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172 Karl Heinz Ramers

Albert Busch & Oliver Stenschke. 2007. Germanistische Linguistik. Eine


Einführung. Tübingen: Gunter Narr. viii, 256 S.

Karl Heinz Ramers Universität Rostock


Institut für Germanistik / PHF
August-Bebel-Str. 28
D-18051 Rostock
heinz.ramers@uni-rostock.de oder Heinz.Ramers@t-online.de

1. Überblick

Der vorliegende Band soll als Lehrbuch für eine Einführung in die Ger-
manistische Linguistik dienen, insbesondere in modularisierte Bachelor-
Studiengänge. Entsprechend korrespondieren die Einheiten genannten
Kapitel des Buches mit Seminarsitzungen. Jede Einheit wird durch Ü-
ZRS, Band 1, Heft 2
© Walter de Gruyter 2009 DOI 10.15/zrs.2009.035
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bungsaufgaben (mit Lösungshinweisen im Internet) und weiterführende


Literaturhinweise abgeschlossen. Die Einheiten sind zu vier Themenblö-
cken gebündelt. Zentrale Termini sind auf einer Randspalte hervorgeho-
ben. Diese enthält auch Porträts bedeutender Sprachwissenschaftler. Defi-
nitionen und Abbildungen werden durch einen blauen Hintergrund vom
übrigen Text abgehoben. Der Band umfasst zudem ein Sachregister und
ein Abkürzungsverzeichnis.

2. Einheit 1: Sprache und Linguistik

In Einheit 1 werden die Begriffe Linguistik (Sprachwissenschaft), Sprache


und Grammatik erläutert, und zwar in Form eines historischen Streifzugs
durch die Sprachwissenschaft von Dionysios Thrax über Wilhelm von
Humboldt, Hermann Paul, Ferdinand de Saussure, Franz Boas, Karl Büh-
ler bis zu Noam Chomsky, um nur einige der erwähnten Autoren zu nen-
nen. Die wissenschaftsgeschichtlichen Reminiszenzen sind kein bloßes
Dekor, sondern dienen der Verdeutlichung unterschiedlicher Sprachauf-
fassungen. Außerdem werden in Einheit 1 – ausgehend von einem be-
kannten Pidgin-Deutsch-Monolog des Trainers Giovanni Trappatoni –
verschiedene linguistische Methoden eingeführt.

3. Einheit 2: Semiotik

Die 2. Einheit ist der Semiotik (Zeichenlehre) gewidmet. Nach einer präzi-
sen Definition des Zeichens erläutern die Autoren zunächst die Zeichen-
modelle von Peirce und de Saussure. Die Saussure’sche Konzeption wird
dabei klar und prägnant zusammengefasst. Eine Fehlinterpretation ist
allerdings die Behauptung, das Lautbild sei „materiell und damit messbar“
(S. 21 u.), weil sie de Saussures Auffassung widerspricht, dass beide Seiten
des Zeichens psychischer Natur sind. Zumindest unscharf ist auch die Diffe-
renzierung zwischen grammatischen paradigmatischen Beziehungen und
semantischen paradigmatischen Beziehungen (S. 25f.). Dem bilateralen Zei-
chenmodell von de Saussure werden die triadischen Modelle von Ogden
& Richards und Morris gegenübergestellt, außerdem Bühlers kommunika-
tionstheoretisch orientiertes Organonmodell. Die anschaulichen Abbil-
dungen erleichtern das Verständnis dieser Zeichenmodelle. Das Kapitel
schließt mit einem Ausblick auf die jüngeren semiotischen Ansätze von
Michel Foucault (Poststrukturalismus, historische Diskursanalyse) und
Umberto Eco (Kultursemiotik); diese Textpassage dient eher als Lesean-
reiz denn als hinreichende Darstellung dieser Ansätze.
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4. Einheit 3: Phonetik und Phonologie

