und Infektionskrankheiten sowie nierte Antigene im Serum von Patienten mit einer
1.2 · Laboruntersuchungen
11 1
RA oder auch einer noch undifferenzierten Arthritis 1.2.7 ANA-Subspezialitäten
ist nicht nur von prognostischer Bedeutung, sondern
hat auch eine therapeutische Konsequenz [4], [6], Die Untersuchung von Antikörpern gegen „extra-
[9], [22]. hierbare nukleäre Antigene (ENA, Synonym ANA-
Subsets) erfolgt üblicherweise im Anschluss an einen
positiven Nachweis von ANA.
1.2.5 RA33-Antikörper
Antikörper gegen Doppelstrang-DNA (dsDNA)  Dies
Diese haben eine hohe Spezifität (69–96%) bei RA, sind die wichtigsten Antikörper zur Diagnose eines
sind nicht mit dem RF assoziiert und sind bei sero- SLE und Bestandteil der ACR-Klassifikationskrite-
negativer RA in ca. 45% nachweisbar. Sie sind häufig rien. Sie sind bei aktiver Erkrankung mit Nierenbe-
bei einer frühen RA nachweisbar. Nach bisherigen teiligung in ca. 90%, ohne Nierenerkrankung zwi-
Untersuchungen besteht keine enge Korrelation zu schen 50 und 70% sowie bei inaktiver Erkrankung in
Krankheitsdauer, Aktivität oder Verlauf. Anti-RA33- unter 40% der Fälle serologisch nachweisbar. Ein feh-
Antikörper können beim SLE mit Gelenkbeteiligung lender Nachweis von dsDNA-Antikörpern schließt
und erosivem Verlauf in bis zu 70% nachgewiesen insbesondere bei hochtitrigen ANA und Nachweis
werden. anderer Markerantikörper einen SLE nicht aus [2],
Es ergibt sich somit eine diagnostische Relevanz [5], [8].
bei seronegativer RA sowie bei SLE mit Arthritis [4].
Sm-Antikörper  Sm-Antikörper besitzen eine hohe
Spezifität (> 95%) für einen SLE und es wurde eine
1.2.6 Antinukleäre Antikörper (ANA) Korrelation zwischen Krankheitsaktivität und Sm-
Antikörper-Titer beschrieben.
Als ANA werden alle Antikörper bezeichnet, die mit
nicht gewebsspezifischen Zellkernantigenen reagie- SS-A/Ro- und SS-B/La-Antikörper  Sie zeigen eine
ren. Im indirekten Immunfluoreszenztest (IIFT) hohe Prävalenz für das primäre (bis zu 96%) und
rufen Antikörper mit humanen Kulturzellpräpara- sekundäre (bis zu 80%) Sjögren-Syndrom. Der
ten eine mikroskopisch nachweisbare Zellkernim- gleichzeitige Nachweis beider Antikörperspezifitä-
munfluoreszenz hervor. ten erhärtet die Diagnose. SS-A/Ro und SS-B/La sind
ANA finden sich bei vielen systemischen ent- Markerantikörper für das primäre Sjögren-Syndrom,
zündlich-rheumatischen Erkrankungen. ANA sowie können aber auch bei anderen Kollagenosen wie dem
einzelne ANA-Spezialitäten wurden in die ACR- SLE oder bei der RA nachweisbar sein.
Klassifikationskriterien für SLE, Sjögren-Syndrom
und Mischkollagenose aufgenommen. Topoisomerase-I-Antikörper (Anti-Scl-70)  Topoiso-
ANA werden auch bei anderen Erkrankungen, merase-I-Antikörper sind Markerantikörper für die
z. B. bei Infektionskrankheiten und mit zuneh- systemische Sklerose (SSc).
mendem Lebensalter auch gehäuft bei Gesun- Scl-70-Antikörper finden sich in weniger als 10%
den nachgewiesen. Niedrige ANA-Titer bis 1:160 der Patienten mit limitierter kutaner systemischer
sind unspezifisch und von geringer diagnostischer Sklerose (lcSSc) und bei bis zu 65% der diffusen,
Bedeutung. Auch hochtitrige ANA ohne entspre- kutanen systemischen Sklerose (dcSSc).
chende klinische Symptomatik und ohne Marker-
antikörper sind wenig aussagekräftig. Der Nach- Zentromerantikörper (ACA)  Zentromerantikör-
weis von ANA bei klinisch Gesunden sagt wenig per richten sich gegen in der Zentromerenregion
über die mögliche Entwicklung einer Kollagenose der Chromosomen gelegene Proteine (CENP). Das
aus; andererseits können positive ANA-Titer dem häufigste Zielantigen ist CENP-B. Diese sind Mar-
Ausbruch eines SLE jahrelang vorausgehen [8], kerantikörper der lcSSc und finden sich bei diesen
[12], [30]. Verlaufsformen in 60–80% der Patienten, bei der
12 Kapitel 1 · Diagnose und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

diffusen systemischen Sklerose nur in 3–12% [8], geeignet. Der prädiktive Wert eines positiven ANCA-
42
1 [11], [21]. Immunfluoreszenztests für die Diagnose einer Vas-
kulitis ist sehr gering und steigt erst bei zusätzlicher
Anti-Jo-1-Antikörper  Diese sind Markerantikörper und entsprechender klinischer Symptomatik [9],
der Poly- und Dermatomyositis mit einer Prävalenz [30].
von bis zu 35%. Sie sind in der Regel schon frühzei-
tig bei Krankheitsbeginn nachweisbar und weisen
auf einen schweren Krankheitsverlauf hin, können 1.2.9 Antiphospholipid-Antikörper
aber unter Therapie verschwinden. (APA)

Mi-2-Antikörper  Sie sind hochspezifisch für die Lupus-Antikoagulans (LA), Kardiolipin(aCL)-


Dermatomyositis, treten bei adulter Dermatomyo- und β2-Glykoprotein-I(β2-GPI-)Antikörper sind
sitis in 15–30% der Patienten auf, aber nur selten bei als Autoantikörper neben den klinischen Kriterien
Polymyositis. (arteriellen oder venösen Thrombosen und einer
Schwangerschaftsmorbidität) entscheidend für die
U1-RNP-Antikörper  Diese Antikörper werden bei Diagnose eines Antiphospholipid-Syndroms (APS).
verschiedenen Autoimmunerkrankungen gefunden. Neben einem klinischen Kriterium muss ein Labor-
In hoher Konzentration sind sie ein Markerantikör- kriterium für die Diagnose eines APS vorhanden sein
per und Teil der ACR-Klassifikationskriterien für (LA und/oder aCL und/oder β2-GPI-Antikörper)
die von Sharp 1971 beschriebene Mischkollagenose in 2 oder mehr Untersuchungen in einem zeitlichen
(MCTD) [3]. Abstand von wenigstens 12 Wochen. Eine höhere
Prävalenz von Antiphospholipidantikörpern wird
bei Patienten mit nachgewiesenen Thrombosen, bei
1.2.8 Autoantikörper gegen verschiedenen Autoimmunerkrankungen wie SLE,
zytoplasmatische Antigene Sjögren-Syndrom und systemischer Sklerose und
humaner neutrophiler bei habituellen Aborten nachgewiesen (7 folgende
Granulozyten Übersichten) [9], [17], [18].

Die als C-ANCA bezeichneten (Anti-Neutrophil


Cytoplasmic Antibodies with [C] cytoplasmatic fluo-
rescence) gelten als krankheitsspezifische Marker Autoantikörper: Wichtige „Markerantikör-
der Granulomatose mit Polyangiitis (Wegener) per“ bei rheumatischen Erkrankungen
und sind bei aktivem mono- bis oligosymptomati- 55Rheumatoide Arthritis:
schen Verlauf in 60%, in der Generalisationsphase in –– IgM-RF
100% der Fälle nachweisbar. Eine Korrelation mit der –– ACPA (z. B. CCP-Antikörper)
Krankheitsaktivität wird kontrovers diskutiert. Eine 55Systemischer Lupus erythematodes (SLE):
zweite Gruppe von Granulozytenantikörpern wurde –– ANA
bei Patienten mit nekrotisierender Glomerulone- –– dsDNA-Antikörper
phritis und mikroskopischer Polyangiitis gefunden. –– Sm-Antikörper
Diese Antikörper werden als P-ANCA (ANCA mit –– Nukleosomen
[P] perinukleärem Fluoreszenzmuster) bezeichnet. –– SS-A/Ro-Antikörper, SS-B/La-Antikörper
Als Zielantigen für C-ANCA wurde die in den Gra- 55Medikamenteninduzierter LE:
nulozyten gelegene Proteinase 3 (PR3), daher PR3- –– Histone
ANCA, als Zielantigen für P-ANCA die Myeloper- 55Primäres Sjögren-Syndrom:
oxidase (MPO), daher MPO-ANCA, nachgewiesen. –– ANA
Die Untersuchung von P-ANCA und C-ANCA ist –– SS-A/Ro-Antikörper, SS-B/La-Antikörper
nicht als Screeningtest für eine systemische Vaskulitis
1.2 · Laboruntersuchungen
13 1
1.2.10 Blutbild und Differenzialblutbild
55Systemische Sklerose:
–– ANA Aus dem Blutbild lassen sich Rückschlüsse auf die
–– Topoisomerase-I (Scl-70) Krankheitsaktivität ziehen, auf Komplikationen wie
–– Zentromere Blutverlust, Infektionen oder auch auf hämatologi-
55Polymyositis/Dermatomyositis: sche Erkrankungen. Die Bestimmung des Blutbildes
–– ANA ist auch notwendig zur Überprüfung einer medika-
–– Mi-2-Antikörper mentösen Therapie.
–– Jo-1-Antikörper
55Mischkollagenose: Anämie  Im Rahmen entzündlich-rheumatischer
–– ANA Erkrankungen kommt es häufig zu einer Anämie,
–– U1-RNP-Antikörper die oft multifaktoriell bedingt ist. Eine normoch-
55Antiphospholipid-Syndrom: rome, normozytäre Anämie im Rahmen einer chro-
–– LA nischen Entzündung tritt vor allem in der aktiven
–– aCL-Antikörper Phase der Erkrankung als Folge einer verminderten
–– β2-Glykoprotein-I-Antikörper Produktion oder/und eines beschleunigten Abbaus
55Systemische Vaskulitiden: von Erythrozyten auf. Daneben kann es auch zu einer
–– Anti-Neutrophilen-Zytoplasma- Eisenmangelanämie durch einen okkulten gastroin-
Antikörper (ANCA) testinalen Blutverlust (z. B. durch die Einnahme von
–– PR3-ANCA (Anti-Proteinase 3) nichtsteroidalen Antirheumatika, NSAR) kommen.
(C-ANCA)
–– MPO-ANCA (Anti-Myeloperoxidase) Thrombozytose  Eine Thrombozytose fällt vor allem
(P-ANCA) in der aktiven Phase einer entzündlich-rheumati-
schen Erkrankung oder auch bei akuten Blutungen
(nach Hartung und Seelig 2006, 2007 [8], [9]) und Eisenmangel auf.

Thrombozytopenie  Eine Thrombozytopenie kann


z. B. als Folge einer medikamenteninduzierten
Knochenmarksdepression, bei Splenomegalie oder
Rheumatologisches Labor – weiterführen- im Rahmen eines Antiphospholipid-Syndroms
de Diagnostik bei entsprechender Klinik vorkommen.
55Bei ANA >1:160 und Verdacht auf
Kollagenose: Antikörper gegen Leukozytose  Eine Leukozytose kann typischerweise
–– dsDNA im Rahmen der aktiven Phase einer rheumatoiden
–– Sm Arthritis, bei Infektionen oder als Folge einer Glu-
–– SSA/Ro, SSB/La kokortikoidtherapie auftreten.
–– U1-RNP
–– Scl-70 Leukopenie  Die Leukopenie ist Teil der Symptom-
–– CENP-B trias des Felty-Syndroms (rheumatoide Arthritis,
–– Jo-1 Leukopenie, Splenomegalie), kann bei SLE in der
55Bei Verdacht auf Antiphospholipid- aktiven Krankheitsphase auftreten oder medikamen-
Syndrom: tös induziert sein (im Rahmen einer Basistherapie).
–– APA (LA, aCL, β2-GPI-Antikörper)
55Bei Verdacht auf Vaskulitis: Nierenfunktionsparameter  Nierenfunktionspara-
–– PR3-ANCA (C-ANCA) meter spielen in der Rheumatologie eine wichtige
–– MPO-ANCA (P-ANCA) Rolle zur Überprüfung einer renalen Beteiligung
im Rahmen einer Autoimmunerkrankung oder
14 Kapitel 1 · Diagnose und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

zur Überwachung von Nebenwirkungen durch bestimmt werden, die bei Traumata, sportlichen
42
1 Medikamente. Betätigungen, bei Herzinfarkt, aber eben auch im
Rahmen von Muskelerkrankungen erhöht sein kann.
Harnsäure  Eine Erhöhung der Harnsäure kann zu
einer Gichtarthritis führen. Synovialflüssigkeit  Eine Gelenkpunktion und
Analyse der Synovialflüssigkeit (Synovia) ist indi-
Leberfunktionsparameter  Die Bestimmung der ziert bei Verdacht auf eine bakterielle Gelenkinfek-
Leberfunktionsparameter dient in der Rheumatolo- tion, zur Differenzierung eines entzündlichen von
gie vor allem der Überprüfung einer Basistherapie, einem nichtentzündlichen Erguss und zum Nach-
da z. B. eine Erhöhung der Transaminasen häufig als weis bzw. Ausschluss von Kristallen.
Folge einer medikamentös-toxischen Wirkung auf-
tritt, selten auch im Rahmen einer Mitbeteiligung Serologie  Serologische Verfahren in der Diagnostik
der Leber bei entzündlich-rheumatischen Erkran- reaktiver Arthritiden werden seit Jahren verwendet,
kungen. Eine Transaminasenerhöhung fällt auch bei geben aber nur indirekte Hinweise auf eine persistie-
Myositiden auf. Zudem ist eine Hepatitis infektiöser rende oder gerade abgelaufene Infektion und sollten
Ursache auszuschließen. Bei einem isolierten Anstieg daher sehr gezielt eingesetzt werden (. Tab. 1.2).
der alkalischen Phosphatase ist an einen Morbus
Paget zu denken. Borrelienserologie  Eine Labordiagnostik der Bor-
reliose sollte ebenfalls sehr gezielt bei klinischem
Kreatinkinase  Bei klinischem Verdacht auf eine Verdacht erfolgen. Es wird eine Stufendiagnos-
Myositis sollte in jedem Fall die Kreatinkinase (CK) tik empfohlen. Bei grenzwertigem oder positivem

. Tab. 1.2  Rheumatologisches Labor – empfohlene weiterführende Diagnostik

Symptome/Verdacht Diagnoseparameter

Symptome eines entzündlichen Rückenschmerzes bzw. Verdacht auf HLA-B27


axiale Spondyloarthritis (ankylosierende Spondylitis)
Verdacht auf infektreaktive Arthritis
Arthralgien bzw. bei symmetrischer Polyarthritis Erregerdiagnostik in der Regel nicht
sinnvoll
Asymmetrische Oligoarthritis (mit Bevorzugung der Serologische Tests auf Chlamydien oder
unteren Extremität) und vorausgegangene Infektion Enterobakterien
Undifferenzierte Arthritis (asymmetrische Urogenitaler Chlamydia-trachomatis-
Oligoarthritis) ohne Infektanamnese Nachweis: erste Portion Morgenurin
Rezidivierende oder/und chronische Mono-/ HLA-B27
Oligoarthritis mit/ohne vorausgegangener Infektion
Undifferenzierte Oligoarthritis (insbesondere mit Borrelienserologie
Kniegelenkbefall) und entsprechendem klinischen
Verdacht
Verdacht auf bakterielle Infektion eines Gelenks (septische Arthritis) Gelenkpunktion und Analyse der
Synovialflüssigkeit
Undifferenzierte Monoarthritis und Verdacht (oder zum Ausschluss) einer Gelenkpunktion und Analyse der Synovia
Kristallarthropathie
Arthritis und Fieber (bei Verdacht auf rheumatisches Fieber) Streptokokkenantiköper mit definiertem
Titeranstieg (nur im Einzelfall!) [10], [28]
1.3 · Bildgebende Verfahren
15 1
Suchtest (meist Enzymimmunnoassay) empfiehlt 1.3.1 Gelenk- und
sich zur Bestätigung ein zusätzliches Verfahren Weichteilsonographie
(Immunoblot).
Die Sonographie kann als nichtinvasive Methode
beliebig oft eingesetzt werden und stellt in der Hand
1.2.11 HLA-B27 des geübten Untersuchers ein zunehmend wichtiges
Instrument zum Nachweis eines Gelenkergusses,
Eine familiäre Häufung bestimmter rheumatischer einer Synovitis, einer Tenovaginitis, einer Bursitis
Erkrankungen ist seit Langem bekannt. oder synovialer Zysten dar. Ebenso kann eine knö-
Im Jahre 1973 wurde die Assoziation zwischen cherne Erosion sonographisch dargestellt werden.
HLA-B27 (Human Leukocyte Antigen B27) und Diese Methode eignet sich daher zur Frühdiagnostik
ankylosierender Spondylitis (AS, Morbus Bechte- und zur Verlaufskontrolle einer rheumatoiden Arth-
rew) entdeckt. 90–95% der Patienten mit AS tragen ritis. Im Gegensatz zur Röntgenuntersuchung besteht
diesen genetischen Marker. Eine derart starke Asso- keine Strahlenbelastung [26].
ziation mit einem genetischen Marker ist bisher für
keine andere Erkrankung gezeigt worden (. Tab. 1.2).
Reaktive Arthritiden vor allem mit chronifizier- 1.3.2 Konventionelle
ten Verläufen sind in 30–80%, chronisch entzünd- Röntgendiagnostik
liche Darmerkrankungen und die Psoriasisarthritis
mit Beteiligung des Achsenskeletts in ca. 50% und Diese Methode, mit der jahrzehntelange Erfahrung
die akute anteriore Uveitis in 50–70% mit HLA-B27 besteht, stellt nach wie vor die Basis der bildgebenden
assoziiert. Diagnostik dar. Sie eignet sich zum Nachweis gelenk-
Circa 7–9% der (gesunden) mitteleuropäischen naher Erosionen, Zysten oder einer Osteoporose. Es
Bevölkerung sind Träger dieses Gens. Es besteht ein können pathognomonische Befunde bei der PsA
klares Nord-Süd-Gefälle mit einer Prävalenz für erhoben werden. Gelenknahe Erosionen kommen
HLA-B27 von ca. 15% in Nordeuropa und einem vordergründig bei rheumatoider Arthritis vor und
praktischen Fehlen im südlichen Afrika. Entspre- nur in seltenen Ausnahmen bei der erosiv verlaufen-
chend zahlreicher epidemiologischer Untersuchun- den Arthrose oder bei der Gicht. Das konventionelle
gen erkrankten 4–7% der HLA-B27-positiven Bevöl- Röntgenbild eignet sich gut zur Dokumentation des
kerung an einer AS [1], [7], [10], [13], [14], [15], [16], Krankheitsverlaufs [23], [24].
[20], [22], [28].

1.3.3 Computertomographie
1.3 Bildgebende Verfahren
Die Computertomographie wird nur mehr verein-
Bildgebende Verfahren stellen neben der Labordia- zelt zur Diagnostik entzündlicher und degenerati-
gnostik die Säulen der technischen bzw. apparati- ver Knochenveränderungen eingesetzt (eventuell zur
ven Untersuchungen in der Rheumatologie dar. Sie Beurteilung knöcherner Veränderungen im Bereich
finden sowohl Verwendung in der Frühdiagnostik der Kreuz-Darmbein-Gelenke und zur Diagnostik
zur Diagnosefindung als auch zur Verlaufsbeurtei- des Bandscheibenvorfalls).
lung im Sinne der Überprüfung und Erfolgskontrolle
einer Basistherapie. So sollten Hände und Vorfüße
in den ersten 2 Jahren alle 6–12 Monate, später alle 2 1.3.4 Kernspintomographie (MRT =
Jahre geröntgt werden. Bei schwer verlaufender RA Magnetresonanztomographie)
sollte zum Ausschluss einer Zervikalarthritis die
Halswirbelsäule alle 3–4 Jahre in Normalstellung und Diese Methode ist hervorragend zur Beurteilung von
Inklination geröntgt, bei Verdacht eine Kernspinto- Schädigungen der Gelenkflächen, Knorpel, Sehnen
mographie gemacht werden [15], [27]. und Bänder geeignet. Die MRT dient zur Beurteilung
16 Kapitel 1 · Diagnose und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

von traumatischen Schäden bzw. Sportverletzungen Gelenk- oder Wirbelsäulenerkrankung. Die Szinti-
42
1 der Knie- und Schultergelenke. graphie ist die Methode der Wahl zur Diagnose des
Die MRT wird auch häufig zur Diagnostik ent- Morbus Paget [25].
zündlicher Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen
herangezogen. Mit Hilfe der MRT besteht die Mög-
lichkeit der gleichzeitigen Abbildung knöcherner Literatur
und nichtknöcherner Abschnitte. Durch Gabe von
[1] Aguero-Rosenfeld ME, Wang G, Schwartz I, Wormser GP
Kontrastmittel können entzündliche Veränderun- (2005) Diagnosis of lyme borreliosis. Clin Microbiol Rev
gen im Bereich der Gelenke sehr gezielt dargestellt 18:484–509
werden. Die Kernspintomographie wird zur Früh- [2] Arbuckle MR, McClain MT, Rubertone MV et al (2003)
diagnostik und zur Verlaufskontrolle der rheuma- Development of autoantibodies before the clinical
toiden Arthritis unter Therapie eingesetzt, da knö- onset of systemic lupus erythematosus. N Engl J Med
349:1526–1533
cherne Veränderungen in der MRT früher als im [3] Ehrfeld H, Renz M, Hartung K et al (1994) Rekombinante
konventionellen Röntgen darstellbar sind. Ro-, La und U1-n-RNPAntigene: Nachweis von Autoanti-
Als gesicherte Indikation zählen bei rheumatoider körpern mittels ELISA und klinische Assoziationen beim
Arthritis die Beurteilung der Halswirbelsäule bei Ver- SLE. Z Ärztl Fortbild 88:495–500
[4] Feist E, Egerer K, Burmester GR (2007) Autoantikörper-
dacht auf Zervikalarthritis am atlantoaxialen Über-
profile bei der rheumatoiden Arthritis. Z Rheumatol
gang, der Nachweis oder Ausschluss einer Hüftkopf- 66:212–218
nekrose und gegebenenfalls der frühzeitige Nachweis [5] Font J, Cervera R, Ramos-Casals M et al (2004) Clusters
von strukturellen Veränderungen am Handskelett. of clinical and immunologic features in systemic lupus
Die MRT ist die beste und wichtigste Methode erythematosus: analysis of 600 patients from a single
center. Semin Arthritis Rheum 33:217–230
zur (frühzeitigen) Darstellung und Beurteilung ent-
[6] Gaalen FA van, Linn-Rasker SP, Venrooij WJ van et al
zündlicher Veränderungen im Bereich der Wirbel- (2004) Autoantibodies to cyclic citrullinated peptides
säule und der Sakroiliakalgelenke im Rahmen einer predict progression to rheumatoid arthritis in patients
axialen Spondyloarthritis. Die MRT wird ohne Strah- with undifferentiated arthritis: a prospective cohort
lenbelastung durchgeführt, ist aber kosten- und per- study. Arthritis Rheum 50:709–715
[7] Hartung K, Langer HE (1990) Viren und Arthritis. WMW
sonalintensiv [19].
140:315–318
[8] Hartung K, Seelig HP (2006) Labordiagnostik der syste-
mischen Autoimmunerkrankungen. Teil 1: Kollageno-
1.3.5 Drei-Phasen-Szintigraphie sen. Z Rheumatol 65:709–724
[9] Hartung K, Seelig HP (2007) Labordiagnostik der syste-
mischen Autoimmunerkrankungen. Teil 2: Rheumatoide
Die Szintigraphie ist eine sensitive, aber wenig spe-
Arthritis und Vaskulopathien. Z Rheumatol 66:225–238
zifische Methode zum Nachweis entzündlicher [10] Hartung K, Ehrfeld H, Gerritzen A, Kuipers JG, Wolters B
Gelenk- und Wirbelsäulenveränderungen. Bei (2007) Labordiagnostik der systemischen Autoim-
dieser Untersuchung erhält der Patient eine kleine munerkrankungen. Teil 3: Infektbedingte Arthritiden.
Menge einer radioaktiv markierten Substanz, die Z Rheumatol 66:395–415
[11] Ho KT, Reveille JD (2003) The clinical relevance of auto-
eine geringe, aber relevante Strahlenbelastung für
antibodies in scleroderma. Arthritis Res Ther 5:80–93
den Patienten darstellt. Unmittelbar nach intrave- [12] Hoffman IE, Peene I, Meheus L et al (2004) Specific
nös verabreichter Injektion erfolgt die Verteilung antinuclear antibodies are associated with clinical fea-
im Blutkreislauf, nach 10–15 Minuten im entzün- tures in systemic lupus erythematosus. Ann Rheum Dis
deten Synovialgewebe und nach 2–3 Stunden zeigt 63:1155–1158
[13] Hülsemann JL, Zeidler H (1999) Diagnostic evaluation of
die Aktivitätsanreicherung der markierten Substanz
classification criteria for rheumatoid arthritis and reac-
Veränderungen im Knochen. Die Frühphase ist ent- tive arthritis in an early synovitis outpatient clinic. Ann
scheidend zur Beurteilung entzündeter Gelenke. Rheum Dis 58:278–280
Durch die Szintigraphie können Arthralgien von [14] Inman RD (1999) Classification criteria for reactive arth-
einer manifesten Arthritis unterschieden werden. ritis. J Rheumatol 26:1219–1220
[15] Kellner H, Schmidt W, Rau R (2005) Bildgebende Verfah-
Ein negativer skelettszintigraphischer Befund
ren in der Rheumatologie. Z Rheumatol 64:553–556
spricht gegen das Vorliegen einer entzündlichen
Literatur
17 1
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tol 25:22–29
[17] Miyakis S, Lockshin MD, Atsumi T et al (2006) Interna-
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[18] Obermoser G, Bitterlich W, Kunz F, Sepp NT (2004)
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19 2

Die rheumatoide Arthritis


Rudolf Puchner

Literatur – 39

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_2
20 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis

Die rheumatoide Arthritis (RA, Synonym: chro- mukosaler Proteine zur Folge haben. Solche Neo-
nische Polyarthritis) ist die häufigste entzündliche Epitope bewirken einen Toleranzverlust und führen
Gelenkerkrankung. Etwa 0,5(–1)% der Bevölke- zur Ausbildung von ACPA [21].
2 rung sind betroffen. Es handelt sich um eine chro- Die Hypothese einer Infektion als (Mit-)Ursache
nisch fortschreitende Entzündung mit bevorzugtem wird immer wieder diskutiert, weil einige Formen
symmetrischem Gelenkbefall. Unbehandelt führt entzündlicher Gelenkerkrankungen durch Infekte
sie meist zur Gelenkzerstörung. Auch eine Beteili- ausgelöst werden können (reaktive Arthritiden), die
gung von Sehnen, Gefäßen und inneren Organen ist aber im Gegensatz zur RA in der Regel nicht chro-
möglich. nisch verlaufen und üblicherweise keine Gelenkschä-
Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter auf- digungen hervorrufen. Zahlreiche Erreger werden
treten, bevorzugt zwischen dem 35. und 50. Lebens- bei der Auslösung der RA genannt, wie Parvovirus,
jahr. Frauen sind 3-mal häufiger betroffen [11], [19], Proteus mirabilis, Mycobacterium tuberculosis etc.
[21], [33]. Letztendlich ist aber bislang kein gesicherter Erre-
gernachweis erbracht worden. Auch der Mechanis-
z Ätiologie und Pathogenese mus ist noch nicht geklärt. Es könnte durch Ähnlich-
Typisch für die Erkrankung sind eine synoviale Ent- keit viraler Antigene mit autologen Strukturen des
zündung und Hyperplasie, der Nachweis bzw. die Gelenks eine immunologische Kreuzreaktion (mole-
Produktion von Autoantikörpern (Rheumafaktor kulares Mimikry) erfolgen. Die Initiierung der Ent-
und anticitrullinierte Protein-Antikörper [ACPA]), zündung könnte auch durch Ansiedlung eines noch
Zerstörung von Knorpel und Knochen sowie syste- unbekannten Erregers im Gelenk erfolgen. Dadurch
mische Merkmale [21]. Die RA hat wahrscheinlich kann eine ständige Freisetzung antigener Bestand-
nicht nur eine Ursache. Ererbte Anlagen, epigeneti- teile oder eine Veränderung ortsständiger Zellen
sche Veränderungen, eine veränderte Immunabwehr bewirkt werden. Es könnte eine sekundäre Immun-
und Umweltfaktoren spielen eine Rolle. Verwandte reaktion gegen Strukturen des Gelenkknorpels (z. B.
ersten Grades von RA-Patienten erkranken häufiger. das Kollagen des Knorpels), die im Rahmen der Ent-
Allerdings erkranken eineiige Zwillinge nur in etwa zündung freigesetzt werden (= „epitope spreading“),
15–30% und zweieiige Zwillinge in 5% gemeinsam. ausgelöst werden.
Das Vorhandensein der Erbanlage ist häufig gekop- Die Bildung von Immunkomplexen während
pelt mit einem ebenfalls erblichen Oberflächenmerk- einer Infektion könnte die Produktion von Rheu-
mal auf den Leukozyten (HLA, Human Leukocyte mafaktoren auslösen.
Antigen). Bei Patienten mit RA ist ein bestimmtes Möglicherweise spielt die Immunantwort auf
Antigen, HLA-DR4, 3- bis 4-mal häufiger als bei eine parodontale Infektion mit Porphyromonas gin-
Gesunden nachweisbar. Dieses Gen befindet sich am givalis bei einer entsprechenden genetischen Dis-
HLA-DRB1-Lokus. Genanalysen haben eine Verbin- position bei der Entwicklung der RA eine Rolle.
dung zwischen der Entwicklung einer RA und einer Man nimmt heute auch an, dass das gastrointes-
Anzahl von HLA-DRB1-Genen (inkl. HLA-DR4) tinale Mikrobiom einen Einfluss auf die Entwicklung
dokumentiert. Gemeinsam („share“) ist ihnen eine der Autoimmunität im Gelenk hat.
gleiche Aminosäuresequenz („shared epitope“). Auch diätetische Einflüsse werden genannt. Viele
Studien zeigen, dass HLA-DR4 in 70% der Patien- Patienten berichten über bestimmte Lebensmit-
ten von RA und nur in 28% bei Gesunden nachweis- tel, die Gelenkschmerzepisoden auslösen können,
bar ist. Röntgenuntersuchungen von Händen zeigten obwohl kontrollierte Studien fehlen. Wenige Studien
bei HLA-DR4-positiven Patienten ausgeprägtere erwähnen eine eiweißreiche Ernährung als einen
Gelenkschädigungen. Triggerfaktor.
Rauchen gilt als wesentlicher Risikofaktor für Zum Ausbruch kommt die RA durch ein plötzli-
das Auslösen einer RA. Vor allem Zigarettenrau- ches Reagieren von (vor allem) T-Lymphozyten auf
chen, aber auch andere Umwelteinflüsse können ein bislang noch unbekanntes Antigen im Sinne einer
bei prädisponierten Personen zu posttranslationa- entzündlichen Veränderung der Synovialmembran
len Veränderungen führen, die eine Citrullinierung und einer Produktion von Autoantiköpern durch
Die rheumatoide Arthritis
21 2
Plasmazellen (Toleranzverlust). Rheumafaktoren Osteoblasten und T-Lymphozyten und in der Folge
und ACPA sind aber oft auch schon vor der Ent- dadurch die Aktivierung der knochenabbauenden
wicklung einer Arthritis (präartikuläre Phase der Osteoklasten. Als Gegenspieler der Aktivierung fun-
RA) zu finden. giert das ebenfalls von Zellen des Immunsystems
B-Lymphozyten und Immunglobulin(Ig)-produ- produzierte Osteoprotegerin.
zierende Plasmazellen sind in der Synovialis anzu- Ein wichtiger und auch schon etablierter Ansatz,
treffen. Eine lokal stattfindende und antigengesteu- um den Entzündungsmechanismus zu unterbinden,
erte B-Zell-Entwicklung in der Synovialmembran ist die gezielte Blockade von TNF-α durch monoklo-
wird angenommen. Plasmazellen sind für die Pro- nale Antikörper oder einen löslichen TNF-Rezeptor
duktion von IgG- und -M-Rheumafaktoren verant- (Adalimumab, Etanercept, Infliximab und seit 2009
wortlich. B-Lymphozyten fungieren im Rahmen der Certolizumab Pegol und Golimumab). Ein gentech-
Pathogenese auch als antigenpräsentierende und nisch hergestellter humaner IL-1-Rezeptorantagon
zytokinsezernierende Zellen. So kann die selektive ist etabliert (Anakinra). Seit 2009 steht ein huma-
Depletion von CD20-positiven B-Lymphozyten nisierter Antikörper gegen IL-6 (Tocilizumab) zur
durch monoklonale Antikörper (Rituximab) zu einer Verfügung. Durch eine selektive Hemmung kostimu-
deutlichen Unterdrückung der Krankheitsaktivität latorischer Signale kann die Aktivität der T-Lympho-
führen. Während in dieser frühen Phase der Arthritis zyten ebenfalls reduziert werden (Abatacept).
das adaptive Immunsystem (T- und B-Lymphozyten Wenn auch die auslösende Ursache (noch)
und dendritische Zellen) eine wichtige Rolle spielt, ist unklar ist, so ist das Verständnis entzündlicher Vor-
in der chronischen Phase vor allem das angeborene gänge im Gelenk gewachsen. Die zentrale Rolle der
Immunsystem relevant. Zytokine in der Aufrechterhaltung der Entzündung
Gesteuert wird die chronische Entzündung und Gelenkzerstörung ist nachgewiesen. Die folgen-
durch Zytokine, die Botenstoffe des Immunsystems. den Jahre werden spannend und weitere entschei-
Die wichtigsten die Entzündung fördernden Zyto- dende Fortschritte in der Ursachenerforschung und
kine sind Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), Interleu- Behandlung bringen [11], [19], [21], [29], [33], [36].
kin-1 (IL-1) und Interleukin-6 (IL-6). Insbesondere
TNF-α produziert wieder Botenstoffe, die Entzün- z Symptomatik
dungszellen anlocken und ist wahrscheinlich für den Leitsymptom ist der Gelenkschmerz und eine mor-
Entzündungsprozess verantwortlich, IL-1 fördert die gendliche Steifigkeit. Die Störung der Beweglichkeit
Zerstörung von Knorpel und Knochen. bzw. Funktionsverluste entwickeln sich am Beginn
Aufgrund dieser entzündlichen Vorgänge der Erkrankung durch Entzündung und Schwel-
beginnt die Synovialmembran zu wuchern (Pannus). lung, in späteren Stadien durch Gelenkfehlstellun-
Es kommt zu einer Verbreiterung der normalerweise gen und Deformierungen sowie durch Muskelabbau
aus 1–2 Zelllagen bestehenden Deckzellschicht der und Tendopathien.
Gelenkinnenhaut durch Einwanderung von Mak- Es können beinahe alle Gelenke des Körpers
rophagen und Vermehrung von fibroblastenähnli- betroffen sein; im Vordergrund steht aber meist eine
chen Zellen und Bindegewebszellen. Auch Blutge- symmetrische Entzündung der Finger- und Hand-
fäße werden neu gebildet. Der Pannus überwuchert gelenke. Auch große Gelenke wie Hüfte oder Knie-
Gelenkspalt und Knorpel. gelenke sind häufig beteiligt. Eine schmerzhafte Ent-
Die Zerstörung des Gelenkknorpels entsteht zündung der Kiefergelenke ist ebenfalls typisch [27].
durch direkten Kontakt von Pannus und Knorpel. Eine seltene, aber schwere Erscheinungsform ist eine
Des Weiteren wird durch Enzyme aus dem Pannus Beteiligung der oberen Abschnitte der Halswirbel-
wie Matrixmetallproteinasen (Kollagenase, Protei- säule. Alleine die Brust- und Lendenwirbelsäule
nasen) der Knorpelabbau gefördert. Zudem aktivie- sind primär nicht betroffen. Finger- und Zehen­
ren die Zytokine TNF-α und IL-1 die Osteoklasten. endgelenke sind bei der RA üblicherweise nicht
Ein weiterer wichtiger Mediator ist der Osteo- beteiligt.
klastendifferenzierungsfaktor (ODF, RANKL). Typisch ist ein schleichender Krankheitsbeginn
Vornehmlich IL-1 fördert die Freisetzung aus mit symmetrischem Befall der Fingergrund- und
22 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis

Fingermittelgelenke und der Handgelenke symmetrische Synovialitis kleiner und großer Ext-
(. Abb. 2.1). Ein unspezifisches Vorstadium mit remitätengelenke mit den Symptomen Schmerz,
Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust und subfeb- Schwellung und Überwärmung und durch eine
2 rilen Temperaturen kann dem Gelenkschmerz unterschiedlich lange ausgeprägte Morgensteifigkeit.
vorangehen. Die Schwellung ist vordergründig prall elastisch bei
Abweichend vom typischen Initialmuster Gelenkerguss oder teigig weich bei synovialer Pro-
können andere periphere Gelenke wie Kiefergelenke, liferation. Eine Rötung der entzündeten Gelenke ist
aber auch Knie-, Hüft- oder Sprunggelenke primär selten.
beteiligt sein. Bei ca. 30% der Patienten beginnt die Bei Kniegelenkergüssen wird häufig eine Baker-
Erkrankung atypisch mit einem mono- oder oligoar- Zyste beobachtet, im Sinne einer prallen elastischen
thritischen und auch asymmetrischen Gelenkbefall. Aussackung in die Kniekehle. Nicht selten kommt
Gelegentlich ist eine lokalisierte Tendosynovitis es zu einer Ruptur der Aussackung mit konsekutiver
Erstsymptom einer RA. Schwellung der Wade, wodurch eine Phlebothrom-
Bei 10–20% der Patienten kommt es zu einem bose vorgetäuscht werden kann.
akuten Krankheitsbeginn mit polyartikulärem Im Verlauf der Erkrankung nehmen Gelenk-
Gelenkbefall und fieberhaften Temperaturen, meist destruktion und Fehlstellungen der Gelenke zu,
unter Beteiligung der großen Gelenke. wodurch insbesondere in fortgeschrittenen und
späten Krankheitsphasen die Symptomatik geprägt
z Krankheitsverlauf wird.
Der Verlauf der Erkrankung ist chronisch progre-
dient mit unterschiedlich ausgeprägten arthritischen z z Hand
Schüben, die von Fieber und verstärktem Krank- Im Verlauf der Erkrankung wird am häufigsten die
heitsgefühl begleitet sein können. Spontane Remis- ulnare Deviation im Bereich der Finger- und Zehen-
sionen sind sehr selten. grundgelenke beobachtet (. Abb. 2.2). Typisch ist
Die Symptomatik ist geprägt durch einerseits auch eine Schwanenhalsdeformität mit Überstre-
reversible Gelenkschwellungen, andererseits durch ckung im Fingermittelgelenk und Beugung im End-
im Laufe der Erkrankung auftretende struktu- gelenk (. Abb. 2.3).
relle Schäden und Veränderungen. Der entzünd- Bei der Knopflochdeformität gleiten die Streck-
liche Gelenkbefall ist gekennzeichnet durch eine sehnen im Fingermittelgelenk seitlich nach volar ab

. Abb. 2.1  Symmetrische


Schwellung der Fingergrundgelenke
(MCP-Gelenke 2 und 3) bei früher
rheumatoider Arthritis
Die rheumatoide Arthritis
23 2
. Abb. 2.2  Fortgeschrittene
rheumatoide Arthritis mit Schwellung
der Fingergrundgelenke und ulnarer
Deviation

Handleistungen im täglichen Leben entfallen auf


diese beiden Griffe.

z z Knie
Am Kniegelenk kann es als Folge der Synovitis und
Ergussbildung zu Kapseldehnung mit Wackelknie und
vorderer und hinterer Instabilität kommen. Zuneh-
mende erosive Prozesse führen zu einem Genu valgum.

z z Fuß
Am Fuß kommt es zu einer lateralen Deviation im
Großzehengrundgelenk, die Zehengrundgelenke
. Abb. 2.3  Fortgeschrittene rheumatoide Arthritis mit
luxieren als Folge von Bandinstabilitäten und Erosio-
Schwanenhalsdeformität und Rheumaknoten nen nach dorsal, wodurch die Grundphalangen über-
streckt und die Endphalangen stark gebeugt werden.
Schließlich kommt es zu einem Auseinanderweichen
und führen zu einer Beugung im Mittelgelenk und der Mittelfußknochen mit Entwicklung eines rheu-
Überstreckung im Endgelenk. matischen Spreizfußes.
Beim Caput-ulnae-Syndrom, welches schon
frühzeitig im Verlauf einer RA auftreten kann, wird z z Hüftgelenk
das Ulnarköpfchen nach dorsal disloziert, als Folge Die Entzündung im Hüftgelenk lässt sich meist
einer Schädigung des Bandapparates zwischen nur indirekt nachweisen. Ein frühes Zeichen ist die
Ulnarköpfchen und Handwurzel. Streckhemmung; auch Ruheschmerzen, Endphasen-
Die 90/90-Deformität des Daumens ist die und Stauchungsschmerz lassen an eine entzündliche
Folge einer schweren Gelenk- und Weichteil- Beteiligung denken. Bei fortgeschrittener Erkran-
schädigung im Daumengrund- und Endgelenk, kung kommt es als Folge einer Kapselschrumpfung
wodurch ein Daumen-Zeigefinger- und Daumen- zu Beugekontraktur und schließlich zu einer fibrösen
Mittelfinger-Griff nicht mehr möglich ist. 90% der und knöchernen Ankylosierung.
24 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis

z z Schultergelenk Sanierung notwendig; Rheumaknoten neigen aber


Entzündungen im Bereich des Schultergelenks zu Rezidiven.
werden aufgrund des muskulären Weichteilmantels
2 oft erst spät diagnostiziert. Die Folge sind Kapsel- z Extraartikuläre Organmanifestationen
kontrakturen, Knorpeldestruktionen und in weiterer Die RA ist eine Systemerkrankung und viele Patien-
Folge eine mögliche anteriore und superiore Sublu- ten leiden an einem eingeschränkten Allgemeinbe-
xationstellung [19], [33]. finden mit Müdigkeit und Gewichtsverlust. Auch
eine Beteiligung innerer Organe ist möglich, verlauft
z z Wirbelsäule häufig stumm und tritt vor allem bei Rheumafak-
Destruktionen können auch an Bändern und tor-positiven Patienten im fortgeschrittenen Stadium
Knochen der Halswirbelsäule auftreten. einer Erkrankung auf. Organbeteiligungen können
Eine Beteiligung der Halswirbelsäule im Verlauf aber auch mit schweren und bedrohlichen klinischen
einer RA ist häufig, selten kann diese auch schon im Symptomen einhergehen; oft ist die Unterscheidung
Frühstadium oder als Erstsymptom in Erscheinung von Nebenwirkungen bzw. Komplikationen einer
treten. Typische Symptome sind Nackenschmerzen medikamentösen Therapie schwierig.
in Ruhe, vor allem in der Nacht mit frühmorgendli- In Einzelfällen können Organmanifestationen auch
chem Schmerzmaximum und Ausstrahlung in Hinter- im Frühstadium oder als Erstsymptom der Erkrankung
haupt, Schultern und Oberarme. Besonders gefürchtet auftreten (z. B. eine Pleuritis oder Vaskulitis).
sind Lockerungen des Bandapparats am Atlas-Axis-
Gefüge und eine atlantoaxiale Dislokation. Lebensbe- z z Gefäßsystem
drohliche neurologische Komplikationen entstehen Eine Beteiligung des Gefäßsystems im Sinne einer
durch Kompression des Rückenmarks infolge der „rheumatoiden Vaskulitis“ manifestiert sich am häu-
Ausbildung von Pannusgewebe und/oder Subluxa- figsten an den Fingern und Zehen im Sinne eines
tion der Wirbelkörper. Als prädiktive Faktoren für die Raynaud-Syndroms mit fallweise schweren Durch-
Entwicklung einer zervikalen Manifestation werden blutungsstörungen und Nekrosen. Nekrotisierende
eine hohe Krankheitsaktivität vor allem in den ersten Vaskulitiden werden auch im Bereich innerer Organe
Jahren der Erkrankung sowie ausgeprägtere Erosionen gefunden. Eine periphere Neuropathie kann die
peripherer Gelenke genannt [8], [18]. Folge einer Vaskulitis der Vasa vasorum sein (Mono-
neuritis multiplex).
z z Bindegewebe
Eine Beteiligung des extraartikulären Bindegewe- z z Herz
bes kann zu Entzündungen der Sehnen und Sehnen- Häufig findet sich bei Patienten echokardiographisch
scheiden (Tendinitis und Tendosyovialitis) vor allem ein Perikarderguss im Sinne einer Pericarditis exuda-
im Bereich der Finger und Hände, seltener der Schul- tiva, seltener finden sich Klappenbeteiligungen, eine
tern, Füße und Sprunggelenke führen. Myokarditis oder eine Koronararteriitis.
Entzündungen der Schleimbeutel (Bursitis)
finden sich im Bereich der Ellbogen, Kniegelenke z z Lunge
und der Achillessehnen. Die häufigste Beteiligung der Lunge ist eine Pleuri-
Rheumaknoten finden sich bei 10–20% der tis exudativa. Fallweise findet man intrapulmonale
Patienten mit RA und sind für diese Erkrankung cha- Rheumaknoten. Auch eine Lungenfibrose, Pneu-
rakteristisch und gehen praktisch immer mit einem monitis oder eine pulmonalarterielle Hypertonie
serologisch nachweisbaren Rheumafaktor einher. werden beobachtet. Die Abgrenzung zu Nebenwir-
Rheumaknoten sind derbe, schmerzlose subku- kungen einer Basistherapie kann schwierig sein.
tane oder periostale Knoten, am häufigsten an den
Streckseiten der Ellbogen und der Finger sowie im z z Leber
Bereich der Achillessehnen. Eine Beteiligung der Leber zeigt sich durch eine
Mechanische Belastungen führen zu Entzündun- erhöhte γ-Glutamyltransferase (GGT) oder eine
gen und Exulzerationen. Fallweise ist eine operative erhöhte alkalische Phosphatase (AP), selten durch
Die rheumatoide Arthritis
25 2
einen Anstieg der Transaminasen. Auch hier ist eine Schleimdrüsen des Magen-Darm-Trakts kann es zu
Abgrenzung zu einer medikamentös induzierten einem Versiegen der Drüsensekretion kommen. Kli-
Leberschädigung oft schwierig. nisch äußert sich das in einer typischen Mund- und
Augentrockenheit sowie einer Parotisschwellung.
z z Niere
Eine Nierenbeteiligung im Rahmen einer RA ist im z z Felty-Syndrom
Gegensatz zum systemischen Lupus erythematodes Das Syndrom wird definiert durch die Trias RA, Leu-
(SLE) eine Rarität und meist die Folge einer Basis- kopenie und Splemegalie und geht meist einher mit
therapie oder Behandlung mit nichtsteroidalen Anti- einem schweren erosiven Verlauf einer rheumafak-
rheumatika (NSAR); in fortgeschrittenen Stadien tor-positiven RA mit viszeraler Beteiligung.
kann eine nachweisbare Proteinurie die Folge einer
Amyloidose sein. z z Kaplan-Syndrom
Dies umfasst die Kombination einer RA mit einer
z z Augen Pneumokoniose, meist einer Silikose. Radiolo-
Häufiges Symptom einer Augenbeteiligung ist eine gisch zeigen sich multiple Lungenrundherde in der
Keratoconjunctivitis sicca als Folge einer verminder- Peripherie.
ten Tränensekretion. Eine Episkleritis und Skleritis
kann bei schweren Verlaufsformen auftreten, eine Iritis z Verlaufsformen und Prognose
wird beim Erwachsenen nicht häufiger beobachtet.
Intermittierender Verlauf  Die Progression einer
z z Nervensystem RA ist sehr variabel und im Einzelfall nicht voraus-
Eine direkte Mitbeteiligung des Nervensystems sagbar. Ein intermittierender Verlauf (ca. 20%) mit
manifestiert sich zumeist als Mononeuritis mul- auch längerfristigen beschwerdearmen oder symp-
tiplex als Folge einer Vaskulitis der Vasa vasorum. tomfreien Phasen zeigt meist keinen erosiven oder
Diese Schädigung peripherer Nerven kann zu moto- gelenkdestruktiven Verlauf. Der Rheumafaktor ist
rischen und sensiblen Störungen führen. Häufiger häufiger negativ.
sind Nerven- bzw. Rückenkompressionssyndrome.
Chronisch progredienter Verlauf  Ein chronisch pro-
z z Hämatologische Manifestationen gredienter Verlauf (ca. 70%) geht einher (vor allem
Diese äußern sich im Sinne einer normo- bis hypo- unbehandelt) mit einer schleichenden, schubweisen
chromen Anämie mit erniedrigtem Serumeisen und oder rasch fortschreitenden Gelenkerkrankung und
erhöhtem Ferritin. Eine Eisensubstitution ist nur Gelenkzerstörung (. Abb. 2.4).
indiziert, wenn es zusätzlich zu einem chronischen
intestinalen Blutverlust mit Abfall des Ferritins z. B. Maligner Verlauf  Ein maligner Verlauf (10%) ist
als Folge einer Therapie mit NSAR kommt. gekennzeichnet durch eine rasch fortschreitende
Eine Leukozytose und/oder Thrombozytose ist Gelenkentzündung und Destruktion sowie extraar-
meist Ausdruck einer systemischen Entzündungs- tikuläre Organbeteiligung und frühe Invalidisierung.
aktivität. Allerdings kann auch eine Steroidbehand- Es zeigen sich serologisch hohe Entzündungszeichen.
lung zu einer Vermehrung der Leukozyten führen. Auch ein frühzeitiges therapeutisches Eingreifen
führt meist nicht zu einer (kompletten) Remission.
z Sonderformen Patienten mit RA haben eine verkürzte Lebens-
erwartung. Die Haupttodesursachen sind kardiovas-
z z Sjögren-Syndrom kuläre Ereignisse, extraartikuläre Organmanifesta-
Neben einer primären Form kann es auch zu tionen sowie Komplikationen der Erkrankung und
einer sogenannten sekundären Form im Rahmen Therapiefolgen.
chronisch entzündlicher Erkrankungen wie der
RA kommen. Durch eine chronische Entzün- Indikatoren  Indikatoren eines schweren Verlaufs
dung von Tränen- und Speicheldrüsen sowie der sind polyartikulärer Gelenkbefall, hohe entzündliche
26 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis

. Abb. 2.4  Fortgeschrittene


rheumatoide Arthritis

Aktivität mit deutlich erhöhten serologischen Ent- Diese sind allerdings meist nicht zur Frühdiagnostik
zündungszeichen, progrediente radiologische Ver- geeignet [7].
änderungen mit frühzeitigen Erosionen, positiver
Rheumafaktor und Nachweis von Antikörpern gegen
zyklische citrullinierte Peptide (CCP), das Auftreten ARA-Kriterien für die Diagnose einer rheu-
von Rheumaknoten und extraartikuläre Manifesta- matoiden Arthritis (revidiert 1987) [7]
tionen [19]. Bei Vorliegen der Symptome:
1. Morgensteifigkeit (länger als 1 Stunde)
z Diagnostik 2. Schwellung von mehr als 3 Gelenken
Die Diagnose wird gestellt durch die typische 3. Schwellung der Hand- und Fingergelenke
Gelenkschwellung mit Beteiligung der Hand- und 4. Symmetrische Gelenkentzündung
Fingergelenke, den symmetrischen Befall und die 5. Subkutane Knoten
Morgensteifigkeit der Gelenke, die auch länger als 6. Positiver Rheumafaktor
eine Stunde andauern kann. Bei der laborchemischen 7. Radiologische Veränderungen
Untersuchung des Blutes sind die Entzündungspara-
meter (Blutsenkung [BSG] und C-reaktives Protein RA gesichert, wenn mehr als 3 Kriterien positiv,
[CRP]) in der Regel erhöht. Der Rheumafaktor kann, die Kriterien 1–4 müssen über 6 Wochen
muss aber insbesondere zu Beginn der Erkrankung bestehen
nicht erhöht sein.
Röntgenologisch sichtbare Veränderungen
sollten insbesondere zum Zeitpunkt der Diag- Ein erfahrener Kliniker wird die richtige Diagnose
nose fehlen, da sie bereits auf ein fortgeschrittenes auch stellen, wenn die Kriterien nicht erfüllt sind.
Stadium hinweisen. Im Jahre 2009 wurden neue Klassifikationskri-
Insgesamt stehen die klinischen Erscheinungen terien für die RA vorgestellt, die von der European
bei der Diagnose im Vordergrund. Entscheidend ist League Against Rheumatism (EULAR) und dem
die Gelenkschwellung. Ein Gelenkschmerz ohne American College of Rheumatology (ACR) gemein-
Schwellung erlaubt nicht die Diagnose einer RA. sam entwickelt wurden [6]. Die neuen Kriterien
Hilfreich für die Diagnose sind die von der Ame- erlauben schon eine Diagnose im Frühstadium. Es
rican Rheumatism Association (ARA) 1988 publi- können dadurch Patienten, die ein hohes Risiko für
zierten revidierten Kriterien (7 folgende Übersicht). die Entwicklung eines progredient-erosiven Verlaufs
Die rheumatoide Arthritis
27 2
haben und einer raschen und intensivierten Basisthe- verhindern. Eine radiologische Untersuchung ist
rapie bedürfen, frühzeitig identifiziert werden. Die daher zur Frühdiagnostik nicht geeignet, hat aber
neuen Kriterien fordern eine aktuell nachweisbare eine große Bedeutung in der Verlaufsbeurteilung,
Synovitis zumindest eines Gelenks, die nicht durch der Einordnung der Destruktionstendenz und der
eine andere Erkrankung besser erklärt werden kann. Abgrenzung zu anderen Erkrankungen.
In einem Scoringsystem werden unterschiedliche Bei der Erstbegutachtung wird eine radiologische
Kriterien bewertet; bei einer Punktezahl von >5 gilt Darstellung der Hände und Vorfüße empfohlen, in
die Diagnose einer RA als gesichert (. Tab. 2.1). der Folge nach 1 Jahr und dann alle 1–2 Jahre.

z z Röntgen z z Sonographie
Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu einer Die Ultraschalluntersuchung hat in den letzten
gelenknahen Entkalkung der Knochen, zu Usuren Jahren in der Rheumatologie an Bedeutung zuge-
im Sinne kleiner erosiver Knochendefekte und zu nommen und eignet sich besonders in der Frühdia-
einer Gelenkspaltverschmälerung. Bei fortgeschrit- gnostik zum Nachweis oder Ausschluss einer Syno-
tener Erkrankung können Subluxationen, Luxatio- vitis oder eines Gelenkergusses. Sie eignet sich auch
nen und Ankylosen nachweisbar sein. Ein frühzei- exzellent zur Beurteilung klinisch schwer zugäng-
tiges therapeutisches Eingreifen soll das Auftreten licher Gelenke, wie dem Schulter- oder Hüftgelenk.
von Usuren, die bei chronisch progredienten Ver- Außerdem bietet sie die Möglichkeit einer dynami-
läufen meist schon innerhalb von 2 Jahren auftreten, schen Untersuchung und kann zum Nachweis von

. Tab. 2.1  ACR/EULAR-Kriterien für die Klassifikation der rheumatoiden Arthritis. Punktebezogener Algorithmus für
die Klassifikation eines geeignetena Patienten (Diagnose für RA gesichert: ≥6) [6]

Gelenkbeteiligung (0–5 Punkte)

1 mittleres bzw. großes Gelenk 0


2–10 mittlere bzw. große Gelenke 1
1–3 kleine Gelenke (mit oder ohne Beteiligung von großen Gelenken) 2
4–10 kleine Gelenke (mit oder ohne Beteiligung von großen Gelenken) 3
>10 Gelenke (mit zumindest einem kleinen Gelenk) 5
Serologie (0–3 Punkte)
Negativer RF und negative ACPA 0
Niedrig positiver RF oder niedrig positive ACPA 2
Hoch positiver RF oder hoch positive ACPA 3
Entzündungsparameter (0–1 Punkt)
Normales CRP und normale BSG 0
Abnormales CRP oder abnormale BSG 1
Dauer der Symptome (0–1 Punkt)
<6 Wochen 0
≥6 Wochen 1

ACPA Antikörper gegen zitrullinierte Peptide, RF Rheumafaktor, CRP C-reaktives Protein, BSG
Blutsenkungsgeschwindigkeit.
a Bezieht sich auf einen Patienten, bei dem bei klinischer Untersuchung zumindest ein geschwollenes Gelenk

nachweisbar ist.
28 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis

Läsionen der Rotatorenmanschette im Schulterge- entzündlichen auch degenerative Gelenkerkrankun-


lenk angewendet werden. gen, ebenso metabolische, virale sowie reaktive und
maligne Erkrankungen (7 folgende Übersicht, siehe
2 z z Kernspintomographie auch 7 Kap. 1).
(Magnetresonanztomographie, MRT)
Diese Methode erlaubt die Beurteilung der die
Gelenke umgebenden Weichteile, d. h. Nachweis und
Ausmaß einer Synovitis ebenso wie eines Gelenk- Differenzialdiagnose der rheumatoiden
ergusses. Es können aber auch Veränderungen des Arthritis
Knochens wie ein Knochenödem oder eine Erosion 55Psoriasisarthritis
frühzeitig nachgewiesen werden. 55Spondyloarthritis (inklusive reaktive
Arthritis)
z z Skelettszintigraphie 55Kollagenosen (vor allem SLE)
In der Differenzialdiagnostik hilft die Szintigraphie 55Arthritiden bei Viruserkrankungen
bei klinisch nur fraglicher Synovitis, um Arthral- (Parvovirus B19, Hepatitis B, C, Röteln,
gien von Arthritiden zu unterscheiden. Ebenso hilft Varizellen etc.)
die Mehrphasenszintigraphie bei fortgeschrittenen 55Kristallarthritiden (Gicht, Chondrokalzinose
Gelenkerkrankungen, entzündliche von degenerati- etc.)
ven Gelenkveränderungen zu differenzieren. Sie hat 55(Aktivierte) Arthrosen (der großen und
aber in den letzten Jahren im Vergleich zu Sonogra- kleinen Gelenke)
phie und MRT an Bedeutung verloren. 55Hämochromatose
55Infektiöse Arthritis
z z Labor 55Systemische Knochenerkrankungen
55Hämatologische Erkrankungen
Entzündungsparameter  Je nach Verlauf und Akti- 55Polymyalgia rheumatica (vor allem bei
vität der RA sind CRP, BSG und auch andere Akute- älteren Menschen)
Phase-Proteine im Serum mehr oder weniger erhöht 55Morbus Behçet
nachweisbar. 55Löfgren-Syndrom

Rheumafaktoren  (RF)  Diese können in der Früh-


phase der Erkrankung oft (noch) negativ sein, sind
z Verlaufskontrolle und Einschätzung der
aber im Verlauf der Erkrankung bei über 70% der
Krankheitsaktivität
Patienten nachweisbar.

Antikörper gegen citrullinierte Peptide (ACPA)  Diese DAS-28 (Disease Activity Score für 28 Gelenke)  Zur
besitzen eine höhere Spezifität und eine ähnliche Beurteilung des Krankheitsverlaufs sowie zur Ein-
Sensitivität wie der RF für eine RA und sind oft schon schätzung und Steuerung der Therapie haben sich
lange vor Ausbruch der Erkrankung nachweisbar. Aktivitätsscores sehr bewährt. Der DAS-28 [35] hat
sich als ein wesentliches Element der Aktivitätsbe-
Antinukleäre Antikörper  Diese sind gerade bei urteilung etabliert. Aus der Anzahl von schmerzhaf-
Rheumafaktor-positiver RA häufig niedrigtitrig ten und geschwollenen Gelenken (von 28 definierten
nachweisbar, dienen aber vor allem zur serologischen Gelenken: symmetrisch Schulter-, Ellbogen-, Hand-,
Differenzialdiagnose einer Kollagenose. Fingergrund-, Fingermittelgelenke, Kniegelenke),
der BSG und der Patientenbeurteilung, wird mittels
z Differenzialdiagnose mathematischer Gleichung ein DAS-28-Wert zwi-
Das differenzialdiagnostische Spektrum der RA schen 0 und 10 ermittelt (7 folgende Übersicht und
ist sehr umfangreich und umfasst neben anderen . Tab. 2.2).
Die rheumatoide Arthritis
29 2
der Krankheitsaktivität durch Patient und Arzt auf
. Tab. 2.2  Disease Activity Score – DAS-28
Interpretation [40] einer visuellen Analogskala keine weiteren Parame-
ter, insbesondere keine Laborparameter benötigt
DAS-28 (7 folgende Übersicht).
<2,6 klinische Remission
≥2,6 und <3,2 geringe entzündliche
Aktivität Clinical Disease Activity Index (CDAI) [1]
≥3,2 und ≤5,1 moderate Aktivität
1. Anzahl (0–28) der geschwollenen Gelenke
(SJC, Swollen Joint Count)
>5,1 hohe Krankheitsaktivität
2. Anzahl (0–28) der schmerzhaften Gelenke
Veränderung der DAS-Werte (z. B. unter Therapie)
(TJC, Tender Joint Count)
>1,2 gutes Ansprechen 3. Beurteilung der Krankheitsaktivität durch
>0,6 und ≤1,2 moderates Ansprechen Patienten (visuelle Analogskala, VAS
≤0,6 kein Ansprechen 0–10 cm)
4. Beurteilung der Krankheitsaktivität durch
Visuelle Analog-
skala (100 mm) Arzt (VAS 0–10 cm)

kein Schmerz – ext-


remer Schmerz
Interpretation: SJC 28 + TJC 28 + VAS (Patient)
+ VAS (Arzt)
Remission ≤2,8
Geringe Krankheitsaktivität >2,8 und ≤10
Disease Activity Score – DAS-28 [35], [39] Moderate Krankheitsaktivität >10 und ≤22
1. Anzahl (0–28) der geschwollenen Gelenke Hohe Krankheitsaktivität >22
(SJC, Swollen Joint Count)
2. Anzahl (0–28) der druckschmerzhaften
Gelenke (TJC, Tender Joint Count) SDAI (Symplified Disease Activity Index)  Der SDAI
3. Blutsenkungsgeschwindigkeit in mm in umfasst Gelenkstatus, Krankheitseinschätzung von
erster Stunde Arzt und Patienten und CRP.
4. Patientenbeurteilung der Krankheits-
aktivität (VAS, visuelle Analogskala) HAQ-Score (Health Assessment Score)  Der HAQ-
Score ist ein auf Selbstbeurteilung des Patienten
Formel zur Berechnung des DAS-28: beruhender Fragebogen. Durch diesen Fragebogen
wird die funktionelle Beeinträchtigung des Patienten
0, 56 ´ Anzahl druckschmerzhafter Gelenke
 im Alltag erfasst.

ACR-Score  Das American College of Rheumatology


+0, 28 × Anzahl geschwollener Gelenke
(ACR) beurteilt 7 Messparameter: geschwollene und
druckschmerzhafte Gelenke, Bewertung der Schmer-
zen durch Patienten, Bewertung der Krankheitsakti-
+0,70×log(BSG) vität durch Patienten und Arzt, durch den Patienten
+0,014× Patientenbeurteilung in mm (0–100 bewertete Behinderung (z. B. mit HAQ-Score), Blut-
auf visueller Analogskala) senkung oder CRP. Die Verbesserung von zumin-
dest fünf dieser Kriterien um einen prozentuellen
Wert (z. B. 20% = ACR20) gilt als Ansprechen auf
CDAI (Clinical Disease Activity Index)  In der klini- eine Therapie.
schen Routine hat sich auch der CDAI bewährt, da Scores sind wichtige Hilfsmittel zur Beurteilung
er neben dem Gelenkstatus und der Beurteilung der Krankheitsaktivität. In der klinischen Praxis
30 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis

kann man entsprechend den subjektiven Erfahrun- einer neuen Basistherapie sogar in 1- bis 2-monati-
gen des Untersuchers mit 1–2 Scores bzw. Indizes gen Intervallen [28] (7 folgende Übersicht).
arbeiten. In durchschnittlich 3-monatigen Abstän-
2 den sollte eine Beurteilung der Krankheitsaktivität
erfolgen. Dadurch kann der Krankheitsverlauf und Medikamentöse Behandlung der rheuma-
das Ansprechen auf die Therapie beurteilt werden. toiden Arthritis
Die Indizes ersetzen naturgemäß nicht das ärztliche 55Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
Gespräch, verdrängen es aber auch nicht. Sie helfen 55Analgetika
aber frühzeitig und hoffentlich auch rechtzeitig, auf 55Glukokortikoide
eine Änderung der Krankheitsaktivität zu reagieren 55Basistherapeutika (Synonym: DMARDs =
und die Therapie anzupassen. Mit etwas Erfahrung Disease Modifying Anti-Rheumatic Drugs)
sind diese Indizes in der Praxis leicht und nur mit –– Konventionelle, synthetische DMARDs
geringem Zeitaufwand einzusetzen [1], [3], [5], [13], (csDMARDs)
[14], [31], [35], [38], [39], [40]. –– Biologika (biologische originäre und
biosimiläre DMARDs: boDMARDs,
z Therapie bsDMARDs)

z z Ziele
Der Zweck der Behandlung muss sein, die Schmer- Es sei auch auf die Kapitel zur medikamentösen The-
zen des Patienten zu verringern und im Idealfall rapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen und
Schmerzfreiheit zu erreichen. Die Funktionsfähig- zu Erkennen und Umgang von/mit Medikamenten-
keit der Gelenke soll erhalten und die entzündliche nebenwirkungen (7 Kap. 14 und 15) hingewiesen.
Aktivität gedämpft werden. Das Fortschreiten der
Erkrankung muss durch eine gezielte und der Akti- z Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
vität der Gelenkentzündung entsprechende Behand- NSAR unterscheiden sich hinsichtlich Wirkstärke,
lung verzögert bzw. verhindert werden. Die wesent- Halbwertszeit und Nebenwirkungen und zeigen
liche Absicht der Behandlung ist die Verhinderung auch im Einzelfall ein individuell sehr unterschied-
der Gelenkzerstörung und der Invalidität und somit liches Ansprechen. Es empfiehlt sich z. B. folgendes
die Erhaltung der Lebensqualität [2], [4], [20], [22]. Vorgehen:
Die Voraussetzung ist eine umfassende Aufklä- 44Bei milder Krankheitsaktivität: Ibuprofen
rung des Patienten, die Entwicklung einer Vertrau- 400 mg 2- bis 3-mal täglich
ensbasis und eine gute Zusammenarbeit zwischen 44Bei mittlerer und hoher Krankheitsaktivität:
Hausärzten und internistischen Rheumatologen [28]. Dexibuprofen 400 mg 2-mal täglich
Die Behandlung muss frühzeitig beginnen, da 44Diclofenac 50 mg oder 75 mg 2-mal täglich
schon nach 3–6 Monaten irreversible Gelenkschädi- oder 1-mal täglich 100 mg retard
gungen auftreten können. Eine Basisbehandlung sollte 44Lornoxicam 8 mg 1- oder 2-mal täglich
daher nach entsprechender Diagnose einer Frühar- 44Meloxicam 15 mg 1-mal täglich
thritis innerhalb von 3 Monaten initiiert werden
(„window of opportunity“) [20], [33], [34], [37]. Nach spätestens 5–6 Tagen ist die Behandlung zu
Die Betreuung erfolgt üblicherweise ambulant; überprüfen, gegebenenfalls ist eine Anpassung oder
eine stationäre Behandlung ist in schweren Schub- Steigerung der Medikation notwendig. Bei Unwirk-
situationen, bei viszeralen Manifestationen, fieber- samkeit ist das Präparat zu wechseln. Auf Neben-
haften Zustandsbildern oder Auftreten von Kompli- wirkungen ist zu achten; vor allem gastrointestinale
kationen der Krankheit oder Therapie erforderlich. Komplikationen wie dyspeptische Beschwerden,
Entsprechend dem Krankheitsbild und der Ulzerationen im oberen und unteren Intestinum und
Aktivität der RA sollte eine rheumatologische Kon- Blutungen sind zu bedenken. Bei einem entsprechen-
trolle in 3- bis 6-monatigen Abständen erfolgen; zu den Risikoprofil ist die zusätzliche Gabe von Proto-
Beginn der Erkrankung und/oder zur Etablierung nenpumpen-Inhibitoren ratsam. Eine Polypragmasie
Die rheumatoide Arthritis
31 2
und eine eingeschränkte Nierenfunktion, insbeson- In Schubsituationen und am Beginn der Erkran-
dere bei älteren Patienten, sind zu bedenken und die kung empfiehlt sich initial eine Tagesdosis von 0,25–
Dosis ist eventuell zu reduzieren. Auch das Risiko 0,5 mg pro kg Körpergewicht in absteigender Dosie-
kardiovaskulärer Nebenwirkungen ist in die Thera- rung. In schweren Schubsituationen, insbesondere mit
pieplanung einzubeziehen [19]. viszeralen Manifestationen ist oft eine limitierte Tages-
dosis von 0,75–1 mg pro kg Körpergewicht notwendig.
z Analgetika Glukokortikoide verzögern wahrscheinlich ins-
Fallweise ist auch bei chronisch entzündlichen besondere in den ersten Jahren der Erkrankung das
Gelenkerkrankungen die zusätzliche Gabe von Anal- Fortschreiten erosiver Knochenläsionen und eine
getika oder schwach wirksamen Opiaten indiziert, mittel- bis längerfristige Low-dose-Medikation kann
wie z. B. bei nicht entzündlich bedingten Schmer- in Kombination mit Basistherapeutika notwendig
zen als Folge einer postarthritischen Arthrose, bei und effektiv sein.
NSAR-induzierter Gastropathie oder bei einge- Auf das erhöhte Risiko der Entwicklung einer
schränkter Nierenfunktion. Osteoporose oder eines Katarakts auch bei niedrig
Es empfiehlt sich hier folgendes Vorgehen: dosierter Steroidtherapie sei hingewiesen. Ebenso
44Paracetamol 500 mg 3- bis 4-mal täglich auf mögliche gastrointestinale Nebenwirkungen bei
44oder Tramadol 50 mg 3- bis 4-mal täglich gleichzeitiger Gabe von NSAR.
44oder Tramadol 100 mg retard 2-mal täglich
z Basistherapeutika (Synonym: DMARDs,
Disease Modifying Antirheumatic Drugs)
z Glukokortikoide Basistherapeutika sind bei jeder diagnostizierten RA
Glukokortikoide sind die wirksamsten Medikamente indiziert, wenn eine entzündliche Aktivität der Erkran-
zur Behandlung der systemischen und lokalen ent- kung gegeben ist und keine Kontraindikation vorliegt
zündlichen Aktivität bei RA. Die Dosis der Glu- (. Abb. 2.5). Eine Basistherapie ist auch bei noch nicht
kokortikoid-Therapie in Prednisolon-Äquivalent gesicherter (Früh-)Arthritis etabliert, um durch eine
richtet sich nach der Aktivität bzw. auch nach dem möglichst rasche Behandlung das Fortschreiten der
Stadium der Erkrankung. Erkrankung zu vermeiden. Basismedikamente haben
Bei geringer entzündlicher Aktivität bzw. bei neu einen verzögerten Wirkungseintritt, auf mögliche und
etablierter und noch unzureichend wirksamer Basis- arzneimittelspezifische Nebenwirkungen ist zu achten.
therapie ist eine niedrig dosierte („low dose“) Ste- Eine genaue Aufklärung und Überwachung der behan-
roidtherapie mit 5–7,5 mg täglich etabliert. delten Patienten ist erforderlich [10], [16].

Ciclosporin
Rituximab
Leflunomid
D-Penicillamin Abatacept
i.m. Gold Sulfasalazine Anakinra
Infliximab Tocilizumab
Etanercept Golimumab
Methotrexat Adalimumab Certolizumab
Antimalaria
Orales Gold
Glukokortikoide Infliximab-
Azathioprin Biosimilars

1930er 1950er 1960er 1980er 1990er 1999 bis 2016

. Abb. 2.5  Zeitliche Entwicklung der Basistherapeutika


32 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis

z Konventionelle synthetische DMARDs


(csDMARDs) Fallbeispiel: Eine Patientin mit Methotrexat
Eine 1954 geborene Patientin suchte einen
2 z z Methotrexat (MTX) internistischen Rheumatologen auf. Sie
Methotrexat (z. B. Methotrexat Lederle, Ebetrexat, klagte seit einigen Wochen über Schmerzen
Lantarel) ist das aufgrund einer meist guten Verträg- im Bereich der Fingermittelgelenke und
lichkeit und geringen Abbruchrate weltweit am häu- Fingergrundgelenke beider Hände, zudem
figsten verwendete Basistherapeutikum bei RA. wurde eine Morgensteifigkeit von 1 Stunde
Es wird bei RA mit mittlerer und höherer Krank- angegeben. Bei der Untersuchung zeigten sich
heitsaktivität alleine oder fallweise in Kombination mehrere druckempfindliche Fingergelenke
mit (Hydroxy)Chloroquin, Salazopyrin und Ciclo- mit geringen synovitischen Schwellungen.
sporin sowie gezielt mit Biologika eingesetzt. Aufgrund der Klinik und der erhobenen
MTX wird in einer Dosis von 15–25(30) mg pro Befunde wurde unter der Diagnose einer
Woche, an einem Tag der Woche oral, intramusku- (seronegativen) Früharthritis eine Basistherapie
lär oder auch subkutan verabreicht und führt bei den mit Sulfasalazin eingeleitet. Diese musste aber
meisten Patienten nach 4–8 Wochen zu einer Bes- bereits nach wenigen Wochen wegen einer
serung der Gelenksymptomatik. Zusätzlich emp- Schwindel- und Kopfschmerzsymptomatik
fiehlt sich eine begleitende Folsäuresubstitution abgesetzt werden. Die Patientin war in der
an 2 Tagen pro Woche (allerdings nicht am MTX- Folge auch ohne Medikamente über Monate
Einnahmetag), um das Risiko von Nebenwirkun- schmerzfrei.
gen wie Stomatitis, Schleimhautulzera, Haarausfall Schließlich traten wiederum Gelenkschmerzen
und einer megaloblasteren Anämie zu reduzieren. auf, laborchemisch zeigten sich deutlich
Auf unerwünschte hepatale Wirkungen von MTX erhöhte Entzündungsparameter sowie ein
ist zu achten; eine Erhöhung der Transaminasen auf nun positiver Rheumafaktor (131 IU/ml). Es
das doppelte der Norm unter MTX kann toleriert wurde folglich eine Therapie mit Methotrexat
werden. Ein Leberschaden vor Therapiebeginn ist (MTX) und Glukokortikoiden (GC) initiiert.
auszuschließen, eine Alkoholkarenz ist empfehlens- Dadurch kam es naturgemäß zu einer raschen
wert. Häufig wird am Einnahmetag und am Tag nach Besserung. Die Behandlung wurde gut
der Applikation über Übelkeit und Brechreiz geklagt. vertragen, der Zustand der Patientin hatte
Leuko- und Thrombopenien sind selten; auf die sich innerhalb von wenigen Monaten deutlich
äußerst seltene Pneumonitis unter MTX ist zu achten gebessert. Sie konnte auch wieder ihrem Beruf
(Methotrexat-Lunge). Fieber, Husten und Atemnot als Musikerin nachgehen.
zwingen zu sofortigem Abbruch der Behandlung und In den darauf folgenden Jahren wurde unter
unverzüglicher fachärztlicher Behandlung. regelmäßigen klinischen und Laborkontrollen
Aufgrund einer teratogenen Wirkung ist (in 8- bis 10-wöchigen Abständen) die
Methotrexat 3 Monate vor einer Schwangerschaft Therapie fortgesetzt. Die GC konnten auf
abzusetzen. 2,5 mg Prednisolon täglich reduziert werden.
Wegen der potenziellen Nebenwirkungen ist die Unter laufender Behandlung war die Patientin
Therapie in den ersten 8(–12) Wochen alle 2 Wochen, beschwerdefrei.
in der Folge alle 6–8 Wochen klinisch und serolo- Mehrmals wurde versucht, GC gänzlich
gisch zu überprüfen. abzusetzen; dies führte aber immer zu einer
Als Kontraindikationen für die Behandlung signifikanten Verschlechterung und konnte
gelten vorbestehende Leberschäden, eine einge- nicht erreicht werden. Die Knochendich-
schränkte Nierenfunktion, bestehende Infektionen temessung war kontrolliert im Normbereich,
und eine Allergie gegen die Substanz ebenso wie ein eine Kalzium- und Vitamin-D-Substitution
bestehender Kinderwunsch [30], [37].
Die rheumatoide Arthritis
33 2
z z Leflunomid
wurde trotzdem empfohlen. Die Patientin Leflunomid (Arava) wird erfolgreich zur Behandlung
nahm konsequent 20 mg MTX/Woche; der RA und der Psoriasisarthritis eingesetzt. Es wird
einmal wurde nach 6-monatiger Remission bei RA mit mittlerer oder hoher entzündlicher Akti-
die Basismedikation beendet. Prompt kam vität eingesetzt und hat eine dem MTX vergleich-
es wiederum zu einer Polysynovitis, und bare Wirkung.
die Behandlung mit MTX musste wieder Die Tagesdosis beträgt in der Regel 20 mg, es
eingeleitet werden. Dies führte, wie erwartet, wird oral eingenommen und zeigt meist bereits nach
innerhalb von 3 Monaten zu einer Remission. 4 Wochen eine therapeutische Wirkung. Aufgrund
Letztendlich konnte auch die Therapie mit GC hämatologischer und hepatotoxischer Nebenwir-
beendet werden. Ein neuerliches Absetzen kungen sind engmaschige klinische und laborche-
der Basistherapie ist bei ausgezeichneter mische Kontrollen notwendig (im ersten Behand-
Verträglichkeit nicht geplant. lungsmonat in wöchentlichen Abständen, dann alle
Radiologisch zeigten sich trotz 10-jähriger 4 Wochen). Wegen einer teratogenen Wirkung und
Krankheit keine Veränderungen im Sinne einer extrem langen Halbwertszeit muss Lefluno-
gelenknaher Erosionen. mid 2 Jahre vor einer geplanten Schwangerschaft
abgesetzt werden. Eine strenge Kontrazeption (bis 2
Jahre nach Therapie) muss gewährleistet sein. Kont-
raindikationen sind vorbestehende Hepatopathien,
Kommentar schwere Immundefekte, bestehende Infektionen,
Die Fallbeschreibung demonstriert einen eine höhergradige renale Funktionseinschränkung
„gutartigen“ Verlauf einer seropositiven RA. und ein Kinderwunsch.
Die Patientin spricht auf MTX hervorragend
an, ein Absetzen der Medikation ist aber z z Ciclosporin (Cyclosporin A)
wegen einer dokumentierten Rezidivneigung Ciclosporin (z. B. Sandimmun) wird heute noch
nicht indiziert. Unter regelmäßigen klinischen selten bei aktiver RA in Kombination mit MTX bei
Kontrollen sowie Überwachung der ungenügender Wirksamkeit von MTX eingesetzt.
Laborwerte und der Lungenfunktion ist trotz Es wird initial in einer Dosis von 2,5 mg/kg Kör-
langjähriger Behandlung die Fortsetzung pergewicht/Tag verabreicht und auf maximal 5 mg/
der Basismedikation notwendig und kg Körpergewicht/Tag in Abhängigkeit von der
gerechtfertigt. Krankheitsaktivität gesteigert. Renale Nebenwirkun-
gen und eine potenzielle Erhöhung des Blutdrucks
limitieren die Anwendung.
z z Sulfasalazin (SSZ)
Sulfasalazin (z. B. Salazopyrin) führt in einer oralen z z Antimalariamittel
Dosis von 2(–3) g pro Tag nach einer einschleichen- Chloroquin (z. B. Resochin) oder Hydroxychloro-
den Periode von 6–8 Wochen zu einer Besserung der quin (z. B. Quensyl) werden bei mild verlaufender
Gelenksituation. Es wird bei früher RA mit geringer RA ohne nachweisbare Erosivität oder in Kombina-
oder mittlerer Entzündungsaktivität alleine oder in tion mit Methotrexat eingesetzt. Die Wirkung setzt
Kombination mit MTX (und Chloroquin) eingesetzt. nach 3–4 Monaten ein, bei fehlender Wirksamkeit
Typische und häufige Nebenwirkungen sind ist die Medikation nach 6 Monaten zu beenden. Vor
Kopfschmerz und Schwindel, Erhöhungen der und in 3- bis 4-monatigen Abständen sind augen-
Leberfunktionsparameter und generalisierte Exan- fachärztliche Untersuchungen notwendig, da es zu
theme. Regelmäßige klinische und Laborkontrollen, (reversiblen) Hornhautteinlagerungen und sehr
zu Beginn der Behandlung in 2-wöchigen, dann in selten zu irreversiblen Retinopathien kommen
8-wöchigen Abständen sind notwendig. kann. Die Dosierung beträgt 250 mg Chloroquin
34 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis

oder gewichtsadaptiert 200–400 mg Hydroxychlo- Mausanteil). Infliximab wird als Infusion in der Dosis
roquin pro Tag. von 3 mg pro kg Körpergewicht zu den Wochen 0, 2
und 6 und danach alle 8 Wochen verabreicht.
2 z z Azathioprin
Azathioprin (z. B. Imurek, Immunoprin) wird bei Etanercept  Etanercept (Enbrel) ist ein humanes
RA vor allem bei älteren Patienten mit erosivem Rezeptorfusionsprotein, das 2-mal pro Woche in
Krankheitsverlauf, bei Organbeteiligung und ein- Form von 25 mg oder 1-mal pro Woche in einer
geschränkter Nierenfunktion noch im Einzelfall Dosis von 50 mg subkutan verabreicht wird.
eingesetzt.
Mit einem Wirkungseintritt ist nach 8–10 Adalimumab  Adalimumab (Humira) ist ein
Wochen zu rechnen; Nebenwirkungen (wie z. B. humaner, monoklonaler Antikörper und wird alle 14
Leukopenien) sind zu beachten und insbesondere Tage in einer Dosis von 40 mg subkutan verabreicht.
in den ersten 8 Wochen sind engmaschige klinische
und Laborkontrollen notwendig. Golimumab  Golimumab (Simponi) ist ein voll-
ständig humaner monoklonaler Antikörper, der
z z Kombinationstherapien mit csDMARDs TNF-α bindet. Der Antikörper wird einmal im
Diese wirken meist besser als Monotherapien, aller- Monat subkutan in Form von 50 mg appliziert und
dings kommt es häufiger zum Auftreten von Neben- ist seit Oktober 2009 für die Behandlung der RA von
wirkungen. Am besten untersucht sind Kombinatio- Erwachsenen zugelassen.
nen von MTX, SSZ und Hydroxychloroquin.
Goldsalze und D-Penicillamin sind von histori- Certolizumab  Certolizumab Pegol (Cimzia) ist der
scher Relevanz, haben aber ihre Bedeutung in der erste pegylierte, Fc-freie TNF-α-Inhibitor. Bei dem
Behandlung der RA verloren und können aktuell Molekül wurde die Fc-Region – der lange Arm des
(noch) als Reservemedikamente angesehen werden Y-förmigen Antikörpers – entfernt und eines der
[19], [33]. Fab-Fragmente durch Pegylierung, d. h. durch Ver-
bindung mit Polyethylenglykol stabilisiert. Die emp-
z Biologika (biologische originäre und fohlene Anfangsdosis beträgt 400 mg in Woche 0, 2
biosimiläre DMARDs: boDMARDs, und 4, gefolgt von 200 mg Certolizumab Pegol als
bsDMARDs) Fertigspritze alle 2 Wochen (subkutan verabreicht).
Biologika sind zur Behandlung einer RA mit hoher Certolizumab ist seit Herbst 2009 zur Behandlung
Krankheitsaktivität bei unzureichendem Anspre- der RA von Erwachsenen zugelassen.
chen von konventionellen Basistherapeutika zuge-
lassen. Sie zeigen einen meist raschen Wirkungsein- z z Rituximab
tritt, sind besonders bei Patienten mit polyartikulärem Rituximab (MabThera) ist ein chimärer monoklo-
Gelenkbefall und hoher klinischer und serologischer naler Antikörper und bindet an das CD-20-Antigen
Aktivität wirksam. Diese Medikamente haben seit der der B-Lymphozyten und wird bei Versagen von TNF-
Jahrtausendwende das Therapiespektrum entschei- α-Blocker(n) oder Kontraindikationen gegen Anti-
dend erweitert, geprägt und die Lebensqualität vieler TNF in Form von 1000 mg als Infusion 2-mal im
Patienten deutlich verbessert (. Abb. 2.5) [17], [32]. Abstand von 14 Tagen verabreicht.
Zur Behandlung der RA sind folgende Biologika
zugelassen: z z Abatacept
Abatacept (Orencia) ist ein Fusionsprotein aus extra-
z z Tumornekrosefaktor-α-Blocker (TNF-α- zellulärer Domäne von CTLA-4 und modifiziertem
Blocker) humanem IgG-Fc-Anteil. Abatacept bewirkt eine
reduzierte Aktivierung von T-Lymphozyten durch
Infliximab  und bs Infliximab  Infliximab (Remi- die Hemmung von kostimulatorischen Signalen. Es
cade) und bs Infliximab (Inflectra, Remsima), ein wird bei Versagen oder unzureichendem Anspre-
chimärer, monoklonaler Antikörper (mit 25%igem chen eines konventionellen Basistherapeutikums
Die rheumatoide Arthritis
35 2
oder von Anti-TNF-Blockern verabreicht, in Form Kontraindikation für eine Biologika-Therapie,
einer gewichtsadaptierten Infusion zu den Wochen ebenso stellen maligne Erkrankungen der letzten
0, 2 und 4 und dann alle 4 Wochen oder wöchent- 5 Jahre eine absolute Kontraindikation dar; weiter
lich subkutan. zurückliegende Malignome zumindest eine rela-
tive Kontraindikation für eine Behandlung. Die
z z Anakinra Entscheidung muss im Einzelfall mit den Patien-
Anakinra (Kineret) ist ein humaner IL-1-Rezeptor- ten und im Konsilium mit Fachkollegen entschie-
antagonist, der in Form von 100 mg subkutan 1-mal/ den werden.
Tag verabreicht wird. Auch bei Patienten mit einer höhergradigen
Herzinsuffizienz, entsprechend dem Stadium NYHA
z z Tocilizumab III und IV, besteht eine Kontraindikation für eine
Tocilizumab (RoActemra) ist ein humanisierter Biologika-Gabe.
Antikörper gegen den IL-6-Rezeptor und seit 2009 Impfungen (mit Todimpfstoffen) sind bei Patien-
zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis nach ten mit RA (bzw. bei allen entzündlich rheumati-
Versagen eines konventionellen Basistherapeuti- schen Erkrankungen) auch unter immunsuppres-
kums zugelassen und wird gewichtsadaptiert als siver Behandlung empfehlenswert und sinnvoll.
Infusion alle 4 Wochen oder wöchentlich subkutan Generell sollte aber wenn möglich vor Beginn einer
verabreicht. Basistherapie geimpft werden.
Bezüglich einer geplanten Schwangerschaft
z z Indikation und Kontraindikationen von Patientinnen unter Biologika-Therapie sei auf
Entsprechend den Empfehlungen der rheumatolo- 7 Kap. 22 verwiesen.
gischen Fachgesellschaften besteht die Indikation zu Laborkontrollen unter Biologika-Behandlung
einer Biologika-Therapie bei RA, wenn trotz adäqua- erfolgen entsprechend den Leitlinien; üblicherweise
ter Behandlung mit MTX, einem anderen konventio- werden Patienten mit Biologika-Therapie in 3-mona-
nellen synthetischen Basistherapeutikum oder einer tigen Abständen kontrolliert.
Kombinationstherapie nach ausreichender Behand- Die Patienten müssen informiert werden, bei
lungsdauer (6 Monate) weiterhin eine aktive Erkran- Zeichen der Unverträglichkeit, bei Infekten, in jedem
kung besteht (7 Abschn. Diagnostik), [37]. Fall aber bei unklaren Fieberzuständen über 38 Grad
Naturgemäß können individuelle Besonderhei- Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufzunehmen
ten, wie z. B. ein äußerst progressiver Krankheits- und die Behandlung im Zweifelsfall vorübergehend
verlauf oder Unverträglichkeit von konventionel- zu unterbrechen.
len Basistherapeutika, einen frühzeitigeren Einsatz Vor geplanten operativen Eingriffen wird den
von TNF-Blockern erforderlich machen; dies ist Patienten eine meist mehrwöchige Biologika-
aber im Einzelfall zu begründen und zu dokumen- Pause entsprechend der Halbwertszeit der Subs-
tieren [22]. tanzen empfohlen. Möglicherweise werden aber
An Voruntersuchungen wird ein entsprechen- hier in der Zukunft kürzere Unterbrechungen
des Laborprofil mit Blutbild, Blutsenkung (BSG), gestattet sein.
Transaminasen, GGT, alkalischer Phosphatase, anti- Bei Nichtansprechen, Unverträglichkeit oder
nukleären Antikörpern (ANA) und ein Hepatitis- bei Wirkungsverlust des erstverabreichten Biologi-
Screening erhoben. Des Weiteren erfolgt vor Biolo- kums (jeder TNF-α-Blocker, Abatacept oder Toci-
gika-Therapie eine pulmonologische Begutachtung lizumab) wird in Abhängigkeit von der individuel-
inklusive eines Quantiferon-Tests oder eines intra- len Situation üblicherweise auf einen alternativen
kutanen Mendel-Mantoux-Tests (falls ein Quantife- TNF-α-Blocker oder auf Abatacept, Rituximab oder
ron-Test aus logistischen Gründen nicht möglich ist) Tocilizumab gewechselt. Rituximab wird als Biolo-
zum Ausschluss einer latenten Tuberkulose. gikum der ersten Wahl vor allem in ausgewählten
Bei manifester Tuberkulose, Infektions- Situationen verabreicht (Lymphom und Karzinom-
krankheiten, bei demyelinisierenden Erkrankun- anamnese, Tuberkulose etc.) [12], [15], [22], [23],
gen und bei chronischer Hepatitis B besteht eine [24], [25], [26], [37].
36 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis

