April 2020
die Berichterstattung über Covid-19 ist bisher sehr emotional geführt worden. Doch jetzt scheint
sich die Auseinandersetzung mit dem Virus langsam zu einer sachlicheren Diskussion zu
entwickeln. Eine solche ist auch dringend nötig, da die Datenlage bei Weitem nicht so eindeutig ist,
wie sie vermittelt wird.
In den deutschen und ausländischen Medien wird die Darstellung der Ereignisse in Südtirol und
Italien häufig auf Leichen und Särge reduziert. Diese Eindrücke werden in unseren Nachbarländern
zur Begründung für weitreichende Entscheidungen, bis hin zum Lockdown, herangezogen.
In einigen der weltweit angesehensten medizinischen Fachzeitschriften und auch in Italien wurden
in den letzten 10 Tagen Untersuchungen veröffentlicht, die den Schluss nahelegen, dass Covid-19
eher einer schweren saisonalen Grippe als einem Killervirus gleicht und dass das Virus nicht
infektiöser ist als die saisonalen Grippeviren.
Dies scheint im Kontrast zu den täglich steigenden Fallzahlen an Infizierten und
Verstorbenen zu stehen.
Um die besonderen Umstände in Italien, speziell in der Lombardei, zu verstehen, muss man die
verschiedenen Gesundheitssysteme betrachten.
In Italien liegt die Anzahl der Betten mit intensivmedizinischer Betreuung bei rund 5.000
(12.000 Einwohner pro Bett). In Deutschland stehen im Vergleich dazu rund 25.000 Betten (3.200
Einwohner pro Bett) zur Verfügung. In Italien weicht auch das Hausärztesystem von dem in
Deutschland ab. Die Basisärzte, wie die Hausärzte hier genannt werden, sind mit der medizinischen
Grundversorgung der ihnen zugeteilten Patienten beauftragt. Labor- oder Röntgenuntersuchungen
werden von ihnen beispielsweise nicht durchgeführt, dafür gibt es zentrale Strukturen, an die die
Ärzte überweisen. Durch die häufigen Überweisungen ans Krankenhaus treffen die Patienten –
insbesondere in den Wintermonaten – auf Strukturen, die bereits an ihren Kapazitätsgrenzen
arbeiten.
In der Lombardei kommen noch weitere Faktoren dazu. Hier sind ca.18 % der Bevölkerung über
70 Jahre alt. Rund 27 % leben mit jungen Menschen im gleichen Haushalt, was eine leichtere
Übertragung von Covid-19 durch symptomfreie Personen auf die Risikogruppen ermöglichte. Dazu
kam, dass im Raum Bergamo von Dezember bis Januar etwa 34.000 Menschen gegen
Hirnhautentzündung (Meningokokken C) geimpft wurden. Infolge dieser Impfung kann es zu
typischen Beschwerden kommen, die leicht mit den von Sars-CoV2 ausgelösten verwechselt
werden können (leichtes Fieber, Glieder- und Halsschmerzen u. a.).
Gleichzeitig ist die Lombardei in ganz Europa, speziell in den Wintermonaten, die Region mit der
höchsten Feinstaubbelastung. Bekannt ist, dass Viren und Bakterien auch durch Staubpartikel oder
organische Teilchen verbreitet werden. Sie können mit den Luftströmungen Tausende von
Kilometer weit getragen werden. Im November 2019 wiesen Ärzte und Gesundheitsämter bereits
auf eine ungewöhnliche Anzahl schwer verlaufender Lungenentzündungen hin. So summierten sich
Patienten unterschiedlicher Ausgangslage in den Notaufnahmen und Intensivabteilungen der
bereits stark ausgelasteten Kliniken. Die medizinischen Mitarbeiter berichteten von Personen mit
Erkältungen und Grippe, im psychischen Ausnahmezustand und dazu womöglich mit Covid-19
infiziert, die in solcher Anzahl kamen, dass die Abläufe nur schwer bis gar nicht aufrechterhalten
werden konnten. In überlasteten Strukturen steigt das Risiko, an einem im Krankenhaus
erworbenen Infekt zu versterben. Derartige Infekte sind zu über 70 % Lungenentzündungen und
Blutvergiftungen. Jene Komplikationen, die auch mit der Mortalität von Covid-19-Patienten in
Zusammenhang stehen.
