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Antonianum XCII (2017) 7-47

DIE ZWEITE SCHÖPFUNGSERZÄHLUNG


GEN 2,4b-3,24 UND DER GÖTTLICHE FLUCH

Summary: The present study of the second creation story, Gen 2,4b- 3,24, focuses on the
divine prohibition in 2,16f and the declarations to the snake, to the wife and to Adam
in 3,14-19 and attempts to interpret these verses in the context of the narrative. Because
Yhwh Elohim only completes his creation activity in 3,21 with the creation of the humans’
clothes, the two divine announcements in 2,16f and 3,14-19 belong to the creation phase.
For the time beyond the garden of Eden, the divine prohibition in 2,16f no longer has any
importance, yet it still remains a narrative prerequisite for the unfolding of the curse in
3,14-19, that in turn concretely describes the reality of creation after the transgression of
the divine prohibition. The theological narrative Gen 2,4b-3,24 seems to disclose the deep
structure of creation that is not only due to divine, but also to human action. Therefore, it
also serves as a bridge to and as a preparation for the historical narrative that follows after
the creation phase.

Zusammenfassung: Die vorliegende Untersuchung zur zweiten Schöpfungserzählung


Gen 2,4b-3,24 konzentriert sich auf die beiden Redeabschnitte Yhwh Elohims in 2,16f
(das göttliche Verbot) und 3,14-19 (die Reden an die Schlange, die Frau und Adam) und
versucht, diese Verse im Kontext der gesamten Erzählung zu interpretieren. Weil Yhwh
Elohim erst in 3,21 seine Schöpfungstätigkeit mit der Erschaffung der menschlichen Klei-
der abschließt, sind beide Reden in 2,16f und 3,14-19 der Schöpfungsphase zuzurech-
nen. Für die Zeit nach der Entfernung aus dem Garten Eden hat das göttliche Verbot
2,16f keine materiale Bedeutung mehr, bleibt aber erzähltechnische Voraussetzung für
die Fluchentfaltungen in 3,14-19, die wiederum ganz konkret die Schöpfungsrealität
nach der Übertretung des göttlichen Verbots beschreiben. Die theologische Erzählung Gen
2,4b-3,24 legt also die Tiefenstruktur der Schöpfung dar, indem sie diese nicht nur auf
göttliches, sondern auch auf menschliches Handeln zurückführt. Sie schlägt damit eine
Brücke zur Geschichtserzählung, die auf die Schöpfungsphase folgt und in dieser bereits
grundgelegt ist.

1. Einleitung
Nach der neueren Urkundenhypothese wird die erste Schöpfungs-
erzählung Gen 1,1-2,4a der priesterlichen Tradition, die zweite Schöp-
8 David Volgger

fungserzählung Gen 2,4b-3,24 hingegen der jahwistischen Tradition


zugerechnet. Während Elohim in der ersten Schöpfungserzählung die
Flug- und Wassertiere (vgl. 1,22), die Menschen (vgl. 1,28) und den
siebten Tag (vgl. 2,3) segnete1, sprach Yhwh Elohim die Schlange (vgl.
3,14) und die (Acker-) Erde `Adama´ (vgl. 3,17) als `verflucht´ (’rwr/h)
an.2 Die entsprechenden Fluchformeln in 3,14 (’rwr ’th `verflucht bist
du, d.h. die Schlange´) und 3,17 (’rwrh h’dmh b‛bwrk `verflucht ist die
(Acker-) Erde deinetwegen´) gehören zur göttlichen Rede, mit der sich
Yhwh Elohim nach der Übertretung des göttlichen Verbots (vgl. 2,16f )
an die Schlange (vgl. 3,14f ) bzw. an `Adam´ (vgl. 3,17-19) gewandt hat.
Die göttliche Rede an die Frau (vgl. 3,16) enthält zwar keine Fluchfor-
mel, spricht aber dennoch von Geburtsschmerzen und einer konflikt-
reichen Beziehung zwischen Frau und Mann. Inhaltlich handelt es sich
dabei um Fluchentfaltungen, die mit Aussagen in 3,14f und 3,17-19 ver-
gleichbar sind.3 Alle diese Beobachtungen zu den Schöpfungserzählun-

1
   In 1,22 und in 1,28-30 folgt auf die `Segenshandlung´ ein Segensspruch, in
2,3 hingegen nicht. Die Priesterschrift sehe nach J. Scharbert, «‫»בְּרָ כָה ברך‬, in Th-
WAT, I, 1973, p. 840f „die ganze belebte Schöpfung und die ganze Menschheit un-
ter einem Segen des Schöpfers stehen (Gen 1,22.28; 5,2; 9,1), glaubt aber für Israel
und seine Geschichte noch einen besonderen Segen wirksam zu sehen, der mit dem
Fluch konkurriert, nämlich den von Lev 26, der von der Treue zum Gesetz abhängt
und der durch die Priester im Kult dem Volk zugewendet wird (Num 6,23-27). An
diesem Israel speziell geltenden Segen kann nach P [Priesterschrift] kein anderes Volk
Anteil gewinnen.“ - Was den Segen im jahwistischen Werk betrifft, ist Scharbert,
«‫»בְּרָ כָה ברך‬, p. 840 zu folgendem Ergebnis gekommen: Der Jahwist stelle „vor die
Erzvätergeschichte die Urgeschichte mit dem Fluch von Gen 3,17 und 4,11f. So sieht
er die ganze Menschheitsgeschichte und die Geschichte Israels unter Fluch und Segen
als gestaltende Kräfte gestellt, jedoch so, daß der Segen als Gottesgabe an Israel und an
alle Völker, die sich mit Israel solidarisch erklären, gegenüber dem Fluch die Oberhand
gewinnt. Der Wendepunkt ist dabei die Verheißung an Abraham in Gen 12,2f., mit der
die Macht des durch die Sünde ausgelösten Fluches gebrochen ist.“
2
  Vgl. Scharbert, «‫»בְּרָ כָה ברך‬, p. 439-444.
3
   Vgl. dazu J. Scharbert, «‫»מְ ֵארָה ארר‬, in ThWAT, I, 1973, p. 444: „In der gele-
gentlichen auf die Fluchformel folgenden Fluchentfaltung wird das Unheil, das durch
die den Fluch auslösende Tat bewirkt wird, näher umschrieben: Erfolglosigkeit der
Feldarbeit und Ruhelosigkeit (Gen 4,12), Zerstreuung und Untergang des Stammes
(49,7), Verlust der Kinder ( Jos 6,26), Helotendasein (9,23), Knechtschaft (Gen 9,25),
Frustration und Unglück in jeder Hinsicht ( Jer 17,5). Die ausführlichste Fluchentfal-
tung hat Deut 28,15-19 in den folgenden Versen bis 68 erfahren, wo das durch den
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 9

gen in Gen 1-3 führen zu folgenden zwei Fragen: Gehört der göttliche
Fluch in Gen 2,4b-3,24 zur ursprünglichen Schöpfungsrealität hinzu?
Wie sind die göttlichen Reden in 3,14-19 mit ihren Fluchformeln im
Kontext der gesamten zweiten Schöpfungsgeschichte angemessen zu in-
terpretieren?
Die vorliegende Untersuchung will ein umfassendes Verständnis
der Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 vorlegen und dabei insbeson-
dere die Funktion der göttlichen Reden in 2,16f und 3,14-19 klären.
Von zentraler Bedeutung wird dabei das Konzept der menschlichen
`Handlung´ sein, denn im Garten Eden führen die Menschen ein Le-
ben nach dem Willen bzw. Schöpfungsplan Gottes, wenn sie bei all ih-
ren Handlungen das göttliche Handlungsverbot von 2,16f respektieren,
während die Realität des göttlichen Fluchs in 3,14 und 3,17 voraussetzt,
dass die Menschen gegen dieses Verbot gehandelt haben.

2. Das Schöpfungshandeln Yhwh Elohims in Gen 2,4b-25


Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 konzentriert sich
zu Beginn auf das göttliche Schöpfungshandeln. Der Erzähler geht da-
bei jeweils von einer Leerstelle oder Negativaussage aus, die das positive
Ziel des göttlichen Handelns im Vorhinein andeutet:4 Nach 2,5 fehlten
anfangs alle Sträucher und Kräuter des Feldes, es fehlten auch der Regen
und der `Erdling´ (bzw. Mensch) `Adam´, der die (Acker-) Erde `Ada-
ma´ bebauen sollte: «Und jeder Strauch des Feldes, bevor er war auf der
Erde, und jedes Kraut des Feldes, bevor es sprosste, - Yhwh Elohim hatte
es nämlich nicht regnen lassen über der Erde, und `Adam´ gab es (noch)
nicht, um die (Acker-) Erde (’dmh) zu bebauen».
Im Anschluss daran füllt der Erzähler die Leerstellen aus und hält
fest, dass Yhwh Elohim Feuchtigkeit aufsteigen ließ und die (Acker-)
Erde damit tränkte (vgl. 2,6), dass er den Menschen `Adam´ mit Staub
aus der (Acker-) Erde formte und ihm Atem einhauchte (vgl. 2,7) und

Fluch bewirkte Unheil am ganzen bundesbrüchigen Volk in den schauerlichsten Far-


ben ausgemalt wird.“
4
   Vgl. dazu C. Dohmen, Schöpfung und Tod. Die Entfaltung theologischer und
anthropologischer Konzeptionen in Gen 2/3 (SBB 17), Stuttgart 1988, p. 210-216.
10 David Volgger

dass er schließlich den Garten Eden pflanzte, Adam dorthin versetzte


und alle Bäume aus der (Acker-) Erde sprießen ließ (vgl. 2,8f ).5
Es fällt dabei auf, dass die einzelnen Schöpfungshandlungen bzw.
-resultate in 2,6-9 nicht immer den Negativaussagen in 2,5 entsprechen.
Folgende drei Beispiele sollen diese Beobachtung verdeutlichen: Erstens:
2,5 spricht vom fehlenden Regen, der normalerweise vom Himmel fällt.
2,6 führt dagegen aus, dass Gott Feuchtigkeit aus der Erde aufsteigen
ließ und so die (Acker-) Erde tränkte.6 Zweitens: 2,5 weist lediglich dar-
auf hin, dass der Mensch `Adam´, der die (Acker-) Erde bebauen sollte,
noch fehlte. 2,7 verdeutlicht dagegen, dass Gott den Adam aus (Acker-)
Erde bzw. Staub7 formte und ihm Lebensatem einhauchte. Drittens: 2,5
bemängelt das Fehlen der Sträucher des Feldes (śy hśdh). 2,8 spricht
dagegen davon, dass Gott einen „Garten `in´ Eden (gn b‛dn)“ pflanzte,
und 2,9 fügt noch hinzu, dass Gott „aus der (Acker-) Erde alle Bäume
(mn-h’dmh kl-‛ )“ hervorgehen ließ. Die konkrete Schöpfungserzählung
in 2,6-9 geht also über die Negativaussagen in 2,5 hinaus und nennt ge-
genüber 2,5 neue, z.T. unerwartete Details, so dass der Leser, die Leserin
von 2,5 die künftigen Schöpfungshandlungen bzw. -resultate nicht ein-
deutig voraussehen kann.8
Nach 2,18 äußerte Yhwh Elohim schließlich selbst eine Negativaus-
sage zu einem ganz bestimmten Aspekt der Schöpfungsrealität des Men-
schen `Adam´: „Es ist nicht gut (l’-  wb), dass der Mensch `Adam´ allein
ist.“ Diese Aussage impliziert, dass Yhwh Elohim schon im Vorhinein
genau wusste, was für den Menschen gut oder nicht gut ist. Unmittelbar
nach der Äußerung dieser Erkenntnis kündigte Yhwh Elohim an, wie

5
   Zur Syntax von Gen 2,4b-7 vgl. W. Gross, Die Pendenskonstruktion im Bib-
lischen Hebräisch. Studien zum althebräischen Satz I (ATSAT 27), St. Ottilien 1987,
p. 53-55.
6
   Vgl. dazu auch den Exkurs in 2,10-14, der von einem bzw. von vier Flüssen im
Garten Eden handelt. Das Verb šqh (Hi.) „tränken“ kommt dabei in 2,6 und 2,10 vor.
7
  Das Nomen ‛pr scheint in 2,7 im Bezug auf 3,19 eingefügt zu sein, wo es heißt:
„denn Staub (‛pr) bist du und zum Staub kehrst du zurück“. 3,19 hält aber auch fest:
„… bis zu deiner Rückkehr zur Ackererde (’dmh), denn davon bist du genommen.“
8
   Dies gilt auch für die Erschaffung des Gartens, der sich innerhalb von `Eden´
befindet. Ackererde (Adama) und Bäume gibt es innerhalb und außerhalb des Gartens.
2,9 präzisiert nur für den Baum des Lebens bzw. den Baum der Erkenntnis von Gut
und Böse den Standort, nämlich: in der Mitte des Gartens; vgl. dazu weiter unten!
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 11

er diese Leerstelle füllen wolle (2,18): „Ich werde ihm eine Hilfe ma-
chen, die ihm entspricht (kngdw).“9 Die Bezeichnung „Hilfe“ (‛zr) ist
eine Funktionsbeschreibung für das neue Geschöpf und ist vergleichbar
mit der Aussage, dass Adam die Adama bebauen sollte (vgl. 2,5: l‛bd
’t-h’dmh), was in 2,15 nach der Erschaffung des Menschen von neuem
aufgegriffen und spezifiziert wird: l‛bdh wlšmrh „um sie zu bebauen und
sie zu bewahren“.10
Es ist klar, dass Adam, sobald er eine ihm entsprechende Hilfe ge-
funden hat, auch nicht mehr allein war. Dennoch ist die Unterscheidung
zwischen dem Ende des Allein-Seins und der Realität einer ihm entspre-
chenden Hilfe für die folgende Erzählung von Belang. Yhwh Elohim ging
nach 2,19 nämlich dazu über, alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Him-
mels11 aus der (Acker-) Erde zu formen. Der Schöpfungsvorgang der Tiere
in 2,19 ist teilweise parallel zur Erschaffung Adams in 2,7 formuliert (vgl.:
wy r yhwh ’lhym … mn ’dmh …), lässt aber das Detail der Einhauchung des
Lebensatems beiseite (vgl. 2,7: wyp b’pyw nšmt yym „und er hauchte in
seine Nasenlöcher den Lebensatem ein“). Daraus folgt aber noch nicht,
dass sich die Erschaffung des `ersten´ Menschen `Adam´ von der Erschaf-
fung der Tiere unterscheidet. Das Resultat des Schöpfungsvorgangs war
jeweils ein `Lebewesen´ (vgl. npš yh in 2,7 und 2,19).12 Auf diese Weise
unterstreicht der Text die Einheit von Mensch und Tier, zumindest was
ihre Erschaffung als Lebewesen betrifft.
Anschließend hält 2,19 fest, dass die Namensgebung der Tiere
durch Adam in der Gegenwart Gottes nicht zum erwünschten Resultat
geführt hat: Adam mag zwar nicht mehr allein gewesen sein (als Lebe-
9
  Zur Phrase ‛zr kngdw und zur Rolle der zu erschaffenden Frau in 2,18.20 be-
merkt P. Heger, Women in the Bible, Qumran and Early Rabbinic Literature. Their
Status and Roles (STDJ 110), Leiden, Boston 2014, p. 21: “… her function as helper
does not indicate inequality between man and woman.”
10
   Die Pronomen =h (f.) in der Phrase l‛bd=h wlšmr=h in 2,15 beziehen sich auf
die Ackererde im Garten, nicht auf den Garten gn (m.), während h’dmh in l‛bd ’t-h’dmh
in 2,23 die Ackererde außerhalb des Gartens meint. In 2,5 ist noch nicht vom Garten
Eden die Rede.
11
   Die Phrase (kl-) ִhyt hśdh in 2,19f weist zurück auf npš ḥyh (am Ende der Schöp-
fung Adams) in 2,7 und auf śyִh hśdh (die erste Fehlanzeige) in 2,5. In 2,20 kommen
noch alle (Groß-)Tiere =kl-bhmh ausdrücklich hinzu.
12
   Nach Gen 7,22 bezieht sich die Phrase „alles, in dessen Nasenlöchern Lebensa-
tem ist (kl ’šr nšmt-rwִh ִhyym b’pyw)“ auf Mensch und Tier gleichermaßen.
12 David Volgger