Fallbeispiel: Eine verspätete Erfolgsge- Es wurde eine zusätzliche Basistherapie mit


schichte Chloroquin eingeleitet. Die Kombinations-
2 Bei der heute 55-jährigen Frau begann im therapie wurde gut vertragen, brachte
Jahre 2003 eine Gelenksymptomatik mit letztendlich aber auch keine Stabilisierung,
Schmerzen im Bereich der Finger-, Schulter- d. h., es war weiterhin eine niedrig
und Kniegelenke. Sie suchte sehr frühzeitig dosierte GC-Therapie und fallweise, zur
einen Internisten auf, der die Diagnose einer Schubkupierung, eine erhöhte Prednisolon-
seropositiven RA stellte und eine Basistherapie Medikation bis 25 mg pro Tag notwendig.
vorschlug. Die Patientin konnte sich primär – Im Herbst 2007 wurde schließlich – nach
aufgrund des Nebenwirkungsprofils – nicht entsprechender Aufklärung – eine Biologika-
zu einer basistherapeutischen Behandlung Therapie begonnen. Wie viele der jüngeren
entschließen. Sie unterzog sich in den ersten Patienten hat sie sich, im Gegensatz zu den
Jahren auf eigenen Wunsch ausschließlich älteren, für eine subkutane Applikation
einer komplementärmedizinischen Betreuung entschieden. Bereits nach wenigen Injektionen
und berichtete, damit – zumindest in den kam es zu einer deutlichen Besserung der
ersten beiden Jahren nach Diagnosestellung Gesamtsituation. Innerhalb von Wochen war
– eine für sie akzeptable Situation erreicht zu sie weitgehend beschwerdefrei und die die
haben. GC konnten abgesetzt werden. Die Abstände
Im Frühjahr 2007 suchte sie einen zwischen den TNF-α-Blocker-Injektionen
Rheumatologen auf. Es bot sich das Bild konnten aufgrund der andauernden Beschwer-
einer polyartikulären und polysynovitischen defreiheit ausgedehnt werden; MTX wurde
Gelenkerkrankung mit 11 geschwollenen auf 10 mg pro Woche reduziert und nach einer
Gelenken und einem DAS-28-Index von 6-monatigen beschwerdefreien Phase wurde
5,8. Radiologisch zeigten sich bereits die Biologika-Medikation im Einverständnis
deutliche Veränderungen im Bereich der und auf Wunsch der Patientin ebenso wie die
Handwurzelknochen ohne radiologische MTX-Medikation abgesetzt.
Veränderung der Fingergrundgelenke. Der RF Sie hat gelernt, mit beruflichen und privaten
war mit 33 IU/ml schwach positiv, die BSG mit emotionalen Belastungen besser umzugehen –
56 in der 1. Stunde deutlich erhöht. Probleme am Arbeitsplatz hatten, ihrer Meinung
Es erfolgte eine entsprechende Beratung und nach, in den ersten Jahren der Erkrankung zu
eine Basistherapie wurde in Übereinstimmung einer Verschlechterung der Gelenksituation
mit der Patientin mit Methotrexat (MTX) geführt. Nach einem Wechsel des beruflichen
eingeleitet. Parallel wurden Glukokortikoide Umfeldes gelang es ihr, für sie emotional
(GC) peroral verabreicht, wodurch rasch eine belastende Situationen besser in den Griff zu
Besserung der Situation erreicht werden bekommen und sich nicht alles zu sehr „unter
konnte. Sie fühlte durch eine MTX-Basisme- die Haut gehen zu lassen“.Inzwischen ist die
dikation, kombiniert mit niedrig dosiertem Patientin verzogen und hat sich ein kleines
Prednisolon von 5 mg pro Tag, zumindest Häuschen an einem ebenso kleinen See
eine Besserung im Vergleich zu einem Jahr gekauft. Seit 3 Jahren, nach einer deutlichen
davor. Allerdings war von ärztlicher Seite die Verschlechterung der Gelenksituation, sucht sie
Situation wenig befriedigend, weiterhin waren wieder in 3- bis 4-monatigen Abständen ihren
8 Gelenke synovitisch geschwollen und es Rheumatologen auf und appliziert „höchstens“
wurde über die Einleitung einer Biologika- alle 2–3 Wochen einen TNF-α-Blocker. Sie ist
Therapie gesprochen. Die Patientin konnte sich damit nicht beschwerdefrei, aber zufrieden.
zunächst dazu nicht entschließen; außerdem Die Behandlung und Zielvorstellung sind
war schon seit Längerem eine Amerika-Reise einvernehmlich und den Wünschen der
geplant. Patientin angepasst.
Die rheumatoide Arthritis
37 2

Kommentar trotz einer ausreichenden MTX-Dosis (25 mg/


Bei unserer Patientin wurde die RA verspätet, Woche) und des ständigen Bedarfs an GC,
aber doch erfolgreich mit Basistherapeutika wurde nach 6 Monaten die Indikation für eine
behandelt. Leider wurde mit einer Behandlung Biologika-Therapie gestellt.
erst 4 Jahre nach Beginn der Erkrankung Die Patientin entschied sich für eine
begonnen, sodass schon entsprechend den intravenöse Therapie in 8-wöchigen
radiologischen und klinischen Befunden Abständen; GC in Form von täglich 5 mg
irreversible Schäden an den Gelenken bzw. Prednisolon mussten weiter gegeben
Handwurzelknochen nachweisbar waren. werden. Die Gelenksituation besserte sich
Trotzdem konnte auch noch nach verzögertem deutlich; die Zahl der schmerzhaften Gelenke
Behandlungsbeginn eine deutliche Besserung reduzierte sich. Nach ca. 8-monatiger
erreicht werden. Infusionstherapie berichtete die Patientin
Biologika sind äußerst effektive Medikamente über einen Wirkungsverlust und es wurde
in der Behandlung chronisch entzündlicher in der Folge eine alternative TNF-Blocker-
Gelenkerkrankungen. Ziel und Aufgabe muss Therapie begonnen. Es konnte dadurch eine
sein, mit Basistherapeutika für Patienten vorübergehende Besserung erreicht und
einen beschwerdefreien oder zumindest GC auf 2,5 mg pro Tag reduziert werden. Ein
beschwerdearmen Zustand zu erreichen. gänzliches Ausschleichen war nicht möglich.
Leider ist es nur sehr selten möglich, eine Unter engmaschiger Kontrolle konnte der
Behandlung mit Biologika abzusetzen, DAS-28-Index nie in einen Bereich unter 3,2
da durch diese Medikamente zwar im gesenkt werden, d. h. eine Remission nicht
Idealzustand Beschwerdefreiheit, aber erreicht werden.
keine Heilung erreicht werden kann und mit Schließlich wurde eine Behandlung mit
Rückfällen gerechnet werden muss. Berufliche Abatacept, das über eine Hemmung
und private Stresssituationen können von kostimulatorischen Signalen wirkt,
nachweislich den Verlauf einer chronischen eingeleitet. Diese Substanz wurde in der
Gelenkerkrankung beeinflussen. Folge in Infusionen in monatlichen Abständen
verabreicht; nach der 4. Infusion trat erstmalig
eine signifikante Besserung ein und die GC
konnten abgesetzt werden.
Fallbeispiel: 66-jährige Patientin mit pro- Aufgrund des sehr guten Ansprechens
gredienter rheumatoider Arthritis wurden die Infusionsabstände ausgedehnt
Bei einer 1950 geborenen Patientin wurde (auf das doppelte der normalen Abstände, d.
mit der Diagnose einer seropositiven RA h. auf 2 Monate). Dadurch kam es neuerlich
mit polysynovitischem Gelenkbefall eine zu einer deutlichen Verschlechterung
Basistherapie mit MTX initiiert. Aufgrund eines der Gesamtsituation mit polyartikulären
vorübergehenden Anstiegs der Leberwerte Gelenkschwellungen und einem konsekutiven
musste MTX pausiert werden, konnte aber Anstieg der Entzündungsparameter. Nach
nach Normalisierung der Leberwerte wieder Etablierung 4-wöchiger Abstände konnte
fortgesetzt werden; ein neuerlicher Anstieg wieder eine prolongierte Stabilität erreicht
der Leberwerte war nicht zu beobachten. werden. Die Patientin nimmt zusätzlich
Parallel dazu mussten, aufgrund einer nicht 10 mg MTX pro Woche und benötigt keine
erreichbaren zufriedenstellenden Besserung GC. Wegen des langen Anfahrtwegs zu ihrem
der Gelenkbeschwerden, Glukokortikoide Rheumatologen wurde ihre Biologika-Therapie
(GC) in Dosierungen zwischen 5 und 15 mg auf eine subkutane Applikation umgestellt. Sie
Prednisolon pro Tag verabreicht werden. ist weiterhin in einem anhaltend stabilen und
Wegen der polyartikulären Symptomatik, zufriedenstellenden Zustand.
38 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis

Kommentar die so schlimm waren, dass er nachts nicht


Es handelt sich um einen akzentuierten schlafen konnte, und die als Wachstums-
2 Verlauf einer RA; unsere Patientin hat schmerzen bezeichnet wurden.
auf TNF-α-Blocker nur vorübergehend Der Arthritis zum Trotz arbeitete er weiterhin
angesprochen. Erst durch Umstellen auf hart und wurde zusehends besser und
ein alternatives Biologikum mit einem anerkannter. Er arbeitete bis zu 18 Stunden
unterschiedlichen Wirkansatz konnte eine täglich und verbrachte lange Zeitspannen
deutliche Besserung erreicht werden. Biologika im Operationssaal. Vielleicht ahnte er schon,
sind äußerst potente Medikamente, die die dass er nur eine begrenzte Zeit als Chirurg
Behandlung der rheumatoiden Arthritis zur Verfügung hatte, um alles verwirklichen
wesentlich verbessert haben, sie helfen aber zu können, was ihm vorschwebte. Er ließ sich
nicht bei allen Patienten und haben keine Spezialschuhe anfertigen, da in den ersten
kurative Wirkung; ein Absetzen oder zu lange Jahren vornehmlich seine Füße betroffen
Behandlungsintervalle können wiederum zu waren. Die Arthritis war beim Operieren
einer Verschlechterung der Gelenksituation weniger störend als bei den Nebenarbeiten,
führen. z. B. Plastikschläuche über bestimmte
Verbindungsstücke zu stülpen, was er
zunehmend seinen Assistenten überließ.
Während seiner ersten Herztransplantation
Fallbeispiel: Christiaan Barnard 1967 litt er bereits seit 12 Jahren an einer RA.
Der im Jahr 2001 verstorbene Christiaan Er erinnert in seinem Buch vor allem an seine
Barnard war wohl zu seinen Lebzeiten der zweite Herzoperation an dem britischen Arzt
berühmteste Arzt des 20. Jahrhunderts. Jeder Dr. Philip Blaiberg, wo er Schwierigkeiten
kennt ihn als Herzspezialisten und denjenigen beim Anlegen der Nähte hatte, da seine
Chirurgen, der 1967 die erste erfolgreiche Hände und Finger steif waren und stark
Herztransplantation durchgeführt hat. Weniger schmerzten. Trotzdem war die Operation
bekannt ist, dass Prof. Barnard an einer RA erfolgreich. Professor Christiaan Barnard
litt, obwohl er sogar über seine Krankheit ein wollte alle Ziele als Arzt und Wissenschaftler
Buch geschrieben hat. Im Dezember 1955 verwirklichen und sah diesen inneren Antrieb
reiste Christiaan Barnard in die USA, um in als positive Verstärkung. Der Psychologe würde
Minnesota auf dem Gebiet der Transplanta- sagen, als Motivation über Schmerzen und
tionschirurgie zu arbeiten. Erstmals verspürte schlechte Lebensphasen. Er lernte, mit seiner
er im darauffolgenden Winter Schmerzen Behinderung zu leben, und die Hoffnung auf
im Bereich einer Knöchelregion sowie im Erfolg, oder wenigstens das Gefühl, nicht zu
Bereich der Hände. Zunächst wurde gerade versagen, ließ ihn weitermachen.
im Bereich des Knöchels an eine Verletzung Im Jahre 1948 wurde von amerikanischen
vom Schlittschuhlaufen gedacht. Als sich Wissenschaftlern Kortison für den
aber die Schwellung nicht zurückbildete und therapeutischen Gebrauch entwickelt und
mehrere Gelenke betroffen waren, suchte er dies half ihm über viele schmerzhafte Phasen
einen Rheumatologen an der Mayo-Klinik auf, hinweg. Er war in seinen Aufzeichnungen
der die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis immer ein Befürworter der Kortison-Gabe
stellte. Für einen jungen Arzt, der gerade auf bei RA, wenn auch mit Vorsicht und Bedacht
dem Weg war, ein Chirurg zu werden, eine und in höheren Dosen nur über eine kurze
niederschmetternde Diagnose. Er erinnerte Zeit. Viele Herzoperationen wären wohl ohne
sich, dass er bereits in Jugendjahren des ausreichende Schmerztherapie nicht möglich
Öfteren an Gelenkschmerzen gelitten hatte, gewesen.Schließlich musste er aber doch
Literatur
39 2
[9] Barnard C (1984) Mit Arthritis leben. Scherz, Berlin
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tive management of rheumatoid arthritis. Ann Rheum
er versuchte in der Folge, durch zahlreiche Dis 63:627–633
Vortragsreisen auf der ganzen Welt, in [11] Buch M, Emery P (2002) The aetiology and pathogenesis
Büchern und Zeitschriften anderen Menschen of rheumatoid arthritis. Hospital Pharmacist 9:5–10
Mut zu machen, vor allem aber Herz- und [12] Emery P, Van Vollenhofen R, Ostergaard M, Choy E,
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Rheumakranken.
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Bis zuletzt nahm er MTX in niedriger Dosis toid arthritis: Similarities and differences across Europe.
1-mal pro Woche und Prednisolon 5 mg Ann Rheum Dis 68:456–459
pro Tag. Für die neuen und sehr wirksamen [13] Felson DT, Anderson JJ, Boers M et al (1993) The Ame-
Biologicals war er um Jahrzehnte zu früh rican College of Rheumatology preliminary core set of
disease activity measures for rheumatoid arthritis clini-
auf die Welt gekommen. Wäre sein Ruhm als
cal trials. Arthritis Rheum 36:729–740
Herzchirurg ein noch größerer gewesen? Dies [14] Felson DT, Anderson JJ, Boers M et al (1995) American
ist wohl kaum möglich; sicherlich hätten ihm College of Rheumatology preliminary definition of
die neuen Medikamente aber viel Schmerz und improvement in rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum
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40 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis

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41 3

Spondyloarthritiden
Rudolf Puchner

3.1 Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew) – 42

3.2 Psoriasisarthritis (PsA) – 53

3.3 Reaktive Arthritis – 63

3.4 Enteropathische Arthritiden (Arthritiden bei chronisch


entzündlichen Darmerkrankungen) – 65

3.5 Arthritis bei glutensensitiver Enteropathie – 67

3.6 Undifferenzierte Spondyloarthritis (uSpA) – 67

3.7 Synovitis-Akne-Pustulosis-Hyperostosis-Osteitis-Syndrom
(SAPHO-Syndrom) – 71

Literatur – 71

Das Fallbeispiel im Abschn. 3.6 („Ein 37-jähriger Mann mit Symptomen eines entzündlichen
­Rückenschmerzes”) wurde gekürzt übernommen aus: Puchner A, Winkler S (2016) Maltafieber. Fakten
der Rheumatologie 4.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_3
42 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

Die Begriffe Spondyloarthritis (SpA), Spondyl- Bei der prädominant axialen Spondyloarthri-
oarthropathie oder Spondylarthropathie (heute tis (axSpA) überwiegt der entzündliche Rücken-
wird bevorzugt der Terminus Spondyloarthritis schmerz. Dazu gehören die Frühformen der
verwendet) bezeichnen entzündlich-rheumatische Spondyloarthritiden ohne nativradiologische Ver-
Erkrankungen, die einige typische klinische, sero- änderungen (nichtradiologische axiale Spondyl-
logische und genetische Gemeinsamkeiten auf- oarthritis sowie die ankylosierende Spondylitis
3 weisen. Charakteristisch ist eine Beteiligung des mit nativradiologisch sichtbaren Veränderungen
Achsenskeletts, der Sehnenansätze im Sinne einer an den Sakroiliakalgelenken (radiologische axiale
Enthesitis (z. B. ein Fersenschmerz) oder eine Spondyloarthritis).
asymmetrische Oligoarthritis der unteren Extre- Zur prädominant peripheren Spondyloarthri-
mitäten. Auch extraartikuläre Manifestationen wie tis (pSpA), bei dem die asymmetrische Oligoarthri-
eine Uveitis anterior sind häufig nachweisbar. tis der unteren Extremitäten vorherrscht, zählt man
Ihnen zugeordnet werden die ankylosierende reaktive Arthritiden, Arthritiden bei chronisch ent-
Spondylitis (Morbus Bechterew), die Psoriasisarth- zündlichen Darmerkrankungen, Arthritiden bei
ritis, die reaktiven Arthritiden, die enteropathischen Psoriasis sowie undifferenzierte Arthritiden.
Arthritiden, die undifferenzierten Spondyloarthri- Nicht selten treten aber beide Manifestationen
tiden, die keiner der angeführten Diagnosen zuge- gemeinsam auf.
ordnet werden können und das sehr seltene Synovi- Zur Klassifikation und Diagnose der Spondyl-
tis-Akne-Pustulose-Hyperostose-Osteitis-Syndrom oarthritiden werden am häufigsten die 1991 vorge-
(SAPHO-Syndrom), dessen Einordnung aber unein- legten Kriterien der European Spondylarthropathy
heitlich beurteilt wird (7 Übersicht). Study Group (ESSG) verwendet (7 Übersicht) [11],
[23], [33], [49], [53], [59].

Spondyloarthritiden
55Axiale Spondyloarthritis (inkl. nichtradio- ESSG-Kriterien der Spondyloarthritiden [23]
logische axSpA und ankylosierende 55Entzündlicher Rückenschmerz und/oder
Spondylitis) asymmetrische Oligoarthritis, vorwiegend
55Reaktive (Spondylo)Arthritis der unteren Extremitäten
55Spondyloarthritis bei Psoriasis
55Spondyloarthritis bei chronisch Und mindestens ein weiteres Kriterium:
entzündlichen Darmerkrankungen 55Wechselnder Gesäßschmerz
55Undifferenzierte Spondyloarthritis 55Sakroiliitis
55(Synovitis-Akne-Pustulose-Hyperostose- 55Enthesitis
Osteitis-Syndrom = SAPHO-Syndrom) 55Positive Familienanamnese
55Psoriasis
55Urethritis/Zervizitis/Diarrhö (innerhalb von
Es besteht eine gemeinsame Assoziation mit dem 4 Wochen vor Beginn der Arthritis)
Human Leukocyte Antigen (HLA-B27); eine fami- 55Entzündliche Darmerkrankung
liäre Häufung ist daher nicht verwunderlich. Die Prä-
valenz der Spondyloarthritiden korreliert direkt mit
dem Nachweis von HLA-B27 in der Bevölkerung und
ist daher in Nordeuropa häufiger als in den Mittel- 3.1 Ankylosierende Spondylitis
meerländern. Die Prävalenz aller Spondyloarthriti- (Morbus Bechterew)
den wird mit ca. 0,4–2% angegeben.
Darüber hinaus kann man die Spondyloarthri- Im deutschen Sprachbereich ist auch die Krankheits-
tiden entsprechend ihrer klinischen Manifestation bezeichnung Morbus Bechterew verbreitet (nach
unterteilen: dem russischen Arzt Wladimir M. Bechterew).
3.1 · Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew)
43 3
Die internationale Bezeichnung ist ankylosierende
Spondylitis (AS, Spondylitis ankylosans). Allge- 3. Eingeschränkte Thoraxexkursionen
mein akzeptiert wird heute die Erstbeschreibung (≤2,5 cm)
des Krankheitsbildes durch Bernard Connor im 4. Bilaterale Sakroiliitis Grad 2–4 oder
Jahre 1691. unilaterale Sakroiliitis Grad 3–4
Die Erkrankung gehört zur Gruppe der axialen
Spondyloarthritiden und befällt hauptsächlich die Gesicherte Diagnose: wenn Kriterium 4 und
Wirbelsäule und die Kreuz-Darmbein-Gelenke eines der anderen Kriterien erfüllt ist
(Sakroiliakalgelenke, ISG-Gelenke), wodurch
es in seltenen Fällen im Verlauf der Erkrankung
zur Versteifung der Wirbelsäule kommen kann
(Bambuswirbelsäule). Die Ätiologie ist bisher nicht bekannt. Es besteht eine
Zusätzlich können periphere Gelenke vor allem hohe Assoziation mit HLA-B27 (ca. 95%).
der unteren Extremität (Knie, Hüfte, Sprunggelenk), Das HLA-B27-Gen kommt in der gesunden
aber auch extraskelettale Organe beteiligt sein. europäischen Bevölkerung in 4–13% mit einem deut-
Die Prävalenz der AS in Europa schwankt zwi- lichen Nord-Süd-Gefälle vor, im deutschsprachigen
schen 0,2 und 1,4% und ist abhängig von der Fre- Raum in ca. 8%. Nur 4–7% der HLA-B27-positiven
quenz des Auftretens von HLA-B27 in der Bevöl- Träger erkranken an einer AS. Neben genetischen
kerung. Männer erkranken entsprechend den Faktoren dürften aber auch externe Faktoren, ins-
(unterschiedlichen) Literaturangaben nur unwe- besondere Bakterien, eine Rolle spielen. Möglicher-
sentlich häufiger als Frauen (2∶1 bis 1∶1). Die weise sind Infektionen mit Klebsiellen, Shigellen,
Krankheit beginnt im späten Adoleszenz- und Yersinien, Chlamydien oder Salmonellen krankheits-
frühen Erwachsenenalter und manifestiert sich auslösend. Von letztendlich großer therapeutischer
bei 90% der Patienten zwischen dem 15. und 40. Konsequenz war der Nachweis von Tumornekrose-
Lebensjahr. Die Diagnose wird häufig noch immer faktor-α (TNF-α) in CT-gesteuerten Biopsien von
mit einer Verzögerung von 5 und mehr Jahren vom Kreuz-Darmbein-Gelenken von Patienten mit AS
Zeitpunkt des Auftretens der ersten Symptome [12], [15], [26], [42], [74], [80].
gestellt. Mögliche Ursachen einer verspäteten Dia-
gnose sind neben einer unzureichenden Anamnese z Symptomatik
der oft schleichende Beginn und die radiologisch
orientierten modifizierten New-York-Kriterien zur Rückenschmerz  Das Leitsymptom ist ein tiefsitzen-
Diagnosestellung des Morbus Bechterew (7 Über- der, vor allem nächtlich auftretender Rückenschmerz,
sicht). Diese lassen erst nach eindeutigen radiolo- der sich bei Bewegung bessert und als Ausdruck einer
gischen Veränderungen im Bereich der Sakroilia- Entzündung der Sakroiliakalgelenke gesehen werden
kalgelenke die Diagnose stellen. Bis zum Auftreten kann. Der Rückenschmerz wird oft falsch interpre-
solcher Veränderungen können aber Monate bis tiert. Außerdem treten nativradiologische Verände-
Jahre vergehen. rungen im Bereich der Kreuz-Darmbein-Gelenke oft
erst Jahre nach Beginn der Schmerzen auf.
Allerdings leiden nur ca. 5% der Patienten mit
Spondylitis ankylosans: Modifizierte chronischen Rückenschmerzen an einer axialen
New-York-Kriterien [80] SpA. Zur Abgrenzung von degenerativen und post-
1. Tiefsitzende Rückenschmerzen >3 Monate, traumatischen Rückenschmerzen (7 Übersicht)
Besserung durch Bewegung (nicht durch wurde ein „entzündlicher Rückenschmerz“ definiert
Ruhe) (7 Übersicht). Wenn mindestens 4 von 5 Parametern
2. Eingeschränkte sagittale und frontale (Alter bei Symptombeginn <40 Jahre, schleichender
Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule Beginn, Besserung durch Bewegung, keine Besse-
rung in Ruhe; nächtlicher Schmerz, mit Besserung
44 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

durch Aufstehen) erfüllt werden, spricht man von Sternoklavikulargelenke sowie der Synchondrosis
einem entzündlichen Rückenschmerz [62], [75]. manubriosternalis führt zu Schmerzen im vorde-
ren Brustbereich. Typischerweise führt Husten oder
Niesen und eine tiefe Inspiration zu einer Schmerz-
Entzündlicher Rückenschmerz [75] verstärkung. Diese Beschwerden können eine atypi-
1. Alter bei Symptombeginn <40 Jahre sche Angina pectoris oder eine Perikarditis imitie-
3 2. Schleichender Beginn ren und eine kardiale Abklärung junger Erwachsener
3. Besserung bei Bewegung notwendig machen.
4. Keine Besserung in Ruhe Typisch ist auch eine asymmetrische Mono- bis
5. Nächtlicher Schmerz (mit Besserung durch Oligoarthritis peripherer Gelenke, wobei vor allem
Aufstehen) die großen Gelenke der unteren Extremitäten befal-
len sind. Die Gelenkbeteiligung reicht von flüchtigen
Entzündlicher Rückenschmerz gemäß Arthralgien bis zu seltenen, schweren destruierenden
ASAS(Assessment of Spondylo Arthritis Entzündungen.
International Society)-Experten: Mindestens 4 Die Prävalenz einer peripheren Gelenkbetei-
Kriterien müssen vorhanden sein ligung wird in der Literatur mit 20–30% angege-
ben. Bei knapp einem Drittel der Patienten beginnt
die AS nicht mit dem typischen Rückenschmerz,
sondern mit einer peripheren Arthritis [25], [26],
Differenzialdiagnose des entzündlichen [49], [53], [59].
Rückenschmerzes
Nichtentzündliche Ursachen von Extraskelettale Manifestationen  Extraskelettale
Wirbelsäulenschmerzen: Manifestationen sind möglich. Die häufigste extraar-
55Unspezifischer, mechanischer tikuläre Beteiligung ist die akute anteriore Uveitis, die
Rückenschmerz (RS) bei 25–40% der Patienten im Verlauf der Erkrankung
55Lumbospondylogener und ein- oder auch mehrmals auftritt. Es handelt sich um
lumboradikulärer RS eine akute Entzündung der Regenbogenhaut und des
55Osteoporose-assoziierter RS Ziliarkörpers und wird daher auch als Iritis oder Iri-
55RS bei frischen osteoporotischen dozyklitis bezeichnet. Die Iritis bei HLA-B27-posi-
Wirbelkörperfrakturen tiven Patienten ist typischerweise einseitig, beginnt
55Spondylosis hyperostotika (Morbus akut mit Schmerzgefühl, gefolgt von einer Rötung
Forestier) des Auges. Die Betroffenen klagen häufig über Nebel-
55Morbus Scheuermann sehen und eine generelle Sehverschlechterung.
55Fibromyalgiesyndrom Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Arthri-
55Malignom tisaktivität und Iritis ist zufällig. Gelegentlich kann
die Iritis erst auf die Diagnose eines Morbus Bech-
terew aufmerksam machen bzw. diesem lange Zeit
Enthesiopathien  Weitere typische Symptome sind vorausgehen. Patienten mit akuten Augenschmerzen
Schmerzen als Folge von Entzündungen im Bereich und einer deutlichen Sehverschlechterung müssen
der Sehnenansätze (Enthesiopathien), am häufigs- unverzüglich dem Augenarzt vorgestellt werden.
ten im Bereich des Ansatzes der Achillessehne oder
der Plantarfaszie. Herzbeteiligung  Eine Beteiligung des Herzens
manifestiert sich in einer möglichen Entzündung
Gelenkbeteiligung  Ein gürtelförmiger Thorax- der Aortenwurzel (Aortitis) und dem Risiko der Ent-
schmerz tritt auf bei einer Beteiligung kostover- wicklung einer Aorteninsuffizienz. Die Häufigkeit
tebraler und kostotransversaler sowie kostos- einer kardialen Beteiligung variiert in der Literatur
ternaler Gelenke, ebenso bei einer Enthesitis im beträchtlich und scheint von der Krankheitsdauer
kostosternalen Bereich. Eine Entzündung der abzuhängen.
3.1 · Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew)
45 3
Als Folge einer Fibrosierung des Reizleitungssys- frühen Krankheitsphase ist mit einem schweren
tems kann es zu Erregungsleitungsstörungen (AV- Krankheitsverlauf zu rechnen [1], [79].
Blockierungen, Linksschenkelblock etc.) kommen.
Eine eingeschränkte Beweglichkeit der Tho- z Diagnostik
raxwand kann zu einer milden restriktiven Venti-
lationsstörung führen. Eine sehr seltene und späte z z Anamnese
extraskelettale Manifestation ist eine Fibrose in den Der wesentliche Eckpfeiler der Anamnese ist die
Lungenoberlappen (ca. 1%). Identifikation eines entzündlichen Rückenschmer-
zes (7 Übersicht „Entzündlicher Rückenschmerz“
Intestinale Manifestationen  Eine intestinale Betei- im 7 Abschn. „Symptomatik“) und ein Krankheits-
ligung in Form einer Kolitis oder lleitis terminalis beginn vor dem 40. Lebensjahr.
ist häufig, wobei die prozentuellen Angaben sehr Ein meist sehr gutes Ansprechen auf NSAR ist
schwanken. 5–10% der Patienten mit AS haben eine typisch für den Morbus Bechterew. Weitere diagnos-
begleitende chronisch entzündliche Darmerkran- tische Hinweise sind eine positive Familienanamnese
kung, ein viel größerer Anteil von über 50% zeigt für Morbus Bechterew oder für eine Erkrankung aus
in endoskopischen Studien eine klinisch stumme dem Formenkreis der Spondyloarthritiden (Psoria-
(asymptomatische) intestinale Entzündung [26], sisarthritis, reaktive Arthritis, chronisch entzündli-
[39], [42]. che Darmerkrankung). Weiterhin ist nach einem Fer-
senschmerz (Enthesiopathie), nach einer peripheren
z Verlauf und Prognose Arthritis, Uveitis oder einer Daktylitis zu fragen.
Der Entzündungsprozess verläuft im Achsenskelett
typischerweise von kaudal nach kranial und kann z z Klinische Untersuchung
zu einer zunehmenden Versteifung der Wirbelsäule Die klinische Untersuchung ist am Beginn der
und Bewegungseinschränkung führen. Manchmal Erkrankung meist ohne für die Diagnose typische
ist aber auch ein Schmerz oder eine Steifigkeit im oder wegweisende Befunde. Eine Druckschmerz-
Thorax- oder Brustwirbelbereich das erste Symptom. haftigkeit im Bereich der Sakroiliakalgelenke kann
Wahrscheinlich entwickeln weniger als 10% ein Hinweis für eine Entzündung sein. Beim Menell-
eine komplette Ankylosierung der Wirbelsäule. Test wird eine passive Scherbewegung zwischen Os
Der Verlauf der AS ist sehr variabel. Häufig domi- ilium und Os sacrum durchgeführt. Der Patient liegt
niert eine relativ mild verlaufende Erkrankung mit in Bauchlage, der Untersucher fixiert mit einer Hand
unterschiedlich langen beschwerdearmen oder auch das Os sacrum und bewegt mit der anderen Hand
symptomfreien Perioden ohne wesentliche Beein- das gestreckte Bein nach hinten (Hyperflexion im
trächtigung der Funktionalität. Aktive und inak- Hüftgelenk).
tive Krankheitsphasen wechseln einander ab. Die Die Mobilität der Wirbelsäule in Sagittalebene
AS kann aber auch über viele Jahre aktiv bleiben. kann überprüft werden, indem der Patient sich mit
Eine französische Studie hat den Langzeitverlauf der gestreckten Beinen und hängenden Armen nach
Erkrankung untersucht und Faktoren aus den ersten vorne neigt. Bei normaler Beweglichkeit von Brust-
beiden Krankheitsjahren identifiziert, die die Prog- und Lendenwirbelsäule erreichen die Fingerspitzen
nose der Erkrankung negativ beeinflussen können. den Boden (Finger-Boden-Abstand). Als Maß für die
Signifikante Einflussfaktoren waren eine Koxitis, Mobilität der Brustwirbelsäule gilt das Ott-Zeichen.
eine Blutsenkung (BSG) >30, ungenügendes Anspre- In aufrechter Stellung wird mit dem Maßband von
chen auf nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), C7 30 cm nach kaudal gemessen, beim Beugen nach
eine eingeschränkte Beweglichkeit der Lendenwir- vorne muss sich der Abstand durch eine Vergröße-
belsäule, eine wurstförmige Schwellung von Fingern rung der Abstände der Dornfortsätze um zumindest
oder Zehen, eine Oligoarthritis und ein Krankheits- 3 cm vergrößern.
beginn vor dem 17. Lebensjahr. Beim Schober-Zeichen wird von S1 10 cm nach
Bei Auftreten einer Koxitis oder Nachweis von kranial gemessen. Bei Rumpfbeugung verlängert sich
3 (anderen) der oben genannten Faktoren in der die Messstrecke um 4–5 cm.
46 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

Der Hinterhaupt-Wand-Abstand, der normaler- Wenn die Erkrankung an der Wirbelsäule fort-
weise 0 cm beträgt, vergrößert sich typischerweise schreitet, kann es in der Folge zu typischen Verände-
bei einer Beteiligung der Hals- und Brustwirbelsäule. rungen am thorakolumbalen Übergang kommen. An
der Wirbelsäule kommt es vor allem in den ventralen
z z Labor Abschnitten zu einer Spondylitis anterior. Man findet
Eine Erhöhung der Entzündungsparameter (BSG, eine Verdickung mit Ausbildung eines Tonnen- oder
3 C-reaktives Protein [CRP]) findet sich nur bei ca. Kastenwirbels, eine Erosion (Romanus-Läsion) oder
40 bis (maximal) 80% aller Patienten in der aktiven eine Sklerosierung (glänzende Ecken bzw. „shiny
Krankheitsphase. Die Höhe der Entzündungspara- corners“) an den ventralen Wirbelkörperecken. An
meter korreliert aber nur unzureichend mit dem den äußeren Schichten des Anulus fibrosus zeigt
Krankheitsverlauf und in über 20% sind diese auch sich eine typische Verkalkung in Form von Syndes-
im Langzeitverlauf unabhängig von der Aktivität der mophyten. Diese können die nicht verschmäler-
Erkrankung nicht erhöht. ten Bandscheibenräume überbrücken. Das Endsta-
Das HLA-B27 ist bei fast allen Patienten mit dium kann eine sogenannte Bambusstabwirbelsäule
AS nachweisbar, aber auch bei ca. 8% der gesun- sein, mit Verkalkung des vorderen und hinteren
den deutschsprachigen Bevölkerung. Im Gegensatz Längsbandes.
entwickeln nur ca. 4–7% der HLA-B27-positiven Eine rheumatische Diszitis (Anderson-Läsion)
Träger eine manifeste Erkrankung. Der Nachweis ist eine destruktiv verlaufende Entzündung der Zwi-
von HLA-B27 ist für die Diagnose (mit-)entschei- schenwirbelräume und der angrenzenden Wirbel-
dend, allerdings nur in Zusammenhang mit einer körper und ist vor allem im ersten Jahrzehnt der
entsprechenden Klinik. Erkrankung zu beobachten.
Mit Hilfe einer Magnetresonanztomographie
z z Bildgebung (MRT) lassen sich eine Synovitis und ein entzünd-
Die konventionellen Röntgenaufnahmen der Sakroi- liches gelenknahes Knochenmarködem im Bereich
liakalgelenke sind in den Frühstadien der Erkran- der Sakroiliakalgelenke wesentlich früher nachwei-
kung trotz entsprechender Symptome meist ohne sen, sodass diese Methode besonders in der frühen
pathologischen Befund, was zu einer Verzögerung Diagnostik eine dominierende Rolle einnimmt.
der Diagnosestellung beiträgt. Der charakteristische Die Computertomographie wird selten und fast
pathologische Röntgenbefund ist eine Sakroiliitis, ausschließlich zur Beurteilung von strukturellen
die nach den modifizierten New-York-Kriterien in Veränderungen in den Sakroiliakalgelenken einge-
4 Grade eingeteilt wird (. Tab. 3.1). Typisch ist ein setzt. Sie ermöglicht durch eine hohe Auflösung eine
Nebeneinander von Sklerose, Erosion und partieller genaue Beurteilung kleinerer knöcherner Defekte
Ankylose (sogenanntes buntes Bild). [6], [8], [49], [53], [80].

z Frühdiagnose
. Tab. 3.1  Radiologische Veränderungen der Die modifizierten New-York-Kriterien, die unter
Sakroiliakalgelenke nach den modifizierten New-
anderem auch den Nachweis nativradiologischer
York-Kriterien [5], [80]
Veränderungen (Sakroiliitis Grad II beidseits oder
Grad 0 Normalbefund Grad III einseitig) fordern, eignen sich nicht für die
Grad I Fragliche Veränderungen, verwasche- Frühdiagnose.
ner Gelenkspalt Es wurden Algorithmen entwickelt, um eine
Grad II Milde Veränderungen, subchondrale frühe Diagnostik einer axialen SpA zu erleichtern.
Sklerosierungen, umschriebene Bereits im Jahr 2009 hat die „Assessment of Spon-
Erosionen dylo Arthritis International Society“ (ASAS) neue
Grad III Erosionen, Gelenkspalterweiterungen Klassifikationskriterien (7 Übersicht) für Patien-
und Verengungen ten mit SpA definiert. Es werden dadurch nicht nur
Grad IV Ankylose Patienten mit etablierter AS (mit definierten struk-
turellen Röntgenveränderungen), sondern auch
3.1 · Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew)
47 3
Patienten mit frühen Formen von Wirbelsäulenbe- Entzündliche Beteiligungen der Wirbelsäule und
teiligung im Rahmen einer SpA (nichtröntgenolo- der Sakroiliakalgelenke können auch bei anderen
gische SpA, d. h. ohne strukturelle Röntgenverän- Erkrankungen aus dem Formenkreis der Spon-
derungen) berücksichtigt. dyloarthritiden vorkommen. Ein entzündlicher
Rückenschmerz und eine asymmetrische Oligoar-
thritis treten auch bei Psoriasis, bei enteropathischen
ASAS-Klassifikationskriterien für axiale SpA Arthritiden und der undifferenzierten Spondyloar-
(bei Patienten mit Rückenschmerz ≥3 Mona- thritis auf.
te und Alter bei Beginn <45 Jahre) [63]
55Sakroiliitis in der Bildgebung* plus ≥1
SpA-Parameter**
oder Fallbeispiel: Unternehmer mit Kreuz-
55HLA-B27 plus ≥ 2 andere SpA-Parameter** schmerzen
Ein 42-jähriger Unternehmer leidet seit einigen
* Sakroiliitis in der Bildgebung: Aktive (akute) Jahren immer wieder unter Schmerzen im
Entzündung in der MRT, gut vereinbar mit tiefen Kreuzbereich. Er berichtet bei der
einer SpA-assoziierten Sakroiliitis oder Erstuntersuchung über „sogenannte gute
definitiven röntgenologischen Sakroiliitis und schlechte Zeiten“, einerseits über Phasen,
(Strukturveränderungen) gemäß den wo er kaum aus dem Bett kommt oder
modifizierten New-York-Kriterien schon in der Nacht mit starken Schmerzen
** SpA-Parameter: aufwacht, andererseits über monatelange,
55Entzündlicher Rückenschmerz (fast) beschwerdefreie Intervalle. Er gibt
55Arthritis keine zusätzlichen Gelenkbeschwerden an.
55Enthesitis (Ferse) Eine mäßig ausgeprägte Schuppenflechte im
55Uveitis Ellbogen- und Fußsohlenbereich ist seit dem
55Daktylitis 17. Lebensjahr bekannt.
55Psoriasis Er berichtet, dass er schon seit Jahren
55Morbus Crohn/Colitis ulcerosa wegen seiner Kreuzbeschwerden behandelt
55Gutes Ansprechen auf NSAR wurde. Wegen „Blockaden“ im Bereich der
55Positive Familienanamnese für SpA Brust- und Lendenwirbelsäule wurden lokale
55HLA-B27 Infiltrationen und physiotherapeutische
55Erhöhtes CRP Maßnahmen empfohlen und initiiert. Die
Bewegung hat ihm stets „geholfen und gut
getan“. Beruflich fährt er viel mit dem Auto
Neben einer Sakroiliitis im Röntgenbild (wie in oder er arbeitet am Schreibtisch. Durch die
den modifzierten New-York-Kriterien) kommt sitzende Tätigkeit nehmen Schmerzen und
auch die MRT als gleichberechtigtes bildgebendes Steife im Kreuzbereich deutlich zu.
Verfahren zur Abbildung einer (aktiven) Sakroilii- Bei der Untersuchung zeigten sich beide
tis zur Anwendung und berücksichtigt das frühe Kreuz-Darmbein-Gelenke druckemp-
(nichtröntgenologische) Stadium einer axialen SpA findlich. Der Mennell-Test war beidseitig
[57], [58], [61], [63], [64], [66], [75]. Heute wird positiv. In den erhobenen Laborbefunden
die nichtradiologische axiale SpA als ein frühes findet sich der Rheumafaktor negativ, die
Stadium oder eine abortive Verlaufsform der AS, BSG ist 33 in der 1. Stunde, das CRP 4,8
die möglicherweise nie zu strukturellen Verände- (Grenze 0–0,5); HLA-B27 ist nachweisbar. Die
rungen am Achsenskelett führt, angesehen. Es wird Familienanamnese hinsichtlich Haut- und
empfohlen, den Begriff „nichtradiologische SpA“ Wirbelsäulenerkrankungen war unauffällig.
nur zur Klassifikation und nicht zur Diagnose zu Nativradiologisch zeigte sich ein unauffälliger
verwenden [3].
48 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

Bei Unverträglichkeit oder unzureichender


Befund. Die MRT ergab schließlich eine Wirksamkeit von NSAR können auch Analgetika
beidseitige Sakroiliitis. zum Einsatz kommen.
Es wurde eine konsequente Therapie mit Eine systemische Glukokortikoid-Therapie zur
NSAR eingeleitet, worauf der Patient sehr gut Behandlung der axialen SpA ist ohne gesicherte
angesprochen hat. Wirksamkeit.
3 Es gibt keine Evidenz für die Wirksamkeit von
Disease Modifying Antirheumatic Drugs (DMARDs,
Basistherapeutika) wie Methotrexat und Salazopy-
Kommentar rin auf die axiale Symptomatik. Für Salazopyrin ist
Dieses Fallbeispiel beschreibt einen Patienten nur ein moderater Effekt in der Therapie peripherer
mit den Symptomen des entzündlichen Gelenke nachgewiesen.
Rückenschmerzes. Die Diagnose einer Selten sind auch chirurgische Interventionen
(nichtradiologischen) axialen SpA wurde im Sinne eines orthopädischen Hüftgelenkersatzes
aufgrund der MRT gestellt. Vom klinischen oder einer Aufrichtungsosteotomie bei ausgepräg-
Aspekt liegt eine ausschließliche Beteiligung tem Kyphosewinkel notwendig [24], [26], [72], [82].
des Stammskeletts ohne den Befall peripherer Die Einschätzung der Krankheitsaktivität und
Gelenke vor. Aufgrund des (erwartungsgemäß) die Überwachung einer Therapie erfolgt heute vor
guten Ansprechens auf NSAR konnte eine allem mit Hilfe des Bath Ankylosing Spondylitis
gute Befindlichkeit erreicht werden. Sollte es Disease Activity Index (BASDAI) (7 Übersicht,
wiederum zu einer Verschlechterung kommen 7  Abschn. „Behandlung mit TNF-α-Antagonis-
bzw. eine neuerliche Therapie mit NSAR keinen ten“) [16], [28].
Effekt zeigen, wäre der Einsatz von Biologika
der nächste Schritt. z z Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
NSAR sind die wesentliche Substanzgruppe gegen
entzündungsbedingte Schmerzen des Achsenske-
z Therapie
letts, aber auch bei Beteiligung peripherer Gelenke.
Die Behandlung der AS hat im letzten Jahrzehnt Die meisten Patienten sprechen gut auf diese
eine entscheidende Veränderung erfahren. Während Behandlung an. Möglicherweise haben NSAR auch
noch in den 1990er Jahren physio- und balneother- eine progressionsverzögernde Wirkung.
apeutische Maßnahmen im Vordergrund standen, Eine krankheitsspezifische Präferenz für eine
wurde durch die Entwicklung von TNF-Blockern bestimmte Substanzgruppe liegt nicht vor, allerdings
eine neue Ära in der Therapie des Morbus Bechte- treten individuell, ähnlich wie bei anderen rheuma-
rew eingeleitet. Gerade Patienten mit einem aggressi- tischen Erkrankungen, unterschiedliche Ansprech-
ven und rasch progredienten Verlauf profitieren von raten und Nebenwirkungen auf. Ein Vorteil Cox-II-
diesen Medikamenten. selektiver NSAR ist eine möglicherweise geringere
Eine kausale Therapie ist aber weiterhin nicht Häufigkeit von unerwünschten Wirkungen im
möglich. Das Ziel ist eine Schmerzreduktion und unteren Gastrointestinaltrakt.
reduzierte Entzündungsaktivität, damit einherge- Gastrointestinale und kardiovaskuläre Neben-
hend eine Verminderung bzw. ein Aufhalten von wirkungen sind zu bedenken; bei längerer Einnahme
zunehmender Bewegungseinschränkung und Defor- ist eine regelmäßige Überprüfung von Leber- und
mierung von Wirbelsäule und eventuell beteiligten Nierenfunktion und des Blutbildes notwendig. Der
peripheren Gelenken. Blutdruck ist zu kontrollieren. Die Einnahme von
Als Basis kann die Behandlung mit nichtsteroi- NSAR am Abend in entsprechend hoher Dosierung
dalen Antirheumatika (NSAR), die lokale Gluko- soll den frühmorgendlichen Schmerz vermindern;
kortikoid-Gabe, eine spezielle Wirbelsäulengym- die Gabe am Morgen oder zu Mittag die Aktivität am
nastik sowie eine Balneotherapie angesehen werden Tage erhalten und eine gezielte Bewegungstherapie
(Baseline-Therapie). (Wirbelsäulengymnastik) ermöglichen.
3.1 · Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew)
49 3
z z Physio- und balneotherapeutische z z Behandlung mit Biologika
Maßnahmen Bei fehlendem oder unzureichendem Ansprechen von
Physio- und balneotherapeutische Maßnahmen NSAR und physio- sowie balneotherapeutischen Maß-
inklusive Kurbehandlungen sind wertvolle Ergän- nahmen kommen TNF-α-Blocker zum Einsatz [9].
zungen, um die Beschwerden zu lindern und die Die von den Arzneimittelbehörden zugelasse-
Beweglichkeit von Patienten mit AS zu verbessern nen Biologika (. Tab. 3.2) haben sich in zahlreichen
und zu erhalten. Studien als sehr wirksam erwiesen.
Eine Zusammenfassung eines Cochrane-Re- Bei vielen Patienten kann eine deutliche Reduk-
views über Physiotherapie bei AS und der Empfeh- tion von Schmerzen und Müdigkeit und eine Verbes-
lungen der Assessment in Ankylosing Spondylitis serung der Beweglichkeit erreicht werden.
(ASAS) Working Group ergab: Auch periphere Arthritiden und gegenüber
1. Das optimale Management der AS erfordert NSAR therapieresistente Enthesitiden sprechen auf
eine Kombination von nichtpharmakologi- Biologika gut an; ebenso extraskelettale Manifesta-
schen und pharmakologischen Maßnahmen. tionen wie eine anteriore Uveitis.
2. Die Physiotherapie bringt für Patienten mit AS In nicht wenigen Fällen kann eine deutliche Ver-
einen Vorteil. besserung des Krankheitsverlaufs erreicht werden,
3. Eine kontrollierte Gruppentherapie wirkt sodass von einer klinischen Remission oder zumin-
besser als die individuelle Heim-Gymnastik. dest Teilremission gesprochen werden kann. Aller-
4. Eine 3-wöchige Kurbehandlung (Bad Gastein) dings gibt es derzeit keinen sicheren Beweis, dass
zeigte einen leichten Vorteil gegenüber der eine Behandlung mit Biologika das Fortschreiten
wöchentlichen ambulanten Behandlung mit der morphologischen Veränderungen an der Wir-
Physiotherapie und wies auch eine bessere belsäule deutlich beeinflusst bzw. verhindert.
Kosteneffizienz als eine Kurbehandlung ohne Die Indikation zur Einleitung einer Biologika-
Radon auf [21]. Therapie, deren Fortführung und Überwachung

. Tab. 3.2  Biologika (biologisch originäre und biosimiläre DMARDs: boDMARDs und bsDMARDs)

Biologika Applikationsart

TNF-α-Inhibitoren
Infliximab (Remicade) und bs Infliximab (Inflectra, 3–5 mg/kg Körpergewicht i.v. als Infusion alle 6–8
Remsima) Wochen
Chimärer monoklonaler Antikörper (25% Mausanteil)
Etanercept (Enbrel) 50 mg s.c. 1-mal/Woche
Löslicher Rezeptor: Fusionsprotein
Adalimumab (Humira) 40 mg s.c. alle 2 Wochen
Humaner monoklonaler Antikörper
Golimumab (Simponi) 50 mg s.c. alle 4 Wochen
Monoklonaler Antikörper

Certolizumab (Cimzia) 200 mg s.c. alle 2 Wochen


PEGyliertes humanes Antikörperfragment
Interleukin-17A-Inhibitor
Secukinumab (Cosentyx) 150 mg s.c.
Humaner monoklonaler Antikörper Startdosis zur Woche 0, 1, 2, 3, 4 dann alle 4 Wochen
50 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

unterliegt entsprechenden Kriterien, die von Exper-


ten in einem Konsensus regelmäßig überarbei- Wie ist es Ihnen in der letzten Woche
tet werden und zuletzt 2011 veröffentlicht wurden ergangen?
(ASAS-Empfehlungen). Das Behandlungsspekt- 1. Wie ausgeprägt war Ihre Erschöpfung und
rum umfasst nicht nur Patienten mit etablierter AS Müdigkeit?
(7 Übersicht). Die TNF-α-Blocker Adalimumab, 2. Wie ausgeprägt waren Ihre Nacken-,
3 Certolizumab, Etanercept und Golimumab sind auch Rücken- und Hüftschmerzen?
zur Therapie einer nichtradiologischen axialen SpA 3. Wie ausgeprägt waren Ihre Schmerzen und
zugelassen. Schwellungen in anderen Gelenken?
4. Wie unangenehm waren für Sie druck- oder
berührungsempfindliche Körperstellen?
Empfehlung der ASAS für die Behandlung 5. Wie ausgeprägt war für Sie Ihre
der AS und der axialen SpA mit TNF-α-­ Morgensteifigkeit nach dem Aufstehen?
Blockern (adaptiert nach [78]) 6. Wie lange dauerte die Morgensteifigkeit
55Diagnose: Erfüllung der modifizierten nach dem Aufwachen im Durchschnitt an?
New-York-Kriterien oder der ASAS-Kriterien
für die axiale SpA Berechnung des BASAI:
55Therapieversagen trotz 2 NSAR über 55Einschätzung des Patienten anhand einer
insgesamt 4 Wochen visuellen Analogskala von 0 bis 10 (sehr
55Hohe Krankheitsaktivität: Bath Ankylosing schlimm).
Spondylitis Disease Activity Index 55Umrechnung der Zeitangabe in Frage 6:
(BASDAI) ≥4 1/4 h=1,25;1/2 h=2,5; 3/4 h=3,75; 1 h=5 usw.
55Fachliche Beurteilung durch Experten 55Bildung des Mittelwerts aus Frage 5 und
anhand von Klinik, Laborparameter und Frage 6
Bildgebung 55Bildung eines Gesamtmittelwerts aus den
55Bei vorwiegend peripherer Gelenkbe- Fragen 1–4 und dem Mittel aus den Fragen
teiligung: Therapieversuch mit 5 und 6
intraartikulärer Steroidinjektion wenn
möglich und
55Therapieversuch mit einem DMARD, Trotz der oft außergewöhnlichen Wirksamkeit dieser
vorzugsweise Sulfasalazin (nicht Medikamente dürfen die potenziellen Risiken nicht
obligatorisch) außer Acht gelassen werden und die Kontraindika-
tionen (7 Übersicht) müssen unbedingt beachtet
werden [2], [3], [7], [9], [10], [11], [38], [39], [60],
In 8- bis 12-wöchigen Abständen ist eine klinische [72], [78], [82].
und laborchemische Kontrolle gefordert, um über die
Fortsetzung der Therapie zu entscheiden. Die Weiter-
behandlung erfolgt entsprechend der Wirksamkeit Kontraindikation zur Therapie mit TNF-α-
im Sinne einer Verbesserung des BASDAI (7 Über- Antagonisten
sicht) und dem Expertenurteil. 55Akute oder chronisch aktive Infekte
55Abgelaufene oder aktive Tbc
55Malignom aktuell oder anamnestisch
55Manifeste kardiale Dekompensation
BASDAI (Bath Ankylosing Spondylitis (nach Klassifikation der New York Heart
Disease Activity Index) [16] Association > NYHA II)
Valider Messwert zur Beurteilung der 55Allergie gegen eine der Substanzen
klinischen Aktivität der Spondylitis ankylosans 55Demyelinisierende Erkrankung
3.1 · Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew)
51 3

Fallbeispiel: 4 Brüder mit ankylosierender eine fortschreitende Bechterew-Erkrankung


Spondylitis und trotz hoher Schmerzmedikation eine sehr
Ein heute 44-jähriger Techniker leidet eingeschränkte Lebensqualität. Erst durch die
seit seinem 17. Lebensjahr an einer Einleitung der TNF-Blocker-Therapie hat sich
ankylosierenden Spondylitis. Aufgrund seine Situation deutlich gebessert.
einer starken Schmerzsymptomatik wurde Trotz Therapie kam es zweimal zu einer
entsprechend den modifizierten New-York- Augenentzündung und wiederholt zu
Kriterien im Jahre 2003, nach genauer Entzündungen der kleinen Gelenke und
Aufklärung, eine Biologika-Therapie eingeleitet. Synchondrosen im Bereich des Brustbeins,
Der Patient sprach sehr deutlich und sehr die auf eine kurzfristige Glukokortikoid-Gabe
rasch auf die Behandlung an, entwickelte auffallend gut ansprachen.
aber innerhalb eines Jahres eine wesentliche Bei dem 35-jährigen Bruder ist seit 2006
Erhöhung der Leberwerte, sodass die eine ankylosierende Spondylitis mit einer
Medikation abgesetzt werden musste und ausgeprägten, beidseitigen Sakroiliitis
durch ein alternatives Biologikum ersetzt bekannt. Es wurde im Jahre 2007 aufgrund
wurde. Wiederum reagierte er prompt auf seiner chronischen, nächtlichen und
die Medikation im Sinne einer raschen frühmorgendlichen Wirbelsäulenbeschwerden,
Schmerzlinderung. die sich auf NSAR nicht oder nur unzureichend
Seit der Umstellung im Jahre 2004 wird die besserten, eine Biologika-Therapie
biologische Therapie mit großem Erfolg entsprechend den Richtlinien eingeleitet.
verabreicht, der Patient ist unter Therapie Der Patient hat auf die Therapie prompt und
beschwerdefrei. ausreichend angesprochen, die Abstände der
Wegen einer Hernien-Operation musste Injektionen konnten im Sommer auf alle 3–4
vorübergehend die Basistherapie über Wochen ausgedehnt werden. Ein mehrmals
mehr als 4 Wochen unterbrochen werden, versuchtes Absetzen hat zu einer deutlichen
wodurch es prompt zu einer deutlichen Verschlechterung geführt und er wurde – wie
Verschlechterung der Rückenbeschwerden er betonte – „an alte Zeiten“ erinnert.
gekommen ist. Nach neuerlichem Einsetzen Der 33-jährige und jüngste der 4 Brüder leidet
der Therapie konnte wiederum eine stabile seit 2003 an einer ankylosierenden Spondylitis
Beschwerdefreiheit erreicht werden. Der und wurde aufgrund des aggressiven Verlaufs
BASDAI beträgt auch unter einer halbierten relativ rasch in einem großen Schwerpunkt-
Standarddosis der Biologika <1 und die Krankenhaus mit Biologika (einer Infusions-
Mobilität ist erhalten; der 44-Jährige ist therapie) behandelt. Dadurch konnte eine
beruflich aktiv und erfolgreich. Beschwerdefreiheit erreicht werden. Der
Ein 41-jähriger Bruder leidet seit 1992 an einer „Patient“ war daraufhin derart motiviert, dass
ankylosierenden Spondylitis, 2002 wurde er wieder das Fußballspielen begonnen hat
aufgrund der massiven Verschlechterung und und sogar 2 Marathons gelaufen ist.
der starken Schmerzen in der Wirbelsäule und Aufgrund der stabilen Situation und der
auch in peripheren Gelenken schließlich eine deutlichen Ausdehnung der Applikations-
Biologika-Therapie eingeleitet. Dadurch hat abstände wurde von ärztlicher Seite ein
sich die Lebenssituation des Patienten drastisch Absetzen der Medikation vorgeschlagen.
verbessert, er ist im Arbeitsprozess, ist zwar Nach 2 Monaten kam es zu einer massiven
nicht schmerzfrei, aber in einer Situation, in der Verschlechterung mit typischen Symptomen
– wie er sagt – „es sich gut leben lässt“. eines entzündlichen Rückenschmerzes und mit
Ein Absetzen ist für ihn nicht denkbar, er der Medikation wurde wiederum begonnen.
hatte ja schon, bevor mit einer Biologika- Mit einer halbierten Standarddosis ist er
Therapie begonnen wurde, über viele Jahre wieder „der Alte“.
52 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

Kommentar Fallbeispiel: Junge Frau mit Kreuz- und


Bei allen 4 Kindern wurde (frühzeitig) die Gelenkschmerzen
Diagnose einer ankylosierenden Spondylitis Bei einer jungen Frau wurde mit 23 Jahren
gestellt; der Verlauf ist bei allen chronisch eine Erkrankung aus dem Formenkreis
progredient mit deutlichen radiologischen der Spondyloarthritiden (HLA-B27-as-
3 Zeichen einer fortgeschrittenen Sakroiliitis. soziiert) diagnostiziert. Sie war in größeren
Bei allen Brüdern ist HLA-B27 nachweisbar; Abständen an verschiedenen Rheumaam-
bei den Eltern liegt keine ankylosierende bulanzen bzw. bei niedergelassenen Ärzten
Spondylitis vor. Die Konstellation könnte in Kontrolle, und es wurde wegen einer
auf den seltenen Fall eines homozygot chronisch rezidivierenden Entzündung beider
HLA-B27-positiven Elternteils hinweisen Kniegelenke zunächst eine Basistherapie mit
(beide Chromosomen Nr. 6 tragen das Sulfasalazin eingeleitet. Diese wurde aber von
HLA-B27 Gen). der Patientin aufgrund fehlender Wirksamkeit
Bei 4 Brüdern zeigten sich die Symptome nach 3 Monaten wieder beendet.
eines entzündlichen Rückenschmerzes mit Schließlich kam es aufgrund einer
hohen serologischen Entzündungszeichen Verschlechterung der Krankheitssituation,
und nur ein mäßiges Ansprechen auf NSAR. insbesondere wegen zunehmender
Erst durch Einleitung einer Biologika-Therapie Wirbelsäulenbeschwerden, zu einer
konnte bei allen eine deutliche Besserung der stationären Aufnahme. Nach nativradio-
Befindlichkeit und zeitweise sogar Beschwer- logischem Nachweis einer beidseitigen
defreiheit erreicht werden. Sakroiliitis im Stadium II erfolgte die Diagnose
Es konnten zwar die Spritz- bzw. Infusions- einer ankylosierenden Spondylitis. Die
abstände ausgedehnt und somit die Dosis Patientin wurde mit NSAR behandelt und es
der Medikamente bei fast allen – zumindest konnte mit 150 mg Diclofenac täglich eine
vorübergehend – reduziert werden, ein vorübergehende, akzeptable Stabilisierung
Absetzen der Medikation führte jedoch erreicht werden.
wiederum zu Schubsituationen und wurde Ein Jahr später suchte die Patientin eine
nicht toleriert. rheumatologische Ordination auf und
Die Brüder sind über ihre Krankheit informiert. präsentierte sich mit 2 geschwollenen
Sie sind sportlich aktiv und alle befinden sich Kniegelenken und einer Synovitis des
im Arbeitsprozess. Es ist der Familie bewusst, Sprunggelenks und berichtete ebenfalls
dass die Medikamente im Idealfall Beschwer- wieder über nächtliche Kreuzschmerzen.
defreiheit, aber keine Heilung hervorrufen Die Diagnose einer progredienten
können. Auch ist ihnen klar, obwohl diese ankylosierenden Spondylitis mit peripherer
Substanzen zwar teilweise schon seit mehr als Gelenkbeteiligung wurde naturgemäß
15 Jahren zur Behandlung zugelassen sind, bestätigt. Die BSG war mit 87 in der ersten
dass noch keine ausreichenden Langzeit- Stunde deutlich erhöht. Der BASDAI betrug 6;
erfahrungen vorliegen. NSAR führten zu keiner klinischen Besserung.
Eine genaue Aufklärung, Überwachung und Der Patientin wurde eine Biologika-Therapie
das regelmäßige Gespräch mit den Betroffenen empfohlen. Nach entsprechender Aufklärung
ist notwendig, um einen entsprechenden stimmte sie einer Behandlung zu. Sie sprach
Behandlungserfolg unter größtmöglicher prompt und sehr gut auf die Behandlung an
Sicherheit für die Patienten zu erreichen. und es kam rasch zu einer Schmerzfreiheit
3.2 · Psoriasisarthritis (PsA)
53 3
eine Enthesitis oder eine Beteiligung der Wirbel-
im Bereich der Kreuz-Darmbein-Gelenke und säule. Häufig treten mehrere Manifestationen gleich-
einer Abschwellung der großen Gelenke. zeitig auf. Im Erscheinungsbild und Verlauf fällt eine
Die Patientin ist unter einer Biologika- große Heterogenität auf.
Therapie, deren Applikationsabstände Die Psoriasis oder Schuppenflechte ist eine chro-
ausgedehnt werden konnten, beschwerdefrei nisch entzündliche Hauterkrankung mit einer Prä-
und nimmt, nur bedarfsweise, zusätzlich valenz von 2–3% in der Bevölkerung. Für die Häu-
Schmerzmedikamente. figkeit des Auftretens einer Arthritis im Rahmen
der Schuppenflechte werden sehr unterschiedliche
Zahlen genannt. Je nach untersuchter Population
und Aufbau der Studie schwanken die Angaben im
Kommentar Bereich von 6–42%. Diagnostische Schwierigkei-
Bei unserer jungen Patientin liegt die Diagnose ten ebenso wie unterschiedliche und uneinheitliche
einer ankylosierenden Spondylitis vor, mit Diagnosekriterien sind mögliche Erklärungen für die
zusätzlicher Beteiligung peripherer Gelenke, variierenden Angaben.
was auf einen möglicherweise schwereren Männer und Frauen sind von der peripheren PsA
Krankheitsverlauf hinweist. ungefähr gleich häufig betroffen [8], [17], [30], [31].
Es zeigte sich vor Beginn der Biologika-
Therapie eine hohe entzündliche Aktivität z Ätiologie und Pathogenese
mit einer BSG von 87 in der ersten Stunde. Die genauen Ursachen, die zur Entstehung einer Pso-
Allein durch NSAR ebenso wie durch eine riasis oder einer PsA führen, sind noch immer unge-
Basistherapie mit Sulfasalazin konnten die klärt. Genetische, immunologische und Umweltfak-
Schwellungen der großen Gelenke der toren spielen eine Rolle.
unteren Extremitäten und naturgemäß Für eine genetische Grundlage sprechen die
auch die Wirbelsäulenbeschwerden familiäre Häufung und hohen Konkordanzraten bei
nicht gebessert werden. Durch eine eineiigen Zwillingen. Untersuchungen des Histo-
Biologika-Therapie wurde wieder eine kompatibilitätskomplexes zeigen eine Assoziation
gute Lebensqualität für die Patientin für eine Reihe von Gewebsantigenen. Die HLA-
erreicht, der BASDAI besserte sich prompt, Antigene B13, B17, B57 sowie Cw6 können bei PsA
signifikant und auch anhaltend. Die Patientin vermehrt nachgewiesen werden. Patienten mit PsA
ist über Wirkung und Nebenwirkungen und einer Beteiligung des Achsenskeletts (Sakroi-
der Therapie ausführlich informiert und liitis, Spondylitis) zeigen eine höhere Frequenz von
setzt die Therapie unter regelmäßigen HLA-B27.
12-wöchigen klinischen und laborchemischen In Hautläsionen und in der Synovialflüssigkeit
Kontrollen fort. von Patienten mit Psoriasis bzw. PsA findet man
vermehrt aktivierte T-Zellen mit einer gesteigerten
Produktion proinflammatorischer Zytokine. Proin-
flammatorische Faktoren, im Besonderen Tumorne-
3.2 Psoriasisarthritis (PsA) krosefaktor (TNF)-α, spielen eine wesentliche Rolle
in der Entzündung bei PsA. Ebenso ist die Interleu-
Unter dem Begriff Psoriasisarthritis werden alle mit kin(IL)-17/23-Achse ein wichtiger Baustein der Ent-
einer Schuppenflechte assoziierten Gelenkmanifesta- zündung und ein Ansatzpunkt in der Behandlung
tionen bezeichnet. Dazu gehören eine Arthritis, Dak- der Psoriasis und der PsA.
tylitis, Enthesitis, Sakroiliitis und Spondylitis. Beson- Auch bakterielle und virale Infektionen werden
ders typisch sind eine asymmetrische Oligoarthritis, bei der Entstehung der PsA vermutet. Infektionen
54 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

mit Streptokokken der Gruppe A werden als mögli- mit einer typischen diffusen Schwellung einzelner
cher Auslöser einer PsA diskutiert, da erhöhte Titer Finger („Wurstfinger“) und/oder Zehen („Wurst-
von Antikörpern gegen Streptokokken der Gruppe zehe“ oder „sausage toe“) (. Abb. 3.3). Gelegentlich
A im Serum von PsA-Patienten gefunden werden. kann es zu einem mutilierenden Verlauf mit destru-
Ein spezifisches Pathogen der PsA wurde bisher noch ierenden Veränderungen vor allem an Fingerendge-
nicht eliminiert. Eine T-Zell-mediierte Immunreak- lenken kommen.
3 tion könnte einerseits durch bakterielle Antigene, Eine Beteiligung der Sternoklavikulargelenke ist
andererseits durch eine Kreuzreaktivität mit Struk- ebenfalls typisch. Bei einem symmetrischen polyarti-
turen an der Zelloberfläche der Haut oder des Syn- kulärem Gelenkbefall ist eine rheumatoide Arthritis
ovialgewebes diskutiert werden. Mechanischer Stress zu differenzieren.
spielt bei der Entstehung der PsA wahrscheinlich Wenn das Achsenskelett beteiligt ist, findet man
eine nicht unwesentliche Rolle. Areale mit ständi- (radiologisch) häufiger eine asymmetrische seg-
ger mechanischer Belastung wie Enthesen (Achilles- mentale Spondylitis und eine einseitige Sakroiliitis.
sehne) oder Gelenke der unteren Extremitäten sind Extraartikuläre Manifestationen der Erkrankung
häufig beteiligt [17], [30], [31], [35]. sind Enthesiopathien (im Sinne eines typischen Fer-
senschmerzes) sowie eine Uveitis anterior.
z Symptomatik und Diagnostik Psoriatische Hauteffloreszenzen sind oft gering
In der Mehrzahl (ca. 70–80%) beginnen die Haut- ausgeprägt und versteckt und nur nach genauer Ins-
manifestationen vor dem Gelenkbefall, in ca. 15% pektion im Bereich der Ohren, des Nabels oder im
treten Hautmanifestationen und Gelenkentzündun- anogenitalen Bereich nachweisbar. Ebenso ist auf
gen gleichzeitig auf. Selten (10%) treten Arthritiden eine Finger- oder Zehennagelbeteiligung zu achten.
vor Veränderungen an der Haut auf. Eine Psoriasis mit Nagelbefall ist wesentlich häufi-
Die PsA verläuft oft asymmetrisch oligoarthri- ger mit einer Arthritis assoziiert. Im Übrigen besteht
tisch unter Betonung der Gelenke der unteren Ext- keine sichere Korrelation zwischen Ausdehnung des
remitäten (. Abb. 3.1). Häufig sind im Gegensatz zur Hautbefalls und Aktivität der Arthritis. Ausgedehnte
rheumatoiden Arthritis auch die Fingerendgelenke Hautmanifestationen ohne Gelenk- und Wirbel-
betroffen (. Abb. 3.2). Wird die Fingergelenkarthritis säulenbeschwerden sind ebenso möglich wie eine
von einer digitalen Tendosynovitis begleitet, spricht rasch progredient verlaufende PsA mit nur mini-
man von einer Daktylitis oder einem Befall im Strahl malen Zeichen einer Schuppenflechte. Bei ca. 5%

. Abb. 3.1  Psoriasisarthritis mit


Synovitis des linken Kniegelenks
3.2 · Psoriasisarthritis (PsA)
55 3
. Abb. 3.2  Psoriasisarthritis
mit Nagelpsoriasis und Befall des
Fingerendgelenks

. Abb. 3.3  Befall von 3 Zehen im


Strahl („Wurstzehen“)

der Patienten kommt es zu den charakteristischen Entzündungsparameter zur Verlaufsbeurteilung nur


klinischen Zeichen einer PsA, ohne dass je eine pso- bei einem Teil der Patienten anwendbar.
riatische Hautläsion auftritt (Psoriasisarthritis sine Der Rheumafaktor ist in der Regel negativ. Posi-
Psoriase). tive, meist niedrigtitrige Rheumafaktoren kommen
aber vor. Ebenso sind Antikörper gegen das citrulli-
z z Labor nierte Peptid (ACPA) meist negativ.
Laborbefunde sind meist nicht sehr aussagekräftig.
Häufig finden sich nur leicht bis mittelgradig erhöhte z z Radiologie
Entzündungsparameter. Da ein Teil der Patienten Radiologische Veränderungen finden sich an peri-
mit PsA keine oder nur geringfügig erhöhte Ent- pheren Gelenken und am Achsenskelett. Frühzei-
zündungswerte (BSG, CRP) im Blut vorweist, sind tig auftretende Veränderungen weisen auf einen
56 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

aggressiven Verlauf hin. Ein Nebeneinander von die Arthritis mutilans überhaupt eigene Subgrup-
marginalen Erosionen und angrenzender Knochen- pen darstellen und nicht eher als Manifestationen
neubildung (sogenannte Osteophyten) ist typisch. der PsA auftreten oder den Schweregrad der Erkran-
Außerdem finden sich fallweise Ankylosen einzel- kung widerspiegeln.
ner Gelenke sowie ausgedehnte Gelenkzerstörungen
an den Phalangen und Metakarpalknochen und die
3 typische „Pencil-in-Cup-Deformität“ als Folge einer Einteilung der Psoriasisarthritis –
sich zuspitzenden Osteolyse. ­Klassifikation nach Moll und Wright [45]
Die radiologischen Veränderungen an der Wir- 1. Distale interphalangeale psoriatische
belsäule zeigen bei einer Beteiligung des Achsenske- Arthritis
letts im Vergleich zur Spondylitis ankylosans einen 2. Mutilierende psoriatische Arthritis mit
häufiger asymmetrischen, segmentalen Befall mit Sakroiliitis
einer oft einseitigen Sakroiliitis. Die Magnetreso- 3. Symmetrische psoriatische Polyarthritis
nanztomographie (MRT) erlaubt eine sehr gute und 4. Asymmetrische psoriatische Oligoarthritis
frühzeitige Beurteilung der Entzündung im Bereich 5. Psoriatische Spondyloarthritis mit oder
der Gelenke und Weichteile [8], [17], [31]. ohne periphere Arthritis

z Klassifikation
Klassifikationskriterien sollen der Diagnosestellung Im Jahre 2006 wurden die CASPAR-Kriterien (Clas-
dienen und ebenso eine homogene Population für wis- sification criteria for Psoriatic Arthritis) publiziert
senschaftliche Untersuchungen gewährleisten [18]. und als Klassifikationskriterien für die PsA vor-
Die 1973 veröffentlichten Kriterien der PsA geschlagen, die auch bei der Frühdiagnostik der
nach Mol und Wright [45] beschreiben 5 Subtypen Erkrankung hilfreich sein sollen (. Tab. 3.3) [77].
(7 Übersicht). Die Erscheinungsformen sind aber
sehr variabel, Kombinationen mit anderen Befalls- z Verlauf
mustern sind häufig. Manche Autoren diskutieren, Die PsA verläuft häufiger chronisch mit entzündli-
ob die PsA mit vorwiegendem Endgelenkbefall und chen Schüben und neigt zu unterschiedlich langen

. Tab. 3.3  Caspar-Klassifikationskriterien für die PsA [77]

Entzündliche muskuloskelettale Erkrankung (Gelenk, Wirbelsäule, Enthesen) plus 3 oder mehr der folgenden:

1. Aktuelle Psoriasis (2 Punkte) Beurteilt durch Rheumatologen


2. E igenanamnese einer Psoriasis, falls aktuell nicht Beurteilt von Patient, Hausarzt, Hautarzt oder
vorhanden Rheumatologen
3. F amilienanamnese einer Psoriasis (wenn keine Verwandte 1. oder 2. Grades
aktuelle oder keine positive Eigenanamnese)
4. Psoriatische Nageldystrophie Einschließlich Onycholyse, Tüpfelnägel oder Hyperkera-
tose bei aktueller Untersuchung
5. Negativer Rheumafaktor Test mit jeder Methode außer Latextest, bevorzugt ELISA
6. Aktuelle Daktylitis Schwellung ganzer Finger/Zehe
7. A
 namnese einer Daktylitis, falls aktuell nicht Anamnese einer Daktylitis durch Rheumatologen
nachweisbar
8. Radiologisch juxtaartikuläre Knochenneubildung Standard-Röntgen von Händen und Füßen (keine
Osteophyten)
3.2 · Psoriasisarthritis (PsA)
57 3
beschwerdearmen und beschwerdefreien Interval-
len. Der Krankheitsverlauf ist aber aggressiver als Therapie der Psoriasisarthritis
früher angenommen. Besonders bei symmetrischem Medikamentöse Therapie
polyartikulärem Befall kann es zu Gelenkdestruk- 55Symptomatische Therapie
tionen ähnlich denen der rheumatoiden Arthritis –– Analgetika
kommen [27], [30]. –– NSAR
–– Glukokortikoide
z z Einschätzung der Krankheitsaktivität 55Konventionell synthetische DMARDs
Für die Einschätzung der Aktivität der PsA (und (csDMARDs)
damit ebenso für die Bewertung des Ansprechens –– Methotrexat
einer Therapie) eignen sich im klinischen Alltag am –– Sulfasalazin
besten die Beurteilung des Gelenkstatus im Sinne –– Leflunomid
der Zahl der geschwollenen und druckschmerz- –– Ciclosporin A
haften Gelenke, die Messung der Lebensqualität, 55Biologika (biologisch originäre und
die Beurteilung von Daktylitis und axialem Befall, biosimiläre DMARDs – boDMARDs und
die Charakteristik des Hautbefalls und die Aktivi- bsDMARDs)
tät der Entzündungsparameter im Serum [47]. Der –– TNF-α-Blocker
DAS-28 (Disease Activity Score), der üblicherweise –– Adalimumab
zur Beurteilung der Krankheitsaktivität der rheu- –– Certolizumab
matoiden Arthritis verwendet wird, eignet sich bei –– Etanercept
der PsA als Messinstrument nur eingeschränkt, da –– Golimumab
nicht alle Charakteristika der Erkrankung erfasst –– Infliximab und bs Infliximab
werden [27]. Spezifische Scores zur Einschätzung –– IL-12/23-Hemmer
der Krankheitsaktivität sind der CPDAI (Compo- –– Ustekinumab
site Psoriatic Arthritis Disease Activity Index) [46] –– IL-17-Hemmer
und der DAPSA (Disease Activity Index for Psoria- –– Secukinumab
tic Arthritis). Beim DAPSA muss ein Gelenkstatus 55Zielgerichtete synthethische DMARDs
an 68 Gelenken erhoben werden. Außerdem wird die („targeted synthetic DMARDs“ – tsDMARDs)
Krankheitsaktivitätseinschätzung und das Schmerz- –– Phosphodiesterase(PDE)-4-Hemmer
empfinden des Patienten sowie das CRP mit einbe- –– Apremilast
zogen [69].
Nichtmedikamentöse Therapie
z Therapie 55Physikalische Therapie und Ergotherapie
Die Behandlung ist in erster Linie eine medikamen- 55Chirurgisch/orthopädisch
töse und richtet sich nach Befallsmuster und Ausprä- –– Gelenkerhaltend
gung. Die Prinzipien der Behandlung entsprechen –– Gelenkersatz
denen der rheumatoiden Arthritis und ankylosieren-
den Spondylitis. Man unterscheidet eine symptoma-
tische Therapie, die gegen Schmerz und Schwellung
verabreicht wird und eine Behandlung mit Basisthe- z z Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und
rapeutika (Disease Modyfing Antirheumatic Drugs, Glukokortikoide (GC)
DMARDs), die gegen das Fortschreiten der Gelenk- Bei mildem Krankheitsverlauf, insbesondere einem
erkrankung bzw. gegen die Gelenkzerstörung gerich- isolierten Befall distaler interphalangealer Gelenke
tet ist (7 Übersicht) [4], [17], [20], [27], [30], [32], ohne Zeichen einer Gelenkdestruktion, können
[40], [51]. alleine NSAR ausreichend sein. Wenn NSAR keinen
58 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

ausreichenden Erfolg zeigen, besonders bei aktivem oder einer geschätzten gomerulären Filtrationsrate
oligo- und polyartikulärem Verlauf, werden häufig (eGFR) <40 ml/min. Als weitere Kontraindikationen
GC systemisch oder intrartikulär verabreicht und für die Behandlung gelten vorbestehende Leberschä-
bewirken meist eine rasche Schmerzlinderung und den, bestehende Infektionen und eine Allergie gegen
Abschwellung peripherer Gelenke (vor allem auch die Substanz ebenso wie ein bestehender zeitnaher
zur Überbrückung bis zum Wirksamwerden einer Kinderwunsch.
3 Basistherapie). Steroide führen auch zu einer Besse-
rung des Hautbefalls, können aber nach Absetzen zu Sulfasalazin (SSZ)  SSZ (Salazopyrin) führt in einer
einer Exazerbation der kutanen Psoriasis führen; sie oralen Dosis von 2 g pro Tag nach einer einschlei-
haben keinen systemischen therapeutischen Effekt chenden Periode zu einer Besserung der Gelenk-
bei Befall des Achsenskeletts. situation, allerdings zu keiner Beeinflussung der
kutanen Psoriasis. Typische und häufige Nebenwir-
z z Konventionell synthetische kungen sind Kopfschmerz und Schwindel, Erhöhun-
Basistherapeutika (csDMARDs) gen der Leberfunktionsparameter und generalisierte
Exantheme.
Methotrexat (MTX)  MTX (z. B. Methotrexat Lederle, Regelmäßige klinische und Laborkontrollen zu
Ebetrexat, Lantarel) wird in einer Dosis von 10–25 mg Beginn in 2-wöchigen, dann in 8-wöchigen Abstän-
pro Woche, an einem Tag der Woche oral oder subku- den sind notwendig [19].
tan verabreicht und führt bei den meisten Patienten
nach 4–8 Wochen zu einer Besserung der Gelenk- Leflunomid (LEF)  LEF (Arava) wird erfolgreich zur
symptomatik und zu einer positiven Beeinflussung Behandlung der rheumatoiden Arthritis und der PsA
des Hautbefalls. Zusätzlich empfiehlt sich eine beglei- eingesetzt und bessert auch den psoriatischen Haut-
tende Folsäuresubstitution an 2 Tagen pro Woche, befall. Die Tagesdosis beträgt in der Regel 20 mg, sie
allerdings nicht am MTX-Einnahmetag, um das wird oral eingenommen und zeigt meist bereits nach
Risiko von Nebenwirkungen wie Stomatitis, Schleim- 4 Wochen eine therapeutische Wirkung. Aufgrund
hautulzera, Haarausfall und einer megaloblasteren hämatologischer und hepatotoxischer Nebenwir-
Anämie zu reduzieren. Auf unerwünschte hepatale kungen sind engmaschige klinische und laborche-
Wirkungen von MTX ist zu achten; eine Erhöhung mische Kontrollen notwendig (im ersten Behand-
der Transaminasen auf das Doppelte der Norm unter lungsmonat in wöchentlichen Abständen, dann alle
MTX kann toleriert werden. Ein Leberschaden vor 4 Wochen). Wegen einer teratogenen Wirkung und
Therapiebeginn ist auszuschließen, eine Alkohol- einer extrem langen Halbwertszeit muss Lefluno-
karenz wird empfohlen. Häufig wird am Einnah- mid 2 Jahre vor einer geplanten Schwangerschaft
metag und am Tag nach der Applikation über Übel- abgesetzt werden. Eine strenge Kontrazeption (bis 2
keit und Brechreiz geklagt. Leuko- und Thrombope- Jahre nach Therapie) muss gewährleistet sein. Kont-
nien sind selten; auf die äußerst seltene Pneumoni- raindikationen sind vorbestehende Hepatopathien,
tis unter MTX ist zu achten (Methotrexat-Lunge). schwere Immundefekte, bestehende Infektionen,
Fieber, Husten und Atemnot zwingen zu sofortigem eine höhergradige renale Funktionseinschränkung
Abbruch der Behandlung und unverzögerter fach- und ein Kinderwunsch.
ärztlicher Behandlung. Aufgrund einer potenziell
teratogenen Wirkung ist Methotrexat 3 Monate vor Ciclosporin (Cyclosporin A, CsA)  Ciclosporin (Sand-
einer Schwangerschaft abzusetzen. immun) ist sowohl bei der PsA als auch bei ausge-
Wegen möglicher Nebenwirkungen vor allem dehntem Hautbefall wirksam. Es wird initial in einer
zu Beginn der Behandlung ist die Therapie in den Dosis von 2,5 mg/kg Körpergewicht/Tag verabreicht
ersten 8–12 Wochen alle 2 Wochen, in der Folge alle und auf maximal 5 mg/kg Körpergewicht/Tag in
6–8 Wochen klinisch und serologisch zu überprüfen. Abhängigkeit von der Krankheitsaktivität gesteigert.
Bei eingeschränkter Nierenfunktion ist eine Renale Nebenwirkungen und eine potenzielle Erhö-
Dosisanpassung notwendig; MTX ist kontrain- hung des Blutdrucks limitieren die Anwendung [4],
diziert bei einem Serumkreatinin von >1,4 mg/dl [17], [20], [27], [55].
3.2 · Psoriasisarthritis (PsA)
59 3
z z Biologika (biologisch originäre und 300 mg als subkutane Injektion mit Startdosen in den
biosimiläre DMARDs – boDMARDs und Wochen 0, 1, 2 und 3, gefolgt von monatlichen Erhal-
bsDMARDs) tungsdosen beginnend ab Woche 4. Jede 300-mg-
Zur Behandlung der PsA sind folgende Biologika Dosis wird in Form von zwei subkutanen Injektionen
zugelassen: zu je 150 mg verabreicht. Bei allen anderen Patienten
beträgt die empfohlene Dosis 150 mg als subkutane
Infliximab  Infliximab (Remicade) ist ein chimärer, Injektion mit Startdosen in den Wochen 0, 1, 2 und
monoklonaler Antikörper (mit 25%igem Mausan- 3, gefolgt von monatlichen Erhaltungsdosen begin-
teil). Infliximab wird bei PsA als Infusion in der Dosis nend ab Woche 4.
von 5 mg pro kg Körpergewicht zu den Wochen 0, 2 Bei der PsA sind, wie bei der rheumatoiden Arth-
und 6 und danach alle 8 Wochen verabreicht. ritis, die Konzentrationen für proinflammatorische
Zytokine in der Synovialflüssigkeit erhöht. Daher
bs Infliximab  (Inflectra, Remsima) sind alle derzeit zugelassenen TNF-α-Blocker, Ada-
limumab, Certolizumab, Etanercept, Golimumab
Etanercept  Etanercept (Enbrel) ist ein humanes und Infliximab ähnlich gut wirksam.
Rezeptorfusionsprotein, das 2-mal pro Woche in Bei unzureichendem Ansprechen auf eine kon-
Form von 25 mg oder 1-mal pro Woche in einer ventionelle Basistherapie sollten zunächst TNF-Blo-
Dosis von 50 mg subkutan verabreicht wird. cker zum Einsatz kommen. IL-12/23-Hemmer (Uste-
kinumab) und IL-17-Hemmer (Secukinumab) sind
Adalimumab  Adalimumab (Humira) ist ein eine wirkungsvolle Behandlungsoption bei Patien-
humaner, monoklonaler Antikörper und wird alle 14 ten, bei denen TNF-Blocker kontraindiziert, unver-
Tage in einer Dosis von 40 mg subkutan verabreicht. träglich oder unwirksam sind. Umfangreiche Sicher-
heitsdaten fehlen allerdings noch.
Golimumab  Golimumab (Simponi) ist ein vollstän- Biologika wirken sowohl bei peripherer Arthri-
dig humaner monoklonaler Antikörper, der TNF-α tis als auch bei axialem Befall, ebenso bei Enthesi-
bindet. Der Antikörper wird einmal im Monat sub- tis und Daktylitis; zudem verbessern alle Biologika
kutan in Form von 50 mg appliziert. den Hautbefall (Ustekinumab sollte nach derzeitigem
Wissen bei vorwiegend axialer Symptomatik nicht
Certolizumab Pegol  Certolizumab Pegol (Cimzia) angewendet werden).
ist ein pegiliertes FAB-Fragment eines TNF-α-­ Bei einer PsA mit axialem Befall gelten die
Antikörpers. Die empfohlene Anfangsdosis beträgt Richtlinien der Verordnung wie bei ankylosieren-
400 mg in Woche 0, 2 und 4, gefolgt von 200 mg Cer- der Spondylitis.
tolizumab Pegol als Fertigspritze alle 2 Wochen (sub-
kutan verabreicht). Empfohlene Voruntersuchungen vor Anwendung
einer Biologika-Therapie  Über die üblichen kli-
Ustekinumab  Ustekinumab (Stelara) Anti-IL-12/ nisch-rheumatologischen Routineuntersuchungen
23-Antikörper. Es wird eine initiale Dosierung von hinaus muss ein infektiöser (einschließlich chro-
45 mg, die subkutan verabreicht wird, empfohlen, nisch-infektiöser) oder ein maligner Prozess (auch
gefolgt von einer 45-mg-Dosis 4 Wochen später und in der Anamnese) ausgeschlossen werden, da bei
dann alle 12 Wochen. Bei Patienten mit einem Kör- diesen Patienten ein TNF-Blocker nicht verabreicht
pergewicht >100 kg können alternativ 90 mg gegeben werden darf. Ebenso besteht eine Kontraindika-
werden. tion bei einer höhergradigen Herzinsuffizienz und
bei einer demyelinisierenden Erkrankung. Um das
Secukinumab  Secukinumab (Cosentyx) ist ein Risiko einer Reaktivierung einer Tuberkulose gering
Anti-IL-17A-Antikörper. Bei Patienten mit gleich- zu halten, sind eine gezielte Tbc-Anamnese, ein
zeitiger mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoria- Lungenröntgen und ein Quantiferon-Test oder ein
sis oder Patienten, die auf TNF-α-Inhibitoren unzu- Mendel-Mantoux-Test (wenn ein Quantiferon-Test
reichend ansprechen, beträgt die empfohlene Dosis nicht zur Verfügung steht) erforderlich. Klinische
60 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