Das Überschreiten der Belastungsgrenzen des Gesundheitssystems – speziell in der Lombardei –
ist bei besonderen Belastungsspitzen bekannt. Zuletzt kam es während der starken Grippewelle
2017/18 zum Systemkollaps des Gesundheitssystems in Mailand.
Mittwoch, 1. April 2020
Generell werden die Daten zur Sterblichkeit von 21 europäischen Ländern vom European Mortality
Monitoring for Public Health Action (EURO-MOMO) in wöchentlichen Abständen gesammelt und
veröffentlicht. Der Kurvenverlauf zeigt, dass die aktuelle Gesamtmortalität in Europa derzeit
noch im Normalbereich oder sogar darunter liegt.
Abweichend verhält sich dabei die Altersgruppe der über 65-Jährigen in Italien, deren
Mortalitätsrate sich deutlich erhöht hat, nachdem sie zuvor aufgrund des milden Winters noch
unterdurchschnittlich war. Der Großteil dieser Übersterblichkeit stammt derzeit aus Norditalien.
Allerdings ist noch nicht klar, welchen Anteil Covid-19 daran hat und welchen Anteil solche Faktoren
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Mittwoch, 1. April 2020
wie Panik, Systemkollaps und Lockdown haben könnten. Die Gesamtsterblichkeit liegt immer noch
unter der Grippesaison von 2016/2017. Diese Gesamtmortalität gilt es weiterhin genau zu
beobachten, um Covid-19 entsprechend einordnen zu können.
Covid-19 wird oft mit der Influenza, der saisonalen Grippe, verglichen. In der Woche mit dem
höchsten Anstieg starben in Europa zwischen dem 19. Dezember 2016 und dem 13. März 2017
rund 71.000 Menschen an Grippe. Addiert man diese zu den durchschnittlich wöchentlich
verstorbenen 55.000 Personen dazu, kommt man auf 126.000 Menschen. Es kam damals weder zu
erkennbaren behördlichen Maßnahmen noch zu einem Lockdown mit der Einschränkung von
Grundrechten.
Um die täglichen Fallzahlen der Medien, der WHO und des Robert-Koch-Institutes einschätzen zu
können, müssen verschiedene Parameter herangezogen werden.
4. Die Anzahl der Personen, die nach dem internationalen Leitfaden der Infektiologie als
infiziert gelten
In die veröffentlichten Fallzahlen fließen derzeit alle positiv getesteten Personen ein, also auch
solche, die keine Symptome zeigen, was nicht den Richtlinien der Infektiologie entspricht. Zum
Beispiel gilt keiner als krank, bei dem zufällig im Rachenabstrich Herpesviren oder Streptokokken
(die z. B. Halsentzündungen verursachen) gefunden werden, wenn er keine Symptome hat.
In Italien hat man in der Anfangsphase überwiegend schwer erkrankte Fälle getestet und sich somit
zunächst auf die fünf Prozent der schwer verlaufenden Fälle fokussiert. So errechnete sich
mathematisch ein hoher prozentualer Anteil an Verstorbenen im Verhältnis zur Anzahl der
Infizierten. Wenn die Anzahl der durchgeführten Tests steigt, wird die hohe Mortalitätsrate wieder
sinken.
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat das Robert Koch Institut am 26. März 2020
seine Falldefinition erweitert: Nun wird die Kontaktperson eines bestätigten Covid-19-Falls, der
Symptome zeigt, ohne weiteren Test als Infizierter gezählt. Das Gleiche gilt für Patienten, die
Grippe-Symptome zeigen und sich in einer medizinischen Einrichtung befinden, in der zwei oder
mehr Menschen eine Lungenentzündung haben. Sie alle gelten als positiv infiziert.
