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Silvia Schroer

Schuf Gott den Mann nach seinem Bild ?

Biblische Männerbilder und Gottesbilder im Fokus der


theologischen Genderforschung

Der Vorsokratiker Xenophanes stellte bereits um 500 v. Chr. fest, dass sich


die Afrikaner Gott schwarz und stumpfnasig, die Thraker blond und blau­
äugig vorstellen. Hätten Rinder, Pferde und Löwen Hände und könnten
Bilder machen, so sagte er, wären ihre Gottheiten rinder-, pferde- und
löwen­gestaltig (Xenophanes, Fragmente 25  C / D). Das Wissen um die Pro­
jektionen, die Übertragungen, die stattfinden, wenn Menschen «Gott»
sagen, gehört also nicht erst seit Feuerbach und Marx zur Religions­kritik
und zur Theologie selbst. In einem Punkt wurde diese Einsicht aber nicht
konkretisiert, nämlich im Hinblick auf die Geschlechterfrage. Als Mary
Daly 1973 ihren programmatischen Satz «If God is male, then male is
God»1 formulierte, mit dem sie die Wechselwirkungen von androzen­
trischer, patriarchaler Macht und Gottesvorstellungen zusammen­fasste
und so die Einsicht des Xenophanes weiterentwickelte, war die Ent­rüs­
tung gross. Dabei sind die Fakten erdrückend. Solange Männer das Sagen
in der Kirche, in der Theologie, in der Bibelwissenschaft hatten, haben sie
sich Gott fast exklusiv männlich vorgestellt. Männer schufen Gott nach
ihrem Bilde und mit den entsprechenden Allmachtsfantasien. Trotz des
Bilderverbots hängen bis heute bildliche Darstellungen von einem bärti­
gen Gottvater in manchen Kirchen. Dabei gibt es nur im späten Buch
Daniel in einem einzigen Vers (7,9) die Beschreibung Gottes als eines
Hochbetagten mit weissem Haar – davon abgesehen bietet weder die alt­
testamentliche noch die neutestamentliche Tradition Vorgaben für das
Bild eines alten bärtigen Gottes. Schlimmer aber war der ganze Komplex

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des wachenden, alles kontrollierenden Übervaters, der auf der Überzeu­


gung, dass Gott ein Patriarch sein muss, aufbaute. Bibelübersetzungen

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oder auch -kommentierungen, die von Männern oder ganzen Männer­
gremien gemacht wurden, waren geneigt, solche Vorstellungen auch in
biblische Texte einzutragen, wo sie so nicht stehen. Die Folgen waren und
sind weitreichend, ich erinnere beispielsweise an Tilman Mosers Buch
Gottesvergiftung.2
Als Exegetin ist es mir ein Anliegen, Klischees von «der» patriarcha­
len Bibel auszuräumen. Ich beabsichtige aber keineswegs, die biblische
Tradition generell zu verteidigen. Sie hat im Hinblick auf unser Thema
zweifellos ihre Schlagseiten. Das dominante Gottesbild der gesamtbibli­
schen Tradition ist mit männlich geprägten Rollen eines Kriegers, Rich­
ters und im Neuen Testament auch Vaters getränkt. Das lässt sich nicht
wegdiskutieren. Und dass Gott einen Sohn und nicht eine Tochter für
sein Erlösungswerk ausersehen hat, hatte ebenfalls erhebliche Folgen.
Dennoch liegen für Genderdiskurse und moderne Rollenfragen in den
biblischen Traditionen noch ungehobene Schätze verborgen, wir sollten
sie nicht vorschnell verabschieden. Ich werde dies mit Beispielen begrün­
den, möchte aber zuvor in groben Strichen einige wichtige Entwicklun­
gen der theologischen Forschung nachzeichnen, damit meine Ausfüh­
rungen situiert werden können.3

1. Biblisch-theologische Männerforschung auf dem


Hintergrund der Forschungsgeschichte

Eine feministische Beschäftigung mit der Bibel gab es nicht erst in der
zweiten Frauenbewegung, sondern bereits in der ersten Frauen­bewe­gung
um die vorletzte Jahrhundertwende.4 Erst in den 1970er- und 1980er-Jahren
entwickelte sich eine breiter abgestützte theologische Frauen­forschung,
innerhalb derer die Bibelwissenschaft eine führende Rolle einnahm. Das
Interesse war anfänglich stark auf biblische Frauen­gestalten gerichtet. In
den Frauen um Jesus und vielen alttestamentlichen Frauenfiguren fanden
Feministinnen befreiende Aspekte, deckten unter den verkrusteten Aus­
legungen Neues auf. Gleichzeitig beanspruchte die Kritik an der andro­
zentrischen Auslegung von Genesis 2 – 3 viel Raum. Die Gottes­bild­frage
begleitete die feministische Theologie tatsächlich von Anfang an.5 Mit
dem bahnbrechenden Werk In Memory of Her legte Elisabeth Schüssler

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Fiorenza 1983 6 dar, mit welchen Fragen und Instrumenten die bib­lischen
Texte auf den systemischen Androzentrismus der Textverfasser, der Bibel­

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übersetzer, der Interpreten und Exegeten untersucht werden müssen.
Inner­kirchlich ging sie gegen jede Art von Dogma­tis­mus im Umgang
mit den biblischen Schriften an, theologisch gegen ­jeden Wissenschafts­
positivis­mus. Schüssler Fiorenza hat nie ein simplifizierendes Männer-
Frauen-Schema in ihre Forschung eingetragen. «Patri­archat» oder «Kyri­
archat» beinhalteten in ihrer Hermeneutik immer die hoch­komplexen
Verbindungen, die Geschlecht mit sozialem Status, ethni­schen, sexuel­
len und religiösen Identitäten eingeht. Während die femi­nis­tische Bibel­
forschung sich auf der Basis dieses Instrumentariums und unter Einbe­
zug von vielen methodischen Ansätzen verfeinerte, sich den einzelnen
biblischen Schriften und immer mehr grossen Themenstellungen wid­
mete, voll­zogen sich am gesellschaftlichen Horizont bereits wieder Än­
derungen. Die Genderforschung löste – nicht durchwegs, aber doch ten­
denziell  – die explizit feministische Forschung auch in der Theologie
ab. Dadurch wurden nochmals grössere Zusammenhänge in den Blick
gerückt und wurde die Kommunikationsgemeinde zu diesen Themen
ausgeweitet, während zugleich die Anbindung dieser Forschung an eine
Bewegung, die Frauenbewegung, immer mehr in den Hintergrund geriet.
Der Bezug zu einer Basisbewegung ist bei «queer theology», «womanist
studies» und «postcolonial studies» etwas besser erkennbar geblieben.
Diese, der breiten Öffentlichkeit hierzulande wohl weniger bekannten
Strömungen, greifen stark auf die feministische Exegese und Hermeneu­
tik zurück.
Männerforschung ist die jüngste Etappe in diesen Entwicklungen.
Noch einmal verändert sich auch in der Theologie der Blickwinkel. Nach­
dem Frauen und Frauenbilder, die dominierenden männlichen und die
wenigen oder fehlenden weiblichen Gottesbilder und der Bezug zwischen
diesen allen diskutiert worden waren, meldeten sich Männer mit dem be­
rechtigten, nun nicht mehr universalmenschlichen, sondern par­tiel­len
Anspruch, Männlichkeit, Männerrollen, Männerbilder und Gottes­bilder
in eigener Regie und unter neuen Vorzeichen aufzu­arbeiten. Wiederum
gaben sich eine (kirchliche) Basis, «Männer im Aufbruch», und die exe­
getische Wissenschaft gegenseitig Impulse und Antworten.7 Die Bezeich­
nungen für Männerforschung im Bereich der Theologie sind verschieden,
z. B. im angelsächsischen Raum «(critical) men’s studies in religion» oder
«the study of men, masculinities and religion».8 Die betreffende Literatur

