Rudolf Puchner
Hrsg.
Rheumatologie
aus der Praxis
Entzündliche Gelenkerkrankungen – mit Fallbeispielen
Die 3. Auflage informiert ausführlich über alle etablierten und neuen Behandlungsmöglich-
keiten, ihre Indikation und Wirkungsweise unter Einbeziehung adaptierter internationaler
Empfehlungen und Behandlungspfade.
Der Beitrag über die systemischen Vaskulitiden (7 Kap. 7) wurde neu geschrieben, wobei aktuelle
ätiopathogenetische Erkenntnisse und eine überarbeitete Nomenklatur berücksichtigt wurden.
Daneben wird weiterhin viel Wert gelegt auf eine zielführende Diagnostik und entsprechende
Differenzialdiagnostik. Zahlreiche Fallbeispiele runden das Buch ab und sollen zum praktischen
Verständnis entzündlich-rheumatischer Erkrankungen beitragen.
Die Zerstörung der Gelenke kann bereits im ersten Jahr nach Auftreten der Beschwerden begin-
nen. Nach 2 bis 5 Jahren sind bereits bis zu 50% der befallenen Gelenke irreversibel geschädigt.
Die Notwendigkeit einer frühzeitigen Diagnose und rasch einsetzenden Therapie ist heute
durch entsprechende Diagnoseleitlinien und Behandlungspfade etabliert.
Die Ätiologie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen ist nach wie vor nicht geklärt.
Durch bessere Kenntnisse über Pathogenese und Krankheitsverlauf konnten im letzten Jahr-
zehnt sehr wirkungsvolle Medikamente entwickelt werden, welche die Behandlung revolu-
tioniert haben. War bis Ende der 1990er Jahre eine Verringerung der Zahl der geschwollenen
Gelenke und eine Minderung der Schmerzintensität ein erreichbares und akzeptiertes Ziel,
so nehmen wir uns heute vor, bei unseren Patienten einen Zustand der Remission bzw. Be-
schwerdefreiheit zu erreichen.
Dieses Buch informiert in erster Linie über chronisch entzündliche Gelenk- und Wirbelsäulen-
erkrankungen; es soll zur leichteren Diagnosefindung beitragen und Kenntnisse über Thera-
piemöglichkeiten vermitteln.
Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit haben wir uns entschlossen, alle geschlechtsspezifischen
Wörter nur in männlicher Form zu verwenden. Selbstverständlich gelten alle Bezeichnungen
gleichwertig für Frauen.
IX
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. Eichbauer-Sturm, Frau OÄ Dr. Judith Sautner, Univ.-Prof.
Dr. Erich Mur und Univ.-Prof. Dr. Klemens Trieb für ihre wichtigen Beiträge. Frau Dr. Lerche
und Frau Bauer vom Springer Verlag in Heidelberg danke ich für die gute Zusammenarbeit; Frau
Annette Allée danke ich für ihr Lektorat. Weiterhin danke ich Dr. Franz Hummer, der mir in jah-
relangem Erfahrungsaustausch die orthopädische Sichtweise entzündlicher Gelenkerkrankun-
gen nähergebracht hat und Frau OÄ Dr. Ulrike Stuby für ihre Freundschaft und Unterstützung.
Nicht zuletzt danke ich allen Patientinnen und Patienten für ihr Vertrauen.
XI
Inhaltsverzeichnis
3 Spondyloarthritiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Rudolf Puchner
3.1 Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3.2 Psoriasisarthritis (PsA). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
3.3 Reaktive Arthritis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
3.4 Enteropathische Arthritiden (Arthritiden bei chronisch entzündlichen
Darmerkrankungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3.5 Arthritis bei glutensensitiver Enteropathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3.6 Undifferenzierte Spondyloarthritis (uSpA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3.7 Synovitis-Akne-Pustulosis-Hyperostosis-Osteitis-Syndrom (SAPHO-Syndrom). . . . . . . . . . 71
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
4 Kollagenosen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
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4.1 Systemischer Lupus erythematodes (SLE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
4.2 Sjögren-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
4.3 Systemische Sklerose (SSc). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
4.4 Raynaud-Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
4.5 Idiopathische Myositiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
4.6 Mixed Connective Tissue Disease (MCTD, Sharp-Syndrom). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
5 Familiäres Mittelmeerfieber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
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Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
9 Der adulte Morbus Still (Adult Onset Still’s Disease, AOSD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
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Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
10 Lyme-Arthritis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
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Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
11 Kristallarthropathien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Rudolf Puchner, Judith Sautner
11.1 Gicht (Arthritis urica). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
11.2 Chondrokalzinose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
12 Fibromyalgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
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Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
XIII
Inhaltsverzeichnis
20 Fingerpolyarthrosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
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Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
XV
Autorenverzeichnis
Diagnose und
Differenzialdiagnose
entzündlich-rheumatischer
Erkrankungen
Rudolf Puchner
1.2 Laboruntersuchungen – 9
1.2.1 Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) – 9
1.2.2 C-reaktives Protein (CRP) – 10
1.2.3 Rheumafaktor (RF) – 10
1.2.4 Antikörper gegen citrullinierte Antigene (Anti-Citrullinated Protein/
Peptide Antibodies, ACPA) – 10
1.2.5 RA33-Antikörper – 11
1.2.6 Antinukleäre Antikörper (ANA) – 11
1.2.7 ANA-Subspezialitäten – 11
1.2.8 Autoantikörper gegen zytoplasmatische Antigene humaner
neutrophiler Granulozyten – 12
1.2.9 Antiphospholipid-Antikörper (APA) – 12
1.2.10 Blutbild und Differenzialblutbild – 13
1.2.11 HLA-B27 – 15
Literatur – 16
1.1 · Anamnese und Untersuchung
3 1
„Ein guter Arzt sollte nach einem ausführlichen (Arthritis) oder degenerative Erkrankung (Arthrose,
Gespräch mit dem Patienten zu rund 75 Prozent die Synonym: Osteoarthrose) vorliegt.
richtige Diagnose stellen können.“ Ist diese Meinung
„älterer“ Lehrbücher und „weiser“ medizinischer
Lehrer heutzutage, angesichts der Fülle apparativer 1.1.1 Arthrose
und laborchemischer diagnostischer Möglichkeiten,
noch aufrechtzuerhalten und zeitgemäß? Arthrosen treten meist in höherem Lebensalter auf,
Gerade bei der frühzeitigen Diagnose einer können aber bei angeborenen Fehlstellungen – wie
entzündlichen Gelenkerkrankung steht aber noch der Hüftdysplasie oder unter besonderen Bedingun-
immer die Erfahrung des Untersuchers im Vor- gen bzw. Belastungen – auch vor dem 50. Lebensjahr
dergrund. Trotz modernster und vielfach auch auftreten. Außergewöhnliche Belastungen sind z. B.
angewandter technischer Hilfsmittel ist in der extreme sportliche Beanspruchungen der Gelenke
Rheumatologie in erster Linie das Wissen und Ein- oder auch die Fettleibigkeit.
fühlungsvermögen des Arztes für das Erkennen der
(ersten) Symptome notwendig. Eine frühe Diag- Schmerzen Typische Beschwerden bei Arthrosen
nostik ist gefordert, da bereits wenige Monate nach (der Hüft- oder Kniegelenke) sind der Anlauf- und
Beginn einer rheumatoiden Arthritis irreversible Überlastungsschmerz.
Schäden an den Gelenken auftreten können und Anlaufschmerzen sind Beschwerden bei Bewe-
daher eine rasche und gezielte (Basis-)Therapie zwin- gung nach längeren Ruhephasen wie Liegen oder
gend ist. Nur durch eine schnelle und richtige Diag- Sitzen. Meist treten die Beschwerden nach wenigen
nose ist eine frühzeitige Behandlung möglich. Schritten in den Hintergrund oder verschwinden
ganz. Wenn sie nach längerer Belastung – wie einem
ausgedehnten Spaziergang – wieder auftreten, werden
sie als Überlastungsschmerz bezeichnet. Ausgeprägte
Rheumatologische Anamnese Arthrosen führen zu Schmerzen bei jeder Belastung.
55Gelenk: Schmerzen und/oder Schwellung Andauernde Schmerzen, die auch schon beim
55Erstmals oder rezidivierend Liegen auftreten, werden als Ruheschmerz bezeich-
55Ruhe oder/und belastungsabhängig net und sind bei Arthrosen oft eine Indikation für
55Ein oder mehrere Gelenke betroffen einen operativen Gelenkersatz.
55Symmetrie
55Morgensteifigkeit Schwellungen Entzündete Gelenke sind in der Regel
55Dauer (Tage, Wochen) der Beschwerden sichtbar geschwollen, Schmerzen treten unabhängig
55Akuter oder schleichender Beginn von Belastungen und in jedem Lebensalter auf.
55Begleitsymptome: Fieber, Infekte, Hautverän- Durch Degeneration bzw. durch Verschleiß her-
derungen, Augenentzündungen etc. vorgerufene Erkrankungen sind häufig in den „tra-
55Familienanamnese: Morbus Bechterew, genden“ Gelenken belastungsabhängig und ohne
Psoriasis, Gicht, Arthrosen der kleinen Schwellung. Durch besondere Beanspruchung kann
Gelenke etc. es aber auch in diesen Gelenken zu Schwellungen
55Herkunftsland: Morbus Behçet, kommen (Reizerguss, aktivierte Arthrose).
Mittelmeerfieber Auch die Schädigung eines primär gesunden
55Medikamente (Steroide?) Gelenkes, wie z. B. eine Sportverletzung im Knie,
kann durch einen Binnenschaden (Läsion von Menis-
kus oder Bändern) eine ausgeprägte Schwellung
hervorrufen.
1.1 Anamnese und Untersuchung
Fingerarthrosen Eine sehr häufige (Sonder-)Form
Der geschulte Arzt sollte zunächst das Beschwerde- der Arthrosen sind die Fingerarthrosen der Mit-
bild so weit einordnen, ob eine primär entzündliche telgelenke (Bouchard-Arthrosen) und Endgelenke
4 Kapitel 1 · Diagnose und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
RA Psoriasis Fingerarthrose
. Abb. 1.1 Typisches Gelenkbefallsmuster bei rheumatoider Arthritis (RA), bei Psoriasisarthritis und bei Arthrosen der
Fingergelenke
1.1 · Anamnese und Untersuchung
5 1
. Abb. 1.2 Symmetrische
Schwellung der MCP-Gelenke bei
rheumatoider Arthritis
dem vorderen Atlasbogen stabilisiert, kann zu einer Wachstumsstörungen an Grund- und Deckplatten
Kompression des Rückenmarks führen. Frühsymp- der Wirbelkörper und führt zu einer Kyphose der
tome sind Schmerzen im Nacken- und Schulterbe- Brustwirbelsäule. Frühmorgendliche oder nächtliche
reich sowie Kopfschmerzen im Hinterhauptbereich. Schmerzen im tiefen Kreuzbereich mit Besserung
Die Unterscheidung zum Spannungskopfschmerz auf Bewegung (entzündlicher Rückenschmerz) bei
oder zu degenerativen Veränderungen im Bereich jungen Erwachsenen lassen an eine ankylosierende
der Schulter- und Nackenregion kann schwierig Spondylitis (Morbus Bechterew) denken. Bei dieser
sein. In Abhängigkeit vom Druck auf das Rücken- familiär gehäuft vorkommenden Erkrankung ist eine
mark kann es auch zu Parästhesien und Schmerzen zusätzliche apparative (konventionelles Röntgen,
im Bereich der Arme und Beine sowie in Ausnah- Computertomographie oder Kernspintomographie)
mefällen zu bedrohlichen Tetraparesen kommen. und laborchemische (Blutsenkungsreaktion, Human
Eine Beteiligung der Halswirbelsäule wird übli- Leukocyte Antigen B27 [HLA-B27]) Untersuchung
cherweise erst bei fortgeschrittener Erkrankung zur Diagnostik notwendig.
beobachtet.
Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule
im mittleren und höheren Alter sind meist die Folge Fallbericht: Eine Studentin mit
degenerativer Veränderungen der kleinen Wirbel- Kreuzschmerzen
gelenke (Spondylarthrose) oder der Bandscheiben. Eine 22-jährige Medizinstudentin klagte seit
Plötzlich einschießende Schmerzen im Hals einigen Monaten über Kreuzschmerzen. Diese
oder Lendenbereich mit Ausstrahlung in Arme oder traten sowohl in Ruhe als auch bei Bewegung
Beine, eventuell auch mit Lähmungserscheinungen, auf, vor allem bemerkte sie diese am Morgen
weisen auf einen Bandscheibenvorfall hin. und in sitzender Position. Sie suchte schließlich
Auch ein Wirbelkörpereinbruch im Rahmen einen Arzt auf, der zunächst Blockaden im
einer Osteoporose kann zu plötzlich auftretenden, Lendenwirbelbereich diagnostizierte und
heftigen Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule Schmerztabletten verschrieb. Dadurch wurden
führen. Rückenschmerzen vorwiegend männli- die Beschwerden vorübergehend besser,
cher Jugendlicher treten bei Morbus Scheuermann kehrten jedoch wieder zurück; schließlich
auf. Diese relativ häufige Erkrankung (Angaben wurden eine Röntgen- und in Folge eine
bis 30%) unbekannter Ätiologie entsteht durch
6 Kapitel 1 · Diagnose und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
42
1 Computertomographie-Untersuchung der Kommentar
Lendenwirbelsäule durchgeführt. Es wurde Bei einem tief sitzenden (typischerweise
der Verdacht auf einen „beginnenden“ morgendlichen) Kreuzschmerz bei jungen
Bandscheibenvorfall geäußert. Entsprechende Menschen (als Folge einer Sakroiliitis), der
physiotherapeutische Maßnahmen und eine über mindestens 3 Monate andauert, zu
Schmerztherapie führten wiederum zu einer keiner Erleichterung in Ruhe führt, sich aber
vorübergehenden Besserung. Insgesamt bei Bewegung bessert, muss man einen
konnten die Beschwerden letztendlich durch entzündlichen Rückenschmerz in Erwägung
die Röntgenbefunde nicht exakt erklärt und ziehen. Unter Verabreichung von Analgetika
geklärt werden. bildeten sich die Schmerzen erfolgreich
Die Schmerzen traten vor allem im Sitzen, d. h. zurück, die serologischen Entzündungszeichen
beim Lernen auf. Ein Psychologe diskutierte waren nicht erhöht. Beobachtung und
sogar eine psychosomatische Ursache und Verlaufskontrollen sind angezeigt. Bei
vermutete einen „inneren Widerwillen“ Verschlechterung bzw. Erfüllung der
gegen das Studium. Ein Rheumatologe Indikationskriterien sollte eine Behandlung mit
konnte (mit Hilfe der Kernspintomographie) Biologika angestrebt werden.
die Diagnose stellen. Es zeigte sich eine
beidseitige Sakroiliitis; im Labor fand sich eine
mäßig erhöhte Blutsenkungsreaktion und der
Nachweis von HLA-B27.
Es wurde lokal in die beiden Kreuz-Darm- 1.1.3 Psoriasisarthritis (PsA)
bein-Gelenke Kortison appliziert; dadurch
ging es der Patientin rasch besser und in Ist eine wurstförmige Schwellung eines Fingers, einer
weiterer Folge wurden gezielte physiothera- oder mehrerer Zehen („sausage toe“) auffällig, ist an
peutische Maßnahmen und entsprechende eine Gelenkbeteiligung im Rahmen einer Schuppen-
Übungen zur Stärkung der Rückenmuskulatur flechte zu denken (. Abb. 1.3).
eingeleitet. Die PsA kann zahlreiche und ähnliche Gelenkre-
Die Studentin war trotz allem erleichtert, dass gionen wie die rheumatoide Arthritis befallen, zeigt
die Beschwerden nicht als „psychisch“ beurteilt aber einige Unterschiede, wie den oben beschriebe-
wurden. In den folgenden Monaten war sie nen Befall im Strahl (Daktylitis), die Beteiligung der
weitgehend beschwerdefrei, konnte ihrem Endgelenke sowie einen Nagelbefall im Sinne einer
Studium nachgehen und war auch sportlich
aktiv. Die serologischen Entzündungs-
parameter waren kontrolliert im Normbereich,
der tiefsitzende Rückenschmerz sistierte
unter fallweiser Gabe von Schmerzmittel.
Entzündungen peripherer Gelenke sowie
extraartikuläre Manifestationen traten nicht
auf. Keiner der befragten Blutsverwandten
hatte eine ähnliche Symptomatik.
Der BASDAI-Index, ein Fragebogen, der
die subjektive Befindlichkeit des Patienten
repräsentiert, war <4. Aufgrund der sich
rasch stabilisierenden Symptomatik war
eine weitere medikamentöse Therapie nicht
notwendig. . Abb. 1.3 Befall einer Zehe im Strahl („sausage toe“) bei
Psoriasisarthritis
1.1 · Anamnese und Untersuchung
7 1
Verdickung oder Abhebung des Nagels, von Nagel- Zehengelenk) muss auch an eine reaktive Arthritis
brüchen oder einer Tüpfelung der Nägel. gedacht werden (. Abb. 1.4). Die reaktive oder post-
Nagelbeteiligungen sind bei der PsA im Gegen- infektiöse Arthritis kann im Gefolge von Infekten
satz zur unkomplizierten Schuppenflechte häufiger der Atem- oder Harnwege und nach Durchfaller-
und unter Umständen für die Diagnostik wichtig. krankungen auftreten. Vor allem bei Befall einzel-
Die Diagnose ist leicht zu stellen, wenn die ner Gelenke ist immer nach einem ca. 1–4 Wochen
Schuppenflechte an typischen Prädilektionsstellen vor Ausbruch der Arthritis durchgemachten Infekt
wie an den Streckseiten der Knie- und Ellbogen- zu fanden. Häufig ist eine vorangegangene Infektion
gelenke nachweisbar ist. An versteckte Herde am aber nicht nachweisbar. Auf Befragen geben Patien-
Haaransatz, im Nabelbereich oder retroaurikulär ist ten dann manchmal eine Mono- oder Oligoarthritis
zu denken. An eine PsA (sine psoriase) kann auch über die Dauer einiger Wochen bis Monate in frü-
gedacht werden, wenn ein Patient mit Arthritis selbst heren Jahren an. An eine mögliche Assoziation mit
keine Psoriasisherde zeigt, jedoch ein naher Ver- HLA-B27 ist zu denken.
wandter an einer Schuppenflechte erkrankt ist. Im
Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis ist die Betei-
ligung der Wirbelsäule und der Kreuz-Darmbein- 1.1.5 Arthritis urica
Gelenke möglich.
Bisweilen verläuft die PsA mild und es sind nur Jede Art der Gelenkerkrankung kann sich (vorüber-
wenige Gelenke betroffen; sie kann aber auch einen gehend) nur durch den Befall eines Gelenkes präsen-
chronisch progredienten polysynovitischen Verlauf tieren, auch die rheumatoide Arthritis; typisch ist es
ähnlich einer RA aufweisen. für die oben beschriebene reaktive Arthritis und in
erster Linie für die Gicht (Arthritis urica).
Die Arthritis urica ist gekennzeichnet durch
1.1.4 Reaktive Arthritis einen plötzlichen, sehr schmerzhaften Befall meist
nur eines Gelenks. Am häufigsten ist das Großzehen-
Sind nur wenige Gelenke von einer schmerzhaften grundgelenk betroffen, aber die Attacke kann auch
Schwellung betroffen (Oligoarthritis) und handelt in einem anderen Gelenk wie z. B. dem Kniegelenk
es sich bevorzugt um einen Befall der unteren Ext- auftreten. Die Entzündung dauert in der Regel auch
remitäten (z. B. ein entzündetes Knie-, Sprung- und ohne Therapie nur wenige Wochen und bildet sich
Rheumaknoten Bei Gelenkerkrankungen ist immer Fieberanamnese Unerlässlich ist eine Fieberana-
auch die Haut des Patienten zu inspizieren. Bei der mnese. Erhöhte Temperaturen können im Rahmen
rheumatoiden Arthritis kann es typischerweise an den von Schubsituationen bei rheumatoider Arthri-
Streckseiten der Unterarme zu derben Knoten unter tis, bei Kollagenosen oder Vaskulitiden auftreten
der Haut (Rheumaknoten) kommen (. Abb. 1.5). und ebenso auf eine infektiöse Arthritis hinwei-
sen. Fieberhafte Temperaturen müssen aber auch an
Schuppenflechte Eine Schuppenflechte oder Verän- eine (Begleit-)Infektion im Rahmen einer chroni-
derungen der Nägel lassen in Zusammenschau mit schen Gelenkerkrankung, insbesondere unter einer
einer Gelenkerkrankung an eine PsA denken. immunsuppressiven Therapie denken lassen.
1.1.7 Rheumatologische
Basisuntersuchung
1.2.2 C-reaktives Protein (CRP) auch bei Gesunden mit zunehmendem Alter häufi-
42
1 ger vorkommt, andererseits bei 20–30% der Patien-
Das CRP wird in der Leber synthetisiert und von ten mit RA immer negativ bleibt („seronegative RA“)
allen Akute-Phase-Proteinen bei bestimmten ent- [4], [9].
zündlichen Reaktionen am schnellsten (innerhalb
von 8 Stunden) und am stärksten in das Plasma
freigesetzt. 1.2.4 Antikörper gegen citrullinierte
Es ist ein ebenso guter Parameter wie die BSG zur Antigene (Anti-Citrullinated
Verlaufskontrolle der RA und der Vaskulitiden, und Protein/Peptide Antibodies,
mit Einschränkung zur Überwachung einer Spon- ACPA)
dyloarthritis oder PsA geeignet.
Eine Ausnahme stellt der systemische Lupus ery- Anti-CCP-Antikörper Eine Reihe von citrullinierten
thematodes (SLE) dar. Ein Anstieg der CRP ist ein Antigenen konnte innerhalb des entzündeten Syn-
Hinweis auf einen zusätzlichen bakteriellen Infekt, ovialgewebes von Patienten mit RA nachgewiesen
da eine Zunahme der Krankheitsaktivität beim SLE werden. Anti-CCP-Antikörper richten sich gegen
üblicherweise nicht mit einer Erhöhung des CRP zyklische citrullinierte Peptide, die bei Patienten mit
einhergeht. RA im Gelenk nachweisbar sind.
Für den erfahrenen Arzt sind zur Diagnose und Mit einer hohen Spezifität (81–100%) und Sen-
Verlaufsbeobachtung chronisch entzündlich-rheu- sitivität (39–94%) sind Anti-CCP-Antikörper der
matischer Erkrankungen beide Parameter, trotz aller beste serologische Diagnoseparameter der RA. Der
Einschränkungen, hilfreich und sinnvoll [9]. Nachweis dieser Antikörper ist von hohem prädikti-
vem Wert für die Entwicklung einer RA bei Patienten
mit noch unklaren Gelenkbeschwerden bzw. einer
1.2.3 Rheumafaktor (RF) undifferenzierten Früharthritis. Anti-CCP-Antikör-
per können schon lange vor Ausbruch einer klini-
Der RF ist der bekannteste diagnostische Marker für schen Symptomatik serologisch nachweisbar sein.
die RA und Bestandteil der Klassifikationskriterien Demgegenüber sind sie sehr selten bei anderen
des American College of Rheumatology (ACR) und Gelenkerkrankungen und Kollagenosen nachweis-
der European League Against Rheumatism (EULAR) bar. Es wurde in mehreren Untersuchungen eine
für die RA. Für die Diagnostik ist der Nachweis von prognostische Relevanz beschrieben, einhergehend
Immungloblin(Ig)M-Rheumafaktoren am meisten mit einem möglicherweise schwereren Verlauf und
verbreitet und international standardisiert. Diese frühzeitiger Entwicklung erosiver Gelenkverände-
sind gegen den Fc-Teil vom IgG gerichtete Auto- rungen. Es besteht keine gesicherte Korrelation zwi-
antikörper, besitzen allerdings nur eine ungenügende schen Krankheitsaktivität und Höhe des Antikörper-
diagnostische Spezifität (80–95%) und Sensitivität titers. Daher eignen sich diese Antikörper nicht als
(60–80%). RF der IgM-Klasse sind zu Krankheitsbe- Verlaufsparameter.
ginn seltener positiv und sind erst bei einer Krank-
heitsdauer von mehr als einem Jahr bei 70–80% der Anti-MCV-Antikörper Anti-MCV-Antikörper sind
Patienten mit RA nachweisbar („seropositive RA“). gegen mutiertes citrulliniertes Vimentin (MCV)
Der RF-Titer ist in der Regel unabhängig von gerichtet und haben eine vergleichbare diagnostische
Krankheitsaktivität und Therapie. Patienten mit Spezifität und Sensitivität wie Anti-CCP-Antikör-
extraartikulären Manifestationen oder aggressivem per. Erste Untersuchungen wiesen auf eine signifi-
Krankheitsverlauf haben jedoch oft höhere Titer von kante Korrelation zwischen Anti-MCV-Antikörper-
Rheumafaktoren. titer und Schweregrad der RA sowie auch zur Krank-
Die diagnostische Aussagekraft des Rheumafak- heitsaktivität hin.
tors ist insgesamt ungenügend, da er bei einer Reihe Der Nachweis von Antikörpern gegen citrulli-
von Autoimmun- und Infektionskrankheiten sowie nierte Antigene im Serum von Patienten mit einer
1.2 · Laboruntersuchungen
11 1
RA oder auch einer noch undifferenzierten Arthritis 1.2.7 ANA-Subspezialitäten
ist nicht nur von prognostischer Bedeutung, sondern
hat auch eine therapeutische Konsequenz [4], [6], Die Untersuchung von Antikörpern gegen „extra-
[9], [22]. hierbare nukleäre Antigene (ENA, Synonym ANA-
Subsets) erfolgt üblicherweise im Anschluss an einen
positiven Nachweis von ANA.
1.2.5 RA33-Antikörper
Antikörper gegen Doppelstrang-DNA (dsDNA) Dies
Diese haben eine hohe Spezifität (69–96%) bei RA, sind die wichtigsten Antikörper zur Diagnose eines
sind nicht mit dem RF assoziiert und sind bei sero- SLE und Bestandteil der ACR-Klassifikationskrite-
negativer RA in ca. 45% nachweisbar. Sie sind häufig rien. Sie sind bei aktiver Erkrankung mit Nierenbe-
bei einer frühen RA nachweisbar. Nach bisherigen teiligung in ca. 90%, ohne Nierenerkrankung zwi-
Untersuchungen besteht keine enge Korrelation zu schen 50 und 70% sowie bei inaktiver Erkrankung in
Krankheitsdauer, Aktivität oder Verlauf. Anti-RA33- unter 40% der Fälle serologisch nachweisbar. Ein feh-
Antikörper können beim SLE mit Gelenkbeteiligung lender Nachweis von dsDNA-Antikörpern schließt
und erosivem Verlauf in bis zu 70% nachgewiesen insbesondere bei hochtitrigen ANA und Nachweis
werden. anderer Markerantikörper einen SLE nicht aus [2],
Es ergibt sich somit eine diagnostische Relevanz [5], [8].
bei seronegativer RA sowie bei SLE mit Arthritis [4].
Sm-Antikörper Sm-Antikörper besitzen eine hohe
Spezifität (> 95%) für einen SLE und es wurde eine
1.2.6 Antinukleäre Antikörper (ANA) Korrelation zwischen Krankheitsaktivität und Sm-
Antikörper-Titer beschrieben.
Als ANA werden alle Antikörper bezeichnet, die mit
nicht gewebsspezifischen Zellkernantigenen reagie- SS-A/Ro- und SS-B/La-Antikörper Sie zeigen eine
ren. Im indirekten Immunfluoreszenztest (IIFT) hohe Prävalenz für das primäre (bis zu 96%) und
rufen Antikörper mit humanen Kulturzellpräpara- sekundäre (bis zu 80%) Sjögren-Syndrom. Der
ten eine mikroskopisch nachweisbare Zellkernim- gleichzeitige Nachweis beider Antikörperspezifitä-
munfluoreszenz hervor. ten erhärtet die Diagnose. SS-A/Ro und SS-B/La sind
ANA finden sich bei vielen systemischen ent- Markerantikörper für das primäre Sjögren-Syndrom,
zündlich-rheumatischen Erkrankungen. ANA sowie können aber auch bei anderen Kollagenosen wie dem
einzelne ANA-Spezialitäten wurden in die ACR- SLE oder bei der RA nachweisbar sein.
Klassifikationskriterien für SLE, Sjögren-Syndrom
und Mischkollagenose aufgenommen. Topoisomerase-I-Antikörper (Anti-Scl-70) Topoiso-
ANA werden auch bei anderen Erkrankungen, merase-I-Antikörper sind Markerantikörper für die
z. B. bei Infektionskrankheiten und mit zuneh- systemische Sklerose (SSc).
mendem Lebensalter auch gehäuft bei Gesun- Scl-70-Antikörper finden sich in weniger als 10%
den nachgewiesen. Niedrige ANA-Titer bis 1:160 der Patienten mit limitierter kutaner systemischer
sind unspezifisch und von geringer diagnostischer Sklerose (lcSSc) und bei bis zu 65% der diffusen,
Bedeutung. Auch hochtitrige ANA ohne entspre- kutanen systemischen Sklerose (dcSSc).
chende klinische Symptomatik und ohne Marker-
antikörper sind wenig aussagekräftig. Der Nach- Zentromerantikörper (ACA) Zentromerantikör-
weis von ANA bei klinisch Gesunden sagt wenig per richten sich gegen in der Zentromerenregion
über die mögliche Entwicklung einer Kollagenose der Chromosomen gelegene Proteine (CENP). Das
aus; andererseits können positive ANA-Titer dem häufigste Zielantigen ist CENP-B. Diese sind Mar-
Ausbruch eines SLE jahrelang vorausgehen [8], kerantikörper der lcSSc und finden sich bei diesen
[12], [30]. Verlaufsformen in 60–80% der Patienten, bei der
12 Kapitel 1 · Diagnose und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
diffusen systemischen Sklerose nur in 3–12% [8], geeignet. Der prädiktive Wert eines positiven ANCA-
42
1 [11], [21]. Immunfluoreszenztests für die Diagnose einer Vas-
kulitis ist sehr gering und steigt erst bei zusätzlicher
Anti-Jo-1-Antikörper Diese sind Markerantikörper und entsprechender klinischer Symptomatik [9],
der Poly- und Dermatomyositis mit einer Prävalenz [30].
von bis zu 35%. Sie sind in der Regel schon frühzei-
tig bei Krankheitsbeginn nachweisbar und weisen
auf einen schweren Krankheitsverlauf hin, können 1.2.9 Antiphospholipid-Antikörper
aber unter Therapie verschwinden. (APA)
zur Überwachung von Nebenwirkungen durch bestimmt werden, die bei Traumata, sportlichen
42
1 Medikamente. Betätigungen, bei Herzinfarkt, aber eben auch im
Rahmen von Muskelerkrankungen erhöht sein kann.
Harnsäure Eine Erhöhung der Harnsäure kann zu
einer Gichtarthritis führen. Synovialflüssigkeit Eine Gelenkpunktion und
Analyse der Synovialflüssigkeit (Synovia) ist indi-
Leberfunktionsparameter Die Bestimmung der ziert bei Verdacht auf eine bakterielle Gelenkinfek-
Leberfunktionsparameter dient in der Rheumatolo- tion, zur Differenzierung eines entzündlichen von
gie vor allem der Überprüfung einer Basistherapie, einem nichtentzündlichen Erguss und zum Nach-
da z. B. eine Erhöhung der Transaminasen häufig als weis bzw. Ausschluss von Kristallen.
Folge einer medikamentös-toxischen Wirkung auf-
tritt, selten auch im Rahmen einer Mitbeteiligung Serologie Serologische Verfahren in der Diagnostik
der Leber bei entzündlich-rheumatischen Erkran- reaktiver Arthritiden werden seit Jahren verwendet,
kungen. Eine Transaminasenerhöhung fällt auch bei geben aber nur indirekte Hinweise auf eine persistie-
Myositiden auf. Zudem ist eine Hepatitis infektiöser rende oder gerade abgelaufene Infektion und sollten
Ursache auszuschließen. Bei einem isolierten Anstieg daher sehr gezielt eingesetzt werden (. Tab. 1.2).
der alkalischen Phosphatase ist an einen Morbus
Paget zu denken. Borrelienserologie Eine Labordiagnostik der Bor-
reliose sollte ebenfalls sehr gezielt bei klinischem
Kreatinkinase Bei klinischem Verdacht auf eine Verdacht erfolgen. Es wird eine Stufendiagnos-
Myositis sollte in jedem Fall die Kreatinkinase (CK) tik empfohlen. Bei grenzwertigem oder positivem
Symptome/Verdacht Diagnoseparameter
1.3.3 Computertomographie
1.3 Bildgebende Verfahren
Die Computertomographie wird nur mehr verein-
Bildgebende Verfahren stellen neben der Labordia- zelt zur Diagnostik entzündlicher und degenerati-
gnostik die Säulen der technischen bzw. apparati- ver Knochenveränderungen eingesetzt (eventuell zur
ven Untersuchungen in der Rheumatologie dar. Sie Beurteilung knöcherner Veränderungen im Bereich
finden sowohl Verwendung in der Frühdiagnostik der Kreuz-Darmbein-Gelenke und zur Diagnostik
zur Diagnosefindung als auch zur Verlaufsbeurtei- des Bandscheibenvorfalls).
lung im Sinne der Überprüfung und Erfolgskontrolle
einer Basistherapie. So sollten Hände und Vorfüße
in den ersten 2 Jahren alle 6–12 Monate, später alle 2 1.3.4 Kernspintomographie (MRT =
Jahre geröntgt werden. Bei schwer verlaufender RA Magnetresonanztomographie)
sollte zum Ausschluss einer Zervikalarthritis die
Halswirbelsäule alle 3–4 Jahre in Normalstellung und Diese Methode ist hervorragend zur Beurteilung von
Inklination geröntgt, bei Verdacht eine Kernspinto- Schädigungen der Gelenkflächen, Knorpel, Sehnen
mographie gemacht werden [15], [27]. und Bänder geeignet. Die MRT dient zur Beurteilung
16 Kapitel 1 · Diagnose und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
von traumatischen Schäden bzw. Sportverletzungen Gelenk- oder Wirbelsäulenerkrankung. Die Szinti-
42
1 der Knie- und Schultergelenke. graphie ist die Methode der Wahl zur Diagnose des
Die MRT wird auch häufig zur Diagnostik ent- Morbus Paget [25].
zündlicher Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen
herangezogen. Mit Hilfe der MRT besteht die Mög-
lichkeit der gleichzeitigen Abbildung knöcherner Literatur
und nichtknöcherner Abschnitte. Durch Gabe von
[1] Aguero-Rosenfeld ME, Wang G, Schwartz I, Wormser GP
Kontrastmittel können entzündliche Veränderun- (2005) Diagnosis of lyme borreliosis. Clin Microbiol Rev
gen im Bereich der Gelenke sehr gezielt dargestellt 18:484–509
werden. Die Kernspintomographie wird zur Früh- [2] Arbuckle MR, McClain MT, Rubertone MV et al (2003)
diagnostik und zur Verlaufskontrolle der rheuma- Development of autoantibodies before the clinical
toiden Arthritis unter Therapie eingesetzt, da knö- onset of systemic lupus erythematosus. N Engl J Med
349:1526–1533
cherne Veränderungen in der MRT früher als im [3] Ehrfeld H, Renz M, Hartung K et al (1994) Rekombinante
konventionellen Röntgen darstellbar sind. Ro-, La und U1-n-RNPAntigene: Nachweis von Autoanti-
Als gesicherte Indikation zählen bei rheumatoider körpern mittels ELISA und klinische Assoziationen beim
Arthritis die Beurteilung der Halswirbelsäule bei Ver- SLE. Z Ärztl Fortbild 88:495–500
[4] Feist E, Egerer K, Burmester GR (2007) Autoantikörper-
dacht auf Zervikalarthritis am atlantoaxialen Über-
profile bei der rheumatoiden Arthritis. Z Rheumatol
gang, der Nachweis oder Ausschluss einer Hüftkopf- 66:212–218
nekrose und gegebenenfalls der frühzeitige Nachweis [5] Font J, Cervera R, Ramos-Casals M et al (2004) Clusters
von strukturellen Veränderungen am Handskelett. of clinical and immunologic features in systemic lupus
Die MRT ist die beste und wichtigste Methode erythematosus: analysis of 600 patients from a single
center. Semin Arthritis Rheum 33:217–230
zur (frühzeitigen) Darstellung und Beurteilung ent-
[6] Gaalen FA van, Linn-Rasker SP, Venrooij WJ van et al
zündlicher Veränderungen im Bereich der Wirbel- (2004) Autoantibodies to cyclic citrullinated peptides
säule und der Sakroiliakalgelenke im Rahmen einer predict progression to rheumatoid arthritis in patients
axialen Spondyloarthritis. Die MRT wird ohne Strah- with undifferentiated arthritis: a prospective cohort
lenbelastung durchgeführt, ist aber kosten- und per- study. Arthritis Rheum 50:709–715
[7] Hartung K, Langer HE (1990) Viren und Arthritis. WMW
sonalintensiv [19].
140:315–318
[8] Hartung K, Seelig HP (2006) Labordiagnostik der syste-
mischen Autoimmunerkrankungen. Teil 1: Kollageno-
1.3.5 Drei-Phasen-Szintigraphie sen. Z Rheumatol 65:709–724
[9] Hartung K, Seelig HP (2007) Labordiagnostik der syste-
mischen Autoimmunerkrankungen. Teil 2: Rheumatoide
Die Szintigraphie ist eine sensitive, aber wenig spe-
Arthritis und Vaskulopathien. Z Rheumatol 66:225–238
zifische Methode zum Nachweis entzündlicher [10] Hartung K, Ehrfeld H, Gerritzen A, Kuipers JG, Wolters B
Gelenk- und Wirbelsäulenveränderungen. Bei (2007) Labordiagnostik der systemischen Autoim-
dieser Untersuchung erhält der Patient eine kleine munerkrankungen. Teil 3: Infektbedingte Arthritiden.
Menge einer radioaktiv markierten Substanz, die Z Rheumatol 66:395–415
[11] Ho KT, Reveille JD (2003) The clinical relevance of auto-
eine geringe, aber relevante Strahlenbelastung für
antibodies in scleroderma. Arthritis Res Ther 5:80–93
den Patienten darstellt. Unmittelbar nach intrave- [12] Hoffman IE, Peene I, Meheus L et al (2004) Specific
nös verabreichter Injektion erfolgt die Verteilung antinuclear antibodies are associated with clinical fea-
im Blutkreislauf, nach 10–15 Minuten im entzün- tures in systemic lupus erythematosus. Ann Rheum Dis
deten Synovialgewebe und nach 2–3 Stunden zeigt 63:1155–1158
[13] Hülsemann JL, Zeidler H (1999) Diagnostic evaluation of
die Aktivitätsanreicherung der markierten Substanz
classification criteria for rheumatoid arthritis and reac-
Veränderungen im Knochen. Die Frühphase ist ent- tive arthritis in an early synovitis outpatient clinic. Ann
scheidend zur Beurteilung entzündeter Gelenke. Rheum Dis 58:278–280
Durch die Szintigraphie können Arthralgien von [14] Inman RD (1999) Classification criteria for reactive arth-
einer manifesten Arthritis unterschieden werden. ritis. J Rheumatol 26:1219–1220
[15] Kellner H, Schmidt W, Rau R (2005) Bildgebende Verfah-
Ein negativer skelettszintigraphischer Befund
ren in der Rheumatologie. Z Rheumatol 64:553–556
spricht gegen das Vorliegen einer entzündlichen
Literatur
17 1
[16] Kuipers JG, Zeidler H, Wollenhaupt J, Köhler L (2000)
Diagnostik der reaktiven Arthritiden. Aktuelle Rheuma-
tol 25:22–29
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19 2
Literatur – 39
Die rheumatoide Arthritis (RA, Synonym: chro- mukosaler Proteine zur Folge haben. Solche Neo-
nische Polyarthritis) ist die häufigste entzündliche Epitope bewirken einen Toleranzverlust und führen
Gelenkerkrankung. Etwa 0,5(–1)% der Bevölke- zur Ausbildung von ACPA [21].
2 rung sind betroffen. Es handelt sich um eine chro- Die Hypothese einer Infektion als (Mit-)Ursache
nisch fortschreitende Entzündung mit bevorzugtem wird immer wieder diskutiert, weil einige Formen
symmetrischem Gelenkbefall. Unbehandelt führt entzündlicher Gelenkerkrankungen durch Infekte
sie meist zur Gelenkzerstörung. Auch eine Beteili- ausgelöst werden können (reaktive Arthritiden), die
gung von Sehnen, Gefäßen und inneren Organen ist aber im Gegensatz zur RA in der Regel nicht chro-
möglich. nisch verlaufen und üblicherweise keine Gelenkschä-
Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter auf- digungen hervorrufen. Zahlreiche Erreger werden
treten, bevorzugt zwischen dem 35. und 50. Lebens- bei der Auslösung der RA genannt, wie Parvovirus,
jahr. Frauen sind 3-mal häufiger betroffen [11], [19], Proteus mirabilis, Mycobacterium tuberculosis etc.
[21], [33]. Letztendlich ist aber bislang kein gesicherter Erre-
gernachweis erbracht worden. Auch der Mechanis-
z Ätiologie und Pathogenese mus ist noch nicht geklärt. Es könnte durch Ähnlich-
Typisch für die Erkrankung sind eine synoviale Ent- keit viraler Antigene mit autologen Strukturen des
zündung und Hyperplasie, der Nachweis bzw. die Gelenks eine immunologische Kreuzreaktion (mole-
Produktion von Autoantikörpern (Rheumafaktor kulares Mimikry) erfolgen. Die Initiierung der Ent-
und anticitrullinierte Protein-Antikörper [ACPA]), zündung könnte auch durch Ansiedlung eines noch
Zerstörung von Knorpel und Knochen sowie syste- unbekannten Erregers im Gelenk erfolgen. Dadurch
mische Merkmale [21]. Die RA hat wahrscheinlich kann eine ständige Freisetzung antigener Bestand-
nicht nur eine Ursache. Ererbte Anlagen, epigeneti- teile oder eine Veränderung ortsständiger Zellen
sche Veränderungen, eine veränderte Immunabwehr bewirkt werden. Es könnte eine sekundäre Immun-
und Umweltfaktoren spielen eine Rolle. Verwandte reaktion gegen Strukturen des Gelenkknorpels (z. B.
ersten Grades von RA-Patienten erkranken häufiger. das Kollagen des Knorpels), die im Rahmen der Ent-
Allerdings erkranken eineiige Zwillinge nur in etwa zündung freigesetzt werden (= „epitope spreading“),
15–30% und zweieiige Zwillinge in 5% gemeinsam. ausgelöst werden.
Das Vorhandensein der Erbanlage ist häufig gekop- Die Bildung von Immunkomplexen während
pelt mit einem ebenfalls erblichen Oberflächenmerk- einer Infektion könnte die Produktion von Rheu-
mal auf den Leukozyten (HLA, Human Leukocyte mafaktoren auslösen.
Antigen). Bei Patienten mit RA ist ein bestimmtes Möglicherweise spielt die Immunantwort auf
Antigen, HLA-DR4, 3- bis 4-mal häufiger als bei eine parodontale Infektion mit Porphyromonas gin-
Gesunden nachweisbar. Dieses Gen befindet sich am givalis bei einer entsprechenden genetischen Dis-
HLA-DRB1-Lokus. Genanalysen haben eine Verbin- position bei der Entwicklung der RA eine Rolle.
dung zwischen der Entwicklung einer RA und einer Man nimmt heute auch an, dass das gastrointes-
Anzahl von HLA-DRB1-Genen (inkl. HLA-DR4) tinale Mikrobiom einen Einfluss auf die Entwicklung
dokumentiert. Gemeinsam („share“) ist ihnen eine der Autoimmunität im Gelenk hat.
gleiche Aminosäuresequenz („shared epitope“). Auch diätetische Einflüsse werden genannt. Viele
Studien zeigen, dass HLA-DR4 in 70% der Patien- Patienten berichten über bestimmte Lebensmit-
ten von RA und nur in 28% bei Gesunden nachweis- tel, die Gelenkschmerzepisoden auslösen können,
bar ist. Röntgenuntersuchungen von Händen zeigten obwohl kontrollierte Studien fehlen. Wenige Studien
bei HLA-DR4-positiven Patienten ausgeprägtere erwähnen eine eiweißreiche Ernährung als einen
Gelenkschädigungen. Triggerfaktor.
Rauchen gilt als wesentlicher Risikofaktor für Zum Ausbruch kommt die RA durch ein plötzli-
das Auslösen einer RA. Vor allem Zigarettenrau- ches Reagieren von (vor allem) T-Lymphozyten auf
chen, aber auch andere Umwelteinflüsse können ein bislang noch unbekanntes Antigen im Sinne einer
bei prädisponierten Personen zu posttranslationa- entzündlichen Veränderung der Synovialmembran
len Veränderungen führen, die eine Citrullinierung und einer Produktion von Autoantiköpern durch
Die rheumatoide Arthritis
21 2
Plasmazellen (Toleranzverlust). Rheumafaktoren Osteoblasten und T-Lymphozyten und in der Folge
und ACPA sind aber oft auch schon vor der Ent- dadurch die Aktivierung der knochenabbauenden
wicklung einer Arthritis (präartikuläre Phase der Osteoklasten. Als Gegenspieler der Aktivierung fun-
RA) zu finden. giert das ebenfalls von Zellen des Immunsystems
B-Lymphozyten und Immunglobulin(Ig)-produ- produzierte Osteoprotegerin.
zierende Plasmazellen sind in der Synovialis anzu- Ein wichtiger und auch schon etablierter Ansatz,
treffen. Eine lokal stattfindende und antigengesteu- um den Entzündungsmechanismus zu unterbinden,
erte B-Zell-Entwicklung in der Synovialmembran ist die gezielte Blockade von TNF-α durch monoklo-
wird angenommen. Plasmazellen sind für die Pro- nale Antikörper oder einen löslichen TNF-Rezeptor
duktion von IgG- und -M-Rheumafaktoren verant- (Adalimumab, Etanercept, Infliximab und seit 2009
wortlich. B-Lymphozyten fungieren im Rahmen der Certolizumab Pegol und Golimumab). Ein gentech-
Pathogenese auch als antigenpräsentierende und nisch hergestellter humaner IL-1-Rezeptorantagon
zytokinsezernierende Zellen. So kann die selektive ist etabliert (Anakinra). Seit 2009 steht ein huma-
Depletion von CD20-positiven B-Lymphozyten nisierter Antikörper gegen IL-6 (Tocilizumab) zur
durch monoklonale Antikörper (Rituximab) zu einer Verfügung. Durch eine selektive Hemmung kostimu-
deutlichen Unterdrückung der Krankheitsaktivität latorischer Signale kann die Aktivität der T-Lympho-
führen. Während in dieser frühen Phase der Arthritis zyten ebenfalls reduziert werden (Abatacept).
das adaptive Immunsystem (T- und B-Lymphozyten Wenn auch die auslösende Ursache (noch)
und dendritische Zellen) eine wichtige Rolle spielt, ist unklar ist, so ist das Verständnis entzündlicher Vor-
in der chronischen Phase vor allem das angeborene gänge im Gelenk gewachsen. Die zentrale Rolle der
Immunsystem relevant. Zytokine in der Aufrechterhaltung der Entzündung
Gesteuert wird die chronische Entzündung und Gelenkzerstörung ist nachgewiesen. Die folgen-
durch Zytokine, die Botenstoffe des Immunsystems. den Jahre werden spannend und weitere entschei-
Die wichtigsten die Entzündung fördernden Zyto- dende Fortschritte in der Ursachenerforschung und
kine sind Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), Interleu- Behandlung bringen [11], [19], [21], [29], [33], [36].
kin-1 (IL-1) und Interleukin-6 (IL-6). Insbesondere
TNF-α produziert wieder Botenstoffe, die Entzün- z Symptomatik
dungszellen anlocken und ist wahrscheinlich für den Leitsymptom ist der Gelenkschmerz und eine mor-
Entzündungsprozess verantwortlich, IL-1 fördert die gendliche Steifigkeit. Die Störung der Beweglichkeit
Zerstörung von Knorpel und Knochen. bzw. Funktionsverluste entwickeln sich am Beginn
Aufgrund dieser entzündlichen Vorgänge der Erkrankung durch Entzündung und Schwel-
beginnt die Synovialmembran zu wuchern (Pannus). lung, in späteren Stadien durch Gelenkfehlstellun-
Es kommt zu einer Verbreiterung der normalerweise gen und Deformierungen sowie durch Muskelabbau
aus 1–2 Zelllagen bestehenden Deckzellschicht der und Tendopathien.
Gelenkinnenhaut durch Einwanderung von Mak- Es können beinahe alle Gelenke des Körpers
rophagen und Vermehrung von fibroblastenähnli- betroffen sein; im Vordergrund steht aber meist eine
chen Zellen und Bindegewebszellen. Auch Blutge- symmetrische Entzündung der Finger- und Hand-
fäße werden neu gebildet. Der Pannus überwuchert gelenke. Auch große Gelenke wie Hüfte oder Knie-
Gelenkspalt und Knorpel. gelenke sind häufig beteiligt. Eine schmerzhafte Ent-
Die Zerstörung des Gelenkknorpels entsteht zündung der Kiefergelenke ist ebenfalls typisch [27].
durch direkten Kontakt von Pannus und Knorpel. Eine seltene, aber schwere Erscheinungsform ist eine
Des Weiteren wird durch Enzyme aus dem Pannus Beteiligung der oberen Abschnitte der Halswirbel-
wie Matrixmetallproteinasen (Kollagenase, Protei- säule. Alleine die Brust- und Lendenwirbelsäule
nasen) der Knorpelabbau gefördert. Zudem aktivie- sind primär nicht betroffen. Finger- und Zehen
ren die Zytokine TNF-α und IL-1 die Osteoklasten. endgelenke sind bei der RA üblicherweise nicht
Ein weiterer wichtiger Mediator ist der Osteo- beteiligt.
klastendifferenzierungsfaktor (ODF, RANKL). Typisch ist ein schleichender Krankheitsbeginn
Vornehmlich IL-1 fördert die Freisetzung aus mit symmetrischem Befall der Fingergrund- und
22 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis
Fingermittelgelenke und der Handgelenke symmetrische Synovialitis kleiner und großer Ext-
(. Abb. 2.1). Ein unspezifisches Vorstadium mit remitätengelenke mit den Symptomen Schmerz,
Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust und subfeb- Schwellung und Überwärmung und durch eine
2 rilen Temperaturen kann dem Gelenkschmerz unterschiedlich lange ausgeprägte Morgensteifigkeit.
vorangehen. Die Schwellung ist vordergründig prall elastisch bei
Abweichend vom typischen Initialmuster Gelenkerguss oder teigig weich bei synovialer Pro-
können andere periphere Gelenke wie Kiefergelenke, liferation. Eine Rötung der entzündeten Gelenke ist
aber auch Knie-, Hüft- oder Sprunggelenke primär selten.
beteiligt sein. Bei ca. 30% der Patienten beginnt die Bei Kniegelenkergüssen wird häufig eine Baker-
Erkrankung atypisch mit einem mono- oder oligoar- Zyste beobachtet, im Sinne einer prallen elastischen
thritischen und auch asymmetrischen Gelenkbefall. Aussackung in die Kniekehle. Nicht selten kommt
Gelegentlich ist eine lokalisierte Tendosynovitis es zu einer Ruptur der Aussackung mit konsekutiver
Erstsymptom einer RA. Schwellung der Wade, wodurch eine Phlebothrom-
Bei 10–20% der Patienten kommt es zu einem bose vorgetäuscht werden kann.
akuten Krankheitsbeginn mit polyartikulärem Im Verlauf der Erkrankung nehmen Gelenk-
Gelenkbefall und fieberhaften Temperaturen, meist destruktion und Fehlstellungen der Gelenke zu,
unter Beteiligung der großen Gelenke. wodurch insbesondere in fortgeschrittenen und
späten Krankheitsphasen die Symptomatik geprägt
z Krankheitsverlauf wird.