In Einheit 3 wird als erster grammatischer Teilbereich die Phonologie dar-


gestellt, und zwar zusammen mit ihrer Basisdisziplin, der Phonetik. Die
Unterscheidung von Phonetik und Phonologie (vgl. Tab. 3.1, S. 38) ist
präzise und verständlich. Die phonetischen, insbesondere artikulatori-
schen Grundlagen werden in für eine Einführung sehr ausführlicher Form
erläutert und durch zahlreiche Abbildungen veranschaulicht. Im Detail
enthält dieses Teilkapitel allerdings einige Ungenauigkeiten und Fehler:
– In der Definition des Artikulationsorts (S. 43 oben) werden die Lippen verges-
sen.
– Affrikaten sind keine „Kombinationen aus einem Frikativ und einem Plosiv“
(S. 45), sondern „Kombinationen aus einem Plosiv und einem Frikativ“. Die
Reihenfolge ist ein entscheidendes Kriterium für den Affrikatenstatus.
– Für das ungespannte ‚ü’, z. B. in fünf, wird das falsche Transkriptionssymbol
gewählt (S. 48, Tab. 3.7, und Tab. 3.12, S. 53).
Die Darstellung der Phonologie ist im Wesentlichen auf die methodische
Herleitung der Begriffe Phonem und Allophon sowie des Phonemsystems
des Standarddeutschen beschränkt. Als Appendix sind lediglich einige
kurze Erklärungen zur Silbenstruktur angefügt. Der Verzicht auf Bereiche
wie phonologische Merkmale, phonologische Prozesse und Regeln sowie Akzent und
Intonation ist aus didaktischer Sicht durchaus sinnvoll. Die extreme Text-
verdichtung führt jedoch zu einigen groben Vereinfachungen und Erklä-
rungslücken:
– In der Skizzierung der methodischen Schritte zur Phonemermittlung (S. 50)
werden phonetische Transkription (Schritt 1) und Segmentierung in Phone
(Schritt 2) künstlich getrennt. Eine Transkription ist aber ohne Segmentie-
rung gar nicht möglich: Es handelt sich folglich nur um einen methodischen
Schritt.
– Die Kriterien für zulässige Minimalpaare (S. 51, Tab. 3.9) werden nicht be-
gründet.
– Die Aussage, dass [?], [5] und [ç] nicht phonologisch relevant sind, weil sie
keine Bedeutungen unterscheiden (S. 53), ist in dieser pauschalen Formulie-
rung unhaltbar (vgl. Minimalpaare wie ‚Opa – Oper’, ‚Rinde – Rinder’ und
‚Kirche – Kirsche’) und müsste näher begründet werden.

5. Einheit 4: Graphematik und Orthographie

Diese Einheit enthält eine übersichtliche Darstellung der Bereiche Graphe-


matik und Orthographie. Thematisiert werden zunächst graphematische
Grundbegriffe, das Graphemsystem des Deutschen und die Graphem-
Phonem-Korrespondenzen. Daran anschließend erläutern die Autoren
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verschiedene graphematische Prinzipien, die das Schriftsystem des Deut-


schen bestimmen. Abschließend werden verschiedene Aspekte der Recht-
schreibreform sachlich und ausgewogen diskutiert.
Dieses Kapitel bietet – insgesamt betrachtet – für die Studierenden
durchaus einen guten Überblick über die genannten Themenbereiche. Ein
grober Schnitzer ist allerdings zu monieren: Die Dependenzhypothese
(S. 58) geht keineswegs auf de Saussure zurück, sondern ist viel älter. So
findet sich schon in Aristoteles’ Schrift Peri Hermeneias (lat.: De Interpretatio-
ne) eine entsprechend deutbare Textpassage. Die Entwicklung dieser
Hypothese von der Antike bis zur Gegenwart wird in Feldbusch (1985)
ausführlich beschrieben. Verzeihlich ist dagegen der Flüchtigkeitsfehler,
die Graphematik habe sich als eigenständige linguistische Teildisziplin in
den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelt (S. 58). Die Entwicklung
fand natürlich erst 100 Jahre später statt. Auffällig ist noch die Wahl des
falschen Transkriptionssymbols für den Schwa-Vokal an verschiedenen
Stellen (S. 64 u. 65); das korrekte IPA-Zeichen ist [?].