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ist in den knapp 20 Jahren, seit in der Bibelwissenschaft ein solcher An­
satz überhaupt formuliert wurde, nicht uferlos, aber sie wächst.9

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2. Fokus Gottesbild: Wie männlich ist der biblische Gott ?

In der ersten Schöpfungserzählung, in Genesis 1,26 f., heisst es:

Gott sprach: Lasst uns den Erdling machen nach unserem Bild, ähnlich wie uns.
Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels, über das Vieh,
über die ganze Erde und das kleine Getier, das auf der Erde wimmelt.
Gott schuf den Erdling nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn, männlich
und weiblich schuf er sie.

Wenn die Bilder, die Kopien, männlich und weiblich sind, muss das Ur­
bild, von dem im hebräischen Text im Plural gesprochen wird, männ­liche
und weibliche Züge haben, sonst hat diese Aussage wohl keine Plausi­
bilität. Auch die zweite Schöpfungserzählung Israels (Genesis 2,4b –25)
betrachtet, wenngleich ohne Bezug auf die Bild-Abbild-Terminologie,
die Erschaffung des Erdlings erst für erfolgreich abgeschlossen, nachdem
Frau und Mann erschaffen sind.
Was bedeutet das im Hinblick auf die Männlichkeit Gottes ? Wie
männlich ist dieser Gott denn ? Aus dem Zusammenhang von Gene­
sis 1 und 2 können wir entnehmen, dass Männlichkeit offenbar komple­
mentär zu Weiblichkeit konstruiert wird, und zwar in Genesis 1 um der
Fruchtbarkeit willen, in Genesis 2 um der Vertreibung der Einsamkeit
willen. In Gott, so dürfen wir rückschliessen, scheint jedenfalls nach An­
sicht der biblischen Verfasser auch etwas angelegt, das nach einem Gegen­
über ruft, um Leben hervorzubringen, um Gemeinschaft zu haben.10
Doch vom Gott Israels wird dann in den biblischen Schriften meistens
als vom einen, einzigen Gott gesprochen, und in dieser Gottesrede über­
wiegen die männlich konnotierten Rollen. Sein bedeutungsvoller Name
JHWH ist zwar kein Männer- und kein Frauenname, erst die unheilvolle
Ersetzung des Eigennamens durch den Titel kyrios führte in diese Rich­
tung.11 Von diesem JHWH wird aber in Erzählungen und Psalmengebe­
ten, die voll sind von Vergleichen und Metaphern so gesprochen, dass
die Geschlechtszuordnung zweifelsfrei ist: JHWH ist ein starker Held,
ein K­ önig, ein Richter, ein Töpfer, ein Hirt. Der Titel oder die Anrede
«Vater» ist selten, vorwiegend in den späten Teilen des Jesaja-Buches

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(63,16; 64,7), b
­ ezeugt und wird relativiert, da Gott dem Volk Israel auch
wie eine M ­ utter (­Jesaja 66,13) erscheinen konnte. Neuere Untersuchun­

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gen unterstreichen, dass sich die Männlichkeit des Gottes Israels an den
komplexeren sozialen Rollen festmacht und kaum explizit sexualisiert
wird.12 Primäre und sekun­däre Geschlechtsmerkmale spielen in den an­
dromorphen Gottesbildern keine Rolle, dieser Gott wird eher bekleidet
(vgl. die Säume seines Gewandes in Jesaja 6,1) als nackt vorgestellt, auch
nicht als sexuell aktiv beschrieben wie manche Götter des Alten Orients
und Ägyptens, z. B. der ugaritische Baal oder ein ägyptischer Atum oder
Min. Man könnte also sagen, dass die Männlichkeit JHWHs sich nicht
in alle Konkretionen hinein «ausbildert». Das Image des Kriegers, Herr­
schers, Richters, Ehemanns des Volkes Israel und Vaters impliziert jedoch
hegemoniale Männlichkeit.13 Othmar Keel hat mit seinen Arbeiten die
Zusammenhänge zwischen den altorientalischen Bildern und den bibli­
schen Gottesvorstellungen nachgewiesen.14 Wenn Israels Gott das Volk
«mit starker Hand und ausgestrecktem Arm» aus Ägypten führt (Deu­
teronomium 4,34; 5,15; Psalm 136,12), so nimmt dieses Bild ein zentrales
Thema der ägyptischen Herrschersymbolik und -ideologie auf, die im
Niederschlagen der Feinde die Idee bündelt, dass der König das Chaos
in Gestalt von historischen wie natürlichen und kosmischen Feinden be­
zwingt. Auch in Vorder­asien ist diese Ikone bekannt, dort sind allerdings
häufiger Götter in dieser Rolle dargestellt. Die kriegerische Pose des Nie­
derschlagens wie auch die triumphierende Pose von Wettergöttern, die
eine Chaosschlange niederstechen, ist praktisch exklusiv männlich. Arte­
fakte sind da oft unmissverständlicher als sprachliche Bilder.15
Die Gottesbilder des Alten und mehr noch des Neuen Testaments
sind mehrheitlich männlich konnotiert, aber es gibt Durchbrechungen
mit weiblichen Gottesbildern – sie sind nicht so selten und durchaus
nicht marginal. Der israelitische Monotheismus ist ja, anders als der ägyp­
tische eines Pharao Echnaton im 14. Jahrhundert v. Chr., nicht per Dekret
entstanden, sondern quasi organisch herangewachsen.16 Und so blieben
manche Vorstellungen der polytheistischen Welt erhalten bzw. drück­
ten sie immer wieder quasi von unten ihr Relief durch. Dazu gehört die
Mütter­lichkeit Gottes.17 Neben den Mutterbildern gibt es weitere weib­
liche Rollen, in die Gott im Alten Testament schlüpft, z. B. die vielfältigen
Rollen der göttlichen Weisheit in der nachexilischen Zeit, an der einer­
seits einige mythologische Eierschalen aus den Kulten von Göttinnen
Ägyptens wie Syriens haften und die andererseits hoch theologische und