Kontrollen sowie adäquate Laborkontrollen sollten bei Kontraindikation für einen TNF-α-Blocker auch
nach 1, 2 und 4 Monaten und dann 3-monatlich mit dem IL-12/23-Blocker Ustekinumab oder dem
erfolgen. Bei fieberhaften Zustandsbildern ist eine IL-17-Blocker Secukinumab oder mit dem PDE-4-
umgehende Kontaktaufnahme der Patienten mit Hemmer Apremilast.
dem behandelnden internistischen Rheumatologen Bei Umstellung auf einen TNF-α-Blocker, Uste-
oder einem mit dieser Therapie vertrauten Arzt not- kinumab, Secukinumab oder Apremilast ist die Fort-
3 wendig und ein Pausieren oder Absetzen des Biolo- führung der csDMARD-Therapie nicht unbedingt
gikums erforderlich [4], [17], [20], [27], [32], [40], notwendig.
[51], [54], [55]. Der Einsatz von TNF-α-Blockern als First-Line-
Therapie (also ohne vorangegangene csDMARD-
z z Zielgerichtete synthethische DMARDs Therapie) kann bei überwiegend axialer Beteiligung,
(„targeted synthetic DMARDs“ – tsDMARDs) bei Patientinnen mit aktiver Enthesitis oder Daktyli-
Der Posphodiesterase(PDE)-4-Hemmer Apremilast tis oder bei außergewöhnlich schwerer Krankheits-
(Otezla) hat vermutlich eine schwächere Wirkung aktivität erwogen werden.
auf die Gelenke als TNF-Blocker, zudem fehlen noch Bei Versagen eines TNF-α-Blockers sollte die
radiologische Langzeitdaten. Er sollte daher vorder- Behandlung bevorzugt mit einem anderen TNF-α-
gründig zum Einsatz kommen, wenn Biologika kon- Blocker erwogen werden. Ebenso kann auch eine
traindiziert, unverträglich oder unwirksam sind, Umstellung auf Ustekinumab, Secukinumab oder
ebenso wenn Patienten eine parenterale Behand- Apremilast erwogen werden
lung ablehnen. Der Einsatz von Apremilast kann Die Einstellung mit Basistherapeutika sollte
aber auch schon nach Versagen eines csDMARDs durch einen Facharzt für Innere Medizin mit Addi-
erwogen werden. tivfach Rheumatologie erfolgen. Im Abstand von 3–6
Dosierung und Applikation: Start in Ansteigen- Monaten sollten rheumatologische Kontrolluntersu-
der Dosierung über 5 Tage bis zu einer Dosis von chungen gemacht werden.
2-mal 30 mg per os täglich. Bei schwerer Nierenin- Bei vorwiegendem Hautbefall sollte eine enge
suffizienz (Kreatininclearence <30 ml/min) Maxi- Zusammenarbeit mit dem Dermatologen erfolgen.
maldosis 30 mg täglich per os [4], [20], [32], [54].

z z Therapiealgorithmus Fallbeispiel: Junger Mann mit Schmerzen


(In Anlehnung an die EULAR-Empfehlungen zum im Brustbereich
Management der PsA 2015 [32], [54]) Der 1987 geborene Techniker präsentierte
NSAR und intraartikuläre GC-Injektionen sich erstmals im Jahre 2006 mit unklaren
können bei PsA-Patienten mit geringer Gelenkbe- Brustschmerzen (im Bereich der Sternokos-
teiligung als First-Line-Therapie eingesetzt werden. talgelenke der 3. und 4. Rippe). Alleine durch
Bei ungünstigen prognostischen Faktoren (≥5 eine länger andauernde Behandlung mit NSAR
aktive Gelenke, hohe funktionelle Einschränkung konnten die Beschwerden gebessert werden.
bedingt durch Entzündung und Gelenkzerstörung, In weiterer Folge traten Schmerzen im
erhöhte Entzündungsparamater oder extraartikuläre Hüftgelenk auf, besonders bei sportlicher
Manifestation wie z. B. Daktylitis) sollte der früh- Betätigung, zudem fiel eine wurstförmige
zeitige Einsatz von konventionellen synthetischen Schwellung der 2. und 3. rechten Zehe auf. Beim
Basistherapeutika (csDMARD) wie MTX, LEF oder Vater des Patienten kam es vor vielen Jahren zu
SSZ erfolgen. einer mehrmonatigen, aber zeitlich limitierten
Bei aktiver PsA und relevanter Psoriasis ist ein Schwellung von 2 Gelenken der unteren
csDMARD zu bevorzugen, das auch positiv auf die Extremität (im Sinne einer reaktiven Arthritis).
Hautmanifestationen wirkt (z. B. MTX). Bei unserem Patienten konnte HLA-B27 nicht
Bei Versagen von mindestens einem csDMARD nachgewiesen werden. Es bestand keine
sollte innerhalb von 3–6 Monaten ein Therapiever- familiäre Psoriasisanamnese.
such bevorzugt mit einem TNF-α-Blocker erfolgen,
3.2 · Psoriasisarthritis (PsA)
61 3

Aufgrund einer hartnäckigen, therapie- Kommentar


resistenten Daktylitis der 2. und 3. Die anfänglich nicht zuzuordnenden
Zehe, der Hüftgelenkschmerzen und Schmerzen im Brustbereich, leichte
vorübergehender Beschwerden im Bereich Beschwerden im Hüftgelenk und die
eines Kiefergelenks wurde mit der Diagnose wurstförmige Schwellung von 2 Zehen waren
einer undifferenzierten Arthritis eine Sulfasala- bereits Symptome einer Arthritis im Rahmen
zin-Therapie eingeleitet, die aber wegen eines einer Schuppenflechte. Diese konnte bei
generalisierten Exanthems alsbald abgesetzt unserem Patienten erst nach Einsetzen der
werden musste. Gelenkbeschwerden nachgewiesen werden.
Bei einer neuerlichen Begutachtung des Die PsA kann der Hauterkrankung in seltenen
Patienten zeigte sich schließlich retroaurikulär Fällen vorausgehen. Gerade bei der Psoriasis
und auch in weiterer Folge an der Fußsohle sind Beteiligungen der sternokostalen
ein kleiner psoriasisformer Herd, sodass (bei Gelenkverbindungen und wurstförmige
fehlender Familienanamnese) die Diagnose Schwellungen von Zehengliedern typisch.
einer PsA gestellt wurde.
Eine Basistherapie mit MTX wurde initiiert,
vorübergehend aufgrund hartnäckiger
Beschwerden auch eine zeitlich limitierte
GC-Therapie, wodurch schließlich eine Fallbeispiel: 67-jähriger Patient mit Schup-
deutliche Besserung erreicht werden konnte. penflechte
Die Hüftgelenkbeschwerden sistierten, die Der Patient präsentierte sich vor ca. 10 Jahren
Daktylitis bildete sich bei einer Zehe komplett, erstmals bei einem Rheumatologen. Bei der
bei einer zweiten zumindest partiell zurück. Aufnahmeuntersuchung war eine Arthritis von
Der Patient konnte in der Folge die 2 Fingermittelgelenken auffällig, ansonsten
Schmerzmedikation absetzen und wieder mit zeigten sich keine Schwellungen. An den
dem Lauftraining beginnen. Schließlich kam Ellenbogen fielen psoriasiforme Effloreszenzen
es neuerlich unter MTX-Basistherapie zu einer auf. Eine Schuppenflechte war seit über 20
schmerzhaften Daktylitis der 2. und 3. rechten Jahren bekannt.
Zehe und zu Schmerzen im Hüftgelenk. Eine Er klagte damals schon seit 3 Jahren
lokale Steroidinstillation, bei klinischem wiederholt über Gelenkbeschwerden ohne
Hinweis auf Synovitis des Hüftgelenks (die anamnestisch erhebbare Schwellungen unter
apparativ in einer Kernspintomographie asymmetrischer Beteiligung von Finger-,
bestätigt wurde), brachte keine anhaltende Zehen-, Sprung- und Schultergelenken. Die
Besserung. Diagnose einer milden PsA mit oligoarth-
Die Situation wurde ausführlich mit dem ritischem Gelenkbefall wurde gestellt und der
Patienten besprochen und eine TNF-α-Therapie Patient aufgrund der geringen Synovitis ohne
vorgeschlagen. Der Patient hat prompt auf Beeinträchtigung der Lebensqualität alleine
die Biologika-Therapie angesprochen. Nach mit NSAR behandelt und eine Kontrolle in 3
6 Monaten wurden die Injektionsabstände Monaten vereinbart.
ausgedehnt und schließlich die Medikation Erst 7 Jahre später kam der Patient wiederum
abgesetzt. In der Folge kam es zu einem in unsere Ordination und klagte über
Wiederauftreten der Schuppenflechte und heftige Schmerzen und Schwellungen im
kurze Zeit später auch zu einer Gelenksym- Bereich zahlreicher Gelenke, ebenso über
ptomatik. Das Biologikum wurde daraufhin eine Schwellung der Achillessehne. Vom
wiederum verabreicht und der Patient ist Hausarzt hatte er eine intramuskuläre
unter einer halbierten Standarddosis in einer GC-Injektion bekommen, wodurch eine
anhaltenden Remission. vorübergehende Besserung eintrat. Aufgrund
62 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

einer polysynovitischen Gelenksymptomatik Kniegelenks, vorübergehend auch im linken


wurde die Einleitung einer Basistherapie mit Sprunggelenk. Eine 1996 durchgeführte
MTX initiiert und sogar in weiterer Folge eine Synovektomie im Kniegelenk führte zu keiner
Biologika-Therapie diskutiert. anhaltenden Besserung.
Der Patient war fortan in regelmäßiger Laborchemisch fand sich damals eine BSG
3 internistisch-rheumatologischer Kontrolle. von 36, ein negativer Rheumafaktor und
In den folgenden Monaten war er mit 20 mg antinukleäre Antikörper (ANA) 1∶320 mit
MTX pro Woche und nur gelegentlicher negativen Subsets. Es wurde zunächst
Einnahme von NSAR in einer alsbald äußerst eine undifferenzierte (Oligo-)Arthritis
stabilen klinischen Situation. Die synovitischen oder eine abortive Kollagenose diskutiert.
Schwellungen bildeten sich zurück. Fallweise Eine Basistherapie mit Salazopyrin wurde
klagte er über ein schmerzhaftes Fingergelenk. eingeleitet und nach einem Jahr bei
Nach einer 6-monatigen klinischen Remission anhaltender Schmerzfreiheit wieder beendet.
wurde schließlich die Basistherapie zunächst Im Jahre 1999 wurde die Patientin an einer
auf 15 mg MTX pro Woche reduziert und Augenabteilung wegen einer Uveitis stationär
dann abgesetzt. Innerhalb eines Jahres traten behandelt. Im Zuge dieses Aufenthaltes wurde
neuerlich typische Gelenkbeschwerden HLA-B27 nachgewiesen. Die Patientin war
auf und die Basistherapie wurde wiederum dann über Jahre beschwerdefrei und klagte
begonnen. Der Patient war in den folgenden erst wieder im Sommer 2007 über Schmerzen
Kontrollen unter einer MTX-Therapie mit und Schwellungen im Bereich des rechten
15 mg pro Woche beschwerdefrei. Es zeigten Ellbogengelenks sowie des rechten Knie- und
sich auch nach mehrjährigem Verlauf keine Sprunggelenks. Laborchemisch zeigte sich
radiologischen Zeichen einer Progression. eine BSG von 60 in der 1. Stunde und ein
Hämoglobin von 9,8 mg/dl. Eine gastroin-
testinale Abklärung zum Ausschluss einer
Blutungsanämie war unauffällig. Eine Anämie
Kommentar im Rahmen einer chronischen Entzündung
Der Fallbericht präsentiert eine PsA mit wurde postuliert. Eine Hauterkrankung war
vordergründig oligoarthritischem Gelenkbefall; nicht dokumentierbar, ebenso keine Hinweise
nur einmal trat eine mehrmonatige polyarth- eines entzündlichen Rückenschmerzes.
ritische Symptomatik auf. Die Erkrankung Nativradiologisch waren die Sakroilia-
kann als schubhaft mit beschwerdefreien kalgelenke unauffällig. Die Diagnose einer
oder symptomarmen Intervallen beschrieben undifferenzierten Spondyloarthritis wurde
werden. Es zeigte sich erfreulicherweise (und gestellt und zunächst eine Therapie mit
für den Verlauf nicht untypisch) keine klinische NSAR eingeleitet, wodurch es nur zu einer
und radiologisch dokumentierte Progredienz. mäßigen Besserung kam. Erst durch eine
perorale GC-Applikation konnte Beschwer-
defreiheit erreicht werden. Nach Absetzen
von Prednisolon kam es wieder zu einer
Fallbeispiel: Eine Patientin mit hartnäcki- synovitischen Schwellung beider Kniegelenke
gen Kniegelenkbeschwerden und des rechten Ellbogengelenks, sodass
Eine heute 43-jährige Frau kam erstmals bei mehr als 3-monatigem Verlauf eine
im Jahre 1998 zu einer rheumatologischen Basistherapie mit Salazopyrin und in der
Begutachtung. Sie klagte damals bereits Folge wegen unzureichender Wirksamkeit
seit mehr als 10 Jahren über wiederholte zusätzlich eine Behandlung mit MTX
Schmerzen und Schwellungen des linken eingeleitet wurde.
3.3 · Reaktive Arthritis
63 3

Auch unter dieser Kombinationstherapie kam Capillitium (die allerdings nicht von ärztlicher
es nur zu einer leidlichen Stabilisierung. Beide Seite dokumentiert wurden) und es wurde
Kniegelenke und das rechte Ellbogengelenk unter der Diagnose einer PsA (sine psoriase?)
waren weiterhin synovitisch geschwollen. nach Versagen von 2 Basistherapeutika eine
Radiologisch zeigte sich im linken Knie eine Biologika-Therapie eingeleitet. Diese Therapie
mäßige Gelenkspaltverschmälerung. Es war sehr erfolgreich und es konnte bereits
wurde in einem orthopädischen Konsilium die nach wenigen Injektionen eine Normalisierung
Synovektomie beider Kniegelenke diskutiert, der serologischen Entzündungsparameter und
aber schließlich auf Wunsch der Patientin nicht eine Rückbildung der Gelenkschwellungen
gemacht. erreicht werden. Die Patientin ist unter
Beim Bruder wurde vor einem Jahr eine regelmäßiger ärztlicher Kontrolle.
Schuppenflechte diagnostiziert und die
Patientin erinnerte sich bei neuerlicher
Exploration an einzelne, schuppende Herde am
Kopf in früheren Jahren.Es wurde schließlich 3.3 Reaktive Arthritis
unter der Diagnose einer PsA die Indikation zu
einer Biologika-Therapie gestellt. Bereits nach Die reaktive Arthritis (ReA) ist eine entzündliche
der 3. Injektion kam es zu einer deutlichen rheumatische Erkrankung und wird unter anderem
Besserung, die GC konnten komplett abgesetzt aufgrund der klinischen Erscheinungsform und der
werden, die Mobilität nahm zu und nach 6 Assoziation mit HLA-B27 den Spondyloarthritiden
Injektionen war die Patientin ausreichend zugeordnet.
mobil. Bis auf eine geringe Schwellung eines Die Pathogenese der ReA ist nicht vollständig
Kniegelenks war sie komplett beschwerdefrei. geklärt. Die Arthritis tritt wenige Tage bis mehrere
Sie fühlte sich erstmals seit langer Zeit in einer Wochen nach einem Harnwegsinfekt, einer Darm-
so stabilen Situation, dass sie im Sommer eine infektion oder seltener nach einem respiratorischen
Reise nach Südafrika buchte. Bezüglich der Infekt auf. Häufig verläuft der auslösende Infekt
Reise wurde die Patientin auch dahingehend asymptomatisch und das oligo- oder monoarthri-
beraten, dass unter einer Behandlung mit tische Krankheitsbild wird den undifferenzierten
MTX und/oder Biologika Lebendimpfstoffe Arthritiden zugeordnet [68].
kontraindiziert sind und daher Reisen in Die wichtigsten Ursachen einer ReA sind uroge-
Länder, für die eine Gelbfieber-Impfung nitale Infekte mit Chlamydia trachomatis, intestinale
(Lebendimpfstoff ) vorgeschrieben sind, nicht Infekte durch Enterobakterien wie Yersinien, Salmo-
gemacht werden dürfen. Daher wurde die nellen, Champylobacter jejuni oder Shigellen sowie
Reiseroute entsprechend angepasst. Infekte der Atemwege mit Chlamydia pneumoniae.
Ob auch die Borreliose den reaktiven Arthritiden
zugeordnet werden soll, wird kontrovers diskutiert.
Man nimmt an, dass die Erreger nicht nur an der
Kommentar Eintrittspforte, sondern nach einer kurz dauernden
Bei unserer Patientin liegt retrospektiv Bakteriämie auch in den betroffenen Gelenken int-
seit mehren Jahrzehnten eine Erkrankung razellulär persistieren und nicht vom Wirtsorganis-
aus dem Formenkreis der Spondyloar- mus eliminiert werden können. Als Hinweis für eine
thritiden vor. Von 1999 bis 2007 war sie Erregerpersistenz gilt der intraartikuäre Nachweis
beschwerdefrei. Schließlich konnte beim von bakterienspezifischer DNA oder RNA-Frag-
Bruder eine Schuppenflechte evaluiert menten mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR)
werden. Auch die Patientin berichtete über bei Patienten mit ReA. Für die Routinediagnostik
vorübergehende schuppende Herde am sind diese Untersuchungen allerdings nicht verfüg-
bar [13], [14], [34], [37].
64 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

Es handelt sich meist um eine asymmetrische eine sichere Diagnose ist dadurch in der Regel aber
Mono- bis Oligoarthritis unter Bevorzugung der nicht möglich.
unteren Extremitäten. Eine Polyarthritis ist selten. Der alleinige Nachweis von (niedrigtitrigen)
Eine Beteiligung des Achsenskeletts im Sinne einer antibakteriellen Immunglobulin(Ig)G-Antikörpern
Sakroiliitis ist möglich, ebenso extraartikuläre Mani- weist auf eine (länger) zurückliegende Infektion hin,
festationen wie eine Uveitis oder Enthesitis. antibakterielle IgM-Antikörper sind nur in der Früh-
3 Die Kombination von Arthritis, Urethritis und phase der Infektion in den ersten 2–3 Wochen nach-
Konjunktivitis wurde früher als Reiter-Syndrom weisbar. Der kombinierte Nachweis von IgM- und
bezeichnet und gilt als besondere Verlaufsform IgG-Antikörpern kann auf eine aktuelle bzw. kurz
einer ReA. Im angelsächsischen Sprachraum wurde zurückliegende Infektion hinweisen, ebenso wird
der Begriff Reiter-Syndrom bis vor wenigen Jahren der Nachweis von IgA- und IgG-Antikörpern häufig
auch als Synonym für eine ReA verwendet [13], [14]. als indirekter Hinweis auf eine persistierende Infek-
Die mittlere Krankheitsdauer beträgt 3–12 tion gewertet. Hohe Titer von IgG-Antikörpern und
Monate. Bei 40–70% der Erkrankten ist HLA-B27 ein Titeranstieg um das 3-Fache innerhalb von 2–3
nachweisbar. Prolongierte und chronische Verläufe Wochen sprechen für eine floride oder kurz zurück-
sind bei HLA-B27-positiven Patienten häufiger. liegende Infektion
Arthralgien sind auch nach Remission der Arth- Die größte Bedeutung für die Diagnose hat eine
ritis oft noch über Monate nachweisbar. Ein chro- typische Klinik in Kombination mit einem urogeni-
nischer Verlauf mit einer Beschwerdesymptoma- talen oder enteritischen Infekt.
tik über 12 Monate wird bei 20% der Betroffenen Differenzialdiagnostisch sollten vor allem eine
beobachtet. septische Arthritis, eine andere Erkrankung aus dem
Formenkreis der Spondyloarthritiden, Kristallarth-
z Diagnostik ropathien, ein Morbus Behçet oder eine atypische
Die Diagnose einer ReA ergibt sich aus der klini- rheumatoide Arthritis ausgeschlossen werden [13],
schen Symptomatik mit Arthritis im Gefolge einer [34], [37], [68], [73].
vorausgegangenen bakteriellen Infektion und aus
einem direkten oder indirekten Erregernachweis. z Therapie
Eine alleinige Serologie hat nur einen begrenzten Die Behandlung der Arthritis erfolgt durch eine
Stellenwert. Der Nachweis von HLA-B27 ist für die regelmäßige und ausreichende Gabe von NSAR. In
Diagnose hilfreich. Eine gesicherte Diagnose ist nur therapieresistenten Fällen kann eine systemische
durch einen Direktnachweis des Erregers möglich. oder intraartikuläre Therapie mit GC notwendig
Ein kultureller Nachweis pathogener Keime im sein.
Stuhl gilt als Beweis einer Infektion; die Wahrschein- Eine antibiotische Therapie der postenteritischen
lichkeit eines positiven Ergebnisses nimmt aber ab ReA ist ohne gesicherten Effekt.
dem Zeitpunkt des Sistierens der Durchfälle stark ab. Bei urogenitalem Nachweis von Chlamydia tra-
Ein direkter Nachweis von Chlamydia tracho- chomatis ist stets eine Antibiotika-Therapie ein-
matis kann aus der ersten Portion des Morgenurins schließlich einer Partnerbehandlung indiziert.
oder aus der Synovialflüssigkeit mittels PCR erfolgen. Dies kann durch eine Doxicyclin-Behandlung mit
Da aber ein vorangegangener Infekt aus der Ana- 200 mg/Tag über 10 Tage erfolgen oder durch Azi-
mnese oft nicht erhebbar oder eine Durchfallerkran- thromycin 500 mg/Tag an 3 aufeinander folgenden
kung bei Auftreten der Arthritis schon abgeklungen Tagen.
ist, muss der Nachweis der Infektiologie indirekt über Ob eine langfristige Antibiotika-Behandlung den
serologische Methoden erfolgen. Eine serologische Verlauf einer von Chlamydien induzierten Arthritis
Erregerdiagnostik ist aber nur dann sinnvoll, wenn beeinflusst, wird widersprüchlich beurteilt und ist
das klinische Bild mit einer gewissen Wahrschein- weiterhin Gegenstand aktueller Forschung.
lichkeit eine ReA vermuten lässt. Bei mehr als 6-monatigem Verlauf mit Beteili-
Sofern die Anamnese auf eine ReA hinweist, gung mehrerer Gelenke und entsprechender ent-
können serologische Untersuchungen hilfreich sein; zündlicher Aktivität ist ein Therapieversuch mit
3.4 · Enteropathische Arthritiden
65 3
Sulfasalazin in Form von 2 g/Tag gerechtfertigt. In
schweren therapieresistenten Fällen wurden Metho- Eine symptomorientierte antiphlogistische
trexat und Azathioprin eingesetzt, wenngleich mit Behandlung führte zu einer Besserung, jedoch
diesen Medikamenten für die Therapie der ReA zu keiner Beschwerdefreiheit. Eine GC-Therapie
kaum Daten vorliegen [13], [68], [71]. mit 25 mg Prednisolon täglich in langsam
fallender Dosierung wurde eingeleitet.
Dadurch konnte schließlich eine Stabilisierung
Fallbeispiel: 27-jähriger Mann mit und nach 2 Wochen eine deutliche Besserung,
Durchfall wenn auch noch keine Beschwerdefreiheit
Ein 27-jähriger Mann wurde wegen einer erreicht werden. Eine Basistherapie mit
fieberhaften Erkrankung mit Durchfall stationär Sulfasalazin wurde erwogen.
aufgenommen. In der Anamnese wurde über
eine Diarrhö mit bis zu 10 Stuhlentleerungen
während des Tages und während der Nacht
über einen Zeitraum von 2 Wochen berichtet. Kommentar
Die Symptome begannen bereits während Aufgrund der typischen Klinik, der Durchfall-
eines Auslandsaufenthaltes im südlichen anamnese, des positiven Erregernachweises
Europa. Die Durchfälle besserten sich schon und des Auftretens einer oligoarthritischen
vor der Aufnahme, die Adynamie nahm aber asymmetrischen Gelenksymptomatik der
deutlich zu. Durch eine symptomatische unteren Extremitäten kann die Diagnose einer
Behandlung, Flüssigkeitsbilanzierung und eine ReA gestellt werden.
Antibiotika-Gabe mit Ciprofloxacin stabilisierte Im beschriebenen Fall ist von einer besonders
sich das Zustandsbild und die Durchfälle ausgeprägten Reaktion auszugehen. Mit einem
sistierten. Der Patient konnte nach einer limitierten, aber doch mehrmonatigen Verlauf
Woche wieder aus der stationären Behandlung kann gerechnet werden.
entlassen werden. Wenige Tage später kam es Sollte sich nach dem Ausschleichen bzw.
zum Auftreten von Gelenkschmerzen, zunächst Absetzen der GC die Situation wieder
im Bereich der 2. rechten Zehe, in der Folge signifikant verschlechtern, ist die Einleitung
zu einer massiven Schwellung des rechten einer Basistherapie mit Sulfasalazin
Sprunggelenks und des linken Kniegelenks. gerechtfertigt und notwendig; ebenso bei
Am Abend wurden erhöhte Temperaturen einem protrahierten Verlauf über 6 Monate
über 38°C registriert. Der Patient wurde mit hinaus.
der Diagnose einer ReA neuerlich stationär Da die Durchfallepisode bereits zum Zeitpunkt
aufgenommen. In den Stuhlkulturen, die bereits des ersten Krankenhausaufenthalts sistierte,
beim ersten Krankenhausaufenthalt angelegt ist insbesondere hinsichtlich der Gelenksym-
wurden, waren Salmonellen nachweisbar. ptomatik eine neuerliche Antibiose nicht
Es gab keine ähnliche Symptomatik in der sinnvoll.
Vorgeschichte des Patienten; ebenso wurden
keine Erkrankungen der Haut oder der
Augen angegeben. Die Familienanamnese
bezüglich einer Gelenkerkrankung oder 3.4 Enteropathische
eines entzündlichen Rückenschmerzes war Arthritiden(Arthritiden bei
unauffällig. Laborchemisch zeigten sich die chronisch entzündlichen
Entzündungsparameter deutlich erhöht, Darmerkrankungen)
die Rheumafaktoren und Antikörper gegen
zyklische citrullinierte Peptide (CCP) waren Die Prävalenz der Colitis ulcerosa beträgt in der
negativ, HLA-B27 war nachweisbar. westlichen Welt 238 pro 100.000 Einwohner, die
des Morbus Crohn 201 pro 100.000 Einwohner.
66 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

Die Häufigkeit einer peripheren Gelenkbeteiligung Typ-1-Arthropathie  Die etwas häufigere Typ-1-­
wird in der Literatur unterschiedlich angegeben und Arthropathie ist charakterisiert durch einen Befall von
dürfte sich bei Colitis ulcerosa zwischen 4 und 11%, weniger als 5 Gelenken, am häufigsten ist das Knie-
bei Morbus Crohn zwischen 11 und 21% bewegen. gelenk betroffen. Der Verlauf ist typischerweise akut
Die Gelenkentzündungen treten mehrheitlich und selbstlimitierend, dauert in der Regel weniger als
nach Manifestation einer chronisch entzündlichen 10 Wochen und geht oft mit einem Schub der Grund-
3 Darmerkrankung (CED) auf. krankheit einher. Diese Oligoarthritis kommt häufig
Bei etwa 25% der Patienten treten eine oder mit anderen extraintestinalen Manifestationen vor.
mehrere extraintestinale Manifestationen auf. Es sind
vor allem die Haut, die Gelenke, die Augen und das Typ-2-Arthropathie  Die Typ-2-Arthropathie zeigt
Gallengangsystem betroffen [29], [36], [56]. einen polyartikulären Befall, vor allem der Finger-
grundgelenke, mit einer Symptomatik über Monate
z Pathogenese bis Jahre und verläuft unabhängig von einer Grund-
Obwohl die Mechanismen der Zusammenhänge zwi- krankheit. Der polyartikuläre Typ ist mit einer
schen Darm und Gelenken nach wie vor ungeklärt Uveitis, aber keinen anderen extraintestinalen Mani-
sind, gibt es immer mehr Daten, die eine pathogene festationen assoziiert [48].
Rolle des Darms bei einer großen Zahl von Spondyl- Die Häufigkeit einer axialen Beteiligung wird
oarthritiden nahelegen, auch bei solchen Erkrankun- mit 5–12% angegeben und ist klinisch durch einen
gen, die keine gastrointestinalen Symptome aufwei- Gesäß- oder Brustschmerz gekennzeichnet. Die
sen. Durch endoskopische Untersuchungen konnte Symptomatik am Achsenskelett ist unabhängig von
bei 65% der Patienten mit Spondyloarthritis (SpA) der Aktivität der Darmerkrankung. CED sind nicht
und nur bei 3% der Kontrollgruppe eine nicht mit mit HLA-B27 assoziiert, bei gleichzeitigem Auftreten
klinischen gastrointestinalen Symptomen einherge- von CED und HLA-B27 besteht jedoch ein deutlich
hende Darmentzündung nachgewiesen werden. Die höheres Risiko für die Entwicklung eines entzünd-
Inzidenz chronisch entzündlicher Darmerkrankun- lichen Wirbelsäulenbefalls (Sakroiliitis).
gen war bei SpA deutlich höher als bei einer gesun- Krankheitsspezifische laborchemische Befunde
den Population [29], [44]. fehlen; in Abhängigkeit von der Krankheitsaktivi-
Die Ätiologie der enteropathischen Spondyloar- tät (der Gelenke und der Darmerkrankung) sind die
thritiden ist noch nicht geklärt. Üblicherweise sind serologischen Entzündungsparameter erhöht.
bei Gesunden die T-Lymphozyten der Darmwand Radiologisch finden sich nur selten erosive
gegenüber autonomer Darmflora tolerant. Bei CED Gelenkveränderungen. Bei chronischem Verlauf
werden eine Proliferation spezifischer T-Lymphozy- kann es fallweise zu Erosionen vor allem an den
ten als Reaktion auf Bakterien der autologen Flora metatarsophalangealen Gelenken kommen.
und eine konsekutive Freisetzung von Zytokinen dis-
kutiert. Dadurch wird die Toleranz gegenüber auto- z Therapie
loger Darmflora gebrochen. In der Folge kommt es zu Als symptomatische Therapie werden Analgetika
einem Anstieg der Darmpermeabilität und zu einer und NSAR verwendet. NSAR sind insbesondere
Antigenämie. bei axialer Beteiligung gut wirksam, können jedoch
Als Folge einer durch Entzündung geschädigten eine Verschlechterung bzw. einen Schub einer Kolitis
Darmwand könnten zirkulierende Bakterien-Pro- auslösen.
dukte in die Synovialflüssigkeit gelangen. Alternativ Systemische GC haben eine gute Wirkung zur
könnten auch aus der Darmwand aktivierte T-Lym- Beeinflussung der entzündlichen Aktivität der
phozyten in die Synovia eintreten. Darmerkrankung und einer peripheren Arthritis,
zeigen aber kaum einen Effekt bei einer Sakroiliitis.
z Symptomatik Bei schwereren Verlaufsformen wird in erster
Die enteropathische periphere Arthritis wird in Linie Sulfasalazin in Form von 2–3 g/Tag eingesetzt
2 Typen unterteilt (Klassifikation nach Orchard (kontrollierte Studien fehlen), das gleichzeitig auch
et al. [48]). bei Colitis ulcerosa wirksam ist [29], [56], [76].
3.6 · Undifferenzierte Spondyloarthritis (uSpA)
67 3
3.5 Arthritis bei glutensensitiver
Enteropathie Radiologisch zeigten sich im Bereich der
Fingergelenke keine pathologischen
Die Zöliakie oder glutensensitive Enteropathie ist die Veränderungen, insbesondere keine Usuren.
Folge einer immunologischen Gluten-Unverträg- In einer in der Folge – aufgrund der Anämie
lichkeit und ist charakterisiert durch eine Atrophie und der unklaren abdominellen Symptome –
der Dünndarmschleimhaut im Sinne einer Zotten- durchgeführten gastrointestinalen
abflachung und mit typischen Symptomen der Mal- Untersuchung ergab die Endoskopie eine
absorption und Maldigestion einhergehend. totale Zottenatrophie und es wurde die
Oft sind nur sehr diskrete Zeichen wie unklare Diagnose einer Zöliakie gestellt. Die Patientin
dyspeptische Symptome oder eine Eisenmangelan- wurde unter einer glutenfreien Diät rasch
ämie nachweisbar. beschwerdefrei. Meteorismus, Müdigkeit,
Zu den extraintestinalen Symptomen gehört aber auch die Gelenkschmerzen bildeten sich
neben einer Dermatitis herpetiformis und einer IgA- vollständig zurück. Das Blutbild normalisierte
Nephritis eine Arthropathie. sich; eine initial im Sinne einer Osteopenie
Die Arthritis ist selten, aber möglicherweise häu- verminderte Knochendichte zeigte unter einer
figer als früher angenommen und präsentiert sich als konsequenten Kalzium- und Vitamin-D-Gabe,
nichterosive symmetrische Polyarthritis oder Oligo- bei einer Kontrolle nach 2 Jahren, eine
arthritis unter Betonung der großen Gelenke. Besserung.
Sie wird nicht den Spondyloarthritiden
zugeordnet.
Unter einer glutenfreien Diät sistieren die
Gelenksymptome und die Veränderungen der
Darmschleimhaut [29], [43]. Kommentar
Die Zöliakie oder glutensensitive Sprue
wird auch oft erst im Erwachsenenalter
diagnostiziert. Die Therapie ist eine
Fallbeispiel: 45-jährige Bäuerin mit lebenslange glutenfreie Kost. Symmetrische
Schmerzen und Schwellungen von Finger- Schwellungen der Fingergrund- und
gelenken Mittelgelenke, ähnlich einer rheumatoiden
Die Patientin berichtete über symmetrische Arthritis, sind seltene, aber mögliche
Schwellungen und Schmerzen der Erscheinungsformen einer Zöliakie.
Fingergelenke seit einigen Monaten. Zudem
wurde über Müdigkeit, rasche Erschöpfung
bei körperlichen Belastungen, Blähungen und
Stuhlunregelmäßigkeiten geklagt. 3.6 Undifferenzierte
Bei der Untersuchung zeigte sich eine leichte Spondyloarthritis (uSpA)
symmetrische Synovitis der MCP-Gelenke,
mit positivem Gaenslen-Handgriff. Bei einer uSpA zeigen sich typische Symptome eines
Ein blasses Hautkolorit war auffällig, entzündlichen Rückenschmerzes, einer peripheren
ansonsten ein unauffälliger Status und Arthritis und möglicherweise weniger häufig einer
Ernährungszustand. Enthesiopathie, ohne dass eine sichere Zuordnung
Im Labor präsentierte sich eine mäßig erhöhte zu einer bestimmten Form einer Spondyloarthri-
BSG (27 in der ersten Stunde) sowie eine tis möglich ist. Häufig handelt es sich um eine noch
hypochrome Anämie (Hämoglobin 9,1 mg/dl). nicht sicher definierte Frühform oder um abortive
Verlaufe [23], [41], [81].
68 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

(Historisches) Fallbeispiel: Litt J. F. Kennedy wurden in Röntgenaufnahmen der Lendenwir-


unter entzündlichen Rückenschmerzen? belsäule deutliche „Risse“ in Wirbelknochen
Präsident John F. Kennedy (JFK) war einer der beschrieben. Bereits im Jahre 1938 wurde
bedeutendsten amerikanischen Präsidenten allerdings in Aufzeichnungen erwähnt, dass
des 20. Jahrhunderts. Obwohl er nur über der damals 21-Jährige Schmerzen im rechten
3 rund 1000 Tage die Geschicke der Welt Sakroiliakalgelenk verspürte, die im Laufe der
(mit-)bestimmte, war sein Einfluss auf die Zeit an Intensität zunahmen.
nachfolgenden Jahrzehnte und auf mehr als Bei einem jungen Mann mit hartnäckigen
eine Generation von Menschen enorm. Nur und therapieresistenten Kreuzschmerzen und
wenige wussten, dass er seit seiner Jugend fast einer Anamnese einer langjährigen Kolitis
immer krank war. könnte man da aus heutiger Sicht nicht an
Anlässlich eines Besuchs in England im Jahr eine Erkrankung aus dem Formenkreis der
1947 brach er mit Übelkeit, Erbrechen und Spondyloarthritiden denken? Würde man
extrem niedrigem Blutdruck zusammen und bei einer Magnetresonanztomographie
musste in einem lebensbedrohlichen Zustand nicht Veränderungen im Sinne einer
in eine Londoner Klinik gebracht werden, wo Sakroiliitis erwarten? Leider standen damals
ein Morbus Addison diagnostiziert wurde, die apparativen und laborchemischen
eine Insuffizienz der Nebennierenrinde. Möglichkeiten, die für uns heute, 70 Jahre
Dadurch mussten fortan und lebenslänglich später, zur Routinediagnostik gehören, nicht
Nebennierenrinden-Hormone täglich ersetzt zur Verfügung.
werden. Eine mögliche Ursache dieses Trotz seiner Leiden, insbesondere seiner
Versagens war eine langsame Schrumpfung chronischen Wirbelsäulenbeschwerden, war er
der Nebenniere (d. h. eine sekundäre Form) während seiner Zeit als Senator und Präsident,
durch eine über viele Jahre notwendige, entsprechend aller Aufzeichnungen, in seinen
teilweise hoch dosierte Einnahme von Leistungen und seiner Entscheidungsfähigkeit
Nebennierenextrakten und Kortison. Seit nicht beeinträchtigt. Durch sein persönliches
seinem 17. Lebensjahr litt John F. Kennedy an Vorbild, sein verantwortungsbewusstes und
einer chronischen Darmentzündung. Viele, opferbereites Handeln prägte er entscheidend
oft mehrwöchige Krankenhausaufenthalte an den Aufbruch in die zweite Hälfte des 20.
verschiedenen renommierten amerikanischen Jahrhunderts [22], [50].
Spitälern kennzeichneten seine Schul- und
Studentenzeit.
Bereits während seiner Studentenzeit
klagte er immer wieder über heftige und Fallbeispiel: Ein 37-jähriger Mann mit
anhaltende Kreuzschmerzen, die auch Symptomen eines entzündlichen Rücken-
zahlreiche Krankenhausaufenthalte und schmerzes1
mehrere operative Eingriffe erforderten. Die Ein 37-jähriger Patient wurde von seinem
ihn bis zu seinem allzu frühen Tode plagenden Hausarzt mit der Verdachtsdiagnose einer
Kreuzbeschwerden wurden teilweise als axialen Spondyloarthritis (axSpA) in eine
Nebenwirkung einer damals noch nicht exakt Spezialambulanz überwiesen.
dosierbaren hohen Nebennierenrinden- bzw. Der Patient stammt aus Südosteuropa und
Steroidhormongabe zur Behandlung der lebt seit vielen Jahren mit seiner Familie in
chronischen Darmerkrankung diskutiert. Dies Österreich.
führte möglicherweise zu einer frühzeitigen
Osteoporose und entsprechend der Literatur
„Schwächung“ der Wirbelsäule. Im Jahre 1951 1 Unter Mitarbeit von Antonia Puchner.
3.6 · Undifferenzierte Spondyloarthritis (uSpA)
69 3

Aufgrund seiner Beschwerden suchte der sowie ein Gamma-Interferon-Release


Patient bereits einen praktischen Arzt und Assay (IGRA) und ein Lungenröntgen
mehrere Notfallambulanzen auf. Es wurde initiiert.
der Verdacht eines Ischiassyndroms geäußert Bei negativem IGRA und unauffälligem
und eine intravenöse Therapie mit NSAR Lungenröntgen wurde in den Blutkulturen
eingeleitet. Unter dieser Therapie kam es Brucella melitensis nachgewiesen, sodass
zunächst zu einer deutlichen Besserung der die Diagnose einer bakteriellen ISG-Arthritis
Symptomatik. Die Beschwerden kehrten durch Brucella melitensis (Maltafieber) gestellt
jedoch nach Absetzen wieder zurück, wurde. In der Folge wurde noch mittels
sodass der Patient selbständig eine MRT transthorakaler Echokardiographie eine
vereinbarte. Endokarditis ausgeschlossen.
Am Tag der Erstvorstellung in einer Nach genauer Befragung des Patienten stellte
Rheumaambulanz berichtete der Patient über sich heraus, dass er sich zur Silvesterfeier,
tiefsitzende Rückenschmerzen seit mehreren einige Monate vor Krankheitsbeginn, in
Monaten mit Ausstrahlung in den rechten seinem ursprünglichen Heimatdorf
Oberschenkel, sowohl in Ruhe als auch aufgehalten hatte. Der Patient dürfte sich
unter Belastung. Zusätzlich traten nächtliche dort über den Verzehr von rohem Ziegenkäse
Schweißausbrüche und wiederholt subfebrile aus dem familieneigenen Betrieb infiziert
Temperaturen auf. haben.
In der körperlichen Untersuchung ergaben Es wurde eine antimikrobielle Therapie mit
sich keine Hinweise für eine Arthritis, Doxycyclin und Gentamicin eingeleitet. Im
Enthesitis, Daktylitis, Uveitis oder Hautverän- Anschluss an die Gentamycin-Gabe, nach
derungen im Sinne einer Psoriasis vulgaris. insgesamt 10 Tagen Therapie, erhielt der
Die laborchemische Diagnostik zeigte keinen Patient eine Behandlung mit Ciprofloxacin
Hinweis für eine systemische Entzündung, das und Doxycyclin. Zusätzlich wurde eine
CRP und die Blutsenkungsgeschwindigkeit analgetische und antiinflammatorische
waren im Normbereich, das HLA-B27 war Therapie mit Lornoxicam in Kombination mit
negativ. einem Protonenpumpenhemmer angeordnet.
Die MRT ergab jedoch das Bild eines Das klinische Bild verbesserte sich zunehmend.
Knochenmarködems im Bereich des rechten Die Schmerzsymptomatik ließ bereits nach 10
IliosakraIgelenks (ISG) im Sinne einer aktiven Tagen nach.
Sakroiliitis (. Abb. 3.4). Auffallend waren Nach insgesamt 3 Monaten Therapie mit
zusätzlich eine anteriore Kapsulitis im Bereich Doxycyclin und Ciprofloacin erfolgte eine
des rechten ISG sowie eine ödematöse MRT-Kontrolle. Die Untersuchung ergab keine
Umgebungsreaktion im Bereich der Verbesserung des Knochenmarködems, sodass
lumbosakralen Muskulatur (. Abb. 3.5). die Therapie fortgeführt wurde. Allerdings
Aufgrund des Verdachts auf axSpA bei seit entwickelte der Patient unter der Therapie
Längerem bestehendem Rückenschmerz eine Gastritis mit massiver Übelkeit, weshalb
und aktiver Sakroiilitis in der Bildgebung die antibiotische Therapie nach insgesamt
wurde differenzialdiagnostisch bei einseitiger 14-wöchiger Behandlung und subjektiv
Sakroiliitis und subfebrilen Temperaturen in deutlicher Besserung beendet wurde.
erster Linie an eine bakterielle Genese gedacht. Schließlich zeigte sich 10 Monate nach
Zum Ausschluss einer infektiösen Sakroiliitis Therapiebeginn in einer neuerlichen MRT eine
wurden daher Blutkulturen abgenommen vollständige Remission.
70 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden

Rückenschmerz, einer Sakroiliitis in der


Bildgebung und einem Ansprechen auf
NSAR die ASAS-Klassifikationskriterien
knapp erreicht [65], [67]. Hätte unser
Patient zusätzlich ein erhöhtes CRP in der
3 Labordiagnostik aufgewiesen, was bei einer
Infektion mit Brucella melitensis denkbar wäre,
hätte er die Kriterien definitiv erfüllt.
Für die frühe Diagnose der axSpA ist
die MRT die Bildgebung der Wahl. Es
können aktive, entzündliche Läsionen
im Bereich der Iliosakralgelenke oder
der Wirbelsäule nachgewiesen werden,
auch wenn im konventionellen Röntgen
. Abb. 3.4  Sakroiliitis des rechten IliosakraIgelenks. (Aus noch keine Veränderungen sichtbar sind.
[51], mit freundlicher Genehmigung) Nach ASAS/Omeract-Kriterien wird das
Knochenmarködem als hyperintenses
Signal in der STIR-Sequenz dargestellt [64].
Das Knochenmarködem ist der wichtigste
Indikator für eine aktive Sakroiliitis, kann aber
auch bei anderen Pathologien vorkommen.
Am schwierigsten ist die Abgrenzung zur
infektiösen Sakroiliitis, die in der akuten Phase
auch oft zu einem hyperintensen bilateralen
Knochenmarködem führen kann. In einem
späteren Stadium können sogar Erosionen und
eine Ankylose des Iliosakralgelenkes auftreten.
Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zur
axSpA in der MRT ist die Überschreitung von
. Abb. 3.5  Ödem in der angrenzenden lumbosakralen anatomischen Grenzen wie z. B. in unserem
Muskulatur. (Aus [51], mit freundlicher Genehmigung) Fall ein Ödem oder Abszess im angrenzenden
Weichteilgewebe [70].
Wie in unserem Fallbericht dargestellt, ist die
Kommentar infektiöse Sakroiliitis eine wichtige und oft
Das Leitsymptom der axSpA ist der schwierige Differenzialdiagnose zur axSPA
entzündliche Rückenschmerz. Die und sollte vor Beginn einer Therapie immer
Herausforderung in der Praxis besteht darin, ausgeschlossen werden.
aus der großen Zahl von Patienten mit Die Brucellose ist eine weltweit verbreitete,
chronischen Rückenschmerzen die Patienten meldepflichtige Zoonose, die durch
mit axSpA herauszufiltern. Es ist daher wichtig, eine Infektion mit der Gattung Brucella
besonders bei jüngeren Patienten unter erworben wird. Brucellen sind gramnegative,
45 Jahren mit seit Monaten bestehenden anaerobe Stäbchenbakterien, bekannte
Rückenschmerzen differenzialdiagnostisch an humanpathogene Vertreter sind Brucella
diese Erkrankung zu denken. meltensis (Maltafieber) und Brucella abortus
In diesem Fall hatte der Patient mit einem (Morbus Bang). Die Übertragung von
über mehr als 3 Monate bestehendem Brucella melitensis auf den Menschen erfolgt
Literatur
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durch den Genuss von nichtpasteurisierten
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Inkubationszeit ist sehr variabel und beträgt MRI. J Rheumatol 23:2107–2115
durchschnittlich 4 Monate. Die meisten [7] Brandt J, Listing J, Haibel H et al. (2005) Long-term effi-
Infektionen verlaufen subklinisch (90%), cacy and safety of etanercept after readministration in
patients with active ankylosing spondylitis. Rheumato-
selten führen sie zu undulierendem Fieber,
logy 44:342–348
Schweißausbrüchen und Hepatomegalie. Die [8] Braun J, Sieper J (2006) Spondyloarthritiden. Z Rheuma-
häufigste Organmanifestation ist der Befall von tol 65:613–632
Knochen und Gelenken, insbesondere in Form [9] Braun J, Brandt J, Listing J et al. (2002) Treatment of acti-
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75 4

Kollagenosen
Rudolf Puchner, Judith Sautner

4.1 Systemischer Lupus erythematodes (SLE) – 76


4.1.1 Antiphospholipid-Syndrom (APS) – 80

4.2 Sjögren-Syndrom – 81

4.3 Systemische Sklerose (SSc) – 85

4.4 Raynaud-Phänomen – 90

4.5 Idiopathische Myositiden – 90

4.6 Mixed Connective Tissue Disease (MCTD,


Sharp-Syndrom) – 93

Literatur – 94

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_4
76 Kapitel 4 · Kollagenosen

Der Begriff Kollagenosen wurde von Klemperer z Symptomatik


unter der Vorstellung geprägt, dass diesen Erkran-
kungen generalisierte Veränderungen des Binde- z z Haut- und Schleimhautveränderungen
gewebes zugrunde liegen. Der Begriff Kollagenose Unterschiedlichste Hauterscheinungen sind typisch.
(im Englischen „connective tissue disease“) hat sich Diagnostisch richtungweisend ist eine Photosensi-
erhalten, obwohl man heute weiß, dass das Kollagen bilität, die bei etwa 50% der Patienten auftritt. Der
bei dieser Krankheitsgruppe weder strukturell noch charakteristische Hautausschlag ist das schmetter-
biochemisch verändert ist. Es sind systemische Auto- lingförmige Erythem mit Rötung und fühlbarer Infil-
4 immunerkrankungen, die vor allem durch das Vor- tration im Wangenbereich und über dem Nasenrü-
handensein von antinukleären Antikörpern (ANA) cken, das aber nur bei ca. 30% der Patienten, meist
gekennzeichnet sind. im aktiven Zeitraum, auftritt.
Dazu gehören systemischer Lupus erythemato- Besondere Erscheinungsformen sind der sub-
des (SLE), die Mischkollagenose (Mixed Connective akut-kutane LE, und der diskoide LE – meist ohne
Tissue Disease MCTD, Sharp-Syndrom), die syste- systemische Krankheitszeichen und gekennzeich-
mische Sklerose, das Sjögren-Syndrom und die Der- net durch polyzyklische, konfluierende Erytheme
matomyositis/Polymyositis [58]. an sonnenexponierten Arealen, vor allem im Schul-
ter- und Nackenbereich. Der diskoide LE mani-
festiert sich durch scharf begrenzte, scheibenför-
4.1 Systemischer Lupus mige („diskoide“) Hautveränderungen, die tastbar
erythematodes (SLE) verdickt sind und ebenfalls an sonnenexponierten
Stellen auftreten.
Der SLE ist eine Multisystemerkrankung, die vor Ein diffuser, meist reversibler Haarausfall wird
allem jüngere Frauen betrifft. Die Erkrankung ist häufig beobachtet.
gekennzeichnet durch unterschiedliche klinische Vaskulitische Veränderungen an den Fingern,
Symptome, potenziellen Befall mehrerer Organ- einhergehend mit einer Raynaud-Symptomatik
systeme und einen variablen Verlauf. Arthritis und werden vor allem bei Patienten mit positiven RNP-
Hautmanifestationen sind die häufigsten klinischen Antikörpern beobachtet.
Erscheinungsformen, renale, hämatologische und
neurologische Beteiligungen tragen zu einer erheb- z z Muskel- und Gelenkbeteiligung
lichen Verschlechterung der Prognose bei, ebenso Fast alle an einem SLE Erkrankten entwickeln im
vermehrte Infektionen und eine frühzeitig einset- Verlauf der Erkrankung Gelenk- und Muskelbe-
zende Arteriosklerose. Die Prävalenz der Erkran- schwerden im Sinne von Arthralgien, Arthritiden
kung wird in Deutschland mit 20–50/100.000, die und Myalgien. Die Arthritiden sind oft symmet-
Inzidenz mit 5/100.000 Neuerkrankungen pro Jahr risch im Bereich der Hand- und Fingergelenke und
angegeben. Damit ist sie im deutschsprachigen Raum anfangs oft schwer von einer rheumatoiden Arth-
die häufigste Bindegewebserkrankung. ritis zu unterscheiden (. Abb. 4.1). In fortgeschrit-
Die Ätiologie ist weitgehend ungeklärt. Geneti- tenen Fällen können sich selten Deformitäten (vor
sche Faktoren und Umwelteinflüsse wie UV-Licht allem durch Kapsel/Bandläsionen) entwickeln, die
spielen eine Rolle. Ebenso sind hormonelle Fakto- zu funktionellen Einschränkungen führen (Jaccoud-
ren von Bedeutung. Am häufigsten sind Frauen im Arthropathie). Die Arthritis ist aber typischerweise
gebärfähigen Alter betroffen und nicht selten ist die nicht erosiv oder destruktiv.
Erkrankung nach der Menopause rückläufig. Eine Komplikationen wie die aseptische Knochenne-
Sonderform stellt der medikamenteninduzierte krose, bevorzugt an den Hüftgelenken, sowie eine
Lupus dar, den verschiedene Substanzen auslösen Osteoporose, können durch einen sparsamen Gluko-
können (meist positive Histon-Antikörper) [4]. kortikoid(GC)-Gebrauch verringert werden.
4.1 · Systemischer Lupus erythematodes (SLE)
77 4
. Abb. 4.1  Arthritis der
Fingergrund- und Mittelgelenke des
2. und 3. Fingers der rechten Hand
bei SLE

z z Kardiale Beteiligung chronischen Nierenversagens ist die frühzeitige Dia-


Die klassische kardiale Beteiligung, die aseptische gnose. Hinweise für eine Lupus-Nephritis sind eine
Endokarditis Libman-Sacks ist selten, ebenso eine Proteinurie und Erythrozyturie mit dysmorphen
Myo- und Perikarditis. Eine Hauptkomplikation, vor Erythrozyten und Zylindern im Harnsediment.
allem nach längerer Krankheitsdauer, stellt die früh-
zeitige Arteriosklerose dar. SLE-Patientinnen haben z z Nervensystem
häufig auch erhöhte Blutfettwerte, was einen weiteren 15–50% der Patienten erfahren eine ZNS-Beteili-
kardiovaskulären Risikofaktor darstellt. gung, die beim SLE klinisch sehr unterschiedlich
in Erscheinung treten kann und daher oft schwer
z z Pulmonale Beteiligung zu diagnostizieren ist. Die Unterscheidung, ob psy-
Etwa jeder zweite Patient mit SLE entwickelt im Laufe chische Auffälligkeiten eines Patienten eine direkte
der Erkrankung eine Beteiligung der Lunge. Die häu- Folge der Erkrankung oder durch eine (Steroid-)
figste Manifestation ist die Pleuritis (40–60%). Sehr Medikation bedingt sind, ist im Einzelfall nicht
selten, aber oft dramatisch tritt die akute Lupus- leicht zu treffen. Beispiele neurologischer Manifes-
Pneumonitis auf. Bei Beteiligung der Lunge ist immer tationen sind Psychosen, Depressionen oder Epilep-
die Abgrenzung von einer bakteriellen Infektion im sien. Auch Neuropathien treten im Rahmen eines
Sinne einer Pneumonie notwendig. SLE auf, sowohl an Hirnnerven als auch am periphe-
ren Nervensystem.
z z Hämatologische Veränderungen Extreme Müdigkeit („Fatigue“) ist ebenfalls ein
Eine autoimmun-hämolytische Anämie, eine Trom- Symptom des SLE. [26]
bozytopenie und eine Leukopenie gehören zu den
Klassifikationskriterien des SLE; vor allem eine Leu- z Diagnostik
kopenie ist nicht selten richtungweisend. Die Diagnose beruht auf richtungweisenden kli-
nischen Symptomen und laborchemischen Befun-
z z Niere den, die sehr unterschiedlich ausgeprägt vorhanden
Bis zu 50% der Patienten entwickeln eine Nieren- sein können. Einzelne beweisende Befunde fehlen.
beteiligung. Entscheidend für die Prävention eines Das hat zur Erstellung der Klassifikationskriterien
78 Kapitel 4 · Kollagenosen

des American College of Rheumatology (ACR)


geführt [53], die 1997 revidiert wurden [28]. Defi- SLICC-Klassifikationskriterien (Systemic
nitionsgemäß müssen 4 von 11 Kriterien für die Lupus International Collaborating Clinics)
Diagnose nachweisbar sein (7 Übersicht). 2012 [40]
hat die Systemic Lupus International Collaborating 55Klinische Kriterien
Clinics (SLICC-) Gruppe die ACR-Kriterien über- –– Akut kutaner LE (inkl.
arbeitet und validiert und gleichnamige Klassifi- Schmetterlingserythem)
kationskriterien (keine Diagnosekriterien!) erstellt –– Chronisch kutaner LE (z. B. lokalisierter
4 (7 Übersicht), im Hinblick auf verbesserte klinische oder generalisierter diskoider LE)
Relevanz. [40]. Derzeit werden beide Klassifikations- –– Orale Ulzera (an Gaumen und/oder Nase)
kriterien häufig parallel angewandt. –– Nichtvernarbende Alopezie
–– Synovitis (≥2 Gelenke) oder
Druckschmerz (≥2 Gelenke) und
Morgensteifigkeit (≥30 min)
Kriterien für die Klassifikation des syste- –– Serositis (Pleuritis oder perikardiale
mischen Lupus erythematodes (nach den Schmerzen, die länger als einen Tag
Klassifikationskriterien des ACR 1982, anhalten)
Revision 1997) [28] –– Nierenbeteiligung (Proteinurie >0,5 g/Tag)
 1. Schmetterlingserythem –– Neurologische Beteiligung (z. B. Epilepsie,
  2. Diskoides Erythem Psychose, Myelitis)
 3. Photosensibilität –– Hämolytische Anämie
 4. Schleimhautulzera –– Leukopenie (<4000/μl) oder
 5. Arthritis Lymphopenie (<1000/μl)
 6. Serositis –– Thrombozytopenie (<100.000/μl)
 7. Glomerulonephritis 55Immunologische Kriterien
  8. Neurologische Symptome –– Antinukleäre-Antkörper(ANA)-Titer-
  9. Hämatologische Befunde: hämolytische Erhöhung
Anämie (mit Vermehrung der –– Anti-dsDNA-Antikörper
Retikulozyten) oder mindestens 2-mal –– Anti-Sm-Antikörper
Nachweis einer Leukopenie (<4000/mm3) –– Antiphospholipid-Antikörper
oder Lymphopenie (<1500/mm3) oder (Antikardiolipin- und Anti-β2-
Thrombopenie (<100.000/mm3) Glykoprotein-I-Antikörper,
10. Immunologische Veränderungen: Anti-ds- falsch-positiver VDRL[Venereal Disease
DNA-Antikörper oder Anti-Sm-Antikörper Research Laboratory]-Test)
oder Antiphospholipid-Antikörper (für –– Erniedrigtes Komplement (C3, C4 oder
mindestens 6 Monate): Antikardiolipin- CH50)
Antikörper Typ Immunglobulin(Ig)G oder –– Direkter Coombs-Test (ohne
IgM oder positiver Test für Lupus-­ hämolytische Anämie)
Antikoagulans oder eine falsch-positive
Lues-Reaktion Für eine Klassifizierung als SLE sind 4
11. Antinukleäre Antikörper Kriterien (mindestens 1 klinisches und 1
immunologisches) erforderlich oder die
Zur Diagnose müssen 4 von 11 Kriterien histologische Diagnose einer Lupus-Nephritis
gleichzeitig oder nacheinander nachweisbar bei positiven ANA- oder positiven
sein. dsDNA-Antiköpern.
4.1 · Systemischer Lupus erythematodes (SLE)
79 4
Gerade zu Beginn der Erkrankung können einzelne Antimalariamittel  Bei Gelenkbeschwerden und
spezifische Symptome noch fehlen, aber die (Ver- Hautbeteiligungen stellen Antimalariamittel die
dachts-)Diagnose kann trotzdem gestellt werden wesentliche Säule der Behandlung des SLE dar. Diese
[28], [52] werden aber auch zur Schubprävention eingesetzt.
Zur Verfügung stehen Chloroquin 250-mg-­
z z Laborbefunde Tabletten (z. B. Resochin, Dosierung 1-mal 1/Tag)
Als Screeningtest eignet sich in der Diagnostik der und Hydroxychloroquin 200-mg-Tabletten (z. B.
Nachweis von ANA in der Immunfluoreszenz. Die Quensyl oder Plaquenil, Dosierung 1- bis 2-mal 1/
Höhe des ANA-Titers korreliert nicht mit der kli- Tag adaptiert an die Körpergröße bzw. das Idealge-
nischen Aktivität. Von Bedeutung für den Krank- wicht). Mit einem Wirkungseintritt ist meist nicht
heitsverlauf sind unter den extrahierbaren nukleä- vor 3 Monaten zu rechnen. Unter dieser Behandlung
ren Antigenen (ENA, ANA-Subsets) insbesondere sind 4- bis 6-monatige augenfachärztliche Kontrollen
die dsDNA-Antikörper. Ansteigende Konzent- wegen möglicher retinaler Ablagerungen notwendig.
rationen deuten auf eine Verschlechterung des
Krankheitsverlaufs hin, ein Absinken in der Regel Glukokortikoide  GC sind in der Behandlung des
auf ein Ansprechen der Behandlung. Außerdem SLE unverzichtbar. In Schubsituationen ist eine kurz-
können unter den ENA die Sm- und Nukleosomen-­ fristige höher dosierte Steroidtherapie notwendig.
Antikörper positiv sein. Üblicherweise korreliert das Bei längerfristiger Behandlung sollte aber eine täg-
C-­reaktive Protein (CRP) im Gegensatz zur Blut- liche GC-Dosis von 7,5–10 mg Prednisolon nicht
senkungsreaktion (BSG) nicht mit der Krankheits- überschritten werden, immer unter begleitender
aktivität. Ein hohes CRP deutet in der Regel auf eine Kalzium- und Vitamin-D-Substitution.
Infektionskomplikation. Eine Komplementernied-
rigung (vor allem C3, aber auch C4 bzw. CH50) Immunsuppressiva  Die Indikation für eine immun-
weist auf eine hohe SLE-Aktivität hin. Ein positiver suppressive Therapie ist gegeben, wenn trotz Antima-
Coombs-Test, erhöhte Laktatdehydrogenase (LDH) lariamittel eine persistierende Aktivität des SLE, ein
und erniedrigtes Haptoglobin sind Marker für eine GC-Bedarf über 7,5 mg/Tag und/oder eine Organ-
autoimmunhämolytische Anämie im Rahmen des beteiligung vorliegt. Mittel der ersten Wahl ist übli-
SLE. [4], [12] cherweise Azathioprin (z. B. Imurek, Immunoprin).
Methotrexat (z. B. Methotrexat Lederle, Ebe-
z Therapie trexat, Lantarel) zeigt einen guten Effekt auf Haut-
Die Behandlung des SLE setzt sich zusammen aus der und Gelenkbeteiligung und auf die Krankheitsak-
Vermeidung von schubauslösenden Faktoren und tivität generell („Off-label-Indikation“) Eine aktive
einer medikamentösen, der Aktivität der Krank- ZNS-Beteiligung oder eine diffus proliferative Glo-
heit angepassten Behandlung. Vor jeder immun- merulonephritis wird meist mit Cyclophosphamid
suppressiven Behandlung muss eine Infektion aus- (CYC) (z. B. Endoxan) behandelt. Prinzipiell wird
geschlossen werden. Einen Schub der Erkrankung heute eine CYC-Therapie (zur Induktion) wegen
können insbesondere eine UV-Bestrahlung, Infek- des geringeren Risikos von Nebenwirkungen und
tionen, Medikamente (wie Hormone und Sulfona- des beschleunigten Ansprechens als intravenöse
mide) sowie auch physischer und psychischer Stress Bolustherapie (750–1000 mg/m2 Körperoberfläche)
auslösen [6], [19]. verabreicht. Potenzielle Nebenwirkungen sind eine
Leukopenie, ein erhöhtes Risiko für maligne Erkran-
z z Medikamentöse Therapie kungen und ein vorzeitiger Verlust der Eierstock-
funktion. Dem soll mit der Gabe von Gonadotropin-
NSAR  Bei Arthralgien und Myalgien sind nichtste- Releasing-Hormon(GnRH)-Analoga als Ovarschutz
roidale Antirheumatika (NSAR) Therapie der ersten vor Beginn der CYC-Therapie vorgebeugt werden
Wahl. [4], [6], [19].
80 Kapitel 4 · Kollagenosen

Mycophenolat-Mofetil (MMF) (z. B. CellCept) SLE nachzuweisen. [52]. Sie sind mit einem erhöh-
und auch Azathioprin werden in der Folge einer ten Risiko von Aborten und arteriellen und venösen
CYC-Therapie oder bei weniger schweren Organ- Thrombosen assoziiert. Zusätzlich sind eine Livedo
manifestationen eingesetzt. Regelmäßige Kontrollen racemosa und eine Thrombozytopenie typisch. Tiefe
von Blutbild (ausgeprägte Leukopenien können auf- Beinvenenthrombosen sind die häufigste lokalisierte
treten) und Transaminasen sind notwendig. MMF Ursache beim APS. Naturgemäß sind Patientinnen
führt vereinzelt zu Diarrhöen und zu einer Enteri- mit einem APS häufiger von Schwangerschaftskom-
tis. Eine Indikation für MMF besteht in der Induk- plikationen betroffen. Von einem Antiphospholipid-
4 tion bei Patienten, die CYC nicht tolerieren, in der Syndrom spricht man erst beim Auftreten typischer
Erhaltungstherapie bei Unwirksamkeit von Azathio- Symptome (7 Übersicht). Der alleinige Nachweis
prin oder bei Nierenbeteiligung. MMF ist aber nach von Antikörpern ist nicht behandlungsbedürftig.
wie vor eine Off-label-Indikation) [6], [7], [19], [25]. Eine entsprechende Observanz ist aber in jedem Fall
Es gibt zunehmende Evidenz für den Einsatz von notwendig [37], [52].
Rituximab gerade bei schweren und aktiven Verläu-
fen des SLE [46].
Im Juli 2011 wurde Belimumab (Benlysta) als Klassifikationskriterien für das
Zusatztherapie zu der laufenden Immunsuppression Antiphospholipid-Syndrom [37]
bei Erwachsenen mit aktivem autoantikörper-posi- 55Klinisch:
tivem SLE mit hoher Krankheitsaktivität trotz Stan- 1. Eine oder mehrere eindeutige venöse
dardtherapie zugelassen [6], [38]. oder arterielle Thrombosen
2. Schwangerschaftskomplikationen
z Prognose a. Sonst ungeklärter Tod eines normal
Die Prognose des SLE hat sich in den letzten Jahr- entwickelten Feten ab der 10.
zehnten durch eine frühere Diagnose und eine Schwangerschaftswoche (SSW)
gezielte Therapie entscheidend verbessert. Die b. Eine oder mehr Frühgeburten
10-Jahres-Überlebensrate beträgt 85–90%. In frühen vor der 34. SSW aufgrund einer
Erkrankungsjahren versterben Patienten meist an Eklampsie, Präeklampsie oder
den Folgen der Krankheitsaktivität oder einer Infek- Plazentainsuffizienz
tion, später an den Folgen einer frühzeitig einsetzen- c. 3 und mehr Aborte vor der 10. SSW
den Arteriosklerose. ohne chromosomale, anatomische
Eine Schwangerschaft sollte zu einem Zeitpunkt oder hormonelle Ursachen
möglichst geringer Krankheitsaktivität geplant und 55Serologisch:
in Zentren betreut werden [3], [6]. 3. Mittelhohe (>40 IE) bzw. hohe (>99.
Perzentile des Labortests) Titer von IgG-
oder IgM-aCL
4.1.1 Antiphospholipid-Syndrom 4. IgG- oder IgM-β2-Glykoprotein I (>99.
(APS) Perzentile des Labortests)
5. Positiver LA-Test nach internationalen
Das APS ist gekennzeichnet durch eine vermehrte Richtlinien (z. B. mit Bestätigungstest)
Thromboseneigung und den Nachweis von erhöh-
ten Antiphospholipid-Antikörpern (Antikardio- Ein APS wird angenommen, wenn mindestens
lipin-Antikörper [aCL] und Antikörper gegen 1 klinisches und 1 serologisches Kriterium
β2-Glykoprotein I) oder einem Lupus-Antikoagu- vorliegen. Ein serologischer Test wird erst
lans (LA). Wenn es alleine auftritt, spricht man von dann gewertet, wenn er mindestens 2-mal
einem primären APS, in Kombination mit einem im Abstand von mindestens 3 Monaten
SLE von einem sekundären APS [52]. Es ist eine eindeutig positiv war. Mehr als 5 Jahre vor
wichtige Ursache einer erworbenen Hyperkoagula- einem klinischen Ereignis durchgeführte
bilität. Frauen sind häufiger als Männer betroffen. Testergebnisse werden nicht berücksichtigt.
Antiphospholipid-Antikörper sind in 20–40% beim
4.2 · Sjögren-Syndrom
81 4
z Therapie
Die Behandlung akuter thromboembolischer Ereig- Es wurde eine Therapie mit Chloroquin
nisse unterscheidet sich nicht von der Therapie von eingeleitet, parallel dazu wurden zusätzlich
Thrombosepatienten ohne APS. Wichtig ist eine Pro- zunächst GC peroral gegeben, die wiederum
phylaxe, um weitere Ereignisse zu vermeiden. Eine langsam ausgeschlichen werden konnten.
Immunsuppression hat keinen Einfluss auf die Rate Nach ca. 3 Monaten war die Patientin von
thromboembolischer Komplikationen. Zur Prophy- Gelenkseite beschwerdefrei, das Fieber
laxe des APS sind Thrombozytenaggregationshem- bildete sich unmittelbar nach Einleitung der
mer, Heparine und Vitamin-K-Antagonisten unter- medikamentösen Behandlung zurück und
sucht [52]. Behandlung und Prophylaxe sollten sie plante wiederum einen Entwicklungs-
in Zusammenarbeit mit spezialisierten Zentren hilfeeinsatz in Afrika. Chloroquin wurde
erfolgen. unter regelmäßigen augenfachärztlichen
Kontrollen und guter Verträglichkeit weiter
eingenommen. Auf einen konsequenten
Fallbeispiel: 27-jährige Entwicklungshelfe- Sonnenschutz wurde die Patientin
rin mit Fieber und Gelenkbeschwerden hingewiesen.
Eine 27-jährige Entwicklungshelferin kehrte
von einem zweijährigen Ostafrikaaufenthalt
zurück. Bereits während des Aufenthaltes
berichtete sie mehrmals über Fieberschübe,
vorübergehende unklare Hautausschläge, Kommentar
vor allem an lichtexponierten Stellen und Entsprechend den Klassifikationskriterien
fallweise Gelenkschmerzen ohne eindeutige (6/11 zutreffend) wurde die Diagnose
Schwellungen. Da sich die Beschwerden eines SLE gestellt (Schmetterlingserythem,
innerhalb von Tagen bis Wochen wiederum Photosensibilität, Arthritis, positive ANA,
besserten und zurückbildeten, interpretierte positive Anti-Sm-Antikörper, Leukopenie). Eine
sie selbst die Symptomatik im Sinne Nierenbeteiligung konnte nicht nachgewiesen
wiederholter unspezifischer Infektionen in werden.
den Tropen. Ein neuerlicher Fieberschub Die Erkrankung kann am Anfang von einer
wurde unmittelbar nach der Rückkehr Infektionskrankheit manchmal schwer
als Infekt im Rahmen des „Reisestresses“ zu unterscheiden sein. Hilfreich ist die
dem Klimawechsel zugeschrieben. Eine Bestimmung von CRP, das bei aktivem SLE
Untersuchung auf Malaria war negativ. Da üblicherweise nicht erhöht ist. Ein Anstieg
sich aber das Allgemeinbefinden in der Folge muss an eine Infektion denken lassen. Vor jeder
über Wochen nicht besserte und zunehmende immunsuppressiven Therapie sowie auch bei
Gelenkbeschwerden, einhergehend mit jedem Fieberanstieg ist bei SLE eine Infektion
Schwellungen der Fingergrund- und auszuschließen.
Fingermittelgelenke auftraten, suchte sie
den Arzt auf. Ein zusätzlicher schmetterlings-
förmiger Hautausschlag im Gesicht führte
bereits vor Kenntnis der durchgeführten
Blutuntersuchung zur Verdachtsdiagnose eines 4.2 Sjögren-Syndrom
SLE. Die Blutuntersuchung ergab eine deutlich
erhöhte BSG, eine mäßige Leukopenie (2800/ Das Sjögren-Syndrom ist eine Autoimmunerkran-
mm3) sowie den Nachweis von ANA von 1:1600 kung der exokrinen Drüsen mit den Leitsympto-
und positive Anti-Sm-Antikörper. Das übrige men Keratokonjunktivitis und Stomatitis sicca
Laborprofil war im Normbereich. Anti-dsDNA- und ist in seiner primären und sekundären Form
Antikörper waren nicht nachweisbar. eine der häufigsten entzündlich rheumatischen
Erkrankungen.
82 Kapitel 4 · Kollagenosen

Es wird ein primäres Sjögren-Syndrom bei z Diagnostik


Fehlen einer anderen Grundkrankheit von einem Die Diagnose des Sjögren-Syndroms ergibt sich aus
sekundären Sjögren-Syndrom bei gleichzeitiger den Symptomen einer Sicca-Symptomatik mit einer
Anwesenheit einer anderen Autoimmunerkran- Mindestdauer von 3 Monaten, dem objektiven Nach-
kung unterschieden. Zur Klassifikation werden am weis einer eingeschränkten Drüsenfunktion, dem
häufigsten die europäisch-amerikanischen Krite- histologischen Nachweis fokaler Lymphozytenin-
rien verwendet (7 Übersicht in 7 Abschn. „Diag- filtrate und den spezifischen Antikörpern gegen Ro
nostik“) [55]. (SS-A) und La (SS-B).
4 Angaben zur Prävalenz sind unterschiedlich Diagnosekriterien gibt es nicht. Zur Diagnose
und schwanken zwischen 0,1–4,8%. Die Prävalenz werden aber häufig die amerikanisch-europäischen
beträgt in Deutschland 0,5–1% der Bevölkerung. Klassifikationskriterien verwendet (7 Übersicht).
Frauen sind im Verhältnis von 9:1 deutlich häufiger Der Nachweis von 4 von 6 Kriterien erlaubt die Dia-
betroffen [56]. Die Diagnose wird häufig zwischen gnose. Andere Ursachen eines Sicca-Syndroms wie
dem 50. und 60. Lebensjahr gestellt, wobei retros- z. B. Medikamente, ein Zustand nach Bestrahlung
pektiv oft schon eine mehrjährige Sicca-Symptoma- etc. müssen ausgeschlossen werden.
tik nachweisbar ist.
Die Ätiologie der Erkrankung ist nicht geklärt.
Auf der Basis einer genetischen und hormonellen
Disposition könnten exogene Pathogene (wie z. B. Europäisch-amerikanische Klassifikations-
Viren), die nach einer Infektion nur unzureichend kriterien des Sjögren-Syndroms [55]
eliminiert wurden, das Immunsystem im Drüsen- 1. Augensymptome: eine positive Antwort
gewebe durch Induktion einer Autoimmunantwort auf eine der folgenden 3 Fragen:
aktivieren. Dies führt letztendlich zu einer autoim- a. Hatten Sie in den letzten 3 Monaten
munen persistierenden „Epithelitis“ mit Lympho- täglich anhaltend trockene Augen?
zyteninfiltraten in den Drüsengeweben [11], [16], b. Haben Sie wiederholt Sandkorn- oder
[17], [20]. Fremdkörpergefühl in den Augen?
c. Verwenden Sie häufiger als dreimal
z Symptomatik täglich Tränenersatzflüssigkeit?
Neben der Sicca-Symptomatik mit Mund- und 2. Orale Symptome: eine positive Antwort
Augentrockenheit sind Arthralgien und Myalgien auf mindestens eine der Fragen:
sowie Müdigkeit und Abgeschlagenheit typische d. Hatten Sie in den letzten 3 Monaten
Symptome. täglich das Gefühl des trockenen
Eine Schwellung der Parotis, aber auch der Sub- Mundes?
mandibularisdrüsen ist üblicherweise bilateral und e. Hatten Sie im Erwachsenenalter
indolent und oft über längere Zeit persistierend. wiederholt oder anhaltend
Auch eine reduzierte Sekretion der Drüsen des Gas- Speicheldrüsenschwellungen?
trointestinaltraktes, des Genitaltraktes und der Haut f. Trinken Sie häufig, um trockene Speisen
wird nicht selten beobachtet. Ein Teil der Patienten hinunterschlucken zu können?
klagt auch über eine Raynaud-Symptomatik. Neben 3. Augenbefunde: mindestens ein positiver
Arthralgien können auch (nichterosive) Arthritiden Test:
auftreten. g. Schirmer-Test <5 mm/5 min
Auch schwere Verläufe mit extraglandulären h. Rose-Bengalen-Score pathologisch
Beteiligungen sind möglich. Typische Organma- (≥4 van-Bijsterfeld-Score)
nifestationen sind interstitielle Infiltrationen der 4. Histopathologie (Befund durch Experten):
Lunge, eine Beteiligung der Nieren sowie ein Befall Nachweis eines Fokus-Scores ≥1 in
des zentralen und peripheren Nervensystems [11], einer kleinen Speicheldrüse (dabei ist
[20], [51].
4.2 · Sjögren-Syndrom
83 4

ein Fokus als ein Konglomerat von 50 Klassifikationskriterien des Sjögren-


mononukleären Zellen definiert; die Syndroms des American College of
Anzahl der Foci innerhalb von 4 mm2 Rheumatology [50]
glandulären Gewebes ergeben den 1. Nachweis von Antikörpern gegen SS-A
sogenannten Fokus-Score) (Ro) und/oder SS-B (La) oder Nachweis von
5. Speicheldrüsenbefunde: Der objektive Rheumafaktor und ANA-Titer ≥1:320
Nachweis der Speicheldrüsenbeteiligung 2. Biopsie aus Speicheldrüsen der Unterlippe
ist definiert durch mindestens einen mit einem Score von mindestens 1
positiven Befund bei den folgenden Focus/4 mm2
Untersuchungen: 3. Keratoconjunctivitis sicca mit einem Score
i. Speicheldrüsenszintigraphie der Hornhautfärbung von mindestens 3
j. Parotissialographie
k. Unstimulierter Speichelfluss Mindestens 2 der 3 Befunde müssen vorliegen.
(≤1,5 ml/10 min)
6. Autoantikörper: serologischer Nachweis
eines oder beider Autoantikörper Ro (SS-A)
z Verlauf und Prognose
und/oder La (SS-B)
Die Lebenserwartung ist im Vergleich zur Allgemein-
Klassifikationsprinzipien: bevölkerung üblicherweise nicht vermindert. Aus-
55Primäres Sjögren-Syndrom nahmen bilden Patienten, bei denen schwere Organ-
–– 4 von 6 Kriterien müssen erfüllt sein, manifestationen oder ein Lymphom auftreten [57].
sofern entweder das Kriterium 4
(Histologie) oder 6 (Autoantikörper) z Therapie
erfüllt ist Da die Patienten vordergründig unter den Trocken-
–– Vorhandensein von 3 der 4 objektiven heitssymptomen leiden, besteht die primäre Behand-
Kriterien (3–6) lung in einer Substitutionstherapie im Sinne von
55Sekundäres Sjögren-Syndrom Speichel- und Tränenersatzflüssigkeiten. Zudem
–– Bei assoziierter Erkrankung, wenn stehen gegen die Mund- und Rachentrockenheit auch
Kriterium 1 oder 2 sowie 2 der objektiven orale Cholinergika (z. B. Pilocarpin, Salagen) zur Ver-
Kriterien 3–5 erfüllt sind fügung [55]. Reichliches Trinken von zuckerfreien
Getränken über den Tag verteilt ist notwendig und
Ausschlusskriterien: Zustand nach empfehlenswert. Ein regelmäßiges und angepasstes
Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich, Hepatitis C, körperliches Training ist in jedem Fall von Vorteil.
AIDS, vorbestehendes Lymphom, Sarkoidose, Die klinische Wirksamkeit von Basistherapeutika
Graft-versus-Host-Reaktion, Einnahme ist beim Sjögren-Syndrom nicht belegt. Antimalaria-
anticholinerger Medikamente mittel haben sich bei Gelenk- und Muskelbeschwer-
den bewährt, ebenso wie GC für Schubsituationen.
Wenn rezidivierende Arthritiden im Vordergrund
stehen, orientiert man sich an der Behandlung der
Im Jahr 2012 wurden vom American College of rheumatoiden Arthritis (obwohl diese Basisthera-
Rheumatology (ACR) ebenfalls Klassifikationskri- peutika prinzipiell nicht zur Behandlung des Sjög-
terien für das Sjögren–Syndrom publiziert [50]. In ren-Syndroms zugelassen sind); bei speziellen
den ACR-Kriterien (7 Übersicht) wird ganz auf die Organmanifestationen an der Behandlung des sys-
subjektiven Symptome verzichtet, was erleichtert, ein temischen Lupus erythematodes. Eine immunmodu-
Sjögren-Syndrom von einer uncharakteristischen lierende Therapie ist selten zwingend, kann aber bei
Sicca-Symptomatik zu unterscheiden [56]. extraglandulärem Befall notwendig sein.
84 Kapitel 4 · Kollagenosen

TNF-α-Blocker haben sich als nicht wirksam


beim Sjögren-Syndrom erwiesen. In rezenten Die Oberbauchbeschwerden besserten sich,
Studien zeigte sich ein eindeutiger therapeutischer ohne dass eine eindeutige Ursache gefunden
Effekt bei einer Behandlung mit Rituximab [18], [35]. werden konnte.
Eine Behandlung mit Interferon-α kann zu einer Die (Verdachts-)Diagnose eines primären
Verbesserung des Speichelflusses führen [14]. Sjögren-Syndroms wurde gestellt und eine
symptomatische Therapie initiiert.
z Malignomrisiko In der Folge berichtete die Patientin über eine
4 Das Sjögren-Syndrom ist mit einem erhöhten Risiko deutliche Besserung der Arthralgien durch eine
für Lymphome assoziiert. Die Lymphome entwickeln limitierte 4-wöchige GC-Behandlung. Weiterhin
sich oft nach jahrelanger Erkrankung. Das Auftreten müsse sie ständig trinken, vor allem zum Essen;
extraglandulärer Manifestationen, insbesondere vas- während der Nacht steht sie üblicherweise
kulitischer Hautveränderungen, wie z. B. einer palpa- nicht auf, hat aber immer ein Glas Wasser am
blen Purpura, geht mit einem erhöhten Lymphom- Nachttisch. Wegen des trockenen Mundes
risko einher [57]. hilft sie sich mit Kaugummi und fallweise
verwendet sie auch künstlichen Speichel.
In der Vorgeschichte war erhebbar, dass
Fallbeispiel: 57-jährige Patientin mit bereits vor 10 Jahren eine internistisch/
Mundtrockenheit und Schwellungen im rheumatologische Begutachtung wegen
Kieferbereich Gelenkbeschwerden im Bereich der Hände
Eine 57-jährige Patientin klagte seit einem und Finger erfolgte. Bereits damals wurde (mit
Jahr über rezidivierende Gelenkschmerzen ANA 1:320 und erhöhter BSG) die Verdachts-
und über längere Zeit persistierende, aber diagnose einer Kollagenose gestellt und eine
vorübergehende beidseitige Schwellungen im Behandlung mit einem Antimalariamittel
Kiefer/Hals-Bereich. diskutiert; eine vorübergehende Prednisolon-
Des Weiteren traten eine Augen- und Medikation brachte einen guten Erfolg und
Mundtrockenheit und das Gefühl einer die Patientin berichtete, dass sie in den darauf
Zungenschwellung auf. Es kam in der Folge folgenden Jahren beschwerdefrei war.
zu einer zunehmenden Verschlechterung der
Gesamtsituation. Die Patientin berichtete über
Arthralgien großer und kleiner Gelenke, hatte
zudem unklare abdominelle Beschwerden,
wiederholte subfebrile Temperaturen und Kommentar
erhöhte Blutdruckwerte. Die Patientin Aufgrund der Klinik und der vorliegenden
bemerkte einen Gewichtsverlust von 7 kg im Befunde liegt ein primäres Sjögren-Syndrom
vergangenen Jahr. vor. Die berichtete abdominelle Symptomatik
Sie wurde schließlich an einer internen kann nicht eindeutig der Kollagenose
Abteilung stationär aufgenommen, wo eine zugeordnet werden, eine reduzierte Funktion
umfangreiche Untersuchung erfolgte. gastrointestinaler Drüsen könnte aber (mit-)
Die im Rahmen des Aufenthalts erhobenen ursächlich diskutiert werden.
Laborparameter zeigten einen positiven Es ist darauf hinzuweisen, dass beim
Rheumafaktor mit 59 IU/ml, die ANA waren Sjögren-Syndrom, allerdings üblicherweise
mit 1:1280 erhöht, die Subsets hatten Ro (SSA) bei langjährigem Verlauf, gehäuft Lymphome
positiv, die übrigen Subsets waren negativ; die auftreten können, vordergründig bei schweren
BSG mit 38 in der 1. Stunde erhöht. Mehrere Verläufen mit extraglandulärer Beteiligung,
Fingergrund- und Fingermittelgelenke sodass insbesondere in Zusammenschau mit
waren druckempfindlich ohne nachweisbare dem Gewichtsverlust eine diesbezügliche
Synovitis. Ein Schirmer-Test war positiv. engmaschige Observanz erforderlich ist.
4.3 · Systemische Sklerose (SSc)
85 4

. Tab. 4.1  Einteilung der systemischen Sklerose nach dem Hautbefall. (Nach LeRoy et al. 1988 [32])

Systemische Sklerose mit diffusem Hautbefall (dcSSc) limitiertem Hautbefall (lcSSc)

Raynaud-Phänomen Innerhalb eines Jahres nach Beginn der Seit Jahren


Hautveränderungen
Hautbefall Am Stamm und an den Akren Ödem, Sklerose, Nekrose begrenzt auf
Hände, Füße, Unterarme oder Gesicht
Organbeteiligung Oft frühes Auftreten von interstitieller Spätes Vorkommen von pulmonal-
Lungenkrankheit, oligurischem Nierenver- arterieller Hypertonie, mit oder ohne
sagen, gastrointestinaler Beteiligung und interstitielle Lungenerkrankung,
Myokardbeteiligung Ösophagusmotiliätsstörungen
Kapillarmikroskopie Dilatierte und destruierte Dilatierte, selten destruierte
Nagelfalzkapillaren Nagelfalzkapillaren
Autoantikörper Fehlen von Zentromer-Antikörpern, Zentromer-Antikörper
Anti-Topoisomerase-Antikörper

4.3 Systemische Sklerose (SSc) einer Lungenfibrose. Häufig sind Anti-Topoisome-


rase-Antikörper (Anti-Scl-70) nachweisbar [1],
Die systemische Sklerose ist im Unterschied zu den [21], [23], [24], [30], [47]. Das American College
auf die Haut beschränkten Sklerodermieformen eine of Rheumatology (ACR) hat 1980 Klassifikations-
Multiorganerkrankung und zeichnet sich durch eine kriterien entwickelt [33], die über lange Zeit weit-
Entzündung und fortschreitende Fibrose der Haut gehende Akzeptanz hatten. 2013 wurden die neuen
und der inneren Organe aus, einhergehend mit aus- ACR/EULAR-Klassifikationskriterien veröffent-
geprägten Veränderungen der Mikrozirkulation. licht (7 Übersicht). Ihr Vorteil ist, dass sie durch die
Man unterscheidet eine diffuse und eine limitiert Berücksichtigung von Autoantikörperbefunden, der
kutane Form. Bei beiden Formen kommt es häufig zu Kapillarmikroskopie sowie genauerer Differenzie-
einer Beteiligung innerer Organe (. Tab. 4.1). rung von Krankheitszeichen auch Frühstadien der
Bei der limitiert kutanen Form der SSc fällt eine Erkrankung bereits erfassen können [30].
Fibrose distal der Ellbogen und Kniegelenke auf.
Das Gesicht kann auch betroffen sein, aber nicht
der Stamm. Die Erkrankung verläuft langsam vor-
anschreitend, meist fällt eine Raynaud-Symptoma- Klassifikationskriterien der systemischen
tik auf. Der Nachweis von Anti-Zentromer-Anti- Sklerose von ACR und EULAR [30]
körpern ist typisch. Die limitiert kutane Form ist 55Hautbeteiligung an den Fingern beider
häufig vergesellschaftet mit der ernsten Komorbi- Hände mit Befall proximal der MCP-Gelenke
dität einer pulmonal-arteriellen Hypertonie (PAH). (9 Punkte)
Früher wurde eine Sonderform der limitierten sys- 55Hautbeteiligung an den Fingern („puffy
temischen Sklerose als CREST-Syndrom bezeichnet; fingers“ – 2 Punkte bzw. Sklerodaktylie – 4
der Name setzte sich zusammen aus den Anfangs- Punkte)
buchstaben der wichtigsten Symptome: Calcinosis, 55Fingerspitzenveränderungen (digitale
Raynaud-Syndrom, Ö(E)sophagusmotilitätsstörun- Ulzerationen – 2 Punkte bzw. Rattenbiss-
gen, Sklerodaktylie und Teleangiektasien. nekrosen – 3 Punkte)
Die diffuse Form ist gekennzeichnet durch einen 55Teleangiektasien (2 Punkte)
rasch progredienten Verlauf mit diffuser Fibrosie- 55Auffällige Kapillarmikroskopie (2 Punkte)
rung am Stamm und an den Akren bzw. auch in Form
86 Kapitel 4 · Kollagenosen

auftreten [30], [33]. Der Gastrointestinaltrakt ist fast


55Pulmonal-arterielle Hypertonie und/ immer beteiligt. Letztendlich können alle Abschnitte
oder interstitielle Lungenerkrankung befallen sein. Häufige Symptome sind Refluxbe-
(2 Punkte) schwerden, Schluckstörungen, Obstipation und
55SSc-typische Autoantikörper (Anti-Zen- Meteorismus.
tromer-Antikörper, Anti-Topoiso- Die Lunge ist bei der systemischen Sklerose in
merase-I-Antikörper [Anti-ScL-70], ca. 30% im Sinne einer Lungenfibrose beteiligt; spe-
Anti-RNA-Polymerase-III-Antikörper) ziell bei der limitiert kutanen Form kann sich eine
4 (3 Punkte) PAH entwickeln. In der Frühphase der PAH klagen
55Ab einem Score von ≥9 Punkten kann die Patienten meist nur über eine Belastungsdyspnoe,
definitive Diagnose einer systemischen nach der die Patienten dezidiert exploriert werden
Sklerose gestellt werden. (Für die sollten. In fortgeschrittenen Stadien kann es zu
Hautbeteiligung wird nur einmal der einem Druckschmerz über der Brust sowie zu Syn-
höchste Punktwert vergeben.) kopen kommen [54].
Schwerwiegend ist eine vaskuläre Nierenbeteili-
gung mit schwerer Hypertonie und einer rasch pro-
Die Prävalenz der SSc beträgt ca. 5–20 Erkrankte pro gredienten Niereninsuffizienz.
100.000 Einwohner. Die Krankheit betrifft Frauen Eine Beteiligung des Herzens als Folge vaskulärer
häufiger als Männer; der Altersgipfel ist zwischen Veränderungen oder einer interstitiellen Fibrose ist
dem 30. und 50. Lebensjahr. möglich. Im Rahmen der PAH sind oft Zeichen der
Als prognostisch ungünstig ist die Entwicklung Rechtsherzbelastung auffällig.
einer pulmonal-arteriellen Hypertonie (PAH), digi- Die Mehrzahl der Patienten mit systemischer
taler Ulzerationen, einer Niereninsuffizienz und Sklerose hat Arthralgien und eine Morgensteifigkeit
einer raschen Zunahme der Hautverdickung anzu- der Hände. Synovitische Schwellungen an Gelenken
sehen [36]. Von zentraler Bedeutung in der Ätiopa- und Sehnenscheiden sind ebenso wie erosive Arth-
thogenese sind immunologische Prozesse und eine ritiden eher selten.
gestörte Regulation der Mikrozirkulation. Die Patho- Als Folge von Kontrakturen entstehen soge-
genese ist komplex und letztendlich nicht eindeutig nannte „Madonnenfinger“. Die Gesichtshaut wird
geklärt [1], [24], [47]. straffer und behindert die Mimik. Es kommt zu
einer Verkürzung des Zungenbändchens sowie zu
z Symptomatik einer Verkleinerung der Mundöffnung mit einer
Zu Beginn der Erkrankung berichten die Patien- perioralen radiären Furchung (Mikrostomie bzw.
ten oft über ein Spannungsgefühl mit diffuser öde- „Tabaksbeutelmund“).
matöser Schwellung von Unterarmen und Händen Die Mundschleimhaut retrahiert sich und es
(„swollen hands“). besteht ein erhöhtes Risiko für Karies und Zahn-
Als Folge der ausgeprägten Veränderungen im verlust. Eine Sicca-Symptomatik kann erschwerend
mikrovaskulären System kommt es zu einem (sekun- dazukommen.
dären) Raynaud-Phänomen, zu Ulzerationen und/ In fortgeschrittenen Stadien kann sich eine Mus-
oder zu einer PAH. kelschwäche entwickeln.
Das Raynaud-Phänomen ist gekennzeichnet
durch eine gestörte Mikrozirkulation mit Vaso- z Diagnostik
spasmen. Zusätzlich kommt es bei der SSc zu Ent-
zündungen, gesteigerter Fibroblastentätigkeit und z z Labor
vermehrter Kollagensynthese. Typische Symptome
sind Kälte, Schmerzen und ein Wechsel der Farbe in Entzündungsparameter  Die Höhe von BSG und
den betroffenen Arealen („Trikolore-Phänomen“). CRP ist, sofern keine andere Ursache nachweisbar
Erschwerend können Ulzera an Fingern und Zehen ist, abhängig von der Krankheitsaktivität.
4.3 · Systemische Sklerose (SSc)
87 4
Antinukleäre Antikörper (ANA)  Diese sind bei über zeigt eine restriktive Ventilationsstörung und einge-
90% der Patienten zu Beginn einer SSc nachweisbar. schränkte DLCO (Diffusionskapazität für Kohlen-
Ein Fehlen macht die Diagnose unwahrscheinlich. monoxid) an.