wesen), eine ihm entsprechende Hilfe unter all den neuen Lebewesen,
d.h. den Tieren, hat er aber nicht gefunden.13
Schließlich versetzte Yhwh Elohim den Menschen Adam in einen
Tiefschlaf, nahm eine seiner `Rippen´ heraus und umgab diese mit Fleisch
an ihrer Stelle (vgl. 2,21). Die Formulierungen zum Schöpfungsprozess der
Frau in 2,21 unterscheiden sich erheblich von den Aussagen zur Erschaf-
fung des Menschen `Adam´ und der Tiere. Außerdem heißt es in 2,22:
„Und Yhwh Elohim baute die Rippe (Seite), welche er vom Menschen
`Adam´ genommen hatte, zu einer Frau (bzw.: `er baute aus der Rippe …
eine Frau´: wybn yhwh ’lhym ’t-h l‛ ’šr-lq mn-h’dm l’šh).“14 Gott formte
also die Frau nicht mehr direkt aus der (Acker)-Erde, wie Adam und die
Tiere, sondern baute an einem `Körper-Teil´ bzw. am gesamten Gebein15
des Menschen `Adam´ weiter, so dass nur auf Grund dieser Vorgabe das
neue Geschöpf entstehen konnte. Die neue Schöpfungsterminologie in
2,21f zielt also nicht so sehr darauf, die Erschaffung der Frau von der Er-
schaffung des Menschen `Adam´ bzw. der Tiere zu unterscheiden, setzt
doch die Erschaffung der Frau die Erschaffung des Menschen `Adam´ vo-
raus. Sie will vielmehr die Einheit von Mann und Frau im Bezug auf ihre
Erschaffung gegenüber den Tieren und deren Erschaffung hervorheben.
Adam bekannte deshalb nach 2,23: „Dies ist dieses Mal:16 Bein von
meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.“17 Ob die anschließende

13
   In der Aussage wl’dm l’-mṣ’ ‛zr kngdw „und für Adam (?) hat er nicht gefunden
eine Hilfe, die ihm entspricht“ (2,20) ist unklar, wer das Subjekt ist: Gott oder Adam?
Vgl. dazu Heger, Women in the Bible, p. 13.
14
  Da ṣl‛ auch den Seitenteil eines Bauwerks bezeichnen kann (vgl. z.B.: Ex
26,20.26f.35; 1 Kön 6,5.8.15f; 7,3; Ez 41,5-9.11.26), legt sich das Verb bnh `bauen´
für den göttlichen Schöpfungsakt nahe (vgl. dagegen: yṣr `formen´ in 2,7.8.19 und ‛śh
`machen´ in 2,18; 3,1).
15
   Vgl. dazu C. Uehlinger, «Nicht nur Knochenfrau. Zu einem wenig beach-
teten Aspekt der zweiten Schöpfungserzählung», in BiKi 53 (1998), p. 31-34.
16
  Die Phrase z’t (f.) könnte man auf die Frau (’šh) in 2,22 beziehen. Man könnte
z’t auch neutral interpretieren und mit „das“ übersetzen (vgl. 3,13f ). – Die Phrase hp‛m
könnte auch die Einmaligkeit des Schöpfungsprozesses der Frau zum Ausdruck bringen,
so dass gilt: «dieses Mal» und nie wieder. In weiterer Folge wird nämlich eine Frau - und
jeder Mensch - durch Prokreation geschaffen. Vgl. Heger, Women in the Bible, p. 26.
17
  W. Reiser, «Die Verwandtschaftsformel in Gen. 2,23», in ThZ 16 (1960), p.
1-4 bestimmt 2,23a als Verwandtschaftsformel, die in diesem Fall unterstreichen soll, dass
der Mensch als Mann oder Frau nur dem Menschen als Mann oder Frau verwandt sei.
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 13

Aussage in 2,23b noch ein Wort Adams oder ein Erzählerkommentar


ist, kann offen bleiben. Jedenfalls lässt sich der Inhalt von 2,23b wie
folgt wiedergeben: „Sie wird genannt werden Frau (`Ischa´), denn vom
Mann (`Isch´) ist sie genommen (lz’t yqr’ ’šh ky m’yš lq h-zwt).“18 Für
die beiden Namen ist von Interesse, dass sie keine Eigennamen, sondern
Gattungsnamen sind19 und dass die Bezeichnung `Ischa´ im Bezug zum
`Isch´ in erster Linie eine Schöpfungsrelation zum Ausdruck bringt: Sie
ist unmittelbar vom Mann genommen und bildet in dieser Hinsicht mit
ihm eine Einheit. Mit ihrer Funktion als Hilfe für den Mann hat die
Bezeichnung `Ischa´ allerdings nicht unmittelbar etwas zu tun.
Die beiden allgemeinen Namensbezeichnungen `Isch´ und `Ischa´
führen den Erzähler in 2,24 zu einer weiteren Aussage (für die künftige
Zeit), in der ein `Isch´ einerseits zu seinem Vater und seiner Mutter und
andererseits zu seiner künftigen Frau in Beziehung gesetzt wird: „Deshalb
wird ein `Isch´ seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner `Ischa´
anhangen, und sie werden ein Fleisch werden.» In dieser Aussage dürfte
schließlich deutlich werden, was es für den Mann heißt, eine Hilfe zu ha-
ben, die ihm entspricht: Seine künftige Frau wird ihm nämlich dabei hel-
fen, ein Fleisch zu werden, d.h. von seiner Familie ausgehend zu einer neu-
en Einheit zu gelangen. 2,24 hat dabei eine künftige Zeitphase im Blick, in
der ein `Isch´ von einem Menschenpaar (Vater und Mutter) gezeugt wird,
was logischerweise auch für die `Ischa´ gelten muss. Die Verwandtschaft
des Menschen `Adam´ ist somit exklusiv als Folge der Einheit von Mann
und Frau bestimmt. Wie die Einheit von Mann und Frau konkret Gestalt
annehmen wird, verrät 2,24 allerdings nicht.
An diesem Punkt der Erzählung dürfte sich der Leser, die Leserin
des hebräischen Textes fragen, wie sich die beiden Wortpaare `Adam –
Adama´ (’dm – ’dmh) und `Isch – Ischa´ (’yš – ’šh) zueinander verhalten:
Für den Menschen `Adam´ gilt: Er ist wie die Tiere aus der `Adama´
(Acker-Erde) geformt und bildet mit ihr in gewisser Weise eine Einheit.

18
   Die Aussage Adams, dass die Frau `Fleisch von seinem Fleisch´ sei (vgl. 2,23),
geht dieses Mal über die Schöpfungserzählung in 2,22 hinaus, wo davon die Rede war,
dass Gott nur eine Rippe von Adam genommen habe. Von Interesse ist auch, dass die
Erzählung bereits in 2,22 die Bezeichnung Ischa (’šh) verwendet, also vor der Namens-
gebung in 2,23. Versteht man die Namensgebung in 2,23 hingegen als Erzählerkom-
mentar, erübrigt sich diese Beobachtung.
19
  Vgl. Heger, Women in the Bible, p. 28f.
14 David Volgger

Er unterscheidet sich aber zugleich von ihr, weil er als Lebewesen den
Lebensatem von Yhwh Elohim erhalten hat. Für den `Isch´ gilt hin-
gegen, dass er der Ausgangspunkt für die Erschaffung bzw. den `Bau´
der `Ischa´ darstellt und dieses Mal die `Ischa´ vom `Isch´ genommen
ist. Die `Ischa´ entspricht diesbezüglich vollkommen ihrem Mann und
bildet mit ihm eine Einheit, die sich von den Tieren in Bezug auf ihre
Erschaffung abhebt.
Wenn nach obiger Interpretation die Hilfsfunktion des neuen Ge-
schöpfs für den Menschen `Adam´ darin besteht, dass der `Isch´ nur
mit der `Ischa´ zu einem Fleisch werden kann (vgl. 2,24), geht daraus
hervor, dass Gott von allem Anfang an den Menschen `Adam´ auf die-
ses Ziel hin erschaffen hat. Die Erschaffung des `Menschen´ Adam ist
folglich erst mit der Erschaffung der `Ischa´ an ihr Ziel gelangt, denn
erst als `Isch´ und `Ischa´ können sie auch ein Fleisch werden. Von der
Funktionsbeschreibung der `Ischa´ unterscheidet sich noch einmal die
Funktionsbeschreibung des Menschen `Adam´, „die `Adama´ zu bebau-
en (und zu bewahren)“ (vgl. 2,5.15). Da diese Funktionsbeschreibung
der Erschaffung der `Ischa´ vorausgeht, muss sie für `Isch´ und `Ischa´
gleichermaßen im gemeinsamen Ursprung des Menschen `Adam´ dar-
gelegt werden.20

3. Das göttliche Verbot in Gen 2,16f


Der Mensch `Adam´ war in der ersten Phase nach seiner Erschaf-
fung (2,15-24) noch nicht wirklich aktiv, sondern nahm lediglich die
Ergebnisse des göttlichen Schöpfungshandelns angemessen wahr, in-
dem er z.B. die Tiere mit Namen versah, die Frau von allen Tieren un-
terschied und sie als Bein von seinem Bein und als Fleisch von seinem
Fleisch anerkannte (vgl. 2,19f.23). All das führte ihn aber nicht dazu,
selber aktiv zu werden.21 Die Erzählung schweigt dazu, ob und wie der
Mensch dem göttlichen Auftrag nachgekommen sei, den Garten Eden
zu bebauen und zu behüten (vgl. 2,15). Was das göttliche Verbot in

20
   Vgl. dazu die Redeeinleitung in 3,17: „und zu ’dm sagte er“, was im MT als
Eigenname interpretiert wird. Jedenfalls fällt auf, dass Gott sich in 3,17 nicht an den
`Isch´ wendet, nachdem er sich in 3,16 an die `Ischa´ gewandt hat.
21
   Auch in Gen 1,1-2,4a entwirft nur Gott in seinen Schöpfungsansagen Projek-
te, die er anschließend auch in die Tat umsetzt.
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 15

2,16f betrifft, musste der Mensch nur wissen, wo der Baum der Erkennt-
nis von Gut und Böse stand, um die Folge des Verbots zu vermeiden.
Auch 2,24 spricht nur ganz allgemein von der künftigen Gemeinschaft
zwischen Mann und Frau, wobei der Mann Vater und Mutter verlassen
und sich an seine Frau binden werde, um so mit ihr zu einem Fleisch zu
werden. In 2,4b-25 fehlt auch ein expliziter Hinweis auf das Erkennen
des Menschen `Adam´ oder beider Menschen. Das Verb yd‛ `erkennen´
kommt in diesem Abschnitt nicht vor.22
Die erste menschliche Handlung, die Gen 2,4b-3,24 nennt, bezieht
sich auf den Genuss vom verbotenen Baum. In 3,6 heißt es von der Frau
Adams: „Und sie nahm von seinen Früchten und aß“. Diese Handlung
basiert auf ihrem vorausgehenden `Erkenntnisurteil´ (3,6): „Und die
Frau sah, dass der Baum zum Essen gut ist, … (wtr’ h’šh ky wb h‛ lm’kl
…)“.23 Anschließend gab sie davon auch ihrem Mann, der bei ihr stand.
Und auch dieser aß davon (vgl. 3,6).24
Die Einschätzung der ersten menschlichen Handlung, die im Zen-
trum der gesamten zweiten Schöpfungserzählung steht, hängt unmit-
telbar mit dem göttlichen Verbot in Gen 2,16f zusammen: „Von allen
Bäumen des Gartens darfst du gewiss essen, 17 doch vom Baum der Er-
kenntnis von Gut und Böse, - du darfst nicht von ihm essen, denn am
Tag, an dem du von ihm isst, wirst du gewiss sterben.“ Das Verbot räumt
zunächst ein, dass der Mensch `Adam´ als Geschöpf essen muss, ansons-
ten wäre die Erlaubnis, von allen Bäumen – bis auf einen – zu essen,
nicht sinnvoll. Aus dem Verbot geht zudem hervor, dass Gott dem Men-

22
   Erst in der Rede der Schlange in 3,5 und nach dem Genuss vom verbotenen
Baum in 3,7 spricht der Text ausdrücklich davon, dass die Menschen erkennen (kön-
nen) bzw. erkannt haben. In 3,5 behauptet die Schlange lediglich, in das Wissen Gottes
Einblick zu haben.
23
   Das Urteil der Frau in 3,6 (ṭwb …) ist mit dem Urteil Yhwh Elohims in 2,18
„Es ist nicht gut (l’- ṭwb …) zu vergleichen. Das Urteil Gottes betraf den Menschen
`Adam´ in seinem Allein-Sein, das Urteil der Frau hingegen den Baum in der Mitte
des Gartens. Es ist klar, dass das göttliche Urteil zutreffend war. Was das Urteil der Frau
betrifft, ist zu beachten, dass sie dieses noch vor dem Genuss vom Baum der Erkenntnis
von Gut und Böse geäußert hat.
24
   Parallel zu den beiden Handlungsaussagen in 3,6 (zunächst: „und sie hat ge-
gessen (wt’kl)“; sodann: „und er hat gegessen (wy’kl)“) enden die beiden göttlichen
Befragungen in 3,12 und 3,13 jeweils mit dem identischen Eingeständnis: „und ich
habe gegessen (w’kl)“.
16 David Volgger

schen genügend Nahrung zugestanden hat, denn Gott erlaubte nach


2,16f den Menschen, von allen Bäumen – bis auf einen – zu essen. In
diesem Zusammenhang muss noch daran erinnert werden, dass Gott
den Menschen in 2,15 dazu aufgefordert hat, den „Ackerboden im Gar-
ten zu bebauen und zu hüten“ (… l‛bdh wlšmrh; vgl. 2,5: l‛bd ’t-h’dmh).
Er hat ihn also dazu ermächtig, an der Beschaffung und Vermehrung
der menschlichen Nahrung mitzuwirken. Das göttliche Verbot in 2,16f
konnte somit keinen Nahrungsengpass oder gar lebensbedrohenden
Hunger provozieren. Es schränkte auch nicht die menschliche Lebens-
qualität im Garten bzw. in Eden ein oder minderte diese. Das Verbot in
2,16f hielt lediglich fest, dass dem menschlichen Handeln in Bezug auf
den Genuss von Baumfrüchten eine Grenze gesetzt war. Menschliches
Handeln war im Garten Eden also nicht unbegrenzt.
Der zentrale inhaltliche Unterschied zwischen der göttlichen Rede
in 2,16f und in 1,29 („Ich gebe euch alles Grün … Euch soll es zur Nah-
rung sein.“) besteht darin, dass der Mensch in 2,17 von Gott aufgefor-
dert wird, eine ganz bestimmte Handlung zu unterlassen: „Doch vom
Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, - du darfst nicht von ihm es-
sen!“ Nichtsdestotrotz, die Frau und Adam haben schlussendlich doch
vom verbotenen Baum gegessen (vgl. 3,6).
Um die erste menschliche Handlung im Kontext der zweiten Schöp-
fungserzählung zutreffend zu erklären, empfiehlt es sich, den Begriff der
`Handlung´ zunächst genau zu definieren. Peter Knauer versteht unter
einer menschlichen Handlung „die durch einen Grund motivierte und
damit gewollte Zulassung oder Verursachung einer `Wirkung´ in der
Realität.“25 Von menschlicher Handlung kann man also nur dann spre-
chen, wenn es einen Grund gibt, um dessentwillen man eine Wirkung
in der Realität zulässt oder verursacht. Es gehört somit zum Wesen einer
menschlichen Handlung, dass man in ihr etwas anstrebt bzw. etwas zu
vermeiden sucht: „Der Grund jeder Handlung ist entweder ein zu errei-
chender Wert oder die Vermeidung eines Schadens.“26
Auf dem Hintergrund dieser Definition zur menschlichen Hand-
lung scheint es plausibel, das göttliche Verbot in Gen 2,16f zuallererst als

  P. Knauer, Handlungsnetze. Über das Grundprinzip der Ethik, Frankfurt am


25

Main 2002, p. 41; zum Folgenden vgl. Knauer, Handlungsnetze, p. 41-45.