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durchaus genderbewusste Reflexionen der Weisheitsschulen verrät.18 Die


Weiblichkeit Gottes ist, mag sie auch verborgen sein, in den alttestament­

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lichen Schriften jedenfalls zu finden.19 Unter Berücksichtigung dieser
verborgenen Seite Gottes muss das Fazit lauten: Den alttestamentlichen
Gottesvorstellungen sind wichtige Charakteristika hegemonialer Männ­
lichkeit eingeschrieben, aber nicht ungebrochen. Gott stolpert quasi
selbst über solche Männlichkeit, fällt sich selbst, bisweilen erklärtermas­
sen, in seine Männlichkeit. Das geht so weit, dass Gott in Hosea 11,9 dezi­
diert von sich, der von Mitgefühl heimgesucht wird und seinen berech­
tigten männlichen Zorn nicht walten lassen kann, sagt, er sei «Gott und
kein Mann». Gott distanziert sich von einem typisch männlichen Ver­
haltensmuster, das wie auch die Eifersucht von den Weisheitslehrern oft
problematisiert wird, wo es um menschlich-männliches Verhalten geht.
Hingegen werden Zornausbrüche und Eifersucht als göttlich-männliche
Verhaltensweisen normalerweise nicht infrage gestellt.
Nach Genesis 1,28 impliziert die Erschaffung von Mann und Frau
Herrschaft über die Tierwelt, aber nicht Herrschaft des Mannes über die
Frau oder seine Nachkommen. Nach Genesis 2 wird der zunächst unge­
schlechtliche Erdling Adam durch die Erschaffung der Frau überhaupt
erst zu einem Mann, dankbar, weil er nicht mehr allein sein muss. Dieses
Mannsein hat vorläufig keinerlei hegemoniale Aspekte, die treten erst in
Genesis 3,16 als Folge des «Sündenfalls», dann aber überdeutlich, hinzu:
«Nach Deinem Mann wird Dein Verlangen sein, er aber wird über Dich
herrschen.» In der Idee der Gottebenbildlichkeit ist jedenfalls von den
Schöpfungserzählungen die Zweigeschlechtlichkeit und damit Frucht­
barkeit oder die Gemeinschaft, aber nicht die Herrschaft des einen über
das andere Geschlecht verankert.
Im Vergleich mit dem Alten Testament ist das Neue Testament merk­
lich ärmer an Gottesbildern. Zwar sind Parabeln und Gleichnisse vom
Reich Gottes durchaus noch durchdrungen von Frauenbildern, der Frau,
die einen Brotteig backt, der Frau, die eine Drachme verliert und wie­
derfindet, der hartnäckigen Witwe usw. (Lukas 13,20 f.; 15,8 f.; 18,1 –8). Es
gibt noch feine Hinweise auf weibliche Gottesbilder, z. B. wenn bei der
Taufe Jesu am Jordan (Markus 1,9 ff. und Parallelen) auf der Tonspur eine
Liebes­erklärung Gottes zu hören ist, während im Bild eine Taube vom
Himmel herabkommt, die in Syrien, der Levante und Griechenland un­
verwechselbar der Begleitvogel von Liebesgöttinnen ist. Aber in den Pa­
rabeln der Evangelien wird das Reich Gottes oft mit Bildern von einem

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König, Bräutigam, Hausherr in Verbindung gebracht – und in der Anre­


de, gerade auch Jesu, ist Gott «Vater».20

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3. Fokus Männer:
Wie männlich sind die biblischen Männer ?

Gott schuf den Erdling nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn, männlich
und weiblich schuf er sie. (Genesis 1,27).

Ja, Gott schuf den Mann nach seinem Bild. Wenn nun Gott im Alten Tes­
tament einerseits in typisch männlichen Rollen beschrieben wird und
andererseits diese Rollen doch nicht im Sinne einer streng sexuellen und
rein männlichen Identität Gottes verabsolutiert wurden, hatten diese Be­
schreibungen Auswirkungen auf die Männlichkeit konkreter Männer ?
Wie ist es mit der Männlichkeit der Männer in Israel bestellt ?
Wir könnten es uns einfach machen und feststellen, dass auf weite
Strecken Männlichkeit in den biblischen Texten mit Elementen wie Stär­
ke, Gewalt, machtvoller Rede, Männerbündelei und Frauenlosigkeit oder
Dominanz über Frauen bis hin zur Vergewaltigung konstruiert wird. Ein
Mann muss ein gibor sein, so wie auch Gott ein gibor ist (vgl. oben zum
Image des Kriegers).21 Von der Urgeschichte an haben wir hier i­mmer
wieder prächtige Mannsbilder vor uns, den Brudermörder Kain, einen
Mose, Josua, Abimelech, Simson, Bileam, Elija, Saul, David und viele
mehr. Es gibt Nuancierungen, veritable Herkulestypen (wie Simson)
kommen nicht oft vor. Neben die Powertypen treten auch andere Figu­
ren wie Noah, der jedenfalls nicht als Draufgänger und Held beschrie­
ben werden kann, oder die schillernde Gestalt eines Josef.22 Neben die
Powertypen treten manchmal Powerfrauen, Sara neben den Abraham,
Debora und Jael neben den Barak. Das bleibt nicht folgenlos, und ich
möchte hier die These aufstellen, dass die hegemoniale Männlichkeit der
biblischen Männer­gestalten fast ausnahmslos einen Knacks hat. In die
Texte ist nicht nur die Männlichkeit, sondern auch deren Brüchigkeit und
Fragwürdigkeit eingeschrieben. Männer stolpern über ihre Männlichkeit,
versagen, be­laden sich mit Schuld, machen sich lächerlich. Die Sympathie
der Erzählungen und Gottes ist oft bei den Frauen, die wissen, was zu
tun ist. Was für eine Figur ist dieser Abraham, der aus purer Feigheit und
Selbstsucht seine Frau verleumdet und dem Pharao für seinen Harem