Topoisomerase-I-Antikörper (Anti-SCL-70)  Diese Gastrointestinaltrakt  Funktionsstörungen im


sind typisch für die diffuse Form und häufig mit einer oberen Gastrointestinaltrakt können mittels Öso-
interstitiellen Lungenerkrankung assoziiert; der Titer phagusszintigraphie und Manometrie nachgewiesen
korreliert mit Krankheitsaktivität und -schwere. werden; im unteren Gatrointestinaltrakt kann z. B.
eine Kolontransitzeit bestimmt werden. In Abhän-
Zentromerantikörper (ACA)  Diese sind bei der limi- gigkeit von der Fragestellung stehen radiologische
tiert kutanen Form nachweisbar (30–90%). Untersuchungen und Endoskopie zur Verfügung.

RNA-Polymerase-Antikörper  Typisch für die diffuse Herz  Zur Beurteilung einer Rechtsherzbelas-
Form und ein Marker für Nierenbeteiligung (5–20% tung sind EKG und Echokardiographie, in weiterer
der SSc-Patienten). Folge auch eine Rechtsherzkatheteruntersuchung
notwendig.
Fibrillarin-Antikörper  Typisch für die diffuse Form
(5–15%). Skelettsystem  Röntgenuntersuchungen ergeben
eher selten Hinweise auf entzündliche oder erosive
Pm-Scl-Antikörper  Diese treten bei Patienten auf Gelenkveränderungen. Kalzifikationen in der Subku-
(1%), die klinische Zeichen sowohl einer Skleroder- tis und Akroosteolysen an den Finger- und Zehen-
mie als auch einer Myositis im Sinne eines Overlaps endgliedern sind mögliche Befunde.
aufweisen (Sklerodermatomyositis). Im Verlauf bzw. zur Überwachung der Erkran-
kung ist ein regelmäßiges klinisches, laborchemisches
Rheumafaktoren  Sie können in mittlerer Titerhöhe und apparatives Organscreening notwendig [24], [43].
ebenfalls nachweisbar sein.
z Therapie
z z Bildgebende Verfahren Es gibt keine Standardtherapie in der Behandlung
der SSc. Therapieziele sind die Behandlung der Ent-
Blutgefäße  Kapillarmikroskopie: Über 90% der zündung, die Unterdrückung der Immunprozesse,
Patienten mit SSc weisen kapillarmikroskopische eine Verhinderung der Fibrose und eine Verbesse-
Veränderungen auf, die schon in der Frühphase rung der Mikrozirkulation. Wichtig ist auch eine ent-
nachweisbar sind (Rarefizierung der Kapillardichte, sprechende Behandlung betroffener Organsysteme.
Auftreten von Kapillardilatationen bis hin zu den Neben einer frühzeitigen medikamentösen Therapie
pathognomonisch beweisenden Riesenkapillaren, haben sich physikalische und krankengymnastische
Einblutungen, Kapillarödem). Bei Patienten mit Maßnahmen bewährt.
einer Raynaud-Symptomatik sind diese Veränderun-
gen ein früher Hinweis für die Entwicklung einer sys- z z Therapie der Arthralgien
temischen Sklerose. Zur Behandlung von Arthralgien und leichten Syn-
ovitiden haben sich nichtsteroidale Antirheumatika
Lunge  Bei fortgeschrittener Erkrankung ist die bewährt. Bei stärkerer Schwellung der Finger sowie
Lungenfibrose im normalen Thoraxröntgen nach- bei hoher entzündlicher Aktivität und Polysynovitis
weisbar. Zur Frühdiagnostik einer fibrosierenden oder bei Alveolitis kommen GC (25–30 mg/Tag) in
Alveolitis wird die hochauflösende Computertomo- rasch fallender Dosierung zum Einsatz. Vorsicht ist
graphie der Lunge herangezogen, wo sich als erstes geboten bei hohen GC-Dosen wegen der potenziel-
Zeichen meist eine Milchglastrübung („ground glass len Gefahr der Entwicklung einer Niereninsuffizienz
opacity“) zeigt. Die Lungenfunktionsuntersuchung oder einer renalen Krise.
88 Kapitel 4 · Kollagenosen

z z Immunsuppression
Eine systemische immunsuppressive bzw. immun- Fallbeispiel: 51-jähriger Patient mit diffu-
modulatorische Therapie ist bei hoher entzünd- sen Schwellungen der Hände
licher Aktivität mit rasch progredientem Verlauf Ein 51-jähriger Patient klagt über diffuse
und Organbeteiligung gerechtfertigt. Der Einsatz Schwellungen im Bereich beider Hände,
von Cyclophosphamid, Azathioprin und Metho- teilweise auch beider Füße, einhergehend mit
trexat (MTX) wird unterschiedlich beurteilt, kann einer Morgensteifigkeit. Seit 2 Jahren ist eine
aber bei bestimmten Symptomen bzw. in Abhän- Raynaud-Symptomatik mit einer typischen
4 gigkeit von der Organbeteiligung hilfreich sein [8], Verfärbung aller Finger unter Kälteeinwirkung
[21], [43]. erhebbar.
Am Integument zeigt sich eine deutlich derb
z z Therapie des Raynaud-Phänomens indurierte Haut im Bereich der Finger und
Die Behandlung des Raynaud-Phänomens reicht von Hände; zudem eine diskrete Verdickung und
lokalen Maßnahmen bis hin zur systemischen The- Verkürzung des Zungenbändchens.
rapie. Ein Wärmeschutz ist empfehlenswert; lokal In den erhobenen Laborparametern zeigt sich
applizierbare Nitrate (mögliche Nebenwirkungen: die BSG im Normbereich, das Blutbild und die
Kopfschmerzen) oder Capsaicin-Präparate können Leber- und Nierenfunktionsparameter sind ohne
versucht werden. Auffälligkeiten, die antinukleären Antikörper
Zur vasoaktiven Therapie der systemischen sind mit 1:3200 erhöht, die Topoisomerase-I-
Sklerose werden Kalziumantagonisten (z. B. Amlo- Antikörper (Anti-SCL-70) sind positiv.
dipin 5–10 mg/Tag) und unter Umständen Pento- Bei der weiteren apparativen Untersuchung
xiphyllin (3-mal 400 mg/Tag) eingesetzt. Das Pro- ergibt sich der Hinweis auf eine Refluxöso-
stazyklin-Analogon Iloprost ist zurzeit die am besten phagitis; klinische Symptome von gastroin-
untersuchte Substanz zur Behandlung des Ray- testinalen Motilitätsstörungen finden sich
naud-Phänomens und hat einen positiven Effekt auf nicht; eine pulmonale Beteiligung kann
Schwere und Frequenz. Die Heilung digitaler Ulze- apparativ nicht nachgewiesen werden.
rationen wird ebenfalls positiv beeinflusst. Es wird die Diagnose einer systemischen
Der duale Endothelin-Rezeptor-Antagonist Sklerose mit positiven Anti-SCL-70-Antikörpern
(ERA) Bosentan kann das Neuauftreten von digi- gestellt und aufgrund der gelenkbetonten
talen Ulzerationen vermindern und ist zur Präven- Symptomatik neben einer Low-dose
tion akraler Ulzerationen zugelassen. Macitentan ist GC-Therapie eine MTX-Therapie eingeleitet.
der neueste ERA, der seltener zu einer Erhöhung der Eine Lungenfunktionsuntersuchung und
Leberfunktionsparameter führt als Bosentan. eine Echokardiographie ergeben keine
Auch für den selektiven Phosphodiesterase-V- Auffälligkeiten bzw. keine Hinweise einer
Hemmer Sildenafil gibt es positive Daten bezüglich pulmonalen Beteiligung, ebenso das
Raynaud-Phänomen und Heilung akraler Ulzera. Echokardiogramm keine Zeichen einer Rechts-
Ebenso konnten für den Angiotensin-II-Rezep- oder Linksherzbelastung.
torantagonisten Losartan und Bezafibrat in kontrol- Eine weitgehende Stabilisierung, insbesondere
lierten Studien positive Effekte auf die Raynaud Sym- der Gelenksymptomatik, kann zunächst nicht
ptomatik nachgewiesen werden [13], [22], [29], [31], erreicht werden.
[34], [44]. Es wird schließlich aufgrund der
vordergründigen Gelenksymptomatik
z z Therapie der PAH die MTX-Medikation auf 25 mg/Woche
Die Behandlung der PAH sollte in Zusammenarbeit angehoben. Bezüglich der Raynaud-Sym-
mit spezialisierten Zentren erfolgen. Neben symp- ptomatik werden Pentoxiphyllin und
tomatischen Maßnahmen (Diuretika, O2) werden Kalziumantagonisten gegeben und eine
auch Prostazykline und seine Analoga eingesetzt. Behandlung mit einem Prostazyklin-Analogum
Des Weiteren kommen Bosentan und Sildenafil in diskutiert.
den letzten Jahren erfolgreich zum Einsatz.
4.3 · Systemische Sklerose (SSc)
89 4

In weiterer Folge bessert sich die Symptomatik Akroosteolysen und geringe subkutane
zusehends, die Gelenksymptomatik und Kalzifizierungen. Im Labor finden sich positive
die Schwellung bilden sich zurück. Die ANA mit positiven Scl-70(Topoisomerase)-An-
MTX-Medikation kann auf 20 mg wöchentlich tikörpern. In einer Kapillarmikroskopie werden
reduziert werden und Steroid wird an beiden Händen eine Kapillarrarefizierung
ausgeschlichen. mit avaskulären Feldern, Torquierungen, aber
Der Patient kann seiner Arbeit nachgehen vor allem Riesenkapillaren gefunden.
und klagt allein über eine kälteinduzierte In den weiterführenden Untersuchungen wird
Raynaud-Symptomatik. in einer hochauflösenden (HR-)Computer-
tomographie der Lunge eine „ground glass
opacity“ in beiden Lungenunterfeldern,
einer beginnenden Fibrose entsprechend,
Kommentar beschrieben; im Echokardiogramm imponiert
Es liegt die Diagnose einer SSc vor, mit einer eine Rechtsherzbelastung mit einem
gelenkbetonten Symptomatik, die letztendlich erhöhten Pulmonalarteriendruck (sPAP
auf eine Therapie mit MTX gut angesprochen von 45 mmHg). Die Patientin wird in einem
hat; die synovitischen Schwellungen bildeten kardiologischen Zentrum einer Rechtsherz-
sich komplett zurück. katheteruntersuchung zugeführt, wo eine
Regelmäßige Kontrollen und Überwachung mittelgradige pulmonal arterielle Hypertonie
des Patienten sind insbesondere auch im attestiert wird.
Sinne eines Organscreenings notwendig, eine Somit ergibt sich die Diagnose einer
pulmonale oder kardiale Beteiligung konnte systemischen Sklerose vom diffusen
nicht nachgewiesen werden, die hepatale und Typ mit Lungenbeteiligung im Sinne
renale Funktion wird ständig überprüft und ist einer inzipienten Lungenfibrose mit
im Normbereich. begleitender PAH. Die Patientin wird
Die Raynaud-Symptomatik ist ausschließlich initial immunsuppressiv mit Ciclosporin A
kälteinduziert und wird symptomatisch behandelt; für das Raynaud-Syndrom werden
behandelt, Nekrosen sind nicht nachweisbar. Kalziumkanalblocker und Thrombozyten-
aggregationshemmer gegeben; begleitend
Paraffinhandbäder sowie Kälte- und
Nässeschutz. Eine sich entwickelnde
Fallbericht: 38-jährige Patientin mit syste- postprandiale Nausea wird im Zuge einer
mischer Sklerose Videokinematographie des Schluckaktes
Eine 38-jährige Frau wird vorstellig abgeklärt, wo sich ein verzögerter Transport
wegen eines Raynaud-Syndroms. Bei im Zuge der Grundkrankheit zeigt, weswegen
der Untersuchung fallen sogenannte Domperidon angewendet wird. Aufgrund der
„Madonnenfinger“ und ein Trikolore- Zunahme der PAH und der Entwicklung von
Phänomen an beiden Händen auf. Im internen digitalen Ulzera an mehreren Fingern, die
Status sind außer einer Hautverdickung auf Prostazyklin-Infusionen keine Besserung
an Händen, Unterarmen, Unterschenkeln, zeigen, wird Bosentan, ein Endothelin-Rezep-
Gesicht und Stamm noch eine verstärkte tor-Antagonist etabliert, allerdings erst nach
Faltenbildung um den Mund, ein verdicktes Beendigung der Ciclosporin-A-Therapie, weil
Zungenbändchen und Teleangiektasien am dies eine Kontraindikation ist. Darunter ist die
Dekolleté auffallend. Patientin relativ stabil; unter Bosentan kommt
Im Lungenröntgen zeigt sich eine leichte diffuse es zu einer kompletten Abheilung der digitalen
Verdichtung über beiden Lungenunterfeldern, Ulzera, auch die Dyspnoe der Patientin bessert
im Handröntgen zeigen sich beidseits sich wesentlich.
90 Kapitel 4 · Kollagenosen

Raynaud-Phänomen sehr ungewöhnlich. Die


Kommentar Befunde sind typischerweise unauffällig, eine
Die Patientin leidet an einer SSc, die familiäre Häufung ist möglich. Nikotin wirkt sich
mehrere Organsysteme betrifft: Haut und negativ aus und sollte reduziert bzw. optimalerweise
Unterhautgewebe, Kapillarsystem, Lunge, beendet werden.
Lungengefäße und Rechtsherzsystem sowie Die häufigsten Erkrankungen und Ursachen
Gastrointestinaltrakt. Es ist wichtig, Patienten eines sekundären Raynaud-Phänomens sind Kolla-
mit einer Autoimmunerkrankung wie genosen, im Besonderen die systemische Sklerose,
4 dieser, die eine große klinische Bandbreite Gefäßerkrankungen, hämatologische Erkrankungen,
von klinischer Asymptomatik bei lediglich die mit erhöhter Viskosität einhergehen, eine vas-
positivem Autoantikörperbefund im Labor bis kuläre Schädigung, mechanische Traumata und die
hin zu schwerem Organbefall haben, sorgfältig Einnahme auslösender Medikamente.
zu evaluieren und die Therapie an die Bezüglich der Behandlung sei auf die Therapie
jeweiligen Probleme individuell anzupassen. der SSc verwiesen (7 Abschn. 4.3).

4.5 Idiopathische Myositiden


4.4 Raynaud-Phänomen
Dermatomyositis (DM) und Polymyositis (PM) sind
Das Raynaud-Phänomen wird durch eine abnorme sehr seltene entzündliche Systemerkrankungen der
vasospastische Reaktion auf Kältereize oder emotio- Muskulatur, der Haut und der inneren Organe. Diese
nalen Stress hervorgerufen und tritt bei 3–5% der zählen neben der sporadischen Einschlusskörper-
deutschsprachigen Bevölkerung auf. Klinisch zeigt chenmyositis (IBM) und der nekrotisierenden Myo-
sich eine scharf begrenzte Verfärbung der Finger pathie (NM) zu den idiopathischen Myositiden.
oder Zehen, welche oft von Parästhesien, aber auch Myositiden können auch im Rahmen entzündlicher
Schmerzen begleitet wird. Pathogenetisch unter- Erkrankungen und in Assoziation mit Malignomen
scheidet man zwischen einem primären und einem auftreten.
sekundären Raynaud-Phänomen [15]. Die Ätiologie ist unbekannt. Eine Immunpatho-
Das primäre Raynaud-Phänomen ist wesent- genese ist sehr wahrscheinlich. Es kommt zu einer
lich häufiger als das sekundäre Raynaud-Phäno- Schädigung der Epithelien mit einem Verlust der
men. Bei ca. 90% aller Patienten mit Vasospasmen Kapillaren und in der Folge zu funktionellen (Mus-
wird ein primäres Raynaud-Phänomen ursächlich kelschwäche) und strukturellen (Muskelschwund)
gesehen. Ein gewisser Prozentsatz an Patienten mit Schädigungen der Muskulatur. Die NM tritt häufig
primärem Raynaud-Syndrom transformiert zu immungetriggert auf, auffallend oft durch Statine
einer sekundären Form, sprich, es entwickelt sich (diese ist von der sehr häufigen toxischen Myopa-
eine Autoimmunerkrankung im Verlauf, weswegen thie durch Statine zu unterscheiden). Die Latenz zwi-
jährliche Kapillarmikroskopiekontrollen empfoh- schen Beginn einer Statin-Therapie und dem Auftre-
len werden [39]. ten von Beschwerden kann von einer Woche bis zu
Der Begriff „primäres Phänomen“ wird für mehreren Jahren betragen [9], [10], [45].
Patienten verwendet, bei denen keine zugrunde Publizierte Inzidenz- und Prävalenzahlen
liegende Erkrankung als Ursache nachweisbar ist. schwanken möglicherweise auch aufgrund der Sel-
Es manifestiert sich häufiger bei Frauen, norma- tenheit der Erkrankungen je nach Alter, Geschlecht
lerweise zwischen dem 15. und dem 30. Lebens- und Region. Die Prävalenz wird auf ca. 60 Erkrankte
jahr. Die Raynaud-Attacken treten bei Patienten pro Mio. Einwohner geschätzt. Es gibt bei der DM
mit primärem Raynaud-Phänomen typischer- zwei Altersgipfel, bei Kindern zwischen dem 5.
weise symmetrisch auf. Trophische Störungen und 15. Lebensjahr, bei Erwachsenen nach dem 50.
wie Fingerkuppenulzera sind beim primären Ray- Lebensjahr. Frauen sind etwas häufiger als Männer
naud-Phänomen im Gegensatz zum sekundären betroffen [41].
4.5 · Idiopathische Myositiden
91 4
z Symptomatik Myositisassoziierte Autoantikörper  Jo-1-Antikör-
Das Leitsymptom von PM und DM ist die Muskel- per werden nur bei etwa 20% der Patienten mit PM
schwäche vorwiegend der stammnahen Muskula- nachgewiesen. Bei DM finden sich in ca. 20% Anti-
tur des Schulter- und Beckengürtels. Der Beginn körper gegen Mi-2. Ein Zusammenhang der Höhe
ist häufiger schleichend, seltener akut. Die Patien- der Antikörpertiter mit der Krankheitsaktivität wird
ten können nur mit Mühe vom Sessel aufstehen, beschrieben.
den Kopf im Liegen von der Unterlage heben oder Nachweisbare Antiköper gegen 3-Hydroxy-
haben Schwierigkeiten, die Arme über den Kopf 3-Methylglutaryl-Coenzym-A-Reduktase (Anti-
zu heben. Wenn die Pharynxmuskulatur betrof- HMGCR-Autoantikörper) sind assoziiert mit einer
fen ist, können Schluckbeschwerden auftreten. NM, die durch Statine getriggert wurde [41], [42],
Die IBM ist klinisch durch eine typische Muskel- [45].
schwäche der Knieextensoren (M. quadriceps)
und der langen Fingerflexoren gekennzeichnet. z z Elektromyographie (EMG)
Bei der NM ist vor allem die proximale Musku- Charakteristisch ist eine pathologische Veränderung
latur betroffen. der Aktionspotenziale.
Ein Übergang auf die distale Muskulatur ist bei
PM, DM und NM möglich. Muskelschmerzen sind z z Apparative Diagnostik
kein obligates Symptom der Erkrankung, aber sind Die MRT klinisch auffälliger Skelettmuskelareale
für die NM typisch; Myalgien und muskelkater- zeigt typischerweise ein Muskelödem und in fort-
ähnliche Symptome treten vorwiegend bei akutem geschrittenen Stadien eine fettige Degeneration und
Beginn auf. Typische Hauterscheinungen bei der Muskelatrophien.
DM sind symmetrische, regionale bis flächenhafte
livide Erytheme im Gesicht, am Stamm oder an den z z Muskelbiopsie
Extremitäten. Die Muskelhistologie von einer klinisch auffälli-
Nicht selten findet sich eine Synovitis der gen Stelle ist entscheidend, für die Diagnosestellung
Gelenke und Sehnenscheiden. Die Gelenksympto- unerlässlich und stellt üblicherweise den Endpunkt
matik ist oligo- bis polyartikulär. Die Arthritiden eines diagnostischen Algorithmus dar.
führen nur selten zu destruierenden Gelenkverän- Für die Diagnose sind die Klassifikationskri-
derungen. Bei etwa der Hälfte der DM/PM-­Patienten terien von 1975 nach Bohan und Peter im klini-
kommt es zu Gelenk-, kardialen-, pulmonalen- und/ schen Alltag noch immer in Verwendung obwohl
oder gastrointestinalen Beteiligungen [41], [42], [45]. sie naturgemäß viele neue Erkenntnisse und Hilfs-
mittel nicht berücksichtigen (7 Übersicht) [9], [10],
z Diagnostik [41], [42], [45].

z z Labor
Infolge der Schädigung des Muskels ist die Kreatin-
kinase (CK) erhöht und kann bei PM und DM bis Klassifikationskriterien der PM und DM
auf das 50-Fache des Normwerts ansteigen und ist [9], [10]
auch bei der NM typischerweise stark erhöht (bei der 1. Klinisch-symmetrische proximale
IBM ist die CK normal oder nur leicht erhöht). Des Muskelschwäche (Schulter- und
Weiteren lassen sich in aktiven Krankheitsphasen Beckengürtel, Halsflexoren)
erhöhte Transaminasen (im Besonderen Glutamat- 2. Histologisch gesicherte Nekrosen
Oxalacetat-Transaminase) und Laktatdehydrogenase von Typ-I- und Typ-II-Muskelfasern,
und eine Myoglobulinämie und -urie in unterschied- perifaszikuläre Atrophie, entzündliches
licher Ausprägung dokumentieren. Infiltrat (perivaskulär oder interstitiell)
Die Entzündungsparameter (wie BSG und CRP) 3. Labormedizinisch: Erhöhung
sind im akuten Stadium häufig, aber nicht generell muskeltypischer Enzyme im Serum
erhöht.
92 Kapitel 4 · Kollagenosen

Bei schweren Verläufen wird gleichzeitig mit dem


(z. B. CK) und/oder Myoglobin in Harn oder Beginn einer GC-Behandlung oder bei unzureichen-
Serum dem Ansprechen auf GC in der Folge eine additive
4. Elektromyographisch kurze, kleine Therapie mit Methotrexat, Azathioprin oder Myco-
polyphasische Aktionspotenziale, phenolat-Mofetil empfohlen. Andere Autoren emp-
Fibrillationen, positive scharfe Wellen, fehlen die Gabe von Immunglobulinen. Wegen der
insertionale Irritabilität und bizarre geringen Fallzahlen existieren aber nur wenige kon-
hochfrequente Entladungen trollierte Studien [2], [41], [42], [45].
4 5. Dermatomyositis-typische Hautverän-
derungen: periorbitale, livide Erytheme
oder Ödeme, erythematöse Dermatitis Fallbeispiel: 49-jährige Frau mit Muskel-
(Gesicht, Hals, Hände, Nagelfalz) schmerzen
Eine 49-jährige Sekretärin berichtet bei
Die PM ist gesichert bei 4, wahrscheinlich der rheumatologischen Erstuntersuchung
bei 3 und möglich bei 2 der erstgenannten 4 über uncharakteristische Gelenk- und
Kriterien. Muskelschmerzen. Sie gibt eine zunehmende
Die DM ist gesichert, wenn 3 (wahrscheinlich Schwäche der Muskulatur im Schulter- und
wenn 2, möglich wenn 1) der 4 erstgenannten Beckengürtel an. Das Kämmen bereitet
Faktoren in Verbindung mit dem unter Punkt 5 Schwierigkeiten, ebenso ist das Aufstehen aus
genannten Hautveränderungen erfüllt sind. einer sitzenden Position erschwert.
Die Beschwerden begannen mit einer
Sehnenscheidenentzündung am Unterarm
vor einem Jahr. In der Folge bemerkte sie
z Prognose
Schmerzen und eine Schwäche der Hand- und
Die Prognose ist abhängig von einer frühzeitigen Fingergelenke. Die Symptomatik entwickelte
Diagnose und einer rechtzeitigen und adäquaten sich schleichend.
Therapie; darüber hinaus vom Alter des Patienten, Eine durch ihren Arzt eingeleitete niedrig
vom Schweregrad der Myositis, dem Auftreten von dosierte GC-Therapie unter der Annahme
Organbeteiligungen (wie z. B. einer Dysphagie oder einer undifferenzierten rheumatologischen
einer kardiopulmonalen Beteiligung) und auch dem Erkrankung brachte eine prompte Besserung,
Nachweis einer malignen Erkrankung. nach Absetzen der Glukokortikoide trat
Da sowohl die PM als auch insbesondere die DM wiederum eine Verschlechterung ein.
und wahrscheinlich auch die NM mit einer erhöh- Die Patientin präsentiert sich bei der
ten Rate von malignen Neoplasien assoziiert sind, ist Erstuntersuchung mit einer Muskelschwäche
zum Zeitpunkt der Diagnosestellung eine Tumorsu- im Bereich des Schultergürtels und im Bereich
che indiziert und auch im Verlauf der Erkrankung der Oberarme, einer allgemeinen Müdigkeit
eine entsprechende Observanz notwendig und diffusen Gelenkschmerzen ohne
Schwellungen.
z Therapie Das erhobene Laborprofil führte zur Diagnose,
GC sind das Mittel der Wahl bei der Behandlung die Kreatinkinase (CK) war mit 4000 U/l massiv
interstitieller Myositiden. erhöht. Ebenso waren die Jo-1-Antikörper
Die orale Dosis sollte initial 1 mg/kg Körper- nachweisbar. Eine Muskelbiopsie wollte die
gewicht betragen und nach 2 oder mehr Wochen Patientin nicht durchführen lassen.
schrittweise auf eine erforderliche Erhaltungsdosis Durch eine neuerliche Prednisolon-Therapie
reduziert werden. Bis zur weitgehenden Normali- konnte eine deutliche Besserung und nach
sierung der CK-Werte ist eine entsprechende GC- längerer Gabe eine weitgehende Beschwerde-
Dosis beizubehalten. Die meisten Patienten können freiheit erreicht werden. Das erhöhte CK zeigte
durch eine alleinige GC-Gabe erfolgreich behandelt eine Normalisierungstendenz. Eine Reduktion
werden.
4.6 · Mixed Connective Tissue Disease (MCTD, Sharp-Syndrom)
93 4
4.6 Mixed Connective Tissue Disease
der Prednisolon-Dosis unter 25 mg täglich (MCTD, Sharp-Syndrom)
führte wiederum zu einer Zunahme der
Muskelschmerzen, einhergehend mit einem Die Erkrankung wurde erstmals von Sharp et al.
Anstieg des CK, sodass schließlich eine beschrieben [49]. Die Mehrzahl der Autoren betrach-
zusätzliche Methotrexat-Therapie initiiert tet das MCTD als Entität, die sich aus Symptomen
wurde. Methotrexat wurde unter 6- bis eines SLE, einer rheumatoiden Arthritis, einer SSc
8-wöchigen Labor- und klinischen Kontrollen und einer DM zusammensetzt und mit dem Nach-
gut toleriert. weis von Anti-U1-RNP-Antikörpern einhergeht
In den folgenden Monaten konnten die GC [27], [48].
schließlich sukzessive reduziert werden, Die Prävalenz liegt bei etwa 10 von 100.000 der
Muskelschmerzen und Schwäche besserten Bevölkerung. Frauen sind häufiger betroffen. Das
sich zusehends. Unter einer längerfristigen Lebensalter bei Diagnose ist höher als beim SLE, die
GC-Therapie erfolgte eine Osteoporo- Krankheit kann aber in jedem Lebensalter auftreten,
se-Messung und es wurde eine Prophylaxe mit auch Kinder können betroffen sein.
Kalzium und Vitamin D eingeleitet. Über die Ätiologie besteht keine Klarheit [5].
Die Patientin ist unter einer Methotrexat-Dosis
von 25 mg pro Woche und 5 mg Prednisolon z Symptomatik und Diagnostik
täglich beschwerdefrei, die CK-Werte sind im Die Diagnose ist zu Beginn der Erkrankung schwie-
Normbereich. Sie steht nach einer längeren rig. Die Patienten klagen häufig über Müdigkeit,
Pause wieder im Arbeitsprozess. Als nächster Arthralgien, Myalgien und über ein Raynaud-
Schritt ist das ausschleichende Absetzen der Phänomen. Eine Raynaud-Symptomatik kann der
GC geplant. Erkrankung oft jahrelang vorauseilen und ist zum
Ein Organscreening wird in regelmäßigen Zeitpunkt der Diagnose das häufigste Symptom. Die
Abständen durchgeführt, eine kardiale, Mehrzahl der Patienten entwickeln ödematös ver-
pulmonale oder dermatologische Beteiligung änderte Hände („puffy hands“). Fast alle Patienten
konnte nicht festgestellt werden. klagen über Gelenkbeschwerden. Das Auftreten von
erosiven Arthritiden ist möglich.
Die Haut kann im Sinne eines Raynaud-Phäno-
mens, einer Sklerodaktylie oder einer Photosensibi-
Kommentar lität beteiligt sein. Gelegentlich kann ein Gesichts-
Die Diagnose einer PM wurde aufgrund der erythem auftreten.
typischen Klinik mit einer Muskelschwäche Kardiale Manifestationen im Sinne einer Peri-
im Schulter- und Hüftgürtel gestellt, oder Myokarditis treten in 10–30% der Patienten auf.
laborchemisch durch die massiv erhöhten Eine Lungenbeteiligung kann sich als leichte intersti-
CK-Werte und den Nachweis von tielle Fibrose mit Belastungsdyspnoe manifestieren.
Jo-1-Antikörpern (auch wenn die Kriterien Es kann sich aber auch eine fibrosierende Alveolitis
nach Bohan und Peter aus dem Jahre 1975 bei oder eine PAH entwickeln.
fehlender Muskelbiopsie nicht erfüllt werden). Mehr als 50% der Patienten zeigen eine gastroin-
Es kam zu einem typischen und prompten testinale Beteiligung mit Motilitätsstörungen oder/
Ansprechen auf GC, allerdings war die und Zeichen einer Refluxösophagitis. Auch eine Nie-
Etablierung einer zusätzlichen Immunsup- renbeteiligung oder neurologische Manifestationen
pression mit Methotrexat notwendig. In sind möglich. Typisch ist (bei ca. 25% der Patienten)
den folgenden Monaten konnte schließlich eine Trigeminusneuralgie.
Prednisolon auf 5 mg pro Tag reduziert werden
und ein erfolgreiches Absetzen ist zu erhoffen. z z Labor
Methotrexat sollte noch weiter gegeben Meist fällt eine hohe BSG auf. In der Basisuntersu-
werden. chung ist nicht selten eine Anämie, Leukopenie oder
eine Thrombopenie nachweisbar. Alle Patienten
94 Kapitel 4 · Kollagenosen

weisen antinukleäre Antikörper und Anti-U1-RNP- [6] Bertsias GK, Ionnidis JPA, Boletis J et al. (2008) EULAR
recommendations for the management of systemic
Antikörper auf. Diese sind auch bei anderen Kollage-
lupus erythematosus. Report of a task force of the
nosen nachweisbar. Für die MCTD muss der Titer von EULAR standing committee for international clinical stu-
Anti-U1-RNP-Antikörpern hoch sein. Der Titer ist dies including therapeutics (ESCISIT). Ann Rheum Dis
aber nicht von der Krankheitsaktivität abhängig und 67:195–205
kann auch in der Remission unverändert hoch bleiben. [7] Bertsias GK, Ioannidis JP, Aringer M et al. (2010) EULAR
recommendations for the management of systemic
lupus erythematosis with neuropsychiatric manifestati-
z Prognose
ons: report of a task force of the EULAR standing commit-
4 Die Prognose der MCTD variiert zwischen einem tee for clinical affairs. Ann Rheum Dis 69(12):2074–2082
gutartigen und einem schweren progredienten [8] Blank N, Max R, Lorenz HM (2006) The role of DMARDs
Verlauf mit z. B. PAH oder einer renalen Beteiligung. in systemic sclerosis therapy. Rheumatology 45 [Suppl
3]:iii 2–4
[9] Bohan A, Peter JB (1975) Polymyositis and dermatomyo-
z Therapie
sitis (first of two parts). N Engl J Med 292:344–347
Arthralgien sprechen häufig gut auf NSAR an. Bei [10] Bohan A, Peter JB (1975) Polymyositis and dermatomyo-
unzureichendem Ansprechen oder polysynoviti- sitis (second of two parts). N Engl J Med 292:403–407
schem Gelenkbefall ist oft die Gabe von GC not- [11] Brito-Zeron P, Theander E, Baldini C et al. (2016) Early
diagnosis of primary Sjögren’s syndrome: EULAR-SS task
wendig. Arthritiden und SLE-ähnliche Hautverän-
force clinical recommendations. Expert Rev Clin Immu-
derungen sprechen oft gut auf Antimalarika an. Eine nol 12(2): 137–156
Behandlung mit Immunsuppressiva wie Cyclophos- [12] Cervera R, Khamashta MA, Font J et al. (2003) Morbidity
phamid zur Remissionsinduktion und in der Folge and mortality in systemic lupus erythematosus during
mit Azathioprin kann bei schwerer Organbeteiligung a 10-year period: a comparison of early and late mani-
festations in a cohort of 1,000 patients. Medicine (Balti-
notwendig sein.
more) 82:299–308
Methotrexat zeigt üblicherweise ein gutes [13] Cipriani P, Di Benedetto P, Ruscitti P et al. (2015) Maci-
Ansprechen bei schweren Arthritiden oder einer tentan inhibits the transforming growth factor-β
Myositis. profibrotic action, blocking the signaling mediated by
Die Behandlung des Raynaud-Phänomens erfolgt the ETR/TβRI complex in systemic sclerosis dermal fibro-
blasts. Arthritis Res Ther 17:247
mit Kalziumantagonisten, ACE-Hemmern oder
[14] Cummins MJ, Papas A, Kammer GM, Fox PC (2003) Treat-
Prostaglandin-Analoga wie Iloprost. Die Behand- ment of primary Sjogren’s syndrome with low-dose
lung der PAH ist am besten mit Iloprost, Bosentan human interferon alfa administered by the oromucosal
und Sildenafil belegt (siehe auch 7 Abschn. 4.3). route: Combined phase III results. Arthritis Rheum
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96 Kapitel 4 · Kollagenosen

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97 5

Familiäres Mittelmeerfieber
Rudolf Puchner

Literatur – 99

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_5
98 Kapitel 5 · Familiäres Mittelmeerfieber

Das familiäre Mittelmeerfieber (FMF) ist eine


­autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die vor Bauchschmerzattacken mit Fieber. Diese
allem bei Menschen aus dem östlichen Mittelmeer sind sehr heftig und dauern 1–3 Tage.
vorkommt. Das FMF ist gekennzeichnet durch meist Daneben hat sie auch immer wieder
in unregelmäßigen Abständen auftretende Fieberat- Gelenkschmerzattacken, die meist die Knie
tacken ohne erkennbare Ursache, einhergehend mit und Sprunggelenke betreffen und mit
Arthritis, Peritonitis und/oder seltener Pleuritis. Schwellungen und Schmerzen einhergehen.
Die Abdominalschmerzen treten bei fast allen Die Gelenkschmerzen treten seltener auf,
Betroffenen auf und bilden sich innerhalb von dauern aber länger, üblicherweise 1–2
2–3 Tagen wieder zurück. Etwa 75% der Patienten Wochen; dazwischen gibt es immer
5 leiden unter Arthritiden, die meist innerhalb von wieder beschwerdefreie Phasen. Die
einer Woche wieder sistieren. Typischerweise ist ein Patientin hat zahlreiche Arztbesuche
großes Gelenk der unteren Extremität betroffen. und Krankenhausaufenthalte hinter sich.
Zwischen den Krankheitsschüben sind die Schließlich wurde auch eine Depression als
Patienten beschwerdefrei. Die gefürchtete Langzeit- Ursache der Beschwerden vermutet und
komplikation ist die Entwicklung einer AA-Amyloi- eine entsprechende stimmungsaufhellende
dose, die bei unbehandelten Patienten zu einer Nie- Medikation eingeleitet. Die Symptomatik
reninsuffizienz führt und die häufigste Todesursache besserte sich naturgemäß nicht. Die
darstellt. Patientin war sehr deprimiert und suchte
Die Diagnose wird im Zusammenschau aller schließlich gemeinsam mit ihrem Ehemann
Befunde gestellt. Eine genetische Untersuchung kann einen Internisten auf. Bei der weiteren
hilfreich sein, jedoch schließt das Fehlen einer Muta- Abklärung war unter anderem auffällig,
tion ein FMF nicht aus. Durch den Mutationsnach- dass in den Phasen abdomineller Schmerzen
weis des für das Protein Pyrin (Marenostrin) verant- bzw. im Rahmen einer Arthritis die
wortlichen MEFV-Gens wird die Diagnose allerdings serologischen Entzündungszeichen
erhärtet. deutlich erhöht waren, in beschwerdefreien
Häufige Fehldiagnosen sind ein akutes Abdomen Perioden waren alle Laborparameter im
oder eine Pneumonie mit Pleuritis. Die Beschwerden Normbereich. Auf Befragen stellte sich
können so stark sein, dass die Indikation zur Lapara- heraus, dass eine in einem anderen Land
tomie gestellt wird. lebende Schwester ebenfalls an einer
Als Langzeittherapie der Wahl gilt Colchicin ähnlichen Symptomatik litt. Bei ihr wurde
(lebenslang!), das in einer Dosis von 0,5–2 mg unab- bereits eine Gallenblasen-Operation wegen
hängig vom Körpergewicht täglich zur Verhinderung der Bauchbeschwerden durchgeführt; eine
von Schüben und Prophylaxe einer Amyloidose mit wirkliche Verbesserung der Beschwerden
Erfolg eingesetzt wird. In unter 10% der Patienten konnte aber nicht erreicht werden. Bei der
kommt es zu einem Therapieversagen. Bei gegebe- Schwester war die Gelenksymptomatik, vor
ner Compliance wäre dann als nächster Schritt eine allem im Bereich der Kniegelenke, noch
Behandlung mit einem Interleukin-1-Blocker sinnvoll. ausgeprägter.
Akute Schmerz- und Fieberattacken werden sym- Schließlich wurde aufgrund des langjährigen
ptomatisch mit Analgetika behandelt [1], [2], [3], [4]. typischen Verlaufs, der regionalen Herkunft
der Geschwister aus der Türkei und der
Symptomatik die Diagnose eines FMF
Fallbeispiel: Ein seltenes Krankheitsbild gestellt und eine Colchicin-Therapie
Eine heute 35-jährige Patientin leidet seit eingeleitet, wodurch eine anhaltende
ihrem 20. Lebensjahr an unregelmäßig Beschwerde- und Fieberfreiheit erreicht
(bis zu einmal im Monat) auftretenden werden konnte.
Literatur
99 5

Kommentar
Das familiäre Mittelmeerfieber, das in
Mitteleuropa selten auftritt und häufiger bei
Bewohnern des östlichen Mittelmeeraums
(Türkei, Syrien, Israel etc.) vorkommt, ist durch
periodische Bauchschmerzen, Fieberschübe,
Arthralgien und Arthritiden gekennzeichnet.
Unbehandelt führt die Erkrankung meist
zu einer Amyloidose mit konsekutivem
Nierenversagen innerhalb von Jahren. Durch
eine niedrig dosierte Therapie mit Colchicin,
dem Alkaloid der Herbstzeitlose, kann in der
Regel die Beschwerdesymptomatik dramatisch
verbessert und das Nierenversagen verhindert
werden. Es erscheint wichtig, insbesondere
bei Bewohnern aus dem östlichen
Mittelmeerraum, an diese seltene Krankheit zu
denken.

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101 6

Entzündlich-rheumatische
Erkrankungen des älteren
Menschen
Rudolf Puchner

6.1 Rheumatoide Arthritis des höheren Lebensalters – 102

6.2 Polymyalgia rheumatica (PMR) – 105

6.3 Riesenzellarteriitis (RZA) – 107

6.4 RS3PE-Syndrom (Remitting Seronegative Symmetric


Synovitis with Pitting Edema) – 109

6.5 Kollagenosen des höheren Alters – 109

6.6 Chondrokalzinose – 110

6.7 Paraneoplastische Syndrome – 110

Literatur – 110

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_6
102 Kapitel 6 · Entzündlich-rheumatische Erkrankungen des älteren Menschen

Entzündliche Erkrankungen des älteren Menschen 6.1 Rheumatoide Arthritis des


unterscheiden sich hinsichtlich des klinischen höheren Lebensalters
Bildes, des Verlaufs, der Prognose und der the-
rapeutischen Beeinflussbarkeit in mancher Hin- Die rheumatoide Arthritis des höheren Lebensalters
sicht von rheumatischen Systemerkrankungen, die (Synonyme: „Late Onset Rheumatoid Arthritis“ –
vor dem 60. Lebensjahr bzw. in jüngerem Lebens- LORA, Alters-RA, „Elderly Onset Rheumatoid Arth-
alter auftreten. Aufgrund der steigenden Lebens- ritis“) beginnt definitionsgemäß nach dem 60. Lebens-
erwartung nimmt der Anteil der über 60-Jähri- jahr. 20–30% aller an rheumatoider Arthritis leidenden
gen an der Gesamtbevölkerung stetig zu, und auch Patienten erkranken erstmals nach dem 60. Lebens-
in der ärztlichen bzw. rheumatologischen Praxis jahr. Männer und Frauen erkranken etwa gleich häufig.
wird man häufiger mit älteren Patienten konfron-
tiert sein (7 Übersicht). Das höhere Alter und die z Symptomatik
zunehmend auftretenden Komorbiditäten steigern Die Klinik ist häufig durch einen akuten Beginn
6 das Risiko für Infektionen beträchtlich. Dies gilt gekennzeichnet und geht oft mit Müdigkeit, Leis-
im Besonderen auch für eine immunsuppressive tungsschwäche, Fieber und Gewichtsverlust einher.
Therapie, vor allem auch für eine Behandlung mit Der Rheumafaktor (RF) ist in höherem Lebensalter
Glukokortikoiden (GC). Zunehmend werden auch häufiger negativ.
ältere Menschen mit synthetischen Basistherapeu- Mehrheitlich sind die großen proximalen
tika und Biologika behandelt. Im deutschen Bio- Gelenke der Extremitäten betroffen. Die Beschwer-
logikaregister sind inzwischen 30% der Patienten den sind oft den Symptomen einer Polymyalgia
über 60 Jahre alt. Dies ist eine erfreuliche Entwick- rheumatica ähnlich. Die differenzialdiagnostische
lung, bedeutet aber auch, dass diese älteren Patien- Abgrenzung kann zu Beginn schwierig sein (7 Über-
ten einer besonderen Sorge und Aufmerksamkeit sicht). Ebenso besteht eine Tendenz zu einer hohen
bedürfen. Sie müssen über das erhöhte Infektions- Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG). Die funktio-
risiko ausreichend aufgeklärt und beraten werden. nelle Beeinträchtigung ist bei einer rheumatoiden
Dies sollte unter anderem auch eine entsprechende Arthritis im höheren Alter weitaus höher (. Tab. 6.1)
Impfempfehlung für Pneumokokken, Meningo- [1], [8], [15].
koken und Influenza umfassen. Eine sorgfältige
und engmaschige Betreuung immunsupprimierter
Patienten ist notwendig, um das Infektionsrisiko Differenzialdiagnose der rheumatoiden
zu minimieren [10]. Arthritis des älteren Menschen
55Polymyalgia rheumatica
55Propfarthritis: Behandlung gleich wie
Alters-RA
Entzündlich-rheumatische Erkrankungen 55Systemischer Lupus erythematodes: sehr
des älteren Menschen selten!
55Rheumatoide Arthritis des Älteren – „Late 55Spondyloarthritis: sehr selten!
Onset Rheumatoid Arthritis“ (LORA) 55Kristallarthropathien: Gicht,
55Polymyalgia rheumatica Chondrokalzinose (Pseudogicht) =
55Riesenzellarteriitis radiologischer Nachweis auch an
55RS3PE Syndrom „Remitting Seronegative asymptomatischen Signalgelenken (Knie)
Symmetric Synovitis with Pitting Edema“ 55Aktivierte Arthrose
55Paraneoplastische Myalgien und chronische 55Subacromiales Schmerzsyndrom
Infektionen 55Paraneoplasie
55Psoriasisarthritis, Spondyloarthritis 55RS3PE-Syndrom
6.1 · Rheumatoide Arthritis des höheren Lebensalters
103 6

. Tab. 6.1  Vergleich der rheumatoiden Arthritis (RA) mit der RA älterer Menschen. Mod. nach [15]

RA Alters-RA

Erkrankungsbeginn 30–50 Jahre >60 Jahre


Beginn Schleichend Abrupt, häufiger Allgemeinsymptome, infektionsähnlich
Anzahl der Gelenke Polyartikulär Mono/oligoartikulär
Betroffene Gelenke Kleine Gelenke Auch große Gelenke, Schulter
Rheumafaktor: Positiv Häufig negativ
Begleitmanifestation Tenosynovitiden Myositis

z Prognose
Depression und Non-Compliance ist sehr hoch! Eine
Bei positiven RF und/oder positiven Antikör- besonders enge Führung der Patienten ist daher not-
pern gegen zyklische citrullinierte Peptide (CCP-­ wendig. Auch eine Polypragmasie und Multimorbi-
Antikörper) verläuft die Erkrankung häufiger dität im Alter sind zu überprüfen und zu bedenken.
chronisch progredient. Geringe serologische Ent- Es gilt der Grundsatz, dass die üblichen Basis-
zündungszeichen gehen mit einer besseren Prognose therapeutika wie Sulfasalazin, Methotrexat (MTX)
einher. Ebenso ein guter funktioneller und sozioöko- oder Leflunomid gut einsetzbar sind. Es sollte aber
nomischer Status. die Behandlung mit einer niedrigeren Dosis begon-
nen werden und in der Folge in Abhängigkeit von
z Therapie Verträglichkeit und Organfunktion vorsichtig gestei-
Die Therapie der rheumatoiden Arthritis älterer gert bzw. angepasst werden. Auch bei älteren Men-
Menschen unterscheidet sich prinzipiell nicht von schen ist der Einsatz von Biologika indiziert; eine
Patienten in jüngerem Lebensalter. Basismedika- Nutzen/Risiko-Abwägung ist aber gerade wegen
mente stellen auch hier die Säule der medikamentö- des Risikos der Immunsuppression notwendig. Das
sen Behandlung dar. Dennoch ist beim Einsatz von generell erhöhte Infektionsrisiko bei älteren Men-
Basistherapeutika Achtsamkeit geboten. schen ist zu bedenken.
Die altersabhängige Einschränkung der Nieren- Kardiovaskuläre und gastrointestinale Neben-
funktion, einhergehend mit einer ebenso altersab- wirkungen von NSAR sind bei älteren Patienten
hängigen Verminderung der Muskelmasse, führt oft besonders zu berücksichtigen (7 Übersichten) [12],
zu fälschlich normalen Nierenwerten; daher ist die [13], [14], [15].
Bestimmung des Serumkreatinins alleine zu wenig.
Im Alter tritt häufiger eine Glomerulonephritis
und Amyloidose auf. Nichtsteroidale Antirheuma- Behandlung der rheumatoiden Arthritis
tika (NSAR) und Sulfasalazine können eine intersti- des älteren Menschen
tielle Nephritis auslösen. 55Analgetika Cave: Nebenwirkungen (z. B.
Auf Begleitkrankheiten wie Diabetes mellitus, Obstipation usw.) im Alter
Hypertonie, eine verminderte Knochendichte und 55Nichtsteroidale Antirheumatica (NSAR)
Depressionen ist bei der Behandlung zu achten. Cave: eingeschränkte Nierenfunktion im
Eine Depression tritt häufiger als Sekundär- Alter, Polypragmasie, gastrointestinale
erscheinung auf, wenn es im Alter z. B. zu einem Beschwerden
Verlust von Freizeitaktivitäten und sozialen Kon- 55Glukokortikoide (GC): per os oder
takten kommt. Daran ist auch bei einer Behandlung intraartikulär Cave: Knochendichte im Alter,
mit GC zu denken. Der Zusammenhang zwischen
104 Kapitel 6 · Entzündlich-rheumatische Erkrankungen des älteren Menschen

Kombination mit NSAR, Multimorbidität Nach schrittweiser Reduktion der GC-Dosis


(z. B. Diabetes mellitus), erhöhtes kam es neuerlich zu Schmerzen in Schultern
Infektionsrisiko und einer Schwellung des rechten
55Basismedikamente Cave: eingeschränkte Handgelenks (ab einer Dosis von 12,5 mg
Nierenfunktion, Compliance, maligne und Prednisolon täglich). Nach Erhöhung auf 25 mg
andere (Begleit-)Krankheiten. Prednisolon per die kam es wieder zu einer
55Physikalische Behandlung Besserung und partiellen Rückbildung der
Schwellung im rechten Handgelenk.
In der weiterführenden Diagnostik waren
die antinukleären Antikörper (ANA) negativ;
Basistherapeutika, „Disease Modifying CCP-Antikörper konnten nachgewiesen
Antirheumatic Drugs“ (DMARDs) im Alter werden.
6 Möglichst früher Therapiebeginn unter Die Diagnose einer „Late Onset Rheumatoid
Berücksichtigung der individuellen Arthritis“ (LORA) wurde gestellt und bei
Voraussetzungen im Alter! normaler Nierenfunktion eine einschleichende
55Sulfasalazin Therapie mit 20 mg Methotrexat pro Woche
55Methotrexat (MTX) etabliert.
55Chloroquin Unter laufender MTX-Therapie und einer
55Leflunomid niedrig dosierten Prednisolon-Gabe mit
55Azathioprin Dosen zwischen 2,5 und 5 mg per die war
55Kombinationstherapie (Chloroquin + MTX, der Patient in einer stabilen klinischen,
Sulfasalazin + MTX) wenn auch nicht gänzlich beschwerdefreien
55Biologika Situation. Ein Ausschleichen der GC wurde
vorerst nicht toleriert. Über eine Intensivierung
der Basistherapie wurde gesprochen. Der
gut informierte Patient wollte zurzeit keine
Fallbeispiel: Ein Patient mit Schmerzen in Änderung der Behandlung. Bei normaler
beiden Schultern Knochendichte erfolgte unter laufender
Ein aktiver 68-jähriger Rentner klagte über GC-Therapie eine Kalzium- und Vitamin-D-
beidseitige, heftige Schulterschmerzen, die Substitution. Nach 6 Monaten konnten die GC
innerhalb von Tagen auftraten; unabhängig schließlich schrittweise abgesetzt werden.
von Belastungen, sowohl während des
Tages als auch während der Nachtstunden.
Durch NSAR konnte keine Besserung erreicht
werden. Kommentar
Im Status fand sich keine Synovitis, die aktive Die rheumatoide Arthritis verläuft bei älteren
und passive Bewegung der Schultergelenke Patienten oft nicht mit dem typischen Bild
war leicht schmerzhaft. Die übrigen Gelenke einer symmetrischen Arthritis unter Betonung
waren unauffällig. der Hand- und Fingergelenke. Häufiger
Im Labor zeigte sich ein unauffälliges Blutbild, sind große Gelenke betroffen und vor allem
der RF war negativ, die BSG mit 60 in der 1. zu Beginn kann der Unterschied zu einer
Stunde deutlich erhöht. Mit der Verdachts- Polymyalgia rheumatica (PMR) schwierig sein.
diagnose einer Polymyalgia rheumatica wurde Patienten mit LORA sprechen üblicherweise
eine Prednisolon-Therapie mit 75 mg (!) täglich schlechter auf GC an (als Patienten mit PMR)
eingeleitet und nach 2 Tagen war der Patient bzw. kann bei LORA mit niedriger Dosis kaum
beschwerdefrei. Beschwerdefreiheit erreicht werden. Bei
6.2 · Polymyalgia rheumatica (PMR)
105 6
Beteiligung hinweisen. Neben der reinen PMR findet
Patienten mit PMR genügt in der Regel eine sich bei etwa einem Fünftel der Patienten eine zusätz-
initiale Dosis von 15–25 mg, um eine rasche liche Großgefäßvaskulitis vom Typ der RZA. Umge-
Beschwerdefreiheit zu erzielen. Ein promptes kehrt weist etwa ein bis zwei Drittel der Patienten mit
Ansprechen auf diese Dosis ist auch für die einer RZA Symptome einer Polymyalgie auf.
Diagnosefindung hilfreich. Daher sollte Eine stetige Wachsamkeit ist gefordert, insbe-
erfahrungsgemäß unter Annahme einer PMR sondere ob sich hinter den Symptomen einer Poly-
nicht mit zu hohen Prednisolon-Dosen (wie myalgia rheumatica nicht doch eine andere Erkran-
in diesem Fall) begonnen werden, um nicht kung verbirgt (7 Abschn. „Differenzialdiagnose“)
eine andere Erkrankung zu verschleiern. Der [9], [11].
Nachweis von CCP-Antikörpern bei älteren
Patienten mit anfänglich vordergründigen z Diagnostik
Zeichen einer PMR ist natürlich hochverdächtig Die Muskulatur des Schultergürtels ist meist etwas
für eine LORA. druckschmerzhaft (die Muskelbäuche und nicht die
Sehnenansätze), die Muskelkraft oft nicht beeinträch-
tigt. In manchen Fällen können eine mäßige Druck-
empfindlichkeit von Gelenkkapseln, leichte Synovia-
6.2 Polymyalgia rheumatica (PMR) litiden oder eine diffuse Schwellung bzw. ein Ödem
am Handrücken oder Handgelenk die Abgrenzung
Die PMR ist eine häufige entzündlich-rheumatische zu einer rheumatoiden Arthritis erschweren. Über-
Erkrankung des höheren Lebensalters. 90% aller gänge in eine Riesenzellarteriitis oder eine rheuma-
Patienten erkranken nach dem 60. Lebensjahr. Die toide Arthritis des älteren Menschen sind möglich.
Inzidenz beträgt etwa 50 pro 100.000 der über 50-Jäh- Die serologischen Entzündungsparameter
rigen und steigt mit zunehmendem Alter an. Das wie BSG und C-reaktives Protein (CRP) sind übli-
Risiko, im Laufe eines Lebens an einer PMR zu erkran- cherweise (>90%) deutlich erhöht. Fallweise kann
ken, beträgt für Frauen 2,4% und für Männer 1,7% [4]. zu Beginn der Erkrankung die BSG aber auch nur
mäßig erhöht sein (d. h. <40 mm in der 1. Stunde). Es
z Symptomatik zeigt sich häufig eine normochrome bis hypochrome
Der Erkrankung beginnt meist plötzlich mit Schmer- Anämie. Die Transaminasen können als Ausdruck
zen im Schultergürtel. Die Beschwerden im Schul- einer unspezifischen Leberbeteiligung ebenfalls
ter und Nackenbereich manifestieren sich meist erhöht sein. Autoimmunserologische Parameter wie
beidseitig, ein einseitiger Beginn ist möglich. In der RF, CCP-Antikörper oder ANA sind negativ.
Folge kann es zu zusätzlichen Schmerzen im Hüft- Sonographisch finden sich häufig Tenosynovi-
bereich kommen, mit Ausstrahlung in Gesäß und tiden, Bursitiden oder auch eine Synovitis z. B. der
Oberschenkel. Seltener beginnen die Symptome im Glenohumeralgelenke.
Hüftbereich oder sind vereinzelt auf den Becken- Die Diagnose ergibt sich aus der typischen
gürtel beschränkt. Die Beschwerden treten während Klinik, der hohen BSG und dem prompten und
des Tages und der Nachtzeit auf und verstärken sich guten Ansprechen auf GC [2], [8], [11]. Im Jahr
typischerweise bei Bewegung und Belastung. Die 2012 wurden neue Klassifikationskriterien in einem
Symptomatik ist begleitet von einer meist starken Gemeinschaftsprojekt von European League Against
Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes mit Abge- Rheumatism (EULAR) und American College of
schlagenheit und Gewichtsverlust und fallweise sub- Rheumatology (ACR) publiziert. Diese Kriterien
febrilen Temperaturen, Kopfschmerzen, Schlafstö- wurden für klinische Studien, ausdrücklich aber
rungen und Depressionen. nicht für die Diagnose in der täglichen Praxis ent-
Auf eine mit einer PMR assoziierten Riesenzell- wickelt [6]. Die ersten Kriterien zur Diagnose einer
arteriitis (RZA) ist zu achten. Kopfschmerzen, Seh- PMR wurden von Bird und Mitarbeitern 1979 pub-
störungen, eine druckempfindliche Temporalarte- liziert und werden im klinischen Alltag noch häufig
rie oder Schmerzen beim Kauen können auf eine verwendet (7 Übersicht) [2].
106 Kapitel 6 · Entzündlich-rheumatische Erkrankungen des älteren Menschen

z Therapie
Polymyalgia rheumatica (PMR): Bird-Krite- Den Goldstandard in der Behandlung der PMR
rien zur Diagnose [2] stellen Glukokortikoide dar. In den aktuellen
55Bilateraler Schulterschmerz oder Steifigkeit EULAR/ACR-Empfehlungen von 2015 [7], [8]
55Akuter Krankheitsbeginn innerhalb von wird eine minimale effektive Anfangsdosis von
weniger als 2 Wochen 12,5–25 mg Prednisolon am Morgen vorgeschla-
55Initiale BSG >40 mm in der 1. Stunde gen. Es wurde beobachtet, dass Patienten mit einer
55Morgensteifigkeit von >1 Stunde höheren Anfangsdosis nach 2 Monaten Behandlung
55Alter >65 Jahre ein geringeres Rezidivrisiko aufwiesen als Patienten
55Depression und/oder Gewichtsverlust mit einer niedrigeren GC-Dosis zu Beginn. Patien-
55Bilaterale Druckschmerzhaftigkeit der ten mit einem hohen Risiko für GC-assoziierte
Oberarme Nebenwirkungen (Diabetes mellitus, Osteoporose
etc.) sollten eine niedrige Anfangsdosis erhalten.
6 Die Diagnose kann gestellt werden, wenn 3 Nach Erreichen einer klinischen Beschwerdefrei-
oder mehr Kriterien erfüllt werden. heit wird eine Reduktion der GC innerhalb von
4–8 Wochen auf 10 mg/Tag empfohlen. In der
Folge sollte in sehr kleinen Schritten eine Erhal-
z Differenzialdiagnose
tungsdosis von 5(–7,5) mg per die erreicht werden
In einer prospektiven Studie wurde beobachtet, dass ( 7  Übersicht). Für die Vorschreibung der tägli-
bei einem Drittel der Patienten, die initial als PMR chen GC-Dosis ist ein individualisierter Therapie-
diagnostiziert wurden, nach einem Jahr die Diagnose plan notwendig.
revidiert werden musste. Die meisten dieser Patien-
ten wurden schließlich als rheumatoide Arthritis des
höheren Lebensalters (LORA) eingestuft. Ein Nach- Therapie der PMR
weis von Rheumafaktoren oder CCP-Antikörpern 55Beginn mit Prednisolon 15–25 mg täglich
und das unzureichende Ansprechen auf GC sind ein per os mit langsamer Reduktion auf eine
Hinweis. Eine weitere wichtige Differenzialdiagnose Erhaltungsdosis von 5 mg täglich
ist die RZA (siehe oben). Beidseitige Schulterschmer- 55Therapiedauer (1–)3 Jahre
zen können auch bei einer Chondrokalzinose auftre- 55Die überwiegende Mehrheit der Patienten
ten. Hier ist der sonographische oder radiologische mit PMR spricht auf Prednisolon allein
Nachweis von Verkalkungen im hyalinen oder Faser- prompt und sehr gut an.
knorpel hilfreich. Zudem sollte immer, vor allem bei 55Ein unzureichendes Ansprechen lässt die
atypischer Klinik und nicht oder nur unzureichen- Diagnose in Zweifel ziehen!
dem Ansprechen auf GC, ein Malignom ausgeschlos-
sen werden [8] (siehe auch folgende 7 Übersicht).
Ein rasches und sehr gutes Ansprechen bestätigt die
Diagnose, ein unzureichendes Ansprechen oder die
Differenzialdiagnose PMR Notwendigkeit höherer Steroid-Dosen lassen diese
55Riesenzellarteriitis in Zweifel stellen.
55Late Onset Rheumatoid Arthritis Entsprechend den EULAR/ACR-Empfehlun-
55Spondyloarthritiden gen von 2015 kann der Einsatz von MTX bereits zu
55Granulomatose mit Polyangiitis (Wegener) Beginn der Behandlung erwogen werden. Dies gilt
und mikroskopische Polyangiitis vor allem für Patienten mit einem erhöhten Risiko
55Kollagenosen für Rezidive, oder wenn durch vorhandene Komor-
55Paraneoplastische Myalgien biditäten mit einer GC-Nebenwirkung gerech-
55Fibromyalgie-Syndrom net werden muss. MTX sollte natürlich auch wie
bisher bei Rezidiven, unzureichendem Ansprechen
6.3 · Riesenzellarteriitis (RZA)
107 6
auf GC oder einer manifesten GC-assoziierten
Nebenwirkung im Laufe der Behandlung einge- Fallbeispiel: 71-jährige Patientin mit
setzt werden. Schmerzen im Schultergürtel
Die Behandlung sollte nicht mit einer höheren Eine 71-jährige Patientin klagte über vor 2
GC-Gabe begonnen werden (außer bei Verdacht Monaten akut aufgetretene Schmerzen im
einer RZA), um nicht die Symptome einer anderen Schultergürtel und Nacken. Die Beschwerden
Erkrankung zu verschleiern (durch eine unspezifi- traten während des Tages und der Nacht
sche Wirkung hoher GC-Dosen auch bei anderen auf. Sie bemerkte keine Beeinflussung durch
entzündlichen Erkrankungen). Bewegung, weder im Sinne einer Verbesserung
Mit einem 1- bis 3-jährigen Krankheitsver- noch einer Verschlechterung. Eine ausgeprägte
lauf bzw. einer ebenso langen Therapiedauer muss Muskelschwäche fiel nicht auf. In den letzten
gerechnet werden [3], [8], [11], [13]. 14 Tagen verspürte sie auch Schmerzen im
Im Jahr 2010 sind von der Britischen Gesellschaft Gesäß und in den Oberschenkeln. Sie fühlte
für Rheumatologie neue Leitlinien für das Manage- sich abgeschlagen und lustlos und berichtete
ment der PMR publiziert worden [5]. Diese haben über einen Gewichtsverlust von 4 kg.
sich vor allem in der Praxis sehr bewährt, weil sie aus- Die Patientin berichtete über Schmerzin-
drücklich das Schnittstellenmanagement zwischen fusionen, lokale Infiltrationen und physikalische
Allgemeinmedizinern und Spezialisten (gerade eben Behandlungen in den letzten Wochen, die aber
bei einer PMR) berücksichtigen [12]: allesamt nur zu geringer oder kurzfristiger
Für die Diagnostik wird ein umfangreiches Aus- Besserung führten. Unter dem Verdacht eines
schluss-Scoring empfohlen und das Ansprechen protrahierten Infekts wurde schließlich ohne
auf eine GC-Therapie berücksichtigt. Bei typischer Erfolg ein Antibiotikum verabreicht.
Klinik und entsprechendem Ansprechen auf Pred- Im Labor zeigte sich eine BSG von 73 mm
nisolon kann eine PMR auch ohne erhöhte serolo- in der 1. Stunde. RF, CCP-Antikörper, ANA,
gische Entzündungszeichen diagnostiziert werden. Kreatinkinase (CK) und Elektrophorese waren
Es wird eine Startdosis mit 15 mg/Tag empfoh- unauffällig. Im Rahmen einer Tumorsuche
len und eine mindestens 70%ige klinische Besse- erfolgte eine komplette Abklärung (mit
rung nach einer Woche sowie eine Normalisierung Sonographie, Röntgen, Endoskopie) ohne
der serologischen Entzündungsparameter nach 4 wegweisenden Befund.
Wochen gefordert. Eine Dosis von 15 mg/Tag sollte Die Patientin wurde mit 25 mg Prednisolon
für 3 Wochen beibehalten werden, in der Folge um täglich per os behandelt und war nach 2 Tagen
2,5 mg alle 3 Wochen reduziert werden. Eine Tages- beschwerdefrei. Die Diagnose einer PMR
dosis von 10 mg wird für 4–6 Wochen vorgeschla- wurde gestellt.
gen und danach sollte alle 4–8 Wochen um 1 mg
auf eine Erhaltungsdosis von ca. 5 mg/Tag redu-
ziert werden.
Eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit einem 6.3 Riesenzellarteriitis (RZA)
Spezialisten wird bei Patienten unter 60 Jahren
empfohlen, ebenso bei nicht akutem Beginn der Die Riesenzellarteriitis (7 Kap. 7) befällt häufig die
Beschwerden, bei fehlender Beteiligung des Schul- Aorta und die proximalen Gefäße. Typischerweise
tergürtels, bei ausgeprägten Allgemeinsympto- ist dabei auch die Arteria temporalis befallen. Die
men, bei normalen oder extrem erhöhten serolo- Krankheitsbezeichnung „Arteriitis temporalis
gischen Entzündungsparametern, bei Hinweisen Horton“ lässt unzureichenderweise auf einen aus-
auf eine andere rheumatologische Erkrankung und schließlichen Befall der Schläfenarterie denken und
bei fehlendem Ansprechen auf eine Therapie mit sollte daher nicht mehr verwendet werden. In bild-
GC. Eine maligne Erkrankung sollte ausgeschlos- gebenden Verfahren konnte die Beteiligung großer
sen werden. arterieller Gefäße nachgewiesen werden.
108 Kapitel 6 · Entzündlich-rheumatische Erkrankungen des älteren Menschen

Die RZA ist eine Erkrankung des hohen Lebens- Prednisolon-Äquivalent pro Tag bzw. 0,5–1,0 mg pro
alters und nimmt mit zunehmendem Alter steil zu. kg Körpergewicht und reduziert nur sehr langsam
Sie ist bei Patienten mit über 80 Jahren 10-mal häu- in 14-tägigen Intervallen. Bei zu schneller Reduk-
figer als bei Patienten mit 50–59 Jahren. tion droht ein Rezidiv. Meist ist eine längere Behand-
Etwa 1–2 Drittel der Patienten haben gleichzei- lungsdauer als bei der reinen PMR indiziert. Insbe-
tig eine PMR. Die RZA ist die häufigste systemische sondere wenn eine höher dosierte GC-Dosis über
Vaskulitis im Alter, gefolgt von der Granulomatose einen längeren Zeitraum notwendig ist, kann die
mit Polyangiitis (Wegener) [8], [12], [13]. zusätzliche Gabe von immunsuppressiven Medi-
kamenten wie Azathioprin oder Methotrexat erfor-
z Symptomatik derlich. Bei Patienten mit visueller Symptomatik ist
Die Klinik ist geprägt von Kopfschmerzen, vor allem eine hoch dosierte intravenöse GC-Gabe notwendig
Schläfenkopfschmerzen, Sehstörungen und Schmer- [12], [14].
zen beim Kauen. Eine prominente Arteria tempora-
6 lis ist typischerweise sehr druckempfindlich. Auch
Durchblutungsstörungen der Extremitäten können Fallbeispiel: 83-jährige Witwe mit Kopf-
auftreten. Die klinischen Zeichen einer Polymyal- schmerzen
gia rheumatica können fehlen oder in Kombination Bei einer 83-jährigen Patientin wurde zunächst
auftreten. Unbehandelt kann die Erkrankung zur aufgrund einer typischen Symptomatik mit
Erblindung führen. Schmerzen im Schultergürtelbereich und
einer hohen Blutsenkung die Diagnose einer
z Diagnostik PMR gestellt. Nach erfolgreicher initialer
Laborchemisch zeigt sich die BSG deutlich erhöht Schmerzfreiheit durch eine Behandlung mit
(≥50 mm in der 1. Stunde). Mittels einer Farbdopp- 25 mg Prednisolon per die war sie nach 2
lersonographie erreicht der geübte Untersucher eine Monaten zunächst auch unter einer Dosis
ähnliche Sensitivität wie mit einer Temporalarterien- von täglich 5 mg Prednisolon beschwerdefrei.
biopsie. Ein negativer Befund schließt eine Großgefäß- Schließlich kam es unter laufender niedrig
vaskulitis anderer Äste nicht aus (7 Übersicht) [12]. dosierter GC-Gabe zu einer Verschlechterung
des Zustandsbildes mit Schmerzen im
Schultergürtel und einem neu aufgetretenen,
Wichtige Kriterien der Riesenzellarteriitis zunehmenden Kopfschmerz. Bei der
55Alter >50 klinischen Untersuchung fiel eine prominente,
55Neu entstandener Kopfschmerz gerötete und deutlich druckempfindliche
55Druckempfindlichkeit der Arteria temporalis Temporalarterie auf. Durch Berührung wurde
55Erhöhte BSG (≥50 mm in der 1. Stunde) ein über Stunden verstärkter Kopfschmerz
55Positive Histologie in Temporalarte- provoziert.
rienbiopsie. Die Doppleruntersuchung der Die durch Biopsie gewonnene Histologie der
Arterie ist von ähnlicher Sensitivität Temporalarterie sicherte die Diagnose einer
55Bei Beteiligung der Gefäße, die zu Riesenzellarteriitis bzw. Arteriitis temporalis.
Sehnerven führen, Gefahr der Erblindung Die Prednisolon-Therapie wurde auf 60 mg
55Komplikationen: Visusverlust, Beteiligung täglich erhöht und nur sehr langsam und
der Koronararterien, Schlaganfall schrittweise in 2-wöchigen Intervallen
55Therapie: Prednisolon 60 mg/Tag mit reduziert. Kopf- und Muskelschmerzen
langsamer Reduktion sistierten innerhalb weniger Tage.
Erst nach 6 Monaten konnte unter einer
niedrigen Dosis von täglich 5 mg Prednisolon
z Therapie
unter zusätzlicher Verabreichung von
Eine höher dosierte längerfristige Behandlung 10 mg MTX/Woche eine Beschwerdefreiheit
mit GC ist notwendig. Man beginnt mit 60 mg
6.5 · Kollagenosen des höheren Alters
109 6

aufrechterhalten werden. Die Patientin und einer Tenovaginitis der Handflexoren.


wurde informiert, dass mit einer Der Gelenkstatus war im Übrigen bis auf
mehrjährigen Behandlung bzw. einem langen geringe Arthrosen der Hüft- und Kniegelenke
Krankheitsverlauf gerechnet werden muss. unauffällig. Die serologischen Entzündungs-
Rezidive traten in der Folge nicht mehr auf. Sie parameter zeigten eine mäßige Erhöhung der
erhält eine zusätzlich laufende Bisphospho- BSG.
nat-Therapie und Kalzium- und Vitamin-D- Unter Gabe von GC (25 mg Prednisolon
Substitution bei nachgewiesener Osteoporose täglich in wöchentlich fallender Dosierung)
(T-Score-2,7). Knochendichtemessungen kam es rasch zu einer Besserung. Innerhalb
werden in jährlichen Abständen durchgeführt. von 4 Wochen wurde die Medikation
auf 5 mg Prednisolon täglich reduziert.
Die Schwellungen bildeten sich rasch
zurück und der Patient war auch bei einer
6.4 RS3PE-Syndrom (Remitting Kontrolluntersuchung nach 3 Monaten
Seronegative Symmetric beschwerdefrei. Ein Absetzen der GC wurde
Synovitis with Pitting Edema) diskutiert.

Es handelt sich dabei um eine remittierende (R) sero-


negative symmetrische Schwellung (3S), einherge-
hend mit einem Weichteilödem (PE). Kommentar
Es zeigt sich meist ein eher plötzlicher Beginn In Zusammenschau aller Befunde
einer Synovitis der Hand- und Fingergelenke mit wurde bei dem Patienten die Diagnose
diffuser teigig-ödematöser Schwellung der Handrü- eines RS3PE-Syndroms gestellt. Dieses
cken, als Folge von Tenosynovialitiden. Syndrom ist eine wichtige Differenzial-
Zudem fällt eine ausgeprägte Morgensteifigkeit diagnose zur rheumatoiden Arthritis
auf. Meist sind ältere Männer (>50 Jahre) betroffen. des höheren Lebensalters und zur PMR,
Es finden sich keine begleitenden Myalgien. betrifft überwiegend ältere Männer und
Die Prognose ist in der Regel gut. Die Patienten hat, insbesondere wenn es isoliert auftritt,
sprechen ebenso wie bei einer PMR auf eine GC- meistens eine gute Prognose. Übergänge in
Behandlung gut an. Langfristige Remissionen sind eine rheumatoide Arthritis sind möglich. Die
häufig. Diagnose wurde erst nach einer längeren
Fallweise handelt es sich auch um Vorläufer Observanz bestätigt.
anderer Erkrankungen, inklusive einer Paraneopla-
sie. Die Diagnose sollte daher erst nach einer Beob-
achtungsperiode gestellt werden [12], [13].
6.5 Kollagenosen des höheren
Alters
Fallbeispiel: Älterer Mann mit Schwellun-
gen der Hände Die häufigste Kollagenose im Alter ist das Sjögren-
Ein 76-jähriger aktiver Rentner präsentierte Syndrom. Neben der Mund- und Augentrockenheit
sich beim Rheumatologen mit Schmerzen und als Folge einer glandulären Insuffizienz, kommt es oft
Schwellungen beider Hände, die plötzlich, d. h. zu einer deutlichen Einschränkung des Allgemein-
innerhalb weniger Tage auftraten. befindens mit Müdigkeit, Arthritiden und einem
Es zeigte sich eine symmetrische Polyarthritis Raynaud-Syndrom.
der Hand- und Fingergelenke mit einem Der systemische Lupus erythematodes ist im
diffusen bilateralen Ödem beider Hände Alter eher die Ausnahme; Polymyositis und Derma-
tomyositis kommen auch in höherem Alter vor.
110 Kapitel 6 · Entzündlich-rheumatische Erkrankungen des älteren Menschen

6.6 Chondrokalzinose [3] Bird HA, Leeb BF, Montecucco CM et al. (2005) A compa-
rison of the sensitivity of diagnostic criteria for Polymy-
algia rheumatica. Ann Rheum Dis 64:626–629
In höherem Alter kommt es häufiger zu einer Verkal- [4] Crowson CS, Matteson EL, Myasoedova E et al. (2011)
kung des hyalinen Knorpels im Sinne einer Chond- The lifetime risk of adult-onset rheumatoid arthritis and
rokalzinose. Diese auch als Pseudogicht bezeichnete other inflammatory autoimmune rheumatic diseases.
Erkrankung führt durch Freisetzung von Kalzium- Arthritis Rheum 63:633–639. doi:10.1002/art.30155
[5] Dasgupta B, Borg FA, Hassan N, Barraclough K, Bourke B,
pyrophosphatkristallen zu einer akuten Arthritis, die
Fulcher J, Hollywood J et al. (2010) BSR and BHPR guide-
Tage bis Wochen dauern kann. Es kommt zu starken lines for the management of polymyalgia rheumatica.
Gelenkschmerzen sowie zu einer Schwellung und Rheumatology 49:186–190
Überwärmung ähnlich einem Gichtanfall. Am häu- [6] Dasgupta B, Cimmino MA, MaraditKremers H et al.
figsten sind die Kniegelenke betroffen; die Entzün- (2012) 2012 provisional classification criteria for poly-
myalgia rheumatica: a European League Against Rheu-
dung kann aber auch in anderen Gelenken auftreten.
matism/American College of Rheumatology collabora-
Auch ein polyartikulärer Verlauf ist möglich.
6 Laborchemisch finden sich im Anfall hohe
tive initiative. Ann Rheum Dis 71:484–492. doi:10.1136/
annrheumdis-2011-200329
Entzündungsparameter. [7] Dejaco C, Singh YP, Perel P et al. (2015) 2015 recommen-
Differenzialdiagnostisch ist neben einer septi- dations for the management of polymyalgia rheumati-
ca: a European League Against Rheumatism/American
schen Arthritis an eine aktivierte Arthrose, an eine
College of Rheumatology collaborative initiative. Ann
Gicht, eine Paraneoplasie oder bei polyartikulärem Rheum Dis 74:1799–1807. doi:10.1136/annrheum-
Befall auch an eine rheumatoide Arthritis zu denken. dis-2015-20749233
Die Diagnose gelingt meist durch den radiologi- [8] Dejaco C, Matteson EL, Buttgereit F (2016) Diagnostik
schen Befund einer Chondrokalzinose und/oder den und Therapie der Polymyalgia rheumatica. Z Rheumatol
75: 687–700
Nachweis von Kristallen im Gelenkpunktat.
[9] Kermani TA, Warrington KJ (2013) Polymyalgia
Die Betroffenen sprechen auf eine limitierte The- rheumatica. Lancet 381:63–72. doi:10.1016/S0140-
rapie mit GC gut an. 6736(12)60680-1
[10] Kneitz C, Strangfeld A, Krüger K (2014) Prophylaxe und
Behandlung von Infektionen beim älteren Patienten.
6.7 Paraneoplastische Syndrome Z Rheumatol 73:225–232
[11] Märker-Hermann E, Schmidt E (2009) Polymyalgia rheu-
matica. Dtsch Med Wochenschr 134:135–142
Eine diagnostische Herausforderung ist das Auftre- [12] Muller S, Hider SL, Helliwell T et al. (2016) Characterising
ten von Gelenkbeschwerden als Folge einer (noch those with incident polymyalgia rheumatica in primary
unbekannten) Tumorerkrankung. Das klinische Bild care: results from the PMR Cohort Study. Arthritis Res
Ther 18:200. doi: 10.1186/s13075-016-1097-8
ist sehr variabel. Es können chronische Gelenk- und
[13] Wollenhaupt J (2003) Gerontorheumatologie. Thieme,
Muskelerkrankungen imitiert werden, daneben auch Stuttgart
episodenartig mono- bis oligoarthritische Beschwer- [14] Wollenhaupt J (2009) Gerontorheumatologie. Z Rheu-
den auftreten. matol 68:397–404
Ein reduzierter Allgemeinzustand, ein unzurei- [15] Yazici Y, Paget SA (2000) Elderly onset rheumatoid arth-
ritis. Rheum Dis Clin North Am 26:517–526
chendes Ansprechen auf Steroide oder ein buntes
Bild von Gelenkbeschwerden muss an eine Paraneo-
plasie denken lassen [12] [13].

