1. Überblick
Der vorliegende Band soll als Lehrbuch für eine Einführung in die Ger-
manistische Linguistik dienen, insbesondere in modularisierte Bachelor-
Studiengänge. Entsprechend korrespondieren die Einheiten genannten
Kapitel des Buches mit Seminarsitzungen. Jede Einheit wird durch Ü-
ZRS, Band 1, Heft 2
© Walter de Gruyter 2009 DOI 10.15/zrs.2009.035
Albert Busch & Oliver Stenschke. Germanistische Linguistik 173
3. Einheit 2: Semiotik
Die 2. Einheit ist der Semiotik (Zeichenlehre) gewidmet. Nach einer präzi-
sen Definition des Zeichens erläutern die Autoren zunächst die Zeichen-
modelle von Peirce und de Saussure. Die Saussure’sche Konzeption wird
dabei klar und prägnant zusammengefasst. Eine Fehlinterpretation ist
allerdings die Behauptung, das Lautbild sei „materiell und damit messbar“
(S. 21 u.), weil sie de Saussures Auffassung widerspricht, dass beide Seiten
des Zeichens psychischer Natur sind. Zumindest unscharf ist auch die Diffe-
renzierung zwischen grammatischen paradigmatischen Beziehungen und
semantischen paradigmatischen Beziehungen (S. 25f.). Dem bilateralen Zei-
chenmodell von de Saussure werden die triadischen Modelle von Ogden
& Richards und Morris gegenübergestellt, außerdem Bühlers kommunika-
tionstheoretisch orientiertes Organonmodell. Die anschaulichen Abbil-
dungen erleichtern das Verständnis dieser Zeichenmodelle. Das Kapitel
schließt mit einem Ausblick auf die jüngeren semiotischen Ansätze von
Michel Foucault (Poststrukturalismus, historische Diskursanalyse) und
Umberto Eco (Kultursemiotik); diese Textpassage dient eher als Lesean-
reiz denn als hinreichende Darstellung dieser Ansätze.
174 Karl Heinz Ramers
Ich könnte mir diese Einheit aber gut als Grundlage eines syntaktischen
Hauptseminars vorstellen.
Diese Einheit ist ausschließlich der Wortsemantik gewidmet, auf Satz- und
Textsemantik wird lediglich verwiesen (S. 184). Zunächst werden verschie-
dene Bedeutungsbegriffe expliziert, u. a. mit Bezug auf Hermann Paul und
Ludwig Wittgenstein. Außerdem differenzieren die Autoren als Bedeu-
tungskomponenten Denotation und Konnotation. Darauf aufbauend werden
die verschiedenen semantischen Relationen auf Wortebene erläutert und
durch aussagekräftige Darstellungen, z. B. des Unterschiedes zwischen
Kontradiktion und Antonymie (S. 192), illustriert. Das Kapitel bildet für Stu-
dierende oder andere Linguistikinteressierte einen sehr informativen Über-
blick über die Grundbegriffe der Semantik. Der Vorschlag, mit Hilfe eines
etymologischen Kriteriums Homonyme von Polysemen zu differenzieren
(z. B. ist Bank etymologisch gesehen ein Polysem, da beide Lesarten auf
eine Wurzel zurückgehen, Kiefer dagegen ein Homonym), passt allerdings
überhaupt nicht zur synchron ausgerichteten Gesamtkonzeption des Bu-
ches. Dies zeigt z. B. die diametral entgegengesetzte Argumentation zur
Nicht-Analysierbarkeit des Wortes Schrift in Einheit 5 (S. 87; siehe oben).