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überlässt (­Genesis 12,10 –20) ? Was für ein Umstandskrämer ist M ­ anoah,


der seiner Frau nicht glaubt, dass ihr ein Gottesbote die Geburt eines

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Kindes verheissen hat, weshalb der Engel ein zweites Mal antreten muss
(­Richter 13) ? Was für ein Glück hat der Seher Bileam, dass ihn s­ eine ge­
scheite ­Eselin vor dem Verderben bewahrt (Numeri 22,22 –35) ? Was für ein
­König ist dieser David,23 von dem man wusste, dass er s­ eine ­eigene Toch­
ter Tamar nicht vor der Vergewaltigung durch ihren Bruder geschützt
­hatte (2 Samuel 13) ? Was ist mit Elija, dem Stürmischen und Feurigen, der
von einem Engel wieder aufgepäppelt werden muss (1 ­Könige 19,1 –8), was
mit Jona (4,8), der in grösstem Selbstmitleid unter einem Strauch liegt
und sich den Tod wünscht ? 24 Wir könnten diese Linien durchziehen bis
ins Neue Testament. Was für ein wankelmütiger Angsthase ist dieser Pe­
trus, der Fels der Kirche, doch in vielen Schlüssel­situationen ?25 Es geht
in diesen Geschichten nicht mehrheitlich, aber auch um Fragen der Mo­
ral. Zur hege­monialen Männlichkeit gehört Tugendhaftigkeit – und da
staunt man, wie scharf die Texte Doppelmoral entlarven und ihr Urteil
fällen, z. B. über Juda, der von seiner Schwiegertochter Tamar erst öffent­
lich bloss­gestellt werden muss, um die Berechtigung ihres Anliegens an­
zuerkennen (Genesis 38), oder gerade auch über David, dem der Mord an
Urija als ein Mittel, um eine begehrenswerte Frau zu erbeuten, nicht zu­
gebilligt wird (2 Samuel 11 –12), König hin oder her. Die Propheten mokie­
ren sich über Männer, die statt ihre Verantwortung zu übernehmen, «Hel­
den im Weinsaufen» (Jesaja 5,22) werden. Das deuteronomische Gesetz will
dem König das Halten von zu vielen Pferden, Frauen und Schätzen ver­
bieten (Deuteronomium 17,16 f.). Im Vergleich mit der Ilias, der Odyssee
und anderen antiken Werken ist die Bibel, was ihre Männerbilder betrifft,
erstaunlich. Nicht weil sie Männlichkeit explizit thematisieren oder re­
flektieren würde – es gibt in diesen Epochen in Israel anders als beispiels­
weise in der hellenistischen und römischen Antike keine dokumentierten
philosophischen Diskurse über das Geschlecht –, sondern weil sie die Ge­
brochenheiten, die Risse oft stehen liess. Vor allem in diesen Rissen situie­
ren sich die neueren exegetischen «masculinity studies». Es gibt allerdings
auch programmatische Sätze, die aufhorchen lassen. Obwohl ein Mann
ein guter Krieger und der König der beste Krieger sein soll, wird militä­
rische Kraft und damit auch kriegerische Männlichkeit in vielen Texten
ganz kritisch bewertet. Das teilweise programmatische Antiheldentum
der Bibel ist uns geläufig. Immer wieder wird dem männlichen Helden­
tum Gottes Macht auch als Begrenzung entgegengestellt. Menschliche,

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konkret oft männliche Kraft, wird gern als basar «Fleisch», d. h. als etwas
Hinfälliges bezeichnet, auf das man nicht zu fest vertrauen sollte (Jeremia

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17,5.7).26 Gegen die kriegerische Potenz wird als wichtiges Element israeli­
tischer Männlichkeit die Torafrömmigkeit und Gerechtigkeit gesetzt, wie
beispielsweise in Psalm 147,10 f. (vgl. ähnliche Aussagen in 1 Samuel 2, 4;
Psalm 33, 16; 52, 3; und Judit 9,7 –11):

Er hat nicht Lust an der Stärke des Rosses, nicht Gefallen an den Schenkeln des Man­
nes. JHWH gefallen, die ihn fürchten, die auf seine Güte harren.

Das Idealbild eines israelitischen Mannes schliesst neben der Wehrkraft


und weiteren Zügen hegemonialer Männlichkeit, inklusive der Tugend­
haftigkeit, die mit Torafrömmigkeit und Weisheit einhergeht, durchaus
noch andere Eigenschaften ein. Schönheit und Ausstrahlung der Augen
können wie bei David bewundert werden (1 Samuel 16,12).
Der Sheffielder Alttestamentler David Clines hat als einer der ersten
mit «masculinity studies» begonnen, bedeutende frühe Arbeiten liegen
auch von Jürgen Ebach vor sowie für das Neue Testament von Martin
Leutzsch, inzwischen aber gäbe es hier eine ganze Reihe von Namen zu
nennen. Das Anliegen dieser Exegesen ist einerseits ein historisch-kultur­
geschichtliches. Es gilt, besser herauszuarbeiten, wie Männlichkeit in bi­
blischen, d. h. antiken Texten «gebaut» ist, dass beispielsweise das Wei­
nen und Klagen die Männlichkeit in Israel nicht unbedingt unterhöhlte,
sondern in bestimmten Situationen gefordert war, obwohl der gesamte
Bereich der rituellen Trauer eher den Frauen zugeordnet war. Oder dass
Zorn, wie schon angemerkt, als ein rein männlicher, äusserst gefährlicher
und gern auf Gott, aber nie auf Frauen übertragener Affekt gilt, während
das Mitgefühl zwar im weiblichen Uterus sitzt, aber durchaus übertragbar
ist auf Männer und öfter noch auf Gott. Eine Paulusexegese gewinnt an
Präzision, wenn die griechisch-römische Konstruktion von Männlichkeit
als Hintergrund konturiert werden kann. Andererseits aber schliessen die
«masculinity studies» auch den weiterreichenden Anspruch ein, ein neu­
es Lesen der Texte einzuüben. Jenseits des alten Universalismus, der das
partikulare Männliche zum schlechthin Menschlichen erhob, Mann und
Mensch, aber auch Mann, Mensch und Gott in alle Richtungen verwech­
selte, jenseits der über Jahrhunderte selbstverständlichen patriarchalen
Deutungshoheit, jenseits der Larmoyanz suchen Männer vorsichtig nach
etwas Neuem in den alten Geschichten, suchen ihr Bild, ihre Rolle, ihren

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Spiegel im Gespräch mit den Texten. Jürgen Ebach hat diesen Prozess ge­
nial und mit sehr viel Humor beschrieben und inzwischen an verschie­