Literatur

[1] Bajocchi G, Corte R, Locaputo A et al. (2000) Elderly


onset rheumatoid arthritis; clinical aspects. Clin Exp
Rheumatol 18 [Suppl 4]:S40–S50
[2] Bird HA, Esselinckx W, Dixon AS, Mowat AG, Wood PH
(1979) An evaluation of criteria for polymalgia rheuma-
tica. Ann Rheum Dis 38:434–439
111 7

Systemische Vaskulitiden
Rudolf Puchner

7.1 Großgefäßvaskulitis – 114


7.1.1 Riesenzellarteriitis/Giant-Cell-Arteritis (RZA/GCA) – 114
7.1.2 Takayasu-Arteriitis (TA) – 116

7.2 Vaskulitis mittelgroßer Gefäße – 116


7.2.1 Polyarteriitis nodosa (PAN) – 116
7.2.2 Kawasaki-Syndrom – 118

7.3 Kleingefäßvaskulitis – 119


7.3.1 ANCA-assoziierte Vaskulitiden – 119
7.3.2 Immunkomplexvaskulitiden – 122

7.4 Vaskulitis variabler Gefäße – 125


7.4.1 Cogan-Syndrom – 125
7.4.2 Morbus Behçet – 126

7.5 Einzelorganvaskulitiden – 128

7.6 Weblinks – 129

Literatur – 129

Dieser Beitrag ist erschienen in: Wiener klinische Wochenschrift Education 2016, 11:43–62.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_7
112 Kapitel 7 · Systemische Vaskulitiden

Unter einer Vaskulitis versteht man eine entzündli- umgekehrte Fall, nämlich eine Entzündung kleiner
che Erkrankung der Blutgefäße, wobei sowohl Arte- Gefäße bei Großgefäßvaskulitiden, äußert selten.
rien, Arteriolen, Kapillaren, Venolen und Venen Bei der Chapel-Hill-­Konsensuskonferenz im Jahr
betroffen sein können. Eine einheitliche Benen- 2012 wurde die Nomenklatur erweitert und über-
nung der Gefäßgrößen und des Gefäßtyps ist für arbeitet (.  Tab. 7.1 und . Abb. 7.1). Neue ätiopa-
die Kommunikation und interdisziplinäre Zusam- thologische Erkenntnisse wurden zusätzlich zu den
menarbeit essenziell. Dies wurde 1992 im Rahmen deskriptiven Beschreibungen von Gefäßgröße und
der Chapel-Hill-Konsensuskonferenz klar definiert Entzündungstyp berücksichtigt. Eponyme wurden
und eine Einteilung primär systemischer Vaskuliti- mehrheitlich durch systematische Namen ersetzt. So
den erarbeitet [30]. Arterien sind bei Vaskulitiden heißt die Wegener-Granulomatose jetzt Granuloma-
viel häufiger befallen als Venen. Daher beziehen tose mit Polyangiitis, das Churg-Strauss-­Syndrom
sich Begriffe wie Großgefäßvaskulitis oder Vasku- eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis. Selte-
litis mittelgroßer Gefäße stets auf Arterien. Zudem nere, aber wichtige Krankheitsbilder wurden in die
bezeichnet die Gefäßgröße nur den prädominan- Nomenklatur aufgenommen. Im Konsensus wurden
ten Befall. Während bei Kleingefäßvaskulitiden 2012 5 neue Kategorien definiert: mit antineutro-
7 auch größere Gefäße involviert sein können, ist der philen zytoplasmatischen Antikörpern (ANCA)

. Tab. 7.1  Definitionen der Chapel-Hill-Konsensuskonferenz (CHCC) zur Nomenklatur der Vaskulitiden (adaptiert aus
[31], [26])

Großgefäßvaskulitis Vaskulitis, die öfter als andere Vaskulitiden große Gefäße befällt; dazu
gehören die Aorta und ihre Hauptäste, es können aber Arterien jeder Größe
befallen sein
Takayasu-Arteriitis Granulomatöse Entzündung der Aorta und ihrer Hauptäste, meist vor dem
oder um das 40. Lebensjahr
Riesenzellarteriitis Granulomatöse Entzündung der Aorta und ihrer Hauptäste; typischerweise
(mit)betroffen ist die Arteria temporalis; häufig assoziiert mit Polymyalgia
rheumatica, meist nach dem 50. Lebensjahr auftretend
Vaskulitis mittelgroßer Gefäße Vaskulitis, die hauptsächlich die mittelgroßen Arterien befällt (Hauptvisze-
ralarterien und ihre Äste)
Polyarteriitis nodosa Nekrotisierende Entzündung der mittelgroßen und kleinen Arterien
Kawasaki-Arteriitis Arteriitis vorwiegend der mittelgroßen und kleinen Arterien, häufige
Beteiligung der Koronargefäße, tritt bei Säuglingen und Kleinkindern auf;
ist assoziiert mit dem mukokutanen Lymphknotensyndrom
Kleingefäßvaskulitis Vaskulitis, die vorwiegend die kleinen Gefäße befällt (kleine Arterien, Arte-
riolen, Kapillaren und Venolen)
ANCA-assoziierte Vaskulitis Nekrotisierende Vaskulitis mit wenigen oder fehlenden Immunkomplexen,
die vorwiegend die kleinen Gefäße befällt und mit MPO-ANCA oder PR3-
ANCA assoziiert ist (nicht bei allen Betroffenen sind ANCA nachweisbar)
Granulomatose mit Poly- Granulomatöse Entzündungen des Respirationstrakts und nekrotisierende
angiitis (GPA; Morbus Entzündung kleiner und mittlerer Arterien, meist mit nekrotisierender
Wegener) Glomerulonephritis
Mikroskopische Nekrotisierende Vaskulitis mit wenigen oder fehlenden Immunkomplexen,
Polyangiitis vorwiegend mit Befall kleiner Gefäße, häufig mit pulmonaler Kapillaritis und
nekrotisierender Glomerulonephritis, keine granulomatöse Entzündung
Eosinophile Granuloma- Granulomatöse und eosinophilenreiche Entzündung des Respirationstrakts
tose mit Polyangiitis (EGPA; mit nekrotisierender Vaskulitis kleiner bis mittelgroßer Gefäße; meist mit
Churg-Strauss-Syndrom) Asthma und Eosinophilie im Blut assoziiert, ANCA häufiger bei Patienten
mit Glomerulonephritis nachweisbar
Systemische Vaskulitiden
113 7

. Tab. 7.1  Fortsetzung

Immunkomplexvaskulitis Vaskulitis mit Gefäßwandablagerungen von Immunkomplexen und/oder


Komplementfaktoren, häufig mit nekrotisierender Glomerulonephritis
Anti-GBM-Krankheit Vaskulitis, die glomeruläre und/oder pulmonale Kapillaren befällt, es kommt
zu Ablagerungen von Antibasalmembranautoantikörpern im Bereich von
Basalmembranen, eine Lungenbeteiligung führt zu pulmonaler Hämor-
rhagie, eine Beteiligung der Nieren führt zu einer Glomerulonephritis mit
Halbmondbildung; früher als Goodpasture-Syndrom bezeichnet
Kryoglobulinämische Vaskulitis mit Kryoglobulinkomplexen, assoziiert mit Kryoglobulinen im
Vaskulitis Serum, häufig mit Beteiligung von Haut, Nieren und peripheren Nerven
IgA-Vaskulitis (Purpura Vaskulitis mit IgA1-dominanten Immunkomplexen, häufig mit Beteiligung
Schönlein-Henoch) von Haut, Gastrointestinaltrakt und einer Gelenkentzündung
Hypokomplementämische Häufig mit Glomerulonephritis, Arthritis, obstruktiver Lungenerkrankung
Urtikariavaskulitis (HUV, und Beteiligung der Augen
Anti-C1q-Vaskulitis)
Vaskulitis variabler Gefäße Vaskulitis, die Gefäße jeder Größe (klein, mittel, groß) und jeden Typs (Arte-
rien, Venen, Kapillaren) befallen kann
Morbus Behçet Die Erkrankung ist charakterisiert durch orale und/oder genitale Aphten,
mit Beteiligung der Haut, Augen und Gelenke, des Gastrointestinaltrakts
und des Zentralnervensystems; eine Vaskulitis bei Patienten mit Morbus
Behçet kann Arterien und Venen befallen und präsentiert sich als Kleinge-
fäßvaskulitis; Thrombosen und arterielle Aneurysmen können auftreten
Cogan-Syndrom Die Erkrankung ist charakterisiert durch eine Entzündung der Augen (inter-
stitielle Keratitis, Uveitis und Episkleritis) sowie Innenohrerkrankungen mit
Hörverlust bis zu Taubheit, 10–20% der Patienten zeigen eine Vaskulitis der
Arterien unterschiedlicher Größe, auch mit Aortitis und Aortenaneurysmen
Einzelorganvaskulitis Vaskulitis mit Beteiligung von Arterien oder Venen jeder Größe in einem
Organ ohne Hinweise auf Vorliegen einer limitierten Form einer systemi-
schen Vaskulitis, Organe und betroffener Gefäßtyp sollten im Namen ent-
halten sein (z. B. kutane Kleingefäßvaskulitis, ZNS-Vaskulitis); einige dieser
Patienten werden nach einer Beobachtungszeit und Auftreten zusätzlicher
Symptome im Sinne einer systemischen Vaskulitis reklassifiziert werden; die
häufigste Form ist die kutane leukozytoklastische Vaskulitis
Vaskulitis assoziiert mit Vaskulitis, die im Zusammenhang mit einer Systemerkrankung auftritt, der
Systemerkrankungen Name der Systemerkrankung sollte der Vaskulitis vorangestellt werden (z. B.
Lupus-Vaskulitis, rheumatoide Vaskulitis)
Vaskulitis mit wahrscheinlicher Wahrscheinliche Assoziation mit einer bestimmten Erkrankung; die
Ätiologie Diagnose sollte der Vaskulitis vorangestellt werden (z. B. Hepatitis-B-Virus
assoziierte Vaskulitis, Hepatitis-C-Virus assoziierte kryoglobulinämische
Vaskulitis etc.)

assoziierte Vaskulitiden, Immunkomplexvaskuliti- Bei entzündlichen Gefäßerkrankungen muss zwi-


den, Einzelorganvaskulitiden, Vaskulitiden variab- schen infektiösen und nichtinfektiösen Vaskulitiden
ler Gefäße und Vaskulitiden assoziiert mit System- unterschieden werden. Die Chapel-Hill-Konsensus-
erkrankungen. Zudem wurden neue Entitäten wie konferenz bezieht sich auf nichtinfektiöse Vaskuli-
die Anti-GBM(glomeruläre Basalmembran)-Krank- tiden. Dennoch kann indirekt eine Infektion in der
heit, die hypokomplementämische Urtikariavasku- Pathogenese bei einigen der folgenden Vaskulitiden
litis (Anti-C1q-Vaskulitis), der Morbus Behçet und eine Rolle spielen. Ein Beispiel ist die kryoglobulinämi-
das Cogan-Syndrom in die Nomenklatur integriert. sche Vaskulitis und ihre Assoziation mit Hepatitis C.
114 Kapitel 7 · Systemische Vaskulitiden

Immunkomplex-Kleingefäßvaskulitis
Kryoglobulinämische Vaskulitis
IgA-Vaskulitis (Purpura Schönlein-Henoch)
Hypokomplementämische Urtikaria-Vaskulitis
(Anti-C1q-Vaskulitis)

Vaskulitis mittelgroßer Gefäße Anti-GBM-Krankheit


Polyarteriitis nodosa
Kawasaki-Syndrom Kapillare
Arteriole

Venole
Kleine Arterie
Große bis Vene
mittelgroße
Arterie

7
ANCA-assoziierte Kleingefäßvaskulitis
Mikroskopische Polyangiitis
Granulomatose mit Polyangiitis (M. Wegener)
Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (Churg-Strauss-Syndrom)
Vaskulitis großer Gefäße
Takayasu-Arteriitis
Riesenzellarteriitis

. Abb. 7.1  Gefäßbefallsmuster der einzelnen Vaskulitiden. (Adaptiert nach [26], [31])

7.1 Großgefäßvaskulitis Horton“ lässt unzureichenderweise auf einen aus-


schließlichen Befall der Schläfenarterie schließen
Die Riesenzellarteriitis und die Takayasu-Arterii- und sollte heute nicht mehr verwendet werden, da
tis sind hinsichtlich Gefäßbefall und Histologie sehr die Aorta und ihre proximalen Aufzweigungen eben-
ähnlich. Während die Takayasu-Arteriitis im Kinder falls betroffen sein können, wie in bildgebenden Ver-
und Jugendalter, zumindest aber vor dem 50. Lebens- fahren nachgewiesen werden konnte. Die Entzün-
alter auftritt, wird die Riesenzellarteriitis/Giant-Cell- dung bewirkt eine Verdickung der Gefäßwand mit
Arteritis (RZA/GCA) definitionsgemäß erst nach möglichen konsekutiven Stenosen und Verschlüssen.
dem 50. Lebensjahr diagnostiziert. Es wird disku- Im Bereich der Media entstehen die typischen Gra-
tiert, dass beide Entitäten Erscheinungsformen der- nulome mit Riesenzellen [62].
selben Grundkrankheit sein können.
z Epidemiologie
Die RZA ist eine Erkrankung des höheren Lebens-
7.1.1 Riesenzellarteriitis/Giant-Cell- alters und nimmt mit zunehmendem Alter steil zu.
Arteritis (RZA/GCA) Sie ist bei Patienten mit über 80 Jahren 10-mal häu-
figer als bei Patienten mit 50–59 Jahren. Die RZA ist
Die RZA befällt im Besonderen die Äste der Arteria die häufigste primäre Vaskulitis im Alter mit einer
carotis externa. Typischerweise ist dabei vor allem die Inzidenz von 17/100.000/Jahr, bezogen auf Nord-
Arteria temporalis befallen. Die synonym verwen- europäer älter als 50 Jahre, gefolgt von der Granulo-
dete Krankheitsbezeichnung „Arteriitis temporalis matose mit Polyangiitis (Morbus Wegener). Etwa ein
7.1 · Großgefäßvaskulitis
115 7
Drittel der Patienten hat gleichzeitig eine Polymyal- Fluorodeoxyglukose-Positronenemissionstomogra-
gia rheumatica (PMR) [11], [53], [62]. phie (18FDG-PET); diese weist einen erhöhten Glu-
koseumsatz nach, der insbesondere in entzündeter
z Symptomatik Gefäßwand auftritt. Der Gefäßdurchmesser muss
Die Klinik ist geprägt von allgemeinem Krankheits- allerdings mindestens 3–4 cm sein [53].
gefühl mit subfebrilen Temperaturen und Gewichts-
verlust; im Vordergrund stehen Kopfschmerzen, z Therapie
vor allem im Bereich der Schläfen; Schmerzen beim Eine höherdosierte längerfristige Behandlung mit
Kauen gelten als sehr spezifisch, Sehstörungen sind Glukokortikoiden (GC) ist notwendig und die Basis
ein Alarmsymptom. Eine prominente Arteria tempo- und der Eckpfeiler jeder Behandlung [10], [44].
ralis ist typischerweise sehr druckempfindlich. Auch Man beginnt mit 1 mg pro kg Körpergewicht (max.
Durchblutungsstörungen der Extremitäten können 60–70 mg Prednisolon-Äquivalent pro Tag) und
auftreten. Die klinischen Zeichen einer PMR können reduziert nur sehr langsam in 14-tägigen Intervallen
fehlen oder in Kombination vorhanden sein. Eine auf eine Erhaltungsdosis von schlussendlich 5–7,5 mg
Augenbeteiligung (20–30%) manifestiert sich mit Prednisolon pro Tag. Bei zu schneller Reduktion
Doppelbildern, Amaurosis fugax oder Gesichtsfeld- droht ein Rezidiv. Meist ist eine längere Behand-
ausfällen. Unbehandelt kann die Erkrankung zur lungsdauer als bei der reinen PMR erforderlich.
Erblindung führen [6], [62]. Ein Absetzen gelingt üblicherweise frühestens nach
einem zweijährigen Krankheitsverlauf. Insbesondere
z Diagnostik wenn eine höherdosierte GC-Dosis über einen län-
Die körperliche Untersuchung umfasst neben dem geren Zeitraum notwendig ist oder wenn unter GC
allgemeinen internistischen Status eine Palpation keine Remission erzielt werden kann und schwerwie-
der Gefäße an Armen und Beinen und der Schläfen- gende Nebenwirkungen auftreten, kann die zusätz-
arterien. Die Aa. temporales sind oft verdickt und liche Gabe von immunsuppressiven Medikamenten
druckschmerzhaft. Zudem sollte eine vergleichende erforderlich sein. Eine kleine Metaanalyse mit Metho-
Blutdruckmessung an beiden Armen erfolgen. Eine trexat konnte eine Halbierung des Rezidivrisikos im
Druckdifferenz von mehr als 10 mmHG weist auf Vergleich zu Placebo zeigen [41]. Bei Patienten mit
eine Beteiligung des Aortenbogens bzw. der Arteria visueller Symptomatik ist eine sofortige hoch dosierte
subklavia und Arteria axillaris hin [62]. intravenöse GC-Gabe notwendig. Wichtig ist, dass
Laborchemisch zeigen sich Blutsenkungs- die Temporalarterienbiopsie die Einleitung einer The-
geschwindigkeit (BSG) und C-reaktives Protein rapie nicht verzögern darf. Die Gefäßentzündung ist
(CRP) deutlich erhöht. Nach wie vor gilt die Biopsie in der Histologie üblicherweise bis zu 2 Wochen nach
als Goldstandard zur Verifizierung der Diagnose, Einleitung einer GC-Therapie nachweisbar.
wird aber durch die zunehmende Erfahrung und Bei refraktärem Verlauf oder bei nicht akzep-
die Fortschritte in der bildgebenden Diagnostik tablen Nebenwirkungen einer GC-Therapie scheint
mehr und mehr in Frage gestellt. Mittels einer Farb- Tocilizumab eine vielversprechende Option zu sein
dopplersonographie erreicht der geübte Untersucher [39], [59].
eine ähnliche Sensitivität wie mit der Temporalar- Zusätzlich sollte in den ersten 3 Behandlungs-
terienbiopsie. Ein negativer histologischer Befund monaten 100 mg Azetylsalizylsäure (ASS) pro Tag
schließt eine Großgefäßvaskulitis anderer Äste nicht gegeben werden, ebenso wegen der begleitenden GC-
aus. Die Sonographie der Temporal- und Axillarar- Therapie eine Behandlung mit Protonenpumpenin-
terien ist eine zeit- und kostensparende Möglichkeit. hibitoren. Außerdem ist eine entsprechende Osteo-
Mit hochauflösendem Ultraschall und Magnetre- poroseprophylaxe indiziert.
sonanztomographie lässt sich mit entsprechender
Erfahrung eine Wandverdickung der Arteria tem- z Prognose
poralis darstellen. Sonographisch findet sich an den Die Prognose ist bei frühzeitiger Diagnose und ent-
Temporalarterien eine echoarme Wandschwellung sprechender rascher und konsequent eingenomme-
(genannt „Halo“) [53]. Eine weitere Methode ist die ner Therapie über den geforderten Zeitraum sehr gut.
116 Kapitel 7 · Systemische Vaskulitiden

7.1.2 Takayasu-Arteriitis (TA) 5–7,5 mg Prednisolon pro Tag. Bei zu schneller Reduk-
tion droht ein Rezidiv. Insbesondere wenn eine höher-
Die TA betrifft hauptsächlich die Aorta und die dosierte GC-Dosis über einen längeren Zeitraum
unmittelbar von der Aorta abgehenden Äste. Die TA notwendig ist oder wenn unter GC keine Remission
hat ein typisches Erkrankungsalter zwischen dem 10. erzielt werden kann und schwerwiegende Nebenwir-
und 40. Lebensjahr und tritt hauptsächlich im asiati- kungen auftreten, ist wie bei der RZA die zusätzliche
schen Raum auf, wesentlich seltener in Europa und Gabe von immunsuppressiven Medikamenten wie
Nordamerika [31], [26], [62]. z. B. Methotrexat oder Azathioprin erforderlich. Auch
der gleichzeitige Beginn einer immunsuppressiven
z Symptomatik Therapie nach Diagnosestellung in Kombination mit
Neben einem allgemeinen Krankheitsgefühl mit oft GC wird in Publikationen empfohlen [33]. Tumor-
(sub)febrilen Temperaturen kommt es häufig (bei nekrosefaktor(TNF)-Blocker wie Infliximab können
ca. 50% der Patienten) zu Arthralgien. In Abhängig- ebenfalls zum Einsatz kommen. Ebenso wie bei der
keit vom befallenen Gefäßareal kann es zu Zeichen RZA scheinen Fallserien eine Effektivität des Inter-
einer Arm- oder Bein-Claudicatio, zu einer renalen leukin(IL)-6-Antagonisten Tocilizumab bei refrak-
7 Hypertension (ca. 50% der Patienten) oder bei einer tärer Erkrankung zu belegen [40], [45].
eher seltenen Beteiligung der Pulmonalarterien zu Da die TA häufiger einen chronischen Verlauf
Husten, Dyspnoe, Hämoptysen oder Brustschmer- zeigt, ist eine längere Behandlung mit niedrigen GC-
zen kommen. Eine Beteiligung der Koronararterien Dosen als bei der RZA notwendig. Eine langfristige,
kann zu pektanginösen Symptomen bis hin zum auch apparative Überwachung mittels bildgebender
Myokardinfarkt führen. Eine Herzinsuffizienz kann Verfahren zur Therapieeinschätzung und zur früh-
durch Dilatation der proximalen Aorta und der kon- zeitigen Detektion von Gefäßstenosen oder eines
sekutiven Aortenklappeninsuffizienz auftreten. Auch Aneurysmas ist notwendig.
eine zerebrale und abdominelle Symptomatik ist bei Zusätzlich sollte in den ersten 3 Behandlungsmo-
entsprechender Gefäßbeteiligung möglich [62], [39]. naten 100 mg ASS pro Tag gegeben werden, ebenso
ist eine Behandlung mit Protonenpumpeninhibito-
z Diagnostik ren bei gleichzeitiger GC-Therapie indiziert. Zudem
Die körperliche Untersuchung umfasst wie bei der ist eine entsprechende Osteoporoseprophylaxe not-
RZA (7 Abschn. 7.1.1) eine Palpation der Gefäße an wendig (siehe auch RZA) [16], [62]
Armen und Beinen und der Schläfenarterien sowie
eine vergleichende Blutdruckmessung an beiden
Armen bzw. an Armen und Beinen. 7.2 Vaskulitis mittelgroßer Gefäße
Laborchemisch zeigt sich die BSG deutlich
erhöht (≥50 mm in der 1. Stunde). Der Goldstan- 7.2.1 Polyarteriitis nodosa (PAN)
dard wäre wie bei der RZA eine histologische Siche-
rung der Diagnose, dies ist aber in den meisten Fällen Die Polyarteriitis nodosa (früher auch Peri- oder
aufgrund des Gefäßbefalls in technischer Hinsicht Panarteriitis nodosa) ist eine nekrotisierende Vas-
nicht möglich. Die sonographische Beurteilung vor kulitis mittelgroßer und kleiner Arterien [31]. Etwa
allem der supraaortalen Gefäße ist bei ausreichen- ein Drittel der Erkrankungen tritt im Rahmen einer
der Erfahrung eine wichtige Methode. Zudem haben chronischen Hepatitis B (Hepatitis-B-Virus, HBV)
Computertomographie, Magnetresonanztomogra- auf. Das klinische Bild ist variabel und abhängig von
phie und PET einen wichtigen Stellenwert in der Dia- der Organbeteiligung. Eine Hautbeteiligung und ein
gnose der TA [16], [62]. Befall abdomineller und renaler Gefäße mit Steno-
sen und Aneurysmen sind am häufigsten, ebenso
z Therapie eine Mononeuritis multiplex. Die Genese der PAN
Eine langfristige Behandlung mit GC ist notwendig. ist nicht geklärt, wahrscheinlich spielen Immunkom-
Man beginnt mit 1 mg pro kg Körpergewicht pro Tag plexablagerungen eine Rolle. Die Erstbeschreibung
und reduziert nur sehr langsam in 14-tägigen Inter- des Syndroms erfolgte bereits 1866 durch Kussmaul
vallen auf eine Erhaltungsdosis von schlussendlich und Maier [35].
7.2 · Vaskulitis mittelgroßer Gefäße
117 7
Man unterscheidet drei klinische Entitäten: die schlechteren Prognose einher. Eine Hautbeteiligung
idiopathische PAN, die HBV-assoziierte PAN und (ca. 50%) ist ebenfalls häufig (. Abb. 7.2) mit nodu-
die kutane Arteriitis. Letztere ist eine isolierte kutane lären Veränderungen, Purpura, Livedo und Ulzera-
Form der PAN, hat eine gute Prognose und tritt tionen [54], [48].
hauptsächlich an den Unterschenkeln auf [15], [54]. Mikroaneurysmen und/oder Stenosen (ca.
60–70%), besonders bei Beteiligung von Gefäßen
z Epidemiologie im GI-Trakt und in der Niere sind für die Erkran-
Die jährliche Inzidenz ist niedrig und beträgt in kung sehr typisch, können sich aber nach erfolgrei-
Deutschland 0,4–2 pro 1 Million Einwohner (zum cher Behandlung zurückbilden.
Vergleich England 4 und Frankreich 31 pro Million Eine Beteiligung des kardiovaskulären Systems
Einwohner) ist seltener (ca. 20%), ein Mitbefall der Lunge wird
Die Zahl der Neuerkrankungen scheint in Indus- nicht beschrieben.
trienationen abzunehmen. Ebenso ist die Mortalität Die HBV-assoziierte PAN neigt zu einem schwe-
der PAN seit 1990 gesunken [15], [50], [54]. reren Verlauf [48], [54].

z Symptomatik z Diagnostik
In den meisten Fällen besteht ein schweres Krank- Laborchemisch sind die Entzündungsparameter
heitsgefühl mit Fieber, Gewichtsverlust, Arthralgien (BSG und CRP) deutlich erhöht. Bei Nierenbeteili-
und Myalgien. gung können laborchemische Zeichen einer renalen
Bei den meisten Betroffenen (ca. 80%) kommt es Funktionseinschränkung auftreten.
zu einer Beteiligung des peripheren Nervensystems Aufgrund der Seltenheit der primären PAN
im Sinne einer Mononeuritis multiplex. Eine renale müssen differenzialdiagnostisch eine sekundäre
Beteiligung (ca. 50%) zeigt sich mit Hypertonie oder Ursache sowie auch primäre Kleingefäßvaskuliti-
mit einer Proteinurie und Hämaturie in Folge eines den, vor allem die ANCA-assoziierten Vaskulitiden
Niereninfarkts. Eine Glomerulonephritis tritt defi- ausgeschlossen werden. Hinsichtlich einer sekundä-
nitionsgemäß nicht auf. Bei einer Beteiligung des ren Genese ist neben einer HBV-assoziierten PAN
Gastrointestinaltrakts (GI-Trakt) (ca. 40%) kommt an andere Infektionen (darunter chronische Hepa-
es vordergründig zu Abdominalschmerzen, selte- titis C, HIV, Streptokokken und Zytomegalievirus),
ner ist der Verlauf kompliziert durch Blutungen aus an Medikamente (vor allem Minocyclin) und an das
dem GI-Trakt und klinischen Zeichen einer Perfo- Vorliegen von Kollagenosen und Malignomen zu
ration. Eine Beteiligung des GI-Trakts geht mit einer denken [21], [54].

. Abb. 7.2  Kutane PAN. (Aus [49])


118 Kapitel 7 · Systemische Vaskulitiden

z Therapie 5. Lebensjahr mit einem Gipfel im 1. Lebensjahr


Die Behandlung der primären PAN erfolgt meist mit auf. Es handelt sich um eine systemische Vaskuli-
Cyclophosphamid(CYC)-Boli (meist 6–12 monat- tis mittelgroßer Gefäße unklarer Ursache [26], [31].
liche Gaben bis zum Erreichen der Remission) Der ursprüngliche deutsche Name „mukokutanes
und mit GC. Man beginnt mit 1 mg Prednisolon-­ Lymphknotensyndrom“ weist auch auf die klinische
Äquivalent pro kg Körpergewicht pro Tag und redu- Symptomatik hin. Es wurde erstmals 1967 in Japan
ziert nur sehr langsam in 14-tägigen Intervallen auf von Kawasaki beschrieben [46], [47].
eine Erhaltungsdosis von 5–7,5 mg Prednisolon pro
Tag innerhalb von 3 Monaten. Nach Erreichen einer z Symptomatik
Remission wird eine Erhaltungstherapie mit Metho- Bei unklarem Fieber und 4 der 5 folgenden Kriterien
trexat oder Azathioprin vorgeschlagen, obwohl ent- kann man die Diagnose stellen:
sprechende kontrollierte Studien nicht vorliegen. Bei 44Bilaterale konjunktivale Injektion
weniger aggressiven Verläufen ohne negative Prog- 44Veränderungen im Bereich der Lippen und
nosemarker kann eine alleinige GC-­Monotherapie im Oropharynx mit Rötung der Lippen und
zur Remissionsinduktion und -erhaltung diskutiert Erdbeerzunge
7 werden. Häufig ist aber auch bei diesen Patienten 44Veränderungen im Bereich der peripheren
eine weitere immunsuppressive Therapie mit Metho- Extremitäten wie Ödeme oder Erythem an
trexat oder Azathioprin erforderlich [54], [8]. Händen und Füßen
Die HBV-PAN sollte mit einer Induktionsthera- 44Polymorphes Exanthem, meist am Stamm
pie mit initial hochdosierten GC (optional für 1–3 44Zervikale Lympadenopathie
Tage eine GC-Pulstherapie mit 1 g Prednisolon pro
Tag) und dann mit 1 mg/kg Körpergewicht peroral Zusätzlich können Herzgeräusche, EKG-Verände-
und raschem Ausschleichen innerhalb von 2 Wochen rungen und ein Myokardinfarkt auftreten, außerdem
begonnen werden. In der Folge ist eine antivirale The- Myalgien, Arthralgien und Arthritiden [46].
rapie und Plasma-Austausch indiziert. Eine Betreu-
ung sollte stets gemeinsam mit einem Hepatologen z Diagnostik
erfolgen, um neue therapeutische Entwicklungen zu Die Diagnostik wird an Hand der klinischen Krite-
berücksichtigen. Nach erfolgreicher Serokonversion rien gestellt. Im Labor sind die Entzündungsparame-
beträgt die Rezidivrate der HBV-PAN 0,5% [15], [54]. ter deutlich erhöht. Auch wenn Gefäße in allen Kör-
Bei fehlendem Ansprechen auf eine Standard- perregionen beteiligt sein können, ist besonders auf
therapie kann der Einsatz von intravenösen Immun- eine Beteiligung der Koronararterien mit lebensbe-
globulinen oder anderen immunsuppressiven Subs- drohlichen Folgen zu achten. Die klinische und appa-
tanzen wie Mycophenolat-Mofetil oder Biologika in rative Untersuchung der Herzens ist bei Verdacht auf
Erwägung gezogen werden [54]. Kawasaki-Syndrom von eminenter Bedeutung. Das
Hauptproblem ist eine kardiale Beteiligung mit einer
z Prognose Entzündung des Myokards und Endokards, vor allem
Ein Alter über 65 Jahre, eine Nierenfunktionsein- aber der Koronargefäße (ca. 25%). Trotz entspre-
schränkung, eine Kardiomyopathie und eine Beteili- chender Therapie bilden sich in ca. 5% der Betroffe-
gung des GI-Trakts gelten als negative Prognosemar- nen koronare Aneurysmen aus [46], [47].
ker [54]. Unbehandelt liegt das 5-Jahres-Überleben
nach historischen Daten bei etwa 15%, durch Früh- z Therapie
erkennung und aggressive Therapie liegt das 5-Jah- Die Basis der Therapie ist die intravenöse Gabe von
res-Überleben bei etwa 80% [9]. Immunglobulinen und die Verabreichung von ASS.
Auch über die Gabe von GC wird bei erhöhtem
Risiko berichtet [47].
7.2.2 Kawasaki-Syndrom
z Prognose
Das Kawasaki-Syndrom ist eine Erkrankung des Die Prognose ist von der kardialen Beteiligung
frühen Kindesalters und tritt vor allem vor dem abhängig. Obwohl sich koronare Veränderungen
7.3 · Kleingefäßvaskulitis
119 7
rückbilden können, gibt es Langzeitfolgen wie Ste- Neuerkrankungen pro Million Einwohner pro Jahr.
nosen, Ischämien, Myokardinfarkte und Rupturen Die MPO hat eine Inzidenz von 2–3 und die EGPA
von Koronaraneurysmen [46], [47]. eine Inzidenz von 0–2 Neuerkrankungen pro Million
pro Jahr [4], [50].

7.3 Kleingefäßvaskulitis z Symptomatik


Das Erscheinungsbild ist sehr unterschiedlich und
Kleingefäßvaskulitiden werden unterteilt in ANCA- abhängig vom Krankheitsstadium und dem Befall
assoziierte Vaskulitiden und Immunkomplexvasku- der Organe (. Tab. 7.2). Vordergründig zeigen GPA
litiden. Erstere sind assoziiert mit antineutrophilen und EGPA einen stadienhaften Verlauf. In der soge-
zytoplasmatischen Antiköpern (ANCA) und zeigen nannten lokalisierten Phase (früher: Initialphase)
kein oder nur wenig Immunglobulin in der Gefäß- sind meist der HNO-Trakt und der obere oder untere
wand. Dagegen findet sich bei einer Immunkomplex- Respirationstrakt betroffen und die Symptomatik
vaskulitis eine mäßig bis reichliche Immunkomplex- beginnt mit einer blutig borkigen Rhinitis, Sinusitis
ablagerung in der Gefäßwand. oder Mittelohrentzündung [8], [20]. In der Lunge
können Granulome (Rundherde im Übersichtsrönt-
gen) auftreten. Es finden sich noch keine Vaskulitis-
7.3.1 ANCA-assoziierte Vaskulitiden manifestationen. Allgemeinsymptome („B-Symp-
tome“) fehlen in diesem Stadium. ANCA sind häufig
Unter dem Begriff ANCA-assoziierte Vaskulitis (noch) nicht nachweisbar (50%). Als Ausdruck einer
(AAV) werden die Granulomatose mit Polyangi- chronisch destruierenden Entzündung entwickelt
itis (GPA), die mikroskopische Polyangiitis (MPA) sich oft eine typische Sattelnase. Die EGPA zeigt im
und die eosinophile Granulomatose mit Polyangi- Initialstadium häufig ein therapieresistentes Asthma,
itis (EGPA) vereint (7 Übersicht). Die AAV präsen- eine Sinusitis und eine Eosinophilie, während die
tiert sich als eine Vaskulitis kleiner bis mittelgroßer MPA kein typisches Initialstadium zeigt.
Gefäße. Während bei der MPA eine ausschließli- Die systemischen Stadien aller AAV sind durch
che Entzündung der Gefäßwand imponiert, zeigen Vaskulitismanifestationen geprägt. Diese können
GPA und EGPA zusätzlich eine granulomatöse Ent- in der frühsystemischen Phase von geringer Aus-
zündung. Die EGPA zeigt auch eine Eosinophilie in prägung sein oder in der generalisierten Phase mit
peripherem Blut und im betroffenen Gewebe. Die lebensbedrohlichen Organmanifestationen einher-
Pathogenese ist nicht vollständig geklärt. Die Erstbe- gehen. Purpura, Episkleritis oder Polyneuropathie als
schreibung der GPA erfolgte durch Wegener im Jahre
1939 („Über eine eigenartige rhinogene Granuloma-
tose mit besonderer Beteiligung des Arteriensystems . Tab. 7.2  Krankheitsstadien der ANCA-assoziierten
und der Nieren“) [20], [23], [31], [36], [42], [61]. Vaskulitiden nach EULAR [13]

Stadium Definition
ANCA-assoziierte Vaskulitiden (Chapel-
Lokalisiert Erkrankung auf oberen und
Hill-Konsensuskonferenz 2012, nach [31]) (früher unteren Respirationstrakt
55Granulomatose mit Polyangiitis (früher: Initialphase) beschränkt
Wegener-Granulomatose) Frühe Generali- Keine lebensbedrohenden Mani-
55Mikroskopische Polyangiitis sationsphase festationen an Organen
55Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis Generalisiert Lebensbedrohende Beteiligungen
(früher Churg-Strauss-Syndrom) der Niere und anderer Organe
Schwer Organversagen (Niere, Lunge)

z Epidemiologie Refraktär Progredienz trotz Standard-


therapie mit Glukokortikoiden +
Die Inzidenz beträgt in Nordeuropa und USA für die Cyclophosphamid
GPA 8–10 Neuerkrankungen und in Südeuropa 2–3
120 Kapitel 7 · Systemische Vaskulitiden

Folge einer Kapillaritis können auf einen Übergang apparativ untersucht werden. Bei GPA sollte auch
in ein generalisiertes Stadium hinweisen (. Abb. 7.3). eine HNO-fachärztliche Begutachtung erfolgen.
Im Generalisationsstadium, in dem die Erkrankung Laborchemisch finden sich krankheitsabhän-
häufig erstdiagnostiziert wird, findet sich oft ein gig erhöhte Entzündungsparameter und häufig eine
schweres Krankheitsbild mit Fieber und Gewichts- Anämie. Auf die Nierenfunktionsparameter ist zu
verlust. Charakteristisch sind eine Kapillaritis der achten. Von prognostischer Bedeutung ist der Nach-
Lunge mit Dyspnoe und Hämoptysen und eine weis von c-ANCA und p-ANCA im Immunfluores-
rapid progressive Glomerulonephritis (RPGN) mit zenztest und von PR3-ANCA sowie MPO-ANCA
Mikrohämaturie und mäßiger bis deutlicher Prote- im ELISA-Test vor allem in der aktiven Phase der
inurie sowie der Gefahr des raschen Funktionsver- Erkrankung. Ein Fixierungsartefakt bedingt die
lustes der Niere. Eine Beteiligung der Gelenke und Unterscheidung in zytoplasmatische (c-ANCA) Flu-
Muskeln mit Arthralgien, Arthritiden und Myalgien oreszenz bei GPA und perinukleäre (p-ANCA) Fluo-
ist häufig. Das schwere Stadium ist durch ein Organ- reszenz bei MPA. Das Zielantigen c-ANCA-positiver
versagen gekennzeichnet, in erster Linie durch ein Seren ist meist Proteinase 3 (PR3-ANCA) und das
Nierenversagen. Im generalisierten Stadium sind p-ANCA-positiver Seren Myeloperoxidase (MPO-
7 bei GPA und MPA die überwiegende Mehrheit der ANCA). Der Nachweis von c-ANCA/anti-PR3-An-
Patienten ANCA-positiv, bei EGPA allerdings nur ca. tikörpern gilt als prognostisch ungünstig im Rahmen
40%. Patienten mit EGPA, die ANCA-positiv sind, einer AAV. Ob der ANCA-Titer ein Aktivitätskrite-
haben ein erhöhtes Risiko für eine schwerwiegende rium ist, wird kontrovers diskutiert. ANCA-negative
Vaskulitis wie eine pulmonale Kapillaritis oder eine Verläufe sind häufiger in der lokalisierten Phase der
Glomerulonephritis. ANCA-negative Patienten mit GPA und bei EGPA zu finden. Ein negativer ANCA-
EGPA haben häufiger eine Herzbeteiligung mit eosi- Nachweis schließt somit die Diagnose einer GPA/
nophiler Organinfiltration. Dies gilt als prognostisch EGPA/MPA nicht aus [23]. Beweisend für die Dia-
ungünstig [14], [23], [25], [43]. gnose ist die histologische Krankheitssicherung, die
im Rahmen der Erstdiagnostik angestrebt werden
z Diagnostik sollte (z. B. durch Biopsie der nasalen Mukosa, von
Sämtliche Organsysteme sollten auf eine mögliche pulmonalen Rundherden oder bei Zeichen einer
Beteiligung abgefragt und in der Folge klinisch und Organbeteiligung durch eine Nierenbiopsie). Auch

. Abb. 7.3  Kutane


Kleingefäßvaskulitis bei GPA (M.
Wegener). (Aus [49])
7.3 · Kleingefäßvaskulitis
121 7
eine negative Biopsie schließt die Diagnose nicht als CYC. Bei einem CYC-refraktären Verlauf wird in
aus, oft sind mehrmalige Biopsien notwendig, um der klinischen Praxis ebenfalls mit Rituximab behan-
ein positives Ergebnis zu bekommen [23], [24]. delt. Ebenso wird Rituximab bei jungen Patienten,
bei denen CYC wegen einer möglichen Auswirkung
z Therapie auf die Fertilität nicht verabreicht werden soll, und
Die Therapie ist abhängig vom Stadium und von der bei einer Kontraindikation gegen CYC der Vorzug
Krankheitsaktivität und ist durch randomisierte, gegeben [10], [23], [43]. Bei Patienten mit schwe-
kontrollierte Studien belegt [23], [43]. rer generalisierter AAV und deutlich eingeschränk-
Zunächst erfolgt bei aktiver Erkrankung eine ter Nierenfunktion (Serumkreatinin >5 mg/dl) kann
Remissionsinduktion über einen Zeitraum von eine Plasmapherese die terminale Niereninsuffizienz
zumindest 3 Monaten. Eine Remission ist durch das (allerdings nur vorübergehend) verzögern. Aktuelle
Fehlen von Krankheitssymptomen und eine GC- Untersuchungen befassen sich mit der Optimierung
Therapie mit maximal 7,5 mg Prednisolon-Äquiva- einer remissionserhaltenden Therapie und mit der
lent definiert. Oft ist aber in der Praxis nur eine Teil- Frage, ob bei PR3-positiver AAV Rituximab gegen-
remission („Response“) erzielbar. Nach erfolgreicher über CYC bei der Remissionsinduktion und/oder
Induktion (oder zumindest Response) erfolgt eine Remissionserhaltung der Vorzug gegeben werden
remissionserhaltende Therapie zumindest über 18 sollte [10].
Monate [20], [23], [43].
z z Therapie der eosinophilen Granulomatose
z z Therapie der Granulomatose mit Polyangiitis mit Polyangiitis
und der mikroskopischen Polyangiitis Die Therapie richtet sich nach der Prognose, wobei
Im lokalisierten Stadium kann in leichten Fällen mit als prognostisch ungünstig eine Beteiligung von
isoliertem nicht destruierendem HNO-Befall bei ZNS, GI-Trakt, Herz und Niere angesehen wird, und
GPA mit Cotrimoxazol behandelt werden. Häufig kann anhand des „Five Factor Score“ (FFS) beurteilt
ist diese Therapie aber nicht ausreichend [24] und werden [60], [13]. Bei guter Prognose (FFS=0) wurde
eine immunsuppressive Therapie mit Methotrexat früher oft nur mit GC behandelt. Allerdings profi-
oder in schwereren Fällen mit CYC ist erforderlich. tieren auch diese Patienten mit guter Prognose von
Eine Remissionsinduktion kann in der Generalisa- einer additiven Therapie mit Azathioprin oder MTX
tionsphase im frühen systemischen Stadium mit GC [7], [51]. Patienten mit schlechter Prognose (im FFS)
und Methotrexat erfolgen, bei schwer generalisierten sollten zur Induktion eine GC-Therapie und ein
Verlaufen sind CYC oder Rituximab Mittel der Wahl CYC-Bolustherapie erhalten. Zur Remissionserhal-
und als gleichwertig anzusehen, jeweils in Kombina- tung liegen nur wenige Daten vor, die einen Effekt
tion mit GC. Initial wird eine Prednisolon-Dosis von von MTX und Interferon A zeigen [8].
1 mg/kg Körpergewicht pro Tag verabreicht oder bei
schwerem Verlauf mit einer initialen 3-tägigen Puls- z Prognose
therapie mit 250–1000 mg Prednisolon behandelt Durch Einführung einer immunsuppressiven The-
[43], [55]. Bei schweren Verläufen führt eine Induk- rapie hat sich die Prognose der AAV deutlich ver-
tionstherapie bei ca. 90% zu einem Ansprechen. bessert. Mit einer schlechteren Prognose gehen bei
Nach 3- bis 4-monatiger Behandlung wird auf eine GPA und MPA eine schwere Nierenfunktionsein-
weniger aggressive, remissionserhaltende Therapie schränkung sowie eine gastrointestinale und kar-
mit Azathioprin oder Methotrexat umgestellt. Diese diovaskuläre Beteiligung und eine hohe Krankheits-
Behandlung ist über mindestens 2–4 Jahre erforder- aktivität einher. Prognostisch ungünstig bei EGPA
lich. Die begleitende GC-Therapie sollte nicht mehr sind die im FFS-Score angeführten Parameter [13],
als 7,5 mg Prednisolon pro Tag betragen [43]. Trotz [60]. Zu beachten ist eine Frühmortalität von ca.
remissionserhaltender Therapie kommt es bei bis zu 11% im ersten Behandlungsjahr, hauptsächlich als
50% der behandelten Patienten zu Rezidiven. Bei Folge von Infektionen unter einer Induktionsthe-
einem Rezidiv ist Rituximab signifikant wirksamer rapie [38].
122 Kapitel 7 · Systemische Vaskulitiden

Fallbeispiel: Patientin mit Fieber und Mus- brachte alsbald wieder eine klinische
kelschmerzen Stabilisierung.
Eine 77-jährige Patientin präsentierte sich Bei regelmäßigen Kontrollen zeigte sich die
wenige Wochen nach einem stationären Nierenfunktion stets im Normbereich (von
Aufenthalt wegen eines fieberhaften Anfang an). Wegen einer Leukopenie wurde
pneumonischen Infiltrats mit bilateralen die Endoxan-Dosis in weiterer Folge ohne
Schulterschmerzen und neuerlichem signifikante klinische Verschlechterung auf
Fieber. Bei fehlendem Hinweis einer 50 mg täglich reduziert. Die Patientin ist in
infektiösen Ursache erfolgte schließlich engmaschiger internistischer und HNO-
eine Therapie mit GC unter dem Verdacht fachärztlicher Betreuung.
einer Polymyalgia rheumatica. Es kam zu
einer prompten Besserung der klinischen
Symptome bei täglicher Gabe von 25 mg
Prednisolon, ohne deutliche Beeinflussung
7 bzw. Normalisierung der BSG. Bei Reduktion 7.3.2 Immunkomplexvaskulitiden
der GC traten wieder Muskelschmerzen und
Fieber auf. Zudem berichtete die Patientin Darunter versteht man eine Vaskulitis mit Gefäß-
von einem Gewichtsverlust von 4 kg und einer wandablagerungen von Immunkomplexen und/oder
zunehmenden Adynamie. Komplementfaktoren, häufig mit nekrotisierender
Mit den neu aufgetretenen Symptomen einer Glomerulonephritis einhergehend.
Sinusitis wurde die Patientin einem Arzt
für Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen
vorgestellt. Fast gleichzeitig bemerkte Anti-GBM-Krankheit
sie eine Deformierung im Sinne einer Die Anti-Glomeruläre-Basalmembran(GBM)-Vas-
Sattelnase. kulitis ist eine seltene Erkrankung mit einer Inzidenz
Die histologische Untersuchung der von 0,5–1 Fällen pro Million Einwohner pro Jahr
entzündeten Nasen- und Mundschleimhaut und befällt glomeruläre und/oder pulmonale Kapil-
erbrachte die Diagnose einer granulomatösen laren [22]; es kommt zu Basalmembranablagerun-
Entzündung. Laborchemisch konnten C-ANCA gen von Antibasalmembranautoantikörpern. Für die
nachgewiesen werden. Diagnose sind ein nephritisches Sediment und der
Die Diagnose einer Granulomatose mit Nachweis von Antibasalmenbranantikörpern (Anti-
Polyangiitis (Wegener) wurde gestellt GBM) wichtig. Circa ein Drittel der Patienten zeigt
und zusätzlich zur laufenden GC-Therapie gleichzeitig Anti-GBM und MPO-ANCA, sodass
eine immunsuppressive Behandlung mit bei einer Bestimmung von ANCA bei Patienten mit
Endoxan (peroral 100 mg täglich) initiiert. Nephritis auch auf Anti-GBM getestet werden sollte.
In den folgenden Monaten konnten die GC Eine Beteiligung der Nieren führt zu einer rasch fort-
bei stabiler klinischer Situation schrittweise schreitenden, nekrotisierenden Glomerulonephritis
auf eine Erhaltungsdosis von 5–7,5 mg mit Halbmondbildung, eine Lungenbeteiligung führt
täglich reduziert werden. Die Blutsenkung zu pulmonaler Hämorrhagie. Die Erkrankung wurde
normalisierte sich. Ein Umstellversuch von früher bei gleichzeitiger Beteiligung von Lungen und
Endoxan auf Azathioprin wurde nicht toleriert Nieren als Goodpasture-Syndrom bezeichnet. Trotz
und führte nach wenigen Wochen wieder einer kombinierten Behandlung mit Plasmaaus-
zu einer Zunahme der Muskelschmerzen, tausch, GC und CYC haben weniger als ein Drittel
einem Krankheitsgefühl mit subfebrilen der Patienten nach 6 Monaten eine erhaltene Nieren-
Temperaturen und einem Anstieg der funktion [19], [22], [63]. Es liegen einzelne optimis-
BSG. Ein neuerlicher „Switch“ zu Endoxan tische Fallberichte über eine Behandlung mit Ritu-
ximab vor [58].
7.3 · Kleingefäßvaskulitis
123 7
Kryoglobulinämische Vaskulitis z Symptomatik
Die kryoglobulinämische Vaskulitis ist eine seltene Bei milden Verläufen sind unspezifische Symptome
Erkrankung der kleinen Gefäße und im medizi- wie Adynamie, Arthralgien oder ein Raynaud-
nischen Alltag oft schwer zu diagnostizieren. Sie Syndrom häufig. Typisch ist eine initial juckende
betrifft überwiegend die Haut, die Gelenke, die Purpura (meist in Form von Petechien) der Unter-
peripheren Nerven und die Nieren; seltener auch schenkel, die sich auf Oberschenkel und Unterleib
andere Organe. Das klinische Erscheinungsbild ist ausdehnen kann. Nach dem Abklingen bleibt häufig
variabel und reicht von asymptomatischen Verläu- eine bräunliche Hyperpigmentierung zurück. Sel-
fen (Kryoglobulinämie), milden, unspezifischen tener ist ein Übergang in kleine oder großflächige
Symptomen (Müdigkeit, Arthralgien oder Ray- Hautnekrosen. Arthralgien und Arthritiden (der
naud-Symptomatik) bis hin zu schwerwiegenden Sprunggelenke) sind häufig. Ebenso ist eine gastroin-
Krankheitsbildern. Kryoglobuline sind Immunglo- testinale Beteiligung mit Zeichen einer Purpura der
buline im Serum, die bei Temperaturen unter der Magenschleimhaut und Symptomen einer gastroin-
Körpertemperatur präzipitieren können [1]. Ent- testinalen Blutung bis hin zu abdominellen Krämp-
sprechend ihrer jeweiligen Klonalität werden sie fen möglich.
in 3 Typen klassifiziert (. Tab. 7.3). Die häufigsten Parästhesien der Hände und Füße werden in
Ursachen einer kryoglobulinämischen Vaskulitis 10–20% der Betroffenen beobachtet. Eine Proteinurie
sind hämatologische Erkrankungen, Autoimmun- und Hämaturie weisen auf eine Beteiligung der Nieren
erkrankungen und chronische Infektionen. Es sollte hin (glomeruläre Schäden bei 20–40% der Patienten);
vor allem an die Möglichkeit einer Assoziation mit in sehr seltenen Fällen kann es zu einem akutem Nie-
Hepatitis C (HCV) gedacht werden, da HCV die renversagen mit Todesfolge kommen [1], [2], [56].
häufigste Ursache einer gemischten Kryoglobulinä-
mie (Typ-3-Kryoglobulin) und einer kryoglobuli- z Therapie
nämischen Vaskulitis ist [1], [2], [3]. Der laborche- Die Behandlung besteht in der Therapie der
mische Nachweis erfolgt durch Präzipitation von zugrunde liegenden Erkrankung und umfasst in
Kryoglobulinen im Serum und sollte bei (initial Abhängigkeit vom Schweregrad der Vaskulitis den
oft) negativem Ergebnis gegebenenfalls wieder- zusätzlichen Einsatz von GC, Rituximab und einer
holt werden. Zudem sollte eine Eiweißelektropho- Plasmapherese (. Abb. 7.4).
rese und eine Immunfixation zum Nachweis oder Bei Vorliegen einer HCV (seltener HBV) sollte
Ausschluss einer monoklonalen Gammopathie und primär eine antivirale Therapie initiiert werden. Bei
eine Hepatitis-C-Serologie durchgeführt werden. erfolgreicher Behandlung und Viruselimination ist
Außerdem wird empfohlen, bei einer Immunkom- mit einer anhaltenden Remission der kryoglobulinä-
plexerkrankung, die meist mit einem Komplement- mischen Vaskulitis zu rechnen.
verbrauch einhergeht, C3 und C4 zu bestimmen Bei der rein monoklonalen Kryoglobulinämie
[1], [2]. liegt eine hämatologische Erkrankung zugrunde

. Tab. 7.3  Klassifikation der Kryoglobuline nach Brouet [30], [31]

Klasse Klonalität (Häufigkeit in %) Immunglobulin Assoziierte Erkrankung

Typ 1 Monoklonal (25) IgM (seltener IgG) MGUS, multiples Myelom, Lymphome
Typ 2 Gemischt polyklonal + monoklonal (25) IgG + IgM Autoimmunopathien, HCV und andere
Infektionen, idiopathisch
Typ 3 Gemischt polyklonal (50) IgM + IgG Siehe Typ 2

MGUS monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz, HCV Hepatitis C.


124 Kapitel 7 · Systemische Vaskulitiden

Therapiestrategie bei gemischten


kryoglobulinämischen Vaskulitiden

Mild, moderat Schwer Katastrophal


Arthralgien Nierenbeteiligung Rapid-progressive Glomerulonephritis
Purpura Mononeuritis multiplex ZNS-, gastrointestinale,
Polyneuropathie Hautnekrosen Herz- oder Lungenbeteiligung

Kortikosteroide? Rituximab Rituximab


Azathioprin? Kortikosteroide Plasmaaustausch HCV-neg.
Rituximab? Ilomedin v.-Kortikosteroide
Antivirale Therapie Antivirale Therapie Antivirale Therapie HCV-pos.

7
. Abb. 7.4  Therapiestrategien bei kryoglobulinämischen Vaskulitiden. (Nach [1])

(wie eine monoklonale Gammopathie mit unkla- Schönlein-Henoch bezeichnet, wurde sie in der Cha-
rer Signifikanz, ein multiples Myelom oder ein pel-Hill-Konferenz 2012 in IgA-Vaskulitis umbe-
Lymphom). Die Therapie besteht in der Therapie nannt [26], [31]. Sie ist die häufigste Vaskulitis im
der Grundkrankheit. Kindes- und Jugendalter (10–20/100000) und sehr
Darüber hinaus kommt bei schweren, nichtin- selten im Erwachsenenalter (0,1/100000). 90% der
fektiösen kryoglobulinämischen Vaskulitiden vor- Patienten sind unter 10 Jahren. Eine eindeutige ätio-
dergründig Rituximab zum Einsatz und ist auch bei logische Zuordnung gibt es nicht. Neben infektiösen
Rezidiven und in der Langzeittherapie gut wirksam Triggern sind auch Assoziationen mit Medikamen-
[1], [52], [56]. ten bekannt [27].

z Prognose z Symptomatik
Die Prognose ist abhängig von einer erfolgreichen Die IgA-Vaskulitis kann sich als Vaskulitis eines
Therapie der Grundkrankheit. In einer französischen Organs manifestieren (z. B. an der Haut oder an der
Studie an 242 Patienten mit einer nichtinfektiösen Niere – IgA-Nephropathie) oder systemisch auftre-
gemischten Kryoglobulinämie waren eine Lungen- ten. An der Haut zeigt sich eine palpable Purpura
beteiligung, eine gastrointestinale Symptomatik und typischerweise an den Streckseiten der Extremitä-
eine glomeruläre Filtrationsrate <60 ml/min sowie ten und am Gesäß. Die Kinder sind a- oder subfe-
ein Alter über 65 Jahre mit einer schlechteren Prog- bril und meist in einem guten Allgemeinzustand.
nose assoziiert [1], [57]. Allerdings kommt es häufig zu abdominellen Symp-
tomen wie kolikartigen Bauchschmerzen, Übelkeit,
Erbrechen und blutigen Stühlen, die in ca. 40% den
IgA-Vaskulitis (Purpura Schönlein- Hauterscheinungen vorangehen. In 60–84% treten
Henoch) Gelenkbeschwerden und Arthralgien auf; gelegent-
Die IgA-Vaskulitis ist eine Vaskulitis der kleinen lich manifestiert sich eine schmerzhafte Arthritis
Blutgefäße mit IgA1-dominanten Immunkomple- meist der unteren Extremitäten als Erstsymptom. Bei
xen in der Gefäßwand, häufig mit Beteiligung von 34–60% wird eine Nierenbeteiligung beschrieben,
Haut und Gastrointestinaltrakt und einer Gelenk- meist nur mit einer geringen Hämaturie und Protein-
entzündung einhergehend. Früher als Purpura urie. Bei ca. 20% kommt es zu einer schweren renalen
7.4 · Vaskulitis variabler Gefäße
125 7
Beteiligung mit einem nephrotischen Syndrom und und mit bräunlichen Residuen abheilen (Hyperpig-
der Gefahr der Entwicklung einer terminalen Nie- mentierung als Folge des Austritts von Erythrozy-
reninsuffizienz [27], [32]. ten aus dem Gefäßsystem). Die Ursache der Haut-
effloreszenz ist eine leukozytoklastische Vaskulitis.
z Diagnostik Bei 70% kommt es zu Arthralgien und Arthritiden.
Die Diagnose sollte weitgehend klinisch gestellt Besonders betroffen sind Ellbogen, Hand, Knie und
werden, meist sind bei einer typischerweise milden Fußgelenke; auch Deformierungen sind möglich.
Verlaufsform nur wenige Laborparameter notwen- Eine Nierenbeteiligung (50%) ist häufig mild, kann
dig. Bei einer extrakutanen Organbeteiligung erfolgt aber auch zur Dialyse führen. Bei ca. 30% kommt es
naturgemäß eine zusätzliche symptomorientierte zu einer gastrointestinalen Beteiligung mit Schmer-
Diagnostik. Eine initiale Biopsie der Haut wird bei zen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Eine Lun-
atypischem Befall und schwerer Organbeteiligung genbeteiligung (20%) ist die häufigste Mortalitäts-
empfohlen. Histopathologisch zeigt sich eine leuko- ursache und verläuft bei Rauchern schwerer [12].
zytoklastische Vaskulitis [27].
z Diagnostik
z Therapie Die Diagnosestellung erfolgt durch das chronische
Die Behandlung ist symptomorientiert (Paraceta- urtikarielle Exanthem mit dem Nachweis einer leu-
mol bei Gelenkschmerzen, GC bei abdominellen kozytoklastischen Vaskulitis in der Hautbiopsie,
Beschwerden) bzw. von der Organbeteiligung abhän- durch den Komplementverbrauch und den Nachweis
gig [32]. von C1q-Antikörpern. Letztere sind aber nicht spezi-
fisch für die HUV und werden in 50% auch beim sys-
z Prognose temischen Lupus erythematodes nachgewiesen. Der
Die IgA-Vaskulitis ist eine meist gutartige und selbst- Nachweis hochtitriger Doppelstrang-DNA-Antikör-
limitierende Erkrankung. Nur selten ist die Erkran- per schließt aber ein HUV aus.
kung im Kindesalter chronisch. In jedem Fall ist auch
nach milden Verlaufen ohne renale Beteiligung eine z Therapie
Nachbeobachtung mit Harnkontrollen über einen Eckpfeiler der Therapie sind Antihistaminika und
Zeitraum von 6 Monaten notwendig, bei persis- GC. Oft erfolgt eine Kombination mit Immunsup-
tierender Proteinurie oder einer schweren renalen pressiva wie Methotrexat, Azathioprin oder CYC.
Beteiligung über einen Zeitraum von 5 Jahren [27]. Bei hochaktivem Verlauf kann eine Plasmaphe-
rese notwendig sein [12].

Hypokomplementämische
Urtikariavaskulitis (HUV, Anti-C1q- 7.4 Vaskulitis variabler Gefäße
Vaskulitis)
Diese seltene Kleingefäßvaskulitis ist durch eine 7.4.1 Cogan-Syndrom
Hypokomplementämie und eine Urtikaria gekenn-
zeichnet, im Serum werden Anti-C1q-Antikörper Das „typische“ Cogan-Syndrom (Cogan-I-Syndrom,
nachgewiesen. Sie geht häufig mit einer Glomerulo- oculovestibuloauditorisches Syndrom oder einfach
nephritis, Arthritis, obstruktiver Lungenerkrankung Cogan-Syndrom) ist ein seltene Autoimmunerkran-
und einer Beteiligung des GI-Trakts einher [31], [26]. kung mit Beteiligung der Augen und des Innenoh-
res. Vorwiegend sind junge Erwachsene betroffen
z Symptomatik [5], [26].
Die Urtikariavaskulitis ist von der akuten oder chro- Fast alle Patienten zeigen einen Hörverlust, bei
nischen Urtikaria abzugrenzen. Im Gegensatz zur 25–50% kann es zu einer Taubheit kommen. Schwin-
gewöhnlichen Urtikaria ist die Urtikariavaskulitis del und Tinnitus sind häufig. Eine okuläre Beteili-
eine eigenständige Krankheitsentität, bei der die urti- gung manifestiert sich meist beidseitig im Sinne einer
kariellen Symptome mehr als 24 Stunden andauern Keratitis, Episkleritis, Skleritis oder Panuveitis. Eine
126 Kapitel 7 · Systemische Vaskulitiden

anhaltende Visusverminderung tritt meist nur bei


Skleritis und Panuveitis auf.
Allgemeinsymptome wie Fieber, Arthralgien
und Arthritiden, Myalgien und Polyneuropathien
werden beschrieben. Bei etwa 10–20% der Patienten
kommt es zu einer lokalisierten oder generellen Vas-
kulitis der Aorta, des Myokards, des peripheren und
zentralen Nervensystems oder der Niere. Diese syste-
mische Vaskulitis ist für die Letalität der Erkrankung
bei ca. 10% der Betroffenen verantwortlich.
Daneben gibt es auch ein atypisches Cogan-
Syndrom, wenn Augen und/oder Ohren anderwei-
tig betroffen sind oder wenn zwischen Beginn der
. Abb. 7.5  Hautmanifestation bei Morbus Behçet:
Augen- und Ohren- Symptomatik mehr als 2 Jahre
Papulopustulose. (Aus [49])
liegen.
7 Die Therapie richtet sich nach der Organbetei-
ligung. Insbesondere bei einer Vaskulitis ist eine klassischen, aber relativ seltenen Hypopyonuvei-
Behandlung mit GC und Immunsuppressiva wie tis eine anteriore oder posteriore Uveitis oder eine
Azathioprin oder CYC indiziert [5]. Vaskulitis der Retinagefäße. Eine Augenbeteili-
gung ist die am meisten gefürchtete Komplikation,
da sie zur Erblindung führen kann. Die Arthritis ist
7.4.2 Morbus Behçet relativ häufig (ca. 50%), verläuft meist oligoarthri-
tisch und nichterosiv und befällt häufiger die Knie-,
Bereits Hippokrates erwähnte eine Erkrankung, die Hand- und Ellbogengelenke. Eine Mitbeteiligung
vermutlich dem Morbus Adamantiades-Behçet ent- des Achsenskeletts ist wesentlich seltener als früher
spricht. Die erste moderne Beschreibung eines Sym- angenommen. Eine Thrombophlebitis, aber auch
ptomenkomplexes aus oralen Aphten, genitalen Phlebothrombosen peripherer Venen werden bei
Ulzerationen und einer Hypopyoniritis erfolgte 1937 einem Viertel der Patienten beobachtet. Lungenem-
durch den türkischen Dermatologen Hulusi Behçet. bolien sind seltene Komplikationen. Mitunter kann
Seit der Chapel-Hill-Konsensunskonferenz im Jahr es zu einem Verschluss der Vena cava superior mit
2012 wird die Erkrankung den systemischen Vasku- der Entwicklung eines dramatischen Krankheits-
litiden zugeordnet [26], [31]. Die Inzidenz und Prä- bildes kommen. Eine seltene arterielle Beteiligung
valenz der Erkrankung ist in Japan, in der Türkei und kann sich als Aortitis, peripheres Aneurysma oder
im östlichen Mittelmeer am höchsten [34]. als arterielle Thrombose präsentieren. Ein Mitbefall
der Nieren äußert sich als Glomerulonephritis, Amy-
z Symptomatik loidose oder im Sinne einer renovaskulären Beteili-
Die typischen orogenitalen Ulzerationen gehen gung. Eine Vielzahl neurologischer Manifestationen
einem Augen- oder einem neurologischen Befall kann meist in späteren Krankheitsstadien auftreten
meist jahrelang voraus. Die Ulzerationen sind (z. B. Meningitis und Meningoenzephalitis, organi-
2–10 mm groß und mit weißem Zentrum. Sie sind sche Psychosyndrome und Hirnvenenthrombosen).
schmerzhaft, heilen aber innerhalb von wenigen Eine abdominelle Beteiligung kann sich in Schmer-
Wochen ohne Narben. Histopathologisch zeigt sich zen und blutigen Durchfällen als Folge von ulzerösen
eine leukozytoklastische Vaskulitis. Läsionen im Ileum und Kolon äußern.
Hautmanifestationen sind häufig (80%) und
zeigen sich typischerweise als erythematöse Papu- z Diagnostik
lopustulose (oder Pseudofollikulitis, weil sich im Die Diagnose erfolgt auf Basis des klinischen Bildes.
Gegensatz zur echten Follikulitis kein Haarfolli- Die Klassifikationskriterien wurden primär entwi-
kel im Zentrum befindet) (. Abb. 7.5) und als Ery- ckelt, um Patienten in Studien besser vergleichen zu
thema nodosum. Am Auge findet sich neben der können; sie sind aber auch für die Diagnosestellung
7.4 · Vaskulitis variabler Gefäße
127 7
hilfreich und werden diesbezüglich auch gerne im Die mukokutanen Läsionen sprechen meist gut
klinischen Alltag verwendet (7 Übersicht). Diffe- auf lokale GC, Adstringenzien oder Lokalanästhe-
renzialdiagnostisch ist ein Behçet-Syndrom von tika an. Eine rezente kontrollierte Studie zeigte signi-
einem Morbus Crohn zu unterscheiden, ebenso ist fikante Effekte des Phosphodiesterase-4-Inhibitors
die Erkrankung von einer benignen oralen Aphtose Apremilast verglichen mit Placebo auf Ulzeratio-
zu differenzieren. Im Labor zeigen sich im Wesent- nen [18].
lichen unspezifische Entzündungszeichen. Eine dia- Bei Arthritiden werden nichtsteroidale Anti-
gnostische Hilfe kann insbesondere bei Patienten aus rheumatika (NSAR) und Colchicin (3-mal 0,5 mg/
Japan oder dem östlichen Mittelmeerraum der Nach- Tag) mit Erfolg eingesetzt, bei schweren Verläufen
weis von HLA-B51 sein [34], [28]. kommen GC, Azathioprin, Interferon-α oder auch
TNF-α-Blocker zum Einsatz. Bei Augenmanifesta-
tionen müssen neben lokalen GC wegen der Gefahr
Klassifikationskriterien der International der Sehbehinderung frühzeitig hochdosiert systemi-
Study Group for Behçet’s Disease 1990 [28] sche GC und Azathioprin oder Ciclosporin A verab-
Bei Abwesenheit anderer klinischer Ursachen reicht werden. Bei Ineffektivität oder akut drohender
müssen die Patienten aufweisen: Erblindung kann auch primär ein TNF-α-Blocker
55Rezidivierende orale Ulzerationen (aphthös verwendet werden. Bei einer Beteiligung des Zentral-
oder herpetiform), die in den vergangenen nervensystems werden systemisch GC, Azathioprin,
12 Monaten mindestens 3-mal aufgetreten CYC und auch TNF-α-Blocker eingesetzt. Es gibt
sein müssen keine klare Evidenz für die Behandlung von Gefäß-
beteiligungen. Für die Behandlung venöser Throm-
2 der 4 folgenden Symptome müssen bosen werden GC, Azathioprin, CYC und Ciclospo-
außerdem vorhanden sein: rin A empfohlen, für arterielle Aneurysmen GC und
55Rezidivierende genitale Ulzerationen CYC. Es gibt keine kontrollierten Daten über den
(ca. 100%) Nutzen von oralen Antikoagulanzien und Throm-
55Ophthalmologische Läsionen: Uveitis bozytenaggregationshemmern bei venösen Throm-
anterior, Uveitis posterior, mittels bosen oder arteriellen Beteiligungen im Rahmen des
Spaltlampe diagnostizierte Zellen im Behçet-Syndroms [28], [17].
Vitreum oder Vaskulitis der Retina, die
augenärztlich diagnostiziert wurde (80%) z Prognose
55Hautläsionen: Erythema nodosum, Als prognostisch ungünstig werden eine Beteiligung
Pseudofollikulitis, papulopustuläre der Augen, eine gastrointestinale oder neurologische
Läsionen oder akneähnliche Knoten bei Beteiligung und das Auftreten von pulmonalarteriel-
postadoleszenten Patienten, die nicht unter len Aneurysmen angesehen [34].
Glukokortikoiden stehen (80%)
55Positiver Pathergie-Test (25–75%), d. h.
Auftreten einer papulopustulösen Fallbeispiel: Junge Frau mit Schleimhautul-
Effloreszenz (Größe mindestens 2 mm) zerationen und Gelenkbeschwerden
an der Einstichstelle eines einfachen Bei einer heute 35-jährigen Patientin aus dem
Nadelstichs (schräg einstechen, 5 mm tief in östlichen Mittelmeerraum ist seit 16 Jahren
die Haut) oder einer intrakutanen Injektion die Diagnose eines Morbus Behçet bekannt.
von Kochsalz; ablesen nach einer Latenzzeit Die Symptomatik begann mit rezidivierenden
von 24–48 h oralen und genitalen Ulzerationen, in den
folgenden Monaten kam es zum Auftreten von
symmetrischen Schwellungen und Schmerzen
der Handgelenke.
z Therapie
Die Patientin hatte zwei frühe Schwanger-
Die Behandlung des Behçet-Syndroms richtet sich schaften vor Ausbruch der Erkrankung. Die
nach der Krankheitsaktivität und dem Organbefall.
128 Kapitel 7 · Systemische Vaskulitiden

Diagnose wurde gestellt durch den Nachweis die Schwellungen in den Hand- und auch
oraler und genitaler Ulzerationen, durch ein Kniegelenken bildeten sich komplett zurück.
rezidivierendes Erythema nodosum an der Unter anfänglich engmaschigen
Außenseite des Unterschenkels und durch Laborkontrollen und einer konsequenten
eine symmetrische Arthritis der Hand- und Antikonzeption ist unsere Patientin unter einer
Kniegelenke. Therapie mit 100 mg Azathioprin pro Tag in
Es wurde eine Colchicin-Therapie begonnen, einer äußerst stabilen Situation; zusätzlich
die leider die Gelenkbeschwerden nicht nimmt sie nur fallweise NSAR.
entsprechend beeinflusste. In weiterer Folge Regelmäßige augenfachärztliche Kontrollen
wurde aufgrund der hohen serologischen ergaben bisher keine Augenbeteiligung im
Entzündungsparameter und der Sinne einer anterioren oder posterioren Uveitis.
Gelenkschwellungen einzelner Fingergelenke, Die serologischen Entzündungsparameter sind
vor allem aber der Handgelenke, wiederholt im Normbereich.
auch der Kniegelenke, eine Basistherapie mit
7 Azathioprin vorgeschlagen. Es bestand aber
ein weiterer Kinderwunsch und es wurde
daher eine immunsuppressive Medikation Kommentar
zunächst auf Wunsch der Patientin nicht Bei der Patientin wurde aufgrund der typischen
initiiert. Klinik mit oralen und genitalen ulzerösen
Radiologisch zeigte sich in der Folge bereits Läsionen, Erythema nodosum und Arthritiden
eine (sekundäre) Arthrose im rechten die Diagnose eines Behçet-Syndroms gestellt.
Handgelenk. Aufgrund des Röntgenbefundes, Aufgrund eines Kinderwunsches wurde
der anhaltend hohen klinischen und eine suffiziente immunsuppressive Therapie
entzündlichen Krankheitsaktivität wurde erst spät eingeleitet. Schließlich wurde die
nach entsprechender Beratung schließlich Patientin unter Azathioprin schwanger und
doch eine Azathioprin-Medikation begonnen. die Medikation wurde bei stabiler klinischer
Dadurch konnte eine Stabilisierung des Befindlichkeit abgesetzt. Bei strenger
Krankheitsbildes erreicht werden. Die Indikationsstellung kann Azathioprin auch
Patientin wurde unter immunsuppressiver während der Schwangerschaft fortgesetzt
Medikation schwanger. In einem interdiszi- werden, ist aber in der Stillzeit kontraindiziert.
plinären Konsilium wurde bei guter klinischer Unter einer konsequenten Immunsuppression
Befindlichkeit das Absetzen von Azathioprin ist die Patientin beschwerdefrei, eine erosive
empfohlen und die Patientin entsprechend Arthritis führte allerdings zu einer sekundären
engmaschig überwacht. Schwangerschaft und Arthrose im Bereich des rechten Handgelenks.
Geburt verliefen komplikationslos und die
Patientin brachte ein gesundes Mädchen zur
Welt.
Wenige Wochen nach dem Ende der 7.5 Einzelorganvaskulitiden
Schwangerschaft kam es zu einer deutlichen
Verschlechterung der Gesamtsituation Einzelorganvaskulitiden („Single Organ Vasculi-
mit oligoarthritischem Gelenkbefall und tis“, SOV) stellen Vaskulitis-Sonderformen dar, die
hartnäckigen orogenitalen Ulzerationen. sich in einzelnen Organen (isoliert oder in mehreren
Nach Beendigung der Stillzeit wurde Organen zugleich) manifestieren. Streng genommen
neuerlich eine Azathioprin-Medikation handelt es sich zwar nicht um „systemische“ Vasku-
initiiert. In den folgenden Monaten kam es litisformen, aufgrund des möglichen Befalls zentra-
zu einer Stabilisierung des Krankheitsbildes, ler Organe haben diese Vaskulitisformen oft jedoch
„systemische“ Konsequenzen. Es können Gefäße
Literatur
129 7
jeder Größe betroffen sein, histologisch sind granu- Gganulomatosis) in northern Italy: A 15-year population
based study. Sem Arthritis Rheum 44:202–207
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Die Diagnose wird häufig zufällig gestellt,
syndrome with poor-prognosis factors: a prospective
manchmal auch erst in der Autopsie. Die klinischen multicenter trial comparing glucocorticoids and six or
Manifestationen sind vom Zielorgan abhängig und twelve cycloposphamide pulses in forty-eight patients.
umfassen ein äußerst heterogenes Spektrum: ZNS, Arthritis Rheum 57:676–693
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133 8

Rheumatische Erkrankungen
bei Kindern und Jugendlichen
Rudolf Puchner

8.1 Systemische JIA – 134

8.2 Seronegative polyartikuläre JIA (Rheumafaktor


negativ) – 134

8.3 Seropositive polyartikuläre JIA (Rheumafaktor positiv) – 134

8.4 Oligoarthritis – 134

8.5 Enthesitis-assoziierte Arthritis – 135

8.6 Juvenile Psoriasisarthritis – 135

8.7 Therapie des kindlichen Rheumas – 135

8.8 Akutes rheumatisches Fieber – 137

Literatur – 138

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_8
134 Kapitel 8 · Rheumatische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen

Die chronischen Arthritiden werden unter dem nach ihrem Erstbeschreiber Georg Frederic Still im
Begriff juvenile idiopathische Arthritis (JIA) zusam- Jahre 1897 bezeichnet [10].
mengefasst. Definitionsgemäß wird ein Erkran- Bei längerem Verlauf der Erkrankung können
kungsbeginn vor dem 16. Lebensjahr und eine Min- Zerstörungen der Hand- und Hüftgelenke auftre-
destdauer der Erkrankung von 6 Wochen gefordert. ten. Die Erkrankung verläuft oft in Schüben, d. h.,
Juvenile idiopathische Arthritiden haben eine jähr- Zeiten von Beschwerdefreiheit wechseln mit einem
liche Inzidenz von etwa 10/100.000 Kinder unter 16 Aufflackern der Erkrankung ab. Bei einem Teil der
Jahren und eine Prävalenz von 0,1% im Alter bis 18 Patienten kommt die Erkrankung zum Stillstand; bei
Jahre [11]. Die JIA ist kein einheitliches Krankheits- bis zu 50% der Kinder entwickelt sich eine Polyarthri-
bild. Es werden verschiedene Subtypen differenziert tis mit ausgeprägten Gelenkdeformierungen. Wachs-
(7 Overview). Man unterscheidet zwischen oligoarti- tumsstörungen, teilweise auch als Folge einer Gluko-
kulärem (bis zu 4 Gelenke betroffen) und polyartiku- kortikoidtherapie, kommen bei schweren Verläufen
lärem Verlauf (mehr als 4 Gelenke betroffen). Auch ein vor [4], [6], [7].
systemischer Befall ist möglich mit Beteiligung von
Augen, Haut oder inneren Organen [1], [2], [7], [9].
8.2 Seronegative polyartikuläre JIA
(Rheumafaktor negativ)
8 ILAR-Klassifikation der juvenilen idiopathi-
schen Arthritis [8] Diese Form der JIA kann im gesamten Kindesalter
1. Systemische Arthritis auftreten und befällt häufiger Mädchen. Der Rheu-
2. Seronegative Polyarthritis mafaktor ist nicht nachweisbar. Meist sind zahlreiche
3. Seropositive Polyarthritis große und kleine Gelenke betroffen. Es ist üblicher-
4. Oligoarthritis weise keine Beteiligung innerer Organe zu beobach-
–– Persistierend: nach 6 Monaten ≤4 ten. Im Gelenkmuster überwiegt der symmetrische
Gelenke Befall.
–– Erweitert („extended“): nach 6 Monaten
≥5 Gelenke
5. Enthesitis-assoziierte Arthritis 8.3 Seropositive polyartikuläre JIA
6. Psoriasisarthritis (Rheumafaktor positiv)
7. Andere (nichtklassifizierbare Arthritis)
Die seropositive JIA betrifft häufiger Mädchen ab
dem 8. Lebensjahr. Der Rheumafaktor ist im Blut
nachweisbar. Es können nahezu alle Gelenke ein-
8.1 Systemische JIA schließlich der Sehnenscheiden betroffen sein.
Bereits nach Monaten können destruktive Gelenk-
Die systemische JIA beginnt überwiegend im Klein- schäden auftreten. Daher ist eine frühzeitige medi-
kindalter mit hohem Fieber und ist die schwerste kamentöse Behandlung notwendig.
polyarthritische Form bei Kindern. Schubweise auf-
tretendes Fieber bis 40 Grad, oft über Wochen ein-
hergehend mit einem flüchtigen lachsfarbenen Exan- 8.4 Oligoarthritis
them, sowie eine Anschwellung von Lymphknoten
und eine Vergrößerung von Leber und Milz sind Die Oligoarthritis (OA) ist in Mitteleuropa die häu-
typisch. Auch eine Perikarditis oder Symptome wie figste Form einer chronischen Gelenkentzündung
starke Abdominalschmerzen als Folge einer Beteili- im Kindesalter.
gung des Bauchfells kommen vor. Die Arthritis kann Der Krankheitsbeginn liegt im Kleinkindalter;
oligo- oder polyarthritisch sein und entwickelt sich Mädchen sind viel häufiger betroffen. Meist sind
oft erst nach Wochen bis Monaten. Die systemische nur wenige große Gelenke typischerweise asym-
Verlaufsform wird auch oft noch als Still-Syndrom metrisch befallen; die Erkrankung beginnt auch oft
8.7 · Therapie des kindlichen Rheumas
135 8
mit Schmerzen und Schwellung nur eines Gelenkes Lichtscheue ist möglich; bei sofortiger Behandlung
(z. B. Knie- oder Sprunggelenk). In der Folge können entstehen meist keine bleibenden Schäden.
zwei Verläufe unterschieden werden, eine persistie- Die Diagnose einer EAA kann gestellt werden bei
rende Oligoarthritis, bei der nie mehr als 4 Gelenke Nachweis einer Arthritis und einer Enthesitis oder
erkrankt sind und eine erweiterte Oligoarthritis, bei bei Vorliegen einer Arthritis und mindestens 2 der
der es nach 6 Monaten zum Befall von mehr als 4 folgenden Kriterien:
Gelenken kommt. Die Prognose ist bei erweiterter 44Druckschmerz über dem Sakroiliakalgelenk
OA wesentlich ungünstiger als bei persistierender 44Nachweis von HLA-B27
OA. Innerhalb der ersten 15 Krankenjahre entwi- 44Junge mit einem Krankheitsbeginn nach dem 6.
ckelt etwa nur 1/3 der Patienten mit erweiterter OA Lebensjahr
(im Vergleich zu 3/4 der Patienten mit persistieren- 44Akute anteriore Uveitis oder eine HLA-B27-
der OA) eine Remission. assoziierte Erkrankung (ankylosierende
Antinukleäre Antikörper (ANA) sind im Blut Spondylitis, EAA, Sakroiliitis bei entzündlicher
in ca. 70% nachweisbar. Als gefährliche Komplika- Darmerkrankung, Reiter-Syndrom oder akute
tion kann es (vor allem bei ANA-positiven Kindern) anteriore Uveitis) bei einem Verwandten ersten
zu einer Augenbeteiligung im Sinne einer Iridozy- Grades [4],[6], [7].
klitis kommen. Diese ist gefürchtet, da sie oft ohne
Rötung und Augenschmerzen verläuft und zu Erblin-
dung führen kann. Bei rheumakranken Kindern und 8.6 Juvenile Psoriasisarthritis
speziell nach Diagnosestellung dieser Verlaufsform
sind regelmäßige Augenuntersuchungen notwendig Zu Erkrankungsbeginn präsentiert sich die Psoria-
[4], [6], [7]. sisarthritis typischerweise als asymmetrische Oligo-
arthritis, wobei am häufigsten das Kniegelenk betrof-
fen ist.
8.5 Enthesitis-assoziierte Arthritis Da die Arthritis häufig vor der Psoriasis auftreten
kann, wird die Diagnose gestellt, wenn eine Arthri-
An der Enthesitis-assoziierten Arthritis (EAA) tis mit einer Psoriasis kombiniert auftritt oder wenn
erkranken häufiger Buben nach dem 10. Lebens- eine Arthritis diagnostiziert wird und gleichzeitig
jahr. Es sind meist nur wenige Gelenke betroffen, eine Daktylitis, eine Nägeltüpfelung und/oder eine
typischerweise Knie-, Sprung- oder Hüftgelenk. Familienanamnese für Psoriasis besteht (2 von 3 Kri-
Häufig kommt es zu einer Beteiligung der Sehnen- terien müssen für die Diagnose gemeinsam mit der
ansätze (Enthesitis). Besonders betroffen ist die Ferse Arthritis nachweisbar sein) [4].
am Ansatz der Achillessehne. In der Mehrzahl ist Daneben können auch Kollagenosen, Vaskuliti-
HLA-B27 nachweisbar. den, infektiöse Arthritiden, Gelenkbeteiligungen im
Die Jugendlichen klagen auch häufig über Rahmen oder als Folge von Infektionen etc. im Kin-
Schmerzen im Rücken als Folge einer Entzündung desund Jugendalter auftreten und sollten vor Diag-
der Kreuz-Darmbein-Gelenke. Diese tritt meist nose einer JIA ausgeschlossen werden.
erst mehrere Jahre nach Krankheitsbeginn auf. Mit
zunehmender Krankheitsdauer nimmt der Anteil
der Patienten mit entzündlicher Wirbelsäulenbe- 8.7 Therapie des kindlichen
teiligung zu, was die Zugehörigkeit dieser Verlaufs- Rheumas
form zu den Spondyloarthritiden unterstreicht. Die
EAA geht im Erwachsenenalter sehr häufig in eine Um Gelenkdeformierungen, Wachstumsstörungen
Spondyloarthritis über und etwa 40% entwickeln im und Organbeteiligungen (z. B. Augen) zu vermei-
frühen Erwachsenenalter eine gesicherte ankylosie- den, ist ebenso wie im Erwachsenenalter eine früh-
rende Spondylitis [1]. zeitige und konsequente Therapie notwendig. Die
Eine Augenentzündung im Sinne einer Behandlung ist eine Kombination aus medikamentö-
akuten Iridozyklitis mit Schmerzen, Rötung und sen Maßnahmen, Physiotherapie und Ergotherapie.
136 Kapitel 8 · Rheumatische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen

Die medikamentöse Therapie gliedert sich in 3 bei unzureichender Wirkung von synthethischen
Gruppen von Medikamenten. DMARDs nach 3–6 Monaten etabliert werden. Zur
Behandlung der Polyarthritis stehen im Kindesalter
z Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) Etanercept, Adalimumab, Abatacept und Tocilicu-
Substanzen mit langer Erfahrung bei Kindern sind mab zur Verfügung. Die Kombinationstherapie mit
z. B. Naproxen (z B. Proxen Saft) und Ibuprofen MTX hat einen synergistischen Effekt (Abatacept ist
(Nurofen). Die Dosierung erfolgt entsprechend den nur in Kombinationstherapie zugelassen) [4], [5],
vorgegebenen Richtlinien, gewichtsadaptiert und bei [6], [9].
Kleinkindern bevorzugt als Suspension. Zur Therapie der systemischen JIA ist nach Ver-
Bei unzureichendem Ansprechen sowie bei sagen von Glukokortikoiden und MTX eine Behand-
allen fortschreitenden rheumatischen Erkrankun- lung mit dem Interleukin-1-Inhibitor Canakinu-
gen werden Basistherapeutika eingesetzt. mab und dem Interleukin-6-Inhibitor Tocilicumab
zugelassen.
z Basistherapeutika (DMARDs = Disease Da eine Therapie mit Biologika mit einer poten-
Modifying Antirheumatic Drugs) ziell erhöhten Infektanfälligkeit assoziiert ist, sind
Diese immunmodulierenden Medikamente verhin- ähnlich wie im Erwachsenenalter entsprechende
dern oder verzögern zumindest das Fortschreiten der Untersuchungen vor Behandlung notwendig. Eine
8 Erkrankung. chronische Infektion ist auszuschließen, insbeson-
dere eine Hepatitis B, eine Hepatitis C und eine
Methotrexat  (MTX)  Es wird vor allem MTX bei Tuberkulose. Ebenso sollten alle notwendigen Imp-
JIA mit verstärkter entzündlicher Aktivität verwen- fungen vor Behandlungsbeginn aktualisiert sein.
det. MTX ist gut wirksam, vergleichsweise nebenwir- Die (medikamentöse) Behandlung von kindli-
kungsarm und kortisonsparend. Es wird üblicher- chem Rheuma darf nur entsprechend den vorgege-
weise einmal pro Woche in Tablettenform eingenom- benen Richtlinien (siehe spezielle Literatur) durchge-
men oder bei unzureichendem Ansprechen injiziert. führt werden und sollte bevorzugt an pädiatrischen
Zentren mit besonderer Erfahrung im Umgang mit
Sulfasalazin  Sulfasalazin wird vor allem bei Kindern Gelenkerkrankungen im Kindes- und Jugendalter
mit HLA-B27-assoziierten Oligoarthritiden verwen- erfolgen.
det. Über eine hohe Abbruchrate vor allem wegen
gastrointestinaler Nebenwirkungen wird berichtet.
Die früher häufiger verwendeten Goldpräparate Fallbeispiel: Gelenkrheuma im Kindesalter
sollten aufgrund ihrer Nebenwirkungen nur mehr in Ein 14-jähriger Patient hatte erstmals mit 7
Ausnahmefällen verwendet werden. Jahren vorübergehende Schmerzen in den
Kniekehlen, die als Wachstumsschmerzen
z Glukokortikoide und Eisenmangel angesehen wurden. Später
Diese wirken akut schmerzlindernd, die Langzeit- kam es zu Hüftproblemen, mit 12 Jahren
anwendung ist aber aufgrund der bekannten Neben- erstmals zu schmerzhaften Schwellungen
wirkungen problematisch. Wegen der Gefahr einer beider Knöchel sowie Fersenschmerzen. Der
Wachstumsverminderung sollten Glukokortikoide Bub musste oft hinken und humpeln, fühlte
daher möglichst sparsam und wenn möglich nur sich insgesamt geschwächt und kam erschöpft
lokal (z. B. als Salbe am Auge oder ins Gelenk inji- von der Schule nach Hause. Am Morgen war
ziert) verabreicht werden. er über 1 Stunde, oft auch über den ganzen
Tag, relativ steif. Er konnte kaum mehr Sport
z Biologika betreiben und im Winter auch erstmals
Ihre Einführung Ende der 1990er Jahre war ein Mei- nicht mehr Ski fahren. Schließlich sind auch
lenstein in der Behandlung der rheumatoiden Arth- Kreuzschmerzen im Sitzen und bei körperlicher
ritis und der JIA. Eine Behandlung mit Biologika Belastung dazugekommen.
sollte bei der polyartikulären Verlaufsform der JIA
8.8 · Akutes rheumatisches Fieber
137 8

Der junge Patient wurde an eine bekannte erfreulich stabiler Verlauf erreicht werden.
Rheumaklinik für Kinder und Jugendliche Die Lebensfreude des heranwachsenden
verwiesen, wo sich ein schwer kranker, Jugendlichen hat sich deutlich gebessert.
blasser Junge präsentierte, der in seiner Gerade bei Kindern und Jugendlichen
Aktivität erheblich beeinträchtigt war. ist der rasche und wirkungsvolle Einsatz
Es wurde die Diagnose einer juvenilen von Basistherapeutika notwendig, um
idiopathischen Arthritis im Sinne einer ein Fortschreiten der Erkrankung und
Enthesitis-assoziierten Arthritis gestellt. entsprechende Gelenkschäden zu verhindern.
HLA-B27 war in der Blutuntersuchung Mit einer Kortison-Therapie ist man im
nachweisbar. Eine gezielte Schmerz- und Kindesalter aufgrund der Nebenwirkungen
Bewegungstherapie wurde eingeleitet und sehr zurückhaltend. Naturgemäß ist auch bei
in weiterer Folge eine Basistherapie mit MTX diesem Krankheitsverlauf eine engmaschige
begonnen; zunächst in Form von Tabletten, ärztliche Kontrolle und Überwachung
die nicht gut toleriert wurden. Aufgrund notwendig. Vor und während der Therapie sind
einer unzureichenden Wirkung und der regelmäßige apparative und laborchemische
schlechten Verträglichkeit wurde nun eine Befunde zu erheben. Auch augenfach-
MTX-Lösung in Form von 17,5 mg 1-mal ärztliche Untersuchungen sind notwendig,
pro Woche in einem Getränk, z. B. in Cola, da es im Kindes- und Jugendalter zu einer
verabreicht. Schließlich wurde, da weiterhin Augenbeteiligung im Sinne einer Iridozyklitis
Entzündungszeichen und röntgenologisch kommen kann.
im Sprunggelenk schon Veränderungen
zu erkennen waren, eine intraartikuläre
Steroidgabe appliziert und auf eine
MTX-Injektionstherapie im Sinne einer 8.8 Akutes rheumatisches Fieber
wöchentlichen Gabe von 25 mg umgestellt.
Weiterhin zeigte sich kein zufriedenstellendes Diese akute systemische Entzündung ist eine immun-
Ergebnis und der junge Patient klagte über mediierte, durch β-hämolysierende Streptokokken
zahlreiche schmerzhafte und geschwollene der Gruppe A verursachte Erkrankung vorwiegend
Gelenke. Es musste ein Kniegelenk punktiert der Gelenke und des Herzens sowie auch fallweise
werden; zweimal wurde sogar ein intravenöser des Nervensystems und der Haut. Die Erkrankung ist
Kortison-Stoß verabreicht. Schließlich heute in den industrialisierten Ländern sehr selten und
entschloss man sich zu einer Biologika- tritt überwiegend bei Kindern ab dem 4. Lebensjahr
Therapie mit Etanercept. Die Medikation mit einem Häufigkeitsgipfel um das 10. Lebensjahr auf.
wurde erfreulicherweise sehr gut vertragen. Typisch ist eine springende Polyarthritis
Nach 3 Monaten war er ohne Schmerzen, mit asymmetrischem Befall der großen Gelenke
Schwellungen und Morgensteifigkeit. In 2–4 Wochen nach einer Tonsillopharyngitis mit
weiterer Folge konnte auch MTX reduziert β-hämolysierenden Streptokokken. Von vordring-
werden. Ein Schmerzmittel wird nur noch licher Bedeutung ist die Beteiligung des Herzens.
bedarfsweise genommen. Es können alle Herzwandabschnitte betroffen sein
mit der Gefahr der konsekutiven Entwicklung von
schwerwiegenden und definitiven Klappenfehlern.
Therapeutisch haben sich Penicillin V, NSAR, Aze-
Kommentar tylsalizylsäure und bei Karditis Glukokortikoide seit
Der 14-Jährige erkrankte mit 7 Jahren an einer Langem bewährt. Aufgrund der Rezidivhäufigkeit
JIA. Unter einer kombinierten Basistherapie muss eine Antibiotika-Prophylaxe in Form einer int-
mit Methotrexat und Etanercept konnte ein ramuskulären Penicillin-V-Gabe langfristig durch-
geführt werden [3], [4].
138 Kapitel 8 · Rheumatische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen

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139 9

Der adulte Morbus Still (Adult


Onset Still’s Disease, AOSD)
Rudolf Puchner

Literatur – 142

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_9
140 Kapitel 9 · Der adulte Morbus Still (Adult Onset Still’s Disease, AOSD)

Das Still-Syndrom des Erwachsenen ist eine seltene,


. Tab. 9.1  Yamaguchi-Klassifikationskriterien
hoch fieberhafte rheumatische Systemerkrankung (1992) [5]: 5 Kriterien müssen erfüllt sein, davon 2
unbekannter Ätiologie und Pathogenese. In erster Majorkriterien
Linie sind junge Erwachsene zwischen dem 16. und
35. Lebensjahr betroffen. Weniger als 10% der Patien- Major-Kriterien Fieber >39°C, intermittierend, für
≥1 Woche
ten sind älter als 50 Jahre.
Arthralgien >2 Wochen
z Symptomatik und Diagnose Typisches Exanthem
Charakteristisch ist die Trias aus hohem intermittie- Leukozytose >10.000/μl
rendem Fieber, einem lachsfarbenen Exanthem im Minor-Kriterien Halsschmerzen
Bereich des Stammes oder an den Extremitäten sowie
Lymphadenopathie und/oder
Arthralgien oder Arthritiden. Zu den typischen Splenomegalie
Frühsymptomen gehören Halsschmerzen, die bei 2/3
Abnorme Leberwerte
der Patienten beobachtet werden. Häufig findet sich
eine mild bis mäßig ausgeprägte Lymphadenopathie. Rheumafaktoren und antinuk-
leäre Antikörper (ANA) negativ
Laborchemisch ist eine deutliche Leukozytose
auffällig. Charakteristisch sind stark erhöhte Ent- Ausschlusskri- Infektion
terien
zündungsparameter. Ebenfalls finden sich bei circa Malignom
der Hälfte der Erwachsenen mit aktivem Morbus (Andere) rheumatische
Still deutlich erhöhte Ferritinwerte (>5-facher oberer Erkrankung
9 Normwert).
Differenzialdiagnostisch müssen vor allem bak-
terielle Infekte, Autoimmunerkrankungen, Parasi-
tosen und Lymphome ausgeschlossen werden. Zur Nichtsteroidale Antirheumatika sind in der sym-
Diagnosefindung sind nach wie vor die Yamaguchi- ptomatischen Behandlung wirksam, aber üblicher-
Kriterien weit verbreitet (. Tab. 9.1) [1], [2], [5]. weise nicht ausreichend. Glukokortikoide sind bei
Ob es sich bei Morbus Still im Kindes- und Erwach- den meisten Patienten wirksam, insbesondere bei
senenalter um die gleiche oder um verschiedene Fieber und Gelenkschmerzen. Oft sind aber über
Erkrankungen handelt, muss derzeit offen bleiben. längere Zeit mittelhohe Dosen (z. B. 25 mg Predni-
solon und mehr) täglich notwendig, um die Sympto-
z Prognose matik zu unterdrücken.
Bei mehr als 1/3 der Verläufe ist die Erkrankung ent- Zahlreiche Basistherapeutika wurden ein-
sprechend der Literatur selbstlimitierend (remittieren- gesetzt; die besten Erfahrungen bestehen mit
der Verlauf), ein Teil der Patienten zeigt rezidivierende Methotrexat, vor allem um Glukokortikoide ein-
Verläufe (insbesondere nach Absetzen einer immun- zusparen und die Arthritis bei chronischen Ver-
suppressiven Therapie), bei einem Teil kommt es zu läufen zu kontrollieren. Bei auf konventionelle
chronischen Verläufen mit destruierender Arthritis. Therapie refraktärem AOSD gibt es bereits gute
Seltene lebensbedrohliche Verläufe sind infolge Erfahrungen mit dem Einsatz der Interleukin-1-
einer Sepsis, Tuberkulose oder Peritonitis, im Rezeptorantagonistenen Anakinra und Canaki-
Rahmen einer Glukokortikoid-Therapie oder eines numab. Canakinumab ist bereits zur Behandlung
Organversagens, einer disseminierten intravasalen des AOSD zugelassen. Es existieren auch Publi-
Gerinnung etc. möglich [3], [4]. kationen über eine Behandlung mit Tumornekro-
sefaktor(TNF)-α-Blockern und ebenfalls bereits
z Therapie Fallberichte über den Einsatz des Interleukin-
Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung existieren 6-Rezeptor-Antikörpers Tocilizumab und des
keine großen kontrollierten Studien. B-Zell-Antikörpers Rituximab [3], [4].
Der adulte Morbus Still (Adult Onset Still’s Disease, AOSD)
141 9

Fallbeispiel: Junge Frau mit rezidivieren- Nach dem Krankenhaus wurde sie in einer
den Fieberschüben rheumatologischen Praxis betreut. Es wurde
Eine 17-jährige Patientin wurde mit eine Basistherapie mit Methotrexat eingeleitet
wiederholten Fieberschüben, Schmerzen in und nach guter Verträglichkeit versucht, die
zahlreichen großen und kleinen Gelenken und GC in kleinen Schritten „auszuschleichen“.
flüchtigen Hautausschlägen (während der Nach einem halben Jahr betrug die tägliche
Fieberschübe) stationär aufgenommen. Eine Dosis 7,5 mg ohne neuerliche Fieberschübe,
umfangreiche Untersuchung ergab keinen nach ca. 12 Monaten benötigte die Patientin
Hinweis eines infektiösen bzw. septischen kein Prednisolon mehr. Die Nebenwirkungen
Geschehens. Verschiedene Antibiotikagaben bildeten sich zurück, inzwischen war die 7.
führten zu keiner Besserung. Die Patientin war Klasse geschafft. Vereinzelt kam es alleine
in ihrer Befindlichkeit schwer beeinträchtigt. unter niedrig dosiertem Methotrexat, das
Im Labor zeigte sich eine deutlich erhöhte weiterhin einmal wöchentlich eingenommen
Blutsenkungsreaktion als Ausdruck einer wurde, zu vorübergehenden Gelenkschmerzen
schweren Entzündung, eine leichte Blutarmut ohne Schwellungen. Nach der Matura
bei gleichzeitiger Erhöhung der Leukozyten; wurde Methotrexat abgesetzt. Inzwischen
zudem auffallend eine massive Vermehrung ist sie erfolgreiche Absolventin einer
des Ferritins. Fachhochschule. Gelenkentzündungen und
Glukokortikoide (GC) in hoher Dosis führten Fieberschübe sind nicht mehr aufgetreten.
dann prompt zu Fieber- und Schmerzfreiheit.
Die Diagnose eines Still-Syndroms des
Erwachsenen wurde gestellt. Die täglichen
GC-Dosen wurden langsam reduziert Kommentar
und die Patientin schließlich nach einem Das Still-Syndrom ist eine auch im
mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt mit Kleinkindalter seltene systemische, fieberhafte
einer täglichen Dosis von 25 mg Prednisolon Gelenkerkrankung. Äußerst selten tritt
entlassen. Ein weiteres Reduzieren diese Erkrankung in der Adoleszenz oder im
der Medikamente und regelmäßige Erwachsenenalter auf und wird als adulte
Kontrollen wurden vereinbart. Wurde das Form des Morbus Still oder Still-Syndrom des
Prednisolon unter eine Tagesdosis von Erwachsenen bezeichnet. Bei einem „Fieber
15 mg abgesenkt, kam es wieder zu Fieber unklarer Genese“ ist auch an diese seltene
und Gelenkschmerzen. Die Patientin war rheumatische Systemerkrankung zu denken.
sehr niedergeschlagen und gleichzeitig Trotz oft längerfristiger schubweiser Verläufe
wegen der GC-Einnahme beunruhigt. Ein mit einer notwendigen Behandlung mit GC
kurzfristiges komplettes Absetzen der sind Remissionen häufig. Die Prognose ist
Medikamente seitens der Patientin führte zu in der Regel gut, chronische Verläufe mit
einer massiven Verschlechterung und wurde Gelenkdestruktionen sind aber möglich. Auch
nicht toleriert. Die Behandlung über viele bei diesem Fallbericht wird ersichtlich, dass
Wochen bewirkte typische Nebenwirkungen man bei entzündlichen Gelenkerkrankungen,
wie Gewichtzunahme und die Entwicklung trotz der bekannten Nebenwirkungen, auf
eines „Vollmondgesichts“. Weiterhin konnte die vorübergehende GC-Dosen manchmal nicht
Patientin am Turnunterricht nicht teilnehmen verzichten kann. Diese können bedrohliche
und nur durch besonderen Fleiß hat sie die 7. Organbeteiligungen verhindern und
Klasse im Gymnasium trotz vieler Fehlstunden wahrscheinlich auch Gelenkzerstörungen
erfolgreich absolviert. verzögern.
142 Kapitel 9 · Der adulte Morbus Still (Adult Onset Still’s Disease, AOSD)

Literatur

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9
143 10

Lyme-Arthritis
Rudolf Puchner

Literatur – 145

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_10
144 Kapitel 10 · Lyme-Arthritis

Die Borreliose ist eine durch Zecken übertragbare (meist ELISA) durchgeführt, der nur bei reaktivem
Erkrankung, hervorgerufen durch die Spirochäte Ergebnis durch einen hochspezifischen Immuno-
Borrelia burgdorferi. Die Erkrankung kann verschie- blot (Western-Blot) bestätigt werden sollte. Für die
dene Organe, im Speziellen die Haut, das Nervensys- Diagnose sind ein Nachweis von Immunglobulin-
tem und die Gelenke betreffen. Eher unterschiedli- G(IgG)-Antikörpern und ein breites Bandenspekt-
che epidemiologische Daten zeigen eine Inzidenz der rum im Immunoplot obligatorisch. Bei einem nega-
Lyme-Borreliose für Deutschland zwischen 25 und tiven Bestätigungstest ist der Befund als negativ zu
100 Fällen /100.000 Einwohner [2], für Österreich werten. In speziellen Situationen kann der Nach-
wird eine Inzidenz zwischen 150 [8] und 300 Fällen weis von Borrelien-DNA in der Gelenkflüssigkeit
/100.000 [7] Einwohner angegeben. mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) hilfreich
sein und zu einer differenzialdiagnostischen Klärung
z Symptomatik beitragen.
Obwohl es sowohl in der frühen als auch in der Irreführend ist oft ein positiver Borrelien-Anti-
späten Phase der Erkrankung zu Gelenkbeschwerden körpertiter im Blut; bei ca. 8–20% der gesunden
kommen kann, dominieren doch die Veränderungen österreichischen Bevölkerung findet man Antikör-
im Bereich der Haut. Glücklicherweise erkrankt nur per gegen Borrelien, insbesondere bei Waldarbeitern,
ein kleiner Teil der Patienten Tage bis Wochen nach Läufern etc. Nur bei einem sehr kleinen Teil besteht,
einem Zeckenbiss tatsächlich an einer roten fleckför- entsprechend der Literatur bei positiven Antikörper-
migen bis pustulösen Hautveränderung mit ringför- titern, eine klinisch gesicherte Lyme-Arthritis.
miger Begrenzung (Erythema migrans). Eine gezielte Ebenso sind serologische Verlaufskontrollen
antibiotische Therapie in dieser Phase der Erkran- meist nicht geeignet, den Erfolg einer antibiotischen
kung verhindert üblicherweise das weitere Fort- Therapie zu dokumentieren, da Borrelien-Antikör-
10 schreiten. Mit und ohne Erythema migrans können per noch für eine lange Zeit, auch nach einer erfolg-
unbehandelt in den nachfolgenden Wochen bis reichen Therapie, persistieren können [1], [2], [3],
Monaten unspezifische, grippeähnliche Symptome [4], [5], [6], [9].
sowie Arthralgien und Myalgien auftreten. Auch
das Herz oder das Nervensystem können betroffen z Therapie
sein. Bei einem Befall des Nervensystems kann es in Eine antibiotische Therapie sollte frühzeitig nach
der Frühphase eher zu radikulären Schmerzen mit Diagnosestellung eingeleitet werden. Die Mittel
neuropathischem Charakter kommen, in der Spät- der Wahl sind im Frühstadium bei Erythema
phase zu einer Meningitis oder Enzephalomyelitis. migrans: Doxycyclin (200 mg täglich), Amoxicil-
Die typische Lyme-Arthritis manifestiert sich lin (500–1000 mg 3-mal täglich) oder Cefuroxim
als Mon- oder Oligoarthritis, wobei in ca. 85% ein (500 mg 2-mal täglich). Die Therapiedauer beträgt
Kniegelenk betroffen ist. Die Gonarthritis geht häufig 14–21 Tage. Bei einer Lyme-Arthritis beträgt die
mit einer deutlichen Ergussbildung und Ausbildung Behandlungsdauer 28 Tage, die Erfolgsrate einer
einer Baker-Zyste einher. Wenn die Lyme-Arthritis oralen Ersttherapie liegt bei ca. 80%. Sind Patien-
früh diagnostiziert und antibiotisch behandelt wird, ten mit einer Lyme-Arthritis auch Wochen nach
heilt sie meist folgenlos ab [1], [2], [3], [4], [5], [6]. einer Behandlung nicht beschwerdefrei, wird noch
eine parenterale Antibiotika-Therapie mit Ceftria-
z Diagnostik xon (2 g einmal täglich) über 14–21 Tage empfohlen.
Die Diagnose der Lyme-Arthritis ergibt sich aus Eine zusätzliche antiphlogistische Therapie erfolgt
Anamnese, klinischem Befund und gezielter serolo- symptomorientiert.
gischer Untersuchung. Der Nachweis von Antikör- Nach einer antibiotischen Therapie von Spät-
pern gegen Borrelien gehört zu den am häufigsten manifestationen kommt es oft erst im Verlauf
angeforderten serologischen Tests im mikrobiolo- von Wochen bis Monaten zu einer allmählichen
gischen Labor. Die Diagnose erfolgt nur bei begrün- Remission. Chronische und therapieresistente
detem klinischem Verdacht durch einen Antikörper- Verläufe sind aber extrem selten [1], [2], [3], [5],
nachweis. Zunächst wird ein serologischer Suchtest [6], [9], [10].
Literatur
145 10
Literatur

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Kristallarthropathien
Rudolf Puchner, Judith Sautner

11.1 Gicht (Arthritis urica) – 148

11.2 Chondrokalzinose – 152

Literatur – 152

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_11
148 Kapitel 11 · Kristallarthropathien

11.1 Gicht (Arthritis urica) (Podagra) betroffen. Auch andere Gelenke wie Knie-,
Sprung- oder Fingergelenk können befallen sein;
Die Gicht ist die häufigste entzündliche Gelenker- typischerweise ist nur ein Gelenk betroffen. Die
krankung des Mannes in der westlichen Welt. Die Attacke dauert auch ohne Behandlung meist nur 1–2
Prävalenz liegt bei Männern über 30 und bei post- Wochen und spricht auf antiphlogistische Medika-
menopausalen Frauen zwischen 2 und 3%, mit regio- mente gut an.
nalen Unterschieden. Nach einer Schmerzepisode tritt wiederum
Harnsäure (HS) entsteht durch den Abbau der Beschwerdefreiheit ein. Das symptomfreie Stadium
Purinnukleotidbasen Adenin und Guanin und zwischen zwei Gichtanfällen wird als interkritische
durch Abbau von aus der Nahrung aufgenommenen Gicht bezeichnet.
Purinen. Purinreiche Kost ist aber nicht der wesent- Das Fehlen einer konsequenten Therapie führt
liche pathogenetische Faktor. Die häufigste Ursache zu einer Häufung von Anfällen. Die Abstände
der Hyperurikämie ist eine familiäre Störung der zwischen den Anfällen werden kürzer, der akute
renalen HS-Exkretion. Eine verminderte renale Anfall ist weniger ausgeprägt, dauert aber länger
Ausscheidung von HS kann auch die Folge einer und betrifft immer mehr Gelenke, sodass sich das
eingeschränkten Nierenfunktion oder einer medi- Bild einer chronischen Oligo- bis Polyarthritis ent-
kamentösen Therapie (z. B. Diuretika) sein. Sehr viel wickelt. Die chronische Gicht manifestiert sich
seltener ist eine Hyperurikämie aufgrund einer HS- durch Uratablagerungen an Knorpel, Synovia und
Überproduktion, die bei genetischen Erkrankun- Knochen sowie in der Subkutis und ist durch das
gen oder durch erhöhten Zellumsatz bei Psoriasis, Auftreten von Gichtknoten (Tophi) charakteri-
bei hämatologischen Erkrankungen sowie als Folge siert. Es handelt sich dabei um in dichtes Bindege-
einer Zytostatikabehandlung auftreten kann [1], [2]. webe eingebettete Granulome mit einem Kern aus
Erhöhte HS-Spiegel sind ein häufiger Laborbe- Mononatriumuratkristallen.
fund, der HS-Spiegel steigt mit Alter, Body-Mass- Auch eine Beteiligung der Niere (Gichtnephro-
Index (BMI) und Wohlstand. Gicht ist nicht nur ein pathie) ist möglich im Sinne einer primären abakte-
11 unabhängiger Risikofaktor für koronare Herzerkran- riellen interstitiellen Nephritis (Uratnephropathie als
kung und chronisch renale Insuffizienz; eine Asso- Folge sehr hoher HS-Spiegel) oder durch Ausbildung
ziation mit z. B. arterieller Hypertonie oder Diabetes von Nierensteinen (Uratnephrolithiasis). In seltenen
mellitus bzw. dem metabolischen Syndrom ist doku- Fällen kann eine obstruktive Uratnephropathie zu
mentiert, was eine effiziente HS-Senkung – bei gesi- einem akuten Nierenversagen führen [2], [6].
cherter Gichtdiagnose – umso wichtiger erscheinen
lässt [3]. In den aktualisierten EULAR-Empfehlun- z Diagnostik
gen für das Management der Gicht wird ein kardio- Laborchemisch zeigen sich stark erhöhte Entzün-
vaskuläres Screening bzw. Monitoring dezidiert emp- dungsparameter und eine Leukozytose; die HS ist im
fohlen [4]. Anfall nicht obligat erhöht bzw. kann falsch negativ
sein; eine HS-Bestimmung ist frühestens 2 Wochen
z Symptomatik und Diagnostik nach einem Anfall sinnvoll.
Bei einem geringen Prozentsatz von Patienten mit Mit absoluter Sicherheit kann die Diagnose einer
Hyperurikämie kommt es im Laufe von Jahren zu Arthritis urica nur durch eine Gelenkpunktion mit
einem akuten Gichtanfall. Die HS kann in übersättig- dem Nachweis phagozytierter doppelbrechender
ten Körperflüssigkeiten nicht mehr in Lösung gehal- HS-Kristalle diagnostiziert werden. Letztendlich
ten werden, fällt aus und lagert sich in Form von HS- muss im Zweifelsfall eine septische Arthritis durch
Kristallen in den Gelenken ab (wie zu viel Zucker im eine Punktion ausgeschlossen werden. Die typi-
Kaffee, der sich am Boden der Tasse absetzt) [11]. sche Klinik an entsprechender Lokalisation lässt
Dies bewirkt einen akuten Gichtanfall mit aber bei einem sonst gesunden Patienten diese Dif-
Rötung, Schwellung und massiven Schmerzen eines ferenzialdiagnose in der Regel ausscheiden [10],
Gelenkes. Bevorzugt ist das Großzehengrundgelenk [12]. Mittels Gelenksonographie kann man das
11.1 · Gicht (Arthritis urica)
149 11
pathognomonische „Doppelkonturzeichen“ bzw. bestehenden Tophi sollte der HS-Spiegel zur besse-
HS-Kristalle und Tophusmaterial nachweisen, im ren Auflösung <5 mg/dl gesenkt werden [4].
Akutstadium auch entzündliche Aktivität mit posi-
tivem Power-Doppler-Signal. Als spezifischster Bild- Urikostatika  Zur langfristigen HS-senkenden
gebungsnachweis von HS-Kristallen steht derzeit die Behandlung werden heute fast ausschließlich Uri-
DECT („Dual-Energy-Computertomographie“) zur kostatika verwendet, die durch die Hemmung der
Verfügung. Diese Methode ist allerdings Zentren Xanthinoxidase den Purinabbau vermindern. Allo-
vorbehalten und ist aufgrund der Kosten limitiert. purinol ist der am häufigsten eingesetzte Wirkstoff.
Es sollte mit einer niedrigen Dosis (100 mg täglich)
z Therapie üblicherweise erst 2–3 Wochen nach Abklingen des
akuten Gichtanfalls begonnen werden und, falls
z z Therapie des akuten Anfalls notwendig, alle 2–3 Wochen um 100 mg gesteigert
Die Behandlung des akuten Anfalls erfolgt durch werden. Bei mäßig eingeschränkter Nierenfunktion
nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oder Glu- ist die Dosis zu reduzieren, eine stark eingeschränkte
kokortikoide (GC). GC können systemisch oder Nierenfunktion gilt als Kontraindikation. Bei Über-
intraartikulär appliziert werden. Oral verabreich- dosierung von Allopurinol drohen schwerste Krank-
tes Colchicin, was traditionell und häufiger in den heitsbilder wie eine Agranulozytose. Bei Auftreten
romanischen Ländern verwendet wird, wurde in die von Hauterscheinungen und Blutbildveränderungen
EULAR-Empfehlungen aufgenommen [4]. Colchi- ist Allopurinol unverzüglich abzusetzen.
cin sollte nur mehr nach dem sogenannten Nied- Febuxostat (Adenuric) ist ein neuer Xanthinoxi-
rigdosis-Schema angewendet werden (1 mg so früh dasehemmer zur HS-Senkung und stellt eine Alter-
wie möglich im Anfall, gefolgt von 0,5 mg nach 1 native (bei Unverträglichkeit oder Unwirksamkeit)
Stunde) – darunter sind gastrointestinale Neben- zu Allopurinol dar. Die empfohlene Dosis beträgt
wirkungen nicht zu erwarten [9]. Bei stark einge- 80 mg 1-mal täglich und kann bei unzureichender
schränkter Nierenfunktion sind NSAR und Col- Wirkung auf 120 mg 1-mal täglich gesteigert werden.
chicin kontraindiziert. Für Patienten, die eine Eine Dosisanpassung ist bei leichter bis mittelschwe-
Kontraindikation für die erwähnten konventionel- rer Niereninsuffizienz nicht erforderlich. Höher-
len Therapien des akuten Anfalls aufweisen oder gradige kardiale Insuffzienz und fortgeschrittene
therapierefraktär sind, steht mit Canakinumab ein koronare Herzkrankheit sowie schwere Schilddrü-
Interleukin(IL)-1-Antagonist zur Verfügung, der im sen- und Leberfunktionsstörungen gelten als Kon-
Anfall und bei guter Wirkung frühestens 3 Monate traindikationen [8].
später neuerlich gegeben werden kann; der IL-1-An- Die gleichzeitige Gabe von Azathioprin und Allo-
tagonist Anakinra hat zwar keine Zulassung in dieser purinol ist ebenso wie die kombinierte Anwendung
Indikation (Zulassung für rheumatoide Arthritis von Azathioprin und Febuxostat wegen der Gefahr
bzw. Fiebersyndrome), scheint aber eine vergleich- einer Knochenmarkdepression kontraindiziert!
bare Wirkung zu haben.
Urikosurika  Die Urikosurika Benzbromaron und
z z HS-Senkung Probenezid (in Österreich nicht mehr erhältlich)
Eine HS-senkende Therapie sollte ab dem Auftre- hemmen die tubuläre Reabsorption und steigern so
ten des ersten Gichtanfalls diskutiert werden und ist die HS-Ausscheidung. Urikosurische Substanzen
indiziert bei rezidivierenden Gichtanfällen, Gichtto- werden als Alternative oder bei Kontraindikation
phi, Uratnephropathie, Nierensteinen und radiologi- für Allopurinol und bei normaler Nierenfunktion
schen Gichtzeichen. Das Therapieziel ist die Auflö- und verminderter Ausscheidung von HS eingesetzt.
sung bestehender Kristalle und die Vermeidung einer Urolithiasis gilt als relative Kontraindikation. Seltene
Neubildung von Uratkristallen. Dies wird erreicht Fälle von schwerer Lebertoxizität sind bei Anwen-
durch einen HS-Spiegel unter dem Sättigungspunkt dung von Benzbromaron beschrieben worden. Eine
von Natriumurat (360 μmol/l bzw. <6 mg/dl); bei einschleichende Dosierung ist notwendig, zusätzlich
150 Kapitel 11 · Kristallarthropathien

ist auf eine ausreichende Trinkmenge zu achten. Man


beginnt mit 20 mg Benzbromaron täglich und kann, Fallbeispiel: Ein 57-jähriger Patient mit hef-
wenn notwendig, bis auf 60–100 mg täglich steigern. tigen Schmerzen im Vorfuß
Eine Neutralisierung des Harns (z. B. Uralyt U) wirkt Ein 57-jähriger Patient klagte seit vielen
der Bildung von Harnsteinen entgegen. Jahren über rezidivierende, eher plötzlich
Auch eine Kombinationstherapie (z. B. Allobenz) auftretende Schmerzen im Vorfuß. Fallweise
wird in manchen Ländern angeboten (üblicherweise war nicht das Großzehengrundgelenk, sondern
mit 100 mg Allopurinol und 20 mg Benzbromaron). das Sprunggelenk beteiligt. Einmal war das
Diese Therapieform kommt in den EULAR-Emp- Ellbogengelenk schmerzhaft geschwollen.
fehlungen aus 2012 nicht vor, wurde aber als For- Stets war aber nur ein Gelenk betroffen. Die
schungsfrage in einer „Research Agenda“ formuliert Symptome begannen akut, oft in der Nacht und
[13]. Bei Fällen von schwerer therapierefraktärer dauerten wenige Tage bis maximal 2 Wochen.
tophöser Gicht besteht die Möglichkeit, pegylierte Die Beschwerden waren derart heftig, dass der
Uricase als Reservepräparat einzusetzen. Diese Infu- Patient nicht einmal den Druck der Bettdecke
sionstherapie ist aufgrund einer hohen Wahrschein- aushielt. Er sprach meist gut auf NSAR an.
lichkeit für allergische Reaktionen und wegen der Er hatte in früheren Jahren täglich 2 Flaschen
Kosten limitiert und Zentren vorbehalten [4]. Bier getrunken, nahm aber in letzter Zeit sehr
Gerade in den ersten Monaten einer HS-senken- wenig Alkohol zu sich. Er hatte auch durch eine
den Therapie kann es aufgrund der großen HS-De- Diätperiode (wenig Fleisch) keine Besserung
pots zu weiteren Gichtanfällen kommen. erreicht und auch zuletzt zumindest 3–4
Attacken pro Jahr. Sein Vater litt ebenfalls
z z Anfallsprophylaxe unter wiederholten Schmerzattacken in der
Eine Anfallsprophylaxe mit niedrig dosierten NSAR Großzehe.
oder Colchicin (0,5–1 mg täglich) wirkt einer neuer- Zum Untersuchungszeitpunkt präsentierte
lichen Attacke entgegen; deren Dauer wird von der
11 EULAR derzeit mit 6 Monaten angegeben [4].
sich der Patient mit einer sehr schmerzhaften
Schwellung und Rötung im rechten
Eine diuretische Therapie sollte wenn möglich Sprunggelenk über eine Woche, die sich auf
beendet werden. NSAR nicht besserte. Laborchemisch zeigte
sich in der Erstuntersuchung neben erhöhten
z z Ernährungs- und Lebensstilempfehlungen Blutfetten und einer hohen Blutsenkung die
Der Patient sollte über den Nutzen diätetischer Maß- HS mit 9,2 mg/dl deutlich erhöht. Die übrigen
nahmen aufgeklärt werden, seinen Fleisch- und Laborparameter inklusive Kreatinin waren im
Alkoholkonsum sowie auch die Fruktosezufuhr Normbereich.
reduzieren (Fruktose wird ebenfalls zu HS abge- Wegen der typischen Monoarthritis, der
baut) und auf eine ausreichende Trinkmenge von heftigen, rasch einsetzenden Schmerzen
mindestens 1,5 l pro Tag achten. Alkohol bewirkt und der entsprechenden Anamnese wurde
eine vorübergehende Hemmung der renalen Urat- die klinische Diagnose einer Arthritis
ausscheidung durch die Laktatazidose. Im Beson- urica gestellt. Aufgrund der Klinik wurde
deren sollte Bier (auch alkoholfreies) wegen der eine 5-tägige Behandlung mit GC in Form
purinreichen Hefen gemieden werden. Auf purin- von 25 mg Prednisolon pro Tag initiiert.
reiche Nahrungsmittel sollte naturgemäß verzichtet Wegen der rezidivierenden Attacken
werden. Übergewicht sollte langsam reduziert bzw. wurde nach 2 Wochen eine HS-senkende
Normalgewicht gehalten werden. Spezifische Ernäh- Medikation verordnet, beginnend mit
rungs- und Lebensstilempfehlungen sind verfügbar Allopurinol 100 mg und Steigerung auf
und werden dem Patienten auch im Hinblick auf das eine Maximaldosis von 300 mg pro Tag (bei
angesprochene kardiovaskuläre Risikopotenzial bzw. nicht eingeschränkter Nierenfunktion).
eventuelle Übergewicht empfohlen [7].
11.1 · Gicht (Arthritis urica)
151 11

Zusätzlich wurde in den ersten Monaten ergab keinen Hinweis auf Uratkristalle, worauf
nach Beginn der HS-senkenden Medikation, eine Basistherapie mit Salazopyrin eingeleitet
unter Überwachung der Verträglichkeit, ein wurde und bereits nach 3 Wochen wegen
niedrig dosiertes NSAR empfohlen, um gerade Cephalea wieder abgesetzt werden musste.
zu Beginn einer HS-senkenden Behandlung Der Patient suchte dann erst nach 19 Monaten
neuerlichen Anfällen vorzubeugen. wiederum die rheumatologische Praxis auf
und präsentierte sich diesmal mit einer
Arthritis von 2 großen Gelenken (Knie und
Sprunggelenk), einer Bursitis olecrani und
Kommentar Gichtknoten (Tophi) an mehreren Zehen. Eine
Insbesondere in den ersten Monaten nach zusätzlich veranlasste DECT zeigte multiple
Einsetzen der HS-senkenden Medikation HS-Kristalle in den untersuchten Gelenken.
wird eine Rezidivprophylaxe empfohlen. Die Eine konsequente HS-Senkung mit Allopurinol
HS-senkende Medikation (mit Allopurinol) wird wurde begonnen, zunächst mit 100 mg/Tag,
üblicherweise erst nach Abklingen des akuten und in der Folge wurde alle 2 Wochen um
Gichtanfalls eingeleitet. Manche Autoren 100 mg auf eine Standarddosis von 300 mg/
empfehlen nach rezidivierenden Gichtattacken Tag gesteigert.
bei guter Verträglichkeit eine lebenslange Parallel dazu wurde eine Anfallsprophylaxe mit
Therapie. Eventuell könnte bei stabiler Colchicin (empfohlene Dosis 0,5–1,5 mg/Tag)
Befindlichkeit nach 5 Jahren die HS-senkende eingeleitet.
Medikation versuchsweise beendet werden. Gegebenenfalls kann, wenn ein HS-Zielwert
von <6 mg/dl mit 300 mg Allopurinol pro
Tag nicht erreicht wird, bei Patienten mit
normaler Nierenfunktion bis auf 600 mg/Tag
46-jähriger Mann mit symmetrischen erhöht werden. Da mit dieser Dosis ebenfalls
Gelenkbeschwerden keine suffiziente Senkung des HS-Spiegels
Im Jahr 2013 präsentierte sich der Patient mit erzielt werden konnte, wurde auf Febuxostat,
einer bereits über einige Wochen auffälligen einen neueren Inhibitor der Xanthinoxidase,
schmerzhaften symmetrischen Schwellung gewechselt. Mit initial 80 mg und einer
beider Knie- und Sprunggelenke und einer Steigerung auf 120 mg pro Tag nach einem
wurstförmigen Verdickung der zweiten linken Monat konnte schließlich eine Normalisierung
Zehe. Anamnestisch konnte eine positive der HS-Werte erreicht werden. Gerade bei
Eigen- (spontaner Beginn mit typischer Gichttophi sollte sogar ein HS-Wert unter
Monoarthritis und selbstlimitierend, 1- bis 5 mg/dl erreicht werden. Weitere Anfälle traten
2-mal/Jahr) und Familienanamnese für Arthritis in der Folge nicht mehr auf.
urica erhoben werden. Es gab keine Psoriasis in
der Familie. Im Labor zeigte sich eine erhöhte
Blutsenkungsgeschwindigkeit (42) und eine
HS mit 9 mg/dl, Rheumafaktor und Antikörper Kommentar
gegen zyklische zitrullinierte Peptide (CCP) In 10% der Fälle präsentiert sich die
waren nicht erhöht. Differenzialdignostisch Gichterkrankung oligo- bis polyartikulär.
musste neben einer polyartikulären Gicht eine Typischerweise ist der Krankheitsverlauf
chronisch entzündliche Gelenkerkrankung, episodisch: akute Attacken wechseln mit
wie eine seronegative rheumatoide Arthritis, langen beschwerdefreien Phasen ab. Ohne
ausgeschlossen werden. Eine Gelenkpunktion Behandlung häufen sich die Schübe im Laufe
152 Kapitel 11 · Kristallarthropathien

Literatur
der Zeit und es können zunehmend mehrere
[1] Arromdee E, Michet CJ, Crowson CS et al. (2002) Epide-
Gelenke beteiligt sein und auch Gichtknoten
miology of gout: Is the incidence rising? J Rheumatol
(Tophi) auftreten. Das gleichzeitige Auftreten 29:2403–2406
einer Gicht und einer chronisch entzündlichen [2] Gresser U (2008) Gicht. In: Zeidler H, Zacher J, Hiepe F
Gelenkerkrankung wie einer rheumatoiden (Hrsg) Interdisziplinäre klinische Rheumatologie, 2. Aufl.
Arthritis oder einer Kollagenose ist selten. Springer, Berlin, S 593–604
[3] Li C, Hsieh MC, Chang SJ (2013) Metabolic syndrome,
Der diagnostische Goldstandard für die
diabetes, and hyperuricemia. Curr Opin Rheumatol
Arthritis urica ist nach wie vor der Nachweis 25(2):210–216
von Uratkristallen in der Gelenkflüssigkeit [4] Richette P, Doherty M, Pascual E et al. (2016) 2016 upda-
sowohl während eines Schubes als auch im ted EULAR evidence-based recommendations for the
symptomfreien Intervall in einem von der Gicht management of gout. Ann Rheum Dis. DOI:10.1136/
annrheumdis-2016-209707
betroffenen, aber zum Zeitpunkt der Punktion
[5] Sautner J, Leeb BJ (2012) Chondrocalcinose. In: Dunky
asymptomatischen Gelenk. A, Graninger W, Herold M, Smolen J, Wanivenhaus A
Was man sich merken soll: Ein gleichzeitiger (Hrsg) praktische Rheumatologie, 5. Aufl. Springer,
Befall mehrerer Gelenke schließt eine Wien, S 392–395
Gichterkrankung nicht aus! Ein fehlender [6] Sautner J, Leeb BJ (2012) Gicht (Arthritis urica). In:
Dunky A, Graninger W, Herold M, Smolen J, Waniven-
Nachweis von Uratkristallen in der Synovial-
haus A (Hrsg) praktische Rheumatologie, 5. Aufl. Sprin-
flüssigkeit schließt eine Gicht ebenfalls nicht ger, Wien, S 384–391
aus! Zur weiteren Abklärung in (diagnostisch) [7] Sautner J, Eichbauer-Sturm G, Gruber J et al. (2015)
schwierigen Situationen ist die DECT eine Österreichische Ernährungs- und Lebensstilempfeh-
moderne, nichtinvasive und effektive Methode lungen bei Gicht und Hyperurikämie. Z Rheumatol
74(7):631–636
zur Detektion von HS-Kristallen (aber derzeit
[8] Schumacher HR Jr, Becker MA, Lloyd E (2009) Febu-
noch in wenigen Zentren verfügbar). xostat treatment in gout. 5 year findings of the FOCUS
11 efficacy and safety study. Rheumatology 48(2):
188–194
[9] Terkeltaub RA, Furst DE, Bennett K et al. (2010) High
11.2 Chondrokalzinose versus low dosing of oral colchicine for early acute gout
flare: 24 h outcome of the first multicenter, randomi-
zed, double-blind, placebo-controlled, parallel-group,
Die Chondrokalzinose (Synonym: Pyrophosphatgicht, dose-comparison colchicine study. Arthritis Rheum
Pseudogicht) ist die zweithäufigste Form der Kristallar- 62(4):1060–1068
thropathien und die häufigste Monoarthritis des alten [10] Underwood M (2006) Diagnosis and management of
gout. BMJ 332:1315–1319
Menschen. Durch Ablagerung von Kalziumpyrophos-
[11] Winzer M, Gräßler J, Aringer M (2007) Kristallarthropa-
phatdihydrat(CPPD)-Kristallen im Faser- und hyali- thien – alt, aber wichtig. Z Rheumatol 66:317–325
nen Knorpel kommt es zur Auslösung einer akuten [12] Zhang W, Doherty M, Pascual E et al. (2006) EULAR evi-
Synovitis, bevorzugt im Kniegelenk. Die idiopathische dence based recommendations for gout. Part I: Diagno-
Erkrankung kommt hereditär-familiär und in spätem sis. Report of a task force of the Standing Committee
for International Clinical Studies Including Therapeutics
Erwachsenenalter auch sporadisch vor. Eine sekundäre
(ESCISIT). Ann Rheum Dis 65:1301–1311
Form der Chondrokalzinose wird im Zusammenhang [13] Zhang W, Doherty M, Bardin T et al. (2006) EULAR
mit metabolischen und endokrinologischen Erkran- evidence based recommendations for gout. Part II:
kungen (z. B. Hämochromatose, Hyperparathyreo- Management. Report of a task force of the EULAR
dismus u. a.) beobachtet. Die Pathophysiologie der Standing Committee for International Clinical Studies
Including Therapeutics (ESCISIT). Ann Rheum Dis
Erkrankung ist nicht vollständig geklärt, eine kausale
65:1312–1324
Therapie existiert nicht. Die akuten Anfälle werden
ebenso wie die Gicht mit NSAR oder GC (systemisch
und lokal i.a.) behandelt. Dasselbe gilt im Wesentli-
chen für die Hydroxyapatit-Krankheit, eine noch sel-
tenere Kristallarthropathie [5].
153 12

Fibromyalgie
Rudolf Puchner

Literatur – 155

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_12
154 Kapitel 12 · Fibromyalgie

Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) ist ein chro- Tender points finden sich beidseitig an folgenden 9
nisches Schmerzsyndrom, das charakterisiert ist Lokalisationen:
durch eher diffuse Schmerzen des Muskelapparats 44Kopf: Ansatz der subokzipitalen Muskulatur
und des Skelettes in mehreren Körperregionen. Als 44Untere Halswirbelsäule: Zwischenräume der
Begleitsymptome werden Morgensteifigkeit, Müdig- Querfortsätze der Halswirbelsäule in Höhe
keit, Schlafstörungen und häufig eine depressive C5–C7
Stimmungslage angegeben. Häufiger sind Frauen 44Trapezius: Mitte des oberen Randes des M.
als Männer betroffen. Die Prävalenz wird auf fast trapezius
5% aller weiblichen Personen in den europäischen 44Supraspinatus: Ursprung am oberen medialen
Ländern geschätzt. Die Inzidenz steigt mit zuneh- Skapularand
menden Alter, vor allem nach der Menopause [2], 442. Rippe: Knorpel-Knochen-Grenze
[9], [11], [14]. 44Ellenbogen: 2 cm distal des Epicondylus lateralis
Die Pathophysiologie ist nach wie vor nicht 44Glutealregion: oberer äußerer Quadrant
geklärt. In der Pathogenese ist eine Veränderung der 44Trochanter major
zentralen Schmerzwahrnehmung von großer Rele- 44Knie: mediales Fettpolster, proximal des
vanz. In den letzten Jahren wurde von einer mögli- Gelenkspalts
chen Mittelbeteiligung kleinkalibriger Nervenfasern
(„small fibers“) berichtet [1], [10]. Ein Schmerzpunkt gilt als „positiv“, wenn bei einem
Angststörungen und die Somatisierung sowie Druck mit 4 kg/cm2 vom Patienten ein Schmerz
psychische Traumata in der Kindheit und eine post- angegeben wird. Für die Praxis reicht der Druck mit
traumatische Belastungsstörung gelten als wichtige der Fingerspitze. Ein Druck von 4 kg/cm2 ist etwa
Prädiktoren für die Entwicklung einer Fibromyalgie. dann erreicht, wenn sich das Gewebe unter dem Fin-
Nach Virusinfektionen tritt die Fibromyalgie eben- gernagel bei der Palpation weiß färbt.
falls gehäuft auf. Auch im Rahmen chronisch ent- Früher galt eine Schmerzangabe bei Druck auf
zündlich-rheumatischer Erkrankungen ist das Risiko sogenannte Kontrollpunkte (z. B. Daumennagel,
an einer Fibromyalgie zu erkranken, erhöht [9], [10], Unterarmbeugeseite etc.) als Ausschlusskriterium
[11], [14]. für eine Fibromyalgie. Die Schmerzempfindlichkeit
12 über den Kontrollpunkten kann jedoch bei Fibro-
z Diagnostik myalgiepatienten ebenfalls erhöht sein. Die Tender
Die Diagnose beruht unter anderem auf dem Nach- Points und ihre Bedeutung für die Diagnose werden
weis erhöhter Druckempfindlichkeit bzw. von seit Langem international diskutiert.
Druckschmerzen an bestimmten Sehnenansatzstel- Auf jeden Fall sollte sich die Diagnose einer Fib-
len (typische Fibromyalgie-Druckpunkte, „Tender romyalgie nicht ausschließlich auf die Kriterien
Points“) [5], [6], [8]. des ACR stützen, sondern den Gesamtzustand des
Die Klassifikationskriterien des American Patienten berücksichtigen. Wenn alleine die Tender
College of Rheumatology (ACR) von 1990 wurden Points positiv sind, aber die Begleitsymptome wie
ursprünglich zur Einteilung bei klinischen Studien Müdigkeit, Schlafprobleme und Konzentrationsstö-
definiert, werden aber bei FMS-Patienten auch heute rungen fehlen, gilt die Diagnose einer Fibromyalgie
noch häufig im klinischen Alltag zur Diagnostik ein- als unwahrscheinlich [7], [8], [14].
gesetzt [13]: Im Jahre 2010 wurden „vorläufige“ ACR-Diagno-
44Schmerzen in verschiedenen Körperregionen sekriterien publiziert, die anstelle der Tender Points
über mindestens 3 Monate 19 Schmerzregionen auflisten, woraus ein Schmerz-
44Schmerzen in der rechten und linken index ermittelt wird. Zudem wurde eine Symptom-
Körperhälfte schwere-Skala entwickelt, woraus sich ein Wert
44Schmerzen ober- und unterhalb der Taille berechnen lässt, der die vielen Begleitsymptome für
44Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule die Diagnose berücksichtigt. Sie sollen aber zumin-
44Schmerzen bei der Palpation von mindestens dest vorläufig die Kriterien von 1990 nicht ersetzen,
11 von 18 Tender Points sondern vor allem dann zur Anwendung kommen,
Literatur
155 12
wenn eine Untersuchung der Tender Points nicht
oder nur unzureichend möglich ist [9], [12]. Angabe, ob der Patient somatische Symptome
aufweist:
0 keine Symptome
Vorläufige Diagnosekriterien für Fibromy- 1 wenige Symptome
algie der ACR 2010 2 eine mittlere Zahl von Symptomen
Ein Patient erfüllt die diagnostischen Kriterien 3 ein hohes Maß an Symptomen
der Fibromyalgie, wenn die folgenden 3
Bedingungen erfüllt sind [12]: Der SS-Skala-Wert ist die Summe der Schwere
1. Widespread-Pain-Index (WPI)  ≥7 und Wert der 3 Symptome (Fatigue, unerholtes
auf der Symptomschwere(SS)-Skala  ≥5 Aufwachen, kognitive Symptome) plus das
oder WPI 3–6 und SS-Skala-Wert  ≥9 Ausmaß (die Schwere) somatischer Symptome
2. Die Symptome bestehen seit mindestens 3 allgemein. Der Endwert liegt zwischen 0
Monaten in ähnlicher Stärke und  12.
3. Der Patient bietet keine Hinweise auf
eine Erkrankung, die die Schmerzen
anderweitig erklären könnte.
z Therapie
WPI Die Behandlung beinhaltet Schulung, kognitive Ver-
Bestimmung der Anzahl der Areale, in denen haltenstherapie, medikamentöse und physikalische
der Patient in der letzten Woche Schmerzen Maßnahmen.
hatte. Der Wert liegt zwischen 0 und 19. Bewegungstherapie und körperliches Training
55Schultergürtel links/rechts sind ein wichtiger Bestandteil der Behandlung.
55Hüfte (Gesäß, Trochanter) links/rechts Fibromyalgiepatienten sollten, wenn möglich, zu
55Kiefer links/rechts einer körperlichen Aktivität ermuntert werden.
55Oberer Rücken Die Pharmakotherapie umfasst trizyklische
55Unterer Rücken Antidepressiva wie Amitriptylin, selektive Seroto-
55Oberarm links/rechts nin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Seroto-
55Oberschenkel links/rechts nin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)
55Brustkorb wie Duloxetin und Venlafaxin.
55Nacken Eine Wirksamkeit von Antikonvulsiva wie
55Abdomen Gabapentin und Pregabalin wurde in kontrollierten
55Unterarm links/rechts Studien nachgewiesen.
55Unterschenkel links/rechts Tramadol wirkt bei einem Teil der Fibromyalgie-
patienten. NSAR und Glukokortikoide haben übli-
SS-Skala-Wert cherweise keinen Effekt.
Angabe des Schweregrads für jedes der 3 der In jedem Fall ist eine interdisziplinäre Behand-
folgenden Symptome in der vergangenen lung und Betreuung gefordert [3], [4], [7], [9].
Woche: Fatigue, unerholtes Aufwachen,
kognitive Symptome:
Literatur
0 kein Problem
1 unbedeutende oder leichte Probleme, allge- [1] Abeles AM, Pillinger H, Solitar BM, Abeles M (2007) Nar-
mein geringfügig oder intermittierend rative review: the pathophysiology of fibromyalgia. Ann
2 mittelgradige, beträchtliche Probleme, oft Intern Med 146:726–734
und/oder in mittlerer Stärke vorhanden [2] Branco JC, Bannwarth B, Failde I et al. (2009) Prevalence
3 schwere, tiefgreifende, kontinuierliche, le- of fibromyalgia: a survey in five European countries.
benseinschränkende Probleme Semin Arthritis Rheum 39:448–453
156 Kapitel 12 · Fibromyalgie

[3] Brückle W, Zeidler H (2005) Fibromyalgie – Ein Update.


Internist 46:1188–1197
[4] Carville SF, Arendt-Nielsen L, Bliddal H et al. (2007)
EULAR evidence based recommendations for the
management of fibromyalgia syndrome. Ann Rheum
Dis 67 (4): 536–541
[5] Harden RN, Revivo G, Song S et al. (2007) A critical ana-
lysis of the tender points in fibromyalgia. Pain Med
8:147–156
[6] Harth M, Nielson WR (2007) The fibromyalgia tender
points: Use them or lose them? A brief review of the
controversy. J Rheumatol 34:914–922
[7] Jäckel WH, Genth E (2007) Fibromyalgie. Z Rheumatol
66:579–590
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gnosis. A comparison of clinical, survey, and American
College of Rheumatology Criteria. Arthritis Rheum
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Stuttgart, S 361–368
[10] Üceler N, Sommer C (2015) Fibromyalgiesyndrom. Eine
Erkrankung der kleinen Nervenfasern? Z Rheumatol 74:
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[12] Wolfe F (2010) New American Collage of Rheumatology
criteria for fibromyalgia: a twenty year journey. Arthritis
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12 [13] Wolfe F, Smythe HA, Yunus MB et al. (1990) The Ameri-


can College of Rheumatology 1990 criteria for the clas-
sification of fibromyalgia. Arthritis Rheum 33:160–172
[14] Wolfe F, Ross K, Anderson J et al. (1995) The prevalence
and characteristics of fibromyalgia in the general popu-
lation. Arthritis Rheum 38:19–28
157 13

Rheuma und Psyche


Rudolf Puchner

13.1 Rheumatoide Arthritis und Verlauf: psychosomatische


Aspekte – 158

13.2 Depression bei entzündlich-rheumatischen


Erkrankungen – 159

Literatur – 160

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_13
158 Kapitel 13 · Rheuma und Psyche

Wer viele Jahre als Internist und Rheumatologe Entsprechend der Stresshypothese werden
arbeitet, wird wahrscheinlich des Öfteren mit (belastende) Reize über die individuelle Wahrneh-
Fragen solcher oder ähnlicher Art von Patienten mung als Stressoren empfunden und dies führt in
konfrontiert: Abhängigkeit der Bewältigungsmechanismen des
44Hat ein Patient mit rheumatoider Arthritis eine Individuums im ungünstigen Fall zu Stress, der nun
charakteristische Persönlichkeit [22]? wiederum die Ausbildung oder den Verlauf einer
44Gibt es Merkmale der Persönlichkeit, die zu rheumatoiden Arthritis beeinflusst.
einer rheumatoiden Arthritis führen können? Während des letzten Jahres vor Beginn der
44Gibt es (emotionale) Ereignisse (Stressoren), Erkrankung waren signifikant mehr psychologische
die eine rheumatoide Arthritis auslösen Stressoren und familiäre Konflikte auffällig [3], [10].
können? Familiäre Probleme, Scheidung, Tod von Angehöri-
gen bzw. eine Veränderung der gewohnten Lebens-
Alexander postulierte 1950 für Patienten einer chro- situation werden vor Ausbruch der Erkrankung
nischen Arthritis einen gemeinsamen psychodyna- gehäuft beschrieben [23].
mischen Hintergrund. Typische Merkmale seien:
ruhig, bescheiden, selbstaufopfernd, perfektionis-
tisch, nach innen gekehrt. Ursache sei eine Aggres- Prominentes kurzes Fallbeispiel
sionshemmung und diese führe in der Folge zu einer „Dann lernte ich Barbara kennen … und
Autoaggression(skrankheit) [1]. Diese Hypothese meine rheumatoide Arthritis verschwand
konnte aber nicht bestätigt werden. praktisch ganz. Barbara war jung und
Untersuchungen mit standardisierten Metho- schön, ich ließ mich von meiner ersten Frau
den und evaluierten Testinstrumenten ergaben, scheiden und heiratete sie. Ich kann Ihnen
dass sich Persönlichkeitsstrukturen von Patienten keine wissenschaftliche Erklärung für meine
mit rheumatoider Arthritis nicht von anderen chro- geradezu dramatische Besserung bieten,
nisch Erkrankten unterscheiden, wenn sie in Früh- aber ich kann sagen, dass die Begegnung
stadien der Erkrankung erfasst werden. Die Persön- mit Barbara eine solche Harmonie in
lichkeitseigenschaften (z. B. gehemmte Aggressivität, meinem ganzen körperlichen und geistigen
Duldsamkeit, Aufopferung usw.) sind nicht als Prä- Leben bewirkte, dass ich auf Jahre keine
disposition zur Arthritis, sondern als Folge dieser Medikamente benötigte.
13 chronischen Erkrankung zu interpretieren [2], [16], Dann setzten die Anfälle wiederum ein … die
[18], [28], [29]. Situation verschlechterte sich massiv, als mir
Es konnte keine Persönlichkeitskonstellation Barbara eines Tages eröffnete, dass sie sich von
nachgewiesen werden, von der angenommen werden mir scheiden lassen wollte.“ [4].
kann, dass sie bereits vor der Erkrankung wirksam
war und die Entwicklung der Erkrankung begüns-
tigt hat.
Ebenso konnte kein allgemein gültiges Persön- 13.1 Rheumatoide Arthritis und
lichkeitsprofil gefunden werden, das auf alle Patien- Verlauf: psychosomatische
ten mit Polyarthritis zutrifft. Aspekte
In einer Untersuchung mit 226 Patienten aus
dem Jahr 2009 konnte ebenfalls kein statistisch signi- Der Verlauf der Erkrankung wird beeinflusst durch
fikanter Unterschied im psychologischen Profil von das Vorhandensein psychischer Konflikte und durch
Rheumapatienten und Kontrollpersonen erhoben die Art des Umgangs damit, des Weiteren durch die
werden [26]. bewusste und unbewusste Einstellung (Coping) zur
Eine große Anzahl von Untersuchungen belegte Erkrankung insgesamt. Eine passiv hinnehmende
in den 1980er Jahren einen Zusammenhang zwi- Einstellung, zusammen mit einer niedrigen Einschät-
schen belastenden Lebensereignissen („life events“) zung eigener Beeinflussungsmöglichkeiten („self-effi-
oder Stressoren und Krankheitsausbruch [3], [7]. cacy“, Selbstwirksamkeit), ist mit Hoffnungslosigkeit
13.2 · Depression bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
159 13
und Depression verbunden. Angst und Depression aus. Proinflammatorische Zytokine (Interleukin-6
führen zu einem deutlich schlechteren Krankheits- und -1) dürften den Metabolismus der Neuro-
verlauf [8], [9], [10], [11], [12], [13],  [32]. transmitter im Gehirn negativ beeinflussen. Umge-
Erlernte Hilflosigkeit („ich hatte nie Glück“, „da kehrt begünstigt die Depression einen ungesunden
kann man halt nichts machen“) sowie „Katastrophie- Lebensstil, vermindert die Adhärenz und fördert so
ren“ führt zu signifikant stärkeren Schmerzen und die Entzündung [19], [27].
schlechterem Funktionsstatus. Bei jedem Patienten mit einer entzündlichen
Der Krankheitsverlauf kann günstig beeinflusst Gelenkerkrankung sollte an das mögliche Vorliegen
werden, wenn Stressoren fehlen und sich der Patient einer Depression gedacht werden. Die Bejahung der
mit seiner Erkrankung auseinandersetzt. Wenn er beiden Fragen: „Haben Sie sich in den letzten beiden
versucht, persönliche Erfahrung aus der Erkrankung Wochen niedergeschlagen oder depressiv gefühlt?“
zu gewinnen, und wenn er danach trachtet, Infor- und „Haben Sie in den letzten beiden Wochen wenig
mationen einzuholen und aktiv an der Behandlung Interesse und Freude dabei gehabt, etwas zu unter-
mitzuwirken. nehmen?“, lassen an eine depressive Verstimmung
Hilfreich dafür können sein: Selbsthilfegruppen, denken [31].
Rheumaschulen, psychosoziale Interventionen oder Mit dem Beck Depressionsinventar Fast Screen
Gesprächstherapien. (BDI-FS) steht ein validierter Fragebogen mit 7
Wichtig sind zudem ein gutes Arzt-Patienten- Fragen zur Verfügung, der sich sehr gut für Patienten
Verhältnis und ein funktionierendes soziales Netz- mit chronisch entzündlichen Erkrankungen eignet,
werk [13], [30], [32]. weil er keine somatischen Fragen enthält [6], [21].
Bei entsprechender Routine kann der Verdacht auf
eine Depression oder eine depressive Verstimmung
13.2 Depression bei entzündlich- in der Praxis in kurzer Zeit gestellt werden. Bei der
rheumatischen Erkrankungen Abklärung ist zu bemerken, dass typische Anzeichen
einer Depression, wie Müdigkeit, Antriebslosigkeit
Die Prävalenz einer Depression beträgt bei rheuma- und Schlafstörungen, auch Symptome der rheumato-
toider Arthritis zwischen 10 und 45%. Verschiedene iden Arthritis selbst sein können. Eine Zusammen-
Messinstrumente, unterschiedliche Beobachtungs- arbeit mit Psychotherapeuten und Psychiatern ist
zeiträume und kulturelle Unterschiede werden als empfehlenswert und vor allem auch in Hinblick auf
Erklärung für die breite Spanne diskutiert [11], [12]. eine antidepressive Medikation notwendig.
Eine aktuelle Metaanalyse aus 72 Studien mit 13.189
Patienten zeigte bei 16,8% der Patienten eine Major z Therapieoptionen bei Depression
Depression [24]. Die Inzidenzraten entsprechen und depressiver Verstimmung
denen anderer entzündlich-rheumatischer Erkran- Entspannungstechniken, wie progressive Muskelent-
kungen. Die Prävalenz wird bei systemischem Lupus spannung und autogenes Training, sind von Patien-
erytematodes mit 17–75% [25], bei Psoriasisarthritis ten selbst erlernbar und geben ihnen das Gefühl der
mit 22 bzw. 37% bei polyarthritischem Verlauf [20] Selbstwirksamkeit [23]. Eine kognitive Verhaltens-
und bei ankylosierender Spondylitis mit 15% ange- therapie kann innerhalb von nur 10–15 Sitzungen
geben [15]. eine Verbesserung der Situation bringen. Mit Anti-
Als Ursache einer Depression werden gesehen: depressiva steht eine wirksame und gut verträgli-
die Konfrontation mit einer chronischen Erkran- che medikamentöse Therapieoption zur Verfügung.
kung, ungünstige Strategien zur Situationsbewälti- Moderne Antidepressiva führen nicht zu Verän-
gung, bisherige (mangelnde) Behandlungserfolge derungen von Kognition und Persönlichkeit und
und entzündlich bedingte Schmerzen, Müdig- machen nicht abhängig. Ein schlafanstoßender Effekt
keit, eine Schlafstörung sowie eine Funktionsein- (bei einigen Substanzen wie Trazadon gegeben) tritt
schränkung der betroffenen Gelenke [5], [11], [12]. bei manchen Patienten bereits nach der ersten Gabe
Man geht heute von einem bidirektionalen Zusam- ein. Mit einer antidepressiven Wirkung kann nach
menhang zwischen Depression und Entzündung 10–14 Tagen gerechnet werden. Ist dies nicht der
160 Kapitel 13 · Rheuma und Psyche

Fall, sollte die Dosis des Antidepressivums gestei- [18] Köhler T (1992) Psychologische Modelle zur Genese der
rheumatoiden Arthritis. In: Basler HD, Refisch AD, Zink A
gert werden. Serotonin- und Noradrenalin-Wie-
(Hrsg) Psychologie in der Rheumatologie. Jahrbuch der
deraufnahmeinhibitoren (SNRI) wie Venlafaxin und medizinischen Psychologie 8. Springer, Berlin, S 83–95
Duloxetin zeigen zudem eine gute Wirkung gegen [19] Kojima M, Kojima T, Suzuki S et al. (2009) Depression,
den Schmerz [14], [17]. inflammation, and pain in patients with rheumatoid
arthitis. Arthritis Rheum 61:1018–1024
[20] Kotsis K, Voulgari PV, Tsifetaki N et al. (2012) Anxiety
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psoriatic arthritis and associations with physical health-
related quality of life. Arthritis Care Res (Hoboken)
[1] Alexander F (1950) Psychosomatische Medizin-Grundla-
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gen und Anwendungsgebiete, 3. Aufl. de Gruyter, Berlin
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161 14

Medikamentöse Therapie
entzündlich-rheumatischer
Erkrankungen
Rudolf Puchner

14.1 Historischer Überblick – 162

14.2 Medikamentöse Schmerztherapien – 162


14.2.1 Analgetika – 162
14.2.2 Schwach wirksame Opiate – 163
14.2.3 Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) – 163

14.3 Glukokortikoide – 165

14.4 Konventionelle synthetische Basistherapeutika


(csDMARDs) – 166
14.4.1 Chloroquin und Hydroxychloroquin – 166
14.4.2 Sulfasalazin (SSZ) – 166
14.4.3 Methotrexat (MTX) – 167
14.4.4 Leflunomid – 168
14.4.5 Goldpräparate – 168
14.4.6 Azathioprin – 168
14.4.7 Ciclosporin (Cyclosporin A) – 169
14.4.8 Cyclophosphamid (CYC) – 169
14.4.9 Mycophenolat-Mofetil (MMF) – 169
14.4.10 Apremilast – 169

14.5 Biologika (biologisch originäre und biosimiläre DMARDs:


boDMARDs und bsDMARDs – 170
14.5.1 Biologisch originäre DMARDs (boDMARDs) – 170
14.5.2 Biosimilars (bsDMARDs) – 175

Literatur – 177

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_14
162 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

14.1 Historischer Überblick Die Ära der Basistherapeutika begann 1929 mit
dem Einsatz von Goldsalzen in der Behandlung der
Schon in der Antike wurde die Herbstzeitlose aus rheumatoiden Arthritis durch Forestier.
Asien gebracht und zunächst als Heilmittel gegen die 1993 erfolgte die erste erfolgreiche Anwendung
Gicht eingesetzt, dann vorübergehend vergessen und des TNF-α-Blockers Infiliximab bei rheumatoider
einige Jahrhunderte später als „Allheilmittel“ auch Arthritis. Damit wurde ein neues Zeitalter in der
gegen alle Gelenkerkrankungen empfohlen. Noch Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkran-
heute ist das aktive Alkaloid der Herbstzeitlose, das kungen eingeleitet (7 Übersicht).
Colchicin, eine Standardtherapie der Gichterkran-
kung und wird erfolgreich zur Behandlung des Fami-
liären Mittelmeerfiebers eingesetzt. Medikamentöse Therapie der rheumatoi-
Im Jahr 1949 begann die moderne Ära der nicht- den Arthritis im Wandel der Zeit [5], [6], [17]
steroidalen Antirheumatika (NSAR) mit der Synthe- 551903
tisierung von Phenylbutazon (Butazolidin). 1958 –– Akuter Rheumatismus: Salizylpräparate
wurde Indomethacin entwickelt, in weiterer Folge –– Ersatzmittel: Antipyrin, Phenacetin
zahlreiche weitere Antirheumatika. 1971 beschrieb –– Chronischer Rheumatismus: Colchicin,
Sir John Vane den Wirkungsmechanismus der Anal- Jodkali, Salizylpräparate [6]
getika durch eine Hemmung der Prostaglandinsyn- 551951
these durch das Enzym Zyklooxygenase. 1989 ent- –– Salizylpräparate (bei akutem Schub)
deckte Needleman das Vorhandensein von zwei –– Goldsalze
Zyklooxygenasen (COX-1 und COX-2). –– Extrakte der Nebennierenrinde
Reverend Edmund Stone aus Oxfordshire beob- (Kortison) seit 1948 (Kendall und Hensch,
achtete die gute Wirkung von Weidenrinde gegen Mayo-Klinik) [5]
Schmerzen und Fieber und schrieb im Jahre 1763 551990
einen Brief über die erfolgreiche Behandlung von 50 –– „Abwartend“
Patienten an die Royal Society in London. –– NSAR
Johann Buchner vom Pharmakologischen Ins- –– Kortison
titut in München isolierte im Jahre 1828 erstmals –– Basistherapie mit Gold, Methotrexat
die aktive Komponente dieser Weidenrinde, die er (MTX) etc.
Salizyl nannte. Die Salizylsäure wurde in der Folge 552010
bei Gelenkrheumatismus eingesetzt, nach der Syn- –– „Früh und aggressiv“
these von Hoffmann wurde 1899 erstmalig Azetyl- –– Kortison
14 salizylsäure von der Firma Bayer kommerziell als –– Basistherapie (höhere MTX Dosen,
Aspirin verwendet. Kombinationstherapien, Biologika)
Kortison wurde 1948 erstmals durch Kendall
und Hensch an der Mayo-Klinik zur Behandlung der
chronischen Polyarthritis eingesetzt. Es zeigten sich
spontane und dramatische Erfolge; jedoch war man 14.2 Medikamentöse
nach anfänglicher Euphorie aufgrund der Nebenwir- Schmerztherapien
kungen, die in hohen Dosen verabreicht bei einer
Langzeittherapie auftraten, sehr ernüchtert. Daher 14.2.1 Analgetika
versucht man heute, nur kurzfristig höhere Dosen
in Schubsituationen zu verabreichen und wenn not- Analgetika haben die Beseitigung des Symptom-
wendig, Langzeittherapien mit der niedrigst mög- schmerzes zum Ziel. Sie beseitigen nicht die Ursache
lichen Dosis durchzuführen. Verzichten kann man des Schmerzes und beeinflussen nicht die Entzün-
auf dieses Medikament bei entzündlichen rheuma- dung. Diese Gruppe von Schmerzmitteln wird ein-
tischen Erkrankungen nicht. gesetzt bei weichteilrheumatischen Beschwerden, bei
14.2 · Medikamentöse Schmerztherapien
163 14
degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenbeschwer- Obwohl die meisten Autoren eine (physische)
den und eventuell als zusätzliche Therapie mit NSAR, Abhängigkeit bei moderater und zeitlich limitierter
zur Verstärkung der schmerzlindernden Wirkung. oraler Einnahme für unwahrscheinlich halten, sei
doch auf die Möglichkeit hingewiesen.
Paracetamol  Dazu gehören Nichtopiate wie Para- Bei schweren Schmerzzuständen wie z. B. Band-
cetamol. Diese Substanz wird zur Schmerzlinderung scheibenschäden oder schweren Gelenkdestruktio-
und Fiebersenkung auch häufig bei grippalen Infek- nen (z. B. Wirbelkanalkompression bei atlantoaxia-
ten bis zu einer Dosis von 2–3 g pro Tag eingesetzt ler Dislokation) können auch stark wirksame Opiate
(z. B. Mexalen). Hohe Einzeldosen sind lebertoxisch. eingesetzt werden.
Insgesamt werden aber bei akut und chronisch
Metamizol  Metamizol (z. B. Novalgin) wird eben- entzündlichen Gelenkerkrankungen stark wirksame
falls zur Behandlung von Schmerzzuständen und Opiate in der Regel nicht benötigt und eingesetzt.
zur Fiebersenkung eingesetzt. Wegen seltener, aber
gefürchteter Nebenwirkungen vor allem bei paren-
teraler Gabe (Agranulozytose, Anaphylaxie) wird die 14.2.3 Nichtsteroidale Antirheumatika
Substanz fast ausschließlich in oraler Form verwen- (NSAR)
det. Es wurde aufgrund dieser Nebenwirkungen in
einigen Ländern vom Markt genommen bzw. nicht NSAR hemmen die Funktion von Prostaglandinen,
zugelassen. die im traumatisierten bzw. entzündeten Gewebe,
Kombinationspräparate führen meist zu keiner aber auch im Gefolge von Gewebsschäden im zen-
Wirkungsverbesserung, eine Kombination mit tralen Nervensystem gebildet werden. Prostagland-
Koffein ist wegen einer möglichen Abhängigkeits- ine werden aus Arachidonsäuren durch das Enzym
entwicklung umstritten [1]. Zyklooxygenase (COX) synthetisiert. Seit 1989 weiß
man, dass es zwei Subtypen von Zyklooxygenasen
gibt, die Zyklooxygenase 1 (COX-1) und die Zyklo-
14.2.2 Schwach wirksame Opiate oxygenase 2 (COX-2). Prostaglandine sind nicht nur
für die Schmerzentstehung verantwortlich, sondern
Schwach wirksame Opiate werden bei chronischen haben auch „gute“ Eigenschaften, sie fördern die
Schmerzen eingesetzt, die alleine durch Analgetika Zellregeneration, Schleimproduktion und Durch-
oder NSAR nicht behandelt werden können. Eine blutung im Magen. Daneben beeinflussen sie auch
Therapie mit Opiaten wird bei entzündlich-rheu- Vorgänge der Blutgerinnung etc. Die Schmerzent-
matischen Erkrankungen kontrovers diskutiert. Die stehung wird durch das Enzym COX-2, die letzt-
Anwendung schwach wirksamer Opiate ist möglich genannten Eigenschaften durch COX-1 vermittelt.
bei chronischen Rückenschmerzen infolge degene- Alle herkömmlichen NSAR vermitteln ihre Wirkung
rativer Veränderungen und als Zusatztherapie bei durch eine Blockade der Zyklooxygenasen 1 und 2,
entzündlichen Gelenkerkrankungen, wenn NSAR d. h., sie beeinflussen die Schmerzentstehung, aber
alleine nicht ausreichen, oder bei Schmerzzustän- sie hemmen auch z. B. die Durchblutung, Zellrege-
den, die im Gefolge sekundärer Arthrosen auftreten. neration und Schleimbildung im Magen. Dies führt
zu den gefährlichen Nebenwirkungen der NSAR wie
Tramadol  Tramadol wird in Form von Tropfen, Magengeschwüre, Magenblutung und Perforation.
Kapseln oder als Retard-Präparat verabreicht, in In den letzten Jahren gelang es, nach Entdeckung
Dosen von 50–100 mg 2- bis 3-mal pro Tag, die Maxi- der COX-2, Substanzen (Coxibe) zu entwickeln, die
maldosis beträgt 400 mg. allein COX-2 hemmen und dadurch eine insbeson-
dere im Bezug auf den Magen-Darm-Trakt wesent-
Dihydrocodein  Auch das stärker wirksame Dihy- lich geringere Nebenwirkungsrate aufweisen.
drocodein kann in einer Dosierung von 2-mal 60 bis NSAR werden rasch im Magen-Darm-Trakt
2-mal 120 mg pro Tag verabreicht werden. aufgenommen. Durch Eiweißbindung reichern
164 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

sie sich vor allem im entzündeten Gewebe, aber Bei fehlendem Ansprechen sollte spätestens
auch im Magen-Darm-Trakt, in der Niere und im nach 1 Woche ein Wechsel auf ein anderes Anti-
Knochenmark an. Sie bewirken eine Senkung der rheumatikum erfolgen. Eine Kombination meh-
Erregbarkeit von Schmerzrezeptoren und im Zent- rerer Antirheumatika ist nicht zulässig, wohl aber
ralnervensystem durch Blockade der Prostaglandin- kann bei ungenügender Wirksamkeit von NSAR
synthese ebenso eine Schmerzhemmung und eine ein schwach wirksames Opiat zugegeben werden.
Fiebersenkung. Bei längerer Einnahme sind Blutkontrollen (Leber-
Zudem wirken sie antiphlogistisch. Sie werden und Nierenwerte, Blutbild) in 3-monatigen Abstän-
bei allen Formen der entzündlichen Gelenkerkran- den empfehlenswert.
kungen, aber auch bei degenerativen Gelenk- und Bei den herkömmlichen Antirheumatika kommt
Wirbelsäulenbeschwerden und bei Zahnschmerzen es nicht selten, insbesondere in höherer Dosierung,
mit Erfolg eingesetzt (. Tab. 14.1) [1]. zu Nebenwirkungen am Magen-Darm-Trakt im

. Tab. 14.1  Einige wichtige nichtsteroidale Antirheumatika

Wirksubstanz Handelsname Maximale Dosierung Kommentar

Azetylsalizylsäure Aspirin Besonders hohe Nebenwirkungsrate am Magen-


Darm-Trakt, kommt in der Rheumatologie kaum
mehr zur Anwendung
Diclofenac Voltaren 150 mg Klassisches Antirheumatikum, mit dem in Europa
Diclofenac alle andere Substanzen verglichen werden,
Diclobene in mittlerer und höherer Dosis auch NW am
Deflamat Magen-Darm-Trakt
etc.
Ibuprofen Dolgit 2400 mg Über Jahre gut wirksames Antirheumatikum,
Brufen in höheren Dosen (ab 1200 mg) auch vermehrt
Ibuprofen Nebenwirkungen am Magen-Darm-Trakt
Dexibuprofen Seractil forte 1200 mg Rasch und eher kürzer wirksam, in höheren
Dosen auch NW am Magen-Darm-Trakt
Naproxen Proxen 1000 mg Länger wirksames Medikament, Vorsicht bei
älteren Patienten
14 Indometacin Indocid 150 mg NW wie Schwindel und Sehstörungen
Indobene Stärker wirksames, „altes“ Antirheumatikum, das
heute aufgrund der NW kaum mehr eingesetzt
wird
Lornoxicam Xefo 16 mg Gute schmerzstillende Wirkung, in höheren
Dosen auch NW am Magen-Darm-Trakt möglich
Meloxicam Movalis 15 mg Gute Wirksamkeit in höheren Dosen, gute
Meloxicam Magenverträglichkeit in niedrigen Dosen durch
bevorzugte COX-2-Hemmung
Etoricoxib Arcoxia 90 mg (120 mg kurz- Selektiver COX-2-Hemmer, dadurch gute Magen-
fristig bei Arthritis Darm-Verträglichkeit, bei Herzinsuffizienz (ab
urica) NYHA II) und KHK nicht indiziert
Celecoxib Celebrex 400 mg Selektiver COX-2-Hemmer, dadurch gute Magen-
Darm-Verträglichkeit, bei Herzinsuffizienz (ab
NYHA II) und KHK nicht indiziert
COX Zyklooxygenase, KHK koronare Herzkrankheit, NW Nebenwirkungen, NYHA Klassifikation der New York Heart
Association.
14.3 · Glukokortikoide
165 14
Sinne von Symptomen einer Gastritis bis zu schwe- Wirkung mit einhergehender Abschwellung und
ren Komplikationen wie Ulkus, Blutung oder Perfo- Schmerzminderung. In der Folge wurde Kortison
ration. Durch die schmerzhemmende Wirkung der allerdings wahllos und in hohen Dosen eingenom-
Analgetika werden diese Symptome aber oft ver- men und es kam zu entsprechenden Nebenwirkun-
schleiert. Daher ist z. B. auch bei längerer Einnahme gen durch zu hohe Einnahme über zu lange Zeit. Aus
in höherer Dosierung auf die Stuhlfarbe zu achten. dieser Zeit rührt die noch immer große Angst vieler
Ein schwarzer Stuhl kann auf eine Magen-Darm-Blu- Patienten vor einer Kortisoneinnahme.
tung hinweisen. Heute werden GC in kontrollierter Weise und in
Auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko von viel geringerer Dosierung verabreicht und gefährli-
NSAR sei hingewiesen. Mäßige Blutdruckerhöhun- che Nebenwirkungen sind selten.
gen sind bei chronischer Schmerzmitteleinnahme Bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
typisch, ebenso kann es zu Ödemen sowie zu Schwin- sind GC äußerst wichtige Medikamente zur Behand-
delzuständen kommen. lung schwerer Schübe. Bei schweren Verlaufsformen
Coxibe hemmen nur das Enzym COX-2, dies muss GC in niedriger Dosierung unter entsprechen-
wird bei Entzündung und Gewebsschädigung gebil- der Kontrolle auch über längere Zeit angewendet
det und induziert den Schmerz. Sie hemmen nicht werden.
COX-1, welche für die Schleimhautdurchblutung, In Schubsituationen oder am Beginn einer
Schleimhautregeneration und verminderte Säu- Erkrankung bis zum Wirkeintritt von Basisthera-
resekretion im Magen-Darm-Trakt und Nieren- peutika wird 25 (fallweise 50 mg) pro Tag Predniso-
durchblutung etc. verantwortlich sind. Sie sind lon in sukzessiver langsamer Reduktion über wenige
schmerzlindernd und entzündungshemmend wie Wochen verabreicht.
die klassischen NSAR, haben aber aufgrund ihrer Über längere Zeit sollten nur Dosen unter
selektiven Wirkung keine Nebenwirkungen am 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent pro Tag gegeben
Magen-Darm-Trakt, jedoch die gleiche Neben- werden. In dieser Dosierung ist die Nebenwir-
wirkung an der Niere und keinen Einfluss auf die kungsrate meist gering, es besteht allerdings bereits
Blutplättchenfunktion. bei dieser niedrigen Dosis ein erhöhtes Risiko für
Coxibe dürfen allerdings aufgrund potenzieller eine Osteoporose oder die Entwicklung eines Kata-
Nebenwirkungen im Sinne eines vermehrten Auftre- rakts. Bei gleichzeitiger Einnahme mit NSAR ist die
tens von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei korona- Gefahr von Nebenwirkungen am Magen-Darm-
rer Herzerkrankung und eingeschränkter Herzleis- Trakt erhöht. Eine alleinige niedrig dosierte Ein-
tung nicht verabreicht werden. nahme von GC führt nicht zu vermehrten Neben-
Alle NSAR sollten bevorzugt während oder nach wirkungen im Sinne gastrointestinaler Ulzera. Auf
den Mahlzeiten eingenommen werden. Am Abend die typischen Nebenwirkungen einer längerfristi-
ist ein länger wirksames Präparat (Retard-Präparat) gen Einnahme wie Gewichtszunahme, ein erhöhtes
zu bevorzugen. Immer ist die Tageshöchstdosis zu kardiovaskuläres Risiko, erhöhte Blutdruckwerte
bedenken, diese darf nicht überschritten werden und die Entwicklung einer diabetischen Stoffwech-
[1],  [12]. sellage sei hingewiesen.
Um die Nebenwirkungen möglichst gering zu
halten, sollte das Medikament am Morgen vor 8.00
14.3 Glukokortikoide Uhr eingenommen werden und eine Kalzium- und
Vitamin-D-reiche Kost zugeführt werden. Weiter-
Kortison bzw. Glukokortikoide (GC) wurden erst- hin sollten regelmäßige Knochendichtemessungen
mals 1948 zur Behandlung der chronischen Polyar- durchgeführt und Kalzium- und Vitamin-D-Präpa-
thritis eingesetzt. Sie sind ein starker Entzündungs- rate großzügig eingenommen werden.
hemmer und mit GC kann eine akute Schubsituation Es gilt heute als allgemein akzeptiert, das GC
bei entzündlichen Gelenkerkrankungen am besten bei einer rheumatoiden Arthritis gerade in den
und raschesten beherrscht werden. ersten Jahren das radiologisch nachweisbare Fort-
Nach ihrer Einführung herrschte eine große schreiten der Erkrankung verzögern können [1],
Euphorie aufgrund der prompten und raschen [12], [19].
166 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