26
  Knauer, Handlungsnetze, p. 45.
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 17

Schutzmaßnahme für den Menschen `Adam´ zu interpretieren. Gott


wollte Adam vor persönlichem Schaden in Folge einer bestimmten
Handlung schützen. Adam konnte bezüglich des göttlichen Verbots kei-
nen Grund angeben, um dessentwillen es sich gelohnt hätte, vom Baum
der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen, denn der angedrohte Tod
konnte in einer Welt, in der Gott die Menschen zum Leben erschaffen
hat, keinen zu erreichenden Wert darstellen.27
Das göttliche Verbot verbindet also den Genuss vom Baum der Er-
kenntnis mit der negativen Wirkung des (frühzeitigen) Todes. In die-
sem Zusammenhang könnte man auch von einer negativen Tatsphäre
sprechen oder davon, dass eine ganz bestimmte menschliche Handlung
unter die Domäne des göttlichen Fluchs gestellt wird. Im Unterscheid
zum Segen in Gen 1 konnte der Fluch nicht schon mit der Erschaffung
des Menschen wirksam werden, sondern erst infolge einer bestimmten
menschlichen Handlung. Sobald die Menschen das göttliche Verbot
übertreten haben, konnten sie ihren drohenden Tod als Konsequenz für

27
   Davon zu unterscheiden ist die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Men-
schen. Die Erschaffung der Menschen durch Gott muss nicht automatisch zur Fol-
ge haben, dass sie nicht sterben können oder werden. Solange die Menschen aber das
göttliche Verbot von 2,17 beachten, steht ihr möglicher Tod nicht mit ihrem Handeln
in Zusammenhang. - Für die folgende Argumentation ist nicht unmittelbar von Be-
deutung, wie man die Todesfolge in 2,17 interpretiert. In der Formulierung „…denn
am Tag, an dem du davon isst, wirst du gewiss sterben“ (2,17), ist nicht klar, ob die
Zeitangabe „am Tag, an dem du davon isst“ auch das Eintreffen der Todesfolge meint
oder lediglich den Zeitpunkt, ab dem die Todesfolge eintreffen wird („sobald du davon
isst, wirst du gewiss einmal sterben“). Will man nicht mit Gen 3,22-24 in Konflikt
geraten oder ywm als `lange´ Zeitspanne (`ein Tag wie 1000 Jahre´ vgl. Ps 90,4 und
D. Volgger, Und dann wirst du gewiss sterben. Zu den Todesbildern im Pentateuch
(ATSAT 92), St. Ottilien 2010, p. 16f ) verstehen, empfiehlt sich letztere Interpreta-
tionsmöglichkeit („sobald …“). Der Erzähllogik von Gen 2,4b-3,24 scheinen am ehes-
ten die Überlegungen von N. Sarna, Genesis ‫בראשית‬, The Traditional Hebrew Text
with the New JPS Translation (The JPS Torah Commentary), Philadelphia 1989, p.
21 zu entsprechen: „… man was mortal from the beginning. Logically, therefore, the
transgression should incur immediate capital punishment, not mortality as opposed
to immortality. But man and woman did not die at once, and it is not stated that Got
rescinded the death penalty. For these reasons, `you shall die´… must here mean being
deprived of the possibility of rejuvenation by means of the `tree of life´, as existed
hitherto – in other words, inevitable expulsion from the garden.”
18 David Volgger

ihre Handlung einschätzen.28 Dieser Zusammenhang wurde vollends


deutlich, als den Menschen der Zugang zum Baum des Lebens verwehrt
wurde (vgl. 3,23f ).
Das göttliche Verbot in Gen 2,16f kann also auch als bedingter Fluch
interpretiert werden, der auf die Grenze des Lebens oder auf die Grenze
der Gemeinschaft mit Gott aufmerksam machen will. In letzter Konse-
quenz geht es dabei aber um eine Schutzmaßnahme für das göttliche Ge-
schöpf `Adam´: Nur wenn dieser eine ganz bestimmte Handlung unter-
lässt und nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse isst, wird er
an der Realisierung des göttlichen Schöpfungsplans mitwirken.29
Man könnte das göttliche Verbot 2,16f also folgendermaßen syste-
matisieren: Gott verkündete dem Menschen `Adam´ zum Zeitpunkt x,
dass eine bestimmte Handlung zum Zeitpunkt y den Tod zum Zeitpunkt
z zur Folge habe. Da diese Wirkung für Adam keinen zu erreichenden
Wert darstellen konnte, gab es für ihn auch keinen Grund, diese Hand-
lung jemals zu begehen.30 Wenn der Mensch `Adam´ das Handlungs-
verbot in 2,16f als Schutzmaßnahme für sein Leben versteht, hat er die
Vermeidung von Schaden als Grund für die Unterlassung der Handlung
anerkannt. Diese Einsicht entspricht auch der Wahrnehmung des bishe-
rigen Schöpfungsprozesses, der unentwegt zu neuen Schöpfungsrealitä-
ten und zur Vermehrung des Lebens geführt hat. Adam war von allem
Anfang an dazu ermächtigt, sich an das göttliche Verbot zu halten, auch
wenn er zum Zeitpunkt x noch keine negativen Konsequenzen in Folge
einer eventuellen Verbotsübertretung erfahren hatte.

4. Die Übertretung des göttlichen Verbots

   Das bedeutet allerdings nicht, dass die Menschen ursprünglich unsterblich


28

waren und erst in Folge einer verbotenen Handlung sterblich wurden. Der Baum des
Lebens, aber auch die `Notwendigkeit´ der Nahrungsaufnahme scheinen dagegen an-
zudeuten, dass die Menschen von allem Anfang an sterblich waren.
29
   Gen 2,16f könnte man diesbezüglich auch mit den Segensaussagen in 1,22
und 1,28-30 vergleichen. Es fällt allerdings auf, dass 2,16f gegenüber 1,22 und 1,28-30
ein Handlungsverbot enthält.
30
   Zu dieser Analyse von Gen 2,16f vgl. auch S. Wagner-Tsukamoto, «The
Tree of Life: Banned or Not Banned? A Rational Choice Interpretation», in SJOT 26
(2012), p. 109-112.
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 19

Wenn die vorangehenden Überlegungen zum göttlichen Verbot in


2,16f zutreffen, drängt sich umso mehr die Frage auf, warum Adam und
seine Frau dennoch vom verbotenen Baum gegessen haben. Dies hat of-
fensichtlich mit der Argumentation der Schlange zu tun, mit der sie sich
an die Frau und ihren Mann gewendet hat (3,4f ): „Ihr werdet gewiss
nicht sterben,5 denn Elohim weiß (yd‛ Ptz., Sg.), dass am Tag, an dem ihr
davon (mmwn) esst, eure Augen geöffnet werden, und ihr werdet sein
wie Elohim, Gutes und Böses erkennende (yd‛y Ptz., cs., Pl.).“31
Für das Verständnis dieser Aussage empfiehlt es sich, mit der Inter-
pretation der Phrase „davon“ (mmnw) in 3,5 zu beginnen. Diese Phrase
kommt bereits in 3,3 vor und bezieht sich dort auf „den Baum, der in der
Mitte des Gartens ist (h‛ ’šr btwk-hgn)“. Vers 3,3 gehört zur Antwort
der Frau auf die Frage der Schlange in 3,1. Die Phrase vom `Baum in
der Mitte des Gartens´ (vgl. 3,3) bezieht sich wiederum auf 2,9, wo es
heißt: w=‛ h yym btwk hgn w=‛ hd‛t  wb wr‛. Übersetzt man die bei-
den w= als Konjunktionen `und´, ergibt sich folgendes Verständnis für
die gesamte Phrase: „und der Baum des Lebens in der Mitte des Gartens
und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“. Wenn also die Frau
in 3,3 vom `Baum in der Mitte des Gartens´ spricht, wird der Leser, die
Leserin zunächst an den „Baum des Lebens in der Mitte des Gartens“ in
2,9 denken und zugleich bemerken, dass in 3,3 die Spezifizierung `Le-
ben´ fehlt.32 Wenn die Frau in Gen 3,3 aber fortfährt und diesen Baum
als von Gott verboten charakterisiert, wird der Leser, die Leserin an den
Baum der Erkenntnis von Gut und Böse denken (vgl. 2,17 und 2,9). Es
stellt sich also die Frage, worauf sich die beiden Bezeichnungen `Baum
des Lebens´ und `Baum der Erkenntnis von Gut und Böse´ konkret
beziehen, ob sie einen einzigen Baum oder zwei voneinander getrennte
Bäume in der geschaffenen Realität bezeichnen.
Auf der Grundlage der bisherigen Textbeobachtungen zur Phrase
mmnw in 3,5 und 3,3 könnte man zu zwei unterschiedlichen Folgerun-
gen gelangen: Erstens: Es befanden sich zwei Bäume in der Mitte des
Gartens, so dass die Phrase `in der Mitte des Gartens´ in 2,9 auch für

31
   Elohim mit Partizip Plural in 3,5 wird am ehesten `göttliche Wesen´ meinen,
die in engster Beziehung zu Gott `Elohim´ (im Sg.) stehen. In unserem Fall ist die
Erkenntnis von Gut und Böse das Merkmal, das Gott und göttliche Wesen eint.
32
   An der Stelle von hḥyym (2,9) steht ’šr (3,3).
20 David Volgger

den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse gilt.33 Oder zweitens: Es
gab nur einen einzigen Baum in der Mitte des Gartens, so dass die Phra-
se „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ lediglich eine Apposition
zum „Baum des Lebens in der Mitte des Gartens“ darstellt. Dementspre-
chend müsste man die Junktion w= in w=‛ hd‛t wb wr‛ als erläutern-
des Waw interpretieren.34 Das erste Waw in w=‛ h yym btwk hgn (2,9)
wird man wohl in beiden Fällen durch „auch“ wiedergeben müssen, weil
zuvor von der Erschaffung aller Bäume (kl-‛ ) die Rede war. Vers 2,9
lautet dementsprechend: „Und Yhwh Elohim ließ aus dem Ackerboden
alle Bäume (hervor-) sprießen, begehrenswert für den Anblick und gut
für den Genuss, auch den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens (1)
und / (2) nämlich den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.“
Wer in 2,9 von der nahe liegenden Deutung ausgeht, es handle sich
um zwei real unterschiedliche Bäumen, wird bemerken, dass die Unter-
scheidung der beiden Bäume ab 3,3 nicht mehr eindeutig gelingen will.
Wer aber mit Blick auf 3,3 von einem einzigen Baum in der Mitte des
Gartens ausgeht, muss die beiden Bezeichnungen `Baum des Lebens´
und `Baum der Erkenntnis von Gut und Böse´ auf einen einzigen Baum
beziehen.35
Die beiden Bezeichnungen `Baum des Lebens´ und `Baum der
Erkenntnis von Gut und Böse´ enthalten jedenfalls einen Hinweis auf

  Vgl. A. Michel, Theologie aus der Peripherie. Die gespaltene Koordination im


33

Biblischen Hebräisch (BZAW 257), Berlin, New York 1997, p. 16.


34
  Vgl. M. Bauks, «Erkenntnis und Leben in Gen 2-3 – Zum Wandel eines ur-
sprünglich weisheitlich geprägten Lebensbegriffs», in ZAW 127 (2015), p. 23: Un-
klar bleibt die Aussage Bauks: „Der Baum des Lebens in der Mitte des Gartens dient
der näheren Bestimmung des Baumes der Erkenntnis.“ Müsste es nicht umgekehrt lau-
ten: Der Baum der Erkenntnis dient der näheren Bestimmung des Baumes des Lebens?
35
   Dadurch wäre im Verbot von 2,16f die Intention des Genusses von Bedeutung:
Wer von den Früchten des Baumes in der Mitte des Gartens (vgl. 3,3) isst, um Erkennt-
nis zu erlangen, wird mit dem Tod bestraft. Wer davon isst, um Leben zu erlangen,
bleibt unbestraft und wird das `neue Leben´ erhalten. Aus 3,6 wird jedenfalls deutlich,
dass die Frau vom Baum gegessen hat, um Erkenntnis zu erlangen. – Gen 2,4b-3,24
unterstreicht auch in anderen Fällen die Einheit bzw. innere Bezogenheit zweier (oder
mehrerer) `Realitäten´: Mann `Isch´ und Frau `Ischa´ sind im Menschen `Adam´
präsent (vgl. die Erschaffung von `Isch´ und `Ischa´ aus dem einen `Adam´ in 2,21-
23). `Isch´ und `Ischa´ werden zu einem Fleisch (vgl. 2,24). Auch die Phrase `Yhwh
Elohim´ weist auf eine komplexe göttliche Einheit; vgl. dazu weiter unten.
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 21

die realen Konsequenzen, die sich einstellen, wenn die Menschen da-
von essen:36 Nach 3,22 gab Yhwh Elohim nämlich zu, dass der Mensch
`Adam´37, nachdem er vom verbotenen Baum (vgl. 3,17; d.h. nach 2,17:
vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse) gegessen hatte, „wie einer
von uns bezüglich des Erkennens von Gut und Böse geworden sei (h’dm
hyh k’ d mmnw ld‛t  wb wr‛ )“. In diesem Fall bezieht sich die Phrase
mmnw nicht mehr auf den Baum in der Mitte (vgl. 3,3.5), sondern auf
(Yhwh) Elohim, der im Kreise der Elohim (Pl.) in 1. Ps. Pl. zu sprechen
vorgibt.38 Nach 3,22 verhinderte Yhwh Elohim außerdem noch den
Genuss vom Baum des Lebens, denn hätten Adam und seine Frau auch
noch davon gegessen, hätten sie zudem Leben von ‛olam Qualität er-
halten (vgl. 3,22). Diese Konsequenz stünde allerdings im Widerspruch
zur Ankündigung der `Todesfolge´ im göttlichen Verbot 2,17. Zuvor
mussten die beiden Menschen aber intentional vom Baum in der Mitte
des Gartens, d.h. vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse essen.
Für das Verständnis des Dialogs zwischen der Schlange und der
Frau in 3,1-5 ist entscheidend, mit welcher Konsequenz bzw. mit wel-
chen Konsequenzen einerseits die Frau und andererseits die Schlange
gerechnet haben. Die Frau erwartete für den Genuss vom Baum in der
Mitte nach 3,3 ausschließlich den sicheren Tod und verwies dabei auf ein
göttliches Verbot: „Und von den Früchten des Baums, der in der Mitte
des Gartens ist, - Gott hat gesagt: Ihr esst nicht davon und berührt ihn
nicht, damit ihr nicht sterbt (tmtwn).“ Sie hat dabei die Todesfolge, die
nach 2,17 dem Menschen `Adam´ galt, auch auf sich selbst übertragen
und folgerichtig die 2. Ps. Pl. verwendet: „ihr werdet sterben (tmtwn)“.39
36
   Auf die Konsequenzen in Folge des Genusses von den beiden Bäumen, näm-
lich auf gottgleiche Erkenntnis und gottgleiches Leben, macht Wagner-Tsukamo-
to, «The Tree of Life: Banned or Not Banned? A Rational Choice Interpretation»,
p. 102-122 aufmerksam.
37
  In h=’dm ist der Mann `Isch´ und die Frau `Ischa´ gleichermaßen
angesprochen.
38
   Vgl. dazu noch einmal den Wechsel von Elohim im Sg. (Ptz. yd‛ im Sg.) und
Elohim im Pl. (Ptz. yd‛y im Pl.) in 3,5.
39
  R. Kimelman, «The Seduction of Eve and the Exegetical Politics of Gender»,
in Biblical Interpretation 4 (1996), p. 7 meint folgende sechs Unterschiede zwischen dem
göttlichen Verbot in 2,16f und dessen Version aus dem Mund der Frau in 3,2f zu er-
kennen: „1. The `command´ of God has been diluted to the `saying´ of god (cf. 3:17).
2. God´s generosity has been reduced to a general permission. 3. The ominous tree of
22 David Volgger