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denen Textgruppen und Männerfiguren durchexerziert.27 Als Beispiel für
mögliche Ansatzpunkte einer «masculinity study» möchte ich selber hier
nun Hiob herausgreifen. Dieser Mann und der Plot des gleichnamigen
biblischen Buches dürfte in ganz groben Zügen bekannt sein.28
Hiob ist der Inbegriff eines frommen, wohlhabenden Scheichs mit
grossem Besitz und einer grossen Familie. Da im Himmel seine Haut ver­
wettet wird, gerät er unverdient in grösstes Elend. Ausser seiner Frau und
seinem eigenen Leben bleibt ihm nichts, alles wird ihm entrissen, auch
seine Gesundheit. Am Ende wird ihm zwar alles ersetzt und das Buch
schliesst für ihn mit einem Happy End, aber der Hiob am Ende des Bu­
ches ist nicht derselbe wie der am Anfang.
Die Hiobfigur steht in der Tradition der leidenden Gerechten ägyp­
tischer und mehr noch mesopotamischer Literatur. Sie leiden daran, dass
ihre Frömmigkeit nicht korrespondiert mit Wohlergehen und Glück. Des­
halb beginnen sie mit Gott, den Göttern, ihren Freunden oder ­ihrer eige­
nen Seele zu hadern und zu streiten. Nie sind in dieser Literatur Frauen
oder Göttinnen involviert. Da erstaunt es wenig, dass im biblischen Hiob­
buch die Frau des Hiob auch nicht im Zentrum, z. B. als eine ­Figur im
Redenteil, vorkommt. Allerdings ist sie nicht ganz marginal. Sie schlägt
ihm vor: «Segne/fluche Gott und stirb» (Hiob 2,9). Danach fällt sie aus
dem Text, was immer das bedeuten mag, während die spätere, nicht kano­
nische Tradition, besonders das Testament Hiobs, sie dann wieder ein­
fügte. Hiob befolgt ihren Rat nicht, er verflucht aber sein eigenes Leben
und damit den Schöpfer, der es geschaffen hat. Die Botschaft des Hiob
von Kapitel 3 ist: Wenn es nicht nach meiner Vorstellung läuft, dann ist
alles sinnlos. Das «male bonding» funktioniert im Folgenden bestens,
auch wenn Mann in der Tinte bzw. Asche sitzt. Hiob wird nicht allein
gelassen, seine Freunde kümmern sich um ihn. Er hat wirklich Grund
zu klagen, und es ist bemerkenswert, dass er nicht jammert, sondern sei­
ne Klage zunehmend zur Anklage Gottes formiert, den er für den Ur­
heber seines Elends hält. Er schwingt, wieder ein Zeichen hegemonialer
Männlichkeit, auch in seinem elenden Zustand grosse ­Reden, der Kopf ist
nicht betroffen. Die Freunde, zunächst stumm in ihrem Mitleid und Ent­
setzen, halten mit ebenso grossen Reden in allen möglichen Varia­tionen
da­gegen, dass er letztlich wohl doch selber schuld sein müsse an seiner
Situation. Nachdem seine Frau ihn aufgegeben hat, sieht Hiob sich zu­

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nehmend auch von seinen Freunden im Stich gelassen, wird wütend auf
sie. Im Wettstreit mit Gott, auf dem Hiob insistiert, steht er dann aller­

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dings sehr tapfer, wie ein Krieger gegürtet (38, 3; 40,2), seinen Mann, um
am Ende etwas zu lernen, nämlich dass die Welt nicht nach seinen Ord­
nungen, sondern nach Gottes Plan, der in den Gottesreden ausgelegt wird
und nachvollziehbar ist, funktioniert. Das ist eigentlich nicht sehr ermuti­
gend für einen, der gerade alles verloren hat. Aber da kommt nun im Text
ganz deutlich und unerwartet eine Antwort Hiobs, die signalisiert, dass
er es verstanden hat, nicht Kapitulation also vor der Übermacht G ­ ottes,
sondern Einsicht, dass auch ein gemachter Mann Teil der Schöpfung ist,
dass er in seinem Elend nicht der Mittelpunkt der Welt ist und Gott ihn
trotzdem ernst nimmt, wie die Rehabilitierung Hiobs in der Rahmen­
geschichte zusätzlich beweist. Und nun wird aus dem Streiter Hiob ein
Fürbitter für seine Freunde, die zu seinen Gegnern geworden waren und
die den Zorn Gottes auf sich gezogen hatten (42, 7 – 9). Aus dem, der sei­
ne Kinder verlor, wird ein neuer Vater, der sich um seine Töchter und
ihr Erbe sorgt (42, 14 f.). Die bleibende Leerstelle im Buch, und auch hier
gäbe es für eine Männerlektüre noch einiges zu entdecken, ist die Frau
Hiobs, die ihm offenbar wieder Kinder schenkt (42,13). Was muss noch
passieren, damit dem Mann das Leid der Frau in den Blick gerät ?

4. Der jüdische Mann Jesus

Dass Jesus ein Mann war, ist tatsächlich weder fraglich noch neben­
sächlich. Klar lassen sich aus einem historisch-kulturellen Blickwinkel
­Gründe finden oder mindestens vermuten, warum nur ein Mann diese
inner­jüdische Bewegung ins Leben rufen und sich mit der römischen
Besatzungsmacht anlegen konnte. Aus heilsgeschichtlicher Perspektive
aber ist die (zufällige) Männlichkeit des Erlösers seiner Menschlichkeit
nachgeordnet, sie sollte keine eigene Bedeutung tragen. Jesu Tod war
entgegen allen Wahrscheinlichkeiten nicht das Aus, sondern der Anfang
­einer viel grösseren Bewegung. Die Deutung dieses Todes lässt aus dem
jüdischen Mann Jesus den Christus, den Messias, den Sohn Gottes, den
Erlöser w
­ erden. Damit aber wird die kontingente Männlichkeit, da sie
aus dem historischen Geschehen nicht substrahiert werden kann, auf die
Ebene der Transzendenz befördert. Das Mannsein des Christus ist nicht
mehr eine Akzidenz, so sehr das auch behauptet werden mag, sondern

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verfestigt Vorstellungen und dient der Überhöhung von Männlichkeit.