Der Verlauf der Erkrankung ist chronisch progre-
dient mit unterschiedlich ausgeprägten arthritischen z z Hand
Schüben, die von Fieber und verstärktem Krank- Im Verlauf der Erkrankung wird am häufigsten die
heitsgefühl begleitet sein können. Spontane Remis- ulnare Deviation im Bereich der Finger- und Zehen-
sionen sind sehr selten. grundgelenke beobachtet (. Abb. 2.2). Typisch ist
Die Symptomatik ist geprägt durch einerseits auch eine Schwanenhalsdeformität mit Überstre-
reversible Gelenkschwellungen, andererseits durch ckung im Fingermittelgelenk und Beugung im End-
im Laufe der Erkrankung auftretende struktu- gelenk (. Abb. 2.3).
relle Schäden und Veränderungen. Der entzünd- Bei der Knopflochdeformität gleiten die Streck-
liche Gelenkbefall ist gekennzeichnet durch eine sehnen im Fingermittelgelenk seitlich nach volar ab
z z Knie
Am Kniegelenk kann es als Folge der Synovitis und
Ergussbildung zu Kapseldehnung mit Wackelknie und
vorderer und hinterer Instabilität kommen. Zuneh-
mende erosive Prozesse führen zu einem Genu valgum.
z z Fuß
Am Fuß kommt es zu einer lateralen Deviation im
Großzehengrundgelenk, die Zehengrundgelenke
. Abb. 2.3 Fortgeschrittene rheumatoide Arthritis mit
luxieren als Folge von Bandinstabilitäten und Erosio-
Schwanenhalsdeformität und Rheumaknoten nen nach dorsal, wodurch die Grundphalangen über-
streckt und die Endphalangen stark gebeugt werden.
Schließlich kommt es zu einem Auseinanderweichen
und führen zu einer Beugung im Mittelgelenk und der Mittelfußknochen mit Entwicklung eines rheu-
Überstreckung im Endgelenk. matischen Spreizfußes.
Beim Caput-ulnae-Syndrom, welches schon
frühzeitig im Verlauf einer RA auftreten kann, wird z z Hüftgelenk
das Ulnarköpfchen nach dorsal disloziert, als Folge Die Entzündung im Hüftgelenk lässt sich meist
einer Schädigung des Bandapparates zwischen nur indirekt nachweisen. Ein frühes Zeichen ist die
Ulnarköpfchen und Handwurzel. Streckhemmung; auch Ruheschmerzen, Endphasen-
Die 90/90-Deformität des Daumens ist die und Stauchungsschmerz lassen an eine entzündliche
Folge einer schweren Gelenk- und Weichteil- Beteiligung denken. Bei fortgeschrittener Erkran-
schädigung im Daumengrund- und Endgelenk, kung kommt es als Folge einer Kapselschrumpfung
wodurch ein Daumen-Zeigefinger- und Daumen- zu Beugekontraktur und schließlich zu einer fibrösen
Mittelfinger-Griff nicht mehr möglich ist. 90% der und knöchernen Ankylosierung.
24 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis
Aktivität mit deutlich erhöhten serologischen Ent- Diese sind allerdings meist nicht zur Frühdiagnostik
zündungszeichen, progrediente radiologische Ver- geeignet [7].
änderungen mit frühzeitigen Erosionen, positiver
Rheumafaktor und Nachweis von Antikörpern gegen
zyklische citrullinierte Peptide (CCP), das Auftreten ARA-Kriterien für die Diagnose einer rheu-
von Rheumaknoten und extraartikuläre Manifesta- matoiden Arthritis (revidiert 1987) [7]
tionen [19]. Bei Vorliegen der Symptome:
1. Morgensteifigkeit (länger als 1 Stunde)
z Diagnostik 2. Schwellung von mehr als 3 Gelenken
Die Diagnose wird gestellt durch die typische 3. Schwellung der Hand- und Fingergelenke
Gelenkschwellung mit Beteiligung der Hand- und 4. Symmetrische Gelenkentzündung
Fingergelenke, den symmetrischen Befall und die 5. Subkutane Knoten
Morgensteifigkeit der Gelenke, die auch länger als 6. Positiver Rheumafaktor
eine Stunde andauern kann. Bei der laborchemischen 7. Radiologische Veränderungen
Untersuchung des Blutes sind die Entzündungspara-
meter (Blutsenkung [BSG] und C-reaktives Protein RA gesichert, wenn mehr als 3 Kriterien positiv,
[CRP]) in der Regel erhöht. Der Rheumafaktor kann, die Kriterien 1–4 müssen über 6 Wochen
muss aber insbesondere zu Beginn der Erkrankung bestehen
nicht erhöht sein.
Röntgenologisch sichtbare Veränderungen
sollten insbesondere zum Zeitpunkt der Diag- Ein erfahrener Kliniker wird die richtige Diagnose
nose fehlen, da sie bereits auf ein fortgeschrittenes auch stellen, wenn die Kriterien nicht erfüllt sind.
Stadium hinweisen. Im Jahre 2009 wurden neue Klassifikationskri-
Insgesamt stehen die klinischen Erscheinungen terien für die RA vorgestellt, die von der European
bei der Diagnose im Vordergrund. Entscheidend ist League Against Rheumatism (EULAR) und dem
die Gelenkschwellung. Ein Gelenkschmerz ohne American College of Rheumatology (ACR) gemein-
Schwellung erlaubt nicht die Diagnose einer RA. sam entwickelt wurden [6]. Die neuen Kriterien
Hilfreich für die Diagnose sind die von der Ame- erlauben schon eine Diagnose im Frühstadium. Es
rican Rheumatism Association (ARA) 1988 publi- können dadurch Patienten, die ein hohes Risiko für
zierten revidierten Kriterien (7 folgende Übersicht). die Entwicklung eines progredient-erosiven Verlaufs
Die rheumatoide Arthritis
27 2
haben und einer raschen und intensivierten Basisthe- verhindern. Eine radiologische Untersuchung ist
rapie bedürfen, frühzeitig identifiziert werden. Die daher zur Frühdiagnostik nicht geeignet, hat aber
neuen Kriterien fordern eine aktuell nachweisbare eine große Bedeutung in der Verlaufsbeurteilung,
Synovitis zumindest eines Gelenks, die nicht durch der Einordnung der Destruktionstendenz und der
eine andere Erkrankung besser erklärt werden kann. Abgrenzung zu anderen Erkrankungen.
In einem Scoringsystem werden unterschiedliche Bei der Erstbegutachtung wird eine radiologische
Kriterien bewertet; bei einer Punktezahl von >5 gilt Darstellung der Hände und Vorfüße empfohlen, in
die Diagnose einer RA als gesichert (. Tab. 2.1). der Folge nach 1 Jahr und dann alle 1–2 Jahre.
z z Röntgen z z Sonographie
Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu einer Die Ultraschalluntersuchung hat in den letzten
gelenknahen Entkalkung der Knochen, zu Usuren Jahren in der Rheumatologie an Bedeutung zuge-
im Sinne kleiner erosiver Knochendefekte und zu nommen und eignet sich besonders in der Frühdia-
einer Gelenkspaltverschmälerung. Bei fortgeschrit- gnostik zum Nachweis oder Ausschluss einer Syno-
tener Erkrankung können Subluxationen, Luxatio- vitis oder eines Gelenkergusses. Sie eignet sich auch
nen und Ankylosen nachweisbar sein. Ein frühzei- exzellent zur Beurteilung klinisch schwer zugäng-
tiges therapeutisches Eingreifen soll das Auftreten licher Gelenke, wie dem Schulter- oder Hüftgelenk.
von Usuren, die bei chronisch progredienten Ver- Außerdem bietet sie die Möglichkeit einer dynami-
läufen meist schon innerhalb von 2 Jahren auftreten, schen Untersuchung und kann zum Nachweis von
. Tab. 2.1 ACR/EULAR-Kriterien für die Klassifikation der rheumatoiden Arthritis. Punktebezogener Algorithmus für
die Klassifikation eines geeignetena Patienten (Diagnose für RA gesichert: ≥6) [6]
ACPA Antikörper gegen zitrullinierte Peptide, RF Rheumafaktor, CRP C-reaktives Protein, BSG
Blutsenkungsgeschwindigkeit.
a Bezieht sich auf einen Patienten, bei dem bei klinischer Untersuchung zumindest ein geschwollenes Gelenk
nachweisbar ist.
28 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis
Antikörper gegen citrullinierte Peptide (ACPA) Diese DAS-28 (Disease Activity Score für 28 Gelenke) Zur
besitzen eine höhere Spezifität und eine ähnliche Beurteilung des Krankheitsverlaufs sowie zur Ein-
Sensitivität wie der RF für eine RA und sind oft schon schätzung und Steuerung der Therapie haben sich
lange vor Ausbruch der Erkrankung nachweisbar. Aktivitätsscores sehr bewährt. Der DAS-28 [35] hat
sich als ein wesentliches Element der Aktivitätsbe-
Antinukleäre Antikörper Diese sind gerade bei urteilung etabliert. Aus der Anzahl von schmerzhaf-
Rheumafaktor-positiver RA häufig niedrigtitrig ten und geschwollenen Gelenken (von 28 definierten
nachweisbar, dienen aber vor allem zur serologischen Gelenken: symmetrisch Schulter-, Ellbogen-, Hand-,
Differenzialdiagnose einer Kollagenose. Fingergrund-, Fingermittelgelenke, Kniegelenke),
der BSG und der Patientenbeurteilung, wird mittels
z Differenzialdiagnose mathematischer Gleichung ein DAS-28-Wert zwi-
Das differenzialdiagnostische Spektrum der RA schen 0 und 10 ermittelt (7 folgende Übersicht und
ist sehr umfangreich und umfasst neben anderen . Tab. 2.2).
Die rheumatoide Arthritis
29 2
der Krankheitsaktivität durch Patient und Arzt auf
. Tab. 2.2 Disease Activity Score – DAS-28
Interpretation [40] einer visuellen Analogskala keine weiteren Parame-
ter, insbesondere keine Laborparameter benötigt
DAS-28 (7 folgende Übersicht).
<2,6 klinische Remission
≥2,6 und <3,2 geringe entzündliche
Aktivität Clinical Disease Activity Index (CDAI) [1]
≥3,2 und ≤5,1 moderate Aktivität
1. Anzahl (0–28) der geschwollenen Gelenke
(SJC, Swollen Joint Count)
>5,1 hohe Krankheitsaktivität
2. Anzahl (0–28) der schmerzhaften Gelenke
Veränderung der DAS-Werte (z. B. unter Therapie)
(TJC, Tender Joint Count)
>1,2 gutes Ansprechen 3. Beurteilung der Krankheitsaktivität durch
>0,6 und ≤1,2 moderates Ansprechen Patienten (visuelle Analogskala, VAS
≤0,6 kein Ansprechen 0–10 cm)
4. Beurteilung der Krankheitsaktivität durch
Visuelle Analog-
skala (100 mm) Arzt (VAS 0–10 cm)
kann man entsprechend den subjektiven Erfahrun- einer neuen Basistherapie sogar in 1- bis 2-monati-
gen des Untersuchers mit 1–2 Scores bzw. Indizes gen Intervallen [28] (7 folgende Übersicht).
arbeiten. In durchschnittlich 3-monatigen Abstän-
2 den sollte eine Beurteilung der Krankheitsaktivität
erfolgen. Dadurch kann der Krankheitsverlauf und Medikamentöse Behandlung der rheuma-
das Ansprechen auf die Therapie beurteilt werden. toiden Arthritis
Die Indizes ersetzen naturgemäß nicht das ärztliche 55Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
Gespräch, verdrängen es aber auch nicht. Sie helfen 55Analgetika
aber frühzeitig und hoffentlich auch rechtzeitig, auf 55Glukokortikoide
eine Änderung der Krankheitsaktivität zu reagieren 55Basistherapeutika (Synonym: DMARDs =
und die Therapie anzupassen. Mit etwas Erfahrung Disease Modifying Anti-Rheumatic Drugs)
sind diese Indizes in der Praxis leicht und nur mit –– Konventionelle, synthetische DMARDs
geringem Zeitaufwand einzusetzen [1], [3], [5], [13], (csDMARDs)
[14], [31], [35], [38], [39], [40]. –– Biologika (biologische originäre und
biosimiläre DMARDs: boDMARDs,
z Therapie bsDMARDs)
z z Ziele
Der Zweck der Behandlung muss sein, die Schmer- Es sei auch auf die Kapitel zur medikamentösen The-
zen des Patienten zu verringern und im Idealfall rapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen und
Schmerzfreiheit zu erreichen. Die Funktionsfähig- zu Erkennen und Umgang von/mit Medikamenten-
keit der Gelenke soll erhalten und die entzündliche nebenwirkungen (7 Kap. 14 und 15) hingewiesen.
Aktivität gedämpft werden. Das Fortschreiten der
Erkrankung muss durch eine gezielte und der Akti- z Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
vität der Gelenkentzündung entsprechende Behand- NSAR unterscheiden sich hinsichtlich Wirkstärke,
lung verzögert bzw. verhindert werden. Die wesent- Halbwertszeit und Nebenwirkungen und zeigen
liche Absicht der Behandlung ist die Verhinderung auch im Einzelfall ein individuell sehr unterschied-
der Gelenkzerstörung und der Invalidität und somit liches Ansprechen. Es empfiehlt sich z. B. folgendes
die Erhaltung der Lebensqualität [2], [4], [20], [22]. Vorgehen:
Die Voraussetzung ist eine umfassende Aufklä- 44Bei milder Krankheitsaktivität: Ibuprofen
rung des Patienten, die Entwicklung einer Vertrau- 400 mg 2- bis 3-mal täglich
ensbasis und eine gute Zusammenarbeit zwischen 44Bei mittlerer und hoher Krankheitsaktivität:
Hausärzten und internistischen Rheumatologen [28]. Dexibuprofen 400 mg 2-mal täglich
Die Behandlung muss frühzeitig beginnen, da 44Diclofenac 50 mg oder 75 mg 2-mal täglich
schon nach 3–6 Monaten irreversible Gelenkschädi- oder 1-mal täglich 100 mg retard
gungen auftreten können. Eine Basisbehandlung sollte 44Lornoxicam 8 mg 1- oder 2-mal täglich
daher nach entsprechender Diagnose einer Frühar- 44Meloxicam 15 mg 1-mal täglich
thritis innerhalb von 3 Monaten initiiert werden
(„window of opportunity“) [20], [33], [34], [37]. Nach spätestens 5–6 Tagen ist die Behandlung zu
Die Betreuung erfolgt üblicherweise ambulant; überprüfen, gegebenenfalls ist eine Anpassung oder
eine stationäre Behandlung ist in schweren Schub- Steigerung der Medikation notwendig. Bei Unwirk-
situationen, bei viszeralen Manifestationen, fieber- samkeit ist das Präparat zu wechseln. Auf Neben-
haften Zustandsbildern oder Auftreten von Kompli- wirkungen ist zu achten; vor allem gastrointestinale
kationen der Krankheit oder Therapie erforderlich. Komplikationen wie dyspeptische Beschwerden,
Entsprechend dem Krankheitsbild und der Ulzerationen im oberen und unteren Intestinum und
Aktivität der RA sollte eine rheumatologische Kon- Blutungen sind zu bedenken. Bei einem entsprechen-
trolle in 3- bis 6-monatigen Abständen erfolgen; zu den Risikoprofil ist die zusätzliche Gabe von Proto-
Beginn der Erkrankung und/oder zur Etablierung nenpumpen-Inhibitoren ratsam. Eine Polypragmasie
Die rheumatoide Arthritis
31 2
und eine eingeschränkte Nierenfunktion, insbeson- In Schubsituationen und am Beginn der Erkran-
dere bei älteren Patienten, sind zu bedenken und die kung empfiehlt sich initial eine Tagesdosis von 0,25–
Dosis ist eventuell zu reduzieren. Auch das Risiko 0,5 mg pro kg Körpergewicht in absteigender Dosie-
kardiovaskulärer Nebenwirkungen ist in die Thera- rung. In schweren Schubsituationen, insbesondere mit
pieplanung einzubeziehen [19]. viszeralen Manifestationen ist oft eine limitierte Tages-
dosis von 0,75–1 mg pro kg Körpergewicht notwendig.
z Analgetika Glukokortikoide verzögern wahrscheinlich ins-
Fallweise ist auch bei chronisch entzündlichen besondere in den ersten Jahren der Erkrankung das
Gelenkerkrankungen die zusätzliche Gabe von Anal- Fortschreiten erosiver Knochenläsionen und eine
getika oder schwach wirksamen Opiaten indiziert, mittel- bis längerfristige Low-dose-Medikation kann
wie z. B. bei nicht entzündlich bedingten Schmer- in Kombination mit Basistherapeutika notwendig
zen als Folge einer postarthritischen Arthrose, bei und effektiv sein.
NSAR-induzierter Gastropathie oder bei einge- Auf das erhöhte Risiko der Entwicklung einer
schränkter Nierenfunktion. Osteoporose oder eines Katarakts auch bei niedrig
Es empfiehlt sich hier folgendes Vorgehen: dosierter Steroidtherapie sei hingewiesen. Ebenso
44Paracetamol 500 mg 3- bis 4-mal täglich auf mögliche gastrointestinale Nebenwirkungen bei
44oder Tramadol 50 mg 3- bis 4-mal täglich gleichzeitiger Gabe von NSAR.
44oder Tramadol 100 mg retard 2-mal täglich
z Basistherapeutika (Synonym: DMARDs,
Disease Modifying Antirheumatic Drugs)
z Glukokortikoide Basistherapeutika sind bei jeder diagnostizierten RA
Glukokortikoide sind die wirksamsten Medikamente indiziert, wenn eine entzündliche Aktivität der Erkran-
zur Behandlung der systemischen und lokalen ent- kung gegeben ist und keine Kontraindikation vorliegt
zündlichen Aktivität bei RA. Die Dosis der Glu- (. Abb. 2.5). Eine Basistherapie ist auch bei noch nicht
kokortikoid-Therapie in Prednisolon-Äquivalent gesicherter (Früh-)Arthritis etabliert, um durch eine
richtet sich nach der Aktivität bzw. auch nach dem möglichst rasche Behandlung das Fortschreiten der
Stadium der Erkrankung. Erkrankung zu vermeiden. Basismedikamente haben
Bei geringer entzündlicher Aktivität bzw. bei neu einen verzögerten Wirkungseintritt, auf mögliche und
etablierter und noch unzureichend wirksamer Basis- arzneimittelspezifische Nebenwirkungen ist zu achten.
therapie ist eine niedrig dosierte („low dose“) Ste- Eine genaue Aufklärung und Überwachung der behan-
roidtherapie mit 5–7,5 mg täglich etabliert. delten Patienten ist erforderlich [10], [16].
Ciclosporin
Rituximab
Leflunomid
D-Penicillamin Abatacept
i.m. Gold Sulfasalazine Anakinra
Infliximab Tocilizumab
Etanercept Golimumab
Methotrexat Adalimumab Certolizumab
Antimalaria
Orales Gold
Glukokortikoide Infliximab-
Azathioprin Biosimilars
oder gewichtsadaptiert 200–400 mg Hydroxychlo- Mausanteil). Infliximab wird als Infusion in der Dosis
roquin pro Tag. von 3 mg pro kg Körpergewicht zu den Wochen 0, 2
und 6 und danach alle 8 Wochen verabreicht.
2 z z Azathioprin
Azathioprin (z. B. Imurek, Immunoprin) wird bei Etanercept Etanercept (Enbrel) ist ein humanes
RA vor allem bei älteren Patienten mit erosivem Rezeptorfusionsprotein, das 2-mal pro Woche in
Krankheitsverlauf, bei Organbeteiligung und ein- Form von 25 mg oder 1-mal pro Woche in einer
geschränkter Nierenfunktion noch im Einzelfall Dosis von 50 mg subkutan verabreicht wird.
eingesetzt.
Mit einem Wirkungseintritt ist nach 8–10 Adalimumab Adalimumab (Humira) ist ein
Wochen zu rechnen; Nebenwirkungen (wie z. B. humaner, monoklonaler Antikörper und wird alle 14
Leukopenien) sind zu beachten und insbesondere Tage in einer Dosis von 40 mg subkutan verabreicht.
in den ersten 8 Wochen sind engmaschige klinische
und Laborkontrollen notwendig. Golimumab Golimumab (Simponi) ist ein voll-
ständig humaner monoklonaler Antikörper, der
z z Kombinationstherapien mit csDMARDs TNF-α bindet. Der Antikörper wird einmal im
Diese wirken meist besser als Monotherapien, aller- Monat subkutan in Form von 50 mg appliziert und
dings kommt es häufiger zum Auftreten von Neben- ist seit Oktober 2009 für die Behandlung der RA von
wirkungen. Am besten untersucht sind Kombinatio- Erwachsenen zugelassen.
nen von MTX, SSZ und Hydroxychloroquin.
Goldsalze und D-Penicillamin sind von histori- Certolizumab Certolizumab Pegol (Cimzia) ist der
scher Relevanz, haben aber ihre Bedeutung in der erste pegylierte, Fc-freie TNF-α-Inhibitor. Bei dem
Behandlung der RA verloren und können aktuell Molekül wurde die Fc-Region – der lange Arm des
(noch) als Reservemedikamente angesehen werden Y-förmigen Antikörpers – entfernt und eines der
[19], [33]. Fab-Fragmente durch Pegylierung, d. h. durch Ver-
bindung mit Polyethylenglykol stabilisiert. Die emp-
z Biologika (biologische originäre und fohlene Anfangsdosis beträgt 400 mg in Woche 0, 2
biosimiläre DMARDs: boDMARDs, und 4, gefolgt von 200 mg Certolizumab Pegol als
bsDMARDs) Fertigspritze alle 2 Wochen (subkutan verabreicht).
Biologika sind zur Behandlung einer RA mit hoher Certolizumab ist seit Herbst 2009 zur Behandlung
Krankheitsaktivität bei unzureichendem Anspre- der RA von Erwachsenen zugelassen.
chen von konventionellen Basistherapeutika zuge-
lassen. Sie zeigen einen meist raschen Wirkungsein- z z Rituximab
tritt, sind besonders bei Patienten mit polyartikulärem Rituximab (MabThera) ist ein chimärer monoklo-
Gelenkbefall und hoher klinischer und serologischer naler Antikörper und bindet an das CD-20-Antigen
Aktivität wirksam. Diese Medikamente haben seit der der B-Lymphozyten und wird bei Versagen von TNF-
Jahrtausendwende das Therapiespektrum entschei- α-Blocker(n) oder Kontraindikationen gegen Anti-
dend erweitert, geprägt und die Lebensqualität vieler TNF in Form von 1000 mg als Infusion 2-mal im
Patienten deutlich verbessert (. Abb. 2.5) [17], [32]. Abstand von 14 Tagen verabreicht.
Zur Behandlung der RA sind folgende Biologika
zugelassen: z z Abatacept
Abatacept (Orencia) ist ein Fusionsprotein aus extra-
z z Tumornekrosefaktor-α-Blocker (TNF-α- zellulärer Domäne von CTLA-4 und modifiziertem
Blocker) humanem IgG-Fc-Anteil. Abatacept bewirkt eine
reduzierte Aktivierung von T-Lymphozyten durch
Infliximab und bs Infliximab Infliximab (Remi- die Hemmung von kostimulatorischen Signalen. Es
cade) und bs Infliximab (Inflectra, Remsima), ein wird bei Versagen oder unzureichendem Anspre-
chimärer, monoklonaler Antikörper (mit 25%igem chen eines konventionellen Basistherapeutikums
Die rheumatoide Arthritis
35 2
oder von Anti-TNF-Blockern verabreicht, in Form Kontraindikation für eine Biologika-Therapie,
einer gewichtsadaptierten Infusion zu den Wochen ebenso stellen maligne Erkrankungen der letzten
0, 2 und 4 und dann alle 4 Wochen oder wöchent- 5 Jahre eine absolute Kontraindikation dar; weiter
lich subkutan. zurückliegende Malignome zumindest eine rela-
tive Kontraindikation für eine Behandlung. Die
z z Anakinra Entscheidung muss im Einzelfall mit den Patien-
Anakinra (Kineret) ist ein humaner IL-1-Rezeptor- ten und im Konsilium mit Fachkollegen entschie-
antagonist, der in Form von 100 mg subkutan 1-mal/ den werden.
Tag verabreicht wird. Auch bei Patienten mit einer höhergradigen
Herzinsuffizienz, entsprechend dem Stadium NYHA
z z Tocilizumab III und IV, besteht eine Kontraindikation für eine
Tocilizumab (RoActemra) ist ein humanisierter Biologika-Gabe.
Antikörper gegen den IL-6-Rezeptor und seit 2009 Impfungen (mit Todimpfstoffen) sind bei Patien-
zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis nach ten mit RA (bzw. bei allen entzündlich rheumati-
Versagen eines konventionellen Basistherapeuti- schen Erkrankungen) auch unter immunsuppres-
kums zugelassen und wird gewichtsadaptiert als siver Behandlung empfehlenswert und sinnvoll.
Infusion alle 4 Wochen oder wöchentlich subkutan Generell sollte aber wenn möglich vor Beginn einer
verabreicht. Basistherapie geimpft werden.
Bezüglich einer geplanten Schwangerschaft
z z Indikation und Kontraindikationen von Patientinnen unter Biologika-Therapie sei auf
Entsprechend den Empfehlungen der rheumatolo- 7 Kap. 22 verwiesen.
gischen Fachgesellschaften besteht die Indikation zu Laborkontrollen unter Biologika-Behandlung
einer Biologika-Therapie bei RA, wenn trotz adäqua- erfolgen entsprechend den Leitlinien; üblicherweise
ter Behandlung mit MTX, einem anderen konventio- werden Patienten mit Biologika-Therapie in 3-mona-
nellen synthetischen Basistherapeutikum oder einer tigen Abständen kontrolliert.
Kombinationstherapie nach ausreichender Behand- Die Patienten müssen informiert werden, bei
lungsdauer (6 Monate) weiterhin eine aktive Erkran- Zeichen der Unverträglichkeit, bei Infekten, in jedem
kung besteht (7 Abschn. Diagnostik), [37]. Fall aber bei unklaren Fieberzuständen über 38 Grad
Naturgemäß können individuelle Besonderhei- Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufzunehmen
ten, wie z. B. ein äußerst progressiver Krankheits- und die Behandlung im Zweifelsfall vorübergehend
verlauf oder Unverträglichkeit von konventionel- zu unterbrechen.
len Basistherapeutika, einen frühzeitigeren Einsatz Vor geplanten operativen Eingriffen wird den
von TNF-Blockern erforderlich machen; dies ist Patienten eine meist mehrwöchige Biologika-
aber im Einzelfall zu begründen und zu dokumen- Pause entsprechend der Halbwertszeit der Subs-
tieren [22]. tanzen empfohlen. Möglicherweise werden aber
An Voruntersuchungen wird ein entsprechen- hier in der Zukunft kürzere Unterbrechungen
des Laborprofil mit Blutbild, Blutsenkung (BSG), gestattet sein.
Transaminasen, GGT, alkalischer Phosphatase, anti- Bei Nichtansprechen, Unverträglichkeit oder
nukleären Antikörpern (ANA) und ein Hepatitis- bei Wirkungsverlust des erstverabreichten Biologi-
Screening erhoben. Des Weiteren erfolgt vor Biolo- kums (jeder TNF-α-Blocker, Abatacept oder Toci-
gika-Therapie eine pulmonologische Begutachtung lizumab) wird in Abhängigkeit von der individuel-
inklusive eines Quantiferon-Tests oder eines intra- len Situation üblicherweise auf einen alternativen
kutanen Mendel-Mantoux-Tests (falls ein Quantife- TNF-α-Blocker oder auf Abatacept, Rituximab oder
ron-Test aus logistischen Gründen nicht möglich ist) Tocilizumab gewechselt. Rituximab wird als Biolo-
zum Ausschluss einer latenten Tuberkulose. gikum der ersten Wahl vor allem in ausgewählten
Bei manifester Tuberkulose, Infektions- Situationen verabreicht (Lymphom und Karzinom-
krankheiten, bei demyelinisierenden Erkrankun- anamnese, Tuberkulose etc.) [12], [15], [22], [23],
gen und bei chronischer Hepatitis B besteht eine [24], [25], [26], [37].
36 Kapitel 2 · Die rheumatoide Arthritis
Spondyloarthritiden
Rudolf Puchner
3.7 Synovitis-Akne-Pustulosis-Hyperostosis-Osteitis-Syndrom
(SAPHO-Syndrom) – 71
Literatur – 71
Das Fallbeispiel im Abschn. 3.6 („Ein 37-jähriger Mann mit Symptomen eines entzündlichen
Rückenschmerzes”) wurde gekürzt übernommen aus: Puchner A, Winkler S (2016) Maltafieber. Fakten
der Rheumatologie 4.
Die Begriffe Spondyloarthritis (SpA), Spondyl- Bei der prädominant axialen Spondyloarthri-
oarthropathie oder Spondylarthropathie (heute tis (axSpA) überwiegt der entzündliche Rücken-
wird bevorzugt der Terminus Spondyloarthritis schmerz. Dazu gehören die Frühformen der
verwendet) bezeichnen entzündlich-rheumatische Spondyloarthritiden ohne nativradiologische Ver-
Erkrankungen, die einige typische klinische, sero- änderungen (nichtradiologische axiale Spondyl-
logische und genetische Gemeinsamkeiten auf- oarthritis sowie die ankylosierende Spondylitis
3 weisen. Charakteristisch ist eine Beteiligung des mit nativradiologisch sichtbaren Veränderungen
Achsenskeletts, der Sehnenansätze im Sinne einer an den Sakroiliakalgelenken (radiologische axiale
Enthesitis (z. B. ein Fersenschmerz) oder eine Spondyloarthritis).
asymmetrische Oligoarthritis der unteren Extre- Zur prädominant peripheren Spondyloarthri-
mitäten. Auch extraartikuläre Manifestationen wie tis (pSpA), bei dem die asymmetrische Oligoarthri-
eine Uveitis anterior sind häufig nachweisbar. tis der unteren Extremitäten vorherrscht, zählt man
Ihnen zugeordnet werden die ankylosierende reaktive Arthritiden, Arthritiden bei chronisch ent-
Spondylitis (Morbus Bechterew), die Psoriasisarth- zündlichen Darmerkrankungen, Arthritiden bei
ritis, die reaktiven Arthritiden, die enteropathischen Psoriasis sowie undifferenzierte Arthritiden.
Arthritiden, die undifferenzierten Spondyloarthri- Nicht selten treten aber beide Manifestationen
tiden, die keiner der angeführten Diagnosen zuge- gemeinsam auf.
ordnet werden können und das sehr seltene Synovi- Zur Klassifikation und Diagnose der Spondyl-
tis-Akne-Pustulose-Hyperostose-Osteitis-Syndrom oarthritiden werden am häufigsten die 1991 vorge-
(SAPHO-Syndrom), dessen Einordnung aber unein- legten Kriterien der European Spondylarthropathy
heitlich beurteilt wird (7 Übersicht). Study Group (ESSG) verwendet (7 Übersicht) [11],
[23], [33], [49], [53], [59].
Spondyloarthritiden
55Axiale Spondyloarthritis (inkl. nichtradio- ESSG-Kriterien der Spondyloarthritiden [23]
logische axSpA und ankylosierende 55Entzündlicher Rückenschmerz und/oder
Spondylitis) asymmetrische Oligoarthritis, vorwiegend
55Reaktive (Spondylo)Arthritis der unteren Extremitäten
55Spondyloarthritis bei Psoriasis
55Spondyloarthritis bei chronisch Und mindestens ein weiteres Kriterium:
entzündlichen Darmerkrankungen 55Wechselnder Gesäßschmerz
55Undifferenzierte Spondyloarthritis 55Sakroiliitis
55(Synovitis-Akne-Pustulose-Hyperostose- 55Enthesitis
Osteitis-Syndrom = SAPHO-Syndrom) 55Positive Familienanamnese
55Psoriasis
55Urethritis/Zervizitis/Diarrhö (innerhalb von
Es besteht eine gemeinsame Assoziation mit dem 4 Wochen vor Beginn der Arthritis)
Human Leukocyte Antigen (HLA-B27); eine fami- 55Entzündliche Darmerkrankung
liäre Häufung ist daher nicht verwunderlich. Die Prä-
valenz der Spondyloarthritiden korreliert direkt mit
dem Nachweis von HLA-B27 in der Bevölkerung und
ist daher in Nordeuropa häufiger als in den Mittel- 3.1 Ankylosierende Spondylitis
meerländern. Die Prävalenz aller Spondyloarthriti- (Morbus Bechterew)
den wird mit ca. 0,4–2% angegeben.
Darüber hinaus kann man die Spondyloarthri- Im deutschen Sprachbereich ist auch die Krankheits-
tiden entsprechend ihrer klinischen Manifestation bezeichnung Morbus Bechterew verbreitet (nach
unterteilen: dem russischen Arzt Wladimir M. Bechterew).
3.1 · Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew)
43 3
Die internationale Bezeichnung ist ankylosierende
Spondylitis (AS, Spondylitis ankylosans). Allge- 3. Eingeschränkte Thoraxexkursionen
mein akzeptiert wird heute die Erstbeschreibung (≤2,5 cm)
des Krankheitsbildes durch Bernard Connor im 4. Bilaterale Sakroiliitis Grad 2–4 oder
Jahre 1691. unilaterale Sakroiliitis Grad 3–4
Die Erkrankung gehört zur Gruppe der axialen
Spondyloarthritiden und befällt hauptsächlich die Gesicherte Diagnose: wenn Kriterium 4 und
Wirbelsäule und die Kreuz-Darmbein-Gelenke eines der anderen Kriterien erfüllt ist
(Sakroiliakalgelenke, ISG-Gelenke), wodurch
es in seltenen Fällen im Verlauf der Erkrankung
zur Versteifung der Wirbelsäule kommen kann
(Bambuswirbelsäule). Die Ätiologie ist bisher nicht bekannt. Es besteht eine
Zusätzlich können periphere Gelenke vor allem hohe Assoziation mit HLA-B27 (ca. 95%).
der unteren Extremität (Knie, Hüfte, Sprunggelenk), Das HLA-B27-Gen kommt in der gesunden
aber auch extraskelettale Organe beteiligt sein. europäischen Bevölkerung in 4–13% mit einem deut-
Die Prävalenz der AS in Europa schwankt zwi- lichen Nord-Süd-Gefälle vor, im deutschsprachigen
schen 0,2 und 1,4% und ist abhängig von der Fre- Raum in ca. 8%. Nur 4–7% der HLA-B27-positiven
quenz des Auftretens von HLA-B27 in der Bevöl- Träger erkranken an einer AS. Neben genetischen
kerung. Männer erkranken entsprechend den Faktoren dürften aber auch externe Faktoren, ins-
(unterschiedlichen) Literaturangaben nur unwe- besondere Bakterien, eine Rolle spielen. Möglicher-
sentlich häufiger als Frauen (2∶1 bis 1∶1). Die weise sind Infektionen mit Klebsiellen, Shigellen,
Krankheit beginnt im späten Adoleszenz- und Yersinien, Chlamydien oder Salmonellen krankheits-
frühen Erwachsenenalter und manifestiert sich auslösend. Von letztendlich großer therapeutischer
bei 90% der Patienten zwischen dem 15. und 40. Konsequenz war der Nachweis von Tumornekrose-
Lebensjahr. Die Diagnose wird häufig noch immer faktor-α (TNF-α) in CT-gesteuerten Biopsien von
mit einer Verzögerung von 5 und mehr Jahren vom Kreuz-Darmbein-Gelenken von Patienten mit AS
Zeitpunkt des Auftretens der ersten Symptome [12], [15], [26], [42], [74], [80].
gestellt. Mögliche Ursachen einer verspäteten Dia-
gnose sind neben einer unzureichenden Anamnese z Symptomatik
der oft schleichende Beginn und die radiologisch
orientierten modifizierten New-York-Kriterien zur Rückenschmerz Das Leitsymptom ist ein tiefsitzen-
Diagnosestellung des Morbus Bechterew (7 Über- der, vor allem nächtlich auftretender Rückenschmerz,
sicht). Diese lassen erst nach eindeutigen radiolo- der sich bei Bewegung bessert und als Ausdruck einer
gischen Veränderungen im Bereich der Sakroilia- Entzündung der Sakroiliakalgelenke gesehen werden
kalgelenke die Diagnose stellen. Bis zum Auftreten kann. Der Rückenschmerz wird oft falsch interpre-
solcher Veränderungen können aber Monate bis tiert. Außerdem treten nativradiologische Verände-
Jahre vergehen. rungen im Bereich der Kreuz-Darmbein-Gelenke oft
erst Jahre nach Beginn der Schmerzen auf.
Allerdings leiden nur ca. 5% der Patienten mit
Spondylitis ankylosans: Modifizierte chronischen Rückenschmerzen an einer axialen
New-York-Kriterien [80] SpA. Zur Abgrenzung von degenerativen und post-
1. Tiefsitzende Rückenschmerzen >3 Monate, traumatischen Rückenschmerzen (7 Übersicht)
Besserung durch Bewegung (nicht durch wurde ein „entzündlicher Rückenschmerz“ definiert
Ruhe) (7 Übersicht). Wenn mindestens 4 von 5 Parametern
2. Eingeschränkte sagittale und frontale (Alter bei Symptombeginn <40 Jahre, schleichender
Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule Beginn, Besserung durch Bewegung, keine Besse-
rung in Ruhe; nächtlicher Schmerz, mit Besserung
44 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden
durch Aufstehen) erfüllt werden, spricht man von Sternoklavikulargelenke sowie der Synchondrosis
einem entzündlichen Rückenschmerz [62], [75]. manubriosternalis führt zu Schmerzen im vorde-
ren Brustbereich. Typischerweise führt Husten oder
Niesen und eine tiefe Inspiration zu einer Schmerz-
Entzündlicher Rückenschmerz [75] verstärkung. Diese Beschwerden können eine atypi-
1. Alter bei Symptombeginn <40 Jahre sche Angina pectoris oder eine Perikarditis imitie-
3 2. Schleichender Beginn ren und eine kardiale Abklärung junger Erwachsener
3. Besserung bei Bewegung notwendig machen.
4. Keine Besserung in Ruhe Typisch ist auch eine asymmetrische Mono- bis
5. Nächtlicher Schmerz (mit Besserung durch Oligoarthritis peripherer Gelenke, wobei vor allem
Aufstehen) die großen Gelenke der unteren Extremitäten befal-
len sind. Die Gelenkbeteiligung reicht von flüchtigen
Entzündlicher Rückenschmerz gemäß Arthralgien bis zu seltenen, schweren destruierenden
ASAS(Assessment of Spondylo Arthritis Entzündungen.
International Society)-Experten: Mindestens 4 Die Prävalenz einer peripheren Gelenkbetei-
Kriterien müssen vorhanden sein ligung wird in der Literatur mit 20–30% angege-
ben. Bei knapp einem Drittel der Patienten beginnt
die AS nicht mit dem typischen Rückenschmerz,
sondern mit einer peripheren Arthritis [25], [26],
Differenzialdiagnose des entzündlichen [49], [53], [59].
Rückenschmerzes
Nichtentzündliche Ursachen von Extraskelettale Manifestationen Extraskelettale
Wirbelsäulenschmerzen: Manifestationen sind möglich. Die häufigste extraar-
55Unspezifischer, mechanischer tikuläre Beteiligung ist die akute anteriore Uveitis, die
Rückenschmerz (RS) bei 25–40% der Patienten im Verlauf der Erkrankung
55Lumbospondylogener und ein- oder auch mehrmals auftritt. Es handelt sich um
lumboradikulärer RS eine akute Entzündung der Regenbogenhaut und des
55Osteoporose-assoziierter RS Ziliarkörpers und wird daher auch als Iritis oder Iri-
55RS bei frischen osteoporotischen dozyklitis bezeichnet. Die Iritis bei HLA-B27-posi-
Wirbelkörperfrakturen tiven Patienten ist typischerweise einseitig, beginnt
55Spondylosis hyperostotika (Morbus akut mit Schmerzgefühl, gefolgt von einer Rötung
Forestier) des Auges. Die Betroffenen klagen häufig über Nebel-
55Morbus Scheuermann sehen und eine generelle Sehverschlechterung.
55Fibromyalgiesyndrom Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Arthri-
55Malignom tisaktivität und Iritis ist zufällig. Gelegentlich kann
die Iritis erst auf die Diagnose eines Morbus Bech-
terew aufmerksam machen bzw. diesem lange Zeit
Enthesiopathien Weitere typische Symptome sind vorausgehen. Patienten mit akuten Augenschmerzen
Schmerzen als Folge von Entzündungen im Bereich und einer deutlichen Sehverschlechterung müssen
der Sehnenansätze (Enthesiopathien), am häufigs- unverzüglich dem Augenarzt vorgestellt werden.
ten im Bereich des Ansatzes der Achillessehne oder
der Plantarfaszie. Herzbeteiligung Eine Beteiligung des Herzens
manifestiert sich in einer möglichen Entzündung
Gelenkbeteiligung Ein gürtelförmiger Thorax- der Aortenwurzel (Aortitis) und dem Risiko der Ent-
schmerz tritt auf bei einer Beteiligung kostover- wicklung einer Aorteninsuffizienz. Die Häufigkeit
tebraler und kostotransversaler sowie kostos- einer kardialen Beteiligung variiert in der Literatur
ternaler Gelenke, ebenso bei einer Enthesitis im beträchtlich und scheint von der Krankheitsdauer
kostosternalen Bereich. Eine Entzündung der abzuhängen.
3.1 · Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew)
45 3
Als Folge einer Fibrosierung des Reizleitungssys- frühen Krankheitsphase ist mit einem schweren
tems kann es zu Erregungsleitungsstörungen (AV- Krankheitsverlauf zu rechnen [1], [79].
Blockierungen, Linksschenkelblock etc.) kommen.
Eine eingeschränkte Beweglichkeit der Tho- z Diagnostik
raxwand kann zu einer milden restriktiven Venti-
lationsstörung führen. Eine sehr seltene und späte z z Anamnese
extraskelettale Manifestation ist eine Fibrose in den Der wesentliche Eckpfeiler der Anamnese ist die
Lungenoberlappen (ca. 1%). Identifikation eines entzündlichen Rückenschmer-
zes (7 Übersicht „Entzündlicher Rückenschmerz“
Intestinale Manifestationen Eine intestinale Betei- im 7 Abschn. „Symptomatik“) und ein Krankheits-
ligung in Form einer Kolitis oder lleitis terminalis beginn vor dem 40. Lebensjahr.
ist häufig, wobei die prozentuellen Angaben sehr Ein meist sehr gutes Ansprechen auf NSAR ist
schwanken. 5–10% der Patienten mit AS haben eine typisch für den Morbus Bechterew. Weitere diagnos-
begleitende chronisch entzündliche Darmerkran- tische Hinweise sind eine positive Familienanamnese
kung, ein viel größerer Anteil von über 50% zeigt für Morbus Bechterew oder für eine Erkrankung aus
in endoskopischen Studien eine klinisch stumme dem Formenkreis der Spondyloarthritiden (Psoria-
(asymptomatische) intestinale Entzündung [26], sisarthritis, reaktive Arthritis, chronisch entzündli-
[39], [42]. che Darmerkrankung). Weiterhin ist nach einem Fer-
senschmerz (Enthesiopathie), nach einer peripheren
z Verlauf und Prognose Arthritis, Uveitis oder einer Daktylitis zu fragen.
Der Entzündungsprozess verläuft im Achsenskelett
typischerweise von kaudal nach kranial und kann z z Klinische Untersuchung
zu einer zunehmenden Versteifung der Wirbelsäule Die klinische Untersuchung ist am Beginn der
und Bewegungseinschränkung führen. Manchmal Erkrankung meist ohne für die Diagnose typische
ist aber auch ein Schmerz oder eine Steifigkeit im oder wegweisende Befunde. Eine Druckschmerz-
Thorax- oder Brustwirbelbereich das erste Symptom. haftigkeit im Bereich der Sakroiliakalgelenke kann
Wahrscheinlich entwickeln weniger als 10% ein Hinweis für eine Entzündung sein. Beim Menell-
eine komplette Ankylosierung der Wirbelsäule. Test wird eine passive Scherbewegung zwischen Os
Der Verlauf der AS ist sehr variabel. Häufig domi- ilium und Os sacrum durchgeführt. Der Patient liegt
niert eine relativ mild verlaufende Erkrankung mit in Bauchlage, der Untersucher fixiert mit einer Hand
unterschiedlich langen beschwerdearmen oder auch das Os sacrum und bewegt mit der anderen Hand
symptomfreien Perioden ohne wesentliche Beein- das gestreckte Bein nach hinten (Hyperflexion im
trächtigung der Funktionalität. Aktive und inak- Hüftgelenk).
tive Krankheitsphasen wechseln einander ab. Die Die Mobilität der Wirbelsäule in Sagittalebene
AS kann aber auch über viele Jahre aktiv bleiben. kann überprüft werden, indem der Patient sich mit
Eine französische Studie hat den Langzeitverlauf der gestreckten Beinen und hängenden Armen nach
Erkrankung untersucht und Faktoren aus den ersten vorne neigt. Bei normaler Beweglichkeit von Brust-
beiden Krankheitsjahren identifiziert, die die Prog- und Lendenwirbelsäule erreichen die Fingerspitzen
nose der Erkrankung negativ beeinflussen können. den Boden (Finger-Boden-Abstand). Als Maß für die
Signifikante Einflussfaktoren waren eine Koxitis, Mobilität der Brustwirbelsäule gilt das Ott-Zeichen.
eine Blutsenkung (BSG) >30, ungenügendes Anspre- In aufrechter Stellung wird mit dem Maßband von
chen auf nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), C7 30 cm nach kaudal gemessen, beim Beugen nach
eine eingeschränkte Beweglichkeit der Lendenwir- vorne muss sich der Abstand durch eine Vergröße-
belsäule, eine wurstförmige Schwellung von Fingern rung der Abstände der Dornfortsätze um zumindest
oder Zehen, eine Oligoarthritis und ein Krankheits- 3 cm vergrößern.
beginn vor dem 17. Lebensjahr. Beim Schober-Zeichen wird von S1 10 cm nach
Bei Auftreten einer Koxitis oder Nachweis von kranial gemessen. Bei Rumpfbeugung verlängert sich
3 (anderen) der oben genannten Faktoren in der die Messstrecke um 4–5 cm.
46 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden
Der Hinterhaupt-Wand-Abstand, der normaler- Wenn die Erkrankung an der Wirbelsäule fort-
weise 0 cm beträgt, vergrößert sich typischerweise schreitet, kann es in der Folge zu typischen Verände-
bei einer Beteiligung der Hals- und Brustwirbelsäule. rungen am thorakolumbalen Übergang kommen. An
der Wirbelsäule kommt es vor allem in den ventralen
z z Labor Abschnitten zu einer Spondylitis anterior. Man findet
Eine Erhöhung der Entzündungsparameter (BSG, eine Verdickung mit Ausbildung eines Tonnen- oder
3 C-reaktives Protein [CRP]) findet sich nur bei ca. Kastenwirbels, eine Erosion (Romanus-Läsion) oder
40 bis (maximal) 80% aller Patienten in der aktiven eine Sklerosierung (glänzende Ecken bzw. „shiny
Krankheitsphase. Die Höhe der Entzündungspara- corners“) an den ventralen Wirbelkörperecken. An
meter korreliert aber nur unzureichend mit dem den äußeren Schichten des Anulus fibrosus zeigt
Krankheitsverlauf und in über 20% sind diese auch sich eine typische Verkalkung in Form von Syndes-
im Langzeitverlauf unabhängig von der Aktivität der mophyten. Diese können die nicht verschmäler-
Erkrankung nicht erhöht. ten Bandscheibenräume überbrücken. Das Endsta-
Das HLA-B27 ist bei fast allen Patienten mit dium kann eine sogenannte Bambusstabwirbelsäule
AS nachweisbar, aber auch bei ca. 8% der gesun- sein, mit Verkalkung des vorderen und hinteren
den deutschsprachigen Bevölkerung. Im Gegensatz Längsbandes.
entwickeln nur ca. 4–7% der HLA-B27-positiven Eine rheumatische Diszitis (Anderson-Läsion)
Träger eine manifeste Erkrankung. Der Nachweis ist eine destruktiv verlaufende Entzündung der Zwi-
von HLA-B27 ist für die Diagnose (mit-)entschei- schenwirbelräume und der angrenzenden Wirbel-
dend, allerdings nur in Zusammenhang mit einer körper und ist vor allem im ersten Jahrzehnt der
entsprechenden Klinik. Erkrankung zu beobachten.
Mit Hilfe einer Magnetresonanztomographie
z z Bildgebung (MRT) lassen sich eine Synovitis und ein entzünd-
Die konventionellen Röntgenaufnahmen der Sakroi- liches gelenknahes Knochenmarködem im Bereich
liakalgelenke sind in den Frühstadien der Erkran- der Sakroiliakalgelenke wesentlich früher nachwei-
kung trotz entsprechender Symptome meist ohne sen, sodass diese Methode besonders in der frühen
pathologischen Befund, was zu einer Verzögerung Diagnostik eine dominierende Rolle einnimmt.
der Diagnosestellung beiträgt. Der charakteristische Die Computertomographie wird selten und fast
pathologische Röntgenbefund ist eine Sakroiliitis, ausschließlich zur Beurteilung von strukturellen
die nach den modifizierten New-York-Kriterien in Veränderungen in den Sakroiliakalgelenken einge-
4 Grade eingeteilt wird (. Tab. 3.1). Typisch ist ein setzt. Sie ermöglicht durch eine hohe Auflösung eine
Nebeneinander von Sklerose, Erosion und partieller genaue Beurteilung kleinerer knöcherner Defekte
Ankylose (sogenanntes buntes Bild). [6], [8], [49], [53], [80].
z Frühdiagnose
. Tab. 3.1 Radiologische Veränderungen der Die modifizierten New-York-Kriterien, die unter
Sakroiliakalgelenke nach den modifizierten New-
anderem auch den Nachweis nativradiologischer
York-Kriterien [5], [80]
Veränderungen (Sakroiliitis Grad II beidseits oder
Grad 0 Normalbefund Grad III einseitig) fordern, eignen sich nicht für die
Grad I Fragliche Veränderungen, verwasche- Frühdiagnose.
ner Gelenkspalt Es wurden Algorithmen entwickelt, um eine
Grad II Milde Veränderungen, subchondrale frühe Diagnostik einer axialen SpA zu erleichtern.
