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Okolište / Bosnien-Herzegowina:
Massaker, Seuche oder Bestattungsbrauch? December 15, 2007
Zusammenfassung
Abstract
Einleitung
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1 Kujundžić-Vejzagić u. a. 2003;
Schulz 2003; Bittmann / Kučan 2003;
Kujundžić-Vejzagić u. a. 2004a;
Kujundžić-Vejzagić u. a. 2004b; Müller
u. a. 2005; Hofmann / Müller-Schee-
ßel 2005; Müller 2006; Hofmann u. a.
2007.
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wieder aufgesiedelt und diente wohl – wie heute auch noch – über-
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Ackerhorizont
4730–4600
4850–4770
5000–4890 3. Verfüllung äußerer Graben 3. Verfüllung mittlerer Graben 4790–4720
5040–4950
2. Erneuerung äußerer Graben Aufhöhung äußerer Wall 5080–4990 Aufhöhung mittlerer Wall 2. Erneuerung mittlerer Graben
2. Verfüllung äußerer Graben 5180–5060 Aufschüttung mittlerer Wall 2. Verfüllung mittlerer Graben
Flussschotter
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995,78
995,77
995,76
995,75 Abb. 5. Profil der Menschenknochenun-
995,74
terkanten in Fläche 5 (s. Abb. 4; Profillän-
995,73
995,72
ge 9 m).
995,71
995,70 Fig. 5. Profile of the bottom edge of the hu-
995,69 man bones in excavation area 5 (see Fig. 4;
A B length of profile is 9 m).
Die Knochen lagen, wie betont, ungefähr auf einer Höhe und ent-
stammen demselben Schichtenpaket. Als die Knochen in den Gra-
ben gelangten, war dieser offensichtlich bereits teilweise verfüllt,
wie sich an der Projektion der Knochenunterkanten von Individuum
1 in das Grabenprofil erkennen lässt (Abb. 6). Regelhafte Deponie-
rungen der Knochen waren an keiner Stelle zu beobachten; Hinwei-
se auf eine intentionelle Niederlegung liegen nicht vor. Die mensch-
lichen Knochen fanden sie sich inmitten ‚normalen‘ Siedlungsabfalls
zusammen mit zahlreichen Tierknochen. Entsprechend lassen sich
auch den beiden annähernd vollständigen Individuen keine ‚Beiga-
ben‘ zuordnen.
Einzelne Beobachtungen an den Knochen lassen den Schluss zu,
dass sie nach ihrer Deponierung nicht sofort mit Erde bedeckt wor-
den sind (s. u.). Andererseits erscheint die Verfüllung oberhalb der
knochenführenden Schichten relativ homogen, es ist also möglich,
dass die Verfüllung des Grabenrestes intentionell und rasch durch-
geführt wurde.
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Anthropologie
Material
Methoden
Ergebnisse
1 m 55–65 1,61 m
2 m 40–60 n. b.
3 m 25–35 1,55 m
4 n. b. jünger als 24 n. b.
5 w n. b. n. b.
6 m n. b. n. b.
7 m n. b. n. b.
8 n. b. n. b. n. b. Tab. 1. Geschlecht und Alter der in den
Grabungsflächen 2 und 5 nachgewiese-
9 w n. b. n. b. nen Individuen. m – männlich; w – weib-
10 w 15–18 1,48 m lich; n.b. – nicht bestimmbar, da Material
11 w n. b. n. b. zu fragmentiert.
a c
b d
Interpretation
Der Großteil der Knochen wurde nicht im anatomischen Verband Abb. 10. Schädeltraumata: a – exokrani-
gefunden. Lediglich zwei Skelette waren annähernd komplett im ale Ansicht Trauma 1; b – endokraniale
Verband erhalten (Individuum 1 und 2). Bei Individuum 1 (Abb. 11) Ansicht Trauma 1; c – exokraniale Ansicht
kam es während der Liegezeit zu einer Verschiebung der Mandibula Trauma 2; d – endokraniale Ansicht Trau-
ma 2.
in Richtung Brustkorb. Außerdem kippte das linke Femur aus der Ge-
lenkpfanne und befand sich daraufhin in nicht physiologischer Stel- Fig. 10. Cranial traumata: a – exocranial
lung. Zugehörige Schädelfragmente fanden sich über eine Fläche view trauma 1; b – endocranial view trau-
von 2 m2 verstreut. Diese Beobachtungen sprechen dafür, dass In- ma 1; c – exocranial view trauma 2; d – en-
dividuum 1 nicht unmittelbar nach der Niederlegung mit Erde über- docranial view trauma 2.
deckt wurde, sondern mindestens teilweise noch offfen gelegen
haben muss. Auch Individuum 2 wurde vermutlich nicht sofort kom-
plett mit Erde bedeckt, wie man an den unterschiedlichen Verwitte-
rungszuständen der einzelnen Knochen deutlich erkennt.