Die Schlange verneinte hingegen nach 3,4 die Todesfolge („ihr sterbt
gewiss nicht“ l’-mwt tmtwn) und stellte dafür gottgleiche Erkenntnis in
Aussicht. Die Formulierung der Schlange l’-mwt tmtwn in 3,4 verdankt
sich sowohl der Aussage der Frau in 3,3, was den Plural des Verbs (tmt-
wn) angeht, als auch dem Verbot Gottes in 2,17, was die Figura etymo-
logica des Verbs (mwt tmtwn) angeht.
Warum die Schlange in 3,4 zur Negation der Todesfolge gekom-
men ist, bleibt auf den ersten Blick unklar, hat doch die Frau in 3,3 noch
dargelegt, dass der Genuss vom Baum in der Mitte zum Tod führe. Die
Schlange gab allerdings vor, Zugang zu einem göttlichen `Wissen´ zu
haben, demzufolge der Genuss vom Baum zu gottgleichem Erkennen
von Gut und Böse führe. Woher auch immer die Schlange dieses `Wis-
sen´ bezogen hat, es stammt nicht direkt aus dem Mund der Frau (vgl.
3,2f ), hat aber mit dem göttlichen Verbot in 2,16f zu tun, insofern die
Formulierung yd‛y  wb wr‛ in 3,5 auf den Baum `der Erkenntnis von
Gut und Böse (h=d‛t  wb wr‛)´ in 2,17 zurückweist. Davon zu unter-
scheiden ist die Frage, ob alles zutreffen werde, was die Schlange in 3,5
als `Wissen Gottes´ ausgegeben hat. Sie scheint nämlich in 3,4f Gott zu
unterstellen, sein Wissen durch ein Verbot vor den Menschen geheim
halten zu wollen. Das göttliche Verbot, vom Baum in der Mitte des Gar-
tens zu essen, würde demzufolge nicht dem Schutz menschlichen Le-
bens, sondern dem Schutz göttlichen Wissens vor seiner Veräußerung
an die Menschen dienen. Aus diesem Grund hat die Schlange ihre Rede
in 3,4 wohl bewusst mit der Negierung der Todesfolge eröffnet. Sie un-
terstellte auf diese Weise, dass der Genuss vom Baum in der Mitte aus-
schließlich zu gottgleicher Erkenntnis führe, was wiederum impliziert,
dass Menschen mit gottgleicher Erkenntnis nicht vom Tod bedroht wä-
ren, sondern am Leben blieben (vgl. 3,5).40

good and evil becomes a nondescript tree in the midst of the garden. 4. The singular has
become plural, making one into two … 5. Touching has been added to the prohibition of
eating. 6. The imminent penalty of death gives way to some future threat.”
40
   Neu in 3,1-5 ist auch der Gebrauch der Bezeichnung ’lhym ohne Yhwh, und
zwar zunächst im Mund der Schlange (3,1; vgl. noch 3,5) und darauf antwortend im
Mund der Frau (3,3). Vielleicht deutet der Autor damit eine mangelhafte Wahrneh-
mung des ursprünglichen Verbots aus dem Mund Yhwh Elohims an? Adam und sei-
ne Frau nehmen ansonsten in 2,4b-3,24 den Namen Gottes nicht in den Mund. - Da
Elohim in 3,1.3 jeweils mit einem finiten Verb im Sg. und in 3,5 mit einem Partizip im
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 23

Beachtet man alle diese Textsignale, muss man das Wort der Schlan-
ge in 3,4f folgendermaßen analysieren: Die Schlange argumentierte zum
Zeitpunkt x´ gegenüber der Frau Adams (und damit auch gegenüber
Adam), dass eine ganz bestimmte Handlung zum Zeitpunkt y´ nicht
zum Tod, sondern zur Öffnung ihrer Augen zum Zeitpunkt z´ führe.
Weil die Folge dieser Handlung für Adam und seine Frau einen zu errei-
chenden Wert darstellt, konnten sie den Genuss vom Baum in der Mitte
positiv motivieren.
Der Erzähler begründet dementsprechend in 3,6 den Genuss vom
Baum mit der in Aussicht gestellten `Einsicht´: „Und die Frau sah,
dass der Baum gut ist für den Genuss, dass er eine Anziehung ist für die
Augen und (dass) der Baum begehrenswert ist, um Einsicht zu haben
(lhśkyl).“ Inhaltlich weist dieser Vers auf 2,9 zurück, wo der Erzähler –
und nicht die Frau – zunächst von allen Bäumen und deren Qualitäten
spricht, bevor er die Aufmerksamkeit auf zwei spezielle Baumbezeich-
nungen lenkt:

Gen 2,9 Gen 3,6


wy m Yhwh ’lhym mn–h’dmh wtr’ h’šh
kl-‛ n md lmr’h
w  wb lm’kl ky  wb h‛ lm’kl
wky t’wh-hw’ l‛ynym
wn md h‛ lhśkyl
w‛ h yym btwk hgn w‛ hd‛t wb wr‛

In Gen 2,9 spricht der Erzähler zunächst von allen Bäumen, die
Yhwh Elohim aus der (Acker-) Erde wachsen lässt: Jeder Baum sei be-
gehrenswert für den Anblick und gut für den Genuss. Nach diesem Ur-
teil folgt noch der Hinweis auf den Baum des Lebens in der Mitte des
Gartens und / nämlich den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Ob
die Qualifizierung `gut für den Genuss´ auch für den Baum des Lebens
bzw. der Erkenntnis von Gut und Böse gilt, bleibt in 2,9 offen.41 In 3,6

Sg. (yd‛ ) übereingestimmt ist, empfiehlt es sich, das Partizip Pl. yd‛y (ṭwb wr‛ ) in 3,5
auf die Menschen als Elohim (Pl.) zu beziehen.
41
   Es ist auch nicht klar, ob die Bestimmung „in der Mitte des Gartens“ in 2,9 auf
den Baum der Erkenntnis übertragen werden soll.
24 David Volgger

kommt hingegen die Frau mit ihrer Sicht der Dinge zu Wort. Nachdem
sie die Argumentation der Schlange gehört hatte, erschien ihr der Baum
(in der Mitte des Gartens) `gut für den Genuss, anziehend für die Au-
gen sowie begehrenswert für das Erkennen´. In 2,9 und 3,6 ist jeweils
vom `Genuss´ und `Ansehen´ die Rede. Neu gegenüber 2,9 ist die Ver-
teilung der Adjektive n md und  wb. Zudem kommt in 3,6 das Nomen
t’wh hinzu verbunden mit dem Aspekt der Einsicht (lhśkyl, Hi von śkl).
Vom Erkennen ist in 2,9 lediglich in der Phrase `Baum der Erkenntnis
von Gut und Böse´ die Rede, wobei in diesem Fall d‛t (vgl. yd‛) und
nicht śkl (vgl. 3,6) verwendet wird.
Das Erkenntnisurteil der Frau, das der Formulierung in 3,6 zu
Grunde liegt, könnte man etwa folgendermaßen wiedergeben: `Es ist
nicht gut, dass der Mensch nicht vom Baum in der Mitte des Gartens,
d.h. vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse isst.´ Dieses Urteil ist
vergleichbar mit dem Erkenntnisurteil Yhwh Elohims in 2,18: „Es ist
nicht gut, dass der Mensch `Adam´ allein ist (l’  wb hywt h’dm lbdw).“
Der Unterschied zwischen beiden Urteilen besteht darin, dass das Urteil
Yhwh Elohims und seine anschließende Schöpfungshandlung zur un-
eingeschränkten Behebung des `nicht-guten´ Zustands führt, während
das Urteil der Frau und der anschließende Genuss vom Baum in der
Mitte keineswegs uneingeschränkt zur Behebung eines `nicht-guten´
Zustandes führt. Dass das Erkenntnisurteil der Frau bezüglich der zu
begehenden Handlung mangelhaft ist, verwundert nicht, hat sie dieses
doch allein im Hinhören auf die Argumentation der Schlange noch vor
dem Genuss vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse getroffen. Am
Ende musste Yhwh Elohim die Menschen darüber aufklären, dass sie
sein Verbot missachtet und verführt von einem unzutreffenden Grund
eine verbotene Handlung begangen haben (vgl. 3,11).
Man könnte noch fragen, warum Gott in 2,16f nur den Tod als
Konsequenz für die Verbotsübertretung angesprochen hat, nicht aber
die gottgleiche Erkenntnis. Das dürfte wohl damit zusammenhängen,
dass Gott den Menschen `Adam´ davor bewahren wollte, in der gott-
gleichen Erkenntnis von Gut und Böse ein erstrebenswertes Ziel zu se-
hen, das dazu berechtige, auch vom Baum der Erkenntnis zu essen. Zwar
bestätigte Gott nach Gen 3,22, dass der Mensch `Adam´ nach dem Ge-
nuss vom verbotenen Baum „wie einer von uns“, d.h. wie einer aus dem
göttlichen Kreis, „geworden ist in Bezug auf das Erkennen von Gut und
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 25

Böse.“ Der entscheidende Punkt ist aber, dass die Menschen in Folge des
Genusses vom Baum in der Mitte – gegen die Ansage der Schlange in
3,4 – keineswegs vom Tod verschont blieben. Auch wenn die Menschen
bis zur Vertreibung aus dem Paradies noch nicht gestorben sind, lässt die
gesamte Erzählung keinen Zweifel daran, dass die gottgleiche Erkennt-
nis (der Menschen) nicht zu einem Leben mit ‛olam-Qualität (vgl. 3,22:
y l‛lm) führen werde. Die Gottgleichheit betrifft nur die Erkenntnis
von Gut und Böse, nicht aber das Leben, das die Menschen ab diesem
Zeitpunkt als definitiv begrenzt erfahren. Man könnte auch sagen:
Der (einzige) Grund, den Gott für die Unterlassung des Genusses vom
Baum der Erkenntnis in 2,16f vorgebracht hat, ist ein entsprechender
Grund, weil er aufs Ganze gesehen eine zutreffende Entsprechung zwi-
schen einer Handlung (bzw. einer Unterlassung einer Handlung) und
ihrer Folge formuliert.42 Der Grund, den die Schlange für den Genuss
vom Baum in der Mitte in 3,4f namhaft gemacht hat, ist dagegen kein
entsprechender Grund, weil er neben einer zutreffenden Entsprechung
zwischen einer Handlung (Genuss vom Baum in der Mitte, d.h. vom
Baum der Erkenntnis von Gut und Böse) und ihrer Folge (gottgleiche
Erkenntnis von Gut und Böse) aufs Ganze gesehen eine unzutreffende
Entsprechung zwischen derselben Handlung (Genuss vom Baum in der
Mitte) und einer anderen Folge (`Ihr werdet gewiss nicht sterben.´) for-
muliert. Der Tod als Folge für die Verbotsübertretung lässt sich dabei
aus keiner einzigen Bezeichnung der Bäume – weder des Baumes des
Lebens noch des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse noch des
Baumes in der Mitte – logisch ableiten.

5. Die gottgleiche Erkenntnis der Menschen


Die erste Erkenntnis, die sich nach dem Genuss vom verbotenen
Baum bei beiden Menschen einstellte, betraf ihre Nacktheit. In 3,7 heißt
es: „Und die Augen beider wurden geöffnet und sie erkannten, dass sie
nackt waren.“ Diese Formulierung bezieht sich auf die Rede der Schlan-
ge in 3,5 und den Erzählabschnitt in 2,25:

  Vgl. Knauer, Handlungsnetze, p. 46f.


42
26 David Volgger

Gen 2,25 Gen 3,5 Gen 3,7


wnpqḥw ‛ynykm wtpqḥnh ‛yny šnyhm
whyytm k’lhym
yd‛y ṭwb wr‛
wyhyw šnyhm ‛rwmym wyd‛w ky ‛yrmm hm
h’dm w’štw

Der relevante Abschnitt in 3,7 entspricht der Aussage der Schlange


in 3,5, in der sie lediglich vorgibt, Einblick in das Wissen Elohims zu
haben: „denn Gott weiß (yd‛, Ptz.), dass am Tag, an dem ihr davon esst,
eure Augen geöffnet werden …“ Ob die Behauptung der Schlange in 3,5
tatsächlich mit dem Wissen Gottes übereinstimmt, ist noch nicht klar.
3,7 erzählt dagegen ein `Faktum´, das sich tatsächlich ereignet hat: Die
beiden Menschen haben tatsächlich eine Erkenntnis gewonnen (wyd‛w),
und diese Erkenntnis bestand darin, dass sie nackt waren. Das Verb yd‛
bezeichnet an dieser Stelle zum ersten (und letzten) Mal in 2,4b-3,24
eine reale Erkenntnis bzw. ein reales Erkenntnisurteil eines Menschen.
Der Hinweis in 2,25, dass Adam und seine Frau beide nackt wa-
ren, ist ein Erzählkommentar, der die Situation vor der Übertretung des
göttlichen Verbots beschreibt. Zu diesem Zeitpunkt sahen die Men-
schen noch keinen Anlass, auf die Wahrnehmung ihrer Nacktheit mit
einer Handlung zu reagieren. Sie verfügten noch nicht über ein entspre-
chendes Erkenntnisurteil. Deshalb heißt es in 2,25: „und sie schämten
sich nicht (wl’ ytbššw).“ Nach der Übertretung des Verbots reagierten sie
dagegen auf die Erkenntnis ihrer Nacktheit mit einer ganz bestimmten
Handlung (3,7): „Und sie nähten ein Feigenblatt (bzw. Feigenblätter)
zusammen und machten sich Gürtel.“
Der innere Zusammenhang von Erkenntnis und entsprechender
Handlung ist in der zweiten Schöpfungserzählung nichts Neues. Gott
hat in 2,18 das Erkenntnisurteil formuliert: „Es ist nicht gut (l’-  wb),
dass der Mensch `Adam´ allein ist.“ Gleich anschließend ging er daran,
für Adam eine ihm entsprechende Hilfe zu erschaffen. Der zu erreichen-
de Wert der Gemeinschaft zwischen Mann und Frau war also der Grund
für diese göttliche Schöpfungshandlung. Parallel dazu könnte man für
3,6 unterstellen: Die beiden Menschen sind nach dem Genuss vom
Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zum Erkenntnisurteil gelangt:
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 27