Die Pragmatik kann als eine Art Stiefkind der vorliegenden Einführung
betrachtet werden, da alle anderen Kernbereiche der Linguistik einen we-
sentlich größeren Raum einnehmen. Thematisiert werden die Bereiche
Sprechakte, konversationale Implikaturen, Präsuppositionen und Deixis. Besonders
eklatant sind die Lücken in der Darstellung der Sprechakt- und Implika-
turtheorie. Weder wird die Indirektheit von Sprechakten erwähnt, noch
die Herleitung einer Implikatur durch Bezug auf eine Gesprächsmaxime
erläutert. Dieses Manko spiegelt sich auch in den Literaturhinweisen, in
denen die zentralen Werke von Searle (1969) und Grice (1989) fehlen. Der
Abschnitt zur Deixis ist zwar akzeptabler, enthält aber ebenfalls Lücken:
– Bei der Erklärung der Temporaldeixis fehlt der entscheidende Bezug auf den
Sprechzeitpunkt.
– Die Möglichkeiten der Verschiebung der Origo in der Deixis am Phantasma, die
für die Interpretation literarischer Texte bedeutsam sind, bleiben unerwähnt.
Insgesamt kann die Einheit 13 lediglich als eine Art Schnupperkurs be-
trachtet werden. Sie ist aus den genannten Gründen für einen Einfüh-
rungskurs ohne entsprechende Ergänzungen nicht empfehlenswert.
Der Begriff Text wird mit Hilfe von sechs Grundmerkmalen definiert:
Sprachlichkeit, Schriftlichkeit, Kohäsion, Kohärenz, Funktionalität und
Sortenhaftigkeit. Die Gliederung der Einheit entspricht diesen Merkma-
len. Texte werden zunächst als schriftsprachlich definiert und so von Ge-
sprächen abgegrenzt. Dann listen die Autoren die verschiedenen Kohäsi-
onsmittel, die den strukturell-grammatischen Zusammenhang eines Textes
herstellen, detailliert auf (vgl. Tab. 14.1, S. 231f.). Den Kern des Kapitels
bildet die Untersuchung der Kohärenz, also des inhaltlich-thematischen
Zusammenhangs eines Textes. Unter anderem werden die verschiedenen
Arten der Themenentfaltung (deskriptiv, argumentativ, explikativ und nar-
rativ) erläutert. Im Anschluss werden die verschiedenen Textfunktionen
mit den Illokutionstypen der Sprechakttheorie verknüpft; zusätzlich wird
ein aus Produzenten- und Rezipientensicht gewonnenes textfunktionales
Ertragsmodell (nach Adamzik 2004) entwickelt. Zum Abschluss der Ein-
180 Nina-Maria Klug
heit geben die Autoren einen Ausblick auf die Klassifikation von Textsor-
ten und die intertextuale Vernetzung verschiedener Texte. Einheit 14 bil-
det eine sehr prägnante und informative Übersicht über die Grundlagen
der Textlinguistik.
16. Resümee
Die vorliegende Einführung ist als Basislektüre und Übungsbuch für einen
linguistischen Grundkurs geeignet und empfehlenswert. Allerdings sollten
vor allem für die Bereiche Flexion und Pragmatik zusätzliche Werke her-
angezogen werden, da diese Teilgebiete nicht ausführlich genug dargestellt
sind. Die Lektüre des Buches ist abwechslungsreich und kann durchaus
unterhaltsam genannt werden, was u. a. auf die gut ausgewählten Beispiele
sowie die illustrativen Abbildungen und tabellarischen Übersichten zu-
rückzuführen ist. Das Niveau der Übungsaufgaben ist angemessen und die
Beschränkung auf wenige Literaturhinweise aus didaktischer Sicht sinn-
voll. Die ständigen etymologischen Herleitungen der Fachtermini aus dem
Griechischen oder Lateinischen sind dagegen störend und bringen für die
Leser keinen Erkenntnisgewinn.
Die Einführung ist im positiven Sinne traditionsbewusst. Die Autoren
stellen die zentralen Grundbegriffe und Methoden der Linguistik als (vor-
läufige) Resultate einer langen wissenschaftshistorischen Entwicklung dar.
Auf diese Weise werden die Grundlagen des Faches kritisch hinterfragt
und nicht als selbstverständlich gegeben postuliert.
Literatur