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Mittwoch, 1. April 2020
Gleichzeitig fehlen Angaben zu den Personen, die bereits wieder aus der Quarantäne entlassen
wurden. Das RKI konnte bis vor Kurzem nicht einmal die Anzahl der durchgeführten Tests angeben
– was für eine exakte Einschätzung der Pandemie notwendig wäre. Es gab bisher keine
Stichprobenerhebung in der Bevölkerung, um den Grad der eigentlichen „Durchseuchung“
abschätzen zu können.
Das und noch mehr sorgt zunehmend für Irritationen und Skepsis. Immer mehr weltweit
anerkannte Epidemiologen, zum Beispiel Prof. John Ioannidis von der Standford Universität,
machen auf diese Ungereimtheiten aufmerksam. Deutsche Virologen und Infektiologen
haben sich dem angeschlossen, zum Beispiel Prof. Stefan Hockerts, Prof. Hendrik Streeck,
Prof. Sucharit Bhakdi, und in offenen Briefen die Bundesregierung und das Robert-Koch-
Institut um Aufklärung und Rückkehr zu einer sachlichen und besonnenen
Auseinandersetzung aufgefordert.
Die deutsche Öffentlichkeit beginnt sich zu sensibilisieren. Die FAZ veröffentlichte einen großen
Artikel, in dem sie der Frage nachging, ob die vorliegenden Daten die eingeleiteten Maßnahmen
und Eingriffe in die Grundrechte rechtfertigen. Kontrovers diskutiert werden auch die Risiken einer
Infektion durch den Kontakt mit Oberflächenmaterialien.
Nicht nur die unter hohem Druck stehenden Entscheidungsträger, sondern auch die
Bevölkerung brauchen Transparenz und objektive Daten. Denn nur dann kann ein
Maßnahmenkatalog erstellt werden, der individualisierte Strategien vorsieht – je nach
Zustand des Gesundheitssystems, der Verfügbarkeit an Intensivbetten und Risikogruppen
bzw. je nach logistischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten.
Es ist sinnvoll und notwendig, dass sich die Zahl der schwer Erkrankten auf einen längeren
Zeitraum verteilt, damit diese im Bedarfsfalle auch optimal versorgt werden können.
Andererseits stellt sich mit zunehmender Dauer die Frage, ob wir auch die Folgen genügend
bedacht haben: das Herunterfahren der Sozialdienste, der Palliativbegleitungen, der
Vorsorgeuntersuchungen, die dann zu kostspieligen Akutbehandlungen werden können, die
eingeschränkte Behandlung von Tumorpatienten, aber auch die Zunahme von häuslicher Gewalt,
Depressionen und Suiziden. Studien belegen eine Verdoppelung des Downloads von Pornographie
– Einstiegsalter 9 Jahre.
Blicken wir weiter: Flüchtlingslager werden kaum mehr versorgt. Tuberkulose,
Lungenentzündungen, Cholera und andere Erkrankungen mit erhöhter Mortalität steigen. In Brüssel
gibt es erste Schätzungen, wonach Italien mit 200 % seines BIP verschuldet sein wird, das ist mehr
als Griechenland.
Ethische, soziale und wirtschaftliche Überlegungen sind nicht nur die Grundlage für die
Entscheidungen des akuten Bedarfs, sondern auch für deren Auswirkungen auf unsere
Zukunft. Der deutsche Ethikrat unterbreitet Vorschläge, wie auf eine Normalisierungsstrategie
umgestellt werden könnte (siehe www.ethikrat.org).
Ich bedanke mich bei meinen Mitarbeitern, vielen Kolleginnen und Kollegen, Patienten, Gästen und
Freunden für die Unterstützung bei der Eruierung der Fakten, die nach bestem Wissen und
Gewissen zusammengestellt wurden. Irrtümer vorbehalten.
Bei diesem Text handelt es sich um die gekürzte Fassung eines längeren Beitrags. Dort sind sämtliche hier
zitierte Angaben mit entsprechenden Quellennachweisen belegt und direkt verlinkt.
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