`Es ist nicht gut, dass der Mensch nackt ist.´ Gleich anschließend haben
sie sich einen Gürtel aus Feigenblättern hergestellt, um ihre Nacktheit
zu bedecken. In diesem Fall war der Grund für die menschliche Hand-
lung die Vermeidung eines unangemessenen Zustandes. Nach dem Ge-
nuss vom Baum der Erkenntnis erkannten also die Menschen wie Gott,
was gut ist und was in der Schöpfung noch aussteht bzw. was schlecht
ist, wenn es dabei bliebe. Die menschliche Handlung, sich Gürtel zu ma-
chen, scheint allerdings ein Vorgriff auf die göttliche Handlung in 3,21
darzustellen.43
Nach 3,8 scheinen die Menschen realisiert zu haben, dass sie sich
Yhwh Elohim gegenüber unangemessen verhalten haben: Sie versteck-
ten sich deshalb vor ihm unter den Bäumen (bzw. „in der Mitte des Bau-
mes des Gartens“ btwk ‛ hgn). Adam gab nach 3,10 auch zu, dass er auf
Grund seiner `Nacktheit´ in Furcht geraten sei, als er die Stimme Yhwh
Elohims gehört habe, und sich versteckt habe: „(Und) ich habe mich
gefürchtet (w’yr’), weil ich nackt bin, und ich habe mich versteckt.“ Mit
diesen Worten gab Adam zu, dass er sich trotz seiner selbst gemachten
Bekleidung nackt fühlte und sich vor Gott fürchtete. Schlussendlich
deckte Yhwh Elohim den wahren Grund für das Verhalten `Adams´
auf, indem er ihn auf die Übertretung des Gebots ansprach (3,11): „Wer
hat dir erzählt, dass du nackt bist? Hast du vom Baum, von dem ich dir
geboten habe, nicht zu essen, gegessen?“ Auch wenn Adam zunächst auf
die Frau zeigte, die ihm Gott zur Seite gestellt und die ihm auch vom
verbotenen Baum zu essen gegeben hatte (vgl. 3,12), und diese Frau in
weiterer Folge auf die Schlange zeigte, die sie zuallererst verführt hatte
43
  In der vorgeschlagenen Interpretation kann `Scham´ erst dann entstehen,
wenn der Mensch eine unangemessene Tat begangen und diese auch als solche erkannt
hat. Als unangemessene Tat kommt in 2,4b-3,24 nur die Übertretung des göttlichen
Verbots in Frage. Diese Tat führt aber zunächst dazu, dass der Mensch ein angemesse-
nes Erkenntnisurteil fällt, was ihn dazu verleitet, auf dieses Urteil mit einer bestimm-
ten Handlung zu antworten. Wenn es in 2,25 heißt, dass sich die beiden Menschen
nicht schämten, bedeutet das, dass sie in ihrer Nacktheit zu diesem Zeitpunkt keinen
unangemessenen Schöpfungsstatus sehen konnten. Ob die Beurteilung der Nacktheit
als soziales Phänomen für die Exegese von Gen 2f hilfreich ist, bleibt meines Erachtens
fraglich; vgl. M. Bauks, «Text- und Reception-Historical Reflections on Transmissi-
onal and Hermeneutical Techniques in Genesis 2-3», in The Pentateuch. International
Perspectives on Current Research (FAT 78), a cura di T.B. Dozeman – K. Schmid –
B.J. Schwartz, Tübingen, 2011, p. 152: “… in the Old Testament, nakedness does not
28 David Volgger

(vgl. 3,13): Am Ende zählte nur die eine Handlung: „Ich habe gegessen“
(vgl. 3,12.13).44
Der Versuch der Menschen, ihre Nacktheit in Folge einer gott-
gleichen Erkenntnis (`es ist nicht gut, …´) zu `bedecken´ und so einen
schöpfungskonformen Zustand herbeizuführen, ist letztlich gescheitert.
Trotz ihrer selbst gemachten `Bekleidung´ fürchteten und versteckten
sich die Menschen vor Yhwh Elohim. Ihre an und für sich zutreffende
schöpfungskonforme Erkenntnis, dass es nicht gut ist, dass Menschen
nackt sind, wurde somit von der negativen Einsicht überschattet, dass
die menschliche Anstrengung, dieser Nacktheit zu begegnen, unzurei-
chend bleibt.
Angesichts der bisherigen Textbeobachtungen könnte man auch
fragen, ob nicht ein Widerspruch zwischen dem göttlichen Schöpfungs-
handeln und der Androhung des sicheren Todes in 2,17 besteht. Dabei
muss aber beachtet werden, dass die Todesfolge für den Menschen nicht
im `ursprünglichen´ Schöpfungshandeln Gottes begründet ist, sondern
in der Handlung der von der Schlange verführten Menschen, die mein-
ten, sich über die göttliche Schutzmaßnahme für das menschliche Leben
(vgl. 2,16f ) hinwegsetzen zu können. Das göttliche Verbot vermittelt
somit zwischen göttlichem Schöpfungshandeln in seiner unbedingten,
positiven Form und göttlichem (Schöpfungs-) Handeln als Antwort auf
widergöttliches menschliches Handeln `während des Schöpfungspro-

stand for sexual shame or any kind of individual feeling but rather for a symbol of social
ranking or vulnerability. … So, one could interpret the verse [3,7] as saying that the hu-
man couple realize that they have become vulnerable.“ – Ob sich in 3,1-7* eine ätiolo-
gische Erklärung des Phänomens menschlicher Scham findet (so Dohmen, Schöpfung
und Tod, p. 216-222), ist für das Verständnis des Textes nicht wichtig. Menschliche
Scham, so die Logik der Erzählung, setzt voraus, dass der Mensch das göttliche Verbot
übertreten und diese Übertretung als solche eingesehen hat. Mit der Nacktheit des
Menschen hat das wiederum nicht unmittelbar etwas zu tun. Gott hätte auf jeden Fall
Kleider für die nackten Menschen erschaffen, auch wenn sie vom verbotenen Baum
nicht gegessen hätten.
44
   Der Abschnitt 3,9-12 konzentriert sich auf die beiden Protagonisten Yhwh
Elohim und den Menschen `Adam´. Dass dabei Adam als Hauptschuldiger angeklagt,
seine Frau dagegen von der Anklage befreit werden soll – so Heger, Women in the
Bible, p. 46-51 –, entspricht meiner Einschätzung nach nicht der Aussage des gesamten
Textverlaufs.
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 29

zesses´. Die theologische Leistung der zweiten Schöpfungserzählung


besteht somit u.a. auch darin, den Tod des Menschen nicht losgelöst
vom göttlichen Handeln, sondern in Verbindung mit einer göttlichen
Antwort auf eine widergöttliche menschliche Handlung zu begreifen.
Am Ende der zweiten Schöpfungserzählung kann jeder Mensch nach-
vollziehen, dass sein Todesgeschick auch mit dem Handeln Gottes
`während der Schöpfungsphase´ zu tun hat. Unbestritten bleibt dabei,
dass menschliches Handeln Gott nichts anhaben kann, denn Gott ist als
Schöpfer von Himmel und Erde dem menschlichen Handeln in gewis-
ser Weise immer `voraus´.
Die Menschen können das göttliche Verbot (2,16f ) auch nur ein-
mal übertreten (vgl. 3,6), denn unmittelbar danach werden sie aus dem
Garten Eden vertrieben und von allen Bäumen im Garten, inklusive dem
Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, getrennt (vgl. 3,22-24). Mit der
Vertreibung aus dem Garten Eden wird auch die `Todesdrohung´ von
2,17 konkret wirksam, weil der Zugang zum Baum des Lebens ebenso
unterbunden bleibt. Die diesbezüglich relevante Formulierung in 3,22
weist konzeptionell auf die erste Antwort der Frau an die Schlange in
3,3 zurück, insbesondere was die Berührung bzw. den Zugriff auf den
Baum (in der Mitte des Gartens in 3,3 bzw. des Lebens in 3,22) betrifft.

Gen 3,3 Gen 3,22


… ’mr ’lhym … w‛th
l’ t’klw mmnw
wl’ tg‛w bw pn yšlḥ ydw wlqḥ gm m‛ṣ hḥyym
w’kl
pn tmtwn wḥy l‛lm

Schließlich gilt es noch zu klären, wie der Genuss vom Baum des Le-
bens bzw. der Erkenntnis von Gut und Böse und die damit verbundenen
Folgen miteinander zusammenhängen. Im Wesentlichen gibt es dazu
drei Lösungsvorschläge:45 Erstens: Der einmalige Genuss vom Baum des
Lebens oder der Erkenntnis von Gut und Böse führt zum immerwäh-
renden Besitz des Leben oder der Erkenntnis von Gut und Böse. Zwei-
tens: Der einmalige Genuss vom Baum des Lebens oder der Erkenntnis

   Vgl. dazu auch Wagner-Tsukamoto, «The Tree of Life: Banned or Not


45

Banned? A Rational Choice Interpretation», p. 112-118.


30 David Volgger

von Gut und Böse führt zur Lebensverlängerung in einer lebensgefährli-


chen Situation oder zu einer bestimmten Erkenntnis von Gut und Böse
in einer konkreten Situation. Drittens: Es muss zwischen dem Baum des
Lebens und dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse unterschieden
werden, wobei der einmalige Genuss vom Baum des Lebens zur Lebens-
verlängerung in einer lebensgefährlichen Situation führt, während der
einmalige Genuss vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zum im-
merwährenden Besitz der Erkenntnis von Gut und Böse führt.
Meines Erachtens entspricht der zweite Lösungsvorschlag am ehes-
ten der Erzähllogik von Gen 2,4b-3,24.46 Die Erzählung scheint voraus-
zusetzen, dass die Menschen, wann immer sie Hunger hatten, von allen
Fruchtbäumen essen durften, um ihren Hunger zu stillen (vgl. 2,9). Das
göttliche Verbot in 2,16f verbietet allerdings den Genuss vom Baum der
Erkenntnis von Gut und Böse. Sollte der Mensch dennoch davon essen,
musste er damit rechnen, dass er kein zweites Mal davon essen werde.
Tatsächlich endet die Erzählung mit der Vertreibung von Adam und sei-
ner Frau aus dem Garten Eden, was zur Folge hatte, dass sie – bedroht
vom Tod – keinen Zugang mehr zum Baum in der Mitte des Gartens
(bzw. der Erkenntnis von Gut und Böse) hatten (vgl. 3,22-24).
Adam und seine Frau haben infolge des Genusses vom Baum der Er-
kenntnis von Gut und Böse genau eine konkrete Erkenntnis erworben,
nämlich: dass es nicht gut ist, dass Menschen nackt sind (vgl. 3,7). Der
Text deutet an keiner Stelle an, dass die beiden darüber hinaus andere
oder gar alle göttlichen `Erkenntnisse´ erlangt hätten. Deshalb bleibt
die Prognose der Schlange in 3,5, dass den Menschen die Augen aufge-
hen und sie wie `Elohim´ Gutes und Böses erkennen werden, letztend-
lich auf eine konkrete Erkenntnis beschränkt.47 Auch die Aussage Yhwh
Elohims in 3,22, dass „der Mensch `Adam´ im Bezug auf das Erkennen
von Gut und Böse wie einer von uns geworden sei“, geht letztendlich
nicht über die Erkenntnis der Nacktheit der Menschen hinaus. Die Er-
zählung sieht folglich die Grenze zwischen Gott und Mensch in Bezug

  Gegen Wagner-Tsukamoto, «The Tree of Life: Banned or Not Banned?


46

A Rational Choice Interpretation», p. 102-122, der den ersten Lösungsvorschlag fa-


vorisiert.
47
  Die Prognose der Schlange, dass die Menschen infolge des Genusses vom
Baum in der Mitte des Gartens nicht sterben werden, würde einen mehrmaligen Ge-
nuss ermöglichen.
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 31

auf die Erkenntnis von Gut und Böse keineswegs gefährdet.48 Nach dem
Genuss vom Baum der Erkenntnis waren die Menschen nicht autonom
in Bezug auf die Erkenntnis von Gut und Böse. Sie wurden vielmehr
vom Baum der Erkenntnis für immer getrennt, so dass all ihr Erkennen
vom göttlichen Wort, das in Schöpfung und Geschichte Gestalt an-
nimmt, abhängig war.
Vom (möglichen) Genuss vom Baum des Lebens spricht Gen 2,4b-
3,24 nur ab dem Zeitpunkt, als die Menschen vom Baum in der Mitte
(bzw. der Erkenntnis von Gut und Böse) gegessen hatten und vom si-
cheren Tod bedroht waren. In dieser Situation hätte der Genuss vom
Baum des Lebens die negative Konsequenz des Genusses vom Baum in
der Mitte (bzw. der Erkenntnis von Gut und Böse) unterbinden kön-
nen. Die einmalige Außerkraftsetzung der Todesdrohung hätte in wei-
terer Folge beliebig oft wiederholt werden können, so dass das göttliche
Verbot 2,16f jegliche Bedeutung verloren hätte. Wenn Gott als Konse-
quenz für den einmaligen Genuss vom Baum des Lebens ein `Leben mit
`Olam-Qualität´, d.h. ein fortdauerndes Leben nannte (vgl. 3,22), tat er
das wohl nur, um diese Denkmöglichkeit im nächsten Moment ein für
alle Mal auszuschließen. Ein Leben, ein fortdauerndes Leben gegen das
göttliche Gebot kann es niemals geben. Fern vom Garten Eden, ohne
Zugang zum Baum des Lebens bleiben die Menschen, was ihr Leben
(und Sterben) betrifft, folglich allein auf Yhwh Elohim bezogen.