14.4 Konventionelle synthetische von Chloroquinderivaten kann bei SLE die Schub-
Basistherapeutika (csDMARDs) frequenz und das Auftreten von Sekundärkompli-
kationen verringert werden. Selten werden diese
Basistherapeutika werden eingesetzt, um das Fort- Präparate bei milden Formen einer rheumatoiden
schreiten der rheumatoiden Arthritis zu verhindern Arthritis oder im Rahmen einer Kombinationsthe-
oder zumindest zu verzögern. Diese sind eine ent- rapie verwendet. Bei vergleichbarer Wirksamkeit ist
scheidende, wenn nicht die entscheidende Säule in Hydroxychloroquin (Quensyl) besser verträglich als
der Behandlung der rheumatoiden Arthritis. Basis- Chloroquin (Resochin). (In Österreich ist derzeit
therapeutika (Synonym DMARDs, „Disease Modi- nur das Präparat Resochin im Handel.) Ihre posi-
fying Antirheumatic Drugs“) haben keine primär tive Wirkung auf den Gelenkschmerz wurde zufällig
schmerzlindernde Wirkung. Sie beeinflussen das von Page im Jahre 1951 entdeckt, als er Patienten mit
Fortschreiten der Erkrankung, insbesondere sollen SLE und Gelenkbeteiligung erfolgreich behandelte.
sie die Zerstörung von Knorpel und Knochen verhin- Chloroquin wird in Form von 1 Tablette zu
dern. Während man früher, d. h. noch vor wenigen 250 mg pro Tag eingenommen, Hydroxychloroquin
Jahrzehnten, primär eine Schmerztherapie emp- gewichtsadaptiert (1–2 Tabletten zu 200 mg pro Tag);
fohlen hat und erst nach einer längeren Beobach- die Verträglichkeit ist gut. Seltene, aber gefährli-
tungsperiode die damals zur Verfügung stehenden che Nebenwirkungen betreffen das Auge. Chloro-
Substanzen einsetzte, hat man heute ein gänzlich quin und Hydroxychloroquin können sich in die
anderes Therapieprinzip. Basistherapeutika sollten Hornhaut einlagern und sehr selten eine irreversi-
so früh wie möglich, d. h. innerhalb von 3 Monaten ble Retinopathie hervorrufen. Daher muss vor und
nach Beginn der rheumatoiden Arthritis verord- unter Therapie alle 3–4 Monate eine augenfachärzt-
net werden, um eine wirkungsvolle Beeinflussung liche Untersuchung durchgeführt werden. Die Ein-
des Krankheitsverlaufs zu gewährleisten. Man weiß lagerung in die Hornhaut bildet sich nach Absetzen
heute, dass die Zerstörung des Gelenkes bereits sehr des Medikamentes wieder zurück. Chloroquinderi-
frühzeitig auftritt und dass nach 2 Jahren schon Teile vate wirken wie alle Basistherapeutika verzögert, ein
des Gelenkes unwiderruflich zerstört sein können. Wirkungseintritt ist meist erst nach 2–3 Monaten zu
Wird eine Basistherapie zu spät begonnen, ist der bemerken [1], [12].
Effekt daher ein geringerer.
Jeder Patient mit einer chronischen Gelenker-
krankung sollte daher, wenn keine Kontraindika- 14.4.2 Sulfasalazin (SSZ)
tionen bestehen, mit einer suffizienten Basisthera-
pie behandelt werden. Der Wirkungsmechanismus Sulfasalazin (Markenname Salazopyrin) wurde erst-
14 der meisten Basistherapeutika ist nach wie vor nicht mals 1941 von Nana Svartz zur Behandlung der chro-
gänzlich geklärt. Sie greifen bei entzündlich-rheu- nischen Polyarthritis, der chronisch entzündlichen
matischen Erkrankungen direkt in den Krankheits- Darmerkrankungen und der damit assoziierten
mechanismus ein und haben das Ziel, die Krankheit Gelenkbeschwerden erfolgreich eingesetzt und hat
langfristig zu unterdrücken. Die Wirkungsintensität sich zur Behandlung von Morbus Crohn und Colitis
und die Verträglichkeit sind bei den einzelnen Medi- ulcerosa seit Langem bewährt. Bezüglich der Effekte
kamenten sehr unterschiedlich [8], [12], [16], [17]. auf die Gelenke geriet es vorübergehend in Verges-
senheit und wurde erst 1978 für die Behandlung der
chronischen Polyarthritis wiederentdeckt. Salazo-
14.4.1 Chloroquin und pyrin wird häufiger in Europa als in Amerika bei
Hydroxychloroquin leichten und mittelschweren Formen einer rheuma-
toiden Arthritis sowie auch zur Behandlung der Pso-
Diese als Mittel gegen Malaria entwickelten Substan- riasisarthritis verwendet. Salazopyrin wird in Form
zen haben einen gesicherten Effekt bei einem sys- von 2-mal 2 Tabletten à 500 mg pro Tag eingenom-
temischen Lupus erythematodes (SLE) und werden men, kann bei Bedarf auch auf 3-mal 2 Tabletten je
als Langzeittherapie eingesetzt. Durch den Einsatz 500 mg gesteigert werden. Der Wirkungseintritt ist
14.4 · Konventionelle synthetische Basistherapeutika (csDMARDs)
167 14
frühestens nach 6 Wochen zu bemerken. Seltene,
aber typische Nebenwirkungen sind Kopfschmer- Woche und Steigerung auf 4 Tabletten zu je
zen und Schwindelzustände, generalisierte Exan- 500 mg per die ab der 4. Behandlungswoche).
theme und Blutbildveränderungen, die zur Beendi- Die Patientin berichtete über eine sukzessive
gung dieser Medikation führen [1]. Besserung, die GC konnten in der 7.
Behandlungswoche (zuletzt wurde 6,25 mg
Prednisolon per die eingenommen) abgesetzt
Fallbeispiel: 69-jährige Patientin mit werden, Sulfasalazin wurde gut vertragen. Die
Schwellung der Fingergelenke Gelenkschmerzen bildeten sich zurück und
Eine 69-jährige Patientin präsentierte sich nach 3 Monaten war die Patientin – wie sie
erstmals im Jahre 2006 mit Schmerzen in sagte – beschwerdefrei. Bei einer Kontrolle
Fingergrund- und Mittelgelenken. Es zeigten fand sich keine Gelenkschwellung.
sich damals auch 3 Gelenke synovitisch Bei einer Überprüfung nach 6 Monaten war die
geschwollen. Patientin weiterhin in einer stabilen, beschwer-
Die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) war defreien Situation, nur fallweise hatte sie
mit 20 mm in der 1. Stunde mäßig erhöht, der Schmerzen in einem Fingergrundgelenk.
Rheumafaktor war nicht nachweisbar. Es wurde mit der Patientin vereinbart,
Eine Behandlung mit GC wurde eingeleitet Salazopyrin bei fortgesetzter Beschwerde-
und eine Behandlung mit Methotrexat freiheit auf 2 Tabletten zu je 500 mg pro Tag zu
vorgeschlagen. Die Patientin war unter GC reduzieren.
rasch beschwerdefrei, Methotrexat wurde nach
wenigen Wochen wegen gastrointestinaler
Unverträglichkeit von der Patientin selbständig
beendet. Kommentar
Drei Jahre später suchte die Patientin SSZ zeigt gerade bei leichteren Verläufen einer
wiederum eine internistisch/rheumatologische rheumatoiden Arthritis und Psoriasisarthritis
Ordination auf und präsentierte sich mit 2 eine gute Wirksamkeit.
geschwollenen Fingergrundgelenken und
8 druckschmerzhaften Gelenken. Die BSG
betrug in der 1. Stunde 41 mm, Rheumafaktor 14.4.3 Methotrexat (MTX)
und Antikörper gegen zyklische citrullinierte
Peptide (CCP) waren negativ. Radiologisch Methotrexat (Methotrexat Lederle, Ebetrexat, Lan-
zeigten sich Hinweise auf Fingerarthrosen tarel) ist das wichtigste und weltweit am häufigsten
vom Typ Heberden und Typ Bouchard. Usuren eingesetzte Basistherapeutikum. Es wird in Form
kamen nicht zur Darstellung. von Tabletten oder subkutanen oder intramuskulä-
Die Patientin berichtete, dass sie in den ren Injektionen 1-mal pro Woche verabreicht. Die
letzten 3 Jahren nur fallweise NSAR benötigt Dosis variiert zwischen 15 und 30 mg 1-mal pro
und auch über Monate keine Gelenkbe- Woche. Während man in den frühen 1990er Jahren
schwerden hatte. NSAR führten diesmal zu eher niedrige Dosen (10–15 mg) verwendet hat,
keiner Besserung. ist man heute unter guter Kenntnis von Wirkung
Es wurde nun nach entsprechender Aufklärung und Nebenwirkung in der Behandlung aggressiver.
eine Basistherapie mit SSZ eingeleitet, parallel Auch bei der kindlichen Arthritis wird MTX erfolg-
dazu GC in einer Dosis von 25 mg Prednisolon reich eingesetzt. Es hat sich aufgrund seiner guten
per die gegeben (in langsam fallender Wirkung und wegen seiner im Wesentlichen guten
Dosierung). Verträglichkeit als Basistherapeutikum bewährt. Der
SSZ wurde einschleichend verabreicht (Beginn Wirkungseintritt ist wie bei anderen Basistherapeu-
mit 1 Tablette Salazopyrin per die in der 1. tika verzögert und setzt frühestens 6 Wochen nach
Beginn der Behandlung ein.
168 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

Aufgrund möglicher Nebenwirkungen ist bei Immundefekte, bestehende Infektionen, eine höher-
Methotrexat eine engmaschige Überwachung des gradige renale Funktionseinschränkung und ein
Patienten (inklusive Labor und Untersuchung der Kinderwunsch.
Lunge) notwendig. Bei Schwangerschaft, Leber-
und Nierenerkrankungen sowie bei Alkoholmiss-
brauch darf das Präparat nicht verabreicht werden. 14.4.5 Goldpräparate
Zur besseren Verträglichkeit wird an 2 Tagen nach
der MTX-Einnahme ein Folsäurepräparat zugege- Goldpräparate werden seit 1929 als Basistherapeu-
ben. Häufiger wird am Einnahmetag und am Tag tika zur Behandlung der chronischen Polyarthritis
nach der Applikation über Übelkeit und Brechreiz eingesetzt. Der Einsatz der Goldpräparate hat in den
geklagt. Leuko- und Thrombopenien sind selten; letzten Jahren durch die Verwendung von neueren
auf die äußerst seltene Pneumonitis unter MTX Medikamenten an Bedeutung verloren. Sie werden,
ist zu achten (Methotrexat-Lunge). Fieber, Husten wenn überhaupt, nur mehr dann eingesetzt, wenn
und Atemnot zwingen zu sofortigem Abbruch aus Gründen der Unverträglichkeit neuere Basis-
der Behandlung und unverzögerter fachärztlicher therapeutika nicht verwendet werden können. Gold
Behandlung. Aufgrund einer potenziell teratogenen wird in Form von intramuskulären Injektionen ver-
Wirkung ist MTX 3 Monate vor einer Schwanger- abreicht und wurde früher auch noch in Form eines
schaft abzusetzen. Wegen möglicher Nebenwirkun- schwächer wirksamen Präparates in Tablettenform
gen vor allem zu Beginn der Behandlung ist die The- eingenommen. Die Wirksamkeit von Goldsalzen ist
rapie in den ersten 8–12 Wochen alle 2 Wochen, in in ihrer Potenz MTX ähnlich, leider kommt es aber
der Folge alle 6–8 Wochen klinisch und serologisch relativ häufig zu Nebenwirkungen und daher sind
zu überprüfen. Bei eingeschränkter Nierenfunktion regelmäßige klinische und Laborkontrollen unbe-
ist eine Dosisanpassung notwendig; MTX ist kontra- dingt notwendig. Der Wirkungseintritt ist erst nach
indiziert bei einem Serumkreatinin von >1,4 mg/dl ca. 3 Monaten zu erwarten. Häufige Nebenwirkun-
oder einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate gen sind Schädigung der Niere, der Leber, Haut- und
(eGFR) <40 ml/min [1], [10], [12]. Schleimhäute etc. Eine Kontraindikation besteht
ebenfalls in der Schwangerschaft. Unter Goldme-
dikation sollte Sonnenbestrahlung aufgrund mög-
14.4.4 Leflunomid licher hautallergischer Nebenwirkungen vermieden
werden [17].
Leflunomid (Arava) ist zur Behandlung der rheu-
matoiden Arthritis und Psoriasisarthritis zugelas-
14 sen. Es hat eine ähnliche Wirkungspotenz wie MTX 14.4.6 Azathioprin
und wirkt möglicherweise schon 4 Wochen nach
Beginn der Behandlung. Leflunomid wird täglich in Azathioprin (z. B. Imurek, Aminoprin) wird zur
Form von 1 Tablette à 20 mg eingenommen. Auch Behandlung des SLE und zur Behandlung von Vasku-
bei Leflunomid sind wie bei allen anderen Basisthe- litiden eingesetzt; ebenso in der Therapie chronisch
rapien engmaschige klinische und Laborkontrol- entzündlicher Darmerkrankungen. Äußerst selten
len notwendig. Die wichtigsten Nebenwirkungen findet es auch noch Verwendung in der Behandlung
sind Durchfall, Erhöhung der Leberwerte und Blut- der rheumatoiden Arthritis und anderer chroni-
bildveränderungen. Auch seltene, aber gefährliche scher Gelenkerkrankungen. Die übliche Dosierung
Lungenentzündungen sind möglich. Wegen einer beträgt 1–2 mg/kg Körpergewicht, wobei eine Tages-
möglichen teratogenen Wirkung und einer extrem dosis von 150 mg nicht überschritten werden sollte.
langen Halbwertszeit muss Leflunomid 2 Jahre vor Um etwaige Nebenwirkungen rechtzeitig zu erken-
einer geplanten Schwangerschaft abgesetzt werden. nen, wird eine einschleichende Dosis mit 50(–100)
Eine strenge Kontrazeption (bis 2 Jahre nach The- mg pro Tag empfohlen. Selten kann es zu schwer-
rapie) muss gewährleistet sein. Kontraindikatio- wiegenden Blutbildveränderungen (Leukopenie)
nen sind vorbestehende Hepatopathien, schwere kommen, daher ist gerade zu Beginn der Behandlung
14.4 · Konventionelle synthetische Basistherapeutika (csDMARDs)
169 14
eine engmaschige Überwachung und Blutkontrolle gebärfähigen Alter eine begleitende Therapie mit
notwendig [17]. Wie bei allen anderen Medikamen- Gonadotropin-Releasing-Hormon(GnRH)-Analoga
ten sind während der gesamten Einnahmedauer zum Schutz der Ovarien notwendig ist. Als Kontra-
regelmäßige klinische und Laborkontrollen vorge- indikation gelten eine aktive Infektion, Schwanger-
schrieben. Azathioprin darf nicht gleichzeitig mit schaftswunsch, eine Knochenmarkinsuffizienz und
harnsäuresenkenden Medikamenten (Allopurinol) eine (frühere) schwere hämorrhagische Zystitis. Die
verabreicht werden. Einleitung einer Therapie sollte einem rheumatolo-
gischen Zentrum vorbehalten bleiben. Zu Dosierung
(insbesondere der intravenösen Schemata), Kontra-
14.4.7 Ciclosporin (Cyclosporin A) indikationen und Überwachung sei auf die Informa-
tionsblätter der Fachgesellschaften hingewiesen [12].
Ciclosporin (z. B. Sandimmun) ist eine Substanz, die
aus der Transplantationsmedizin stammt. Es wurde
und wird heute, wenn auch sehr selten, zur Behand- 14.4.9 Mycophenolat-Mofetil (MMF)
lung der Psoriasisarthritis und, in Kombination mit
MTX, zur Behandlung der rheumatoiden Arthri- Mycophenolat-Mofetil (CellCept) ist ein Immun-
tis eingesetzt. Als besondere Nebenwirkungen sind suppressivum, das aus der Transplantationsmedizin
Blutdruckerhöhung und ein Anstieg der Nierenwerte bekannt ist. Klinische Studien haben gezeigt, dass
zu erwähnen. Die Dosis muss angepasst werden. es für die Induktion einer Remission bei Lupus-Ne-
Auch hier sind engmaschige klinische und Labor- phritis genauso effektiv ist wie CYC; ebenso zeigt es
überwachungen notwendig. eine gute Wirksamkeit in der Remissionserhaltung.
Auch bei Vaskulitiden und Myositiden wird es mit
Erfolg eingesetzt. Die Dosierung beträgt initial 2-mal
14.4.8 Cyclophosphamid (CYC) 500 mg und wird dann auf 2-mal 1000 mg (eventu-
ell 3-mal 1000 mg) gesteigert. Mit einem Wirkungs-
Cyclophosphamid (z. B. Endoxan) ist ein potentes eintritt ist frühestens nach 4–8 Wochen zu rechen.
Immunsuppressivum und wird zur Behandlung von Im Vergleich zu CYC hat es eine geringere Kanze-
Kollagenosen und Vaskulitiden mit schweren Organ- rogenität und induziert keine sekundäre Ovarial-
beteiligungen eingesetzt. insuffizienz. Formal ist es aber für diese Indikatio-
CYC kann intravenös und oral (50–150 mg/Tag, nen nicht zugelassen. Die Einleitung einer Therapie
Fauci-Schema: 2 mg/kg Körpergewicht/Tag) verab- sollte einem rheumatologischen Zentrum vorbehal-
reicht werden. Bei einer Langzeitgabe ist die kumu- ten bleiben.
lative Dosis zu beachten. Davon abhängig (üblicher- Als häufige Nebenwirkungen sind Infektionen
weise ab einer Gesamtdosis von 24 g) ist mit einem zu nennen, daneben kann es auch zu einer vermehr-
erhöhten Risiko für Infertilität, Knochenmarkschä- ten Körperbehaarung, einer Erhöhung der Leber-
digungen und Malignomen zu rechen (vor allem Bla- werte und zu Blutbildveränderungen (Leukopenien)
senkarzinomen und hämatologischen Neoplasien). kommen. Als Kontraindikation gelten eine aktive
Bei vergleichbarer Wirksamkeit ist im Hinblick auf Infektion sowie Schwangerschaft und Stillzeit. MMF
diese Nebenwirkungen die intravenöse Therapie der muss 6 Wochen vor einer geplanten Schwangerschaft
oralen Behandlung vorzuziehen. Zu den wichtigsten abgesetzt werden (Männer müssen MMF 90 Tage vor
Nebenwirkungen zählt eine hämorrhagische Zysti- geplanter Zeugung absetzen) [12].
tis; daher sollte bei einer intravenösen Stoßtherapie
begleitend Mesna (Uromitexan) gegeben werden.
Weitere Nebenwirkungen sind Übelkeit und Erbre- 14.4.10 Apremilast
chen, Haarausfall, eine Erhöhung der Leberwerte,
Blutbildveränderungen bis zur Panzytopenie und Apremilast (Otezla) ist zur Behandlung der mit-
schwere Infektionen. Zudem kann CYC eine Ova- telschweren und schweren Plaque-Psoriasis
rialinsuffizienz induzieren, sodass bei Frauen im und zur Therapie der aktiven Psoriasisarthritis
170 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

zugelassen und wird den „targeted synthetic“ 14.5.1 Biologisch originäre DMARDs
DMARDs (tsDMARDS) zugerechnet. Der Phospho- (boDMARDs)
diesterase(PDE)-4-Hemmer Apremilast hat vermut-
lich eine schwächere Wirkung auf die Gelenke als z Zugelassene Substanzen
Tumornekrosefaktor(TNF)-Blocker, zudem fehlen Zur Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkran-
noch radiologische Langzeitdaten. Er sollte daher kungen sind die im Folgenden genannten Biologika
vordergründig zum Einsatz kommen, wenn Bio- zugelassen. Für alle Biologika sei auch auf die ent-
logika kontraindiziert, unverträglich oder unwirk- sprechende Fachinformation der European Medi-
sam sind, ebenso wenn Patienten eine parenterale cines Agency (EMA) verwiesen: http://www.ema.
Behandlung ablehnen. Der Einsatz von Apremi- europa.eu/ema/.
last kann aber auch schon nach Versagen eines
csDMARDs erwogen werden. z z TNF-α-Blocker
Dosierung und Applikation: Start in ansteigen- Infliximab  Infliximab (Remicade) und bs Infliximab
der Dosierung über 5 Tage bis zu einer Dosis von (Inflectra, Remsima) ist ein chimärer, monoklonaler
2-mal 30 mg per os täglich. Bei schwerer Nierenin- Antikörper (mit 25%igem Mausanteil). Infliximab
suffizienz (Kreatininclearence <30 ml/min) Maxi- wird als Infusion in der Dosis von 3 mg (rheumato-
maldosis 30 mg täglich per os [4]. ide Arthritis) und 5 mg (ankylosierende Spondylitis
und Psoriasisarthritis) pro kg Körpergewicht zu den
Wochen 0, 2 und 6 und danach alle 8 Wochen ver-
14.5 Biologika (biologisch originäre abreicht und ist in der Rheumatologie zur Behand-
und biosimiläre DMARDs: lung der mäßiggradigen bis schweren rheumatoi-
boDMARDs und bsDMARDs den Arthritis, der aktiven und progredient verlau-
fenden Psoriasisarthritis und der schweren aktiven
Um die Jahrtausendwende hat eine neue Behand- ankylosierenden Spondylitis von Erwachsenen
lungsform die Therapie der entzündlich-rheuma- zugelassen.
tischen Erkrankungen revolutioniert. War bis Ende
der 1990er Jahre eine Verminderung der Zahl der Etanercept  Etanercept (Enbrel) ist ein humanes
geschwollenen Gelenke und der Schmerzintensität Rezeptorfusionsprotein, das bei Erwachsenen
ein erreichbares und akzeptiertes Ziel, so nehmen wir 2-mal pro Woche in Form von 25 mg oder 1-mal
uns heute vor, bei unseren Patienten einen Zustand pro Woche in einer Dosis von 50 mg subkutan ver-
der Remission bzw. Beschwerdefreiheit zu erreichen. abreicht wird. Etanercept ist in der Rheumatologie
Zytokine spielen als Mediatoren bei immunolo- zur Behandlung der mäßiggradigen bis schweren
14 gischen Vorgängen eine wichtige Rolle. Unter dem rheumatoiden Arthritis, der juvenilen idiopathi-
Einfluss proinflammatorischer Zytokine wie z. B. schen Arthritis, der aktiven und progredient ver-
TNF-α und Interleukin-6 kommt es zur Entwicklung laufenden Psoriasisarthritis, der schweren aktiven
der Gelenkentzündung und im weiteren Verlauf zur ankylosierenden Spondylitis und zur Therapie der
zunehmenden Gewebeschädigung mit Zerstörung nichtradiologischen axialen Spondyloarthritis
von Knorpel und Knochen. zugelassen.
Die zunehmende Kenntnis über die Rolle von
Zytokinen in der Pathogenese entzündlicher Erkran- Adalimumab  Adalimumab (Humira) ist ein humaner,
kungen führte zur Entwicklung von Medikamenten, monoklonaler Antikörper und wird bei Erwachsenen
die gegen diese Zytokine gerichtet sind und deren alle 14 Tage subkutan in einer Dosis von 40 mg verab-
Wirkung blockieren bzw. neutralisieren. Diese Medi- reicht. Es ist in der Rheumatologie zur Behandlung der
kamente werden Biologika (Synonym: Biologicals) mäßiggradigen bis schweren rheumatoiden Arthritis,
genannt. TNF-α-Blocker, die die Wirkung des Zyto- der juvenilen idiopathischen Arthritis (ab 13 Jahren),
kins TNF-α blockieren, sind bereits seit der Jahr- der aktiven und progredient verlaufenden Psoriasisar-
tausendwende zur Behandlung entzündlich-rheu- thritis, der schweren aktiven ankylosierenden Spondy-
matischer Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen litis und zur Therapie der nichtradiologischen axialen
zugelassen [3], [7], [16], [17]. Spondyloarthritis zugelassen.
14.5 · Biologika (biologisch originäre und biosimiläre DMARDs
171 14
Golimumab  Golimumab (Simponi) ist ein vollstän- Rituximab bei rheumatoider Arthritis gegeben. Ritu-
dig humaner monoklonaler Antikörper, der TNF-α ximab wird als Biologikum der ersten Wahl vor allem
bindet. Der Antikörper wird einmal im Monat sub- in ausgewählten Situationen verabreicht (Lymphom
kutan in einer Dosis von 50 mg appliziert und ist seit und Karzinomanamnese, Tuberkulose oder eben bei
Oktober 2009 für die Behandlung der mäßiggradi- Kontraindikationen gegen TNF-α-Inhibitoren etc.).
gen bis schweren rheumatoiden Arthritis, der aktiven
und progredient verlaufenden Psoriasisarthritis, der z z Abatacept
schweren aktiven ankylosierenden Spondylitis von Abatacept (Orencia) ist ein Fusionsprotein aus der
Erwachsenen und zur Therapie der nichtradiologi- extrazellulären Domäne von CTLA-4 und modifi-
schen axialen Spondyloarthritis zugelassen. ziertem humanem Immunglobulin-G(IgG)-Fc-An-
teil. Abatacept bewirkt eine reduzierte Aktivierung
Certolizumab Pegol  Certolizumab Pegol (Cimzia) von T-Lymphozyten durch die Hemmung von kosti-
ist der erste pegylierte, Fc-freie TNF-α-Inhibitor. Bei mulatorischen Signalen. Es ist zur Behandlung der
dem Molekül wurde die Fc-Region – der lange Arm mäßiggradigen und schweren rheumatoiden Arth-
des Y-förmigen Antikörpers – entfernt und eines ritis in Kombination mit MTX und bei idiopathi-
der Fab‘-Fragmente durch Pegylierung, d. h. durch scher juveniler Arthritis zugelassen. Abatacept wird
Verbindung mit Polyethylenglykol stabilisiert. Die bei Erwachsenen in Form einer gewichtsadaptierten
empfohlene Anfangsdosis beträgt 400 mg in Woche Infusion (10 mg/kg Körpergewicht: <60 kg: 500 mg;
0, 2 und 4, gefolgt von 200 mg Certolizumab Pegol 60–100 kg: 750 mg) zu den Wochen 0, 2 und 4 und
als Fertigspritze alle 2 Wochen (subkutan verab- dann alle 4 Wochen verabreicht. Abatacept kann
reicht). Certolizumab ist für die Behandlung der auch subkutan verabreicht werden (125 mg 1-mal/
mäßiggradigen bis schweren rheumatoiden Arthri- Woche).
tis, der aktiven und progredient verlaufenden Pso-
riasisarthritis, der schweren aktiven ankylosieren- z z Tocilizumab
den Spondylitis und zur Therapie der nichtradiolo- Tocilizumab (RoActemra) ist ein humanisierter
gischen axialen Spondyloarthritis bei Erwachsenen monoklonaler IgG1-Antikörper gegen den humanen
zugelassen. Interleukin-6(IL-6)-Rezeptor und ist zur Behand-
lung erwachsener Patienten mit mäßiger bis schwe-
z z Anakinra rer aktiver rheumatoider Arthritis und zur Therapie
Anakinra (Kineret), ein humaner Interleukin-1- der systemischen juvenilen idiopatischen Arthritis
Rezeptorantagonist, wird in einer Dosierung von (sJIA) und der polyartikulären Verlaufsform der JIA
100 mg subkutan 1-mal pro Tag bei aktiver rheu- zugelassen. Die empfohlene Dosierung beträgt für
matoider Arthritis verabreicht. Kineret ist auch zur Erwachsene 8 mg/kg Körpergewicht, einmal alle 4
Behandlung von Cryopyrin-assoziierten periodi- Wochen. Für Personen mit einem Körpergewicht von
schen Syndromen (CAPS) bei Erwachsenen, Jugend- mehr als 100 kg werden Dosierungen über 800 mg
lichen, Kindern und Kleinkindern ab 8 Monaten mit pro Infusion nicht empfohlen. Tocilizumab kann
einem Körpergewicht von mindestens 10 kg indiziert auch subkutan verabreicht werden (162 mg 1-mal/
(1–2 mg/kg täglich subkutan). Woche).

z z Rituximab z z Belimumab
Rituximab (MabThera) ist ein chimärer monoklona- Belimumab (Benlysta) ist ein humaner monoklo-
ler Antikörper gegen CD20, der selektiv CD20+-B- naler Antikörper, der gegen das B-Lymphozyten-
Zellen depletiert. Die Substanz wird in einer Dosie- Stimulatorprotein (BLyS) gerichtet ist. Belimumab
rung von 1000 mg als Infusion 2-mal im Abstand wurde im Juli 2011 als Zusatztherapie bei Erwach-
von 14 Tagen verabreicht. Kann eine Remission mit senen mit aktivem autoantikörper-positivem SLE
konventionellen Basistherapeutika und TNF-α-Blo- mit hoher Krankheitsaktivität trotz Standardthera-
cker(n), Abatacept oder Tocilicumab nicht erreicht pie zugelassen. Benlysta wird als Tropfinfusion über
werden oder bestehen Unverträglichkeiten gegen einen Zeitraum von 1 Stunde verabreicht. Die emp-
diese Wirkstoffe, ist die Indikation zum Einsatz von fohlene Dosis beträgt 10 mg/kg Körpergewicht. Die
172 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

ersten 3 Dosen werden im Abstand von jeweils 2 4 Wochen via subkutane Injektion. Ilaris sollte als
Wochen verabreicht. Danach wird Benlysta einmal Bedarfstherapie zur Behandlung von Gichtanfällen
alle 4 Wochen gegeben. eingesetzt werden. Bei Erwachsenen mit Gichtarth-
ritis beträgt die empfohlene Dosis 150 mg und wird
z z Ustekinumab während eines Anfalls als Einzeldosis subkutan ver-
Ustekinumab (Stelara) ist ein Anti-IL-12/23-Anti- abreicht. Zur Behandlung von CAPS sei auf spezia-
körper und zur der Behandlung der mittelschweren lisierte Zentren verwiesen.
bis schweren Plaque-Psoriasis und der aktiven Pso-
riasisarthritis zugelassen. Es wird eine initiale Dosie- z Indikation
rung von 45 mg, die subkutan verabreicht wird, emp- Die Wirksamkeit von Biologika ist in zahlreichen
fohlen, gefolgt von einer 45-mg-Dosis 4 Wochen Studien belegt. Entsprechend den Empfehlungen
später und dann alle 12 Wochen. Bei Patienten mit der rheumatologischen Fachgesellschaften besteht
einem Körpergewicht >100 kg können alternativ die Indikation zu einer Biologika-Therapie bei rheu-
90 mg gegeben werden. matoider Arthritis und bei Psoriasisarthritis, wenn
trotz entsprechender Behandlung mit csDMARDs
z z Secukinumab – wobei eines davon MTX sein soll – nach ausrei-
Secukinumab (Cosentyx) ist ein Anti-IL-17A-Anti- chender Behandlungsdauer weiterhin eine aktive
körper, der zur Behandlung der mittelschweren bis Erkrankung besteht. Naturgemäß können individu-
schweren Plaque-Psoriasis, der aktiven Psoriasisar- elle Besonderheiten, wie z. B. ein äußerst progres-
thritis und der aktiven ankylosierenden Spondyli- siver Krankheitsverlauf oder Unverträglichkeit von
tis zugelassen ist. Bei Patienten mit Psoriasisarth- konventionellen Basistherapeutika einen frühzeitige-
ritis und gleichzeitiger mittelschwerer bis schwerer ren Einsatz von Biolgika erforderlich machen; dies ist
Plaque-Psoriasis oder Patienten, die auf TNF-α-Inhi- aber im Einzelfall zu begründen und zu dokumen-
bitoren unzureichend ansprechen, beträgt die emp- tieren [4], [5], [7], [8].
fohlene Dosis 300 mg als subkutane Injektion mit Biologika kommen mit großem Erfolg bei fehlen-
Startdosen in den Wochen 0, 1, 2 und 3, gefolgt von der oder unzureichender Wirkung von NSAR auch
monatlichen Erhaltungsdosen beginnend ab Woche bei der ankylosierenden Spondylitis zum Einsatz.
4. Jede 300-mg-Dosis wird in Form von 2 subkuta- Die Indikation zur Einleitung einer Biologika-The-
nen Injektionen zu je 150 mg verabreicht. Bei allen rapie, deren Fortführung und Überwachung unter-
anderen Patienten beträgt die empfohlene Dosis liegt entsprechenden Kriterien, die von Experten in
150 mg als subkutane Injektion mit Startdosen in einem Konsensus regelmäßig überarbeitet werden
den Wochen 0, 1, 2 und 3, gefolgt von monatlichen und zuletzt 2011 veröffentlicht wurden (ASAS-Emp-
14 Erhaltungsdosen beginnend ab Woche 4. fehlungen) [18]. Das Behandlungsspektrum umfasst
nicht nur Patienten mit etablierter ankylosierender
z z Canakinumab Spondylitis, sondern auch Patienten mit nichtradio-
Canakinumab (Ilaris) wird bei Erwachsenen, logischer axialer Spondyloarthritis.
Jugendlichen und Kindern für die Behandlung von Wenn die medizinische Indikation zu einer Bio-
Cryopyrin-assoziierten periodischen Syndromen logika-Therapie gegeben ist, wird in einem ausführli-
(CAPS) angewendet, des Weiteren zur Behandlung chen Gespräch das weitere Vorgehen mit den Patien-
des Still-Syndroms des Erwachsenen (AOSD) und ten erörtert, über Wirkungen und Nebenwirkungen
der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis wird aufgeklärt.
(sJIA). Canakinumab ist auch zur symptomatischen An Voruntersuchungen wird ein entsprechen-
Behandlung von erwachsenen Patienten mit häufi- des Laborprofil mit großem Blutbild, BSG, Transami-
gen Gichtanfällen (mindestens 3 Anfälle in den vor- nasen, γ-Glutamyl-Transferase (GGT), alkalischer
angegangen 12 Monaten) zugelassen. Die empfoh- Phosphatase, zudem antinukleäre Antikörper (ANA)
lene Dosis für Patienten mit Still-Syndrom (AOSD und ein Hepatitis-Screening erhoben. Des Weiteren
und sJIA) mit einem Körpergewicht ≥7,5 kg ist 4 mg/ erfolgt vor der Biologika-Therapie eine pulmonolo-
kg (bis zum Maximum von 300 mg), verabreicht alle gische Begutachtung mit einem Quantiferon-Test
14.5 · Biologika (biologisch originäre und biosimiläre DMARDs
173 14
(Quanti FERON-TB Gold) oder mit einem Mendel- z Anwendung
Mantoux-Test (wenn ein Quantiferon-Test nicht zur Bei gegebener Indikation wird den Patienten bei
Verfügung steht). mehreren zur Verfügung stehenden gleichwertigen
Biologika (TNF-α-Blockern, Abatacept, Tocilicu-
z Kontraindikation mab) die Infusion oder subkutane Verabreichung
Bei manifester Tuberkulose, Infektionskrankheiten, angeboten.
bei demyelinisierenden Erkrankungen und bei chro- Die ersten 3 Infusionen bzw. subkutanen Injek-
nischer Hepatitis B besteht eine Kontraindikation tionen sollten in der Ambulanz oder in der fach-
für eine Biologika-Therapie, ebenso stellen maligne ärztlichen Ordination verabreicht werden. Die erste
Erkrankungen der letzten 5 (10) Jahre eine absolute Injektion wird unter entsprechender Erklärung
Kontraindikation dar; weiter zurückliegende Mali- verabreicht, die zweite Injektion applizieren die
gnome sind zumindest eine relative Kontraindika- Patienten selbst unter Anleitung. Nach den ersten
tion für eine Behandlung, und die Entscheidung Applikationen verbleiben die Patienten noch zur
muss im Einzelfall mit dem Patienten und im Kon- Beobachtung in der Ordination/Ambulanz; dies soll
silium mit Fachkollegen getroffen werden. auch den gerade am Anfang im Umgang mit einer
Auch bei Patienten mit einer höhergradigen Biologika-Therapie noch ungeübten Patienten ein
Herzinsuffizienz, entsprechend dem Stadium NYHA gewisses Gefühl der Sicherheit (und Respekt vor dem
III und IV, besteht eine Kontraindikation für eine Medikament) vermitteln.
Biologika-Gabe (7 Übersicht). Laborkontrollen erfolgen entsprechend den Leit-
linien; üblicherweise werden Patienten mit Biologi-
ka-Therapie in 3-monatigen Abständen von einem
Kontraindikation für Biologika-Therapie rheumatologisch geschulten Arzt kontrolliert.
55Akute und chronische (bakterielle, virale In 3-monatigen Abständen erfolgt die Dokumen-
und andere) Infekte tation des Ansprechens bei rheumatoider Arthritis
55Aktive Tuberkulose (bei latenter Tbc oder mit z. B. dem Disease Activity Score (DAS-28) und/
Tbc in der Anamnese nur nach geeigneter oder dem Clinical Disease Activity Index (CDAI)
Tbc-Prophylaxe nach den aktuellen (bei Psoriasisarthritis und ankylosierender Spon-
nationalen Richtlinien) dylitis 7  Kap. 3). Mit Hilfe dieser Scores kann die
55Manifeste Malignome oder in Anamnese Krankheitsaktivität dokumentiert bzw. das Anspre-
55Demyelinisierende Erkrankungen chen oder Nichtansprechen einer Biologika-Thera-
55Manifeste kardiale Dekompensation pie erfasst werden. Zum Ausfüllen der Scores benö-
(NYHA >II) tigt man bei einiger Erfahrung nur wenige Minuten
55Allergie gegen eine der Substanzen (. Tab. 14.2). Diese Scores dienen auch zur Doku-
mentation des Behandlungserfolgs vor den Kranken-
kassen. Aufgrund der hohen Kosten der Behandlung
Bezüglich Biologika und Schwangerschaft sei auf ist eine entsprechende Dokumentation des Behand-
7 Kap. 21 hingewiesen. lungserfolgs empfehlenswert und notwendig [9], [12].
Eine Impfung mit Totimpfstoffen ist unter lau- Die Patienten müssen eingehend darauf hinge-
fender Therapie als unbedenklich anzusehen. Bei wiesen werden, bei Zeichen der Unverträglichkeit,
Rituximab muss allerdings von einer verminder- bei Infekten, in jedem Fall bei unklaren Fieberzu-
ten oder sogar fehlenden Impfantwort ausgegangen ständen über 38 Grad Kontakt mit ihrem Rheuma-
werden. Es wird empfohlen, nach einer Impfung mit tologen aufzunehmen und die Behandlung im Zwei-
dem Beginn einer Rituximab-Behandlung 4 Wochen felsfall vorübergehend zu unterbrechen.
zu warten. Lebendimpfstoffe sind bei Patienten unter Bei Nichtansprechen, Unverträglichkeit oder Wir-
einer Biologika-Therapie kontraindiziert. kungsverlust des TNF-α-Blockers wird in Abhängigkeit
Generell wird bei Erwachsenen mit entzündlich- von der individuellen Situation bei rheumatoider Arth-
rheumatischen Erkrankungen eine Influenza- und ritis derzeit auf einen alternativen TNF-α-Blocker oder
Pneumokokkenimpfung empfohlen [18]. auf Abatacept, Rituximab oder Tocilizumab gewechselt.
174 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

Verpflichtung gegenüber den Sozialversicherungs-


. Tab. 14.2  Rheumaprotokoll in der Praxis
trägern bewusst sein.
Morgensteifigkeit: Die Behandlung mit Biologika ist im ambu-
SJC: TJC: lanten sowie im niedergelassenen Bereich in den
meisten Situationen ohne Probleme möglich, für
Gänslen:
die Patienten in der Regel wenig belastend, aber für
VAS Patient (0–100): VAS Arzt:
die ärztliche Praxis mit einem hohen Zeitaufwand
DAS-28: CDAI: verbunden [9].
Unerwünschte Ereignisse (Infektion, Impfung, CV,
Neoplasie, Gravidität …):
Ergebnis: Fallbeispiel: 46-jähriger Handwerker mit
Kontrolle: rheumatoider Arthritis
Ein 46-jähriger, sehr sportlicher Handwerker,
litt seit 4 Jahren an einer rheumatoiden
SJC Swollen Joint Count, TJC Tender Joint Coint,
VAS visuelle Analogskala, DAS Disease Activity Arthritis. Er wurde zunächst mit MTX
Score, CDAI Clinical Disease Activity Index, behandelt, in der Folge in Kombination mit
CV kardiovaskuläre Ereignisse. Leflunomid, wodurch eine vorübergehende
Besserung erreicht werden konnte. Aufgrund
von wieder zunehmenden Schmerzen und
Vor geplanten operativen Eingriffen wird den Schwellungen im Bereich der Hand- und
Patienten eine meist mehrwöchige Biologika- Fingergelenke war der aktive Patient, der gerne
Pause, entsprechend der Halbwertszeit der Substan- Sport trieb und auch gewohnt war, aufgrund
zen, empfohlen. Möglicherweise werden aber hier seiner handwerklichen Geschicklichkeit im
in Zukunft kürzere Unterbrechungen gestattet sein. eigenen Haus viel zu arbeiten, sehr deprimiert.
Die sporadischen, aber typischen Nebenwirkun- Im letzten Winter konnte er seine Skier nicht
gen der intravenösen Verabreichung sind Infusions- auspacken. Die Krankenstandstage häuften
reaktionen, Urtikaria, Dyspnoe und Thoraxschmer- sich und er fürchtete, seinen Beruf nicht mehr
zen, die zum Abbruch der Infusion führten. Selten ausüben zu können. Nach entsprechender
wird eine anaphylaktoide Reaktion beobachtet. Sub- Aufklärung und Ausschluss aller Kontrain-
kutane Applikationen zeigen selten Lokalreaktio- dikationen erfolgte die Einstellung auf ein
nen. Bei fieberhaften Infekten wird die Medikation Biologikum (TNF-α-Blocker). Der Patient
unterbrochen. lernte das Medikament durch regelmäßige
14 Biologika haben seit ihrer Einführung vor mehr Selbstinjektion subkutan zu applizieren.
als 15 Jahren die Lebensqualität von Patienten mit Bereits nach der zweiten Injektion fühlte er
entzündlichen Gelenkerkrankungen sowie die eine spürbare Besserung und Abschwellung
Krankheitsprognose deutlich verbessert. Nichtsdes- der betroffenen Gelenkregionen. Nach
toweniger ist trotz der in den meisten Situationen wenigen Monaten war er, wie er sagt, „wieder
sehr guten Wirksamkeit biologischer Medikamente der Alte“. Obwohl man ihm natürlich zu einer
weiterhin großer Respekt und Vorsicht gefordert. Es entsprechenden Schonung geraten hatte,
müssen die potenziellen Nebenwirkungen bedacht ließ er sich die wöchentlichen Wettkämpfe
werden, insbesondere die Gefahr der Reaktivierung mit seiner Tennisrunde nicht nehmen. Seiner
einer Tuberkulose oder das Auftreten von schweren Arbeit konnte er uneingeschränkt nachgehen.
Infekten. Der Internist und Rheumatologe ist natur- Parallel dazu nahm er von Beginn an MTX in
gemäß gefordert in der korrekten Indikationsstel- niedriger Dosis (10–15 mg pro Woche), da
lung, in der ausreichenden Aufklärung und Infor- Biologika in Kombination mit MTX in der Regel
mation der Patienten und in der Überwachung der eine signifikant bessere Wirkung zeigen als in
Therapie. Aufgrund der hohen Kosten der Medika- Form einer Monotherapie.
tion muss man sich als behandelnder Arzt auch der
14.5 · Biologika (biologisch originäre und biosimiläre DMARDs
175 14

Nach einer mehrmonatigen Remission (DAS-28 Abstand von 2 Wochen unter Beibehalten
<2,6) wurde die Basistherapie beendet, der MTX-Medikation. Nach ca. 8 Wochen
wodurch es innerhalb von 10 Wochen zu gelang es, die tägliche Dosis an GC Schritt
einer deutlichen Schubsituation mit einem für Schritt zu reduzieren. Das Zustandsbild
polysynovitischen Zustandsbild kam. Durch der Patientin besserte sich zusehends und
neuerliche Etablierung der Biologika-Therapie nach weiteren 3 Monaten benötigte die
konnte alsbald wieder eine sehr zufrieden- Patientin keine weiteren GC. Die Patientin
stellende Gelenksituation erreicht werden. ist auch nach 2 Jahren in einem anhaltend
Die Medikation wurde auch in weiterer Folge stabilen Allgemeinzustand. Sie nimmt weiter
gut vertragen, auffallend war alleine ein wöchentlich MTX in niedriger Dosis und bei
rezidivierender Herpes labialis. Ein Wirkverlust Bedarf NSAR bei niedriger entzündlicher
der Biologika-Therapie ist bisher erfreuli- Aktivität. Sie ist mit ihrer Situation zufrieden.
cherweise nicht eingetreten. Eine neuerliche Infusion mit Rituximab war
bisher nicht nötig.

Fallbeispiel: 69-jährige Patientin mit hoch-


aktiver rheumatoider Arthritis Kommentar
Eine 69-jährige Patientin erkrankte an einer Durch die Entwicklung von Biologika konnte
seropositiven rheumatoiden Arthritis unter doch bei vielen Patienten eine deutliche
Befall zahlreicher Gelenke der oberen und Besserung der Gelenkschmerzsymptomatik
unteren Extremitäten. Selbst die Kiefergelenke und eine Verzögerung der Progression erzielt
schmerzten und der Allgemeinzustand der werden, vor allem bei solchen Patienten,
Patientin war durch die starken Entzündungs- die an einer Gelenkerkrankung mit hoher
reaktionen deutlich eingeschränkt. In ihrer entzündlicher Aktivität litten. Leider sind auch
Mobilität war sie naturgemäß sehr behindert. diese Medikamente nicht bei allen Erkrankten
Eine rasch eingeleitete Basistherapie mit wirksam. Es werden sukzessive neue
MTX (bis 25 mg/Woche) in Kombination mit wirkungsvolle Medikamente zur Behandlung
GC führte nur zu einer partiellen Besserung der rheumatoiden Arthritis zugelassen und
der Beschwerden. Aufgrund der Schmerzen es ist zu hoffen und zu erwarten, dass für
und Steifigkeit waren Prednisolon-Dosen jeden Patienten das individuell richtige und
bis 25 mg pro Tag notwendig. Schließlich wirksame Präparat gefunden werden kann.
wurde nach wenigen Monaten aufgrund
der anhaltend hohen entzündlichen
Aktivität eine Behandlung mit Biologika
eingeleitet. Dadurch konnte zunächst eine 14.5.2 Biosimilars (bsDMARDs)
Besserung erzielt werden. Die Schwellungen
bildeten sich teilweise zurück, die hohen Über 120 Millionen Menschen leiden in der Euro-
Entzündungszeichen im Blut zeigten ebenfalls päischen Union an Erkrankungen des Stütz- und
ein Absinken. Allerdings konnte kein wirklich Bewegungsapparats. Ein freier Zugang zu sicheren,
zufriedenstellender Zustand erreicht werden wirksamen und leistbaren Medikamenten ist daher
und es erfolgte eine Umstellung auf einen für alle Patienten von größter Wichtigkeit. Die Ent-
alternativen TNF-α-Blocker, wovon die wicklung von Biologika hat die Behandlung von ent-
Patientin leider ebenfalls nicht profitierte. zündlich-rheumatischen Erkrankungen revolutio-
Daraufhin entschloss man sich zum Einsatz niert. Während man sich bis zur Jahrtausendwende
von Rituximab in Form von 2 Infusionen im mit den damals zur Verfügung stehenden Medika-
menten meist mit einer Verringerung der Zahl der
176 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

geschwollenen Gelenke zufriedengeben musste, ist eines völlig identischen Nachbaus eines Biologi-
heute die Remission bzw. die Beschwerdefreiheit kums ist nach dem aktuellen Stand der Technik kaum
unserer Patienten das erklärte und häufig erreich- möglich; auch das Originalprodukt weist ja schon
bare Ziel. Die uns heute zur Verfügung stehenden eine gewisse Heterogenität auf. Man hat sich auf die
Biologika erreichen nun aber nach und nach das Bezeichnung „Biosimilars“ geeinigt, die eine prinzi-
Ende ihrer Patentdauer. Die pharmazeutische Indus- pielle Ähnlichkeit, aber eben keine Gleichheit von
trie nützt daher die Möglichkeit, den ursprünglichen biologischen Arzneimitteln zum Ausdruck bringen
Biologika sehr ähnliche Nachahmerprodukte, die soll. Die Herstellung von Biosimilars muss natürlich
als Biosimilars bezeichnet werden, zu niedrigeren nach den gleichen Pfaden und Richtlinien wie die der
Preisen (Kostenreduktion ca. 30%) zu entwickeln Biologika erfolgen.
und zu vermarkten. Dies sollte dazu führen, dass sehr Die gesetzlichen Bestimmungen, die zur Zulas-
wirksame Medikamente in verschiedenen Ländern sung eines Biosimilars führen, sind in den USA und
breiter eingesetzt werden können und den Ärzten in Europa sehr streng, da eine biologisch gleichwer-
mehr Behandlungsoptionen ermöglichen. tige Wirksamkeit (im Vergleich zu den ursprüngli-
Biosimilars sind nicht das gleiche wie Generika, chen Biologika) in den geforderten Untersuchungen
die eine einfachere chemische Struktur haben und als (Äquivalenzstudien) nachgewiesen werden muss.
identische Nachahmerprodukte von Medikamenten, Von der Europäischen Arzneimittelagentur (Euro-
deren Patentschutz abgelaufen ist, betrachtet werden. pean Medicines Agency – EMA) wurde der Begriff
Im Gegensatz zu klassischen Arzneimitteln, die des „comparability exercise“ eingeführt, ein Verfah-
durch chemische Synthese oder Extraktion entwi- ren, das dazu dient, nachzuweisen, dass das Biosi-
ckelt werden, werden Biologika meist in lebenden milar dem herkömmlichen Biologikum möglichst
Organismen, in Säugerzellen, Bakterien oder Hefe- ähnlich ist. Das Ziel ist nicht, die Wirksamkeit des
zellen, hergestellt. Um ein biologisches Arzneimittel Biosimilars nachzuweisen – diese wurde ja schon für
zu produzieren, benötigt man die passende Desoxy- das ursprüngliche Biologikum ermittelt – sondern
ribonukleinsäure (DNA), die man geeigneten Zellen eine Vergleichbarkeit, d. h. eine Biosimilarität mit
zur Bildung aufzwingt (sogenannte rekombinante dem Originator zu dokumentieren.
Herstellung). Durch die Möglichkeit, fremde DNA
in passende Wirtszellen einzubauen, können gen- z Umstellungen oder Neueinstellungen
technologisch große Mengen an biologischen Arz- Vor Kurzem hat die europäische Arzneimittelbe-
neimitteln hergestellt werden. hörde EMA Infliximab-Biosimilars für eine Reihe
Heutzutage werden weltweit ca. 200 biologische von Indikationen, darunter für die rheumatoide
Substanzen unter anderem zur Behandlung von Arthritis und die axiale Spondyloarthritis, aufgrund
14 Krebs, multipler Sklerose, rheumatoider Arthritis, vorliegender Äquivalenzstudien zugelassen. Aus der
Psoriasis und Psoriasisarthritis, Morbus Bechterew Sicht vieler Autoren besteht aktuell noch kein Grund,
und zur Therapie von Bluterkrankungen mit großem bei gutem Ansprechen auf das Originatorprodukt,
Erfolg eingesetzt. d. h. das ursprünglich verordnete Biologikum, auf
Biologika (und Biosimilars) werden im Zuge ein Biosimilar umzustellen.
ihrer Entwicklung und Bildung aufgrund unter- In Norwegen lief bis 2016 eine Studie, in der
schiedlich produzierender Wirtszellen in gerin- Patienten von einem Originator auf ein Biosimi-
ger Weise verändert, was sich z. B. in einer unter- lar umgestellt werden, um die Vergleichbarkeit der
schiedlichen Glykosilierung, d. h. dem Anbringen Substanzen bezüglich Wirksamkeit und Nebenwir-
von Zuckeresten an Proteinen, zeigen kann. Auch kungen zu prüfen. Die Ergebnisse und Erkenntnisse
bei rekombinanter Herstellung ist somit bei Biolo- dieser Untersuchung werden das Therapieverhalten
gika mit einer gewissen Verschiedenartigkeit des der Spezialisten bzw. die Empfehlungen der Fachge-
Endprodukts zu rechnen. Sowohl Biologika als sellschaften beeinflussen. In Österreich liegt derzeit
auch ihre Nachahmerprodukte, die Biosimilars, die Entscheidung über eine Neueinstellung bzw.
haben daher durch ihre sich verändernden Wirts- eine Umstellung auf ein Biosimilar im Ermessen des
zellen eine natürliche Variabilität. Die Herstellung behandelnden Arztes. Eine generelle Umstellung auf
Literatur
177 14
das ökonomisch günstigere bzw. das jeweils güns- [12] Rubbert-Roth A (2015) Medikamentöse Therapie. In:
Hettenkofer HJ, Schneider M, Braun J (Hrsg) Rheumato-
tigste Biosimilar ist aus den schon genannten wirt-
logie. Thieme, Stuttgart, S 428–460
schaftlichen Gründen wünschenswert und dann zu [13] Samonigg H (2014) Konsensus Statement: Biosimilars –
vertreten, wenn sichergestellt ist, dass zwischen Ori- aktueller Stellenwert. Österreich Ärztez (Suppl)
ginator-Produkt und Biosimilar keine Unterschiede [14] Sitte HH (2015) Biologika und Biosimilars: Wissenschaft-
in Wirkung und Nebenwirkungsprofil vorliegen. liche Grundlagen der Herstellung. Ökon Praxis 1/2015
[15] Skingle D (2015) Biosimilars: What do patients need to
Biosimilars werden in jedem Fall eine kostengüns-
consider? EULAR PARE Position Paper on Biosimilars
tige Alternative in der Behandlung von chronisch Paper. http://www.eular.org/myUploadData/files/Biosi-
entzündlichen Erkrankungen sein und in der Folge milars_2015.pdf. Zugegriffen: 25. November 2016
unser Gesundheitssystem entlasten. In wirtschaft- [16] Schneider M (2015) Rheumatoide Arthritis. In: Hetten-
lich schwachen Ländern werden mit den Biosimilars kofer HJ, Schneider M, Braun J (Hrsg) Rheumatologie.
Thieme, Stuttgart, S 134–158
wirkungsvolle Medikamente zunehmend mehr Men-
[17] Smolen JS, Landewé R, Breedveld FC et al. (2014) EULAR
schen mit Autoimmunerkrankungen zur Verfügung recommendations for the management of rheumatoid
stehen [2], [13], [14], [15], [20]. arthritis with synthetic and biological disease-modify-
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179 15

Erkennen von und Umgang


mit Medikamentenneben­
wirkungen
Rudolf Puchner

15.1 Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) – 181

15.2 Glukokortikoide (GC) – 182

15.3 Basistherapeutika – 184


15.3.1 Sulfasalazin (SSZ) – 184
15.3.2 Methotrexat (MTX) – 185
15.3.3 Leflunomid – 188
15.3.4 Antimalariamittel – 189
15.3.5 Goldpräparate – 190
15.3.6 Ciclosporin (Cyclosporin A) – 190
15.3.7 Azathioprin (AZA) – 190
15.3.8 Apremilast – 191

15.4 Biologika – 191

Literatur – 196

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_15
180 Kapitel 15 · Erkennen von und Umgang mit Medikamentenneben­wirkungen

Vor jeder Rezeptur bzw. jeder medikamentösen


Behandlung sollten (müssen!) wir uns einige (lästige) Fallbeispiel: 84-jährige Patientin mit
Fragen stellen: Melaena
44Kennen wir alle Medikamente, die unsere Eine 84-jährige Patientin nimmt wegen
Patienten einnehmen? Rückenschmerzen täglich 100 mg Diclofenac.
44Wissen wir über Wirkungen und (häufige) In der folgenden Woche werden die
Nebenwirkungen aller bereits länger Rückenschmerzen besser. Es fällt aber eine
verordneten und/oder aktuell verschriebenen zunehmende Blässe und Müdigkeit auf.
Arzneimittel Bescheid? Schließlich wird wegen eines schwarzen Stuhls
44Kennen und überprüfen wir regelmäßig die der Hausarzt kontaktiert, der die sofortige
Nierenfunktion unserer (chronisch kranken) stationäre Einweisung wegen Verdachts auf
Patienten? gastrointestinale Blutung veranlasst.
44… oder die Leberwerte und das Blutbild? Bei der Aufnahme präsentiert sich eine
44Wie ist die Compliance? anämische Frau in deutlich reduziertem
Allgemeinzustand. Die Patientin gibt
Schließlich müssen wir noch weitere Aspekte keine abdominellen Beschwerden an. Der
bedenken: Blutdruck ist 100/60, die Herzfrequenz
44Haben wir den Patienten hinsichtlich Wirkung beträgt 100/min. Das Hämoglobin ist mit
(und wichtigster Nebenwirkungen) der 8,5 mg/dl deutlich erniedrigt. Es erfolgt
verordneten Medikamente aufgeklärt? eine sofortige Kreislaufstabilisierung durch
44Wurde das dokumentiert und wie? Volumensubstitution und empirisch eine
44Hat der Patient sogar eine Einverständnis- parenterale Gabe von Protonenpumpen-
erklärung (bei Behandlung mit Basisthera- inhibitoren (PPI). In einer noch am gleichen
peutika) unterschrieben? Tag durchgeführten Endoskopie zeigt sich
44Wie (bzw. von wem) wird der Patient ein Ulcus duodeni mit einem anhaftenden
überwacht? Koagel (Forrest-Stadium IIb). Es erfolgt eine
44Werden regelmäßige Labor- und klinische Injektionstherapie durch Unterspritzung mit
Kontrollen durchgeführt? Adrenalin (1:10.000). Es werden zusätzlich
44In welchen Abständen? 2 Blutkonserven verabreicht und die
44Dokumentieren wir den Krankheitsverlauf Patientin erholt sich in den darauffolgenden
sowie das Ansprechen auf die Behandlung? Tagen erfreulicherweise zusehends. Zur
Ulkusheilung werden PPI in Standarddosis
Bei positiver Beantwortung dieser Fragen … für 8 Wochen verabreicht. Zudem erfolgt
44haben wir wahrscheinlich eine bei nachgewiesener Helicobacter-pylori-
15 Ausbildung oder ein Interesse in/an Infektion eine Eradikation.
Qualitätsmanagement.
44werden vielleicht weniger Zwischenfälle
auftreten oder diese zumindest früher erkannt
werden. Kommentar
44schützen wir unsere Patienten (und auch uns)! Es zeigt sich ein Ulcus duodeni unter Einnahme
44können wir bei Auftreten von Nebenwir- nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR)
kungen unsere Patienten besser führen und bei einem alten Menschen (Risikofaktor,
schnell reagieren (durch rasches Erkennen 7 folgende Übersicht). Die meisten Ulkuskom-
und bessere Zusammenarbeit) und müssen plikationen ereignen sich in den ersten 3
(hoffentlich) nicht mit Vorwürfen etc. Monaten nach Beginn der NSAR-Einnahme.
rechnen.
15.1 · Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
181 15

Erschwerend ist die Tatsache, dass unter 55Bei gastrointestinalen Risikofaktoren


einer NSAR-Therapie nur ca. 1/3 der Ulzera Ulkusprophylaxe mit PPI
symptomatisch werden. Andererseits geben 55Vermeiden von NSAR mit langer
rund die Hälfte der Patienten, die NSAR Halbwertszeit
einnehmen, dyspeptische Beschwerden an, 55Dosisreduktion bei eingeschränkter
die nicht mit dem endoskopischen Befund Nierenfunktion
korrelieren. 55Bei Langzeiteinnahme Laborkontrollen
zumindest alle 3 Monate (Blutbild,
Glutamat-Pyruvat-Transaminase [GPT],
γ-Glutamyl-Transferase [GGT], Kreatinin)
Risikofaktoren für gastrointestinale 55Vorsicht bei Vorliegen kardiovaskulärer
Nebenwirkungen [18] Risikofaktoren
55Höheres Lebensalter 55Kenntnis aller Begleitmedikamente
55Schwere Komorbidität 55Aufklärung der Patienten über mögliche
55Ulzera in der Anamnese Nebenwirkungen
55Hohe Dosis von NSAR
55Kombination mehrerer Substanzen aus
Gruppe der NSAR (inklusive Aspirin!)
z Gastrointestinale Toxizität
55Kombination mit Glukokortikoiden
55Gleichzeitige Antikoagulation Im Vordergrund der Nebenwirkungen von NSAR
55Hoher Alkoholkonsum stehen die Auswirkungen auf den Magen-Darm-
55Besiedlung mit Helicobacter pylori Trakt. Neben Dyspepsie oder Refluxbeschwerden
kommt es in einem Zeitraum von einem Jahr in
15–30% zu Ulzera, die häufig asymptomatisch ver-
laufen. Zeichen einer Ulkuskomplikation im Sinne
15.1 Nichtsteroidale Antirheumatika einer Blutung oder Perforation sind selten, aber
(NSAR) bedrohlich (1–4% der Ulkuspatienten). Bei unklarer
Anämie und/oder unklarer abdomineller Beschwer-
Es empfiehlt sich vor NSAR-Einnahme bei Risiko- den ist auch an eine unerwünschte Arzneimittelwir-
patienten die Gabe von Protonenpumpeninhibito- kung distal des Duodenums, entweder am Dünn-
ren (PPI) in Standarddosis. Als Alternative zu einer darm (NSAR-Enteropathie) oder am Dickdarm
PPI-Langzeiteinnahme eignen sich COX-2-selektive (NSAR-Kolonopathie) zu denken [5], [18], [24], [28].
Antirheumatika (Coxibe) anstelle klassischer NSAR.
Die potenziellen Nebenwirkungen von Coxiben z Renale Nebenwirkung
und konventionellen NSAR sind zu bedenken und Durch Hemmung der Prostaglandinsynthese kommt
eine diesbezügliche Risikostrategie ist zu planen es zu einem verminderten renalen Blutfluss und einer
(7 Übersicht). reduzierten glomerulären Filtration. Zu den Risiko-
faktoren für ein NSAR-induziertes Nierenversagen
gehören eine vorbestehende eingeschränkte Nie-
Vermeiden von Nebenwirkungen durch renfunktion, eine zusätzliche Dehydratation oder
NSAR ein Blutverlust, ebenso eine Herzinsuffizienz sowie
55Keine Kombination von NSAR die gleichzeitige Einnahme von Diuretika oder von
55Möglichst nicht gleichzeitig mit Angiotensin-Converting-Enzym(ACE)-Hemmern.
Glukokortikoiden NSAR können auch eine akute intersti-
tielle Nephritis hervorrufen, die meist mit einem
182 Kapitel 15 · Erkennen von und Umgang mit Medikamentenneben­wirkungen

nephrotischen Syndrom einhergeht, häufiger bei z Empfehlungen der European League


älteren Menschen auftritt und ein sofortiges Abset- Against Rheumatism (EULAR) zum Umgang
zen der NSAR erfordert. mit einer systemischen GC-Therapie (2007,
Auszug)
z Kardiovaskuläre Nebenwirkungen 44Die behandelten Patienten müssen entspre-
Coxibe, aber auch konventionelle NSAR können das chend über Wirkungen und Nebenwirkungen
Risiko kardiovaskulärer Ereignisse erhöhen (viel- aufgeklärt werden.
leicht mit Ausnahme von Naproxen). 44Die Dosis richtet sich nach Grundkrankheit,
Nach Beginn einer NSAR-Therapie wird im Krankheitsaktivität und individuellen
Durchschnitt eine milde Blutdruckerhöhung Gegebenheiten.
angegeben. 44Bei Behandlungsbeginn ist auf Begleitkrank-
Selten können auch Nebenwirkungen am zentra- heiten und Risikofaktoren wie arterielle Hyper-
len Nervensystem, an der Leber, an der Haut oder am tonie, Diabetes mellitus, peptische Ulzera,
hämatopoetischen System manifest werden. Glaukom und Katarakt sowie chronische
Der erste therapeutische Schritt bei Auftreten Infekte zu achten; eine Komedikation mit
von Nebenwirkungen ist das Absetzen von NSAR NSAR ist ebenso wie der Einfluss auf die
bzw. wenn notwendig und verträglich das Umstel- Knochendichte zu bedenken.
len auf Analgetika wie Paracetamol oder schwach 44Im Falle einer längeren Behandlung sollten die
wirksame Opioide [13]. GC auf die geringstmögliche Dosis reduziert
werden.
44Während der Behandlung sollten unter
15.2 Glukokortikoide (GC) anderem in Abhängigkeit von Grundkrankheit,
Dosis und Dauer der Behandlung Körper-
GC können eine Reihe von Nebenwirkungen her- gewicht, Blutdruck, Blutfette, das Auftreten
vorrufen, wobei die Häufigkeit und Schwere der peripherer Ödeme, klinische Hinweise einer
Nebenwirkungen von der Höhe der Dosis und der Herzinsuffizienz, Blut- und Harnzucker und
Dauer der Behandlung abhängig ist. In den ersten der Augendruck regelmäßig überprüft werden.
6–12 Monaten nach Behandlungsbeginn ist (dosis- Wenn eine Therapie mit GC über einen
abhängig) mit dem größten Knochenmineralverlust Zeitraum von mehr als 3 Monaten in einer
zu rechnen. Bei Dosen über 10 mg GC täglich ist das Dosis von ≥7,5 mg Prednisolon-Äquivalent pro
Infektionsrisiko deutlich erhöht. GC bewirken eine Tag geplant ist, sollte zusätzlich Kalzium und
Störung des Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechsels Vitamin D substituiert werden.
und führen zu einer Unterdrückung der Nebennie- 44Patienten die gleichzeitig mit NSAR und GC
renrindenfunktion. Daher sollte eine Dosisreduktion behandelt werden, sollten einen adäquaten
15 in langsamen Schritten erfolgen. Patienten mit einer Magenschutz erhalten.
Langzeitmedikation von mehr als 5 mg Prednisolon- 44Patienten, die länger als 1 Monat GC
Äquivalent täglich müssen auch perioperativ ausrei- einnehmen und sich einer Operation unter-
chend substituiert werden. ziehen, sollten perioperativ entsprechend
Zudem werden dermatologische, kardiovasku- substituiert werden.
läre und ophthalmologische Nebenwirkungen beob- 44GC führen in der Schwangerschaft in niedriger
achtet. In mittelhohen Dosen können auch neuro- Dosierung zu keinem zusätzlichen Risiko für
psychiatrische Komplikationen auftreten [1], [2], [3], Mutter und Kind.
[7], [8], [9], [10], [16], [27], [30]. 44Das Wachstum von Kindern sollte unter einer
In einer Metaanalyse wurden Sicherheit und GC-Therapie regelmäßig überprüft werden
Nebenwirkungen einer „Low-dose-GC-Therapie“ bei (GC können zu Wachstumsverzögerungen bei
rheumatoider Arthritis untersucht (. Tab. 15.1) [6]. Kindern führen) [14], [16].
15.2 · Glukokortikoide (GC)
183 15

. Tab. 15.1  Nebenwirkungen einer Low-dose-Glukokortikoid-Therapie bei rheumatoider Arthritis und kritische
Tagesdosis [6]

Nebenwirkungen Kritische Tagesdosis

Osteoporose Keine gesicherte Schwellendosisa


Pathologische Glukosetoleranz >7,5 mg
Kardiovaskuläres System ≥7,5 mgb
Cushing-Syndrom ≥5 mgc
Hautverletzlichkeit ≥5 mgc
Katarakt ≥5 mgd
Glaukom ≥7,5 mg
Infektionen >10 mg
Psychosen 20 mg
Zunahme des Körpergewichts: 3–6 kg innerhalb von 2 Jahren (reversibel)

a Die aktuelle Datenlage zeigt, dass das relative Risiko einer Wirbelkörperfraktur bei 2,5 mg Prednisolon-Äquivalent

täglich um den Faktor 1,55 erhöht ist, bei 5 mg täglich verdoppelt und bei über 7,5 mg täglich verfünffacht ist. Bei der
rheumatoiden Arthritis konnte aber zum Teil belegt werden, dass unter einer Low-dose-GC-Therapie das Risiko einer
Verminderung der Knochendichte gleichwertig oder sogar geringer war, im Vergleich zu Patienten mit rheumatoider
Arthritis ohne GC-Behandlung. Eine mögliche Erklärung ist eine durch GC bedingte, verminderte Entzündungs- bzw.
Krankheitsaktivität und eine damit einhergehend bessere Mobilität der Patienten [10], [12], [19], [27], [29], [30].
b In der Metaanalyse konnten keine signifikanten Effekte auf den Blutdruck bei niedrig dosierter GC-Therapie über

eine Beobachtung von 2 Jahren nachgewiesen werden.


c Bei über 5% der Patienten, die über ein Jahr mit GC ≥5 mg täglich behandelt wurden.
d Risiko auf das 3-Fache erhöht innerhalb von 5 Jahren [6].

Fallbeispiel: 70-jährige Schneiderin mit wurde eingeleitet. Zudem erfolgte wieder eine
akuten Rückenschmerzen Reduktion der Prednisolon-Dosis auf 5 mg per
Die Patientin wurde wegen einer Polymyalgia die. Ein Protonenpumpenhemmer (PPI) wurde
rheumatica mit peroralen GC erfolgreich bei kombinierter NSAR und Prednisolon-Gabe
behandelt. Unter einer laufenden Therapie rezeptiert. Nach einer 3-wöchigen kombinierten
mit 5 mg Prednisolon traten spontan heftige konservativen Schmerztherapie war die Patientin
Schmerzen im Lendenbereich auf. Eine von der wieder (fast) beschwerdefrei und NSAR, Opiate
Patientin selbständig eingeleitete Erhöhung und PPI konnten abgesetzt werden.
der GC-Dosis brachte keine Besserung. Das
in der Folge durchgeführte Röntgenbild der
Wirbelsäule ergab eine Wirbelkörperfraktur des
ersten Lendenwirbels. Es wurde die Diagnose Kommentar
einer manifesten Osteoporose unter GC Vor jeder (geplanten) GC-Therapie mit Dosen
gestellt. ≥7,5 mg über 3 Monate oder länger mit einem
Eine Therapie mit schwachen Opiaten, NSAR Prednisolon-Äquivalent ist eine Messung der
und mit Bisphosphonaten als Langzeitgabe Knochendichte indiziert.
184 Kapitel 15 · Erkennen von und Umgang mit Medikamentenneben­wirkungen

In jedem Fall empfiehlt sich eine Kalzium- und Fallbeispiel: 47-jährige Patientin mit
Vitamin-D-Gabe; bei einem T-Score von <–1,5 Exanthem
ist für die Dauer der Therapie eine Bisphospho- Eine 47-jährige Patientin wird 10 Tage nach
nat-Gabe indiziert. Eine Knochendich- Beginn einer einschleichenden Medikation mit
temessung sollte unter einer Langzeittherapie SSZ wegen eines makulopapulösen Exanthems
mit GC vor und zumindest 12 Monate nach an lichtexponierten Hautstellen einhergehend
Behandlungsbeginn, dann in 1- bis 2-jährlichen mit einem Pruritus dermatologisch vorgestellt.
Intervallen durchgeführt werden. Nach Absetzen und mehrwöchiger peroraler
Bei einer Polymyalgia rheumatica ist mit GC- und Antihistaminika-Gabe, kommt
einer limitierten, aber 1- bis 3-jährigen es zu einer langsamen und vollständigen
niedrig dosierten Prednisolon-Behandlung Rückbildung der Hauterscheinungen.
zu rechnen. Das typischerweise höhere Alter
bei Krankheitsausbruch und die notwendige
GC-Behandlung sind ein Risiko für die
Entwicklung einer Osteoporose. Kommentar
Exanthem und Pruritus sind häufige
Nebenwirkungen, die sich nach Absetzen
der Basistherapie unter einer fallweise
15.3 Basistherapeutika prolongierten GC-Therapie üblicherweise
innerhalb von Wochen wieder rückbilden.
15.3.1 Sulfasalazin (SSZ)

Präparat: Salazopyrin 500 mg Filmtabletten.


Fallbeispiel: 54-jähriger Patient mit
­Leukopenie
Fallbeispiel: 25-jährige Patientin mit Kopf- Ein 54-jähriger Patient wird 3 Wochen
schmerz und Schwindel nach Beginn der Basistherapie mit hohem
Eine 25-jährige Patientin mit rheumatoider Fieber und schwerer Leukopenie stationär
Arthritis klagt 2 Wochen nach Einleitung einer aufgenommen. Eine intensivmedizinische
Basistherapie über Kopfschmerz und leichten Betreuung mit antibiotischer Abschirmung
Schwindel, der sich in den folgenden 2 Wochen war notwendig. Die hämatologischen
nicht bessert. Nach Absetzen von SSZ ist die Nebenwirkungen bildeten sich nach Absetzen
Patientin innerhalb von 2 Tagen beschwerdefrei. vollständig zurück.
15

Kommentar Kommentar
Kopfschmerz, Schwindel und Benommenheit Seltene, aber mögliche Nebenwirkung
sind relativ häufige Nebenwirkungen, einer SSZ-Therapie; tritt meist in den ersten
die üblicherweise in den ersten Behandlungsmonaten auf. Labor- und klinische
Behandlungswochen auftreten und zum Kontrollen in 2-wöchigen Abständen sind in
Therapieabbruch zwingen, dann aber den ersten Behandlungsmonaten notwendig.
innerhalb weniger Tage verschwinden. Ein
Gewöhnungseffekt bzw. ein Sistieren der
z Indikation
Symptome bei Fortsetzung der Therapie ist
meist nicht zu erwarten. Sulfasalazin ist eine Substanz, die als Basisthera-
peutikum zur Behandlung leichterer Formen der
15.3 · Basistherapeutika
185 15
rheumatoiden Arthritis und Psoriasisarthritis ein- 44Hämatologie: Leukopenie, Agranulozytose,
gesetzt werden kann, ebenso bei anderen Erkrankun- Anämie
gen aus dem Formenkreis der Spondyloarthritiden. 44Hepatotoxizität: geringer Anstieg der
Außerdem ist es ein Mittel, das bei der Behand- Leberenzyme
lung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen 44Reversible Oligospermie
Verwendung findet.

z Dosierung und Kontrollen 15.3.2 Methotrexat (MTX)


Die Therapie ist einschleichend, beginnend mit 1
Tablette in der 1. Woche à 500 mg, 2 Tabletten in der Präparat: z. B. Methotrexat Lederle, Ebetrexat, Lantarel.
2. Woche, 3 Tabletten in der 3. Woche und ab der 4.
Woche werden 4 Tabletten Salazopyrin 500 mg pro
Tag verabreicht. Fallbeispiel: 44-jährige Patientin mit
Die Medikation wird üblicherweise gut vertra- hohem Fieber
gen, bedrohliche Nebenwirkungen sind selten. Es Eine 44-jährige Angestellte wurde mit hohem
können aber typischerweise zu Beginn der Behand- Fieber und einer Stomatitis aphtosa stationär
lung Nebenwirkungen auftreten, wie Kopfschmerz eingewiesen. Im Aufnahmelabor zeigte sich
und Schwindel, aber auch dermatologische Neben- eine schwere Panzytopenie, nur 14 Tage nach
wirkungen. Dann allerdings ist die Medikation zu Beginn einer Behandlung mit MTX.
beenden. Die Patientin hatte anstelle von 15 mg pro
Ein Absetzen des Präparats bei Kinderwunsch Woche diese Dosis täglich eingenommen,
oder bereits eingetretener Gravidität ist nicht trotz genauer Aufklärung und schriftlicher
erforderlich. Dokumentation auf der Medikamen-
In den ersten 12 Wochen sind 14-tägige klini- tenpackung! Die Patientin war berufsbedingt
sche und Laborkontrollen notwendig (Blutbild, GPT, den Umgang mit Zahlen gewohnt und als
GGT, Kreatinin, Laktatdehydrogenase [LDH]), bei äußerst korrekt und genau bekannt.
Auftreten von Veränderungen des Blutbilds wie z. B. Es erfolgte eine 2-wöchige intensivmedi-
einer Leukopenie oder bei Leberenzymerhöhungen zinische Überwachung und Behandlung.
ist die Medikation zu beenden. Durch sofortiges Absetzten konnte innerhalb
Nach 12 Wochen sind Kontrollen in 4- bis von wenigen Wochen eine Normalisierung der
6-wöchigen Abständen empfehlenswert; nach Knochenmarkfunktion und eine vollständige
dem ersten Behandlungsjahr in 3-monatigen Restitution erreicht werden.
Abständen. Die Patientin war wenige Monate vor diesem
Mit einem Wirkungseintritt ist nach 6 Wochen Ereignis an einer seropositiven rheumatoiden
zu rechnen. Parallel zu Sulfasalazin können auch Arthritis erkrankt und eine Therapie mit MTX
NSAR und GC eingenommen werden [1], [23], [26]. wurde in Übereinstimmung mit der Patientin
12 Wochen nach Normalisierung des Blutbildes
z Wichtige Nebenwirkungen wieder in einer wöchentlichen Applikation
Nebenwirkungen bei Therapie mit SSZ treten initiiert.
gewöhnlich in den ersten 3 Monaten auf; sind meist Unter einer peroralen wöchentlichen Gabe
reversibel und führen in 10–30% zu Abbrüchen. von 20 mg MTX konnte eine deutliche
44Gastrointestinale Beschwerden und Besserung der Gelenksituation erreicht
Geschmackstörungen werden; die begleitende Medikation mit
44Kopfschmerz, Benommenheit, Schwindel Steroiden wurde abgesetzt, NSAR werden
(häufig!) nur mehr bedarfsweise eingenommen. Die
44Exanthem, Pruritus Patientin ist in 3-monatlicher internistischer
44Erythema exudativum multiforme (selten) Kontrolle.
44Stephen-Johnson-Syndrom (selten)
186 Kapitel 15 · Erkennen von und Umgang mit Medikamentenneben­wirkungen

Die Resorption kann durch gleichzeitige Nah-


Kommentar rungsaufnahme vermindert werden. MTX sollte
Trotz vermeintlich genauer Aufklärung kam nicht gleichzeitig am Morgen mit einem NSAR ein-
es durch die tägliche Einnahme von MTX zu genommen werden. Analgetika wie z. B. Tramadol
einer schweren Knochenmarkdepression oder auch GC können auch am Morgen des Einnah-
und zu dieser lebensbedrohlichen Situation. metages von MTX verwendet werden.
Das Aufklärungsgespräch und die Verständ-
lichkeit des Gesprächsinhaltes („Kommt meine z Kontraindikation
Information beim Gesprächspartner an?“) ist 44Gravidität
stets zu hinterfragen. 44Gebärfähiges Alter, wenn kein wirksamer
Die erste Packung MTX wurde vom Konzeptionsschutz gegeben ist
Rheumatologen, die zweite schon nach 7 44Schwere Leberschäden oder aktive
Tagen beim Hausarzt rezeptiert, was auf Lebererkrankungen
eine mangelhafte Kommunikation zwischen 44Alkoholabusus
den behandelnden Ärzten hinweist. Auf ein 44Eingeschränkte Nierenfunktion (geschätzte
entsprechendes Schnittstellenmanagement glomeruläre Filtrationsrate [eGFR] <40 ml/
muss unbedingt geachtet werden. min)
44Vorbestehende Knochenmarkinsuffizienz
44Vorbestehende schwere Lungenerkrankung
z Wirkmechanismus
44Non-Compliance des Patienten
Der exakte Wirkungsmechanismus von MTX ist 44Allergie
unbekannt. MTX ist ein moderat immunsuppressi- 44Gleichzeitige Gabe von Trimethoprim-Sulfa-
ves und immunmodulierendes Medikament aus der methoxazol und MTX (Cave: Interaktion).
Gruppe der Folsäureantagonisten. Der Wirkungs-
eintritt ist nicht sofort zu erwarten. Der endgültige z Vorsichtsmaßnahmen
Therapieeffekt kann somit erst nach 6–10 Wochen Da die Möglichkeit der Teratogenität (Missbildun-
beurteilt werden. Neben einer immunmodulierenden gen, Keimschädigung) besteht, muss ein Konzep-
Wirkung existiert auch ein antiphlogistischer Effekt. tionsschutz streng beachtet werden. Dies gilt für
Frauen bis 3 Monate nach Ende der Therapie.
z Indikation
44Rheumatoide Arthritis als Monotherapie und
auch in Kombination mit anderen synthe- Methotrexat – Vermeidung von
tischen und biologischen DMARDs (z. B. ­Nebenwirkungen
Salazopyrin, Resochin, Cyclosporin, Biologika) 55Aufklärung des Patienten (inklusive
15 44Psoriasisarthritis schriftliche Information)
44Schwere periphere Arthritis bei 55Konsequente Überwachung
Spondyloarthritiden 55Laborkontrollen: in den ersten 8 Wochen
44Kollagenosen und Vaskulitiden alle 2 Wochen, dann alle 6–8 Wochen, nach
einem Jahr eventuell alle 3 Monate.
z Dosierung 55Folsäuresubstitution 2-mal/Woche
Die Dosis liegt zwischen 7,5–30 mg einmal pro Woche, 55Strenge Kontrazeption bis 3 Monate nach
wobei Dosen unter 10 mg selten ausreichend wirksam Therapie
sind. Die Startdosis liegt zwischen wöchentlich 7,5 mg 55Abzuraten von Alkoholkonsum
und 15 mg. Die Bioverfügbarkeit unterliegt insbeson- 55Kontraindiziert bei eingeschränkter
dere bei oraler Aufnahme ausgeprägten individuellen Nierenfunktion (eGFR <40 ml/min)
Schwankungen. Methotrexat wird einmal wöchentlich
am Morgen oral eingenommen oder subkutan oder int-
ramuskulär appliziert. Bei subkutaner Applikation ist Während der Therapie sollte möglichst kein Alkohol
eine Selbstverabreichung durch den Patienten möglich. getrunken werden.
15.3 · Basistherapeutika
187 15
Es kann eine erhöhte Infektanfälligkeit auftreten. empfehlenswert. Ebenso wird vor Therapie
Bei schweren Infekten sollte die Therapie während ein Hepatitisscreening empfohlen [1], [22],
der Dauer des Infekts pausiert werden. [23], [26].
Impfungen mit Lebendimpfstoffen während und
bis 3 Monate nach der MTX-Therapie dürfen nicht
durchgeführt werden. Fallbeispiel: 64-jährige Patientin mit Atem-
Im Rahmen operativer Eingriffe muss MTX übli- not und Fieber
cherweise nicht pausiert werden. Die Letztentschei- Eine 64-jährige Patientin, die vor 3 Jahren an
dung soll individuell getroffen werden und liegt beim einer rheumatoiden Arthritis erkrankte, klagte
behandelnden Arzt. über akut aufgetretenen Husten, Dyspnoe
und Fieber ähnlich einem schweren grippalen
z Wichtige Nebenwirkungen Infekt. Die Patientin wird seit 2 Jahren mit
44Gastrointestinal: Appetitlosigkeit, Übelkeit MTX und einem Biologikum behandelt und
(häufig) hat die Basistherapie nach Auftreten von
44Stomatitis Fieber selbständig abgesetzt. Bei fehlender
44Haarausfall (reversibel) Besserung trotz Antibiotikagabe wurde sie von
44Leber: Anstieg der Transaminasen ihrem behandelnden Arzt mit Verdacht auf
(gelegentlich). Ein Anstieg der Werte bis zum Pneumonie stationär eingewiesen.
2- bis 3-fachen Normalwert wird in den ersten Bei der Aufnahme präsentierte sich eine
3 Monaten toleriert. schwerkranke Frau mit Atemnot und einer
44Knochenmarkdepression: Leukopenie, Körpertemperatur von 39 Grad. Im Labor
Thrombopenie, Anämie. Häufiger bei einge- fanden sich eine mäßige Leukozytose und
schränkter Nierenfunktion. Dosisreduktion hohe serologische Entzündungsparameter.
oder Absetzen, falls nach Dosisreduktion keine Radiologisch zeigte sich eine symmetrische
Normalisierung. interstitiell-alveoläre Verschattung in den
44Hypersensitive Pneumonitis (selten): akutes Unterfeldern. Die Verdachtsdiagnose einer
Krankheitsbild mit Husten und Dyspnoe; MTX MTX-Pneumonitis wurde gestellt und
muss abgesetzt werden. eine Therapie mit GC (Beginn mit 50 mg
44Exantheme, Juckreiz täglich und sukzessiver Reduktion) wurde
44ZNS: Kopfschmerzen, Sehstörungen, eingeleitet. Die Symptome besserten sich
Schwindel rasch, der Röntgenbefund der Thoraxorgane
44Entwicklung von Rheumaknoten normalisierte sich und die Patientin konnte
nach 16 Tagen in vollständiger Restitution aus
Eine begleitende Folsäuresubstitution mit 5 mg der stationären Behandlung entlassen werden.
2-mal wöchentlich (nicht am Einnahmetag) kann
verschiedene Nebenwirkungen abschwächen oder
verhindern (besonders gastrointestinale und hepa-
tale Nebenwirkungen). Kommentar
Die Pneumonitis ist eine seltene, aber
z Kontrollen folgenschwere Komplikation im Rahmen einer
44Regelmäßige Befragung und klinische Unter- Therapie mit MTX. Risikofaktoren können
suchung (gastrointestinale Nebenwirkungen, eine vorbestehende Lungenerkrankung und
Stomatitis, Fieber und Infekte etc.). höheres Alter sein. Die Behandlung besteht
44Labor: Vor Beginn und in den ersten 2 Monaten vorrangig im Absetzten von Methotrexat; in
14-tägig (Blutbild, Überprüfung der Leber- und schwereren Verläufen ist eine perorale oder
Nierenfunktion). In der Folge Kontrollen etwa parenterale GC-Gabe notwendig. Die meisten
in 4- bis 8-wöchigen Abständen. Patienten erholen sich vollständig, aber letale
44Thoraxröntgen und Lungenfunktion vor Verläufe sind leider möglich.
und während der Therapie einmal jährlich
188 Kapitel 15 · Erkennen von und Umgang mit Medikamentenneben­wirkungen

15.3.3 Leflunomid z Kontraindikationen


44Schwangerschaft, fehlender Empfängnis-
Präparat: Arava. schutz bei gebärfähigen Frauen und Männern.
Frauen, die stillen, dürfen Leflunomid nicht
z Indikation einnehmen.
44Rheumatoide Arthritis 44Leflunomidallergie
44Psoriasisarthritis 44Schwere Infektionen
44Periphere Arthritis bei Spondyloarthritiden 44Schwere Immundefekte
44Myelodysplastisches Syndrom
44Ausgeprägte Leukopenie, Thrombopenie,
z Dosierung schwere Anämie
20 mg täglich (maximal 30 mg), unabhängig von der 44Ausgeprägte Hepatopathie
Nahrungsaufnahme. Eine Loading-Dose (100 mg an 44Mittlere oder schwere Niereninsuffizienz und
den ersten 3 Tagen) wird wegen vermehrter Unver- nephrotisches Syndrom (bei leichter Nieren-
träglichkeiten nicht mehr angewandt. Die Wirkung insuffizienz und im Alter ist keine Dosisre-
tritt nach 4–8 Wochen ein. duktion notwendig)

z Kontrollen Für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre ist Lefluno-