Sklerosierungen, umschriebene Bereits im Jahr 2009 hat die „Assessment of Spon-
Erosionen dylo Arthritis International Society“ (ASAS) neue
Grad III Erosionen, Gelenkspalterweiterungen Klassifikationskriterien (7 Übersicht) für Patien-
und Verengungen ten mit SpA definiert. Es werden dadurch nicht nur
Grad IV Ankylose Patienten mit etablierter AS (mit definierten struk-
turellen Röntgenveränderungen), sondern auch
3.1 · Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew)
47 3
Patienten mit frühen Formen von Wirbelsäulenbe- Entzündliche Beteiligungen der Wirbelsäule und
teiligung im Rahmen einer SpA (nichtröntgenolo- der Sakroiliakalgelenke können auch bei anderen
gische SpA, d. h. ohne strukturelle Röntgenverän- Erkrankungen aus dem Formenkreis der Spon-
derungen) berücksichtigt. dyloarthritiden vorkommen. Ein entzündlicher
Rückenschmerz und eine asymmetrische Oligoar-
thritis treten auch bei Psoriasis, bei enteropathischen
ASAS-Klassifikationskriterien für axiale SpA Arthritiden und der undifferenzierten Spondyloar-
(bei Patienten mit Rückenschmerz ≥3 Mona- thritis auf.
te und Alter bei Beginn <45 Jahre) [63]
55Sakroiliitis in der Bildgebung* plus ≥1
SpA-Parameter**
oder Fallbeispiel: Unternehmer mit Kreuz-
55HLA-B27 plus ≥ 2 andere SpA-Parameter** schmerzen
Ein 42-jähriger Unternehmer leidet seit einigen
* Sakroiliitis in der Bildgebung: Aktive (akute) Jahren immer wieder unter Schmerzen im
Entzündung in der MRT, gut vereinbar mit tiefen Kreuzbereich. Er berichtet bei der
einer SpA-assoziierten Sakroiliitis oder Erstuntersuchung über „sogenannte gute
definitiven röntgenologischen Sakroiliitis und schlechte Zeiten“, einerseits über Phasen,
(Strukturveränderungen) gemäß den wo er kaum aus dem Bett kommt oder
modifizierten New-York-Kriterien schon in der Nacht mit starken Schmerzen
** SpA-Parameter: aufwacht, andererseits über monatelange,
55Entzündlicher Rückenschmerz (fast) beschwerdefreie Intervalle. Er gibt
55Arthritis keine zusätzlichen Gelenkbeschwerden an.
55Enthesitis (Ferse) Eine mäßig ausgeprägte Schuppenflechte im
55Uveitis Ellbogen- und Fußsohlenbereich ist seit dem
55Daktylitis 17. Lebensjahr bekannt.
55Psoriasis Er berichtet, dass er schon seit Jahren
55Morbus Crohn/Colitis ulcerosa wegen seiner Kreuzbeschwerden behandelt
55Gutes Ansprechen auf NSAR wurde. Wegen „Blockaden“ im Bereich der
55Positive Familienanamnese für SpA Brust- und Lendenwirbelsäule wurden lokale
55HLA-B27 Infiltrationen und physiotherapeutische
55Erhöhtes CRP Maßnahmen empfohlen und initiiert. Die
Bewegung hat ihm stets „geholfen und gut
getan“. Beruflich fährt er viel mit dem Auto
Neben einer Sakroiliitis im Röntgenbild (wie in oder er arbeitet am Schreibtisch. Durch die
den modifzierten New-York-Kriterien) kommt sitzende Tätigkeit nehmen Schmerzen und
auch die MRT als gleichberechtigtes bildgebendes Steife im Kreuzbereich deutlich zu.
Verfahren zur Abbildung einer (aktiven) Sakroilii- Bei der Untersuchung zeigten sich beide
tis zur Anwendung und berücksichtigt das frühe Kreuz-Darmbein-Gelenke druckemp-
(nichtröntgenologische) Stadium einer axialen SpA findlich. Der Mennell-Test war beidseitig
[57], [58], [61], [63], [64], [66], [75]. Heute wird positiv. In den erhobenen Laborbefunden
die nichtradiologische axiale SpA als ein frühes findet sich der Rheumafaktor negativ, die
Stadium oder eine abortive Verlaufsform der AS, BSG ist 33 in der 1. Stunde, das CRP 4,8
die möglicherweise nie zu strukturellen Verände- (Grenze 0–0,5); HLA-B27 ist nachweisbar. Die
rungen am Achsenskelett führt, angesehen. Es wird Familienanamnese hinsichtlich Haut- und
empfohlen, den Begriff „nichtradiologische SpA“ Wirbelsäulenerkrankungen war unauffällig.
nur zur Klassifikation und nicht zur Diagnose zu Nativradiologisch zeigte sich ein unauffälliger
verwenden [3].
48 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden
. Tab. 3.2 Biologika (biologisch originäre und biosimiläre DMARDs: boDMARDs und bsDMARDs)
Biologika Applikationsart
TNF-α-Inhibitoren
Infliximab (Remicade) und bs Infliximab (Inflectra, 3–5 mg/kg Körpergewicht i.v. als Infusion alle 6–8
Remsima) Wochen
Chimärer monoklonaler Antikörper (25% Mausanteil)
Etanercept (Enbrel) 50 mg s.c. 1-mal/Woche
Löslicher Rezeptor: Fusionsprotein
Adalimumab (Humira) 40 mg s.c. alle 2 Wochen
Humaner monoklonaler Antikörper
Golimumab (Simponi) 50 mg s.c. alle 4 Wochen
Monoklonaler Antikörper
mit Streptokokken der Gruppe A werden als mögli- mit einer typischen diffusen Schwellung einzelner
cher Auslöser einer PsA diskutiert, da erhöhte Titer Finger („Wurstfinger“) und/oder Zehen („Wurst-
von Antikörpern gegen Streptokokken der Gruppe zehe“ oder „sausage toe“) (. Abb. 3.3). Gelegentlich
A im Serum von PsA-Patienten gefunden werden. kann es zu einem mutilierenden Verlauf mit destru-
Ein spezifisches Pathogen der PsA wurde bisher noch ierenden Veränderungen vor allem an Fingerendge-
nicht eliminiert. Eine T-Zell-mediierte Immunreak- lenken kommen.
3 tion könnte einerseits durch bakterielle Antigene, Eine Beteiligung der Sternoklavikulargelenke ist
andererseits durch eine Kreuzreaktivität mit Struk- ebenfalls typisch. Bei einem symmetrischen polyarti-
turen an der Zelloberfläche der Haut oder des Syn- kulärem Gelenkbefall ist eine rheumatoide Arthritis
ovialgewebes diskutiert werden. Mechanischer Stress zu differenzieren.
spielt bei der Entstehung der PsA wahrscheinlich Wenn das Achsenskelett beteiligt ist, findet man
eine nicht unwesentliche Rolle. Areale mit ständi- (radiologisch) häufiger eine asymmetrische seg-
ger mechanischer Belastung wie Enthesen (Achilles- mentale Spondylitis und eine einseitige Sakroiliitis.
sehne) oder Gelenke der unteren Extremitäten sind Extraartikuläre Manifestationen der Erkrankung
häufig beteiligt [17], [30], [31], [35]. sind Enthesiopathien (im Sinne eines typischen Fer-
senschmerzes) sowie eine Uveitis anterior.
z Symptomatik und Diagnostik Psoriatische Hauteffloreszenzen sind oft gering
In der Mehrzahl (ca. 70–80%) beginnen die Haut- ausgeprägt und versteckt und nur nach genauer Ins-
manifestationen vor dem Gelenkbefall, in ca. 15% pektion im Bereich der Ohren, des Nabels oder im
treten Hautmanifestationen und Gelenkentzündun- anogenitalen Bereich nachweisbar. Ebenso ist auf
gen gleichzeitig auf. Selten (10%) treten Arthritiden eine Finger- oder Zehennagelbeteiligung zu achten.
vor Veränderungen an der Haut auf. Eine Psoriasis mit Nagelbefall ist wesentlich häufi-
Die PsA verläuft oft asymmetrisch oligoarthri- ger mit einer Arthritis assoziiert. Im Übrigen besteht
tisch unter Betonung der Gelenke der unteren Ext- keine sichere Korrelation zwischen Ausdehnung des
remitäten (. Abb. 3.1). Häufig sind im Gegensatz zur Hautbefalls und Aktivität der Arthritis. Ausgedehnte
rheumatoiden Arthritis auch die Fingerendgelenke Hautmanifestationen ohne Gelenk- und Wirbel-
betroffen (. Abb. 3.2). Wird die Fingergelenkarthritis säulenbeschwerden sind ebenso möglich wie eine
von einer digitalen Tendosynovitis begleitet, spricht rasch progredient verlaufende PsA mit nur mini-
man von einer Daktylitis oder einem Befall im Strahl malen Zeichen einer Schuppenflechte. Bei ca. 5%
aggressiven Verlauf hin. Ein Nebeneinander von die Arthritis mutilans überhaupt eigene Subgrup-
marginalen Erosionen und angrenzender Knochen- pen darstellen und nicht eher als Manifestationen
neubildung (sogenannte Osteophyten) ist typisch. der PsA auftreten oder den Schweregrad der Erkran-
Außerdem finden sich fallweise Ankylosen einzel- kung widerspiegeln.
ner Gelenke sowie ausgedehnte Gelenkzerstörungen
an den Phalangen und Metakarpalknochen und die
3 typische „Pencil-in-Cup-Deformität“ als Folge einer Einteilung der Psoriasisarthritis –
sich zuspitzenden Osteolyse. Klassifikation nach Moll und Wright [45]
Die radiologischen Veränderungen an der Wir- 1. Distale interphalangeale psoriatische
belsäule zeigen bei einer Beteiligung des Achsenske- Arthritis
letts im Vergleich zur Spondylitis ankylosans einen 2. Mutilierende psoriatische Arthritis mit
häufiger asymmetrischen, segmentalen Befall mit Sakroiliitis
einer oft einseitigen Sakroiliitis. Die Magnetreso- 3. Symmetrische psoriatische Polyarthritis
nanztomographie (MRT) erlaubt eine sehr gute und 4. Asymmetrische psoriatische Oligoarthritis
frühzeitige Beurteilung der Entzündung im Bereich 5. Psoriatische Spondyloarthritis mit oder
der Gelenke und Weichteile [8], [17], [31]. ohne periphere Arthritis
z Klassifikation
Klassifikationskriterien sollen der Diagnosestellung Im Jahre 2006 wurden die CASPAR-Kriterien (Clas-
dienen und ebenso eine homogene Population für wis- sification criteria for Psoriatic Arthritis) publiziert
senschaftliche Untersuchungen gewährleisten [18]. und als Klassifikationskriterien für die PsA vor-
Die 1973 veröffentlichten Kriterien der PsA geschlagen, die auch bei der Frühdiagnostik der
nach Mol und Wright [45] beschreiben 5 Subtypen Erkrankung hilfreich sein sollen (. Tab. 3.3) [77].
(7 Übersicht). Die Erscheinungsformen sind aber
sehr variabel, Kombinationen mit anderen Befalls- z Verlauf
mustern sind häufig. Manche Autoren diskutieren, Die PsA verläuft häufiger chronisch mit entzündli-
ob die PsA mit vorwiegendem Endgelenkbefall und chen Schüben und neigt zu unterschiedlich langen
Entzündliche muskuloskelettale Erkrankung (Gelenk, Wirbelsäule, Enthesen) plus 3 oder mehr der folgenden:
ausreichenden Erfolg zeigen, besonders bei aktivem oder einer geschätzten gomerulären Filtrationsrate
oligo- und polyartikulärem Verlauf, werden häufig (eGFR) <40 ml/min. Als weitere Kontraindikationen
GC systemisch oder intrartikulär verabreicht und für die Behandlung gelten vorbestehende Leberschä-
bewirken meist eine rasche Schmerzlinderung und den, bestehende Infektionen und eine Allergie gegen
Abschwellung peripherer Gelenke (vor allem auch die Substanz ebenso wie ein bestehender zeitnaher
zur Überbrückung bis zum Wirksamwerden einer Kinderwunsch.
3 Basistherapie). Steroide führen auch zu einer Besse-
rung des Hautbefalls, können aber nach Absetzen zu Sulfasalazin (SSZ) SSZ (Salazopyrin) führt in einer
einer Exazerbation der kutanen Psoriasis führen; sie oralen Dosis von 2 g pro Tag nach einer einschlei-
haben keinen systemischen therapeutischen Effekt chenden Periode zu einer Besserung der Gelenk-
bei Befall des Achsenskeletts. situation, allerdings zu keiner Beeinflussung der
kutanen Psoriasis. Typische und häufige Nebenwir-
z z Konventionell synthetische kungen sind Kopfschmerz und Schwindel, Erhöhun-
Basistherapeutika (csDMARDs) gen der Leberfunktionsparameter und generalisierte
Exantheme.
Methotrexat (MTX) MTX (z. B. Methotrexat Lederle, Regelmäßige klinische und Laborkontrollen zu
Ebetrexat, Lantarel) wird in einer Dosis von 10–25 mg Beginn in 2-wöchigen, dann in 8-wöchigen Abstän-
pro Woche, an einem Tag der Woche oral oder subku- den sind notwendig [19].
tan verabreicht und führt bei den meisten Patienten
nach 4–8 Wochen zu einer Besserung der Gelenk- Leflunomid (LEF) LEF (Arava) wird erfolgreich zur
symptomatik und zu einer positiven Beeinflussung Behandlung der rheumatoiden Arthritis und der PsA
des Hautbefalls. Zusätzlich empfiehlt sich eine beglei- eingesetzt und bessert auch den psoriatischen Haut-
tende Folsäuresubstitution an 2 Tagen pro Woche, befall. Die Tagesdosis beträgt in der Regel 20 mg, sie
allerdings nicht am MTX-Einnahmetag, um das wird oral eingenommen und zeigt meist bereits nach
Risiko von Nebenwirkungen wie Stomatitis, Schleim- 4 Wochen eine therapeutische Wirkung. Aufgrund
hautulzera, Haarausfall und einer megaloblasteren hämatologischer und hepatotoxischer Nebenwir-
Anämie zu reduzieren. Auf unerwünschte hepatale kungen sind engmaschige klinische und laborche-
Wirkungen von MTX ist zu achten; eine Erhöhung mische Kontrollen notwendig (im ersten Behand-
der Transaminasen auf das Doppelte der Norm unter lungsmonat in wöchentlichen Abständen, dann alle
MTX kann toleriert werden. Ein Leberschaden vor 4 Wochen). Wegen einer teratogenen Wirkung und
Therapiebeginn ist auszuschließen, eine Alkohol- einer extrem langen Halbwertszeit muss Lefluno-
karenz wird empfohlen. Häufig wird am Einnah- mid 2 Jahre vor einer geplanten Schwangerschaft
metag und am Tag nach der Applikation über Übel- abgesetzt werden. Eine strenge Kontrazeption (bis 2
keit und Brechreiz geklagt. Leuko- und Thrombope- Jahre nach Therapie) muss gewährleistet sein. Kont-
nien sind selten; auf die äußerst seltene Pneumoni- raindikationen sind vorbestehende Hepatopathien,
tis unter MTX ist zu achten (Methotrexat-Lunge). schwere Immundefekte, bestehende Infektionen,
Fieber, Husten und Atemnot zwingen zu sofortigem eine höhergradige renale Funktionseinschränkung
Abbruch der Behandlung und unverzögerter fach- und ein Kinderwunsch.
ärztlicher Behandlung. Aufgrund einer potenziell
teratogenen Wirkung ist Methotrexat 3 Monate vor Ciclosporin (Cyclosporin A, CsA) Ciclosporin (Sand-
einer Schwangerschaft abzusetzen. immun) ist sowohl bei der PsA als auch bei ausge-
Wegen möglicher Nebenwirkungen vor allem dehntem Hautbefall wirksam. Es wird initial in einer
zu Beginn der Behandlung ist die Therapie in den Dosis von 2,5 mg/kg Körpergewicht/Tag verabreicht
ersten 8–12 Wochen alle 2 Wochen, in der Folge alle und auf maximal 5 mg/kg Körpergewicht/Tag in
6–8 Wochen klinisch und serologisch zu überprüfen. Abhängigkeit von der Krankheitsaktivität gesteigert.
Bei eingeschränkter Nierenfunktion ist eine Renale Nebenwirkungen und eine potenzielle Erhö-
Dosisanpassung notwendig; MTX ist kontrain- hung des Blutdrucks limitieren die Anwendung [4],
diziert bei einem Serumkreatinin von >1,4 mg/dl [17], [20], [27], [55].
3.2 · Psoriasisarthritis (PsA)
59 3
z z Biologika (biologisch originäre und 300 mg als subkutane Injektion mit Startdosen in den
biosimiläre DMARDs – boDMARDs und Wochen 0, 1, 2 und 3, gefolgt von monatlichen Erhal-
bsDMARDs) tungsdosen beginnend ab Woche 4. Jede 300-mg-
Zur Behandlung der PsA sind folgende Biologika Dosis wird in Form von zwei subkutanen Injektionen
zugelassen: zu je 150 mg verabreicht. Bei allen anderen Patienten
beträgt die empfohlene Dosis 150 mg als subkutane
Infliximab Infliximab (Remicade) ist ein chimärer, Injektion mit Startdosen in den Wochen 0, 1, 2 und
monoklonaler Antikörper (mit 25%igem Mausan- 3, gefolgt von monatlichen Erhaltungsdosen begin-
teil). Infliximab wird bei PsA als Infusion in der Dosis nend ab Woche 4.
von 5 mg pro kg Körpergewicht zu den Wochen 0, 2 Bei der PsA sind, wie bei der rheumatoiden Arth-
und 6 und danach alle 8 Wochen verabreicht. ritis, die Konzentrationen für proinflammatorische
Zytokine in der Synovialflüssigkeit erhöht. Daher
bs Infliximab (Inflectra, Remsima) sind alle derzeit zugelassenen TNF-α-Blocker, Ada-
limumab, Certolizumab, Etanercept, Golimumab
Etanercept Etanercept (Enbrel) ist ein humanes und Infliximab ähnlich gut wirksam.
Rezeptorfusionsprotein, das 2-mal pro Woche in Bei unzureichendem Ansprechen auf eine kon-
Form von 25 mg oder 1-mal pro Woche in einer ventionelle Basistherapie sollten zunächst TNF-Blo-
Dosis von 50 mg subkutan verabreicht wird. cker zum Einsatz kommen. IL-12/23-Hemmer (Uste-
kinumab) und IL-17-Hemmer (Secukinumab) sind
Adalimumab Adalimumab (Humira) ist ein eine wirkungsvolle Behandlungsoption bei Patien-
humaner, monoklonaler Antikörper und wird alle 14 ten, bei denen TNF-Blocker kontraindiziert, unver-
Tage in einer Dosis von 40 mg subkutan verabreicht. träglich oder unwirksam sind. Umfangreiche Sicher-
heitsdaten fehlen allerdings noch.
Golimumab Golimumab (Simponi) ist ein vollstän- Biologika wirken sowohl bei peripherer Arthri-
dig humaner monoklonaler Antikörper, der TNF-α tis als auch bei axialem Befall, ebenso bei Enthesi-
bindet. Der Antikörper wird einmal im Monat sub- tis und Daktylitis; zudem verbessern alle Biologika
kutan in Form von 50 mg appliziert. den Hautbefall (Ustekinumab sollte nach derzeitigem
Wissen bei vorwiegend axialer Symptomatik nicht
Certolizumab Pegol Certolizumab Pegol (Cimzia) angewendet werden).
ist ein pegiliertes FAB-Fragment eines TNF-α- Bei einer PsA mit axialem Befall gelten die
Antikörpers. Die empfohlene Anfangsdosis beträgt Richtlinien der Verordnung wie bei ankylosieren-
400 mg in Woche 0, 2 und 4, gefolgt von 200 mg Cer- der Spondylitis.
tolizumab Pegol als Fertigspritze alle 2 Wochen (sub-
kutan verabreicht). Empfohlene Voruntersuchungen vor Anwendung
einer Biologika-Therapie Über die üblichen kli-
Ustekinumab Ustekinumab (Stelara) Anti-IL-12/ nisch-rheumatologischen Routineuntersuchungen
23-Antikörper. Es wird eine initiale Dosierung von hinaus muss ein infektiöser (einschließlich chro-
45 mg, die subkutan verabreicht wird, empfohlen, nisch-infektiöser) oder ein maligner Prozess (auch
gefolgt von einer 45-mg-Dosis 4 Wochen später und in der Anamnese) ausgeschlossen werden, da bei
dann alle 12 Wochen. Bei Patienten mit einem Kör- diesen Patienten ein TNF-Blocker nicht verabreicht
pergewicht >100 kg können alternativ 90 mg gegeben werden darf. Ebenso besteht eine Kontraindika-
werden. tion bei einer höhergradigen Herzinsuffizienz und
bei einer demyelinisierenden Erkrankung. Um das
Secukinumab Secukinumab (Cosentyx) ist ein Risiko einer Reaktivierung einer Tuberkulose gering
Anti-IL-17A-Antikörper. Bei Patienten mit gleich- zu halten, sind eine gezielte Tbc-Anamnese, ein
zeitiger mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoria- Lungenröntgen und ein Quantiferon-Test oder ein
sis oder Patienten, die auf TNF-α-Inhibitoren unzu- Mendel-Mantoux-Test (wenn ein Quantiferon-Test
reichend ansprechen, beträgt die empfohlene Dosis nicht zur Verfügung steht) erforderlich. Klinische
60 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden
Kontrollen sowie adäquate Laborkontrollen sollten bei Kontraindikation für einen TNF-α-Blocker auch
nach 1, 2 und 4 Monaten und dann 3-monatlich mit dem IL-12/23-Blocker Ustekinumab oder dem
erfolgen. Bei fieberhaften Zustandsbildern ist eine IL-17-Blocker Secukinumab oder mit dem PDE-4-
umgehende Kontaktaufnahme der Patienten mit Hemmer Apremilast.
dem behandelnden internistischen Rheumatologen Bei Umstellung auf einen TNF-α-Blocker, Uste-
oder einem mit dieser Therapie vertrauten Arzt not- kinumab, Secukinumab oder Apremilast ist die Fort-
3 wendig und ein Pausieren oder Absetzen des Biolo- führung der csDMARD-Therapie nicht unbedingt
gikums erforderlich [4], [17], [20], [27], [32], [40], notwendig.
[51], [54], [55]. Der Einsatz von TNF-α-Blockern als First-Line-
Therapie (also ohne vorangegangene csDMARD-
z z Zielgerichtete synthethische DMARDs Therapie) kann bei überwiegend axialer Beteiligung,
(„targeted synthetic DMARDs“ – tsDMARDs) bei Patientinnen mit aktiver Enthesitis oder Daktyli-
Der Posphodiesterase(PDE)-4-Hemmer Apremilast tis oder bei außergewöhnlich schwerer Krankheits-
(Otezla) hat vermutlich eine schwächere Wirkung aktivität erwogen werden.
auf die Gelenke als TNF-Blocker, zudem fehlen noch Bei Versagen eines TNF-α-Blockers sollte die
radiologische Langzeitdaten. Er sollte daher vorder- Behandlung bevorzugt mit einem anderen TNF-α-
gründig zum Einsatz kommen, wenn Biologika kon- Blocker erwogen werden. Ebenso kann auch eine
traindiziert, unverträglich oder unwirksam sind, Umstellung auf Ustekinumab, Secukinumab oder
ebenso wenn Patienten eine parenterale Behand- Apremilast erwogen werden
lung ablehnen. Der Einsatz von Apremilast kann Die Einstellung mit Basistherapeutika sollte
aber auch schon nach Versagen eines csDMARDs durch einen Facharzt für Innere Medizin mit Addi-
erwogen werden. tivfach Rheumatologie erfolgen. Im Abstand von 3–6
Dosierung und Applikation: Start in Ansteigen- Monaten sollten rheumatologische Kontrolluntersu-
der Dosierung über 5 Tage bis zu einer Dosis von chungen gemacht werden.
2-mal 30 mg per os täglich. Bei schwerer Nierenin- Bei vorwiegendem Hautbefall sollte eine enge
suffizienz (Kreatininclearence <30 ml/min) Maxi- Zusammenarbeit mit dem Dermatologen erfolgen.
maldosis 30 mg täglich per os [4], [20], [32], [54].
Auch unter dieser Kombinationstherapie kam Capillitium (die allerdings nicht von ärztlicher
es nur zu einer leidlichen Stabilisierung. Beide Seite dokumentiert wurden) und es wurde
Kniegelenke und das rechte Ellbogengelenk unter der Diagnose einer PsA (sine psoriase?)
waren weiterhin synovitisch geschwollen. nach Versagen von 2 Basistherapeutika eine
Radiologisch zeigte sich im linken Knie eine Biologika-Therapie eingeleitet. Diese Therapie
mäßige Gelenkspaltverschmälerung. Es war sehr erfolgreich und es konnte bereits
wurde in einem orthopädischen Konsilium die nach wenigen Injektionen eine Normalisierung
Synovektomie beider Kniegelenke diskutiert, der serologischen Entzündungsparameter und
aber schließlich auf Wunsch der Patientin nicht eine Rückbildung der Gelenkschwellungen
gemacht. erreicht werden. Die Patientin ist unter
Beim Bruder wurde vor einem Jahr eine regelmäßiger ärztlicher Kontrolle.
Schuppenflechte diagnostiziert und die
Patientin erinnerte sich bei neuerlicher
Exploration an einzelne, schuppende Herde am
Kopf in früheren Jahren.Es wurde schließlich 3.3 Reaktive Arthritis
unter der Diagnose einer PsA die Indikation zu
einer Biologika-Therapie gestellt. Bereits nach Die reaktive Arthritis (ReA) ist eine entzündliche
der 3. Injektion kam es zu einer deutlichen rheumatische Erkrankung und wird unter anderem
Besserung, die GC konnten komplett abgesetzt aufgrund der klinischen Erscheinungsform und der
werden, die Mobilität nahm zu und nach 6 Assoziation mit HLA-B27 den Spondyloarthritiden
Injektionen war die Patientin ausreichend zugeordnet.
mobil. Bis auf eine geringe Schwellung eines Die Pathogenese der ReA ist nicht vollständig
Kniegelenks war sie komplett beschwerdefrei. geklärt. Die Arthritis tritt wenige Tage bis mehrere
Sie fühlte sich erstmals seit langer Zeit in einer Wochen nach einem Harnwegsinfekt, einer Darm-
so stabilen Situation, dass sie im Sommer eine infektion oder seltener nach einem respiratorischen
Reise nach Südafrika buchte. Bezüglich der Infekt auf. Häufig verläuft der auslösende Infekt
Reise wurde die Patientin auch dahingehend asymptomatisch und das oligo- oder monoarthri-
beraten, dass unter einer Behandlung mit tische Krankheitsbild wird den undifferenzierten
MTX und/oder Biologika Lebendimpfstoffe Arthritiden zugeordnet [68].
kontraindiziert sind und daher Reisen in Die wichtigsten Ursachen einer ReA sind uroge-
Länder, für die eine Gelbfieber-Impfung nitale Infekte mit Chlamydia trachomatis, intestinale
(Lebendimpfstoff ) vorgeschrieben sind, nicht Infekte durch Enterobakterien wie Yersinien, Salmo-
gemacht werden dürfen. Daher wurde die nellen, Champylobacter jejuni oder Shigellen sowie
Reiseroute entsprechend angepasst. Infekte der Atemwege mit Chlamydia pneumoniae.
Ob auch die Borreliose den reaktiven Arthritiden
zugeordnet werden soll, wird kontrovers diskutiert.
Man nimmt an, dass die Erreger nicht nur an der
Kommentar Eintrittspforte, sondern nach einer kurz dauernden
Bei unserer Patientin liegt retrospektiv Bakteriämie auch in den betroffenen Gelenken int-
seit mehren Jahrzehnten eine Erkrankung razellulär persistieren und nicht vom Wirtsorganis-
aus dem Formenkreis der Spondyloar- mus eliminiert werden können. Als Hinweis für eine
thritiden vor. Von 1999 bis 2007 war sie Erregerpersistenz gilt der intraartikuäre Nachweis
beschwerdefrei. Schließlich konnte beim von bakterienspezifischer DNA oder RNA-Frag-
Bruder eine Schuppenflechte evaluiert menten mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR)
werden. Auch die Patientin berichtete über bei Patienten mit ReA. Für die Routinediagnostik
vorübergehende schuppende Herde am sind diese Untersuchungen allerdings nicht verfüg-
bar [13], [14], [34], [37].
64 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden
Es handelt sich meist um eine asymmetrische eine sichere Diagnose ist dadurch in der Regel aber
Mono- bis Oligoarthritis unter Bevorzugung der nicht möglich.
unteren Extremitäten. Eine Polyarthritis ist selten. Der alleinige Nachweis von (niedrigtitrigen)
Eine Beteiligung des Achsenskeletts im Sinne einer antibakteriellen Immunglobulin(Ig)G-Antikörpern
Sakroiliitis ist möglich, ebenso extraartikuläre Mani- weist auf eine (länger) zurückliegende Infektion hin,
festationen wie eine Uveitis oder Enthesitis. antibakterielle IgM-Antikörper sind nur in der Früh-
3 Die Kombination von Arthritis, Urethritis und phase der Infektion in den ersten 2–3 Wochen nach-
Konjunktivitis wurde früher als Reiter-Syndrom weisbar. Der kombinierte Nachweis von IgM- und
bezeichnet und gilt als besondere Verlaufsform IgG-Antikörpern kann auf eine aktuelle bzw. kurz
einer ReA. Im angelsächsischen Sprachraum wurde zurückliegende Infektion hinweisen, ebenso wird
der Begriff Reiter-Syndrom bis vor wenigen Jahren der Nachweis von IgA- und IgG-Antikörpern häufig
auch als Synonym für eine ReA verwendet [13], [14]. als indirekter Hinweis auf eine persistierende Infek-
Die mittlere Krankheitsdauer beträgt 3–12 tion gewertet. Hohe Titer von IgG-Antikörpern und
Monate. Bei 40–70% der Erkrankten ist HLA-B27 ein Titeranstieg um das 3-Fache innerhalb von 2–3
nachweisbar. Prolongierte und chronische Verläufe Wochen sprechen für eine floride oder kurz zurück-
sind bei HLA-B27-positiven Patienten häufiger. liegende Infektion
Arthralgien sind auch nach Remission der Arth- Die größte Bedeutung für die Diagnose hat eine
ritis oft noch über Monate nachweisbar. Ein chro- typische Klinik in Kombination mit einem urogeni-
nischer Verlauf mit einer Beschwerdesymptoma- talen oder enteritischen Infekt.
tik über 12 Monate wird bei 20% der Betroffenen Differenzialdiagnostisch sollten vor allem eine
beobachtet. septische Arthritis, eine andere Erkrankung aus dem
Formenkreis der Spondyloarthritiden, Kristallarth-
z Diagnostik ropathien, ein Morbus Behçet oder eine atypische
Die Diagnose einer ReA ergibt sich aus der klini- rheumatoide Arthritis ausgeschlossen werden [13],
schen Symptomatik mit Arthritis im Gefolge einer [34], [37], [68], [73].
vorausgegangenen bakteriellen Infektion und aus
einem direkten oder indirekten Erregernachweis. z Therapie
Eine alleinige Serologie hat nur einen begrenzten Die Behandlung der Arthritis erfolgt durch eine
Stellenwert. Der Nachweis von HLA-B27 ist für die regelmäßige und ausreichende Gabe von NSAR. In
Diagnose hilfreich. Eine gesicherte Diagnose ist nur therapieresistenten Fällen kann eine systemische
durch einen Direktnachweis des Erregers möglich. oder intraartikuläre Therapie mit GC notwendig
Ein kultureller Nachweis pathogener Keime im sein.
Stuhl gilt als Beweis einer Infektion; die Wahrschein- Eine antibiotische Therapie der postenteritischen
lichkeit eines positiven Ergebnisses nimmt aber ab ReA ist ohne gesicherten Effekt.
dem Zeitpunkt des Sistierens der Durchfälle stark ab. Bei urogenitalem Nachweis von Chlamydia tra-
Ein direkter Nachweis von Chlamydia tracho- chomatis ist stets eine Antibiotika-Therapie ein-
matis kann aus der ersten Portion des Morgenurins schließlich einer Partnerbehandlung indiziert.
oder aus der Synovialflüssigkeit mittels PCR erfolgen. Dies kann durch eine Doxicyclin-Behandlung mit
Da aber ein vorangegangener Infekt aus der Ana- 200 mg/Tag über 10 Tage erfolgen oder durch Azi-
mnese oft nicht erhebbar oder eine Durchfallerkran- thromycin 500 mg/Tag an 3 aufeinander folgenden
kung bei Auftreten der Arthritis schon abgeklungen Tagen.
ist, muss der Nachweis der Infektiologie indirekt über Ob eine langfristige Antibiotika-Behandlung den
serologische Methoden erfolgen. Eine serologische Verlauf einer von Chlamydien induzierten Arthritis
Erregerdiagnostik ist aber nur dann sinnvoll, wenn beeinflusst, wird widersprüchlich beurteilt und ist
das klinische Bild mit einer gewissen Wahrschein- weiterhin Gegenstand aktueller Forschung.
lichkeit eine ReA vermuten lässt. Bei mehr als 6-monatigem Verlauf mit Beteili-
Sofern die Anamnese auf eine ReA hinweist, gung mehrerer Gelenke und entsprechender ent-
können serologische Untersuchungen hilfreich sein; zündlicher Aktivität ist ein Therapieversuch mit
3.4 · Enteropathische Arthritiden
65 3
Sulfasalazin in Form von 2 g/Tag gerechtfertigt. In
schweren therapieresistenten Fällen wurden Metho- Eine symptomorientierte antiphlogistische
trexat und Azathioprin eingesetzt, wenngleich mit Behandlung führte zu einer Besserung, jedoch
diesen Medikamenten für die Therapie der ReA zu keiner Beschwerdefreiheit. Eine GC-Therapie
kaum Daten vorliegen [13], [68], [71]. mit 25 mg Prednisolon täglich in langsam
fallender Dosierung wurde eingeleitet.
Dadurch konnte schließlich eine Stabilisierung
Fallbeispiel: 27-jähriger Mann mit und nach 2 Wochen eine deutliche Besserung,
Durchfall wenn auch noch keine Beschwerdefreiheit
Ein 27-jähriger Mann wurde wegen einer erreicht werden. Eine Basistherapie mit
fieberhaften Erkrankung mit Durchfall stationär Sulfasalazin wurde erwogen.
aufgenommen. In der Anamnese wurde über
eine Diarrhö mit bis zu 10 Stuhlentleerungen
während des Tages und während der Nacht
über einen Zeitraum von 2 Wochen berichtet. Kommentar
Die Symptome begannen bereits während Aufgrund der typischen Klinik, der Durchfall-
eines Auslandsaufenthaltes im südlichen anamnese, des positiven Erregernachweises
Europa. Die Durchfälle besserten sich schon und des Auftretens einer oligoarthritischen
vor der Aufnahme, die Adynamie nahm aber asymmetrischen Gelenksymptomatik der
deutlich zu. Durch eine symptomatische unteren Extremitäten kann die Diagnose einer
Behandlung, Flüssigkeitsbilanzierung und eine ReA gestellt werden.
Antibiotika-Gabe mit Ciprofloxacin stabilisierte Im beschriebenen Fall ist von einer besonders
sich das Zustandsbild und die Durchfälle ausgeprägten Reaktion auszugehen. Mit einem
sistierten. Der Patient konnte nach einer limitierten, aber doch mehrmonatigen Verlauf
Woche wieder aus der stationären Behandlung kann gerechnet werden.
entlassen werden. Wenige Tage später kam es Sollte sich nach dem Ausschleichen bzw.
zum Auftreten von Gelenkschmerzen, zunächst Absetzen der GC die Situation wieder
im Bereich der 2. rechten Zehe, in der Folge signifikant verschlechtern, ist die Einleitung
zu einer massiven Schwellung des rechten einer Basistherapie mit Sulfasalazin
Sprunggelenks und des linken Kniegelenks. gerechtfertigt und notwendig; ebenso bei
Am Abend wurden erhöhte Temperaturen einem protrahierten Verlauf über 6 Monate
über 38°C registriert. Der Patient wurde mit hinaus.
der Diagnose einer ReA neuerlich stationär Da die Durchfallepisode bereits zum Zeitpunkt
aufgenommen. In den Stuhlkulturen, die bereits des ersten Krankenhausaufenthalts sistierte,
beim ersten Krankenhausaufenthalt angelegt ist insbesondere hinsichtlich der Gelenksym-
wurden, waren Salmonellen nachweisbar. ptomatik eine neuerliche Antibiose nicht
Es gab keine ähnliche Symptomatik in der sinnvoll.
Vorgeschichte des Patienten; ebenso wurden
keine Erkrankungen der Haut oder der
Augen angegeben. Die Familienanamnese
bezüglich einer Gelenkerkrankung oder 3.4 Enteropathische
eines entzündlichen Rückenschmerzes war Arthritiden(Arthritiden bei
unauffällig. Laborchemisch zeigten sich die chronisch entzündlichen
Entzündungsparameter deutlich erhöht, Darmerkrankungen)
die Rheumafaktoren und Antikörper gegen
zyklische citrullinierte Peptide (CCP) waren Die Prävalenz der Colitis ulcerosa beträgt in der
negativ, HLA-B27 war nachweisbar. westlichen Welt 238 pro 100.000 Einwohner, die
des Morbus Crohn 201 pro 100.000 Einwohner.
66 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden
Die Häufigkeit einer peripheren Gelenkbeteiligung Typ-1-Arthropathie Die etwas häufigere Typ-1-
wird in der Literatur unterschiedlich angegeben und Arthropathie ist charakterisiert durch einen Befall von
dürfte sich bei Colitis ulcerosa zwischen 4 und 11%, weniger als 5 Gelenken, am häufigsten ist das Knie-
bei Morbus Crohn zwischen 11 und 21% bewegen. gelenk betroffen. Der Verlauf ist typischerweise akut
Die Gelenkentzündungen treten mehrheitlich und selbstlimitierend, dauert in der Regel weniger als
nach Manifestation einer chronisch entzündlichen 10 Wochen und geht oft mit einem Schub der Grund-
3 Darmerkrankung (CED) auf. krankheit einher. Diese Oligoarthritis kommt häufig
Bei etwa 25% der Patienten treten eine oder mit anderen extraintestinalen Manifestationen vor.
mehrere extraintestinale Manifestationen auf. Es sind
vor allem die Haut, die Gelenke, die Augen und das Typ-2-Arthropathie Die Typ-2-Arthropathie zeigt
Gallengangsystem betroffen [29], [36], [56]. einen polyartikulären Befall, vor allem der Finger-
grundgelenke, mit einer Symptomatik über Monate
z Pathogenese bis Jahre und verläuft unabhängig von einer Grund-
Obwohl die Mechanismen der Zusammenhänge zwi- krankheit. Der polyartikuläre Typ ist mit einer
schen Darm und Gelenken nach wie vor ungeklärt Uveitis, aber keinen anderen extraintestinalen Mani-
sind, gibt es immer mehr Daten, die eine pathogene festationen assoziiert [48].
Rolle des Darms bei einer großen Zahl von Spondyl- Die Häufigkeit einer axialen Beteiligung wird
oarthritiden nahelegen, auch bei solchen Erkrankun- mit 5–12% angegeben und ist klinisch durch einen
gen, die keine gastrointestinalen Symptome aufwei- Gesäß- oder Brustschmerz gekennzeichnet. Die
sen. Durch endoskopische Untersuchungen konnte Symptomatik am Achsenskelett ist unabhängig von
bei 65% der Patienten mit Spondyloarthritis (SpA) der Aktivität der Darmerkrankung. CED sind nicht
und nur bei 3% der Kontrollgruppe eine nicht mit mit HLA-B27 assoziiert, bei gleichzeitigem Auftreten
klinischen gastrointestinalen Symptomen einherge- von CED und HLA-B27 besteht jedoch ein deutlich
hende Darmentzündung nachgewiesen werden. Die höheres Risiko für die Entwicklung eines entzünd-
Inzidenz chronisch entzündlicher Darmerkrankun- lichen Wirbelsäulenbefalls (Sakroiliitis).
gen war bei SpA deutlich höher als bei einer gesun- Krankheitsspezifische laborchemische Befunde
den Population [29], [44]. fehlen; in Abhängigkeit von der Krankheitsaktivi-
Die Ätiologie der enteropathischen Spondyloar- tät (der Gelenke und der Darmerkrankung) sind die
thritiden ist noch nicht geklärt. Üblicherweise sind serologischen Entzündungsparameter erhöht.
bei Gesunden die T-Lymphozyten der Darmwand Radiologisch finden sich nur selten erosive
gegenüber autonomer Darmflora tolerant. Bei CED Gelenkveränderungen. Bei chronischem Verlauf
werden eine Proliferation spezifischer T-Lymphozy- kann es fallweise zu Erosionen vor allem an den
ten als Reaktion auf Bakterien der autologen Flora metatarsophalangealen Gelenken kommen.
und eine konsekutive Freisetzung von Zytokinen dis-
kutiert. Dadurch wird die Toleranz gegenüber auto- z Therapie
loger Darmflora gebrochen. In der Folge kommt es zu Als symptomatische Therapie werden Analgetika
einem Anstieg der Darmpermeabilität und zu einer und NSAR verwendet. NSAR sind insbesondere
Antigenämie. bei axialer Beteiligung gut wirksam, können jedoch
Als Folge einer durch Entzündung geschädigten eine Verschlechterung bzw. einen Schub einer Kolitis
Darmwand könnten zirkulierende Bakterien-Pro- auslösen.
dukte in die Synovialflüssigkeit gelangen. Alternativ Systemische GC haben eine gute Wirkung zur
könnten auch aus der Darmwand aktivierte T-Lym- Beeinflussung der entzündlichen Aktivität der
phozyten in die Synovia eintreten. Darmerkrankung und einer peripheren Arthritis,
zeigen aber kaum einen Effekt bei einer Sakroiliitis.
z Symptomatik Bei schwereren Verlaufsformen wird in erster
Die enteropathische periphere Arthritis wird in Linie Sulfasalazin in Form von 2–3 g/Tag eingesetzt
2 Typen unterteilt (Klassifikation nach Orchard (kontrollierte Studien fehlen), das gleichzeitig auch
et al. [48]). bei Colitis ulcerosa wirksam ist [29], [56], [76].
3.6 · Undifferenzierte Spondyloarthritis (uSpA)
67 3
3.5 Arthritis bei glutensensitiver
Enteropathie Radiologisch zeigten sich im Bereich der
Fingergelenke keine pathologischen
Die Zöliakie oder glutensensitive Enteropathie ist die Veränderungen, insbesondere keine Usuren.
Folge einer immunologischen Gluten-Unverträg- In einer in der Folge – aufgrund der Anämie
lichkeit und ist charakterisiert durch eine Atrophie und der unklaren abdominellen Symptome –
der Dünndarmschleimhaut im Sinne einer Zotten- durchgeführten gastrointestinalen
abflachung und mit typischen Symptomen der Mal- Untersuchung ergab die Endoskopie eine
absorption und Maldigestion einhergehend. totale Zottenatrophie und es wurde die
Oft sind nur sehr diskrete Zeichen wie unklare Diagnose einer Zöliakie gestellt. Die Patientin
dyspeptische Symptome oder eine Eisenmangelan- wurde unter einer glutenfreien Diät rasch
ämie nachweisbar. beschwerdefrei. Meteorismus, Müdigkeit,
Zu den extraintestinalen Symptomen gehört aber auch die Gelenkschmerzen bildeten sich
neben einer Dermatitis herpetiformis und einer IgA- vollständig zurück. Das Blutbild normalisierte
Nephritis eine Arthropathie. sich; eine initial im Sinne einer Osteopenie
Die Arthritis ist selten, aber möglicherweise häu- verminderte Knochendichte zeigte unter einer
figer als früher angenommen und präsentiert sich als konsequenten Kalzium- und Vitamin-D-Gabe,
nichterosive symmetrische Polyarthritis oder Oligo- bei einer Kontrolle nach 2 Jahren, eine
arthritis unter Betonung der großen Gelenke. Besserung.
Sie wird nicht den Spondyloarthritiden
zugeordnet.
Unter einer glutenfreien Diät sistieren die
Gelenksymptome und die Veränderungen der
Darmschleimhaut [29], [43]. Kommentar
Die Zöliakie oder glutensensitive Sprue
wird auch oft erst im Erwachsenenalter
diagnostiziert. Die Therapie ist eine
Fallbeispiel: 45-jährige Bäuerin mit lebenslange glutenfreie Kost. Symmetrische
Schmerzen und Schwellungen von Finger- Schwellungen der Fingergrund- und
gelenken Mittelgelenke, ähnlich einer rheumatoiden
Die Patientin berichtete über symmetrische Arthritis, sind seltene, aber mögliche
Schwellungen und Schmerzen der Erscheinungsformen einer Zöliakie.
Fingergelenke seit einigen Monaten. Zudem
wurde über Müdigkeit, rasche Erschöpfung
bei körperlichen Belastungen, Blähungen und
Stuhlunregelmäßigkeiten geklagt. 3.6 Undifferenzierte
Bei der Untersuchung zeigte sich eine leichte Spondyloarthritis (uSpA)
symmetrische Synovitis der MCP-Gelenke,
mit positivem Gaenslen-Handgriff. Bei einer uSpA zeigen sich typische Symptome eines
Ein blasses Hautkolorit war auffällig, entzündlichen Rückenschmerzes, einer peripheren
ansonsten ein unauffälliger Status und Arthritis und möglicherweise weniger häufig einer
Ernährungszustand. Enthesiopathie, ohne dass eine sichere Zuordnung
Im Labor präsentierte sich eine mäßig erhöhte zu einer bestimmten Form einer Spondyloarthri-
BSG (27 in der ersten Stunde) sowie eine tis möglich ist. Häufig handelt es sich um eine noch
hypochrome Anämie (Hämoglobin 9,1 mg/dl). nicht sicher definierte Frühform oder um abortive
Verlaufe [23], [41], [81].
68 Kapitel 3 · Spondyloarthritiden
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75 4
Kollagenosen
Rudolf Puchner, Judith Sautner
4.2 Sjögren-Syndrom – 81
4.4 Raynaud-Phänomen – 90
Literatur – 94
Mycophenolat-Mofetil (MMF) (z. B. CellCept) SLE nachzuweisen. [52]. Sie sind mit einem erhöh-
und auch Azathioprin werden in der Folge einer ten Risiko von Aborten und arteriellen und venösen
CYC-Therapie oder bei weniger schweren Organ- Thrombosen assoziiert. Zusätzlich sind eine Livedo
manifestationen eingesetzt. Regelmäßige Kontrollen racemosa und eine Thrombozytopenie typisch. Tiefe
von Blutbild (ausgeprägte Leukopenien können auf- Beinvenenthrombosen sind die häufigste lokalisierte
treten) und Transaminasen sind notwendig. MMF Ursache beim APS. Naturgemäß sind Patientinnen
führt vereinzelt zu Diarrhöen und zu einer Enteri- mit einem APS häufiger von Schwangerschaftskom-
tis. Eine Indikation für MMF besteht in der Induk- plikationen betroffen. Von einem Antiphospholipid-
4 tion bei Patienten, die CYC nicht tolerieren, in der Syndrom spricht man erst beim Auftreten typischer
Erhaltungstherapie bei Unwirksamkeit von Azathio- Symptome (7 Übersicht). Der alleinige Nachweis
prin oder bei Nierenbeteiligung. MMF ist aber nach von Antikörpern ist nicht behandlungsbedürftig.
wie vor eine Off-label-Indikation) [6], [7], [19], [25]. Eine entsprechende Observanz ist aber in jedem Fall
Es gibt zunehmende Evidenz für den Einsatz von notwendig [37], [52].
Rituximab gerade bei schweren und aktiven Verläu-
fen des SLE [46].
Im Juli 2011 wurde Belimumab (Benlysta) als Klassifikationskriterien für das
Zusatztherapie zu der laufenden Immunsuppression Antiphospholipid-Syndrom [37]
bei Erwachsenen mit aktivem autoantikörper-posi- 55Klinisch:
tivem SLE mit hoher Krankheitsaktivität trotz Stan- 1. Eine oder mehrere eindeutige venöse
dardtherapie zugelassen [6], [38]. oder arterielle Thrombosen
2. Schwangerschaftskomplikationen
z Prognose a. Sonst ungeklärter Tod eines normal
Die Prognose des SLE hat sich in den letzten Jahr- entwickelten Feten ab der 10.
zehnten durch eine frühere Diagnose und eine Schwangerschaftswoche (SSW)
gezielte Therapie entscheidend verbessert. Die b. Eine oder mehr Frühgeburten
10-Jahres-Überlebensrate beträgt 85–90%. In frühen vor der 34. SSW aufgrund einer
Erkrankungsjahren versterben Patienten meist an Eklampsie, Präeklampsie oder
den Folgen der Krankheitsaktivität oder einer Infek- Plazentainsuffizienz
tion, später an den Folgen einer frühzeitig einsetzen- c. 3 und mehr Aborte vor der 10. SSW
den Arteriosklerose. ohne chromosomale, anatomische
Eine Schwangerschaft sollte zu einem Zeitpunkt oder hormonelle Ursachen
möglichst geringer Krankheitsaktivität geplant und 55Serologisch:
in Zentren betreut werden [3], [6]. 3. Mittelhohe (>40 IE) bzw. hohe (>99.
Perzentile des Labortests) Titer von IgG-
oder IgM-aCL
4.1.1 Antiphospholipid-Syndrom 4. IgG- oder IgM-β2-Glykoprotein I (>99.
(APS) Perzentile des Labortests)
5. Positiver LA-Test nach internationalen
Das APS ist gekennzeichnet durch eine vermehrte Richtlinien (z. B. mit Bestätigungstest)
Thromboseneigung und den Nachweis von erhöh-
ten Antiphospholipid-Antikörpern (Antikardio- Ein APS wird angenommen, wenn mindestens
lipin-Antikörper [aCL] und Antikörper gegen 1 klinisches und 1 serologisches Kriterium
β2-Glykoprotein I) oder einem Lupus-Antikoagu- vorliegen. Ein serologischer Test wird erst
lans (LA). Wenn es alleine auftritt, spricht man von dann gewertet, wenn er mindestens 2-mal
einem primären APS, in Kombination mit einem im Abstand von mindestens 3 Monaten
SLE von einem sekundären APS [52]. Es ist eine eindeutig positiv war. Mehr als 5 Jahre vor
wichtige Ursache einer erworbenen Hyperkoagula- einem klinischen Ereignis durchgeführte
bilität. Frauen sind häufiger als Männer betroffen. Testergebnisse werden nicht berücksichtigt.
Antiphospholipid-Antikörper sind in 20–40% beim
4.2 · Sjögren-Syndrom
81 4
z Therapie
Die Behandlung akuter thromboembolischer Ereig- Es wurde eine Therapie mit Chloroquin
nisse unterscheidet sich nicht von der Therapie von eingeleitet, parallel dazu wurden zusätzlich
Thrombosepatienten ohne APS. Wichtig ist eine Pro- zunächst GC peroral gegeben, die wiederum
phylaxe, um weitere Ereignisse zu vermeiden. Eine langsam ausgeschlichen werden konnten.
Immunsuppression hat keinen Einfluss auf die Rate Nach ca. 3 Monaten war die Patientin von
thromboembolischer Komplikationen. Zur Prophy- Gelenkseite beschwerdefrei, das Fieber
laxe des APS sind Thrombozytenaggregationshem- bildete sich unmittelbar nach Einleitung der
mer, Heparine und Vitamin-K-Antagonisten unter- medikamentösen Behandlung zurück und
sucht [52]. Behandlung und Prophylaxe sollten sie plante wiederum einen Entwicklungs-
in Zusammenarbeit mit spezialisierten Zentren hilfeeinsatz in Afrika. Chloroquin wurde
erfolgen. unter regelmäßigen augenfachärztlichen
Kontrollen und guter Verträglichkeit weiter
eingenommen. Auf einen konsequenten
Fallbeispiel: 27-jährige Entwicklungshelfe- Sonnenschutz wurde die Patientin
rin mit Fieber und Gelenkbeschwerden hingewiesen.