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Die Toten der spätneolithischen Tellsiedlung von Okolište / Bosnien-Herzegowina:
Massaker, Seuche oder Bestattungsbrauch?
Dagegen legt die Oberflächenstruktur der Knochen nahe, dass sie Abb. 11. Individuum 1 und räumliche Ver-
größtenteils relativ schnell einsedimentiert wurden. Diese Hypothese teilung der Schädelknochen zweier Indi-
wird durch die Beobachtung gestützt, dass Tierverbiss weitgehend viduen.
fehlt. Aus archäologischer Sicht gibt es aufgrund der homogenen Fig. 11. Individual 1 and distribution of cra-
Verfüllung des Grabens jedoch keine Hinweise auf eine nachträgli- nial bones of two individuals.
che Disartikulation von Knochen aufgrund von z .B. Nachgrabungen
bzw. intentionellen Knochenverlagerungen. Alle menschlichen Kno-
chen lagen auf ähnlichem Niveau, was, wie oben betont, einen Hin-
weis darauf darstellen könnte, dass die Knochen innerhalb einer re-
lativ kurzen Zeitspanne in die Erde gelangt sind.
Diese Beobachtungen lassen im Wesentlichen zwei Deutungs-
möglichkeiten zu: 1. Die Individuen sind gleichzeitig in den Graben
gelangt, teilweise vollständig, teilweise jedoch erst in weitgehend
skelettiertem Zustand, so dass die Knochen rasch zerstreut wurden.
Die Einsedimentierung aller Knochen erfolgte sehr bald nach der
Niederlegung. Diese Möglichkeit setzt eine Aufbewahrung der To-
ten bis zur Skelettierung voraus, kommt also einer Sekundärbestat-
tung gleich. 2. Die Individuen sind nicht gleichzeitig in den Graben
gelangt: Die vollständigen Individuen, die auch stratigraphisch un-
ter den vereinzelten Knochen liegen, wurden als erstes in den Gra-
ben eingebracht und sehr schnell mit Erde bedeckt. Etwas später
folgten die übrigen Individuen, die jedoch über einen längeren Zeit-
raum nicht einsedimentiert wurden, so dass sich die Knochen aus
dem anatomischen Verband lösen konnten.
In keinem der beiden Szenarien wären die Individuen in dem Gra-
ben gleichzeitig zu Tode gekommen. Zwischen diesen beiden Mög-
lichkeiten kann allerdings derzeit nicht sicher entschieden werden:
Szenario 1 würde einen sehr komplexen Umgang mit den Toten vor-
aussetzen. Erklärt werden müsste, wieso die Individuen unterschied-
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hielten. Gegen die zweite Möglichkeit spricht die gute Erhaltung der
Knochen. Hier ist allerdings darauf hinzuweisen, dass auch die Tier-
knochen kaum Spuren von Tierverbiss aufweisen. Da die Bestattung
im Graben offensichtlich eine kurze Episode in der Geschichte der
Siedlung blieb – zumindest sind aus den älteren Grabenabschnitten
bisher keine menschlichen Skelettreste geborgen worden –, spricht
unseres Erachtens beim gegenwärtigen Stand mehr für Szenario 2.
Für die Beurteilung des Befundes wirkt sich erschwerend aus, dass es
aus dem balkanischen und südosteuropäischen Umfeld bisher kaum
Vergleichsbeispiele gibt.
