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Was leisten Alkoholverbote?

Ein runder Tisch, von der Regierung einberufen, brachte kein


Ergebnis. Aber nützen örtlich und zeitlich begrenzte Alkoholverbote
etwas? StZ-Redakteur Reiner Ruf erklärt, warum er für Verbote ist –
Kollegin Julia Schröder argumentiert dagegen.

Stuttgart - Die einen erhoffen sich eine Befriedung von zur Gewalt
neigenden Trinkerszenen, die anderen sagen: Das bringt nichts und
schränkt nur die Freiheit ein. Ein Runder Tisch, von Regierungschef
Winfried Kretschmann einberufen, brachte diese Woche noch keine
Ergebnisse. Aber helfen von den Kommunen verhängte Alkoholverbote
überhaupt? Reiner Ruf argumentiert dafür, Julia Schröder formuliert das
Kontra.

Pro: Das Recht der anderen


Repression ist ein hässliches Wort. Es kündet von Zwang,
Fremdbestimmung, Unfreiheit. Und natürlich ist ein Alkoholverbot
repressiv – in welcher Form auch immer es in ein Gesetz gegossen wird.
Für eine liberale und aufgeklärte Gesellschaft, die auf die
Selbstentfaltung der menschlichen Vernunft setzt, bedeutet jedes
Gesetz eine Niederlage. Aber wollen wir uns ein Leben ohne
Strafgesetzbuch, ohne Ordnungsrecht und die ohne Polizeigesetze der
Länder vorstellen? Wohl kaum. Der Staat kann die Menschen nicht vor
sich selbst schützen, aber vor den Dummheiten, Zumutungen und
Rücksichtslosigkeiten der anderen schon. Er muss es sogar, will er sich
nicht selbst dementieren. Ohne Regeln funktioniert das
Zusammenleben nicht. Die Alternative ist das Recht des – im
unmittelbaren Wortsinn – Stärkeren.

Nichts tun geht auch nicht

So verhält es sich auch mit den seit Jahren debattierten, verworfenen,


dann wieder auflebenden Forderungen nach Alkoholverboten auf
bestimmten innerstädtischen Plätzen zu bestimmten Zeiten, was
konkret bedeutet: in den Nächten von Freitag auf Samstag und Samstag
auf Sonntag. Wohlgemerkt: es geht nicht um ein generelles Verbot. Den
Kommunen soll vom Landesgesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt
werden, öffentliche Saufgelage dort zu unterbinden, wo sie unmittelbar
die Sicherheit, die Unversehrtheit und die Bewegungsfreiheit anderer
Menschen einschränken. Nach den Erhebungen der Polizei verbinden
sich Alkoholexzesse und Gewalt landesweit an etwa einem Dutzend
Plätzen oder Straßenzügen zu einem unerquicklichen Amalgam von Suff
und Gewalt.

Beleidigungen, Anmache, Körperverletzungen – das alles gehört nicht


zum Kernbestand schützenswerter Rechtsgüter, ebenso wenig, da hat
Tübingens OB Boris Palmer ganz recht, zählen „vollgekotzte Vorgärten“
dazu. Aus den betroffenen Kommunen wird berichtet, die
Präventionskarte sei ausgereizt. Wo begütigende Ansprache und
professionelle Sozialarbeit ihre Grenzen erfahren, kann Untätigkeit nicht
die Konsequenz sein. Jedenfalls nicht, wenn andere sich in ihren
Rechten und in ihrer Freiheit begründet verletzt sehen. Das wäre
unterlassene Hilfeleistung.

Das Gemeinwesen leidet

Es geht auch um ein Zeichen. Um ein Ausrufezeichen, und zwar dafür,


dass sich in dieser Gesellschaft niemand auf Kosten anderer ausleben
kann, wie es ihm gerade beliebt. Denn am Ende stirbt nicht, wie
Verbotsgegner gerne behaupten, die Freiheit, vielmehr leidet das
Gemeinwesen, das auf gegenseitiger Rücksichtnahme gründet.

Kontra: Jugend mit Vorbildern


Sie grölen herum, sie sind rücksichtslos, sie verrichten ihr Geschäft in
Vorgärten. Und sie sind schwer betrunken. Die Rede ist nicht von den
freilaufenden Jugendlichen, die, glaubt man Sicherheitskräften,
Bürgermeistern und einigen Mitgliedern der Regierungskoalition, sich zu
Horden an Tank- und Haltestellen zusammenrotten, um anschließend als
marodierende Masse die Innenstädte zu verwüsten. Die Rede ist
vielmehr von animierten Besuchern durchschnittlicher Dorf-,
Feuerwehr-, Volks- und Stadtfeste, von Angehörigen aller Altersklassen,
die der verbreiteten Auffassung anhängen, sie könnten auch ohne
Alkohol fröhlich sein, müssten aber nicht.
Über einen Mangel an Vorschriften und Verboten, die unser
Zusammenleben regeln sollen, können die Bundesbürger sich nicht
beklagen. Über den Mangel an Willen und Befähigung, all dies auch
durchzusetzen, sehr wohl. Nun soll also ein Verbot, auf öffentlichen
Plätzen Alkohol zu konsumieren, dazukommen. Und dieses Verbot zielt,
wie spätestens die begleitende Diskussion zeigt, eben nicht auf Bürger
aller Altersklassen, sondern auf die Jungen.

Erwachsene sind hilflos

Darin zeigt sich viel hilflose Besorgnis der Erwachsenen, die nicht
wissen, wie sie mit dem von Medien und Politik verbreiteten und nicht
ganz falschen Eindruck, der Nachwuchs saufe sich um Kopf und Kragen,
umgehen sollen. Die Frage ist, ob diese Besorgnis auch so
unwiderstehlich zu Taten drängen würde, wenn die jungen Männer und
Frauen nicht vor aller Augen, sondern daheim in Papas Partykeller bis
zum Umfallen trinken würden, so, wie es Brauch ist von alters her.

In der Debatte zeigt sich nämlich auch nicht wenig Doppelmoral.


Allenthalben erzählen Tourismuswerber und kommunale Eventmanager,
Städte und Gemeinden seien umso lebenswerter, je mehr Stadtfeste,
Weindörfer, Fischmärkte sie zu bieten hätten. Der Schultes sticht das
Fass an, der Minister küsst weinselig die Weinkönigin, und kein Mitglied
der Regierungsbank kann es sich leisten, nicht wenigstens einmal pro
Saison auf dem Cannstatter Wasen den Humpen in die Kamera zu
heben. Alkohol gilt als Kulturgut und fungiert als Schmiermittel unserer
Gesellschaft, das Recht auf Rausch ist unbestritten. Und unsere Jugend
wächst da hinein.

Wir sollten alle nachdenken

Herumpöbeln, die Ruhe stören, Passanten beleidigen, öffentliches


Ärgernis erregen – gegen all das kann die Polizei jetzt schon vorgehen.
Bürger, denen alkoholbetäubte Jugendliche ein Dorn im Auge sind,
Eltern, die sich um ihre heranwachsenden Kinder sorgen, kurz: wir alle
sollten über das Vorbild nachdenken, das wir abgeben.

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