Eine 27-jährige Entwicklungshelferin kehrte
von einem zweijährigen Ostafrikaaufenthalt
zurück. Bereits während des Aufenthaltes
berichtete sie mehrmals über Fieberschübe,
vorübergehende unklare Hautausschläge, Kommentar
vor allem an lichtexponierten Stellen und Entsprechend den Klassifikationskriterien
fallweise Gelenkschmerzen ohne eindeutige (6/11 zutreffend) wurde die Diagnose
Schwellungen. Da sich die Beschwerden eines SLE gestellt (Schmetterlingserythem,
innerhalb von Tagen bis Wochen wiederum Photosensibilität, Arthritis, positive ANA,
besserten und zurückbildeten, interpretierte positive Anti-Sm-Antikörper, Leukopenie). Eine
sie selbst die Symptomatik im Sinne Nierenbeteiligung konnte nicht nachgewiesen
wiederholter unspezifischer Infektionen in werden.
den Tropen. Ein neuerlicher Fieberschub Die Erkrankung kann am Anfang von einer
wurde unmittelbar nach der Rückkehr Infektionskrankheit manchmal schwer
als Infekt im Rahmen des „Reisestresses“ zu unterscheiden sein. Hilfreich ist die
dem Klimawechsel zugeschrieben. Eine Bestimmung von CRP, das bei aktivem SLE
Untersuchung auf Malaria war negativ. Da üblicherweise nicht erhöht ist. Ein Anstieg
sich aber das Allgemeinbefinden in der Folge muss an eine Infektion denken lassen. Vor jeder
über Wochen nicht besserte und zunehmende immunsuppressiven Therapie sowie auch bei
Gelenkbeschwerden, einhergehend mit jedem Fieberanstieg ist bei SLE eine Infektion
Schwellungen der Fingergrund- und auszuschließen.
Fingermittelgelenke auftraten, suchte sie
den Arzt auf. Ein zusätzlicher schmetterlings-
förmiger Hautausschlag im Gesicht führte
bereits vor Kenntnis der durchgeführten
Blutuntersuchung zur Verdachtsdiagnose eines 4.2 Sjögren-Syndrom
SLE. Die Blutuntersuchung ergab eine deutlich
erhöhte BSG, eine mäßige Leukopenie (2800/ Das Sjögren-Syndrom ist eine Autoimmunerkran-
mm3) sowie den Nachweis von ANA von 1:1600 kung der exokrinen Drüsen mit den Leitsympto-
und positive Anti-Sm-Antikörper. Das übrige men Keratokonjunktivitis und Stomatitis sicca
Laborprofil war im Normbereich. Anti-dsDNA- und ist in seiner primären und sekundären Form
Antikörper waren nicht nachweisbar. eine der häufigsten entzündlich rheumatischen
Erkrankungen.
82 Kapitel 4 · Kollagenosen
. Tab. 4.1 Einteilung der systemischen Sklerose nach dem Hautbefall. (Nach LeRoy et al. 1988 [32])
RNA-Polymerase-Antikörper Typisch für die diffuse Herz Zur Beurteilung einer Rechtsherzbelas-
Form und ein Marker für Nierenbeteiligung (5–20% tung sind EKG und Echokardiographie, in weiterer
der SSc-Patienten). Folge auch eine Rechtsherzkatheteruntersuchung
notwendig.
Fibrillarin-Antikörper Typisch für die diffuse Form
(5–15%). Skelettsystem Röntgenuntersuchungen ergeben
eher selten Hinweise auf entzündliche oder erosive
Pm-Scl-Antikörper Diese treten bei Patienten auf Gelenkveränderungen. Kalzifikationen in der Subku-
(1%), die klinische Zeichen sowohl einer Skleroder- tis und Akroosteolysen an den Finger- und Zehen-
mie als auch einer Myositis im Sinne eines Overlaps endgliedern sind mögliche Befunde.
aufweisen (Sklerodermatomyositis). Im Verlauf bzw. zur Überwachung der Erkran-
kung ist ein regelmäßiges klinisches, laborchemisches
Rheumafaktoren Sie können in mittlerer Titerhöhe und apparatives Organscreening notwendig [24], [43].
ebenfalls nachweisbar sein.
z Therapie
z z Bildgebende Verfahren Es gibt keine Standardtherapie in der Behandlung
der SSc. Therapieziele sind die Behandlung der Ent-
Blutgefäße Kapillarmikroskopie: Über 90% der zündung, die Unterdrückung der Immunprozesse,
Patienten mit SSc weisen kapillarmikroskopische eine Verhinderung der Fibrose und eine Verbesse-
Veränderungen auf, die schon in der Frühphase rung der Mikrozirkulation. Wichtig ist auch eine ent-
nachweisbar sind (Rarefizierung der Kapillardichte, sprechende Behandlung betroffener Organsysteme.
Auftreten von Kapillardilatationen bis hin zu den Neben einer frühzeitigen medikamentösen Therapie
pathognomonisch beweisenden Riesenkapillaren, haben sich physikalische und krankengymnastische
Einblutungen, Kapillarödem). Bei Patienten mit Maßnahmen bewährt.
einer Raynaud-Symptomatik sind diese Veränderun-
gen ein früher Hinweis für die Entwicklung einer sys- z z Therapie der Arthralgien
temischen Sklerose. Zur Behandlung von Arthralgien und leichten Syn-
ovitiden haben sich nichtsteroidale Antirheumatika
Lunge Bei fortgeschrittener Erkrankung ist die bewährt. Bei stärkerer Schwellung der Finger sowie
Lungenfibrose im normalen Thoraxröntgen nach- bei hoher entzündlicher Aktivität und Polysynovitis
weisbar. Zur Frühdiagnostik einer fibrosierenden oder bei Alveolitis kommen GC (25–30 mg/Tag) in
Alveolitis wird die hochauflösende Computertomo- rasch fallender Dosierung zum Einsatz. Vorsicht ist
graphie der Lunge herangezogen, wo sich als erstes geboten bei hohen GC-Dosen wegen der potenziel-
Zeichen meist eine Milchglastrübung („ground glass len Gefahr der Entwicklung einer Niereninsuffizienz
opacity“) zeigt. Die Lungenfunktionsuntersuchung oder einer renalen Krise.
88 Kapitel 4 · Kollagenosen
z z Immunsuppression
Eine systemische immunsuppressive bzw. immun- Fallbeispiel: 51-jähriger Patient mit diffu-
modulatorische Therapie ist bei hoher entzünd- sen Schwellungen der Hände
licher Aktivität mit rasch progredientem Verlauf Ein 51-jähriger Patient klagt über diffuse
und Organbeteiligung gerechtfertigt. Der Einsatz Schwellungen im Bereich beider Hände,
von Cyclophosphamid, Azathioprin und Metho- teilweise auch beider Füße, einhergehend mit
trexat (MTX) wird unterschiedlich beurteilt, kann einer Morgensteifigkeit. Seit 2 Jahren ist eine
aber bei bestimmten Symptomen bzw. in Abhän- Raynaud-Symptomatik mit einer typischen
4 gigkeit von der Organbeteiligung hilfreich sein [8], Verfärbung aller Finger unter Kälteeinwirkung
[21], [43]. erhebbar.
Am Integument zeigt sich eine deutlich derb
z z Therapie des Raynaud-Phänomens indurierte Haut im Bereich der Finger und
Die Behandlung des Raynaud-Phänomens reicht von Hände; zudem eine diskrete Verdickung und
lokalen Maßnahmen bis hin zur systemischen The- Verkürzung des Zungenbändchens.
rapie. Ein Wärmeschutz ist empfehlenswert; lokal In den erhobenen Laborparametern zeigt sich
applizierbare Nitrate (mögliche Nebenwirkungen: die BSG im Normbereich, das Blutbild und die
Kopfschmerzen) oder Capsaicin-Präparate können Leber- und Nierenfunktionsparameter sind ohne
versucht werden. Auffälligkeiten, die antinukleären Antikörper
Zur vasoaktiven Therapie der systemischen sind mit 1:3200 erhöht, die Topoisomerase-I-
Sklerose werden Kalziumantagonisten (z. B. Amlo- Antikörper (Anti-SCL-70) sind positiv.
dipin 5–10 mg/Tag) und unter Umständen Pento- Bei der weiteren apparativen Untersuchung
xiphyllin (3-mal 400 mg/Tag) eingesetzt. Das Pro- ergibt sich der Hinweis auf eine Refluxöso-
stazyklin-Analogon Iloprost ist zurzeit die am besten phagitis; klinische Symptome von gastroin-
untersuchte Substanz zur Behandlung des Ray- testinalen Motilitätsstörungen finden sich
naud-Phänomens und hat einen positiven Effekt auf nicht; eine pulmonale Beteiligung kann
Schwere und Frequenz. Die Heilung digitaler Ulze- apparativ nicht nachgewiesen werden.
rationen wird ebenfalls positiv beeinflusst. Es wird die Diagnose einer systemischen
Der duale Endothelin-Rezeptor-Antagonist Sklerose mit positiven Anti-SCL-70-Antikörpern
(ERA) Bosentan kann das Neuauftreten von digi- gestellt und aufgrund der gelenkbetonten
talen Ulzerationen vermindern und ist zur Präven- Symptomatik neben einer Low-dose
tion akraler Ulzerationen zugelassen. Macitentan ist GC-Therapie eine MTX-Therapie eingeleitet.
der neueste ERA, der seltener zu einer Erhöhung der Eine Lungenfunktionsuntersuchung und
Leberfunktionsparameter führt als Bosentan. eine Echokardiographie ergeben keine
Auch für den selektiven Phosphodiesterase-V- Auffälligkeiten bzw. keine Hinweise einer
Hemmer Sildenafil gibt es positive Daten bezüglich pulmonalen Beteiligung, ebenso das
Raynaud-Phänomen und Heilung akraler Ulzera. Echokardiogramm keine Zeichen einer Rechts-
Ebenso konnten für den Angiotensin-II-Rezep- oder Linksherzbelastung.
torantagonisten Losartan und Bezafibrat in kontrol- Eine weitgehende Stabilisierung, insbesondere
lierten Studien positive Effekte auf die Raynaud Sym- der Gelenksymptomatik, kann zunächst nicht
ptomatik nachgewiesen werden [13], [22], [29], [31], erreicht werden.
[34], [44]. Es wird schließlich aufgrund der
vordergründigen Gelenksymptomatik
z z Therapie der PAH die MTX-Medikation auf 25 mg/Woche
Die Behandlung der PAH sollte in Zusammenarbeit angehoben. Bezüglich der Raynaud-Sym-
mit spezialisierten Zentren erfolgen. Neben symp- ptomatik werden Pentoxiphyllin und
tomatischen Maßnahmen (Diuretika, O2) werden Kalziumantagonisten gegeben und eine
auch Prostazykline und seine Analoga eingesetzt. Behandlung mit einem Prostazyklin-Analogum
Des Weiteren kommen Bosentan und Sildenafil in diskutiert.
den letzten Jahren erfolgreich zum Einsatz.
4.3 · Systemische Sklerose (SSc)
89 4
In weiterer Folge bessert sich die Symptomatik Akroosteolysen und geringe subkutane
zusehends, die Gelenksymptomatik und Kalzifizierungen. Im Labor finden sich positive
die Schwellung bilden sich zurück. Die ANA mit positiven Scl-70(Topoisomerase)-An-
MTX-Medikation kann auf 20 mg wöchentlich tikörpern. In einer Kapillarmikroskopie werden
reduziert werden und Steroid wird an beiden Händen eine Kapillarrarefizierung
ausgeschlichen. mit avaskulären Feldern, Torquierungen, aber
Der Patient kann seiner Arbeit nachgehen vor allem Riesenkapillaren gefunden.
und klagt allein über eine kälteinduzierte In den weiterführenden Untersuchungen wird
Raynaud-Symptomatik. in einer hochauflösenden (HR-)Computer-
tomographie der Lunge eine „ground glass
opacity“ in beiden Lungenunterfeldern,
einer beginnenden Fibrose entsprechend,
Kommentar beschrieben; im Echokardiogramm imponiert
Es liegt die Diagnose einer SSc vor, mit einer eine Rechtsherzbelastung mit einem
gelenkbetonten Symptomatik, die letztendlich erhöhten Pulmonalarteriendruck (sPAP
auf eine Therapie mit MTX gut angesprochen von 45 mmHg). Die Patientin wird in einem
hat; die synovitischen Schwellungen bildeten kardiologischen Zentrum einer Rechtsherz-
sich komplett zurück. katheteruntersuchung zugeführt, wo eine
Regelmäßige Kontrollen und Überwachung mittelgradige pulmonal arterielle Hypertonie
des Patienten sind insbesondere auch im attestiert wird.
Sinne eines Organscreenings notwendig, eine Somit ergibt sich die Diagnose einer
pulmonale oder kardiale Beteiligung konnte systemischen Sklerose vom diffusen
nicht nachgewiesen werden, die hepatale und Typ mit Lungenbeteiligung im Sinne
renale Funktion wird ständig überprüft und ist einer inzipienten Lungenfibrose mit
im Normbereich. begleitender PAH. Die Patientin wird
Die Raynaud-Symptomatik ist ausschließlich initial immunsuppressiv mit Ciclosporin A
kälteinduziert und wird symptomatisch behandelt; für das Raynaud-Syndrom werden
behandelt, Nekrosen sind nicht nachweisbar. Kalziumkanalblocker und Thrombozyten-
aggregationshemmer gegeben; begleitend
Paraffinhandbäder sowie Kälte- und
Nässeschutz. Eine sich entwickelnde
Fallbericht: 38-jährige Patientin mit syste- postprandiale Nausea wird im Zuge einer
mischer Sklerose Videokinematographie des Schluckaktes
Eine 38-jährige Frau wird vorstellig abgeklärt, wo sich ein verzögerter Transport
wegen eines Raynaud-Syndroms. Bei im Zuge der Grundkrankheit zeigt, weswegen
der Untersuchung fallen sogenannte Domperidon angewendet wird. Aufgrund der
„Madonnenfinger“ und ein Trikolore- Zunahme der PAH und der Entwicklung von
Phänomen an beiden Händen auf. Im internen digitalen Ulzera an mehreren Fingern, die
Status sind außer einer Hautverdickung auf Prostazyklin-Infusionen keine Besserung
an Händen, Unterarmen, Unterschenkeln, zeigen, wird Bosentan, ein Endothelin-Rezep-
Gesicht und Stamm noch eine verstärkte tor-Antagonist etabliert, allerdings erst nach
Faltenbildung um den Mund, ein verdicktes Beendigung der Ciclosporin-A-Therapie, weil
Zungenbändchen und Teleangiektasien am dies eine Kontraindikation ist. Darunter ist die
Dekolleté auffallend. Patientin relativ stabil; unter Bosentan kommt
Im Lungenröntgen zeigt sich eine leichte diffuse es zu einer kompletten Abheilung der digitalen
Verdichtung über beiden Lungenunterfeldern, Ulzera, auch die Dyspnoe der Patientin bessert
im Handröntgen zeigen sich beidseits sich wesentlich.
90 Kapitel 4 · Kollagenosen
z z Labor
Infolge der Schädigung des Muskels ist die Kreatin-
kinase (CK) erhöht und kann bei PM und DM bis Klassifikationskriterien der PM und DM
auf das 50-Fache des Normwerts ansteigen und ist [9], [10]
auch bei der NM typischerweise stark erhöht (bei der 1. Klinisch-symmetrische proximale
IBM ist die CK normal oder nur leicht erhöht). Des Muskelschwäche (Schulter- und
Weiteren lassen sich in aktiven Krankheitsphasen Beckengürtel, Halsflexoren)
erhöhte Transaminasen (im Besonderen Glutamat- 2. Histologisch gesicherte Nekrosen
Oxalacetat-Transaminase) und Laktatdehydrogenase von Typ-I- und Typ-II-Muskelfasern,
und eine Myoglobulinämie und -urie in unterschied- perifaszikuläre Atrophie, entzündliches
licher Ausprägung dokumentieren. Infiltrat (perivaskulär oder interstitiell)
Die Entzündungsparameter (wie BSG und CRP) 3. Labormedizinisch: Erhöhung
sind im akuten Stadium häufig, aber nicht generell muskeltypischer Enzyme im Serum
erhöht.
92 Kapitel 4 · Kollagenosen
weisen antinukleäre Antikörper und Anti-U1-RNP- [6] Bertsias GK, Ionnidis JPA, Boletis J et al. (2008) EULAR
recommendations for the management of systemic
Antikörper auf. Diese sind auch bei anderen Kollage-
lupus erythematosus. Report of a task force of the
nosen nachweisbar. Für die MCTD muss der Titer von EULAR standing committee for international clinical stu-
Anti-U1-RNP-Antikörpern hoch sein. Der Titer ist dies including therapeutics (ESCISIT). Ann Rheum Dis
aber nicht von der Krankheitsaktivität abhängig und 67:195–205
kann auch in der Remission unverändert hoch bleiben. [7] Bertsias GK, Ioannidis JP, Aringer M et al. (2010) EULAR
recommendations for the management of systemic
lupus erythematosis with neuropsychiatric manifestati-
z Prognose
ons: report of a task force of the EULAR standing commit-
4 Die Prognose der MCTD variiert zwischen einem tee for clinical affairs. Ann Rheum Dis 69(12):2074–2082
gutartigen und einem schweren progredienten [8] Blank N, Max R, Lorenz HM (2006) The role of DMARDs
Verlauf mit z. B. PAH oder einer renalen Beteiligung. in systemic sclerosis therapy. Rheumatology 45 [Suppl
3]:iii 2–4
[9] Bohan A, Peter JB (1975) Polymyositis and dermatomyo-
z Therapie
sitis (first of two parts). N Engl J Med 292:344–347
Arthralgien sprechen häufig gut auf NSAR an. Bei [10] Bohan A, Peter JB (1975) Polymyositis and dermatomyo-
unzureichendem Ansprechen oder polysynoviti- sitis (second of two parts). N Engl J Med 292:403–407
schem Gelenkbefall ist oft die Gabe von GC not- [11] Brito-Zeron P, Theander E, Baldini C et al. (2016) Early
diagnosis of primary Sjögren’s syndrome: EULAR-SS task
wendig. Arthritiden und SLE-ähnliche Hautverän-
force clinical recommendations. Expert Rev Clin Immu-
derungen sprechen oft gut auf Antimalarika an. Eine nol 12(2): 137–156
Behandlung mit Immunsuppressiva wie Cyclophos- [12] Cervera R, Khamashta MA, Font J et al. (2003) Morbidity
phamid zur Remissionsinduktion und in der Folge and mortality in systemic lupus erythematosus during
mit Azathioprin kann bei schwerer Organbeteiligung a 10-year period: a comparison of early and late mani-
festations in a cohort of 1,000 patients. Medicine (Balti-
notwendig sein.
more) 82:299–308
Methotrexat zeigt üblicherweise ein gutes [13] Cipriani P, Di Benedetto P, Ruscitti P et al. (2015) Maci-
Ansprechen bei schweren Arthritiden oder einer tentan inhibits the transforming growth factor-β
Myositis. profibrotic action, blocking the signaling mediated by
Die Behandlung des Raynaud-Phänomens erfolgt the ETR/TβRI complex in systemic sclerosis dermal fibro-
blasts. Arthritis Res Ther 17:247
mit Kalziumantagonisten, ACE-Hemmern oder
[14] Cummins MJ, Papas A, Kammer GM, Fox PC (2003) Treat-
Prostaglandin-Analoga wie Iloprost. Die Behand- ment of primary Sjogren’s syndrome with low-dose
lung der PAH ist am besten mit Iloprost, Bosentan human interferon alfa administered by the oromucosal
und Sildenafil belegt (siehe auch 7 Abschn. 4.3). route: Combined phase III results. Arthritis Rheum
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96 Kapitel 4 · Kollagenosen
Familiäres Mittelmeerfieber
Rudolf Puchner
Literatur – 99
Kommentar
Das familiäre Mittelmeerfieber, das in
Mitteleuropa selten auftritt und häufiger bei
Bewohnern des östlichen Mittelmeeraums
(Türkei, Syrien, Israel etc.) vorkommt, ist durch
periodische Bauchschmerzen, Fieberschübe,
Arthralgien und Arthritiden gekennzeichnet.
Unbehandelt führt die Erkrankung meist
zu einer Amyloidose mit konsekutivem
Nierenversagen innerhalb von Jahren. Durch
eine niedrig dosierte Therapie mit Colchicin,
dem Alkaloid der Herbstzeitlose, kann in der
Regel die Beschwerdesymptomatik dramatisch
verbessert und das Nierenversagen verhindert
werden. Es erscheint wichtig, insbesondere
bei Bewohnern aus dem östlichen
Mittelmeerraum, an diese seltene Krankheit zu
denken.
Literatur
Entzündlich-rheumatische
Erkrankungen des älteren
Menschen
Rudolf Puchner
Literatur – 110
. Tab. 6.1 Vergleich der rheumatoiden Arthritis (RA) mit der RA älterer Menschen. Mod. nach [15]
RA Alters-RA
z Prognose
Depression und Non-Compliance ist sehr hoch! Eine
Bei positiven RF und/oder positiven Antikör- besonders enge Führung der Patienten ist daher not-
pern gegen zyklische citrullinierte Peptide (CCP- wendig. Auch eine Polypragmasie und Multimorbi-
Antikörper) verläuft die Erkrankung häufiger dität im Alter sind zu überprüfen und zu bedenken.
chronisch progredient. Geringe serologische Ent- Es gilt der Grundsatz, dass die üblichen Basis-
zündungszeichen gehen mit einer besseren Prognose therapeutika wie Sulfasalazin, Methotrexat (MTX)
einher. Ebenso ein guter funktioneller und sozioöko- oder Leflunomid gut einsetzbar sind. Es sollte aber
nomischer Status. die Behandlung mit einer niedrigeren Dosis begon-
nen werden und in der Folge in Abhängigkeit von
z Therapie Verträglichkeit und Organfunktion vorsichtig gestei-
Die Therapie der rheumatoiden Arthritis älterer gert bzw. angepasst werden. Auch bei älteren Men-
Menschen unterscheidet sich prinzipiell nicht von schen ist der Einsatz von Biologika indiziert; eine
Patienten in jüngerem Lebensalter. Basismedika- Nutzen/Risiko-Abwägung ist aber gerade wegen
mente stellen auch hier die Säule der medikamentö- des Risikos der Immunsuppression notwendig. Das
sen Behandlung dar. Dennoch ist beim Einsatz von generell erhöhte Infektionsrisiko bei älteren Men-
Basistherapeutika Achtsamkeit geboten. schen ist zu bedenken.
Die altersabhängige Einschränkung der Nieren- Kardiovaskuläre und gastrointestinale Neben-
funktion, einhergehend mit einer ebenso altersab- wirkungen von NSAR sind bei älteren Patienten
hängigen Verminderung der Muskelmasse, führt oft besonders zu berücksichtigen (7 Übersichten) [12],
zu fälschlich normalen Nierenwerten; daher ist die [13], [14], [15].
Bestimmung des Serumkreatinins alleine zu wenig.
Im Alter tritt häufiger eine Glomerulonephritis
und Amyloidose auf. Nichtsteroidale Antirheuma- Behandlung der rheumatoiden Arthritis
tika (NSAR) und Sulfasalazine können eine intersti- des älteren Menschen
tielle Nephritis auslösen. 55Analgetika Cave: Nebenwirkungen (z. B.
Auf Begleitkrankheiten wie Diabetes mellitus, Obstipation usw.) im Alter
Hypertonie, eine verminderte Knochendichte und 55Nichtsteroidale Antirheumatica (NSAR)
Depressionen ist bei der Behandlung zu achten. Cave: eingeschränkte Nierenfunktion im
Eine Depression tritt häufiger als Sekundär- Alter, Polypragmasie, gastrointestinale
erscheinung auf, wenn es im Alter z. B. zu einem Beschwerden
Verlust von Freizeitaktivitäten und sozialen Kon- 55Glukokortikoide (GC): per os oder
takten kommt. Daran ist auch bei einer Behandlung intraartikulär Cave: Knochendichte im Alter,
mit GC zu denken. Der Zusammenhang zwischen
104 Kapitel 6 · Entzündlich-rheumatische Erkrankungen des älteren Menschen
z Therapie
Polymyalgia rheumatica (PMR): Bird-Krite- Den Goldstandard in der Behandlung der PMR
rien zur Diagnose [2] stellen Glukokortikoide dar. In den aktuellen
55Bilateraler Schulterschmerz oder Steifigkeit EULAR/ACR-Empfehlungen von 2015 [7], [8]
55Akuter Krankheitsbeginn innerhalb von wird eine minimale effektive Anfangsdosis von
weniger als 2 Wochen 12,5–25 mg Prednisolon am Morgen vorgeschla-
55Initiale BSG >40 mm in der 1. Stunde gen. Es wurde beobachtet, dass Patienten mit einer
55Morgensteifigkeit von >1 Stunde höheren Anfangsdosis nach 2 Monaten Behandlung
55Alter >65 Jahre ein geringeres Rezidivrisiko aufwiesen als Patienten
55Depression und/oder Gewichtsverlust mit einer niedrigeren GC-Dosis zu Beginn. Patien-
55Bilaterale Druckschmerzhaftigkeit der ten mit einem hohen Risiko für GC-assoziierte
Oberarme Nebenwirkungen (Diabetes mellitus, Osteoporose
etc.) sollten eine niedrige Anfangsdosis erhalten.
6 Die Diagnose kann gestellt werden, wenn 3 Nach Erreichen einer klinischen Beschwerdefrei-
oder mehr Kriterien erfüllt werden. heit wird eine Reduktion der GC innerhalb von
4–8 Wochen auf 10 mg/Tag empfohlen. In der
Folge sollte in sehr kleinen Schritten eine Erhal-
z Differenzialdiagnose
tungsdosis von 5(–7,5) mg per die erreicht werden
In einer prospektiven Studie wurde beobachtet, dass ( 7 Übersicht). Für die Vorschreibung der tägli-
bei einem Drittel der Patienten, die initial als PMR chen GC-Dosis ist ein individualisierter Therapie-
diagnostiziert wurden, nach einem Jahr die Diagnose plan notwendig.
revidiert werden musste. Die meisten dieser Patien-
ten wurden schließlich als rheumatoide Arthritis des
höheren Lebensalters (LORA) eingestuft. Ein Nach- Therapie der PMR
weis von Rheumafaktoren oder CCP-Antikörpern 55Beginn mit Prednisolon 15–25 mg täglich
und das unzureichende Ansprechen auf GC sind ein per os mit langsamer Reduktion auf eine
Hinweis. Eine weitere wichtige Differenzialdiagnose Erhaltungsdosis von 5 mg täglich
ist die RZA (siehe oben). Beidseitige Schulterschmer- 55Therapiedauer (1–)3 Jahre
zen können auch bei einer Chondrokalzinose auftre- 55Die überwiegende Mehrheit der Patienten
ten. Hier ist der sonographische oder radiologische mit PMR spricht auf Prednisolon allein
Nachweis von Verkalkungen im hyalinen oder Faser- prompt und sehr gut an.
knorpel hilfreich. Zudem sollte immer, vor allem bei 55Ein unzureichendes Ansprechen lässt die
atypischer Klinik und nicht oder nur unzureichen- Diagnose in Zweifel ziehen!
dem Ansprechen auf GC, ein Malignom ausgeschlos-
sen werden [8] (siehe auch folgende 7 Übersicht).
Ein rasches und sehr gutes Ansprechen bestätigt die
Diagnose, ein unzureichendes Ansprechen oder die
Differenzialdiagnose PMR Notwendigkeit höherer Steroid-Dosen lassen diese
55Riesenzellarteriitis in Zweifel stellen.
55Late Onset Rheumatoid Arthritis Entsprechend den EULAR/ACR-Empfehlun-
55Spondyloarthritiden gen von 2015 kann der Einsatz von MTX bereits zu
55Granulomatose mit Polyangiitis (Wegener) Beginn der Behandlung erwogen werden. Dies gilt
und mikroskopische Polyangiitis vor allem für Patienten mit einem erhöhten Risiko
55Kollagenosen für Rezidive, oder wenn durch vorhandene Komor-
55Paraneoplastische Myalgien biditäten mit einer GC-Nebenwirkung gerech-
55Fibromyalgie-Syndrom net werden muss. MTX sollte natürlich auch wie
bisher bei Rezidiven, unzureichendem Ansprechen
6.3 · Riesenzellarteriitis (RZA)
107 6
auf GC oder einer manifesten GC-assoziierten
Nebenwirkung im Laufe der Behandlung einge- Fallbeispiel: 71-jährige Patientin mit
setzt werden. Schmerzen im Schultergürtel
Die Behandlung sollte nicht mit einer höheren Eine 71-jährige Patientin klagte über vor 2
GC-Gabe begonnen werden (außer bei Verdacht Monaten akut aufgetretene Schmerzen im
einer RZA), um nicht die Symptome einer anderen Schultergürtel und Nacken. Die Beschwerden
Erkrankung zu verschleiern (durch eine unspezifi- traten während des Tages und der Nacht
sche Wirkung hoher GC-Dosen auch bei anderen auf. Sie bemerkte keine Beeinflussung durch
entzündlichen Erkrankungen). Bewegung, weder im Sinne einer Verbesserung
Mit einem 1- bis 3-jährigen Krankheitsver- noch einer Verschlechterung. Eine ausgeprägte
lauf bzw. einer ebenso langen Therapiedauer muss Muskelschwäche fiel nicht auf. In den letzten
gerechnet werden [3], [8], [11], [13]. 14 Tagen verspürte sie auch Schmerzen im
Im Jahr 2010 sind von der Britischen Gesellschaft Gesäß und in den Oberschenkeln. Sie fühlte
für Rheumatologie neue Leitlinien für das Manage- sich abgeschlagen und lustlos und berichtete
ment der PMR publiziert worden [5]. Diese haben über einen Gewichtsverlust von 4 kg.
sich vor allem in der Praxis sehr bewährt, weil sie aus- Die Patientin berichtete über Schmerzin-
drücklich das Schnittstellenmanagement zwischen fusionen, lokale Infiltrationen und physikalische
Allgemeinmedizinern und Spezialisten (gerade eben Behandlungen in den letzten Wochen, die aber
bei einer PMR) berücksichtigen [12]: allesamt nur zu geringer oder kurzfristiger
Für die Diagnostik wird ein umfangreiches Aus- Besserung führten. Unter dem Verdacht eines
schluss-Scoring empfohlen und das Ansprechen protrahierten Infekts wurde schließlich ohne
auf eine GC-Therapie berücksichtigt. Bei typischer Erfolg ein Antibiotikum verabreicht.
Klinik und entsprechendem Ansprechen auf Pred- Im Labor zeigte sich eine BSG von 73 mm
nisolon kann eine PMR auch ohne erhöhte serolo- in der 1. Stunde. RF, CCP-Antikörper, ANA,
gische Entzündungszeichen diagnostiziert werden. Kreatinkinase (CK) und Elektrophorese waren
Es wird eine Startdosis mit 15 mg/Tag empfoh- unauffällig. Im Rahmen einer Tumorsuche
len und eine mindestens 70%ige klinische Besse- erfolgte eine komplette Abklärung (mit
rung nach einer Woche sowie eine Normalisierung Sonographie, Röntgen, Endoskopie) ohne
der serologischen Entzündungsparameter nach 4 wegweisenden Befund.
Wochen gefordert. Eine Dosis von 15 mg/Tag sollte Die Patientin wurde mit 25 mg Prednisolon
für 3 Wochen beibehalten werden, in der Folge um täglich per os behandelt und war nach 2 Tagen
2,5 mg alle 3 Wochen reduziert werden. Eine Tages- beschwerdefrei. Die Diagnose einer PMR
dosis von 10 mg wird für 4–6 Wochen vorgeschla- wurde gestellt.
gen und danach sollte alle 4–8 Wochen um 1 mg
auf eine Erhaltungsdosis von ca. 5 mg/Tag redu-
ziert werden.
Eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit einem 6.3 Riesenzellarteriitis (RZA)
Spezialisten wird bei Patienten unter 60 Jahren
empfohlen, ebenso bei nicht akutem Beginn der Die Riesenzellarteriitis (7 Kap. 7) befällt häufig die
Beschwerden, bei fehlender Beteiligung des Schul- Aorta und die proximalen Gefäße. Typischerweise
tergürtels, bei ausgeprägten Allgemeinsympto- ist dabei auch die Arteria temporalis befallen. Die
men, bei normalen oder extrem erhöhten serolo- Krankheitsbezeichnung „Arteriitis temporalis
gischen Entzündungsparametern, bei Hinweisen Horton“ lässt unzureichenderweise auf einen aus-
auf eine andere rheumatologische Erkrankung und schließlichen Befall der Schläfenarterie denken und
bei fehlendem Ansprechen auf eine Therapie mit sollte daher nicht mehr verwendet werden. In bild-
GC. Eine maligne Erkrankung sollte ausgeschlos- gebenden Verfahren konnte die Beteiligung großer
sen werden. arterieller Gefäße nachgewiesen werden.
108 Kapitel 6 · Entzündlich-rheumatische Erkrankungen des älteren Menschen
Die RZA ist eine Erkrankung des hohen Lebens- Prednisolon-Äquivalent pro Tag bzw. 0,5–1,0 mg pro
alters und nimmt mit zunehmendem Alter steil zu. kg Körpergewicht und reduziert nur sehr langsam
Sie ist bei Patienten mit über 80 Jahren 10-mal häu- in 14-tägigen Intervallen. Bei zu schneller Reduk-
figer als bei Patienten mit 50–59 Jahren. tion droht ein Rezidiv. Meist ist eine längere Behand-
Etwa 1–2 Drittel der Patienten haben gleichzei- lungsdauer als bei der reinen PMR indiziert. Insbe-
tig eine PMR. Die RZA ist die häufigste systemische sondere wenn eine höher dosierte GC-Dosis über
Vaskulitis im Alter, gefolgt von der Granulomatose einen längeren Zeitraum notwendig ist, kann die
mit Polyangiitis (Wegener) [8], [12], [13]. zusätzliche Gabe von immunsuppressiven Medi-
kamenten wie Azathioprin oder Methotrexat erfor-
z Symptomatik derlich. Bei Patienten mit visueller Symptomatik ist
Die Klinik ist geprägt von Kopfschmerzen, vor allem eine hoch dosierte intravenöse GC-Gabe notwendig
Schläfenkopfschmerzen, Sehstörungen und Schmer- [12], [14].
zen beim Kauen. Eine prominente Arteria tempora-
6 lis ist typischerweise sehr druckempfindlich. Auch
Durchblutungsstörungen der Extremitäten können Fallbeispiel: 83-jährige Witwe mit Kopf-
auftreten. Die klinischen Zeichen einer Polymyal- schmerzen
gia rheumatica können fehlen oder in Kombination Bei einer 83-jährigen Patientin wurde zunächst
auftreten. Unbehandelt kann die Erkrankung zur aufgrund einer typischen Symptomatik mit
Erblindung führen. Schmerzen im Schultergürtelbereich und
einer hohen Blutsenkung die Diagnose einer
z Diagnostik PMR gestellt. Nach erfolgreicher initialer
Laborchemisch zeigt sich die BSG deutlich erhöht Schmerzfreiheit durch eine Behandlung mit
(≥50 mm in der 1. Stunde). Mittels einer Farbdopp- 25 mg Prednisolon per die war sie nach 2
lersonographie erreicht der geübte Untersucher eine Monaten zunächst auch unter einer Dosis
ähnliche Sensitivität wie mit einer Temporalarterien- von täglich 5 mg Prednisolon beschwerdefrei.
biopsie. Ein negativer Befund schließt eine Großgefäß- Schließlich kam es unter laufender niedrig
vaskulitis anderer Äste nicht aus (7 Übersicht) [12]. dosierter GC-Gabe zu einer Verschlechterung
des Zustandsbildes mit Schmerzen im
Schultergürtel und einem neu aufgetretenen,
Wichtige Kriterien der Riesenzellarteriitis zunehmenden Kopfschmerz. Bei der
55Alter >50 klinischen Untersuchung fiel eine prominente,
55Neu entstandener Kopfschmerz gerötete und deutlich druckempfindliche
55Druckempfindlichkeit der Arteria temporalis Temporalarterie auf. Durch Berührung wurde
55Erhöhte BSG (≥50 mm in der 1. Stunde) ein über Stunden verstärkter Kopfschmerz
55Positive Histologie in Temporalarte- provoziert.
rienbiopsie. Die Doppleruntersuchung der Die durch Biopsie gewonnene Histologie der
Arterie ist von ähnlicher Sensitivität Temporalarterie sicherte die Diagnose einer
55Bei Beteiligung der Gefäße, die zu Riesenzellarteriitis bzw. Arteriitis temporalis.
Sehnerven führen, Gefahr der Erblindung Die Prednisolon-Therapie wurde auf 60 mg
55Komplikationen: Visusverlust, Beteiligung täglich erhöht und nur sehr langsam und
der Koronararterien, Schlaganfall schrittweise in 2-wöchigen Intervallen
55Therapie: Prednisolon 60 mg/Tag mit reduziert. Kopf- und Muskelschmerzen
langsamer Reduktion sistierten innerhalb weniger Tage.
Erst nach 6 Monaten konnte unter einer
niedrigen Dosis von täglich 5 mg Prednisolon
z Therapie
unter zusätzlicher Verabreichung von
Eine höher dosierte längerfristige Behandlung 10 mg MTX/Woche eine Beschwerdefreiheit
mit GC ist notwendig. Man beginnt mit 60 mg
6.5 · Kollagenosen des höheren Alters
109 6
6.6 Chondrokalzinose [3] Bird HA, Leeb BF, Montecucco CM et al. (2005) A compa-
rison of the sensitivity of diagnostic criteria for Polymy-
algia rheumatica. Ann Rheum Dis 64:626–629
In höherem Alter kommt es häufiger zu einer Verkal- [4] Crowson CS, Matteson EL, Myasoedova E et al. (2011)
kung des hyalinen Knorpels im Sinne einer Chond- The lifetime risk of adult-onset rheumatoid arthritis and
rokalzinose. Diese auch als Pseudogicht bezeichnete other inflammatory autoimmune rheumatic diseases.
Erkrankung führt durch Freisetzung von Kalzium- Arthritis Rheum 63:633–639. doi:10.1002/art.30155
[5] Dasgupta B, Borg FA, Hassan N, Barraclough K, Bourke B,
pyrophosphatkristallen zu einer akuten Arthritis, die
Fulcher J, Hollywood J et al. (2010) BSR and BHPR guide-
Tage bis Wochen dauern kann. Es kommt zu starken lines for the management of polymyalgia rheumatica.
Gelenkschmerzen sowie zu einer Schwellung und Rheumatology 49:186–190
Überwärmung ähnlich einem Gichtanfall. Am häu- [6] Dasgupta B, Cimmino MA, MaraditKremers H et al.
figsten sind die Kniegelenke betroffen; die Entzün- (2012) 2012 provisional classification criteria for poly-
myalgia rheumatica: a European League Against Rheu-
dung kann aber auch in anderen Gelenken auftreten.
matism/American College of Rheumatology collabora-
Auch ein polyartikulärer Verlauf ist möglich.
6 Laborchemisch finden sich im Anfall hohe
tive initiative. Ann Rheum Dis 71:484–492. doi:10.1136/
annrheumdis-2011-200329
Entzündungsparameter. [7] Dejaco C, Singh YP, Perel P et al. (2015) 2015 recommen-
Differenzialdiagnostisch ist neben einer septi- dations for the management of polymyalgia rheumati-
ca: a European League Against Rheumatism/American
schen Arthritis an eine aktivierte Arthrose, an eine
College of Rheumatology collaborative initiative. Ann
Gicht, eine Paraneoplasie oder bei polyartikulärem Rheum Dis 74:1799–1807. doi:10.1136/annrheum-
Befall auch an eine rheumatoide Arthritis zu denken. dis-2015-20749233
Die Diagnose gelingt meist durch den radiologi- [8] Dejaco C, Matteson EL, Buttgereit F (2016) Diagnostik
schen Befund einer Chondrokalzinose und/oder den und Therapie der Polymyalgia rheumatica. Z Rheumatol
75: 687–700
Nachweis von Kristallen im Gelenkpunktat.
[9] Kermani TA, Warrington KJ (2013) Polymyalgia
Die Betroffenen sprechen auf eine limitierte The- rheumatica. Lancet 381:63–72. doi:10.1016/S0140-
rapie mit GC gut an. 6736(12)60680-1
[10] Kneitz C, Strangfeld A, Krüger K (2014) Prophylaxe und
Behandlung von Infektionen beim älteren Patienten.
6.7 Paraneoplastische Syndrome Z Rheumatol 73:225–232
[11] Märker-Hermann E, Schmidt E (2009) Polymyalgia rheu-
matica. Dtsch Med Wochenschr 134:135–142
Eine diagnostische Herausforderung ist das Auftre- [12] Muller S, Hider SL, Helliwell T et al. (2016) Characterising
ten von Gelenkbeschwerden als Folge einer (noch those with incident polymyalgia rheumatica in primary
unbekannten) Tumorerkrankung. Das klinische Bild care: results from the PMR Cohort Study. Arthritis Res
Ther 18:200. doi: 10.1186/s13075-016-1097-8
ist sehr variabel. Es können chronische Gelenk- und
[13] Wollenhaupt J (2003) Gerontorheumatologie. Thieme,
Muskelerkrankungen imitiert werden, daneben auch Stuttgart
episodenartig mono- bis oligoarthritische Beschwer- [14] Wollenhaupt J (2009) Gerontorheumatologie. Z Rheu-
den auftreten. matol 68:397–404
Ein reduzierter Allgemeinzustand, ein unzurei- [15] Yazici Y, Paget SA (2000) Elderly onset rheumatoid arth-
ritis. Rheum Dis Clin North Am 26:517–526
chendes Ansprechen auf Steroide oder ein buntes
Bild von Gelenkbeschwerden muss an eine Paraneo-
plasie denken lassen [12] [13].
Literatur
Systemische Vaskulitiden
Rudolf Puchner
Literatur – 129
Dieser Beitrag ist erschienen in: Wiener klinische Wochenschrift Education 2016, 11:43–62.
Unter einer Vaskulitis versteht man eine entzündli- umgekehrte Fall, nämlich eine Entzündung kleiner
che Erkrankung der Blutgefäße, wobei sowohl Arte- Gefäße bei Großgefäßvaskulitiden, äußert selten.
rien, Arteriolen, Kapillaren, Venolen und Venen Bei der Chapel-Hill-Konsensuskonferenz im Jahr
betroffen sein können. Eine einheitliche Benen- 2012 wurde die Nomenklatur erweitert und über-
nung der Gefäßgrößen und des Gefäßtyps ist für arbeitet (. Tab. 7.1 und . Abb. 7.1). Neue ätiopa-
die Kommunikation und interdisziplinäre Zusam- thologische Erkenntnisse wurden zusätzlich zu den
menarbeit essenziell. Dies wurde 1992 im Rahmen deskriptiven Beschreibungen von Gefäßgröße und
der Chapel-Hill-Konsensuskonferenz klar definiert Entzündungstyp berücksichtigt. Eponyme wurden
und eine Einteilung primär systemischer Vaskuliti- mehrheitlich durch systematische Namen ersetzt. So
den erarbeitet [30]. Arterien sind bei Vaskulitiden heißt die Wegener-Granulomatose jetzt Granuloma-
viel häufiger befallen als Venen. Daher beziehen tose mit Polyangiitis, das Churg-Strauss-Syndrom
sich Begriffe wie Großgefäßvaskulitis oder Vasku- eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis. Selte-
litis mittelgroßer Gefäße stets auf Arterien. Zudem nere, aber wichtige Krankheitsbilder wurden in die
bezeichnet die Gefäßgröße nur den prädominan- Nomenklatur aufgenommen. Im Konsensus wurden
ten Befall. Während bei Kleingefäßvaskulitiden 2012 5 neue Kategorien definiert: mit antineutro-
7 auch größere Gefäße involviert sein können, ist der philen zytoplasmatischen Antikörpern (ANCA)
. Tab. 7.1 Definitionen der Chapel-Hill-Konsensuskonferenz (CHCC) zur Nomenklatur der Vaskulitiden (adaptiert aus
[31], [26])
Großgefäßvaskulitis Vaskulitis, die öfter als andere Vaskulitiden große Gefäße befällt; dazu
gehören die Aorta und ihre Hauptäste, es können aber Arterien jeder Größe
befallen sein
Takayasu-Arteriitis Granulomatöse Entzündung der Aorta und ihrer Hauptäste, meist vor dem
oder um das 40. Lebensjahr
Riesenzellarteriitis Granulomatöse Entzündung der Aorta und ihrer Hauptäste; typischerweise
(mit)betroffen ist die Arteria temporalis; häufig assoziiert mit Polymyalgia
rheumatica, meist nach dem 50. Lebensjahr auftretend
Vaskulitis mittelgroßer Gefäße Vaskulitis, die hauptsächlich die mittelgroßen Arterien befällt (Hauptvisze-
ralarterien und ihre Äste)
Polyarteriitis nodosa Nekrotisierende Entzündung der mittelgroßen und kleinen Arterien
Kawasaki-Arteriitis Arteriitis vorwiegend der mittelgroßen und kleinen Arterien, häufige
Beteiligung der Koronargefäße, tritt bei Säuglingen und Kleinkindern auf;
ist assoziiert mit dem mukokutanen Lymphknotensyndrom
Kleingefäßvaskulitis Vaskulitis, die vorwiegend die kleinen Gefäße befällt (kleine Arterien, Arte-
riolen, Kapillaren und Venolen)
ANCA-assoziierte Vaskulitis Nekrotisierende Vaskulitis mit wenigen oder fehlenden Immunkomplexen,
die vorwiegend die kleinen Gefäße befällt und mit MPO-ANCA oder PR3-
ANCA assoziiert ist (nicht bei allen Betroffenen sind ANCA nachweisbar)
Granulomatose mit Poly- Granulomatöse Entzündungen des Respirationstrakts und nekrotisierende
angiitis (GPA; Morbus Entzündung kleiner und mittlerer Arterien, meist mit nekrotisierender
Wegener) Glomerulonephritis
Mikroskopische Nekrotisierende Vaskulitis mit wenigen oder fehlenden Immunkomplexen,
Polyangiitis vorwiegend mit Befall kleiner Gefäße, häufig mit pulmonaler Kapillaritis und
nekrotisierender Glomerulonephritis, keine granulomatöse Entzündung
Eosinophile Granuloma- Granulomatöse und eosinophilenreiche Entzündung des Respirationstrakts
tose mit Polyangiitis (EGPA; mit nekrotisierender Vaskulitis kleiner bis mittelgroßer Gefäße; meist mit
Churg-Strauss-Syndrom) Asthma und Eosinophilie im Blut assoziiert, ANCA häufiger bei Patienten
mit Glomerulonephritis nachweisbar
Systemische Vaskulitiden
113 7
. Tab. 7.1 Fortsetzung
Immunkomplex-Kleingefäßvaskulitis
Kryoglobulinämische Vaskulitis
IgA-Vaskulitis (Purpura Schönlein-Henoch)
Hypokomplementämische Urtikaria-Vaskulitis
(Anti-C1q-Vaskulitis)
Venole
Kleine Arterie
Große bis Vene
mittelgroße
Arterie
7
ANCA-assoziierte Kleingefäßvaskulitis
Mikroskopische Polyangiitis
Granulomatose mit Polyangiitis (M. Wegener)
Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (Churg-Strauss-Syndrom)
Vaskulitis großer Gefäße
Takayasu-Arteriitis
Riesenzellarteriitis
. Abb. 7.1 Gefäßbefallsmuster der einzelnen Vaskulitiden. (Adaptiert nach [26], [31])
7.1.2 Takayasu-Arteriitis (TA) 5–7,5 mg Prednisolon pro Tag. Bei zu schneller Reduk-
tion droht ein Rezidiv. Insbesondere wenn eine höher-
Die TA betrifft hauptsächlich die Aorta und die dosierte GC-Dosis über einen längeren Zeitraum
unmittelbar von der Aorta abgehenden Äste. Die TA notwendig ist oder wenn unter GC keine Remission
hat ein typisches Erkrankungsalter zwischen dem 10. erzielt werden kann und schwerwiegende Nebenwir-
und 40. Lebensjahr und tritt hauptsächlich im asiati- kungen auftreten, ist wie bei der RZA die zusätzliche
schen Raum auf, wesentlich seltener in Europa und Gabe von immunsuppressiven Medikamenten wie
Nordamerika [31], [26], [62]. z. B. Methotrexat oder Azathioprin erforderlich. Auch
der gleichzeitige Beginn einer immunsuppressiven
z Symptomatik Therapie nach Diagnosestellung in Kombination mit
Neben einem allgemeinen Krankheitsgefühl mit oft GC wird in Publikationen empfohlen [33]. Tumor-
(sub)febrilen Temperaturen kommt es häufig (bei nekrosefaktor(TNF)-Blocker wie Infliximab können
ca. 50% der Patienten) zu Arthralgien. In Abhängig- ebenfalls zum Einsatz kommen. Ebenso wie bei der
keit vom befallenen Gefäßareal kann es zu Zeichen RZA scheinen Fallserien eine Effektivität des Inter-
einer Arm- oder Bein-Claudicatio, zu einer renalen leukin(IL)-6-Antagonisten Tocilizumab bei refrak-
7 Hypertension (ca. 50% der Patienten) oder bei einer tärer Erkrankung zu belegen [40], [45].
eher seltenen Beteiligung der Pulmonalarterien zu Da die TA häufiger einen chronischen Verlauf
Husten, Dyspnoe, Hämoptysen oder Brustschmer- zeigt, ist eine längere Behandlung mit niedrigen GC-
zen kommen. Eine Beteiligung der Koronararterien Dosen als bei der RZA notwendig. Eine langfristige,
kann zu pektanginösen Symptomen bis hin zum auch apparative Überwachung mittels bildgebender
Myokardinfarkt führen. Eine Herzinsuffizienz kann Verfahren zur Therapieeinschätzung und zur früh-
durch Dilatation der proximalen Aorta und der kon- zeitigen Detektion von Gefäßstenosen oder eines
sekutiven Aortenklappeninsuffizienz auftreten. Auch Aneurysmas ist notwendig.
eine zerebrale und abdominelle Symptomatik ist bei Zusätzlich sollte in den ersten 3 Behandlungsmo-
entsprechender Gefäßbeteiligung möglich [62], [39]. naten 100 mg ASS pro Tag gegeben werden, ebenso
ist eine Behandlung mit Protonenpumpeninhibito-
z Diagnostik ren bei gleichzeitiger GC-Therapie indiziert. Zudem
Die körperliche Untersuchung umfasst wie bei der ist eine entsprechende Osteoporoseprophylaxe not-
RZA (7 Abschn. 7.1.1) eine Palpation der Gefäße an wendig (siehe auch RZA) [16], [62]
Armen und Beinen und der Schläfenarterien sowie
eine vergleichende Blutdruckmessung an beiden
Armen bzw. an Armen und Beinen. 7.2 Vaskulitis mittelgroßer Gefäße
Laborchemisch zeigt sich die BSG deutlich
erhöht (≥50 mm in der 1. Stunde). Der Goldstan- 7.2.1 Polyarteriitis nodosa (PAN)
dard wäre wie bei der RZA eine histologische Siche-
rung der Diagnose, dies ist aber in den meisten Fällen Die Polyarteriitis nodosa (früher auch Peri- oder
aufgrund des Gefäßbefalls in technischer Hinsicht Panarteriitis nodosa) ist eine nekrotisierende Vas-
nicht möglich. Die sonographische Beurteilung vor kulitis mittelgroßer und kleiner Arterien [31]. Etwa
allem der supraaortalen Gefäße ist bei ausreichen- ein Drittel der Erkrankungen tritt im Rahmen einer
der Erfahrung eine wichtige Methode. Zudem haben chronischen Hepatitis B (Hepatitis-B-Virus, HBV)
Computertomographie, Magnetresonanztomogra- auf. Das klinische Bild ist variabel und abhängig von
phie und PET einen wichtigen Stellenwert in der Dia- der Organbeteiligung. Eine Hautbeteiligung und ein
gnose der TA [16], [62]. Befall abdomineller und renaler Gefäße mit Steno-
sen und Aneurysmen sind am häufigsten, ebenso
z Therapie eine Mononeuritis multiplex. Die Genese der PAN
Eine langfristige Behandlung mit GC ist notwendig. ist nicht geklärt, wahrscheinlich spielen Immunkom-
Man beginnt mit 1 mg pro kg Körpergewicht pro Tag plexablagerungen eine Rolle. Die Erstbeschreibung
und reduziert nur sehr langsam in 14-tägigen Inter- des Syndroms erfolgte bereits 1866 durch Kussmaul
vallen auf eine Erhaltungsdosis von schlussendlich und Maier [35].