6. Die göttlichen Reden in Gen 3,14-19


Mit den Worten von 3,14-19 wandte sich Yhwh Elohim (vgl. 3,14)
an die Schlange (’l-hn š; 3,14), an die Frau (’l-h’šh; 3,16) und an `Adam´
(w=l=’dm 3,17). Die Phrase l=’dm unterscheidet sich gegenüber den vo-
rangehenden Adressatenangaben durch die Präposition (l= statt ’l). Zu-
dem fällt die hebräische Vokalisation des Lamed in l=’dm durch Schwa
auf, was so viel bedeutet, dass ’dm ohne bestimmten Artikel konstruiert

48
   Der Plural in der Phrase `einer von uns´ in 3,22 dürfte unterstreichen, dass
die Differenz zwischen dem einen Gott und den (beiden) Menschen, die wie einer
von `uns´ erkannt haben, nicht gefährdet ist. Vgl. dazu ähnlich L. Eslinger, «The
Enigmatic Plurals Like “One of Us” (Genesis I 26, III 22, and XI 7) in Hyperchronic
Perspective», in VT 46 (2006), p. 173f und p. 176f.
32 David Volgger

ist.49 Es mag diesbezüglich zwar zutreffen, dass ’dm ohne Artikel einen
Eigennamen bezeichnet. Dennoch will nicht recht einleuchten, warum
die göttliche Rede in 3,17-19 dem ersten Individuum der Menschheit
`Adam´, nicht aber dem `archetypischen´ Adam als Repräsentanten
der gesamten Menschheit gelten soll.
In diesem Zusammenhang ist von Interesse, wie der Abschnitt 3,8-
13 die einzelnen Protagonisten zueinander in Beziehung setzt: Nach 3,8
hörten beide Menschen die Stimme Yhwh Elohims (wyšm‛w im Pl.). Zu-
dem versteckte sich nicht nur der Mensch `Adam´ (wyt b’ im Sg.), son-
dern auch `seine Frau´ (wyt b’ h’dm w’štw). Nach 3,9 rief Yhwh Elohim
`nur mehr´ nach dem Menschen `Adam´, der ihm nach 3,10 als einzel-
ner in 1. Ps. antwortete. Nach 3,12 erweiterte wiederum der Mensch
`Adam´, nachdem er von Yhwh Elohim zur Rede gestellt worden war,
die Zahl der an der Verbotsübertretung aktiv Beteiligten: „Die Frau, die
du mir an meine Seite gegeben hast, sie hat mir … gegeben.“ Interessant
an dieser Aussage ist darüber hinaus, dass Adam nicht nur die Frau, son-
dern auch Yhwh Elohim zwar nicht als Täter, so doch als Schöpfer der
Täterin ausdrücklich erwähnte. In 3,13 obliegt es schließlich der Frau,
auch noch die Schlange zum `Täterkreis´ hinzuzufügen: „Die Schlange
hat mich verführt.“
Die vorangehenden Beobachtungen zu 3,8-13 zeigen, dass es in
diesem Abschnitt nicht nur darum geht, die Schuld auf den nächsten
abzuwälzen, sondern auch darum, die Dimension der schuldhaften Tat
in seiner Tiefenstruktur aufzuzeigen: Im archetypischen `Adam´, der
Mann und Frau inkludiert, hat die gesamte Menschheit `Adam´ vom
verbotenen Baum gegessen. Und zudem: In der Frau, die Yhwh Elohim
dem Menschen `Adam´ zur Seite gegeben hat und die mit ihrem Mann
eine Einheit bildet, hat die Menschheit vom verbotenen Baum gegessen.
Und schließlich: Durch die Schlange ist die Frau und mit ihr zugleich
der Mensch `Adam´ und folglich die gesamte Menschheit `Adam´ ge-
täuscht worden. Der Mensch `Adam´, d.h. `Adam´ als Mann und Frau,

   Vgl. noch 2,20 und 3,21. Das Nomen ’dm ist in Gen 2,4b-3,24 fast immer mit
49

bestimmten Artikel konstruiert. Nur in der Phrase w=’dm ’yn „und es gab (noch) kei-
ne(n) Menschen“ und in Verbindung mit der Präposition l= fehlt der bestimmte Arti-
kel (vgl. 2,20; 3,17.21). Ob ’dm ohne Artikel in 2,20; 3,17.21 als Eigenname zu deuten
ist, will nicht recht einleuchten.
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 33

haben somit gemeinsam das göttliche Verbot übertreten und bilden


diesbezüglich eine Einheit. Anders ist die `Einheit´ mit der Schlange
zu beurteilen, denn diese bezieht sich nicht mehr auf die verbotene Tat,
sondern auf die (verführerische) Argumentation, die die Frau und ihr
Mann von der Schlange übernommen haben. Yhwh Elohim bezeichne-
te die Argumentation der Schlange allerdings ebenso als verurteilungs-
würdigen Tatbestand (3,14): „weil du das getan hast“.
Die göttlichen Worte in 3,14-19 setzen die mehrschichtige `Ein-
heit´ und `Verwiesenheit´ der einzelnen Schöpfungsentitäten `Adam´,
`Frau´ und `Schlange´ voraus.
Gegenüber 3,9-13 wandte sich Yhwh Elohim in 3,14-19 in um-
gekehrter Reihenfolge an diese drei Geschöpfe und erklärte dabei die
Schlange und die (Acker-) Erde für `verflucht´ (vgl. 3,14 und 3,17: ’rwr
/ =h). Die Schlange ist verflucht, weil sie eine ganz bestimmte Handlung
ausgeführt hat (3,14: „Weil du das getan hast, bist du verflucht (ky ‛śyt z’t
’rwr ’th).“ Worin diese Handlung besteht, wird aus der Anklage der Frau
gegenüber der Schlange in 3,13 deutlich: „Die Schlange hat mich ver-
führt (nš’ Hi.) und dann habe ich davon gegessen.“ Die Schlange ist also
nicht deshalb verflucht, weil sie vom verbotenen Baum gegessen habe,
sondern weil sie die Menschen zu einer verbotenen Handlung verführt,
d.h. deren Handeln auf ein angeblich wertvolles Ziel hin orientiert hat.
Yhwh Elohim beurteilte die Verführung der Schlange, d.h. ihre Argu-
mentation als (verbotene) Tat. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die
Schlange und die Frau und durch sie wiederum die gesamte Menschheit
bezüglich der Argumentation der Schlange in gewisser Weise eine `Ein-
heit´ bilden, so dass der Fluch der Schlange letztendlich auch die gesam-
te Menschheit (`Adam´) betrifft. Der Ursprung des Fluchs liegt jedoch
in der Argumentation der Schlange begründet.
Die (Acker-) Erde ist hingegen wegen des Menschen `Adam´ ver-
flucht (3,17: ’rwrh h’dmh b‛bwrk). Worin das Vergehen `Adams´ genau
bestand, kommt in der Begründung des Fluchs am Beginn von Vers 3,17
zum Ausdruck: „Weil (ky) du auf die Stimme deiner Frau gehört und von
dem Baum gegessen hast, den ich dir verboten habe, indem ich sagte:
Nicht isst du von ihm!“ In dieser Phrase werden gleich mehrere Ebenen
der Einheit von Mann und Frau angesprochen: Der Mensch `Adam´
und vermittelt durch ihn auch die Frau bilden mit der (Acker-) Erde
`Adama´ eine Einheit, was die gemeinsame Schöpfungsabstammung
34 David Volgger

betrifft. Darüber hinaus bilden Frau und Mann eine Einheit gegenüber
den Tieren, was die Erzählung von der Erschaffung der Frau zum Aus-
druck gebracht hat (vgl. 2,18-24). Schließlich sind Adam und seine Frau
auch `eins´ geworden, was die Argumentation der Schlange und die da-
raus resultierende Tat betrifft.
Die Fluchformeln in 3,14 und 3,17 weisen zwar auf den Wider-
spruch mit dem göttlichen Schöpfungsplan bzw. –handeln hin, der
gesamte Inhalt der göttlichen Reden in 3,14-19 beschränkt sich aber
nicht auf diesen Hinweis. Die göttlichen Reden in 3,14-19 scheinen
auch nicht exklusiv auf die angedrohte Todesfolge für den Menschen
`Adam´ in 2,17 zu antworten. Die Todesfolge gilt nach 2,17 den Men-
schen `Adam´, was in der Erzähllogik von 2,18-3,13 auch seine Frau
einschließt. 3,14-19 enthält aber auch eine direkte Rede an die Schlange
(vgl. 3,14f ). Zudem ist vom Todesgeschick nur im Spruch an Adam die
Rede. Die entsprechende Formulierung in 3,19 lässt dabei kaum an die
Exekution eines Strafurteils in Folge einer verbotenen Handlung den-
ken (3,19): „Im Schweiße deines Angesichts wirst du Brot essen bis zur
Rückkehr zur (Acker-) Erde, denn davon bist du genommen. Ja, Staub
bist du und zu Staub kehrst du zurück.“ Versteht man 2,16f als beding-
ten Fluch, ließe sich noch am ehesten ein Zusammenhang mit 3,19 er-
kennen. Jedenfalls überrascht, dass die göttlichen Sprüche in 3,14-19
nicht ausschließlich vom (unmittelbar bevorstehenden) Tod sprechen.
Das Eingreifen Yhwh Elohims zielt in 3,14-19 z.B. auf die `Feindschaft
zwischen der Schlange und der Frau´ (vgl. 3,15) oder die Mehrung der
`Geburten und Schmerzen´ der Frau (vgl. 3,16). Es stellt sich also die
Frage, wie man die göttlichen Sprüche in 3,14-19 interpretieren muss,
um ihrem gesamten Aussagegehalt gerecht zu werden.50
Meines Erachtens greifen die göttlichen Reden die ursprüngliche
Schöpfungsdynamik aus 2,4b-24 teilweise wieder auf und konkretisie-
ren diese im Licht der erfolgten Übertretung des göttlichen Verbots.

  Dohmen, Schöpfung und Tod, p. 131-174.297-301 sieht in Gen 3,14-19 nicht


50

nur göttliche Strafurteile, sondern auch positive Ansagen (vgl. v.a. 3,16b in Verbin-
dung mit 2,23b.24). Auch K. Schmid, «Die Unteilbarkeit der Weisheit. Überlegun-
gen zur sogenannten Paradieserzählung Gen 2f. und ihrer theologischen Tendenz», in
ZAW 114 (2002), p. 32f sieht in der der Erzählung Gen 2f nicht einfach eine „deka-
dente Entwicklung von einem positiven Urzustand zu einem negativen Jetztzustand.“
Schmid spricht vielmehr von Ambivalenz (S. 35): „Der sogenannte Fall, der selbst am-
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 35

Man könnte folglich auch von einem in die Schöpfung eingeschriebe-


nen göttlichen Fluch sprechen. Dass die göttliche Schöpfungsdyna-
mik in 3,14-19 präsent ist, können folgende Beobachtungen stützen:
Die göttlichen Reden in 3,14-19 haben nicht nur die Lebenszeit der
`Schlange´, der `Frau´ und `Adams´ im Blick (vgl. „alle Tage deines Le-
bens“: für die Schlange in 3,14 und für den Menschen `Adam´ in 3,17),
sondern auch ihre künftigen Generationen: Im Spruch an die Schlange
(3,15) weitet sich der zeitliche Horizont auf die Nachkommenschaft,
den Samen (zr‛) der Schlange und der Frau: Zwischen diesen beiden soll
für immer Feindschaft sein. Im Spruch an die Frau (3,16) ist auch von
ihren Söhnen bzw. Kindern (bnym) die Rede, die im Mutterleib heran-
wachsen und schließlich geboren werden. Im Spruch an `Adam´ (3,17-
19) kommen seine Kinder höchstens indirekt als Kinder seiner Frau in
den Blick. Wenn darin zusätzlich vom Essen der Produkte der `Adama´
die Rede ist, wird deutlich, dass der Mensch die `Adama´ auch jenseits
des Garten Eden bebauen wird (vgl. auch 3,23). Daraus folgt, dass der
Mensch auch nach der Vertreibung aus dem Garten Eden Zukunft ha-
ben wird. Die kommenden Menschengeschlechter werden jedenfalls
selber erfahren, auf welche Weise die göttlichen Worte in 3,14-19 für sie
Realität werden. Dabei ist zu beachten, dass unsere Schöpfungserzäh-
lung im Grunde keinen Einblick in das reale Leben der Menschen vor
dem Genuss vom verbotenen Baum gibt, weil Gen 2,4b-24 sich exklusiv
auf die göttliche Schöpfungsdynamik und die von Gott als möglich er-
achteten menschlichen Handlungen konzentriert.
In den anschließenden Ausführungen soll noch gesondert dargelegt
werden, wie Yhwh Elohim in Gen 3,14-19 die göttliche Schöpfungsdy-
namik und die einzelnen Funktionsbestimmungen, die Gott für seine
Geschöpfe von allem Anfang an vorgesehen hat, konkret durchbuch-
stabiert: Die Rede an die Schlange in 3,14f gliedert sich in die Begrün-
dung des Fluchs („weil du das getan hast“), die Fluchformel („verflucht
bist du …“) in 3,14 und die Fluchentfaltung in 3,15. Die Fluchentfaltung
bezieht sich dabei einerseits auf die Schlange allein („auf dem Bauch
wirst du gehen …“) und andererseits auf ihre konfliktreiche Beziehung
zur Frau („und Feindschaft …“). Der Fluch, der die Schlange trifft, wird

bivalent gezeichnet ist, führt nicht vom Positiven zum Negativen …, sondern von der
einen Ambivalenz in die andere …“.
36 David Volgger

ausschließlich mit ihrer `Tat´ begründet, wobei die `Tat´ darin besteht,
dass sie die Frau verführt hat (vgl. 3,13). Was die Schlange und die Frau
(inklusive dem Menschen `Adam´) diesbezüglich eint, ist die Argumen-
tation der Schlange, die die Frau und der Mensch `Adam´ übernommen
haben. Wie die Schlange den anderen Tieren („alles Groß-Vieh und
alle Lebewesen des Feldes“) gegenübersteht, so die Argumentation der
Schlange den anderen – schöpfungsgemäßen – Argumentationen.
Die Fluchentfaltung, die die `Schlange´ allein betrifft, zeigt eine
Realität, die jeder Mensch gegenwärtig wahrnehmen kann: Die Schlan-
ge kriecht auf dem Bauch und frisst (isst) Staub (bzw. scheint Staub zu
fressen). Diese Realität soll sie alle Tage ihres Lebens charakterisieren
(3,14): „alle Tage (Pl.!) deines Lebens (kl-ymy- yyk)“51 Zudem wird die
Schlange Nachwuchs zur Welt bringen. Was diesbezüglich für die Tiere
im Allgemeinen und für die Schlange im Speziellen gilt, kann auch auf
die Argumentation der Schlange und die Nachfolgeargumentationen
übertragen werden. Parallel dazu muss aber auch die Frau weiter beste-
hen und Nachkommen hervorbringen (vgl. 3,15).
Gott bestimmt in diesem Zusammenhang auch das künftige Ver-
hältnis zwischen Schlange und Frau (3,15): „Und Feindschaft will ich
setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachwuchs und ih-
rem Nachwuchs; er wird dir nach dem Kopf (feindlich) trachten und du
wirst ihm nach der Ferse (feindlich) trachten“ (w’ybh ’šyt bynk wbyn h’šh
wbyn zr‛k wbyn zr‛h hw’ yšwpk r’š w’th tšwpnw ’qb).52 Diese Aussage hält
einen `ständigen´ Kampf zwischen der Schlange und der Frau bis in die

   Dass die Schlange auf dem Bauch kriechen wird und Staub frisst (bzw. zu fres-
51

sen scheint; - normalerweise ernähren sich Schlangen von Tieren), gehört zur Realität
der Schlange und kann wohl kaum als `Strafe´ beurteilt werden. Der `Staub von der
Ackererde´ ist zwar der Stoff, aus dem Gott den Menschen `Adam´ (vgl. 2,7: ‛pr mn-
h’dmh) und die Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels (vgl. 2,19: mn h’dmh ohne
‛pr) geformt hat, als `Nahrungsmittel´ für die Schlange ist er bis 3,14 aber noch nicht
vorgekommen. In 2,4b-24 ist allerdings überhaupt noch nicht von der Nahrung der
Schlange im Garten Eden die Rede gewesen. Von daher scheint eine Rückfrage nach
den Lebensumständen der Schlange vor dem Fluch in 3,14 unmöglich.
52
   Das Bild der Feindschaft, das vom Kopf der Schlange und der Ferse der Frau
spricht, bleibt vage, weil die Bedeutung des Verbs šwp unklar ist. Das Verb wird nicht
nur durch „(feindlich) trachten“ sondern auch durch „zermalmen“ wiedergegeben. So
Dohmen, Schöpfung und Tod, p. 144-148.
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 37

kommenden Generationen fest. Wenn die Argumentation der Schlange


das Moment der Einheit zwischen Frau (bzw. Mensch) und Schlange
andeuten soll (vgl. 3,1-6), unterstreicht 3,15 die ständige Auseinander-
setzung der Frau (des Menschen) mit dieser oder ähnlichen Argumen-
tationen. Gott unterbindet also in 3,15 eine glatte Kommunikation
zwischen Schlange und Frau (Mensch), wie sie in 3,1-5 vorliegt.53 Diese
göttliche Intervention kann deshalb auch als Heilszeichen zu Gunsten
der Frau (des Menschen) interpretiert werden.54 Die Feindschaft zwi-
schen Schlange und Frau, die letztlich zu einem `Kommunikationsab-
bruch´ zwischen beiden führen soll, verweist indirekt auf die schöp-
fungsgemäße `Einheit´ zwischen Yhwh Elohim und Frau (Mensch) im
Bezug auf das göttliche Wort und sein `Argument´.
Der göttliche Spruch an die Frau in 3,16 enthält keine Fluchfor-
mel. Dennoch gleichen die Aussagen von 3,16 in gewisser Weise
55

den Fluchentfaltungen in 3,14f. Zunächst kommt die Frau `allein´ als


von Schmerzen gezeichnete Gebärerin von Kindern in den Blick (vgl.
3,16a), sodann in ihrer konfliktreichen Beziehung zu ihrem Mann (vgl.
3,16b). Der gesamte Spruch setzt die spezielle Erschaffung der Frau aus
der Seite des Menschen `Adam´ (bzw. des Mannes) und ihre Funkti-
onsbeschreibung gegenüber ihrem Mann (vgl. `eine ihm entsprechende
Hilfe´) voraus. Ihre Funktion konkretisiert sich dabei in ihrer Hilfe für
die `Lebenseinheit´ von Mann und Frau (vgl. 2,18.23f ).
Der erste Halbvers 3,16a beginnt mit einer göttlichen Vermehrungs-
initiative: „Ich werde gewiss vermehren (hrbh ’rbh ).“ Was Gott konkret
vermehrt, beschreibt die Realität einer jeden Frau, die gebiert: „deine