Skelettfunde in Grabenwerken West- und Mitteleuropas sind da-
gegen alles andere als eine seltene Erscheinung4. Zeitlich bilden sie
zwei Schwerpunkte: Insbesondere aus der jüngeren und jüngsten
Bandkeramik liegt inzwischen eine Reihe gut erforschter Erdwerke
vor, die ein insgesamt sehr heterogenes Bild liefern. Während es sich
in Vaihingen bei den Skelettfunden im umgebenden Graben zumin-
dest teilweise sicher um intentionelle Bestattungen mit eigens ein-
getieften Grabgruben handelt (Krause 1998, 20 ff.), geht der Ausgrä-
ber der Erdwerke von Asparn davon aus, dass die dort angetroffenen
Skelettresten von kriegerischen Ereignissen Zeugnis ablegen (Windl
2001), was angesichts der Befunde von Talheim (Wahl / König 1987)
nicht unwahrscheinlich anmutet. Daneben stehen jedoch auch Be-
funde wie etwa von Eilsleben (Kaufmann 2001) oder Herxheim
(Zeeb-Lanz u. a. 2006), die eher auf einen rituellen Hintergrund und
eine Nutzung der Anlage für Sekundärbestattungen hindeuten.
Der zweite zeitliche Schwerpunkt liegt bei Michelsberger und
trichterbecherzeitlichen Erdwerken. Aus dem Inneren und den Grä-
ben dieser Anlagen sind geradezu regelhaft menschliche Skelettres-
te geborgen worden (Wahl 1994; Nickel 1997). In diesem Fall scheint
die opinio communis eher einer Interpretation als Reste von Sekun-
därbestattungen zuzuneigen5.
Dagegen sind entsprechende Befunde aus Südosteuropa wesent-
lich seltener, was einerseits mit dem Forschungsstand zusammen-
hängen mag. Andererseits könnte dies auch damit zu tun haben,
dass die Grabensysteme in Mittel- und Südosteuropa unterschiedli-
che Funktionen zu erfüllen hatten.
Die aus Südosteuropa bekannten Grabenwerke mit menschlichen
Skelettresten können relativ wenig zur Interpretation der Befun-
de in Okolište beitragen. So fanden sich in der Impresso- und Dani-
lo-zeitlichen Siedlung von Smilčić in Dalmatien zwei Bestattungen
von Subadulten und mehrere Schädel von älteren männlichen Indi-
viduen nahe einem Grabenwerk (Batović 1966, 68 ff. 223 f.). In Ru-
mänien wurden in zwei mit der Butmirgruppe ungefähr gleichzeiti-
gen Erdwerken menschliche Schädel entdeckt (Lazarovici 1990, 93).
In einem Graben der Vinča-Siedlung bei Gornea fanden sich meh-
rere Individuen, deren zeitliche Zuordnung aber nicht eindeutig ist
(ebd. 94 Taf. 8). Keiner dieser Befunde6 entspricht dem spezifischen 4 Übersichten: Jahresschr. Mitteldt.
Erscheinungsbild in Okolište, d. h. dem gemeinsamen Vorkommen Vorgesch. 73, 1990 (Tagung „Befes-
von vollständigen Individuen und von Einzelknochen. tigte neolithische und äneolithische
Regelrechte Nekropolen der Butmirgruppe kennt man bisher Siedlungen und Plätze in Mitteleuro-
nicht7. Die wichtigsten entsprechenden Funde – Skelettfunde und pa”); Andersen 1997, 133 ff.
wenige Gräber – wurden in Obre gemacht. Ihre Interpretation ist al- 5 Überblick über gängige Deutungen:
lerdings nicht unproblematisch8. Zudem handelt es sich bei den dor- Andersen 1997, 301 ff.
6 Weitere Beispiele bei Andersen 1997,
tigen Bestattungen ausschließlich um Kindergräber, die in Okolište
146 ff.
fehlen. Möglicherweise wurden die verstorbenen Kinder auch in 7 Garašanin 1956 kann z. B. für die But-
Okolište gesondert bestattet. mirgruppe noch keinen Grabfund
Mit dem Fehlen von Bestattungsplätzen ordnet sich die Butmir- namhaft machen; Lichter 2001, 262.
gruppe zwanglos in das Bild des südosteuropäischen Neolithikums 8 Benac 1973, 72–82; dazu kritisch Veit
ein. Im Gegensatz zu mitteleuropäischen Verhältnissen, wo zumin- 1996, 224 f.
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Epilog
Abbildungsnachweis
Literatur
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