7.2 · Vaskulitis mittelgroßer Gefäße
117 7
Man unterscheidet drei klinische Entitäten: die schlechteren Prognose einher. Eine Hautbeteiligung
idiopathische PAN, die HBV-assoziierte PAN und (ca. 50%) ist ebenfalls häufig (. Abb. 7.2) mit nodu-
die kutane Arteriitis. Letztere ist eine isolierte kutane lären Veränderungen, Purpura, Livedo und Ulzera-
Form der PAN, hat eine gute Prognose und tritt tionen [54], [48].
hauptsächlich an den Unterschenkeln auf [15], [54]. Mikroaneurysmen und/oder Stenosen (ca.
60–70%), besonders bei Beteiligung von Gefäßen
z Epidemiologie im GI-Trakt und in der Niere sind für die Erkran-
Die jährliche Inzidenz ist niedrig und beträgt in kung sehr typisch, können sich aber nach erfolgrei-
Deutschland 0,4–2 pro 1 Million Einwohner (zum cher Behandlung zurückbilden.
Vergleich England 4 und Frankreich 31 pro Million Eine Beteiligung des kardiovaskulären Systems
Einwohner) ist seltener (ca. 20%), ein Mitbefall der Lunge wird
Die Zahl der Neuerkrankungen scheint in Indus- nicht beschrieben.
trienationen abzunehmen. Ebenso ist die Mortalität Die HBV-assoziierte PAN neigt zu einem schwe-
der PAN seit 1990 gesunken [15], [50], [54]. reren Verlauf [48], [54].
z Symptomatik z Diagnostik
In den meisten Fällen besteht ein schweres Krank- Laborchemisch sind die Entzündungsparameter
heitsgefühl mit Fieber, Gewichtsverlust, Arthralgien (BSG und CRP) deutlich erhöht. Bei Nierenbeteili-
und Myalgien. gung können laborchemische Zeichen einer renalen
Bei den meisten Betroffenen (ca. 80%) kommt es Funktionseinschränkung auftreten.
zu einer Beteiligung des peripheren Nervensystems Aufgrund der Seltenheit der primären PAN
im Sinne einer Mononeuritis multiplex. Eine renale müssen differenzialdiagnostisch eine sekundäre
Beteiligung (ca. 50%) zeigt sich mit Hypertonie oder Ursache sowie auch primäre Kleingefäßvaskuliti-
mit einer Proteinurie und Hämaturie in Folge eines den, vor allem die ANCA-assoziierten Vaskulitiden
Niereninfarkts. Eine Glomerulonephritis tritt defi- ausgeschlossen werden. Hinsichtlich einer sekundä-
nitionsgemäß nicht auf. Bei einer Beteiligung des ren Genese ist neben einer HBV-assoziierten PAN
Gastrointestinaltrakts (GI-Trakt) (ca. 40%) kommt an andere Infektionen (darunter chronische Hepa-
es vordergründig zu Abdominalschmerzen, selte- titis C, HIV, Streptokokken und Zytomegalievirus),
ner ist der Verlauf kompliziert durch Blutungen aus an Medikamente (vor allem Minocyclin) und an das
dem GI-Trakt und klinischen Zeichen einer Perfo- Vorliegen von Kollagenosen und Malignomen zu
ration. Eine Beteiligung des GI-Trakts geht mit einer denken [21], [54].
Stadium Definition
ANCA-assoziierte Vaskulitiden (Chapel-
Lokalisiert Erkrankung auf oberen und
Hill-Konsensuskonferenz 2012, nach [31]) (früher unteren Respirationstrakt
55Granulomatose mit Polyangiitis (früher: Initialphase) beschränkt
Wegener-Granulomatose) Frühe Generali- Keine lebensbedrohenden Mani-
55Mikroskopische Polyangiitis sationsphase festationen an Organen
55Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis Generalisiert Lebensbedrohende Beteiligungen
(früher Churg-Strauss-Syndrom) der Niere und anderer Organe
Schwer Organversagen (Niere, Lunge)
Folge einer Kapillaritis können auf einen Übergang apparativ untersucht werden. Bei GPA sollte auch
in ein generalisiertes Stadium hinweisen (. Abb. 7.3). eine HNO-fachärztliche Begutachtung erfolgen.
Im Generalisationsstadium, in dem die Erkrankung Laborchemisch finden sich krankheitsabhän-
häufig erstdiagnostiziert wird, findet sich oft ein gig erhöhte Entzündungsparameter und häufig eine
schweres Krankheitsbild mit Fieber und Gewichts- Anämie. Auf die Nierenfunktionsparameter ist zu
verlust. Charakteristisch sind eine Kapillaritis der achten. Von prognostischer Bedeutung ist der Nach-
Lunge mit Dyspnoe und Hämoptysen und eine weis von c-ANCA und p-ANCA im Immunfluores-
rapid progressive Glomerulonephritis (RPGN) mit zenztest und von PR3-ANCA sowie MPO-ANCA
Mikrohämaturie und mäßiger bis deutlicher Prote- im ELISA-Test vor allem in der aktiven Phase der
inurie sowie der Gefahr des raschen Funktionsver- Erkrankung. Ein Fixierungsartefakt bedingt die
lustes der Niere. Eine Beteiligung der Gelenke und Unterscheidung in zytoplasmatische (c-ANCA) Flu-
Muskeln mit Arthralgien, Arthritiden und Myalgien oreszenz bei GPA und perinukleäre (p-ANCA) Fluo-
ist häufig. Das schwere Stadium ist durch ein Organ- reszenz bei MPA. Das Zielantigen c-ANCA-positiver
versagen gekennzeichnet, in erster Linie durch ein Seren ist meist Proteinase 3 (PR3-ANCA) und das
Nierenversagen. Im generalisierten Stadium sind p-ANCA-positiver Seren Myeloperoxidase (MPO-
7 bei GPA und MPA die überwiegende Mehrheit der ANCA). Der Nachweis von c-ANCA/anti-PR3-An-
Patienten ANCA-positiv, bei EGPA allerdings nur ca. tikörpern gilt als prognostisch ungünstig im Rahmen
40%. Patienten mit EGPA, die ANCA-positiv sind, einer AAV. Ob der ANCA-Titer ein Aktivitätskrite-
haben ein erhöhtes Risiko für eine schwerwiegende rium ist, wird kontrovers diskutiert. ANCA-negative
Vaskulitis wie eine pulmonale Kapillaritis oder eine Verläufe sind häufiger in der lokalisierten Phase der
Glomerulonephritis. ANCA-negative Patienten mit GPA und bei EGPA zu finden. Ein negativer ANCA-
EGPA haben häufiger eine Herzbeteiligung mit eosi- Nachweis schließt somit die Diagnose einer GPA/
nophiler Organinfiltration. Dies gilt als prognostisch EGPA/MPA nicht aus [23]. Beweisend für die Dia-
ungünstig [14], [23], [25], [43]. gnose ist die histologische Krankheitssicherung, die
im Rahmen der Erstdiagnostik angestrebt werden
z Diagnostik sollte (z. B. durch Biopsie der nasalen Mukosa, von
Sämtliche Organsysteme sollten auf eine mögliche pulmonalen Rundherden oder bei Zeichen einer
Beteiligung abgefragt und in der Folge klinisch und Organbeteiligung durch eine Nierenbiopsie). Auch
Fallbeispiel: Patientin mit Fieber und Mus- brachte alsbald wieder eine klinische
kelschmerzen Stabilisierung.
Eine 77-jährige Patientin präsentierte sich Bei regelmäßigen Kontrollen zeigte sich die
wenige Wochen nach einem stationären Nierenfunktion stets im Normbereich (von
Aufenthalt wegen eines fieberhaften Anfang an). Wegen einer Leukopenie wurde
pneumonischen Infiltrats mit bilateralen die Endoxan-Dosis in weiterer Folge ohne
Schulterschmerzen und neuerlichem signifikante klinische Verschlechterung auf
Fieber. Bei fehlendem Hinweis einer 50 mg täglich reduziert. Die Patientin ist in
infektiösen Ursache erfolgte schließlich engmaschiger internistischer und HNO-
eine Therapie mit GC unter dem Verdacht fachärztlicher Betreuung.
einer Polymyalgia rheumatica. Es kam zu
einer prompten Besserung der klinischen
Symptome bei täglicher Gabe von 25 mg
Prednisolon, ohne deutliche Beeinflussung
7 bzw. Normalisierung der BSG. Bei Reduktion 7.3.2 Immunkomplexvaskulitiden
der GC traten wieder Muskelschmerzen und
Fieber auf. Zudem berichtete die Patientin Darunter versteht man eine Vaskulitis mit Gefäß-
von einem Gewichtsverlust von 4 kg und einer wandablagerungen von Immunkomplexen und/oder
zunehmenden Adynamie. Komplementfaktoren, häufig mit nekrotisierender
Mit den neu aufgetretenen Symptomen einer Glomerulonephritis einhergehend.
Sinusitis wurde die Patientin einem Arzt
für Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen
vorgestellt. Fast gleichzeitig bemerkte Anti-GBM-Krankheit
sie eine Deformierung im Sinne einer Die Anti-Glomeruläre-Basalmembran(GBM)-Vas-
Sattelnase. kulitis ist eine seltene Erkrankung mit einer Inzidenz
Die histologische Untersuchung der von 0,5–1 Fällen pro Million Einwohner pro Jahr
entzündeten Nasen- und Mundschleimhaut und befällt glomeruläre und/oder pulmonale Kapil-
erbrachte die Diagnose einer granulomatösen laren [22]; es kommt zu Basalmembranablagerun-
Entzündung. Laborchemisch konnten C-ANCA gen von Antibasalmembranautoantikörpern. Für die
nachgewiesen werden. Diagnose sind ein nephritisches Sediment und der
Die Diagnose einer Granulomatose mit Nachweis von Antibasalmenbranantikörpern (Anti-
Polyangiitis (Wegener) wurde gestellt GBM) wichtig. Circa ein Drittel der Patienten zeigt
und zusätzlich zur laufenden GC-Therapie gleichzeitig Anti-GBM und MPO-ANCA, sodass
eine immunsuppressive Behandlung mit bei einer Bestimmung von ANCA bei Patienten mit
Endoxan (peroral 100 mg täglich) initiiert. Nephritis auch auf Anti-GBM getestet werden sollte.
In den folgenden Monaten konnten die GC Eine Beteiligung der Nieren führt zu einer rasch fort-
bei stabiler klinischer Situation schrittweise schreitenden, nekrotisierenden Glomerulonephritis
auf eine Erhaltungsdosis von 5–7,5 mg mit Halbmondbildung, eine Lungenbeteiligung führt
täglich reduziert werden. Die Blutsenkung zu pulmonaler Hämorrhagie. Die Erkrankung wurde
normalisierte sich. Ein Umstellversuch von früher bei gleichzeitiger Beteiligung von Lungen und
Endoxan auf Azathioprin wurde nicht toleriert Nieren als Goodpasture-Syndrom bezeichnet. Trotz
und führte nach wenigen Wochen wieder einer kombinierten Behandlung mit Plasmaaus-
zu einer Zunahme der Muskelschmerzen, tausch, GC und CYC haben weniger als ein Drittel
einem Krankheitsgefühl mit subfebrilen der Patienten nach 6 Monaten eine erhaltene Nieren-
Temperaturen und einem Anstieg der funktion [19], [22], [63]. Es liegen einzelne optimis-
BSG. Ein neuerlicher „Switch“ zu Endoxan tische Fallberichte über eine Behandlung mit Ritu-
ximab vor [58].
7.3 · Kleingefäßvaskulitis
123 7
Kryoglobulinämische Vaskulitis z Symptomatik
Die kryoglobulinämische Vaskulitis ist eine seltene Bei milden Verläufen sind unspezifische Symptome
Erkrankung der kleinen Gefäße und im medizi- wie Adynamie, Arthralgien oder ein Raynaud-
nischen Alltag oft schwer zu diagnostizieren. Sie Syndrom häufig. Typisch ist eine initial juckende
betrifft überwiegend die Haut, die Gelenke, die Purpura (meist in Form von Petechien) der Unter-
peripheren Nerven und die Nieren; seltener auch schenkel, die sich auf Oberschenkel und Unterleib
andere Organe. Das klinische Erscheinungsbild ist ausdehnen kann. Nach dem Abklingen bleibt häufig
variabel und reicht von asymptomatischen Verläu- eine bräunliche Hyperpigmentierung zurück. Sel-
fen (Kryoglobulinämie), milden, unspezifischen tener ist ein Übergang in kleine oder großflächige
Symptomen (Müdigkeit, Arthralgien oder Ray- Hautnekrosen. Arthralgien und Arthritiden (der
naud-Symptomatik) bis hin zu schwerwiegenden Sprunggelenke) sind häufig. Ebenso ist eine gastroin-
Krankheitsbildern. Kryoglobuline sind Immunglo- testinale Beteiligung mit Zeichen einer Purpura der
buline im Serum, die bei Temperaturen unter der Magenschleimhaut und Symptomen einer gastroin-
Körpertemperatur präzipitieren können [1]. Ent- testinalen Blutung bis hin zu abdominellen Krämp-
sprechend ihrer jeweiligen Klonalität werden sie fen möglich.
in 3 Typen klassifiziert (. Tab. 7.3). Die häufigsten Parästhesien der Hände und Füße werden in
Ursachen einer kryoglobulinämischen Vaskulitis 10–20% der Betroffenen beobachtet. Eine Proteinurie
sind hämatologische Erkrankungen, Autoimmun- und Hämaturie weisen auf eine Beteiligung der Nieren
erkrankungen und chronische Infektionen. Es sollte hin (glomeruläre Schäden bei 20–40% der Patienten);
vor allem an die Möglichkeit einer Assoziation mit in sehr seltenen Fällen kann es zu einem akutem Nie-
Hepatitis C (HCV) gedacht werden, da HCV die renversagen mit Todesfolge kommen [1], [2], [56].
häufigste Ursache einer gemischten Kryoglobulinä-
mie (Typ-3-Kryoglobulin) und einer kryoglobuli- z Therapie
nämischen Vaskulitis ist [1], [2], [3]. Der laborche- Die Behandlung besteht in der Therapie der
mische Nachweis erfolgt durch Präzipitation von zugrunde liegenden Erkrankung und umfasst in
Kryoglobulinen im Serum und sollte bei (initial Abhängigkeit vom Schweregrad der Vaskulitis den
oft) negativem Ergebnis gegebenenfalls wieder- zusätzlichen Einsatz von GC, Rituximab und einer
holt werden. Zudem sollte eine Eiweißelektropho- Plasmapherese (. Abb. 7.4).
rese und eine Immunfixation zum Nachweis oder Bei Vorliegen einer HCV (seltener HBV) sollte
Ausschluss einer monoklonalen Gammopathie und primär eine antivirale Therapie initiiert werden. Bei
eine Hepatitis-C-Serologie durchgeführt werden. erfolgreicher Behandlung und Viruselimination ist
Außerdem wird empfohlen, bei einer Immunkom- mit einer anhaltenden Remission der kryoglobulinä-
plexerkrankung, die meist mit einem Komplement- mischen Vaskulitis zu rechnen.
verbrauch einhergeht, C3 und C4 zu bestimmen Bei der rein monoklonalen Kryoglobulinämie
[1], [2]. liegt eine hämatologische Erkrankung zugrunde
Typ 1 Monoklonal (25) IgM (seltener IgG) MGUS, multiples Myelom, Lymphome
Typ 2 Gemischt polyklonal + monoklonal (25) IgG + IgM Autoimmunopathien, HCV und andere
Infektionen, idiopathisch
Typ 3 Gemischt polyklonal (50) IgM + IgG Siehe Typ 2
7
. Abb. 7.4 Therapiestrategien bei kryoglobulinämischen Vaskulitiden. (Nach [1])
(wie eine monoklonale Gammopathie mit unkla- Schönlein-Henoch bezeichnet, wurde sie in der Cha-
rer Signifikanz, ein multiples Myelom oder ein pel-Hill-Konferenz 2012 in IgA-Vaskulitis umbe-
Lymphom). Die Therapie besteht in der Therapie nannt [26], [31]. Sie ist die häufigste Vaskulitis im
der Grundkrankheit. Kindes- und Jugendalter (10–20/100000) und sehr
Darüber hinaus kommt bei schweren, nichtin- selten im Erwachsenenalter (0,1/100000). 90% der
fektiösen kryoglobulinämischen Vaskulitiden vor- Patienten sind unter 10 Jahren. Eine eindeutige ätio-
dergründig Rituximab zum Einsatz und ist auch bei logische Zuordnung gibt es nicht. Neben infektiösen
Rezidiven und in der Langzeittherapie gut wirksam Triggern sind auch Assoziationen mit Medikamen-
[1], [52], [56]. ten bekannt [27].
z Prognose z Symptomatik
Die Prognose ist abhängig von einer erfolgreichen Die IgA-Vaskulitis kann sich als Vaskulitis eines
Therapie der Grundkrankheit. In einer französischen Organs manifestieren (z. B. an der Haut oder an der
Studie an 242 Patienten mit einer nichtinfektiösen Niere – IgA-Nephropathie) oder systemisch auftre-
gemischten Kryoglobulinämie waren eine Lungen- ten. An der Haut zeigt sich eine palpable Purpura
beteiligung, eine gastrointestinale Symptomatik und typischerweise an den Streckseiten der Extremitä-
eine glomeruläre Filtrationsrate <60 ml/min sowie ten und am Gesäß. Die Kinder sind a- oder subfe-
ein Alter über 65 Jahre mit einer schlechteren Prog- bril und meist in einem guten Allgemeinzustand.
nose assoziiert [1], [57]. Allerdings kommt es häufig zu abdominellen Symp-
tomen wie kolikartigen Bauchschmerzen, Übelkeit,
Erbrechen und blutigen Stühlen, die in ca. 40% den
IgA-Vaskulitis (Purpura Schönlein- Hauterscheinungen vorangehen. In 60–84% treten
Henoch) Gelenkbeschwerden und Arthralgien auf; gelegent-
Die IgA-Vaskulitis ist eine Vaskulitis der kleinen lich manifestiert sich eine schmerzhafte Arthritis
Blutgefäße mit IgA1-dominanten Immunkomple- meist der unteren Extremitäten als Erstsymptom. Bei
xen in der Gefäßwand, häufig mit Beteiligung von 34–60% wird eine Nierenbeteiligung beschrieben,
Haut und Gastrointestinaltrakt und einer Gelenk- meist nur mit einer geringen Hämaturie und Protein-
entzündung einhergehend. Früher als Purpura urie. Bei ca. 20% kommt es zu einer schweren renalen
7.4 · Vaskulitis variabler Gefäße
125 7
Beteiligung mit einem nephrotischen Syndrom und und mit bräunlichen Residuen abheilen (Hyperpig-
der Gefahr der Entwicklung einer terminalen Nie- mentierung als Folge des Austritts von Erythrozy-
reninsuffizienz [27], [32]. ten aus dem Gefäßsystem). Die Ursache der Haut-
effloreszenz ist eine leukozytoklastische Vaskulitis.
z Diagnostik Bei 70% kommt es zu Arthralgien und Arthritiden.
Die Diagnose sollte weitgehend klinisch gestellt Besonders betroffen sind Ellbogen, Hand, Knie und
werden, meist sind bei einer typischerweise milden Fußgelenke; auch Deformierungen sind möglich.
Verlaufsform nur wenige Laborparameter notwen- Eine Nierenbeteiligung (50%) ist häufig mild, kann
dig. Bei einer extrakutanen Organbeteiligung erfolgt aber auch zur Dialyse führen. Bei ca. 30% kommt es
naturgemäß eine zusätzliche symptomorientierte zu einer gastrointestinalen Beteiligung mit Schmer-
Diagnostik. Eine initiale Biopsie der Haut wird bei zen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Eine Lun-
atypischem Befall und schwerer Organbeteiligung genbeteiligung (20%) ist die häufigste Mortalitäts-
empfohlen. Histopathologisch zeigt sich eine leuko- ursache und verläuft bei Rauchern schwerer [12].
zytoklastische Vaskulitis [27].
z Diagnostik
z Therapie Die Diagnosestellung erfolgt durch das chronische
Die Behandlung ist symptomorientiert (Paraceta- urtikarielle Exanthem mit dem Nachweis einer leu-
mol bei Gelenkschmerzen, GC bei abdominellen kozytoklastischen Vaskulitis in der Hautbiopsie,
Beschwerden) bzw. von der Organbeteiligung abhän- durch den Komplementverbrauch und den Nachweis
gig [32]. von C1q-Antikörpern. Letztere sind aber nicht spezi-
fisch für die HUV und werden in 50% auch beim sys-
z Prognose temischen Lupus erythematodes nachgewiesen. Der
Die IgA-Vaskulitis ist eine meist gutartige und selbst- Nachweis hochtitriger Doppelstrang-DNA-Antikör-
limitierende Erkrankung. Nur selten ist die Erkran- per schließt aber ein HUV aus.
kung im Kindesalter chronisch. In jedem Fall ist auch
nach milden Verlaufen ohne renale Beteiligung eine z Therapie
Nachbeobachtung mit Harnkontrollen über einen Eckpfeiler der Therapie sind Antihistaminika und
Zeitraum von 6 Monaten notwendig, bei persis- GC. Oft erfolgt eine Kombination mit Immunsup-
tierender Proteinurie oder einer schweren renalen pressiva wie Methotrexat, Azathioprin oder CYC.
Beteiligung über einen Zeitraum von 5 Jahren [27]. Bei hochaktivem Verlauf kann eine Plasmaphe-
rese notwendig sein [12].
Hypokomplementämische
Urtikariavaskulitis (HUV, Anti-C1q- 7.4 Vaskulitis variabler Gefäße
Vaskulitis)
Diese seltene Kleingefäßvaskulitis ist durch eine 7.4.1 Cogan-Syndrom
Hypokomplementämie und eine Urtikaria gekenn-
zeichnet, im Serum werden Anti-C1q-Antikörper Das „typische“ Cogan-Syndrom (Cogan-I-Syndrom,
nachgewiesen. Sie geht häufig mit einer Glomerulo- oculovestibuloauditorisches Syndrom oder einfach
nephritis, Arthritis, obstruktiver Lungenerkrankung Cogan-Syndrom) ist ein seltene Autoimmunerkran-
und einer Beteiligung des GI-Trakts einher [31], [26]. kung mit Beteiligung der Augen und des Innenoh-
res. Vorwiegend sind junge Erwachsene betroffen
z Symptomatik [5], [26].
Die Urtikariavaskulitis ist von der akuten oder chro- Fast alle Patienten zeigen einen Hörverlust, bei
nischen Urtikaria abzugrenzen. Im Gegensatz zur 25–50% kann es zu einer Taubheit kommen. Schwin-
gewöhnlichen Urtikaria ist die Urtikariavaskulitis del und Tinnitus sind häufig. Eine okuläre Beteili-
eine eigenständige Krankheitsentität, bei der die urti- gung manifestiert sich meist beidseitig im Sinne einer
kariellen Symptome mehr als 24 Stunden andauern Keratitis, Episkleritis, Skleritis oder Panuveitis. Eine
126 Kapitel 7 · Systemische Vaskulitiden
Diagnose wurde gestellt durch den Nachweis die Schwellungen in den Hand- und auch
oraler und genitaler Ulzerationen, durch ein Kniegelenken bildeten sich komplett zurück.
rezidivierendes Erythema nodosum an der Unter anfänglich engmaschigen
Außenseite des Unterschenkels und durch Laborkontrollen und einer konsequenten
eine symmetrische Arthritis der Hand- und Antikonzeption ist unsere Patientin unter einer
Kniegelenke. Therapie mit 100 mg Azathioprin pro Tag in
Es wurde eine Colchicin-Therapie begonnen, einer äußerst stabilen Situation; zusätzlich
die leider die Gelenkbeschwerden nicht nimmt sie nur fallweise NSAR.
entsprechend beeinflusste. In weiterer Folge Regelmäßige augenfachärztliche Kontrollen
wurde aufgrund der hohen serologischen ergaben bisher keine Augenbeteiligung im
Entzündungsparameter und der Sinne einer anterioren oder posterioren Uveitis.
Gelenkschwellungen einzelner Fingergelenke, Die serologischen Entzündungsparameter sind
vor allem aber der Handgelenke, wiederholt im Normbereich.
auch der Kniegelenke, eine Basistherapie mit
7 Azathioprin vorgeschlagen. Es bestand aber
ein weiterer Kinderwunsch und es wurde
daher eine immunsuppressive Medikation Kommentar
zunächst auf Wunsch der Patientin nicht Bei der Patientin wurde aufgrund der typischen
initiiert. Klinik mit oralen und genitalen ulzerösen
Radiologisch zeigte sich in der Folge bereits Läsionen, Erythema nodosum und Arthritiden
eine (sekundäre) Arthrose im rechten die Diagnose eines Behçet-Syndroms gestellt.
Handgelenk. Aufgrund des Röntgenbefundes, Aufgrund eines Kinderwunsches wurde
der anhaltend hohen klinischen und eine suffiziente immunsuppressive Therapie
entzündlichen Krankheitsaktivität wurde erst spät eingeleitet. Schließlich wurde die
nach entsprechender Beratung schließlich Patientin unter Azathioprin schwanger und
doch eine Azathioprin-Medikation begonnen. die Medikation wurde bei stabiler klinischer
Dadurch konnte eine Stabilisierung des Befindlichkeit abgesetzt. Bei strenger
Krankheitsbildes erreicht werden. Die Indikationsstellung kann Azathioprin auch
Patientin wurde unter immunsuppressiver während der Schwangerschaft fortgesetzt
Medikation schwanger. In einem interdiszi- werden, ist aber in der Stillzeit kontraindiziert.
plinären Konsilium wurde bei guter klinischer Unter einer konsequenten Immunsuppression
Befindlichkeit das Absetzen von Azathioprin ist die Patientin beschwerdefrei, eine erosive
empfohlen und die Patientin entsprechend Arthritis führte allerdings zu einer sekundären
engmaschig überwacht. Schwangerschaft und Arthrose im Bereich des rechten Handgelenks.
Geburt verliefen komplikationslos und die
Patientin brachte ein gesundes Mädchen zur
Welt.
Wenige Wochen nach dem Ende der 7.5 Einzelorganvaskulitiden
Schwangerschaft kam es zu einer deutlichen
Verschlechterung der Gesamtsituation Einzelorganvaskulitiden („Single Organ Vasculi-
mit oligoarthritischem Gelenkbefall und tis“, SOV) stellen Vaskulitis-Sonderformen dar, die
hartnäckigen orogenitalen Ulzerationen. sich in einzelnen Organen (isoliert oder in mehreren
Nach Beendigung der Stillzeit wurde Organen zugleich) manifestieren. Streng genommen
neuerlich eine Azathioprin-Medikation handelt es sich zwar nicht um „systemische“ Vasku-
initiiert. In den folgenden Monaten kam es litisformen, aufgrund des möglichen Befalls zentra-
zu einer Stabilisierung des Krankheitsbildes, ler Organe haben diese Vaskulitisformen oft jedoch
„systemische“ Konsequenzen. Es können Gefäße
Literatur
129 7
jeder Größe betroffen sein, histologisch sind granu- Gganulomatosis) in northern Italy: A 15-year population
based study. Sem Arthritis Rheum 44:202–207
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Die Diagnose wird häufig zufällig gestellt,
syndrome with poor-prognosis factors: a prospective
manchmal auch erst in der Autopsie. Die klinischen multicenter trial comparing glucocorticoids and six or
Manifestationen sind vom Zielorgan abhängig und twelve cycloposphamide pulses in forty-eight patients.
umfassen ein äußerst heterogenes Spektrum: ZNS, Arthritis Rheum 57:676–693
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Hypokomplementämisches Urtikaria-Vaskulitis-Syn-
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133 8
Rheumatische Erkrankungen
bei Kindern und Jugendlichen
Rudolf Puchner
Literatur – 138
Die chronischen Arthritiden werden unter dem nach ihrem Erstbeschreiber Georg Frederic Still im
Begriff juvenile idiopathische Arthritis (JIA) zusam- Jahre 1897 bezeichnet [10].
mengefasst. Definitionsgemäß wird ein Erkran- Bei längerem Verlauf der Erkrankung können
kungsbeginn vor dem 16. Lebensjahr und eine Min- Zerstörungen der Hand- und Hüftgelenke auftre-
destdauer der Erkrankung von 6 Wochen gefordert. ten. Die Erkrankung verläuft oft in Schüben, d. h.,
Juvenile idiopathische Arthritiden haben eine jähr- Zeiten von Beschwerdefreiheit wechseln mit einem
liche Inzidenz von etwa 10/100.000 Kinder unter 16 Aufflackern der Erkrankung ab. Bei einem Teil der
Jahren und eine Prävalenz von 0,1% im Alter bis 18 Patienten kommt die Erkrankung zum Stillstand; bei
Jahre [11]. Die JIA ist kein einheitliches Krankheits- bis zu 50% der Kinder entwickelt sich eine Polyarthri-
bild. Es werden verschiedene Subtypen differenziert tis mit ausgeprägten Gelenkdeformierungen. Wachs-
(7 Overview). Man unterscheidet zwischen oligoarti- tumsstörungen, teilweise auch als Folge einer Gluko-
kulärem (bis zu 4 Gelenke betroffen) und polyartiku- kortikoidtherapie, kommen bei schweren Verläufen
lärem Verlauf (mehr als 4 Gelenke betroffen). Auch ein vor [4], [6], [7].
systemischer Befall ist möglich mit Beteiligung von
Augen, Haut oder inneren Organen [1], [2], [7], [9].
8.2 Seronegative polyartikuläre JIA
(Rheumafaktor negativ)
8 ILAR-Klassifikation der juvenilen idiopathi-
schen Arthritis [8] Diese Form der JIA kann im gesamten Kindesalter
1. Systemische Arthritis auftreten und befällt häufiger Mädchen. Der Rheu-
2. Seronegative Polyarthritis mafaktor ist nicht nachweisbar. Meist sind zahlreiche
3. Seropositive Polyarthritis große und kleine Gelenke betroffen. Es ist üblicher-
4. Oligoarthritis weise keine Beteiligung innerer Organe zu beobach-
–– Persistierend: nach 6 Monaten ≤4 ten. Im Gelenkmuster überwiegt der symmetrische
Gelenke Befall.
–– Erweitert („extended“): nach 6 Monaten
≥5 Gelenke
5. Enthesitis-assoziierte Arthritis 8.3 Seropositive polyartikuläre JIA
6. Psoriasisarthritis (Rheumafaktor positiv)
7. Andere (nichtklassifizierbare Arthritis)
Die seropositive JIA betrifft häufiger Mädchen ab
dem 8. Lebensjahr. Der Rheumafaktor ist im Blut
nachweisbar. Es können nahezu alle Gelenke ein-
8.1 Systemische JIA schließlich der Sehnenscheiden betroffen sein.
Bereits nach Monaten können destruktive Gelenk-
Die systemische JIA beginnt überwiegend im Klein- schäden auftreten. Daher ist eine frühzeitige medi-
kindalter mit hohem Fieber und ist die schwerste kamentöse Behandlung notwendig.
polyarthritische Form bei Kindern. Schubweise auf-
tretendes Fieber bis 40 Grad, oft über Wochen ein-
hergehend mit einem flüchtigen lachsfarbenen Exan- 8.4 Oligoarthritis
them, sowie eine Anschwellung von Lymphknoten
und eine Vergrößerung von Leber und Milz sind Die Oligoarthritis (OA) ist in Mitteleuropa die häu-
typisch. Auch eine Perikarditis oder Symptome wie figste Form einer chronischen Gelenkentzündung
starke Abdominalschmerzen als Folge einer Beteili- im Kindesalter.
gung des Bauchfells kommen vor. Die Arthritis kann Der Krankheitsbeginn liegt im Kleinkindalter;
oligo- oder polyarthritisch sein und entwickelt sich Mädchen sind viel häufiger betroffen. Meist sind
oft erst nach Wochen bis Monaten. Die systemische nur wenige große Gelenke typischerweise asym-
Verlaufsform wird auch oft noch als Still-Syndrom metrisch befallen; die Erkrankung beginnt auch oft
8.7 · Therapie des kindlichen Rheumas
135 8
mit Schmerzen und Schwellung nur eines Gelenkes Lichtscheue ist möglich; bei sofortiger Behandlung
(z. B. Knie- oder Sprunggelenk). In der Folge können entstehen meist keine bleibenden Schäden.
zwei Verläufe unterschieden werden, eine persistie- Die Diagnose einer EAA kann gestellt werden bei
rende Oligoarthritis, bei der nie mehr als 4 Gelenke Nachweis einer Arthritis und einer Enthesitis oder
erkrankt sind und eine erweiterte Oligoarthritis, bei bei Vorliegen einer Arthritis und mindestens 2 der
der es nach 6 Monaten zum Befall von mehr als 4 folgenden Kriterien:
Gelenken kommt. Die Prognose ist bei erweiterter 44Druckschmerz über dem Sakroiliakalgelenk
OA wesentlich ungünstiger als bei persistierender 44Nachweis von HLA-B27
OA. Innerhalb der ersten 15 Krankenjahre entwi- 44Junge mit einem Krankheitsbeginn nach dem 6.
ckelt etwa nur 1/3 der Patienten mit erweiterter OA Lebensjahr
(im Vergleich zu 3/4 der Patienten mit persistieren- 44Akute anteriore Uveitis oder eine HLA-B27-
der OA) eine Remission. assoziierte Erkrankung (ankylosierende
Antinukleäre Antikörper (ANA) sind im Blut Spondylitis, EAA, Sakroiliitis bei entzündlicher
in ca. 70% nachweisbar. Als gefährliche Komplika- Darmerkrankung, Reiter-Syndrom oder akute
tion kann es (vor allem bei ANA-positiven Kindern) anteriore Uveitis) bei einem Verwandten ersten
zu einer Augenbeteiligung im Sinne einer Iridozy- Grades [4],[6], [7].
klitis kommen. Diese ist gefürchtet, da sie oft ohne
Rötung und Augenschmerzen verläuft und zu Erblin-
dung führen kann. Bei rheumakranken Kindern und 8.6 Juvenile Psoriasisarthritis
speziell nach Diagnosestellung dieser Verlaufsform
sind regelmäßige Augenuntersuchungen notwendig Zu Erkrankungsbeginn präsentiert sich die Psoria-
[4], [6], [7]. sisarthritis typischerweise als asymmetrische Oligo-
arthritis, wobei am häufigsten das Kniegelenk betrof-
fen ist.
8.5 Enthesitis-assoziierte Arthritis Da die Arthritis häufig vor der Psoriasis auftreten
kann, wird die Diagnose gestellt, wenn eine Arthri-
An der Enthesitis-assoziierten Arthritis (EAA) tis mit einer Psoriasis kombiniert auftritt oder wenn
erkranken häufiger Buben nach dem 10. Lebens- eine Arthritis diagnostiziert wird und gleichzeitig
jahr. Es sind meist nur wenige Gelenke betroffen, eine Daktylitis, eine Nägeltüpfelung und/oder eine
typischerweise Knie-, Sprung- oder Hüftgelenk. Familienanamnese für Psoriasis besteht (2 von 3 Kri-
Häufig kommt es zu einer Beteiligung der Sehnen- terien müssen für die Diagnose gemeinsam mit der
ansätze (Enthesitis). Besonders betroffen ist die Ferse Arthritis nachweisbar sein) [4].
am Ansatz der Achillessehne. In der Mehrzahl ist Daneben können auch Kollagenosen, Vaskuliti-
HLA-B27 nachweisbar. den, infektiöse Arthritiden, Gelenkbeteiligungen im
Die Jugendlichen klagen auch häufig über Rahmen oder als Folge von Infektionen etc. im Kin-
Schmerzen im Rücken als Folge einer Entzündung desund Jugendalter auftreten und sollten vor Diag-
der Kreuz-Darmbein-Gelenke. Diese tritt meist nose einer JIA ausgeschlossen werden.
erst mehrere Jahre nach Krankheitsbeginn auf. Mit
zunehmender Krankheitsdauer nimmt der Anteil
der Patienten mit entzündlicher Wirbelsäulenbe- 8.7 Therapie des kindlichen
teiligung zu, was die Zugehörigkeit dieser Verlaufs- Rheumas
form zu den Spondyloarthritiden unterstreicht. Die
EAA geht im Erwachsenenalter sehr häufig in eine Um Gelenkdeformierungen, Wachstumsstörungen
Spondyloarthritis über und etwa 40% entwickeln im und Organbeteiligungen (z. B. Augen) zu vermei-
frühen Erwachsenenalter eine gesicherte ankylosie- den, ist ebenso wie im Erwachsenenalter eine früh-
rende Spondylitis [1]. zeitige und konsequente Therapie notwendig. Die
Eine Augenentzündung im Sinne einer Behandlung ist eine Kombination aus medikamentö-
akuten Iridozyklitis mit Schmerzen, Rötung und sen Maßnahmen, Physiotherapie und Ergotherapie.
136 Kapitel 8 · Rheumatische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
Die medikamentöse Therapie gliedert sich in 3 bei unzureichender Wirkung von synthethischen
Gruppen von Medikamenten. DMARDs nach 3–6 Monaten etabliert werden. Zur
Behandlung der Polyarthritis stehen im Kindesalter
z Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) Etanercept, Adalimumab, Abatacept und Tocilicu-
Substanzen mit langer Erfahrung bei Kindern sind mab zur Verfügung. Die Kombinationstherapie mit
z. B. Naproxen (z B. Proxen Saft) und Ibuprofen MTX hat einen synergistischen Effekt (Abatacept ist
(Nurofen). Die Dosierung erfolgt entsprechend den nur in Kombinationstherapie zugelassen) [4], [5],
vorgegebenen Richtlinien, gewichtsadaptiert und bei [6], [9].
Kleinkindern bevorzugt als Suspension. Zur Therapie der systemischen JIA ist nach Ver-
Bei unzureichendem Ansprechen sowie bei sagen von Glukokortikoiden und MTX eine Behand-
allen fortschreitenden rheumatischen Erkrankun- lung mit dem Interleukin-1-Inhibitor Canakinu-
gen werden Basistherapeutika eingesetzt. mab und dem Interleukin-6-Inhibitor Tocilicumab
zugelassen.
z Basistherapeutika (DMARDs = Disease Da eine Therapie mit Biologika mit einer poten-
Modifying Antirheumatic Drugs) ziell erhöhten Infektanfälligkeit assoziiert ist, sind
Diese immunmodulierenden Medikamente verhin- ähnlich wie im Erwachsenenalter entsprechende
dern oder verzögern zumindest das Fortschreiten der Untersuchungen vor Behandlung notwendig. Eine
8 Erkrankung. chronische Infektion ist auszuschließen, insbeson-
dere eine Hepatitis B, eine Hepatitis C und eine
Methotrexat (MTX) Es wird vor allem MTX bei Tuberkulose. Ebenso sollten alle notwendigen Imp-
JIA mit verstärkter entzündlicher Aktivität verwen- fungen vor Behandlungsbeginn aktualisiert sein.
det. MTX ist gut wirksam, vergleichsweise nebenwir- Die (medikamentöse) Behandlung von kindli-
kungsarm und kortisonsparend. Es wird üblicher- chem Rheuma darf nur entsprechend den vorgege-
weise einmal pro Woche in Tablettenform eingenom- benen Richtlinien (siehe spezielle Literatur) durchge-
men oder bei unzureichendem Ansprechen injiziert. führt werden und sollte bevorzugt an pädiatrischen
Zentren mit besonderer Erfahrung im Umgang mit
Sulfasalazin Sulfasalazin wird vor allem bei Kindern Gelenkerkrankungen im Kindes- und Jugendalter
mit HLA-B27-assoziierten Oligoarthritiden verwen- erfolgen.
det. Über eine hohe Abbruchrate vor allem wegen
gastrointestinaler Nebenwirkungen wird berichtet.
Die früher häufiger verwendeten Goldpräparate Fallbeispiel: Gelenkrheuma im Kindesalter
sollten aufgrund ihrer Nebenwirkungen nur mehr in Ein 14-jähriger Patient hatte erstmals mit 7
Ausnahmefällen verwendet werden. Jahren vorübergehende Schmerzen in den
Kniekehlen, die als Wachstumsschmerzen
z Glukokortikoide und Eisenmangel angesehen wurden. Später
Diese wirken akut schmerzlindernd, die Langzeit- kam es zu Hüftproblemen, mit 12 Jahren
anwendung ist aber aufgrund der bekannten Neben- erstmals zu schmerzhaften Schwellungen
wirkungen problematisch. Wegen der Gefahr einer beider Knöchel sowie Fersenschmerzen. Der
Wachstumsverminderung sollten Glukokortikoide Bub musste oft hinken und humpeln, fühlte
daher möglichst sparsam und wenn möglich nur sich insgesamt geschwächt und kam erschöpft
lokal (z. B. als Salbe am Auge oder ins Gelenk inji- von der Schule nach Hause. Am Morgen war
ziert) verabreicht werden. er über 1 Stunde, oft auch über den ganzen
Tag, relativ steif. Er konnte kaum mehr Sport
z Biologika betreiben und im Winter auch erstmals
Ihre Einführung Ende der 1990er Jahre war ein Mei- nicht mehr Ski fahren. Schließlich sind auch
lenstein in der Behandlung der rheumatoiden Arth- Kreuzschmerzen im Sitzen und bei körperlicher
ritis und der JIA. Eine Behandlung mit Biologika Belastung dazugekommen.
sollte bei der polyartikulären Verlaufsform der JIA
8.8 · Akutes rheumatisches Fieber
137 8
Der junge Patient wurde an eine bekannte erfreulich stabiler Verlauf erreicht werden.
Rheumaklinik für Kinder und Jugendliche Die Lebensfreude des heranwachsenden
verwiesen, wo sich ein schwer kranker, Jugendlichen hat sich deutlich gebessert.
blasser Junge präsentierte, der in seiner Gerade bei Kindern und Jugendlichen
Aktivität erheblich beeinträchtigt war. ist der rasche und wirkungsvolle Einsatz
Es wurde die Diagnose einer juvenilen von Basistherapeutika notwendig, um
idiopathischen Arthritis im Sinne einer ein Fortschreiten der Erkrankung und
Enthesitis-assoziierten Arthritis gestellt. entsprechende Gelenkschäden zu verhindern.
HLA-B27 war in der Blutuntersuchung Mit einer Kortison-Therapie ist man im
nachweisbar. Eine gezielte Schmerz- und Kindesalter aufgrund der Nebenwirkungen
Bewegungstherapie wurde eingeleitet und sehr zurückhaltend. Naturgemäß ist auch bei
in weiterer Folge eine Basistherapie mit MTX diesem Krankheitsverlauf eine engmaschige
begonnen; zunächst in Form von Tabletten, ärztliche Kontrolle und Überwachung
die nicht gut toleriert wurden. Aufgrund notwendig. Vor und während der Therapie sind
einer unzureichenden Wirkung und der regelmäßige apparative und laborchemische
schlechten Verträglichkeit wurde nun eine Befunde zu erheben. Auch augenfach-
MTX-Lösung in Form von 17,5 mg 1-mal ärztliche Untersuchungen sind notwendig,
pro Woche in einem Getränk, z. B. in Cola, da es im Kindes- und Jugendalter zu einer
verabreicht. Schließlich wurde, da weiterhin Augenbeteiligung im Sinne einer Iridozyklitis
Entzündungszeichen und röntgenologisch kommen kann.
im Sprunggelenk schon Veränderungen
zu erkennen waren, eine intraartikuläre
Steroidgabe appliziert und auf eine
MTX-Injektionstherapie im Sinne einer 8.8 Akutes rheumatisches Fieber
wöchentlichen Gabe von 25 mg umgestellt.
Weiterhin zeigte sich kein zufriedenstellendes Diese akute systemische Entzündung ist eine immun-
Ergebnis und der junge Patient klagte über mediierte, durch β-hämolysierende Streptokokken
zahlreiche schmerzhafte und geschwollene der Gruppe A verursachte Erkrankung vorwiegend
Gelenke. Es musste ein Kniegelenk punktiert der Gelenke und des Herzens sowie auch fallweise
werden; zweimal wurde sogar ein intravenöser des Nervensystems und der Haut. Die Erkrankung ist
Kortison-Stoß verabreicht. Schließlich heute in den industrialisierten Ländern sehr selten und
entschloss man sich zu einer Biologika- tritt überwiegend bei Kindern ab dem 4. Lebensjahr
Therapie mit Etanercept. Die Medikation mit einem Häufigkeitsgipfel um das 10. Lebensjahr auf.
wurde erfreulicherweise sehr gut vertragen. Typisch ist eine springende Polyarthritis
Nach 3 Monaten war er ohne Schmerzen, mit asymmetrischem Befall der großen Gelenke
Schwellungen und Morgensteifigkeit. In 2–4 Wochen nach einer Tonsillopharyngitis mit
weiterer Folge konnte auch MTX reduziert β-hämolysierenden Streptokokken. Von vordring-
werden. Ein Schmerzmittel wird nur noch licher Bedeutung ist die Beteiligung des Herzens.
bedarfsweise genommen. Es können alle Herzwandabschnitte betroffen sein
mit der Gefahr der konsekutiven Entwicklung von
schwerwiegenden und definitiven Klappenfehlern.
Therapeutisch haben sich Penicillin V, NSAR, Aze-
Kommentar tylsalizylsäure und bei Karditis Glukokortikoide seit
Der 14-Jährige erkrankte mit 7 Jahren an einer Langem bewährt. Aufgrund der Rezidivhäufigkeit
JIA. Unter einer kombinierten Basistherapie muss eine Antibiotika-Prophylaxe in Form einer int-
mit Methotrexat und Etanercept konnte ein ramuskulären Penicillin-V-Gabe langfristig durch-
geführt werden [3], [4].
138 Kapitel 8 · Rheumatische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
Literatur
Literatur – 142
Fallbeispiel: Junge Frau mit rezidivieren- Nach dem Krankenhaus wurde sie in einer
den Fieberschüben rheumatologischen Praxis betreut. Es wurde
Eine 17-jährige Patientin wurde mit eine Basistherapie mit Methotrexat eingeleitet
wiederholten Fieberschüben, Schmerzen in und nach guter Verträglichkeit versucht, die
zahlreichen großen und kleinen Gelenken und GC in kleinen Schritten „auszuschleichen“.
flüchtigen Hautausschlägen (während der Nach einem halben Jahr betrug die tägliche
Fieberschübe) stationär aufgenommen. Eine Dosis 7,5 mg ohne neuerliche Fieberschübe,
umfangreiche Untersuchung ergab keinen nach ca. 12 Monaten benötigte die Patientin
Hinweis eines infektiösen bzw. septischen kein Prednisolon mehr. Die Nebenwirkungen
Geschehens. Verschiedene Antibiotikagaben bildeten sich zurück, inzwischen war die 7.
führten zu keiner Besserung. Die Patientin war Klasse geschafft. Vereinzelt kam es alleine
in ihrer Befindlichkeit schwer beeinträchtigt. unter niedrig dosiertem Methotrexat, das
Im Labor zeigte sich eine deutlich erhöhte weiterhin einmal wöchentlich eingenommen
Blutsenkungsreaktion als Ausdruck einer wurde, zu vorübergehenden Gelenkschmerzen
schweren Entzündung, eine leichte Blutarmut ohne Schwellungen. Nach der Matura
bei gleichzeitiger Erhöhung der Leukozyten; wurde Methotrexat abgesetzt. Inzwischen
zudem auffallend eine massive Vermehrung ist sie erfolgreiche Absolventin einer
des Ferritins. Fachhochschule. Gelenkentzündungen und
Glukokortikoide (GC) in hoher Dosis führten Fieberschübe sind nicht mehr aufgetreten.
dann prompt zu Fieber- und Schmerzfreiheit.
Die Diagnose eines Still-Syndroms des
Erwachsenen wurde gestellt. Die täglichen
GC-Dosen wurden langsam reduziert Kommentar
und die Patientin schließlich nach einem Das Still-Syndrom ist eine auch im
mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt mit Kleinkindalter seltene systemische, fieberhafte
einer täglichen Dosis von 25 mg Prednisolon Gelenkerkrankung. Äußerst selten tritt
entlassen. Ein weiteres Reduzieren diese Erkrankung in der Adoleszenz oder im
der Medikamente und regelmäßige Erwachsenenalter auf und wird als adulte
Kontrollen wurden vereinbart. Wurde das Form des Morbus Still oder Still-Syndrom des
Prednisolon unter eine Tagesdosis von Erwachsenen bezeichnet. Bei einem „Fieber
15 mg abgesenkt, kam es wieder zu Fieber unklarer Genese“ ist auch an diese seltene
und Gelenkschmerzen. Die Patientin war rheumatische Systemerkrankung zu denken.
sehr niedergeschlagen und gleichzeitig Trotz oft längerfristiger schubweiser Verläufe
wegen der GC-Einnahme beunruhigt. Ein mit einer notwendigen Behandlung mit GC
kurzfristiges komplettes Absetzen der sind Remissionen häufig. Die Prognose ist
Medikamente seitens der Patientin führte zu in der Regel gut, chronische Verläufe mit
einer massiven Verschlechterung und wurde Gelenkdestruktionen sind aber möglich. Auch
nicht toleriert. Die Behandlung über viele bei diesem Fallbericht wird ersichtlich, dass
Wochen bewirkte typische Nebenwirkungen man bei entzündlichen Gelenkerkrankungen,
wie Gewichtzunahme und die Entwicklung trotz der bekannten Nebenwirkungen, auf
eines „Vollmondgesichts“. Weiterhin konnte die vorübergehende GC-Dosen manchmal nicht
Patientin am Turnunterricht nicht teilnehmen verzichten kann. Diese können bedrohliche
und nur durch besonderen Fleiß hat sie die 7. Organbeteiligungen verhindern und
Klasse im Gymnasium trotz vieler Fehlstunden wahrscheinlich auch Gelenkzerstörungen
erfolgreich absolviert. verzögern.
142 Kapitel 9 · Der adulte Morbus Still (Adult Onset Still’s Disease, AOSD)
Literatur
9
143 10
Lyme-Arthritis
Rudolf Puchner
Literatur – 145
Die Borreliose ist eine durch Zecken übertragbare (meist ELISA) durchgeführt, der nur bei reaktivem
Erkrankung, hervorgerufen durch die Spirochäte Ergebnis durch einen hochspezifischen Immuno-
Borrelia burgdorferi. Die Erkrankung kann verschie- blot (Western-Blot) bestätigt werden sollte. Für die
dene Organe, im Speziellen die Haut, das Nervensys- Diagnose sind ein Nachweis von Immunglobulin-
tem und die Gelenke betreffen. Eher unterschiedli- G(IgG)-Antikörpern und ein breites Bandenspekt-
che epidemiologische Daten zeigen eine Inzidenz der rum im Immunoplot obligatorisch. Bei einem nega-
Lyme-Borreliose für Deutschland zwischen 25 und tiven Bestätigungstest ist der Befund als negativ zu
100 Fällen /100.000 Einwohner [2], für Österreich werten. In speziellen Situationen kann der Nach-
wird eine Inzidenz zwischen 150 [8] und 300 Fällen weis von Borrelien-DNA in der Gelenkflüssigkeit
/100.000 [7] Einwohner angegeben. mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) hilfreich
sein und zu einer differenzialdiagnostischen Klärung
z Symptomatik beitragen.