Klinisch-physikalische Untersuchung inkl. Blut- mid nicht zugelassen.
druck vor und während einer Behandlung, Aus-
schluss einer Schwangerschaft vor Beginn. Es wurden z Wichtige Nebenwirkungen
pulmonale Nebenwirkungen (Pneumonitis) beob- 44Diarrhö, Dyspepsie, Mundulzera (häufig)
achtet, ein Ausschluss pulmonaler Veränderung vor 44Erhöhte Leberwerte (häufig)
Therapiebeginn ist notwendig. 44Cephalea und Schwindel
44Leichte Hypertonie
z z Laborkontrollen 44Verstärkter Haarausfall, Ekzeme
Blutbild, GPT, GGT, alkalische Phosphatase (AP), 44Leukopenie
Kreatinin vor der Behandlung und alle 2 Wochen in 44Interstitielle Lungenerkrankung (selten)
den ersten 6 Monaten, dann alle 4–8 Wochen (The- 44Schwere Infektionen (selten)
rapierichtlinie der Deutschen Gesellschaft für Rheu- 44Stevens-Johnson-Syndrom (selten)
matologie, DGrH). 44Schwere Leberschäden (selten)
Bei persistierender Erhöhung der Aspartatami-
notransferase (AST; Serum-Glutamat-Oxalacetat- Es besteht eine mögliche additive Hepatotoxizität
Transaminase, SGOT) oder Alaninaminotransfe- durch gleichzeitige Gabe von MTX. Leflunomid und
15 rase (ALT; Serum-Glutamat-Pyruvat-Transaminase, seine Metaboliten hemmen hepatales Cytochrom
SGPT) über das Dreifache des oberen Normbereichs P450. Bei Einnahme von Medikamenten, die über
muss Leflunomid abgesetzt werden. den gleichen Weg metabolisiert werden, kann eine
Bei Kinderwunsch kann (in speziellen Fällen) Erhöhung des Wirkspiegels von Leflunomid auftre-
der Plasmaspiegel (durch den Hersteller) gemes- ten. Andererseits kann z. B. die Wirkung von Phen-
sen werden, nachdem eine Elimination des Medi- procoumon (Marcoumar) deutlich erhöht werden.
kamentes mit Cholestyramin durchgeführt wurde Cave: Das Präparat bzw. sein Hauptmetabolit hat
(siehe unten). eine Eliminationshalbwertzeit von etwa 2 Wochen,
Bei persistierender Leukopenie unter 3000 μl die Verweildauer des aktiven Metaboliten kann
und Thrombopenie unter 100.000 μl muss Lefluno- mit relevantem Spiegel (d. h. über dem Grenzwert
mid abgesetzt werden, ebenso bei persistierenden 0,02 mg/l, welcher z. B. für Schwangerschaften gilt)
Unverträglichkeitsreaktionen im Bereich der Haut bis zu 2 Jahre betragen. Die Substanz soll daher bei
oder des Darms. schweren Nebenwirkungen oder im Falle einer nach
15.3 · Basistherapeutika
189 15
dem Absetzen von Leflunomid geplanten Schwan- Vor Therapiebeginn ist neben einer klinisch-
gerschaft mit Cholestyramin oder Aktivkohle aus physikalischen und laborchemischen Untersu-
dem Körper eliminiert werden. Dazu werden 3-mal chung unbedingt ein kompletter Augenbefund
täglich 8 g Cholestyramin oder 4-mal täglich 50 g notwendig!
Aktivkohlepulver durch insgesamt 11 Tage empfoh-
len [1], [17], [23]. z Kontrollen
In den ersten 3 Monaten alle 2 Wochen:
44Befragung zu Sehstörung und Muskelschwäche
Fallbeispiel: 44-jährige Patientin mit und klinische Untersuchung
erhöhten Leberwerten 44Blutbild eventuell mit Kreatinkinase
Eine 44-jährige Patientin mit einer
rheumatoiden Arthritis wurde nach MTX- Dann klinische und Laborkontrollen alle 2 Monate:
Unverträglichkeit und Ausschluss von Kontrain- 44Blutbild, GPT, GGT, Kreatinin
dikationen mit täglich 20 mg Leflunomid 44Routinemäßig halbjährlicher Augenbefund
behandelt und zeigte (typischerweise) bereits
nach 4 Wochen ein gutes Ansprechen mit einer Grundsätzlich können Antimalariamittel als sehr
deutlichen Besserung der Gelenkschmerzen gut verträgliche Basistherapeutika gesehen werden.
und einer Verminderung der Zahl der Das Toxizitätsrisiko ist gering. Als einzige Neben-
geschwollenen Gelenke. wirkung ist die Retinopathie irreversibel, aber bei
Nach 2 Wochen fiel allerdings eine leichte exakter Überwachung und korrekter Dosierung
Erhöhung der Transaminasen auf das 2-Fache äußerst selten. Akkomodationsstörungen, vor allem
der Norm auf, nach 4 Wochen wurde ein zu Beginn (Cave: Teilnahme am Straßenverkehr),
GPT >400 U/l gemessen und die Therapie und geringe Korneaeinlagerungen sind harmlos
musste beendet werden. Ein Absetzen und oft passager und zwingen üblicherweise nicht
führte innerhalb weniger Wochen zu einer zum Absetzen.
Normalisierung der erhöhten Leberwerte.
z Kontraindikationen
44Schwere Leber- und Nierenfunktionsstörungen
44Retino- und Makulopathien
15.3.4 Antimalariamittel 44Myasthenia gravis
44Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel
Chloroquin (Resochin) und Hydroxychloroquin 44Knochenmarkdepression
(Quensyl).
Relative Kontraindikation (nur unter strenger
z Indikation Indikationsstellung):
44Rheumatoide Arthritis (nur in leichteren Fällen 44Eingeschränkte Leber- und Nierenfunktion
als Monotherapie möglich, meist in Kombi- 44Erhöhte Vorsicht bei Psoriasis vulgaris
nation mit anderen Basistherapeutika) 44Anfallsleiden
44Systemischer Lupus erythematodes (Haut- und
Gelenkbefall)
z Wichtige Nebenwirkungen
z Dosierung
Resochin 1-mal 250 mg oder Quensyl 1- bis 2-mal z z Augen
200 mg täglich als Langzeittherapie. Bei guter Ver- 44Akkomodationsstörungen in der Frühphase,
träglichkeit (Augen!) durchgehende Behandlung Flimmern (reversibel)
über 3 Jahre und länger möglich. Der Wirkungsein- 44Korneaeinlagerungen (reversibel)
tritt erfolgt meist nach ca. 3 Monaten. 44Retinopathie (sehr selten, aber irreversibel)
190 Kapitel 15 · Erkennen von und Umgang mit Medikamentenneben­wirkungen

z z Blutbild 15.3.7 Azathioprin (AZA)


44Leukopenie, Thrombopenie, Anämie (sehr selten)
Präparat: z. B. Imurek, Immunoprin, Azafalk, Zytrim.
z z Gastrointestinaltrakt
44Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö (in der z Indikation
Frühphase häufig) 44Systemischer Lupus erythematodes (SLE)
44Vaskulitiden
z z Haut 44Reservemittel bei rheumatoider Arthritis (sehr
44Exanthem, Photosensibilisierung, selten)
Haardepigmentierung 44Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
44Neuromyopathie, myasthenisches Syndrom
44Leberschäden z Dosierung
44Kopfschmerzen, Schwindel, Schlaflosigkeit, Die Behandlung erfolgt als kontinuierliche Dauer-
Unruhe therapie mit 1,25–2,0 mg/kg Körpergewicht täglich
oral. Maximal sind kurzfristig unter Überwachung
Antimalariamittel sollen nicht gleichzeitig mit MAO- Dosen bis 3 mg/kg Körpergewicht und Tag möglich.
Hemmstoffen gegeben werden, sie erhöhen die Plas- Der Therapiebeginn erfolgt mit 50 mg täglich und
makonzentration von Digoxin und verstärken die kann bei guter Verträglichkeit auf 100–150 mg
Wirkung von Methotrexat. täglich gesteigert werden.
Die Therapie sollte bei Auftreten von Hornhaut- Bei einer eingeschränkten Nierenfunktion (ab
einlagerungen zumindest für 3 Monate pausiert einer Kreatininclearance <20 ml/min) beträgt die
werden. Ein neuerlicher Beginn ist möglich, wenn Höchstdosis 1,5 mg pro kg Körpergewicht. Mit einem
keine Ablagerungen mehr nachweisbar sind. Bei Wirkungseintritt ist nach 3–4 Monaten zu rechnen.
Hinweis für eine beginnende Retinopathie (Farbse-
hen, Sehschärfe) ist das Präparat sofort auf Dauer z Kontraindikationen
abzusetzen. Abbruch der Behandlung auch bei aus- 44Schwere Leber-, Nieren und
geprägten Hautveränderungen und/oder Magen- Knochenmarkschäden
Darm-Beschwerden sowie bei Anzeichen einer 44Infektionskrankheiten
Myopathie bzw. Neuromyopathie und bei Blutbild- 44Gravidität und Laktation
veränderungen [1], [17], [23]. 44Allergie
44Kongenitaler Thiopurinmethyltransferase-
mangel (TPMT)
15.3.5 Goldpräparate

15 Diese werden zur Behandlung von entzündlich- Fallbeispiel: Junge Sportlerin mit SLE
rheumatischen Erkrankungen heute nur mehr sehr Eine 25-jährige Sportlehrerin mit
selten verwendet und werden nur der Vollständig- gelenkbetontem SLE wurde bei Polysynovitis
keit halber erwähnt. und unzureichender Wirkung von Resochin auf
Bei Goldpräparaten kommt es in 30–50% zu AZA umgestellt.
Nebenwirkungen. Die häufigsten sind: Proteinu- Bereits nach einer Therapiewoche trat
rie, Blutbildveränderungen, Diarrhö, Hepatopathie, eine deutliche Leukopenie (<1500 μl) auf.
Exanthem und Photosensibilität. Trotz sofortigen Absetzens der Medikation
zeigte sich nach weiteren 3 Tagen im
Blutbild eine Agranulozytose mit Anämie
15.3.6 Ciclosporin (Cyclosporin A) und Thrombopenie. Der Verlauf war sehr
dramatisch und mit einer mehrwöchigen
Die häufigsten Nebenwirkungen von Ciclosporin intensivmedizinischen Abschirmung und
sind: Störung der Nierenfunktion, Hypertonie, gas- Betreuung verbunden.
trointestinale Beschwerden und Gingivahyperplasie.
15.4 · Biologika
191 15
15.3.8 Apremilast
Die Knochenmarkdepression erholte sich
schließlich und es erfolgte nach Wochen eine Präparat: Otezla.
vollständige Restitution. Otezla ist seit Kurzem zur Behandlung der Pso-
riasis und Psoriasisarthitis zugelassen. Das Medika-
ment hemmt intrazellulär Phosphdiesterase 4 und
wird oral verabreicht. Entsprechend der Fachinfor-
Kommentar mation und der Zulassungsstudien treten sehr häufig
Die myelosuppressiven Wirkungen von AZA Durchfälle und Übelkeit auf, vor allem in den ersten
können bereits nach 2 Tagen mit einem Behandlungswochen, und bessern sich innerhalb
Maximum nach 6–10 Tagen auftreten. Als von 4 Wochen. Weitere häufig berichtete Nebenwir-
Risikofaktoren werden eine homozygote (ca. kungen sind Infekte der oberen Atemwege und Kopf-
0,3%) oder heterozygote (ca. 13%) Defizienz schmerzen [9]. In der aktuellen Gebrauchsinforma-
an dem Enzym Thiopurinmethyltransferase tion für Patienten wird über gelegentliche Fälle von
beschrieben. Bei diesem dramatischen Fall lag Selbstmordgedanken und -verhalten (einschließlich
ein homozygoter Enzymmangel vor. Selbstmord) berichtet [4]!

z Kontrollen 15.4 Biologika


Befragung und klinische Untersuchung: nach
Fieber, Infekten, gastrointestinalen Symptomen und Die Einführung von Biologika in der Behandlung
Exanthem. von Autoimmunerkrankungen hat in den letzten
Labor: Blutbild, GPT, GGT, Kreatinin in den 15 Jahren das therapeutische Spektrum entschei-
ersten 4 Wochen wöchentlich, dann alle 2 Wochen, dend verändert und den Verlauf der Erkrankung
nach 3 Monaten alle 6–8 Wochen. In den ersten 6 und die Lebensqualität vieler Patienten deutlich ver-
Wochen sollte zusätzlich nach 2, 4 und 6 Wochen die bessert. Durch die gezielte Blockade von Zytokinen
Pankreaslipase bestimmt werden. oder deren Funktion ist es gelungen, sehr gezielt in
den Kreislauf der (Gelenk-)Entzündung einzugrei-
z Wichtige Nebenwirkungen fen. Trotz der guten Wirkung und verständlichen
Diese treten in 10–15% auf, sind gut dokumentiert Euphorie sind Kontraindikationen, Nebenwirkun-
und entweder allergisch oder dosisabhängig. gen und nicht auszuschließende Langzeitfolgen zu
44Leukopenie (häufig) bedenken [15].
44Anämie Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die
44Thrombopenie Biologika gemeinsam behandelt, soweit aber not-
44Panzytopenie (selten) wendig, auf unterschiedliche arzneimittelspezifische
Aspekte eingegangen (siehe auch 7 Abschn. 14.5).
Cave: Das Enzym Thiopurinmethyltransferase spielt
bei der Metabolisierung der Thiopurine eine ent- z Indikation in der Rheumatologie [9]
scheidende Rolle. Bei Leukozyten <3000 μl ist die 44Rheumatoide Arthritis (TNF-α-Blocker,
Behandlung zu unterbrechen. Abatacept, Rituximab, Tocilizumab,
44Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö (häufig) Anakinra)
44Infektionen 44Psoriasisarthritis (TNF-α-Blocker, Usteki-
44Hepatopathie numab, Secukinumab)
44Pankreatitis (vor allem in den ersten 4 Wochen) 44Ankylosierende Spondylitis (TNF-α-Blocker,
Secukinumab)
Cave: Bei gleichzeitiger Gabe von Allopurinol muss 44Idiopathische juvenile Arthritis (JIA)
die Dosis von AZA auf 25% der üblichen Menge (Etanercept, Abatacept und Adalimumab,
reduziert werden ( 7 Abschn. „Dosierung“) [1], Tocilizumab)
[29], [31]. 44Systemische JIA: (Tocilizumab, Canakinumab)
192 Kapitel 15 · Erkennen von und Umgang mit Medikamentenneben­wirkungen

44Still-Syndrom des Erwachsenen Behandlung: Infusionsstop, Antihistaminika,


(Canakinumab) eventuell Prednisolon-Gabe. Wenn keine schwere
44Arthritis urica (Canakinumab) Reaktion: Fortsetzung mit verlangsamter Infu-
44Systemischer Lupus erythematodes sionsgeschwindigkeit; ansonsten Beenden der
(Belimumab) Infusion.
Serumkrankheit: 3–12 Tage nach Infusion bei
z Kontrollen 1–2% mit Fieber, Dysphagie, Myalgie, Urtikaria. Auto-
44Klinisch und radiologischer Status (z. B. mit antikörperbildung (ANA) und Lupus-like-Syndrom.
DAS-28, Röntgen der Hände und Vorfüße)
44Labor (Blutsenkungsgeschwindigkeit, C-­rea- z z Bei subkutaner Applikation
ktives Protein [CRP], großes Blutbild, GPT, Reaktion an der Injektionsstelle mit Juckreiz und
GGT, Kreatinin) Rötung.
44Tuberkulose-Screening (vor Beginn)
44Hepatitis-Screening (vor Beginn) z z Wichtige Nebenwirkungen durch Störung
44ANA (vor Beginn) der immunologischen Homöostase
44Reaktivierung einer Tuberkulose
Gefahr der Reaktivierung einer Tuberkulose: Vor 44Infekthäufigkeit erhöht (durch Grundkrankheit
Beginn Quantiferontest und/oder Mendel-Mantoux- und zusätzlich Biologika)
Hauttest (wenn ein Quantiferontest nicht möglich 44Vermehrt opportunistische Infekte
ist) und Lungenröntgen. Ablesen des Hauttests nach 44Malignome fraglich?
48–72 Stunden. Induration ≥5 mm: Test ist positiv. 44Verschlechterung einer Herzinsuffizienz
Die Laborparameter sollten in den ersten 3 44Kopfschmerz, Schwindel
Monaten monatlich, dann alle 3 Monate überprüft 44Gastrointestinale Beschwerden [1], [11],
werden. Parameter der Krankheitsaktivität sollten [20], [21]
alle 3 Monate, radiologische Befunde einmal jähr-
lich bestimmt werden. z Zusätzliche Hinweise und
arzneimittelspezifische Besonderheiten
z Kontraindikation einzelner Biologika
44Akute und chronische (bakterielle, virale und
andere) Infekte z z Rituximab (MabThera)
44Aktive Tuberkulose (bei latenter Tbc oder 44Führt zu einer nahezu kompletten Depletion
Tbc in der Anamnese nur nach geeigneter der CD20+-B-Zellen für 6–9 Monate.
Tbc-Prophylaxe nach den aktuellen nationalen 44Milde Immunreaktionen sind typisch bei erster
Richtlinien) Infusion. Eine Prämedikation von 100 mg
15 44Manifeste Malignome oder in Anamnese Prednisolon reduziert die Nebenwirkungen.
44Demyelinisierende Erkrankungen Die 2. Infusion wird in der Regel besser
44Manifeste kardiale Dekompensation (NYHA >II) vertragen.
44Allergie gegen eine der Substanzen 44Leichte Zunahme an schweren Infekten.
44Schwangerschaft, Stillen oder Kinderwunsch 44Späte Neutropenien (bis zu einem Jahr nach der
(fehlende Datenlage, nicht für alle Biologika Gabe);
gleichsam gültig; 7 Kap. 21) 44Keine Reaktivierung einer Tuberkulose, keine
vermehrten Lymphome, aber
z Wichtige Nebenwirkungen Hinweis auf reaktivierte Hepatitis B, C und
HIV [25].
z z Infusionsreaktionen
Während oder 1–2 Stunden nach Infusion: Kopf- z z Tocilizumab (RoActemra)
schmerz, Schwindel, Fieber, Thoraxschmerz, Husten, Es wird eine Erhöhung der Lipidwerte beobachtet
Dyspnoe. Mögliche Ursache: Auftreten von ATI und vor allem zu Beginn ist ein Anstieg der Trans-
(„antibodies to infliximab“). aminasen möglich.
15.4 · Biologika
193 15
Cave: Ein negatives CRP schließt eine Infektion
nicht aus [11], [23], [26]! sogleich an der orthopädischen Abteilung
vorgestellt. Bei der Gelenkpunktion entleerte
z z Ustekinumab (Stelara) sich eitrige Flüssigkeit. In der Bakterienkultur
In den Zulassungsstudien wird über häufige Infektio- konnte Staphylococcus aureus nachgewiesen
nen der oberen Atemwege, Pilzinfektionen, Schwin- werden.
del und Diarrhö berichtet [8]. Es erfolgte eine Synovektomie im rechten
Handgelenk und natürlich eine parenterale
z z Secukinumab (Cosentyx) und lokale Antibiotikagabe. Im Zuge des
In den Zulassungsstudien wird über häufige Infek- operativen Vorgehens zeigten sich sowohl
tionen der oberen Atemwege, oralen Herpes und die Strecksehnen als auch das proximale und
Diarrhö berichtet [8]. das distale Handgelenk putrid synovitisch
verändert. Ein exaktes Debridement konnte
durchgeführt werden.
In der postoperativen Phase konnte schließlich
Fallbeispiel: 73-jährige Patientin mit aku- unter Ruhigstellung und parenteraler
ter, fieberhafter Arthritis des Handgelenks Antibiotikatherapie eine Stabilisierung und ein
Eine 73-jährige Patientin erkrankte vor 7 Rückgang der klinischen und serologischen
Jahren an einer rheumatoiden Arthritis. Entzündungswerte erreicht werden. Nach
Es wurde zunächst erfolgreich mit MTX 3-wöchiger stationärer Pflege konnte die
behandelt, zweimal mussten in einer Patientin nach Hause entlassen werden. Eine
Schubsituation zeitlich limitiert GC in höherer neuerliche Behandlung mit einem Biologikum
Dosis verabreicht werden. Ein gänzliches wurde aufgrund der schwerwiegenden
Absetzen der GC gelang nicht und eine niedrig Infektion nicht initiiert.
dosierte GC-Therapie mit 5 mg Prednisolon pro
Tag war zur Aufrechterhaltung der Mobilität
notwendig.
Aufgrund einer Verschlechterung der
Gelenksituation wurde in weiterer Folge Kommentar
eine Kombinationstherapie mit Sulfasalazin Unter einer Therapie mit Biologika kommt
begonnen, wodurch aber keine Besserung es häufiger zu Infektionen, vor allem zu
der Beschwerdesymptomatik erreicht Infekten der oberen Atemwege, zu einer
werden konnte. Schließlich wurde nach Zystitis oder zu Hautinfektionen. Gelegentlich
entsprechender Voruntersuchung (Ausschluss kann es unter Anwendung von Biologika
einer Tbc) eine Basistherapie mit TNF-α- auch zu schweren Infektionen einschließlich
Inhibitoren eingeleitet. Dadurch kam es zu einer Pneumonie, eines Erysipels oder wie
einer raschen und deutlichen Besserung der in diesem Fall einer septischen Arthritis
Polysynovitis und naturgemäß der Mobilität. kommen.
Der Disease Activity Score (DAS-28) konnte Es ist wichtig, die Patienten dahingehend
innerhalb von 3 Monaten von 6,89 auf 3,73 aufzuklären, dass sie bei Auftreten von
reduziert werden. Infekten, in jedem Fall bei fieberhaften
Einige Monate später musste die Patientin mit Temperaturen unmittelbar mit dem
einem akut schmerzhaften, überwärmten und behandelnden Arzt Kontakt aufnehmen und
geschwollenen Handgelenk einhergehend die Basismedikation bzw. die Behandlung
mit septischen Temperaturen und mit Biologika unterbrechen sollten. Eine
ausgeprägtem Krankheitsgefühl stationär begleitende Therapie mit MTX und GC
aufgenommen werden. Mit dem Verdacht erhöht naturgemäß die Gefahr einer
einer infektiösen Arthritis wurde die Patientin Infektion.
194 Kapitel 15 · Erkennen von und Umgang mit Medikamentenneben­wirkungen

Fallbeispiel: 48-jähriger Patient mit Psoria- Medikation unter engmaschiger Observanz


sisarthritis verabreicht. Serologisch konnte eine
Bei einem 48-jährigen Monteur ist seit 6 Jahren Zytomegalievirusinfektion diagnostiziert
eine Psoriasis mit Nagelbeteiligung und seit 2 werden.
Jahren eine Arthritis bekannt. Aufgrund eines Im Laufe von Wochen kam es zu einer
polyartikulären Gelenkbefalls, einer Daktylitis Normalisierung der pathologischen Leberfunk-
beider Daumen und einer ausgeprägten tionsparameter. Der TNF-α-Blocker musste
Psoriasis wurde bei dem Patienten im Rahmen für 3 Monate pausiert werden, wodurch es zu
eines stationären Aufenthaltes eine Therapie einer deutlichen Verschlechterung der Arthritis
mit einem TNF-α-Blocker initiiert. Bereits seit 2 kam.
Jahren wurde unter regelmäßigen Kontrollen Es wurde neuerlich die Biologika-Gabe
einmal wöchentlich 20 mg MTX verabreicht. etabliert und die Gelenkbeschwerden
Der TNF-α-Blocker musste nach 6 Monaten besserten sich wiederum.
bei zunächst gutem Ansprechen wegen
einer Unverträglichkeitsreaktion (Flush und
Dyspnoe) während der Infusion abgesetzt
werden. Nach Unterbrechung der Applikation Kommentar
trat rasch Beschwerdefreiheit ein. Klassische Basismedikamente und Biologika
Eine Behandlung mit einem alternativen sind notwendige und in vielen Fällen für die
TNF-α-Inhibitor wurde etabliert, führte aber zu Patienten sehr hilfreiche Medikamente, obwohl
keiner Besserung der Gelenksymptomatik und diese Substanzen nicht bei allen Patienten
wurde nach 3 Monaten wieder beendet. wirksam sind.
Schließlich musste auch MTX nach 2 weiteren Auf Nebenwirkungen einer medikamentösen
Monaten wegen eines signifikanten Anstiegs Behandlung und das häufigere Auftreten von
der Transaminasen (GPT 155 U/l, GOT 120 U/l) Infekten ist stets zu achten.
abgesetzt werden. Nach Absetzen zeigten die Eine gute Zusammenarbeit mit dem Patienten,
Leberwerte eine Rückbildung. eine umfangreiche Aufklärung und eine
Die Gelenksituation des Patienten konsequente Überwachung aller Patienten
verschlechterte sich zusehends, es zeigte sich unter Basismedikamenten sind notwendig, um
ein polysynovitischer Befall großer und kleiner Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen und
Gelenke. Insbesondere die Beteiligung beider entsprechend zu handeln.
Daumen behinderte den Patienten sehr.
In der Folge wurde eine neuerliche Therapie
15 mit einem dritten TNF-α-Inhibitor eingeleitet.
Dadurch trat erfreulicherweise rasch eine Fallbeispiel: 64-jährige Patientin mit rheu-
Besserung ein; es zeigten sich nach 3 Monaten matoider Arthritis und hoher Krankheits-
nur 2 Fingergelenke geschwollen. Auch die aktivität
Schuppenflechte besserte sich. Eine 64-jährige Patientin, die vor 3 Jahren an
Unter laufender Therapie und entsprechenden einer rheumatoiden Arthritis erkrankte, wurde
Kontrollen kam es in weiterer Folge zum mit 25 mg MTX 1-mal pro Woche und 10 mg
Auftreten eines fieberhaften Zustandsbildes Prednisolon pro Tag behandelt.
mit Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Aufgrund einer fehlenden Stabilisierung
deutlichem Anstieg der Transaminasen (GPT der Gelenksymptomatik (DAS-28 5,5)
270 U/l). wurde 1 Jahr nach Krankheitsbeginn eine
Die Behandlung mit Biologika wurde Therapie mit TNF-α-Inhibitoren in Form
unterbrochen und eine milde antiphlogistische wöchentlicher subkutaner Injektionen
15.4 · Biologika
195 15

eingeleitet. Es kam zu einer deutlichen Die Patientin wurde nun mit einem
Besserung der Gesamtsituation, die synovitisch alternativen Biologikum behandelt, dieses
geschwollenen Gelenke bildeten sich rasch musste aber nach 3 Monaten wegen eines
zurück und die Patientin war in ihrer Mobilität unzureichenden Ansprechens wieder
deutlich gebessert. abgesetzt werden. Wegen des polysyno-
In den folgenden Monaten zeigte sich eine vitischen und schubhaften Verlaufs mit
langfristige Stabilisierung (DAS-28 2,6–3,2). hohen klinischen und serologischen
Zwei Jahre später musste die Patientin mit Entzündungszeichen wurde nach
Atemnot und hochfieberhaftem Zustandsbild entsprechender Aufklärung eine Medikation
stationär aufgenommen werden; es wurde mit Rituximab eingeleitet; in Form von 2
natürlich die TNF-α- und die MTX-Medikation Infusionen im Abstand von 2 Wochen.
sofort pausiert. Aufgrund des klinischen und Die Patientin sprach gut auf die Behandlung
radiologischen Bildes einer MTX-Pneumonitis an und berichtete erfreulicherweise über eine
(siehe Fallbeispiel 7 Abschn. 15.3.2) wurde Besserung der Gelenkschmerzen. Bei einer
sie mit GC in hoher Dosis behandelt und mit Kontrolle 12 Wochen nach der 2. Infusion
Antibiotika abgeschirmt. zeigte sich alleine das linke Handgelenk
Die respiratorische Situation besserte sich geschwollen und druckschmerzhaft (DAS-28
erfreulicherweise rasch und die Patientin 2,75).
konnte nach vollständiger Restitution Zusätzlich nimmt sie täglich 5 mg
innerhalb von 2 Wochen wieder aus der Prednisolon, ein Kalzium- und Vitamin-D-
Spitalspflege entlassen werden. Kombinationspräparat und 1-mal wöchentlich
In weiterer Folge kam es naturgemäß aufgrund Bisphosphonate.
des Aussetzens der Basismedikation zu einer
raschen Verschlechterung der Arthritis. Eine
neuerliche Behandlung mit MTX war natürlich
kontraindiziert. Kommentar
Unter alleiniger Gabe von TNF-α-In- Bei der 64-jährigen Patientin liegt eine
hibitoren kam es nur zu einem moderaten fortschreitende rheumatoide Arthritis
Ansprechen. Es wurde eine zusätzliche mit hoher Krankheitsaktivität vor. Die
Basismedikation mit Leflunomid eingeleitet; Patientin musste wegen einer sehr
dieses Basismedikament musste aber wegen seltenen, aber bedrohlichen Nebenwirkung
Pruritus und erhöhter Blutdruckwerte alsbald (MTX-Pneumonitis) MTX beenden.
abgesetzt werden. Eine alleinige TNF-Blocker-Medikation
Nach einigen Monaten fiel bei der ohne MTX zeigte nur ein moderates
Patientin eine distal betonte und proximal klinisches Ansprechen, wie das häufig und
aufsteigende, palpable Purpura auf. Es fand typischerweise beobachtet wird. Wegen einer
sich ein Nebeneinander von frisch geröteten leukozytoklastischen Vaskulitis als seltene,
Herden bis zu abheilenden, livid bräunlichen aber beschriebene Nebenwirkung musste
Effloreszenzen. Sie berichtete über einen der TNF-Blocker in weiterer Folge abgesetzt
Juckreiz, ansonsten machten die Läsionen keine werden.
Beschwerden. Die histologische Aufarbeitung Jeder Patient, der mit einer konventionellen
ergab die Diagnose einer leukozytoklastischen Basistherapie oder einem Biologikum
Vaskulitis; als Auslöser wurde der TNF-α-Blocker behandelt wird, muss engmaschig
diskutiert bzw. angenommen. Das Biologikum überwacht werden. Er ist über Wirkung und
wurde abgesetzt und die Vaskulitis bildete sich Nebenwirkungen aufzuklären; auch an seltene,
vollständig zurück. aber mögliche Komplikationen ist zu denken!
196 Kapitel 15 · Erkennen von und Umgang mit Medikamentenneben­wirkungen

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Ernährungstherapie
entzündlich-rheumatischer
Erkrankungen
Rudolf Puchner

Literatur – 201

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_16
200 Kapitel 16 · Ernährungstherapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

Das Ziel der Ernährungstherapie ist die Einschrän- Zu Beginn der Supplementierung wird eine tägli-
kung der Entzündung im Sinne einer verminderten che Menge von 900 mg EPA, nach 3 Monaten von ca.
Zufuhr von entzündungsfördernden und einer ver- 300 mg EPA täglich empfohlen. In der Literatur wird
mehrten Aufnahme von entzündungshemmenden über eine signifikante Verminderung der schmerz-
Nährstoffen. haften Gelenke und der Morgensteifigkeit nach 3
Monaten berichtet. Es gibt aber derzeit noch keine
z Eikosanoide und Arachidonsäure einheitlichen Empfehlungen bezüglich der Auf-
Bereits in alten Lehrbüchern der inneren Medizin nahme von Omega-3-Fettsäuren [3], [7], [8].
finden sich Aufzeichnungen, dass durch eine vege- Die Bildung der entzündungsfördernden Eikosa-
tarische Kost der Verlauf entzündlich-rheumatischer noide aus Arachidonsäure ist ein oxidativer Prozess,
Erkrankungen positiv beeinflusst werden kann. Die bei dem Sauerstoffradikale in die Arachidonsäure
Ursache war lange Zeit unbekannt. Die Entdeckung eingebaut werden. Vitamin E als lipidlösliches Anti-
der die Entzündung fördernden Eikosanoide und oxidans kann die Oxidation verhindern.
deren Biosynthese aus Arachidonsäure brachte eine Skandinavische Untersuchungen berichten über
Erklärung. Die proinflammatorischen Eikosanoide den (zumindest kurzfristigen) positiven Einfluss
umfassen verschiedene Substanzen wie Prostagland- einer sogenannten kretischen mediterranen Diät
ine, Thromboxan und Leukotriene. bei Patienten mit rheumatoider Arthritis. Die tra-
Zur Biosynthese der Arachidonsäure sind alle ditionelle kretische mediterrane Diät ist charakteri-
Säugetiere und damit auch der Mensch befähigt. Die siert durch erhöhten Konsum von Obst, Gemüse und
körpereigene Arachidonsäurebildung wird bedarfs- Fisch im Vergleich zur mitteleuropäischen Kost. Fett
gemäß reguliert. Im Gegensatz dazu wird die mit wird hauptsächlich in Form von Olivenöl zugeführt.
tierischen Nahrungsmitteln zugeführte Arachi- Eine moderate Besserung der Gelenkbeschwer-
donsäure in den Zellen angereichert und steht zur den trat in einer schwedischen Untersuchung nach 3
Bildung entzündungsfördernder Eikosanoide zur Monaten auf [5], [9]. Der Fisch, der in Griechenland
Verfügung. konsumiert wird, enthält weniger Omega-3-Fettsäu-
ren als die Kaltwasserfische der nördlichen Hemi-
z Entzündungshemmer sphäre. Man glaubt zu wissen, dass bei der mediter-
Fischölsäuren haben sich vom ernährungstherapeu- ranen Küche vornehmlich der Konsum von Olivenöl
tischen Standpunkt als die potentesten Hemmstoffe und gekochtem Gemüse als Schutzfaktor anzusehen
der Entzündung erwiesen. Fette Meeresfische sind ist. Olivenöl ist reich an Ölsäuren, die zu Eikosapen-
die wichtigsten Quellen von Omega-3-Fettsäuren. taensäure metabolisiert werden, die eine ähnliche
Ein wichtiger Vertreter dieser Fettsäuren ist die Eiko- antientzündliche Wirkung wie Omega-3-Fettsäu-
sapentaensäure (EPA), die in fetten Seefischen wie ren von Fischölen haben und zusätzlich ebenso wie
Hering, Makrele, Lachs und Thunfisch vorkommt. Gemüse antioxidative Eigenschaften besitzen.
Die EPA wirkt unter anderem entzündungshem-
mend und ist der Gegenspieler der entzündungsför- z Allgemeine Ernährungsempfehlungen bei
16 dernden Arachidonsäure. entzündlichen Gelenkerkrankungen
Sie verdrängen die Arachidonsäure aus den 44Langsamer Abbau von Übergewicht
immunkompetenten Zellen und verhindern durch 44Täglich Vollkornprodukte, Obst und Gemüse
kompetitive Hemmung der Zyklooxygenase und 44Täglich ½ Liter Milch und Milchprodukte mit
Lipoxygenase die Umwandlung der Arachidonsäure reduziertem Fettgehalt
zu proinflammatorischen Eikosanoiden [1], [2], [3]. 442-mal pro Woche eine Fischmahlzeit
Eine wünschenswerte Aufnahme von EPA würde 44Nur 2-mal pro Woche eine Fleischmahlzeit,
nur durch den reichlichen Genuss fetter Meeresfische wobei Wild und Geflügel zu bevorzugen sind
erreicht werden. Als Alternative oder unterstützend 44Wenig tierische Fette, stattdessen hauptsächlich
stehen Fischölkapseln zur Verfügung. Eine ausrei- pflanzliche Öle
chende Zufuhr von EPA kann wahrscheinlich nur 44Gegebenenfalls Vitamin- und Mineralstoffer-
über Zufuhr von Fischölkapseln erfolgen. gänzung (Vitamin E, C, D, Selen und Kalzium)
Literatur
201 16
Auch Fasten führt häufig zu einer Besserung der
Gelenkbeschwerden. Als Gründe für die Besserung
werden eine vermehrte körpereigene Glukokortikoid-
Produktion und der erhöhte Spiegel von Endorphi-
nen genannt.
Es ist aber zu bedenken, dass nach Beendigung
des Fastens die Entzündung wieder ansteigt und
Patienten mit entzündlichen Gelenkerkrankungen
oft einen beeinträchtigten Ernährungszustand auf-
weisen, der sich durch weiteres Fasten verschlech-
tern kann. Eine Fastentherapie sollte, wenn über-
haupt, nur bei übergewichtigen Patienten und nur
über einen kurzen Zeitraum erwogen werden. Ent-
scheidend ist eine langfristige Umstellung der Ernäh-
rung [1].
Bei der Gicht wird bei Übergewicht Gewichts-
reduktion empfohlen, zusätzlich Alkoholkarenz
und Vermeidung purinreicher Nahrungsmittel (wie
Innereien, Schweine-, Rind- und Lammfleisch sowie
Meeresfrüchte) [1], [4], [10].

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203 17

Physiotherapie bei
entzündlich-rheumatischen
Erkrankungen
Erich Mur

Literatur – 206

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_17
204 Kapitel 17 · Physiotherapie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen

Therapieverfahren aus dem Bereich der physikali- die Folgen der Grunderkrankung möglichst gering
schen Medizin stellen eine unabdingbare Kompo- zu halten. Natürlich sollte der Patient auch auf die
nente eines umfassend gestalteten Therapieplans Notwendigkeit einer Anpassung der Übungen an die
für Patienten mit Erkrankungen des entzündlich-­ jeweils vorliegende Aktivität seiner Arthritis hinge-
rheumatischen Formenkreises dar. Sie können viel wiesen werden. Als Richtlinie kann dabei die Auslö-
zu einer günstigen Entwicklung der Erkrankung, sung von Schmerzen bei oder nach der Bewegungs-
aber auch der Lebensqualität des Patienten beitragen. therapie wie auch von vermehrter entzündlicher
Für die physikalische Therapie bei Patienten, die Aktivität an den beübten Gelenken dienen.
von einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung Als sehr günstig wird von vielen Patienten die
betroffen sind, steht eine breite Palette an Behand- Durchführung von Heilgymnastik im Wasser erach-
lungsmöglichkeiten zur Verfügung, die jeweils indi- tet. Dabei bewirkt der Auftrieb des Wassers eine
viduell an die Art und Phase der Erkrankung, aber erhebliche Gewichtsentlastung der Gelenke und
auch an die besonderen Voraussetzungen des Patien- ermöglicht darüber hinaus auch Bewegungen, die
ten angepasst werden muss. Dadurch können die im Trockenen in dieser Form zumeist nicht ausführ-
Ziele der Behandlung, die vor allem in Schmerzlinde- bar wären. Zusätzlich kann das Wasser dabei auch
rung, Hemmung der Entzündung sowie Funktions- als ideal individuell dosierbares Mittel zum Kraft-
erhalt bzw. -verbesserung sowie Verhütung und Kor- training dienen. Diese Effekte kommen bei Erkran-
rektur von Fehlstellungen bestehen, meist sehr gut kungen der peripheren Gelenke, wie z. B. bei chroni-
erreicht werden. Physikalische Therapiemaßnahmen scher Polyarthritis und Arthritis psoriatica, ebenso
können außerdem zur Muskeldetonisierung sowie zum Tragen wie bei entzündlichen Erkrankungen der
Verbesserung der Durchblutung eingesetzt werden. Wirbelsäule, z. B. bei Morbus Bechterew. Bei letzterer
Auch in der prä- und postoperativen Behandlung bei Erkrankung kommt der Atemtherapie eine wesent-
orthopädischen Eingriffen an den Gelenken hat die liche Bedeutung zu, um einer drohenden Einschrän-
Physiotherapie große Bedeutung. Weiterführende kung der Atemexkursion effektiv entgegenzuwirken.
Literatur: [1], [2], [3], [4], [5]. Neben der positiven direkten Wirkung an den Gelen-
ken und der Muskulatur wirkt sich die Bewegungs-
z Bewegungstherapie therapie generell auch sehr positiv auf den Erhalt der
Innerhalb des Spektrums der physikalischen The- Knochenmasse sowie auf die kardiorespirative Leis-
rapieverfahren kommt der Bewegungstherapie tungsfähigkeit der Patienten und ihre psychische
eine besondere Rolle zu. Je nach Ausgangslage des Befindlichkeit aus.
Patienten wird in akuten Phasen zumeist besonde-
rer Wert auf eine optimale Lagerung der Gelenke und z Sportliche Betätigung
ein behutsames Durchbewegen zu legen sein, da auf Entzündlich-rheumatische Erkrankungen stellen
diese Weise wirkungsvoll der Entwicklung von Bewe- per se keine Kontraindikation für sportliche Betäti-
gungseinschränkungen und Funktionsdefiziten ent- gung dar. Allerdings sollte bei der Auswahl der Sport-
gegengewirkt werden kann. In subakuten und chro- art doch die vielfach reduzierte Belastbarkeit der
nischen Krankheitsphasen kann dann zunehmend Gelenke hinreichend in Betracht gezogen werden,
von assistiv-aktiven Übungen zu rein aktiver Heil- da Fehl- und Überbelastungen der Gelenke natürlich
gymnastik bis hin zum Therapiesport übergegangen durchaus eine Verschlechterung des Zustandsbildes
17 werden. Auch entsprechend dosiertes Krafttraining bis hin zur Auslösung eines Schubs der Erkrankung
wird von Patienten mit entzündlich-rheumatischen bewirken können. Demzufolge sind bei Patienten mit
Erkrankungen meist gut vertragen. Dabei ist jedoch entzündlich-rheumatischen Erkrankungen „Stop-
besonderer Wert auf eine sehr exakte und gelenk- and-Go-Sportarten“ wie z. B. Fußball, Tennis oder
schonende Durchführung der Übungen zu legen. auch Squash ebenso problematisch wie Kampf- und
Deshalb sollte für jeden Patienten eine eingehende Kontaktsportarten in üblicher Ausführung. Von in
Schulung in einem individuell ausgelegten Heil- derartigen Sportarten gut geübten Patienten kann
gymnastikprogramm vorgesehen werden, das zur jedoch mitunter eine an die veränderten Gelenkvo-
täglichen Selbstverständlichkeit werden muss, um raussetzungen angepasste Durchführung durchaus
Physiotherapie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
205 17
möglich werden. Generell empfohlen werden können Wärmebehandlungen eine nachfolgende Bewe-
mit Maß und Ziel ausgeführte Ausdauersportarten gungstherapie wesentlich erleichtern und deren Effi-
wie z. B. Schwimmen, Walking, Radfahren oder auch zienz verbessern. Neben Warmwasseranwendungen
Schilanglauf. mit oder ohne Zusätze haben sich bei Arthritiden
auch Peloidpackungen mit Moor und Fango in ent-
z Thermotherapie sprechender Dosierung gut bewährt.
Neben der Bewegungstherapie erweist sich die
Anwendung von Thermotherapie als weitere wich- z Elektrotherapie
tige Komponente der physikalischen Therapie bei Als Alternative zur Thermotherapie findet vielfach
entzündlichen Erkrankungen der Gelenke. Auch auch Elektrotherapie, vor allem zur Schmerzlinde-
wenn mitunter Ausnahmen von der Regel beschrie- rung, Anwendung. Dafür kommen sowohl nieder- als
ben werden, hat sich in der Mehrzahl der Fälle auch mittelfrequente Therapieformen in Frage. Insbe-
sehr wohl die Berücksichtigung des Grundsatzes sondere die TENS-Therapie (transkutane elektrische
bewährt: Kälte im akuten Stadium, Wärme besser Nervenstimulation) kann gut im häuslichen Umfeld
erst wieder in subakuten und chronischen Phasen eingesetzt werden. Auch die Galvanisationsbehand-
der Erkrankung. lung, vor allem die Iontophorese, bei der Medikamente
(z. B. NSAR) mit Unterstützung des Gleichstroms in
Kryotherapie  Für die Kryotherapie steht eine breite den Körper eingebracht werden, ist in der lokalen The-
Palette von Modalitäten der Anwendung zur Verfü- rapie aktivierter Gelenke durchaus hilfreich.
gung, die es erlaubt, ideal auf die individuellen Vor-
aussetzungen des Patienten und der bei ihm betrof- z Massage
fenen Gelenke einzugehen und dadurch eine gute Je nach Beschwerdelage des Patienten können auch
Schmerzlinderung und Entzündungshemmung zu Massagen erheblich zur Normalisierung des Muskel-
vermitteln. Neben Therapien mit geringer Intensität tonus beitragen. Dabei ist zumeist der Einsatz von
wie kaltem Wickel und Packungen kommen vielfach „weichen Techniken“ zu bevorzugen, wobei mitunter
auch stärker abkühlende Kälteanwendungen (Eis- jedoch der Bereich aktivierter Gelenke weitgehend
würfel, Eis am Stiel, Eis- und Kältegelpackungen, ausgespart werden muss. Bei peripheren Schwellun-
Kaltluft) zum Einsatz. Dabei sollten die lokalen Käl- gen durch Lymphstau hat sich die manuelle Lymph-
tebehandlungen durchaus auch mehrmals täglich drainage gut bewährt.
eingesetzt werden, um einen entsprechenden Erfolg
der Behandlung in Form von Schmerzlinderung und z Ergotherapie
Entzündungshemmung zu erzielen. Im Rahmen der interdisziplinären Zusammenarbeit
Eine besondere Form der Kältetherapie stellt die der verschiedenen Berufsgruppen kommt auch der
Ganzkörperkältekammer dar, bei der extrem nied- Ergotherapie besondere Bedeutung zu. Sie kann den
rige Umgebungstemperaturwerte von bis zu −110°C Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkran-
für bis zu 3 Minuten zur Anwendung kommen. Die kungen die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten
mit diesem Verfahren erzielte Schmerzlinderung am vermitteln, die im Sinne von Gelenkschutzmaßnah-
gesamten Bewegungsapparat erleichtert es vielen men dazu dienen, eine Fehl- bzw. Überbelastung
Patienten, die anschließende Bewegungstherapie der Gelenke zu vermeiden. Für Patienten mit Defor-
im nötigen Umfang durchzuführen. mierungen der Gelenke und entsprechend gestörter
Funktion kann wiederum eine gezielte und mit einer
Wärmetherapie  In „ruhigeren“ Phasen der Erkran- praxisgerechten Einschulung verbundene Hilfsmit-
kung kann bei entzündlich-rheumatischen Erkran- telausstattung viel zum Erhalt der Selbständigkeit im
kungen auch der Einsatz von Wärmetherapie sinn- täglichen Leben beitragen. Weitere wichtige Beiträge
voll sein. Mit diesem therapeutischen Ansatz kann der Ergotherapie zum Gesamterfolg der Behandlung
sehr gut eine Reduktion des Muskeltonus, aber stellen vor allem auch funktionelle Übungsbehand-
auch eine Verbesserung der Durchblutung sowie lungen einerseits, in anderen Fällen aber auch Schie-
Schmerzlinderung erzielt werden. Dadurch können nenbehandlungen dar.
206 Kapitel 17 · Physiotherapie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen

z Stationäre Rehabilitation [3] Gutenbrunner C, Glaesener JJ (2007) Rehabilitation,


Physikalische Medizin und Naturheilverfahren. Springer,
Im Krankheitsverlauf möglichst früh eingesetzte sta-
Berlin
tionäre Rehabilitationsverfahren stellen eine wich- [4] Lange A (2003) Physikalische Medizin. Springer, Berlin
tige Maßnahme dar, um Patienten mit entzündlich- [5] Schmidt KL, Drexel H, Jochheim K-A (1995) Lehrbuch der
rheumatischen Erkrankungen in kompakter Form Physikalischen Medizin und Rehabilitation. Fischer, Stutt-
gezielt eine jeweils optimale Therapiekombination gart, S 329–338
zur Verfügung zu stellen. Im Rahmen eines umfas-
send gestalteten Rehabilitationsverfahrens kann im
Kontext des Einsatzes ortsgebundener Therapiemit-
tel wie Heilwasser, Peloiden oder auch Heilstollen
weitere Physiotherapie in sämtlichen Ausformungen
angeboten werden. Darüber hinaus können dabei
auch sehr gut umfassende Schulungsmaßnahmen
zur Erkrankung, eventuell nötige Adaptierungen
der Medikation sowie individuell angepasste Maß-
nahmen der sozialen und beruflichen Beratung bzw.
Betreuung durchgeführt werden. Auch der Kontakt
mit anderen, von derselben Erkrankung betroffe-
nen Patienten sowie eine psychologische Betreuung
können viel zur Krankheitsbewältigung beitragen.
In Summe stellt somit die stationäre Rehabilitation
nach wie vor eine medizinische Vorkehrung mit viel-
fach entscheidender Bedeutung für den Verlauf der
Grunderkrankung dar.
Physiotherapeutische Maßnahmen stellen bei
Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkran-
kungen trotz großer Fortschritte auf dem Gebiet der
medikamentösen Behandlung weiterhin zu Recht
einen Grundpfeiler einer umfassenden Behand-
lungskonzeption dar. Unter Berücksichtigung von
Stadium und Befallsmuster der Erkrankung, allfäl-
liger Organ- und Gefäßbeteiligung sowie vor allem
auch der jeweils vorliegenden Aktivität der Grund-
erkrankung kann zumeist ein individuell ausge-
richtetes Paket an Anwendungen zusammengestellt
werden, das, im Zusammenwirken mit der medika-
mentösen Therapie, viel zu einem optimalen Thera-
pieerfolg im Sinne einer günstigen Entwicklung der
funktionellen Kapazität des Patienten und seiner
17 Lebensqualität beitragen kann.

Literatur

[1] Dunky A, Graninger W, Herold M, Smolen J, Wanivenhaus


A (2012) Praktische Rheumatologie. Springer, Wien, S
735–788
[2] Fialka-Moser (2013) Kompendium der Physikalischen
Medizin und Rehabilitation. Springer, Wien
207 18

Komplementärmedizinische
Therapie bei entzündlich-
rheumatischen Erkrankungen
Erich Mur

18.1 Phytotherapeutika – 208

18.2 Ernährung – 209

18.3 Akupunktur – 209

18.4 Homöopathie – 210

18.5 Weitere komplementärmedizinische Konzepte – 210

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_18
208 Kapitel 18 · Komplementärmedizinische Therapie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen

Da mit wissenschaftlich-schulmedizinischen Thera- und werden darum zunehmend auch von Kranken-
pieansätzen bei entzündlich-rheumatischen Erkran- kassen remuneriert.
kungen wie der chronischen Polyarthritis oder auch
dem Morbus Bechterew nicht immer ein für den
Patienten hinreichend befriedigender Behand- 18.1 Phytotherapeutika
lungserfolg zu erzielen ist, ist es gut verständlich,
wenn eine große Zahl von Patienten mit derartigen Basierend auf der vielfach geäußerten Meinung „dass
Erkrankungen zusätzliche Besserung und Hilfe von (hoffentlich) für jede Krankheit ein Kraut gewach-
Verfahren erwarten, die außerhalb des Spektrums sen ist“, zeigen sich viele Patienten insbesondere hin-
der etablierten Therapiemodalitäten stehen. Meist sichtlich der Anwendung von pflanzlichen Bestand-
wird von derartigen Behandlungsansätzen zumin- teilen zu Heilzwecken aufgeschlossen. Diese haben
dest eine gewisse Wirkung bei weitgehend guter in zahlreichen Gegenden der Erde eine zum Teil
Verträglichkeit bzw. Fehlen von Nebenwirkungen jahrhundertelange Tradition in der Behandlung von
erwartet, was allerdings vielfach nicht hinreichend rheumatischen Beschwerden. Neben der äußerlichen
zutrifft. Beispielsweise können pflanzliche Medi- Anwendung werden pflanzliche Präparationen unter
kamente sehr wohl auch erhebliche unerwünschte anderem auch in Form von Tees, als Tropfen, aber
Effekte entfalten. auch als Kapseln und Tabletten innerlich eingesetzt.
Von den komplementärmedizinischen Anwen- Von den externen pflanzlichen Anwendungen
dungen, die in Ergänzung zu den klassischen schul- kommen bei erhöhter entzündlicher Gelenkaktivi-
medizinischen Therapiekonzepten eingesetzt tät vor allem solche in Frage, die eine kühlende und
werden, sind „alternativmedizinische“ Behandlun- entzündungshemmende oder auch schmerzlin-
gen zu differenzieren, die anstelle der konventionel- dernde Wirkung entfalten. Demgegenüber eignen
len Standardtherapie eingesetzt werden. Angesichts sich Präparate mit hyperämisierender Wirkung eher
der mitunter raschen Progredienz entzündlich-­ für Phasen mit geringer entzündlicher Aktivierung.
rheumatischer Erkrankungen, wie z. B. der chroni- Weidenrindenextrakte stellen ein seit Jahrhun-
schen Polyarthritis, kann ein derartiges Vorgehen derten verwendetes pflanzliches Heilmittel dar, von
generell nicht empfohlen werden, weil damit in den dem die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR)
meisten Fällen nur wertvolle Zeit bis zum Einsatz abgeleitet wurden. Präparate aus der Weidenrinde
wissenschaftlich bewährter Behandlungsansätze ver- zeigen eine entzündungshemmende Wirkung und
loren geht. Demgegenüber kann mit komplementär können demzufolge durchaus bei entzündlich-rheu-
und somit ergänzend zur klassischen schulmedizi- matischen Erkrankungen eingesetzt werden, ihr
nischen Therapie eingesetzten Behandlungen mit- Effekt ist jedoch geringer ausgeprägt als jener der
unter erheblich zu einer günstigen Entwicklung des NSAR.
Zustandsbilds des betroffenen Patienten beigetragen Das Präparat „Phytodolor“ stellt einen Misch-
werden. extrakt aus Zitterpappel, Eschenrinde und Goldru-
Die wohl am häufigsten eingesetzten komple- tenkraut dar, das zur Schmerzlinderung bei rheu-
mentärmedizinischen Behandlungen können den matischen Beschwerden eingesetzt werden kann.
Bereichen „Naturheilverfahren“ und „Erfahrungs- Aber sein Effekt ist als geringer als jener von NSAR
medizin“, der „Ernährungstherapie “ sowie der einzustufen.
„regulativen Therapie“ zugeordnet werden. Außer- Bei der chronischen Polyarthritis werden in
dem werden vielfach auch fernöstliche Heilme- unseren Breiten am häufigsten Präparate aus der
18 thoden als Ergänzung zur klassischen schulmedi- Katzenkralle (Uncaria tomentosa), der Teufels-
zinischen Behandlung eingesetzt. Da bei einigen, kralle sowie der Weihrauchpflanze eingesetzt. Dies-
früher als komplementärmedizinisch angesehenen, bezüglich ist eine breite Palette von Präparaten mit
Behandlungsansätzen mittlerweile relevante Daten unterschiedlicher Qualität erhältlich, die zumeist
aus klinischen Studien vorliegen, haben einzelne als „Nahrungsmittelergänzung“ eingenommen
dieser Therapien zunehmend auch Eingang in die werden. Bezüglich anderer Erkrankungen des ent-
klassische schulmedizinische Betreuung gefunden zündlich-rheumatischen Formenkreises liegen zur
18.3 · Akupunktur
209 18
Anwendung dieser Phytotherapeutika meist nur haben und dieser durch diese Maßnahme noch
Einzelfallberichte mit uneinheitlichem Erfolg vor. weiter beeinträchtigt wird.
Generell ist bezüglich des Einsatzes von pflanzli-
chen Medikamenten bei entzündlich-rheumatischen z Supplementierung
Erkrankungen auf die Notwendigkeit der Auswahl Ein anderer Ansatz beruht auf der Vorstellung, dass
qualitativ hochstehender Präparate und einer guten durch eine (Über-)Supplementierung von bestimm-
Abstimmung mit der übrigen eingenommenen ten Nährstoffen eine günstige Beeinflussung der
Medikation hinzuweisen. Grunderkrankung erreicht werden könnte. In
diesem Zusammenhang ist in erster Linie die Gabe
von Fischölen, insbesondere aus fettreichen Kaltwas-
18.2 Ernährung serfischen (hoher Gehalt an Omega-3-Fettsäuren) zu
nennen, die zu einer Verminderung entzündungsför-
In der Diskussion einer umfassenden Behandlung dernder Mediatoren beitragen kann. Des Weiteren
entzündlich-rheumatischer Erkrankungen wird auch werden auf breiterer Basis auch Supplementierungen
Überlegungen zur „optimalen Ernährung“ große von Vitamin E und C sowie von Selen und anderen
Bedeutung zugemessen. Mineralstoffen durchgeführt, die aber in ihrer Wirk-
Beruhend auf der Annahme, dass verschiedene samkeit nicht derart hinreichend belegt erscheinen,
Inhaltsstoffe der Nahrung eine ungünstige Wirkung um auf breiter Basis empfohlen zu werden.
auf die Krankheitsaktivität aufweisen könnten, Da ein unterschiedliches Ansprechen der Akti-
werden „Eliminationsdiäten“ beschrieben, die darauf vität der Grunderkrankung auf verschiedene Verän-
abzielen, den Gehalt der Nahrung an bestimmten derungen der Ernährung denkbar ist, kann durchaus
Inhaltsstoffen (z. B. Arachidonsäure, Nahrungsmit- eine Erprobung unterschiedlicher Ernährungsemp-
telallergene) zu verringern, die bei den entzündli- fehlungen zum Ziel führen. Dies sollte aber jeden-
chen Reaktionen des Körpers eine Rolle spielen. falls unter fachkundiger Anleitung und Kontrolle
Davon leitet sich unter anderem die Empfehlung ab, erfolgen. Generell erscheint nach gängiger Auffas-
bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen eine sung für Patienten mit entzündlich-rheumatischen
vorwiegend vegetarische Ernährung einzusetzen, Erkrankungen eine Vollwertkost mit ausreichend
was nach klinischer Beobachtung durchaus einen Obst und Gemüse sowie Kalzium und Vitamin D
positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben günstig. Ebenso sollten statt tierischer Fette vermehrt
kann. pflanzliche Öle eingesetzt und statt Fleisch vermehrt
Vielfach wird auch einer „mediterranen Diät“ Fisch konsumiert werden.
ein positiver Effekt bei Patienten mit entzündlich-
rheumatischen Erkrankungen, insbesondere aber
bei chronischer Polyarthritis zugesprochen. Die bei 18.3 Akupunktur
dieser Kostform beobachteten günstigen Effekte
dürften wohl am ehesten auf den dabei erhöhten Aus dem Spektrum der komplementärmedizini-
Konsum an Obst und Gemüse sowie Fisch und schen Methoden werden bei entzündlich-rheumati-
Fetten aus Olivenöl beruhen, die eine antientzünd- schen Erkrankungen immer wieder auch Behandlun-
liche Wirkung entfalten können. gen mit Akupunktur durchgeführt. Auch wenn sich
diese Behandlung bei verschiedenen Erkrankungen
z Fasten des rheumatischen Formenkreises wie z. B. Arthrose
Auch für Fasten wird eine Besserung der Gelenkbe- zumindest in Einzelfällen vor allem als „Schmerz-
schwerden beschrieben. Allerdings ist zu bedenken, therapie“ durchaus bewährt hat, ist die Anwendung
dass dieser Effekt mit Wiederaufnahme der norma- dieser Therapieform bei entzündlich-rheumatischen
len Ernährung meist rasch nachlässt. Bei dieser Maß- Erkrankungen differenziert zu betrachten. Insbeson-
nahme ist auch zu berücksichtigen, dass Patienten dere in Schubsituationen von Seiten der Grunder-
mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen mit- krankung kann Akupunktur durchaus auch proble-
unter ohnehin einen reduzierten Ernährungszustand matisch sein.
210 Kapitel 18 · Komplementärmedizinische Therapie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen

18.4 Homöopathie Wenn ein Patient mit einer entzündlich-rheuma-


tischen Erkrankung den Wunsch nach einer komple-
Für die Anwendung von Homöopathie bei ent- mentärmedizinischen Behandlung äußert, sollte dies
zündlich-rheumatischen Erkrankungen liegen vom behandelnden Arzt in jedem Fall ernsthaft res-
bislang keine Studien vor, die einen hinreichenden pektiert werden. Auf dieser Basis sollte in passender
Beleg für einen breiteren Einsatz dieser Behandlung Weise auf die Vorstellungen des Patienten eingegan-
bieten können. Auch wenn für die Anwendung von gen werden und eine seriöse Beratung über die Vor-
Homöopathie mitunter günstige Effekte bei Arth- und Nachteile der ins Auge gefassten ergänzenden
ritiden, insbesondere hinsichtlich einzelner Sym- Behandlung erfolgen. Dadurch ist es in den meisten
ptome der Erkrankung, beobachtet werden, sollte Fällen gut möglich, für den Patienten ein therapeu-
diese Behandlungsform in jedem Fall nur ergänzend tisches Gesamtkonzept zu gestalten, in dem seine
und nicht anstelle der klassischen Therapiekonzepte, Vorstellungen in entsprechender Weise Berücksich-
für die ein Potenzial zur günstigen Beeinflussung des tigung finden und parallel die zumeist längerfristig
Verlaufs der Grunderkrankung gut belegt ist, einge- erforderliche Basis- und antirheumatische Begleit-
setzt werden. therapie sicher durchgeführt werden kann.

18.5 Weitere
komplementärmedizinische
Konzepte

Aus dem weiten Spektrum der Komplementärmedi-


zin werden bei entzündlich-rheumatischen Erkran-
kungen in größerem Umfang auch Behandlungen
mit Neuraltherapie, Bachblütentherapie und Biore-
sonanztherapie, aber auch Behandlungen nach den
Prinzipien der ayurvedischen wie auch der traditio-
nellen chinesischen sowie der anthroposophischen
Medizin durchgeführt. Keines dieser wie auch zahl-
reicher anderer komplementärmedizinischer Kon-
zepte der Behandlung ist derart hinreichend belegt,
um dazu eine allgemeine Empfehlung für den Einsatz
bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
abgeben zu können. Vielmehr ist den Patienten zu
raten, sich bei jedem ins Auge gefassten therapeu-
tischen Ansatz jeweils genau die damit verbunde-
nen Risiken und möglichen unerwünschten Effekte
wie auch die Kosten und die Vereinbarkeit mit der
laufenden Behandlung erklären zu lassen und dies
bedachtsam in die weiteren Überlegungen einzube-
ziehen. Vor Beginn einer entsprechenden Behand-
18 lung sollte außerdem in jedem Fall eine Rücksprache
mit dem behandelnden Hausarzt und dem betreuen-
den Rheumatologen erfolgen, um auch von dieser
Seite her eine kompetente Beratung zu erhalten
und vor allem die Vereinbarkeit mit der klassischen
Betreuung, insbesondere einer laufenden Basisthe-
rapie, zu prüfen.
211 19

Rheumaorthopädische
Therapieoptionen
Klemens Trieb

19.1 Konservative Therapie – 212


19.1.1 Radiosynoviorthese – 213

19.2 Operative Therapie – 213


19.2.1 Präventive Eingriffe – 213
19.2.2 Rekonstruktive Eingriffe – 213

Literatur – 219

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R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_19
212 Kapitel 19 · Rheumaorthopädische Therapieoptionen

Im Zentrum der rheumaorthopädischen Therapie


. Tab. 19.1  Stadieneinteilung der radiologischen
steht neben der Bildgebung die klinische Untersu- Gelenkdestruktion nach Larsen-Daale-Eek
chung, bei der ein auf den Patienten abgestimmtes
Therapiekonzept festzulegen ist, da in den meisten Grad Röntgenbild
Fällen mehrere Gelenke betroffen sind und so hier
0 Keine Veränderung
die richtige Therapie zur richtigen Zeit am richtigen
Gelenk durchgeführt werden sollte. 1 Weichteilschwellung, periartikuläre
Osteoporose
Daneben ist es wichtig, vor allem im interdiszi-
plinären Zusammenspiel mit den Kollegen der ver- 2 Gelenkspaltverschmälerung, leichte
Erosionen
schiedenen Fachrichtungen für den Patienten die
optimale Führung zu erreichen. 3 Mittelgradige Destruktion, starke Erosion
4 Starke Destruktion, starke Erosion,
z Klassifikation Gelenkspaltverlust
Die erste bildgebende Untersuchung beim Rheu- 5 Mutilation oder Ankylosierung
matiker ist immer das Röntgenbild. Hier kann auf-
grund der Destruktion und der Achsstellung bereits
ein erstes Therapiekonzept festgelegt werden, meist . Tab. 19.2  Wrightington-Klassifikation zur
schon als Blickdiagnose. Bewährt hat sich die radio- Veränderung von rheumatischen Handgelenken
logische Stadieneinteilung nach Larsen, Daale und
Grad Röntgenbild Therapie
Eek (LDE), welche in . Tab. 19.1 dargestellt ist. Hier
wird die Stadieneinteilung anhand der Weichteil- 1 Osteoporose, Zysten, Synovialektomie
und Gelenkveränderungen bis hin zur Mutilation in Erosionen
5 verschiedenen Graden durchgeführt. Eine weitere 2 Instabilität des Karpus Weichteilstabi-
Stadieneinteilung, welche nicht nur den Entzün- lisierung oder
dungstyp, sondern auch den Verlauf der destruktiven Teilarthrodese
Veränderungen berücksichtigt, ist exemplarisch für 3 Destruktion der Endoprothese/
das Handgelenk in der Klassifikation von Simmen Gelenke mit palmarer Arthrodese
und Huber (1994) [11] dargestellt. Dabei werden 3 Subluxation
verschiedene Typen, welche auch dem natürlichen 4 Ausgeprägte Destruk- Arthrodese
Verlauf eines rheumatoid veränderten Gelenkes ent- tion auch am Radius
sprechen, dargestellt. Unterschieden werden:
44der ankylosierende Typ, bei dem stabile
Verhältnisse bestehen;
44der sekundäre arthrotische Typ, bei dem die 19.1 Konservative Therapie
Knorpeldestruktion im Sinne einer Arthrose
neben der Arthritis erkennbar ist, und Die konservative Therapie beinhaltet aus orthopädi-
44der desintegrative Typ, der zu einem starken scher Sicht die Radiosynoviorthese, die physikalische
Knochenverlust und zu instabilen, destruktiven Therapie und die Ergotherapie. Weiterhin eingebun-
Verhältnissen neigt. den werden sollten die Betreuungsgruppen, Sozial-
dienste und Selbsthilfegruppen. Ziel der Kranken-
Die Wrightington-Klassifikation beruht ebenfalls gymnastik ist es, die Gelenkbeweglichkeit zu erhalten
auf einer Einteilung der Röntgenbilder von rheu- und durch Ergotherapie die Bewegung der Hände
matischen Händen und ist in . Tab. 19.2 dargestellt. und Finger zu fördern und die Selbständigkeit zu
19 Die hier genannten Einteilungsstadien bieten eine
gute Grundvoraussetzung, um neben der klinischen
erhalten. Des Weiteren sind hilfstechnische Mittel
wie Schienen, Bandagen, aber auch Funktions- und
Untersuchung das weitere Vorgehen der orthopädi- Lagerungsschienen für die Hände, Zurichtungen der
schen Behandlung festzulegen [5], [8], [9], [10], [11], Schuhe oder die Verordnung von orthopädischen
[28], [29]. Schuhen im Repertoire der konservativen Therapie.
19.2 · Operative Therapie
213 19
19.1.1 Radiosynoviorthese 19.2.2 Rekonstruktive Eingriffe

Bei der Radiosynoviorthese soll durch die intraarti- Bei diesem Eingriff wird das Gelenk „geopfert“, da
kuläre Injektion eines Beta- oder Gammastrahlers der Knorpel so weit destruiert ist, dass hier eine
mit kurzer Halbwertszeit und kurzer Gewebsweite schmerzfreie Funktion nicht mehr gegeben ist.
die Synovitis nekrotisiert und nach Abheilung und
Fibrosierung die erhöhte Gelenkflüssigkeit durch
Synovialzellen verhindert werden. Es sollte keine Resektionsarthroplastik
allzu große Knorpelschädigung vorliegen. Die Indi- In diesem Fall wird das Gelenk entweder eines oder
kation liegt im LDE-Stadium 0–1 ohne zu massive beider Gelenkpartner reseziert und durch Einbrin-
Pannusbildung. gen von körpereigenem Band- und Kapselgewebe ein
sogenanntes neofibröses Pseudogelenk wiederher-
gestellt. Es ist eine Alternative bei starken knöcher-
19.2 Operative Therapie nen Destruktionen, wenn die knöcherne Veranke-
rung eines Implantates nicht suffizient möglich ist.
Bei der operativen Behandlung muss unterschieden Die Resektionsarthroplastik hat ihren fixen Stellen-
werden zwischen Eingriffen, welche ein gelenker- wert bei der Rhizarthritis, jedoch kann diese auch
haltendes Ergebnis haben, und solchen, welche das am Metatarsophalangealgelenk oder am Ellbogenge-
Gelenk resezieren bzw. ersetzen [20]. lenk durchgeführt werden, wobei sich bei Letzterem
die Versorgung mit der Endoprothese zunehmend
durchsetzt [17], [20].
19.2.1 Präventive Eingriffe

Arthrodese
Synovektomie Die Arthrodese bezeichnet die Versteifung eines
Die Synovektomie ist die klassische OP beim Rheu- Gelenks, d. h., es werden beide Gelenkpartner rese-
matiker, welche nach ausreichend langer suffizien- ziert und dann der Knochen in entsprechender Kor-
ter medikamentöser Therapie bei noch nicht voll- rekturstellung aufeinandergestellt und durch Schrau-
ständig destruiertem Knorpel, d. h. LDE-Stadium ben, Klammern oder auch Platten intern fixiert.
2–3, durchgeführt werden soll. Dabei stehen unter- Dabei ist am Fuß, vor allem am Rückfuß, die Arth-
schiedliche Möglichkeiten zur Verfügung. So kann rodese das Mittel der Wahl, am oberen Sprunggelenk
am Kniegelenk eine arthroskopische Synovektomie muss entschieden werden, ob etwa eine Endopro-
durchgeführt werden, an anderen Lokalisationen wie these in Frage kommt. Am Mittelfuß ist ebenfalls die
z. B. am Handgelenk, wenn zugleich auch die Teno- Arthrodese vorzuziehen, die Talonavikulararthro-
synovektomie erfolgen soll, ist die offene Technik dese ist oft die erste Korrekturosteotomie am Fuß
notwendig. beim Rheumatiker. Ebenso ist am 1. Metatarsopha-
Bei bis zu 2/3 aller Patienten mit rheumatoider langealgelenk (MTP-1-Gelenk) eine Arthrodese eine
Arthritis wird auch eine Synovitis der Sehnen beob- gute Methode, um einen stabilen Vorfuß wiederher-
achtet, wobei hier die Sehnensynovektomie wichtig zustellen [17], [23], [24].
ist, um einer Sehnenruptur mit entsprechend län- An der Hüfte wurde die Arthrodese verlassen,
gerer und schwierigerer Behandlung vorzubeugen. am Kniegelenk ist sie nur Rückzugsmöglichkeit nach
mehreren Infekten und fehlgeschlagenen Endopro-
thesen, eine Arthrodese des Schultergelenks oder des
Osteotomie Ellbogengelenks wird ebenfalls nicht mehr durchge-
Korrekturosteotomien sind bei Achsfehlstellun- führt. Anders hingegen am Handgelenk, hier ist die
gen zum Erhalten des Gelenkes angezeigt [24], [26], Teilarthrodese respektive die Arthrodese nach wie
wobei gerade beim Rheumatiker die Valgusfehlstel- vor eine etablierte Methode mit guten Langzeitergeb-
lung am Kniegelenk sehr häufig auftritt. nissen [21], [27]. Unser Vorgehen ist es, wenn beide
214 Kapitel 19 · Rheumaorthopädische Therapieoptionen

Hände betroffen sind, eine zu versteifen und an der es von der Muskulatur ab, ob nur ein Oberflächener-
anderen eine Endoprothese zu implantieren. An den satz durchgeführt werden kann oder ob eine inverse
Fingergelenken ist das distale Interphalangeal(DIP)- Schulter primär implantiert wird.
Gelenk des Zeigefingers aufgrund der zu erzielenden
Stabilität für die Arthrodese ein guter Kandidat [20].
Hüftgelenkersatz
Wenn das Hüftgelenk durch die Entzündung auf-
Endoprothetik gebraucht ist und der Gelenkknorpel keine dämp-
Gerade beim Rheumatiker ist die Endoprothetik weit fende Funktion mehr übernehmen kann, ist auf-
fortgeschritten, trotz oft schlechter Knochenqualität grund der zunehmenden Bewegungseinschränkung
haben sich auch hier zementfreie Implantate bewährt. und Schmerzen der künstliche Hüftgelenkersatz
Das Hüftgelenk, welches meist eine Protrusionsco- indiziert. Auch beim Rheumatiker können hier die
xarthritis aufweist, kann hier mit normalen Standard- modernen Implantate mit zementfreier Veranke-
implantaten versorgt werden, ebenso das Kniegelenk. rung verwendet werden. In den letzten Jahren hat
Alle übrigen Gelenke sind ebenfalls ersetzbar. So ist sich im Bereich der Hüftgelenkendoprothetik sowohl
das Ersetzen des Handgelenks, aber auch des Sprung- im Bereich der Implantate als auch der Operations-
gelenks beim Rheumatiker aufgrund der geringeren techniken eine Weiterentwicklung abgezeichnet.
Belastung postoperativ durch die geringere Aktivität Es ist nun möglich, die Implantate minimalinva-
gut möglich [12], [14], [16], [18], [19], [25]. Weiter- siv einzubringen, d. h., die Muskulatur wird nicht
hin sind an den Metacarpophalangeal(MCP)- und mehr wie früher durchtrennt, sondern nur mehr zur
proximalen Interphalangeal(PIP)-Gelenken nach wie Seite geschoben. Zum einen ermöglicht dies durch
vor Kunstgelenke sehr gut möglich, aufgrund der oft die geringere Traumatisierung der Weichteilgewebe
vorhandenen Band- und Kapsellaxizität sollten unge- einen geringeren Blutverlust, zum anderen auch eine
koppelte Modelle hier eher nicht verwendet werden. raschere Mobilisierung. Für die Implantate werden
Es gibt nach wie vor gute Ergebnisse mit den Silikon- Komponenten aus Titan verwendet, welche einer-
spacern nach Swanson an der Hand (. Abb. 19.1), am seits ein gutes Einwachsverhalten in den Knochen
Fuß sind sie allerdings verlassen worden [1], [2], [3], zeigen und andererseits komplett zementfrei implan-
[4], [7], [15], [22], [20]. tiert werden können. So ist bei guter Knochenquali-
Die Schulter bietet ebenfalls gute Möglichkeiten tät die Verwendung von knochensparenden Implan-
zur Versorgung mit einem Kunstgelenk. Hier hängt taten möglich.

. Abb. 19.1  Synovialektomie im


linken Handgelenk und den MCP-
Gelenken II–IV mit Implantation von
Swanson-Spacern

19
19.2 · Operative Therapie
215 19
. Abb. 19.2  Hüfttotalendoprothese
aus Titan

Je nach vorliegenden Knochenverhältnissen ist am wenigsten Knochen reseziert, was durch das neue
es möglich, neue distal verankerte Hüftschäfte zu Design des Schaftes ermöglicht wird.
verwenden (. Abb. 19.2), bei guter Knochenquali- Bei den Gleitpaarungen ist es nun möglich,
tät kann man sehr knochensparend im Hinblick auf mittels hochvernetztem Kunststoff oder komplet-
eine Wechseloperation mittels spezieller sogenannter ter Hartpaarung aus Keramik möglichst abtriebsfrei
schenkelhalsteilerhaltender Kurzschaftprothesen für zu bleiben und so eine spätere Wechseloperation
die Zukunft vorausbauen (. Abb. 19.3). Hierbei wird so lange wie möglich hinauszuschieben. Insgesamt

. Abb. 19.3  Schenkelhalsteilerhal-


tende Kurzschaftprothese
216 Kapitel 19 · Rheumaorthopädische Therapieoptionen

können diese Prothesentypen aufgrund des Designs


und der klinischen Erfahrungen zum klinischen für spätere Destruktion bei der noch jungen
Einsatz empfohlen werden [13], [14]. Patientin gegeben. Im März 2009 wurde
schließlich bei zunehmendem Aufbrauch des
linken Kniegelenks nach Materialentfernung
Fallbeispiel: 48-jährige Frau mit langjährig die Implantation einer Knietotalendoprothese
bestehender rheumatoider Arthritis durchgeführt (. Abb. 19.7). 6 Monate später
Bei der Patientin handelt es sich um eine wurde dann die weitere Dekompression und
48-jährige Frau mit langjährig bestehender Restabilisierung der Wirbelsäule durchgeführt.
rheumatoider Arthritis, behandelt unter
anderem mit Biologika. Trotz ständiger
rheumatologischer Behandlung und Therapie-
einstellung ist ein „orthopädischer Verlauf“
nicht immer zu verhindern. Die Patientin
hat eine Vorgeschichte mit vielfachen
orthopädischen Eingriffen an den Extremitäten
und der Wirbelsäule. Die typische Protrusions-
arthritis der Hüftgelenke ist nicht ausgeprägt,
jedoch finden sich Veränderungen in
Kniegelenken und den Füßen sowie an den
Handgelenken.
Des Weiteren findet sich eine Beteiligung
der Wirbelsäule, hier erfolgte im Jahr 2004
eine Dekompression und Stabilisierung L4/5
bei Spondylolisthese. Im selben Jahr im
Dezember erfolgte dann eine Arthroskopie des
linken Kniegelenks und eine suprakondyläre
Korrekturosteotomie bei der für den
Rheumatiker typischen Valgusgonarthritis
(. Abb. 19.4). Im Juli 2005 erfolgte eine
Hammerzehenoperation, im April 2007
wurden beidseits der Hallux valgus und die
Hammerzehen operiert.
Im April 2008 wurde bei progredient
zunehmender Bewegungseinschränkung und
Behinderung des linken Handgelenks hier bei
abgerutschtem Handgelenk und typischem
Caput-ulnae-Syndrom als Ersteingriff die
radioscapholunäre Teilarthrodese mit
Reposition und Ulnaköpfchenresektion mit
Sehnentransfer des M. flexor carpi ulnaris zur
Stabilisierung durchgeführt (. Abb. 19.5,
. Abb. 19.6). Dieser Eingriff hat eine sehr gute
19 klinische Funktion mit Schmerzfreiheit erreicht,
ohne hier bereits eine Endoprothese oder
Totalarthrodese des Handgelenks durchführen
zu müssen. Es ist hier noch genügend Rückzug . Abb. 19.4  Zustand nach suprakondylärer
Umstellungsosteotomie am hinteren distalen Femur
19.2 · Operative Therapie
217 19

a b

. Abb. 19.5  a,b Röntgen des destruierten und luxierten Handgelenks links: a anterior-posterior, b seitlich

a b

. Abb. 19.6  a,b Zustand nach radioscaphoulnarer Teilprothese links mit Ulnarköpfchenresektion (postoperatives Röntgen: a
anterior-posterior, b seitlich)
218 Kapitel 19 · Rheumaorthopädische Therapieoptionen

Fallbeispiel: 44-jährige Frau mit fortge-


schrittener rheumatoider Arthritis
Es handelt sich um eine 44-jährige Patientin
mit langjähriger rheumatoider Arthritis
und entsprechender medikamentöser
Therapie. Beruflich ist sie im Büro tätig. Bei
der Vorstellung standen die Fingergelenke
im Vordergrund. Das Handgelenk zeigte
bereits den Zustand nach Radiosynoviorthese
und intercarpaler Ankylosierung. Da das
Handgelenk, welches ansonsten üblicherweise
zuerst versorgt wird, nicht im Vordergrund
stand, wurde die Sanierung der Langfinger
mit deutlicher Ulnadeviation und Luxation
nach volar besprochen (. Abb. 19.8). Als
Therapieoption in diesem Fall bot sich der
Gelenkersatz mit Reposition an, dies kann
jedoch aufgrund der Luxation und der
entsprechend destruierten anatomischen
Verhältnisse schwierig bis unmöglich sein.
Sollte das in diesen Fällen in den MCP-Gelenken
geplante Vorgehen nicht möglich sein, ist
der Rückzug auf eine Resektionsinterposi-
tionsplastik möglich. Dahingehend sollte die
Patientin auch aufgeklärt werden.
Bei dieser Patientin konnte in einer zweizeitigen
Sitzung die Sanierung der MCP-Gelenke II–V
erfolgen. Es wurde vorerst an der rechten
Hand die Implantation von Silikonspacerim-
plantaten (sogenannte Swanson-Spacer) nach
entsprechender Präparierung implantiert. Dabei
konnte die Reposition der luxierten MCP-Gelenke
und die Korrektur der Ulnadeviation
erreicht werden (. Abb. 19.9). Aufgrund der
postoperativen Zufriedenheit und verbesserten
Funktion im Alltagsleben kam die Patientin
dann 4 Monate später zur analogen Versorgung
der linken Hand, welche auch so durchgeführt
. Abb. 19.7  Zustand nach Plattenentfernung und
wurde. Die Handgelenke selbst sind nach wie
Implantation einer Knietotalendoprothese
vor klinisch nicht im Vordergrund und werden
deshalb nur konservativ beobachtet.

19
Literatur
219 19

. Abb. 19.9  Postoperatives Röntgen nach Versorgung der


MCP-Gelenke II–IV mit Swanson-Spacern

. Abb. 19.8  Präoperatives Röntgen mit destruierten MCP-


Gelenken
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Fingerpolyarthrosen
Judith Sautner

Literatur – 224

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017


R. Puchner (Hrsg.), Rheumatologie aus der Praxis,
DOI 10.1007/978-3-662-53569-1_20
222 Kapitel 20 · Fingerpolyarthrosen

z Definition z Symptomatik
Fingerpolyarthrosen (FPA) sind arthrotische Verän- Langsamer, schleichender Beginn, meist monarti-
derungen der kleinen Fingergelenke (früher fälsch- kulär, manchmal auch symmetrisch, mit Betonung
licherweise als „Gichtfinger“ bezeichnet). des 2. und 5. Strahles, mit zum Teil sehr schmerzhaf-
Die Bezeichnung umfasst mehrere heterogene ten, derben Verdickungen der betroffenen Gelenke.
Subgruppen: Arthrosen der distalen Interpha- Zeitweise kommt es zu sehr schmerzhaften Rötungen
langealgelenke (DIP) (Heberden-Arthrosen), der im Sinne entzündlicher Schübe („Aktivierungen“),
proximalen Interphalangealgelenke (PIP) (Bou- häufig nach vermehrter Belastung oder nasskalter
chard-Arthrosen), des IP-1-Gelenks, des Carpo- Exposition. Zunehmend Ausbildung von derben
metacarpalgelenks (Rhizarthrose), peritrapezoi- Knoten an den Gelenken (DIP: Heberden-­Knoten,
dale Arthrose bzw. Kombinationen (. Abb. 20.1). PIP: Bouchard-Knoten) und Deformierung mit zum
In der Regel liegt ein polyartikuläres Befallsmus- Teil beträchtlicher Achsendeviation, mit sowohl
ter vor, zusätzlich wird je nach radiologischer Prä- funktioneller Einschränkung als auch Störung der
sentation in die non-erosive und die wesentlich Feinmotorik sowie ästhetischer Beeinträchtigung.
seltenere erosive Form mit schwererem Verlauf Morgensteifigkeit wird berichtet, allerdings nicht
unterteilt. so ausgeprägt wie bei entzündlichen Gelenkerkran-
kungen, üblicherweise unter 1 Stunde.
z Häufigkeit und Vorkommen FPA sind häufig mit Arthrosen anderer Loka-
Es sind vor allem (ca. 6- bis 8-mal häufiger) Frauen lisation, z. B. mit Gonarthrose oder Coxarthrose
betroffen. Der Altersgipfel der Erkrankung liegt in vergesellschaftet.
der 5. und 6. Dekade, häufig in Assoziation mit peri-
menopausalen Beschwerden. z Diagnostik

z Ätiologie z z Hilfsbefunde
Die primäre Form ist genetisch determiniert und Das Labor ist zumeist unauffällig, bis auf eine even-
weist vor allem bei Frauen eine starke Penetranz tuell leicht beschleunigte Blutsenkungsgeschwindig-
bei Befall erstgradiger weiblicher Verwandter auf. keit (BSG).
Sekundär werden posttraumatische oder postent- Im Röntgen ist eine subchondrale Spon-
zündliche FPA unterschieden. giosaverdichtung bei „vogelschwingenartiger“

. Abb. 20.1  Fingerarthrosen vom


Typ Bouchard und Heberden

20
Fingerpolyarthrosen
223 20
Gelenkspaltverschmälerung der IP typisch, erosiv allem die MCP-Gelenke 2 und 3 betroffen wären
(usurierend) oder non-erosiv. Eventuell kommt es (typischer radiologischer Befund).
zum Auftreten von kleinen subchondralen Geröll-
zysten. Im Stadium der Aktivierung kann eine Ver- z Therapie
dickung und Verdichtung des periartikulären Weich- Im Jahr 2007 hat eine Task Force der European
teilschattens beobachtet werden [7]. League against Rheumatism (EULAR) Therapie-
richtlinien herausgegeben, die medikamentös in
z z Assessment erster Linie die symptomatische Therapie mit Para-
In den letzten Jahren haben die FPA aufgrund ihrer cetamol bzw. bei Nicht-Ansprechen nichtsteroida-
Häufung bei älter werdender Bevölkerung und len Antirheumatika (NSAR) empfiehlt. SYSADOA
maßgeblicher Beeinträchtigung der Betroffenen an (Symptomatic Slow Acting Drugs for Osteoarthritis),
Bedeutung gewonnen, sodass eigene, spezifische deren Wirksamkeit in der Schmerzerleichterung bzw.
Scoring-Instrumente in Form von patientenzentrier- in vermindertem Analgetika-Verbrauch bei Arthro-
ten Fragebögen zur Beurteilung des funktionellen sen großer Gelenke in Studien geprüft wurden (z. B.
Status, der Schmerzen und der Steifigkeit entwickelt Chondroitinsulfat oder Diacerein), können gegeben
worden sind (AUSCAN, SACRAH, M-SACRAH, werden, besonders wenn generalisierte Polyarthro-
SF-SACRAH). Diese machen eine numerische Gra- sen vorliegen. Randomisierte, doppelblinde Studien
duierung der FPA – vergleichbar einem DAS-28 für bei FPA stehen aber noch aus, ebenso wie für Soja-
Patienten mit rheumatoider Arthritis oder einem bohnen- oder Avocadoprodukte [6].
BASDAI für Spondylarthritis-Patienten möglich Die lokale Applikation von NSAR-Cremes,
und sind ein wertvolles Instrument in der Verlaufs- am besten okklusiv, bzw. von erwärmenden Lini-
beurteilung der Erkrankung, aber auch zur Beurtei- menten wie z. B. Capsaicin-Salbe, kann ebenfalls
lung des Therapieerfolges mit spezifischen Medika- Erleichterung verschaffen und hat sich als schmerz-
menten [7]. reduzierend erwiesen [1], [3]. Wenn die lokale
NSAR-­Applikation nicht ausreicht, können sys-
z Differenzialdiagnose temisch Paracetamol oder NSAR bzw. Coxibe in
Abzugrenzen ist die sogenannte „Pfropf-cP“ (Propf- der niedrigst möglichen Dosis so kurz wie möglich
Polyarthritis), eine Form der rheumatoiden Arthri- gegeben werden [5], [6]. Im Rahmen der OA-TREAT-
tis des Alters, bei welcher sich auf arthrotische kleine Studie, die 2014 begonnen wurde, wird die Wirkung
Fingergelenke, quasi sekundär, eine Gelenkentzün- von Hydroxychloroquin bei entzündlicher und erosi-
dung aufpfropft, die meist jenseits des 65. Lebens- ver OA der kleinen Fingergelenke randomisiert kon-
jahres auftritt, milde, aber mit entsprechenden trolliert untersucht – Ergebnisse wurden noch nicht
laborchemischen Veränderungen verläuft und mit publiziert [2].
Glukokortikoiden bzw. milden Basistherapeutika zu Die begleitende ergotherapeutische Betreu-
behandeln ist. ung ist ein Grundbaustein der FPA-Therapie. Dazu
Bei isolierten Heberden-Arthrosen ist differen- gehören genaue Instruktionen günstiger Bewegungs-
zialdiagnostisch der Transversalbefall bei Psoriasis- muster, Applikation von Paraffin-, Ichthyo-, Heublu-
arthritis zu berücksichtigen; die Abgrenzung kann men- oder Linsenhandbädern, Anmessung von ver-
mitunter schwierig sein. schiedenen Orthesen wie z. B. achsenkorrigierenden
Isolierte Beschwerden an den Metacarpo- DIP- oder PIP-Nachtschienen bzw. von Rhizarthrose-
phalangeal(MCP)-2- und -3-Gelenken wären ein Arbeits- und -Nachtlagerungsschienen.
Hinweis in Richtung Hämochromatose; hier helfen Flankierend ist auf Kälte- und Nässeschutz zu
differenzialdiagnostisch das Labor mit Blutbild und achten, eine „Handschuhphase“ von Oktober bis
Eisenstatus und die spezifischen radiologischen Ver- April sollte eingehalten, ungünstige Bewegungs-
änderungen. Im fortgeschrittenen Alter kann auch schemata wie z. B. Handarbeiten gemieden werden.
die Chondrokalzinose zu Rötungen und Beschwer- Bei entzündlichen Schüben kann die intraarti-
den kleiner Fingergelenke führen, wobei hier neben kuläre Applikation von Glukokortikoiden hilfreich
der Prädilektionsstelle des Radioulnargelenks vor sein [5], [6].
224 Kapitel 20 · Fingerpolyarthrosen

Bei Versagen konservativer Therapien und


anhaltenden Beschwerden in deformierten oder
radiologisch destruierten Gelenken bzw. bei fort-
geschrittener Rhizarthrose ist die interdisziplinäre
Zusammenarbeit mit Handchirurgen und Orthopä-
den zu suchen, mit den Möglichkeiten der Arthro-
plastie, Osteotomie oder Arthrodese.

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