Die dritte Person der Trinität, die eine starke Rückbindung an die weib­

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liche Weisheit der biblischen Schriften hat, wurde bald einmal auf «das»
Pneuma und «den» Spiritus enggeführt – das Potenzial für eine Gender­
vielfalt in der Gottesrede wurde also ebenfalls praktisch nicht genutzt. All
dies waren und sind Themen feministischer Kritik und der theologischen
Genderforschung. Aber bleiben wir beim irdischen Jesus.
Seit den 1970er-Jahren kam es zu Wiederentdeckungen des «Man­
nes» Jesus, so im Buch der Jungianerin Hanna Wolff Jesus der Mann.29
Vielleicht erinnern sich einige auch an Franz Alts  Jesus – der erste neue
Mann.30 Die eingeschlagenen Richtungen erwiesen sich aber rasch als
sehr problematisch, versuchten diese Autorinnen und Autoren doch
nicht nur, J­esus als ersten Feministen, als ersten integrierten, ganzheitli­
chen Mann zu zeichnen, sondern taten dies mehr oder weniger explizit
auf Kosten des Juden­tums, indem sie ihn als die (christliche) Ausnah­
me einer angeblich patri­archalen jüdischen Umwelt gegenüberstellten.
Daniel Kosch, der als Neutestamentler die Entwicklungen der Jesusfor­
schung seit Jahrzehnten genau beobachtet, stellt 2008 ganz unspektakulär
fest, dass zu Jesu Männer­identität nach den Evangelien sehr verschiedene
Aspekte gehörten.31 Tatsächlich gibt es da auch Widersprüchliches. Das
«male bonding» wird durch die Wahl der namentlich bekannten Zwölf
hervorgehoben, andererseits ist die Jesusbewegung ja nicht frauenlos.
Jesus verhält sich gegenüber der Syrophönizierin ziemlich arrogant, ist
aber dann bereit, von ihr zu lernen (Markus 7,24 – 30; Mattäus 15,21 –28),
oder lässt sich von einer Samariterin in ein Gespräch verwickeln (Johan­
nes 4) oder von einer blutenden Frau zur Heilung ihrer Tochter überre­
den (Markus 5,25 –34 und Parallelen). Kurzum, erstens gibt es keine klare
Kontur «des» jüdischen Mannes im von den Römern besatzten Land,
zweitens war dieser Gali­läer in manchem ein typischer Mann seiner
Zeit, in manchem auch nicht, was aber nicht mit seinem Bewusstsein
für Geschlechterfragen, sondern mit seiner Aussteigerrolle zu tun hat­
te. Un­typisch für das kulturelle Umfeld ist ja die Abkehr vom Famili­
enleben, die zu neuen sozialen Rollen führte. In diesem offenen Raum
spielen sich unerwartete, manchmal sogar ungehörige Begegnungen ab.
Jesus setzt Frauen ins Recht, wo Männer Recht zu haben meinen (Mar­
kus 14,3 – 9; Johannes 8,1 –11), oder begibt sich in die Rolle des niedrigsten
Dieners anstatt sich von seinen J­üngern be­dienen zu lassen (Johannes
13,1 – 20). Seine Nähe zum Lieblings­jünger im Johannes­evangelium wird

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zwar nicht als erotische Liebe qualifiziert, aber sie öffnet Vorstellungs­
räume. Die Männlichkeit des Jesus, den die Evange­lien zeichnen, konsti­

©
tuiert sich nicht in der ­Rolle des Pater­familias, nicht in realer, weltlicher
Macht über a­ ndere, nicht in der v­ ollen Selbstkontrolle, aber eben doch
in beanspruchter Vollmacht, in der Macht des Wundertäters, in macht­
vollen Worten und Reden, im Bestehen von Versuchungen und in star­
ken Männerbünd­nissen, dies alles meistens im öffent­lichen Raum. Das
schmähliche Ende am Kreuz allerdings zerschlägt auch die Männlich­
keit dieses Mannes. Erbärmlicher könnte ein Männertod ja kaum aus­
sehen. Nur dass die nachfolgende Erfahrung, dass der Gekreuzigte lebt,
aus dem Symbol der Erniedrigung ein Symbol der Erhöhung und Herr­
schaft, wenn auch nicht innerweltlicher, werden lässt. Märtyrertode gab
es natürlich auch schon früher. In der Umbewertung eines solchen Tods
passiert auch etwas mit der Männlichkeit. Christliche andreia,32 die auch
von Frauen gesucht wird, ist heroisch, richtet sich aber auf neue Werte,
z. B. Gewaltverzicht, Feindesliebe aus.33
Gegenüber einer «hegemonialen Männlichkeit» legt, wie mein Kolle­
ge Moisés Mayordomo feststellt, auch der Apostel Paulus einige interes­
sante Aspekte von Kontinuität und Diskontinuität an den Tag, insbeson­
dere in der Korintherkorrespondenz.34 Einerseits entzieht er sich nach
dem 2. Korintherbrief den Konkurrenzmechanismen öffentlicher Rede
und Modellen von männlicher Härte. Andererseits verwirft er nach dem
1. Korintherbrief «weibliche», langhaarige Männer und jegliche Übertre­
tung der symbolischen Geschlechterdarstellung. Er stellt die aktive ­Rolle
des Mannes nicht infrage, qualifiziert diese allerdings in zwei Richtun­
gen: Ein christlicher Mann gehört in seiner körperlichen Existenz zu
Christus. Er ist ferner moralisch dazu verpflichtet, seine Liebe gegen­
über anderen durch Verzicht auf Aspekte seiner männlichen Autonomie
auszudrücken. Die wichtigste Form der Kontrolle ist daher die Selbst­
kontrolle. Für Martin Leutzsch ist die Reduktion der Möglichkeiten, kul­
turell konforme Männlichkeit zu inszenieren, typisch für das gesamte
ältere Christentum.35

5. Fazit

Die Frage «Schuf Gott den Mann nach seinem Bild ?» bejahe ich als Exe­
getin mit derselben Überzeugung wie die Frage «Schuf Gott die Frau

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nach seinem Bild ?». Mann, Frau und Gott werden aber in der Wechsel­
wirkung dieser Ähnlichkeit in der biblischen Tradition nicht völlig f­ ixiert

©
auf bestimmte Geschlechterstereotype. Männer, sagt Jürgen Ebach, kom­
men in der Bibel als gebrochene und widersprüchliche Figuren in den
Blick. «Wann ist ein Mann ein Mann ? Jedenfalls nicht, wenn er solche
Zerrissenheiten für unmännlich hält oder meint, es gäbe nur die Rolle
des Machos und des Softies oder gar nur die des getretenen Wurms und
des göttlichen Helden. Der Mann Josef erscheint in der Bibel in vielen
Rollen. Und er ist lernfähig.» 36
Weil der Mann Bild Gottes ist, aber nicht nur er, und weil Gott zwar
im Bild eines Mannes vorgestellt wird, aber nicht nur und auch nicht in
sexueller Engführung, bietet uns die biblische Tradition in der S ­ umme,
wenn auch nicht in allen Einzelheiten ein genderkritisches Erbe zur
Männlichkeit des Mannes und Gottes. Die aufarbeitende, analysierende,
dekonstruierende Perspektive steht sicherlich in vielen der hier erwähn­
ten Exegesen stark im Vordergrund. Mit Geduld und im Wissen darum,
dass biblische Texte, wenn wir mit ihnen ringen, ungeahntes, konstruk­
tives und aufbauendes Potenzial freisetzen, ist dieser Weg weiterzugehen.