Obwohl es sowohl in der frühen als auch in der Irreführend ist oft ein positiver Borrelien-Anti-
späten Phase der Erkrankung zu Gelenkbeschwerden körpertiter im Blut; bei ca. 8–20% der gesunden
kommen kann, dominieren doch die Veränderungen österreichischen Bevölkerung findet man Antikör-
im Bereich der Haut. Glücklicherweise erkrankt nur per gegen Borrelien, insbesondere bei Waldarbeitern,
ein kleiner Teil der Patienten Tage bis Wochen nach Läufern etc. Nur bei einem sehr kleinen Teil besteht,
einem Zeckenbiss tatsächlich an einer roten fleckför- entsprechend der Literatur bei positiven Antikörper-
migen bis pustulösen Hautveränderung mit ringför- titern, eine klinisch gesicherte Lyme-Arthritis.
miger Begrenzung (Erythema migrans). Eine gezielte Ebenso sind serologische Verlaufskontrollen
antibiotische Therapie in dieser Phase der Erkran- meist nicht geeignet, den Erfolg einer antibiotischen
kung verhindert üblicherweise das weitere Fort- Therapie zu dokumentieren, da Borrelien-Antikör-
10 schreiten. Mit und ohne Erythema migrans können per noch für eine lange Zeit, auch nach einer erfolg-
unbehandelt in den nachfolgenden Wochen bis reichen Therapie, persistieren können [1], [2], [3],
Monaten unspezifische, grippeähnliche Symptome [4], [5], [6], [9].
sowie Arthralgien und Myalgien auftreten. Auch
das Herz oder das Nervensystem können betroffen z Therapie
sein. Bei einem Befall des Nervensystems kann es in Eine antibiotische Therapie sollte frühzeitig nach
der Frühphase eher zu radikulären Schmerzen mit Diagnosestellung eingeleitet werden. Die Mittel
neuropathischem Charakter kommen, in der Spät- der Wahl sind im Frühstadium bei Erythema
phase zu einer Meningitis oder Enzephalomyelitis. migrans: Doxycyclin (200 mg täglich), Amoxicil-
Die typische Lyme-Arthritis manifestiert sich lin (500–1000 mg 3-mal täglich) oder Cefuroxim
als Mon- oder Oligoarthritis, wobei in ca. 85% ein (500 mg 2-mal täglich). Die Therapiedauer beträgt
Kniegelenk betroffen ist. Die Gonarthritis geht häufig 14–21 Tage. Bei einer Lyme-Arthritis beträgt die
mit einer deutlichen Ergussbildung und Ausbildung Behandlungsdauer 28 Tage, die Erfolgsrate einer
einer Baker-Zyste einher. Wenn die Lyme-Arthritis oralen Ersttherapie liegt bei ca. 80%. Sind Patien-
früh diagnostiziert und antibiotisch behandelt wird, ten mit einer Lyme-Arthritis auch Wochen nach
heilt sie meist folgenlos ab [1], [2], [3], [4], [5], [6]. einer Behandlung nicht beschwerdefrei, wird noch
eine parenterale Antibiotika-Therapie mit Ceftria-
z Diagnostik xon (2 g einmal täglich) über 14–21 Tage empfohlen.
Die Diagnose der Lyme-Arthritis ergibt sich aus Eine zusätzliche antiphlogistische Therapie erfolgt
Anamnese, klinischem Befund und gezielter serolo- symptomorientiert.
gischer Untersuchung. Der Nachweis von Antikör- Nach einer antibiotischen Therapie von Spät-
pern gegen Borrelien gehört zu den am häufigsten manifestationen kommt es oft erst im Verlauf
angeforderten serologischen Tests im mikrobiolo- von Wochen bis Monaten zu einer allmählichen
gischen Labor. Die Diagnose erfolgt nur bei begrün- Remission. Chronische und therapieresistente
detem klinischem Verdacht durch einen Antikörper- Verläufe sind aber extrem selten [1], [2], [3], [5],
nachweis. Zunächst wird ein serologischer Suchtest [6], [9], [10].
Literatur
145 10
Literatur
Kristallarthropathien
Rudolf Puchner, Judith Sautner
Literatur – 152
11.1 Gicht (Arthritis urica) (Podagra) betroffen. Auch andere Gelenke wie Knie-,
Sprung- oder Fingergelenk können befallen sein;
Die Gicht ist die häufigste entzündliche Gelenker- typischerweise ist nur ein Gelenk betroffen. Die
krankung des Mannes in der westlichen Welt. Die Attacke dauert auch ohne Behandlung meist nur 1–2
Prävalenz liegt bei Männern über 30 und bei post- Wochen und spricht auf antiphlogistische Medika-
menopausalen Frauen zwischen 2 und 3%, mit regio- mente gut an.
nalen Unterschieden. Nach einer Schmerzepisode tritt wiederum
Harnsäure (HS) entsteht durch den Abbau der Beschwerdefreiheit ein. Das symptomfreie Stadium
Purinnukleotidbasen Adenin und Guanin und zwischen zwei Gichtanfällen wird als interkritische
durch Abbau von aus der Nahrung aufgenommenen Gicht bezeichnet.
Purinen. Purinreiche Kost ist aber nicht der wesent- Das Fehlen einer konsequenten Therapie führt
liche pathogenetische Faktor. Die häufigste Ursache zu einer Häufung von Anfällen. Die Abstände
der Hyperurikämie ist eine familiäre Störung der zwischen den Anfällen werden kürzer, der akute
renalen HS-Exkretion. Eine verminderte renale Anfall ist weniger ausgeprägt, dauert aber länger
Ausscheidung von HS kann auch die Folge einer und betrifft immer mehr Gelenke, sodass sich das
eingeschränkten Nierenfunktion oder einer medi- Bild einer chronischen Oligo- bis Polyarthritis ent-
kamentösen Therapie (z. B. Diuretika) sein. Sehr viel wickelt. Die chronische Gicht manifestiert sich
seltener ist eine Hyperurikämie aufgrund einer HS- durch Uratablagerungen an Knorpel, Synovia und
Überproduktion, die bei genetischen Erkrankun- Knochen sowie in der Subkutis und ist durch das
gen oder durch erhöhten Zellumsatz bei Psoriasis, Auftreten von Gichtknoten (Tophi) charakteri-
bei hämatologischen Erkrankungen sowie als Folge siert. Es handelt sich dabei um in dichtes Bindege-
einer Zytostatikabehandlung auftreten kann [1], [2]. webe eingebettete Granulome mit einem Kern aus
Erhöhte HS-Spiegel sind ein häufiger Laborbe- Mononatriumuratkristallen.
fund, der HS-Spiegel steigt mit Alter, Body-Mass- Auch eine Beteiligung der Niere (Gichtnephro-
Index (BMI) und Wohlstand. Gicht ist nicht nur ein pathie) ist möglich im Sinne einer primären abakte-
11 unabhängiger Risikofaktor für koronare Herzerkran- riellen interstitiellen Nephritis (Uratnephropathie als
kung und chronisch renale Insuffizienz; eine Asso- Folge sehr hoher HS-Spiegel) oder durch Ausbildung
ziation mit z. B. arterieller Hypertonie oder Diabetes von Nierensteinen (Uratnephrolithiasis). In seltenen
mellitus bzw. dem metabolischen Syndrom ist doku- Fällen kann eine obstruktive Uratnephropathie zu
mentiert, was eine effiziente HS-Senkung – bei gesi- einem akuten Nierenversagen führen [2], [6].
cherter Gichtdiagnose – umso wichtiger erscheinen
lässt [3]. In den aktualisierten EULAR-Empfehlun- z Diagnostik
gen für das Management der Gicht wird ein kardio- Laborchemisch zeigen sich stark erhöhte Entzün-
vaskuläres Screening bzw. Monitoring dezidiert emp- dungsparameter und eine Leukozytose; die HS ist im
fohlen [4]. Anfall nicht obligat erhöht bzw. kann falsch negativ
sein; eine HS-Bestimmung ist frühestens 2 Wochen
z Symptomatik und Diagnostik nach einem Anfall sinnvoll.
Bei einem geringen Prozentsatz von Patienten mit Mit absoluter Sicherheit kann die Diagnose einer
Hyperurikämie kommt es im Laufe von Jahren zu Arthritis urica nur durch eine Gelenkpunktion mit
einem akuten Gichtanfall. Die HS kann in übersättig- dem Nachweis phagozytierter doppelbrechender
ten Körperflüssigkeiten nicht mehr in Lösung gehal- HS-Kristalle diagnostiziert werden. Letztendlich
ten werden, fällt aus und lagert sich in Form von HS- muss im Zweifelsfall eine septische Arthritis durch
Kristallen in den Gelenken ab (wie zu viel Zucker im eine Punktion ausgeschlossen werden. Die typi-
Kaffee, der sich am Boden der Tasse absetzt) [11]. sche Klinik an entsprechender Lokalisation lässt
Dies bewirkt einen akuten Gichtanfall mit aber bei einem sonst gesunden Patienten diese Dif-
Rötung, Schwellung und massiven Schmerzen eines ferenzialdiagnose in der Regel ausscheiden [10],
Gelenkes. Bevorzugt ist das Großzehengrundgelenk [12]. Mittels Gelenksonographie kann man das
11.1 · Gicht (Arthritis urica)
149 11
pathognomonische „Doppelkonturzeichen“ bzw. bestehenden Tophi sollte der HS-Spiegel zur besse-
HS-Kristalle und Tophusmaterial nachweisen, im ren Auflösung <5 mg/dl gesenkt werden [4].
Akutstadium auch entzündliche Aktivität mit posi-
tivem Power-Doppler-Signal. Als spezifischster Bild- Urikostatika Zur langfristigen HS-senkenden
gebungsnachweis von HS-Kristallen steht derzeit die Behandlung werden heute fast ausschließlich Uri-
DECT („Dual-Energy-Computertomographie“) zur kostatika verwendet, die durch die Hemmung der
Verfügung. Diese Methode ist allerdings Zentren Xanthinoxidase den Purinabbau vermindern. Allo-
vorbehalten und ist aufgrund der Kosten limitiert. purinol ist der am häufigsten eingesetzte Wirkstoff.
Es sollte mit einer niedrigen Dosis (100 mg täglich)
z Therapie üblicherweise erst 2–3 Wochen nach Abklingen des
akuten Gichtanfalls begonnen werden und, falls
z z Therapie des akuten Anfalls notwendig, alle 2–3 Wochen um 100 mg gesteigert
Die Behandlung des akuten Anfalls erfolgt durch werden. Bei mäßig eingeschränkter Nierenfunktion
nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oder Glu- ist die Dosis zu reduzieren, eine stark eingeschränkte
kokortikoide (GC). GC können systemisch oder Nierenfunktion gilt als Kontraindikation. Bei Über-
intraartikulär appliziert werden. Oral verabreich- dosierung von Allopurinol drohen schwerste Krank-
tes Colchicin, was traditionell und häufiger in den heitsbilder wie eine Agranulozytose. Bei Auftreten
romanischen Ländern verwendet wird, wurde in die von Hauterscheinungen und Blutbildveränderungen
EULAR-Empfehlungen aufgenommen [4]. Colchi- ist Allopurinol unverzüglich abzusetzen.
cin sollte nur mehr nach dem sogenannten Nied- Febuxostat (Adenuric) ist ein neuer Xanthinoxi-
rigdosis-Schema angewendet werden (1 mg so früh dasehemmer zur HS-Senkung und stellt eine Alter-
wie möglich im Anfall, gefolgt von 0,5 mg nach 1 native (bei Unverträglichkeit oder Unwirksamkeit)
Stunde) – darunter sind gastrointestinale Neben- zu Allopurinol dar. Die empfohlene Dosis beträgt
wirkungen nicht zu erwarten [9]. Bei stark einge- 80 mg 1-mal täglich und kann bei unzureichender
schränkter Nierenfunktion sind NSAR und Col- Wirkung auf 120 mg 1-mal täglich gesteigert werden.
chicin kontraindiziert. Für Patienten, die eine Eine Dosisanpassung ist bei leichter bis mittelschwe-
Kontraindikation für die erwähnten konventionel- rer Niereninsuffizienz nicht erforderlich. Höher-
len Therapien des akuten Anfalls aufweisen oder gradige kardiale Insuffzienz und fortgeschrittene
therapierefraktär sind, steht mit Canakinumab ein koronare Herzkrankheit sowie schwere Schilddrü-
Interleukin(IL)-1-Antagonist zur Verfügung, der im sen- und Leberfunktionsstörungen gelten als Kon-
Anfall und bei guter Wirkung frühestens 3 Monate traindikationen [8].
später neuerlich gegeben werden kann; der IL-1-An- Die gleichzeitige Gabe von Azathioprin und Allo-
tagonist Anakinra hat zwar keine Zulassung in dieser purinol ist ebenso wie die kombinierte Anwendung
Indikation (Zulassung für rheumatoide Arthritis von Azathioprin und Febuxostat wegen der Gefahr
bzw. Fiebersyndrome), scheint aber eine vergleich- einer Knochenmarkdepression kontraindiziert!
bare Wirkung zu haben.
Urikosurika Die Urikosurika Benzbromaron und
z z HS-Senkung Probenezid (in Österreich nicht mehr erhältlich)
Eine HS-senkende Therapie sollte ab dem Auftre- hemmen die tubuläre Reabsorption und steigern so
ten des ersten Gichtanfalls diskutiert werden und ist die HS-Ausscheidung. Urikosurische Substanzen
indiziert bei rezidivierenden Gichtanfällen, Gichtto- werden als Alternative oder bei Kontraindikation
phi, Uratnephropathie, Nierensteinen und radiologi- für Allopurinol und bei normaler Nierenfunktion
schen Gichtzeichen. Das Therapieziel ist die Auflö- und verminderter Ausscheidung von HS eingesetzt.
sung bestehender Kristalle und die Vermeidung einer Urolithiasis gilt als relative Kontraindikation. Seltene
Neubildung von Uratkristallen. Dies wird erreicht Fälle von schwerer Lebertoxizität sind bei Anwen-
durch einen HS-Spiegel unter dem Sättigungspunkt dung von Benzbromaron beschrieben worden. Eine
von Natriumurat (360 μmol/l bzw. <6 mg/dl); bei einschleichende Dosierung ist notwendig, zusätzlich
150 Kapitel 11 · Kristallarthropathien
Zusätzlich wurde in den ersten Monaten ergab keinen Hinweis auf Uratkristalle, worauf
nach Beginn der HS-senkenden Medikation, eine Basistherapie mit Salazopyrin eingeleitet
unter Überwachung der Verträglichkeit, ein wurde und bereits nach 3 Wochen wegen
niedrig dosiertes NSAR empfohlen, um gerade Cephalea wieder abgesetzt werden musste.
zu Beginn einer HS-senkenden Behandlung Der Patient suchte dann erst nach 19 Monaten
neuerlichen Anfällen vorzubeugen. wiederum die rheumatologische Praxis auf
und präsentierte sich diesmal mit einer
Arthritis von 2 großen Gelenken (Knie und
Sprunggelenk), einer Bursitis olecrani und
Kommentar Gichtknoten (Tophi) an mehreren Zehen. Eine
Insbesondere in den ersten Monaten nach zusätzlich veranlasste DECT zeigte multiple
Einsetzen der HS-senkenden Medikation HS-Kristalle in den untersuchten Gelenken.
wird eine Rezidivprophylaxe empfohlen. Die Eine konsequente HS-Senkung mit Allopurinol
HS-senkende Medikation (mit Allopurinol) wird wurde begonnen, zunächst mit 100 mg/Tag,
üblicherweise erst nach Abklingen des akuten und in der Folge wurde alle 2 Wochen um
Gichtanfalls eingeleitet. Manche Autoren 100 mg auf eine Standarddosis von 300 mg/
empfehlen nach rezidivierenden Gichtattacken Tag gesteigert.
bei guter Verträglichkeit eine lebenslange Parallel dazu wurde eine Anfallsprophylaxe mit
Therapie. Eventuell könnte bei stabiler Colchicin (empfohlene Dosis 0,5–1,5 mg/Tag)
Befindlichkeit nach 5 Jahren die HS-senkende eingeleitet.
Medikation versuchsweise beendet werden. Gegebenenfalls kann, wenn ein HS-Zielwert
von <6 mg/dl mit 300 mg Allopurinol pro
Tag nicht erreicht wird, bei Patienten mit
normaler Nierenfunktion bis auf 600 mg/Tag
46-jähriger Mann mit symmetrischen erhöht werden. Da mit dieser Dosis ebenfalls
Gelenkbeschwerden keine suffiziente Senkung des HS-Spiegels
Im Jahr 2013 präsentierte sich der Patient mit erzielt werden konnte, wurde auf Febuxostat,
einer bereits über einige Wochen auffälligen einen neueren Inhibitor der Xanthinoxidase,
schmerzhaften symmetrischen Schwellung gewechselt. Mit initial 80 mg und einer
beider Knie- und Sprunggelenke und einer Steigerung auf 120 mg pro Tag nach einem
wurstförmigen Verdickung der zweiten linken Monat konnte schließlich eine Normalisierung
Zehe. Anamnestisch konnte eine positive der HS-Werte erreicht werden. Gerade bei
Eigen- (spontaner Beginn mit typischer Gichttophi sollte sogar ein HS-Wert unter
Monoarthritis und selbstlimitierend, 1- bis 5 mg/dl erreicht werden. Weitere Anfälle traten
2-mal/Jahr) und Familienanamnese für Arthritis in der Folge nicht mehr auf.
urica erhoben werden. Es gab keine Psoriasis in
der Familie. Im Labor zeigte sich eine erhöhte
Blutsenkungsgeschwindigkeit (42) und eine
HS mit 9 mg/dl, Rheumafaktor und Antikörper Kommentar
gegen zyklische zitrullinierte Peptide (CCP) In 10% der Fälle präsentiert sich die
waren nicht erhöht. Differenzialdignostisch Gichterkrankung oligo- bis polyartikulär.
musste neben einer polyartikulären Gicht eine Typischerweise ist der Krankheitsverlauf
chronisch entzündliche Gelenkerkrankung, episodisch: akute Attacken wechseln mit
wie eine seronegative rheumatoide Arthritis, langen beschwerdefreien Phasen ab. Ohne
ausgeschlossen werden. Eine Gelenkpunktion Behandlung häufen sich die Schübe im Laufe
152 Kapitel 11 · Kristallarthropathien
Literatur
der Zeit und es können zunehmend mehrere
[1] Arromdee E, Michet CJ, Crowson CS et al. (2002) Epide-
Gelenke beteiligt sein und auch Gichtknoten
miology of gout: Is the incidence rising? J Rheumatol
(Tophi) auftreten. Das gleichzeitige Auftreten 29:2403–2406
einer Gicht und einer chronisch entzündlichen [2] Gresser U (2008) Gicht. In: Zeidler H, Zacher J, Hiepe F
Gelenkerkrankung wie einer rheumatoiden (Hrsg) Interdisziplinäre klinische Rheumatologie, 2. Aufl.
Arthritis oder einer Kollagenose ist selten. Springer, Berlin, S 593–604
[3] Li C, Hsieh MC, Chang SJ (2013) Metabolic syndrome,
Der diagnostische Goldstandard für die
diabetes, and hyperuricemia. Curr Opin Rheumatol
Arthritis urica ist nach wie vor der Nachweis 25(2):210–216
von Uratkristallen in der Gelenkflüssigkeit [4] Richette P, Doherty M, Pascual E et al. (2016) 2016 upda-
sowohl während eines Schubes als auch im ted EULAR evidence-based recommendations for the
symptomfreien Intervall in einem von der Gicht management of gout. Ann Rheum Dis. DOI:10.1136/
annrheumdis-2016-209707
betroffenen, aber zum Zeitpunkt der Punktion
[5] Sautner J, Leeb BJ (2012) Chondrocalcinose. In: Dunky
asymptomatischen Gelenk. A, Graninger W, Herold M, Smolen J, Wanivenhaus A
Was man sich merken soll: Ein gleichzeitiger (Hrsg) praktische Rheumatologie, 5. Aufl. Springer,
Befall mehrerer Gelenke schließt eine Wien, S 392–395
Gichterkrankung nicht aus! Ein fehlender [6] Sautner J, Leeb BJ (2012) Gicht (Arthritis urica). In:
Dunky A, Graninger W, Herold M, Smolen J, Waniven-
Nachweis von Uratkristallen in der Synovial-
haus A (Hrsg) praktische Rheumatologie, 5. Aufl. Sprin-
flüssigkeit schließt eine Gicht ebenfalls nicht ger, Wien, S 384–391
aus! Zur weiteren Abklärung in (diagnostisch) [7] Sautner J, Eichbauer-Sturm G, Gruber J et al. (2015)
schwierigen Situationen ist die DECT eine Österreichische Ernährungs- und Lebensstilempfeh-
moderne, nichtinvasive und effektive Methode lungen bei Gicht und Hyperurikämie. Z Rheumatol
74(7):631–636
zur Detektion von HS-Kristallen (aber derzeit
[8] Schumacher HR Jr, Becker MA, Lloyd E (2009) Febu-
noch in wenigen Zentren verfügbar). xostat treatment in gout. 5 year findings of the FOCUS
11 efficacy and safety study. Rheumatology 48(2):
188–194
[9] Terkeltaub RA, Furst DE, Bennett K et al. (2010) High
11.2 Chondrokalzinose versus low dosing of oral colchicine for early acute gout
flare: 24 h outcome of the first multicenter, randomi-
zed, double-blind, placebo-controlled, parallel-group,
Die Chondrokalzinose (Synonym: Pyrophosphatgicht, dose-comparison colchicine study. Arthritis Rheum
Pseudogicht) ist die zweithäufigste Form der Kristallar- 62(4):1060–1068
thropathien und die häufigste Monoarthritis des alten [10] Underwood M (2006) Diagnosis and management of
gout. BMJ 332:1315–1319
Menschen. Durch Ablagerung von Kalziumpyrophos-
[11] Winzer M, Gräßler J, Aringer M (2007) Kristallarthropa-
phatdihydrat(CPPD)-Kristallen im Faser- und hyali- thien – alt, aber wichtig. Z Rheumatol 66:317–325
nen Knorpel kommt es zur Auslösung einer akuten [12] Zhang W, Doherty M, Pascual E et al. (2006) EULAR evi-
Synovitis, bevorzugt im Kniegelenk. Die idiopathische dence based recommendations for gout. Part I: Diagno-
Erkrankung kommt hereditär-familiär und in spätem sis. Report of a task force of the Standing Committee
for International Clinical Studies Including Therapeutics
Erwachsenenalter auch sporadisch vor. Eine sekundäre
(ESCISIT). Ann Rheum Dis 65:1301–1311
Form der Chondrokalzinose wird im Zusammenhang [13] Zhang W, Doherty M, Bardin T et al. (2006) EULAR
mit metabolischen und endokrinologischen Erkran- evidence based recommendations for gout. Part II:
kungen (z. B. Hämochromatose, Hyperparathyreo- Management. Report of a task force of the EULAR
dismus u. a.) beobachtet. Die Pathophysiologie der Standing Committee for International Clinical Studies
Including Therapeutics (ESCISIT). Ann Rheum Dis
Erkrankung ist nicht vollständig geklärt, eine kausale
65:1312–1324
Therapie existiert nicht. Die akuten Anfälle werden
ebenso wie die Gicht mit NSAR oder GC (systemisch
und lokal i.a.) behandelt. Dasselbe gilt im Wesentli-
chen für die Hydroxyapatit-Krankheit, eine noch sel-
tenere Kristallarthropathie [5].
153 12
Fibromyalgie
Rudolf Puchner
Literatur – 155
Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) ist ein chro- Tender points finden sich beidseitig an folgenden 9
nisches Schmerzsyndrom, das charakterisiert ist Lokalisationen:
durch eher diffuse Schmerzen des Muskelapparats 44Kopf: Ansatz der subokzipitalen Muskulatur
und des Skelettes in mehreren Körperregionen. Als 44Untere Halswirbelsäule: Zwischenräume der
Begleitsymptome werden Morgensteifigkeit, Müdig- Querfortsätze der Halswirbelsäule in Höhe
keit, Schlafstörungen und häufig eine depressive C5–C7
Stimmungslage angegeben. Häufiger sind Frauen 44Trapezius: Mitte des oberen Randes des M.
als Männer betroffen. Die Prävalenz wird auf fast trapezius
5% aller weiblichen Personen in den europäischen 44Supraspinatus: Ursprung am oberen medialen
Ländern geschätzt. Die Inzidenz steigt mit zuneh- Skapularand
menden Alter, vor allem nach der Menopause [2], 442. Rippe: Knorpel-Knochen-Grenze
[9], [11], [14]. 44Ellenbogen: 2 cm distal des Epicondylus lateralis
Die Pathophysiologie ist nach wie vor nicht 44Glutealregion: oberer äußerer Quadrant
geklärt. In der Pathogenese ist eine Veränderung der 44Trochanter major
zentralen Schmerzwahrnehmung von großer Rele- 44Knie: mediales Fettpolster, proximal des
vanz. In den letzten Jahren wurde von einer mögli- Gelenkspalts
chen Mittelbeteiligung kleinkalibriger Nervenfasern
(„small fibers“) berichtet [1], [10]. Ein Schmerzpunkt gilt als „positiv“, wenn bei einem
Angststörungen und die Somatisierung sowie Druck mit 4 kg/cm2 vom Patienten ein Schmerz
psychische Traumata in der Kindheit und eine post- angegeben wird. Für die Praxis reicht der Druck mit
traumatische Belastungsstörung gelten als wichtige der Fingerspitze. Ein Druck von 4 kg/cm2 ist etwa
Prädiktoren für die Entwicklung einer Fibromyalgie. dann erreicht, wenn sich das Gewebe unter dem Fin-
Nach Virusinfektionen tritt die Fibromyalgie eben- gernagel bei der Palpation weiß färbt.
falls gehäuft auf. Auch im Rahmen chronisch ent- Früher galt eine Schmerzangabe bei Druck auf
zündlich-rheumatischer Erkrankungen ist das Risiko sogenannte Kontrollpunkte (z. B. Daumennagel,
an einer Fibromyalgie zu erkranken, erhöht [9], [10], Unterarmbeugeseite etc.) als Ausschlusskriterium
[11], [14]. für eine Fibromyalgie. Die Schmerzempfindlichkeit
12 über den Kontrollpunkten kann jedoch bei Fibro-
z Diagnostik myalgiepatienten ebenfalls erhöht sein. Die Tender
Die Diagnose beruht unter anderem auf dem Nach- Points und ihre Bedeutung für die Diagnose werden
weis erhöhter Druckempfindlichkeit bzw. von seit Langem international diskutiert.
Druckschmerzen an bestimmten Sehnenansatzstel- Auf jeden Fall sollte sich die Diagnose einer Fib-
len (typische Fibromyalgie-Druckpunkte, „Tender romyalgie nicht ausschließlich auf die Kriterien
Points“) [5], [6], [8]. des ACR stützen, sondern den Gesamtzustand des
Die Klassifikationskriterien des American Patienten berücksichtigen. Wenn alleine die Tender
College of Rheumatology (ACR) von 1990 wurden Points positiv sind, aber die Begleitsymptome wie
ursprünglich zur Einteilung bei klinischen Studien Müdigkeit, Schlafprobleme und Konzentrationsstö-
definiert, werden aber bei FMS-Patienten auch heute rungen fehlen, gilt die Diagnose einer Fibromyalgie
noch häufig im klinischen Alltag zur Diagnostik ein- als unwahrscheinlich [7], [8], [14].
gesetzt [13]: Im Jahre 2010 wurden „vorläufige“ ACR-Diagno-
44Schmerzen in verschiedenen Körperregionen sekriterien publiziert, die anstelle der Tender Points
über mindestens 3 Monate 19 Schmerzregionen auflisten, woraus ein Schmerz-
44Schmerzen in der rechten und linken index ermittelt wird. Zudem wurde eine Symptom-
Körperhälfte schwere-Skala entwickelt, woraus sich ein Wert
44Schmerzen ober- und unterhalb der Taille berechnen lässt, der die vielen Begleitsymptome für
44Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule die Diagnose berücksichtigt. Sie sollen aber zumin-
44Schmerzen bei der Palpation von mindestens dest vorläufig die Kriterien von 1990 nicht ersetzen,
11 von 18 Tender Points sondern vor allem dann zur Anwendung kommen,
Literatur
155 12
wenn eine Untersuchung der Tender Points nicht
oder nur unzureichend möglich ist [9], [12]. Angabe, ob der Patient somatische Symptome
aufweist:
0 keine Symptome
Vorläufige Diagnosekriterien für Fibromy- 1 wenige Symptome
algie der ACR 2010 2 eine mittlere Zahl von Symptomen
Ein Patient erfüllt die diagnostischen Kriterien 3 ein hohes Maß an Symptomen
der Fibromyalgie, wenn die folgenden 3
Bedingungen erfüllt sind [12]: Der SS-Skala-Wert ist die Summe der Schwere
1. Widespread-Pain-Index (WPI) ≥7 und Wert der 3 Symptome (Fatigue, unerholtes
auf der Symptomschwere(SS)-Skala ≥5 Aufwachen, kognitive Symptome) plus das
oder WPI 3–6 und SS-Skala-Wert ≥9 Ausmaß (die Schwere) somatischer Symptome
2. Die Symptome bestehen seit mindestens 3 allgemein. Der Endwert liegt zwischen 0
Monaten in ähnlicher Stärke und 12.
3. Der Patient bietet keine Hinweise auf
eine Erkrankung, die die Schmerzen
anderweitig erklären könnte.
z Therapie
WPI Die Behandlung beinhaltet Schulung, kognitive Ver-
Bestimmung der Anzahl der Areale, in denen haltenstherapie, medikamentöse und physikalische
der Patient in der letzten Woche Schmerzen Maßnahmen.
hatte. Der Wert liegt zwischen 0 und 19. Bewegungstherapie und körperliches Training
55Schultergürtel links/rechts sind ein wichtiger Bestandteil der Behandlung.
55Hüfte (Gesäß, Trochanter) links/rechts Fibromyalgiepatienten sollten, wenn möglich, zu
55Kiefer links/rechts einer körperlichen Aktivität ermuntert werden.
55Oberer Rücken Die Pharmakotherapie umfasst trizyklische
55Unterer Rücken Antidepressiva wie Amitriptylin, selektive Seroto-
55Oberarm links/rechts nin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Seroto-
55Oberschenkel links/rechts nin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)
55Brustkorb wie Duloxetin und Venlafaxin.
55Nacken Eine Wirksamkeit von Antikonvulsiva wie
55Abdomen Gabapentin und Pregabalin wurde in kontrollierten
55Unterarm links/rechts Studien nachgewiesen.
55Unterschenkel links/rechts Tramadol wirkt bei einem Teil der Fibromyalgie-
patienten. NSAR und Glukokortikoide haben übli-
SS-Skala-Wert cherweise keinen Effekt.
Angabe des Schweregrads für jedes der 3 der In jedem Fall ist eine interdisziplinäre Behand-
folgenden Symptome in der vergangenen lung und Betreuung gefordert [3], [4], [7], [9].
Woche: Fatigue, unerholtes Aufwachen,
kognitive Symptome:
Literatur
0 kein Problem
1 unbedeutende oder leichte Probleme, allge- [1] Abeles AM, Pillinger H, Solitar BM, Abeles M (2007) Nar-
mein geringfügig oder intermittierend rative review: the pathophysiology of fibromyalgia. Ann
2 mittelgradige, beträchtliche Probleme, oft Intern Med 146:726–734
und/oder in mittlerer Stärke vorhanden [2] Branco JC, Bannwarth B, Failde I et al. (2009) Prevalence
3 schwere, tiefgreifende, kontinuierliche, le- of fibromyalgia: a survey in five European countries.
benseinschränkende Probleme Semin Arthritis Rheum 39:448–453
156 Kapitel 12 · Fibromyalgie
Literatur – 160
Wer viele Jahre als Internist und Rheumatologe Entsprechend der Stresshypothese werden
arbeitet, wird wahrscheinlich des Öfteren mit (belastende) Reize über die individuelle Wahrneh-
Fragen solcher oder ähnlicher Art von Patienten mung als Stressoren empfunden und dies führt in
konfrontiert: Abhängigkeit der Bewältigungsmechanismen des
44Hat ein Patient mit rheumatoider Arthritis eine Individuums im ungünstigen Fall zu Stress, der nun
charakteristische Persönlichkeit [22]? wiederum die Ausbildung oder den Verlauf einer
44Gibt es Merkmale der Persönlichkeit, die zu rheumatoiden Arthritis beeinflusst.
einer rheumatoiden Arthritis führen können? Während des letzten Jahres vor Beginn der
44Gibt es (emotionale) Ereignisse (Stressoren), Erkrankung waren signifikant mehr psychologische
die eine rheumatoide Arthritis auslösen Stressoren und familiäre Konflikte auffällig [3], [10].
können? Familiäre Probleme, Scheidung, Tod von Angehöri-
gen bzw. eine Veränderung der gewohnten Lebens-
Alexander postulierte 1950 für Patienten einer chro- situation werden vor Ausbruch der Erkrankung
nischen Arthritis einen gemeinsamen psychodyna- gehäuft beschrieben [23].
mischen Hintergrund. Typische Merkmale seien:
ruhig, bescheiden, selbstaufopfernd, perfektionis-
tisch, nach innen gekehrt. Ursache sei eine Aggres- Prominentes kurzes Fallbeispiel
sionshemmung und diese führe in der Folge zu einer „Dann lernte ich Barbara kennen … und
Autoaggression(skrankheit) [1]. Diese Hypothese meine rheumatoide Arthritis verschwand
konnte aber nicht bestätigt werden. praktisch ganz. Barbara war jung und
Untersuchungen mit standardisierten Metho- schön, ich ließ mich von meiner ersten Frau
den und evaluierten Testinstrumenten ergaben, scheiden und heiratete sie. Ich kann Ihnen
dass sich Persönlichkeitsstrukturen von Patienten keine wissenschaftliche Erklärung für meine
mit rheumatoider Arthritis nicht von anderen chro- geradezu dramatische Besserung bieten,
nisch Erkrankten unterscheiden, wenn sie in Früh- aber ich kann sagen, dass die Begegnung
stadien der Erkrankung erfasst werden. Die Persön- mit Barbara eine solche Harmonie in
lichkeitseigenschaften (z. B. gehemmte Aggressivität, meinem ganzen körperlichen und geistigen
Duldsamkeit, Aufopferung usw.) sind nicht als Prä- Leben bewirkte, dass ich auf Jahre keine
disposition zur Arthritis, sondern als Folge dieser Medikamente benötigte.
13 chronischen Erkrankung zu interpretieren [2], [16], Dann setzten die Anfälle wiederum ein … die
[18], [28], [29]. Situation verschlechterte sich massiv, als mir
Es konnte keine Persönlichkeitskonstellation Barbara eines Tages eröffnete, dass sie sich von
nachgewiesen werden, von der angenommen werden mir scheiden lassen wollte.“ [4].
kann, dass sie bereits vor der Erkrankung wirksam
war und die Entwicklung der Erkrankung begüns-
tigt hat.
Ebenso konnte kein allgemein gültiges Persön- 13.1 Rheumatoide Arthritis und
lichkeitsprofil gefunden werden, das auf alle Patien- Verlauf: psychosomatische
ten mit Polyarthritis zutrifft. Aspekte
In einer Untersuchung mit 226 Patienten aus
dem Jahr 2009 konnte ebenfalls kein statistisch signi- Der Verlauf der Erkrankung wird beeinflusst durch
fikanter Unterschied im psychologischen Profil von das Vorhandensein psychischer Konflikte und durch
Rheumapatienten und Kontrollpersonen erhoben die Art des Umgangs damit, des Weiteren durch die
werden [26]. bewusste und unbewusste Einstellung (Coping) zur
Eine große Anzahl von Untersuchungen belegte Erkrankung insgesamt. Eine passiv hinnehmende
in den 1980er Jahren einen Zusammenhang zwi- Einstellung, zusammen mit einer niedrigen Einschät-
schen belastenden Lebensereignissen („life events“) zung eigener Beeinflussungsmöglichkeiten („self-effi-
oder Stressoren und Krankheitsausbruch [3], [7]. cacy“, Selbstwirksamkeit), ist mit Hoffnungslosigkeit
13.2 · Depression bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
159 13
und Depression verbunden. Angst und Depression aus. Proinflammatorische Zytokine (Interleukin-6
führen zu einem deutlich schlechteren Krankheits- und -1) dürften den Metabolismus der Neuro-
verlauf [8], [9], [10], [11], [12], [13], [32]. transmitter im Gehirn negativ beeinflussen. Umge-
Erlernte Hilflosigkeit („ich hatte nie Glück“, „da kehrt begünstigt die Depression einen ungesunden
kann man halt nichts machen“) sowie „Katastrophie- Lebensstil, vermindert die Adhärenz und fördert so
ren“ führt zu signifikant stärkeren Schmerzen und die Entzündung [19], [27].
schlechterem Funktionsstatus. Bei jedem Patienten mit einer entzündlichen
Der Krankheitsverlauf kann günstig beeinflusst Gelenkerkrankung sollte an das mögliche Vorliegen
werden, wenn Stressoren fehlen und sich der Patient einer Depression gedacht werden. Die Bejahung der
mit seiner Erkrankung auseinandersetzt. Wenn er beiden Fragen: „Haben Sie sich in den letzten beiden
versucht, persönliche Erfahrung aus der Erkrankung Wochen niedergeschlagen oder depressiv gefühlt?“
zu gewinnen, und wenn er danach trachtet, Infor- und „Haben Sie in den letzten beiden Wochen wenig
mationen einzuholen und aktiv an der Behandlung Interesse und Freude dabei gehabt, etwas zu unter-
mitzuwirken. nehmen?“, lassen an eine depressive Verstimmung
Hilfreich dafür können sein: Selbsthilfegruppen, denken [31].
Rheumaschulen, psychosoziale Interventionen oder Mit dem Beck Depressionsinventar Fast Screen
Gesprächstherapien. (BDI-FS) steht ein validierter Fragebogen mit 7
Wichtig sind zudem ein gutes Arzt-Patienten- Fragen zur Verfügung, der sich sehr gut für Patienten
Verhältnis und ein funktionierendes soziales Netz- mit chronisch entzündlichen Erkrankungen eignet,
werk [13], [30], [32]. weil er keine somatischen Fragen enthält [6], [21].
Bei entsprechender Routine kann der Verdacht auf
eine Depression oder eine depressive Verstimmung
13.2 Depression bei entzündlich- in der Praxis in kurzer Zeit gestellt werden. Bei der
rheumatischen Erkrankungen Abklärung ist zu bemerken, dass typische Anzeichen
einer Depression, wie Müdigkeit, Antriebslosigkeit
Die Prävalenz einer Depression beträgt bei rheuma- und Schlafstörungen, auch Symptome der rheumato-
toider Arthritis zwischen 10 und 45%. Verschiedene iden Arthritis selbst sein können. Eine Zusammen-
Messinstrumente, unterschiedliche Beobachtungs- arbeit mit Psychotherapeuten und Psychiatern ist
zeiträume und kulturelle Unterschiede werden als empfehlenswert und vor allem auch in Hinblick auf
Erklärung für die breite Spanne diskutiert [11], [12]. eine antidepressive Medikation notwendig.
Eine aktuelle Metaanalyse aus 72 Studien mit 13.189
Patienten zeigte bei 16,8% der Patienten eine Major z Therapieoptionen bei Depression
Depression [24]. Die Inzidenzraten entsprechen und depressiver Verstimmung
denen anderer entzündlich-rheumatischer Erkran- Entspannungstechniken, wie progressive Muskelent-
kungen. Die Prävalenz wird bei systemischem Lupus spannung und autogenes Training, sind von Patien-
erytematodes mit 17–75% [25], bei Psoriasisarthritis ten selbst erlernbar und geben ihnen das Gefühl der
mit 22 bzw. 37% bei polyarthritischem Verlauf [20] Selbstwirksamkeit [23]. Eine kognitive Verhaltens-
und bei ankylosierender Spondylitis mit 15% ange- therapie kann innerhalb von nur 10–15 Sitzungen
geben [15]. eine Verbesserung der Situation bringen. Mit Anti-
Als Ursache einer Depression werden gesehen: depressiva steht eine wirksame und gut verträgli-
die Konfrontation mit einer chronischen Erkran- che medikamentöse Therapieoption zur Verfügung.
kung, ungünstige Strategien zur Situationsbewälti- Moderne Antidepressiva führen nicht zu Verän-
gung, bisherige (mangelnde) Behandlungserfolge derungen von Kognition und Persönlichkeit und
und entzündlich bedingte Schmerzen, Müdig- machen nicht abhängig. Ein schlafanstoßender Effekt
keit, eine Schlafstörung sowie eine Funktionsein- (bei einigen Substanzen wie Trazadon gegeben) tritt
schränkung der betroffenen Gelenke [5], [11], [12]. bei manchen Patienten bereits nach der ersten Gabe
Man geht heute von einem bidirektionalen Zusam- ein. Mit einer antidepressiven Wirkung kann nach
menhang zwischen Depression und Entzündung 10–14 Tagen gerechnet werden. Ist dies nicht der
160 Kapitel 13 · Rheuma und Psyche
Fall, sollte die Dosis des Antidepressivums gestei- [18] Köhler T (1992) Psychologische Modelle zur Genese der
rheumatoiden Arthritis. In: Basler HD, Refisch AD, Zink A
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Duloxetin zeigen zudem eine gute Wirkung gegen [19] Kojima M, Kojima T, Suzuki S et al. (2009) Depression,
den Schmerz [14], [17]. inflammation, and pain in patients with rheumatoid
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161 14
Medikamentöse Therapie
entzündlich-rheumatischer
Erkrankungen
Rudolf Puchner
Literatur – 177
14.1 Historischer Überblick Die Ära der Basistherapeutika begann 1929 mit
dem Einsatz von Goldsalzen in der Behandlung der
Schon in der Antike wurde die Herbstzeitlose aus rheumatoiden Arthritis durch Forestier.
Asien gebracht und zunächst als Heilmittel gegen die 1993 erfolgte die erste erfolgreiche Anwendung
Gicht eingesetzt, dann vorübergehend vergessen und des TNF-α-Blockers Infiliximab bei rheumatoider
einige Jahrhunderte später als „Allheilmittel“ auch Arthritis. Damit wurde ein neues Zeitalter in der
gegen alle Gelenkerkrankungen empfohlen. Noch Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkran-
heute ist das aktive Alkaloid der Herbstzeitlose, das kungen eingeleitet (7 Übersicht).
Colchicin, eine Standardtherapie der Gichterkran-
kung und wird erfolgreich zur Behandlung des Fami-
liären Mittelmeerfiebers eingesetzt. Medikamentöse Therapie der rheumatoi-
Im Jahr 1949 begann die moderne Ära der nicht- den Arthritis im Wandel der Zeit [5], [6], [17]
steroidalen Antirheumatika (NSAR) mit der Synthe- 551903
tisierung von Phenylbutazon (Butazolidin). 1958 –– Akuter Rheumatismus: Salizylpräparate
wurde Indomethacin entwickelt, in weiterer Folge –– Ersatzmittel: Antipyrin, Phenacetin
zahlreiche weitere Antirheumatika. 1971 beschrieb –– Chronischer Rheumatismus: Colchicin,
Sir John Vane den Wirkungsmechanismus der Anal- Jodkali, Salizylpräparate [6]
getika durch eine Hemmung der Prostaglandinsyn- 551951
these durch das Enzym Zyklooxygenase. 1989 ent- –– Salizylpräparate (bei akutem Schub)
deckte Needleman das Vorhandensein von zwei –– Goldsalze
Zyklooxygenasen (COX-1 und COX-2). –– Extrakte der Nebennierenrinde
Reverend Edmund Stone aus Oxfordshire beob- (Kortison) seit 1948 (Kendall und Hensch,
achtete die gute Wirkung von Weidenrinde gegen Mayo-Klinik) [5]
Schmerzen und Fieber und schrieb im Jahre 1763 551990
einen Brief über die erfolgreiche Behandlung von 50 –– „Abwartend“
Patienten an die Royal Society in London. –– NSAR
Johann Buchner vom Pharmakologischen Ins- –– Kortison
titut in München isolierte im Jahre 1828 erstmals –– Basistherapie mit Gold, Methotrexat
die aktive Komponente dieser Weidenrinde, die er (MTX) etc.
Salizyl nannte. Die Salizylsäure wurde in der Folge 552010
bei Gelenkrheumatismus eingesetzt, nach der Syn- –– „Früh und aggressiv“
these von Hoffmann wurde 1899 erstmalig Azetyl- –– Kortison
14 salizylsäure von der Firma Bayer kommerziell als –– Basistherapie (höhere MTX Dosen,
Aspirin verwendet. Kombinationstherapien, Biologika)
Kortison wurde 1948 erstmals durch Kendall
und Hensch an der Mayo-Klinik zur Behandlung der
chronischen Polyarthritis eingesetzt. Es zeigten sich
spontane und dramatische Erfolge; jedoch war man 14.2 Medikamentöse
nach anfänglicher Euphorie aufgrund der Nebenwir- Schmerztherapien
kungen, die in hohen Dosen verabreicht bei einer
Langzeittherapie auftraten, sehr ernüchtert. Daher 14.2.1 Analgetika
versucht man heute, nur kurzfristig höhere Dosen
in Schubsituationen zu verabreichen und wenn not- Analgetika haben die Beseitigung des Symptom-
wendig, Langzeittherapien mit der niedrigst mög- schmerzes zum Ziel. Sie beseitigen nicht die Ursache
lichen Dosis durchzuführen. Verzichten kann man des Schmerzes und beeinflussen nicht die Entzün-
auf dieses Medikament bei entzündlichen rheuma- dung. Diese Gruppe von Schmerzmitteln wird ein-
tischen Erkrankungen nicht. gesetzt bei weichteilrheumatischen Beschwerden, bei
14.2 · Medikamentöse Schmerztherapien
163 14
degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenbeschwer- Obwohl die meisten Autoren eine (physische)
den und eventuell als zusätzliche Therapie mit NSAR, Abhängigkeit bei moderater und zeitlich limitierter
zur Verstärkung der schmerzlindernden Wirkung. oraler Einnahme für unwahrscheinlich halten, sei
doch auf die Möglichkeit hingewiesen.
Paracetamol Dazu gehören Nichtopiate wie Para- Bei schweren Schmerzzuständen wie z. B. Band-
cetamol. Diese Substanz wird zur Schmerzlinderung scheibenschäden oder schweren Gelenkdestruktio-
und Fiebersenkung auch häufig bei grippalen Infek- nen (z. B. Wirbelkanalkompression bei atlantoaxia-
ten bis zu einer Dosis von 2–3 g pro Tag eingesetzt ler Dislokation) können auch stark wirksame Opiate
(z. B. Mexalen). Hohe Einzeldosen sind lebertoxisch. eingesetzt werden.
Insgesamt werden aber bei akut und chronisch
Metamizol Metamizol (z. B. Novalgin) wird eben- entzündlichen Gelenkerkrankungen stark wirksame
falls zur Behandlung von Schmerzzuständen und Opiate in der Regel nicht benötigt und eingesetzt.
zur Fiebersenkung eingesetzt. Wegen seltener, aber
gefürchteter Nebenwirkungen vor allem bei paren-
teraler Gabe (Agranulozytose, Anaphylaxie) wird die 14.2.3 Nichtsteroidale Antirheumatika
Substanz fast ausschließlich in oraler Form verwen- (NSAR)
det. Es wurde aufgrund dieser Nebenwirkungen in
einigen Ländern vom Markt genommen bzw. nicht NSAR hemmen die Funktion von Prostaglandinen,
zugelassen. die im traumatisierten bzw. entzündeten Gewebe,
Kombinationspräparate führen meist zu keiner aber auch im Gefolge von Gewebsschäden im zen-
Wirkungsverbesserung, eine Kombination mit tralen Nervensystem gebildet werden. Prostagland-
Koffein ist wegen einer möglichen Abhängigkeits- ine werden aus Arachidonsäuren durch das Enzym
entwicklung umstritten [1]. Zyklooxygenase (COX) synthetisiert. Seit 1989 weiß
man, dass es zwei Subtypen von Zyklooxygenasen
gibt, die Zyklooxygenase 1 (COX-1) und die Zyklo-
14.2.2 Schwach wirksame Opiate oxygenase 2 (COX-2). Prostaglandine sind nicht nur
für die Schmerzentstehung verantwortlich, sondern
Schwach wirksame Opiate werden bei chronischen haben auch „gute“ Eigenschaften, sie fördern die
Schmerzen eingesetzt, die alleine durch Analgetika Zellregeneration, Schleimproduktion und Durch-
oder NSAR nicht behandelt werden können. Eine blutung im Magen. Daneben beeinflussen sie auch
Therapie mit Opiaten wird bei entzündlich-rheu- Vorgänge der Blutgerinnung etc. Die Schmerzent-
matischen Erkrankungen kontrovers diskutiert. Die stehung wird durch das Enzym COX-2, die letzt-
Anwendung schwach wirksamer Opiate ist möglich genannten Eigenschaften durch COX-1 vermittelt.
bei chronischen Rückenschmerzen infolge degene- Alle herkömmlichen NSAR vermitteln ihre Wirkung
rativer Veränderungen und als Zusatztherapie bei durch eine Blockade der Zyklooxygenasen 1 und 2,
entzündlichen Gelenkerkrankungen, wenn NSAR d. h., sie beeinflussen die Schmerzentstehung, aber
alleine nicht ausreichen, oder bei Schmerzzustän- sie hemmen auch z. B. die Durchblutung, Zellrege-
den, die im Gefolge sekundärer Arthrosen auftreten. neration und Schleimbildung im Magen. Dies führt
zu den gefährlichen Nebenwirkungen der NSAR wie
Tramadol Tramadol wird in Form von Tropfen, Magengeschwüre, Magenblutung und Perforation.
Kapseln oder als Retard-Präparat verabreicht, in In den letzten Jahren gelang es, nach Entdeckung
Dosen von 50–100 mg 2- bis 3-mal pro Tag, die Maxi- der COX-2, Substanzen (Coxibe) zu entwickeln, die
maldosis beträgt 400 mg. allein COX-2 hemmen und dadurch eine insbeson-
dere im Bezug auf den Magen-Darm-Trakt wesent-
Dihydrocodein Auch das stärker wirksame Dihy- lich geringere Nebenwirkungsrate aufweisen.
drocodein kann in einer Dosierung von 2-mal 60 bis NSAR werden rasch im Magen-Darm-Trakt
2-mal 120 mg pro Tag verabreicht werden. aufgenommen. Durch Eiweißbindung reichern
164 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
sie sich vor allem im entzündeten Gewebe, aber Bei fehlendem Ansprechen sollte spätestens
auch im Magen-Darm-Trakt, in der Niere und im nach 1 Woche ein Wechsel auf ein anderes Anti-
Knochenmark an. Sie bewirken eine Senkung der rheumatikum erfolgen. Eine Kombination meh-
Erregbarkeit von Schmerzrezeptoren und im Zent- rerer Antirheumatika ist nicht zulässig, wohl aber
ralnervensystem durch Blockade der Prostaglandin- kann bei ungenügender Wirksamkeit von NSAR
synthese ebenso eine Schmerzhemmung und eine ein schwach wirksames Opiat zugegeben werden.