53
   Vielleicht soll dadurch auch noch jegliche Kommunikation zwischen Gott
und Mensch vermittelt durch eine Schlange als divinatorische Zwischeninstanz unter-
bunden werden; vgl. dazu D.E. Smith, «The Divining Snake: Reading Genesis 3 in
the Context of Mesopotamian Ophiomancy», in JBL 134 (2015), p. 45f.
54
   Die christliche Tradition hat in diesem Vers öfters ein `Proto-Evangelium´ ent-
decken wollen, das auf das kommende Heil in Jesus Christus, geboren aus der Jungfrau
Maria, hinweise. Vgl. dazu T. Mende, Sieger über Satan. Zur glaubensgeschichtlichen
Entstehung der Deutung von Gen 3,15 als Protoevangelium, in Schöpfungsplan und
Heilsgeschichte (Festschrift für Ernst Haag zum 70. Geburtstag), a cura di R. Brand-
scheidt – T. Mende, Trier 2002, p. 87-121.
55
   Gen 3,16 kann nicht ohne weiteres als Bestrafung für den Genuss vom verbo-
tenen Baum gedeutet werden; vgl. dazu auch Heger, Women in the Bible, p. 54f.
38 David Volgger

Schmerzen und deine Schwangerschaften“ (‛ bwnk whrnk), d.h. „deine


Geburtswehen“. Im Anschluss daran heißt es: „Mit Schmerz wirst du
deine Söhne (Kinder) gebären.“ Diese Beschreibung setzt freilich voraus,
dass Mann und Frau tatsächlich zur Vermehrung beitragen.
Im folgenden Halbvers 3,16b geht es um das Verhältnis zwischen
Mann und Frau. Die Formulierung ist parallel zu Gen 4,7b gebaut:

3,16b w’l-’yšk tšwqtk whw’ ymšl-bk


4,7b w’lyk tšwqtw w’th tmšl-bw

In 4,7b spricht Gott zu Kain und stellt ihm vor Augen, dass er das
`Streben´ bzw. den `Einfluss´ eines `dritten´ (vgl. tšwqt=w), der ihn `ver-
führen´ will, erfolgreich abwehren könne. In 3,16b spricht Gott zur Frau
und legt folgenden `Sachverhalt´ dar: Wenn sie auf ihren Mann `Einfluss´
(vgl. tšwqh) ausüben will, muss sie damit rechnen, dass auch er fähig ist,
darauf mit `Herrschaftseinfluss´ (vgl. mšl) zu antworten.56 Die konflikt­
reiche Auseinandersetzung zwischen Frau und Mann in 3,16b erinnert
dabei an die konfliktreiche Auseinandersetzung zwischen Schlange und
Frau in 3,15. Im Gegensatz zu 3,15 stiftet Gott in 3,16 allerdings keine
Feindschaft zwischen Mann und Frau. Er legt vielmehr die Situation des
Macht-Kampfes zwischen Mann und Frau aus der Sicht der Frau dar.
Wenn Mann und Frau eine Einheit bilden wollen, was dem ursprüngli-
chen Schöpfungsplan entspricht (vgl. 2,24), müssen sie nach 3,16b mit
dem Ringen um die Vorherrschaft in ihrer gegenseitigen Beziehung rech-
nen. Die Aussage 3,16b macht also auf einen Aspekt der internen `Ausge-
staltung´ der Einheit zwischen Mann und Frau aufmerksam und wider-
spricht diesbezüglich nicht explizit den noch relativ vagen Aussagen zu
Einheit und Verwiesenheit von Mann und Frau in 2,18.23f. Als positives
Moment in 3,16b könnte man hervorheben, dass die Auseinandersetzung
zwischen den beiden `offen´ bleibt. Die Frau, die danach strebt, ihren
Mann zu beeinflussen, muss also stets damit rechnen, dass auch der Mann

   Zu dieser Interpretation von Gen 3,16b vgl. W. Vogel, «The Power Struggle
56

between Man and Woman (Gen 3,16b)», in Bib 77 (1996), p. 197-209: Er deutet
die tšwqh der Frau in Gen 3,16 als (S. 204f ) „her desire to control, to possess … , or to
manipulate her husband. It would refer to her desire for power in that relationship.”
Dementsprechend interpretiert er 3,16b (S. 207): “On the one hand you have a desire
to dominate your husband, but he, on the other hand, is capable of dominating you.”
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 39

dazu fähig ist, sie zu beeinflussen. Dies gilt indirekt natürlich auch für den
Mann. Yhwh Elohim machte also in 3,16 die Frau und indirekt auch den
Mann auf bleibende Aspekte ihrer Schöpfungsrealität `nach´ der Über-
tretung des göttlichen Verbots aufmerksam.
Der göttliche Spruch an `Adam´ in 3,17-19 gliedert sich parallel
zum Spruch an die Schlange in Fluchbegründung („weil du gehört hast
…“), Fluchformel („ist die Adama deinetwegen verflucht“) und Flu-
chentfaltung („in Schmerz bzw. unter Mühsal …“). 3,17-19 setzt dabei
wiederum das Wissen um die bisherige Erzählung von der göttlichen
Schöpfung und der menschlichen Übertretung des göttlichen Verbots
voraus: Um den Fluch der (Acker-) Erde (Adama) zu begründen, ver-
weist Yhwh Elohim auf den Hergang der Verfehlung Adams: „Weil du
auf die Stimme deiner Frau gehört und vom Baum gegessen hast, von
dem ich dir befohlen habe: `Du isst nicht davon.´“57 In der Begründung
des Fluchs nennt Yhwh Elohim zunächst die Stimme bzw. das Argu-
ment der Frau als Grund für die Handlung `Adams´. Er unterstreicht
aber zugleich, dass `Adam´ zu jenem Zeitpunkt über eine anders lauten-
de göttliche Handlungsanweisung verfügt hätte. In diesem Zusammen-
hang muss wiederum an das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen
Schlange und Frau bzw. an die `Einheit´ von Mann und Frau erinnert
werden. Der Bezug auf Adam in der Phrase `verflucht ist die (Acker-)
Erde deinetwegen (vgl. 3,17: b‛bwrk )´ dürfte deshalb inklusiv zu in-
terpretieren sein und somit auch Frau und Schlange einschließen: Die
Frau, die direkt vom Menschen `Adam´ abstammt und mit ihm eine
Einheit bildet, hat nämlich die Argumentation der Schlange für Adam
erschlossen, während die Schlange die Frau und den Menschen `Adam´
verführt hat. Schlange, Frau und `Adam´ bilden somit eine Einheit im
Bezug auf die Argumentation der Schlange.
Der Fluch in 3,17 gilt der Adama. Von der (Acker-) Erde `Adama´
stammen aber nicht nur der Erdling `Adam´ – und vermittelt durch ihn
seine Frau –, sondern auch alle Tiere. Was 3,17-19 als Fluch der Adama
entfaltet, nimmt sich dabei wie eine Beschreibung der realen Lebensum-

57
   Yhwh Elohim verwendet in 3,17 das Verb ṣwh `befehlen´, wenn er von seinem
Verbot spricht (vgl. auch die Erzähleinleitung in 2,16), während die Frau in 3,3 das
Verb ’mr `sagen´ verwendet, wenn sie vom göttlichen Verbot spricht (vgl. auch die
direkte Rede der Schlange in 3,1).
40 David Volgger

stände `aller´ Menschen aus: Die (Acker-) Erde, die Grundlage mensch-
licher Nahrung, wird neben dem (genießbaren) `Kraut des Feldes´ (‛śb
hśdh in 3,18; vgl. 2,5) auch (ungenießbare) `Dornen und Disteln´ (qw
wdrdr in 3,18; vgl. ev. śy hśdh `Strauch des Feldes´ in 2,5) hervorbrin-
gen, so dass der Mensch sich unter `Mühe´ (‛ bwn; vgl. 3,17) und `im
Schweiße seines Angesichts´ (bz‛t ’pyk; vgl. 3,18) um das tägliche Essen,
insofern es vom Ackerboden stammt, anstrengen muss. Die Fluchentfal-
tung in 3,17-19 spricht also zunächst von einer weiteren Konfliktsitua-
tion, die die Beziehung des Menschen `Adam´ zur (Acker-) Erde `Ada-
ma´ betrifft: Was auf der (Acker-) Erde wächst, eignet sich nur teilweise
als menschliche Nahrung und muss unter größten Mühen der `Adama´
abgerungen werden. Dennoch hebt der Text hervor, dass der Mensch
Erfolg bei der Nahrungsbeschaffung haben wird, wenn er sich anstrengt.
Die konfliktreiche Auseinandersetzung des Menschen mit der (Acker-)
Erde (vgl. 3,17-19) scheint auf diese Weise die Funktionsbeschreibung
für den Menschen `Adam´, nämlich die (Acker-) Erde zu bebauen (vgl.
2,5.15), für die Zeit `nach´ der Übertretung des göttlichen Verbots zu
konkretisieren.58 Da die göttliche Fluchentfaltung wiederum die gesam-
te Schöpfung betrifft, nimmt sie sich wie eine Beschreibung der gegen-
wärtigen Schöpfungsrealität aus. Nur der theologische Tiefenblick kann
darin eine Verbindung mit der Übertretung des göttlichen Verbots 2,16f
ausfindig machen.
3,17-19 enthält noch einen zweiten Aspekt der Fluchtentfaltung,
der sich auf den Menschen `Adam´ und sein Lebensgeschick bezieht.
Die Rückkehr des Menschen `Adam´ zur `Adama´ (vgl. 3,19) bringt
sein Bezogensein und seine diesbezügliche `Einheit´ mit der (Acker-)
Erde zum Ausdruck. Die Aussage ist wiederum inklusiv zu verstehen.
Weil aber die `Adama´ verflucht ist und nicht der `Adam´ (inklusive
seiner Frau; vgl. auch die Schlange in 3,14), trifft der Fluch alle Lebe-
wesen, die von der `Adama´ genommen sind: Alle müssen zur (Acker-)
Erde bzw. zum Staub zurückkehren. Dies geschieht allerdings erst, nach-
dem sich Mann und Frau und folglich `alle´ Lebewesen vermehrt haben

   Mit der `Adama´ in 3,17 ist bereits die (Acker-) Erde jenseits des Gartens in
58

Sicht; vgl. dazu die Erwähnung von `Adama´ in 2,5, als der Garten noch gar nicht
existiert hat.
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 41

(vgl. 3,16). Auf diese Weise ist die Zukunft menschlichen und tierischen
Lebens trotz der Missachtung des göttlichen Verbots gesichert.
Für das Verständnis der göttlichen Reden 3,14-19 ist insgesamt zu
beachten, dass sie Teil einer komplexen Schöpfungserzählung sind. Ver-
flucht werden zwar nur die Schlange und die (Acker-) Erde genannt. Die
Fluchentfaltungen machen aber deutlich, dass alle Lebewesen, die von
der (Acker-) Erde stammen, davon bleibend betroffen sind. Von daher
verwundert es nicht, dass die Fluchentfaltungen vom Leser, der Lese-
rin als Beschreibung der gegebenen Schöpfungsrealität wahrgenommen
werden: Schlangen kriechen nun einmal am Boden und scheinen Staub
zu fressen. Frauen gebären nun einmal ihre Kinder unter Schmerzen.
Menschen kehren nun einmal am Ende ihrer Tage zur Erde zurück. Die
Auseinandersetzung um die Argumentation der Schlange bzw. um den
Impuls der gottwidrigen Handlung, die Auseinandersetzung zwischen
Mann und Frau, der Kampf um das tägliche Brot sind nun einmal Cha-
rakteristika dieser Schöpfung, wie sie dem Leser, der Leserin von Gen 2f
begegnen. Nur der tiefgehenden theologischen Reflexion ist es möglich,
im Schöpfungsgeschehen zwischen dem souveränen Handeln Yhwh
Elohims am Anfang und seinem Handeln in Folge der Übertretung des
göttlichen Verbots zu unterscheiden.
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 hat dabei die
Geschichte der Menschen und das `Eingreifen´ Gottes im Blick. Die
gesamte Erzählanlage von Gen 2,4bff macht es aber notwendig, die
Schöpfungserzählung strikt von den anschließenden Erzählungen zur
Geschichte von Gott und Mensch (vgl. Gen 4ff ) zu trennen. Dennoch
sind der Fluch und seine Entfaltungen nicht nur Teil einer komplexen
Schöpfungserzählung, sondern auch Teil eines Anfangskapitels zur
theologischen Reflexion der Geschichte der Menschen im Allgemeinen
und der Israeliten im Besonderen.

7. Der Abschluss der Schöpfungserzählung: Die Namensgebung


`Eva´ und die göttlichen Kleider
Nach den göttlichen Reden in 3,14-19 trat der Mensch `Adam´
.
wieder in Aktion. Er verlieh seiner Frau den Eigennamen `Hawwa´ und
begründete diese Namensgebung damit, dass sie die Mutter allen Lebens
geworden sei (wyqr’ h’dm šm ’štw wh ky hw’ hyth ’m kl- y). Nach 2,20
42 David Volgger

hatte der Mensch `Adam´ bereits den von Gott erschaffenen Lebewe-
sen Namen gegeben. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als der göttli-
che Schöpfungsprozess noch nicht zu Ende war, denn erst im Anschluss
daran wurde die Frau erschaffen. Diese erhielt nach 2,23 den Namen
`Ischa´, weil sie vom `Isch´ genommen ist. In Namen `Ischa´, der kein
Eigenname, sondern ein Gattungsname ist, spiegelt sich die Einsicht
in den Schöpfungsvorgang der Frau, die vom Mann direkt genommen
ist. Wenn der Mensch `Adam´ nach 3,20 der Frau schlussendlich ei-
nen `persönlichen´ Namen gab, ist zu beachten, dass auch zu diesem
Zeitpunkt der Schöpfungsprozess noch nicht abgeschlossen war, denn
Yhwh Elohim erschuf noch spezielle Kleider für die Menschen (vgl.
3,21). Adam schien in der Namensgebung seiner Frau nicht eine neue
Erkenntnis zu enthüllen, sondern parallel zu 2,23a die wahrnehmbare
(`Schöpfungs-´) Realität nachzuzeichnen. Bis zum Erzählzeitpunkt in
3,20 hat sich die Realität der Frau allerdings weiterentwickelt.
Wenn der Mensch `Adam´ seine Frau nach 3,20 awwāh nann-
te und dies damit begründete, dass sie die Mutter allen `Lebens´ āy
geworden sei, fällt auf, dass die beiden hebräischen Wörter āy und
awwāh nicht – wie ’îš und ’iššāh – in einem Ableitungsverhältnis zuein-
ander stehen, sondern sich im Yod und Waw wahrnehmbar voneinander
unterscheiden. Hätte Adam den Namen der Frau direkt vom hebräi-
schen Wort für `Leben´ āy abgeleitet, müsste sie ayyāh heißen.59 Es
mag zwar zutreffen, dass die Ableitung ayyāh als Name für die Mut-
ter aller menschlichen Lebewesen im Kontext von Gen 2,4b-3,24 we-
nig passend erscheint, bezeichnet dieses Nomen in 2,19f ausgerechnet
die tierischen Lebewesen: kl- yt-hśdh `alle Tiere bzw. (tierischen) Le-
bewesen des Feldes´. Dennoch bleibt das Waw (bzw. die Verdoppelung
von Waw) im Namen awwāh rätselhaft, wenn man den Namen auf
āy `Leben´ mit Yod bezieht. Wie lässt sich der Wechsel von Waw und
Yod dennoch erklären? Welches Element der bisherigen Erzählung ist in
diese Namensgebung eingeflossen?
Eine mögliche Antwort auf diese Frage könnte sich aus der Bezeich-
nung der Schlange ergeben, die im Aramäischen iwyah heißt. Der Name
der Frau awwāh in 3,20 könnte somit ein Neologismus sein, der laut-

  Das Nomen ayyîm `Leben´ ist bereits in 2,7 vorgekommen, ebenso das Ad-
59

jektiv ayyāh `lebendig´ in 2,7 und 2,19.


Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 43

lich zwischen ayyāh und iwyah steht.60 Inhaltlich würde dies bedeu-
ten, dass der Mensch `Adam´ seiner Frau einen Namen gegeben hat, der
alles künftige menschliche Leben vom Einfluss der Schlange gezeichnet
sieht. Die Erfahrung von Gen 3,1-19 wäre somit in die Namensgebung
der Frau eingeflossen. Von daher könnte man auch von einer gewissen
`Realität der Schlange´, d.h. von der Realität der Auseinandersetzung
mit ihrer Argumentation (und den Nachfolgeargumentationen) im
Menschen reden. Am Ende der Schöpfungsphase steht somit fest, dass
das menschliche Leben von einer Realität gezeichnet ist, die Gott nicht
ursächlich geschaffen, mit der er aber im Zuge seines Schöpfungswir-
kens gerechnet hat, insofern der Mensch `Adam´ (inklusive seiner Frau)
das göttliche Verbot von allem Anfang an übertreten konnte. Der Name
der Frau awwāh drückt also eine (`Schöpfungs-´) Realität aus, die den
Menschen als handelndes Lebewesen und damit zugleich als Übertreter
des göttlichen Verbots beschreibt.
Zum Abschluss der göttlichen Schöpfungsphase erzählt 3,21 noch
davon, dass Yhwh Elohim für Adam und seine Frau Kleider hergestellt
hat: «Und Yhwh Elohim machte für Adam und seine Frau (Leib-)Rö-
cke `aus´ Fell (wy‛ś yhwh ’lhym l’dm wl’štw ktnwt ‛wr)“. Erst mit dieser
Handlung beendete Yhwh Elohim seine Schöpfungstätigkeit in Gen
2,4b-3,24. Zwar haben die beiden Menschen, nachdem sie vom verbote-
nen Baum in der Mitte gegessen hatten, gottgleich erkannt, dass es nicht
gut ist, nackt zu sein. Ihre anschließende Handlung, die aus dieser Er-
kenntnis resultierte, nämlich die Anfertigung von Kleidern aus Feigen-
blättern, entsprach allerdings nicht der göttlichen Handlung, mit der
Yhwh Elohim sein Schöpfungswerk in 3,21 abschloss.
Es fällt auf, dass Yhwh Elohim das Design und wohl auch das Mate-
rial der menschlichen Bekleidung neu entworfen hat: Er machte Röcke
(ktnwt; vgl. 3,21), nicht Gürtel oder Schürzen ( grt vgl. 3,7), und ver-
wendete dafür Fell(e) von Tieren (‛wr „Fell“; vgl. 3,21)61, nicht Feigen-
baumblätter von Pflanzen (‛lh t’nh bzw. ‛ly t’nh; vgl. 3,7). Offensichtlich

60
  Vgl. dazu Kimelman, «The Seduction of Eve and the Exegetical Politics of
Gender», p. 33f; vgl. auch Sarna, Genesis, p. 29: “There might … be a word play in-
volved, for Aramaic ḥivya means a serpent, as noted in Genesis Rabba 20:11; 22:2. In
the Sifre inscription (I.A.31), the word for serpent is actually written ḥvvh.”
61
   Interpretiert man die Phrase ktnwt ‛wr durch „Röcke für die Haut“, bleibt die
Qualität der Kleidung unbestimmt; vgl. dazu Sarna, Genesis, p. 29.
44 David Volgger

waren die Kleider von Gott größer und (wohl auch) dauerhafter. Gött-
liches Schaffen unterscheidet sich also vom menschlichen Schaffen, das
auf gottgleiche Erkenntnis antworten will. Nur die Kleider, die Gott für
die Menschen hergestellt hat, waren die schöpfungsgemäße Umsetzung
der Erkenntnis, dass es nicht gut ist, dass der Mensch nackt ist. Göttli-
ches Schöpfungshandeln ist in diesem Fall zugleich göttliches Heilshan-
deln in der beginnenden Geschichte der Menschen.62
Wenn sich Menschen außerhalb des Gartens Eden Kleider machen,
reagieren sie nicht mehr in erster Linie auf eine Erkenntnis im Anschluss
an die Übertretung des göttlichen Gebots, sondern ahmen die Schöp-
fungshandlung Gottes nach, der trotz des menschlichen Ungehorsams
an seinem Schöpfungsziel festgehalten hat. Am Ende der zweiten Schöp-
fungserzählung sind die Menschen jedenfalls dazu fähig, das göttliche
Schöpfungshandeln in der komplexen Schöpfungsrealität, wie sie sich
am Ende von Gen 2,4b-3,24 darbietet, differenziert wahrzunehmen und
dementsprechend ihr eigenes Handeln zu begründen.

8. Zusammenfassung
In der ersten Schöpfungserzählung Gen 1,1-2,4a handelt aus-
schließlich Gott, während Menschen und Tiere in den göttlichen Segens-
sprüchen 1,22 und 1,28-30 lediglich dazu aufgefordert werden, am göttli-
chen Schöpfungsplan mitzuwirken. In der zweiten Schöpfungserzählung
Gen 2,4b-3,24 werden auch die Menschen `Adam´ und seine Frau sowie
die Schlange aktiv, wobei die Schlange die beiden Menschen verführ-
te und diese vom verbotenen Baum in der Mitte des Gartens aßen. Der
Genuss vom verbotenen Baum scheint überhaupt die erste menschliche
Handlung im Rahmen der Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 zu sein.

   Ein weiteres Beispiel für die Hilfe Gottes nach dem Sündenfall könnte sich in
62

Gen 3,24 verbergen, wenn man diesen Vers auf folgende Weise interpretiert: „Und er
(Gott) vertrieb den Menschen und ließ sich nieder (wayyiškon) östlich vom Garten
Eden mit den Kerubim und mit dem lodernden Flammenschwert, um den Weg zum
Baum des Lebens zu bewachen.“ Demnach hat Gott gemeinsam mit dem Menschen
den Garten verlassen. Er steht auch nach der Vertreibung aus dem Paradies an der Seite
des Menschen, was die Erzählung von Kain und Abel in Gen 4 voraussetzt. Vgl. dazu
R. Eichler, «When God Abandoned the Garden of Eden: A Forgotten Reading of
Genesis 3:24», in VT 65 (2015), p. 20-32.
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 45

Das göttliche Verbot in 2,16f hatte nicht den Sinn, die Nahrung
des Menschen einzuschränken oder gar Hunger zu provozieren, son-
dern markierte eine Grenze für das menschliche Handeln. Gott konnte
– anthropologisch gesprochen – dieses Verbot nicht übertreten, weil er
keine Nahrung brauchte. Er war immer schon aller Aktivität und damit
auch aller (ordnenden) Schöpfungsaktivität `voraus´. Für das Geschöpf
Mensch stellte das göttliche Verbot in erster Linie eine Schutzmaßnah-
me dar. Die im Verbot angedrohte Konsequenz (`du wirst gewiss ster-
ben´) konnte für Adam keinen zu erreichenden Wert darstellen, selbst
wenn man davon ausgeht, dass der Mensch durch den Genuss vom ver-
botenen Baum gottgleiche Erkenntnis erlangen werde. Die erste und
einzige Erkenntnis, die die Menschen gemäß Gen 3,1-24 erlangt haben,
war die Erkenntnis, dass es nicht gut ist, nackt zu sein. Diese Erkenntnis
war auch der Grund dafür, dass sich Adam und seine Frau mit Feigen-
blättern bedeckt haben (vgl. 3,7).
Für die Beurteilung der göttlichen Rede in 3,14-19 ist von Bedeu-
tung, dass sie Teil der göttlichen Schöpfungserzählung ist. Die letzte gött-
liche Schöpfungstat folgt nämlich erst in 3,21, wo es heißt, dass Yhwh
Elohim Kleider für die Menschen angefertigt habe. Die Fluchformeln in
3,14 und 3,17 mit ihren jeweiligen Begründungen des Fluchs und die viel-
fältigen Fluchentfaltungen in 3,14-19 gehören also noch zur Schöpfungs-
erzählung und konstituieren somit alle menschlichen (und tierischen) Ge-
schöpfe aller Zeiten. Die `Antwort´ Yhwh Elohims auf die Übertretung
seines Verbots durch die Menschen teilt die Verlaufsgeschichte aber nicht
in eine Epoche vor und nach dem Fluch, sondern konkretisiert das gött-
liche Schöpfungshandeln angesichts der Übertretung des Verbots für alle
weitere Verlaufsgeschichte. Letztendlich will es auch nicht gelingen, aus
Gen 2,4b-24 die Schöpfungskonstitution des Menschen vor der Übertre-
tung des göttlichen Verbots zu erheben. Von daher verwundert es nicht,
dass sich zahlreiche Fluchentfaltungen in 3,14-19 wie Beschreibungen der
gegenwärtigen Schöpfungsrealität ausnehmen.
Der theologische Tiefenblick der zweiten Schöpfungserzählung
unterscheidet also eine Schöpfung, die die göttliche Antwort auf die
Übertretung des göttlichen Verbots durch die Menschen darstellt, von
einer Schöpfung, die exklusiv auf das Schöpfungswirken Yhwh Elohims
und die darin begründete Schöpfungsdynamik zurückgeht. Das gött-
liche Handeln, d.h. das Schöpfungshandeln und die Antwort auf die
46 David Volgger

Übertretung des Verbots durch die Menschen, sowie das menschliche


Handeln, d.h. die Übertretung des göttlichen Verbots, werden zunächst
als einmalige, quasi geschichtliche Vorgänge entfaltet. Am Ende der
Erzählung wird aber deutlich, dass diese göttlichen und menschlichen
Handlungen die Konstitution der Geschöpfe bleibend mitbestim-
men. Der Fluch und die Fluchentfaltungen (3,14-19) sind somit in die
`Schöpfung´ gleichsam eingeschrieben und gehören ausnahmslos da-
zu.63 Nur eine neue geschichtliche göttliche Intervention könnte diese
Realität verändern.
Gen 2,4b-3,24 schlägt auf diese Weise eine Brücke vom göttlichen
Schöpfungshandeln zum göttlichen Handeln in der Geschichte. Infol-
gedessen wäre es auch möglich, bereits in 3,14-24 erste Hinweise auf
göttliche Heilszeichen zu entdecken: Ein solcher Hinweis auf ein gött-
liches Heilszeichen könnte in der göttlichen Ansage vorliegen, Feind-
schaft zwischen Schlange und Frau zu stiften und dadurch eine Kommu-
nikation, wie sie in 3,1-5 erzählt wird, für alle Zukunft zu stören oder
gar zu unterbinden. Ein weiterer Hinweis auf ein göttliches Heilszei-
chen könnte in der Herstellung der Kleider durch Yhwh Elohim vorlie-
gen. Die von Menschen geschaffenen Kleider reichten jedenfalls nicht
aus, um ihre Nacktheit so zu bedecken, dass sie Gott furchtlos begegnen
konnten (vgl. 3,10). Die von Gott geschaffenen Kleider waren demge-
genüber wohl dauerhafter und größer. Wenn sich Menschen außerhalb
vom Garten Eden Kleider machen, können sie sich auf das Handeln
Gottes in 3,21 beziehen.

   Zur Problematik `mythischer´ Elemente im Glaubensgut des Christentums


63

(und anderer Religionen) vgl. F. von Kutschera, Was vom Christentum bleibt, Pa-
derborn 2008, p. 104f: „Auch der Gedanke einer Erbsünde, die ohne ihr Zutun über
die Nachkommen Adams kommt wie eine Krankheit, passt nicht zum Ideal des mün-
digen Menschen. Für uns entsteht Schuld nur durch eigenes, freies Handeln, und da-
her ist Schuld für uns immer Schuld des Einzelnen, nicht aber eines Kollektivs wie
der Familie, des Volkes oder der Menschheit. … Für unsere Sicht der menschlichen
Geschichte ist die Vorstellung abwegig, ein frühes Menschenpaar, sei es Lucy und ihr
Lebenspartner oder ein Paar der Altsteinzeit, das schon wegen mangelnder Intelligenz
schuldunfähig gewesen wäre, habe den großen Gott so gekränkt, dass er es durch viele
Jahrtausende all ihre Nachkommen entgelten ließ.“ Wenn die christliche Theologie von
der Erbsünde und ihrer Befreiung durch Jesus Christus spricht, scheint sie sich nicht
direkt auf die Fluchentfaltungen von Gen 3,14-19 zu beziehen, denn auch getaufte
Die zweite Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 und der göttliche Fluch 47

Beachtet man das Zueinander der beiden Schöpfungserzählungen


in Gen 1-3, lässt sich folgendes abschließendes Urteil formulieren: Die
theologische Erzählung von der Erschaffung von Himmel und Erde
unter der Hinsicht des exklusiven Handelns Gottes in 1,1-2,4a wird in
der theologischen Erzählung 2,4b-3,24 mit Blick auf die Heilsgeschich-
te der Menschen vertieft.64 Dabei unterscheidet und verschränkt Gen
2,4b-3,24 göttliches und menschliches Handeln sowie Schöpfungspha-
se und Geschichtserzählung von Gott und Mensch (im Anschluss an
eine ursprüngliche Schöpfungsphase), so dass sich eine spannungsvolle
Einheit daraus ergibt. Die Schöpfungserzählung Gen 2,4b-3,24 bereitet
so auf die Heilsgeschichte vor und ist zugleich auch schon Teil dieser
Geschichte.

David Volgger ofm


Pontificia Università Antonianum
Facoltà di Teologia
Via Merulana, 124
00185 Roma
volgger@libero.it

Christen und Christinnen kehren am Ende ihrer Tage zur Acker-Erde zurück, gebären
unter Schmerzen ihre Kinder, usw. Christliche Theologie spricht dagegen eher abstrakt
vom Verlust der `Adam´ stellvertretend für alle seine Nachkommen angebotenen Ge-
rechtigkeit und Heiligkeit. Zum christlichen (katholischen) Verständnis der Erbsünde
vgl. z.B. G.L. Müller, Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie,
Freiburg u.a. 42012, p. 134-153.
64
   Zum Begriff der `Heilsgeschichte´ vgl. z.B. B. J. Diebner, «Heilsgeschich-
te», in NBL, 2, 1995, p. 104-108.

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