6. Einheit 5: Morphologische Analyse

In dieser Einheit werden die begrifflichen und methodischen Grundlagen


der Morphologie in prägnanter und sehr anschaulicher Form dargelegt.
Besonders hervorzuheben sind die systematische Morphemklassifizierung
und die Erläuterung der morphologischen IC-Analyse. Die klare Abgren-
zung zwischen konkreter Morph-Ebene (der parole) und abstrakter Mor-
phem-Ebene (der langue) ist zwar löblich, wird aber nicht konsequent
durchgehalten. So ist es unplausibel, ein Simplex als Lexem zu definieren,
das nur aus einem Morph besteht (S. 79). Das Lexem ist nämlich eine Ein-
heit der langue, das Morph gehört zur parole. Daher muss m. E. das Simplex
in Bezug auf das Morphem definiert werden. Einige Thesen sind strittig:
– Dienen Fugenelemente tatsächlich „der besseren Aussprechbarkeit“ (S. 87)?
Dies ist angesichts von Paaren wie Land-s-mann vs. Land-mann zweifelhaft.
– Die Analyse des Wortes Schrift (S. 87) als nicht zerlegbar, d.h. als monomor-
phematisch, ist wenig überzeugend. Die Autoren nennen in diesem Zusam-
menhang u. a. die schwer durchschaubaren Parallelbildungen Gift und Ver-
nunft, nicht jedoch die völlig transparenten Beispiele Fahrt und Naht. Im
Übrigen betrachten auch Fleischer & Barz (1995: 198), auf die sich die Auto-
ren auf der gleichen Seite (S. 87) bei der Analyse des Suffixes -ei (z. B. in Da-
tei) berufen, die Endung -t als unproduktives Suffix des Gegenwartsdeut-
schen.
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7. Einheit 6: Wortbildung und Flexion

Diese Einheit ist asymmetrisch gewichtet. Während der Wortbildung in


der Darstellung breiter Raum eingeräumt wird (S. 94-110), werden der
Flexion gerade einmal vier Seiten (S. 110-113) gewidmet. Dies scheint mir
gerade für eine Einführung, die u. a. grammatische Grundkenntnisse des
Deutschen auf wissenschaftlichem Niveau vermitteln soll, zu wenig. Vor
allem die Verbalflexion wird völlig unterschlagen. Die Ausführungen zur
Wortbildung sind dagegen detailliert und kenntnisreich. So gut wie alle im
Deutschen relevanten Wortbildungstypen werden vorgestellt, insbesonde-
re auch die verschiedenen Arten der Kurzwortbildung (S. 102-104). Dieses
Teilkapitel ist für einen Einführungskurs sehr empfehlenswert, allerdings
mit einer Einschränkung. Die Behauptung (S. 96), Rektionskomposita lie-
ßen nur die Rektionslesart zu, ist unhaltbar. Olsen (1986: 70f.) zeigt dies
anhand zahlreicher Beispiele, z. B. Alkoholfahrer oder Schmuckräuber. Auch
die auf S. 96 genannten Komposita Deutsch-Lehrer und Terroristen-Fahndung
lassen neben der usuellen Rektionslesart in geeigneten Kontexten auch an-
dere Lesarten zu (z. B. ‚Lehrer in England, der aus Deutschland stammt’
und ‚Fahndung von Terroristen nach ihren abtrünnigen Kumpanen’).