Fiebersenkung. Bei längerer Einnahme sind Blutkontrollen (Leber-
Zudem wirken sie antiphlogistisch. Sie werden und Nierenwerte, Blutbild) in 3-monatigen Abstän-
bei allen Formen der entzündlichen Gelenkerkran- den empfehlenswert.
kungen, aber auch bei degenerativen Gelenk- und Bei den herkömmlichen Antirheumatika kommt
Wirbelsäulenbeschwerden und bei Zahnschmerzen es nicht selten, insbesondere in höherer Dosierung,
mit Erfolg eingesetzt (. Tab. 14.1) [1]. zu Nebenwirkungen am Magen-Darm-Trakt im
14.4 Konventionelle synthetische von Chloroquinderivaten kann bei SLE die Schub-
Basistherapeutika (csDMARDs) frequenz und das Auftreten von Sekundärkompli-
kationen verringert werden. Selten werden diese
Basistherapeutika werden eingesetzt, um das Fort- Präparate bei milden Formen einer rheumatoiden
schreiten der rheumatoiden Arthritis zu verhindern Arthritis oder im Rahmen einer Kombinationsthe-
oder zumindest zu verzögern. Diese sind eine ent- rapie verwendet. Bei vergleichbarer Wirksamkeit ist
scheidende, wenn nicht die entscheidende Säule in Hydroxychloroquin (Quensyl) besser verträglich als
der Behandlung der rheumatoiden Arthritis. Basis- Chloroquin (Resochin). (In Österreich ist derzeit
therapeutika (Synonym DMARDs, „Disease Modi- nur das Präparat Resochin im Handel.) Ihre posi-
fying Antirheumatic Drugs“) haben keine primär tive Wirkung auf den Gelenkschmerz wurde zufällig
schmerzlindernde Wirkung. Sie beeinflussen das von Page im Jahre 1951 entdeckt, als er Patienten mit
Fortschreiten der Erkrankung, insbesondere sollen SLE und Gelenkbeteiligung erfolgreich behandelte.
sie die Zerstörung von Knorpel und Knochen verhin- Chloroquin wird in Form von 1 Tablette zu
dern. Während man früher, d. h. noch vor wenigen 250 mg pro Tag eingenommen, Hydroxychloroquin
Jahrzehnten, primär eine Schmerztherapie emp- gewichtsadaptiert (1–2 Tabletten zu 200 mg pro Tag);
fohlen hat und erst nach einer längeren Beobach- die Verträglichkeit ist gut. Seltene, aber gefährli-
tungsperiode die damals zur Verfügung stehenden che Nebenwirkungen betreffen das Auge. Chloro-
Substanzen einsetzte, hat man heute ein gänzlich quin und Hydroxychloroquin können sich in die
anderes Therapieprinzip. Basistherapeutika sollten Hornhaut einlagern und sehr selten eine irreversi-
so früh wie möglich, d. h. innerhalb von 3 Monaten ble Retinopathie hervorrufen. Daher muss vor und
nach Beginn der rheumatoiden Arthritis verord- unter Therapie alle 3–4 Monate eine augenfachärzt-
net werden, um eine wirkungsvolle Beeinflussung liche Untersuchung durchgeführt werden. Die Ein-
des Krankheitsverlaufs zu gewährleisten. Man weiß lagerung in die Hornhaut bildet sich nach Absetzen
heute, dass die Zerstörung des Gelenkes bereits sehr des Medikamentes wieder zurück. Chloroquinderi-
frühzeitig auftritt und dass nach 2 Jahren schon Teile vate wirken wie alle Basistherapeutika verzögert, ein
des Gelenkes unwiderruflich zerstört sein können. Wirkungseintritt ist meist erst nach 2–3 Monaten zu
Wird eine Basistherapie zu spät begonnen, ist der bemerken [1], [12].
Effekt daher ein geringerer.
Jeder Patient mit einer chronischen Gelenker-
krankung sollte daher, wenn keine Kontraindika- 14.4.2 Sulfasalazin (SSZ)
tionen bestehen, mit einer suffizienten Basisthera-
pie behandelt werden. Der Wirkungsmechanismus Sulfasalazin (Markenname Salazopyrin) wurde erst-
14 der meisten Basistherapeutika ist nach wie vor nicht mals 1941 von Nana Svartz zur Behandlung der chro-
gänzlich geklärt. Sie greifen bei entzündlich-rheu- nischen Polyarthritis, der chronisch entzündlichen
matischen Erkrankungen direkt in den Krankheits- Darmerkrankungen und der damit assoziierten
mechanismus ein und haben das Ziel, die Krankheit Gelenkbeschwerden erfolgreich eingesetzt und hat
langfristig zu unterdrücken. Die Wirkungsintensität sich zur Behandlung von Morbus Crohn und Colitis
und die Verträglichkeit sind bei den einzelnen Medi- ulcerosa seit Langem bewährt. Bezüglich der Effekte
kamenten sehr unterschiedlich [8], [12], [16], [17]. auf die Gelenke geriet es vorübergehend in Verges-
senheit und wurde erst 1978 für die Behandlung der
chronischen Polyarthritis wiederentdeckt. Salazo-
14.4.1 Chloroquin und pyrin wird häufiger in Europa als in Amerika bei
Hydroxychloroquin leichten und mittelschweren Formen einer rheuma-
toiden Arthritis sowie auch zur Behandlung der Pso-
Diese als Mittel gegen Malaria entwickelten Substan- riasisarthritis verwendet. Salazopyrin wird in Form
zen haben einen gesicherten Effekt bei einem sys- von 2-mal 2 Tabletten à 500 mg pro Tag eingenom-
temischen Lupus erythematodes (SLE) und werden men, kann bei Bedarf auch auf 3-mal 2 Tabletten je
als Langzeittherapie eingesetzt. Durch den Einsatz 500 mg gesteigert werden. Der Wirkungseintritt ist
14.4 · Konventionelle synthetische Basistherapeutika (csDMARDs)
167 14
frühestens nach 6 Wochen zu bemerken. Seltene,
aber typische Nebenwirkungen sind Kopfschmer- Woche und Steigerung auf 4 Tabletten zu je
zen und Schwindelzustände, generalisierte Exan- 500 mg per die ab der 4. Behandlungswoche).
theme und Blutbildveränderungen, die zur Beendi- Die Patientin berichtete über eine sukzessive
gung dieser Medikation führen [1]. Besserung, die GC konnten in der 7.
Behandlungswoche (zuletzt wurde 6,25 mg
Prednisolon per die eingenommen) abgesetzt
Fallbeispiel: 69-jährige Patientin mit werden, Sulfasalazin wurde gut vertragen. Die
Schwellung der Fingergelenke Gelenkschmerzen bildeten sich zurück und
Eine 69-jährige Patientin präsentierte sich nach 3 Monaten war die Patientin – wie sie
erstmals im Jahre 2006 mit Schmerzen in sagte – beschwerdefrei. Bei einer Kontrolle
Fingergrund- und Mittelgelenken. Es zeigten fand sich keine Gelenkschwellung.
sich damals auch 3 Gelenke synovitisch Bei einer Überprüfung nach 6 Monaten war die
geschwollen. Patientin weiterhin in einer stabilen, beschwer-
Die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) war defreien Situation, nur fallweise hatte sie
mit 20 mm in der 1. Stunde mäßig erhöht, der Schmerzen in einem Fingergrundgelenk.
Rheumafaktor war nicht nachweisbar. Es wurde mit der Patientin vereinbart,
Eine Behandlung mit GC wurde eingeleitet Salazopyrin bei fortgesetzter Beschwerde-
und eine Behandlung mit Methotrexat freiheit auf 2 Tabletten zu je 500 mg pro Tag zu
vorgeschlagen. Die Patientin war unter GC reduzieren.
rasch beschwerdefrei, Methotrexat wurde nach
wenigen Wochen wegen gastrointestinaler
Unverträglichkeit von der Patientin selbständig
beendet. Kommentar
Drei Jahre später suchte die Patientin SSZ zeigt gerade bei leichteren Verläufen einer
wiederum eine internistisch/rheumatologische rheumatoiden Arthritis und Psoriasisarthritis
Ordination auf und präsentierte sich mit 2 eine gute Wirksamkeit.
geschwollenen Fingergrundgelenken und
8 druckschmerzhaften Gelenken. Die BSG
betrug in der 1. Stunde 41 mm, Rheumafaktor 14.4.3 Methotrexat (MTX)
und Antikörper gegen zyklische citrullinierte
Peptide (CCP) waren negativ. Radiologisch Methotrexat (Methotrexat Lederle, Ebetrexat, Lan-
zeigten sich Hinweise auf Fingerarthrosen tarel) ist das wichtigste und weltweit am häufigsten
vom Typ Heberden und Typ Bouchard. Usuren eingesetzte Basistherapeutikum. Es wird in Form
kamen nicht zur Darstellung. von Tabletten oder subkutanen oder intramuskulä-
Die Patientin berichtete, dass sie in den ren Injektionen 1-mal pro Woche verabreicht. Die
letzten 3 Jahren nur fallweise NSAR benötigt Dosis variiert zwischen 15 und 30 mg 1-mal pro
und auch über Monate keine Gelenkbe- Woche. Während man in den frühen 1990er Jahren
schwerden hatte. NSAR führten diesmal zu eher niedrige Dosen (10–15 mg) verwendet hat,
keiner Besserung. ist man heute unter guter Kenntnis von Wirkung
Es wurde nun nach entsprechender Aufklärung und Nebenwirkung in der Behandlung aggressiver.
eine Basistherapie mit SSZ eingeleitet, parallel Auch bei der kindlichen Arthritis wird MTX erfolg-
dazu GC in einer Dosis von 25 mg Prednisolon reich eingesetzt. Es hat sich aufgrund seiner guten
per die gegeben (in langsam fallender Wirkung und wegen seiner im Wesentlichen guten
Dosierung). Verträglichkeit als Basistherapeutikum bewährt. Der
SSZ wurde einschleichend verabreicht (Beginn Wirkungseintritt ist wie bei anderen Basistherapeu-
mit 1 Tablette Salazopyrin per die in der 1. tika verzögert und setzt frühestens 6 Wochen nach
Beginn der Behandlung ein.
168 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
Aufgrund möglicher Nebenwirkungen ist bei Immundefekte, bestehende Infektionen, eine höher-
Methotrexat eine engmaschige Überwachung des gradige renale Funktionseinschränkung und ein
Patienten (inklusive Labor und Untersuchung der Kinderwunsch.
Lunge) notwendig. Bei Schwangerschaft, Leber-
und Nierenerkrankungen sowie bei Alkoholmiss-
brauch darf das Präparat nicht verabreicht werden. 14.4.5 Goldpräparate
Zur besseren Verträglichkeit wird an 2 Tagen nach
der MTX-Einnahme ein Folsäurepräparat zugege- Goldpräparate werden seit 1929 als Basistherapeu-
ben. Häufiger wird am Einnahmetag und am Tag tika zur Behandlung der chronischen Polyarthritis
nach der Applikation über Übelkeit und Brechreiz eingesetzt. Der Einsatz der Goldpräparate hat in den
geklagt. Leuko- und Thrombopenien sind selten; letzten Jahren durch die Verwendung von neueren
auf die äußerst seltene Pneumonitis unter MTX Medikamenten an Bedeutung verloren. Sie werden,
ist zu achten (Methotrexat-Lunge). Fieber, Husten wenn überhaupt, nur mehr dann eingesetzt, wenn
und Atemnot zwingen zu sofortigem Abbruch aus Gründen der Unverträglichkeit neuere Basis-
der Behandlung und unverzögerter fachärztlicher therapeutika nicht verwendet werden können. Gold
Behandlung. Aufgrund einer potenziell teratogenen wird in Form von intramuskulären Injektionen ver-
Wirkung ist MTX 3 Monate vor einer Schwanger- abreicht und wurde früher auch noch in Form eines
schaft abzusetzen. Wegen möglicher Nebenwirkun- schwächer wirksamen Präparates in Tablettenform
gen vor allem zu Beginn der Behandlung ist die The- eingenommen. Die Wirksamkeit von Goldsalzen ist
rapie in den ersten 8–12 Wochen alle 2 Wochen, in in ihrer Potenz MTX ähnlich, leider kommt es aber
der Folge alle 6–8 Wochen klinisch und serologisch relativ häufig zu Nebenwirkungen und daher sind
zu überprüfen. Bei eingeschränkter Nierenfunktion regelmäßige klinische und Laborkontrollen unbe-
ist eine Dosisanpassung notwendig; MTX ist kontra- dingt notwendig. Der Wirkungseintritt ist erst nach
indiziert bei einem Serumkreatinin von >1,4 mg/dl ca. 3 Monaten zu erwarten. Häufige Nebenwirkun-
oder einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate gen sind Schädigung der Niere, der Leber, Haut- und
(eGFR) <40 ml/min [1], [10], [12]. Schleimhäute etc. Eine Kontraindikation besteht
ebenfalls in der Schwangerschaft. Unter Goldme-
dikation sollte Sonnenbestrahlung aufgrund mög-
14.4.4 Leflunomid licher hautallergischer Nebenwirkungen vermieden
werden [17].
Leflunomid (Arava) ist zur Behandlung der rheu-
matoiden Arthritis und Psoriasisarthritis zugelas-
14 sen. Es hat eine ähnliche Wirkungspotenz wie MTX 14.4.6 Azathioprin
und wirkt möglicherweise schon 4 Wochen nach
Beginn der Behandlung. Leflunomid wird täglich in Azathioprin (z. B. Imurek, Aminoprin) wird zur
Form von 1 Tablette à 20 mg eingenommen. Auch Behandlung des SLE und zur Behandlung von Vasku-
bei Leflunomid sind wie bei allen anderen Basisthe- litiden eingesetzt; ebenso in der Therapie chronisch
rapien engmaschige klinische und Laborkontrol- entzündlicher Darmerkrankungen. Äußerst selten
len notwendig. Die wichtigsten Nebenwirkungen findet es auch noch Verwendung in der Behandlung
sind Durchfall, Erhöhung der Leberwerte und Blut- der rheumatoiden Arthritis und anderer chroni-
bildveränderungen. Auch seltene, aber gefährliche scher Gelenkerkrankungen. Die übliche Dosierung
Lungenentzündungen sind möglich. Wegen einer beträgt 1–2 mg/kg Körpergewicht, wobei eine Tages-
möglichen teratogenen Wirkung und einer extrem dosis von 150 mg nicht überschritten werden sollte.
langen Halbwertszeit muss Leflunomid 2 Jahre vor Um etwaige Nebenwirkungen rechtzeitig zu erken-
einer geplanten Schwangerschaft abgesetzt werden. nen, wird eine einschleichende Dosis mit 50(–100)
Eine strenge Kontrazeption (bis 2 Jahre nach The- mg pro Tag empfohlen. Selten kann es zu schwer-
rapie) muss gewährleistet sein. Kontraindikatio- wiegenden Blutbildveränderungen (Leukopenie)
nen sind vorbestehende Hepatopathien, schwere kommen, daher ist gerade zu Beginn der Behandlung
14.4 · Konventionelle synthetische Basistherapeutika (csDMARDs)
169 14
eine engmaschige Überwachung und Blutkontrolle gebärfähigen Alter eine begleitende Therapie mit
notwendig [17]. Wie bei allen anderen Medikamen- Gonadotropin-Releasing-Hormon(GnRH)-Analoga
ten sind während der gesamten Einnahmedauer zum Schutz der Ovarien notwendig ist. Als Kontra-
regelmäßige klinische und Laborkontrollen vorge- indikation gelten eine aktive Infektion, Schwanger-
schrieben. Azathioprin darf nicht gleichzeitig mit schaftswunsch, eine Knochenmarkinsuffizienz und
harnsäuresenkenden Medikamenten (Allopurinol) eine (frühere) schwere hämorrhagische Zystitis. Die
verabreicht werden. Einleitung einer Therapie sollte einem rheumatolo-
gischen Zentrum vorbehalten bleiben. Zu Dosierung
(insbesondere der intravenösen Schemata), Kontra-
14.4.7 Ciclosporin (Cyclosporin A) indikationen und Überwachung sei auf die Informa-
tionsblätter der Fachgesellschaften hingewiesen [12].
Ciclosporin (z. B. Sandimmun) ist eine Substanz, die
aus der Transplantationsmedizin stammt. Es wurde
und wird heute, wenn auch sehr selten, zur Behand- 14.4.9 Mycophenolat-Mofetil (MMF)
lung der Psoriasisarthritis und, in Kombination mit
MTX, zur Behandlung der rheumatoiden Arthri- Mycophenolat-Mofetil (CellCept) ist ein Immun-
tis eingesetzt. Als besondere Nebenwirkungen sind suppressivum, das aus der Transplantationsmedizin
Blutdruckerhöhung und ein Anstieg der Nierenwerte bekannt ist. Klinische Studien haben gezeigt, dass
zu erwähnen. Die Dosis muss angepasst werden. es für die Induktion einer Remission bei Lupus-Ne-
Auch hier sind engmaschige klinische und Labor- phritis genauso effektiv ist wie CYC; ebenso zeigt es
überwachungen notwendig. eine gute Wirksamkeit in der Remissionserhaltung.
Auch bei Vaskulitiden und Myositiden wird es mit
Erfolg eingesetzt. Die Dosierung beträgt initial 2-mal
14.4.8 Cyclophosphamid (CYC) 500 mg und wird dann auf 2-mal 1000 mg (eventu-
ell 3-mal 1000 mg) gesteigert. Mit einem Wirkungs-
Cyclophosphamid (z. B. Endoxan) ist ein potentes eintritt ist frühestens nach 4–8 Wochen zu rechen.
Immunsuppressivum und wird zur Behandlung von Im Vergleich zu CYC hat es eine geringere Kanze-
Kollagenosen und Vaskulitiden mit schweren Organ- rogenität und induziert keine sekundäre Ovarial-
beteiligungen eingesetzt. insuffizienz. Formal ist es aber für diese Indikatio-
CYC kann intravenös und oral (50–150 mg/Tag, nen nicht zugelassen. Die Einleitung einer Therapie
Fauci-Schema: 2 mg/kg Körpergewicht/Tag) verab- sollte einem rheumatologischen Zentrum vorbehal-
reicht werden. Bei einer Langzeitgabe ist die kumu- ten bleiben.
lative Dosis zu beachten. Davon abhängig (üblicher- Als häufige Nebenwirkungen sind Infektionen
weise ab einer Gesamtdosis von 24 g) ist mit einem zu nennen, daneben kann es auch zu einer vermehr-
erhöhten Risiko für Infertilität, Knochenmarkschä- ten Körperbehaarung, einer Erhöhung der Leber-
digungen und Malignomen zu rechen (vor allem Bla- werte und zu Blutbildveränderungen (Leukopenien)
senkarzinomen und hämatologischen Neoplasien). kommen. Als Kontraindikation gelten eine aktive
Bei vergleichbarer Wirksamkeit ist im Hinblick auf Infektion sowie Schwangerschaft und Stillzeit. MMF
diese Nebenwirkungen die intravenöse Therapie der muss 6 Wochen vor einer geplanten Schwangerschaft
oralen Behandlung vorzuziehen. Zu den wichtigsten abgesetzt werden (Männer müssen MMF 90 Tage vor
Nebenwirkungen zählt eine hämorrhagische Zysti- geplanter Zeugung absetzen) [12].
tis; daher sollte bei einer intravenösen Stoßtherapie
begleitend Mesna (Uromitexan) gegeben werden.
Weitere Nebenwirkungen sind Übelkeit und Erbre- 14.4.10 Apremilast
chen, Haarausfall, eine Erhöhung der Leberwerte,
Blutbildveränderungen bis zur Panzytopenie und Apremilast (Otezla) ist zur Behandlung der mit-
schwere Infektionen. Zudem kann CYC eine Ova- telschweren und schweren Plaque-Psoriasis
rialinsuffizienz induzieren, sodass bei Frauen im und zur Therapie der aktiven Psoriasisarthritis
170 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
zugelassen und wird den „targeted synthetic“ 14.5.1 Biologisch originäre DMARDs
DMARDs (tsDMARDS) zugerechnet. Der Phospho- (boDMARDs)
diesterase(PDE)-4-Hemmer Apremilast hat vermut-
lich eine schwächere Wirkung auf die Gelenke als z Zugelassene Substanzen
Tumornekrosefaktor(TNF)-Blocker, zudem fehlen Zur Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkran-
noch radiologische Langzeitdaten. Er sollte daher kungen sind die im Folgenden genannten Biologika
vordergründig zum Einsatz kommen, wenn Bio- zugelassen. Für alle Biologika sei auch auf die ent-
logika kontraindiziert, unverträglich oder unwirk- sprechende Fachinformation der European Medi-
sam sind, ebenso wenn Patienten eine parenterale cines Agency (EMA) verwiesen: http://www.ema.
Behandlung ablehnen. Der Einsatz von Apremi- europa.eu/ema/.
last kann aber auch schon nach Versagen eines
csDMARDs erwogen werden. z z TNF-α-Blocker
Dosierung und Applikation: Start in ansteigen- Infliximab Infliximab (Remicade) und bs Infliximab
der Dosierung über 5 Tage bis zu einer Dosis von (Inflectra, Remsima) ist ein chimärer, monoklonaler
2-mal 30 mg per os täglich. Bei schwerer Nierenin- Antikörper (mit 25%igem Mausanteil). Infliximab
suffizienz (Kreatininclearence <30 ml/min) Maxi- wird als Infusion in der Dosis von 3 mg (rheumato-
maldosis 30 mg täglich per os [4]. ide Arthritis) und 5 mg (ankylosierende Spondylitis
und Psoriasisarthritis) pro kg Körpergewicht zu den
Wochen 0, 2 und 6 und danach alle 8 Wochen ver-
14.5 Biologika (biologisch originäre abreicht und ist in der Rheumatologie zur Behand-
und biosimiläre DMARDs: lung der mäßiggradigen bis schweren rheumatoi-
boDMARDs und bsDMARDs den Arthritis, der aktiven und progredient verlau-
fenden Psoriasisarthritis und der schweren aktiven
Um die Jahrtausendwende hat eine neue Behand- ankylosierenden Spondylitis von Erwachsenen
lungsform die Therapie der entzündlich-rheuma- zugelassen.
tischen Erkrankungen revolutioniert. War bis Ende
der 1990er Jahre eine Verminderung der Zahl der Etanercept Etanercept (Enbrel) ist ein humanes
geschwollenen Gelenke und der Schmerzintensität Rezeptorfusionsprotein, das bei Erwachsenen
ein erreichbares und akzeptiertes Ziel, so nehmen wir 2-mal pro Woche in Form von 25 mg oder 1-mal
uns heute vor, bei unseren Patienten einen Zustand pro Woche in einer Dosis von 50 mg subkutan ver-
der Remission bzw. Beschwerdefreiheit zu erreichen. abreicht wird. Etanercept ist in der Rheumatologie
Zytokine spielen als Mediatoren bei immunolo- zur Behandlung der mäßiggradigen bis schweren
14 gischen Vorgängen eine wichtige Rolle. Unter dem rheumatoiden Arthritis, der juvenilen idiopathi-
Einfluss proinflammatorischer Zytokine wie z. B. schen Arthritis, der aktiven und progredient ver-
TNF-α und Interleukin-6 kommt es zur Entwicklung laufenden Psoriasisarthritis, der schweren aktiven
der Gelenkentzündung und im weiteren Verlauf zur ankylosierenden Spondylitis und zur Therapie der
zunehmenden Gewebeschädigung mit Zerstörung nichtradiologischen axialen Spondyloarthritis
von Knorpel und Knochen. zugelassen.
Die zunehmende Kenntnis über die Rolle von
Zytokinen in der Pathogenese entzündlicher Erkran- Adalimumab Adalimumab (Humira) ist ein humaner,
kungen führte zur Entwicklung von Medikamenten, monoklonaler Antikörper und wird bei Erwachsenen
die gegen diese Zytokine gerichtet sind und deren alle 14 Tage subkutan in einer Dosis von 40 mg verab-
Wirkung blockieren bzw. neutralisieren. Diese Medi- reicht. Es ist in der Rheumatologie zur Behandlung der
kamente werden Biologika (Synonym: Biologicals) mäßiggradigen bis schweren rheumatoiden Arthritis,
genannt. TNF-α-Blocker, die die Wirkung des Zyto- der juvenilen idiopathischen Arthritis (ab 13 Jahren),
kins TNF-α blockieren, sind bereits seit der Jahr- der aktiven und progredient verlaufenden Psoriasisar-
tausendwende zur Behandlung entzündlich-rheu- thritis, der schweren aktiven ankylosierenden Spondy-
matischer Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen litis und zur Therapie der nichtradiologischen axialen
zugelassen [3], [7], [16], [17]. Spondyloarthritis zugelassen.
14.5 · Biologika (biologisch originäre und biosimiläre DMARDs
171 14
Golimumab Golimumab (Simponi) ist ein vollstän- Rituximab bei rheumatoider Arthritis gegeben. Ritu-
dig humaner monoklonaler Antikörper, der TNF-α ximab wird als Biologikum der ersten Wahl vor allem
bindet. Der Antikörper wird einmal im Monat sub- in ausgewählten Situationen verabreicht (Lymphom
kutan in einer Dosis von 50 mg appliziert und ist seit und Karzinomanamnese, Tuberkulose oder eben bei
Oktober 2009 für die Behandlung der mäßiggradi- Kontraindikationen gegen TNF-α-Inhibitoren etc.).
gen bis schweren rheumatoiden Arthritis, der aktiven
und progredient verlaufenden Psoriasisarthritis, der z z Abatacept
schweren aktiven ankylosierenden Spondylitis von Abatacept (Orencia) ist ein Fusionsprotein aus der
Erwachsenen und zur Therapie der nichtradiologi- extrazellulären Domäne von CTLA-4 und modifi-
schen axialen Spondyloarthritis zugelassen. ziertem humanem Immunglobulin-G(IgG)-Fc-An-
teil. Abatacept bewirkt eine reduzierte Aktivierung
Certolizumab Pegol Certolizumab Pegol (Cimzia) von T-Lymphozyten durch die Hemmung von kosti-
ist der erste pegylierte, Fc-freie TNF-α-Inhibitor. Bei mulatorischen Signalen. Es ist zur Behandlung der
dem Molekül wurde die Fc-Region – der lange Arm mäßiggradigen und schweren rheumatoiden Arth-
des Y-förmigen Antikörpers – entfernt und eines ritis in Kombination mit MTX und bei idiopathi-
der Fab‘-Fragmente durch Pegylierung, d. h. durch scher juveniler Arthritis zugelassen. Abatacept wird
Verbindung mit Polyethylenglykol stabilisiert. Die bei Erwachsenen in Form einer gewichtsadaptierten
empfohlene Anfangsdosis beträgt 400 mg in Woche Infusion (10 mg/kg Körpergewicht: <60 kg: 500 mg;
0, 2 und 4, gefolgt von 200 mg Certolizumab Pegol 60–100 kg: 750 mg) zu den Wochen 0, 2 und 4 und
als Fertigspritze alle 2 Wochen (subkutan verab- dann alle 4 Wochen verabreicht. Abatacept kann
reicht). Certolizumab ist für die Behandlung der auch subkutan verabreicht werden (125 mg 1-mal/
mäßiggradigen bis schweren rheumatoiden Arthri- Woche).
tis, der aktiven und progredient verlaufenden Pso-
riasisarthritis, der schweren aktiven ankylosieren- z z Tocilizumab
den Spondylitis und zur Therapie der nichtradiolo- Tocilizumab (RoActemra) ist ein humanisierter
gischen axialen Spondyloarthritis bei Erwachsenen monoklonaler IgG1-Antikörper gegen den humanen
zugelassen. Interleukin-6(IL-6)-Rezeptor und ist zur Behand-
lung erwachsener Patienten mit mäßiger bis schwe-
z z Anakinra rer aktiver rheumatoider Arthritis und zur Therapie
Anakinra (Kineret), ein humaner Interleukin-1- der systemischen juvenilen idiopatischen Arthritis
Rezeptorantagonist, wird in einer Dosierung von (sJIA) und der polyartikulären Verlaufsform der JIA
100 mg subkutan 1-mal pro Tag bei aktiver rheu- zugelassen. Die empfohlene Dosierung beträgt für
matoider Arthritis verabreicht. Kineret ist auch zur Erwachsene 8 mg/kg Körpergewicht, einmal alle 4
Behandlung von Cryopyrin-assoziierten periodi- Wochen. Für Personen mit einem Körpergewicht von
schen Syndromen (CAPS) bei Erwachsenen, Jugend- mehr als 100 kg werden Dosierungen über 800 mg
lichen, Kindern und Kleinkindern ab 8 Monaten mit pro Infusion nicht empfohlen. Tocilizumab kann
einem Körpergewicht von mindestens 10 kg indiziert auch subkutan verabreicht werden (162 mg 1-mal/
(1–2 mg/kg täglich subkutan). Woche).
z z Rituximab z z Belimumab
Rituximab (MabThera) ist ein chimärer monoklona- Belimumab (Benlysta) ist ein humaner monoklo-
ler Antikörper gegen CD20, der selektiv CD20+-B- naler Antikörper, der gegen das B-Lymphozyten-
Zellen depletiert. Die Substanz wird in einer Dosie- Stimulatorprotein (BLyS) gerichtet ist. Belimumab
rung von 1000 mg als Infusion 2-mal im Abstand wurde im Juli 2011 als Zusatztherapie bei Erwach-
von 14 Tagen verabreicht. Kann eine Remission mit senen mit aktivem autoantikörper-positivem SLE
konventionellen Basistherapeutika und TNF-α-Blo- mit hoher Krankheitsaktivität trotz Standardthera-
cker(n), Abatacept oder Tocilicumab nicht erreicht pie zugelassen. Benlysta wird als Tropfinfusion über
werden oder bestehen Unverträglichkeiten gegen einen Zeitraum von 1 Stunde verabreicht. Die emp-
diese Wirkstoffe, ist die Indikation zum Einsatz von fohlene Dosis beträgt 10 mg/kg Körpergewicht. Die
172 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
ersten 3 Dosen werden im Abstand von jeweils 2 4 Wochen via subkutane Injektion. Ilaris sollte als
Wochen verabreicht. Danach wird Benlysta einmal Bedarfstherapie zur Behandlung von Gichtanfällen
alle 4 Wochen gegeben. eingesetzt werden. Bei Erwachsenen mit Gichtarth-
ritis beträgt die empfohlene Dosis 150 mg und wird
z z Ustekinumab während eines Anfalls als Einzeldosis subkutan ver-
Ustekinumab (Stelara) ist ein Anti-IL-12/23-Anti- abreicht. Zur Behandlung von CAPS sei auf spezia-
körper und zur der Behandlung der mittelschweren lisierte Zentren verwiesen.
bis schweren Plaque-Psoriasis und der aktiven Pso-
riasisarthritis zugelassen. Es wird eine initiale Dosie- z Indikation
rung von 45 mg, die subkutan verabreicht wird, emp- Die Wirksamkeit von Biologika ist in zahlreichen
fohlen, gefolgt von einer 45-mg-Dosis 4 Wochen Studien belegt. Entsprechend den Empfehlungen
später und dann alle 12 Wochen. Bei Patienten mit der rheumatologischen Fachgesellschaften besteht
einem Körpergewicht >100 kg können alternativ die Indikation zu einer Biologika-Therapie bei rheu-
90 mg gegeben werden. matoider Arthritis und bei Psoriasisarthritis, wenn
trotz entsprechender Behandlung mit csDMARDs
z z Secukinumab – wobei eines davon MTX sein soll – nach ausrei-
Secukinumab (Cosentyx) ist ein Anti-IL-17A-Anti- chender Behandlungsdauer weiterhin eine aktive
körper, der zur Behandlung der mittelschweren bis Erkrankung besteht. Naturgemäß können individu-
schweren Plaque-Psoriasis, der aktiven Psoriasisar- elle Besonderheiten, wie z. B. ein äußerst progres-
thritis und der aktiven ankylosierenden Spondyli- siver Krankheitsverlauf oder Unverträglichkeit von
tis zugelassen ist. Bei Patienten mit Psoriasisarth- konventionellen Basistherapeutika einen frühzeitige-
ritis und gleichzeitiger mittelschwerer bis schwerer ren Einsatz von Biolgika erforderlich machen; dies ist
Plaque-Psoriasis oder Patienten, die auf TNF-α-Inhi- aber im Einzelfall zu begründen und zu dokumen-
bitoren unzureichend ansprechen, beträgt die emp- tieren [4], [5], [7], [8].
fohlene Dosis 300 mg als subkutane Injektion mit Biologika kommen mit großem Erfolg bei fehlen-
Startdosen in den Wochen 0, 1, 2 und 3, gefolgt von der oder unzureichender Wirkung von NSAR auch
monatlichen Erhaltungsdosen beginnend ab Woche bei der ankylosierenden Spondylitis zum Einsatz.
4. Jede 300-mg-Dosis wird in Form von 2 subkuta- Die Indikation zur Einleitung einer Biologika-The-
nen Injektionen zu je 150 mg verabreicht. Bei allen rapie, deren Fortführung und Überwachung unter-
anderen Patienten beträgt die empfohlene Dosis liegt entsprechenden Kriterien, die von Experten in
150 mg als subkutane Injektion mit Startdosen in einem Konsensus regelmäßig überarbeitet werden
den Wochen 0, 1, 2 und 3, gefolgt von monatlichen und zuletzt 2011 veröffentlicht wurden (ASAS-Emp-
14 Erhaltungsdosen beginnend ab Woche 4. fehlungen) [18]. Das Behandlungsspektrum umfasst
nicht nur Patienten mit etablierter ankylosierender
z z Canakinumab Spondylitis, sondern auch Patienten mit nichtradio-
Canakinumab (Ilaris) wird bei Erwachsenen, logischer axialer Spondyloarthritis.
Jugendlichen und Kindern für die Behandlung von Wenn die medizinische Indikation zu einer Bio-
Cryopyrin-assoziierten periodischen Syndromen logika-Therapie gegeben ist, wird in einem ausführli-
(CAPS) angewendet, des Weiteren zur Behandlung chen Gespräch das weitere Vorgehen mit den Patien-
des Still-Syndroms des Erwachsenen (AOSD) und ten erörtert, über Wirkungen und Nebenwirkungen
der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis wird aufgeklärt.
(sJIA). Canakinumab ist auch zur symptomatischen An Voruntersuchungen wird ein entsprechen-
Behandlung von erwachsenen Patienten mit häufi- des Laborprofil mit großem Blutbild, BSG, Transami-
gen Gichtanfällen (mindestens 3 Anfälle in den vor- nasen, γ-Glutamyl-Transferase (GGT), alkalischer
angegangen 12 Monaten) zugelassen. Die empfoh- Phosphatase, zudem antinukleäre Antikörper (ANA)
lene Dosis für Patienten mit Still-Syndrom (AOSD und ein Hepatitis-Screening erhoben. Des Weiteren
und sJIA) mit einem Körpergewicht ≥7,5 kg ist 4 mg/ erfolgt vor der Biologika-Therapie eine pulmonolo-
kg (bis zum Maximum von 300 mg), verabreicht alle gische Begutachtung mit einem Quantiferon-Test
14.5 · Biologika (biologisch originäre und biosimiläre DMARDs
173 14
(Quanti FERON-TB Gold) oder mit einem Mendel- z Anwendung
Mantoux-Test (wenn ein Quantiferon-Test nicht zur Bei gegebener Indikation wird den Patienten bei
Verfügung steht). mehreren zur Verfügung stehenden gleichwertigen
Biologika (TNF-α-Blockern, Abatacept, Tocilicu-
z Kontraindikation mab) die Infusion oder subkutane Verabreichung
Bei manifester Tuberkulose, Infektionskrankheiten, angeboten.
bei demyelinisierenden Erkrankungen und bei chro- Die ersten 3 Infusionen bzw. subkutanen Injek-
nischer Hepatitis B besteht eine Kontraindikation tionen sollten in der Ambulanz oder in der fach-
für eine Biologika-Therapie, ebenso stellen maligne ärztlichen Ordination verabreicht werden. Die erste
Erkrankungen der letzten 5 (10) Jahre eine absolute Injektion wird unter entsprechender Erklärung
Kontraindikation dar; weiter zurückliegende Mali- verabreicht, die zweite Injektion applizieren die
gnome sind zumindest eine relative Kontraindika- Patienten selbst unter Anleitung. Nach den ersten
tion für eine Behandlung, und die Entscheidung Applikationen verbleiben die Patienten noch zur
muss im Einzelfall mit dem Patienten und im Kon- Beobachtung in der Ordination/Ambulanz; dies soll
silium mit Fachkollegen getroffen werden. auch den gerade am Anfang im Umgang mit einer
Auch bei Patienten mit einer höhergradigen Biologika-Therapie noch ungeübten Patienten ein
Herzinsuffizienz, entsprechend dem Stadium NYHA gewisses Gefühl der Sicherheit (und Respekt vor dem
III und IV, besteht eine Kontraindikation für eine Medikament) vermitteln.
Biologika-Gabe (7 Übersicht). Laborkontrollen erfolgen entsprechend den Leit-
linien; üblicherweise werden Patienten mit Biologi-
ka-Therapie in 3-monatigen Abständen von einem
Kontraindikation für Biologika-Therapie rheumatologisch geschulten Arzt kontrolliert.
55Akute und chronische (bakterielle, virale In 3-monatigen Abständen erfolgt die Dokumen-
und andere) Infekte tation des Ansprechens bei rheumatoider Arthritis
55Aktive Tuberkulose (bei latenter Tbc oder mit z. B. dem Disease Activity Score (DAS-28) und/
Tbc in der Anamnese nur nach geeigneter oder dem Clinical Disease Activity Index (CDAI)
Tbc-Prophylaxe nach den aktuellen (bei Psoriasisarthritis und ankylosierender Spon-
nationalen Richtlinien) dylitis 7 Kap. 3). Mit Hilfe dieser Scores kann die
55Manifeste Malignome oder in Anamnese Krankheitsaktivität dokumentiert bzw. das Anspre-
55Demyelinisierende Erkrankungen chen oder Nichtansprechen einer Biologika-Thera-
55Manifeste kardiale Dekompensation pie erfasst werden. Zum Ausfüllen der Scores benö-
(NYHA >II) tigt man bei einiger Erfahrung nur wenige Minuten
55Allergie gegen eine der Substanzen (. Tab. 14.2). Diese Scores dienen auch zur Doku-
mentation des Behandlungserfolgs vor den Kranken-
kassen. Aufgrund der hohen Kosten der Behandlung
Bezüglich Biologika und Schwangerschaft sei auf ist eine entsprechende Dokumentation des Behand-
7 Kap. 21 hingewiesen. lungserfolgs empfehlenswert und notwendig [9], [12].
Eine Impfung mit Totimpfstoffen ist unter lau- Die Patienten müssen eingehend darauf hinge-
fender Therapie als unbedenklich anzusehen. Bei wiesen werden, bei Zeichen der Unverträglichkeit,
Rituximab muss allerdings von einer verminder- bei Infekten, in jedem Fall bei unklaren Fieberzu-
ten oder sogar fehlenden Impfantwort ausgegangen ständen über 38 Grad Kontakt mit ihrem Rheuma-
werden. Es wird empfohlen, nach einer Impfung mit tologen aufzunehmen und die Behandlung im Zwei-
dem Beginn einer Rituximab-Behandlung 4 Wochen felsfall vorübergehend zu unterbrechen.
zu warten. Lebendimpfstoffe sind bei Patienten unter Bei Nichtansprechen, Unverträglichkeit oder Wir-
einer Biologika-Therapie kontraindiziert. kungsverlust des TNF-α-Blockers wird in Abhängigkeit
Generell wird bei Erwachsenen mit entzündlich- von der individuellen Situation bei rheumatoider Arth-
rheumatischen Erkrankungen eine Influenza- und ritis derzeit auf einen alternativen TNF-α-Blocker oder
Pneumokokkenimpfung empfohlen [18]. auf Abatacept, Rituximab oder Tocilizumab gewechselt.
174 Kapitel 14 · Medikamentöse Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
Nach einer mehrmonatigen Remission (DAS-28 Abstand von 2 Wochen unter Beibehalten
<2,6) wurde die Basistherapie beendet, der MTX-Medikation. Nach ca. 8 Wochen
wodurch es innerhalb von 10 Wochen zu gelang es, die tägliche Dosis an GC Schritt
einer deutlichen Schubsituation mit einem für Schritt zu reduzieren. Das Zustandsbild
polysynovitischen Zustandsbild kam. Durch der Patientin besserte sich zusehends und
neuerliche Etablierung der Biologika-Therapie nach weiteren 3 Monaten benötigte die
konnte alsbald wieder eine sehr zufrieden- Patientin keine weiteren GC. Die Patientin
stellende Gelenksituation erreicht werden. ist auch nach 2 Jahren in einem anhaltend
Die Medikation wurde auch in weiterer Folge stabilen Allgemeinzustand. Sie nimmt weiter
gut vertragen, auffallend war alleine ein wöchentlich MTX in niedriger Dosis und bei
rezidivierender Herpes labialis. Ein Wirkverlust Bedarf NSAR bei niedriger entzündlicher
der Biologika-Therapie ist bisher erfreuli- Aktivität. Sie ist mit ihrer Situation zufrieden.
cherweise nicht eingetreten. Eine neuerliche Infusion mit Rituximab war
bisher nicht nötig.
geschwollenen Gelenke zufriedengeben musste, ist eines völlig identischen Nachbaus eines Biologi-
heute die Remission bzw. die Beschwerdefreiheit kums ist nach dem aktuellen Stand der Technik kaum
unserer Patienten das erklärte und häufig erreich- möglich; auch das Originalprodukt weist ja schon
bare Ziel. Die uns heute zur Verfügung stehenden eine gewisse Heterogenität auf. Man hat sich auf die
Biologika erreichen nun aber nach und nach das Bezeichnung „Biosimilars“ geeinigt, die eine prinzi-
Ende ihrer Patentdauer. Die pharmazeutische Indus- pielle Ähnlichkeit, aber eben keine Gleichheit von
trie nützt daher die Möglichkeit, den ursprünglichen biologischen Arzneimitteln zum Ausdruck bringen
Biologika sehr ähnliche Nachahmerprodukte, die soll. Die Herstellung von Biosimilars muss natürlich
als Biosimilars bezeichnet werden, zu niedrigeren nach den gleichen Pfaden und Richtlinien wie die der
Preisen (Kostenreduktion ca. 30%) zu entwickeln Biologika erfolgen.
und zu vermarkten. Dies sollte dazu führen, dass sehr Die gesetzlichen Bestimmungen, die zur Zulas-
wirksame Medikamente in verschiedenen Ländern sung eines Biosimilars führen, sind in den USA und
breiter eingesetzt werden können und den Ärzten in Europa sehr streng, da eine biologisch gleichwer-
mehr Behandlungsoptionen ermöglichen. tige Wirksamkeit (im Vergleich zu den ursprüngli-
Biosimilars sind nicht das gleiche wie Generika, chen Biologika) in den geforderten Untersuchungen
die eine einfachere chemische Struktur haben und als (Äquivalenzstudien) nachgewiesen werden muss.
identische Nachahmerprodukte von Medikamenten, Von der Europäischen Arzneimittelagentur (Euro-
deren Patentschutz abgelaufen ist, betrachtet werden. pean Medicines Agency – EMA) wurde der Begriff
Im Gegensatz zu klassischen Arzneimitteln, die des „comparability exercise“ eingeführt, ein Verfah-
durch chemische Synthese oder Extraktion entwi- ren, das dazu dient, nachzuweisen, dass das Biosi-
ckelt werden, werden Biologika meist in lebenden milar dem herkömmlichen Biologikum möglichst
Organismen, in Säugerzellen, Bakterien oder Hefe- ähnlich ist. Das Ziel ist nicht, die Wirksamkeit des
zellen, hergestellt. Um ein biologisches Arzneimittel Biosimilars nachzuweisen – diese wurde ja schon für
zu produzieren, benötigt man die passende Desoxy- das ursprüngliche Biologikum ermittelt – sondern
ribonukleinsäure (DNA), die man geeigneten Zellen eine Vergleichbarkeit, d. h. eine Biosimilarität mit
zur Bildung aufzwingt (sogenannte rekombinante dem Originator zu dokumentieren.
Herstellung). Durch die Möglichkeit, fremde DNA
in passende Wirtszellen einzubauen, können gen- z Umstellungen oder Neueinstellungen
technologisch große Mengen an biologischen Arz- Vor Kurzem hat die europäische Arzneimittelbe-
neimitteln hergestellt werden. hörde EMA Infliximab-Biosimilars für eine Reihe
Heutzutage werden weltweit ca. 200 biologische von Indikationen, darunter für die rheumatoide
Substanzen unter anderem zur Behandlung von Arthritis und die axiale Spondyloarthritis, aufgrund
14 Krebs, multipler Sklerose, rheumatoider Arthritis, vorliegender Äquivalenzstudien zugelassen. Aus der
Psoriasis und Psoriasisarthritis, Morbus Bechterew Sicht vieler Autoren besteht aktuell noch kein Grund,
und zur Therapie von Bluterkrankungen mit großem bei gutem Ansprechen auf das Originatorprodukt,
Erfolg eingesetzt. d. h. das ursprünglich verordnete Biologikum, auf
Biologika (und Biosimilars) werden im Zuge ein Biosimilar umzustellen.
ihrer Entwicklung und Bildung aufgrund unter- In Norwegen lief bis 2016 eine Studie, in der
schiedlich produzierender Wirtszellen in gerin- Patienten von einem Originator auf ein Biosimi-
ger Weise verändert, was sich z. B. in einer unter- lar umgestellt werden, um die Vergleichbarkeit der
schiedlichen Glykosilierung, d. h. dem Anbringen Substanzen bezüglich Wirksamkeit und Nebenwir-
von Zuckeresten an Proteinen, zeigen kann. Auch kungen zu prüfen. Die Ergebnisse und Erkenntnisse
bei rekombinanter Herstellung ist somit bei Biolo- dieser Untersuchung werden das Therapieverhalten
gika mit einer gewissen Verschiedenartigkeit des der Spezialisten bzw. die Empfehlungen der Fachge-
Endprodukts zu rechnen. Sowohl Biologika als sellschaften beeinflussen. In Österreich liegt derzeit
auch ihre Nachahmerprodukte, die Biosimilars, die Entscheidung über eine Neueinstellung bzw.
haben daher durch ihre sich verändernden Wirts- eine Umstellung auf ein Biosimilar im Ermessen des
zellen eine natürliche Variabilität. Die Herstellung behandelnden Arztes. Eine generelle Umstellung auf
Literatur
177 14
das ökonomisch günstigere bzw. das jeweils güns- [12] Rubbert-Roth A (2015) Medikamentöse Therapie. In:
Hettenkofer HJ, Schneider M, Braun J (Hrsg) Rheumato-
tigste Biosimilar ist aus den schon genannten wirt-
logie. Thieme, Stuttgart, S 428–460
schaftlichen Gründen wünschenswert und dann zu [13] Samonigg H (2014) Konsensus Statement: Biosimilars –
vertreten, wenn sichergestellt ist, dass zwischen Ori- aktueller Stellenwert. Österreich Ärztez (Suppl)
ginator-Produkt und Biosimilar keine Unterschiede [14] Sitte HH (2015) Biologika und Biosimilars: Wissenschaft-
in Wirkung und Nebenwirkungsprofil vorliegen. liche Grundlagen der Herstellung. Ökon Praxis 1/2015
[15] Skingle D (2015) Biosimilars: What do patients need to
Biosimilars werden in jedem Fall eine kostengüns-
consider? EULAR PARE Position Paper on Biosimilars
tige Alternative in der Behandlung von chronisch Paper. http://www.eular.org/myUploadData/files/Biosi-
entzündlichen Erkrankungen sein und in der Folge milars_2015.pdf. Zugegriffen: 25. November 2016
unser Gesundheitssystem entlasten. In wirtschaft- [16] Schneider M (2015) Rheumatoide Arthritis. In: Hetten-
lich schwachen Ländern werden mit den Biosimilars kofer HJ, Schneider M, Braun J (Hrsg) Rheumatologie.
Thieme, Stuttgart, S 134–158
wirkungsvolle Medikamente zunehmend mehr Men-
[17] Smolen JS, Landewé R, Breedveld FC et al. (2014) EULAR
schen mit Autoimmunerkrankungen zur Verfügung recommendations for the management of rheumatoid
stehen [2], [13], [14], [15], [20]. arthritis with synthetic and biological disease-modify-
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179 15
Literatur – 196
. Tab. 15.1 Nebenwirkungen einer Low-dose-Glukokortikoid-Therapie bei rheumatoider Arthritis und kritische
Tagesdosis [6]
a Die aktuelle Datenlage zeigt, dass das relative Risiko einer Wirbelkörperfraktur bei 2,5 mg Prednisolon-Äquivalent
täglich um den Faktor 1,55 erhöht ist, bei 5 mg täglich verdoppelt und bei über 7,5 mg täglich verfünffacht ist. Bei der
rheumatoiden Arthritis konnte aber zum Teil belegt werden, dass unter einer Low-dose-GC-Therapie das Risiko einer
Verminderung der Knochendichte gleichwertig oder sogar geringer war, im Vergleich zu Patienten mit rheumatoider
Arthritis ohne GC-Behandlung. Eine mögliche Erklärung ist eine durch GC bedingte, verminderte Entzündungs- bzw.
Krankheitsaktivität und eine damit einhergehend bessere Mobilität der Patienten [10], [12], [19], [27], [29], [30].
b In der Metaanalyse konnten keine signifikanten Effekte auf den Blutdruck bei niedrig dosierter GC-Therapie über
Fallbeispiel: 70-jährige Schneiderin mit wurde eingeleitet. Zudem erfolgte wieder eine
akuten Rückenschmerzen Reduktion der Prednisolon-Dosis auf 5 mg per
Die Patientin wurde wegen einer Polymyalgia die. Ein Protonenpumpenhemmer (PPI) wurde
rheumatica mit peroralen GC erfolgreich bei kombinierter NSAR und Prednisolon-Gabe
behandelt. Unter einer laufenden Therapie rezeptiert. Nach einer 3-wöchigen kombinierten
mit 5 mg Prednisolon traten spontan heftige konservativen Schmerztherapie war die Patientin
Schmerzen im Lendenbereich auf. Eine von der wieder (fast) beschwerdefrei und NSAR, Opiate
Patientin selbständig eingeleitete Erhöhung und PPI konnten abgesetzt werden.
der GC-Dosis brachte keine Besserung. Das
in der Folge durchgeführte Röntgenbild der
Wirbelsäule ergab eine Wirbelkörperfraktur des
ersten Lendenwirbels. Es wurde die Diagnose Kommentar
einer manifesten Osteoporose unter GC Vor jeder (geplanten) GC-Therapie mit Dosen
gestellt. ≥7,5 mg über 3 Monate oder länger mit einem
Eine Therapie mit schwachen Opiaten, NSAR Prednisolon-Äquivalent ist eine Messung der
und mit Bisphosphonaten als Langzeitgabe Knochendichte indiziert.
184 Kapitel 15 · Erkennen von und Umgang mit Medikamentennebenwirkungen
In jedem Fall empfiehlt sich eine Kalzium- und Fallbeispiel: 47-jährige Patientin mit
Vitamin-D-Gabe; bei einem T-Score von <–1,5 Exanthem
ist für die Dauer der Therapie eine Bisphospho- Eine 47-jährige Patientin wird 10 Tage nach
nat-Gabe indiziert. Eine Knochendich- Beginn einer einschleichenden Medikation mit
temessung sollte unter einer Langzeittherapie SSZ wegen eines makulopapulösen Exanthems
mit GC vor und zumindest 12 Monate nach an lichtexponierten Hautstellen einhergehend
Behandlungsbeginn, dann in 1- bis 2-jährlichen mit einem Pruritus dermatologisch vorgestellt.