Anmerkungen

1 Mary Daly, Beyond God the Father. Toward a Philosophy of Women’s Liberation, Boston
1973, 19.
2 Tilman Moser, Gottesvergiftung, Frankfurt a. M. 1976.
3 Es ist völlig unmöglich, in diesem Beitrag auch nur einen Bruchteil der wichtigsten femi­
nistisch-theologischen Literatur zu erwähnen. Die Verweise beschränken sich daher auf
Angaben, die als Belege unverzichtbar sind.
4 Die Frauenrechtlerin Elizabeth Cady Stanton, die sich in den Vereinigten Staaten für die
Abschaffung der Sklaverei einsetzte, brachte in den Jahren 1895 und 1898 mit einigen
wenigen Koautorinnen und einer Übersetzerin zusammen die Woman’s Bible heraus. Als
Juristin und Verteidigerin der Aufklärung hatte sie immer wieder die Erfahrung gemacht,
dass biblische Texte benutzt wurden, um Frauen zum Schweigen zu verurteilen und ihre
Unterordnung unter männliche Vormundschaft zu legitimieren. Die Woman’s Bible ist in
Europa fast gar nicht rezipiert worden, es waren lange Zeit nur einzelne Frauen, die sich
der Bibel mit kritischen, in einigen Fällen auch wissenschaftlichen Fragen zuwandten. Vgl.
das Jubiläumsheft der Zeitschrift Bibel und Kirche «100 Jahre Woman’s Bible»: Bibel und
Kirche 50, 1995. Weniger bekannt als Elizabeth Cady Stanton ist die Jüdin Grace Aguilar,
die schon ein halbes Jahrhundert früher, 1845, ein dreibändiges Werk The Women of Israel
veröffentlichte; vgl. dazu beispielsweise Nancy Calvert-Koyzis / Heather E. Weir (ed.), Stran­
gely Familiar. Protofeminist Interpretations of Patriarchal Biblical Texts, Atlanta 2009.

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5 Vgl. Luise Schottroff  /Silvia Schroer 


/Marie-Theres Wacker, Feministische Exegese. For­
schungserträge zur Bibel aus der Perspektive von Frauen, Darmstadt 1995.

©
6 Deutsche Übersetzung: Elisabeth Schüssler Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis. Eine feminis­
tisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, Mainz 1988. Die emeritier­
te Inhaberin des Krister-Stendhal-Lehrstuhls an der Harvard Divinity School publiziert bis
heute regelmässig Monografien zu Themen der feministischen Bibelauslegung, Theologie,
Rhetorik und Politik.
7 Eine der frühesten Publikationen, die die Verankerung des Themas in der (kirchlichen)
Männerarbeit erkennen lassen, ist das Büchlein von Dieter Bauer /Angelika Meissner (Hg.),
Männer weinen heimlich. Geschichten aus dem Alten Testament, Stuttgart 1993; vgl. in
jüngerer Zeit Reiner Knieling /Andreas Ruffing (Hg.), Männerspezifische Bibelauslegung,
Göttingen 2012.
8 Vgl. beispielsweise die Themennummer «Jesus Traditions and Masculinities in World
Christianity» der Zeitschrift für Mission und Ökumene Exchange 42, 2013.
9 Besonders grundlegend sind die Publikationen von David J. Clines, David the Man. The
Construction of Masculinity in the Hebrew Bible, in: ders., Interested Parties. The Ideology
of Writers and Readers of the Hebrew Bibel (JSOT.S 205), Sheffield 1995, 212 –243; sowie
Marie-Theres Wacker, Wann ist der Mann ein Mann ? Oder: Geschlechterdisput vom Para­
dies her, in: dies. /Stefanie Rieger-Goertz (Hg.), Mannsbilder. Kritische Männer­forschung
und Theologische Frauenforschung im Gespräch (Theologische Frauen­forschung in Euro­
pa 21), Münster 2006, 93 –114; vgl. auch das Themenheft «Männer. Biblische Perspek­ti­
ven»: Bibel und Kirche 63/3, 2008.
10 Vgl. Othmar Keel /Silvia Schroer, Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorienta­
lischer Religionen, Freiburg i. Ü. /Göttingen, 2 2008, bes. 147–154, 177–181.
11 In der hebräischen Bibel wird der Gottesname JHWH etwa 6800 Mal genannt. Er bedeutet
ursprünglich wohl in Bezug auf eine Sturmgottheit «Er weht», wurde dann aber verstan­
den im Sinn von «Er ist da, er ist wirksam». Die Kritik an der Ersetzung des Eigennamens
durch ho kyrios (und von daher dann in den deutschen Bibelübersetzungen «der Herr»)
begleitet die feministische Theologie. Die Bibel in gerechter Sprache (hg. von Ulrike Bail et
al., Gütersloh 42011) hat dem stereotypen «Herr» Alternativen entgegengesetzt.
12 Gerlinde Baumann, Das göttliche Geschlecht. JHWHs Körper und die Gender-Frage, in:
Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.), Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte
einer feministischen Anthropologie, Stuttgart et al. 2003, 220 –250; dies., Die «Männlich­
keit» JHWHs. Ein Neuansatz im Deutungsrahmen altorientalischer Gottesvorstellungen,
in: Frank Crüsemann et al. (Hg.), Dem Tod nicht glauben. Sozialgeschichte der Bibel (FS
L. Schottroff), Gütersloh 2004, 197–213; Andreas Wagner, Gottes Körper. Zur alttestament­
lichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010.
13 Mit anderen Theologinnen beziehe ich mich damit auf Robert W. Connell, Der gemachte
Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen 32006.
14 Vgl. Othmar Keel , Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament.
Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 51996, bes. 270 –285.
15 Vgl. zum Chaoskampf Keel/Schroer, Schöpfung (Anm. 10), bes. 123 –133.
16 Vgl. das für die äusserst rege Monotheismusforschung der letzten drei Jahrzehnte beson­
ders wegweisende Buch von Othmar Keel/Christoph Uehlinger, Göttinnen, Götter und
Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund
bislang unerschlossener ikonographischer Quellen, Freiburg i. Br. et al., 52001.
17 Schon in der Sintfluterzählung ist das widersprüchliche Verhalten JHWHs, der vernich­
tet und dann schwört, nie wieder zu vernichten, auffällig (Genesis 6,7; 8,21). Zwischen