8. Einheit 7: Traditionelle Syntaxanalyse

Die traditionelle Satzanalyse geht von den operationalen Verfahren der


Verschiebung, Ersetzung und Anfangstellung (VEA) aus (S. 119), um die
Satzglieder zu bestimmen. Daran schließt sich eine Klassifikation der
Wortarten nach morphologischen und syntaktischen Kriterien an, die zu
einem traditionellen System von neun Wortarten für das Deutsche führt.
Nach einer kurzen Skizze der Phrasentypen (S. 124) werden die Satzglied-
funktionen und das Attribut ausführlicher erläutert, wobei sich die Auto-
ren an den prototypischen Eigenschaften der Satzglieder nach Dürscheid
(2005) orientieren.
Die Darstellung ist übersichtlich und gut nachvollziehbar. Lediglich
die Unterscheidung zwischen dem formalen Kriterium der Kongruenzaus-
lösung beim Subjekt und dem morphologischen Kriterium der Kongruenz mit
dem Subjekt beim Prädikat (S. 125, Tab. 7.3) ist nicht nachvollziehbar.
Wünschenswert wäre zudem eine nähere Differenzierung der semanti-
schen Adverbialtypen (S. 126, Tab. 7.3). Dass eine Phrasenstrukturgram-
matik für die Anwendung in der Schule zu komplex sei, wie die Autoren
(S. 118) behaupten, müsste erst noch gezeigt werden. Die in Abb. 7.5
(ebd.) dargestellte Konstituentenstrukturgrammatik sieht jedenfalls recht
einfach und vermittelbar aus. Den Abschluss der Einheit Syntaxanalyse
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bildet eine überzeugende Klassifikation von Nebensätzen unter formalen


und funktionalen Aspekten.

9. Einheit 8: Dependenz und Valenz

Die Autoren haben sich entschieden, ein Syntaxmodell, die Dependenz-


und Valenzgrammatik, näher darzustellen, und zwar in zwei Schritten. In
der 8. Einheit wird das Grundmodell von Tesnière erklärt, in der
9. Einheit folgt eine Erweiterung dieses Ansatzes primär nach der Gram-
matik von Engel. Die Skizzierung der Valenzsyntax von Tesnière ist präzi-
se und umfassend, wobei auch die problematischen Komponenten seines
Modells, z. B. die Aufhebung der Trennung von syntaktischer Kategorie
und Funktion (S. 139), kritisch beleuchtet werden. Die abschließenden
syntaktischen Testverfahren zur Abgrenzung von Ergänzungen und Angaben
in Abschnitt 8.3 (S. 144-147) sind deplatziert: Sie passen besser in die
folgende Einheit.

10. Einheit 9: Ergänzungen und Angaben

Diese Einheit enthält die Präsentation eines detailreichen und schlüssigen


dependenzgrammatischen Systems von Engel (2004), das in der stemmati-
schen Darstellung durch Eroms (2000) ergänzt wird. Im Bestreben nach
Vollständigkeit tun die Autoren m. E. gelegentlich des Guten zuviel. Die
Feindifferenzierung der Ergänzungen (S. 152, Tab. 9.2) und Angaben
(S. 159, Tab. 9.3) kann aus Platzgründen lediglich durch Beispiele illus-
triert, aber nicht erklärt werden. Vermutlich wäre hier weniger mehr gewe-
sen.

11. Einheit 10: Attribute und syntaktische Einzelprobleme

Einheit 10 behandelt eine Reihe von syntaktischen Einzelphänomenen.


Neben den einzelnen Attributklassen und ihrer Repräsentation in Stem-
mata werden Funktionsverbgefüge, Reflexivität, der Status von es, freie
Dative und Koordinationen thematisiert. In der Definition des Attributs
(S. 167) wird der Unterschied zur Klasse der Determinative nicht deutlich.
Die Erörterungen sind insgesamt betrachtet jedoch durchaus anregend
und weiterführend, allerdings für einen Einführungskurs aus Zeitgründen
und wegen des höheren Argumentationsniveaus wohl kaum verwendbar.
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Ich könnte mir diese Einheit aber gut als Grundlage eines syntaktischen
Hauptseminars vorstellen.