Intervallen durchgeführt werden. Nach Absetzen und mehrwöchiger peroraler
Bei einer Polymyalgia rheumatica ist mit GC- und Antihistaminika-Gabe, kommt
einer limitierten, aber 1- bis 3-jährigen es zu einer langsamen und vollständigen
niedrig dosierten Prednisolon-Behandlung Rückbildung der Hauterscheinungen.
zu rechnen. Das typischerweise höhere Alter
bei Krankheitsausbruch und die notwendige
GC-Behandlung sind ein Risiko für die
Entwicklung einer Osteoporose. Kommentar
Exanthem und Pruritus sind häufige
Nebenwirkungen, die sich nach Absetzen
der Basistherapie unter einer fallweise
15.3 Basistherapeutika prolongierten GC-Therapie üblicherweise
innerhalb von Wochen wieder rückbilden.
15.3.1 Sulfasalazin (SSZ)
Kommentar Kommentar
Kopfschmerz, Schwindel und Benommenheit Seltene, aber mögliche Nebenwirkung
sind relativ häufige Nebenwirkungen, einer SSZ-Therapie; tritt meist in den ersten
die üblicherweise in den ersten Behandlungsmonaten auf. Labor- und klinische
Behandlungswochen auftreten und zum Kontrollen in 2-wöchigen Abständen sind in
Therapieabbruch zwingen, dann aber den ersten Behandlungsmonaten notwendig.
innerhalb weniger Tage verschwinden. Ein
Gewöhnungseffekt bzw. ein Sistieren der
z Indikation
Symptome bei Fortsetzung der Therapie ist
meist nicht zu erwarten. Sulfasalazin ist eine Substanz, die als Basisthera-
peutikum zur Behandlung leichterer Formen der
15.3 · Basistherapeutika
185 15
rheumatoiden Arthritis und Psoriasisarthritis ein- 44Hämatologie: Leukopenie, Agranulozytose,
gesetzt werden kann, ebenso bei anderen Erkrankun- Anämie
gen aus dem Formenkreis der Spondyloarthritiden. 44Hepatotoxizität: geringer Anstieg der
Außerdem ist es ein Mittel, das bei der Behand- Leberenzyme
lung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen 44Reversible Oligospermie
Verwendung findet.
15 Diese werden zur Behandlung von entzündlich- Fallbeispiel: Junge Sportlerin mit SLE
rheumatischen Erkrankungen heute nur mehr sehr Eine 25-jährige Sportlehrerin mit
selten verwendet und werden nur der Vollständig- gelenkbetontem SLE wurde bei Polysynovitis
keit halber erwähnt. und unzureichender Wirkung von Resochin auf
Bei Goldpräparaten kommt es in 30–50% zu AZA umgestellt.
Nebenwirkungen. Die häufigsten sind: Proteinu- Bereits nach einer Therapiewoche trat
rie, Blutbildveränderungen, Diarrhö, Hepatopathie, eine deutliche Leukopenie (<1500 μl) auf.
Exanthem und Photosensibilität. Trotz sofortigen Absetzens der Medikation
zeigte sich nach weiteren 3 Tagen im
Blutbild eine Agranulozytose mit Anämie
15.3.6 Ciclosporin (Cyclosporin A) und Thrombopenie. Der Verlauf war sehr
dramatisch und mit einer mehrwöchigen
Die häufigsten Nebenwirkungen von Ciclosporin intensivmedizinischen Abschirmung und
sind: Störung der Nierenfunktion, Hypertonie, gas- Betreuung verbunden.
trointestinale Beschwerden und Gingivahyperplasie.
15.4 · Biologika
191 15
15.3.8 Apremilast
Die Knochenmarkdepression erholte sich
schließlich und es erfolgte nach Wochen eine Präparat: Otezla.
vollständige Restitution. Otezla ist seit Kurzem zur Behandlung der Pso-
riasis und Psoriasisarthitis zugelassen. Das Medika-
ment hemmt intrazellulär Phosphdiesterase 4 und
wird oral verabreicht. Entsprechend der Fachinfor-
Kommentar mation und der Zulassungsstudien treten sehr häufig
Die myelosuppressiven Wirkungen von AZA Durchfälle und Übelkeit auf, vor allem in den ersten
können bereits nach 2 Tagen mit einem Behandlungswochen, und bessern sich innerhalb
Maximum nach 6–10 Tagen auftreten. Als von 4 Wochen. Weitere häufig berichtete Nebenwir-
Risikofaktoren werden eine homozygote (ca. kungen sind Infekte der oberen Atemwege und Kopf-
0,3%) oder heterozygote (ca. 13%) Defizienz schmerzen [9]. In der aktuellen Gebrauchsinforma-
an dem Enzym Thiopurinmethyltransferase tion für Patienten wird über gelegentliche Fälle von
beschrieben. Bei diesem dramatischen Fall lag Selbstmordgedanken und -verhalten (einschließlich
ein homozygoter Enzymmangel vor. Selbstmord) berichtet [4]!
eingeleitet. Es kam zu einer deutlichen Die Patientin wurde nun mit einem
Besserung der Gesamtsituation, die synovitisch alternativen Biologikum behandelt, dieses
geschwollenen Gelenke bildeten sich rasch musste aber nach 3 Monaten wegen eines
zurück und die Patientin war in ihrer Mobilität unzureichenden Ansprechens wieder
deutlich gebessert. abgesetzt werden. Wegen des polysyno-
In den folgenden Monaten zeigte sich eine vitischen und schubhaften Verlaufs mit
langfristige Stabilisierung (DAS-28 2,6–3,2). hohen klinischen und serologischen
Zwei Jahre später musste die Patientin mit Entzündungszeichen wurde nach
Atemnot und hochfieberhaftem Zustandsbild entsprechender Aufklärung eine Medikation
stationär aufgenommen werden; es wurde mit Rituximab eingeleitet; in Form von 2
natürlich die TNF-α- und die MTX-Medikation Infusionen im Abstand von 2 Wochen.
sofort pausiert. Aufgrund des klinischen und Die Patientin sprach gut auf die Behandlung
radiologischen Bildes einer MTX-Pneumonitis an und berichtete erfreulicherweise über eine
(siehe Fallbeispiel 7 Abschn. 15.3.2) wurde Besserung der Gelenkschmerzen. Bei einer
sie mit GC in hoher Dosis behandelt und mit Kontrolle 12 Wochen nach der 2. Infusion
Antibiotika abgeschirmt. zeigte sich alleine das linke Handgelenk
Die respiratorische Situation besserte sich geschwollen und druckschmerzhaft (DAS-28
erfreulicherweise rasch und die Patientin 2,75).
konnte nach vollständiger Restitution Zusätzlich nimmt sie täglich 5 mg
innerhalb von 2 Wochen wieder aus der Prednisolon, ein Kalzium- und Vitamin-D-
Spitalspflege entlassen werden. Kombinationspräparat und 1-mal wöchentlich
In weiterer Folge kam es naturgemäß aufgrund Bisphosphonate.
des Aussetzens der Basismedikation zu einer
raschen Verschlechterung der Arthritis. Eine
neuerliche Behandlung mit MTX war natürlich
kontraindiziert. Kommentar
Unter alleiniger Gabe von TNF-α-In- Bei der 64-jährigen Patientin liegt eine
hibitoren kam es nur zu einem moderaten fortschreitende rheumatoide Arthritis
Ansprechen. Es wurde eine zusätzliche mit hoher Krankheitsaktivität vor. Die
Basismedikation mit Leflunomid eingeleitet; Patientin musste wegen einer sehr
dieses Basismedikament musste aber wegen seltenen, aber bedrohlichen Nebenwirkung
Pruritus und erhöhter Blutdruckwerte alsbald (MTX-Pneumonitis) MTX beenden.
abgesetzt werden. Eine alleinige TNF-Blocker-Medikation
Nach einigen Monaten fiel bei der ohne MTX zeigte nur ein moderates
Patientin eine distal betonte und proximal klinisches Ansprechen, wie das häufig und
aufsteigende, palpable Purpura auf. Es fand typischerweise beobachtet wird. Wegen einer
sich ein Nebeneinander von frisch geröteten leukozytoklastischen Vaskulitis als seltene,
Herden bis zu abheilenden, livid bräunlichen aber beschriebene Nebenwirkung musste
Effloreszenzen. Sie berichtete über einen der TNF-Blocker in weiterer Folge abgesetzt
Juckreiz, ansonsten machten die Läsionen keine werden.
Beschwerden. Die histologische Aufarbeitung Jeder Patient, der mit einer konventionellen
ergab die Diagnose einer leukozytoklastischen Basistherapie oder einem Biologikum
Vaskulitis; als Auslöser wurde der TNF-α-Blocker behandelt wird, muss engmaschig
diskutiert bzw. angenommen. Das Biologikum überwacht werden. Er ist über Wirkung und
wurde abgesetzt und die Vaskulitis bildete sich Nebenwirkungen aufzuklären; auch an seltene,
vollständig zurück. aber mögliche Komplikationen ist zu denken!
196 Kapitel 15 · Erkennen von und Umgang mit Medikamentennebenwirkungen
Ernährungstherapie
entzündlich-rheumatischer
Erkrankungen
Rudolf Puchner
Literatur – 201
Das Ziel der Ernährungstherapie ist die Einschrän- Zu Beginn der Supplementierung wird eine tägli-
kung der Entzündung im Sinne einer verminderten che Menge von 900 mg EPA, nach 3 Monaten von ca.
Zufuhr von entzündungsfördernden und einer ver- 300 mg EPA täglich empfohlen. In der Literatur wird
mehrten Aufnahme von entzündungshemmenden über eine signifikante Verminderung der schmerz-
Nährstoffen. haften Gelenke und der Morgensteifigkeit nach 3
Monaten berichtet. Es gibt aber derzeit noch keine
z Eikosanoide und Arachidonsäure einheitlichen Empfehlungen bezüglich der Auf-
Bereits in alten Lehrbüchern der inneren Medizin nahme von Omega-3-Fettsäuren [3], [7], [8].
finden sich Aufzeichnungen, dass durch eine vege- Die Bildung der entzündungsfördernden Eikosa-
tarische Kost der Verlauf entzündlich-rheumatischer noide aus Arachidonsäure ist ein oxidativer Prozess,
Erkrankungen positiv beeinflusst werden kann. Die bei dem Sauerstoffradikale in die Arachidonsäure
Ursache war lange Zeit unbekannt. Die Entdeckung eingebaut werden. Vitamin E als lipidlösliches Anti-
der die Entzündung fördernden Eikosanoide und oxidans kann die Oxidation verhindern.
deren Biosynthese aus Arachidonsäure brachte eine Skandinavische Untersuchungen berichten über
Erklärung. Die proinflammatorischen Eikosanoide den (zumindest kurzfristigen) positiven Einfluss
umfassen verschiedene Substanzen wie Prostagland- einer sogenannten kretischen mediterranen Diät
ine, Thromboxan und Leukotriene. bei Patienten mit rheumatoider Arthritis. Die tra-
Zur Biosynthese der Arachidonsäure sind alle ditionelle kretische mediterrane Diät ist charakteri-
Säugetiere und damit auch der Mensch befähigt. Die siert durch erhöhten Konsum von Obst, Gemüse und
körpereigene Arachidonsäurebildung wird bedarfs- Fisch im Vergleich zur mitteleuropäischen Kost. Fett
gemäß reguliert. Im Gegensatz dazu wird die mit wird hauptsächlich in Form von Olivenöl zugeführt.
tierischen Nahrungsmitteln zugeführte Arachi- Eine moderate Besserung der Gelenkbeschwer-
donsäure in den Zellen angereichert und steht zur den trat in einer schwedischen Untersuchung nach 3
Bildung entzündungsfördernder Eikosanoide zur Monaten auf [5], [9]. Der Fisch, der in Griechenland
Verfügung. konsumiert wird, enthält weniger Omega-3-Fettsäu-
ren als die Kaltwasserfische der nördlichen Hemi-
z Entzündungshemmer sphäre. Man glaubt zu wissen, dass bei der mediter-
Fischölsäuren haben sich vom ernährungstherapeu- ranen Küche vornehmlich der Konsum von Olivenöl
tischen Standpunkt als die potentesten Hemmstoffe und gekochtem Gemüse als Schutzfaktor anzusehen
der Entzündung erwiesen. Fette Meeresfische sind ist. Olivenöl ist reich an Ölsäuren, die zu Eikosapen-
die wichtigsten Quellen von Omega-3-Fettsäuren. taensäure metabolisiert werden, die eine ähnliche
Ein wichtiger Vertreter dieser Fettsäuren ist die Eiko- antientzündliche Wirkung wie Omega-3-Fettsäu-
sapentaensäure (EPA), die in fetten Seefischen wie ren von Fischölen haben und zusätzlich ebenso wie
Hering, Makrele, Lachs und Thunfisch vorkommt. Gemüse antioxidative Eigenschaften besitzen.
Die EPA wirkt unter anderem entzündungshem-
mend und ist der Gegenspieler der entzündungsför- z Allgemeine Ernährungsempfehlungen bei
16 dernden Arachidonsäure. entzündlichen Gelenkerkrankungen
Sie verdrängen die Arachidonsäure aus den 44Langsamer Abbau von Übergewicht
immunkompetenten Zellen und verhindern durch 44Täglich Vollkornprodukte, Obst und Gemüse
kompetitive Hemmung der Zyklooxygenase und 44Täglich ½ Liter Milch und Milchprodukte mit
Lipoxygenase die Umwandlung der Arachidonsäure reduziertem Fettgehalt
zu proinflammatorischen Eikosanoiden [1], [2], [3]. 442-mal pro Woche eine Fischmahlzeit
Eine wünschenswerte Aufnahme von EPA würde 44Nur 2-mal pro Woche eine Fleischmahlzeit,
nur durch den reichlichen Genuss fetter Meeresfische wobei Wild und Geflügel zu bevorzugen sind
erreicht werden. Als Alternative oder unterstützend 44Wenig tierische Fette, stattdessen hauptsächlich
stehen Fischölkapseln zur Verfügung. Eine ausrei- pflanzliche Öle
chende Zufuhr von EPA kann wahrscheinlich nur 44Gegebenenfalls Vitamin- und Mineralstoffer-
über Zufuhr von Fischölkapseln erfolgen. gänzung (Vitamin E, C, D, Selen und Kalzium)
Literatur
201 16
Auch Fasten führt häufig zu einer Besserung der
Gelenkbeschwerden. Als Gründe für die Besserung
werden eine vermehrte körpereigene Glukokortikoid-
Produktion und der erhöhte Spiegel von Endorphi-
nen genannt.
Es ist aber zu bedenken, dass nach Beendigung
des Fastens die Entzündung wieder ansteigt und
Patienten mit entzündlichen Gelenkerkrankungen
oft einen beeinträchtigten Ernährungszustand auf-
weisen, der sich durch weiteres Fasten verschlech-
tern kann. Eine Fastentherapie sollte, wenn über-
haupt, nur bei übergewichtigen Patienten und nur
über einen kurzen Zeitraum erwogen werden. Ent-
scheidend ist eine langfristige Umstellung der Ernäh-
rung [1].
Bei der Gicht wird bei Übergewicht Gewichts-
reduktion empfohlen, zusätzlich Alkoholkarenz
und Vermeidung purinreicher Nahrungsmittel (wie
Innereien, Schweine-, Rind- und Lammfleisch sowie
Meeresfrüchte) [1], [4], [10].
Literatur
Physiotherapie bei
entzündlich-rheumatischen
Erkrankungen
Erich Mur
Literatur – 206
Therapieverfahren aus dem Bereich der physikali- die Folgen der Grunderkrankung möglichst gering
schen Medizin stellen eine unabdingbare Kompo- zu halten. Natürlich sollte der Patient auch auf die
nente eines umfassend gestalteten Therapieplans Notwendigkeit einer Anpassung der Übungen an die
für Patienten mit Erkrankungen des entzündlich- jeweils vorliegende Aktivität seiner Arthritis hinge-
rheumatischen Formenkreises dar. Sie können viel wiesen werden. Als Richtlinie kann dabei die Auslö-
zu einer günstigen Entwicklung der Erkrankung, sung von Schmerzen bei oder nach der Bewegungs-
aber auch der Lebensqualität des Patienten beitragen. therapie wie auch von vermehrter entzündlicher
Für die physikalische Therapie bei Patienten, die Aktivität an den beübten Gelenken dienen.
von einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung Als sehr günstig wird von vielen Patienten die
betroffen sind, steht eine breite Palette an Behand- Durchführung von Heilgymnastik im Wasser erach-
lungsmöglichkeiten zur Verfügung, die jeweils indi- tet. Dabei bewirkt der Auftrieb des Wassers eine
viduell an die Art und Phase der Erkrankung, aber erhebliche Gewichtsentlastung der Gelenke und
auch an die besonderen Voraussetzungen des Patien- ermöglicht darüber hinaus auch Bewegungen, die
ten angepasst werden muss. Dadurch können die im Trockenen in dieser Form zumeist nicht ausführ-
Ziele der Behandlung, die vor allem in Schmerzlinde- bar wären. Zusätzlich kann das Wasser dabei auch
rung, Hemmung der Entzündung sowie Funktions- als ideal individuell dosierbares Mittel zum Kraft-
erhalt bzw. -verbesserung sowie Verhütung und Kor- training dienen. Diese Effekte kommen bei Erkran-
rektur von Fehlstellungen bestehen, meist sehr gut kungen der peripheren Gelenke, wie z. B. bei chroni-
erreicht werden. Physikalische Therapiemaßnahmen scher Polyarthritis und Arthritis psoriatica, ebenso
können außerdem zur Muskeldetonisierung sowie zum Tragen wie bei entzündlichen Erkrankungen der
Verbesserung der Durchblutung eingesetzt werden. Wirbelsäule, z. B. bei Morbus Bechterew. Bei letzterer
Auch in der prä- und postoperativen Behandlung bei Erkrankung kommt der Atemtherapie eine wesent-
orthopädischen Eingriffen an den Gelenken hat die liche Bedeutung zu, um einer drohenden Einschrän-
Physiotherapie große Bedeutung. Weiterführende kung der Atemexkursion effektiv entgegenzuwirken.
Literatur: [1], [2], [3], [4], [5]. Neben der positiven direkten Wirkung an den Gelen-
ken und der Muskulatur wirkt sich die Bewegungs-
z Bewegungstherapie therapie generell auch sehr positiv auf den Erhalt der
Innerhalb des Spektrums der physikalischen The- Knochenmasse sowie auf die kardiorespirative Leis-
rapieverfahren kommt der Bewegungstherapie tungsfähigkeit der Patienten und ihre psychische
eine besondere Rolle zu. Je nach Ausgangslage des Befindlichkeit aus.
Patienten wird in akuten Phasen zumeist besonde-
rer Wert auf eine optimale Lagerung der Gelenke und z Sportliche Betätigung
ein behutsames Durchbewegen zu legen sein, da auf Entzündlich-rheumatische Erkrankungen stellen
diese Weise wirkungsvoll der Entwicklung von Bewe- per se keine Kontraindikation für sportliche Betäti-
gungseinschränkungen und Funktionsdefiziten ent- gung dar. Allerdings sollte bei der Auswahl der Sport-
gegengewirkt werden kann. In subakuten und chro- art doch die vielfach reduzierte Belastbarkeit der
nischen Krankheitsphasen kann dann zunehmend Gelenke hinreichend in Betracht gezogen werden,
von assistiv-aktiven Übungen zu rein aktiver Heil- da Fehl- und Überbelastungen der Gelenke natürlich
gymnastik bis hin zum Therapiesport übergegangen durchaus eine Verschlechterung des Zustandsbildes
17 werden. Auch entsprechend dosiertes Krafttraining bis hin zur Auslösung eines Schubs der Erkrankung
wird von Patienten mit entzündlich-rheumatischen bewirken können. Demzufolge sind bei Patienten mit
Erkrankungen meist gut vertragen. Dabei ist jedoch entzündlich-rheumatischen Erkrankungen „Stop-
besonderer Wert auf eine sehr exakte und gelenk- and-Go-Sportarten“ wie z. B. Fußball, Tennis oder
schonende Durchführung der Übungen zu legen. auch Squash ebenso problematisch wie Kampf- und
Deshalb sollte für jeden Patienten eine eingehende Kontaktsportarten in üblicher Ausführung. Von in
Schulung in einem individuell ausgelegten Heil- derartigen Sportarten gut geübten Patienten kann
gymnastikprogramm vorgesehen werden, das zur jedoch mitunter eine an die veränderten Gelenkvo-
täglichen Selbstverständlichkeit werden muss, um raussetzungen angepasste Durchführung durchaus
Physiotherapie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
205 17
möglich werden. Generell empfohlen werden können Wärmebehandlungen eine nachfolgende Bewe-
mit Maß und Ziel ausgeführte Ausdauersportarten gungstherapie wesentlich erleichtern und deren Effi-
wie z. B. Schwimmen, Walking, Radfahren oder auch zienz verbessern. Neben Warmwasseranwendungen
Schilanglauf. mit oder ohne Zusätze haben sich bei Arthritiden
auch Peloidpackungen mit Moor und Fango in ent-
z Thermotherapie sprechender Dosierung gut bewährt.
Neben der Bewegungstherapie erweist sich die
Anwendung von Thermotherapie als weitere wich- z Elektrotherapie
tige Komponente der physikalischen Therapie bei Als Alternative zur Thermotherapie findet vielfach
entzündlichen Erkrankungen der Gelenke. Auch auch Elektrotherapie, vor allem zur Schmerzlinde-
wenn mitunter Ausnahmen von der Regel beschrie- rung, Anwendung. Dafür kommen sowohl nieder- als
ben werden, hat sich in der Mehrzahl der Fälle auch mittelfrequente Therapieformen in Frage. Insbe-
sehr wohl die Berücksichtigung des Grundsatzes sondere die TENS-Therapie (transkutane elektrische
bewährt: Kälte im akuten Stadium, Wärme besser Nervenstimulation) kann gut im häuslichen Umfeld
erst wieder in subakuten und chronischen Phasen eingesetzt werden. Auch die Galvanisationsbehand-
der Erkrankung. lung, vor allem die Iontophorese, bei der Medikamente
(z. B. NSAR) mit Unterstützung des Gleichstroms in
Kryotherapie Für die Kryotherapie steht eine breite den Körper eingebracht werden, ist in der lokalen The-
Palette von Modalitäten der Anwendung zur Verfü- rapie aktivierter Gelenke durchaus hilfreich.
gung, die es erlaubt, ideal auf die individuellen Vor-
aussetzungen des Patienten und der bei ihm betrof- z Massage
fenen Gelenke einzugehen und dadurch eine gute Je nach Beschwerdelage des Patienten können auch
Schmerzlinderung und Entzündungshemmung zu Massagen erheblich zur Normalisierung des Muskel-
vermitteln. Neben Therapien mit geringer Intensität tonus beitragen. Dabei ist zumeist der Einsatz von
wie kaltem Wickel und Packungen kommen vielfach „weichen Techniken“ zu bevorzugen, wobei mitunter
auch stärker abkühlende Kälteanwendungen (Eis- jedoch der Bereich aktivierter Gelenke weitgehend
würfel, Eis am Stiel, Eis- und Kältegelpackungen, ausgespart werden muss. Bei peripheren Schwellun-
Kaltluft) zum Einsatz. Dabei sollten die lokalen Käl- gen durch Lymphstau hat sich die manuelle Lymph-
tebehandlungen durchaus auch mehrmals täglich drainage gut bewährt.
eingesetzt werden, um einen entsprechenden Erfolg
der Behandlung in Form von Schmerzlinderung und z Ergotherapie
Entzündungshemmung zu erzielen. Im Rahmen der interdisziplinären Zusammenarbeit
Eine besondere Form der Kältetherapie stellt die der verschiedenen Berufsgruppen kommt auch der
Ganzkörperkältekammer dar, bei der extrem nied- Ergotherapie besondere Bedeutung zu. Sie kann den
rige Umgebungstemperaturwerte von bis zu −110°C Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkran-
für bis zu 3 Minuten zur Anwendung kommen. Die kungen die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten
mit diesem Verfahren erzielte Schmerzlinderung am vermitteln, die im Sinne von Gelenkschutzmaßnah-
gesamten Bewegungsapparat erleichtert es vielen men dazu dienen, eine Fehl- bzw. Überbelastung
Patienten, die anschließende Bewegungstherapie der Gelenke zu vermeiden. Für Patienten mit Defor-
im nötigen Umfang durchzuführen. mierungen der Gelenke und entsprechend gestörter
Funktion kann wiederum eine gezielte und mit einer
Wärmetherapie In „ruhigeren“ Phasen der Erkran- praxisgerechten Einschulung verbundene Hilfsmit-
kung kann bei entzündlich-rheumatischen Erkran- telausstattung viel zum Erhalt der Selbständigkeit im
kungen auch der Einsatz von Wärmetherapie sinn- täglichen Leben beitragen. Weitere wichtige Beiträge
voll sein. Mit diesem therapeutischen Ansatz kann der Ergotherapie zum Gesamterfolg der Behandlung
sehr gut eine Reduktion des Muskeltonus, aber stellen vor allem auch funktionelle Übungsbehand-
auch eine Verbesserung der Durchblutung sowie lungen einerseits, in anderen Fällen aber auch Schie-
Schmerzlinderung erzielt werden. Dadurch können nenbehandlungen dar.
206 Kapitel 17 · Physiotherapie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
Literatur
Komplementärmedizinische
Therapie bei entzündlich-
rheumatischen Erkrankungen
Erich Mur
Da mit wissenschaftlich-schulmedizinischen Thera- und werden darum zunehmend auch von Kranken-
pieansätzen bei entzündlich-rheumatischen Erkran- kassen remuneriert.
kungen wie der chronischen Polyarthritis oder auch
dem Morbus Bechterew nicht immer ein für den
Patienten hinreichend befriedigender Behand- 18.1 Phytotherapeutika
lungserfolg zu erzielen ist, ist es gut verständlich,
wenn eine große Zahl von Patienten mit derartigen Basierend auf der vielfach geäußerten Meinung „dass
Erkrankungen zusätzliche Besserung und Hilfe von (hoffentlich) für jede Krankheit ein Kraut gewach-
Verfahren erwarten, die außerhalb des Spektrums sen ist“, zeigen sich viele Patienten insbesondere hin-
der etablierten Therapiemodalitäten stehen. Meist sichtlich der Anwendung von pflanzlichen Bestand-
wird von derartigen Behandlungsansätzen zumin- teilen zu Heilzwecken aufgeschlossen. Diese haben
dest eine gewisse Wirkung bei weitgehend guter in zahlreichen Gegenden der Erde eine zum Teil
Verträglichkeit bzw. Fehlen von Nebenwirkungen jahrhundertelange Tradition in der Behandlung von
erwartet, was allerdings vielfach nicht hinreichend rheumatischen Beschwerden. Neben der äußerlichen
zutrifft. Beispielsweise können pflanzliche Medi- Anwendung werden pflanzliche Präparationen unter
kamente sehr wohl auch erhebliche unerwünschte anderem auch in Form von Tees, als Tropfen, aber
Effekte entfalten. auch als Kapseln und Tabletten innerlich eingesetzt.
Von den komplementärmedizinischen Anwen- Von den externen pflanzlichen Anwendungen
dungen, die in Ergänzung zu den klassischen schul- kommen bei erhöhter entzündlicher Gelenkaktivi-
medizinischen Therapiekonzepten eingesetzt tät vor allem solche in Frage, die eine kühlende und
werden, sind „alternativmedizinische“ Behandlun- entzündungshemmende oder auch schmerzlin-
gen zu differenzieren, die anstelle der konventionel- dernde Wirkung entfalten. Demgegenüber eignen
len Standardtherapie eingesetzt werden. Angesichts sich Präparate mit hyperämisierender Wirkung eher
der mitunter raschen Progredienz entzündlich- für Phasen mit geringer entzündlicher Aktivierung.
rheumatischer Erkrankungen, wie z. B. der chroni- Weidenrindenextrakte stellen ein seit Jahrhun-
schen Polyarthritis, kann ein derartiges Vorgehen derten verwendetes pflanzliches Heilmittel dar, von
generell nicht empfohlen werden, weil damit in den dem die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR)
meisten Fällen nur wertvolle Zeit bis zum Einsatz abgeleitet wurden. Präparate aus der Weidenrinde
wissenschaftlich bewährter Behandlungsansätze ver- zeigen eine entzündungshemmende Wirkung und
loren geht. Demgegenüber kann mit komplementär können demzufolge durchaus bei entzündlich-rheu-
und somit ergänzend zur klassischen schulmedizi- matischen Erkrankungen eingesetzt werden, ihr
nischen Therapie eingesetzten Behandlungen mit- Effekt ist jedoch geringer ausgeprägt als jener der
unter erheblich zu einer günstigen Entwicklung des NSAR.
Zustandsbilds des betroffenen Patienten beigetragen Das Präparat „Phytodolor“ stellt einen Misch-
werden. extrakt aus Zitterpappel, Eschenrinde und Goldru-
Die wohl am häufigsten eingesetzten komple- tenkraut dar, das zur Schmerzlinderung bei rheu-
mentärmedizinischen Behandlungen können den matischen Beschwerden eingesetzt werden kann.
Bereichen „Naturheilverfahren“ und „Erfahrungs- Aber sein Effekt ist als geringer als jener von NSAR
medizin“, der „Ernährungstherapie “ sowie der einzustufen.
„regulativen Therapie“ zugeordnet werden. Außer- Bei der chronischen Polyarthritis werden in
dem werden vielfach auch fernöstliche Heilme- unseren Breiten am häufigsten Präparate aus der
18 thoden als Ergänzung zur klassischen schulmedi- Katzenkralle (Uncaria tomentosa), der Teufels-
zinischen Behandlung eingesetzt. Da bei einigen, kralle sowie der Weihrauchpflanze eingesetzt. Dies-
früher als komplementärmedizinisch angesehenen, bezüglich ist eine breite Palette von Präparaten mit
Behandlungsansätzen mittlerweile relevante Daten unterschiedlicher Qualität erhältlich, die zumeist
aus klinischen Studien vorliegen, haben einzelne als „Nahrungsmittelergänzung“ eingenommen
dieser Therapien zunehmend auch Eingang in die werden. Bezüglich anderer Erkrankungen des ent-
klassische schulmedizinische Betreuung gefunden zündlich-rheumatischen Formenkreises liegen zur
18.3 · Akupunktur
209 18
Anwendung dieser Phytotherapeutika meist nur haben und dieser durch diese Maßnahme noch
Einzelfallberichte mit uneinheitlichem Erfolg vor. weiter beeinträchtigt wird.
Generell ist bezüglich des Einsatzes von pflanzli-
chen Medikamenten bei entzündlich-rheumatischen z Supplementierung
Erkrankungen auf die Notwendigkeit der Auswahl Ein anderer Ansatz beruht auf der Vorstellung, dass
qualitativ hochstehender Präparate und einer guten durch eine (Über-)Supplementierung von bestimm-
Abstimmung mit der übrigen eingenommenen ten Nährstoffen eine günstige Beeinflussung der
Medikation hinzuweisen. Grunderkrankung erreicht werden könnte. In
diesem Zusammenhang ist in erster Linie die Gabe
von Fischölen, insbesondere aus fettreichen Kaltwas-
18.2 Ernährung serfischen (hoher Gehalt an Omega-3-Fettsäuren) zu
nennen, die zu einer Verminderung entzündungsför-
In der Diskussion einer umfassenden Behandlung dernder Mediatoren beitragen kann. Des Weiteren
entzündlich-rheumatischer Erkrankungen wird auch werden auf breiterer Basis auch Supplementierungen
Überlegungen zur „optimalen Ernährung“ große von Vitamin E und C sowie von Selen und anderen
Bedeutung zugemessen. Mineralstoffen durchgeführt, die aber in ihrer Wirk-
Beruhend auf der Annahme, dass verschiedene samkeit nicht derart hinreichend belegt erscheinen,
Inhaltsstoffe der Nahrung eine ungünstige Wirkung um auf breiter Basis empfohlen zu werden.
auf die Krankheitsaktivität aufweisen könnten, Da ein unterschiedliches Ansprechen der Akti-
werden „Eliminationsdiäten“ beschrieben, die darauf vität der Grunderkrankung auf verschiedene Verän-
abzielen, den Gehalt der Nahrung an bestimmten derungen der Ernährung denkbar ist, kann durchaus
Inhaltsstoffen (z. B. Arachidonsäure, Nahrungsmit- eine Erprobung unterschiedlicher Ernährungsemp-
telallergene) zu verringern, die bei den entzündli- fehlungen zum Ziel führen. Dies sollte aber jeden-
chen Reaktionen des Körpers eine Rolle spielen. falls unter fachkundiger Anleitung und Kontrolle
Davon leitet sich unter anderem die Empfehlung ab, erfolgen. Generell erscheint nach gängiger Auffas-
bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen eine sung für Patienten mit entzündlich-rheumatischen
vorwiegend vegetarische Ernährung einzusetzen, Erkrankungen eine Vollwertkost mit ausreichend
was nach klinischer Beobachtung durchaus einen Obst und Gemüse sowie Kalzium und Vitamin D
positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben günstig. Ebenso sollten statt tierischer Fette vermehrt
kann. pflanzliche Öle eingesetzt und statt Fleisch vermehrt
Vielfach wird auch einer „mediterranen Diät“ Fisch konsumiert werden.
ein positiver Effekt bei Patienten mit entzündlich-
rheumatischen Erkrankungen, insbesondere aber
bei chronischer Polyarthritis zugesprochen. Die bei 18.3 Akupunktur
dieser Kostform beobachteten günstigen Effekte
dürften wohl am ehesten auf den dabei erhöhten Aus dem Spektrum der komplementärmedizini-
Konsum an Obst und Gemüse sowie Fisch und schen Methoden werden bei entzündlich-rheumati-
Fetten aus Olivenöl beruhen, die eine antientzünd- schen Erkrankungen immer wieder auch Behandlun-
liche Wirkung entfalten können. gen mit Akupunktur durchgeführt. Auch wenn sich
diese Behandlung bei verschiedenen Erkrankungen
z Fasten des rheumatischen Formenkreises wie z. B. Arthrose
Auch für Fasten wird eine Besserung der Gelenkbe- zumindest in Einzelfällen vor allem als „Schmerz-
schwerden beschrieben. Allerdings ist zu bedenken, therapie“ durchaus bewährt hat, ist die Anwendung
dass dieser Effekt mit Wiederaufnahme der norma- dieser Therapieform bei entzündlich-rheumatischen
len Ernährung meist rasch nachlässt. Bei dieser Maß- Erkrankungen differenziert zu betrachten. Insbeson-
nahme ist auch zu berücksichtigen, dass Patienten dere in Schubsituationen von Seiten der Grunder-
mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen mit- krankung kann Akupunktur durchaus auch proble-
unter ohnehin einen reduzierten Ernährungszustand matisch sein.
210 Kapitel 18 · Komplementärmedizinische Therapie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
18.5 Weitere
komplementärmedizinische
Konzepte
Rheumaorthopädische
Therapieoptionen
Klemens Trieb
Literatur – 219
Bei der Radiosynoviorthese soll durch die intraarti- Bei diesem Eingriff wird das Gelenk „geopfert“, da
kuläre Injektion eines Beta- oder Gammastrahlers der Knorpel so weit destruiert ist, dass hier eine
mit kurzer Halbwertszeit und kurzer Gewebsweite schmerzfreie Funktion nicht mehr gegeben ist.
die Synovitis nekrotisiert und nach Abheilung und
Fibrosierung die erhöhte Gelenkflüssigkeit durch
Synovialzellen verhindert werden. Es sollte keine Resektionsarthroplastik
allzu große Knorpelschädigung vorliegen. Die Indi- In diesem Fall wird das Gelenk entweder eines oder
kation liegt im LDE-Stadium 0–1 ohne zu massive beider Gelenkpartner reseziert und durch Einbrin-
Pannusbildung. gen von körpereigenem Band- und Kapselgewebe ein
sogenanntes neofibröses Pseudogelenk wiederher-
gestellt. Es ist eine Alternative bei starken knöcher-
19.2 Operative Therapie nen Destruktionen, wenn die knöcherne Veranke-
rung eines Implantates nicht suffizient möglich ist.
Bei der operativen Behandlung muss unterschieden Die Resektionsarthroplastik hat ihren fixen Stellen-
werden zwischen Eingriffen, welche ein gelenker- wert bei der Rhizarthritis, jedoch kann diese auch
haltendes Ergebnis haben, und solchen, welche das am Metatarsophalangealgelenk oder am Ellbogenge-
Gelenk resezieren bzw. ersetzen [20]. lenk durchgeführt werden, wobei sich bei Letzterem
die Versorgung mit der Endoprothese zunehmend
durchsetzt [17], [20].
19.2.1 Präventive Eingriffe
Arthrodese
Synovektomie Die Arthrodese bezeichnet die Versteifung eines
Die Synovektomie ist die klassische OP beim Rheu- Gelenks, d. h., es werden beide Gelenkpartner rese-
matiker, welche nach ausreichend langer suffizien- ziert und dann der Knochen in entsprechender Kor-
ter medikamentöser Therapie bei noch nicht voll- rekturstellung aufeinandergestellt und durch Schrau-
ständig destruiertem Knorpel, d. h. LDE-Stadium ben, Klammern oder auch Platten intern fixiert.
2–3, durchgeführt werden soll. Dabei stehen unter- Dabei ist am Fuß, vor allem am Rückfuß, die Arth-
schiedliche Möglichkeiten zur Verfügung. So kann rodese das Mittel der Wahl, am oberen Sprunggelenk
am Kniegelenk eine arthroskopische Synovektomie muss entschieden werden, ob etwa eine Endopro-
durchgeführt werden, an anderen Lokalisationen wie these in Frage kommt. Am Mittelfuß ist ebenfalls die
z. B. am Handgelenk, wenn zugleich auch die Teno- Arthrodese vorzuziehen, die Talonavikulararthro-
synovektomie erfolgen soll, ist die offene Technik dese ist oft die erste Korrekturosteotomie am Fuß
notwendig. beim Rheumatiker. Ebenso ist am 1. Metatarsopha-
Bei bis zu 2/3 aller Patienten mit rheumatoider langealgelenk (MTP-1-Gelenk) eine Arthrodese eine
Arthritis wird auch eine Synovitis der Sehnen beob- gute Methode, um einen stabilen Vorfuß wiederher-
achtet, wobei hier die Sehnensynovektomie wichtig zustellen [17], [23], [24].
ist, um einer Sehnenruptur mit entsprechend län- An der Hüfte wurde die Arthrodese verlassen,
gerer und schwierigerer Behandlung vorzubeugen. am Kniegelenk ist sie nur Rückzugsmöglichkeit nach
mehreren Infekten und fehlgeschlagenen Endopro-
thesen, eine Arthrodese des Schultergelenks oder des
Osteotomie Ellbogengelenks wird ebenfalls nicht mehr durchge-
Korrekturosteotomien sind bei Achsfehlstellun- führt. Anders hingegen am Handgelenk, hier ist die
gen zum Erhalten des Gelenkes angezeigt [24], [26], Teilarthrodese respektive die Arthrodese nach wie
wobei gerade beim Rheumatiker die Valgusfehlstel- vor eine etablierte Methode mit guten Langzeitergeb-
lung am Kniegelenk sehr häufig auftritt. nissen [21], [27]. Unser Vorgehen ist es, wenn beide
214 Kapitel 19 · Rheumaorthopädische Therapieoptionen
Hände betroffen sind, eine zu versteifen und an der es von der Muskulatur ab, ob nur ein Oberflächener-
anderen eine Endoprothese zu implantieren. An den satz durchgeführt werden kann oder ob eine inverse
Fingergelenken ist das distale Interphalangeal(DIP)- Schulter primär implantiert wird.
Gelenk des Zeigefingers aufgrund der zu erzielenden
Stabilität für die Arthrodese ein guter Kandidat [20].
Hüftgelenkersatz
Wenn das Hüftgelenk durch die Entzündung auf-
Endoprothetik gebraucht ist und der Gelenkknorpel keine dämp-
Gerade beim Rheumatiker ist die Endoprothetik weit fende Funktion mehr übernehmen kann, ist auf-
fortgeschritten, trotz oft schlechter Knochenqualität grund der zunehmenden Bewegungseinschränkung
haben sich auch hier zementfreie Implantate bewährt. und Schmerzen der künstliche Hüftgelenkersatz
Das Hüftgelenk, welches meist eine Protrusionsco- indiziert. Auch beim Rheumatiker können hier die
xarthritis aufweist, kann hier mit normalen Standard- modernen Implantate mit zementfreier Veranke-
implantaten versorgt werden, ebenso das Kniegelenk. rung verwendet werden. In den letzten Jahren hat
Alle übrigen Gelenke sind ebenfalls ersetzbar. So ist sich im Bereich der Hüftgelenkendoprothetik sowohl
das Ersetzen des Handgelenks, aber auch des Sprung- im Bereich der Implantate als auch der Operations-
gelenks beim Rheumatiker aufgrund der geringeren techniken eine Weiterentwicklung abgezeichnet.
Belastung postoperativ durch die geringere Aktivität Es ist nun möglich, die Implantate minimalinva-
gut möglich [12], [14], [16], [18], [19], [25]. Weiter- siv einzubringen, d. h., die Muskulatur wird nicht
hin sind an den Metacarpophalangeal(MCP)- und mehr wie früher durchtrennt, sondern nur mehr zur
proximalen Interphalangeal(PIP)-Gelenken nach wie Seite geschoben. Zum einen ermöglicht dies durch
vor Kunstgelenke sehr gut möglich, aufgrund der oft die geringere Traumatisierung der Weichteilgewebe
vorhandenen Band- und Kapsellaxizität sollten unge- einen geringeren Blutverlust, zum anderen auch eine
koppelte Modelle hier eher nicht verwendet werden. raschere Mobilisierung. Für die Implantate werden
Es gibt nach wie vor gute Ergebnisse mit den Silikon- Komponenten aus Titan verwendet, welche einer-
spacern nach Swanson an der Hand (. Abb. 19.1), am seits ein gutes Einwachsverhalten in den Knochen
Fuß sind sie allerdings verlassen worden [1], [2], [3], zeigen und andererseits komplett zementfrei implan-
[4], [7], [15], [22], [20]. tiert werden können. So ist bei guter Knochenquali-
Die Schulter bietet ebenfalls gute Möglichkeiten tät die Verwendung von knochensparenden Implan-
zur Versorgung mit einem Kunstgelenk. Hier hängt taten möglich.
19
19.2 · Operative Therapie
215 19
. Abb. 19.2 Hüfttotalendoprothese
aus Titan
Je nach vorliegenden Knochenverhältnissen ist am wenigsten Knochen reseziert, was durch das neue
es möglich, neue distal verankerte Hüftschäfte zu Design des Schaftes ermöglicht wird.
verwenden (. Abb. 19.2), bei guter Knochenquali- Bei den Gleitpaarungen ist es nun möglich,
tät kann man sehr knochensparend im Hinblick auf mittels hochvernetztem Kunststoff oder komplet-
eine Wechseloperation mittels spezieller sogenannter ter Hartpaarung aus Keramik möglichst abtriebsfrei
schenkelhalsteilerhaltender Kurzschaftprothesen für zu bleiben und so eine spätere Wechseloperation
die Zukunft vorausbauen (. Abb. 19.3). Hierbei wird so lange wie möglich hinauszuschieben. Insgesamt
a b
. Abb. 19.5 a,b Röntgen des destruierten und luxierten Handgelenks links: a anterior-posterior, b seitlich
a b
. Abb. 19.6 a,b Zustand nach radioscaphoulnarer Teilprothese links mit Ulnarköpfchenresektion (postoperatives Röntgen: a
anterior-posterior, b seitlich)
218 Kapitel 19 · Rheumaorthopädische Therapieoptionen
19
Literatur
219 19
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221 20
Fingerpolyarthrosen
Judith Sautner
Literatur – 224
z Definition z Symptomatik
Fingerpolyarthrosen (FPA) sind arthrotische Verän- Langsamer, schleichender Beginn, meist monarti-
derungen der kleinen Fingergelenke (früher fälsch- kulär, manchmal auch symmetrisch, mit Betonung
licherweise als „Gichtfinger“ bezeichnet). des 2. und 5. Strahles, mit zum Teil sehr schmerzhaf-
Die Bezeichnung umfasst mehrere heterogene ten, derben Verdickungen der betroffenen Gelenke.
Subgruppen: Arthrosen der distalen Interpha- Zeitweise kommt es zu sehr schmerzhaften Rötungen
langealgelenke (DIP) (Heberden-Arthrosen), der im Sinne entzündlicher Schübe („Aktivierungen“),
proximalen Interphalangealgelenke (PIP) (Bou- häufig nach vermehrter Belastung oder nasskalter
chard-Arthrosen), des IP-1-Gelenks, des Carpo- Exposition. Zunehmend Ausbildung von derben
metacarpalgelenks (Rhizarthrose), peritrapezoi- Knoten an den Gelenken (DIP: Heberden-Knoten,
dale Arthrose bzw. Kombinationen (. Abb. 20.1). PIP: Bouchard-Knoten) und Deformierung mit zum
In der Regel liegt ein polyartikuläres Befallsmus- Teil beträchtlicher Achsendeviation, mit sowohl
ter vor, zusätzlich wird je nach radiologischer Prä- funktioneller Einschränkung als auch Störung der
sentation in die non-erosive und die wesentlich Feinmotorik sowie ästhetischer Beeinträchtigung.
seltenere erosive Form mit schwererem Verlauf Morgensteifigkeit wird berichtet, allerdings nicht
unterteilt. so ausgeprägt wie bei entzündlichen Gelenkerkran-
kungen, üblicherweise unter 1 Stunde.
z Häufigkeit und Vorkommen FPA sind häufig mit Arthrosen anderer Loka-
Es sind vor allem (ca. 6- bis 8-mal häufiger) Frauen lisation, z. B. mit Gonarthrose oder Coxarthrose
betroffen. Der Altersgipfel der Erkrankung liegt in vergesellschaftet.
der 5. und 6. Dekade, häufig in Assoziation mit peri-
menopausalen Beschwerden. z Diagnostik
z Ätiologie z z Hilfsbefunde
Die primäre Form ist genetisch determiniert und Das Labor ist zumeist unauffällig, bis auf eine even-
weist vor allem bei Frauen eine starke Penetranz tuell leicht beschleunigte Blutsenkungsgeschwindig-
bei Befall erstgradiger weiblicher Verwandter auf. keit (BSG).
Sekundär werden posttraumatische oder postent- Im Röntgen ist eine subchondrale Spon-
zündliche FPA unterschieden. giosaverdichtung bei „vogelschwingenartiger“
20
Fingerpolyarthrosen
223 20
Gelenkspaltverschmälerung der IP typisch, erosiv allem die MCP-Gelenke 2 und 3 betroffen wären
(usurierend) oder non-erosiv. Eventuell kommt es (typischer radiologischer Befund).
zum Auftreten von kleinen subchondralen Geröll-
zysten. Im Stadium der Aktivierung kann eine Ver- z Therapie
dickung und Verdichtung des periartikulären Weich- Im Jahr 2007 hat eine Task Force der European
teilschattens beobachtet werden [7]. League against Rheumatism (EULAR) Therapie-
richtlinien herausgegeben, die medikamentös in
z z Assessment erster Linie die symptomatische Therapie mit Para-
In den letzten Jahren haben die FPA aufgrund ihrer cetamol bzw. bei Nicht-Ansprechen nichtsteroida-
Häufung bei älter werdender Bevölkerung und len Antirheumatika (NSAR) empfiehlt. SYSADOA
maßgeblicher Beeinträchtigung der Betroffenen an (Symptomatic Slow Acting Drugs for Osteoarthritis),
Bedeutung gewonnen, sodass eigene, spezifische deren Wirksamkeit in der Schmerzerleichterung bzw.
Scoring-Instrumente in Form von patientenzentrier- in vermindertem Analgetika-Verbrauch bei Arthro-
ten Fragebögen zur Beurteilung des funktionellen sen großer Gelenke in Studien geprüft wurden (z. B.
Status, der Schmerzen und der Steifigkeit entwickelt Chondroitinsulfat oder Diacerein), können gegeben
worden sind (AUSCAN, SACRAH, M-SACRAH, werden, besonders wenn generalisierte Polyarthro-
SF-SACRAH). Diese machen eine numerische Gra- sen vorliegen. Randomisierte, doppelblinde Studien
duierung der FPA – vergleichbar einem DAS-28 für bei FPA stehen aber noch aus, ebenso wie für Soja-
Patienten mit rheumatoider Arthritis oder einem bohnen- oder Avocadoprodukte [6].
BASDAI für Spondylarthritis-Patienten möglich Die lokale Applikation von NSAR-Cremes,
und sind ein wertvolles Instrument in der Verlaufs- am besten okklusiv, bzw. von erwärmenden Lini-
beurteilung der Erkrankung, aber auch zur Beurtei- menten wie z. B. Capsaicin-Salbe, kann ebenfalls
lung des Therapieerfolges mit spezifischen Medika- Erleichterung verschaffen und hat sich als schmerz-
menten [7]. reduzierend erwiesen [1], [3]. Wenn die lokale
NSAR-Applikation nicht ausreicht, können sys-
z Differenzialdiagnose temisch Paracetamol oder NSAR bzw. Coxibe in
Abzugrenzen ist die sogenannte „Pfropf-cP“ (Propf- der niedrigst möglichen Dosis so kurz wie möglich
Polyarthritis), eine Form der rheumatoiden Arthri- gegeben werden [5], [6]. Im Rahmen der OA-TREAT-
tis des Alters, bei welcher sich auf arthrotische kleine Studie, die 2014 begonnen wurde, wird die Wirkung
Fingergelenke, quasi sekundär, eine Gelenkentzün- von Hydroxychloroquin bei entzündlicher und erosi-
dung aufpfropft, die meist jenseits des 65. Lebens- ver OA der kleinen Fingergelenke randomisiert kon-
jahres auftritt, milde, aber mit entsprechenden trolliert untersucht – Ergebnisse wurden noch nicht
laborchemischen Veränderungen verläuft und mit publiziert [2].
Glukokortikoiden bzw. milden Basistherapeutika zu Die begleitende ergotherapeutische Betreu-
behandeln ist. ung ist ein Grundbaustein der FPA-Therapie. Dazu
Bei isolierten Heberden-Arthrosen ist differen- gehören genaue Instruktionen günstiger Bewegungs-
zialdiagnostisch der Transversalbefall bei Psoriasis- muster, Applikation von Paraffin-, Ichthyo-, Heublu-
arthritis zu berücksichtigen; die Abgrenzung kann men- oder Linsenhandbädern, Anmessung von ver-
mitunter schwierig sein. schiedenen Orthesen wie z. B. achsenkorrigierenden
Isolierte Beschwerden an den Metacarpo- DIP- oder PIP-Nachtschienen bzw. von Rhizarthrose-
phalangeal(MCP)-2- und -3-Gelenken wären ein Arbeits- und -Nachtlagerungsschienen.
Hinweis in Richtung Hämochromatose; hier helfen Flankierend ist auf Kälte- und Nässeschutz zu
differenzialdiagnostisch das Labor mit Blutbild und achten, eine „Handschuhphase“ von Oktober bis
Eisenstatus und die spezifischen radiologischen Ver- April sollte eingehalten, ungünstige Bewegungs-
änderungen. Im fortgeschrittenen Alter kann auch schemata wie z. B. Handarbeiten gemieden werden.
die Chondrokalzinose zu Rötungen und Beschwer- Bei entzündlichen Schüben kann die intraarti-
den kleiner Fingergelenke führen, wobei hier neben kuläre Applikation von Glukokortikoiden hilfreich
der Prädilektionsstelle des Radioulnargelenks vor sein [5], [6].
224 Kapitel 20 · Fingerpolyarthrosen
Literatur