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Zorn und Gerechtigkeitssinn auf der einen und Mitgefühl und Nachsicht auf der ande­
ren S ­ eite schwankt der Gott Israels öfter, beispielsweise in Hosea 11. Der in der Nase und

©
­ihrem Schnauben verortete Zorn ist ein Affekt, der im Alten Testament konsequent männ­
lich gegendert wird. Mitgefühl, rachamim, ist ein Affekt, der in einem weiblichen Organ,
dem Uterus, ræchæm, verankert wird. Die Mutterschössigkeit und Barmherzigkeit Gottes
gehört zu seinen wichtigsten Attributen. Sie verhindert immer wieder, dass Gott Israel
verlässt. Israel ist nach Jesaja 46,3 f. vom Mutterleib an «getragen», wobei der Zusammen­
hang sehr darauf hindeutet, dass dieser Mutterleib Gottes Mutterleib sein könnte. So hat
es ­Hieronymus in seiner Vulgata verstanden, so verstanden es Luther und Calvin. Vgl. zu
diesen in der feministischen Exegese und Theologie anhaltend diskutierten Gottesbildern
Silvia S­ chroer / Thomas Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 22005; Othmar
Keel /Silvia Schroer, Eva – Mutter alles Lebendigen. Frauen- und Göttinnenidole aus dem
Alten Orient, Freiburg i. Ü. 32010; und besonders Magdalene Frettlöh, Gott Gewicht ge­
ben. Bausteine einer geschlechtergerechten Gotteslehre, Neukirchen-Vluyn 22009.
18 Vgl. beispielsweise Silvia Schroer, Die Weisheit hat ihr Haus gebaut. Studien zur Gestalt
der Sophia in den biblischen Schriften, Mainz 1996; inzwischen gibt es eine Fülle von
Mono­grafien zur personifizierten Weisheit.
19 Vgl. Othmar Keel, Gott weiblich. Eine verborgene Seite des biblischen Gottes, Freiburg
i. Ü. 2008.
20 In diesem Vaterbild mögen fürsorgliche Aspekte besonders stark sein, das ändert jedoch
nichts daran, dass mit diesem Titel auf eine kulturell, sozial und juristisch verankerte
Vater­rolle, die Institution des Paterfamilias, rekurriert wird. In der Bibelwissenschaft geis­
tern immer wieder alte, apologetische Erklärungen der jesuanischen Anrede Gottes mit
«Abba» umher, die aus dem «Vater» ein kindliches «Papa» machen wollen. Neuere Unter­
suchungen haben definitiv gezeigt, dass das aramäische «Abba» dem griechischen patēr
«Vater» äquivalent ist, so Georg Schelbert, ABBA Vater. Der literarische Befund vom Alt­
aramäischen bis zu den späten Midrasch- und Haggada-Werken in Auseinandersetzung mit
den Thesen von Joachim Jeremias (NTOA 81), Göttingen 2011.
21 Die hebräische Wurzel gbr (gæbær «junger Mann», gibor «Held») impliziert die männliche
Überlegenheit und Körperkraft, sie verbindet Mannsein, Manneskraft und Heldenhaftig­
keit aufs Engste.
22 Vgl. Jürgen Ebach, Wann ist ein Mann ein Mann ? Beobachtungen und Überlegungen zur
Josefsfigur in Gen 37– 50: Bibel und Kirche 63, 2008, 132 –137.
23 Vgl. Clines, David the Man (Anm. 9).
24 Vgl. zu Elija den luziden Beitrag von Jürgen Ebach, Elija – Ein biblisches Mannsbild,
in: Wacker/ Rieger-Goertz (Hg.), Mannsbilder, 65 – 91; und zur Auseinandersetzung der
Propheten Israels und ihrer Interpreten mit Männlichkeit David J. Clines, He-Prophets:
Masculinity as a Problem for the Hebrew Prophets and Their Interpreters, in: Alistair G.­
Hunter / Philip R. Davies (ed.), Sense and Sensitivity (FS R . Carroll; JSOT.S 348), ­Sheffield
2002, 311– 328.
25 Vgl. Angelika Strotmann, Der markinische Petrus im Kontext des antiken Männlichkeits­
konzepts. Ein Charakter in Entwicklung: Bibel und Kirche 63, 2008, 156 –161.
26 Schroer/Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 137 ff. (Anm. 17).
27 Vgl. oben Anm. 22 und 24.
28 Vgl. Christl Maier / Silvia Schroer, Das Buch Ijob. Anfragen an das Buch vom leidenden
Gerechten, in: Luise Schottroff / Marie-Theres Wacker (Hg.): Kompendium Feministische
Bibelauslegung, Gütersloh 1998, 192 –207.
29 Hanna Wolff, Jesus der Mann. Die Gestalt Jesu in tiefenpsychologischer Sicht, Stuttgart
1975.

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30 Franz Alt, Jesus – der erste neue Mann, München 1989.


31 Daniel Kosch, Jesus – Jude und Mann. Eine neue Sicht auf kaum bestreitbare Tatsachen:

©
Bibel und Kirche 63, 2008, 162 –165.
32 Vgl. Peter-Ben Smit, Making Men – Weakness, Justification, and Andreia in Romans 5:6:
lectio difficilior 1/2012 (http://www.lectio.unibe.ch/12_1/smit_Masculinity_Rom_5.html).
33 Die Diskussionen sind weit vielfältiger, kontext- und kulturbedingter, als hier nachgezeich­
net werden kann; vgl. beispielsweise Stephen D. Moore / Janice Chapel Anderson, New Tes­
tament Masculinities, Atlanta 2003; Adriaan S. van Klinken / Peter-Ben Smit, Introduction.
Jesus Traditions and Maculinities in World Christianity: Exchange 42, 2013, 1 –15.
34 Moisés Mayordomo, Construction of Masculinity in Antiquity and Early ­Christianity:
­lectio difficilior 2 /2006 (http://www.lectio.unibe.ch/06_2/marin_construction.htm); ders.,
­Paulus und die Korinther im Netz antiker Männlichkeit: Bibel und Kirche 63, 2008,
149 –155.
35 Martin Leutzsch, Konstruktionen von Männlichkeit im Urchristentum, in: Crüsemann
et al. (Hg.), Dem Tod nicht glauben (Anm. 12), 600 – 618.
36 Ebach, Wann ist ein Mann (Anm. 22), 137.

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