12. Einheit 11: Semantische Grundbegriffe

Diese Einheit ist ausschließlich der Wortsemantik gewidmet, auf Satz- und
Textsemantik wird lediglich verwiesen (S. 184). Zunächst werden verschie-
dene Bedeutungsbegriffe expliziert, u. a. mit Bezug auf Hermann Paul und
Ludwig Wittgenstein. Außerdem differenzieren die Autoren als Bedeu-
tungskomponenten Denotation und Konnotation. Darauf aufbauend werden
die verschiedenen semantischen Relationen auf Wortebene erläutert und
durch aussagekräftige Darstellungen, z. B. des Unterschiedes zwischen
Kontradiktion und Antonymie (S. 192), illustriert. Das Kapitel bildet für Stu-
dierende oder andere Linguistikinteressierte einen sehr informativen Über-
blick über die Grundbegriffe der Semantik. Der Vorschlag, mit Hilfe eines
etymologischen Kriteriums Homonyme von Polysemen zu differenzieren
(z. B. ist Bank etymologisch gesehen ein Polysem, da beide Lesarten auf
eine Wurzel zurückgehen, Kiefer dagegen ein Homonym), passt allerdings
überhaupt nicht zur synchron ausgerichteten Gesamtkonzeption des Bu-
ches. Dies zeigt z. B. die diametral entgegengesetzte Argumentation zur
Nicht-Analysierbarkeit des Wortes Schrift in Einheit 5 (S. 87; siehe oben).

13. Einheit 12: Semantische Theoriebildung

In diesem Kapitel werden verschiedene theoretische Ansätze zur Reprä-


sentation und Speicherung von Wortbedeutungen vorgestellt. Neben einer
reflektierten Diskussion der Merkmalsemantik und ihrer Grenzen werden
die Begriffe Wortfamilie, Wortfeld und Phraseologismus definiert. Weiterhin
wird die Frage erörtert, wie Wortbedeutungen im Gedächtnis gespeichert
sind. In diesem Zusammenhang beschreiben die Autoren das Prototypen-
konzept näher, wobei sie die Ergebnisse psycholinguistischer Experimente
von Rosch und Labov rekapitulieren. Das grundlegende Werk von Kleiber
(1993) zur Prototypentheorie wird dagegen überraschenderweise nicht er-
wähnt. Außerdem erläutern die Autoren die zur Beschreibung der Reprä-
sentation von Weltwissen zentralen Termini kognitives Schema, Frame und
Skript. Abschließend wird die Hypothese der sprachlichen Relativität des
Denkens und der Wahrnehmung nach Sapir und Whorf diskutiert und mit
den Vorstellungen von Weisgerber sowie der kognitiven Metapherntheo-
rie verknüpft. Zu diesem Themenkomplex würde man sich als Leser noch
ausführlichere Informationen wünschen, aber der knapp bemessene Um-
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fang einer Einführung lässt eine solche Ausweitung verständlicherweise


nicht zu.

14. Einheit 13: Pragmatik

Die Pragmatik kann als eine Art Stiefkind der vorliegenden Einführung
betrachtet werden, da alle anderen Kernbereiche der Linguistik einen we-
sentlich größeren Raum einnehmen. Thematisiert werden die Bereiche
Sprechakte, konversationale Implikaturen, Präsuppositionen und Deixis. Besonders
eklatant sind die Lücken in der Darstellung der Sprechakt- und Implika-
turtheorie. Weder wird die Indirektheit von Sprechakten erwähnt, noch
die Herleitung einer Implikatur durch Bezug auf eine Gesprächsmaxime
erläutert. Dieses Manko spiegelt sich auch in den Literaturhinweisen, in
denen die zentralen Werke von Searle (1969) und Grice (1989) fehlen. Der
Abschnitt zur Deixis ist zwar akzeptabler, enthält aber ebenfalls Lücken:
– Bei der Erklärung der Temporaldeixis fehlt der entscheidende Bezug auf den
Sprechzeitpunkt.
– Die Möglichkeiten der Verschiebung der Origo in der Deixis am Phantasma, die
für die Interpretation literarischer Texte bedeutsam sind, bleiben unerwähnt.
Insgesamt kann die Einheit 13 lediglich als eine Art Schnupperkurs be-
trachtet werden. Sie ist aus den genannten Gründen für einen Einfüh-
rungskurs ohne entsprechende Ergänzungen nicht empfehlenswert.

15. Einheit 14: Textkommunikation

Der Begriff Text wird mit Hilfe von sechs Grundmerkmalen definiert:
Sprachlichkeit, Schriftlichkeit, Kohäsion, Kohärenz, Funktionalität und
Sortenhaftigkeit. Die Gliederung der Einheit entspricht diesen Merkma-
len. Texte werden zunächst als schriftsprachlich definiert und so von Ge-
sprächen abgegrenzt. Dann listen die Autoren die verschiedenen Kohäsi-
onsmittel, die den strukturell-grammatischen Zusammenhang eines Textes
herstellen, detailliert auf (vgl. Tab. 14.1, S. 231f.). Den Kern des Kapitels
bildet die Untersuchung der Kohärenz, also des inhaltlich-thematischen
Zusammenhangs eines Textes. Unter anderem werden die verschiedenen
Arten der Themenentfaltung (deskriptiv, argumentativ, explikativ und nar-
rativ) erläutert. Im Anschluss werden die verschiedenen Textfunktionen
mit den Illokutionstypen der Sprechakttheorie verknüpft; zusätzlich wird
ein aus Produzenten- und Rezipientensicht gewonnenes textfunktionales
Ertragsmodell (nach Adamzik 2004) entwickelt. Zum Abschluss der Ein-
180 Nina-Maria Klug

heit geben die Autoren einen Ausblick auf die Klassifikation von Textsor-
ten und die intertextuale Vernetzung verschiedener Texte. Einheit 14 bil-
det eine sehr prägnante und informative Übersicht über die Grundlagen
der Textlinguistik.

16. Resümee

Die vorliegende Einführung ist als Basislektüre und Übungsbuch für einen
linguistischen Grundkurs geeignet und empfehlenswert. Allerdings sollten
vor allem für die Bereiche Flexion und Pragmatik zusätzliche Werke her-
angezogen werden, da diese Teilgebiete nicht ausführlich genug dargestellt
sind. Die Lektüre des Buches ist abwechslungsreich und kann durchaus
unterhaltsam genannt werden, was u. a. auf die gut ausgewählten Beispiele
sowie die illustrativen Abbildungen und tabellarischen Übersichten zu-
rückzuführen ist. Das Niveau der Übungsaufgaben ist angemessen und die
Beschränkung auf wenige Literaturhinweise aus didaktischer Sicht sinn-
voll. Die ständigen etymologischen Herleitungen der Fachtermini aus dem
Griechischen oder Lateinischen sind dagegen störend und bringen für die
Leser keinen Erkenntnisgewinn.
Die Einführung ist im positiven Sinne traditionsbewusst. Die Autoren
stellen die zentralen Grundbegriffe und Methoden der Linguistik als (vor-
läufige) Resultate einer langen wissenschaftshistorischen Entwicklung dar.
Auf diese Weise werden die Grundlagen des Faches kritisch hinterfragt
und nicht als selbstverständlich gegeben postuliert.

Literatur

Adamzik, Kirsten. 2004. Textlinguistik. Eine einführende Darstellung. Tübin-


gen: Max Niemeyer.
Dürscheid, Christa. 2005. Syntax. Grundlagen und Theorien. 3. Aufl. Wiesba-
den: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Engel, Ulrich. 2004. Deutsche Grammatik. Neubearbeitung. München: Iudi-
cium.
Eroms, Hans-Werner. 2000. Syntax der deutschen Sprache. Berlin, New York:
Walter de Gruyter.
Feldbusch, Elisabeth. 1985. Geschriebene Sprache – Untersuchungen zu ihrer
Herausbildung und Grundlegung ihrer Theorie. Berlin: Walter de Gruyter.
Grice, Paul. 1989. Studies in the Way of Words. Cambridge, Mass.: Harvard
University Press.
Hiltraud Casper-Hehne. Deutsch-amerikanische Alltagskommunikation 181

Kleiber, Georges. 1993. Prototypensemantik. Eine Einführung. Tübingen:


Gunter Narr.
Olsen, Susan. 1986. Wortbildung im Deutschen. Eine Einführung in die Theorie
der Wortstruktur. Stuttgart: Kröner.
Searle, John R. 1969. Speech Acts. Cambridge: Cambridge University Press.
Dt.: Sprechakte. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1971.

ZRS, Band 1, Heft 2


© Walter de Gruyter 2009 DOI 10.15/zrs.2009.036

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